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German Pages 576 Year 1976
Das Recht der unerlaubten Handlungen System in Vorlesung und Diskussion
Von
Walter G. Becker
Duncker & Humblot . Berlin
WALTER G. BECKER
Das Recht der unerlaubten Handlungen
Das Recht der unerlaubten Handlungen System i n Vorlesung und Diskussion
Von
Prof. Dr. Walter G. Becker Freie Universität Berlin
DUNCKER & HÜMBLOT /
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Becker, Walter G. Das Recht der unerlaubten Handlungen : System in Vorlesung u. Diskussion. - 1. Aufl. - Berlin : Duncker und Humblot , 1976. I S B N 3-428-03315-9
AUe Rechte vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03315 9
Für Hellmut G. Isele i n Frankfurt/M. und Mainz, dem die deutsche Zivilistik die langjährige Herausgabe ihres Zentralorgans, des Archivs für die civilistische Praxis, verdankt, der mich oft m i t freundschaftlichem Verständnis unterstützt hat, und dessen Lehre über die Geschäftsbesorgung (1937) einen Teil dieses Buches mitbestimmte, zum Abschiede vom „Archiv".
Inhalt Fundamente Freiheitsschutz und Freiheitsstörung Malefiz, Delikt, Kontrakt BGB und Entwürfe Legalobligationen und deliktsähnliche Haftungen Schuld und Haftung Der Mensch im Deliktsrecht Kybernetik
11 12 18 20 20 22 25 35
Paragraphen und Fallgruppen Fall, Lebenssachverhalt und Sachverhalt Tatbestand und Tatsache Der Sozialgedanke
38 40 42 45
Haftungsprinzipien Kausalhaftung Determinismus und Leistung Verschuldenshaftung Determinismus und Verschulden Erfolgshaftung Billigkeitshaftung Gefährdungshaftung Das Subjektive und das Objektive
49 49 57 63 70 73 73 73 77
Entlastungen Der Enthaftungsvertrag Vermutetes Verschulden Opfergrenze Drittschäden Gläubigermitwirkung bei der Entstehung eines Schadens Beweisungen
87 87 87 88 90 92 92
Der Aufbau des deliktischen Anspruchs
93
Anspruchskombinationen Logik, Dialogik, Dialektik, Spezialität
96 101
Verjährung
107
Die Überleitung zur Condictio nach § 852, 2
109
Schadensersatz und Schaden nach den §§249 -253 §§ 249-251 Der psychische Schaden Der Affektionsschaden Der §253 Dommage moral und moral damage Die Idee Materie und Materialismus Realismus
116 116 124 126 127 137 139 148 167
8
Inhalt
Lucrum cessans, der entgangene Gewinn
170
Mitverschulden und Mitgefährdung nach §254
172
Die Vorteilsausgleichung
176
Die leges speciales der deliktischen Hechtsfolge in den §§ 842-851
179
Unterlassung und vorbeugende Unterlassung (als Hechtsfolge)
182
Die deliktische Grundnorm
187
Exkurs: Die Norm Wertrelativismus
188 206
Schaden (als Tatbestandsmerkmal des § 823, 1)
208
Handlung Die natürliche Handlung Über Macht, Autorität und Gewalt Die Erfolgshandlung Die finale Handlung Die psychische Aktion Die Unterlassung als Tatbestandsmerkmal des § 823, 1
209 210 212 219 223 227 231
Das Verhalten
233
Der Eingriff
236
Die fortgesetzte Handlung
238
Die Handlung als antipathetischer Realakt
240
Der (deliktische) Handlungswille
242
Deliktsfähigkeit
246
Die Verbandshandlung
250
Exkurs I I : Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft 253 Verbände 253 Individuum und Gruppe 256 Personenverbände und Verbandspersonen (Jur. Person, jur. Mehrzahl und jur. Mehrheit) 266 Der Staat 274 Die Quasi-Staaten 281 Der Obrigkeitsstaat 285 Die Staatskontrolle 286 Staatskontrolle: Rechtsstaat und Sozialstaat 293 Staatskontrolle: Rechtsstaat 294 Staatskontrolle: Demokratie 296 Die Gesellschaft 302 Die pluralistische Gesellschaft 305 Die formierte Gesellschaft 308 Der „pluralistische" Staat 310 Staat und Gesellschaft 311 Die Gesellschaft aus antiker Sicht 320 Kausalität (als Tatbestandsmerkmal des § 823, 1) Die überholende Kausalität
324 326
Inhalt Geschützte Rechtsgüter
329
Das Eigentum
333
Die Generalklauseln
338
Die allgemeine Verkehrspflicht 343 Der Eingriff in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder in den Beruf 346 Die Persönlichkeitsverletzung Die Persönlichkeit
349 353
Die objektive Widerrechtlichkeit
368
Exkurs: Das totale Recht Auslegung Semiotik Das Gewohnheitsrecht Faktisches Recht Billigkeit Moral/Ethik Die konkrete Gerechtigkeit Höheres Recht Der natural-legale Parallelismus Die Natur der Sache Das notative Recht Die „Natur der Sache" und das Naturrecht Das Naturrecht Rechtsbesserung Anhang I : Natur und Geist Anhang I I : Wahrheit
370 374 375 378 382 386 387 393 395 395 402 406 408 408 417 422 437
Die subjektive Widerrechtlichkeit
442
Die deliktischen Rechtsfertigungsgründe
443
Das Verschulden
455
Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823, 2 ff.) 459 §823 Abs. 2 460 § 824 462 § 825 463 § 826 463 §§ 832 bis 838 (Tierhalterhaftung nach § 833) 465 Die deliktische Gefährdungshaftung des Geschäftsherrn für seinen Geschäftsbesorger 470 Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation
471
Die Transmissions-Normen
481
Voraus: Der §839 § 839 § 839 a § 839 b
485 491 491 492
Noch voraus: Die Haftung bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs 492 Der Barnett-Fall 494
10
Inhalt
Zwei deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden gegen den Staat 498 Der §31
507
Die §§ 86 und 89
512
Der § 278
514
Die deliktische Geschäftsherrnhaftung bei der BGB-Gesellschaft
517
Der § 831
520
Der Art. 34 GG
525
Einige Lehrfälle zur Haftungs-Transmission
530
Der § 254 bei der Transmissions-Haftung
534
Mehrere Delinquenten
534
Nachwort
539
Stichwortverzeichnis
553
Fundamente L o r d A t k i n sprach i m J a h r e 1932 i n D o n o g h u e v . Stevenson ( A C 580) d i e b e r ü h m t e n W o r t e „ t h e r u l e t h a t y o u are t o l o v e y o u r n e i g h b o u r becomes i n l a w , y o u m u s t n o t i n j u r e y o u r n e i g h b o u r " . D e r G e d a n k e d e r n a c h b a r l i c h e n H i l f e u n d ü b e r h a u p t d e r des M i t leides u n d des M i t l e i d e n s ist a b e r v o n d e r j e w e i l i g e n K u l t u r b e d i n g t , u n d es g i b t M e n s c h e n u n d M e n s c h e n g r u p p e n , b e i d e n e n sich d i e soziale K o m p o n e n t e des M e n s c h e n a l l e n f a l l s a u f seine F a m i l i e b e s c h r ä n k t , w ä h r e n d d e r Mensch sonst r e i n individuell ü b e r seine Transzendenz n a c h g r ü b e l t , sein N i r w a n a oder d i e W a n d e r u n g e n seiner Seele, z. B . i n Indien. Jedoch auch i n I n d i e n gab u n d g i b t es D e l i k t s r e c h t , u n d es k l i n g t d a h e r w a h r s c h e i n l i c h e r , das D e l i k t s r e c h t a u f das „ R e c h t s g e f ü h l " u n d d e n „ S i n n f ü r G e r e c h t i g k e i t " z u r ü c k z u f ü h r e n 1 , welches d i e Menschen beides h a b e n u n d w a s anscheinend a u f e i n e r p h y l o g e n e t i s c h p r o g r a m m i e r t e n A n l a g e b e r u h t , d e r e n F u n k t i o n es ist, d e r „ I n f i l t r a t i o n d e r Sozietät d u r c h asozial h a n d e l n d e A r t g e n o s s e n e n t g e g e n z u w i r k e n " . Programmiert-angeboren oder gesellschaftlich anerzogen , „vitalistisch" oder „mechanistisch" — ist hier die große Frage. Nach dem älteren amerikanischen behaviorism und nach der Lehre des Russen Pawlow zu Anfang dieses Jahrhunderts vom „konditionierten Reflex" wird alles anerzogen, und der Sozialismus aller Sparten, der nach Marx die Welt verändern will, greift behaviorism und Pawlow'schen Reflex gern auf, um mit der Gesellschaft auch die Konditionen des Einzelmenschen zu ändern, wogegen auch beileibe nichts zu sagen ist. Es gibt aber nicht-konditionierte Reflexe, das „Zentralnervensystem erbringt auch andere Leistungen als Reflexreaktionen" (Lorenz), und es wird von bestimmten Verhaltensforschern auch gesagt, daß die (eingeborene) Instinkthandlung ein Merkmal von besonderer phylogenetischer Konstanz und damit „taxinomischer" Dignität sei, sowie daß solche Instinkthandlungen an angeborene Schemata als gelegenheitsselektierende Auslösungsmechanismen gebunden seien. „Könnte das angeborene Schema, so wie es der bedingte Reflex tut, selektiv ansprechen, so brauchte es keine Auslöser zu geben." Es sei noch angemerkt, daß die Instinkthandlungen nach diesen Verhaltensforschern „auf endogenen ReizerzeugungsVorgängen beruhende Automatismen" sind, daneben stehen von steuernden Außenreizen abhängige Orientierungsreaktionen", die Taxien 2 und endlich die „Triebe " 1
Über das Rechtsgefühl z.B. Riezler, 2. Aufl., 1946, über den Sinn für Gerechtigkeit, Albert Ehrenzweig, Psycho-analytische Rechtswissenschaft, 1973, 172 ff., 220 ff. 2 Lorenz-Leyhausen, Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens, 1968, 19, 17, 31, 43, dazu Ehrenzweig a.a.O., 180 ff. — Der Machtbetrieb beein-
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Fundamente
als von bestimmten Instinkthandlungen abhängige Taxien, die „Mythen" der Psychologie, der „Intensitätstrieb" nach A. Adler, der Aggressionstrieb, der „libidinöse", der auf Selbstbestätigung, der sog. „Wille zur Macht", der Trieb nach Geltung, Geld, Versorgung, fasse man ihn mit Nietzsche auf oder als Kompensation eines „Minderwertigkeitskomplexes" nach A. Adler. Populäre Meinung: „Wir sind soziologisch bedingt, aber das ist nichts, wir sind biologisch und mehr als das, kosmisch konditioniert" (Ionesco).
Freiheitsschutz
und Freiheitsstörung
Die Aufklärung äußerte sich gern über zunächst ein Urrecht der Menschen, nämlich das der eigenen Freiheit, der „Freiheit des Ego" (Montaigne, Pascal, Diderot, i n Deutschland nach ihnen vor allem Schelling und Fichte — auch die moderne „Egologik" des Argentiniers Cossio gehört dahin). Die Urpflicht des Menschen folgte dann aus dem Verbot, fremde Freiheit zu stören. Hier liegt die kantische Coexistenz parole vom „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die W i l l k ü r des einen m i t der W i l l k ü r des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden" 1 — jede Freiheit ist „Realisierung ihrer Endlichkeit" vor der des anderen. Das führt auch i n die große Politik: „Erst i n dem Augenblick, wo die Menschen einsehen werden, daß das beste Geschäft, das sie auf Erden machen können, die Achtung vor den Interessen aller anderen Menschen ist, auf allen Lebensgebieten, öffentlichen wie privaten, geistigen wie praktischen, erst dann w i r d so etwas wie eine stabile Gesellschaftsform möglich sein — ob diese dann nach rechts oder nach links orientiert, absolutistisch oder spartakistisch ist, w i r d ungefähr ebenso wichtig sein wie die Kopfbedeckungen oder Eßbestecke, deren sich die Menschen unter ihr bedienen werden" (E. Friedell). — Die Freiheit der individuellen Grenzenlosigkeit w i r d freilich nicht nur durch Staat und Recht begrenzt, sondern auch sonst, nämlich, abstrakt, durch jede A r t kollektivistischer Lebenshaltung oder Lebensanschauung, konkret durch die Verkümmerung des Großhirns, i n dem trächtigt oft die Kultur, die es überhaupt nicht leicht hat: „Größe und Kultur liegen nicht im natürlichen Strome der Entwicklung. W i r stehen mit unserem Werk in einem reißenden Strom, der gegen uns fließt — eine kleine Ermattung der Anstrengung, der Aufmerksamkeit, und er reißt uns um. Schon die ganz schlichte Würde des Daseins, das einfache Heldentum des A l l tags bedarf der ganz großen, von »Leidenschaft 4 erfüllten Anstrengung. Jede Kultur, die sich behaupten will, benötigt ein gewisses Maß der Bilder und Visionen . . . sonst erlahmt die kämpferische Anstrengung, die angesichts der Verfallsneigung allen Lebens die Voraussetzung der Kultur ist" (Sorel). 1 Die kantische Coexistenzparole ist zunächst kein sozialer oder politischer Begriff, sondern bezeichnet das zeitliche Verhältnis von Gegenständen zueinander: eine Ortsveränderung wird wahrgenommen — dann wird die „Coexistenz" der Stelle deutlich, auf der man sich nun befindet (2. Teil, 2. Abtlg. der Kritik der reinen Vernunft).
Fundamente nach Ansicht der Mediziner Denken, Selbstbewußtsein und Persönlichkeit sitzen (stets relativ entwickelte Sonderfunktionen des Menschen , nicht „der Person"!), auch durch mindere medizinische Beeinträchtigungen, Neurosen, oder einfach „closedness of mind". Auch der dem Menschen anscheinend eingeborene Machttrieb steht der allgemeinen menschlichen Freiheit entgegen, auch Neugier und Eifersucht, anscheinend alles Kompensationen! Die Urpflicht des Menschen, fremde Freiheit nicht zu stören, w i r d i m Bereiche des Zivilrechts u. a. deliktisch eingeordnet. Es w i r d also dem Menschen der Rechtsgemeinschaft „befohlen", nur so zu handeln, daß damit die Freiheit des Mitmenschen nicht angetastet wird. Dieser Befehl enthält zugleich das Verbot, fremde Freiheit zu stören, wie das Gebot, daß die Störung fremder Freiheit zur Schadensersatzleistung verpflichte. Störung fremder Freiheit erfolgt i n der Regel durch den Vorgang der Aggression — möglicherweise liegt i h m das Ereignis oder der Zustand der Aggressivität zugrunde, sicherlich beim „homo necarius": dann setzt u. a. die Psychologie ein. — Die französische Revolution, aus welcher der Freiheitsbegriff i n artikulierter Gestalt kommt, verstand die Freiheit i n erster Linie politisch, nämlich als Befreiung der Unterworfenen von den Feudallasten — was diese politische Freiheit anlangt, so ist gegen bestimmte Freiheitsbeschränkungen, z.B. die Bindung an den Boden, glebae adscriptio, gegen die Verpflichtung zu Frondiensten, auch gegen die Ausbeutung von Arbeitskraft, gegen aktuelle Gewalt oder bloß gegen potentielle Drohung — Bedrohung, immer protestiert worden. — Der allgemeine Freiheitsbegriff hängt eng m i t dem der „Willensautonomie" des Menschen zusammen (Kant): als vernünftiges Wesen kann der Mensch die Kausalität seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken, denn dieser Wille als Unabhängigkeit von der sonst bestimmenden Sinnenwelt heißt Freiheit (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 11). Anders gesagt besteht die Freiheit des Menschen i n seinem Vermögen des Vorzuges, unabhängig von seinen Sinnen, i n der Möglichkeit der Wahl, offener Mensch zu sein oder „geschlossener", zu handeln oder nicht zu handeln, zu arbeiten und zu leisten, oder nicht, sich zu bemühen oder sich nicht zu bemühen. Das gilt vom sozial brauchbaren Menschen. Besitzt der Mensch die Freiheit der Wahl nicht, oder übt er sie nicht aus, so ist er sozial unbrauchbar, vielleicht krank, vielleicht schuldhaft. — A m schärfsten bestimmt sich die allgemeine Freiheit an ihrem Gegensatzpartner Zwang . Oft w i r d „Freiheit" gesagt, wenn „Zwang"
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Fundamente
gemeint ist, das Kriegsministerium i n Orwells „1984" heißt „Ministery of love", „freilich, wenn einer nicht hat frei werden wollen, hat der König keinen Spaß gekannt" (B. Brecht). Die Befreiung von der Freiheit, also die Erlösung vom Steuer, w i r d oft als Morgengabe der Despotien und Diktaturen angeboten (und begierig akzeptiert), führt gelegentlich dann aber auch, wie i n Thomas Manns Meisternovelle „Tragisches Reiseerlebnis", zu einem Ende mit Schrecken. Die Hauptzwänge, welche dann also der Freiheit entgegenstehen, sind der Zwang zur Verdrängung der Urtriebe (per Sublimierung nach Freud, per „Geist" nach Scheler), der Zwang der sozialen Herkunft (Marxismus, Neo-Marxismus), der Zwang der Technisierung der Welt, der Zwang aus der Machbarkeit der Dinge (Maschinen!), der Zwang aus den Institutionen, die der Mensch geschaffen hat, die aber den Menschen sich selbst „entfremden", der Zwang aus der „Geworfenheit" allen menschlichen Lebens (Heidegger), der aus der menschlichen „ E x i stenz", d. h. Zuordnung zum Dasein und zur „Wirklichkeit, der soziale Zwang" aus „dem Blicke des anderen" (Sartre) oder der aus der Angst (O. Veit), endlich: der Sachzwang schlechthin, oft identisch m i t Notwendigkeit und „Naturzwang": ein Apfelbaum trägt eben keine Birnen. — Selbstsein und Freiheit sind nicht identisch. K a n t bezeichnete das „Selbstsein" als die menschliche Freiheit. Auch die Deterministen leugnen nicht das kantische Selbstsein, wohl aber (in diesem Zusammenhange) die kantische Freiheit: „Der Mensch kann sehr w o h l i m Bewußtsein des Eigenen und des Selbst seine Erklärungen abgeben und sich' dabei frei fühlen, da aber seine Willenserklärungen von unzähligen Vorstellungen und Gefühlen bestimmt werden, entscheidet er zwar selbst, aber nicht frei (M. Danner)." Freiheit zeigt sich als Selbstbestätigung oder als Kontrollentbundenheit, Freiheit des Seins und Freiheit des Habens. Freiheit des Seins kann Anarchie sein, aber auch das spezifisch Menschliche, Vorzug, Wahl, Wertung, Werturteil, Wert (die Motivationen dazu können dahingestellt bleiben, auch alle hier vorkommenden Ambivalenzen und Pluralismen — aber Kultur ist Wertung der Wertung!). Die Freiheit des Seins gehört zum Leben des Menschen wie Licht, L u f t oder Wasser, man raucht oder raucht nicht, man ißt fett oder mager, man geht u m die Pfütze herum oder durch sie hindurch. Juristisch w i r d die Freiheit des Seins vor allem i n § 823, 1, i n den Normen des Persönlichkeitsschutzes und i n den Grundrechten geschützt. Freilich stimmt dieser Freiheitsbegriff nicht zur alten juristischen Sta~ tusfreiheit , m i t der nur kraft rechtsgenössischer Anerkennung zwischen den Edelfreien, den Freien, den Minderfreien und den Unfreien i m
Fundamente Staate unterschieden wurde, auch nicht zu dem rechtsgenössischen „Gesetzesvorbehalt", der i m alten „Statusrecht" über der Freilassung kraft Emanzipation stand und noch i m modernen Recht vielfach als über der privatautonomen Rechtsgeschäftsfreiheit stehend angenommen w i r d — die Rechtsgeschäftsfreiheit sei nur sekundär und derivativ, also nicht originär, und Kauf- und Tauschverträge würden nicht i m Stile von Robinson und Freytag abgeschlossen, sondern verdankten ihre Möglichkeit dem § 433 BGB oder seinen Vorgängern und Nachfolgern. — Sartre hält die Freiheit (des Seins) für ein „menschliches Verdammtsein". Die verschiedenen Freiheiten, „die ich meine", sind vorwiegend Freiheiten des Habens, die Rückenfreiheit Gneisenau's, die Nahrungsfreiheit, die Freiheit des Handels, die der Produktion und der Konsumption, auch die Freiheit des Sex (die freilich, vorwiegend auch noch kommerzialisiert, mehr auf Sexualpathologien geht, auf Obszönität, Pornographie, Fäkaliensprache, Voyeurs und Exhibitionismus aller Sparten) — „ m i t der Freiheit hat es nicht viel auf sich, aber die roten Strümpfe, das ist was", meinte die alte Schwester Adelheid i n Fontanes „Stechlin". — Beides, Freiheit des Seins und Freiheit des Habens, ist anscheinend i n dem Volksspruche gemeint, Freiheit sei da, wo man nicht zu lügen brauche... Die alte Unterscheidung des Aulus Gellius, kurz nach Christus, einerseits Mensch, homo, als persona (per-se-persona), andererseits als Sozialmaske (prosopon und phersu der Griechen und Etrusker) betrifft zuerst den individuellen und den sozialen Menschen, den Menschen als Individuum und den Menschen als Sozialwesen, dann aber auch den Menschen i m Sein und den Menschen i m Dasein, i n welchem er seine Umwelt haben, wenn er nicht nur i m personalen „Ausdruck", sondern i n seiner Wirklichkeit leben w i l l (und alles, was zwischen Ausdruck und Wirklichkeit liegt, ist nur Lebensverwaltung, nach G. Benn „Bierbestellung"). Damit aber schließlich das Gegeneinander von Freiheit und Ordnung. Je personaler und individueller, je mehr Mensch i n seiner „Essenz", jemand ist, u m so mehr hängt er der Freiheit an, je wirklicher und sozialer, je mehr Mensch i n der „Existenz " (Dasein) jemand ist, u m so mehr der Ordnung, und die „faulen Existenzen" Hegels sind oft Freiheitsfanatiker. I m übrigen sind Freiheit und Ordnung die Extrempole der öffentlichen Meinungsbildung, oft pathologisch und „Schwingungen" unterworfen, hie individuelle Entfaltung, hie „soziale Gesundheit" (Lorenz).
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Fundamente
Ordnung ist nach Sorel „ein System von Gefäßen, durch die ein Fluidum menschlicher K r a f t und menschlicher Anstrengung strömt, während diese Gefäße ohne die strömende K r a f t verkalken und i n sich zusammenfallen". Biologisch gesehen handelt es sich bei der Ordnung u m die „Ordnung der Reizüberflutung", Ordnung ist demgemäß nicht „Fessel und Begrenzung unserer Freiheit, sondern eine der kostbarsten Gaben des menschlichen Wesens, ohne die es m i t der Weltbewältigung nicht geht" 1 . Zur zoologischen Ordnung gehört auch die ursprünglich aus dem Leistungspotential (hier freilich aus dem Aggressivitäts-Potential) hergeleitete, durchaus egalitätswidrige Rangordnung (dementsprechend gibt es, ganz i m Sinne der menschlichen Interessenverbände, die Hordenführung, i n der Regel plural, z. B. durch ein Gremium besonders bösartiger alter Gorillas). Regieren und Ordnunghalten sind gleichbedeutend. I n Unordnung kann keine Menschengruppe leben (womöglich keine Gruppe von Lebewesen). Hier liegt der Standort von „ l a w and order" und vom „law abiding Citizen". Zunächst stehen der menschlichen Gruppenordnung drei Grundformen der Gruppen-Organisation zur Verfügung, die Monarchie, deren Prinzip die Ehre ist, die Demokratie mit dem Prinzip der (individuellen oder sozialen) Tüchtigkeit, und die Despotie m i t dem der Furcht. Dann die Ordnungsinstrumente Befehl, Anweisung und Instruktion, weiter die Ordnungsmoden der Lehre, der Lernbereitschaft (Bildung und Erziehung) und Beispielsnacheiferung (Tradition) — „Herrschaft" ist nur das subjektive Element der Ordnung, entmythologisiert: Chancenposition auf Ordnungserhaltung (Draht) — U. K l u g bemerkt m i t Recht, daß das Herrschen nur eine Perversion des Regierens darstellt, der Schiffskapitän führt, aber er herrscht nicht, wer das verkennt, versteht nichts von der christlichen Seefahrt .. . 2 . Während „die Ordnung" hinreichend vor allem i m Staatsrecht, i m Verwaltungsrecht, i m Strafrecht, auch i m Arbeitsrecht geschützt w i r d — die „Disziplin am Arbeitsplatz, §§ 210 ff. des Strafgesetzbuches der DDR von 1968 enthalten die Straftaten gegen „die öffentliche Ordnung" — hat der Freiheitsschutz seine Domäne auch i m Zivilrecht, woraus sich vor allem das Deliktsrecht ergibt, welches weit über den Schutz der „körperlichen Freiheit" i n Zeile 2 des § 823,1 hinausgeht. — Die Kombination von Freiheit und Ordnung liegt vielleicht i n der angeblich preußischen Maxime: . . . tue, was du (sozial) sollst, danach 1 Hier nur die Aphorismen von E. Bloch, Freiheit und Ordnung, Büchergilde Gutenberg 1972, 199 ff., und O. Veit, Freiheit als Schicksal, Stuttgart 1957, letztens Elfriede Tieisch in der Z. f. philos. Forschung, 1974, 242-272 (Fraglichkeit der logischen Griffigkeit in den etwas suspekt gewordenen Begriffen von der Freiheit und der Unfreiheit). 2 Nicht veraltet: A. A. Grünbaum, Herrschen und Lieben als Grundmotive der philosophischen Weltanschauungen, 1925.
Fundamente kannst du tun, was du willst! Also Freiheitsdefinition nach Subtraktionsmethode, durchaus brauchbar, ontologisch vorausgesetzt, daß nach der Subtraktion von der Ordnung überhaupt ein positives Resultat verbleibt, ein Raum der Freiheit. I n bezug auf diejenigen, die dieses Subtraktionsprinzip umkehren (erst die Freiheit, der verbleibende Rest für die Ordnung!) muß erwogen werden, ob die Betreffenden, und ihre „Sympathisanten", nur liberal oder schon unsozial, asozial oder gar anarchistisch und „chaotisch" sind. — Die „Freiheit", von der eben die Rede war — und immer landläufig die Rede ist — stellt die allgemeine, die Generalfreiheit des Menschen dar und ist nicht zu verwechseln m i t der Freiheit der körperlichen Bewegung, welche ein Tatbestandsmerkmal des § 823, 1 darstellt — die Engländer sagen einerseits freedom, andererseits „habeas corpus " — diese lateinisch-englisch-juristischen Worte meinen also das, was i n Deutschland der § 823, 1 anspricht. I n England und Amerika ist der habeas corpus-Schutz seit der Magna charta von 1215 verfassungsrechtliches Grundgesetz. Ein „habeas-corpus-writ" ist heute noch für alle Fälle verfügbar, i n denen sich jemand über Freiheitsberaubung beschwert, mag sie auf der vermeintlichen Begehung einer Straftat oder auf Anstaltsverwahrung beim Verdacht von Geisteskrankheit beruhen, auf Sklaverei, rechtswidriger Einziehung zum Heeresdienst oder Entziehung eines Kindes aus der Versorgung durch den Erziehungsberechtigten: Hoff v. State of New York (279 N. Y. 490) entschied i m Jahre 1939 z. B. einen Fall der irrtümlichen Internierung i n einer Anstalt für Geisteskranke — w i r arbeiten hier vor allem m i t A r t . 104 GG. Während der letzten beiden Weltkriege schwebten habeas corpus-Fälle, i n denen die Betreffenden vom Britischen Innenministerium auf Grund gewisser gesetzlicher Ermächtigungen aus Kriegsgründen i n Haft genommen wurden. Der habeas corpus-Schutz ist i n der amerikanischen B i l l of Rights von 1776 nach Amerika und i n der Verordnung Nr. 23 der amerikanischen Militärregierung vorübergehend nach Deutschland überführt worden, w e i l der amerikanische Gesichtspunkt der eines grundsätzlich und abstrakt unbeschränkten Schutzes des Bürgers vor den Staatsgewalten i m Punkte habeas corpus war, und die Amerikaner die vor allem i n den Prozeßordnungen, neben § 823, 1, enumerierten und konkreten Rechtsbehelfe des deutschen Bürgers i n bezug auf sein habeas corpus nicht wahr haben wollten 1 . 1
W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958, 456.
2 W. G. Becker
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Fundamente Malefiz, Delikt,
Kontrakt
Nach der Vindikation, der rächenden Zurückholung eines weggenommenen Gegenstandes, und ihrer Überführung aus dem materiellen Vorgang zur Idee eines bloßen Anspruchs darauf, ist das zivile Deliktsrecht, das älteste Stüde des Privatrechts, eine Transformation des Straf rechts, an welches sich das Deliktsrecht daher noch heute i n vielen, oft nur leicht abgewandelten Tatbestandsmerkmalen anlehnt. Die generelle Friedensstörung i n der oder jener Gestalt bedeutet das Malefiz, das durch die strafrechtliche Rechtsfolge zur Friedensleistung, also zur Friedenseinhaltung zurückzubiegen war, i n der Regel durch vorübergehende oder endgültige Ausschaltung des Störers. I m Anschluß daran konnte eine spezielle Friedensstörung als delinquierender Einbruch, auf die Rechtsfolge einer bloßen Schadensersatzhaftung zugunsten des Verletzten zurückgeschraubt werden, das Delikt der römischen Lex Aquilia 1 , der französische „trespas", der englische „trespass": die Haftung t r i t t als Surrogat der scult (Schuld) auf, die nach der alten Glossierung identisch m i t sanguis, dem Blute, war 2 . So entsteht, wie O. W. Holmes, immer noch grundlegend, herausstellte, die „private liability". W i r d das Deliktsrecht i n dieser Weise auf der einen, der Ausgangsseite, vom Strafrecht begrenzt, von dem es herkommt und demzufolge es pure Legaloblitationen umfaßt, so schafft es sich sein anderes Grenzland, das rechtsgeschäftliche Obligationenrecht, selbst. Trespass, Delikt, ist i m Deliktsbereich „malfeasance" , warum soll aber „utiliter", analog, nicht auch Schadensersatz für „misfeasance" geleistet werden, wenn der Barbier, wie es i m Jahre 1499 geschah, den Bart des Klägers m i t einem sauberen und gesunden Rasiermesser zu stutzen unter- und übernommen hatte, aber zum „großen Nachteile des klägerischen Antlitzes dabei fahrlässige und ungeschickte Leistung erbrachte"? Die rechtsgeschäftliche Forderungsverletzung, bei uns ein Spätling, w i r d an die Pforte des sich allmählich auftuenden rechtsgeschäftlichen Obligationenrechts überhaupt gestellt, und schon wächst dieses dahinter an: auch „nonfeasance" gibt einen Schadensersatzanspruch, erst w i r d er auf „warranty", Garantieversprechen, gestützt, dann auf „promise", Versprechen schlechthin, unter Umständen „contract" genannt, zusammengenommen also auf „undertaking", lateinisch „assumpsit". Das englische Recht entwickelt sein rechtsgeschäftliches Obligationenrecht (Contracts) i m Anschluß an sein Deliktsrecht (Torts) i n dieser Weise sozusagen abstrakt (und trägt daher bis heute Con1 U. v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno iniuria dato, 1971. 2 W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung. Strukturen des Schuldrechts auf der Grundlage des anglo-amerikanischen „check-andbalance"-Systems, 1958, 140 und A. 36.
Fundamente tracts und Torts i n getrennten Stoff-, Behandlungs- und Vorlesungsstücken vor), das deutsche enumerierte einzelne für schutzwürdig gehaltene Versprechensansprüche (so besonders auch die „einzelnen Schuldverhältnisse" des BGB!), wobei aber, dem englichen Recht entsprechend, der Anspruch aus dem die Züge eines warranty tragenden Wettverträges der Erstgeborene ist, der aus dem Bürgschaftsvertrage, einem speziellen Versprechen, aber einem Versprechen schlechthin (promissum), erst der zweite 1 . Einige Einzelheiten aus dem historischen Deliktsrecht, diesmal dem englischen: „Ex maleficiis autem procedunt crimina maiora vel minima, sicut crimen laesae maiestatis, homicidia, furta, et rapinae at alia plura de quibus inferius dicetur . . . Item ex maleficio vel delicto procedunt iniuriae et transgressiones, ,iniuria autem dici poterit omne i l l u d quod non iure fit' . . . Transgressio autem, cum modus et mensura non servatur" (wobei die Definition der iniuria aus Inst. 4, 4 pr. übernommen ist, die Bracton i n Azo's Kommentar vorlagen, und das Wort „transgressio" eine Übersetzung des französischen „trespas" darstellt) 2 . — Weiter bei Fitzherbert über die Form der Deliktsaktion (writ i n trespass, v i et armis) 3 : „Der König dem Sheriff Seinen Gruß: A u f A n trag des A versichere Dich des B durch Pfand und Bürgen und stelle sicher, daß dieser am Morgen von Allerseelen . . . vor Unseren Richtern i n Westminster erscheine, u m zu rechtfertigen, daß er i n N m i t Gewalt und Waffen (Modell: Lex Aquilia v i et armis) einen A n g r i f f auf A gemacht und ihn geschlagen, verwundet und mißhandelt hat, so daß man an seinem Leben verzweifeln mußte, und i h m andere böse Dinge angetan hat, zum großen Schaden des A und gegen Unseren Frieden: U n d versäume nicht, die Namen der Bürgen und diesen W r i t vorzulegen!" — Schließlich: u m 1300 herum scheint, wie sich aus den Jahrbüchern Eduards I., des englichen Justitian, entnehmen läßt, das Merkmal des „deforciat" aus dem Deliktsrecht verschwunden zu sein, es ist nicht mehr nötig, daß der Delinquent gewaltsam vorgegangen sei 4 — so wie der heutige i m § 823,1 BGB. Force (natural: violence), forza, Gewalt bedeutet zunächst einmal Widerstandsbrechung, wie das Strafrecht deutlich sagt. I m Sprachgebrauch w i r d aber Gewalt und Aggression gern gleichgesetzt, genauer: das Wort „Gewalt" statt des Wortes „Aggression" gesagt, so 1
Hierzu Bracton, De Actionibus, 1250, I I I 2, § 14, zur weiteren Information (mit Quellen) s. W. G. Becker, aaO, 138, 140, 162 ff., insbesondere 164 - 166. 2 Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958, 138. 3 Freie Übersetzung aus Fitzherbert, Natura Brevium, 1516, 9. Aufl., 1793, 196. 4 Vgl. Jenks, Edward I., The English Justinian, Selected Essays in AngloAmerican Legal History, Bd. 1, Boston 1907, 139 ff.
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vor allem auch bei der soziologischen Handhabung des Gewaltbegriffs: man arbeitet und regiert entweder autoritativ, m i t Überredung und Beispiel, jedenfalls mit Valenz, oder aber mit Gewalt, potestativ, mit Potenz, wobei aber die Potenz der Gewalt noch wiederum i n die der bloßen potentiellen Gewaltausübung und i n die der aktuellen Gewaltausübung zerfällt — potentielle Gewaltausübung z. B. bei allen Gebotsund Verbotsnormen, aktuelle Gewaltausübung z.B. i n der Tätigkeit einer Armee (Zwang, American Forces). BGB und Entwürfe Das deutsche Deliktsrecht liegt gesetzlich i n den §§ 823-853 des Bürgerlichen Gesetzbuches nieder. Es soll geändert werden, wobei man der Dogmatik und der Rechtsprechung folgt, soziologisch den Interessen der Industriegesellschaft, selbst wohl dem zunehmenden Trend zur Gewalttätigkeit und Gewaltanwendung, der sich dann zivildeliktisch auswirken kann. Vom Bundesjustizministerium liegen zwei Entwürfe vor, der Schaeffer-Entwurf, die sogen. Lex Soraya, die vor allem den Schutz der i m Licht der Öffentlichkeit, vor allem der öffentlichen Kommunikationen, stehenden Persönlichkeiten bezweckte (daher der Scherzname), dann der sogen. Referentenentwurf vom Januar 1967. Die Gesetzesvorschläge dieses Entwurfs stellen noch kein geltendes Recht als „ l a w i n the books" dar, entsprechen aber i m Wesentlichen der A n wendung, welche die bisherigen Gesetzesnormen bei den Gerichten gefunden haben (also dem „law i n action"!), so daß w i r den Entwurf durchaus als Wegweiser durch das Schadensersatzrecht, und damit auch durch das Recht der unerlaubten Handlungen, nehmen dürfen. Die Lex Soraya (Bundesrats-Drucksache 217/59) ist i m Referentenentwurf aufgegangen 1 . Auch die Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts ist zivildeliktisch zu bedenken (vgl. auch neuerdings B. Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, 1974). — Legalobligationen
und deliktsähnliche
Haftungen
Es handelt sich i n den Deliktsvorschriften u m Legalobligationen, d. h. gesetzlich festgestellte Verbindlichkeiten eines Schuldners gegenüber einem Gläubiger 2 . Es gibt natürlich auch andere Legalobligationen, z.B. die des ungerechtfertigt Bereicherten oder die des Unterhalts1 Dieser ist vom BundesJustizministerium gedruckt worden und wird durch den Verlag „Versicherungsgesellschaften e.V." in Karlsruhe ausgeliefert — die beste Literatur zum Referentenentwurf bis heute bei B. Lemhöfer, Viel Licht, mancher Schatten, Versicherungsrecht 18, 1967, 1196 ff. 2 Grundlegende Literatur immer noch: Bienenfeld, Die Haftungen ohne Verschulden, 1933.
Fundamente Pflichtigen. Es gibt weiter dabei auch deliktsähnliche Haftungen aus Legalobligationen, wobei vor allem die deliktischen Tatbestandsmerkmale des Verschuldens und der Kausalität ausfallen oder modifiziert werden: die unverschuldete Verletzung eines Namensrechts oder eines Patentrechts gibt nach § 47 des deutschen Patentgesetzes nur einen Unterlassungs-Leistungs-Anspruch nur, wenn auf Schadensersatzleistung gehaftet wird, gehört Verschulden zum Tatbestand. Nicht jedes Handeln, das i n der Verknüpfung von Ursache und Folge, also nach dem Kausalprinzip, zu einer Verletzung der Gesundheit oder des Eigentums eines andern führt, ist deliktischer Natur. Es gibt zahlreiche selbstverständlich erlaubte Handlungen, die immer wieder auch zur Ursache für Unfälle, Gefährdungen und Schädigungen Dritter werden, „außerhalb aller Wahrscheinlichkeit und Lebenserfahrung" liegende Folgen. Leuchtgas z. B. ist giftig. Es liegt i m Bereich der Lebenserfahrung, daß seine Herstellung und Verwendung immer wieder einmal Opfer fordert. Gleichwohl ist sie erlaubt. Das gleiche gilt von der Herstellung von Beilen, Messern, Waffen, Feuerwerkskörpern, giftigen Pflanzenschutzmitteln, von der Aushebung von Brunnen, Feuerlöschteichen usw. Immer wieder w i r d m i t einem Beil ein Mensch erschlagen oder jemand von Feuerwerkskörpern verletzt. Immer wieder führen Mißbrauch oder unvorsichtige Aufbewahrung von giftigen M i t teln zu Unglücksfällen oder Verbrechen. Das alles sind durchaus adäquate Folgen. Gleichwohl bleibt die Herstellung aller dieser Dinge ein rechtmäßiges Verhalten, auch wenn es später zu einem Unfall kommt. Das gleiche gilt für die Risiken etwa von Holzfäller- oder Bauarbeiten oder von modernen Betrieben. Gefahren für die Allgemeinheit sind hier überall unvermeidlich. Aber sie verpflichten nur dazu, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Verbieten kann man alle diese Tätigkeiten nicht, auch wenn man weiß, daß durch solche Maßnahmen der Gefahrenabwehr Unfälle nicht völlig ausgeschlossen sind 1 . Als Beispiel der sog. Zustandshaftung, also nicht für Ereignisse, gilt vor allem die übermäßige Immission, die nach § 906 nur die Unterlassung und die Beseitigung zur Rechtsfolge hat — sie steht weit entfernt von der übermäßigen Imission i n konzessionierte Betriebe m i t der Rechtsfolge der Schadloshaltung. Die Haftimg auf Leistung der Wehrpflicht beruht ausschließlich auf dem Zustande der Erreichung eines bestimmten Alters und auf einem bestimmten Gesundheitsgrade sowie auf der Eigenschaft, Staatsbürger zu sein. Der Staat haftet nach den Tumultschäden-Gesetzen, oder nach den Grundsätzen des Versicherungsrechts dem Arbeitslosen aufgrund des Zustandes der A r beitslosigkeit und der Arbeitsunfähigkeit, aber regelmäßig ohne Rück1
E. v. Caemmerer, Ges. Schriften, Bd. 1,1968, 485.
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sieht auf die Kausalität jener Arbeitslosigkeit/Arbeitsunfähigkeit 1 — überhaupt die Staatshaftung. — Fernerhin gehört die Eingriffshaftung bei Vertrag und vertragsähnlichem Tatbestand nicht ins Deliktrecht. Übergänge von der außerdeliktischen zur deliktischen Haftung finden sich z.B. bei der obligatorischen rechtsgeschäftlichen Gefahrtragung des Verkäufers, auch darin, daß zahlreiche deliktische Tatbestände zum schon rechtsgeschäftlich bestehenden Schutz einen deliktischen hinzufügen — Stichworte sind die culpa in contrahendo und der Vertrag zugunsten eines Dritten 2 . Auch die ungerechtfertigte Bereicherung „aus nicht rechtgeschäftlichem Geschehen" (die eine Handlung nicht immer, eine Bereicherung immer voraussetzt) und schließlich bei Eigent u m und früherem Besitz (die zuständliche, also nicht immer kausale Haftungen begründen) führt evtl. zum Delikt 3 . Nicht zum Deliktsrecht gehört weiterhin die Haftung für erlaubte (wenn auch schädigende) Handlungen, deren Hauptfall der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch ist, auf den auch wieder die heute i n § 14 Abs. 3 GG zwingend vorgeschriebene Enteignungsentschädigung zurückgeht 4 . — Die außerdeliktische Haftung w i r d oft deliktisch berücksichtigt, z. B. i n den §§ 7 und 18, betreffend die Haftung des Autohalters und des A u tofahrers nach dem Straßenverkehrsgesetz von 1952. Schuld und Haftung Das Begriffspaar Schuld/Haftung t r i t t (zuerst anscheinend bei Siegel zu Ausgang des 19. Jh.) primär i n der Kontraktsgeschichte i m Hinblick auf das naturale und das legale Versprechen auf, promissum und contractus, betrifft dann die Konstitution des Versprechens und bringt damit axiomatische Begriffe des objektiven Rechts (law i n the books) zum Ausdruck. Schuld und Haftung stellen aber davor und i n der „problematischen" Kategorie der Rechtsanwendung, insbesondere der Setzung von Anwendungsrecht, Prinzipien, Direktive oder Topoi für die determinative Beurteilung der Verantwortlichkeit eines Inanspruchgenommenen dar, zunächst i n der Schuldner/Gläubiger-Relation schlechthin, die also auch bei einem dinglichen Anspruch vorliegt, dann i n der allgemeinen obligatorischen Relation des Gläubigers zum 1 Weitere Beispiele bei Bienenfeld, 170 ff., 176 f., 1970. Hierzu E. von Caemmerer, Gesammelte Schriften, 1,1968, 461, 464. 8 R. Bruns, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht, Juristische Schulung, X I I , 1971, 227. 4 K. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, I I , Besonderer Teil, 9. Aufl., 1968, 510 ff., bes. 512. 2
Fundamente Schuldner, schließlich i n der spezifisch obligatorisch-rechtsgreschäftlichen Beziehung des Versprechensgebers gegenüber dem Versprechensempfänger. Innerhalb dieser determinativen Zurechnung von Verantwortlichkeit scheint am Anfang die Vorstellung zu regieren, daß der Schuldner m i t seinem Körper schuldet „die Tat tötet den Mann!", für ein körperliches Nichteinstehen aber m i t seinem oder sonstigem Vermögen surrogativ „prästiert" oder haftet, evtl. auch m i t bloßen Repräsentanten oder Teilen dieses Vermögens, m i t der Noxa, der schädigenden Sache selbst (D 9.1. 1 Pr.), m i t dem Wadium, dem zur Sicherung des Gläubigers bestellten Gut, oder m i t dem Gute der Ehefrau. Daran, daß Haftung hier Surrogat für Schuld ist, erinnern auch die Fälle der Fremdhaftung, zuerst aus der M u n t heraus, dann aus sozialen Organisation-Situationen, z. B. der Haftung des Geschäftsherrn i n der GeschäftsbesorgungsVinkulation, oder der Staatshaftung — daß die „Bürgschaftshaftung " primäre Eigenschuld, nicht sekundäre Eigen- oder Fremdhaftung ist, sondert sie vom Haftungsversprechen z.B. des Garantievertrages ab (RGZ 72,140). Quantitativ gesehen, bedeutet diese der körperlichen Schuld gegenüber gestellte vermögensmäßige Haftung ein verstärktes und akzentuiertes Schulden (Philipp zu Don Carlos: „ D u haftest mir!"). I m modernen Recht w i r d nach dem Wegfall des körperlichen Einstehenmüssens der Haftungsbegriff für jederlei A r t von vermögensmäßiger Verantwortlichkeit verwandt, so daß dann i n bunter Folge die Begriffe der persönlichen Haftung, der Vermögenshaftung, der Haftung nichtvermögensrechtlicher A r t , der gegenständlichen Haftungsbegrenzung, der Haftung bei Anspruchskonkurrenzen oder der Haftung für Fremdschuldner aufkreuzen — hier kann nur von Fall zu Fall festgestellt werden, was für Verantwortungen, was für Verbindlichkeiten oder was für Verpflichtungen gemeint sind, so daß Wortbedeutungen und Wortverbindungen belanglos bleiben — § 812 geht z.B. noch von einer Schuld des Anspruchgegners aus, § 818 von einer Haftung (technisch: spezifische Haftung und Werthaftung). Schließlich werden Schuld und Haftung als rein obligationsrechtliche Direktive zwecks Bestimmung der Verantwortlichkeit eines obligatorisch Inanspruchgenommenen unter der Fragestellung verwendet, ob die Verantwortlichkeit aus subjektiven oder aus objektiven Gründen heraus zu bestimmen sei: subjektiv begründete Verantwortlichkeit ist dann die auf subjektive Stellungnahmen, vor allem auf den sogenannten Willen gestützte Schuld (subjective test), objektiv begründete Verantwortlichkeit eine auf die objektive Sach- und Rechtslage gestützte
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Haftung (objective test) — wobei § 276 BGB einen objektiv-subjektiven Mittelweg geht, indem er den Schuldner an sich objektiv seine Verantwortlichkeit vertreten läßt, dann aber diese objektive Verantwortlichkeit für ein gegen i h n Rechtsfolgen auslösendes „Fatum" dadurch „defatalisiert", daß der Schuldner nach A r t und Umfang i n der Regel nur sein subjektives Verschulden (Vorsatz und Fahrlässigkeit) zu vertreten hat 1 . Der deliktische Schuldner haftet also, und i n der Regel auf geldlichen Schadensersatz. Die schon erwähnten frühen Zusammenhänge zwischen dem zivilistischen Deliktsrecht und dem Strafrecht ersetzen aber manchmal den geldlichen Schadensersatz bei Delikten durch eine alternativ-strafrechtlich und strafverfahrensmäßig zuerkannte Buße. „Der Zweck jeder frühen Rechtsordnung bestand i n dem Verlangen des Herrschers oder der Gruppe, Selbsthilfe, Fehde und Rache durch autoritäre oder sonst gruppale Sanktion abzulösen. Dies wurde zum Teil dadurch erreicht, daß man dem Schadensstifter eine Geldbuße auferlegte, die insofern strafrechtlicher Natur war, als sie von der Obrigkeit auferlegt wurde und ihr zumindest teilweise zufloß, zivilrechtlicher aber insofern, als die Eintreibung der Buße vom Verletzten abhing und seiner Entschädigung diente. Von dieser A r t waren die Bußen Hammurabis, der Angelsachsen und der Germanen, während sowohl die Sanktionen der 12 Tafeln als auch die der lex Aquilia rein zivilrechtlich waren 2 ." Auch nur Beugegelder, m i t denen Unterlassungen und Beseitigungen, da sie direkt nach überall eingeführtem Prinzip nicht erzwungen werden können (you may lead a horse to the water, but nobody can make h i m drink, §§ 704 ff., 888 ZPO) 3 zu bewirken versucht wird, müssen hier erwähnt werden, endlich das Adhäsionsverfahren , etwa nach § 403 StPO 4 .
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Vgl. dazu W. G. Becker, Gegenopfer, 284 ff., 145 f. A. Ehrenzweig, aaO, 297, 276 f., 299. 3 W. Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, 1969. 4 Uber die Adhäsionsverfahren des Auslandes, s. A. Ehrenzweig, aaO, 299, der deutsche Text lautet: Der Verletzte oder sein Erbe kann gegen den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört und noch nicht anderweitig gerichtlich anhängig gemacht ist, im Strafverfahren geltend machen, im Verfahren vor dem Amtsgericht jedoch nur insoweit, als der Anspruch zu dessen Zuständigkeit gehört. — Des weiteren sei auf §§ 404, 2, 405, 406, 3 und 406 a StPO verwiesen, ferner öffentlich-rechtlich, wenn auch nicht strafrechtlich, auf die Schadensersatzpflicht aus den §§ 302, 4, 600, 2, 717, 2, 945. 2
Fundamente Der Mensch im Deliktsrecht Der aktive und passive anthropologische Bezugspunkt des Deliktsrechts folgt a) aus den Bestimmungen über die Person (das anthropologische Wesen, das einer Zurechnung fähig ist — Kant) i n den §§ 1 ff., BGB, A r t . 1 und 3 des deutschen GG. I n beiden Fällen handelt es sich u m Legfalbestimmungen, u m Person oder Mensch als legale Figuren. Darunter aber kann man noch den Menschen als naturales!natürliches Wesen stellen (s. über den „natural-legalen Parallelismus" u. S. 395), und dieser natürliche Mensch ist es offensichtlich, welcher, wie i m Strafrecht, das Deliktsrecht regiert, die „natürliche" Mensch-Person-Gegebenheit, m i t natürlicher Handlungsfähigkeit (freilich speziell geregelt i n § 828), auf ihren Namen kommt es, eben w e i l sie „natürlich" und nicht sozial etikettiert ist, auch nicht an 1 . Dieser „natürliche" Mensch t r i t t dann i n seinen Rollen auf, intim oder sozial als Mitglied einer Gruppe, wenn „ i n t i m " , dann als Individuum , Ich/Ego (Egologik nach Cossio!), — Mensch schlechthin, Persönlichkeit oder Kreatur 2 — aber über die Intimseite des Menschen w i r d i n der Industriegesellschaft nicht gerne gehandelt, wo man den Endverbraucher, den Verkehrsteilnehmer und den Sozialpartner vor Augen sieht, und wo viele Leute auf den Verlust ihrer Intim-Seite, insbesondere ihrer Individualität offensichtlich nicht den geringsten Wert legen — anders die Ethik i n ihrer I n t i m - E t h i k 3 . . . A u f die „Vorbehaltsklausel der Humanität " i m Rahmen des internationalen und interlokalen Kollisionsrechts (z.B. die Anerkennung eines Eberswalder Urteils durch ein Gericht i n Frankfurt/M. i m Jahre 1950), und auf das Bekenntnis zur Menschlichkeit i n der AtlantikCharta von 1941 sei i n bezug auf den „natürlichen" Menschen hingewiesen, w e i l das immer wieder i n der Diskussion und i m materialistischen Humanitätspostulat auftaucht — die Humanität ist eben ein „Topos" auch des Rechts geworden. I n der Herausarbeitung der natural-menschlichen Elemente i n den Rechtsinstitutionen bestand insbesondere das Naturrecht der französischen Revolution, aber i m Grunde auch heute alles nicht-scholastische Besserungs- und Naturrecht. Der „Sozialstaat " des deutschen GG nimmt sich besonders dieses natürlichen Menschen an (und berücksichtigt dabei vor allem auch das Humanitätspostulat). —
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Darüber kurz Festschrift für Gerhart Husserl, 1969, 125. aaO, 121 ff., 128 ff. 3 Aber nur sie hilft gegen psychische Störungen, übrigens auch die Sozialethik mit Sitte, Konvention, Sittlichkeit/Moral und Bergpredigt. 2
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Fundamente Annette von Droste-Hülshoff fragte: Wie den Soldaten auf der Wacht die Hönde schreckt aus dumpfer Ruh so durch gewitterschwüle Nacht ruft uns die Zeitenlosung zu: Wie nennst du dich? Wer bist denn du?
Die Frage der Annette w i r d ständig auch vom Deliktsrecht gestellt und geht zunächst von der allgemeinen Unterscheidung zwischen Tier und Mensch aus. Die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch ergibt sich aus dem Verhalten schlechthin. „Bei allen außermenschlichen Lebewesen k l i n ken die Signale der Umwelt von selbst die richtigen Reaktionen aus" (M. Landmann), das Verhalten, insbesondere der Tiere, w i r d also durch angeborene Instinkte geregelt, das Tier ist spezialistisch i n seine U m welt eingepaßt. Den Instinkten des Tieres entsprechen zwar i n gewisser Weise die aus den „Objektivationen" erbauten menschlichen Traditionen. Davon abgesehen aber eignet dem Menschen die Offenheit: i n der Weltoffenheit als einem formalen Prinzip „der Aufgabe und der Fähigkeit der Selbstkreation liegt das perennierend-konstante Wesen des Menschen", was den Menschen spezifisch vom Tier unterscheidet, ist seine „exzentrische Position" (Plessner), wenn auch freilich die Offenheit des Menschen durch die Schranken seiner Kreatürlichkeit (seiner „genuinen Natürlichkeit, natura naturans) begrenzt wird, und Lagen und Traditionen jeweils die menschliche Offenheit variieren lassen. — Dementsprechend bindet E. Hothacker den Menschen weitgehend an seine Umwelt: ein und derselbe Wald bedeutete dem Bauern ein bloßes Gehölz, dem Förster Forst, dem Wanderer Schatten, dem Verfolgten Unterschlupf, dem Dichter Waldesweben . . . Verschiedene Menschen erlebten den gleichen Weltstoff i n ganz verschiedenen Aspekten, und Kulturen erhöben derartige Aspekte jeweils zu allgemeiner Geltung, wobei auch der Durchgang von näheren zu weiteren Umwelten offenbliebe. Vom Standpunkte des frühen Marx , dann des englisch-amerikanischen Pragmatismus aus steht der Mensch als Individuum i m Fluß der Geschichte und „konstituiert" sich i n ständiger Auseinandersetzung m i t dem i h n umgebenden Chaos, welches für sich genommen ungeordnet und formlos bleibt (naturans, die menschenleere Natur!) und erst durch menschliche Formung konstituierbar w i r d (natura naturata!), womit sich rückbezüglich der formende Mensch selbst konstituiert. Die menschliche Offenheits-Definition liegt der Existenzphilosophie, auch der Phänomenologie, zugrunde: da der Mensch nicht anders als i n einer ständigen Aufnahme seiner Umwelt begriffen werden kann, w i r d
Fundamente als Korrelat des Menschlichen i n bezug auf die Stellung des Menschen gegenüber dem „Sein" die Seins-Kategorie des Daseins (der Existenz), danach die des Habens eingeführt: der Mensch hat das Bedürfnis, durch das Medium der gesamten Welt, die er auf jede Weise, naiv oder „ekstatisch", „noetisch" oder noematisch", „perceptiv" oder „apperceptiv", deklarativ oder konstitutiv, aufzunehmen versucht, zu Dasein und Existenz zu gelangen, dann, nicht nur i n der Welt zu sein, sondern auch die Welt zu haben, selbst auf Kosten von „Ich-Schwund" und „Entfremdung" von seinem eigenen Sein. — Zusätzlich bliebe m i t Dewey zu erwähnen, daß der Mensch, wie jedes Lebewesen, ein sich i n der Welt aktiv betragendes Wesen ist — aktiv mehr i m Denken, je zerebraler und machtunbeflissener der betreffende Mensch ist — sonst knetet er (womöglich) „Brotmännchen" (Büchner) — auch je mehr jemand i n totaler oder partieller Selbstbestätigung operiert, u m so aktiver ist er. — Die berühmte kantische kopernikanische Wendung, welche, „ u m die Himmelsbewegungen zu erklären, das Sternenheer i n Ruhe ließ, den Zuschauer aber drehte" (Vorrede zur 2. Aufl. der K r i t i k der reinen Vernunft) ist also einmal passiv, ein andermal aktiv: passiv w i r d der Mensch ohne sein Zutun u m die Sterne gedreht, aktiv aber dreht er sich, ständig mobil, u m sich selbst — von der passiven kopernikanischen Wendung kommen alle Hervorhebungen der menschlichen Passivität bei der Objektivität gegenüber der Subjektivität, bei der „Dinglichkeit" gegenüber der Personalität oder bei der Sozialität gegenüber der Individualität, von der aktiven kopernikanischen Wendung die gegensätzlichen Betonungen — angebracht scheint die Denkart „et-et" zu sein. — Biologisch ist alles Leben, selbstverständlich auch das des Menschen, an einzelne Individuen gebunden, die biologisch abgrenzbare Gebilde darstellen (Maßhoff). Die naturwissenschaftlichen Definitionen des Lebewesens und der Menschen sind daher auch durchweg „individuell" gehalten. „Die Lebewesen sind von den unbelebten Dingen der Natur durch ein bestimmtes chemisches und strukturelles Gefüge unterschieden, durch Stoffund Energiewechsel, durch Reizbarkeit und Entwicklung, wobei das solcher A r t gekennzeichnete Leben an einzelne Individuen gebunden ist, die biologisch gesehen räumlich bestimmt abgrenzbare Gebilde darstellen und eine eigentümliche Gestalt sowie eine eigentümliche Funktion aus inneren Ursachen heraus gesetzesmäßig hervorzubringen und zu erhalten imstande sind, und wobei den Lebewesen eine bestimmte Organisation eignet, die sich aus dem jeweiligen Stoff bestand und dem Baugefüge der äußeren Gestaltung und der inneren Anordnung der
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Teile ergibt." Und: „Der Mensch ist vielschichtig und gestuft aufgebaut und gegenüber den übrigen Säugern durch eine bestimmte Entwicklungsstufe der Cerebration ausgezeichnet. Die Unzahl der an diesem Aufbau beteiligten zellulären Lebenseinheiten ist, einem bestimmten Bau- und Funktionsplan entsprechend, zu verschiedenen zellulären Verbänden, zu Geweben, Organen und Organsystemen zusammengefügt, u m den inneren Betrieb i n ständiger wechselseitiger Beziehung zur Außenwelt bewältigen zu können. Zur Aufrechterhaltung des Lebensbetriebes bedarf es notwendigerweise übergeordneter vermittelnder und regulierender Einrichtungen (vor allem Atmung, KreislaufApparat, Nervensystem und Endokrinum), der sogenannten Gemeinschaftssysteme." (Maßhoff). Anscheinend ist aber der Mensch auch seiner biologischen Evolution nach zuerst Idee , nicht Materie: die Komplexität der Zelle (mit der das organische Leben beginnt) führt zu einem subjektiven Bewußtsein, vielleicht „osmotisch", der Mensch wäre dann, i n seiner ersten Definition, „die zum Bewußtsein ihrer selbst gelangte Evolution" (Julian Huxley). Zum Mensch gehört also selbst biologisch der „Sprung" i n das subjektive Bewußtsein, i n Sprachentwicklung und intelligentes Denkvermögen, i n die „Noogenese", i n die Idee (Tiere haben nicht nur Reflexe, sondern auch Bewußtsein, sie haben aber nicht das permanente Leistungs-, Idee- und vor allem Todesbewußtsein des Menschen!). — Wenn „die Gedanken frei sind", kann man sie doch erraten und explizieren. Der Mensch w i r d aber durch seine Psyche bestimmt und repräsentiert, „was dahinter liegt", geht uns schwer an, darum auch der psychische Einfluß, der leicht zu irrigieren ist und irrigiert w i r d — eine Wasserfläche m i t einer Reihe von i n starken Divergenzwinkeln auftretenden Bächen und die anglo-amerikanische Wendung vom „undue influence"!, ist das psychische Leben beendet, so ist der Mensch tot und nicht mehr Lebewesen, noch i m Nessushemd der „Kreatur" nachwirkend, aber, sub specie aeternitatis, nicht mehr lange. „Organisches Leben ist nicht ohne mechanische, molekulare, chemisch-thermische, elektrische Änderung möglich 1 ." — „Psyche" und „Seele" bedürfen der Erläuterung. Die Seele ist nach Aristoteles (de anima, I I 412 a 27) „die erste Entelechie eines physischen Körpers, sofern er der Möglichkeit nach Leben hat" — w i r dürfen sagen: die Vitalität schlechthin, der Lebensfunken. Bescheidener gesagt, ist die Seele „die personifizierte Unbegreiflichkeit einer gewissen Gruppe von Erscheinungen innerhalb der Grenze unseres Leibes" 1
E. Bloch, Das Materialismus-Problem, 1972, 429.
Fundamente (Lichtenberg). Die Psychologen, Psychiater und Neurologen, auch die Psycho-Analytiker, versuchen, den Weltraumforschern verwandt, die Grenzen unseres Leibes auf die „Seele" h i n vorzuschieben und arbeiten dann i n der „Psyche". — Juristisch verwertbare Beispiele über das Volumen des Psychischen nach der neueren Psychologie: die Reaktion eines Menschen auf einen Reiz läuft auf 3 beobachtbaren und evtl. meßbaren Verhaltensebenen ab, a) auf der organisch-physiologischen Ebene, b) auf der motorischen, c) auf der Erlebnisebene (der subjektiven Ebene). Das Geschehen auf diesen 3 Ebenen beeinflußt sich gegenseitig. Der Verlauf und die Interaktion auf den einzelnen Ebenen durch das „arousal-Potential" w i r k t modifizierend auf die Stimulus-Bedingungen zurück . . . Seit längerer Zeit gehen die Psychologen davon aus, daß der Mensch sich ständig i n einem allgemeinen emotionalen Zustande oder i n einem Zustande der Erregung befindet, der sich organisch i n einem sog. Aktivitätskontinuum, d. h. i n laufenden Aktivierungen manifestiert. Der lebende Organismus des Menschen weist dauernde Bereitschaften zu Handeln oder aber zu Gespanntheit, organisch dann ein bestimmtes Aktionsniveau auf — sehr niedrig i m Tiefschlaf, höher i m Wachzustande. Ein hoher Aktivationsgrad führt auf schlichte Erregung zurück, ein noch höherer ist für Affekte (z.B. Wut) kennzeichnend. Aktivationsgrad und A k tionsniveau aber können durch Hirnzellenpotentiale bestimmt, und sogar gemessen werden, dies i n bezug auf Atem- und Pulsfrequenzen sowie elektrischen Hautwiderstand. Hier gibt es Alpha-, Betaoder Thetawellen, wobei eine A l p h a - A k t i v i t ä t ein „pleasure-Verhalten" anzeigt, angenehme Gefühle, Wohlbefinden, Vergnügen, Heiterkeit, Gelöstheit, eine Beta-Aktivität Sorge, Ärger, Furcht, Frustration, Spannung der Aufregung, auch Aversion, eine Theta-Aktivität ProblemErinnerung, Planschmiedung, Tagträume, i m Ganzen eher negativ, sprunghaft und unsicher. Dagegen, alles psychologisch aufzufassen, spricht aber vor allem die Unterscheidung zwischen „scienda" und „ignoranda", nicht die scholastische, die sich von der Theologie leiten ließ, w o h l aber diejenige, die i n der alten Differenzierung von „essentialia negotii" und „accidentalia negotii" liegt — die Psychologie frißt auch die Pietät 1 . — Weiterhin ist bei jeder irgendwie anthropologischpsychologischen Betrachtung die Unterscheidung des vor — vom nach1 Also „limitierter" Psychologismus, nicht „Panpsychologismus", Limitierung wie bei der causa, der Motivation und der Determination schlechthin, um „der Sachehre" willen, d.h., um die irdischen Wirklichkeiten „sachlich" erledigen zu können! Jeder, der den beliebten „Panpsychologismus" betreibt, muß sich also mit den Sätzen Th. Manns in „Lotte in Weimar" auseinandersetzen: „ein unangenehmer, ein kränkender Scharfblick ist das, ein Scheelblick vielmehr, der von den verschlungenen Motiven einer Handlung nur die zart verschwiegenen sieht und nur diese wahrhaben will, die präsen-
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tiefenpsychologischen Menschen stets mitzudenken (M. Landmann) — die Vernachlässigung der tiefenpsychologischen Betrachtung erklärt manches Unbehagen an den Selbst- und Umwelterzeugnissen der früheren Menschen, die ihrer Geschichtlichkeit nach ja zum ganz wesentlichen Teile der langen Epoche des vortiefenpsychologischen Menschen angehörten. — „Lebewesen können als kybernetische Systeme angesehen werden, welche die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu reproduzieren, wobei die Reproduktion durch einen Informationsspeicher organisiert wird, dessen Inhalt Schritt u m Schritt während der Entwicklung aufgebaut w i r d " (Havemann). Vielleicht aber gibt es nicht nur Information und Orientierung dabei, sondern auch Valenz? Der Mensch scheint i m Wesen wertend zu sein, pluralistisch, ambivalent, aber jedenfalls valent — es gibt Menschen, die z. B. das sozialistische oder kommunistische System, etwa das der DDR, von Herzen bejahen, aber nicht daran denken, das Leben i n der DDR m i t Arbeitsnorm-Erfüllung und ökonomischer Zurückschraubung der Lebensansprüche zu teilen, sondern statt dessen i n der BRD wohnen und deren marktwirtschaftlich-individuelle Lebensvorzüge genießen (am Ende sogar noch das System der DDR propagieren und, wie die „Salonkommunisten", als wandelnde Lebenslügen herumlaufen). — Hier liegt der Stein des Anstoßes für alle Lehren, welche den Wert verneinen, genauer: die Fähigkeit des Menschen, Werte zu haben. A l l gemein w i r d dazu gesagt, daß der Mensch nicht nur (Karl M a r x und seine Schüler) „homo oeconomicus" und Produzent oder Konsument materieller Güter sei, sondern etwas viel Umfassenderes und Harmonischeres, und daß auch der Sozialismus diesen Menschen, und nicht den Produzenten/Konsumenten i m Auge habe. Die Aufklärung nannte die oben erwähnte (zentrale) Fähigkeit des Menschen, Werte und Ideen zu haben, schlechthin die menschliche Vernunft. Der Verstand urteile m i t Hilfe der Kategorien, die Vernunft ordne und schließe, so meinte Kant, nach Schelling gäbe aber der Verstand nur Klarheit ohne Tiefe und Breite ohne Einheit, das Verstandesdenken sei „hart abtrennend", das Vernunftdenken „dialektisch schwingend" (Hegel). Die Vernunft der Aufklärung steht hinter den 3 K r i t i k e n Kants. Die Menschen ohne Vernunft sind wie die Fliegen — vom I n stinkt der Lebenserhaltung getriebenen Verstand haben die Fliegen auch, sie erstreben an den kalten Oktobertagen, die ihrem Leben ein tablen und sagbaren aber als Vorwände verspottet. Charlotte empfand mit Groll das Beleidigende solcher, ja vielleicht aller Seelenkunde . . . Haben denn sie, die Scharfblickenden, nichts zu fürchten? Wie, wenn man den Spieß umkehrte und die Motive ihres Spürsinnes zu Tage zöge, die sich vielleicht nicht ganz in Wahrheitsliebe erschöpfen?" S. a. o. S. 55/61.
Fundamente Ende setzen wollen, die geheizten Zimmer — die zynischen Staatsmänner betrachten die Menschen daher auch wie die Fliegen, Rackers, wollt i h r denn ewig leben? . . . Aber auch die emotionalen Grundlagen der Vernunft (und entsprechende des Verstandes) dürfen nicht übersehen werden: je mehr emotio, desto mehr ratio — meinte Einstein, und überall gilt hier der Satz Fr. Th. Vischels: „man soll freilich auch das Schlechte, Böse, Dumpfe ganz objektiv geben (gleichgültig, wie es m i t der „Semiotik" solcher Worte bestellt sei!), dennoch soll man dem anspüren, daß gehaßt wird, und daß ein Grimm dagegen k o c h t . . . " Viele verneinen die Möglichkeit des Menschen, Werturteile, Wertungen und Werte zu haben — das wären nur Ergebnisse aus „Informationen" (so die Kybernetik). Geschimpft ist nicht kritisiert, dennoch sei (mit Goethe) einmal auf diejenigen geschimpft, welche die Fähigkeit des Menschen verneinen, Ideen und Werte zu haben: „Gefährlich sind solche Bestien, wie Ihr seid, die alles ringsum mit Fäulnis anstecken, die alles Schöne und Gute begeifern und bescheißen und dann die Welt glauben machen, es sey alles nicht besser als ihr eigener Koth!" (Friedenthal, Goethe, 1963, 162).
Wertung und Werturteil als essentialia des Menschen sind möglicherweise biologisch/zoologisch „vorprogrammiert": „die angeborenen auslösenden Mechanismen stellen gewissermaßen die Tastatur dar, m i t deren Hilfe die Umwelt auf der Orgel der Triebe s p i e l t . . . Die sozialen Auslösungsmechanismen leisten dann tatsächlich eine A r t ,Bewertung 1 des Artgenossen und seines Verhaltens, und auch anderer Gegebenheiten, z. B. gewisser Gräser, die das Tier nicht frißt. U n d so wesentlich verschieden auch diese Leistung von der Leistung echten Werterlebens ist, so ist sie doch die unabdingbare Voraussetzung für jedes Werterleben und für die Bildung all jener ästhetischen, ethischen, moralischen und religiösen Wertungen, welche die Essenz menschlicher K u l t u r und Sitte ausmachen 1 ." — Der Mensch, sei hinzugefügt, operiert optimal i m Aussagreurteil und i m Werturteil (diese Vögel sind Falken . . . wer delinquiert, ist zum Schadensersatze verpflichtet — § 823, 1). Vorformen der Urteile beider A r t sind Meinungen und Wertungen — K u l t u r ist „Wertung der Wertung". Aussageurteile (Fakt-Urteile, Existentialurteile, kognitive U r teile) sind einfacher i n ihrer Evidenz zu handhaben: sie werden falsifiziert. Werturteile schwieriger: ist das Werturteil des § 823, 1 richtig oder nicht? — darüber kann diskutiert werden. Wenn aber ein Werturteil vorliegt, beansprucht es auch, seine A r t der Evidenz zu haben und 1 Lorenz-Leyhausen, 1968, 60, 61.
Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens,
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„richtig" zu sein — eine bloße Wertung darf da weniger hohe A n sprüche stellen (von vorgängigem Bla-bla-bla ganz zu schweigen). — Z u diesem allen wäre zu sagen: Die „Infrastruktur" der Psyche bei der „ S t r u k t u r " des Menschen immer vorausgesetzt, stellt sich dieser i m Deliktsrecht (wie auch sonst), wie folgt, dar. Unter den irdischen Lebewesen, einschließlich der Pflanzen, hat der Mensch die vollkommenste, sagen w i r : eine großartige Cerebration, die i h n anscheinend an die Spitze aller Lebewesen stellt — wenn auch (theologisch) „Gott" nicht homogen", sondern nur „allogen", als mißlungene Schöpfung (woher dann alle Niedergeschlagenheit i n Bezug auf das Wesen des Menschen folgt, es gäbe für i h n kein irdisches Paradies, er sei „Gelächter und schmerzliche Scham" — Nietzsche! —, er sei ewiges „Halbe-halbe" — was übrigens richtig zu sein scheint!). Der menschliche Intellekt (nach der Aufklärung „Verstand" und „Vernunft") liefert dann dem Menschen, und nur i h m unter den Lebewesen, die permanente Realisierung der Endlichheit an, die andere Lebewesen, z. B. die Rinder, nur augenblicksweise, etwa i m Schlachthause, haben, und unter der ständigen Motivation dieser Endlichkeitsrealisierung arbeitet der Mensch, und anscheinend nur er, dann m i t dem Werturteil, kraft dessen er wertend vorzieht , so oder so zu leben, oft pluralistisch und i n Kollision (der Werte), oft auch ambivalent. Die Konstituierung des Menschen i n seinen Werturteilen, Wertungen und Werten ist es eigentlich, was die „Freiheit des Christenmenschen" genannt w i r d — „des Menschen Wille ist sein Himmelreich" . . . Ist also Vorzug und Wahl, besonders der Aussage, allen Lebewesen gemeinsam — das Pferd zieht z. B. beim Fressen gewisse Botanica vor, wie es i h n seine „Information" gelehrt hat — ist Vorzug und Wahl i n Werturteil und Wertung spezifisch menschlich, so daß also das spezifische Wesen des Menschen auch zunächst i n der Permanenz der menschlichen Endlichkeitsrealisierung gesehen werden kann, dann weiter i n der gerade daraus erwachsenen Werturteils-(Wertungs)-Kapazität des Menschen — das Reitpferd des obigen Beispiels muß also durch den wertenden Reiter vom Fressen der schädlichen Akazienblätter zurückgehalten werden — die bloße „Information" des Pferdes über sein Fressen genügt hier nicht, erst die Wertung eines Menschen führt zum „richtigen" Fressen. — Die Unevidenz des Vorzuges und der Wahl bei der Aussage ersieht sich leicht aus der Objektivität, bei der Wertung und ihrer „Valenz" spielt aber auch die auctoritas des wertenden Menschen ihre Rolle. Beispiele enthalten die ideologisch oder sogar idealogisch gefärbten staatlichen, gesellschaftlichen und individuellen Pädagogien zu „höheren" Bestrebungen und Idealen, vor allem aber auch der Schutz der
Fundamente menschlichen Persönlichkeit, einer menschlichen Wertbezogenheit. „Der gesunde Mensch trägt als Anlage und Erbgut eine »Idealwelt 4 i n sich, z.B. die Unterscheidung des Wahren vom Falschen, des Echten vom Unechten, des Guten vom Bösen, des Schönen vom Häßlichen, den Trieb zum Wohltun, zur Hilfsbereitschaft, zur Treue, das Streben nach Erkenntnis der Wirklichkeit" (Feuerborn). Dem Werturteil geht aber i n der Regel ein einschlägiges AussageUrteil voraus, das Aussageurteil und seine „Zutreffendheit" w i r d „ i m pliziert" (z.B. die „Vollendung der Geburt i n § 1 BGB). Es kann aber auch so liegen, daß überhaupt erst ein Werturteil abgegeben werden kann, wenn das einschlägige Aussageurteil bejahend gefällt w i r d : wenn nach § 48 des deutschen Ehegesetzes auf die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft abgestellt w i r d — wie es der Gesetzestext sagt — fällt der Richter zunächst einmal ein reines, nur auf Tatsachen bezügliches Aussageurteil, an das er danach sein Werturteil gemäß § 48, Abs. 1, Halbsatz 2, anhängen mag. — Orientierung und Information , wie sie durch Aussageurteile (und Computer) betrieben werden — und wie gern! — u m danach richtige Werturteile zu ermöglichen, sind also gut — nur: die Frage, ob das aufgrund solcher Orientierung und Information erfolgende Werturteil auch Evidenz hat, kann nicht m i t Sicherheit beantwortet werden. — Der Computer gibt keine Werturteile und setzt damit keine Werte, und wenn er mit Werturteilen „gefüttert" wird, so bedeutet das nur irgendeine Werbung, i m Zweifel Staats- oder Gesellschaftswerbung totalitärer A r t . — Die Datenverarbeitung hilft in bezug auf die Ummontierung der Werturteile zu Aussageurteilen nicht weiter, denn bei der Datenverarbeitung können wieder nur Aussageurteile, keine Werturteile gefällt werden — die Werturteile kommen nämlich aus menschlicher Erfahrung, und damit aus Menschenleben , und das hat der Computer nicht. Werturteile können also höchstens „eingefüttert" werden — die totalitäre Gesellschaft und der totalitäre Staat erheben düster ihr H a u p t . . . Doch legitimiert evt. die gute Informiertheit einen sonst einfachen Menschen als „Optimaten" im Widerstandsrecht , der also Widerstand leisten darf 1 .
Sicherlich w i r d der Mensch oft auch Subjekt, „die Psyche ist der Konstitutionsgrund aller Subjektivität" 2 . A u f dem Subjekts-Vehikel fährt er an die juristischen Welt-Gegebenheiten heran, als Subjekt ist er oft „subordiniert", i n „Kapazität" und i n „capitis deminutio" oder nicht 3 . „Subjekt" ist „die Unterlage eines Stellungnehmens" — meinte 1
Karanikas-Festschrift, I I I , Thessalonike, 1967, 200. Gerd Wolandt, Idealismus und Faktizität, 1971, 83. 3 Festschrift für Gerhart Husserl, 1969, 110. Sonst nur G. Husserl, Rechtssubjekt und Rechtsperson, AzP 1927, 197, 199, 207, 134, H. A. Fischer, Subjekt und Vermögen, Festschrift f. Rosenthal, 1923. 2
3 W. G. Becker
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Duns Scotus — zu Anfang des 14. Jahrhunderts, Subjekt ist der Gegensatz zu Objekt, meint man heute, Subjekt ist also nur denkbar, wo man auch den Bezug dieses Subjekts zu einem Objekt vor Augen hat. Der Künstler, der „non-objective" arbeitet, also nur i m Ausdruck, nicht i n der Gegenstandswelt, ist „Persephone", naturale Person, nicht Subjekt („Sag* dem Gegenstande ab, der dich anwedelt aus den Schaufenstern!"). Die Objektivitätsparole ruft zur Sache, zum Objekt — das Subjektive soll zurückgedrängt sein. Das Objekt ist die zum „Gegenstand" gewordene Gegebenheit. § 100 a des deutschen Strafgesetzbuches veranschaulicht juristisch. Für die Biologen ist das Objekt, der Gegenstand, eine „Heizquelle". § 90 BGB sollte nicht „Sachen", sondern „Gegenstände" überschrieben sein, denn nicht um physisch-körperliche Sachen handelt es sich da, auch u m psychische Sachen, immer noch Materien, aber auch um „ideelle Sachen", eben nicht Sachen mehr, sondern nur noch Gegenstände, sogar nicht-materielle! Zwischen dem Subjekt und dem Psychicum besteht ein dialektischer Zusammenhang, da das Subjektive immer ein Psychisches, aber nicht jedes Psychische subjektiv ist. Der schlafende (und nicht träumende) Mensch ist psychisch da, aber nicht subjektiv — nach Duns Scotus wäre er aber schon Subjekt, denn i m Schlafen liegt auch eine „Stellungnahme" (wäre es auch nur die negative der Ablehnung des Wachens), die Entdeckung des Subjekts bei Duns Scotus wäre also eigentlich eine Entdeckung der „Psyche" 1 . — Stammler meinte, Rechtssubjekt könne auch jemand anders als ein Mensch sein. So auch manche ältere Rechte. Das französische Recht kennt, ebenso wie viele alte Rechte, auch Delikte „des choses inanimées" 2 , was i m deutschen Recht zur Haftung der entsprechenden Eigentümer oder Muntherren umgebogen wird, z. B. des Tierhalters i n § 833 BGB oder des Betriebsunternehmers bei dem Betrieb einer Eisenbahn nach § 1 des Gesetzes vom 29.4.1940. Aus der Tatsache, daß i m Deliktsrecht „natürliche" Menschen einander gegenüberstehen, folgt mancherlei, z. B. daß der Deliktsschuldner nicht nur haftet, sondern auch schuldet, ferner, daß die Obligation des Deliktsschuldners grundsätzlich auf Leistung (Lösung) geht, auch die z. B. der Unterlassung, die „vorbeugende Unterlassung", der Widerruf — auch die Schadensersatzleistung, grundsätzlich aber i n erster Linie wieder auf die Leistung der „Naturalrestitution" (§ 249), sekundär, wenn auch i n der Regel, auf Geldzahlung (condemnatio pecuniaria). 1 2
s. o. S. 28. E. v. Caemmerer, aaO, 582.
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Vor allem aber folgt aus der „Natürlichkeit" des Deliktsrechts ein zweierlei „Wer" i m BGB: der „ w e r " des § 823, 1 kann nur ein natürlicher Mensch sein, keine societas, denn „societas delinquere non potest" (kein Satz des römischen Rechts, aber einer der juristischen Logik). Der „ w e r " des § 831 BGB kann auch eine societas sein, denn i n § 831 geht es nur u m die Geschäftsbesorgung, die ein „natürlicher" Mensch für einen „Geschäftsherrn" erledigt (s. u. S. 471). Kybernetik Die Optimalität der Aussage, insbesondere des Aussage-Urteils, w i r d von der Kybernetik betrieben: N. Wiener, Cybernetics or the control and communication i n the animal and the machine, Paris 1948, deutsch unter dem Titel „Kybernetik" i n der 2. Aufl., 1963, i m Econ-Verlage, Düsseldorf. Kybernetik ist i m engeren Sinne die Wissenschaft und die Technik von den programmgesteuerten Maschinen (Rechenautomaten, lernende und lehrende Automaten, Übersetzungsmaschinen, Computer zur D a t e n Vermittlung), i m weiteren Sinne d i e Wissenschaft u n d
die
Technik von der mathematischen und danach konstruktiven Behandlung allgemeiner struktureller Beziehungen, Funktionen und Systeme. Das System ist nach Stachowiak ein nach bestimmten Gesichtspunkten geordnetes Ganzes, das durch Angabe seiner Elemente und deren Eigenschaften, sowie der zwischen den Elementen einerseits, und deren Eigenschaften andererseits bestehenden Beziehungen charakterisiert w i r d — Struktur ergibt sich aus dem Phänomen der Strukturierung (der Strukturalismus ist eine marxistisch ausgerichtete moderne Lehre davon): beim Prozeß der Strukturierung werden die anfangs unabhängigen primären Elemente durch strukturierte Einheiten ersetzt, die aus verknüpften primären Elementen bestehen (Beispiel: Strukturierung als notwendige Voraussetzung des Lernens). Man w i l l nur reportieren, nur die Ist-Phänomene interessieren, nicht die Soll-Phänomene — die Existenz von menschlichen Ideen und Wertungen/Werten w i r d zugegeben, aber das seien Fakten und materielle Materialien, man w i l l nicht „utopisch" sein, sondern streng „ortend" und „topisch" (die pragmatische Begründung des „Realismus"!). Die Soll-Phänomene sind „Führungsgrößen" (auch die i n den Denk-Abteilungen Sitte, Sittlichkeit, Moral, Ethik, Recht versammelten), der K a pitän sei aber möglichst nur „Kapitän auf Zeit", und i n politicis helfe hier eine allgemeine Demokratisierung. „Wenn die Funktionen des Steuermanns (und ,Ruderers') von Maschinen übernommen werden, kann sich der Mensch entsprechend immer mehr als Kapitän betrachten" (v. Cube). Ein M i n i m u m an Entscheidung forderte übrigens schon Carl Schmitt i n seiner Verfassungslehre von 1928. Auch „Störungen" i n der 3*
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Führung sind aber zu berücksichtigen, „uneinsichtige Führungsgrößen". Beispiel, i n welchem der Ausdruck „Kapitän" sogar direkt, also nicht bloß bildlich verwendet wird): eine Personalabteilung i m Bundeswehrministerium sucht einen Offizier, der perfekt englisch spricht, woraufhin der Computer die Namen von 10 perfekt englisch sprechenden Offizieren „ausspuckt", der Abteilungsleiter, ein Fregattenkapitän, aber den Offizier der eigenen Wahl, also eines eigenen Wertsystems, erwählt. — Kybernetes, der Steuermann (Lotse), also „steuert" nicht „an", sondern betreibt Steuerung schlechthin, indem er Fakten balanciert, Wind, Wasser oder entgegenkommende Schiffe. Das Steuern erfolgt, einfacher, i n einem „offenen Wirkungsablaufe", oder i n einem „programmierten" Steuern, dann, praktisch häufiger, i n einer „geregelten " Kreisrelation des „geschlossenen Wirkungsablaufes", i n welchletzterem die „Daten" nicht nur „verknüpft", sondern „gekoppelt" sind, die chronologisch späteren dann „rückgekoppelt" — ein kybernetisches Modell solcher Regelung gibt der lebende Organismus, insbesondere das vegetative Nervenystem (ein Informations- und Regelungsbetrieb i n Bezug auf die gesamten Funktionen der inneren Organe und der Haut), aber auch weitere „biologische Regelkreise" sind hier einschlägig, z. B. die Konstanthaltung des Blutdruckes, der Blutzuckerspiegel, die Aufrechterhaltung der Körperstellung, die zielstrebige Bewegung, die optimale Sinnes-Organ-Einsetzung, die psychische Wahrnehmung oder, i n der soziologischen Kommunikation von Partnern und Gruppen, die Regelungen innerhalb der „Gesellschaft", nach mancher Meinung „sich selbst regulierende Systeme". Ein plastisches außerorganisches und außersoziologisches Beispiel ist die „Regelung" einer Raumtemperatur, meist automatisch i m „Eigenbetrieb" erfolgend, aber auch i m „Fremdbetriebe", also nicht m i t dem Thermostaten, sondern m i t einem Handhebel — ein gewünschter Soll-Wert w i r d i n der gewünschten Raumtemperatur eingestellt, und über eine Steuer-Vorrichtung schaltet der Thermostat die Wärmezufuhr ab, sobald der Soll-Wert erreicht ist — ein sich selbst steuerndes System der automatischen Erreichung und Erhaltung eines hier physikalischen Zustandes, m i t Antrieb durch „Ruderer, Steuermann und Kapitän", d. h. hier durch Ofen, Thermostaten als „Regler" (Vergleicher, Steuerungs-Programm) und 24 Grad als „Führungsgröße", bestimmt vom Rauminhaber als „Kapitän". — Das Soll-Phänomen steckte grundsätzlich schon i m Ist-Phänomen (etwa i m organischen, und vor allem i m menschlichen Körper, der auf bestimmte Gleichgewichtszustände reguliert ist), die Grammatik und die Logik, nach der die Kopula „ist/hat" die Aussageurteile bestimmt, die Kopula „soll" die Werturteile, werden also von der Kybernetik ignoriert, die aber insofern allgemein-philosophischen Anschluß gewinnt,
Fundamente als sie ein Phänomen „Sollen" als nicht-existent betrachtet — Schopenhauer sprach von den „nichtswürdigen" Infinitiven, z. B. dem des „Sollens". Beide kybernetische Wirkungsabläufe, der mit dem „offenen", und der m i t dem geregelten „geschlossenen" Wirkungsablaufe, können „Störungen" unterliegen, können auch mißbraucht werden — wie bei den Störungen i n der „Führungsgröße", von der eben die Rede war. Es gibt z. B. Störungen des Gleichgewichts, aber es gibt auch Störungen, welche sowohl die „Ist-Phänomene" als auch die „Soll-Phänomene" betreffen: dann erscheint auf kybernetische Weise die Schuldfrage oder die der berüchtigten „Manipulation" (Manipulation ist Steuerung, die man nicht merkt!). Die „Manipulation der Massen" und andererseits die Stärkung der Autorität und der Autoritäten ist auch kybernetisch verdächtig. Die Kybernetik dient der Freimachung des Menschen von der Routine und der stärkeren, „höheren" und difficileren Ausbildung der Menschen, indem sie technische Nachrichten und Information/Orientierung an die Menschen vermittelt. Daß dabei nicht etwa eine Züchtung des „gewöhnlichen Menschen" und des schlichten Mannes herauskommt — von der des schlichten Untertanen ganz zu schweigen! — zeigt juristisch z.B. die Widerstandslehre, nach der evtl. die gute I n formiertheit eines sonst einfachen Menschen diesen zum „Optimaten" erhebt, der zur Geltendmachung eines Widerstandes legitimiert (wenn nicht sogar verpflichtet) ist. Überall i n der Kybernetik geht es aber nicht um die „verstehende" Sprache der Geisteswissenschaften, sondern um die „kalkülisierende (berechnende) der Naturwissenschaften, darum nicht semiotisch u m die Bedeutung (meaning) der Worte, daher auch nicht u m sprachliche Ausrufe (eine Hauptbetätigung der Sprache!), sondern u m die „Wirklichkeitsformeln", i n denen Informationen (über Informationskapazitäten oder Kanäle hin) „aufbereitet" werden („der Arzt versucht sich von dem jeweiligen Zustand eines Menschen Kenntnis zu verschaffen und diesen dann evtl. so zu verändern, daß er m i t den physiologischen, auch psychischen, Erfordernissen übereinstimmt"). Der Sprachwelt der K y bernetik entstammen viele neue Zeichen der Umgangssprache, z. B. die Worte Information, Kommunikation, Angebot und das „oder" der Unsicherheit. — Das Lebensgeschehen (einschließlich natürlich des psychischen!) ergibt sich nach Steinbuch aus der Anordnung und physischen Wechselwirkung der Teile des Organismus: „es sei unwahrscheinlich, daß zur Erklärung ,geistiger* Funktionen Voraussetzungen gemacht werden müssen, welche über die normale Physik hinausgehen" (Sphärenvertauschung?, s. u. S. 155), die „geistigen" Funktionen hingen nur m i t physikalisch-chemischen Prozessen zusammen. Die Naturwissenschaft von der Kybernetik w i l l also die Geisteswissenschaften konsu-
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Paragraphen und Fallgruppen
mieren, zumindestens Brücke zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften und „allgemeiner Teil" der Wissenschaft schlechthin sein — wozu freilich der Gelehrte von der Geisteswissenschaft sagen würde, daß die Kybernetik das „daß" der Geisteswissenschaften trefflich besorgen würde — es blieben aber das „Was" und das „Wie" (die Kybernetik arbeitet eben losgelöst vom Inhalt, die menschlichen Informations- und Gedächtniskapazitäten müßten „technisch", durch „ K a näle" oder durch Codierung einer Kette von nachprüfbaren Geschehnissen, z. B. beim Nachrichtenumsatz, „verarbeitet" werden). Jedenfalls hat es die traditionelle Technik, vom Hebel bis zur Atombombe, m i t K r a f t und Energie zu tun, die Kybernetik mit der informativen Orientierung der Menschen und insofern besonders mit der Datenverarbeitung durch Computer und Computertechnik, beispielsweise m i t jedweder Regelung, m i t Planung, Berechnung, Kostenkalkül, Risiko-Berechnung, auch Zufallseinrechnung und Berechnung, dies alles in wirtschaftlicher, politischer, medizinisch-diagnostischer, mathematischer, technischer, administrativer A r t (z. B. Diätpläne!) und überall über I n formationsspeicherung, elektronische Computer-Verarbeitung, Umsetzung der umgangssprachigen Informationen i m Wege von „Einfütterung", Stanzung auf Lochstreifen, Magnetisierung von „bits" (binary digits, Zahlen i m Zweiersystem!), Film, Tonband, Fernseher. Ein besonderes, auch juristisch interessantes Ergebnis dieses kybernetischen Vorgehens stellt dabei der Lehrautomat dar, dieser m i t seinen 3 Grundanliegen, a) dem Informationsangebot, b) der Rückmeldung auf die Antwort-Reaktion des Adressaten (auch die bloß zu erwartende), c) I n dividualangebot, z. B. Offenhaltung der Arbeitsgeschwindigkeit zu Gunsten des Adressaten — alles Anliegen der Rechtskunde-Übermittlungen i n den „programmierten" Lehrbüchern: die auch i n der Rechtswissenschaft vorkommenden „programmierten" Lehrbücher sind Lehrmaschinen m i t Programm (nach Skinner), wobei zum „Programm" auch das pädagogisch-didaktisch anscheinend sehr wirksame Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Adressant und Adressat des Lehren-Lernens gehört — darum die unbedruckten Bücherblätter für die Antworten, und daher die „Sprecherstrategien" und die „Hörerstrategien" sowie die „Rückkopplung" vom Hörer zum Sprecher (zur Einführung i n die K y bernetik: Borgmann / Hanselmann, Herausforderung durch die Kybernetik, 1970 i m Spee-Verlage zu Trier). Paragraphen und Fallgruppen § 823 BGB versucht, den deliktischen Tatbestand „abstrakt" zu regeln, ähnlich wie § 812 i n bezug auf die Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Es zeigte sich aber, daß eine solche abstrakte Regelung
Paragraphen und Fallgruppen nicht genügte, so daß m i t § 823, 2 die „enumerierten" Regelungen der deliktischen Tatbestände erscheinen. Es w i r d dann auch überall eine systematische Behandlung des Deliktsrechts vermieden, sogar i n der Literatur, die bislang wenigstens in Deutschland keine systematische Bearbeitung des Deliktsrechts kennt (so auch z.B. i m anglo-amerikanischen Recht). Stattdessen arbeitet man deliktsrechtlich m i t FallGruppen, vorwiegend der Rechtsprechung. Dabei folgt man i n t u i t i v dem französischen CC, der sein Deliktsrecht i n den wenigen A r t i k e l n 1383 - 1386 regelt, tatsächlich also durch die Rechtsprechung. Die A r t . 1383 - 1386 CC lauten i n deutscher Übersetzung: 1383. Ein jeder ist nicht nur für den durch seine Handlung, sondern auch für den durch seine Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit verursachten Schaden verantwortlich. 1384. Man ist nicht allein für den Schaden verantwortlich, den man durch eigene Handlungen verursacht, sondern auch für denjenigen, der aus Handlungen von Personen entsteht, für welche man zu haften hat, oder durch Sachen, die man i n seiner Verwahrung hat. Der Vater, und, nach dessen Tode, die Mutter sind für den Schaden verantwortlich, den ihre minderjährigen, bei ihnen wohnenden Kinder verursacht haben. Hausherren und Machtgeber (Comittenten) sind für den Schaden verantwortlich, den ihr Hausgesinde und die von ihnen Beauftragten, i n den ihnen aufgetragenen Geschäften, verursacht haben. Lehrer und Handwerker sind für den Schaden verantwortlich, den ihre Zöglinge und Lehrlinge während der Zeit stiften, da sie unter ihrer Aufsicht stehen. Die oben bemerkte Verantwortlichkeit t r i t t immer ein, wenn nicht die Eltern, Lehrer und Handwerker den Beweis führen, daß sie die Handlung, welche diese Verantwortlichkeit veranlaßt, nicht verhindern konnten. 1385. Der Eigentümer eines Tieres, wie auch der, welcher sich dessen bedient, so lange er es i n Gebrauch hat, ist für den durch dasselbe verursachten Schaden verantwortlich, es mag nun das Tier sich unter seiner Aufsicht befunden haben, oder verirrt oder entlaufen gewesen sein. 1386. Der Eigentümer eines Gebäudes ist für den durch dessen Einsturz verursachten Schaden verantwortlich, wenn dasselbe wegen Mangels der Unterhaltung oder wegen eines Fehlers i n der Bauart eingestürzt ist.
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Paragraphen und Fallgruppen
Die Hauptbeispiele für die deutsche Fallgruppenregelung bieten die von der Rechtsprechung entwickelten drei Generalklauseln zu § 823, 1, Schadensersatz für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, für den Eingriff i n einen zugelassenen und ausgeübten Gewerbebetrieb, und für die Verletzung der Persönlichkeit . Auch andere Rechtsgüter, Lebensgüter oder Interessen als die i n § 823, 1 geschützten werden i n der Fallgruppenregelung dieser Generalklauseln geschützt. Fall, Lebenssachverhalt
und Sachverhalt
I n der Tat, „the world is the case" (Wittgenstein), und der juristische Fall ist ein als normativer Sachverhalt vor ein juristisches (rechtsrelevantes) Forum gespülter Lebenssachverhalt, womit sich die vier Elemente des „Falles" ergeben: der Lebenssachverhalt (facts of the case), der Sachverhalt (established oder ascertained facts), der Tatbestand (operative facts) und die Rechtsfolge (legal consequence). Die alte Tatbestandslehre F. Mommsens, welche nicht deliktische Fallgruppen, sondern deliktische Tatbestandsgruppen annahm, ist also doppelt falsch, da sie weder Sachverhalte noch Lebenssachverhalte eines normativ behandelten Delikts berücksichtigte. — Sachverhalte sind normativ, sie gehören zur Norm wie die Propyläen zur Akropolis, und das Verhältnis von „Lebenssachverhalt" und „Sachverhalt" ist dasselbe wie das, was zwischen einem Streitgegenstand schlechthin und einem Streitgegenstand i m Sinne der Zivilprozeßordnungen besteht 1 . Der Lebenssachverhalt ist das Heckenkind, welches vor den Toren des Rechts liegen bleibt, der Sachverhalt das Mantelkind, welches i n die Rechtsetzung und i n den Schutz der Rechtsordnung aufgenommen wird. Gelegentlich werden „Rechtsfolgen" sogar — unter Überspringung des Sachverhalts — an einen Lebenssachverhalt geknüpft, der dann als „Tatbestand" gilt — das ist der harte K e r n des „faktischen Rechts". Lebenssachverhalt und Sachverhalt gehören jedenfalls zur Norm, der „Tatbestand" einer Norm kann z.B. nur ausgelegt werden, indem man „Sachverhaltsprojektion" betreibt 2 , und der Sachverhalt ergibt sich nur aus dem Lebenssachverhalt. Dieser Lebenssachverhalt ist ein Komplex von Geschehen zwischen Mensch und Welt. I m Anschluß an das Verstehen des Daseins als eines In-der-Welt-Seins nach Heidegger erfaßt insbesondere W. Maihofer die Sache des Lebenssachverhalts, u m die es i m rechtsnormativen Denken geht, als eine Weise menschlichen Verhaltens zur Welt, „des I n der-Welt-Seins, u m dessen Vorzeichnung, damit Sicherstellung und notfalls Durchsetzung alle Ordnung des Rechts sich dreht. Als solche Le1 2
A. Blomeyer, Festschrift der Jur. Fakultät Westberlin, 1955, 51. Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 421 - 23.
Paragraphen und Fallgruppen benssachverhalte begegnen uns Kauf und Miete, Diebstahl und Betrug, als m i t positivem und negativem Vorzeichen solchen Geschehens zwischen Mensch und Welt, m i t anderen Worten als eigentlich oder uneigentlich ausgelegte Weisen menschlicher Koexistenz" — wogegen die aus den Lebenssachverhalten abgelesenen allgemeinen Sachverhalte, wie Handlung, Unrecht, Schuld, Strafe, deren „sachlogische Strukturen" w i r i n den sog. allgemeinen Lehren etwa i m Strafrecht oder i m bürgerlichen Recht zu fassen suchen, bereits gedankliche Abstraktionen darstellten, m i t deren Hilfe angestrebt wurde, den allgemeinen Strukturaufbau aller dieser Sachverhalte i n den Griff zu bekommen 1 . Alles ist hier also „formal" zu erklären. Aus dem Lebenssachverhalt w i r d i m Wege einer „Denotation" der Sachverhalt gewonnen, d. h. es werden diejenigen Gegebenheiten des Lebenssachverhaltes i n den (normativen) Sachverhalt aufgenommen, die für die Formulierung des (normativen) Tatbestandes wesentlich sind. Aus diesem Sachverhalt heraus erfolgt, neben der Beweisung, z.B. auch die Auslegung eines Tatbestandes einer Norm. Es handelt sich bei der Tatbestandsauslegung u m die Beurteilung eines Sachverhalts, welche die Beweisung des Sachverhalts ersetzen oder vervollständigen kann — man nennt das „Sachverhaltsprojektion" 2 . Beispiel: Ein Gesetz aus dem Jahre 1700 t r i f f t eine steuerrechtliche Verfügung über die „ m i t mechanischer K r a f t betriebenen Mühlen". I m Jahre 1900 wenden w i r den Begriff „ m i t mechanischer K r a f t " ohne Rechtslücke, ohne Analogie, ohne „Subsumption" des Sachverhalts unter den Tatbestand direkt auf Dampfmühlen an, indem w i r die neue Erscheinung dem alten Begriff über volkswirtschaftliche und physikalische Erwägungen h i n integrieren (die schon i n den Sprachgebrauch des Wortes „mechanisch" Eingang gefunden hatten), und das ist die „Sachverhaltsprojektion" 3 . Moderneres Beispiel: § 49 des gegenwärtig geltenden Ehegesetzes schließt die Scheidung wegen Verschuldens aus, „wenn sich aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten ergibt, daß er die Verfehlung des anderen verziehen hat" — die eheliche Beiwohnung w i r d durchweg als solche Verzeihung genommen — „Verzeihung" ist Tatbestandsmerkmal, „Beiwohnung" betrifft den Sachverhalt dieses Tatbestandsmerkmals — die Motivationen der Beiwohnung, Stimmung, Bedürfnis, Partnernähe, Alkohol, stellen den Lebenssachverhalt der Beiwohnung dar und werden soweit berücksichtigt, wie die Motivationen einer Tat überhaupt i m Anwendungsrecht berücksichtigt werden. — 1 W. Maihofer, Die Natur der Sache, ARSP 44, 1958, 157 ff., Recht und Sein, 1954, 83 ff. — Auch in: „Die ontolog. Begründung des Rechts" (Hrsg. A. Kaufmann), 1965, 52 ff. 2 Wurzel, Das jurstische Denken, 1904, 43 f. (2. Aufl., Wien 1924). 3 s. dazu „Gegenopfer", 422 f.
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I n bezug auf Sachverhalt und Tatbestand kommt es also zu einer zweiten „Denotation": indem ein Normautor (z.B. per Gesetz) den Tatbestand einer Norm setzt, u m daran die normative Rechtsfolge zu knüpfen, denotiert er jene Gegebenheiten, die er unter dem Aspekt seines Falles (es kann auch ein abstrakter Fall sein) aus dem Sachverhalt heraussondert, und konstituiert damit den Sachverhalt als diejenige „Hälfte" seines Tatbestandes, dessen weitere Hälfte er danach gewinnt, indem er die durch die Denotation gesicherte erste Hälfte i m Wege der Connotation, also einer Umformung der Denotation i m Lichte der Rechtsfolge, zum vollen Tatbestand konstituiert. — Tatbestand und Tatsache Zur Unterscheidung von Sachverhalt und Lebenssachverhalt kommt man i m anglo-amerikanischen Recht auch, indem man den Sachverhalt als „facticity", den Lebenssachverhalt als „story" bezeichnet — „Mr. Justice Story" — sprach zu Anfang des vorigen Jahrhunderts der berühmte Chief Justice Marshall beim Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten — „ w i l l furnish the accomplishments" — Marshall meinte i m Wortspiele die story des Lebenssachverhalts und seinen Beisitzer Story, den amerikanischen „Vater des Völkerrechts". Tatsachentheoretisch gesehen geht die bis dahin bloß juristische, nämlich rechtsrelevante Tatsache, die zusammen m i t anderen i m Sachverhalt steht, m i t ihrer Überführung i n den Tatbestand i n den Status der rechtlichen Tatsache über, wobei Einzelelemente weiter als solche, d. h. vor der rechtlichen Betrachtung stehen bleiben können und dann zwar juristisch-rechtsrelevant, aber noch nicht rechtlich-rechtsfolgenrelevant sind — das deutsche Reichsgericht ließ seinerzeit die Konstituierung des Sachverhaltselements „Elektrizität" bekanntlich auch durch ein Gutachten von Physikern besorgen, und ähnlich steht es i m Anwendungsrecht m i t dem bekannten Begriff der „Natur der Sache". Der Tatbestand ist nichts anderes als die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfolge gewertete Wirklichkeit, der Tatbestand schließt „die Lücke zwischen Rechtsfolge und Wirklichkeit, indem er die rechtsbedeutsame Welt festhält wie ein Scheinwerfer seinen Umkreis", der Tatbestand umschließt die „der Rechtsfolge würdige Welt" 1 . Der Tatbestand trägt häufig die Züge eines „typisierten Sachverhalts" — dann kann man von einem „relativ-objektiven" Sachverhalt sprechen 2. Indem 1 s. dazu E. v. Hippel, Einführung in die Rechtstheorie, 2. Aufl., Bonn 47, 23, amerikanisch etwa Holmes, The Common Law, 40. Neudruck, 214, und Anson-Corbin, Principles of the Law of Contract, 5. amerikanische Aufl., New York 1930, 343. * So E. Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Berlin 1936, Bd. I, 333.
Paragraphen und Fallgruppen ein Normautor den Tatbestand einer Norm setzt, u m daran die normative Rechtsfolge zu knüpfen, denotiert er — primär aus dem Lebenssachverhalt, sekundär aus dem Sachverhalt — jene Gegebenheiten, die er unter dem Aspekte seines Falles aus den sonstigen Weltgegebenheiten heraussondert, wobei er zunächst einmal reflektiert, dann „relativobjektiv", endlich „synoptisch" arbeitet, indem er seine „Tatsachen" aus der Welt schlechthin („der Natur") selektiert, abzieht und zusammenzieht (B. Horvath), auf jeder Stufe seiner Arbeit statuierend-konstituierend oder statuierend-deklarierend, „defining facts by law", „singling out facts by l a w " 1 . Erst die Rechtsfolge führt den Tatbestand zur sozialen Regelung, erst aus ihr ergibt sich das Recht als eine soziale Institution, die Durchsetzung der Rechtsfolge, die berühmte Sanktion interessiert hier nicht. I n Wirklichkeit handelt es sich bei der Sanktion auch nur u m eine „method of shaping unofficial conduct i n order to effectuate official policy" 2 . — Bei der Gewinnung des Tatbestandes aus dem Sachverhalt (und jenseits davon des Lebenssachverhalts) geht es u m eine „imputatio facti", bei der Anknüpfung einer Rechtsfolge an einen fertigen Tatbestand um eine „imputatio iuris" des Rechts. I n den vorangegangenen Erörterungen über Lebenssachverhalt, Sachverhalt, Tatbestand und Rechtsfolge spielt der Begriff der „Tatsache 1' seine Rolle. Das Problem der Wirklichkeits-Statuierung, einschließlich des Komplexes von Konstitution und Deklaration, bestimmt die Kombination von Vorgang und Sache, die man Tatsache nennt („matter of fact"). Die wirkliche Welt besteht aus „matter" und „motion" („law at rest" und „ l a w i n motion" — Pollock), einerseits aus „permanenten Gegenständen", andererseits aus „transienten Tatsachen oder Fakten" 3 . I n Wittgensteins „Traktat" w i r d zu 1 bemerkt: „Die Welt ist alles, was der Fall ist", und danach zu 2: „Was der Fall ist, ist die Tatsache" (fact), während die Tatsache unter derselben Ziffer weiterhin als „das Bestehen von Sachverhalten" definiert w i r d und zu 2.01 „der Sachverhalt als eine Verbindung von Gegenständen" auftritt. Das wichtigste i n der Welt ist nach mancher Ansicht „to conceive a fact" (Cairns), zusätzlich gilt die Goethe'sehe Maxime: „das Höchste wäre: zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist 4 ." 1 Holmes, aaO, 214, s. a. Kelsen, General Theorie of Law and State, Cambridge/Mass. 1945, 135 f., E. Husserl, Erfahrung und Urteil, Hamburg 1948, 284, 288, 291, 346 f. 2 Quellen im „Gegenopfer", 253. s G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, aaO, S. 46. 4 Goethe, Maximen und Reflexionen, Nr. 575.
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Beim juristischen Gebrauch des Tatsachenbegriffes ist zunächst einmal festzuhalten, daß er bei uns i n erster Linie prozeßrechtlich verwendet wird, i n zweiter Linie materiellrechtlich i m eng begrenzten Rahmen der Voraussetzungen von Rechtswirkungen, dann einmal zur Erläuterung des normativen Elements des Tatbestandes, weiterhin zur enumerativen Umschreibung gewisser m i t Rechtswirkung bekleideter juristischer Gegebenheiten, nämlich der Zustände (z.B. Besitzdauer), der Ereignisse (z. B. Tod), der Vorgänge (z. B. Zeitablauf) und der Handlungen (z.B. Schießen). Prozeßrechtlich erscheinen Tatsachen lediglich unter beweisrechtlichen Gesichtspunkten: behauptete Tatsachen i n § 138, streitige i n § 359 Ziffer 1, zu beweisende i n § 371, zu erweisende i n § 448, erwiesene i n § 446 der deutschen Zivilprozeßordnung, wobei stets nur Tatsachen m i t Rechtswirkungen gemeint sind 1 . Bei der Gegenüberstellung des deutschen Rechts z. B. m i t dem nordamerikanischen ergibt sich, daß sich das deutsche Recht i n bezug auf den Tatsachenbegriff und seine Verwendung i n drei erheblichen Punkten unterscheidet, 1. darin, daß das deutsche Recht dem Begriff der Tatsache i m ganzen wenig Aufmerksamkeit zuwendet, während Recht und Rechtswissenschaft der Nordamerikaner vom Tatsachenbegriff geradezu überquellen, 2. darin, daß das deutsche Recht und die deutsche Rechtswissenschaft die Tatsache i m erkenntnistheoretischen Sinne zurückstellen, während die Nordamerikaner diesem Gesichtspunkt erhebliche Sorge zuwenden, 3. daß das deutsche Recht nur Tatsachen m i t Rechts Wirkungen, also bloß rechtliche Tatsachen anerkennt und an den lediglich rechtsrelevanten (juristischen) Tatsachen vorbeigeht: die Besitzaufgabe am okkupierten Walfisch nach § 959 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches ist rechtliche Tatsache, der Sturm, der die Besitzaufgabe veranlaßte, wenn er i n den Kreis der juristischen Betrachtungen einbezogen wird, juristische Tatsache — dies muß i m deutschen Recht mühsam ans Licht gezogen werden, während die Nordamerikaner — und ebenso die Engl ä n d e r — ständig zwischen bloß juristischen „actual facts" und rechtlichen „legal facts", oder zwischen „non vestitive" und „vestitive facts" scharf unterscheiden (Salmond) 2 . Ebensowenig wie die Realität ist freilich auch die Tatsache lediglich objektiv zu bestimmen. Es ist also i n bezug auf Tatsachen präzise nicht von Tatsachen, sondern von Aussagen oder Behauptungen über Tatsachen, Tatsachenurteilen zu sprechen (mental processes concerning 1
Quellen bei W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, S. 101. Dazu W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 273 und Anm. 488, zur Abgrenzung von juristischen und rechtlichen Tatsachen siehe aaO, 100 f., 102, 105. 2
Paragraphen und Fallgruppen these facts), dann auch nicht einmal von Fakt-Beobachtung, sondern nur von der Bedeutung der Fakt-Beobachtung (meaning of observation) a world without mind is a world without facts (siehe auch § 286 der deutschen ZPO). Tatsachen oder Fakten bedürfen daher der Statuierung oder der „human response, a constructive thing". Die Tatsachenforschung arbeitet nicht m i t Daten, sondern m i t Zeichen oder Symbolen von Daten, die interpretiert und gedeutet werden müssen 1 . Auch der Gegensatz von „Tatsachen" und „Tatsachenbehauptung" spricht einmal das objektive und das deklarative und ein andermal das subjektive und das konstitutive Schwergewicht an (und zeigt also, wie erwähnt, das Zivilprozeßrecht, übrigens auch i n Nordamerika, durchaus von der Seite der Subjektivität und der Konstitutivität). — Die deutsche Tatsachendefinition steht i n RGJW 28, 1744 f. (1927): „Nach richtiger Auffassung ist Tatsache jeder äußere oder innere Vorgang, welcher der Nachprüfung durch Dritte offensteht 2 ." Der logische Anknüpfungspunkt für den Begriff der Tatsache wäre das logische U r teil: betrachtet man das „hypokeimenon" eines logischen Aussageurteils, so extrapoliert man aus i h m die Tatsache, betrachtet man sein „kategoroumenon", so seine Idee — und das entsprechende gilt für Wertsache und Wert, wobei man nicht vergessen darf, daß das Werturteil oft nur den dialektischen Kreisring i m Kreise der Aussageurteile darstellt. — Man muß die materiellen und die ideellen Fakten unterscheiden. Auch das Arrangement der Fakten sollte herangezogen werden, manchmal gibt es die „Täuschung durch Vorspiegelung wahrer Tatsachen" (K. Hiller, § 263 StGB!), und immer die „intellektuelle Bilanz" auch i n bezug auf die Fakten, die „balancierenden" Fakten: „Bare news can be so misleading as to be false unless accompanied by a belated fact that w i l l round out the picture and prevent a false impression being left w i t h the reader" 3 (s. u. S. 348). Der Sozialgedanke Die deliktische Fallgruppen-Jurisprudenz m i t all ihrer Subjektivität i m bezug auf die Feststellung von Tatsachen darf nicht zur KadiJurisprudenz werden (etwa i m Sinne Llewellyns): „American legal thinking is not at w o r k w i t h the core of an idea, but neglectful, even 1 Schon Nietzsche meinte: es gäbe keine Fakten, nur Fakt-Interpretationen — Quellen im einzelnen bei W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 114 - 116. 2 Aus dem „Gegenopfer" seien zum Begriff der Tatsache die folgenden Seiten zitiert: 99 - 122, A 261, bes. 101 f., 104, 105 f., 107 ff. 3 Am. Bar Ass. J., Bd. 38, 1952, 878. — Vgl. im übrigen H. Schröder, Betrug durch Behauptung wahrer Tatsachen, Festschr. K. Peters, 1974.
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distrustful on an idea's fuzzed edges 1 " oder „the case-trained lawyer has the habit of using words loosely around the edges of an idea" 2 . Die Neigung zu solcher Jurisprudenz zeigt sich aber i n mancher Weise, vor allem i n der Anhänglichkeit an die Sprachzeichen „sozial" und „sozialadäquat" (spöttisch: i m „sozialen Ressentiment"). Für eine soziale Betrachtung auch des Deliktsrechts spricht alles, schon die Überlegung, daß alles „Recht" eine „soziale" Gegebenheit ist, ganz zu schweigen davon, daß der Mensch, der Bezugspunkt des Rechts, ständig auch i n der soziologischen Sozialrolle auftritt (also nicht nur als Individuum). Vom „Sozialen" ist auch sonst viel die Rede, man spricht i m Familienrecht z. B. richtiger- und notwendigerweise vom „sozialen" Vater (etwa dem Adoptivvater) i m Gegensatz zum biologischen, und man änderte, wieder z. B. i m Familienrecht, das Deliktsrecht des § 823, 2 aufgrund neuartiger Sozialprinzipien, hier aufgrund des A r t . 1 Ziff. 22 des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. 6.1957 und aufgrund des modernen und richtigen Sozialprinzips der Kindeswohlfahrt: § 1632 wurde u m einen Absatz 2 vermehrt, welcher die Entscheidung bei einer Kindesentführung durch die Ehefrau i m Interesse des Kindeswohls vom Prozeßrichter auf das Vormundschaftsgericht übertrug (§§ 1671 f.): der Vater, dem seine Ehefrau die beiden Kinder entführt hatte, konnte also plötzlich nicht auf Rückführung der Kinder deliktisch aus § 823, 2 i n Verbindung m i t § 235 StGB klagen, w e i l die neue Gesetzgebung den allgemeinen deliktischen Tatbestandsmerkmalen i n diesem Falle plötzlich ein neues deliktisches Tatbestandsmerkmal hinzugefügt hatte, nämlich die alleinige, hier also der Ehefrau entzogene elterliche Gewalt. I n bezug auf das deliktische Verschulden kommt das Sozialdenken i n den Fallgruppen zuerst i n der alten sog. „objektiven Prognose", dann aber vor allem i m Begriffe der Sozialadäquanz zum Ausdruck, i n dem auch die Eleftiente der anglo-amerikanischen „foreseeability" stecken. Dies vor allem bei der Fahrlässigkeit. Wenn eine subjektiv unbewußte Fahrlässigkeit sozialadäquat war, so lag eben überhaupt keine Fahrlässigkeit vor. Es schadet demnach nur die nicht-sozialadäquate sub1
Llewellyn, M y Philosophy of Law, Sixteen Credos, Boston 1941, 194. Llewellyn, 40 Col. L. R. 597, 1940. — Der Grund der alten Klage, daß die dortige Terminologie nicht immer in Gold und Silber auszahlt und oftmals geradezu das Bestreben zeigt, den scharfeckigen Gedanken, wie Urteilsgründe und Restatements es sagen, zugunsten einer ungefähren Beschreibung zurücktreten zu lassen, im übrigen ein Rücktritt der jurisprudentiellen Rechtsanalytik zugunsten der Rechtssoziologie, wie es im markanten Beispiel die analytisch durchaus unrichtige soziologische Definition der Consideration als einer bloßen Form bei Keßler-Sharp zeigt, s. i m übrigen auch den amerikanischen „Faktenkult" und die Zurückdrängung der „Rechtssicherheit" hinter die „Gerechtigkeit" auf einen sekundären Platz innerhalb der amerikanischen Rechtsideologie. 2
Paragraphen und Fallgruppen jektiv unbewußte Fahrlässigkeit, wer also i m Ladengedränge eine wacklige Vase umstößt, handelt unbewußt, aber dennoch fahrlässig, weil nicht sozialadäquat: die Sozialadäquanz hätte hier besondere Vorsicht erfordert, und die Gemütsruhe des Kraftfahrers, der stets von dem Moment an, wo er sich ans Steuer setzt, als „luxuriös" (im Sinne der Luxuria) angesehen werden müßte, bleibt zunächst einmal sozialadäquat, bis sie, wenn dann etwas passiert, möglicherweise i n sozialadäquat unbewußte oder sogar bewußte Fahrlässigkeit umschlägt und zumindest unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung zur Haftung des Kraftfahrers führt. — Die Sozialadäquanz bestimmt weiterhin die Sorgfalt bei der Fahrlässigkeit (§ 276 BGB), danach die objektive Gefährdungshaftung. Verkauft jemand Klebemittel m i t feuergefährlichen Dämpfen, so muß er alle zur Abwehr der entstehenden Gefahren erforderlichen Maßnahmen ergreifen (BGH vom 20.10. 59). Derjenige, der Lebensmittel herstellt oder liefert, muß Sorgfalt anwenden, damit nichts Gesundheitsschädliches i n den Verkehr gebracht w i r d (BGH vom 1. 4. 53). Auch aus der beruflichen Stellung des Arztes, Apothekers, Architekten ergeben sich Sorgfaltspflichten, diese nicht nur gegenüber den Vertragspartnern (dann wäre Vertragsschutz gegeben!), sondern auch gegenüber Dritten, die durch eine nicht sachgerechte Ausübung solcher Berufspflichten geschädigt werden. Transportunternehmen und Lagerhaltern w i r d insbesondere die allgemeine Pflicht auferlegt, für die verkehrsmäßige Sicherung des beförderten oder eingelagerten Gutes zu sorgen (BGHZ 9, 301 ff.). I n BGHZ 17, 214 wurde eine allgemeine Verkehrspflicht der Eisenbahn angenommen, keine Waggons i n Umlauf zu setzen, die mangels Reinigung von Giftrückständen für Menschen und Tiere eine Gefahr bilden könnten (in einem Wagen war A l t b l e i befördert worden, danach wurden i n i h m von einer Zuckerrübenfabrik Rübenschnitzel verladen, und die Kühe, an welche diese Schnitzel verfüttert wurden, erlitten Bleivergiftungen und mußten notgeschlachtet werden) 1 . Es herrscht also das soziale Faktum, daß Handlungen, die einen Gefahrenzustand herbeiführen, deliktisch verboten werden. Man darf auf seinem Grundstück kein Feuer anzünden, das übergreifen kann, man darf Feuerwerkskörper nicht an Kinder verkaufen, Gifte nicht i n Flaschen füllen, die sonst Getränke enthalten, Blumentöpfe nicht vor das Wohnungsfenster stellen, Lebensmittel nicht mit gesundheitsschädlichen Stoffen färben, Kinder, die Diphterie gehabt haben und noch Bazillenträger sind, nicht i n die Schule schicken, keine Sicherungen m i t Draht flicken. Man darf m i t dem Auto nicht rechts überholen (was 1
Hierzu v. Caemmerer, 481, 517.
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ständig mißachtet wird!), man darf an feuergefährlichen Plätzen nicht rauchen, i m trockenen Moore keine Zigarettenreste wegwerfen. Sozialadäquat w i r d aber auch eine Leistung beurteilt: der B G H entschied z. B. i m Februar 1972 ( V I ZR 148/70), daß die Regreßzahlungen der Witwe eines Auto-Delinquenten an die Unfallversicherung vorerst nur aus den Zahlungen der Kraftfahrzeugversicherung des verstorbenen Mannes zu leisten seien, daß aber, wenn eines Tages diese Dekkungssumme erschöpft wäre und die Witwe kein Vermögen aus dem Nachlaß ihres Mannes besäße, eine weitere Durchsetzung des Regreßanspruchs der Unfallversicherung (einer Berufsgenossenschaft, die an den Verletzten gezahlt hatte) als „unbillig" anzusehen wäre. Die „Sozialadäquanz" w i r d hier zur Billigkeit 1 . — Der Vorrang der Sozialadäquanz i n der deliktischen (oder damit zusammenhängenden) Fallgruppen-Jurisprudenz bedeutet aber nicht so sehr den Einzug des Erfolgsunrechts und der finalen Handlung in das Deliktsrecht, sondern dessen Durchsetzung m i t dem „faktischen Recht", das auch sonst vielfach durchbricht, z.B. bei der „Umfunktionierung" der deliktischen Handlung auf das deliktische Verhalten, oder beim „faktischen Rechtfertigungsgrunde" (z. B. des verkehrsrichtigen Verhaltens). Die starke Berücksichtigung des „sozialen" Gedankens bei der Fallgruppenjurisprudenz des Deliktsrechts kommt sicherlich zuerst von der Ernennung des Staates zum „Sozialstaate" i n A r t . 20 GG her. Die Grundwerte des Rechtsstaaates sind Leben, Freiheit und Eigentum, die des Sozialstaates dagegen Existenzsicherung, Vollbeschäftigung und Erhaltung der Arbeitskraft i m Interesse der Abhängigen . . . Das Entscheidende am Sozialstaate ist die Bändigung der sozialen Konflikte i m sozialen Kontakt, die „Klassen" stehen einander nicht i n kastenmäßiger Abgeschlossenheit gegenüber, sondern dem Tüchtigen ist der soziale Aufstieg möglich, die Klassen stehen auch nicht i m vernichtenden Klassenkampf einander gegenüber, sondern i n der Bereitschaft zur sozialen Partnerschaft trotz einer Konfliktslage, und der Daseinsbedarf der breiten, sozial abhängigen Schichten w i r d nicht dem Automatismus des Kampfes ums Dasein überlassen, sondern als Aufgabe der sozialen Daseinsfürsorge des Staates betrachtet (Huber). M i t der Formel vom sozialen Rechtsstaate wollte das GG aber bloß sagen, daß das rechtsstaatliche und das sozialstaatliche Element sich trotz unleug1
Zum Teil wörtliche Zitate aus dem berühmten Aufsatz von Ernst von Caemmerer, der die durch die Fallgruppenjurisprudenz herbeigeführten Wandlungen des Deliktsrechts in Deutschland behandelt, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1960, auch in den Ges. Schriften, 1968,1, 452 ff.
Haftungsprinzipien
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b a r e r G e g e n s ä t z l i c h k e i t (auf d i e e i n s t T r i e p e l besonders h i n w i e s ! ) n i c h t ausschlössen, u n d „ d a ß auch k e i n e b l o ß e A d d i t i o n v o r l ä g e , s o n d e r n e i n v o n der N a t u r h e r zusammengehöriges Ganzes" ( H u b e r ) . Zur (behelfsmäßigen) Abgrenzimg der viel gebrauchten Adjektiva „sozial", „sozialistisch", „kommunistisch", „kollektivistisch": Alles gehe hier von der „Humanität", also vom Menschen aus. „Sozial" wird gedacht oder gehandet, wo man den Menschen nach dem „et-et", dem „sowohl-als-auch"-Prinzip in seiner individuellen, aber auch in seiner „sozialen" Gruppenmitgliedsrolle sieht (und das „Intime" spricht einen Kernbereich des Individuellen an), „sozialistisch", wo der Mensch nach dem „aut-aut"- dem „entweder-oder"Prinzip nur oder wesentlich als Gruppenmitglied gesehen wird. Das sozialistische Denken und Handeln verfließt leicht ins „kommunistische", weichletzteres Adjektivum also seinen Zusammenhang mit dem Sprachsinne des „communis" eingebüßt hat, so daß hier oft lediglich zur Frage steht, ob die betreffende Menschengruppe „sozialistisch" per Demokratie, oder „kommunistisch" per Diktatur (der Proletarier, der Arbeitnehmer, werktätiger A r beiter einschließlich der Bauern ohne Hilfskräfte, der Funktionäre, vielleicht im Rätesystem, regiert werden soll. Wo nicht „sozialistisch" oder „kommunistisch" gedacht oder gehandelt wird, handelt es sich um Kapitalismus — aber auch der kommunistische Funktionär hat sein „kapitalistisches" Sparkassen- oder Bankkonto, und das Staats- oder Volkseigentum am Profitvermögen, an den Banken und „Schlüssel-Industrien", insbesondere an den „Produktionsgütern", ist oft „staatskapitalistisch" und sogar „monopolkapitalistisch". Das Zauberwort „kollektiv" gilt erkenntnistheoretisch lediglich zur Bezeichnung der Tatsache, daß es einen den Menschen gemeinsamen Bewußtseinsraum gibt, wonach dann folgerichtig von den „sich deckenden Gegenstandswelten" der verschiedenen Menschen gesprochen werden kann, z.B. auch davon, daß „das allen Menschen auf diese Weise Gemeinsame die Realität bedeutet" (P. Jordan — über ein juristisches Specificum, die sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, s. z. B. E. E. Hirsch, JZ 1962, 149).
Haftungsprinzipien Die deliktische H a f t u n g t r i t t
a u f g r u n d d e r Zurechnung
l i k t s h a n d l u n g z u m Delinquenten ein — m a n spricht v o n zipien.
einer
De-
Haftungsprin-
—
Das D e l i k t s r e c h t k e n n t d r e i H a f t u n g s p r i n z i p i e n , zunächst d i e Kausalhaftung, danach d i e s u b j e k t i v e Haftung f ü r Verschulden, schließlich d i e objektive H a f t u n g , d i e i h r e r s e i t s i n Erfolgshaftung schlechthin, z . B . B i l l i g k e i t s h a f t u n g nach § 829, u n d i n d i e Ge/äTirdungrshaftung f ü r „ k r e i e r t e s R i s i k o " (risque crée) z e r f ä l l t .
Kausalhaftung D i e K a u s a l h a f t u n g f o l g t aus d e m W ö r t c h e n „ d a r a u s " i n d e r l e t z t e n Z e i l e d e r d e l i k t i s c h e n G r u n d n o r m , also des § 823, 1, w e i t e r z . B . aus § 8 3 6 , 1 („Folge" d e r f e h l e r h a f t e n E r r i c h t u n g ) . 4 W. G. Becker
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Z u n ä c h s t s i n d K a u s a l i t ä t u n d Anlaß z u u n t e r s c h e i d e n : d i e o f t e r ö r t e r t e Rentenneurose h a t eine u n e r l a u b t e H a n d l u n g z u m A n l a ß , aber nicht zur Kausalität1. H ä u f i g w i r d auch, s t a t t v o n e i n e m „ A n l a ß " , u n g e n a u v o n e i n e m „ R e f l e x " d e r entsprechenden R e c h t s n o r m e n gesprochen: d i e G e m e i n d e l e i t e t i h r e A b w ä s s e r u n g e k l ä r t i n d e n G e m e i n d e f l u ß , d e r F l u ß w i r d so v e r s c h m u t z t , daß das B a d e n p o l i z e i l i c h v e r b o t e n w e r d e n m u ß , d i e B a d e a n s t a l t des A u n d das a m F l u ß gelegene Gasthaus des B e r l e i d e n d u r c h das A u s b l e i b e n d e r Badegäste e i n e n e m p f i n d l i c h e n U m s a t z r ü c k g a n g . A k a n n Schadensersatz f o r d e r n , B n i c h t , d a seine G e w i n n c h a n c e n i c h t aus d e r W a s s e r b e n u t z u n g r e s u l t i e r t , s o n d e r n l e d i g l i c h e i n e n „ R e f l e x " e i n e r g ü n s t i g e n Wasserbeschaffenheit d a r s t e l l t e ( B G H i n N J W 71, 6178). Der Begriff der Rentenneurose oder Unfallneurose ist bereits vom Reichsgericht verwandt worden. Er stammt aus dem Schadensrecht im Zusammenhang mit dem Umfange der Ersatzpflicht des Schädigers. Als Rentenneurose wird ein psychischer Krankheitszustand bezeichnet, der es dem davon Betroffenen unmöglich macht, nach Ausheilung der Körperverletzung trotz körperlicher Wiederherstellung eine Tätigkeit zum Bestreiten des Lebensunterhaltes aufzunehmen. Eine solche Rentenneurose kann stets nur Folgeschaden einer Körperverletzung sein. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts muß der Schädiger dafür auch aufkommen, wenn ein innerer Zusammenhang besteht zwischen der Verletzung und der Neurose. Das wird dann bejaht, wenn die Verletzung die Schwächung der Widerstandskraft gegen die normalen Widrigkeiten des Lebens zur Folge hatte (RGZ 75, 21 ff.). Das Reichsgericht bejahte auch die Ersatzpflicht für diese Folgeschäden, wenn ein für diese Art von Neurosen anfälliger Mensch einen Unfall erlitt, der dann den akuten Krankheitszustand auslöste. Der Schädiger könne nicht dadurch entlastet werden, daß er einen geschwächten Menschen verletzt habe; es bestehe kein Anspruch darauf, so gestellt zu sein, als habe man einen gesunden Menschen verletzt. (RGZ 155, 37 ff.; ähnlich dazu auch RGZ 159, 257 ff.) Der B G H übernahm diese Rechtsprechimg zunächst. I n B G H L M Nr. 2 (Bb) zu § 249 BGB wird bejaht, daß Krankheitsfolgen, die nur deshalb durch einen Unfall ausgelöst wurden, weil die Anlage zur Krankheit bereits vorhanden war, Unfallfolgen sein können. Später erfuhr diese Rechtsprechung eine Modifizierung. Zwar wird der Kausalzusammenhang zwischen Unfall und späterer Rentenneurose und die daraus resultierende Schadensersatzpflicht nicht geleugnet. Die Haftung wird aber begrenzt und zwar auch i m Interesse des Betroffenen. Der Schadensersatz dürfe nämlich nicht die Flucht in die Rentenneurose unterstützen, da letzten Endes Sinn eines Schadensersatzes nur Heilen und Helfen sein könne. Sei die Neurose in erster Linie dadurch zu erklären, daß der Verletzte den erlittenen Unfall zum Anlaß nimmt, den Mühen des Lebenskampfes aus 1 Dazu E. v. Caemmerer, 409 und die in N J W 63, 1693 abgedruckte B G H Entscheidung.
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dem Wege zu gehen, so darf diese Folge billigerweise dem Schädiger nicht mehr zugerechnet werden (BGHZ 20,137 ff., S. 142). Andere wollen die Haftung dann ausschließen, wenn die Neurose, bzw. sonstige psychische Folgen, der Ausdruck einer offenbar „unangemessenen Erlebnisverarbeitung" sei, nicht aber bei zwar neurotischem, aber noch erlebnisadäquatem Verhalten. — Die Neurose ist eine abnorme Erlebnisreaktion, ausgelöst durch nicht verarbeitete, ungelöste Konfliktsituationen. Dauert die Reaktion auf eine solche Situation erheblich länger an als die aktuelle Situation, so liegt eine neurotische Reaktion vor. Die Folgen können physischer A r t sein, z.B. Störung der Herz-, Magen- oder Darmfunktionen. Juristische Beispiele für Neurosen sind, neben der Rentenneurose, z.B. die Schreckneurose oder die traumatische Neurose. Ob an Neurosen deliktische Schadensersatzrechtsfolgen geknüpft werden, hängt vom Falle ab, bei der Rentenneurose jedenfalls nicht. Die Psychose ist im Gegensatz zur Neurose eine echte Geisteskrankheit, ein seelisches Krankheitsgeschehen, das dem eigentlichen Wesen des Menschen Fremdes aufsetzt (die exogene Psychose wird durch Hirnschädigungen ausgelöst wie Verletzungen oder Vergiftungen durch Alkoholismus und Rauschgiftsucht — die endogene Psychose tritt aufgrund ererbter Anlagen hervor, z. B. die Schizophrenie). Populär gesagt ist die Neurose eine Verfolgung von Irrealitäten, um die man weiß, die Psychose dagegen eine Verfolgung von Irrealitäten, um die man nicht weiß. Psychosen sind echte Krankheiten und echt zu therapieren. Ob Neurosen Krankheiten sind, bleibt zweifelhaft, ob ärztliche Therapie oder gesellschaftliche Erziehungsmaßnahme dagegen eingesetzt werden soll, ist diskutabel 1 . — Die Neurose bringt eine erhebliche Einschränkung der freien Willensbestimmung mit sich. Man muß aber zwischen neurotischen Gemütsstörungen und neurotischen Störungen der Verstandestätigkeit unterscheiden, und man darf eine Geisteskrankheit erst aufgrund einer Psychose annehmen. Die Flucht in die Neurose ist, z.B. bei den Examensstudenten, eine Zeiterscheinung — die Lebensprobleme werden nicht zu bewältigen versucht — wie man das Leben besteht, ist oft auch eine Frage des Lernens, Lesens, Aufnehmens, eine Kernfrage der Geisteswissenschaft (die Angelegenheit der Naturwissenschaft ist es demgegenüber vornehmlich, auf die Fragen: was ist, wie war und wie wird das Leben? Antwort zu geben, aber man sollte die Information über das Leben nicht vorrangig stellen, die Hauptsache bleibt: wie man es besteht! — und das geht oft nur über Werturteile, Wertungen und Werte, also das eigentlich Menschliche. Die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie und die Gesprächstherapie wollen die Störungen (oft freilich nur nach dem Motto „die Beichte, nicht der Priester absolviert"!) beseitigen, der Wohlfahrtsstaat und die Krankenkassen lassen es sich ihr Geld kosten, und in der Tat muß „der gewöhnliche Mensch", wenn er denn schon einmal ins Zentrum der sozialen Aufmerksamkeit gerückt worden ist, 1 Zur allgemeinen Information hier nur Beese, Der Neurotiker und seine Umwelt, 1974.
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gestützt werden — der gewöhnliche Mensch ist leider oft psychisch sehr dürftig, auch bequem, und daher kommen manchmal seine Neurosen: soll man das alte Lied singen? „und in Morgenroth, und in Morgenroth, da soff sich mancher tot" — sicher aber es sollen Staat und Gesellschaft zuerst helfen! — I m Grunde handelt es sich um die alte Frage: Was heißt „gesund"? Die ärztliche Indikation möge regieren, logisch im Rahmen der Überlegung, daß eine widerlegliche Vermutung der Gesundheit besteht (wie eine widerlegliche Vermutung für die Evidenz eines Gesetzesinhalts spricht!), daß also widerleglich bei jedermann auch vermutet wird, er stehe „in der Breite des Normalen" (S. Freud). Biologisch ist Gesundheit die Anpassungsfähigkeit eines Lebendigen. —
Das der Kausalhaftung zugrunde liegende Stichwort ist die lateinische occasio, das zufällig auslösende Moment, das ein potentielles Geschehen i n Gang setzt. Der occasio kann man den lateinischen origo zur Seite stellen, die Urentstehung, die Erzeugung, die Quelle von Gegebenheiten (Dingen, Vorgängen, Kausalitäten, Kategorien). Dann t r i t t als Oberbegriff für Ursache und Grund einer Gegebenheit die „causa" auf (aus welchem Wort sich der Begriff der Kausalhaftung ergibt). Causa steht also als Oberbegriff für zwei Arten von Kausalitäten, deren Unterscheidung wichtig ist, die aber fast immer, auch i m BGB und seiner Dogmatik, zusammengeworfen werden. Es handelt sich einmal u m die Folgekausalität „post hoc", zum anderen Male u m die Erfolgskausalität „propter hoc". Es kann also einmal behauptet werden, eine Forelle wäre m i t Milch und Leber gefüttert worden und sei danach größer geworden (post hoc, Folgekausalität), und zum anderen Male, eine Forelle sei größer geworden, weil sie m i t Milch und Leber gefüttert worden wäre (propter hoc, Erfolgskausalität). Es liegt auf der Hand, daß die Unsicherheitsfaktoren bei der Erfolgskausalität größer sind als bei der Folgekausalität: das Größerwerden der Forelle kann i m Falle der Erfolgskausalität z.B. auch auf die Beschaffenheit des Wassers zurückgeführt werden — Hilfe kommt von der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Bei der Folgekausalität ist die causa die Ursache eines Geschehens, bei der Erfolgskausalität der Grund einer Wirkung. Das Verhältnis von Ursache und Folge, also das der Folgekausalität, w i r d als logisch bezeichnet, das Verhältnis von Grund und Wirkung bei der Erfolgskausalität als real — „jede Wirkung ist ihrem Grunde adäquat". Die Erfolgskausalität steht i m Vordergrund der Sprache, juristisch (auch wohl i n der Erinnerung an die Erfolgsethik) das Erfolgsunrecht. Demgegenüber geht das BGB zumindest vorwiegend von der Folgekausalität aus — der Wortlaut des § 836,1 macht das deutlich. Der Grund der Erfolgskausalität ist zunächst ein Gedanke, dessen Gültigkeit die Gültigkeit eines anderen notwendig macht, oder — indem auf eine Quelle des Gedankens abgestellt w i r d ! — diejenige Vor-
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Stellung, welche nach den Gesetzen der Logik eine spätere Vorstellung trägt. Zureichender Grund ist derjenige, der das logische Verhältnis trägt, ohne daß auf weitere Gründe zurückgegriffen werde müßte — grundlos ist nur der Weltgrund selbst (Eisler). Der „Grund" ist die deutsche Übersetzung der lateinisch/griechischen Worte ratio und logos, die tiefste innere „Wesenskraft" der Mystik. Dagegen führt die Übersetzung des lateinischen Wortes causa m i t dem deutschen Worte „Ursache" zu der Überlegung, „ein Geschehen unabänderlicherweise m i t einem bestimmten anderen Geschehen so zu verknüpfen, daß dieses bestimmte andere Geschehen als Folge des primären Geschehens gedacht werden muß", Ursache sei ein „Etwas von der A r t , daß, wenn es gesetzt wird, etwas anderes als Folge jenes primären Etwas gesetzt werden muß" (Eisler). — Die entscheidende Trennung von Folgekausalität und Erfolgskausalität, von causa als Ursache und von causa als Grund, ergibt sich aus der Überlegung, daß zwischen Ursache und Folge immer ein Zeitabstand besteht, während Grund und W i r k u n g bei der Erfolgskausalität einen Zeitabstand nicht zu kennen brauchen — der Zeitabstand zwischen Grund und Wirkung kann also N u l l sein, der Zeitabstand zwischen Grund und Folge nicht! — Die Kausalhaftung folgt aus dem i n der Gegenwart viel erörterten „Kausalismus„Vere scire est per causas scire" meinte allerdings richtig schon Bacon von Verulam. Kausalismus bedeutet Mechanismus, und das mechanisch-materialistische Kausaldenken suchte seit M a r x (das Bewußtsein sei ohne das Sein nicht zu erklären) i m Prozesse der gesellschaftlichen Vorgänge nach fehlerhaften Ursachen und nach Mängeln, die durch Korrekturen behoben werden sollten, damit eine „ v o l l kommene Gesellschaft" entstehe. Mechanismus und Materialismus sind aber nicht dasselbe, und die naturwissenschaftlichen „Vitalisten", von denen schon die Rede war, bekämpfen den materialistisch-mechanistischen Kausalismus auch durch den Hinweis darauf, daß das Nervensystem der Lebewesen unter Umständen auch nicht kausale Verhaltensleistungen hergäbe. Damit kommen w i r zur Spontaneität. Spontaneität kann vitalistisch gewonnen werden, dann ist sie legitimiert, naturwissenschaftlich z.B. Robert Mayers Anstoßenergie 1 , weiter die „akausalen" Quantensprünge und die Undeterminiertheiten gewisser mikro-physikalischer Geschehen.— 1
Vgl. hierzu K. Engisch und A. Mittasch, Was hat Robert Mayers Kausallehre dem Juristen zu bieten?, ARSP 33, 1940, 236 ff., 250 ff.
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Vielleicht auch die „spontane" Entstehung der Welt: „Vor etwa 3350 Millionen Jahren sonderte sich ein Fetzen einer aus besonders beständigen Atomen gebildeten Materie von der Oberfläche der Sonne ab. Anscheinend geschah dies nicht i m Laufe eines regelmäßigen Prozesses der Evolution der Sternenwelt, sondern infolge eines unglaublichen Zufalles . . . und ohne die Bande, die ihn an das Übrige knüpften, durchzureißen, gerade i n angemessener Entfernung vom Mutter-Gestirn, u m dessen Strahlen i n mittlerer Stärke zu empfangen, ballte sich dieser Lappen zusammen, rollte sich i n sich selbst, nahm Gestalt an. Dieses ist die Erde." Auch die biologische Katastrophe, die Entstehung des Lebens auf der Erde, ergibt sich nach der orthogenetischen Evolutionstheorie spontan: innerhalb des zu Anfang aus Atomen bestehenden Erdstoffes traten „spontane Sprünge oder Metamorphosen auf, die von den Atomen zu den Molekülen, von den Molekülen zu den Makromolekülen führen, von diesen zu den Zellen, m i t denen das organische Leben beginnt. Das Verfahren vollzog sich anscheinend dabei so, daß aus einer großen Zahl sehr einfacher Stoffverbindungen eine kleine Zahl sehr komplexer Verbindungen ausgeschieden wurde, und daß die ausgeschiedenen komplexen Verbindungen sich, u m sich zu erhalten, organisieren mußten" — also als die Auseinandersetzung einer organisierten Menge m i t einer unorganisierten Masse, oder als eine Befreiung der Menge aus der Masse, bildlich als „Revolution der Zelle" (Teilhard de Chardin). Es w i r d fernerhin gesagt, daß der Mensch „spontan" leistet Es kann hier jedoch unterstellt werden, daß die Spontaneität nur insofern als Gegensatzpartner der Kausalität i n Rechnung zu setzen ist, als man dasjenige, was unreflektiert und unbewußt geschieht, als „spontan" bezeichnet — aus der solcherart organischen und speziell menschlichen Spontaneität gewinnt man die außerorganische. — „Spontan" sind also nur diejenigen Gegebenheiten, bei denen die Kausalität noch nicht geklärt ist — „ o k k u l t " ist, was w i r noch nicht kennen, m i t dem w i r aber arbeiten — die ägyptischen Priester arbeiteten schon vor 3000 Jahren m i t den heilbringenden Faktoren der Elektrizität, ohne natürlich von i h r ein genaues Wissen zu haben — Kausalität ist eben „Erklärung durch Ergänzung" (Leonhard), und die Spontaneität dann eine dialektische Spezialität der Kausalität, indem man nämlich das Resultat einer Gegebenheit dann als spontan, und nicht schlechthin als causa-bedingt, annimmt, wenn eine andere causa als die Struktur der betreffenden Gegebenheit nicht aufzufinden ist: bei der Gegebenheit des Lebewesens liegt also ein spontanes Resultat vor, nicht ein kausales, wenn ein Resultat dieses Lebewesen, z. B. eine Aktion, nicht auf anderes zurückzuführen ist als auf die Vitalität, eine Struktur dieser Gegebenheit Lebewesen, biologisch z. B. die „Appetenz"
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der Lebewesen, menschlich die Intentionalität, die eben auf nichts anderes zurückzuführen ist als auf die condition humaine. Es muß aber eine Limitierung der Kausalität zumindestens postuliert werden. Limitation ist alles — man denke auch an die „konzessionierte Verdrängimg" als „Hilfskonstruktion" des Lebens (ohne die nicht gelebt werden kann)! Welcher Geist würde annehmen wollen, daß das Kausalprinzip ausnahmslos und unabänderlich Gesetzmäßigkeiten erbringe, und unternehmen, jede Wirkung auf einen Grund, jedes Geschehen auf eine Ursache zurückzuführen! Ein solcher radikaler Kausalismus führte geradewegs i n die Theologie, die letzte Ursache könne nur „Gott" sein — so auch einer der bekanntesten sog. Gottesbeweise — dann zum „Küstenwanderer": „ . . . denn m i t unserer Forscherangelegentlichkeit treibt das Unerforschliche eine A r t von foppendem Spiel: es bietet ihr Scheininhalte und Wegesziele, hinter denen, wenn sie erreicht sind, neue Vergangenheitsstrecken sich auftun, wie es dem K ü stengänger ergeht, der des Wanderns kein Ende findet, w e i l hinter jeder lehmigen Dünenkulisse, die er erstrebte, neue Weiten zu neuen Vorgebirgen vorwärtslocken" (Th. Mann). Die Zeit-Ökonomie spricht hier mit, nach einer gewissen Zeit w i r d eben die Suche nach der causa eingestellt. Es darf dabei nicht vergessen werden, daß die Limitierung der Kausalität einen realistischen GeistesK r a f t - A k t bedeutet, einen Einsatz der menschlichen Ausstattung, u m m i t einer Lage oder Sache fertig zu werden: ähnlich, wie wenn jemand vom Lagerfeuer (der Erkenntnisse) nur soweit weg i n den U r w a l d der Umgebung hinein sich entfernt, daß er das Feuer noch sehen und damit seinen Standort i n der Welt behaupten kann — m ö g e n die Lichtwellen auch, dem Menschen nicht mehr erkennbar, ins unendlich Schwarze h i n weiter verlaufen. Unlimitiertheit und Unlimitierung bedeutet ein Plus — daher die Preisung der Grenzenlosigkeit i n Wissenschaft, Theologie und Kunst und die Minus-Abstempelung aller Limitierungen. A u f der anderen Seite erfordert aber die Menschlichkeit, die menschliche Ausstattung und die menschliche Notwendigkeit, m i t den Sachverhalten der Welt fertig zu werden, oft die Limitierung, so auch hier bei der Kausalität. Es handelt sich wieder u m die „Denotation" des Sachverhalts aus „Lebenssachverhalt" (s. o. S. 40), dann u m eine „Sachehre" 1 , die der von den Phänomenologen geforderten „reductio ad materiam" gegensteht — die Inflation des Vielzuvielen wird durch das Gold Sache oder des Sachverhalts beendet (E. Bloch) 2 . I m übrigen ist 1
dem auch entder „der
Über das Sachliche, einen „vernachläßigten Grundbegriff der Geisteswissenschaften", zuletzt Wilh. Sauer, Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 11, 1957, 54 ff. 2 E. Bloch, Das Materialismusproblem, 1972, 435,121, 305, 345.
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limitierte Empirisierungsprozeß" gerade den Juristen, zu schweigen vom Alltag aller Welt, w o h l bekannt: bei tastbaren oder sonst bemerkbaren Objekten der Außenwelt verbleibt es bei Sachen anstelle von Molekülen, Atomen oder Elektronen — der „kritische" Empirismus nach Kant. Endlich ergibt sich die Begrenzung der Kausalität zwingend aus dem physikalischen Relativismus, welcher die Erkenntnis von Naturvorgängen für unmöglich erklärt, wenn sie aus dem Totalaspekt der Welt isoliert wurden, und aus der physikalischen Feldtheorie nach Weyl und Einstein 1 , welchletztere juristisch völlig aufgenommen w i r d : lag und law gehen terminologisch auf Lage zurück, ohne „Opferverwehrung" und Opfergrenze geht es juristisch nicht (ein Fall dazu i n „Gegenopfer", 447 f.), aber die Überführung der juristischen Sicht i n eine allgemeine ist einsichtig. Das Prinzip der Kausalität kommt juristisch — u m die alten Aufklärungsmaterialisten de la Mettrie und v. Holbach u m 1750 außer acht zu lassen — aus der Kant'schen Kategorienlehre: indem die „denkende Vernunft" die logischen Urteile setzt, macht sie m i t Hilfe der „reinen Begriffe" aus den Erscheinungen Erfahrung, und aus einer so arbeitenden Vernunft 2 entstehen dann die Kategorien als eben jene reinen Begriffe. Von diesen Kategorien gibt es nach Kants KategorienTafel zwölf, und i n ihnen vor allem die Kategorien Raum, Zeit und Kausalität. Vor allem die Kant'sche Kausalität ist Angriffen ausgesetzt gewesen — es scheint aber, daß eher als diese kantische Kategorie die kantischen Kategorien des Raumes und der Zeit vor allem durch die nicht-euklidische Raum-Vorstellung und die Relativitätstheorie zerstört worden sind — wie es überhaupt m i t der kantischen KategorienTafel nicht viel auf sich hat 3 . R. Musil bemerkt i n seinem berühmten Roman „Der Mann ohne Eigenschaften", die Kausalität bedeute „die Fragestellung einer Zeit, die unmerklich überholt worden ist, sie komme von der Theologie und außer Juristen, die noch sehr viel Theologie und Ketzerverbrennungen i n der Nase hätten, fragten nach Ursachen heute nur noch 1
Darüber Bloch, aaO, 303, 345, u. s. weiter, Gegenopfer, 103. Hierzu nur „Gegenopfer", 209 f., 446 und A. 238/239. 8 Die Kategorienlehre wird i m Anschluß an Kant vor allem von Trendelenburg erörtert (Geschichte der Kategorienlehre, 1846), weiterhin sei das System der Urkategorien bei Emil Lask erwähnt (Gesammelte Schriften I I , 1923), fernerhin mögen die Namen Eduard von Hartmann, Oswald Külpe, Heinr. Mayer, Nikolai Hartmann, Eduard May und August Seiffert (Einige kategoriale Grundformen, 1972) aufklingen. — Nach der kantischen Kategorientafel, i m Grunde eine scholastische Spielerei, standen am Anfang der Kategorien die Kategorien Raum, Zeit und Kausalität, es gibt aber auch andere, z.B. (nach Emge) Sein, Nichtsein, Grenze, Beginn, Ende, Etwas, Anderes, Eigenschaft, Beziehung. 2
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Familienmitglieder . . . du bist die Ursache meiner schlaflosen Nächte . . . oder der Kurzschluß i m Getriebe war die Ursache seines Unglücks." — Determinismus
und Leistung
Wie m i t dem Kausalismus steht es m i t dem ebenfalls oft begegnenden Determinismus. Er erscheint besonders prägnant i m Zuge der materialistischen Geschichtsauffassung und überträgt dort einen angeblichen naturwissenschaftlichen Determinismus i n die Geschichte. Auch theologische Bezüge treten wieder ins B i l d : solch Determinismus ist wie Prädestination. Das gilt i m Wesentlichen für den positiven Determinismus. Es stimmt aber bedenklich, daß die Worte Determinismus und Determiniertheit nur für eine negative Bestimmtheit (nur zur Entlastung) angewandt werden — was regelmäßig vergessen zu werden pflegt, und die „Nisisten" (M. Sperber) treten auf den Plan: alles wäre gut und gut gegangen, nisi . . . , wenn nicht . . . Freilich darf sich niemand etwas einbilden auf die Bonität seiner Determinationen, niemand darf auf seinen Determinanten ausruhen, das gilt insbesondere für die Determination der Handlungen/Taten, wie sie als Motive oder als Bündel von „Motivationen" auftritt — Bankraube ja, aber die edlen Motivationen der gesellschaftlichen Revolutionierung. Hier ist vor dem Verlogenheits- und Lügenproblem des „konstitutiv-kausalen Sphärenwechsels (metabasis eis to allo genos, s. dazu W. G. Becker, Der Tatbestand der Lüge, 1948, 31 f.) zu warnen. Man darf auch nicht auf seinen Motivationen ausruhen, „die Gesellschaft" verbietet es. Man kann dann sagen, daß derjenige, der eine Straftat oder eine unerlaubte Handlung zu begehen determiniert ist, ebenso dahin determiniert ist, seine Strafe oder seine Schadensersatzleistung abzubüßen (A. Ehrenzweig). Der Determinismus bleibt aber ein Stück Kausalismus und ist daher ebenfalls n u r als limitierter Determinismus brauchbar — K e i n Deutscher kann bis auf K a r l d. Gr. reduziert werden. Verschiedene Ursachen für die gleichen geistigen Gegebenheiten ergeben eine sog. „Überdetermination" (S. Freud). M i t dem kausalen Determinismus hängen die drei Hauptprobleme der modernen Gesellschaft zusammen, die i n den Substantiven Arbeit, Leistung und Bemühen zusammenzufassen sind: „die Schicksalsfrage des Sozialismus bildet das Problem der Arbeitsfreude 11 (H. de Man). Die Arbeitsgesellschaft w i r d schon i n der Bibel gepriesen, die französische Revolution und M a r x fuhren darin fort 1 , dann aber schlug, 1 Man denke auch an die Leibniz'sche Lehre von der Perfectabilität, d.h. der Vervollkommnungsfähigkeit des Menschengeschlechts (natürlich nicht an die Substanz einer perfecta vita), s. auch Kant's „guten Willen" in den Grundzügen der Metaphysik d. Sitten, 18.
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auch schon i n der französischen Revolution, die Arbeit schlechthin zur Leistung um, und als Bindeglied zwischen Arbeit und Leistung trat das Bemühen u m gute Arbeit und u m Leistung. I m Sozialismus speziell gilt seitdem der Grundsatz „jedem nach seinen Leistungen" (Havemann), auch das viel berufene Privileg erwächst heute kaum noch, wie früher, aus dem Stand, vielmehr aus der (sozialen) Leistung: der Bundeskanzler bekommt eben, wenn er es so wünscht, auch i m sozialistischsten Krankenhaus, das an sich das Privileg der Einzelzimmer nicht kennen w i l l , sein Einzelzimmer, und oft ist zur Erhaltung der Gruppenordnung die Einteilung der Gruppenmitglieder i n Privilegierte und „Unterprivilegierte" auch notwendig — es steht hier ebenso wie m i t der oft angegriffenen Subalterneität, mancher i n der Gruppe muß eben, damit sie funktionieren kann, „unterprivilegiert" und subaltern bleiben. Die alte Unterscheidung von unaustauschbaren und austauschbaren Leistungen w i r d vom Egalitätsgrundsatze der alten A r t — kommutative, nicht distributive Egalität!, jeder Mensch hat zwei Beine! — brüllend bestritten. Niemand sollte freilich damit protzen, daß er unaustauschbare Leistungen erbringen kann und erbringt, denn er ist dazu eben „determiniert" (er hat es vom „lieben Gott" — sagte man dazu theologisch). Andererseits folgt solche Erbringung — und damit wären w i r bei dem generellen Problem der „Determination" zu Leistung und unaustauschbarer Leistung! — oft nicht schlechthin aus Anlage, sondern aus Bemühung, und wiederum kann eingewandt werden, daß auch die Möglichkeit der Bemühung (oder eben der Nichtbemühung) darum „determiniert" sei — sie ist oft aber gar nicht „seinsmäßig" determiniert, sondern „bewußtseinsmäßig"-hedonistischer A r t — was alles zeigt, wie mühsam die logische Argumentation wird, wenn am Anfange, und oft schlechthin aus „Daffke" oder Indoktrination heraus, nicht die Einsicht i n die archaischen (kategorialen) Richtigkeiten regiert, woraufhin dann wieder freilich gesagt werden könnte, daß auch die einsichtslose Bestreitung auf den ewig zulässigen Zweifel zurückgeht, der nicht nur bei Descartes am Beginn allen Denkens oder gar Philosophierens steht (weshalb es die Gelehrten und Universitäts-Professoren i n diesem Punkte auch besonders schwer haben, während „der Praktiker" die ganzen Unredlichkeiten einfach vom Tische w i s c h t ) . . . Wer nicht nur arbeitet, sondern etwas leistet (oder wenigstens die Erwartungen dahin erweckt), ist der „Spezialist" der Ostländer, er ist „unaustauschbar" und „gelernter Arbeiter", was soziologisch von Bedeutung werden kann. I n der Verhaltensphysiologie w i r d das Leben als Inbegriff von Leistungen der Selbsterhaltung, der Selbstregulierung, der Information und der Reproduktion kraft Struktur der Lebensrealität bezeichnet, so lange dieses Leben da ist (Lorenz).
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Das Bemühen, seine Arbeit zu erhöhen und etwas zu leisten, wurzelt i n der conditio humana. „Alles, was dir vor Händen kommt zu tun, das tue frisch, denn i n dem Grab, da du hinfahrest, ist weder Werk, Kunst, Vernunft noch Weisheit (Prediger Salomonis 9,10). Die Einschränkung der Bemühungen entstammt oft der schon von Goethe vermerkten Einsicht, daß der Mensch das Errungene als Last und Überforderung empfinde, also auch aus der Erkenntnis des Vorranges des opus operatum gegenüber dem opus operandum, welche die imitative Nachfolge erschwert. Man sollte es dieser Resignation aber nicht zu leicht machen. „Die Nichtwisser werden ersucht, sich der Last der Erkenntnis zu entledigen" . . . schrieb Bert Brecht einst höhnisch. Demgegenüber hilft E. Blochs Feststellung, daß die „Sachehre" auch die Bemühung um die Sache verlangt, m. a. W. und ganz ohne Moral, daß, wer sich nicht bemüht, eventuell für unbrauchbar erklärt wird.
Arbeit, Bemühung und Leistung werden gelegentlich verweigert, vor allem leider auch von den jungen Leuten — Leistung ist „unanständig" (Titel eines Buches von Helmut Schoeck, 1973). Oft w i r d hier „von unten" ausgebeutet, der Staat m i t seinen Stipendien (Chancengleichheit!) und Gehältern, die Gesellschaft m i t den ihrigen, die Eltern m i t den Unterhaltsansprüchen; hoher Lohn, Auto, Geschirrspülmaschine, Farbfernsehen und mindestens jährlich je 14 Tage Urlaubsreise nach Mallorca. Die „Flucht ins Studium" ist sehr beliebt, es w i r d gezahlt, es w i r d reformiert, damit man es b i l l i g haben kann, bis 60 kann man studieren, dann gibt es Rentnereinkommen und „Sozialhilfe" 1 . Es kommen die einzeln austauschbaren Arbeitnehmer und begehren „Lebensqualität". Die Determination w i r d oft herangezogen. Da kräht z. B. ein satter Nachtgevatter „Ich bin ok!" (Moderner Buchtitel 2 , die psychologische Therapeutik w i r d zugegeben). Aber „ n u r Getragen-Sein ist nicht genug" (Rilke). Man lebt „hic et nunc" und ist schlechthin Kreatur ohne praeteritum et futurum — dann spricht i n der bekannten Fabel La Fontaines die i m Sommer stets rührige Ameise i m Winter zur borgen-wollenden Grille i h r „Gesungen habt Ihr? Wohlan, so tanzet j e t z t . . . " . „Ein wie großes und herrliches Ding ist nicht die Vorsorge, die am Ende noch gar das Verhängnis zum Segen zu wenden vermag!" — heißt es i m „Josef der Ernährer" von Thomas Mann. — 1 B. Rüthers konstatierte einmal (Der Arbeitgeber, Nr. 23 vom 7.12.70) eine bemerkenswerte Abneigung gerade der Studenten gegen die „Leistungsgesellschaft" — die in Wahrheit wohl nur Sacherledigungs-durchArbeit-Gesellschaft ist. Es gibt eben die geheime, unbewußte Angst der Studenten vor der gerechteren, vielleicht aber strengeren Gesellschaft, die jeden an den Platz stellt, wo er seinen Fähigkeiten nach hingehört. 2 Warum nicht: „Ich bin eine Umweltverschmutzung"?
Haftungsprinzipien Es gibt aber auch eine „philosophische" Grundlage der Arbeits-, Bemühungs- und Leistungsscheu, den „Hedonismus" Epicur's Gassendi's, der Aufklärung und der jetzt wiederholten Pop-Aufklärung. Hedone w i r d m i t Lust, Vergnügen, Jux, Spass übersetzt (juristisch z. B. Bentham). Das Wort „Freude" kommt nicht mehr vor — S. Freud verwendete, wie H. Schulze herausbrachte, dieses Wort i n seinem ganzen Werk nicht 1 . Gegensatz zur Hedone wäre also Unlust, Unbehagen und Schmerz. I n der Tat liegt das Bemühen u m Hedone vielen menschlichen Aktivitäten zugrunde, zumindest das Bemühen u m die Vermeidung des Gegensatzpartners der Hedone, als der vor allem der Schmerz genommen w i r d : man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz! (Büchner), der Schmerz ist ein „echtes Existential" (A. Seiffert) — „ i m Schmerz liegt die Einheit des Lebens, die Freude hat tausend Formen. I m Schmerz fühlen w i r die Verbundenheit m i t der Welt 2 . Das Vergnügen w i l l den Menschen von seiner Fesselung loslösen. I m Vergnügen t r i t t der Geist aus seinem Gehäuse heraus, führt ein Eigendasein und vermag schließlich gleichsam m i t der Welt zu spielen" (Sorel — Literatur sei nur Spiel, Wolfgang Kaysers These!). Die Hedone t r i t t aber nicht nur als physische, sondern auch als psychische i n Erscheinung, es ist nur die psychische Hedone, welche Lust ist, „die uns erhöht", und der bekannte Drogen-Escapismus ist vor allem Abwehr der psychischen Nicht-Hedone. — Auch die viel berufene Angst (Lebensangst) ist psychologisch zu lesen. — Gerhart Hauptmann sagt dazu: „Ich b i n aber doch der Meinung, Lachmann, man soll sich nicht ängsten i n der W e l t . . . " — „Denke" hat keine A n g s t . . . Die Leitbilder werden dann wahrhaftig „v. Abenteuer und Mc Morgan B i l l i g " (K. Hiller), dazu t r i t t — u m i n Berlin zu verbleiben — der Gelegenheitsarbeiter Hermann Papusch aus Kreuzberg, Dresdnerstraße 10 . . . Hauptsache ist die Billigkeit, vom Nobelpreisträger bis zum Touristenmittagstisch, und dazu kommen die Goethe'sche „Lumpenbescheidenheit" der generellen A r t , die preiswerte Abmagerungsdiät und der wenig aufwendige „proletarian look". — 1 Lust schafft Satisfaction, Sättigung, nicht Dankbarkeit, also sehen wir das Verschwinden der Dankbarkeit weniger als ethisches, vielmehr als psychologisches Prinzip, entsprossen der Psychologie, die nur Lust, nicht Freude kennt. Tiefsinnige Sozialpsychologie dazu in Kafkas „Josephine, die Sängerin": „ . . . das Volk ist eine herrische, in sich ruhende Masse, die, auch wenn der Anschein dagegen spricht, Geschenke nur geben, niemals empfangen kann." 2 Die Insekten haben z. B. ein „zu dickes Fell", daher keine Nerven nötig, auch oft kein Schmerzgefühl, so daß man den gesamten menschlichen „Überbau" auf einen „Unterbau" von Schmerzempfindung und Schmerzvermeidung stützen kann — les nerfs c'est l'homme.
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Die „Logik", wenn sie hier zum Zuge kommt, ist dann wahrhaft „der Triumph der Jacobiner aller Zeiten", die „Entwurzelung des Geistes", seine Loslösung von den irdischen Wirklichkeiten und seine weltgeschichtliche Rolle als revolutionäre Macht, m i t entsprechender Zerklüftung der Welt schon bei Sokrates, auch bei Nietzsche, dem „Epileptiker des Begriffs", und i m Christentum. Da entsteht ein großes Schmarotzen an der durch Arbeit, Bemühung und Leistung errichteten Zivilisation, und kompensationslos w i r d verschwendet, was „die Väter" i n die Scheuer gebracht haben. — Oft freilich gehen auch die ersehnten Diskussionen dieser Logiker um hohle und „verquaste" Fremdworte, unter denen sich die Ignoranz der beiden schlesischen Bauern aus dem Volksliede verbirgt, Naz-Jusel und Naz-Julian, zwei Bauern aus Tschepine, die über den Umlauf der Erde u m die Sonne disputierten: sie wußten nichts, als daß das Ding alltäglich über's Bergla ging . . . Hier tritt noch eine andere Zeiterscheinung auf, die Erpichtheit auf Diskussionen mit dem eingeborenen Menschenverstand, gestützt besonders auf die kommunistische Doktrin, daß es keinen Unterschied zwischen Hochschul- und Gesellschaftspolitik gäbe, und daß in jeder Wissenschaft (einschließlich ihrer verschiedenen Sparten) zunächst einmal „der Mensch" erörtert werden müsse, gleichgültig, ob er lehre oder lerne. Der Mensch vor allem als politisches Wesen. Warum aber nicht auch als theologisches, physikalisches, chemisches Wesen, was er schließlich auch ist. — Der „gesellschaftspolitische" Unterbau der Wissenschaft jeder Sparte schwölle dann dahin an, daß zunächst schlechthin anthropologisch zu arbeiten wäre, woraufhin jede einzelne Wissenschaftssparte überflüssig, jede Wissensarbeit von Übel und letzthin sogar das Zivilisationsergebnis der Arbeitsteilung über Bord zu werfen sei. Gegenüber dieser Monopolisierung des Politischen im Wissenschaftsbereiche meldet sich konsequentermaßen die dunkle A h nung, daß sich möglicherweise „die Politik für jeden, der keine Neigung hat, sich dem Zwange einer geregelten Arbeit zu unterwerfen, als geradezu ideales Tätigkeitsfeld anbiete", dies ohne Rücksicht darauf, daß eventuell ursprünglich eine echte politische Überzeugung die Triebfeder dafür war, sich der Politik zu widmen. —
M i t der Absage an Bemühung, Leistung und sogar Arbeit, also m i t der mangelnden Arbeitswilligkeit, entsteht das politische Problem der Zwickmühle zwischen der Notwendigkeit einerseits, das Arbeitspotent i a l aus sozialen Gründen zu erhalten, andererseits auch dem letzten Handarbeiter gutes Leben zu sichern — denn je besseres Geld es zu diesem Zwecke gibt (Wohlstands- und Wohlfahrtsstaat!), u m so geringer w i r d die Arbeitswilligkeit. Soll man zu Arbeitsnormen greifen? Die westliche Welt denkt zur Zeit noch eher an die Planmäßigkeit als das oberste Gesetz i m Leben alles Tierischen (Uexküll), an den „menschlichen Antriebsüberschuß" (Gehlen), an das menschliche Streben nach Fortschritt, sogar an das menschliche „Anschießen des Totums" nach
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E. Bloch und das „graschdanstwennost" der russischen Sprache, an die Immanenz der Besserung, den Besserungsaktivismus (wie er sich vor allem i m Recht m i t seinem ständigen Bemühen u m Rechtsbesserung i m Anwendungsrecht zeigt), und endlich an die Statistik, welche lehrt, daß man Wohlwollen und Zuversicht i n bezug auf V o l k und Gesellschaft haben sollte, daß der affirmativ-sympathetische Zug i m Menschlichen überwiegt, und daß die Ignoranz, die Stupidität und die Indolenz nicht die Regel, sondern die Ausnahme unter den Menschen bildet (der common sense!) — Hier liegt, neuerdings sogar experimentell geprüft, der Grundstein des angel-sächsischen Vertrauens i n „das V o l k " (während die Kontinental-Europäer vielfach doch noch der Fürsten-Herrscher-Hofpsychologie gegenüber dem „Strumpfwirker von Apolda" unterliegen). Wilhelm Raabe schreibt i m 1. Kapitel seines „Hungerpastor" vom „ewig aus der Tiefe und Dunkelheit zur Höhe, zum Lichte, zur Schönheit emporstrebenden Volksgeist" 1 . A m Ende pendelt sich die deterministische Leistungsabsage i n der Arbeitsgesellschaft aus: stets w i r d „der Bessere dem Geringeren, der Tätige dem Trägen, der Scharfsinnige dem Dummen vorgezogen — daran ändert sich nichts durch die wohlbekannte Tatsache, daß unser Publikum auf einem entgegengesetzten Standpunkt steht, so daß schon der Verdacht, daß irgendjemand sich anmaßen könnte, mehr zu verstehen als jenes Publikum, es außer sich bringt — die Aristophobie ist ein Zeitsymptom" (Ortega y Gasset). I m übrigen gehen von „der Gesellschaft" auch die guten Determinationen aus. Die sachliche Arbeit steht nicht nur für den „Bürger" am Ende i m Vordergrund — man arbeitet und leistet eben nicht nur der „Lust" wegen (eingeschlossen die Lust der Selbstbestätigung), sondern um der Sache willen: „Erst mach' dein Sach', dann t r i n k und lach'" — sagt der Volksmund. „Leistungsorientierte Sozialsysteme, wie es die der modernen Industriegesellschaft sind, fordern den Menschen ständig von Neuem. Sein Versagen kann immer weniger m i t angeborenem Schicksal gerechtfertigt werden — i m Gegenteil w i r d sogar solche Frustration als einklagbarer Rechtsverlust betrachtet 2 ." Der aufgeforderte Mensch (hier z. B. schon ersichtlich, wenn man den Menschen als Bürger oder sonst als Glied einer Gruppe, also „sozial" 1 Das meinen aber alle Patrizier, vgl. F. Heer, Europäische Geistesgeschichte, 2. Aufl., 1953, 42. 2 M. Rehbinder auf S. 161 der Festschrift für E. E. Hirsch, 1967, s. B G H in N J W 1967, 621 f.
Haftngsprinzipien anspricht), der Mensch w i r d sozusagen am Portepee gefaßt. A n den Menschen ergeht (oder ergehe) eben ständig die „challenge" (Toynbee), seiner „Geschichte", seines „kairos", seines Daseins (Existenz) oder einfach seines Seins (das Problem der heutzutage oft anfallenden und daher psychologisch verhängnisvollen „Verweigerung" und der „Wohlstandsinfantilität"). M a r x nannte alle die Arbeitsunwilligen einfach das „Lumpenproletariat". Alte oder moderne Neo-Benennungen wie „Desperado's m i t Pensionserwartungen" und „Neo-Feudalisten" kommen zu recht: Wanzen am Leibe der Gesellschaft! „Der Einzelmensch, der m i t dem Ausfall bestimmter sozialer Verhaltensweisen und dem gleichzeitigen Ausfall der Fähigkeit zu den sie begleitenden Gefühlen geschlagen ist, ist ein armer Kranker, der unser volles M i t l e i d verdient. Der Ausfall selbst aber ist das Böse schlechthin" (Lorenz). Ganz ohne ethisch-moralische Begriffe (wie „das Böse"!) gesprochen, und nur i m Hinblick auf die Arbeitseffizienz und damit auch die natürlich-vitale Lebenserhaltung der menschlichen Gesellschaft: ohne die Plus-Konstitutionen des Menschen geht es nicht, kein Hinweis auf die Determiniertheit der Minus-Konstitutionen kann da helfen (s. auch auf S. 365)! Verschuldenshaftung Nach § 823, 1 haftet nur der als Deliktsschuldner, der „vorsätzlich oder fahrlässig" gehandelt hat. Zusammengefaßt: nur bei Verschulden. Das zivilrechtliche Verschulden und die strafrechtliche Schuld stehen i m wesentlichen gleich, i m Scheidungsrecht spricht man, wie i m Strafrecht, von der „Schuld" eines Ehepartners, so auch kolloquial 1 . — Die „Handlung" w i r d i n allen Rechten der Welt physisch/körperlich genommen. So sagt das bei dem deutschen Worte „Handlung" schon die Etymologie. Das französische und das anglo-amerikanische Recht brauchen dafür das losere Wort acte/act, und müssen dann von äußeren und inneren A k t e n sprechen, sich also der anrüchigen Außen-InnenTerminologie ergeben, haben es auch altfränkisch m i t der Definition schwerer — an act, sagt O. W. Holmes, is a muscular contraction and something more . . . Aber stets ruht die physische Handlung auf dem Unterbau, dem Skelett (wie die Engländer sagen) oder der Infrastruktur einer psychischen auf, es ist der Geist, der sich den Körper b a u t . . . Die Griechen meinten diese psychische Infrastruktur der menschlichen Handlungen, wenn sie „polla ta deina, k'ouden anthropou deine1
s. hierzu allgemein noch immer A. Ehrenzweig, Die Schuldhaftung im Schadensersatzrecht, 1936.
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teron pelei" sangen (wobei „deinos" sicherlich nicht m i t dem deutschen Worte „gewaltig" zu übersetzen ist!). I n der griechischen Terminologie erscheint der Thymos, der „Gefühl" und „Gemüt" umschließt — die Aufklärung holte daraus w o h l ihr „Gefühl", den Beginn der Seelenerforschung und der Psychologie (die nachmarxisch ist). Bei der Betrachtung der psychischen Aktion können sich auch ganz verschiedene Bewertungen ergeben — die Biologen sprechen z. B. vom „anisotropen" psychischen Raum — Raubvögel bewerten z.B. vertikale Abstände geringfügig (horizontale nicht), indem sie sich etwa aus größter Höhe auf eine Maus herabstürzen.
Die Heranholung der psychischen A k t i o n zur Erklärung der physischen Handlung ist eine Tiefenqualifikation der deliktischen Handlung. Das Delikt steht zunächst objektiv (wie man sagt) vor unseren Augen, ein Zustand, ein Vorgang, ein Ereignis, eine „faute de la fatalité": so ist es zu einer „objektiven" deliktischen Handlung gekommen, und natürlich w i r d sie disqualifiziert, wie es das Deliktsrecht w i l l . Aber erst dann, wenn w i r auch die Infrastruktur der zugrunde liegenden psychischen A k t i o n betrachtet haben, und wenn eine Konformität von physischer Handlung und psychischer A k t i o n besteht. Es ist möglich, daß die psychische A k t i o n schwerer zu beweisen ist als die physische Handlung. Aber das ist eine pure Beweisfrage, und „res ipsa loquitur", „die Psychologie des Alltags" und das Geständnis helfen hier weiter — fatalité": so ist es zu einer „objektiven" deliktischen Handlung gekomWenn schon Wahrheitspille und Lügendetektor ausfallen oder ausfallen müssen. — Jedenfalls bilden physische Handlung und psychische A k t i o n gemeinsam den „fait matériel" des Deliktsrechts, i n der deliktischen Handlung arbeitet — materialistisch gesprochen — die menschhistorische bewußte Materie, die psychische A k t i o n verläuft unterirdisch, aber weltlich, sie ist gleichfalls Materie. Der Begriff vom „fait matériel" ist zwar sehr fließend, der Code Civil kennt keinen allgemeinen Teil, und der fait matériel ist überwiegend nur juristische Tatsache (im Gegensatz zu Rechtsgeschäften, „actes juridiques", oder Handlungen, „faits volontaires"). Aber Carbonnier spricht auch von der „l'obligation de réparer" als Folge eines „fait matériel", identifiziert also das „fait matériel" mit einer deliktischen Handlung — quod erat demonstrandum 1 . M i t der psychischen Aktion geraten wir, wenn wir aristotelisch-buchbinderisch vorgehen wollten, in den Bereich der Metaphysik, denn das Psychische 1 Literatur zum „fait matériel": Murad Ferid, Das franz. Zivilrecht, I, 1971, 239 ff. RdZiff. 1 E 1 - 10, bes. 10 auf S. 245 — Planiol / Ripert / Boulanger, Traité Elémentaire de Droit Civil, I I , 3. Aufl., Paris 1949, Nr. 2166, 686.
Haftngsprinzipien ist nicht das Physische, und was „transzendent" jenseits des Physischen liegt, ist eben Metaphysik. Der Ausdruck „Metaphysik" hat aber diesen Sinn verloren, und die Metaphysik betrifft heute, wenn man es einfach ausdrükken will, die Frage nach dem Übersinnlichen, nach dem also, was unsere Erfahrungswelt überschreitet. „Kant weist der Metaphysik drei große Fragen zu. Zum ersten die Frage nach der Freiheit. Ist der Mensch ohne die Fähigkeit zu eigener Entscheidung in die Naturnotwendigkeit eingebunden oder hat er die Möglichkeit, in diesem oder jenem Falle sich frei zu entschließen? Die zweite große metaphysische Frage ist die nach der Unsterblichkeit. Ist es mit dem Menschen nach seinem Tode ganz zu Ende, oder gibt es ein Leben über das Sterben hinaus? Das dritte zentrale metaphysische Problem ist schließlich die Frage nach Gott" (Weischedel) — Es gibt aber viele Griffe nach dem Begriff der Metaphysik 1 . Jedenfalls sind die Juristen subjektive Metaphysiker höchstens in der Frage nach der Freiheit und nach manchem „Immateriellen". Als Objekt haben die Juristen manchmal aber auch das Metaphysische vor sich, denn sie sind schließlich „social engineers" und verkörpern, wie die Amerikaner sagen, die „hohe Polizei" des sozialen Lebens und damit auch des Wissens — das ist die „grundsätzliche Justiziabilität philosophischer und soziologischer Fragen" 2 .
Aus dem Räume der psychischen Aktion, welche die Infrastruktur einer physischen Handlung ist, bricht nun die juristische Dogmatik einen Raum heraus, der gegenüber der Tat (der physischen Handlung) Vorraum (The outward room) ist, so daß jetzt die Tat nur so gesehen wird, daß es einen psychischen Vorraum-Autor dieser Tat gibt. I n diesem Vorräume wohnt die Schuld, zivilistisch das Verschulden. Die psychische „Infrastruktur" muß der Straftat oder dem Delikt der physischen Handlung kongruent sein, erst dann, also erst aus solcher Kongruenz heraus, liegt subjektiv, wie man sagt, Schuld oder Verschulden, und erst dann Straftat oder Delikt objektiv vor. Ursprünglich streng sinnlich faßlich gesehen (wie alles alte Recht), scult, das B l u t 3 . Dann die mens rea, die Schuldgesinnung: der Täter muß das Bewußtsein haben oder bei gehöriger Anspannung haben können, m i t der Tat Unrecht zu t u n (BGBStr 2, 194). Also die Vorwerfbarkeit eines psychischen und dann physisch gewordenen Handelns. Wo von den subjektiven Elementen des Verschuldenstatbestandes ausgegangen wird, ergibt sich der normative Begriff der Zurechnung, und damit der reale Begriff der Verantwortlichkeit. Dieser besagt, daß sich der Mensch m i t seiner Handlung als deren freier Urheber identisch weiß, daß er sich selbst nach dem Wert oder Unwert seiner Handlung beurteilt und beurteilen lassen muß und daß er die Folgen der Handlung (Geschehnisse oder Wirkungen) als etwas i h n selbst unmittelbar Angehendes auf sich nimmt oder auf sich nehmen muß — „Verantwor1 s. z.B. A. Kaufmann (Hrsg.), Die ontologische Begründung des Rechts, 1965, und u. S. 433. 2 Gegenopfer, 1, 103. 1 W. G. Becker, Gegenopfer, a.a.O., 140.
5 W. G. Becker
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tung" ist i n diesem Sinne — u m m i t Nicolai Hartmann zu reden — eine „reale Tatsache des sittlichen Lebens", zugleich damit aber eine elementare Tatsache des Hechtslebens. M a n spricht weiter von einer generellen Verschuldensfähigkeit 1 , auch von einem „Zur-Rede-gestellt-werden wegen der Tat" oder von einem „Einstehenmüssen für die Tat" 2 . Verantwortlich für eine Handlung weiß sich der Mensch — wie gesagt — aber nur dann, wenn i h m der Unrechtscharakter der Handlung bekannt war oder bekannt sein konnte, und wenn er die Möglichkeit hatte, i m Hinblick darauf anders zu handeln. Er rechnet sich an seiner Handlung nur das ,zur Schuld 4 zu, was i n seinem Wissen lag oder von i h m hätte vorausgesehen werden können . . . Was er aber weder gewollt hat, noch bei der i h m möglichen Voraussicht und A u f merksamkeit erkennen konnte, daran trägt er keine »Schuld4. Unter der . . . Zurechnung zur Schuld verstehen w i r demgemäß das Urteil, daß der Handelnde nicht nur objektiv Unrecht getan hat, sondern daß er selbst dieses Unrecht erkannt hat oder doch erkennen konnte und i h m sein Handeln daher persönlich zum V o r w u r f gereicht. Der Verschuldensgrundsatz . . . besagt demnach, daß keine Verantwortlichkeit für einen Schaden begründet w i r d ohne persönliche Verantwortung 3 . — Auch der Verbotsirrtum entlastet (jetzt) also, und der alte römische Grundsatz „error juris nocet" geht damit über Bord — wenn er nicht überhaupt falsch gewesen wäre. Es bliebe noch zu fragen, ob derjenige delinquiert hat, der dabei unter dem Terror des Unbewußten (Freuds und der Psychologen) delinquiert hat, überhaupt i n der Neurose. Die ärztliche Indikation muß hier gutachtend entscheiden. Gestörte Psyche kann auch den psychischen Vorraum der Tat gestört haben, also Schuld- und Zurechnungsfähigkeit. Sie braucht es aber nicht getan zu haben. Umgekehrt kann bei intakter Psyche die Schuldzurechnung gestört sein. — Autor der schuldhaften Tat ist der Mensch, pluralistisch, also i n all seinen Rollen, als Person, als Persönlichkeit, als Mensch schlechthin (im natürlichen Sinne), als Kreatur. Schuldzurechnung gegenüber einem Delinquenten erfolgt aber vor allem aus einer menschlichen Sphärenteilung heraus: hat der Delinquent i n seiner Intimsphäre (als Individuum) oder i n seiner Sozialsphäre delinquiert. Jenachdem w i r d 1
Vgl. Larenz, Schuldrecht, Allg. Teil, 8. Aufl., 231 f. M. Danner, Tatvergeltung oder Tätererziehung, 2. Aufl., 1972, 127, hier ist (noch subjektiver) vom Verantwortungsbewußtsein, vom Verantwortungsgefühl und von der „Verantwortung vor unserem eigenen Gewissen" die Rede. 8 Larenz, Allg. Teil, 68 ff., s. a. allgemein im § 19 von K. Larenz, Allgemeiner Teil des Schuldrechts (hier liegt die 8. Aufl. vor, darin 215 ff.). 1
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zugerechnet. „Die Reichweite der Schuld ist geringer geworden: von der mythisch beurteilten Verletzung göttlicher Gebote bis zur Verletzung der sozialen Bindung sprach man von einem „Entschluß zur Auflehnung", Hebbel von der oftmaligen Tragik der Schuld, Hegel von Besonderheit und Absonderung (und kam damit beinahe zur theologischen „Sünde"!). Engisch vom „Freiheitsgebrauchsfehler". A n letzter Stelle bei der zurechnenden Vorwerfung steht der Beurteilung die „goldene Regel" zur Verfügung: was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu 1 , die Parole der „existentiellen Illoyalität", loser gesprochen: der Echtheit. Zurechnung, Vorwerfbarkeit, Verantwortlichkeit und Verschulden liegen vor, wenn vom Delinquenten „vorsätzlich" oder „fahrlässig" gehandelt worden ist — § 276 BGB teilt die Verantwortlichkeit eines Schuldners grundsätzlich i n dieser Weise auf und definiert danach „legal" die Fahrlässigkeit, indem er sie vor allem an der „ i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt" ausrichtet. „Absicht" ist qualifizierter Vorsatz, Erfolgswille, nicht bloß Tatwille, dolus eventualis steht dem Vorsatz gleich. Zur Fahrlässigkeit gehört nach neuerer Lehre, vor allem i m Anschluß an den Begriff der verkehrsüblichen Sorgfalt, welche i n der Tat über ein Subjektives hinaus zu gehen scheint, die sog. „objektive Fahrlässigkeit", besser: faktische Fahrlässigkeit — von hier ist nur ein Schritt zur „negligence without fault" (Ehrenzweig) und zur Gefährdungshaftung 2 . Die Legaldefinition des § 276 langt aber nicht immer aus, u m Fahrlässigkeit anzunehmen, vielmehr w i r d man auch hier zusätzlich das Prinzip der Natur der Sache heranziehen müssen — Fahrlässigkeit also nur, wenn der Natur der Sache nach Verschulden anzunehmen ist — auch die Fahrlässigkeit muß als Verschulden gesehen werden können — bei den ärztlichen Kunstfehlern liegt, ganz abgesehen von dem Tatbestandsmerkmale der deliktischen Handlung (die ja an sich nicht gegeben sein kann, w e i l heilend, nicht aber deliktisch gehandelt wird!), oft der Natur der Sache nach kein Verschulden vor. Die „objektive" Fahrlässigkeit genügt hier nicht. A u f die Vokabeln kommt es nicht an. W i r d i m psychischen Vorräume disqualifiziert, wie vorhergehend i m Räume der Tat, so liegt Verschulden/Schuld vor. Das Soziale kommt heute oft vor, ist jemand, seiner psychischen A k t i o n nach, „brauchbar" oder ist er „unbrauchbar". A n dere verwenden i n bezug auf Schuld und Verschulden ethisch/sittliche Begriffe (wie der B G H und A. Kaufmann). Aber „ g u t " und „böse" sind keine Natureigenschaften. Die Tiere (und sonstigen Lebewesen) 1
Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963. — s. a. Maihofer auf S. 78 der „ontologischen Begründung des Rechts" (Hrsg. A. Kaufmann), 1965. 2 v. Caemmerer, 572 ff.; A. Ehrenzweig, a.a.O., 303. *
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sind weder gut noch böse, sondern verhalten sich nach ihren Lebensgesetzen. Das Leben der Menschen ist zwar nicht nur biologisch zu betrachten. Das „gut" und „böse" w i r d bei den Menschen implicite m i t gedacht, wenn sie „brauchbar" oder „unbrauchbar" sagen (Havemann). „Worte wie Haß, Liebe, Freundschaft, Zorn, Treue, Anhänglichkeit, Mißtrauen, Vertrauen bezeichnen sämtlich Zustände, die den Bereitschaften zu ganz bestimmten Verhaltensweisen entsprechen" (Lorenz). Das Strafgesetzbuch der DDR mag führen 1 : §5 (1) Eine Tat ist schuldhaft begangen, wenn der Täter trotz der i h m gegebenen Möglichkeiten zu gesellschaftsmäßigem Verhalten durch verantwortungsloses Handeln den gesetzlichen Tatbestand eines Vergehens oder Verbrechens verwirklicht. (2) Bei der Feststellung der A r t und Schwere der Schuld sind alle objektiven und subjektiven Umstände sowie die Ursachen und Bedingungen 2 der Tat zu berücksichtigen, die den Täter zum verantwortungslosen Handeln bestimmt haben. (3) Strafrechtliche Verantwortlichkeit für fahrlässiges Handeln t r i t t nur ein, wenn dies i m Gesetz ausdrücklich bestimmt ist. Aus der objektiv-subjektiven Betrachtung des Verschuldens ergibt sich die Heranziehung beider Merkmale auf das Verschulden, vor allem i n § 5, 2 (nicht A r t . 5!) StGB der DDR, aber auch i m Westen: „Bei der Feststellung der A r t und Schwere der Schuld sind alle objektiven und subjektiven Umstände sowie die Ursachen und Bedingungen der Tat zu berücksichtigen, die den Täter zum verantwortungslosen Handeln bestimmt haben."
§6 „Vorsätzlich handelt, wer sich zu der i m gesetzlichen Tatbestand bezeichneten Tat bewußt entscheidet." Damit erweist sich, daß das StGB der DDR auf der vom B G H abgelehnten uneingeschränkten Vorsatztheorie steht. Der B G H fordert kein aktuelles, d . h . i m Zeitpunkt der Tat existentes Unrechtsbewußtsein. Es genügt nach ihm, wenn der Täter vorher die Möglichkeit hatte, 1 Über das Recht der unerlaubten Handlungen in Rußland, z.B. John Hazard, Communists and their Law, 1969, Kap. 15, über die sozialistische Gesetzmäßigkeit in der DDR, E. Hirsch, JZ 62, 149 ff. 2 Die Formulierung „Ursachen und Bedingungen", die in § 5, 2 kumulativ zu „Schuld des Täters" aufgeführt wird, hat Generalklauselcharakter und scheint in Grenzen den Einbau fortschreitender medizinischer, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu gestatten.
Haftngsprinzipien das Unrechtmäßige seines Tuns zu erkennen. Die Formulierung „bewußt entscheidet" verlangt aber aktuelles Unrechtsbewußtsein, was etwa der Lehre von J. Baumann entspricht. Das Unrechtsbewußtsein erscheint somit als wesentliches Element der Schuld. Anknüpfungspunkt für den Schuldvorwurf ist die antizipierte higkeit des Täters, anders handeln zu können. Dies folgt aus
Fä-
§10 „Schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) handelt nicht, wem die Erfüllung seiner Pflichten objektiv nicht möglich ist oder wer dazu nicht imstande ist, w e i l er wegen eines von i h m nicht zu verantwortenden persönlichen Versagens oder Unvermögens die Umstände oder Folgen seines Handelns nicht erfassen oder die i h m unter den gegebenen Umständen obliegenden Pflichten nicht erkennen kann." Die Verschuldenshaftung geht grundsätzlich auf die Einzeltat, aber auch auf die Lebensführung (z.B. beim abgestumpften Gewohnheitsverbrecher). So besonders § 249 des Strafgesetzbuches der DDR vom 12. Januar 1968: Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus A r beitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht, oder wer sich auf andere unlautere Weise M i t t e l zum Unterhalt verschafft, w i r d m i t Verurteilung auf Bewährung oder m i t Haftstrafe, Arbeitsentziehung oder m i t Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Zusätzlich kann auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden." (Siehe auch Artikel 2, Abs. 3 des Strafgesetzbuches der DDR: Die Freiheitsstrafe gewährleiste u. a. „die nachdrückliche Erziehung von Straftätern, die sich hartnäckig der erzieherischen Einwirkung des Staates und der Gesellschaft verschließen".)— Dabei ist zugrunde zu legen, daß i n der sozialistischen Gesellschaft jeder die Möglichkeit zu gesellschaftsmäßigem Verhalten hat. Schuld setzt also reale und objektive Alternativen zu gesellschaftsmäßigem Verhalten voraus, und wo sich nach exakter Prüfung der Sachlage solche Alternativen nicht gezeigt haben, entfällt jegliche Schuld. — Die vorhergehenden Abschriften zeigen, daß das Unrechtsbewußtsein des Delinquenten unumgänglich ist, sonst kann eben von einer verschuldeten Deliktshandlung nicht gesprochen werden. Darauf weist schon der Begriff der Verschuldensfähigkeit hin, außer den §§ 827 f. BGB mögen hier noch § 20 f., 2 StGB und § 330 a, 3 StGB sowie § 15 StGB der DDR erwähnt werden. —
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Haftngsprinzipien Determinismus
und Verschulden
Gegenüber allem Indeterminismus schrieb schon M. E. Mayer i m Jahre 1901 i n bezug auch auf die Bestimmung des Verschuldens: „Die Unfreiheit des Willens ist eine Wahrheit, die niemals zur Richtschnur unseres Handelns werden kann, die Freiheit des Willens ist eine Unwahrheit, die unserem Handeln grundsätzlich die Richtung gibt 1 ." — I n Schuld und Verschuldensfällen spielt das Problem Determinismus-Indeterminismus seine Rolle. Indeterministisch w i r d „die Schuld" (das Verschulden) als „die bewußte und gewollte Verfehlung der sittlichen Aufgaben des Menschen" definiert 2 . Dem entspricht die populäre Auffassung von Verschulden oder Schuld, wie sie vor allem zum Ausdruck kam, als nach 1945 die Alliierten die Auffassung von der kollektiven Verantwortlichkeit aller Deutschen für die Handlungen des NS-Staates vertraten, was, als diese Vorstellung auf das fassungslose Staunen der deutschen Juristen stieß, danach schleunigst zu der wenigstens i m moralischen Bereich verständlicheren These von der Kollektivschuld der Deutschen umgebogen wurde. Die Katholiken singen i n der Messe „mea maxima culpa" . . . Ferner i m literarischen Bereich: „das personelle willensmäßige Schuldbewußtsein war i m M i t telalter und i n der Reformationszeit das zentrale Problem, das erst durch die Aufklärung verdrängt wurde. I m Verlauf des 19. und des 20. Jh. w a r die Schulderfahrung zwar menschlich und gesellschaftlich nicht bedeutungslos geworden, w o h l aber verlor sie öffentlich und literarisch ihre vernehmbare Vorrangigkeit — an die Stelle der Schuldfrage trat die Sinnfrage, bei genauerem Zusehen i n der Literatur allgegenwärtig, z.B. bei Rilke, Broch* Musil, Brecht, i n deren Werken das Böse und das Bewußtsein davon, und dann die Schuld, i n den verschiedensten Formen auftritt, etwa als Verlust der Wirklichkeit, als Verlust der Werturteile und ihrer Extrapolation: der Werte, als Gleichgültigkeit, als Mitläufertum, als Anonymität, als Ideologie, auch als Unterbleiben der Versuche auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht m i t dem Worte, aber m i t der Tat 3 . — Weiter kommen w i r also w o h l i n bezug auf die Bestimmung des Verschuldens m i t der deterministischen Richtung, wie sie weniger von den Strafrechtsdogmatikern als von den Psychologen und Soziologen vertreten wird. Der Determinismus betrifft nicht das kantische Selbst1
Die schuldhafte Handlung und ihre Arten, 1901,101. A. Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961, 208. 8 Vgl. dazu P. K. Kurz, Das Böse und die Schuld in der Literatur, Heft 7 der „Stimmen der Zeit", Juli 1972, 20 ff. (Herder in Freiburg), auch etwa Jean Am6ry, Jenseits von Schuld und Sühne, dtv, April 1970, juristisch Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1971. 2
Haftngsprinzipien sein, w o h l aber die menschliche Willens- und Verschuldensfreiheit: „Der Mensch kann sehr w o h l i m Bewußtsein des »Eigenen4 und des ,Selbst4 seine Erklärungen abgeben u n d sich dadurch frei fühlen, da aber seine Willenserklärung von unzähligen Vorstellungen und Gefühlen bestimmt wird, entscheidet er zwar selbst, aber nicht frei . . . Selbstsein und Freiheit sind nicht identisch . . . Auch der Determinismus nimmt den Menschen bei seinem Worte, aber nicht etwa weil er freiw i l l i g sein Wort gegeben hat, sondern damit er es hält 1 ." Der Mensch ist (nach französicher Lehre) i n seinen „niederen Hegionen" vom Zufall determiniert, also „nach rückwärts h i n " unfrei, während freilich die „nach vorn" stoßenden A k t e des Menschen indeterminierte Freiheitsakte b l e i b e n . . . Schuld ist i m Determinismus daher „die mehr oder minder große Gleichgültigkeit gegenüber dem Pflichtcharakter einer rechtlichen Vorschrift, oder anders ausgedrückt, ist die unzureichende emotionale Besetzung, d. h. Bewertung und Bejahung des Pflichtcharakters einer rechtlichen Vorschrift bei einem geistesgesunden, normal motivierbaren Täter. Oder kürzer: Schuld ist Mangel an sozialer Angepaßtheit bei einem normal motivierbaren Täter" 2 . Schuld wäre dann nicht, wie nach der indeterministischen Auffassung, die bewußte und gewollte Verfehlung eines sittlichen Sollens und der kantischen „Vernunft" als des „ganz oberen Erkenntnisvermögens", sondern die Mißachtung des emotional dirigierten Rationalen i m Gefühle der Achtung, des Mitleids, der Liebe, negativ: des Unbehagens und der Angst vor den Sanktionsdrohungen der Gesellschaft. Auch i m Determinismus w i r d der Täter zur Verantwortimg gezogen, aber nicht, weil er freiw i l l i g (eigendeterminiert oder fremddeterminiert!) auch anders hätte handeln können, sondern w e i l er anders hätte handeln sollen, und w e i l er dieses Sollen infolge unzureichender emotionaler Besetzung mißachtet hat 8 . — Daher w i r d das determinierte Gewissen auch dahin umschrieben, daß es „das emotional besetzte Wissen von einem Sollen sei, an dessen Erfüllung uns etwas gelegen ist, a) aus Unbehagen oder aus Angst vor 1 M . Danner, Zum Problem der Kriminalstrafe aus deterministischer Sicht, Sonderdruck aus der Zeitschrift „Kriminalistik", 1/1968,10. 2 M. Danner, Tatvergeltung oder Tätererziehung, 2. Aufl., 1972,128 f. 3 Über die „Welt des Sollens" und über die „Welt des Seins" wird viel gearbeitet. B. Horvath, Probleme der Rechtssoziologie, tut es sich mit dem Dualismus zuerst noch schwer, kommt dann aber zur Überwindung, vgl. bes. S. 17 A. 14, 102, 52 ff. — A. Brecht, 54 Harv. L. R. 811 ff., 1940 sprach einfach vom „myth of the Is and Ought", s. i m übrigen nur I. Tammelo, Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, 1971, 142 ff. und G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, 1968. — Das Sollen ist sicherlich nur eine Funktion des Seins, zugrunde liegt die Kopula „soll" beim Werturteil.
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den Sanktionsdrohungen der Gesellschaft, b) aus Genugtuung und Freude über Anerkennung, Lob und Belohnung von Seiten der Gesellschaft, c) aus Achtung, aus Mitleid oder aus Liebe zum andern" — wobei das gute Gewissen das angenehme Gefühl vor, während oder nach der Erfüllung eines Sollauftrags sei, das schlechte Gewissen das negativ-emotional besetzte Wissen von einem versäumten Sollen — „schlecht" ist dieses Gewissen dann a) wegen der Sanktionsdrohungen der Gesellschaft, wozu auch der Verlust an Achtung und Anerkennung gehört, b) wegen eines Versäumnisses an Achtung, Mitleid oder Liebe 1 . Das Gewissen ist die zu Anfang patriarchalische Lokalisation der Persönlichkeit i m alten Ägypten 2 . Es kommt daher nach den herkömmlichen Lehren von der Gesinnung eines konkreten Menschen, von dessen stets aufgegebenen „innerer" Einheit oder von der aus Entscheidungen geborenen inneren Wertgestaltung, die den ganzen Menschen bis hinein i n seine Wünsche und seine Phantasie durchwirkt, so daß das Gewissen das situationsbedingte, innerseelische Ereignis i m Menschen ist, i n Hinsicht auf das, unter totaler Beteiligung des Menschen an sich, des kosmischen Menschen, eine sittliche Beurteilung seiner Motive stattfinden kann (Welzel). Demgegenüber ist das deterministische Sollen/Gewissen i m Wesentlichen soziale Rücksichtnahme, also vor allem „Spekulation" auf das persönliche Unbehagen und die persönliche Angst vor den Sanktionsdrohungen der Gesellschaft. Determiniert, nämlich i m eigenen Lebensgefühl determiniert, kann aber auch das Unbehagen und die Angst vor dem Leben des Selbst sein — das Unbehagen und die Angst des Selbst resultiert nicht nur aus der Sozietät! Die „höheren Dinge" oder „Werte" sind einfach ausgereiftere Formen der natürlichen menschlichen I m pulse und die kompletteren Verwirklichungen der besonderen, aber natürlichen Möglichkeiten des Menschseins (Muller). — Immerhin können w i r sagen, daß beim Schuld/Verschuldensdenken der Determinismus komplementär zum Indeterminismus steht, wobei der semi-pelagianische Kompromiß führen mag: U m etwa 400 post behauptete Pelagius i n Irland gegen z.B. Augustin und vor allem gegen das Dogma der Kirche, der Mensch stehe nicht i n (deterministischer) „Erbsünde" (1 Mos. 6,5), sondern sündige, wenn er es tue, aus eigener Freiheit heraus. Pelagius wurde der Häresie bezichtigt, seine Lehre verworfen. Aber 1 200 Jahre später, 1607, verbot Papst Paul V. die 1 M. Danner, Tatvergeltung oder Tätererziehung, 2. Aufl., 1972, 126 f., Freihalter, Gewissensfreiheit, Aspekte eines Grundrechts, 1973: Welzel, Gesetz und Gewissen, Festschrift für den deutschen Juristentag, Karlsruhe 1966. 2 James Breasted, Die Geburt des Gewissens, Zürich 1950, insbes. 39, 82, 92 ff., 115 - 118, 218 f., 233 f., 322 f.
Haftngsprinzipien Verketzerung der Jesuiten als Pelagianer und ließ beide Arten von Theologie zu, jene, die (deterministisch) stärker die „Gnade Gottes" und jene, die (indeterministisch) mehr die Freiheit des Menschen betonte, schloß also den „semi-pelagianischen Kompromiß" 1 . — Erfolgshaftung Die Erfolgshaftung ist eine objektive Haftung. Eine allgemeine Erfolgshaftung kommt i m BGB nur als Billigkeitshaftung (§ 829) zum Ausdruck, sonst ist die objektive Erfolgshaftung Gefährdungshaftung für ein kreiertes Risiko — dahin gehört auch die Munthaftung der §§ 832 - 838, und auf jeden Fall die Tierhalterhaftung des § 833, Satz 1 — wobei man sich darüber, daß der Gebäudebesitzer, ganz zu schweigen vom Eigenbesitzer, möglicherweise „Halter" i m Rechtssinne, der Tierhalter nur „Halter" i m faktischen Sinne ist, nicht allzuviel den Kopf zu zerbrechen braucht. Die Gefährdungshaftung ist aber vielfach außerhalb des BGB's angesiedelt. Das (objektive) Verursachungsprinzip i m modernen Umweltschutz-Recht, eine Erfolgshaftung, ist streitlos. Billigkeitshaftung Bei der Billigkeitshaftung nach § 829 ist zunächst natürlich an den fünfjährigen, von den verstorbenen Großeltern her reichen Jungen zu denken, der dem armen Nachbars jungen deliktisch ein Auge ausschlägt, der nach § 828 selbst nicht deliktisch haftet, und dessen Eltern, die „ k r a f t Gesetzes zur Führung der Aufsicht" über i h n verpflichtet sind, nach § 832 „gehörige Aufsichtsführung" ausgeübt haben und daher ebenfalls nicht haften. Eine neuere Entscheidung (BGHZ 23, 90): ein Autofahrer w i r d am Steuer plötzlich ohnmächtig, läßt es daher los und verursacht einen Unfall — die Billigkeitshaftung des § 829 w i r d für anwendbar erklärt, dies ohne Rücksicht darauf, ob die Bewußtlosigkeit nur die Zurechnungsfähigkeit oder ob sie schlechthin „jede willensmäßige Steuerung des körperlichen Verhaltens" ausschloß. Gefährdungshaftung J. Esser versteht unter i h r „den Ausgleich von Unglücksschäden, wenn sie als Folge gesetzlich gestatteter Sondergefährdungen eintreten, ohne daß sich der Verletzte solchen Zwangsrisiken gegenüber wehren könnte." 1
Friedr. Heer, Europäische Geistesgeschichte, 2. Aufl., 1953, 42, 43, 307.
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Ausgangspunkte der Gefährdungshaftung sind die Begriffe der Gefahrenkreation und der Gefahrenherrschaft, dies vor allem i m französischen Recht von risque créé. Auch die neue niederländische Produktenhaftung ist i n diesem Zusammenhange zu erwähnen: „Wer ein Erzeugnis herstellt oder i n Verkehr bringt oder bringen läßt, das zufolge eines i h m unbekannten Mangels Personen oder Sachen gefährdet, haftet, wenn diese Gefahr sich verwirklicht, so, als wäre i h m der Mangel bekannt, es sei denn, er beweist, daß der Mangel weder auf einen Fehler seiner selbst noch auf den eines Dritten, der i n seinem Auftrag i n bezug auf das Erzeugnis tätig war, noch auf ein Versagen von i h m verwendeter Hilfsmittel zurückzuführen ist 1 ." „Derjenige, der die Gefahr schafft, hat die Pflicht, sie nach Möglichkeit einzuschränken, wofür auf einzelnen Gebieten, z.B. auf dem Gebiet des Motorfahrzeugverkehrs, besondere gesetzliche Vorschriften bestehen. Anders verhält es sich dagegen bei Gefährdungen, die nicht notwendige Begleiterscheinung eines von der Rechtsordnung gebilligten Anlasses sind. Hier fehlt der Grund, der sie gegenüber der A l l gemeinheit rechtfertigen würde. I n diesem Sinne ist es daher ein allgemeines Gebot der Rechtsordnung, daß Leib und Leben und überhaupt Rechtsgüter Dritter nicht unnötig i n Gefahr gebracht werden dürfen. Wer solche Gefahren schafft, handelt widerrechtlich." Die Schadensersatzpflicht w i r d — so sagt man auch — vor allem aufgrund nicht des kausalen Tatbestandes, sondern des sozialen zugerechnet: i m Objekt, nicht i m Subjekt liegt dann auch die Schadensverursachimg. Damit kommen w i r zu der sozialen Gefahrenherrschaft. Es kann dem Verkehrssicherungspflichtigen z.B. obliegen, Gefahren zu begegnen, die durch einen unkenntlich gewordenen Zebrastreifen entstehen (BGHZ 9, 373, 1971), oder dem Verursacher einer Umweltverschmutzung, diese auszugleichen. Die Frage, welche Handlungen, trotz der Gefährdungen, die sie mit sich bringen, erlaubt sind, ist eine Frage der normativen Interessenabwägung zwischen der Größe des Risikos und den Zwecken, denen die Handlung dient, insbesondere auch ihrer Bedeutung für die A l l gemeinheit . . . Der Gesamtinhalt unserer rechtlichen und sozialen Anschauungen entscheidet darüber, welche Gefährdungen als m i t dem modernen Leben gegeben akzeptiert werden und damit erlaubt sind. Dies gilt für Handlungen wie für Unterlassungen. Besonders für die Unterlassung ist bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit herauszufinden, ob einer bestehenden Sorgfaltspflicht genügt worden ist 2 : „Ist den be1 VersR, Beiheft, Karsruher Forum, 1962, Zur Fortentwicklung des Haftungsrechts, 7 A. 11. 2 E. v. Càemmerér, 481, 560.
Haftngsprinzipien stehenden Sorgfaltspflichten genügt, und kommt es gleichviel zu Schädigungen, so w i r d damit das Verhalten nicht rückwirkend zu einem rechtswidrigen gestempelt." — So liegt die objektive Gefährdungshaftung grundsätzlich außerhalb des BGB i n Sonderpflichtgesetzen. I n diesen w i r d aus dem BGB der wichtige Gedanke des „Gefährdungsausgleichs" oder der Mitgefährdung i n das mitwirkende Verschulden des BGB (§ 254) hineingenommen 1 . Die Haftpflichtgesetze (die auch i m Auslande z. Z. verbessert werden, z.B. i n Österreich) betreffen vor allem die Kraftfahrzeughalter nach dem Straßenverkehrsgesetz von 1952 (vor allem § 7, i n § 18 aber auch die Verschuldenshaftung des Kraftfahrzeug/ahrers!), die Eisenbahnunternehmen, jetzt nach dem Gesetz von 1959, die Unfälle i m Luftverkehr nach dem Luftverkehrsgesetz i n der Fassung vom 22.10. 65, die „Fortleitung oder Abgabe" (also nicht auch die Erzeugung!) von Elektrizität oder Gas nach dem Gesetz vom 15. 8. 43, die Atomgefahren nach dem Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren vom 23.12. 59 und die Wasserschäden, vor allem nach dem Wasserschutzgesetz vom 27. 7. 572. — Der Referentenentwurf geht bei seiner objektiven Gefährdungshaftung vor allem auf die Haftung für die Verletzung beförderter Personen ein und übernimmt hier unverändert § 1 RHG und § 8 a StVG, weiterhin auch § 1 a RHG betreffend Elektrizitäts- und Gasanlagen. — Sehr fraglich ist, ob die berühmte Haftung des Verrichtungsherrn für den Verrichtungsgehilfen des § 831 als Gefährdungshaftung bezeichnet werden kann. Die herrschende Meinung hat sich i n ein Haftungsprinzip „des vermuteten Verschuldens" verbissen, wofür der Wortlaut des § 831 spricht — „die Ersatzpflicht t r i t t nicht ein, wenn der Geschäftsherr sich exkulpieren kann", aber praktisch gelingt i h m das leicht, weshalb am § 831 auch vielfach herumgedoktort und dabei vor allem die schwerere Haftung des § 31 für den „Verrichtungsherrn" gefordert wird, jedenfalls, wenn es sich bei dem „Verrichtungsherrn" u m einen organisierten Betrieb oder ein organisiertes Unternehmen handelt, gleichgültig, ob der faktische Inhaber des Betriebs oder des Unternehmens eine natürliche Person ist (s. darüber ausführlich u. S. 520). I m Ausland w i r d die Haftung für den Verrichtungsgehilfen (holländisch: Ondergeschikte) überwiegend als Gefährdungshaftung aufgefaßt, so anscheinend auch der Entwurf: „Wer einen anderen zu einer 1 J. Esser, Schuldrecht, I I , Bes. Teil, 4. Aufl., 1971, 494 ff., so auch der Referentenentwurf. 2 Dazu im einzelnen K. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, I I , Bes. Teil, 9. Aufl., 488 ff.
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Verrichtung bestellt, ist, wenn der andere i n Ausführung der Verrichtung durch eine vorsätzliche oder fahrlässig begangene unerlaubte Handlung einem Dritten einen Schaden zufügt, neben dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet" — die Rechtswidrigkeit des § 831 der bisherigen Fassung w i r d durch das Verschulden des Verrichtungsgehilfen ersetzt, und die Haftung des Verrichtungsherrn besteht über und neben der des Verrichtungsgehilfen, i n Wahrheit: alternativ (denn wo schon der Verrichtungsherr den Schaden ersetzt, kann beim Verrichtungsgehilfen keiner geltend gemacht werden). — Der ganze Kampf u m das Haftungsprinzip des § 831 ist i n das richtige Licht gerückt, wenn man i n § 831 eine „Geschäftsbesorgungs-Vinkulation" (s. darüber u. S. 471) und einen „Haftungsverband der Geschäftsbesorgungs-Partner" erblickt — der Verrichtungsherr ist eben vor allem „Geschäftsherr", der „Verrichtungsgehilfe" „Geschäftsbesorger". „Respondeat superior" gilt auch hier, wer den guten Tropfen trinkt, muß — wie das germanische Rechtssprichwort sagt — auch den bösen trinken, der französische Gedanke vom „intérêt social" umschließt auch den einer echten Gefährdungshaftung, und der Baur'sche Versuch, hier i m Anschluß an den § 1004 BGB ein Mittelding zwischen subjektiver Verschuldenshaftung und objektiver Erfolgshaftung (Marke „Gefährdungshaftung") einzuführen, genannt „Bereichshaftungzeugt zwar von Einfallsreichtum, w i r k t aber sehr unsystematisch 1 . Eine allgemeine Gefahrenversicherung, möglicherweise sogar obligatorisch, w i r d erörtert (A. Ehrenzweig) — i m Gegensatz dazu steht natürlich die Versicherung desjenigen, den eine Gefährdungshaftung trifft, auf die gemäß der Gefährdungshaftung zu zahlenden Beträge — die allgemeine Gefahrenversicherung, z. B. für Verkehrsgefahren oder Arzt/Kunstfehler/Krankenhaus-Gefahren zwingt natürlich nicht zur Aufgabe der Gefährdungshaftung. Die Gefährdungshaftung trägt das gesamte Haftungsrecht in bezug auf das Verkehrs-, insbesondere das Autorecht. (S.a. jetzt Kuentzle, Die Haftung für Verkehrsunfälle i m französischen und deutschen Recht, Ein Vergleich der Grundlagen und Dogmatik des französischen und deutschen Verkehrshaftpflichtrechts, 1974.) Handlungen und Unterlassungen, welche die fremde Rechtsposition bloß gefährden, d.h. nur die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit ihrer Verletzung begründen, sind aber von der eigentlichen widerrechtlichen Rechtsverletzung zu unterscheiden (v. Caemmerer), so daß die Verkehrsunfälle in der Regel aus der deliktischen Betrachtung ausscheiden. U m so schlimmer ist es, wenn der B G H (Ver. Gr. Senate, B G H Z 14, 232) im Rahmen des Deliktsrechts verkehrspolitisch wird, indem er „das Vertrauen auf den Partner" im sog. Vertrauensgrundsatz zur Rechtsgrundregel im Straßenverkehr zu machen sucht — was sich bis zur letzten Autofahrschule hin auswirkt. Vertrauen ist gut, Kontrolle aber besser, l'autre c-est l'enfer 1
F. Baur auf S. 16 des eben angeführten „Karlsruher Forum", 1962.
Haftngsprinzipien gilt vor allem für den „Verkehrspartner", das Schein-Vertrauen (das hier herumspielt) wird im Hecht auch nur beschränkt geschützt. Die „Verkehrsflüssigkeit" müsse bedacht werden! M a n sehe sie sich doch an! Da sind zuerst die um Abreaktion ihrer diversen Frustrationen durch schnelles Autofahren besorgten Zeitgenossen, dann diejenigen, die (von den ihre Arbeitsstunden Absitzenden sei hier abgesehen) ohne Arbeitstagesplan in den Großstädten im Auto herumsausen (von Ort zu Ort), und an Auto- oder gar Leistungsstress leiden, und den Verkehr fließen lassen, in der Fixigkeit sind sie allen über, weniger in der Richtigkeit. Berthold Brecht wendet sich in seiner Verversung des kommunistischen Manifests an die Nachkommen von dessen Adressaten: „Und jetzt erfährst du als erstes: verbanne zuvörderst die Schnelligkeit ganz aus dem Kopf!" (Jene Versifikation gelangte aber nur zum (teilweisen) Vorabdruck) 1 . Das zweite Prinzip des Verkehrsrechts (das in der oben genannten Entscheidung sekundär berücksichtigt wird: du darfst nicht anfahren — sollte daher das erste werden, das allgemeine Deliktsrecht wäre damit auch ins Straßen- und Autorecht überführt: du darfst nicht stören, du darfst nicht anstoßen, du darfst nicht in die Freiheit des anderen einbrechen — dann gäbe es weniger Tote, die ständig dem Moloch der Verkehrsflüssigkeit geopfert werden (you are entering the most dangerous area on earth — warnen die in Deutschland stationierten Amerikaner ihre Rekruten vor den deutschen Autobahnen!) und keine konstanten Nötigungen.. . 2 Das Subjektive
und das
Objektive
W e n n m a n sieht, w i e ü b e r a l l v o n s u b j e k t i v e n P r i n z i p i e n z u o b j e k t i v e n ü b e r g e g a n g e n w i r d ( i m Scheidungsrecht z. B . v o m S c h u l d p r i n z i p z u m Z e r r ü t t u n g s p r i n z i p ) , m u ß m a n sich fragen, ob n i c h t auch das Verhältnis der subjektiven H a f t u n g z u r objektiven H a f t u n g i m Del i k t s r e c h t , u n d d e r Vorprall der objektiven Haftung, i n die allgemeine B e z i e h u n g zwischen d e m S u b j e k t i v e n u n d d e m O b j e k t i v e n , m i t d e m a k t u e l l e n V o r p r a l l des O b j e k t i v e n , e i n g e o r d n e t w e r d e n k a n n . — D i e U n t e r s c h e i d u n g v o n S u b j e k t u n d O b j e k t t a u c h t , ganz logischer A r t , w i e e r w ä h n t , anscheinend zuerst b e i D u n s Scotus ( u m 1300) auf, w u r d e v o r allem i m Humanismus aufgenommen, einem großen Ereignis, v o r d e m das ganze D e u t s c h t u m e r z i t t e r t e , v o n d e m „ d i e B i l d u n g " i h r e n A u s g a n g n a h m , u n d das d u r c h d i e Renaissance n i c h t v e r d e c k t w e r d e n k o n n t e , d a n n v o n d e r A u f k l ä r u n g u n d v o n K a n t . Seine schärfste A u s p r ä g u n g e r h i e l t dieser n e u a r t i g e S u b j e k t i v i s m u s i n d e r E r k e n n t n i s t h e o r i e des „ s u b j e k t i v e n I d e a l i s m u s " ( B e r k e l e y , 1685 - 1753, 1 Sinn und Form, 15. Jahr, 1963, 188. Das erste kommunistische Manifest der Neuzeit ist in Wahrheit aber nicht das berühmte von K a r l Marx oder der Hessische Landbote von Georg Büchner, sondern die sehr unbekannte „Instruction" von Lyon aus dem Jahre 1793 von Joseph Fouche. 2 Andere Warner z. B. K a r l Clauss auf I I 121 ff., 124, in seinen 2 Bänden „General Semantics", dazu die Besprechung im AzP, 1971, 510 - 523. — Der Schutz des Partnervertrauens ist im übrigen ältestes Recht und hängt wahrscheinlich mit dem Sorgetriebe zusammen „alles Lebendige, das sich nicht selbst versorgen kann, muß am Leben erhalten werden" — Lebens-Affirmativität!) S. u. S. 82, 234.
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danach Fichte, Schelling, auch noch Hegel) — er n i m m t die ganze Welt als Vorstellung, ein Standpunkt, wie i h n selbst der radikale Materialist v. Holbach nicht recht zu widerlegen vermochte. A m Anfang steht das Präobjektive, das Konkrete ist das Späte. Die gegenständliche Kunst beginnt erst i n der ägyptischen Amarna-Plastik der Echnaton-Zeit u m 1350 v. Chr. Alles muß also offenbar gewissen Menschentypen zugeordnet werden. Bis zu den Ausläufern der jüngsten Steinzeit lebte nach Alfred Weber der erste Mensch, der „chthonische", matriarchalisch-mutterrechtliche, magisch-animistische, vor allem aber der präobjektive Mensch, der seine Umwelt nicht als begreifbare Gegenstände oder gar Wirklichkeiten sah, sondern schlechthin „per se" war, „Person" i m Sinne etwa der Persephone, einer der Göttinnen, die diese Zeit der großen Urmütter bestimmten. M i t der Entwicklung der Gebrauchsmetalle, also etwa seit 3000 v. Chr. (aber m i t Vorboten), taucht dann der zweite Mensch auf, der handwerklich das Metall zu konkreten Gegensätzen umarbeitet, der homo faber — eine persona fabra gibt es nicht 1 . Der zweite Mensch ist nicht mehr matriarchalisch-mutterrechtlich, sondern patriarchalisch-vaterrechtlich gesinnt (Symbol: die Amazonenschlacht!), er ist der Begründer der Klein-Familie von Eltern und K i n dern, i h m ist an gesunden und starken Söhnen gelegen, welche die väterliche Arbeit fortzusetzen imstande sind, er begnügt sich nicht, wie der erste Mensch, m i t der Sippe, der Groß-Familie, als EhepartnerReservoir, sondern zieht dazu die Nachbarsippe heran (Symbol: Der Raub der Sabinerinnen!), organisiert dann und auch deshalb seine Sippen zum Stamm um, begründet bald Staaten, erkenntlich zuerst i m Ägypten der ersten und der zweiten Union, etwa u m 4000 und 2000 v. Chr., auch schon Imperien (das erste unter Tuthmosis I I I . u m 1500 v. Chr.), sieht die Lokal- und Staatsgötter Imperialgötter werden und i m unendlichen Räume verschwinden, schafft die großen Jenseits-Religionen, die des Aton, vielleicht des ersten Alleingottes, die des Judentums, später die des Christentums und des Islam. Aus der „Offenheitsund Freiheitsbetätigung" dieses zweiten Menschen erwachsen die Moral und das Recht, das Gewissen und die Gerechtigkeit, wie früh schon erkenntlich ist: zuerst zur Abwehr sozialer Störungen 2 , dann zur Formung des menschlichen Charakters. — Juristisch sehen w i r das Präobjektive noch i m Animismus, der eine Grenze zwischen der belebten und der unbelebten Natur nicht anerkennt, danach i n den Vorstellungen von Totem und Tabu, deliktsrechtlich i n der alten (aber teilweise noch lebendigen) deliktischen Verfol1 2
Vgl. E. Hirsch, Aktuelles Filmrecht, 1958, 13. „Der Zorn des Familienvaters ist das erste sittliche Gesetz" (Breasted).
Haftngsprinzipien gung auch von Tieren, selbst von unbelebten Gegebenheiten, woraus die „Sach-Talion" bei Drakon, bei Perikles und bei Protagoras, auch bei der römischen nöxae datio (D. 9, 1, 1 pr.), kommt, z. B. die Herausgabe des störenden Tieres — i m angelsächsischen Recht unter Alfred d. Gr. ist wie bei Drakon sogar der Baum, der einen Menschen erschlagen hatte, an die Verwandten des Getöteten herauszugeben, und i n dem Romane „ K r i s t i n Lavranstochter" der Nobelpreisträgerin Sigrit Undset, der i m 13. Jh. spielt und stark von germanistisch-juristischen Vorstellungen durchzogen ist, w i r d der Balken, der die kleine Tochter erschlug, als Abtrittsbalken eingemauert. Noch einmal sei es gesagt: i m Raum der Psyche und sonst existieren vielerlei Gegebenheiten, i m Raum der Psyche leben aber vor allem das Subjektive und das Personale i n allen seinen Schattierungen. Der Raum der Psyche ist die „Infrastruktur" der deliktischen Handlung: Rechtshandlungen können als „sympathetische", „antipathetische" und „apathetische" charakterisiert werden (s. u. S. 240), eine deliktische Handlung w i r d nur insofern recht klar, indem w i r ihre „psychische A k t i o n " sehen — dies auch dann, wenn sich diese als physischer Vorgang manifestiert, den — extra vertiert! — das Wort „Handlung" bezeichnet! — i n einer Physis z.B. die operierende Heilbehandlung des Arztes. Die Unterscheidung des Personalen vom Subjektiven wird von großer Bedeutung bei der Sprachkunst (und dann auch in der allgemeinen Ontologie): der Mensch lebt (und dichtet) a priori für sich, per se, i m reinen Sein als intime und natürliche Person, „er klingt für sich", wie die griechische Göttin Persephone (es kann aber auch anarchische Kakophonie sein!). Erst in einem besonderen Aufschwung, einer speziellen „Extasis", einem speziellen „Elan", einem spezifischen Austritt, einer „Entfremdung" vom Selbst, einem „Ich-Schwund" (S. Freud) wendet sich der Mensch seiner Umwelt zu, die er dann als Welt, nämlich dann als Summe oder Inbegriff von „Gegenständen" hat — der Mensch lebt (und dichtet) entweder „ungegenständlich" oder „gegenständlich". Aber erst, indem der Mensch (und der Dichter) „gegenständlich" wird, ist er nicht nur Wirklichkeit, sondern hat auch Wirklichkeit. Sicher geht — und jetzt kommen w i r zum Verhältnis des Personalen zum Subjektiven! — der Mensch (und der Dichter), wenn er Subjekt von Wirklichkeit sein will, durch ein kaudinisches Joch — er steigt, könnte man mit einem anderen Bilde sagen, von seinem Podeste des personalen Säulenheiligen herab. „Gerade das Genie", meinte Goethe, „hat den Trieb, sich die Gegenstände zuzueignen, viel später, und leider oft zu spät, räumt es auch dem Gegenstande selbst seine Würde ein". Viel interessanter als die dichterische Isolierung und All-Befreundung bleibt jedenfalls die Entfremdimg, das Drama von der Qual des personalen Verzichts und der Lockung zur gegenständlichen, wirklichen und dinglichen Bergung — wer darüber Genaueres zu hören verlangt, der lese i m „Faust" nach, der Tragödie von der Gewissensnot des aus der theologischen Bergung emanzipierten Geistes, oder — frei nach Mallarmé — in den Briefen Gottfried Benns: „allein du mit den Worten, und daß heißt wirklich allein!" . . .
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Dabei verbleibt auch dem die Bergung suchenden, gegenständlich, wirklich und dinglich gewordenen Menschen der personale Rückhalt: man bilde sich doch nicht ein, daß der Umzug ins Subjekt den völligen Abandon der Personalität bedeutet, es steht doch vielmehr so, daß die Statuierung irgendeines Objekts, insbesondere die der Wirklichkeit, nicht ohne einen personalen Halbpart vollzogen werden muß, die „Vorhandenheit" nicht ohne „Zuhandenheit" wird, die Wahrheit nicht ohne Wahrhaftigkeit. Dieser verbleibende „personale, dann subjektive" Halbpart enthält immer noch so viel von der Persönlichkeit des Menschen, als nach dem Abstreifen sozusagen ihrer oberen Etagen beim Ubergang der Persönlichkeit zum Subjekt, d.h. beim Gang durch das kaudinische Joch übriggeblieben ist, nicht mehr die volle Personalität, aber genug von ihr, um auch dem Wirklichkeits-Menschen (und dem Wirklichkeits-Dichter) die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gestatten. Das personale Element ist nirgends im geistigen Leben herauszubrechen. Die Entzückungen, die es dem geistigen Menschen bereitet, sind im Bereiche der Wirklichkeit nicht verboten. Es bilde sich der gegenstandsfreie Personalismus doch nicht ein, daß Glanz und Glamor des Schöpferischen nur in ihm steckten, oder daß er es überhaupt sei, den der Glanz kröne: in der Kombination der subjektiv gewordenen Personalität mit der Wirklichkeit, die der gegenstandsfreie Personalismus nicht haben kann, weil er vor ihr flieht, tritt zum Glänze das einfache, klare, erhellende Licht hinzu. Der gegenstandsfreie Personalismus der Wirklichkeits-Flucht, das ist noch lange nicht Prometheus, das ist einfach der Steppenwolf, er trabt und heult. —
Gegenstand ist „Ding als gemeinsame Reizquelle" (Lorenz), die einzelnen davon ausgehenden Reize werden durch die Sinne i n einem Räume lokalisiert, vornehmlich, beim Menschen, Tastsinn und Gesichtssinn. Das handelnde Subjekt spielt dabei seine Rolle, also nicht nur das reizaussendende Objekt. Hier liegt der biologische Ausgangspunkt des subjektiven Halbparts — w i r können, selbstverständlich ohne genaue Verrechnung, von diesem subjektiven Halbpart ausgehen, die W i r k lichkeit des Gegenstandes besteht, wie schon Schopenhauer lehrte, aus zwei Hälften, dem Subjekt und dem Objekt, wie w o h l i n so notwendiger und enger Verbindung wie Oxygen und Hydrogen i m Wasser. Der subjektive Halbpart bei der Objektsstatuierung findet sich aber seit jeher, z. B. schon i n der Parmenides-These von der notwendigen „Intentionalität der Erkenntnisse" 1 , dann i n Augustins Illuminationslehre, i n welcher der menschliche „agierende Intellekt" dem plotinischen „Licht" gegenübergestellt wird, auch i n Goethes Farbenlehre, i n der Goethe — gegenüber dem „objektiven" Newton — das Subjektive i n der Erkenntnis der Farben betonte. Das Objekt, und dann der Inbegriff der wirklichen Objekte, die konkrete Welt, entstammt einem „concrescere" i m Sinne eines objektiven Zusammenwachsens, aber auch einem „concernere", einem Kunstworte, das überhaupt erst den Aufbau von Strukturen oder gar Systemen durch den Menschen erklärt. Bei 1
Dazu „Gegenopfer", 396, 110, 100 - 119.
Haftngsprinzipien Schopenhauer ist von der „Rechnung ohne den W i r t " des sich selbst bei der Objektsstatuierung vergessenden Subjekts die Rede, bei N. Hartmann davon, „daß die Dinge i n der A r t , wie sie angenommen werden, durch subjektive Erfahrungen und Anschauungsformen bedingt sind". Die Amerikaner sprechen vom „concentrating i n facts without even suspecting that facts presuppose concepts". Das psychologische Experiment, welches den subjektiven Halbpart sicherstellt, ist dabei das der Filmstreifen, die aus einzelnen Bildern bestehen und — abgesehen von der objektiven Schnelligkeit ihres Ablaufens — nur durch die menschliche Optik ein einheitliches B i l d ergeben. I m Märchen: als sich Rübezahl, u m die schöne Emma besser i m Bade sehen zu können, i n einen Raben verwandelte, bot ein Nest mit Waldmäusen stärkere Lockung für i h n als die schöne Emma. Das erste Problem des subjektiven Halbparts ist dabei die Transformation der Person ins Subjekt 1 , und diese Transformation geht vielfach zusammen m i t der Herstellung des richtigen Verhältnisses zwischen dem Subjektiven und dem Psychischen. Man muß hier wieder „dialektisch" operieren: jedes Subjektive ist ein Psychisches, aber nicht jedes Psychische ist subjektiv: wenn A morgens u m fünf aus voller Kehle sein „Morgenstunde hat Gold i m Munde" i n die Badewanne schmettert, ist A Person, und handelt er — auch — psychisch, er ist aber noch nicht Subjekt, das sich der Welt als seinem Objekt zuwendet. Die Berücksichtigung der Subjektivität ist bei aller Objektivität also anscheinend unausrottbar. Vor allem i m Deliktsrecht ermöglicht sie größere Genauigkeit bei der Charakterisierung der Deliktstat und des Deliktstäters — w i r sehen daher auch das anglo-amerikanische Recht i n einem Übergang vom Haftungsrecht zum Schuldrecht 2 . Die Entdeckung der Subjektivität i n den objektiven Phänomenen liegt sonst zivilistisch z. B. den Lehren vom Rechtsgeschäft als zunächst einmal „subjektivem commercium" der Partner zugrunde (Windscheid), dann denen vom subjektiven Schaden (=Interesse), vom teleologischen Recht (subjektive Zweck- und Zielsetzung), von der Interessenjurisprudenz, von der finalen Handlung. — 1 Einiges zu diesem Transformationsbegeben in „Die ontologische Begründung des Rechts", Sammelband 1965, Hrsg. A. Kaufmann, 566, 583 - 587, 588 ff. W. G. Becker, Gegenopfer 115 ff., 396. 2 Hier taucht auch das Problem des Historismus auf. Wenn der Historismus (der sonst angesichts der ästhetizistischen Vorliebe seiner deutschen Vertreter für Jargon und Schein-Schönsprüche schwer zu umschreiben ist) zwar den aktiven subjektiven Halbpart bejaht, aber den passiven subjektiven Halbpart (etwa die „Seelenlage" eines historischen Diktators!) verneint, so sieht er zwar (aktiv) durch eine Brille des Gelehrten, während doch das Objekt, auch wenn es sich nur im Subjektiven richtig zeigt, in sich gegeben sei und ein für alle M a l feststehe — dazu bei A. Kaufmann, Die ontologische Begründung des Rechts (Hrsg.), 1965, 566 und bes. 588 ff. (Karl Heussi).
6 W. G. Becker
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Demgegenüber ist seit dem Ausgang des vorigen Jahrhunderts wieder der Objektivismus i m Vordringen. Das ergab sich vor allem aus der Entwicklung der Naturwissenschaften, welche i m ganzen erstrebten, das Subjektive immer mehr bei Forschungsergebnissen auszuklammern, u m damit objektive Forschungsergebnisse zu ermöglichen: die Forschungsergebnisse der modernen Physik stellten zunächst lediglich einen sehr kleinen Ausschnitt aus der „Physiologie bestimmter Gehirne" dar, derjenigen Menschen nämlich, die sich dem Leben i n Laboratorien oder Sternwarten widmen 1 . — Zuerst ist sogar alles objektiv, das Recht ist objektiv lag, Lage2, Belegenheit (das Recht i m objektiven Sinne ist „the law", die subjektiven Rechte — rights — werden erst später, oder gar nicht, entwickelt). I n den alten Rechten steht daher auch die objektive Haftung (the objective test) i m Vordergrund. Maine's Gang der Rechtsentwicklung „from status to contract" beleuchtet hier viel, auch die deliktsrechtliche Einzelheit, welche Schuld (scult) schlechthin als sanguis, das B l u t des Störers, auffaßt 3 . Für ein Versprechen w i r d objektiv gehaftet: „no relationship between the state of mind and the effect of conduct is necessary", die Vorstellung der schuld- und willensbestimmten Obligation „was probably not clearly present to the minds of the judges who first enforced the promises and we may be quite sure that they did not rest their decisions as to the validity of such promises upon . . . wills". Die Forderung des A R ist nicht iuris vinculum, sondern objektivierte „chose i n action". M i t den Sätzen, daß die Verbindlichkeit eines Versprechensgebers „not dependent on a man's conscience" ist, daß „the legal effect of what the promisor does, is that he takes the risk of the event, as between himself and the promisee", und daß „a man acts at his peril", vollzieht Holmes für das Versprechen die Trennung von Common L a w und Equity und stabiliert i n einer — wie Rheinstein es nennt — „einzig konsequenten, auf die Betrachtung der wirklichen Gestaltung des Common L a w aufgebauten" und vor allem die Entwicklung des anglo-amerikanischen Kontrakts aus dem Assumpsit-Verfahren berücksichtigenden Konstruktion den Charakter des anglo-amerikanischen Kontrakts als objektivem Haftungsversprechen. „The law is intended to insure that what a man has been led to expect shall come to pass", „the law is the realisation of reasonable expectations induced by the promisor" (Holmes) 4 . 1 Pascual Jordan, Verdrängung und Komplementarität, Hamburg-Bergedorf 1947, 71, 176. 1 S. Kohler und Goldschmidt über den Prozeß als Rechtslage. * Quellen im „Gegenopfer", 140 A. 36. 4 s. dazu „Gegenopfer", 291 f.
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Ebenso w i r d der Rechtsgeschäftsabschluß objektiv betrachtet, die Forderungsverletzung, danach die Entgeltlichkeit und die Restitution 1 , vor allem aber haben w i r die Vordergrundrolle der objektiven Prüfung (objective test) i m Widerstreit von Willenstheorie und Erklärungstheorie bei der Willenserklärung, auch i m deutschen Recht: ergibt der objektive Test aus der Erklärungsstruktur keine hinreichende Sicherung, so setzt die „Teichoskopie", der Blick über die objektive Vordergrunds-Mauer der Erklärung hinüber auf die „hinter der Mauer" verborgene Gesinnungs- und Willensstruktur ein — ist ein Vertrag nicht ungültig nach den Maßstäben des objektiven Dissenses, so ist oder w i r d er es vielleicht doch nach denen des subjektiven Irrtums oder sonstiger subjektiver Fehlleistungsfelder (subjective test) . . . und metajuristisch: erfolgt die Betrachtung eines Werkes, z.B. eines Werkes der Dichtkunst, etwa immer nur nach der sogenannten (objektiven) Werk-Theorie? Manchmal kann das Werk doch nur richtig erschlossen werden, indem, i m Sinne der subjektiven Autoren-Theorie, der Autor m i t ins B i l d gezogen wird. — Die objektive Haftung ist sicherlich germanistischer Natur. Aus ihr folgt vor allem die Gefährdungshaftung — wenn die Verschuldenshaftung bei der objektiven Haftung ausgeschaltet wird, so ist es nur ein Schritt bis zur weiteren Ausschaltung auch der Kausalhaftung, dann also zur bloßen Zustandshaftung. — Praktisch entstammt der Vorprall der Objektivität i m Recht vor allem der Industriegesellschaft, insbesondere dem Verkehr — das Soziale, die objektive Fahrlässigkeit, der Vertrauensgrundsatz i m Verkehr tauchen auf — aber das Partnervertrauen w i r d i m BGB nicht immer geschützt, es gibt oft keinen guten Glauben, z. B. nicht i n Bezug auf Fähigkeiten: A reist nach Beendigung seines langjährigen Kontokorrentverhältnisses m i t der Bank Z nach Italien, verfällt dort i n Geistesstörung, kabelt i n diesem Zustand Z u m D M 1000 an, erhält und verspielt das Geld, stirbt — es liegt ein unwirksamer Darlehensvertrag vor, die Erben haften nicht, da auch Wegfall der Bereicherung gegeben ist. Vertrauenshaftung ist immer objektiv, das ergibt sich klar aus dem englisch-amerikanischen Rechtsinstitut des „promissory estoppel" und dessen Affinitäten 2 . Aus dem Vorprall der Objektivität bei der deliktischen Haftung ergibt sich auch „die große Konfusion" des BGH, der, unter Bezugnahme auf den Sorgfaltsbegriff des BGB, das Tatbestandsmerkmal der materiellen Rechtswidrigkeit dahin abänderte, daß, wo kein Verschulden vorlag und jede Sorgfalt beobachtet worden 1 2
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Dazu „Gegenopfer", 221, 165 f., 60, 140. Dazu „Gegenopfer", 60 f. und A. 92. s. a. oben S. 77 ff.
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war, auch keine materielle Rechtswidrigkeit vorliegen konnte — wenn eine alte Frau auf der Autobahn i n die Fahrbahn eines Autos lief, dessen Fahrer weder ausweichen noch anhalten konnte und die Lebensmüde totfuhr — i n solchem Fall von rechtswidrigem Handeln des Fahrers zu sprechen, käme nicht i n Betracht, niemand hätte sich anders verhalten können als dieser Autofahrer 1 . — Es w i r d eben „überall angenommen, daß w i r aufgrund unserer kritisch geläuterten Erfahrungen und der Bewährung unserer gedanklichen Annahmen die Vorhandenheit einer vom Subjekt letztlich unabhängigen wirklichen Welt mit gutem Grund behaupten dürfen". M i t der weiteren Erkenntnis, daß der Strom immer vom Objekt zum Subjekt rollen muß und nicht umgekehrt, w i r d der subjektive Halbpart erträglich. Der Primat des Objekts w i r d übrigens auch nicht durch seine anscheinende sekundäre Rolle einer bloßen „Vorhandenheit" beseitigt, auf die sich der Statuierende i n einer anscheinend primären „Zuhandenheit" h i n vorarbeitet: das Ziel des Objekts steht von vornherein am Horizont des subjektiv i n Zuhandenheit an Vorhandenheit Arbeitenden, wie eine Waldlisiere, mag sie danach „ i n Wirklichkeit" auch in Krümmungen oder Buchten verlaufen — man kann hier auch das artilleristisch klingende, aber von E. Bloch stammende B i l d vom „Anschießen des Totums" verwenden. Ganz aber geht es nicht m i t der Ausklammerung der Subjektivität zugunsten der reinen Objektivität (ebenso wenig wie die Erfolgshandlung zugunsten der Handlung per se weggenommen werden kann). Die „Physiologie bestimmter Gehirne i n der obigen Aussage (s. o. S. 82) w i r d zwar zuerst objektiv betrachtet und so formuliert, aber u m zu dieser objektiven Kenntnisnahme zu gelangen, muß eben auch ein Subjektives berücksichtigt werden". Ähnliches gilt für die naturwissenschaftlich und objektiv berühmte Messung — man kann nicht etwas messen, ohne zugleich das Gemessene durch dieses Messen zu verändern (Heisenberg), Figur, Zahl und Gewicht sind auch subjektiv bereitgestellte Instrumente des Messens — wiederum hat bei einer so anscheinend objektiven Gegebenheit wie der Messung das Subjektive seinen Platz. Die berühmte „Unsicherheitsrelation" Heisenbergs lautet: „Es hatte sich i n der Forschung ergeben, daß in der Welt der Atome bestimmte Gesetze der klassischen Physik durch Beobachtung und Messung nicht mehr festzustellen sind — beispielsweise kann man nicht gleichzeitig den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons ermitteln, w e i l ein ,Quant 4 des Lichts, das man zu ihrer Beobachtung verwendet, bereits die Bewegungsvorgänge der 1
So E. v. Caemmerer, 551 f.
Haftngsprinzipien Partikel stört und verändert. Das bedeutet, daß die rein materielle Betrachtung zumindest an eine Grenze gekommen war." Schließlich der Raumschiff-Fall: es steht anscheinend immer so, daß bei der Tatsachenbeschreibung primär das Objekt führt, erst sekundär das Subjekt. Das ist schon oben gesagt worden. Hinzufügen kann man, daß bei der konstitutiven Statuierung das Objekt zurücktritt, bei der deklarativen Statuierung vor. Von der Gleichzeitigkeit zweier Vorgänge i n Berlin und Potsdam kann aufgrund einer Beobachtung vom Flugzeug aus wohl gesprochen werden, ohne daß man betont, daß es sich hier i m Grunde nur um die vom Beobachter vertretene Ansicht der Gleichzeitigkeit handelt (die Objektivität der Tatsache bleibt also gewahrt). Erfolgt jedoch z. B. von einem Raumschiff aus die Beobachtung zweier anscheinend gleichzeitiger Vorgänge auf zwei Planeten, so kann nichts anderes festgestellt werden als die Gleichzeitigkeit der subjektiven Beobachtung dieser beiden planetarischen Vorgänge an Bord des Raumschiffes — auch die Objektivität der Tatsache verschwindet also hier i m Räume 1 . Die bisherigen Orientierungen über das Feld von Subjektivismus und Objektivismus gelten auch für die Objektivitätsparole der Wissenschaft 2 . Freilich w i r d die Parole der Objektivität vor allem i n der Wissenschaft z. B. auch dadurch beeinträchtigt, daß ja von vornherein ein wissenschaftlicher Autor subjektiv wählt, was er wissenschaftlich behandeln w i l l und subjektiv auch entsprechend wegläßt. Besonders hier gilt aber das Versöhnlichkeitsprinzip Hegels, man muß i m pluralistischen „et-et-Denken" verharren, und der Vorrang der Objektivität bleibt dann Parole, besonders, wenn er gelegentlich ausdrücklich i m materiellen Recht ausgesprochen w i r d (z. B. § 5, 2 des StGB der DDR). Wer bei der Objektsstatuierung und bei der Objektivitätsparole freilich lediglich oder auch nur überwiegend das Subjekt regieren läßt, bleibt ein angreifbarer „Subjektivist". Aber man darf nicht vergessen, daß z.B. E. Rabel die wissenschaftliche Systemarbeit, die „neue Einteilungskategorien auffinden, den ganzen Stoff i m Auge des Beobachters auffangen, ihn m i t dem Licht des einzelnen Geistes durchstrahlen w i l l " , zum „erlesensten Gesamtwerk, das allein das Recht der vollen Subjektivität hat", ernennt 3 . — Angesichts der Personalität und Subjektivität z.B. der modernen L y r i k oder der asozialen Egozentrik vieler (vulgärer) Materialisten 1 P. Jordan, Verdrängung und Komplementarität, Hamburg-Bergedorf 1947, 67. 2 Juristisch z. B. R. Lange, Das Problem der Objektivität im Recht, Universitätstage 1961, Berlin 1961, 104 ff., davor O. Brusiin, Über die Objektivität der Rechtsprechung, Helsinki 1947. 3 E. Rabel, Gesammelte Aufsätze, 1965,1, 298 f.
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von heute mutet die materialistische Forderung der reinen Objektivität oder auch nur die von entsprechenden Zungen vorgetragene Objektivitätsparole vielfach wie ein „Haltet den Dieb" an. Die deliktische Fall-Entscheidung kommt jedenfalls ohne Subjektivität nicht aus, no facts without concepts, und keine Konzeptionen ohne Subjektivität — es muß hier beim englischen „dépendent from the length of the Chancelions foot" bleiben. Aber vor allem bleibt „das Ermessen" die Zitadelle der Subjektivität i m Hecht, überall anerkannt und legalisiert, vor allem bei der Strafzumessung, wo es ohne richterliches Ermessen einfach nicht geht, sowohl Tatbestandsermessen wie Rechtsfolgeermessen, subjektives „Für-richtig-Halten" und Ausnutzung einer Wahlmöglichkeit 1 . Das Ermessen kann „Entschließungsermessen" sein, bei dem offengelassen ist, ob überhaupt eine Rechtsfolge gesetzt werden soll oder „Auswahlermessen", bei dem eine Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Rechtsfolgen besteht. Die i m Rahmen des eingeräumten Ermessens gefundene Entscheidung kann auf ihre Zweckmäßigkeit h i n nicht überprüft werden; das ergibt sich aus dem Begriff des freien Ermessens, der eine persönliche Entscheidung des Rechtsanwendenden verlangt. Es sind nur die Bewertungskriterien überprüfbar; eine fehlerhafte Ermessensausübung liegt vor bei Ermessensüberschreitung (auch Ermessensmangel) und Ermessensmißbrauch (ausdrücklich festgestellt i n § 114 VwGO). Auch dann kann das überprüfende Gericht nicht sein Ermessen an die Stelle des fehlerhaften setzen, sondern nur die Fehlerhaftigkeit feststellen und die Entscheidung aufheben, die dann erneut getroffen werden muß. Von Ermessensausübung streng zu trennen ist der sogen. Beurteilungsspielraum beim Ausfüllen von unbestimmten Rechtsbegriffen. Dabei ist n u r eine Auslegung richtig, die daher i n vollem Umfange überprüfbar ist. Die Dogmatik zum Begriff des Ermessens entstammt i n erster Linie dem Verwaltungsrecht, da es Ausdruck des die Verwaltung beherrschenden Opportunitätsprinzips ist. Doch auch den Richtern steht i n gewissem Umfange eine Ermessensausübung zu. I m Zivilprozeß w i r d manche Prozeßhandlung i n das Belieben des Gerichts gestellt, z. B. die Vorabentscheidung gem. § 304 ZPO, oder die A r t der Ausführimg einer bestimmten vorgeschriebenen Prozeßhand1 Letztens Engisch, K a r l Peters und der Ermessensbegriff, Festschrift für Peters, 1974, klassisch Laun, Das freie Ermessen, 1910.
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lung steht dem Gericht frei, z.B. die Schadensbemessung gem. § 287 ZPO. Für alle Ermessensentscheidungen gilt die eingeschränkte Überprüfbarkeit. Staatsrechtlich und historisch ist auf die dem „Justizstaate" (einem Hechtsstaate i m pragmatischen Sinn, ggf. dem Hechtsstaat als applikativem Verwaltungsstaat) zugeschriebene Bergung i m sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriff" hinzuweisen, der zum Unterschied von den sonstigen Ermessensbegriffen i m vollen Umfange der Nachprüfung durch den Richter unterliegt, — somit i n der Tat den Staat bestens i n der richterlichen Kontrolle einlogiert und erst zum pragmatischen Rechtsstaate macht (Rechtsstaat i m Sinne der rule of law) 1 . Entlastungen Entlastung und Exkulpation bedeuten nicht dasselbe, die Exkulpation ist ein spezieller Fall der Entlastung. Der Enthaftungsvertrag Der Schulder kann seine Entlastung natürlich zuerst rechtsgeschäftlich, nämlich aus einem zwischen dem Gläubiger und i h m geschlossenen Enthaftungsvertrag begehren (z.B. üblich bei Reitschulen hinsichtlich der Tierhalterhaftung). Auch zwischen Seeversicherern, Reedern und Lotsen besteht seit Jahrzehnten ein Gentlemen-agreement, wonach ein Seelotse grundsätzlich auch bei von i h m verschuldeten Schiffsunglükken von Schadensersatzansprüchen verschont bleibt. Vermutetes Verschulden Die §§ 831 - 838 bestimmen, daß die Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn der an sich zum Ersatz Verpflichtete, also der Schuldner, nachweist, daß er die zur Vermeidung der Schädigung erforderliche Sorgfalt beobachtet hat — § 831 entlastet speziell, wenn auf Seiten des Schuldners keine „culpa i n eligendo" vorliegt. Das Haftungsprinzip der Gefährdung i n § 831 und die Prinzipien der M u n t haftung i n den §§ 832-838 greifen damit negativ auf das Verschuldensprinzip zurück. Daraus w i r d gemacht, daß die §§ 831 - 838 von 1
H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, 794. — Z u den Begriffen des Ermessens und des Ermessensmißbrauchs in aktuellen Zusammenhängen s. auch Friedrich Clever, Ermessensmißbrauch und détournement de pouvoir nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften (Duncker & Humblot), Berlin-München 1967.
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einem „Prinzip des vermuteten Verschuldens" bestimmt werden und daher nicht i n die Gefährdungshaftung oder i n die Munthaftung gehören, sondern nur Sonderfälle der Verschuldenshaftung darstellen. Diese Lesung der §§ 831 - 838 ist unbefriedigend. Das angebliche Haftungsprinzip „des vermuteten Verschuldens" ist denkmäßig unsauber — der Entwurf kennt es daher auch nicht mehr. I n Wirklichkeit handelt es sich i n all diesen Fällen u m Entlastung des Schuldners durch Beweislast-Umkehrung. Gemäß dem neuen § 831 des Entwurfs bleibt lediglich die systematisch so oder so, am besten i m Sinne der Gefährdungshaftung bei der Geschäftsbesorgung, zu konstruierende „Einstandspflicht" eines Geschäftsherrn übrig 1 , und die Paragraphen der Munthaftung (832 - 838) werden zu einer sauberen objektiven Erfolgshaftung ungemodelt, deren Voraussetzung i n § 832 lediglich bleibt, daß das K i n d unzurechenbar handelte (vor allem § 828). Opfergrenze Das wichtigste Entlastungsprinzip 2 der Opfergrenze (der „Opferverwehrung") taucht i m Anschluß an die Billigkeit auch i m rechtsgeschäftlichen Schuldrecht auf, sie dient dann der Feststellung der Unzumutbarkeit von Leistungen auf Seiten des Schuldners und der Unzulässigkeit der Rechtsausübung auf Seiten des Gläubigers, wobei diese Feststellung durch Abwägung zwischen dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers und der Lage des Schuldners erfolgt, dies sowohl nach materiellen wie nach ideellen Gesichtspunkten, so daß die dem Schuldner zugestandene „Opfergrenze" demgemäß variabel ist 3 . Die Opfergrenze des letzten Teils des § 848 w i r d oft als Ausfluß eines allgemeinen Gedankens des Schadensersatzrechtes angesehen4, daher auch i m Restitutionsrecht verwendet: wer der restitutionellen Rückgabepflicht unterliegende Häuser i m Jahre 1934 erworben hatte, brauchte i m Jahre 1946 nur die erworbenen Grundstücke m i t den auf ihnen stehenden Häuserruinen zu restituieren, wenn die Häuser i m zweiten Weltkrieg zerbombt worden waren — auch falls die ursprünglichen Eigentümer der Grundstücke und Häuser ungestört i n ihrem Eigentum verblieben wären, hätten sie die Zerbombung der Häuser tragen müssen — dieses Prinzip der Opfergrenze als allgemeiner Gedanke des 1
J. Esser, Schuldrecht, IX, Bes. Teil, 4. Aufl., 1971, 426. Dazu Gegenopfer, 447. 2 Zur Illustration das sogen. Volkswagenurteil des B G H vom 23.10.1951 in N J W 1952, 137 ff. — nicht nur beim Maklervertrage der §§ 652 ff., sondern auch bei der „Opfergrenze" finden sich also Anklänge des deutschen Rechts an die anglo-amerikanische „consideration"! 3 Vgl. dazu die Entscheidung des O G H Br. Z. in seinem Urteil vom 20.1. 49 in NJW 1949, 302. 2
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Schadensersatzrechts kam damals vielen Restitutionsschuldnern zu Hilfe, was vor allem die Gutgläubigen unter ihnen wieder aufrichtete. — Als Beispiel für den letzten Teil des § 848 gilt die widerrechtliche Wegnahme eines Stückes Land zur Eisenbahnanlage, das danach von der Bille permanent überschwemmt wurde 1 — i m Anschluß an die allgemeine Lesung des Opfergrenzenprinzips i n § 848 könnte hier auch der spezielle Fall als Beispiel dienen, daß der i n einem Mietshaus auf der gleichen Etage m i t Z wohnende A dem Z deliktisch eine Gitarre entwendet hat, daß aber i n der Nacht darauf sowohl A's Wohnung wie Z's Wohnung m i t allem Inventar durch Zerbombung zerstört wurde — die Gitarre war also untergegangen, und A hatte gemäß dem Prinzip der Opfergrenze keinen deliktischen Anspruch auf Rückgabe der Gitarre gegen A mehr. — Oft w i r d dem deliktischen Schuldner eine „Opfergrenze" gesetzt, diese aber verschleiert, das schon bei den §§ 254 und 255 — von den §§ 831 - 838 und dem Prinzip des vermuteten Verschuldens zu schweigen. Solche verschleierte Opfergrenze zeigt sich besonders bei dem Problem, das m i t dem Sprachzeichen bezeichnet zu werden pflegt, der Schaden wäre ohnedies eingetreten, das führt einmal zu Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung und bei der Beweisung eines Schadens, darüber hinaus aber auch zu einer Opfergrenze: fehlerhafte Baggerarbeiten verursachten den Einsturz eines Hauses, das infolge von Fliegerschäden doch eingestürzt wäre, das Unternehmen, bei dem das sittenwidrig hinausgedrängte Vorstandsmitglied tätig war, fiel gleich darauf i n Konkurs, war also schon zur Zeit der Hinausdrängung illiquide (so daß die Hinausdrängung keinen echten Schaden verursachte), ein Grundstück wurde überschwemmt, w e i l die Schleusen wegen eines drohenden Dammbruchs geöffnet wurden, ein Schadensersatzanspruch aber wurde abgewiesen, w e i l der Überschwemmungsschaden auch infolge des Dammbruchs (also nicht nur infolge der Öffnung der Schleusen) eingetreten wäre 2 . Auch der moderne MüllerArnold-Fall 2 gehört hierher: „Ob der Haftpflichtige für die Beeinträchtigung des Mühlenbetriebes durch die Schwächung der Wasserkraft einstehen mußte, hing ausschließlich davon ab, ob der Müller eine Staugerechtigkeit i n Gestalt eines ausschließlichen Rechts besaß —• war das (wie hier) nicht der Fall und eine Staugerechtigkeit daher nicht verletzt, dann konnte der durch den Ausfall der Wasserkraft verur1
Palandt zitiert hierzu RGJW 08, 443. ~~Der alte Fall aus dem 18. Jh. wird bei Stammler, Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit, München 1932,1, 413 ff. reportiert. 2
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sachte Schaden auch nicht seitens eines Dritten unter dem Gesichtspunkt der Verletzung eines Rechts am Gewerbebetrieb ersetzt verlangt werden 1 ." Drittschäden Die verschleierte Opfergrenze zeigt sich bei der Schadenszurechnung nach Risikosphären — der Lotse trägt z. B. kein solches Risiko, wenn i h m keine Haftung auferlegt wird 2 , weiter bei den sogen. Drittschäden. Schuldner und Gläubiger stehen ganz grundsätzlich i n der „ZweiPartner-Vinkulation", die zwischen ihnen spielende actio ist „personalis" — evtl. so „personal", daß der deliktische Schadensersatzanspruch m i t dem Tode des Delinquenten ausgeschlossen w i r d — die Beanspruchung eines Schadensersatzes wegen Kreditgefährdung (§ 824, libel), die i n einem Testament begangen und bei der Eröffnung des Testaments bekannt wurde, ist dann nicht einmal schlüssig3. Die Zwei-Partner-Vinkulation (privity of contract) begründete die archaische Abneigung gegen die Stellvertretung, ist jedoch, nachdem der ältere Zustand des Novationsprinzips aufgegeben wurde, seit langem bei der Forderungsabtretung, bei der Erfüllungsübernahme und bei der Schuldübernahme zurückgetreten, danach führte die „Produktenhaftung" zur Durchbrechung: hier w i r d bei den „typischen Produkten" ein direkter Anspruch (action directe) des Konsumenten gegen den Produkthersteller unter Überspringung des Kleinhändlers gegeben — man arbeitet auch m i t der Figur des Durchgriffs (getting through, conduit) 4 . Vor allem aber erfolgte die Durchbrechung der Zwei-PartnerVinkulation bei der Anerkennung der Versprechen zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. (im anglo-amerikanischen Recht, bes. i m amerikanischen Restatement, endgültig erst i n diesem Jahrhundert). Der grundsätzliche Ausschluß des Drittschadens vom deliktischen Schadensersatz bedeutet auch eine Opfergrenze. „Nach herrschender Ansicht haftet z.B. der Arbeitgeber, der einem ausgeschiedenen A r beitnehmer ein zu günstiges Zeugnis ausgestellt hat, dem Dritten, der sich darauf verlassen hat", nicht — hier liegt nicht etwa mittelbarer Schaden, sondern nur Drittschaden vor, da die Auskunft des alten Arbeitgebers nur die „Betriebsbezogenheit" und die Zeugnispflicht 1
R G DR 1940,1293, bei E. v. Caemmerer, 505. Jürgen Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, 1974. 8 „Demurrer sustained (betr. Schlüssigkeit) in Carrer v. Morrow, 48 S. E., S. D. 814, 1948, Minnesota L. R. 1949, 171 — in England wurde der aus der strikten Zwei-Parteien-Vinkulation bei Obligationen kommende Satz „actio personalis moritur cum persona" für das Deliktsrecht erst in einem Gesetz von 1934 aufgehoben. 4 Dazu z. B. „Gegenopfer", 43 f. und A. 13. 2
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des alten Arbeitgebers nur eine Verpflichtung gegenüber dem ausscheidenden Arbeitnehmer betraf, eine Verpflichtung, ein Zeugnis sorgfältig abzufassen, gibt es gegenüber einem Dritten nicht. Die Interessen des Dritten brauchen nicht gewahrt zu werden, dieses Risiko kann dem Aussteller eines Zeugnisses nicht aufgebürdet werden 1 . Der Drittschaden ist möglicherweise „mittelbarer Schaden", ob er es aber ist, ergibt sich erst faktisch aus der Nähe des Drittschadens zum Schaden selbst, also aus den Fällen. Wer fahrlässig einen Brand verursacht hat, haftet dem Eigentümer des verbrannten Gebäudes, aber nicht dem Feuerversicherer oder einem Bauunterhaltungspflichtigen, der das Gebäude wieder aufzubauen hat. Wenn dann dieser Bauunterhaltspflichtige als ein Dritter, der keinen Ersatzanspruch gegen den Brandstifter hat, diesen dennoch i m Wege des Rückgriffs auf das i n Anspruch nimmt, was der Dritte seinerseits dem Geschädigten kraft Vertrages zu leisten hat (oder kraft einer Haftpflicht, einer Versicherungspflicht, einer Lohnfortzahlungspflicht oder einer Unterhaltspflicht), so gilt der Grundsatz, daß zunächst einmal hier der Dritte, danach der Geschädigte sein normales Risiko tragen muß — während andererseits der haftungspflichtige Brandstifter den Schaden des Berechtigten nicht um die A n sprüche mindern darf, welche dieser gegenüber einem Dritten (vgl. § 843, 4 BGB) geltend machen darf. I m Ganzen gilt, auch i n bezug auf den Schaden, daß jeder Geschädigte sein „normales Risiko" trägt: jedermann ist es gemäß den Grundrechten von der freien Meinungsäußerung und dem legitimen Kampf der Meinungen unbenommen, gegen den Alkoholgenuß, gegen das Rauchen oder gegen die kommerzialisierte Pornographie zu kämpfen, obwohl auch das, wenn es wirkungsvoll geschieht, für die Hersteller der entsprechenden Waren geschäftsschädigend sein kann 2 . Der Grundsatz, das normale Risiko nicht i n einen „Schaden" hineinzukalkulieren, gilt i m übrigen überall: an den Tagen der Müllabfuhr darf man ruhig Mülleimer an den Straßenrand stellen, obwohl Menschen möglicherweise darüber stolpern 3 . I m Autorecht w i r d dieser Grundsatz von der normalen Risikotragung von großer Bedeutung. Hier ist auch zu überlegen, ob ein durch ein Auto Geschädigter nicht einen Teil des Risikos, und damit des Schadens, selbst zu tragen hat, da er ein Nutznießer der Technisierung unserer Zeit m i t den daraus stammenden Gefahren ist, zumal der Geschädigte selbst einfach durch seine Existenz zur allgemeinen Gefahrenlage beiträgt. Freilich gilt das nicht für die Schaf1 E. v. Caemmerer, 507 f., s. a. 628 ff., 597 ff. und Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 1967, 224. 2 E. v. Caemmerer, 502, u. z. B. RGZ 135, 38 (Zugabewesen). 5 Das Beispiel steht bei E. v. Caemmerer, 543.
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fung einer risikoerhöhenden Zusatzgefahr durch den Verletzer — dieser betreibt z.B. ein Auto mit abgefahrenen Reifen, fährt, obwohl kurzsichtig, ohne Brille oder überlädt sein Fahrzeug — anomales Risiko ist nicht zu tragen. Ferner: derjenige, den eine deliktische Schadensersatzpflicht trifft, haftet grundsätzlich für unmittelbaren und mittelbaren Schaden, für den Schaden eines Dritten aber lediglich insoweit, als dieser Schaden eines Dritten i n Zusammenhang m i t einem mittelbaren Schaden des Deliktsgläubigers fällt: i n einem etwas kompliziert liegenden Fall hat der B G H i n einem Urteil vom 11. J u l i 1972 ( V I ZR 79/80/71) den Grundsatz aufgestellt: „Wer einen Verkehrsunfall verschuldet hat, kann auch für die Verletzungen haftbar sein, die ein Unfallbeteiligter dadurch erleidet, daß ein Dritter i n die Unfallstelle hineinfährt." I n all diesen Dingen w i r k t das richterliche „Ermessen der Fallgruppen-Jurisprudenz" mit, auch der Grundsatz der Billigkeit, der die gesamte Zivilrechts-Rechtsprechung und damit auch die Delikts-Rechtsprechung beherrscht. Gläubigermitwirkung
bei der Enstehung eines Schadens
Ein weiteres Entlastungsprinzip wäre der vom Schuldner zu erhebende und vom Gericht einwandsmäßig, d. h. ipso iure zu berücksichtigende Einwand der Gläubigermitwirkung bei der Entstehung des Schadens nach § 254, der nach neuerer Rechtsprechung und nach dem Entwurf ebensowohl für das Mitverschulden als für die objektive Mitgefährdung des Gläubigers gilt — nach dem letzten Satz des § 254 auch auf die Haftung des Geschäftsherrn für seinen „mitwirkenden" Geschäftsbesorger. — Soweit § 254 ein Mitverschulden betrifft, kann man auch dieses Entlastungsprinzip systematisch i n eine Koordination von Erfolgshaftung und Verschuldenshaftung einordnen. Zu den Enthaftungsprinzipien gehört auch die historische Berücksichtigung der Lagen des Falles i m Verhältnis zwischen Deliktsgläubiger und Deliktsschuldner, wie sie sich aus der „Fallgruppen-Jurisprudenz" des Deliktsrechts ergibt. Hier tauchen die alten Formeln auf, „volenti non fit iniuria", „societas delinquere non potest", „the K i n g can do no wrong, the State can do no wrong". Beweisungen Die Beweisung des jeweiligen Sachverhalts/Tatbestandes macht es dem Deliktsgläubiger oft schwer — man denke an die Beweisführung bei der überholenden Kausalität, von der weiter unten die Rede sein
Der Aufbau des deliktischen Anspruchs
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w i r d (wenn A gegen X deliktisch klagte, w e i l X i m sibirischen Konzentrationslager Workuta seinerzeit A angezeigt, schikaniert und mit Körper- und Gesundheitsschaden belastet habe, wenn X aber auf eine bestehende spätere „Diversantenliste" verweist, auf welcher der Name des A prangte und welche auch ursächlich für die Schäden des A sein konnte, muß A schweigen). Der Deliktsgläubiger muß seinen Schaden beweisen. Er hat es m i t seiner Beweisführung besonders dann schwer, wenn er i m Wege eigener Auslegung seinen Sachverhalt unter das entsprechende deliktische Tatbestandsmerkmal subsumieren muß. Hier machen sich für den Gläubiger besonders belastend jene deliktischen Tatbestandsmerkmale oder ganze Tatbestände bemerkbar, welche von der „Fallgruppen-Jurisprudenz", insbesondere von den drei Generalklauseln des Anwendungsrechts zu § 823, 1 entwickelt worden sind, die Verletzung der Verkehrspflicht, der Eingriff i n einen Gewerbebetrieb und die Persönlichkeitsverletzung. Die „Beweisung" der Sachverhalte/Tatbestände ist nach deutschem Recht an sich eine Angelegenheit des Prozeßrechts, w i r d aber vielfach ins materielle Recht einbezogen (z. B. bei der Quittung des § 368, auch beim deklaratorischen Schuldanerkenntnis nach § 782). Nach A r t . 4, 3 des StGB der DDR zieht eine Handlung strafrechtliche Verantwortlichkeit nur dann nach sich, wenn u. a. „die Schuld zweifelsfrei nachgewiesen ist". „Niemand darf als einer Straftat schuldig und verantwortlich befunden und behandelt werden, dessen persönliche Schuld und Verantwortlichkeit nicht i n einem gesetzlichen, W i l l k ü r und I r r t u m nach menschlicher Erkenntnis ausschließenden Verfahren zweifelsfrei erwiesen und rechtskräftig festgestellt worden ist" (Art. 4, 5). Betroffen durch eine Beweislastumkehr (auch ein Prinzip des „vermuteten Verschuldens" als Entlastungsprinzip!) werden die Fälle der Pflichtverletzung durch den Geschäftsherrn (§ 831), durch die A u f sichtsperson (§ 832), durch den Nutztierhalter und den Nutztieraufseher (§§ 833 f.) und durch den Gebäudeunterhaltspflichtigen (§§ 836 - 838). Der Grund dafür, daß der Schuldner, und nicht der Gläubiger, zu beweisen hat, liegt zuerst darin, daß der Gläubiger i n der Regel „keinen Zugang zu der Sphäre des Verantwortlichen hat und darum nur selten i n der Lage ist, diesem ein sorgfaltswidriges Verhalten nachzuweisen" (Lemhöfer). Der Aufbau des deliktischen Anspruchs Ausgangspunkt auch des deliktischen Anspruchs ist das subjektive Recht, welches der deliktische Gläubiger gegenüber dem deliktischen Schuldner hat. Das Sprachzeichen „subjektives Recht" setzt die Existenz eines Rechtsverhältnisses voraus, hier also, da es sich u m einen
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obligatorischen Gläubiger und um einen obligatorischen Schuldner handelt, ein Rechtsverhältnis als Schuldverhältnis. Die Frage ist, ob die Grundlage von Forderungen eines A gegen einen Z dieses Schuldverhältnis ist oder ein Anspruch (R. Bruns spricht sich für das Schuldverhältnis aus und gibt ein familienrechtliches Beispiel, die Mutter verkauft ihr Haus an ihren Sohn, man könne hier nicht sagen, daß ein familienrechtliches und zusätzlich ein obligatorisches Schuldverhältnis vorliege, vielmehr liege ein rein obligatorisches Schuldverhältnis vor, es habe aber mehrere Elemente). Demgegenüber bleibt die klassische Auffassung dabei, daß der A n spruch (in § 194 BGB sogar definiert!) der Kampfanzug des subjektiven Rechts ist, also eine Zuspitzung des subjektiven Rechts, das als weitere Zuspitzung dann (zivilprozessual) i m Klaganspruch und i m Vollstrekkungsanspruch gegeben ist 1 . Dieser Anspruch w i r d vom deliktischen Gläubiger erhoben und richtet sich gegen den deliktischen Schuldner, es liegt also die klassische Gläubiger-Schuldner-Vinkulation vor. Der Deliktsschuldner w i r d verschieden benannt, als „ w e r " i n § 823 und § 831, als „Beamter" i n § 839, als „jemand" i n A r t . 34 GG. U m beim letzten Ausdruck anzufangen: jemand, der (nach dem Wortlaut des A r t . 34) „ i n Ausübung eines i h m anvertrauten öffentlichen Amtes die i h m einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt" (eine Amtspflicht hoheitlicher A r t , wie die Rechtsprechung hinzufügt!), ist offensichtlich die Person i m Sinne des BGB (§§ 1 ff., §§ 21 ff.). „Wer" in § 831 ist ebenfalls die Person i m Sinne des BGB. „Wer" i m Sinne des § 823, 1 ist aber nur der natürliche Mensch, denn die „societas" kann nicht Verschulden tragen, wie es die deliktische Grundnorm des § 823, 1 vorsieht (s. u. S. 187). Der deliktische Anspruch ist das Musterbeispiel einer Anspruchskonstruktion nach dem Aktionenschema „qualis sit actio?". Bevor ein Schadensersatz zugebilligt werden kann, muß also der Anspruch als fundiert befunden werden, es müssen also die Tatbestandsmerkmale „des Tatbestandes" gegeben sein (die ihrerseits i m Wege des syllogistischen Dreitakts durch Subsumption des streitigen Sachverhalts unter den Tatbestand einer Norm ermittelt werden). Zivilprozessual gilt eine andere Fundiertheit als die materielle Fundiertheit eines Anspruchs: eine Klage ist materiell schlüssig, wenn die vom beweisbelasteten Kläger vorgebrachten tatsächlichen Behauptun1 Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 43; R. Bruns, Der materiell-rechtliche Anspruch und der Zivilprozeß, Festschrift für Ekelöf, 1971 (anders der Anspruch von der actio her).
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gen vom Gericht als zutreffend unterstellt werden könnten, also als vom Kläger bewiesen — sonst wäre die Klage unbegründet. Diese Schlüssigkeitsprüfung ergibt, welche Tatsachen als erheblich der prozeßordnungsmäßigen Feststellung bedürfen. Steht fest, daß eine erhebliche Tatsache unbeweisbar ist, so ist der Prozeß regelmäßig bereits entscheidungsreif. Gibt es keine solche Lücke i n den Beweismöglichkeiten, so w i r d über die beweisbedürftigen — insbesondere die streitigen — Tatsachen i n dieser zweiten Stufe Beweis erhoben. Das Ergebnis der Beweisaufnahme, i n der die einzelne erhebliche Tatsache bejaht oder verneint (auch bei „non liquet" ist die beweisbedürftige Tatsache nicht bewiesen) worden ist, w i r d sodann i n die Überlegungen der Schlüssigkeitsprüfung eingesetzt. Wird, was selten ist, die Zulässigkeit einer Behauptung („Erwirkungshandlung") i n Frage gestellt, so ergibt dies ein regelmäßig — sofern nämlich die prozessualen Tatsachen offen liegen — sofort entscheidbares Zwischenspiel (R. Bruns). Nachdem die materielle Schlüssigkeit des Anspruchs festgestellt worden ist, ist auf die exceptiones, die Einwendungen, einzugehen, wobei i m einzelnen wiederum nach dem Schema „qualis sit exceptio?" vorzugehen ist. Die „Einwendungen" zerfallen bekanntlich i n „Einwand" und „Einrede". „Einwand" bedeutet i m M u n d des Schuldners, der ihn erhebt, ein kleines Ja, aber ein großes Nein (confession and avoidance): der „ i n der Erscheinung" existierende Anspruch existiert „seinem Wesen nach" nicht oder nicht mehr. Einwände sind von Amts wegen zu berücksichtigen, dies ohne Rücksicht darauf, daß die Beweislast beim Anspruchsgegner verbleibt, aber der primafacie-Beweis „res ipsa loquitur" regiert das ganze Deliktsrecht und erleichtert hier möglicherweise dem Schuldner die Beweislast. Die Einwände teilt man i n rechtshindernde und rechtsvernichtende auf. I m Vordergrund des Deliktsrechts stehen die Exzeptionen, die m i t den drei Entlastungsprinzipien anfallen — es sind immer Einwände, und immer rechtshindernde (z. B. i n § 254 und § 848). Einrede bedeutet i m Munde des Schuldners ein „Ja, aber" (special plea), die Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts, ohne Rücksicht darauf, daß der Anspruch an sich zu Recht besteht, die Leistung also an sich geschuldet wird, so daß der Anspruch trotz bejahter Einrede bestehen bleibt und schemenhaft i n alle Ewigkeit hineinlebt. Die Einrede ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, sondern nur auf Parteivorbringen hin. Praktisch aber geht der Richter gern von der nicht vorgebrachten, also nicht zu berücksichtigenden Einrede, zu dem von Amts wegen zu berücksichtigenden Einwand über, z.B. von der Einrede der Verjährung zum von § 242 gestützten Einwand der Verwirkung.
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Anspruchskombinationen
Die Einreden teilt man i n verzögerliche und zerstörliche ein, verzögerlich ist z. B. die Einrede der Stundung nach § 202, zerstörlich die Einrede der Verjährung nach §§ 194 ff. Es ist aber zu beachten, daß das Wort „exceptio" Einwände und Einreden umfaßt. Die „exceptio doli specialis" geht darauf, daß ein Dolus i m Praeteritum angewandt worden ist, also i n der Vergangenheit, während die exeptio doli generalis die Einwendung betrifft, die m i t der Erhebung des Anspruchs „präsent", also gegenwärtig und ex nunc m i t dolus zwecks Arglist verübt wird. § 853 betrifft eine exeptio doli generalis, gibt also dem Schuldner das Recht, wegen des i n der Klageerhebung liegenden gegenwärtigen dolus eine zerstörliche Einrede zu erheben (nämlich „die Erfüllung auch dann zu verweigern"!). Die Fälle der exeptio doli specialis betreffen gewöhnlich Einwände, z. B. den schon erwähnten der Verwirkung, der auf § 242 gestützt wird, weiter i n bezug auf § 826 z. B. die Fälle, i n denen die Geltendmachung eines nur formell bestehenden Rechts des Gläubigers ausgeschlossen w i r d (z. B. eines Gläubigerrechts, das auf einem erschlichenen, sonst rechtskräftigen U r t e i l beruht — § 826). Die Aufteilung der exeptiones dieser A r t ist heute fast obsolet geworden (sollte aber dessen ungeachtet gekannt sein!): das BGB kennt lediglich die zerstörliche Einrede der generellen oder allgemeinen Arglist nach § 853: erlangt jemand durch eine von i h m begangene unerlaubte Handlung eine Forderung gegen den Verletzten, so kann der Verletzte die Erfüllung auch dann verweigern, wenn der Anspruch auf Aufhebung der Forderung verjährt ist (also etwa 31 Jahre nach der durch deliktische Handlung nach § 826 erlangten Forderungsentstehung aus rechtskräftigem Urteil). — § 853: Das durch Betrug erlangte abstrakte Schuldanerkenntnis kann jederzeit auf die zerstörliche Einrede des § 853 stoßen — auch die Versäumung der Täuschungsanfechtungsfrist nach §§ 123 f. bleibt ohne Bedeutung (RGZ 79,194). Anspruchskombinationen Anspruchskumulation und Anspruchskonkurrenz spielen i m Recht der unerlaubten Handlungen eine bedeutende Rolle: A verlangt von Z seine Krankenkosten als Schadensersatz, zusätzlich Schmerzensgeld (§§ 823, 1, 847, 1). Bei dieser Anspruchskumulation werden zwei verschiedene Rechtsgüter aufgrund der Anspruchsparagraphen des Rechts der unerlaubten Handlung beim gleichen Schuldner geltend gemacht. A schließt m i t dem Malermeister einen Werkvertrag auf Neumalung eines Zimmers, wobei der Malermeister bei einem Vorbesprechungsbesuch, also nicht bloß „bei Gelegenheit" seiner Werkleistung, fahrlässig einen Kronleuchter zerstört: er haftet i n Ansprüchskonkurrenz
Anspruchskombinationen einmal wegen Forderungsverletzung aus Vertrag, zum zweiten Male nach § 823, 1 deliktisch — die deliktisch kurze Verjährung kann abgelaufen sein, dann bleibt der Anspruch wegen vertraglicher Forderungsverletzung m i t seiner Fundamental Verjährung von 30 Jahren immer noch bestehen, einen deliktischen Anspruch auch i n Anspruchskonkurrenz vorzutragen ist also wichtig. Der wichtigste Fall der Anspruchskonkurrenz, der auch in das Deliktsrecht übergreifen kann, liegt i m Eigentümer-Besitzer-Verhältnis des BGB 1 . Anspruchskonkurrenzen folgen aber auch aus dem Nebeneinander der Haftungsprinzipien. Ein Tierhalter kann also nicht nur nach dem Prinzip der Gefährdungshaftung mit § 833 S. 1 i n Anspruch genommen werden, sondern, sofern ihn Verschulden trifft, konkurrierend m i t dem Prinzip der Verschuldenshaftung nach § 823, 1, der Anspruch aus § 823, 1 wegen fahrlässiger Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, ein Anspruch aus Verschuldenshaftung, liegt neben dem aus § 833 wegen Gefährdung 2 . Es ist auch zu beachten, daß ein Beamtenanspruch aus § 839 aus einem öffentlichrechtlichen Vertrage konkurrierend m i t einer Forderungsverletzung vorgebracht werden kann, fernerhin muß ein Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens, der aus Amtshaftung i m ordentlichen Verfahren anhängig gemacht werden (also grundsätzlich nach § 71 G V G vorm. LG, evtl. nach den gemäß A r t . 34, S. 2 anwendbaren Landesrechtsvorschriften) 3 . Hier ist vor allem auch an die Pflichtverletzung i m Rahmen eines Beamtenverhältnisses zu denken, immer steht hier zunächst ein Geschäftsbesorger i n der Einsatzhaftung, dann erst „der Staat oder die Körperschaft, i n deren Dienst sich der Geschäftsbesorger befindet", i n der transmittierten Geschäftsherrn-Haftung ragt hier § 278 i n die Haftung nach Art. 34 GG oder überhaupt direkt i n das Deliktsrecht hinein (was garnicht genug betont werden kann). — Die Haftung für den Lehrling des oben erwähnten Malermeisters läuft sowohl über § 278 als auch über § 831, der Lehrling ist dialogisch sowohl Erfüllungsgehilfe als auch Verrichtungsgehilfe, evtl. regiert aber das dialektische Prinzip, die derogierende Spezialität — grundsätzliche Bedenken liegen nicht vor, denn § 278 spricht nur von einem „Schuldner", also auch von einem deliktischen Haftungsschuldner. — M i t der Anspruchkumulation und der Anspruchskonkurrenz erhebt sich das Gebäude der Anspruchskombinationen, welches i n sich fünf Positionen umfaßt: 1 Dazu jetzt die Monographie von U. Köbel, 1971, ferner W. Gravenhorst, Die Aufspaltung der Gerichtszuständigkeit nach Anspruchsgrundlagen 1972. Zur Anspruchskonkurrenz im englisch-amerik. Recht s. „Gegenopfer", 362 A. 40. ^ Larenz, Bes. Schuldrecht, a.a.O., 486. 3 Urt. des BVerwG vom 17. 2.1971, I V C 86, 68, vgl. auch B G H Z 43, 269 (1965) und BVerwGE 18, 72 (1964) und 27, 131 (1967).
7 W. G. Becker
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Anspruchskombinationen
1. die eben belegte Anspruchskumulation, 2. die ebenfalls eben belegte Anspruchskonkurrenz, 3. die rechtliche Anspruchsalternation, (§ 462),
Wandlung oder
Minderung
4. die sogen. Gesetzeskonkurrenz, welche bei der rechtlichen A n spruchsalternation nur den einen, nicht aber den anderen Anspruch zuläßt — der klassische F a l l wurde seinerzeit schon vom Reichsgericht entschieden: der Käufer eines m i t Holzwurm behafteten Hauses hatte nicht, i n faktischer Alternation, den Anspruch aus § 119 Abs. 2, 142, 812 (Preisherausgabe wegen Vertragsnichtigkeit) und den Sachmängelanspruch aus § 459 Abs. 1, sondern eben i n „Gesetzeskonkurrenz" nur aus § 459. — Wenn man diese „Gesetzeskonkurrenz" i n die allgemeine juristische Logik einbauen w i l l , so handelt es sich hier u m eine diktierte absolute Spezialitätsderogation, während i m allgemeinen der Grundsatz „lex specialis derogat legi generali" einmal nicht rechtlich diktiert wird, und (logisch!) zum anderen Male nur relativ gilt, so daß also die generalis nur „latent" verschwindet und möglicherweise wieder auftaucht, der BGB-Kauf hinter dem Handelskauf, die generelle lex der §§ 249 ff. hinter der speziellen lex der §§ 842 ff. hinsichtlich des deliktischen Schadensersatzes. 5. A n 5. Stelle steht dann die faktische Alternation, die früher als „concursus actionum" und „Anspruchskollision" ging. Der Gläubiger A „kann gegen den Eigenbesitzer eines Gebäudes oder gegen den für die Unterhaltung dieses Gebäudes Verpflichteten vorgehen (§ 838), geht er gegen den wirtschaftlich stärkeren Eigenbesitzer vor, so entstammt das einer faktischen Alternation, erhält er seinen Schaden von diesem Eigenbesitzer ersetzt, so gibt es aufgrund faktischer Alternation für den Gläubiger natürlich keine Möglichkeit mehr, gegen den zur Unterhaltung des Gebäudes Verpflichteten vorzugehen. Die Lehre von der Anspruchskonkurrenz ist oft streitig und w i r d sogar als „Krebswucherung unserer Z i v i l i s t i k " bezeichnet 1 . Nicht u m Anspruchskonkurrenz könne es sich handeln, sondern nur u m „Schwergewichte der Tatbestände", also entweder u m einen Vertragsanspruch, oder um einen Deliktsanspruch. Nach deutscher herrschender Lehre sind Delikts- und Vertragsansprüche, wie oben erwähnt, nicht incompatibel, treten also i n Anspruchskonkurrenz auf, nach französischem Recht geht dagegen der Vertragsanspruch dem Deliktsanspruch 1 Vgl. R. Bruns, Die Schulung, 11, 1971, 221.
Anspruchskonkurrenz
im
Zivilrecht,
Juristische
Anspruchskombinationen
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vor — der Vertragsanspruch w i r d hier, dialektisch, als Spezialität zum Deliktsanspruch gesehen, der Deliktsanspruch w i r d also derogiert. Man kann es demnach so sagen, daß das französische Recht i n der Frage der Anspruchskonkurrenz dialektisch vorgeht, das deutsche Recht dialogisch (wobei i n dem Bruns'schen Beispiel 14 Anspruchsgrundlagen i n Kauf genommen werden). — Wenn die dialogische deutsche Taktik zur „Krebswucherung der Anspruchskonkurrenz" führt, so die französisch-dialektische möglicherweise zum „Herzinfakt" des überstrapazierten Vertragsanspruchs! — Die Anspruchskonkurrenz entfällt also „dialektisch"-absolwt, w e i l der Kreis des Anspruchsparagraphen vom Kreisringe des Vertragsparagraphen verdrängt wird. Die dialektische Lösung lehrt aber relativ, auch, daß der Kreis der generalis unter Umständen aus der Derogation heraus und wieder ins B i l d tritt, wenn der Sachverhalt nur i m Totalbild gesehen richtig beurteilt werden kann: die Rechtsfolgen eines Handelskaufs können evtl., dialektisch, nicht lediglich aus der handelsrechtlichen lex specialis des Handelskaufs heraus erfaßt werden, bedürfen also evtl. zusätzlich der Heranziehung des BGB-Kaufs als der lex generalis. So ließe sich i m Deliktsrecht auch sagen, daß hinter der lex specialis des § 839 (Amtspflichtverletzung), möglicherweise als lex generalis auch die dialektische Grundnorm des § 823 wieder aufleuchtet, der die Verletzung der Menschenpflichten verfolgt — der Beamte bleibt Mensch, ein Beamter i m Sinne des § 839, der gegen die Pflichten des § 823 verstößt, lädt damit immer die Rechtsfolge des § 839 auf sich, wenn er nur eine Amtspflicht nach § 839 verletzt hat — er haftet dann speziell als Beamter, nicht als genereller Mensch, nach § 823 — es w i r d also zunächst die Verletzung durch die lex specialis des § 839 indiziert. Aber i m Sonderfalle kann es auch so stehen, daß eine Verletzung der Menschenpflicht des § 823 zur Frage steht, aus der die Verletzung der Amtspflicht des § 839 zu folgern ist. Auch bei der deliktischen Erfolgshaftung des § 829 taucht dieses Problem auf, wenn z. B. nebenher vom Schuldner eine Verkehrspflicht verletzt worden ist: die Verschuldenshaftung des § 823 kann von der Erfolgshaftung des § 829 „speziell" verdrängt werden, die Verschuldenshaftung des § 823 kann aber auch generell und zusätzlich herangezogen werden. — Von großer praktischer Bedeutung ist i m Deliktsrecht die AnspruchsAdressaten-Alternation, eine faktische Anspruchs-Alternation i n Gestalt einer subjektiven Klage-Konkurrenz. Vor sie sieht sich A gestellt, wenn er die Wahl hat, entweder den wohlhabenden, verschuldensfähigen 17jährigen Delinquenten selbst aus § 823, 1 i n Anspruch zu nehmen, oder aber sich nach § 832 bei dessen Eltern zu erholen — beides i*
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zugleich ginge nicht, w e i l A, sofern er von den Eltern gemäß § 832 Schadensersatz bekäme, nach § 823, 1 keinen Schaden geltend machen könnte, so daß ein Tatbestandsmerkmal des § 823,1 entfiele. Das Gesetz selbst gibt i m Deliktsrecht eine faktische Alternation, wenn es nach den §§ 830 und 840 (421) die deliktischen Mittäter und Beteiligten, ebenso wie die „gemeinschaftlich" handelnden Delinquenten jemeinig einzeln haften läßt, damit aber dem Gläubiger die faktische Alternation dahin überläßt, bei wem sich der Gläubiger seinen Schaden als Schadensersatz holt. Die gleiche faktische Alternation findet sich überall bei der Munthaftung der §§ 832 - 838. Nach § 832 Abs. 2 haftet derjenige, „welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt" ebenso wie der gesetzliche Aufsichtsberufene, der Gebäudeunterhaltspflichtige des § 838 haftet neben dem Eigenbesitzer eines Gebäudes nach den §§ 838/836: wiederum entscheidet der Gläubiger i n faktischer Alternation darüber, wen er i n Anspruch nehmen soll. Dagegen sieht der § 837 eine „Wachablösung" innerhalb der faktischen Anspruchsalternation vor: den Besitzer i m Sinne des § 837 t r i f f t anstelle (nicht „ i n gleicher Weise"!) des Besitzers des Grundstücks die i m § 836 bestimmte Verantwortlichkeit — und § 834 sieht zum wenigsten eine besondere Exkulpation des Tieraufsehers vor, der zwar i n faktischer Alternation ebenso wie der Tierhalter des § 833 haftet, aber eben diese Exkulpation des § 834 zur Verfügung hat, die sich von der i n § 833 formulierten Exkulpation des Tierhalters unterscheidet. — Grundsätzlich handelt es sich darum, daß bei sich deckenden gesetzlichen Tatbeständen das Gesetz es bei der freien Wahl des Gläubigers beläßt, wen er zu seiner Befriedigung i n Anspruch nehmen w i l l , wenn die Rechtssätze das gleiche Bedürfnis auf verschiedenen Wegen zu stillen suchen und sich ihrem Zwecke nach selbst i m wesentlichen decken, weiterhin, daß diese Wahl-Lösung i n der Alternationsfrage auch bei gesetzlichen Tatbeständen zur Anwendung kommt, die sich nicht völlig decken, wenn sie sich nur ihrem Zwecke nach i m wesentlichen decken, ohne daß die angemessene Behandlung der einen oder anderen Bedürfnislage die Ausschaltung einer der konkurrierenden oder alternierenden Vorschriften fordert: die Ansprüche aus den §§ 459, 462 kommen alternativ neben dem des § 463 zur Anwendung, ausnahmsweise gelangt aber gemäß der dialektischen Monopolisierungstendenz des Gesetzes dagegen nur einer der alternierenden Rechtssätze zur Anwendung, weil dieser die andere Vorschrift verdrängen w i l l — z.B., wo der eine Rechtssatz das eigenartige Bedürfnis einer besonderen Fallgestaltung zu befriedigen bestimmt ist, die Rechtsfolgen der alternierenden Vorschrift für den Sonderfall aber nicht oder weniger gut passen, weil jene Rechtsfolgen auf einen allgemein gefaßten Tatbestand zugeschnit-
Anspruchskombinationen ten sind 1 . Es bleibt aber zu beachten, daß man mit einer Gesetzeskonkurrenz grundsätzlich i m Deliktsrecht nicht zu rechnen hat, daß es also bei der faktischen Anspruchsalternation bleibt, dies entweder nach der Passivlegitimation h i n (A oder Z) oder nach der Sachlegitimation hin, 200 D M oder Fahrrad. — Ein Sonderfall: Der Vater gibt die vom Schädiger über §§ 823, 1 als Drittschaden erklagten D M 100 nicht an seine Tochter weiter. Die erneute Klage der Tochter gegen den Schädiger w i r d als unzulässig (nicht als unbegründet) abgewiesen. „Sachlich w i r k t die Rechtskraft dahin, daß keine neue Verhandlung und Entscheidung über den rechtskräftig festgestellten Punkt mehr zulässig ist" (Baumbach / Lauterbach, ZPO, 9. Aufl., § 322 Anm. 3 A). Es ist hier ein und derselbe Anspruch, der von den verschiedenen Anspruchsträgern geltend gemacht werden könnte. Einmal aus eigenem, zum anderen entweder aus Auftragsrecht oder nach einer Abtretung. Es liegt, i m Gegensatz zur Gesamthand, insoweit noch nicht einmal eine Konkurrenz der aktiv legitimierten A n spruchsträger vor. Es kann auch deshalb keine Anspruchskonkurrenz gegeben sein, weil dadurch, daß das U r t e i l für und gegen die Tochter w i r k t , schon prozessual kein weiterer Anspruch gegeben ist. Die faktische Anspruchsalternation ist natürlich etwas anderes als die „facultas alternativa" etwa der §§ 249 f. (Schadensersatz i n Natura oder i n Geld). Etwas anderes auch als die „Wahlschuld" (Stute Bellona oder Wallach Blitz).
Logik, Dialogik, Dialektik,
Spezialität
Logik und Dialektik betreffen zwei verschiedene Arten der Wahrheits-Erkenntnis von Aussage-Urteilen. Die Logik n i m m t als Wahrheit, was i m zwei-aktigen Gespräch zwischen These und Antithese ohne Widersprüchlichkeit bleibt — Stahl (Philos. des Rechts, I 91): daß etwas ist, reicht nicht aus, es muß das Gegenteil undenkbar sein. — Die Dialektik, die Neuplatoniker, dann Kant, Fichte, Hegel, Marx, Kierkegaard, Nietzsche (nicht aber die Mathematiker!) führt dieses Wahrheitsgespräch zu einem Dreitakt von These, Antithese und Synthese (Integration) — daher wohl auch die alte Definition der Dialektik als einer Überredungskunst. „Erst operieren w i r m i t den M i t t e l n der formalen Logik, m i t den M i t t e l n der Analyse und der Separierung, und später synthetisch und fügen, was w i r an tieferer Einsicht gewonnen 1 So H. Lehmann, Zur dogmatischen Einführung in das schwierige Thema s.a. H. Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und bei Delikt, 1934.
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Anspruchskombinationen
haben, wieder zur Einheit zusammen." Das Gesetz der Einheit und vom Kampf der Gegensätze (die den Dingen immanenten Widersprüche sind die Triebkräfte der Entwicklung), 2. das Gesetz vom Umschlage quantitativer in qualitative Veränderungen (jede Entwicklung w i r d erst aus einer Einheit von Quantität und Qualität erklärbar), 3. das Gesetz der Negation der Negation — hier vor allem die Anlehnung an Hegel — jede „Aufhebung" (Negation) ist Überwachung, Erhöhung, Bewahrung, auch Versöhnung: durch Versöhnung vollbringt die Philosophie die denkende Erkenntnis. Hegel bewahrt hier, also i m Punkte seines Versöhnungsdenkens, sein ständiges ontologisches „et-et" — i m Gegensatz etwa zu Kierkegaards „aut-aut": der Verbleib des Menschen i m „objektiven Geist" Hegels, i n der Summe der menschengesetzten Objektivationen, welche die objektive „geistige" Welt darstellen, also auch der menschliche Verbleib i n der Realität/Wirklichkeit ist hegelisch (über den menschlichen Verbleib i n der Wirklichkeit der „ N a t u r " sagt uns freilich Hegel als echter subjektiver Idealist nach Berkeley und Fichte weniger, auch spricht er nur sparsam über den Sohn der menschlichen Unruhe, den subjektiven Geist!). Das bekannte Hegersche Beispiel zu dessen, übrigens aus „der Wissenschaftslehre" von Fichte übernommenen, Dialektik ist der Dreitakt von Knospe, Blüte und Frucht, wonach die Blüte als Antithese zur Knospe „wahr sei", gegenüber der Synthese „Frucht" aber „falsch", die Frucht sei „ w a h r " und die Blüte i h r gegenüber „falsch", w e i l ein hier i n der „Frucht" gipfelndes „Werden" am Werke sei — Hegel ist bekanntlich nicht nur die abendliche „Eule der Minerva" und die einsam „auf der Landstraße wandernde Vernunft", sondern auch der Philosoph derjenigen Sparte des Seins, die man Werden nennt (und Richard Wagner gesellt, hier ganz anti-schopenhauerisch, zu Hegels Philosophie i m „Werde-Motiv" seiner Oper „Rheingold" die Kunst). Das i n der Romantik überhaupt gern verwandte B i l d von Knospe, Blüte und Frucht kommt besonders plastisch i n Goethes „Wahlverwandtschaften" zum Ausdruck, wo es ( I I 9) heißt: „Wie aber einmal Knospen und Blüten kommen, dann w i r d man ungeduldig, bis das volle Laub hervortritt, bis der Baum als eine Gestalt uns entgegendrängt" — der Ton liege, objektiv, auf dem Worte „Gestalt" — die dialektische Methodik, besonders die historische, w i l l die „Gestalt" — sub-
Anspruchskombinationen jektiv liege der Ton auf dem Worte „ungeduldig" — die dialektische Wahrheitsfindungs-Methodik ist ungeduldig, aber auch utopisch, das perfekte Prinzip „Hoffnung". — Hegel hält, indem er die Antithese der These gegenüberstellt, die „negativen Wesenheiten" der i m Wahrheitsgespräch befindlichen Gegebenheiten fest, den bitteren, ständig negativen Hintergrund der Menschen, holt also dann die Wahrheit nicht aus der Widerspruchslosigkeit des als zutreffend prädikatisierten Aussage-Urteils, wie die Logik, sondern aus einem „zeugenden Widerspruche" heraus. Beispiele solcher Negativitäten geben die bekannte Hegersche „Selbstentfremdung des Bewußstseins" (aus welcher der i n psychologischer Hinsicht nicht sehr phantasievolle M a r x dann die stete Abhängigkeit des Bewußtseins von einem lediglich ökonomisch anvisierten Sein des i m Bewußtsein Operierenden macht!), der Tod, das „Nicht", das „Nichts" (im Unterhaltungsgespräch werden die negativen Hollen oftmals i m Witz oder i m Paradox zum Ausdruck gebracht). Durch die Dialektik w i r d also die Wahrheitserkenntnis „entgrenzt", i m Gegensatz zu ihrer „Verkürzung" i n der Logik — dann freilich auch durch das Werde-Motiv so „manipuliert", daß man von einer bloß hindeutenden wahrheitsbezüglichen Erkenntnis zu einer eindeutigen (stabilen) Wahrheitserkenntnis kommt. Voltaires „gebildete Menschen, die über das Wesen der Dinge nichts Feststehendes aussagen wollen, die nicht wissen, was ist, die aber (per Vernunft!) sehr genau wissen, was nicht ist". — Von der von Hegel erfundenen, vor allem von Engels danach angewandten Realdialektik, wonach die Dialektik nicht nur auf Erkennen und Denken bezüglich sei (eine sog. Ideladialektik), sondern auch auf die Gegebenheiten der Welt, vor allem die historischen, sieht man besser ab — das wurde schon als B l u f f oder als „pfiffige Methode des Dreivierteltaktes" genommen, „ i n dem dann die ganze Welt tanzen solle" (Gumplowicz) — der englische Philosoph Ruskin erkannte hier einen „geistig-natürlichen Sphärenwechsel" i m Sinne des „imaginatively endowing inaminate objects w i t h life" als eine sog. „pathetic fallacy", und Schopenhauer meinte, daß so etwas einem Unterfangen gliche, Gesichter oder Gestalten aus einem Wolkentreiben herauszulesen: die Landschaft w i l l nicht, wenn sie sich bewegt (Rilke) . . . Auch der konstitutiv-kausale Sphärenwechsel (s. o. S. 155) trägt dialektische Züge, was seine Prädominanz seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts m i t erklärt: der Widerspruch zur Konstitution ist dialektisch notwendig, der auffallendste Widerspruch zu einer Konstitution ist aber deren Kausalität, vielleicht ergibt sich erst aus der Gegenüberstellung der Konstitution m i t ihrer Kausalität die endgültige Wahrheit, die Hervorholung der Kausalität gegenüber der jeweiligen Konstitution
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erscheint also als das Wichtigste. Modernes Beispiel: Die Araber haben die Israelis angegriffen. Der Dialektiker sagt: ja, aber, weil die Israelis ihre Länder genommen haben und w e i l i n Zukunft nur „die Gestalt" eines Israel ohne arabische Länder denkbar ist und sein wird. Die Frage ist, „ob die jeweils fixierte und eindeutige Wahrheit nur jener Teil ist, der bisher erschienen ist, während ein anderer Teil i n der Zweideutigkeit und Frage verborgen bleibt", und „wo immer die Meinung vertreten wird, daß auch bereits i m Zweideutigen die Wahrheit zur Erscheinung kommen kann, da setzt der dialektische Gedanke ein". Über die Wahrheit eines Erkennens entscheidet also letztlich ihr Stellenwert, wie er i m ganzen der jeweiligen WahrheitsgesprächsGliederung, die dialektisch i m Dreitakte verläuft, auftaucht: „als jeweiliger Vorgänger eines nachfolgenden Gliedes ist die betreffende Gegebenheit falsch, als jeweiliger Nachfolger eines Vorgängers aber ist sie wahr". W i r kommen hier also dazu, das Wesen der Dialektik i n einer Teilhabe zu erkennen, genauer: i n einem Wahrheitsdenken i n Teilhabe einer Antithese an der These, und schließlich zusätzlich einer Synthese an der Antithese und These. Das belegen w i r juristisch am besten mit der Verwendung des konzentrisch angelegten Kreisbildes (Herdringes) anstelle eines Bildes von der kontrapunktisch angelegten Geraden — auch Hegel verwendete schon das Kreisbild — und das juristische Beispiel gibt dann die Teilhabe der Species am Genus, die i n dem bekannten juristischen Satze niederliegt „lex specialis derogat legi generali": der Kreis der generalis w i r d also von dem konzentrischen Kreisring der specialis derogiert, die als Nachfolgerin der generalis i m dialektischen Dreitakte dann also „ w a h r " ist. Dialektik und Dialogik können auch zusammen gedacht werden. Dialogik und Monologik auch. Denkt man Dialektik und Dialogik zusammen, so kann man von kontrapunktischdialogischem und von konzentrisch-dialogischem Denken sprechen, i m letzteren Falle arbeitet man m i t der Figur des Kreisringes und des Kreises. Wo die Figuren des Kreisringes und des Kreises brauchbar sind, spricht man von specialis und generalis. Insofern ist das Sprechen i n specialis und generalis also dialektisch. Der Kreis der generalis bleibt aber latent am Leben und t r i t t unter Umständen über die specialis hinaus als Synthese wieder i n Erscheinung, so daß dann die specialis als eine Vorgängerin der neu aufgetauchten und damit neu regierenden generalis falsch wird. Manchmal kommen w i r m i t der lex specialis des Handelskaufs aus, manchmal aber nicht, und der latent wirksam gebliebene „Kreis", die generalis des allgemeinen Kaufs, muß heran und bringt dann die „Wahrheit" (während es die specialis des Handelskaufs nun nicht mehr tut). Der Kreis ist die These, der Kreisring die Antithese, der über dem Kreisringe dann wieder aufleuchtende und aus seiner „Latenz" zur „Patenz" erwachende Kreis zusammen m i t
Anspruchskombinationen dem Kreisringe die Synthese — die speziellen Vorschriften des Handelskaufs derogieren zunächst die allgemeinen Kaufrechtsvorschriften, w i l l man aber einen Handelskauf unter die Mängelhaftung des Verkäufers bringen, muß man das allgemeine Kaufrecht i n seiner Anwendung auf den Handelskauf heranholen. Der zweite relative dialektische Schritt, die Wiederaufnahme des bis dahin latent gebliebenen Kreises über dem patenten Kreisringe, scheint aber der mühsamere zu sein (nach den Gesetzen der Mechanik hebt die größere Rolle ein größeres Gewicht, der Flügelschlag eines Vogels ist der Teil einer Kreisbewegung, bei der die äußersten Federn den weitesten Kreis beschreiben (und darum stärker gebaut sind), die Anwendung der allgemeinen Kaufgesetze über den paar Vorschriften des Handelskaufes macht erst die Schwierigkeit. Die Handhabung des Rechts i n der täglichen Rechtstechnik greift vom Speziellen zum Generellen h i n zur Rechtswissenschaft durch, der speziellere Bereich i n der Rechtswissenschaft zum generelleren, schließlich die Rechtswissenschaft i m Ganzen zur Geisteswissenschaft schlechthin und — letzter (und oft gehaßter) Schritt — zum „Geist" überhaupt. Die juristische Fachwissenschaft ist das Speziale gegenüber dem Generale der Welt, nur das Speziale verdient Beachtung, es frißt das Generale auf — da steht wieder Justitia m i t verbundenen Augen, die „verhüllte Synagoge". Dialektisch-absolut ist die Verdrängung einer generalis durch eine specialis, dialektisch-relativ i h r Wideraufleuchten, also die ständige Latenz der generalis über die specialis. Anstelle dessen eine „Subordination" vorzunehmen, ist zwar manchmal richtig, z. B. bei den berühmten Subordinationen des § 839 i m Verhältnis zu A r t . 34 GG. Die von der Rechtsprechung entwickelten drei Generalklauseln zu § 823, 1 (die Verkehrspflichtverletzung, der Eingriff i n einen zugelassenen und ausgeübten Gewerbebetrieb und die Persönlichkeitsverletzung) sind aber wohl nicht, wie es die herrschende Lehre annimmt, dem § 823, 1 „subordiniert", sondern die Ansprüche aus den Generalklauseln sind specialia des § 823, 1. Jede lex specialis ist der entsprechenden generalis subordiniert, aber nicht jede Subordination ist specialis (Art. 34 GG!). Wer also die Verkehrssicherungspflicht und dadurch eine Gesundheit nach § 823, 1 verletzt, haftet nach der Generalklausel, nicht aber nach § 823, 1, und wer vorsätzlich handelt, haftet ebenfalls nur nach der Generalklausel als specialis, nicht aber etwa nach § 823, 1 — womit der gebotene (aber oft nicht begangene) Weg offensteht, auch die vorsätzlichen Verletzungen der Generalklauseln unter diese und nur über sie unter § 823, 1 zu bringen: i n den Entscheidungen w i r d gewöhnlich das fahrlässige Verletzen m i t den Generalklauseln behandelt, das vor-
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sätzliche aber nach dem Subordinationsprinzip — und damit nach dem § 823,1, für die Persönlichkeitsverletzung gelten besondere Regeln. — Die Subordination ist ein normativer Begriff, die Spezialität einer der Wahrheits-Erkenntnis, dies nicht i n der logischen, sondern i n der dialektischen Methodik. — Die Relation einer specialis zu einer generalis, also ein dialektisches Denken, gilt insbesondere für § 823, 2 und §§ 1632, 1672, 1671 — daß ein Ehegatte die alleinige elterliche Gewalt haben muß, bevor er wegen Muntbruchs nach § 823, 2 vom anderen Ehegatten Schadensersatz wegen Entführung seines Kindes begehrt, folgt aus der auf das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter zurückzuführenden familienrechtlichen Neuordnung der §§ 1632, 1671, 1672. § 31 ist specialis zu § 831, § 839 zu § 823, § 278 zu 831. — Auch i m allgemeinen Gespräch geht es nicht ohne die Dialektik: jeder Wert ist Idee, aber nicht jede Idee Wert, jeder Verschuldensw i l l e ist finalzweckgerichtet, aber nicht jeder Finalwille ist Verschuldenswille, jedes Rechtsgeschäft ist auch Rechtshandlung, aber nicht jede Rechtshandlung ist Rechtsgeschäft, jedes Entgelt ist consideration, aber nicht jede consideration ist Entgelt 1 . Überall derogiert hier, absolut, der Kreisring der specialis den Kreis der generalis, der aber relativdialektisch „latent" beobachtbar bleibt. Auch der Gegensatz von „konträren" und kontradiktorischen (logischen) Urteilen ist hier zu bedenken: der konträre Gegensatz zu „weiß" ist „schwarz", der kontradiktorische „nicht-weiß" — die Kontradiktion i n der Logik ist nur der Widerspruch der durch die Bejahung und Verneinung ein und desselben Begriffs entsteht, während i m konträren Unterschied die innerhalb einer Gattung oder Anordnung am weitesten auseinanderliegenden Begriffe gegenübergestellt werden. Die dialektische specialis hat ihre „Würde": wenn man i n der specialis arbeitet und die generalis nicht einbezieht, braucht man auf diese nur sozusagen i n der „Fußnote" zu verweisen — das beste Beispiel bietet die Arbeit i n den sogen. „Geisteswissenschaften": der „Geist" ist auch etwas Anthropologisches, die Geisteswissenschaften beschäftigen sich m i t dem Menschlichen, und wenn man dieses bedenkt, mag man (und muß man) es auch „naturwissenschaftlich" bedenken, etwa medizinisch — wie kommt medizinisch-naturwissenschaftlich das Denken und die i h m zugrundeliegende Emotion zustande, etwa als 1 M . Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932,100.
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Vorgang oder Zustand i n den „vorderen Gehirnlappen" (wo die Mediziner z. Z. das „Denken" lokalisieren)? Die dialektische Teilhabe ist von großer Bedeutung auch i n der „Seins-Philosophie": man ist am Sein eines Seienden, wenn man sich selbst i n der Teilhabe an diesem Seienden vorfindet — i m übrigen i m spontanen Prozeß („ein Klang, ein Bogen, fast ein Sprung aus Bläue . . . " — G. Benn). Sonst gibt es mancherlei Definitionen der Dialektik 1 — „ I n unseren Tagen ist Dialektik nicht selten ein Modewort geworden. Die dem Begriff von jeher anhaftende Unschärfe ist nun vielfach züm faulen Zauber ausgeartet 2 . Es mehren sich i n der neueren Anti-Hegel-Literat u r die Hinweise darauf, daß die Dialektik HegeVs ein „Leerschema" sei, das man je nach Bedarf auf alle möglichen Verhältnisse übertragen könne, die „Dialektik" hat ihren Jargon und führt zu „ A l l ü r e n " 2 . Doch erklärt die Dialektik mancherlei allgemeine Phänomene, den Ausstand, das Warten, die Sorge, den Menschen als Spezialität der Lebewesen, das „Leben" innerhalb des „Seins" schlechthin, die „Schichten" der Menschen und der Erde Welt überhaupt. Keine dieser Schichten ist unabhängig von der i h r vorgeordneten, diese Welt ist ohne Hiatus, i m mer w i r d die (chronologisch oder sonst) spätere Schicht von der früheren getragen, hat kein selbständiges Bestehen, sondern nur ein aufruhendes, jede Schicht aber führt, über die vorgeordnete hinaus, ihr Eigenlicht und Eigenleben, m i t dem sie die frühere, und auf dem Grunde, die allgemeinste, schlechthin seiende „mütterliche" Materie überblendet. Monistisch trotz ihrer Pluralität gelangt also m i t Hilfe einer konzentrischen Dialektik die Welt zur Anschauung (Heidegger).
Verjährung § 852, Abs. 1, Halbsatz 1 spezialisiert die allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. Die Absicht des Gesetzes ist nicht zu beanstanden, Deliktsstreitigkeiten sollen rechtzeitig zur Ruhe kommen — die Anspruchskonkurrenz kommt hier zu ihrer besonderen Bedeutung: kann der Besteller vom Unternehmer wegen eines Mangels des Werks Schadensersatz nach § 635 und zugleich aus unerlaubter Handlung nach 1 Die Grundliteratur zur Dialektik liegt bei Jonas Cohn, Theorie der Dialektik, 1923 und Heiss, Wesen und Formen der Dialektik, 1959, zur ersten Einführung s. AcP 1971, 511 ff. — G. Otte, Dialektik und Jurisprudenz, Untersuchungen zur Methode der Glossatoren, 1971 und Hans Leisegang, „Hegel Mart Kierkegaard", Zeitschrift „Blick in die Wissenschaft", Berlin 1948,129 (ein klassischer Aufsatz!). 2 A. Seiffert, Einige kategoriale Grundformen, 1972, 254, 246, 262.
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den §§823 ff. verlangen, so verjährt der Deliktsanspruch nach §852 BGB unabhängig von der für den Vertragsanspruch i n § 638 getroffenen Regelung 1 . Aber: „da bei der Beschädigung einer Sache i m Rahmen eines Gebrauchsüberlassungsverhältnisses stets auch ein Deliktsanspruch gegeben sein wird, muß die kurze vertragliche Verjährungsfrist, wenn sie nicht leerlaufen soll, auch für diesen konkurrierenden Anspruch gelten, und § 852 w i r d »verdrängt'" (Köhler) — eine dialektische Lösung. — Der klagend Geschädigte muß sich freilich m i t der kurzen Verjährung des § 852 sehr herumschlagen, das Gericht schwingt oft auch noch die Keule der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verwirkung (z. B. i n Persönlichkeits-Verletzungs-Sachen!), und der Geschädigte muß oft zur Feststellungsklage nach § 256 ZPO greifen, wenn er auch nach Maßgabe von B G H i n N J W 52/546 von der Feststellung auf eine Leistungsklage umstellen kann, dies sogar nach Ablauf der deliktischen Verjährungsfrist. Was die fortgesetzte Handlung anlangt, so beginnt die deliktische Verjährungsfrist jeweils m i t der Kenntniserlangung vom jemeinigen Schadenseintritt, und eine Wiederholung der schädigenden Handlung setzt unter dem Gesichtspunkte der Kenntniserlangung vom neuen Schadenseintritt eine neue Verjährung i n Lauf, wobei der Anlauf der Verjährungsfrist also, wie gesagt, von der Kenntnis des aus dieser neuen und wiederholenden Deliktshandlung erfolgenden Schadenseintritts abhängt. „Kenntnis vom Schaden" ist nicht gleichbedeutend m i t der Kenntnis des Umfangs des Schadens, erforderlich bleibt daher lediglich die Kenntnis von einem Schaden, den der Verletzte als einheitlich und als „Schadensklumpen" (Möller) auffaßt. Es gehört also zum Tatbestandsmerkmal der Schadenskenntnis nicht die volle Übersehbarkeit des Schadensumfanges und der Schadenshöhe, auch nachträglich auftretende Schadensfolgen gelten als bekannt, sofern sie nur voraussehbar waren, es genügt, wenn der Verletzte zur Erhebung einer Feststellungsklage i n der Lage war (RG 119, 207). Der Verletzte braucht also nicht alle Einzelumstände zu kennen, die für die jeweilige Anspruchsbegründung i n Betracht kommen — § 852 ist nicht geschaffen, u m dem Haftungsschuldner jedes Aufklärungs- und Prozeßrisiko abzunehmen. Kommt es jedoch beim Haftungsgläubiger auf die Kenntnis der inneren Tatsachen an (z.B. Zweck und Beweggrund einer Wettbewerbshandlung), so bleibt nur der Zeitpunkt maßgebend, i n dem der Kläger von den äußeren Umständen erfährt, aus denen die inneren Tatsachen herzuleiten sind. 1 BGH-Urteil vom 4. 3.1971, V I I ZR 40/70, vgl. auch B G H Z 9, 301 (1953) — 47 (1967), 53 - 54, 264 — NJW 1968, 694 (1970).
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„Schadenskenntnis" heißt also nicht Kenntnis jeder einzelnen Schadensfolge und des Schadensausmaßes. Bei nicht vorhersehbaren Spätschäden beginnt die Verjährung erst mit Kenntnis von deren E i n t r i t t und deren ursächlichem Zusammenhang m i t dem früheren Verletzungsereignis. Da Kenntnis verlangt wird, genügt bloßes Kennenmüssen nicht, ebensowenig reicht bloßer Verdacht aus. Hätte der Geschädigte aber die Personalien des Ersatzpflichtigen ohne Mühe i n Erfahrung bringen können, so steht das der Kenntnis gleich, da sonst der Haftungsgläubiger w i l l k ü r l i c h über den Lauf der Verjährung bestimmen könnte 1 . — Jedenfalls muß darauf hingewiesen werden, daß der Verletzte nicht nur vom Schaden, sondern auch von der „Person des Ersatzpflichtigen" Kenntnis habe — wenn nur Kenntnis vom Schaden oder nur Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen vorliegt, langt es für einen Haftungsgläubiger nicht!, aber praktisch w i r d das nicht werden. — Bei der dreißigjährigen Verjährungsfrist i n § 852, 1 Halbsatz 2, beginnt die Verjährung nicht m i t der Kenntis des Gläubigers, sondern m i t der „Begehung der Handlung". Die Uberleitung zur Condictio nach § 852, 2 Der Haftungsgläubiger w i r d stets auf der Suche nach der Heranziehung des § 852, 2 sein, damit er anstelle der dreijährigen deliktischen Verjährung eine dreißigjährige Verjährung erlangt. I n § 852, 2 schlägt, indem i m Sonderfall diese allgemeine Verjährungsfrist gegeben wird, der Deliktsanspruch i n einen Kondiktionsanspruch, das Deliktsrecht also i n das Kondiktionsrecht um 2 . Bei dem nunmehrigen Kondiktionsanspruch ist, sofern „durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt" worden ist, nur der Umfang zu prüfen (RG JW 35, 512). — W i r haben hier also eine der berühmten Fragestellungen vor uns, ob der spezielle Tatbestand des Anspruchsparagraphen (hier § 852, 2) den Tatbestand des § 812 derogiert oder teilweise derogiert, dann also nur das KondiktionsrecJitsfoZc/erecht (§ 812: zur Herausgabe verpflichtet: §§ 818821) beruft oder ob der Tatbestandsparagraph 812 nicht derogiert ist: die grundsätzliche Regelung geht von der ganzen oder, wie i n § 852, 2, teilweisen Derogierung des Kondikitionstatbestandes des § 812 aus 3 — Rechtsfolge-Einweisung oder Rechtsgrundeinweisung — gelegentlich 1
So, teilweise wörtlich, J. Esser, Schuldrecht, I I , 4. Aufl., 1971, 456 f. mit den Entscheidungen. 2 Über das Verhältnis von Deliktsrecht und Kondiktionsrecht, s. E. v. Caemmerer I, 271 ff., insbes. 272, 277, auch 370 ff. 3 RGZ 139, 17 ff. (22) (1932) zu den §§ 323 und 1301.
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aber ist der Tatbestand des § 812 nicht derogiert, z.B. i n §§ 946, 951 (der Einbau fremden Abbruchmaterials i n einen Neubau, soweit Eigentumserwerb des Abbruchmaterials durch den Neubauherrn kraft Verbindung eintritt). Auch der berühmte Fall des Villenmieters, der rund u m seine V i l l a aus einem Steinbruch einen Villengarten macht und darin Buchsbäume zur Verschönerung pflanzt, gehört hierher — der Mieter macht „sonstige Verwendungen" und kann sich seine Buchsbäume auf seinen neuen Balkon mitnehmen, ohne daß er vom Villeneigentümer, der i h m m i t Recht gekündigt hat, Ersatz für seine „sonstigen Verwendungen" verlangen kann, die also Impensen des Mieters darstellen — so bestimmt es der allgemeine Ausschluß der Impensenkondiktion nach § 812 und insbesondere die §§ 547, 2 i n Verbindung mit 677, 683, 684, S. 1 — zumindest lag nicht die Relation von Verärmerung und Bereicherung vor, die § 812 erfordert. — Die Transformation des Deliktsrechts i n das Kondiktionsrecht nach § 852, 2 hat jedenfalls i m Prinzip den Umfang der Kondiktion zur Rechtsfolge, nicht ihre Tatbestandsmerkmale. § 852, 2 erspart zwar die Prüfung, ob sich Verärmerter und Bereicherter gegenübersteht, und das Tatbestandsmerkmal „ohne rechtlichen Grund", nicht aber die Prüfung des Bereicherungsmerkmales „etwas erlangt" und „auf Kosten des Verletzten". — Die analytische Struktur des Kondiktionsrechts beruht auf den beiden Arten mangelnder causa — der Mangel der causa civilis zerstört das Versprechen, der Mangel an causa iusta zerstört die Erlangung — der Stein des Anstoßes liegt darin, daß eine kraft Gesetzes an die causa civilis nicht gebundenes Versprechen (§ 780) gleichwohl, wenn es als Erlangung bestehen bleiben soll, einer causa bedarf, welche dann also nicht die causa civilis, sondern nur die causa iusta sein kann (§ 812, 2). Die ideologische Struktur des Kondiktionsrechts besteht darin, daß das Kondiktionsrecht als letzte Etappe der materiellen bürgerlichrechtlichen Rechtsbehelfe die Beseitigung der überhängenden Vollzüge zum Ziele hat (der „Zug" des juristischen Rollenspiels etwa beim Schenkungsversprechen und dessen „Vollzug" bei der Bewirkung der Schenkung darf i n Erinnerung gebracht werden). Übrigens ergibt sich auch aus diesen Erwägungen die bekannte Spezialität des § 985 gegenüber dem § 812: der obligatorische Kondiktionsanspruch setzt erst ein, wenn der überhängende Vollzug nicht schon aus der dinglichen Rechtslage heraus besorgt werden kann — manche ausländischen Rechte bezeichnen daher unsere Regelung des § 985 als „dingliche Condictio". M i t der ideologischen Struktur des Kondiktionsanspruchs als eines letzten Versuchs hängt auch der berühmte (rechtshindernde) Einwand des Wegfalls der Bereicherung i n § 818, 3 zusammen.
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§ 812 strebt, wie § 823, 1, zu einem einzigen „abstrakten" Anspruch, § 813, 1, S. 1 und § 817 gesellen zwei enumerative Kondiktionsansprüche hinzu — der des § 817 entspringt allerdings mehr der Moral/Ethik, überschreitet also das „ethische Minimum", welches bekanntlich das Recht aufnehmen solle. — Von § 813, 1, S. 2 bis zu § 815 w i r d der Kondiktionsanspruch ausgeschlossen. — Die Tatbestandsmerkmale des § 812: „Erlangung von etwas" bedeutet nicht die Erlangung von Gegenständen, sondern von („dinglicher") Zuständigkeit an Gegenständen, also von Eigentum, Anwartschaftsrecht, Recht auf uti, frui, abuti, auch von Verfügungsbefugnis, einer — meistens dinglichen — Macht (RGZ 115, 34). Auch des Besitzes — eine condictio pocessionis als Erweiterung des Tatbestandsmerkmals des § 812 und als „ M i t t e l zur Erweiterung des Besitzschutzes" (so RGZ 129, 307) gibt es also nicht — die Erlangung eines faktischen Besitzes, etwa des Besitzdieners, der Hausangestellten, die den Besen führt, kann aber nicht kondiziert werden, der faktische Besitzer erlangt nicht, sondern „nimmt"K „Erlangung durch Leistimg" ist das Endergebnis einer durch Rechtshandlung seitens des Verärmerten erfolgten Verschiebung von Herrschaft über Vermögen zugunsten der Tasche des Bereicherten. „Erlangung i n sonstiger Weise" ist z. B. eine falsche Eintragung i m Grundbuch oder eine Anschwemmung zugunsten eines Uferanliegereigentümers bei einer Sturmflut. Erlangung durch Enteignung ist zwar Erlangung i n sonstiger Weise, aber mit Rechtsgrund 2 . — Immer gehört als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu § 812, 1 die bei § 852 eben nicht zu prüfende Relation einer Verärmerung und einer Bereicherung. Fall „alte Steinkuhle": X baute aus dem Flöz des A ab, der seinerseits nicht daran herankommen konnte — gleichwohl steht X hier i n der Figur des Bereicherten, A i n der des Verärmerten (RGJW 1938, 3040). Daß eine „unmittelbare Vermögensverschiebung" vom Verärmerten zum Bereicherten h i n vorliegen muß 3 , ergibt sich vor allem aus dem Tatbestandsmerkmal des § 812, 1 „auf dessen Kosten". I n bezug auf 1 Vgl. die Rechtsprechung zu Art. 30 des Rückerstattungsgesetzes der amerikanischen Zone, dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958, 368 ff., 370, 372. 2 Die gesetzliche Regelung gibt eben den Rechtsgrund ab, s. aber dazu den Fall betr. Adolf v. Menzel und die Pinakothek in München, RGZ 130, 69 ff., 1930 — zustimmend z. B. Ennecerus, ablehnend z. B. Staudinger und der R G Kommentar. 2 Vgl. E. v. Caemmerer, I, 248.
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dieses Tatbestandsmerkmal, also das Prinzip der unmittelbaren Vermögensverschiebung (Hauptfall die irrtümliche Zahlung fremder Schulden!) 1 bleibt zu vermerken, daß eine unmittelbare Vermögensverschiebung vom Verärmerten zum Bereicherten h i n auch dann vorliegt, wenn die Verschiebung über einen offenen Geschäftsbesorger läuft (z. B. den Postboten der Post). Dagegen liegt keine unmittelbare Vermögensverschiebung vor, ist also das Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Vermögensverschiebung („auf dessen Kosten") nicht erfüllt, wenn nur ein verdeckter Geschäftsbesorger dazwischengeschoben worden ist — man denke an § 164, 2, dann aber auch an die Lehre, daß eine verdeckte Stellvertretung (Geschäftsbesorgung) wie eine offene anzusehen ist, wenn der verdeckte Vertreter i n der Durchgriffsfigur eines „Geschäfts, wen es angeht", operierte: der Kommissionär A (§ 383 HGB) kauft und erwirbt einen antiken Danziger Barockschrank vom Antiquar X und gibt den Schrank kommissionsvertragsgemäß an den K o m m i t tenten B weiter — dann kann X bei unwirksamem Kaufvertrage unmittelbar von B kondizieren, und B seinerseits i n bezug auf den Kaufpreis, den X erhielt, nach §§ 812,1, 818, 2. Die römische Versionsklage (Ehemann A erhält Darlehen von X , gibt es bekanntermaßen weiter an Ehefrau B, X hat bei Unwirksamkeit des Darlehens Vertrages Kondiktionsanspruch gegen B, nicht gegen A!) gibt es nur noch i n § 822. § 816 stellt keine Versionsklage dar, operiert vielmehr m i t der Figur eines legal-konstruktiven Treuhänders, so daß das allgemeine Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Vermögensverschiebung nach § 812, 1 hier kraft legal-konstruktiver Einschiebung eines Geschäftsbesorgers gesichert ist (wobei es auf offene oder verdeckte Geschäftsbesorgung nicht mehr ankommt). — Der legal-konstruktive Treuhändler w i r d aber echter rechtsgeschäftlicher Treuhänder, wenn der Berechtigte nach § 185, 2 die vom Nichtberechtigten getroffene Verfügung nachträglich genehmigt — auch Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsbesorger, etwa aus Auftrag, sind dann über § 177 möglicherweise gegeben — der Einwand des Wegfalls der Bereicherung w i r d damit torpediert, allerdings entfallen m i t solcher Genehmigung auch die konkurrierenden legal-obligatorischen A n sprüche aus Delikt und unechter Geschäftsführung ohne Auftrag. § 816, 2 gibt ebenfalls keine Versionsklage, sondern stellt nur eine Abänderung des § 407 dar 2 . Der Ausschluß einer Impensenforderung aus der obligatorischen Kondiktion gründet sich i m wesentlichen auf die Abwägung, daß ex 1
Dazu E. v. Caemmerer, I, 336 ff. s. zu dem ganzen Problem der Durchbrechung der Unmittelbarkeit hier nur E. v. Caemmerer, I, 321 ff., 390. 2
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tunc der Dieb, der sein Geld auf ein gestohlenes Auto verwendete, sich nicht selbst verärmern und einen möglichen Kondiktionsgegner bereichern wollte, so daß man jenem eben den Bereicherungsanspruch versagen mußte: der Ausschluß der Impensen aus der Kondiktion ist anthropologischer Art 1! — M i t § 818, 2 zerrinnt das Spezifikationsprinzip, welchem der Anspruch aus der obligatorischen Kondiktion sonst unterliegt, und wonach immer nur das „erlangte Etwas" heraus verlangt werden kann — statt spezifischer Herausgabe w i r d i n § 818, 2 die Erstattung des Geldwertes verlangt (Wert einer Arbeit). §§ 818, 3 u. 4, ferner die §§ 819 und 820 regeln den Einwand des Wegfalls der Bereicherung i n Einzelheiten. § 818, 3 betrifft den berühmten Fall, daß ein Angestellter das überzahlte Gehalt verjubelt hat (RGZ 83, 159, 1909). Aber § 818, 3 ist erst nach § 818, 1 und § 818, 2 zu prüfen, also erst nachdem nach § 812 i n Verbindung mit § 818, 1 und/oder § 818, 2 ein Kondiktionsanspruch besteht, wobei i n § 818, 3 einmal ein spezifisches, zum anderen Male ein vermögensrechtliches Tatbestandsmerkmal zu prüfen ist — spezifisch: ist das Erlangte oder sein Geldwert nicht mehr beim Kondiktionsschuldner?, vermögensrechtlich: hat der Kondiktionsschuldner durch den Wegfall auch keinen sonstigen materiellen Gewinn erzielt (also i m obigen F a l l keine Ersparnis beim Kauf eines notwendigen Mantels?). § 818, 4 besagt, daß m i t Zustellung der Klage es keinen rechtsvernichtenden Einwand des Wegfalls der Bereicherung mehr geben kann. Der F a l l des § 819, 1: A erwirbt von X nach durch Täuschimg bew i r k t e m Kaufvertrage gemäß § 929 ein B i l d für D M 100, verkauft für 1000 und verjubelt 900. X ficht den Kaufvertrag an und kondiziert über §§ 812, 1 818, 2 den Wert des Bildes, welcher 1000 D M beträgt — A hat gemäß §§ 819, 1, 142, 2 (Nichtigkeit bewirkt Mangel des rechtlichen Grundes!) keinen Einwand des Wegfalls der Bereicherung, wobei ansich nach der Zwei-Kondiktionen-Theorie X von A D M 1000 und A von X D M 100 kondizieren könnte, nach der herrsdienden Saldotheorie X von A 900. — A ahnt nichts von der Möglichkeit einer Täuschungsanfechtung und glaubt nur, handelsüblich ein bißchen geschwindelt zu haben — erfolgt dann die Anfechtung, so t r i t t von diesem Zeitpunkt an die verschärfte Haftung ein („kennen müssen" genügt nicht, RG JW 37, 610). Gemäß § 819, 2 hat der bestochene Beamte keinen Wegfall-Einwand, der Fall des § 820, 1, S. 1 ist bekanntlich der, daß der Regierungs1 s. dazu W. G. Becker, Festschrift für G. Husserl, 102, zum technischen Problem E. v. Caemmerer, I, 241 ff.
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Präsident eine Gehaltsmehrzahlung an einen Kommunalbeamten unter der dem Beamten bekannten Bedingung erlaubt, daß die städtische Körperschaft einverstanden ist (JW 19, 517) — wenn dann die Körperschaft verweigert und der Beamte das Geld verjubelt hat, hat er nicht den Einwand des Wegfalls seiner Bereicherung. Der Fall des § 820, 1 S. 2 geht dahin, daß der Regierungspräsident die Gehaltsmehrzahlung unter eigenem Vorbehalt gebilligt hat, daß er danach aber diesen eigenen Vorbehalt geltend machte. — § 818, 1 expandiert die kondiktionelle Herausgabe, § 818, 2 gibt einen Geldwertanspruch. „Der Erwerb aufgrund eines erlangten Rechts" (§ 818, 1) ist bekanntlich besonders problematisch: der Pächter eines Steinbruchs erlangt seine Steine als Nutzung (§ 100, Sachfrüchte, Rechtsfrüchte oder Gebrauchsvorteile), Gelder, die dem Steinbruchpächter als Verpächter der Karnickeljagd innerhalb des Steinbruchs zugehen, stellen einen „Erwerb auf Grund eins erlangten Rechts" dar, weiterhin gibt § 818, 1 den Kondiktionsanspruch auf Surrogate 1 . Der Wertersatz bei Nichtmöglichkeit nach § 818, 2 betrifft z. B. grundlos erlangte Dienste (RGZ 147, 369 [1935]), der Wertersatz bei „außerstande" z. B. die Weiterveräußerung eines Bildes. § 821 enthält die kondiktionelle exzeptio doli generalis (s. o. S. 96), die sogen. Bereicherungseinrede. Sie ist auf abstrakte Verpflichtungsgeschäfte zugeschnitten (z. B. Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis), gelangt aber auch ausnahmsweise bei kausalen Versprechen zur A n wendung. Mag der Schuldner seine Pflicht auch „abstrakt" bestätigt haben, indem er ein Schuldanerkenntnis gab, so kann er die Zahlung aufgrund des Schuldanerkenntnisses gemäß § 821 jedoch verweigern, auch wenn die Kondiktion verjährt ist, der Anspruch, aus dem Schuldanerkenntnis aber noch n i c h t — § 821 stellt also eine reine Systemausfüllung dar und ist sonst unpraktisch (vgl. Esser, Sch. R., 390, RG JW 36, 917). Der § 822 ist die einzig verbliebene actio de i n rem verso, das Gesetz arbeitet hier m i t der Fiktion, daß der Dritte seine Bereicherung unmittelbar vom Kondiktionsgläubiger erlangt hat (Esser, 380 — „res" 1 Sachfrucht: Kalb oder Kuh, auch Eigentum, das in diesem Fall, wie bei § 434, als über den sonstigen subjektiven Sachenrechten stehend angesehen wird — Rechtsfrucht: Steine eines verpachteten Steinbruchs, Mietzinsen aus Untervermietung — Gebrauchsvorteile: Benutzung eines Hauses, denkbar auch ohne § 818, 2, also der „Natur der Sache" nach, nur als Wertersatz, Erwerb aufgrund eines erlangten Rechts in bes. Gebrauchsvorteilen, z.B. die Ausgleichszinsen eines bereicherten Bankiers (RGZ 53, 363, 1903), aber nur, wenn der Erwerb in sozialadäquater und typischer Weise erfolgte, z.B. die Einziehung einer Forderung, nicht aber ihr Umtausch. Die Surrogate umschließen den Ersatz für Zerstörung, für Beschädigung und für Entziehung, z. B. die Versicherungssummen oder die Enteignungsentschädigung.
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IIB
ist aber nach geläuterter moderner Auffassung nicht materiell — die Scheune, sondern — ideell — das Eigentum oder der Besitz an der Scheune, also ein subjektives Recht). — § 822 w i r d durch die berühmte „mißglückte Einigung" der beiden Minderjährigen plausibel: der volljährige X „verkauft" und überträgt dem 17jährigen A eine goldene Armbanduhr, A's gesetzlicher Vertreter verweigert die Genehmigung des Kaufvertrages. Der Kaufvertrag ist damit ungültig, doch hat A Eigentum und Besitz i n bezug auf die U h r gemäß § 107 als „lediglich einen rechtlichen Vorteil", also gültig erlangt. A „schenkt" die U h r sofort der 16jährigen Freundin B zum Geburtstage, Einigung und Besitzübertragung wären gültig, wenn es hierbei nur auf die Willenserklärung der B ankäme (denn B zieht den „rechtlichen Vorteil"). Es kommt aber bei Einigung und Besitzübertragung auch auf die Offerte des A an, die A gültig nicht abgeben kann, so daß B das Eigentum an der U h r nicht erlangt. Wohl dagegen durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt den Besitz an der Uhr gemäß § 854, 1, diesen auch als subjektives Besitzrecht. Und es ist dieses subjektive Besitzrecht, daß sie gemäß § 822 an X herauszugeben hat, so daß X seinerseits wiederum den Besitz an der Uhr erlangt, während er das Eigentum an der Uhr seinerzeit auf A übertragen hatte, es nunmehr aber von A m i t Genehmigung des gesetzlichen Vertreters stillschweigend zurückübertragen bekommt. — Der Lehrfall des § 852, 2 bleibt der faktisch passierte der beiden InstitutsDirektoren, welche einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen, wonach A widerruflich die alleinige Institutsverwaltung haben soll, die beim Institut eingehenden Gutachtenfragen aber, soweit sie ein bestimmtes Gebiet beträfen, an den auf diesem Gebiete spezialisierten Z weiterzuleiten hat. I n den folgenden Jahren bleibt Z an seinem das Institut einführenden Buche sitzen, während A tüchtig verwaltet, im übrigen aber die oben bezeichneten Gutachtenfragen nicht an Z weiterleitet, sondern sie selbst bearbeitet und danach kassiert. A wirbt dabei auch für das Institut, wobei er jedoch den von ihm werbungsweise angegangenen Stellen gegenüber stets zum Ausdruck bringt, daß nur er, A, Institutsdirektor wäre und die Tatsache, daß auch Z es ist, verschweigt (entsprechend ist das offizielle Briefpapier des Instituts gedruckt). I n bezug auf die ins Institut gelangenden Postsachen, die auch die Gutachtenanfragen enthalten und die nach dem Vertrage von A als verwaltungsführendem Direktor primär oder auch ganz zu bearbeiten waren, führte A im Institut die Regelung ein, daß auf Postsachen hin, welche Wünsche auf Abgaben von Gutachten enthielten, dem Absender geantwortet werden solle, dieser möge den Gutachter persönlich benennen, da das Institut als solches keine Institutsgutachten abgäbe — daß auch Z als persönlicher Gutachter zur Verfügung stand, wurde wiederum fortgesetzt verschwiegen. — Die neuerfundene Regelung funktionierte prompt zu den alleinigen Gunsten des A, da auch die Anfragen auf Erstattung von Gutachten auf dem für Z reservierten Felde von den Anfragenden nach Belehrung an den anscheinend
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einzig vorhandenen Gutachter, „A persönlich", gerichtet wurden, so daß weiterhin „an das Institut" gerichtete Gutachtenanfragen aus dem speziellen Gebiet des Z, wie sie vertragsgemäß auch von A an Z weitergeleitet werden mußten, nicht mehr eingingen. Z verlangt deliktisch/kondiktionell Schadensersatz von A nach §§ 839, 852, 2: A hat als Beamter in einer nicht hoheitlichen Amtsangelegenheit die ihm obliegende Amtspflicht gemäß § 839 BGB verletzt — wenn § 839 eine solche Amtspflicht nicht ausdrücklich erwähne, so ergebe sie sich aus der lex des § 823, 2 in Verbindung mit den §§ 263 und 266 StGB als Schutzgesetzen. Z verlangt als Schadensersatz 15 Jahre nach den immer wieder fortgesetzten „Handlungen" des A, nämlich bei seiner Emeritierung, den ihm durch die Entziehung der Gutachten entgangenen Honorargewinn, wobei er den § 254, auch den § 255 und den § 818, 2 (Arbeit als Bereicherung) wohl in Rechnung stellt, aber nicht für anwendbar erklärt.
Schadensersatz und Schaden nach den §§ 249 - 253 §§249 - 251 „Ist dem anderen zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet" heißt es i n der deliktischen Grundnorm des § 823, 1. Die Spezialitäten enthalten i m Deliktsrecht die §§ 842-851, während die §§ 249 - 255 allgemein und daher i m Allgemeinen Schuldrecht „ A r t und Umfang des Schadensersatzes" behandeln. Schaden erscheint also einmal als Tatbestandsmerkmal des § 823, 1, zum anderen Male als Tatbestandsmerkmal der §§ 249 ff., Schadensersatz dann als Rechtsfolge, dies sowohl i n § 823,1 als auch i n den §§ 249 ff. Die §§ 249 ff. stellen das Recht der SchadensZurechnung dar, es handelt sich also zunächst nicht u m die Berechnung des Schadens1. I m anglo-amerikanischen Recht w i r d der „Schaden" durch den Singular „damage" zum Ausdruck gebracht, der „Schadensersatz" durch den Plural „damages". I m Vordergrund steht der materielle Vermögensschaden als „natürlicher" Schaden (Mertens). Der natürliche Schaden w i r d ganz substantiell gesehen, er „ist der an den Gütern des Geschädigten entstandene Verlust, die Wunde des Verletzten, das Loch i m Schaufenster", wobei sich der Umfang des Schadens aus dem Vergleich des jetzigen Zustandes des geschädigten Gutes m i t seinem Zustande vor der Schädigung ergibt 2 . 1 H.-J. Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967, 14 A. 14, mit Hinweisen bes. auf .Mommsen und H. A. Fischer, grundsätzlich zu Schaden und Schadensersatz auch E. v. Caemmerer t „Das Problem der Kausalität" und „Das Problem der überholenden Kausalität", Gesammelte Werke, 1968, 395 ff. u. 411 ff. 2 E. v. Caemmerer, 416, Mertens, 12, 32, 50.
Schadensersatz
n d Schaden nach den §§ 249 - 253
Aus dem natürlichen Schaden ergibt sich der objektive Schaden. Objektiver Schaden ist typischer Schaden, sozialadäquater Schaden, anglo-amerikanisch „general damage". Der Ersatz des objektiven Schadens ist daher typisierende Schadensregulierung, bei der von den besonderen Verhältnissen des Verletzten abgesehen wird. Der objektive Schaden knüpft an den gemeinen Wert von Gegenständen i m Zeitpunkt des Schadensfalles an, so w i e auch der Entgang von Nutzungen typisierend nach ihrem gemeinen Wert eingerechnet w i r d 1 . Doch scheint der objektive Schaden vor allem aus dem rechtsgeschäftlichen Haftungsrecht übernommen worden zu sein, aus dem Transport- und Lagerrecht, bei der abstrakten Schadensbereinigung i m Kaufrecht, vor allem also beim Deckungskauf, der die Differenz zwischen Verkaufs- und Marktpreis berechnet, dann aus dem Versicherungsrecht bei der Sachversicherung, auch bei der öffentlich-rechtlichen Enteignungsentschädigung (BGHZ 29, 207). Der deliktische Zuspruch von L i zenzgebühren i m Persönlichkeitsverletzungsfall des Schauspielers Paul Dahlke geht ebenfalls vom objektiven Schaden aus (BGHZ 20, 345), und auch die entgangenen Gebrauchsvorteile oder sonstigen Versörgungskosten bei Autoausfällen figurieren als objektive Schaden 2 . — Die große Entwicklung des fortgeschrittenen Zivilrechts besteht i m Übergang vom objektiven Schaden zum subjektiven Interesse: jetzt w i r d Schaden „omne quöd interest", und jetzt fcrst ergibt sich der volle Anschluß an den „entgangenen Gewinn" nach § 252 (z. B. den Weiterverkaufsgewinn) 8 . — Objektiver Schaden und subjektives Interesse bilden zusammen den normativen Schaden. Normativität bedeutet hier, den Schaden unter eine mehr oder weniger weitgehenden Verdrängung seines natürlichen Inhalts aufgrund rechtlicher Ableitungszusammenhänge festzulegen 4 . U m den Unterschied ging es schon immer — D. 50, 17, 24: quatenus cuius intersit, i n facto, non i n iure consistit, ähnlich die Pandektisten, die Motive zum BGB und H. A . Fischer — der Schaden sei ein Tatsachenergebnis, dessen Feststellung letztlich Tatfrage sei 5 . — 1 E. v. Caemmerer, 418., zum objektiven Schaden vor allem Mertens, 56 ff., wohl nach Rabel. 2 E. v. Caemmerer, 423 A. 31. 3 Nach F. Mommsen und Windscheid, vor allem auch E. Rabel, s. dazu Bienenfeld, 343 ff., Mertens, 17 f. (14). 4 So Mertens, 50, Spezialisten des normativen Schadens sind Neuner und Wilburg, danach E. Rabel, Coing, Bydlinski, Niederländer, Larenz, Zeuner, Steindorff und Selb. 5 H. A. Fischer, Der Schaden nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1903, 151, 37.
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Der unmittelbare Schaden (die zur Winterzeit eingeworfene Fensterscheibe) steht grundsätzlich dem mittelbaren gleich (der eingefrorene Cognac, den die hinter der zerbrochenen Fensterscheibe stehende Flasche enthielt) 1 . Ist die Haftung einmal gegeben, so haftet man auch für die Konsequenzen. Möglicherweise ist der mittelbare Schaden aber „too remote", so daß man i h n nicht mehr als Schaden bezeichnen kann, so z. B. in dem berühmten englischen Polemis-Fall 2 . Insbesondere muß hier auch an den deliktischen Eingriff i n einen bestehenden und ausgeübten Gewerbebetrieb gedacht werden — w i r d ein Arbeiter verletzt, so kann der Unternehmer den i h m selbst dadurch entstandenen Schaden nicht unter dem Gesichtspunkt schuldhafter Beeinträchtigung seines Betriebs ersetzt verlangen. W i r d das einem Elektrizitätswerk gehörige Starkstromkabel bei Ausschachtungsarbeiten durch einen Tiefbauunternehmer beschädigt und dadurch einem i n der Nachbarschaft liegenden Betrieb die Stromzufuhr unterbrochen, so kann dieser Betrieb, der infolge Freizeichnung des Elektrizitätswerkes stillstand, vom Elektrizitätswerk keinen Schadensersatz verlangen und den Tiefbauunternehmer also nicht wegen Beeinträchtigung seines Gewerbebetriebes durch mittelbare Schadenszufügung i n Anspruch nehmen 3 . Viel Aufklärung gibt das anglo-amerikanische Deliktsrecht 4 . Die Abgrenzung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden w i r d hier sehr fließend geführt: aus „proximate cause" und „direct consequences" des schädigenden Ereignisses entsteht unmittelbarer Schaden, mittelbarer liegt möglicherweise nicht vor, w e i l „too remote". Draufgabe und Vertragsstrafe gelten als Maßstäbe für Schäden, wobei die Vertragsstrafe (penalty) häufig nur als i m voraus bestimmter Schaden (liquidated damage) angesehen wird, demgegenüber man den tatsächlich entstandenen Schaden als „actual damage" bezeichnet. „Compensatory damage" umfaßt nicht nur abstrakten Vermögensschaden, sondern auch eine Reihe von enumerierten, zum Schadensersatz berechtigenden Schäden, zu denen z.B. der derisorische Schaden (contemptuous damage) und der Nominalschaden (nominal damage) gehört, dessen Einklagung einmal dazu dient, einen Rechtsbrecher abzuwerten („to secure good faith"), der weiterhin aber einen Ersatz oder eine Ausweitung der Feststellungsklage darstellt: a mere peg on which to hang on costs (Beaumont v. Greathand). Aufgrund einer abstrakten Schadensberechnung ergibt sich ipso iure, also ohne Eingehen auf den konkreten Fall, der sog. „general damage", „special damage" dann auch 1 Mertens, 63, Larenz in NJW 1950, 487, sowie in VersR 1963, 6, s. a. das Standard-Werk der Rechtsanwälte, „Der Schaden", neueste Aufl. 1975, im Walhalla-Verlage zu Regensburg! 2 E. v. Caemmerer, 399. s E. v. Caemmerer, 498 und die dortigen BGH-Entscheidungen. 4 Dazu W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 301 ff.
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aus konkreten Erwägungen, freilich so, daß „special damage" besonders und i m Hinblick auf die Persönlichkeit des Geschädigten zu beweisen ist, also nicht „from the nature of the act" deduziert werden kann. „Irreparable damage" ist der Schaden, für den kein Geldmaßstab besteht, gewöhnlich ein aus „irreparable injuriers" entstandener „special damage."— Der Leitgedanke des Schadensersatzrechts ist, daß der Rechtswert des Handelnden bestehen bleibt, aber dem Leidenden die M i t t e l zur Wiederverwirklichung des Zerstörten oder die Schaffung eines neuen, i h m genehmen Wertes zur Verfügung gestellt werden. Infolgedessen ist davon die Rede, daß das Schadensrecht verschiedene Funktionen habe, Wiedergutmachungsfunktion, Ausgleichsfunktion, Rechtsverfolgungsfunktion, Präventiv-Abschreckungsfunktion, Buß-Sühnefunktion, Genugtuungsfunktion 1 die réparation intégrale des französischen Rechts oder die Komposition des A r t . 28, 2 ZGB. Führend ist die Ausgleichsfunktion. Damit w i r d die alte Talion umfaßt, eine Forderung der justitia commutativa, der ausgleichenden Gerechtigkeit nach Aristoteles (Gegensatz: die austeilende Gerechtigkeit der justitia distributiva). Zuerst besteht daher die Rechtsfolge i m Ersatz eines technischen und berechneten, aktuellen und konkreten Schadens, also die sog. Naturalrestitution, zu der § 249 auch i n erster Line verpflichtet — danach auch die actio negatoria. Die Regelung der Naturalrestitution w i r d höchst interessant, wenn z. B. eine actio f i l i i vel filiae nicht als Vindikation über § 1632 i n Analogie zu § 985 geführt w i r d (wenn es die noch gibt), sondern konkurrierend, sofern die entsprechenden Tatbestandsmerkmale vorliegen, über § 823, 2 i n Verbindung m i t dem Muntbruch-Schutzgesetz des § 235 StGB: der Kindesentzieher hat i n Naturalrestitution und Bringschuld das entzogene K i n d dahin zurückzubringen, wo er es hergeholt hat 2 . Hat ein Elternteil das K i n d dem anderen Elternteil entzogen, so müßte seit der Gleichberechtigung der Geschlechter i n Deutschland nach überwiegender Meinung dem entsprechenden Elternteil die elterliche Gewalt, zumindest die der tatsächlichen Personensorge entzogen und dem klagenden Elternteil übertragen worden sein (§§ 1672, 1671 BGB), bevor die Vindikation zugesprochen wird. Diese praktisch den beraubten Elternteil schwer, zumindest zeitlich, benachteiligende vorhergehende Neuregelung der elterlichen Gewalt, i m günstigen F a l l also die Übertragung der elterlichen Gewalt allein auf den Beraubten, könnte aber wegbleiben, wenn Anspruch und Klage auf § 823, 2 i n Verbindung m i t § 235 StGB gestützt werden, da hier eben keine anderen als die allgemeinen deliktischen Grundsätze regieren dürfen, So1
Mertens, 94. s. dazu Jayme, Die Familie im Recht der unerlaubten Handlungen, 1970, vor allem 150 ff. 2
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zialstaat und soziales Ressentiment h i n oder her 1 . Die Regelung der §§ 1672,1671 kann aber als Spezialregelung gesehen werden, welche den i n § 823, 2 enthaltenen generellen Grundbegriff des Deliktsrechts insoweit derogiert. Die i m Gesetz i n den §§ 249, S. 2, 250 und 251 vorgesehene „condemnatio pecuriaria" (die i m anglo-amerikanischen Recht die grundsätzliche Rechtsfolge jedes obligatorischen Anspruchs ist!) hat jedoch praktisch den Vorrang vor der Naturalrestitution, wenngleich Krisenzeiten, wie etwa i m Jahre 1947, die einem deliktisch Geschädigten größeres Interesse z.B. an der Naturalrestitution eines deliktisch zerstörten Fahrrades unter Verachtung jeder Geldentschädigung abverlangten, die deutsche Vorrangstellung der Naturalrestitution rechtfertigen. Die Naturalrestitution ist selbstverständlich spezifischer A r t . — Geld, ursprünglich Tauschmittel und Wertmesser, ist unter dem System der manipulierten Währungen reine Rechnungseinheit geworden — also Papiergeld, trotz seines formalen Charakters der Inhaberschuldverschreibung nicht etwa Wertpapier — denn der 20-DM-Schein ist Geld, nicht Wertpapier —, auch das Problem der Geldsorten und der Goldklauseln t r i t t hier zurück. Seinem Stoffe nach ist Geld bewegliche, vertretbare, verbrauchbare, gattungsmäßige, nicht i n Bestandteile zerfallende Sache (§§90 ff., 243), aber nicht Ware — das gilt ebensowohl für Münzen wie für Geldscheine. „Das Geld ist eine Strukturkomplikation des Gutes, wie der K r e d i t eine Strukturkomplikation des Geldes 2 ."— § 249 bringt zum Ausdruck, daß der Schadensersatz allen positiven und negativen Schaden umfaßt, und der „entgangene Gewinn" des § 252 bestärkt die Positivität des Schadens. Das Deliktsrecht w i r d also von dem Begriff des „globalen" Schadens bestimmt. Demgegenüber unterscheidet das rechtsgeschäftliche Schuldrecht bekanntlich zwischen Nichterfüllungsschaden (positivem Interesse) und Vertrauensschaden (negativem Interesse) 8 : „ n u r auf solche Schadensersatzpflichten, die m i t der Nichteinhaltung einer vertraglichen Leistungspflicht oder der nur vermeintlichen Begründung einer solchen zusammenhängen, bezieht sich der Unterschied von Nichterfüllungsschaden (positivem Interesse) und Vertrauensschaden (negativem Interesse)" — zugrunde liegt aber beiden Fällen die Positionsänderung i m Vertrauen auf ein Partner1
s. hierzu Staudinger, Familienrecht, 10/11. Aufl., 1966, Note 2, 3, 19 zu § 1632, 2 und die Entscheidung des K G in JW 1925, 377. Georg Treitz, Die Verteilung der elterlichen Gewalt nach Auflösung der Elternehe und bei dauerndem Getrenntleben der Eltern, 1974. 2 B. Horvath, Probleme der Rechtssoziologie, 1971,141. 8 K. Larenz, Lehrbuch des SchuldrechtSj 1, Allgemeiner Teil, 8. Aufl., 1967, 153 (§ 14).
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verhalten, welches auch die Erklärungstheorie beim Rechtsgeschäft bestimmt, den „Erklärungswillen", den „objective test" des anglo-amerikanischen Rechts, auch den dortigen promissöry estoppel, i m deutschen Recht u. a. die Verwirkung. — Der Schaden ist — wie H. A. Fischer sagt — ein Tatsachenergebnis, dessen Feststellung letztlich Tatfrage sei. Für Fischer kommt also eine Abhängigkeit des Schadensersatzumfangs von der A r t des haftungsbegründenden Tatbestandes oder des gerade den Schädiger treffenden Verschuldens nicht i n Betracht, w e i l er den Zweck des Schadensrechts richtig allein i m Ausgleich des dem Geschädigten effektiv entstandenen Schadens durch den Schädiger sieht. — Z u unterscheiden ist die effektiv-historische Schadensberechnung i n bezug auf einen bestimmten Gegenstand und die potentiell-gegenwärtige: der merkantile Minderwert eines deliktisch beschädigten Autos kann also vom Ersatzberechtigten nach der effektiv-historischen Berechnungsmethode erst geltend gemacht werden, wenn sich der Schaden des Ersatzberechtigten durch den Verkauf des Kraftwagens effektiv-historisch realisierte, während potentiell-gegenwärtig der Schaden: bereits i n der durch den Unfall eintretenden gegenwärtig-potentiellen Wertminderung gesehen werden konnte — die gegenwärtig-potentielle Wertminderung hat sich durchgesetzt 1 . Die Schadensberechnung folgt grundsätzlich den Bewertungsmaßr stäben des Steuerrechts. Neuner schlug seiner Zeit vor, den Schaden nicht als Differenz i m Gesamtvermögen des Ersatzberechtigten zu definieren, sondern als Verletzung eines Vermögenswerten Interesses des Ersatzberechtigten, d. h. als Verletzung eines Gutes, das i m Verkehr gegen Geld erworben und veräußert w i r d — dieses bei objektiver Bewertung des genannten Interesses. Vom objektiven Schaden ausgehend, kommt man auf die Berechnung des Schadens nach gemeinem Wert. Faßt man diesen (im Normalfall) als Anschaffungspreis auf, so ergibt sich als gemeiner Wert für den Erzeuger ein aus Kosten und berechtigtem Gewinn zusammengesetzter Preis, für den Großhändler der Erzeugerpreis, für den Kleinhändler der Großhandelspreis, für den Verbraucher der Einzelhandelspreis —• alles abgestellt auf mittlere Marktpreise. So w i r d es auch i n der Regel gehalten. F ü r das von Neuner angedeutete und oben berichtete Vermögenswerte Interesse des Ersatzberechtigten spricht jedoch, daß bei der Ermittlung des Vermögensschädens prinzipiell vom geschädigten Vermögensträger, seihen Lebensgestaltungszielen und von der auf seine Interessenlagen ausgerichteten Gliederung seines Vermögens ausgegangen werden kann, 1
B G H Z 35, 396, 1961, Mertens, 46.
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also von der sehr beachtlichen sozial-individualen Lage des Geschädigten, der eben nicht abstrakte Person, sondern existierendes Individuum ist 1 (Krankenhausbesuchskosten sind z. B. Schäden). W i r d z.B. das Auto des A durch X i n der Weise zerstört, daß X vollen Schadensersatz leisten muß, und besteht für diesen Autotyp eine lange Lieferfrist, so muß X auch für den Mehrpreis aufkommen, mit Hilfe dessen sich A durch E i n t r i t t i n einen bereits vor der Belieferung stehenden Vertrag sofort einen Wagen des gleichen Typs verschaffen kann — während grundsätzlich außergewöhnliche Kosten einer sofortigen Wiederbeschaffung erst dann zu ersetzen sind, wenn der Gläubiger eine zumutbare Frist des Abwartens verstreichen ließ 2 . Man kann das Vermögen insgesamt als einen i n Geld ausdrückbaren Wert betrachten, dessen Minderung der Schaden ist . . . Man hat also zu unterscheiden die Ermittlung der Wertminderung, die prinzipiell effektiv-historisch auf den Zeitpunkt des Schadensfalles selbst zu beziehen wäre, und die Ermittlung des effektiven Geldabflusses bzw. des effektiv verhinderten futurischen und hypothetischen Geldzuflusses8. So kann man den Vermögensschaden m i t der herrschenden Meinung als die i n Geld schätzbare Einbuße umschreiben, die jemand durch das schadensverursachende Ereignis i n seinem Vermögen erleidet 4 . Das Vermögen ist als Bezugsobjekt des Schadens — gleichgültig wie man sonst das Vermögen auffaßt (im Sprichsinn, objektiv-summativ, phänomenologisch oder personengebunden) zunächst wirtschaftlich zu verstehen 5 . A m Ende kommt man zum objektiven, aber auch das subjektive Interesse des Geschädigten berücksichtigenden Vermögen, also 1
Mertens, 180, im übrigen 29 f., 46, 48, 51 ff., 72 f., 180. Mertens, 181, A. 37, hier auch folgende Fälle: X zertrümmert an einem Sonntagmorgen das Fieberthermometer der Familie A. Kauft sich Hausvater A das Fieberthermometer noch am Sonntage wieder, so muß er in der Apotheke den Sonntagsaufschlag bezahlen, während er am Montag einen normalen Preis für das Fieberthermometer bezahlen würde. Die Frage, ob dem Schädiger der Sonntagsaufschlag aufgebürdet werden kann, läßt sich nicht abstrakt beantworten. Würde ein Kind des A am Sonntage fieberkrank, so würde der Sonntagsaufschlag fällig sein. Zerstört X den Fernseher des A an einem Tage, zu dem A bereits Gäste für eine besonders interessante Sendung eingeladen hatte, und läßt sich ein Ersatzgerät am Orte nicht sofort beschaffen, so könnte nur aufgrund einer Interessenabwägung entschieden werden, ob X auch die Kosten ersetzen muß, die dem A dadurch entstanden, daß er sich das Gerät in einer naheliegenden Großstadt beschaffte, und eiligst nach seinem Wohnorte transportieren ließ. 3 Larenz, Der Vermögensbegriff im Schadensersatzrecht, Festschrift für Nipperdey, I, 1965, 489 ff. 4 B. Horvath, Rechtssoziologie, 1971, 152. 5 Larenz, Mertens, 121. 2
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zum natürlichen (naturalen) und normativen Vermögen (ebenso wie man i n dieser Weise zum natürlichen [naturalen] Schaden kam). Jeder Ersatz des objektiven Schadens führt zur typischen Schadensregulierung. Haben die von den Parteien ernannten Sachverständigen über die Schadenshöhe voneinander abweichende Feststellungen getroffen, und weigert sich der Versicherer, die für diesen Fall vorgesehene Entscheidung des Obmanns einzuholen, w e i l einer der Sachverständigen unrichtige Bewertungsmaßstäbe angewendet habe und zunächst ein ordnungsgemäßes Gutachten erstatten müsse, so kann der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf Versicherungsschutz i n vollem Umfang unmittelbar durch Leistungsklage geltend machen (BGH Urteil vom 17. 3.1971, I V 2 R 209/69). — Was den Zeitpunkt der Schadensentstehung anlangt, so muß man sich zunächst damit begnügen, denjenigen der Schadensentstehung als maßgebend zugrunde zu legen, welcher zum Zeitpunkte des Urteils vorliegt — wobei zu beachten ist, daß das Urteil die Geltendmachung eines weiteren Schadens für den Kläger nicht abschneidet (was vor allem bei der Verjährung des deliktischen Schadensersatzanspruchs zum Ausdruck kommt). I m übrigen „stehen sich i n der Frage des Zeitpunktes der Schadensbemessung drei Ansichten gegenüber: a) der Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidet über die Schadensbemessung, b) der Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidet über die Schadensbemessung, aber es gibt eine Reihe von Ausnahmen, i n denen andere Zeitpunkte für die Festlegung der Schadenshöhe maßgeblich sind, c) die Schadensbemessung erfolgt allein nach generell-objektiven Gesichtspunkten". Die Ansichten zu b) und c), die oft ohne scharfe Grenzlinie ineinander übergehen, überwiegen heute 1 . Ein Fall: hat X die Kosten der Wiederbeschaffung für eine Sache zu tragen, so w i r d nach materiellen Gesichtspunkten ein Schaden i n Höhe der Kosten anzunehmen sein, die zum Zeitpunkte der Wiederbeschaffung entstehen — hat der K l ä ger sich aber die Sache noch nicht wiederbeschafft, so muß das Gericht die Kosten zugrunde legen, welche die Wiederbeschaffung i m Zeitpunkte der letzten mündlichen Verhandlung erforderte (BGHZ 1, 34, 1951).— Schadensberechnungsprobleme können nur durch „differenzierende Wertungen" bewältigt werden: zur Verfügung stehen alle „topischen" Direktive, welche der gerechten Entscheidung eines Einzelfalles dienen, besonders also Auslegung (Lückenfüllung) und Billigkeit — hier zeigt sich besonders das deliktische Fallgruppen-Prinzip (s. o. S. 38). — 1
Mertens, 48; U. Wagner, Hypothetische Schadensereignisse, 1974.
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„Die Fähigkeit und die Neigung, Schaden zu stiften, steht bei höheren Tieren leider i n geradem Verhältnis zu ihrer geistigen Höhe." Der psychische Schaden I n Rechtsprechung und Literatur w i r d zu § 249 seit langem vertreten, daß auch seelisch-psychischer Schaden Schaden ist: Es ist allgemein anerkannt, daß eine Entschädigung auch dann zu gewähren ist, wenn z.B. eine Freiheitsentziehung nicht physischen Schaden, sondern psychischen Schaden zur Folge hatte (BGH 18, 157) — damit können Psychosen, Neurosen, Schocks und Traumata (die psychischen t/rverletzungen z. B. auch das „pränatale Trauma") zum materiellen Schadensersatz für Vermögensschaden führen. „So ist die Gesamtheit dessen, woran und w o r i n die wirtschaftliche K r a f t des Menschen erlaubterweise w i r k t , ein Eingriff i n dieses Ganze und begründet den Schaden" (Bokelmann) — das strafprozessuale Recht auf Entschädigung für unrechtmäßig erfolgte Einsperrung, z.B. nach einem i m Wiederaufnahmeverfahren erfolgten Freispurch, dürfte auch zivilistisch nicht unbeachtet bleiben. Die Entscheidungen liegen i n langer Reihe nieder, i m folgenden werden einige unbekanntere gebracht. Zunächst die des OLG Stuttgart vom 10. 4. 68 (VersR 1969, 335), hier erhält: eine? Mutter Scha-: densersatz, die durch die Nachricht vom Unfalltod ihrer 16jährigen Tochter und durch den Anblick der am Straßenrand liegenden V e r unglückten einen schweren Schockzustand m i t der Folge lange andauernder, über die normalen Auswirkungen des plötzlichen Todes eines nahen Angehörigen w e i t hinausgehender, seelischer Störung erl i t t 1 . Danach einige Landgerichts-Entscheidungen: das L G Tübingen verkündete am 29.11. 67, daß die Zufügung seelischer Schmerzen oder Unlustgefühle allein keinen deliktischen Schadensersatz begründe, daß vielmehr eine körperliche, seelische oder nervliche Erkrankung deliktisch verursacht sein müsse, die eine Gesundheitsschädigung darstellt. Für durch den Unfall eines anderen bedingte Schockschäden besteht ein Anspruch auf Schadensersatz lediglich, wenn der Betroffene ein naher Angehöriger des Unfallverletzten war. Psychische, durch das Erleben eigener Lebensgefahr verursachte Störungen begründeten nur dann einen Schadensersatzanspruch, wenn dieke Störungen einen erheblichen Krankheitsgrad erreichen (VersR 69, 335). Das L G Hamburg wies am 27.11.68 einen Schadensersatzanspruch wegen psychischen Leides aufgrund der Verdächtigungen eines Angehörigen durch Dritte gegenüber der Polizei ab, da nach der i m Zivilrecht herrschenden Adäquanztheorie hier kein adäquater Kausalzusammenhang bestand (NJW 1969, 615). Das L G Frankfurt/M. sah den „nervlichen Schock", den eine 1
Naher Anschluß an B G H in VersR 66, 283.
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 Person erlitt, deren Begleiter durch einen V e r k e h r s u n f a l l getötet w u r d e , a m 28. 3. 69 als e i n e psychische G e s u n d h e i t s v e r l e t z u n g a n ( N J W 1969, 2286). D a s L G T r a u n s t e i n g a b a m 1. 6. 70 Schadensersatz f ü r G e h i r n e r s c h ü t t e r u n g u n d u m f a n g r e i c h e S c h n i t t w u n d e n i m Gesicht u n d an den K n i e n m i t zurückbleibenden entstellenden Narben unter Ber ü c k s i c h t i g u n g v e r m i n d e r t e r H e i r a t s a u s s i c h t e n d e r 2 2 j ä h r i g e n Geschäd i g t e n , s t e l l t e aber fest, daß d e r e n „seelische E r s c h ü t t e r u n g " d a r ü b e r , daß i h r V e r l o b t e r b e i d e m U n f a l l d e n T o d f a n d , Schadensersatz n u r i n s o w e i t r e c h t f e r t i g t e , als d e r Schmerz ü b e r d e n e r l i t t e n e n V e r l u s t z u e i n e r physischen o d e r psychischen S t ö r u n g g e f ü h r t h a t (VersR 1970, 1064 — s. a. L G U l m v o m 2.12. 66). Vor dem Erlaß der Entschädigungsgesetze von 1957 interessierte in Deutschland die deliktische Schadensersatzforderung wegen der durch Einsperrung in Konzentrationslagern der nazistischen Zeit entstandenen sogen. „Konzentrationslager-Syndrome", vor allem seelische Schäden. Der Ausdruck stammt anscheinend von Eitlinger, ein Münchener sogen. Kolle-Gutachten, auch Aufsätze i m New Yorker „Aufbau" vom 22.2. und 29.11.1957, sowie vom 10.1., 7.3., 21.3. und 4.4.1958 wurden sehr beachtet. — Alle Orientierung bei P. Matussek, Die Konzentrationslagerhaft und ihre Folgen, bei Springer, Heidelberg 1971. — Jetzt ist für die Entschädigungsansprüche von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung, auch in Konzentrationslagern, in der BRD das 2. Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 1. Juli 1957 ausschließlich maßgebend. § 1 des Gesetzes lautet: Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationale sozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit,rEigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter). § 8 des BEG lautet: (1) Ansprüche gegen, das deutsche Reich, die Bundesrepublik Deutschland und die deutschen Länder können unbeschadet der in § 5 genannten und der durch § 228 Abs. 2 aufrechterhaltenen Vorschriften nur nach diesem Gesetz geltend gemacht werden, wenn sie darauf beruhen, daß durch Maßnahmen, die aus den Verfölgungsgründen des § 1 oder aus dem Grunde des § 167 Abs. 1 getroffen worden sind, Schaden entstanden ist. (2) Ansprüche gegen andere Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder gegen Personen des privaten Rechts werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Sie gehen, soweit nach diesem Gesetz Entschädigung geleistet ist, auf das leistende Land über. Der Ubergang kann nicht zum Nachteil der Berechtigten geltend gemacht werden. — Vor der Geltung des BEG Würden die Ansprüche von Verfolgten durch Landesgesetze geregelt. Auch das BEG läßt Gerichtsentscheidungen über Ansprüche Verfolgter zu. Ein Verfolgter macht zunächst seinen Anspruch bei einer Entschädigungsbehörde mit einem Antrag geltend. Gemäß § 210 BEG kann er, wenn die Behörde den Anspruch ablehnt, Klage vor dem Landgericht erheben, gegen dessen Entscheidung alle Rechtsbehelfe der ZPO
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möglich sind. Bei den Landgerichten, Oberlandesgerichten und beim B G H sind Entschädigungskammern bzw. -Senate eingerichtet worden. (Dazu ein Kuriosum: § 208 Abs. 3 Satz 2 lautet: Der Vorsitzende oder einer der Beisitzer der Entschädigungskammer und der Entschädigungssenate soll dem Kreis der Verfolgten angehören.) — Z u § 8 Abs. 2 BEG: Wenn jemand z.B. durch die Denunziation eines Rektors einer Universität oder eines Privatmannes in ein K Z eingeliefert wurde, so hat der Verfolgte Ansprüche gegen die öffentliche Hand sowie gegen die Universität oder den Privatmann. Befriedigt das Land den Verfolgten, so geht der Anspruch gegen den Denunzianten auf das Land über. Zum BEG gibt es fünf Bände Rechtsprechung von Lindenmeier / Möhring. —
Der Affektionsschaden Die sogen. Affektionsschäden wurden zunächst vom Schadensersatz ausgeschlossen — der Wert, den ein Gegenstand für den Gläubiger persönlich hat, und nicht für den Komplex seines Vermögens, sei auch bei der Umreißung des subjektiven Interesses des Gläubigers bei einem evtl. Schadensersatzanspruch außer Betracht zu lassen 1 . Diese Rechtsprechung widersprach dem Grundsatz der Schadensnatürlichkeit. Deswegen ging es zunächst darum, einen Affektionswert oder eine Vermögensfunktionsstörung materiell i n eine allgemeine Lebensstörung umzuwandeln, wenn ein Geschädigter aufgrund einer besonderen psychischen Situation subjektiv gerechtfertigte, aber obj e k t i v untaugliche Aufwendungen zur Abwehr weiteren Schadens getroffen hatte (z.B. die Anschaffung einer dünnen Lederhose zur A b wehr von Hundebissen). Der Betreffende bekämpfte zunächst zwar nur seine Angst, hatte also zunächst einmal nur immateriellen Schaden, dann aber auch materiellen. Wenn bestelltes Reisig nicht geliefert wird, so daß die Rosen erfrieren, wenn die Fernheizungsanlage keine Wärme liefert und der Wohnungsinhaber infolgedessen erkrankt, sind zunächst zwar immaterielle Schäden (Ärger!), dann aber auch materielle gegeben 2 . Der Entzug einer Theaterkarte ist Vermögensschaden auch dann, wenn die einzige Vorstellung ausverkauft ist und der Theaterbesuch daher nicht nachgeholt werden kann. Zerstört X ein persönliches Foto des A, so kann A von X die Kosten für eine Kopie als Schadensersatz verlangen, obwohl hier primär ein Affektionswert verletzt wurde — dieser Affektionswert schlägt aber i n einen Vermögensbedarf um, der sich i n Geld beziffern läßt 8 . Vor allem kann für die Verletzung eines Vermögensgutes, das lediglich Affektionswert hat (z. B. das eben erwähnte persönliche Foto) 1 2 3
Mertens, 19, 145 ff. Fälle bei Mertens, 162 A. 65. Beispiele bei Mertens, 154 f., A. 41 u. 50.
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253
Naturalrestitution verlangt werden (z.B. eine „persönliche" Neuaufnahme durch den fotografisch geschickten Übeltäter). A m besten hat es schon H. A. Fischer gesagt 1 : „Es ist nicht nur ein Vermögensinteresse, wenn ich meinen Palast verkaufen kann, sondern auch wenn es m i r ermöglicht ist, ihn zu bewohnen, i n i h m zu lustwandeln und mich an seinen Säulengängen zu erfreuen. Es ist andererseits auch ein Eingriff i n mein Vermögensrecht, wenn ein Fremder i n meine Hallen t r i t t oder i n meinem Wintergarten nächtigt. Die Katzen der alten Jungfer, deren Lebenszweck darin besteht, die Supppen ihrer Herrin zu essen und ihre Teppiche zu zerreißen, sind deshalb keine Vermögensobjekte, weil nur solche Güter einen Vermögenswert hätten, welche, auch wenn sie nicht neue Güter produzieren und auch nicht zum Umsätze geschaffen sind, doch einen Gebrauchswert haben, welche ihnen nicht nur der Vermögensträger, sondern i n gewissem Grade auch ein Kreis von Rechtsgenossen beilegt — während dagegen die rein individuelle Wertschätzung eines Gutes, die von anderen Rechtsgenossen nicht geteilt wird, den Gebrauchswert zum Affektionswert hinübergleiten läßt." — Aus der Rechtsprechung sei das Affektionsinteresse am Namen zitiert 2 . Materieller und immaterieller Schaden ergeben zusammen den realen Schaden, die Adjektiva „natürlich", „objektiv", „typisch", „subjektiv" und „normativ" bleiben zunächst für den materiellen Schaden reserviert (s. o. S. 116), decken aber auch den immateriellen, so daß man diese Bezeichnungen also für den gesamten „realen" Schaden, materiellen oder immateriellen, in Anspruch nehmen kann. — Der § 253 Das Feld der Sprachzeichen sei folgendermaßen abgesteckt: § 249 und nach i h m die Dogmatik, spricht vom Vermögensschaden, § 253 vom Schaden, der nicht vermögensmäßiger A r t ist. I n der juristischen Umgangssprache ist überwiegend von „materiellem" und „immateriellen" Schaden die Rede (das „material/materiell" und das „immaterial/immateriell" schwankt). Materiell oder auch „Material" ist alles, was nicht als immateriell erkannt ist, also nicht z. B. „Ideen", „fliegende Untertassen", spiritistische und schlechthin „parapsychologische" Phänomene. Die Materie umfaßt Physis und Psyche. Materiell ist also alles Gegebene, soweit es nicht immateriell ist. Ideal oder ideell ist menschlich Psychisches, soweit es Ideen emaniert — Ideen sind nicht i n Raum und Zeit, sondern nur i n der Zeit (E. Husserl), „Präzipitate" (Ihering) von 1 2
Zitiert bei Mertens, 25 A. 7. RGZ 74 (1907), 303 ff., B G H NJW 53, 577 f.
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vor-logischen Urteilen und psychischen A k t i v i t ä t e n schlechthin, Mei* nungen oder Wertungen, repräsentativ aber von logischen Urteilen, Aussage-Urteilen m i t der Kopula „ist"/„hat", oder Werturteilen mit der Kopuia „soll". Wert ist immer auch Idee, aber nicht immer Idee = Wert. Ideen sind „ontische " Ist-Ideen (z. B. das objektive Recht) oder „ontologische" , dann „beherrschbare", marktfähige „Hat"-Ideen (z.B. eine Erfindung). Die Abgrenzung von Idee und Ideal bleibt ungenau, unter den „Ideologien" sind die meisten als „Ideologien" anzusprechen, der sog. deutsche Idealismus geht oft nicht von einer Idee, sondern von einem „Ideal" aus, Ideale aber sind nur Stimulantien der Psyche und bedürfen der „Hygiene" (Ortega v. Gasset). Idee ist dynamisches „Präzipitat" als Parfüm, Begriff (nach Hegel i n „Anstrengung" erarbeitet, nach G. Benn die „davidische Schleuder des Abendländers"!) „Präzipitat" als Petrefakt — Schopenhauer verglich die Präzipitate der logischen Urteile i n dieser Weise m i t dem D u f t einer Blume (Idee) und mit der getrockneten Blume i m Herbarium (Begriff). Der Materialismus betrachtet alles Gegebene als materiell, der objektive Idealismus (Aristoteles, Thomas, Goethe, Schelling, Dilthey, juristisch z.B. Dernburg, Radbruch, Engisch, Fechner) sieht das Gegebene vorwiegend als IdeeEmanationensumme, ausgehend von der Unterscheidung des Gedankens von der Sache, jenes „Hauptpfeilers der abendländischen K u l t u r " und der „Voraussetzung aller Geisteswissenschaft" (Pensa). Der m i t Eckhardt beginnende und „der ganzen abendländischen Welt den Rükken kehrende subjektive Idealismus ist Summe der Emanationen eines Subjekts, speziell der Psyche eines Menschen. Der Realismus (der dem objektiven Idealismus verwandt ist) stellt die Idee neben die Materie. Speziell juristisch gesprochen ist z. B. immaterieller Schaden derjenige, der — abgesehen vom Schadensersatz i n der Materie Geld — nicht materieller A r t ist, nicht „psychischer Schaden" und der darin verwurzelter „Affektionsschaden". Ideeller Schaden ist immer immaterieller Schaden — aber nur als pars pro toto, nicht jeder immaterielle Schaden ist ideeller, und, wenn jemand auf Ersatz des Schadens klagt, der i n Kalifornien kürzlich dadurch entstand, daß eine Unfallverletzung ein braves und ganz normales Mädchen zur Nymphomanin machte, kommt der Schaden vielleicht nicht nur aus einer Idee-Verletzung, ist also schlechthin „immateriell", nicht aber „ideell", — und dieselben Überlegungen gelten für die meisten Persönlichkeitsverletzungen. — § 253 beschränkt den immateriellen Nichtvermögensschaden auf enumerierte Fälle der ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung, von denen der des Schmerzensgeldes bei Körper- und Gesundheitsverletzungen sowie i m Falle der Freiheitentziehung am bekanntesten ist (angloamerikanisch: heart-balm). Wer den § 253 aber umgekehrt las, also dahin, daß gerade aus § 253 zu ersehen sei, daß sich das deutsche Recht
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auf materiellen Schaden beschränke, mußte sich den V o r w u r f unrealistischen Denkens gefallen lassen und den amerikanischen Oberst, der, m i t seiner Frau i m Auto fahrend, i m November von einem anderen Autofahrer schuldhaft angefahren wird, vom Delinquenten zwar allen materiellen Schadensersatz zugesichert bekommt, seine verletzte Frau aber für mehrere Monate, also bis zum Frühling hinein, i n einem Krankenhaus lassen mußte, die fassungslose Frage stellte, ob er denn nach deutschem Recht nicht auch Schadensersatz für den Ausfall erlangen könnte, den er durch die während der ganzen Wintersaison hindurch anhaltende Krankheit seiner Frau erleiden mußte, nur mit einem Augenzwinkern bescheiden. § 253 ist aber als von der Rechtsprechung derogiert anzusehen (Nipperdey), zumindest seit diese fortlaufend die Verletzung eines „Persönlichkeitsrechts" des Menschen als Schadensstiftung ansah, i m materiellen Schadensdenken nicht faßbar, also als Setzung eines immateriellen Schadens. Sicherlich kamen bei dieser Rechtsprechung die „differenzierenden Wertungen, die i m Wege der Lückenfüllung i n das Schadensrecht einzubauen sind" (Mertens) zum Zuge, auch Abwägungen allerlei A r t , auch suppletorische oder derogatorische Rechtsanwendung, die hier bei uns etwas ähnliches tat, wie seinerzeit der französische Cassationshof, welcher i m Jahre 1896 den A r t . 1384, 1 CC zur Grundlage der französischen Gefährdungshaftung für Kraftfahrzeuge, Eisenbahnen, Sprengstoff-Fabriken, Elektrizitätsleitungen und Gasleitungen, Fahrstühle oder explodierende Mineralwasserflaschen machte (E. v. Caemmerer), sowie die Erinnerung und damit die auslegende Anwendung von A r t . 1 und 2 des deutschen GG. Die Derogierung und Ungültigkeitserklärung des § 253 erfolgte, soweit sie überhaupt erfolgte, jedenfalls nicht etwa contra legem auf Grund eines „Naturrechts", sondern praeter legem, allerdings weniger durch Auslegung und aus i h r folgernde Erklärung der GG-Widrigkeit des § 253, sondern durch Heranziehung der natürlichen Konzeptionen bei der evtl. zur Ungültigkeitserklärung eines Gesetzes führenden A n wendung dieses Gesetzes, des „natural-legalen Parallelismus" und des Prinzips der „Natur der Sache" (s. darüber u. u. S. 402). Sicherlich auch durch die Momente der Sozialität und der Billigkeit. Den Hauptfall der Durchbrechung des Enumerationsprinzips bezüglich immateriellen Schadens i n § 253 bildet die Anerkennung von Schaden, der dann nur immaterieller Schaden sein konnte, wenn ein Mensch i n seiner „Persönlichkeit" verletzt worden war. Der B G H sprach erstmals i m Jahre 1954 von einem schutzfähigen allgemeinen Persönlichkeitsrecht, danach die juristische communis opinio, vor allem seit dem 42. Deutschen Juristentage am 13. September 1957, als dort 9 W . G.
Becker
130 von einem
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 „seelischen Schmerzensgeld"
als F o l g e e i n e r
Verletzung
des Persönlichkeitsrechts gesprochen w u r d e (so auch d e r E n t w u r f ) . Es k a m g l e i c h d a n a c h i m B o n n e r J u s t i z m i n i s t e r i u m z u d e m „ E n t w u r f " eines Gesetzes z u r N e u o r d n u n g des z i v i l r e c h t l i c h e n P e r s ö n l i c h k e i t s - u n d Ehrenschutzes. Dieser Entwurf stellte aber mehr ein übergeordnetes Pressegesetz dar, dessen letztes Ziel, wie die Öffentlichkeit mit einigem Recht meinte, darin lag, die Überwachung der Journalistik nicht mehr ausschließlich dem Strafrichter aufzutragen, sondern zusätzlich und in erster Linie dem mit der Waffe des immateriellen Schadensersatzes armierten Zivilrichter. Demnach erhielt der Entwurf auch bald den Kurznamen der „Lex Soraya" (Soraya war, aus schlichten Kreisen kommend, Ehefrau des persischen Kaisers geworden, danach geschieden oder verstoßen — Lieschen Müller interessierte sich natürlich höchlichst dafür, und nun hatte die arme Soraya die Reporter, die Bildreporter und die ganze Meute der billigen Journalistik auf dem Halse). Der Entwurf erstrebte demgemäß vor allem den Schutz des Individuums vor den öffentlichen Kommunikationsmitteln. Es wurde dann auch gegen den B G H argumentiert, der inzwischen am Werke war: die im Entwurf und vom B G H versuchte Konstruktion einer „Freiheitsentziehung im Geistigen" verstoße gegen die feststehenden und anerkannten Auslegungsregeln des deutschen Rechts, die Schranke des § 253 diene dem Gedanken der Rechtssicherheit, die Pressefreiheit genieße nach Art. 5 G G Verfassungsschutz, B G H und Entwurf stellten nicht Schadensausgleich, sondern den Genugtuungs- und Sühnegedanken in den Vordergrund und verließen daher den Boden des Zivilschadensersatzrechts, der § 253 schließe auch eine Rechtsfortbildung aus, weil diese nur von der rechtsprechenden, nicht von der rechtsetzenden Gewalt ausgehen könne, beide Gewalten seien aber getrennt (M. Löffler). Bedenken kamen auch aus dem Hause des B G H selbst, indem sich ein Bundesrichter dem Vernehmen nach dahin äußerte, er habe eben gebaut und wäre daher nicht einmal undankbar, wenn er einen kapitalkräftigen Verletzer seines Persönlichkeitsrechts fände. Praktisch pflegten die zahlungskräftigen Illustrierten, die Hauptsünder des Entwurfs, mit ihren Heldinnen und Helden den Wert von deren Persönlichkeitsrechten auszuhandeln, so daß es für nicht-zahlungskräftige Privatpersonen, wie verantwortliche Redakteure mittlerer Zeitungen, bald zu riskant wäre, sich an prominenten Personen zu reiben, das Recht auf freie Meinungsäußerung verdiene aber besondere Beachtung, „Ironie und Satire, Hohn und Zorn, einer hohen Kultur Salz und Zierde" würde gefährdet (Küster-Stuttgart) — freilich waren diese Blüten der Sprache wohl kaum in den Äußerungen der Meinungsmedien zu finden. Die Lex Soraya wurde demnach auch nicht Gesetz. Freilich wurden ihre Grundzüge in den Referentenentwurf vom Jahre 1967 übernommen. D e r B u n d e s g e r i c h t s h o f erließ i n z w i s c h e n seine b e k a n n t e S t a b i l i e r u n g des Persönlichkeitsrechts, dessen V e r l e t z u n g z u m Schadensersatz nach § 823, 1, G e n e r a l k l a u s e l I I I berechtige. Z u n ä c h s t m ü ß t e f r e i l i c h n u r eine v o r b e u g e n d e d e l i k t i s c h e U n t e r l a s s u n g s k l a g e b e j a h t w e r d e n , d e r e n V o r a u s s e t z u n g e i n v o r g e n o m m e n e r oder d r o h e n d e r r e c h t s w i d r i g e r E i n g r i f f i n das P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t u n d eine W i e d e r h o l u n g s g e f a h r sei, i n
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erster Linie also Naturalrestitution. Sonst aber Schadensersatz, der eben nur „immaterieller" A r t sein könne. Zunächst wurde noch davon ausgegangen, daß durch die Verletzung der Persönlichkeit ein w i r k licher Vermögensschaden, z.B. i n der Form eines Verdienstausfalles, entstanden sei. Dann kam es (vor allem i n dem bekannten Herrenreiter-Fall vom 14. Februar 1958, BGHZ 26, 349) zum glatten immateriellen Schadensersatz, der nur notdürftig durch den auch gebrauchten Ausdruck „Schmerzensgeld" verkleidet wurde. Dabei schränkte der B G H aber sofort ein: Zwar stehe das Recht des Menschen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit an der Spitze der Grundrechte, und die Ausschaltung eines Ersatzes für immaterielle Schäden i m Persönlichkeitsschutze würde bedeuten, daß Verletzungen der Würde und Ehre ohne Schutz durch die Zivilrechtsordnung bliebe, obwohl wesentliche Werte zerstört seien und obwohl der Verletzer dem Betroffenen eine Genugtuung schulde, so daß die Rechtsordnung damit auf das wirksamste und oft einzige M i t t e l verzichten müsse, das geeignet sei, die Respektierung des Personenwertes des Individuums zu sichern. Der Einwand, daß man Unfälle, oft vor allem i n bezug auf ihre „seelischen" Auswirkungen, i n der Regel als Zufälle ansehen müsse, die nach der Grundregel „casum sentit dominus" vom Opfer des Zufalls selbst getragen werden müßten, stoße auf den Gegeneinwand der Gerechtigkeit. Freilich müsse eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts gefordert werden, wobei natürlich die Stellung des Verletzten i n der Gesellschaft und i m öffentlichen Leben eine Rolle spiele. A u f der Seite des Verletzten gehöre hierhin vor allem die Berufszugehörigkeit (Anwälte, Ärzte, Architekten, Ingenieure, K ü n stler, Schriftsteller, Komponisten), auf der Seite des Verletzers müßte das Gewicht berücksichtigt werden, das der verletzenden Aussage und ihrer Kommunikation zukomme — damit entstandene Unterschiede zwischen Publikationsorganen m i t „seriöser Grundhaltung" und solchen ohne diese — Umfang und Verbreitung der verletzenden Aussage wären zu prüfen, nicht nur leichte Fahrlässigkeit, sondern mindestens Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müsse vorliegen, ein gewisser Erheblichkeitsgrad der Fahrlässigkeit müsse erreicht sein, etwa leichtfertiger Betrieb kommerzieller Werbung. Es wäre auch nicht glücklich, jede Beeinträchtigung der Persönlichkeit zu verfolgen, und wenn der Hamburger Senatsdirektor L ü t h den ehemaligen Regisseur des Films „Jud Süß" angriff, so habe er ihn insofern letztlich darum doch nicht verletzt, weil der Angriff gegen diesen Regisseur weniger von persönlichen Interessen ausginge als von dem Bemühen, jedermann vor verhetzenden Filmprodukten zu behüten. Darüber hinaus gäbe es mannigfaltige Beeinträchtigungen, die jedermann hinzunehmen habe und die unter keinen Deliktstatbestand fielen, es gehe wiederum dar-
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um, i m Einzelfall, also i n der Fallgruppen-Justiz, zu entscheiden, ob das beeinträchtigte Interesse gegen das von der anderen Seite gezeigte Verhalten Schutz verdiene, wobei nichts anderes übrig bliebe, als nach den Umständen des konkreten Falles durch sorgfältiges Abwägen der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. — I m ganzen scheint es jetzt also so zu stehen, daß die deliktische Persönlichkeitsverletzung zunächst zur Naturalrestitution führt (Unterlassung, Widerruf, Rehabilitation), danach zum Schadensersatz immaterieller A r t . „Schmerzensgeld" ist hier bloß ein Anschluß an die Terminologie des § 847. Was als zum Schadensersatz begründende Verletzung einer Persönlichkeit figuriert, bringt zum Ausdruck, daß, in den Seelenfrieden eines Mitmenschen einzubrechen, dasjenige kostet, was gemeinhin (neben der Selbstbestätigung durch soziale Geltung) von den Menschen am höchsten geliebt wird, nämlich Geld. Ein Geldwert läßt sich zumindest schätzen1, Geld ist allgemeiner Wertmesser 2 , Geld gleicht aus, und die Ausgleichsfunktion fundiert in erster Linie einen Schadensersatzanspruch 3. G. Baumert schreibt i n bezug auf die Schadenszumessung i n den Fällen der Persönlichkeitsverletzung folgendes 4 : „Das Gericht billigte dem Geschädigten D M 10 000 in seinem Urteil zu. Während die Bemessung des Schadens sich aber früher stets danach ausrichtete, wieviel der Abgebildete für die Erlaubnis zur Veröffentlichung des Bildes nach allgemeiner Taxe verlangt und erhalten hätte, verbat sich der Geschädigte hier eine derartige Berechnung. Sinngemäß trug er vor, er würde niemals in die Veröffentlichung seines Bildes einwilligen und um keinen Preis seine Zustimmung geben. Damit lag auf der Hand, daß die übliche Berechnung nach Taxe ein erneuter Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten durch das Gericht gewesen wäre, so daß sich die Richter zu einer Analogie zum Schmerzensgeld genötigt sahen (BGHZ 26, 349 ff., 1958). Wie angreifbar diese Analogie auch immer sein mag, jedenfalls war damit der Grundstein gelegt zu einer Unterscheidung zwischen Vermögensschaden, wie ein Mannequin ihn erleidet, dessen Bild ohne Entgelt veröffentlicht wird, und der Persönlichkeitsverletzung, wenn nämlich eine Zustimmung zur Veröffentlichung des Bildes überhaupt ausgeschlossen ist. Der Mensch ist nach wie vor unverändert. Er muß weder einen Nervenzusammenbruch gehabt noch sich auch nur geärgert haben. Er w i l l sich nur etwas nicht gefallen lassen, was man ihm billigerweise nicht zumuten kann. Zur Realisierung wird ihm für die Zukunft ein Unterlassungsanspruch 1
Mertens, 153. Mertens, 195. 3 Mertens, 53. 4 Georg Baumert, B G H und Persönlichkeitsrecht, in der unveröffentlichten Festgabe der Assistenten und Schüler für W. G. Becker zum 65. Geburtstag am 12. 7.1970, „Besserung des Rechts". 2
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 und für das Geschehene ein Geldanspruch zugebilligt. Grundlage der Bemessung des Geldanspruchs muß dabei auch im Bereich des Persönlichkeitsrechts das Maß des Eingriffs sein. Entscheidend ist also stets die Beantwortung der Frage, als wie stark die Beeinträchtigung zu beurteilen ist. Dieses Ergebnis verleitet sogleich zu der nächsten Überlegung: Wie hoch muß die Summe im ungünstigsten Falle sein? Eine derartige Frage geht jedoch von der Käuflichkeit, d. h. Geldmeßbarkeit, des Persönlichkeitsrechts aus und ist darum falsch gestellt. Andererseits muß man sich vor Augen halten, daß der Entschädigungsbetrag nicht so niedrig sein darf, um einen Onassis zu ermuntern, sich zum Wochenende ein bis zwei Persönlichkeitsverletzungen zu leisten. Was in Geld nicht meßbar ist, darf also durchaus nicht billig sein. Es dürfte für einen deutschen Juristen in der Regel ziemlich unbeachtlich sein, wenn im zentralen Amazonas-Gebiet Greuelmärchen über ihn verbreitet werden. Er wird weder privat noch gar fachlich jemals dort Fuß fassen wollen oder können. I m Ginseng-Fall muß dagegen erwähnt werden, ob der Jura-Professor zu Gelehrten dieser Länder wissenschaftliche Beziehungen unterhielt oder anknüpfen wollte, was mit Rücksicht auf sein Fach (Kirchenrecht) durchaus wahrscheinlich war. Interessant bleibt jetzt noch die Frage nach dem Zweck der Entschädigungszahlung. Hier werden zwei Theorien vertreten. Die eine ist die Entschädigungstheorie mit dem Inhalt, der Geschädigte soll sich für entgangene Lebensfreuden einen Ersatz leisten können. Dagegen dringt in letzter Zeit der Genugtuungsgedanke immer stärker vor (BGHZ 18, 149 ff., 1955; Larenz, NJW 1958, 827 ff.). Auf ihn zieht man sich zurück, wenn der Ausgieichsgedanke nicht durchzugreifen scheint, weil der Geschädigte z. B. wegen starker psychischer Störungen keine Ausgleichsfreude mehr empfinden kann, oder weil der Verletzte wirtschaftlich so gestellt ist, daß Geld bei ihm kein „Lustgefühl" (BGH, aaO, S. 157) hervorruft. Der Schädiger soll sich also nicht darauf berufen dürfen, daß ein Ausgleich nicht möglich ist, er soll aber trotzdem einen Denkzettel bekommen und — so wagte es bisher noch niemand zu formulieren — die Rachelust des Verletzten befriedigen. Sinnigerweise wird sogar noch zur Begründung auf die Rechtsgeschichte verwiesen (BGHZ 18, 149 ff., 155, 1955): Das Schmerzensgeld habe sich aus dem Strafrecht entwickelt. Solch eine Behauptung steht auf dem gleichen Niveau wie der Satz, der Mensch stammt vom Affen ab. Beim immateriellen Schaden steht von vornherein fest, daß eine Wiederherstellung ausgeschlossen ist. Daher ist jeder Gedanke, der sich auf eine „Ersatz-Lust" erstreckt, verschwendet und einfach falsch. Der LebensgefühlVerlust ist — bisher noch ausnahmsweise — durch Geldzahlung auszugleichen, da wir es nicht besser können. Und da nach unserer Rechtsordnung nur das Vermögen, nicht aber Lebensgefühle oder deren Verlust vererbt werden können, ist dieser Anspruch prinzipiell auch nicht vererblich. Dazu braucht man weder die Rechtsgeschichte noch gar Rachegedanken. Die Ausnahme besteht nämlich darin, daß materiell etwas Immaterielles aufgewogen wird. Da paßt weder Ausgleichs- noch Genugtuungsgedanke oder -funktion. Einzig entscheidend ist die Tatsache eines Verlustes und juristisch schwierig das Problem, ob dieser Verlust rechtlich relevant ist und wer ihn tragen soll. Wozu der Geschädigte sein Geld bekommt, hat niemanden zu interessieren.
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Alles, was nach §§ 249 und 253 Schaden ist, sieht jetzt so aus: materieller Schaden ist zuerst physischer (körperlicher). Weiterhin w i r d zum materiellen Schaden gerechnet der psychische und der Affektionsschaden. Immaterieller Schaden — grundsätzlich nach § 253 — kommt von der Verletzung nicht einer Materie, sondern eines Immaterials, vor allem von der Verletzung einer Idee, der des Menschen bei der Persönlichkeitsverletzung, der einer Erfindung, enumeriert nach dem U r heberrecht, oder irgendeines „Parapsychologicums" — wo statt „immaterieller Schaden" „ideeller Schaden" gesagt w i r d (wie häufig), w i r d pars pro toto gesetzt. Das anglo-amerikanische Recht sieht „das Immateriale" großenteils für identisch mit dem „Ideellen" an, die deutsche Dogmatik spricht aber lieber (und genauer) vom „Immateriellen": das Problem leuchtet an den „personalen Gütern" des deutschen Zivilrechts auf. Der Ausgangspunkt ist hier das subjektive Personalrecht (Gegensatz wäre das Herrschaftsrecht). Von den subjektiven Personalrechten gibt es aber 4 Arten, das Recht an der eigenen und das an einer fremden Person (Kind, Mündel, elterliche Gewalt), das Personalrecht ohne selbständigen Vermögenswert (Name, Stimmrecht) und das Personalrecht mit selbständigem Vermögenswert (good will, know how) — mit welchem wir zu unserem Problem des „Immateriellen" gelangen, denn das Personalrecht mit selbständigem Vermögenswert heißt auch „immaterielles Gut" — das anglo-amerikanische Recht begnügt sich in bezug auf die „immateriellen Güter mit selbständigem Vermögenswert" mit der Formel der „beherrschbaren" Ideen, die auf den „market of ideas" gebracht werden können (z. B. im Urheberrecht) 1 .
Es kann also gesagt werden, daß das heutige deutsche Recht wenigstens als „Fallrecht" von einem realen Schaden ausgeht, welcher i n sich den materiellen und den immateriellen Schaden umfaßt, welch letzterer hauptsächlich als „ideeller" Schaden zum Ausdruck kommt — und „reell" stellt das Adverb zu dem A d j e k t i v u m „real" dar. Indem das deutsche Recht realen, also sowohl materiellen wie immateriellen Schaden gibt (diesen letzteren vor allem als ideellen), lassen sich viele Schadensfälle, bei denen sich materieller Schaden und immaterieller Schaden nicht korrekt abgrenzen lassen, lösen und Schwierigkeiten vermeiden. Das beginnt schon beim Affektionsschaden. Ist das wirklich physischer oder psychischer materieller Schaden oder schon Schaden aus der Verletzung einer Idee und insofern immaterieller? Wie steht es beim Schaden bei der sittenwidrigen Verleitung zum Vertragsbruch, bei der Führung eines ungerechten Prozesses, bei einer Prozeßverzögerung, bei einer arglistigen Urteilserschleichung i m Sinne von § 826, bei einer heimlichen ungestatteten klinischen Sektion? Bei der Schadensberechnung in Rentenform: dadurch, daß jeweils für einen Zeitabschnitt eine Rente festgelegt und 1
Abrams v., United States, 250, h. S. 616, 1919.
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allenfalls lebenslang gezahlt wurde, w i r k t e sich solche Rente zuungunsten des Geschädigten aus, wenn die Gesundheitsbeschädigung zugleich die Lebenserwartung herabsetzte 1 . Aber auch andere Kompliziertheiten: die Schäden, die durch die unberechtigte Verhaftung eines Geschäftsmannes entstehen, lassen sich i m Augenblicke des Schadensereignisses schwer abschätzen (Mertens, 165). Der Schaden, den ein Störer der elterlichen Gewaltausübung anrichtet, ist sicherlich zunächst durch Zurückhaltung des Störers natural zu restituieren (§ 249), praktisch aber bleibt häufig genug nur ein Anspruch auf den pekuniären Ersatz eines Schadens, der kein anderer als ein immaterieller (ideeller) sein kann (BGHZ 6, 360, 1952). Auch bei der berühmten Nutzungsausfallentschädigung desjenigen, dessen Kraftfahrzeug aufgrund deliktischer Beschädigung ausgefallen ist, bestehen Zweifel darüber, ob materieller oder immaterieller Schaden entstand: Die Rechtsprechung versuchte und versucht, den hier entstandenen Schaden noch rein materiell und als Vermögensverlust aufzufassen und damit u m den Nichtvermögensschaden des § 253 und u m die Ausweitung dieses Paragraphen herumzukommen — wie das Ringen u m die Geborgenheit i n materiellen Begriffen auch allgemein erkenntlich wird. Die Nutzungsausfallentschädigung w i r d also materiell und vermögensmäßig darin gesehen, daß sie dazu dienen soll, dem Geschädigten den Vermögenswerten Schaden zu ersetzen, der sich aus dem Verluste der Gebrauchsmöglichkeit des beschädigten Fahrzeugs ergab, dies ohne Rücksicht darauf, ob der Geschädigte tatsächlich materielle Aufwendungen erbracht hatte, u m sich zu behelfen (z. B. Bezahlung von Taxifahrten), oder nicht 2 . Die Nutzungsausfallentschädigung deckt insofern einen nicht ohne weiteres materiell festzulegenden Schaden, als der Geschädigte ja auch Entschädigung dafür haben w i l l , daß er nicht fahren darf — und damit nicht seine „Freude am Fahren" genießen oder seine Frustrationskomplexe abreagieren kann. Der Kardinalfall ist der des A, dessen Wagen infolge eines Zusammenstoßes mit dem Wagen des schuldhaft handelnden Halters und Fahrers X zerstört wird, welch letzterer daher bis zu dem Zeitpunkt der Erlangung eines neuen Wagens Mietwagenoder Taxenbenutzung an A bezahlen muß. Es gibt aber Varianten (Beispiele bei Mertens, 171, 181, 174): A w i l l eine sechswöchige Urlaubsreise m i t seiner Familie nach Spanien an2
Mertens, 219. Gefestigte Rechtsprechung, B G H Z 40/345 = NJW 64/542 (1963); B G H Z VersR 1966/497 = VRS 30/401 (Nr. 190); K G Berlin, Urteil vom 13.6.1966 in Verkehrsrechtsammlung, Bd. 31, 167 (Nr. 71. — s. a. Hansgeorg Eckelmann, Alfter-Gielsdorf, I n den Birken 7, Tabelle über die Höhe der Nutzungsentschädigung bei Ausfall eines Kraftfahrzeuges. 2
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t r e t e n , a m V o r a b e n d d e r Reise w i r d sein W a g e n d u r c h X s c h u l d h a f t zerstört, d i e N e u b e s c h a f f u n g e r f o r d e r t eine Woche, w ü r d e A e i n e n M i e t w a g e n n e h m e n , u m d i e Reise d u r c h z u f ü h r e n , so m ü ß t e er i h n f ü r d i e gesamten sechs W o c h e n b e h a l t e n . O d e r : A b e f i n d e t sich a u f der A u t o f a h r t z u seiner s t e r b e n d e n M u t t e r , w i r d aber a m A b e n d a n g e f a h ren, e i n M i e t w a g e n i s t n i c h t sofort z u e r h a l t e n , e i n U m s t e i g e n i n d i e E i s e n b a h n oder i n das F l u g z e u g w ü r d e größere Z e i t v e r l u s t e ergeben. W i e w ä r e es, w e n n es sich n i c h t u m A ' s M u t t e r , s o n d e r n u m eine i h m besonders nahestehende w e i t l ä u f i g e V e r w a n d t e oder u m seine F r e u n d i n h a n d e l t e , w i e , w e n n A n u r a u f d e m Wege z u e i n e m b e d e u t e n d e n gesellschaftlichen E r e i g n i s ist, w i e , w e n n A z u d i e s e m Z w e c k e b e r e i t s m i t d e m F l u g z e u g v o n A u s t r a l i e n nach D e u t s c h l a n d angereist ist? — U n d entsprechende Z w e i f e l s f r a g e n i n b e z u g a u f das N e b e n e i n a n d e r v o n m a t e r i e l l e m u n d i m m a t e r i e l l e m Schadensersatz b e s t i m m e n eine Reihe v o n anderen Fällen. Ähnlich zwiespältig wie die Nutzungsentschädigung beim Auto, materieller oder immaterieller deliktischer Schaden, mutet eine nicht zu den Obergerichten gelangte Entscheidung des Landgerichts Itzehoe an: Hier wurde ein Apotheker aus Itzehoe dazu verurteilt, den Eltern eines neugeborenen Kindes die Hälfte der Unterhaltskosten bis zu dessen 18. Lebensjahr zu zahlen, weil er auf Rezept statt der verschriebenen „Antibabypille" fälschlicherweise ein Magenpräparat mit ähnlich klingendem Namen ausgehändigt hatte. I m Urteil wurde dem Apotheker vorgeworfen, er habe seine Berufspflicht insoweit verletzt, als er seine Sorgfalt bei der Herausgabe des Medikaments nicht genau genug habe walten lassen. Er brauche jedoch nur die Hälfte der Unterhaltskosten des Kindes zu zahlen, weil die spätere Mutter Mitverschulden treffe — sie sei ihrer Pflicht nicht nachgekommen, das zu prüfen, was sie gekauft habe. — Zu diesem Urteil wäre zu sagen, daß die Unterhaltspflicht der Eltern eine Verpflichtung höchstpersönlicher Art darstellt, die sich aus dem Familienrecht ergibt. Sie verursacht keinen Schaden im vermögensrechtlichen Sinne, denn das Aufziehen eines Kindes besteht in einer Vielfalt von wechselseitigen menschlichen Beziehungen, die sich auch nicht annähernd in Geld ausdrücken lassen. Würde man den Eintritt der Existenz eines Kindes, und dann schließlich das Leben überhaupt, als einen „Schaden" ansehen, so müßte man die Unterhaltsansprüche eines Kindes ganz anders fundieren, ja man müßte den Kindern zugestehen, daß sie ihren Eltern dauernd deswegen Vorwürfe machen könnten, weil sie sie in die Welt gesetzt haben (was, unter Verwechselung der biologischen und der moralischen Kategorie, zum Teil wohl bei der heranwachsenden Generation schon geschieht). Das wäre völliger Nihilismus in bezug auf das Leben, der sich zwar durch die verschiedenen Säkularisationen historisch begründen läßt, der aber unser ethisches und juristisches Grundprinzip von der Bejahungswürdigkeit des Lebens schärfstens in Frage s t e l l t 1 . . . —
1 Mißerfolg von Empfängnisverhütungsmitteln unter dem Gesichtspunkte der Produktenhaftung in einer Entscheidung des L G Lüneburg vom 18. 6. 1969.
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 Dommage
moral
und moral
damage
Ein Hinblick auf den französischen dommage moral und den anglo-amerikanischen moral damage mag hier helfen (wenn auch nicht Vorbild geben — deutsche Juristen sind nun einmal abstrakt, begrifflich und konstruktiv, wenig volkstümlich, konservativ, französische traditionell, anglo-amerikanische historisch, und so auch ihre Rechte — (Zweigert / Kötz). — Ausgangspunkt: was nicht materieller Schaden ist, ist (französisch) „dommage moral" — das juristische Denken operiert hier wie bei der alten Unterscheidung von natürlichen Personen, die Menschen, also natürliche, materielle Gegebenheiten sind, und nur in der (juristischen) Idee bestehenden „moralischen" Personen, die das deutsche BGB juristische Personen nennt. — Häufig wird aber „moralischer Schaden" auch schon da angenommen, wo der psychische Schaden, und damit die Psyche, der älteren Lehre entsprechend noch nicht zur Materie gerechnet, psychischer Schaden demnach nicht als materieller Schaden angesehen wird. Also als „dommage moral". Zwei Kategorien, eine individuelle und eine soziale. Der individuelle „dommage moral" ist dazu bestimmt, physischen Schmerz, Trauer um den Tod eines Nahestehenden oder „ästhetische Präjudizierung" zu kompensieren, der soziale „dommage moral" erwächst aus einer Nichtachtung der jeweils in Frage kommenden sozialen Gruppen. Moralischer Schadensersatz wird auch außerhalb des Deliktsrechts gewährt, ist jedoch vorwiegend deliktsrechtlicher Natur. Die moralische Schadensersatzverpflichtung beruht hier auf Art. 1382 des Code civil, dem Grundartikel des französischen Deliktsrechts: „Jede Handlung eines Menschen, von welcher Art sie auch sein mag, die einem anderen Schaden verursacht, verbindet denjenigen zur Entschädigung, durch dessen Schuld der Schaden entstanden ist." Da der Artikel zwischen den verschiedenen Arten des Schadens und des Schadensersatzes nicht unterscheidet, ist die Anerkennung des moralischen Schadens im französischen Recht ein Produkt der Rechtsprechung. Doch ist diese immerhin von einigen gesetzlichen Regelungen unterstützt worden, z. B. von dem Gesetz vom 2. April 1941, welches die Alimentenregelung in bezug auf geschiedene Eheleute nach Art. 301 des Code civil dahin abänderte, daß diese „Alimente" nicht nur den durch die Scheidung entstandenen materiellen Schaden, sondern auch den moralischen decken sollten. Auch Art. 3 des Code de Procédure Pénale (i. d. F. des Gesetzes vom 31. Dezember 1957) spricht moralischen Schadensersatz zu. Auf der anderen Seite sind Bestrebungen im Gange, den moralischen Schadensersatz bei Automobil-Unfällen auszuschließen, ebenso wie Bedenken gegen den moralischen Schaden mit denselben Argumenten, wie wir sie aus Deutschland in bezug auf den immateriellen Schadensersatz kennen, vorgetragen werden, vor allem der Einwand, daß der moralische Schadensersatz i m Grunde eine Privatstrafe (une peine privée) darstelle. Zu den wichtigsten Grundsätzen der französischen Rechtsprechung bei der Bejahung des moralischen Schadens gehört, daß er auch da zugebilligt werden kann, wo der Delinquent nur in objektiver Haftung, also auch ohne Verschulden haftet (ähnlich jetzt auch der deutsche Entwurf). Die Schwierigkeit der Umsetzung eines moralischen Schadens in einen pekuniären Schadensersatz läßt sich zwar auch in Frankreich nicht unter Formeln bringen, kann aber vom richterlichen Ermessen bewältigt werden. Affektionen fallen
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unter den moralischen Schaden, dieser wird auch mit dem „seelischen Schmerz" überhaupt konfundiert. Der Hauptfall eines zu ersetzenden Affektionsinteresses bezieht sich auf die Trauer über den Tod, während der Kummer über ein bloßes fremdes Leiden zurückhaltender behandelt wird. — Für das anglo-amerikanische Recht gilt, ähnlich wie im Art. 1382 des Code civil, die Grundregel, daß jede Rechtswidrigkeit mit einer Schadensersatzverpflichtung belastet wird: every injury imports damage 1 . Auszuklammern vorweg ist das nicht-deliktische Schadensersatzrecht: in Klagen wegen „Vertragsbruches" wird für seelisches Leiden grundsätzlich kein Ersatz gewährt, ausnahmsweise beim Bruch eines Eheversprechens (breach of promise), auch z.B., wenn ein weiblicher Hotelgast grundlos der Unsittlichkeit beschuldigt und aus dem Hotel gewiesen wird, ein Sachverhalt, der dem unseres § 847 Abs. 2 ähnelt (Ehmke v. De Silva). Der prozessuale Primat des Jury-Prozesses (soweit dieser Primat in der Tat noch besteht) kreditiert und diskreditiert, vor allem in den Vereinigten Staaten, den „moralischen Schaden" in ungefähr gleicher Weise: der „Mann aus dem Volke" (und insbesondere die Frau aus dem Volke) hat möglicherweise größeres „natürliches" Verständnis für Trauer und Kummer als der juristisch häufig schon mechanisierte Berufsrichter, andererseits kann ein geschickter Anwalt bedenkenlos die Tränendrüsen der Schöffen strapazieren . . . Die alte Stellungnahme des englischen Common Law geht dahin, daß die Störung des seelischen Gleichgewichts, und die darauf beruhende Gesundheitsschädigung, ihrer natürlichen Art nach nicht zu den Schäden gehört, für die das Recht Ersatz gibt: die Schäden differieren zu sehr nach der jeweiligen Persönlichkeit hin, die Beweismittel taugen zu wenig, die Gefahr unberechtigter Ansprüche ist groß. Die aus diesen Bedenken folgende alte Grundregel des Common Law, daß es für Verletzungen „auf seelischem Wege" grundsätzlich keinen Schadensersatz gibt, ist dann von der Entwicklung im Anschluß an das Verschuldensprinzip modifiziert worden. Es wird nunmehr in England Schadensersatz gegeben, wenn das seelische Leid vorsätzlich und durch ein besonders empörendes Verhalten zugefügt wurde (Wilkinson v. Downton, 1897, 2 Q. B. D. 57). Das amerikanische Recht übernimmt aus dieser Entscheidung die Regel, daß für besonders empörendes Verhalten deliktisch und schrankenlos gehaftet wird. Als „besonders empörendes Verhalten" sind z.B. die versuchte Erpressung, der Mißbrauch von Autorität und die hemmungslose Eintreibung von Forderungen charakterisiert worden — Fälle, die evtl. bei uns Ansprüche aus § 826 fundieren könnten. Weiterhin wird für vorsätzliches Verhalten, das mit Rücksicht auf den besonderen Zustand der Verletzten, einen Kranken, eine Schwangere, einen geistig Labilen, auch einen Produktiven, empört, seelischer Schadensersatz zugebilligt. I n der Frage, ob der seelische Schmerz zu einem Gesundheitsschaden, wenn auch nur neurotischer Art, führen müßte, oder ob schwerer seelischer Schmerz schlechthin genügte, wenn er durch ein besonders empörendes Verhalten verursacht wurde, äußert sich das amerikanische Restatement of Torts: „Wer einem anderen durch besonders empörendes Verhalten vorsätzlich oder rücksichtslos schweres seelisches Leid zufügt, haftet auf Schadensersatz für dieses seelische Leid und für die aus ihm entstehenden Gesundheitsschäden." 1 Vgl. M. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, Berlin 1932, 151 A. 63; „Gegenopfer", 301 ff.
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 Aus der Rechtsprechung: Besondere Verschuldensmerkmale werden nicht aufgestellt, Rücksichtslosigkeit genügt, impact ( = nicht-körperliche Eindringlichkeit) ist nicht notwendig, contact langt aus, keine Haftung für geringfügige Beleidigungen und für nicht besonders empörendes Verhalten — eine Sonderregelung für öffentliche Verkehrs- und Versorgungsbetriebe: sie haften für jede Beleidigung. I n bezug auf die Haftung für fahrlässige seelische Leidzufügung wird auch unbedeutender Kontakt mehr und mehr als voller contact (und dann als gleichbedeutend mit einem impact) gesehen. Auf der anderen Seite wird eine Haftung für fahrlässig verursachtes seelisches Leiden nur dann auferlegt, wenn dieses eine Gesundheitsbeschädigung zur Folge hatte, so daß also seelisches Leid ohne Gesundheitsbeschädigung nur dann zur Schadensersatzhaftung führt, wenn es zumindest mehr als fahrlässig zugefügt wurde. Alles ist hier im Fluß, und eine neuerliche Entscheidung einer San Francisco-Jury, welche einer Tanzlehrerin 50 000 Dollar Schadensersatz zusprach, weil sie aufgrund eines Straßenbahnunfalls im Jahre 1964 nymphomanisch geworden sei, wird als „juristischer Durchbruch" bezeichnet1. — Schadensersatz in Höhe von 100 000 D M mußte ein irischer Geschäftsmann einem in Südirland ansässigen Deutschen zahlen, weil er dessen Frau verführt und abspenstig gemacht hatte. Dies entschied ein Gericht in Dublin, vor dem der Deutsche den Geschäftsmann verklagt hatte. Der Richter wies bei der Urteilsverkündung darauf hin, daß eine Ehefrau nach irischem Recht als „Besitzstück" (chattel) gelte, für dessen Verlust eine Summe festgesetzt werden müsse. Die Idee „ O h n e g l e i c h e n ist d i e G r ö ß e d e r N a t u r ! A b e r e t w a s f e h l t
. . W a s
f e h l t , i s t die I d e e 2 . Es g i b t i n d e n G e d a n k e n d e r Menschen, auch i n denen, d i e i h r e n I n h a l t , w i e es v e r n ü n f t i g e n G e d a n k e n e n t s p r i c h t , n u r i n d e m haben, w a s w i r v o n d e r W e l t wissen, n i c h t i n dem, w a s w i r i n d i e W e l t h i n e i n d e n k e n , e i n p r o d u k t i v e s oder sogar k r e a t i v e s Plus, das m a n i n seiner Ü b e r s c h r e i t u n g des M a t e r i e l l e n als „ I d e e " bezeichnet. O h n e h i e r m e h r ü b e r d i e Substanz dieses P l u s z u sagen, sei zunächst e i n m a l d i e v i e l f a c h v e r t r e t e n e A n s i c h t n e u r e p o r t i e r t , daß „ A l t r u i s m u s , P a t r i o t i s m u s , R e l i g i o s i t ä t , f i x e Ideen, I d e e n ü b e r h a u p t , Ideale, I d e o l o g i e n , P h a n t a s m e n , I l l u s i o n e n , B e g r i f f e d i e r e a l s t e n K r ä f t e dieser E r d e seien, auch p h y sikalische u n d physiologische Größen, m e ß b a r u n d v o r a l l e m w i r k b a r , sozusagen w ä g b a r e I m p o n d e r a b i l i e n u n d , insbesondere das B e w u ß t s e i n des Rechts u n d der G l a u b e , ebenso e i n e H e i z u n g des menschlichen O r 1 Zur Information über den französischen Rechtsstand vgl. die Münchner Dissertation (1967) von Giese, Dommages-interêts, zum anglo-amerikanischen W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, Berlin 1958 (Vahlen), insbes. S. 297 ff. 2 s. a. A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973, 75.
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ganismus darstellten wie Fett, Eiweiß, Kognak und Kolanuß" (E. Friedeil). „Man ist sich darüber einig, daß außer den von unseren Sinnen wahrgenommenen Dingen und außer psychologischen ,Fakten an sich4 noch andere Phänomene existieren, die wie mathematische Formeln dem menschlichen Geist auch dann »verfügbar 4 sind, wenn kein einziger Mensch sie i m Augenblick denkt 1 ." Die materiellen Realitäten sind nach E. Husserl i n Raum und Zeit vorhanden, die ideellen lediglich, i n der Zeit: i n raum-zeitlichen Dingen „muß i n der Tat der wirkliche Lauf der Dinge aufgedeckt werden" (Whitehead) 2 . Materiell-real ist alles das, was wesensmäßig durch die Raum-Zeit-Stelle individuiert ist, ideell-real, was zwar seinem raumzeitlichen Auftreten nach i n Materiell-Realem fundiert, aber nicht individuiert ist, daher an verschiedenen Realitäten als identisch — nicht bloß als gleich — auftreten kann 3 . Die Idee ist Extrapolation (nach Ihering „Präzipitat") — aus einem logischen U r t e i l —: betrachtet man das „hypokeimenon" eines logischen Urteils, so gewinnt man aus i h m Tat — oder Wertsache, betrachtet man sein „kategoroumenon", so Idee oder Wert, wobei Wert (Wertsache) — dialektisch — immer auch Idee (Tatsache) ist, aber nicht umgekehrt. I n bezug auf das Werturteil der Rechtsnorm spricht man hier von „Tatbestand" und „Rechtsfolge". Beim logischen Urteil begnügen w i r uns damit, zwei Arten des logischen Urteils, die Aussageurteile und die Werturteile zu unterscheiden und den Werturteilen, die den Rechtsnormen zugrunde liegen, unsere besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Werturteil ist — dialektisch — immer auch Aussageurteil — speciale! — aber nicht umgekehrt. — U m Klarheit zu gewinnen, muß man zunächst den Begriff umschreiben: er ist das statische Präzipitat aus einem logischen Urteil. I h m 1
aaO. Raum und Zeit bestimmen sich in erster Linie intuitiv-anschauungsmäßig, erst in zweiter Linie rational-physikalisch. Physikalisch sind Raum und Zeit nicht ohne einander vorstellbar. Es gibt also ein statisch-raumartiges Erfassen der Realität (mit dem Metermaß) oder ein mobil-dynamischzeitartiges (mit dem Sekundenzeiger). Der physikalische Raum wird danach durch die Gegebenheit von Stelle und Abstand bezeichnet. Hinzuzufügen ist, daß hierbei der physikalische Raum im euklidischen Sinne gemeint wird, wo „Meßgenauigkeit" gegeben ist, während z.B. der Raum im Weltall, der lediglich in meßungenauen Lichtjahren gemessen werden kann, einen nichteuklidischen Raum darstellt. Juristisch siehe K a r l Engisch, Vom Weltbild des Juristen, Heidelberg 1950, S. 44 ff. und S. 67 ff. über den Raum und die Zeit im Recht. 3 E. Husserl, Erfahrung und Urteil, Hamburg 1948, S. 319; so auch im wesentlichen die Realisten. 2
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gegenüber stellen die Ideen (und die Werte) dynamische Präzipitate von logischen Urteilen dar. Schopenhauer vergleicht das dynamische Präzipitat mit dem aus einer Blume gewonnenen Parfüm, während das statische Präzipitat, also der Begriff, dem der getrockneten Blume i m Herbarium gliche 1 . — „Der Charakter der Ideen besteht nicht i n ihrer Realisierbarkeit, sondern darin, daß sie unser gesamtes Denken und Handeln orientieren ." „Ein Ideengut kann auch nicht durch eine Verurteilung zum Schweigen gebracht werden, sondern w i r k t weiter" (A. Seiffert). — Die Römer hielten das ideelle Moment von vornherein für eingeschlossen i n „die Realität": res bedeutet das, was ist, „man darf das Wort nicht nur i m rein körperlichen Sinne verstehen, sondern muß es auch geistig-seelisch auffassen" 2 . Ohne Ideen geht es nicht i m Menschenleben: für fünf Pfennig Lohnerhöhung kann man nicht einmal i n einem siebenbürgischen Bergwerk streiken — meinte E. Bloch — und Napoleon I., der soldatische Massenführer, sagte: „Man kann den Menschen nur durch die Einbildungskraft leiten, ohne Einbildungskraft ist er nur ein Tier. Man läßt sich nicht für fünf Sechser am Tage oder für eine magere Auszeichnung totschlagen. Man muß zur Seele sprechen, u m den Menschen zu elektrisieren 3 ." Das Sprachzeichen „Idee" w i r d aber auch kolloquial, also nicht für Präzipitate aus logischen Urteilen gesetzt, sondern ebenso für Präzipitate oder Extrapolationen aller Arten von Meinungen, Wertungen, Spielregeln, Kontemplaten, Handlungen schlechthin, Verhaltensweisen, Erfahrungen, Intentionalitäten — kurz: auch für Vorurteile (Wortsinn!) und „Quasi-Ideen". Vor der Idee (und dem Wert) stehen also die Präzipitate der Gedankenäußerungen, die nicht i n Urteilsform gegossen oder diese Urteilsform nicht erreicht haben, Meinungen oder Wertungen, unverbindliche Äußerungen — wenn sie sich i n das K l e i d hüllen, angebliche bloße „Hypothesen" zu sein, tarnen sie sich i n einem Sprachzeichen, welches vor allem für Urteile gilt — vorläufige Urteile gleich Hypothesen (aber das hat nichts m i t dem „hypothetischen" Urteil zu tun, einer A r t des Urteils, die i m Gegensatz zu der des „Kausalurteils" steht!). Gerade i n der Norm (um z. B. von der „Appassionata" abzusehen!) zeigt es sich nun, daß die Realität nicht nur materieller, sondern auch 1 Bei Piaton noch kaum von der Idee unterscheidbar, vgl. E. Bloch, Das Materialismus-Problem, 1972, 35. 2 U. von Lübtow, Das römische Volk, 1955, 19, 236. 3 Hegemann, Napoleon oder der Kniefall vor dem Heros, 1927, 151.
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i d e e l l e r A r t ist, daß also I d e e n e x i s t i e r e n — d e r § 823, 1 B G B
kann
u n m ö g l i c h n u r i n e i n e r p h y s i o l o g i s c h e n u n d psychologischen E n t s t e h u n g im Normautor
gesehen w e r d e n u n d d a n n als A b m a l u n g
schwarzer
Zeichen a u f w e i ß e m P a p i e r 1 . — Sicherlich lassen sich die ideellen Realitäten schwerer beweisen als die materiellen — daher wird gelegentlich „gedichtet": sprach der blinde alte Marx-Papa, was ich nicht sehen kann, das ist nicht da . . . sprach die taube alte Marx-Mama, was ich nicht hören kann, das ist nicht da . . . Biblisch: 2. Kor. 4, 18: „Was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig" — eine Wiederaufnahme des Jesus-Satzes, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt — und der alte Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Breslau kommt in Erinnerung: „Hier liegt, was sterblich ist, von Ferdinand Lassalle." — F. Werfel sprach allerdings skeptisch davon, daß sich die Menschen in jedem Zeitalter andere Ideen-Gewürze auf die bittere Lebensspeise streuten, um sie noch ungenießbarer zu machen. Etwas poetischer: „Zahllose Ideen, durch welche sich die Staubgeborenen emporheben aus dem Staube, gleichwie sich die Rebe rankt an den himmelwärts ragenden Stab . . . Solche Ideale, sie mögen heißen wie immer, sind göttlich, sobald sie fähig sind, Menschenseelen zu trösten, die, nach dem Rechten strebend, mit den wilden Wogen dieses Lebensmeeres ringen." — Auch des Phänomens „Gedächtnis der Materie" soll gedacht sein (Schild): „Im Grunde genommen bekommen die archäologischen Spaziergänge ihren großen, unvergleichlichen Charme durch einen einzigen Faktor, unseren irrationalen, aber unausrottbaren Glauben an das Gedächtnis der Materie. Die Vernunft mag uns noch sooft sagen, daß ein Gesicht, das sich im Spiegel sieht, keine Spur zurückläßt, und daß auch, wer seinen Namen in einen Marmorblock meißelt, unwiderruflich fort ist, wenn er stirbt. I n uns lebt eine magische Überzeugung, daß alles, was auf einer Stelle in irgendeiner Form stattgefunden hat, dort weiterlebt, und daß besonders das Ungewöhnliche, das Heilige oder das Furchtbare sich als Geist in der Materie verbirgt, in der es einmal lebendig gewesen ist. Ein Messer, mit dem ein Mord verübt wurde, ist für uns nicht mehr das gleiche Messer, die Schlachtfelder, auf denen die Würfel der Weltgeschichte rollten, werden nie wieder gewöhnliche Äcker, und kein Gott verschwundener Zivilisationen ist so tot, daß er nicht in seinem in Schutt gelegten Tempel weiterlebte." — Die vom Grabe Thomas Manns gepflückte Krokusblüte ist eben nicht eine gewöhnliche. V o r a l l e m b e i e i n e r G e g e n ü b e r s t e l l u n g des deutschen u n d des a m e r i k a n i s c h e n D e n k e n s , aber auch sonst, b e d a r f es, gerade aus B e w e i s g r ü n d e n , stets d e r Empirisierung d e r Idee, die i m deutschen D e n k e n durchaus „ p l a t o n i s c h " v e r b l i e b e n i s t : d i e „ G o t t h e i t " v e r m i t t l e sich durch. Ideen, d i e Idee sei e i n „ A p r i o r i " ohne B e z u g a u f E r f a h r u n g , „geschaut i m V o r l e b e n " , mystische „ E i n k e h r des Geistes i n u r s p r ü n g 1 Die beliebte Formel „Verfassung und Verfassungswirklichkeit" hat die Quelle ihrer Unsauberkeit hier — sind „die Verfassungen" etwa keine Wirklichkeiten? Doch wohl zumindest insofern, als sie, wie in der Regel, in schwarzen Zeichen, genannt Buchstaben, auf weißem Papier erscheinen . . . gemeint ist die Verfassung „in the books" und die Verfassung „in action" (wie das anglo-amerikanische Recht grundsätzlich vom „law in the books" und vom „law in action" spricht — (s. darüber unten S. 370).
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liehe innere Welt". „Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein veraltet nie" (Schiller) leitet dann die deutsche Ritualisierung der Idee bis zum Typ des sogenannten „Idealisten" h i n ein. Demgegenüber hat vor allem Schopenhauer darauf hingewiesen, daß i n diesen IdeeVorstellungen lediglich Fideismen und unzulässige Kombinierungen von „res sperata" und „sperans" vorlägen — wenn der Deutsche von der Idee hörte, würde i h m schwindelig, als säße er i n einem Luftballon. Das amerikanische Denken hält es bei der idea eher m i t Aristoteles, nach dem die Idee nicht über den Dingen (wie bei Piaton), sondern i n ihnen sei 1 . — A l l e Handlungen und Verhaltensweisen i n scharfer Wendung gegen jede Metanoia und Misologie, jeden Irrationalismus, grundsätzlich und a limine zu Urteilen vorzutreiben, die menschlichen Äußerungen demnach als Urteile i n festen Griff zu bekommen und deduktiv-isolierend vom Urteile her zu qualifizieren, ist das Anliegen der Logik, historisch das der Griechen und der Renaissance, man könnte sagen: der K u l t u r als des Kernes des Anti-Barbarismus. W i r müssen „Vernunft vertrauen" haben, und Lebensphilosophie, Existenzphilosophie und Tiefenpsychologie vernichten nicht das Erstgeburtsrecht des U r teils — der Mensch kann seiner „Vernunft", d. h. seinem „urteilenmüssen" nicht entrinnen, der Mensch ist zum Urteilen verurteilt (Sartre). Wenn „die Position der Vernunft dem Eudaimonisten, dem Resignierenden, dem Panästhetiker, dem Abergläubigen, dem Philister, dem Frömmler machtlos gegenüberzustehen scheint, so w i r d die U m stellung des öffentlichen Bewußtseins vom trüben Sich-treiben-lassen auf die Helligkeit des Urteilens u m so notwendiger" 2 . Das Vorurteil ist nach Meinung der Psychoanalytiker ein terroristisches System in uns selbst, dem unser bewußtes Ich unterlegen ist. Triebwünsche schreiben dem Intellekt vor, welche Urteile er zu treffen hat und wie er Scheingründe für ihre Befriedigung schafft. So werden Sündenböcke oder Haß Objekte erfunden und als minderwertig eingestuft, um auf ihnen ohne Gewissensbisse den Triebüberschuß abzureagieren, der beim Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft wegen der notwendigen Einschränkungen jedes einzelnen zwangsläufig entsteht. Das Bewußtmachen eines Vorurteils reicht zu seiner Bewältigung nicht aus, da für das Vorurteil vor allem der Grad der Affekte entscheidend ist, die mit ihm verbunden sind. Die am stärksten affektgeladenen Vorurteile sind die beständigsten. Wohl kann man ein Vorurteil rational entdecken, im Affekt erliegt man aber ihm dennoch. Das beste Lehrbeispiel gibt der Antisemitismus (A. Mitscherlich / R. Tausch, reportiert von W. Richard). Dazu Carl G. Jung: „Komplex ist eine 1 N. Hartmann, dazu Pensa, Das deutsche Denken, 1948, 218: die Wahrheit ist, daß auch die Ideen nicht von den Wolken herabhingen und darauf warteten, daß die Menschen sie eine um die andere losmachen würden, um sich ihrer zu bedienen. — I m übrigen Schopenhauer, Satz vom zureichenden Grunde, § 34 Abs. 3. 2 A. Seiffert, Concretum, 1961, 94, 75, 142, A. 197, 148, A. 210.
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seelische Macht, der gegenüber zeitweise die Freiheit des Individuums aufhört." D e r Mensch k a n n auch ohne v o l l e V e r n u n f t sein, z. B . e i n z w e i j ä h r i ges K i n d — d e r M a n g e l a n V e r n u n f t schadet i m a l l g e m e i n e n n i c h t , der M a n g e l an Verstand bedeutet möglicherweise medizinische u n d d a n n auch j u r i s t i s c h e D e f i z i e n z ( z . B . b e i d e n P f e r d e n i s t d e r sogen. „ D u m m k o l l e r " Mängelhaftungsgrund). Das, w a s m a n f r ü h e r als „ V e r s t a n d " u n d „ V e r n u n f t " bezeichnete, w i r d , v o m B o d e n d e r a n t h r o p o l o g i s c h e n B a s i s - E r k e n n t n i s aus, daß der Mensch „offenes W e s e n " , m i t „ A u f g a b e u n d F ä h i g k e i t der Selbstk r e a t i o n " u n d „ e x z e n t r i s c h e r P o s i t i o n " sei (Plessner), b e i d e m eben n i c h t , w i e noch b e i m T i e r , „ d i e S i g n a l e d e r U m w e l t v o n selbst d i e richtigen Reaktionen a u s k l i n k t e n " (M. Landmann), i n der Gegenwart eher m i t psychologischen B e g r i f f e n u m s c h r i e b e n , doch s i n d d i e Sprachzeichen „ V e r s t a n d " u n d „ V e r n u n f t " e r h a l t e n geblieben, w o b e i d e m „eingeborenen Verstand" eine besondere E h r e n s t e l l u n g e i n g e r ä u m t z u w e r d e n p f l e g t (aber „ G a b e n , w e r h ä t t e sie n i c h t , T a l e n t e : Spielzeug f ü r K i n d e r . . . erst d e r E r n s t m a c h t d e n M a n n , erst d e r F l e i ß das Genie!"). Sind die Menschen vernünftig? — die Frage bleibt. „Ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über den Menschen" — heißt es bei Bert Brecht im „Galileo" — aber das ist ein Glaube. Vielleicht sollte man nicht davon sprechen, daß es vernünftige und bloß verständige Menschen gäbe, sondern davon, daß es vernünftige und bloß verstandesmäßige, also unvernünftige (wenn auch verständige) Handlungen des Menschen (und darunterliegendes Psychisches) gibt. Wo die vernünftigen Akte des Menschen dominieren, hat man dann den vernünftigen Menschen vor sich, sonst den unvernünftigen (aber verständigen, manchmal auch das nicht, aber das wäre schon krankhaft). Die vernünftigen Menschen sind aber offensichtlich in großer Minderzahl, und Voltaire's und der Aufklärung Lehre vom zukunftsbesitzenden vernünftigen Menschen käme auf eine Eliten-Lehre hinaus. Elite diesmal nicht des Standes, sondern der Vernunft. Elite aber sind immer nur wenige Prozent der Menschen. Der Verstand muß also führen, nicht die Vernunft, im übrigen muß regiert werden. Der verständige, nicht der vernünftige Mensch ist der gewöhnliche Mensch Rousseau's. Die berühmte Argumentation von Marx/Engels, daß das Bewußtsein aus dem Sein komme, wird verstärkt noch durch moderne biologische Erwägungen über die naturwissenschaftlichen Quellen des Erkennens (Lorenz), die den biologisch „vorprogrammierten" Menschen entlassen, die insofern aber im Widerspruch zu Marx und Engels stehen, als es nach ihnen nicht die sozial-gesellschaftlichen Verhältnisse sind, welche jenes Sein konstituieren, sondern eben die biologischen: der ideologische Uberbau beim Menschen ist die Entdeckung des 19. Jahrhunderts, sein biologischer Unterbau die des 20... Freilich leuchtet z.B. bei der Idee der Norm ein, daß sie letztlich vom Normautor herkommt, daß also auch das Bewußtsein der Norm vom Sein des Normautors bestimmt wird. „Jedoch bei der radikalen Erweiterimg des
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Materiebegriffs weg vom mechanischen Klotz und vom blühenden Fleisch auf den Liebesinhalt Romeo's und Julia's, auf die letzten Quartette Beethoven's und andere ähnlich hochliegende Exempla setzt auch der nicht vulgäre Materialist bei der Umsetzung des Materiellen ins Ideelle aus beidem gemischte, versuchende Zwischenglieder der Vermittlung ein 1 ." Auf jeden Fall spricht man hier auch von der Idee, nicht nur von der Materie. Hilfreich bleibt hier der dialektische Gedanke von der Idee als dem Kreisringe im Kreise der Materie: manchmal kommen wir mit den Vorschriften über den Handelskauf aus (Kreisring, lex specialis), manchmal aber nicht, und der Kreis (lex generalis) der Vorschriften über den allgemeinen Kauf muß heran, manchmal wissen wir Bescheid, wenn wir die Idee nehmen, wie sie ist oder erscheint, manchmal müssen wir, um sie zu erkennen, in die Materie absteigen, der sie entstammt — nicht immer ist es nur die Magenkrankheit des Richters, welcher das Fehlurteil (richterliche Norm!) entstammt! —
Ob man Materie meint oder Idee, ist, wenn man „reell" arbeitet, auch semiotisch zu prüfen, also nach Worten, Sprachzeichen und Gehalten: Worte wie „Phänomen", „Institution", „Wirkungszusammenhang" können ebensowohl materiell wie ideell begriffen werden — der „Wirkungszusammenhang", der die Lebewesen charakterisiert, w i r d z. B. vorwiegend materiell aufgefaßt, so oft auch der „medizinische Wirkungszusammenhang" beim Menschen, oft auch der „ W i r kungszusammenhang" „Staat". — W i r müssen also, vor allem u m den Nöten der Staatswissenschaft zu begegnen, welche vielfach den Staat als „Idee" verwirft (z.B. Drath), die logische und die realontologische Idee unterscheiden. Die Unterscheidung entspricht der anthropologischen Unterscheidung von Sein und Haben und der rechtlichen von subjektiven Personalrechten ohne selbständigen Vermögenswert (z. B. Namensrecht) und mit selbständigem Vermögenswert (immaterielle Güter, z. B. Firma). — Die logische Idee „ist", z. B. das subjektive Recht, die realontologische Idee ist, hat und kann gehabt werden, z. B. eine Urhebung, (ggf. auch ein subjektives Recht, z. B. die Forderung, über die verfügt werden kann — dann schlägt aber die logische Idee des subjektiven Rechts i n die ontologische Idee der Forderung um) 2 . 1
E. Bloch, Das Materialismus-Problem, 1972, 312, s. a. aaO, 381 - 438 über die Fragen des ideologischen Überbaus. 2 Die Konstruktion der „Sachen" in den §§ 90 ff. läuft unter der Vorstellung des „gehabt werdens" und der „Herrschaft": nur beherrschbare Sachen sind Sachen im Sinne des BGB, eigentlich wird aber von „Gegenständen" gesprochen (§ 96), und „öffentliche Sachen" oder Luft, Wasser, Gestade, Leichnam können nicht beherrscht werden — viele Unklarheiten, welche mit dem Unterschied der „konstruktiven" Statuierung der Sachen/Gegenstände im Wege der „Hexis" und deren deklarativer Statuierung nach der „natürlichen Anschauung" und nach der „Natur der Sache" zusammenhängen (RGZ 158, 370). 10 W . G .
Becker
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Weiterhin ist von der „Idee" das „Ideal" zu unterscheiden — der ganze „klassische Idealismus" der Deutschen (Prototyp Schiller) kommt anscheinend aus der Aufklärung und aus dem Rokoko, daher nicht von der Idee, sondern vom Ideal. Die Ideale sind „Stimulantia der Psyche", die Inventur der Ideale gehört insofern zur Psychologie, und Ideale „bedürfen der Hygiene". Genau genommen gibt es keine „Idealisten" (von Ideal!), sondern Anhänger einer „kosmologischen Orthogenese" oder eines „Prinzips Hoffnung" (E. Bloch, „la douce espérance" der Aufklärung!) — die Russen sprechen i n der Theorie der modernen L y r i k von einem Trieb nach vorwärts, der (hier hoffentlich richtig wiedergegeben) „Graschdanstwennost" heißt. Illusionen sind die Instrumente des Idealanreizes. Die viel berufene Ideologie ist einmal Ideenbesprechung unter der Devise der Wahrheitsfindung („in der kühlen, neutralisierten Atmosphäre akademischer Wahrheitsfindung" — Topitsch), zum anderen (gebräuchlicheren) Sinne aber IdeaZbesprechung als Kampfmittel („bei oft unter Waffengewalt geführten Auseinandersetzungen", „friedlich" per Indoktrination, Agitation und Demagogie). M i t den gängigen Ideologien als Ideal-Logien verfolgt man u. a. die Absicht, die ausschließliche Legitimität irgendeiner tatsächlichen augenblicklichen Machtposition oder irgendeines erhobenen Machtanspruchs m i t Logik oder Scheinlogik auf dem Wege über den Intellekt i m Gefühl der Menschen zu verankern 1 . „Mag es früher ein das politische Glaubenssystem inhaltlich bedingender allgemeiner religiöser Wunderglaube gewesen sein, der die Menschen i n seinen Bann zog, so beruht der hohe Wirkungsgrad der Ideologien auf der Anfälligkeit des heutigen Menschen für solche Ideen, Postulate und Utopien, die i h m i m Gewand wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse und Wahrheiten dargeboten werden. Die Menschen unserer entmythisierten Zeit sind einesteils durch die nur Teilwissen oder Halbwissen vermittelnde Schule und Volksaufklärung, andernteils durch die unser tägliches Leben beherrschenden technischen Früchte wissenschaftlicher Arbeit i n einem derartigen Grade von der Wahrheit verkündenden Funktion der Wissenschaft überzeugt, daß sie nur noch das, aber auch alles das glauben, was ihnen i m wissenschaftlichen Gewand vorgesetzt wird. M i t welchem Erfolg i m Laufe der Menschheitsgeschichte zum Zwecke der Rechtfertigung sozialer und politischer Machtausübung deklamiert und demonstriert, gelogen und betrogen, getäuscht und geschwindelt worden ist, mag auf sich beruhen. Was i n dieser Hinsicht allein i n den letzten dreißig Jahren nicht nur i m deutschen Raum, sondern mehr oder weniger überall, von den Macht1 E. Hirsch, Macht und Recht, JZ 1962, 3 f., s. ferner W. Maihofer, Ideologie und Recht, 1968, und Fritz von Hippel, Ideologie und Wahrheit in der Jurisprudenz, 1973.
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inhabern geleistet und bei den Machtunterworfenen erreicht worden ist und fortdauernd noch immer geleistet und erreicht wird, u m jede, aber auch jegliche Maßnahme wissenschaftlich zu legitimieren und i m Gewissen der Menschen zu rechtfertigen, ist offensichtlich." C. A. Emge überschrieb seine Arbeit über das Wesen der Ideologie aus dem Jahre 1961 m i t dem Untertitel „ E i n Versuch zur Klärung i n Hinsicht auf Antizipation, Perspektive, Ressentiment, Selbstverständlichkeit, sich übernehmende Denkansprüche und dergleichen Vorwegnahmen mehr" und gibt damit Stichworte. Juristisch sind die bekanntesten Ideen die juristischen Personen, die subjektiven Rechte, der immaterielle Schaden und die immateriellen Güter. Der HusserVsche Regreß, wonach jede (stützungsbedürftige) Idee auf eine Materie zurückgeführt und damit i n i h r fundiert werden kann, vollzieht hier einen Brückenschlag zwischen Idee und Materie und entspricht dem Trend des modernen Philosophierens, materialistisch/mechanisch zu denken 1 : den ideellen Realitäten eignet eine besondere „Bedeutungsintentionalität", derzufolge sie einer Reduktion auf die ihnen vorgestuften Realitäten bedürfen, die schließlich „zurück zu den Sachen" und zur Materie führt, darin die „ideellen Realitäten fundiert" sind 2 . Aber immer nur, wenn die ideellen Realitäten schwach sind, d. h. undeutlich werden, also immer nur „limitierter Regreß" (s. o. S. 55)! — I n E. Husserls Worten: Die ideellen Realitäten sind solche, zu deren eigenwesentlichen Bestimmungen es gehört, Sinn von . . . oder Bedeutung von . . . anderen Realitäten zu sein. Sie sind Sinn-Gegenständlichkeiten oder Vermeintheiten, gemeint durch Gegenstände hindurch, zu deren gegenständlicher Bestimmung es gehört, nicht anders zu sein als in Verbindung mit Realitäten, deren Bedeutung sie ausmachen und in denen sie fundiert sind. Den ideellen Realitäten eignet also eine besondere Bedeutungsintentionalität, sie bedürr fen demnach zusätzlich zu ihrer spontanen oder aktiven Statuierung an sich noch einer Reduktion oder eines „unendlichen Regresses" auf die ihnen vorgestuften Realitäten, schließlich auf die letzte materielle Realität, in der sie „fundiert" sind, und bleiben ohne diesen Regreß unverständlich. Der Unterschied der ideellen Realitäten gegenüber den materiellen liegt also auch darin, daß die ideellen Realitäten eine höhere Stufe der Vergegenständlichung besetzen (unbeschadet der Tatsache, daß auch schon innerhalb der materiellen Realitäten eine verschiedenartige Stufung der Gegenständlichkeit, eine verschiedenartige Aufsässigkeit oder Erreichbarkeit des Vorhandenen besteht, so daß eine entfernte Landschaft schwerer erreichbar und unaufsässiger ist als „mein Schrank"!), und daß die ideellen Realitäten von dieser höheren Stufe ihrer ideellen Realität zu den niedrigeren und letztlich bis zur Zielstation der materiellen Realitäten herabsteigen müssen (etwa 1
H.-J. Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967, spricht auf S. 117 von der „phänomenologischen Reduktion". 2 s. dazu E. Husserl, Erfahrung und Urteil, 229, 301, 303 - 305, 307 ff.. 319 324, auch 9, 38 ff. und 49, sowie „Gegenopfer", aaO, 112 A. 311, 113. 1
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einer menschlichen „Kreatur"!), darin sie am Ende fundiert und daraus sie allein begriffen werden können (reductio ad materiam) 1 .
Die hauptsächlichen juristischen Beispiele für den Husserl' sehen Regreß sind „die Motive des Gesetzgebers", die „traveaux préparatoires", ferner der Rückgriff der juristischen Person auf die „hinter" der juristischen Person stehenden natürlichen Personen 2 . Auch der i m Namen des „Staates" handelnde Geschäftsbesorger „Mensch", auf den „der Staat" dann zurückgeführt wird, kann hier erwähnt werden. Die Beobachtung des Natürlichen im Menschen, des natürlich Rechtlichen und des legal Rechtlichen, damit die des „natural-legalen Parallelismus" (s. darüber u. S. 395) führt auch beim Husserl'schen Regreß zu der alten phänomenologischen Parole „zurück zu den Sachen!" — wobei man sich durchaus nicht, wie einst Brandes meinte, „auf allen Vieren" zu bewegen hätte. Trotzdem bleibt die Parole ein Rückzugssignal, das zuerst mit dem Akzent auf dem Worte „zurück" gelesen werden sollte, freilich Signal einer wissenschaftlichen Reduktionsbewegung, die auf allen Gebieten der Wissenschaft zu beobachten ist und speziell mit dem Vorprall der Naturwissenschaften vor den Geisteswissenschaften zusammenhängt. Da heißt es also überall „zurück zur Natur", juristisch aber auch beim modern beliebten Rückgang auf die „Natur der Sache" (was mehr ist als bloßer natural-legaler Parallelismus!), beim Vorzuge der Gesellschaft vor dem Staate, der Psyche vor der Physis bei der Handlung, bei der Primärisierung der Determination vor der Konstitution, sogar bei der des biologischen Unterbaus des Menschen vor seinem ideologischen Überbau.
Materie und Materialismus Da das Recht sich überall m i t der Idee und ihrem Schutze befaßt, i m Deliktsrecht namentlich m i t dem Schutze der menschlichen Persönlichkeit und m i t dem „immateriellen Schaden", ist hier der Ort, wo das juristische Denken, und i n i h m das Recht, am klirrendsten m i t dem Diskussionsmaterialismus zusammentrifft 8 . Zunächst bedarf es dabei der Bestimmung der Materie, wie sie uns augenfällig i m „Material" des täglichen Lebens entgegentritt — Zinn z. B. ist Material — an ein Gegenstück „Immaterial", z. B. Idee, ließe sich denken. Materie ist mater (Aristoteles), jiqcdtti vXti — wie die Griechen meinten — quantitas, „Ding an sich". Aber es steht hier wie m i t der „genuinen" Natur (Gegensatz: die zugängliche Natur Goethes, die „bezwingbare" der alten Ägypter, natura naturata!), es bedarf des 1
E. Husserl, Erfahrung und Urteil, 1948, 323 f. Gierke, vgl. auch B. Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955, „Gegenopfer", aaO, 113. 8 Kepler — Zur Information über Materie und Materialismus nur das (m. W.) letzte Buch darüber, Ernst Bloch, Das Materialismus-Problem, seine Geschichte und Substanz, 1972. 2
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Subjekts , u m Materie (wie Natur) ansprechbar zu machen, und wer das vergißt, macht die Rechnung ohne den Wirt. Der „naive Positivismus ", oder „positivistische Naturalismus" des vorigen Jahrhunderts, auch der „Empirio-Kritizismus" nach K a n t (die „kritisch" bestimmte Erfahrung als „reine Erfahrung", die Wirklichkeit sei eine bloße physikalischpsychologische Sinneserfahrungswelt) versagt dann endgültig vor der modernen Physik „auf dem Wege zu einer A r t Elektrifizierung der Materie" 1 , nicht „Materie als ,Ruhemasse"', sondern Materie als „Energieknoten" (Oswald), energetische Bestimmungen der Materie „wie Widerstand des Raumfüllenden gegen Durchdringung, also Undurchdringlichkeit, Festigkeit, solidity" 2 , schließlich die „Feldtheorie ": „es ist die Aufgabe der Feldtheorie, zu erklären, warum das Feld eine derartig körnige Struktur besitzt und jene Energieknoten sich i m H i n und Herströmen von Energie und Impuls dauernd erhalten . . . , darin besteht das Problem der Materie" und „not the charges nor the particles but the field i n the space between the charges and particles is essential" 3 . Dann formuliert die moderne Physik i n Neuformung der energetischen Formulierung, daß „statt eines Stoffsubstrats völlig unanschauliche Energiefelder m i t Feldgleichungen bleiben und die Korpuskulartheorie neben der Wellentheorie höchstens i n der Optik rein rechnerisch angewandt w i r d " , die „Quantentheorie" (die strahlende Energie w i r d vom strahlenden Körper nicht stetig abgegeben, sondern stückweise, ruckweise, der Strom fließt gleichsam i n Tropfen, i n kleinen energetischen Mengen, den „Quanten") t r i t t i n Erscheinung 4 , Materie ist nicht statischer Urstoff, sondern zumindestens Summe oder Resultat von statischem und dynamischem Urstoff, Materie - Substanz plus Energie, dann die Biologen: das Tier-Mensch-Übergangsfeld werde durch Motorik bestimmt, wie schon die Vorstellung des Raums und die Greifhand zeigten, der Mensch charakterisiere sich auch i n seiner Materialität durch „unspezialisierte Neugier m i t Sachbezogenheit, Reizerzeugung, Domestikation, Weltoffenheit, endogener Appetenz (oder „Aversion") und Ur-Verhalten", sei dieses nun nach Pawlow „kondidioniert" oder nicht-kondidioniert angeboren, „vorprogrammiert" und „instinktiv" (Heberer). Endlich auch die Chemie: i m organischen Leben t r i t t zum „Mechanischen" das „Molekulare", das „Thermische", was beides den elektrischen Kontakt eventuell verändere und der „Qualität " Raum neben der "quantitativen" Auffassung der Materie schaffe. — 1 2 3 4
aaO, 322. aaO, 167. aaO, 351 (Weyl), 321, s. a. W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 103. Darüber Bloch, a.a.O., 322 ff.
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Was d e n Materialismus a n l a n g t 1 , so steht er a m A n f a n g e n u r als die aus M e i n u n g u n d W i s s e n gemischte „Weltanschauung" (Schleiermacher — d i e M e i n u n g ü b e r w i e g t g e w ö h n l i c h ! ) des „ g e w ö h n l i c h e n Menschen", M a t e r i a l i s m u s i n diesem S i n n e h e i ß t „Einfaches, Greifbares, das h e i ß t B i l d e r s t u r m , S t u r z d e r G ö t t e r " . Das w a r p o l i t i s c h z u g k r ä f t i g . D i e A s s o z i a t i o n e n wissenschaftlicher S i c h e r h e i t , d i e das W o r t h e r v o r r i e f , w a r e n propagandistisch w i l l k o m m e n 2 . I m ü b r i g e n e n t s p r i n g t d e r M a t e r i a l i s m u s 3 anscheinend d e m „ Z e i t g e i s t " : d e r M e n s c h erscheint u n s h e u t e i m w e s e n t l i c h e n als eine z w a r sehr k o m p l i z i e r t e , aber i m m e r h i n n a c h mechanischen G r u n d s ä t z e n f u n k t i o n i e r e n d e Maschine, w o b e i v o r a l l e m d i e P a w l o w ' s c h e T h e o r i e v o n den bedingten Reflexen, der ältere amerikanische Behaviorismus u n d d i e K y b e r n e t i k f ü h r e n , f e r n e r h i n d i e Tatsache, daß u n s e r J a h r h u n d e r t o f f e n s i c h t l i c h d u r c h eine V e r g ö t z u n g d e r m a t e r i a l i s t i s c h mechanistisch g e p r ä g t e n Wissenschaft, v o r a l l e m d e r N a t u r w i s s e n schaft, g e k e n n z e i c h n e t w i r d . Sicherlich liegt dem Triumphe des Materialismus in Westdeutschland auch die historische Ummontierung von der deutschen Großmacht zur deutschen Kleinmacht zugrunde — aber die Kleinmächte haben die Zukunft für sich, zumal wenn in ihnen, wie in Westdeutschland, hoch-sachgerechts/leistungsmäßig, also hoch-effizient, dabei „pragmatisch"-geschäftskundig und endlich (einschließlich der reichlich bemessenen Fußball-Freizeit) in vollendeter Konzentration und Organisation gearbeitet wird — die „Konkurrenz" dabei stets beachtet, in Westdeutschland strikt individuell, in Ostdeutschland mehr „sozial". Dann bestimmt der Vorprall des „Heils aus dem Volke", des „Niedervolkes", des „Strumpfwirkers von Apolda" (wie Goethe sagte, der aber nicht für ihn schreiben wollte — Gegenstück wäre der Tucholsky'sche „Parkschlenderer"!). Es ist also dieser Vorprall des „Strumpfwirkers von Apolda", der manche soziologischen Probleme der Zeit erklärt — neben vielen anderen z.B. auch den „feminine design of living" (Lin Yutang). Zunächst schon die Verwirrung der Deutschen, die schließlich zum 2. Welt1 Der Materialismus derjenigen, die alles nur materiell und in Geld sehen und ewig solcherart kalkulieren wollen, bleibe hier außer Betracht: Materialisten dieser Art können auch weltanschauliche Idealisten sein. 2 F. Dornseiff, Der —ismus, Die Wandlung, I I I , 1948, 345 ff. 3 Es gibt aber auch Zusammenhänge des Materialismus mit dem Pessimismus: Der Pessimismus reduziert alle Kultur auf einen Reflex irgendwelcher materieller Faktoren, sei es Wirtschaft, Macht- und Beutestreben, sei es Rasse (nach K. Petraschek, Die Rechtsphilosophie des Pessimismus, 1929). Optimismus und Pessimismus ergeben sich aus Weltanschauungen und Biologischem (Temperament, Alter). A m brauchbarsten bleibt der „Meliorismus". Naiver Optimismus strahlt am prägnantesten aus dem schönen pietistischen Kirchenliede: Ach, wie gut ist's eingerichtet, daß die Augenlider man nicht ziehn braucht auf und nieder! Ach, wie würd' es traurig lassen, wenn man sie mit Händen fassen, in die Höhe ziehen müßte! Das bedenke, lieber Christel
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 kriege führte, so daß das Ende des 1. i m Bunde mit der Abdankung der deutschen Landesväter im November 1918, auch mit der russischen Revolution und ihren Folgeerscheinungen, selbst in diesem Zusammenhange gesehen werden kann, die Ermöglichung des Vorpralls des „gewöhnlichen Menschen" ergibt sogar den einzigen Sinn der beiden Weltkriege! — dann aber Weiteres, vor allem auch das hic-et-nunc-Denken des modernen Menschen — alles fange eben hic et nunc an, mit jenem Vorprall, der 95 Prozent der Menschen erst das Leben öffnete, man brauche dementsprechend auch nichts mehr vom „Davor" zu wissen, insbesondere nicht mehr zu lesen. Man darf bei alldem auch nicht vergessen, daß hier überall neue Diesseitsreligionen — und die damit verbundenen Demontagen der „Charismen" 1 — zum Zuge kommen (daher auch die völlige Säkularisation der theologischen Religionen), und vor allem die ständigen Bemühungen der „gut Weggekommenen" (z.B. Marx, Lassalle, Liebknecht, Lenin) 2 , die individuell oder sozial Schlechtweggekommenen zu emanzipieren. — Die Automation scheint nicht den ursprünglich gefürchteten Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge gehabt zu haben, vielmehr einen Rückgang der Produktionskosten, welcher dazu befähigte, steigende Löhne und Steuern zu tragen und dennoch lebensfähig zu bleiben, wobei erheblich mitsprach, daß nach bewährten ökonomischen Rezepten sich die höheren Löhne in erhöhten Umsätzen ausdrückten. Davon abgesehen, wird „der gewöhnliche Mensch" aus noch mehr politischen als weltanschaulichen Gründen gepäppelt. — Marx, Lassalle, Liebknecht und Lenin entstammten sicherlich nicht „den Armen". I n der Literatur ist das soziale Mitleid zuerst wohl bei Lenz ersichtlich. — Mitleid und Arithmetik bestimmen: denn die Armen dürften nichts entbehren, wenn es bloß nicht so sehr viele w ä r e n . . . Voltaire schrieb i m Jahre 1766 an Madame d'Epinay, daß nur wenige lesen, alle aber das Gespräch pflegten. Daraus kommt dann im 1. Kapitel der „Kartause von Parma" bei Stendhal: „Seit etwa fünfzig Jahren, besonders seit Enzyklopädie und Voltaire in Frankreich triumphierten, schrien die Mönche den guten Mailändern zu, daß lesen oder sonst etwas auf der Welt zu lernen sehr unnütze Mühe sei und daß man, wenn man nur dem Pfarrer sehr pünktlich den Zehnten zahle und vor ihm getreulich auch die kleinsten Sünden auskrame, so ziemlich sicher wäre, einen guten Platz im Paradies zu erlangen" — an der Stelle der kirchlichen Reden tuen es heute die vom Materialismus und von der Gesellschaft ... Demgegenüber steht das Hegel / Bloch'sche „Erbgut" der auch im Materialismus weiterzuführenden Bildung und Lesung. „Wenn in der idealistischen Philosophie das Problem der Unsterblichkeit auftaucht, das dem Wunsche 1 Über das „Charisma" des alten deutschen Königs unterrichten die ersten Kapitel von E. Rosenstocks „Königshaus und Stämme in Deutschland zwischen 911 und 1250", 1. Aufl. 1914. Es gibt aber auch den Mechanismus der „Königmacher", die z. B. aus einfachen schwäbischen Edelleuten „die Hohenstaufen machten oder im Jahre 1937 den englischen König Eduard V I I I . zur Abdankung brachten oder, wie Hindenburg und sein Kreis in Deutschland um 1932, gegenüber Hitler versagten. 2 Alle diese Leute kamen offensichtlich von dem von Nietzsche so verabscheuten und auch biologisch nicht unanrüchigen Mitleide her, im übrigen — vom politischen Machtbedürfnis abgesehen — von abnehmender Vitalität (einem Phänomen, dem anscheinend auch die Säkularisierung der Ewigkeitsreligionen zu verdanken ist). —
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der Menschen nach Fortbestand und Dauer ihrer leiblichen Existenz entspringt, so ist dies nicht nur Ausdrude einer naiven Sehnsucht, sondern es erwächst auch aus der Kontinuität der menschlichen Kulturentwicklung, aus dem vielleicht unbewußten Gefühl dafür, daß wir Heutigen eigentlich schon seit Jahrhunderttausenden leben, weil in uns fortlebt, was mit dem Urmenschen begann. Zugleich empfinden w i r uns, richtig gedacht, auch als Teil der Zukunft. Unser Leben ist, so gedacht, nicht nur ein Augenblick, ein Blitzlicht i m Ablaufe der Zeiten. Es ist vielmehr Bestandteil der durchgehenden Prozesse der Entwicklung des Menschlichen." Das ist — materialistisch gesehen (aber auch „realistisch"!) — die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und die Unsterblichkeit des Menschen (E. Havemann) 1 . Aller Absage widerspricht aber der proletarische Humanismus, der als würdiger Erbe des Humanismus der Renaissance, der Aufklärung und der Klassik angesehen wird, und dem auch E. Blochs „Erbmethodik" gilt: „Die großen philosophischen Werke enthalten zwar Zeitgebundenes und so Vergängliches, jedoch zeigen auch sie, gerade sie, wegen der Höhe des Bewußtseins, das sie auszeichnet, und das weit in Künftiges, Wesentliches hineinblicken läßt, jene echte Klassik, die nicht aus Abrundimg besteht, sondern aus ewiger Jugend mit immer neuen Perspektiven in ihr" — und: „Der Mensch erbt die jenseitigen Schätze* soweit sie solche sind, und nicht bloß Fratzen aus dem, was man nicht verstand . . . Rettbar, erbbar ist zumindest der Wunschinhalt und die Hoffnungstiefe, die durch Unwissenheit oder bare Fantasterei hindurch erschienen sind" (Das Prinzip Hoffnung, Bd. 1, Ostberlin 1954,171, Bd. 2, Frankfurt/M. 1959, 1528 f.).
Die dem hic-et-nunc entstammende, manchmal aus zuviel Lebensskepsis, manchmal aber auch aus purer hedonistischer Trägheit kommende Verweigerung des Lesens ist oft Waffe gegen zuviel Vorhandenes, sozusagen das letzte Aufgebot der vor solchem „Zuviel" Erlahmenden, auf jeden F a l l das einzig verbliebene „Verweigerungserlebnis" — denn i m Allgemeinen w i r d nirgends mehr „verweigert". Dann realisiert sich möglicherweise auch das Schreckbild Sorers: „Eine ausgehungerte barbarische Masse fällt über die reichen Gefilde der K u l t u r her. Eigentumslos, besitzt sie nicht das Gefühl der Verbundenheit von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft (nicht einmal das Gefühl für die ,physische Kette 4 , die menschlich von der Vergangenheit in die Zukunft geht). Zukunft ist nur eine blasse Vorstellung, keine Wirklichkeit, kein Gedanke an die Zukunft hemmt das wilde Rasen, die Welt geht i m »Ressentiment4 unter, es gibt kein Recht mehr i n ihr, nur die Macht, keine Religion mehr, nur Politik, keine Kunst mehr, nur Luxus. 44 Endlich: nach A. Adler gibt es einen Zusammenhang zwischen Individualbewußtsein und Sozialbewußtsein und eine Abstoßung des Unbewußten — denn das Unbewußte werde nicht ä la Freud „verdrängt 4 4 , und das Bewußtsein trete daher nicht nur als „Speicher 44 abgelebter Zeit auf, sondern, i n einer „zweiten Phase44 als „selektiver Filter", dies vor allem auch i m Hinblick auf Sinn und Zeit: nichts von dem, was w i r 1
s. weiter Bloch, aaO, 409 ff., 424.
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— unbewußt oder, überwiegend, bewußt — planen (in einer U r sprungsangelegtheit aller Lebewesen) behält seinen Sinn, wenn das individuelle oder soziale Nachher, vom unmittelbar folgenden Augenblick über den kommenden Tag oder das kommende Jahr, nicht mehr „impliziert" wird, die Zukunft also allein — vielleicht damit auch das „Sein-Sollende" — ist „das Reich der Souveränität gegenüber dem Leben", Thomas Mann's „Gottessorge ums Zukünftige" . . . Der historische Materialismus spürt über alle historischen Zeiten h i n der Bedeutung nach, welche Materie, oder nur die Materie, i n den Philosophien aller Zeiten hatte, und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sich alle Philosophien selbstverständlich m i t der Materie beschäftigten, einige, z. B. die des Demokrit, nur sie i m Leben, und speziell i m menschlichen Leben, sahen. Der historische Materialismus spaltet sich heute i n a) den mechanischen, b) den dialektischen Materialismus auf — M a r x war beides, er wollte die Welt nicht nur (mechanisch) sehen, sondern sie (dialektisch) verändern. Der Materialismus, ob mechanisch, ob dialektisch, hat m i t dem objektiven Idealismus gemein, daß er annimmt, die Welt bestände auch ohne das Bewußtsein von ihr. Dagegen unterscheidet sich der Materialismus von jeder A r t Idealismus, vor allem vom subjektiven, wonach nur das Bewußtsein die Welt schaffe, dadurch, daß er das Subjektive möglichst völlig aus der Welterkenntnis heraus, die Welt also nur objektiv haben w i l l , was z. B. die Leugnung des subjektiven Halbparts i m Erkennen zur Folge hat, aber i m Grunde auch die gesamte Psychologie selbst, wenn diese nur von menschlichen Typen als Subjekten ausgeht. Wo die Psychologie materialistisch zu sein vermeint, w e i l sie das, was es i m Menschen zu erhellen gilt, als reine Materie nimmt, ist sie nicht durchgedacht. — I n der materialistischen Literatur geht es dem mechanischen Materialismus nicht gut, er sei „Abspülicht aus dem Aufkläricht" (Engels), „Vulgärmaterialismus", „Klotzmaterialismus" (E. Bloch), „Materialismus der Stoffhuber" (Bloch). A l l e m Mechanismus steht eben der Vitalismus gegenüber, und der (klotzmaterialistische) Kausalismus m i t samt seinem Determinismus ist eben, wie oben gezeigt, nur „ l i m i t i e r t " und i n abgegrenzter Optik zu ertragen, über deren Umfang die „Lage", notfalls nach „Feldtheorie", entscheidet — die modernen Raum- und Zeitlehren könnten nicht geleugnet werden, auch nicht die vom Menschen, der eben nicht nur Kreatur ist und seine Zeichensetzung m i t Gehalt und Sinn ausstattet (die Semiotik!) und der die wertende Wahl hat, z. B. i n Berlin-West oder i n der DDR zu wohnen. A u f der anderen Seite greift der historische Materialismus aus den unzähligen Konditionen, die den Menschen bestimmten, w i l l k ü r l i c h die des Zusammenpralls der Menschen i n der „Gesellschaft" oder i m
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Staate heraus, dann auch nur den „homo economicus" und den„homo politicus", läßt aber die sonstigen Konditionen des Menschen, z. B. seine biologischen Komponenten, seine „ K u l t u r " und seinen „kairos" außer Acht. Seine „epitheta ornantia" können den Materialismus nicht retten — es muß eben i n bezug auf den Menschen teuer i m „et-et" gedacht werden (nicht billig i m „aut-aut"), „dialektisch" wird, wie oben gezeigt (s. o. S. 104), auch auf anderen Feldern der Wahrheitssuche gearbeitet. Das Attribut „wissenschaftlich" bedarf einer besonderen Uberprüfung am besten durch die Wissenschaft von der Wissenschaft, die Wissenschaftsphilosophie, die Wissenschaftstheorie oder die sog. Wissenschaftserkenntnis. Danach gestaltet das Lebewesen sein Sein/Dasein u. a. durch Unterscheidungen seiner selbst oder seiner Umwelt, dadurch also, daß es „intelligiert". Es intelligiert optimal per Wissenschaft, also per „tested knowledge" (wie die Amerikaner sagen), dann durch Wissen, weiter durch Meinen, dann durch Glauben, schließlich durch Vorformen des Intelligierens, z.B. durch Intuition. Die Begriffe Denken, Ratio, kennen, erkennen, Verstand, Vernunft werden für alle Stufen des Intelligierens verwandt, dies aber mit Nuancen, Ratio z.B. nur für Wissen und Wissenschaft, Erkennen vor allem für Wissenschaft, aber auch für Glauben. Zu Resultaten führen selbstverständlich alle Weisen des Intelligierens, Erfindungen werden nicht nur per Wissenschaft gemacht, doch scheint das Intelligieren per Wissenschaft die optimale Stufe darzustellen, was auch der „wissenschaftliche" Materialismus zu Grunde legt. Die Resultate sinken allmählich ab, per Wissen oder bloßes Meinen wird z.B. intelligiert, was ursprünglich nur per Wissenschaft intelligiert wurde. Die Abwanderung von der Wissenschaft zum bloßen Wissen, von der Erkenntnis zur bloßen Kunde, von der Universität zur Schule, ist der eigentliche Inhalt der sog. deutschen Universitätsreform.
Wenn man das Paket des Materialismus aufschnürt, enthält es drei materialistische Postulate und fünf materialistische Statuierungen . Die drei Postulate sind die 1. der materialistischen Vision, 2. der „ A u f dröselung" (Nietzsche) der Werturteile zugunsten von bloßen Aussageurteilen, 3. des Humanitätspostulats. Die fünf materialistischen Statuierungen sind 1. alles ist Materie, 2. alles ist Kausalismus und Determinismus, 3. der Mensch ist nur Kreatur, 4. es gibt an Wesentlichem keine Individuen, sondern nur Gruppen (hier w i r d die materialistische These zugleich zur kollektivistischen, sozialistischen oder kommunistischen), 5. die Gleichheitsthese, am besten ausgedrückt in der Lincoln'schen „proposition" von Ghettysburg am 19.11.1863: that all men are created equal. — Z u den materialistischen Positionen ist i m einzelnen zu sagen: das 1. Postulat der grundsätzlichen materialistischen Vision ist sicherlich zunächst als Gegenschlag zu dem das vorige Jahrhundert beherrschenden Prinzip des Idealismus zu sehen — zugespitzt: der grenzenlosen Gleichgültigkeit des Seins gegenüber seinem Erkanntsein (O. v. Schweinichen, u m 1930). Freilich widerspricht eine grundsätzliche materialistische Vision dem Zuge der geistigen Ent-
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wicklung, der eher eine „Idealisierung der Materie" als eine „Materiailsierung der Idee" erblicken läßt — aus der manuellen Auseinanderlegung von materiellen Zeichen ergab sich z. B. die juristische „Auslegung", aus der römischen (materiellen) potestas entsprang die (ideelle) auctoritas (s. u. S. 212) — auch der Materialismus bläst insofern ein Rückzugssignal. Aus dem 1. materialistischen Postulat kommt m i t der marxistischen Lehre vom ideologischen Überbau, also vom Entspringen des Bewußtseins allein aus dem Sein, auf das es daher allein ankomme, j u ristisch und allgemein kolloquial der „konstitutiv-kausale Sphärenwechsel", mit dem heute viel argumentiert wird, und der oft als öffentliche Lüge auftritt — die primäre Erscheinung w i r d m i t der sekundären vertauscht, der konstitutiven Feststellung, die Deutschen hätten die Polen i m September 1939 angegriffen, wurde z. B. die kausale These gegenübergestellt, daß die Polen dazu die Veranlassung gegeben hätten (und insofern die Schuld am Kriege trügen) 1 , dies alles gern geglaubt und unermüdlich wiederholt, auch m i t Einsatz der „Dialektik": nicht die Araber hätten i m Oktoberkriege 1973 die Israelis angegriffen, sondern die Israelis die Araber, w e i l die Israelis seit Jahren arabische Länder besetzt hielten, und überhaupt Israels Heil nur m i t einem Nachgeben gegenüber den Arabern erkauft werden könne. — Die Umstellung vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht, von W i l l kürschuld zur Lebensführungs- und Statusschuld 2 muß hier vorsichtig sein. Daß die Tat i m Lichte der Determinationen und Motivationen des jeweiligen Täters gesehen wird, ist juristisch selbstverständlich, sonst gäbe es keine Strafzumessungsgründe und keine „mildernden Umstände" (und das Entsprechende gilt für die zivilistische Betrachtung). I m ganzen aber geht es nicht! Erst der „Tatbericht" und die Tat, die Crimen-Tat w i r d möglicherweise geringer bestraft, wenn die Tat eine anständige Motivation hat. Wenn die Motivation i n einem ganz abwegigen Glauben bestand (alle Gegner Hitler's seien Deutschlands Unglück), w i r d diese Motivation zwar als ideell gewertet, aber nicht sehr positiv, w e i l sie so abwegig ist. Wenn die Motivation dahin geht, daß ein Staat oder eine Gesellschaft beseitigt werden müsse, w i r d die Motivation w o h l ideeller Natur sein. Wenn die Motivation dahin lautet, daß ein Auto für D M 50 000 beschafft werden müsse, u m das bestehende „Establishment" zu brechen, so w i r d eine solche Motivation überwiegend als materiell, und nicht als ideell angesehen werden, möglicherweise also gar nicht berücksichtigt. — 1 2
W. G. Becker, Der Tatbestand der Lüge, 1948, 32. Dazu z. B. A. Ehrenzweig, aaO, 269.
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Vor einem Schuldvorwurf muß also stets der Tatvorwurf stehen, und die rialisierung der Idee" erblicken läßt — aus der manuellen AuseinanderGenauigkeit — was hat er getan, muß zunächst objektiv gefragt werden, erst danach setzen die psychischen Maßstäbe ein. Das gilt auch für die moralische Schuldfrage: also auch hier erst die moralisch verwerfliche Tat, dann die moralische Schuld. Gingen wir hier anders vor, und vernachlässigten wir die moralisch verwerfliche Tat, so blieben w i r bei einer bloßen Gesinnungsethik (s. dazu u. S. 391), und mit dem Hinweis auf eine kaum beweisbare gute moralische Gesinnung könnte über schlechte moralische Taten hinwegvoltigiert werden. „Die Wiedergabe der nüchternen Wirklichkeit ist nicht die Aufgabe des Künstlers, vielmehr hat dieser sich um eine Erklärung zu bemühen, wobei er weniger erfinden als suchen und auswählen wird" (Nürnberger, Der frühe Fontane, 1967, 60): es muß also für die Nichtkünstler, auch die Juristen, primär bei der Tat bleiben, nicht bei ihrer Erklärung, was, wie gesagt, vorzugsweise Sache des Künstlers ist: darum ist z.B. auch die vorpsychologische oder gar vortiefenpsychologische Literatur heute vielfach so langweilig, und das Interesse beginnt hier erst mit der Psychologisierung der Taten (oder der Personen, die sie tun — Beginn in deutscher Sprache mit Kleist, dann Büchner, auch Gottfried Keller, vor allem Hebbel, musikalisch Richard Wagner, dessen enorme Wirkungen wohl hier begründet liegen).
Ähnlich der Neigung, die Natur vor den Geist zu stellen, scheint auch der „geistig-natürliche Sphärenwechsel" bestimmt zu sein — St. Justs Rede bei Büchner, Dantons Tod, oder der russische Kommentar nach dem 2. Weltkriege, nach großen Kriegen veränderten die Völker ihre Wohnsitze wie die Ströme i h r Bett — aber solche Sphärenwechsel sind „fallacies", „die Landschaft will nicht, wenn sie sich bewegt" (Rilke). Dem 1. materialistischen Postulat der durchgängig materiellen Vision m i t dem Ton auf Determination/Motivation entspringt dann vielfach die Abwürgung von Sitte (it isn't done), Ethik und Ästhetik und die entsprechende Lebensverärmerung. Sitte: man nennt nur den Vornamen, als wenn man, wie die Pferde, nur i h n hätte, Ethik: die Eltern sind schlechthin Gewalthaber und die Kinder potentielle Unterhaltskläger, Ästhetik: Christbaum und Arbeitstisch bestehen materiell beide aus Holz, warum also zwischen Beidem ein Unterschied? Die Verweigerung der Ethik torpediert auf der Leistungsebene die von der Gesellschaft und dem Staate immer gesuchte „Lust zur Virtu". Virtus ist die Tugend, ein altmodischer, aber ethischer, auch ökonomischer Begriff. Woyzeck bei Büchner meinte dazu: „Ja, Herr Hauptmann, die Tugend, ich hab's noch nit so aus, Sehn Sie, w i r gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt vornehm reden, ich w o l l t schon tugendhaft sein. Es muß was schönes sein u m die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl." —
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Auch die politischen Prinzipien z. B. Lenins greifen i n die allgemeine Ethik-Verweigerung über. Zu Lenins Prinzipien gehörte die absolute Ablehnung der Moral i n der Politik, es gäbe keine Ethik darin, überhaupt sei eine allgemeine Ethik "bürgerlich". „ Z u r Erreichung des kommunistischen Zweckes ist jedes M i t t e l recht, Gewalt, Unterdrückung, Mord, Betrug, Lüge, Heuchelei, Vertragsbruch, Bespitzelung", die Amoralität i n der Politik, die nach ihrem Protagonisten Netschajew (um 1860) sogenannte „Netschajewtschina". Die beliebte Zügellosigkeit der Anarchisten und Chaotiker kommt hier dem 1. materialistischen Postulat sehr entgegen. Das 1. materialistische Postulat, alles nur als Materie zu sehen, scheitert an der Faktenfeststellung, vor allem an ihrem oben behandelten „subjektiven Halbpart" (s. o. S. 80): „concentrating i n facts w i t h out even suspecting that facts presuppose concepts", „a priori frame work of science", „each datum of sensation involving a whole process of thought" (Cowan, Stone), Fakten bedürften der „human response, a constructing thing" (Langer). Moderne Faktenforschung (auch jede „kritische" Lehre von der Erfahrung) arbeitet nicht m i t Daten, sondern mit Zeichen oder Symbolen von Daten, die interpretiert und gedeutet werden müssen, und die Statuierung der Tatsachen verläuft i n einer Beziehung zwischen aktivem Subjekt und passivem Objekt, wobei man also auch bei Fakten an den genetischen subjektiven Halbpart der Fakten denken muß. Ohne diesen „subjektiven Halbpart" bleiben die Fakten" des „Ursalats nicht angemachter Teil" (Vischer, Faust III). Man spricht von „Konstanzmechanismen": Sinnesdaten werden zu Wahrnehmungen. Es handelt sich also immer u m Tatsachenurteile, nicht um Tatsachen schlechthin, nicht um ihre Beobachtung, sondern u m die Bedeutung ihrer Beobachtung (meaning of observation), „a w o r l d without m i n d is a w o r l d without facts". Fakten ergeben sich aus „propositions of facts" (Michael). § 286 ZPO mag weiterleiten, auch die TatsachenDefinition in RGZ 28,1746 (s. a. oben S. 45). Auf Faktenkult und logischer Schwierigkeit der Erfassung von Fakten beruht insbesondere das Dilemma der amerikanischen Brandeis-Schule: Der berühmte amerikanische Richter Brandeis inaugurierte in den~30er Jahren den sogen. Brandeis -brief, den wir gern intuitiv nachahmen, indem die Schriftsätze unserer Anwälte in den Prozessen sich mehr und mehr auf den Vortrag von Tatsachen beschränken, was von den Richtern nicht einmal so ungern gesehen wird, weil sich damit ihre Autorität stärkt, über Rechtsfragen zu entscheiden (iura novit curia). Dazu die Feststellung von M. Rooney: „Brandeis, though master of the law of evidence, fails to consider the mental element in observing facts, Brandeis never seems to be quite
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conscious of the subjective factor in fact-finding but betrayed what almost amounts to naivste... it was almost as if in the manner of Gertrude Stein, he had said ,a fact is a fact is a fact' depending upon repetition to make it more so". — Dieser naiv-empiristischen und naiv-realistischen Geisteshaltung entspringt vor allem die wundervolle und keineswegs nur der Bekämpfung von Suggestivfragen gewidmete „objection" der Gegenpartei zwecks A b schaltung eines unbehaglichen Zeugen: „since putting the witness* mind into Operation." — A u d i die dem materialistischen Faktenkult eigentümliche Hochschätzung der Statistik , die anstelle begrifflicher Anstrengungen „das Normale" am Menschen dartun soll, ist bedenklich.
Das 2. materialistische Postulat der „Aufdröselung" der Werturteile w i r d besonders i m „Faktenkult" (Nietzsche) vorgetragen (die Kybernet i k ist immer dabei!). Was Faktenkult ist, lehrt i n unreflektierter A r t schon ein vergleichender Blick i n einerseits amerikanische, andererseits deutsche Zeitungen — i n Amerika schreiben die Zeitungen vornehmlich „faktisch" (informatorisch), und der (wertende) Leitartikel w i r d auf Mittelseiten verweisen, i n Deutschland thront der Leitartikel auf der ersten Seite, obwohl sonst, auch i n Annäherung an Amerika, eine faktische Berichterstattung bevorzugt w i r d — ganz generell überall die faktische „Information" und das Sachbuch. — U m juristisch zu werden: parlamentarische Untersuchungsausschüsse „haben die A u f gabe, Tatsachen zu ermitteln und die festgestellten Tatsachen zu werten, nicht aber unabhängig von Tatsachen Feststellungen vorzunehmen und zu werten". Die „Aufdröselung" der Werturteile zu Aussageurteilen entspricht dann zuerst der materialistischen Bestreitung der Richtigkeit der Werturteile und n i m m t somit Anschluß an den unten besprochenen PopWertrelativismus, welcher die mögliche Richtigkeit von Werturteilen, und damit diese selbst, bezweifelt, also bloß „wahre" oder besser: „wahrscheinliche" Aussageurteile übrigläßt. Die materialistische Bestreitung der Werturteile stößt sich aber an der Logik und ist zudem verwirkt, w e i l die materialistischen Postulate selbst Werturteile darstellen. Daß es m i t der „Aufdröselung" von Werturteilen nicht geht, ergibt sich z. B. i m juristischen Bereich bei der Vernehmung eines sachverständigen Zeugen i n New York, wobei dann etwa die durch den sachverständigen Zeugen festzustellende Eminenz eines deutschen Rechtslehrers i n Fragen nach seiner Schulbildung, nach der Zahl der von ihm besuchten Universitäten oder nach der Beschaffenheit seiner Doktorwürde aussageurteilsmäßig und i n materiellen Fakten aufzubereiten versucht wird. — „Verum et factum convertuntur" (M. Scheler). Der Faktenkult hat sich i n letzter Zeit „wie ein erstarrender Frost über die menschlichen Beziehungen gelegt" (Einstein).
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Das 3. materialistische Postulat, das Humanitätspostulat, ist rundweg zu begrüßen. Seinen überzeugendsten Ausdruck findet es allgemein in dem Appell an die menschliche Brüderlichkeit, speziell juristisch i m Schutze der Persönlichkeit, aber indem von der Persönlichkeit des Menschen die Rede ist, w i r d von seiner Idee gesprochen, also gerade nicht von seiner Materie (s. o. S. 148). Zum Humanitätspostulat wird von Edmund Wolf in der „Süddeutsche Zeitung" vom 4./5. März 1972 der englische Arbeiterdichter Ted Whitehead allerdings dahin zitiert: „Die intellektuelle Mittelklasse redet sich ein, daß es unter den Proletariern mehr Versöhnlichkeit gäbe. Das finde i d i nicht. Lebenswärme (und Kumpelkameradschaft) ja, sie sind sehr freundlich zueinander, sie hatten es auch sehr nötig, sich gegenseitig zu helfen. Aber sonst? Menschliche Liberalität habe ich trotz meiner Herkunft aus der Arbeiterklasse erworben." — I n den russischen Gefangenenlagern hat das Humanitätspostulat bei den einfachen deutschen Soldaten vielfach versagt („mein bester Kamerad bin ich selber!") — die japanischen Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft, die sittenmäßige und sittliche Begriffe wahrten, haben auch sich selbst dem Anscheine nach besser geholfen. — Es gibt eben die sympathetische und die apathetische Humanität. —
Das Humanitätspostulat w i r d vor allem heute vom Materialismus vorgetragen, gehörte aber von jeher zum Arsenal aller menschlichen Forderungen, vor allem auch der des „Scheißliberalismus" Das Humanitätspostulat bildet den K e r n des Rechts der unerlaubten Handlungen, betrifft aber auch das Wesen jeder echten revolutionären Bewegung und stellt damit eine Brücke zwischen dem "Recht der unerlaubten Handlungen" und den heute soviel diskutierten Revolutionstheorien dar. — Die sog. „neo-materialistische" Formel des Materialismus nach E. Bloch knüpft, da sich denn der alte Materialismus vor allem mit seiner Absage an die Idee und an das Subjektive angesichts neuer Erkenntnisse über das Subjektive, das Psychische und über die Semiotik nicht recht halten kann, nolens volens an das Humanitätspostulat an: Neuer Materialismus wäre einer, der sich nicht nur auf den Menschen als Frage und die Welt als ausstehende Antwort, sondern vor allem auch auf die Welt als Frage und den Menschen als ausstehende A n t wort versteht 1 — eine materialistische Bestätigung der kopernikanischen Wendung, welche, „ u m die Himmelsbewegungen zu erklären, das Sternenheer i n Ruhe ließ, den Zuschauer aber drehte" (Kant, Vorrede zur 2. Aufl. der K r i t i k der reinen Vernunft, XVI). Die 1. materialistische Statuierung stößt auf den oben schon erwähnten Widerspruch der Ideen. Diese Ideen trugen auch Marx und 1
Bloch, Das Materialismus-Problem, 1972, 450.
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Engels, zu schweigen von der ideellen Verwurzelung des Materialismus i n L u d w i g Feuerbach und Hegel. Z u beobachten ist daher auch ein gewisser „heimlicher Idealismus" der Russen. — Dieser „heimliche Idealismus" ist sicherlich „objektiver Idealismus", der Materie und Idee gleichstehend als Realitäten nimmt (Aristoteles bis Dilthey, dazwischen vornehmlich auch Goethe). Der „klassische Idealismus" der Deutschen hat nicht die Idee zum Gegenstande, sondern „das Ideal" (vor allem Schiller). Der subjektive Idealismus kommt von Locke und Berkeley, seine Anhänger sind aber auch Hegel und (teilweise) die modernen amerikanischen Pragmatisten: esse = percipi, die „Welt besteht nur aus Gedanken und Anwendungsstrukturen". Lange (Geschichte des Materialismus, I, 511 i n der Reclam-Ausgabe von 1906) meint dazu: „Manche werden glauben, eine solche Weltanschauung sei leicht durch eine Dusche oder Brause bei angemessener Diät zu widerlegen, aber nichts w i r d den auf diesem Punkte angelangten Denker hindern, Brause, Arzt, seinen eigenen Körper und dann das ganze Universum lediglich für seine Vorstellung zu halten, außerhalb welcher nichts e x i s t i e r t . . . " Eine Hauptthese des subjektiven Idealismus stammt (verspätet) von Carlyle: „Diese so massiv erscheinende Welt ist doch schließlich nichts anderes als ein Luftbild, und nur das Ich eine Realität." — Die drei idealistischen Bewegungen der Zeit vor 1914 sind: der (proletarische) Syndikalismus, der (technische) Modernismus und der (imperialistische) Nationalismus — alle drei Wegbereiter des Faschismus . . . „Die nicht zu leugnende Auch-Abhängigkeit des schöpferischen Menschen vom Materiellen w i r d zur materiellen Allein-Abhängigkeit e r h ö h t . . . Doch haben Millionen Menschen unter den gleichen materiellen Bedingungen produziert, ohne daß sie darum Michelangelo, Goethe oder Marx wurden. Es gibt charakterlich-ideelle Typen, die, m i t gewissen Abwandlungen, zu allen Zeiten und unter sämtlichen Produktionsbedingungen wiederkehren . . . Wenn die Änderung der Ideologie auf veränderten Produktionsverhältnissen beruht, worauf beruht die Ä n derung der Produktionsverhältnisse, warum bleiben sie nicht, wie sie sind? (K. Hiller — Warum bleiben nicht die ökonomischen Verhältnisse? — dazu auch schon M a r x selbst i n einer K r i t i k Feuerbachs). — Scharf gesagt: so sehr die Formel, daß das „Bewußtsein" sich nur aus dem „Sein" des Menschen ergäbe, also die marxistische Zentralthese, überall auf Respekt stößt, so sehr steht i h r die Einsicht entgegen, daß zum Sein auch das Bewußtsein ¿es Menschen gehört, daß es kein Sein
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ohne Bewußtsein gibt, was vor allem bei dem oben behandelten „subjektiven Halbpart" der Erkenntnisse, und dabei wieder besonders markant bei der Faktenfeststellung herauskommt: keine Fakten, nur entsprechende Interpretationen (Nietzsche), no facts without concepts (s. o. S. 81). Die Streichung der Ideen bedeutet auch die Liquidierung der Wertungen, Werturteile und Werte. Orientierung und Information schlagen sich i n Ideen nieder. „Putz auf Fron" (E. Bloch) ist eine schöne Formulierung, denkerisch aber reinster Nihilismus: der Putz (die Idee) ist dauernd dabei, die Fron zu liquidieren — sägt er den Ast ab, auf dem er sitzt? Weiterhin (als 2. materialistische Statuierung ) der materialistische Kausalismus: sicherlich ist alles kausal, doch würde kein Mensch nur i n der causa denken, das führte zur „Klaustrophobie" und zum „Blödipuskomplex". Und was den materialistischen Determinismus , mitsamt seiner Arbeits- und Leistungsscheu) anlangt, so kann an einer M i t berücksichtigung von Schuld oder Verschulden neben Determiniertheit, Motivation, Motiv, Fatum, wie oben gezeigt wurde, nicht vorbeigegangen werden (s. o. S. 63). — Die 3. materialistische Statuierung, daß der Mensch nur Kreatur sei, nur Zoon und insofern gleichbedeutend m i t den nichtmenschlichen Lebewesen, ist sehr beliebt. I n einer der musikalischen Bibeln des Materialismus singt J i m bezeichnenderweise: „Oh, Jungens, ich w i l l ja gar kein Mensch sein . . . " Reell gesehen bedeutet das Eskapismus. Der Engländer Chesterton meinte, daß er sich einen Ameisenhaufen sehr gut als Stadtsiedlung vorstellen könnte, er vermisse nur die Alleen m i t den Standbildern großer Ameisen darin . . . Aber auch die alten Argumente sind gegen die 3. materialistische Statuierung, daß der Mensch nur ein Zoon sei, dem Tiere gleich, hervorzuholen: betrachtet man den Menschen immer nur als Zoon, so besitzt er möglicherweise nichts anderes als (wie Gottfried Benn einmal unmutig feststellte) das Gehirn eines Ungeziefers und die Lüste eines Katers. Sieht man immer nur den menschlichen „Urfonds" an, so verliert man den Menschen überhaupt und leitet insbesondere seine Emotionen, und darin wieder namentlich sein Würde- und Schamgefühl, nur aus seinen Schutzbedürfnissen, seine Sitte und seine Sittlichkeit nur aus tierischen Trieben ab, so daß das Menschlich-Besondere derart zum Tierisch-Allgemeinen wird, der Mensch zum Menschentier (Troeltsch). Altmodisch dichtete man: „polla ta deina, k'ouden anthropou deinoteron pelei" (wobei es sicherlich unscharf ist, „deinos" mit „gewal1
eker
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tig" zu übersetzen), und altfränkisch sprach man seit der Aufklärung nur dem Menschen unter den zoa die „Vernunft" zu. Zusätzlich offenbart sich bei dieser 3. materialistischen Statuierung eine gewisse (deutsche?) Lebensverneinung, wie sie besonders von Schopenhauer formuliert wurde, wie sie aber auch i n dem Liliencronschen Gedichte vom exhumierten Schädel zum Ausdruck kommt: der Schädel schreit, ich war Embassadeur, ich war Baron, und ich vermittelte den Frieden zwischen Dänemark und Holland! . . . es h i l f t i h m alles nichts . . . Die mechanistisch-materialistische und die historisch-materialistische Auffassung vom Menschen bloß als materieller Kreatur ist falsch, w e i l sie den lebenden Menschen, eine Idee, nur materiell sieht und weil sie deshalb monistisch ist, während hier wie sonst i n der Soziologie eben nur die pluralistische Beobachtung regiert. Das führt direkt i n das geistliche Lied, das Thomas Mann i m „ K r u l l " reportiert und interpretiert: „Der Mensch, wie schön er sei, wie schmuck und blank, ist immer doch Gekrös' nur und Gestank" — eine Rückseite der Medaille, die regelmäßig von uns, wie die Erfahrung lehrt, gar nicht angesehen wird, es sei denn, man wäre Gerichtsmediziner. — Es steckt, wie schon der chinesische Weise sagt, keineswegs aller Mensch i m Tiere, wohl aber alles Tier i m Menschen. Dieser „bestialische Materialismus" (Bloch) ist auch nur, wie der Verhaltensforscher zeigt, an den niederen Tieren ausgerichtet — die „höheren" kennen z. B. nur ganz ausnahmsweise die „Sofort-Begattung" ohne die feiner differenzierten Verhaltensweisen der Werbung und der Paarbildung (Lorenz — an die domestizierten Haustiere darf man hierbei nicht denken, da sie eben durch diese Domestizierung, z. B. durch Wegzüchtung, die Verfeinerungen verloren haben). Die 3. materialistische Statuierung stößt endlich klirrend auf die Tatsache, daß unter allen Lebewesen, soweit man weiß, allein der Mensch „die permanente Realisierung seiner Endlichkeit" vollzieht, also, wenn und seitdem er überhaupt denkt, seines Todes gewärtig ist — was auf die Großartigkeit seiner Zerebration zurückzuführen sein mag, und was i m übrigen alle Kulturleistungen des Menschen, insbesondere seine ganze Wissenschaft und seine ganze Kunst begründet. Der Mensch ist also specialis i n der „generalis" der Lebewesen, und die specialis derogiert nach altem Denkherkommen die generalis, der spezielle Kreisring läßt den generellen Kreis zurücktreten. Die 4. materialistische Statuierung, die Unwesentlichkeits-Erklärung des Individuums zugunsten der Gruppe, stimmt einfach nicht. Der Trumpf der Sozialität besteht darin, daß der Mensch biologisch eine
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15jährige Entwicklung durchmachen muß, bevor er fertig w i r d (die kleinen Tiere oft nur Tage!), und die Aufbereitung des kleinen Menschen zum fertigen Leben erfolgt normalerweise i n der Gesellschaft, vorwiegend i n ihrer Kleinstform, der Familie 1 . Aber die Menschen sind nicht „Dividuen", sondern Individuen — „eine gesunde Gesellschaft ist ebenso an die Selbständigkeit der Individuen geknüpft, wie an deren innige soziale Verbundenheit" (Einstein). Rechtslogisch ergibt sich die Figur des Individuums deduktiv aus der Vorstellung einer zusammengesetzten Summen- oder Inbegriffsrealität (z.B. einer bürgerlich-rechtlichen Gesamtsache, eines Autos), die sich i n dem Augenblicke zur Beobachtung stellt, wo man der Natur der Sache nach eine Realität eben als aus Bestandteilen bestehend auffassen kann oder muß: was dann hic et nunc unter keinen Umständen als nur aus Bestandteilen bestehend aufgefaßt werden kann — das ist ein Individuum. — Ein weiteres Beispiel nach dem § 139 BGB: von einer Verkäufergruppe von drei Angestellten ist der eine geschäftsunfähig, er w i r d i m Wege der personalen Teilung ohne denkerische Schwierigkeiten von der Gruppe abgespalten, und es ist, wenn danach ein Kaufvertrag zwischen dem Käufer und der Verkaufsgruppe zustande kommt, durch gültigen Kaufvertrag verkauft worden. — I n der anthropologischen Geisteswissenschaft stellt sich das I n d i v i duum als eine menschliche Konstante und Invarianz dar. Logische Invarianz und geschichtliche Variabilität schließen sich dabei nicht aus. Bei allen seinen Gefahren (abgleitende W i l l k ü r und Selbstvergottung, z. B. bei Nietzsche) bleibt also der Individualismus legitimiert. — Die 5. materialistische Statuierung der allgemeinen menschlichen Gleichheit (aus der die viel mißbrauchte Chancengleichheit folgt) ist die Verwandlung eines alten Postulats — anscheinend tauchte es schon i m 3. Jahrtausend a. Chr. n. i n der ägyptischen Theologie auf: jedem, nicht nur den Großen, w i r d zugestanden, nach seinem Tode ein Osiris zu werden . . . Die Egalitätsstatuierung ist jedoch zu fünfzig Prozent unrichtig und insoweit der Ergänzung durch das LeistungsPrinzip und das Sozialadäquanz-Prinzip bedürftig: man muß bei der Egalität wie bei der aristotelischen Gerechtigkeit (Nikom. Eth. V, 7) i n zwei Moden denken, also einmal eine arithmetische, kommutative, und zum anderen Male eine geometrisch-proportionale distributive Egalität ins Auge fassen: „Jedem das Gleiche!" (wir sind allemal gleich gute Kohlfresser, meinte Strindberg . . . ) — dieser Grundsatz beherrscht sozusagen die Basis der Egalitätspyramide — aber auch, je nach der 1 Der oft zu beobachtenden physischen Akzeleration bei Heranwachsenden steht häufig die Retardation der sonstigen Lebensbereiche, besonders der sogenannten geistigen, gegenüber, und der Schlachtruf gegen die über 30jährigen ist zugleich der der Infantilen gegenüber den Erwachsenen!
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Position i n den oberen Stockwerken: „Jedem das Seine!". Die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG, A r t . 5 des Strafgesetzbuches der DDR) spricht die kommutative Gleichheit an, der Sozialgedanke und insbesondere das Prinzip der Sozialadäquanz die distributive. — Die Mode der kommutativen Gleichheit (die i m „gleichen Wahlrecht" gipfelt), t r i t t heutzutage i n Omnipräsenzen, und dann oft geradezu aggressiv auf: Bert Brecht steht dem letzten Hilfsarbeiter gleich, weil er auch nur zwei Beine hat! — „ u n d nennt er seine Wolken Schwäne, so schelten sie ihn, hungrig, blind, und zeigen ihm, daß seine Zähne genau wie ihre Zähne sind . . . " Man sollte die Fragestellung i m übrigen nicht allzu theoretisch dressieren. Der alten „separate-but-equal"-Doktrin des amerikanischen Obersten Bundesgerichts eignet viel gesundes Faktenverständnis, ohne die es z. B. keine militärische oder überhaupt keine Notstandsdisziplin geben kann. — E. Bloch singt sein Lamento von der Ungleichheit der Menschen auf S. 377 ff. seines Materialismus-Buches. — Die Menschen sind nicht gleich, sondern ähnlich, wenn auch derselben A r t , Mann und Frau gehören z. B. derselben A r t an, sind aber nach der natürlichen Planung eben dieser A r t ungleich, wenn auch ähnlich, w e i l ihnen eben jener Artplanung nach grundsätzlich verschiedene Aufgaben der Arterhaltung obliegen (wohl zu unterscheiden von der Aufspaltung z. B. der Menschenart i n alte und junge Menschen, d. h. i n bloße Pseudo-Arten). Die Egalitätsdoktrin stützt sich zusätzlich und endlich auf die Meinung, daß man die Menschen, seien sie es i m Moment auch offenbar nicht, dadurch gleich machen könnte, daß man sie gesellschaftlich gleich „konditioniert", da alles menschliche Verhalten „erlernt", nicht angeboren sei — eine Aufnahme des Pawlow'schen Erkenntnisses von den bedingten Reflexen als einleuchtendem physiologischen Korrelat zu den von Wundt untersuchten Assoziationsvorgängen, und eine absolute Ablehnung der gleichfalls naturwissenschaftlich vertretenen Meinung, daß vieles i m Menschen auf phylogenetisch programmierter Anlage beruhe und nicht Folge von (erworbener) Aufbringung, sondern angeboren sei und also aus dem großen Instinkt-Inventar des Menschen stamme — die Doktrin des amerikanischen Behaviourismus, i m „Neo-Behaviourismus" revidiert, wenn auch i n bezug auf die Manipulation von „Massen" durch politische Machthaber recht erfolgreich, w e i l sie alles spezifisch Menschliche i m Menschen unterschlug. Diese Vernachlässigung der menschlichen Struktur w i r d gerügt: das soziale und moralische Verhalten der Menschen ergäbe sich nicht aus gesell-
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 schaftlicher K o n d i t i o n i e r u n g , s o n d e r n aus d e r stammesgeschichtlich e v o l v i e r t e n O r g a n i s a t i o n d e r menschlichen N e r v e n - u n d Sinnesorgane (Lorenz), m a n h ü t e sich v o r „ s i m p l i c i t y - f i l t e r s " (D. G r i f f i n ) . D a f ü r , daß das L e b e n als Leistung g e l e b t w i r d , daß es d e m n a c h L e i s t u n g s u n t e r s c h i e d e u n d U n g l e i c h h e i t e n g i b t , s p r i c h t (ganz abgesehen v o n d e n m e d i z i n i s c h e n Beobachtungen) auch d i e V e r h a l t e n s p h y s i o l o g i e , welche das L e b e n als I n b e g r i f f v o n L e i s t u n g e n u n d S e l b s t e r h a l t u n g , der Selbstregulierung, der I n f o r m a t i o n u n d der R e p r o d u k t i o n k r a f t S t r u k t u r der L e b e n s m a t e r i e bezeichnet, so l a n g e dies eben da i s t ( K . Lorenz). M i t der Gleichheit „in der unteren Etage" wird vor allem der Richter seit geraumer Zeit gern rein kreatürlich betrachtet 1 . Hier ist zunächst daran zu denken, daß nach amerikanischer Auffassung der Richter zugleich Amtswalter und Mensch ist, nach deutscher lediglich Amtswalter 2 (wobei aus der Auch-Humanisierung des amerikanischen Richters eine gewisse Entpolitisierung der Prozesse folgt, während nach der deutschen Auffassung der Richter gern nur die Peitsche der staatlichen Gewalt schwingt). I n bezug auf die kreatürliche, dann auch soziologische Rolle des Richters ist anscheinend zuerst von Haynes in Amerika gearbeitet worden 3 . Auch bei der Erpressung durch Geiselnahme (kidnapping) wird stets die Kreatürlichkeit der Geiseln bedacht, seien diese auch gerade durch nicht-kreatürliche Bedingungen in das Licht der Öffentlichkeit gerückt (zu diesem Verbrechen einstweilen nur Krey / Meyer in der Z. für Rechtspolitik, 1973, 1 - 5). Der Heidelberger Fall des sozialistischen Patientenkollektivs (gegen Huber und Genossen) beleuchtet erneut die Notwendigkeit eines der anglo-ameri1 s. a. die heute beliebte Reduzierung der Geschlechterbeziehungen zu bloßen Kreatürlichkeiten. — Auch der Witz wendet gern die Gegenüberstellung von Kreatürlichkeit und menschlichem Rollenspiel an, auch die Kunst, man denke an Liliencrons Verse „Bei meinem Freund zum ersten M a l — sah ich die Scherbe niederschnippen — und Tränen fielen ohne Zahl — dem Toten auf die bleichen Lippen" — in denen beileibe nicht an eine Verherrlichung des monokeltragenden Leutnants gedacht wird, sondern dieser in seinem Rollenspiel plötzlich kreatürlicher Mensch wird! 2 Die deutsche Literatur beschränkt sich in diesem Punkte im wesentlichen auf Friedrich Stein, Das private Wissen des Richters, 1898; Stein akzeptierte das private Wissen des Richters lediglich in der Manifestation der Sachkunde oder des Besitzes „offenkundiger Tatsachen" (aaO, 74 f., 155, 177). Dagegen muß man nach R. Bruns, Zivilprozeßrecht, 1968, 40, überall „den Richter persönlich fassen". — Der Richter wird als Mensch für befangen erklärt, auf den dialektisch durchgegriffen werden muß — m. a. W.: die „Amtspflicht" des § 839 ist immer verletzt, wenn eine Menschenpflicht verletzt worden ist, es braucht aber keine Menschenpflicht verletzt worden zu sein, wenn eine Amtspflicht verletzt worden ist — die „Amtspflicht" ist vielleicht specialis der generellen Menschenpflicht, möglicherweise muß aber die „Amtspflicht" (wenn es anders nicht geht) durch die „Menschenpflicht" des § 823, 1 umrissen werden — die generalis wird, gut dialektisch, also nur zur „Latenz" hinter der specialis, sie wird von der specialis zunächst konsumiert, kann aber „dialektisch" dann auch wieder auftauchen und berücksichtigt werden — wie hinter dem Handelskaufe die dialektische Latenz des allgemeinen Kaufes steht. 3 „General Observations on the effects of personal, political and economic influences in the decisions of judges", 17 Illinois L. R., 1922/23, 96 ff.
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kanischen Hechtshandhabung entsprechenden contempt-Institutes, das sich dann auch gegen Rechtsanwälte richten kann 1 . Die Engländer und die Amerikaner sprechen von „civil" und „criminal" contempt, von contempt of court oder von contempt of parliament (die grundlegende deutsche Literatur liegt bei Murad Ferid, Contempt of Court im Zivilprozeß, Sonderveröffentlichung der Zeitschr. für ausländisches und internationales Privatrecht, 1950, 234 ff., amerikanisch z. B. der auf S. 431 im „Gegenopfer" reportierte Fall 2 . — Solche Betrachtung des Richters läuft aber letztlich auf Asozialität (gegenüber der Gesellschaft), Sittenverstoß und Respektlosigkeit (gegenüber dem betreffenden Humanwesen) hinaus. Der Respekt kommt von dem Rückblick in das eigene Selbst, der natürlich nicht sehr beglückend ausfallen kann, wenn das Individuum, also auch das eigene Selbst, im Rahmen der erörterten (kollektivistischen) Parole nur als unwesentlich aufgefaßt wird. Der Respektempfänger ist sozusagen der Empfänger einer Anweisung des Respekterweisenden, welche Anweisung durch das Selbst des Respekterweisenden, der darauf zurückblickt, gedeckt ist — in unserem Falle also nicht gedeckt! — Die Verweigerung des Respekts beruht fast immer auf Ressentiments (des Fuchses, dem die Trauben sauer schienen, weil sie ihm zu hoch hingen), oft auf Minderwertigkeitskomplex. — Der „Respekt" muß auch „auf den Mann adressiert" werden — „etwas ist so lange gut, bis man weiß, von wem es ist, und ich maße mir an, von den Dingen so viel zu verstehen, daß ich den ganzen Menschen dazu brauche, um seine Aussage beurteilen zu können" (Karl Kraus) — ein Lehrling sollte also nicht zu einem Augenprofessor über Goethes Farbenlehre sprechen, mag der Lehrling auch noch so intelligent sein, und noch so viele Lexika gewälzt haben. — Das juristische Beispiel des Respekts findet sich bei der (praktisch oft frappierenden) Gegenüberstellung des amerikanischen Richters mit dem deutschen: der deutsche Richter ist seiner Geschichte und Tradition nach „Königsrichterder amerikanische „Genossenschaftsrichter" . Die lautere und wahrhafte Hochachtung, welche die amerikanische öffentliche Meinung überall dem Richter entgegenbringt, beruht auf der Tatsache, daß es sich im Genossenschaftsrichter um den Richter handelt, durch den man, ohne auf einen übergeordneten Herrscher zu stoßen, in genossenschaftlicher Selbsthilfe sich selber richtet, dem man also Selbstrespekt und Wohlgefallen an den Errungenschaften des eigenen Selbst bezeugt, und dessen Beurteilungsund Bewertungssystem das eigene ist 2 . —
Die materialistischen Postulate und vor allem die materialistischen Statuierungen leiten oft zu Hegel'schen „faulen Existenzen" (auch i m direkten Sinne), zu Zügellosigkeit, Schmarotzerei, Anarchismus, Lebenslüge, Obskurantentum und Dunckelmännerei. Die Diesseits-Religionen, welche die völlige Säkularisation der Jenseits-Religionen er1
Ein englisches Wortspiel soll aber, um den düsteren Stoff aufzuhellen, auch hier nicht fehlen: You're displaying contempt of court — fuhr der Richter den Anwalt an. I ' m doing my best to conceal it — antwortete der Anwalt... 2 Dazu aber negativ A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973, 148 ff., 162 f.
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setzt haben, und die sonstigen Demontagen der Charismen begründen am Ende die Montage neuer Charismen — „Opiums für's Volk", unterstützt auf der anderen Seite durch sagenhafte Indoktrinationsbereitschaft. Der Materialismus fördert die Halbwahrheiten, ein menschliches Verhalten w i r d etwa rein physiologisch gesehen, nicht auch moralisch, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob dessen Untergrund auch i n der Physiologie oder Psychologie liegt. Es kommt zum Wissenschaftsaberglauben (Jaspers), allenfalls zu Kontemplations-Urteilen, nicht Elan-Urteilen 1 überwiegend aber doch wohl zu bloßem Meinen i m Denken (und „keimt ein Glaube neu, w i r d oft Lieb und Treu wie ein böses Unkraut ausgerauft"). Auch der Pop und das Primitive i m Menschen w i r d angesprochen (wie bei der kommerziellen Konsumenten» Werbung) — freilich muß jede Ich-Person ständig auch an seine Primitiv-Person denken, darf ihr aber schon aus ökonomischen Gründen sowenig wie möglich unterliegen. Weiterhin w i r d die Aggressivität i m Menschen vom Materialismus beherrscht, auch der Nihilismus und das Chaos. Gerade, wo die hohe Intelligenz, und, noch unverzeihlicher, die Unredlichkeit und die Denkschludrigkeit zum Ausdruck kommen, steht es hier oft wie bei dem berühmten Unterschied zwischen Literatur und Dichtung: „Schiller sprach schlagend aus, was er über die pure Schöngeisterei dachte. ,In allen letzten und höchsten Instanzen, ist man m i t ihr i m Streit und bleibt es, trotz allen Hedens . . . I h r schöner Verstand erhebt sich zwar zu einem genialischen Vermögen. Sie w i l l alles erklären, einsehen, ausmessen, sie statuiert nichts Dunkles, Unzulängliches, und wohin sie nicht mit ihrer Fackel leuchten kann, da ist nichts für sie vorhanden. Darum hat sie aber eine horrible Scheu vor der Idealphilosophie, welche nach ihrer Meinung zur Mystik und zum Aberglauben führt, und das ist die Stickluft, wo sie umkommt . . . Sie kann sich von solchen Werken nur das Leidenschaftliche, Rednerische und Allgemeine zueignen, sie w i r d nichts Falsches schätzen, nur das Rechte nicht immer erkennen . . — Goethe meinte (gegenüber Frau v. Stael): Man begeht doch eigentlich eine Sünde wider den heiligen Geist, wenn man i h r nach dem M a u l red't" (W. Muschg). —
Realismus Freilich muß der Realismus zuerst an Goethes „Venezianische Epigramme" denken (65): Ist's denn so groß, das Geheimnis, was Gott und der Mensch und die Welt sei? Nein! Doch niemand hört's gerne, da bleibt es geheim. . . . Dabei ist die Neuerarbeitung einer realistischen Wirklichkeits-Thematik (gegenüber den scheinbar modernen und zeit1
August Seiffert, Einige kategoriale Grundformen, 1972, 9, 1 ff.
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genössischen, tatsächlich aber liegengebliebenem und abgesunkenem K u l t u r g u t entstammenden und daher rückständigen Haltungen) i m Ganzen genommen ein Kennzeichen fast aller wichtigen wissenschaftlichen und philosophischen Tendenzen seit 1920 (M. Bense), es gibt seitdem und fortlaufend wieder den Blick auf die „stark realities, a tendency of maturing minds towards realism, the doom of the dogmatic age" (S. Langer). Der auf dem et-et-Prinzip beruhende Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft, i n der nicht nur Materie zu Worte kommt, sondern auch Idee, nicht nur Ordnung, sondern auch Freiheit, nicht nur Subjekt, sondern auch Person — das ist eine beachtliche realistische Leistung! — Philosophische Realisten sind etwa Hobbes, Schuppe, Mach, Avenarius, W. James, Santayana, nicht Piaton, dem die Idee Erkenntnis des Allgemeinen i m Einzelnen ist. Juristisch w i r d die realistische Richtung als der radikale Flügel der soziologischen Rechtsschule bezeichnet — die Hauptrealisten der Rechtswissenschaft sind die Amerikaner O. W. Holmes, Llewellyn, Jerome Frank, und die Skandinavier Hägerström, Ross, Lundstedt und Olivecrona (A. Ehrenzweig, 85 ff.). Die „Aufklärung" des 18. Jahrhunderts w i r d zu Ende des 20. neu durchgespielt, oft allerdings nur als populäre Aufklärung, als PopAufklärung. Aber die Aufklärung des 18. Jahrhunderts ist selbst i m 19. abgeklärt worden, und zwar „realistisch" abgeklärt, das 19. Jahrhundert ist das eines grandiosen Realismus, i m 20. ist er fortgeführt worden, er bestimmt auch geistesgeschichtlich das moderne Leben. Die Realität stehe hier gleichbedeutend m i t dem deutschen Worte „Wirklichkeit". So einfach, wie Piatons „Minos" es sich i n bezug auf die Wirklichkeit „Recht" macht, können w i r freilich nicht sein: „das Recht w i l l aufgefaßt sein als eine Entdeckung dessen, was wirklich ist 1 ." Ebenso steht es m i t dem „naiven" Realismus vorwiegend der Amerikaner 2 . Es scheint aber, daß die „Realität" der Phänomene, ebenso wie der Begriff der Norm, von den Juristen entdeckt worden ist — diese mußten sich zuerst für die Tatsachen interessieren, die sich aus den Sachverhalten der Fälle ergaben — „realities are actual true happenings" (Silving). Die Gegebenheiten des Rechts sind danach „real" (z. B. „die reale Norm"), ihre Betrachtung erfolgt nicht „aktuell" (Emge), sondern „reell". — 1
Piatons „Minos", § 6, 315, 3. Llewellyn, A realistic jurisprudence, 30 Col LR, 1930, 431 ff. — von den Engländern sei Hasan, Realism, London 1928, erwähnt, s.a. „Gegenopfer", 78 A. 167, 166 u. 109 f. und die dortige Literatur; A. Ehrenzweig, aaO, 85 ff. — s. a. Max Planck, Positivismus und die reale Außenwelt^ 1931. 2
Schadensersatz u n d Schaden nach den §§ 249 - 253 W e r n i c h t i n d e r R e a l i t ä t l e b t , ist e v e n t u e l l „ r e a l i t ä t s f l ü c h t i g " . Es m u ß aber d i e Herder'sche T r a u e r d a r ü b e r f e s t g e h a l t e n w e r d e n , Schatt e n sehen z u müssen, s t a t t „ d i e w i r k l i c h e n D i n g e z u e r f ü h l e n " , e i n G r u n d t a t b e s t a n d des Lebens, w e l c h e r d a r i n besteht, daß das V e r h ä l t n i s zwischen R e a l i t ä t u n d R e a l i t ä t s v e r l u s t dasselbe ist w i e dasjenige, das zwischen d e n P h ä n o m e n e n d e r W a h r h e i t u n d d e r L ü g e ( U n w a h r h a f t i g k e i t p l u s U n w a h r h e i t ) b e s t e h t : p r o t o n pseudos, „ d i e W a h r h e i t i s t e i n H u n d , d e r z u Loche w i l l , aber Petze L ü g e s t e h t a m F e u e r u n d s t i n k t " — sagt Shakespeare i m „ K ö n i g L e a r " . — D o c h g i b t es die „ R e a l i t ä t s s u c h t " i m Gegensatz z u r Realitätsfluchtl — — Denkbar wäre ein Realismus , der nicht „sozialistischer" Realismus ist, also ohne die Implikationen, welche das Wörtchen „sozialistisch" umschließt (juristisch dazu z. B. E. E. Hirsch in JZ 1962, 149 — „sozialistische" Gesetzlichkeit!), sondern sozialer , der sich vom Materialismus unterscheidet, z.B. darin, daß er Denken nicht allein in Materie, sondern in Materie plus Idee ist. Zwischen den Stühlen steht die Freiheit, Goethes „schöne Insel zwischen zwei Meeren", dem des Idealismus und dem des Materialismus. Real/reell sind insbesondere die Beobachtungen, daß a) neben der Materie auch die Idee anzusiedeln ist, b) der Mensch nicht nur sozial/kollektiv, sondern auch individuell existiert, also nach dem pluralistischen et-et-Prinzip, c) daß der Mensch nicht nur in Aussage und Aussageurteil operiert, sondern auch in Wertung und Werturteil (so auch z. B. der Biologe A. Portmann in seinem „Biologie und Geist" von 1973 und der Philosoph A. Seiffert auf S. 368 im 27. Bande des „Philosophischen Literaturanzeigers), und daß gerade in der Wahl der Wertung und des Werturteils die eigentliche Freiheit und damit ein Essentiale des Menschen liegt — so daß die Gegenthesen a) des M a terialismus, b) des aut-aut-Prinzips, des Sozialismus und des Kollektivismus, c) der nur auf Aussage und Aussageurteil, zusammengefaßt: Information, abstellenden anthropologischen Kybernetik als irreal erscheinen. I n der Literaturwissenschaft, um auch sie zu erwähnen, ist von „Naturalismus" und „Realismus" viel die Rede, der Naturalismus scheint die Gegenstandsdichtung zu bedeuten, der Realismus (etwa bei Zola) die deklarative Wirklichkeitsdichtung, während die konstitutive Wirklichkeitsdichtung (etwa bei G. Hauptmann) mehr ist als literarisedier Realismus, vielleicht „dingliche Dichtung". — Abseits davon liegt diejenige, welche zwar wirklichkeitsbezogen ist, aber als Wirklichkeiten nur die sozialen sieht, also der "soziale Realismus": I n dem sich der Mensch in seiner anthropologischen Offenheit und Freiheit letztlich dem Weltuntergange, nämlich seinem eigenen Untergange, konfrontiert und damit zur „Realisierung der Endlichkeit" durchstößt, stabilisiert er sich innerhalb seiner individuellen Wesenheit als kosmisches Wesen, als welches er mit seiner ihm auch gegebenen Sozialität am klirrendsten zusammenstößt — eine Tatsache, welche die ästhetische Zweitrangigkeit alles Sozialen erklärt. „Die sozialen Leiden haben es uns angetan. Das gibt keine ehernen Schicksale. Das gibt keine wahre Tragödie. — Meine jungen Freunde: Alle tragen zuerst die Last des Erdenkörpers und die heißen Geschenke seiner Triebe und seiner Freiheit. Wir sind nicht zuerst soziale, sondern kosmische Wesen. Wir alle tragen, verkettet wie wir sind in diese Triebe und in
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L u c r u m cessans, der entgangene Gewinn
diese Freiheit, unsere Verantwortung vor uns selber, und also nicht nur Leiden, sondern Sünden. Das große Lied der Kunst ist nie den Leiden eines dürftigen Gesellschaftslebens, es ist den ewigen tiefen Gebresten der Menschenseele, ihrer tragischen Naturveranlagung und Schicksalsverkettung gesungen. Vielleicht nur zu flüchtiger Stillung, vielleicht auch zu einer fernen Verheißung. Ermessen Sie die ganze Kraft der Antike, die in ihrer Mythe Orpheus um Euridike, um die Unschuld der Menschenseele, im Lande der grausen Schatten so süß und verheißend spielen ließ, nicht, daß der sehr allgemeine, vom Gesellschaftsleben zersorgte und geplagte Mensch erheitert oder beruhigt werde, sondern daß der ewig Schicksalgebundene einen Augenblick wirklich Erlösung spüre von seinen ehernen Zwängen, daß Ixions Rad, daran er aus seinen Lüsten heraus angeschmiedet liegt, wirklich einen Augenblick stille stehe, daß Tantalus von seiner heißen Gier abgelenkt, eine Weile lausche, daß die aus ihren Taten heraus verfluchten belischen Jungfrauen aufhorchen und die steinernen Schicksalsführerinnen selber aus ihrer ewigen Erstarrung einen Augenblick wirklich erweichen und ihre ersten Tränen vergießen 1 ."
Lucrum cessans, der entgangene Gewinn Nach § 252 Satz 1 erstreckt sich der Umfang der Schadensersatzpflicht auch auf den entgangenen Gewinn. Der Ersatz gilt für jeden Fall der zivilrechtlichen Ersatzpflicht und ist letztlich Ausfluß des Prinzips des realen Schadens, auch des § 249 Satz 1, denn nur, wenn der entgangene Gewinn mit ersetzt wird, ergibt sich die Herstellung des Zustandes, der ohne den zum Schadensersatz verpflichtenden Umstand bestehen würde. Die tatsächliche Einbuße, also den Gegensatzpartner des entgangenen Gewinns, bezeichnet man lateinisch als „damnum emergens". Gemäß Satz 2 des § 252 gilt als entgangener Gewinn der Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen des Falls m i t Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Nach ganz überwiegender Auffassung hat diese Klausel nur die Bedeutimg einer Beweiserleichterung. Demgegenüber vertritt die Gegenmeinung den Standpunkt, daß Satz 2 des § 252 eine gesetzliche Fiktion enthält. Beide Auffassungen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des für die Beurteilung des entgangenen Gewinns maßgeblichen Zeitpunktes — bemißt sich der Schaden ex tunc (so die Mindermeinung) oder ex nunc, zu dem Zeitpunkte, i n dem die Feststellung des Schadens und damit die Beurteilung eines mutmaßlichen Kausalverlaufes durch das Gericht oder durch den sonstigen kompetenten Beurteilenden stattfindet. Nach der Mindermeinung soll nur der i m Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende
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Carl Hauptmann, Einhart der Lächler.
L u c r u m cessans, der entgangene Gewinn
Gewinn ersetzt werden, während nach der herrschenden Meinung, wie auch sonst bei Schadensberechnungen, eine Beurteilung ex post, d. h. i m Zeitpunkte der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung stattfindet. Welcher Gewinn i m einzelnen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen m i t Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, ist Tatfrage. Wieder spielt hier der Beweis der Kausalität seine besondere Rolle — die Frage des entgangenen Gewinns kann also auch als eine Kausalitätsfrage i m Schadensersatzrecht bezeichnet werden. Dann i m Sinn der herrschenden Lehre als Beweiserleichterung insofern, als es genügt, wenn sich aus den festgestellten Tatsachen der Schluß ziehen läßt, der Geschädigte hätte wahrscheinlich höhere Einkünfte erzielt. Das Gericht kann gemäß § 287 ZPO dabei den entgangenen Gewinn frei schätzen. Zwar genügt nach § 252 Satz 2 BGB die bloße Wahrscheinlichkeit anstelle des positiven Nachweises. Die besonderen Umstände und Vorkehrungen, aus denen die Gewinnerwartung hergeleitet wird, sind jedoch stets i m einzelnen darzutun und zu beweisen (BGHZ 2, 314). Demnach ist die Angabe ganz bestimmter Tatsachen unerläßlich, die darauf schließen lassen, daß der Verletzte ohne die vom Verletzer begangene Rechtsverletzung entweder nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen des Falles höhere Einnahmen erzielt haben würde, als es tatsächlich der Fall gewesen ist. Die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 geht also nur dahin, daß es genügt, wenn sich aus den festgestellten Tatsachen der Schluß ziehen läßt, daß der Verletzte wahrscheinlich ohne die Verletzung höherer Einkünfte erzielt hätte (BGH NJW 64, 661, 1963). Es handelt sich also u m die Beurteilung eines faktischen Kausalverlaufes i n hypothetischer Vision — worauf auch das „ex post" beruht. A r t . 43 des schweizerischen Obligationsrechts „ A r t und Größe des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Größe des Verschuldens zu w ü r d i gen habe", kennt das materielle deutsche Recht nicht und von der formellen Möglichkeit der freien richterlichen Schadensberechnung nach § 287 ZPO machen die deutschen Gerichte bekanntlich ungern Gebrauch. Ein rechtlich mißbilligter oder verbotener Gewinn ist nicht zu ersetzen (z. B. ein Schmiergeld). Ob für den Geschädigten ein Recht auf Gewinn bestand, interessiert nicht, so daß also auch ein Anspruch auf die Gewinnerzielung nicht zu bestehen braucht. Es kommt nur darauf an, ob der Gewinn tatsächlich zu erwarten war.
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Mitverschulden und Mitgefährdung nach § 254
Beispiele: der Vertreter, der aufgrund einer Verletzung seine Provision nicht verdient, kann sie als entgangenen Gewinn vom Verletzer verlangen. W i r d eine Maschine beschädigt, so ist der entstandene Schaden nicht immer schon durch ihre Reparatur ausgeglichen — ihr Ausfall während einer gewissen Zeit kann einen erheblichen Produktionsausfall zur Folge haben, durch den statt des zu erwartenden Gewinns ein Verlust eintritt — der zu erwartende Gewinn ist ein entgangener Gewinn 1 . Verlangt ein Käufer Schadensersatz, weil der Verkäufer seine Lieferfrist nicht erfüllt hat, so besteht der entgangene Gewinn regelmäßig i n dem Mehrerlös, den der Käufer bei alsbaldigem Weiterverkauf nach damals (ex tunc) bestehender Marktlage hätte erzielen können, wobei ein Weiterverkauf und ein dadurch entstandener möglicher Gewinn nach dem „gewöhnlichen Lauf der Dinge" immer angenommen werden muß, wenn es sich u m einen Kaufmann und um eine Handelsware handelt, so daß dann nicht die normale, konkrete Schadensberechnung zum Zuge kommt, sondern eine sogen. abstrakte Schadensberechnung: der Käufer kann, ohne näheren Nachweis seiner Absicht zur Weiterveräußerung der Ware und auch ohne näheren Nachweis der damaligen konkreten Absatzmöglichkeiten, seinen entgangenen Gewinn nach der Differenz zwischen dem Marktpreis und dem vereinbarten Kaufpreis (den er ja erspart) berechnen, wogegen der Verkäufer gegenbeweislich darlegen kann, daß der Käufer i n diesem Fall den an sich (abstrakt!) möglichen Gewinn aus irgendwelchen Gründen nicht gemacht haben würde. Andererseits kann der Käufer den i h m entgangenen Gewinn, wenn dieser grundsätzlich auch „abstrakt" berechnet wird, stets konkret darlegen, z.B. nachweisen, daß er bei rechtzeitiger Lieferung infolge eines vorher von i h m getätigten Abschlusses einen besonders hohen Gewinn gemacht haben würde 2 . Mitverschulden und Mitgefährdung nach § 254 Der Sinn der Berücksichtigung des sogenannten Mitverschuldens bei der Bemessung des Schadensersatzes ist klar: Wenn A den Hundehalter X , nachdem er durch dessen Luxushund gebissen worden war, gemäß § 833, 1. Satz aus Gefährdungshaftung i n Anspruch nimmt, hat er nach § 254, 1 dafür einzustehen, daß er den Hund geärgert oder möglicherweise sogar selbst gebissen hatte. Wenn A von einem Radfahrer deliktisch angefahren und verletzt wird, so muß bei A's Schaden mitberück-
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Staudingers Kommentar zum BGB, § 252, A. 23 a. E. Larenz, Allg. Teil des Schuldrechts, 8. Aufl., 1967, 165, 167 f.
Mitverschulden u n d Mitgefährdung nach § 254
sichtigt werden, daß A i n das Rad hineingelaufen ist, so daß der Radfahrer unmöglich als allein „schuldig" am Unfall angesehen werden könnte. War A nicht verschuldensfähig, z. B. ein fünfjähriger Knabe, so muß er zwar nicht sein Verschulden, aber sein Verhalten tragen (vgl. BGHZ 21, 333), i n Wahrheit seine faktische Handlung, die dann eben die Rechtsfolge des Mitverschuldens nach dem „faktischen Recht" hat. Manche Lehre versucht, u m diesem Umstand Rechnung zu tragen, den Ausdruck „Verschulden" i n § 254, 1 nur i n einer übertragenen Bedeutung zu verstehen. Verschulden i n § 254, 1 bedeute „ein persönlich zurechenbares Verhalten", das i n derselben Weise wie sonst ein Verschulden, eine persönliche Verantwortung für den eigenen Schaden begründet 1 . So geht es nicht, am Verschuldensbegriff des § 276 ist auch bei § 254 strikt festzuhalten. — Dagegen verdienen Rechtsprechung und Lehre volle Zustimmung, wenn sie bei § 254, 1 nicht nur von „Mitverschulden", sondern auch, objektiv, von „Mitgefährdung" des Verletzten sprechen. Die Gesetzesverfasser gingen davon aus, daß eine Schadensersatzpflicht i m allgemeinen nur durch ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers begründet werden könne. Erst allmählich hat man erkannt, daß (in den Fällen der Gefährdungshaftung) die Ersatzpflicht lediglich darauf beruht, daß der Ersatzpflichtige eine bestimmte Sach- oder Betriebsgefahr aus sozialen Gründen zu verantworten hat, ohne daß ihn ein V o r w u r f zu treffen brauche. Infolgedessen muß, wenn sowohl auf Seiten des Ersatzpflichtigen wie des Geschädigten eine nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung zu verantwortende Sach- oder Betriebsgefahr vorliegt, eine Mitverantwortung des Geschädigten hinsichtlich der von i h m zu vertretenden Gefährdung auch ohne jedes Verschulden des Geschädigten bejaht werden. Selbst dann, wenn den Schädiger ein Verschulden trifft, ist der Verletzte, wenn auch i n der Regel i n geringerem Maße, insoweit für den Schaden mitverantwortlich, als eine von i h m zu vertretende Sach- oder Betriebsgefahr mitgewirkt hat 2 . Hierbei w i r d natürlich vor allem an das Kraftfahrzeug und an §§ 7 und 18 StVG gedacht: A, Halter und Fahrer, nutzt, was er nicht darf, seine Vorfahrt aus und fährt i n einen von rechts auf einfacher Straße (also ohne Vorfahrtsrecht) einfahrenden Wagen, der von B gehalten und gesteuert wird. A trägt zunächst vielleicht Verschulden. Davon wollen w i r hier absehen. Danach trägt er aber Sach- oder Betriebsgefahr, also Gefährdungshaftung. B hat sich sicherlich auch mitverschuldet, davon kann aber wieder abgesehen werden. A u f jeden Fall trägt B „Mitgefährdung" i n Ausdehnung des § 254, 1, und diese Mitgefährdung muß ihm ange1 2
So Larenz, Allgemeines Schuldrecht, aaO, 177 f. aaO, 178, großenteils wörtlich.
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Mitverschulden u n d Mitgefährdung nach § 254
rechnet werden, wenn er einen Schadensersatzanspruch gegen A geltend macht — die Frage der Verschuldenshaftung des A oder des B (§ 18, StVG) w i r d — das sei wiederholt! —, vielleicht aus Beweisgründen, nicht angeschnitten. — Erhöhte Betriebsgefahr liegt z. B. i m Autoverkehr vor, wenn sich ein Auto i n schlechtem Zustand befindet, der Wagen überhaupt, seine Bremsen oder seine Reifen 1 . Wenn der Geschädigte „auf eigene Gefahr" handelt, so liegt kein stillschweigend geschlossener Haftungsausschlußvertrag und keine Einwilligung des Verletzten i n die mögliche Schädigung vor, sondern Selbstgefährdung als Sorgfaltsmangel gegenüber sich selbst, daher Mitgefährdung i m Sinne des § 254, 1: Wenn sich jemand ein Reitpferd ausleiht und bei dem Ritt durch das Verhalten des Pferdes zu Schaden kommt, liegt möglicherweise keine Ersatzpflicht des Tierhalters nach § 833 vor, die „Selbstgefährdung" des Reiters führt hier über § 254, 1 zum Fortfall der Ersatzpflicht, evtl. auch zu einer bloßen Minderung der Ersatzpflicht 2 . Was den § 254, 2 anlangt, so handelt es sich hier um eine als Mitverschulden des Beschädigten wirkende Unterlassung der Schadensabwendung oder der Schadensminderung. Der Verletzte muß sich aber, ohne den Verletzer des Mitverschuldens zeihen zu können, die Fortdauer einer Gesundheitsschädigung insoweit zurechnen lassen, als sie auf einer von ihm, wenn auch unbewußt, angenommenen psychischen Einstellung beruht (Rentenneurose, BGHZ 20,137). A u f der anderen Seite kann ein Verletzter Aufwendungen als Teil seines Schadens verlangen, wenn er diese zum Zwecke der Schadensminderung oder der Verhinderung eines sonst drohenden weiteren Schadens macht. Der Gesichtspunkt der Erforderlichkeit nach den Umständen ist heranzuziehen, ein Beispiel gibt die Aufwendung zwecks Umschulung auf einen anderen Beruf 3 . — Der letzte Satz des § 254, 2 ist bekanntlich ein Redaktionsversehen, die Vorschrift des § 278 findet sowohl für Abs. 1 wie für Abs. 2, also für den ganzen § 254, Anwendung. Was den § 278 anlangt, muß zunächst festgestellt werden, daß der § 278 nicht nur die Transmission der Haftung eines Erfüllungsgehilfen als Geschäftsbesorgers auf den Geschäftsherrn als Hauptschuldner betrifft, sondern auch eine derartige Transmission der Haftung auf den
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Dazu Emil Böhmer, MDR, 1958, 19. So Larenz, aaO, 179. Dazu Larenz, aaO, 181 zu 254, 2: Mertens 174, 177, 185.
Mitverschulden u n d Mitgefährdung nach § 254
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Geschäftsherrn für den Fall eines anderen Geschäftsbesorgers, der i n § 278 „gesetzlicher Vertreter" genannt wird. Daß der gesetzliche Vertreter nicht immer Erfüllungsgehilfe zu sein braucht, sondern daß der Geschäftsherr des gesetzlichen Vertreters per Transmission i n jedem Fall haftet, i n dem seinen gesetzlichen Vertreter Eigenhaftung träfe, ist nach der Formulierung des § 278 klar, und die Versuche, eine Transmission nur für den Fall anzunehmen, daß der gesetzliche Vertreter als Erfüllungsgehilfe des Geschäftsherrn tätig wird, sind abwegig 1 . Der § 278 beinhaltet also eine echte Transmissionshaftung — dementsprechend zitiert der Entwurf i n seinem hier i n Frage kommenden Abs. 3 auch nicht nur den § 278, sondern daneben die anderen privatrechtlichen Transmissionsparagraphen 31, 831 und — i m Hinblick auf die Transmissionshaftung des Art. 34 GG — 839. Als Beispiel für den „gesetzlichen Vertreter" w i r d vor allem der Sektor der elterlichen Gewalt angeführt, die nach § 1626 i n „Gesamtprokura" dem Vater und der Mutter zusteht. Die Eltern sind also Geschäftsbesorger des i n der Wiege krähenden Babys, und das Baby ist der Geschäftsherr. Ebenso sind die Wähler Hinz und Kunz Geschäftsherren, und der Bundeskanzler ist deren Geschäftsbesorger, der machtvolle Manager ist Geschäftsbesorger der oft machtlosen Aktionäre, und daß sie „Geschäftsherren" bleiben, ist ein magerer Trost. Die rechtliche und die soziologische Betrachtung ist eben verschieden, und die erstmals i n bezug auf den Staat i n dieser Hinsicht geäußerte Lehre Kelsens hat sich inzwischen allgemein herumgesprochen . . . Was der Entwurf i n seinem Absatz 3 sagt, entspricht nur der Rechtsprechung zu § 254, letzter Satz: X verletzt als Kraftfahrer und Kraftfahrzeughalter deliktisch (also nicht nach der Gefährdungshaftung des StVG!) ein von i h m befördertes Pferd des A, wobei A vereinbarungsgemäß, also i n Erfüllung einer Bestellerpflicht aus Werkvertrag, den Pferdepfleger B als Erfüllungsgehilfen mitschickte, der seinerseits X schuldhaft zu schnellerem Fahren angereizt hatte. A muß sich gemäß §§ 254/278 gefallen lassen, daß sein Schadensersatz infolge des Mitverschuldens seines Erfüllungsgehilfen reduziert wird. Aber auch, wenn B nicht als Erfüllungsgehilfe des A, sondern aus dessen bloßer W i l l k ü r heraus mitgefahren wäre, würde bei gleichliegendem Sachverhalt B's Mitverschulden gemäß § 254 dem A anzulasten sein, hier nicht gemäß §§ 254/278, sondern gemäß § 254/831 — B war i n diesem zweiten Fall nur Verrichtungsgehilfe (Fall nach Larenz). Schließlich ist zu bedenken, daß sich der vorsätzlich oder gar arglistig handelnde Schädiger nach § 242 i m allgemeinen auf mitwirkende 1
Vgl. Larenz, aaO, 183.
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leichte Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht berufen kann (RGZ 162, 202 ff. 1939). — Der § 254 des Entwurfs lautet: (1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden überwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursacht oder verschuldet worden ist. (2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Geschädigten darauf beschränkt, daß er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen mußte, oder daß er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. (3) Die Vorschriften der §§ 31, 278, 831, 839 gelten entsprechend. Ist wegen Beschädigung einer Sache Ersatz zu leisten, so steht dem mitwirkenden Verschulden des Geschädigten das mitwirkende Verschulden desjenigen gleich, der auf Grund eines Rechtes die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt. (4) Hat bei der Entstehung des Schadens eine Ursache mitgewirkt, die ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Geschädigten dessen Ersatzpflicht gegenüber dem Schuldner begründen würde, wenn diesem ein Schaden entstanden wäre, so gelten die Vorschriften der Absätze 1 und 3 entsprechend. Nach B. Lemhöfer sollte der § 254, 3 des Entwurfs lauten: „Dem m i t wirkenden Verschulden des Geschädigten steht das mitwirkende Verschulden seines Vertreters sowie desjenigen gleich, der die Obhut über die Person des Geschädigten oder über das verletzte Gut gegenüber dem Schädiger wahrgenommen hatte" — wiederum eine Einschränkung der allgemeinen Transmission der Eigenhaftung eines Geschäftsbesorgers auf den Geschäftsherrn 1 . Die Vorteilsausgleichung Kommentare und Lehrbücher weisen überwiegend auf die Beziehung zwischen dem Prinzip der Vorteilsausgleichung, das i n § 249 enthalten ist, und dem des § 255 hin. § 255 repräsentiert m i t seiner Vorschrift der Abtretung der Ersatzansprüche das Prinzip der compensatio damni cum 1 B. Lemhöfer, Viel Licht, mancher Schatten. Zum Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, VersR 18, 1967, 1133.
Die Vorteilsausgleichung
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lucro. Doch zeigt sich i n der Einschränkung der Ersatzpflicht i n § 255 auch ein anderer Rechtsgedanke: ein Geschädigter soll durch Ersatzansprüche nicht bereichert werden — ein allgemeines Rechtsprinzip, das auch i m anglo-amerikanischen „waiver of torts" zum Ausdruck kommt 1 . Betrachtet man die Rechtslage des Schadensersatzpflichtigen, wie sie § 255 regelt, so handelt es sich für i h n u m eine Ausgleichung des Schadens, den er zu tragen hat, durch die Abtretung der dem A n spruchsteller gegen Dritte gegebenen Ersatzansprüche. Während nach dem Prinzip der compensatio lucri cum damno der Vorteil des Ersatzberechtigten auf den Schaden angerechnet wird, liegt hier der umgekehrte Vorgang vor: die Beeinträchtigung, die der Ersatzpflichtige durch seine Schadensersatzverpflichtung erleidet, w i r d durch den Gew i n n der Ersatzansprüche (ganz oder teilweise) ausgeglichen. Der Zusammenhang des § 255 m i t dem § 281 beweist, daß der § 255 eine sogenannte „offene" N o r m (im Gegensatz zu der üblichen „geschlossenen" Norm) darstellt — es sei an die berühmteste der offenen Normen, den § 242, erinnert. I n festen Griff bekommt man diese offenen Normen nur dann, wenn man sie nicht als Thesen oder Imperative des „ l a w i n the books" nimmt, sondern als Direktive, Determinative oder Topoi des „ l a w i n action": der Januskopf des objektiven Rechts, einmal des Rechts per se, zum zweiten Male des Anwendungsrechts und der Rechtsbesserung, muß ständig i m Sinne getragen werden. Dann sagt also § 255 dem jeweiligen Rechtsanwendenden, modellmäßig dem Richter, daß er, wenn er den § 255 anwendet, ermessensmäßige (billige) Gerechtigkeit walten zu lassen hat. I m einzelnen geht das i n § 255 dem Richter zugesprochene Ermessen dann dahin, daß er, wie schon angedeutet, bei der Statuierung der Schadensersatzrechtsfolge nicht nur die allgemeine Gerechtigkeit (ebenfalls i n sich ein Topos!), sondern die spezielle Gerechtfertigkeit des Bereicherungsrechts zu befragen hat. Der Leitgedanke der Vorteilsausgleichung ist plastisch dahin umschrieben worden, daß dem Gläubiger die „Glücksteilhabe" an dem durch Delikt i n Gang gebrachten „Glück" des Delinquenten (auf den hier beschränkt sei) zukomme und zugesprochen werden müsse, daß der Ersatzberechtigte aus der Abwicklung des Schadensfalles aber auch nicht m i t einem Gewinn herausgehen dürfe. — Fälle: Versicherungsansprüche können nicht abgetreten werden, da sie m i t der Ersatzleistung des Delinquenten ohnehin untergehen. Die Schadensersatzverpflichtung wegen Eigentumsverlustes für einen fahr1
s. dazu E. v. Caemmerer, 268, Mertens 223.
12 W . G .
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lässig abhandengebrachten Wechsel besteht nur gegen Abtretung des Wechselanspruchs. Analog kann § 255 angesichts seines prinzipiell determinativen Charakters angewendet werden, wenn z. B. A , der beim Stöbern i m Antiquariat eine attische Vase fahrlässig zerbrochen hat und ohne weiteres Schadensersatz dafür leistet, zum Ausgleich und i n der Erwägung, daß es nicht-geklebte attische Vasen überhaupt nicht gibt, vom Antiquar als Gegengabe gegen seine Zahlung die Trümmer der Vase herausverlangt. Analoge Anwendung ist notwendig, nicht direkte, da hier nicht Ansprüche herausverlangt werden, sondern Eigentums« und Besitz rechte. Der Entwurf hat die Reduktionsklausel des § 255 durch den § 255 a erweitert: § 255 a: (1) Ist der Schaden i m Hinblick auf die die Ersatzpflicht begründenden Umstände außergewöhnlich hoch, so kann das Gericht die Ersatzpflicht insoweit einschränken, als sie für den Ersatzpflichtigen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gläubigers zu einer schweren Unbilligkeit führen würde. (2) Eine Einschränkung der Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, soweit der Ersatzpflichtige oder ein verfassungsmäßig berufener Vertreter des Ersatzpflichtigen oder i m Falle des § 839 derjenige, der die Amtspflicht verletzt hat, den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat. (3) I m übrigen ist das Verschulden von Personen, für die der Ersatzpflichtige einzustehen hat, bei Anwendung des Absatzes 1 angemessen zu berücksichtigen 1 . Damit w i r d die „Reduktionsklausel", m i t der die Gerichte den Schadensersatz evtl. „reduzieren", klarer gefaßt und auf das allgemeine Billigkeitsprinzip zurückgeführt. Bei der Billigkeitserwägung kommt es aber natürlich auf alle möglichen Gesichtspunkte an, so daß u . U . auch nur ein Mißverhältnis von deliktischem Haftungsgrund und Schaden vorliegen kann, so daß „eine Reduktion z.B. abgelehnt werden kann und muß, soweit der Schädiger durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt ist, denn insoweit ist kein Anlaß, auf die geschäftliche Leistungsfähigkeit des Schädigers Rücksicht zu nehmen" 2 . 1 Siehe noch Ulrich Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur und Minderung der Schadensersatzpflicht durch richterliches Ermessen, die Probleme einer Abstufung der Haftung im Schadensersatzrecht — Kritik des § 255 a BGB und Vorschlag für eine Neuformulierung, 1972. — Auch K. Rudioff, Vorteil des Ausgleichs als Gewinnabwehr und als Glücksteilhabe, Festschrift für Fritz v. Hippel, Tübingen 1967, 422 ff. 2 H. Weitnauer, Grundsätze der Haftung, Beihefte zu „Versicherungsrecht", Karlsruher Forum 1962, 5.
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Der B G H hat i n einer neuesten Entscheidung die Witwe eines Kraftfahrers, der bei einem von i h m verschuldeten Kraftfahrzeugunfall ums Leben kam, als Erbin zur Rückzahlung der von der Versicherungsgesellschaft für den getöteten Schädiger an den Geschädigten gezahlten Summen bis zu dem Umfang h i n verurteilt, i n dem die Witwe durch den Tod ihres Mannes materiell begünstigt war (vor allem durch eine private Lebensversicherung) — die vom B G H ausdrücklich erwähnte Billigkeit schloß die Haftung der Witwe über die angefallenen wirtschaftlichen Vorteile hinaus aus, reduzierte also die Haftung gemäß Billigkeit 1 . Das wichtigste Reduktionsprinzip stellt jedoch die am Ende des § 848 erwähnte Opfergrenze dar: der Deliktsschuldner haftet, „es sei denn, daß der Untergang, die anderweitige Unmöglichkeit der Herausgabe oder die Verschlechterung auch ohne die Entziehung eingetreten sein würde" — diese Opfergrenze entspricht beim Autoverkehr der Beschränkung der Haftpflicht des Fahrzeughalters, auch des Fahrzeugführers, nach den §§ 7, 2 und 18 StVG: „Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler i n der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Verrichtungen beruht" (die alte „höhere Gewalt" w i r d hier i m modernen Sinne umgebogen). Wieder kommt es dabei auf die „Sorgfalt des Falles" an, der Haftende, der i n jeder Beziehung Sorgfalt beobachtet hat, kann sich möglicherweise auf ein „unabwendbares Ereignis" berufen — das Verschuldensprinzip ragt wieder i n eine (unbestrittene) objektive Gefährdungshaftung hinein. Die leges speciales der deliktischen Rechtsfolge in den §§ 842 - 851 Der § 842 kommt z.B. bei verminderten Heiratsaussichten einer Frau zum Zuge. Der Schadensersatz wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache richtet sich nach Einzelbestimmungen, grundsätzlich nach § 249 BGB 2 . § 843 sieht Rente oder Kapitalabfindung vor 3 . 1 Zwei Fälle der versagten Reduktion bringt Weitnauer, aaO, auf der rechten Spalte. 2 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, I I , Bes. Teil, 9. Aufl., 1968, 470 f. 8 Dazu Hans-Georg Eckelmann (5305 Alfter-Gielsdorf, I n den Birken 7), Kapitalisierungstabelle.
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Beim Abs. 4 des § 843 ist z. B. an eine Verpflichtung des Sohnes gegenüber dem Vater gemäß § 1601 zu denken, sonst gelten §§ 759 ff., und i n bezug auf Sicherheitsleistung die §§ 232 ff. — Die §§ 842 f. betreffen übrigens nach heutiger Meinung nicht nur spezielle Schadensersatz-Rechtsfolgen des Deliktsrechts, sondern enthalten generelle, d. h. auch i m Vertragsrecht geltende Schadensersatzgrundsätze. — Die §§ 844-846 stehen unter dem Gedanken der schuldrechtlichen Zwei-Parteien-Vinkulation. Indem man sich i n diesem Zusammenhang der Geltendmachung des Dritt-Schadens erinnert, kann man pädagogisch von einem Dritt-Durchgriff m i t D r i t t -Aktivität und einem D r i t t durchgriff m i t Dritt-Passivität sprechen. D r i t t - A k t i v i t ä t sehen die §§ 844 ff. vor. § 844, 2 betrifft vor allem den Kindesunterhalt. Der Lehrfall für § 845 ist die Verpflichtung der Ehefrau oder eines Kindes eines Arztes zur Sprechstundenhilfe gemäß §§ 1356, 2 und 1619. Der Ausfall des Ehemannes oder der Ehefrau ist von bes. Bedeutung, zumal bei der Häufigkeit von Autounfällen — ein rechtskräftiges Urteil der 2. Z i v i l kammer des L G Landshut billigte am 11.12.1969 einer selbst erheblich verletzten Mutter, die zwei minderjährige, ebenfalls verletzte, aber nicht dauernd geschädigte Kinder zu versorgen hatte, und zu deren Haushalt keine weiteren Personen gehörten, eine monatliche Hausfrauen-Entschädigung von D M 1360 zu 1 . — Bei der Dritt-Passivität muß man „pro" und „contra" unterscheiden, während die D r i t t -Aktivität immer „pro" verläuft. „Dritt-Passivität pro" liegt bei der Geltendmachung eines Dritt-Schadens vor, „ D r i t t Passivität contra" z. B. beim Durchgriffanspruch gegen den Produzenten 2 . Die §§ 844 und 845 geben den Dritten, die dann also aktiv pro tätig werden, originäre Rechte — die Ansprüche aus den §§ 844 f. stehen also den Hinterbliebenen selbständig und i n eigener Person zu. — Den Rechtsbehelf des § 844, 2 ins Vertragsrecht zu übertragen, ist aber schwierig (R. Bruns). — Die Heranziehung des § 254 i n § 846 steht unter dem Gesichtspunkte, daß der Dritt-Berechtigte, der nach den §§ 844 f. den guten Tropfen t r i n k t , infolgedessen auch den bösen schlucken muß. — Der § 847 bet r i f f t lediglich die Schmerzensgeld-Kompensation der i n Paragraphen 1 Dazu des eben erwähnten H.-G. Eckelmann's Schriften „Schadensersatz bei Ausfall eines Ehemannes" und „Schadensersatz bei Ausfall einer Hausfrau", beide 1970. 2 W. G. Becker, Gegenopfer und Opfer verwehrung, aaO, 43 ff., E. v. Caemmerer, aaO, I, 627 f., 631 ff.
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enumerierten Fälle — vom Schmerzensgeld zu reden, ist daher nur i n diesen Fällen angängig. Die Rechtsfolge der Persönlichkeits-Verletzung ist immaterieller Schadensersatz, nicht Schmerzensgeld. Auch wenn „seelischer" oder „ideeller" Schadensersatz gesagt wird, ist immer immaterieller Schadensersatz, nicht Schmerzensgeld gemeint. Der Zuspruch immateriellen Schadensersatzes, z.B. bei der Persönlichkeitsverletzung, derogiert § 253, nicht § 847. — Das französische Recht betreffend den „dommage moral" und das anglo-amerikanische Recht betreffend „heart-balm" schwanken zwar insofern, als unter diesen Bezeichnungen manchmal immaterieller Schadensersatz schlechthin, manchmal Schmerzensgeld gemeint ist, gehen aber grundsätzlich auch vom immateriellen Schadensersatz aus (s. o. S. 127). Der „heart-balm" kommt aus dem Vertragsrecht, speziell aus dem Verlöbnisrecht, läßt also an unseren § 1300, 1 denken (der freilich praktisch obsolet geworden ist 1 . „Wieviel kostet Dein Schmerz"? Es gibt Antworten darauf 2 . — Der Referentenentwurf sieht folgende Fassung des § 847 vor: (1) I m Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie i m Falle der Freiheitsentziehung kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung i n Geld einschließlich einer Genugtuung für das i h m zugefügte Unrecht verlangen. Wer i n anderer Weise i n seiner Persönlichkeit verletzt wird, kann eine Entschädigung nur verlangen, wenn die Verletzung nach den Umständen als schwer anzusehen ist. (2) Eine Entschädigung kann nicht verlangt werden, soweit eine Herstellung i m Sinne der § 249 möglich und zur Entschädigung des Verletzten genügend oder soweit dem Verletzten Genugtuung i n anderer Weise als durch Geld geleistet ist. (3) Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. Der Entwurf verweist damit vor allem auf den § 10 StVG. M i t der Neufassung w i r d der Schmerzensgeldanspruch auch auf die Gefährdungshaftung ausgedehnt — man folgte damit dem 45. Deutschen Juristentage und den Erfahrungen der Autohaftpflichtversicherungen, i n denen an Schmerzensgeldern bereits soviel bezahlt werden, wie für Unterhalt und Verdienstausfall einschließlich der Regresse der Dienst1
s. „Gegenopfer", 67. z.B. die gleichnamige Broschüre von B. Bloemertz, bei de Gruyter in Berlin, 1971. 2
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Unterlassung u n d vorbeugende Unterlassung (als Hechtsfolge)
herren und Arbeitgeber zusammen. Indem das Schmerzensgeld bei leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird, folgt der Entwurf dem § 48 L u f t V G und den A r t . 24 f. des Warschauer Abkommens. Bei § 848 ist an die §§ 992 und 292 zu erinnern. Der Delinquent ist immer i m Verzuge, es sei denn, daß er an der i n den letzten Zeilen des Paragraphen umschriebenen Opfergrenze angelangt ist. Der Einwand der Opfergrenze gilt i m gesamten Gebiet des Rechts (also z. B. i n sehr bedeutsamer Weise auch bei der Rückerstattung, wo die Bombenzerstörung des entzogenen Grundstücks den Restitutionsverpflichteten nicht etwa zum Wertersatz nach § 818 Abs. 2, verpflichtet). — § 849 entspricht dem § 290. — Der Lehrfall des § 850 ist die Autoreparatur durch den Dieb: dem Diebe steht für seine Impensen kein Bereicherungsanspruch zu, es gelten aber die §§ 994 - 1003. — § 851: der Radiozerstörer leistet, nicht wissend, daß es sich' u m ein Reparaturradio, also i m Regelfalle u m ein i m Eigentum des Reparaturbestellers stehendes Radio handelt, Schadensersatz nicht an den Radioeigentümer, sondern an den Inhaber der Reparaturwerkstatt. Darf der Radiozerstörer i n bezug auf einen Radioapparat i n einer Reparaturwerkstatt allerdings gutgläubig annehmen, daß i h m das Recht des Reparaturbestellers, also i m Regelfalle des Eigentümers am Radio, unbekannt geblieben ist, t r i f f t i h n nicht insbesondere auf jeden Fall der V o r w u r f grober Fahrlässigkeit? — Unterlassung und vorbeugende Unterlassung (als Rechtsfolge) W i r kommen i m Folgenden auf die Unterlassung als Rechtsfolge zu sprechen, die m i t Anspruch oder Klage geltend gemacht wird, also nicht auf die Unterlassung als „negative" Handlung, als Tatbestandsmerkmal nach § 823, l 1 . Die Unterlassung als Rechtsfolge entstammt der Terminologie des § 1004 BGB — eigentlich handelt es sich u m „Beseitigung der Beeinträchtigung" (auch § 1004, z.B. der Widerruf einer die Persönlichkeit verletzenden Behauptung). — Man unterschied bei den Unterlassungsklagen zwischen der negatorischen und der quasi-negatorischen, wobei die negatorische Unterlassungsklage dem Schutze von absoluten subjektiven Rechten diente, die quasinegatorische Unterlassungsklage dem Schutze von Rechtsgütern. Die Unterscheidung ist i m Hinblick auf die Neulesung der i n 1 s. dazu auch die Monographie von Meinhard Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassung, 1974.
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§ 823, 1 geschützten Positionen obsolet geworden 1 . Nicht obsolet geworden ist der Anspruch (die Klage) auf deliktische Unterlassung und der Anspruch (die Klage) auf vorbeugende deliktische Unterlassung. Die §§ 823 ff. BGB gewähren Rechtsschutz ausdrücklich nur für den bereits eingetretenen Schaden, nicht aber vorbeugend. Zur Abwehr erst gemäß der Natural-Restitution des § 249, auch außergeldlich ersetzbar bei der Persönlichkeitsverletzung, die wiederherstellende Unterlassungsklage, i n Wahrheit Beseitigungsklage. I n bezug auf eine Persönlichkeitsverletzung gilt heute praktisch auch bei uns A r t . 28, 1 des schweizerischen ZGB: „Wer i n seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise verletzt wird, kann auf die Beseitigung der Störung klagen" — Unterlassungsansprüche nach der Natural-Restitution des § 249, nicht vorbeugende Unterlassungsansprüche. Fälle: ein A n walt, der Hjalmar Schacht i n einem Verfahren vertrat, schickte einer Zeitung i m Auftrage seines Mandanten ein presserechtliches Berichtigungsverlangen, erlangte aber nur einen „Leserbrief" m i t entstellenden Auslassungen und völlig anderer politischer und menschlicher Optik, woraufhin der A n w a l t vom B G H als durch eine nicht beleidigende Entstellung seiner Persönlichkeit verletzt angesehen wurde. I m Cosima Wagner-Urteil wurde Schutz gegen Veröffentlichungswünsche der Erben gewährt, und weitere Urteile wendeten sich gegen Bildniserschleichung, heimliche Tonbandaufnahmen oder Bildverwendung bei der kommerziellen Werbung (in der Regel Natural-Restitutionen, z. B. Löschung der Tonbandaufnahme) 1 . Der Anspruch auf vorbeugende Unterlassung kommt aus der mittelalterlichen „cautio de non amplius turbando" 2 . I m BGB w i r d ein vorbeugender Unterlassungsanspruch beim Namensrecht (§ 12) beim Eigentumsrecht (§ 1004), bei der Grunddienstbarkeit (§ 1027), beim Nießbrauch (§ 1065), bei der Hypothek (§ 1134, 1), beim Pfandrecht (§ 1227) und beim Besitz (§ 862) gegeben. Ähnliche Vorschriften befinden sich i m Gesetz betreffend den unlauteren Wettbewerb (§§ 1, 3, 4, 16)3. Das BGB nennt die vorbeugende Unterlassung schlechthin Unterlassung (z.B. § 1004). Die Notwendigkeit, geschützte Positionen, insbesondere Rechte vor dem drohenden Eingriff zu bewahren, erwies sich bald nach dem Inkrafttreten des BGB. Die Problematik trat besonders deutlich 1 Dazu B G H Z 20, 345 (Paul Dahlke-Urteil), B G H Z 27, 284 (Tonband-Urteil), B G H Z 30, 7 (Catharina Valente-Fall), E. v. Caemmerer, aaO, 521 f. 2 Vgl. dazu U. Wesel, Zur Frage des materiellen Anspruchs bei Unterlassungsklagen, Festschrift f. U. v. Lübtow, Berlin 1970, 788. 3 Dazu U. Wesel, aaO, 796. Literatur bei Larenz, Bes. Schuldr., 476, speziell J.-Ch. Duvigneau, Die Entwicklung des Unterlassungsanspruchs als I n strument vorbeugenden Rechtsschutzes i m Privatrecht, Diss. Hamburg 1969.
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bei Gewerbebetrieben und beim Ehe- und Kreditschutz zutage. Diesen Feldern entstammte daher auch der (vorbeugende) deliktische Unterlassungsanspruch des Reichsgerichts als deliktischer Rechtsschutz1. Voraussetzung dieses Unterlassungsanspruchs war das Vorliegen einer unerlaubten Handlung und einer Wiederholungsgefahr i n bezug auf diese Handlung (§ 833, S. 1, Hund des Nachbarn biß, der Nachbar haftete, per vorbeugender deliktischer Unterlassimgsklage wurde für die Zukunft genügend Vorsicht des Nachbarn begehrt). Seit RGZ 60, 6 vom 5.1.1905 genügt i n bezug auf den deliktischen Eingriff, welcher dem vorbeugenden Unterlassungsanspruch vorausgehen mußte, daß jener Eingriff „objektiv widerrechtlich" war, Verschulden brauchte nicht vorzuliegen 2 . Überhaupt wurden die Anforderungen i n bezug auf den vorhandenen deliktischen Eingriff immer mehr herabgeschraubt, und zwar wurde hinsichtlich dieses noch von keiner Wiederholungsgefahr gesprochen. „Doch könne die Drohung m i t einem Angriff auf eine geschützte Rechtsposition bereits eine so erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen, daß ein negatorischer Schutz nicht zu versagen sei 3 ." — Die vorbeugende Unterlassimgsklage bleibt damit eine deliktische, jedoch ist sie nicht nur (wie das kolloquial gern geschieht) an einen Deliktsanspruch nach § 826 zu knüpfen, sondern an den jemeinigen (z. B. § 833, S. 1) — i m Grunde an §§ 241 f. Grundsätzlich ist also das Vorliegen eines bereits erfolgten objektiv rechtswidrigen Eingriffs i n die geschützte Rechtsposition Voraussetzung des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs. Die berechtigten I n teressen des Eingreifenden und eine mögliche Duldungspflicht des A n spruchstellers sind aber zu berücksichtigen. Ein Schaden braucht aufgrund des Eingriffs noch nicht eingetreten zu sein, es genügt, daß bei Fortdauer des m i t dem Eingriff geschaffenen Zustandes ein Schaden droht 4 . Hat noch kein erster Eingriff stattgefunden, so w i r d dennoch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gewährt, wenn schon die ernsthafte Drohung m i t einem solchen Eingriff als Verletzung des Rechtsfriedens gewertet w i r d — es entfällt also die Voraussetzung des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs, der erste Eingriff. Dagegen ist die 1
RGZ 48, 114, 1901. Daher sprach die Rechtsprechimg seitdem nicht mehr von einem vorbeugenden Unterlassimgsanspruch, sondern schlechthin von einem Unterlassungsanspruch und leitete diesen nicht mehr deliktisch, sondern aus den §§ 12, 1004 BGB ab (vgl. auch B G H Z 30, 7). 3 So RGZ 101, 335, 1921 in bezug auf Kreditgefährdung, zuletzt anscheinend B G H Z 3, 270, 1951. 4 B G H in N J W 51, 843, 1957. 2
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drohende Wiederholungsgefahr eines ersten Eingriffes oder also eines angedrohten ersten Eingriffes die unbedingte Voraussetzung eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs. Es genügt nicht die theoretische Möglichkeit einer solchen Wiederholung, vielmehr ist eine sich auf Tatsachen stützende Wahrscheinlichkeit erforderlich 1 . Wenn ein erster Eingriff vorgelegen hat, ergibt sich die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung schon daraus. Surrogat der Wiederholungsgefahr ist das Vorliegen der ernsten Besorgnis eines künftigen rechtswidrigen Eingriffes auf Seiten des Anspruchstellers. Geschützt werden alle deliktisch geschützten Positionen, außerdeliktisch z. B. die der entsprechenden Vorschriften der Presse-Gesetze. Verlangt werden kann deliktisch das Unterlassen eines deliktischen Eingriffes, stets also nur das Unterlassen einer konkreten Handlung, wobei das einerseits Erforderliche und das andererseits Zumutbare von den Gerichten abgewogen w i r d 2 . „Der Tenor des Urteils würde nach § 890, 2 ZPO i m Regelfalle dahin lauten, daß der Beklagte verurteilt wird, bei Vermeidung einer für jeden F a l l der Zuwiderhandlung festzusetzenden Geldstrafe oder einer Haftstrafe bis zu einer bestimmten Höhe die (deliktische) Beeinträchtigung zu unterlassen" — Sicherung des Klägers, nicht Befriedigung, wie i m alten Recht! 3 . Der aufgrund der Rechtsfortbildung des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs geschaffene negatorische Rechtsschutz ist so umfassend, daß jedes rechtliche Interesse davon erfaßt wird, dem i m Falle einer geschehenen Verletzung eine Sanktion gegenübersteht 4 . Der Unterlassungsanspruch w i r d also auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß, wenn dem Unterlassungsanspruch entgegen gehandelt wird, eine strafrechtliche Sanktion eintritt — Privat- und Strafrechtsschutz stehen unabhängig nebeneinander 4 — bedeutsam vor allem, w e i l der vorbeugende Unterlassungsanspruch, wenn er schon einen bereits geschehenen Eingriff voraussetzt, diesen nur i n bezug auf die objektive Rechtswidrigkeit, nicht i n bezug auf das Verschulden prüft (und i n gleicher Weise die Surrogate eines ersten Eingriffes. — Die Klage auf vorbeugende Unterlassung dient oft gerade erst der gerichtlichen Klärung, ob eine bestimmte Handlung zulässig ist oder nicht 5 . 1
R G JW 1913, 543. B G H in NJW 57, 827, 1957. 3 U. Wesel, aaO, 789 f. 4 G. Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, I, 1954, 41. « B G H in N J W 67, 1558, 1967 — E. v. Caemmerer, aaO, 547. 2
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I m übrigen sind Unterlassungen und vorbeugende Unterlassungen Rechtsfolgen, auch deliktische Rechtsfolgen (obwohl der Anspruch auf Unterlassung ursprünglich der Anspruch auf Unterlassung vertragswidrigen Handelns gemäß § 242 BGB ist) 1 . — Höchst streitig ist, ob die Unterlassungsklage i m Sinne des BGB, also die Klage auf vorbeugende Unterlassung, prozessualer A r t ist, Klage auf künftige Leistung i m Sinne des § 259 ZPO (Hellwig), Anspruch aus §§ 935, 938, 890 ZPO — oder auch einen materiellen Anspruch enthält. Herrschend ist w o h l die prozessuale Lesung, Wesel aber v e r t r i t t die materielle. Prozessuale Fragen können „proleptisch" schon i m materiellen Recht geregelt sein, z. B. die Beweisfrage der Quittung (§ 370 BGB) oder, besonders, das Verjährungsrecht, das anglo-amerikanisch prozessual genommen wird, deutsch bekanntlich materiell (§§ 197 ff.) — unendliche Qualifikationsprobleme ergeben sich. — Vor allem Larenz (aaO, 481 f.) ist dafür, daß die vorbeugende Unterlassungsklage keine Weiterbildung des materiellen Rechts, sondern eine solche des prozessualen Güterschutzes sei, bei dem es u m die Abwehr drohender Rechtsverletzungen, nicht u m den Schutz von materiellen Rechtspositionen oder gar von materiellen subjektiven Rechten ginge. Einer gewissen Einschränkung begegnet der Unterlassungsanspruch i n zwei Rechtsgebieten, nämlich dem Arbeitsrecht und dem Eherecht. Rechtsprechung und Lehre sind auf beiden Gebieten uneinheitlich. I m Arbeitsrecht w i r d die Frage, ob der Anspruch gegen einen A r beitnehmer auf Unterlassung einer anderweitigen Tätigkeit während der Dauer des Vertrages klagbar sei, unterschiedlich beantwortet. Die Rechtsprechung verneint teilweise die Klagbarkeit des Anspruchs m i t dem Hinweis auf die mangelnde Vollstreckbarkeit (§ 888 Abs. 2 ZPO) 2 , zum Teil bejaht sie dies, da man die Frage der Klagbarkeit nicht von der Vollstreckbarkeit abhängig machen dürfe 2 . Ähnlich uneinheitlich, wenn auch m i t anderen Argumenten, ist die Lehre. Hierbei geht es meist u m die Frage, welcher Natur ein Unterlassungsanspruch eines solchen Inhaltes sei, ob er eine Nebenpflicht des Arbeitsvertrages und als solcher selbständig einklagbar sei 3 . I m Eherecht sind die Standpunkte ähnlich kontrovers. Das Reichsgericht hat einen Unterlassungsanspruch des einen Ehegatten gegen den anderen oder den Ehestörer stets m i t der Begründung abgelehnt, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Ehepartnern und der Schutz der Ehe 1 2 8
L A G Hamburg BB 1955, 960. L A G Düsseldorf BB 1963, 191; BB 1964, 1486. Vgl. zur Problematik Duvigneau, aaO, S. 175 ff.
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i m bürgerlichen und i m Strafrecht umfassend geregelt seien, so daß für eine Analogie kein Raum mehr sei 1 . Die Rechtsprechung nach dem Kriege hält an dem Grundsatz fest, daß ein Unterlassungsbegehren nicht klagbar sei, das direkt oder mittelbar einen nach § 888 Abs. 2 ZPO unzulässigen Zwang auf die Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Ehe ausüben könnte. I m übrigen w i r d zwischen verschiedenen Sphären der ehelichen Beziehungen differenziert. I m unmittelbaren persönlichen Bereich der Ehegatten gemeinsam, der vom Zwang und folglich auch vom Rechtsschutz frei bleiben soll, w i r d die Möglichkeit einer Unterlassungsklage verneint; Eingriffe, die den einen Ehepartner darüber hinaus persönlich treffen, sind aber klagbar 2 . Vom höchstpersönlichen Bereich der Partner i n einer Ehe w i r d der äußere unterschieden, i n dem das Zusammenleben verwirklicht wird. Dieser Bereich unterliegt uneingeschränkt dem Rechtsschutz, sowohl der andere Ehegatte als auch der Störer kann wegen eines Eingriffs i n diesen Bereich auf Unterlassung verklagt werden 3 . — Der B G H hat der Klägerin einer Abwehrklage stattgegeben, w e i l der Ehemann, der Scheidung begehrt aber nicht erlangt hatte, nun die Geliebte i n die eheliche Wohnung aufnahm 4 . — Aber die Wohnungsnot sprach w o h l mit, und nach wie vor werden vom B G H Klagen auf Unterlassung von Ehebruch und (immaterieller) Schadensersatz wegen der Ehestörung weder gegen den Dritten noch gegen den untreuen Gatten zugelassen, dieses (Unterlassung kommt ja nicht mehr i n Frage!) auch nicht nach Auflösung der Ehe 5 . Die deliktische Grundnorm Die deliktische Grundnorm ist § 823 Abs. 1. Der E n t w u r f formuliert sie wie folgt: „(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die Ehre eines anderen oder i n sonstiger Weise einen anderen i n seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt, 1 RGZ 71, 85, Urt. vom 22. April 1909; RGZ 166, 150, Urt. vom 11. Februar 1941. 2 O L G Celle NJW 1953, 1789. 3 Duvigneau, aaO, 85 ff., B G H Z 6, 360, Urt. v. 26. 6.1952; BGHZ, 34, 80, Urt. v. 16.12.1960. 4 B G H Z 6, 630, 1951. 5 E. v. Caemmerer, 524 f. — im franz., engl. u. amerik. Recht gab und gibt es erfolgreiche Ehestörungsklagen auf Unterlassung, aber auch Gegenströmungen, die in den USA in einer Anzahl von Staaten wegen des Mißbrauchs, der mit solchen Ansprüchen getrieben werden kann, zu ihrer gesetzlichen Beseitigung geführt haben.
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ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Das gleiche gilt für den, der vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt." Daß die Gesetzesbestimmung des BGB normativ zu lesen ist, wurde schon gesagt — also als Tatbestand, hier ein Bündel von Tatbestandsmerkmalen und als Rechtsfolge, welch letztere, wie üblich, leicht herauszuholen ist: die Rechtsfolge ist hier die Verpflichtung zum Schadensersatz, §§ 249 bis 255 regeln den Schadensersatz als „lex generalis", die §§ 842 - 851 als „lex specialis" — darauf, daß die lex generalis i m allgemeinen i m Schuldrecht steht, die lex specialis i m Deliktsrecht, kommt es nicht an. Wenn w i r uns m i t dem Tatbestand der deliktischen Grundnorm befassen, liegt der lange Marsch durch die Tatbestandsmerkmale vor uns. Hier gibt es die Reihenfolge a) Schaden, b) Handlung, c) Kausalität, d) Rechtsgüter Verletzung, e) Widerrechtlichkeit, objektiv und subjektiv, f) Verschulden. Diese Reihenfolge steht nicht unter dem Denkgesetz, welches das Modewort „Eskalation" bezeichnet: es dürfen also nicht die einzelnen Positionen der Reihenfolge „eskalierend" durchgeprüft werden, sondern wenn schon das Tatbestandsmerkmal „Schaden" entfällt, sind die übrigen Tatbestandsmerkmale nicht durchzuprüfen — also eine echte Reihe, für deren (nicht eskalierende) Beachtung auch die Arbeitsökonomie des juristischen Denkens spricht. — Man kann weiterhin sagen, daß § 823, 1 eine abstrakte Regelung des Deliktsrechts versucht, so wie es i m wesentlichen der Code Civile tat, so — wie es auch § 812 i n bezug auf das Kondiktionsrecht meinte. Das ging dann aber doch nicht, und man gab enumerative Deliktsansprüche aus den §§ 823, 2 — 826, dann aus der Munthaftung der §§ 832 - 838, und schließlich der Beamtenhaftung des § 839, ähnlich wie, nach der kondiktionell-"abstrakten" Norm des § 812, die §§ 814 - 817, sowie der § 822, enumerative Kondiktionsansprüche betreffen. — Exkurs: Die Norm Wenn § 823, 1 „normativ" gelesen werden muß, stellt sich die Frage: Was ist die Norm? Damit zunächst aber auch die nach dem objektiven Recht! Es gibt manche Versuche, das objektive Recht „the l a w " — die subjektiven Rechte (rights) stehen hier natürlich nicht zur Sprache — von anderen menschlichen Lebensphänomenen abzusetzen 1 . Das beginnt bei Piaton und bei den (gerechtfertigten) Versuchen, das Recht m i t dem 1 A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973, 45, gibt eine Aufzählung nach Huntington Cairus.
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Begriff „Wirklichkeit" i n Verbindung zu setzen. I n Piatons „Minos" — Dialog findet sich z.B. der allerorts i n t u i t i v einleuchtende Satz: „Das Recht also w i l l aufgefaßt sein als eine Entdeckung dessen, was wirklich ist" (p. 315 a). „Lagh" und „ L a w " bezeichnen i n den germanischen Rechtssprüchen das Recht als Lage und Belegenheit, d. h. aber als W i r k lichkeit 1 . „Recht", definiert Radbruch, „ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee, zu dienen" 2 . Nach Hegel ist das Recht ein Abschnitt „des objektiven Geistes". Es „zerfällt i n Eigentum, Vertrag und Unrecht" (was nicht kennend und wissend, geschweige denn erkennend und wissenschaftlich gesagt ist) 3 . Andere (blasse) Rechtsdefinitionen betrachten das Recht als „ K u l t u r erscheinung" (Radbruch), oder als „Kulturgegenstand" (Binder). K u l turerscheinung und Kulturgegenstand sind aber schließlich auch Stadttheater oder Lokomotiven. Stammler verkündet, das Recht sei „ein selbstherrlich verbindendes Wollen" 4 . K . Engisch meint, daß das Recht eine Versammlung von „Rechtsbegriffen" und „Rechtsideen" sei 5 . Herrschend und genügend ist die Ansicht, m i t der w i r zum Normbegriff kommen, nämlich die, daß das objektive Recht „Summe oder Inbegriff von Rechtsnormen" sei. Ob Summe, ob Inbegriff, hängt von dem jeweiligen Bestand an einerseits Arithmetik, andererseits Logik ab, den man i n das Sprachzeichen „Recht" investiert, auch davon, ob man i m „atomistischen" oder i m „morphologischen" Denkstile denkt, ob man lieber die Bäume sieht, oder „den Wald". — „Nichtrecht" ist dann alles i n der Welt, was nicht als Rechtsnorm (Norm) oder als Normengesamtheit vorliegt, z.B. ein Spaziergang u m den Schlachtensee oder eine Aufführung des „Prinzen von Homburg" — aber auch die „Einladung", welche bekanntlich ein nicht rechtliches und bloß gefälligkeitsmäßiges Bewirtungsversprechen darstellt oder die „Spielregel" (die so gern, z. B. durchweg i m amerikanischen Recht, m i t 1
Mitteis / Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 7. Aufl. 1961, 9. Radbruch, Rechtsphilosophie, 5. Aufl., Hrsg. Erik Wolf, 1956,123 f. 3 Hegel, Sämtliche Werke in zwanzig Bänden (besorgt von H. Glockner), Stuttgart 1927 - 1939, Bd. 7, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 92, s. a. Bd. 6, 282 - 287 und Bd. 10, 385 - 391. — Die Hegeische „Dialektik" schließt von ihren Prinzipien her jede sinnvolle Wiederlegung aus, die Selbstlegitimation seiner juristischen Mitsprache durch Hegel in den „Grundlinien der Philosophie des Rechts" (Zusatz zu § 215) ist jedoch kläglicher Art und von K. Bergbohm mit Recht zerpflückt worden: Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, 1. Bd., Leipzig 1892, 10, Anm. 4 Stammler, Lehrbüch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl., 1928, 86 (§ 41). 5 K. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, 10 ff. 2
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der Norm gleichgesetzt wird) 1 . — Unrecht ist alles i m Menschlichen Gegebene, welches gegen Normen bewußt verstößt (die Irrigkeit solcher Verstöße w i r d gesondert behandelt). — I m Widerspruch gegen das juristische Ordnungs-Denken meldet sich m i t der Norm der Ausdruck eines Bedürfnisses nach Genauigkeit. Es zeigte sich seit jeher darin, daß das objektive Recht nicht „makrokosmisch" als Ordnung, sondern „mikrokosmisch" als eine Summe von Regeln (rules) aufgefaßt wurde. Paulus (D. 50, 17, 1) definierte die Regel noch naiv: regula est quae rem quae est breviter enarrat. Heute folgen w i r i n bezug auf die Regel eher ihrer logischen Bestimmung — sie ist „die Form des endgültigen Wissens, i n der sich die Natur des Wollens ausdrückt" (Bollnow). Die Schwierigkeit des Rechtsdenkens i n Regeln manifestierte sich dann jedoch darin, daß es erforderlich erschien, nicht bloß rechtliche „Regeln", sondern rechtliche „Regelungen" zu besitzen. Wenn sich das Recht nur aus Regeln zusammensetzte, dann waren alle weiteren und prinzipiellen Feststellungen, auch grundsätzliche oder rechtspolitische Rechtssätze von größerer Bedeutung (z.B. § 42 des neuen Familienrechtsgesetzbuches der DDR über die Erziehung der Kinder) auszuschließen. Das Bedürfnis nach Regelung entließ i n Europa schon seit den Rezeptionen vom 14. Jahrhundert ab den Normenhunger (Rehfeldt). Er macht sich noch heute erkenntlich: obwohl es bei uns seit langem feststehende Rechtsprechung war, daß jeder Deutsche einen sozialen Anspruch gegen den Staat auf Lebenssicherung habe, überführte § 4 des Bundessozialhilfegesetzes dieses Rechtsprechungsergebnis i n eine Regel. Die Norm w i r d dann „der archimedische P u n k t " der juristischen Zurechnung von Rechtsobjekten, die juristische „Monade" (Sauer), die Beschilderung und das Etikett der kleinsten objektiven Rechtseinheiten oder „Integralien": „Findet i n Einem die Vielen, empfindet die Vielen wie Einen, und i h r habt den Beginn, habet das Ende der Kunst" (Goethe). Funktionell gesehen: ein i m Zuge der „jurisprudence of advocacy" (Llewellyn) vor ein juristisches Forum angespülter Fall, also ein aus dem Lebenssachverhalt heraus „denotierter" normativer Sachverhalt w i r d syllogistisch unter Tatbestand und Rechtsfolge einer auf diesen Sachverhalt anzuwendenden Norm gebracht. Die für den Fall gesuchte Norm ist „jede selbständige Bestimmung, die hinreicht, ein Ereignis m i t einer Rechtsfolge zu verbinden" 2 . Normative Rechtssetzung stellte zwar ein gutes M i t t e l dar, gesetzliche Detailausschweifungen zu beseitigen (z. B. die zwanzig Arten des 1 2
s. jetzt M. Kummer, Spielregel und Rechtsregel, Bern 1974. s. W. G. Becker, Gegenopfer, 227 f., 103 (E. v. Hippel).
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Schweinediebstahls i n der Lex Salica, ähnlich noch i n nordamerikanischen Gesetzten) 1 , war andererseits aber offen genug, auch die bloße Einzelbestimmung m i t einzuschließen. Die Norm stellt somit ein M i t t e l dar, „das Gesetz" und „die Gesetze" zu unterscheiden, die Norm ist als Totalnorm das Ganze jener Bestimmungen, das hinreicht, einen konkreten Fall zu regeln, „die kleinste juristische Ganzheit" (Ernst v. H i p pel, z. B. die i n den §§ 119, 120, 122, 142 BGB enthaltene Irrtumsnorm), dann aber auch die isolierte Norm der zitierbaren, i n Paragraphen, Sektionen und Sätzen (Rechtssätzen) greifbaren rechtlichen Ausdrücke — die isolierte Norm ist die kleine Münze, deren Deckung die Totalnorm ist. Die Norm ist abstrakt, generell, konkret oder individuell, sie regelt eine unbestimmte Vielzahl von Fällen oder sie t u t dies für eine unbestimmte Vielzahl von Personen oder sie regelt den Einzelfall für den oder die daran Beteiligten oder für bestimmte Personen (Bettermann). Eine konkrete Norm wäre z.B. die Setzung faktischen Rechts (etwa eines faktischen Arbeitsvertrages) i m Gegensatz zum generellen, wenn auch nicht abstrakten Gewohnheitsrecht. Die Observanz wäre dann schon konkret-individuell, zumindest konkret das Auskunfts-Privileg des § 824 Abs. 2 BGB. Das Merkmal der Abstraktion t r i t t m i t Fug zurück, abstrakt ist schließlich jedes Gespräch über (konkrete) Gegenstände. Auch die Generalität hat „ihre gültige K r a f t als Merkmal der Norm eingebüßt und ist i m Grunde zu einem technischen Instrument zwecks Billigkeitsregulierung abgesunken" (Lerche) — zu einem Direkt i v für das Recht als Anwendungsrecht. Wo eine Norm lediglich als generelle verstanden werden soll (z. B. i n A r t . 2 EGBGB, 12 EGZPO, §§ 293, 550 ZPO), auf daß also nach A r t . 2 EGBGB zwischen einem Gesetz und einem Testamente richtig unterschieden werden kann, müßte so gesagt sein — man ist versucht, i n bezug auf die Sprache des A r t . 2 EGBGB an das englische Sprichwort zu denken, wonach das Gesetz alles könne, nur nicht aus einem Mann eine Frau machen — man kann nicht eine generelle Norm zur Norm schlechthin erklären, allerdings können auch aus individuellen Normen Generalia herausgezogen werden, die dann also generelle Normen darstellen — durch konkretindividuelle Norm privilegierte ein deutsches Gesetz zu Anfang dieses Jahrhunderts die Deutsche Kolonialgesellschaft dahin, daß sie auch die Rechte auf die Diamantengewinnung an der Küste der damaligen deutschen Kolonie Süd-West-Afrika hatte — das südafrikanische Obergericht i n Bloemfontein entnahm dieser Konzession i n den 50er Jahren 1 s. z.B. „The Lod's Laws of Oregon!" Der Herr spricht allerdings etwas zügellos in ihnen, weitschweifiger jedenfalls, als wir es von den 10 Geboten her gewohnt sind, und seine Vorschriften über die Haftung der Gastwirte für eingebrachtes Gut umfassen allein 86 Paragraphen.
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generell, daß der Rechtsnachfolger der Deutschen Kolonialgesellschaft nicht nur bis zur Flutmarke, sondern bis zur Ebbemarke Diamanten schürfen dürfe. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind Rechtsnormen i m Sinn des A r t . 2 EGBGB, also generelle Rechtsnormen, soweit sie für allgemein verbindlich erklärt worden sind, sonst nur Rechtsnormen schlechthin 1 . Die Norm ist schließlich der feste und haltbare Schlauch, i n den jederzeit auch neue Weine, also neue Ideologien, hineingegossen werden können. Auch die sowjetische Rechtstheorie arbeitet m i t dem Normbegriff: „Nach der von Wyczinski i n den dreißiger Jahren entwickelten und i m wesentlichen auch heute noch i n der Sowjetunion für gültig anerkannten normativen Rechtstheorie ist das Recht als ein System von Normen zu betrachten" — dies entgegen älteren Lehren, z. B. der von Stutschka entwickelten soziologischen Rechtstheorie vom Recht als einem bloßen System von Rechtsverhältnissen, oder der Reissner'schen Theorie vom „intuitiven Recht", d . h . einem nur als klassenbedingt-rechtsbewußt auftretenden Recht (Meder). — I n Nordamerika schlug Roscoe Pound vor einer Reihe von Jahren i m Anschluß an die bereits eingeführte europäische Terminologie für die Bezeichnung des kleinsten selbständigen Elementes innerhalb des objektiven Rechts den Ausdruck „Norm" vor. I n der Praxis sind die Amerikaner allerdings bei der „rule of l a w " geblieben. Leider ist der Normbegriff bis vor kurzem nicht so genau präzisiert worden, wie es das juristische Genauigkeitsbedürfnis, dem er entstammt, verlangte 2 . Eine allgemeine Normtheorie gibt es nicht, auch nicht i n den anderen normativen Wissenschaften, der Ethik, der Ästhetik, der Logik, der Grammatik — der Begriff des Sollens könne, wie z. B. Stammler meinte, nicht theoretisch erarbeitet werden. Jedenfalls scheint das kantische Sollen der begriffliche Ort zu sein, der später das Wort Norm verankern konnte — allerdings meldet sich auch hier 1
O L G Frankfurt/M., N J W 1953, 1306. Daher auch die immer wieder anzutreffende Normskepsis, z. B. bei Bergbohm (1892), aber auch jüngstens (in rechtssoziologischer Gestalt) bei M . Rehbinder (Karl N. Llewellyn als Rechtssoziologe, Kölner Zeitschrift für Soziologie, 18, 1966, 539): M a n lehre nur mit vorgeblichem Tief sinn, daß das Recht die Summe der Rechtsnormen sei, vielmehr gehöre die Gesamtheit aller rechtlich-relevanten Kulturphänomene dazu, der law-staff, der außer den Rechtsnormen und den rechtlichen Institutionen auch die Juristen, die Rechtsbibliotheken, die Gerichte und noch anderes einschließe, so daß die Rechtsnormen lediglich das Handwerkszeug, die tools, darstellten, mit dem der „Rechtsstab" arbeiten müsse, um die dem Rechte gestellten Aufgaben zu erfüllen. — Auch Lipps schrieb i m Jahre 1931 etwas höhnisch: „Auf die Norm wird als auf einen neutralen Terminus immer zurückgegriffen, um sich über die praktische Bedeutung des i m normativen Sollen vorgeblich enthaltenen sogenannten Imperativs nicht näher erklären zu müssen." 2
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die Warnung vor den Schopenhauer'schen „nichtswürdigen Infinitiven" und die Erinnerung daran, daß die Verbform „soll" ja nur die Kopula des (logischen) Werturteils darstellt. Entnommen ist der Normbegriff Kants der „ K r i t i k der Urteilskraft", aus der die Norm als ein logischerkenntnistheoretischer Terminus i m metajuristischen Bereich w o h l zuerst bei E. Reinhold (1825) dann bei Beneke, Fries, Ulrici, Trendelenburg und Drobisch entwickelt worden ist, bis der Normbegriff i n Überwegs Logik von 1857 zum ersten M a l als Begriff einer „normativen Wissenschaft" landete. Wie i n der Frage der Realität scheinen hier i m übrigen die Juristen eher auf dem Plan gewesen zu sein, G. A . K l e i n schmidt, Hoffbauer, Berger, Luden (1794 -1840), danach Stahl und die erste strenge juristische Normativistik i n den Binding'schen „Normen" (1872), von dem die Linie weiter zu dem Zivilisten Thon, dem Vater der Imperativtheorie, danach zu Roguin, Kelsen und den modernen Normativisten führt. Die modernen Theoreme der Philosophie über das Rechtsnormproblem wurden i m Jahre 1940 von Otto v. Schweinichen durchgesprochen: Nicolai Hartmann, Bruno Bauch, Heinrich Maier, C. A . Emge, Julius Binder, Walter Schönfeld, Philipp Heck, Wilhelm Sauer, danach die katholische Rechtstheorie 1 . — Die Geschichte der Norm beginnt logisch-historisch bei der römischen „norma", einem Begriff zunächst für das spezielle Winkelmaß, allgemeiner dann für das Maß des Richtungsunterschiedes zweier Linien überhaupt, endlich schlechthin für den Maßstab, an dem man irgendeine Abweichung kontrollierte, einem Ausdruck also für die „Breite des Normalen " (S. Freud), für das Leitbild, von dem ein konkretes Handeln oder Verhalten der Menschen möglicherweise abweicht. — Binding bringt den Rechtssatz i n die Norm hinein (dann gibt es die selbständigen und die unselbständigen Rechtssätze), er unterscheidet den Rechtssatz als Strafgesetz und die strafrechtliche Norm, „die Norm schafft die rechtswidrige, das Strafgesetz die verbrecherische Handlung". Die Norm ist danach ein Satz des ungesetzten Rechts, der dem Verbrecher die Richtschnur seines Verhaltens vorschreibt und geht begrifflich, wenn auch nicht notwendig zeitlich, dem Strafgesetz voraus, sie ist „das rechtliche Verbot oder Gebot als solches". Damit sind w i r zugleich bei Kelsens „Grundnorm", einem unausgewiesenen Deus ex machina — „wer fragt, der ist gerichtet, hier w i r d abstrakt gedichtet" . . . bei Binding wie bei Kelsen ist die Norm keine Setzung, sondern nur 1 s. über die Geschichte der Norm W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 229 ff., insbesondere auch W. G. Becker, Die reale Norm, Die Rechtsnorm als spezifisches logisches Urteil, in Festschr. f. K. Engisch, 1969, neuerdings z.B. E. Kininger, Die Realität der Rechtsnorm, und H. Keuth, Zur Logik der Normen, beide 1971; I. Tammelo, Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, 1971, 2, 36 ff.
13 w . G .
Becker
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eine Voraussetzung lucendo". —
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für den normanwendenden Richter, „lucus a non
Bei Kelsen ist dann auch der „Rechtssatz" kein Satz des Rechtes, sondern nur ein Satz der Rechtswissenschaft — i n Wirklichkeit ist er das grammatische „semiotisch-syntaktische" Element i m Denken, wodurch die Norm sprachlich zum Ausdruck kommt (im übrigen bedarf es auch der vernünftigen Lesung, die beiden „Rechtssätze" des § 823 Abs. 2 BGB sind zu einer Norm zusammenzuziehen, auch die Aufbereitung der Norm aus Stillschweigen, Konklusion und „ E k l i p t i k " — Weglassung von Worten — ist notwendig). — Naturgesetz ist ein Wort für den Gedanken des Bestehens einer Gleichartigkeit i n den feststehenden Formen der Natur (Kälte zieht die Körper zusammen), Naturgesetze sind also Kausalgesetze. Gesetze i m juristischen Sinn, und dann Rechtsnormen, arbeiten aber nicht kausal, sondern „entelechisch-spontan" (Bergson), wenn auch „nach rückwärts h i n " unfrei und determiniert, so doch „nach vorn h i n " frei und indeterminiert — nach neuerer französischer Lehre nach rückwärts h i n dem Fatum hingegeben, nach vorn h i n der Freiheit . Die normative Bestimmung, daß die Errichtung bestimmter Testamente nur bei Anwesenheit zweier Zeugen gültig sei, kann ebenso gut sieben Zeugen berufen 1 . — I n bezug auf die Bestimmung der Norm steht es, wie gesagt, schlecht 2 . Z u beachten sind die „Urteilstheorie" und die „Imperativtheorie". Nach der überwiegend abgelehnten, aber auch zu akzeptierenden Meinung 3 , ist die Norm die aus einem logischen Urteile ergehende Forderung an ein anderes Subjekt. Der deutsche Vater der Imperativtheorie ist der Zivilist Thon, sie w i r d heute vor allem von K a r l Engisch vertreten 4 . Ist der Imperativ Sprachzeichen für Befehl/Weisung der i n Frage kommenden sozialen Gruppe (im allgemeinen des i n Frage kommenden Staates), oder ist der „Imperativ" ein (semiotisch zu lesendes) Kurzzeichen für ein Werturteil? Allgemein w i r d angenommen, daß der Imperativ 1 Über Naturgesetz und Rechtsgesetz jetzt (mit genügender Literatur) E. Wolf, Der Begriff Gesetz, in der Festschrift f. U. v. Lübtow, 122 ff. — auf S. 134 nimmt Wolf allerdings ein „juristisches Naturgesetz" an, kurze Analyse des viel umstrittenen Begriffes „Naturgesetz", z. B. bei E. E. Hirsch, JZ 1962, 149 u. im Zusammenhang mit dem juristischen Ausdruck in „Sozialistische Gesetzlichkeit" in der DDR. 2 Genaue Festlegung aber in den Festschr. für K. Engisch, Frankfurt/M. 1969, 161 ff. und für Schnorr v. Carolsfeld, 1973, 35 ff., dort auch weitere Literatur. 3 Dazu in der Festschrift für K. Engisch, 166. 4 Zuerst Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, Neudruck Scientia 1964, 4 ff., zur Imperativtheorie genügen die Ausführungen von K. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 29 ff., s. a. E. Wolf, Der Begriff Gesetz, in der Festschr. für U. v. Lübtow, 112 - 120.
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für einen „Befehl" steht. Dieser allgemeinen Meinung kann gefolgt werden, der Imperativtheorie i m ganzen aber nicht. Wäre die Norm nur Imperativ, so wäre sie nur Handlung und Ausdruck von Handlungsw i l l e n wie der Realakt. Die Realakts- und Rechtsgeschäftstheorie muß für die Erklärung der Norm herangezogen werden 1 . Eine Norm als Befehl könnte also, wie ein Realakt, gar nicht ungültig sein, sie könnte nur durch contrarius actus widerrufen werden. M i t der Imperativtheorie kommen w i r also nicht aus, zusätzlich muß die Urteilstheorie herangezogen werden: die Norm bestimmt sich also zusätzlich, dabei aber hauptsächlich, nach der Urteilstheorie. Das Urteil ist die „Infrastruktur" der Norm! Damit müssen w i r zunächst das (logische) Urteil bestimmen, welches (im Gegensatz zu Glaubensüberlegungen, bloßen Meinungen und bloßen Wertungen) überlegt, argumentativ und i m wesentlichen rational abläuft. Das logische Urteil besteht darin, daß an ein „hypokeimenon" vermittels einer Kopula eine Folge geknüpft wird, welch letztere „kategoroumenon" heißt — juristisch: Rechtsfolge an Tatbestand (Summe von Tatbestandsmerkmalen). A n der Kopula unterscheiden sich die beiden Arten der logischen Urteile. Wenn die Kopula i n einem „ i s t " oder einem „hat" besteht, liegt ein Aussageurteil (Existentialurteil/ Faktenurteil) vor (diese Vögel sind Falken!), wenn die Kopula i n einem „soll" vorliegt so handelt es sich u m ein Werturteil — es muß aber hier „aufbereitet" werden — manchmal werden Soll-Urteile m i t außerhalb der Soll-Sphäre liegenden Ausdrücken umschrieben, z. B. § 1 BGB, nach dem die Rechtsfähigkeit des Menschen m i t der Vollendung der Geburt „beginnt" — i m (deutschsprachigen) Dekalog w i r d aber überwiegend z. B. m i t der Kopula „soll" gearbeitet. Die Rechtsnormen sind grundsätzlich Werturteile 2 . Über die Werturteile handelt vor allem die allgemeine Philosophie, insbesondere die Wertphilosophie 3 . Juristisch beschäftigen sich vor allem die Abhandlungen über „das Naturrecht" oft mit der Feststellung der Möglichkeit und der Tragweite von Werturteilen. Das Aussageurteil ist „ w a h r " oder „unwahr", das Werturteil „richtig" oder „unrichtig" — Überbegriff solcher Prädikate der Urteile wäre die Evidenz, wonach also Urteile entweder evident oder nicht evident sind. E. Husserl nennt die „Evidenz" i n seinen „Logischen Untersuchungen" ein Erlebnis, i n dem irgendein Urteilender der Richtigkeit seines 1
E. Wolf, Der Begriff Gesetz, in der Festschr. f. U. v. Lübtow, 134. Dies ist die allgemeine Meinung, philosophisch dazu etwa M. Scheler, N. Hartmann, E. Lask, Rechtsphilosophie, Ges. Schriften, 1923, I, 289, 292, 299, 303 - 307. 3 Zur Orientierung z. B. „Gegenopfer", 235 ff. 2
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Urteiles oder dessen Angemessenheit an die Wahrheit inne w i r d — Oskar Kraus i n seinem Buche von 1938 (über die Werturteile) etwas, was i n sich gerechtfertigt oder sich selbst rechtfertigend ist. Nach K a r l Wolff (Grundlehre des Sollens, Innsbruck 1924, 13) ist ein Urteil evident, wenn es für sich oder i m Zusammenhang m i t anderen Urteilen irgendwann irgendwem eingeleuchtet hat. — Reinach spricht den Aussageurteilen „kaltes", den Werturteilen „warmes" Wissen zu (was i n einer stärkeren intersubjektiven Kommunikations-Prätention des Werturteils zum Ausdruck kommt). Auch die malerische Unterscheidung von „couleurs" und „valeurs" kann zur Verdeutlichung herangezogen werden. — I n bezug auf die Wahrheit des Aussageurteils gibt es natürlich, wie schon erwähnt, Modifikationen des Wahrheitsbegriffs. Zunächst w i r d ein Aussageurteil (und nur für diese gilt das Wahrheits-Kriterium!) nur so lange als wahr bezeichnet, als es nicht falsifiziert worden ist. Ferner setzt man vielfach an die Stelle der Wahrheit die Wahrscheinlichkeit — R. Bruns hat i n seinem „Zivilprozeßrecht" von 1968 auf den S. 274 ff. eine ganze Tabelle der Wahrscheinlichkeitsfeststellungen i m Prozeß aufgestellt 1 . Aber dem Werturteil der Norm muß ein (logisches) Aussageurteil hinzuaddiert werden (s. o. S. 140). Die Norm ist also m i t „rechtlichen Sachverhalten und Beziehungen" aufzuladen (Larenz). — Wenn die Norm insoweit der Urteilstheorie unterliegt, dann also Werturteil und Aussageurteil (im logischen Sinn) ist, also m i t urteilsmäßiger Evidenz auftritt, so arbeitet die Norm danach — i m Sinne der Imperativtheorie — m i t „Durchsetzungsgewalt", „potestas" und „Effizienz" — so daß also „die reale Norm" Synopsis 2 von Aussageurteil, Werturteil und Imperativ ist. Die bekannte Parömie „auctoritas non veritas facit legem" muß also genauer gelesen werden: die veritas bezieht sich offensichtlich auf das i n der Norm liegende Aussageurteil, die auctoritas auf das i n der Norm liegende Werturteil, während bemerkenswerterweise von einer potestas, welche erst das imperative Element der Norm tragen könnte, in der Parömie überhaupt nicht die Rede ist — i m vorigen Jahrhundert wurden die Entscheidungsgründe der deutschen Obergerichte auch mehr „argumentativ" und „diskursiv" (im französischen Stile) als 1 Zur weiteren Information s. bei A. Kaufmann (Hrsg.), Die ontologische Begründung des Rechts, 1965, 577, 593 ff. und H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 1960, bes. 162 ff. 2 Die Synopsis ist die große Medizin von B. Horvath, s. jetzt Probleme der Rechtssoziologie, 1971, 66 ff., 73, 92 (Gegensatz wäre die von Kelsen oft gerügte synkretistische Methode!).
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„imperativ" abgefaßt, also mehr auf Urteil, veritas und auctoritas als auf Befehl bezogen. Vom Standpunkt des Normautors liegt, wenn er die Norm geltend macht, freilich nur eine Chance auf normative Geltung/Anerkennung vor, die Geltung/Anerkennung selbst liegt bei der Statistik 1 . Aber die Moralität der Chance ist die Chance der Moral, m i t anderen Worten: je „autoritativer" die Norm (in bezug auf ihr Werturteil) ist, u m so eher w i r d der Anspruch des Normautors erfüllt und die Norm reproduziert. Man denke auch an die Hegel'sche Feststellung, daß „das Ich das heimlich mitzudenkene Subjekt" ist (Hegel meint: des formalen Urteils, i n Wirklichkeit jedes menschlichen Ausdrucks). U m diesen bloßen „Chancencharakter" der Norm zu betonen, sprechen w i r von der Norm also besser nicht so, daß sie Kombinat von Aussageurteil, Werturteil und Imperativ sei, sondern von der Norm als Prätentionenkombinat: der Urteilsautor stellt m i t seiner Intention/ Prätention „urteilsmäßige Forderungen an ein anderes Subjekt", die Intentionalität/Prätentionalität ist eine existentielle Grundbefindlichkeit des menschlichen Daseins (Kant) 2 , die Intention/Prätention ist dessen „transzendentaler Leitfaden" (Sartre). — Aus dem Chancencharakter des Norm-Urteils folgt z. B. die „Expérimental jurisprudence" i n Nordamerika (Cowan), aber auch schon die dem naturwissenschaftlichen „savoir pour prévoir" (Comte, Bergson), am Ende aber der „iuris Providentia" der römischen K a u t e l a r j u r i s prudenz entstammende Prophezeiungsdefinition des nordamerikanischen Rechts, „the prophecies of what the courts w i l l do i n fact . . . are what I mean by law", danach vielleicht der ganze Präjudizienkult 3 . — Prophezeiungen sind Verhaltenserwartungen (Rehbinder). Der Chancencharakter des Norm-Urteils schafft dessen funktionelle Gerundivität, welche das Wort „zutreffend", i m Wortsinne richtig, gerundivisch dahin versteht, daß ein Urteil, wenn es denn bei Bestand bleibe, auch „getroffen" oder „vollzogen" werden muß, und dann von vornherein sozusagen als Beweisantritt für seinen Lebensbestand den Anspruch darauf erhebt, getroffen oder vollzogen zu werden. Diese funktionelle Gerundivität des Urteils (die erst danach seine i n der Regel auch vorliegende und erforderliche Substanz gewährleistet) kommt 1 Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 1947, 32 ff., 278 f., im Anschluß an Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., 1956, 28, s. ferner Heinrich Maier, Wahrheit und Wirklichkeit, Berlin 1928, 371. 2 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Insel-Ausgabe (Weischedel), I V , 142 f. 3 Holmes, Belege bei W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 235, A. 311.
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schon i n der logischen Terminologie dadurch zum Ausdruck, daß das U r t e i l als eine Proposition bezeichnet wird, und daß es i n der Regel „diskursiv" ist. Diskursiv w i r d i n erster Linie das Denken i n Kategorien und allgemeinen Begriffen genannt, die Analyse, das Vergleichen und Unterscheiden der Wahrnehmungskomplexe, i h r Abstrahieren, Kombinieren und Subsumieren (Vaihinger), die Diskursivität des Urteils enthält aber auch das Element seiner Diskussion, und Proposition heißt Vorschlag auf Probe, danach auf Einverständnis, juristisch gesprochen: Offerte. Einen Schritt weiter halten w i r bei dem Prinzip der Corroborativität des Urteils (corroborative evidence). Durch zweier Zeugen M u n d w i r d allsogleich die Wahrheit kund, das englische House of Commons kennt nur sekundierte Anträge 1 , die Unterstützung eines vorgebrachten Gedankens auch nur durch ein einziges anderes Mitglied eines Gremiums ergibt bekannterweise starke psychologische Stütze — der Urteils-Adressant horcht schon sprachlich i n der deutschen Floskel „nicht wahr?" ständig auf Adressatenbestätigung. „ E i n Urteil ist evident, wenn es für sich allein oder i m Zusammenhange m i t anderen Urteilen irgendwann irgendwem eingeleuchtet hat 2 ," es ist dann cor-rect. Was an diesen Prinzipien der Gerundivität und der Corroborativität des Urteils verblüffen könnte, ist, daß sich aus ihnen eine Flut von jeweils zutreffenden, aber völlig variierenden Urteilen ergibt. Der dadurch eintretenden Unsicherheit i m Denken w i r d jedoch durch das allgemein anerkannte Prinzip des „Pluralismus der Absoluta" Einhalt geboten. Eine einfache Erklärung dieser hochphilosophischen Erkenntnis gibt das alte Sprichw o r t von den vielen Wegen, die nach Rom führen, und dessen schlichte Auslegung: „ u n d der eine Weg ist gut und der andere Weg ist gut. Aber jeder gute Weg muß ein offener Weg und ein gerader Weg sein und i n der Sonne liegen und ohne Morast und ohne Sumpf und I r r licht" (Fontane). Der „Pluralismus der Absoluta" erklärt vor allem, daß i n verschiedenen Lebensbereichen auch verschiedene Urteile i n zutreffender Weise auftreten, wobei auch die Zeit ihre Rolle spielt: eine deutsche Rechtsnorm, welche die nachträgliche Eheschließung m i t einem (gefallenen) Manne zuließ, wurde i m Jahre 1944 durchaus als zutreffendes Werturteil angesehen, seit 1947 keineswegs mehr. Aus der funktionellen Gerundivität des Urteils folgt, daß jedes U r t e i l seinen Weg i n die Welt ausgerüstet m i t einer Reihe von Prätentionen des Urteils-Autors auf Billigung, Einverständnis, Nachvollzug seitens des Urteils-Adressaten antritt: diese Prätentionen sind 1
267. 2
Eugen Rosenstock, Die europäischen Revolutionen, Jena 1931 (Diederichs), K a r l Wolff, Grundlehre des Sollens, Innsbruck 1924, 13.
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beim Urteil schlechthin a) die Existenz-Prätention auf Aktualisation: es soll zugegeben werden, daß das Urteil überhaupt i n der Welt ist — b) die Evidenz-Prätention auf Realisation: es soll zugegeben werden, daß das Urteil, wenn es ein Aussageurteil ist, wahr, wenn es ein Werturteil ist, richtig ist. Bei Urteilen, welche Kombinationen von Aussageurteilen und Werturteilen darstellen, w i r d also beansprucht, daß sie wahr und richtig sind. Der Ausdruck „Evidenz" stehe hier (wie oben) für diesen Doppelanspruch darauf, daß ein wahres und daß ein richtiges U r t e i l vorläge. „Realisation" eines auf seine Evidenz-Prätention h i n geprüften Urteils bedeutet, falls es sich u m ein Aussageurteil handelt, eine schlichte und bloß deklarative Realisierung (etwa i m Sinne der englischen Wendung „ I take it"); wenn ein Werturteil i n Frage steht, eine fundierte und konstitutive Realisierung ( „ I realize") — richterliche Feststellungsurteile unterscheiden sich von den Leistimgsurteilen bekanntlich vor allem dadurch, daß die Feststellungsurteile bloß deklarat i v sind, prägnant i n Status-Sachen. — Ein Urteil, das sich zur Norm ausgewachsen hat, stellt zusätzlich zu seiner ersten und seiner zweiten Prätention die dritte Prätention, nämlich die Effizienz-Prätention auf Reproduktion auf. Unmittelbarer Vorgedanke der Reproduktion ist, wie gesagt, ein Werturteil. Die Zusammenbringung der Begriffe Reproduktion und Aussageurteil hat keinen Sinn. Wenn überhaupt bei der Figur der Norm ein Aussageurteil zugrunde lag, muß dieses sich bis zu einem Werturteil vorgearbeitet haben, das Urteil i m ganzen darf nicht nur auf die Kommunikation m i t den Menschen gehen (auf die allein das Aussageurteil abzielt), das ginge auch sozusagen „apathetisch", sondern es erstrebt den sympathetischen Beifall der Urteilsgenossen, es muß (um noch einmal Reinachs Bildersprache zu gebrauchen) warmes Urteilswissen vorhanden sein. Die Prätentionen des Urteils, und danach die der Norm, bilden Potenzierungen der allgemeinen Urteils-Proposition, der Urteils-Adressanten-Offerte. A n der verschiedenen Stärke der Effizienz-Prätention auf Reproduktion scheiden sich qualitativ die verschiedenen A r t e n der Normen, unterscheidet sich also auch die Rechtsnorm von den sonstigen Normen. Das Differentiale liegt aber auch i n der Quanität der Norm-Adressaten, das Merkmal der ethischen Norm z.B. nach Kierkegaard darin, daß „jeder Mensch sie jeden Augenblick" reproduzieren müsse 1 — während andererseits die Stärke, d. h. die Qualität, der Effizienz-Prätention bei 1 Kierkegaard, Religion der Tat (Kröner, Leipzig, o. J.), 231. — Kierkegaard verwendet nicht den Ausdruck „reproduzieren", sondern den Ausdruck „realisieren", meint jedoch zweifellos nicht bloß ethische Werturteile, sondern auch ethische Normen.
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der ethischen Norm nicht allzu groß ist — man kann niemanden zwingen, ethisch zu handeln. Demgegenüber spricht die Rechtsnorm nur einen quantitativ beschränkten Kreis, nämlich den der Rechtsgenossen an, nähert sich diesen aber qualitativ stark, nämlich m i t potentieller oder aktueller potestas. Gerade i n bezug auf den Unterschied von ethischer Norm und Rechtsnorm kann auch darauf hingewiesen werden, daß die Rechtsnorm, sicherlich aufgrund ihrer Zwangs-Chancen, lediglich sozial, die ethische Norm auch intim-ethisch gedacht werden kann. Zunächst zur Existenzprätention! Existenz bedeutet schlechthin Vorhandensein einer Norm — der Normautor nimmt i n Anspruch, daß seine subjektsmäßige Stellungnahme i n der Welt sei, die Existenzprätention w i r d danach aktualisiert (oder nicht). Ein Beispiel: seit dem Frühjahr 1945 tobten an den deutschen Fronten „Fliegende Sondergerichte", die ihre Angeklagten kurzerhand verurteilten und (im normalen Fall eines Todesurteils) exekutierten. K e i n Mensch glaubte damals, daß diese Sondergerichte rechtmäßige Gerichte waren. Ein Wiederaufnahmeverfahren zu Landshut (Beschluß vom 2. 2.1967) brachte aber heraus, daß i n diesem Fall eine Durchführungsverordnung des O K W zu § 118 der Kriegsstrafverfahrensordnung ergangen war, welche diese Sondergerichte legalisierte und, gleichgültig wie die Entstehung jener Durchführungsverordnung verlief, aktuell i n der Welt war, also, gelehrt gesagt, ihren Anspruch auf Existenz zu Recht behauptete (die Annahme der normativen Existenz bedeutet auch den Auszug der alten und unsauberen F i k t i o n aus dem Recht, das jedermann jedes Gesetz kennt oder kennen muß). — Die Effizienzprätention auf Reproduktion stellt den wohlbekannten Imperativ der Imperativtheorie dar, so daß hier nichts weiter darüber gesagt zu werden braucht. Die Evidenzprätention enthält die Wahrheitsprätention des (mitzulesenden) normativen Aussageurteils, vor allem aber die Richtigkeitsprätention des normativen Werturteils, darin liegt die Begründung der schon zum Sprichwort gewordenen Feststellung, daß eine Norm, die „Unrecht statt Recht" enthalte 1 , nicht gültig sein könnte. Die Norm mit Existenz und Effizienz, aber ohne Evidenz (Unrecht statt Recht!) peinigt von jeher die Menschen. — Man könnte auch, vom Normenautor aus gesehen, von einer Dreiteilung der Normen nach gesetzlichen, richterlichen und rechtsgeschäftlichen Normen ausgehen, so sprach das Reichsgericht seinerzeit (JW
1
BGHSt 2, 237 f., 241.
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22, 910) von Gesetzesrecht, Richterrecht und Parteirecht 1 . Die Gesetzesnorm bedarf keiner Erörterung, die Richternorm folgt zwingend aus der Vorhandenheit des case — oder judge-made-law, die Rechtsgeschäftsnorm w i r d zwar „Unter den Linden" ungern gegrüßt, sonst aber überall anerkannt, z. B. als „Vertragsnorm" 2 , öffentlich-rechtliche Verwaltungsverordnungen, Staats-, Justiz- und Verwaltungsakte können über die unwiderlegte D o k t r i n Kormanns von den öffentlichen Rechtsgeschäften hier ohne weiteres eingeschleust werden. Der „Folgezwang" nach den drei A r t e n der Rechtsnormen ist natürlich von jeweils verschiedener Intensität — man darf aber auch hierbei nicht vergessen, daß der jeweilige Normautor nicht Rechtsfolgezwang-Diktator ist, sondern nur eine Chancenposition auf Befolgung seiner Normen hat, wenn auch seine Chance durch verschiedene Grundsätze des technischen Rechts solidifiziert wird, dies wiederum i n dreifacher Weise, a) durch den Grundsatz der Gesetzesabsolutheit (Gesetz ist Gesetz), b) durch den Grundsatz der materiellen Rechtskraft richterlicher Entscheidungen, kulminierend i n der „binding force of precedent" und c) durch den Grundsatz der „Privatautonomie", i m engeren Kreise der Vertragsfreiheit. — Man mag also, wenn man w i l l (ohne Furcht vor Zahlenmystik!), von einer dreifachen Trinität der Norm sprechen, a) Kombinat zweier U r teile und eines Imperativs, b) Kombinat dreier Prätentionen, c) drei Arten von Normen. — Beachtlich ist aber, daß die drei Prätentionen zunächst nur faktisch nicht anerkannt werden (wenn sie nicht anerkannt werden). Die Existenz einer Norm w i r d bestritten, oder ihre Evidenz (eine Norm enthalte Unrecht statt Recht), die Imperativ-Gewalt einer Norm w i r d angezweifelt z. B. w e i l sie nicht ordentlich erlassen worden sei. Hier liegt also ein Hauptfall der „Normativität des Faktischen" 3 (und damit des faktischen Rechts): was faktisch bestritten wird, kommt schließlich i n normativen Feststellungen zum Ausdruck. Damit sind w i r bei der Tatsache, daß die Ungültigkeitsfeststellung von Normen eben erst auf der Prätentions-Definiton der Norm aufsitzt, und daß hier auch erst 1 So anscheinend auch L. Petrazycki und seine Schüler, s. Baum, Der Weg von der psychologischen zur soziologischen Rechtstheorie in der PetrazyckiGruppe, 1967, 61. — Die Rechtsnormen als soziologische Rechtsgeschäfte, vor allem auch als öffentlich-rechtliche, jetzt bei U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 1971. — Zur Durchsetzung der Richternorm und deren Geschichte am übersichtlichsten die 520 Seiten von J. P. Dawson, The Oracles of the Law, 1968. 2 Vgl. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 1767, 89. 3 Hierzu neuerdings K. Grimmer, Die Rechtsfigur einer „Normativität des Faktischen", 1971, zum Problem auch Wengler, Fragen der Faktizität und Legitimität, in Festschr. f. H. Lewald, 1953, 615 ff., s. Kininger, aaO, 21.
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die berühmte Normenkontrolle einlogiert werden kann 1 . Es w i r d (z. B. richterlich) etwa festgestellt, daß ein Gesetz „obsolet" geworden ist, also nicht mehr existent — die Existenzprätention der entsprechenden Norm w i r d demnach nicht aktualisiert (wenngleich das „obsolete" Gesetz jetzt oft als Satz des Gewohnheitsrechts weitergeführt wird). Oder: es w i r d eine Norm i n ihrer Evidenz bestritten, w e i l sie „Unrecht statt Recht" enthalte, weil sie „nicht der Gerechtigkeit, dem Werte, der Würde der menschlichen Persönlichkeit diene und dem Grundsatz der Menschlichkeit" widerspreche (BGHSt 2, 238, 239, 240, 241). Wegen Widersprüchlichkeit oder Verfassungswidrigkeit 2 oder, wenn dabei eine Norm für ungültig erklärt wird, unter den unten erwähnten Rechtsbesserungs-Direktiven, insbesondere unter der des Naturrechts. Weil die Norm i m Sinne der 10. Blackstone'schen Interpretationsregel ein „absurdes" Gesetz sei, auch bei der englisch-amerikanischen Überprüfung, ob bei der Gesetzgebung „ w i l l k ü r l i c h oder launenhaft" gehandelt worden sei, oder w e i l die Norm „perplex" sei (z.B. eine testamentarische Bestimmung, welche den Erben per Bedingung dazu verurteilt, sich jedes Jahr am Todestage des Erblassers einen Zahn ziehen zu lassen). Die Verneinung der normativen Effizienzprätention betrifft vor allem die formelle Ungültigkeit einer Norm — eine Rechtsverordnung weist nicht die notwendige Delegation zu einem Gesetz auf, ein „Führerbefehl" ist kein Gesetz3. Die Rechtsnorm ist also — wie von m i r i n der Festschrift für K . Engisch bereits definiert worden ist — eine Evidenz, daher Urteilswahrheit und Urteilsrichtigkeit, aber auch Sinn, und danach Realisierung prätendierendes Urteil, das als Determinante einer den adressierten Rechtsgenossen abverlangten (effizient-prätendierten) Reproduktion m i t Existenzprätention auf Aktualisation publiziert worden ist. 1 Ein besonderes Kapitel der Normenkontrolle wird jetzt von Baron v. Engelhardt behandelt. Rechtsschutz gegen Rechtsnormen — eine konkurrenz-dogmatische Untersuchung aus der Sicht des Verhältnisses von A n fechtungsklage und verwaltungsrichterlicher prinzipaler Normenkontrolle, 1971, s. auch D. Schefold, Normenkontrolle und politisches Recht, JuS 1972, 1 ff. — Die Geltung oder die Anerkennung der Rechtsnormen ist, wie schon oben erwähnt, eben vor allem ein faktisches Problem. — Auch das Sprachzeichen „Sanktion" gehört nicht in die Normtheorie, sondern in die Fragen der gruppalen Organisation (im einzelnen dazu W. G. Becker, Gegenopfer, 252). — I n der Ausstoßung der Geltung, der Anerkennung und der Sanktion wird hier also sozusagen „reines Recht" betrieben (s. dazu aber Festschr. f. K. Engisch, 187). 2 Zur Widersprüchlichkeit s. z.B. den Fall der beiden nordkarolinischen Zionskirchen in State v. Bartlow, 91 N. C. 497,1884 (dazu W. G. Becker, Gegenopfer, 428 f., 437 f.). — Verfassungswidrigkeit z. B. im ersten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 (E 1, 14 ff.). 3 Der Führerbefehl „Verbrannte Erde" vom 19.3.1945 wurde sogar als unverbindlicher Befehl aufgefaßt, obwohl ein Befehl bekanntlich zwar rechtswidrig, aber dennoch verbindlich sein kann — vgl. hierzu letztens Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, 1971.
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Publikation? Man streitet sich darüber herum, ob die nur dem Richter, also nicht „dem Volke" bekanntgegebenen, alten japanischen Gesetze oder der einsame Beschluß „ i n pectore papae" des katholischen Kirchenrechts doch normativer A r t seien — sicherlich! — sie sind exi Stent, und die Publikationsfrage ist technischer A r t . — Wer auch nur die ersten beiden Positionen der oben beschworenen normativen Trinität akzeptiert, stößt, wie es sich gehört, die „Indolenztheorie" aus der Rechtslehre aus und kombiniert die Urteils- m i t der Imperativtheorie. — Die „normative Chance" bedeutet den Einzug der „utopischen" Konzeption des Rechts i n die Normtheorie — die Lehre von den Prätentionen des Normautors reduziert die Rechtsadressatenfrage auf das Problem der Kompetenz des Normautors und bringt die verschiedenen Stellungnahmen der Rechtsgenossen zur Norm ins richtige Licht — bloße Aktualisation, schärfere Realisation (das normative Aussageurteil und das normative Werturteil, also beides, w i r d realisiert — i n der amerikanischen Sprache stehen zwei Wendungen zur Verfügung, „ I take i t " und „ I realize"), endlich Reproduktion, alles zuerst faktisch, dann auch normativ. — Die reale und die synoptisch gesehene Norm bringt uns voran — wer die Norm hat, hat das Recht, denn Recht ist Normensumme (unbeschadet der Tatsache, daß die Intentionalität/Prätentionalität der Norm nur den Chancencharakter des zu Treffenden, also einer Gerundivität trägt). Der „ m y t h of is and ought" (A. Brecht, 54 Harv. L. R. 811 ff., 1940) w i r d „anthropologisch" weggefegt, das „Sollen" bleibt nur noch „einfach als die Funktion eines Seins" übrig 1 . Weiterhin t r i t t die begrüßenswerte Auffassung davon zutage, daß jedes Recht (auch da, wo das Sprachzeichen „Naturrecht" auftritt) „positiv", nämlich zunächst einmal Tatsache ist 2 . Die Norm ist also „ i m Unterbau" an erster Stelle Tatsache einer Handlung (vielleicht sogar einer deliktischen): das kommt besonders 1
B. Horvath, Probleme der Rechtssoziologie, tut es sich mit dem Dualismus von Sein und Sollen zuerst noch schwer, kommt dann aber, wenn ich recht sehe, zur Überwindung, vgl. bes. 17 A. 14, 102, 52 ff., 68, s.a. I. Tammelo, Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, 1971, S. 142 ff., 145. 2 Über die vier Arten des Positivismus s. die Festschr. f. Karanikas, 1967, 151 f. — ich folge aber nicht dem scholastischen, dem etatistischen und dem naiven, sondern dem philosophischen Positivismus: der Gegenstand der Philosophie ist „die Welt als Partitur oder als Text, welche der Glosse bedarf" (Dilthey), alle Erkenntnislehre geht mit bezug auf die Welt davon aus, daß „man nie vor, sondern immer nur in ihr sei" (M. Landmann) — immer nur mit der Welt gilt es sich zu beschäftigen, bleibet der Erde treu, meine Brüder! . . . Zu dem in der Karanikas-Festschrift erwähnten Hänel s. jetzt endlich M. Friedrich, Zum Positivismus und materiaien Verfassungsdenken, 1971.
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plastisch — während es bei uns gern negligiert w i r d — z.B. i n der amerikanischen Entscheidung Bank of Spain v. Fédéral Reserve (114 F, 2, 438 ff., 444, 1940) zum Ausdruck, wo ein Handeln i n Ausübung von Hoheitsrechten als „physische Tatsache" gewertet w i r d 1 . Tatsache ist die Norm aber auch i n ihrem evidentiellen und effizienziellen „Überbau" (der nach dem alten Grundsatz „superficies solo cedit" schließlich nicht „Gegenstand besonderer Rechte" sein kann). Die Norm ist also Tatsache als Handlung, einmal, indem sie überhaupt i n Existenz t r i t t und dann also eine Existenzprätention des Normautors entläßt, zweitens, indem sie Evidenz und Effizienz i n den Prätentionen des Normautors hat, dann evtl. die Aktualisationen, die Realisationen und die Reproduktionen des oder der Norm-Adressaten. Man spricht i n Amerika insofern vom „normative fact" und von den Normen als „factual occurances". Technisch w i r d i m amerikanischen Kollisonsrecht das fremde Recht überwiegend nach der „Faktentheorie" beurteilt, und wer auf Zwangsvollstreckung aus dem Urteil eines ausländischen Gerichts klagt, muß die Voraussetzung der Anerkennung des ausländischen Urteils, damit auch das betreffende ausländische Recht als Tatsache beweisen. — Sehr wichtig ist der „Januskopf" der Norm. Es gibt die Norm als Entscheidungsnorm und die Norm als Verhaltensnorm (standard). Das sagen uns selbst die Psychologen (juristisch z.B. Isay und Mezger): „Man kann zwei psychologische Hauptbedeutungen von Normen unterscheiden: a) ihre Funktion als Bezugssysteme i m Sinne von Informationsinstrumenten i m Dienste der lebensnotwendigen Ordnung der Phänomene bei der Orientierung des Individuums i n der Welt und b) ihre Funktion als Verhaltensregeln m i t determinierender und motivierender Wirksamkeit 2 " Wirklich (reell) und als wirklich (real) kann aber eine Norm erst i n ihrer Erscheinung als Entscheidungsnorm sistiert werden (so ist denn auch das Verhältnis zwischen den beiden Benennungen der Norm, einmal als Entscheidungsnorm, dann als Verhaltensnorm, nicht etwa dialogischer, sondern dialektischer Natur). Die Beschränkung der Norm nur auf die Verhaltensnorm weist manche Züge der alten römischen Flucht ins ius divinum auf: wo die i n realontologischer Hinsicht vorhandene Naivität der Römer nicht ausreichte, verwies man auf Natur- oder Götterrecht. Es kommt hinzu, daß bis heute die Reduktion der Norm auf die Verhaltensnorm die notwendige Abgrenzung von Norm und Spielregel gefährdet, die Verhal1 Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opf erver wehrung, aaO, 106 und Anmerkungen. 2 A. Jäger, Zur psychologischen Bedeutung der Normen, Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft, Gießen 1966, 75 ff., 89.
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tensnorm bleibt der bloßen Spielregel gefährlich geöffnet 1 — erlaubt ist, was gefällt . . . Führt vielleicht erst die reale Norm, also die Vorstellung der Norm zunächst i m Kleide der Entscheidungsnorm, zum Gegensatzpartner unserer Sentenz: erlaubt ist, was sich ziemt? — Wo das objektive Recht nur als eine Summe von Verhaltensnormen gesehen wird, wie i m amerikanischen Recht als Summe von Standards (Indolenztheorie!), bleibt das Recht unbestimmt, es ist nur noch I n begriff von unverbindlichen Objektivationen, „Omnipräsenzen", „gasförmigen Säugetieren", wie man seinerzeit spöttisch meinte, und Goethes Gerichtsrat hätte recht: I n abgeschlossenen Kreisen lenken w i r gesetzlich streng das i n der Mittelhöhe des Lebens wiederkehrend Schwebende. Was droben sich i n ungemess'nen Räumen gewaltig seltsam h i n und her bewegt, belebt und tötet ohne Rat und Urteil, das w i r d nach anderm Maß, nach andrer Zahl vielleicht berechnet, bleibt uns rätselhaft. Demgegenüber kann man schon Moses (5 Moses, 30, 11 -14) anrufen: „Denn das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht verborgen, noch zu ferne, noch i m Himmel, daß du möchtest sagen: Wer w i l l uns i n den Himmel fahren, und uns holen, daß w i r es hören und tun! . . . Denn es ist das Wort fast nahe bei dir i n deinem Munde und i n deinem Herzen, daß du es tust." Und auch die amerikanische Rechtsprechung meint: „The Common L a w is not a brooding omnipresence i n the sky, but the articulate voice of some sovereign or quasi-sovereigns that can be identified 2 ." — M i t der Zurückschraubung der Verhaltensnorm zugunsten der Entscheidung snorm und m i t der Hereinziehung der Urteilstheorie i n die Normtheorie sagen w i r vor allem der Anhänglichkeit der Positivisten an eine Vorstellung vom Recht als „der äußeren Ordnung einer Gemeinschaft" ab, deren materieller Inhalt sich aus Wertrelationen ergibt, die ihrerseits einer geglaubten Weltanschauung entstammen. Man kann die Rechtsnormen nunmehr weiter aufteilen, etwa i n Erlaubnissätze, Distributionssätze, Gebote, Verbote, Gewährungen — moderner: Rechtsbehelfsnormen, Zuweisungsnormen und vor allem 1 Zur Abgrenzung von Norm und Spielregel s. a. W. W. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 249 - 251 und die dortigen Anmerkungen, o. S. 190. 2 O. W. Holmes in Southern Pac. Co. v. Jensen, 244 U. S. 205, 222 (1971) und später. Dazu jetzt K. Thannhäuser, Die „Erie-Doctrine" i m Spannungsfeld zwischen den Bundes- und Staatengerichten der Vereinigten Staaten, Köln 1969.
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O r g a n i s a t i o n s n o r m e n (R. B r u n s ) — j e d e n f a l l s f o l g t , daß d i e N i c h t b e a c h t u n g v o n n o r m a t i v e n G e b o t e n u n d V e r b o t e n i m a l l g e m e i n e n Unrecht darstellt. Aus der normativen Lesung ergibt sich auch die oben schon kurz erwähnte Abgrenzung des Juristischen und des Rechtlichen, der Rechtsrelevanz und der Rechtsfolgerelevanz . Bloßes rechtsrelevantes Verhalten ist zwar juristisch, aber ohne Rechtsfolgen: der Walfischfänger, der den Besitz am Walfisch aufgibt, also nach § 959 rechtsgeschäftlich „derelinquiert", verliert als Rechtsfolge seiner Dereliktion den Besitz am Walfisch. Der Kapitän des konkurrierenden Fängerschiffs, der so manövriert, daß nichts anderes als die Dereliktion und die Besitzaufgabe in bezug auf den Walfisch übrigbleibt, entfaltet zwar schöne Macht gegenüber Ohnmacht (E. F. Bruck), handelt aber zunächst nur juristisch-rechtsrelevant ohne Rechtsfolge, rechtlich-rechtsfolgerelevant erst, wenn er aufgrund seines Manövers haftbar gemacht wird. Ähnlich ist der Sturmwind, welcher ein unzurechnungsfähiges Kind schädigend auf jemanden wirft, so daß das Kind nach der Billigkeit des § 829 haftet, nur ein rechtsrelevantes-juristisches Ereignis, nicht aber Tatbestand einer Rechtsfolge (Larenz). — Die Anglo-Amerikaner sprechen hier von „actual facts" und von „legal facts", auch von „jural acts" und von „effective acts", besitzrechtlich auch von „nonvestitive" und „vestitive facts", dann von „voluntary vestitive facts" und von „involuntary vestitive facts" 1 . Wertrelativismus K ö n n e n W e r t u r t e i l e r i c h t i g sein? Das ist, w e n n m a n d i e N o r m v o r n e h m l i c h als W e r t u r t e i l a u f f a ß t , n a t ü r l i c h d i e H a u p t f r a g e . D e r W e r t relativismus bestreitet aber die Möglichkeit der Richtigkeit v o n W e r t u r t e i l e n , m e i n t also, daß i n d e n W e r t u r t e i l e n r e i n e r S u b j e k t i v i s m u s ohne O b j e k t s b e r ü c k s i c h t i g u n g liege u n d j u r i s t i s c h d i e N o r m d e r b l o ß e n S p i e l r e g e l annähere. I n der T a t haben alle verständigen L e u t e die Möglichkeit der Richt i g k e i t v o n W e r t u r t e i l e n a n e r k a n n t — d e r W e r t r e l a t i v i s m u s i s t also e i g e n t l i c h n u r „ P o p - W e r t r e l a t i v i s m u s " . W i r lassen d i e a l t e n g r i e c h i schen A u s f ü h r u n g e n ü b e r d e n Vorzug beiseite, aber „ w i e es i m L e b e n des e i n z e l n e n geschehen k a n n , daß er, w e n n er u n t e r höchster A n s p a n n u n g i n sich selbst h i n e i n h o r c h t u n d zugleich a u f die Z e i c h e n d e r 1
Gegenopfer und Opferverwehrung, 104, 273, ferner die zahlreichen Registér-Notizen über „Faktum" und „Besitz". S. dazu vor allem auch W. Flume, Das Rechtsgeschäft und das rechtlich relevante Verhalten, AcP, April 1962, 52 ff. Der Unterschied in den Begriffen liegt darin, daß Flume ein rechtlich relevantes, also juristisches (juridisches) Verhalten zugrunde legt, wie etwa beim einfachen Kostenvoranschlag nach § 650 — anders aber ein rechtsfolgenmäßiges, also ein rechtliches Verhalten — eben weil dieses Verhalten rechtsfolgenmäßig, nicht nur rechtsmäßig, betrachtet wird, führt es zum faktischen Recht (s. darüber u. S. 382). — Die Klärung der dogmatischen Grundbegriffe „juristisch" einerseits, „rechtlich" andererseits geht hier mitten in die Dogmatik!
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Zeit achtet, des rechten Weges gewiß werden kann" 1 , so kann auch die Richtigkeit eines Werturteils unter Zuhilfenahme der Einsicht sicher festgestellt werden. Die Einsicht (die (pQovrjais des Epikur) ist die Urteilskraft i n bezug auf die Werturteile, sie ist „dem wachsenden Monde verwandt, man muß sie innerlich wachsen lassen" (C. Haensel). Niemals bedarf es dabei der Begründung der Einsicht durch allgemeine Bejahung: „ I t is by no means necessary that such conclusion be supported by evidence of unanimous agreement 2 ." Hier meldet sich der „Pluralismus der Absoluta": es gibt so viele Wertfelder wie es Typen von Interessen-Prinzipien gibt 3 , die „Plus- oder Minus-Qualifizierung der Wertfelder" ist schwierig, aber möglich 4 , es gibt eine „deskriptive Phänomenologie des Wertzuschreibens", und m i t ihrer Hilfe eine „ i n travitale Objektivität der Werte" (Werkmeister, Siches)5. Der Pluralismus der Werturteile folgt vor allem aus der pluralistischen Ethik, der „dialektischen Kollisionsfähigkeit alles Sittlichen", der Gleichrangigkeit gewisser höchster Werte (dem auch die juristisch w o h l bekannte Pflichtenkollision entstammt) 6 . Wohl das gröblichste Mißverständnis, welches den Absichten der Vertreter der Wertkollision gelegentlich immer wieder zuteil geworden ist, enthält die Deutung dieses Standpunktes als eines relativistischen 7 . Der „Pluralismus der Absoluta" zerstört vielmehr die Grundthese des Wertrelativismus, daß es keine zutreffenden Werturteile und nur subjektive Meinungen gäbe, m i t seiner Feststellung, daß manche Werturteile als zutreffend charakterisiert werden können und dies auch beanspruchen (prätendieren). — K a r l Engisch sagt es am Ende seines oft zitierten Buches „ A u f der Suche nach der Gerechtigkeit" so: „Soweit der Wertrelativismus wissenschaftlich und insbesondere rechtsphilosophisch gesehen ,Wahrheit' ist, womöglich schreckliche Wahrheit, müssen w i r den Anblick dieses Gorgonenhauptes ertragen!" — Der Kampf des Einsichtigen gegen den Wertrelativismus gleicht (um es m i t einem anderen B i l d aus der griechischen Mythologie zu sagen) dem des Laokoon m i t seinen Schlangen 8 . — 1
Weischedel, Recht und Ethik, 1954, 35. E. Bodenheimer, The Province of Jurisprudence, Cornell L. R. 46 (1960), 6. 3 Gaston Berger in „Sinn und Sein", Festschr. f. F. v. Rintelen, 1960, 609. 4 R. Wisser, Sinn und Sein, aaO, 611 ff. 6 Sinn und Sein, aaO, 49 ff., 559 ff. 8 M . Landmann, Pluralität und Antimonie, 1963,139 ff. f M. Landmann, aaO, 131. 8 Dazu, mit leicht amüsanten Hinweisen auf die schöne Literatur, s. W. G. Becker, Der dritte Mensch und die dingliche Dichtung, 1966, 374 f. — Aus der Geschichtswissenschaft stimmt z.B. H. J. Muller bei, The Uses of the Past, New York 1963, bes. i m 2. Kap. 2
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Schaden (als Tatbestandsmerkmal des § 823,1)
Über den Pluralismus der Werturteile hinaus gibt es aber offensichtlich sogar monistisch-absolute Werte (und entsprechend vorausgehend richtige Werturteile): „krisenfeste" Werte dieser A r t sind z.B. die der menschlichen Treue, der Wahrhaftigkeit, der Aufrichtigkeit, der Güte, des Edelmutes, der Hilfsbereitschaft — und wenn die große „Umwertung der Werte" ä la Nietzsche sogar i n bezug auf diese Werte einsetzen würde (vielleicht über die Tiefenpsychologie!), so erschiene ihre Verleugnung doch nur, wie die Heuchelei, als das Kompliment, welches das Laster bekanntlich der Tugend zollt. Auch i m Rechte werden solche Werte einschließlich der als anerkannt bestimmten menschlichen Haltungen immer wieder „reassessed" (E. Bodenheimer). M a n kann schließlich auch den Gedanken der Echtheit heranziehen, Zweifel ist seit Descartes gut, aber, wer zweifelt, zweifelt am Ende auch an der Berechtigung seiner Urteile und damit an der Evidenz seines Zweifels (Augustinus, De Trinitate, 10. Buch, si quis dubitat, v i v i t . . . ) . Darum lebt sogar ein anständiger Mensch nach F. Rosenzweig grundsätzlich nicht pluralistisch, sondern monistisch, nämlich „nicht aus den 999 Möglichkeiten, die es gibt, sondern aus der einen, die er ist".
Schaden (als Tatbestandsmerkmal des § 823,1) Wer keinen Schaden hat, kann auch keine Schadensersatzpflicht geltend machen. Das Tatbestandsmerkmal „Schaden" steht also an erster Stelle i n der Reihenfolge der Tatbestandsmerkmale der deliktischen Grundnorm. Materieller Schaden ist der Unterschied zweier Güterlagen (RG 102, 388 f.), Schaden i m Ganzen der Unterschied zweier Lagen. W i r kennen den natürlichen, den objektiven, den typischen, den subjektiven und — objektiven und subjektiven Schaden zusammengefaßt — den normativen Schaden. Das alles ist der reale Schaden des § 823, 1, ein Tatbestandsmerkmal, welches i n § 823, 1 dasselbe ist wie das der A r t - und Umfangs-Bestimmung des § 249 (s. o. S. 116).
Handlung
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Handlung Dem Begriff der rechtlichen Handlung gehen denkmäßig voraus a] der Zustand, z. B. ein Zeitablauf oder eine Besitzdauer, b) der Vorgang, z. B. der Abschluß eines Werkvertrages, isoliert gesehen das Ereignis, z.B. der Tod. Zustände werden statisch gesehen, Vorgänge und Ereignisse dynamisch. I n den Begriff des Zustandes gehört der der Sache hinein, i n den des Vorganges der der Tatsache . Tatsache ist nach der berühmten Definition des Reichsgerichts jeder innere oder äußere Vorgang, welcher der Beobachtung durch Außenstehende offensteht. Man spricht hier auch lateinisch vom Factum. Faktisches Recht ist etwas anderes als das Faktum. Man geht am besten zur Erklärung des faktischen Rechts vom Modell des angloamerikanischen Rechts, insbesondere von der bloß „faktischen consideration" aus: normative Rechtsfolgen werden hier nicht an die definitionsmäßig m i t Rechtsfolgen behafteten Rechtshandlungen geknüpft, sondern Rechtsfolgen werden auch auf lediglich rechtserhebliche (rechtsrelevante), also gerade nicht m i t Rechtsfolgen behaftete, sondern nur „juristisch" betrachtete Handlungen aufgepfropft (der R i t t nach London, eine rein faktische Handlung, w i r d z.B. i n Lampleigh v. Brathwait — 1615, Hob. 106 — als consideration gewertet. I m deutschen Recht wurde das faktische Recht zuerst i n der berühmten Arbeit von G. Haupt ins Licht gestellt, später dann v i e l bearbeitet und i m wesentlichen darin gesehen, daß „der bloße soziale Kontakt" Rechtsfolgen eines Faktums bewirkte, auch wenn dieses Faktum nicht als normatives Tatbestandsmerkmal vorgesehen war, z. B. der bekannte wegen Geschäftsunfähigkeit des Arbeitnehmers ungültige „Arbeitsvertrag" (im einzelnen darüber u. S. 382). Nicht als Rechtshandlung figuriert die bloß rechtsrelevante (juristische) Handlung (z.B. der Kostenanschlag nach § 650 BGB) und die metajuristische Handlung, z. B. das Gefälligkeitsversprechen. „Handlung" ist ein bildlicher Ausdruck der deutschen Sprache, woraus folgt, daß z. B. schon eine Verlautbarung oder eine bloße Lippenwegung „Handlung" sein kann. Statt „Handlung" kann man „ T a t " sagen, ein vorwiegend strafrechtlicher Ausdruck 1 . Die außerzivilisti sehen Handlungsbegriffe folgen i m allgemeinen den zivilistischen, allerdings m i t viel Sonderbearbeitung, z. B. bei den Prozeßhandlungen, den Erwirkungshandlungen oder den Bewirkungshandlungen (Goldschmidt). 1
Über Handlung, Tat, Straftat i m strafrechtlichen Sinne letztlich z.B. die Arbeiten von H. v. Weber, D. Lang-Hinrichsen und E. Schmidhäuser in der Festschrift für K. Engisch, 1969, auf den S. 328 ff., 433 ff., s. a. Stratenwerth, Strafrecht, Allgem. Teil, 1970, 233 über „die Straftat", letztens L. Philipps, Der Handlungsspielraum, 1974. 14 W . G .
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Handlung
Bei der Rechtshandlung ist eine menschliche Handlung gemeint. Tierische und pflanzliche „Handlungen" können zwar juristisch/rechtsrelevante „Handlungen" sein (z. B. das „Handeln" einer botanisch und sonst interessanten fleischfressenden Pflanze i n einem Sachmängel-Haftungsprozeß oder der Biß eines Hundes i n einem Tierhalter-Haftungsprozeß). Das anglo-amerikanische Recht (und auch das deutsche Recht gelegentlich, z.B. i m älteren Kostenrecht) nennt die Handlung Akt (act), wobei der Unterschied von außermenschlichen und menschlichen Handlungen und Sonstiges verschwimmen kann, z.B. die „Handlung" und die psychische Aktion. Der act w i r d auch als „a muscular contraction and something more" definiert (Holmes). Aber der anglo-amerikanische Pragmatismus (Dewey) stellt den Begriff des menschlichen Agierens i n das Zentrum seiner Fragestellungen: das menschliche Wesen ist grundsätzlich aktiv, ein „sich i n der Welt betragendes Ich" — wobei auch die Kybernetik i n anthropologische Bereiche eindringt. Jedenfalls aber impliziert „an act a choice" (Holmes). W. Niese meint, daß der Mensch i n seiner Handlung (in seinem Akt) steuert, während er i n den „finalen Handlungen" ansteuert! 1 . Der Handlungsbegriff des § 823, 1 w i r d juristisch dreifach behandelt, 1.) i m Sinne einer natürlichen Handlung, 2.) i m Sinne einer Erfolgs handlung, 3.) i m Sinne einer „finalen Handlung": A bewegt den Arm, er handelt schlechthin und steuert, A bewegt A r m und Hand, u m etwas zu ergreifen, er handelt „final" und steuert an. A stellt steuernd oder ansteuernd eine Weiche falsch, worauf ein Zugunglück passiert — die deliktischen Folgen dieses Zugunglücks werden zur „Erfolgshandlung" des A und damit dem A „zugerechnet", A bewegt A r m und Hand, u m Z damit ins Gesicht zu schlagen! A handelt nicht nur, sondern zusätzlich schuldhaft. Die natürliche
Handlung
„Natürlich" spricht man von der Handlung wie man etwa vom „natürlichen" Schaden ausgeht (Mertens), eben die — wie man i m Straf recht sagt — „schlichte menschliche Tätigkeit". Die natürliche
1 Von solcher Steuerung oder Wahl, welche selbstverständlich immer die Negativierung der einen Seite einschließt, ist wohl zu unterscheiden a) die psycho-analytische Verdrängung des Unbewußten durch das Bewußte, b) die einfache Unterschlagung der Gegenthese, die zur Unredlichkeit und zum „Traktätchen" in der „Kannegießerei" oder in der Literatur führt — dazu z. B. W. G. Becker, Der Tatbestand der Lüge, 1948, 40 - 43, s. a. Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951, aaO, S. 55.
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Handlung muß auch der Stimmigkeit halber m i t dem allgemeinen philosophischen Handlungsbegriff zusammenklappen. So w i r d allgemein angenommen. Allgemein philosophisch ist „Handeln dasjenige Tun, i n welchem ich nicht einfach durch die Situation, i n die ich geraten bin, durch meine Naturgesetzlichkeit, meine Artinstinkte und meine natürlichen Triebe bestimmt bin. Handeln setzt vielmehr voraus, daß ich noch durch etwas anderes bestimmt bin, z. B. durch die Rücksicht auf das Wohl und Wehe meiner Mitmenschen, oder durch innere Bestimmungsgründe, oder durch die menschliche Freiheit, so oder so zu handeln, auch wenn das „Daß" der Handlung nicht freisteht 1 . Ehe eine (natürliche) Handlung beurteilt werden kann, muß sie aber aus der Innenwelt des Handlungsautors herausgetreten und entäußerte Handlung sein, Beschluß, nicht nur Entschluß — bei den germanischen Genossenschaften wurde normalerweise durch die Beschlüsse der Volksgemeinde, i m Kriegsfalle durch die Entschlüsse des Herzogs entschieden. Handlungen, z. B. Urteilsentschlüsse, liegen auch beim juristischen Syllogismus vor 2 . Der berühmte Kirchenrechtsentschluß „ i n pectore papae" kann also Handlung (und dann evtl. Rechtsgeschäft oder Norm) nur werden, nachdem er geäußert worden ist — „stillschweigende" oder „konkludente" Äußerung genügt aber (es w i r d i n der Tat geschwiegen und „nur zu erkennen gegeben", oder es w i r d symptomatisch/konkludent „gehandelt"). Die Verwerfung der Innen-/Außenthematik kommt hier also nicht zum Zuge und ebenso wenig der berühmte Goethe-Spruch „nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen ist, ist d r a u ß e n . . . " . Erst die geäußerte Handlung ist i n die hermeneutische/kybernetische Struktur der Zeichensetzung mit Gedankeninhalt und dann i n die soziale Welt der Kommunikation eingetreten, Wortzeichen sind jetzt nicht mehr nur „means of conveying ideas", sondern „part of a social conduct", also „performatives" (Austin), schon mehr als Zeichen, nämlich Symbole als Materialien der intellektuellen Ideenübertragung, und mehr als das, nämlich soziale Symbole. Die Äußerung kommt als orale, litterale und signifikatorische (stillschweigende, konkludente) Publikation oder als Exekution zustande. A u f publikative Äußerungen bezieht sich z. B. die Lüge, auf exekutive Äußerungen die Fälschung, Oberbegriff ist dann die Täuschung, z. B. i m Sinne des „crimen falsi" der römischen lex Cornelia de falsis 3 . Indem die Handlung geäußert wird, w i r d für die darin verkörperte menschliche Tat eine Existenz-Prätention auf Aktualisation erhoben,
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N. Hartmann, Einführung in die Philosophie, 3. Aufl., 1954,110. 2 Darüber W. G. Becker, Gegenopfer, 396. 3 Dazu W. G. Becker, Der Tatbestand der Lüge, aaO, 9. 1
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Handlung
wie bei der Norm, so daß also die Handlung insoweit Aktualisationsdeterminante ist. Terminologisch ausgedrückt heißt das, daß die Handlung von einem Handlungswillen getragen wird, ohne den die Handlung keine Handlung ist. Damit kommen w i r dazu, daß w i r bloße getriebene Handlungen (drives by desire) aus der deliktischen Handlung ausklammern müssen — wer nur reagiert, agiert nicht, eine bloße Auslösung oder der bloße Reflex, etwa eines Epileptikers oder Spastikers, ist keine Handlung — „ a spasm is not an act" — sagen die Amerikaner einfach. — Auch die vis absoluta schließt jede Fähigkeit zur Willensbildung oder zur Willensbetätigung aus — es w i r d z.B. jemand bewußtlos geschlagen, damit der Schläger die Brieftasche an sich nehmen kann. Dagegen sind die Handlungen der vis compulsiva echte Handlungen, etsi coactus tarnen volui — es w i r d jemand z. B. so lange geprügelt, bis er nachgibt. Vis compulsiva bedeutet keine Drohung, die Ankündigung eines Übels i n dem Sinn, daß der Ankündigende dessen Eintreten bewirken oder doch befördern werde. So sagt es die herrschende Lehre des Strafrechts, manchmal wurde jedoch kompulsive Gewalt m i t Drohung gleichgesetzt, so z.B. von Binding. Von der bloßen Drohung unterscheidet sich die vis compulsiva aber dadurch, daß zu ihr nicht nur die Inaussichtstellung eines Übels gehört, sondern daß sie „ m i t der Entfaltung von K r a f t ein Übel enthält". — Die Begriffe der vis absoluta und der vis compulsiva stellen den Ausgangspunkt für die Festlegung der gewaltsamen Handlung und damit der Gewalt dar: Über Macht, Autorität
und Gewalt
Wenn w i r Gewalt sagen, meinen w i r zunächst Macht (might). Macht kommt aus der Freiheit des Habens — wer die Macht bekämpft (was konstant getan wird), bekämpft auch die Freiheit, aber i n der Regel nur die Freiheit des Habens, nicht die Freiheit des Seins 1 . Macht bedeutet 1 s. o. S. 14. — Die logisch-anthropologische, aber auch substantiell-funktionelle (G. Marcel) Unterscheidung von Sein und Haben in der Moderne — wohl seit den zu Anfang der 30er Jahre dieses Jahrhunderts in Paris entdeckten Ausführungen des jungen Marx — zeigt sich überall: als Inhaber der Hauptzahl der sogen, subjektiven Personalrechte (Persönlichkeits- und Mitgliedschaftsrechte) z. B. des Namensrechts oder des Wahlrechts, steht der juristisch und rechtlich betrachtete Mensch im Sein, als Inhaber der sogen, subjektiven Herrschaftsrechte (z. B. des Mietrechts oder des Eigentumsrechts) im Haben. — Vgl. auch W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 369, s. o. S. 14, 16.
Handlung
dann also das (soziale) „Haben" der Genossen einer Gruppe (von der Ehe bis zu Gesellschaft und Staat). Indirekt w i r d solche personale Macht auch über Güter ausgeübt — davon kommt die „Gewalt gegen Sachen" (im Gegensatz zur Gewalt gegen Personen). Zwar trennt § 229 BGB bei einem Spezialfall der Gewaltanwendung, der rechtmäßigen Selbsthilfe, die Selbsthilfe gegenüber Sachen von der Selbsthilfe gegenüber Personen, generell ist aber die Gewalt Tatbestandsmerkmal gewisser (meist rechtswidriger) menschlicher Handlungen, welche auf Willens- oder sonstige Beugung anderer Menschen gerichtet ist. Die Aufteilung des allgemeinen Tatbestandsmerkmals „Gewalt" i n „Gewalt gegen Personen" u n d „Gewalt gegen Sachen" wäre daher ungefähr so sinnvoll wie die einer Abgrenzung, welche fragen würde, ob die Gewalt i m Jackett oder i n Hemdsärmeln ausgeführt worden ist. Gewalt durch Unterlassung steht, nach den allgemeinen Begriffsumschreibungen, der Gewalt durch Handlung gleich (Sitzstreik!). — A u f jeden F a l l stellt die Macht auf „influence" gegenüber den Gruppengenossen ab. Zum Ausdruck kommt sie dabei vor allem i n der Geltung und i m Bedürfnis danach: der „appetitus socialis" des Hobbes zeigt sich hier i n besonderer Prägnanz. Freilich bringt Geltung auch Geld. Das Verhängnis der Geltungssüchtigen liegt dann aber i n der „Machtlosigkeit über die eigene Macht", der Machttrieb kommt oft als Kompensationserscheinung vor. Wer i n der „Freiheit des Seins" „kreativ" ist, sollte i n der Freiheit des Habens auch die Macht haben, seine Kreation sozial durchzusetzen — hat er sie nicht, was großenteils konstitutionell ist, — muß die Kreation dann, vor allem beim „Schreiber" der „inneren Emigration", i n die Schreibtischschublade ziehen! Von jeher t r i t t die Macht i n zwei Moden auf, i m römischen Imperium (wo man es am besten ablesen kann!) zunächst als „suprema potestas", danach als „suprema auctoritas", so daß der Staat, hier das römische Imperium, einen Januskopf trägt, der einmal das A n t l i t z der „auctoritas", zum anderen Male das A n t l i t z der „potestas" zeigt. Die Potestas t r i t t wiederum i n zwei Moden auf, einmal „potentiell" z.B. i n den Normen des Strafrechts, überhaupt i n den meisten Normen!, zum anderen Male „aktuell". — Die Terminologie des modernen Staates stellt der Funktion des Staates nach leider die Gewalt i n den Vordergrund, so die Lehre von den verschiedenen „Staatsgewalten" und deren gegenseitiger Kontrolle,
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durch Trennung oder Hemmung nach Locke und Montesquieu, bis h i n zu der Fünf-Gewalten-Lehre von heute (Gubernative, Legislative, Administrative, Exekutive, Judikative) — der bekannte Gesprächsaustausch zwischen einem Führer der Berliner Revolutionäre und dem damals, i m Jahre 1848, m i t militärischer Macht i n Berlin einrückenden General Wrangel („Ich weiche nur der Gewalt!" — „Is jut, mein Junge, die Gewalt bin ick!") erweckt leider mehr sprachliches als sachliches Behagen. — Der Staat betreibt (nach Triepel) Politik schlechthin oder Machtpolitik, so daß die Machtpolitik nur speciale der Politik, der „Machtstaat" nur ein speciale des Staates schlechthin ist 1 . Auctoritas ist der „unerschöpfliche Vorrat an sozialer Haltung, m i t dem, nicht wie bei der potestas m i t Druck, sondern m i t Argument auf die Menschen gewirkt werden kann, eben m i t dem argumentum ad auctoritatem — es w i r k t fort und fort — auctoritas kommt von auctare, fort und fortvermehren. Auctoritas ist sicherlich Folgenötigung, aber gewaltlose. Die Geber der Autoritäten sind die Honoratioren , deren Vorbild und moralische Autorität die Gesellschaft der „Sitte" aufrechterhält (Max Weber). — U m es klipp und klar zu sagen: auctoritas stellt den Anspruch auf Gehör und Folge, auctoritas, die ihrerseits auf Valenz ruht, kann natürlich i n ihrer Valenz bestritten werden, aber solche Valenz zu bestreiten, oder auch nur ihre Uneinsichtigkeit zu erhärten, fordert logische Argumentation — m i t einem bloßen „nie pozwalem", „ich w i l l es nicht", ist es nicht getan. Freilich: man kann auch „auf ausgeleerten Seelen m i t ihrer Glaubensfähigkeit eine neue geistige Autorität errichten, eine neue Kirche, ein neues Mittelalter" (Freud). Davon abgesehen bedeutet auctoritas Valenz, potestas aber, power, demgegenüber „Potenz", welche i n die beiden Erscheinungsformen der bloß potentiellen vis und des aktuellen Zwanges (force) mündet — englisch — natural violence, die nach dem amerikanischen L y r i k e r Robinson Jeffers „the sire of every group" sei. Diese römisch-staatliche potestas spaltete im Zuge der in allem geistigen und dann auch im rechtlichen Leben zunehmenden Idealisierung der Materie (der „Materialismus" geht rückwärts und w i l l die Idee materialisieren!) den 1 Literatur zur Macht bei E. E. Hirsch, Macht und Recht, JZ 1962, 1, weiterhin z. B. Wieser, Recht und Macht, 1910, Welzel, Macht und Recht, Festschrift für Hugelmann, 1959, 833 ff. 1 Neuerdings strafrechtlich: Callies, Der Begriff der Gewalt, 1973, Eugen Fink, Traktat über die Gewalt des Menschen, 1974 (Klostermann) und die Untersuchungen des Zentrums für interdiziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld, in der „Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie", 15. 17. Juni 1973, s. o. S. 14, 16.
Handlung Zweig der auctoritas aus sich ab, zunächst vielleicht in schwächerer, dann aber in gleichberechtigter Gestalt. Die Abspaltung der auctoritas von der potestas (griechisch „exousia") wird zuerst bei dem römischen Kaiser A u gustus erkenntlich, der Wert auf die Feststellung legte, daß er vom Jahre 27 a. Chr. n. an seine jeweiligen Amtskollegen zwar nicht an „potestas", wohl aber an „auctoritas" überragt habe — die moralisch indifferente, psychisch oder physisch zwingende und unpersönlich oder auch nach Willkür und Wollen ausgeübte Gewalt wird hier also gegenüber der freiwillig anerkannten Autorität zurückgewiesen, welche auf mensch-geistiger Überlegenheit beruht. Danach werden auctoritas und potestas im Römerbriefe des Apostels Paulus (13, 1) und dessen theologischer Kommentierung deutlich. Luther stellte, den in den seit etwa 1500 konstituierten deutschen Fürstenstaaten gehandhabten Lehren entsprechend, die Staatsgewalt in den Vordergrund — E. Bodenheimer, Treatise on Justice, 1967, meint aber auf S. 117, daß die Essenz des Staates unmöglich in seiner power liegen könne. — Zur Gewaltanwendung seitens des „destruktiven Menschen", zum „Gewaltrecht des Guten" und zu den Gewaltanwendungskomponenten des Sozialen, des Chiliastischen, der Utopie und des Affektativen s. das eindringliche Vorwort von J. Fest zu F. Reck-Malleczewen's „Bockelson — Geschichte eines Massenwahns", Neuauflage bei Goverts in Hamburg, 1968, zu den Verbindungslinien zwischen dem um die Gewaltanwendung zentrierten deutschen Nationalsozialismus und den modernen (menschlichen) Bewegungen s. juristisch S. 78 f. der Festschrift für U. v. Lübtow, 1970. A u c t o r i t a t i s erscheint b i s h e u t e w e n i g e r als d i e d e r i v a t i v e , v o n „ G o t t " oder v o m „ V o l k " abgeleitete M a c h t , s o n d e r n als o r i g i n ä r e , anthropologische, natürliche subjektiv-personale A u t o n o m i e i m Sinne K a n t s , w e n n g l e i c h diese o r i g i n ä r a u t o n o m e a u c t o r i t a s o f t v o n d e r „ S t a a t s m a c h t " z u p r o f i t i e r e n b e s t r e b t ist, sie sich h i n z u a d d i e r t ( z . B . b e i m Rechtsgeschäft), sogar ganz i n i h r a u f g e h t (z. B . b e i d e r n o r m a t i v e n a u c t o r i t a s des Gesetzgebers oder des Richters). Es m u ß sich auch d i e originäre autoritative A u t o n o m i e m i t den Begrenzungen der n a t u r a l p e r s o n a l e n a u c t o r i t a s a b f i n d e n — d e r A u t o r e i n e r rechtsgeschäftlichen N o r m k a n n seine n o r m a t i v e a u c t o r i t a s n i c h t als Z w a n g ausspielen, s o n d e r n m u ß sich z u diesem Z w e c k e s t a a t l i c h e r I n s t r u m e n t e , z. B . d e r V e r h a n d l u n g v o r G e r i c h t u n d d e r Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g , bedienen, u n d jede N o r m m u ß i n b e z u g a u f d i e E r l a n g u n g v o n G e l t u n g a u f d e n a k t u e l l e n Z w a n g v e r z i c h t e n u n d sich diesen b e i m S t a a t ausleihen, auch i u s n o n s i t i t s a n g u i n e m (das Recht l e g i t i m i e r t z w a r d i e a k t u e l l e G e w a l t a u s ü b u n g d u r c h Z w a n g , aber es ü b e r l ä ß t diesen Z w a n g d e m Staate, d . h . dessen A g e n t e n — deshalb v i e l l e i c h t auch d i e a l t e E n t s c h u l d i g u n g s b i t t e des S c h a r f r i c h t e r s a n d i e h i n z u r i c h t e n d e n D e l i n q u e n t e n ) 1 ! — D i e H o c h - a u c t o r i t a s d e r R e c h t s n o r m w i r d , ob es sich n u n 1 Wieder ein Argument gegen die Kelsen'sche „Identitätslehre", Staat = Recht — wie sie u. a. in „Der soziologische und der juristische Staatsbegriff", 2. Aufl., 1928, auftritt — aber auch sonst — Kelsen vergißt dabei u. a., daß es Rechtssoziologie und „soziologisches Recht" gibt, z. B. einmal das Problem der Demokratisierung der Institutionen, zum anderen Male z.B. die „laesio enormis" zugunsten des „armen" Verkäufers.
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u m die originäre oder u m die d e r i v a t i v i n i h r liegende auctoritas h a n d e l t , d u r c h i h r „ R i t u e l l " belegt, d i e z e r e m o n i a l e n S t u f e n des Gesetzg e b u n g s v o r g a n g s (Gesetzesvorschlag, Festsetzung des Gesetzesinhalts, E r t e i l u n g des Gesetzesbefehls — S a n k t i o n — A u s f e r t i g u n g ) oder i n d e r F o r m e l d e r g e r i c h t l i c h e n U r t e i l s v e r k ü n d u n g , sehr m a r k a n t i m d e u t schen „ e r k a n n t u n d v e r k ü n d e t " , w o b e i m i t d e m W o r t e „ e r k e n n e n " o f fensichtlich auf die auctoritas, m i t dem W o r t e „ v e r k ü n d e n " a u f die potestas b e z u g g e n o m m e n w i r d . O b i n d e m a l t e n S p r u c h e „ a u c t o r i t a s , n o n v e r i t a s f a c i t i u s " a u f d i e „ a u c t o r i t a s " i m e i g e n t l i c h e n Sinne, o b n i c h t v i e l m e h r a u f d i e „ p o t e s t a s " B e z u g g e n o m m e n w i r d , b l e i b t offen, j e d e n f a l l s i s t eine „ a u c t o r i t a s " ( i m s t r e n g e n W o r t s i n n e ) u m so s t ä r k e r , j e m e h r sie i m S c h l e p p t a u e i n e r v e r i t a s r e i s t . A u f d e r a n d e r e n Seite: e i n n i c h t angewendetes Gesetz i s t k e i n w i r k s a m e s Gesetz — w o g e g e n f r e i l i c h w i e d e r u m d a r a n z u e r i n n e r n ist, daß nach h e u t i g e r A n s i c h t e i n a u c h d u r c h A n w e n d u n g w i r k s a m g e w o r d e n e s Gesetz e x t u n c u n w i r k s a m ist, w e n n es „ U n r e c h t s t a t t R e c h t " e n t h ä l t , also z w a r „ a u c t o r i t a s " (potestas), n i c h t a b e r „ v e r i t a s " a u f z u w e i s e n h a t t e . D e r a u c t o r i t a s e n t s t a m m t z. B . d i e M i m e s i s (Spurenfolge), o h n e d i e d e r soziale G r u p p e n z u s a m m e n h a n g n i c h t d e n k b a r ist. Das in der modernen Sprache beliebte Adjektivum „anti-autoritär" w i l l sicherlich zunächst gegen „Macht" und „Machtbedürfnis" anrennen, was nur eingeschränkt geht, weil Macht und Machtbedürfnis, wie vor allem die Psychologen sagen, zu den menschlichen Grundangelegenheiten gehören. Danach geht das Adjektivum „anti-autoritär" genau gegen diejenige Sparte der Macht vor, die allen Angriffen entzogen sein sollte, nämlich gegen die „auctoritas"! I n Wirklichkeit wird die Machtsparte „potestas" angegriffen, was durchaus Beifall verdient. Andere Bereiche des Mißbrauchs: überall, wo — ob staatspolitisch oder machtpolitisch — ein Amtsträger monokratisch arbeitet (weil er seine Arbeit nur so leisten kann!), taucht das Vorwurfswolle Wörtchen „autoritär" auf, das seiner oben erwähnten Herkunft aus der auctoritas nach eigentlich allen Anwürfen entzogen sein sollte — was angegriffen wird, ist nicht die Autorität, sondern die „Perversion" der Monokratie durch die Autokratie! Autokratisch soll der Grundbuchrichter nicht arbeiten (eine Frage der Intentionalität!), aber anders als monokratisch, also eben nichtdemokratisch, geht es leider nicht, auf dem Grundbuchamte kann eben nicht demokratisch entschieden oder registriert werden — man braucht dabei noch nicht einmal an „einsame Entschlüsse" des Grundbuchrichters zu denken, sondern man sollte das gesamte „Feld" seines Dezernates ins Auge fassen, das er, vielfach topisch-problematisch, erledigen muß. — Wer diese „Topik" der Monokratie vergißt, denkt „utopisch"! — Die Heilheit der auctoritas und ihre „Valenz" (Gegs. die Potenz der potestas) zeigt sich besonders deutlich, wenn an das Lob einer menschlichen Beschäftigung gedacht wird — das „Menschen-hohen" ist, wie jeder Pädagoge weiß, ebenso wichtig wie das „Pferde-Loben", jeder Mensch w i l l gelobt werden. Von wem? Sicherlich nicht von einem Gewalthaber, sondern von dem, der die Autorität hat: und der Meister sprach zu allen, Euer Werk hat mir gefallen! „Antiautoritär" bedeutet auch — sozusagen „negativ"! — Lobverzicht, und der ist unmenschlich! Ist vielleicht „antidisziplinär" gemeint?
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M a n darf aber dabei nicht übersehen, daß die „anti-autoritäre Haltung" oft auch gegen die echte auctoritas geht: allgemeine Schlechtweggekommenheit, Minderwertigkeitskomplex, Frustration durch Determiniertheit, Mystik, Mimen-Betrieb der „Gesellschaft", Intaktheits-Liquidation, kurz: das Ressentiment führt hier, auch die kommutative Gleichheit, warum soll die temperamentvoll herausgesprudelte ungeprüfte Meinung schlechter sein als eine geprüfte Aussage, hat jene Meinung doch Temperament, welche diese Aussage vielleicht nicht aufweist? — man denke auch an den axiologischen „Egalitätssalat" des ästhetischen (und sonstigen) Nihilismus: Hitler beabsichtigte bekanntlich die Gründung einer Universität zu Linz an der Donau, die sich speziell mit den Weltbildern des Ptolemäus, des Kopernikus und — der „Welteislehre" nach einem gewissen Hörbiger beschäftigen sollte (auf die medizinische Fakultät projiziert, also etwa mit Hippokrates, Paracelsus und dem Sanitätsgefreiten Neumann).
Aus dem allen folgt, daß oft jede A r t von Machtausübung, vor allem Gewaltausübung, durch Staaten legitimiert wird. Legitimierte Gewalt stellt z. B. der Krieg dar, der Krieg ist eben ein objektiver Rechtfertigungsgrund. Auch der Bürgerkrieg? Hierbei w i r d man zunächst fragen müssen, ob ein „Bürgerkrieg" faktisch-historisch vorgelegen hat. Zweifellos seinerzeit i n Rußland und i n Spanien. Schwieriger zu beantworten w i r d die Frage sein, ob die sächsischen und sonstigen Aufstände zu Anfang der 20er Jahre i n Deutschland „Bürgerkriege" darstellten, ganz eindeutig w i r d die Frage, ob eine Bürgerkriegshandlung vorlag, wenn A den Z bestahl, zu verneinen sein. Legitimierte Gewalt liegt z.B. auch beim Streik vor, auch wenn Gewalt innerhalb von Widerstandsrecht geübt wird. Ob Widerstandsrecht gegeben ist, darf nicht an dem negativen K a n t oder an positiven Verfassungen (Art. 147 der hessischen Verfassung oder A r t . 20 GG) geprüft werden, sondern daran, ob i m konkreten F a l l Ausübung von Widerstandsrecht vorlag oder nicht, ob also z.B. eine angegriffene Herrschaft „hostili animo i n totius populi exitium latum" beschaffen gewesen sein müsse, ob eine „notorische" und „beharrliche" „Tyrannis" vorgelegen habe, ob die Voraussetzung „alia remedia non adsunt" stimmte, ob ein jeweils Handelnder zur Ausübung von Widerstandsrecht auch berufen w a r — zu diesen Punkten seien nur Grotius u. Althusius erwähnt 1 . — Legitimierte Gewalt übt aber, u m ein harmloseres Beispiel zu wählen, auch ein Gerichtsvollzieher aus, der den Perserteppich (den achten!) zwangsweise abholt, wegnimmt und wegträgt. — Der Rechtfertigungsgrund der faktisch gelungenen Revolution ist auch zu berücksichtigen. Die mißlungene w i r d i n der Regel „fontanisch" beurteilt: „solange die Revolutionskämpfe eines sicheren Sieges ent1
s. a. A . A r n d t , N J W 1962, 195 ff., 430 ff. u. o. S. 33.
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behren, begleite ich all diese Auflehnungen nicht bloß m i t Mißtrauen (zu welchem meist nur zuviel Grund vorhanden ist), sondern auch m i t einer größeren oder geringeren, ich w i l l nicht sagen i n meinem Rechts-, aber doch i n meinem Ordnungsgefühle begründeten Mißbilligung" (Helmuth Nürnberger, Der frühe Fontane, 1967, 67). Der erfolglose Revolutionär bleibt ein Ritter von der traurigen Gestalt. Manchmal tragisch, wenn er aus dem „Geiste" heraus, der Idee oder der Ratlosigkeit des Gilgamesch, eines Herzens, das „von Ruhe nichts weiß", revolutionierte, manchmal auch dann nur traurig. — I m Begriff der höheren Gewalt (vis major, acts of God and the King's enemies) w i r d auf eine mythische Ausgestaltung der Persönlichkeit abgestellt, nämlich auf den Daimon: die Offenheitsbetätigung, anthropologischer oder anthropomorpher Beschaffenheit, von derartiger personaler Stärke, daß man i h r hilfloser gegenübersteht als selbst der Natur, für ein chaotisches Naturereignis w i r d noch gehaftet, für höhere Gewalt grundsätzlich nicht mehr. Die moderne Rechtssprache setzt für „höhere Gewalt" vielfach den Ausdruck „unabwendbares Ereignis", z. B. i m Straßenverkehrsgesetz. — Sofern sie nicht legitimiert ist, w i r d alle Anwendung von Gewalt vom Recht verboten — da vor allem die Gewaltanwendung stets durch Aggressivität u n d aggressives Verhalten erfolgt, also genau durch das, was der grundsätzliche Widerpart des Rechts ist (s. o. S. 13). Das ergibt sich vor allem aus der Behandlung des Tatbestandsmerkmals „Gewalt" i m Strafrecht, z. B. i n den §§ 106, 117, 177, 249, 254, 261, 362 des alten StGB. Grundsätzlich g i l t „Gewalt" als Widerstandsbrechung. Gewalttätigkeit kommt etwa beim Landfriedensbruch (Demonstrationen) des § 125 vor — i n der Sprache der Gerichte gesprochen „setzt die Gewalttätigkeit ein aggressives Handeln voraus", während „Gewaltanwendung" von dem ausgeübt wird, der „psychischen Zwang" zur Geltung bringt (z. B. indem er auf den Gleiskörper einer Schienenbahn t r i t t und dadurch den Wagenführer zum Anhalten veranlaßt) 1 . Die Drohung, bei § 48 alt, die Bedrohung des § 254, die Erpressung der §§ 249 ff., die Nötigung, vor allem des § 240 StGB, stellen Sonderfälle der Gewalt, der Gewalttätigkeit oder der Gewaltanwendung (des Terrors) dar. I m Zivilrecht ist z.B. von der „elterlichen Gewalt" die Rede, bei der „Selbsthilfe" der §§ 229 ff. BGB auch von der beliebten Unterscheidung der „Gewalt gegen Sachen" und der „Gewalt gegen
1 Das Läpple-Urteil des B G H zur Kölner Demonstration vom 24.10.1966, BGHSt 23, 46, NJW 1969, 1770.
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Personen" — eine Unterscheidung, von der schöner und völlig unredlicher Gebrauch i n der öffentlichen Diskussion gemacht wurde, die aber einfach nicht stimmt: wenn A das Auto des Z zertrümmert, damit Z den rechten A r m zum Rotfrontgruß erhebt, so liegt hier dieselbe A r t von Gewalt vor, die A entfalten würde, wenn er seine Pistole auf Z richtete. Die Beeinflussung und Willensbeugung (Machtausübung oder nicht) durch narkotische Mittel steht unter der Überlegung, daß das Wirken des Giftes nicht immer als Gewalt aufgefaßt werden kann (§ 177 StGB): dementsprechend sah das RG die Beeinflussung durch narkotische M i t t e l nur dann als Gewalt an, wenn die Beibringung solcher M i t t e l selbst m i t Gewalt erfolgte. Heute gilt die Beibringung und danach auch die Wirkung narkotischer M i t t e l eindeutig als Gewalt. Und derselben Ausdeutung unterliegt die Hypnose. Gewaltanwendung ist die Manifestation der (oben herausgestellten) menschlichen Aggressivität, wiederum verfolgt das Strafrecht sie spezifisch — gewisse Delikte, z.B. der Raub, sind eben nur gewalttätig denkbar. Die Gewaltanwendung, und die Aufrufe dazu, wachsen i n der modernen Gesellschaft an — u. a. Folgeerscheinungen der allseitigen Anerkennung des „genuinen" Menschen i n all seiner Kreatürlichkeit (Indiz dafür ist z.B. auch die Abschaffung der Todesstrafe). J. Piper meinte, daß die Neigung zur Gewalt auch m i t der allgemeinen, geradezu barocken Formbejahung unserer Zeit zusammenhänge, also m i t deren „Formalismus" (der „formale Gesetzesstaat", der dichterische „Personalismus"!) 1 , dann m i t der Sprache: „es kann etwas ,formal 4 großartig gesagt und dennoch aufs Ganze gesehen nicht nur falsch, sondern grundschlecht und verderblich sein. Das solcherart vom Wirklichkeitsgrunde emanzipierte, absichtlich um des bloßen Erfolges w i l l e n kultivierte Wort w i r d nicht nur selbst ein Instrument der Vergewaltigung, sondern es schafft auch i n der Gesellschaft eine Atmosphäre epidemischer Anfälligkeit für Gewalttaten."
Die Erfolgshandlung Manchmal kommen w i r aber m i t der „natürlichen Handlung" nicht aus. W i r sprechen dann von der Erfolgshandlung, die sicherlich aus der Erfolgskausalität kommt (s. o. S. 49). Hier gilt, daß, wer A sagt, auch
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Keiner gibt so strenge Formbefehle wie der Könner mit der Weißbierseele.
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B sagen muß — regnet's i n die Suppe, so regnet's ins Kraut. Rechtsw i d r i g können aber immer nur die natürlichen Handlungen sein, niemals i h r Erfolg — das ist einhellige Meinung. — Auch das rechtsgeschäftliche Zivilrecht kennt eine Erfolgshaftung: neben der Pflicht zum Ersätze des Verzugsschadens t r i f f t den Schuldner z.B. während des Verzuges eine verschärfte Verantwortlichkeit für obligationswidriges Verhalten und darüber hinaus eine Erfolgshaftung für den F a l l einer jetzt eintretenden Unmöglichkeit der Leistung (§ 287). Der Schuldner würde danach beispielsweise auch dann haften, wenn die verspätet abgesandte Ware nunmehr durch ein Eisenbahnunglück vernichtet worden wäre, obgleich doch die Gefahr eines solchen Schadens durch die Verspätung der Absendung nicht generell erhöht w i r d — § 287, letzter Satz, sorgt über diese Gefahrtragung des Schuldners für Gerechtigkeit 1 . Auch auf den bekannten Gegensatz zwischen der Leistungs-Handlungstheorie und der Leistungs-Erfolgstheorie sei hingewiesen — die herrschende Meinung folgt w o h l E. Rabel i n der Aufrechterhaltung der Lehre von der Leistungshandlung, wogegen allerdings die „Ablieferung" i n § 447, i m Gegensatz etwa zur „Auslieferung" i n § 447, für die Leistungs-Erfolgstheorie spricht 2 . Für das Deliktsrecht wiederum Larenz: „Indessen muß sich der Handelnde rechtlich auch diejenigen Folgen seines Tuns als von i h m zu verantwortende zurechnen lassen, die er zwar nicht vorausgesehen und noch weniger gewollt hat, m i t denen menschlicher Voraussicht nach aber gerechnet werden konnte, die daher als von i h m beherrschbar gelten müssen. I n dieser für die Feststellung der Verantwortlichkeit unentbehrlichen objektiven Zurechnung zur Tat, die w i r von der Zurechnung zur Schuld, dem persönlichen Schuldvorwurf, zu unterscheiden haben, liegt nun der Grund für die Einbeziehung auch solcher „Vorformen" des Handelns i n den juristischen Handlungsbegriff, denen ein bewußter Willensakt nicht zugrunde liegt. ,Objektiv zurechenbar 4 ist dem menschlichen Willen auch dasjenige, ,unwillkürliche 4 Verhalten, das nicht von i h m beherrscht wurde, aber beherrschbar war, w e i l die Möglichkeit der Bewußtseinskontrolle überhaupt gegeben war. »Handeln4 i n diesem Sinne kann daher auch ein kleines K i n d oder ein Geisteskranker. Dagegen sind Bewegungen i m Schlaf oder i n einem sonstigen Zustand der Bewußtlosigkeit sowie durch fremde Einwirkungen ausgelöste, nicht kontrollierbare Reflexbewegungen auch i m juristischen Sinne keine Handlungen, eben w e i l hier jede Möglichkeit der Bewußtseinskontrolle fehlt ... 1 Dazu Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgem. Teil, 8. Aufl., 1967, 271 f. (§ 22). 2 Letzte Darstellung der Lehre bei F. Wieacker, Leistungshandlung und Leistungserfolg i m Bürgerlichen Schuldrecht, Festschrift für Nipperdey, 1965, 783 ff.
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Der Maßstab der objektiven Zurechnung entscheidet auch darüber, wie weit die ferneren Wirkungen i m Rechtssinne noch als ,Wirkungen 4 einer Handlung anzusehen sind, die dem Handelnden zur Last gelegt werden können, wenn die sonstigen Voraussetzungen einer Verantwortlichkeit gegeben sind. Objektiv zurechenbar sind, wie früher dargelegt wurde, alle diejenigen ferneren Wirkungen, die der Handlung noch ,adäquat' sind, d . h . solche, m i t deren möglichem E i n t r i t t nach der Lebenserfahrung als nicht ganz unwahrscheinlich zu rechnen w a r 1 . " Das „absichtliche" Handeln ist, da die Absicht ein Fall des Vorsatzes ist, nicht m i t der Erfolgshandlung, also der objektiven Zurechnung eines Erfolgs zu einer Handlung, zu verwechseln, da es hier nur u m eine „Handlung m i t dem beabsichtigten Erfolg", demnach u m eine subjektive Zurechnung geht — schwerster F a l l der Absicht: der Täter, der sich durch die Kenntnis der Tragweite der Handlung von ihr hätte abhalten lassen sollen, läßt sich umgekehrt dadurch zu der Handlung bestimmen — minder schwerer Fall: der Täter hat sich durch die Kenntnis der Tragweite der Handlung zwar nicht zu i h r bestimmen, aber immerhin nicht von i h r abhalten lassen (Frank) — i n beiden Fällen kann man von „Absicht" als Erfolgswillen sprechen, während der schlichte Vorsatz dann nur „Tatwille" ist. Vielfach w i r d von einem „sozialen Erfolgsunrecht" gesprochen, wiederum taucht das Zauberwort „sozial" auf, und ein soziales Moment der Handlungen wird, wie oben bei der Umschreibung der Handlung durch N. Hartmann gezeigt, sogar schon bei der allgemeinen philosophischen „natürlichen" Handlung herausgehoben: das K r i t e rium der sozialen Handlung mit ihrem Erfolge besteht darin, daß hier nur die wertbare Beziehung der natürlichen Handlung zur sozialen Umwelt gemeint w i r d — also mehr als der Wertungstatbestand i n bezug auf die natürliche Handlung, welcher nur sozusagen logisch, nicht sozial die Rechtsfolge eines Tatbestandes betrachtet. Die schlichte menschliche Tätigkeit der natürlichen Handlung verursacht einen Erfolg, der ein von der natürlichen Handlung selbst unterscheidbares Ereignis ist — so sagt das Strafrecht. Eine modifizierte Erscheinung der Erfolgsunrechtslehre liegt i n der Lehre vom mittelbaren und vom unmittelbaren Erfolg vor (Larenz): unmittelbar sei jeder Erfolg, der sich „ i m Rahmen des Handlungsablaufs" abspiele, so daß es auf die zeitliche und räumliche Nähe des Erfolges zur Handlung ankomme. Dagegen würde i n den Fällen mittelbarer Verletzungen die Verletzungen erst durch die Vermittlung weiterer Zwischenursachen verwirklicht. Es gehe also bei der Unmittel 1
Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, 9. Aufl., 1968, 400 f. (§ 65).
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barkeit d a r u m , ob d e r W e g v o n d e r H a n d l u n g z u m E r f o l g k u r z u n d k l a r sei, b e i d e r Mittelbarkeit d a r u m , ob sich z w i s c h e n H a n d l u n g u n d E r f o l g noch andere Geschehensabläufe schöben, w o b e i eher eine b l o ß e M i t t e l b a r k e i t d e r V e r l e t z u n g a n z u n e h m e n sei, j e l ä n g e r u n d v e r w i c k e l t e r sich d i e K a u s a l k e t t e d a r s t e l l e , w e l c h e v o m E r f o l g e nach r ü c k w ä r t s z u r H a n d l u n g h i n a b l a u f e (aber, k o m m e n b e i dieser L e h r e n i c h t k a u s a l e E l e m e n t e i n d e n B e g r i f f d e r Handlung hinein, während doch d i e causa das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n „ S c h a d e n " u n d „ H a n d l u n g " anspricht?). — D i e F e h l s t e l l u n g e i n e r W e i c h e k a n n eben erst d a n n als d e l i k t i s c h e H a n d l u n g q u a l i f i z i e r t w e r d e n , w e n n e i n o b j e k t i v e r E r f o l g ( m i t Schaden) dieser H a n d l u n g e i n g e t r e t e n ist, also das Z u g u n g l ü c k . I m ganzen B e r e i c h d e r E r f o l g s h a n d l u n g f ü h r e n d i e E r f o l g s s t r a f t a t e n des Strafrechts, d i e aber m ö g l i c h e r w e i s e i n das z i v i l e D e l i k t s r e c h t h i n einreichen, z. B . d i e K ö r p e r v e r l e t z u n g m i t d e m E r f o l g e d e r d a u e r n d e n E n t s t e l l u n g n a c h §§ 224, 226 S t G B — § 823, 2. — Die Straftatbestände des StGB u.a. gliedern sich in schlichte Tätigkeitsdelikte und Erfolgsdelikte — das Erfolgsdelikt dient als Kriterium zur Klassifizierung einzelner Tatbestandsarten. Erfolgsdelikte sind also Straftaten, bei denen die Strafbarkeit an den Eintritt eines außerhalb der Handlung des Täters liegenden, aber durch sie initiierten Erfolg geknüpft wird. Die Handlung steht daher nicht am Anfange des Tatbestandes. Beispiele für Erfolgsdelikte sind: § 212 Totschlag (Erfolg — Tod eines Menschen) § 183 a Erregung öffentlichen Ärgernisses (Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit) und die meisten Vermögensdelikte, wobei die Verfügung des Betroffenen den Erfolg darstellt. Erfolgsdelikte können durch positives Tun oder durch Unterlassen begangen werden. Echte Unterlassungsdelikte (wie z. B. unterlassene Hilfeleistung, § 330 c StGB) sind in der Regel schlichte (Un-)Tätigkeitsdelikte. — Unechte Unterlassungsdelikte sind dann Erfolgsdelikte, wenn vom Täter das Abwenden eines mißbilligten Erfolges gefordert wird. Eine Besonderheit innerhalb dieses Systems bilden die erfolgsqualifizierten Delikte, auf die sich das StGB bezieht. Sie betreffen den Fall, daß über die bestehende Strafbarkeit hinaus an die Herbeiführimg eines besonderen Erfolges eine höhere Strafe geknüpft wird; z. B. eine Körperverletzung (strafbar gemäß § 223 StGB) hat den Verlust des Sehvermögens (§ 224) oder den Tod des Opfers (§ 226) zur Folge. Ähnlich das Verhältnis bei der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 und § 239 Abs. 3 StGB), wenn der Tod des Opfers eintritt. § 56 StGB (alt, neu § 18) bestimmt für diese Fälle, daß der Täter den besonderen Erfolg mindestens fahrlässig verursacht haben muß, das bedeutet,
Handlung der Erfolg muß vorhersehbar gewesen und unter Mißachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt herbeigeführt worden sein. Die finale
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D i e L e h r e v o n d e r f i n a l e n H a n d l u n g k o m m t aus d e m S t r a f r e c h t u n d g e h t v o n W e l z e l , e i n e m S c h ü l e r v o n H . A . Fischer, aus, danach v o n d e r „ S u b j e k t i v i t ä t " des Schadens u n d v o n d e r s u b j e k t i v e n I n t e r e s s e n Lehre. Zivilistisch w i r d die finale Handlungslehre v o r allem v o n N i p perdey vertreten 1. — D i e f i n a l e H a n d l u n g s l e h r e b e t r i f f t zunächst anscheinend „ Z w e c k " u n d „ Z i e l " e i n e r H a n d l u n g , d e r Zweck i s t n a c h Z i t e l m a n n „ d a s g e w o l l t e Geschehen selbst", das Ziel „ d e r E n d p u n k t dieses Geschehens" 2 . — D e r Gedanke, daß d e r M e n s c h n u r z w e c k h a f t h a n d e l e , k o m m t aus d e r N a t u r a u f f a s s u n g d e r A u f k l ä r u n g u n d d e r französischen R e v o l u t i o n — d i e M a t h e m a t i k schätzte m a n z . B . n u r i n s o w e i t , als sie sich n u t z bringend i m täglichen Leben verwenden ließ3. Welzel weist einmal 1
Zitiert seien hier nur Hans Welzel, U m die finale Handlungslehre, 1949, und „Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre", 1953, ferner noch ds., „Ein unausrottbares Mißverständnis? Zur Interpretation der finalen Handlungslehre", NJW 68, 425 ff. — Von Nipperdey seien das Lehrbuch des Allgem. Teils des BGB in der 15. Aufl. (1960) genannt, ferner seine Arbeiten „Rechtswidrigkeit, Sozialadäquanz, Fahrlässigkeit und Schuld i m Zivilrecht", NJW 57, 1777, „Rechtswidrigkeit und Schuld i m Zivilrecht", Karlsruher Forum, 1959, 3 ff., „Tatbestandsaufbau und Systematik der deliktischen Grundtatbestände", NJW 67, 1985 ff. — Der Beginn des Finalismus liegt in Peter Kloeppels „Reichspressrecht", 1894, 342 ff. 2 Vgl. Bienenfeld, 184 ff., 223, 254 ff., 274, 278, 281 f., 294 ff., 307 A. 67, dort auch die Literatur, außerfachlich über Zweck und Erfolg z.B. E. Lask, Gesammelte Schriften, I I I , 321 f. — Der Zweck wird vor allem in den Lehrfällen zu § 123 BGB umschrieben (Quelle i m „Gegenopfer", 409f.): A schreibt an den Ochsenwirt: „Wie ich erfahren habe, haben Sie vorige Woche ein Schwein geschlachtet, ohne eine Fleischbeschauung vornehmen zu lassen. Ich würde von einer Anzeige absehen, wenn Sie mir einen Schinken zukommen ließen", und demnächst an seinen Darlehensschuldner Z : „Geben Sie mir bis zum 1. mein Geld, sonst schlage ich Ihnen alles kurz und klein." — Danach kann der Ochsenwirt eine evtl. erfolgte Übereignung des Schinkens gem. § 123 wegen widerrechtlicher Drohung anfechten, weil A zwar mit einem erlaubten Mittel , der Anzeige, gedroht hat, dieses aber nur, um einen Zweck zu erreichen, nämlich die Zuwendung des Schinkens, auf die er kein Recht hatte — während Darlehensschuldner Z eine etwa danach erfolgte Zahlung ebenfalls nach § 123 anfechten kann, da A mit einer widerrechtlichen Handlung, der Sachbeschädigung, drohte, wenn auch nur, um den Darlehensschuldner zur Erfüllung seiner Rechtspflicht, der Bezahlung seiner Schuld zu veranlassen, also zu einem erlaubten Zweck —, es gibt eben Haftungen, weil ein Zweck vom Rechte gemißbilligt wird, und daneben Haftungen, weil ein Mittel vom Rechte mißbilligt wird, und es kann auch so stehen, daß der Zweck gebilligt wird, das Mittel aber gemißbilligt und umgekehrt. — Jetzt: Karakatsanas, Die Widerrechtlichkeit in § 123 BGB, 1974. 3 B. Groethuysen, Philosophie der französischen Revolution, 1971, 125 ff.
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selbst darauf hin, daß „finis" nicht nur die Bedeutung eines Zwecks/ Ziels hat, sondern auch die Bedeutung eines Endes, eines „guten" Endes: nicht u m eines „Zwecks" w i l l e n lebt und arbeitet man z.B., u n d nicht immer geht man auch juristisch nur zweck-final vor. Nietzsche aber bemerkt i m 32. Kapitel von „Jenseits von Gut und Böse", daß die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch die menschliche Handlung nur nach ihren Folgen beurteilt wurde und ein großer Schritt der Menschen darin bestand, daß sie erkannten, daß vor allem die Herkunft über die Handlung zu entscheiden habe — jedenfalls nicht i h r „Zweck", vielleicht ihre Kausalität, die, mechanisch, dann die Teleologie ausschließen würde. Bei Goethe ist die Zweckfremdheit der Natur, und dann der Kunst, oberste Maxime: die interesselose A n schauung bestimmt den eigentlichen (ästhetischen) Zustand, wodurch sich dieser vom moralischen und vom kritischen unterscheidet und wodurch er „plastisch" w i r d — der wahre Künstler kümmert sich u m die Vollkommenheit des Kunstwerkes und u m sonst nichts, und auch der Natur sei es völlig gleichgültig, ob sie einen Löwen oder einen K o l i b r i hervorbringt, Spinoza und K a n t treffen sich hier m i t Goethe, u n d dem entspricht die zoologische Erfahrung, daß das Tier keiner noch so dunklen Zweckvorstellung gehorche, sondern dem „blinden Plane" seiner Triebhandlungen (Üxküll), i m menschlichen Bereich aufgenommen von der anthropomorphen oder gar theologischen Verdächtigung des Zweckgedankens (Wilhelm von Occam, u m 1320, meinte, die Frage, zu welchem Zwecke das Feuer entstehe, sei sinnlos). Juristisch w i r d dann der teleologische Zweckgedanke, i m getreuen Dienste der Aufklärung, von den englischen Utilitaristen praktiziert — Beginn w o h l i m „felificischen calculus" des J. Bentham — und wandert, über Beneke (Coing) 1 , zu Rudolf v. Iherings berühmten Buch „Der Zweck i m Recht", danach, französisch bei Duguit, zu den Lehren vom Interesse, nicht i m Sinne des Interessanten, sondern dessen, was interessiert, also subjektiv 2 . Man muß aber auch an die negative Seite denken: der Verzicht auf rechtswidrige Handlungen w i r d ebenfalls psychisch getragen, aber kaum aus Zweckgedanken heraus. Die Psychologen verfeinern das „um-eines-Zweckes-willen" dahin, daß solcher Zweck letztlich darin liege, daß man das Selbstbild, das man von sich i m Busen trage, nicht stören wolle — welche A n t w o r t aber i m Grunde wieder zu dem nicht-materialistischen Ergebnis von der Würde (der Freiheit) führt, die der Mensch i n seiner Vorstellung, vor allen anderen Lebewesen voraus hat. 1
ARSP 1968, 69 ff. s. dazu A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973, 69, zu Welzels Lehren i m Ganzen auch die Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974. 2
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W i r stoßen hier i n großem Zusammenhang auf die Verwahrlosung des Rechtsgedankens, z.B. i n der deutschen Interessentheorie (Petrazicky) 1 . Die Zweckfinalität hat die Endfinalität, die auch i n der causa/ Sachverhalt zu liegen scheint, völlig usurpiert, so daß die Endfinalität anscheinend nur noch i n der außerjuristischen deutschen Sprache auffindbar ist: Der eine fragt, was kommt danach, der andere, was ist Recht, und danach unterscheidet sich der Freie von dem Knecht (Storm). Juristisch kommt dieses Problem i n der Lehre des Russo-Amerikaners Sorokin zum Ausdruck, wohl nach Petrazicky 2 . I m einzelnen heißt es bei Sorokin: „ l a w actions are motivated by a normative motivation different from the purposive and other, particularly the because-oftype of motivation, a selfsufficient normative motivation i n the sense that deeply ingrafted law-conviction is a perfectly sufficient motive for a person's compliance w i t h the norm i n the realisation of his right and i n the discharge of his duty. For persons w i t h strong law-convictions the very idea that they do not murder, steel, take bribes, just because they are afraid of punishment or of losing some utilitarian advantage, would appear an insult" — zu deutsch: „Ich tue das Gute n i t u m schnöder Handsalben w i l l e n und vermeide das Schlechte n i t aus niederer Furcht" (Sartorius i n G. Hauptmanns „Florian Geyer"). Das Anwendungsgebiet der finalen Handlungslehre ist, wie gesagt, das Strafrecht, jedoch w i r d man auch zivilistisch von „finalen Handlungen" i m Unterschied zu natürlichen Handlungen sprechen können, i n den Hauptbeispielen bei der realaktuellen Erlangung des Eigenbesitzes, i m Gegensatz zu der des bloßen Besitzes, oder bei der Setzung einer Wollensbedingung i m Gegensatz zu der Setzung einer Willkürbedingung — Beispiele: A verspricht unter Vertragsstrafe, kein Maggi offen über die Straße zu verkaufen, tut das aber doch und setzt damit den E i n t r i t t einer Willkürbedingung, der i h n zur Vertragsstrafenzahlung verpflichtet — X überträgt dem B i m Altenteilsvertrage sein Grundstück unter der Bedingung, daß B 1000 m 2 des Grundstückes an den zweiten Sohn C abtritt, sofern C den Wunsch danach äußert — C äußert ihn, setzt damit also den E i n t r i t t einer aktiven Wollensbedingung. — Das Hauptanliegen der finalen Handlungslehre ist jedoch die Eliminierung des Schuld- und Verschuldenselements „Vorsatz" aus dem Begriff der Schuld und des Verschuldens überhaupt. Die (psychische) Bestimmung, welche die finale Handlung auf Zweck und Ziel hinleitet, 1 s. darüber letztens W. Kallfuß, Die Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz, 1972. 2 Sorokin, The organized Group and Law-Norms, Pound-Festschrift, 1948, 668 ff., 674, 694 A. 4. 1
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sei bereits das, was das Verschuldensmerkmal „Vorsatz" anspricht. Vom Verschulden bleibe also nur die Fahrlässigkeit übrig, das andere Moment des Verschuldens, nämlich „der Vorsatz", sei, wenn man die „Bestimmung" der „finalen Handlung" bedenkt, bereits von eben dieser Bestimmung konsumiert: wenn also — i m bekannten strafrechtlichen Beispiel — die junge Krankenschwester i n einem Euthanasieheim i m Jahre 1944 gespritzt habe, ohne auch nur zu ahnen, daß es sich dabei u m Todesspritzen handelte, habe die Krankenschwester überhaupt nicht totschlägerisch gehandelt, so daß, da es sich nicht u m Fahrlässigkeit handele, die Schuldfrage (und davor sämtliche anderen Tatbestände und Tatbestandsmerkmale von strafbaren Handlungen außer „Schaden" und „Handlung" gar nicht mehr zu prüfen seien). Daß die finale Handlungslehre, wenn man nach ihr die Subjektivität des Straftäters (zivilistisch: des Delinquenten) als eine „Bestimmung" der Psyche m i t unter das Tatbestandsmerkmal der Handlung nimmt, die sonstigen subjektiven Prüfungen beim Delikt, nämlich die subjektive Rechtswidrigkeit und die subjektive Schuld (das Verschulden als Vorsatz) eliminiert oder zumindest einengt, ist nur konsequent und erspart, wiederum arbeitsökonomisch gesehen, viel Testbeschäftigung. A u f der anderen Seite beansprucht, sowohl i m Strafrecht wie i m zivilistischen Deliktsrecht, die Täterpersönlichkeit i n ihrer subjektiven Lage besondere Aufmerksamkeit: es erscheint also durchaus als gerechtfertigt, die Subjektivität des Täters zuerst unter dem Gesichtspunkt der Handlung zu prüfen, danach unter dem der subjektiven Rechtswidrigkeit, des Rechtswidrigkeitsbewußtseins, und schließlich unter dem der Schuld, zivilistisch des Verschuldens. Die Einengung des Verschuldens auf die bloße Fahrlässigkeit läßt den „sozialen Gesichtspunkt" der Fahrlässigkeit, der beim Vorsatz, wie erwähnt, nicht vorliegt, schön hervortreten, auch den objektiven Gedanken der Fahrlässigkeit und schließt sich weiterhin den angloamerikanischen Vorstellungen über die negligence als Verschuldensgrund (nicht als Verschuldensmaßstab) an — wovon oben gesprochen worden ist. Doch stößt die Einengung des Verschuldens auf die bloße Fahrlässigkeit — von der Praxis und der Normenstruktur abgesehen — vor allem auf das Bedenken, daß i n diesem Hauptteil der finalen Handlungslehre nicht hinreichend zwischen den verschiedenen Gestalten der Bestimmung unterschieden wird, welche den „psychischen Infrastrukturen" der rechtlichen Handlungen zugrunde liegen: es gibt neben den Bestimmungen zur „natürlichen" Handlung und zur finalen Handlung z. B auch die Bestimmung zur „psychischen" Beihilfe (OLG Celle, 9 U 14/ 73), und es gibt vor allem die Bestimmung zum Verschulden, die etwas
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Additives zu den Bestimmungen i n bezug auf die verschiedenen Gestalten der Handlung ist — die dem Vorsatz-Verschulden möglicherweise zugrunde liegende goldene Regel „was du nicht willst, das man dir tut, das füg' auch keinem andern zu" beruht eben auf einer anderen „Bestimmung" als der „Bestimmung", „natürlich" oder „final" zu handeln . Die terminologischen Abgrenzungen der Dogmatik gehen völlig fehl: man kann nicht von einer „objektiven" Handlung i m Gegensatz zu einer „finalen" Handlung sprechen, denn „objektiv" zu betrachten ist jede A r t von Handlung! Man kann auch nicht eine kausale Handlung" i n Gegensatz zur finalen Handlung stellen, denn auch die „finale Handlung" w i r d verursacht, ist also kausal. — Warum soll also (nach Welzel) die Finalität „sehend", die Kausalität „ b l i n d " sein? Allenfalls kann man die Lehre von der „natürlichen" Handlung i m Gegensatz zu der von der „finalen" als „klassische Handlungslehre" bezeichnen 1 . Die psychische Aktion Die finale Handlung ist, kybernetisch gesehen (s. o. S. 35) „Kapitänshandlung", die natürliche Handlung „Steuermannshandlung"! Allen physischen Handlungen, wie sie bisher betrachtet wurden, der natürlichen Handlung, der Erfolgshandlung und der finalen Handlung, ist wieder der Blick auf die zugrunde liegenden Infrastrukturen, der „Unterbau" der psychischen Handlungen hinzuzuaddieren, eine Tiefenqualifikation der physischen Handlung. Hierbei ist zu erinnern, daß die Psyche des Menschen grundsätzlich stets als ein Stück Materie betrachtet wird. Weiter, daß das Psychische i m Menschen auch j u r i stisch überall vorkommt, z. B. bei der deutschen Interessenjurisprudenz, dann beim subjektiven Schaden, dann aber auch beim psychischen Schaden, bei der psychischen Unmöglichkeit (der Fall „Lache, Bajazzo!, der Opernsänger, der fünf Minuten vor seinem A u f t r i t t vom Tode seines Kindes erfährt, und infolgedessen nicht singen kann), i n der richterliche Psyche, der Durchgangsstation zur richterlichen Entscheidung 2 . Danach ist der oben erwähnte anglo-amerikanische „impact" als bloß „seelische" A k t i o n zu bedenken (Gegensatz: compact!), dann die „Teleologie" des „Finalen", aber auch die der Zwecke und Ziele, überhaupt das subjektive Element bei der „Bestimmung" 3 des Handelns, das „natürliche" Element oder das „finale" Element, auch das 1
Spuren einer finalen Handlung in Amerika vielleicht in Abrams v. United States, 250 u. S. 616,1919. 2 Gegenopfer, 417. 8 Dazu A. Seiffert, Einige Kätegoriale Grundformen, 1972, 23 ff., 208ff.; s. im übrigen o. S. 211. 15*
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subjektive Element bei der „absichtlichen Handlung mit beabsichtigtem Erfolg" (die, wie erwähnt, etwas anderes als die objektive Erfolgszurechnung bei der „Erfolgshandlung" ist), an das „bestimmende" Element bei „verschuldeten" Handlungen, schließlich an den „subjektiven Halbpart", der allen objektiven Statuierungen zugrunde liegt (s. o. S. 80). Ein Beispiel i n der Entscheidung des 9. Zivilsenats des OLG Celle (9 U 14/73) zu den Hausbesetzungen: Jeder, der sich an einer Hausbesetzung beteiligt, haftet für den Schaden, den alle anderen Teilnehmer anrichten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er zu den Hauptakteuren oder Aufwieglern gehört und sich eigenhändig an Ausschreitungen beteiligt hat. Es bleibe jedem selbst überlassen, bei den übrigen Beteiligten einen Ausgleich zu suchen. M i t diesem Spruch entschied der 9. Zivilsenat des OLG Celle jetzt zugunsten des Landes Niedersachsen, das gegen drei Hausbesetzer einen Schadensersatzprozeß angestrengt hatte. Die drei jungen Leute, die sich i m Dezember 1971 i n Hannover an der Besetzung eines vorübergehend leerstehenden Hauses beteiligt hatten und bei der Zwangsräumung Polizeibeamte verletzt und Fahrzeuge beschädigt hatten, hätten sich i n jedem F a l l der „psychischen Beihilfe" schuldig gemacht, meinte das Gericht. Sie hätten — ob Hauptakteur oder nicht — wissen müssen, daß das Haus nicht kampflos wieder geräumt werden sollte. Weiter das Läpple-Urteil des B G H zur Kölner Demonstration vom 24.10. 661. Läpple, ein Student, war auf Straßenbahngleise getreten, u m den Führer des herannahenden Straßenbahnwagens zum Anhalten zu veranlassen und damit „zu demonstrieren", was i h m auch gelang (ähnliche Fälle liegen bei den Handlungen der Teilnehmer an „Sit-ins" und entsprechenden Aktionen vor, z. B. bei einem Sitzstreik vor einem Kasernentor, durch den das Ausfahren von Panzern verhindert werden sollte) 2 . Der B G H verurteilte Läpple wegen einer „physischen" Handlung. Aber das Betreten der Staßenbahngleise durch Läpple, die einzige ermittelbare physische Straftat Läpples, ist es nicht, welche hier interessiert, so etwas wäre höchstens als Verkehrsgefährdung leicht strafbar, der B G H verurteilte aber wegen Nötigung. I n der Tat handelte es sich u m eine „rein intellektuelle Willensrichtung" Läpples, der die „psychische Hemmung" des Straßenbahnführers, unter Mißachtung des auf der Fahrbahn Stehenden seinen Weg fortzusetzen, m i t i n seinen Vorsatz aufnahm 3 . Es lag also eine psychische A k t i o n Läpples 1
BGHSt 2346 = N J W 1969, 1770. B G H in N J W 1969, 1772. — Über das ebenfalls hochmoderne Delikt mit Geiselnahme s. Krey / Meyer in der Zeitschrift für Hechtspolitik, 1973,1-5. 8 Vgl. Ott, NJW 1969, 2023 — Stöcker, JZ 1969, 396 — Diderichsen / M a r burger, NJW 1970, 777, 780. 2
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vor, wobei es gleichgültig ist, ob diese Aktion, wenn sie nur als psychische A k t i o n charakterisiert wurde, physisch schlechthin zur natürlichen Handlung oder zur Erfolgshandhmg führte 1 —, und dasselbe gilt, wenn A badenden Mädchen am Ufer die Kleider wegnimmt, u m sich an der Gelegenheit oder evtl. Verlegenheit der aus dem Wasser unbekleidet Heraussteigenden zu weiden (Verurteilung wegen Nötigung). I n allen diesen Erscheinungsbildern gehen physische Handlung (und Verschulden/Schuld) psychisch auf das Inaussichtstellen eines Übels hinaus, wobei der m i t dem Übel Drohende auf die Übelsauswirkung selbst fast oder überhaupt keinen Einfluß hat — der Täter handelt insoweit nicht mehr. Der Zusammenhang m i t der vis compulsiva, unter der eine Handlung evtl. steht, ist ersichtlich. Es kann nun aber auch so liegen, daß die „psychische A k t i o n " eine etwa vorliegende physische Handlung vollkommen ausstreicht* so daß aufgrund der psychischen A k t i o n die physische Handlung überhaupt verneint werden muß, so bei den durch Einwilligung des Operierten nicht gedeckten ärztlichen Operationen, die aufgrund der dabei entwickelten Psyche des Arztes gar nicht auf körperliche Mißhandlung, Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens u n d Gesundheitsbeschädigung des Patienten gingen (§ 223 StGB), sondern auf Heilung. Der Ausschluß des altgermanischen Grundsatzes „die Tat tötet den Mann" durch die herrschende Ansicht i n der Literatur zum ärztlichen Eingriff, w i r d unbegreiflicherweise heftig bestritten. Man arbeitet hier, solange es geht 2 , lieber m i t einem Rechtfertigungsgrunde der Einw i l l i g u n g des Verletzten (s. darüber unten S. 445). A. Ehrenzweig dienen die „anwachsenden Krisensituationen, die in Amerika durch Monsterklagen gegenüber Spitälern und Ärzten wegen angeblicher Kunstfehler entstanden sind", zu seiner monotonen Klage gegen das Verschuldungsprinzip und zum allgemeinen Übergang zur objektiven Gefährdungshaftung: „Der schöpferische Chirurg wird in steigendem Maße abgeneigt sein, seinen Ruf und sein finanzielles Fortkommen aufs Spiel zu setzen, wenn er für jede Fehlleistung im Rahmen seiner von Teamwork und »Massenproduktion' weitgehend abhängigen Tätigkeit verantwortlich ge1 Hierzu — im Anschluß an Maurach — Welzel, Das deutsche Straf recht, 1969, 325 — Mezger/Blei, Strafrecht, Allgem. Teil, 1970, 227 — SchönkeSchröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 16. Aufl., § 234, Rd.-Nr. 10 ff. 2 Der Arzt geht daran, ein Myom zu operieren, holt sich die Einwilligung des Patienten, nimmt aber im Anschluß an die Myomoperation gleich den Blinddarm des Patienten mit heraus und überschreitet damit die Einwilligung — an Literatur seien hier nur Beling, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 44, 220 ff., Engisch, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 1958, 5 und Eberhard Schmidt, Der Arzt i m Straf recht, 1958, 5 zitiert —r E. Schmidt nimmt vor allem eine „soziale Sinnbedeutung" in die Beurteilung der (dann rechtsfolgelosen) heilenden Arztbehandlung hinein. — s. ferner hierzu noch K. Engisch, Die rechtliche Bedeutung der ärztlichen Operation, aus „Fehler und Gefahren bei chirurgischen Operationen", 3. Aufl., bei G. Fischer in Jena, 1954,1324 ff.
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macht werden kann. Seine »schöpferische Initiative' würde unvergleichlich weniger beeinträchtigt, wenn sein Betrieb lediglich eine Erstversicherung seiner Patienten für eine zwar allgemeine, aber beschränkte Schadenswiedergutmachung zu tragen hätte anstelle einer Drittversicherung mit zwar schuldbedingter, aber unbeschränkter Haftung 1 ." Auch um den Impfzwang gibt es hier wie dort Rechtskämpfe (s. z. B. Süddeutsche Jur.Zt. 1950, 819, B G H Z 9, 837) — manchmal hat z.B. die Pockenimpfung zu Gehirnentzündung und dauerndem Siechtum geführt. Eine Staatshaftung aus Amtspflichtverletzung entfällt, weil hoheitsrechtliche Befugnisse nicht verletzt, sondern i m Gegenteil gewahrt wurden. „Mit der mutigen Rüdekehr zu den Errungenschaften des 18. Jahrhunderts (Aufklärung!) hat aber das höchste deutsche Gericht (indem es einen Aufopferungsanspruch gab) den Mephistofluch umkehren helfen: „nicht wie eine ewige Krankheit hat sich altes Recht fortgeerbt, sondern als Segen hat älteres das jüngere Recht überwunden. Wohl uns, daß wir die Urenkel, und nicht die Söhne sind" (Friedrich K a r l Fromm) 2 . Generell haftet für Kunstfehler der Arzt aus seinem Dienstvertrage, eventuell das Krankenhaus, in dessen Betrieb der Arzt oder die Schwester tätig ist, über § 278 und § 831 — die Haftung nach Art. 34 wird regelmäßig entfallen, weil der Arzt oder die Schwester keine Hoheit über die Patienten ausüben, die nach § 31, weil Arzt oder Schwester nicht Vorstände oder verfassungsmäßige Vertreter sind. A b e r auch ü b e r d i e „ A u s s t r e i c h u n g " der P h y s i s d u r c h d i e Psyche des T ä t e r s h i n a u s , w i e sie sich b e i d e n A r z t - F ä l l e n zeigte, g i b t es r e i n psychische A k t i o n e n eines A u t o r s , z . B . ( w i e d e r strafrechtlich) b e i d e r B e l e i d i g u n g u n t e r v i e r A u g e n , w o b e i a l l e i n d i e psychischen Ergebnisse der Mißachtung oder der Ehrverletzung i m A u t o r zu betrachten sind — dies ist e i g e n t l i c h d i e B e l e i d i g u n g . — S i c h e r l i c h e r f o r d e r t d i e A k z e p t i e r u n g d e r psychischen A k t i o n n e b e n der physischen H a n d l u n g ein Umdenken, strafrechtlich v o r a l l e m bei d e r N ö t i g u n g u n d b e i d e r E r p r e s s u n g . D i e H i n n a h m e d e r psychischen A k t i o n erscheint aber als n o t w e n d i g , a) theoretisch, d e n n n u r , i n d e m m a n d e r physischen H a n d l u n g d i e psychische A k t i o n h i n z u g e s e l l t , i s t m a n „ m a t e r i e l l " u n d b e t r a c h t e t — w i e m a n es j a w i l l — die R e a l i a d e r M a t e r i e u n d ü b e r h a u p t e i n reales Recht, schlägt ü b e r d i e s eine B r ü c k e v o n d e r J u r i s p r u d e n z z u r P s y c h o l o g i e 3 — b) p r a k t i s c h , d e n n „ S c h r e i b t i s c h t ä t e r " u n d ähnliches G e l i c h t e r s i n d n u r „ p s y c h i s c h " z u fassen, „ p h y s i s c h " u n t e r s c h r e i b e n sie n u r o d e r t r e t e n i r g e n d w o h i n . D i e psychische A k t i o n bestimmt d i e H a n d l u n g — das i s t auch d e r K e r n der Lehre v o n der finalen Handlung. Nicht „die Verhältnisse, die sind n i c h t so", n i c h t die V e r h ä l t n i s s e also m a c h e n das L e b e n so schwer ( M a r x ! ) , s o n d e r n die gestörte Psyche i s t es. 1
A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973, 303, 316. Schiwy, Impfung und Aufopferungsentschädigimg, 1974. 8 Das große Anliegen von A. Ehrenzweig, in Berkeley, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, in diesem Verlage, 1973. 9
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Die Unterlassung als Tatbestandsmerkmal
231 des § 823,1
I n den Begriff der Handlung als Tatbestandsmerkmal des § 823, 1 ist der der Unterlassung (forbearance) einzuordnen. Die Unterlassung ist von der Handlung nicht zu trennen, sie schafft die sogen. Omissivdelikte i m Gegensatz zu den Kommissivdelikten, den Begehungsdelikten. Das Unterlassungsdelikt besteht i n einer Situation, i n welcher das Recht ein Handlungsgebot aufgestellt hat, wobei es auf irgendeinen Erfolg nicht ankommt. Bei den Unterlassungsdelikten liegt also eine deliktische Verletzung vor, wenn dem Sachverhalte nach eine Handlung geboten war, wenn also eine Rechtspflicht auf Handlung bestand — niemals also bei Kindern und Unzurechnungsfähigen, da diese niemals Subjekte von Rechtspflichten sein können. Die Unterlassung ist freilich nur dann objektiv widerrechtlich und Delikt, wenn eine gesellschaftseigentümliche Pflicht zur Handlung bestand, z. B. bei der Verwahrungsfürsorge oder bei der Lebensrettungspflicht nach § 330 c StGB, wie sie über § 823, 2 BGB ins Deliktsrecht eingeschleust werden kann. Die mannigfaltigen Gesichtspunkte/unter denen solche Rechtspflichten angenommen werden, sind viel erörtert worden (RG 109, 276). U n ter Umständen ergibt sich eine Pflicht zur Gefahrenabwehr aus vorausgegangenem (auch schuldlosem) Tun. Ein Importeur hat eingeführtes Eipulver weiterverkauft, von dem später festgestellt wurde, daß es Bakterien enthielt. Er muß jetzt alles, was zumutbar ist, tun, u m Kunden und mögliche Konsumenten von der Gefahr zu unterrichten, die durch den Verzehr des gesundheitsschädlichen Eipulvers droht. Vor allem aber stellt die Unterlassimg der Verkehrssorgfalt durch Verletzung der sog. Verkehrspflichten ein echtes Unterlassungsdelikt dar. „Es geht zuerst darum, daß Handlungen, die einen Gefahrenzustand herbeiführen, verboten sind. Man darf auf seinem Grundstück kein Feuer anzünden, das übergreifen kann. Man darf Feuerwerkskörper nicht an Kinder verkaufen, Gifte nicht i n Flaschen füllen, die sonst Getränke enthalten, Blumentöpfe nicht vor das Wohnungsfenster stellen, Lebensmittel nicht m i t gesundheitsschädlichen Stoffen färben oder konservieren, Kinder, die Diphterie gehabt haben, und noch Bazillenträger sind, nicht i n die Schule schicken, keine Sicherungen m i t Draht flicken, nicht rechts überholen, an feuergefährlichen Plätzen nicht rauchen, i m trockenen Moor keine Zigarettenreste wegwerfen, bei der Autoreparatur keine schadhaften Ersatzteile verwenden, kein Auto offen stehen lassen, so daß es zu gefährdenden Schwarzfahrten benutzt werden kann 1 ." Weitere Beispiele: Der Vermieter haftet deliktisch für die Unterlassung der abendlichen Hausbeleuchtung, möglicherweise auch für die 1
E. v. Caemmerer, 481 ff.
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Verletzung seiner Aufsichtspflicht i n bezug auf den Hauswart, der die Beleuchtung i n Gang zu setzen hatte — der Straßenkehrer haftet für die Unterlassung seiner Sorgfalt i m Straßenputzen, der aufsichtspflichtige Agent einer Verbandsperson (für den dann möglicherweise nach A r t . 34 GG oder nach den §§ 31, 89 oder 831 BGB die Verbandsperson eintritt) haftet für die Unterlassung seiner Aufsicht über einen Unteragenten. Speziell Spediteure und Lagerhalter müssen aufpassen und dürfen nicht deliktisch unterlassen. Die Unterlassung der Aufklärung kann auch einen deliktischen Betrug nach § 823 Abs. 2 darstellen, sofern eine Aufklärungspflicht bestand. — Der Antiquar muß darauf hinweisen, daß die alte attische Vase einen Sprung hat, wenn es auch nach seiner Erfahrung ungesprungene und ungeklebte attische Tonvasen nicht gibt. — Die Versäumnis von Maßnahmen nach der Fälschung der eigenen Unterschrift stellt eine Unterlassung i m Sinne von § 826 dar (HG JW 10, 470, Nr. 7). — Besondere Schwierigkeiten macht das sogen. „unechte " Unterlassungsdelikt: das Spiegelbild eines Begehungsdelikts, das oft per Reflex abläuft und am Erfolg orientiert ist: ein durch die Norm eines Begehungsdelikts mißbilligter Erfolg w i r d durch Nichthandeln herbeigeführt. Der Täter hat i n diesen Fällen eine Garantenstellung zum verletzten Rechtsgut inne. E i n unechtes Unterlassungsdelikt begeht etwa der Weichenstellerkontrolleur, der i m obigen Falle die falsche Weichenstellung nicht berücksichtigt, so daß nachher das Zugunglück eintritt, die Amme, die sich neben den Säugling i n einer so unzweckmäßigen Lage zum Schlafen hinlegt, daß der Säugling erdrückt wird, die Mutter, die ihrem Kinde kein Essen gibt, so daß es verhungert (§ 212 StGB). Die sogen, „unechte" Unterlassung stellt also, i m Gegensatz zur echten Unterlassung, wie gesagt, auf den Erfolg der Unterlassungshandlung ab — es w i r d auch gesagt, daß hier die normale Gestaltung der geregelten Rechtslage aufhört und eine anomale Gestaltung eintritt, wobei aber der Erfolg dieser unechten Unterlassung des Haftenden auch ohne sein Zutun eintreten kann: ein bestimmtes Substrat der Außenwelt ist hier anomal geformt, sei es, daß die Anomalität i n der Beschaffenheit des Objekts der unechten Unterlassung oder, subjektiv, i n einer anomalen Situation des Täters gelegen ist (Bienenfeld). — Die Unterscheidung von „echten" und „unechten" Unterlassungen ist quälend. Sagte man, anstatt von „unechter Unterlassung" zu sprechen, „Unterlassung nach der Natur der Sache", so hätte man sowohl die Unterlassung der gesetzlichen Lebensrettungspflicht als auch die der Amme, die sich nicht ordentlich hinlegt und damit schließlich ihren Säugling erstickt, i m selben Griff der Unterlassung schlechthin (es ist
Das Verhalten
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doch gleich, ob ein Verbot aus dem „law i n the books" der Gesetze kommt, oder aus dem „law i n action" des Rechtsanwendungsrechts, d. h. der rechtsanwendenden Entscheidungen — die Notwendigkeit, solcherart i m „totalen Recht" zu denken, besteht eben, s. u. S. 370). Das Verhalten I n der Entscheidung BGHZ 21, 319 ff. w i r d das Abstellen eines Wagens auf einem Parkplatz als sozialtypisches menschliches Verhalten qualifiziert. Diese Umschaltung der (menschlichen) Handlung auf das (menschliche) Verhalten ermöglicht zunächst einmal die glatte Einbeziehung der Unterlassung (auch der unechten) und des Eingriffs i n die Handlung. Trotzdem bestehen gewisse Bedenken, den Verhaltensbegriff ohne weiteres zu übernehmen. Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, daß das Gespräch über „Verhaltensnormen" i n die rechtstheoretische Herausarbeitung des „Januskopfes" der Norm einbricht, wonach jede Norm zugleich Verhaltensnorm und Entscheidungsnorm ist 1 — der Ausdruck „Verhaltensnorm" ist also rechtstheoretisch besetzt und darf innerhalb des Deliktsrechts einfach nicht verwendet werden 1 . Bedenken bestehen aber auch für sich gegen die Umschaltung der deliktischen „Handlung" auf ein deliktisches „Verhalten". Der amerikanische „Behaviorismus" h i l f t hier nicht: i m behavior/Verhalten arbeitet die animate matter, möglicherweise auch die „inanimate", und das Schwab'sche Beispiel vom Blatte, das von einem Sturmwind aufgewirbelt wird, und vom Menschen, der irgendwie flüchtet, beleuchtet gut den verschiedenartigen Inhalt des englischen Wortes „behaviour" 2 . John Dewey, der Pragmatist, reduziert dann aber das „behaviour" auf menschliches Verhalten. Er sagt weiterhin, daß der Mensch, wenn er sich einfach nur verhalte, nichts anderes tue, als auf Reize reagieren (response to stimulus). Seelisch-psychische Faktoren wie Bewußtsein 1 Darüber in der Engisch-Festschrift 1969, vor allem 163, und in der Festschrift für Schnorr v. Carolsfeld, 1973, 39 ff., vorher im „Gegenopfer", 1958, aaO, 254 — die Unterscheidung ist seit der Jahrhundertwende üblich und stammt anscheinend von dem Zivilisten Isay — strafrechtlich wird sie z. B. oft von Mezger gebraucht — über die Lehre vom Januskopf der Norm im übrigen Merkl, „Das doppelte Rechtsantlitz", Ju. Blätter, 1917, und „Gegenopfer", aaO, 387 ff. 2 I m Behaviorismus wird der Verhaltensbegriff also vorwiegend naturwissenschaftlich gebraucht, hier setzt dann auch die kybernetische Informations-Übermittlung durch Computer ein, vgl. dazu z.B. H. Mittelstaedt, „Die Regelungstheorie als methodisches Werkzeug der Verhaltensanalyse", „Die Naturwissenschaften" (bei Springer), 1961, 246 ff., 247 — in diesen Fragen wird sowohl der Ingenieur als auch der Biologe tätig!
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Das Verhalten
oder Wille zählten dann also nicht 1 . Es ist richtig, daß der Mensch mit Verhalten, Handeln und logischem Urteil Stellung nimmt. Es ist aber i n einer auf Wille und Schuld gestellten Rechtssystematik, wie es die deutsche ist, immer mißlich, sich auf ein Verhalten von Menschen zu beziehen („Betragen" wäre besser!). A u f der anderen Seite ist der Begriff des Verhaltens, der auf die Binding'sche Verhaltensstraftat zurückzugehen scheint, nicht zu entbehren. Das anglo-amerikanische Recht arbeitet m i t einer Positionsänderung i m Vertrauen auf ein Partnerverhaiten, welches dort der Erklärungstheorie zugrunde liegt, dem „objective test" des dortigen Rechts, auch dem „promissory estoppel". Auch das deutsche Zivilrecht legt aber z. B. seiner Vertüirkung (venire contra factum proprium, Riezler) ein Partnerverhalten zugrunde. Es gibt auch eine Haftung für „sonstiges rechtswidriges Verhalten", z. B. nach § 231 BGB. I m ganzen ist zu sagen, daß die Abstellung auf den Verhaltensmenschen i n allen einschlägigen wissenschaftlichen Kategorien, auch i n der Jurisprudenz, zwecks Erzielung klarer Ergebnisse nicht auszuschließen ist, daß aber auf der anderen Seite an eine Aufgabe des Begriffs der menschlichen Handlung zugunsten der Vorstellung eines bloßen menschlichen Verhaltens gar nicht zu denken ist. Hier schlagen auch historische Gesichtspunkte ein: Die Quintessenz des Verhaltens ist die Haltung, die z. B. i m mittelalterlichen deutschen Staatsrecht zum rechtlichen Tatbestandsmerkmal wurde: die sog. M i nisterialen stiegen kraft „ritterlicher Haltung" aus unfreien Geburts* stände i n den Ritterstand auf. Aus der Haltungsvorstellung wiederum erwuchs der juristisch so bedeutsame Begriff der Lösung-Leistung, die Grundlage des gesellschaftlichen „Leistungsprinzips". Zur weiteren Veranschaulichung: der Bolschewiken-Menschewikenstreit i m Jahre 1903 ging darum, ob auf das spontane Verhalten der (nach Lenins Meinung nur auf Kleinbürgerlichkeit bedachten) Massen oder auf die bewußten Handlungen einer Kader-Partei abgestellt werden sollte — so Lenin und i n diesem Sinn der Sieg der Bolschewiken sowie i m Jahr 1917 der russischen Revolution — heute noch i m Rätestaatsgedanken. — Das rechtswidrige (oder das zur Stabilisierung von Rechtsgeschäften verwendete) Verhalten schwebt eben solange i n der Luft, wie es nicht zumindest auf Realakte, d. h. aber schon auf menschliche Handlungen zuzückgeführt wird. Insbesondere kann die i n „ W i l l e n " fundierte „Handlung" des § 823, 1 nicht ohne weiteres zum Verhalten umfunktioniert werden. Selbst wenn hier nicht objektive Erfolgselemente i n das 1 So vor allem auch der deutschsprachige (und deutschbürtige) DeweyAnhänger und amerikanisch denkende Behaviorist F. Kaufmann, von dem die deutsche Verhaltenslehre kommt.
Das Verhalten
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Verhalten hineingelesen werden 1 , bleibt die subjektive Abgrenzung des stillschweigenden oder auch konkludenten Rechtsgeschäfts vom Verhalten nicht immer einfach. A m saubersten ist daher das Verhalten als faktische Handlung zu lesen — erst jetzt können w i r den Widerspruch zwischen der herrschenden Lehre zur Privatautonomie und zum Verschulden beim Verhalten einerseits, und andererseits den Standpunkt des L G Bremen begreifen: i n Entscheidungen des B G H und mehrerer OLG w i r d i n dem Verhalten eines Mitfahrers, der zu einem betrunkenen Fahrzeugführer ins Auto steigt, eine Einwilligimg i n die Verletzung gesehen, welche eine Rechtswidrigkeit ausschließt, und stets w i r d vom Einwilligenden verlangt, daß er bei der Erklärung der Einwilligung durch konkludentes Handeln die nötige Einsichtsfähigkeit hatte (wenn diese auch durch Alkohölgenuß, mit den entsprechenden rechtlichen Folgen, eingeschränkt war) 2 . A u f der anderen Seite steht die Entscheidung des L G Bremen i n NJW 66, 2360, i n der ein beschränkt Geschäftsfähiger aus faktischem Verhalten schon dann verpflichtet wurde, wenn er die sozialtypische Bedeutung seines Verhaltens erkannt hat (hier: Straßenbahnfahrt) — so daß innerhalb dieses Rahmens die Anwendung der §§ 107 ff. BGB abgelehnt wurde, da die Tatbestände, die zur Verpflichtung aus sozialtypischem Verhalten führen, gerade nicht die Umstände m i t einem Vertragsabschluß gemeinsam haben, die den Minderjährigenschutz rechtfertigen. — Diese Entscheidung des L G Bremen steht i n enger Beziehung zu der oben erwähnten Reduzierung des Verschuldens bei der Gefährdungsmitwirkung, wobei dann also auch diese Gefährdungsmitwirkung als faktisches Verhalten aufgefaßt wird. I m übrigen macht diese Entscheidung Schluß m i t den Schranken des Verhaltensbegriffs i m Deliktsrecht: wenn Verhalten, nicht Handlung, dann also auch Behaviorismus und Loslösung von (seelisch-physischen) Elementen wie Bewußtsein, Wille oder (rechtliche) Zurechenbarkeit — das Verhalten ist eben faktische Handlung (s. u. S. 382), wo nur aus dem jeweiligen „sozialadäquaten" Gebaren heraus zugerechnet w i r d ; wo nur der „Rechtfertigungsgrund" z.B. des sorgfältigen Verkehrsverhaltens herangezogen, wo überhaupt das Verhalten eines Menschen vor Augen steht, nicht seine „Handlung", da w i r d eben faktisch gedacht — das „faktische Recht", das hier seine Rolle spielt, kann nicht ausgeschlossen werden — die Entscheidung des B G H auf der Grundlage der Entscheidung des
1
W. Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, 1966. 2 Dazu BGHSt 4, 90 u n d das O L G Celle i n VRS 36, 417, s. auch N J W 64, 736.
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Der Eingriff
8. Zivilsenats des OLG Hamburg 1 enthält alles darüber und betont auch, daß „Rechtsbeziehungen der Parteien zueinander u. U. auch dann als Vertragsverhältnis (im weiteren Sinne) angesehen werden können, wenn übereinstimmende Willenserklärungen fehlen", wobei nicht nur, wie seinerzeit bei Haupt, auf den „sozialen Kontakt" schlechthin Bezug genommen wird, sondern auf „Rechtsbeziehungen der Parteien, wie sie sich i m heutigen Massenverkehr ergeben". Zwischen „ F a k t " und „faktischem Recht" ist, wie bemerkt, wohl zu unterscheiden. RGJW 28, 1744 f., 1927, nannte „Tatsache" bekanntlich jeden inneren oder äußeren Vorgang, der von Dritten betrachtet werden könne, das „faktische Recht" aber knüpft, wie gesagt wurde, Rechtsfolgen nicht an die definitionsmäßig m i t Rechtsfolgen behafteten „Rechtshandlungen" (z. B. an die deliktische Handlung des § 823, 1), sondern auch an lediglich rechtserhebliche (rechtsrelevante), also nicht m i t Rechtsfolgen behaftete, sondern schlechthin faktische, wenn auch „juristisch" betrachtete Handlungen, z.B. an die rechtlich ungültige Arbeitsvertragsofferte eines geschäftsunfähigen Arbeitnehmers. Der Widerstand gegen alle Faktizitäten m i t Rechtsfolgen, also gegen das faktische Recht schlechthin, erklärt sich aus dem alleinigen Denken i m „ l a w i n the books" — wo womöglich jede Voraussetzung von Rechtsfolge nur „Tatbestand" i n the books sein soll, gibt es natürlich keine Fakten als Tatbestände, an welche die Rechtsfolge dann anzuknüpfen sei. Ganz zu schweigen von der Dogmatik (Haupt u. a.), gibt es aber seit jeher facts (Faktizitäten), welche niemals Tatbestand werden und dennoch zur Rechtsfolge führen, letztlich kraft des berühmten „sozialen Kontakts": die faktische Ehe (alt die z.B. des friesischen Rechts, die nach drei Jahren rechtlich w i r d — die Urzelle der Fristen i m modernen Eherecht —), der „faktische Vertrag" (nach zuerst Haupt), der de facto Staat, der faktische Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, die faktische Handlung, die faktische (objektive) Fahrlässigkeit, die faktische consideration, die Lampleigh erbrachte, als er auf ein Versprechen Brathwaits h i n nach London r i t t (1615, Hob. 106). I m „ l a w i n action", wo das faktische Recht seinen eigentlichen Sitz hat, und zwar als Direktiv und Determinativ der Setzung von Anwendungsrecht — nach vorgehenden Direktiv-Prinzipien — w i r d es klarer, daß es ohne das faktische Recht nicht geht (s. u. S. 382). Der Eingriff Der Eingriff i n einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb w i r d generalklausular zu § 823, 1 (s. u. S. 346) erörtert. „Gebraucht man 1 Bei H. Hübner, Entscheidungssammlung für junge Juristen, Allgem. Teil des BGB, 1973, 266 ff.
Der E i n g r i f f
entsprechend einer von namhaften Schriftstellern befolgten Terminologie für die zum Erfolge einer Rechtsbeschränkung oder -Verletzung führende Kausalreihe den Ausdruck ,Eingriff, dann ist bei den Haftungen aus mißbilligtem Ziel der verursachende Tatbestand gleichzeitig der Eingriff, ähnlich bei denen aus gebilligtem Ziel und M i t t e l (genetische Reihe), bei denen aus mißbilligtem M i t t e l dagegen entspringt der Eingriff der teleologischen Reihe, welche gleichzeitig M i t t e l der Zweckreihe und Ursache des Eingriffs ist" — bemerkt Bienenfeld gelehrt und fährt fort, daß der Eingriff einer Reihe lediglich „kausal" und losgelöst von der Widerrechtlichkeit wie vom Verschulden zu betrachten sei, so daß es demnach rechtmäßige, rechtswidrige, verschuldete und wertfreie Eingriffe gäbe und der Begriff des Eingriffs nichts m i t einer Bewertung zu t u n habe 1 . Der Begriff des Eingriffs ist vor allem bei der Eingriffskondiktion i m Recht der ungerechtfertigten Bereicherung entwickelt worden. Eingriff bedeutet, daß i n vorhandene Rechtsgüter des Gläubigers i n der Weise eingebrochen wird, daß sogen. „Begleitschäden" entstehen — der Gegensatz zu solchen Begleitschäden wären die „Erwartungsschäden" wegen Ausbleibens von Rechtsgütern (z.B. das lucrum cessans)2. Der kondiktionsrechtliche Eingriff betrifft der Lehre nach die rechtsgeschäftlich eintretenden ungerechtfertigten Bereicherungen. Eine A n schwemmung, die zur Bereicherung führt, ist also kein Eingriff. — Man spricht auch i m Verwaltungsrecht von einer Eingriffsverwaltung (Gegensatz: Leistungsverwaltung, i n welcher der Staat nicht i n die Sphäre der Bürger eingreift): treten die Träger öffentlicher Verwaltungen den Gewaltunterworfenen m i t Verwaltungsakten befehlenden I n halts gegenüber, die ggf. m i t Zwangsmitteln zur Wirkung gebracht werden können, so üben sie obrigkeitliche Eingriffsverwaltung aus, welche dann also einen Teil der hoheitlichen Verwaltung darstellt und welche einen obrigkeitlichen Befehl i n Form einer bindenden Anordnung oder einer Verfügung von Behörden voraussetzt, durch die das Eigentum oder die Freiheit des Bürgers betroffen werden — Beispiele: Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz, Steuerbeitreibung, Ersatzvornahme, Entziehungen (z.B. Fahrerlaubnis oder Gewerbegenehmigung), polizeiliche Räumungsbefehle, Anwendung von unmittelbarem Zwang. — Stellt auch der Eingriff i n einen Beruf oder i n ein „Recht aufs A m t " eine unerlaubte und zur Haftung verpflichtende Handlung dar? 3 — 1 2 8
Bienenfeld, aaO, 369, 373 f. Hierzu Larenz, Bes. Sch. R., 510 ff. Dazu in der Karanikas-Festschrift, aaO, I I I , 162 - 165.
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Die fortgesetzte Handlung
A m Ende gibt es sogar eine Haftung für erlaubte Eingriffe. Hierhin gehört zunächst der bürgerlich-rechtliche „Aufopferungsanspruch", der Anspruch aus § 26 der Gewerbeordnung und die i m A r t . 14, 3 GG zwingend vorgeschriebene Enteignungsentschädigung. Es ist aber auch Dritten u . U . möglich und erlaubt, durch eine Verfügung über das Forderungsrecht i n die Rechtszuständigkeit eines Gläubigers einzugreifen. Deliktsrechtlich wird, generalklausular zu § 823, 1 BGB, ein Eingriff i n einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erörtert. — Die fortgesetzte Handlung Es fragt sich, ob w i r nicht, wie bei der Norm, von einer totalen Handlung und von einer isolierten Handlung sprechen dürfen — die Totalnorm ist z. B. die Irrtumsnorm der §§ 119, 120, 122, die isolierten Normen sind die zitierbaren, i n Paragraphen, Sektionen und Rechtssätzen greifbaren Einzelnormen: sie stellen soz. die „kleine Münze" dar, deren Deckung „die Totalnorm" ist. Die isolierte Norm ist die für den Fall gesuchte Norm, „jede selbständige Bestimmimg, die hinreicht, ein Ereignis m i t einer Rechtsfolge zu verbinden", also die kleinste juristische Ganzheit, während die Totalnorm „das ganze jener Bestimmungen umfaßt, das hinreicht, einen konkreten Fall zu regeln" (E. v. Hippel) 1 . Ebenso wie i n bezug auf die Norm können w i r also auch i n bezug auf die Handlung von Totalhandlungen und isolierten Handlungen sprechen (und erst dann die Totalhandlungen als Akte bezeichnen). Damit ergibt sich aus „logischen Erwägungen", daß der strafrechtliche Begriff der fortgesetzten Handlungen i m Deliktsrecht nicht verwendbar ist. Diese Folge ergibt sich aber auch „technisch" daraus, daß das Deliktsrecht auf einen fortgesetzten Schadenseintritt umgebogen w i r d : es gibt nur eine deliktische Handlung, eine Totalhandlung, m i t allenfalls mehreren Schadenseintritten. Der Schaden trat mehrfach nacheinander oder mehrfach an mehreren Orten ein: wenn der verantwortliche Herausgeber einer Zeitung i n seiner an mehreren Orten erscheinenden Publikation kreditschädigende Angaben veröffentlicht und wirtschaftliche Nachteile i n mehreren Orten nacheinander entstehen, so gibt es doch nur eine einzige deliktische Handlung der Kreditschädigung (eine totale Handlung). Dementsprechend beginnt die Verjährungsfrist des § 852 jeweils m i t der Kenntniserlangung vom jemeinigen Schadenseintritt. Eine Wiederholung der schädigenden Handlung setzt nur unter diesem Gesichtspunkte der Kenntniserlangung von einem neuen Schadehseintritt je1
Dazu „Gegenopfer", aaO, 227 f., s. o. S. 190.
Die fortgesetzte Handlung
weils eine neue Verjährung i n Lauf. Der Anlauf der Frist hängt also lediglich von der Kenntnis des aus dieser neuen, wiederholenden Deliktshandlung entstehenden Schadenseintritts ab. Der Umstand, daß die wiederholten schadenstiftenden Handlungen aus einer einheitlichen Entscheidung kommen (die isolierten Handlungen aus einer Totalhandlung I), kann eine Beurteilung unter den Maßstäben einer fortgesetzten Handlung nicht rechtfertigen, insbesondere auch nicht bewirken, das die Verjährung der Schadensersatzansprüche erst m i t der Kenntnis von dem Schadenseintritt (und der Person, s. a. § 852, 1), auf Grund der letzten (isolierten) unerlaubten Handlung beginnt. „Der Begriff der fortgesetzten Handlung hat über das Strafrecht hinaus auch auf anderen Teilgebieten des Rechts, wie dem Recht der Ordnungswidrigkeiten, dem Polizeirecht und überhaupt überall dort eine große Bedeutung erlangt, wo strafähnliche Rechtsfolgen an rechtswidrige Handlungen geknüpft sind." Aber auch i m Zivilrecht hat sich Lehre und Rechtsprechung der „magnetischen Anziehungskraft" dieses nicht ganz ungefährlichen Begriffes nicht immer entziehen können 1 . Von der fortgesetzten Wiederholung der unerlaubten Handlung m i t neuen Schadenseintritten ist die Fortdauer und immer neue Schadensbegründung eines aus einer einmaligen und i n sich abgeschlossenen unerlaubten Handlung hervorgegangenen schädlichen Zustandes zu unterscheiden — wenn Frau A. das 3-jährige K i n d dem Ehemann und Vater ins Ausland entführt, also Muntbruch nach § 235 StGB begeht und sich zivildeliktisch nach § 823, 2 haftbar macht, so dauert der durch die abgeschlossene unerlaubte Handlung hervorgerufene schädliche Zustand, der dem Vater sein K i n d auf Jahre hinaus entzieht, und immer neue Schadenseintritte zur Folge hat, die dem Vater aus der Kindesentführung entstehen, zwar fort, jedoch nicht auf Grund einer fortgesetzten deliktischen Handlung der Frau A., sondern auf Grund wiederholter Schadenseintritte nach einer einmaligen Handlung der Mutter. — Auch ein prozessuales Bedürfnis für die Annahme einer fortgesetzten Handlung ist nicht ersichtlich. Der Sinn des § 32 ZPO liegt darin, gegenüber dem allgemeinen Gerichtsstand einen besonderen zu schaffen, weil am Handlungsort eine bessere Sachaufklärung und Beweis1
Die fortgesetzte Handlung im Deliktsrecht wird bei der Rechtsprechung zuletzt in der BGH-Entscheidung NJW 1954, 1033 verworfen, über die Rechtsprechung des Reichsgerichts s. die Westberliner Dissertation von Peter Kilian, Der Begriff der fortgesetzten Handlung im Zivilrecht, 1961, 2 A. 1, s. auch 2 und 32 ff. Fälle der fortgesetzten Handlung im Zivilrecht z. B. auch 14 ff. Das Gebiet des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts ist für den Begriff der fortgesetzten Handlung besonders anfällig, s. i m übrigen Kilian, 17 f.
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Die Handlung als antipathetischer Realakt
erhebung gewährleistet ist, nicht also darin, dem Kläger die Rechtsverfolgung zu erleichtern. Der § 32 ZPO sagt, „ f ü r Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, i n dessen Bezirk die Handlung begangen ist". Zuständig ist danach das Gericht, i n dessen Bezirk die unerlaubte Handlung begangen ist. D . h . : wo irgendwo ein Tatbestandsmerkmal der §§ 823 ff. verwirklicht worden ist. E i n Gerichtsstand aus § 32 ist jedoch dort nicht gegeben, w o nur Schadensfolgen eingetreten sind, es kommt eben praktisch zuerst auf den Ort an, wo die deliktische Handlung begangen worden ist. Jedoch läßt sich aus § 7, 2 StPO entnehmen, daß (Ausnahme für die Beleidigung) als das zuständige Gericht nur das Gericht anzusehen ist, i n dessen Bezirk die Druckschrift erschien, wenn irgend ein Tatbestandsmerkmal durch den Inhalt einer Druckschrift begründet wurde. Ein Gericht w i r d auch hier dann also zuständig. — Die Angabe der Teilakte einer fortgesetzten Handlung ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich aus dem Urteil der Mindestschuldumfang auch ohne Zahlenangabe entnehmen läßt, BGH, Urteil vom 27. A p r i l 1971 (5 STR 153/71). Die Handlung als antipathetischer Realakt W i r müssen beim Rechtsgeschäft anfangen. Es ist diejenige Rechtshandlung, die auf Handlungswillen, Geschäftswillen und Erklärungsw i l l e n beruht — man kann das Rechtsgeschäft auch dahin definieren, daß m i t i h m eine privatautonome Norm gesetzt wird, welche die bisher bestehende Welt und Rechtswelt materiell verändert (daß i m Rechtsgeschäft „der Machtkampf i m kleinen" vollzogen wird, den i m großen nach Ihering die Rechtsentwicklung vollzieht, stimmt nicht unbedingt, jedenfalls nur insoweit, als der Staat, dessen Begleiter das Recht ist, auch Machtpolitik betreibt, nicht schlechthin Politik 1 ). Das Rechtsgeschäft ist also immer auch Rechtshandlung 2 , aber mehr als das, nämlich Rechtsgeschäft. Umgekehrt sind nach einer Subtraktionstheorie alle diejenigen Rechtshandlungen, die nicht Rechtsgeschäfte sind, eben Rechtshandlungen schlechthin. Die Terminologie ist uneinheitlich, w i r nennen sie Realakte 3 . Die deliktische Handlung ist als Realakt zu fassen, sicherlich nur so kann man wiederum die deliktische Handlung (und dann die Rechtshandlung überhaupt) zur Handlung i m philosophischen Sinne i n Beziehung bringen, und nur so auch gewinnen w i r 1 Das Rechtsgeschäft als Machtkampf bei Peter Kloeppel zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts, das „heteronome" Recht erbringe dann, z.B. bei den allgemeinen Geschäftsbedingungen, nur Hilfeleistungen. 2 A m klarsten sagt das die amerikanische Entscheidung Bank of Spain a. Federal Reserve, 114 F. 6 (2), 438 ff., 1940. s Gegenopfer, aaO, 268, 269.
Die Handlung als antipathetischer Reälakt den Anschluß
a n d i e rechtsgeschichtliche,
insbesondere
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ger-
manistische B e t r a c h t u n g s w e i s e , w e l c h e d i e d e l i k t i s c h e H a n d l u n g stets als R e a l a k t auffaßte. Die Zwischenstufen zwischen Rechtsgeschäft und Realakt, die „hybrids" (zweigeschlechtliche Organismen) folgen im allgemeinen der Anziehungskraft des Rechtsgeschäfts, unterliegen dann insbesondere den Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit/Rechtsgeschäftsfähigkeit. Erwähnt seien hier die Willensgeschäfte (z.B. die Darlehenshingabe nach § 607), die Willensäußerungen (z. B. die Mahnung nach § 284), die Vorstellungsäußerungen/ Mitteilungen (z. B. die Benachrichtigung von der Verspätung einer Annahmeerklärung nach § 149), die Gefühlsäußerungen (z.B. die Verzeihung nach § 532), die Einwilligung des Verletzten, die scheidungsrechtliche Verzeihung (§ 49 EG), der Widerspruch (§ 48, 2 EG), die Erklärung nach § 56 EG, die Zustimmung nach § 42, 2 EG. Der scheidungsrechtliche Widerspruch ist eine widerrufliche einseitige Verfügung, die scheidungsrechtliche Erklärung eine unwiderrufliche einseitige Verfügung (gemeint sind immer gestaltende Verfügungen!), die scheidungsrechtliche Zustimmung bleibt dagegen ein (widerruflicher) Realakt. Ob alle Rechtsgeschäfte nicht eher Wissenserklärung denn Willenserklärung sind, stehe dahin 1 . Der Erlaß kann obligatorisch oder dinglich konstruiert werden, jedenfalls immer als Rechtsgeschäft, der Verzicht (§§ 144, 2346) ist einseitige oder vertragliche gestaltende Verfügung. Rechtsgeschäfte sind möglicherweise kündbar, aber grundsätzlich unwiderruflich, den vorbehaltenen Rücktritt enthält § 346. Die beiden „Archetypen" des Rechtsgeschäfts sind Verfügung und Versprechen, die beide im „pactum" entwickelt wurden. — U n t e r d e n R e a l a k t e n k a n n m a n sympathetische, apathetische und antipathetische u n t e r s c h e i d e n — nach» s y m p a t h e t i s c h e r u n d a p a t h e tischer B e w u ß t s e i n s h a l t u n g u n t e r s c h e i d e t z . B . F . T o e n n i e s d i e „ G e m e i n s c h a f t " v o n d e r Gesellschaft — ü b e r h a u p t ist diese N o m e n c l a t u r soziologisch interessant, d a h e r auch z i v i l i s t i s c h b r a u c h b a r 2 . Die Besitzerlangung durch einen Besitzdiener ist z . B . ein apathetischer R e a l a k t , d i e B e s i t z e r l a n g u n g nach § 854, 1 e i n s y m p a t h e t i s c h e r Realakt, die Deliktshandlung ein antipathetischer Realakt, ein Realakt, d e r „ u n g e s e l l i g e n G e s e l l s c h a f t " 8 (aber v i e l e apathetische R e a l a k t e geh ö r e n auch dazu). — D e r L e b e n s m o d u s d e r D e l i k t s h a n d l u n g e n , also a n t i p a t h e t i s c h e r R e a l a k t e , ist b e l i e b i g — m a n k a n n d e l i k t i s c h schlafen, essen oder L i e d e r komponieren4. 1
Dazu „Gegenopfer", aaO, 205 - 208, 274, auch 263. Darüber in der Festschrift für U. v. Lübtow, aaO, 48 und A. 60. 8 Vgl. H. Plessner, Ungesellige Gesellschaft, in der Festschrift für Gerhart Leibholz, 1966,1, 383 ff. (der Begriff stammt von Kant). 4 Bienenfeld, aaO, 363 ff. — Bienenfeld gibt zum Beispiel, daß man rationierungsrechtlich verbotene Hartwurst aß. 2
16 W . G .
Becker
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Der (deliktische) Handlungswille
Jedenfalls kommt man erst, indem man die deliktische Handlung als einen (antipathetischen) Realakt auffaßt, zu dessen grundlegenden Tatbestandsmerkmal „Handlungswille", der hier dann also als deliktischer Handlungswille auftritt. Der (deliktische) Handlungswille Z u den fundamentalen Angelegtheiten des Menschen gehört die Intentionalität (Kant), der „transzendentale Leitfaden" des Menschen (Sartre), die „Bestimmung / Bestimmtheit" (A. Seiffert) — i n deterministischer Auffassung „eine Grundbefindlichkeit des Menschen, die i h n nötigt, unaufhörlich zu intendieren, und zwar dorthin zu intendieren, wohin die stärkeren emotionalen Besetzungen hinstreben", die psychologische Ursache des „Müssens" (Danner), das „Nehmen einer Richtung" 1 . — Juristisch zeigt sich die Intentionalität zunächst kirchengeschichtlich: i n subjektiver Intentionalität entschied sich der deutsche Kaiser Otto d. Gr. (um 950 post) i m Gegensatz zu seinem Vater Heinrich I. dafür, sich eher als Kirchenvogt denn als Kaiser aufzufassen (obwohl seit dem fränkisch-päpstlichen Vertrage von Quierzy, 754, und seit der Regierung Karls d. Gr. der deutsche Kaiser als „Herrscher i m Gottesstaate" beides zugleich sein sollte). Die schweizerische Demokratie entstammt i m wesentlichen der nur intentionell-anthropologisch zu verstehenden „herben" Religiosität der Schweizer Reformatoren (D. Schindler). Subjektive Intentionalität bestimmte, i m Gefolge der den Amerikanern u m 1800 herum eingewurzelten Abneigung gegen positiv gesetztes Recht zugunsten eines naturgegebenen, den großen Naturrechts-Einsatz i n den Vereinigten Staaten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert 2 . Und auch heute wird die Anwendung von Naturrecht contra legem großenteils von der Intentionalität her betrieben (s. u. S. 408). Die Manipulation z.B. bei der manipulierten Währung beruht letzten Endes auf Intentionalitäten, und noch mehr die in letzter Zeit sehr ins Gespräch gekommene Manipulation schlechthin (die dann meistens „krumm" verläuft, warum gerade, wenn es auch krumm geht?). Vor allem läßt sich jedoch ein neues Instrument der pluralistischen Gesellschaft und dann des pluralistischen Staates (der seine Souveränität an die Interessenverbände der „formierten Gesellschaft" abtritt) überhaupt erst erkennen, wenn eine anthropologische Optik einsetzt und damit die den betreffenden öffentlichen Maßnahmen zugrundeliegenden subjektiven Intentionalitäten ans Licht bringt (wie den verborgenen Wurm im Apfel): nur die subjektive Intentionalität entscheidet darüber, ob sich ein Amtswalter eines autonom-quasistaatlich ausgestatteten 1
A. Seiffert, Einige kategoriale Grundformen, 1972, 24 f. Perry Miller, The Life of the mind in America from the Revolution to the Civil War, New York 1965, bes. 99 ff. 2
Der (deliktische) Handlungswille
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Selbstverwaltungs-Verbandes als staatlicher Amtswalter oder als Funktionär eines Interessenverbandes (im Auslande „Pressionsgruppe" genannt) beträgt, der Dekan einer Fakultät etwa als Behördenchef oder als GruppenVertreter. Das Grundanliegen des preußischen Staatsgedankens war es seinerzeit, den als staatliche Offiziere oder Beamte übernommenen junkerlichen Stände-Repräsentanten klarzumachen, daß sie sich jetzt eben nicht mehr als Ständevertreter, sondern als staatliche Amtswalter zu empfinden hätten — „obliti privatorum publica curate"! steht auch über der Eingangstür zum Saale des Großen Rates im Rektorenpalaste zu Ragusa. Dementsprechend steckt der Kern der zur Zeit zu beobachtenden Aufstände der Selbstverwaltung gegen Staat und Recht aus dem Gesichtspunkt der Wahrung von Verbands-Interessen heraus (also gerade gegensätzlich zum Staatsgedanken!) in der anthropologischen subjektiven Intentionalität, im Zweifel der Parole „sie volo, sie jubeo"! — Die Intentionalität
ist von hoher Bedeutung im Prozeßrecht (R. Bruns).
I m m a t e r i e l l e n Recht (aber a u c h i m Prozeßrecht) w i r d d i e I n t e n t i o n a l i t ä t i m D e u t s c h e n z u m Willen zugespitzt, d e m „ Z u r e c h n u n g s p u n k t " v o n Rechtsfolgen z u (rechtlichen) H a n d l u n g e n . Das i s t f u n k t i o n e l l e i n w a n d f r e i , l ä ß t a b e r s u b s t a n t i e l l m a n c h e F r a g e offen, d e n n der j u r i s t i s c h e W i l l e i s t n i c h t i d e n t i s c h m i t d e m psychologischen 1 — w e l c h l e t z t e r e r e i n m a l selbst e i n e n K o m p l e x des f u n k t i o n e l l e n Z u s a m m e n spiels v o n T r i e b e n d a r s t e l l t 2 , i m ganzen aber e i n e n d e r D ä m m e gegen die Triebe bedeutet. D e n n o c h müssen w i r d e n j u r i s t i s c h e n W i l l e n w e n i g s t e n s i n A n l e h n u n g a n d e n psychologischen b e t r a c h t e n u n d d ü r f e n d a b e i n i c h t v o n e i n e r „ S o l i d a r i t ä t des S e e l e n v e r m ö g e n s " ausgehen, a u c h n i c h t v o n e i n e r „ W i l l e n s m o n o m a n i e " , i n d e r sich G e m ü t , V o r s t e l l u n g u n d W i l l e „ e i n a n d e r a f f i z i e r e n " 8 . „ E s l i e g t also i n d e m j u r i s t i s c h e n W i l l e n s b e g r i f f e i n b e h e l f s m ä ß i g e r Z u g r i f f a u f d e n „psychologischen U r s a l a t " , a u f d e n Hegel'schen „ B r e i des H e r z e n s " v o r , a u f a l l e m ö g l i c h e n psychologischen V o r g ä n g e i m Menschen, G e m ü t , G e f ü h l 4 , V o r s t e l l u n g , A f f i n i t ä t , W a h r 1 s. jetzt W. Fischel, Der Wille in psychologischer und philosophischer Betrachtung — sonst zur Information auch „Gegenopfer", 208 ff., 260 ff., 264 ff., 274, 287, 405, 442, 511 und den Index. 2 Schopenhauer, einer der Väter der juristisdien Willen, verwendete „vorpsychologisch" das Zeichen „Wille" für das, was man heute „Triebe" nennt. 3 E. Rabel, Gesammelte Aufsätze, 1965,1., 228. 4 Zum Gefühl bemerkt Albert Einstein: „Nur wer die ungeheuren Anstrengungen und vor allem die Hingabe ermessen kann, ohne welche bahnbrechende wissenschaftliche Gedankenschöpfungen nicht zustande kommen können, vermag die Stärke des Gefühls zu ermessen, aus dem alle solche dem unmittelbar praktischen Leben abgewandte Arbeit erwachsen kann" — und an anderer Stelle: „Oft gilt, je größer die Emotio, um so besser die Ratio", „immer wird ein Herz das als ein Wunder betrachten, i m Gegensatz zum Straßenkehren und Schweineschlachten" (A. Schnack) — eine poetische U m schreibung der (im Text erwähnten) alten Unterscheidung von unaustauschbaren und austauschbaren Leistungen. 16*
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Der (deliktische) Handlungswille
nehmung, Merkfähigkeit — medizinisch betrachtet: elektrophysiologische Vorgänge i m „limbischen System" des Gehirns (aus dem z.B. auch Wortgedächtnis/Merkfähigkeit und Altgedächtnis/Erinnerung herrühren, also die Elementarstufen der psychischen Vorgänge). Unter das juristische Zeichen „ W i l l e " gehört dann auch die Empfindung, die Empfindsamkeit, das Sentiment, das Ressentiment, die Sentimentalität, die Stimmung, die Emotion, die Affektion, der Vorzug, die Absicht, dazu gehören aber auch die speziell juristischen Regungen des Rechtsbewußtseins, des Rechtsempfindens, des Rechtsgefühls und der Rechtschaffenheit 1 . Manchmal wäre der anglo-amerikanischen Methode i n bezug auf den Willen der Vorzug zu geben, welche weniger vom Wollen als vom Planen, Glauben oder Dafürhalten spricht — so auch einmal das strafrechtliche Urteil des B G H vom 20. 2.1953 2 , so auch vielleicht § 650 BGB. Auch die alten Rechte hielten nicht viel vom Willen, i m römischen Recht war er z.B. nicht einmal bei der „fides" erkenntlich 8 , und das anglo-amerikanische Recht spricht normalerweise lieber von der „ i n tention" — „ w i l l " bedeutet dort das Testament. Es gibt bei uns mancherlei Umschreibungen der juristischen Willensbetätigung, die etwas unbehaglich anmuten, z. B. „den Willen des Gesetzgebers", die sprachliche Inbezugsetzung des Willens zu den substantivierten Verbzeichen „Sollen" und „Werten", auch die Verbindung des Willenszeichens m i t den Zeichen „Zweck/Ziel", das Zueinander von Willen, W i l l k ü r und Wollen i m Bedingungsrecht, die Identifizierung von „ W i l l e " und „Interesse", die „Willensopposition" des § 8584, das „Ermessen" (s. o. S. 86). Bedenken gegen den juristischen Willen ergibt auch die Vielfalt des Willens, der zumindest, wenigstens bei deliktsrechtlicher Betrachtung, i n vierfacher Gestalt auftritt: a) als Lebenswille (A w i l l leben), b) als Handlungswille (A bewegt die Hand), c) als finaler Wille (A erhebt die Hand u m etwas zu ergreifen — Finis/Zweck/Ziel — oder u m vor der Fernsehkamera lebensecht zu w i r k e n — Finis/Ende), d) als Verschuldenswille (A bewegt die Hand, u m damit deliktisch zu schlagen), oft zunächst final, aber darüber hinaus durch den besonderen Verschuldenswillen bestimmt, der sich i m BGB aus den Zeichen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit des § 276 ergibt, sonst aus allgemeinen Erwägun1 Vgl. J. Esser, Einführung in die Grundbegriffe des Rechtes und des Staates, 1949, 31 ff., s. auch Rieg, Le rôle de la volonté dans l'acte juridique en droit civil français et allemand, Paris 1961. 2 JZ 1953, 560 ff. mit d. Anm. von Oehler („ursprünglich Plan und Vorstellung"). 8 Dazu nur Betti in der Festgabe für Müller-Erzbach, 1954, § 21. 4 Das gemeine Recht arbeitete hier bekanntlich spezialisierter mit den Tatbestandsmerkmalen „vi, clam, precario", ein interessanter Fall darüber bei Stammler, Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit, 1932, I I , 163.
Der (deliktische) Handlungswille
gen über das Verschulden, z. B. über die gedankliche Zurückstellung der „Goldenen Regel" „was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu!" (s. o. S. 67). Eine deliktische Handlung ohne Handlungswillen ist keine deliktische Handlung, unter vis absoluta oder unter Spasmus gibt es kein deliktisches Handeln (a spasm is not an act, aber bei der vis compulsiva liegt schon Handlung vor, etsi coactus tarnen v o l u i . . . s. o. S. 212), reagieren bedeutet noch kein „agieren", fleischfressende Pflanzen und Tiere entwickeln keinen „Willen", und das alte sog. Delikt der nichtehelichen Zeugung ist obsolet geworden 1 . — Der juristische Wille betrifft also die Zurechnung von Rechtshandlungen zu handelnden Menschen. Aber noch etwas anderes ist juristisch i n bezug auf die Verwendung des Willensbegriffs zu sagen: er hat lediglich „topische" und „determinative" Brauchbarkeit, ist also zur Beurteilung eines Realaktes nur dann heranzuziehen, wenn die Existenz des Realaktes selbst keine volle Deutlichkeit über seine Beschaffenheit ergibt — Realakte i n allen ihren Sparten und Elementen, auch natürlich i n ihren deliktischen Tatbestandsmerkmalen, z.B. der Rechtswidrigkeit, dem Verschulden und der „Finalität" der Handlung — werden dann also auch der Subjektivität des Willens unterworfen — der Gang von der Objektivität zur Subjektivität, die „Teichoskopie" des juristischen Beurteilers i n den „subjektiven Halbpart" der Rechtshandlung hinein, wenn dies erforderlich wird, und sei es auch nur per „Denkökonomie", ganz zu schweigen von der „ v i t a perfecta" . . . A m Ende bleibt, daß m i t dem Sprachzeichen „ W i l l e " ein Risiko auf die Handlungen eines Menschen, insbesondere auf dessen „antipathetische Realakte", die deliktischen Handlungen, umgelegt w i r d 2 . Der Wille ist als die dem deutschen Denken eigentümliche Zuspitzung des Seelenvermögens zur gotischen Spitzsäule definiert worden (der Italiener Pensa). Es ließe sich auch sagen, daß der Wille i m deutschen Recht die psychische Handlung, die Infrastruktur der physischen, der Handlung schlechthin (s. o. S. 63), unter dem Gesichtspunkt des psychischen Autors heranholt, und n u n alles, was i n dieser psychischen Handlung an Autorhaftem zu finden ist, zu einem „ W i l l e n " erhebt — wobei wahrscheinlich eine Folge nach Kant vorliegt, der den Willen (metaphysisch) als „objektive Notwendigkeit, welcher Freiheit, Vernunft und Menschenautonomie entspringen" ansieht, also als Unterlage einer Wahl, 1 2
Bienenfeld, aaO, 205. Dazu Larenz, aaO, 486 A. 1.
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Deliktsfähigkeit
danach „Pflicht" und menschliche Würde i n i h m verwurzelt 1 — während Schopenhauers „ W i l l e " es eher m i t Trieb und Élan v i t a l zu tun hat. Der Schopenhauer'sche „ W i l l e " hat, wie der psychologische, „Triebkategorien" 2 , w i r können und müssen — u m der Psychologie nicht allzu fremd zu gehen — diese Triebkategorien aber auch auf den juristischen Willen anwenden und kommen dann zu Spannung, Unbegrenztheit, Intensität, Setzung des leeren „daß", aber auch zu „Vorstellung" m i t Idee, Logos, Ursprung von „wie und was", kategorialer Differenzierung und Formung 3 , weiter zu den biologischen Begriffen der Appetenz alles Vitalen, der primordialen personalistischeri Lebensenergie des „Orgon" (W. Reich) und sogar zu den „Impulsen" des Handelns, seien sie nun auf „Instinkte" gegründet oder nicht — sämtlich „Intensitätsfaktoren" i n bezug auf die psychische Handlung (Marx), die „natürliche V i t a l i t ä t " kennt z.B. keine Moral (Wedekinds „Erdgeist"!), die Intentionalitäten liegen vor aller „Urteilskraft", die Affekte sind m i t Trieben gekoppelt, die Emotionen sind Kombinationen von Gefühlen und Affekten, und „die gefühlsmäßige Erregung hemmt die rationale Leistung, der Hypothalamus blockiert den Cortex" (Lorenz). A l l dieses „Gewölle" ist juristisch i m Begriffe „ W i l l e " zusammengefaßt. Deliktsfähigkeit Der Mensch, das Rechtssubjekt, die juristische „causa quae quid p r i m u m movit", entfaltet, indem er handelt, seine „auctoritas actionum" (Savigny). Daraus entwickeln sich die rechtlichen „Fähigkeiten". Das typische Handeln des Menschen w i r d als „das normale" angesprochen, und obwohl uns die Ärzte hier viel Zynismus servieren (es gäbe keine normalen Menschen), werden w i r Juristen uns zurecht tasten können: Das menschliche Handeln zeigt sich nämlich oft i n der Weise, daß ein konkretes Handeln von dem allgemein als vorschriftsmäßig empfundenen abstrakten Handlungsbild abweicht. Solch abweichendes Handeln w i r d dann insofern als Fehlleistung angesprochen, als es über einen gewissen, von der allgemeinen menschlichen Schätzung festgelegten Umfang hinausgeht, d. h. über die „Breite des Normalen" (S. Freud). — Wieweit die menschlichen Kapazitäten oder Fähigkeiten reichen, w i r d bei uns vom Gesetz bestimmt. Die typischen Unfähigkeiten werden z. B. i n § 104, Ziff. 2 und 3 oder i n dem berühmten § 51 StGB aufs K o r n genommen (neu: §§ 20 f.). 1 2 8
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 18, 22, 26, 28, 41, 66, 68. E. Bloch, Das Materialismus-Problem, 1972, 100. aaO, 283.
Deliktsfähigkeit
Wer also fähig und ohne den Jagdschein des § 51 ist, muß sich seiner Verantwortlichkeit, evtl. seiner Bestrafung und der allgemeinen Stellungnahme gegenüber Kriminellen bewußt sein. Daß ein straffähiger Angeklagter, der ohne den Schutz des § 51 ist, straflos gelassen wird, auch wenn er das Recht verletzt, ist eine Sondererscheinung, kommt aber gelegentlich vor, z.B. i m Obrawalde-Prozeß i n München: Einige alte Krankenschwestern, die sich inzwischen eines tadellosen Rufes und regelmäßiger Kaffeehaus-Besuche erfreuten, waren angeklagt, w e i l sie während der NS-Zeit i n einem sog. Euthanasie-Heim bewußt und i n vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte fleißig zu Tode gespritzt hatten — das Schwurgericht sprach sie kurzerhand frei, und der Vorsitzende begnügte sich damit, den Angeklagten Hühnergehirne und RoboterManieren zu bescheinigen, wobei er hinzufügte, daß solche Leute einfach nicht bestraft werden könnten — vielleicht ergäbe sich daraus die Richtigkeit des mittelalterlichen Rechtsprinzips, das die Monstrosität metajuristischer A r t sei, und daß die „Monstren" außerhalb der Menschen und ihres Rechts ständen . . . Der bei den Rechtsfähigkeiten eine große Rolle spielende Dualismus von Geisteskrankheit und Geistesschwäche (§§ 104, 114 BGB) muß i n die medizinischen Begriffe der Debilität, der Imbezilität und der Idiotie, also i n einer Trias eingefangen werden. Die moderne Problematik zeigt sich nicht nur medizinisch/psychologisch i n der verschiedenen Stärke des Begabungsmangels, sondern vor allem i m Strafrecht — es geht hier u m den „Verbrecher ohne richtiges Motiv". I m anglo-amerikanischen Strafrecht arbeitet man hier einmal m i t der Mc.-NaughtenRule, zum anderen Male m i t der Durham-Rule. Die Mc.-Naughten-Rule besagt, daß eine „capacity to discriminate between right and wrong, legally, not morally" zu prüfen wäre, wobei die A n t w o r t nur auf ja oder nein lauten könne, und wobei der chronologische Beginn dieser Kapazität, wie i n § 828 Abs. 1, für die Vollendung des siebenten Lebensjahres anzunehmen sei. Die Durham-Rule meint, ähnlich wie unser § 51 StGB, daß ein „accused not criminally responsible" sei, „ i f his unlawful act is the product of mental disease or mental defect". Wenn ein Angeklagter also i n diesem Sinne „non capable" ist, ist i h m seine Straftat nicht zuzurechnen. Die §§ 827 und 828, welche die „Deliktsfähigkeit" regeln, verstehen sich von selbst. Hinzuweisen ist jedoch darauf, daß § 828, 1 eine geschlossene, § 828, 2 eine offene Norm darstellt, — m i t anderen Worten gesagt ist § 828, 2 nicht schlechthin normativ, sondern „notativ", wobei also die bekannte „Natur der Sache" ihre Rolle spielt (s. u. S. 402). Der Entwurf läßt an die Stelle des § 828, 2, Satz 2, folgende Vorschriften treten: „Wer das siebente, aber nicht das achtzehnte Lebens-
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Deliktsfähigkeit
jähr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung unfähig ist, das Unrecht der Handlung und seine Verantwortlichkeit für deren Folgen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Hat er diese Fähigkeit, jedoch i n geringerem Maße als ein Erwachsener, so kann das Gericht die Ersatzpflicht einschränken, soweit dies nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, der B i l ligkeit entspricht." A n § 829 erinnert i m Zusammenhang der Deliktsfähigkeit K . Larenz — der Schuldunfähige haftet eventuell nach § 829, immerhin läßt sich nach dem Larenz'schen Beispiel ein gewisser „moralischer" V o r w u r f auch schon gegen ein 6-jähriges K i n d erheben, das grob unachtsam, z. B. durch Steinwürfe einen anderen verletzt — das K i n d handelt obj e k t i v rechtswidrig und weiß auch schon, daß das, was es tut, verboten ist. § 829 führt hier, sofern eine Haftung der aufsichtspflichtigen Eltern nach § 832 entfällt, i n eine „abgeschwächte Verantwortlichkeit für obj e k t i v rechtswidriges Handeln, das, wenn es auch rechtlich nicht zur Schuld zugerechnet werden kann, doch moralisch mehr oder minder vorwerfbar ist". Auch ganz allgemein kann umgekehrt gesagt werden, daß keine Haftung des Schuldunfähigen nach § 829 einsetzt, sofern der Schuldunfähige sich so sorgsam verhalten hat, wie das von einem Schuldfähigen i n der gleichen Lage zu verlangen war 1 . — Was die sonstigen Fähigkeiten anlangt, so gibt es i m BGB keine Vorschriften über die Handlungsfähigkeit, während sie A r t . 12 f. des schweizer Zivilgesetzbuches regelt 2 . Bei uns ist die Realaktsfähigkeit aus der i m Gesetz geregelten und eben besprochenen Deliktsfähigkeit abzulesen. Es seien hier fünf Fälle vorgeführt: a) der 27-jährige sinnlos Betrunkene ergreift eine Bierflasche. Hat er Besitz daran? Wenn man hier sklavisch i n Analogie nach § 827 u r teilen wollte, so hätte er keinen Besitz erlangt, notativ ist jedoch unter entsprechender Anwendung des § 828 Abs. 2 anzunehmen, daß er zumindest aufgrund eines gültigen faktischen Realakts Besitz gewann.
1 Larenz, Besonderes Schuldrecht, 406 — diese ganzen Ausführungen zu der Ausbesserung der Deliktsunfähigkeit durch den § 829 grenzen allerdings an eine Haftung nach faktischem Recht — Larenz spricht von „irgendeinem vorrechtlichen, natürlichen Sinne". Man denke an die „faktische" Zurechenbarkeit bei der „Mitgefährdung" nach § 254, s. o. S. 172, und B G H NJW 22, 1762 betr. Mitverursachen durch ein schuldunfähiges Kind. 2 Über die Handlungsfähigkeit im schweizer Zivilgesetzbuch s. E. Rabel, Gesammelte Aufsätze, 1965, I, 219 ff., sonst immer noch Eitzbacher, Die Handlungsfähigkeit, 1903.
Deliktsfähigkeit b) Dasselbe g i l t f ü r d e n g e i s t i g k r a n k e n v a n G o g h : E r h a t a u f G r u n d f a k t i s c h e r R e a l a k t e d e r V e r a r b e i t u n g i m S i n n e v o n § 950 B G B d i e U r h e b e r s c h a f t a n seinen S p ä t w e r k e n e r l a n g t . c) D e r a c h t j ä h r i g e J u n g e e r g r e i f t i m S i n n e v o n § 854 A b s . 1 eine Bierflasche. H a t er Besitz d a r a n e r w o r b e n ? H i e r m ü ß t e m a n d i e A n a l o gie des § 828 A b s . 1 d u r c h f ü h r e n , danach ist Besitz gegeben. d) D e r f ü n f j ä h r i g e J u n g e e r g r e i f t , v o m V a t e r i n d i e E c k d e s t i l l e geschickt, d i e Bierflasche. W ü r d e m a n h i e r d i e A n a l o g i e nach § 828 A b s . 1 a n w e n d e n , so h ä t t e d e r J u n g e keinen Besitz. A n a l o g n a c h § 828 A b s . 2, also notativ, ergäbe sich, n o r m a l e E i n s i c h t u n t e r s t e l l t , j e d o c h d e r B e s i t z auch f ü r d e n F ü n f j ä h r i g e n . e) D a s B a b y e r g r e i f t seine K l a p p e r , es sieht süß d a b e i aus, aber es k a n n , auch n o t a t i v gesehen, k e i n e n Besitz d a r a n e r l a n g e n . Die bedeutsamste Fähigkeit ist die Rechtsfähigkeit, nämlich die Fähigkeit, subjektive Rechte zu haben (§ 1). Auch deren Korrelate, die subjektiven Pflichten (Thomasius) — ein Maler, der seinen Oevre-Katalog herstellen will, kann also rechtlich (nicht nur moralisch) beanspruchen, daß ihm der Eigentümer eine seiner Photographien der Bilder zur Aufnahme in den Oevre-Katalog liefert. — Die Rechtsgeschäftsfähigkeit/Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff.) behandelt die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte zu setzen, darin liegt aber auch die Fähigkeit, objektiv Recht zu setzen, kurz die Privatautonomie — das ist selbstverständlich, muß aber gesagt werden, die Germanisten sagten es immer. — Die wichtigsten weiteren Fähigkeiten sind die Testierfähigkeit nach § 2229 Abs. 1 BGB, die Parteifähigkeit nach § 50 ZPO, die Beteiligtenfähigkeit (z.B. nach § 205 des Lastenausgleichsgesetzes), die Prozeßfähigkeit nach § 51 ZPO, die Straffähigkeit, die nach den §§ des Jugendgerichtsgesetzes Strafmündigkeit genannt wird, die Eidesfähigkeit nach §§ 393 Abs. 1 Satz 1 und 455 Abs. 2 ZPO, 57 Nr. 1 StPO, die Ehefähigkeit und die Ehemündigkeit nach §§ 1 ff. des Ehegesetzes, die Verhandlungsfähigkeit und die Postulationsfähigkeit als Sonderfall der Verhandlungsfähigkeit im A n waltsprozeß. — Aus dem öffentlichen Recht seien die aktive und die passive Wahlfähigkeit erwähnt. I n der verschiedenartigen Umschreibung der Fähigkeiten wird der am menschlichen Genotyp ausgerichtete kommutative Gleichheitsgrundsatz (jedem das Gleiche) vielfach zu einer durch das Leistungsprinzip verfeinerten distributiven Gleichheit nach dem Satz „jedem das Seine" erhöht. Außerdem ist daran festzuhalten, daß die Fähigkeit von der naturalen „Person", genannt „Mensch", ausgeht, also nicht von der Legal-Person der § 1 ff. BGB (zu der auch die „natürliche" Person des ersten Titels des BGB gehört), also naturale, nicht legale Rechtsetzung zum Ausdruck bringt, was bes. in der „natürlichen" Verhandlungsfähigkeit des Strafrechts und in der natürlichen prozessualen Postulationsfähigkeit belegt wird. I m übrigen ist man großzügig: auch „Monstra" dürfen wählen . . . Die Realaktsfähigkeit, die Fähigkeit, juristische oder rechtliche Handlungen vorzunehmen, welche noch nicht Rechtsgeschäfte sind, also noch nicht von der Kombination der drei Willen „Handlungswille - Geschäftswille - Erklärungswille" getragen werden, sondern lediglich vom Handlungswillen, fehlt, wie eben vermerkt, im BGB,
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Die Verbandshandlung
während sie z. B. in den Art. 12 f. des Schweizer Zivilgesetzbuches geregelt ist. Man muß die Realaktsfähigkeit in analoger Anwendung von der Deliktsfähigkeit der §§ 827 f. BGB ablesen, denn auch das Delikt bleibt eine Handlung, wennschon eine „unerlaubte" — auch der 2. Abs. des § 276 spricht für die Heranziehung der §§ 827 f. in bezug auf die Realaktsfähigkeit. Auch die Rectitsausübungsfähigkeit fehlt, während sich das subjektive Recht doch erst in seiner Ausübung zeigt. Soweit die subjektiven Rechte rechtsgeschäftlich ausgeübt werden, z. B. bei der Ausübung von Befugnissen, sind hinsichtlich der Fähigkeit dazu wieder die §§ 104 ff., direkt heranzuziehen. A u d i sonst gibt es Beziehungen der Geschäftsfähigkeit zu den „subjektiven Rechten". Aus § 4 Abs. 1 folgt z.B. das (subjektive) Einwilligungsrecht des Minderjährigen gegenüber dem Vormundschaftsrichter — § 6 i . V . mit den §§ 104 Ziff. 3 und 114 beschränkt zwar zunächst nur die Geschäftsfähigkeit, incidenter dann aber auch die Fähigkeit zur Ausübung von subjektiven Rechten, etwa einer Verfügungsbefugnis. Man kommt hier nur mit Grundformeln aus: Die Rechtsfähigkeit ist eben das deklarative oder konstitutive juristische Manifest der sozialen menschlichen Existenz, die ihrerseits Kreisring im Kreise der menschlichen Existenz schlechthin ist. Es gibt aber Identifizierungen von Rechts- und Handlungsfähigkeiten, sogar von Fähigkeiten und Recht, wobei am Ende eine „Relativierung der Rechtsfähigkeit nach dem Handlungsvermögen" als notwendig erscheint (schon Thibaut, dann z.B. Brinz, Holder, Binder, Sauer, Larenz, Fabrizius). D i e Verbandshandlung Societas d e l i n q u e r e n o n potest. D i e s e r Satz s t a m m t z w a r n i c h t aus d e m r ö m i s c h e n R e c h t 1 , w o h l a b e r aus d e r L o g i k . V o n „ H a n d l u n g " l ä ß t sich logisch eben n u r i n b e z u g a u f d i e v o m B G B so g e n a n n t e n n a t ü r l i c h e n P e r s o n e n sprechen. Das T a t b e s t a n d s m e r k m a l d e r H a n d l u n g i s t das V e r s c h u l d e n nach § 823, 1. N u r eine n a t ü r l i c h e P e r s o n aber k a n n sich verschulden, e i n e m „ V e r b ä n d e " k a n n l e d i g l i c h zugerechnet werden — d i e A n g l o - A m e r i k a n e r sprechen i n b e z u g a u f d i e H a n d l u n g v o n e i n e r V e r p f l i c h t u n g d e r „ l i a b i l i t y " , i n bezug a u f d i e Z u r e c h n u n g v o n H a n d l u n g e n v o n „ r e s p o n s i b i l i t y " — die Z u r e c h n u n g a n V e r b ä n d e geschieht d u r c h Transmission: d i e H a n d l u n g des n a t ü r l i c h e n „ A g e n t e n " eines V e r b a n d e s als Geschäftsbesorgers w i r d d e m V e r b ä n d e als Geschäftsh e r r n zugerechnet, d. h. a u f diesen t r a n s m i t t i e r t (z. B . § 831). Societas s t e h t also f ü r d e n „ V e r b a n d " * . Es s i n d d a m i t n i c h t b l o ß rechtsrelevante (juristische, j u r i d i s c h e ) V e r b ä n d e g e m e i n t — z . B . d i e „ V e r b ä n d e " i m S i n n e des § 27 d e r n e u e n deutschen S t r a ß e n v e r k e h r s 1 U. v. Lübtow, Der Ediktstitel „Quod metus causa gestum erit", 1932, 227 ff., s. ferner U. v. Lübtow, Studi in memoria di Paolo Koschaker I I , 1954, 37 ff., L. Schnorr v. Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person, I, 1933, 338 ff., 340 ff. 2 Aus der Literatur: s. vor allem die österreichische Monographie von R. Ostheim, Zur Rechtsfähigkeit von Verbänden, 1967, dann Brecher, Subjekt und Verband, Festschrift für A. Hueck, 1959, 238 ff. und ds. in AcP 166, 365 ff., 1966. — „Verbund" ist einstweilen bloß kolloquial.
Die Verbandshandlung Ordnung — sondern lediglich rechtliche Verbände, bei denen also eine Rechtsfolge an die Tatsache einer Verbandsperson geknüpft wird, z. B. bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff., bei der Erbengemeinschaft, beim nichtrechtsfähigen Verein (§ 54). Ehe und Familie wurden i m alten Recht schon als rechtliche Verbände aufgefaßt, heute folgen aber die „Rechtswirkungen der Ehe" nicht aus einem rechtlichen Verbände der Ehe, sondern aus der rechtsgeschäftsartigen Eheschließung 1, oder aus der „sozialen" Bedeutung der Ehe. Das „ w e r " des § 823 bezieht sich also nur auf natürliche Personen, des „ w e r " i n § 831 auf alle Personen — daß das „wer" des § 831 auch für juristische Personen i n Anwendung kommt, muß i m Hinblick auf die juristischen Personen, und darüber hinaus auf alle Verbände, betont werden — es gibt auch andere Ansichten, aber die Rechtsprechung, die i n vielen Fällen die Haftung einer juristischen Person nach § 831 annimmt, schlägt sie. — Die „juristische Person" stellt einen engeren Kreisring i m Kreise der Verbände dar — nicht alle Verbände sind juristische Personen, aber jede juristische Person ist ein Verband. Es gibt auch Moden der W i l lensbetätigung von rechtlichen Verbänden: „Verschiedene Formen der inneren Willensbildung und der Willensbetätigung nach außen h i n stehen auch i n Rechtsverbänden zur Verfügung, mögen sie nun M i t glieder-, Gesellschafter-, Generalversammlungen, Vorstand oder Geschäftsführer heißen 1 ." Man muß auch daran denken, daß der rechtliche Verband, wenn auch durch eine natürliche Person, auf sich Schuldnerobliegenheiten laden kann — eine A G w i r d aufgrund ihres von ihrem Prokuristen abgeschlossenen Schuldgeschäfts verpflichtet, sie haftet auch direkt nach § 278 — „societas transagere potest". Die rechtsgeschäftliche Haftung der juristischen Person oder des rechtlichen Verbandes überhaupt beiseite gelassen, müßte man aber auch beim transagere eines Geschäftsbesorgers über die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation konstruieren . . . Bei dem „transagere" der societas darf man auch auf die sog. „Organisationspflicht" zurückkommen, welche vor allem i m Wirtschaftsrecht und i m öffentlichen Recht für die societas der juristischen Personen entwickelt worden ist. „Organisationspflicht" bedeutet, nichtbildhaft gesprochen, eine obligatorische GeschäftsbesorgerBestellung, zu der dann also die societas ex iure (ex lege) verpflichtet wird. Beim transagere einer juristischen Person ist diese sog. Organisationspflicht logisch-immanenter A r t und w i r d überall als selbstverständlich unterstellt: die juristische Person kann eben nur „transagieren", indem sie z. B. durch die natürlichen Personen von zwei Proku1
H. E. Rotberg, Für Strafe gegen Verbände, in der Festschrift für den Deutschen Juristentag, „100 Jahre deutsches Rechtsleben", 1960, 203.
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Die Verbandshandlung
risten transagiert und direkt durch sie als Vertreter nach § 164 gebunden w i r d — Gierke nennt das i n seiner Bildersprache: die „artifizielle Legalperson entsteht auf der Grundlage des Willens der natürlichen Personen" 1 . I n bezug auf den engeren Kreis der juristischen Person, geltend danach für alle rechtlichen Verbände, sind auch gewisse Persöiilichkeitsrechte zugesprochen worden (wenngleich sich hier die Hechtsfähigkeit i m wesentlichen auf den Vermögensverkehr beschränkt). Keinesfalls ist die juristische Person (und danach der rechtliche Verband) zur Innehabung familienrechtlicher Befugnisse befähigt, zu der auch infolge der tatsächlichen sozialen Strukturen die natürlichen Voraussetzungen fehlen würden. Dagegen w i r d man den juristischen Personen (und dann den rechtlichen Verbänden) entsprechend ihrer tatsächlichen sozialen Struktur auch gewisse Persönlichkeitsrechte, wie Namen- und Firmenrecht und das Recht auf Ehrenschutz zubilligen müssen. Subjektive Rechte, für deren Ausübung die individuelle Persönlichkeit eines Menschen von wesentlicher Bedeutung ist, können von einem rechtlichen Verbände infolgedessen nicht erworben werden: er kann also nicht zum Aufsichtsrat oder Prokuristen bestellt werden, wohl aber zum Vermögensverwalter, zum Liquidator und zum Wirtschaftsprüfer (Treuhand-AG). Der rechtliche Verband ist nicht fähig, beerbt zu werden — § 1922 setzt den „Tod einer natürlichen Person" voraus — wohl aber ist er i n den Schranken des A r t . 86 EG BGB erbfähig. Strafrechtlich ist der rechtliche Verband, und insbesondere die juristische Person, für die strafbaren Handlungen der Angestellten wiederum mangels natürlicher Handlungsfähigkeit nicht verantwortlich. Doch gibt es einige Ausnahmen. Nach § 393 RAG kann wegen eines i m Betriebe einer juristischen Person begangenen Steuervergehens die Geldstrafe gegen die juristische Person selber erkannt werden, wenn das Gesetz die Strafe für v e r w i r k t erklärt, ohne daß das Verschulden einer natürlichen Person festgestellt zu werden braucht. Bei Preisverstößen kann gegen eine Handelsgesellschaft eine Geldbuße festgesetzt werden, außerdem gibt es verschiedene Arten von sonstigen Verbandsstrafen oder Verbandsbußen (für Ordnungswidrigkeiten), selbst Doppelbestrafungen, wobei dann zusätzlich und neben dem Verband dessen natürlicher Geschäftsbesorger bestraft wird, der k r i m i n e l l wurde 1 .
1 Hierzu Rotberg, aaO, 197 f., 204, 209 ff., 215, H. Lehmann, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 1959, 22 (teilweise wörtlich), auch W. Rupp v. Brünneck, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, in der Festschrift für A. Arndt, Frankfurt/M., 1969, 349 ff.
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Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Deliktsklagen werden häufig gegen Verbände (z.B. Versicherungsgesellschaften) oder gegen Staaten (Amtshaftung) erhoben. — Verbände Die folgende Inventur der Verbände stammt von H. E. Rotberg 1 : „Es w i r d kaum bezweifelt, daß die Bedeutung der Verbände i n der modernen Massengesellschäft zivilisierter Staaten ein außergewöhnliches Ausmaß angenommen hat. W i r stehen vor einer Entwicklung, die über die Zeit der Schaffung der bisherigen Gesetzbücher m i t Riesenschritten hinausgegangen ist. Der einzelne Bürger ist nicht nur i m politischen Bereich i n die hergebrachten Gemeinschaftsordnungen wie Landesund Gemeindeverbände eingeordnet. Er hat auch, soweit er Einfluß auf die Willensbildung i m Staate oder sonstigen politischen Gemeinschaften ausüben w i l l , einen Teil seiner Befugnisse gleichsam abgespalten und auf Personenvereinigungen zur Wahrung seiner politischen Belange übertragen. Die Mitgliedschaft i n politischen Parteien, der Zusammenschluß Gleichgesinnter zur Unterhaltung und Ausrichtung von Tageszeitungen und politischen Zeitschriften, die M i t w i r k u n g von Sendergesellschaften für Hör- und Sehfunk m i t ihrer außerordentlichen Breitenwirkung sind einige Beispiele für den kollektiven Einsatz des Einzelnen i n Verbänden zur Gestaltung der politischen W i r k lichkeit. I m wirtschaftlichen und dem eng dazugehörigen beruflichen Bereich ist eine solche M i t w i r k u n g noch weitaus vielseitiger. Es gibt kaum ein handfestes Einzelinteresse auf diesen Gebieten, das ohne verbandsmäßige Zusammenfassung vieler verwandter Belange durchgesetzt werden könnte. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften aller Sparten und Richtungen sind geradezu als sogenannte »Sozialpartner 4 institutionalisiert, u m als verantwortliche Gruppenkollektive ganze Wirtschafts- und Arbeitsbereiche durch ihren Gesamtwillen zu gestalten. Ungezählte Berufsvereinigungen sämtlicher Betätigungszweige, wirtschaftliche Zusammenschlüsse zur Wahrung der Belange von Herstellern, Händlern, Verbrauchern, Steuerzahlern, Hausbesitzern, Mietern usw. bereichern das bunte Bild. Versicherungen öffentlicher und privater A r t für sämtliche Gefahren, die dem Einzelnen oder auch den Verbänden als solchen widerfahren könnten, haben die Form von Anstalten oder Personengesamtheiten angenommen. Wissenschaftliche, kulturelle, sportliche, unterhaltende Bemühungen führen zu vereinsoder gesellschaftsförmigen Zusammenschlüssen. Unübersehbar aber ist das Heer der Kapitalzusammenfassungen i n den Formen der juristi1
Festschrift zum 100jährigen Bestehen des deutschen Juristentages, 1963, 194 ff.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft sehen Personen oder der Gesellschaften des Handelsrechts, einschließlich der Genossenschaften, zum Betriebe von Unternehmungen, deren Aufgabenstellung, technische Ausstattung und Wirtschaftsweise heute i n fast allen entwickelten Industriestaaten die Leistungsfähigkeit Einzelner regelmäßig weit übersteigen. Dazu gehören nicht zuletzt die großen Geldinstitute, die ihrerseits Kapital aufnehmend und gewährend und als Vertreter verbriefter Beteiligungsrechte an Industrieverbänden eingreifen. A l l e wirklichen Kraftzentren, wie Jeschek die Verbände sehr treffend genannt hat, bedürfen zur nachhaltigen Entwicklung der i m Riesengetriebe der heutigen soziologischen Wirklichkeit erforderlichen Stoßkräfte einer organisatorischen Zusammenfassung vieler Einzelner. Handelnde Subjekte aller Formen der Sozial- und W i r t schaftsgemeinschaften der Völker sind infolgedessen fast überall dort, wo größere Werte und Interessen auf dem Spiele stehen, Verbände. W i r werden heute schon, wenn w i r es auch nicht immer unmittelbar vor Augen haben, i n allen wesentlichen Beziehungen unserer Lebensführung von ihnen beherrscht. Sie stehen überall i m Vordergrund. Sie sind die maßgebenden Akteure. Sie sind die wirklichen Inhaber der Machtstellungen, von deren gutem oder schlechtem Funktionieren unsere geistige und wirtschaftliche Betreuung und damit unser allgemeines Wohlbefinden entscheidend abhängt. Welche Macht Verbände i m politischen Bereich — zum Teil auch durchaus abseits des Rechts — auszuüben vermögen, hat Eschenburg i n einer A r t Chronique scandaleuse anschaulich und eindrucksvoll dargestellt. Herbert Krüger hat das B i l d durch eine nachdenkenswerte Untersuchung der Stellung der ,Interessenverbände 4 i n der Verfassungswirklichkeit 4 m i t der Tendenz ergänzt, den Nachweis dafür zu führen, daß die M i t w i r k u n g gerade auch der Interessenverbände zur Betreuung und Ordnung des Gemeinschaftslebens sowohl vom Staat wie auch vom Bürger her gesehen erforderlich sei und deshalb — ähnlich wie etwa die Stellung der politischen Parteien — sogar verfassungsrechtlich gewährleistet werden solle.44 — Die psychologische Inventur der Verbände kann nicht so klar verlaufen, wie Rotberg schreibt. Insbesondere ist hierbei die oben erwähnte „Intentionalität 4 4 der Interessenverbandsleiter und jeweiligen Verbandsschranzen und -funktionäre i n den Blick zu bringen — der Funktionär „bekleidet einen Domestiken- und Schreibertypus, der den Unabhängigen vernichtet 4 4 1 (deshalb arbeiten die Staaten lieber m i t „Beamten 44 [im amerikanischen „official 44 kommt das Beamtenhafte mehr zum Ausdruck als das Funktionärhafte, allerdings auch dieses]).
1
M. Freund, Georges Sorel, 2. Aufl., 1972, 364.
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„ W i r haben zu lange inmitten der allgemeinen Erlebnisse gelebt* so daß das Unerhörte und Unheimliche der Verbandsinstitutionen uns wenig ins Bewußtsein t r i t t (namentlich auch der versteckten, der Brüderschaften, der Logen, der Clubs, der Hetärien) 1 ." Interessen verbände sind „Pressionsgruppen", welche öffentlichen Einfluß „durch andere M i t t e l als ausschließlich das Vorbringen von Argumenten" zu erlangen versuchen, zu welchen M i t t e l n der aktuelle Zwang i m allgemeinen freilich noch nicht gehört 2 . I n der Herrschaft der Verbände taucht dann häufig die Gruppen-Tyrannis auf. Kontrollen, vor allem auch die staatliche Rechtskontrolle jeder A r t , werden vielfach abzuwerten versucht. Ihrer Vorstellung vom formalen Rechtsstaate entsprechend besteht die Gesellschaft auch i n ihren Verbänden i m allgemeinen auf strikter Legalität (die bekanntlich oft nicht zum richtigen Recht führt, man stelle sich die berüchtigten „Legalitätsstreiks" vor Augen!). Wie es nach der amerikanischen Formulierung das sub-rosa-Recht gibt (z. B. die privat manipulierte KonventionalEhescheidung), so gibt es hier auch ein sub-rosa-Unrecht, Straftaten, die i m täglichen Leben der Verbände so zahlreich erfolgen, daß ihre Verfolgung schon aus Gründen der Quantität unterbleibt, so daß sie „obsolet" werden — Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Erpressung. Das sub-rosa-Unrecht w i r d vielfach von den Verbänden der Gesellschaft auch bewußt eingesetzt, womit diese manchmal i n gefährliche Nähe zum soziologischen „gang" rücken: der gang ist primär nur als Leitgremium einer Interessengruppe zu erklären, der gang „gängelt" 3 , dann taucht auch der aktuelle Zwang auf — „ista quidem vis est"! Gang-Prinzipien werden zu Interessenverbands-Prinzipien überhaupt, das ursprünglich zum Gang-Bereich gehörige „closed-shop-Prinzip" w i r d sogar zum offiziellen Instrument erhoben: Unter closed shop versteht man speziell eine Vereinbarung zwischen U n ternehmern und Gewerkschaften, nach der nur gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer in dem entsprechenden Wirtschaftsbereich oder Betrieb beschäftigt werden dürfen, und eine solche Vereinbarung darf nicht verboten werden 4 . Allgemein gesehen bringt das closed-shop-Prinzip aber den gut gesellschaftlichen Gedanken zum Ausdruck, daß die Gruppe unter allen Umständen „integriert" werden muß, auf deutsch: Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein (das bestkontrollierbare Beispiel im Großen bietet die ehemalige deutsche NSDAP, welche die 1
Freund, 127 f. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, 381 A. 5. a Thrasher, The Gang, 1927. 4 Art. 14 b des Taft-Hartley-Gesetzes ermächtigte die nordamerikanischen Bundesstaaten, closed shops mit eigenen Gesetzen zu verbieten. Dieser Artikel ist vom Repräsentantenhaus in Washington im Juli 1965 aufgehoben worden, die in 19 Bundesstaaten auf Grund des Artikels erlassenen Gesetze wurden für nichtig erklärt. 2
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Deutschen ihrer Zeit in Scharen in die Partei trieb, nachdem der individuelle Parteibeitritt seit dem 1. M a i 1937 zur großen Erleichterung vieler Deutscher ausgeschlossen war, einfach durch Anmeldung zur Partei seitens von Verbänden oder Behörden, welcher sich der einzelne nicht widersetzen durfte, wenn er nicht in Kauf nehmen wollte, von nun an als „Staatsfeind" behandelt zu werden!). I n der heutigen Politik zeigt sich das closed-shopPrinzip z. B. auch darin, daß jederlei Sezession aus einem Verbände bekanntlich Todsünde ist (der nordamerikanische Bürgerkrieg, Biafra!).
Auch sonst machen sich bei den Verbänden inhumane Spekulationen bemerkbar, die auf die menschliche Indolenz, auch die auf den Herzinfarkt, mancher gute Mann nimmt (im amerikanischen Slang gesprochen) „gang-protection", damit er nicht „sozial liquidiert" werde 1 . — Kompensierend sorgt dafür der Verband für seine Mitglieder, immer freilich apathetisch, aber gewöhnlich auch unter Verzicht auf Gewalt, zumindest auf aktuellen Zwang. — Die Verbandsleitung bestimmt sich ab ovo nach der Masse-Führer-Relation 2 , gleichgültig, wer dieser „Führer" ist — den Teufel merkt das Völkchen nie, und wenn er sie am Kragen hätte . . . und wenn das Führer-Bedürfnis auch aus dem innigen Wunsche nach der „Erlösung vom Steuer" durch eben diesen „Führer" kommt, so ist es zeitbedingt und gleichgültig (also gleich gültig), ob die schreienden Massen i n Abreaktion ihrer Emotionen „ H e i l H i t l e r " oder „Ho Tschi M i n h " brüllen . . . Mag man Napoleon noch als militärischen Massenführer einordnen, so bleibt Hitler der gesellschaftliche Massenführer der Moderne. Man darf dabei nicht vergessen, daß i n diesen Dingen häufig pekuniär vorgegangen w i r d — Mary Baker Eddy, auch sie eine moderne gesellschaftliche Massenführerin, obwohl beschränkt auf den Bereich der Christian Science, arbeitete hier speziell m i t der ewig weiblichen pekuniären Kalkulation, und der über die Gesellschaft geführte freie Zugriff auf die Staatskasse bleibt nicht auf Südamerika beschränkt. — Individuum
und Gruppe
Die Theorie von den Verbänden gehört zunächst i n die Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gruppe. Alles Leben, auch das des Menschen, ist, wie oben schon erwähnt, an einzelne Individuen gebunden, die biologisch abgrenzbare Gebilde darstellen. Logisch ergibt sich die Figur des Individuums deduktiv aus der Vorstellung einer zusammengesetzten Summen- oder Inbegriffsrealität 1 Die soziale Liquidation ist zuerst belegbar in Nordamerika erprobt worden, hier vor allem zum Heile der Demokratie, vgl. hierzu A. de Tocquville, Über die Demokratie in Amerika, Fischer-Bücherei, 1956, 95 bis 97, dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 120, Anm. 358. * Darüber Reiwald, Vom Geist der Massen, 3. Aufl., 1948, 365 ff.
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(juristisch z.B. einer bürgerlich-rechtlichen Gesamtsache), die sich i n dem Augenblick zur Beobachtung stellt, wo man der Natur der Sache nach eine Realität eben als aus Bestandteilen bestehend auffassen kann oder muß: was dann hic et nunc unter keinen Umständen als nur aus Bestandteilen bestehend aufgefaßt werden kann — das ist ein I n d i v i duum. I n der anthropologischen Geisteswissenschaft stellt sich das I n d i v i duum als eine menschliche Konstante und Invarianz dar. Logische I n varianz und geschichtliche Variabilität schließen sich dabei nicht aus. Bei allen seinen Gefahren (abgleitende W i l l k ü r und Selbstvergottung, z. B. bei Nietzsche) ist also der Individualismus legitimiert. Dennoch zeigt sich bei näherer Zusieht, daß auch der Begriff des Individuums n u r polar zu dem der Gruppe eingesetzt w i r d — so wie sich das bei den Zusammenhängen von Subjekt und Objekt oder denen von Geist und Natur zeigt. Das ließe sich möglicherweise schon „kosmologisch" begründen, wonach sich i m Zusammenhange m i t der Entstehung der Welt und ihres Lebens eine kleine Zahl sehr komplexer Verbindungen allmählich aus der Knechtschaft sehr großer Zahlen sehr einfacher materieller Stoffe befreite und damit, am Ende m i t der Waffe des subjektiven Bewußtseins, den Kampf zwischen organisierter Menge und geeinter Masse aufnahm, biologisch an der Herausentwicklung der Individuation aus der Symbiose. Der Siegeszug der Individuation (bei voller Beglaubigung der Symbiose) kann dabei auch juristisch verfolgt werden: am historischen Anfange der Rechtsgeschäftsdogmatik scheint i n der Tat das vertragliche pactum zu stehen, die Schuldrechtsgeschichte verharrt jedoch (wie sich besonders i n der skandinavischen LoefteTheorie und i m anglo-amerikanischen Kontraktsrecht zeigt 1 ) beim Vort r i t t des einseitigen Versprechens gegenüber dem vertraglichen, was schließlich bis i n die technische Lesung z. B. eines Kaufvertrages hineinreicht — Ansprüche aufgrund eines Kaufvertrages sind nach dem j u r i stischen Spezialitätsgrundsatz i m richtigen „horror fusionis" zunächst i n der Spezialität des Käufer- und des Verkäuferversprechens zu fundieren, nicht aber i n der Generalität des Kaufvertrages. Davon abgesehen, bleibt es bei der Polarität „Individuum — Gruppe" „Jeder Einzelmensch weiß u m sich selber, hat ein unmittelbar erlebtes Ich; daneben jedoch weiß er, wie er anderen erscheint, mindestens glaubt er, diese Spiegelung i m Nebenmenschen zu kennen. Sein Leib ist die ursprünglichste Schicht, i n der eine Beziehung zwischen Ich und D u sich bildet; auf einer höheren Ebene liegt die soziale Erscheinung als Spiegelung der wirklichen oder vermeintlichen Stellung innerhalb 1
181.
W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 171 ff., besonders
17 W . G . B e c k e r
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft des Aufbaus der Gesellschaften" (Ichheiser / M. Dessoir). Juristisch bedeutet das: es gibt ein Individualrecht, und es gibt ein Sozialrecht 1 . Weiterhin: es besteht die beständige Verschränkung von Individualund Sozialsphäre, die am besten dialektisch zur Klärung gebracht werden kann — das Individuum ist spezieller Kreisring i m generellen Kreise der Gruppe, nach dem logischen Gesetze „specialis derogat generali" kann der Kreis der Gruppe aus der Vision heraustreten und nur der Kreisring des Individuums übrigbleiben, aber nur so, daß, wenn die Sach- und Erkenntnislage es erfordert, jederzeit auch der Kreis der Gruppe „hinter" oder „über" dem Kreisringe der Individualität wieder auftauchen kann (wie der generelle bürgerlich-rechtliche Kauf hinter dem speziellen Handelskauf). — Wort, Begriff und Idee des Sozialen ergeben sich aus der Erfahrung, daß das menschliche Individuum, o avfrQcojtog, zwar, da es nur von seinem Grenzwerte, dem Tode her, also nach rückwärts h i n definiert werden kann, als primär isoliert, einsam und lediglich „kosmisch" zu kennzeichnen ist, daß es aber ständig i n übergreifenden mitmenschlichen Zusammenhängen lebt, damit sowohl i n einer Intim-Sphäre als auch i n einer Sozial-Sphäre (das menschliche Individuum ist juristisch die Person, i n der ersten Sparte die der § § 1 - 1 2 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, i n der zweiten Sparte die des Menschen und der Persönlichkeit nach A r t . 1, 2 und 3 des Deutschen Grundgesetzes). Diese dialektische Verschränkung einer individuellen I n t i m - und einer individuellen Sozial-Sphäre w i r d gern überspielt. Einmal dahin, daß die kosmische Vereinzelung des Individuums monopolisiert wird, so vor allem i n den anarchistischen Systemen, etwa nach Thomas Münzer, Proudhon, Stirner, Bakunin, Krapotkin. Doch ist die anarchistische Stellung anthropologisch schwer zu halten und w i r d offensichtlich immer nur kasuell, nicht typischerweise eingenommen. So ist z.B. die Vorstellung einer staatsfremden Sphäre des Individuums i m England des 17. Jahrhunderts nur kasuell aus der Thronbesteigung der volks- und landesfremden Dynastie der Stuarts zu erklären (G. Jellinek). Weit überwiegend kommt daher die genau entgegengesetzte Stellungnahme vor: der Vorrang der Sozietät, des Kollektivs, der Gesellschaft, der Gemeinschaft oder der Community, i m modernen Europa vor allem bei Fichte, Hegel und Marx, dann i m Geltungsbereiche des dialektischen Materialismus — obwohl gerade hier ein nur dialogisches aut-aut-Denken (wie es i m allgemeinen der Vorstellung vom Vorrange der Sozietät zugrunde liegt) verpönt sein sollte, zumal es der marxisti1 Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, 1. Band, Allgemeiner Teil und Personenrecht, Leipzig 1895, 26 ff.
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sehen Lehre vom sozialen Überbau diametral widerspricht. Die aristotelische Urthese vom Primat der „Ganzheit", die mehr sei als die Summe ihrer Teile, erscheint neu i n der Theorie der „schöpferischen Synthese", oder i n der Morphologie, der Lehre von der „Gestalt", die sich nicht substantiell aus einer Summe von Bestandsstücken zusammensetze, deren Teile vielmehr funktionell nur als Teile eines Ganzen erfaßt werden könnten, so wie sich z. B. eine Melodie nicht aus einer Folge von Tönen zusammensetzt, sondern sich umgekehrt der Ton nur von seiner Funktion i m Ganzen der Melodie her bestimme (Ehrenfels / Max Wertheimer). Auch massivere Bilder werden dabei zur Verdeutlichung herangezogen: eine bestimmte Gruppierung von Einzelteilen r u f t oft eine viel größere Wirkung hervor als deren Summe an sich haben könne, die ungeheure K r a f t der Schießbaumwolle gehe daher (nach dem alten Beispiel Wilhelm Wundts) unendlich über die gesammelten Kräfte aller ihrer Bestandteile hinaus. Der Rationalismus aller Zeiten hat sich i m Widerspruch zum Ganzheitsprimat vor allem gegen das ebenfalls viel gebrauchte aristotelische Beispiel gewandt, daß die menschlichen Körperteile, Hand oder Fuß, i n logischer Abhängigkeit vom ganzen Leibe ständen und zu existieren aufhörten, wenn der Leib dahin sei. So wenig jemand daran zweifeln könne, daß, wenn ein Mensch stirbt, auch jedes seiner Glieder tot sei, so zweifelhaft bleibe, ob dort, wo etwa eine „Gemeinschaft" stirbt, zugleich die ihr angehörigen Glieder i n irgendeiner Weise inexistent würden, sei es auch nur seelisch oder geistig inexistent. Das Körperglied könne ohne das Körperganze nicht leben. Der einzelne Mensch i n der Trennung von der Gemeinschaft schwer, aber er könne es. V o r allem aber: Sinn des Körpergliedes sei es, Werkzeug des Körperganzen zu sein, jedoch umgekehrt, Sinn jeder kollektiven Organisation, dem einzelnen Menschen zu dienen, und wenn auch nur durch die geistige Leitidee der Formation. Das Körperglied für sich sei ohne Sinn, der einzelne Mensch trage dagegen als nicht weiter teilbarer, eben i n d i v i dueller Organismus seinen Sinn i n sich. Wer das bezweifelte oder bestritte, würde anerkennen müssen, daß m i t der Verneinung des individuellen Sinnes auch der Sinn jeder kollektiven Organisation, j a der des Phänomens „Leben" zu verneinen wäre (K. Hiller). Biologisch mutet die Ganzheitsthese wie ein Auffangen von liegengebliebenen Symbiosen an, die es biologisch-physiologisch beim Menschen nun einmal bestimmt nicht gibt, psychologisch höchstens i n „archetypischen" Rudimenten, denen aber immer noch der allgemeine entwicklungsgeschichtliche Trend von der Symbiose zur Individuation entgegengehalten werden kann. Die theoretische Widerlegung der Ganzheitsthese muß juristisch bei der Proklamierung der „Rechtsgemeinschaft" zum „Ausgangspunkte" 17*
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft des Rechts einsetzen, welche m i t starken Konsequenzen aufwartet: das juristische Wissen sei lediglich ein kollektives Wissen, es könne also i m Bereiche des Rechts keine logischen Urteile individueller Menschen geben (Jerusalem, 1946). Kant, der den Gedanken von der menschlichen Willensautonomie i n die Debatte gebracht und damit die Stellung des Individuums logisch u m ein erhebliches gehoben hatte, habe sich (so formulierte es O. Spann wieder i m Jahre 1950) eben geirrt — das Ich werde nur i n Gemeinschaft, die geistig freie Tat des Einzelnen gehe i n Wahrheit durch die objektive geistige Ordnung der Gemeinschaft hindurch, die Autonomie des Menschen werde also derogiert durch die übersubjektiven Wesenserfordernisse der Gemeinschaftsordnungen — alles zutreffend, wenn damit lediglich gesagt sein soll, daß die freie Handlung des einzelnen Menschen u. a. m i t durch die Objektivationen, die „ewigen Objekte", motiviert wird, i n deren Kreis er sein Leben führt — alles aber falsch, wenn die Gemeinschafts-Postulierungen, wie es üblich ist, staatspropagandistisch verwandt werden und wenn es dann i n Wiederaufnahme Hegels i m Jahre 1944 i n Deutschland hieß, daß der Staat nicht u m der Bürger w i l l e n da sei, sondern daß es umgekehrt stünde. Das Zauberwort „ k o l l e k t i v " gilt erkenntnistheoretisch lediglich für die Bezeichnung der Tatsache, daß es einen den Menschen gemeinsamen Bewußtseinsraum gibt, wonach dann folgerichtig von „sich deckenden Gegenstandswelten" der verschiedenen Menschen gesprochen und daraus hergeleitet werden kann, „daß das allen Menschen auf diese Weise Gemeinsame die Realität darstellt" 1 . Dann werden die Zeichen „kollekt i v " , „ K o l l e k t i v " und „Kollektivismus" gern verwendet, u m menschliche Arbeit und menschliches Denken i n der Gruppe darzutun, im (westlichen) „team" oder i n der (östlichen) Arbeits-„Brigade", immer davon ausgehend, besonders i m Worte „Kollektivismus", daß hier nur die soziale Seite der menschlichen Psyche von Bedeutung bleibt, nicht die individuelle (so z.B. auch i m „Sozialismus" und i m „Kommunismus"). Speziell juristisch ist das normative Urteil, die Rechtsnorm, bestimmt insofern „kollektiv", als zur Gültigkeitsprätention der Norm auch eine Geltungs-Prätention auf Reproduktion gehört, diejenige „ d r i t t e Prätention", welche das normative Urteil der Rechtsnorm erst m i t „Virulenz" auflädt, so daß von der Geltung einer Norm i n der Tat erst dann zu sprechen ist, wenn die notwendigerweise „ k o l l e k t i v " stattfindende Reproduktion erfolgt ist (was seinerseits nur faktisch-soziologisch festgestellt werden kann) 2 . Diese Anpassung der Normalanalytik an die Kollektivitätsterminologie muß jedoch sofort durch die Überlegung modifiziert werden, daß eine Qualifizierung der Norm durch 1 2
P. Jordan, Verdrängung und Komplementarität, Hamburg 1947, 73. Vgl. dazu W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 222 ff., bes. 243.
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das A d j e k t i v u m „ k o l l e k t i v " ihrerseits nun wieder unvollständig ist, w e i l die Norm, auf daß ihre „kollektive" Reproduktion erfolge, zunächst einmal durchaus nicht kollektiv, sondern ganz individuell vom Normautor (mag er auch kollegial oder anonym auftreten) i n die Welt gesetzt worden ist. Das Spannungsverhältnis zwischen der „ k o l l e k t i v " aufgefaßten Norm und dem individuellen Normautor löst sich indessen vollkommen einsichtig durch eine strenge Unterscheidung der ideellen und der materiellen bedürftig ist. Es gibt danach einmal eine absolute InkommensuRegreß, nach dem jede ideelle Realität der Fundierung i n einer materiellen bedürftig ist. Es gibt danach einmal eine absolute Inkomensurabilität zwischen Idee und Materie, zum anderen Male aber eine relative Inkommensurabilität zwischen Ideen, deren Abstand zur Materie i m Zuge des Husserrschen Regresses geringer zu sein scheint — und solchen, die i n weiterem Abstand zur Materie stehen. Sicherlich ist die „ k o l l e k t i v " aufgefaßte Norm fest als Idee zu charakterisieren, und sicherlich gilt auch für die „individuell", nämlich als Emanation eines individuellen Normautors aufgefaßte Norm, daß sie sich zunächst, wie die Person, die Persönlichkeit, selbst „der Mensch", uns als Idee zeigt. Die Idee der individuell aufgefaßten Norm steht aber ebenso sicherlich „dem Material" eines menschlichen Autors, also menschlicher Materie, also überhaupt der Materie, sehr viel näher als die „kollektive" Norm, so daß sich i n bezug auf die zum kollektiven Vorrang proklamierte Gegenüberstellung von kollektiver Norm einerseits, Individuum andererseits — und dann aber i n bezug auf die zum Gruppenprimat vorgeführte Gegenüberstellung von Gruppe und Individuum überhaupt m i t Sicherheit feststellen läßt, daß es sich hier um eine relative Inkomensurabilität handelt, d. h. aber u m eine „Sinnrelation m i t unverträglichen Bestandteilen" 1 . Die ideelle Bedeutungsgegenständlichkeit „Gruppe" ist zudem i n ihrer notwendigen Abhängigkeit von irgendeiner materiellen Realität ausgerechnet i m menschlichen Individuum fundiert und damit zu dessen Bejahung gehalten, die sie behauptungsmäßig so oft bezweifelt und negiert. Die ideelle Realität „Gruppe" kann nicht vorgestellt werden, ohne daß man sich ein individuelles menschliches Denken als M i t t e l ihrer Entstehung vergegenwärtigt, die „Gruppe" bleibt also selbst i n ihrem Status als Objektivation ein menschlicher Gedanke, dessen conditio sine qua non die letztens materielle Realität des denkenden Individuums ist, so daß ein solcher bloßer Gedanke dem Menschen als konkretem Ding ebenso wenig vergleichend zur Seite gestellt werden darf, wie dem durch die Welt wandernden menschlichen Individuum ein Dividuum als konstruktiver Weggefährte hinzu1 Tammelo, Untersuchungen zum Wesen der Rechtsnorm, Heidelberg 1947, 33 (im Anschluß an Felix Kaufmann).
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft zugesellen wäre. Die Zurückstellung des Individuums hinter der Gruppe, oder auch nur die vergleichende Konfrontierung des Individuums m i t einem Gegensatzpartner Gruppe, stellt also die Rechnung des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Subjekts dar (Schopenhauer), die Rechnung ohne den Wirt. Sie muß auch als unecht, d. h. also, vom A u t o r der These aus gesehen, als erlebnismäßig illoyal bezeichnet werden. Jeder Mensch behauptet erlebnismäßig seinen eigenen Wert, auch gegenüber Kollektiven 1 . Das individuelle Leben einschließlich des i n der Sprache zum Ausdruck gelangenden Lebens ist wiederum die conditio sine qua non aller Urteile (und sonstigen Behauptungen). Wer an der Positivität des individuellen Lebens zweifelt, zweifelt damit auch am Werte seines Zweifels 2 . Diese Auch-Positivität des individuellen Lebens ist es, welche den Individualismus aller Sparten bestimmt, von der Verwerfung der Sippenhaft i n 5 Mose, 24, 16 über die christliche und endlich die kantische Persönlichkeitsautonomie bis zu den „anthropologischen Wendungen" der Geschichte: die Geburt des Gewissens i m Ägypten der ersten und zweiten Union, die anthropomorphe Göttergeschichte und der Bios Theoretikos der Griechen, die protagoräische Wendung, der humanistische Individualismus der Renaissance, der Rückruf der cartesianischen ratio zur anthropologischen inneren Erfahrung bei Kant, Kants „kopernikanische Wendung", die anthropologische Optik als das ernsthafteste Anliegen der modernen Philosophie und der Durchbruch des modernen Menschenbildes, wie er i n den 20er Jahren dieses Jahrhunderts i m Expressionismus, i n der Existenzphilosophie, i n der empirischen Realontologie, i n der dialektischen Theologie (auch übrigens i m Faschismus) erfolgte. Die wirkliche Formel für die Relation „Individuum und Gruppe" heißt daher, daß dieses Verhältnis nicht dialogischer aut-aut-Natur ist — hie Individuum, hie Gruppe (womöglich noch m i t der rein optisch begründeten Urhorden-Parole „der Einzelne ist nichts, die Gemeinschaft ist alles" ...), — sondern dialektischer et-et-Natur: die (ideelle) Realität der Gruppe ist fundierbar nur von der (ideellen und materiellen) Realität des Individuums her, steht also i n dialektischer Teilhabe zum Individuum, derart, daß das Individuum sehr wohl, etwa als Robinson, ohne Gruppe gedacht werden kann, die Gruppe aber nicht 1 Die gelegentlich zu beobachtende Subversion des Menschen von der Selbstachtung zur SelbstVerachtung (vgl. z.B. Arthur Köstlers kaum verhüllte Reportage in „Sonnenfinsternis", Stuttgart 1948!) stellt ein psychopathologisches Phänomen dar, bedeutet also keine Derogierung dieses Grundsatzes. 2 Augustinus, De Trinitate, 10. Buch (Lange, Geschichte des Materialismus, Reclam, Leipzig 1906, I, 331 A. 9): si quis dubitat, vivit. Si dubitat, meminet unde dubitat. Si dubitat, intellegit, se dubitare.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft
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ohne Individuum — derart also, daß das Individuum einen konzentrischen Kreis, die Gruppe darin aber einen bloßen konzentrischen Kreisring darstellt, wobei „der Kreis" des Individuums hinter dem „Kreisring" der Gruppe verschwinden und als Generalität von der Spezialität derogiert werden mag (so wie man häufig m i t der Spezialität des Handelskaufes auskommt, ohne auf die Generalität des bürgerlich-rechtlichen Kaufes zurückfallen zu müssen!), bei runder und umfassender Betrachtung aber stets, sei es auch nur latent, als generelles Phänomen dem Spezialphänomen der Gruppe vorgeordnet ist (wie der Kauf schlechthin dem Handelskauf) — niemals freilich umgekehrt. Man kann noch einen Schritt i n der dialektischen Versöhnlichkeit weitergehen und die These vom sozialen Ganzheitsprimat einerseits, vom individuellen Teilprimat andererseits als Exemplare von Denkstilen auffassen: „zwei große wissenschaftliche Denkstile, das atomistische und das morphologische Denken, haben sich i m Laufe der Zeit jeweilig abgelöst" (M. Landmann) — das Verfahren der induktiven Logik rechnet z.B. zum atomistischen, das Verfahren der deduktiven Logik zum morphologischen Stil, der nominalistische Standpunkt i m scholastischen Universalienstreit war atomistisch, der universalistische morphologisch. Dabei gehört es zum nominalistisch-atomistischen „ u n aufhebbaren Wesen der Rechtsordnung, nur einzelne Bäume sehen zu wollen, aber nicht den Wald" (Radbruch), während andererseits die historisch-soziologischen Elemente des universalistisch-morphologischen Stils, und damit des Ganzheitsprimats, einsichtig sind, von der Proskynesis des Staubgeborenen vor dem Götterhimmel oder dem von Gottes Gnaden stammenden oder sonst charismatischen Gruppen-Repräsentanten hin bis zur modernen Staatswerbung. Auch das A t o m der physikalischen Atomtheorie, die physikalischen Elektronen, Neutronen, Protonen als unmittelbare Elementarbausteine der Welt, steht nicht für eine materielle Einzel-Realität, sondern nur für die Formulierung von Zusammenhängen, innerhalb derer sich die Atome nicht etwa durch innere Qualitäten, sondern nur nach Gestalt, Lage und Bewegung unterscheiden. Man könnte also die physikalische Atomtheorie als morphologisch ansprechen, wie auch die Pythagoräer i n bezug auf die sinngebende K r a f t mathematischer Strukturen über die Elemente hinweg auf deren Strukturen blickten. Aber das Totum w i r d nicht evolutionistisch und genetisch aufgefaßt, es besteht , aber es entsteht nicht aus seinen Elementen (M. Landmann), das Individuum ist „kein Erzeugnis der Gattung, sondern ein Erzeugnis von Individuen derselben Gattung" 1 . 1
Holder, Natürliche und Juristische Personen, Leipzig 1905, 4.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Über die hier vorgeführte analytische Betrachtung des Problems „Individuum und Gruppe" hinaus gibt es nur noch die ideologische Betrachtung des Gruppen-Charismas, der Faszination durch das Kollekt i v als tiefenpsychologischen Elementes i m Menschen, und endlich die faktisch-soziologische Betrachtung der Ur-Horde, d. h. des Phänomens, daß mehrere Menschen bei der Ausübung von Gewalt i n der Regel einem Einzelnen überlegen sind. Z u den Begriffen der Masse und der „Vermassung" i m soziologischen Sinne: sicherlich ist die massische Stellungnahme eines entsprechend angelegten Individuums eine andere als die schlechthin individuelle. Es entsteht aber auch beim Vorliegen vieler massischer Stellungnahmen niemals eine einzige und singulare massische Stellungnahme (und mit ihr die Masse), sondern es bleibt bei individuellen Stellungnahmen, die sich hic et nunc die Narrenkappe der massischen Stellungnahme auf den Bestand ihrer individuellen Stellungnahmen aufsetzen, dadurch diese individuellen Stellungnahmen weithin derogieren und Anlaß geben mögen, daß nunmehr auf die Vorhandenheit und Überlegenheit der massischen Stellungnahmen spekuliert werden darf: aber immer nur auf diese, nicht „auf eine Masse". „Bei der Untersuchung ihrer grundlegenden Charakterzüge sagten wir, daß die Masse beinahe ausschließlich vom Unterbewußtsein geleitet wird. Ihre Handlungen stehen viel öfter unter dem Einfluß des Rückenmarks, als unter dem des Gehirns" (Le Bon). Eine Formel des Massischen: das Bewußtsein der Gewöhnlichkeit, verbunden mit der Forderung der Gleichbewertung mit dem Ungewöhnlichen — eine pragmatische Definition der Massierung: die Herrschaft des Apparates, auf den die Verantwortung abgeschoben wird, das Untergehen des Einzelnen in der Organisation, das Prinzip der Zentralisierung, die Behandlung des Menschen als „Materials", die Anullierung der Person in ihrer Einmaligkeit und Unvertauschbarkeit und die Gleichschaltung der Willensrichtungen (Lersch). Über die zur Abstellung auf „die Masse" eingesetzte Klaviatur der niederen menschlich-gemeinsamen Triebe (gegenüber dem Differenziert-Persönlichen des Individuellen) und über die entsprechende „Organisation der Tiefe" gibt es viel deutsche Besinnlichkeit. „Das »Kollektiv-Charisma 4 erscheint dann auch hier in der »Erlösung vom Steuer 4 als der Morgengabe der Massendiktaturen." Doch gibt es „Masse" auch objektiv, ganz einsichtig z.B. in den BetonMietskasernen der Arbeitnehmer-Trabantenstädte, in der Massengesellschaft („in der die mächtigen Einzelnen und die mächtigen Institutionen eine mächtige Neigung entwickeln, sich zusammenzutun und die sonst anonyme Ziffer zu regieren"). Sicherlich verführt der Bevölkerungszuwachs in den Staaten zum Kollektiv- und Massen-Charisma oder überhaupt zur politischen Massierung und deren Gebrauch und Chancen: die Bürger der Hansestadt Hamburg und selbst die Einwohner von Preußen oder Bayern konnten sich regieren oder regieren lassen, die des deutschen Reiches bekanntlich nicht — die archaische Figur, die hier den Vorklang setzt, bleibt die griechische Polis, der „archimedische Punkt" der Begriffe „Staat" und „Politik", die Stadt muß nach Aristoteles „wohlüberschaubar" sein, alle Bürger sollten sich untereinander kennen, eine Polis von zehn Bürgern wäre
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ebenso undenkbar wie eine von hunderttausend, sei sie zu klein, so könne sie sich nicht behaupten, sei sie zu groß, so höre sie auf, eine Polis zu sein. — Juristisch taucht das Massenproblem bei der Struktur des Vertrages auf: das römische Recht und das deutsche gemeine Recht faßten den Vertrag als „Willensübereinstimmimg" auf, so auch das englische Recht, wenn es von einer „union of wills" spricht. Diese Auffassimg vom Vertrage bedeutet einen der „byzantinischen Quälgeister" und eine sakramentale Theologie der unio mystica, ein Hexen-Einmaleins nach dem Motto „aus zwei mach eins" (wie wir es allerdings auch, berechtigt, bei der Struktur der juristischen Person finden!, musikalisch gesprochen: eine romantisch-harmonische Musikalität) 1 . Die Konstruktion des Vertrages als einer Willensübereinstimmung scheitert schon rein numerisch daran, daß sich nicht ein „Wille" der Offerte mit einem „Willen" der Offertenannahme „vereinigen" läßt, sondern daß hier zumindest vier Willen zu betrachten sind, nämlich (bei einem obligatorischen Vertrage, etwa einem Kauf vertrage) je zwei Versprechenswillen und je zwei Offerten- und Annahmeverfügungen mit den entsprechenden „Willen" 2 . Bei der Vertragsstruktur wird heute dementsprechend das Konsensprinzip vertreten (im musikalischen Bild die lineare Vertragstheorie) — wie bei der nordischen Löfte-Theorie klappen die beiden Elemente, durch die ein Versprechen oder eine Verfügung per Vertrag wirksam wird — i m „quo modo" eines „quid"! — zusammen. — Die Künstler stehen der „Masse" — und den Vorstellungen davon — meistens ablehnend gegenüber — der Strom bedarf der Quelle, aber die Quelle nicht des Stroms — sagt der Bildhauer Gerhard Mareks, G. Benn meint allerdings — wie mancher andere — das „Menschheitskollektiv allein gewähre uns das bißchen individuelle Vermögen, etwas auszusagen und den Phänomenen des heutigen Typs Ausdruck zu verschaffen" — worauf aber Benn am Ende „der Gemeinschaft" gegenüber doch eine gewisse Reserve empfiehlt und an anderer Stelle die Auffassung des Menschen als eines puren zoon politikon durch Aristoteles eine Balkan-Idee nennt (historischgeographisch übrigens durchaus einleuchtend, wenn man sich der symbiotisch anmutenden mitmenschlichen Dichte im Anlage-Schema minoischer Sklavenstädte erinnert, Gurnia auf Kreta oder Kamyros auf Rhodos). Personenverbände und (Jur. Person, jur. Mehrzahl
Verbandspersonen und jur. Mehrheit)
I m a m e r i k a n i s c h e n Recht w u r d e i m v o r i g e n J a h r h u n d e r t d a r u m ges t r i t t e n , w e r i d e e l l e oder n i c h t - i d e e l l e ( n a t ü r l i c h e ) P e r s o n w a r , z. B . i n S a n t a C l a r a C o u n t y v . S o u t h e r n P a c i f i c R. R., 118 U . S. 394 (1886) f ü r d i e E q u a l - P r o t e c t i o n - C l a u s e des 14. A m e n d m e n t s , u n d i n M i n n e a p o l i s & St. L o u i s R. R. Co. v . B e c k w i t h , 129 U . S . 26 (1889) f ü r d i e d u e process-clause. Es k o m m t i n b e z u g a u f d i e „ P e r s o n " i m G r u n d e eben alles a u f d i e soziale Funktion an, d a z u n e u e r d i n g s z. B . F . R o t t e r , Z u r 1 2
Quelle und Literatur dazu im „Gegenopfer", 320 ff. und die Anm. „Gegenopfer", 322, A. 744.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Funktion der juristischen Person i n der Bundesrepublik und i n der DDR, Karlsruhe 1968 (C. F. Müller) und die Besprechung von Klemens Pleyer i n der Zeitschrift „Die Aktiengesellschaft", 1969 — hier auch ein Vorblick auf die §§ 31 und 831 i m Deliktsrecht. — Dies zuvor. I m übrigen kann die Dialektik von Individuum und Gruppe i n der Lehre von der juristischen Person zu glatten Lösungen gebracht werden. Leider muß hier den schon bestehenden Theorien von der juristischen Person, der Fiktionstheorie, der Lehre vom Zweckvermögen — aber die Mannesmann A G besteht doch auch aus Verwaltung! — der Amtstheorie, der Theorie von der Zweck-Personifikation und der Theorie von der realen Verbandsperson nach Gierke, welche weder im Punkte der Realität noch i m Punkte des Verbandes straff ist, eine neue zugestellt werden, eben die ontologische Theorie von der juristischen Person, welche von der „ontologischen Not der Zahl" (A. Seiffert) ausgeht. Wir stoßen hier auf den Widerspruch der Dogmatik, grundsätzlich nur Tradition des Tradierten, oft dogmatisierte Mystik, zur Theorie — die Gierke'sche Theorie des realen Verbandes ist dogmatisch, die Theorie der „ontologischen Not der Zahl" theoretisch. Die Theorie von der ontologischen Not der Zahl ist allein imstande, den Brückenschlag von der typischen Person in der Einzahl zu der Person in der Mehrzahl (z. B. die oben erwähnte Erbengemeinschaft) und zu der Person in der Mehrheit zu vollziehen, z.B. eine A G als Korporations-Menge oder eine städtische Armen-Stiftung als Anstalt-Masse — wobei freilich die „Mehrheit" der Menge/Masse dann wieder zur „Einzahl der Person", hier der juristischen, zurückgeführt wird — das ganze beinahe ein rechtstheoretisches Hexeneinmaleins „aus zwei mach eins", das aber allein in der Lage ist, die rechtliche Figur der juristischen Person zu erklären. — „Uberhaupt ist ja das Zwei-in-eins mittelalterlicher Denk- und Sprechweise nur dem merkwürdig, der die Zweiheit absolut nimmt. Jene aber fanden im Irdischen das Ewige: nicht, daß es darin unterginge, aber es gab ihm seinen Sinn. M i t jeder Konkretion des Abstrakten trat etwas Höheres ins Vergängliche ein — gewiß mit der Gefahr, darin unterzugehen. Und es gab auch das Gegenstück, die Erhöhung des Irdischen ins lichthaft Geistige" (W. von den Steinen, Der Kosmos des Mittelalters, 2. Aufl., 1967,123).
Der K e r n besteht darin, daß die „realontologische Not der Zahl" der juristischen Optik unterstellt, m i t anderen Worten, die multitudo graduell institutionalisiert und objektiviert, kurz: einformiert wird. Die so entstehende Verbands-Optik ist eine Abart der Status-Optik, notwendig, wenn Gruppen über die Sippe hinaus organisiert werden müssen — die Verbands-Optik trägt daher i n erster Linie immer denjenigen Aspekt, der das Wort „populus" zu dem Worte „publicus" hinüberleitet, also einen öffentlichen. Daraus folgt i m modernen Staatsrecht, daß die von i h m behandelten Verbände grundsätzlich öffentlichrechtliche Verbände sind, daß auch die Staatshaftung nur am öffentlichrechtlichen Verbände (nach A r t . 34 des GG fälschlich sogar nur an der öffentlich-rechtlichen Verbandsperson der Korporation) ausgerichtet w i r d und daß die Bekleidung bloßer privatrechtlicher Verbände, oder
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gar schlechthin natürlicher Personen, m i t Staatshoheit stets eine Anomalie bleibt. Das Individuum t r i t t juristisch ausgangsmäßig i m Singular (Einzahl) auf, danach i n der heute vernachlässigten Zweizahl des Dual ( a l t e r alter, der Partner i m Gegensatz zur Vertragspartei!), endlich i m Plural (Mehrzahl — nicht etwa i m arithmetischen Sinne der Majorität): die Testiergemeinschaft des simultanen Testaments oder zwei Autoren eines Gesamtaktes, z.B. einer Kündigung. Werden Mehrzahlen aus technisch-praktischen Organisationsgründen morphologisch betrachtet, „konkret" nicht von einem concrescere, sondern von einem concernere her, also i n zusammenziehender Optik, so nennt man sie Verbände, noch metajuristische (etwa die alten Speisegemeinschaften des griechischen und des westnordischen Rechts — w o h l auch die Gruppierungen, welche m i t dem aktuellen Wortzeichen „Verbund" angesprochen werden) 1 , schon juristische, z. B. (im modernen Recht) Ehe und Familie, schließlich die m i t spezifischen, an das Bestehen eines Verbandes geknüpften Rechtsfolgen ausgestatteten, (dann rechtlichen) Verbände 2. Rechtliche Verbände werden zunächst weiter schlechthin als Mehrzahlen aufgefaßt: die Personenverbände, i n substantieller Betrachtung einerseits societas, andererseits communio incidens, i n funktioneller Betrachtung „Mitberechtigungen" (einschließlich der Mitverpflichtungen), freihänderische oder schlichte, extensiv organisierte, oder gesamthänderische, fundierte, intensiv organisierte — beide Male i n organisatorischen Kombinationen der zur Verfügung stehenden „technical lines of demarcation", nämlich des Quoten-, des Solidar- und des Korrealprinzips (Beispiele geben die §§ 420, 421 und 432 BGB). Schlichte M i t berechtigte sind vor allem die Miteigentümer, aber auch der Musenkuß erzeugt eventuell die schlichte Mitberechtigung der Autoren-Gemeinschaft bürgerlichen Rechts. Fundierte Mitberechtigungen, wechselnd intensiver oder extensiver organisiert, liegen bei den Miterben, den Gesellschaftern, den mehrzähligen Gläubigern, den mehrzähligen 1 W. G. Becker, Piatons Gesetze und das griechische Familienrecht (München 1932, Beck), 164, modern z. B. der Verkehrsverband i. S. des § 27 der neuen deutschen Straßenverkehrsordnung. 2 I m alten Recht wurden Ehe und Familie schon als rechtliche Verbände aufgefaßt, man zitiert hierzu die „socia laborum" des Tacitus und noch für den Ausgang des 19. Jahrhunderts den Bopp-Orelli-Prozeß in Süddeutschland und in der Schweiz (Stammler, Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit, München 1932, Beck, Bd. 2, 163 ff.). Heute folgen dann technisch die „Rechtswirkungen der Ehe" nicht aus einem rechtlichen Verbände der Ehe, sondern aus der rechtsgeschäftsartigen Eheschließung. Ob die Konstruktion eines „natürlichen Persönlichkeitsrechts" auf Familiennamen nach § 1355 BGB durch den Bundesgerichtshof im Jahre 1956 von der Erinnerung an einen rechtlichen Verband der Familie getragen wurde oder nur von dem Bemühen um die Fundierung „legaler" juristischer Phänomene in „naturalen", bleibe dahingestellt (s. dazu W. G. Becker, Gegenopfer, aaO, 75).
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Schuldnern vor 1 . Unter dem Einsatz einer neuen, verschärften, weiterzusammenziehenden morphologischen Optik werden dann die mehrzähligenPersonenverbände zu mehrheitlichen (kollektiven) „Verbandspersonen" ummodelliert, den juristischen Personen. Während der Personenverband noch stark den (auch) materiellen Realitäten der i n i h m zusammengeschlossenen natürlichen Personen verhaftet bleibt, stellt die Verbandsperson eine rein ideelle Realität dar: man erinnere sich der langen geistigen Kämpfe u m die Herausarbeitung der Möglichkeit einer ideellen Realität, von der ägyptischen Phönix-Legende über das Zentralthema der abendländischen Geistesgeschichte, die Unterscheidung der Sache vom Gedanken, h i n bis zum scholastischen Universalienstreit — es ist möglich, daß der Universalienstreit insoweit, als er die gedankliche Zulässigkeit der universalistischen Ganzheit, d. h. also einer reinen Idee, herausarbeitete, m i t den Interessen der Kirche und der sich emanzipierenden mitteleuropäischen Städte zusammenhängt, welche u m diese Zeit (1200 p. Chr. n.) m i t den Versuchen begannen, sich die juristisch-technischen Vorteile der Umgestaltung der personenverbandlichen, bloß mehrzählig konstruierten Genossenschaft zur verbandspersonalen, mehrheitlich konstruierten juristischen Person zu sichern, z.B. die Vermögensfähigkeit der Klöster oder die Haftungsbeschränkung auf das städtische Vermögen. Wenn die Verbandsperson zunächst auch eine rein ideelle Realität darstellt, so bleibt sie insofern doch materiell verhaftet, als sie „ i n ihren Mitgliedern" das Vorhandensein von wirklichen Menschen voraussetzt und vielfach auch technisch auf diese bezug nimmt, z.B. bei der Fremdhaftung der Verbandsperson i m Geschäftsbesorgungszusammenhange (vgl. z. B. A r t . 34 GG). „Die artifizielle Legalperson entsteht auf der Grundlage des Willens der natürlichen Personen" 2 , i n Gierkes Bildersprache: „ W i r betrachten das soziale Ganze gleich dem Einzelorganismus als ein Lebendiges und ordnen die Gemeinwesen zusammen m i t den Einzelwesen dem Gattungsbegriff des Lebewesens unter" 3 . Die Verbindungslinie, welche i n dieser A r t von der ideellen Realität der Verbandsperson zu den am Ende materiellen Realitäten der M i t glieder läuft, ist theoretisch-philosophisch wieder die des Husserl'schen Regresses, nach dem jede Idee i n einer Materie fundiert ist — anders gesagt, nimmt die morphologische Konstruktion der Verbandsperson i n dieser Heranziehung ihrer „Mitglieder" „atomistische" Züge an. Das 1 Wenn das BGB in den §§ 420 ff. von der Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern spricht, zeigt sich, daß es mit seiner „Not der Zahl" nicht fertig geworden ist — vgl. im übrigen W. G. Becker, Rechtsgemeinschaft, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, Bd. 5 (Berlin 1936, Vahlen), 743 ff. 2 G. Husserl, Rechtssubjekt und Rechtsperson, Archiv für die zivilistische Praxis, 27, 129 - 133, 140. 3 O. v. Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände (1902), 16.
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zeigt sich dann auch bei der grundsätzlichen Dichotomie der mehrheitlichen Verbandsperson: Mehrheit ist einmal, noch personal, „polyphon" gesehen, Menge (volonté de tous) 1 , zum anderen Male, „harmonisch" betrachtet, transpersonale Masse (volonté générale) — die juristische Person dann also „mengenmäßige" personale Korporation (so die Großzahl der öffentlich-rechtlichen und der privatrechtlichen Verbandspersonen), oder aber massenmäßige, transpersonale Anstalt (z. B. die katholische Kirche nach ihrem Kirchenrecht). — A l l e Ziffern der juristischen Zahlenoptik kommen bei den staatsrelevanten (etatistischen) Konstruktionen der juristischen Verbandslehre zur Anwendung, der Singular beim Stammespatriarchen, beim römischen pater familias 2 , beim germanischen Muntinhaber, dann beim Despoten und bei dem i n Notstandszeiten eintretenden, oft allerdings perpetuierten Diktator bis hinauf zum absoluten Monarchen (l'état c'est moi) 3 — der Plural bei den m i t gegenseitigem „jus intercedendi" gemeinsam regierenden beiden römischen Konsuln und jedem anderen Duumvirat, den spartanischen Doppelkönigen, den byzantinischen Doppelkaisern (letztlich anscheinend sogar i n Sowjet-Rußland bei den Persönlichkeiten von Kossygin und Breschnew), der freihänderische Mehrzahls-Verband i n der urrechtlichen Brudergemeinschaft und i n den frühen Agrarkollektiven des Morgenlandes, der gesamthänderische Mehrzahls-Verband i n der römischen, der indogermanischen und der germanischen Genossenschaft: hier steht über enumerierten Gesamthänden wie den Gemeindeschaften, den Gan-Erbschaften, den Handelsgesellschaften, den Marktgenossenschaften, den Transportgenossenschaften, den Gilden, Hansen, Zünften oder Bauhütten die abstrakte Staatsgenossenschaft der freien Männer, entweder als Friedensgenossenschaft, die ihre Entscheidungen i n der Urform der „unmittelbaren Demokratie" durch einstimmige Akklamations-Beschlüsse faßt, oder als Kriegsgenossenschaft — grundsätzlich für den Ausnahmefall, i m Laufe der Geschichte perpetuiert — welche durch Entschlüsse des „Herzogs" geleitet wird. Die Bestrebungen zur konstruktiven Umbildung des Personenverbandes der gesamthänderischen Genossenschaft zur Verbandsperson folgten (wie schon i m Zusammenhange des Universalienstreites u m die Unterscheidung der ideellen und der materiellen Realitäten erwähnt) 1 Dazu Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre (Stuttgart 1964, Kohlhammer), 248. 2 U. v. Lübtow, Das römische Volk, Sein Staat und sein Recht, Frankfurt/ M., 1955, 38 (s. auch Index, 684). 3 s. dazu U. v. Lübtow, Der Staatsnotstand (Berlin 1965, Colloquium-Verlag), passim, „Das römische Volk", aaO, 354, 387.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft bei den mittelalterlichen europäischen Städten dem Bedürfnis zur Beschränkung der genossenschaftlichen Kollektivhaftung aller Stadtbürger auf das städtische, also auf ein Personenverbandsvermögen: die Kölner oder die Nürnberger Kaufleute litten und hafteten i n der Götz von Berlichingen-Fehde oder i n der Eberstein-Fehde sicherlich unbillig für die Schulden ihrer Städte und ebenso die Einwohner der i m 30-jährigen Kriege zerstörten Stadt Magdeburg. Auch die Kirche wollte (mit Hilfe des Dogmas vom Corpus Christi und seinen Gliedern) Verbandsperson werden, u. a. u m Vermögens- und Erbrechte der Mönche und Nonnen durch die Klöster geltend machen zu können. Für den Staat i m ganzen rief die i m 16. Jahrhundert durchgeführte Rationalisierung des Status-Begriffs nach festen Formen. Solche Gründe führten schließlich über die rudimentäre römische universitas (beim Totenteil und bei den sacra-Stiftungen unter dem Stimulans des Mißtrauens gegenüber den Erben — danach i n bezug auf die Gemeinden und die „res publica romana", schließlich bei der byzantinischen persona ficta) zur echten staatlichen Verbandsperson, sei es der der K o r poration, sei es (so bei der Kirche) der Anstalt — öffentlich-rechtliche Enumerationen gingen i n den Korporationen der freien Einungen, der Kurvereine, der Ritterverbände, der Reichsritterkantone, oder der Städte voran. Die Deutschen waren dieser Bewegung zur staatlichen Verbandsperson h i n gegenüber aufgeschlossen und offen, auch z.B. die Nordamerikaner. Die Engländer bleiben bis heute großenteils beim Genossenschaftsstaat stehen. Die Slawen verschlossen sich. „ M a n hat i m Osten zum Staat als überpersonaler Ganzheitsordnung, überhaupt zum Staat als Institution als solcher, i n der sich ein objektiver Geist verwirklicht, kein Verhältnis, erstrebt statt dessen eher die V e r w i r k lichung einer lebendigen Gemeinschaft unter dazu bereiten Menschen" (Martin Buber). Der alte polnische Staat zerbrach i m 18. Jahrhundert vor allem an seiner Senats- und Parlamentswirtschaft, genauer an deren friedensgenossenschaftlicher Konstruktion m i t Einstimmigkeitsprinzip und Vetorecht jedes einzelnen Sejm-Angehörigen (dem berühmten „Nie pozwolem", ich w i l l nicht). Der russische Mir-Gedanke repräsentierte das gesamthänderische genossenschaftliche Dorfeigentum — er ist i m modernen Staat Israel aufgenommen worden, und aus i h m erklären sich sonst schwer einzusehende moderne Differenzen zwischen Sowjetrussland einerseits, Jugoslawien und China andererseits: für Sowjetrussland läßt sich der Trend zur Überführung des gesamthänderischen und genossenschaftlichen Bodeneigentums i n verbandspersonales Staatseigentum registrieren, i n Jugoslawien und China, umgekehrt, ein Trend vom Staatseigentum zum genossenschaftlichen (Meder). Auch die kommunistische Parole vom „Absterben des Staates", zuerst i n Engels „ A n t i - D ü h r i n g " entwickelt, mag m i t der slawi-
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sehen Abneigung gegenüber dem Staat als überpersonaler Ganzheitsordnimg zu t u n haben (A. K . Belych, Meder). Die Personenverbände des öffentlichen Rechts sind anscheinend aus dem deutschen Recht verschwunden. Wo man daran anknüpfen könnte, etwa bei den Fakultäten der Universitäten, oder bei den Fachbereichen nach dem neuen Universitätsrecht, w i r d lieber über die Teil- oder die Glied-Korporation konstruiert — so ist die Fakultät nach H. J. Wolff eine nichtrechtsfähige öffentlich-rechtliche Korporation als Gliedkörperschaft. „Transitorische Rechtsfähigkeiten" ergeben sich hier, wie bei den Personenverbänden des Privatrechts, jedoch zumindest aus den aktiven oder passiven Parteifähigkeiten von Personenverbänden. Eine Fakultät ist schon für parteifähig gehalten worden und, was das private Recht anlangt, so sind z.B. der nichtrechtsfähige Verein und die offene Handelsgesellschaft aktiv oder passiv parteifähig (auch die Haftung der Gewerkschaften, nicht eingetragener Vereine, nach § 31 BGB fällt unter die „transitorischen Rechtsfähigkeiten", wie überhaupt die Gewerkschaft ein H y b r i d zwischen Personenverband und Verbandsperson darstellt) 1 . — Zur öffentlich-rechtlichen Korporation schreibt H. J. Wolff i m 2. Band seines Verwaltungsrechts von 1962 (131 f.), daß m i t der Körperschaftlichkeit weder begrifflich noch sprachgebräuchlich notwendig die Rechtsfähigkeit verbunden sei. Es gäbe auch nicht rechtsfähige Körperschaften, z.B. die i n A r t . 28 GG erwähnten gewählten Körperschaften, der Gemeinden, nämlich die Gemeinderäte, die Berliner Bezirke und die Universitäts-, Fakultäts- oder Fachbereiche. I n der Regel w i r d unter der Körperschaft des öffentlichen Rechts jedoch eine rechtsfähige Verbandsperson verstanden. Eine nicht-rechtsfähige Körperschaft des privaten Rechts ist z.B. der oben erwähnte nicht-eingetragene Verein i m Sinne des § 54. Die oben erwähnte transitorische Rechtsfähigkeit erscheint bei H. J. Wolff als Teilrechtsfähigkeit, d. h., daß i n bestimmten Hinsichten, z. B. Verfahrens» oder organisationsrechtlich, die nichtrechtsfähigen Körperschaften wie rechtsfähige Körperschaften behandelt, d.h. als einheitliche Träger eigener Rechte oder Pflichten verstanden werden. — Eine Kombination der gesamten Zahlen-Optik bei der Staatskonstruktion stellt die neuerdings ins Gespräch gekommene dreistufige Staatstheorie vom deutschen Bundesstaat dar, welche den Bund als Einzahl, dazu die Länder als eine verbandsmäßig strukturierte Mehrzahls-Gesamthand sieht, schließlich jedes einzelne Land zusammen m i t 1 Siehe dazu vor allem die österreichische Monographie von R. Ostheim, Zur Rechtsfähigkeit von Verbänden, 1967.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft den anderen als noch nicht verbandsmäßig strukturierte Mehrzahlen dazurechnet, während es i n bezug auf den sogenannten „formalen" Charakter einerseits des Bundes, andererseits jedes einzelnen Landes natürlich bei der (noch personalen) Mengen-Mehrheit der korporativen Verbandsperson bleibt. — I m Artensingular stehen natürlich zunächst einmal der Mensch und die Person. Danach die Handlung, gleichgültig ob man sie als „totale" oder als „isolierte" auffaßt (s. o. S. 238): auch i m Deliktsrecht w i r d die Handlung nach den §§ 840, 830 auf die einzählige Handlung und die einzählige volle Haftung zurückgeführt, dies auch dann, wenn mehrere Delinquenten oder mehrere Verletzte auftreten. Schon der Rechtsgeschäftsautor, auch wenn er nur einzeln auftritt, handelt i m Dual : auch wo ein Rechtsgeschäft eines Partnereinverständnisses nicht ausdrücklich bedarf — z.B. bei der faktischen A n nahme einer schenkungsweise erfolgten Zuwendungs-Willenserklärung, bei § 465 nach der Restitutionstheorie (s. o. S. 383) — w i r k t i m Dual (alter-alter) der Partner mit, der eben dann noch nicht Partei (Vertragspartei) ist. Beispiele der Mehrzahl stellen das Simultantestament (joint will), die mehrzähligen Personen (z. B. die mehreren Delinquenten), auch die Gesamtsache dar, die eben aus Einzelsachen besteht, wie sie i n der Mehrzahl einen Sachverband bilden (z. B. das Auto m i t seinem Motor, seinem Scheibenwischer, seiner Karosserie, seinen Bremsen). Auch § 139, der von der Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts spricht, geht von einem „Gesamtrechtsgeschäft" aus (das dann also der „Gesamtsache" entsprechen würde). Die Mehrheit kommt natürlich bei der juristischen Person vor, dann bei der Einheitssache. Das Wesentliche ist hier, daß man per Mehrheit künstlich die Mehrzahl zur Einzahl zurückschrauben w i l l — § 830 arbeitet m i t seinem Tatbestandsmerkmal „gemeinschaftlich" zwar m i t der Vorstellung des Mehrzahluerbandes, aber nicht m i t der einer Mehrheit. Wo das gemeinschaftliche Testament eine reziproke Bedenkungsgemeinschaft zum Inhalt hat (§ 2269 joint and mutual will), liegt eine mengenmäßig konstituierte Mehrheit vor, die also noch „personaltransformatorisch" vorgeht, wie eine öffentlich-rechtliche Korporation. Wo das gemeinschaftliche Testament eine Nachlaßgemeinschaft beabsichtigt, und „wechselbezügliche" korrespektive Züge trägt, begegnen w i r dem mehrheitlichen Massenbetrieb ohne Personaltransformation (wie bei der Stiftung — das anglo-amerikanische Recht lehnt das korrespektive Testament vielleicht auch deshalb ab). Endlich der Vertrag: an die Zweieinigkeit der Willen, wie sie i n der Lehre der Willenstheorie von der Übereinstimmung der Willen gemeint
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wird, könne man, wie Schloßmann meinte, „glauben, wissenschaftlicher Erkenntnis" aber entzöge sie sich. Mengenmäßig-mehrheitlich, also mit personaler Transformation, wie etwa das reziproke Testament, w i r d der Vertrag nur an Hand der „Konsenstheorie" konstruiert, welche ein „Zusammenklappen von Offerte" und „Annahme der Offerte" annimmt und insofern der objektiven amerikanischen Theorie von mutual assent entspricht 1 . Universitas rei und universitas iuris, Sachgesamtheit und Rechtsgesamtheit, stellen mehrheitlich-mengenmäßige Figuren dar: die Verfügung sowohl über die universitas rei wie die über die universitas iuris w i r d als eine Summe von Einzelverfügungen aufgefaßt — nur i n einem einzigen Falle w i r d i n bezug auf die universitas iuris — nur auf sie! — massenmäßig konstruiert, nämlich bei der Surrogation. — Ein scharfer Fall der äußersten Zurückschraubung auf Transformation, Mengenprinzip und Einzel-Personalität sogar bei einer an sich schon mehrheitlich-mengenmäßig konstruierten Korporation zeigt sich i n der Lehre vom „disregard of legal entity" — die (vielleicht sonst nicht realisierbare) Haftung einer Korporation w i r d notfalls von den erreichbaren natürlichen Personen getragen, welche Mitglieder der Korporation waren — der Fall wurde oben als ein Beispiel des E. Husserl'schen Regresses (s. o. S. 147) vorgeführt.
1
Dazu Gegenopfer, aaO, 181 f., 320 f. und oben S. 265.
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Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Der Staat
Unter dem „Staate" w i r d sicherlich zunächst nur die Summe (oder der Inbegriff) der staatlichen Institutionen und der i m Namen eines Staates agierenden Menschen verstanden. Man muß sich aber auch „abstrakt" über den Staat klar werden — obwohl eine „abstrakte" Staatslehre etwas weltfremd anmutet: „Gemeinsame Züge, die etwa die Volksrepublik China und die Schweiz, die Vereinigten Staaten und die Republik Kongo miteinander verbinden, sind zwar vorhanden. Aber solchen Aussagen haftet doch etwas Akademisches an. Und letztlich ist wie jeder Mensch so auch jeder Staat so und nicht anders. Alles höhere gechichtliche Leben ist einmalig, i m Grunde unvergleichlich und nicht wiederholbar. Wie das Recht, so erschließt sich auch der Staat nicht dem formal definierenden Denken, sondern w i r d er i n seinen Erscheinungsformen und i n seinem geschichtlichen Wirken erfaßt. Gleichwohl sollte man den Wert der verallgemeinernden und typisierenden Betrachtung auch i m Hinblick auf den Staat nicht i n Abrede stellen. Nicht nur, weil das positive Recht, w e i l z. B. die Satzungen der großen internationalen Organisationen den allgemeinen Begriff des Staates verwenden. Auch das wissenschaftliche Denken darf über den allerdings vorwiegenden Besonderheiten das Gemeinsame nicht übersehen" (Dahms) 1 . — Die moderne Staatslehre geht daher i m wesentlichen vom Staat als einer Bezeichnung für eine Gruppe i n der Form der verbandlichen, meistens korporativ gestalteten Institution aus, dann vom Terminus „statu", der fälschlich auf Macchiavelli (um 1570) zurückgeführt w i r d (in Wirklichkeit aber von Antonio Tiepolo stammt!), dann auf die schon angesprochene „ragione di statu", kurz also auf den Renaissance-Staat macchiavellischer Prägung 2 . Das heißt aber zu kurz getreten, und die biologische Staatstheorie hat auch ihre Berechtigung, zumal ihr die theologisch-katholische Staatstheorie von der societas naturalis nicht fern steht. — Also Staat erst abstrakt, dann konkret. Staat ist ein Wort zur Bezeichnung a) einer sozialen, b) einer historisch-soziologischen, c) einer juristischen (rechtsrelevanten) und d) einer rechtlichen (rechtsfolgerelevanten) 1 Über die populären pluralistischen Betrachtungen der Staatsgenese s. z. B. Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. 2 Vgl. z. B. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964,1 - 3 .
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Institutioneiner Spezialität der Hegel'schen „Objektivationen", der Objekte, die ewig sind (eisern Vieh stirbt nie — heißt es i n § 586 BGB). Der viel erörterte Zusammenhang der Begriffe „Staat" und „ P o l i t i k " liegt darin, daß „politisch alles ist, was sich auf einen Staatszweck bezieht" (H. Triepel), „Politik ist dadurch gekennzeichnet, daß sie eine spezifisch dem Sein des Staates um seiner selbst w i l l e n gewidmete Haltung und Tätigkeit ist" 2 , der Staat ist nur politisch zu begreifen 3 . Vom Standpunkt eines realen theoretisch-empirischen Herantastens an Wort, Begriff und Idee „Staat" aus kann zunächst weiterhin zitiert werden: „Der Staat w i r d nicht vorgestellt als eine Anordnung Gottes oder eine Forderung der Sittlichkeit 4 ." Die Römer haben das immer gewußt, res war, „was ist", res publica dann Summe oder Inbegriff dessen, was mehr als „privat", nämlich öffentlich war 5 . Es scheiden also an diesem Punkt alle Staatsideologzen aus der Betrachtung aus. Eigentlich schon die zuerst römische, dann bis i n die Gegenwart hinübergenommene Umschreibung der res publica als des „Gemeinwohls", des common wealth 6 , sicherlich die augustinische Staatsideologie vom Gottesstaat m i t seinem Gegenpole, dem weltlichen Raubstaat, der platonische Sittlichkeitsstaat, Hegels Verwirklichung des „Weltgeistes" i m Staate, der staatliche Konservatismus, ob er nun „das Herz rechts" oder links trägt, der staatliche Sozialismus m i t Planwirtschaft, Sozialisierung der Produktionsmittel und Anspruch auf Wohlfahrt, der kommunistische Schutzstaat für die herrschende Klasse der Werktätigen (die Lohnarbeiter und die werktätigen Bauern ohne fremde Arbeitskräfte), der liberale Staat, so ruhig wie möglich, auch der „Fettlebe-Staat". — Wichtig ist es, zu beobachten, daß dem „offenen" Staat des Personenverbandes der „geschlossene" Staat der Verbandsperson, der juristischen Person, gegenübersteht. Geschlossene Staaten haben w i r vor allem bei uns, dann i n den Vereinigten Staaten von Nordamerika, dann i n Rußland. 1 Krüger, Allgemeine Staatslehre 1964, 168, 173, A. 78, 177 ff. (dort auch allgemein zum Institutionsbegriff). 2 Krüger, aaO, 684, 679 ff., dort auch andere von der sog. Macht oder der Freund-Feind-Konstellation ausgehende Definitionen. Der Unterschied zwischen der Staatspolitik und der Machtpolitik ist der zwischen Gültigkeit und Geltung. Daß die Geltung die Gültigkeit frißt, die Machtpolitik also die Staatspolitik, ist an der Tagesordnung: stets bleibt es der Wunschtraum der Machtpolitiker, sozusagen das Hochsee-Steuermannspatent für große StaatsFahrt zu erlangen. 3 Dabin, Der Staat oder Untersuchungen über das Politische, Berlin 1964, Luchterhand, 15. 4 Krüger, aaO, V. 5 U. v. Lübtow, Das römische Volk, 1955, 19, 236. 6 U. v. Lübtow, vgl. aaO, 236.
1 *
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Aus dem Gegensatz ergibt sich, daß die schwer einzusehenden Differenzen zwischen Sowjetrußland, Jugoslawien, Albanien, China auch Israel, nicht immer daher kommen, daß i n Sowjetrußland der Staat, andernorts „die Gesellschaft" dominiere, sondern möglicherweise aus der verschiedenen Vorstellung vom Staate, der i m modernen Rußland „geschlossener" Staat der Verbandsperson, andererorts aber „offener" Staat des (gesamthänderischen) Personenverbandes sein solle. — Der Prototyp des Staates als (gesamthänderischen) Personenverbandes liegt anscheinend i n England vor, wenngleich hier oft über die „Corporation" konstruiert wird, und auch die „Corporation sole" vorkommt, ein Überbleibsel — das bekannteste Beispiel liefert das englische Kirchenrecht m i t dem Bischof, aber auch der englische Postminister gilt oft als „corporation sole". Vom „offenen Staat" ist es nur ein kleiner Schritt zu den personalen Benennungen des Staates: „das Große Haus" der Ägypter, Senatus Populusque Romanus, „die Krone" der Engländer, „der König", „der Kaiser". Diese Staatssicht liegt vor der Renaissance. Erst sie vollbrachte die Objektivierung der menschlich-personal bestimmten Fürstenrolle zum Staat als Institution, dessen Handlungsgesetz dann „die Staatsraison" sein sollte — das „gute alte Recht" mußte, wie es später i n der französischen Revolution hieß, der „association politique" des „corps social" weichen 1 . Moderne Residua des personalen Staates, im Grunde aber der absolutistischen Königsgewalt, liegen in England in den Orders „in Council" ohne Parlamentszustimmung in bezug auf Kronkolonien oder in den Wirtschaft und Handel im Kriege regulierenden „Orders" 2, in der höchsten königlichen Vollstreckungsautorität (supreme executive authority), in der obersten Wehrmachtsbefehlsführung (Commander in Chief) und in der kirchlichen Oberhauptstellung (head of the church), ferner darin, daß der König nicht durch Kontrakt verpflichtet werden kann und daß vermögensrechtliche Ansprüche gegen einen „Fiskus" nur im Wege der „Petition of rights" vorgebracht werden können 3 , im Ausschluß der staatlichen Beamtenhaftung und der königlichen Deliktsfähigkeit (king can do no wrong) 4 . Völkerrechtliche Verträge (treaties), Kriegs- und Friedensschlüsse sowie Allianzen werden im Wege der Kron-Prärogative bewirkt, ebenso die Regulationen des öffentlichen Dienstes (civil Service). Freilich stellen auch diese Prärogativen Rechte dar, sind also dem Parlament soweit unterworfen, als es Landesrecht kontrollieren kann 5 . Beamtenrechtlich sind Prüfungen, Gehälter und Disziplinar1 Hierzu M. Drath, Ev. Staatslexikon (hrsg. v. Kunst, Grundmann, Schneemelcher, R. Herzog), 1966, 2120 f. 2 Goldschmidt, English Law from the Foreign Standpoint, London 1937, 26. 3 Goldschmidt, aaO, 136, 162 — Fiskal-Prozesse (Crown proceedings) daher schwer und umständlich. 4 Not even think . . . , dazu Blackstone, 1 Comm. 246, Goldschmidt, aaO, 136, auch über die entsprechenden Reformbewegungen. 5 Goldschmidt, aaO, 137.
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recht durch Verwaltungsverordnungen geregelt, die persönliche Haftung des Staatsbeamten (suing the State's agent) wird grundsätzlich bejaht, Gehälter und Pensionen sind nicht klagbar, es besteht zugunsten der Krone jederzeitige Kündigungsmöglichkeit 1 .
Dem „offenen Staat", also einem Personenverbande der Genossenschaft, liegt die Meinung zugrunde, daß jeder Genosse auch mit seinem ganzen persönlichen Vermögen für seinen Staat hafte. Dieses Prinzip veranlaßte überhaupt die Transformation des Staates von der Struktur der Genossenschaft eines Personenverbandes zur Figur der Verbandsperson. Die Auffassung des Staates als eines Staates der Genossenschaft liegt, nach englischem Vorbild, w o h l auch noch der nach 1945 von den Alliierten vertretenen Auffassung von der kollektiven, insbesondere pekuniären Verantwortlichkeit aller Deutschen für die Handlungen des NS-Staates zugrunde — eine Vorstellung, die zunächst auf das fassungslose Staunen der deutschen Juristen stieß und danach schleunigst zu der wenigstens i m moralischen Bereich verständlicheren These von der Kollektivschuld der Deutschen umgebogen wurde 2 . — Die alte Lehre von „Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk" kann i n bezug auf die Erkenntnis des Staates verwendet werden. Vor allem richtet sich diese und auch die moderne Staatstheorie an den (angeblichen) „drei Staatsgewalten" aus — während doch betont wird, daß die „Gewalt" (power) unmöglich das Essentiale des Staates sein könnte (E. Bodenheimer) — i n Wirklichkeit gibt es übrigens fünf Staatsgewalten, die Gubernative, die Legislative, die Judikative, die Administrative und die Exekutive. Die DDR lehnt die Teilung oder Hemmung der Staatsgewalten ab, es gebe nur eine einheitliche, vom Volke ausgehende Staatsgewalt 3 . So steht es i n den Verfassungen, auch i n der der DDR (Art. 8, s. a. A r t . 20 GG), so dekretierte schon Lincoln i n seiner Ghettysburger Ansprache aus dem Jahre 1864, der sogen, „dritten amerikanischen Verfassung": Government sei „of the people, by the people, for the people" 4 . A l l e Staatsgewalt geht also vom Volke aus — „aber wo geht sie hin?", fragte Bertold Brecht höhnisch, und auch die Amerikaner spotten gern über das „government of the politicians, by the politicians, for the politicians". Jedenfalls w i r k t der Ausgangspunkt von der einen 1
Vgl. Goldschmidt, aaO, 62, 64, 140. s. über die englische Königsauffassung und das Schwanken zwischen dem personalen Staat, dem Staat als Genossenschaft einerseits, und dem Staat als Korporation, auch „Gegenopfer", aaO, 95 f., möglicherweise auch den alten ägyptischen Dualismus des Pharao als Mensch und des „Pharao mit dem Barte", die Doppelkrone der Ägypter. — Vgl. ferner Popper, The Open Society, London 1948 (ein Buch, aus dem die Reden über „die offene Gesellschaft" kommen). 3 Vgl. E. Hirsch, JZ 1962, 151 f. — I n China aber 5! 4 Die Formulierung stammt aber möglicherweise, über vielerlei Mittelsschriften, von dem Deutschen Savigny. 2
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Staatsgewalt des Volkes juristisch recht undifferenziert, manchmal sogar feudalistisch wie bei der feudalen Spielerei der Volkssouveränität i n der Kirche. — Die ,yNation ist nach französischer und anglo-amerikanischer A u f fassung der Zusammenhang von Lebenden und Toten, wie er i n der deutschen Literatur i n C. F. Meyers berühmten Gedicht „ W i r Toten, w i r Toten sind größere Heere als I h r auf dem Lande, als I h r auf dem Meere . . . " und i n G. Benns (offenbar auf diesem Gedicht beruhenden) „ewig spürbar weiter prüfenden Blick der Toten" zum Ausdruck kommt (welch letzterer auch über die Qualitäten der gesellschaftlichen Arbeit entscheidet) 1 . — Wenn man vom „Vaterland " spricht, meint man die Intaktheit oder die Intakthaltung seines Staates. Der deutsche Staatsstreich vom 20. 7. 1944 entsprang wohl i n erster Linie der Auffassung des Staates als eines „Vaterlandes" — daher einerseits die Ehrung, andererseits die Ablehnung „des 20. J u l i " — patriae inseroiendo consumor 2 ! — Der Begriff des Vaterlandes w i r d sicherlich vom psychoanalytischen „Vatergefühl", auf jeden Fall vom psychoanalytischen Sicherheitsbedürfnis getragen. — A m besten ist das Volk funktionell m i t dem „Wir-Gefühl" zu bestimmen, welches die einem konkreten Staate jeweils zugeordneten Einzelindividuen m i t dem Staate verbindet. Obwohl man das Denken i m „Staate" und das Denken i m „Volke", dessen „geschirrte" Rüstung „die Gesellschaft" bildet 3 , streng unterscheiden sollte, laufen noch alte Vorstellungen vom „Volke" m i t (noch mehr bei dem Begriff „Gesellschaft"). Volk ist ursprünglich „Gefolge". Populus plebesve w i r d gemeint, i m alten Deutschland sind es die „Stämme" (Rosenstock), auch die Einwohner, die Abhängigen, die von den Ständen oder sonstwie Vertretenen, die „Gesamtheit der am Staate Teilnehmenden", so römisch, nordrhein-westfälisch die „Männer und Frauen des Landes Nordrhein-Westfalen". — Die folgende biologische Staatstheorie findet sich m i t der herrschenden Lehre darin, daß sie den Staat als eine aus menschlichem Be1 „Blick der Toten" heißt, nüchtern gesehen, Gebrauchmachung von Gedanken Verstorbener in den Objektivationen der Nachwelt, auch die Auffüllung der Galerien und Nischen in der kulturellen Entwicklung nach dem Gesetze des „horror vacui" . . . 2 I m sog. Prozeß vor dem Volksgerichtshof (Anfang August 1944), brüllte der Vorsitzende Freisler den Angeklagten General Stieff (fragend) an, ob er also für seine Beschlüsse gehandelt habe, woraufhin Stieff, wenige Stunden, wie er wußte, vor seiner qualvollen Ermordung, antwortete: Für Deutschland! — (zitiert nach der deutschen Ausgabe des amerik. Buches von Fraenkel-Manvell, bei Ullstein, 1964, 185.) 3 s. dazu W. G. Becker, in der Festschrift für U. v. Lübtow, 1970, 52, 52 ff., 72.
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mühen heraus errichtete Objektivation/Institution sieht. „Der Staat w i r d nicht vorgestellt als eine Anordnung Gottes oder als eine Forderung der Sittlichkeit. Er w i r d vielmehr gedeutet als Frucht der Einsicht einer Gruppe von Menschen, daß nur die Staatlichkeit ihres Gemeinlebens ihnen Existenz, Überleben und vor allem Freiheit i n den heute mehr denn je bedrohlichen äußeren und inneren Lagen i n Aussicht stellt, als reale Reaktion auf solche sehr realen Notwendigkeiten" 1 . Die eben genannte Einsicht kommt dabei zunächst wohl aus den „Träumen der menschlichen Instinkte oder Intelligenzen" (the American dream), schließlich, schon ganz rational, nämlich' integrationell, aus dem „täglichen Plebiszit der Bürger" (Renan / Smend). — Biologisch: I n der Menschenwelt sind künstliche Hemmungsmechanismen gegenüber der intraspezifischen Aggressivität entwickelt worden, vor allem die Sitte, dann — seit etwa 3500 ante i n Ägypten 2 — die Moral ( = Abwendung von Endunheil 3 und die Sittlichkeit/Ethik (Abwendung von Endunwert). — Ihren Triumph bildet das i n besonders starkem Gegensatz zu sogar nicht einmal i n die Aggressivität einzureihenden zoologischen Tendenzen stehende 4. Gebot — tierische Vorformen der Moral sind die „Bänder", auch Rangordnungs- und Revierzeremonien (in einem Einzelbeispiel die „Komment-Wettkämpfe" bei Fischen). Nach der Moral scheint der „Staat" das Zeichen für einen menschlich-künstlichen Hemmungsmechanismus zu sein, welcher dem schlimmsten Bestandteil der menschlichen intraspezifischen Aggressivität, nämlich der intragruppalen Aggressivität entgegengesetzt wurde: der Staat präsentiert sich zu allererst als Friedensordnung, einem „geordneten Verfahren zur Wahrung der existentiellen Verbundenheit", das m i t Selbsthilfe- und Fehdevorboten (z. B. i n den mittelalterlichen deutschen „Landfrieden") beginnt, die Rache-Sanktionen durch ein rechtsgenössisches Erkenntnisverfahren (bis auf Reste der Selbsthilfe z. B. i n den §§ 227 ff., 904 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches) ersetzt, und dann i n die Rechtsordnung eintaucht, w o r i n sich der Urzusammenhang zwischen Staat und Recht i m Sinne einer mehr als zoologischen Ge-Rechtigkeit zeigt 4 . Daher ist „das Wesen des Staates" nicht i m Organisationspotential des „modernen Staates" aufzufinden 5 , sondern i n der archaischen Hervorbringung einer menschlichen Objektivation und Institution „Staat" aus einem Befriedigungsbemühen heraus, das sich zwecks Schaffung einer 1
Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, V. Breasted, Die Geburt des Gewissens (deutsch), 1957. 3 Abgrenzung von Sitte und Sittlichkeit z. B. im Beschluß des B G H vom 17. 2.1954 (JZ 1954, 508). 4 Vgl. Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, 190 ff., 203, konkrete Beispiele des staatlich-rechtlichen Übergangs von der Friedensordnung her bei W. G. Becker, Gegenopfer, 1958, 134 und A. 6, 138, 140, 143 f. 5 Wie bei Krüger, aaO, 1 - 3 . 2
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft künstlichen Hemmung gegenüber der dem Menschen nun einmal beschiedenen intraspezifischen, und vor allem intragruppalen Aggressivität als menschlich lebensnotwendig erwiesen hatte. Der Staat ist die Friedensgeste des Kaisers Marc Aurel auf dem Campidoglio in Rom (später die Friedenstaube auf dem deutschen Königszepter). — W i r müssen uns davor i n acht nehmen, „den Staat" in einer bloßen Bildersprache zu sehen (obwohl für den Einsichtigen das B i l d nicht nur den Blick, sondern auch den Gedanken richten kann). Bildersprache bleibt auch das Reden i n Wendungen wie „der Staat ist", was dann i n der Regel zu lebensfremden Personifizierungen „des Staates" führt — der Staat (und auch „die Gesellschaft"!) ist etwas sozial so selbstverständlich Gegebenes, daß die Personifizierung fast unumgänglich, w i r d (etwa wie i n bezug auf „Gott", der nach Lichtenberg nur „die personifizierte Unbegreiflichkeit des Weltalls" ist). Der Ausdruck „der Staat" bedeutet i n Wirklichkeit nur ein Kommunikationszeichen „für etwas". Für was? A m besten: für ein operatives System menschlicher Handlungen einschließlich ihrer Gedanken, einen menschlichen Handlungs- und Wirkungszusammenhang, also nicht für eine Idee, wie es M. Drath ausdrückt. Deshalb, w e i l „der Staat" keine logische Idee ist, müssen auch die sog. „ideologischen " Staatskonzeptionen von Kant bis Lenin, i n der Soziologie z. B. die von Gumplowicz, F. Oppenheimer und A. Rüstow, für die Staatsbeschreibung entfallen. I n Wahrheit sind diese „Staats-Ideologien" übrigens „Staats-Axiologien", handeln also nicht von Ideen, sondern von Werten — Wert ist das Gegenstück zur (logischen) Idee des Aussage-Urteils beim Wert-Urteil, und Werturteile haben eigentlich i n einer realen und reellen, wissenschaftlichen, d. h. i n „getestetem" Wissen, und dann grundsätzlich kognitiv, i m Aussageurteil, nicht emotional i n der Bewertung, arbeitenden Staats-Darstellung nur am Rande etwas zu t u n . . . Was auch Drath übersieht, ist, daß „der Staat" immerhin ein Kommunikationszeichen für eine Idee nicht i m logischen, wohl aber i m realontologischen Sinne (s. o. S. 145) darstellt: auch der oben erwähnte „Wirkungszusammenhang" bedeutet hier nur einen Gedanken, freilich einen Gedanken, der erst einmal selbst eine Realität, wenn auch nur eine ideelle, ist (das ist die logische Idee auch!), zweitens aber (und das t u t die logische Idee „abstrakterweise" nicht!) auf Realitäten bezug nimmt, Realität also hat — „der Staat" steht insofern auf der gleichen Stufe wie ein „immaterielles Gut, ohne, oder besser, mit selbständigem Vermögenswert", ein Unternehmen, eine Firma, ein good w i l l oder eine Erfindung, ein Immaterial, das aber i n einem Material fundiert ist und auf dieses Material „reduziert" werden kann (der E. HusserVsche Regreß), auf staatliche Schreibtische und Telefone, auf polizeiliche
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Maschinenpistolen oder auf die kreatürlichen Konstitutionen von Zollbeamten oder Bundeskanzlern. — Die theologisch-katholische Staatstheorie von der societas naturalis steht diesen Gedankengängen vom Staate als einer realontologischen Idee, als einem i m Material fundierten und auf Material zu reduzierenden Immaterial, wie es auch jeder „Verband" darstellt, nicht fern und schließt sich daher auch gut, i m Gegensatz zu den „ideologischen" Staatstheorien, an die oben vertretene biologische Staatstheorie an 1 . Indem die Friedenshemmung nicht nur gegen die intragruppale, sondern auch gegen die extragruppale, also gegen die intraspezifische menschliche Aggressivität überhaupt gerichtet wird, erwachsen ius gentium und Völkerrecht, die Bemühungen u m den Völkerfrieden und die totale Aggressionsabwehr i n der „Satyagraha", dem indischen Begriff für die Ausscheidung des Bösen oder Schlechten aus dem öffentlichen Leben der Völker (Gandhi). Wenn sich vor allem die christlichen Kirchen u m das (künstliche) Hemmungssystem des kosmischen Friedens bemühen, so der Staat u m das des sozialen — die ewige Schicksalsverbundenheit von Staat und Kirche, wie sie durch keine technische Trennung aufgehoben werden kann, meldet sich hier. I m weihnachtlichen „Friede auf Erden" greift auch die christliche Kirche i n den sonst dem Staate vorbehaltenen Sozialfrieden über, und allerorts tut das, als Vorläufer des Staates, die Sozialmoral, so daß Pufendorf (1632 - 1694) sicherlich Recht hatte, wenn er die Staaten zunächst einmal „entia moralia" nannte. — Die Quasi-Staaten Innerhalb eines Staates gibt es eine ganze Reihe von Quasi-Staaten, innerpolitischen Staats-Satelliten, „Staaten i m Staate", die — w i e das bei optischen Röhren i m Tubus-System der Fall ist — vertikal, der eine i m anderen stecken. A n erster Stelle können schon Einzelstaaten (Länder) eines Bundesstaates als „untergesteckte" Staaten i m TubusSystem angesehen werden: sie sind Staaten nur noch i m Rechtssinne, nicht mehr i m politischen Sinne — das Indiz dafür ist, daß sie, wie die nordamerikanischen Einzelstaaten, nur „citizenship", nicht aber „nationality", Staatsangehörigkeit, abgeben (in Deutschland liebäugelt das Land Bayern m i t einer eigenen bayerischen Staatsangehörigkeit). Danach treten als „untergesteckte" Staaten i m Tubus-System die m i t autonomer Rechtssetzung begabten staatlichen Funktionsträger auf, 1 Über die theologischen Staatstheorien s. die Arbeiten von Standtke, Künneth und Klüber im vorerwähnten Evangelischen Staatslexikon im Anschluß an Draht.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft wieder vertikal und „ i n der Reihe", öfters i n einer mehrgliedrigen (z. B. Land Berlin, Freie Universität Berlin, Fakultät). Die Einrichtung, Anerkennung oder Zulassung der „untergesteckten" Staaten i m Tubus-System stellt ein Nachspiel zu dem i n der Staatsgeschichte erkenntlichen Phänomen der Ab-Teilung von Teilen eines aufgeblähten Imperiums dar, und das Hinübergreifen des „untergesteckten" Tubus-Staates i n den „vorgesteckten" zeigt Ähnlichkeiten m i t der lehnsrechtlichen Pyramide. I n streng staatsrechtlicher Terminologie gesprochen, steht hier das dualistische Gepräge der Staatsverwaltung vor Augen, das i n Deutschland seit der Einführung der preußischen Städteordnung durch Stein i m Jahre 1808, später unter dem Einfluß der englischen Selbstverwaltungsbewegung (home rule), fest verankert worden ist. Konzentration oder Dekonzentration, Zentralisation oder Dezentralisation sind die antipodischen Leitideen — was geleitet wird, ist die Ausübung der dem Staate sozusagen als Grundbefugnis zugeteilten Organisationsgewalt, d. h. der „Kompetenz zur Bildung, Errichtung, Einrichtung, Änderung oder Aufhebung von Gliedern und Organen durch die Bestimmung ihrer Zuständigkeiten und ihrer inneren Ordnung sowie durch ihre persönliche und sachliche Ausstattung" 1 — wobei die Organisationsgewalt auf Gubernative, Legislative, Administrative und Exekutive, zum Teil auch auf die Judikative, m i t dem Schwergewicht auf der Legislative verteilt ist. Die Durchführung der staatlichen Verwaltungsorganisation (und dementsprechend der sonstigen Staatsorganisation), d. h. die Wahrnehmung der staatlichen Verwaltungsfunktionen, erfolgt dann einmal unmittelbar, indem unmittelbare staatliche Behörden gestaltet und m i t Zuständigkeiten versehen werden, zum anderen Male mittelbar, indem bestimmten öffentlichen Funktionsträgern institutionell Staats-Status verliehen wird, worauf nun diese „mittelbaren Staaten" ihrerseits Behörden zu bilden beginnen. Die Behörden (amerikanisch: agencies) werden sowohl i m Falle ihrer staatlichen Unmittelbarkeit wie i m Falle ihrer staatlichen Mittelbarkeit i m Anschluß an ihre „abstrakte" Bildung „konkret" errichtet und „aktuell" (z.B. vom Behördenleiter) eingerichtet — sie sind monokratisch oder kollegial, der zentrale Begriff, aus dem die Behörden, und zwar alle Behörden, und ihre Beziehungen untereinander zu verstehen sind, ist eben der der Kompetenz, der „die Bindung der Behördenorganisation an ihre Funktion" vermittelt. Die dezentralisierte und damit aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliederte mittelbare Staatsverwaltung spielt — erwachsen 1
H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I I , München und Berlin 1962, 95.
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aus den kommunalen Selbstverwaltungsverbänden, z.B. der Gemeinden und der Landkreise — seit den dreißiger Jahren die entscheidende Rolle i n der deutschen Staatsverwaltung, zumal sie als verbindendes Element zwischen „Staat und V o l k " (Gesellschaft) angesehen wird, und zusätzlich ein konstruktives M i t t e l zur Disziplinierung zu komplex gewordener Sozialbereiche (z. B. i m Kultus- oder i m Versicherungsbetriebe) darstellt. Das Rückgrat der die mittelbare Selbstverwaltung ausübenden „ T u bus-Staaten" ist die Autonomie, die dem Rechte der Selbstverwaltung nicht immanent ist, da Rechtsetzung und Verwaltung auseinanderfallen, die daher ausdrücklich vom „vorgesteckten Staate" verliehen werden muß, die aber, wenn sie verliehen worden ist (was überall weitgehend geschieht), dem Autonomieträger i m Rahmen seines Zuständigkeitsbereiches nicht nur Organisationsgewalt, sondern auch Rechtsetzung zuspricht. „Autonomie i m Sinne des öffentlichen Rechts heißt die Befugnis eines rechtlichen Verbandes, der nicht Staat ist, sich selbst Recht zu setzen" (Gierke). Daher ist der Autonomieträger juristisch grundsätzlich verbandsmäßig organisiert, überwiegend als Verbandsperson, hierbei wiederum vornehmlich als öffentlich-rechtliche Korporation (Körperschaft des öffentlichen Rechts). Es kommen aber auch alle anderen Arten von Verbänden als Autonomieträger vor, sogar bloße juristische Verbände ohne eigene Personalstruktur, z. B. Fakultäten oder andere kollegiale Behörden — nordamerikanische Gerichte erlassen bekanntlich autonome Zivilprozeßordnungen, die Rules of Court. Manchmal kommt auch der autonome Ein-Mann-Verband vor, z.B. die englische Corporation sole (etwa ein Bischof). I n bezug auf die ideologische Struktur der verbandsmäßig organisierten Autonomieträger i n der mittelbaren Staatsverwaltung ist zwischen mehr „mandativ" (genossenschaftlich) und mehr „imperativ" (herrschaftlich) angelegten Verbänden zu unterscheiden, wobei i n der jüngsten Zeit eine Tendenz zum imperativ-herrschaftlich strukturierten Selbstverwaltungsverband erkenntlich ist (die möglicherweise bei uns durch die Zeit der Expansion der Selbstverwaltimgsverbände, die oben erwähnten dreißiger Jahre, bestimmt ist) 1 . Die deutsche Selbstverwaltung ist durch A r t . 28 GG institutionell garantiert. Da die Selbstverwaltung ihrem Wesen nach hierarchische Über- und Unterordnungsverhältnisse innerhalb der Selbstverwaltungsorgane grundsätzlich ausschließt, versucht es der „vorgesteckte Staat" m i t allen möglichen Mitteln, die Selbstverwaltungsorgane zu 1
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Forsthoff, Verwaltungsrecht, 1. Bd., 8. Aufl., München und Berlin 1961,
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft kontrollieren oder kontrollieren zu lassen: hervorragend dazu geeignet ist z. B. der Einbau der Amtsträger eines Selbstverwaltungsverbandes (also des „untergesteckten Staates") i n eine vom Selbstverwaltungsverbande möglicherweise bis zum obersten „vorgesteckten" Staate h i n verlaufende Beamtenhierarchie, m i t all ihren internen Kontrollen, der „Einrichtung des Dienstherren", auch als Disziplinarbehörde, der „Vertreter" des Dienstherren, nämlich der unmittelbaren, der höheren oder der obersten Dienstvorgesetzten, woneben zusätzlich noch die „Amtsvorgesetzten" und die „Weisungsberechtigten" fungieren. Speziell „rechtsstaatlich" fundiertes Kontrollmittel 1 ist die Staatsaufsicht , i m Einzelfall allgemeine Organaufsicht, Sonderaufsicht, Fachaufsicht, alles wiederum legislativ oder administrativ geregelt, und ausgestattet m i t den Aufsichtsmitteln des Hinweises, der Unterrichtung, der Untersuchung, der Beanstandung, der Aufhebung, der Sperre, des Selbsteintritts, der Ersatzvornahme oder des Erlasses von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. Die Staatsaufsicht ist — der ständigen Komplementarität von Staat und Recht entsprechend — i n erster Linie Rechtsaufsicht, wenn es gut geht, weitgehend i n „Selbstkontrolle", sonst auf dem Rechtswege. A r t . 19 Abs. 4 GG bestimmt: „ W i r d jemand durch die öffentliche Gewalt i n seinen Rechten verletzt, so steht i h m der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben." Voraussetzung dafür ist allerdings eine beklagbare Person. — Irgendein beklagbarer Autonomieträger läßt sich jedenfalls „ i n der Reihe" gewöhnlich finden. Besonders i n bezug auf die Einzelbehelfe des Rechtsweges zeigt es sich, daß die Reihe der Tubus-Staaten i n einem Bundesstaate bis zum Bunde, also über den die Autonomie gebenden Bundesstaat selbst hinaus verläuft: gegen eine Verfassungsverletzung, z.B. durch eine Fakultät einer Landesuniversität, kann — neben den sonstigen Aufsichts- und Kontrollmitteln — die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. Völlige Aufsichtslosigkeit soll vorkommen i n Deutschland z.B. bei gewissen Rundfunk- u n d Fernsehanstalten 2 . So oder so bleiben die Gerichte, über ihnen steht dann allerdings nur noch der blaue Himmel. Scharf zu unterscheiden von diesen Staaten i m Tubus-Systeme sind die sogenannten „pluralistischen Verbände", — keine „Staaten i m Staate", wie man oftmals hört, überhaupt keine „Staaten", seien es auch nur „Quasi-Staaten" kraft Autonomie — sondern eben Verbände , metajuristische (z. B. Kabalen oder Camarillas 3 oder das „Heizölkränz1 Bähr, Der Rechtsstaat, Neudruck der Ausgabe von 1864, 1961, Scientia, Aalen, 174. 2 Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1964, 877. 3 Krüger, aaO, 381, A. 6.
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chen" beim Bonner Wirtschaftsministerium), juristische (z. B. die ständige Deputation des deutschen Juristentages) oder rechtliche, dann Personenverbände (Syndikate, Gewerkschaften) oder Verbandspersonen (z. B. eingetragene Vereine) — die privatrechtliche oder die öffentlichrechtliche Rechtsstruktur bleibt i m übrigen ohne Einfluß, nur „öffentliche Bedeutsamkeit" muß vorliegen 1 . Die Interessentenverbände treten auf, auch schon i m Vorstadium der bloßen Interessentenballungen, ewig auf Wanderschaft, nämlich auf die Unterwanderung des Staates bedacht, auf welche sie die von ihnen betriebene Politik, immer „Machtpolitik", nicht „Staatspolitik", schickt — die „untergesteckten Staaten" i m Tubus-System sind demgegenüber besonders anfällig. Große Beispiele ergeben sich i n Staaten m i t Ein-Parteien-System — i n bezug auf die NSDAP i n Deutschland nach 1933 lassen sich, bei erheblichen Erfolgen i n der Staatsunterwanderung, i m übrigen auch eine Reihe von Exempeln des hartnäckigen Widerstandes staatlicher Repräsentation feststellen (hierin gehört der i n späteren sogenannten Entnazifizierungsverfahren zu Unrecht bagatellisierte Einwand, i n die Partei eingetreten zu sein, u m eine Staatsstellung zu halten). Der Obrigkeitsstaat Aus dem Kulissengetümmel von Menschengruppe, Staat und Gesellschaft heraus betritt „der Staat" dem i h n betrachtenden „Bürger" gegenüber die Bühne i n der Regel als der Obrigkeitsstaat alter Prägung, der ewige Revenant, eine schlechthin seiende Objektivation/ Institution „Staat", die sich m i t Gewalt, potentiellem oder aktuellem Zwang, durchsetzt, und der sich der Bürger i m allgemeinen und i m täglichen Leben so gleichgültig unterwirft wie seinen RepräsentativWahlen (den einzigen politischen Aktivitäten, die ihm, es sei denn, er wäre selbst staatlicher oder gesellschaftlicher Amtswalter, verblieben sind). Wer „die Oberen" sind, und wo sie herkommen, t u t nichts zur Sache. Ihre eiserne Stütze ist die Bürokratie, die gewöhnlich auch ohne besondere Rücksicht auf das Etikett, das ihr jeweiliger Staat trägt, weiterarbeitet — hier liegt das Geheimnis der staatlichen Kontinuierlichkeit ungeachtet aller Revolutionen oder sonstiger Veränderungen i n den Staatsstrukturen (jede Kontinuitätslehre ist daher i m Grunde bürokratisch). Übrigens besteht generell Vertrauen darauf, daß der „menschliche Antriebsüberschuß" am Ende doch ein einigermaßen pflichtbewußtes und sachliches Arbeiten des Staates, d. h. der die Geschäfte des Staates besorgenden Menschen, herstellt, worin der Bürger oft auch deshalb nicht enttäuchst wird, w e i l die staatlichen Bürokratien bei aller Verzweiflung, die sie manchmal bereiten mögen, i n der Regel doch schon nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten sind, 1
Krüger, aaO, 381.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft sachlich und dem typischen Menschen gerecht werdend operieren: arbeitermäßig-mechanisch, am Simile ausgerichtet — was nach allen Einsichten und Lehren von der Bedeutung der Präjudizien zumindest Sicherheit verbürgt, streng i m formalen Rechtsstaate, also i m Gesetzesstaate, denkend, neuerdings auch von den staatlichen „Ombudsmännern" beaufsichtigt 1 . Die Staatskontrolle I n der theoretischen Dekapitation des Staates vom persönlichen Herrschaftssubjekt zum „dinglichen" Kontrollobjekt liegt eines der beiden existenziellen, anthropologischen und soziologischen Tatbestandsmerkmale, welche die „neue Welt" von der alten unterscheiden . . . Es gibt ein sicheres Unterscheidungsmerkmal dafür, ob ein Staat, sei er monarchisch, republikanisch, demokratisch oder selbst totalitär (d. h. den einzelnen Menschen total i n Anspruch nehmend, i h n also sozusagen m i t Haut und Haaren fressend!), hic et nunc „ d i r e k t i v " als Herrschaftsstaat oder „mandativ" als Genossenschaftsstaat aufgefaßt w i r d : präsentiert er sich als Herrschaftssubjekt oder als Kontrollobjekt. Faßt man den Staat mandativ (mandatorisch) auf und sieht man dann den Staat nicht nur als Mandatar der Genossen, sondern auch die Genossen als Mandatare des Staates, so ist jeder einzelne Genosse i n seinem Bereiche auch zum Wächter über den Staat und seine Amtswalter berufen — das w i r d oft als echt demokratische Forderung zum Ausdruck gebracht und bildet den Sinn der Kafka-Legende „Vor dem Gesetz": Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, u m sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, b r ü l l t er i h n an: „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn." — I. Was die interne Kontrolle des Staates oder i m Staate anlangt 2 , so gibt es zunächst den „check and double check" der Staatsgewalten, ein ihnen auferlegtes „check-and-balance"-System, das i m übrigen nicht von der Montesquieu'schen Gewsltenteilung, sondern von einer Gewaltenhemmung ausgeht — so w i r d die englisch-amerikanische Separation of power aufgefaßt. Man unterscheidet heute fünf Staatsgewalten: Gubernative, Legislative, Administrative, Exekutive und Judikative — für die Akte der Gubernative existiert allerdings keine feste Definition die Checkformen sind vielgestaltig und verschieden, i n Griechen1 Vgl. z.B. K. H. Ebert, der Ombudsman in Großbritannien, 1968, zum Obrigkeitsstaate hier nur das Buch von Peter Kloeppel, „Gesetz und Obrigkeit", 1891. 2 Uber die externe s. z. B. das umfangreiche Buch des Australiers Julius Ston, Legal Controls of international Conflict, London 1954.
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land gibt es nach A r t . 58 - 78 der Verfassung z. B. eine Kontrolle der Abgeordnetenkammer über die Regierung 1 , i n den Vereinigten Staaten ein hearing-Kreuzverhör der Repräsentanten der Gubernative durch Kommissionen der Legislative. I m übrigen resultieren aus der Geschichte her i n England und i n den Vereinigten Staaten eine Vielzahl von gegenseitigen Hemmungen der Staatsgewalten (und ihrer Einzelinstitutionen): König und Parlament, Common Law und Prärogative, Common Law und Statute, i n der Vergangenheit P r i v y Council und Parlament — i n den Vereinigten Staaten vor allem Präsidenten-Veto und Kongreß-Veto 2 . Nach dem deutschen Grundgesetz erscheint zunächst die Kontrolle der Legislative über die Exekutive, an erster Stelle i n der M i t w i r k u n g der Legislative bei der Bestellung von Bundesorganen: bei der Wahl des Bundespräsidenten bilden die Mitglieder des Bundestages die Hälfte der Abgeordneten der Bundesversammlung (Art. 54), die Wahl des Bundeskanzlers, wenn auch nicht der Minister, erfolgt durch den Bundestag (Art. 63). Kontrolle von Legislative über die Exekutive liegt danach i n der M i t w i r k u n g der Legislative bei der Abberufung des Bundespräsidenten oder Bundeskanzlers vor, i m ersten Falle durch Anklage gem. A r t . 61, i m zweiten Falle durch das konstruktive Mißtrauensvotum gegenüber dem Bundeskanzler nach A r t . 67. Die Kontrolle der Tätigkeit der Exekutivorgane ergibt sich i n folgenden Punkten: a) Recht des Bundestages, die Anwesenheit der Mitglieder der Bundesregierung zu verlangen, damit Recht auf Auskunftserteilung (Art. 43)3. b) Recht der Legislative auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zur Feststellung von Sachverhalten — gem. Art. 44, Abs. 2 GG und § 51 StPO besteht Zeugniszwang. c) Recht der Legislative auf Feststellung des Haushaltsplanes, damit auch weitgehende Kontrolle der Administrative (Art. 110 II), weiterhin i n diesem Zusammenhange das Recht der Legislative auf Genehmigung von Bundesanleihen und Sicherheitsleistungen gem. A r t . 115 und die Pflicht der Bundesregierung zu jährlicher Rechnungslegung gegenüber dem Bundestag nach A r t . 114. 1 Kyriacopoulos, Der Staatsrat in Griechenland, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge, Band 14., Tübingen 1965 (Mohr), 419. 2 Vgl. W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung — Strukturen des Schuldrechts auf der Grundlage des anglo-amerikanischen „check-andbalance"-Systems, Berlin 1958 (Vahlen), 91 A. 211. 3 von Mangoldt-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., 1964, bei Vahlen in Berlin, Bd. I I , Art. 43 I I I 2.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft d) Eine erweiterte Kontrolle steht der Legislative aus guten Gründen i m Bereiche der Wehrverwaltung zu: zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich gem. A r t . 87 a aus dem Haushaltsplan ergeben — das Gebot der absoluten Vollständigkeit des Wehretats blockiert eine unsichtbare Ausdehnung des Wehrapparates, wie sie z.B. bei der „Schwarzen Reichswehr" der Weimarer Zeit unternommen wurde. Der Legislative ist i n der Institution des Wehrbeauftragten nach A r t . 45 b ein Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle des Verteidigungswesens zur Seite gestellt worden — der Wehrbeauftragte w i r d vom Bundestage gewählt, untersteht der Dienstaufsicht des Bundestagspräsidenten, hat einerseits auf Weisung des Bundestages oder des Verteidigungsausschusses als deren Hilfsorgan die Prüfung von bestimmten Vorgängen i m Bereiche des Wehrwesens durchzuführen, andererseits unabhängig nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen den Beschwerden von Soldaten über Verletzungen ihrer Grundrechte nachzugehen (Gesetz vom 26. 6.1957, B G B l I 652). Die Kontrolle der Legislative gegenüber der Judikative zeichnet sich darin ab, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte durch Bundestag und Bundesrat gewählt werden (Art. 94 I 2), ferner i n der M i t w i r k u n g der Legislative bei der Berufung der Richter der oberen Bundesgerichte durch einen Richterwahlausschuß, der zur Hälfte aus vom Bundestag gewählten Mitgliedern besteht (Art. 96 II, 95 III), schließlich i m Antragsrecht des Bundestages bei der Richteranklage gegen einen Bundesrichter gem. A r t . 98 I I . Die Exekutive kontrolliert die Legislative i m Initiativrecht der Bundesregierung i m Bundestag nach A r t . 76, i m Recht der Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihrer Beauftragten, zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse Z u t r i t t und Gehör zu verlangen (Art. 43 II), i m Rechte des Bundespräsidenten auf Auflösung des Bundestages nach A r t . 68 und A r t . 63 IV, schließlich darin, daß Beschlüsse von Bundestag oder Bundesrat, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben erhöhen, nach A r t . 113 der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen. Zumindest ein Einfluß der Exekutive und zugleich der Gubernative auf die Judikative präsentiert sich i n der M i t w i r k u n g des jeweils zuständigen Bundesministers bei der Berufung von Bundesrichtern gem. A r t . 96 I I i n Verbindung m i t A r t . 95 I I I . Die Kontrolle der Judikative gegenüber der Exekutive ist besonders stark, sie besteht i n der grundsätzlich uneingeschränkten Rechtskontrolle aller staatlichen Hoheitsakte durch die sachlich zuständigen
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Gerichte, i m allgemeinen die Verwaltungsgerichte, hilfsweise die ordentlichen Gerichte (§ 40 I VwGO, A r t . 19 IV). Endlich w i r d die Legislative durch die Judikative darin kontrolliert, daß alle Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsmäßigkeit h i n geprüft werden können, entweder auf Vorlegung durch andere Gerichte h i n (Art. 100) oder aber nach Maßgabe einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I I , §§ 90 ff. BVerfGG). A r t . 93 teilt i m übrigen dem Bundesverfassungsgericht weitere Kontrollen über die Staatsgewalten zu. Endlich hat das Bundesverfassungsgericht „zweitinstanzliche" Zuständigkeit bei Beschwerden gegen Wahlprüfungsentscheidungen des Bundestages (Art. 4, II). I I . Eine bedeutungsvolle Sonderart der Kontrollen liegt i n den Aufsichten. Es genügt hier, die hoheitlichen Aufsichten i n Betracht zu ziehen, da die staatlichen Aufsichten i n fiskalischer Beziehung schlechth i n i n das Gebiet der zivilistischen Geschäftsbesorgung nach dem Prinzip „respondeat superior" hinüberführen. Andererseits empfiehlt es sich i n bezug auf die staatlichen Aufsichten nicht, sie, wie es i n der Regel geschieht, als abstrakte, wenn auch konkret benannte Institute vorzuführen, wie z.B. die Bundesaufsicht oder die (in Deutschland hauptsächlich erörterte) Kommunalaufsicht 1 . Vielmehr muß man die A u f sichten „personal dressieren" und darin aufsuchen, daß eine irgendwie personale (wenn auch vielleicht kollegiale und nur dienstlich benannte) Stelle i m Staate eine andere Stelle i m Staate von Adressant zu Adressat beaufsichtigt, wobei sofort an den Dualismus der unmittelbaren und der mittelbaren Staatsverwaltung zu erinnern ist: es gibt Aufsichten innerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und A u f sichten, welche von der unmittelbaren Staatsverwaltung aus über m i t telbare Staatsverwaltungen ausgeübt werden, z. B. vom Staate schlecht h i n über eine m i t öffentlich-rechtlicher Satzungs-Autonomie ausgestattete öffentlich-rechtliche Verbandsperson (äußerstenfalls sogar eine natürliche Person oder eine privatrechtliche Verbandsperson, z. B. den privaten Straßenbauer, der Verkehrsumleitungsschilder aufstellen darf). 1 Aus der Literatur: Gönnewein, Die Kommunalaufsicht als Rechtsaufsicht, Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, 511 ff.; Elleringmann, Grundlagen der Kommunalverfassung und Kommunalaufsicht, 1957; Peters, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1949, 317 ff.; von Turegg, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 3. Aufl. 1956, 274ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl., 1966, 444 ff.; Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917 (die grundlegende Monographie); jüngstens Hans von Mangoldt, Vom heutigen Standort der Bundesaufsicht/Sinn und Möglichkeiten einer Bundesaufsicht unter dem Grundgesetz, Westberliner Dissertation, 1967, s. a. Ekkehart Stein, Wirtschaftsaufsicht, Tübingen 1967.
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W . G.
Becker
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft Die Aufsichten über staatliche Amtsträger ergeben sich als feste Systeme aus dem allgemeinen Schema der Staatsorganisation i n Zentralisation und Dezentralisation, Konzentration und Dekonzentration. A n erster Stelle sind hier die Aufsichten i n der unmittelbaren Staatsverwaltung, die Aufsichten i m Staate, zu betrachten, also so, daß man die mittelbare Staatsverwaltung dabei ganz aus den Augen läßt. Die Aufsichten folgen hier aus den Hierarchien des Aufbaus der Behörden, direktiven Einrichtungen der Staatsorganisation. Die A u f sichten dieser A r t liegen insoweit i m Dienstrecht. Seine Quellen sind i n Westdeutschland für den Bund z. B. das Bundesbeamtengesetz, das Bundesbesoldungsgesetz und die Bundesdisziplinarordnung, für die Länder die Beamtenrechtsrahmengesetze, und die Landesdiziplinarordnungen. Die personale Struktur der Aufsicht (von der eben gesprochen wurde) zeigt sich i n der Rolle des [in erster Linie zur Aufsicht berufenen]) Dienstherrn. Die Dienstherrnfähigkeit folgt bei Bund und Ländern i n Westdeutschland aus ihrer Staatsqualität, bei den Gemeinden und den Gemeindeverbänden aus der institutionellen Garantie der Selbstverwaltung i n A r t . 28 GG, bei den sonstigen Verbandspersonen des öffentlichen Rechts (andere Figuren seien hier außer Acht gelassen!) entweder aus dem Herkommen oder auf Grund von Verleihung durch Gesetz, Rechtsverordnung oder genehmigte Satzung. Der Dienstherr w i r d — wieder i n personaler Benennung — durch den Dienstvorgesetzten vertreten, der seinerseits als Amtswalter für die beamtenrechtlichen Entscheidungen über die sich aus dem Dienstverhältnis ergebenden Angelegenheiten der i h m nachgeordneten Amtsträger zuständig ist 1 . Unmittelbarer Dienstvorgesetzter ist i n der Regel nur der Leiter der Behörde, i n welcher der Beamte seine Tätigkeit ausübt, z. B. der Vorsteher des Finanzamtes. Höherer Dienstvorgesetzter ist der dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten übergeordnete Behördenleiter (z.B. der Oberfinanzpräsident). Oberste Dienstbehörde ist die erste Behörde des Dienstherrn, i n deren Dienstbereich der Beamte eine Amtsstelle bekleidet (z.B. der Ressortminister). Neben dem Dienstvorgesetzten gibt es den Amtsvorgesetzen. Das ist der Amtsträger, der einem anderen Amtsträger nicht nur i n Einzelfällen für seine amtliche Tätigkeit Anordnungen erteilen kann — der Amtsträger w i r d hier nicht i n seinem Beamtenverhältnis, sondern i n seiner internen Amtsstellung angesprochen, z. B. als Abteilungsleiter. Schließlich existiert der bloße Weisungsberechtigte, derjenige Amtswalter, der, ohne Vorgesetzter zu sein, dem unteren Amtsträger i n einzelnen Fällen fachliche Weisungen erteilen kann.
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H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I I , München und Berlin 1962, 334.
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Für Amtsträger, welche nicht Beamte sind, gelten entsprechende Aufsichten. Kennzeichen bestehender Aufsicht über einen Amtsträger ist immer dessen Weisungsgebundenheit. Wo die mittelbare Staatsverwaltung ins B i l d der Aufsicht i m Staate t r i t t , werden die Aufsichtsprobleme schwieriger, weil die Aufsichten i n den die mittelbare Staatsverwaltung betreibenden „nachgesteckten Tubus-Staaten" nicht immer behörden-hierarchisch eingebaut sind. Zwar besteht auch i n solchen Tubus-Staaten oft ein beamtenrechtlicher Instanzenzug. Der Korporation „Freie Universität Berlin" ist z. B. i m Jahre 1954 gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 des Berliner Landesbeamtengesetzes durch Beschlüsse des Senats von Berlin, also der obersten Behörde des Staates West-Berlin, das Recht verliehen worden, Beamtenverhältnisse zu begründen, und die obersten Behörden der Freien Universität, Senat und Kuratorium, beschlossen daraufhin, daß das Kuratorium oberste Dienstbehörde für alle Beamten der Freien Universität und der U n i versitätssenat Dienstbehörde für alle Beamten m i t Ausnahme der i m wirtschaftlichen Bereich beschäftigten sein sollte — woraus sich die entsprechenden Dienstherrn-, Disziplinar-, Dienstaufsichts- und Weisungsbefugnisse (und daraus resultierend die beamtenrechtlichen Fürsorgepflichten) ergaben 1 . I I I . Einige Thesen über eine spezielle Verwaltungskontrolle sind vom Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin-West, H. Külz , in Gießen entwickelt worden. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Kontrolle der Verwaltung durch die Verwaltungsgerichte nicht ausreicht, um die Bürger wirksam vor Ubergriffen oder Willkür der Verwaltung zu schützen. Arten der Verwaltungskontrolle sind (a) die Selbstkontrolle der Verwaltung durch Dienstaufsicht, schwerdeausschüsse und dgl., sowie durch die Rechnungshöfe, (b) die Kontrolle der Verwaltung Bürgerversammlungen, Presse.)
durch die Öffentlichkeit
durch
Be-
(Parlamente,
Der Vorzug dieser Kontrollen gegenüber der Gerichtskontrolle, die notwendig zeitraubend, umständlich und in der Regel kostspielig ist, liegt in ihrer überwiegend größeren Schnelligkeit, Einfachheit und Billigkeit. Bei weiterer gesetzlicher Ausgestaltung solcher Kontrollen (förmliches Verwaltungsverfahren und förmliche Parlamentskontrolle) ist auf die Erhaltung dieser Vorteile Bedacht zu nehmen. Die Selbstkontrolle der Verwaltung ist die schnellste und wirksamste Kontrolle. Sie könnte und sollte insbesondere dadurch erweitert werden, daß sie an bestimmten Schwerpunkten vorbeugend ausgeübt wird. Soweit die Selbstkontrolle der Verwaltung i m förmlichen Verwaltungsverfahren gesetzlich weiter ausgeformt wird, insbesondere durch Einschal1
U. v. Lübtow, Die Ernennung von Professoren des Rechts zu Mitgliedern der Justizprüfungsämter, Berlin 1964, Duncker & Humblot, 21, s. a. das Berliner OVG, Entscheidungen, Band 7, 99, 105. 1 *
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft tung von Ausschüssen, ist zu bedenken, daß eine allzu starke förmliche Ausgestaltung mit der unvermeidlichen Verlangsamung und Komplizierung des Verfahrens wiederum zu Lasten der Betroffenen gehen kann. I n Ländern ohne ausgebildete gerichtliche Verwaltungskontrolle stellen sich die Fragen eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit quasi-richterlichen Kontrollorganen (z.B. „tribunals" in England) anders als in Ländern mit ausgebildeter Gerichtskontrolle. Auch die Kontrolltätigkeit der Rechnungshöfe dient dem Schutze der Bürger, indem sie der Willkür entgegentritt und die sparsame und wirtschaftliche Verausgabung der Steuergelder kontrolliert. Der bisweilen wahrzunehmenden Neigung der Verwaltung, in Zweifelsfällen aus Besorgnis vor der Rechnungsprüfung mit möglicher Regreßnahme besonders i m Bereiche der darreichenden Verwaltung eine beanspruchte Leistung eher zu versagen als zu bewilligen und sich auch auf keine vergleichsweise Regelung einzulassen, ist entgegenzutreten. I n der Beurteilung von Rechtsfragen sind Überschneidungen oder gar aus-* einandergehende Entscheidungen zwischen Rechnungshöfen und Gerichten unbedingt zu vermeiden. Das Bewußtsein, unter ständiger Kontrolle der Öffentlichkeit (Parlament, Presse usw.) zu stehen und zu arbeiten, gehört zu den selbstverständlichen Wesenszügen einer demokratischen Verwaltung; es darf dies weder als diskriminierend noch als hemmend empfunden werden. Die tatsächliche Ausübung dieser Öffentlichkeitskontrolle durch Aufgreifen eines Einzelfalles oder etwaiger Mißstände in der Verwaltung muß die Ausnahme bleiben, beschränkt auf Fälle wirklich allgemeinen öffentlichen Interesses, das aber auch durch die besonderen Umstände eines Einzelfalles gegeben sein kann. Die Parlamentskontrolle der Verwaltung vollzieht sich vor allem durch die Haushaltsgestaltung; die Durchleuchtung und Beurteilung der Verwaltung bei Gelegenheit der Beratung und Verabschiedung der Einzelpläne der öffentlichen Haushalte ließe in der Bundesrepublik Deutschland eine Versachlichung, aber auch eine gewisse Intensivierung wünschen. Die Parlamentskontrolle der Verwaltung in Einzelfällen (durch kleine Anfragen, durch Petitionsausschüsse usw.) ist in Deutschland wenig ausgebildet und ließe ebenfalls eine gewisse Intensivierung, etwa nach dem Vorbilde Englands, wünschen. Zur Intensivierung der Parlamentskontrolle wäre die Einführung eines Parlamentsbeauftragten nach skandinavischem Vorbild („Ombudsmann") zu erörtern, der neuerdings auch in England eingeführt werden soll. Gegenüber und neben der Gerichtskontrolle der Verwaltung brauchte darin nichts Uberflüssiges zu liegen; im Gegenteil könnten dadurch die Gerichte entlastet werden. Die Pressekontrolle der Verwaltung entzieht sich allgemeinen Regeln und Erfahrungssätzen; unerwünschten Formen der Kontrolle und Kritik durch die Presse ist am zweckmäßigsten dadurch vorzubeugen, daß die Verwaltung durch Pressestellen oder dgl. ein ständiges Vertrauensverhältnis zur Presse schafft.
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Daß Verwaltungsakte, und nur Verwaltungsakte, der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unterliegen, stimmt in etwa. Genau genommen ist das Kriterium „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art" (§ 40 VwGO). Daher stimmt die Ansicht mit folgenden Einschränkungen: a) Gubernativakte können ausnahmsweise auch einmal Verwaltungsakte sein und würden dann auch auf dem Verwaltungsrechtsweg angreifbar sein — meistens sind jedoch die Verfassungsgerichte hier zuständig. b) Legislativakte werden von den Verwaltungsgerichten im Rahmen der Normenkontrolle (allerdings auch selten) geprüft. Hier ist zu unterscheiden die sog. konkrete Normenkontrolle, bei der incidenter die Verfassungsmäßigkeit einer Norm als Vorfrage von jedem Gericht geprüft werden kann, von der abstrakten Normenkontrolle (§ 47 VwGO), nach der der Landesgesetzgeber bestimmen kann, daß das zuständige O V G über die Gültigkeit einer landesrechtlichen Verordnung oder einer anderen unter Landesrecht stehenden Rechtsvorschrift entscheidet, soweit nicht auch hier Kompetenz des Verfassungsgerichts vorliegt. c) Judikativakte
sind nie von den Verwaltungsgerichten nachprüfbar und
d) Exekutivakte nur, sofern sie „öffentlich-rechtliche oben genannten Sinne sind.
Streitigkeiten"
im
Sozialgerichte sind wie Finanzgerichte spezielle Verwaltungsgeridite.
Staatskontrolle:
Rechtsstaat und Sozialstaat
Der Streit zwischen der Auffassung des Staates als eines Rechtsstaates oder als eines Sozialstaates ist vor allem seinerzeit von H. Triepel aufgenommen worden — Triepel war mehr für den Rechtsstaat, A r t . 20 GG bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland bekanntlich als einen „demokratischen und sozialen Bundesstaat" (s. aber a. A r t . 28). „Die Grundwerte des Rechtsstaates sind Leben, Freiheit und Eigentum. Die Grundwerte des Sozialstaates sind dagegen Existenzsicherung, Vollbeschäftigung und Erhaltung der Arbeitskraft i m Interesse der breiten abhängigen Massen" (Huber). „Das Entscheidende am Sozialstaat ist die Bändigung des sozialen Konflikts, i m sozialen Kontakt. Dazu gehört: erstens, daß die Klassen einander nicht i n kastenmäßiger Abgeschlossenheit gegenüberstehen, sondern den Tüchtigen der soziale Aufstieg möglich ist; zweitens, daß die Klassen einander nicht i m vernichtenden Klassenkampf, sondern trotz der Konfliktslage i n der Bereitschaft zur sozialen Partnerschaft begegnen; drittens, daß die Dekkung des Daseinsbedarfs der breiten sozial abhängigen Schichten nicht dem Automatismus des Kampfes ums Dasein überantwortet bleibt, sondern als Aufgabe der sozialen Daseinsvorsorge des Staates betrachter w i r d " 1 . 1 E. R. Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, 252 ff., s. a. 249 f. und bes. 258 und 261.
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E x k u r s : Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft
M a n k ö n n t e m e i n e n , daß das G r u n d g e s e t z m i t d e r F o r m e l v o m sozialen Rechtsstaat sagen w o l l t e , daß das rechtsstaatliche u n d das sozialstaatliche E l e m e n t sich t r o t z u n l e u g b a r e r G e g e n s ä t z l i c h k e i t n i c h t ausschlössen, daß „ k e i n e bloße A d d i t i o n v o r l ä g e , s o n d e r n e i n v o n d e r N a t u r d e r Sache h e r z u s a m m e n g e h ö r i g e s G a n z e s " 1 . M a n w i r d w e i t e r zugeben müssen, daß e i n spezifischer sozialer Schutz d e r B ü r g e r d u r c h d e n S t a a t — auch w e n n dieser sich n i c h t s c h l e c h t h i n als „ W o h l f a h r t s s t a a t " d e k l a r i e r t ! — sich d u r c h d i e i n z w i s c h e n g e w o n n e n e E r f a h r u n g als n o t w e n d i g gezeigt habe, daß eben d u r c h a u s n i c h t j e d e r d e n M a r s c h a l l stab i m T o r n i s t e r t r ä g t . Trotz allem bleibt, daß Art. 20 GG mit der einen Hand den Rechtsstaat gibt, ihn aber, indem er ihn zum Sozialstaat macht, auch wieder wegnimmt — das alte Bedenken Triepels. Solche Doppelhändigkeit wirkt sich praktisch lebhaft aus: wenn ein Student einen leistungsfähigen Vater hat, kann er heiraten, Erwerbsarbeit ablehnen, Kinder zeugen und „in angemessener Weise" studierend seine Ausbildung betreiben, alles zu Lasten des unterhaltspflichtigen Vaters, bis ihm der Bart durch den Tisch wächst Die Aufnahme des Sozialstaates ins Grundgesetz entstammt sozialistischen Gedankengängen. Der Sozialstaat trägt daher gewisse Eierschalen des Klassenstaates an sich, nämlich den Wunsch einer (sich durch alle sozialen Schichten hindurchziehenden) Klasse, „deren Ziel die Existenzsicherheit durch Staatshilfe ist und die statt des Anspruches auf den Staat, wie ihn die Arbeiterschaft in der Zeit ihres größten Selbstbewußtseins erhob, A n sprüche an den Staat stellt" (Konrad Heiden nannte die Klasse dieser Anspruchskategorie freilich die „SA-Klasse" . . . Daß der Sozialstaat in den kapitalistischen Ländern (auf die in diesem Zusammenhange beschränkt sei) in unaufhaltsamem Vorgehen ist, zeigt der nordamerikanische Vormarsch des Sozialstaates gegenüber dem Rechtsstaate, hier vor allem auch im Geleitschutz der aufrückenden police power 1 .
Staatskontrolle:
Rechtsstaat
D e r Rechtsstaat t r i t t als „ m a t e r i a l e r " oder als „ f o r m a l e r " Rechtsstaat a u f — „ t h e o r e t i s c h " ü b e r w i e g e n d als m a t e r i a l e r , p r a k t i s c h als f o r m a l e r .
1
Literatur zum Sozialstaat z.B. bei Christian Friedrich Menger, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates (in den Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtlehrer, Heft 12, Berlin 1954); Der Begriff des sozialen Rechtsstaates, 1953, Tübingen); vgl. auch Hamann, Kommentar zum Grundgesetz, Neuwied 1956, 207 f. — Hamann, Kommentar zum Grundgesetz, Neuwied 1956, Luchterhand, notiert auf S. 207 f. zu Art. 20 Abs. 1, daß man, um den Sozialstaat durchzusetzen, sich möglicherweise über das Recht hinwegsetzen müsse. — Übrigens ist der Sozialstaat zweifellos auch ein Beiprodukt der im modernen Gruppenleben unumgänglichen Planung und ihres Rechts (vgl. z. B. R. Herzog, Planung, Evangelisches Staatslexikon, 1966, 1521 ff.).
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Z u m Ausdruck kommt der Rechtsstaat i n seiner allgemeinen Struktur, i m „government by rule of l a w " — wie die Anglo-Amerikaner sagen — dann i n den „Aufsichten", die i m Gegensatz zur „Rechtsaufsicht" auch „Zweckmäßigkeitsaufsichten" sein können, deren K e r n aber die Rechtsaufsicht bleibt 1 . Daß i n einem Staat überhaupt Recht angewandt wird, ergibt sich, wie mehrfach bemerkt, schon aus der Staats-Genese und erscheint also selbstverständlich, so daß nicht etwa darauf hingewiesen zu werden braucht, daß es dem Rechtsstaat entspricht, Gewaltakte zu verhindern und eventuell zu bestrafen. Was den Rechtsstaat als das Prinzip der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" betrifft, so richtet er sich offensichtlich am formalen Rechtsstaat aus. Man kann diese A r t Rechtsstaat aber auch als „liberales" M i t t e l des „Bürgers" sehen, die öffentlichen Gewalten zu begrenzen: so trug kürzlich Ernst K . Pakuscher eine Darstellung des deutschen Verwaltungsrechts i n Nordamerika unter dem Titel „Citizen v. State" vor 2 . A m unbekanntesten ist der Rechtsstaat als Prinzip der Aufsicht über die Handlungen von staatlichen oder quasi-staatlichen Amtsträgern. Solche Kontrolle ist zunächst einmal externer, inter- oder supranationaler A r t , z.B. durch internationale Gerichtshöfe. A n wichtigerer Stelle steht die interne Kontrolle, zunächst die gemäß den Verfassungen „abstrakt" erfolgende, dann aber die konkrete, interne Spezialkontrolle als Aufsicht irgendeiner staatlichen Instanz über die staatlichen oder quasi-staatlichen Amtswalter — hier wieder, je nachdem, ob der Staat einen Quasi-Staat als Selbstverwaltungsverband beaufsichtigt oder ob der Staat bzw. der jeweilige Quasi-Staat seine Instanzen selbst beaufsichtigt, i n vertikaler oder i n horizontaler Aufsicht, i n IntraorganAufsicht oder i n Interorgan-Aufsicht (K. Loewenstein). Der Häuptling ist zuallererst Wächter — m i t dieser staatsaufsichtsbewußten Feststellung schließt das Valam Olum, „die rote Einritzung", die berühmte Bilderchronik der Lenapen, der Urbilder der Cooper'schen Indianergeschichten, und „Who watches the watchman?", fragte M a x Rheinstein i n Chicago vor zwanzig Jahren m i t geradezu indianischem Gepräge 3 . — 1 U. v. Lübtow, Autonomie oder Heteronomie der Universitäten, 1966, 33 - 35. 2 Abgedruckt in: The American Journal of Comparative Law, Vol. 16, No. 3, 309 ff. — Die „Demokratie" beantwortet die Frage, wer die öffentlichen Gewalten ausüben sollte, der Liberalismus die Frage, wie die Ausübung der öffentlichen Gewalten, ganz abgesehen davon, wer sie ausübt, zu begrenzen ist. 3 Jetzt in: Essays in Jurisprudence in Honour of Roscoe Pound, 1962.
Exkurs: Verbände, juristische Person, Staat, Gesellschaft W i r sprechen i m Anschluß an Rousseau von einer plebiszitären, unmittelbaren Demokratie (einige Schweizer Kantone!, auch das „Volksbegehren"!) oder i m Anschluß an Montesquieu von einer repräsentativen, mittelbaren Demokratie, die Normalform der westlichen Länder (die Weimarer Republik hatte beide). Beide Demokratie-Auffassungen sind nicht nur quantitativ unterschiedlich, sondern widersprechen sich wegen ihrer diametral entgegengesetzten Menschenbilder und dem daraus abgeleiteten Staatsaufbau auch qualitativ. A u f die Dauer sind beide Arten der Demokratie unvereinbar — das Schicksal der deutschen Weimarer Verfassung, die sowohl starke plebiszitäre wie repräsentative Elemente enthielt, ist der Beweis dafür. Die Väter des Grundgesetzes konzipierten dieses ausdrücklich als repräsentative Verfassung, damit als wertgebunden, aber das plebiszitäre Demokratieverständnis beginnt vorzubrechen. Der bei uns wieder ins Gespräch gekommene, in Rußland dem Namen nach regierende Rätestaat ist ein Beispiel dafür. Er verlangt nicht die repräsentative, sondern noch eine zugespitzte Form der plebiszitären Demokratie, welche direkte Demokratie genannt wird: wenige Kader, die genügend Schulung, Vorbereitung und Erziehung hätten, könnten i m entscheidenden Augenblick das entscheidende Wort sprechen — durch sie käme es danach zu den Räten, die nicht immer demokratisch, aber doch für eine Mehrheit des Volkes sprächen und handelten. Es ginge dabei um die Manipulation der „Arbeitermassen" durch eine revolutionäre Avantgarde. Dabei wird auch Aggression, Gewalt und Rechtlosigkeit gerechtfertigt. Erstrebt wird „eine unmittelbare Umsetzung des Volkswillens in politische Realität". Demokratischer Schutz des Individuums wird höchstens unter Einschränkungen gewährt. Die Räte geben ihre Gesetze und vollziehen sie auch, es gibt also keine Gewaltentrennung. Die Richter sind gewählt, absetzbar und verantwortlich. — Damit wird der Bolschewismus des Jahres 1903 und Lenin aufgenommen. Kommunismus ist eben Sozialismus mit Diktatur — hier der Ratsmitglieder ...
Staatskontrolle:
Demokratie
Die umfassendste Überwachung des Staates w i r d heute i n der Demokratie gesehen1. U m das Zeichen „Demokratie" aus der Sphäre des Slogans und des show-Wortes, i n der es sich mehr und mehr bewegt, herauszureißen und zu verwahren, muß man zuerst das alte griechische Vokabular von „arche ... Die der Wahrheit (und der Wahrhaftigkeit) abgewandte Haltung scheint auch auf Lebenslüge und Unredlichkeit zu beruhen. Vor allem die Unredlichkeit ist dabei nach Kierkegaard eine grundsätzliche Charakterschwäche der Epoche. Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, man soll sie hören alle beede. Dieses dialogische, vielleicht schon dialektische Element des Begriffs und des Lebensvorgangs 1
Benedetto Croce, in der Zeitschrift „Corona", 1936.
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E x k u r s : Das totale Recht
der Rede gilt nicht nur für die ausgesprochene Rede, sondern auch für die Vor- und Aufbereitung der äußeren Rede i m inneren gedanklichen Selbstgespräch. Niemand hat dies trefflicher zum Ausdruck gebracht als der redliche Matthias Claudius: „Man soll aber die Entscheidung wollen und i n seiner Kammer oder nachts auf seinem Lager die zwei feindlichen Kräfte aneinanderbringen und sie i n seinem Herzen gleichsam kohibieren und sie so lange miteinander bewegen und miteinander ringen lassen, bis man sich aufrichtig bewußt ist, daß das bessere Gesetz die Oberhand behalten habe und unsere wahre Meinung und unser wahrer Sinn sei". So der gute Mensch von Wandsbek. Unredlichkeit i n diesem Sinne ist das, was Goethe wenig nach i h m noch Schalkheit nannte, m i t der mittelalterlichen Bezeichnung für Taubsein oder eine Verschweigung (es erhellt auch- hieraus, daß Unredlichkeit nicht immer schuldhaft zu sein braucht). Der jesuitische Probabilismus, welcher lehrt, ohne Rücksicht auf eigenes Urteil den Meinungen einer anerkannten Autorität zu folgen (eine bewußt oder unbewußt von den irreführenden Propagandisten überall von Herzen bejahte Maxime) führt unmittelbar i n die Unredlichkeit hinein. M i t der Erkenntnis des Phänomens der Unredlichkeit erledigten sich ganze Belege von Traktätchen-Literatur, i n denen vor allem die Propagandalüge sich so gern vor einem breiteren Publikum löst 1 . Ein Beispiel für mündliche Traktätchen-Kannegießerei sind die Ausführungen von Adolf H i t l e r über den deutschen „Brotpreis", der sich seit dem 13. Jh. bis zum Jahre 1927, als die bösen Juden das Steuer ergriffen, nicht geändert hätte — man bedenke, daß über den deutschen Brotpreis i m Laufe der Jahrhunderte w o h l n u r der sachlich urteilen kann, der sich sein Leben lang m i t diesen Dingen beschäftigt hat — ganz abgesehen von den i m Laufe der Jahrhunderte sehr voneinander abweichenden und schwankenden verschiedenen deutschen Währungen, etwa der der Grafschaft Katzenelnbogen (s. dazu den Aufsatz „Urteile" 1 Vielleicht ist aber die Absage an die Unredlichkeit konstitutionell bedingt: „Er gehörte nun einmal zu jenen glücklich-unglücklichen Naturen, die jeden Widerspruch, der ihnen entgegentritt, auflösen müssen, ihn nicht mit einem Apage beiseiteschieben können. Er hatte eben den Hunger nach dem Maß und Gleichmaß aller Dinge, den so wenige Menschen begreifen, und welcher so schwer zu befriedigen ist, und der vollständig nur durch den Tod befriedigt wird" (W. Raabe, Hungerpastor, Anfang des 19. Kap.). — A l l gemein-wichtig ist in diesem Raabe-Zitat die Betonung der menschlichen Konstitution — die beliebten soziologischen Sprachzeichen der Klasse, des Standes, der Schicht sind eben nur sekundärer Art, und die Herstellung „der Harmonie zwischen dem, was ein Mensch seiner Anlage entsprechend ist, und dem, was er lebt, ist gleichbedeutend mit Gesundheit" (A. Jores). Man könnte auch hier das juristische Zeichen (das Zeichen der Echtheit!) von der „existentiellen Loyalität" einsetzen, und auf jeden Fall gibt es hier eine Bestätigung der bekannten Goethe'schen Verse am Anfange der „UrworteOrphisch".
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— unter Zugrundelegung der vom deutschen Institut für die Erforschung der nationalsozialistischen Zeit herausgegebenen Tischgespräche Hitler's — „Aufklärung", Gelsenkirchen 1951,183 ff.). Die Kurzschluß-Reaktion des Wahrheitstriebes — der i m übrigen allem Erkenntnistrieb zugrunde liegt, führt dann zu Erscheinungen, die dem Zuge der Lemminge ähneln. Dabei kommen w i r auch auf eine Auffassung vom Recht, welche dieses vor allem als Establishment oder System „der Herrschenden" n i m m t — doch kann man i n den §§ 1 oder 433 BGB beim besten Willen keine Herrschlust feststellen! A m wichtigsten beim Rechtslernen seien dann die „Tricks", m i t denen man das Recht umgehen kann. Aus alldem entsteht seit langem laufend eine „Rechtsperversion" 1 . W i r stecken zwar i m Moment anscheinend weder i n einer pervertierten Rechtsordnung, noch i n einer total pervertierten Sittenordnung. A u f der anderen Seite ist aber zumindest eine partiell pervertierte Sittenordnung — die Perversion des Gesetzes „ i t isn't done" — dauernd u m uns herum, zum Beweise genügt das i n diesem Falle bittere Augurenlächeln. Der Widerstand dagegen, der uns i n diesen partiellen Fällen genauso zur Aufgabe gemacht w i r d wie der Widerstand gegen die pervertierten Rechtsordnungen, erfordert geradezu „Abwehr-Bullen" — Kräfte und führt womöglich zum unrühmlichen Märtyrertode durch Herzinfarkt — die pervertierte Sittenordnung stellt solche Gefährdung ihrer Opposition stets „verschlagen" i n Rechnung. Zeigt also die Verdeutlichung des Perversionswiderstandes an diesen konkreten Verhältnissen, daß Resignation und Voltaire'sche „Flucht i n den Garten" einzig ratsam zu bleiben scheinen? — Verantwortungsbewußt sein heißt: „dennoch die Schwerter halten . . . " ! Vielleicht kann man den Zirkel, i n welchem dem Schlechten gegenüber opponiert werden muß, verengern und auf den eigenen Lebens- und Arbeitsbereich zurückschrauben. Es kommt hier auf das „ m y house, my Castle" heraus, das unter allen Umständen i n Ordnung gehalten w i r d — über den kategorischen Imperativ hin gibt es möglicherweise sogar eine Ausweitung dieses „Widerstandes von unten her" i n die salus publica. Äußerstes Reduit, aber immer noch Widerstand, wenn auch bloß passiver, bliebe dann die Feststellung: „Leider ist man kein Herakles und demnach gegen die Hydra machtlos. Nur dazu bleibt man in der Lage: sie unbedingt nie zu streicheln 2 ." 1
F. v. Hippel, Die Perversion von Rechtsordnungen, 1955. K. Hiller, Der Aufbruch zum Paradies, München 1952, 175. — Auch der Franzose R. Gary sei in diesem Zusammenhang zitiert: „Seine Stimme verkündete auf eine schwer erklärbare, aber unwiderlegliche Weise, daß für eine große Herde die Stunde des Zusammenbruchs geschlagen hatte — ungeschickte, erschütternde Riesen, die verbissen ein bestimmtes Ideal mensch2
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Die subjektive Widerrechtlichkeit
Die subjektive Widerrechtlichkeit Bei der Prüfung der subjektiven Widerrechtlichkeit, genauer: des subjektiven Bewußtseins der Widerrechtlichkeit, treten wir, nachdem w i r die Subjektivität des Delinquenten bereits unter dem Tatbestandsmerkmal der Handlung betrachtet haben (sofern w i r die Handlung als finale Handlung auffassen), i n eine zweite Aufarbeitung des subjektiven Sachverhalts ein (sonst i n die erste). Freilich beschränkt sich diese subjektive Prüfung auf die Gesichtspunkte des Schadenseintritts und der Handlung: wer i n der Dunkelheit ein fremdes Grundstück betritt und dabei wertvolle Blumenanlagen zerstört, ist dem Eigentümer schon dann schadensersatzpflichtig, wenn er wußte oder hätte wissen müssen, daß er sich auf fremdem Boden befand — von dem Vorhandensein der Blumenanlagen (genauer: des Rechtsgutes des Eigentums an den Blumen) braucht er nichts zu wissen (R. Schmidt). Bei der Prüfung der subjektiven Widerrechtlichkeit muß man nolens volens wenigstens analog an die Maßstäbe des Verschuldens anknüpfen, tut man das nicht, landet man bei Rechtfertigungsgründen, i n Sonderheit „faktischen". Wäre diese Unterscheidung beherzigt worden, hätte man der berühmten und viel erörterten Entscheidung des großen Z i v i l senats in BGHZ 24, 21 ff., nicht Konfusion der Tatbestandsmerkmale „subjektive Rechtswidrigkeit", also „Rechtswidrigkeitund Verschulden vorwerfen können: Ein Fahrgast ist zu Fall gekommen und überfahren worden. Der Verletzte behauptete, die Straßenbahn sei schon abgefahren, als er noch im Begriff war, einzusteigen. Nach der Gegendarstellung wurde das Abfahrtsignal erst gegeben, als niemand von den an der Haltestelle Stehenden mehr Anstalten machte, einzusteigen. Der betrunkene Kläger sei dann der Straßenbahn nachgeeilt und habe versucht, aufzuspringen. Da der Vorgang nicht aufzuklären war, war nicht erwiesen, daß Fahrer oder Schaffner irgendwie fehlerhaft gehandelt hatten, so daß Fahrer und Schaffner und darüber hinaus die nach § 831 in Anspruch genommene Straßenbahngesellschaft freigestellt werden mußten. Demgegenüber rechtfertigte der Große Senat seine abweichende Entscheidung dahin, daß es nicht unbillig sei, daß derjenige, aus dessen Bereich die Gefährdung hervorgegangen sei, den Beweis hinsichtlich des Zustandekommens der Schädigung zu führen und sich damit evtl. zu entlasten habe, im Grunde als beweisrechtlich, materiellrechtlich nur im Sinne einer „Sphärentheorie" und im Sinne der schwer zu widerlegenden Meinung, daß jemand nicht widerrechtlich nach § 831 handeln könne, wenn er sich verkehrsrichtig verhielte 1 . licher Anständigkeit verfolgten — wenn man schon nicht mehr von Toleranz, Gerechtigkeit oder Freiheit sprechen will" — und: „Manchmal glaube ich, daß Orsini ganz einfach — wenn auch mit dem Mute des Kläffers, seine eigene Niedrigkeit gegen einen allzu hohen Begriff vom Menschen verteidigte — gegen einen Begriff, der ihn ausschloß." 1 Dazu E. v. Caemmerer, aaO, I, 529, 540 f., im ganzen wohl beipflichtend, auf 534 mit Hinweisen darauf, daß die Gehilfenhaftung im Rechtskreis des
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Daher könnte man bei der Bejahung des subjektiven Bewußtseins der Widerrechtlichkeit auch etwas großzügiger sein als Berliner Gerichte, die vor einigen Jahren die verleumderische Anzeige zu Lasten eines Beamten bei dessen Behördenchef als subjektiv angesichts des Bildungsstandes des Verleumders nicht widerrechtlich bezeichneten — hier muß der Gesichtspunkt der „existentiellen Illoyalität" besonders beachtet werden: man soll das Dasein der Mitmenschen m i t denselben Augen ansehen wie das eigene, oder anders gesagt: man darf dem Dasein des Mitmenschen gegenüber nicht illoyaler sein als man es dem eigenen Dasein gegenüber ist, also die Verschuldung i m Sinne der alten „goldenen Regel": „was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu" . . . (s. o. S. 67). Man könnte zu dieser Gleichstellung von Widerrechtlichkeit und Verschulden zuerst meinen, daß § 831 nicht von Gehilfen verschulden, sondern von Gehilfenwiderrechtlichkeit spricht.
Die deliktischen Rechtfertigungsgründe Es gibt Rechtfertigungsgründe, welche die Widerrechtlichkeit der deliktischen Grundnorm, die objektive Widerrechtlichkeit ausschließen. Insofern muß das Wort „widerrechtlich" i n § 823, 1 weniger substantiell als funktionell gelesen werden: widerrechtlich ist dasjenige Handeln/ Unterlassen, das nicht irgend rechtlich legitimiert ist, dann ist das entsprechende Handeln/Unterlassen eben Delikt. Die Rechtfertigungsgründe führen deliktsrechtlich zum Ausschluß der objektiven Widerrechtlichkeit, woraus folgt, daß die subjektive Widerrechtlichkeit i n diesen Fällen gar nicht mehr untersucht zu werden braucht, geschweige denn das subjektive Verschulden. Man hätte i n die bekannten strafrechtlichen Fragestellungen einzutreten, ob ein Rechtfertigungsgrund oder ein Schuldausschließungsgrund vorlag (oder gar ein bloßer Strafausschließungsgrund). Z i v i listisch braucht man das nicht, eine objektive Rechtfertigung der Handlung/Unterlassung genügt, diese Rechtfertigung schließt eben das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit aus. — Danach ist dann zu unterscheiden, ob es sich um wirkliche Rechtfertigungsgründe, oder nur um scheinbare handelt. Was die putativen Fälle der Rechtfertigungsgründe anlangt, also den tatsächlichen oder rechtlichen I r r t u m über einen Rechtfertigungsgrund, so muß man hier vor allem auf die subjektive Widerrechtlichkeit eingehen: objektiv stellt lediglich § 231 BGB für die Selbsthilfe fest, daß Code Civil und der anglo-amerikanischen Rechte für den Geschäftsherrn milder geregelt sei.
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demjenigen ein objektiver deliktischer Rechtfertigungsgrund zur Verfügung steht, der deliktische Handlungen i n der irrigen Annahme vornimmt, daß die für den Ausschluß der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen vorhanden seien — er haftet dann auf Schadensersatz, auch wenn der I r r t u m nicht subjektiv schuldhaft ist: „Die Haftung aus irrtümlicher Selbsthilfe gehört zu den Handlungen, bei denen nur aus objektiver Widerrechtlichkeit gehaftet wird, und daher subjektive Zurechnungsfähigkeit nicht erforderlich ist" (Bienenfeld). Ein faktischer Rechtfertigungsgrund w i r d z.B. verschämt m i t dem rechtfertigenden Ausdruck „Handeln auf eigene Gefahr" angesprochen: ein männlicher Gastwirtschaftsbesucher verunglückte auf der Treppe zur Damentoilette, und RGZ 87, 128 sprach den Gastwirt von der Haftung frei, w e i l der männliche Gastwirtschaftsbesucher „sittenwidrig" auf dem Wege zur Damentoilette war, also „auf eigene Gefahr" handelte — i n Wahrheit steht hier der evtl. Rechtswidrigkeit des Gastwirtes (Verkehrspflichtverletzung!) ein faktischer Rechtfertigungsgrund entgegen. Gut das Schwab'sche Beispiel i n JZ 67, 14: Ein Wohnungsinhaber läßt versehentlich den Hahn des Gasbadeofens offenstehen. Ein Einbrecher dringt i n das Haus ein und als er das Licht einschaltet, kommt es zur Explosion, die Ansprüche des verletzten Einbrechers werden m i t Recht zurückgewiesen, w e i l es nicht angeht, daß jemand zuerst einbricht und dann auch noch finanzielle Forderungen Isteilt. Der „faktische Rechtfertigungsgrund" beruht i m tiefsten wieder auf einer rechtlichen Abwägung, nämlich der, ob eine Rechtsposition als schützenswert angesehen werden soll oder nicht. — Die „Legitimationen" der Gewalt sind oft deliktische Rechtfertigungsgründe (s. o. S. 217). Es gibt keinen „abgeschlossenen Katalog von Rechtfertigungsgründen i m Sinne eines numerus clausus, welcher der Rechtsentwicklung Grenzen setzen würde" (BGHZ 24, 25), die deliktische „Fallgruppen-Jurisprudenz" feiert hier also besondere Triumphe. Insbesondere sind auch die faktischen Rechtfertigungsgründe zu beachten (faktisch ist bekanntlich jeder innere und äußere Vorgang, welcher wahrgenommen werden kann), Beispiel: die Wahrung der Verkehrssorgfalt — wie dies, richtig gesehen, i n BGHZ 24, 28, 1957, zum Ausdruck kommt. Faktisch eine Gewalt oder ihre Anwendung rechtfertigend ist vor allem die „gelungene" Revolution (s. o. S. 218). Die Rechtswidrigkeit ist auch ausgeschlossen, wenn dem Täter ein eigenes Recht zum Handeln/Unterlassen zur Seite steht, das seinerseits auf privatrechtlicher oder auf öffentlichrechtlicher Grundlage beru-
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hen kann — Beispiele geben die Selbsthilfe des § 859, der öffentliche Glaube des Grundbuches nach §§ 892 f., die Eigentümerbefugnisse des § 903, die Überhangsbeseitigungs-Befugnis des Grundstückseigentümers nach § 910 BGB, die Festnahme gemäß § 127 StPO, der berechtigte Waffengebrauch z. B. bei der Tötung eines aufsichtslos herumlaufenden fremden Hundes laut jagdpolizeilicher Vorschrift. Auch die Wahrnehmung berechtigter Interessen bei einer beleidigenden Zeugenaussage gehört über § 823, 2 hierher, weiter die Gesetzesermächtigung, z. B. des Inhabers der elterlichen Gewalt nach § 1631, überhaupt die Legitimationen der Gewaltanwendung (s. o. S. 217) dann Notwehr und Notstand, letzterer einschließlich des üb er gesetzlichen Notstandes und des Befehlsnotstandes, schließlich die Einwilligung des Verletzten. — Die Faktizität mancher Rechtfertigungsgründe wandelt z. B. den Notstand, der psychologisch und strafrechtlich als bloßer Schuldausschließungsgrund behandelt wird, zum Rechtsfertigungsgrund um 1 , und das gilt auch für die Sonderarten des Notstandes, die Notstandsverteidigung des § 228 BGB, den Notstandsangriff des § 904 und die Selbsthilfe des § 229. — A l l e psychologischen Überlegungen, insbesondere die über Mittel, Zweck und Folge werden i n bezug auf die Rechtswidrigkeit herangezogen 2 . Auch der Gedanke des Rechtsmißbrauchs, der nicht i m BGB, w o h l aber i m A r t . 2, 1 ZGB erwähnt wird, auch das Schikaneverbot des § 226 BGB 3 (RGZ, 72, 251 ff.) — der Vater verbietet dem Sohn, das auf dem Vatergrundstück gelegene Grab der Mutter zu besuchen, auch die Vorschriften des BGB über die sonstigen Haftungen wegen gemißbilligten „Verhaltens", z. B. die §§ 122, 276, 858, 862 BGB, auch die des § 826, auch die Rechtfertigung durch einen Geschäftsführer ohne Auftrag nach Maßgabe des § 679 BGB. — Zunächst der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Verletzten 4 . — Die Einwilligung des Verletzten ist nach der herrschenden Meinung eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, welche auf Seiten des Einwilligenden dann also die Geschäftsfähigkeit voraussetzt, wäh1 Literatur bei Bienenfeld, 474, im übrigen nur E. v. Caemmerer, 568 und § 54 StGB, Caemmerer, 564. 2 Bienenfeld, 411 f. 3 Der Unterschied zwischen Rechtsmißbrauch schlechthin und Schikane liegt darin, daß der objektive Zweck eine Tat zu einem rechtlichen Mißbrauch erhebt, während bei der Schikane auch subjektive Schädigungszwecke des Täters mitsprechen (Bienenfeld, 459). 4 I m März 1908 erschien das (vergriffene) Werk von Kurt Hiller „Das Recht über sich selbst", welches, außer der Einwilligung in Verletzung (und Tötung), u.a. die Selbstverstümmelung, den Selbstmord und die Fruchtabtreibung juristisch behandelte und in Anbetracht der neuen Denkmoden der Vergessenheit entrissen werden sollte.
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rend die Bewußtseinslage des Einwilligungsempfängers real-aktuell/ deliktisch zu beurteilen ist. Konstruiert man die Einwilligung vertraglich, so müßte auch der Einwilligungsempfänger geschäftsfähig sein. N i m m t man die Einwilligung nur faktisch, so wäre nicht einmal eine Handlungsfähigkeit des Einwilligenden erforderlich 1 . Larenz schreibt dazu: „Es handelt sich hierbei nicht um eine E i n willigung 4 i m Sinne des § 183, nicht um die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft, sondern vielmehr u m eine Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die i n den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen. Sie kann Bestandteil eines auf weitere Rechtsfolgen gerichteten Vertrages, wie eines Miet-, Pacht- oder Leihvertrages sein oder für sich allein erteilt werden. I m ersten Fall ist sie Teil eines Rechtsgeschäfts, m i t dessen Wirksamkeit sie steht und fällt, i m letzteren eine geschäftsähnliche Willenserklärung, auf die die Vorschriften über Rechtsgeschäfte nur entsprechend anzuwenden sind. Sie ist gemäß §§ 134, 138 ungültig, wenn sie gesetz- oder sittenwidrig ist, wie z. B. die Einwilligung i n die Tötung oder i n die Inbrandsetzung eines Wohngebäudes. Die Einwilligung w i r d oft i n einem dafür sozialtypischen Verhalten zu erblicken sein. Wer z. B. an einem Fußballspiel oder einem anderen sportlichen Wettkampf teilnimmt, nimmt dadurch solche Verletzungen i n Kauf, die unvermeidlich damit verbunden sind, soweit sie nach ihrer A r t und Schwere nicht ungewöhnlich und die Spielregeln eingehalten sind." Freilich muß die Einwilligung den sittlichen Anschauungen entsprechen: entschließen sich zwei Hafenbarbesucher (in einem Bremer Fall) dazu, eine unter ihnen entstandene Zwistigkeit draußen vor der Tür durch einen Boxkampf zu regeln, und stellt sich danach heraus, daß der Herausforderer Berufsboxer war, der Herausgeforderte, der also die Einwilligung des Verletzten gab, davon nichts wußte, so bleibt es recht fraglich, ob die hier gegebene Einwilligung den „sittlichen A n schauungen" entsprach. — Die „Wahrnehmung eines Interesses des Betroffenen" macht die eingreifende Handlung rechtmäßig, sofern die Einwilligung des Betroffenen zu vermuten ist und gültig wäre und die Handlung interessegemäß ist. Hiernach ist insbesondere der kunstgerechte ärztliche Eingriff, auch wenn die Einwilligung des Patienten fehlt, zu rechtfertigen, falls er dringend erforderlich und der Patient nicht imstande ist, sich zu äußern. — Der ärztliche Eingriff ist nach der herrschenden Lehre nur deshalb nicht m i t Rechtsfolge behaftet, weil durch die Einwilligung die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen wird. Die Einwilligung muß, von 1
So anscheinend B G H in NJW 61, 255, wo die einschlägigen Fragen über § 254 BGB zu lösen versucht werden.
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Notfällen abgesehen, mangelfrei zustandegekommen sein. Hierzu ist erforderlich a) daß der Einwilligende über die A r t des Eingriffs und seine typischen Folgen und Risiken aufgeklärt worden ist, b) daß der Eingriff zu Heilzwecken indiziert ist, c) daß er lege artis erfolgt und d) daß der Einwilligende geistig und psychisch zu einer mangelfreien Willensbildung i n der Lage ist; Volljährigkeit ist nicht zu fordern 1 . Die Einwilligungssurrogate der §§ 679, 683 BGB sowie der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) entfalten die gleiche rechtswidrigkeitsausschließende Wirkung wie § 226 a StGB (34). Über die Notwehr gibt § 227 BGB eindeutig Auskunft. Die Definition der Notwehr in § 227, 2 entspricht dem § 32, 2 StGB. Der rechtswidrige Angriff, welcher die Notwehr rechtfertigt, kann nur von Personen ausgehen, aber, da Verschulden nicht erforderlich ist, auch von Kindern und Geisteskranken. A l l e Positionen des Menschen sind angreifbar, auch die „vaterländischen und sittlichen Gefühle" und andere ideelle Güter (RG 117, 142), wohingegen die Nichterfüllung von Vertragspflichten i n jedem Fall ein Unterlassen, keinen Angriff darstellt (Warneyer 33,116). — Was Notstandsangriff, Verteidigungsnotstand und Selbsthilfe anlangt, so gehen Verteidigungsnotstand und Selbsthilfe nicht, wie die Notwehr, gegen bedrohliche Personen, sondern bedrohliche Sachen. Doch w i r k t i m Falle des § 904 „ein anderer", also eine Person, auf eine Sache ein. Allen Fällen von Verteidigungsnotstand, Verteidigung, Selbsthilfe und Notstandsangriff liegt ein Kollisionsgedanke zugrunde: das weniger schutzbedürftige Rechtgut muß i m Konfliktsfalle weichen, es gibt eben höhere und minderwertige Güter, der Gedanke der Sozialadäquanz kommt auch zum Zuge, „das Gut des Lebens steht über allen anderen (wie i n vielfachen Normen, z.B. i n § 211 StGB, zum Ausdruck gebracht!), ein „Leben" darf also niemals i n die Waagschale geworfen werden, und Vernichtung von Leben kann jedenfalls durch Notstandsverteidigung, Selbsthilfe und Notstandsangriff nicht gerechtfertigt werden. — Der übergesetzliche Notstand ist jetzt i m Entwurf A T 1973 § 34 StGB fixiert; diese Norm bringt die gewohnheitsrechtlich anerkannten Erfordernisse des übergesetzlichen Notstandes zum Ausdruck: danach 1 I m einzelnen vieles streitig. I m wesentlichen wie hier Schönke-Schröder, StGB, 16. Aufl., § 223 Rd., 11 ff.; Larenz, 431, s. ferner E. v. Caemmerer, 449ff. und Kleinewefers, Die Aufklärungspflicht des Arztes unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, VersR 1962, 197 ff.
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handelt nicht rechtswidrig, „wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, u m die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt", sofern die Tat „ein angemessenes M i t t e l ist, die Gefahr abzuwenden". Der Grundfall des übergesetzlichen Notstandes lag seinerzeit vor, als die Einfuhr unverzollter Waren i n das Ruhrgebiet zur Zeit der französisch-belgischen Besatzung i m Jahre 1923 für nicht objektiv rechtswidrig gehalten wurde (RGSt 62, 35 ff., 1928). Man kann den übergesetzlichen Notstand aber auch i n Vorkommnisse des täglichen Lebens, und dann u m so mehr zivildeliktisch, einbauen: wer i m Berliner Grunewald m i t seinem Pferd von der Straße i n den Wald abbiegt, wo er dann also i n verbotener Weise reitet und fiskalische Grünanlagen beschädigt, handelt i m übergesetzlichen Notstande, wenn diese Straße von den amerikanischen Panzerabteilungen berollt und dadurch (also nicht durch konkreten Angriff einer Person oder infolge von aktueller Bedrohung durch eine Sache) das scheu gewordene Pferd für den Reiter lebensgefährlich wird. — Auch das Widerstandsrecht kann i n den übergesetzlichen Notstand eingeordnet werden: Auf jeden Fall können Handlungen in Ausübung eines positiven Widerstandsrechts nicht objektiv rechtswidrig genannt werden, und wenn sich das bedeutsamste in bezug auf den Widerstand vom 20. Juli 1944 in Deutschland ergangene Urteil, das im Braunschweiger Remer-Prozeß aus dem Jahre 1952, bei aller beistimmenden Würdigung der widerständischen Handlungen und ihrer Motive nicht auf den „objektiven" Standpunkt stellen konnte, daß das Widerstandsrecht als „wieder vorgeprelltes Urrechtsinstitut" zur Tatzeit gültiges objektives Recht und insofern objektive Rechtfertigung war, sondern nur die subjektive Rechtswidrigkeit der widerständischen Handlungen verneinte, so folgte das Gericht dabei der epigonal-naturrechtlichen Charakterisierung des Widerstandes im Gutachten des damaligen Präsidenten des BGH, übersah dabei aber, daß das Widerstandsrecht zwar früher als „Naturrecht" galt, danach aber auch als „positives" Recht betrachtet wurde 1 . —
Was den Befehlsnotstand anlangt, so liegt sein K e r n darin, daß der rechtmäßige Befehl schlechthin als Rechtfertigungsgrund angesehen werden muß, es sei denn, der Befehlsempfänger kannte einen i n bezug auf den rechtmäßigen Befehl bestehenden I r r t u m des Befehlenden, rechtlicher oder tatsächlicher A r t . Dagegen stellt der widerrechtliche 1 Einzelheiten zu der (tabuierten) Positivität des Widerstandsrechts bei W. G. Becker, „Mandat und Gesetz. Der Rechtsstaat", Festschrift für Karanikas, I I I , Thessaloniki 1967, 192 - 204.
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Befehl, gleichgültig, ob verbindlicher oder unverbindlicher Befehl (unverbindliche Befehle gibt es nämlich auch, z. B. auf menschliche Würdeverletzungen ausgehende!)1 keinen Rechtfertigungsgrund dar, dies ohne Rücksicht darauf, ob der Befehlsempfänger die Widerrechtlichkeit kennt oder nicht. Die etwaige Belastung des delinquierenden Empfängers eines widerrechtlichen, aber verbindlichen Befehls kann jetzt nur unter dem subjektiven Tatbestandsmerkmal des Verschuldens erfolgen: § 5 des deutschen Wehrmachtsstrafgesetzes bestimmt hierzu, daß ein Verschulden des Befehlsempfängers, wenn dieser befehlsgemäß ein Verbrechen oder ein Vergehen beging, nur dann angenommen werden kann, wenn der Befehlsempfänger erkannte, daß er i n Ausführung des Befehls ein Verbrechen oder Vergehen beging — dem „Erkennen" w i r d gleichgestellt, wenn alles nach den dem Befehlsempfänger bekannten Umständen offensichtlich war — beginge der Befehlsempfänger m i t der Ausführung des erhaltenen Befehls jedoch nur eine Übertretung, so verschuldete er sich niemals, da i n diesem F a l l die militärische Pflichterfüllung als höherwertig gegenüber den durch den Übertretungstatbestand geschützten Rechtsgütern angesehen werden müsse. Der Kollisionsgedanke schlägt hier wieder ein, und Bienenfeld schreibt hinsichtlich der Rechtfertigung von Beamten Weisungen dazu: „Die Handlung des befohlenen Beamten ist, soweit seine Handlung objektiv erkennbar das Gehorsamsziel verfolgt und seine Maßnahme ein notwendiges M i t t e l zu dessen Erreichung darstellt, rechtmäßig . . . , die des Befehlenden ist dagegen rechtswidrig, da er ja außer dem primären Ziele der Rechtsbegrenzung kein Ziel verfolgt, das der Staat . . . anerkennt. Daher handelt auch der Beamte, der aufgrund eines gesetzwidrigen rechtlichen Befehls eine Verhaftimg vornimmt, i n Erfüllung seines Gehorsamszieles recht- und pflichtmäßig, der Befehlende selbst rechtswidrig. Eine durchaus ähnliche Konstruktion gilt für den Tat* bestand der ungerechtfertigten Verurteilung . . . Der Richter ist der Befohlene, der entsprechend seinem Diensteid nach bestem Wissen und Gewissen seine Gehorsamspflicht zu erfüllen h a t . . . also als Befohlener zu gehorchen . . . die ungerechtfertigte Verurteilung ist, als A k t des befehlenden Staates betrachtet, nach dessen eigener Wertung unrechtmäßig, da sie objektiv auf das primäre Ziel der Rechtsgutverletzung eines Unschuldigen gerichtet ist" (Bienenfeld). Die Gedankenführung ist an den beiden Problemkreisen a) des Handelns auf rechtmäßigen Befehl hin, b) des Handelns auf rechtswidrigen Befehl h i n auszurichten. Es muß hier zu a), dem Handeln auf rechtmäßigen Befehl hin, wieder davon ausgegangen werden, daß nach einhelliger Auffassung von Rechtsprechung und Lehre der rechtmäßig 8
Dazu jetzt H. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl — ein Beitrag zur Effektivitätskontrolle des Rechts, 1971. 29 W . G .
Becker
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ergangene dienstliche Befehl i m allgemeinen einen Rechtfertigungsgrund für den handelnden Untergebenen bietet, „der rechtmäßige Befehl rechtfertigt, w e i l er i n Ausübung der Amtsbefugnis, i n deren Erfüllung alles geschieht, den Willen der Rechtsordnung selber durchsetzt" 1 — er ist nur eine Vermittlung des Willens der Rechtsordnung an das zu seinem unmittelbaren Vollzuge berufene Organ 2 . Die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Befehls sind dabei die gleichen wie bei jeder anderen Amtshandlung, weder das Vorhandensein eines Befehlsinstanzenzuges noch etwa die verbindliche K r a f t des Befehls bedarf hier der Erörterung 3 . Rechtmäßig ist danach ein Befehl, den ein örtlich und sachlich zuständiger Vorgesetzter i m Rahmen seiner dienstlichen Befugnisse unter Beachtung der Rechtsordnung, insbesondere i n der vorgeschriebenen Form, erteilt 4 . War der Befehl auf Grund pflichtgemäßer Ermessensausübung zu erteilen, so muß der Befehlsgeber innerhalb dieser Ermessenspflicht gehandelt haben. Dabei ist es unschädlich, wenn er nach pflichtgemäßer Prüfung zu der irrtümlichen Annahme gelangt ist, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs i n die fremde Rechtssphäre seien gegeben. Eine Gehorsamspflicht bestehe zwar von vornherein nicht gegenüber eindeutig die Schranken der Rechtsordnung überschreitenden, offensichtlich rechtswidrigen Befehlen, diese seien nichtig und unverbindlich (G. Stratenwerth folgt bei dieser Differenzierung der i m Verwaltungsrecht allgemein anerkannten Unterscheidung zwischen nichtigen und anfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakten) 5 . N u r bei den durch die allgemeine Vermutung der Rechtmäßigkeit von Hoheitsakten gedeckten Anweisungen (d. h. anfechtbaren Verwaltungsakten i m Sinne der verwaltungsrechtlichen Terminologie) könne also eine Kollision zwischen Gehorsamspflicht und allgemeiner Rechtspflicht entstehen. Dabei trete die Gehorsamspflicht nach geltendem Recht i m zivilen Bereich bei allen Weisungen zurück, die auf eine Begehung strafbarer Handlungen gerichtet seien; bei militärischen Befehlen nur dann, wenn die befohlene Tat ein Verbrechen oder Vergehen darstelle 6 . I n allen übrigen Fällen
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A. Wegener, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1951, 125. Maurach, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 1965, 293, im Ergebnis ebenso etwa Schönke-Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Aufl., 1961, Vorbemerkung I I I , 4 vor § 51; Mezger /Blei, Allgemeiner Teil des Strafrechts, 10. Aufl., 1963, 122; Herbert Arndt, Wehrstrafrecht, München 1958, 69, s. a. BGHSt 4, 161. 3 Maurach, aaO, 294. 4 Arndt, aaO, 67; Maurach, aaO. 5 Verantwortung und Gehorsam/Zur strafrechtlichen Wertung hoheitlich gebotenen Handelns, Tübingen 1958 (Mohr). 6 Stratenwerth, aaO, 168, 182, insoweit übereinstimmend Arndt, aaO, 101; Schönke-Schröder, aaO, A. I I I 4 b vor § 51. 2
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habe dagegen die Gehorsamspflicht den Vorrang, so daß das Handeln auf Befehl gerechtfertigt sei 1 . Die herrschende Lehre nimmt demgegenüber nur die Möglichkeit eines Schuldausschlusses an. Und zwar einmal nach den allgemeinen Grundsätzen des Notstandes, des Tatsachen- und vor allem des Verbotsirrtums 3 . Der Täter ist also jedenfalls entschuldigt. Die Bedeutung des Befehlsnotstandes bei rechtswidrigem Befehl ist umstritten. Zunächst einmal: ein Befehl ist dann rechtswidrig, wenn er gegen die Regeln des Völkerrechts, gegen sonstige Rechtsnormen, gegen Befehle höherer Dienststellen oder gegen Dienstvorschriften verstößt 2 . I n der strafrechtlichen Literatur stehen sich i n bezug auf die Bedeutung des Befehlsnotstandes bei einem rechtswidrigen Befehl vor allem zwei Ansichten gegenüber. Nach der ersten Auffassung, die heute nur noch vereinzelt vertreten wird, ist eine Rechtfertigung des befehlsgemäß, aber rechtswidrig handelnden Untergebenen dennoch möglich: diese Lehre geht davon aus, daß es dem Gesetzgeber freistehe, auch rechtswidrigen Befehlen Verbindlichkeit beizulegen — eine solche Möglichkeit zu leugnen, bedeute „eine Selbstüberhebung der Theorie über das Gesetz" 3 . Soweit also der Untergebene zur Ausführung befehlsrechtlich, d. h. also rechtlich verpflichtet sei, müsse eben sein Verhalten als rechtmäßig, weil rechtspflichtgemäß beurteilt werden 4 . Die heute herrschende Lehre hält demgegenüber eine rechtfertigende Wirkung des rechtswidrigen Befehls kraft seiner dessen ungeachtet bestehenden Verbindlichkeit für ausgeschlossen5. Begründet w i r d diese Auffassung vor allem damit, daß ein und derselbe Vorgang, nämlich die Endzielerreichung der Befehlsdurchführung, nicht zugleich bei dem Vorgesetzten rechtswidrig und bei dem Untergebenen rechtmäßig sein könne — noch einmal: widerspricht der Befehl dem Recht, so kann seine Vollziehung nicht dadurch geheiligt werden, daß sich der das Unrecht Befehlende eines Werkzeuges bediene 6 .
1
Maurach, aaO, 341; Schönke-Schröder, aaO. Vgl. Arndt, aaO, 69, s. jetzt auch § 10 I V des bundesdeutschen Soldatengesetzes. 3 Frank, Komm, zum Strafgesetzbuch, 18. Aufl., 1931, A. I I I vor § 51. 4 Beling, Lehre vom Verbrechen, 1906, 170 ff., 1771, i m Ergebnis gleichlautend z.B. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, 53; R. v. Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, 1932, 125; Binding, Normen, Bd. I I , 2. Aufl., 1914, 921. 6 So z.B. Maurach, Schönke-Schröder und Mezger /Blei, aaO; Eberhard Schmidt, Militärstrafrecht, 1936, 59, auch schon RGSt 6, 440 - 54, 337 - 56, 418. 6 Maurach, aaO, 293. 2
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Die oben behandelte Lehre — teils Modifikation, teils Rückkehr — geht von dem auch sonst i m Strafrecht allgemein anerkannten Gesichtspunkten der rechtfertigenden Pflichtenkollision aus. Danach handelt nicht rechtswidrig, wer bei einer Pflichtenkollision der höheren oder der gleichwertigen Pflicht genügt 1 . Daraus folgert Stratenwerth, daß die Befolgung des rechtswidrigen Befehls durchaus gerechtfertigt sein könnte, nämlich dann, wenn die Gehorsamspflicht von höherem Range sei als die allgemeinen Rechtspflichten 2 . Eine Gehorsamspflicht bestehe zwar von vornherein nicht gegenüber eindeutig die Schranken der Rechtsordnung überschreitenden, offensichtlich rechtswidrigen Befehlen, schon deswegen nicht, w e i l diese nichtig (im Sinne von i n existent) und daher notwendigerweise unverbindlich seien — hier n i m m t Stratenwerth die i m Verwaltungsrecht allgemein anerkannte Unterscheidung zwischen inexistenten und anfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakten auf. Dagegen könne bei den durch die allgemeine Vermutung der Rechtmäßigkeit von Hoheitsakten gedeckten A n w e i sungen (im Sinne der verwaltungsrechtlichen Terminologie: den anfechtbaren Verwaltungsakten!) eine Kollision zwischen Gehorsamspflicht und allgemeiner Rechtspflicht entstehen. Was zivile Bereiche anlange, so trete jetzt die Gehorsamspflicht nach geltendem Recht bei allen Weisungen zurück, die auf eine Begehung strafbarer Handlungen gerichtet seien. Dies gelte an sich auch für militärische Befehle, hier jedoch m i t der Einschränkung, daß die befohlene Tat ein Verbrechen oder ein Vergehen zum Gegenstand habe 3 , so daß also i n diesen Fällen, wie i m zivilen Bereich, die allgemeine Rechtspflicht vorgehe, die Gehorsamspflicht zurücktrete, die Pflichtenkollision also zu Gunsten der Befehlsverweigerung zu entscheiden sei. I n allen übrigen Fällen (d. h. also, wenn die befohlene Tat weniger als ein Verbrechen oder ein Vergehen darstelle) habe dagegen i m militärischen Bereich die Gehorsamspflicht den Vorrang u n d stelle einen Rechtfertigungsgrund für die Ausführung eines rechtswidrigen, wenn auch verbindlichen Befehls dar 4 . Die herrschende Lehre n i m m t gegenüber der Stratenwerth'schen Theorie des Rechtfertigungsgrundes nur die Möglichkeit eines Schuldausschlusses bei der Ausführung eines rechtswidrigen Befehles an, und zwar offensichtlich ohne Rücksicht darauf, ob dieser Befehl verbind-
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Vgl. etwa Mezger / Blei, aaO, 124. Stratenwerth, aaO, 10, 209. 8 Stratenwerth, aaO, 168, 182 — insoweit übereinstimmend Arndt, aaO, 101 und Sdiönke-Schröder, aaO, A. I I I 4 b vor § 51. 4 Hinsichtlich der Übertretungen i m militärischen Bereich vgl. SchönkeSchröder, aaO; anders z. B. Arndt, aaO. 1
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lieh war oder nicht. Hier kommt noch nicht einmal der Gesichtspunkt des Befehlsnotstandes zum Zuge, sondern es gelten zunächst die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze über den Nötigungsstand (§ 52), den Notstand (§ 54), den Tatsachen-Irrtum (§ 59) und vor allem den Verbotsirrtum 1 . Der Täter ist also jedenfalls entschuldigt: 1. wenn er zur Ausführung des Befehls genötigt worden ist, 2. wenn die Befehlsausführung i n einem Notstand gemäß § 35 begangen wurde, 3. wenn sein Vorsatz durch einen Tatsachenirrtum gemäß § 16 ausgeschlossen war, 4. wenn er sich i n einem auch bei gehöriger Gewissensanspannung unvermeidbaren I r r t u m über die Rechtswidrigkeit 2 des Befehls befunden hat. A n letzter Stelle erscheint (sofern man nicht m i t Stratenwerth die ganze Frage auf die Möglichkeit der Rechtfertigung der Befehlsausführung abschiebt) der besondere Schuldausschließungsgrund des Befehlsnotstandes 3 . Was wieder den zivilen Bereich anlangt, so ergibt § 56 I I des Bundesbeamtengesetzes, daß der Beamte die trotz seiner Gegenvorstellungen vom Vorgesetzten bestätigten dienstlichen Anordnungen auszuführen hat, diese also trotz eventueller Rechtswidrigkeit für i h n verbindlich sind, sofern nicht das i h m aufgetragene Verhalten strafbar und die Strafbarkeit für i h n erkennbar ist — der Strafbarkeit steht die Verletzung der Menschenwürde gleich. Ein auf erkenntlich strafbares oder Menschenwürde verletzendes Verhalten gerichteter Befehl ist also i m zivilen Sektor nicht verbindlich, seine Ausführung jedenfalls nicht durch Befehlsnotstand entschuldbar — Nötigung, Notstand, Tatsacheni r r t u m oder Verbotsirrtum i m Sinne des allgemeinen Strafrechts wären dagegen hier heranzuziehen. Für den militärischen Sektor gilt nach heutigem Recht etwas anderes. Nach § 11 des bundesdeutschen Soldatengesetzes, der die allgemeine Gehorsamspflicht des Soldaten normiert, dürfen — wie oben schon angedeutet — nur solche Befehle verweigert werden, deren Ausführung ein Verbrechen oder ein Vergehen darstellen würde, worauf dann (unter Einbeziehung der subjektiven Momente beim Untergebenen) § 5 des bundesdeutschen Wehrstrafgesetzes bestimmt, daß bei Begehung einer Straftat auf Befehl den Untergebenen nur dann eine Schuld treffe, wenn es sich u m ein Verbrechen oder ein Vergehen handele und 1
Maurach, aaO, 341; Schönke-Schröder, aaO. Neu: §§ 35, 16. 17. Vgl. die grundlegende Entscheidung BGHSt 2, 194 ff. zum Verbotsirrtum, § 17. 8 s. Mezger / Blei, aaO; Arndt, aaO. 2
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i h m dies bekannt oder nach den i h m bekannten Umständen offensichtlich war (die Menschenwürdenverletzung bleibt hier ausgeklammert, also der Rechtsanwendung i m konkreten Fall überlassen). Der soldatische Befehl ist demnach i m übrigen bei nicht strafbarem Unrecht und bei Ordnungswidrigkeit stets verbindlich, rechtfertigt also den Befehlsausführer und schließt selbstverständlich auch seine Schuld aus 1 . Die moderne Regelung nimmt i m wesentlichen die des früheren § 47 I Ziff. 2 des Militärstrafgesetzbuches auf 2 , weicht aber i n zwei Punkten ab: der Untergebene ist einmal verantwortlich, sowohl wenn er erkennt, daß durch das Befolgen des Befehls ein Verbrechen oder Vergehen begangen wird, als auch (in Anlehnung an die allgemeine strafrechtliche Lehre über den Verbotsirrtum) wenn dies nach den gegebenen Umständen offensichtlich ist — dann aber bleibt jetzt ohne Bedeutung, ob die Handlung ein Verbrechen oder Vergehen nur „bezweckte", d. h. ob der Vorgesetzte einen an sich nicht rechtswidrigen Befehl i n einer rechtswidrigen zweckgerichteten Absicht erteilt hatte: die Befehlsaktion an sich und der Befehlszweck werden zusammengelegt, wenn auch nur i n einer Hinsicht durch den Befehl ein Verbrechen oder ein Vergehen ausgelöst wird, liegt ein rechtswidriger Befehl i m Sinne des § 5 des bundesdeutschen Wehrstrafgesetzes vor. Dagegen genügt i n allen diesen Fällen nicht der dolus eventualis, dolus directus muß vorgelegen haben 3 . Ordnungswidrigkeiten nach dem Gesetze vom 24. 5.1958 sind keine Straftaten, der putative Befehlsnotstand entschuldigt. — Zusammenfassend ist danach festzuhalten, daß das, was für den m i l i tärischen Befehl gilt, zumindestens analog auch auf die nicht militärische Weisung Anwendung findet, also weder i m zivilen noch i m militärischen Bereich eine blinde Gehorsamspflicht besteht. Der Untergebene, der eine von i h m als solche erkannte oder vorwerfbar nicht erkannte Straftat befehlsgemäß ausführt, kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, daß seine Verantwortung ausgeschlossen wäre, w e i l er untergeordnet und befehlsunterworfen gewesen sei (die beliebte Einwendung „Ich habe nur meine Pflicht getan"!). Doch muß man hier, über alle rechtstechnischen Fragen hinaus, vor allem einsichtig sein: die historische Unvermeidbarkeit, daß z. B. die bürokratische Maschinerie des Dritten Reiches so oder so getötet hätte, gleichgültig, ob der Einzelne mitwirkte, genügt zur Rechtfertigung solcher M i t w i r kungshandlungen nicht — hätten sich alle i n der Befehlskette Stehen1 Arndt, aaO, während Schönke-Schröder, aaO, trotz des Wortlauts des § 5 WStG einen Rechtfertigungsgrund annehmen. 2 s. dazu B G H in NJW 51, 223, ferner Juristenzeitung 51, 85 ff. 8 Vgl. Rittau, Kommentar zum Wehrstrafgesetz, 1958, A. I zu § 5.
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den geweigert, den rechtswidrigen und nichtigen Befehl auszuführen, so wäre der Erfolg, oft der Tod, vermieden worden. Wenn der Betroffene sich der i h m befehlsgemäß übertragenen A u f gabe innerlich widersetzt hatte, wenn also befehlsgemäße strafbare Handlungen schwereren oder schweren Maßes unfreiwillig, m i t innerem Widerstreben und lediglich unter äußerem Zwange begangen worden waren, weiterhin: wenn die Zwangslage i n einer auf andere A r t und Weise als durch die Ausführung des Befehls nicht abwendbaren, konkreten, gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben bestand, durfte sich nicht derjenige also, der sich in der Absicht tätiger Teilnahme bewußt und gewollt i n ein Terrorsystem von erkenntlich verbrecherischem Gefüge eingeordnet hatte, auf Befehlsnotstand berufen. A u f eine Formel gebracht, könnte es heißen, daß die Berufung auf einen Befehl als Verteidigung durchgreift, wenn der Befehl unter Umständen erteilt wurde, die dem Befehlsempfänger keine andere dem Sittengesetz entsprechende Wahl ließen als zu gehorchen, wobei das Selbsterhaltungsprinzip, dem naturrechtlichen Grundsatze „conserva te ipsum" entsprechend, als Sittengesetz zu nehmen war 1 .
Das Verschulden Das Tatbestandsmerkmal des Verschuldens w i r d durch die Worte „vorsätzlich oder fahrlässig" i n § 823 Abs. 1 bestimmt, den § 276 braucht man insoweit, als er i n seinem zweiten Satze (Abs. 1) die Fahrlässigkeit „legal" definiert. Man teilt sonst die Fahrlässigkeit i n leichte (normale), grobe und konkrete Fahrlässigkeit auf — die konkrete Fahrlässigkeit ist vor allem die „diligentia i n suis", die i m Deliktsrecht allerdings keinen Platz hat (außerdeliktsrechtlich sei auf die §§ 277, 690, 932, 2 BGB und auf den Art. 34 GG verwiesen). Bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten spricht man auch von „schwerem Verschulden". Verschulden bedeutet, wie Kausalität und auch Rechtswidrigkeit, systematisch nur einen determinativen Topos für die Problemlösung i n der Rechtsanwendung, speziell in der Setzung von Anwendungsrecht.
1 Z u diesen Fragen informativ J. Baumann, Die strafrechtliche Problematik nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, bei R. Henkys, 1964, 267 ff., bes. 299, 303.
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Wenn man Kausalität und Hechtswidrigkeit auf die Tatbestandsmerkmale der Handlung und des Schadenseintritts zu beziehen hatte, so das Verschulden nur auf die Handlung. Bienenfeld definiert: „Bei den Verschuldenshaftungen ist stets die Existenz einer Rechtspflicht und ihre Nichterfüllung, die »subjektive Staatsnormverfehlung 1 , tatbestandliche Voraussetzung der Rechtsfolge, bei den zielgerichteten Haftungen ohne Verschulden dagegen niemals eine Rechtspflichtverletzung, stets nur eine Bewertung des objektiven verursachenden Tatbestandes und bei den nichtzielgerichteten und Haftungen ohne Kausalität findet nicht einmal eine Bewertung statt." Der Schuldner verletzt seine Pflichten aus dem Schuldverhältnis „ m i t Vorsatz", wenn er sich den Erfolg seines Handelns vorgestellt und ihn i n Kenntnis der Pflichtwidrigkeit seiner Herbeiführung dennoch i n seinen Willen aufgenommen hat. Er braucht i h n nicht geradezu bezweckt zu haben; es genügt, daß er i h n als mögliche Folge seines Verhaltens angenommen hat. Dagegen genügt nicht die bloße Vorstellung des Erfolgs, vielmehr muß seine „Billigung" wenigstens i n dem Sinne hinzukommen, daß der Handelnde ernsthaft m i t der Möglichkeit seines Eintritts rechnete und sich dadurch nicht von seinem Handeln hat abhalten lassen 1 . Zur Verdeutlichung diene folgendes Beispiel: ein K r a f t droschkenunternehmer hat sich verpflichtet, eine Fahrt pünktlich um 12 U h r auszuführen. Eine Stunde vorher n i m m t er eine andere Fahrt an, von der er, wie er sich sagen muß, kaum bis 12 Uhr zurück sein kann. Er verletzt, wenn er den Zeitpunkt für die an erster Stelle verabredete Fahrt versäumt, seine Vertragspflicht „vorsätzlich", sofern er gewillt war, es „darauf ankommen zu lassen" („dolus eventualis"), nicht aber, wenn er die erste Abmachung vergessen hatte oder infolge eines Irrtums über die Entfernungen meinte, sie trotz der Annahme der zweiten Fahrt noch einhalten zu können. I n beiden letzten Fällen w i r d aber Fahrlässigkeit vorliegen. Wer i n Unkenntnis seiner Verpflichtung oder i n der irrigen Annahme handelt, daß i h m ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stehe, handelt nicht „vorsätzlich". Insofern gehört das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit zum Vorsatzbegriff i m Sinne des bürgerlichen Rechts. Indessen ist hier eine Einschränkung zu machen, die allerdings wohl mehr für das Gebiet der „unerlaubten Handlungen" als für das der Verletzungen einer Schuldnerpflicht von Bedeutung ist. Unkenntnis der allgemein anerkannten und feststehenden Anforderungen der „objektiven Sitt1 So die heute herrschende „Willenstheorie" im Gegensatz zur früher teilweise vertretenen „Vorstellungstheorie". Vgl. Ennecerus / Nipperdey § 210, I I ; Oertmann 1 a zu § 276 („Vorsatz ist das Handeln unter Vorstellung und Billigung des Erfolges"); v. Tuhr I I I , 482 f.; Siber, 43.
Das Verschulden
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lichkeit" entschuldigt nicht. Daß die Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder des Eigentums eines anderen oder daß Betrug und Wucher unerlaubt sind, ist jedem zurechnungsfähigen Rechtsgenossen bekannt; er kann sich nicht darauf berufen, er habe dies nicht gewußt, w e i l i h m diese Kenntnis als einer sittlich v o l l verantwortlichen Persönlichkeit immer zugerechnet werden muß. Zum „vorsätzlichen" Handeln genügt i n solchen Fällen daher die volle Kenntnis derjenigen Tatumstände, die das Handeln als einen Verstoß gegen Grundanforderungen des Zusammenlebens, sei es gegen eine solche der Rechtsordnung oder der „guten Sitten", erscheinen zu lassen. Nur wenn im Einzelfall Zweifel darüber möglich sind, wie weit i n der bestimmten Situation die Anforderungen der (objektiven) Sittlichkeit gehen, t r i t t die Regel wieder i n Kraft, daß ein konkretes Bewußtsein der Rechts- oder Sittenwidrigkeit vorhanden sein muß, damit das Handeln als „vorsätzlich" betrachtet werden kann. Absicht ist Erfolgswille (Vorsatz nur Tatwille).
auf Handlungsresultat beim Verschulden
Während der Vorsatz, wie auch die obigen Definitionen zeigen, mehr i m autonomen Bereich des Handelnden beruht, liegt die Fahrlässigkeit mehr i m heteronom-sozialen. Daher w i r d auch i n den Entscheidungen i n der Regel, abgesehen von den § 826-Fällen, kaum vom (deliktischen) Vorsatz gesprochen, viel eher von der Fahrlässigkeit. Daher rührt wohl auch die Lehre der Finalisten (bei denen der Vorsatz bekanntlich wegfällt, s. o. S. 225) von der Fahrlässigkeit als selbständigem Delikt, welche wahrscheinlich das Dogma von der negligence als Haftungsgrund, nicht als Haftungsmaßstab, zur Basis hat 1 . Aus der heteronom-sozialen Auffassung der Fahrlässigkeit resultiert schließlich die „Fahrlässigkeit als typisiertes Verschulden", nach der der V o r w u r f der Fahrlässigkeit also dahin geht, daß es der Verpflichtete an der nötigen Sorgfalt, Achtsamkeit oder Umsicht habe fehlen lassen — wobei aber nur derjenige Grad von Sorgfalt erforderlich sei, der i m Verkehr, etwa bei dem Besorgen einer derartigen Angelegenheit, i m allgemeinen üblich ist — auf die typischen Kenntnisse und Fähigkeiten kommt es also zuvörderst an, indessen könne ausnahmsweise die Fahrlässigkeit auch als auf die Person bezogener Schuldvor1
v. Caemmerer, 484, 472 ff., 488, 572 ff. u. S. 478 A. 95.
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w u r f verstanden werden — wobei dann aber wieder das „Typische" und das „Soziale" für die Beurteilung maßgebend sei: sei ein weichenstellender Bahnbeamter für seinen Dienst nach Auffassungsgabe, Intelligenz und technischem Können nicht geeignet, also überfordert durch die i h m zugewiesene Aufgabe oder nicht sachgerecht unterwiesen, so würde i h n an einem Versagen, welches ein Zugunglück zur Folge hatte, strafrechtlich keine Schuld und zivilistisch kein Verschulden treffen 1 . „So unübersehbar und überreich die Literatur der Verschuldenshaftung ist, so vernachläßigt w i r d trotzdem regelmäßig eines ihrer Probleme: gegenüber der großen Zahl der Untersuchungen, die sich mit ihrem subjektiven Tatbestand, dem Wesen des bloßen Vorsatzes und der Fahrlässigkeit beschäftigen, sind Erörterungen darüber selten, ob und inwiefern der objektive Tatbestand bei den fahrlässigen Tatbeständen anders gestaltet ist als bei den dolosen . . . Der Kutscher, der jemanden fahrlässig überfährt, intendiert nach objektiver Beurteilung seiner Handlung immer die Realisierung des gebilligten Zieles der Person oder Lastenbeförderung auf öffentlichen Wegen mittels seines Wagens . . . die Verletzung des anderen ist hier nie Zweck seiner Handlung, auch nicht ihr Mittel, sondern lediglich ihre Folge. Der Kutscher dagegen, der . . . die Tötung eines anderen bezweckt, verfolgt das primäre Ziel der abnormen Störung . . . 2 ." — Damit kommen w i r zu der Aufteilung der Fahrlässigkeit i n die subjektiv bewußte (Leichtfertigkeit), bei der man m i t einer Verletzung rechnet, aber hofft, daß sie nicht eintritt, und i n die subjektiv unbewußte (luxuria), wo man m i t einer Verletzung überhaupt nicht rechnet. Die Verschuldenshaftung betrifft nur die subjektiv bewußte Fahrlässigkeit, die Leichtfertigkeit, nicht aber die subjektiv unbewußte, die Luxuria, welch letztere nur über die Gefährdungshaftung und enumerativ (aber auch m i t §§ 241 f.) geführt werden kann. I n diesem Fall ist die Fahrlässigkeit „schuldlose Haftung schuldfähiger Täter für Unrechtsschäden" (Wiethölter). Zur Zeit w i r d das i m Deutschen contra legem besprochen, fußt aber anscheinend auf der amerikanischen „negligence without fault" (Ehrenzweig). Es ist von der „objektiven" Fahrlässigkeit die Rede, i n Wirklichkeit ist es eine faktische. — I m allgemeinen h i l f t hier wieder der Begriff der Sozialadäquanz, wer seine Sorgfalt (§ 276) einhält, handelt grundsätzlich nicht fahrlässig, und selbst wenn eine sozialadäquate, aber unbewußte Fahrlässigkeit vor1 Zur Fahrlässigkeit im oben beschriebenen Sinn Larenz, Allg. Sch. R., 8 Aufl., 1966, 220 - 224. 2 Bienenfeld, 411 f.
Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823, 2 ff.)
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lag, so schadet sie nicht, es schadet vielmehr nur die nichtsozialadäquate subjektiv unbewußte Fahrlässigkeit, wer also i m Ladengedränge eine wackelige Vase umstößt, handelt unbewußt, aber dennoch fahrlässig, weil nicht sozial-adäquat: die Sozialadäquanz hätte hier besondere Vorsicht erfordert, und die Gemütsruhe des Kraftfahrers, der stets von dem Moment an, wo er sich ans Steuer setzt, als „luxuriös" (im Sinne der Luxuria) angesehen werden müßte, bleibt zunächst einmal immerhin sozialadäquat, bis sie, wenn dann etwas passiert, möglicherweise unter dem Gesichtspunkte der Gefährdung zur Haftung des Kraftfahrers führt. — Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823, 2 ff.) Zu besprechen sind hier die §§ 823 Abs. 2 bis 826, danach die §§ 832 bis 838. — Das BGB hat, modernen Anschauungen folgend, wie noch einmal hier in Erinnerung zu bringen ist, versucht, i n der Grundnormierung des § 823 Abs. 1 eine abstrakte Umschreibung aller denkbaren Deliktsansprüche zu geben, hat aber weiterhin eingesehen, daß es zusätzlich enumerierte Deliktsansprüche zu formulieren galt. Dasselbe Problem des Ungenügens eines einzigen abstrakten Anspruchs und seiner Komplettierung durch enumierte Ansprüche findet sich bei der ungerechtfertigten Bereicherung — man vergleiche § 812 und die folgenden Paragraphen. Frankreich (Art. 1382 f. CC), Österreich, die Schweiz, Italien und Griechenland gehen gleichfalls von einem abstrakten Deliktsanspruch aus, während das anglo-amerikanische Recht (Torts) enumerierte Ansprüche verlistet (die Dogmatik, z. B. Pollock i n England, hat erfolglos dagegen angekämpft) 1 . — Einige der enumerierten Deliktsansprüche werden i n diesem Buche unter systematischen Spezialgesichtspunkten angesiedelt, der des § 829 unter dem Gesichtspunkte der objektiven Erfolgshaftung, der des § 830 Abs. 2 (der Anspruch gegen Anstifter und Gehilfen) unter dem Gesichtspunkte der Mehrzahl von Delinquenten, der enumerierte A n spruch aus § 831 unter dem Gesichtspunkte der deliktischen Haftung des Geschäftsherrn für seinen Geschäftsbesorger i n der Geschäftsbesorgungs-Vinkulation, der enumerierte Anspruch aus § 839 i n einem Annex dazu. — Für alle enumerierten Ansprüche gelten die Tatbestandsmerkmale der Grundnorm. Doch werden diese „enumeriert" variiert: § 824 beschränkt z.B. das Verschulden auf die Fahrlässigkeit, § 826 auf den 1
E. v. Caemmerer, aaO, 471, 477.
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Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823,2 ff.)
Vorsatz, § 826 ersetzt auch den Begriff der Rechtswidrigkeit durch den der Sittenwidrigkeit. — § 823 Abs. 2 Der enumerierte Anspruch aus § 823 Abs. 2 n i m m t die relativen Forderungsrechte und das Vermögen als den Inbegriff der relativen Forderungsrechte unter Schutz, den die i n bezug auf subjektive Rechte bestehende Absolutheit der Grundnorm sperren mußte. Z u bemerken ist, daß unter „Vermögen" ein Inbegriff von Forderungsrechten auch dann zu verstehen ist, wenn das Objekt einer solchen Forderung ein dingliches Herrschaftsrecht ist: auch die Forderung auf Übertragung von Eigentum gehört daher zum Vermögen und ihre Verletzung w i r d durch § 823 Abs. 2 geschützt. Larenz sagt das jetzt so: § 823 Abs. 2 umfaßt den Verstoß gegen ein Gesetz, das den Schutz eines anderen bezweckt. Die Unterscheidung zwischen den beiden Tatbeständen des § 823 Abs. 1 und des § 823 Abs. 2 sei jedoch nur unter der Voraussetzung zu verstehen, daß nicht jedes rechtlich geschützte Interesse eines Menschen bereits ein „subjektives Recht" darstelle 1 , das Bedürfnis des Menschen nach angemessener Ruhe etwa nur, wie schon bemerkt, durch die Strafvorschrift gegen ruhestörenden L ä r m und gegebenenfalls durch Polizeiverordnungen, i n diesem Rahmen daher auch durch § 823 Abs. 2 geschützt sei — ein jedermann gegenüber geschütztes subjektives Privatrecht „auf Ruhe" bestehe deshalb aber nicht, ungeachtet der hier bestehenden Möglichkeiten einer vorbeugenden Unterlassungsklage. Auch das Vermögen stelle i m ganzen kein subjektives Recht dar, wenn es auch aus den einer Person zustehenden subjektiven Rechten bestehe, wie Eigentum als einem subjektiven dinglichen Herrschaftsrecht, also einem absoluten Recht, Forderungsrechten aber nur als relativen subjektiven persönlichen Herrschaftsrechten. Eine schuldhafte Schädigung des Vermögens eines anderen verpflichtet daher nach § 823 Abs. 1 nur zum Ersatz, wenn gleichzeitig ein absolutes Vermögensrecht, insbesondere das Eigentum, verletzt worden sei, Vermögensschädigungen anderer A r t , die z. B. darin bestehen können, daß jemand zu einer ihm ungünstigen Vermögensverfügung veranlaßt oder an einem Vermögenserwerb gehindert werde, verpflichteten dagegen nur dann und nach § 823 Abs. 2 zum Ersatz, wenn sie entweder gegen ein den Schutz des Vermögensinteresses bezweckendes Gesetz verstießen, also z.B. den Tatbestand eines strafbaren Betruges, einer Erpressung oder eines „unlauteren Wettbewerbs" erfüllten, oder wenn vom Schädiger andere Tatbestandsmerkmale von enumerierten Deliktsansprüchen gesetzt w u r 1 Vgl. J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung. Ein Beitrag zur Theorie des subjektiven Rechts, 1969.
Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823,2 ff.)
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den — oder wenn eine Vermögensschädigung durch eine grob fahrlässige unrichtige Auskunft, die von § 824 nicht erfaßt werde, ohne deliktische Ersatzpflicht bleibt, ebenso die Schädigung durch erlaubten Wettbewerb 1 . Der Schutz des § 823 Abs. 2 operiert aber ausschließlich mit dem Tatbestandsmerkmal der Verletzung eines Schutzgesetzes. Man kann auch sagen, daß das i m § 823 Abs. 2 geschützte Rechtsgut jedes Rechtsgut ist, welches durch ein Schutzgesetz geschützt wird. I m übrigen gelten die Tatbestandsmerkmale der Grundnorm, insbesondere der sog. Rechtswidrigkeitszusammenhang, n u r das des Verschuldens erfährt i m letzten Satze des § 823 Abs. 2 eine gewisse Modifikation. „Wenn nach dem Inhalte des betreffenden Schutzgesetzes nachteilige Folgen schon bei einem objektiven Verstoß eintreten, so ist für die Begründung der Schadensersatzpflicht doch stets Verschulden i m Sinne des Zivilrechts erforderlich, also mindestens Fahrlässigkeit (§ 823 Abs. 2 letzter Satz)." Damit erledigt sich die Frage, welcher Verschuldensbegriff maßgeblich sein soll, wenn das Schutzgesetz ein Strafgesetz ist — nicht die strafrechtliche „Schuld", sondern das zivilrechtliche „Verschulden" g i l t 2 . Schutzgesetz ist jede offizielle, also von Behörden 3 ausgehende Rechtsnorm, die den Einzelnen, und nicht nur die Gesamtheit, schützen w i l l : der Schutz der Allgemeinheit ist selbstverständlich, der spezielle Schutz des Einzelnen bildet das einzige Tatbestandsmerkmal, die deliktische Schutzgesetznorm des BGB ist also eine Hochburg des Individuums und müßte eigentlich auf die besondere Störungsenergie der die Auch-Wesentlichkeit des Individuums verneinenden materialistischen Weltanschauungen stoßen. Die Hauptbeispiele der Schutzgesetze sind die Bestimmungen des Strafgesetzbuches, die des Arbeitsrechts oder die des BGB — Besitzschutzes. Aber auch eine behördliche Genehmigung auf Grund der Gewerbeordnung oder wasserrechtlicher A r t stellt ein Schutzgesetz dar, ebenfalls eine Polizeiverordnung über die Treppenbeleuchtung. Aus der großen Zahl der als Schutzgesetze zu
1
Larenz, Bes. Sch. R., 9. Aufl., 1968, 403. Larenz, aaO, 436. 3 Behörde ist jeder kraft öffentlichen Rechts bestehender Geschäftsbesorger des Staates oder eines Quasi-Staates (sofern dieser juristische Person des öffentlichen Rechts ist), der in konkreten Fällen geschäftsbesorgend durch nicht in Gesetzen bestehende Entscheidungen zu handeln befugt ist — meistens gremial-institutionell anzusprechen. — Amt ist die Zuständigkeit eines Menschen, fremde Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, wobei der Amtswalter nicht seine persönlichen Interessen, sondern diejeni^ gen zu verfolgen hat, um derentwillen das Amt geschaffen worden ist (die Schaffung eines Amtes für eine „personell" bestimmte Amtswalterperson, z. B. für einen „charismatischen" Führer, kommt vor). 2
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Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823, 2 ff.)
betrachtenden Rechtsnormen seien weiterhin die strafrechtlichen Normen über die Beleidigung, die Verletzung des Briefgeheimnisses und des Berufsgeheimnisses, über den Hausfriedensbruch, über die Transportgefährdung und die Gefährdung des Straßenverkehrs genannt, auch die arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutze der Arbeiter und über den Ladenschluß gehören hierher — auch das Schikanenverbot des § 226 BGB ist ein Schutzgesetz. Keine Schutzgesetze sind aber solche Bestimmungen, die lediglich das öffentliche Interesse, die Belange des Staates, der Verwaltung, des öffentlichen Dienstes, der Verbände, der pluralistischen oder der formierten Gesellschaft sichern sollen. Doch liegt ein Schutzgesetz vor, wenn neben dem öffentlichen Interesse auch das Interesse des Einzelnen geschützt werden soll — das neue Berliner Universitätsgesetz w i r d also wohl auch als Schutzgesetz anzusprechen sein 1 . — §824 Die vorsätzliche Kreditgefährdung gehört nach § 187 StGB schon zu § 823 Abs. 2 BGB. § 824 verfolgt auch die Fahrlässigkeit. Bei bloßer Fahrlässigkeit plus berechtigtem Interesse, z. B. einer Auskunftei, entfällt aber auch nach § 824 Abs. 2 die Haftung. — Ist § 824 Abs. 2, der nach allgemeiner Meinung nur zum Schutze der gewerbsmäßigen Auskunfteien erging, also eine bloße Individualnorm (keine generelle, wie sonst)? § 824 Abs. 2 wäre dann also pittoreskerweise kein Gesetz, da nach A r t . 2 EGBGB als Gesetz i m Sinne des BGB bekanntlich nur generelle Normen verstanden werden! — Fälle der deliktischen Haftung nach § 824 liegen auch vor, „wenn es sich um Prospekte und dergleichen handelt, die i m deutschen Recht unter die besonderen Regeln des Börsengesetzes fallen", während Auskünfte i m Rahmen von Geschäftsverbindungen nach Vertragsrecht beurteilt werden, so von Wirtschaftsprüfern und Sachverständigen. „Jemand, der außervertraglich ohne Entgelt Auskünfte oder Ratschläge erteilt, aus denen sich für i h n kein Vorteil ergibt, haftet nur dann, wenn er vorsätzlich unrichtige Angaben gemacht hat." Der Übergang des Anspruchs aus § 824 zu einem Anspruch aus § 826 ist fließend 1 . Allgemein schützt § 824 „den Kredit eines Menschen sowie die Aussichten seines Erwerbs und seines beruflichen Fortkommens gegen Beeinträchtigungen, die dadurch herbeigeführt werden, daß ein anderer wahrheitswidrig Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, sich zu seinem Nachteil auszuwirken 2 . . . " . „Die Voraussetzungen 1 Larenz, 435 — Uber die vindicatio filii vel filiae über § 823 Abs. 2 in Verbindung mit dem Schutzgesetz des Muntbruchs nach § 235 StGB s. o. S. 119. E. v. Caemmerer, 7 .
Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823, 2 ff.)
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des § 823 Abs. 2 i n Verbindung m i t § 187 StGB liegen nur dann vor, wenn es sich u m eine den Kredit gefährdende Tatsache handelt, und wenn die Behauptung ,wider besseres Wissen' aufgestellt oder verbreitet worden ist. § 824 Abs. 1 erweitert den dadurch gegebenen Schutz i n zweifacher Richtung: einmal stellt er neben die kreditgefährdenden solche Tatsachen, die geeignet sind, einen Nachteil für den Erwerb oder das Fortkommen herbeizuführen, zum anderen begründet er die Ersatzpflicht auch schon für den Fall, daß der Handelnde die Unwahrheit der Behauptung ,zwar nicht kennt, aber kennen muß' 1 ." Der Referentenentwurf schlägt folgende Fassung des § 824 vor: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine unwahre Behauptung tatsächlicher A r t , die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, gegenüber einem Dritten aufstellt oder verbreitet, hat dem anderen den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Das gleiche gilt für den, der vorsätzlich oder fahrlässig durch ein herabsetzendes Urteil Nachteile für den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen herbeiführt." Durch eine Äußerung, welche der angemessenen Wahrnehmung eines berechtigten öffentlichen oder privaten Interesses dient, w i r d eine Ersatzpflicht nicht begründet. Durch ein herabsetzendes Urteil über eine Leistung oder ein Verhalten eines anderen w i r d eine Ersatzpflicht nur begründet, wenn die Äußerung der Form oder den Umständen nach eine unangemessene Kundgabe von Mißachtung darstellt. §825 Nach dem eben genannten Referentenentwurf fällt der § 825 weg. Nach gegenwärtigem Recht verfolgt § 825 die Unlauterkeit des Mittels, dessen sich der Täter bedient, u m den Willen einer Frau zur Beiwohnung zu beeinflussen. Der Vorsatz muß sich also darauf beziehen, gerade durch dieses M i t t e l zu beeinflussen. Die Frau kann nicht nur Ersatz eines Vermögensschadens (z. B. infolge Ansteckung, Schwangerschaft, Fehlgeburt), sondern auch ein angemessenes Schmerzensgeld, also eine Genugtuung für die erlittene Kränkung, die Minderung ihres Rufes, die erlittene Erregung und seelische Not verlangen (§ 847 Abs. 2) 2 .
§826 § 826 verfolgt die „sittenwidrige vorsätzliche Schädigung". Man muß hier zunächst die Sittlichkeit ausklammern, wie das von jeher die 1 2
Larenz, 438 ff. Larenz, 440 f.
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Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823,2 ff.)
juristische Hauptsorge gewesen ist: fasse man nun die Sittlichkeit als Moral (Abwendung von Endunheil) oder als Ethik (Abwendung von Endunwert) auf — jedenfalls bleibt sie das juristische M i n i m u m (G. Jellinek). Über die Abgrenzung von Sittlichkeit und Sitte liegen auch Entscheidungen vor, auch solche des BGH, vor allem i n familienrechtlichen Sachen. § 826 befaßt sich jedenfalls nur mit der Sitte. Die Sitte ist die erste Hemmung, welche die Menschen ihrer angeborenen Aggressivität und/oder Intensitätstendenz künstlich entgegenstellt, später kommen dann die Sittlichkeit, der Staat und das Hecht. Die Sitte begegnet, wie die Sittlichkeit und Billigkeit, juristisch i m allgemeinen nur als Topos des Anwendungsrechts. I n einigen Paragraphen des BGB liegt jedoch „ i n the books" kristallisierte Sitte vor, so i n §§ 138, 151, 242 — Spezialitäten der Sitte sind die Verkehrssitte oder die kaufmännische Sitte. Auch die Börsengebräuche gehören hierher. M a n mache i m allgemeinen von den Ansprüchen, die sich aus bloßen Sittenverstößen ergeben, keinen allzu häufigen Gebrauch, ziehe solche Anspruchsbegründungen jedenfalls erst an letzter Stelle heran. Der Student steht insofern i n Schicksalsgemeinschaft m i t dem Individuum i m allgemeinen: „ E i n Sittlichkeitsprozeß ist die zielbewußte Entwicklung einer individuellen zur allgemeinen Sittlichkeit, vor deren düsterem Grund sich die erwiesene Schuld des Einzelnen leuchtend abhebt" (Karl Kraus). Auch daran ist zu denken, daß das Individuum bei einem A n spruch, der sich nur auf § 826 stützen könnte, angesichts des „offenen Tatbestandes" des § 826 stets die Kosten eines Prozeßverlustes zu fürchten hätte. Das sittenwidrige Prozeßverhalten, der bewußt ungerechte Prozeß, die Prozeßverzögerung, die Rechtskraftausnutzung durch arglistige Urteile (RGZ 78, 389 [1912]) bleibt meistens ohne Haftungsfolgen, und das gleiche g i l t von dem berühmten Bordell auf dem Nachbargrundstück (RGZ 57, 239 [1904])1. Dagegen w i r d der § 826 kräftig i m Geschäftskampfe bewegt (wo die Kosten eines verlorenen Prozesses nicht weiter ins Gewicht fallen). Hier kommen dann auch Ansprüche auf Haftung für die Erhebung einer unbegründeten Klage zum Zuge. Doch hängt die Haftung für unbegründete Erhebung einer Anfechtungsklage gegen den Hauptversammlungsbeschluß einer Aktiengesellschaft davon ab, daß der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat — § 273 Abs. 2 HGB („böswilliges Handeln" ist i n Betracht zu ziehen). Wer von solcher Klagemöglichkeit Gebrauch macht, haftet dann aber auch ohne Verschulden unter dem Gesichtspunkte des Handelns auf eigene Gefahr. Die „malicious prosecution" bleibt eben immer eine schwierige Feststellung 2 . Der § 826 ist also nicht sehr verläßlich. Auch beim illegalen 1 „Konkurrenz platzt" ist noch nicht Verstoß gegen § 826, sondern nur Humor bei der Werbung eines Condom-Fabrikanten. 2 Dazu E. v. Caemmerer, 508 f.
Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823,2 ff.)
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Streik, z.B. bei der Entfernung eines Vorgesetzten durch Streikdrohung oder bei der Warenzeichenverletzung kann er zur Anwendung kommen: die Neuauf lackierung gebrauchter Nähmaschinen, die unter Warenzeichen gehen, stellt etwa nach RGZ 103, 367 ein Delikt i m Sinne von § 826 dar. Larenz unterscheidet die folgenden Fallgruppen: 1. Eingriff i n die persönliche Rechtsstellung und i n die freie Entfaltung der Persönlichkeit, z. B. eine sachlich nicht zu rechtfertigende „Verrufserklärung" durch einen Verband (RGZ 79, 22 [1912]), 2. Gläubigertäuschung (RGZ 143, 51 [1934]), 3. Erteilung wissentlich falscher Auskünfte (RGZ 139, 105 [1932]), 4. unlauteres Vorgehen i m geschäftlichen Wettbewerb, 5. Mißbrauch einer Monopolstellung zum Zwecke der Auferlegung unbilliger Vertragsbedingungen (RGZ 166, 117 [1941]), 6. mißbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition (BGHZ 40, 130 [1963]) — Haftung auf Rückerstattung des Geleisteten oder auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil und auf Herausgabe des Titels 1 . §§ 832 bis 838 (Tierhalterhaftung
nach § 833)
I n diesen Normen läuft die deliktische Munthaftung. Ausgangspunkt ist der (patriarchalische) pater familias, heute w i r d der Munthalter aber am klarsten i m (an sich außerdeliktisch behandelten) Autohalter. Der Halter bestimmt sich aber auch i m Bereiche des Deliktsrechts faktisch — die Gleichberechtigung von Mann und Frau darf dabei nicht vergessen werden, wer — u m beim obigen Modell zu bleiben — das Auto gebrauchen darf, ist nicht sein Halter. Es kommt dabei nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse an. Weder das Eigentum am Auto noch die polizeiliche Anmeldung, belegt durch die Eintragung i m K r a f t fahrzeugschein, ist entscheidend, wenn damit auch oft Hinweise auf die Haltereigenschaft gegeben werden. Die wirtschaftliche Nutzung des Autos hat, wer seine Betriebskosten trägt. Wer lediglich für kurze Zeit verleiht, bleibt aber Halter, auch wenn der Entleiher inzwischen die Betriebskosten trägt. Der Mieter eines Autos w i r d jedoch eventuell Halter. Reparaturwerkstätten werden natürlich nicht Halter der zu reparierenden Fahrzeuge. Bei Probe- und Abnahmefahrten, die von der Werkstatt veranstaltet werden, bleibt es beim ursprünglichen Halter, und er ist (neben dem sich möglicherweise verschuldenden Fahrer) verantwortlich. Man kann den Halter auch i m Modell des Betriebsunternehmers bei der außerdeliktischen Gefährdungshaftung sehen2.
1 2
Larenz, 437 f. Larenz, 484.
30 W . G .
Becker
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Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823,2 ff.)
Z u § 832 der F a l l aus RGZ 98, 249 (1920): der fünfjährige A verletzt nicht schuldhaft (§ 828 Abs. 1), aber widerrechtlich den X m i t einem dem Vater entwendeten Jagdgewehr (die Mutter ist schon gestorben). Der Vater haftet, kann aber seinen Entlastungsbeweis nach § 832 Abs. 1 letzter Satz führen, der hier Exkulpationseinwand und zugleich Opfergrenzeneinwand ist. Die Entlastung des Vaters geht nicht speziell auf das Verschlossenhalten von Jagdgewehren, sondern auf die Aufsicht seines Kindes einschließlich derjenigen, die darin liegt, daß das Gewehr /or dem K i n d gesichert ist. Dem Vater obliegt hier also nicht die generelle Verkehrsaufsichtspflicht des § 823. Es gibt also auch keine Anspruchskonkurrenz zwischen den Ansprüchen gegen den Vater aus § 832 und evtl. aus § 823 — die Haftung des Vaters aus § 832 beruht auf einer lex specialis. I m § 832 Abs. 2 handelt es sich nicht etwa u m „Wachablösung" des gesetzlichen Aufsichtspflichtigen durch einen Schuldvertragspartner, sondern um eine gesamtschuldnerische Haftung nach § 840. — Das Wort „Vertrag" i n § 832 Abs. 2 muß, ebenso wie i m Fall des § 834, als ScTmZdvertrag gelesen werden, besser spricht man von Versprechen. Lesung i m Licht des faktischen Rechts ist zulässig 1 . K r a f t Gesetzes sind zur Aufsicht über Minderjährige verpflichtet: Vater und Mutter auf Grund ihrer Personensorge (§§ 1626 Abs. 2, 1631 Abs. 1), bei einem nichtehelichen K i n d nur die Mutter (§ 1705), ferner der Vormund (§ 1793, 1800). Der Rechtssprechung nach ist auch der Lehrherr nach der Gewerbeordnung aufsichtspflichtig über den m i n derjährigen Lehrling, wobei dieser seiner Erziehungsgewalt untersteht (OLG Köln, MDR 57, 227 [1956]). Die Aufsichtspflicht des Lehrers fällt dagegen unter Amtspflichtenrecht, nicht unter § 832 (BGHZ 13, 27 [1954])1 — Der Referenten-Entwurf faßt den § 832 neu. § 833 Absatz 1 enthält, wie schon bemerkt, den einzigen F a l l einer Gefährdungshaftung, den das BGB regelt. I n Wahrheit handelt es sich hier aber u m eine Kombination der alten Noxalhaftung mit der M u n t haftung 2 . Satz 2 des § 833 formuliert die Entlastungen. § 833 und 834 werden am besten zusammen gelesen, so daß die Entlastungen des § 833 auch für § 834 gelten. Wiederum haften Tierhalter und Tieraufseher gesamtschuldnerisch nach § 840, der Tieraufseher löst also die „Wache" des Tierhalters nicht ab. Der Tieraufseher w i r d nicht faktisch als Halter, sondern, wie das Wort „Vertrag" zeigt, nach rein rechtlichen Gesichtspunkten beurteilt. Selbständigkeit des Tieraufsehers w i r d vor1 s. o. S. 382, Larenz, 444 und A. 1, rechts vergleichend E. v. Caemmerer im rechtsvergleichenden Handwörterbuch, I V , 1933, 55 ff. 1 Larenz, 444. 2 W. G. Becker, Gegenopfer, 285.
Die enumerierten Deliktsansprüche (§ 823, 2 ff.)
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ausgesetzt (so wie Unselbständigkeit i n § 831). Nicht der Kutscher oder Stallmann, sondern der Schäfer bleibt also eigentlich der einzige Tieraufseher. — „Durch ein Tier" i n § 833 bedeutet einen „typischen gefährlichen Ausbruch der tierischen Natur", wobei dessen Auslösung gleichgültig bleibt: die i m Käfig gehaltene sogen, zahme Elster stiehlt einen Ring, der „Halter" der Elster haftet dafür. Der Einwand des mitwirkenden Verschuldens nach § 254 kann hier aber gegenüber dem schuldhaft auslösenden Verletzten eine Rolle spielen. §§ 833 und 834 kommen nicht zur Anwendung, wenn das Tier nicht „agiert", sondern „reagiert" — wenn ein Pferd unter einer stürzenden Mauer zusammenbricht und dabei einen Menschen verletzt, steht es unter Schock-Reflex, und auch, wenn der aufgehetzte Hund „Werkzeug" eines Menschen ist, so liegt beim Hund nur eine Reaktion vor, während das Delikt beim menschlichen Hetzer und daher grundsätzlich i n § 823 Abs. 1 zu suchen ist. Wenn das Tier nur ein mechanisch wirkendes Hindernis bildet und dadurch einen Unfall verursacht (jemand fällt über einen ruhig daliegenden Hund), gibt es keine Tierhalterhaftung 1 . Bellt ein Hund ein fremdes Pferd an, das daraufhin durchgeht und einen Menschen verletzt, so haften, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 833 bei beiden i n Frage kommenden Tierhaltern gegeben sind, beide Tierhalter gesamtschuldnerisch nach § 840 Abs. 1. — Einige Beispiele, vor allem hinsichtlich der Entlastungen: verletzt ein kleiner Hauslöwe, so t r i t t die objektive Gefährdungshaftung aus § 833 Satz 1 ein, ohne Entlastungen. Verletzt ein Reitschulenpferd, so kommen vier Elemente i n Frage — die vier Elemente beziehen sich auf die Zeichen a) Haustier, b) Erwerbstätigkeit usw., c) erforderliche Aufsicht, d) auf das Prinzip der Opfergrenze nach § 848. „Den zum Beruf dienenden Tieren stellt die Rechtssprechung solche dem Staat oder einer öffentlichen Körperschaft gehörende Tiere gleich, die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben verwendet werden, z. B. Polizeipferd oder Polizeihund. Eigene Reitpferde, Hunde, Katzen und Vögel dienen i m allgemeinen lediglich Liebhaberinteressen, so daß hier allein die Gefährdungshaftung des ersten Satzes des § 833 zur Anwendimg kommt, es also keine Entlastungen (allenfalls die der Opfergrenze des § 848) gibt 2 . — Mittelbarer Schaden genügt, der Verletzte w i r d verletzt, indem er von einem durchgehenden Pferdewagen springt — der Halter des Pferdes haftet. 1 2
30*
Beispiel von Larenz, 488. Dazu Larenz, 443.
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§ 835 ist durch das Bundesjagdgesetz vom 29.11.1952 i. d. F. vom 30. 3.1961 aufgehoben, jetzt auch i m Referentenentwurf. Die Haftung für den Wildschaden ist nicht Gefährdungshaftung. I m soziologischen Hintergrund steht nicht die moderne industrielle Gesellschaft mit ihrem Massenverkehr, dessen mannigfachen Gefahren sich niemand entziehen kann, sondern die heute noch fortbestehende, wenn auch zurückgedrängte Agrargesellschaft, i n der das Interesse des ursprünglich meist feudalen Jagdherrn m i t dem des den Boden bebauenden Grundeigentümers, Pächters oder sonst Nutzungsberechtigten zusammenstößt . . . Nicht der Gedanke der Gefährdungshaftung, daß unvermeidbare Gefahren zu Lasten dessen gehen sollen, dessen „Betriebsrisiko" sie darstellen, sondern der Gedanke eines Ausgleichs für die Versagung von Abwehrmöglichkeiten ist hier entscheidend . . . Die Haftung für den Wildschaden steht also auf der Grenze zwischen der Gefährdungshaftung und der Haftung für erlaubte Eingriffe, z. B. aus dem berühmten Aufopferungsanspruch 1 . — „Wildschaden" ist i m allgemeinen (Länderrecht kann hier Sonderregelungen treffen) der Schaden, der durch Schalenwild, Wildkaninchen oder Fasanen an einem Grundstück m i t Einschluß seiner Bestandteile, insbesondere der darauf wachsenden Pflanzen und der ungetrennten Erzeugnisse angerichtet w i r d 2 . I m alten preußischen Abgeordnetenhaus kämpfte seinerzeit besonders der konservative Abgeordnete v. Manteuffel für die Herausnahme der durch Hasen angerichteten Flurschäden aus der Haftung — daher (neben den „Hosen des Herrn v. Bredow") die „Hasen des Herrn v. Manteuffel" . . .
§ 836 betrifft nach Abs. 3 die Eigenbesitzhaftung, was auch für den „Besitzer" i m Sinne der §§ 837 f. gilt. Der Mieter eines Hauses w i r d also durch die § 836 bis 838 nicht beschwert (BGHZ 59, 8). Darüber, wann ein Gebäude i m Sinne des § 836 fehlerhaft errichtet war, und welche Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der Errichtung an den Bauherrn zu stellen wären, orientiert BGB, VersR 62, 1105. Die Haftung für Verletzung durch Hausruinen stellte i n den Jahren nach dem zweiten Weltkriege eine gefährliche Angelegenheit dar (BGH 1, 103 [1951]). Menschoder Sachverletzung steht gleich, Fensterscheiben und Dachziegel sind große Störenfriede, allerdings muß der Kläger die Kausalität von Fehler/Mangel und Schaden dartun. Überhaupt kompensiert das Tatbestandsmerkmal der Fehler/Mangel- und Schadens-Kausalität i n der „Sofern-Klausel" des 1. Satzes die Belastung des Schuldners — für die Folgen eines Wirbelsturms ist der Grundstücksbesitzer nicht verantwortlich. — 1 2
Dazu, teilweise wörtlich, Larenz, 508 ff., 510 ff. Larenz, 509.
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Das Wort „Gefahr" i m letzten Satze des § 836 Abs. 1 hat nichts mit dem Problem der Gefahrtragung einschließlich oder ausschließlich der höheren Gewalt zu tun, wie es z. B. i n § 446 f. zu Worte kommt, bedeutet vielmehr lediglich die Umschreibung eines Tatbestandsmerkmals der Entlastung des Schuldners — während bei der Haftung aus der Enteignung oder irgendeiner Gefährdungshaftung der Begriff der Gefahr als einer erhöhten Möglichkeit der Entstehung von rechtsrelevanten Störungen nicht angewandt werden kann, kann die normale Anlage eines Gebäudes sehr w o h l m i t der fehlerhaften verglichen und die letztgenannte demnach als „gefährlich" bezeichnet werden 1 . Der gegenwärtige und der frühere Eigenbesitzer haften als Gesamtschuldner nach § 840 Abs. 1, es t r i t t also keine Wachablösung ein 2 . Dagegen verfügt § 837 eine Wachablösung („anstelle"!) des Grundstücksbesitzers. Dessen Haftung w i r d also für den Fall verlagert, daß ein Eigenbesitz an Gebäude oder Werk auf einem Grundstück besteht, dem der Eigenbesitz am Grundstück parallel läuft (RGZ 59, 8). Der gesetzgeberische Grund für diese Wachablösung liegt darin, daß i m Sonderfall nur der Besitzer des Gebäudes oder des Werkes i n der Lage ist, die zur Abwehr von Gefahr notwendigen Maßnahmen zu treffen. Ob das i n § 837 genannte „Recht" dingliches oder persönliches Herrschaftsrecht ist, oder ob es ziviles oder öffentliches subjektives Recht ist, bleibt grundsätzlich unerheblich. Auch ein Vermieter eines Geschäftsraumes m i t einem angebrachten Firmenschild kann Werk besitzen, — die bekanntesten Beispiele geben das Gerüst des Bauunternehmers und die Jagdhütte des Jagdpächters, zu beachten sind die §§ 93 ff. Anlagen und Werke spielen sonst i m Bergrecht und i m Wasserrecht, auch bei Elektrizitätsunternehmen, eine große Rolle 3 . „Fehler/Mangel" bezieht sich hier selbstverständlich auf den Gebäude- oder Werkbesitz, nicht auf den sonstigen Grundbesitz. Bei § 838, der sowohl den § 836 wie den § 837 ergänzt, w i r d wieder, wie i n § 834, rechtliche Übernahme der Gebäudeunterhaltung vorausgesetzt, also nicht faktische: der Grunddienstbarkeits-Berechtigte, der, anders als i n § 1021 vorgesehen, z. B. einen Bretterbelag auf einem sumpfigen, dem dienstbarkeitsverpflichteten Bauernhofseigentümer gehörigen Zugangswege unterhalten muß, haftet ohne Wachablösung, also nach § 840 Abs. 1 gesamtschuldnerisch neben dem Grundstücksbesitzer. So 1
Darüber Bienenfeld, 250. Rechtsvergleichend über die Gebäudehaftung vgl. E. v. Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, I V , 1933, 77 ff. 8 Dazu Bienenfeld, 463 ff. 2
Caemmerer,
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Die deliktische Gefährdungshaftung des Geschäftsherrn
gilt es auch für den Pächter, der seinen obligatorischen Pachtvertrag geschlossen hat und dann nach § 582 verpflichtet ist. Die gesamtschuldnerische Haftimg des Pächters steht hier als Kompensation der dem Pächter nach § 100 zustehenden Nutzung. Die deliktische Gefährdungshaftung des Geschäftsherrn für seinen Geschäftsbesorger W i r stoßen, beispielhaft vor allem i n § 831, auf die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation, einen Haftungsverband der GeschäftsbesorgungsPartner 1 , denn die „Verrichtung", von der § 831, auch i m Entwurf, spricht, ist eine Geschäftsbesorgung, eine „rerum gestio". Es handelt sich also hier u m die Fremdhaftung eines Geschäftsherrn für widerrechtliche Schadenszufügung durch einen Geschäftsbesorger (so i n § 831), oder für schuldhaft schadenszufügende Handlungen des Geschäftsbesorgers (so der Entwurf). Wenn w i r zunächst den § 831 i n seiner geltenden Fassung i n Bezug nehmen müssen, handelt es sich hier also u m die Fremdhaftung eines Geschäftsherrn für Delikte oder sonst zu Schadensersatz verpflichtende Handlungen eines Geschäftsbesorgers — vielleicht ist erweiternd davon auszugehen, daß vorwerfbare oder schlechthin objektiv nicht geduldete zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen eines Geschäftsbesorgers gemeint sind. Die Fremdhaftung des Geschäftsherrn ist eine Gefährdungshaftung. Es muß typischerweise angenommen werden, daß der Geschäftsherr die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation i n die Welt gesetzt hat, daß er damit ein „Risiko kreierte" und für die daraus folgende Gefährdung einzustehen hat. Die Haftung des Geschäftsherrn für seinen Geschäftsbesorger w i r d zunächst von der alten römischen Parole „respondeat superior" regiert, wer den guten Tropfen trinkt, muß auch den bösen trinken (um es auf germanisch zu sagen), wer sich der Vorteile eines Geschäftsbesorgers bedient, muß auch die Nachteile der Geschäftsbesorgung tragen, also haften. So sprechen auch die Materialien (Mugdan). Die Geschäftsherrn-Haftung w i r d i n diesem Zusammenhang auch „Repräsentationshaftung" oder „Einschaltungshaftung" genannt (Westermann) — keine guten Ausdrücke . . . Die Ansicht, daß der § 831 eine Gefährdungshaftung enthält, w i r d allerorts bestritten (s. o. S. 75). § 831 statuiere die Verschuldenshaftung eines Verrichtungs-Bestellers, dazu gäbe es i m 2. Satz des § 831 die Exkulpation des Verrichtungs-Bestellers und die Opfergrenze. Die Ent1 Ein Fall der Fremdhaftung, die es aber auch sonst gibt, z.B. die des Erben für die Schulden des Erblassers.
Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation
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lastung per Opfergrenze w i r d gewöhnlich übersehen, die vorgesehene Exkulpation des Verrichtungs-Bestellers rückt § 831 i n die „Haftung wegen vermuteten Verschuldens", grundsätzlich also i n eine Verschuldenshaftung. Aber schon die herrschende Lehre w i r d dabei undeutlich: der Geschäftsherr — u m dieses Wort zu wählen — hafte nicht, wenn der Verrichtungsgehilfe sich so verhalten hätte, wie jede m i t Sorgfalt ausgewählte Person sich verhalten hätte, oder den Geschäftsherrn, falls er sich ebenso wie der Gehilfe verhalten hätte, mangels Verschuldens keine Haft träfe 1 . Zudem spricht gegen die Annahme einer Verschuldungsgrundlage i n § 831 das ständige (auch von den höchsten Gerichten akzeptierte) H i n und Her zwischen der Rechtswidrigkeit und der Schuldhaftigkeit des Geschäftsbesorgers: wenn der Gehilfe selbst schuldhaft gehandelt hat, habe er selbstverständlich widerrechtlich gehandelt, aber auch ein bloß widerrechtliches Verhalten des Gehilfen genüge überall da, wo lediglich eine persönliche Schuldlosigkeit des Gehilfen i n Betracht käme, welche die Möglichkeit eines Verschuldens des Geschäftsherrn offenlasse, wenn z.B. der Gehilfe nicht schuldfähig wäre 2 . Ferner: als Geschäftsherr haftet auch eine juristische Person. Die Annahme, daß § 831 eine Gefährdungshaftung setzt, entspricht i n etwa der österreichischen Rechtslage, bei welcher die Rechtsprechung darüber entscheidet, wann die Prinzipien der Gefährdungshaftimg anzuwenden sind 3 . Jedenfalls liegt bei solcher Annahme eine Geschäftsherrnhaftung ohne Verschulden des Geschäftsherrn vor. Geschäftsherrnhaftung ohne Verschulden findet sich jedoch schon bei § 2 RHaftPflG, der die Haftung bestimmter Unternehmer für leitende Angestellte vorsieht, ferner bei §§ 485, 510 HGB und 3 BinnSchG. Auch § 1 RHaftPflG statuiert eine Gefährdungshaftung (nicht eine Haftung für fremdes Verschulden!). Ebenso haften nach dem Gesetz vom 21.1. 1959 (BGBl I 473) Eisenbahnunternehmen und Kraftfahrzeughalter ohne Exkulpationsmöglichkeit für das Verschulden der Personen, die m i t ihrem Willen beim Betriebe der Eisenbahn oder des Kraftfahrzeugs tätig waren (§ 19, 2) 4 . Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation ist ein Gegenstück zur rechtsgeschäftlichen Zwei-Partner-Vinkulation — Partner treten z.B. beim 1
E. v. Caemmerer, I, 535 f., dort auch die Fälle vom „Huhn mit Reis", vom „Bergmann im Sturm", „Von der Frau auf dem Karussel" und vom Verkehrsunfall Lastzug/Kleinlieferwagen, sowie die angegebenen Entscheidungen des Reichsgerichts und des BGH, aber E. v. Caemmerer, I, 532. 2 E. v. Caemmerer, I, 538, 539 ff., dann über die Beweislage. 3 E. v. Caemmerer, I, 531, A. 298. 4 E. v. Caemmerer, I, 531, A. 298 a. E.
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Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation
Gesamtakt auf, Parteien beim Vertrage. Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation umfaßt eine weite Spanne des Rechts. Das BGB hat sie „jedoch nicht zum System entwickelt 1 (die „Geschäftsbesorgung" des entgeltlichen Auftrags, § 675, ist eine Zufallserscheinung, die w i r ausklammern können). Höchstens „ i n t u i t i v " treten i m besonderen Schuldrecht vom Dienstvertrage bis zur „Gemeinschaft" die eine GeschäftsBesorgungs-Vinkulation andeutenden Figuren des Geschäftsbesorgers und des Geschäftsherrn auf, z. B. die des Unternehmers gegenüber der des Bestellers oder die des geschäftsführenden Gesellschafters gegenüber den übrigen Gesellschaftern. — A m klarsten läßt sich das Fehlen eines Systems der Geschäftsbesorgungs-Vinkulation i m BGB an dem Verhältnis von Vertretung und Auftrag ablesen, wobei bekanntlich vom Innenverhältnis des Auftrags und vom Außenverhältnis der Vertretung die Rede ist. Aber die InnenAußen-Thematik ist veraltet — „nichts ist drinnen, nichts ist draußen; denn was innen, das ist außen!", meinte Goethe. — Wenn schon ein Bild, dann also lieber das B i l d eines Marionettentheaters, i n dem die Rollen der Geschäftsbesorgung gespielt werden und wobei diesen Rollen chronologisch nachzugehen ist, so daß man i n einem Dreitakt (also nicht, wie bei dem Bilde der Innen/Außen-Thematik, i n einem bloßen Zweitakt) nach der Rollenbesetzung, der Rollenausrüstung und schließlich nach dem Rollenspiel fragen kann. Die Rollenbesetzung erfolgt, wenn nicht durch Gesetz, durch irgendein Rechtsgeschäft, das immer zumindest auch obligatorische Bestandteile enthält und meistens vertraglich zustande kommt — Beispiele geben der Arbeitsvertrag, der Dienstvertrag und der Mäklervertrag, notfalls greift der „Lumpensammler" des Auftrags ein (gesetzlich w i r d der Auftrag bei der Rollenbesetzung einer Geschäftsbesorgungs-Vinkulation i n bezug genommen z. B. i n den §§ 27 Abs. 3, 683, 713, 1835,
1, 2218). — Die Rollenausrüstung stellt eine Ausstattung m i t abgeleiteter Macht dar, kein subjektives Recht m i t Pflichtenkorrelat, sondern ein subjektives Recht ohne Pflicht — daher stipuliert 1626 Abs. 2 speziell die Pflicht bei der elterlichen Gewalt, für sich gesehen einer Macht — i n Sonderfällen auch Befugnis genannt (z. B. beim „Prozeßstandsführer"). Diese Ausstattung erfolgt entweder durch Gesetz (§ 1626 Abs. 1) oder durch Rechtsgeschäft i n Gestalt einer (meist vertraglichen) „gestaltenden Verfügung", z. B. der Vollmachtserteilung durch Erklärung gemäß § 167. § 168 S. 1 ist als allgemeine Rechtssetzung zu betrachten: was sich 1 Der einzige systematische Ansatz dazu findet sich bei H. G. Isele, Die Geschäftsbesorgung, 1935, bes. 138 ff.
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nicht aus der Rollenausrüstung ergibt, ist aus der Grundstation der Rollenbesetzung herzuholen. Leges generales der Rollenausrüstung sind die §§ 166 Abs. 2, 167 und 182 ff., ihre Hauptgestalten die Bevollmächtigung, die Ermächtigung und die Genehmigung. Der Bevollmächtigte (§ 166 Abs. 2 Satz 1) handelt i m Namen des Vollmachtgebers, der Ermächtigte i m eigenen Namen, aber m i t W i r kung für den Ermächtigten, der Notar besorgt z. B. die Grundbucheintragung, der Sachverständige vereinbart die Schätzbedingungen m i t dem Schätzungs-Auftraggeber m i t Wirkung für und gegen die Deutsche Automobil-Treuhand. — Ermächtigung ist vorhergehende Zustimmung, also Einwilligung nach § 183. Die Bevollmächtigung erfolgt grundsätzlich nur i m Interesse des Vollmachtgebers, die Ermächtigung dagegen auch i m Interesse des Ermächtigten oder eines Dritten. Bevollmächtigung und Ermächtigung sind i n der Regel frei widerruflich, § 183 gilt i n bezug auf die Widerruflichkeit auch für die Ermächtigung. Eine besondere Rolle spielt die Ermächtigung bei der Treuhand, bei der konstruktiven Treuhand nach § 816 Abs. 1 Satz 1, auch als nachträgliche Rollenausrüstung durch Genehmigung i m Sinne des § 184, welche i n diesem Falle, ebenso wie ihre Verweigerung, unwiderruflich ist. — Die Erfordernisse i n bezug auf die Realakts- und Geschäftsfähigkeit der Rollenträger (Realakte sind bekanntlich alle rechtlichen Handlungen, die lediglich von einem „Handlungswillen" getragen werden!) hängen von der A r t der jeweiligen Rechtshandlungen ab: der beschränkt geschäftsfähige Vertreter darf nach § 165 Rechtsgeschäfte vornehmen, der geschäftsunfähige Geschäftsführer ohne Auftrag nach § 682 jede geschäftsbesorgende Rechtshandlung, der Testamentsvollstrekker ist nach § 2201 notwendigerweise geschäftsfähig, darf also Rechtsgeschäfte vornehmen, der geschäftsunfähige oder realaktsunfähige Bote w i r d nach Analogie der § 827 f., insbes. des § 828 Abs. 2 behandelt (und das gilt überall bei Realakten). Das Rollenspiel konzentriert sich auf die Frage, ob es auf den Geschäftsherrn durchgreift. I n bezug auf die rechtsgeschäftsbesorgende Vertretung nach §§164 ff. kommt der Durchgriff nach § 164 Abs. 1 bei der offenen oder direkten Vertretung zum Zuge, dagegen nicht, nach § 164 Abs. 2, bei der verdeckten oder indirekten Stellvertretung — eine Korrektur des § 164 Abs. 2 w i r d bekanntlich durch die Konstruktion vom „Geschäft wen es angeht" betrieben, welches die beiden Tatbestandsmerkmale der „Offerte ad incertas personas" (im sogen. A u ßenverhältnis) und des „antizipierten 1 Besitzkonstituts" nach den § 930 und 868 (im sogen. Innenverhältnis) aufweist (vgl. RGZ 140, 229), das 1
Antezipiert ist lateinisch, antizipiert englisch!
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Legalbeispiel bieten die Vorschriften über den Kommissionär nach §§ 383 ff. HGB — auch eine Schadensliquidation i m fremden Interesse kann hier nach KGZ 113, 250, 254 mitspielen. — Die Durchgriffslage lautet also dahin, i n welcher Weise sich aus den Rechtshandlungen des Geschäftsbesorgers (Rechtsgeschäfte und Realakte) für den Geschäftsherrn Rechte und Pflichten entstehen? Vier Grundregeln geben generelle Antworten: Rechtsgeschäfte greifen durch, „sympathetische Realakte", die eine Rechtsentstehung zum Inhalt haben, greifen durch, „antipathetische Realakte" m i t bloßer Verpflichtungsentstehung (z. B. bei einem deliktischen Geschäftsbesorger) greifen nicht durch — und begründen höchstens die Fremdhaftung des Geschäftsherrn. „Apathetische" Realakte (z. B. die faktische Besitzergreifung durch den Besitzdiener) führen weder zu Rechtserwerb noch zu Verpflichtungsbegründung und greifen daher nicht durch 1 . Darüber hinaus stehen kasuistische Antworten zur Verfügung. Bei öffentlich-rechtlichen Geschäftsbesorgern führen Rechtsgeschäfte und sympathetische Realakte m i t Rechtsentstehung zu entsprechenden Rechten des Geschäftsherrn, einschließlich ihrer Pflichtenkorrelate. Die faktische Besitzergreifung, das Delikt (oder eine „sonstige rechtswidrige Handlung") des Geschäftsbesorgers begründet primär nur eine Eigenrelation, i n deren Vordergrund die Eigenhaftung, z. B. nach § 839, liegt — danach setzt evtl. eine Fremdhaftung der öffentlichi-rechtlichen Verbandsperson ein, welcher der Geschäftsbesorger dient, dies m i t Vorrang vor der Eigenhaftung des Geschäftsbesorgers und evtl. m i t nachfolgendem Geschäftsherren-Regreß gegenüber dem Geschäftsbesorger (Art. 34 GG, §§ 31, 89 BGB). Beim privat-rechtlichen Geschäftsbesorger steht es wie beim öffentlich-rechtlichen, nur A r t . 34 und § 89 BGB fallen weg. Beim offenen Stellvertreter greifen die Rechtsgeschäfte durch, die Realakte gesetzlich nicht — die oben erwähnte Korrektur durch das „Geschäft wen es angeht" führt aber über die §§ 930 und 868 zum Durchgriff z. B. auch des Realakts der Besitzergreifung. Beim verdeckten Stellvertreter entfällt kraft § 164 Abs. 2 jederlei Durchgriff, es sei denn, es setze wiederum die Korrektur des „Geschäfts wen es angeht" ein — so daß sonst nur actiones fiduciae verbleiben. Beim gesetzlichen Stellvertreter steht es wie beim offenen Stellvertreter. Die Konstruktion des „Geschäfts, wen es angeht" fällt zumin1
Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, aaO, 263.
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destens praktisch weg, actiones fiduciae verbleiben, Eigenhaftung aus eigenem Verschulden kann einsetzen, z. B. nach § 832. — Der Erklärungsbote w i r d i n bezug auf die Erklärung wie ein offener Stellvertreter behandelt, es gibt daher den Anfechtungsdurchgriff nach § 120, während sonst auf das Rollenbesetzungsverhältnis und die entsprechenden actiones fiduciae zurückgegangen werden muß. — Der aktive Bote ist bloßes Instrument, also Funktionsteil des Geschäftsherrn, so daß seine Rechtshandlungen also überall auf den Geschäftsherrn durchgreifen. Beim passiven Boten gibt es dagegen keinen Durchgriff auf den Geschäftsherrn, es sei denn, daß eine Besitzdienerschaft nach § 855 gegeben ist. — Beim „faktischen Besitzer" (z.B. dem Chefarzt m i t dem A r z t k i t t e l des Krankenhauses) greift der Besitz i m Rechtssinne durch, der Besitz i m faktischen Sinne verbleibt allein dem Geschäftsbesorger. — I n allen Fällen des versäumten Durchgriffs ist auf das Rollenbesetzungsverhältnis zurückzugreifen, vor allem auf Auftragsrecht, wobei der Anspruch des Geschäftsherrn auf Herausgabe des Erlangten nach § 667 i m Vordergrunde steht — weiterhin ist auf § 27 Abs. 3 hinzuweisen, ferner auf die §§ 86, 675, 681, 683, 687, 713, 1877 und 2218 — Unklarheiten i m Rollenausrüstungsverhältnis werden, w i e schon gesagt, über § 168 berichtigt. Die Geschäftsbesorgungs-Vinkulation lauert überall, auch i m öffentlichen Recht — man könnte sich z.B. den Abgeordneten als den unmittelbaren, das Kabinettsmitglied als den mittelbaren Geschäftsbesorger des Wählers vorstellen. Abgesehen vom Zuge des besonderen Schuldrechts, der m i t dem Dienstvertrage beginnt und bei der „Gemeinschaft" endet (wie oben bemerkt), hängt danach noch die Bürgschaft und die Anweisung i n der Geschäftsbesorgungs-Vinkulation — der Anweisungsaussteller A läßt als Geschäftsherr gleich zwei Geschäftsbesorger laufen, B und C, die er m i t einer Doppelermächtigung ausrüstet: B ist der Anweisungsempfänger i m sogen. Valuta-Verhältnis — d. h., daß die Rolle, die er besetzt und i n die er eingewiesen ist, diejenige ist, für den Geschäftsherrn A sich eine dann ihm, dem B, zustehende Valuta zu besorgen. C ist der Angewiesene i m sogen. Dekkungsverhältnis — die Rollenbesetzung wies i h n als Geschäftsbesorger m i t dem Auftrage ein, die Anweisung zu bezahlen, da i h m „Deckung" gegeben worden ist (die Chronologie des BGB ist falsch, logisch müßten die §§ 787 und 788 umgestellt werden, erst das Valuta-, dann das Deckungsverhältnis, sofern man diese Terminologie überhaupt beibehalten will). — Die Geschäftsbesorgung ist „rerum gestio", die rechtsgeschäftlich erfolgen kann, aber auch realaktuell (§ 2216), auch bloß „faktisch"
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(§§ 855, 860) — i n bezug auf die Geschäftsbesorgung der „Vertretung" ist für das anglo-amerikanische Recht auf die „agency i n law and in fact" hinzuweisen, deutscherseits auf die vier Figuren der gesetzlichen elterlichen Vertretungsmacht. Die Geschäftsbesorgung ist „besorgendes Handeln" (Heidegger) für einen anderen (den Geschäftsherrn), w e i l dieser nicht handeln kann oder nicht handeln w i l l : 1. weil er nicht geschäftsfähig oder realaktsfähig ist, 2. w e i l er ein rechtlicher Verband ist, ein Personenverband (z. B. eine Gesellschaft) oder eine Verbandsperson (z. B. ein eingetragener Verein) — 3. w e i l er faktisch nicht greifbar ist, z. B. der nasciturus nach § 1912, oder der Geschäftsherr beim passiven Empfangsboten — oder 4. w e i l der Geschäftsherr nicht handeln wollte (§ 164). — Die Figuren der Geschäftsbesorger werden verschieden benannt, willkürlich, oder nach beliebiger Heranziehung einer der drei Stationen i m Marionettentheater-Bild: aus der Situation des Rollenspiels taucht z. B. der „gesetzliche Vertreter" auf, der nach der Station der Rollenbesetzung Vater, Mutter oder Vormund heißt — aus der Station der Rollen-Ausrüstung kommt der Bevollmächtigte, aus der Station der Rollenbesetzung wiederum der Bote, während der Treuhänder seine Benennung sowohl aus der Station der Rollenbesetzung wie aus der des Rollenspiels holt. Aufzuzählen ist als Geschäftsbesorger-Figur besonders das Organ. Hier zunächst das öffentlich-rechtliche Organ, ohne Rücksicht darauf, ob es Beamter, Angestellter oder Arbeiter ist — A r t . 34 GG sagt das ausdrücklich i n bezug auf das hoheitlich handelnde Organ, für das nichthoheitlich handelnde Organ ist das selbstverständlich. Das privatrechtliche Organ, das immer ebenfalls einen Geschäftsbesorger darstellt, w i r d nach der Vertretungstheorie i n § 31 „Vertreter" genannt, daneben gibt es noch, ebenfalls als Geschäftsbesorger, den „besonderen Vertreter" des § 30, eines der bekannten „Verwaltungsorgane m i t besonderen Kompetenzen" 1 . Die Terminologie vom Organ ist schlecht und rein bildhaft, daher betrachten die Amerikaner sie auch m i t Verwunderung. Vor allem fehlt es an einer Abgrenzung des Begriffs des Organs von dem des Instruments. Organ und Instrument sind beides Funktionsteile des Geschäftsherrn, der also per Organ oder per Instrument i n eigener Person „funktioniert" (handelt). Organ ist aber auch Substanzteil des Geschäftsherrn, Instrument nicht, Organ ist z.B. Arm, Instrument ist 1 M. Nitschke, Die körperschaftlich struktuierte Personengesellschaft, Bielefeld 1970, 126. Das „Organ" wird als Willensbildungs- und als Handlungsorgan tätig, als Verwaltungsorgan, als Beschlußorgan und als Organ mit bes. Kompetenzen, ds. 94.
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„verlängerter A r m " (extended arm)! W i l l man aus Abkürzungsgründen beim Weitergebrauch des bildhaften Ausdrucks „Organ" bleiben, darf nicht vergessen werden, daß i n § 31 eine natürliche Person i n Bezug genommen wird, durch welche ein Verband Rechtshandlungen vollzieht. Es handelt sich also auch darum, daß hier ein Material vornimmt, was ein Immaterial nicht vornehmen kann, damit also u m die phänomenologische Reduktion 1 , oder (besser) um den „unendlichen Regreß" des E. Husserl vom Immaterial auf das Material 2 . Wenn § 31 also angeblich von einer Organ-Haftung handelt, so ist damit gemeint, daß eine j u r i stische Person zwecks Rechtshandlungen auf natürliche Personen zurückgreifen muß, Vorstand, Mitglieder des Vorstandes oder andere verfassungsmäßig berufene Vertreter (nicht bei Rechtsgeschäften, denn „negotiieren" kann auch eine juristische Person, vertraglich gebunden oder nach § 278 für das Verschulden eines rechtsgeschäftlichen „Erfüllungsgehilfen" verpflichtet!). Die wesentlichste Geschäftsbesorger-Figur ist der gesetzliche Vertreter, der als bedeutsam zuerst i n § 107 erwähnt wird. Vater und M u t ter tauchen als Geschäftsbesorger nach § 1626 auf, ihre Geschäftsbesorgung, die Ausübung der elterlichen Gewalt, umschließt a) die faktische Personensorge, b) die personalrechtliche Vertretung, z. B. die Einwilligung nach § 3 des Ehegesetzes, c) die faktische Vermögenssorge, d) die vermögensrechtliche Vertretung. Die „Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern" sind i n diesem Zusammenhange zu beachten (§ 1630 Abs. 2). Die Ehefrau ist nach § 1357 Geschäftsbesorgerin ihres Ehemannes und der zu ihrer Familie Gehörigen, „des Familienvermögens" (Fabricius). Der Vormund ist Geschäftsbesorger nach den §§ 1773 und 1793, bei der Vormundschaft über Volljährige gelten die §§ 1901 - 1904. Der Beistand ist Geschäftsbesorger nach den §§ 1685 ff., der Pfleger nach den §§ 1909- 1950, der Nachlaßpfleger nach den §§ 19601, der Testamentsvollstrecker besorgt die Geschäfte für den Erben nach den §§ 2197 ff., 2203, 2205 f., 2209, 2216. Wichtiger Geschäftsbesorger ist weiterhin der „offene Vertreter im Rechtsgeschäft" nach § 164 Abs. 1, aber auch, nach der greulichen Formulierung des § 164 Abs. 2, der „verdeckte Vertreter i m Rechtsgeschäft", selbstverständlich auch „der Geschäftsbesorger bei einem Geschäft, wen es angeht" (z. B. der Kommissionär nach §§ 388 ff. HGB), der seine Existenz bekanntlich der Ausweitung des § 164 Abs. 2 praeter legem verdankt. —
1
So Mertens. E. Husserl (Nachlaß), Erfahrung und Urteil, 1948, 324, dazu auch W. G. Becker in „Recht und Wirklichkeit", aaO, 574. 2
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Über den Boten als Geschäftsbesorger ist folgendes zu sagen: Der Bote i n der Erklärung ist „unselbständiger Erklärungsbote zur Übermittlung einer Willenserklärung", „Vertreter i n der Erklärung", also nicht „ i m Willen", betätigt aber dann wenigstens eigenen rechtsgeschäftlichen Erklärungswillen: er „ i r r t " z. B. i m Sinne von § 119, unbeschadet des „Durchgriffs" des Anfechtungsrechts auf den Geschäftsherrn nach § 120 — ein Fall des Rollenspiels. Der sonstige aktive Bote betätigt, auch wenn er v o l l geschäftsfähig ist, keinerlei eigenen rechtsgeschäftlichen Willen, also auch nicht den Erklärungswillen — dessen ungeachtet ist er Geschäftsbesorger, freilich nur Instrument des Geschäftsherrn, auf den i m „Rollenspiel" alle seine Handlungen durchgreifen — doch verbleibt der faktische Besitz i h m selber (§§ 855, 860). Der passive Bote ist beim Empfang von Sachen für den Geschäftsherrn Besitzdiener i m Sinne von § 855, so daß also auch bei dem Empfang etwa eines Kündigungsschreibens der Besitz am Schreiben i m Rechtssinne sofort auf den Geschäftsherrn durchgreift — wogegen der Empfang einer mündlichen Kündigung Empfang des Boten bleibt — da es an einer Transmission i m Sinne von § 855 fehlt, gibt es hier keinen Durchgriff, so daß der Geschäftsherr erst m i t dem Bericht von der mündlichen Kündigung diese empfängt (diese also bis dahin nach § 130 BGB nicht zugegangen ist): der die mündliche Kündigung berichtende Bote t r i t t dann als aktiver Bote des Adressanten auf und ist insoweit dessen Geschäftsbesorger. Bei allen möglichen Botenverhältnissen ist zu fragen, ob nicht Wirklichkeit Vertretung, m i t eigenem Vertreterwillen, vorliegt; volljährige Hausangestellte ist Botin, wenn sie für den Hausherrn Zigarren der Marke „Rütlischwur", dagegen Vertreterin, wenn schlechthin „Zigarren" besorgen soll. —
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Geschäftsbesorger sind weiterhin der Besitzdiener nach § 855 und der Besitzmittler nach 868. Aus der Reihenfolge des besonderen Schuldrechts vermerken w i r als Geschäftsbesorger den Dienstverpflichteten nach §§ 611 ff., den Werkhersteller (Unternehmer) nach den §§ 631 ff., den Mäkler nach § 652 (einschließlich des Handelsmäklers i m Sinne des HGB), den Beauftragten nach den §§ 662 ff., den „entgeltlichen Geschäftsbesorger" nach § 675, (der also jetzt, wie schon angesprochen, als ein besonderer Typ des Geschäftsbesorgers schlechthin auftaucht!), den „Notgeschäftsführer", d. h. den „Geschäftsführer ohne Auftrag" nach den §§ 677 ff., den Verwahrer nach den §§ 688 ff., auch den handelsrechtlichen Spediteur und den Lagerhalter, schließlich den „geschäftsführenden Gesellschafter"
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nach den §§ 709 f. Es gibt auch einen geschäftsführenden Gemeinschafter nach § 745, schließlich den „ermächtigten" Anweisungsempfänger und den ermächtigten „Angewiesenen" nach § 783 — von denen schon die Rede war, auch (um wieder das überall besonders interessierende AutoRecht zu Worte kommen zu lassen!) den Sachverständigen als den Geschäftsbesorger des Geschäftsherrn DAT, der Deutschen AutomobilTreuhand GmbH, auch den Schiedsgutachter i n den anerkannten Kraftfahrzeugschätzstellen (Nicklisch, Z. f. ges. H. R., 1972, 13, 15). A u ßerhalb des BGBs ist als Geschäftsbesorger angesiedelt der Prozeßgeschäftsführer nach der ZPO, ferner der dortige „Prozeßstandsführer", der entweder a) die Befugnis hat, ein fremdes Recht i m eigenen Namen i m Prozesse zu verfolgen, z. B. der Überweisungsgläubiger nach § 841 ZPO, oder aber b) die Befugnis, i m fremden Namen prozessual ein fremdes Recht zu verfolgen, gesetzlich z. B. nach § 244 des Aktien-Gesetzes, wenn also z. B. Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder geltend gemacht werden. — E i n besonders interessanter Geschäftsbesorger ist der Treuhänder, den die alten Ägypter den „Esser, der nicht verschlechtert" nannten. Das BGB statuiert das Institut der Treuhand nicht. Das einen Treuhänder bestellende Treuhandgeschäft ist kein Scheingeschäft nach § 117, der Strohmann ist ein verheimlichter (aber nicht etwa scheinhafter) Treuhändler, die Überlassung einer Sache „zu treuen Händen", z.B. einer Urkunde an den Anwalt, stellt Verwahrung, nicht Treuhand dar. Vielfach begegnet uns die uneigennützige Verwaltungstreuhand (z.B. die Inkasso-Zession) und die eigennützige Sicherungstreuhand (z. B. bei der Sicherungsübereignung nach RGZ 153, 350). Auch der Enteignungstreuhänder des öffentlichen Rechts ist zu beachten — freilich muß man hier den „Treuhänder" häufig i n Gänsefüßchen setzen, ganz bestimmt etwa den nazistischen „Treuhänder" enteigneten oder beschlagnahmten jüdischen Vermögens. Der Einziehungs-Treuhänder ist ein Geschäftsbesorger i m Realakt, ähnlich dem Testamentsvollstrecker nach § 2209. — I m Vordergrund des deutschen Treuhand-Rechts steht dessen Konstruktion nach der römischen, bei uns i m Rollenbesetzungsverhältnis wurzelnden „fiducia": zwischen Treuhänder und Treugeber bestehen rein obligatorische Beziehungen, grundsätzlich nach Auftragsrecht. Die Sonderform der germanischen Treuhand, wie sie vor allem beim anglo-amerikanischen Erbtrust 1 ersichtlich wird, kommt i m deutschen 1 s. z. B. die Konstruktion eines Erbtrust nach New Yorker Recht bei W. G. Becker, Materialsammlung zum Rechtsvergleichenden Seminar, Mainz 1946, 59 ff.
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Recht nur bei der Sicherungsübereignung vor. Die Konstruktion verläuft hier so, daß der Treuhänder bei der Sicherungsübereignung als Sicherungsübereignungs-iVehmer bloß formaler Eigentümer der zur Sicherungsübereignung übertragenen Sache wird, so daß i m Konkurse des Treuhänders i n bezug auf diese Sache lediglich Absonderung verlangt werden kann — während der Treugeber wirtschaftlicher Eigentümer bleibt und i m Konkurse des Treuhänders aussondern kann (dazu die Kommentare zu § 771 ZPO). — Zusätzlich zu dieser dinglichen Konstruktion der germanischen Treuhand bestehen aber, auch i m angloamerikanischen Recht, zwischen den Parteien obligatorische fiduciaAnsprüche wegen „breach of trust". Die gesetzliche konstruktive Treuhand des § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB kann, wie schon erwähnt, durch Genehmigung i m Sinne des § 184, Abs. 1 zur rechtsgeschäftlichen konstruktiven Treuhand erweitert werden, indem nachträglich eine Rechtshandlung zur geschäftsbesorgenden Rechtshandlung erhoben, der Handelnde also nachträglich durch Genehmigung zum Treuhänder eines Treugebers ernannt w i r d — die „nachträgliche" Genehmigung kann auch stillschweigend oder konkludent erfolgen, ist, ebenso wie ihre Verweigerung, unwiderruflich und stellt nicht nur die obligatorische Rechtslage des Auftrags her, sondern auch die der unechten Geschäftsführung ohne Auftrag sowie schließlich die der Wirksammachung der Verfügung eines Nichtberechtigten nach § 185 Abs. 2 (vgl. hierzu RGZ 115, 34). Geschäftsführerkombinationen, auch Alternativen, ergeben sich aus den Sachverhalten: der A n w a l t ist z.B. Prozeß-Geschäftsführer und entgeltlicher Geschäftsbesorger nach § 675, der Gerichtsvollzieher ist nicht Geschäftsbesorger, sondern amtliches „Organ" zur Durchführung des Konkurses (RGZ 97, 107), dies sowohl gegenüber dem Konkursschuldner als auch gegenüber den Konkursgläubigern (§ 82 KO). Unbeschadet bleibt natürlich, daß dann Gerichtsvollzieher und Konkursverwalter Geschäftsbesorger ihres jeweiligen Staates sind. — Z u den Alternativen bei der Geschäftsbesorgung gehören auch die „Umschläge": der Geschäftsführer ohne Auftrag w i r d nach einer „Entschließung" i m Sinne des § 681 Beauftragter nach den §§ 662 f. Die Bank ist allgemeine Geschäftsbesorgerin ihres Deponenten oder Giro-KontoInhabers, t r i t t aber gelegentlich aufgrund des abgeschlossenen Bankvertrages und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch als spezielle Geschäftsbesorgerin i m Sinne einer „Angewiesenen" nach § 783 auf. Die Ausrüstung des Geschäftsbesorgers ist die „Macht", die i h m vom „Geschäftsherrn" übertragen wird, z. B. die „Vollmacht" i n § 166, 2. Ex lege w i r d Macht besonders i n Gestalt der „elterlichen Gewalt" ausgeteilt (§ 1626).
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Was Vollmacht und elterliche Gewalt angeht, so haben die Franzosen hier von droit-fonction gesprochen (während J. Dabin Vollmacht und elterliche Gewalt noch zu subjektiven Rechten erhebt). Es handele sich um eine Rechtsstellung die zu dem Zwecke eingräumt worden sei, eine Geschäftsführungspflicht zu erfüllen, die „compétence" des Geschäftsherrn, selbst i m Rahmen seiner Privatautonomie zu handeln, w i r d erweitert — der Geschäftsherr stellt dem Geschäftsbesorger (oder der Staat haushaltsmäßig einem Staatsorgan) einen Geldbetrag (oder sonstiges) zur Verfügung, wodurch der Geschäftsbesorger ermächtigt wird, den Geschäftsherrn zu verpflichten. So i m Regelfall, daher auch „Pflichtrecht" — während die „Befugnis" eine Spezialität der Geschäftsbesorger-Macht darstellt, dann also i m Gegensatz zum „eigenen Recht" des Geschäftsherrn oder des Geschäftsbesorgers stehe (P. Kloeppel). Anders definiert sich die Macht aus der allgemeinen Zivilistik — Macht ist subjektives Recht ohne subjektive Pflicht, während, wie man seit Thomasius (um 1700) lehrt, sonst jedes subjektive Recht seine Pflichtenseite hat, Recht und Pflicht also nur Korrespondenzbegriffe des Privatrechts sind: deshalb stipuliert § 168 die Pflicht zur V o l l machtbetätigung aus dem Auftragsrecht heraus (oder einem sonstigen grundliegenden „Rechtsverhältnis"), § 1626, 2. die Pflicht zur Ausübung der elterlichen Gewalt 1 . — Die Transmissions-Normen Selbstverständlich kann den Geschäftsherrn neben seiner Geschäftsbesorgungs-Fremdhaftung Eigenhaftung treffen, z. B. nach § 823 wegen versäumter Verkehrsaufsicht. Die Haftung des Aufsichtspflichtigen aus § 832 darf als ein F a l l von Eigenhaftung eines Geschäftsherrn nicht angezogen werden, da der nach § 832 haftende Aufsichtspflichtige zwar Muntinhaber ist, nicht aber Geschäftsherr, sondern n u r Geschäftsbesorger, eben durch Muntwahrung — höchstens, wie i n § 278 z. B. der Vater, praktisch Geschäftsherr! — der Referenten-Entwurf nimmt, wie schon erwähnt, den Wegfall des auch hier vertretenen alten Dogmas vom vermuteten Verschulden an, sieht eine Neufassung des § 832, 1 vor und stipuliert eine Gefährdungshaftung unter der Voraussetzung, daß das K i n d schuldhaft oder unverantwortlich (§§ 827 f.) gehandelt hat. — Weiterhin liegt die Fremdhaftung eines Geschäftsherrn i n der Geschäftsbesorgungs-Vinkulation natürlich immer nur dann, wenn der 1 Dazu letztens R. Bruns, Recht und Pflicht als Korrespondenzbegriffe des Privatrechts, Festschrift Nipperdey, 1965, 3 ff. — s. zur Macht im soziologischen Sinne o. S. 212.
31 W . G . B e c k e r
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Geschäftsbesorger selbst für sein Negativ-Verhalten i n Eigenhaftung haften würde. Darüber hinaus ergibt sich die Fremdhaftung des Geschäftsherrn nicht aus allgemeinen Erwägungen heraus, sondern nur aufgrund exakter Vorschriften des objektiven Rechts. W i r kommen also zuerst zu den „Transmissions-Paragraphen", welche die Haftung des Geschäftsbesorgers auf den Geschäftsherrn „transmittieren", danach zu den „Projektionsoder Einsatz-Paragraphen", die eine Eigenhaftung des Geschäftsbesorgers begründen (Westermann spricht i n bezug auf die Transmissions-Paragraphen von „Zurechnungsnormen", was gar nicht eindeutig ist). Die Reihe der Transmissions-Paragraphen ist gottlob nicht groß, es handelt sich u m die §§ 31, 86, 89, 278, 705 ff., 831 BGB und u m den A r t . 34 GG — so sagt es auch der Referentenentwurf zu seiner Neuformung des § 254, 3, stellt dann aber auch noch den § 839 dazu (der zweifellos die Eigenhaftung eines Beamten gibt, freilich i n A r t . 34 GG m i t hineingelesen wird) — die Transmissions-Paragraphen des sonstigen Rechts können hier außer acht bleiben. — Was die Projektions- (oder Einsatz-)Paragraphen anlangt, so muß man sie zunächst aus den Transmissions-Normen herauslesen. Nach § 3 1 haftet also einer der dort genannten Geschäftsbesorger für eine „ i n Ausführung der i h m zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatze verpflichtende Handlung" gegenüber einem Dritten — das Tatbestandsmerkmal der Widerrechtlichkeit oder der Schuldhaftigkeit des Geschäftsbesorgers w i r d hier nicht erwähnt, das gesamte Schadensersatz-Verpflichtungsrecht ist heranzuziehen, insbesondere sind es natürlich die §§ 823 ff. Die § 86/89 enthalten keine besonderen Vorschriften über die Eigenhaftung des Geschäftsbesorgers, verweisen vielmehr nur auf § 31. Nach den Tatbestandsmerkmalen des § 278, einer TransmissionsNorm, haftet der Geschäftsbesorger für ein Verschulden, das er sich zur Erfüllung der Verbindlichkeiten des Geschäftsherrn zuschulden kommen läßt (vielleicht auch, z.B. beim Vater als gesetzlichem Vertreter, für eine verschuldete Handlung schlechthin) 1 . Nach § 831 t r i f f t den Geschäftsbesorger eine Schadensersatzpflicht, wenn er „ i n Ausführung seiner Verrichtung einem Dritten widerrechtlich" Schaden zugefügt hat — der Referenten-Entwurf, stellt, wie bemerkt, von der Widerrechtlichkeit auf das Verschulden des Geschäftsbesorgers um. Das gleiche gilt für den i n § 831, 2 bezeichneten Geschäftsbesorger. 1
s. u. S. 514.
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Die Tatbestandsmerkmale des A r t . 34 GG setzen i n bezug auf den Geschäftsbesorger bekanntlich nicht voraus, daß er Beamter ist, w o h l aber w i r d vorausgesetzt, daß „jemand i n Ausübung eines i h m anvertrauten öffentlichen Amtes die i h m einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht" verletzt. W i r stoßen hier also auf den Begriff der Amtspflicht. Fest steht zunächst, daß es sich nur u m die einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht handelt, daß also eine Verletzung der Amtspflicht gegenüber dem auf das öffentliche A m t schlechthin Vertrauenden nicht schadet — wenn der Regierungsrat seine Amtspflicht schlechthin verletzt, kann seine vorgesetzte staatliche Behörde i n jeder Weise, die ihr beliebt, vorgehen, vor allem aus den Dienstpflichten des Beamtenrechts, A r t . 34 GG findet aber i m Verhältnis zwischen Behörde und Amtspflichtverletzer ihr gegenüber keine Anwendung. „Sehr häufig w i r d die Amtspflichtverletzung gegenüber einem Dritten zugleich einen anderen Unrechtstatbestand verwirklichen, so wenn ein Beamter bei der Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit einen Dritten körperlich verletzt, oder eine Nötigung oder einen Betrug begeht 1 ." Die Folge dieser Feststellung kann nur sein, daß § 839, i n Verbindung m i t A r t . 34 GG oder allein, nicht etwa ein lex specialis gegenüber den sonstigen Normen des Rechts der unerlaubten Handlungen darstellt, sondern eine bloße Enumeration. Es handelt sich aber u m die Verantwortlichkeit des Funktionärs 2 ! Eine Verletzung der Amtspflicht liegt immer dann vor, wenn die sella curulis eines Funktionärs nicht weggedacht werden kann, ohne daß ein Funktionärs-Delikt überhaupt entfiele — hier gilt also die strafrechtliche Bedingungstheorie! — Kann jene sella curulis weggedacht werden, so spielt der Funktionär seine bloße Privatmannsrolle weiter, es hat dann eben kein Funktionär, sondern nur ein „Wer" delinquiert 3 . „Die Rechtsprechung neigt dazu, den Kreis der einem Dritten obliegenden Amtspflichten dann besonders weit zu ziehen, wenn der Funktionär in Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder zumindest in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gehandelt hat" — weil die Rechtsprechung hier eine „Fürsorgepflicht" des Geschäftsherrn dahingehend annimmt, daß seine Machtmittel (die er auf seinen Funktionär übertrug) streng in den Schranken der Amtsausübung gebraucht werden, und unbeteiligte Dritte dadurch nicht zu Scha-
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Larenz, aaO, 449. Der kolloquiale Ausdruck „Funktionär" umschließe den „Beamten" des § 839 und den „jemand" des Art. 34 GG! s. a. darüber u. S. 527. 3 I m Ergebnis so auch Larenz, 453, allerdings etwas unklar. 2
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den kommen sollen (BGHZ 21, 51). Dies hat zu dem merkwürdigen, wenn nicht unrichtigen Ergebnis geführt, daß der Fahrer eines Dienstwagens (auch ein Beamter, der seinen eigenen Wagen zu einer Dienstfahrt benutzt, B G H NJW 59, 481) dann eine ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, wenn die Dienstfahrt der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben galt (so daß grundsätzlich an seiner Stelle der Staat nach Art. 34 G G ersatzpflichtig war), daß dagegen bei Unachtsamkeit und Verletzung ein Funktionär keine Amtspflicht, sondern nur die allgemeine Verkehrssorgfaltspflicht verletzte, wenn die Dienstfahrt der Wahrnehmung privatrechtlicher Belange eines öffentlichen Geschäftsherrn dient — so daß sich in diesem zweiten Falle die Haftung nur aus den §§ 823 ff. BGB und aus dem Straßenverkehrsgesetz ergäbe (der Ernstfall der privatrechtlichen Haftung des Dienstherrn aus § 831 ist unterstellt) 1 . „Auch dann, wenn eine Amtspflicht dem geschädigten Dritten gegenüber besteht, fragt es sich doch, ob der eingetretene Schaden vom Schutzzweck der Norm umfaßt wird. Wer eine behördliche Bauerlaubnis beantragt hat, kann verlangen, daß sein Gesuch in angemessener Zeit sachlich geprüft und ordnungsgemäß erledigt wird. Übersieht die Behörde aber bei der Prüfung, daß die vom Antragsteller eingereichten Unterlagen einen Konstruktionsfehler enthalten und stürzt das genehmigte Bauwerk infolge dieses Konstruktionsfehlers später teilweise ein, so kann der Bauherr nicht im Wege der Amtshaftung Ersatz des von ihm erlittenen Vermögensschadens verlangen. Denn die Prüfung der von ihm eingereichten Pläne und statischen Berechnungen durch die Behörde geschieht im Hinblick auf das öffentliche Interesse der Gefahrenabwehr, nicht etwa zu dem Zweck, den Bauherrn vor finanziellen Schäden zu bewahren, die sich aus der Errichtung eines fehlerhaften Bauwerks für ihn ergeben könnten — wobei die Behörde grundsätzlich verpflichtet ist, die Prüfung so vorzunehmen, daß Gefahren vermieden werden, die sich aus Konstruktionsfehlern ergeben. Wäre der Bauherr selbst oder ein Dritter durch den Einsturz des Bauwerks zu Schaden gekommen, so wäre insoweit eine deliktische Amtshaftung begründet, während die nutzlosen finanziellen Aufwendungen für das fehlerhafte Bauwerk keinen Schaden darstellte, vor dem die Amtspflicht den Bauherrn zu schützen bestimmt ist 2 ." Amtspflichtverletzungen sind nach B G H Z 34, 99 (1960) jeweils ermessensmäßig-kasuistisch zu beurteilen.
Aus den Transmissions-Normen macht das RGZ 162, 129 ff. (161), 1939, folgendes Haftungsschema: A. Haftung der öffentlich-rechtlichen Verbandsperson (also Transmissions-Haftung) a) bei hoheitlichen Handlungen nach A r t . 34 GG i n Verbindung m i t §839,
1 Dazu Larenz, aaO, 455, der hier historische Zufälligkeiten bei der A b grenzung der Transmissions-Haftung für hoheitliche und privatrechtliche Tätigkeiten eines Geschäftsbesorgers sieht. 2 So BGHZ 39, 358 (1963), dazu Larenz, 454 f., s. a. 451 bis 456 (s. u. S. 488).
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b) bei fiskalischen Handlungen für den verfassungsmäßigen Vertreter i m Sinne der §§ 89, 31, für andere Personen bei Verschulden nach § 278, bei unerlaubten Handlungen speziell nach § 831. B. Haftung des Handelnden selbst (Projektions- oder Einsatz-Normen): a) bei hoheitlichen Handlungen entfällt diese Projektions- und Eigenhaftung des Geschäftsbesorgers meist, da eine öffentlich-rechtliche Verbandsperson selbst die Hoheit trägt, also nicht der Geschäftsbesorger — anders stünde es ggf., wenn der geschäftsbesorgende Funktionär Ausländer oder Gebühren-Beamter sei (das Wesen der Haftungs-Transmission w i r d also verkannt!) — b) bei nicht-hoheitlichen Handlungen gäbe es bei Verschulden des Geschäftsbesorgers nach § 278 überhaupt keine Haftung der öffentlich-rechtlichen Verbandsperson als eines Geschäftsherrn, da i n § 278 nur nicht-deliktische Rechtshandlungen gemeint seien, also nur „negotia", welche dem Geschäftsherrn nicht durch Transmission, sondern per se zur Last fielen. — Bei einer unerlaubten Handlung hafte der handelnde Geschäftsbesorger i n Eigenhaftung nach den allgemeinen Deliktsnormen, als Beamter hafte er nur aus § 839 (mit dessen Vorbehalten), § 839 sei also lex specialis des Deliktsrechts.— Bemerkenswert ist am Ende, daß es, abgesehen von der Fremdhaftung des Geschäftsherrn für den Schaden, welchen sein Geschäftsbesorger einem Dritten gegenüber anrichtet, eine Eigenhaftung des Geschäftsherrn gegenüber dem Geschäftsbesorger aus dem Rollenbesetzungs-Verhältnis der Geschäftsbesorgung gibt — der Geschäftsbesorger holt sich seinen, i h m durch das Geschäftsbesorgungs-Verhältnis entstandenen Schaden, selbst den vom Geschäftsherrn nicht verschuldeten. Diese Haftung des Geschäftsherrn beruht auf einem stillschweigenden Garantieversprechen, auf einem grundsätzlichem und objektivem Einstehen-müssen des Geschäftsherrn für den Geschäftsbesorger aufgrund einer geschäftsbesorgerischen Rollenbesetzung und stützt sich analog auf § 829 BGB, eventuell auf § 75 der Einleitung zum ALR, den sog. Aufopferungsanspruch („der Staat hat den zu entschädigen, der seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird"). — Es kann auch m i t einer Analogie zu § 670 operiert werden. Voraus: Der § 839 Ein Sondertyp des als Geschäftsbesorger Delinquierenden ist der Beamte — er ist so sehr staatlicher Geschäftsbesorger, daß er, von seiner Regreßhaftung abgesehen, i n Eigenhaftung überhaupt nicht
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haftet 1 — die Beamtenhaftung nach § 839 derogiert die allgemeine Schadensersatzhaftung nach § 823, 1 — die Haftung des Beamten als Beamter nach § 839, die Haftung des Beamten als Mensch gemäß § 823,1, die „Amtspflicht" und die Menschenpflicht — wenn aber die Verletzung einer „Amtspflicht" geprüft wird, so ist zur Umreißung dieser „Amtspflicht" auch zu fragen, ob durch den Beamten eine i h m obliegende „Menschenpflicht" verletzt wurde — evtl. t r i t t hinter der specialis nach altem dialektischem Gesetz auch die generalis wieder ins Licht. Als „Beamte" nach § 839, die dann nur i n Eigenhaftung haften, kommen vor allem die Gebühren-Beamten und die Beamten des auswärtigen Dienstes i n Frage 1 . Als Gebühren-Beamte werden vor allem der Gerichtsvollzieher und der Notar genannt. Die Haftung der Notare für Amtspflichtverletzung ist i n § 19 der Bundesnotarordnung vom 24.9. 1961 besonders geregelt, aber nicht so, daß der Notar von seiner Eigenhaftung nach § 839 entlastet wird. I m übrigen bestimmt sich der Begriff des Beamten nach Beamtenrecht 2 . Die Ersatzpflicht wegen einer Amtspflicht Verletzung t r i f f t jedoch an vielen Stellen anstelle des Beamten den Staat oder den Quasi-Staat, i n deren Dienst der Beamte steht — hier w i r d also die Eigenhaftung des Beamten auf einen Geschäftsherrn transmittiert, dessen Geschäftsbesorger der Beamte ist. Solche Transmission ergibt sich zunächst, wenn der Beamte hoheitlich, i n Ausübung öffentlicher Gewalt, d.h. nicht lediglich i m Rahmen einer privatrechtlichen Betätigung seines Dienstherrn gehandelt hat, wobei jede Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch einen Beamten des deutschen Bundes, eines Landes oder eines Quasi-Staates (z. B. einer Gemeinde, möglicherweise auch der Kirche), als hoheitlich angesehen wird, die nicht gerade durch Teilnahme des Staates oder des Quasi-Staates am bürgerlichen Rechtsverkehr erfolgt — hoheitlich also auch dann, wenn keine Zwangsmittel angewendet werden, z.B. bei einer fürsorglichen Tätigkeit des Staates oder des Quasi-Staates, beim Unterricht und bei der Beaufsichtigung der Schüler an einer öffentlichen Schule. Der Postbote handelt hoheitlich, der Bahnbusfahrer privat oder fiskalisch. Die hoheitliche Haftung bestimmt sich heute nach A r t . 34 GG. Daneben gibt es aber die fiskalische Haftung des Staates oder des Quasi-Staates nach §§ 89/31 und nach § 831 (wenn es sich u m einen „subalternen" Beamten handelt, der nicht als Geschäftsbesorger i m Sinne von § 31 anzusehen ist).
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Larenz, Schuldrecht, I I , 499 A. 4. Hierzu Kleinhoff, Der Beamtenbegriff des § 839 BGB, AcP 156, 212.
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Die Haftung des Staates oder des Quasi-Staates besteht nach A r t . 34 GG nur unter den den Voraussetzungen des § 839, also auch innerhalb der dortigen Einschränkungen, m i t der sogen. „Subordination" der staatlichen Haftung gemäß § 839. Die Haftung des Staates t r i t t also nicht etwa neben die Haftung des Beamten, sondern an deren Stelle — Transmissionsprinzip. Dem Staate steht aber nach A r t . 34, 1 S. 2 der Regreßrückgriff gegen den Beamten offen, falls diesem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt (Folgerung aus der „Subsidiarität" i n § 839, 1 S. 2, w e i l der Verletzte i n diesem Falle eine andere Ersatzmöglichkeit, nämlich eben die Transmissionshaftung des Staates hat). — Über die Amtspflichtverletzungen kirchlicher Beamter s. BGHZ 22, 383 und B G H VersR 61, 4371. Der A r t . 34 GG ist natürlich dem ganzen § 839 subsidiär (zu den Begriffen der Subsidiarität und der Spezialität s. o. S. 340). Der „ D r i t t e " i n § 839 ist derjenige, der außerhalb der Geschäftsbesorgungs-Vinkulation, zwischen Beamten einerseits, seinem Dienstherrn andererseits steht. Wenn z.B. der Grundbuchrichter eine falsche Eintragung i m Grundbuch fahrlässig vornimmt und dadurch ein Beteiligter geschädigt wird, so ist dieser Beteiligte ein Dritter (hier t r i t t dann hoheitliche Staatshaftung ein). I m einzelnen muß man aufpassen: die Beamtenpflicht muß dem Beamten gerade i m Interesse Dritter auferlegt sein, und der Geschädigte muß zum Kreise „der dadurch geschädigten Personen gehören. Nicht dagegen genügt die Verletzung einer Amtspflicht, die ausschließlich dem Interesse des Staates, der öffentlichen Ordnung oder der inneren Ordnung des Staates dient" (man denke an den Unterschied zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung!) — § 839 ist kein Schutzgesetz i. S. des § 823, 2 2 . Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung strafbarer Handlungen liegt nur i m öffentlichen Interesse und besteht daher nicht auch gegenüber dem durch eine strafbare Handlung Verletzten, während die Pflicht der Staatsanwaltschaft, für die Sicherstellung gestohlenen Gutes zu sorgen, eine Amtspflicht ist. Die Polizei hat jedermann vor einer i h m drohenden strafbaren Handlung zu schützen, ihre Pflicht zur Verhütung strafbarer Handlungen besteht daher jedem gegenüber, der durch eine Vernachlässigung dieser Pflicht gefährdet ist. Die Pflicht, eine amtlich erteilte Auskunft wahrheitsgemäß zu geben, besteht nicht nur gegenüber dem Auskunftsempfänger, sondern auch gegenüber demjenigen, über den die Auskunft erteilt oder dessen Interesse durch
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s. hierzu auch Larenz, aaO, 449, 451. Larenz, aaO, 451.
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sie berührt wird. Ein Urkunds-Beamter, der einer Partei ein Rechtskraft-Zeugnis ausstellt, hat die Amtspflicht zu sorgfältiger Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung solchen Zeugnisses auch gegenüber einem Dritten, der an dem Prozeß der beiden Prozeßpartner interessiert ist. Aus dem Grundsatz, daß der Beamte „Helfer des Staatsbürgers" sein soll, kann aber i m Einzelfall die Amtspflicht folgen, den zu betreuenden Personenkreis ausreichend zu belehren und aufzuklären. Auch dann, wenn eine Amtspflicht dem geschädigten Dritten gegenüber besteht, fragt es sich jedoch, ob der eingetretene Schaden vom Schutzzweck der Normen umfaßt w i r d 1 . Ein einfacher Ermessensfehler bedeutet Amtspflichtverletzung nur dann, wenn es sich u m Ermessensmißbrauch handelt, wenn „der Beamte w i l l k ü r l i c h gehandelt, überhaupt keine sachlichen oder sachfremde Erwägungen angestellt oder die rechtlichen Schranken bewußt überschritten oder i n so hohem Maße fehlsam gehandelt hat, daß seine Entscheidung m i t den an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar ist" (BGHZ 22, 258 [1956]). B G H N J W 60, 1254 fügt hinzu, daß i m Einzelfalle aus dem Grundsatz, ein Funktionär habe „Helfer des Staatsbürgers" zu sein, eine Funktionärspflicht folgen könne, den von i h m zu betreuenden Personenkreis ausreichend zu belehren und aufzuklären. — Die Amtspflichtverletzung w i r d zuerst i m § 839 erwähnt. I m A l l gemeinen kann man sagen, daß von einem Beamten-Delikt i. S. des § 839, wie gesagt, immer nur da die Rede sein kann, wo die sella curulis des Beamten nicht weggedacht werden kann, ohne daß das Delikt überhaupt entfiele — insoweit g i l t die strafrechtliche Bedingungstheorie. K a n n jene sella curulis weggedacht werden, so spielt der Beamte auch deliktsrechtlich seine Privatmannrolle weiter, es hat dann eben kein Beamter, sondern nur ein „Wer" delinquiert. Die Folge dieser Überlegung ist, daß zuerst geprüft werden muß, ob der Beamte, wenn er ein Delikt beging, damit eine Amtspflicht verletze, oder ob ein Beamter eine Amtspflicht verletze, auch wenn er ein normales Delikt beging: hat z. B. ein Beamter als Fahrer eines Autos unter „fiskalischen" Umständen eine allgemeine Verkehrssorgfaltspflicht verletzt und enthaftet sich sein Dienstherr gemäß § 831, so haftet der Beamte als Autofahrer
1 Alles das steht fest, im einzelnen, teilweise wörtlich, Larenz, aaO, 453 455, dort auch die Entscheidungen. Zum Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften durch Beamte vgl. NJW 68, 641 (1967). Siehe a. o. S. 484.
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nach dem Straßenverkehrsgesetz, w e i l er eine allgemeine Verkehrssorgfaltspflicht verletzt hat, evtl. auch nach dem § 8231. Verletzt der Beamte eine Amtspflicht i m Sinne von § 839, so haftet er (sofern keine Transmission eintritt) nach diesem Paragraphen, verletzt er keine Amtspflicht, begeht aber ein Delikt, so haftet er nicht nach § 839, aber als „Wer" (selbstverständlich ohne die Haftungseinschränkungen des § 839). Es ist besser, den § 839 als lex specialis zu lesen, über der das sonstige Deliktsrecht als generalis steht und nach den Grundsätzen der Dialektik i m Regelfalle verschwindet, aber latent bleibt und Wiederaufleben kann: wenn z. B. ein Beamter eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung begangen hat, die zugleich eine unerlaubte Handlung schlechthin ist, so haften Staat und Quasi-Staat i m Wege der Transmissionshaftung hinsichtlich der Amtspflichtverletzung, daneben aber der Beamte selbst als „Wer" nach den §§ 823 ff., und beide haften nebeneinander als Gesamtschuldner nach § 840, l 2 . „Amtspflicht" ist eine spezielle, nämlich beamtliche Bürgerpflicht. § 823 meint aber nicht den Bürger, sondern den Menschen — Träger der öffentlichen subjektiven Rechte ist der Mensch i n seiner Rolle als Bürger, Träger aber der privaten subjektiven Rechte ist der Mensch (v. Gerber). Der (bisherige) § 839 soll aber sowohl die Amtspflichten eines Beamten als auch die sonst unter den §§ 823 ff. fallenden Schädigungen umfassen, so sagt es z. B. BGHZ 34, 99,1960. — Die Amtspflichtverletzung ist „höchstpersönlicher" A r t , wie gesagt wird. Daher zweierlei, nämlich einmal die Banalität, daß nur ein Beamter eine Amtspflicht verletzen kann, zum Zweiten aber, daß die Tätigkeit des Beamten, die ggf. zu einer Verletzung führt, alles umfaßt, was m i t der eigentlichen Beamtentätigkeit i n Verbindung steht: verletzt also ein Notar bei der Beurkundung eines Vertrages fahrlässig seine Amtspflicht, so haftet er grundsätzlich auch „höchstpersönlich" für die Fehler seines bloß angestellten Gehilfen — die „Höchstpersönlichkeit" seiner Amtspflichthaftung besteht hier darin, daß er den Fehler seines Gehilfen nicht entdeckt und damit seine Amtspflicht verletzt hat. I m übrigen muß der Beamte, u m sich nach § 839 haftbar zu machen, schuldhaft und kausal gehandelt haben. — I n den § 839 ist hineinzulesen, was i n § 31 BGB, sowie i n A r t . 34 GG steht: Amtspflichtverletzung kann nur i n Ausführung oder i n Aus1 Der Fall findet sich bei Larenz, aaO, 455. Französisch: faute personelle und faute publique, B G H Z 1, 388. 2 Vgl. dazu Larenz, 453, 449, 451.
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Übung des Amtes begangen werden, nicht „gelegentlich": haut also der oben erwähnte Grundbuchrichter einem nachfragenden Dritten das dicke Grundbuch verletzend auf den Schädel (weil er, eingesperrt i n das dunkelste Zimmer des Amtsgerichts, angesichts des draußen leuchtenden Frühlingshimmels besonders deprimiert ist!), so liegt keine Amtspflichtverletzung vor, da hier nur gelegentlich der Ausübung des Amtes gehandelt worden ist. — Die beiden Subsidiaritäten des § 839, bloße Beamtenfahrlässigkeit nach § 839, 1 S. 2 und die Versäumnis des Verletzten, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, sind antiquiert 1 , aber natürlich zu beachten — z. B. auch die Frage, ob die Leistungen einer Sozialversicherung eine „anderweitige Ersetzung" darstellen (§ 839,1 a. E.). Die Rechtsverfolgung gegenüber einem Dritten, m i t der ein Ersatz des entstandenen Schadens erstrebt wird, ist kein „Gebrauch eines Rechtsmittels" i m Sinne von § 839, 3. — Abs. 2 des § 839 bietet ein hübsches allgemeines Problem. Der dort ausnahmsweise i n Eigenhaftung genommene Richter würde bei dem U r t e i l einer Rechtssache danach auch außerhoheitlich handeln — sonst würde er nämlich nicht i n Eigenhaftung einstehen müssen. Nach der herrschenden deutschen Meinung handelt der (beamtete) Richter bei dem Urteil i n einer Rechtssache aber nur amtlich — sein privates oder menschliches Wissen drückt sich lediglich i n „Sachkunde" oder i m Besitze „offenkundiger Tatsachen" aus 2 . Handelt, wer amtlich handelt, immer auch hoheitlich amtlich? Sicherlich nicht, und insofern ist § 839, 2 auch generell stimmig. „ U r t e i l " i n einer „Rechtssache" nach § 839, 2 w i r d weit gelesen. Zur ersten Subsidiarität des § 839, 1, S. 2 gehört das U r t e i l des B G H vom 23. 3.1971 ( V I ZR 177/69, s. a. BGHZ 27, 274 [1958]): Verletzt ein Notar gegenüber einer juristischen Person bei Beurkundung eines von ihr abgeschlossenen Vertrages fahrlässig seine Amtspflicht und greift wegen des ihr hieraus entstandenen Schadens die Vorschrift des § 839, 1, S. 2 BGB nur deshalb nicht ein, weil die juristische Person von dem für sie bei der Beurkundung handelnden Organ Ersatz ihres Schadens erlangt hat, so haftet der Notar gemäß § 21 NotO gegenüber dem Organ, soweit dieses den Schaden der juristischen Person zu ersetzen hatte. —
1 Einzelheiten bei H. Baumann, Gedanken zur Subsidiarität der Amtshaftung, AcP 169, 318 ff., Futter, Die Subsidiarität der Amtshaftung, 1974; Grunsky, Zur Haftung für richterliche Amtspflichtverletzungen, Festschr. für Raiser, 1974. 2
So auch Larenz, 456 und B G H Z 49, 267, 1968.
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§ 1697 läßt den Vormundschaftsrichter nach § 839, 1 und 3 dem Kinde haften. — Der Referentenentwurf verfügt folgendermaßen: A n die Stelle des § 839 treten die folgenden §§ 839 bis 839 b: §839 (1) Verletzt jemand i n Ausübung eines i h m anvertrauten öffentlichen Amtes i m Bereich hoheitlichen Handelns vorsätzlich oder fahrlässig die i h m einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat der Staat oder die sonstige Körperschaft, die das A m t anvertraut hat, dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (2) Ist derjenige, der die Amtspflicht verletzt hat, auf Grund der §§ 827, 828 nicht verantwortlich, so hat die Körperschaft den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen eine Schadloshaltung erfordert. (3) W i r d die Amtspflicht bei dem U r t e i l oder einer wesensgleichen Entscheidung i n einer Rechtssache verletzt, so ist für den daraus entstehenden Schaden nur dann Ersatz zu leisten, wenn die Pflichtverletzung m i t einer i m Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist. Dies gilt nicht bei einer pflichtwidrigen Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes. (4) Die Ersatzpflicht t r i t t insoweit nicht ein, als der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Erschöpfung des Rechtsweges abzuwenden. Der § 839 des Entwurfs bedeutet praktisch den Art. 34 GG i m BGB. — §839a (1) Für Amtspflichtverletzungen, welche nach anderen Vorschriften eine Ersatzpflicht aus unerlaubter Handlung nicht begründen würden, gelten die folgenden besonderen Bestimmungen: 1. Ist die Amtspflicht nur fahrlässig oder unter den Voraussetzungen des § 839 Abs. 2 verletzt worden, so kann der Dritte Schadensersatz nur insoweit verlangen, als er nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. 2. Gegenüber Angehörigen eines ausländischen Staates, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt i m Inland haben, besteht eine Ersatzpflicht nur, soweit nach dem ausländischen Recht gewährleistet ist, daß einem Deutschen unter sonst gleichen
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Noch voraus: Die Eigenhaftung des Funktionärs
Umständen der Schaden durch eine öffentliche Stelle ersetzt wird, oder soweit dies durch eine Rechtsverordnung des Bundesministers der Justiz bestimmt ist. (2) Der Bundesminister der Justiz ist zum Erlaß einer Rechtsverordnung nach Absatz 1 Nr. 2 ermächtigt, wenn nach dem Recht des ausländischen Staates grundsätzlich gewährleistet ist, daß für den Schaden aus einer Amtspflichtverletzung gegenüber einem Deutschen eine öffentliche Stelle ersatzpflichtig ist. Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Der § 839 a bringt also Sondervorschriften für solche Amtspflichtverletzungen, die „nach anderen Vorschriften" eine deliktische Haftung nicht begründen würden, ferner hält er — m i t § 839, 4 — die alten (antiquierten!) Subsidiaritätsklauseln aufrecht und begründet unter Nr. 2. eine neue. § 839 b „Bundesrechtliche Vorschriften, welche die Ersatzpflicht abweichend von den §§ 839, 839 a regeln, bleiben unberührt. Soweit solche Vorschriften die Ersatzpflicht der Körperschaft ausschließen und über die Ersatzpflicht desjenigen, der die Amtspflicht verletzt, nichts bestimmen, ist dieser nach Maßgabe der §§ 839, 839 a zum Ersatz verpflichtet, wenn i h m Vorsatz zur Last fällt." Noch voraus: Die Haftung bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs W i r sprechen nicht vom Beamten, wie ihn § 839 zum Tatbestandsmerkmal hat, sondern vom Funktionär von Staaten oder Quasi-Staaten. So ist es dialektisch gesprochen: ein Funktionär kann auch ein Beamter sein, aber nicht jeder Funktionär ist ein Beamter. A r t . 34 GG spricht i n diesem Sinne von Amtspflichtträgern. A r t . 34 betrifft aber bekanntlich nur die Träger einer hoheitlichen Amtspflicht, während hier schlechthin von einer Amtspflicht die Rede ist, es kann eine fiskalische sein, auch eine Amtspflicht schlechthin. Wer i n der Funktion, i m Offizium, eines Staates oder Quasi-Staates, möglicherweise eines Verbandes schlechthin, sitzt, ist Funktionär oder Official (amerikanisch) dieses Staates, dieses Quasi-Staates oder dieses Verbandes. — Eine Eigenhaftung des Funktionärs für Nicht- oder Fehlleistung gibt es i m deutschen Recht nicht, § 839 betrifft nur die Eigenhaftung eines Beamten auf Schadensersatzleistung, und A r t . 34 transmittiert. N u n existieren allerdings neben der Leistungsklage und der Feststellungs-
Noch voraus: Die Haftung bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs
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klage nach der ZPO noch die Anträge (gegen die Verbände) vor den Verwaltungsgerichten nach der VwGO: u. a. die Anfechtungsklage nach § 42 (Aufhebung eines beschwerenden Verwaltungsaktes, eine Gestaltungsklage), die Verpflichtungsklage, einen abgelehnten Verwaltungsakt bestimmten Inhalts zu erlassen, nach §§ 42, 113 I V 1 (Vornahmeklage), die Bescheidungsklage daraufhin, einen abgelehnten A n trag auf Erlaß eines Verwaltungsakts erneut zu bescheiden nach § 113 I V 2, eine Ermessenensentscheidung, die Untätigkeitsklage auf Vornahme eines Verwaltungsaktes nach §§ 42, 75, 113 I V 1, eine allgemeine Leistungsklage nach Argumenten aus den §§ 43 I I , 111, 113, 3, 169, 2, die Verurteilung des Beklagten, eine Leistung zu erbringen, die nicht Verwaltungsakt ist oder eine Handlung zu erlassen, schließlich die Feststellungsklagen nach §§ 43, 113, 48, 1, 50, 1, 82 und die Normenkontrolle als Klage auf die gerichtliche Feststellung, daß eine Rechtsvorschrift ungültig ist (hier nach § 47 i n Verbindung m i t dem jeweiligen Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung). Aus den Rechtsschutzkombinationen der Verwaltungsgerichtsordnung ergibt sich ferner i m Anschluß an § 113, 3 die Leistungsklage auf die Aufhebung eines beschwerenden Verwaltungsaktes und außerdem i m gleichen Verfahren die Verurteilung des Beklagten, eine bestimmte Leistung zu erbringen, die nicht Verwaltungsakt ist, endlich die Folgenbeseitigungsklage und die Anfechtungsklage m i t ersetzender Feststellung auf A u f hebung eines beschwerenden Verwaltungsaktes und außerdem, i m gleichen Verfahren, das gerichtliche Ergehen einer anderen als der durch Verwaltungsakt getroffenen Feststellung (die letzten beiden Klagen nach § 113 1 1 - 3 und nach § 113, 2). Die eben erwähnte Klage auf Verurteilung des Beklagten dazu, eine bestimmte Leistung zu erbringen, die nicht Verwaltungsakt ist (§ 113, 3, Rechtsschutzkombination), wäre am ehesten dahin zu charakterisieren, daß sie die Eigenhaftung eines Funktionärs auf Leistung (bei vorliegender Nicht- oder Fehlleistung) ergibt. Doch fehlt immer noch vieles, z. B. können Unterlassungen schwer i n den Klageantrag hineingebracht werden, dann die Unzahl der Handlungen, die vom Beklagten i n einer den Kläger beschwerenden Weise vorgenommen oder unterlassen werden (z. B. die Heizung des Arbeitsraumes, die Offenhaltung der Haustür, die Weisung i n bezug auf die Postverteilung). Es gibt auch vielerlei Funktionär-Übermut, ganze Unterlassungsprozesse, Nicht-Beantwortung oder nur lakonische Beantwortung von Eingaben, unredliche Überspringung von neuralgischen Punkten, „gesammeltes Schweigen". Schließlich sei auch noch auf ein anderes beliebtes M i t t e l des Funktionär-Übermuts hingewiesen, das i m Grunde m i t dem Hegel'schen Umschlag der Qualität durch die Quantität arbeitet, nämlich ein rechtswidriges Verhalten von so vielen Amtsträgern zur Schau stellt, daß
Noch voraus: Die Haftung bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs
dem Betroffenen vor Quantitäten die Augen schwindeln — alles Verdrängung und öffentliche Verschweigung, also soziale Pathologien, welche die öffentliche Entwicklung leider i n den letzten Jahren vielfach beeinflußten (Kierkegaard sprach von der „Unredlichkeit der Moderne"). Vor allem aber muß darauf hingewiesen werden, daß die Behelfe der Verwaltungsgerichtsordnung und ihre Rechtsschutzkombinationen institutionell gehalten sind und sich nicht an den Funktionär halten, sondern an seine Entscheidung und dann an den betr. Verband. Es ist also, wie gesagt, von einer Eigenhaftung eines Funktionärs bei Nicht- und Fehlleistung auf Leistung nicht zu sprechen. Dies steht i m Gegensatz zu dem betreffenden anglo-amerikanischen Behelf, nämlich der Möglichkeit eines Antrages auf Erlaß einer gerichtlichen Weisung an einen Amtsträger oder Funktionär (injunction), tätig zu werden oder etwas zu unterlassen, i m Weigerungsfalle bei Strafe einer durch den Amtsträger persönlich zu zahlenden Ungehorsamsbuße wegen „Contempt of Court" — keine Transmission zu Lasten des Staates, des Quasi-Staates oder des Verbandes kommt der persönlichen Haftung des Funktionärs i n diesem Fall zu Hilfe. Als man i n den Jahren nach dem zweiten Weltkriege besorgt nach Abhilfen gegen die deutschen Entartungen i n Gesellschaft und Staat Ausschau hielt, hat O. Küster i n Stuttgart i n der „Süddeutschen Juristischen Zeitung" (September 1947, S. 513, 516) einmal auf die anglo-amerikanische Denkweise hingewiesen, die i n der unmittelbaren Haftbarkeit des Funktionärs ein heilsames M i t t e l sah, u m den BeamtenÜbermut i m Zaume zu halten — sonst hat man hierzulands nichts mehr von der Angelegenheit gehört — vielleicht aus Gründen der A b schirmung besonders der hoheitlich fungierenden Amtsträger (obwohl man bei der Regreßhaftung des Amtsträgers auf zivilrechtlichem Felde weniger zimperlich ist). Es steht hier so ähnlich wie bei § 1353 BGB — wer kann denn eine Klage auf Erfüllung ehelicher Pflichten substantiieren (soweit es sich nicht gerade u m sexuelle Einzelheiten handelt?) — Klagen aus § 1353 werden daher auch praktisch nie erhoben (höchstens Scheidungsklagen), es handelt sich hier u m die berühmte „praktische Unmöglichkeit", und diese praktische Unmöglichkeit gilt auch für Eigenhaftungsklagen gegen einen Funktionär wegen Nicht- oder Fehlleistung auf Leistung. Der Barnett-Fall Die anglo-amerikanische I n j u n k t i o n und der anglo-amerikanische Contempt of Court, der sie verwirklicht, werden jüngstens vor allem i m Barnett-Fall klar.
Noch voraus: Die Haftung bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs
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Nachdem der Supreme Court im Jahre 1954 die Rassentrennung in den öffentlichen Unterrichtsanstalten für verfassungswidrig erklärt hatte 1 , unternahm i m Jahre 1961 der Neger James Meredith den Versuch, sich an der Staatsuniversität des US-amerikanischen Bundesstaates Mississippi in Oxford, Miss., einzuschreiben, deren Besuch bis dahin nur Weißen vorbehalten war. Als sein Zulassungsgesuch zurückgewiesen wurde, erhob er vor dem zuständigen District Court des Bundes Klage mit dem Antrag, die Universitätsbeamten zu verurteilen, ihm zum Studium zuzulassen. Der District Court wies die Klage ab. Auf die Berufung Merediths hob jedoch der Court of Appeals des 5. Circuit am 25. 6.1962 diese Entscheidung auf und wies den District Court an, die begehrte Weisung (injunction) an die Universitätsbeamten zu erlassen 2. Durch verschiedene aufschiebende Maßnahmen eines in Mississippi residierenden Mitgliedes des Court of Appeals wurde die endgültige Wirksamkeit dieser Entscheidung mehrfach hinausgezögert, so daß der District Court die Injunction erst am 13. 9.1962 erließ, nachdem inzwischen der Court of Appeals selbst unmittelbar an die zuständigen Beamten eine „preliminary injunction" gerichtet hatte, „enjoining and compelling each and all of said parties to admit plaintiff-appellant to, and allow his continual attendance at the University of Mississippi, further prohibiting and preventing said parties or any of them from excluding said plaintiff-appellant from attendance to and continued attendance thereafter on the same basis as other students at the University of Mississippi"3. Da es sich herausstellte, daß die „Organe" des Staates Mississippi nicht beabsichtigten, diesen Anordnungen Folge zu leisten, wurde am 18.9.1962 die Bundesregierung auf ihr Gesuch hin als „amicus curiae" zu dem Verfahren hinzugezogen, um alle erforderlichen Maßnahmen treffen zu können, „in order to maintain and preserve the due administration of justice and the integrity of the judicial process of the United States" 4 . Historischer Hintergrund und Ursache der Entwicklung, die zu der in Amerika völlig normalen und gewöhnlichen Inanspruchnahme von Staatsund Bundesbeamten auf Vornahme oder Unterlassung von Amtshandlungen geführt hat, ist zunächst die aus England übernommene „doctrine of sovereign immunity". Die Doktrin beruht auf dem englischen Feudalsystem. Der Feudalherr hielt Gericht über seine Untertanen, war aber selbst nur der Gerichtsbarkeit seines Oberherrn unterworfen. Der auf der obersten Stufe der Lebenspyramide stehende König unterstand daher keiner Gerichtsbarkeit und konnte gegen seinen Willen nicht verklagt werden 5 . Als später das Feudalsystem zerfiel und Krone und souveräne Staatsgewalt i m absolutistischen Staat identifiziert wurden, wurde aus der Maxime „the King can do no wrong" die „doctrine of sovereign immunity" der englischen Regierung: „State can do no wrong." Gleichzeitig entwickelte sich eine Lehre, die es dem durch die Staatsgewalt Geschädigten 1 Brown v. Board of Education, 347 U.S. 438; Boiling v. Sharpe, 347 U . S . 497,1954. 2 Meredith et al. v. Fair et al., 5th Cir., 305 F. 2nd 343, 1962. 3 Meredith v. Fair, 306 F. 2nd, 374, 387. 4 U. S. v. Barnett, 330 F. 2nd, 369, 371. 6 Pollok and Maitland, The History of English Law 2 , 1898, 518 f.
Noch voraus: Die H a f t u n g bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs ermöglichte, sich an den Beamten persönlich zu halten, der den Schaden verursacht hatte. Da der König kein Unrecht tun und daher den rechtswidrigen, schädigenden A k t nicht autorisiert haben konnte, wurde angenommen, daß der Beamte unbefugt gehandelt habe und daher persönlich haften müsse1. Spätestens um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war die „doctrine of sovereign immunity" auch in den Vereinigten Staaten als ein natürliches und grundlegendes Hechtsprinzip anerkannt 2 . Die Wirkung dieser Lehre auf die Möglichkeit, Rechte gegen die Staatsgewalt und ihre Beamten geltend zu machen, hängt ab von der Art der staatlichen Tätigkeit, gegen die sich der in seinen Rechten Verletzte wenden will. Besteht die behauptete Rechtsverletzung in der Auferlegung einer Pflicht durch Verwaltungsakt oder gerichtliche Verfügung, so ist i m allgemeinen unbeschränkbar gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet, indem die Möglichkeit gegeben ist, entweder die Gültigkeit des pflichtbegründenden Aktes selbständig überprüfen zu lassen oder in dem Verfahren zur Durchsetzung der Pflicht deren Rechtswidrigkeit geltend zu machen. W i l l sich der Bürger jedoch gegen die Verletzung einer der Staatsgewalt durch Verfassung, Gesetz oder Common Law auferlegten Rechtspflicht wenden, so ist der Rechtsschutz durch die „doctrine of sovereign immunity" stark eingeschränkt. Doch gibt es den enumerierten Immunitätsverzicht und daneben die wichtige Regel, daß der Amtsträger für Rechtsverletzung im Amte persönlich nach den gleichen Grundsätzen verantwortlich ist, wie sie die Rechtsverletzungen von Privatpersonen betreffen 3 , sofern die Handlung des Amtsträgers nicht durch ein verfassungsmäßiges Gesetz autorisiert war 4 . Der Umfang der Autorisation wird vor allem dann weitergezogen, wenn dem Beamten ein Ermessensspielraum eingeräumt wurde. Anders steht es demgegenüber mit der Geltendmachung von Ansprüchen auf Vornahme von Handlungen oder auf Unterlassungen. Da der Supreme Court im Jahre 1889 entschieden hatte, daß gegen die Vereinigten Staaten nur Geldforderungen erhoben werden könnten 5 , sind die eben bezeichneten Ansprüche auf Vornahme von Handlungen oder auf Unterlassungen als Ansprüche auf „specific Performance", d. h. aber auf einen „equitable relief", nur gegen den Amtsträger persönlich und als natürlichen Menschen gegeben: Equity acts in personam 6. Die amerikanische Rechtsentwicklung knüpft in 1 Vgl. Davison, Claims against the State of New York, 1954, 3 ff.; Note: Remedies against the United States, 70 Harv. L. R. 827, 829 ff., 1956/57. 2 Vgl. etwa U . S . v. McLemore, 45 U . S . (4 How.) 286, 1846; H i l l v. U.S., 50 U.S. (9 How.) 386, 1850. Zur „sovereign immunity" der Einzelstaaten: Davison aaO; vgl. auch bereits Hamilton in Federalist No. 81: „It is inherent in the nature of sovereignty not to be amenable to the suit of an individual without its consent. This is the general sense and the general practice of mankind — and the exception, as one of the attributes of sovereignty, is now enjoyed by the government of every State in the Union." Zitiert nach Mentor-Paperback Ausgabe, 1961, 487. 3 Vgl. Little v. Barreme, 6 U. S. (2 Cranch) 169, 1804; Elliot v. Swartwout, 35 U. S. (10 Pet.) 137, 1836. 4 Cary v. Curtis, 44 U. S. (3 How.) 236, 1845. 5 U. S. v. Jones, 131 U. S. 1. 6 Vgl. Schwartz und Jacoby, Government Litigation, 1963, 190; zum „natürlichen Menschen" W. G. Becker, Festschrift G. Husserl, aaO, 121 ff.
Noch voraus: Die Haftung bei Nicht- oder Fehlleistung des Funktionärs
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diesem Punkt an die Institute „Mandamus" und „Habeas Corpus" an, vor allem aber, neben diesen traditionellen Rechtsbehelfen „at law", an die „injunctions" der englischen equity: die englischen Courts of Equity können seit je „Weisungen" erlassen, und zwar sowohl Gebote (mandatory injunctions), wie Verbote (prohibitory injunctions) 1 . Besonders die prohibitory injunctions spielen eine große Rolle, weil solche Handlungen von Amtsträgern, welche Rechtswidrigkeiten im Sinne des Common L a w darstellen würden, durch sie verhindert werden können. Trägt hier der Kläger Tatsachen vor, die gegenüber einer Privatperson einen Unterlassungsanspruch rechtfertigen würden (solche Ansprüche gibt es nämlich als „equitable reliefs"), so bleibt die Tatsache, daß der Beklagte als Amtsträger gehandelt hat, nur für die Frage der „governmental immunity" von Bedeutung. Der Beklagte kann jedoch diesen Einwand nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er eine „official justification" nachzuweisen imstande ist 2 . Diese Möglichkeit besteht aber insbesondere dann nicht, wenn der Amtsträger die ihm gesetzlich erteilte Ermächtigung überschritten hat oder wenn das Gesetz, auf das er sich stützt, verfassungswidrig ist: der Amtsträger handelt in diesen Fällen — zu denen im übrigen selbstverständlich die allgemeinen Rechtswidrigkeiten i m Sinne des Common L a w treten — wie ein „individual wrongdoer" — „seine Ermächtigung" („authority") wird völlig nach Geschäftsbesorgungsrecht (Law of agency) gelesen, und der Amtsträger überhaupt wie ein Geschäftsbesorger (agent) angesehen. Die Judikatur vertritt dabei die Auffassung, daß der beklagte Amtsträger durch die staatlich-hoheitliche Immunität nur da geschützt wird, wo seine Handlungen auf den Geschäftsherrn „Staat" durchgreifen und dann prima facie als Handlungen nur des Staates selbst anzusehen sind, und daß für diese Fragen die allgemeinen Regeln des Common Law über die Beziehungen zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsbesorger zu gelten hätten. Dabei gilt sogar die Faustregel, daß überall da, wo der Amtsträger nicht im Rahmen einer Vollmacht oder Ermächtigung durch den Staat gehandelt hat, kein Durchgriff der Amtsträger-Handlungen auf den Staat anzunehmen ist, so daß in allen diesen Fällen eine injunction gegen den Amtsträger persönlich zulässig bleibt 3 .
1 Vgl. Jones v. Securities and Exchange Comm., 56 S. Ct. 654; Vaughan v. John C. Winston Co., 83 F. 2nd 370, 374, 10th Cir. 1936, zum Unterschied zwischen Mandamus und mandatory injunction vgl. im einzelnen dortselbst 375 und die Note in 38 Col. L. R. 903, 1938: „Mandatory injunctions as substitutes for Writs of Mandamus in the Federal District Courts." 2 Vgl. die Note in Harvard L. R. 70, 827 ff., 852 (1956/57). 3 Vgl. bes. Larson v. Domestic & Foreign Corp., 337 U . S . 682, 685 ff., 1949: „ . . . where the officer's powers are limited by statute, his actions beyond those limitations are considered individual and not sovereign actions. The officer is not doing the business which the sovereign has empowered him to do or he is doing it in a way which the sovereign has forbidden. His actions are ultra vires his authority and may therefore be made the object of specific relief. I t is important to note that in such cases the relief can be granted, without impleading the sovereign, only because of the officer's lack of delegated power . . . A second type of cases is that in which the statute or order conferring upon the officer the right to take action in the sovereign's name is claimed to be unconstitutional . . . These two types have frequently been recognized by this court as the only ones in which a restraint may be obtained against the conduct of Government officials . . . " 32 W . G .
Becker
498 Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden Das Hauptfeld, auf dem seit langem in Amerika diese Art „equitable relief" gegeben wird, ist das bundesrechtswidrige Handeln von Amtsträgern der Einzelstaaten — der Barnett-Fall liegt in dieser „line of cases"1. Die Durchsetzung der verschiedenen Arten von gerichtlichen Weisungen, also sowohl der „writs" als auch der „injunctions", erfolgt, wie auch der Barnett-Fall zeigt, im Rahmen eines normalen „Contempt of Court"-Verfahrens. U m Gehorsam gegenüber den Anordnungen des Gerichts zu erzwingen — im sogenannten „civil-contempt"-Verfahren — werden Haft oder (und) ansteigende Geldstrafen gegen den Amtsträger persönlich verhängt, bis er den gerichtlichen Weisungen Folge leistet. Außerdem setzt sich der Amtsträger der Gefahr aus, wegen Mißachtung des Gerichts (criminal contempt of court) mit einer der Höhe nach in das Belieben des Gerichts gestellten, meist recht empfindlichen Strafe belegt zu werden 2 — im ganzen wirkungsvolle Maßnahmen gegen den „ungetreuen Wächter" 3 . Z w e i deliktische F ä l l e z u m Aufstand v o n Selbstverwaltungsverbänden gegen den Staat V o r a l l e m i n R u ß l a n d w i r d , f u ß e n d a u f L e n i n , seit d e m P a r t e i p r o g r a m m i m O k t o b e r 1971, d e m sogen, d r i t t e n P r o g r a m m f ü r d e n A u f b a u d e r k o m m u n i s t i s c h e n Gesellschaft, die F o r d e r u n g d e r a l l m ä h l i c h e n Ü b e r f ü h r u n g der Staatsverwaltung auf Selbstverwaltungsverbände a u f g e s t e l l t 4 . Das g i l t f ü r j e d e A r t v o n D e m o k r a t i e . Q u a s i - S e l b s t v e r w a l t u n g s v e r b ä n d e (z. B . e i n richterliches G e s c h ä f t s v e r t e i l u n g s k o l l e g i u m ) stehen d a f ü r d e n echten S e l b s t v e r w a l t u n g s v e r b ä n d e n gleich 5 . O b eigene 1 Vgl. bereits Osborn v. Bank of the U. S., 22 U. S. (9 Wheat), 783, eine Entscheidung Marshall's aus dem Jahre 1824, in der dem Steuerbeamten eines Einzelstaates verboten wurde, in das Vermögen einer Bundesbank zu vollstrecken, um eine verfassungswidrige Steuer einzuziehen; ferner Poindexter v. Greenhow, 114 U.S. 270, 1885; Ex parte Young, 209 U.S. 123, 1908 und neuerdings Georgia R. R. and Banking Co. v. Redwine, 342 U. S. 299, 1952. 2 Vgl. Mayers, The American Legal System, 1955, 90 ff.; den Bundesgerichten ist die Kompetenz zur Bestrafung wegen criminal contempt ausdrücklich zugewiesen in 18 U . S . Code, 401: „A court of the United States shall have power to punish by fine or imprisonment, at its discretion, such contempt of its authority, and none other, as, . . . disobedience or resistance to its lawful writ, process, rule, decree of command." — Siehe i m übrigen in diesem Zusammenhang auch Z. Cowen, Some Observations on the Law of Contempt of Parliament, Festschrift Leibholz, aaO, 669 ff. — die Analyse des Barnett-Falles verdanke ich meinem früheren Assistenten Dr. Karlheinz Strache, L L M Harvard, jetzt in Düsseldorf bei Mannesmann. 8 I n bezug auf Juristen als „ungetreue Wächter" darf man, mit Goethe, „gut fritzisch" verbleiben. Friedrich I I . von Preußen schrieb am 11.12.1779: Denn ein Justiz-Collegium, das Ungerechtigkeiten ausübt, ist gefährlicher und schlimmer, wie eine Diebesbande, vor die kann man sich schützen; aber vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üble Passiones auszuführen, vor die kann sich kein Mensch hüten. Die sind ärger, wie die größten Spitzbuben, die in der Welt sind, und meritiren eine doppelte Bestrafung . . . — (vgl. R. Stammler, Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit, I, 1932, 417). 4 s. auch B. Horvath in ARSP 54, 1968, 2 - 4 .
Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden 499
Rechtssetzungsbefugnis des betreffenden Selbstverwaltungsverbandes (Autonomie) vorliegt oder nicht, ob sogar bloß juristische Verbände ohne eigene Personalstruktur — wie z.B. Fakultäten oder die nordamerikanischen Gerichte da sind, ist gleichgültig (die nordamerikanischen Gerichte erlassen sogar autonome Zivilprozeßordnungen, die Rules of Court). Der Selbstverwaltungsverband muß also faktisch gelesen werden. Er unterliegt, als m i t der Aufgabe der (mittelbaren) Staatsverwaltung betraut, dem Grundsatze der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" (bildlich: eine optische Röhre i m Tubus-System — die eine Röhre steckt vertikal i n der anderen, so daß die Röhre der „mittelbaren" Staatsverwaltung als untergesteckt unter die der unmittelbaren Staatsverwaltung erscheint). Daß es insofern auch eine „Justitiabilität", d.h. eine gerichtliche Nachprüfung von Selbstverwaltungsmaßnahmen gibt, ist klar. Ebenso selbstverständlich treten Spannungen zwischen Staat und Selbstverwaltung auf 1 , äußerstenfalls eine A r t „Sezession" des Selbstverwaltungsverbandes 2 . Manchmal weicht der Staat auch vor solcher „Sezession" zurück, das Phänomen des pluralistischen Staates (s. o. S. 310) t r i t t dann i n besonderer Prägnanz auf . . . Falls sich ein Selbstverwaltungsverband „ w i d r i g " verhält (etwa gegenüber einem eigenen Funktionär!) haben zunächst natürlich die Gegenvorstellungen Platz, dann setzt die Staatsaufsicht von Staat und Verband ein, Rechtsaufsicht oder Zweckmäßigkeitsaufsicht, als ein Einzelfall der Zweckmäßigkeitsaufsicht auch die Fachaufsicht. Danach kommen die Klagen, die Leistungsklage auf die Vornahme von Verwaltungsakten nach der VwGO, die Schadensersatz-Leistungsklagen wahlweise nach § 40, 2 der VwGO oder vor dem Zivilgericht — wobei die Schadensersatz-Leistungsklage i n erster Linie natürlich wieder auf „Naturalrestitution", indirekt also auf Leistung geht, dann auf Schadensersatz i n Geld. Grundlagen sind der § 278, der bei Verletzung von Fürsorgepflichten auch i m öffentlich-rechtlichen Bereiche gilt 8 , da6 Vgl. V. v. Stocki, Die Rechtsnatur gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne, Dissertation Berlin-West, 1969, 34, 59, 77. 1 s. z. B. G. C. v. Unruh, Spannungen zwischen Staat und Selbstverwaltung im bürgerlichen und sozialen Rechtsstaat, „Der Staat", 4, 1965, 441 f. 2 Jedoch hat das BVerfG (E. 1, 299, 315 [1952]) einen Sezessionskrieg geführt und zur Niederlage der „Sezessionisten" gebracht: verweigert ein Bundesland unter Verstoß gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens seine Zustimmung zu einem Akt, der an sich ohne sein Einverständnis nicht vorgenommen werden kann, so ist diese Weigerung unbeachtlich — weitere Fälle von „Bundestreue" — einer Spezialform des Verhaltens von „nachgesteckten Röhren i m Tubus-System", hier also von „Ländern" gegenüber dem Bundesstaat — enthalten die in der Karanikas-Festschrift, Thessaloniki 1967, auf S. 147 A. 35 verlisteten Fälle. 8 Dazu die Dissertation von Papier, Berlin-West 1969, Die Forderungsverletzung im öffentlichen Recht. 32•
500 Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden
nach der A r t . 34 GG bei der Amtspflichtverletzung schließlich eine Schadensersatzklage auf Geld wegen Persönlichkeitsverletzung 1 . — A l l e diese Behelfe stehen jedoch unter der Überschrift, daß es m i t der „praktischen Geltung" einer Rechtsdurchsetzung gegenüber einem Quasi-Staat (Selbstverwaltungsverband) oder gar Staat nicht weit her ist 2 . — Die „Staatsraison" kann sich geltend machen. I m Falle des Funktionärs, der schlecht von seinem Quasi-Staat behandelt wird, kann dieser sagen, der betreffende Funktionär könne ja gehen, wenn es i h m nicht paßt. Aber praktisch ist der betreffende Funktionär, besonders wenn er „Beamter" ist, „glebae adscriptus"! Außerdem ließe sich sagen, daß auch die Staatsraison, deren Berechtigung grundsätzlich zugegeben werden darf, sich allenfalls m i t dem Staate eines mäßigen Rechts deckt, nicht immer aber mit dem Rechtsstaate. Hier kann man Coke's „ewige Weisheit" verbuchen „Reason of State lames Magna Carta". — Jüngstens hat hier das Landgericht Saarbrücken i n seinem Urteil vom 30. März 1965 (Aktenzeichen: 4 0 224/64) m i t einem Urteil auf Zahlung von immateriellem Schadensersatz zu bereinigen versucht. Der Tatbestand war der, daß der Kläger, ein Landessozialgerichtsrat beim Landessozialgericht i n Saarbrücken, durch die Geschäftsverteilung des Landessozialgerichts i n den Jahren 1960 bis 1963 „praktisch von der Richtertätigkeit" ausgeschlossen worden war. Der Kläger legte i m März 1962 Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Gerichtspräsidenten ein, der zuständige Minister für Arbeit und Sozialwesen lehnte jedoch die Durchführung eines Verfahrens ab. A u f die Verfassungsbeschwerde des Klägers h i n stellte das Bundesverfassungsgericht m i t Beschluß vom 25. Februar 1964 (E 17, 252 ff.) fest, die Geschäftsverteilungspläne des Landessozialgerichts Saarbrücken hätten zumindest den Richterart. 97 des deutschen Grundgesetzes durch den Ausschluß des Klägers von der M i t w i r k u n g an der Rechtsprechung des Gerichts verletzt, möglicherweise aber auch die A r t . 1, 2 und 3 GG: auch diese Grundrechtsbestimmungen könnten nach § 90 Abs. 1 des Gesetzes über den Bundesverfassungsgerichtshof mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, und es sei durchaus möglich (wenngleich dem Verfassungsgericht die 1
Bei „äußerster Amtsfremdheit", die nicht einmal mehr als Setzung von fehlerhaften Staatsakten angesprochen werden kann, sondern „Akte reiner Willkür" setzt, liegt sogar „nur scheinbar hoheitliches" Verhalten vor, vgl. B G H vom 5. 7.1957 (DÖV 1958, 863), davor schon RGZ 162, 196 (1939). — § 40 2 V w G O öffnet den Weg für „Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten". 2 Der Beschluß des BVerfG in E 11, 259, 1964 verwendet ausdrücklich den Ausdruck „praktische Geltung", der oben in die Nähe der „praktischen U n möglichkeit" gebracht wurde.
Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden
Verletzung des A r t . 97 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes hier genüge), daß der Kläger durch die Geschäftsverteilung auch i n seinen Rechten auf Achtung seiner Menschenwürde, auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit i m gewählten Beruf und auf Gleichbehandlung verletzt sein könne, wobei eine mögliche weitere Verletzung des A r t . 33 (Zugang zu öffentlichen Ämtern, öffentlicher Dienst) dahingestellt bleiben könnte. Das Bundesverfassungsgericht könne jedenfalls, nachdem die Verfassungsbeschwerde unter den vorgenannten Gesichtspunkten zulässig sei, die Verletzung aller dieser Vorschriften des Grundgesetzes durch die Saarbrückener Geschäftsverteilung von Amts wegen prüfen. Es stände fest, daß die Saarbrückener Geschäftsverteilung für die Jahre 1962 und 1963 für den Kläger dieselbe Wirkung wie eine formale Amtsenthebung gehabt hätte. M i t der Klage vor dem Landgericht Saarbrücken begehrte danach der Kläger, dem eine anderweitige Ersatzmöglichkeit insoweit nicht zur Verfügung stehe, Ersatz des immateriellen Schadens, der i h m durch die Ausschaltung aus der Rechtsprechung und die damit verbundene Verletzung seines Persönlichkeitsrechts entstanden sei (zusätzlich Ersatz der dem Kläger entstandenen materiellen Schäden): das Präsidium des Landessozialgerichts, eine Kollegialbehörde, habe durch die unzulässige Geschäftsverteilung eine ihr dem Kläger gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Diese Amtspflichtsverletzung stelle gleichzeitig auch eine Verletzung der i m Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts erwähnten Grundrechte dar. Insbesondere sei durch die Verhaltensweise des Präsidiums das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt worden, da dessen Kaltstellung i n weiten Kreisen bekannt geworden sei und seiner Ehre, seinem Rufe und seinem Ansehen schwer geschadet habe. Das Präsidium habe auch vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig gehandelt. Bei der von i h m als einem Kollegium hochqualifizierter Richter zu erwartenden Sorgfalt bei der Prüfung der Rechtslage hätte es erkennen müssen, daß eine Ausschaltung eines Richters aus der Rechtsprechung i m Wege der Geschäftsverteilung gesetzwidrig sei. Auch das Ministerium für Arbeit und Sozialwesen habe schuldhaft eine i h m dem Kläger gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, als es auf die Dienstaufsichtsbeschwerde des Klägers h i n nichts unternommen habe. Die schwere Verletzung eines Persönlichkeitsrechts und das erhebliche Verschulden der Verletzer gäben dem Kläger einen Anspruch auf Ersatz von immateriellem Schaden, der sehr hoch sei. Die Entscheidungsgründe bejahen den Anspruch des Klägers gem. § 839, 847 BGB, A r t . 1, 2, 3, 34 GG. Durch die von der Mehrheit des Präsidiums des Landessozialgerichts Saarbrücken gefaßten Beschlüsse über die Geschäftsverteilung ab M a i 1962 sei das allgemeine Person-
502 Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden
lichkeitsrecht des Klägers verletzt worden, da diese Beschlüsse den praktischen Ausschluß des Klägers von der M i t w i r k u n g bei der Hechtsprechung des Landessozialgerichts zur Folge gehabt hätten. Das Recht des Klägers, an der Rechtsprechung mitzuwirken, sei nicht nur ein Bestandteil seines Amtes, sondern, w e i l die Person und die Persönlichkeit des Klägers zur betreffenden Zeit eben die eines aktiven Richters gewesen sei, gleichzeitig auch ein Bestandteil seines Persönlichkeitsrechts, „jenes inneren Persönlichkeitsbereichs, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht" (BGH i n NJW 58/827 ff., 829): Persönlichkeit und A m t seien untrennbar verbunden, wer zur Entfaltung seiner Persönlichkeit den Richterberuf gewählt habe, habe ein Recht darauf, so lange er von Rechts wegen Richter sei, i m Rahmen der Gesetze seine Persönlichkeit als Richter, d. h. als zur Rechtsprechung Berufener zu verwirklichen 1 . Ein solcher Eingriff i n das Persönlichkeitsrecht des Klägers sei, wie sich schon aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergäbe, rechtswidrig. Er erfülle auch den Tatbestand der Amtspflichtsverletzung. Das Präsidium als Amtsträger habe die Amtspflicht, und zwar gegenüber dem Kläger, seines Amtes so zu walten, daß die Rechte aller von seiner Amtsführung Betroffenen, also auch die der Richter des Landessozialgerichts, insbesondere des Klägers, nicht über den Rahmen des gesetzlich Zulässigen hinaus beschränkt würden. Dieses aber sei geschehen. Der Umstand, daß die Amtspflichtsverletzung nicht von einem bestimmten Amtsträger, sondern von einem Kollegium begangen worden sei, stehe nicht entgegen, da die i n Betracht kommenden Beschlüsse unstreitig von der Mehrheit des Präsidiums gefaßt worden seien, und der Kläger nicht i m einzelnen diejenigen Mitglieder namentlich zu benennen brauche, die dafür gestimmt hätten 2 . Die Mehrheit des Präsidiums habe auch, wenn nicht vorsätzlich, so doch fahrlässig gehandelt. Möge die Rechtslage auch für juristische Laien schwierig gewesen sein, so doch für qualifizierte Volljuristen, aus denen sich die Mehrheit des Präsidiums zusammensetzte, nicht so schwierig, als daß sie nicht bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt richtig zu analysieren gewesen wäre, zumal das Präsidium seine Entscheidungen keineswegs i n Eile treffen mußte. Die durch schuldhafte Amtspflichtsverletzung begangene Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers begründe einen Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land als Anstellungskörperschaft gem. 1
Hier wird auf Schorn in DRiZ 1964, 238 f. verwiesen. Hier wird auf Kayser-Leis, Die Amtshaftung (2. Aufl.), 26, verwiesen. S. hierzu auch P. Düwel, Das Amtsgeheimnis, 1965, und im ganzen den Sammelband „Demokratie und Verwaltung". 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1972. 2
Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden
A r t . 34 GG. Die ständige Rechtsprechung des B G H (vgl. u. a. B G H i n NJW 58/827, 829, 61/2, 2059, 2060, 62/100, 1005, 63/902) bejahe einen solchen Anspruch immer dann, wenn der i n das Persönlichkeitsrecht eines anderen Eingreifende entweder m i t schwerem Verschulden handele oder aber die Verletzung besonders schwerwiegend sei (vgl. B G H i n N J W 61/2059). Der Anspruch entstehe direkt aus A r t . 1 GG, da das Persönlichkeitsrecht, so wie es durch A r t . 1 und 2 GG normiert sei, nur dann wirksam geschützt werden könne, wenn seine Verletzung einen Schadensersatzanspruch des Betroffenen begründe. Dabei könne man der Bedeutung, die das Grundgesetz dem Persönlichkeitsrecht beigemessen habe, nur dann gerecht werden, wenn diesem Recht auch ein entsprechender Schutz gewährt würde* da das Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes sonst ein unverbindliches Postulat bleiben würde, was der Tatsache, daß das Grundgesetz unmittelbar geltendes Recht sei und nicht nur programmatische Bedeutung habe, widerspreche: die Enumerationen der §§ 253, 847 BGB könnten daher gegenüber dem vorrangigen Grundgesetz keinen Bestand haben. Der Ersatzanspruch des Klägers sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, w e i l nicht der Tatbestand des § 823 BGB erfüllt gewesen sei. Zwar sei ein ähnlicher Fall, soweit ersichtlich, nicht entschieden worden. Jedoch wäre es ein durch nichts gerechtfertigter Formalismus, wollte man den Schadensersatzanspruch i n diesem Falle versagen. Entscheidende Begründung des Anspruchs sei, daß ein Tatbestand einer rechtswidrigen schuldhaften und damit unerlaubten Handlung vorliege, durch den eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts verursacht worden sei. Der Eingriff i n das Persönlichkeitsrecht des Klägers sei schwerwiegend gewesen. Der Kläger habe den von i h m zur Entfaltung seiner Persönlichkeit gewählten Beruf jahrelang praktisch nicht ausüben können. Dies allein stelle schon eine sehr schwere und ehrenkränkende Abwertung der Persönlichkeit des Klägers dar. Hinzu komme, daß diese Vorgehen nicht rechtsintern geblieben, sondern weithin bekannt geworden sei, so daß auch das Ansehen des Klägers i n der Öffentlichkeit und i n seinem Bekanntenkreis erheblich beeinträchtigt worden sei. Die Angelegenheit sei i n der deutschen Richterschaft einmalig. Eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts verursache grundsätzlich einen hohen immateriellen Schaden. Es komme hinzu, daß der Kläger als Richter an einem obersten Landesgericht eine hohe Position innehatte. Ferner wirke sich auch die Intensität des Eingriffs, die lange Zeitdauer und der Grad des Verschuldens der Mehrheit des Präsidiums auf die Höhe der Entschädigung aus, das nicht einmal dann, als i h m auf Grund des Eingreifens des Bundesverfassungsgerichts auf jeden Fall Bedenken an der Rechtmäßigkeit seines
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Vorgehens hätten kommen müssen, seine Einstellung geändert habe, sondern aus Prestigegründen an der getroffenen Regelung festhielt. Letztlich sei auch die erhebliche Rufschädigung des Klägers zu berücksichtigen gewesen, die nach der Überzeugung des Gerichts ohnehin durch eine finanzielle Genugtuung nur i n geringem Maße ausgeglichen werden könne. Materieller Schadensersatz verstehe sich für den Kläger von selbst, ebenso, daß auch das Ministerium für Arbeit und Sozialwesen eine Amtspflichtsverletzung begangen habe. Es handele sich u m den ersten bekanntgewordenen Fall, daß ein Richter unter der Geltung des Grundgesetzes auf illegalem Wege von der Amtsführung ausgeschlossen worden sei 1 . Der zweite Fall, den w i r hier verlisten wollen, liegt folgendermaßen: Professor B hat, nach den der „Natur der Sache" entsprechenden Verhandlungen m i t der zuständigen Fakultät, insbesondere m i t deren Geschäftsbesorger, Professor W, dem Direktor der psychiatrischen K l i nik, einen Ruf angenommen, demzufolge er auch zum selbständigen Direktor der Abteilung „Psychoanalyse" innerhalb des Universitätsinstitutes der psychiatrischen K l i n i k ernannt wurde. Professor W hat später i n einem Schreiben ausdrücklich bestätigt, daß Professor B alleiniger Direktor der Instituts-Abteilung „Psychoanalyse" sei. Danach w i r d Professor B, vor allem auf Betreiben von Professor W hin, vom Institut, damit auch von seiner Abteilung „Psychoanalyse" ausgesperrt (z.B. bekam er vor allem keine Post). Professor B wendet sich beschwerdeführend an die Universität. Diese erklärt, Professor B sei nur i n Gemeinschaft m i t Professor W Direktor der Abteilung „Psychoanalyse", da diese ja n u r ein Teil des unter der Direktion von Professor W stehenden Gesamtinstitutes sei. Von dem Schreiben Professor W's, i n dem dieser bestätigt, daß (wie es der seinerzeitigen m i t Professor B geführten Berufungsverhandlung entsprach) Professor B alleiniger D i rektor der Institutsabteilung „Psychoanalyse" sei, w i r d keine Kenntnis genommen, der neuralgische Punkt w i r d also übersprungen 2 (s. o. S. 493). 1 Übereinstimmend, wenn auch in der Höhe des immateriellen Schadensersatzes reduzierend, das den Fall rechtskräftig beendende Urteil des OLG Saarbrücken vom 24. 6.1966 (3 O. 103/65). 2 Die entscheidenden Mitglieder der Universität und der noch mehr betroffenen Fakultät waren Beamte, zumindest Amtsträger, die i m Rahmen der Universität oder des Landes handelten. Die Amtsverletzungen der M i t glieder der Fakultät, des Universitätssenats, des Universitätskuratoriums, evtl. noch anderer Universitätsorgane konnten möglicherweise auch mit dem Vortrage, daß „Rechtsbeugung", hier in Selbstverwaltungsangelegenheiten ergangen sei und eine Begünstigung Professor W's darstellten, geltend gemacht werden — ein Strafsenat des O L G Saarbrücken meint allerdings in seinem Beschluß v. 21.4.1967, daß es bei der Selbstverwaltung keine „Rechtssachen" gäbe. I m ganzen stieß Professor B hier auf eine Summierung
Z w e i deliktische Fälle zum Aufstand von Selbstverwaltungsverbänden B r a v e r f o l g t e n zunächst d i e G e g e n v o r s t e l l u n g e n , u n d d i e U n i v e r s i t ä t a n t w o r t e t e v o r l ä u f i g , daß Professor W , v o r a l l e m als I n s t i t u t s d i r e k t o r , u n k o n t r o l l i e r b a r sei, w a s einfach n i c h t s t i m m t , d e n n auch d e r H o c h s c h u l l e h r e r ist als B e a m t e r g r u n d s ä t z l i c h w e i s u n g s g e b u n d e n 1 . D a n a c h w u r d e v o n Professor B d e r z u s t ä n d i g e R e s s o r t m i n i s t e r , also d e r K u l t u s m i n i s t e r , angerufen. D e r entschied i m W e g e d e r Rechtsaufsicht, u n d i n A b k e h r v o n d e m o b e n e r w ä h n t e n S y s t e m des p l u r a l i s t i s c h e n Staates, d e m Professor B müsse z u m i n d e s t d i e P o s t v o r g e l e g t w e r d e n . D i e U n i v e r s i t ä t e r h o b gegen diese Rechtsaufsichtentscheidung i h r e s „ v o r g e steckten" Staates k e i n e V e r w a l t u n g s k l a g e , e r k a n n t e sie also an, b e f o l g t e aber d i e W e i s u n g des K u l t u s m i n i s t e r s n i c h t , u n d ebenso w e n i g t a t es n a t ü r l i c h Professor W , d e n n i n d e r Post l a g e n d i e G u t a c h t e n a n f r a g e n , u n d d i e G u t a c h t e n s o l l t e n v o n Professor W k a s s i e r t w e r d e n . D a d e r K u l t u s m i n i s t e r n u n m e h r schwieg (also j e t z t anscheinend das P h ä n o m e n des p l u r a l i s t i s c h e n Staates a n w a n d t e oder a n w e n d e n m u ß t e ! ) , k a m es b e i Professor B z u d e n o b e n e r w ä h n t e n K l a g e ü b e r l e g u n g e n . D e r K l a g a n t r a g v o r m V e r w a l t u n g s g e r i c h t a u f Leistung h ä t t e e i g e n t ü m l i c h ausgesehen u n d w a r d a h e r „ p r a k t i s c h u n m ö g l i c h " 2 — u n d das g a l t von Taten und Tätern, welche die Verfolgung seiner Rechte wiederum außerordentlich erschwerte — über die Summierung von Tätern, den alten Trick von Interessenverbänden, s. o. S. 493 (s. a. 115). 1 s. dazu in der Karanikas-Festschrift, Thessaloniki 1967, I I I , 138 - 140. 2 Es wird beantragt, zu entscheiden: I. Der Beschluß des akademischen Senats vom 8.12.1965 wird aufgehoben. I I . Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die faktische Ausübung seines Amtes als selbständiger Institutsdirektor, insbesondere durch Zurverfügungstellung der hierfür erforderlichen persönlichen und sachlichen Bedarfsmittel, zu gewährleisten, und zwar wie folgt: 1. Die für die Institutsarbeit erforderlichen sächlichen Bedarfsmittel (Büromittel wie Briefbogen, Briefumschläge und Schreibmaterial) werden dem Kläger auf Anforderung zur Verfügung gestellt. 2. Die die betreffende Abteilung des Instituts angehenden Bücher, Akten, Poststücke oder sonstige Schriftstücke, die sich in anderen als den dem Kl. sonst uneingeschränkt zugänglichen Räumen befinden, in denen L i teratur einschließlich der Kataloge untergebracht ist, sind auf Anforderung für eine nach Treu und Glauben zu bestimmende Frist an den Kl. herauszugeben. 3. Alle vom Institut ausgehende Post trägt ab sofort auf Papier und U m schlag die Absendeanschrift, wie sie im Vorlesungsverzeichnis der Universität angegeben ist. 4. Auf alle an das Institut, also nicht an einen Institutsdirektor persönlich, gerichtete Anfragen (schriftliche, telegrafische, mündliche und fernmündliche), welche psycho-analytische Angelegenheiten betreffen, wird von einer im Institut einzurichtenden Postverteilungsstelle, die nicht durch Professor W persönlich wahrgenommen wird, unverzüglich auf Vordrucken geantwortet, daß zu Stellungnahmen nur die Institutsdirektoren persönlich zur Verfügung stehen, und zwar die Professoren W und B, so daß die Postverteilungsstelle, bevor sie die Post weiterleitet, erst eine Mitteilung darüber abwarten muß, welcher der beiden Herren angegangen werde.
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auch für eine Klage gegen den Kultusminister. Eine Verfassungsbeschwerde stand aus besonderen Gründen nicht zur Verfügung. Schließlich wurde Schadensersatz i n Geld wegen Persönlichkeitsverletzung nach Art. 34 GG von der Universität verlangt und dabei auch geltend gemacht, daß ein Hochschullehrer, insbesondere als Institutsdirektor, auch ein Recht am Amte hätte, wie es sonst nach der herrschenden Lehre versagt sei 1 . Die Klage wurde abgewiesen, das oben reportierte rechtskräftige Urteil des L G Saarbrücken ignoriert, ebenso wurden die soziologischen Hintergründe des Falles übergangen, das mögliche Bestehen eines Rechts am Amte interessierte das betreffende L G nicht, und der Kläger, müde der Nervenanspannung, des Zeitverlustes und der Kosten, ließ das Urteil rechtskräftig werden, wobei das L G immerhin darauf hinwies, daß Professor B nach den §§ 839 (Eigenhaftung) und 852 BGB Schadensersatz aus Delikt oder ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen könne: zweifellos hätte eine Amtspflichtverletzung i m Sinne des § 839 auf Seiten des Professor W vorgelegen, möglicherweise auch eine Bürger- und Menschenpflichtverletzung nach § 823, 2 i n Verbindung m i t dem Schutzgesetze der strafrechtlichen Untreue (§ 266 StGB) — sicherlich läge auch eine Forderungsverletzung i m Rahmen des seinerzeit geschlossenen, öffentlich-rechtlichen, nicht hoheitsrechtlichen Vertrages zwischen den Professoren W und B durch den Professor W vor — Professor W habe zwar (gutachtlich) gearbeitet, könne aber die i h m entstandene Arbeit nicht zu Lasten des Professor B vorbringen, so daß Professor B, sofern er ihn nachweisen könne, möglicherweise einen entgangenen Gewinn i m Sinne von § 252 hätte — § 839, 1 bliebe primäre Anspruchsgrundlage und S. 2 käme nicht i n Frage, da Professor W offensichtlich konstant vorsätzlich gehandelt hätte — Rechtsmittel i m Sinne des § 839, 3 seien von Professor B auch eingelegt worden 2 . 5. Professor W ist — wie der Kl. i m umgekehrten Falle — dienstlich verpflichtet, dem Kl. von den ihm sonst zugehenden Mitteilungen, welche die psychoanalytische Abteilung des Instituts betreffen, unverzüglich Kenntnis zu geben. 6. Dem Kläger wird eine Etatstelle für einen weiteren Wissenschaftlichen Halbassistenten bzw. statt beider Halbassistentenstellen eine solche für einen vollen Wissenschaftlichen Assistenten (Wahl beim Kl.) zum frühestmöglichen Zeitpunkt zur Verfügung gestellt. I I I . Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. I V . Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. 1 Vgl. dazu W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 1956, 263, s. auch 197, sonst zum „Recht am Amt" in der Karanikas-Festschrift, aaO, 162- 165 — s. auch für den Richter die Art. 97 f. GG, Röttgen in Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I I , 302, BVerfG in NJW 1964, 1019 f. 2 A n Literatur s. zu diesen ganzen Fragen W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 1956, 263, 197, U. von Lübtow, „Wissenschaftsrecht" (Zeitschr. bei
Der § 31
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Wenn auch die von Professor W begangenen Hechtswidrigkeiten mit solch einer Bereicherungsklage bereinigt werden konnten, so blieb doch jene Rechtswidrigkeit offen, welche i m Verhalten der Universität als eines Selbstverwaltungsverbandes gegenüber der Rechtsaufsichtsentscheidung ihres (vorgesteckten) Staates lag, zumindest die Post vorzulegen. Diese Rechtswidrigkeit wäre praktisch nur zu bereinigen, wenn deutsche Gerichte den betreffenden natürlichen Personen gegenüber mit dem M i t t e l des „Contempt of Court" vorgehen könnten, also eine Leistungspflicht des Funktionärs als natürlicher Person realisierten (s. o. S. 492). Da es diese Verfahren i m deutschen Recht nicht gibt, konnte — ungeachtet aller „rechtsstaatlichen" Behelfe (wie sie oben verlistet wurden) — ungestraft durch eine Lücke i n der Rechtsordnung ein Selbstverband zur „Sezession" gegenüber seinem Staat aufziehen, der sich seinerseits auf das System der staatlichen Abdankung zurückzog, welches i m „pluralistischen Staat" enthalten ist. — Diese A r t A b dankung des Staates bedeutet eigentlich etwas viel Entscheidenderes als die Abdankung der deutschen Fürsten i m Jahre 1918, i m übrigen auch ein Symptom für das Zurücktreten des Rechtsstaats hinter dem Sozialstaate m i t nur „mäßigem" Recht. Zu prüfen wäre noch, ob die Sprache von der „persönlichen" Eigenhaftung eines Funktionärs richtig ist. Sicherlich steht zumindest keine Haftungs-Transmission in Frage. Weiterhin wird bei dieser Eigenhaftung eines Funktionärs offensichtlich die „natürliche Person" im Sinne der §§ 1 ff. BGB gemeint. Zu fragen bleibt immerhin, ob nicht eine naturale Figur innerhalb des oben erörterten natural-legalen Parallelismus in dem verurteilten Funktionär vor uns steht (s. o. S. 395), dann also etwas anderes als die „legale natürliche Person" des § 1 BGB. A m besten kommen wir mit den Sonderformen des Menschen aus, die auch vom G G (und von § 1 BGB) nicht legal definiert werden, obwohl juristisch und rechtlich benutzt, mit der Persönlichkeit, die ihre Rechte hat (z. B. nach § 823), mit der Kreatur, die nach der Humanitätsklausel rechtlich geschützt wird. Der Funktionär, der die Eigenhaftung bei Nicht- oder Fehlleistung trägt, wird in unserem Fall demnach als naturale Figur beim Geldbeutel genommen — er steht in der juristischen und rechtlichen Terminologie ähnlich da wie der amerikanische Präsident, dem ein nach Art. 1 sect. 7 der Verfassung dem präsidentialen Veto unterliegendes Gesetz „persönlich" zugestellt werden muß (also „natural" im Sinne des natural-legalen Parallelismus) 1 . I m übrigen s. o. S. 115.
Der § 31 „ § 3 1 gehört zu der Gruppe von Zurechnungsnormen, die eine ,Repräsentationshaftung 4 begründen: das Handeln des Repräsentanten w i r d dem Repräsentierten unmittelbar zugerechnet. Unmittelbare ZurechMohr in Tübingen), 1971, 215; Röttgen in Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I I , 302. 1 Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 96 A. 240.
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Der §
nung bedeutet, daß es auf ein Verschulden des Repräsentierten nicht ankommt; dieser kann sich infolgedessen auch nicht bei fehlendem Verschulden entlasten. Hierher gehört namentlich auch § 2 RHaftpflG, der die Haftung bestimmter Unternehmer für leitende Angestellte vorsieht 1 ." Es handelt sich also i n § 31 zunächst u m eine TransmissionsNorm. § 31 spricht direkt vom eingetragenen Verein. Dieser ist ein rechtlicher Verband i n der Sparte der juristischen Person (s. o. S. 266). Der Transmissions-Haftungsgrundsatz des § 31 w i r d aber von der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung als ein allgemeiner Grundsatz angesehen und demgemäß auf alle juristischen Personen nicht nur des öffentlichen, sondern auch des privaten Rechts bezogen, vor allem die juristischen Personen des Handelsrechts 2 . Der grundlegende Gedanke ist der von der Organisationspflicht eines Verbandes, wonach für die Tätigkeitsbereiche, die von der leitenden Stelle allein nicht übersehen werden können, ein besonderes Organ geschaffen werden muß 8 . Die juristische Person haftet nach § 31 also für i h r „Organ" (s. o. S. 476), w e i l sich eine solche Person eines Organs bedienen müßte, u m handlungsfähig zu werden 4 . — Das „Organ" des Verbandes ist stets eine natürliche Einzelperson, die Verschulden tragen kann. Das BGB verwendet den Ausdruck „Organ" i n § 31 nicht, sondern läßt den Verein für den Schaden haften, „den der Vorstand, ein M i t glied des Vorstandes oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter . . . zufügt". — Dem Vorstand des Vereins entsprechen die höchsten Organe der jeweiligen Verbandsperson, also z. B. auch die Minister. Verfassungsmäßig berufene Vertreter i m Sinne des § 31 sind nur solche, deren Funktion auf den Organisationsnormen selbst beruht, nicht nur auf der Übertragung von den organisations-normativ Berufenen — es genügt aber, daß die Organisationsnorm Sachgebiet und Sachbearbeiter vorsieht, u m einen Sachbearbeiter, dessen Geschäftsbereich auf Geschäftsbesorgung nach außen h i n zugeschnitten ist, zum verfassungs1
M. Nitschke, Die Anwendbarkeit des in § 31 BGB enthaltenen Rechtsgedankens auf alle Unternehmensträger. Zugleich ein Beitrag zur Reform des § 831 BGB, N J W 22, 1737 ff., 1969. 2 K. Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1967, 170. 8 Großes Schrifttum, z. B. AcP 164, 482 ff., 1964, dem Vorschlage nach gilt § 3 1 auch für eine Konkursmasse, die dann für ein Handeln des Konkursverwalters haften sollte, Boetticher ruft insoweit Gewohnheitsrecht an. 4 Nitschke, Die Anwendbarkeit . . . , 1739 — dort auch über die technischen Organ-Begriffe, deren Zusammenhang mit der Organisationspflicht und über die Tatsache, daß ein „Organ" im Unterschied zum bloßen Verrichtungsgehilfen nach § 831 nicht nur untergeordnete Funktionen wahrnimmt, sondern selbständig handelt — hierzu vor allem B G H in VersR 62, 664.
Der §31
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mäßigen Vertreter zu machen (RG 162, 168 [1939]). Der Leiter der Eisenbahndirektion und der Bahnhofsvorsteher, der Oberförster, der Bürgermeister, der Vorstandsbeamte des Landgerichts, der Pfarrer, der Vorsteher des Postamtes, der Gymnasialdirektor — alle diese sind verfassungsmäßige Vertreter, nicht so der Fahrdienstleiter und der Schlachthausdirektor, der Schuldiener und der Leiter eines Zweigpostamtes. Alles hängt hier vom Fall ab. Über das Tatbestandsmerkmal „einem Dritten" sind w i r i m klaren — nicht gemeint ist die Schadenszufügung zu Lasten des Vereins selbst. Die Verrichtung i n § 31 muß extensiv gelesen werden, jedenfalls anders als i n § 831 — die „Verrichtung" i m Sinne des § 31 kann auch, wie oben erwähnt, selbstständiger A r t sein. „ I n Ausführung der zuständigen Verrichtungen ist die Handlung begangen, wenn sie i m Zusammenhang m i t einer i n den Wirkungsbereich des Organs fallenden Tätigkeit vorgenommen wurde. Das ist der Fall bei unsorgfältiger Ausführung einer solchen Tätigkeit (Beispiel: der Vorstand eines Sportvereins unterläßt es, bei der Durchführung einer Sportveranstaltung die notwendigen Absperrungsmaßnahmen durchzuführen, u m eine Überfüllung der Tribünen zu verhindern). Es ist ferner der Fall, wenn das Organ eines Vereins den Geschäftsgegner täuscht, u m i h n zum Abschluß eines Geschäfts m i t dem Verein zu bewegen, oder wenn es eine den Verein betreffende Verpflichtung, deren Erfüllung i n seinen Aufgabenbereich fällt, schuldhaft verletzt. Es ist dagegen nicht der Fall, wenn das Organ die i h m durch seine Tätigkeit für den Verein gegebene Gelegenheit dazu benutzt, eine n u r seinen eigenen Nutzen bezweckende Handlung zu begehen, die außerhalb der i h m übertragenen Aufgaben liegt. So haftet der Verein nicht, wenn die natürliche Person eines Organs bei Gelegenheit einer von i h m für den Verein geführten Vertragshandlung den Geschäftspartner bestiehlt. Die Rechtsprechung hat eine Unterlassung eines Organs vielfach schon darin gesehen, daß die Mitgliederversammlung oder das für die Schaffung der Organisations-Normen zuständige Organ es versäumt haben, für besonders verantwortungsvolle, einer selbständigen Leitung bedürftige Tätigkeitsbereiche »besondere Vertreter 4 zu bestellen, für die, wenn sie bestellt worden wären, die Haftung gemäß den §§ 30 f. gegeben wäre 1 ." Es fragt sich, wie weit § 31 von den juristischen Personen auf alle Personen ausgedehnt werden kann. Hierbei muß grundsätzlich berück1 Larenz, Allgemeiner Teil, 193. — Über Organisationsmangel, Organisationspflicht und die bekannte weitere Auslegung des Begriffs des verfassungsmäßig berufenen Vertreters eines Vereins s. B G H Z 24, 200 nach RGZ 157, 228.
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Der §
sichtigt werden, daß die juristische Titulatur von der sozialen Funktion, nicht von der Substanz, der jeweiligen Figur abhängt. Darin liegt die Neulesung des alten Status-Rechts: der Status ist nichts anderes mehr, als die soziale Rolle, die jemand spielt (bei der „formierten Gesellschaft" der Soziologie also nicht mehr das Individuum, sondern das Gruppenmitglied). Dementsprechend w i r d also der § 31 zunächst auf gewisse Personenverbände angewandt — nach unserer Lehre also mehrzählige natürliche Personen, die noch nicht f i k t i v als mehrheitliche Verbände (Verbandspersonen, juristische Personen genannt), aber schon als Verbände gesehen werden. Inwieweit der § 31 auf solche Personenverbände zur Anwendung gebracht wird, hängt dabei von dem Abstand ab, i n dem der jeweilige Verband, d. h. die Gesamtsicht einer Mehrzahl von natürlichen Personen als Verband, der natürlichen Person gegenübersteht: selbst die artifizielle Legalperson der juristischen Person entsteht nach Gierke „auf der Grundlage des Willens der natürlichen Person", dies dichter, soweit die juristische Person, die Verbandsperson, die Mehrheit von natürlichen Personen, als Menge, d . h . als Korporation gesehen wird, loser bei der „Masse" der natürlichen Personen, u m die es bei Anstalt und Stiftung geht, während beim Personenverbande die Mehrzahl der natürlichen Personen, die i h n bildet, eben jeweilig i n dichterem oder i n loserem Abstände „transparent" wird. Haftung nach § 31 für OHG und K G vor allem nach B G H NJW 5, 537, so, „daß man bereits von einem Gewohnheitsrecht spricht" (M. Nitschke), infolgedessen auch Abschneidung des Entlastungsbeweises nach § 831 zu Lasten einer K G vor allem i n B G H VersR 62, 664. Es entspricht dem oben genannten Funktionsgrundsatz, daß § 31 auch auf die OHG und K G angewandt wird, die beide nicht juristische Personen sind, deren Abstand zu der i n i h r verborgenen Mehrzahl der natürlichen Personen aber loser und extensiver ist (BGH N J W 52, 537, also Abschneidung des Entlastungsbeweises nach § 831 zu Lasten einer K G — s. vor allem B G H VersR 62, 664). Die nichteingetragenen Vereine werden nach § 54 grundsätzlich wie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts behandelt. Grundsätzlich dürfte also § 31 auf den nichteingetragenen Verein ebenfalls keine Anwendung finden. Das Gesetz hat jedoch dem nicht rechtsfähigen Verein passive Parteifähigkeit beigelegt (§ 50, 2 ZPO). Es gibt ferner die Anerkennung des Namensrechts eines nicht rechtsfähigen Vereins, die Bindung des Vereinsvermögens an einen vom Wechsel der Mitglieder unabhängigen Verband von Vereinsmitgliedern und die persönliche Haftung eines i m Namen des nichteingetragenen Vereins Handelnden nach § 54 BGB. Der nichteingetragene Verein ist ein Personenverband m i t „tran-
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sitorischer Rechtsfähigkeit" (die gesetzlich, wie erwähnt, nur passiv statuiert ist, bei gewissen Personenverbänden des öffentlichen Recht, z. B. den Fakultäten oder Fachbereichen der Universitäten, jedoch auch schon i n aktiver Hinsicht bejaht worden ist). Der nichteingetragene Verein ist eben ein „ H y b r i d " zwischen Verband und Verbandsperson, und die HaftungsVorschrift des § 31 sollte auf i h n Anwendung finden, zumindest analog 1 (auch z.B. RGJW 33, 423 [1932]). Direkte Anwendung des § 31 w i r d jedenfalls für die Gewerkschaften angenommen, obwohl die Gewerkschaften i n der Regel nicht eingetragene Vereine sind. Die Gewerkschaften „sind Träger öffentlicher Funktionen und nehmen eben deshalb eine Sonderstellung ein, die sie über die sonstigen privaten Vereine heraushebt" (Larenz). Auch verfassungsrechtliche Erwägungen spielen hier eine Rolle: der Gesetzgeber des BGB hat i m Vereinsrecht ein Konzentrationsprinzip (§§ 21, 22, 55 f.) geschaffen, u m die Vereine zu bewachen, bes. die für gefährlich gehaltenen politischen und sozial-politischen 2 , während die Gewerkschaften heute i n A r t . 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtliche Anerkennung gefunden haben. M. Nitschke w i l l die Haftung des § 31 für alle Unternehmer heranziehen, seien diese auch natürliche Personen, dies jedenfalls, soweit leitende Funktionäre eines Unternehmens i n Frage kommen. Damit entfiele für jeden Unternehmer i n bezug auf leitende Angestellte die Exkulpation des § 831 — so daß nach Nitschkes Vorschlag der § 831 i n seinem ersten Teil lauten sollte: „ E i n Unternehmer ist für den Schaden verantwortlich, den einer seiner Angestellten i n leitender, nicht nur untergeordneter Stellung, durch eine i n Ausführung der i h m zustehenden Verrichtungen begangene zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt 3 ." — Würde § 831 so gefaßt (was einstweilen nicht einmal der E n t w u r f tut!), wäre die Haftung eines Unternehmens als lediglich natürlicher Person nach § 31 nicht notwendig, einstweilen muß man aber m i t den §§ 31 und 831 arbeiten, wie sie i m Buche stehen, und es hat nicht viel Zweck, hier mit dem Gedanken der „Abhängigkeit der konstruktiven Person von der jeweiligen sozialen Rolle" (K. Pleyer) zu spielen — ein Unternehmer als natürliche Person ist zwar ein „ w e r " i m Sinne des § 831, aber kein Verband, wie ihn § 31 zum Tatbestandsmerkmale erhebt, gleichgültig wie weit man den § 31 auslegt — wobei i m übrigen nicht vergessen werden darf, daß 1 Larenz, Allgemeiner Teil, 205, sonst vgl. Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I I , 717; Siebert in Besprechung des Urteils L A G Frankfurt/M. BB 50, 847; Erman-Westermann, Anmerkungen zu § 31 BGB. BB 50, 702; L A G Bremen BB 54, 773. Mugdan, Protokolle I, 640, Motive I, 89. 3 M. Nitschke, Die Anwendbarkeit . . . , 1742 a. E., zur Umschreibung der leitenden Angestellten s. insbes. B G H Z 33, 216 (1960).
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der „ w e r " des § 831 natürlich auch eine juristische Person sein kann („societas delinquere non potest" gilt bei einer Gefährdungshaftung nicht) 1 . Die §§ 86 und 89 Beide Normen ziehen den § 31 an. Was zunächst § 86 anlangt, so ist dazu zu sagen, daß es sich bei den Stiftungen u m die Anstalten des Privatrechts handelt, jedenfalls u m juristische Personen, m i t Organisation, Vorstand und Vermögenszuwendung. Juristische Person der Stiftung nach anglo-amerikanischer Auffassung wäre eine Treuhand, ein trust. „Die Bildung des Vorstandes kann z.B. i n der Weise geschehen, daß der Stifter selbst die ersten Vorstandsmitglieder bestellt und den Vorstand ermächtigt, sich jeweils durch Zuwahl zu ergänzen — oder i n der Weise, daß ein anderes Gremium, z. B. der Senat der Universität oder der Rat einer Stadt, den Vorstand bestellen soll, oder derart, daß der jeweilige Inhaber eines bestimmten Amtes, z.B. der Rektor einer Universität, der Oberbürgermeister der Stadt, der Leiter einer Schule, der Vorstand ist, oder daß (wie es i n § 86 heißt) die Verwaltung der Stiftung von einer öffentlichen Behörde geführt werden soll 2 ." — Der § 89 wendet den § 31 auf die Verbandspersonen des öffentlichen Rechts an, einmal auf die „Körperschaften, Stiftungen und Anstalten", also auf alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts (wobei die unselbständigen Anstalten, z.B. eine städtische Schule, natürlich ausgeklammert sind), weiterhin speziell auf den Fiskus. Der Ausdruck „Fiskus" stammt aus dem römischen Recht, er bezeichnet, wie später das fränkisch-normannische „budget", das „Geldkörbchen" des Staates oder des Fürsten, i n dessen Namen sich „der Staat" verkörpert. Heute w i r d man sagen können, daß „der Staat" die öffentlich-rechtlichen Verbandspersonen ist, i n der sich der Staat zeigt — oder seine abgeteilten „Quasi-Staaten", z.B. Selbstverwaltungsverbände, meistens als Korporation und m i t Autonomie, d . h . eigener Rechtssetzungsgewalt. Seine Bürger betrachtet der Staat dann i. S. der Subjektionstheorie entweder als „subordiniert" oder aber als koordiniert, d. h. gleichgeordnet. W i r sprechen i m Präordinationsfalle vom hoheitlichen Auftreten des Staates. Was bleibt, wenn der Staat nicht hoheitlich auftritt, ist dann als „fiskalisches" Auftreten zu bezeichnen. Es gilt also hier ein 1 Anderer Meinung natürlich jedermann, der in § 831 nicht eine Gefährdungshaftung, sondern eine vermutete Verschuldenshaftung sieht, z.B. Westermann und Nitschke — aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG eine Gleichstellung von natürlicher und juristischer Person herzuholen, liegt neben Art. 3 GG. 2 Larenz, Allgemeiner Teil, 209.
Die §§ 86 u n d 89
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Subtraktionsprinzip: wo der Staat nichthoheitlich auftritt, t r i t t er eben „fiskalisch" auf — der Ausdruck „fiskalisch" bezeichnet also nicht nur die Tätigkeiten, „ i n denen der Staat Geschäfte macht" (was i h m bekanntlich nicht verwehrt ist!), sondern alle diejenigen Tätigkeiten, i n denen der Staat nichthoheitlich erscheint (die Amerikaner sagen: a governmental and a proprietary capacity), z. B. — u m ein besonders bestrittenes Gebiet zu betonen, die Fälle, i n denen der Staat wegerechtlich auftritt: es gibt bekanntlich als öffentliche Straßen Staatsstraßen, Kreisstraßen, Gemeindestraßen, a) als Gemeindeverbindungsstraßen und b) als Ortsstraßen, endlich sonstige öffentliche Straßen, welch letztere sich wiederum aufteilen i n a) öffentliche Feld- und Waldwege, b) beschränkt öffentliche Wege (wozu die Friedhofs-, K i r chen» und Schulwege, die Wanderwege sowie die selbständigen Gehund Radwege gehören) und c) Eigentümerwege (welch letztere also keine schlichten Privatwege, sondern tatsächlich öffentliche Straßen darstellen). Überwiegend w i r d jetzt angenommen, daß der Staat auf dem Gebiete des Wegerechts grundsätzlich hoheitlich handelt (BGHZ 9, 379 ff. [1953], 23, 157 ff. [1957]), doch lassen sich Fälle denken, wo der Staat hier auch nicht hoheitlich handelt, z. B. wenn er sich m i t einem Eigentümerweg beschäftigt. — Schließlich können auch Privatwege zumindest vorübergehend zu öffentlichen Straßen gemacht werden, z. B. durch Umleitungen 1 . — Die Abgrenzung der beiden Sparten der öffentlichen Hand, fiskalisch oder hoheitlich, ist manchmal nicht einfach. Handelt der Staat fiskalisch oder hoheitlich, wenn er über einen privaten Unternehmer eine A u f tragssperre verhängt? Zunächst muß man darauf abstellen, ob hier öffentliche oder private Zwecke seitens des Staates verfolgt werden. Also müßte man an erster Stelle m i t der Ulpian'schen Interessentheorie arbeiten und fragen, ob m i t der Auswahl des Verfahrenspartners vom Staate öffentliche oder private Zwecke verfolgt werden. Danach kommt die Wolffsehe Subjektstheorie 2 , öffentliche Zwecke und öffentliches Recht, wenn öffentlich-rechtliche Normen zugrunde liegen. Diese Theorie h i l f t hier überhaupt nicht weiter, da i m Vergabewesen i n der Regel öffentlich-rechtliche Normen fehlen. Schließlich kommt man zu einem Zweistufen-Prinzip: die Entscheidung über Vergabe oder Ablehnung ist ein öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt, daher eine öffentlich-rechtsgeschäftliche Verfügung, Anordnung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts getroffen w i r d (dazu treten dann als weitere 1 2
Vgl. hierzu Larenz, Schuldrecht I I , 452 f. AöR 76, 210, s. a. B G H NJW 1964, 1472.
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öffentliche Rechtsgeschäfte die Entscheidungen der sonstigen staatlichen oder quasi-staatlichen Behörden, z.B. eine Entscheidung der Justizverwaltung). Nachdem w i r jetzt die Feststellung haben, daß bei der Entscheidung über die Vergabe oder Ablehnung vom Staate öffentlichrechtlich gehandelt worden ist, müssen w i r weiter fragen, ob hier hoheitlich oder fiskalisch gehandelt worden ist. I n bezug auf die staatliche Entscheidung über Vergabe oder Ablehnung sind w i r wohl i m klaren: hier ist öffentlich-rechtlich und hoheitlich vom Staate gehandelt worden. Der zweite Teil unserer Fragestellung betrifft aber für den Fall, daß positiv entschieden, also die Vergabe beschlossen worden ist, privates Recht, der Auftrag an den privaten Unternehmer ist nicht öffentlich-rechtlicher Natur, nur privat-rechtlicher, also muß man jetzt annehmen, daß ein fiskalisches Handeln des Staates vorlag. — Das Zweistufen-Prinzip, das hier vor allem m i t der Interessentheorie entwickelt worden ist, kann i n bezug auf alle öffentlichen Subventionen und Kredite herangezogen werden. Überall da, wo ein Staat auftritt, der nicht hoheitlich handelt, t r i t t er also als Fiskus auf. Er bleibt aber auch als Fiskus an die Staatsgrundsätze i m ganzen, insbesondere an die der Verfassung gebunden, z.B. bei der Umwandlung einer bisher hoheitlich betriebenen städtischen Markthalle i n einen Fiskalbetrieb. Andererseits kann der Staat von den allgemeinen privatrechtlichen Rechten auch als Fiskus bedenkenlos Gebrauch machen, sich z.B. des § 32 des Mieterschutzgesetzes bedienen. Der § 278 Die herrschende Meinung stößt, dem obigen Haftungsschema des RG entsprechend, den § 278 aus den deliktischen Transmissions-Normen aus: ein Geschäftsherr haftet für seinen Erfüllungsgehilfen (und für seinen gesetzlichen Vertreter) nur außerdeliktisch-rechtsgeschäftlichvertraglich, es sei denn, er haftet zusätzlich deliktisch als Geschäftsherr nach § 31 oder nach § 831, i m letzteren Falle, i m Hauptfalle, also für seinen Verrichtungsgehilfen, dann m i t der beschränkten Verjährungsfrist des § 852, allerdings auch auf Schmerzensgeld nach § 847. Es läge hier also höchstens eine Anspruchskonkurrenz zwischen Rechtsgeschäftsanspruch und Deliktsanspruch vor. Sicherlich gilt, daß die Gesichtspunkte bei der deliktischen Handlung überwiegend anders gelagert sind als bei der Haftung aus § 278. Bei § 278 handelt es sich i m wesentlichen darum, „daß der Schuldner, der sich der Möglichkeiten der Arbeitsteilung zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten, und zu deren Abschluß, bedienen muß und darf, für ein etwaiges Verschulden der von i h m eingesetzten Kräfte einstehen
Der § 278
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muß. Es darf keinen Unterschied machen, ob er selbst leistet oder ein anderer (der Meister selbst oder sein Lehrjunge!). Das Einstehen für die Erfüllungs- und Abschlußgehilfen ist demnach eine typische Garantiehaftung aus Rechtsgeschäft, welche neben anderen Garantiepflichten des Schuldners steht, z.B. der für die Beschaffungsmöglichkeit bei Gattungsschulden (§ 279), für das rechtliche Vermögen zur Leistung, für das vertragliche Vermögen zur Leistung, für die vertragliche Zusicherung von Eigenschaften (§ 463, 1) und für das Vorhandensein der übernommenen Aufgaben, wie sich aus dem sog. objektiven Fahrlässigkeitsbegriff des Zivilrechts ergibt (Siber). Diese Garantie muß der Schuldner i m Sinne des § 278 vernünftigerweise übernehmen, und der Gläubiger kann sich auch normalerweise auf nichts anderes einlassen, weil der Schuldner die Möglichkeit der Auswahl, der Überwachung und des sachgerechten Einsatzes seiner Hilfskräfte hat, und w e i l der Schuldner die Interna seines Betriebes kennt, während der Gläubiger darin keinen Einblick hat. Die Risikotragung dafür, daß Erfüllungs- und Abschlußgehilfen schuldhaft handeln, entspricht also der normalen Gefahrverteilung bei Verträgen. Die Unterschiede der Haftungsgesichtspunkte einerseits i n § 278 und andererseits beim Delikt w i r k t e n sich insbesondere dahin aus, daß nach § 278 auch für einen auf Erfüllung herangezogenen selbständigen Unternehmer zu haften ist, während nach § 831, i m ganzen Deliktsrecht und nach § 31 die deliktische Haftung für einen selbständigen Unternehmer nicht i n Betracht kommt 1 ." Gegen die Ausstoßung des § 278 aus der deliktischen Transmission könnte aber eingewendet werden, daß § 278 zum Allgemeinen Schuldrecht gehört, also nicht von vornherein auf das rechtsgeschäftliche Schuldrecht beschränkt zu werden braucht, so auch die allgemein schuldrechtlichen §§ 249 - 255. Auch, daß § 278 ja nicht nur den Erfüllungsgehilfen, sondern auch „den gesetzlichen Vertreter" betrifft. — Fernerhin gibt der § 278 kein Monopol für Leistungsansprüche (z.B. Nachbesserung nach § 480, 1), sondern betrifft auch die deliktisch i m Vordergrund stehenden Schadensersatzansprüche. Zweifel bestehen auch bei Mitverschulden nach § 254: der Geschädigte muß sich nach der oben erwähnten richtigen Ansicht nicht nur das Mitverschulden eines Erfüllungsgehilfen, sondern auch das eines Verrichtungsgehilfen anrechnen lassen (s. o. S. 175). Der Grundsatz „iura novit curia" muß das Gericht demnach dahin führen, daß es auch bei einem grundsätzlich deliktischen Anspruch den § 278 prüft. Hierbei ist vor allem an zwei Fälle zu denken, a) an die Fürsorgepflicht des Staates (oder eines Quasi-Staates), b) an den Notarsgehilfen. 1
E. v. Caemmerer, I, 532 A. 300 (mit in- und ausländischer Literatur).
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A klagt gegen den Staat, weil einer seiner Funktionäre hoheitlich die Fürsorgepflicht des Staates dahin verletzt hat, daß der Pflichtverletzende die Nicht-Beförderung eines Beamten verursachte (Anspruch nach Staudinger berechtigt, Rdnr. 245 zu § 839). Z u den Amtspflichten, die jener Funktionär verletzte, gehört auch die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die i n § 79 Bundesbeamtengesetz und i n § 48 Beamtenrechtsrahmengesetz niedergelegt ist, insbesondere die Pflicht, dem einzelnen Beamten gegenüber gerecht zu verfahren und i h n vor Schaden zu bewahren, so daß bei einer Verletzung dieser Fürsorgepflicht der geschädigte Beamte einen Anspruch aus A r t . 34 (Staatshaftung) gegen seinen Staat als seine Anstellungskörperschaft hat. Der Anspruch besteht aber auch aus § 278, weil jener Funktionär i n bezug auf die Erfüllung des Beamtenvertrages Erfüllungsgehilfe des Staates ist. § 278 muß also mitgeprüft werden. Noch schwieriger w i r d die Entscheidung i m Falle eines deliktischen Anspruchs aus § 839 gegen einen Notar bei einem Verschulden des notariellen Gehilfen, z. B. bei der Grundbucheinsicht. Der Notar begeht sicherlich, wenn die Grundbucheinsicht Mängel aufweist, eine Amtspflichtsverletzung, er hat höchstpersönlich verletzt (RGJW 1933, 1766), und sein Geschäftsherr aus § 675 braucht sich also um die Gehilfen nicht zu kümmern. Darüber hinaus kann man auch dem RG (HRR 1933, Nr. 1749, 1750) dahin beipflichten, daß ein notarieller Beamte für das Versehen von Gehilfen i n der Regel überhaupt nicht hafte, es sei denn, es träfe den Notar ein Organisations- oder ein Einweisungsverschulden — also wiederum eine höchstpersönliche Amtspflichtsverletzung. Es kann aber auch so stehen, daß niemand anders als der Notarsgehilfe sich verschuldet (z. B. bei der allgemeinen Geschäftserledigung). Haftet dann nicht auch der Notar seinem Auftraggeber gegenüber aus § 278, dies ohne Rücksicht darauf, ob i h n zusätzlich eine Amtspflichtsverletzung t r i f f t und seine zusätzliche Amtshaftung aus § 839 begründet 1 ? § 278 ist also auch i m Rahmen eines grundsätzlich deliktischen A n spruchs bei dessen Erledigung als Transmissions-Norm heranzuziehen — wobei es materiell keine Rolle spielt, ob der Anspruch aus Delikt oder aus Nichtdelikt bejaht wird, evtl. nach dem Gedanken der A n spruchskonkurrenz, „sowohl als auch". Für die Einordnung des § 278 i n die Transmissionsparagraphen einer Geschäftsbesorgungsvinkulation spricht auch die Tatsache, daß das Verhältnis von § 278 und § 831 grundsätzlich dialektisch ausgelegt werden muß: der Erfüllungsgehilfe ist i n der Regel Spezialität des Ver1 Carl, Sind § 278 und § 831 bzw. deren Rechtsgedanken im Rahmen des § 839 BGB anwendbar?, JW 1933, 1756. — I m hier vertretenen Sinne anscheinend auch Wolfgang Fikentscher auf S. 660 seines Schuldrechts, 4. Aufl., 1973.
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richtungsgehilfen! Aber nicht umgekehrt! — Oft muß das Verhältnis zwischen Erfüllungsgehilfen und Verrichtungsgehilfen aber auch anders gelesen werden: dann ist der Erfüllungsgehilfe nicht zugleich Verrichtungsgehilfe, z. B. dann, wenn ein selbständiger Unternehmer, der nach dem üblichen Gedanken von der regelmäßigen Weisungsunterworfenheit des Verrichtungsgehilfen nicht als Verrichtungsgehilfe angesehen werden kann, Erfüllungsgehilfe ist. Die deliktische Geschäftsherrnhaftung bei der BGB-Gesellschaft Die Personenverbände des öffentlichen Rechts sind anscheinend aus dem deutschen Recht verschwunden (anders gelegentlich i m Ausland). Wo man daran anknüpfen konnte, etwa bei den Fakultäten oder den Fachbereichen der Universitäten, w i r d lieber über die Teil- oder die Gliedkorporation konstruiert: so ist, wie schon erwähnt, die Fakultät oder der Fachbereich (H. J. Wolff) 1 eine nicht rechtsfähige öffentlichrechtliche Korporation als Gliedkörperschaft. „Transitorische Rechtsfähigkeiten" ergeben sich hier jedoch, wie bei den Personenverbänden des Privatrechts, zumindest aus den aktiven oder passiven Parteifähigkeiten von Personenverbänden. So ist z. B. eine Fakultät i n der Rechtsprechung schon als parteifähig angesehen worden, und der nicht rechtsfähige Verein, die OHG und die Gewerkschaft sind bekanntlich aktiv oder passiv parteifähig 2 . Dagegen muß von Personenverbänden des privaten Rechts auch i m Rahmen der deliktischen Geschäftsführerhaftung gehandelt werden. Stellvertretend stehe hier die Gesellschaft nach BGB (danach z. B. die Erbengemeinschaft). Zunächst: Haftet als Geschäftsherr „die Gesellschaft" oder haften die Gesellschafter? Hierzu die bereits erörterte Überlegung, daß der Personenverband der Gesellschaft eine Mehrzahl von natürlichen Personen i n einer Verbandsoptik ist. Noch nicht fiktiv-einheitlich, als Mehrheit (juristische Person, Menge, dann Korporation, oder Masse, dann Anstalt und Stiftung), sondern als Personenverband einer Mehrzahl — die natürlichen Einheiten dieser Mehrzahl, nämlich die Gesellschafter 1
VerwR I I 1962, 131 f. * Zum Recht der Verbände s. vor allem die österreichische Monographie von R. Ostheim, Zur Rechtsfähigkeit von Verbänden, Wien 1967, zur Konstruktion des rechtlichen Verbandes z.B. Brecher, Subjekt und Verband, Festschrift A. Hueck, 1959, 238 ff. u. ders. in AcP, 1966, 166, 365 ff.; auch M. Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, Bielefeld 1970, passim; s. speziell Karsten Thomas Ebenroth, Die GeschäftsführerKontrolle durch den GmbH-Gesellschafter, 1972, und G. Thielmann, Bereicherung des Gesellschaftsvermögens und der Eigenvermögen der Gesellschafter, ZHR, 136 (1972), vor allem 401 ff. (wiederholt!).
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als natürliche Personen, haften i n jeweiliger Haftung aufs Ganze m i t solidarischem Ausgleich i m Innenverhältnis zunächst als Gesamtschuldner nach den §§ 421, 426, dies sowohl i n „projektiver Eigenhaftung", wie i n „transmissiver" Geschäftsherrnhaftung. Gestört w i r d dieses B i l d der Verbandsoptik von „den Gesellschaftern" dadurch, daß neben dieser Mehrzahl „die Gesellschaft" und „das Gesellschaftsvermögen" existieren (§ 718). Gibt es i n jener Verbandsoptik also doch nicht nur die Mehrzahl, sondern die Mehrhext einer „Gesellschaft" und eines „GesellschaftsVermögens"? Ein Blick auf die Tatsache, daß der Gläubiger i n das Gesellschaftsvermögen nach § 730 erst dann vollstrecken kann, wenn er rechtskräftige Zahlungsurteile gegen alle einzelnen Gesellschafter vorweist (§ 736 ZPO), beleuchtet aber, daß man die Mehrheitspolitik („die Gesellschaft", das Gesellschaftsvermögen!) doch wieder fallen läßt und auf die Mehrzahlsoptik, d. h. hier „die Gesellschafter" zurückgeht, so daß also i m Endergebnis als Geschäftsherr nicht „die Gesellschaft" oder ein Gesellschaftsvermögen haftet, sondern daß als Geschäftsherren die Gesellschafter Eigenhaftung und auch transmissive Haftungsverantwortung tragen. I m einzelnen: nach herkömmlicher Auffassung haften alle Gesellschafter, d. h. jeder einzelne Gesellschafter aufs Ganze, für Delikte des geschäftsführenden Gesellschafters gemäß § 8311. Das gilt nach einer neueren BGH-Entscheidung (Z 45, 311 [1966]) aber nur dann, wenn der geschäftsführende Gesellschafter von den Weisungen der anderen Gesellschafter derart abhängig ist, daß diese seine Tätigkeit „jederzeit beschränken, entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen können", also wenn der geschäftsführende Gesellschafter nach dem üblichen Prinzip des § 831 subaltern ist. Wenn ein geschäftsführender Gesellschafter von den Weisungen der Mitgesellschafter i n der vom B G H geforderten Weise abhängig ist, dann haftet ein Gesellschafter, jeder Gesellschafter, selbstverständlich m i t der Möglichkeit der E x k u l pation nach § 831. Gelingt die Exkulpation dem Einzelgesellschafter oder allen Gesellschaftern nicht, kann der Gläubiger jeden einzelnen Gesellschafter zur Haftung zwingen und i n sein Privatvermögen vollstrecken. Wenn sich alle Gesellschafter exkulpieren können, bekommt der Gläubiger zunächt nichts. Er kann aber als Gläubiger des einzelnen Gesellschafters, der er auch ist, den Gesellschaftsanteil pfänden und danach gemäß § 725 BGB die Gesellschaft kündigen — wobei sich das Pfändungs-Pfandrecht am Gesellschaftsanteil nach der Kündigung auf den Anspruch des verfolgten Gesellschafters auf das Auseinandersetzungsguthaben erstreckt 2 . 1 Soergel / Siebert / Schultze-v. Lassaux, 10. Aufl., § 718 A. 10; Hueck, Gesellschaftsrecht, 12. Aufl., 39. 2 So die Kommentare zu § 725, bei Palandt / Gramm z. B. § 725 A. 2 b.
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Wenn sich alle Gesellschafter exkulpieren können, entfällt jede Haftung der Gesellschafter nach § 831, es bleibt dann also, abgesehen von der eben erwähnten Pfändung/Kündigung, nur die Eigenhaftung des geschäftsführenden Gesellschafters. — Fabricius und M. Nitschke halten den § 31 entgegen der herrschenden Lehre auch i n bezug auf die Gesellschaft für anwendbar 1 . Dazu w i r d vorgetragen, daß der § 31 eine Abhängigkeit des Geschäftsbesorgers vom Geschäftsherrn voraussetze, wie sie ein geschäftsführender Gesellschafter gegenüber den anderen Gesellschaftern, die immerhin seine gleichberechtigten Mitgesellschafter sind, nicht hat. Auch aus den §§ 711, 716 BGB ergäbe sich, daß ein geschäftsführender Gesellschafter i n Eigen Verantwortung handele, nicht etwa subaltern: die anderen, die Mitgesellschafter, hätten nur ein Kontrollrecht, nicht aber ein Weisungsrecht. Wenn i m Gesellschaftsvertrage dem Geschäftsführer einzelne Pflichten auferlegt wären, so ergäbe sich daraus immer noch kein Recht zu Weisungen, wie sie der Geschäftsherr i n § 831 des Verrichtungsgehilfen erteilen könne, sondern nur vertragliche Pflichten zwischen Gleichgeordneten. Auch das Widerspruchsrecht nach § 711 sei kein Weisungsrecht, wie es § 831 vorsieht. Daß die Gesellschaft nicht organschaftlich gestaltet sei, dürfe die Anwendbarkeit des § 31 nicht hindern, denn es könne keine Unterschiede machen, daß der geschäftsführende Gesellschafter nicht aufgrund von Satzung, sondern aufgrund von Vertrag tätig wäre. — Die Anwendung des § 31 auf die Gesellschaft scheitert aber daran, daß § 31 nach herkömmlicher Meinung grundsätzlich nur für die juristischen Personen des Privatrechts gilt, welche die BGB-Gesellschaft nicht ist. Daß OHG und K G dem § 31 unterstellt werden, bedeutet noch nicht die Erstreckung dieses Privilegs auch auf die Gesellschaft: OHG und K G treten unter eigenem Namen, d. h. nach außen h i n als Einheit auf 1 . Die Grundlage des § 31 ist die Erwägung, daß ein Sondervermögen, das nur durch Organe handlungsfähig ist und durch diese am Rechtsleben teilnimmt, auch die Nachteile der Handlungen der Organe tragen muß, Grundlage der Anwendung des § 31 ist also nicht die Tatsache der Organisation schlechthin (die auch eine Gesellschaft haben mag!), sondern das Bestehen eines Sondervermögens. Auch wenn es ein Gesellschaftsvermögen ist, wenn die Gesellschaft Gesamthand ist (§§ 718 f.), wenn die Gesellschaft als Gesamthand Ordnungssubjekt von Recht und Pflichten ist, wenn ein geschäftsführender Gesellschafter für dieses Sondervermögen tätig wird, kann die Gesellschaft, wie oben erwähnt, 1 Fabricius in der Gedächtnisschrift für Rudof Schmidt, 171 ff.; M . Nitschke in NJW 40, 1737 ff.
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niemals unter mehrheitlichen Gesichtspunkten gesehen werden: § 31 muß also für die Gesellschaft entfallen, und wenn OHG und K G nach der Rechtsprechung unter den § 31 gebracht werden, so handelt es sich hier u m wirtschaftliche Gesichtspunkte, welche auf die BGB-Gesellschaft nicht anwendbar sind. Auch als Gesamthand verfolgt die Gesellschaft nicht den Dauerzweck des § 31 und überhaupt der juristischen Personen, welcher Dauerzweck die Beteiligung einer sehr großen und einem beständigen Wechsel unterliegenden Anzahl von Mitgliedern nötig macht. Der dem Gesamthand-Prinzip eigentümliche Grundsatz prinzipiell gemeinschaftlicher Geschäftsführung und Vertretung ist i n bezug auf eine Organisationsform zur Erreichung von Dauerzwecken ganz unbrauchbar 1 . Der § 831 Der § 831 der augenblicklichen Fassung des BGB läßt per Transmissionsnorm den Geschäftsherrn für den Schaden haften, den ein Verrichtungsgehilfe widerrechtlich angerichtet hat. Die allgemeine Meinung betrachtet den § 831 als einen Fall der „vermuteten Verschuldenshaftung". Demgegenüber sollte man i m Auge behalten, daß der § 831 eine Transmissionshaftung enthält (s. o. S. 75). Der Verrichtungsgehilfe arbeitet unselbständig und der Kontrolle des Geschäftsherrn unterworfen. Wer als selbständiger Unternehmer, als Handwerker, als Gewerbetreibender oder als Nachbar für einen anderen aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrages tätig wird, ist i m allgemeinen nicht als dessen Verrichtungsgehilfe anzusehen2. Der „nachgeordnete Beamte", der nicht als „verfassungsmäßig berufener Vertreter" anzusehen ist, handelt, wenn er nicht hoheitlich handelt, als Verrichtungsgehilfe des Staates, den per Transmissionsnahme nach § 831 die Haftung des Geschäftsherrn t r i f f t 3 . § 831 enthält dann das berühmte Tatbestandsmerkmal „ i n Ausführung der Verrichtung". Wer also nur „bei Gelegenheit" der Verrichtung Schaden anrichtet, handelt nicht i n ihrer Ausführung. I n Ausführung der Verrichtung erfolgt die schädigende Handlung, wenn sie i m Rahmen der Tätigkeit liegt, die zum Zwecke der aufgetragenen Verrichtung vorgenommen wird, wenn auch vielleicht unsachgemäß oder fehlerhaft 4 , sonst nur „bei Gelegenheit". Aber „bei Gelegenheit" der Verrichtung w i r d weit ausgelegt: selbst für einen Angestellten, der i n den 1 2 3 4
So H. Lehmann in der 2. Aufl. seines „Gesellschaftsrechts" von 1959, 19. Larenz, Besonderes Schuldrecht, aaO, 445 f. mit Entscheidungen. Larenz, aaO, 451 f. Larenz, aaO, 445 A. 5.
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Geschäftsräumen eine Handgranate aufbewahrt, w i r d nach § 831 vom Geschäftsherrn gehaftet (RGZ 159, 290). Eine willkürliche oder i r r t ü m liche Überschreitung der Grenzen der Verrichtung schließt die A n wendbarkeit des § 831 nicht ohne weiteres aus, die irrtümliche A n nahme des Täters, daß er i n Ausführung der i h m aufgetragenen Verrichtung handele, begründet jedoch keine Haftung des Geschäftsherrn (RG J W 10, 652). Für die rechtswidrigen Handlungen seiner Arbeiter auf dem Wege zur Arbeitsstätte hat der Unternehmer nach § 831 ebenfalls nicht einzustehen (RG DR 42,1280). Selbstverständlich muß der Verrichtungsgehilfe grundsätzlich insoweit i n Eigenhaftung verpflichtet sein, als es die Tatbestandsmerkmale des § 831 sagen. — Die allgemeine und richtige Meinung, daß der Verrichtungsgehilfe nicht nach eigener Sachkunde und nach eigenem Ermessen handelt, sondern vom Geschäftsherrn abhängig ist, führt i n das Dogma vom vermuteten Verschulden des Geschäftsherrn, das seinerseits durch die Exkulpationen des Geschäftsherrn i n Satz 2 des 1. Absatzes des § 831 festgelegt wird. Der Geschäftsherr haftet danach nicht, a) wenn er bei der Auswahl der bestellten Person die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat, b) wenn er die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat, sofern er i n bezug auf den Verrichtungsgehilfen Vorrichtungen zu treffen oder Gerätschaften zu beschaffen hat, c) wenn er die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der Leitung der Ausführung der Verrichtung oder bei der eben erwähnten Beschaffung von Geräten beobachtet hat, d) wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Diese vier Fälle der Exkulpation sind zu unterscheiden. Daneben gibt es den sogenannten „dezentralisierten" Entlastungsbeweis des Geschäftsherrn für den Fall, daß den Geschäftsherrn kein eigenes Verschulden i n bezug auf die Leitung des Geschäftsherrnbetriebes trifft, sei es, daß dabei an die Auswahl oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen gedacht wird, sei es an die Leitung des Betriebes i m ganzen hinsichtlich seiner Organisation, hinsichtlich der Verteilung der Verantwortlichkeit oder hinsichtlich der Schaffung ausreichender Überwachungsmöglichkeiten 1 . Hat der Geschäftsherr den Gehilfen bestellt, so hat er auch einzuschreiten, wenn sich nachträglich Zweifel an dessen Eignung herausstellen, er hat auch dafür Sorge zu tragen, daß er von Fehlern und Versäumnissen nach Möglichkeit Kenntnis erlangt, so daß er, wenn es sich u m eine länger dauernde Tätigkeit handelt, auch zu einer fortgesetzten Überwachung verpflichtet ist, deren A r t und Maß sich nach 1
Larenz, aaO, 447.
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den gegebenen Möglichkeiten richtet. Bei wiederholten Verstößen des Verrichtungsgehilfen muß der Geschäftsherr, wenn er seine Verantwortlichkeit ausschließen w i l l , dessen Bestellung widerrufen 1 . Der vierte Punkt des Entlastungsbeweises hat die Rechtsprechung zu der Aufstellung des Satzes veranlaßt, daß es zum Ausschluß der Haftung aus § 831 keines Entlastungsbeweises bedürfe, wenn den Geschäftsbesorger kein Verschulden oder den Geschäftsherrn mangels Verschuldens keine Haftung träfe, falls er sich ebenso wie der Gehilfe verhalten hätte 2 . Schon hier taucht die Frage „Widerrechtlichkeit oder Verschulden" des Verrichtungsgehilfen auf, die i m geltenden Recht i m Sinne der Widerrechtlichkeit, i m Entwurf dagegen i m Sinne des Verschuldens des Verrichtungsgehilfen entschieden wird. Zugrunde liegt wohl die Lehre Welzels und Nipperdeys, wonach die Verantwortung eines Delinquenten nur dann gegeben sei, wenn den Delinquenten nicht nur der Vorw u r f der Rechtswidrigkeit, sondern ein individueller Schuldvorwurf treffe. Weiter spielt hier eine Rolle, daß das Verschulden als typisiertes Verschulden i n der Regel nur als Fahrlässigkeit auftrete. — Der Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen vom 4.3.1957 (BGHZ 24, 24 ff.) hat bekanntlich die i m deutschen Recht herkömmliche Grenzziehung zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden i n Frage gestellt und damit eine heftige Diskussion ausgelöst. Aber: Rechtswidrigkeit ist mehr als Verschulden — der Täter ist nach §§ 827 f. nicht deliktsfähig, er i r r t über die Verbotenheit seines deliktischen Handelns, er sieht die tatsächliche Lage falsch, oder ein einwandfreies Verhalten ist i h m i m Einzelfall aus besonderen Gründen nicht zumutbar 3 — Unverschuldet aber die Rechtswidrigkeit bleibt. Der Entwurf geht, wie gesagt, von einem bloßen Verschulden des Verrichtungsgehilfen aus. Es heißt dort: „Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist, wenn der andere i n Ausführung der Verrich1
Larenz, aaO, 446, teilweise wörtlich. E. v. Caemmerer, aaO, 535 f., vor allem mit den /oben schon erwähnten) drei Fällen vom Huhn mit Reis, vom Telegraphenmast und vom Kettenkarussel, von denen wenigstens der Huhn-mit-Reis-Fall reportiert sei: ein Gast hatte in einer Bahnhofswirtschaft ein Eintopfgericht „Huhn mit Reis" verzehrt, wobei ihm ein dreieckiges Knochenstückchen in die Speiseröhre geraten war. Dieses mußte operativ entfernt werden, und der Gast starb an den Folgen der Operation. Es wurde festgestellt, daß das Mahl ordnungsgemäß gekocht und angerichtet worden war. Die Entfernung aller Knochensplitter bei der Anrichtimg des Hühnerfleisches könne nicht gefordert werden. Es sei Sache des Gastes, ein solches Gericht vorsichtig zu verzehren. Der Küchenmeister sei hiernach schuldlos. Deshalb haftet der Wirt auch nicht aus § 831, da er, wenn er selbst das Mahl ebenso zubereitet und angerichtet hätte, auch nicht in Anspruch genommen werden könnte. 3 E. v. Caemmerer, aaO, 544. 2
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tung durch eine vorsätzliche oder fahrlässig begangene unerlaubte Handlung einem Dritten einen Schaden zufügt, neben dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet." Wie steht es m i t den sog. leitenden Angestellten? M. Nitschke w i l l den § 831 für die Zukunft i n diesem Punkte (und damit überhaupt) anders als der E n t w u r f haben. „ E i n Unternehmer ist für den Schaden verantwortlich, den einer seiner Angestellten i n leitender, nicht nur untergeordneter Stellung, durch eine i n Ausführung der i h m zustehenden Verrichtungen begangene zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Wer sonst einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, i s t . . . , und jetzt würde § 831, 1 i n seiner derzeitigen Fassung folgen" (die Beschränkung des Geschäftsherrn auf den Unternehmer sei betont, auch daß hier die Frage „Widerrechtlichkeit" oder „Verschulden" des Verrichtungsgehilfen nicht angesprochen wird!) 1 . K . Larenz nimmt zu der Frage der leitenden Angestellten Stellung, meint aber, daß dem BGB der Gedanke fremd sei 2 . — „Wer" nach § 831 ist nicht identisch m i t dem „Wer" i n § 823, 1 — nach dieser deliktischen Grundnorm besteht Eigenhaftung nur für eine Person, die nicht Verband ist — societas delinquere non potest. M. Nitschke erklärt — offenbar unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Haftung der Verbandsperson auf eine Haftung der natürlichen Personen zurückgebogen wird, welche zum „Verband" zusammenschießen (s. O. S. 266, insbesondere i n bezug auf die „Gesellschaft" des BGB!), daß eine juristische Person nicht Geschäftsherr i m Sinne des § 831 sein könne 8 . Die Einstellung von M. Nitschke entspricht dem Dogma vom vermuteten Verschulden des § 831: wenn es auf ein Verschulden ankommt, kann i n der Tat nur jemand deliktisch haften, der sich verschulden kann, also eine natürliche Person, nicht aber ein Verband. Andererseits steht die Rechtsprechung der Lehre diametral entgegen: nach RGZ 163, 30 haftet eine Warenhaus-GmbH gemäß § 831 für einen Unfall, nach RG JW 36, 915 haftet wieder ein Warenhaus, und nach RGZ 94, 315 (1919) eine Bank-AG, wenn der Depositenkassen-Vorsteher trotz Verbots der Auskunftserteilung eine unrichtige Auskunft erteilt. Schließlich haftet — wie oben bemerkt — der Staat als Korporation für einen nicht hoheitlich handelnden Amtsträger m i t subalternen Funktionen 4 . 1 M. Nitschke, Die Anwendbarkeit des in § 31 BGB enthaltenen Rechtsgedankens auf alle Unternehmensträger, NJW 22, 1969, 1742 a. E. 2 aaO, Bes. Schuldrecht, 447 f., mit Hinweis auf § 2 des RHpflG vom 7. 6. 1871, wonach der Inhaber eines Bergwerks, eines Steinbruchs, einer Grube sowie einer Fabrik für ein Verschulden der zur Leitung oder zur Aufsicht des Betriebes oder der Arbeiter angenommenen Personen in bezug auf Personenschäden (nicht in bezug auf Sachschäden) ohne Entlastung gegenüber Außenstehenden (Gegensatz: Betriebsangehörige) haftet. 8 aaO, 1738, zu I I , 1. 4 Larenz, Bes. Schuldrecht, 451 f.
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Der §
Die Meinung, daß nach § 831 nur die natürliche Person, nicht aber die juristische Person hafte, läßt sich insofern aber mit dem Verschuldensprinzip der herrschenden Lehre in Ubereinstimmung bringen, als man eine doppelte Transmission annimmt: man sucht also als Geschäftsherrn im Sinne von § 831 eine natürliche Person heraus, die nach dieser Transmission haftet, während man danach eine zweite Transmissionshaftung einer juristischen Person für die natürliche Person, die nach § 831 als Geschäftsherr haftet, insofern konstruiert, als man wieder die juristische Person für jene natürliche Person des Geschäftsherrn i m Sinne von § 831 als für ein Organ nach §§ 31, 89/31 BGB, 34 G G haften läßt — so daß dann also jene natürliche Person bei dieser doppelten Transmission auch doppelt ins Auge zu fassen ist, einmal als Geschäftsherr im Sinne von § 831, weiter als „Organ" im Sinne der §§ 31/89 BGB, Art. 34 GG. — Dieser Weg über eine doppelte Transmission, die dann schließlich auf zweiter Stufe zur Transmissionshaftung auch der juristischen Person führt und dann die juristische Person in den Rahmen des § 831 einfügt, wird aber niemals eingeschlagen, so daß es also dabei bleiben muß, daß eine juristische Person auch direkt haftet, damit also bei der einfachen Transmission auch auf die juristische Person nach § 8311. Die O H G tritt ihrer sozialen Funktion nach wie eine juristische Person auf, müßte dann also auch unter § 31 fallen (der an sich für juristische Personen gilt). I n bezug auf den § 831 wird in den Reformbestrebungen der Wegfall der gesetzlichen Entlastung („Exculpation" oder Opfergrenze) verfolgt, soweit der Geschäftsherr „Unternehmer" ist — wobei der „Unternehmer" dann faktisch gelesen wird wie der „Wirt" oder der „Muntinhaber". — Dazu neuerdings z. B. F. Rotter, Zur Funktion der juristischen Person in der Bundesrepublik und in der DDR, 1968; u. die Besprechung von C. Pleyer, in: „Die Aktiengesellschaft", 1969. E n d l i c h sei n o c h e i n B l i c k a u f § 831, 2 g e w o r f e n : „ I n derselben Weise w i e d e r Geschäftsherr i s t n a c h § 831, 2 d e r j e n i g e v e r a n t w o r t l i c h , d e r f ü r diesen d u r c h V e r t r a g d i e A u s w a h l , Ü b e r w a c h u n g o d e r L e i t u n g eines G e h i l f e n oder d i e B e s c h a f f u n g d e r n o t w e n d i g e n V o r r i c h t u n g e n oder G e r ä t s c h a f t e n ü b e r n o m m e n h a t . D a n a c h h a f t e n e t w a d e r F i l i a l l e i t e r oder d e r A b t e i l u n g s l e i t e r i n d e m g r ö ß e r e n B e t r i e b , d e r M a u r e r p o l i e r , d e r W e r k m e i s t e r , d e r V o r a r b e i t e r , w e n n e i n v o n i h n e n einges t e l l t e r o d e r d o c h e i n z u s t e l l e n d e r oder z u ü b e r w a c h e n d e r , i h n e n nachg e o r d n e t e r A n g e s t e l l t e r oder sonstiger G e h i l f e e i n e n D r i t t e n b e i A u s f ü h r u n g seiner V e r r i c h t u n g w i d e r r e c h t l i c h schädigt, u n d sie n i c h t n a c h w e i s e n k ö n n e n , daß sie die A u s w a h l s o r g f ä l t i g v o r g e n o m m e n h a b e n u n d i h r e r P f l i c h t z u r L e i t u n g oder z u r Ü b e r w a c h u n g i n d e m e r f o r d e r l i c h e n M a ß e n a c h g e k o m m e n sind. O b d a n e b e n d e r e i g e n t l i c h e G e 1 Wie die Verrichtungsgehilfen-Bestellung durch einen Verband zustande gekommen ist, bleibt sonst gleichgültig: es kann der Beschluß eines Verbandes vorgelegen haben, ein einfaches Verwaltungshandeln eines „Organs" des Geschäftsherrn, ein einfaches Verwaltungshandeln des Geschäftsherrn selbst, ein einfaches Verwaltungshandeln einer sonstigen natürlichen Person, die irgendwie im Interesse des Geschäftsherrn handelt, besonders ein Verwaltungshandeln seitens gewisser mit den erforderlichen Zeichnungsrechten versehener natürlicher Personen — jeweils ist das Schreiben hinzuzuziehen, das die Anstellung zwecks Verrichtung enthält, vgl. auch dazu M. Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, 65 ff., 75, 93 ff.
Der A r t . 34 G G
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schäftsherr, für den sie tätig geworden sind, selbst haftet, hängt wiederu m davon ab, ob dieser eigentliche Geschäftsherr i n die Zange des § 831 genommen werden kann, was nicht der Fall ist, wenn er einen sogenannten „dezentralisierten Entlastungsbeweis" führt (Organisationsverschulden) 1 . — § 831 liegt z. Z. — ganz abgesehen von seiner nur de lege ferenda zu verwirklichenden Umfunktionierung zum Unternehmensrecht (Unternehmer, leitende Angestellte!) — i m Kreuzfeuer zweier i h n berennender Entscheidungsketten. Feuer I w i l l den Geschäftsherrn ohne Entlastungseinwand freistellen, wenn sich i n der Sache niemand verschuldet hat, weder Geschäftsherr noch — a majore ad minus! — der Geschäftsbesorger. Feuer II drängt die Rechtswidrigkeit des Geschäftsbesorgers, wie es i n § 831 steht, auf ein bloßes Verschulden zurück. Beide Feuer liegen i m künstlichen Leuchtkugellicht des Dogmas vom vermuteten Verschulden. Feuer I I arbeitet schlechthin contra legem, Feuer I negligiert das Mitverschulden des Verletzten nach § 254 — man braucht den § 254 noch nicht einmal als Mitgefährdung des Verletzten zu lesen. Der konkrete Fall könnte i m Sinne der speziellen Gerechtigkeit (s. o. S. 393) unter dem natürlichen Licht entschieden werden, das aufleuchtet, wenn man die Haftung des § 831 als Transmissionshaftung und dann also als Gefährdungshaftung des Geschäftsherrn sieht 2 . Der Art. 34 GG Der A r t . 34 GG verfügt die Staatshaftung oder Amtshaftung, beide Ausdrücke kommen vor 3 . A r t . 34 stellt unmittelbar geltendes Recht dar 4 , gibt aber kein Grundrecht und kein öffentliches subjektives Recht, sondern nur einen Rechtsreflex 5 . Er beruht auf A r t . 131 der Weimarer Verfassung. Er dient zunächst dem Schutze des Amtsträgers, dessen persönliche Haftung i n A r t . 34 auf den Dienst- und Geschäftsherrn transmittiert wird. Friesenhahn meint, der A r t . 34 sei eine „ultima ratio" des Rechtsstaates. Hier muß man zweifeln. Es ist darauf zu verweisen, daß w i r heute i n Deutschland weniger den Rechtsstaat als den Sozialstaat haben. Zwar sollte der Sozialstaat i n den Mantel des totalen materialen Rechtsstaates gehüllt werden, i n der Praxis kennen w i r aber nur den formalen Rechtsstaat, der noch darüber hinaus vielfach von 1 s. darüber oben S. 521, im übrigen, großenteils wörtlich, Larenz, Besonderes Schuldrecht, aaO, 446 f. 2 Vergleiche auch Larenz, Besonderes Schuldrecht, aaO, 446 A. 2. 3 Einerseits Bender, Staatshaftungsrecht, 1971, andererseits Kayser / Leiss, Die Amtshaftung, 2. Aufl., 1958 (ein Buch voller Fälle). Siehe auch den Kommissionsentwurf zur Reform des Staatshaftungsrechts von 1973. 4 von Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, I I , 2. Aufl., 1966, 823. 5 aaO, 823 f.
Der A r t . 34 G G
der nicht unbedingt rechtsverbundenen Demokratie bekämpft wird, so daß am Ende ein Staat „mäßigen" Rechts herauskommt. I n der Tat bedeutet also die Transmission nach A r t . 34 n u r eine zeitgemäße K o l lektivisierung des Haftungsanspruches — der Staat oder ein sonstiger Verband kann immer zahlen, der Privatmann oft nicht (zu den sonstigen Beschwerden des deliktischen Haftungsklägers, schwer ermittelbares Fallgruppenrecht, Beweisschwierigkeiten, Vernachlässigung des gerade hier so selbstverständlichen Grundsatzes „res ipsa loquitur", — gesellt sich also hier die neue Erwägung „deficiente pecunia", der zu Beklagende hat nichts, höchstens A r t . 34 kann m i t seiner Transmission helfen.) — A r t . 34 enthält manche Unklarheit. Zunächst: Es haftet nicht nur „die Körperschaft", i n deren Dienst der Amtsträger steht, sondern es haftet die entsprechende Verbandsperson/juristische Person. Also auch die öffentlich-rechtliche juristische Person der Anstalt. Anderenfalls wären die häufigen Klagen gegen die Deutsche Bundespost nicht denkbar. Die Deutsche Bundespost ist eine unselbständige, nicht rechtsfähige Anstalt des Bundes, m i t einem getrennt zu verwaltenden Sondervermögen und mit dem Rechte, unter eigenem Namen i m Rechtsverkehr aufzutreten, dies auch i m Prozeß. Man könnte entsprechendes für die Deutsche Bundesbahn sagen, wenn nicht der Betrieb der Bundesbahn privatrechtlich, der der Bundespost hoheitlich wäre 1 . — I n Lehre und Rechtsprechung ist klar, daß A r t . 34 nur die hoheitliche Amtspflichtverletzung betrifft, nicht die nichthoheitliche, insbesondere die fiskalische 2 . Hoheitlich arbeitet, i m Gegensatz zu der oben erwähnten privatrechtlichen Tätigkeit der Bundesbahn, z. B. die Bahnpolizei, während die Pflicht der Post zur verkehrssicheren Unterhaltung ihrer Anlagen, z. B. von Telegraphenanlagen, eine gewöhnliche, privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht der Post (BGHZ 12, 95) darstellt. Der amtlich anerkannte Sachverständige für den Kraftfahrzeugverkehr übt hoheitliche Befugnisse aus. (BGHZ 49, 108). „Das Rechtsverhältnis zwischen einem öffentlichen Krankenhause oder einer Universitätsklinik einerseits, und dem dort aufgenommenen Patienten andererseits, ist privatrechtlicher Natur, w e i l dem Patienten gegenüber keine Zwangsbefugnisse bestehen. Dagegen ist das Rechtsverhältnis zwischen dem 1 Warum Art. 34 nur von „Körperschaft" spricht und die Kommentare zu der Frage, ob es nicht richtiger „juristische Person" heißen sollte, gewöhnlich schweigen, ist unredlich, es sei denn, man sähe hier eine eigentümliche Amerikanisierung am Werke: „American legal thinking is not at work with the core of an idea, but neglectful, even distrustful of an idea's fuzzed edges" (Llewellyn), s. o. S. 451. 2 Friesenhahn und einige andere wollen den Art. 34 auch für die privatrechtlichen Beziehungen des Verbandes anwenden, dazu von Mangoldt/ Klein, aaO, 831.
Der A r t . 34 G G
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Träger eines psychiatrischen Landeskrankenhauses einerseits, dem dari n untergebrachten Patienten andererseits, hoheitlicher A r t , w e i l hier öffentliche Aufgaben m i t typisch hoheitlichen M i t t e l n wahrgenommen werden": ob das erwähnte Landeskrankenhaus als geschlossene oder als offene Anstalt geführt wird, i n jedem Falle sind die Insassen einer strengen Aufsicht und einer weitgehenden Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen 1 . Hinsichtlich der öffentlichen Straßen und der Wasserstraßen w i r d überwiegend eine hoheitliche Tätigkeit der Zuständigen angenommen — der „öffentliche Eigentümerweg" muß aber z.B. vom Eigentümer unterhalten werden, und alles, was damit zusammenhängt, ist privatrechtlicher Natur (s. o. S. 513). A r t . 34 kommt auch dann nicht zum Zuge, wenn schon aus einem anderen Rechtsgrund eine unmittelbare Haftung besteht, wie namentlich dann, wenn z. B. der Staat als Halter eines Kraftfahrzeuges haftet 2 , ferner dann nicht, wenn zwar eine rechtswidrige, aber eine unverschuldete Amtspflichtverletzung begangen worden ist — dann nicht Amtshaftung als Rechtsfolge des A r t . 34, sondern ein Quasi-Aufopferungsanspruch wegen schuldlos rechtswidriger Eingriffe, also Gefährdungshaftung 3 . — A r t . 34 spricht bekanntlich vom Amtsträger, nicht vom Beamten (wie § 839), also vom „Funktionär". Besonders wichtig w i r d dabei, daß auch für einen „beliehenen" Amtsträger nach A r t . 34 gehaftet w i r d — für den Arbeiter des Wiederherstellers einer öffentlichen Straße, der „hoheitlich" ein Verkehrsschild aufstellt, w i r d nach A r t . 34 gehaftet, obw o h l es sich bei dem betreffenden Arbeiter keineswegs u m die Ausübung eines i h m anvertrauten öffentlichen Amtes handele. — Die Frage nach dem Dienstherrn des Funktionärs, (in dessen Dienst er steht — A r t . 34, a. E. des 1. Satzes) wird, ungeachtet der oben erwähnten „Beleihung m i t Hoheit", nach der Anstellungs- oder Diensttheorie — beantwortet, nicht nach dem Gegensatzpartner „Organ- oder Funktionstheorie" 4 . Maßgebend ist also regelmäßig nicht die Amtsfunktion (z.B. auch, ob staatlich oder kommunal), sondern der Dienstherr, der hier Geschäftsherr ist (Staat oder Gemeinde). Daher haftet eine Gemeinde auch dann, wenn ein Gemeindebeamter eine staatliche A u f tragsangelegenheit zu versehen hatte 5 . „Die Auslegung der Worte ,in deren Dienst er steht 4 und ihre Anwendung auf einen landesrechtlichen 1 Dazu (mit Entscheidungen) Larenz, Besonderes Schuldrecht, aaO, 450, 452 f. 2 von Mangoldt / Klein, aaO, 828. 3 aaO, 833. 4 von Mangoldt / Klein, aaO, 835. 5 von Mangoldt / Klein, aaO, 835 f. — dort auch die Ausnahmen.
Der A r t . 34 G G
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Tatbestand ist ohne die Heranziehung landesrechtlicher Organisationsnormen nicht möglich 1 ." — I m übrigen muß nach allgemeiner Meinung der § 839 BGB i n den A r t . 34 hineingelesen werden. Die Grundsätze des § 839 beherrschen also auch den A r t . 34 GG, der deliktische Verschuldensgrundsatz m i t seinen Weiterungen (z.B. 254 BGB), das Verweisungsprivileg, also die erste Subsidiarität des § 839, 1, S. 2, der Haftungswegfall bei Nichteinlegung eines Rechtsmittels, also die zweite Subsidiarität des § 839, 3, das Richterprivileg gemäß § 839, 2 2 . „Jemand" bedeutet „jede von einer zuständigen Stelle m i t der Ausübung öffentlicher Gewalt betraute Person" (Wolff), eine natürliche oder eine juristische. Die Parlamentsbeamten sind „jemand", möglicherweise sogar die Abgeordneten, die Kirchenbeamten, die Inhaber gemeindlicher Ehrenämter 3 . Durch die Wendung über die Verletzung der einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht w i r d jedoch die Haftung nach A r t . 34 bei schuldhaft rechtswidrigen Schädigungen auf die Fälle beschränkt, bei denen die Amtsausübung eine individuelle Beziehung auslöst. Soweit es sich u m das berühmte „legislative Unrecht" handelt, scheidet eine Amtshaftung daher deswegen aus, w e i l es bei der gesetzgebenden Tätigkeit i n der Regel an einer „einem Dritten gegenüber liegenden Amtspflicht" fehlt 4 . — Bei Ermessensfehlern eines Amtsträgers liegt nur dann eine zur Haftung nach A r t . 34 verpflichtende Rechtsverletzung vor, wenn nicht die Unzweckmäßigkeit der betreffenden Handlung des Amtsträgers zu rügen ist, sondern deren Rechtswidrigkeit — praktisch w i r d also nur die Haftung für hoheitlichen Ermessens-Mißbrauch oder hoheitliche Ermessens-Überschreitung 5 . — Der Bundesgerichtshof bringt klar zum Ausdruck, daß eine Amtspflicht verletzt wird, wenn schlechthin deliktisch nach dem § 823 ff. BGB gehandelt wurde, darüber hinaus, falls eine Amtspflicht verletzt wurde, die auch über das sonst geforderte nichtdeliktische Verhalten eines Menschen hinausging — der ja nicht nur i n der Rolle des Bürgers, sondern zusätzlich i n der Rolle des Amtsträgers stand (BGHZ 34, 99). A l l e Amtspflichtverletzungen nach A r t . 34 GG bestehen also nur i m hoheitlichen Rahmen, während außerhalb dessen bei Amtspflichtverletzungen nur nach den §§ 31, 831 BGB gehaftet wird. Doch bleibt der Amtsträger, auch wenn er nicht hoheitlich handelt, an die Staatsgrund1 2 3 4 5
von von von von von
Mangoldt Mangoldt Mangoldt Mangoldt Mangoldt
/ / / / /
Klein, Klein, Klein, Klein, Klein,
aaO, aaO, aaO, aaO, aaO,
836. 825. 830 f. 833. 834.
Der A r t . 34 GG
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sätze i m ganzen gebunden, insbesondere an die der Verfassung, z. B. an den Gleichheitsgrundsatz bei der Umwandlung einer bisher hoheitlich betriebenen städtischen Markthalle i n einen Fiskal-Betrieb (andererseits kann der Staat, und damit dessen Amtsträger, von den allgemein privatrechtlichen Rechten auch als Fiskus bedenkenlos Gebrauch machen, sich z. B. des § 32 des Mieterschutzgesetzes bedienen). Auch weiterhin gelten die allgemeinen Grundsätze des Deliktsrechts: die Amtspflichtverletzung, für die nach A r t . 34 Haftung i n Anspruch genommen wird, muß verschuldet und widerrechtlich sein (was sie immer ist), der angerichtete Schaden muß auch kausal auf die Amtspflichtverletzung zurückzuführen sein. — Gemäß Art. 34, Satz 2, kann Rückgriff oder Regreß gegen den Amtsträger genommen werden. Vielfach ist hier Länderrecht hinzuzuziehen, Beamtenrecht, Arbeitsrecht, auch Zivilrecht schlechthin. Der Amtsträger kann jederzeit Mitverschulden seines Dienstherrn einwenden, z. B. dienstliche Überlastung trotz Vorstellung (nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit!). Die Ansprüche aus Amtshaftung konkurrieren ansprüchen (BGHZ 13, 88 ff. [1954]).
mit sonstigen Amts-
Die Amtshaftung nach A r t . 34 GG leitet zur Enteignungsentschädigung gemäß A r t . 14 GG über, auch zur Aufopferungsentschädigung aufgrund des § 75 der Einleitung zum A L R (z. B. Schaden durch Niveauänderung einer Straßenlage). Schließlich kommt die Entschädigung für einen enteignungsgleichen Eingriff zum Zuge — der I r r t u m eines Wohnungsamtes führt z. B. zu monatelangem Leerstehen einer Wohnung und entsprechendem Mietausfall. Gemäß § 71 GVG ist i n Sachen nach A r t . 34 das Landgericht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Es handelt sich anscheinend u m „Zivilprozeßsachen kraft Zuweisung". Satz 3 des A r t . 34 „eröffnet zwar nicht den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten, verbietet aber, diesen Rechtsweg auszuschließen" 1 . Nach § 12 GVW scheiden also für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Verwaltungsgerichte, Schiedsgerichte oder Arbeitsgerichte aus, jedoch w i r d man eine Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Schadensersatz gemäß § 40, 2 der Verwaltungsgerichtsordnung wahlweise neben einer Klage vor dem Landgericht zulassen können 2 . Was eben für Schadensersatzansprüche gesagt wurde, gilt auch für die 1 2
von Mangoldt / Klein, aaO, 838. Zu diesem Problem s. von Mangoldt / Klein, aaO, 837.
34 W . G .
Becker
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Einige Lehrfälle zur Haftungs-Transmission
Rückgriffsansprüche bei Amtspflichtverletzungen. „ F ü r Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung wegen Nichteinsteilung als Beamter ist der Rechtsweg vor den Zivilgerichten regelmäßig ausgeschlossen, dagegen ist er ausnahmsweise — und zwar ausschließlich vor den Landgerichten gemäß § 71, 2 Ziff. 1 GVG — eröffnet, wenn die Amtspflichtverletzung i n der schuldhaften Verletzung einer Zusicherung auf Einstellung als Beamter zu sehen ist, oder wenn ohne das Vorliegen einer Zusicherung die Einstellung verweigert wurde, w e i l bei Amtshandlungen, die der Vorbereitung der Einstellung dienten, Amtspflichtverletzungen begangen wurden 1 ." — Der Bundesgerichtshof gibt einen solchen Schadensersatzanspruch eines schließlich nicht eingestellten Beamten auch für den Fall, daß die anläßlich der Verweigerung der Einstellung tätig gewordenen Beamten i n einer den Tatbestand des § 826 BGB verwirklichenden Weise tätig wurden 2 . Einige Lehrfälle zur Haftungs-Transmission 1. Wenn der Geschäftsherr eine natürliche Person des Privatrechts ist: A ist Hauseigentümer und Wohnungsvermieter. Er verpflichtet B durch Dienstvertrag als Hauswart unter anderem auch zur Beleuchtung der Treppenflure bei Dunkelheit. B unterläßt fahrlässig die Beleuchtung, und der Wohnungsmieter X stolpert auf der dunklen Treppe und bricht sich das Bein. B würde aus § 823 Abs. 1 haften, hat aber nichts. X klagt infolgedessen gegen den Geschäftsherrn A. Dieser ist einmal „geschäftsherrlicher" Mietvertrags-Schuldner, nach § 278 B sein Erfüllungsgehilfe. X's Anspruch auf Schadensersatz kann sich also zunächst einmal auf § 278 wegen Forderungsverletzung stützen. B ist aber auch Verrichtungsgehilfe des A — die abhängige Stellung ist gegeben. X kann also seinen Anspruch gegen A auch auf § 831 stützen und damit weiterhin Schmerzensgeld nach § 847 verlangen, muß sich allerdings die kurze Verjährung des § 852 sowie die Entlastungen i n § 831 gefallen lassen. Nicht der Mieter X, sondern dessen Tochter fällt und bricht sich das Bein. X kann über §§ 278 und 831 gegenüber A nach bekannter Lehre den Schaden der Tochter „liquidieren". Die Tochter kann gemäß § 328 Abs. 1 ihren Schadensersatzanspruch nach §§ 278 und 831 möglicherweise auch i n eigener Person geltend machen. — Der Besucher des Mieters X namens Z fällt und bricht ein Bein — wiederum wäre über §§ 278 und 831 die Schadensliquidierung zugunsten Dritter durch X möglich, auch ein direkter Anspruch des Z aus § 328 Abs. 1. 1 2
von Mangoldt / Klein, aaO, 838. von Mangoldt / Klein, aaO, 838.
Einige Lehrfälle zur Haftungs-Transmission
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Abgesehen von § 328 Abs. 1 stehen sowohl die gefallene Tochter als auch Z i n keiner rechtsgeschäftlichen (mietvertraglichen) Beziehung zu A — wenn also § 328 Abs. 1 abgelehnt w i r d und keine Schadensliquidierung zugunsten Dritter durch X erfolgt, könnten Z und die gefallene Tochter ihre Ansprüche gegen A als Geschäftsherrn nur auf § 831 stützen. 2. Wenn der Geschäftsherr juristische Person des Privatrechts ist: der Fußballverein e. V. Eintracht, welcher zum Vorstand A als Vorstand schlechthin, B als Spielwart und C als Platzwart hat, alle drei als verfassungsmäßig berufene Vertreter, veranstaltet ein Freundschaftsspiel m i t bezahltem Eintritt. Der Rechtsaußen t r i t t den B a l l durch die nicht hinlänglich gesicherte Abschirmung hindurch i n den Zuschauerkreis. Der fünfjährige Manfred, für den sein Vater eine Eintrittskarte gekauft hat, w i r d verletzt. Manfred, vertreten durch seinen Vater (die Mutter ist gestorben), klagt gegen den Verein. Der Verein ist zunächst einmal Schuldner des rechtsgeschäftlichen Partners Manfred, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, nach §§ 631, 278. Der Rechtsaußen hat als Erfüllungsgehilfe des Vereins für die Leistung aus einem Werkvertrage zwischen dem Verein und Manfred eine Forderungsverletzung begangen. Manfreds Anspruch gegen den Verein kann also zuerst auf §§ 631, 278 gestützt werden. A n zweiter Stelle, also i n Anspruchskonkurrenz, ist zu fragen, ob Deliktsrecht zum Zuge kommt, dann Transmission für das Verhalten eines Geschäftsbesorgers auf einen Geschäftsherrn i n privatrechtlichem Zusammenhange, zunächst also nach § 31. Platzwart C, zugleich verfassungsmäßig berufener Vertreter des Vereins, ist für die mangelhafte Abschirmung verantwortlich. Vielleicht auch B, vielleicht sogar A, B und A wollen w i r aber hier ausklammern. Platzwart C hat durch Verletzung seiner Aufsichtspflicht nach dem Eigenhaftungsparagraphen 823, 1 Manfred einen Schaden zugefügt, für den nach § 31 der Verein haftet. Eine weitere Haftung des Vereins neben der nach §§ 631, 278 und nach § 31 für den Platzwart C kommt evtl. i n Frage, wenn man das Verhalten des Rechtsaußen bedenkt. Nehmen w i r an, daß der Spielwart B als Vertreter des Vereins den Rechtsaußen als Verrichtungsgehilfen des Vereins gerade für dieses Spiel eingesetzt hat, indem er, ohne sich weiter über die Angelegenheit zu äußern, den Rechtsaußen von einem befreundeten Fußballverein borgte, oder nehmen w i r an, daß der Rechtsaußen selbst dem Verein angehörte und ohne weitere Transaktionen vom Spielwart B für das Spiel angesetzt wurde. Darin liegt kein Fehler des B, also nicht § 31 i n bezug auf B. Möglicherweise hat der Rechtsaußen aber als Verrichtungsgehilfe gearbeitet. A u f jeden Fall dann als Verrichtungsgehilfe nicht für den Spielwart B, sondern 34*
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Einige Lehrfälle zur Haftungs-Transmission
für den Verein. War der Rechtsaußen Verrichtungsgehilfe, d. h. den Anordnungen des Vereins, vertreten durch seine verfassungsmäßigen Vorstandsmitglieder, unterworfen? Das w i r d wohl nicht anzunehmen sein. A u f jeden Fall w i r d sich der Verein nach § 831 zu exkulpieren versuchen, und es kann angenommen werden, daß diese Exkulpation gelingt. Wäre Manfred nur Zaungast gewesen, so entfiele ein Anspruch aus §§ 631, 278. — Wäre Vorstand A als verkehrsaufsichtspflichtig für B, C oder Rechtsaußen anzusehen, so würde der Verein nach § 31 auch für A haften, dessen Eigenhaftungsnorm dann hier die erste Generalklausel zu § 823,1 wäre. — Der Rechtsaußen selbst haftet i n jedem F a l l nach § 823, 1, der Anspruch richtet sich aber gegen den Verein. Manfred muß sich gemäß § 254, 2, letzter Satz, § 278 evtl. das Obhutsverschulden seines Vaters zurechnen lassen. Dessen Obhutsverpflichtung folgt aus § 1626. Eigenhaftungsnorm für den Vater, die dann über § 278 (gesetzlicher Vertreter) zu § 254, 2, letzter Satz führt, wäre § 832 mit den dortigen Einwendungen. — 3. Wenn der Geschäftsherr als juristische Person des öffentlichen Rechts in nicht hoheitlicher, speziell in fiskalischer Weise auftritt: Die Gemeinde hat Tannen aus ihrem Gemeindewald an A verkauft. Der Gemeindearbeiter X hatte kurz vor Anbruch der Dunkelheit noch eine Tanne gefällt, die versehentlich über einen Weg fiel, der bekannt, aber nicht öffentlich war. Der Bürgermeister besichtigte am Abend die Einschlagstelle, sah den über den Weg gefallenen Baum liegen, hielt es aber nach Rücksprache mit X für ausreichend, die Tanne am nächsten Morgen wegzuräumen. Bald darauf fuhr der Käufer A auf seinem Fahrrad zu der Einschlagstelle, fiel über den Baum und verletzte sich. A belangt die Gemeinde, eine Korporation des öffentlichen Rechts, zunächst aus §§ 433, 278. Die Gemeinde ist als Schuldnerin auch auf ordnungsmäßiges Verhalten bei der Abwicklung des abgeschlossenen Kaufvertrages verpflichtet. X war dabei ihr Erfüllungsgehilfe, der Bürgermeister auch, es besteht also eine doppelte Haftung der Gemeinde aus den §§ 241, 433, 278. Deliktische Transmissionshaftung der Gemeinde käme zunächst i n Rücksicht des Bürgermeisters aus § 31 i n Frage. Der Bürgermeister war verfassungsmäßig berufener Vertreter der Gemeinde, Eigenhaftung des Bürgermeisters wegen unterlassener Aufsicht folgt aus dem § 823, 1, Generalklausel 1 (Verletzung einer Verkehrspflicht), sicherlich auch aus der Verletzung einer Amtspflicht, die ihrerseits aus § 823, 1, Generalklausel 1 indiziert wird. Falls die Gemeinde für den Bürgermeister
Einige Lehrfälle zur Haftungs-Transmission
nach § 31 haftet, kommt neben dem § 31 der § 89 zum Zuge — es handelt sich um ein Tätigwerden der Gemeinde als Fiskus. Was X anlangt, so war X auf keinen Fall verfassungsmäßiger Vertreter und auf jeden Fall („subalterner") Verrichtungsgehilfe der Gemeinde. Diese würde dann als Geschäftsherr nach § 831 per Transmission für X haften, dessen Eigenhaftungsnorm ebenfalls § 823, 1, Generalklausel 1 (Verletzung der Verkehrspflicht) ist. — Variieren w i r den Fall: nicht der Käufer A, sondern X-beliebig fällt. Sein Schadensersatzanspruch könnte sich nicht auf § 278 stützen. I m übrigen läge die Variante des Falles ebenso wie der Fall selbst. 4. Wenn der Geschäftsherr als juristische Person des öffentlichen Rechts hoheitlich auftritt: variieren w i r unseren Fall noch einmal: der Bürgermeister erhält, gleich nachdem er den Weg m i t der darüberliegenden Tanne besichtigt hat, von seinem Verkehrspolizisten die Meldung, daß der Verkehr über die Hauptstraße des Ortes wegen des dort gerade angehenden Weihnachtsmarktes umgeleitet werden müsse. Als Inhaber der Polizeigewalt, auch der Verkehrspolizeigewalt, läßt der Bürgermeister nunmehr den Verkehr über den einzigen zur Verfügung stehenden Ausweg umleiten, nämlich den oben genannten Tannenweg, der an sich ein der Gemeinde gehörender Privatweg ist, jetzt aber vorübergehend öffentlicher Eigentümerweg wird. Der Radfahrer Y stürzt i n der beginnenden Dunkelheit sofort über die i m Weg liegende Tanne und verletzt sich. Der Bürgermeister hat mit seiner Verkehrsumleitung hoheitlich für seine Gemeinde i n Amtspflichtverletzung gehandelt, welche wiederum möglicherweise indiziert w i r d durch § 823, 1, Generalklausel 1 (Verletzung der Verkehrspflicht) durch Unterlassung. Die Gemeinde haftet m i t dem Vorbehalte des Rückgriffs gegen den Bürgermeister nach A r t . 34 GG, wobei unterstellt werden darf, daß der Bürgermeister fahrlässig gehandelt hat (§ 839). Eine konkurrierende Abstützung des Anspruchs „ Y gegen die Gemeinde" auf die §§ 31/89 muß abgelehnt werden, w e i l auch die Verletzung der Verkehrsaufsichtspflicht über den Eigentümerweg durch den Bürgermeister polizeigewaltsmäßig, also hoheitlich, gesehen werden muß, so daß eine Verletzung des § 823, 1, Generalklausel 1 (Verletzung der Verkehrspflicht) hier deshalb nicht erfolgte, weil der Bürgermeister nicht privatrechtlich die Aufsicht über den Eigentümerweg der Gemeinde verletzt hatte. — Verrichtungsgehilfe, so daß eine privatrechtliche Haftung der Gemeinde nach § 831 geprüft werden könnte, war der Bürgermeister niemals, er stand seiner Gemeinde niemals „subaltern" gegenüber.
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Der § 254 bei der Transmissions-Haftung
Nicht der Radfahrer Y, sondern der Radfahrer A stürzt, welcher der Holzabkäufer der Gemeinde ist. A hat den vorerwähnten Anspruch gegen die Gemeinde aus A r t . 34 GG, i n Anspruchskonkurrenz noch den Anspruch aus §§ 241, 433, 278, diesen Anspruch wiederum gleich zweifach, da sowohl der Bürgermeister wie auch X Erfüllungsgehilfen der Gemeinde waren, und die Gemeinde sich dabei nicht entlasten kann — das Verhalten von X w i r d hier m i t zu berücksichtigen sein, während i m Falle eines Anspruchs „ A gegen Gemeinde" nach A r t . 34 GG nur das Verhalten des Bürgermeisters i n Frage kommt. Hätte A i n weiterer Anspruchskonkurrenz auch noch den Anspruch gegen die Gemeinde aus §§ 31/89? Vom Standpunkte des Anspruchs des A, des Holzabkäufers der Gemeinde, aus gesehen, liegt der Fall i m fiskalischen Bereich, so daß i n der Tat die Gemeinde hier möglicherweise in weiterer Anspruchskonkurrenz auch noch aus §§ 31/89 haften müßte, jedoch nur für den Bürgermeister, der seine Verkehrsaufsichtspflicht (hier eine fiskalische) verletzt hat, da X als Gemeindearbeiter nicht verfassungsmäßig berufener Vertreter der Gemeinde ist. Eigenhaftungsparagraph i n bezug auf den Bürgermeister wäre hier wieder der § 823 Abs. 1 BGB — es ist gleichgültig, daß der Bürgermeister einen Schaden nur indirekt zugefügt hat. Der § 254 bei der Transmissions-Haftung Es hätte nicht der Aufnahme des § 254 in die zivilrechtliche Transmissionsparagraphenkette des Entwurfs bedurft (§ 846, entsprechende Anwendung des § 254 auch bei den §§ 31, 831 und 839!), u m klarzustellen, daß der § 254, so wie er jetzt gelesen wird, auch bei der deliktischen Transmissionshaftung gilt. Überhaupt überall da, wo Schadensersatz geltend gemacht wird, auch wenn dieses i m Wege eines Regreßanspruchs erfolgt: ein Amtsträger kann i n einer Regreßklage seines Dienstherrn i m Anschluß an dessen Haftung nach A r t . 34 GG z. B., wie oben erwähnt (s. o. S. 529), jederzeit Mitverschulden seines Dienstherrn vortragen, wenn dieser vorsätzlich oder grobfahrlässig gehandelt hat (also nicht bei leichtem Verschulden), etwa dienstliche Überlastung trotz Vorstellungen. Mehrere Delinquenten Die deliktischen Schädiger treten, ebenso wie die deliktisch Verletzten, i n der Einzahl oder i n der Mehrzahl auf: jemand fährt ein fremdes Kraftfahrzeug und verschuldet einen Unfall, bei dem mehrere verletzt werden, es gibt mehrere Delinquenten und mehrere Verletzte, das K i n d eines Aufsichtspflichtigen schädigt Dritte, wiederum mehrere
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Delinquenten und mehrere Verletzte. Der § 840: „Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner." Gesamtschuldnerschaft bestimmt sich dabei natürlich nach den §§ 421, 426, jeder Delinquent trägt also den Geschädigten gegenüber die volle Verantwortung. I m „Innenverhältnis", also den anderen Delinquenten gegenüber, kann er sich aber gemäß § 426 soweit erholen, daß i h n nur ein entsprechender A n t e i l an der Verpflichtung trifft. Wie er diese Erholung betreibt, ist seine Sache, nicht Sache des oder der Geschädigten. Neben der deliktischen Alleintäterschaft und der Mehrtäterschaft, die beide unter § 823, 1 fallen, führt aber § 830 den Begriff der gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung ein. Damit lastet auf § 830 zunächst die „Not der Mehrzahl" (s. o. S. 266). Jedoch wird, i m Licht der §§ 840 und 823, 1 das gemeinschaftliche Handeln i n § 830 nur so gesehen, daß da eine Mehrzahl als Verband der „Mittäter " gehandelt hat, so daß auch ein „Gemeinschafter" i m Sinne von § 830 i n der Einzahl (Einheit) haftet: m i t der Verwendung des Wortes „gemeinschaftlich" bringt der § 830 eben nur zum Ausdruck, daß er eine Mehrzahl von Delinquenten als Verband ins Auge faßt, daß er aber nicht mehrheitlich operiert, also nicht etwa i n der künstlichen Einheit des Mehrheitsverbandes der juristischen Person — wenn man w i l l : „atomistisch", nicht „morphologisch". Man zieht zu § 830 gern den § 769 i n bezug auf Mitbürgen heran — ob gemeinschaftlich bürgend oder nicht, ob als Mitbürge oder als Mehrbürge, haftet jeder Bürge allein und für sich (zuletzt hierzu BGHZ 23, 36).— Eine analoge Anwendung des § 830, wenn es nur um Mehrtäter schlechthin, nicht u m gemeinschaftliche Mittäter geht, braucht man nicht (anders manche Meinung): jeder, dessen Handlung eine Ursache für den Schaden setzt, muß für den gesamten Schaden einstehen 1 . — Die deliktischen Einzelfälle ergeben sich (nach R. Schmidt) aus dem Beispiel einer Bootsbeschädigung, durch welche X deliktisch verletzt wird: a) A und B haben gemeinschaftlich deliktisch das Segel beschädigt, jeder haftet einzeln persönlich und voll nach § 830, Satz 1 i n Verbindung mit §§ 840,1, 421,426. b) A und B beschädigen gemeinschaftlich deliktisch das Segel, C vergreift sich deliktisch am Motor. A und B sind gemeinschaftlich De1 So (englisch) Devlin, L. J., in Dingle v. Associated Newspapers, 1961, 1 A l l E. R. 897 —- so auch im deutschen Recht.
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linquenten und stellen insofern die Delinquenteneinheit, der „Mehrzahl-Gemeinschaft" dar, darüber hinaus aber zusammen m i t C eine Delinquenteneinheit, die einerseits aus den beiden Gemeinschaftern A und B und andererseits aus dem Einzel-Delinquenten C besteht. A, B und C haften jeder aufs Ganze, was sich für A und B aus den §§ 823, 830, 840, 421, 426 ergibt, für C aus § 823, zu dem man den § 840 gesellen kann. Haben A und B nicht gemeinschaftlich, sondern jeder für sich das Segel beschädigt, so muß man nun auch auf A und B, ebenso wie auf C, den § 823 anwenden, während dann Zusätzliches i n den §§ 840, 421, 426 bestimmt wird, also die solidarische Haftung von A, B und C jemeinig aufs Ganze nach außen hin, während nach Innen hin die Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner A, B und C nach § 426 besteht. c) I n bezug auf § 830, 2 spricht man von „Nebentätern". A und B beschädigen deliktisch das Segel, ohne daß sich ermitteln ließe, wer durch seine Handlung den Schaden verursachte (§ 830, 1 Satz 2, alternative Kausalität): zuerst aber § 830 1, Satz 2: A und B haften jeder voll. d) Y hat A und B als Gehilfe unterstützt. Auch Y haftet i m „Außenverhältnis" voll, i m „Innenverhältnis" als Gesamtschuldner m i t A und B. e) Z hat durch Zurufe vom Ufer her zum Delikt angefeuert, ist also Anstifter — für Z gilt dasselbe wie für Y, i m „AußenVerhältnis" haftet er dem Geschädigten ganz, i m „Innenverhältnis" haftet er m i t A, B und Y als Gesamtschuldnern. Dieselbe Lösung i n bezug auf Y und Z ergibt sich, wenn Y nicht nur den gemeinschaftlichen Delinquenten A und B, sondern auch dem zusätzlichen Einzel-Delinquenten C geholfen hat, und dasselbe gilt, wenn Z durch Zurufe nicht nur die gemeinschaftlichen Delinquenten A und B, sondern auch den Einzel-Delinquenten C angeregt hat, vielleicht auch den Helfer Y. — § 840, 1 ist dazu da, zu sichern, daß, wenn zwei Delikte zum selben Schaden führen, beide Delinquenten nebeneinander voll i m Außen Verhältnis haften: der Hund bellt das Pferd an, das durchgeht und den Reiter verletzt, sowohl der Tierhalter des Hundes wie der des Pferdes ist verantwortlich, beide zusammen haften als Gesamtschuldner. I m anglo-amerikanischen Recht begegnet uns die Tatsache, daß im Common L a w seit Merryweather v. Nixan, 1799, 101 E. R. 1337, die sogen, no-contribution-rule galt, daß es also i m Common L a w keine Ausgleichsansprüche unter mehreren Delinquenten gab, daß dann aber (zuletzt erst i m Jahre 1935) der Ausgleichsanspruch (contribution) zwischen mehreren solidarisch haftenden Schädigern durchkam 1 .
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Es muß aber jeder, der von der Haftung betroffen wird, voll delinquieren, also alle Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Delikts erfüllt haben. „Jemeinig" kommen also jedem Delinquenten einzeln auch seine Entlastungen zugute: X w i r d von A und B verletzt, A hat aber nicht rechtswidrig — i n Notwehr — gehandelt, weder § 840 noch § 830 sind gegeben, und die Haftung sowohl von A als auch die von B entfällt, da man eben nicht weiß, ob die Verletzung von A oder von B erfolgte, der Rechtswidrigkeitsausschluß zugunsten von A logischerweise also auch dem B zugute kommen muß. — Die besonderen Umstände, welche die Entlastung des einen Delinquenten, aber nicht die des anderen bewirken, also grundsätzlich nicht „durchgreifen", und damit auch die Fragen der Interdependenz und auf der anderen Seite die der Unabhängigkeit von Schadensersatzforderung und Ausgleichsforderung, betreffen vor allem die außergerichtliche Schadensregulierung, den Erlaß, den Vergleich, i m englischen Recht auch Ansprüche von Ehegatten 2 . Hat ein Gremium mehrzählig oder sogar mehrzählig-gemeinschaftlich ein Delikt begangen, etwa durch eine Beschlußfassung, so ist es gleichgültig, ob anonym und geheim beschlossen worden ist oder nicht: jedes Mitglied des Gremiums haftet einzeln-voll, und dies muß auch für die Regreß-Inanspruchnahme (etwa nach A r t . 34 GG) gelten 3 . § 840 Abs. 1 erleichtert i m Deliktsrecht die faktische Anspruchsalternation — der Kläger braucht sich nicht allzu sehr den Kopf darüber zu zerbrechen, von welchem Delinquenten er seinen Schaden hereinholen kann. Die Worte „Anstifter", „Gehilfe" und „Mittäter" in § 830, 2 werden i m Sinne der strafrechtlichen Teilnahme-Terminologie gebraucht. Gerade die strafrechtliche Teilnahmelehre „ist freilich das dunkelste und verworrenste Kapitel der deutschen Strafrechtswissenschaft" 4 . Die von Lange vorbereitete, bald darauf von Welzel i n seinen „Studien zum System des Strafrechts" (ZStw 1939, 537 ff.) und später besonders von Gallas ausgebaute Theorie der „finalen Tatherrschaft" steht seitdem i m Mittelpunkt der Diskussion 5 . Vielleicht könnte man das Wort „final" weglassen und schlechthin „subjektiv" sagen. Jedenfalls gilt die Lan1 M. Wagenfeld, Ausgleichsansprüche unter solidarisch haftenden Deliktschuldnern im englischen und deutschen Recht, 1972, 47; jetzt auch G. Brambring, Mittäter, Nebentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten, 1973. 2 Vgl. dazu Wagenfeld, aaO, 67 ff., 86 ff., 119 f., 124 ff., 160 ff. 3 Kayser / Leiss, Die Amtshaftung, 2. Aufl., 1958, 129, Entscheidungen zu Ziff. 94 u. 95, ferner S. 337 zu Ziff. 717. 4 C. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 2. Aufl., 1967, 1. 5 Roxin, 2.
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ge'sche Frage: „Wessen Werk ist die Tat?", — wobei nicht zu vergessen ist, daß der brauchbare Begriff der Tatherrschaft 1915 von Hegler entdeckt worden ist 1 (aber v. Bar z.B. hält die strafrechtliche Teilnahmelehre schlechthin für eine Kausalitätslehre) 2 . — Die Verjährung der Ausgleichsansprüche ist wichtig, weil es sich hier um die Verbindung zwischen Ausgleichsanspruch und Schadensersatzanspruch handelt. I m deutschen Recht sagt z.B. BGHZ 11, 170, daß die kurze Verjährung des Deliktsrechts (§ 852) für den Ausgleichsanspruch nicht gilt, denn „hier ist nicht ein Anspruch aus unerlaubter Handlung" (RGZ 69, 422). Es gelten also die normalen Verjährungsfristen, i n England die besonders kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren. — Die richterliche Abwägung 3 hat in beiden Rechten ihren großen Auftritt. I n England spielen auch Equity-Prinzipien dabei mit, z. B. die beiden berühmten Regeln „he who seeks equity must do equity" und „he who comes into equity must come w i t h clean hands". Interessant ist, daß i m englischen Recht „ t h i r d party notice" gegeben werden kann, so daß dann per „ t h i r d party procedure" über Schadensersatzanspruch und Ausgleichsanspruch i n einem einzigen Verfahren entschieden wird, und der Delinquent eine Doppelstellung einnimmt: „er ist ein Beklagter i m Schadensersatzprozeß und Kläger i n dem Ausgleichsprozeß." Es handelt sich also u m zwei separate Prozesse, die in einem einheitlichen Verfahren durchgeführt werden, vergleichbar m i t der Streitgenossenschaft des deutschen Rechts, i n dem aber bei der Streitverkündung lediglich die sogen. Interventionswirkung eintritt, was bedeutet, daß der Schuldner, dem der Streit verkündet wurde, die Richtigkeit des der Hauptpartei gegenüber ergangenen Urteils nicht bestreiten kann. I m englischen Recht w i r d die Entscheidung über den Ausgleichsanspruch i n der Regel unmittelbar anschließend an das U r teil i m Schadensersatzprozeß getroffen und unterliegt einer selbständigen Anfechtbarkeit. — Was den Entstehungszeitpunkt des Ausgleichsanspruchs anlangt, so entsteht er i m deutschen Recht gleichzeitig m i t der Schadensersatzforderung, i m englischen Recht erst, wenn die Haftung eines Schuldners gerichtlich oder außergerichtlich festgestellt ist. Bei der Feststellung der Ausgleichsquoten w i r d i n beiden Ländern sowohl die Verursachung als auch das Verschulden berücksichtigt — die englische Rechtsprechung legt aber besonders i n den neueren Urteilen mehr Gewicht auf das Verschulden. 1
Roxin, aaO, 60, 15. Dazu Roxin, aaO, 4 ff. 3 s. dazu z. B. Heinr. Hubmann, Die Methode der Abwägung, auf den S. 173 ff. der Festschrift für L. Schnorr von Carolsfeld, 1972. 2
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Die Absätze 2 und 3 des § 840 geben eine Sonderregelung für die Fälle der §§ 829, 831, 832 - 838. Man muß die traditionelle Terminologie der Haftungsprinzipien heranziehen, u m den Sinn dieser Sonderregelung zu erfassen. Esser spricht von der „Zweispurigkeit" der deutschen deliktischen Haftungsprinzipien, i n Wahrheit gibt es eine Mehrspurigkeit. Wo z. B. neben einer Erfolgs-, einer Gefährdungs- und einer sogen, vermuteten Verschuldenshaftung eine reine Verschuldenshaftung besteht, gilt i m Innenverhältnis nicht die pro rata-Regelung des § 426, sondern, daß jetzt der m i t dem stärksten Haftungsprinzip Belastete die gesamte Haftung trägt — Verschulden geht vor „vermutetem" Verschulden, die Rangordnung der Haftungsprinzipien t r i t t ins Bild. Ein Fußgänger bringt deliktisch ein Wagenpferd zum Durchgehen, der Fußgänger haftet nach dem Verschuldensprinzip des § 823, der Tierhalter nach dem Gefährdungsprinzip des § 833, Fußgänger und Tierhalter jeweils persönlich-ganz, die gesamtschuldnerische Regelung des „Innenverhältnisses" nach § 840 Abs. 1 schert aber hier aus, es haften also sowohl der Fußgänger als auch der Tierhalter für mittelbare oder unmittelbare kausale Schadenszufügung ganz, der Tierhalter kann sich jedoch beim Fußgänger m i t dem ganzen Schadensbetrag erholen, während andererseits der Fußgänger den Schadensersatz, den er bezahlen muß, vom Tierhalter auch nicht teilweise ersetzt bekommt. — Anders läge natürlich der oben erwähnte Fall der doppelten Tierhalterhaftung, hier gleichen sich beide Tierhalter nach §§ 426, 421 aus. Der Entw u r f zu § 840 Abs. 2 nimmt die Befreiung von der Ersatzpflicht durch Vertrag i n Bezug. Der § 841 enthält eine weitere Spezialregelung, deren Sinn der Staatsschutz ist: Inoffizialhaftung geht vor Offizialhaftung — verletzt ein Vormundschaftsrichter die Aufsicht über einen Vormund, der seinerseits delinquiert hat, so haftet für den Richter nach A r t . 34 GG der betreffende Staat, während der Vormund (sagen wir) nach § 823 verpflichtet ist — Staat und Vormund können gemäß § 840 Abs. 1 nebeneinander i n Anspruch genommen werden, i m „Innenverhältnis" haftet aber nur der Vormund persönlich-ganz — so muß der § 841, der eigentlich nur auf den § 839, also die Amtspflichtverletzung eines Beamten, Bezug nimmt, auch an den Art. 34 GG gekoppelt werden — man denke „praktisch" daran, daß der Vormundschaftsrichter nach A r t . 34 GG Regreß leisten muß, wofür er sich dann gemäß § 841 beim Vormund erholen kann. Nachwort Das Recht der unerlaubten Handlungen ist i m ganzen, soweit ich sehe, niemals bearbeitet worden 1 — bezeichnenderweise w i r d besonders
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hervorgehoben, daß Ernst Rabel der unerlaubten Handlungen sich nur einmal, und ziemlich am Ende seines Schreibens, angenommen hat 2 . Namentlich fordert der Bonner Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom Januar 1967, der i m reinen Deliktsrecht z. B. Änderungen der §§ 823, 1, 824, 825, 828, 831, 839, 840, 841, 847 vorschlug, zu einer Neudurchdenkung des Deliktsrechts auf, gerade auch i m Hinblick auf den deliktischen Schadensersatz nach den §§ 249-255: ein Recht beurteilt sich, wie oft gesagt wird, nach seinem Schadensersatzrecht, es ist dessen Regelung, welche über die Bonität eines Rechts i n toto entscheidet 3 . — Daß das Recht der unerlaubten Handlungen so wenig erörtert worden ist, hat auch seine Gründe. Von jeher betrifft das Deliktsrecht ein Grenzgebiet zwischen Zivilrecht und Strafrecht, über die §§ 89, 839 BGB und den A r t . 34 GG weiter ein Grenzgebiet zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht Aber auch die Standorte des Deliktsrechts i m BGB führen zu Schwierigkeiten: das Deliktsrecht w i r d i n den §§ 823 ff. i m Besonderen Teil des Schuldrechts behandelt. Aus dem Allgemeinen Teil des BGB halten aber auch die §§ 31 und 54 ihren Einzug ins Deliktsrecht, dies z. B. i n bezug auf § 831 und die Haftung der Gesellschafter oder des Gesellschaftsvermögens für das deliktische Handeln eines geschäftsführenden Gesellschafters. Die §§ 21 ff., 31 und 89, danach aber auch die deliktische Staatshaftung, können ferner aus dem Deliktsrecht nicht ausgeschieden werden, der „Verrichtungsgehilfe" des § 831 schreit nach dem „Erfüllungsgehilfen" des § 278. Auch das Problem des Zusammenhanges zwischen Bereicherung und Delikt wurde viel erörtert (z. B. von E. v. Caemmerer und bei der deutschen Wiedergutmachungsrechtsprechung i m Anschluß an Art. 57 des Gesetzes 59 der amerikanischen Militärregierung) 4 . Schließlich sprechen die Einzelheiten mit — mein Lehrer Eberhard F. Bruck sagte z. B. i n der Vorlesung: „ W i r gehen jetzt zum Deliktsrecht. Wenn Sie da nicht mitkommen, satteln Sie um und studieren Sie Gartenbau, da gibt es nicht so viele Zweifelsfragen" (womit aber nichts gegen den Gartenbau und die Wissenschaft 1 Literaturverzeichnis z.B. bei K. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, I I , Bes. Teil, 9. Aufl., 1968, 399, 407 — Larenz erwähnt aus dem vorigen Jahrhundert Jung, Delikt und Schadens Verursachung, 1897. 2 Gesammelte Schriften, I I I , 1970, 101 ff. 8 Zum Entwurf und seinen Vorbereitungen seien hier nur Nipperdey, Grundfragen der Reform des Schadensersatzrechts, 1940, zitiert, weiter M a r ton, Versuch eines einheitlichen Systems der zivilrechtlichen Haftung, AcP 162 (1963), 1 ff., und (vorwiegend versicherungsrechtlich) das Sonderheft der Zeitschrift „Versicherungsrecht", Karlsruher Forum 1962, 1963. 4 Dazu W. G. Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, Strukturen des Schuldrechts auf der Grundlage des anglo-amerikanischen „check-andbalance"-Systems, 1958, 382.
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davon gesagt sei!) — vielleicht hilft auch hier das System „los vom Fall!" — System klärt. — Die unerlaubten Handlungen konkret zu behandeln, empfiehlt sich freilich i n pädagogischer Hinsicht — vielleicht liegt darin auch die notwendige Bekämpfung gewisser, z. Z. besonders auffälliger, aber „allzeit bereitstehender sozialer Gesinnungen, der Don Quichoterie eines aufgeregten Feldzuges gegen alles erdenkliche Unrecht i n der Welt, für die unterdrückten Völker aller Zonen, für die Geknechteten aller Erdteile, und die geschäftigen Einmischungen des Sozialismus in Kämpfe und Auseinandersetzungen, die tief innerlich von denen des Proletariats unterschieden sind, der Neigung des Sozialismus, sich als Rezept für alle Schäden der K u l t u r darzubieten und mit besonderem Eifer etwa die Reform der Ehegesetzgebung, des Abtreibungsverbots, der Kolonialpolitik, der internationalen Beziehungen zu betreiben" (die Allerweltssympathien schon der französischen Demokratie von 1848)1. — Einem „geistig so verdünnten Zeitalter, welches darüber spekulierte, wieviel Engel auf einer Nadelspitze tanzen könnten", warf Kaiser Friedrich II. i m Vorworte seines Falkenbuches (um 1240) fast programmatisch die lapidare Erklärung hin: „unsere Absicht ist, sichtbar zu machen die Dinge, die sind, so wie sie sind", manifestare ea quae sunt sicut sunt (Ernst Kantorowicz) — das „Falkenbuch " des Kaisers stellt überhaupt den Beginn der abendländischen Empiriker, Albertus Magnus und Roger Bacon (wohl zu unterscheiden von dem 300 Jahre späteren Bacon von Verulam, der immer als Vater des Empirismus bezeichnet wird) nahmen anscheinend von i h m ihren Ausgang (Gegenspieler: Franz von Assisi!). Also einmal: res sicut sunt, zum anderen Male: rerum cognoscere causas, das Täterstraf recht, i m Gegensatz zum Tatstrafrecht, geht vom „cognoscere causas" aus. Unter der bei reeller Betrachtung der Dinge einschlägigen Kritik w i r d nicht die gewohnte Abteilung der Dogmatik, die kritische i m Gegensatz zur spekulativen Dogmatik, verstanden, auch nicht die Aufteilungen in „schlichte" und „diplomatische" K r i t i k , nicht der Unterschied zwischen wissenschaftlicher „Beschreibung" und wissenschaftlicher „Schöpfung", sondern (nach den Frankfurtern und insbesondere nach J. Habermas, Theorie und Praxis, 3. Aufl., 1969) „ K r i t i k als zwischen Wissenschaft und Philosophie stehend" (Philosophie w i r d aber auch wissenschaftlich betrieben, vor allem die moderne, an der Mathematik ausgerichtete!). Philosophie zeigt sich i n Theorie. Was Theorie und theoretische Vision bedeutet, bestimmt sich unmittelbar einleuchtend i n der A b grenzung von Theorie und Praxis (in welch letztere man die Rechts1 M. Freund, Georges Sorel, Der revolutionäre Konservatismus, 2. Aufl., 1972, 144.
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technik einordnen kann) nach K a n t : „Man nennt einen Inbegriff selbst von praktischen Regeln alsdann Theorie, wenn diese Regeln als Prinzipien i n einer gewissen Allgemeinheit gedacht werden, und dabei von einer Menge Bedingungen abstrahiert wird, die doch auf ihre Ausübung notwendig Einfluß haben. Und umgekehrt heißt nicht jede Hantierung, sondern nur diejenige Bewirkung eines Zweckes Praxis, welche als Befolgung gewisser i m allgemeinen vorgestellter Prinzipien des Verfahrens gedacht w i r d 1 . " — Theorie gibt einen Rast- und Ruhepunkt i m Denken, dem nichttheoretischen einschließlich des philosophischen — es mag (im Höchstfalle) der archimedische Punkt sein. Rechtstheorie gibt man, indem man auf den „Tatbestand" der Philosophie die „Entscheidungsgründe" der Fragenbeantwortung stülpt, wenigstens das versucht. So fassen es die Amerikaner auch auf. Die theoretische — kritische — Betrachtung des Deliktsrechts muß gleich auf die vier Dimensionen der Jurisprudenz eingehen, i n denen diese heute auch betrieben und bearbeitet wird. Die erste dieser Dimensionen ist die Jurisprudenz ohne Rechtswissenschaft — die Ummontierung der Rechtswissenschaft zur bloßen Rechtskunde stellt das universitäts-juristische Tagesproblem dar, nicht mehr „Rechtswissenschaft ohne Recht" 2 , sondern „Recht ohne Rechtswissenschaft". I n der zweiten Dimension geht es zwar u m rechtswissenschaftlich geläuterte Jurisprudenz, also u m Jurisprudenz vor allem als Rechtswissenschaft. U m mehr aber nicht: die Abwendung der Rechtswissenschaft aus den Geisteswissenschaften ist i n Deutschland seit einiger Zeit auffällig, und daß die Jurisprudenz nicht als „geistige " Wissenschaft betrieben wird, steht i n der Regel fest. — Der Wegfall der vierten Dimension bei der Jurisprudenz beruht vor allem darauf, daß die musische Begabung keineswegs zur Ausrüstung des Durchschnittsmenschen gehört, w i r 1 Dazu nur P. v. Oertzen in der Festschrift für Leibholz, 1966, I, 369 ff. — Mit der Abgrenzung der Theorie von der Philosophie , der Rechtstheorie und der Rechtsphilosophie steht es schwieriger, jedoch äußerte sich schon Papst Leo der Einfältige im Jahre 980 abschätzig: „Die Stellvertreter Petri und seine Schüler wollen zu ihren Magistern weder Plato noch Vergil noch Terenz noch das übrige Philosophenvieh haben, welches sich in steilen Flügen über die Vögel in der Luft erhebt, wie die Fische des Meeres in die Tiefe taucht, und wie die Schafe Schritt vor Schritt die Erde abgrast" (A. de Ferdinandy, Der heilige Kaiser, 1969, 337). — Über das Wesen der Rechtstheorie besteht noch wenig Klarheit, s. dazu die seit 1970 bestehende Zeitschrift „Rechtstheorie" bei Duncker u. Humblot, Berlin, sowie A. Kaufmanns Sammelband „Rechtstheorie", 1971, s. a. meine Ausführungen auf S. 67 f. in dem Bande „Woche des deutschen und griechischen Rechts", Thessaloniki 1958, Aristoteles-Universität; auch Jahr / Maihof er, Rechtstheorie, Beiträge zur Grundlagendiskussion, 1971. 2 Wie Leonhard Nelson sein Buch nannte (2. Aufl., 1962), übrigens auch nur im Hinblick auf das Völkerrecht.
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glauben an diese Ausrüstung nur, weil w i r i n der Schule so viel von Goethe und Schiller gehört haben, müssen also einen bloß „diktierten Musenkuß" i n Rechnung stellen . . . — 3. Dimension ist Jurisprudenz als Geisteswissenschaft. I n diesem Buche w i r d schon, w e i l die Jurisprudenz seit jeher dahin gerechnet w i r d — Geisteswissenschaft betrieben. Damit kommen w i r wieder auf die fatale Abgrenzung von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften, die seit John Stewart M i l l (um 1830) i n England und Wilhelm Dilthey (um 1910) i n Deutschland viele Gemüter beherrscht hat. Diese Abgrenzung stößt gleich zu Anfang auf die Schwierigkeit, daß die Sprachzeichen „ N a t u r " einerseits, „Geist" andererseits schwer zu erklären sind (s. o. S. 422). Auch mit dem Sprachzeichen „empirisch" (erfahrungsgemäß) ist, wenn die „Naturwissenschaften" dann also „empirisch" sein sollen, die „Geisteswissenschaften" nicht, nichts zu gewinnen — empirisch ist alles. Dasselbe gilt vom „Experiment" und von der „Messung", womit prägnanterweise die „Naturwissenschaften" arbeiten, die Geisteswissenschaften angeblich nicht. Experimentiert und gemessen kann aber auch i n der Geisteswissenschaft werden — z. B. juristisch, i n bezug auf die amerikanische „experimental jurisprudence" („Jurometrics") oder i n bezug auf den Chancencharakter des Normurteils, überhaupt auf die der „iuris Providentia" der römischen Kautelarjurisprudenz entstammende Prophezeiungs-Definition wieder des nordamerikanischen Rechts 1 . Die Amerikaner billigen nur den Naturwissenschaften den Charakter der „science" zu und sprechen von den „Geisteswissenschaften" oft als von den humanities, die Russen handeln von den „Geisteswissenschaften" als von den „Gesellschaftswissenschaften" — so übrigens schon Dilthey: Geisteswissenschaften seien jene Wissenschaften, „die die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstand" hätten. Über alle diese Schwierigkeiten hinaus, die vielleicht auch sprachlicher A r t sind, gibt es von vornherein Grenzgebiete: wohin gehört z. B. die Mathematik? — Nach der üblichen Antithese finden die Naturwissenschaften allgemein gültige Gesetze, während die Geisteswissenschaften das Einmalige beschreiben, nicht ein Allgemeines, Universelles 2 . Vielleicht geht es so, daß w i r sagen, die Naturwissenschaften beschäftigen sich m i t der „Materie " (Physis plus Psyche), die Geisteswissenschaften mit dem „Immaterial" y dabei besonders m i t der Idee — so lange die menschlichen Zerebralitäten eben so etwas hervorbringen wie Ideen, juristisch z. B. die Idee des Menschen. Damit darf die 1
Prophezeiungen sind Verhaltenserwartungen (Rehbinder), „the prophecies of what the courts w i l l do in fact are what I mean by law" sind der Kern des anglo-amerikanischen Präjudizienrechts (law of precedence). 2 Zur Problematik des Ausdrucks „Naturgesetze" s. z. B. Hirsch, JZ 1962, 149.
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Abgrenzung zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften nicht dialogisch, sondern „dialektisch" erfolgen. Die Geisteswissenschaften stellen natürlich nicht die Gesamtwissenschaften dar, aber den „Kreisring" i n ihr, der (dialektisch) den Kreis oftmals verschwinden läßt: die Naturwissenschaften sind insofern der Vorhof der Geisteswissenschaften, die Naturwissenschaften werden von den Geisteswissenschaften ständig verfolgt, und ihre Ergebnisse werden, so gut es geht, eingearbeitet 1 , sie werden als gültig genommen (manchmal aber auch als gleichgültig). Für solche „dialektische" Festlegung der Geisteswissenschaften spricht z. B. auch die naturwissenschaftliche Transformationstheorie, nach der alle nicht-natürlichen Formen des Lebens und des Kosmos nur transformierte Formen des Natürlichen sind und eine zur Transformierung bestimmte natürliche Urform zugrunde liegen haben — was auch für die Lebewesen schlechthin gilt: Pflanzenformen werden z. B. Vorbilder für die technische Entwicklung. Die Naturwissenschaften lehren was das Leben ist, wie es um die Dinge und speziell das Leben steht, die Geisteswissenschaften, wie man es besteht — das technische Handwerk, das auf den Naturwissenschaften beruht, besorgt sich zwar um Ziffern und Kalkulationen, die eine ganze Menge Wahrheiten über die Materialien und ihre Ordnung aussagen, können aber ein paar einfache Probleme des Lebens nicht lösen. — Was die Rechtswissenschaft anlangt, so w i r d sie i n Zukunft Geisteswissenschaft oder sie w i r d nicht mehr sein (nur noch Handwerksausbildung, herabsetzend-provokativ: Fachidiotie ...). — Soweit ein rechtswissenschaftliches Buch juristisch die Materie betrifft, wäre es also „naturwissenschaftlich", soweit es das „Immaterielle" betrifft, also überwiegend „Geisteswissenschaft". — Das vorliegende Buch steht auf einem realen Standpunkt, wendet also, indem es das Psychische auch als ein Materielles auffaßt, diesem Psychischen (also Materiellen) i m Deliktsrecht besondere Aufmerksamkeit zu, schon der psychischen Hedone, der psychischen Unlust, dann aber ganz exakt z.B. dem psychischen Schaden, der psychischen Handlung und dem psychischen Teil der Körper- und Gesundheitsverletzung in § 823, 1. — I m übrigen kann ruhig zugegeben werden, daß jede Geisteswissenschaft „ideologischer" Natur ist. Aber die Ideologien beruhen auch auf Wahrheitsstreben — das Wort „ideologisch" darf also nicht i n seiner sekundären Bedeutung der „Idealbesprechung" genommen werden, sondern primär i n der der „Ideenbesprechung" — wobei das Wahrheitsstreben sehr i m Spiel ist. „Während i m politischen Leben der Menschen 1 Ein Beispiel dafür: juristische Einarbeit der Welt- und der Menschenentwicklung auf S. 23, 29 ff. der Arbeit von W. G. Becker, „Mensch, Staat und Gesellschaft. Soziologische Prolegomena zur Rechtsphilosophie" in der Festgabe für U. v. Lübtow, 1970.
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ein dauernder Wechsel der Werte, der Kampf von Illusionen und Idealen gegen andere Illusionen und unwahre Ideale gar nicht vermieden werden kann, betreten w i r i n der Wissenschaft einen Bereich, i n dem das, was w i r sagen, eben letzten Endes entweder falsch oder wahr ist. Hier gibt es noch eine höhere Macht, die unbeeinflußt durch unsere Wünsche endgültig entscheidet und damit wertet. I m Mittelpunkt stehen hier, so scheint es mir, die Gebiete der reinen Wissenschaft, i n denen von praktischen Anwendungen nicht mehr die Rede ist, i n denen vielmehr, wenn ich so sagen darf, das reine Denken verborgenen Harmonien i n der Welt nachspürt. Dieser innerste Bereich, i n dem Wissenschaft und Kunst kaum mehr getrennt werden können, ist vielleicht für die heutige Menschheit die Stelle, an der ihr die Wahrheit rein und nicht mehr verhüllt durch menschliche Ideologien und Wünsche gegenübertritt . . . " (WernerHeisenberg). Auch die Dichtung verfolgt übrigens dieses Wahrheitsstreben: „Insofern zur Ermittlung der Wahrheit doch auch die dichterische Intelligenz vonnöten ist, weil man i m denkerischen Verfahren den Entwurf von Möglichkeiten, also die Phantasie, nicht entbehren kann, und insofern auf der anderen Seite zur Konzeption der Eindeutigkeitstendenzen der Begriff Wahrheit, abseits von der wissenschaftlichen Intelligenz, zum Unbegriff werden würde, ist die Scheidung zwischen dichterischer und wissenschaftlicher, speziell naturwissenschaftlicher, Intelligenz ein gewagtes Unternehmen. Beide ,Intelligenzen' überschneiden sich 1 ." — Nach dem Kunstprinzip des Novalis liegt je mehr Kunst, speziell Dichtung, u m so mehr Wahrheit vor. „Die Kunst ist der Ort, wo Psyche den Staub von den Flügeln wäscht, . . . doch sie ist ebenso der Ort, wo der ganze Mensch die Ganzheit der Idee durch sinnliche Anschauungen erblickt, durch eine zur Galerie gewordene Mannigfaltigkeit" (E. Bloch). Die K u l t u r (wozu das alles gehört!) w i r d z. B. i n der anglo-amerikanischen Sprache ungern angesprochen, eher die Zivilisation. Doch bedeutet dort die Urbanität etwa unsere „Bildung", während „education" ungefähr dasselbe meint wie unsere Erziehung. Die Auseinandersetzung zwischen bloßer Information und zusätzlicher Bildung beginnt auf juristischem Felde bei Ulrich Zasius (1461 1535), der die beliebten Postglossatoren Bartolus und Baldus einfach „ungebildet" nannte 2 . Bildung kann durchaus definiert werden: urbanity, nicht nur education, Durchgriff der Bilder, Ins-Bild-Bringung, Kohärenz (aber Bildung, die nicht i n einem Leistungsprozeß legiert worden ist, bleibt i n der Regel Halbbildung): „Je gebildeter z.B. ein 1
A. Seiffert, Einige kategoriale Grundformen, 1972, 267, 243. Erik Wolf, Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 1949, 47, 8, Beispiele fortlaufend auf den S. 8 - 43. 2
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Richter ist, desto mehr nähert er sich dem richterlichen ,Ideal' 1 der gebildete' Richter ist also immer der bessere (das juristische Nußknacker-Ingenium ist ehrenwert, betrifft aber oft nur ,Fall-Obst 4 , die ,dicta 4 der Richter, besonders der anglo-amerikanischen, welche ,den Fall' zu generalisieren, demnach über ihn hinauszugehen versuchen, werden daher gern negligiert und negativisiert, positiv betrachtet nur die ,rationes decidendi 4 — Phantasie und Assoziationsfähigkeit schaden wie beim Autofahren, nocent..."). Der gebildete Jurist unterscheidet — um das Technische vorauszunehmen — z. B. zwischen den Adjektiven „juristisch/rechtsrelevant' 4 und „rechtlich/rechts/oififenrelevant 44 und zwischen — wie oben schon ausgeführt wurde — dialogischer und dialektischer Betrachtung. Der gebildete Jurist arbeitet „methodisch" — und nicht nur nach der „Methode 44 i m Sinne einer Rechtsfertigkeit: der gebildete Jurist muß vielmehr nach seinem Wege suchen, also wissen, wo er gedanklich steht 2 — man kann als Gelehrter der Naturwissenschaften geisteswissenschaftlich arbeiten, als Gelehrter der Geisteswissenschaften naturwissenschaftlich (z. B., indem man „rechtssoziologisch 44 auch die Natur des Menschen berücksichtigt). Der gebildete Jurist muß ferner vom juristischen oder rechtlichen Sprachausdruck ausgehen, also nicht nur von den Inhalten der Normen, sondern auch von den Sprachzeichen, i n denen sie Ausdruck finden, zusammengefaßt: von den Gehalten der Normen. Es muß also linguistisch, kommunikationstheoretisch, semiotisch und vor allem semantisch geschürft werden, bevor man an die inhaltliche Prüfung der Normen gehen kann — die Auslegung ist hier das Arbeitsfeld. Der gebildete Jurist unterscheidet — wie oben schon ausgeführt wurde — zwischen dialogischer und dialektischer Betrachtung, weiterh i n zwischen einem „atomistischen Denkstile ", i n dem man die einzelnen Gegebenheiten sieht (die Bäume, nicht den Wald!) und einem „morphologischen 44 Denkstile (und Stil ist die Weise, i n welcher der Mensch, und insbesondere die Persönlichkeit, zum Subjekt w i r d und sich i n seinem Denken und namentlich Sprechen der Gegenstände der Welt bemächtigt — analog der Mensch als Person!) 3 . Der morpholo1 R. Bruns, Zivilprozeßrecht, 1968, 274 — nach Stein. R. Bruns gebraucht zur Charakterisierung der Bildung auch die Worte: „Anteilhabe am objektiven Geist der Zeit" — zweifellos richtig. 2 Höchst interessant-polemisch vor allem gegen landläufige Begriffe von der Methode die Ausführungen von P. Lerche im DVB1. vom 1. Okt. 1961 über „Stil, Methode, Ansicht". 3 I n der Gegenwart scheint die Normenkontrolle mehr atomistisch ausgerichtet zu sein, hält also die einzelnen Normen prüfend ans Licht und stellt dann fest, ob sie „Recht oder Unrecht" enthalten (vgl. BGHSt 2, 238).
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gische Stil ist seit Goethes „Gestalt" sehr beliebt, auch die Verhaltensforscher arbeiten gern naturwissenschaftlich mit ihm, wenden sich dann auch (wie Max Planck) gegen die „reine Messung" und spielen damit die Qualität gegen die Quantität aus. Der aus Frankreich stammende Strukturalismus (Levy / Strauss) ist morphologischer Natur — die jeweilige Problematik bestimme sich nach der jeweiligen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Struktur 1 . Methodisch ist weiterhin die Frage, ob man, pluralistisch, i m et-etStile denkt oder, alternativ, i m aut-aut-Stile deiikt: „gerade die Ignorierung aller Zwischentöne, die schroffe Ablehnung jedes ,Sowohl-alsauch' oder ,Mehr-oder-minder' sind es, welche vielen das Recht so abstoßend machen", sprach Gustav Radbruch, das Mannigfaltige ergibt sich nicht aus einem Glauben, man erkennt es. — Der Unterschied zwischen dem „et-et" einerseits, dem „aut-aut" andererseits ist auch der zwischen den Anthropologien Hegels und Kierkegaards. Hegel befürwortete i n bezug auf Mensch und Welt ein „Versöhnungsdenken" 2 , Kierkegaard empfand (nach Schopenhauer) i n erster Linie die ewige Dissonanz alles Menschlichen — Kierkegaard dachte also „dialogisch", Hegel „dialektisch" — nicht ein kontrapunktisches „aut-aut" sollte i n den Auffassungen der Menschen führen, sondern ein dialektisches und nicht kontrapunktisches, sondern konzentrisches „et-et", menschliche Teilhabe, der Kreisring, i n dem der Mensch innerhalb des Kreises der Welt steht, wobei nach dem alten logischen und speziell juristischen Gesetze „specialis derogat generali" der Kreis grundsätzlich hinter dem Kreisringe verschwindet, immer aber latent bleibt und oft wieder auftaucht, so daß dann nicht nur der Kreisring, sondern auch der Kreis zu beachten ist — manchmal kommt man mit Der Gegensatz wäre die „absolute Monokratie" und der „Normeninbegriff" des „Führerstaates". 1 Marx! Juristisches zum Strukturalismus z. B. bei N. Reich, Marxistische Rechtstheorie, 1973, 20 ff., auch besonders Marxsens juristischer „Bekenntnisbrief" vom 10.11.1873). — Uber Marxsens Verwurzelung in Feuerbach unterrichten vor allem die Papiere der Arbeitstagung „Ludwig Feuerbach" im Zentrum für interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld vom 5. bis zum 8. Sept. 1973, vor allem in Hermann Kienners (DDR) Vortrag über Rechtsphilosophie auf Feuerbach'scher Grundlage, dort auch einiges über die von Feuerbach ausgehende Rechtsphilosophie von Ludwig Knapp, 1857 (letztens Kipper, Johann Paul Anselm Feuerbach, 1969). Aber keine Magie der Morphologie: „Die Magie behindert in unseren Kulturen, die so stolz auf ihr Wissen sind, jeden Tag die Anstrengung, die wir machen, um die Regionen der Freiheit in der Kunst, in der Religion, in der Philosophie zu erreichen — sie ist wie ein Satan, der darauf brennt, die Menschen in die Finsternis zu locken, indem er sie mit verführerischen Versprechungen betört" (Freund). 2 Vgl. dazu auch die West-Berliner Dissertation von 1964: Thomas Härting, Das Problem der Gewöhnung im Denken Hegels.
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der lex specialis des Handelskaufs aus, manchmal aber auch nicht, und die lex generalis des allgemeinen Kaufs muß heran . . . Das aut-aut-Denken hat etwas vom „schizothymen" Menschentypus an sich, dem Type des „Verlustes der Mitte", während unser B i l d vom normalen Menschen, m i t dem w i r juristisch messen, durchaus am „zyklothymen" Temperamentstypus ausgerichtet ist, dem Vertreter des gesunden Menschenverstandes, der vermittelnden Billigkeit, des Abwägens, des wohlwollenden Ausgleichs, kurz: der affektiven Mittellagen (wobei es allerdings möglich bleibt, daß der schizothyme Menschentyp den zyklothym-temperierten Menschentyp unterwandert hat) . . . — Die großen Beispiele des et-et-Prinzips geben das deutsche Grundgesetz und die soziale Marktwirtschaft mit Konkurrenzfreiheit, das et-et-Prinzip geht hinunter bis i n die Fundamente: „geh" mitten durch die kristallne Säule des Lebens", „geh" an der Welt vorüber, sie ist n i c h t s " ! . . . Zu der — überwiegenden — Haltung des „aut-aut" — i m Gegensatze zum „et-et"-Prinzip — sei auf Kierkegaard verwiesen, ferner auf einen Satz aus dem I I . Teile des berühmten Romanes „Auch Einer" von Friedrich Th. Vischer: „Die Menschen wissen doch auch von nichts als von Alternativen! Entweder, oder, so steht's i n ihren Zwischenwandköpfen!" Der gebildete Jurist sieht am Ende Logik und Logistik i m Rechte nicht etwa nur als Spielerei und unter dem Gesichtspunkte der möglichsten Zurückdrängung, sondern dahin, wie weit die Logik zur Realontologik der Rechtsfiguren beiträgt, wo also i m Entscheidungsproblem die mathematische Logik auf die Ontologie stößt und wo das logische System nicht als Begriffsspiel, sondern als eine Erkenntnis der W i r k lichkeit steht 1 . I n der Terminologie muß der gebildete Jurist vorsichtig sein, die Ausdrücke „Struktur", „System", „Organisation" und „Modell" werden heute z.B. vielfach i n dem inhaltsmäßig engen und präzisen Sinne verstanden, welchen die moderne Logik, die moderne Mathematik und die Automatisierung i m Recht, die juristische Informatik und die Datenverarbeitung i m Computer entwickelt haben 2 . Der gebildete Jurist denkt (was man nicht soll) „synkretistisch" oder (was man durchaus darf) „synoptisch" (Barna Horvath). Insbesondere versteht der gebildete Jurist — i m Gegensatz zum lediglich informierten — aber das Phänomen Recht weltweit: er weiß 1 So etwa bei Tammelo, Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, 1971, s. sonst letztens Wagner/Haag, Die moderne Logik in der Rechtswissenschaft, 1970. 2 Dazu z. B. H. Fiedler, JuS 1971, 228 ff.
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vom römischen Recht und seinen hauptsächlichen Vorläufern, dem griechischen und dem ägyptischen Recht, er weiß von der juristischen Germanistik, deren aktuelle Repräsentanten die anglo-amerikanischen Rechte sind, er kann von den beiden Ausgangspunkten aus, der Germanistik und der Romanistik, das „ c i v i l law", die Franzosen, die Spanier und die Südamerikaner, die Italiener, die Griechen, die Holländer, selbst die Dänen, Schweden und Norweger wenigstens begreifen, er weiß darüber hinaus aber auch zumindest i n den allgemeinen Geisteswissenschaften Bescheid, wie sie auf der Universität gelehrt werden, i n der Geschichte, i n der Literaturwissenschaft, i n der Philosophie. Kenntnisse über China, Indien oder selbst Rußland sind vielleicht für Westeuropäer nicht notwendig, schon der Sprache wegen — die Latinität separiert eben auch, so trefflich sie verbindet. Ist solch umfassende Kenntnis zu viel verlangt, selbst von dem gebildeten Juristen? Aber auch der gebildete Jurist kann nicht immer nur „leben", ganz zu schweigen von dem sagenhaften appetitus socialis der Menschen, wie er i n gesellschaftlichen Positionen oder auch nur Diskussionen oder Monologen Ausdruck findet (vielleicht naturgegeben, vielleicht sogar naturnotwendig, aber immer leistungsstörend). Dazu auch Albert Einstein: „Ein vielgestaltiger Bau ist er, der Tempel der Wissenschaft. Gar verschieden sind die darin wandelnden Menschen und die seelischen Kräfte, welche sie dem Tempel zugeführt haben. Gar mancher befaßt sich mit Wissenschaft i m freudigen Gefühl seiner überlegenen Geisteskraft, ihm ist die Wissenschaft ein Sport, der kraftvolles Erlebnis und Befriedigung des Ehrgeizes bringen soll. Gar viele sind auch i m Tempel zu finden, die nur um utilitaristischer Zwecke willen ihr Opfer an Gehirnschmalz darbringen (daraus erwächst dann das „Zitierkartell" und der nicht eingetragene Verein „for mutual admiration, shoulder-slapping and helping aboard the gravy-train" ...). Käme nun ein Engel Gottes und vertriebe alle diese Menschen aus dem Tempel, welche zu diesen beiden Kategorien gehörten, so würde er bedenklich geleert, aber es blieben doch noch Männer..." — I n der vorliegenden Behandlung des Rechts der unerlaubten Handlungen herrscht aber durchaus die praktische Vision. Zunächst w i r d das Recht der unerlaubten Handlungen als Normensumme, also streng normativ, verstanden, woraus vor allem die normative Unterscheidung von Tatbestand (Tatbestandsmerkmal) und Rechtsfolge folgt, was sich vornehmlich bei der Unterlassung als sozusagen negativer Handlung nach § 823, 1 und bei der Unterlassung als Rechtsfolge i n analoger Anwendung des § 1004 oder i n der Anhängung an § 242 oder § 826 zeigt. Auch die Rechtsfolge-Paragraphen 842 - 851 werden zur allgemeinen Schadensersatz-Rechtsfolge der §§ 249 ff. vorgezogen.
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Sonstige hier behandelte „praktische" neuralgische Punkte sind z. B. der immaterielle Schadensersatz, die psychische Handlung (etwa die „psychische Beihilfe" nach einer jüngsten Entscheidung des OLG Celle), die Lesung der geschützten Positionen i n § 823, 1 als personeller Immissionen, die drei Generalklauseln zu § 823, 1, das „Verhalten" und der „Eingriff" als Handlungssubstitute, die objektive Rechtswidrigkeit prägnant als objektive Verletzung eines „totalen Rechtsdie Einführung der Geschäftsbesorgungs-Vinkulation i n das Deliktsrecht, danach der § 831 als Ausdruck einer Gefährdungshaftung. — Theoretischer und praktischer A r t sind die drei großen Exkurse über die Norm, über die Verbände, die Staaten, die Quasi-Staaten und die Gesellschaft, sowie über das „totale Recht". — Das Buch ist weniger i m dogmatischen Stile, mehr i m „Diskussionsstile" der modernen Vorlesung geschrieben. I n diesem Stile kommt der Professor auch nicht nur i n seinem Bewußtsein, sondern ebenso i n seinem Sein zum Ausdruck, was der marxistisch-sozialistischen These entspricht — unbeschadet der Tatsache, daß diese insofern nicht stichhaltig ist, weil zum Sein des Menschen auch dessen Bewußtsein gehört ebenso wie zum Bewußtsein das Sein — die marxistische These von der Trennung dieser beiden Sparten ist neurotisches aut-aut-Denken (s. o. S. 547). — „Government by discussion" ist i m übrigen ein bewährtes demokratisches Prinzip nach der Façon des „et-et" — es w i r d „regiert", aber (auch) „by discussion" 1 . Das Buch gilt also selbst den Stu1 Alle Diskussion führt in die Soziologie, und man sollte diese in der Tat juristisch nicht nur in Bezug auf die Herkunft der Strafrichter oder der Richter überhaupt einsetzen, sondern ganz allgemein hinsichtlich der Bedeutung der Tatbestände, insbesondere der Straftatbestände (Callies!), andererseits sich dabei auch nicht der Skepsis Wilhelm Sauers entziehen: „man kann eine wissenschaftliche Disziplin nur aus ihren eigenen Problemen, Bedürfnissen, Zielen und Möglichkeiten heraus verstehen und ausbauen. Hierbei kann man sich allerdings zur Ergänzung, Vertiefung oder Anregung philosophischer (soziologischer) Methoden und Einsichten bedienen. Gegen diese wissenschaftliche Erfahrungstatsache wurde (und wird) gefehlt. Der Anlaß ist oft das Bedürfnis einer philosophischen Stütze und das Unvermögen, eine solche selbst zu schaffen und aus dem eigenen Problemstoff heraus zu entwickeln — man entlehnt sie bei solcher Gelegenheit und Verlegenheit einem zufällig bekanntgewordenen, bald mehr oder weniger geeigneten philosophischen Werk oder einer Modeströmung. Neuerdings sind beliebt die Anleihen bei der Phänomenologie, der Existenzphilosophie oder Ontologie . . . I n der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde beliebt die nicht nur äußere, sondern auch sachliche Orientierung auf Richtungen der deutschen klassischen Philosophie, die sich als ungleich ergiebiger und fruchtbarer erwies". (Wilhelm Sauer, System der Rechts- und Sozialphilosophie, 2. Aufl., 1949, 462, s. a. dort 446 ff., über die juristisch gehandhabte Soziologie, ferner S. 215 dieses Buches. — Sauer empfiehlt also im Grunde eine „reine Rechtslehre" à la Kelsen, siehe hierzu aber ihrerseits Skepsis und, was in der Festschrift für Engisch dazu auf S. 187, A. 35 gesagt wurde. — Diskussion und Diskussionsstil ergeben oft nur Binsenwahrheiten. Es ist ausge-
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denten, auch bei den Fragestellungen, denn Studenten fragen nach allem, und ein anständiger Universitätsprofessor sollte die Fragen beantworten können und sich nicht darauf zurückziehen, daß er leider bloß das Fach „Zivilrecht" bearbeite: Jacob Grimm hielt es einst für selbstverständlich, daß „die Lehrenden bei aller Gelegenheit jede Frage über wichtige Lebensverhältnisse mit redlicher Wahrheit beantworten" (aber ein Narr fragt mehr, als zehn Weise beantworten können, und mit der „ A n t w o r t " des Narren steht es ebenso, jedoch oft t r i t t dabei auch eine kalkulierte artifizielle Infantilität auf ...). I n den manchmal den Fragen folgenden Diskussionen kam es aber auch zur Aufklärung , also zu dem, was die Studenten eigentlich brauchten. — „Die Menschen wünschen aufgeklärt zu sein" — schrieb Kant i n der „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung", i m übrigen ohne Rücksicht auf die Aufhellung landläufiger geistesgeschichtlicher Begriffe! — fügte freilich hinzu: „aber rechter Ernst w i r d es damit nur dann, wenn jene Menschen sich bewußt werden, daß sie nur in sich selbst das finden könnten, was ,auf klärt'." — Man könnte fragen, warum angesichts der oben vermerkten Umdimensionierung der Jurisprudenz auf die bloße Rechtskunde, auf Information, auf „Programmierung", literarisch also auf „ S a c h b ü c h e r ü b e r haupt noch Bücher geschrieben werden, welche „wissenschaftliche Systemarbeit" betreffen? Die A n t w o r t darauf gibt nur zuletzt das „Werken" des Schreibers, das natürlich auch auf dessen Konstitution beruht, vielleicht auch auf den Elementen seiner „Intentionalitäten", auch nur zum Teil der alte Schlachtruf der Oppositionen "hold your line", nachdrücklichst aber die Überlegung, daß, mag es auch bei uns zum verhältnismäßig arbeitsamen und sonst nur der Versorgung seiner Bürger beflissenen Kleinstaate nach nordischen Modellen kommen, in denen das Licht nur ein Akzidens der Finsternis sei, doch immerhin an den „zufälligen Lichtlein kein Mangel" bestehe, daß diese immer wieder erscheinen, und daß es die „Kunst und die Weisheit" des Lebens (und des Regierens) bleibe, diese Lichtlein „aufzusuchen und zu nützen", möglicherweise sogar, zu erschaffen. — Trösten mag hierbei auch eine Erinnerung an die alten Humanisten: vor allem in den Anfängen des Humanismus wandte man sich, wenn man i n einen bestimmten neuen Text einführen wollte, oft nicht an einen anonymen Kreis von Gelehrten, sondern an jene Freunde, die für die zu stellenden Fragen einen offenen Sinn hatten — ein Beispiel bieten die Lucubrationen des U l rich Zasius, „Früchte der Nachtarbeit" aus dem Jahre 1518 — „die sprochen worden, daß am Ende von viel soziologischer (und psychologischer) Wissenschaftsarbeit oft nur Binsenwahrheiten stehen, daß aber Binsenwahrheiten besser sind als die üblichen Binsen-Unwahrheiten und -Halbwahrheiten mit denen tabuiert und indoktriniert zu werden pflegt.
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große Mehrzahl der Humanisten wollte in Frieden die alten Autoren studieren, wünschte sich ein ungestörtes Dasein in der Bücherklause. Ruhe haben, selbst um den Preis der Armut, für die Feder und von ihr leben, ungestört studieren und für Gleichgesinnte i n aller Welt die Schätze des Geist's vermehren: darnach strebten sie" (W. Muschg). — Ein Kernsatz lautet: „Nicht i n den Gehirnen der Intellektuellen, sondern i n den Institutionen des Rechts, i n den Traditionen der Wissenschaft, in dem Mechanismus der Forschung, i n den Organen unserer Produktion, i n den technischen Methoden unserer Kunst hat sich die Vernunft verschanzt 1" — und der „lange Marsch durch die Institutionen", der oft in Aussicht gestellt w i r d und vielerorts Unbehagen erweckt, bedeutet auch i m besten Erfolgsfalle nur den Einzug der alten Marschierer in die Institutionen, welche sicherlich zu fünzig Prozent subjektiver A r t sind, d. h. von den Intentionen der jeweiligen „Institutionäre" getragen, zum Rest aber objektiver : „Die Dauer gräbt das M a l ihrer Zähne i n die Dinge" (Bergson). — Herrn Assessor Frank Reddmann i n Berlin danke ich für zusätzliche Durchsicht der Umbruchskorrekturen. Mein Dank gilt sonst den Assistenten und Sekretärinnen meines ehemaligen Berliner Lehrstuhls, besonders Herrn Dr. Gerhard Sprenger, jetzt an der Universität Bielefeld, vor allem aber dem Leiter meines Verlages, Herrn Senator Dr. J. Broermann — ich kann hierzu nichts Besseres sagen als Albert Ehrenzweig i n Berkeley/USA am Ende des Verfasser-Vorwortes in seinem oft herangezogenen umfangreichen Buche „Psychoanalytische Rechtswissenschaft" (1973, Duncker & Humblot, Berlin): Dank dem „Über"-Mut des Berliner Verlages. Kumpfmühle bei Rechtmehring über Wasserburg am Inn, Oberbayern i m Herbst 1974 Walter G. Becker 1 Vgl. M. Freund, Georges Sorel, 2. Aufl., 1972, 157. — Die juristische Gedankenwelt des Verfassers, wie sie in diesem Buche zum Ausdruck kommt, liegt — außer in den mehrfach oder oft zitierten Büchern „Der Tatbestand der Lüge", 1948, und „Gegenopfer und Opferverwehrung", 1958 — vornehmlich in der „Woche des deutschen und griechischen Rechts", Thessaloniki 1958, 66 ff., und in den Arbeiten der Festschriften für Elias Kyriacopoulos (Thessaloniki 1966), Dimitrios J. Karanikas (Thessaloniki 1967), Gerhart Husserl (1968), K a r l Engisch (1969), Ulrich v. Lübtow (1970) und Ludwig Schnorr v. Carolsfeld (1972) nieder, ferner in dem von Arthur Kaufmann herausgegebenen Sammelbande „Die ontologische Begründung des Rechts" (1965, S. 566 ff., „Wirklichkeit und Recht"), auch in den Buchbesprechungen im „Archiv f. d. ziv. Pr." (167, 80 ff., 168, 63 ff., 170, 473 ff., 171, 510 ff.), sogar in der Anthologie „Der dritte Mensch und die dingliche Dichtung" (Berlin 1966, im Wolfgang Weinmann Verlage — Personalität und Dinglichkeit als Denkformen).
Stichwortverzeichnis (nicht aufgenommen sind in der Hegel die Worte und Begriffe des Inhaltsverzeichnisses) Aberglaube (an die Wissenschaft) 154, 167 Abrams-Fall 134 Absicht 67, 221, 457 abstrakt (Ggs: enumeriert, konkret) 12, 18 f., 38 f., 188, 191, 198, 266, 274, 371, 393, 459 absurd 202, 411 Acceleration 163 act (acte, Akt) 63, 82, 210 actio de in rem verso 112 actio filii vel filiae 46, 106, 112, 119, 239, 323, 462 actio negatoria/quasi-negatoria 182, 350 actio personalis 90 action directe 360 Adel 361, 397 Adhäsion 24 Adler, Alfred 12, 152 advocacy (jurisprudence of . . . ) 190 Ägypten 163, 372, 388 f., 418, 422, 479 Ähnlichkeit (der Menschen) 164 Aesthetik 156, 303, 362, 388 f. Affektion (Affekt) 243, 246, 302 Affirmativität 62, 196 ff., 303, 366, 447 Affinität 243 Aggression (Aggressivität) 13, 167, 218, 274 ff., 279 (intragruppale A.), 281, 314 f. Aktualisation (Aktualisierung, der Norm) 199 f. aktuell (s. real-reell) 168, 411 Albertus Secundus 418 Alexis, Willibald 367 Alleintäterschaft 535 Alternation (rechtliche und faktische) 98 Ambrosius 336 American legal thinking 45 f., 526 Amerikanisches Recht 409 Ammen-Fall 220, 232, 241, 370 Amt (Amtspflicht, Recht am Amt, Amtsvorgesetzter) 94, 99, 230, 254, 276, 284, 290, 461, 483, 485 ff., 500, 506, 525 ff. Anarchie 14, 17, 258
Anerkennung (der Normen, Gewohnheiten und Staaten) 197, 200, 202, 312, 379, s. Geltung angeboren/eingeboren 11, 13, 61, 144, 164, 355, 358 f., 387 Angestellter (leitender) 511, 523 Angst 14, 59 f. animate/inanimate matter 233 anonym (gremial, kollegial) 261, 353, 379, 501, 537 anisotroper Raum 64 Anrempelung (Nicht-AnrempelungsGrundsatz) 76 f. Anschießen des Totums (nach E. Bloch) 61, 84 Anspruch 18, 22 f., 94 Animismus 78, 423 Anspruchskumulation 96, 98 Anspruchskonkurrenz 96 ff. Anstiftung 537 Anstalt 526 anthropologische Wendung (die) 262 anthropologische Optik (die) 165, 206, 263, 392, 419 Anwendungs-Strukturen 372, 419 anti-autoritär (anti-disziplinär) 216 Antipathie (Sympathie, Apathie, A n tipathetik usw.) 196, 199, 240, 245, 256, 474 Antriebsüberschuß (menschlicher nach A. Gehlen) 61, 285, 418 Anweisung (BGB) 475 Anstellungstheorie (auch Diensttheorie, Ggs. Organ- oder Funktionstheorie) 527 Appetenz 246 appetitus socialis 62, 213, 254 f., 549 Apolda (der Strumpfwirker von) 62, 150, 213, 304 apriori/aposteriori (apriori = Tconstant-e rfahrungsgemäß) 142 ff., 407, 433 ff. Apotheker von-Itzehoe-Fall 136 Arbeit / Bemühen / Leistung 57 ff., 165, 355 ff., 359 f. Arbeitslosigkeit 21, 303 Arbeits-Ökonomie 188
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Stichwortverzeichnis
Arbeitsrecht 186, 351, 414 Arbeitsscheu 57, 59, 61 ff., 69, 358 f. arbitrary/capricious 202, 413 Aristophobie 62 arm/reich 151, 358 Art 164 Arzt 67, 229 f., 348, 446 f. Asozialität 11, 357, 363 Assoziation 164, 546, s. Perspektive 269, atomistisch/morphologisch 46 f., 189, 263 f., 269, 546 f. Atomtheorie 189 auctoritas 197, 212 ff. auctoritas non veritas facit jus 196 f., 216 audiatur et altera pars 393 Aufdröselung (von Werturteilen, nach Nietzsche) 158 Aufklärung 12, 60, 64, 70, 108, 153, 168, 224, 230, 354 f., 550 Aufopferung 230, 238, 485, 529 Aufrichtigkeit (und Niederträchtigkeit im Sprachgebrauch) 377 f. Aufsicht 284, 289 ff., 295, 499, 505 Auftrag 475 Aufwendung 112 f., 174 Aufwertungs-Entscheidung 409 „Auge" des Richters 418 Augustinus 80, 208 Aulus Gellius 15, 398 Ausdruck und Wirklichkeitsformel (nach G. Benn) 15, 546 Ausbeutung (von oben und von unten) 337 Auslegung 41, 155, 374 f., 546 Aussageurteil (und Werturteil) 36, 195 Außen/Innenthematik 63, 211, 472 austauschbar / unaustauschbar 58, 243 f., 264 Auswahl (nach § 831) 51, 154, 258 f., 263 Autorität 212 ff., 216 aut-aut-Denken s. et-et-Denken Autokratie (Hitler's) 216, 298 Automat (richterlicher) 418 Automation 15, 151 Autonomie 260, 283 Autonomie (und Heteronomie) 396 Axiom (Ggs: These und Problem, s. Problem) 307, 370 ff. Bacon 53, 541 Bahn und Post 526 Band (zoologisch) 279, 387 Bandaufnahme 405 Balkan-Ideen 265 f. Bank of-Spain-Fall (Rechtshandlung als Tatsache) 204
Barnett-Fall (Funktionärs-Verweigerung) 429, 494 ff. Baum und Wald (nach Radbruch) 263 Baumert, Georg (Schadensbemessung bei Pers.-Verletzungen) 132 Bedingungstheorie 325 Bedrohung 218, 255 Beer-Hofmann, Richard 431 Befehl 195, 202, 448 Befehl (rechtswidriger) 370 Befugnis 282, 481 Begriff 61, 128, 140 f., 398 Behaviorismus 11, 150, 164, 233 Behörde (und ihre Kompetenz) 282, 416 Beiwohnung 41 Beleidigung 230, 240, 255 Benecke, F. E. (als Begründer der Interessenjurisprudenz) 224 Benn, Gottfried 15, 79, 107, 128, 161, 265 f., 278, 355, 361, 441 Bentham, Jeremy 224 Berliner Brunnen- und Gassenordnung 380 Beschluß (Entschluß) 270 Beseitigungsklage 182, 350 Besitz (faktisch) 44, 323, 384, 475 Besitz (Recht zum . . . ) 332, 384 Besitz (sozial) 323, 363 Besitzdiener 241, 384, 478 Besitzkonstitut (antezipiert oder antizipiert) 473 bestehend (das Bestehende) 429 Besorgung (Sorge) 107, 476 Besserungsaktivismus 62, 417 ff. Bestimmung 226 f., 242 Betragensnorm (Verhaltensnorm) 234 Betrieb 90, 347, 349 Beugegeld 24 Bevollmächtigter (Ermächtigter) 473, 476 Beweisung (Beweisrecht) 92 ff., 328, 395, 407 Bewirkungshandlung 210 Bewußtsein (des Menschen) 431 Bewußtsein und Sein (nach Marx) 103, 144, 154, 160 f., 550 Bewußtsein (der Tiere) 28, 144 Bewußtsein / Unbewußtsein / Unterbewußtsein 152 f., 210, 365 Bewußtsein (vom Unrecht oder Nichtrecht) 68 f., 321, 323 Bibel 25, 57, 59, 72, 142, 205, 316, 377, 386, 394, 427 f. Bildung 77, 429 f., 545 f. bill of rights 380, 411 Billigkeit (kristallisierte) 60, 386 Billigkeitshaftung 73 ff., 386 f. biological engineering 353 Biologie und Moral 169, 370
Stichwortverzeichnis biologische Staatstheorie 278 biologischer Uberbau 144 biologischer Unterbau 148, 544 Binsenwahrheit 558 Blumenanlage-Fall (nach R. Schmidt) 442 Bolschewiken- und MenschewikenStreit 234 body politic (der engl. König, der am. Präsident) 398, 507 böse (das Böse) 31 f., 60, 63, 67 f., 319, 364, 368, 381 Bopp-Orelli-Prozeß 267 Bote 475 bourgeois 356 Brandeis (am. Richter) 45, 157 f. brauchbar/unbrauchbar 67 Brecht, A. 203 Brecht, Bertold 14, 59, 164, 277 Brei des Herzens (Hegel) 243 Breite des Normalen (nach S. Freud) 52, 193, 246 Bremer Fall 235 Brotpreis-Fall 440 f. Bruck, E. F. 206, 540 Büchner, Georg 60, 387 Bühnenrecht 405 Bürokratie 285 Bürger (bürgerlich) 21, 63, 157, 337, 356, 358, 361 Bürgerkrieg 217 Bürgschaft 18, 62, 475 Bürokratie 285 f., 290 but social 374 Cs. K Caemmerer E. v. 48 case (on the) 18, 404 case law 375 causa (Ursache u. Grund, Folge u. Erfolg) 52 f. causa quae quid primum movit 246 cause (proximate) 118 cautio de non amplius turbando 183 Chancencharakter (der Norm) 197, 201, 203, 543 Chancengleichheit 59, 366 Charisma 151, 167, 263 ff., 304, 429 check and balance (check and double check) 18, 43, 286 Chesterton (u. die Ameisen) 161 chose inanimée 34 christlich 281, 314, 415 Chrysostomos 357 Christin Lavranstochter 79 civil law 409, 549 civil-rights-cases (Grundrechtsschutz) 413 f. Claudius, Matthias (Unredlichkeit) 440
closed mind 13 closed shop 255 f. Code Civil 39, 137 f., 188 Coexistenz 12 Cohärenz (Ggs: Denken in Fragmenten oder — musiktheoretisch — „Clusters") 430, 545 commercium (subjektives) 397 Common Law 138, 205, 409 common sense 62, 304, 307, 419 communis opinio 303, 387, 391 f. community 258 compact (social) 413 Computer 33, 35, 38, 233, 418, 548 concept 81, 161, 398 conception 398 concrescere/concernere 80, 267, 354 concursus actionum 98 condemnatio pecuniaria 74, 120 condictio (analytische u. ideologische Struktur) 110 condictio (Rechtsgrund- oder Rechtsfolge-Verweisung) 109 connotation 42 conserva te ipsum 410 consideration 88, 106, 209, 236, 495 consideration (moral) 393 Constanze-Fall 348 contact (und impact) 139 contempt of Court 166, 498 contra (und praeter) legem 374, 378, 408, 415 contract (und promise) 18 f., 396 contradiktorische (und conträre) U r teile 106, 306 contribution (Ausgleich unter mehrzähligen Delinquenten) 536 Convention (Beispiel nach Hume) 386 Cornelia de falsis (lex) 211 corps social 276 corporation s. Korporation corporation sole 276, 283 corroborative evidence 198 Cosima-Wagner-Urteil 350 Court rules 283 culpa in contrahendo 22 custom Cyrus und der Lügner damage (u. damages) 116, 118 f. damage (proximate) 118 damnum emergens 170 Dankbarkeit 60 Dasein (s. Existenz) Darlehens-Fall 83 davidische Schleuder 128 deduktiv/induktiv 433 de-facto-Regierung/Staat 307, 384 deficiente pecunia 526 défense sociale 391
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Stichwortverzeichnis
Delikt historisch (transgressio, trespass) 19 Delphi 428 Demokratie (auch Literatur dazu) 296 ff.; Definition durch Bundesgericht: 300 f., 302 Demokratie (unmittelbare per Plebiscit, mittelbare oder „repräsentative", schon „kanalisiert", direkte per Rätestaat und „Funktionärsrätestaat" 162, 243, 270, 296 Demokratie (egalitär und „elliptisch") 164, 299, 302 demokratisch oder liberal 295 demurrer 99 denken 13, 27, 107, 154, 376, 425 Denkökonomie Denkstil 546 f., 550 denotation 41 f., 55, 190 „depending from the Chancellor's foot" (Ermessen) 86 Determinative (Reihenfolge im A n wendungsrecht) 215, 372 f., 374, 413, 415 Determinismus 14 Dezentralisation (im Staate) 282 Dewey 210 dialektisch (ideal und real) 103 Diamanten 191 f. Dichtung (und Rechtswissenschaft) 545 Dienstherr 284, 290 f., 527 Diensttheorie (u. Anstellungstheorie) 527 Diktatur 269 Diktatur des Proletariats 338, 361 Dilemma (das amerikanische . . . ) 307 Dimensionen (des juristischen Arbeitens) 542 direkte Aktion 360 f. diskussiv 198 Diskussion 61, 198, 550 disregard of legal entity 273 Dividuum 163, 262 Dritt-Aktivität (Passivität) 180 Disziplin (am Arbeitsplatz) 16 doctrine of sovereign immunity 496 Dogmatik (dogmatisches Gewäsch) 266, 437, 550 doli exceptio 96, 114 dolus eventualis 67 double jeopardy 395 dream (the American) 279 Drohung 213 Droit function 481 Dual 267, 272 f. due influence 28 due process 405, 413 Dummkoller (bei Pferden) 144
Dums Scotur 64, 77 Durchgriff (insbes. bei der Geschäftsbesorgung) 90, 473 ff., 537 Durham rule 247 Ebert-Urteil 403 Echtheit 67, 208, 362 Effizienzprätention (bei der Norm) 199 Egalität s. Gleichheit, 58, 154, 163 ff., 365 Egologik nach Cossio 12, 25 Ehe 249 f., 267, 305, 381 Ehe (faktisch) 384 Ehe als Verband 267 Ehe und Natur 268, 398, 409 Ehe (Unterlassung von Ehestörung) 186 f. Eigenbesitz (und Finalität) 225 Eigentum (geschützt nach § 823, 1) 332, 334 Eigentum (in der DDR) 324, 326 Eigentum (historisch) 320, 323 f., 333 ff. Eigentum (soziologisch) 333 f., 335 Eigentum und Kommunismus 336 eingeboren s. angeboren Eingriffskondiktion 237 Eingriffsverwaltung 237 Einheitssache Einladung 189 Ein-Parteien-System 300, 411 Einigung (mißglückte Einigung der beiden Minderjährigen) 115 Einleitung 189 Einsatzparagraph und Transmissionsparagraph (bei der del. Haftung) 482 Einsatzverordnung 414 Einsicht (juristische) 207 f., 317, 394 Einstein, Albert 31, 159, 163, 243, 549 Eipulver-Fall 231 Einwendung 95 Einwilligung des Verletzten 445 ff. Ekliptik 194 Elite 144 Eltern als Gewalthaber 156, 175, 477 Emotion 31, 71, 243 Empfangshaftung 315 Empiriokritizismus 149 Empirisierung (der Idee) 56, 142 Empirisierungsprozeß (limitierter) 437 Empirismus 56, 149, 162, 262, 433, 435 f. empörendes Verhalten 138 Endfinalität (gutes Ende!) 224, 390 Endunheil 387
Stichwortverzeichnis Endunwert 387 Energieknoten 149 Engels s. Marx Engisch, Karl 189, 194, 207 f. Enteignung 22 Entlastungsbeweis (dezentralisierter) 525 entia moralia 281 Entnazifizierung 285 Entschädigungsgesetze 125 f. Entschuß (und Beschluß) 211, 270 Epicur 60, 390 Epieikeia 394 Eppendorfer Leitsätze zum Mietrecht 381 equal-but-separate-Grundsatz 164 Equity 82, 86, 307, 383, 387, 411, 497, 538 Erbmethodik (nach E. Bloch) 152 Erfahrung ( = Erfahrungshorizont nach E. Husserl) 433 ff., 436 f. Erfahrung (innere nach Kant) 262 Ereignis (im jur. Sinne) 209 Erfolg (bei der unechten Unterlassung) 222 Erfolgshaftung (im Zivilrecht) 220 Erfolgshandlung (mittelbar oder unmittelbar) 221 Erfolgsstraftaten 222 Erfüllungsgehilfe 515, 517, 532 Ergänzung (bei Lücken im Recht durch Auslegung) 375 Erie-Doktrin (amerikanisch) 205 Erkennen (und Erfahren) 56 Erlangung 111 „erlaubt ist, was gefällt" 205 erlaubte Handlung 21, 369 Erlebnis 195, 436 Ermessen 86 ff., 137, 177 f., 246, 339, 387, 409 Ermessen als Amtspflichtverletzung 488, 528 Entscheidungsnorm (und Verhaltensnorm) 204, 233 Erklärung (und Wiedergabe) 156 Erpressung 218, 230 Erwerb auf Grund eines erlangten Rechts 111 Erwirkungshandlung (und Bewirkungshandlung) 95, 210 Eskalation 188, 373 estoppel 121, 234 et-et-Prinzip (Gegensatz: aut-aut) 32, 49, 102, 168, 258, 263, 305 f., 425, 435, 547, 548, 550 Ethik und Ästhetik 389 Ethik (christlich) 390 Ethik (als Endunwert) 387, 385 Ethik (Erfolg) 390 Ethik (Gesinnung) 391
Ethik (humanistisch) 390 Ethik (intim) 387 Ethik (Kierkegaard'sche Definition) 199, 389 Ethik und Moral (Abgrenzung) 277, 279, 387 Ethik (Pflicht) 389, 391 Ethik und Politik 157, 391 f. Ethik und Recht 35, 199 f., 428 Ethik, Sittlichkeit und Sitte 381, 392 Eugenik 553 europäisches Gemeinschaftsrecht 20 Euthanasie (Krankenschwester-Fall), 226 Evidenz 31, 195, 198 ff. Evidenzprätention (bei der Norm) 199 f. Evolution und Revolution 360 ewig s. Konstanzmechanismus, 425 exceptio 95 exceptio doli 96 Exekution (bei der Äußerungshandlung) 211 Exekutive (als Kontrolle der Legislative) 288 existentielle Illoyalität 67, 262, 440 Existenz 15, 166, 199 Existenzphilosophie (nach Heidegger und Maihofer) 14, 40, 56, 263, 392, 423 f., 470 Existenzprätention (bei der Norm) 199 f., 202 Exkulpation 75, 87 Expressionismus 263 faber (homo) 78 fact (actual, legal, jural, effective, vestitive, voluntary) 156 ff., 201, 206, 209, 235 f. fact als „thought" 81, 157 (proposition of fact) fact und law 204 factual occurrences 204 fact, operative ( = Tatbestand vor Rechtsfolge) 385 factum et verum 158 facultas alternativa Fähigkeiten 246 ff. Fälschung 211 Fahrlässigkeit (bei den Generalklauseln) 341, 457 Fahrlässigkeit objektiv 458 Fahrlässigkeit sozial 46 f., 457 Fahrlässigkeit subjektiv bewußt oder unbewußt 46 f., 458 fait matériel 64 Faktenbalancierung 45 Faktenkult 157 ff. Faktentheorie (betr. Normen im am. Kollisionsrecht) 204, 385
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Stichwortverzeichnis
faktisches Recht und Gewohnheitsrecht 40, 378 ff., 382 ff., insbesondere 380, s. a. 384 f. faktisches Recht 40, 199, 235 f., 272, 382 ff., 464 Fall 40, 190, 444, 546 Familie 11, 78, 251, 267 f., 312, 322, 339 faschistisch 103, 160, 263, 301 fault 393 faute de la fatalité 64 faute publique et privée 489, 528 Federalist 300 Feind-Freund-Denken 314 fehlerhafter Staatsakt 500 felifizischer Kalkulus 224 Feuerbach, Ludwig 160, 434, 542 Feldtheorie 56, 149, 153 feminine design of living 150 Festgabe „Besserung des Rechts" 132 Feststellungsklage 118 Feststellungsurteil 199 fides (Fideismus) 143, 244 Film-Experiment 81 finis (Ziel, Zweck, „gutes Ende") 223 f. Finalität (sehend und blind) 227 finale Tatherrschaft 537 fiskalisch/hoheitlich 485, 5121, 527, 532 ff. Fiskus 289, 305, 512, 514, 526, 532 fleischfressende Pflanze 210 Flucht in den Sachverhalt 405 Folge-Kausalität 52 f. Folgezwang (bei der Norm) 201 Fontane, Theodor (Gaben, Talente . . . ) 144 Fontane, Theodor (und der Pluralismus der Absoluta) 198 Fontane, Theodor (und die Revolution) 218 Fontane, Theodor (allgemein) 15, 144, 156, 198, 207, 209, 218, 309, 319 force (forza) 19 Forderungsverletzung 18, 83, 97, 395, 464 Forderungsverletzung im öff. Recht 499 foreseeability 46 Form (formales Beweisrecht) 19, 41, 219, 294 (Form ist nach Kelsen a) Individuationsprinzip, b) GeltungsVoraussetzung, auf jeden Fall erster Visionsund Denkzugriff auf ein Phänomen) Fortschritt 339, 359 f., 439 frank und frei Freihand 268 f. Freiheit 13 ff., 32, 65, 169, 332, 413
Freiheit (und Macht) 212 Freiheit und Ordnung 15, 300 Freiheit und „die roten Strümpfe" 15 Freiheitsentzug im Geistigen 130 Freiheitsgebrauchsfehler (nach Engisch) 67 Freiheitsordnung (des Staates) 279 f. freiheitliche demokratische Grundordnung nach Art. 21 GG und BVerfG 301 Freirechtsschule 384 Freizeitpsyche 364 Fremdhaftung und Eigenhaftung 470, 474, 481, 485, 493, 521 Freude 60 Freund/Feind-Aufteilung 275, 314 Friedrich I I (Hohenstaufen-Kaiser) 541 Frieden und Friedensstörung 18 f. Friedensgebot des Rechts 18 f., 184, 279, 314 Funktion und Funktionär 11, 49, 243, 254, 483, 500, 527 Fürstenbank 299 Funktionstheorie (oder Organth. Ggs.: Anstellungs- oder Diensttheorie) 527 Fusion (von law und Equity) 286 Fußballverein e. V. Eintracht-Fall 531 f. Funktion (und Substanz) 197, 259, s. Substanz Führer 202, 305 Führer-Befehl „Verbrannte Erde" 202 Fürsorgepflicht (des Dienstherrn) 515
G (die 3 G's) 364 gang 255 gang-protection 256 Ganzheit 191, 259, 263 Gary, Romain 441 Gattung (und Individuum) 264 Gebrauchsschaden (Nutzungsausfall beim Auto) 135 f. Geburt 367 Gedächtnis 244 Gedächtnis der Materie 142, 428 Gefährdungshaftung (für das „kreierte Risiko") 47, 74 Gefährdungshaftungsgesetze 73 ff., 339 Gefälligkeit (Gefälligkeitsgeschäft) 189 Gefahr 21, 47, 74, 174, 298, 322, 344, 444
Stichwortverzeichnis Gefahrenabwehr (Pflicht zur) 21, 47, 74, 214, 231, 340, 344, 369 Gefahrenherrschaft 14, 74, 413 f. Gefühl 64, 243 Gegenstand 34, 40 f., 49, 74, 79 f., 189, 407, 424 f. Geheimnis 363 f., s. Mystik Gehirnwäsche 260, 367 145 Geiler, K a r l 297 Geist (und Natur) 311, 422 ff. Geist (objektiver und subjektiver) 422 ff. Geist (subjektiver, etymologisch) 430 Geist (subjektiver nach Scheler) 430 Geisteskrankheiten (trialistisch) 247 Geisteswissenschaften (und Naturwissenschaften) 37 f., 51, 67, 106, 148, 432, 532, 543 f. Geld 12, 120, 132, 150 Geltung (Gültigkeit, auch Anerkennung) 202, 261, 275, 319 gemein 378 Gemeinde-Tannenwald-Fall 532 Gemeinschaft und Gesellschaft nach Tönners 241, 302 Gemeinschaft (Rechtsgemeinschaft) 472, s. a. 258, 302 Generation (und Menschentyp) 359, 363 generationelle Wartezeit (beim Stand) 361, 363, 366 Genie 364 f., s. a. 79 Genosse (Genossenschaftsgenosse, Rechtsgenosse) 211 Genossenschaft (germanisch, in Krieg und Frieden) 270, 276 Gerechtfertigkeit 109 ff. Gerechtigkeit (abstrakt) 11, 177, 517, 372, 394, 419 Gerechtigkeit (Gerechtheit, konkret) 395 (393 ff.) Gerechtigkeit (konkrete, ablehnend) 393 Gerechtigkeit (der gute und der böse Tropfen) 180 Gerechtigkeit (kommutativ und distributiv) 119, 394 Gerechtigkeit (und Rechtssicherheit) 372 ff. Gerechtigkeit (zoologisch) 279, 372 Gerichtsbarkeit 324 Gerichtsgebrauch 379 f. Gerundivität der Norm 197 Gesamthand 268 f., 276 (beim Staate) Gesamtsache 163, 257, 272 Geschäft (wen es angeht) 112, 473 Geschäftsbesorgung 76 ff., 392 (bei der res publica), 497 Geschäftsfähigkeit 249 ff.
Geschäftsführung (ohne Auftrag) 480 Geschäftsverteilung 499 f. Geschichtlichkeit 319, 394 Geschmack 389 Gesellschaft (nach BGB) 517 ff. Gesellschaft (soziologisch, offen oder geschlossen) 277, 302 ff., 309, 517 ff. Gesellschaft und Recht 315 ff. Gesellschaftsgerichte 316 Gesetz (generell, abstrakt usw.) 191 Gesetz (ges. Norm) 200, 462, 490 Gesetz (Schutzgesetz) 363 f., 403 Gesetz und Stil 546, 550 Gesetz (Vermutung seiner Gültigkeit) 52, 202, 426 (Literatur: Goetz Meder, 1970) Gesetzes vorbehält 15 Gesetzmäßigkeit (Rechtmäßigkeit) der Verwaltung 295, 302 Gesetzmäßigkeit (soziale in der DDT^ 49, 68 Gesinnungsethik 391 Gesprächstherapie 51 Gestalt 102, 259, 264, 546 gesund 52, 246, 331, 440 Gesundheit nach § 823, 1 231 f. Gewalt 19 f., 212 ff., 256, 361 Gewalt (elterliche in 4 Arten — deren Störung) 332, 384 Gewalt (höhere) 179, 218 Gewalt (legitimiert und unlegitimiert) 217 f. Gewalt (im Obrigkeitsstaate) 285 Gewalt (gegen Personen oder gegen Sachen) 213 Gewalt und Recht 218, 295 („Recht" ist der Gegensatzpartner im logischen Sinne zur unlegitimierten Gewalt) Gewalt (in der Sprache) 437 f. Gewalt (im Staate — die 5 Staatsgewalten) 130, 277 gewaltig (deinos) 161 f. Gewerbe (und Gewerbebetrieb) 346 ff. Gewinn 170 ff. Gewissen (seine „magna Charta") 392 Gewohnheit (Gewohnheitsrecht, Gewöhnung) 380 Gierke's „reale Verbandsperson 266, 269, 310 glauben 144, 146, 148, 154, 167, 547 glebae adscripti 13, 500 Gleichheit 154, 163 f., 249, 319, 354 ff. Gleichheit (Kanalisierung der Gleichheit) 309 Gleichheit (kommutativ und distributiv) 394, 411 gnome 394 Goethe (über das Faktische) 43 Goethe (Farbenlehre) 80
560
Stichwortverzeichnis
Goethe (Gegenstand) 79 Goethe (über den Geist) 429 Goethe (über die Natur) 396 Goethe (über opus operandum und opus operatum) 59 Goethe (orphische Urworte) 440 Goethe (und die „Schöngeisterei) 167 Goethe (Natürliche Tochter) 205 Goethe (Venezianische Epigramme) 167 Goethe (die Vielen und das Eine) 190 Goldene Regel 227 Goldklauselurteile (amerikan.) 414 got is selve recht 315 Gotik (Wille als „gotische Spitzsäule") 245 Gott 280 Grammatik 192, 376 f. Gremium 537 Grischa-Fall (Arnold Zweig's) 399 ff. Großmacht (Kleinmacht) 150 Grund 52 f. Grundnorm (Kelsen's) 187 f., 193, 370, 460 Gruppentyrannis 255 habeas corpus 17, 497 Hänel (Kelsen) 314 Haftung 22 ff. Haftung (außerdeliktische) 20 ff. Haftung (Mehrspurigkeit) 539 Haftung (Repräsentationshaftung) 470 Haftung (des Staates) 525 Haftung (Verschuldenshaftung nach § 831) 75 f., 522 Haggada 371 Halbpart (der subjektive) 80 f., 153, 157, 228, 345, 437 Haltung 234, 350 Handlung 209 ff. Handlung (erlaubte) 21 Handlung (faktische = Verhalten) 232 ff. Handlung (finale in Amerika) 227 Handlung (fortgesetzte) 238 ff. Handlung (der juristische und der philosophische Handlungsbegriff) 210 ff., 240 Handlung (die natürliche) 63, 210 ff. Handlung (als Norm) 203 f. Handlung (total und isoliert) 238 Handlungsfähigkeit 240 f. Handlungswille 242 ff. Hartwurst-Fall 241 Hauptmann, Gerhart 60, 225, 332 Hausbesetzungsfall 228 heart-balm 181 Heckenkind/Mantelkind 40 Hedonismus 58, 60, 152, 156, 390
Hefele 301 Heidegger 14, 156, 423, 433, 470 Heine, Heinrich, 359 „heile Welt" 365 Heiratsaussicht 125 Heisenberg, Werner (über die Wahrheit) 545 Heisenberg (Unsicherheitsrelation) 84 84 Hermeneutik 374 Herrenreiter-Fall (BHHZ 26/349, 1958) 350 f. Herrschaft (als Perversion des „Regierens") 16, 41, 297, 441 Herrschaft (Tatherrschaft) 134, 537 Heteronomie (und Autonomie) 396 Hexis 397 hic et nunc 45, 59 f., 152, 160, 427, 429, 441, 443 ff. Hiller, Kurt 45, 160, 204, 259, 299 Historismus 81 Hitler, Adolf 151, 155, 217 (Universität Linz), 256, 298, 305, 365 440 f. Hobbes 314 Hochschulpolitik 61 Höhere (das „Höhere") 32, 37, 72, 161 f., 179, 266, 355, 410, 429, 447 Hof (höfisch) 304 Hofpsychologie 62 f., 304 Hoffnung („das Prinzip") 152 Holmes, O. W. 205, 210, 300, 314 home rule 282, 313 homo faber 78 homo necarius 13 homo oeconomicus 30, 154 homo politicus 154 horror fusionis 257, 260 horse (you may lead a horse . . . ) 24 Huhn-mit-Reis-Fall 522 Humanismus („proletarischer") 152, 202, 253, 329, 355, 364 Humanisten 77, 551 Humanitätspostulat (Humanität) 152, 216, 329, 355, 364, 392, 419, 551 Humanitätspostulat im Kollisionsrecht 25, 392 Hume 386 hunch (des Richters) 371 Husserl'scher Regreß (Edmund Husserl, eventualiter) 147 f., 261, 269, 273, 280, 371, 375 f., 497, s. Limitation hybrid 241, 511 Hypnose 219 hypokeimenon (und kategoroumenon) 140, 195 Ibsen (Volksfeind Stockmann) 299 Ich 43, 146, 197, 257, 260, 437
210,
Stichwortverzeichnis Ich und die Primitivität 167 Ideal (Kleider machen Ideale!) 33, 146, 148 ff. Idealisierimg der Materie (und umgekehrt) 155 Idealismus (heimlicher) 160 Idealismus (objektiver und subjektiver) 128, 146, 153, 160, 170 Idee (Auslandsstimmen über den deutschen Idee-Begriff) 142, 435 Idee und Begriff 140 f., 145 Idee und Ideal 128, 146, 275 Idee als ideelle Realität (nach E. Husserl) 147 Idee als jur. Person 147 Idee (logische und ontologische) 126, 145, 147, 161, 375 Idee (als Förderung der Vitalität) 139 ff. ideeller und materieller Schaden 127 ff., 134, 181 Identitätslehre (Recht = Staat) bei Kelsen 215, 314 f. Identitätsirrtum beim (jur.) Urteil 399 ff. Ideologie 146, 192, 275 Ideologie der Kondiktion 110 ideologischer (und biologischer) Überbau 148, 544 Ihering (über „law in the books" und „law in action") 137, 327 ignorantia iuris nocet 202 Illuminationslehre 80 Illusion 146 Immaterial 134, 280 immaterielles Gut 134 immaterielles Gut „Staat" 330 immaterieller Schaden 134 Immission 21, 329 Immission (personale) 329 impact/contact 139, 227 Impensen 113 Imperativtheorie (bei der Norm) 193 ff. Impfzwang 230 implied power 413 Impuls 246 imputatio (iuris u. facti) 43 in pectore papae 203, 211 Indeterminismus 57 ff., 70 ff. Individualismus 162, 213 individuell/sozial (nach „et-et"-Prinzip) 27, 150, 308, 359 Individuum 25 ff., 27, 162 f., 256 f., 260, 262, 309, 316 f., 379, 417 Individuum und Gattung 264 Indoktrination 58, 167, 360 induktiv-deduktiv 263, 433 Industrie-Mensch (Bürger, Staat, Gesellschaft) 25,158, 357 f., 361 36 W . G .
Becker
561
Inexistenz 317 Infantilität 162 influence („due" und „undue") 28, 213 Information 22, 33, 37, 158, 165, 545 Infrastruktur 32, 63, 227, 311 ff. Infrastruktur (bei Gesellschaft, Staat, Norm und Psyche) 65, 79, 195, 203 f., 243, 245, 311 ff. Inhalt/Gehalt 376 injunction 494 ff. Innen-Außen-Thematik 63, 211 Insekt 59 Instinkt 11, 26, 164, 264, 279 Institut 308, 426 Instituts-Direktor-Fälle 115, 351, 426, 504 Institution 275, 371, 426, 551 institutionelle Garantie bei der Selbstverwaltung 290 institutionelle Transformation 407 Instruktion des Fouche 277 Instrumentalismus 390 Intaktheitsliquidation 364 intellektuelle Natur (Ggs.: genuine) 423 f., 425 intelligieren 32, 154 Intensität 246 intentio mystica 437 Intention/Intentionalität 197, 242, 254, 276, 374 f., 552 Intentionalität der Erkenntnisse 80, 161 Interesse 223 ff., 347, 514 Interesse aller anderen Menschen" 12 Interesse (Schaden) 117 Interessenbürger 308 Interessenjurisprudenz 81 Interessenverband 285, 308 Intervention 238, 538 intim 308, 349, 387, 428 intim (Verlust der Intimität) 25 introvertierter Rechtsstaat (nach Forsthoff) 316 Inversion bei der Norm 405 Ironie 377, 405 Irreversibilität der Gehirnfunktionen 367 Irrtum (beim Befehlsnotstande) 450, 453 ff. Irrtum (strafr. Verbotsirrtum) 443 f. Isele, H. G., 427, Widmung isolierte Handlung 191, 238 f. isolierte Norm 191 it isn't done 356 ius corrigere 419 ius divinum 204 ius non sriptum 379
562
Stichwortverzeichnis
Jaakobs Traum 431 Jacobiner 61 Januskopf der Norm 204, 233 Januskopf des (objektiven) Rechts 370, 372 Jeanne d'Arc 304 Jellinek, Georg (Recht als ethisches Minimum und Normativität des Faktischen) 384, 389 jemand 94, 462, 528 Jemeinigkeit (z. B. bei mehreren Delinquenten) 537 Judikative (Kontrolle durch die . . . ) 288 f. Jud-Süß-Fall (Lüth) 131 jüdisch 420 jurimetrics 543 Jurisprudenz (Dimensionen) 542 f. juristisch/rechtlich (Abgrenzung) 206 juristische Person (Definitionen, insbes. Gierke's „reale Verbandsperson") 266 ff. Justinian (der englische) 19 justitia (naturalis und legalis) 394 Justizstaat (und das Ermessen) 87
Ks. C Kadi-Justiz 45 f., 386 Kafka, Franz (Legende vom Rechtsstaate) 60, 286 kairos 154 Kalokagathie 363 Kategorie 56 Kanalisation der Egalität 300, 309, s. Gleichheit Kapital/Kapitalismus 49, 253 f., 300, 337, 359, 361 Kartellrecht 20, 307 kategoroumenon und hypokeimenon 140, 195 Kauf ä la Robinson 15, 257 Kausalität 53, 56, 57, 161 (Musil), 227, 324 ff. (ambivalent u. als D i rektiv, Determinativ oder Topos) Kausalität (nach Leonhard) 325 Kausalität (philosophisch) 324 Kausalität (überholende) 326 ff. Kelsen (Lehre vom reinen Staat, Identitätslehre Staat = Recht) 193, 194, 202, 215, 314 f., 329, 370, 385, 550 Kierkegaard (Ethik-Definition) 199 Kind (Pränatalität) 331 Kind (Hecken- und Mantel-Kind) 40 Kindes-Entführung 6, 106, 119, 462 King can do no wrong 92, 276 Kirche 281 Klasse/Klassenkampf 48, 361 f. Klaustrophobie 161
Klopstock, Friedrich 424 König/Königsmacher 151 Königsrichter und Genossenschaftsrichter 166 Körper nach § 823, 1 331 Körperschaft s. Korporation Kohärenz 430 Kollektivismus/kollektiv 12, 49, 154, 260 f., 360 Kollektivschuld (der Deutschen) 258, 277 Kollision (Pflichtenkollision) 449 Kollisionsrecht 204, 374, 391, 447, 452 Kommissivdelikt 211, 231 Kommunikation 376 Kompetenz 203, 282 Kommunismus/komm. Manifest 49, 61, 77, 154, 275, 328, 333 f., 336, 338, 359 ff. Komplex 143 Kondiktion (analytisch und ideoloigsch) 114 Kondiktion (Tatbestand oder Rechtsfolge) 109 konkret s. abstrakt konkreter Satzsinn 398 konkludent 211 konservativ 275 Konservativismus (revolutionärer nach G. Sorel) 551 Konstanzmechanismus (konstant-mechanisch, auch konstant-vitalistisch) 11, 157, s. ewig und apriori Konstitution 62 f., 78, 203, 367, 440, 515, 531 konstitutiv (deklarativ, kausaler Sphärenwechsel) 27, 45, 85, 155 f., 199 414 Kontrolle 266, 287 f. Kontrolle (richterliche von Gesetzen) 286, 288 f., 416 f. Konzentrik und Kontrapunktik 306, 547 Konzentrationslager-Syndrom 125 kopernikanische Wendung 27, 159, 217 Kopula „ist" und „soll" s. Urteil kosmisch 12, 169 f., 258 Kormann 417 Korporation 270 ff., 276, 291, 517, s. corporation Korporation „Freie Universität Berlin" 291 Kosten („auf dessen Kosten" in § 812) 111 ff. Krankenschwestern-Fälle (bei der Euthanasie) 226, 247 Kraus, K a r l (der „Fackel-Kraus") 377 Kreatur 25, 28, 60, 68, 153, 161, 165 f. (Richter als Kreatur)
Stichwortverzeichnis Kredit (und Kreditgefährdung nach § 824) 462 Kreisring (Herdring) und Kreis 104 f., 145, 165, 258, 263, 363, 376, 447, 462, 544, 547 Krieg (als Objektivation, als Legitimierung von Gewalt) 193 f., 314 Krieg (der „siegreiche") 312 Kriegsgericht (beim Grischa-Fall) 399 Kritik 541 f. Krone (die englische) 276 f. Külz, Helmut 291 Künstler-Schutz 349 Kultur (Kulturrecht) 11 f., 14, 31, 150, 152 (Sorel), 154, 172, 189, 410, 445, 545 Kultur (bei Moral und Ethik) 11, 388 Kumpan 356 Kunst 224, 389, 545 Kunst und Wissenschaft 545 Kurfürsten-Fall 381 Kybernetik 35 ff., 150, 162, 210, 211, 227, 355 Laepple-Fall 288 Landfrieden 279 Lage (lag, law) 82, 153, 189 Laie 302 Lampleigh v. Brathwait-Fall 320 Landshut-Fall 200 Landesverrat 403 Lange (und der subj. Idealismus) 160 Laokoon 208 Larenz'scher Pferde-BeförderungsFall 175 Lassalle, F. 142, 151 law in the books and in action (at rest and in motion) 20, 43, 370 law und rights 188 f. law-staff 192 Leben 27, 51, 172, 259, 317, 429 Leben (höchstes Gut) 447 Leben (nach § 823, 1) 331 Lebensführung (Tat und Schuld) 69, 155, 320 Lebenssachverhalt (Heckenkinder und Mantelkinder) 40 Lebewesen (medizinisch) legal 25, 395 ff. Legislative (als Kontrolle der Exekutive) 287 Legislative (als Kontrolle der Judikative) 288 f. Legitimation (von Gewalt und insbes. Revolution) 146, 369, 443 Legitimations Werbung 304, 317 Lehnsrecht 282, 312 Lehren/Lernen/Lesen 38, 151 f., 549 Leichnam 367 36*
563
Leistung (Arbeit, Bemühung, Leistung) 57 ff. Leistung (Lösung) 13, 220, 322 Leistung („unanständig") 59 Leistungshandlung und Leistungserfolg 220 Lenin (Leninismus) 151, 157, 336, 359, 361 ff. Lenin (und der Bolschewisten/Menschewisten-Streit) 234 Leo der Einfältige (Papst) 542 Lepra 361 Levi, E. 375 lex Aquilia 18 lex Salica 191 lex Soraya 20,130 lex specialis derogat legi generali 104, 188, 258, 263 Phomme machine 418 Llewellyn, Karl 45, 190, 334 liability 18, 55, 250 Liberalismus 295 Licht (im Sprachgebrauch) 378 Liebe 11, 354, 432 Liliencron, Detlev Freiherr von 162, 165 limbisches System 244 Limitation (Limitierung — der Determination, der Erfahrung, der Kausalität, der Motivation, der Psychologie — als „geistiger Kraftakt") 55, 147, 152 f., s. HusserPscher Regreß Lincoln, Abraham 154 Linguistik 376 Lipps 192 Liquidation (der Intaktheit) 364 Liquidation (soziale) 256 Lob (loben — der Menschen) 216 Loefte-Theorie 257, 260 Loge (als Verband) 255 logics and experience ( = das Recht!) 436 Logik des Jakobinismus 61 Logik und Ontologie 548 Lord's laws of Oregon (the . . . ) 191 Lorenz, Konrad 58, 246, 356, 434 Lotse 87 Lu und L i 371 lucus a non lucendo . . . 194 Lüge (Lügendetektor) 57, 64, 155, 169, 211, 389, 418 Lützelmanns Recht (und Mikkelmanns) 354 Lumpenbescheidenheit (nach Goethe) 50, 63 Lumpenproletarier (nach Marx) 57, 63, 358 Lusitania (Schiff) 426 f. Lust (Unlust) 60
564
Stichwortverzeichnis
Lust zur Virtu 156 Luther, Martin 307, 435 luxuria 47, 458 Maat 372, 418 Macht 12, 13, 146 f., 150, 152, 212 ff., 254, 265, 275, 296, 335, 351, 329 f. Macht (Großmacht-Kleinmacht) 150 Macht (und Ohnmacht) 206 Macht (und Recht) 206, 212 ff., 372 Macht (und Staat) 363, 480 Macht (zivilistisch) 97, 314, 392 f., 418 Machtkampf 240, 315, 335 „Männer machen die Geschichte" 365 mäßiges Recht 500, 507, 526 Maine (from status to contract) 82 McNaughten rule 247 Magie (magisch) 547 Magnolienzweig-Fall 326, 328 Majorität (bei der „Natur der Sache") 299, 405 Majorität (bei der Wahl) 299 Makrokosmos (Mikrokosmos) 190 malum prohibitum (et malum per se) 299 mandativ/mandatorisch 283, 286 Manipulation (manipulieren) 37, 301, 364, 367 Manitou 428 Mann, Thomas (über die Demokratie) 302 Mann, Thomas (über den subjektiven Geist) 429 Mann, Thomas (Tonio Kröger) 366 Mann, Thomas (über die „Küstenwanderer") 55 Mann, Thomas (Mario und der Zauberer) Mann, Thomas (Vorsorge) 59 market of ideas 134 Marx, K a r l (Marxismus und Folgeerscheinungen) 11, 14, 30, 142, 151, 153, 160, 336 ff., 366, 547 Masse (Massenführer) 152, 164, 256, 264 ff. Materialismus (auch Neomaterialismus) 148 ff., 150, 153, 159, 425 Materialismus (bestialisch, dialektisch, historisch) 153, 158, 160 Materie (und Idee) 144 f., 215 Maze 363 mesotes 393, 440 mechanisch (mechanistisch, Ggs.: vital-vitalistisch) 11, 153 Mehrspurigkeit (Zweispurigkeit) gemäß § 840, Abs. 2, 3 539 Meliorismus 150, 421 Mehrwert-Theorie 391 Menge (Masse, Mehrzahl) 234, 257, 268 f., 272 f., 299, 362, 517
Mensch („Verehrteste Frau, es ist kaum angängig, von einem so zweideutigen Wesen wie dem Menschen anders als zweideutig zu reden, eine solche Redeweise wird noch nicht als Verstoß gegen die Humanität zu erachten sein. Ich denke, man erweist sich nicht als mißwollender Schwarzseher, sondern als Freund des Lebens, indem man seinen Erscheinungen ihr Gutes und Erfreuliches abgewinnt, ohne ihrer Kehrseite unkundig zu sein.") (Thomas Mann in „Lotte in Weimar"), s. „homo"! Mensch (allogen oder homogen) 32 Mensch (austauschbar) s. „austauschbar" Mensch (als Geschäftsbesorger) 148, 277, 329, 354 Mensch (gewöhnlich oder ungewöhnlich) 51 f., 144, 150 f., 154, 353 f., 364 Mensch (als handelndes Wesen) 209 f. Mensch, s. homo Mensch (als Idee) 28, 31 ff., 162, 352 ff. Mensch (als individuelles und soziales Wesen) 13, 15, 25 ff., 163, 169, 259, 365 ff. Mensch (Industriemensch) 357 f. Mensch (als Kreatur) 28, 50, 162, 165, 359 Mensch (kybernetisch, als „Kapitän") 30 ff., 35 Mensch (Leitbilder und Typen) 78, 312, 359, 362 f. Mensch (und Macht) 392 f. Mensch (als Maschine) 150, 350 Mensch (medizinisch) 28 Mensch (in Menge und Masse) 362 Mensch (als Naturwesen) 25, 28, 162, 354 Mensch (als „offenes" Wesen) 26, 210 Mensch (in den geschützten Positionen nach § 823, 1) 329 Mensch (in der „permanenten" Realisierung der Endlichkeit 28, 32, 162, 199 Mensch im Rollenspiel (als Person, natural oder legal, Persönlichkeit, Subjekt, Bürger, Proletarier, Klassen-Angehöriger, Schicht-Angehöriger, Ich, Individuum, im Sein oder im Seienden oder im Dasein, als Sozialwesen) 15, 25, 27, 36, 66, 78, 329, 359, 363 Mensch („Schatz des Menschseins") 363 Mensch in „Wahl und Vorzug", als „wertendes" Wesen) 30, 32, 63, 65, 78, 169
Stichwortverzeichnis Mensch (in der Wissenschaft) 61 Mensch und Tier 26, 161 f. Mensch („im Urfond") 161 mental shock 125, 326 Menzel-Bild-Fall 111 mesotes 393, 440 Messung 84, 543, 547 Metajuristisch 189 f., 247 Metaphysik 65, 433 Methode (methodisch) 546 Mickelmann's Hecht (und Lützelmann's) 354 Mimesis 217 Milieu 366 mind in Operation 158 Minderwertigkeitskomplex 12, 166 Ministeriale 324 Minorität 300 M i r 271 Mitgefährdung 173 Mitläufer-Gesellschaft 309 Mitleid (nach Lange, dem Geschichtsschreiber des Materialismus, „die schönste Blüte der irdischen Organismen") 11,151 Mitleid und Arithmetik 151 mittelbarer (und unmittelbarer) Erfolg 221 f. Mittelstaedt, Horst 233 Monade 190 Monarchie 16, 269, 297 monistisch 107, 162, 208 Monokratie (als Gegenstück zur Demokratie) 216, 300 Monokratie und Autokratie 298 Monstrum 247 Monopol 307 Moral 197, 247 Moral und Ästhetik 388 f. Moral und Biologie 268, 546 Moral und Ethik 279, 387 ff. Moral und Ethik (im Gespräch) 387 Moral und Ethik (Pluralismus) 207 f., 390 f. Moral und Politik 391, s. Netschajewtschina morale 387 morals 387 morphologisch s. atomistisch Moses (und die 10 Gebote) 205 Motiv/Motivation (auch „Motive des Gesetzgebers") 57,148, 155, 161 Motivation („normative" nach Sorokin) 225 Motorik (der Menschen) 149 Müller-Arnold-Fälle 89 Mund („in den Mund stopfen . . . " ) 383 Muntbruch s. actio filii Munthaftung 188, 465 ff.
Musenkuß („der diktierte") 268, 543 Musil (über die Kausalität) 56 f. „my house, my castle . . . " 441 Mystik 363, s. Geheimnis Mystik (des Kleinbürgers) 363 myth of is and ought 203 Mythos/Mythe 12 Namenszauber 399 Napoleon I I I 541 Narcotica 219 nasciturus 367 Nation 278 Natur (altgriech. Abgrenzungen) 422 f. Natur u. Factum 384 f. Natur (genuin oder intellektuell) 169, 422 f. Naturalismus 169 Naturgesetz 194 Naturrecht (die 6 Begriffe) 410 Naturrecht (in Amerika) 412 ff. Naturrecht (in England) 411 f. Naturrecht (revolutionär) 498 Naturrecht (und Naturrechtslehre) 409 ff. Naturrecht (real) 374, 411 Natur der Sache (amerikanisch und deutsch) 42, 374, 402 ff. Naturwissenschaften, s. Geisteswissenschaften natural-legaler Parallelismus 395 ff., 397, 507 naturrechtliche Kautelarjurisprudenz 418 Naturalobligation 397 Naturalrestitution 119, 397 negligence 226, 342, 457 negligence without fault 67, 342 Nelson, Leonhard 420 Nerven 60 Netschajewtschina 157 Neurose 13, 50 ff., 66 Nichtrecht (oder Unrecht, s. conträre und contradiktorische Urteile) 106, 189 f. nicht wahr? 198 nichtswürdige Infinitive (nach Schopenhauer) 193 Nietzsche, Friedrich, 12, 32, 61, 257, s. Individualismus Nihilismus 57, 167 no-contribution-rule 536 Nötigung 77, 218, 229 f. Nominalismus 263 non-objective 34 nondum conceptus 367 Noogenese 28 Norm (Rechtsnorm) 188 ff., 202 Norm (abstrakt, konkret, generell, individuell) 191
566
Stichwortverzeichnis
Norm (Chancencharakter) 197 Norm (als Handlung, Faktizität, Tatsache) 203 Norm (Entscheidungsnorm und Verhaltensnorm, Januskopf der Norm) 264 Norm als Idee 144 f. Norm (zu treffend/zutreffend) 197 Norm (traditionelle Abgrenzungen, Erlaubnissätze, Distributionssätze, Gebote, Verbote, Gewährungen, Rechtsbehelfsnormen, Zuweisungsnormen, Organisationsnormen) 205 Norm (als Juristen-Entdeckung) 193 Norm (offene und geschlossene) s. offen Norm (psychologisch) 204 Norm (Quantität der Adressaten) 199 Norm (real und reell), s. real, reell Norm (Summe oder Inbegriff) 189 Norm (Skepsis) 192 Norm (total und isoliert) 191, 238 Norm (Trinität der Normen) 200 f., 363 Norm (Vertragsnorm, rechtsgesch. Norm) 201 Norm (als Delikt) 203, 370, 385 Norm (Richternorm) 201 norma 193 normal (gesund) 193, 246, 357, 548 normative fact 204 Normativität des faktischen 201 normative Motivation (nach Sorokin) 225 Normenhunger 190 normativer Schaden 117, 397 Normenkontrolle 202, 406, 413, 417, 546 Notar (und Notarsgehilfe) 487, 516 Notation (und Normativität) 406 f. notion of law 398 Notstand 445 ff. Notstand (Befehlsnotstand) 448 ff. Notstand (Staatsnotstand) 269 Notstand (übergesetzlicher) 447 Notwehr 447 noxae datio 23, 79, 466 NSDAP 255 f. Nürnberger Urteile 385 null and void 317 numinos 428 f. Nutzungen (nach § 100 BGB) 114 Nutzungsausfallentschädigung (beim Auto) 135 Nymphomanie-Fall 128, 139
Oberst (der amerikanische und seine Frau-Fall) 129
Objekt 34, 275, 426, s. Gegenstand Objekte (ewige) 260, s. ewig objection (bei der Zeugenvernehmung im Staate New York) 158 Objektivation 26, 205, 260, 262, 275, 279, 379, 425 ff. Objektivation „Staat" 278 objective test 24, 83, 121, 234 Objektivitätsparole 34, 85 objektiv-typische Prognose 46, 325 f. Obrawalde-Prozeß 247 Observanz 379 Obskurantismus 166 obsolet (im Gewohnheitsrecht) 202, 379 f. occasio 52 öffentlich 267, 275, 285, 314 offen (geschlossen, beim Menschen, bei Staat und Gesellschaft, beim „Wirkungsablauf", bei der Norm) 13, 26, f., 37, 57, 144, 177, 210, 270, 275 f., 309, 320, 330, 551 Offerte ad incertas personas 37, 198 f., 475 officer (official) 254, 497 O H G (und der § 831) 508, 510 Oligarchie 297 okkult 54 Olmstead-Entscheidung 286 Ombudsmann 236 Omissivdelikt 182 ff., 231 omnipresence 205 Operation (Einwilligung in die ärztliche . . . ) 445 operative facts (Tatbestand) 385 Opium fürs Volk 167 Optimismus 150 opus operandum und opus operatum 59 Orden (holländischer Ritterorden) 396 Ordnung 15 f., 69, 297 ordo 272 Oregon (the Lord's laws) 190 Organ 476, 508, 524 Organisationsgewalt 282 Organisationsnorm 206 Organisationspflicht 508 Organismus 28 Orgon (nach W. Reich) 246 Orientierung 35 ff., 38, 374, 380 origo 52 Ostheim (über Verbände) 271 Osiris und osirische Gerichtsverhandlung 388 Osmose 28 Oster's „Landesverrat" 403 outward room (nach John Donne) 65 Ousia 397
Stichwortverzeichnis pactum 257 paides (Kinder) 322 Papst (in pectore papae) 203, 211 Papst (universalistische Ansprüche) 312 Parkschlenderer (nach Tucholsky) 150 Parteinorm 201 Partner 234, 272, 394 pater familias 320 ff. Partner-Vertrauen 77, 83,120 Pathos (Sympathie, Antipathie, Apathie) 240 ff. patriarchalisch/matriarchalisch 78, 322 Pawlow'sche Reflex-Theorie 11, 164 Pekelis, Alexander 105 Pelagius (semi-pelagianischer Kompromiß) 72 f. Pensa (ital. Autor, über das deutsche Denken, 1951) 128, 245, 410, 433, 435 Perfectabilität (perfecta vita) 57 performative 211 perplexes Urteil 202 Person 13, 15, 25, 258, 317 Person (nach Aulus Gellius) 15 Person (juristische in Deutschland u. Amerika) 251 f., 526 Person (als kantischer Zurechnungspunkt) 25 Person (als Typ) 361 personal/subjektiv (Abgrenzung) 79 personale Güter (mit oder ohne selbständigen Vermögenswert) 134, s. immateriell personale Immission 329 f. personale Teilung nach § 139 163 Personalismus (des Staates) 297 Persönlichkeit 181, 349 ff., 502 ff. Persönlichkeit (und Computer) 353 Persönlichkeit (als Lokalisation des Gewissens) 388 Persönlichkeitsre&it (Rufmord, right of privacy) 349 ff. Persönlichkeitsrechtsschutz (ablehnend) 352, 506 Persönlichkeitsverlust 501 ff. Perspektive (Phantasie, Assoziation) 142, 164, 403, 546 Perversion (des Rechts) 361, 396, 441 Pessimismus 150, 363 Phänotyp (Ggs.: Genotyp) 249 Pflicht 69, 246, 389 Pflicht (zur Gefahrenabwehr) 47, 231, s. Gefahrenabwehr Pflichtenkollission 207, 452 Phantasie 546 Philosophie 394, 541 Phylogenese 164 f. Pietismus 150 Piper, Josef
Planung (Plan) 61, 224, 244, 275 Playboy (-girl) 59 f. Plebiszit 279 Pluralismus (der Verbände, der Schichten) 66, 307, 311, 363 Pluralismus (in der am. Philosophie) 165 Pluralismus der Absoluta 198, 207 f. Polemis-Fall 118 police power 414 Polis 303 politicians 157 Politik 12 f., 35, 61, 157, 235, 254, 265, 275, 296, 314, 365, 391 Politik und Staat 275 politische Prozesse 278, 365 Polyarchie 297 populus plebesve 278 Pornographie 389 Position (Schutzposition) 329 ff. Positivismus (die 4 Arten) 421 Post-Fall 342 Potenz-Valenz 20, 214 f. potestas 20, 214 ff. Pound, Roscoe 416 Präambel (und Naturrecht) 411 Präcipitat 127 f., 140 f. Prädestination 57 Präjudiz (precedent) 197, 201 Prätention 197 Prätentionen (auf Aktualisierung* Realisierung und Reproduzierung bei der Norm) 198 f. Pragmatismus (Pragmatik) 160, 210, 307 Praktiker (Praxis) 58, 549 praktische Geltung 390 precedent 201 Presse 20, 130, 185, 364 Pressionsgruppe 243, 255 prima-facie-Beweis 406 primaries 307 Primitivität 167 Privatautonomie 201 Privatmann als Hoheitsträger 289, 295 Privatweg 513 privilegiert (durch Geburt oder/und Leistung) 58 privity of contract 90 Probabilismus 307, 440 Problem (problematisch) 22, 307, 324, 370 f. problem method 371 Produktenhaftung 346 Produktion 336 Programm (programmiert) 11, 31, 38, 164
568
Stichwortverzeichnis
Proletarier (proies, Lumpenproletarier, proletarian look) 60, 63, 337, 355, 356, 358 ff. promise und contract 18 promissory estoppel 83, 234 Prophezeiung 197, 543 Proposition 198 f. Providentia juris 197
Provokation 361
Prozeßrecht und materielles Recht 243, 371 Prozeßrecht und materielles Recht (bei der Unterlassung als Rechtsfolge) 186 Prüfung 291 proximate cause 118 Psyche 28 f. Psyche (im Experiment) 29 Psyche der Freizeit 364 Psyche (als Materie) 153, 227, 544 Psyche im Recht 29, 153, 204, 227 ff., 544 psychischer Schaden 128 Psyche des Richters 227 Psyche und Seele 28 f., 545 Psyche und Subjekte 79, 81 Psyche (in der Tiefenpsychologie) 30 psychische Unmöglichkeit (der Fall „Lache Bajazzo") 29, 167 psychischer Zwang 218, 227 ff. Psychologie (nach Birbaumer) 29 Psychologie (im Recht) 29, 64, 153, 167, 204, 230, 544 Psychologie (nach A. Ehrenzweig) 11 Psychologie (nach Petrazicky) 201 Psychologie (Panychologie) 29 Psychose 51 Psychosomatik 331 „Putz auf Fron" (E. Bloch) 161 Ptahotep (Maximen des . . . ) 389 publicus 267 Publikation 203, s. „öffentlich" Qualifikation (Tiefenqualifikation) 6 374 f. qualis sit actio? 94 Quantentheorie 84, 149 Quantität (von Delinquenten) 493 Quantität (Umschlag in Qualität nach Hegel) 102, 317, 334, 360, 493 Querulanten (im engl. Strafrecht) 404 Quierzy (Vertrag von 754) 242 Quietismus Quotenprinzip (usw.) 268 Raabe, Wilh. (und die „Konstitution" des Menschen) 440 Rabel, Ernst 85, 143, 540 Rätestaat (einschl. „Funktionärs-Rätestaat) 234, 296
ragione di statu 31, 245 f. Ragusa 243, 313 ratio (emotio) 31, 243 f. ratio = Grund 53, s. „Vernunft/Verstand" ratio decidendi 546 Raum und Zeit 140, 153 Raumschiff-Fall 85 Rauschgift 359 f. Rationalismus 259 real/reell 134,145, 280, 284 Realakt 195, 240, 437 realer Schaden 208 Realdialektik (und Idealdialektik) 103 Realismus (naiver) 168 Realisation (permanente Realisierung) der Endlichkeit 28, 32, 162, 199 Realismus (im Recht und in der Literatur) 167, 169 Realität 84, 140, 260 Realität (als „actual true happening") 168 Realität (als jur. Entdeckung) 168, 193 Realität („ideelle" nach E. Husserl) 147 Realität (des Staates) 280 Realität = Wirklichkeit 168 Realitäts-Escapismus 169 Realitätsprätention (bei der Norm) 199 Realontologie 372 reason of the action 405 „Rechnung ohne den Wirt" (nach Schopenhauer) 21 Recht (hier und im Folgenden: das objektive Recht!) 82, 188 f., s. Januskopf Recht (das Abstoßende!) 305 Recht (in Amerika) 205, 385, 409 Recht (und Anwendungsrecht — Rechtsanwendung, „Januskopf des Rechts") 370 ff., 412 Recht (das christliche) 205, 394 Recht (als Faktum und als „faktisches Recht") 209, 382 ff. Recht (als Friedensordnung) 314, 370 Recht (als Herrschaft) 16 Recht (das „höhere") 395 Recht (nach Hegel) 189 Recht (und Gewalt — alles, was nicht legitimierte Gewalt ist, ist nicht Recht) 218 Recht („logics and experience") 449 Recht (makrokosmisch und mikrokosmisch) 190 Recht („notativ") 406 ff. Recht als Macht 372, 392
Stichwortverzeichnis Recht (als „mäßiges" Recht) 500, 507, 526 Recht, materiell und prozessual 371 f. Recht (und Nicht-Recht, Unrecht) 189 f., s. contradiktorische und conträre Urteile 106 Recht (als Normensumme) 189, 195 Recht („notativ") 406 ff. Recht (als „reines Recht" nach Kelsen) s. Kelsen Recht (und Staat nach Kelsen's „Identitätslehre"), s. Kelsen 295 Recht (als ein „sociales") 393 Recht als Utopie 373 Recht (und Wirklichkeit) 188 f. Recht (subjektiv) bei § 823,1 329 Recht (subjektiv) in der logischen Reihenfolge „Rechtsverhältnis", „subj. Recht", „Anspruch", zivilistische „Rechtsbehelfe als spezielle subjektiv-öffentliche Rechte" 82, 93 f., 188, 249, 489 Recht (subjektiv) am Amt 237, 506 Recht (subjektiv) zum Besitz 384 Rechtschaffenheit 11, 244 rechtlich s. juristisch Rechtsanwendung 355, 367, 370, 376, 419 Rechtsaufsicht 295 Rechtsautomat (Richter) 418 Rechtsausübung (und Fähigkeiten dazu) 250 Rechtsbesserung 373 f., 417 ff. Rechtsbewußtsein 13, 244, 317, 394 Rechtsbehelfsnorm 205 Rechtsbeugung 504 Rechtsempfinden 11, 244, 317, 394 Rechtsfähigkeit 420 Rechtsfindung 372 Rechtsfrage/Tatfrage 402 Rechtsgefühl 11, 244, 317, 394 Rechtsgesamtheit 273 Rechtsgeschäft 195, 240 f., 249, 259 Rechtsgeschäft (als Machtkampf) 240, 249 Rechtsgeschäft (im Naturzustande, natural, oder im Rechtszustande, legal) 396 f. Rechtsgeschäft (als Norm) 417 Rechtsgeschäft (die Trinität der rechtsgeschäftl. Willen) 240, 397 Rechtsgeschäft und Kontrakt 240 Rechtsgeschäft und Willenserklärung 241, 397 Rechtsgrundrelevanz und Rechtsfolgerelevanz (besonders im Kondiktionsrecht) 109, 206, 236, 250 Rechtsgemeinschaft (nach Tönners) 241, 260, 302
Rechtskunde und Rechtswissenschaft 542 Rechtsmißbrauch 445, 465 Rechtsquelle 371 f. Rechtssatz 193 ff. Rechtssicherheit 372 f. Rechtssoziologie und soziologisches Recht 215, s. sociologisches Recht Rechtsstaat 87, 293 ff., 412 Rechtsstaat (formaler) 255, 294 Rechtstatsachenforschung 384 Rechtstheorie 541 f. Rechtswidrigkeit (die 22 Definitionen) 368 Rechtswidrigkeit faktisch (durch „Verhalten") 234 Rechtswissenschaft ohne Recht 409, 542 Reduktion 176 ff. reductio ad materiam 55 Reflex 11, 50 Regel (Regelung) 190 Regelungstheorie 36, 190, 230 Regierung als Herrschaft 16 Regierung de facto 307 Regierung und Gruppen-in-Ordnung-Halten 16 regulatives Prinzip 370 Rehabilitation (bei der Pers.«Verletzung) 119, 131 ff., 350 Reinach, Adolf („warmes Wissen") 199 Reines Recht 202 Reissner (und Stuczka) 192 Relativismus (in Bezug auf Werturteile) 206 ff. Religion (Diesseits-Religion) 166 Renaissance 77, 152, 276 Rente (Rentenneurose) 50 réparation intégrale 119, 141, 275 rerum cognoscere causas 541 res 141, 275 res und „de rebus opinio" 410 res ipsa loquitur 64, 95, 394, 406, 526 res publica 275 Respekt 166 responsability 250 Ressentiment 152, 217, 244, 364, 387 Restitution (Wiedergutmachung) 125, 182 Restitutionstheorie (bei § 465) 119, 131 f., 133 Retardierung 163 Revolution (Ggs. Evolution) 151, 159, 217 f., 285 f., 360 f. Revolution (französische) 13, 25, 27, 2601, 285 f., 304, 354, 357 Revolution (deutsche, 1918 - 1945?) 150 f., 507 Rheinstein, Max 82
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Stichwortverzeichnis
Richter (Gerousie) 165 Revolution (im Richterzimmer) 360 Richter (kreatürlich) 165 Richter (nach § 839, 2) 490 Richter (Soziologie) 165 richterliche Norm (Richternorm) 200 f., 417 Richtigkeit 200, 202, 206 ff. right of privacy (Persönlichkeitsschutz in Amerika) 349 Risiko (risque crée) 73 f. Rolle (Rollentausch, Rollenspiel) 25, 309, 427 Rousseau, Jean Jaques 296, 355, 366, 377 Rübezahl und das Märchen von der schönen Emma 81 Rückerstattung s. Restitution, Entschädigungsgesetze Rufmord 352 Ruhe (subj. Recht auf . . . ) 331, 333 rule of law 87, 295, 413 Saarbrückener Geschäftsverteilungsfall 342, 351 f., 500 Sabinerinnen (Raub der . . . ) 76 Sache (Einheitssache, Gesamtsache, Sachgesamtheit) 128, 143, 145, 257, 268, 273 Sache (und Gedanke) 128, 143, 268 Sache (natural, ousia und legal, hexis) 145, 397 Sachbuch 551 Sachehre (nach E. Bloch) 55, 59, 62 Sachliche (das . . . nach W. Sauer) 55 Sachverhalt (Flucht in den . . . ) 168, 415 Sachverhalt (Lebenssachverhalt und normativer . . . ) 40 ff., 55, 374 f. Sachverhaltensprojektion 40 f., 347 f., 374 Säkularisierung (Säkularisation) 151, 161 Salica (lex) 191 Salomon (Prediger) 59 sanguis 18 Sanktion 24, 43, 72, 202 Sarkasmus 377 Satyagraha 281 Schacht-Briefe-Fall 183, 350 Schaden (bei actio filii) 119 Schaden (Affekt) 126 f. Schaden (anglo-amerik.) 137 ff. Schaden (global) 120 Schaden ( = Interesse) 117 Schaden (als 1. Tatbestandsmerkmal bei § 823, 1) 208 Schaden (Berechnung) 120 ff., 132 ff. Schaden (betr. Vermögen) 122, 126 Schaden (Drittschaden) 90 ff.
Schaden (natürlich, objektiv, subjektiv, typisch, normativ, total) 116, 123 Schaden (materiell und immateriell) 116, 127, 134 Schaden (unmittelbar und mittelbar, proximate und remote) 118 Schaden (real, reell) 127, 134, 208, s. real/reell Schaden (seelisch, psychisch) 124 ff. Schaden (Kenntnis vom Umfang) 108 f. Schadensersatzrecht (Bedeutung) 540 Schicht (soziale) 362 Schichten der Welt 107 Schiller, Friedrich (über den „schönen Verstand" und die „Schöngeisterei") 167 Schiller (Uber die menschliche „Würde", essen und wohnen) 354 Schiller (über „das Gemeine") 366 Schiller (über die Sprache) 426 Schiller (über die „rigorose Ethik", die Pflichtethik) 391 Schikane 445 Schlauheit 365 Schlüssigkeit 90 Schmarotzerei 166 Schlecht weggekommen 151 Schnack, Anton 43 Schmerz (was kostet dein Schmerz?) 125 Schmerzensgeld 130, 181 Schnelligkeit 77 Schöngeisterei 167 Schock 124 Schopenhauer, Arthur (über die „nichtswürdigen Infinitive") 193 Schopenhauer (über die „Rechnung ohne den Wirt") 81 Schopenhauer (über die Memnonssäule) 354 Schreiben, Lesen, Lernen s. lehren Schreibtischtäter 230 Schuld/Verschulden (das ganze Gespräch über Schuld und „Willen" kommt erst in Ordnung, wenn man zu den Aufträgen des als „social engineer" arbeitenden Juristen an erster Stelle zählt, daß er, in positiver Hinsicht, Rechtsfolgen nur an menschliche Tatbestände knüpft, bei denen Kongruenz von Physis und Psyche vorliegt, in negativer Hinsicht, daß er Rechtsfolgen vermeidet oder modifiziert, wenn in den entsprechenden Tatbeständen eine Störung a) der Physis, b) der Psyche, c) des Wechselverhältnisses zwischen Physis und
Stichwortverzeichnis Psyche gegeben ist, wobei nach „Unrechtsbewußtsein" oder Schuldinsbesondere Vorsatzbewußtsein gefragt werden muß, und „Unterbewußtsein" und „Unbewußtsein" psychologische und psychopathologische Kategorien darstellen) 23 f., 65-70 Schuldausschließung oder Rechtfertigung 443, 451 Schutzgesetz 461 Schutzposition 330 Schwab'sches Beispiel (Fall) 444 scult 18, 65 Sezession 499 Seele 28 f. Sein und Bewußtsein s. „Bewußtsein" Sein und Haben 212 Sein und Seiendes 40 f. Sein und Sollen (s. sollen) 11, 35 ff., 71, 153, 193 f., 195 f., 192, 198, 203 Selbstbestätigung 15, 62, 224, 262 Selbsterhaltung 435 Selbstgefährdung Selbsthilfe (Gewalt gegen . . . ) 213, 443 Selbstmord 392, 445 Selbstsein und Freiheit 14 Selbstverwaltung 283 f., 313, 243, 498 Semantik 307, 376 f. (Clauss) Semiotik 37, 145, 153, 375 ff. senatores boni v i r i . . . 317 Sentiment/Ressentiment 244 Sexualität (sex) 309, 363 Sezession 499 Sinn 45, 152, 165, 202, 206, 259, 261, 277 Sippe (Sippenhaft) 262 sit-in 228 Sitte und Sittlichkeit 25, 161, 156, 279 f., 321 f., 325, 377, 379, 381, 386, 389, 392, 397, 456, 463, 581 social = sozial social compact (Staatsvertrag) 413 social engineer 63 societas delinquere non potest 251, 425 sozial (generell) 45 ff., 49, 386 sozial/asozial 363 sozial/individuell 150, 163 Sozialadäquanz 46, 235, 269 ff., 447, 459 Sozialbürger 62 f. Sozialethik 25, 392 f. Soziale Gesetzmäßigkeit in der DDR 49, 68, 169 Sozialismus (Kommunismus, Kollektivismus) 49, 250 f., 269 ff., 275, 359 ff., 541
Sozialismus (Erhaltung der Arbeitswilligkeit) 11, 49, 57, 165, 251, 357 ff. Sozialismus (in der franz. Revolution) 356, 485 Sozialstaat 48, 294 Soziologie (im Recht) 201, 215 soziale Fahrlässigkeit 226 soziologisches Recht = z. B. § 447, wonach der Käufer, nicht der Verkäufer, die Versendungsgefahr trägt — heute spielt aber nicht der „arme" Käufer die Hauptrolle, sondern der „reiche" Verkäufer . . . die Rechtssoziologie behandelt z. B. die soziologische Rolle der §§ 823 ff. Ähnlich wie „Seiendes" und „Sein", sozialer Partner 25, 253, 379 ff. sozialer Vater 46 soziales Erfolgsunrecht 211 Solidarität (des Seelenvermögens) 243, 353 soll 35, 128, 195 Sollen 71 Sondergerichte (fliegende Gerichte) 200 Soraya (lex) 20, 139, 77 f. Sorge, Versorgung, Fürsorge, Vorsorge 12, 59, 177 f., 308 Sorgfalt (Sorgfaltspflicht) 67, 75, 83, 179, 231 f., 297, 339, 343 f., 369, 457 Souveränität 297, 496 Spasmus 245 Sphärenwechsel (Vertauschung) 103, 155 f. specialis (lex specialis derogat legi generali) 162, 258, 306, 547 Spezialist 58 Spezialität der Geisteswissenschaften (Abgrenzung von den Naturwissenschaften) 306, 543 f. Spezifikation (spezifisch) 113, 120 Spiegel Spieleffekt 60, 437 Spielregel 190, 204 ff. Spiritismus 127, 134 Spontaneität 54 Sprache 376 Spurenfolge 378 Statistik 158 Stieff (General) 278 Stil 546 Stiftung 512 Stimme der Toten (in Wirklichkeit: die Verwendung der Toten durch die Lebenden im Zeichen der „Nation" oder „der Menschheit") 278 stillschweigend/konkludent 211, 235 story (Story) 42 Strafurteil 400 Strafzumessung 155
572
Stichwortverzeichnis
Straße (Weg) 513 Struktur (Strukturalismus, strukturell) 80, 547 f. Studenten 35, 51, 59, 550 Subjekt (und Psyche 33 f. subjektiver Halbpart s. Halbpart subjektives commercium 397 Subordination 105, 340, 375, 487 sub rosa 255 Subsidiarität 487 Substanz/Funktion 197, 266 Subsumption 375 Subtraktionsprinzip 17, 513 Summe/Inbegriff 189, 256, 275 Surrogation 273 Swift, J. 355 Syllogismus 190, 375 Syllogismus (paradigmatischer) 375 Symbiose 257, 259, 317 Symbol (sprachlich) 376 symbol of Government (Arnold) 372 Sympathetik (Apathetik, Antipathetik) 199, 240 ff. Syndikalismus 160 Synkretismus 196, 203, 548 Synopsis 548 Syntaktik 377 System (Systemarbeit) 35, 85, 312 f., 548, 551 Staat (Absterben vor der Gesellschaft) 280 Staat (abstrakt) 274 Staat (deutscher Bundesstaat usw.) 272 Staat (alte Benennungen) 276 Staat (Bildersprache) 280 Staat (biologisch) 278 f., 281 Staat (dualistische Verwaltung) 282 Staat (Bürger gegen Staat) 295 Staat (de facto) 307, 384 Staat (Formen) 297 Staat (als Friedensordnung) 279, 281 Staat (Führungspersonal aus der Gesellschaft) 312 f. Staat (Gebiet, Gewalt, Volk) 271, 277 Staat (und Gesellschaft — Abgrenzung) 310 ff., 318 ff. Staat (Genossenscnaft oder jur. Person) Staat (gentleman und „Stadtbürger" in England) 276 Staat (Geschäftsbesorgung durch Menschen für den . . . ) 285, 392 Staat (die Staatsgewalten) 213, 277, 282, 285, 297, 413 Staat (Haftung, insbes. für subalterne Amtsträger) 520, 523 Staat (Ideen und Ideologien) 145, 275, 280
Staat (hoheitlich oder fiskalisch) s. fiskalisch, Fiskus Staat (als Institution) 275, 278 Staat (Kompetenzen der Staatsorgane/Funktionäre) 28 Staat (Kontrollen) 287 ff. Staat (und Macht) s. Macht Staat (Staatspolitik und Machtpolitik) 275 Staat (mandativ und mandatorisch) 283, 286 Staat (Staatsnotstand) 281 ff. Staat („offen" oder „geschlossen") 275 Staat (Organisationen) 282 Staat (Herrschaft über Personen oder Sachen) 323 Staat (als Obrigkeitsstaat) 285 f. Staat (realontologisch) 280 Staat (Rätestaat, Funktionärsrätestaat) 296, s. Funktion, Funktionär Staat (und Recht) 279, 295 Staat (als Rechtsstaat) 293 ff., 412, 525 Staat (als Sozialstaat) 48, 294, 362, 248 Staat (als „societas naturalis") 278, 281 Staat („Staaten im Staate", Quasistaaten, Staaten „im Tubus-System") 281 ff. Staat (und Stand) 313 Staat (als Verband) 272 Staat (als „Wirkungszusammenhang") 280 Staatsraison 422, 500 Staatswerbung 263 Städteordnungen (Heinrich I I . in England, Stein) 313 Stammesgeschichte (menschliche) 165 Stammler'sche Theorien zur Rechtsbesserung 419 Starkstrom-Kabel-Fall 349 Statistik 62, 158, 179 Status („statu" nach Macchiavelli und Tiepolo — Maine, „From status to contract") 15, 82, 194, 199, 243, 267, 270, 274, 309, 313, 361, 367, 440, 513 steuern/ansteuern 210, 335 Subjekt 33 f., 81 Subsidiarität 101 ff., 490 Tabu (Tabuierung) 364, 550 Täuschung (Oberbegriff für Lüge u. Fälschung) 57 Täterpersönlichkeit und Täterstrafrecht (Ggs. Tatstraf recht) 155 Tat und „Tat tötet den Mann" 23 Tatbericht 155 Tatbestand und Entscheidungsgründe 542
Stichwortverzeichnis Tatbestand und Rechtsfolge 42, 188, 549 Tatbestand/Tatbestandsmerkmale 42 ff. Tatfrage und Rechtsfrage 43 Tatsache 42 ff., 203 f., 209, 236 Tanz 359 Taxie 11 Teichoskopie (die juristische) 83, 245 Teilhabe (dialektische) 107 team 260 Teilnahmelehre (nach Strafrecht und § 830) 538 Terrorsystem (und der Befehlsnotstand) 445, 455 test (subjektiver und objektiver) 23 f. Theorie (Rechtstheorie) 436, 541 f. third party notice (bei mehreren Delinquenten) 538 thukididäisches Gespräch zwischen Athenern und Meiern 391 thymos (Gefühl, Gemüt) 64 Tier und Mensch 26 f. Tier-Bewußtsein 28 Tier (Haftung für das . . . ) 23, 34, 466 f. Tiefenqualifikation 64 Tiefenpsychologie 30 Tod 278, 347 Todesbewußtsein (permanente Realisierung der Endlichkeit durch den Menschen) 28 too remote (betr. indirekten Schaden) 118 Topos (Topik nach Aristoteles, der Sophistik und Cicero — Schnittpunkt zweier Koordinaten) 325, 373 Topik und Utopie 216, 245, 373 total/isoliert (bei Handlung u. Norm) 191, 238, 272, 370 ff. totalitär 33, 286 Totem 78, 364 Transformation (die institutionelle) 407 Transformationstheorie 544 transitorische Rechtsfähigkeit 271 f., 526 transzendent/transzendental 410, 433 Transmission 81, 250, 524 (doppelte: 524) Transplantation 367 Traum (der amerikanische) 279 Trauma 124, 331 tresspass 19 Treuhand/Treuhänder 479 Treitschke, H. v. 358 Trinität der „geistigen" Unfähigkeit 247 Trick 441 Trieb 11, 14, 213, 224, 243 Trinität der Normen 200 f.
Tubus (Tubus-System, Staate) 284, 313, 499 Tugend s. Virtu Tumultschaden 21 in pari turpitudine 391 Typ/Typus 246
Staat
im
Uberbau (praktisch, ideologisch, biologisch) 144, 155, 259 Überdetermination 57 Überwege Logik 193 überhängender Vollzug 110 ultra vires 497 Umweltschutz 356 Umwertung aller Werte nach Nietzsche 208 unbrauchbar/brauchbar (soziale Bewertung) 59, 67 Unbewußte (das) 66, 152 Unterbewußtsein s. Sein und Bewußtsein underdog 361 „ungesellige Gesellschaft" nach Kant 241 unabwendbares Ereignis 179 Ungültigkeit (Oberbegriff für Inexistenz u. Unwirksamkeit, auch „faktische") 202, 382 ff., 397 Unfallneurose (naturale, legale) 50 ff. Universität 154 Universalienstreit 268, 270 universitas 270, 273 unmittelbar/mittelbar 90, 345, s. a. „too remote", 90, 346 Unmöglichkeit (psychische, praktische) 227, 496, 500, 505 Unrecht (u. Recht) 106, 189, 206, s. konträres- u. kontradiktorisches Urteil Unrecht und Nichtrecht 200, 368 Unrecht statt Recht 200, 201 Unrechtsbewußtsein (Ggs. „Vorsatztheorie", gemeint ist „Unre'chtsbewußtsein und Schuldbewußtsein")
200, 202
Unredlichkeit 210, 439 ff., 493 f. Unsterblichkeit 151 f. Unterlassung nach der „Natur der Sache" 232 Unterlassung als Tatbestand und als Rechtsfolge 182 ff., 231 ff., 322 f., 544, 549 Unterlassungsgebot s. „Gefahrenherrschaft" und „Verkehrspflicht" Unterlassung der Ehestörung 186 f. Unternehmen/Unternehmer 347, 362, 511, 525, 25 ff. Unterschlagung 210
574
Stichwortverzeichnis
Untersuchungsausschuß (des Parlaments) 158 Urhorde 263 f. Ursache 52 f. Urteil, juristisch, insbes. Feststellungsurteil 199, 490 Urteil, logisch 31, 35, 106, 128, 140 f., 143, 145, 158, 167, 193, 195 ff., 438 Urteil (Aussageurteil und Werturteil) 31, 33, 36, 143, 195, 197, 199,
202, 280
Urteil (Werturteil als „warmes Wissen" nach A. Reinach) 146, 195, 199, 208, 438 Urteil, logisch, per Élan oder per Kontemplation 167 Urteilskraft 193, 246, 371 Urteilstheorie bei der Norm (Ggs. Imperativtheorie nach Thon) 194 Urteilszwang („wir sind zum Urteil geboren . . . " ) 143 Unzucht 391 Usance 379 usueller Wortsinn (u. konkreter Satzsinn nach Heck) 398 Utilitarismus 224, 367, 390 Utopie 216, 373
Valenz/Potenz 20, 32 Vaterland 278 vehicle 376 venire contra factum proprium 234 Veränderung (des Menschen oder der Welt) 11, 366 Verantwortlichkeit/Verantwortung 65, 220 Verband 253 ff., 342, 510 Verband (die unterwandernden I n teressenverbände) 285 Verband (Personenverband und Verbandsperson) 266 ff. Verband (Personenverband und Verbandsperson, historisch) 267 ff. Verbotsirrtum 443 Verbandshandlung 256 Verbund 250, 267 Verdrängung 55, 152, 210, 365 Verein, eingetragener oder nichteingetragener 508 Verfassung und „Verfassungswirklichkeit" 142, 302 Verfassungswidrigkeit 202 Verhalten/behaviorism 11, 58, 165, 233 f. (response to stimulus), 204 Verhaltensmensch 234 Verhaltensnorm 233 Verjährung (bei der fortgesetzten Handlung) 108
Verkehr s. Auto (Nutzungsausfall, „die alte Frau auf der Autobahn") 76, 84, 91, 129, 170, 174 Verkehrspflicht 181 f. Verkehrssorgfalt 235, 338 (s. a. 344, 465) Verkehrsrichtigkeit 442 Vermögen (einschließlich „Vermögensbeschädigung", „geschütztes Vermögen", Vermögens Verschiebung 112, 331, 460 Vernunft vertrauen 143 Verschulden (schwer) 455 Versionsklage 112, 114 Versprechen und Vertrag, Versprechen z. G. Dritter 18, 82, 265, 305 Verstand/Vernunft 30 ff., 32, 51, 109, 142, 144, 153 f., 162, 194, 355, 365, 413, 551 Verstehen 40 Vertrag (sozialistischer Vertrag in Bezug auf Urheberrechte) 273, 365, 410, 413 Vertrag (Willenstheorie und Konsenstheorie, Willensmassierung) 265 f., 273 Vertrauensgrundsatz (auch im Straßenverkehr) 76 f., 83 Vertrauenschaden 120 Vertreter 175, 379 verum et factum convertuntur 158 Verwahrlosung des Rechtsgedankens 225 Verwaltungskontrolle (Külz'sche Thesen) 291 ff. Verwaltungsgerichtsordnung 493, 499, 515 Verweigerungserlebnis 59, 152 Verwirkung (auch faktisch) 95, 121 Verzeihung (im Scheidungsredit) 41 vested right 329, 413 f. Veto 287, 398, 507 vi, clam, precario 244 vindicatio (insbes. filii vel filiae) 18, s. actio filii Vinkulation 180 violence 19 Virtu (Lust zur Virtu) 156 Virulenz (der Norm) 261 vis 216, 229, 245, 255 Vischer, F. Th. 31, 157, 548 vita perfecta, 57, 245 vita reducta 367 vitalistisch/mechanistisch 11, 152, 246 Vogelflügel 105 Volk 62, 278, 303 f., 313, 355 (nach Lenin), 379 Volk (Heil aus dem Volk) 301, 304 Volksbegehren bei der unmittelbaren Demokratie 279, 296
Stichwortverzeichnis Volksbrauch 379 Volk (als Gefolge) 278, 310 Volk und Gesellschaft 303, 304 Volksgeist 62, 379, 423 f., 427, 592 Volksschichtung 379 Vorhandenheit und Zuhandenheit (nach Heidegger) 84 Vorsatz (uneingeschränkte Vorsatztheorie) 68 Vorsorge 59 Vorurteil 141, 143 Vorzug 13 f., 32, 141, 143, 206, 244, 390 Wachablösung 466, 469 Währung 316 Wagner, Richard 102 wahr 195, 438 Wahrhaftigkeit (auch des Autors) 438 f. Wahrheit/Wahrscheinlichkeit 101, 114, 158, 195 f., 435, 437 f., 455, 544 warranty 19 „warmes Urteilswissen (nach A. Reinach) 199 Wartezeit (generationelle) 363 Weber, Alfred 359, 363 Weber, Max 197, 384 Wedekind, Frank (über Moral und Ästhetik) 389 Wegerecht 346, 513, 527 Wehrpflicht/Wehrdienst 322 Welt (Weltanschauung) 150 Welt (Aufnahme) 27 Welt (Entstehung) 54 Welt (objektiv) 84 Welt (Weltgeist) 275 Welt („heile" und „unheile") 365 Welt (neue und alte) 386 Welt (Schichten) 27, 107 Weltkriege 150 f. wer 35, 94, 251, 253, 489 werden 30 ff., 40 f., 65, 140 f., 153, 161, 194 ff. Wert/Wertung/Werturteil 14, 32, 106, 141 f., 195, 199, 244, 280 Wertrelativismus 206 ff. Widerrechtlichkeit 386 f., 442 f. Widersprüchlichkeit (einer Norm) 202, 417 Widerstand (Widerstandsrecht) 33, 37, 48, 217, 244, 303, 365, 441 will ( = testament) 244 Wiener Schule 420 Wille und Freiheit 13, 242 ff. Wille des Gesetzgebers 244 Wille (juristisch und psychologisch) 242 ff. Wille (nach Kant) 13, 245 Willensautonomie 245 Willensbeugung (durch Narkotika u. Hypnose) 219
Willenserklärung und Rechtsgeschäft 241 Willenserklärung und Wissenserklärung 241, 397 Willensopposition (im StammlerFall) 241 Willensmonomanie (nach E. Rabel) 243 Willenstheorie und Vorstellungstheorie 456 Wir-Gefühl 278 Wirkungszusammenhang 145, 280 Wirklichkeit 167 f., 189 Wirtschaft/wirtschaftlich 253 Wissenserklärung 241, 397 Wissenschaft 61, 154, 167, 253, 432, 542, 544, 549 (s. Rechtswissenschaft) Wittgenstein, Ludwig 43 Wodtke, Wolfgang 320 ff. Wohlfahrtsstaat 61 Wohlstandsinfantilität 63 Wohlstandsstaat 61 Wollensbedingung (und Willkürbedingung) 225, 241 Workuta 93, 328 Würde 161, 202, 246, 354, 391, 501 Zahl (Not der Zahl, Mehrzahl und Mehrheit) 266 f., 272 Zahlenoptik bei der jur. Person 266 ff., 269 Zahlenoptik bei der Staatskonstruktion 272 Zasius, Ulrich 303, 545 Zeichen (als Wort) 211, 376 Zeit 127, 140, 152 f., 429 Zeitkomputation Zeugnis 90 Zeugung (als Delikt) 245 Ziel 227, 223, 244 Zimmermann, L. 214 zoologisch/Zoologie 279, 323 f., 372, 397 Zoon und Mensch 26 f., 161, 266, 431 ff., 441 Zuhandenheit (Heidegger) 84 Zukunft 152 f., 358 Zurechnung 65, 67, 220, 231, 456 f. „zurück zu den Sachen" 148, 316 Zustand und Zustandshaftung 12, 42, 209, 239 Zuweisungsnorm 205 f. Zuwendung 66, 220, 243 Zwang ( = aktuelle Gewalt) 20, 213, 255 Zwang (Freiheitswiderpart) 13 f., 213 f., 248 f. Zweck 223 f., 227, 244, 390 f. Zweifel (nach Augustin) 58, 208, 262 zyklothym 548