Das Recht als System [1 ed.] 9783428454990, 9783428054992


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German Pages 139 Year 1983

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Das Recht als System [1 ed.]
 9783428454990, 9783428054992

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Franz-Joseph Peine / Das Recht als System

Schriften zur

Rechtstheorie

Heft 109

Das Recht als System

Von Priv.-Doz. Dr. Franz-Joseph Peine

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Peine, Franz-Joseph: Das Recht als System / von Franz-Joseph Peine. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1983. (Schriften zur Rechtstheorie; H. 109) I S B N 3-428-05499-7 NE: G T

Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05499 7

Für Hannelore

Vorwort Die Abhandlung war ursprünglich als Teil einer Schrift verfaßt, die unter dem Titel ,Systemgerechtigkeit 1 das Problem der Selbstbindung des Gesetzgebers behandelt und die die Fakultät für Hechtswissenschaft der Universität Bielefeld i m Dezember 1982 als Habilitationsleistung annahm. Die hier vorgelegte Untersuchung erörterte dort eine Vorfrage. Ich habe sie aus jenem Zusammenhang gelöst, nicht deshalb, w e i l sie dort überflüssig war, sondern u m die Frage i n einem breiteren Rahmen als dort angemessen erörtern zu können. Herzlichen Dank möchte ich auch an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer Hans-Jürgen Papier sagen, der mich i n jeder Hinsicht seit Herbst 1974 unterstützt hat, als ich begann, an seinem Lehrstuhl meine ersten wissenschaftlichen Versuche zu unternehmen. Mein Dank gilt auch Gerhard Otte, der diesen rechtstheoretischen Entwurf durch Rat und Tat förderte. Bielefeld, i m M a i 1983 F.-J. P.

Inhaltsverzeichnis Α. Die Frage: Das Recht — ein System? I. I m p l i k a t i o n e n u n d Anlaß der Fragestellung I I . Die A n t w o r t von Canaris: Das Recht als axiologisches System allgemeiner Rechtsprinzipien

11 11 16

1. Seine Lehre

16

2. K r i t i k

20

I I I . Konsequenzen B. Der ,allgemeine' Systembegriff I. Z u r Notwendigkeit dieses Rückgriffs; erste Konsequenzen I I . »Allgemeine' Systemdefinitionen I I I . Analyse u n d Konsequenzen

27 29 29 32 39

1. Die Vieldeutigkeit des Systembegriffs

39

2. Akzeptable u n d nicht akzeptable Systembegriffe

39

3. E i n - u n d zweibezüglicher Systembegriff

40

4. Entscheidung zugunsten eines Systembegriffs?

44

5. Entscheidungszwang f ü r den Bereich der Rechtswissenschaft?

48

6. Ergebnisse

53

I V . Die E x p l i k a t i o n der Systembegriffe

53

1. Der einbezügliche Systembegriff

54

2. Der zweibezügliche Systembegriff

54

C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

60

I. Das Element des Rechtssystems

60

1. Vorgefundene Elemente, Eignungskriterien

60

2. Ausscheidende Elemente

62

3. Werte als systembildendes Element

76

4. Die Rechtswerte

94

5. Die Geeignetheit der Werte f ü r die Systembildung

96

I I . Das Verhältnis der Elemente zueinander 1. Berücksichtigungsbedürftige Fakten

98 99

2. Die Verbindung der Zwecke miteinander

107

I I I . Die Präzisierung des Begriffs ,Rechtssystem'

113

10

Inhaltsverzeichnis

D. Konkrete Systembildungen im Recht

114

I. Das axiomatische Rechtssystem

114

1. Das gesamte Recht als System

114

2. Teilsysteme

122

I I . Das teleologische Rechtssystem

123

1. Das gesamte Recht als System

123

2. Teilsysteme

124

E. Die Antwort: Das Recht — zum Teil ein System

125

Literaturverzeichnis

126

Α· Die Frage: Das Recht — ein System? I . I m p l i k a t i o n e n u n d A n l a ß der Fragestellung V o m Recht, dieses v e r s t a n d e n als S u m m e a l l e r geschriebenen u n d ungeschriebenen Rechtsnormen, v o m Recht i n diesem S i n n e als S y s t e m z u sprechen, i s t d e m J u r i s t e n d e r a r t g e l ä u f i g , daß e i n N a c h w e i s dieses Sprachgebrauchs S e i t e n f ü l l e n k ö n n t e . D i e s e r Sprachgebrauch i s t f r e i l i c h n i c h t i n e i n e r Weise b e l i e b i g , w i e a n g e n o m m e n w e r d e n k ö n n t e , w i r d d i e V e r w e n d u n g des B e g r i f f s ,System' i n d e n B l i c k g e n o m m e n . D i e s e r B e g r i f f g e h ö r t z u denen, d i e w o h l a m ehesten i n d e r L a g e sind, z u U n k l a r h e i t e n u n d Mißverständnissen zu führen 1, da er ein allgemein v e r w a n d t e r 2 i s t u n d u n i v e r s e l l eingesetzt 3 w i r d . D e m e n t s p r e c h e n d v e r schieden s i n d seine B e d e u t u n g e n u n d d i e Gebiete, i n d e n e n er z u m Einsatz g e l a n g t . F ü r das Recht l ä ß t sich eine dreifache N u t z u n g des B e g r i f f s ,System* u n t e r s c h e i d e n : 1. w i r d v o m Recht als S y s t e m gesprochen, o h n e m i t dieser W o r t w a h l spezifische A n s p r ü c h e z u v e r b i n d e n ; 2. w i r d das Recht als H a n d l u n g s s y s t e m c h a r a k t e r i s i e r t 4 ; 3. w i r d das Recht als dogmatisches 5 S y s t e m gedeutet, u n d es w e r d e n a n diese 1

So ebenfalls Hufen, Gleichheitssatz, S. 93, A n m . 280; ders., AöR 1975, 222 f. So Zacher, AöR 1968, 354. 3 v. d. Stein, Systembegriff, S. 1. Die universelle Verwendung des Begriffs bedeutet nicht, daß er dem Bereich der Wissenschaftstheorie entstammt oder i h m heute zuzurechnen ist. Wissenschaftstheorie ist Metatheorie der einzelwissenschaftlichen Erkenntnis, sie hat Sätze, „Systeme" v o n Aussagen u n d Begriffen, linguistische Begriffe einer Objektsprache u n d deren semantische Entsprechungen, Argumentations- u n d Begründungsweisen zum Gegenstand; vgl. Stegmüller, S. 1, 15. 4 Luhmann, Garrn. 5 Das A u f f i n d e n des Systems i m Recht ist Aufgabe der Dogmatik. Was Dogmatik bzw. juristische Dogmatik oder Dogmatik der Sache nach ist, ist freilich umstritten. Die herrschende Lehre versteht unter Dogmatik die von i h r tatsächlich betriebene Rechtswissenschaft i m engeren u n d eigentlichen Sinne, vgl. dazu Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 209. Das ist ein Gemenge von mindestens drei zu unterscheidenden Tätigkeiten: 1. die Beschreibung des geltenden Rechts, 2. seine begrifflich-systematische Durchdringung sow i e 3. die Erarbeitung von Vorschlägen zur Lösung problematischer Rechtsfälle, vgl. hierzu Alexy, Theorie, S. 307 f. Entsprechend diesen drei T ä t i g keiten, Folge des Umstandes, daß die Rechtsdogmatik eine „mehrdimensionale T ä t i g k e i t " ist, (Dreier, Rechtstheorie, S. 15), lassen sich drei Dimensionen unterscheiden: eine deskriptiv-empirische, eine logisch-analytische u n d eine normativ-praktische, vgl. Alexy, ebd. Andere Differenzierungen finden sich z.B. bei Adomeit, Zivilrechtstheorie, S. 504, A n m . 8; Dreier, ebd. Das 2

12

Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

Deutung Folgen geknüpft®. Soweit das Recht als System bezeichnet wird, ohne daß damit Spezifisches ausgedrückt sein soll, ist diese Redeweise möglicherweise umgangssprachlich und vielleicht Ausdruck sprachlicher Verlegenheit; sie kann aber keiner K r i t i k unterliegen: Die generelle Nutzung des Topos setzt sich nur i m Bereich des Rechts fort. Er dient als ,Füllwort 4 oder als ,Schlagwort', dem Relevanz nicht zukommen soll und dem deshalb auch keine Bedeutung beizumessen ist. Soweit das Recht als soziales Handlungssystem charakterisiert wird, soziales System werde definiert als „ein Sinnzusammenhang sozialer Handlungen, die aufeinander verweisen und sich von einer Umwelt nicht dazugehöriger Handlungen abgrenzen lassen" 7 , w i r d eine Betrachtungsweise gepflegt, die i n Deutschland Beliebtheit erlangte als Folge des Bekanntwerdens der Systemtheorie 8 . Gegen diese soziologische Erfassung des Rechts kann nichts erinnert werden; freilich ist für den dogmatisch orientierten Juristen ein unmittelbarer Ertrag dieser Sichtweise nicht auf der Hand liegend 9 . Eine Auseinandersetzung m i t ihr ist nicht Anliegen der Untersuchung. W i r d System hingegen i m Sinne der dritten Kategorie verwendet, verknüpfen sich m i t der Bezeichnung Folgen, ist die Aufmerksamkeit des Juristen i n doppelter Hinsicht gefordert: 1. Ist das Recht als Ganzes oder i n Teilen überhaupt ein System? 2. Welches sind die daran A u f f i n d e n von Systemen erfordert einen Einsatz der ersten beiden T ä t i g keiten. Anstatt v o m heutigen Wortgebrauch des Begriffs Dogmatik auszugehen, k a n n auch eine Analyse des Begriffs Dogmatik, seiner Geschichte u n d seiner Verwendung i n anderen Disziplinen, insbesondere i n der Theologie, versucht werden. Das ist hier freilich ohne Bedeutung, es genügt die Feststellung, was die herrschende Auffassung unter Dogmatik versteht, w e i l die U n t e r suchung diesem Verständnis folgt. Z u den angedeuteten anderen Vorgehensweisen siehe z.B. Meyer-Cording, S. 7ff.; Thul, S. 241 ff.; de Lazzer, S. 87. β Das t u n a l l diejenigen, die an den Topos Systemgerechtigkeit Folgen knüpfen; Nachw. dazu demnächst i n meiner Schrift: „Systemgerechtigkeit — Die Selbstbindung des Gesetzgebers — ein Maßstab der Normenkontrolle?" 7 Luhmann, KZSS 1967, 617; F. Müller, Einheit, S. 185, A n m . 466. — Rechtssystem i n diesem Sinn ist ein Teilsystem des Systems der sozialen Realität, der Gesellschaft. Die Differenz von I n n e n u n d Außen konstituiert diesen Systembegriff. L u h m a n n fordert eine Umstellung des Rechtsdenkens von Begriffssystemen auf Handlungssysteme, vgl. Rechtssystem, S. 12. 8 Als i h r Begründer darf Ludwig von Bertalanffy gelten, der sie i n den 30er Jahren dieses Jahrhunderts entwickelte. Sie erzielte ihren Durchbruch i n den 50er Jahren i n den USA durch Talcott Parsons, der sie i n den Sozialwissenschaften fruchtbar machte. A n i h n k n ü p f t L u h m a n n an, dem die deutsche Soziologie die Kenntnisnahme u n d Weiterentwicklung der Systemtheorie verdankt. — Eine knappe Darstellung der Entwicklung u n d des Inhaltes dieser Theorie bei Suhr, EStL, Sp. 2598 ff. 9 Ebenso Willke, S. 14: „Festzuhalten ist, daß der Systembegriff der soziologischen Systemtheorie m i t dem Begriff des dogmatischen Systems der Rechtswissenschaft nichts zu t u n hat". Gemeint ist, daß das soziologische System m i t dem dogmatischen System nichts zu t u n hat.

I. Implikationen u n d Anlaß der Fragestellung

13

geknüpften Konsequenzen? Für die reale Möglichkeit der zweiten Frage bildet die Bejahung der ersten eine notwendige Bedingung. Denn enthält das Recht kein System, entbehren die Konsequenzen der Basis und werden hinfällig. Einige von ihnen seien vorgestellt, u m die nicht nur theoretische, sondern auch praktische Relevanz der Charakterisierung des Rechts als System zu belegen: Es w i r d zum einen behauptet, „systemwidrige Normen können wegen des i n ihnen enthaltenen Wertungswiderspruchs gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstoßen und daher nichtig sein" 10 , es könne eine Abweichung von den einen Rechtskreis bestimmenden Grundregeln „ein Indiz für W i l l k ü r sein, . . . wenn damit das System des Gesetzes ohne zureichende sachliche Gründe verlassen w i r d " 1 1 , ein Verstoß gegen A r t . 3 Abs. 1 GG könne i n einer „neuartigen, aus System, Sinn und Zweck des bisherigen Gesetzes herausfallenden abweichenden Regelung" liegen 12 . Ist das Problem des Systemcharakters des Rechts ein rechtstheoretisches, so werden i n diesen Zitaten Verfassungsrecht und Rechtstheorie m i t einander verwoben. — Zum anderen gehört zum klassischen Interpretationskanon die systematische Methode 13 , die ihrerseits eine systematische4 i m Sinne einer Argumentation aus dem System nur dann sein kann, wenn i m Recht ein System vorhanden ist. Das ,System' erfährt damit, zumindest verbal, unmittelbare praktische Bedeutung. Ist das Recht aber ein System, wie i n den Zitaten offenbar unproblematisch vorausgesetzt wird? W i r d ein belangvoller Sprachgebrauch unterstellt, so w i r d an eine für Juristen nicht bedeutungslose Tradition erinnert. Das Recht als System zu verstehen, war für frühere Juristengenerationen eine pure Selbstverständlichkeit. Das Ideal der 10

Canaris , Systemdenken, S. 125; i m Original hervorgehoben. BVerfGE 18, 315/334. 12 BVerfGE 7, 129/153; 12, 264/273. 13 Die systematische Interpretation des Rechts gehört seit Savigny zum Handwerkszeug des Juristen. Über Savignys Methodenlehre (vgl. System I, S. 212 ff.; der K a n o n w a r schon entwickelt i n seiner juristischen Methodenlehre, Kollegnachschrift von Jacob Grimm, S. 19 ff.) w i r d selten hinausgegangen, s. dazu Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, 67 ff., 224 ff.; Kriele, Rechtsgewinnung. Der Katalog ist freilich verfeinert worden, vgl. dazu allgemein Fikentscher, I I I , S. 668 ff. — Ob m i t der systematischen Interpretation aber immer eine Interpretation der i n Frage stehenden N o r m aus dem System gemeint ist, ist zunächst fraglich: Denn auch diese setzt das Erkennen eines Systems voraus, das wiederum verlangt nach einem bestimmten Systembegriff. D a r u m geht es jedoch zumeist nicht. Larenz, Methodenlehre, S. 305 ff. stellt fest, zur Erkenntnis des Norminhaltes könne die systematische Stell u n g der N o r m i m Gesetz beitragen. Das ist keine Interpretation aus dem System, denn die Gliederung eines Gesetzes entspricht nicht einem für das Recht relevanten Systembegriff. Die Larenzsche Beschreibung der systematischen Interpretation deckt sich m i t der herrschenden Auffassung, vgl. Fikentscher, I I I , S. 672: „ B e i der Auslegung nach . . . System schließt m a n v o m Gesetzesaufbau auf den I n h a l t gesetzlicher Regelungen". 11

14

Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

Rechtswissenschaft des vorigen Jahrhunderts bildete der Versuch, alle Rechtsbegriffe und Rechtsregeln zu einer großen Einheit zu entwickeln 14 . Wurzeln besaß diese Neigung zum System, dieser ,Systemgedanke', zum einen i n der überkommenen Naturrechtslehre 15 , zum anderen i n der Philosophie des deutschen Idealismus 18 . Es wurde die Konstruktion eines letzten transzendentalen Grundes unternommen, eines Punktes, aus dem die Welt nachdenkend zu begreifen sei; das „Wahre" als das „Ganze", d.h.: als die i n sich kreisende, den Gegensatz ebenso einschließende wie i n sich aufhebende Bewegung des „konkreten" Begriffes sollte zur Darstellung gelangen 17 . „Das System 4 bedeutete hier also weit mehr als nur die Übersichtlichkeit und leichtere Beherrschbarkeit des Stoffes; es bedeutete die einzig mögliche Weise, i n der sich der erkennende Geist der Wahrheit zu versichern vermag: K r i t e r i u m der inneren ,Vernünftigkeit', unerläßliche Anforderung echter Wissenschaftlichkeit" 1 8 . Diese durch die Suche nach dem System, m i t dem Streben nach dem Aufbau eines Systems vermittelte Gewißheit von der Wissenschaftlichkeit der Arbeit 1 9 ist heute erschüttert. Wissenschaftliches Arbeiten w i r d nicht mehr ausschließlich mit systematischem Arbeiten identifiziert. Es wird, freilich nicht generell 20 , 1. das Bemühen u m sprachliche Klarheit, 2. die Ermöglichung von Kontrolle durch andere Wissen14 F. C. v. Savigny, Methodenlehre, S. 25; Z u r Charakterisierung als Ideal: Dubischar, Vorstudium, S. 19. 15 Larenz, Methodenlehre, S. 20. 16 F. Müller, Einheit, S. 93 ff. 17 Fichte, Schelling, Hegel, s. Larenz, Methodenlehre, S. 20. 18 Larenz, ebd., S. 20. 19 Fichte, § 1 behauptet: „Eine Wissenschaft hat systematische F o r m ; alle Sätze i n i h r hängen i n dem einzigen Grundsatz zusammen u n d vereinigen sich i n i h m zu einem Ganzen". F ü r i h n ist Wissenschaft i m eigentlichen Sinne m i t h i n durch den Systemcharakter bestimmt. Ä h n l i c h schon zuvor Kant, K r i t i k , S. 860 ff.: „ I c h verstehe unter Architektonik die K u n s t der Systeme. W e i l die systematische Einheit dasjenige ist, was gemeine E r k e n n t nis allererst zur Wissenschaft macht, d. h. aus einem bloßen Aggregat desselben ein System macht, . . . " . Diese Wissenschaftskonzeption hatte i n der Philosophie bis Hegel Gültigkeit besessen. 20 Wohlgenannt, Wissenschaft, S. 238 fordert als K r i t e r i e n der Wissenschaftlichkeit: 1.: Eine Klasse bzw. eine Gesamtheit von Sätzen, f ü r die der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben w i r d , darf nicht zwei einander widersprechende Aussagen u n d auch nicht eine i n sich selbst widersprechende Aussage enthalten. 2.: Wenn f ü r ein Aussagengesamt bestimmte A b leitungsansprüche gestellt werden, so müssen bei der A b l e i t u n g die Regeln der L o g i k erfüllt sein. 3.: Die Aussagen müssen prüfbar, also der Wahrheitsw e r t der Aussagen muß feststellbar sein. 4.: Die Aussageformeln müssen i n einem Systemzusammenhang stehen, vgl. S. 248 ff. Z u r Begründung bezieht er sich bezeichnenderweise auf K a n t : Wissenschaft ist ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes von Erkenntnissen. Siehe ferner auch Frege , Logik, S. 261 : „ N u r i m Systeme vollendet sich die Wissenschaft. A u f das System darf nicht verzichtet werden. N u r durch das System k a n n man zur vollen K l a r h e i t u n d Ordnung gelangen".

I. I m p l i k a t i o n e n u n d Anlaß der Fragestellung

15

schaftler und 3. eine rationale Argumentation gefordert 21 . Es darf angenommen werden, daß das System seine Geltung als eigentliches Wissenschaftskriterium verloren hat, aber als wissenschaftslogische Kategorie weiterbesteht 22 . Damit ist, wissenschaftsgeschichtlich gesehen, ein Grund dafür entfallen, nach Systemen i m Recht zu suchen bzw. das Recht als solches von vornherein als System zu charakterisieren. Ein weiterer Grund für eine vorsichtigere Beurteilung des Rechts als System bildet die Tatsache, daß es nicht hinreicht, „einfach von ,System4 oder systematisieren 4 zu reden, wenn es, wie das Schrifttum ausweist, eine Fülle unterschiedlicher Systembegriffe i n praktischer Verwendung gibt 4 4 2 3 . Wenn der Begriff ,System4 a priori nicht bestimmt ist, kann das Recht auch nicht a priori ein System bilden oder beinhalten, denn der Begriff bedarf selbst der Klärung. M i t Blick auf das konkrete Recht stellen sich Zweifel an seinem systematischen Charakter ferner deshalb ein, weil ein aus verschiedenen Zeiten stammender Normenbestand, den zudem noch unterschiedliche Qualität kennzeichnet: oft ist eine Norm nur Produkt tagespolitischer Reaktion, schwer als ,System4 vorstellbar erscheint. Während diese Überlegungen Zweifel daran nähren, ob denn das Recht ein ,System 4 enthält, wurde die Nichtexistenz von Zweifeln als Bedingung der Möglichkeit eines Angriffs geradezu vorausgesetzt: Es wurde das System als für die Rechtsgewinnung relevant bestritten 24 . Diese Angriffe erzeugten eine Gegenbewegung Ende der 60er Jahre. Die Revitalisierung des Systemdenkens fungierte als Abwehrmittel gegen die Topik 2 5 : Altes wurde mit Altem bekämpft. Die Tatsache, daß das ,Systemdenken 4 i m Bereich der Jurisprudenz Tradition hat, sowie die Tatsache, daß die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Tradition Zweifeln ausgesetzt ist, läßt eine Diskussion des Problems: ob das Recht ein System ist bzw. enthält, nicht entfallen. Notwendig ist diese Diskussion aber wegen der aufgezeigten Verknüpfung von Rechtstheorie und Verfassungsrecht. Dieses praktische Interesse, das angesichts eines vielfachen A u f greif ens jener Äußerungen virulent ist2®, haben die folgenden Überlegungen über den ,Systemcharakter 4 des Rechts ausgelöst. Also: Ist oder enthält das Recht ein System, an das verfassungsrechtliche Konsequenzen geknüpft sein können2®21? 21

Stegmüller, S. 5 ff. v. d. Stein, Wissenschaftskriterium, S. 107. 28 Fikentscher, I V , S. 85; ebenso, m i t Bezug zum hier erörterten Problemkreis, F. Müller, Einheit, S. 89: „ . . . so ist der Gedanke des rechtswissenschaftlichen Systems genauer zu fassen". 24 ζ. B. von den Vertretern der Topik, s. Viehweg, Topik u n d Jurisprudenz. 25 Siehe Canaris , Systemdenken, S. 135 ff. 26 Siehe A n m . 6. 2 a ® Die Fragestellung ist eine eingegrenzte. Es w i r d also nicht nach dem 22

16

Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

I I . Die Antwort von Canaris: Das Recht als axiologisches System allgemeiner Rechtsprinzipien Die Frage hat Canaris 27 positiv beantwortet. Die Richtigkeit der A n t w o r t ist vielfach ohne weitere Problematisierung unterstellt 2 8 , partiell ist die A n t w o r t als für bestimmte Zwecke brauchbar akzeptiert 2 9 , freilich aber auch von Rechtstheoretikern bezweifelt worden 30 . Sie bedarf infolge ihrer Umstrittenheit der Darstellung und K r i t i k . 2. Seine Lehre Das als Summe aller Rechtsnormen i m materiellen Sinne verstandene Recht ist für Canaris ein System. Es ist seiner Meinung nach dem Rechtserkennenden vorgegeben (S. 18)31, wenngleich auch nicht i n perfekter Weise 32 . Dieses Ergebnis sollen folgende Überlegungen fundieren: Eine Analyse philosophischer Systembegriffe (S. 11—13) habe erbracht, daß charakteristische Bestandteile des Systembegriffs ,Ordnung' und ,Einheit' seien. Diese beiden Bestandteile seien aber Emanationen und Postulate der Rechtsidee (S. 16 f.). Demnach könne das ,Recht als System' kein Problem mehr darstellen. Es komme nur noch darauf an, das ,Ordnung' und ,Einheit' darstellende System zu finden (S. 19 f.). Das gelinge, wenn das Rechtssystem als axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien aufgefaßt werde (S. 41). I m einzelnen: Unter Ordnung w i r d eine rational erfaßbare „innere", d. h. von der Sache her begründete Folgerichtigkeit verstanden (S. 12). Das Element Einheit modifiziert nach dieser Auffassung das Element Ordnung dahingehend, „daß jene nicht i n eine Fülle unzusammenhängender Einzelheiten zerfallen darf, sondern sich auf wenige tragende Grundprinzipien zurückführen lassen muß" (S. 12 f.). Das Recht sei freilich nur ein System, wenn es „jene Ordnung und Einheit besitzt, die als Grundlage des Systems unerläßlich ist". Diese Grundlage werde i n methodischer Hinsicht regelmäßig vorausgesetzt, „allein dadurch, daß Rechtssystem schlechthin gefragt, u n d es werden vorgefundene Systementwürfe nicht generell als untauglich abgelehnt. Gleichwohl werden Fragen diskutiert, die nach meiner Ansicht von allgemein rechtstheoretischem I n teresse sind. Denn auch die verengte Fragestellung dieser Untersuchung erfordert eine generelle Auseinandersetzung m i t dem ,Systemdenken'. 27 Systemdenken, S. 11 ff. — Die während der Drucklegung erschienene 2. A u f l . konnte nicht mehr berücksichtigt werden. 28 Als Hinweise mögen genügen: Tipke, FS Wacke, S. 211; Bachof, W D S t R L 30, 224; Larenz, Methodenlehre, S. 159 ff.; Degenhart, S. 3 f.; Meins, S. 125 ff.; Battis , S. 15 f. 29 Degenhart, S. 3 f.; Gmür, S. 93. 30 Wieacker, Rechtstheorie 1970, 107 ff.; Grimm, A c P 1971, 266; Fikentscher, I I I , S. 646 ff.; Esser, RabelsZ 1969, 757 ff. 31 Seitenzahlen i m Text beziehen sich auf die Schrift Systemdenken. 32 Es ist auch zu verwirklichen, s. Systemdenken, S. 18 m i t A n m . 39.

I I . Die Lehre von Canaris

17

man Jurisprudenz als Wissenschaft betreibt" (S. 13, Hervorhebung bei Canaris). Die Methodenlehre gehe von der Einheit des Rechts aus, indem sie fordere, dieses systematisch zu interpretieren. Es laufe jedoch auf eine petitio principii hinaus, aus dem Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz ohne weiteres auf das Bestehen der Einheit des Rechts zu schließen. Ersterer stelle eine Vorfrage dar. Der Wissenschaftscharakter könne sich als I r r t u m erweisen, weil er seinem Gegenstand nicht angemessen sei (S. 14). Freilich sei das nicht der Fall. Folgerichtigkeit und Einheit des Rechts seien unschwer aufzuweisen. Sie seien fundamentalste rechtsethische Forderungen und wurzelten letztlich i n der Rechtsidee selbst. Das Erfordernis der Ordnung ergebe sich „ohne weiteres aus dem anerkannten Gerechtigkeitspostulat, Gleiches gleich und Ungleiches nach dem Maße seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln: der Gesetzgeber wie der Richter sind gehalten, einmal getroffene Wertungen ,konsequent 4 wieder aufzunehmen, sie bis i n alle Einzelfolgerungen ,zu Ende zu denken' und sie nur sinnvoll, d. h. aus sachlichem Anlaß zu durchbrechen, — m i t anderen Worten: folgerichtig zu verfahren (S. 16, Hervorhebungen bei Canaris). Deshalb bilde „das aus dem Gleichheitssatz folgende Gebot wertungsmäßiger Folgerichtigkeit den ersten entscheidenden Ansatz für die Verwendung des Systemgedankens i n der Jurisprudenz" 33 . Ähnlich finde auch der Gedanke der ,Einheit 4 seine Entsprechung i m Recht. Der Gedanke der ,Einheit der Rechtsordnung' gehöre zum gesicherten Bestand rechtsphilosophischer Einsichten (S. 16)34. Er gehe ebenfalls auf das Gerechtigkeitsgebot zurück. Die Einheit der Rechtsordnung „bildet nämlich einerseits — i n ihrer sozusagen negativen Komponente — wieder lediglich eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, indem sie die Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung zu gewährleisten sucht (insoweit ist sie bereits durch den Gedanken der Folgerichtigkeit erfaßt), und sie stellt andererseits — i n ihrer »positiven* Komponente — nichts anderes dar als die V e r w i r k lichung der ,generalisierenden Tendenz' der Gerechtigkeit, die den A u f stieg von der Fülle der i m konkreten F a l l möglicherweise relevanten Aspekte zu wenigen abstrakten und generellen Prinzipien fordert" (S. 16 f.). Der Gedanke des juristischen Systems lasse sich „somit aus einem der obersten Rechtswerte, nämlich aus dem Gerechtigkeitsgebot 33 Ebd., S. 16. Canaris beruft sich ζ. B. auf Flume , der auf S. 295 f. von der „vorausgesetzte(n) innere(n) Konsequenz i m Recht" spricht; Kretschmar, Methode, S. 40; ders., JherJb 1917, 264 f.; Baumgarten, S. 298, 344; Sauer, M e thodenlehre, S. 172; Nawiasky, S. 16, 264; Coing, Rechtsphilosophie, S. 276; Esser, Grundsatz, S. 227; Larenz, Methodenlehre, S. 133; Wieacker, P r i v a t rechtsgeschichte, S. 532. 34 Ebd., S. 16. Canaris beruft sich ζ. B. auf Engisch, Einheit; dens., E i n f ü h rung, S. 156 ff.; Wengler. — Widersprüchlich zu der These v o m gesicherten Bestand der »Einheit der Rechtsordnung 4 steht die i n A n m . 28 S. 16 gemachte Bemerkung, daß dieses Problem verhältnismäßig wenig erörtert werde.

2 Peine

18

Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

und seinen Konkretisierungen i m Gleichheitssatz und i n der Tendenz zur Generalisierung rechtfertigen". I n dieselbe Richtung weise auch die Rechtssicherheit als ein anderer oberster Wert (S. 17). „Denn auch sie drängt i n nahezu allen ihren Spielarten — ob als Bestimmtheit oder Vorhersehbarkeit des Rechts, als Stabilität und Kontinuität von Gesetzgebung und Rechtsprechung oder schlicht als Praktikabilität der Rechtsanwendung — zur Ausbildung eines Systems, da alle diese Postulate weit eher durch ein folgerichtig geordnetes, von wenigen überschaubaren Prinzipien beherrschtes, also ,systemorientiertes' Recht erfüllt werden können als durch eine unübersehbare Vielzahl von unzusammenhängenden und allzu leicht miteinander i n Widerspruch geratenden Einzelnormen. So wurzelt der Systemgedanke i n der Tat mittelbar i n der Rechtsidee (als dem Inbegriff der obersten Rechtswerte). Er ist dementsprechend jedem positiven Recht immanent, weil und sofern dieses deren Konkretisierung (in einer bestimmten historischen Form) darstellt . . . " (S. 17 f.). Entsprechend der Aufgabe des Systembegriffs, „die wertungsmäßige

Folgerichtigkeit

und innere

Einheit

der

Rechtsordnung

darzustellen und zu verwirklichen" (S. 18, Hervorhebung bei Canaris), werden Systembegriffe untersucht, die diese Aufgabe zu leisten vermögen. Als ungeeignet werden abgelehnt das äußere System i m Sinne Hecks (S. 19), die Systeme reiner Grundbegriffe (S. 20), das formallogische System, das i n das logische System der Begriffsjurisprudenz (S. 20) und i n das axiomatisch-deduktive System unterteilt w i r d (S. 25), das System als Problemzusammenhang (S. 29), das System der Lebensverhältnisse (S. 34) sowie das System von Konfliktentscheidungen (S. 35). Der Sache nach bilden den Diskussionsgegenstand jedoch nicht diese Systeme, sondern die Elemente, auf denen diese aufbauen, sowie ihre Geeignetheit für den vorausgesetzten Zweck. Diese Zweckerfüllung sei mit Hilfe dieser Elemente nicht erreichbar (S. 40), ebenso nicht durch die vielen i m Recht enthaltenen Einzelwertungen, sondern nur mit Hilfe der Grundwertungen. Diese erlaubten das Einbringen der einzelnen Wertungen i n den gesuchten „organischen" Zusammenhang. Diese Grundwertungen werden als Prinzipien bezeichnet (S. 46). Das ihnen entsprechende System sei eine axiologische oder teleologische Ordnung, da die Folgerichtigkeit der Rechtsordnung wertungsmäßiger Natur sei. Das Rechtssystem w i r d deshalb definiert als „axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien" (S. 47). — Sowohl die Frage nach der A r t der Ordnung als auch die nach dem Element w i r d näher diskutiert. Es sei nicht selbstverständlich, daß diese Ordnung axiologisch oder teleologisch sei, denn es sei bestritten, eine derartige Ordnung als System zu bezeichnen. Freilich soll es eine ungerechtfertigte Einengung sein, wolle man die Charakterisierung von Ordnungen als System auf logische Systeme reduzieren (S. 41). Denjenigen,

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die ein System nur dann annehmen, wenn ausschließlich logisch gearbeitet wird 3 5 , w i r d W i l l k ü r (S. 42) vorgeworfen, weil gerade m i t Hilfe der formalen Logik die eigentlichen Schwierigkeiten juristischen Denkens nicht überwindbar seien. Eine solche Einengung des Systembegriffs bedeutet nach der referierten Einschätzung ein Todesurteil nicht nur über die Jurisprudenz als Wissenschaft, sondern auch ganz allgemein über jeden Versuch, die RechtsanWendung als ein rational geleitetes Verfahren zu verstehen. U m dieser Konsequenz zu entgehen, müsse die Möglichkeit axiologischen oder teleologischen Denkens zumindest als Hypothese bejaht werden (S. 43). Teleologisches Denken sei nicht i m engen Sinne der bloßen Mittel-Zweckverknüpfung, sondern i m weitesten Sinne jeder Zweck- und Wertverwirklichung gemeint (S. 41). Die angesprochene Hypothese sei auch verifizierbar. Die Folgerichtigkeit juristisch-axiologischen oder teleologischen Denkens sei rationaler A r t und daher rational begründbar, das sei die Bedingung juristischen Denkens überhaupt (S. 45) 3e . Anschließend bildet das Element des Rechtssystems den Diskussionsgegenstand. Die Entscheidung fällt zugunsten des Prinzips aus (S. 46). Andere Bausteine, ζ. B. Normen, Begriffe, Rechtsinstitute und Werte (S. 48 ff.), werden nicht zuletzt aus Zweckmäßigkeitserwägungen zurückgewiesen, obwohl deren Geeignetheit als systembildendes Element nicht bestritten wird. Insbesondere muß nach dieser Lehre ein auf dem Element ,Wert' basierendes System ausscheiden (S. 51 f.). Denn anders als der Wert enthalte das Prinzip schon die für den Rechtssatz charakteristische Zweiteilung i n Tatbestand und Rechtsfolge (S. 51, Hervorhebung bei Canaris). Deswegen sei das Prinzip dem Wert vorzuziehen. Freilich müsse zugegeben werden, daß sich das eine System weitgehend i n das andere umformulieren lasse (S. 52). Zusammengefaßt läßt sich feststellen: Canaris geht davon aus, daß das Recht ein System ist, weil ,Ordnung' und ,Einheit' als Elemente eines allgemeinen Systembegriffs auch dem Recht immanent sind, i n der Rechtsidee wurzeln. Der juristische Systembegriff hat dieses darzustellen. Das gelingt ausschließlich mit dem Element Prinzip und durch 35 Das dürfte f ü r die Begriffsjurisprudenz m i t Sicherheit der F a l l gewesen sein. Canaris zitiert Stammler, Theorie, S. 222 f. u n d Lehrbuch, S. 278 ff. Er geht von einem formal-logischen System aus. Ebenso Burckhardt, Methode, S. 121 ff., S. 241 ff., der zwischen der logischen u n d der ethischen Richtigkeit des Rechts differenziert. — Klug, Logik, S. 5, stellt fest: „Der Begriff des Systems ist ein spezifisch logischer Terminus"; Sigwart, Logik, S. 695 behauptete: „Die Systematik hat die Aufgabe, die Totalität der i n irgendeinem Zeitpunkt erreichten Erkenntnisse als Ganzes darzustellen, dessen Teile durchgängig i n logischen Verhältnissen v e r k n ü p f t sind". 39 Ebd., S. 45. Die Möglichkeit eines teleologischen Systems akzeptiert Radbruch, F G F r a n k I, S. 159; Hegler, FS Heck, Rümelin u n d Schmidt, S. 216 ff.; Engisch, Studium Generale 1957, 178 ff. Engisch unterscheidet hier axiomatische, axiologische u n d teleologische Systeme.

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Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

die axiologische oder teleologische Ordnung dieser Prinzipien. Das System läßt sich als eine axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien definieren. 2. Kritik Die Auseinandersetzung m i t dieser Lehre erfolgt unter Aussparung der K r i t i k , die sich gegen Systembildungen i m Recht überhaupt und gegen Erörterungen von Systemen wendet, weil nach ihrer Auffassung dem System unabhängig von seiner Gestalt keine Relevanz bei einer personellen Einzelfallentscheidung zukommt 3 7 . Es mag offen bleiben, ob diese K r i t i k zutrifft. Es ist jedoch grundsätzlich zu beachten, daß sich die Rechtmäßigkeitsprüfung von Rechtsnormen nicht i n einer personellen Einzelfallentscheidung erschöpft, sondern auch abstrakt die Rechtmäßigkeit einer Norm überprüfbar ist, ζ. B. i n der abstrakten Normenkontrolle. Deren Ziel besteht ausschließlich i n der Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Norm m i t höherrangigen Normen vereinbar ist. Dieses Verfahren ist ein objektives zum Schutz jener höherrangigen Normen und ausschließlich orientiert an der Bewahrung des objektiven Rechts. — Von Bedeutung ist hier eine K r i t i k , die sich unter Anerkennung des Systemdenkens als solchem und deshalb unter prinzipieller Teilung dieses methodischen Standpunktes m i t der geschilderten A u f fassung auseinandersetzt. I m folgenden werden drei teilweise schon formulierte Ansatzpunkte 8 8 unterschieden. I n jener Begründung w i r d eine Reihe von Systemdefinitionen angeführt und es werden als allen Definitionen gemeinsame Merkmale ,Einheit 4 und »Ordnung 4 konstatiert 39 . Diese Merkmale werden zur Systemdefinition erhoben. — Diesem Vorgehen ist aus mehreren Gründen zu widersprechen. Den ersten Widerspruch ruft die A r t der Definitionsgewinnung hervor. Er richtet sich also gegen das Verfahren. Es werden wahllos verschiedene Definitionen nebeneinandergestellt, sie werden miteinander vermengt 4 0 und dann die Definitionsmerkmale ausgewählt. Die A r t des Vorgehens läßt sich als Subtraktionsverfahren 41 87 Dazu gehören v o r allem die Vertreter der Topik. Vgl. aber auch z.B. Kriele, Theorie, S. 97 ff.; Otte , Naturrecht, S. 20. 88 s. Wieacker, Rechtstheorie 1970, 107 ff.; Grimm, A c P 1971, 266, Fikentscher, I I I , S. 646 ff. 39 Systemdenken, S. 11 f. Das ist bereits nicht richtig. Nicht i n allen Definitionen sind die Begriffe Ordnung u n d Einheit enthalten. Vgl. die von Canaris aufgezählten Definitionen, ebd. 40 Vgl. zu dieser K r i t i k auch Fikentscher, I I I , S. 647. 41 Dieser V o r w u r f beinhaltet keinen Widerspruch zur Vorgehensweise des Verfassers unter B., w o ebenfalls die verschiedenen Definitionen unter dem Aspekt ihrer Relevanz f ü r eine Präzisierung des Systembegriffs auf ihre Merkmale h i n untersucht werden. Denn dort werden bestimmte K r i t e r i e n er-

I I . Die Lehre von Canaris

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bezeichnen. Es benötigt als Bedingung seiner Zulässigkeit, daß alle Definitionen einander inhaltlich gleichen, daß — m i t anderen Worten — die Merkmale ,Ordnung* und »Einheit4 wirklich die entscheidenden Aussagen sind und alle übrigen Worte der Definition nur ausfüllende Bedeutung haben. Diese Bedingung kann nicht ohne weiteres als erfüllt angesehen werden 42 . Die Bejahung ihres Vorliegens setzt zunächst eine Inhaltsbestimmung der Definitionen voraus, die fehlt. Schon deshalb ist die A r t des Vorgehens angreifbar. — Der zweite Widerspruch steht m i t dem ersten i n engem Zusammenhang. Er betrifft die unreflektierte Hinnahme der gefundenen Merkmale. Diese Hinnahme ist erst dann erlaubt, wenn »Ordnung* und ,Einheit 4 i n allen Definitionen sachlich Gleiches bedeuten. Es hätten deshalb alle Definitionen insoweit inhaltlich analysiert werden müssen. Erst dann, wenn die inhaltliche Gleichheit nachgewiesen ist, können sie gesichert die Basis der Untersuchung bilden. Diese Analyse fehlt. Es ist deshalb nicht hinreichend geklärt, daß eine inhaltlich zu akzeptierende Prämisse als Fundament das weitere Gedankengebäude trägt 4 3 . — Der dritte Widerspruch richtet sich gegen die fehlenden Aussagen über die konkreten Inhalte von ,Einheit 4 und ,Ordnung 4 i n den vorangestellten Definitionen und gegen eine A u f füllung dieser Begriffe m i t bestimmten Inhalten. Denn ,Ordnung 4 und »Einheit4 dürfen, damit das Vorgehen gerechtfertigt ist, sowohl i n den vorangestellten Definitionen als auch i n der geschilderten Lehre selbst nur sachlich Gleiches bedeuten. Vielleicht dürfen sie inhaltlich modifiziert werden unter spezifisch juristischen Aspekten. Ansonsten ist da? Voranstellen »allgemeiner 4 Systemdefinitionen nicht nur sinnlos, sondern führt auch zu einer Täuschung über die Inhalte der Definitionen, da den als relevant erkannten Merkmalen eigene Inhalte beigelegt werden. Eine Aussage über die Gleichheit der Inhalte von ,Ordnung 4 und »Einheit 1 i n den vorangestellten Definitionen und der Lehre fehlt. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß diese Worthülsen ausschließlich m i t sinnvoll erscheinenden Inhalten versehen werden, was unzulässig ist. — Und schließlich muß der Widerspruch sich viertens dagegen richten, daß arbeitet, anhand derer die A u s w a h l der Merkmale durchgeführt w i r d . Dieses Vorgehen unterscheidet sich von der A r t des Canarisschen Vorgehens erheblich. 42 Sie w i r d abzulehnen sein. Es ist zwischen ein- u n d mehrbezüglichen Systemen zu unterscheiden, dazu unter B. Diese Differenzierung w a r der Sache nach schon bekannt; das juristische Schrifttum unterschied einen engen u n d einen weiten Systembegriff, vgl. z.B. Coing , Geschichte, S. 9. Diese Schrift w a r Canaris bekannt, vgl. Systemdenken, S. 42. Davon ausgehend hätte Canaris die Definitionen differenzierter betrachten müssen. — Wenn zwischen ein- u n d zweibezüglichen Systembegriffen zu unterscheiden ist, bedeutet das notwendig, daß i n den verschiedenen Definitionen Ordnung u n d Einheit verschiedene Inhalte haben. Sie können deshalb nicht als Basis einer Definition dienen. 48 Sie ist nicht gesichert, vgl. die A n m . zuvor u n d B.

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Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

die i n Frage stehenden Elemente überhaupt inhaltlich aufgefüllt werden. Damit w i r d verkannt, daß ,Ordnung 4 und ,Einheit 4 einer a priori vorgenommenen konkreten Inhaltsbestimmung gar nicht zugänglich sind, denn ihre Inhalte sind i n concreto stets abhängig von einem Prinzip, das entweder »Ordnung 4 oder ,Einheit 4 stiften soll. ,Ordnung 4 und ,Einheit 4 sind demnach vom Prinzip abhängige Größen. ,Ordnung 4 und ,Einheit 4 sind Ergebnisse. Verschiedene Ordnungen und verschiedene Einheiten sind denkbar i n Abhängigkeit vom Prinzip, dessen Anwendung ,Ordnung 4 und ,Einheit 4 bewirken soll. M i t h i n basiert die Definition des Systems dieser Lehre letztlich auf Merkmalen, die gar nicht Bestandteile einer Definition des Systembegriffs sein können. Das ist erstaunlich, enthalten doch die angeführten , allgemeinen 4 Definitionen das Element »Prinzip 4. Es w i r d K a n t 4 4 zitiert, der das System als „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee 44 definiert. Es w i r d auf Eisler 4 5 Bezug genommen, der von einer „einheitliche(n), nach einem Prinzip durchgeführte(n) Mannigfaltigkeit von Erkenntnissen44 spricht. Entscheidend für eine Definition muß vielmehr — und das werden die folgenden Erörterungen näherhin belegen — die Aussage über das Prinzip sein. Dazu bezieht die Lehre keine Stellung. Die vorgelegte Untersuchung kann folglich die Merkmale ,Ordnung 4 und ,Einheit 4 als Definitionselemente des Rechtssystems nicht zugrunde legen. Da diese Merkmale den weiteren Fortgang der analysierten A b handlung steuern, basiert diese auf einem nicht tragenden Fundament. Die weiteren Folgerungen müssen sich deshalb Bedenken ausgesetzt sehen. N u r am Rande sei bemerkt, daß die Erörterungen zum Systembegriff keine diesbezüglichen, sondern Auseinandersetzungen mit den Elementen enthalten, auf denen verschiedene Rechtssystementwürfe aufbauen. Darin liegt eine begriffliche Unschärfe. Es w i r d ständig Systembegriff m i t System verwechselt. Diesem Sprachgebrauch ist eine Reihe von Autoren erlegen 48 . Weil inhaltlicher Gegenstand der Analyse die Frage nach einem brauchbaren Systemelement ist, w i r d darüber hinaus i n doppelter Hinsicht unter der falschen Flagge diskutiert: zum einen geht es nicht u m den abstrakten Systembegriff, sondern u m ein konkretes System; zum anderen w i r d nicht das Rechtssystem, sondern die Eignung bestimmter Elemente als Bausteine des Rechtssystems erörtert. I n der Rechtsidee als dem Inbegriff der obersten Rechtswerte soll das Systemmerkmal ,Ordnung 4 wurzeln. Es soll dort schon angelegt 44 Vgl. K r i t i k der reinen Vernunft, 1. Aufl. 1781, S. 832 bzw. 2. Aufl. 1787, S. 860. I n Methaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1. A u f l . 1786, Vorrede, S. I V , heißt es: System ist „ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis". 45 Wörterbuch, Stichwort: System. 48 ζ. B. Degenhart, S. 3 ff.; Meins, S. 121 ff.

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sein, weil der Gleichheitssatz wertungsmäßig folgerichtig zu verfahren fordere (S. 16). M i t dieser Ableitung w i r d der Gehalt des Gleichheitssatzes erheblich überschätzt. Es bedarf hier keines Eingehens auf die m i t i h m verbundene Problematik. Bereits von der selbstgewählten Basis aus, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 47 und der herrschenden Meinung i n der Literatur 4 8 , ist die Unhaltbarkeit der Aussage zu belegen. Der Gleichheitssatz verbietet nach herrschender A u f fassung ausschließlich willkürliches Handeln. W i l l k ü r einerseits und Folgerichtigkeit andererseits sind jedoch keine Alternativen. M i t h i n ist willkürloses Handeln nicht zwingend folgerichtiges Handeln. Wenn der Gleichheitssatz nur willkürloses Handeln gebietet, fordert er nicht gleichzeitig folgerichtiges Handeln. Es ist ferner zu bedenken, daß nicht folgerichtiges „ius singulare", sofern es nur für alle Fälle gilt, nicht w i l l kürlich 4 9 und schon deshalb das Postulat jedenfalls nicht m i t der gelieferten Begründung praktisch durchsetzbar ist. Sieht man von der Unbegründetheit der These ab, bleibt die ,Ordnung 4 als rechtsethische Forderung übrig. Aber auch hierauf läßt sich die tatsächliche Folgerichtigkeit der Rechtsordnung nicht stützen. Denn aus einem rechtsethischen Postulat darf noch nicht auf dessen Verwirklichung i m geltenden Recht geschlossen werden. Es darf ebenfalls nicht auf die Pflicht zur Realisierung dieser Forderung m i t Hilfe des Gleichheitssatzes geschlossen werden, selbst wenn dessen Inhalt als Gerechtigkeitspostulat bezeichnet wird. Die Frage, ob die Rechtsordnung eine bestimmte Struktur besitzen muß, und damit die Frage nach der Pflicht zum Vorhandensein eines Rechtssystems, ist abschließend nur zu beantworten durch eine Inhaltsanalyse der Normen, die die Geltungsbedingungen anderer Rechtsnormen formulieren: der Verfassung. Der Rückgriff auf den Gleichheitssatz sowie seine ,'Verortung' als Bestandteil der Rechtsidee hätten also nur dann erfolgen dürfen, wenn er dem Postulat Folgerichtigkeit rechtliche Existenz verleiht. Das ist jedenfalls weder durch die vorgestellte Deduktion belegt noch m i t Hilfe der herrschenden Meinung zum Gehalt des Gleichheitssatzes belegbar. Die a priori mit Hilfe der Gerechtigkeit vorgenommene Verortung' des Postulats Folgerichtigkeit i n der Rechtsidee kann zwar hingenommen werden, nicht aber die dadurch geleitete Interpretation des grundgesetzlichen Gleichheitssatzes, weil sie das Verhältnis von Verfassungsinterpretation und Ergebnis umkehrt, indem sie das Ergebnis als ethisches Postulat voraussetzt und i m Sinne des Postulats die Verfassung interpretiert. — Ob die Rechtsordnung tatsächlich 47

z.B. aus der ständigen Rechtsprechung: E 14, 221/38; 17, 122/30; 19, 1/8; 25, 269/92. 48 W. Böckenförde, K . Hesse, Gleichheit, S. 82 m i t weit. Nachw.; s. auch Klo ep fer, S. 16. 49 Wieacker, Rechtstheorie 1970, 108.

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Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

folgerichtig ist, mag hier offen bleiben. Für die Widerlegung dieser Auffassung ist ein Nachweis nicht mehr nötig. Die Existenz der »Einheit der Rechtsordnung 4 w i r d nicht nur als rechtsphilosophische Einsicht angeführt, sondern es w i r d behauptet, sie gehe ebenfalls auf das Gerechtigkeitspostulat sowie auf den Gleichheitssatz zurück (S. 16). Unter ,Einheit der Rechtsordnung 4 w i r d verstanden, daß sich die Vielzahl der Normen durch die i n ihnen enthaltene Fähigkeit auszeichne, auf wenige Prinzipien zurückgeführt zu werden (S. 46). Einheit der Rechtsordnung meint also die ,inhaltliche 4 Einheit. Daß diese der Gleichheitssatz nicht bewirkt, liegt nach dem zuvor Ausgeführten auf der Hand: eine willkürfreie Rechtsordnung bedingt noch nicht inhaltliche Einheit. A u f die generalisierende Tendenz der Gerechtigkeit (S.17) als Begründung zu verweisen, setzt voraus, diesen Topos inhaltlich zu klären. Diese Klärung fehlt. Ob sie möglich ist, mag offen bleiben. Werden beispielsweise die fünf universalen Gerechtigkeitspostulate eines nicht unbekannten Philosophen 50 als Vergleichsmaßstab genommen, so ergibt sich keine Notwendigkeit inhaltlicher Einheit. Gefordert werden Wahrheit, Generalität des angewandten Wertsystems, gleiche Behandlung dessen, was nach dem akzeptierten Wertsystem gleich ist, keine über die Erfordernisse des akzeptierten Wertsystems hinausgehende Freiheitsbeschränkung und Achtung vor den Naturnotwendigkeiten. Diese Gerechtigkeitspostulate begründen nicht den Zwang zur inhaltlich einheitlichen Gestaltung der Rechtsordnung. Das Postulat entbehrt deshalb einer Begründung. Freilich ist diese Vorstellung von ,Einheit der Rechtsordnung 4 keine singuläre. Teile der Literatur 5 1 vertreten jedenfalls i m Hinblick auf die „Einheit der Verfassung 44 ähnliche Auffassungen. Sie charakterisieren die Grundrechte als widerspruchslose Werteinheit und insofern als Grundrechtssystem 52 . Sie sprechen von einer Einheit der i n der Verfassung normierten Rechtsgüter, von einer „Einheitlichkeit des Wertsystems44. Sie postulieren für die Grundrechte ein „Gebot ganzheitlicher Verfassungsauslegung 44 und betrachten das Grundgesetz „als i n sich geschlossenes harmonisches Ganzes 4453 . — Auch das Bundesverfassungsgericht 54 spricht von der „Einheit der Verfassung 44 . — Diese Vorstel50

Arnold Brecht, Politische Theorie, S. 477 ff. z.B. Dreier, i n : D r e i e r / S c h w e g m a n n (Hg.), S.43, A n m . 135; Badura, EStL, Sp. 2770; Pestalozzi Der Staat 1972, 180; Krebs, S. 50, A n m . 104; Hesse, Grundzüge, S. 28 f.; Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 3, 4, 9 u n d öfter; Smend, Verfassung, S. 233, 238; H. Weber, S. 135; ders., J Z 1972, 483; ders., J Z 1980, 545; Sonnenschein, S. 36 f. 52 Hensel, Grundrechte, S. 9. 53 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 4 ff. 54 ζ. B. i n E 1, 32; 2, 403; 19, 219; vollständiger Nachweis bei F. Müller, E i n heit, S. 83, A n m . 183, 51

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lungen sind jedoch nicht unwidersprochen geblieben: ob die Rechtsordnung tatsächlich eine »Einheit 1 (und auch eine »Ordnung 4) bildet, bezweifeln Teile der Literatur. Sie vergleichen die Produktion von Rechtsnormen m i t der Montagsproduktion der Automobilindustrie 5 5 . Sie meinen, über die Einheit der Rechtsordnung seien die A k t e n noch nicht geschlossen56. Sie behaupten, die Einheit sei dem geltenden Recht nur i n geringem Maße bekannt 57 » 58 . Sie akzeptieren das Postulat als beherrschendes Element der Methodik des Rechtsanwendenden, nicht als Charakteristikum des geltenden Rechts. Diese Aussagen sind jedoch wenig hilfreich, weil sie sich nicht auf ein Verständnis von ,Einheit der Rechtsordnung 4 festlegen. Nur bei Erfüllung dieser Prämisse sind diese Aussagen sachlich überprüfbar. Freilich sind jüngst verschiedene Inhalte von »Einheit' dargestellt und es ist eine Prüfung dahingehend vorgenommen worden, ob ein Ausschnitt der als Einheit angesehenen Rechtsordnung: nämlich die Verfassung, tatsächlich eine Einheit bildet 5 9 . Erfüllt die Verfassung dieses Merkmal nicht, so entbehrt auch die Rechtsordnung der Einheit, da die Verfassung ein wesentlicher Teil der Rechtsordnung ist. Diese Prüfung analysiert zunächst die Funktion des Arguments »Einheit der Verfassung* i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Sie gelangt zu dem Ergebnis, daß das Argument i n aller Regel überflüssig sei sowie eine eher rhetorische und partiell auch begrünw

Rudolf, W D S t R L 1979, 190. Wieacker, Rechtstheorie 1970, 108, A n m . 7. 57 Grimm, AcP 1971, 266. — Das spricht Canaris zwar an (S. 18 m i t A n m . 39), indem er die V e r w i r k l i c h u n g von Einheit u n d Ordnung fordert, also voraussetzt, daß die Charakteristika nicht erfüllt sind. Unverständlich ist deshalb, wieso er gleichwohl von Einheit u n d Ordnung ausgeht. 58 Einheit der Rechtsordnung setzte die frühere J u d i k a t u r oft als A r g u ment ein, vgl. ζ. B. OLG Braunschweig, N J W 1953, 558. — Aus der L i t e r a t u r s. z.B. Beling, ZStW 1915, 648; Kuttner, S. 3. — I n einem doppelten Sinne versteht Engisch, Einheit, S. 69 den Topos: Einheit der Rechtsordnung sowohl als A x i o m w i e als Postulat juristischer A r b e i t ; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 155 f. m i t der Doppelsicht der inneren Einheit einer positiven Rechtsordnung einmal als vorauszusetzender Eigenschaft der normativen Querverbindungen i m geltenden Recht w i e auch als Ergebnis systematischer Jurisprudenz. 59 F. Müller, Einheit, S. 91. Er unterscheidet Einheit i m Sinne von Geschlossenheit, was bedeuten könne Freiheit von Lücken oder Freiheit v o n inneren Widersprüchen; Einheit könne auch bedeuten Verbindung von E i n zelelementen zu einem K o n t i n u u m ; sie könne ferner formale Einheit meinen i m Sinne von Verfassungsur künde; Einheit könne ferner gemeint sein i m Sinne der normativen Verfassungsstruktur; es sei aber auch möglich, Einheit als formelle Homogenität zu verstehen; m i t Einheit könne auch nach der Rangstufe der Rechtsquellen gefragt werden; schließlich könne auch eine ideologische, legitimierende Einheit gemeint sein, letztlich eine funktionale Einheit. 56

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Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

dungsverkürzende Funktion habe 60 . Sodann w i r d i m systematischen Teil der Untersuchung erörtert 81 , ob die »Einheit der Verfassung 4 als selbständiges Argument gebraucht werden kann. Von den untersuchten Gesichtspunkten 82 interessieren hier nur diejenigen, die die Verfassung als ,materielle', als ,innere' Einheit thematisieren. Denn i n dieser Weise wurde die ,Einheit der Rechtsordnung' zuvor begriffen 83 : ihre Regelungen sollen sich auf wenige Grundprinzipien zurückführen lassen. Jede Norm soll Ausdruck eines Grundprinzips sein. ,Innere' Einheit der Rechtsordnung bedeutet ,materielle' Widerspruchslosigkeit, Rückführbarkeit eines jeden Norminhalts auf ein Prinzip. Die Verfassung führt die i h r zugrunde liegenden Prinzipien nicht konsequent durch und bildet insofern keine Einheit. Das Bundesverfassungsgericht konstatiert diese Inkonsequenzen selbst. Es betont die nicht folgerichtige Durchführung von Verfassungsprinzipien etwa i m Verhältnis von A r t . 38 und A r t . 21 GG für die Stellung der politischen Parteien 84 . Es setzt Antinomien voraus, wenn es für ihre Beseitigung das Verfahren grundsatzkonformer Verfassungsauslegung fordert 8 5 . Es betrachtet das Grundgesetz als ein „auf innere Widerspruchsfreiheit angelegtes Sinnganzes" 68 , das schließt die Akzeptanz der These ein, daß die Einheit nicht bereits vorgegeben ist 8 7 . So gesehen ist seine „Rede vom Grundgesetz als einer Ordnung ohne innere Widersprüche . . . deshalb seinerseits widersprüchlich" 88 . — Die Methodenlehre geht unproblematisch von Inkonsequenzen aller A r t i n der Rechtsordnung und dam i t auch von ihrer Existenz i n der Verfassung aus 89 . I n dieser werden Kollisionen und innere Spannungen beobachtet und wissenschaftlich aufgearbeitet 70 . Daß diese Beobachtungen realitätsfern als Folge eines getrübten Blickes sind, w i r d wiederum nicht festgestellt. — Damit hat sich gezeigt: Die Verfassung ist rein tatsächlich i m Hinblick auf ihre Grundprinzipien nicht folgerichtig angelegt und somit nicht durch das Vorhandensein ,innerer Einheit' charakterisiert 71 . Demnach entbehrt auch rein tatsächlich die Rechtsordnung als Ganze dieses Charakters. 60 61 62 63 64 65 ββ 87 68 89 70 71

Ebd., S. 80 ff. Ebd., S. 85 ff. Ebd., S. 91 ff. Z u den Gesichtspunkten s. A n m . 59. Canaris , Systemdenken, S. 46. F. Müller, Einheit, S. 104. BVerfGE 1, 14 f., 32 f. BVerfGE 44, 273. Ausf. Nachw. bei F. Müller, Einheit, S. 104. F. Müller, ebd. ζ. B. Engisch, Einführung, S. 160 ff. Schwache; Rüfner, F G B V e r f G I I , S. 453 ff.; Bethge. Ausführlich dazu F. Müller, Einheit, S. 103—107.

I I I . Konsequenzen

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U m Inkonsequenzen bei der Herstellung v o n Einzelfallentscheidungen z u v e r m e i d e n , ist zwecks E r r e i c h u n g »innerer E i n h e i t 4 d i e B e a r b e i t u n g d e r R e c h t s n o r m e n u n t e r diesem A s p e k t n o t w e n d i g e Voraussetzung. E i n e r e a l n i c h t existente, v i e l l e i c h t idealistische B a s i s 7 2 ist d e r

Ausgangs-

p u n k t v o n Canaris. I I I . Konsequenzen D i e F r a g e : o b das Recht e i n S y s t e m ist, d a r f nach a l l e d e m n o c h als u n b e a n t w o r t e t gelten. E i n e A n t w o r t e r w e i s t sich als w e i t e r h i n n o t w e n dig. D i e S c h r i t t e b i s z u r A n t w o r t d ü r f e n n i c h t v o n d e r Ü b e r l e g u n g b e g l e i t e t w e r d e n , daß d e r S y s t e m c h a r a k t e r des Rechts ohne w e i t e r e s zu b e j a h e n i s t 7 3 . Z w a r m a g Rechtswissenschaft systematisch sein oder sie ist n i c h t , w i e e i n g e f l ü g e l t e s W o r t b e h a u p t e t 7 4 . A u s d e r ( b e z w e i f e l baren) Tatsache, daß d i e Rechtswissenschaft systematisch ist, f o l g t aber nicht, daß d e r v o n i h r z u b e a r b e i t e n d e S t o f f auch e i n S y s t e m e n t h ä l t . W e n n i n u n s e r e r R e c h t s o r d n u n g e i n S y s t e m v o r h a n d e n ist, d a n n m u ß d u r c h eine A n a l y s e des Rechts diese Tatsache b e w e i s b a r sein. D i e Beweisführung h a t i n drei Schritten zu erfolgen: Erster Schritt ist die E x p l i k a t i o n 7 5 eines a l l g e m e i n a k z e p t a b l e n S y s t e m b e g r i f f s (B.); das E x 72

So Noll, S. 207, A n m . 69. So w i e hier auch Coing , Grundzüge, S. 276: „Unsere Frage (seil.: die sich auf die Systembildung des Rechts bezieht, Erläuterung v o m Verfasser) geht vielmehr dahin, ob es nicht darüber hinaus (gemeint ist die äußere Stoffordnung) eine i m Stoff selbst liegende Einheit gibt, welche die Rechtswissenschaft aufzusuchen u n d begrifflich zur Darstellung zu bringen hat". Seine A n t w o r t besteht u. a. darin, daß i m Recht ein Wertsystem vorhanden sei. 74 Hans J. Wolff , Studium Generale 1952, 205. 75 Die A r b e i t definiert den Begriff System also nicht, sondern expliziert ihn. Der G r u n d dafür ist ein einfacher: I n nicht exakten Sprachen bleibt der Ertrag von Definitionsbemühungen immer zweifelhaft, da nicht sichergestellt werden kann, daß die für die Definition verwendeten Merkmale ihrerseits exakt sind. Z u den Regeln der Definition siehe ζ. B. aus dem j u ristischen Schrifttum D. Horn, S. 95 f.; Klug, GS Rödig, S. 199 ff.; Weinberger, Rechtslogik, S. 249 ff. Demgegenüber versucht eine Explikation, einen vagen Begriff durch einen präzisen zu ersetzen. M a n nennt den Ausgangsbegriff (hier also System) Explikandum, das Ergebnis E x p l i k a t . V o m Ausgangsbegriff schreitet man i n mehreren Stufen fort. Diese sind: — 1. Das E x p l i k a n d u m hat mehrere Bedeutungen, sie sind anzugeben u n d zu unterscheiden; — 2. es ist eine Entscheidung für eine Bedeutung zu fällen; — 3. diese Bedeutung ist zu präzisieren. Die Präzisierung geschieht anhand folgender K r i t e r i e n : — 1. Das E x p l i k a t soll dem Begriff ähnlich sein; — 2. das E x p l i k a t soll exakt sein; — 3. das E x p l i k a t soll fruchtbar sein; — 4. das E x p l i k a t soll einfach sein. Dabei bedeutet Ähnlichkeit, daß das E x p l i k a t noch einen sprachlichen Bezug zum E x p l i k a n d u m hat, das j a präzisiert werden soll. Exakt bedeutet, 73

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Α . Die Frage: Das Recht — ein System?

p l i k a t i s t i n e i n e m z w e i t e n S c h r i t t z u m B e g r i f f ,Rechtssystem 4 z u k o n k r e t i s i e r e n (C.); d r i t t e r S c h r i t t i s t d i e A n a l y s e des Rechts entsprechend d e m B e g r i f f ,Rechtssystem' (D.).

daß das E x p l i k a t nicht mehrdeutig, nicht vage ist, d. h., es gibt kein Objekt, bei dem unentschieden bleibt, ob es unter den Begriff fällt oder nicht, u n d nicht inkonsistent gebraucht w i r d , also i m m e r m i t der gleichen Bedeutung verwandt w i r d . Fruchtbar meint, daß das E x p l i k a t (wenigstens) f ü r den Zweck, den derjenige, der eine E x p l i k a t i o n versucht, tauglich ist. Einfach bedeutet, daß auf der rechten Seite der Formel k e i n Ausdruck steht, der seinerseits kein einfaches E x p l i k a t hat.

Β. Der ,allgemeine4 Systembegriff I . Z u r Notwendigkeit dieses Rückgriffs; erste Konsequenzen

Der inflationären Nutzung des Topos »System4 entgegengesetzt ist das Bemühen, einen für unsere wissenschaftliche Fragestellung akzeptablen Systembegriff zu finden. Die Suche nach diesem Begriff hat ihren Ausgangspunkt nicht i m rechtswissenschaftlichen Schrifttum zu nehmen. Zwar w i r d von einem „Systembegriff i n der Jurisprudenz 441 gesprochen und verbal vielleicht nahegelegt, daß es einen speziellen rechtswissenschaftlichen Systembegriff gebe. I n der Sache selbst findet diese Anspielung freilich keine Fortsetzung. Es w i r d erörtert, welches inhaltliche System dem Recht zugrunde liegt, welches die Bausteine sind, die das Recht zum System formen können 2 . Dieses tatsächliche Vorgehen basiert auf der richtigen Annahme, daß ,System4 kein spezifisch juristischer Begriff ist. Soweit das juristische Schrifttum i h n verwendet, reklamiert es den Begriff konsequenterweise nicht als spezielle juristische Kategorie m i t einem speziellen juristischen Inhalt. Rechtswissenschaftliche Autoren nehmen i h n seiner Herkunft entsprechend als allgemeinen wissenschaftlichen Begriff. Es w i r d sich deshalb zeigen, daß der allgemeine und der rechtswissenschaftliche bzw. der i n der Rechtswissenschaft gebräuchliche Systembegriff sich nicht erheblich unterscheiden. Das ist nicht überraschend. Die Rechtswissenschaft ist eine Teildisziplin der Wissenschaft 8 . Gilt diese These, dann können Begriffe, die i n der Wissenschaft allgemein verwandt werden, i n aller Regel inhaltlich nicht stark differieren, es sei denn, der Begriff ist Bestandteil 1

Canaris , Systemdenken u n d Systembegriff in der Jurisprudenz. Vgl. bei A , bei A n m . 46. 3 Der Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz w i r d hier nicht n u r u n t e r stellt, sondern als bewiesen angenommen. E r ist zwar des öfteren bestritten worden, nicht n u r durch den berühmten Vortrag Kirchmanns: Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, sondern später auch durch Ehrlich, S. 1 ff., 198, der i h r den Rang einer technischen Kunstlehre zuerkannte, sow i e jüngst durch Wiethölter, S. 9 f., der die wissenschaftstheoretische U n mündigkeit der Jurisprudenz meinte feststellen zu müssen. Sie alle sind überzeugend widerlegt worden. Z u K i r c h m a n n s. ζ. B. Larenz, Unentbehrlichkeit, zu Ehrlich Kantorowicz, zu Wiethölter die i n der Zeitschrift f ü r Rechtspolitik ausgetragene Debatte: Schwerdtner, ZRP 1969, 136 ff.; Wiethölter, ebd., S. 155 ff.; Kramer, ZRP 1970, 82 ff.; Mayer-Maly, ebd., 265 ff. s. auch Dreier, Rechtstheorie 1971, 37 ff. Hier weitere Nachweise des Streits, der bis i n das 16. Jahrhundert zurückreicht, S. 38—41. 2

30

Β . Der ,allgemeine' Systembegriff

einer speziellen, auf eine Teildisziplin beschränkten Sprache. Das ist für den Begriff ,System' nicht ersichtlich. Die Suche nach dem Systemverständnis kann deshalb ihren Ausgangspunkt außerhalb des rechtswissenschaftlichen Schrifttums nehmen. Sie muß den Ausgangspunkt außerhalb des rechtswissenschaftlichen Schrifttums wählen, weil die Entwicklung des Systembegriffs nicht von der Rechtswissenschaft, sondern von der Philosophie maßgebend gefördert wurde. Daraus ergibt sich der Zwang, die Suche nach dem Explikat bei den Autoren zu beginnen, die sich m i t dem System als abstrakter Kategorie beschäftigt haben und die,System' ohne Bezug zu einer Einzelwissenschaft reflektieren, u m seine allgemeine Verwendbarkeit zu erhalten. Die Suche nach Systemen bzw. systematischen Zusammenhängen i n der Realität ist ein generelles wissenschaftliches Interesse; deshalb erscheint die Forderung sinnvoll und notwendig, den Begriff unabhängig von den speziellen Forderungen einer Einzelwissenschaft zu präzisieren. Die Untersuchung geht den insoweit angestellten Versuchen nach. Sie begnügt sich nicht m i t einer Darstellung des letzten Standes der Bemühungen um einen abstrakten Systembegriff, sondern referiert Stationen seiner Entwicklung. Freilich ist ihre Absicht nicht, eine eigene Begriffsgeschichte vorzulegen, da solche vorliegen 4 . A u f diese darf der insoweit Interessierte verwiesen werden. Eine begriffsgeschichtliche Darstellung ist für den Zweck dieser Untersuchung aber auch nicht erforderlich. Das Referieren und Analysieren von Definitionen als Basis der zu erarbeitenden Explikation ist hinreichend. Auch für die weiteren Absichten der Untersuchung ist eine Begriffsgeschichte nicht erforderlich. Das A u f zeigen der ursprünglichen Bedeutungen sowie die Demonstration des Bedeutungswandels i m Laufe der wissenschaftlichen Entwicklung eines Begriffs erlauben bereits ein Urteil über seine Leistungsfähigkeit. Auch die Grenzen der Verwendbarkeit eines Begriffs und damit zugleich die Voraussetzungen für einen sinnvollen wissenschaftlichen Einsatz vermag die reduzierte' Form der Darstellung zu belegen. M i t diesen Absichten ist die Hoffnung auf einen eingeschränkten Einsatz verbunden, weil sich nur dann die Chance eröffnet, daß der Begriff Konturen gewinnt und argumentative Durchschlagskraft erlangt. Der letzte Gesichtspunkt darf i m hier diskutierten Zusammenhang besonderes Interesse beanspruchen: Wenn eine Aussage möglich wird, unter welchen Voraussetzungen der Begriff ,System' i m Bereich der Rechtswissenschaft sinnvollerweise verwendet werden darf, so können mit i h m Forderungen verbunden werden. 4 Ritsehl; υ. d. Stein, Systembegriff; kurze Hinweise auch bei Zahn, S. 1462; Luhmann, Rechtssystem, S. 11. Eine Anzahl von Systemdefinitionen findet sich bei Canaris , Systemdenken, S. 11 ff .

I. Z u r Notwendigkeit dieses Rückgriffs; erste Konsequenzen

31

Daß die Untersuchung an außer juristische Versuche anknüpft, findet ferner einen Grund darin, daß diese A r t des Vorgehens die Chance bietet, die gefundenen Ergebnisse für die Rechtswissenschaft fruchtbar zu machen. Die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen diesen Theoretikern und der Rechtswissenschaft herzustellen, ist von ausschlaggebender Bedeutung, weil sie einerseits i m Sinne der Interdisziplinarität zu einer Vereinheitlichung der Begriffsinhalte beiträgt, andererseits die Rechtswissenschaft vor einer Isolation i m Bereich der Wissenschaft schützt, die infolge der Bildung eigener Begriffsinhalte möglich; erscheint. Die letzte Funktion ist hier besonders zu betonen: Wenn die Rechtswissenschaft davon ausgeht, System sei ein dem Recht oder der Rechtsdogmatik nicht originärer Begriff, dann muß sie die Erkenntnisse hinnehmen, die andere Disziplinen insoweit erarbeiten. Diese Pflicht zur Hinnahme anderenorts gefundener Erkenntnisse korreliert m i t der von Juristen akzeptierten Annahme, daß der Begriff ,System' kein spezifisch juristischer ist. Der Notwendigkeit des Rückgriffs auf einen allgemeinen' Systembegriff entspricht die Nichtbeachtung eines Sprachgebrauchs, der von vornherein bestimmte Identifikationen vornimmt und deshalb einem ,voraussetzungslosen' Vorgehen entgegensteht. Ohne Bedeutung ist somit eine Sprache, die ,System' m i t einem Struktur- oder Funktionsplan gleichsetzt, nach dem ein technisches Gebilde arbeitet. Irrelevant ist ferner ein Verständnis von System als ideelle Beziehung logischer oder mathematischer A r t , wenn damit gemeint ist, ein solches System müsse i n der realen Ordnung begründet sein (ζ. B. das von Linné aufgestellte ,System der Pflanzen' oder das periodische System der Elemente). Schließlich ist ohne Interesse ein Sprachgebrauch, der systematisch mit methodisch identifiziert. Es sind die verschiedensten Methoden denkbar. Die Definition von Methode läßt folglich einen eindeutigen Systembegriff nicht erwarten. Und letztlich ist unbeachtlich ein Sinn des Topos, den dieser ζ. B. i m Zusammenhang m i t philosophischen Systemen besitzt 5 . Das von bestimmten Voraussetzungen getragene Gedankengefüge eines Denkers als ,System' zu bezeichnen, erweckt den Eindruck, ,System' als Begriff meine etwas ,Materielles', eine bestimmte philosophische Lehre. ,System' interessiert hier ausschließlich als abstrakter Begriff. Das schließt natürlich nicht aus, daß die zuvor genannten »Systeme' von diesem nicht erfaßt sein können. Als formale, für wissenschaftliche Zwecke verwendbare Kategorie ist der Begriff von Bedeutung. Das Erkennen von Systemen ist ein generelles wissenschaftliches Interesse. Deshalb darf erwartet werden, daß entweder der Begriff einen bestimmten Inhalt hat oder zumindest die Möglichkeit 5

Neuhäusler,

S. 214.

32

Β . Der allgemeine' Systembegriff

eröffnet ist, einen bestimmten Inhalt zu erarbeiten, der für bestimmte Zwecke leistungsfähig ist. Die Möglichkeit, m i t Hilfe eines bestimmten Begriffs die reale Existenz von Systemen nachzuweisen, macht den wissenschaftlichen Systembegriff tauglich als Anknüpfungspunkt für die Beantwortung der Frage, ob das Recht ein System bildet. I I . »Allgemeine' Systemdefinitionen

Der griechische Begriff 6 » 7 σύστημα hat eine gewisse Bedeutungsverwandtschaft m i t dem heutigen Systemverständnis 8 . Er durchlief m i t Blick auf seine inhaltliche Ausgestaltung eine nicht geradlinige Entwicklung. Diese endete i n einem allgemein verwandten Begriff. Er fand Anwendung auf natürliche wie künstliche Objekte. Er bezeichnete ein Zusammengestelltes, ein Gebilde, das sich durch zwei Eigenschaften auszeichnet: Mehrere Teile müssen ein Ganzes bilden, die Verknüpfung der Teile zum Ganzen muß irgendeine Ordnung aufweisen 9 . Als solche Gebilde kamen epische Dichtungswerke wie auch der Staat i n Frage 10 . — I n der klassischen, ciceronischen Latinität fehlte ein entsprechender Begriff. Das Wort systema war unbekannt 1 1 . Dieses findet sich erst i n der nachklassischen Zeit i m Zusammenhang m i t der Musiktheorie 12 . Anschließend verbreitete sich i m 14. Jahrhundert seine Verwendung i m wissenschaftlichen Sprachgebrauch durch Übernahme i n das Voka6 Die hier vorgenommene, geraffte Darstellung der E n t w i c k l u n g des Systembegriffs h ä l t sich nicht an die Epochen, die die Etymologie dieses Begriffs vielleicht nahelegt, w e i l es hier n u r einen Überblick zu geben gilt. Ritsehl u n d v.d. Stein, Systembegriff, unterscheiden: 1. den Sprachgebrauch i n der A n t i k e (insoweit allerdings bei Ritsehl fehlend), 2. den Sprachgebrauch v o n der A n t i k e bis zu den Humanisten u n d der Reformation, 3. die ersten Theoretiker des Systembegriffs zu Beginn des 17. Jahrhunderts, 4. die E n t wicklung des Sprachgebrauchs von der M i t t e des 17. Jahrhunderts bis Johann-Heinrich Lambert. Als fünfte Epoche ließe sich der Gebrauch i m 19. Jahrhundert, als sechste Epoche der i m 20. Jahrhundert anfügen. 7 Die begriffsgeschichtlichen Untersuchungen haben n u r einen geringen Ertrag gehabt. Denn der Bedeutungsgehalt des Begriffs hat sich nicht erheblich geändert. Insoweit stellt sich f ü r die folgende A u s w a h l von Systemdefinitionen nicht die Frage nach einem A u s w a h l k r i t e r i u m . Es werden A n fänge u n d Höhepunkte der E n t w i c k l u n g dargestellt sowie Definitionen, an die Juristen angeknüpft bzw. die sie selbst erarbeitet haben. — Z u m Bedeudungswandel Messer, S. 660; v. d. Stein, Systembegriff, S. 1. 8 Z u m folgenden v. d. Stein, ebd., S. 2 ff. A u f Ritschis Untersuchung k a n n zum Beleg des griechischen Sprachgebrauchs von systema nicht zurückgegriffen werden, da er behauptete, i m griechischen Sprachgebrauch habe die Verwendung des Begriffs i n unserem Sinne ganz gefehlt, er verzichtete deshalb v ö l l i g auf eine Erörterung. Die Unhaltbarkeit dieser Annahme belegt υ. d. Stein, ebd. Vgl. auch Zahn. 9 v. d. Stein, ebd., S. 5. 10 Zahn, S. 1462. 11 v. d. Stein, ebd., S. 6. 12 Martianus Capella.

I I . »Allgemeine 4 Systemdefinitionen

33

bular zur Beschreibung der Form und des Aufbaus des Weltalls (systema mundi). I n der Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich das Wort systema allgemein durch, indem es den Begriff syntagma ablöste, der zuvor Worte wie summa, corpus und corpus integrum verdrängt hatte. Der Durchbruch gelang zunächst i n der Theologie 13 . Die Theologen definierten System i n dieser Zeit jedoch noch nicht 14 , sondern beschrieben seine Erzeugungsweise: „Wie i n einer Kette die einzelnen Oesen zusammenhängen, so erzeugt i n unserer heiligen Wissenschaft (seil. : der Theologie) ein Glaubensartikel aus sich einen anderen und bestimmten, der wiederum einen anderen und so fort, bis ein ,corpus doctrinae integrum' sive ,systema perfectum et absolutum' geschaffen ist" (Hütter 15 ). — Erst später begann die theologische Wissenschaft den Systembegriff zu reflektieren. Er eroberte dann andere Gebiete als Folge der engen Beziehungen der Wissenschaften untereinander. Keckermann 1®, der erste Systemtheoretiker, verstand unter ,System' den Inbegriff von Sätzen = Wahrheiten, Wahrheiten i n objektiver wie subjektiver Hinsicht verstanden. Zugleich stellte er fest, daß er sein System „ i n nach Vollständigkeit strebender Methode" gebracht habe. Keckermann definierte also System als Inbegriff von Wahrheiten, die methodisch geordnet werden und vollständig sein sollen. — I n der M i t t e des 18. Jahrhunderts legte Wolff 1 7 seine Systemdefinition vor. Nach seiner Auffassung ist ein System der Zusammenhang miteinander verknüpfter Wahrheiten, wobei die Verknüpfung methodisch richtig und aus einem zugrunde liegenden Prinzip vollständig deduziert sein muß. Obwohl diese Aussage sich durch ihre Reflektion und Abstraktion stark von den vorher zitierten unterscheidet, stellt sie nicht den Höhepunkt theoretischer Systemreflektion dar. Den Höhepunkt bildet die Definition des Johann Heinrich Lambert 1 8 . Sein Ergebnis markiert zugleich den Endpunkt der Diskussion. Sein 13

v. d. Stein, ebd., S. 7. Allenfalls Definitionsversuche lassen sich feststellen, aber auch schon eine Absicht, aus der heraus Systeme gebildet werden: Es geht darum, den Lernenden das Gesamt der christlichen Lehre darzustellen u n d den Zusammenhang der einzelnen Glaubensartikel aufzuzeigen, vgl. v. d. Stein, ebd., S. 8. 15 Compendium Locorum theologicorum. Hütter stellt den E n d p u n k t einer Entwicklung dar, die m i t Melanchtons Werk Loci Theologici ihren Anfang nahm. Vgl. zum Vorstehenden Ritsehl, S. 9—24 m i t ausführlichen Nachweisen. 16 Systema logicae tribus libris adornatum, Einleitung. 17 Philosophia moralis sive ethica, S. 440 ff. (§ 285); Philosophia rationalis sive logica, S. 635 (§ 889); Institutiones juris naturae et gentium, S. 32 f. (§ 62). Wolff beherrschte m i t seiner Terminologie das 18. Jahrhundert. — Z u Wolff s. Ritsehl, S. 60 ff., Schröder, S. 86—92. 18 Logische u n d philosophische Abhandlungen, hgg. von Johann Bernoulli, 2 Bände. Das System behandeln Bd. 1, S. 510 ff.: Theorie des Systems, u n d 14

3 Peine

34

Β . Der allgemeine' Systembegriff

S y s t e m b e g r i f f i s t einerseits so durchdacht, daß er a l l e f r ü h e r e n D e f i n i t i o n e n ü b e r t r i f f t , andererseits aber so w e i t gefaßt, daß er a l l e späteren a l l g e m e i n e n u n d insbesondere speziellen D e f i n i t i o n e n f ü r b e s t i m m t e Wissenschaften schon u m s c h l i e ß t 1 9 , so n a m e n t l i c h auch die verschiedenen rechtswissenschaftlichen S y s t e m b e g r i f f e . D i e s e r T h e o r e t i k e r v e r s t a n d u n t e r e i n e m S y s t e m n i c h t n u r e i n bloßes L e h r g e b ä u d e w i e ζ. B . K e c k e r m a n n , s o n d e r n a u c h d e n Begriff i n seiner v ö l l i g e n A u s d e h n u n g , w i e er sich n a c h u n d n a c h e n t w i c k e l t h a t t e 2 0 . S e i n S y s t e m b e g r i f f i s t d u r c h d r e i K r i t e r i e n c h a r a k t e r i s i e r t , d i e n o t w e n d i g e r f ü l l t s e i n müssen. E i n S y s t e m setzt m e h r e r e T e i l e voraus. Das i s t das erste K r i t e r i u m . Diese T e i l e d ü r f e n n i c h t z u s a m m e n h a n g l o s nebeneinanderstehen, s o n d e r n m ü s s e n „ a u s e i n a n d e r gesetzt, jedes f ü r sich k e n n t l i c h , m i t A b s i c h t ges t e l l t oder geordnet, u n d a l l e m i t e i n a n d e r so v e r b u n d e n seyn, daß sie Bd. 2, S. 385 ff.: Fragment einer Systematologie. Beide Abhandlungen sind wieder abgedruckt bei Diemer (Hg.), System, S. 161 ff. Johann Heinrich Lambert, geb. am 26.8.1728 i n Mühlhausen i m Elsaß, gest. am 25. 9.1777 i n Berlin. L a m b e r t entstammte einem armen Elternhaus, sein Vater w a r Schneider. Dies machte es unmöglich, i h m eine »klassische4 Schulbildung zukommen zu lassen. M i t 12 Jahren verließ er die Elementarschule, u m Schneider zu werden. Er bildete sich autodidaktisch, wurde aufgrund seiner schönen Handschrift (!) Schreiber bei einem Stadtschreiber, erhielt Unterricht i n Deutsch, L a t e i n u n d Französisch. 1743 wurde Lambert Buchhalter. 1744 Beginn seiner kosmologischen Studien, 1745 Stellung als wissenschaftlicher Schreiber bei dem Professor der Rechte Iselin i n Basel; Fortsetzung seiner Studien, zu denen als Fächer die Mathematik, Jurisprudenz u n d die Philosophie hinzukamen. A b 1748 achtjährige Tätigkeit als Hauslehrer der Grafen von Salis i n Chur. Während dieser Zeit Studien, die die Grundlage seiner späteren Werke bilden sollten. K o n s t r u k t i o n physikalischer Geräte, ferner juristisch tätig i n der Gemeinde Chur i n Streitigkeiten m i t der Kirche. A b 1756 Reisen durch Westeuropa, die i h n u. a. nach Göttingen führten, w o er wieder Jurisprudenz studierte. I n Göttingen M i t g l i e d der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, nannte sich »Hofmeister'. Nach der Besetzung Göttingens durch die Franzosen Studien i n Utrecht, Paris u n d Oberitalien. 1759 Trennung von der Familie Salis. Hoffnungen auf Lehrstühle i n Göttingen u n d München zerschlugen sich. Nach A u f e n t halten i n der Schweiz u n d Erlangen ab 1764 bis zu seinem Lebensende i n Berlin. A u f g r u n d seiner persönlichen Ungeschicklichkeit als ,Mann i m Mond' verspottet, erst i m zweiten A n l a u f 1765 ordentliches M i t g l i e d der Akademie (physikalische Klasse). Innerhalb von 12 Jahren 162 Arbeiten. V o r seinem Tode Ernennung zum Oberbaurat. Tod infolge Überarbeitung. Diese kurze Biographie (nach Löwenhaupt, Das Leben des Johann H e i n rich Lambert) rechtfertigt sich i n diesem Zusammenhang deswegen, w e i l Lambert nahezu vergessen ist, obwohl er als einer der gelehrtesten Mathematiker, Physiker u n d Philosophen des 18. Jahrhunderts gelten darf. Als Philosoph steht er zeitlich zwischen Leibniz u n d K a n t (Kants K r i t i k der reinen Vernunft erschien nach Lamberts Tod). Kants R u h m hat den von Lambert überstrahlt u n d den Lambert gebührenden R u h m nicht zur E n t faltung kommen lassen. Lamberts Verhältnis zu K a n t beschreiben Metz u n d Baensch. Lamberts Schriften sind aufgeführt bei Steck, Bibliographica Lambertiana, 1970. L a m berts philosophisches Werk hat Arndt 1965 neu herausgegeben. 19 v. d. Stein, ebd., S. 12. 20 s. A n m . 18, Bd. I I , S. 385, § 1.

I I . »Allgemeine 4 Systemdefinitionen

35

gerade das der vorausgesetzten Absicht gemässe Ganze ausmachen, und dieses muß, so gut es angeht oder so lange es die Absicht erfordert, fortdauern können, es sey daß es unverändert bleibe, oder seiner Absicht gemäße Veränderungen leide" 2 1 . Dies ist Lamberts Allgemeinbegriff von System. Neben dem schon genannten ersten K r i t e r i u m ergibt sich: Die einzelnen Teile werden nach einer ,bestimmten Absicht' (in der heute gebräuchlichen Sprache wäre adäquat formuliert: mit einem bestimmten Ziel 2 2 ) geordnet. Die (absichtsvolle) Ordnung ist das zweite Kriterium. Die Ordnung der einzelnen Teile darf jedoch nicht nur i n der Weise erfolgen, daß die geordneten Teile zum ordnenden Gesichtspunkt eine Beziehung aufweisen (Lambert nennt diese Beziehung verbindende Kräfte), sondern die Ordnung der Teile muß auch i m Verhältnis der Teile zueinander zum Ausdruck gelangen. Sie müssen alle m i t einander so verbunden sein, daß sie gerade das der vorausgesetzten Absicht gemäße Ganze ausmachen23 (Lambert nennt diese Beziehung gemeinsames Band). Die doppelte Ordnung ist das dritte Kriterium. Dieser Punkt ist außerordentlich wichtig: Für Lambert liegt ein System nur dann vor, wenn der Ordnungsgesichtspunkt zwei Komponenten enthält: die erste regelt das Verhältnis der Teile zum Ordnungsgesichtspunkt, die zweite das Verhältnis der Teile untereinander. Nur beim Vorliegen auch der zweiten Komponente sind die Teile miteinander verbunden. Zu den geordneten Teilen können neue hinzukommen oder auch nicht, das System ist also offen oder geschlossen. Die Irrelevanz des A b geschlossenseins ist wichtig, aber nicht systemkonstitutiv. — I m Sinne Lamberts darf demnach eine — i n heute gebräuchlicher Sprache formuliert — Summe von Einzelteilen als System charakterisiert werden, wenn 1. diese Teile nach 2. einem bestimmten Gesichtspunkt entsprechend der vorausgesetzten Absicht i n 3. der Weise geordnet werden, daß das i m Gesichtspunkt enthaltene Ordnungsprinzip sowohl das Ver21

Ebd., S. 386, § 3. Lambert beschäftigt sich m i t der Absicht i m I I I . Hauptstück, §§ 32 ff., S. 406 ff. I m § 32 sagt er: „ E i n System, überhaupt betrachtet, soll irgend zu etwas dienen, das ist, einen bestimmten Zweck haben, u n d demselben gemäß eingerichtet seyn. Nach diesem Zweck soll es, w e n n es bereits vorhanden, untersucht, oder w e n n es noch erst i n Anschlag gebracht w i r d , geprüft w e r den; . . . " . 23 § 6 I : Bey einem Systeme befinden sich 1. Theile, die theils n u r m i t einander verbunden, theils so v o n einander abhängig sind, daß eines das andere erfordert, oder voraussetzt, oder nach sich zieht. 2. Verbindende Kräften, die entweder Theile m i t Theilen, oder Theile m i t dem Ganzen, oder sämtliche Theile zugleich verbinden. 3. E i n gemeinsames Band, welches aus den Theilen ein Ganzes macht, u n d gewöhnlich i n einer verbindenden K r a f t , oder auch i n dem Grunde besteht, w a r u m diese K r a f t gebraucht w i r d . 4. Eine allgemeine u n d etwan auch mehrere besondere Absichten . . . 22

3*

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Β . Der allgemeine' Systembegriff

hältnis Geordnetes zum Ordnenden als auch das Verhältnis des Geordneten zueinander regelt, und 4. der Ordnungsgesichtspunkt erkennen läßt, ob das Geordnete offen oder geschlossen sein soll für neue Teile. — Zum Aufbau des Systems gibt Lambert drei methodische Kriterien an: Der Aufbau erfolgt 1. nach „Gesetze(n) oder Regeln, die sämtlich aus der Absicht des Systems und den Bedingungen des Beharrungszustandes abgeleitet werden, und einander mehr oder minder untergeordnet sind", 2. nach einer „ A r t von Grundlage, worauf das System beruht oder sich gründet", und 3. müsse eine „äußere Form, Gestalt . . . Symetrie, locale Ordnung, etc." bestehen 24 . Lambert definiert nach alledem i n äußerster Allgemeinheit die Gesichtspunkte, denen gemäß die Teile zu ordnen sind, damit i m Ergebnis der „Zusammenschluß eines Vielfältigen zu einem gegliederten, i n sich geschlossenen Ganzen" entsteht, „ i n dem das einzelne i m Verhältnis zum Ganzen wie auch i m Verhältnis zu den anderen Teilen, seinen sowohl genau bestimmten wie auch bestimmbaren Ort einnimmt". Er hat damit den Begriff des künstlichen Systems geschaffen 25. Er hat sich losgelöst von Versuchen, die Wirklichkeit als System zu begreifen und den Systembegriff entsprechend zu definieren. Sein Begriff ist brauchbar für jede wissenschaftliche Disziplin, also auch für die Rechtswissenschaft. Die Bemühungen um den Systembegriff i n späterer Zeit haben den Lambertschen Grad von Exaktheit fast nie mehr erreicht, m i t Sicherheit aber nicht überboten. Diese Versuche sind von Lambert beeinflußt gewesen und bewegen sich i n dem von i h m gesteckten Rahmen 26 . Erst i n jüngerer Zeit hat die Philosophie sich seiner wieder angenommen 27 . Freilich darf die tatsächliche Bedeutung Lamberts nicht überschätzt werden. Seine Arbeit ist nur als Fragment erhalten 28 , das dürfte ihrer Verbreitung nicht förderlich gewesen sein. Ferner haben sich spätere Theoretiker auf K a n t bezogen oder i h n wenigstens zum Ausgangspunkt ihrer Erörterungen genommen 29 . Kant war jedoch bei seinen systembezogenen Abhandlungen hauptsächlich von Wolff beeinflußt 30 . 24

§ 6, I I I . υ. d. Stein, ebd., S. 11. Hier auch das Zitat. 26 Reinhold, Fichte u n d Schelling bewegten sich i m Rahmen des L a m b e r t schen Systembegriffs, vgl. v. d. Stein, ebd., S. 12. 27 Z w e i Mitglieder des philosophischen Instituts der Universität Düsseldorf, die eine eigene Systemdefinition vorlegen, beschäftigen sich ausdrücklich m i t Lambert; v. d. Stein analysiert die Lambertsche Definition, vgl. v. d. Stein, ebd., S. 11 f., u n d K ö n i g vergleicht die v o m I n s t i t u t erarbeitete Definition m i t der Lamberts, s. König, i n : Diemer (Hg.), System, S. 178. Die genannte Definition der »Düsseldorfer Gruppe' befindet sich auf S. 151. 28 Vgl. den Text i m A n h a n g bei Diemer, ebd. 29 Das g i l t beispielsweise f ü r Canaris, Systemdenken, S. 11, der die Definit i o n Kants (zu dieser sogleich i m Text) als maßgeblich bezeichnet, obwohl 25

I I . Allgemeine Systemdefinitionen

37

K a n t versteht unter einem System „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee" 3 1 , oder „ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes" 32 . I m Rahmen dieses Systembegriffes, der sich definitorisch wohl vom Lambertschen nicht unterscheidet, freilich ausschließlich auf die Metaphysik beschränkt ist 3 3 , bewegt sich ein Teil der nachkantianischen Philosophie. I h m geht es, angesichts der Existenz eines Systembegriffs, nur noch u m die Diskussion eines einem jeden System zugrunde liegenden Fundaments. Er erstrebt einen letzten, obersten Grundsatz, aus dem sich die ganze Wissenschaft deduzieren läßt: „Die Form der Wissenschaft ist i n der Philosophie etwas längst bekanntes. Man wußte längst, daß sie i m systematischen bestehe und folglich durch Grundsätze, die alle einem ersten untergeordnet sein müssen, bestimmt werden müsse. Allein, da der bisher für den ersten gehaltene und angegebene Grundsatz, der Satz des Widerspruchs, keineswegs die Materie des Fundaments der Elementarphilosophie enthält: so konnte er auch nicht das wahre Fundament derselben abgeben . . . Die Leibnizsche Schule hielt und benutzte i h n als den ersten Grundsatz der Metaphysik; die künftige Philosophie w i r d i h n als den ersten Grundsatz der Logik anerkennen und benutzen" 34 . Für das 19. Jahrhundert werden drei Bedeutungsvarianten des Wortes ,System* konstatiert, entsprechend sind drei Definitionen zu unterscheiden 35 : 1. w i r d System als subjektive planmäßige Ordnung eines Stoffes verstanden, 2. w i r d es als Spiegelung einer objektiven Ordnung der Dinge begriffen, und 3. als deduktiver Begründungszusammenhang von Sätzen erklärt. Aus der jüngeren philosophischen Literatur ist folgende Definition von Interesse: Ein System ist „1. objektiv: Ein ganzheitlicher Zusammenhang von Dingen, Vorgängen, Teilen, wobei die Bedeutung jedes Teils vom übergeordneten, übersummativen Ganzen her bestimmt ist (...), 2. logisch: eine einheitliche, nach einem Prinzip durchgeführte Mannigfaltigkeit von Erkenntnissen zu einem Wissensganzen, zu einem i n sich gegliederten innerlich-logisch verbundenen Lehrgebäude, als möglichst getreues Korrelat zum realen System der Dinge, d. h. zu dem Ganzen von Beziehungen der Dinge untereinander, das w i r annähernd diese Definition i m Hinblick auf ihre Differenziertheit hinter der von L a m bert zurückbleibt. 80 Dazu v. d. Stein, ebd., S. 12. 81 Kant, K r i t i k , 1. Aufl., S. 832 bzw. 2. Aufl., S. 860. 82 Kant, Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede, S. I V . 33 Vgl. υ. d. Stein, ebd., S. 12. — Z u Kants Systembegriff allgemein Zahn, S. 1465. ff. 34 Reinhold, S. 110, zitiert nach v. d. Stein, ebd., S. 12 A n m . 47. 85 Coing , Systembegriff, S. 149.

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Β . Der allgemeine Systembegriff

i m wissenschaftlichen F o r t g a n g e z u »rekonstruieren 4 s u c h e n " 3 6 . A u c h i n j ü n g s t e r Z e i t h a b e n sich P h i l o s o p h e n e i n g e h e n d m i t d e m B e g r i f f »System 4 beschäftigt. N a c h i h r e r A u f f a s s u n g bezeichnet S y s t e m eine Ordnungsform, die ein Elementengesamt i n einen Strukturzusammenhang bringt 37. — Die letzte hier aufgeführte allgemeine Systemdefinit i o n sei d i e eines J u r i s t e n . A u s g e h e n d d a v o n , daß e i n S y s t e m eine F u n k t i o n e r f ü l l e n müsse, w i r d das V e r s t ä n d n i s f o l g e n d e r m a ß e n b e schrieben: E i n „ S y s t e m (stellt) d i e A n o r d n u n g v o n B e g r i f f e n i n m i n d e stens d r e i logischen B e z i e h u n g e n (dar), v o n d e n e n eine e i n v e r a l l g e m e i nertes P r i n z i p u n d z w e i andere i n h a l t l i c h gleiche B e s o n d e r h e i t e n w i e dergeben: Z w e i Begriffe liegen gleich i m Bezug auf ein Prinzip 44. U n d d a n n : „ E i n S y s t e m ist eine S t r u k t u r , d i e m a n z u e i n e r B e g r ü n d u n g v e r w e n d e n k a n n . O d e r anders a u s g e d r ü c k t : E i n S y s t e m ist eine S t r u k t u r m i t V e r a l l g e m e i n e r u n g s m ö g l i c h k e i t e n , sofern m a n u n t e r V e r a l l g e m e i n e r u n g die Absicht versteht, auf fernerliegende Umstände, auf ,dritte Punkte4 zu schließen4438'39. 36

Eisler, Wörterbuch, Stichwort: System. Die hier sogenannte , Düsseldorf er Gruppe 4 s. i n : Diemer (Hg.), System, S. 150 ff. Sie begnügt sich nicht m i t einer Definition des Systembegriffs, sondern untersucht das Begriffsfeld ,System 4 . Sie t r i f f t folgende Unterscheidungen: Systematifizieren: 1. Systemprinzipien vorgeben 2. Systemstruktur entwickeln, d. h. Elementstellen bestimmen. Systematifikator: Gesamt der Systemprinzipien. Systematifikat: Systemstruktur, Elementstellenplan. Systemieren: Elemente eines Systems einordnen, den Elementstellen zuordnen. Systemat: Gesamt des Systemierten. Elementstelle: Stellenwert i m System. Demnach stellt sich das Begriffsfeld ,System 4 folgendermaßen dar: U m ein Gesamt definierter Elemente i n einen bestimmten Zusammenhang zu bringen, bedarf es der Vorgabe von Systemprinzipien, eines Systematifikators, aus dem die Systemstruktur, durch welche die möglichen Elementstellen konstituiert, d . h . die jeweiligen Stellenwerte bestimmt werden, entwickelt w i r d . Diese Tätigkeit heißt Systematifizieren, i h r Ergebnis Systematifikat. Das Systematifikat ist die objektive Bedingung der Möglichkeit des Systemierens, des Einordnens der definierten Elemente i n die Systemstruktur, den Elementstellenplan. Das Gesamt des derart Systemierten heißt Systemat. — Was i n der obigen Analyse Lamberts als Gesichtspunkt bezeichnet wurde, der bestimmte Eigenschaften haben müsse, heißt i n der D ü s seldorfer Sprache 4 Systematifikator, er enthält die Systemstruktur. 38 Fikentscher , I V , S. 97 ff., die Zitate S. 104, 107. 39 Weitere Definitionen aus der letzten Zeit seien n u r angemerkt u n d keiner weiteren Analyse unterzogen: Suhr, i n : EStL, Sp. 2598 definiert System als einen K o m p l e x aus Einheiten (einer Menge von Elementen), z w i schen denen wenigstens einige Verhältnisse bestimmt sind (eine Menge von Relationen), so daß von einigen Systemzuständen oder -eigenschaften auf andere (abstrakte oder konkrete, insbesondere vergangene, gleichzeitige oder zukünftige) Systemzustände oder -eigenschaften geschlossen werden kann. Heidegger, Verfassung, S. 56 bezeichnet System als das „Folgerichtige, 37

I I I . Analyse u n d Konsequenzen

39

I I I . Analyse und Konsequenzen 1. Die Vieldeutigkeit

des Systembegriffs

Die Darstellung der verschiedenen Systembegriffe ist ein Beleg für die Behauptung, daß es mehrere Systembegriffe i n wissenschaftlicher Verwendung gibt. Diese Feststellung bedingt die schon verzeichnete Konsequenz, daß nicht ohne weiteres von ,System' oder systematisieren' gesprochen werden darf. Daraus ergibt sich als weitere Folgerung, daß bei der Nutzung dieses Topos, ist ein wissenschaftlich akzeptabler Sprachgebrauch beabsichtigt, zu beachten ist: 1. muß diesbezüglichen Aussagen ein bestimmter Systembegriff zugrundeliegen, 2. ist dieser Begriff offenzulegen, 3. ist der Nachweis zu erbringen, daß entsprechend dem angenommenen und offengelegten Systemverständnis ein System vorhanden ist. Diese Konsequenz ist eine allgemeine. Sie gilt auch für den Bereich des Rechts. W i r d ,System' i m Bereich des Rechts i n der dargestellten dritten Variante benutzt, werden also m i t dem Begriff Folgerungen verbunden, so erscheint dies nur zulässig, wenn jene drei Bedingungen erfüllt sind. 2. Akzeptable und nichtakzeptable Systembegriffe Für die Frage nach dem Systembegriff als Voraussetzung für eine Explikation des Begriffs ,Rechtssystem' ist bedeutsam, an welche der Definitionen die zu erarbeitende Präzisierung anknüpfen kann. Eine endgültige Entscheidung für einen abstrakten Systembegriff kann an dieser Stelle noch nicht getroffen werden. Denn die Entscheidung setzt eine Diskussion der Definitionen voraus. Die Festlegung w i r d i n der Weise unternommen, daß anhand einer Reihe von Forderungen die relevanten Systemdefinitionen von nicht akzeptablen separiert werden. Es ist unmittelbar einsichtig, daß für eine der heutigen Zeit genügende Definition nicht an solche angeknüpft werden kann, die die Wissenschaft bereits ,überwunden' hat. ,Überwunden' meint hier, und sollte auch immer bedeuten, nicht Ablösen durch ,Schulen', sondern das alles Wissen der Wissenschaften gliedert u n d bewegt, i n Sicherheit b r i n g t u n d m i t t e i l t " w i e auch „das Ganze eines Begründungszusammenhangs, w o r i n die Gegenstände i m Hinblick auf ihren G r u n d vorgestellt, d . h . begriffen werden". — Siehe ferner auch Klaus / Buhr, S. 560: System ist eine Gesamtheit von Elementen, die i n struktureller u n d funktioneller Hinsicht auf bestimmte Weise miteinander verbunden sind. E i n einfaches System besteht aus wenigen Elementen, die durch einfache Relationen verbunden sind. E i n kompliziertes enthält eine größere Anzahl von Elementen, die Verbindungen der Elemente können einfach oder komplex sein. — U n d schließlich Neuhäusler, Stichwort System: E i n Beziehungsgefüge, das gesetzmäßig zusammengefaßt w i r d , so daß eine i n sich geregelte K o m b i n a t i o n von Teilen entsteht.

40

Β . Der allgemeine Systembegriff

entweder die auf neuen und besseren Einsichten aufbauende Weiterentwicklung einer Lehre auf einer nicht verlassenen Basis oder die argumentative Widerlegung einer »alten4 durch eine »neue4 Lehre. I m letzten Fall ist freilich zu prüfen, ob die »faktische 4 Überholung einer alten durch eine neue auch einen wissenschaftlichen Fortschritt 4 bringt. — A u f dieser Basis ist ein Anknüpfen an Systemdefinitionen, die die Wissenschaft i n diesem Sinne ,überwunden 4 hat, nicht akzeptabel. Denn eine Entscheidung für eine das moderne Verständnis von ,System4 nicht mehr ansatzweise repräsentierende Definition sieht sich dem berechtigten Einwand ausgesetzt, eine wissenschaftlich überholte Basis als Fundament weiterer Erörterungen zu wählen. — Dieses K r i t e r i u m erlaubt die Feststellung, daß alle zeitlich vor Lambert angestellten Bemühungen u m den abstrakten Systembegriff nicht mehr von Interesse sind. Denn Lamberts Aussage stellt den Höhepunkt einer auf der gleichen Basis sich vollziehenden Entwicklung dar. Er hat den Rahmen abgesteckt, i n dessen Bereich sich alle späteren Definitionen — auch die von Kant, an die heute gern angeknüpft w i r d — bewegen. Es ergibt sich damit: N u r noch die Definitionen seit Lambert sind von Interesse 40 . 3. Ein- und zweibezüglicher

Systembegriff

Werden die verbleibenden Systemdefinitionen daraufhin untersucht, welche A r t von System sie zu bilden vermögen, so rückt ein gravierender Unterschied i n den Blick. A l l e n Versuchen ist gemeinsam, daß m i t ihrer Hilfe aus den verschiedenen Elementen bestimmte abgesondert werden können und zwar mit dem Ziel, die abgesonderten Elemente zu einer Einheit zu führen. Partiell t r i t t hinzu der Versuch, diese Einheit der Realität anzunähern. Davon abgesehen ist die zu erzielende Einheit aber unterschiedlich. Dies liegt begründet i n der unterschiedlichen Ausgestaltung des Ordnungsgesichtspunktes, des Prinzips, des Systematifikators: Einmal entsteht die Einheit bereits dann, wenn Elemente gleicher A r t aus den verschiedenen Arten von Elementen ausgesondert werden. Der Ordnungsgesichtspunkt beinhaltet nur die Aussage, welcher A r t ein Element sein muß, damit ein System entsteht. Davon abstrahiert läßt sich sagen, daß der Ordnungsgesichtspunkt / das Ordnungsprinzip nur eine bestimmte Aussage enthält und dementsprechend die Elemente danach trennt, ob sie das Geforderte erfüllen oder nicht erfüllen. I h n prägt nur die Aussage der Zuordnung oder Nichtzuordnung zu 40 Wenn überhaupt, ist von Interesse die Definition Christian Wolffs , siehe oben bei A n m . 17, w e i l er die Forderung aufgestellt hat, zu einem System gehöre ein Prinzip, das über mindestens zwei dem Prinzip untergeordnete Umstände eine Aussage enthalte. Vgl. dazu z.B. Gmür, S. 92; Schröder, S. 86 ff., der die Ansicht vertritt, Wolff habe eine weniger strenge Auffassung von »System4, sowie Fikentscher, I V , S. 104, der sich insoweit an die Definition Wolffs anlehnt.

I I I . Analyse u n d Konsequenzen

41

diesem Prinzip. Als Folge seiner Anwendung entsteht eine Reihung der ausgesonderten Elemente. Zum anderen ist für die Entstehung von Einheit ein Weiteres bedeutsam. Sie entsteht erst dann, wenn der Ordnungsgesichtspunkt neben der zuvor referierten Aussage eine weitere enthält: Sie betrifft die Feststellung, wie die einzelnen Teile sich zueinander verhalten. Der Ordnungsgesichtspunkt bestimmt also auch das Verhältnis dieser Teile zueinander und ordnet sie entsprechend dieser Aussage. Erst dieses zweite Verhältnis bewirkt Einheit. Von den genannten Definitionen enthalten die von Lambert, Kant, Fikentscher und die der ,Düsseldorfer Gruppe 4 diese zweite Aussage. — Ein durch eine Einheit i m letzten Sinne charakterisiertes System werde zweibezüglich genannt, weil der Ordnungsgesichtspunkt zwei Aussagen enthält; jenes zuvor dargestellte System werde einbezüglich genannt. Bezogen auf den abstrakten Systembegriff ergibt sich die Folgerung: Es ist zwischen ein- und zweibezüglichen Definitionen zu unterscheiden 41 . Dieser Sprachgebrauch (ein- und zweibezügliches System) ist zu begründen. Denn er lehnt sich einerseits an den von Fikentscher (S. 98 ff.) 42 i n die Diskussion eingeführten an, unterscheidet sich andererseits terminologisch und sachlich von ihm. Die i n Bezug genommene Sprache differenziert zwischen zwei- und dreibezüglichen Systemen. I n dem hier gewählten Sprachgebrauch ,bezüglich 4 liegt die Anlehnung, i n der Zahl der Bezüge die Unterscheidung. Sie ist Folge zweier Überlegungen: Jene Auffassung nennt Systeme zweibezüglich, die eine assoziative Reihung von Stoffpartikeln darstellen, ζ. B. Merkverse, das Alphabet. Das Alphabet sei eine willkürliche Aneinanderreihung von Buchstaben. Ein dieses System erzeugender Ordnungsgesichtspunkt besteht i n der Aussage: Trennung der Buchstaben von anderen Elementen, ζ. B. den Zahlen. Der Ordnungsgesichtspunkt enthält also nur eine Aussage. I m Hinblick auf die zwei Elemente, die mindestens zu einem System gehören, lassen sich jedoch zwei Aussagen treffen, die freilich gleichlautend sind. Darauf w i r d abgestellt. Das Prinzip erlaubt über i h m untergeordnete Umstände eine gleiche Aussage, i m Beispielsfall Alphabet: A l l e dem Alphabet untergeordneten Umstände sind Buchstaben. Die Aussage zweibezüglich w i r d also nicht vom Ordnungsgesichtspunkt abgeleitet, sondern von den zwei gleichen Aussagen, die 41 Diese Differenzierung enthält, soweit ersichtlich, zum ersten Mal, w e n n gleich auch nicht i n gleicher Terminologie (zu den Unterschieden sogleich i m Text) das Buch von Fikentscher, I V , S. 98. Er unterscheidet hier assoziative u n d diskursive Systeme. E i n assoziatives System stellt eine Reihung von Stoffpartikeln dar, ein diskursives System sucht nach Begründungen. — Eine ähnliche Unterscheidung ist freilich schon vorhanden bei Coing, Geschichte, S. 9. Er unterscheidet einen engen u n d einen weiten Systembegriff. E i n System i m engeren Sinne sei ein deduktives System, ein System i m weiteren Sinne sei die Ordnung eines Stoffes nach übergreifenden Gesichtspunkten. 42 Seitenzahlen i m T e x t beziehen sich auf Methoden, Bd. I V .

42

Β . Der allgemeine Systembegriff

über die wenigstens zwei Elemente eines solchen Systems getroffen werden können. Ein dreibezügliches System soll das Alphabet dann bilden, „wenn es erst alle Vokale und dann alle Konsonanten aufführen würde (oder umgekehrt), oder wenn es nach Zisch-, Labial-, Kehllauten usw. gegliedert wäre" (S. 99)43. Wäre das der Fall, dann enthielte das Alphabet nicht nur eine Reihe von Buchstaben, sondern es bestünden zwischen diesen auch Verbindungen. Ein ein solches System erzeugender Ordnungsgesichtspunkt muß folglich neben der schon zuvor genannten Aussage noch die weitere enthalten, nach welchem Gesichtspunkt die Buchstaben zu ordnen sind. Der Ordnungsgesichtspunkt enthält demnach zwei Aussagen. Dieses System w i r d dreibezüglich genannt, w e i l zu den zwei inhaltlich gleichen Aussagen noch eine besondere dritter A r t getroffen werden kann: Es ist dies eine Aussage, die die beiden Elemente als gemeinsame enthalten (S. 104). Das B i l d werde dreidimensional, so w i r d gesagt. Diese gemeinsame Aussage w i r d ,Prinzip' genannt. Die Dreidimensionalität zeige sich darin, daß man „vom Prinzip aus die beiden Einzelumstände betrachten und als unter das Prinzip gehörig beurteilen (kann). Man kann umgekehrt von den beiden Einzelpunkten aus das Prinzip betrachten und sagen, daß es die beiden genannten Punkte umschließe". Die Dreibezüglichkeit des Systems w i r d m i t folgenden Worten verdeutlicht: Sie „drückt sich darin aus, daß über zwei Nomen (Individuen, Begriffe) inhaltlich gleiche Aussagen gemacht werden, und eine (weitere) ,A11gemeinheits-Besonderheits-Aussage' hinzutritt. I n dieser (weiteren) Aussage w i r d axiomatisch die Gleichheit der beiden vorgenannten Aussagen als etwas Allgemeines i m Verhältnis zu den als gleich festgestellten Besonderheiten bestimmt. Dadurch entsteht dann das Prinzip als etwas Allgemeines, das sich zu beliebigen Besonderen inklusiv oder exklusiv verhält. Man kann also auch vereinfacht sagen, daß ein System die Anordnung von Begriffen i n mindestens drei logischen Beziehungen darstellt, von denen eine ein verallgemeinertes Prinzip und zwei andere inhaltlich gleiche Besonderheiten wiedergeben: Zwei Begriffe liegen gleich i m Bezug auf ein Prinzip". Die Verbindung zwischen den Elementen ergibt sich also daraus, daß über diese eine Allgemeinheits-Besonderheits-Aussage möglich ist. Somit w i r d das dreibezügliche System bzw. das Verhältnis der Elemente zueinander bereits i n spezieller Weise fest43 E i n weiteres Beispiel: Der A u f b a u der Bundesrepublik nach Bund, L ä n dern u n d Gemeinden ist ein System, w e i l die Einzelteile, die untereinander gleiche Strukturen besitzen, die rechtlich v o m Homogenitätsprinzip gefordert werden, i n einer vorgegebenen Rangordnung zueinander stehen u n d deshalb i n bestimmter Weise miteinander v e r k n ü p f t sind. Die A r t der Teile u n d die A r t der Verknüpfung ist rechtlich vorgegeben. Beide Vorgaben spiegeln sich i m Einteilungsgesichtspunkt wider. Vgl. zu diesem Beispiel Fikentscher, I I I , S. 647 f.

I I I . Analyse u n d Konsequenzen

43

gelegt. — Zwei Gesichtspunkte haben die NichtÜbernahme dieser Nomenklatur angeregt: A n dieser Stelle kann es zunächst nur darauf ankommen, die objektiv vorhandene Differenz i n den Systemdefinitionen zu charakterisieren. Für diesen Zweck erscheint es sinnvoll, auf die Ausgestaltung des Ordnungsgesichtspunktes abzustellen und gerade seine Verschiedenheit als Anknüpfungspunkt für die Bezeichnung der unterschiedlichen Systeme bzw. Systembegriffe zu wählen. Es ist ferner fraglich, ob die Verknüpfung der Elemente immer zu der so genannten ,AllgemeinheitsBesonderheits-Aussage' (S. 104) führen muß, ob also ausnahmslos die zweite Aussage des Ordnungsgesichtspunktes zu jener Aussage führt. Das zeigt ein Vergleich dieser Definition m i t der der ,Düsseldorf er Gruppe': Der Systematifikator erzeugt nach ihrer Feststellung zweibezügliche Systeme u. a. nach der A r t der Ordnungsmaßgabe (ordnungserzeugendes Element). Hier kann unterschieden werden hinsichtlich der Abhängigkeitsform der Elementenstellen nach dem Umgebungszusammenhang, dem Stützungszusammenhang sowie nach dem Begründungszusammenhang 44 . A u f letzteren ausschließlich w i r d i n der referierten Definition abgestellt, da das System die Funktion hat, Begründungen zu liefern (S. 104). Wie gezeigt, ist dieser Begründungszusammenhang jedoch nicht der einzig mögliche. Es ist deshalb nicht sicher, daß jene ,AllgemeinheitsBesonderheits-Aussage' als solche für die Präzisierung des Systemverständnisses notwendig ist. Da i n ihr aber der dritte Bezug gesehen wird, soll dieser Bezug nicht die Charakterisierung der Systembegriffe bestimmen, da er nicht definitiv feststeht. Ein Vergleich des ein- bzw. zweibezüglichen Systembegriffs dieser Untersuchung und des zwei- bzw. dreibezüglichen Systembegriffs jener Auffassung führt zu folgenden Erkenntnissen: Der einbezügliche Begriff dieser und der zweibezügliche jener Arbeit sind identisch. Beide Systembegriffe bewirken i n ihrer konkreten Anwendung Reihungen. Der zweibezügliche Begriff dieser und der dreibezügliche jener Untersuchung unterscheiden sich, da die zweite Aussage jenes Ordnungsgesichtspunktes / Systematifikators spezieller ist als die Aussage i m Ordnungsgesichtspunkt dieser Arbeit. Wahrscheinlich ist anzunehmen, daß jene zweite Aussage von der allgemeineren dieser Arbeit zum Ordnungsgesichtspunkt erf aßt wird. Die Differenzierung zwischen ein- und zweibezüglichem Systembegriff und der ihnen entsprechenden konkreten Systeme sei an einem die Rechtsnormen betreffenden Beispiel erläutert. Werden die Rechtsnormen als Summe verschiedener Elementarten gesehen, so lassen sich diese unterteilen i n privates und öffentliches Recht. Ein das Recht betreffender, i m übrigen auch infolge der §§ 13 GVG, 40 VwGO sinn44

I n : Diemer

(Hg.), System, S. 153 ff.

44

Β . Der allgemeine Systembegriff

voller Ordnungsgesichtspunkt ist deshalb: öffentliches Hecht ja oder nein. Unter diesem Aspekt lassen sich die Rechtsnormen i n zwei Gruppen teilen: die eine Gruppe ist i m Verhältnis zum Ordnungsgesichtspunkt öffentliches Recht durch eine positive Aussage, die andere durch eine negative Aussage gekennzeichnet. W i r d vom einbezüglichen Systembegriff ausgegangen, dann bilden alle Normen ein einbezügliches System, die zum Gesichtspunkt öffentliches Recht eine positive Beziehung haben. Sie bilden dann das einbezügliche ,System des öffentlichen Rechts'. — Ein weiterer, für das Recht bedeutsamer Gesichtspunkt bet r i f f t die Feststellung, i n welchem Rangverhältnis die Normen zueinander stehen. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik geht von höherund niederrangigen Normen aus 45 . Niederrangige Normen dürfen nicht gegen höherrangige verstoßen. Ein Ordnen der Normen unter den Gesichtspunkten: öffentliches Recht, und: Rang der Normen, separiert einerseits die öffentlich-rechtlichen von den privatrechtlichen Normen und ordnet sie andererseits nach ihrem Rang, setzt sie also untereinander i n Beziehung. Dieses System ist zweibezüglich. Die Normen bilden das ,System der hierarchisch geordneten öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen'. Die Zweibezüglichkeit zeigt sich darin, daß für ein System, das wenigstens aus zwei öffentlich-rechtlichen Normen besteht, die entsprechend der Hierarchie geordnet sind, die für beide Elemente gleiche Aussage getroffen werden kann, daß sie öffentlich-rechtliche Rechtsnormen sind; die zweite Aussage besteht darin, daß das Verhältnis der Normen zueinander hierarchisch ist. M i t diesen Aussagen ist nicht festgestellt, daß m i t Blick auf das Recht und speziell auf die Unterscheidung öffentliches Recht — Privatrecht ein zweibezügliches System nicht feststellbar wäre. Wenn das Ordnungsprinzip die Aussagen Rechtsnormen einerseits und Differenzierung dieser nach ihrer Zugehörigkeit zum öffentlichen oder privaten Recht andererseits enthält, dann bildet die Gesamtheit aller Normen insoweit ein zweibezügliches System. Ob eine solche Aussage freilich weiterführend ist, mag offenbleiben. 4. Entscheidung

zugunsten

eines

Systembegriffs?

Die Analyse erbrachte, daß zwei Systembegriffe i m wissenschaftlichen Sprachgebrauch Verwendung finden. W i r d ein Begriff doppeldeutig gebraucht, so sind folgende Gefahren nicht von der Hand zu weisen: denselben Begriff m i t verschiedenen Inhalten zu nutzen, widerstreitet begrifflicher Klarheit, stiftet vielleicht eher V e r w i r rung, als daß dieser Sprachgebrauch Eindeutigkeit fördert, leistet 45 I m Sprachgebrauch liegt keine Tautologie. Es ist nicht zwingend, daß eine Rechtsordnung Normen unterschiedlichen Rangs kennt, s. dazu Otte, Rechtsgeltung, S. 258.

I I I . Analyse u n d Konsequenzen

45

möglicherweise einem unspezifischen Sprachgebrauch Vorschub. Es ist ferner daran zu erinnern, daß die Philosophie 46 und der jüngste rechtswissenschaftliche Versuch den zweibezüglichen Systembegriff verwenden. Diese Umstände legen eine Diskussion der Frage nahe, ob eine Entscheidung zugunsten eines Systembegriffs zu fällen ist. Die Entscheidung für den zweibezüglichen Systembegriff könnte immerhin den (im Hinblick auf Lambert freilich relativen) Gesichtspunkt der Modernität für sich beanspruchen. Eine dahingehende Entscheidung wäre jedoch an einem rein äußerlichen, jedenfalls nicht aus der Sache ,System4 heraus ableitbaren K r i t e r i u m orientiert. Diese Sachfremdheit muß seine Bedeutungslosigkeit für die hier i n Frage stehende Entscheidung bedingen. Andere Kriterien müssen bedeutsam werden. Das Schaffen von Begriffen ist ein künstlicher Vorgang. I m Bereich der Wissenschaft rechtfertigt sich die Begriffsbildung aus ihrem Eigenbedarf an Ausdrücken m i t ganz spezifischen Verwendungsmöglichkeiten. Die Begriffe haben die Funktion, Aussagen über vorgegebene Gegenstände zu ermöglichen. Die erreichbare Aussage ist u m so spezieller, je enger der Begriff ist. Umfang und Inhalt stehen i n umgekehrtem Verhältnis zueinander, größtmögliche Allgemeinheit kollidiert mit größtmöglichem Informationsgehalt 47 . Werden auf einen Begriff hohe Erwartungen gesetzt, weil er spezielle Aussagen ermöglichen soll, muß der Begriff ein enger sein, wenn er die Erwartungen erfüllen soll. Denn je weiter der Begriff ist, desto mehr Tatbestände sind unter ihn faßbar, desto grober sind die ermöglichten Aussagen. 46 Auch Kant betonte immer wieder den Unterschied zwischen »System', das er i m zweibezüglichen Sinne verwendete (dazu sogleich), u n d ,Aggregat 4 , worunter er eine bloße, u n d sei es auch geordnete Aneinanderreihung v e r stand, s. z.B. K r i t i k der reinen Vernunft, 2. Aufl. ( = Akademieausgabe, Bd. 3), S. 538. Ä h n l i c h ζ. B. Gustav Hugo, Lehrbuch eines civilistischen Cursus, 1. Band, S. 1. — Fikentscher, I I I , S. 647, hält die Definition Kants f ü r eher einbezüglich (in seiner Nomenklatur für zweibezüglich). Er bezieht sich dabei auf die bei den obigen A n m . 31 u n d 32 gegebene Definition, die auch so bei Canaris, Systemdenken, S. 11 enthalten ist. Fikentscher zitiert nach Canaris, ebd. A n m . 15. Diese knappen Definitionen sind freilich n u r verständlich, w e n n der Gesamtzusammenhang des Textes ins Auge gefaßt w i r d . K a n t ( K r i t i k , S. 860) schreibt: „(Das System) ist die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der F o r m eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als auch die Stelle der Teile untereinander a p r i o r i bestimmt w i r d " . Die Stelle der Teile als Voraussetzung f ü r ein System ist mehr als eine assoziative Reihung, deshalb ist Kants Systembegriff zweibezüglich (in Fikentschers Nomenklatur dreibezüglich). 47 Z u m Vorstehenden vgl. Ströker, S. 46. Diese Aussage g i l t f ü r die klassifikatorischen Begriffe. Diese lassen sich definieren als Inbegriffe von Gegenständen nach gemeinsamen Merkmalen, die i n verschiedenen logischen Beziehungen der E i n - u n d Ausschließung oder auch der teilweisen Überdeckung stehen. ,System' ist ein solcher Begriff. Andere Begriffe sind komparativ, wieder andere metrisch.

46

Β . Der allgemeine' Systembegriff

W i r d diese Erwägung auf den Systembegriff übertragen, so ist sofort zu fragen, was der Systembegriff leisten soll. Ist die Leistungserwartung gering, genügt der einbezügliche Begriff, weil er Elemente der gleichen A r t von anderen separiert, so daß i m Ergebnis eine Sammlung gleicher Elemente entsteht. Ist die Leistungserwartung hingegen höher, werden neben der gezeigten Auswirkung noch weitere erwartet, dann genügt nur der zweibezügliche den gesetzten Ansprüchen. Den einbezüglichen Systembegriff zu benutzen, könnte sinnvoll sein, wenn die damit erreichbaren Aussagen bereits von belangvoller Qualität wären. Der einbezügliche Begriff faßt Elemente unter ein Prinzip zusammen, sofern sie zu i h m passen; er scheidet andere als ,systemfremd 4 aus, wenn sie zu i h m i n einem negativen Verhältnis stehen. Ergebnis dieser Systembildung ist ausschließlich eine Zweiteilung der Elemente; jede weitere, insbesondere das Verhältnis der Systemelemente zueinander betreffende Aussage, von der Elementgleichheit abgesehen, ist schon theoretisch nicht erwartbar, weil der einbezügliche Systembegriff immer nur Aussagen i m Hinblick auf die Elemente des Charakters: ja — nein ermöglicht. N u r Dichotomien sind Ergebnisse dieser Systembildung: Es entstehen einbezügliche Systeme. — Das schließt natürlich nicht aus, daß die Zweiteilung selbst, also nicht ein Teil dieser Zweiteilung, ein zweibezügliches System bildet. Entscheidend dafür ist die Qualität des Ordnungsprinzips. Die Zweiteilung des Rechts i n privates und öffentliches kann ein zweibezügliches System sein. Wird nicht auf die Zweiteilung als solche, sondern auf den einen Teil der Dichotomie abgestellt und dieser als (notwendig) einbezügliches System charakterisiert, so ist zu fragen, ob solche Zweiteilungen eine nützliche Funktion entfalten können. Das ist durchaus der Fall. Zweiteilungen können unter didaktischen Gesichtspunkten wertvoll sein, indem aus einer amorphen Elementmasse Elemente gleicher A r t herausgezogen und betrachtet werden. Gerade m i t Blick auf die Stoffaufbereitung und die Analyse des Stoffes kann diese A r t von Systembildung eine sinnvolle Arbeit ermöglichen, ist vielleicht sogar ihre Voraussetzung 48 . Entscheidend ist, wie erwähnt, was der Systembegriff leisten und ob erst ab einer bestimmten ,Leistungsstufe 4 der Begriff ,System4 überhaupt Verwendung finden soll. I n der allgemeinen Literatur zum System w i r d jedenfalls davon nicht ausgegangen49. Zwar werden dem 48 Sinnvoll erscheint er immer dann, w e n n es nicht darauf ankommt, Begründungen f ü r etwas zu liefern, denn dieses vermag der einbezügliche Systembegriff gerade nicht zu leisten. — Viehweg, Systemprobleme, S. 101, betont, daß ,Systeme' notwendig sind, w e n n es gilt, Wissen zu Informationszwecken zu speichern. 49 Düsseldorfer Gruppe (Anm. 37), Viehweg, ebd., Suhr (Anm. 39); Fikentscher erscheint die Verwendung eines einbezüglichen, i n seiner Terminologie

I I I . Analyse u n d Konsequenzen

47

Systembegriff und dem entsprechenden System bestimmte Funktionen zugeschrieben. Lambert sah die Aufgabe seines Systems darin, der „Verwirrung vorzubeugen", „zur Ordnung der Dinge zu führen" und „ i n (der) Untersuchung, Erfindung, Anlage, Errichtung und Verbesserung besonders vorkommender Systeme" leitend zu sein. Die Funktion Analyse klingt an, wenn Lambert von der Untersuchung bestehender Systeme spricht. Diese analytische Funktion muß das System erfüllen. ,System' ist heute ein M i t t e l der Erkenntnis, ein Deutungsmodell. Unter einer Analyse ist freilich mehr zu verstehen als die Erkenntnis, die der einbezügliche Systembegriff hervorzubringen vermag. Z u erinnern ist ferner daran, daß Lambert bereits davon sprach, daß sein Systembegriff den Aufbau 5 0 von Systemen ermögliche. Diese Funktion ist auch heute von Interesse, w e i l die Schaffung künstlicher Systeme erst Ordnung i n eine Vielzahl von Erkenntnissen bringt. Damit ist eine zweite wichtige Funktion erkannt. Ordnen der Erkenntnisse kann freilich nicht bedeuten, diese einfach nebeneinanderzustellen, sondern sie miteinander zu verbinden. Diese Leistung vollbringt nur ein zweibezügliches System. Noch eine dritte Funktion ist herauszustellen 51 : Das System muß Begründungen ermöglichen für die Behauptung, ein bestimmtes Element passe i n das System. Diese Funktion ist von Bedeutung, weil dann das System einen Maßstab liefert für die Gestaltung neuer Elemente, deren ,Passen' zum System relevant ist. Diese Begründung kann, wenn die erstgenannten Funktionen nicht außer Acht gelassen werden, nur ein zweibezügliches System liefern. — Der zweibezügliche Systembegriff ermöglicht nach alledem nicht nur speziellere Erkenntnisse als der einbezügliche, er erfüllt darüber hinaus auch bestimmte Funktionen, die spezifisch wissenschaftlich sind. Analyse der Realität, Ordnen der Erkenntnisse und das Liefern von Begründungen für Erkenntnisse sind die Funktionen. Das alles schließt aber nicht aus, daß auch für einbezügliche Relationen der Begriff ,System' sinnvoll verwandt werden kann. N u r muß man sich seiner begrenzten Leistungsfähigkeit bewußt sein. W i r d i m wissenschaftlichen Sprachgebrauch eingedenk dieser Differenzierung und der m i t ihr verbundenen Konsequenz der Topos genutzt, so kann gegen diese Verwendung nichts eingewandt werden.

zweibezüglichen Systembegriffs ( I I I , S. 647) zweifelhaft. Er fragt, ob m a n i n diesem Zusammenhang das W o r t System überhaupt verwenden darf (IV, S. 98). Er w i l l freilich nicht u m Worte streiten u n d akzeptiert, daß assoziative »Systeme4 auch System genannt werden können. 50 Nachweis zum Vorstehenden A n m . 18. 51 Fikentscher , I V , S. 104.

48

Β . Der ,allgemeine' Systembegriff 5. Entscheidungszwang

für den Bereich

der

Rechtswissenschaft?

Aus der Tatsache, daß generell der ein- und der zweibezügliche Systembegriff parallel verwandt werden können, folgt noch nicht, daß i n der Arbeit m i t dem Recht eine parallele Nutzung sinnvoll ist. Freilich darf als Indiz für ihre Zulässigkeit gewertet werden der Umstand, daß diese doppelte Nutzung i n der Rechtswissenschaft geläufig ist. I n i h r haben — soweit ersichtlich und von Fikentschers Erörterungen abgesehen — keine speziellen Bemühungen u m einen allgemeinen Systembegriff stattgefunden, sondern i n aller Regel Rückgriffe auf vorgefundene Definitionen. So definiert Stammler 5 2 das System als „eine erschöpfend gegliederte Einheit", Hegler 5 3 als die Darstellung eines Wissensgebietes i n einem „Sinngefüge, das sich als einheitliche, zusammenhängende Ordnung desselben darstellt", Stoll 5 4 als „einheitlich geordnetes Ganzes", und Coing 55 als „eine Ordnung von Erkenntnissen nach einem einheitlichen Gesichtspunkt". — Schon m i t speziellem Bezug zum Recht bestimmen F. C. v. Savigny 5 6 und Binder 5 7 den Begriff. Savigny meint, ein System sei der „innere Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft", und Binder begreift das System als „ein nach einheitlichen Gesichtspunkten geordnetes Ganzes von Rechtsbegriffen". Die i n der Literatur zum allgemeinen Systembegriff vorhandene Unterscheidung zwischen ein- und zweibezüglichen Systemen findet sich bei den i n der Rechtswissenschaft verwandten Begriffen wieder. Die i n der philosophischen Literatur konstatierte Doppeldeutigkeit setzt sich i n der juristischen fort. Die Begriffe von Stammler und Stoll scheinen einbezüglich zu sein. Es w i r d jedenfalls behauptet, daß diese Autoren nur an die Relation von Prinzip und Einzelteil i m Sinne einer Über-Unterordnung von Systemprinzip und Einzelteil denken 58 . — Savigny verwendet einen zwei52 Theorie, S. 221; Stammler stimmen zu Engisch, Studium Generale 1957, 186 u n d Binder, Rechtsbegriff, S. 158 f.; ders., Philosophie, S. 922. Die Z u stimmung Binders ist unverständlich; unterscheiden sich doch sein u n d Stammlers Systembegriff erheblich. Dazu sogleich i m Text u n d unten bei A n m . 63. 53 F G Heck, Rümelin u n d Schmidt, S. 216. 54 Ebd., S. 77. 55 Geschichte, S. 9; vgl. ferner dens., FS Dölle, S. 25. 56 System I, S. 214. 57 Neben den i n A n m . 52 zitierten Werken vgl. noch: Z H R 1934, S. 34 f. 58 Fikentscher, I I I . S. 647. — Diese Aussage setzt eigentlich eine genaue Analyse der A r t des Einsatzes des Systems voraus. Diese Analyse k a n n hier — aus Raumgründen — nicht geleistet werden. Sie braucht es auch nicht, da f ü r die Untersuchung n u r die Feststellung, daß insoweit Differenzen möglich sind, von Interesse ist, aber nicht deren definitive Offenlegung. I h r geht es nicht u m die Klassifizierung von Auffassungen, die i n der Juris-

I I I . Analyse u n d Konsequenzen

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bezüglichen Systembegriff. Die Gesamtheit der Rechtsinstitute macht das System aus. Diese bilden eine organische Einheit 5 9 . Die Zusammenstellung der Institute erfolgt m i t Rücksicht auf „das innerste Wesen derselben, nämlich auf ihren organischen Zusammenhang m i t dem Wesen des Menschen selbst, welchem sie inhäriren" 0 0 . Das Ordnungsprinzip enthält folglich zwei Aussagen. Die erste bezieht sich auf die Elementart. Nur das ,Institut' ist systembildendes Element. Die zweite Aussage betrifft das Verhältnis der Institute zueinander. Diese sind nicht nur aneinandergereiht. Sie stehen i n fortwährender Wechselwirkung 61 : Die Institute erzeugen einander 62 . — Zweibezüglich scheint das System ebenfalls bei Hegler zu sein. Er spricht von „einem Sinngefüge, das sich als eine einheitliche zusammenhängende Ordnung desselben darstellt". Einen zweibezüglichen Systembegriff scheinen ebenfalls Binder 6 3 und Coing zu verwenden. — Problematisch ist der Systembegriff von Canaris. Er versteht Ordnung i m Sinne innerer Folgerichtigkeit 64 . Das könnte dafür sprechen, sein System als zweibezügliches anzusehen 65 . Freilich führt eine nähere Analyse dazu, daß er eine einbezügliche Relation i m Auge hat. Sein Systemelement ist das Prinzip. Eine zweibezügliche Relation liegt vor, wenn die Prinzipien entsprechend einer zweiten Aussage des Ordnungsgesichtspunktes i n Beziehung zueinander gesetzt werden. Das aber ist nicht beabsichtigt! Es werden nicht die Prinzipien entsprechend einer Aussage des Ordnungsgesichtspunktes i n Relation zueinander gesetzt, sondern die Rechtsnormen zu den Prinzipien. Das Recht bildet nach Canaris ein System, wenn alle Rechtsnormen jeweils einem Prinzip der ungenannt vielen bzw. wenigen Prinzipien zugeordnet werden können: Ein System entsteht, wenn sich die vielen Normen „auf wenige tragende Grundprinzipien zurückführen lassen". Nach allen vorherigen Aussagen bilden damit die vielen Normen infolge der i n ihnen enthaltenen Fähigkeit, die ihre Zurückführung, so jedenfalls lautet die Annahme, auf einige wenige Grundprinzipien erlaubt, ein einbezügliches System. Das System kann nur ein prudenz eine Rolle spielten, sondern darum aufzuzeigen, daß das Systemverständnis auch i n der Jurisprudenz Schwierigkeiten bereitete. 59 System I, S. 10. eo System I, S. 386. 61 System I, S. 41. 62 So Stahl, Philosophie, Bd. I I , S. 159. 63 s. Fikentscher, I I I , S. 647. Binders Begriff unterscheidet sich also von dem Stammlers, seine Zustimmung zu Stammlers Verständnis ist deshalb eine falsche. 64 Systemdenken, S. 12. 85 Canaris ist sich dieser Kategorie nicht bewußt. Fikentscher, I I I , S. 646, meint unter Zuhilfenahme der inneren Ordnung, die Canaris auf die innere Sinneinheit des Rechts zurückführt, er neige dem zweibezüglichen Systembegriff zu. 4 Peine

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Β . Der allgemeine' Systembegriff

einbezügliches sein, da ein Ordnungsgesichtspunkt fehlt, der eine weitere Aussage über das Verhältnis der Prinzipien zueinander ermöglicht. Der Ordnungsgesichtspunkt enthält nur die Aussage, daß Prinzipien von anderen Elementen zu trennen sind, konkreter: daß die Normen, die Ausdruck eines Prinzips sind, von anderen Normen zu separieren sind. Es fehlt die Aussage, wie über die Relation der Prinzipien zueinander die Relation der Normen zueinander zu bestimmen ist. Ferner folgt aus diesem System keine Aussage, wie denn neue Normen inhaltlich zu gestalten sind. Dieses System kann dafür keine Begründung liefern: Welchem Prinzip eine Norm entsprechen muß und welche Prinzipien für welche Rechtsbereiche Geltung beanspruchen dürfen, ergibt sich aus diesem System jedenfalls nicht. Letztlich basieren nach der Annahme von Canaris alle Rechtsnormen auf Grundwertungen, da ja Einheit schon vorhanden ist; damit ist jede Norm m i t Blick auf irgendeine Grundwertung folgerichtig. Gerade dadurch entsteht aber nicht ,Einheit 4 , da die Grundwertungen selbst keine Einheit bilden: Die Verfassung als Träger dieser Grund Wertungen ist eben von vornherein keine Einheit. Das Rechtssystem bei Canaris erlaubt nach alledem noch nicht einmal Zweiteilungen. Die i h m zugedachte Funktion, m i t Hilfe des Systemdenkens zu ,Einheit 4 zu gelangen, ist m i t i h m nicht erreichbar. Es kann auch nicht Anknüpfungspunkt verfassungsrechtlicher Forderungen sein: Wenn das Recht als Ganzes infolge seiner Rückführbarkeit auf wenige Grundwertungen schon ein System ist, fehlen a priori systemwidrige Normen. Wie kann dann Art. 3 Abs. 1 GG ein relevanter Maßstab sein? Dieser Maßstab kann nur eine Rolle spielen, wenn i n einem bestimmten Ordnungsbereich eine Grundwertung relevant ist und nicht alle i n diesem Ordnungsbereich geltenden Normen ihr genügen. M i t Hilfe weniger Grundwertungen, auf die alle Normen rückführbar sein sollen, die Aussage zu treffen, daß das Recht ein System bildet, ist offenbar keine weiterführende Aussage. Diese knappen Erörterungen haben jedoch erbracht, daß i n der Rechtswissenschaft beide Systembegriffe i n Verwendung sind, wobei freilich einmal die Leistungsfähigkeit des einbezüglichen überschätzt wird. Diese doppelte Nutzung des Systembegriffs spricht dafür, auch i n der Jurisprudenz beide zu benutzen, insbesondere wenn i n Betracht gezogen wird, daß jene didaktische Funktion, die der einbezügliche Systembegriff erfüllen kann, auch i m Recht von Bedeutung ist. Andererseits sind gewichtige Argumente für die Reservierung des Topos für zweibezügliche Relationen zu beachten. Zunächst ist, wenn vom System des bürgerlichen Rechts, des Ersatzleistungsrechts usw. die Rede ist, nicht gemeint die Trennung des Rechts i n bürgerliches und anderes, i n Ersatzleistungsrecht und anderes. Ge-

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meint ist immer das Verhältnis der Normen oder Institute zueinander, die zum bürgerlichen Recht, zum Verwaltungsrecht oder zum Ersatzleistungsrecht zählen. Erkenntnisgegenstand ist der innere Aufbau des Gesetzes, der innere Zusammenhang der Institute, ihr Anwendungsbereich. Die Autoren haben folglich immer einen zweibezüglichen Systembegriff, wenn auch unbewußt, i m Sinn. E i n weiteres Argument für die ausschließliche Verwendung des zweibezüglichen Systembegriffs liefert Fikentscher. Das Argument ist von speziellen methodologischen Aspekten geprägt. Es w i r d von der A u f fassung ausgegangen, daß derjenige, der eine Rechtsordnung methodologisch charakterisiere, eine Aussage zu dem Problem treffen müsse, wie das Recht sich zu seiner eigenen Fortbildung verhalte. Damit werde das Verhältnis des Rechts zur Zeit als ein methodologisch wichtiger Aussagefaktor angesprochen (S. 19)ββ. Da verschiedene K u l t u r e n nicht nur über verschiedene Rechtsverständnisse, sondern auch über spezifische Zeit- und Geschichtsverständnisse verfügten, müsse der je eigene Zeitund Geschichtsbegriff ermittelt werden, u m über die Rechtsfortbildung Aussagen treffen zu können. Notwendig sei deshalb eine Multiplizität von Geschichtsbegriffen. Diese habe die Geschichtswissenschaft nicht entwickelt, auch die Wissenschaftstheorie habe dieses Problem nicht erkannt. Es w i r d deshalb ein Kanon der verschiedenen Geschichtsverständnisse (S. 61 ff.) sowie Systemverständnisse (S. 84 ff.) entworfen, nachdem die These durch eine Untersuchung verschiedener Geschichtstheorien erhärtet worden ist (S. 22 ff.). Als wichtige Erkenntnis ergibt sich, daß zwei Sichtweisen der Zeit möglich sind: die aspektivische und die perspektivische (S. 63 ff.). Als aspektivische Geschichtsbetrachtung werden „diejenigen Formen des Verhältnisses des Menschen zur Historie" angesehen, „bei denen der Mensch, insbesondere aufgrund seines Gedächtnisses und seiner Fähigkeit, Erfahrungen zu machen und zu sammeln, die ,Geschichte4 als Betrachtungsobjekt ansieht, ohne dafür Verständnis aufzubringen, daß gewisse Dinge zeitlich weiter zurückliegen, andere näher stehen, wieder andere der Gegenwart kurz zuvorgehen oder i n i h r enthalten sind und noch andere Umstände sich erst i n der Zukunft ereignen werden" (S. 66)67. Die perspektivische Betrachtungsweise sei i m Gegensatz dazu eine extraponierende Betrachtungsweise. Geschichte werde als sich i n der Zeit entwickelnder Prozeß begriffen (S. 74)88. ββ Die Seitenzahlen i m T e x t beziehen sich auf Bd. I V seiner Methoden des Rechts. 67 Als Beispiel für diese Geschichtsbetrachtung f ü h r t er die historische' Sicht des Rechts bei Savigny an. Daß die ,Historische Rechtsschule' keine historische war, zeigt ausführlich Böckenförde, Rechtsschule, S. 9 ff. 68 Als Beispiel w i r d u. a. die christliche K u l t u r genannt.

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Β . Der allgemeine' Systembegriff

Die Bedeutung dieser Unterscheidung sei darin zu sehen, daß erst bei Kenntnis dieser Differenzierung das Bewußtsein für eine Trennung von Recht und Geschichte möglich werde; die perspektivische Betrachtungsweise führe zu dieser Trennung (S. 96). Diese Denkweise erlaube es, ein dogmatisch befriedigendes System des Verhältnisses von Recht und Geschichte zu entwerfen, weil erst sie das als Problem erkannte „Recht i n der Zeit" zum Problem erhebe, Recht m i t Zukunftsperspektive vorstellbar werde (S. 85 f., 115 ff.). Die Lehre von der Rechtsfortbildung i n der Zeit durch Verallgemeinerung juristischer Begriffe zu einem ständig wachsenden System berge i n sich die Bindung von System an Zeit und von Zeit an System (S. 107). Systematisches Denken sei deshalb nur i n der Zeit und geschichtliches Denken nur systematisch möglich, weil sonst dem System die Zukunft und der Geschichte das Innenleben fehle. Systematisches Denken sei deshalb notwendig Denken i n der Zeit; perspektivisches Rechtsdenken, also das Verstehen des Rechts i n Abhängigkeit von der Zeit, bzw. eine vergleichende Methodenlehre, erfordere deshalb nicht nur einfach ein System, sondern ein spezielles System, das dem Recht von innen betrachtet, also Methodik betreibend, und von außen betrachtet, also Methoden vergleichend, gerecht werde (S. 103, 109). Das Denken über Recht i n der Zeit, notwendig aufgrund der bedeutsamen Aussage über das Verhältnis des Rechts zu seiner eigenen Fortbildung, sei demnach systematisch und erfordere ein System i n der Zeit. Dieses perspektivische System zeichne sich notwendig dadurch aus, daß von zwei Punkten mittels eines Prinzips, das i n den Punkten enthalten sei, auf einen dritten i n der Zukunft liegenden Punkt geschlossen werden könne (S. 103). Das B i l d werde dreidimensional, darin liege die Perspektive. Der diesem System entsprechende Systembegriff ist zweibezüglich. N u r der zweibezügliche Systembegriff sei für eine Betrachtung des Rechts i n der Zeit, für Rechtsgeschichte, bedeutsam. Die referierte Aussage geht von der Methodenlehre aus und ist auf die methodisch gichtige' Betrachtungsweise begrenzt. Die vorliegende Untersuchung fragt jedoch allgemein danach, ob i n der Rechtswissenschaft eine Entscheidung für einen Systembegriff notwendig ist. Jenes Ergebnis ist sachlich nicht von beschränkter Relevanz. Es liefert für die zu beantwortende Frage einen bedeutsamen Beitrag, da Methodenlehre und Rechtsfortbildung wichtige Problembereiche der Rechtswissenschaft bilden. Ist für diese Gegenstände ein bestimmter Systembegriff einschlägig, so hat das zumindest starke Indizwirkung für die Richtigkeit einer Auffassung, die diesen Systembegriff als für die Rechtswissenschaft allgemeingültigen ansieht. Es müssen deshalb Argumente gefunden werden, die einerseits einen anderen Systembegriff für die anderen Teildisziplinen der Rechtswissenschaft sinnvoll erscheinen

I V . Die E x p l i k a t i o n der Systembegriffe

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lassen, und die andererseits den dann zu vollziehenden Bruch bzw. die Aufgabe eines einheitlichen Systembegriffs rechtfertigen. Darüber hinaus war schon angeführt worden, daß bei einer Verwendung des Begriffs ,System' m i t Blick auf das Recht, wenn ein gehaltvoller Sprachgebrauch beabsichtigt ist, immer der zweibezügliche, freilich wohl ohne Kenntnis dieser Kategorie, gemeint ist. Ferner ist ζ. B. die Summe aller Normen des öffentlichen Rechts noch nie als System charakterisiert worden, w e i l darin keine Aussagekraft liegt. Schließlich streitet für den zweibezüglichen Systembegriff ganz generell seine größere Leistungsfähigkeit. A l l diese Überlegungen können jedoch nur dann wirklich durchschlagend sein, wenn der einbezügliche Systembegriff für das Recht keine relevante Funktion erfüllen kann. Davon auszugehen ist nicht möglich, weil unter vielen Gesichtspunkten: der Aufbereitung der Stofffülle, der Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Normen und insbesondere der Gliederung des Stoffes zwecks Gewinnung von Übersicht, die Anwendung des einbezüglichen Systembegriffs Sinnvolles leistet 69 . Es gilt hier nur das Gleiche wie schon oben festgestellt: Man muß sich seiner begrenzten Leistungsfähigkeit bewußt sein. Spezifisch Wissenschaftliches: Analyse, Aufbau und das Liefern von Begründungen, darf von i h m nicht erwartet werden. 6. Ergebnisse Die Analyse vorgefundener Systembegriffe hat eine Reihe wichtiger Erkenntnisse hervorgebracht: zunächst die Erkenntnis, daß ,System' als mehrdeutiger Begriff bewußt nur bei Erfüllung bestimmter Bedingungen wissenschaftlich akzeptabel eingesetzt werden kann; sodann, daß überhaupt nur noch bestimmte Definitionen heutigen Ansprüchen genügen; ferner, daß zwischen ein- und zweibezüglichen Relationen zu unterscheiden ist; schließlich, daß beide Systembegriffe sinnvolle A u f gaben erfüllen, und letztlich, daß trotz gewichtiger Gegeneinwände auch i m Bereich des Rechts beide Systembegriffe parallel Verwendung finden dürfen, wenn m i t Blick auf das Gewollte der zur Erreichung des Gewollten richtige Systembegriff gewählt wird. IV. Die Explikation der Systembegriffe Beide Systembegriffe sind nunmehr zu explizieren. Dabei w i r d an Vorhandenem angeknüpft. Ziel dieser Untersuchung ist nicht die Erarbeitung von bisherigen Versuchen losgelöster Systembegriffe. Dieser Weg wäre nur einzuschlagen, wenn die berichteten Versuche sich als 69 V o n einer doppelten Bedeutung des Begriffs ,Rechtssystem 4 geht ebenfalls Gmür, S. 26, aus.

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Β . Der allgemeine Systembegriff

nicht brauchbar erwiesen hätten. Diese Annahme w i r d nicht vertreten, sie findet auch i m Schrifttum keine Stütze. Es werden deshalb i m folgenden die verschiedenen Merkmale der einzelnen Definitionen als Basis genommen und es w i r d diskutiert, welche Merkmale notwendig und hinreichend für eine Begriffsbestimmung sind. 1. Der einbezügliche Systembegriff Diesen verwenden Stammler, Stoll und Canaris. Den Systembegriff von Canaris hat die Untersuchung bereits kritisiert; i h m ist nicht weiter nachzugehen. Stammler versteht unter System eine erschöpfend gegliederte Einheit, Stoll begreift es als einheitlich geordnetes Ganzes. Diese Formulierungen sind vielleicht nicht ganz klar, der einbezügliche Systembegriff läßt sich m. E. klarer folgendermaßen explizieren: Ein einbezügliches System ist vorhanden, wenn entsprechend der Aussage des Ordnungsgesichtspunktes aus einer Vielzahl unterschiedlicher Elemente diejenigen zusammengefaßt werden, die der Aussage des Ordnungsgesichtspunktes genügen, ohne daß das Verhältnis der zusammengefaßten Elemente zueinander näher bestimmt ist. 2. Der zweibezügliche Systembegriff Z u dessen Erarbeitung ist an die Definitionen von Lambert, Savigny, Eisler, Hegler, Binder, Coing, Fikentscher und an die der ,Düsseldorfer Gruppe' anzuknüpfen. Für die Beantwortung der Frage, welche Merkmale der von ihnen erarbeiteten Systemdefinitionen notwendig und hinreichend für die Explikation des Systembegriffs sind, müssen K r i t e rien entwickelt werden. Erstes K r i t e r i u m ist die Tatsache, daß ein Merkmal i n allen Definitionen wiederkehrt. Wenn das der Fall ist, darf i n aller Regel von der Unverzichtbarkeit dieses Merkmals ausgegangen werden. Diese Vermutung stützt sich auf die Annahme, daß nicht alle Definitionen überflüssige Merkmale enthalten. Eine Ausnahme von dieser Regel existiert dann, wenn ein bestimmtes Merkmal die Erfüllung eines anderen bewirkt, das die Definitionen ebenfalls alle enthalten. Zweites K r i t e r i u m ist die Erfüllung der Funktionen des zweibezüglichen Systembegriffs. M i t seiner Hilfe muß die Realität analysiert, es müssen Systeme aufgebaut und Begründungen geliefert werden können. Bei seiner Formulierung dürfen diese Forderungen nicht unberücksichtigt bleiben. Drittes K r i t e r i u m ist: Der Systembegriff ist ohne speziellen Bezug zu einer bestimmten Disziplin der Wissenschaft zu formulieren, hier also speziell ohne Bezug zur Rechtswissenschaft, u m eine einseitige Verwendbarkeit zu vermeiden. I n den zuvor aufgezählten Definitionen sind folgende Merkmale enthalten, deren Notwendigkeit für die Explikation i m Hinblick auf die

I V . Die E x p l i k a t i o n der Systembegriffe

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formulierten Bedingungen zu überprüfen ist: (1) verschiedene Teile, (2) ein Ordnungsgesichtspunkt, der speziell ausgestaltet sein muß (verbindende Kräfte, gemeinsames Band), (3) Struktur oder Strukturzusammenhang, (4) übersummatives Ganzes, i n sich vorhandene Gliederung, (5) einheitliche, zusammenhängende Ordnung, Einheit, (6) Elementengesamt, ein Ganzes, (7) Begründungsmöglichkeit, (8) spezieller Bezug zur oder Spiegelung der objektiven Ordnung, (9) Absicht. Das Merkmal (1) enthalten alle Definitionen. Immer ist gefordert, daß mehrere Teile vorliegen müssen. Es handelt sich also unter Berücksichtigung des ersten Kriteriums u m ein notwendiges Merkmal. — Das Merkmal (2) existiert speziell nur i n den Begriffsbestimmungen Lamberts, Binders und Coings. Freilich ist zu fragen, ob der Sache nach nicht Gleiches i n den anderen Definitionen enthalten ist. Wenn Fikentscher von einer Struktur oder die ,Düsseldorfer Gruppe' von einem Strukturzusammenhang: Merkmal (3), Eisler vom übersummativen Ganzen, von einem i n sich gegliederten Ganzen: Merkmal (4), Hegler von einer einheitlichen, zusammenhängenden Ordnung, Savigny von Einheit: Merkmal (5), spricht, so handelt es sich dabei immer u m das Verhältnis der einzelnen Teile zueinander und u m ihr Verhältnis zum Gliederungs- oder Ordnungsgesichtspunkt. Der Sache nach gleichen diese Definitionen einander insoweit: seit Lambert ist nichts Neues gewonnen worden. Nur die Sprache hat sich geändert. Daß Struktur oder Strukturzusammenhang genau das bedeutet, was Lambert m i t seinem speziell ausgestalteten Ordnungsgesichtspunkt erzeugen w i l l , sei an der Definition Fikentschers demonstriert (S. 105): Er beschreibt sein Verständnis von Struktur folgendermaßen: Von zwei Punkten, denen ein bestimmtes Prinzip gemeinsam sei, könne auf einen dritten geschlossen werden. Aus den Punkten 1 und 2 werde ein allgemeines Prinzip gewonnen, dann werde geprüft, ob Punkt 3 dem Prinzip unterfalle und dieser ferner auf der gleichen Ebene liege wie die Punkte 1 und 2. Es besteht demnach zwischen den Punkten und dem allgemeinen Prinzip eine doppelte Beziehung: Beide Punkte müssen ein gemeinsames Prinzip enthalten (erste Beziehung). Dies ist nur dann möglich, wenn die Punkte gleicher A r t sind, ansonsten können sie ein gemeinsames Prinzip nicht enthalten. Ferner müssen sich die beiden Punkte auf der gleichen Ebene bewegen, wenn zum Punkt 3 eine diesbezügliche Aussage gemacht werden soll. Diese Aussage über die Ebene muß i m Ordnungsgesichtspunkt schon enthalten sein, w e i l sich ansonsten diese Aussage nicht aus dem System ergeben kann (zweite Beziehung) 70 . Der Ordnungsgesichtspunkt 70 Als Beispiel f ü h r t Fikentscher , I V , S. 105, das Recht der Leistungsstörungen an: Aus den Instituten Unmöglichkeit u n d Verzug, die auf der gleichen Ebene liegen, könne auf das allgemeine Prinzip Leistungsstörung geschlossen werden. Da eine positive Vertragsverletzung auch eine Leistungs-

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Β . Der allgemeine Systembegriff

beinhaltet demnach eine Aussage über die Anordnung der einzelnen Elemente zueinander. Damit ist gezeigt, daß der Ordnungsgesichtspunkt bei Lambert sowie der bei Fikentscher i m Grundsatz i n gleicher Weise ausgestaltet sind. Bei Fikentscher kommt nur als weiteres Moment hinzu die ,Allgemeinheits-Besonderheits-Aussage' i m Verhältnis von Punkten und Prinzip. Damit ist schon eine spezielle Aussage über den Aufbau des Systems getroffen. Eine solche Feststellung erscheint nicht notwendig, weil dadurch der Systembegriff bereits verengt wird. Insoweit ist auf eine diesbezügliche Festlegung zu verzichten. Da jedenfalls nur bei dem Vorliegen eines Strukturzusammenhangs bzw. eines speziell ausgestalteten Ordnungsgesichtspunkts Begründungen möglich sind, handelt es sich bei diesem Merkmal entsprechend dem zweiten K r i t e r i u m um eine notwendige Bedingung. — Das Merkmal (6) enthalten alle Definitionen bis auf die Heglers. Er spricht statt dessen von einem Wissensgebiet. Dieses Merkmal bezieht sich auch auf ein Ganzes, nämlich auf ein spezielles Gebiet. Ganzes, Elementengesamt, Wissensgebiet entsprechen der Sache nach einander: Es ist beabsichtigt, die einzelnen Teile einer speziellen Materie insgesamt zu erfassen. Dieses Merkmal ist bereits durch die Ausgestaltung des Ordnungsprinzips gewährleistet: Es teilt alle Elemente der gleichen A r t von solchen, die die vom Ordnungsgesichtspunkt geforderte Eigenschaft nicht erfüllen, und ordnet die Elemente, die diese Eigenschaft besitzen, sich zu. Insoweit handelt es sich beim Merkmal (6) bzw. dem Wissensgebiet i m Sinne Heglers nicht u m ein ausdrücklich in die Definition aufzunehmendes Merkmal. — Das Merkmal (7), die Begründungsmöglichkeit, ist als ein K r i t e r i u m formuliert. Der Systembegriff muß diese Bedingung erfüllen. Es ist deshalb nicht notwendig, sie als ein Definitionselement zu betrachten, w e i l immer nur dann ein System vorliegt, wenn diese Bedingung erfüllt ist. Insoweit ist die Definition von Fikentscher, die dieses Merkmal enthält, nicht weiter zu verfolgen. — Das Merkmal (8) kann nicht als notwendige Bedingung akzeptiert werden. Der Systembegriff muß ein künstlicher sein: ob er die objektive Ordnung spiegelt, ist nicht bedeutsam. Ob er sie überhaupt spiegeln kann, w i r d i n der Wissenschaft schon seit Kant bezweifelt. N u r partiell ist deshalb die Beschäftigung m i t dem Systembegriff an dem Ziel orientiert, ,systema mundi' und System als wissenschaftliche Kategorie zur Deckung zu bringen. Die Zweifel an der Erreichbarkeit dieses Ziels basieren auf der Erkenntnis, daß menschliches Erkenntnisvermögen zwangsläufig begrenzt ist. Die Endlichkeit der Vernunft und damit die Nichterfüllbarkeit dessen, was die Systemidee als letztes Ziel anstreben kann (systema mundi), hat K a n t i n bezug Störung sei, könnten bei ihrem Vorliegen dem Verzug u n d der Unmöglichkeit vergleichbare Ergebnisse angenommen werden, vorausgesetzt, die p W liege m i t ihnen auf der gleichen Ebene.

I V . Die E x p l i k a t i o n der Systembegriffe

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auf theoretische Erkenntnisse darin gesehen, daß diese auf die Bedingungen möglicher Erfahrbarkeit begrenzt sind 71 . Eine andere, nicht minder wichtige Stimme 7 2 führt zum gleichen Ergebnis: „Weil sich Wissenschaft auf die Mannigfaltigkeit der prinzipiell unübersehbaren, niemals i n ihrer Totalität zu begreifenden Tatsachen richtet, kann der Zusammenhang der Erkenntnis nicht mehr objektiv an einer selbst zum System gefügten Welt festgemacht werden, er muß subjektiv i n einem systematischen Vorgehen des Forschers begründet sein". Für die Formulierung des Systembegriffs müssen diese Ergebnisse bedingen, daß derjenige, der den Begriff expliziert, sich von den realen Gegebenheiten loslöst 73 . Versuche müssen scheitern, die den Systembegriff der Realität nachbilden wollen. Nur bei der Loslösung von den realen Gegebenheiten kann der Systembegriff die i h m zugedachte analytische Funktion erfüllen, kann er ein M i t t e l zur Deutung der Realität sein: sei es die biologische, mathematische oder die rechtliche. I h r entsprechend ist das System als M i t t e l der Erkenntnis einzusetzen. Die Möglichkeit dieses Einsatzes ist freilich ausgeschlossen bei Identität von Erkenntnismittel und Erkenntnisgegenstand. Genau dieser Fall t r i t t ein, wenn der Systembegriff der Wirklichkeit als solcher nachgebildet ist. — W i r d das zuvor abgelehnte K r i t e r i u m trotzdem gefordert, so muß der Systembegriff inhaltlich, also mit Blick auf die Definitionsmerkmale und nicht m i t Blick auf seinen Anwendungsbereich, enorm weitgefaßt sein, wenn er die Komplexität der objektiven Ordnung erfassen soll. Ein solcher Begriff ist aber wissenschaftlich wertlos, w e i l i h m alles unterfällt. Dieses Merkmal kann ferner deshalb nicht gefordert werden, w e i l die objektive Ordnung nur m i t Hilfe von Begriffen erkannt werden kann, die künstlich sind, von Menschen formuliert werden. Objektivität i n diesem Sinne ist deshalb theoretisch nicht möglich und also auch nicht zu fordern 74 . — A u f die Absicht: Merkmal (9), kommt es ebenfalls nicht an 75 , weil für den Systembegriff das Motiv unbedeutsam ist, das seine 71

K r i t i k der reinen Vernunft, S. X X I V . Comte, zitiert nach Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, S. 97. 73 Abgelehnt w i r d damit eine Auffassung, die System f ü r die oder eine objektive Ordnung reserviert. Ebenfalls w i r d nicht gefolgt der These, die die hier vollzogene Trennung von System als analytischem Begriff u n d obj e k t i v verwirklichter Ordnung negiert; vgl. zu diesen Auffassungen Zahn, S. 1471 f. 74 Fikentscher, I V , S. 97 f., läßt offen, ob es überhaupt möglich ist, sich unabhängig von menschlich-rationaler Tätigkeit Spiegelungen kosmischer Systeme vorzustellen. System habe es immer m i t menschlichem Ordnen zu tun. Das systema m u n d i scheidet er deshalb aus. 75 Der Grund, w a r u m Systeme geschaffen werden, ist nicht M e r k m a l eines Systems, sondern eine Vorfrage. Diese braucht m a n sich freilich nicht zu stellen, sondern m a n k a n n zwecklos Systeme schaffen. König, S. 180, stellt denn auch fest, daß sich die ,Düsseldorfer Definition' von der Lambertschen i n diesem P u n k t unterscheidet. 72

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Β . Der ,allgemeine' Systembegriff

Aufstellung anregt. Die Motivation darf keinen Einfluß auf das Ergebnis wissenschaftlicher Begriffsbildung besitzen. — Notwendig zu berücksichtigende Bestandteile bei der Festlegung des Systembegriffs sind nach alledem die Merkmale (1) und (2). Diese Merkmale sind zugleich hinreichend zur Erfüllung der aufgestellten Kriterien 7 6 . Eine diese Merkmale enthaltende Präzisierung erlaubt eine Analyse der Wirklichkeit, den Aufbau von Systemen, sie kann Begründungen liefern. Sie enthält keinen speziellen Bezug zu einem bestimmten Wissensgebiet. Die Ausführungen haben gezeigt, daß der Lambertsche, der Fikentschersche und der Düsseldorfer Systembegriff i m wesentlichen einander inhaltlich gleichen. Zwischen Lambert und modernen Bemühungen läßt sich deshalb eine direkte Linie ziehen. Zwischenzeitliche Bemühungen haben Lamberts Niveau nicht erreicht. A n den Definitionen von Lambert und den modernen Theoretikern ist deshalb anzuknüpfen. A u f die Merkmale (6)—(9) ist dabei zu verzichten. Fraglich kann nur sein, i n welcher »Sprache4 System zu präzisieren ist. Die Lambertsche Ausdrucksweise erscheint antiquiert, die der D ü s seldorfer Gruppe' und die von Fikentscher für den Juristen ungewohnt. Maßgeblich für die folgende Formulierung war nicht höchste Abstraktion, auch nicht sprachliche Knappheit, sondern Präzision verbunden m i t unmittelbarer Verständlichkeit. System werde deshalb wie folgt verstanden: ,Ein System besteht aus mehreren Teilen. Auswahl und Verknüpfung dieser Teile erfolgen nach einem Prinzip, das eine Aussage darüber ermöglicht, welche A r t von Teilen zum System gehört, und darüber, wie die zum System gehörenden Teile sich untereinander verhalten'. Das erarbeitete Explikat ist das wahrscheinlich einfachste, das vorstellbar erscheint. Es liegt ein System bereits dann vor, wenn zwischen Elementen gleicher A r t eine bestimmte Beziehung gegeben ist, die nicht zu einer ausschließlichen Reihung der Elemente führt. Die A r t der Elemente und die A r t der Beziehung ist beliebig, von der genannten Einschränkung abgesehen. Denn das Ordnungsprinzip enthält weder eine Aussage darüber, welcher A r t das Systemelement zu sein hat, noch darüber, welche A r t der Verknüpfung zwischen den Elementen vorliegen muß. Das Explikat beinhaltet ferner keine Aussage über die Anzahl der Elemente, die zum System gehören: die Größe des Systems ist also nicht beschränkt. Es geht nur davon aus, daß alle Elemente, 76 Das vierte K r i t e r i u m von Lambert, die Irrelevanz des Abgeschlossenseins, w i r d hier also nicht übernommen. Der Systembegriff, w i e er hier verstanden w i r d , zeichnet sich notwendig durch Offenheit aus. Das M e r k m a l der Geschlossenheit oder auch der Vollständigkeit, w i e Stammler, Theorie, S. 221 f., es gefordert hat, dürfte eine Verengung des Systemsbegriffs sein, so auch Canaris, Systemdenken, S. 12, A n m . 12.

I V . Die E x p l i k a t i o n der Systembegriffe

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die dem Ordnungsprinzip genügen, zum System gehören. Die Begriffsbestimmung erlaubt, daß Elemente verschiedener A r t zum System gehören können, sie erlaubt auch, daß die Verknüpfung einfach oder mehrfach sein kann. Das Explikat enthält ferner keine Festlegung bezüglich der Offenheit oder Geschlossenheit des Systems. — Gegen dieses Explikat läßt sich nicht einwenden, es sei für einen juristischen Zweck nicht brauchbar. Diesem Einwand widerstreiten nicht nur die Ausführungen Fikentschers für einen Teilbereich der Jurisprudenz, sondern auch die Erwägungen zur Relevanz des zweibezüglichen Systembegriffs. Für eine Ablehnung des gefundenen Explikats i n weiteren Disziplinen der Jurisprudenz ist nichts ersichtlich.

C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems Unter dem Aspekt des einbezüglichen Systembegriffs läßt sich das Recht insoweit beliebig systematisieren, als ein i m Recht relevanter Gesichtspunkt: ζ. B. Rechtsgeschäft, dingliche Belastung, Umweltschutz oder institutionelle Garantie, als Ordnungsgesichtspunkt gewählt werden kann und alle Normen zusammengefaßt werden, die zum Ordnungsgesichtspunkt i n positiver Beziehung stehen. Dem ist hier nicht weiter nachzugehen. Es ist vielmehr i m folgenden der zweibezügliche Systembegriff i n Bezug auf das Recht derart zu konkretisieren, daß mit seiner Hilfe die drei dargestellten Funktionen mit Blick auf die Rechtsnormen zum Einsatz gelangen. Konkret ist zunächst nach einem Element zu suchen, das als Anknüpfungspunkt eines Rechtssystems, welches für die Ausgangsfrage brauchbar ist: an das also verfassungsrechtliche Folgerungen gebunden sein können, i n Betracht kommt (I). Es ist sodann nach einer Verknüpfungsmöglichkeit der Elemente zu forschen (II). I. Das Element des Rechtssystems 1. Vorgefundene Elemente, Eignungskriterien Als Elemente eines Rechtssystems wurden oder werden benutzt: 1. die Lebensverhältnisse, 2. die zu lösenden Rechtsprobleme, 3. Problemzusammenhänge, 4. an das Recht zu stellende Fragen, 5. reine Grundbegriffe, 6. konkret-allgemeine Begriffe, 7. Rechtsbegriffe, 8. Ordnungsbegriffe, 9. Normen, wobei verschiedene auf diesem Element aufbauende Systeme zu unterscheiden sind, 10. Normengruppen, 11. Rechtsinstitute, wobei verschiedene Vorstellungen vom Inhalt dieses Begriffs auseinanderzuhalten sind, 12. Konfliktentscheidungen, 13. allgemeine Rechtsprinzipien und 14. Werte. Es sind wiederum Kriterien zu entwickeln, anhand derer die Geeignetheit der aufgezählten Elemente für den vorausgesetzten Zweck zu prüfen ist. Das erste K r i t e r i u m ist Folge der vorausgegangenen Erörterungen zum zweibezüglichen Systembegriff. Dieser soll Analyse und Begründungen ermöglichen. Nur ein System, das aus sich heraus Begründungen für das ,Passen' oder ,Nichtpassen' eines Elementes zu dem System ermöglicht, kann Ausgangspunkt einer verfassungsrechtlichen Fragestellung sein. Diese Bedingungen kann ein System nur

I. Das Element des Rechtssystems

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erfüllen, wenn das Element nicht nur eine formale Kategorie darstellt, sondern einen bestimmten Inhalt hat: gehaltvoll i n dem Sinne ist, daß sein Inhalt vom Willen des Gesetzgebers abhängt. Denn nur ein solches System erfüllt die genannten Bedingungen. Weitere Überlegungen bestätigen die Relevanz dieses Kriteriums. Produkt des Systems ist Einheit. M i t Blick auf das Recht kann aber nur eine ,inhaltliche 4 , m a t e rielle 4 Einheit ein sinnvolles Ziel sein. Nur an diese Einheit kann i m übrigen eine verfassungsrechtliche Frage anknüpfen. Als erstes K r i t e rium ist deshalb die Forderung aufzustellen: Das Element muß ein inhaltliches, i n seiner Existenz vom Willen und Wollen des Gesetzgebers abhängiges und seiner Gestaltung unterliegendes, i n diesem Sinne gehaltvolles und zu inhaltlicher Einheit führendes Element sein. — Noch ein zweites K r i t e r i u m ist i m folgenden bedeutsam. Es berücksichtigt Erkenntnisse der Methodenlehre. Sie hat gewisse Systembildungen ,überwunden 4 . — Elemente ,überwundener 4 Systembildungen können nicht Bausteine eines für die heutige Zeit akzeptablen Rechtssystems sein, es sei denn, diese Elemente ließen sich i n anderer Weise verstehen oder verknüpfen, als dies i n den ,überwundenen 4 Systemen geschah. Für diese These spricht folgender Grund: Ein Element, das als Basis eines bestimmten Systems diente, dessen Wert für die Rechtsfindung heute negiert wird, ist für die Bildung eines Rechtssystems ohne Interesse, weil einem solchen System für die Rechtsgewinnung keine Bedeutung mehr zukommt. I m Hinblick auf den heutigen Stand der Methodenlehre wäre die Herausarbeitung eines solchen Systems sinnlos. Die Untersuchung kann sich nicht methodisch auf einen Stand zurückbewegen, der längst ,überwunden 4 ist. Denn es darf nicht verkannt werden, daß Vertreter der Methodenlehre die Bedeutung des Systems für die Rechtsfindung völlig ablehnen. Unter diesen Umständen muß sich die Untersuchung zumindest auf dem neuesten Stand der Systemdiskussion bewegen, wenn sie sich nicht von vornherein den Angriffen einer bestimmten Richtung aussetzen will. Als zweites K r i t e rium ergibt sich deshalb: Die Methodenlehre darf das Element nicht schon,überwunden 4 haben. Diese zwei Kriterien bauen aufeinander auf und führen zu einer stetig steigenden Reduzierung der letztlich brauchbaren Elemente. Diese A r t des Vorgehens ist Resultat der schon hervorgehobenen Offenheit i m Hinblick auf das Problem, ob das Recht ein System bildet oder nicht. Es w i r d also nicht von einem wissenschaftstheoretischen oder praktischen Postulat ausgehend nach Elementen gesucht, die i m Ergebnis zu einem System führen, weil ein System vorhanden sein muß. Es w i r d die Auffassung abgelehnt, daß das Recht i n jedem Fall, aus welchen Gründen auch immer, ein System beinhaltet, welches es nur zu finden und darzustellen gilt. Diese Prämisse ist keine unter wissenschaftlichen

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

G e s i c h t s p u n k t e n , sie k a n n n u r das E r g e b n i s der v o r z u n e h m e n d e n P r ü f u n g , n i c h t aber i h r e V o r a u s s e t z u n g sein. Diese K r i t e r i e n s i n d abschließend. A n d e r e n o t w e n d i g z u e r f ü l l e n d e s i n d n i c h t ersichtlich. Das schließt einerseits n i c h t aus, daß e i n diesen K r i t e r i e n genügendes E l e m e n t sich a n d e r e n E r w ä g u n g e n ausgesetzt sieht, d e r e n B e d e u t u n g z u p r ü f e n ist. A n d e r e r s e i t s e r g i b t sich, daß e i n E l e m e n t aus d e n w e i t e r e n Ü b e r l e g u n g e n auszuscheiden h a t , s o b a l d es einem K r i t e r i u m nicht entspricht. D e m genügend w e r d e n i m folgenden d i e K r i t e r i e n d e r R e i h e n a c h als M a ß s t a b g e n o m m e n u n d i h n e n n i c h t entsprechende E l e m e n t e e l i m i n i e r t . 2. Ausscheidende

Elemente

a) Das Element als inhaltlich gehaltvolles Element. A n diesem K r i t e r i u m scheitern zunächst d i e ersten v i e r E l e m e n t e : d i e L e b e n s v e r h ä l t nisse, d i e Rechtsprobleme, d i e P r o b l e m z u s a m m e n h ä n g e u n d d i e a n das Recht z u r i c h t e n d e n Fragen. Es w i r d b e h a u p t e t , d e n L e b e n s v e r h ä l t n i s s e n 1 entsprechend, diese i n e i n ,System' gebracht, solle das Recht g e s t a l t e t w e r d e n ; d i e v o m Recht z u lösenden sozialen P r o b l e m e 2 b i l d e t e n das S y s t e m ; d i e d e m Recht i m m a n e n t e n P r o b l e m z u s a m m e n h ä n g e 3 seien e i n System, dessen K e n n t 1 Heck, Begriffsbildung, S. 149 f., 158. I n der Tat finden sich bei Heck A n sätze zu einem System der Lebensverhältnisse, diese treten freilich hinter sein System der Konfliktentscheidungen zurück. Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 57 u n d 362, schreibt Heck zu, ein solches System entworfen zu haben. Ob Heck sich dessen bewußt war, soll hier offen bleiben. Canaris , Systemdenken, S. 34 m i t A n m . 74, hält das System der Lebens Verhältnisse f ü r die folgerichtige Durchführung des soziologischen Ansatzes der Interessentheorie. 2 Salomon, Rechtsphilosophie, S. 26 ff. Dieser Systementwurf basiert auf einer nicht akzeptablen Prämisse. Salomon steht zu Kirchmanns berühmtem W o r t : „ D r e i berichtigende Worte des Gesetzgebers, u n d ganze B i b l i o theken werden zu M a k u l a t u r " (Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 17). Salomon k n ü p f t an diese These auf S. 13 u n d 21 an. Die Beschäftigung m i t einer bestimmten Rechtsordnung entfällt für i h n als Thema, da die Vergänglichkeit kein wissenschaftlich belangvolles Thema darstelle (S. 11, 18, 21). Ü b r i g blieben n u r die von allen Rechtsordnungen zu lösenden Probleme, nicht aber die von einer bestimmten Rechtsordnung gefundenen Lösungen (S. 54, 67). — Aufgabe des Rechts ist die Lösung sozialer Konflikte. Eine konkrete Rechtsordnung enthält eine Vielzahl von Problemlösungen, mögen diese sich auch ändern i m Laufe der Zeit. Sie müssen, damit die zuvor genannte Aufgabe erfüllt w i r d , Gegenstand rechtlicher Bemühungen sein. Es ist deshalb nicht n u r sinnvoll, sondern auch geboten, die Problemlösungen zu thematisieren. Die Beschäftigung m i t i h r ist auch »Wissenschaft 4 (s. dazu die Nachw. bei B, A n m . 3). D a m i t entfällt die Suche nach Problemen als G r u n d dafür, die Rechtswissenschaft als Wissenschaft zu ,retten 4 . Z u diesem Grund: Salomon, ebd., S. 24, 54, 63 u n d öfter. 8 F. v. Hippel, Z u r Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung, zitiert nach Rechtstheorie, S. 13 ff. Z u m Problemzusammenhang S. 19. — Z u dieser K o n zeption: Viehweg, Topik, S. 60 ff.; Esser, Grundsatz u n d Norm, S. 5 f.; Engisch,

I. Das Element des Rechtssystems

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nis die Systematik des Privatrechts erleichtern soll; das Rechtssystem bestehe aus Fragen, es sei ein geordnetes Ganzes, dessen Einzelheiten auf wechselseitig voneinander abhängigen Fragen beruhten 4 . A l l diese Systeme bzw. ihre Elemente können nicht Element des hier gesuchten Rechtssystems sein, weil sie dem Gesetzgeber vorgegeben sind: sei es sozial oder intellektuell! Er kann die mit den Elementen aufgeworfenen Probleme / Fragen nicht inhaltlich gestalten; er hat auf die Problembildung / Fragestellung keinen Einfluß: er findet sie vor. Er kann für sie nur Lösungsmöglichkeiten vorschlagen oder sie beantworten. Nicht die Elemente als solche, wenn aus ihnen ein System zu konstruieren ist, bilden sodann einen Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob ein neues Element zum hier gesuchten System paßt, sondern die vom Gesetzgeber gegebenen Antworten sind Maßstab und bilden den A n knüpfungspunkt für eine verfassungsrechtliche Frage. — Dieses Ergebnis schließt nicht aus, daß sich die genannten Elemente tatsächlich i n zweibezügliche Systeme bringen lassen. Indirekt wäre dann auch das Recht ein System, soweit sich die Normen auf die Elemente beziehen lassen. Die Möglichkeit soll hier offen bleiben als Folge der Begrenztheit der Fragestellung: denn daß an diese Systeme als solche keine verfassungsrechtliche Folgerung geknüpft sein kann, liegt auf der Hand. Sodann genügen die Elemente fünf bis acht der aufgestellten Forderung nicht: die reinen Grundbegriffe, die konkret-allgemeinen Begriffe, die Rechtsbegriffe und die Ordnungsbegriffe. Das System ,reiner Grundbegriffe' 5 bildet kein hier relevantes System. Das zeigt bereits ein Blick auf die Elemente. Solche sind ζ. B.: Rechtssubjekt — Rechtsobjekt, Rechtsgrund — Rechtsverhältnis, Rechtshoheit — Rechtsunterworfenheit 6 . A n diese Elemente kann inhaltlich nicht angeknüpft werden, aus ihnen kann deshalb ein inhaltlich gehaltvolles Rechtssystem nicht gebildet werden. Denn wer ein ,Rechtssubjekt' ist, hat zwar der Gesetzgeber zu bestimmen. Er legt aber das Element als solches nicht fest. Für unsere verfassungsrechtliche Fragestellung ist es somit bedeutungslos. — Die Feststellung, daß das Element inhaltlich nicht festgelegt ist, deckt sich m i t der Intention der Autoren, die solche ,Systeme' entworfen haben. Ihnen geht es nicht darum, das i n einer konkreten Rechtsordnung vorhandene System sichtbar zu machen. Für Studium Generale 1957, 179; Diederichsen, N J W 1966, 699; Canaris , Systemdenken, S. 32. 4 Gmür, S. 94, der diesen Systembegriff freilich nicht als den Begriff des Rechtssystems versteht, sondern als einen für seine historische Fragestell u n g brauchbaren. E i n System von Fragen hatte bereits Burckhardt konzipiert, vgl. Methode u n d System, S. 131 m i t A n m . 24. Z u Burckhardts Systembegriff Liver , Begriff u n d System, S. 165. 5 Stammler, Theorie; ders., Lehrbuch; Nawiasky, Rechtslehre. 8 Stammler, Lehrbuch, S. 238.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

sie ist entscheidend, rein formale Kategorien zu entwerfen, die auf jede denkbare Rechtsordnung angewandt werden können, ja als Bedingung der Möglichkeit einer Rechtsordnung jeder innewohnen. Es w i r d also nicht von einer bestimmten historischen Rechtsordnung ausgegangen, sondern es w i r d versucht, die jeder Rechtsordnung a priori vorgegebenen Begriffe zu erkennen und zu verfeinern. Das Element zu finden, auf dem das System einer konkreten Rechtsordnung basiert, ist nicht ihr Anliegen. Damit entfallen die ,reinen Grundbegriffe 4 als für unsere Fragestellung relevant, weil sie nur formale Kategorien darstellen. Auch ist das auf ,konkret-allgemeinen Begriffen 47 aufbauende System für die Fragestellung nicht bedeutsam. Unter ,konkret-allgemeinen Begriffen 4 werden die konkreten Allgemeinbegriffe i m Sinne Hegels verstanden, also Wertbegriffe, die, von der Wirklichkeit abgezogen, dem Wirklichen zugrunde liegen, als die Wirklichkeit gestaltende Prinzipien zu verstehen und ein Ganzes sind (insoweit konkret), und die universell sind 8 (insoweit allgemein). Für Hegel ist ζ. B. das Eigentum ein solcher Begriff 9 . Die das konkrete Eigentum festlegenden Rechtsbestimmungen werden aus dem Begriff abgeleitet. Sieht man dieses Beispiel näher m i t Bezug zur konkreten Rechtsordnung, so zeigt sich, daß das Rechtssystem nicht aus konkret-allgemeinen Begriffen aufgebaut ist. Denn die Definition des § 903 BGB sagt nichts über den rechtlichen Sinn des Eigentums, über seine Funktion i m Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung aus. Man kann nichts aus ihr ableiten, was man nicht bereits i n sie hineingelegt hat 1 0 . Eigentum i. S. d. § 903 BGB ist kein konkret-allgemeiner Begriff, sondern ein abstrakter. Der Gesetzgeber muß folglich i n einer Reihe weiterer Bestimmungen den konkreten Inhalt des Eigentums festlegen. Konsequenz ist ferner, daß für die Bestimmung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ein solcher Begriff wertlos ist. Dem Gesetzgeber des Grundgesetzes war dieser Umstand bewußt. I h m hat denn auch offenbar nicht ein abstrakter Begriff des Eigentums, sondern eine bedeutend inhaltsreichere Vorstellung von Eigentum vorgeschwebt, deren Konkretisierung er jedoch dem einfachen Gesetzgeber überlassen hat, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. W i l l man ζ. B. das Eigentum des Bürgerlichen Rechts als konkret-allgemeinen Begriff erfassen, dann ist, wie festgestellt wird, von seinem rechtlichen 7

Binder, Wissenschaftslehre, S. 351 ff. Dieses nachgelassene Werk befindet sich i m Besitz des Seminars f ü r Staatsphilosophie u n d Rechtspolitik der Universität Köln. Die Zitierung erfolgt hier nach Canaris, Systemdenken, S. 49 m i t A n m . 141. — Die Untersuchung schließt sich der Interpretation dieses Werkes durch Canaris, ebd., an. 8 Hegel, Werke (Ausg. Glockner), Bd. 8, S. 353, 359. 9 Ebd., S. 355. 10 Larenz, Methodenlehre, S. 442.

I. Das Element des Rechtssystems

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Sinn auszugehen, und von dieser Basis aus sind die einzelnen Momente oder Bestimmungen dieses dann konkreten Begriffs zu entwickeln. Diese Momente oder Bestimmungen finden sich i n den Normen des positiven Rechts mehr oder weniger deutlich wieder 11 . Aus konkretallgemeinen Begriffen ist demnach das positive Recht nicht gebildet; sie bilden deshalb keinen inhaltlichen Maßstab für den Gesetzgeber, weil sie i h m als formale Kategorie vorgegeben sind und er an ihrer ,Erfindung 4 bzw. ,Gestaltung 4 nicht teilnimmt. Diese Begriffe genügen nicht der aufgestellten Forderung. Diese Feststellung gilt i n gleicher Weise für die ,Rechtsbegriffe 4, also für das Element, auf dem das System der Begriff s jurisprudenz basierte 12 . Diese Lehre versuchte, ein auf diesem Element aufbauendes formallogisches System 13 zu entwerfen. I h r Vertreter Puchta schuf das formallogische System der Begriffe, eine Begriffspyramide; er ging von einem organischen Zusammenhang der Rechtssätze aus, der sich wie selbstverständlich i n den logischen Zusammenhang der Begriffe verwandelte 1 3 3 : „Das auf der äusseren Autorität der unmittelbaren Volksüberzeugung und der gesetzgebenden Gewalt beruhende Recht w i r d durch die wissenschaftliche Tätigkeit auf seine Principien zurückgeführt, und als ein System, ein Ganzes von gegenseitig sich voraussetzenden und bedingenden Sätzen begriffen 4 4 1 3 b . Dieser logische Zusammenhang fungierte als Erkenntnisquelle vorher nicht bewußter Rechtssätze: „Es ist nun die Aufgabe der Wissenschaft, die Rechtssätze i n ihrem systematischen Zusammenhang, als einander bedingende und von einander abstammende, zu erkennen, um die Genealogie der einzelnen bis zu ihrem Princip hinauf verfolgen, und eben so von den Principien bis zu ihren äußersten Sprossen herabsteigen zu können. Bei diesem Geschäft werden Rechtssätze zum Bewußtseyn gebracht und zu Tage gefördert wer-

11

Ebd., S. 442 f. Als Begründer g i l t Puchta, Gewohnheitsrecht Bd. 1, S. 9 f., 170; Bd. 2, S. 215; ders., Cursus Bd. 1, S. 26 ff. Z u Puchta s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 400; Larenz, Methodenlehre, S. 20 ff.; Fikentscher, I I I , S. 91 ff. u n d Bohnert. Z u Puchtas Vorgängern u n d Nachfolgern: Jhering, Geist I, S. 12; Windscheid, Pandekten, S. 60, s. Fikentscher, ebd., S. 87 ff. — Die Begriff s jurisprudenz ist auch heute noch nicht ausgestorben. Als i h r heutiger Vertreter darf gelten Ernst Wolf. Vgl. die Besprechung von Köhler, N J W 1979, 1536 f. 13 Unter formaler L o g i k w i r d derjenige Teil der Wissenschaftslehre v e r standen, der „die zum A u f b a u irgendeiner Wissenschaft erforderlichen Schlußregeln formuliert u n d zugleich all das liefert, was f ü r eine exakte Formulierung dieser Regeln erforderlich ist", s. Scholz, Abriß, S. 15. — Ob die Begriffsjurisprudenz ,formal-logisch' i n diesem Sinne w i r k l i c h arbeitete, mag offenbleiben. 13a Larenz, Methodenlehre, S. 22. 13 b Puchta, Pandekten, S. 26; ähnlich Cursus, 1. Bd., S. 21 f. 12

5 Peine

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

den, die i n dem Geist des nationellen Rechts verborgen, weder i n der unmittelbaren Überzeugung der Volksglieder und ihren Handlungen, noch i n den Aussprüchen des Gesetzgebers zur Erscheinung gekommen sind, die also erst als Product einer wissenschaftlichen Deduktion sichtbar entstehen. So t r i t t die Wissenschaft als dritte Rechtsquelle zu den ersten beiden . . . " 1 3 c . Demnach war es Ziel dieser Lehre, alle „durch Analyse gewonnenen Rechtssätze (anhand der i n ihnen enthaltenen Begriffe) derart (zu ordnen), daß sie untereinander ein logisch klares, i n sich logisch widerspruchsloses und, vor allem, prinzipiell lückenloses System von Regeln bilden, welches also beansprucht: daß alle denkbaren Tatbestände unter eine seiner Normen müssen logisch subsumiert werden können, widrigenfalls ihre Ordnung der rechtlichen Garantie entbehre 4 4 1 3 d . Als Beispiele für die Begriffe werden genannt das subjektive und das dingliche Recht, als Beispiel für eine Begriffsleiter w i r d der Begriff ,Wegeservitut 4 eingeführt. Es sei ein subjektives Recht, sodann Recht an einer Sache (dingliches Recht), ferner Recht an einer fremden Sache, also eine partielle Unterwerfung des Fremden, deshalb gehöre das Wegeservitut zum Geschlecht der Rechte an Sachen auf Benutzung 13 ®. Es ist unmittelbar einsichtig, daß auf diesen Begriffen, die formale Kategorien darstellen, ein für die Fragestellung bedeutsames System nicht aufbauen kann. Denn für ein die relevanten Systemfunktionen erfüllendes System fehlen diesen Begriffen die Inhalte: der Gesetzgeber hat zu bestimmen, was ein subjektives Recht4 ist. Er ist inhaltlich nicht gebunden, Begründungen vermag dieses ,System4 nicht zu liefern. — Die Einwände gegen diese Lehre brauchen deshalb an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden 1 3 f . Es reicht die obige Feststellung i m Hinblick auf den Zweck dieser Untersuchung sowie die Anmerkung, daß diese Lehre ihrem eigenen Anspruch nicht genügte, eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen durch simple Subsumtion zu ermög13

c Cursus, 1. Bd., S. 36. d So zutreffend M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, S. 396, Einschübe v o m Verf.. — Die logische Klarheit, logische Widerspruchslosigkeit u n d Lückenlosigkeit sind Postulate der positivistisch verstandenen Wissenschaft. Sie wollte, indem sie sich gegen das rational-deduktive Naturrecht u n d gegen die metaphysische Grundeinstellung der idealistischen deutschen Philosophie wandte, alle Metaphysik, alle Werte, alles a p r i o r i Gültige aus der Wissenschaft verbannen, w e i l eben dieses nicht beweisbar war, u n d sich streng auf die Tatsachen konzentrieren. Es ist jedoch falsch, Begriff s jurisprudenz schlechthin m i t Positivismus gleichzusetzen. Denn die v o m Gesetzgeber selbst aufgestellten Begriffe müssen sich aus den Begriffen des Systems herleiten, w o m i t sich die Begriffsjurisprudenz i n scharfen Gegensatz zum Positivismus stellt, vgl. Jerusalem, S. 149; Larenz, Methodenlehre, S. 24 m i t A n m . 8. 13e Cursus, 1. Bd., S. 36, 101. 13 f s. Larenz, Methodenlehre, S. 20—34. Fikentscher, I I I , S. 98 bezeichnet sie als schlechte Wissenschaft. 13

I. Das Element des Rechtssystems l i c h e n 1 4 , u n d daß sie sich i m m e r m e h r v o n d e n G e g e b e n h e i t e n

67 der

sozialen W i r k l i c h k e i t e n t f e r n t e 1 5 . D i e O r d n u n g s b e g r i f f e 1 6 scheitern als l e t z t e r B e g r i f f a n d e r a u f g e s t e l l t e n F o r d e r u n g . Dieses S y s t e m w i l l ausschließlich d e n Gesetzesstoff d a r s t e l l e n u n d g l i e d e r n . W i e d e r Gesetzgeber seine Sachentscheidung i m D a r s t e l l u n g s i n t e r e s s e f o r m t , so t u t dies auch d e r Forscher, e r b r i n g t d i e O r d n u n g d e r festgestellten G e d a n k e n i m D a r s t e l l u n g s i n t e r e s s e d u r c h B i l d u n g v o n Ordnungsbegriffen, E i n t e i l u n g e n u n d Reihenfolge z u m A u s d r u c k 1 7 . O r d n u n g s b e g r i f f e s i n d z. B . das s u b j e k t i v e Recht, einzelne s u b j e k t i v e Rechte, das Rechtsgeschäft 1 8 . Es h a n d e l t sich also ausschließlich u m f o r m a l e K a t e g o r i e n , a n d i e d e r Gesetzgeber als solche n i c h t g e b u n d e n sein k a n n . Sie k ö n n e n n i c h t z u i n h a l t l i c h e r E i n h e i t des Rechts f ü h r e n u n d erst recht n i c h t A n k n ü p f u n g s p u n k t f ü r eine verfassungsrechtliche F r a g e s t e l l u n g sein 1 9 . — O b sich aus O r d n u n g s b e g r i f f e n ü b e r h a u p t e i n zweibezügliches S y s t e m a u f b a u e n l ä ß t , k a n n u n b e a n t w o r t e t b l e i ben20. 14 Die Rechtswissenschaft ist eine axiologische, also wertende Wissenschaft. Sie als formal-logische oder axiomatisch-deduktive zu verstehen, w i e es Wundt, S. 617 tat, als er die Rechtswissenschaft als eine i m eminenten Sinne systematische Wissenschaft bezeichnete, die durch ihren streng logischen Charakter i n einer gewissen Hinsicht der Mathematik vergleichbar sei, w i r d heute nahezu ausschließlich abgelehnt. Aus der Vielzahl der Stellungnahmen: Coing , Grundzüge, S. 276; Engisch, Studium Generale 1957, 173 ff.; Esser, Grundsatz, S. 221; Emge, S. 2891; Bäumlin, S. 27; Raiser, N J W 1964, 1203 f.; Flume, A l l g . Teil, S. 2951; Diederichsen, N J W 1966, 6991; Zippelius, NJW 1967, 2230; Fikentscher, I I I , S. 98. Logisches Vorgehen ist natürlich auch bei der Rechtsgewinnung bedeutsam. Auch Begründungen, die keine Ableitungen sind, haben etwas Wesentliches m i t der L o g i k zu tun. Es k o m m t nicht darauf an, daß es sich u m »Schlüsse4 handelt, s. dazu Otte, Rechtstheorie 1970, 193: „Daß es sich aber nicht u m Schlüsse handeln muß, daß also die Entscheidung offener Fragen i n der Jurisprudenz nicht stets durch A b l e i t u n g aus den zur Begründung herangezogenen Sätzen gemäß den Deduktionsregeln der formalen L o g i k zu gewinnen ist, das ist eine These, die heute unter Juristen m i t allgemeiner Zustimmung rechnen darf u n d dies m i t Recht". 15 s. Larenz, Methodenlehre, S. 20—34. 16 Heck, Begriffsbildung, S. 139 ff., 142 ff. Heck nennt dieses System ,äußeres 4 System. Z u seinem ,inneren System 4 unten bei b. 17 Ebd., S. 142. 18 Heck, Inter essen jurisprudenz, 1933, S. 11. 19 D a m i t ist die von Heck vorgeschlagene Differenzierung zwischen »innerem 4 u n d »äußerem 4 System nicht abgelehnt. Aus anderen Gründen, z. B. D a r stellungsgründen oder solchen pädagogischer Natur, ist eine Gliederung des Rechts anhand von Ordnungsbegriffen sinnvoll. Überdies spielt diese Gliederung eine wichtige Rolle bei dem Finden von Rechtsnormen; eine Forder u n g an die Gesetzgebungstechnik ist deshalb die Realisierung einer äußeren Systematik, vgl. Noll, S. 207. 20 »Rechtsgeschäft 4 k a n n i m m e r h i n unter den höheren Begriff »Rechtsakt4 eingeordnet, dieser aber ebensowenig w i e »Rechtsgeschäft 4 unter einen a l l jenen Grundbegriffen gemeinsamen absolut höchsten Gegenstandsbegriff klassifiziert werden, vgl. Gmür, S. 86, A n m . 32.

5*

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Auch genügt dem ersten K r i t e r i u m nicht das auf Normen aufbauende System der Reinen Rechtslehre 21 . Die Rechtsordnung besteht aus einem Stufenbau verschiedener Schichten von Rechtsnormen. Sie bilden eine Ordnung. „Eine »Ordnung 4 ist ein System von Normen, deren Einheit dadurch konstituiert wird, daß sie alle denselben Geltungsgrund haben; und der Geltungsgrund einer normativen Ordnung i s t . . . eine Grundnorm, aus der sich die Geltung aller zu der Ordnung gehörigen Normen ableitet". Die Einheit der Normen „ist durch den Zusammenhang hergestellt, der sich daraus ergibt, daß die Geltung einer Norm, die gemäß einer anderen Norm erzeugt wurde, auf dieser anderen Norm beruht, deren Erzeugung wieder durch andere bestimmt ist; ein Regreß, der leztlich i n der — vorausgesetzten — Grundnorm mündet". Diese Erzeugungsweise bewirkt, daß zwischen höher- und niederrangigen Normen einerseits und gleichgeordneten Normen andererseits keine logischen Widersprüche bestehen. — Voraussetzung für die Anerkennung dieses Systems ist, daß die Annahme einer Grundnorm akzeptabel ist 2 2 . Diese Voraussetzung ist Basis der Reinen Rechtslehre. Die Rechtstheorie 23 hat sie mehrfach m i t nicht zu bestreitenden Argumenten widerlegt. Diese laufen darauf hinaus, die Reine Rechtslehre habe für die an Geltungsschwäche leidende Rechtsordnung — man kann die Geltung der Verfassung, auf der das übrige Recht beruht, i n Zweifel ziehen — zuwenig oder zuviel getan 24 . Das Zuwenigtun beruhe darauf, daß das Geltungsproblem m i t einer bloß logischen Voraussetzung der Grundnorm nicht gelöst sei, es handele sich letztlich bei dieser Voraussetzung nur u m eine neue brillante Formulierung des Problems. Das Zuvieltun beruhe auf dem Umstand, daß m i t der Grundnorm, die etwa den Inhalt hat: „Unsere Verfassung gilt", jeder Verfassung eine Geltung zuerkannt werde, unabhängig von ihrem Inhalt, weil die Grundnorm i m Hinblick auf Inhalte, die das materielle Recht enthalte, inhaltsleer sei 25 . Damit seien die Sollenssätze nicht mehr inhaltlich kontrollierbar 2 6 . Der Reinen Rechtslehre gehe es nur u m die logische Form. Der Inhalt der Rechtssätze sei beliebig 27 . Liegt darin die Konsequenz oder ein wesent21

Kelsen, Reine Rechtslehre. Die Zitate finden sich auf S. 228 u n d S. 32. Kelsen charakterisiert die Grundnorm als Hypothese. Dagegen hat Verdross, S. 1307, eingewandt, als Wesen der Hypothese sehe m a n gemeinhin an, daß sie durch Erfahrung positiv oder negativ bestätigt werden könne; daraufhin hat Kelsen die Grundnorm später als F i k t i o n bezeichnet, s. F u n k tion, S. 1975 ff. Z u m Problem Berend, S. 81 f. 23 s. Larenz, Methodenlehre, S. 74 ff.; Fikentscher, I I I , S. 292 ff. Hier i n A n m . 41 Nachw. der gegen Kelsen gerichteten Literatur. 24 So Adomeit, Rechtstheorie, S. 60. 25 Deswegen konnten bei Kelsen die ,Gesetze' einer Räuberbande I n h a l t des Gesetzes werden. 26 Fikentscher, I I I , S. 293. 27 Larenz, Methodenlehre, S. 78; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 591. — 22

I. Das Element des Rechtssystems

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liches Merkmal dieses Systems, dann ist ein bestimmtes inhaltliches System nicht vorstellbar. Dann aber kann dieses keinen Maßstab bilden für gesetzgeberisches Handeln, an den der Gesetzgeber gebunden sein könnte. Dann kann das System der Reinen Rechtslehre nicht das hier gesuchte sein. Der aufgestellten Forderung w i r d ferner ein auf Rechtssätzen basierendes axiomatisches System 28 nicht gerecht. Bei dem axiomatischdeduktiven System 29 handelt es sich u m den Versuch, alle innerhalb eines bestimmten Sachgebietes geltenden Rechtssätze aus Axiomen i m Wege rein formal-logischer Deduktion abzuleiten. M i t Blick auf das Recht ist an einem Beispiel nachgewiesen, daß diese Axiomatisierung möglich ist 30 . A n ein axiomatisches System werden folgende Forderungen gestellt 31 : Das System soll 1. bezüglich der zu axiomatisierenden Satzklasse vollständig sein: alle Sätze der Satzklasse sollen aus den Axiomen folgen. Das System soll 2. bezüglich der zu axiomatisierenden Satzklasse korrekt sein: es sollen nur die Sätze der Satzklasse aus den Axiomen folgen. Die zu axiomatisierende Satzklasse muß 3. selbst widerspruchsfrei sein. Werden diese Forderungen auf die Rechtsnormen übertragen, so existiert ein axiomatisches System, wenn die Rechtssätze eines bestimmten, sachlich abgrenzbaren Bereichs aus einigen, diesem Bereich angehörigen Rechtssätzen, die als Axiome ,gesetzt4 werden, formal-logisch abgeleitet werden können. Die abgeleiteten Sätze heißen Theoreme. Das Recht i n seiner Gesamtheit wäre ein axiomatisches System, wenn über jeden Rechtssatz die Aussage möglich ist, daß er entweder ein A x i o m oder ein Theorem ist. Gegen die Axiomatisierung der Rechtssätze trägt ein Teil der Literat u r Bedenken vor. Diese Bedenken lassen sich i n zwei Gruppen teilen: die Argumente der ersten Gruppe sollen die These rechtfertigen, daß die axiomatische Methode i n der Rechtswissenschaft unzureichend ist; die Argumente der zweiten Gruppe sollen die Behauptung stützen, Die Einwände sind freilich i n Österreich wirkungslos geblieben. Dort ist die Reine Rechtslehre dominant. 28 Gefordert von Klug, Logik, S. 172 ff.; ebenso w o h l auch Kraft, S. 263 und Härlen, ARSP 1950/51, 477 ff. — Esser, Grundsatz, S. 218, nennt ein logisch geschlossenes System, an dessen Spitze deduktiv ergiebige Obersätze stehen, axiomatisch orientiert. 29 Z u den Begriffen A x i o m u n d axiomatisch-deduktives System Hilbert / Ackermann, S. 31 ff. u n d 74 ff.; Fraenkel, S. 268 ff., 334 ff.; Carnap, Abriß, S. 70 f.; ders., Einführung, S. 146 ff.; Popper, S. 41. Vgl. ferner noch Härlen, ARSP 1951, S. 478 f.; Viehweg, Topik, S. 55; Engisch, Studium Generale 1957, 174; dens., Studium Generale 1959, 86; Otte, Rechtstheorie 1970, 191. 30 Ε. v. Savigny, i n : Jahr / Maihofer, S. 315 ff. I m Recht lassen sich also sinnvoll A x i o m e bilden. Der Gegenstand ist m i t h i n für eine Axiomatisierung geeignet. Das gilt nicht generell, w i e das Beispiel Literaturwissenschaft zeigt. 31 Z u m folgenden E. v. Savigny ebd., S. 327 f. Die Voraussetzungen werden auch genannt bei Canaris, Systemdenken, S. 26 f.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

daß die axiomatische Methode i n der Rechtswissenschaft nicht benutzt werden kann. Diese Argumente sind bereits i m einzelnen aufgelistet und widerlegt worden. A u f diese Ausführungen sei hier verwiesen 82 . Insbesondere ist das Argument widerlegt, daß sich i m Bereich des Rechts nicht sinnvoll Axiome bilden lassen 33 . Aus den Axiomen müßten sich, so w i r d behauptet, alle richtigen Formeln eines gewissen, inhaltlich zu charakterisierenden Gebietes gewinnen lassen (Kriterium der Vollständigkeit). Außerhalb der Axiome dürften keine Sätze m i t selbständigem materiellen Gehalt eingeführt werden. A u f den Bereich der Rechtssätze angewandt, ergebe sich die Konsequenz, daß nahezu alle geschriebenen und ungeschriebenen Normen i n den Rang von Axiomen erhoben werden müßten, weil nahezu alle Normen einen selbständigen materiellen Gehalt besitzen, andernfalls seien sie überflüssig. Seien aber alle Normen Axiome, dann blieben keine Sätze mehr ableitbar, die rechtliche Bedeutung entfalten könnten, es gebe folglich keine Theoreme. Ein solches Axiomensystem genüge seinen eigenen Ansprüchen nicht. Es sei funktionslos. — Hier w i r d einer simplen Äquivokation aufgesessen 34. Ein vollständiges Rechtssystem kann nicht als vollständiges axiomatisches System dargestellt werden. Die Forderung der Vollständigkeit w i r d nur dann nicht erfüllt, wenn die Klasse von Sätzen: hier die Normbehauptungen, nicht restlos aus den Axiomen ableitbar ist. Es w i r d verwechselt ,vollständiges System eines Rechts4 mit ,System eines vollständigen Rechts4. Der axiomatischen Methode geht es nur u m das erstere. M i t diesem Satz ist zugleich die Grenze der Leistungsfähigkeit der axiomatisch-deduktiven Methode aufgezeigt. Derjenige, der eine Satzklasse, i n bezug auf das Recht: eine bestimmte Summe von Rechtsnormen, axiomatisiert, schreibt diese Rechtssätze übersichtlich hin, mehr nicht. Das entstehende System sagt nichts über seinen Inhalt aus, sagt nichts darüber, wie man die Sätze findet und begründet. Das übersehen die K r i t i k e r dieser Methode. Ihre Alternativen: »axiomatisches System 4 oder teleologisches System 4 , »axiomatisches System 4 oder gerechtes System 4 , sind falsch 35 . Vom Zweck der Bildung eines axiomatischen Systems ausgehend zeigt sich deshalb auch, daß dieses System, wenn es auf Rechtssätzen basiert, nicht dasjenige sein kann, das hier gesucht w i r d : Ein axiomatisches System ist vorhanden, wenn eine wohldefinierte Zahl von Sätzen sich i n einer Weise miteinander i n Beziehung bringen läßt, daß ein Teil dieser Sätze Axiome, der andere Teil dieser Sätze Theoreme ist. Axiomatische Systeme sind demnach beliebig zu bilden 32 33 34 35

Ebd., S. 328 ff. So aber Canaris , Systemdenken, S. 26 f. Ε. v. Savigny, S. 333. Ebd., S. 339 f.

I. Das Element des Rechtssystems

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oder nicht zu bilden. Dieses System kann aber das gesuchte nicht sein: M i t einem übersichtlichen Hinschreiben einer prinzipiell beliebigen, i n concreto freilich wohldefinierten Zahl von Rechtsnormen ist kein den Ansprüchen an das Rechtssystem genügendes System gefunden: Der Gesetzgeber hat keine Möglichkeit der Einflußnahme auf denjenigen, der ein axiomatisches System, auf Rechtssätzen basierend, aufbaut. Denn dieser kann eine beliebige Zahl von Normen nehmen. Dann bildet die Axiomatisierung als solche aber keinen Maßstab. — Die prinzipiell gegebene Möglichkeit der Axiomatisierung aller Rechtssätze muß durch Probieren realisiert werden 3®; das ist aber nur dann erfolgreich, wenn die Dogmatik das gesamte Recht durchgeformt und geordnet hat 3 7 . Ordnung ist das Egebnis eines Systems. Die Möglichkeit der Axiomatisierung setzt demnach ein anderes, ein dogmatisches System voraus. Dieses ist noch zu finden. Dem als Prüfungsmaßstab dienenden K r i t e r i u m genügen schließlich nicht die Normengruppen 38 . Das auf diesem Element basierende System w i r d als eine sachlich strukturierbare, inhaltlich verständliche Zusammenordnung solcher Normen oder Normengruppen gekennzeichnet, die sachliche Zusammenhänge der sozialen Wirklichkeit regeln und deshalb je für sich zu bearbeiten sind. Die Normen bzw. Normengruppen werden jedoch nicht m i t dem Anspruch auf eine logische oder ideologische Einheit gebildet 39 . Es w i r d demnach zunächst von einem anderen Systembegriff als dem i n dieser Untersuchung verwandten ausgegangen: Dieser Systembegriff w i r d hier abgelehnt, weil sein Ziel nicht ist, zu einer Ordnung der Elemente des Rechts zu führen. Zu einer Ordnung bzw. Einheit können diese Elemente auch gar nicht führen, weil nur die Einzelteile dieses Elements der Gesetzgeber festlegt und sie dann der Wissenschaftler freilich nicht m i t dem Ziel der Schaffung von Einheit zusammenfaßt. A n die formale Kategorie ,Norm 4 bzw. ,Normengruppe 4 kann der Gesetzgeber nicht anknüpfen, weil er ausschließlich Normen erläßt, die dann einer Zusammenfassung zu Normengruppen dem Wissenschaftler beliebig offenstehen. Letztlich fallen die »Rechtsinstitute4, soweit sie ,neu 440 verstanden werden, dem aufgestellten K r i t e r i u m zum Opfer. So w i r d zum Beispiel der Regelungskomplex der Privatautonomie als »Institut 4 des Privatrechts 38 Ebd., S. 344. Otte , Rechtstheorie 1970, 192, verneint diese Möglichkeit, w e i l alle generellen w i e individuellen Normen nicht logisch widerspruchsfrei dargestellt werden könnten. 37 Ebd., S. 344. 38 F. Müller, Einheit, S. 89, u n d Normstruktur, S. 104 f. 39 F. Müller, Einheit, S. 87. 40 D a m i t ist gemeint ein anderes Verständnis als dasjenige F. C. v. Savignys. Z u i h m sogleich unter b.

72

C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

angesehen. Dieses Institut sei „ n u r aus dem Zusammenwirken der Prinzipien der Selbstbestimmung, der Selbstverantwortung und des Verkehrs- und Vertrauensschutzes" zu verstehen. Sie sollen auf einer „Verbindung mehrerer verschiedener Rechtsgedanken" beruhen, eine „Verschlingung" verschiedener Grundgedanken lasse sich wohl nahezu bei allen Rechtsinstituten nachweisen 41 . Aus Instituten i n diesem Sinne kann ein System nicht gebildet werden. Der Inhalt eines Instituts ergibt sich aus einer Summe gesetzgeberischer Entscheidungen, die dann als Institut bezeichnet werden. Der Gesetzgeber normiert aber keine Institute als solche, so daß diese ζ. B. keine Basis für die Begründungsfunktion des Systems liefern können. — W i r d Rechtsinstitut als „ein Inbegriff der auf die Rechtsverhältnisse einer bestimmten A r t bezüglichen Rechtsvorschriften" 42 verstanden, werden also Normenkomplexe i n den Blick genommen, so ist die gleiche Aussage zu treffen: Normenkomplexe als solche liefern keinen Maßstab für die Beantwortung der Frage, wie eine neue Norm inhaltlich zu gestalten ist, die zum System passen soll. b) Methodische Erwägungen. A n diesem K r i t e r i u m muß das auf ,Rechtsinstituten 4 fußende System v. Savignys scheitern, dessen Aufbau er gefordert hat 4 3 . Sein Anliegen war die große Einheit aller Rechtsregeln und Rechtsbegriffe. Rechtsinstitute werden als Ausdruck des Typischen verstanden, das bestimmte Arten von Rechtsverhältnissen verbindet 44 . Das Rechtsinstitut ist ein i m Rechtsleben verwirklichtes Ordnungsgefüge, das den darauf bezüglichen Regeln zugrunde liegt 4 5 . Rechtsinstitute sind i n dieser Lehre die Lebensverhältnisse, wie sie ζ. B. die Ehe, die patria potestas, das Eigentum an einem Grundstück, der Kauf „als eine rechtlich verbindliche Ordnung gedacht und ausgestaltet" 4 8 . Es werden z. B. die familienrechtlichen Verhältnisse der Institution ,Verwandtschaft 4 oder die sachenrechtlichen Beziehungen den Institutionen ,Eigentum 4 und beschränkt dingliche Rechte4 zugeordnet. Jedes Rechtsverhältnis steht i n dieser Weise unter einem entsprechenden Rechtsinstitut als seinem ,Typus 4 und w i r d von diesem beherrscht 47 . — Savigny sah das Recht i n einem Zusammenhang m i t dem Wesen des Menschen selbst. Er betrachtete das Rechtssystem als organische Einheit. Institut und System werden als lebendiges Ganzes gedacht. I n dieser Gestalt, als vollständige Anschauung des organischen Inhalts, soll das 41

Canaris , Systemdenken, S. 50 f. Hier auch die Zitate. Ennecerus / Nipperdey, § 71. 43 System I, S. 10 f.; zu Savignys System s. z.B. Coing , FS Dölle I, S. 25 f.; Fikentscher, Methoden I I I , S. 37 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 11 ff. u n d F. Müller, Einheit, S. 95. 44 Ebd., §§ 665, 58. 45 Larenz, Methodenlehre, S. 72. 4e Ebd., S. 14. 47 Dubischar, Grundbegriffe, S. 54. 42

I. Das Element des Rechtssystems

73

Recht i m gemeinsamen Bewußtsein des Volkes leben 48 . I n dieser organischen Rechtslehre hatte Savignys Begriffs- und Systembildung eine Funktion. Auf die unmittelbare zeitgenössische Wissenschaft mag seine Lehre Einfluß ausgeübt haben 49 . Später wurde die Lehre der frühen Historischen Schule und ihr System jedoch entscheidend re vidiert. Daß diese Revision sachlich begründet ist, bedarf hier keiner Darstellung. Daß es sich nur u m die Ablösung durch eine andere ,Schule' handelt, die i m Hinblick auf die Rechtserkenntnisse keinen Fortschritt gebracht hat, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Rechtsinstitute i m Sinne dieser Lehre entfallen somit als Element des gesuchten Rechtssystems. Die lnteressenjurisprudenz hat ein System konstruiert, das auf dem Element ,Konfliktentscheidung' aufbaut. Heck 50 , der Erfinder dieser Lehre, nennt es „inneres System". Ausgangspunkt dieser Lehre ist die Ablehnung der Begriffsjurisprudenz 51 . Die Bezeichnung ,Begriffsjurisprudenz' stammt von Heck 52 . Während diese Lehre den Richter auf die logische Subsumtion der Sachlage unter die Rechtsbegriffe beschränkt habe 53 , erstrebt nach Heck die Interessenjurisprudenz „ein Primat der Lebenserforschung und Lebensbewertung" 54 . Demzufolge sei es Aufgabe der Wissenschaft, die i n der Gemeinschaft der Menschen vorhandenen Lebensbedürfnisse zu erkennen 55 . Die Begehrungen und Begehrungstendenzen = Interessen 58 seien durch den Richter zu befriedigen, denn dem Schutz dieser Interessen diene das Recht 57 . Die i m 48

System I, S. 16. Wilhelm, Methodenlehre, S. 70. 50 Begriffsbildung, S. 149 ff. Vgl. ferner Stoll, F G Heck u. a., S. 60 ff.; Müller-Erzbach, R G - F G I, S. 161 ff., Interessent urisprudenz?, Hinwendung, Rechtswissenschaft. — Z u r Interessenturisprudenz s. die Darstellungen von Larenz, Methodenlehre, S. 53 ff.; Fikentscher, I I I , S. 373 ff.; Edelmann; Esser, Nachwort. 51 Begriffsbildung, S. 2. — Die A b k e h r von der Begriff s jurisprudenz w a r allerdings schon durch Jherings Wendung zu einer mehr pragmatischen J u risprudenz vorgeprägt, die sich darin äußerte, daß jeder Rechtssatz auch i n seiner sozialen F u n k t i o n — Gestaltung des sozialen Daseins — gesehen w e r den müsse (Zweck I I , S. 204 ff.). A u f Jhering beruft sich Heck denn auch immer wieder, vgl. z. B. Rechtsgewinnung, S. 1. 52 Begriffsbildung, S. 4, 17. 53 Ebd., S. 4. Heck spricht damit das sog. Rechtsschöpfungsverbot an. Dieses w a r freilich keine der Begriff s jurisprudenz zuzuschreibende Originalität, sondern von Montesquieu aus dem Gewaltenteilungsprinzip abgeleitet. Die Richter seien nur der Mund, der die Worte des Gesetzes ausspreche, w i l l e n lose Wesen, die weder seine Schärfe noch seine Strenge m i l d e r n könnten: De l'Esprit de Lois, X I , S. 6. s. dazu Radbruch, Vorschule, § 25 u n d Kantorowicz, S. 7 f. 54 Ebd., S. 17. 55 Ebd., S. 4. 5e AcP 112, 11. 57 Larenz, Methodenlehre, S. 55, betrachtet den Interessenschutz durch das 49

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Recht i n der Hauptsache vorhandenen Gesetzesgebote seien selbst Interessenprodukte 58 (und Lösungen von Interessengegensätzen 59). Es komme demnach darauf an, die realen Interessen, welche das Gesetz verursacht haben, historisch richtig zu erkennen und die erkannten Interessen i n der Fallentscheidung zu berücksichtigen 60 . Der Gesetzgeber wolle die m i t einander ringenden Lebensinteressen gegeneinander abgrenzen. Er fälle daher über sie ein Werturteil 6 1 . Dieses habe der Richter i m Hinblick auf den zu entscheidenden Fall denkend nachzuvollziehen 62 . I n der gleichen Weise habe die Ausfüllung von Gesetzeslücken zu geschehen, so seien neue Rechtssätze zu gewinnen 63 . Die Interessenjurisprudenz ist primär als Rechtsauslegungs- 64 und Rechtsfortbildungstheorie zu charakterisieren. Die beschriebene A r t der Gewinnung neuer Rechtssätze zwecks Ausfüllung von Lücken ist der Hauptgrund für ihre Entstehung. Sie w i l l für immer verhindern, daß das formal-logische System der abstrakt-allgemeinen Begriffe — die Puchtasche Begriffspyramide — als Erkenntnisquelle für die Gewinnung neuer Rechtssätze benutzt werden darf 6 5 . Dieses Puchtasche »System4 w i r d deshalb als ein äußeres (ab)qualifiziert, dem ausschließlich ein Darstellungs-, aber kein Erkenntniswert zukommen soll. Es diene nur der Formulierung und äußeren Ordnung des Rechtsstoffes 66. Dem Puchtaschen,System 4 w i r d die eigene Begriffs- und Systembildung, insbesondere das „innere 44 System des Rechts entgegengestellt. Das innere System entstehe aus dem sachlichen Zusammenhang der mittels Interessenforschung gefundenen Problemlösungen 67 . Diese generellen Konfliktentscheidungen werden als System klassifikatorischer Begriffe vorgestellt 68 . Bei jeder Konfliktentscheidung könne der gesamte Inhalt Recht als die wesentliche rechtstheoretische Aussage der Interessen j u r i s p r u denz. 58 AcP 112, 17. 59 Ebd., S. 41. Insoweit geht Heck über die von i h m so bezeichnete genetische Interessen jurisprudenz schon hinaus. Deutlich ist das bei Stoll ausgedrückt: Jeder Rechtssatz enthält mittelbar ein W e r t u r t e i l über die i h m zugrundeliegenden Interessengegensätze, vgl. F G Heck u. a., S. 67. 60 Ebd., S. 60. 61 Ebd., S. 41. 62 So Larenz, Methodenlehre, S. 58. 03 Rechtsgewinnung, S. 7. Die Möglichkeit der Ausfüllung von Gesetzeslücken steht f ü r Heck i m M i t t e l p u n k t jeder Methodenlehre, vgl. ebd. 64 Fikentscher, I I I , S. 378. 65 Heck nennt die Puchtasche Methode der Rechtsgewinnung ein I n v e r sionsverfahren. Diese F u n k t i o n der Systembildung betont auch Larenz, M e thodenlehre, S. 61. Sie w u r d e schon frühzeitig erkannt u n d k r i t i s i e r t : s. Binder, Z H R 100, S. 4 ff. ·· Heck, Grundriß, Anhang §§ 1 u n d 1 b. s. auch Stoll, F G Heck u. a., S. 80. 67 Begriffsbildung, S. 150. • 8 Ebd., S. 151.

I. Das Element des Rechtssystems

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der Rechtsordnung eingreifen. Werden die gelösten Probleme und die Entscheidungen i n der Darstellung zusammengefaßt, so sollen sich Gruppenbegriffe von immer wachsender Allgemeinheit ergeben. Die Zusammenfassung mache das innere System des Rechts sichtbar 89 . Das konstruierte System ist demnach wesentlich abhängig von der speziellen Sichtweise des Rechts, die i n die Diskussion mit dem Ziel eingeführt worden ist, bestimmte Denk- und Arbeitsmethoden der Jurisprudenz auszuschalten. Das gebildete ,innere' System ist nicht das Ergebnis systemorientierter Bemühungen, sondern die Lehre und folglich auch das System sind Produkte einer Auseinandersetzung m i t der Begriffsjurisprudenz, die überwunden werden soll 70 . Die Interessenjurisprudenz repräsentiert heute nicht mehr den letzten Stand der Methodenlehre, jedenfalls nicht mehr i n ihrer ursprünglich entwickelten Fassung. Als außerordentlich wichtig hat sich diese Lehre erwiesen, weil sie die Begriffsjurisprudenz verdrängt, den Blick auf die i n einer Rechtsnorm verkörperten Interessen gelenkt, auf diese als wesentliche Kriterien zur Entscheidung eines Rechtsstreites hingewiesen und zugleich ein methodisch gesichertes Verfahren zur Erkennung der Interessen geliefert hat 7 1 . Diese für die Rechtsprechung wesentlichen Vorteile vermögen nicht zu überdecken, daß der Interessenjurisprudenz Schwächen innewohnen, die zu ihrer Weiterentwicklung führen mußten. Zunächst ist die Differenzierung zwischen „äußerem" und „innerem" System bei Hecks Begriffsbildung nicht recht deutlich 72 . Für ihn ist das i n abstrakt-allgemeinen, klassifikatorischen Begriffen dargestellte innere System i m wesentlichen identisch m i t „derjenigen Gliederung des Rechts, die schon bisher für Gesetzgebung und Wissenschaft bestimmend war" 7 3 . Das ist aber gerade das äußere System 74 . Das innere System entbehrt m i t h i n der Eigenständigkeit. A u f den Konfliktentscheidungen kann ferner heute nur dann das Rechtssystem basieren, wenn die lnteressenjurisprudenz i h r selbst gestecktes Ziel: die Lösung von Konflikten, auch erreicht. Diese Zielerreichung ist nicht zu konstatieren. Diese Lehre analysiert als eine Auslegungslehre des kodifizierten Rechts die an einem Rechtsstreit beteiligten Interessen und postuliert, daß diese bei der Lösung der Konflikte nicht unbeachtet bleiben dürfen. Es stellt sich aber sofort die Frage, welchem Interesse wann der Vorzug 69

Ebd., S. 151. s. A n m . 65 u n d ferner Zippelius, Wertungsprobleme, S. 64. 71 Fikentscher, I I I , S. 405. 72 Larenz, Methodenlehre, S. 61, meint, die Ausführungen Hecks u n d Stolls zur Frage der juristischen Begriffs- u n d Systembildung blieben auf halbem Wege stehen. 73 Begriffsbildung, S. 151. 74 So auch Larenz, Methodenlehre, S. 63. 70

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

gebührt 75 . Diese Entscheidung kann die Interessen jurisprudenz selbst nicht leisten. So wertvoll die Interessenanalyse einerseits ist, so wenig liefert andererseits schon die Analyse die Entscheidung. Die Interessenanalyse muß u m ein weiteres Moment ergänzt werden: u m ein K r i t e r i u m zur Bewertung der Interessen. Das hat i m weiteren die Methodenlehre auch zu leisten versucht. „Die entwickelte Methodik der Interessen jurisprudenz wurde", und das war folgerichtig, „zumindest als Postulat, u m den rechtsphilosophischen Fragenkreis der Wertung i m Recht erweitert. Man begann zu begreifen, daß die Wahl der richtigen Methode letztlich eine Frage der Philosophie ist, die der Methode den Weg zur Werteauswahl zu weisen hat"7®. Ob eine Philosophie existiert, die diesen Weg weist, ist an dieser Stelle ohne Bedeutung. Denn die zuvor angestellten Erörterungen belegen, daß die Interessen jurisprudenz jedenfalls nicht mehr den letzten Stand der Methodik repräsentiert, weil sie weiterentwickelt worden ist. M i t h i n kann die Untersuchung gemäß dem hier relevanten K r i t e r i u m nicht die Konfliktentscheidungen, auf denen das System der Interessenjurisprudenz basiert, zur Basis des gesuchten Systems wählen. 3. Werte als systembildendes

Element

Von den vorgestellten Elementen sind anhand der aufgestellten Eignungskriterien alle bis auf die , allgemeinen Rechtsprinzipien' und die ,Werte' geprüft und als ungeeignet für das gesuchte System bezeichnet worden. Der Begriff ,allgemeines Rechtsprinzip' und der Begriff ,Wert' bedürfen selbst der Explikation, bevor sie an den aufgestellten K r i t e rien geprüft werden können. Beide Elemente sind Baustein tatsächlich vorhandener Systementwürfe 77 . Sie können i m folgenden gemeinsam 75 Heck meint, der Richter sei an die Werturteile (!) des Gesetzgebers gebunden, s. Rechtsgewinnung, S. 36. 76 Fikentscher, I I I , S. 383. 77 Allgemeine Rechtsprinzipien: Canaris , Systemdenken, S. 46 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 472, er sieht i n den Prinzipien allerdings nicht das alleinige systembildende Element. F ü r i h n kommen noch die Konkretisierungen dieser Prinzipien i n den Regelungsinhalten, funktionsbestimmte Begriffe u n d rechtliche S t r u k t u r t y p e n hinzu. Er sieht demnach das System des Rechts aus vier Elementarten gebildet. Esser, Grundsatz, geht ebenfalls davon aus, daß Prinzipien das System des Rechts bilden: „ K e i n corpus j u r i s ist n u r Masse, es ist i n erster L i n i e ein durch Angaben dieser Masse fixiertes System von Prinzipien", „die Instrumente der organischen Einheit u n d Vollständigkeit der Rechtsordnung" sind, S. 227, u n d S. 325 : Das Prinzip stehe am Ende einer E n t w i c k l u n g (gemeint die der Dogmatik, die von Einzelfiguren sui generis ausgeht). F ü r Esser können deshalb n u r Prinzipien als höchste Entwicklungsstufe i n der Dogmatik systembildend sein. Werte: E i n System, bestehend aus dem Element ,Wert', n i m m t das B u n desverfassungsgericht i n ständiger Rechtsprechung seit E 2, 1/12; δ, 85/138 f. an. V o n Werten als Systemelement geht ferner Coing, Grundzüge, S. 277, aus: „ H i n t e r der historischen Einheit der Wertvorstellungen aber steht der systematische Zusammenhang der ethischen Werte selbst, m i t denen alles Recht

I. Das Element des Rechtssystems

77

abgehandelt werden, da der Begriff ,allgemeines Rechtsprinzip' selbst unter Rückgriff auf die ihrerseits erläuterungsbedürftigen Begriffe ,Wert' und »Wertung 4 inhaltlich präzisiert wird. Die Rechtstheorie differenziert rechtsquellentheoretisch zwischen Prinzip und Norm 7 8 . Diese Differenzierung ist Konsequenz der Erkenntnis, daß eine Rechtsordnung sich nicht ausschließlich m i t subsumtionsfähigen Rechtssätzen begnügt. Daneben lassen sich andere Bestandteile auffinden, die nur partiell dem positiven Recht angehören, zu einem anderen Teil überpositive Geltung besitzen. Zu ihnen zählen Prinzipien. Sie sind nicht selbst Weisungen, sondern stellen deren „Grund, Kriter i u m und Rechtfertigung" 79 dar. I n zwei Erscheinungsformen treten sie auf: Als normative oder rechtssatzförmige 80 liegen sie, ohne ausdrücklich ausgesprochen zu sein, entweder als Grundregel einer gesetzlichen Regelung zugrunde, Beispiel: Vertragsfreiheit, oder sie fungieren als wiederkehrende Teile von Rechtsnormen, die Geltung beanspruchen auch über einzelne Teile hinaus, Beispiel: der Grundsatz des schonendsten Mittels. Auch als Grundregel sind sie lex. Darin liegt der Unterschied zum zweiten T y p des Prinzips: den sog. informativen 8 1 oder offenen 82 Prinzipien. Sie haben keinen Normativcharakter, sondern lediglich die Funktion von sinnerhellenden Faktoren, Leitgedanken oder Rechtfertigungsgründen. Sie bedürfen der Vermittlung einer sie konkretisierenden Gesetzesnorm 83 , u m i n das positive Recht Eingang zu finden, Beispiel: die Privatautonomie, wenn diese mehr umfaßt als die Summe der normativen Prinzipien, die i m geltenden Recht als Ausdruck der Privatautonomie angesehen werden. Vom gezeigten Verständnis des Prinzips w i r d i n der Literatur ausgegangen: Es w i r d unter diesem Begriff die „tiefer" als eine Einzelwertung stehende Grundwertung, die lex und ratio legis übergreifende ratio juris verstanden 84 , es w i r d i n den Rechtsprinzipien ein allgemeiner Wertmaßstab oder Wertvorzug i m Hinblick auf die Rechtsidee (als dem Inbegriff der obersten Rechtswerte) gesehen, der noch nicht zu unmittelbaren Rechtsregeln verdichtet ist, für sie aber Rechtfertigungsgründe zu liefern vermag, zum rich-

wesensmäßig verbunden ist. Es w i r k t immer wieder i n das positive Recht hinein . . . " . Werte als Elemente ihres Systems benötigen ebenfalls die V e r treter der Wertungsjurisprudenz. Dazu i m Folgenden. 78 Esser, Grundsatz; ders., Vorverständnis, S. 35 ff.; Göldner, S. 23 ff.; Grabitz, Freiheit, S. 240; Alexy, Rechtsprinzip. 79 Esser, Grundsatz, S. 51 ff. I h m folgt Larenz, Methodenlehre, S. 458. 80 Ebd., S. 69, 73. 81 Ebd., S. 74. 82 Diesen Ausdruck nutzt Larenz, Methodenlehre, S. 466. 83 Esser, ebd., S. 69, 74 f. 84 Canaris, Systemdenken, S. 46.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

tunggebenden Maßstab für rechtliche Normgebung werden kann 8 5 . Prinzipien sind damit einerseits nicht lediglich ethische oder soziale Postulate, andererseits aber nicht zu einem der Subsumtion unmittelbar zugänglichen Rechtssatz ausgeformt 86 . Man charakterisiert sie deswegen m i t Recht als „HalbWegskonkretisierungen der Gerechtigkeit" 87 . — Diese rechtsethischen Prinzipien, unschärfer auch allgemeine Rechtsgrundsätze 88 genannt, sind zu trennen von den rechtstechnischen Prinzipien 8 9 , die hier ohne Bedeutung sind. Solche sind ζ. B. das Traditionsprinzip oder das Publizitätsprinzip des Sachenrechts, unter jenen aber sind Postulate wie die Personenwürde, Freiheit und Gleichheit zu verstehen 90 . — Beide zitierten Verständnisse gleichen einander 91 . Die Literatur akzeptiert sie als Inhaltsbestimmung des Begriffs ,Rechtsprinzip' 92 . Was aber eine Grundwertung, ein Grundwert, ein Wertmaßstab oder ein Wertvorzug inhaltlich erfaßt, bleibt offen; ,Wert' ist explikationsbedürftig92a. a) Zur Nutzung des Begriffs: Eine Explikation des Begriffs ,Wert' ist nicht notwendig, wenn i m Bereich der Jurisprudenz Einigkeit über den Inhalt dieses Begriffs herrscht. Diese Einigkeit kann nicht festgestellt werden. Unergiebige Positionen: Die Diskussion der Interessen jurisprudenz hat zu dem Ergebnis geführt, daß diese Lehre einerseits eine wichtige Arbeit insoweit geleistet hat, als sie auf die Interessen als wesentliche Kriterien zur Entscheidung eines Rechtsstreites hinweist und zugleich ein methodisch gesichertes Verfahren zu ihrer Erkennung liefert. Die Diskussion hat jedoch andererseits erbracht, daß die Interessen jurisprudenz selbst keine Kriterien zur Abwägung der Interessen liefern kann. Solche Kriterien sind für sie notwendig, um zu einer dem Gesetz gemäßen Abwägung zu gelangen. Diese Abwägung bezeichnet die Wertungsjurisprudenz, die Weiterentwicklung der Interessen jurisprudenz, als Wertung. Wertungen vornehmen, also werten, erscheint der Mehr85

Larenz, Methodenlehre, S. 207. Ebenso, neben den i n A n m . 78 genannten Hans J. Wolff , GS Jellinek, S. 43; Huber, ZSR 1936, S. 142 a. Vgl. ferner z.B. Wertenbruch, S. 162 f.; Maihof er, i n : Annales, 21 f. 87 Hub er, Grundsätze, S. 9. 88 Liver, Z B J V 91 bis, 29; Hans J. Wolff (Anm. 86); Erik Wolf; vgl. ferner Larenz, FS Nikisch, S. 300 f. 89 Dazu Larenz, A l l g . Teil, S. 64. 90 Vgl. statt aller Göldner, S. 25. 91 E i n allgemeiner Wertmaßstab ist ein allgemein geltender Wertmaßstab, er ist darüber hinaus keine Rechtsregel; beides zusammen dürfte als G r u n d w e r t anzusehen sein, da dieser ebenfalls allgemein gilt u n d auch keine Rechtsregel ist. 92 s. zuvor. 92a Z u r Problematik des Wertbegriffs neuerdings Luf. 86

I. Das Element des

echtssystems

79

zahl der Vertreter dieser Lehre nur möglich anhand einer Skala 93 . Diese w i r d oft als Wertmaßstab bezeichnet. Diese Bezeichnung impliziert die Existenz von Werten. Aus ihnen ist sie gebildet. Sie legt zugleich ihren Rang fest. Die Vertreter der Wertungsjurisprudenz entnehmen den Maßstab weitgehend dem positiven Recht. Sie sagen damit zugleich, daß dem positiven Recht Werte immanent sind. Eine Analyse dieser Literatur zum Begriff des Wertes ist jedoch erfolglos. Die abstrakte Wertungsjurisprudenz: Die Normen als Wertquelle für die Entscheidung von Vorrangfragen bewußt genutzt zu haben, ist das Verdienst Harry Westermanns 94 . Methodisch geht es i h m und seinen Nachfolgern 95 u m eine korrekte Wertermittlung und u m ein methodisch gesichertes Bewertungsverfahren anhand gesetzlicher Bewertungsmaßstäbe für das Abwägen von Interessen. Welchem Interesse der Vorzug gebührt, w i r d zu einer Frage der Auslegung. Über die einzelnen Normen, über Normengruppen, über ganze Gesetze bis h i n zum Grundgesetz soll sich die Frage beantworten lassen. Wertquellen sind für Westermann das Gesetz und die Verfassung 98 . I n ihnen seien Werte konkretisiert. — Larenz 97 sieht zwei Wertquellen. Zum einen habe der Richter die i m Gesetz enthaltenen wertenden Aussagen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, und zwar auch hinsichtlich der spezifischen Rangund Schichtenordnung, die der Gesetzgeber aufgestellt habe. Zum anderen soll es berücksichtigungsfähige objektive Werte geben. Larenz geht also teilweise über das positive Recht hinaus. — Wieacker 08 hat folgende Wertquellen für möglich erachtet: Obenan stehe die Verfassung. Wenn diese versage, sei ein Rückgriff auf „Standards" zulässig, sodann auf den „Konsens der Rechtsdenkenden i n der Zeit", ferner auf die „ausgeformten Grundsätze richterlicher Billigkeit", schließlich auf die „Natur der Sache" und die „sachlogischen Strukturen" und letztlich (als Notanker), auf die „bewährte Rechtslehre" und den „anerkannten Gerichtsgebrauch". — Zippelius 9 9 geht ebenfalls von den Gesetzen und der Verfassung als Wertquelle aus. Er stellt jedoch fest, daß diese den Richter oftmals i m Stich lassen. Letztlich sei deshalb ein Rückgriff auf persönliche Wertvorstellungen des Richters oder auf Zweckmäßigkeits93 Otte, Rechtstheorie 1970, 183 ff., weist nach, daß Wertungen auch m i t Hilfe komparativer Sätze möglich sind. 94 Streitentscheidung; Interessenkollisionen; Person u n d Persönlichkeit. 95 z. B. Reinhardt / König; Germann. 96 A n „brauchbaren justitiablen überpositiven Wertungen" zweifelt Westermann: Streitentscheidung, S. 27. 97 Methodenlehre, S. 262 ff. 98 Gesetz, S. 10 ff.; Präzisierung. 99 Wertungsprobleme.

80

C. Der Begriff des zweibezüglichen

echtssystems

erwägungen unumgänglich. — Freilich: I h r Wertverständnis legen diese Autoren nicht offen. — Die konkrete Wertungsjurisprudenz: Die zuvor Genannten halten es m i t der pluralistischen Gesellschaftsordnung für unvereinbar, bestimmte Werte fraglos zu stellen. Obwohl diese Auffassung als Trend unverkennbar ist, sind Versuche zu beobachten, zu konkreten Wertaussagen vorzustoßen: A r t u r Kaufmann 1 0 0 ζ. B. fragt nach „konkretem Naturrecht". Er w i l l über die Methodik der Wertermittlung hinaus zu besser begründbaren Aussagen über das Wertungsverfahren i m Recht gelangen. — Kronstein 1 0 1 hat festgestellt, daß Begriffe i n einem Gebiet des Rechts von Wertungen i n anderen Gebieten abhängen. Dieses „Denken i n Wertbedingtheiten" w i r d heute als neo- oder ordoliberal 1 0 2 bezeichnet. I h m folgen eine Reihe von Autoren 1 0 3 . — Freilich: Diese Autoren legen ihr Wertverständnis ebenfalls nicht offen. — Alles i n allem: I n auffälligem Gegensatz zu dem, was die Wertungsjurisprudenz methodologisch fordert, läßt sie eine Auseinandersetzung mit dem Begriff ,Wert' vermissen. — Das Bundesverfassungsgericht: Die gleiche Feststellung gilt für das höchste deutsche Gericht. Es geht i n ständiger Rechtsprechung von der These aus, daß Grundrechte Werte beinhalten und diese Werte für die Rechtsfindung bedeutsam sind; die Grundrechte müssen folglich seiner Auffassung nach als Wertquelle beachtet werden. So legt es Grundrechte einschränkende Gesetze i m Lichte der Grundrechte aus. Die ganze Rechtsordnung soll ferner unter dem Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit m i t dem nach A u f fassung dieses Gerichts durch die Grundrechte aufgerichteten Wertsystems stehen 104 . Da i n diesen Äußerungen der Inhalt des i n Rede stehenden Begriffs vorausgesetzt wird, sind sie für die Untersuchung wenig hilfreich. 100

Recht; Naturrecht; Rechtsphilosophie?. Die abhängige juristische Person. 102 Vgl. dazu Fikentscher, I I I , S. 417. 103 Nachw. bei Fikentscher, ebd., S. 419 ff. 104 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, zumindest bislang ständig vertreten, stehen die grundrechtlichen Werte nicht beziehungslos nebeneinander, sondern i n einer Rangordnung zueinander m i t der Menschenwürde als oberstem oder absolutem Wert. Das Gericht spricht, w o h l nicht sachlich differenzierend, sondern sprachlich paraphrasierend, von der „ W e r t r a n g ordnung i m Grundrechtsabschnitt der Verfassung", dem „Wertsystem der Verfassung", der „allgemeinen Wertordnung der Verfassung", dem „ W e r t system der Grundrechte", dem „grundrechtlichen Wertsystem", der „verfassungsrechtlichen oder grundgesetzlichen Wertrangordnung", der „wertgebundenen Ordnung", dem „Wertsystem", den „Wertvorstellungen" oder „ W e r t maßstäben der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" oder „des G r u n d gesetzes", einer „wertentscheidenden Grundsatznorm", dem „besonderen Wertgehalt eines Grundrechts", der „Wertenscheidung eines Grundrechts" oder des „Grundgesetzes" oder schließlich v o m „obersten Wert", bezogen auf die Menschenwürde. Nachw. bei Goerlich, passim u n d H. Schneider, S. 154, A n m . 8. 101

I. Das Element des Rechtssystems

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Andererseits existieren Positionen, die sich u m den Topos ,Wert' bemühen, aber für die Fragestellung nichts leisten können. Denn für die Untersuchung sind nur die Werte von Interesse, die i m Recht vorhanden sind. N u r soweit Werte i n Rechtsnormen verkörpert sind, kann ein auf ihnen basierendes System Anknüpfungspunkt für eine verfassungsrechtliche Fragestellung sein, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. Eine erste dementsprechend ausscheidende Position ist die materiale Wertethik 1 0 5 . Sie w i r d auch Wertabsolutismus 10 ® genannt. Die Vertreter dieser Lehre definieren den Wertbegriff 1 0 7 nicht. Werte sind nach dieser Lehre Tatsachen 108 , und zwar an sich seiende. Sie existierten unabhängig von ihrer Verwirklichung, ja unabhängig von ihrer Erfassung durch ein erkennendes Subjekt 1 0 9 . Sie besitzen m i t h i n ideales Sein i m Sinne der platonischen Ideenlehre. Sie seien von Raum und Zeit unabhängige Wesenheiten 110 . Sie seien logischen oder mathematischen Gesetzen vergleichbar. Sie sollen i n positive und negative zerfallen 111 und i n einer invarianten Relation zueinander stehen. Sie bildeten dadurch eine ideale Rangordnung 112 , ein Wertreich, das die Sphäre des realen Seins überlagere. Dieser „Wertkosmos" sei den Menschen durch Erfahrung zugänglich. Die Werterfahrung geschehe nicht durch rationales Abwägen, sondern durch irrationale 1 1 3 , emotionale 114 und apriori105 Scheler, Formalismus; Hartmann, Ethik. — Die v o m Husserl-Schüler Scheler i n antipsychologistischer K r i t i k begründete Lehre von der O b j e k t i v i tät der Werte w u r d e erst durch Hartmann zu einer „Wertontologie" entwickelt. I n der hier relevanten Frage nach den Werten u n d ihrer Bedeutung für das Recht ist es gerechtfertigt, beide Autoren zusammenzufassen. Knappe Darstellungen dieser Lehre befinden sich bei Fikentscher, Methoden I I I , S. 307 f.; Fechner, S.43ff.; Henkel, S. 322 ff.; Zippelius, Wertungsprobleme, § 19. 106 Bihler, S. 103. 107 Scheler, Formalismus, b r i n g t n u r Umschreibungen; Hartmann, Ethik, S. 139, gesteht, daß der Wertethik der Wertbegriff noch fehle. — Eine formale Definition versucht Lerner, S. 44 ff., 50. — Hessen, S. 23, verzichtet bew u ß t auf eine Definition, da der Wert als ein oberster Begriff sich nicht definieren, sondern höchstens verdeutlichen lasse. 108 Scheler, Formalismus, S. 200; ders., Phänomenologie, S. 403. 109 Scheler, Formalismus, S. 43, 110, 269, 310; ders., Ordo, S. 357, v. Hildebrand, S. 199 ff.; Hartmann, Ethik, S. 141, 148 ff.; Coing, Grundzüge, S. 106; Brinkmann, S. 251 f.; Weinkauff, N J W 1960, 1690 f. 110 Scheler, ebd., S. 44, 69 f.; Hartmann, ebd., S. 121, 150 ff.; Coing, ebd.; Brinkmann, S. 16, 48 ff.; Weinkauff, ebd. Aus der Rechtsprechung: B G H S t 6, 52 ff. 111 Scheler, Brinkmann, ebd. 112 Scheler, ebd., S. 45, 47, 107 f.; Hartmann, ebd., S. 269 ff.: Coing, ebd., S. 109. 113 d. h. an die Gesetze der L o g i k nicht gebundenen u n d intersubjektiv nicht allgemein zu vermittelnden Akten, vgl. Scheler, Formalismus, S. 48 f., 102, 104. 114 d . h . i m Vorziehen u n d Nachsetzen, also letztlich auf Liebe u n d Haß gründenden Akten, vgl. Scheler, Formalismus, S. 48, 85, 88 ff.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

sehe115 Akte. Die Rangordnung der Werte werde i m A k t des Vorziehens bzw. Hintansetzens von einzelnen Werten erlebt 1 1 6 . Dabei erlaube intuitive Evidenz 1 1 7 die richtige Einordnung des Wertes auf einer gedachten Werteskala. Die Rangfolge sei m i t derselben mathematischen Klarheit erkennbar, mit der jede apriorische Erkenntnis möglich sei 118 . Eine rechtliche Umsetzung dieser Lehre muß zur Orientierung rechtlicher Entscheidungen am Wertreich führen 1 1 9 . Möglich ist diese Orientierung, wenn diese Werte die Werte des Rechts sind. Das sind sie nicht notwendig. Jedoch könnte sich die materiale Wertethik m i t dem Naturrechtsgedanken verknüpfen lassen 120 . Ergebnis einer zulässigen Verknüpfung wäre ein „emotionales Naturrecht" 1 2 1 . Eine i n der Nachkriegszeit zu beobachtende Tendenz, i n dieser Weise zu verfahren 122 , wurde gefördert durch den i n dieser Zeit unternommenen Versuch, den durch den Nationalsozialismus vollzogenen Mißbrauch des Gesetzespositivismus zu überwinden, der den Gesetzespositivismus zu einem Positivismus des Führers degradiert hatte 1 2 3 . Freilich lösen Anleihen bei dieser Lehre das Problem der Wertung nicht. Der für die Konfliktlösung geeignete Maßstab muß soweit wie irgendmöglich dem positiven Recht entnommen werden. Diese These begründen vom Recht vorgegebene Überlegungen sowie solche, die ihre Basis i n der materialen Wertethik selbst haben. Die Pflicht zur Konzentration auf dem positiven Recht gemäßie Abwägungen entspricht zunächst einem Befund, der von Lorenz von Stein ausgehend 124 über Max Weber 1 2 5 immer stärker i n das 115 d . h . sich auf die Werte als ideale Bedeutungsträger beziehenden u n d diese durch den Gehalt einer unmittelbaren Anschauung zur Selbstgegebenheit bringenden Akten, vgl. Scheler, Formalismus, S. 72, 89, 108, 110; dens., Ressentiment, S. 51. 116 Scheler, ebd., S. 85 f., 338. 117 Scheler, ebd., S. 98. 118 Hartmann, Ethik, S. 27. 119 Vgl. Bihler, S. 104. 120 So z. B. Hubmann, AcP 1954, 297 ff., 301, u n d Coing , Rechtsphilosophie, 1. Aufl., S. 106 f. 121 Matz, S. 1. 122 z.B. B G H S t 6, 52ff.; dazu Weinkauff, N J W 1960, 1690; Rosenbaum. — I m Gegensatz zum B G H hat das B V e r f G einen solchen Rückgriff stets abgelehnt. Von den Mitgliedern des Gerichts hat z.B. Stein, S.40ff., diese Identifikation zurückgewiesen. Die Annahme einer solchen Identifikation ist gleichwohl i n der L i t e r a t u r stark verbreitet, vgl. z . B . Harnischfeg er, S. 233 f.; Henkel, S. 238 ff.; Matz, S. 15 ff.; Saladin, S. 309 m i t A n m . 58 u n d S. 457 m i t A n m . 111. 123 Fikentscher, Methoden I I I , S. 332. 124 S. 135 f. 125 Rechtssoziologie, S. 274.

I. Das Element des Rechtssystems

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Bewußtsein der Juristen gedrungen ist: Das Recht und seine Anwendung ist i n starkem Maße abhängig von den politischen und sozialen Gegebenheiten der jeweiligen Epoche 128 . Recht ist immer politisch. Rechtsanwendung ist ein politischer A k t . Entscheidend verantwortlich für die Wertsetzung müssen folglich die legitimierten politischen Organe sein. Das ist der Verfassung- bzw. der Gesetzgeber. Deren i n den Normen niedergelegte Werte hat der Richter zu realisieren. Ein gegenteiliges Handeln würde diese politischen Gegebenheiten auf den Kopf stellen. Etwas anderes kann möglicherweise gelten i m Fall der Rechtslücke, da konkrete, i n Einzelgesetzen vorhandene Werte fehlen. Der Richter ist auf andere Maßstäbe angewiesen. Freie richterliche Wertsetzung ist aber auch i n dieser Situation nicht erlaubt: Die Rechtsfortbildung 1 2 7 ist ein Ausschnitt oder Teil der Rechtsanwendung. Wenn die Rechtsanwendung politisch ist und das Gewaltenteilungsprinzip den Rechtsanwender an die vorgegebenen politischen Entscheidungen bindet, dann hat der Rechtsanwender der vorgegebenen Gesamtentscheidung zu folgen 128 . Wenn der Richter sich an diese Bindung hält, läßt sich grundsätzlich feststellen, daß jeder Rechtsfortbildung offen oder verdeckt eine Aussage über Ursprung und Ziele der Gesamtrechtsordnung zugrunde liegt 1 2 9 . Die von den politisch verantwortlichen Instanzen erzeugte Gesamtrechtsordnung ist folglich für jede Rechtsanwendung der entscheidende Maßstab. Primär hat der Gesetzesanwender diesen Maßstab dem Einzelgesetz zu entnehmen. Scheitert dies, hat er den Maßstab i n der gesamten Rechtsordnung zu finden. Deren grundsätzliche Maßstäbe legt die Verfassung fest. Die heutige Methodenlehre erkennt und anerkennt die politische Bedingtheit des Rechts. Sie läßt sich deshalb als Theorie „konkreter Wertverwirklichung" 1 3 0 , als Theorie „der formalen Verwirklichung ihr vorgegebener materialer Wertentscheidungen des verfassungsmäßig legitimierten Gesetzgebers" 131 begreifen. Die aufgestellte These findet eine Bestätigung ferner i n A r t . 20 Abs. 3 GG. Diese Norm bindet den Richter an Gesetz und Recht. Die Formel 128

Rüthers, Auslegung, S. 431 ff. Der Richter ist also mehr als ein schlichter Subsumtionsapparat oder ein Sprachrohr des Gesetzgebers, er kann seine Aufgabe nicht ausschließlich m i t denkendem Gehorsam i h m gegenüber erfüllen. — Diese Erkenntnis darf freilich nicht dazu führen, das Richteramt zu politisieren u n d i h m die F u n k tion zuzusprechen, „Beiträge zur Veränderung des status quo" zu leisten, w i e es zu Beginn der 70er Jahre gefordert wurde. Vgl. dazu die Ablehnung bei Papier, Stellung, S. 7 ff.; Dütz, ZZP 1974, 382 ff.; Böckenförde, Verfassungsfragen, S. 87 ff. 128 Rüthers, Auslegung, S. 438. 129 Ebd., S. 438; Raiser , Grundgesetz. 130 Sauer, Elementarlehre, S. 18. 131 Rüthers, Auslegung, S. 433 m i t weit. Nachw. 127

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

»Gesetz u n d Recht 4 i s t z w a r i m m e r noch streitbefangen. D a s v e r w u n d e r t n i c h t i n f o l g e i h r e r i n d i e Rechtsphilosophie reichenden D i m e n s i o n . Sie besagt h i n g e g e n n i c h t , eine V e r w i s c h u n g d e r G r e n z e n z w i s c h e n Rechtsphilosophie u n d R e c h t s d o g m a t i k sei m ö g l i c h . Recht i m S i n n e dieser V o r s c h r i f t b e i n h a l t e t eine V e r w e i s u n g a u f d i e V e r f a s s u n g 1 3 2 . N i c h t h i n g e g e n schreibt diese V o r s c h r i f t eine B i n d u n g des R i c h t e r s a n i d e a l i t e r gedachtes Recht, a n außerrechtliche M a ß s t ä b e v o r 1 3 3 . U n d schließlich w i r d d i e geäußerte A u f f a s s u n g b e s t ä t i g t d u r c h i n d e r d a r g e s t e l l t e n L e h r e v o r h a n d e n e Schwächen. I h r e A n n a h m e , das ü b e r p o s i t i v e Recht besitze R e a l i t ä t , i s t genauso eine u n b e w i e s e n e Tatsache w i e d i e B e h a u p t u n g , b e s t i m m t e W e r t e des W e r t r e i c h s seien I n h a l t d e r p o s i t i v e n R e c h t s o r d n u n g . N a h e l i e g e n d e s G e g e n a r g u m e n t ist d i e T a t sache, daß i m L a u f e d e r Geschichte i m m e r wechselnde W e r t o r d n u n g e n e i n a n d e r abgelöst haben. F e r n e r w i d e r l e g t d i e i n h a l t l i c h e V e r s c h i e d e n h e i t d e r v o n V e r t r e t e r n dieser L e h r e a u f g e s t e l l t e n W e r t t a f e l n d i e B e h a u p t u n g , d i e R a n g o r d n u n g d e r W e r t e sei e v i d e n t 1 3 4 . F o l g e r i c h t i g ist deshalb festgestellt w o r d e n , daß „ d a s P r i n z i p d e r m a t e r i a l e n W e r t e t h i k k e i n e aus sich selbst h e r a u s e v i d e n t e E i n s i c h t (sei), s o n d e r n die j e w e i l i g e 132 Starck, W D S t R L 1976, 49; ders., Gesetzesbegriff, S. 37. Nachweise differierender Versuche zur Interpretation der Klausel bei Maihof er, i n : Annales, S. 6—17; Stern, Staatsrecht I, § 20 I V 3 b ; H.-P. Schneider, D Ö V 1975, 443. 133 U n d erst recht nicht das Naturrecht. W i r d der Begriff »Recht4 i n der Bindungsklausel naturrechtlich besetzt, so f ü h r t das zu ihrer Auflösung u n d zur Mißachtung der i m Grundgesetz zum Ausdruck kommenden klaren v e r fahrensrechtlichen Vorschriften über die Normenkontrolle, s. dazu Merten, DVB1. 1975, 678. — s. auch Roellecke, W D S t R L 1976, 37: Recht i m Sinne des A r t . 20 Abs. 3 G G k a n n nicht sein, was dem Gesetz überlegen wäre, sondern n u r die Grenze, welche die V e r n u n f t der Gerechtigkeit zieht. Siehe auch Carl Schmitt, Die Tyrannei der Werte, S. 51—62. S. 62: Der Wert bedarf der Vermittlung. „ I n einem Gemeinwesen, dessen Verfassung einen Gesetzgeber u n d Gesetze vorsieht, ist es Sache des Gesetzgebers u n d der von i h m gegebenen Gesetze, die V e r m i t t l u n g durch berechenbare u n d vollziehbare Regeln zu bestimmen u n d den Terror des unmittelbaren u n d automatischen W e r t vollzugs zu verhindern. Das ist eine schwierige Aufgabe, angesichts derer man es w o h l verstehen kann, daß die großen Gesetzgeber der Weltgeschichte von L y k u r g u n d Solon bis Napoleon mythische Figuren geworden sind. I n den industriell hochentwickelten Staaten der Gegenwart m i t ihrer organisierten Massen-Daseinsvorsorge w i r d die V e r m i t t l u n g zu einem neuen Problem. Versagt hier der Gesetzgeber, so gibt es f ü r i h n keinen Ersatz, sondern höchstens Lückenbüßer, die mehr oder weniger schnell das Opfer ihrer u n dankbaren Rolle werden. E i n Jurist, der sich darauf einläßt, unmittelbarer Wertvollzieher zu w e r den, sollte wissen, was er tut. Er sollte die H e r k u n f t u n d S t r u k t u r der Werte bedenken u n d dürfte das Problem der Tyrannei der Werte u n d des u n v e r mittelten Wertvollzuges nicht leichtnehmen. Er müßte m i t der neuzeitlichen Wert-Philosophie ins klare kommen, ehe er sich entschließt, Werter, U m werter, A u f w e r t e r oder A b w e r t e r zu werden u n d als werttragendes u n d wertfühlendes Subjekt die Setzungen einer subjektiven oder auch objektiven Wertstufenordnung i n der F o r m von Richtersprüchen m i t Rechtskraft zu v e r künden 4 4 . 134 Weischedel, Ethik, S. 26.

I. Das Element des Rechtssystems

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Werterkenntnis des Philosophen, die sich, ohne dies begründen zu können, als absolut ausgibt" 1 3 5 . Die materiale Wertethik i n der Variante „emotionales Naturrecht" ist deshalb für die Frage der Werte i m Recht ohne Bedeutung. Für diese Frage könnte als zweite Position das Naturrecht Relevanz besitzen. Die Verfechter der Naturrechtsidee haben bestimmte Wertordnungen aufgestellt, für deren Verwirklichung durch das Recht sie streiten. Von den verschiedenen Verwirklichungsmöglichkeiten ist hier nur von Interesse eine Interpretation der Normen i m Sinne dieser Ideen. Bedeutsam sind hier die Naturrechtssysteme, die heute zur Interessenkonfliktlösung herangezogen werden könnten. Aus der Diskussion haben deshalb auf jeden Fall die rationalistischen Naturrechtssysteme des 18. Jahrhunderts auszuscheiden. Diese wurden darüber hinaus bereits durch die Historische Rechtsschule und insbesondere durch den Rechtspositivismus verdrängt. Sie hatten ferner keine praktische Bedeutung, w e i l ihnen seitens der aufkommenden Soziologie die Wissenschaftlichkeit abgesprochen war 1 3 8 . A u f diese Lehren heute zurückzugreifen, ist ausgeschlossen. E i n möglicher Rückgriff bietet sich deshalb ausschließlich für Naturrechtslehren und ihre Werte an, die nach 1945 entwickelt wurden. Diese Zeit erlebte eine Naturrechtsrenaissance. Die Neubesinnung auf die dem Recht zugrunde liegenden Werte wurde nicht nur von Radbruch 137 getragen, der sich von einem Positivisten zu einem 135 Ebd., S. 26. Weitere Argumente gegen die absolute Wertlehre z.B. bei Bihler, S. 105—108, u n d Podlech, AöR 1970, 204. Podlechs wissenschaftstheoretischer E i n w a n d sei hier kurz wiedergegeben: Werte w ü r d e n gefühlt, die Rangordnung würde ebenfalls durch wertfühlende A k t e erkannt. M i n i m a l bedingung für die Aufnahme einer These i n einen wissenschaftlichen Begründungszusammenhang sei die Reproduzierbarkeit der i n der These behaupteten Tatsachen. Unter objektiven Bedingungen seien die Werte der Wertphilosophie nicht reproduzierbar. Sie könnten deshalb nicht i n wissenschaftliche Begründungszusammenhänge eingeführt werden. Stehe dieses F a k t u m fest, sei diejenige Wertdefinition, deren Konsequenz ihre wissenschaftliche Bedeutungslosigkeit sei, f ü r eine wissenschaftliche Untersuchung nicht tauglich. Vorgetragen w i r d ferner, daß sich der Begriff ,Wert' nicht rein deskriptiv erfassen lasse. I m Bereich des Sollens i m weitesten Sinne, also i n dem der Gebote, Verbote oder Erlaubnisse, könne nicht i n einer rein deskriptiven Sprache gesprochen werden, ,Sollen' könne nicht i n einer rein deskriptiven Sprache definiert werden. Das ist die sog. Irreduzibilitätsthese. Sie w i r d z. B. vertreten von Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 5 ff.; Popper, Gesellschaft, Bd. 1, S. 96 ff., 315 f.; Suhr, Der Staat 1967, 197 ff. Was f ü r den Bereich des Sollens gilt, g i l t auch f ü r den des Wertens, vgl. Podlech, ebd., 195; ebenso Larenz, Methodenlehre, S. 175 m i t A n m . 22, der Podlech zustimmt. Bei Larenz auch weitere Nachw. der Irreduzibilitätsthese. — Die entgegengesetzte These heißt Deskriptionsthese, sie w i r d vertreten z. B. von Schreiber, Logik, S. 77. 136 s. dazu Larenz, Sittlichkeit, S. 333 f. 137 F ü n f M i n u t e n Rechtsphilosophie; SJZ 1946, 105. Vgl. dazu Erik Wolf, S. 750 ff., der einen Bruch i n der Rechtsphilosophie Radbruchs verneint, i n dem er versucht, überpositive Ansätze schon beim frühen Radbruch festzustellen.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Sucher nach überpositiven, bleibenden Werten wandelte, sondern auch von aus der Emigration zurückgekehrten Professoren wie Erich Kaufmann 1 3 8 und Schüle 139 , von Katholiken wie Josef Funk 1 4 0 . Deren Äußerungen und Forderungen: Primat des Naturrechts, entfachten eine neue Naturrechtsdiskussion. A u f dem Hintergrund des Naturrechts entwickelte sich ferner eine Lehre von einer Ontologie des Rechts, die bestimmte philosophische Inhalte hervorbrachte 141 . — Aber diese Lehren lösen ebenfalls das i n der Diskussion befindliche Problem nicht. Zum einen haben diese Lehren auszuscheiden, weil der Einfluß des Naturrechts auf die praktische Rechtsanwendung sich ständig verminderte und jetzt wohl verebbt ist 1 4 2 . Ein Rückgriff auf sie würde also die faktische Entwicklung negieren. Zum anderen sind ihnen die gleichen Gegenargumente wie der materialen Wertethik entgegenzuhalten. Ferner ist der Inhalt des Naturrechts nicht i n der für die Rechtsanwendung nötigen eindeutigen Weise bestimmt 1 4 3 : Ein Rückgriff auf naturrechtliche Vorstellungen verbietet sich „schon durch die Vielfalt der Naturrechtslehren, die zutage t r i t t , sobald der Bereich fundamentaler Rechtsgrundsätze verlassen wird, und die sich vor allem bei der Erörterung der innerhalb der naturrechtlichen Diskussion selbst sehr bestrittenen Fragen des Verhältnisses ,Naturrecht und Geschichtlichkeit 4 , ,Naturrecht und positives Recht4 zeigt 44144 . Die Suche nach der Idee des Rechts, des richtigen, wahren Rechts 145 , des Rechts wie es sein sollte unter den Anforderungen der Gerechtigkeit 1 4 8 , Gegenstand vieler Rechtsphilosophien, ist einerseits ein wichtiges Unterfangen. Andererseits dürfen aber die gefundenen Inhalte nicht Maßstab werden zwecks Lösung konkreter Interessenkonflikte. Aufgabe der Rechtsphilosophie kann nur das Entwerfen oder Postulieren von Werten für zukünftige Rechtsordnungen sein. Nicht aber darf 188

K r i t i k ; Grundtatsachen. Z u i h m Fikentscher, Methoden I I I , S. 308 f. F G Smend, 321 ff. 140 Der P r i m a t des Naturrechts. 141 Näheres bei Fikentscher, I I I , S. 334. 142 Luhmann, Rechtstheorie 1979, 169. Zusammenfassung der W i r k u n g des Naturrechts nach 1945: Maihof er, Naturrecht; Gebhard Müller, Naturrecht. 143 „Eine a p r i o r i feststehende Ordnung m i t bestimmten rechtlichen N o r m inhalten ist f ü r eine raumzeitlich lebende menschliche Gesellschaft rational nicht erkenn- u n d feststellbar", so Stein, S. 41. 144 E 10, 81. Vgl. ferner Stein, ebd. — F ü r einen zentralen Bereich behaupteter naturrechtlicher Universalien, für das menschliche Miteinanderleben, hat F.-X. K a u f m a n n festgestellt, daß als inhaltlich identische, nahezu u n i v e r sale N o r m einzig das Inszesttabu i n der Kernfamilie nachgewiesen werden könne, s. Kaufmann i n : Böckle (Hg.), S. 15—60; ders., i n : Böckle / Böckenförde (Hg.), S. 126 ff./130 m i t A n m . 11. 145 Stein, ebd. 146 Larenz, Methodenlehre, S. 174. 189

I. Das Element des Rechtssystems

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m i t Hilfe einer konkreten Philosophie geltendes Recht interpretiert oder gefunden werden anhand des Maßstabs »wahres Recht'. Und ferner ist festzuhalten: Geltendes Recht und »ideales4 Recht haben sich immer unterschieden. Geltendes Recht setzt der pouvoir constituant bzw. die von i h m abgeleitete Staatsgewalt Gesetzgeber. Seine Einsicht kann nicht unerheblich abweichen 147 von der idealen Sicht. »Richtiges Recht 4 und positive Rechtsordnung können deshalb auseinanderklaffen oder sogar einander widersprechen. Gesetz und »richtiges Recht 4 sind nicht notwendig identisch 14 *» 149 . Die Vorstellungen von Wert, die die materiale Wertethik und die Vertreter der Naturrechtslehren hegen, sind für die Frage der Werte i m Recht deshalb ohne Belang. Jüngere i m Recht verwandte Positionen: I n der jüngeren juristischen Literatur w i r d teilweise ,Wertung 4 1 5 0 m i t dem A k t des Wertens gleichgesetzt 151 , also vom Wert, auf den sich dieser A k t entweder beziehen kann oder von dem er ausgeht, geschieden. Teilweise w i r d der Begriff ,Wertung 4 auch i n dem Sinne verstanden, daß er ,Akt 4 und ,Inhalt 4 als Ganzes meint, bei dem A k t und Inhalt als zwei Seiten jenes Ganzen unterschieden werden können 1 5 2 . ,Wert 4 bleibt freilich Undefiniert. — Teilweise w i r d Wert m i t Interesse oder Rechtsgut 153 identifiziert, ohne ,Wert 4 als Begriff zu reflektieren. — Teilweise n i m m t die juristische Literatur zur Bestimmung des Begriffs auf außer juristische Literatur Bezug. So ist die Lehre Krafts 1 5 4 adaptiert worden 1 5 5 . Dieser unterscheidet zwischen dem Gegenstand, dem ein Wert zugesprochen werde, dem 147 148

Stein, ebd., S. 49.

Dieses Ergebnis schließt freilich nicht die Verpflichtung des Juristen aus, den Bereich philosophischen Denkens i n den Blick zu nehmen u n d i h n als Hintergrund seiner Überlegungen fest i m Auge zu behalten. Der gewissenhafte Rechtstheoretiker muß aber akzeptieren, daß es eine Grenze zwischen Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik gibt, diese Grenze teilt die A n wendungsbereiche beider Materien. Rechtsphilosophische Bemühungen ersetzen nicht die dogmatische Lösung eines Rechtsproblems, s. z.B. Engisch, Einführung, S. 197. 149 Darüber, was das Naturrecht heute leisten kann, handelt der Aufsatz von Otte , Naturrecht. Er stellt fest, daß das Naturrecht als Recht nicht gebraucht werde (S. 16), daß es aber dabei helfen könne, rechtliche Positivierungen von Werten als solche zu begreifen und zu verteidigen (S. 17). 150 J ) e r Begriff ist schillernd, bemerkt Larenz, Methodenlehre (1. Aufl.), S. 124 f. 151

So Larenz, ebd. Engisch, Einführung, S. 260. 153 H. Schneider, S. 126, 154; Schlink, Abwägung, S. 56. Zur K r i t i k an der häufig verwandten Formel „Grundrechte sind Werte" F. Müller, Methodik, S. 40 f. 154 Wertlehre. 155 Krawietz, Recht, S. 87 ff., Bihler, S. 119. 152

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

sog. „Wertträger", und dem Wertprädikat, welches als „Wertbegriff" den Wert ausdrücke 158 . Diese Wertbegriffe, die die A r t e n des Wertvollseins ausdrückten, setzten sich aus zwei Komponenten zusammen: ein sachlich-neutraler Teil beziehe sich auf den jeweiligen Wertträger, und ein auszeichnender Teil drücke durch Bewertung i m Sinne von Lob und Tadel den eigentlichen Wertcharakter aus (S. 18). M i t Blick auf die Wertprädikate w i r d ferner i n der Weise differenziert, daß solche, die einen Gegenstand für ein bestimmtes Subjekt als wertvoll auszeichnen, getrennt werden von solchen, die durch ihre sprachliche Fassung vom Subjekt abgelöst und deshalb als Prädikat frei verfügbar sind. K r a f t definiert nun den Wert durch den „Wertbegriff" : einen Wert beinhalte, was als „Wertbegriff" von einem Gegenstand ausgesagt werden könne. Dabei kommt für i h n als Gegenstand nicht nur ein existentes Ding, sondern auch eine allgemeine Beschaffenheit, eine Beziehung oder eine Situation i n Betracht (S. 18 ff.). — Eine ganz andere Basis bildet den Ausgangspunkt für Podlech: Werte sind für ihn Vorzugsregeln 157 . Z w i schen zwei Größen a und b bestehe eine Vorzugsrelation. Diese sei sprachlich auszudrücken m i t den Worten: „a ist besser als b". Diese Relation erlaube die Definition des Wertes. Als wertvoll sei etwas dann zu bezeichnen, wenn es seinem Gegenteil vorgezogen werde, als Wert sei eine Vorzugsrelation dann zu charakterisieren, wenn sie von etwas die Aussage gestatte, es sei wertvoll. — Völlig anders verfährt Fikentscher 158 : Seine Grundannahme ist der Gedanke, das Bewußtsein von einem Sich-anders-verhalten-können und damit die Entscheidung für ein bestimmtes Verhalten definiere den Menschen. Die Begriffe Wert und Wertung bestimmt er deshalb antropologisch. Wertung ist für ihn die bewußte Auswahl zwischen Verhaltensmöglichkeiten, die dadurch geschaffen würden, daß der Mensch der Natur eine „andere Wirklichkeit" entgegensetze: Normen des Sollens. Aus der Geburt der Moral und damit der Aufrichtung einer nicht-natürlichen Sollensordnung folge auch der Begriff des Wertes. Der Wert sei der jeweilige Inhalt der wertenden Entscheidung. Da er nur der „ethologischen Dezision" für die Norm oder Moral, nicht aber der Entscheidung für „Natur" Wert zuspricht, gelangt er zur Auffassung, daß es die Werte seien, die der Norm ihren Sollenscharakter verliehen. I m Bereich des Rechts seien dies die Zwecke: Wert sei — vom Ausgangspunkt des Vorziehens aus betrachtet — eine Zweckpräferenz, Wert sei ein gewerteter Zweck 159 . 156

Wertlehre, S. 12 ff. Seitenzahlen i m Text beziehen sich auf diese Schrift. AöR 1970, 195 f. Er bezieht sich u. a. auf v. Wright , The Logic of Preference, S. 40. 158 I, S. 73, 77. 159 I V , S. 391. Als Beispiele f ü h r t er i n A n m . 25 an: H i n t e r dem N o r m zweck gemeindlich geregelter M ü l l a b f u h r steht der Wert allgemeine Hygiene; hinter dem Normzweck der Immissionsverbote stehen die Werte des Schutzes 157

I. Das Element des Rechtssystems

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b) Der gemäßigte Wertrelativismus als Ausgangspunkt: M i t der Ablehnung der Relevanz absoluter oder objektiver Werte für die Rechtserkenntnis ist der Weg frei für eine Subjekt abhängige Werterkenntnis und eine Aussage über ihre Bedeutung für die Rechtserkenntnis. Die subjektabhängige Werterkenntnis, genannt Wertrelativismus 180 , ist i n zwei Positionen zu spalten. Die erste Position: der Wertsubjektivismus, ist gekennzeichnet durch die Auffassung, daß erst die Stellungnahme eines Subjekts zu einem Gegenstand oder zu einer bestimmten Lebenssituation die Qualität Wert konstituiert: die Wertung bestimmt den Wert 1 8 1 . Werte existieren folglich nicht als reales Sein. W i r d eine Objektivierung der Werte über die massenhafte Übereinstimmung für unmöglich gehalten und w i r d aus der Geltung von Werten nicht auf ihre Existenz geschlossen, so ist die zweite Position erreicht: eine radikalsubjektivistische, genannt Wertnihilismus 1 8 2 . Diese Lehre hält inhaltliche Aussagen über Werte für unmöglich. I h r ist zu widersprechen: W i r d die Aussage über die Nichtexistenz von Werten ihrerseits absolut gesetzt, w i r d die Annahme, daß Werte existieren, m i t h i n als „falsch" bezeichnet 183 , so ist die Relativität aller Meinungen i n diesem Punkte aufgehoben. Damit führt sich der Wertnihilismus ad absurdum. Es bleibt nur die Möglichkeit, auch die Annahme von der absoluten und objektiven Existenz von Werten als sinnvolle Aussage zuzulassen. Somit ist der Agnostizismus bezüglich ethischer Fragen erreicht 184 . Hier ist nun zu trennen zwischen dem Relativismus als einer Theorie sittlichen Handelns und dem Relativismus als möglichem erkenntnistheoretischen Standpunkt. Als Handlungstheorie führt er bei konsequenter Verfolgung zu seiner Selbstauflösung. Die Sinnlosigkeit einer Verständigung über letzte Werte bedingt die Gleichberechtigung eines jeden vertretbaren Standpunktes: Ein K o n f l i k t zwischen einander widersprechenden Werten ist prinzipiell unlösbar. Der Versuch der Durchsetzung solcher Werte führt zur Auflösung jeder Normenordnung. Wertverwirklichung mündet i n eine reine Machtfrage. Der Relativismus rechtfertigt „krudesten Absolutismus" 1 8 5 . Diese Konsequenzen müssen zu einer Ablehnung des konsequenten Relativismus führen. Übergreifende Wertvorstellungen sind zu akzeptieren. Das ist die Position des gemäßigten Relativismus. der Gesundheit u n d des Umweltschutzes; hinter dem Normzweck schriebener Brandmauern steht der Wert des Lebens der Nachbarn. 160 Bihler, S. 110. 181 Kraft, S. 12 ff., 72; Reininger, Wertphilosophie, S. 46. 162 Geiger, S. 300 f. 183 Geiger, S. 325 ff. 184 Bihler, S. 112. 165 Ryffel, Grundprobleme, S. 275.

vorge-

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

c) Die Wertung als Basis der Explikation: Der Wertrelativismus bestimmt den Begriff Wert ausgehend vom Begriff »Wertung' 16®. Die Akzeptanz dieses Standpunktes bedingt die Bestimmung dessen, was unter einer ,Wertung' zu verstehen ist. Allgemein formulierte Max Weber, Wertungen seien Entscheidungen über Mengen von Alternativen 1 ® 7 , also das Vorziehen und Hintansetzen bestimmter Dinge. Auch Scheler1®8 sprach vom Vorziehen. Fikentscher 1®9 spricht von der bewußten Auswahl zwischen Verhaltensmöglichkeiten. Podlech 170 betont ebenfalls das Vorziehen. I n gleicher Weise äußert sich Pawlowski 1 7 1 . Diese Übereinstimmung erlaubt die Annahme, daß ,Wertung' das ,Vorziehen' eines bestimmten Etwas gegenüber einem anderen bedeutet. d) Die Explikation des Begriffs Wert: Prinzipiell bestehen zwei Möglichkeiten für die Festlegung des i n Frage stehenden Begriffs. Vom A k t der Wertung ausgehend kann das Ergebnis der Wertung als Wert bezeichnet werden. Wert meint i n dieser Bezeichnung die Dinge selbst, die an einem Maßstab gemessen und für gut oder schlecht befunden werden. Der Wert ist dann ein Gut. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dasjenige, an dem sich der A k t der Wertung orientiert, als Wert zu charakterisieren. Wert bedeutet dann ein Maßstab. Beide Positionen sind i n den oben vorgestellten Definitionen anzutreffen. Freilich braucht auf die Definition Podlechs nicht weiter eingegangen zu werden, w e i l er sie später fallengelassen hat 1 7 2 . Nicht menr vertretene Positionen können nur dann weiterverfolgt werden, wenn sie zu Unrecht fallengelassen worden sind. Das ist für die angesprochene Position nicht feststellbar. Fikentscher 173 stellt auf den ,Inhalt' der wertenden Entscheidung ab; diese Vorstellung läßt sich nicht ohne weiteres einordnen. Da er als Rechtswert den Zweck der Norm ansieht und Normen für menschliches Verhalten Maßstabscharakter haben, spricht 180

Nachw. A n m . 161. „ O b j e k t i v i t ä t " , S. 150, 157. lee Formalismus, S. 45, 48. 189 I, S. 77. 170 AöR 1970, 195. 171 JuS 1976, 355. 172 I n seiner Abhandlung: Wertentscheidung u n d Konsens, i n : Jacobs (Hg.), Rechtsgeltung u n d Konsens, S. 13. Zweck jener Definition sei es gewesen, so Podlech, den Satz der Grundrechtsdogmatik „Grundrechte sind Werte" als w a h r erweisen zu können. Da i m Bereich der Rechtswissenschaft die Gefahr noch immer sehr groß sei, begriffsrealistisch von einem Satz: „Grundrechte sind Werte", überzugehen zu einem Satz: „Werte gibt es", lasse er die Begriffsbildung fallen. 173 I, S. 77. 187

I. Das Element des Rechtssystems

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einiges dafür, daß er Wert als Maßstab versteht. K r a f t 1 7 4 identifiziert Wert mit Gut, denn „Werte sind allgemeine Beschaffenheiten oder Beziehungen, die als wertvoll gelten" 1 7 5 , z.B. die Gesundheit (generelle Beschaffenheit) oder die Treue (generelle Beziehung). Wert ist kein spezifisch juristischer Begriff. Dieses Faktum haben die bislang gezeigten Beispiele belegt. Die Beantwortung der Frage: ob Wert als Gut oder Wert als Maßstab zu verstehen ist, darf sich somit orientieren an Versuchen, die sich m i t dem Begriff Wert als solchem beschäftigt haben. Ein solcher Versuch liegt vor. Untersucht werden ca. 200 Definitionen 1 7 6 , die i n der soziologischen Literatur der Gegenwart Verwendung finden. Wert als Gut oder Wert als Maßstab. Die Entscheidung: Diese zwei Verständnisse finden sich i n den analysierten Definitionen wieder. Mehrere Gründe sind anzuführen, die die Reservierung der Bezeichnung Wert als Maßstab nahelegen: Wenn die Güter bereits als Werte anzusehen sind, muß für ihre negativen Gegenstücke, die schlechten Dinge, eine eigene Bezeichnung eingeführt werden: ζ. B. der Begriff Unwert. Dagegen spricht das für eine Fachsprache relevante K r i t e r i u m der Einfachheit. Ferner tendiert die Bedeutung von Wert als Gut dahin, so viele Werte anzunehmen, wie es verschiedene Güter gibt. Wenn das vermieden werden soll, muß klassifiziert werden. Dazu bedarf es Kriterien, so daß letztlich doch wieder zu Maßstäben als Ausgangspunkt zurückgekehrt wird. Weiter ermöglicht die Frage nach dem Grund des Werturteils, m i t dem ein Gut als Wert charakterisiert wird, eine A n t w o r t i n Begriffen von Wert. Es ist sprachlich überzeugend, die Frage nach dem Grund einer konkreten Wertrealisation m i t einem Hinweis auf die dahinterstehenden Wertvorstellungen zu beantworten. Schließlich bietet die Bedeutung von Wert als Maßstab die Möglichkeit der Quantifizierung 1 7 7 . Den vorgetragenen Argumenten kann die Überlegung entgegengehalten werden, daß es sinnvoll sein könne, sowohl die Güter als auch die Maßstäbe gleichzeitig m i t Wert zu bezeichnen. Denn es könnten ontologische Aussagen über die Seinsweise von Maßstäben überflüssig werden. Ob das der Fall ist, mag unentschieden bleiben, denn für die Güter ist die Bezeichnung Wert, wie die Argumente erbracht haben, selbst fernliegend. Diesen Argumenten stehen aber, soweit ersichtlich, keine Gegenargumente entgegen, die die vorgetragenen entkräften können. Deshalb darf von ,Wert als Maßstab' ausgegangen werden. Dieses 174 175 176 177

Wertlehre, S. 15 ff. Ebd., S. 18. Lautmann, Wert u n d Norm, S. 7. Ebd., S. 26 ff.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Ergebnis w i r d noch durch die Feststellung bekräftigt, daß sich i n der Soziologie ein Konsens dahingehend abzeichnet, Wert i m Sinne von Maßstab zu verstehen 178 . Dieser Konsens i m Sprachgebrauch sollte auch für den Sprachgebrauch juristischer Literatur Bedeutung besitzen. Die drei Elemente der Wertexplikation: Die i m folgenden darzustellende Analyse erbringt als erstes hier relevantes Ergebnis, daß frühere Wertdefinitionen, ζ. B. die von Hobbes, Locke und Kant, nicht mehr verwendbar sind. Hobbes 179 brachte einen ökonomischen Wertbegriff i n Zusammenhang m i t staatstheoretischen (-rechtlichen) Lehren. Locke 180 betrachtete den Wert als Inbegriff von Arbeit, K a n t 1 8 1 löste den Begriff zwar von seinen ökonomischen Bezügen, identifizierte ihn aber mit Würde. Kennzeichnend für diese Begriffe ist ihre Eingliedrigkeit. Demgegenüber sind die neueren Versuche charakterisiert durch drei Elemente: durch das Formelement, das Sachverhaltselement, das normative Element. Das Formelement: Es beinhaltet eine Aussage über die A r t , die Struktur, das Sein der Werte 1 8 2 , z.B.: „Werte sind die Kriterien, nach denen Ziele ausgewählt werden", „Gesichtspunkte der Vorziehenswürdigkeit von Handlungen" 1 8 3 . I n diesen Definitionen w i r d das Kriterium, der Gesichtspunkt als Formelement bezeichnet. Diese Definitionen zeigen, daß Wert ein Maßstab ist. Anstelle der Worte: Maßstab / K r i t e r i u m sind ferner Worte wie Standard, Vorstellung, Auffassung, Eigenschaft zu finden. Von diesen Worten sind nur ,Maßstab', ,Kriterium' sowie »Standard' geeignet, i n das Wertexplikat aufgenommen zu werden. Worten wie Vorstellung oder Auffassung ist ein psychologisierender Bezug eigen, weil sie innere Zustände des Menschen bezeichnen. Die Präzisierung des Wertbegriffs darf sich insoweit neutral verhalten: Sie braucht auf innere Vorgänge i m Menschen keine Rücksicht zu nehmen. Ebenfalls muß das Wort ,Eigenschaft' ausscheiden. Es ist abgegriffen. Ferner liegt die Identifikation von Eigenschaft und Gut nahe. Der Maßstabcharakter w i r d schließlich nicht recht verdeutlicht 1 8 4 . — Das Sachverhaltselement: Dieses bezeichnet dasjenige, auf das der Maßstab, das K r i t e r i u m Bezug nimmt 1 8 5 . Ein Beispiel für diesen Sachverhalt i n einer

178

Ebd., S. 28. Leviathan, Part. I, Chap. 10, S. 66 ff. 180 Works, Vol. V, S. 1 ff., 36. 181 Methaphysik, i n : Werke i n sechs Bänden, ed. Weischedel, Bd. I V , S. 68. 182 Lautmann, S. 29. 183 Williams, Gesellschaft, S. 371; Luhmann, Rechtssoziologie, S. 88. H e r v o r hebungen v o m Verfasser. 184 Z u m Vorstehenden Lautmann, S. 30 ff. 185 Ebd., S. 32. 179

I. Das Element des Rechtssystems

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Definition: „Werte geben einen Führer zum Handeln" 186. Etwa 50 Worte hat die angesprochene Untersuchung zur Charakterisierung der Sachverhalte vorgefunden und i n sieben Klassen eingeteilt. Diese sind gekennzeichnet durch Handeln / Verhalten, Situation, Objekt, Leben / Personen, Z i e l / M i t t e l , Auswahl, Ordnen / Organisieren. Es zeigt sich, daß jedes ,Etwas' schlechthin zum Wertobjekt werden kann. Eine Wertexplikation, die nicht von vornherein ein bestimmtes Etwas ausschalten w i l l , muß deshalb zu einem Wort greifen, das gerade die Tatsache ausdrückt, daß alles Objekt einer Wertung werden kann. Solche Worte sind von den angeführten ausschließlich Objekt und Gegenstand 187 . — Das normative Element: Eine Wertexplikation w i r d erst durch ein normatives Element zu einem Satz, der Normatives zu erfassen vermag 1 8 8 . Ein Beispiel für das normative Element i n einer Wertdefinition: „Werte definieren, was gut ist" 1 8 9 . 18 verschiedene Kategorien sind i n Wertdefinitionen vorgefunden worden: gut, richtig, zustimmen, wünschen, Präferenz, wünschenswert, sollen, normativ, Ideale, Würdigkeit, Moral, Pflicht, Imperativ, lenken, einschätzen, Gewicht, Gefühl und nützlich. Von diesen Worten haben nach dem Kriterium, daß nur eindeutige Worte i n das Explikat aufzunehmen sind, auszuscheiden solche, die neben ihrer normativen Bedeutung noch eine Nebenbedeutung, ζ. B. eine deskriptive, besitzen. Deshalb fallen zunächst Worte wie zustimmen, wünschen, Präferenz, Gefühle, nützlich aus, weil ihre deskriptive Nebenbedeutung ihre normative (freilich nicht völlig) verdeckt. Diese Feststellung gilt ebenfalls für wünschenswert, richtig, Ideal und Gewicht. Würdigkeit ist vieldeutig. Moral, Pflicht, Imperativ und einschätzen sowie lenken sind zu eng, darüber hinaus auch noch mehrdeutig. Es bleiben deshalb als eindeutige Worte übrig, die das normative Element kennzeichnen: gut, sollen und normativ 1 9 0 . Die Zusammenstellung der Elemente: Die Zusammenstellung ergibt die Wertexplikation unter Zuhilfenahme grammatikalisch oder syntaktisch erforderlicher Füllworte. Adäquate Wertbegriffe sind deshalb z. B. 1 9 1 : — Wert ist ein Maßstab der guten Gegenstände; — Wert ist ein K r i t e r i u m zur Auswahl der Objekte, die w i r anstreben sollen; 188 187 188 189 190 191

Goode, S. 249. Hervorhebung v o m Verfasser. Z u m Vorstehenden Lautmann, S. 32 ff., 100 ff. Ebd., S. 35. Williams, S. 371, Hervorhebung v o m Verfasser. Z u m Vorstehenden Lautmann, S. 35—41, 102 ff. Ebd., S. 105.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

— Wert ist ein normativer Standard zur Beurteilung von Objekten; — Wert ist ein K r i t e r i u m für normativ gebilligte Gegenstände. e) Konsequenzen: Der Begriff Wert ist i n den Wissenschaften ein allgemein verwandter Begriff. Es gibt ferner keine juristischen Bemühungen um einen spezifisch juristischen Wertbegriff. Deshalb dürfen die erarbeiteten Wertbegriffe der Untersuchung i m weiteren Verlauf zugrunde gelegt werden. — Auszuscheiden haben deshalb zunächst die Wertdefinitionen, die auf das Ergebnis der Wertung, also das ,Gut', abstellen, wie K r a f t 1 9 2 es tut. Auszuscheiden haben ferner die Definitionen, die Wert m i t Rechtsgut oder Interesse identifizieren. Schließlich hat auszuscheiden die Definition der von Podlech vertretenen Theorie der Präferenzen. Er hat sie zwar selbst aufgegeben, aber aus anderen Gründen 193 . Ähnliche Definitionen, ζ. B.: „Wert ist eine relative Position i n einer Präferenzordnung", „Wert ist eine Präferenz, die als Standard dient, um Wahlen zu treffen" 1 9 4 , sind i n der soziologischen Literatur auf ausdrücklichen Widerstand gestoßen. Jede Definition der genannten A r t lege, so w i r d m i t Recht argumentiert, erkenntnistheoretisch anfechtbare Folgerungen nahe. Es könne nicht ohne weiteres von deskriptiven Präferenzakten auf normative Wertmaßstäbe geschlossen werden. Sein und Sollen seien (immer noch) zu trennen 1 9 5 . — Die Theorie der formalen Wertung bedeutet letztlich Werten ohne Werte, ohne normativen Maßstab. Wert w i r d m i t Präferenz gleichgesetzt 198 . 4. Die Rechtswerte Nach alledem versteht die Untersuchung unter Wert ein »Kriterium zur Auswahl der Objekte, die w i r anstreben sollen'. Dieses Explikat bedarf der Konkretisierung mit Blick auf den Rechtswert. Diese Konkretisierung ermöglicht dann ein Erkennen der konkreten Rechtswerte. Diesem Vorhaben ist zunächst die Einführung zweier weiterer Begriffe förderlich. Erster Begriff ist der des Wertsetzers, zweiter der des Wertadressaten. Unter Wertsetzer sind die Menschen oder ist die Gruppe zu verstehen, von denen oder der der Wert ausgeht, auf deren Willen oder Erwartung seine Geltung beruht, die i h n somit gesetzt haben oder geschaffen hat 1 9 7 . — Das Explikat von Wert enthält ein normatives Element: Werte sollen menschliches Verhalten steuern. Von Interesse ist deshalb ein Begriff, der die Menschen bezeichnet, deren 192 193 194 195 199 197

Wertlehre, S. 18. s. AöR 1970, 196 u n d i n Jacobs (Hg.), S. 13. Kuhn, S. 313. Lautmann, S. 37. Ebd., S. 121, A n m . 179 a. E. Ebd., S. 49.

I. Das Element des Rechtssystems

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Verhaltenssteuerung intendiert ist. Diese seien Wertadressaten genannt 1 9 8 . — I m Bereich des Rechts ist Wertsetzer der Gesetzgeber. Diese Annahme ist sowohl notwendige Folge i n einem demokratisch verfaßten Staat als auch Folge der Ablehnung einer Relevanz der absoluten Wertlehre und der Naturrechtslehren für den Bereich des Rechts. Wertadressaten sind die rechtsunterworfenen Bürger, die Rechtsgenossen. — Aufgabe des Rechts ist die Steuerung menschlichen Verhaltens i n der Gesellschaft. Rechtsnormen enthalten Verhaltensgebote, deren Nichtbefolgung m i t einer von staatlichen Organen zu verhängenden und zu vollziehenden Sanktion bedroht ist. Ob und m i t welchem Inhalt der Gesetzgeber ein Verhaltensgebot erläßt, ist abhängig von seinen Maßstäben, von denen ausgehend er die soziale Situation beurteilt. Erläßt er eine Norm, so ist er folglich von bestimmten Werten ausgegangen. Der Gesetzgeber n i m m t m i t dem Normerlaß eine Sinngebung nach Maßgabe seiner Wertmaßstäbe vor 1 9 9 . Normen sind Positivierungen von Werten, sie dienen ihrem Schutz 200 . Rechtsnormen sind Wertsetzungen. Sie sind sichtbarer Ausdruck der Werte, die die i n den Gesetzgebungsorganen versammelten Repräsentanten der Gesellschaft für akzeptabel halten. Diese Werte sind für die Rechtsunterworfenen verbindlich. Rechtswert läßt sich deshalb wie folgt präzisieren: ,Rechtswert ist ein i n Normen vorhandener verbindlicher Maßstab, den der Gesetzgeber zur Auswahl der Verhaltensweisen setzt, die die Rechtsunterworfenen anstreben sollen 4 . Was sind nun die konkreten Maßstäbe, die der Gesetzgeber durch Normen verbindlich vorschreibt? Menschliches Verhalten ist zweckhaft. A n dieser psychologischen Erkenntnis muß der Gesetzgeber sich orientieren, wenn das Recht seine Steuerungsfunktion erfüllen soll. Das Recht muß folglich anknüpfen an das Element, auf das menschliches Verhalten h i n orientiert ist: an die Zwecke. Es muß bestimmte Zwecke verfolgen und t u t das auch. Die K r i t e r i e n des Gesetzgebers zur Auswahl von Verhaltensweisen, die die Rechtsgenossen anstreben sollen, müssen folglich die Zwecke sein. A n ihnen orientiert sich auch der Gesetzgeber: Wenn er Lebenssachverhalte regelt, zieht er eine Regelungsmöglichkeit einer anderen vor. Diese Wertung geschieht anhand des Zwecks, den er verfolgen w i l l . Die Maßstäbe, die Werte des Gesetzgebers sind folglich Zwecke. Durch die Umsetzung der Zwecke i n Normen werden diese zu Maßstäben für den Rechtsunterworfenen. Zwecksetzung ist m i t h i n identisch m i t Wertsetzung. Dieser Wert, Zweck kommt i n der Rechtsnorm zum Ausdruck. Jede Rechtsnorm enthält einen Wert, Zweck. A n i h m 198

199 200

Ebd., S. 49.

Krawietz, S. 86. Otte , Naturrecht, S. 17.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

haben die Rechtsunterworfenen sich zu orientieren. Er ist ihr Verhaltensmaßstab. Der Normzweck ist deshalb für sie ein Wert 2 0 1 . 5. Die Geeignetheit der Werte für die Systembildung Ehe die Eigenschaft des Wertes für die Systembildung näher untersucht werden kann, sind zunächst zwei Gegenargumente auszuräumen. Es w i r d vorgetragen, ein aus allen der Rechtsordnung immanenten Werten gebildetes System gleiche dem System, das Heck aufgebaut habe, und sehe sich deshalb den gleichen Einwänden ausgesetzt, die gegen Heck m i t Erfolg vorgetragen würden. Es w i r d ferner argumentiert, das Prinzip sei bereits eine Stufe weiter konkretisiert als der Wert. Es enthalte bereits die für den Rechtssatz charakteristische Zweiteilung i n Tatbestand und Rechtsfolge. Dies spreche für ein aus Prinzipien gebautes System 202 . Beide Argumente sind nicht durchschlagend: Gegen Heck war hier vorgetragen worden, sein System von Konfliktlösungen reiche für eine Rechtsgewinnung nicht aus. Es komme vielmehr darauf an, eine Methode zur Bewertung von Konfliktlösungen zu finden. Dazu bedürfe es einer Wertskala. Gerade eine Ordnung der Werte, hier also der Zwecke, kann für die Auflösung der Interessenkonflikte bedeutsam sein. Es w i r d freilich i n jener Gegenposition von einer anderen Basis aus argumentiert: Ausgangspunkt ist die Darstellungs- und Verdeutlichungsfähigkeit des konkreten Systems für die Einheit des Rechts 203 . Diese Ausgangsposition hat die Untersuchung schon widerlegt. Sie führt ferner zu falschen Schlüssen: Immer dann, wenn ein bestimmtes System die Einheit des Rechts nicht zeige, sei dieses System ebenso wie die Elemente, aus denen es gebildet sei, für das Recht unbrauchbar. Diese These mag noch folgerichtig sein. Die Schwierigkeiten beginnen bei der Vorstellung vom Inhalt der Einheit. Es w i r d vorgetragen, wenn ein System aus vielen Elementen einer Elementart bestehe, komme Einheit nicht zustande. Einheit sei nur mit einer relativ selten vorkommenden Elementart darzustellen. Zu einer solch expliziten Aussage bezüglich der Einheit nötigt der i n dieser Untersuchung eingenommene Standpunkt nicht. Darüber hinaus scheint diese Aussage aber gerade zweifelhaft zu sein: Das Recht ist vielfältig, deshalb muß das Element, das das Recht zum System erhebt, auch vielfältig vorkommen, denn ansonsten w i r d das Recht i n seiner Gesamtheit nicht erfaßt. Insoweit sind die vielen i m Recht vorhandenen Konfliktlösungen gerade ein geeignetes Element, nur muß dieses aus den gezeigten anderen Gründen aus201 202 203

Wie hier i m Ergebnis Fikentscher, I V , S. 391. Canaris, Systemdenken, S. 46, 51. Ebd., S. 17.

I. Das Element des Rechtssystems

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scheiden. Auch die Rechtsprinzipien, diese als Grundwerte, als Grundmaßstäbe verstanden, sind nicht — jedenfalls nicht ausschließlich — geeignet für die Bildung eines zweibezüglichen Systems. Es gibt nur wenige Grundwerte bzw. -prinzipien. Es bestehen schon Zweifel, ob sich ein Ordnungsprinzip finden läßt, das sie i n eine innere Beziehung zueinander setzt. Für diejenigen Grundwerte, die Verfassungsrang haben, ist dies bestritten; gegenteilige Äußerungen sind ausschließlich behauptender Natur 2 0 4 . Diese Feststellung soll freilich keine endgültige sein. Denn als Folge dieser Überlegung müssen Rechtsprinzipien als Bausteine des gesuchten Rechtssystems entfallen: M i t wenigen Grundwerten läßt sich das Rechtssystem nicht darstellen, w e i l nicht jede Norm Konkretisierung eines solchen Grundwertes ist. Es existieren auch solche Normen, die unterhalb der Ebene der Grundwerte vorhandene Werte normativ zum Ausdruck bringen. Ein auf Grundwerten aufbauendes System muß deshalb notwendig eine Vielzahl von Normen ,vor der Tür' lassen. Es kann das gesamte Recht nicht erfassen. Diese Gründe treffen aber für die gesetzlichen Zwecke nicht zu, da nahezu jede Norm Ausdruck eines Zwecks ist und diese Zwecke jedenfalls i n den meisten Fällen i n eindeutiger Weise zu ermitteln sind. — Das zweite Argument ist ebenfalls ohne Durchschlagskraft. Diese w i r d dem Argument bereits durch die Feststellung genommen, daß der Übergang von ,Wert' zu ,Prinzip 4 außerordentlich fließend ist. Ferner w i r d bezweifelt, ob die getroffene Unterscheidung sinnvoll ist: „Wenn man überhaupt eine einigermaßen praktikable Unterscheidung einführen w i l l , (wird man) sagen können . . ." 2 0 S . Nach der hier getroffenen Aussage besteht zwischen Wert als Maßstab und Prinzip als Wertmaßstab bzw. Wertvorzug kein Unterschied. Die getroffene Unterscheidung w i r d i m übrigen von der Literat u r 2 0 8 m i t Recht als zu weitgehend abgelehnt. Sie argumentiert, der ,Wert' habe m i t Blick auf das Recht i m ,Prinzip' eine erste, aber noch nicht rechtssatzförmige Ausprägung erfahren. Sie stellt ζ. B. fest, dem Rechtswert der menschlichen Persönlichkeit entspreche die Verdichtung zum rechtsethischen Prinzip des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes (Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 GG) 2 0 7 . Wert w i r d hier als Gut verstanden. Dem ist nicht zu folgen. Aber auf der Basis der kritisierten Lehre ist der Einwand richtig. — Jedenfalls läßt sich feststellen, daß weder unter einen ,Wert' noch unter ein ,Prinzip' subsumiert werden kann. Unter diesem 204 Als Hinweis mag genügen: Hans H. Klein, Der Staat 1971, 145 ff.; Goer lieh, S. 58 ff., 99 ff., 102 ff. 205 Canaris , Systemdenken, S. 51. 206 Göldner, S. 24, A n m . 12. I m übrigen h ä l t Canaris selbst seine U n t e r scheidung nicht durch. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht w ü r d i g t er unter dem Stichwort Rechtswert (Systemdenken, S. 125). 207 Göldner, S. 25.

7 Peine

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Aspekt der praktischen Relevanz erscheint es deswegen unbedeutend, auf den Grad der Konkretisierung abzustellen. Werte i m Sinne der Untersuchung sind geeignet zur Bildung eines zweibezüglichen Systems. Es gibt höher- und niederrangige Werte. Es ist schon deshalb möglich, sie i n mehr als eine reihende Beziehung zu setzen. Es gibt ferner i n der Rechtsordnung eine Vielzahl von Zwecken 208 . Das erste Eignungskriterium ist erfüllt, da der Gesetzgeber dieses Element vollständig frei und die konkreten Zwecke jedenfalls relativ frei wählen kann; auch das zweite Kriterium: das Nichtvorliegen methodischer Einwände, ist erfüllt: Methodische Einwände hat die Untersuchung zuvor widerlegt. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, daß Zwecke Elemente eines bereits methodologisch überwundenen Systems sind. II. Das Verhältnis der Elemente zueinander Die zweite zu leistende Konkretisierung ist die Erarbeitung einer für das Recht relevanten Aussage über die A r t der Verknüpfung der Elemente, also der Feststellung, i n welcher Beziehung die Elemente zueinander stehen. Die Frage nach diesem Bestandteil des Systematifikators hat von der Feststellung auszugehen, daß die Verknüpfung der Elemente nicht von vornherein begrenzt ist. Ferner erzeugt ein Ordnen der Elemente entsprechend dem Systematifikator »Einheit4 i m Sinne des Systematifikators. Diese ist — i m Sinne des Systematifikators — widerspruchsfrei und folgerichtig. — Das Entstehen von Systemen bestimmter A r t ist abhängig vom Wollen desjenigen, der Systeme entstehen lassen w i l l . Er bestimmt die Elemente und die A r t ihrer Verknüpfung. Das System muß freilich ein sinnvolles sein. Denn die Wahl der die Verknüpfung der Elemente betreffenden Aussage w i r d einerseits eingeschränkt durch die reale Existenz der zu ordnenden Elemente. Anders als bei künstlichen Systembildungen hat ein System, das der Analyse real existenten Materials dienen soll, die reale Existenz des tatsächlich Vorhandenen zu beachten und diesen Bedingungen entsprechend (auch) die Verknüpfung zu formulieren. Anderenfalls ist die geforderte Verknüpfung der Elemente entsprechend dieser Aussage des Systematifikators sachfremd. Das System bleibt bloße Theorie, denn eine i h m entsprechend vorgenommene Analyse des tatsächlich Vorhandenen führt notwendig zu der Antwort, daß tatsächlich ein System nicht existiert. Ferner läßt sich — m i t Blick auf die Zwecke — ent208

Das zeigt bereits die methodische Verpflichtung, das Recht auch teleologisch zu interpretieren. Zweck des Gesetzes ist nach der gemäßigten obj e k t i v e n Auslegungstheorie der Zweck, den die N o r m zum Zeitpunkt der Auslegung haben k a n n unter Zugrundelegung des Willens des Gesetzgebers, vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 302; Fikentscher, I I I , S. 664.

I I . Das Verhältnis der Elemente zueinander

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sprechend dem Systematifikator ein die Tatsachen berücksichtigendes System nicht schaffen, wenn die Rechtsordnung kennzeichnende Fakten i m Widerspruch zum Systematifikator stehen. — Der Systematifikator darf aber andererseits auch nicht nur diese Fakten zum Ausdruck bringen. Ein nur diese Fakten ,einfangender' Systematifikator und ein i h m entsprechend gebildetes System haben keinen Erkenntniswert. 1. Berücksichtigungsbedürftige

Fakten

Ein System ist gekennzeichnet durch Widerspruchsfreiheit i m Sinne des Systematifikators. Ein Ordnen der Elemente i h m entsprechend erzeugt eine widerspruchsfreie Einheit der Elemente. Ein Rechtssystem ist deshalb ebenfalls widerspruchsfrei. Zu untersuchen bleibt freilich, ob spezielle ,Widerspruchsfreiheiten' der Rechtsordnung existieren. Gibt es sie, muß der Systematifikator sie zum Ausdruck bringen, es sei denn, eine spezielle widerspruchsfreie Rechtsordnung ist ein unabhängig von der Systembildung zu erreichendes Ziel. Denn an der Widerspruchsfreiheit der Rechtssätze partizipieren die Zwecke als hinter den Normen stehend; ein Ordnen der Zwecke muß deshalb auch die Widerspruchsfreiheit der auf ihnen basierenden Rechtsordnung berücksichtigen. a) Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung: Das Schrifttum unterscheidet zwischen der logischen, axiologischen und teleologischen Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 209 . Logische Widerspruchsfreiheit: Die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung der Bundesrepublik i n vertikaler Hinsicht gewährleistet der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes. Ein Gesetz darf nicht dem Grundgesetz, eine Verordnung und eine Satzung dürfen nicht dem Gesetz widersprechen, aufgrund dessen sie erlassen worden sind. Da auch der Zweck der Norm ihren Inhalt mitbestimmt, ist die logische Widerspruchsfreiheit der Zwecke, da die Verfassung auch i n vertikaler Hinsicht logisch widerspruchsfrei zu interpretieren ist, i n dieser Beziehung gesichert. — Die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung i n horizontaler Hinsicht ist demgegenüber nicht so einfach gewährleistet. Daß Gesetze erlassen werden, die logisch einander widersprechen, ist denkbar. Ein Gesetz kann ein Handeln fordern, das ein anderes verbietet. Ob die Widerspruchsfreiheit der Rechtssätze, und damit auch der Zwecke, i n horizontaler Hinsicht gewährleistet ist, ist eine Frage des zugrunde gelegten Geltungsbegriffs 210 . „Von der Wahl dieses Ausgangspunktes hängt die Stellungnahme zur Möglichkeit der Geltung ein209

s. ζ. B. Noll, S. 207. Dieser Begriff ist ein schillernder, so Otte, Rechtsgeltung, S. 254. Z u den verschiedenen Vorstellungen von Geltung s. Schreiber, Geltung; Fikentscher, Methoden I V , S. 150 ff. 210

7*

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

ander widersprechender Rechtsnormen ab" 2 1 1 . Die Literatur unterscheidet einen engen und einen weiten Begriff der Geltung von Rechtsnormen. Der enge Begriff der Geltung besagt, daß von einander widersprechenden Normen „nur eine von beiden als objektiv gültig angesehen werden" 2 1 2 kann. Der weite Begriff geht von der Möglichkeit aus, daß es innerhalb ein und derselben Rechtsordnung, aber auch zwischen Normen ein und desselben Gesetzes „echte Normenkonflikte, d. h. Situationen gibt, i n denen zwei Normen gelten, von denen die eine ein bestimmtes Verhalten, die andere ein m i t diesem Verhalten unvereinbares Verhalten als gesollt setzt" 2 1 3 . Der weite Begriff der Geltung von Rechtsnormen n i m m t also logische Widersprüche innerhalb der Rechtsordnung hin. Eine Entscheidung für einen der Begriffe von Geltung ist zu treffen, u m zu einem von der Systembildung insoweit zu beachtenden Faktum zu gelangen. Kelsen hat sowohl den engen als auch den weiten Begriff der Geltung von Rechtsnormen vertreten. I n der Reinen Rechtslehre vertrat er den engen Geltungsbegriff m i t der Begründung, „die Grundnorm verleih(e) nicht jedem A k t den objektiven Sinn einer gültigen Norm, sondern nur einem A k t , der einen Sinn hat, und zwar den subjektiven Sinn, daß sich Menschen i n bestimmter Weise verhalten sollen . . . Wenn er überhaupt keinen Sinn hat — wenn das Gesetz sinnlose Worte oder m i t einander unvereinbare Bestimmungen enthält —, kommt kein subjektiver Sinn i n Betracht, der als objektiver Sinn gedeutet werden kann" 2 1 4 . Diesen engen Begriff hat er später aufgegeben 215 . Dabei ist er von der Annahme ausgegangen, daß der Sinn der Norm als Willensakt die Anwendbarkeit logischer Prinzipien auf Normen nicht zulasse21®. — Für den Bereich des Rechts empfiehlt sich, wie jüngst Otte 2 1 7 herausgearbeitet hat, der an sich mögliche weite Geltungsbegriff nicht. Rechtsnormen haben die Funktion, menschliches Verhalten zu steuern. Diese „regulierende Funktion" 2 1 8 fehlt widersprüchlichen Normen. Die Annahme, daß auch widersprüchliche Normen gelten, führt also zur Negation der Funktion von Rechtsnormen. Denn der Normadressat kann nicht verstehen, was es heißen soll, daß beide Normen zugleich gelten 219 . Dieser Feststellung kann nicht mit dem Einwand begegnet werden, daß der 211 212 213 214 215 216 217 218 219

Otte, ebd., S. 259. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 210. Kelsen, Recht, S. 1475. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 210 f. Vgl. A n m . 213. So Otte, Rechtsgeltung, S. 259. Rechtsgeltung, S. 254 ff. Weinberger, GS Rödig, S. 180—182. Otte, Rechtsgeltung, S. 257.

II? Das Verhältnis der Elemente zueinander

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einzelne Satz nichts Widersprüchliches enthalte, sich folglich nicht von sonstigen Rechtsnormen unterscheide. Dieser Einwand geht fehl, weil einer Rechtsnorm nie absolute, sondern immer nur Geltung i n einer bestimmten Rechtsordnung zukommt. „Unter dem Gesichtspunkt der Widersprüchlichkeit muß daher jedes beliebige Satzpaar einer Rechtsordnung geprüft werden" 2 2 0 . Für den engen Geltungsbegriff spricht ferner, daß Basis einer Rechtsdynamik nur Normen sein können, die gesellschaftliche Realität besitzen. Einander widersprechende Normen sind nicht anwendbar. Sie entbehren also gesellschaftlicher Realität 2 2 1 . Und schließlich ist gegen den weiten Geltungsbegriff vorzutragen, daß er den Ausgangspunkt der Normenlogik aufgibt. Dieser ist, daß Normen, obwohl nicht wahr oder falsch, sondern gültig oder ungültig, Basis logischer Folgerungen sein können. Geltung und Nichtgeltung stellen demnach Analoga zu Wahrheit und Falschheit dar. Der weite Geltungsbegriff setzt die Geltung jedoch nicht i n Parallele zur Wahrheit einer Aussage, sondern zur Behauptung ihrer Wahrheit. A n der Logik der Behauptungen besteht jedoch kein Interesse, denn wenn Widersprüchliches als Prämisse gesetzt wird, kann jede beliebige Aussage abgeleitet werden 2 2 2 . Die damit gefallene Entscheidung für den engen Begriff der Geltung teilt die überwiegende Methodenlehre 229 . Sie hat demzufolge eine Reihe von Sätzen aufgestellt, die das Geltungsproblem einander widersprechender Normen lösen sollen. Diese räumen einer der Normen den Vorrang ein 2 2 4 . Dies geschieht z.B. mit Hilfe der Sätze „lex specialis derogat legi generali" und „lex posterior derogat legi priori" 2 2 5 . Läßt sich keine »stärkere* Norm finden, so gilt keine der beiden. Es entsteht eine Kollisionslücke 228 . 220 Ebd. — N u r i n dieser Weise läßt sich die logische Widersprüchlichkeit beispielhaft zeigen. Es w i r d dem Gesetzgeber nicht unterstellt, daß er solche Fehler i n ein u n d demselben Gesetz begeht. Vgl. auch Engisch, Einführung, S. 160, der darauf hinweist, daß auf die innere Harmonie eines uno actu i n K r a f t gesetzten Normenkomplexes zumeist m i t Erfolg Bedacht genommen werde. Engisch unterscheidet deshalb primäre Widersprüche, das sind solche, die von Anfang an i n einem K o m p l e x von Rechtssätzen vorhanden waren, u n d sekundäre Widersprüche, die erst nachträglich durch Rechtsänderungen i n einen Normenkomplex eingedrungen sind. 221 Ebd., S. 261. 222 Ebd., S. 262. 223 F ü r den engen Geltungsbegriff treten ein z.B. Schreiber, Logik, S. 87; Rödig, Logik, S. 78 f.; Otte, Rechtsgeltung, S. 262; ders., GS Rödig, S. 167 f. — Den weiten Geltungsbegriff v e r t r i t t Weinberger, Grundlegung, S. 159 f.; ders., Rechtslogik, S. 214—216; ebenso Berkemann, Widerspruchsfreiheit. 224 Z u den Kollisionsnormen s. Otte, Rechtsgeltung, S. 258. 225 v g l . dazu Engisch, Einführung, S. 162; Schreiber, Logik, passim; zur Begründung dieser Sätze s. z. B. Zippelius, Methodenlehre, S. 43 ff. 226

Engisch, ebd., S. 163; Canaris, Systemdenken, S. 121 ff.; Kallfass,

S. 55 ff.

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist nach alledem ein von der herrschenden Methodenlehre vorausgesetztes Ziel bei der Rechtsanwendung. Es muß durch Rechtsauslegung erreicht werden. Die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtsnormen und damit auch der Zwecke ist deshalb bereits gewährleistet. Für die Systembildung ist sie insoweit ein zu beachtendes Faktum, als diese sich nicht der durch Interpretation zu erzielenden logischen Widerspruchsfreiheit der Rechtszwecke entgegenstellen darf. Axiologische Widerspruchsfreiheit: Über den axiologischen Widerspruch herrscht i n Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit. Als einen axiologischen Widerspruch sah das Reichsgericht 227 den Umstand an, daß der Gesetzgeber die i n den §§ 217 Abs. 1, 221 Abs. 3 StGB normierten Tatbestände mit unterschiedlichen Strafandrohungen versah. Als Wertungswiderspruch sieht Canaris 228 den Fall, daß die Rechtsordnung i n einer Norm an den Tatbestand T i die Rechtsfolge R, i n einer anderen Norm an den wertungsmäßig i m wesentlichen gleichliegenden Tatbestand die Rechtsfolge non-R geknüpft hat. Noll 2 2 9 betrachtet es als einen Wertungswiderspruch, wenn die Norm Α ζ. Β. die Gleichbehandlung der Rassen fordert, die Norm Β aber die Ungleichbehandlung partiell erlaubt. Und Engisch 230 nennt Wertungswidersprüche innerhalb der Rechtsordnung solche, bei denen der Gesetzgeber, ohne geradezu i n Normwidersprüche zu verfallen (darunter versteht er die hier sog. ,logischen' Widersprüche), einer von i h m selbst vollzogenen Wertung nicht treu bleibt. Die Auffassungen des Reichsgerichts, von Canaris und von Engisch zum Begriff ,Wertungswiderspruch' gleichen einander. Das Gericht und sie verstehen darunter solche Widersprüche, die 1. keine logischen und die 2. dadurch charakterisiert sind, daß der Gesetzgeber einen selbst gewählten Maßstab auf solche Fälle nicht konsequent anwendet, auf die er nach seiner eigenen i n einer Norm zum Ausdruck gelangten Entscheidung ebenfalls hätte angewandt werden müssen. Das sei demonstriert an der Entscheidung des Reichsgerichts: § 217 Abs. 1, 2 StGB bedroht die Kindestötung, also das vorsätzliche Herbeiführen des Todes eines Menschen, m i t einer milderen Strafe als die ohne Tötungswillen geschehene Aussetzung unmittelbar nach der Geburt, sofern das K i n d durch die Aussetzung ungewollt den Tod findet, § 221 Abs. 3 StGB. Die Grundstrafandrohung ist zwar gleich. Beim ,Kindesmord' ist jedoch die Annahme eines minderschweren Falles möglich, § 217 Abs. 2 StGB. 227 228 229 230

RGSt 68, 410; Engisch, ebd., S. 163; Schreiber, Systemdenken, S. 117. S. 208. Einführung, S. 163.

Logik, S. 60.

I I Das Verhältnis der Elemente zueinander

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Das i n § 217 Abs. 1, 2 StGB zum Ausdruck kommende Prinzip, bei der Kindestötung eine möglichst milde Bestrafung zu ermöglichen, ist also i n § 221 Abs. 3 StGB nicht durchgehalten. Darin liegt der Wertungswiderspruch. Wertungswiderspruch i m Sinne dieser Stimmen ist kein logischer Widerspruch zwischen Werten, sondern die inkonsequente Anwendung eines Maßstabs i n Situationen, die gleichgeregelt werden sollten. Dieser Maßstab ist eine Grundidee, eine Leitlinie, ein ,Prinzip 4 , er kann auch ein Zweck und damit ein Wert sein. — Die Auffassung Nolls vom Wertungswiderspruch unterscheidet sich von diesen Äußerungen. Abgesehen davon, daß sein Beispiel unter der Geltung des Grundgesetzes keinen Bestand haben kann, ist sein Wertungswiderspruch ein logischer Widerspruch. Denn eine Norm erlaubt etwas, was eine andere verbietet. Entsprechend dem engen Begriff der Geltung von Rechtsnormen sind logische Widersprüche i n einer Rechtsordnung nicht existent. Wertungswidersprüche i n seinem Sinne stellen also keine besondere von den logischen oder Normwidersprüchen zu unterscheidende Kategorie dar. — Axiologische Widersprüche können jedoch auch, und damit abweichend von den zitierten Stimmen, als Widersprüche zwischen Werten verstanden werden. Die Untersuchung sieht als Rechtswerte die Zwecke an. Z u Widersprüchen, die Zwecke betreffen, nimmt sie sogleich Stellung. Geht man jedoch von Werten als Gütern aus, so fragt sich, ob insoweit axiologische Widersprüche i n einer Rechtsordnung denkbar sind. Rechtsgüter sind ζ. B. die Menschenwürde, die Freiheit, das Recht auf Leben. Ein axiologischer Widerspruch ist vorhanden, wenn eine Norm die Menschenwürde schützt, indem sie ein bestimmtes Handeln fordert, eine andere Norm die Menschenwürde aber nicht schützt, indem sie ein gegen sie gerichtetes Handeln erlaubt. Ein solcher axiologischer Widerspruch ist nicht denkbar, da er zugleich ein logischer Widerspruch ist. Logisch widersprechen die Normen einander, w e i l die eine etwas erlaubt, was die andere verbietet. Der oben gewählte enge Geltungsbegriff schließt aus, daß beide Normen zugleich gelten. M i t h i n gibt es keinen Widerspruch zwischen Werten, soweit diese als Güter verstanden werden. Das Reichsgericht 231 sah die Wertungswidersprüche i n seinem Sinne als von der Rechtsprechung hinzunehmen an. Engisch 232 meint, jeder WertungsWiderspruch solle „ein Stachel sein, sorgfältig zu prüfen, ob nicht durch die Kunst der Auslegung der Widerspruch behoben werden kann". Canaris 233 folgt dieser Auffassung und wendet die gleichen Kollisionsregeln, die logische Widersprüche auflösen sollen (S. 117), so231

RGSt 68, 410. Einführung, S. 164 f. 233 Systemdenken, S. 116 ff. Seitenzahlen i m T e x t beziehen sich auf diese Schrift. 232

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

wie die systematische Lückenergänzung (S. 118) auf die Wertungswidersprüche an. Er meint, daß Wertungswidersprüche, die auf diese Weise nicht zu beseitigen seien, das seien solche, die sich als „rechtspolitischer Fehler" (S. 121) darstellten, und solche Lücken, deren Ausfüllung verboten oder unmöglich sei (S. 120), „ i n der Regel" gegen den Gleichheitssatz verstießen, der sowohl Ausfluß der Rechtsidee als auch Bestandteil des Grundgesetzes sei: „ I n der Regel w i r d jedoch bei einem Systembruch ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gegeben sein" (S. 128). — Ob dem so ist, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Als wichtigstes Ergebnis dieser Erörterungen ist festzuhalten, daß die Literatur partiell den Begriff ,Wertungswiderspruch' m i t logischem Widerspruch identifiziert, insoweit ergeben sich für den Systematifikator keine neuen, zu berücksichtigenden Gesichtspunkte. Werden unter Wertungswidersprüchen Widersprüche zwischen zwei Werten = Rechtsgüter verstanden, so g i l t das gleiche Ergebnis. Es muß ferner konstatiert werden, daß Wertungswidersprüche i m Sinne des Reichsgerichts und der übrigen untersuchten Literatur »Inkonsequenz1 bedeutet und nicht etwa Widerspruch zwischen Werten. Da die Untersuchung Gesichtspunkte behandelt, die für ein zweibezügliches System relevant sind, und dieses auf Zwecken / Werten basiert, ergeben sich für dieses System aus den hier erörterten Wertungswidersprüchen ebenfalls keine neuen Gesichtspunkte. Teleologische Widerspruchsfreiheit: Auch für den Begriff teleologischer Widerspruch' kann i n der Literatur keine einheitliche Auffassung festgestellt werden. Canaris scheint axiologisch m i t teleologisch zu identifizieren, denn ein System erfordert nach seiner Auffassung die axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien 284 . Engisch 235 meint, daß teleologische Widersprüche seltener seien. Sie seien vorhanden, wenn die Mittel-Zweckbeziehung zwischen den Normen dort nicht stimme, wo sie zum Zuge kommen müsse. Als Beispiel führt er eine Situation an, die gekennzeichnet ist durch das Bestreben des Gesetzgebers einerseits, m i t bestimmten Normen einen bestimmten Zweck zu erreichen, andererseits aber Normen existieren, die diejenigen Maßnahmen verbieten, die allein als M i t t e l zur Erreichung jenes Zwecks i n Betracht kommen. Noll 2 3 6 bildet für seine Auffassung folgendes Beispiel: Der Zweck der Norm A darf nicht dadurch vereitelt werden, daß 234

Ebd., S. 47; Canaris versteht teleologisch nicht i m engen Sinne einer bloßen Mittel-Zweck Verknüpfung, sondern i m weitesten Sinne jeder Zwecku n d Wertverwirklichung, also etwa i n dem Sinne, i n dem m a n die Wertungsjurisprudenz auch m i t teleologischer Jurisprudenz gleichsetzt, so S. 41. 235 Einführung, S. 165. 238 S. 208.

I I Das Verhältnis der Elemente zueinander

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die Befolgung der Norm Β gerade die Vereitelung der Norm A bewirkt. — Die Auffassung von Canaris läuft auf eine Identifikation von axiologisch und teleologisch hinaus. Teleologische Widersprüche, also Widersprüche zwischen Zwecken als solchen, sind jedenfalls nicht sein Thema. I n seinem Sinne sind Widersprüche nicht vorhanden, die den Namen ,teleologische Widersprüche' verdienen. Sie bilden deshalb keinen weiter zu beachtenden Gesichtspunkt. Teleologische Widersprüche i m Sinne von Engisch sind zugleich logische Widersprüche. Das zeigt sein Beispiel: Zum einen ist für die Zweckrealisierung ein bestimmtes tatsächliches Handeln nötig, zum anderen w i r d die Zweckrealisierung verunmöglicht, weil gerade das dafür gebotene Handeln verboten ist. Das Gebotene w i r d durch die Rechtsordnung zugleich verboten. Das aber ist, wie festgestellt, gerade das Kennzeichen für einen logischen Widerspruch. Engisch sagt selbst, daß teleologische Widersprüche sich zu Normwidersprüchen steigern können. Er sieht aber nicht, daß sein Beispiel gerade eines für einen Normwiderspruch ist. Diese Feststellung gilt ebenfalls für Nolls Beispiel eines teleologischen Widerspruchs. — Soweit die Literatur also ,echte' teleologische Widersprüche anerkennt, sind diese zugleich logische. Sie können deshalb als Beispiel für eine weitere A r t von Widersprüchen neben den logischen nicht akzeptiert werden. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob nicht gleichwohl teleologische Widersprüche vorstellbar sind, die i n der Rechtsordnung der Bundesrepublik anzuerkennen sind. Das ist jedoch ausgeschlossen. Der i n einer Norm verkörperte Zweck ist dadurch zu realisieren, daß die von der Norm gebotenen Handlungen vorgenommen werden. Verbietet aber eine Norm zugleich diese Handlungen, dann verbietet sie notwendig jenen Zweck. I h r Zweck ist folglich die Nichtrealisation jenes Zwecks. Nach dem engen Begriff der Geltung von Rechtsnormen, für den die Untersuchung sich entschieden hat, kann nur eine Norm gelten. M i t h i n können i n der Rechtsordnung der Bundesrepublik nicht solche Zwecke existieren, deren Realisationsmittel sich gegenseitig ausschließen. Also gibt es teleologische Widersprüche i m Sinne einer von den logischen Widersprüchen zu unterscheidenden Kategorie i n der Rechtsordnung der Bundesrepublik nicht. Folglich hat der weitere Fortgang der Untersuchung teleologische Widersprüche nicht zu beachten. Ergebnis: Als ein erstes bei der Formulierung des Systematifikators zu beachtendes Faktum hat sich ergeben, daß die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ein von der Rechtsanwendung zu beachtender Faktor ist. Neben den logischen Widersprüchen existieren keine axiologischen oder teleologischen Widersprüche. Das von der Literatur teilweise unter diesen Widersprüchen Verstandene hat sich als logischer Widerspruch herausgestellt. Eine insoweit von den , axiologischen' Widersprüchen abweichende Auffassung hat sich als Umschreibimg der

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

Auffassung erwiesen, eine für die Gesetzgebung maßgebliche Idee sei inkonsequent angewandt worden. Diese Annahme ist jedoch kein bei der Formulierung des Systematifikators zu beachtendes Faktum, weil das Verhältnis der Zwecke zueinander den Untersuchungsgegenstand bildet. Aus diesen Überlegungen folgt, daß der Systematifikator nicht zu einem System führen darf, welches die logische Widerspruchsfreiheit der Zwecke negiert. Aus diesen Überlegungen folgt ferner, daß der Systematifikator ebenfalls nicht zu einem ,System' führen darf, das nichts anderes als die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung der Bundesrepublik zum Ausdruck bringt. Denn ein solches ,System' hätte keinen Aussagewert. Das Ziel Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nötigt nicht zur Systembildung, läßt sich freilich mit Hilfe des Systems erreichen, wenn es diesen Faktor m i t i n den Systematifikator aufnimmt. Das ist jedoch nicht nötig, da die Basis der Systembildung, die logische Widerspruchsfreiheit der Zwecke, durch die logische Widerspruchsfreiheit der Rechtssätze schon gewährleistet ist. Eine Systembildung muß also mehr erreichen wollen, als nur die Widerspruchsfreiheit der Zwecke i m logischen Sinne zu sichern, wobei die Zwecke als Sätze formuliert werden. Sie muß Stimmigkeit der Zwecke erzielen, Stimmigkeit i m Sinne eines noch zu bestimmenden Systematifikators 237 . b) Die hierarchische

Struktur

der Rechtsordnung:

Die Rechtsordnung

der Bundesrepublik Deutschland ist hierarchisch aufgebaut. A n der Spitze stehen die überpositiven Rechtssätze, wenn die Existenz solcher Sätze akzeptiert wird, unter ihnen die i n Art. 1 Abs. 1 GG und die übrigen i n A r t . 79 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsätze, darunter die restlichen Normen des Grundgesetzes, unter diesen steht wiederum das einfachgesetzliche Recht, es folgen Verordnungen und Satzungen. Diesen Umstand hat der Systematifikator zu beachten. Fraglich sind aber die Folgen dieses Umstandes für den Aufbau eines aus Werten/ Zwecken bestehenden Systems, insbesondere: ob die Zwecke entsprechend dem Rang der Normen, die sie verkörpern, zu ordnen sind. Das gilt nur teilweise. Es gibt Zwecke, die rangmäßig höher einzustufen sind als andere Zwecke. Es ist aber nicht gesagt, daß der Rang des Zwecks stets abhängig ist vom Rang des Gesetzes, das i h n verkörpert. Eine Satzung, die dem Schutz der Menschenwürde dient, verleiht dem Schutz der Menschenwürde keinen doppelten Rang. Der Schutz der Menschenwürde ist grundgesetzlich normiert, damit bleibt er ranghöchster Zweck. Andererseits enthalten unterhalb des Grundgesetzes rangmäßig angesiedelte Normen Zwecke, die nicht einfach grundgesetzlich normierte Zwecke wiederholen. Für den Aufbau des Systems ist 237 Vgl. auch Noll, S. 207, der von Widerspruchslosigkeit u n d Folgerichtigkeit spricht.

I I Das Verhältnis der Elemente zueinander

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diese Erkenntnis von Bedeutung. Das auf Zwecken basierende Gesamtrechtssystem muß hierarchisch sein. Freilich bestimmt die Hierarchie der Normen, die die Zwecke verkörpern, dann nicht die hierarchische Einordnung des Zwecks, wenn eine rangmäßig tiefer angesiedelte Norm lediglich den Zweck einer rangmäßig höher angesiedelten Norm wiederholt. Hier gilt die höhere Rangeinordnung. — Ob die hierarchische Struktur auch für solche Zwecke Bedeutung entfaltet, die formal gleichen Rang haben, also ζ. B. auf der einfachgesetzlichen Ebene sich finden, w i r d später erörtert. Eine Abbildung, ein Ordnen der Zwecke entsprechend ihrer Verkörperung i n der Hierarchie der Normen führt jedoch auch noch nicht zu einem zweibezüglichen System, das einen besonderen Erkenntniswert besitzt. Es verdeutlicht insbesondere keine inneren Zusammenhänge zwischen den Zwecken, folgt nur natürlichen Gegebenheiten und bezeichnet diese als System. Eine Systembildung muß aber mehr wollen: nämlich innere Zusammenhänge darstellen. 2. Die Verbindung

der Zwecke miteinander

a) Drei Möglichkeiten der Systembildung: Die A r t der Verknüpfung der Zwecke miteinander w i r d nun zum Problem. I m Bereich des Rechts w i r d vom axiomatischen, axiologischen und vom teleologischen System gesprochen 238 . Damit ist des öfteren gemeint ein auf Rechtssätzen auf238

Diese drei Möglichkeiten unterscheidet Engisch, Studium Generale 1957, 173 ff. I h m folgen Noll, S. 207, u n d Canaris , Systemdenken, S. 41 ff. S. auch Otte, Rechtstheorie 1970, 191 m i t A n m . 31: Der Systembegriff umfaßt j a mehr als das axiomatische System. Eine Identität von L o g i k u n d System ist insbesondere i m Bereich der Rechtswissenschaft angenommen worden. Die Begriff s jurisprudenz dürfte davon ausgegangen sein, daß es n u r ein logisches oder überhaupt k e i n System gibt, vgl. Canaris , ebd., S. 41. Ebenso lehnt Stammler, der sein System reiner Grundbegriffe als ein formal-logisches ansieht, die Möglichkeit, ein inhaltlich gefülltes System einer bestimmten Rechtsordnung zu entwerfen, ausdrücklich ab, vgl. Theorie, S. 222 ff. u n d Lehrbuch, S. 278. G r u n d f ü r diese Ablehnung dürfte sein Verständnis von System sein. Das gleiche g i l t f ü r Burckhardt. Er unterscheidet zwischen logischer u n d ethischer Richtigkeit des Rechts, Aufgabe des Systems ist es, die erste zu erfassen, vgl. Methode, S. 121 ff. u n d 241 ff. F ü r Klug, der die Bedeutung des Systemgedankens als wesentlichen Beweis f ü r das Gewicht formal-logischen Denkens i n der J u risprudenz ansieht, folgt diese Erkenntnis aus dem Umstand, daß der Begriff des Systems selbst ein spezifisch logischer Terminus ist u n d n u r die L o g i k zu bestimmen vermag, w o überhaupt ein echtes System vorliegt, vgl. Logik, S. 5. U n d Sigwart, Logik, S. 695, behauptet: Die Systematik hat die Aufgabe, die Totalität der i n irgendeinem Zeitpunkt erreichten Erkenntnisse als ein Ganzes darzustellen, dessen Theile durchgängig i n logischen Verhältnissen v e r k n ü p f t sind. — Andererseits gibt es i n der L i t e r a t u r Äußerungen, i n denen System m i t dem axiomatischen System gleichgesetzt w i r d , s. z. B. Arndt, N J W 1959, 1277 f. Die Angriffe, die Canaris , S. 41 ff., gegen diejenigen führt, die System u n d Logik identifizieren, sind i m Ergebnis berechtigt, hätten aber von der Basis

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

bauendes System: ein Rechtssatz muß logisch aus einem anderen folgen. Gemeint ist ferner ein auf Werten aufbauendes System, man spricht vom Wertsystem; oder ein auf Zwecken basierendes System. Man verbindet freilich nicht damit die Vorstellung, daß die Verknüpfung der jeweiligen Elemente entweder axiomatisch oder axiologisch oder teleologisch erfolgt. Die Untersuchung hat, da andere Möglichkeiten der Herstellung innerer Verbindungen zwischen den Rechtswerten ausscheiden, festzustellen, ob die Verknüpfung der Zwecke miteinander axiomatisch, axiologisch oder teleologisch erfolgen kann. Das axiomatische System: Werden die Zwecke als Sätze formuliert 2 3 9 , dann können sie möglicherweise ein System der A r t bilden, daß aus einem obersten Zweck oder mehreren obersten Zwecken — wenn die Rechtsordnung der Bundesrepublik sich dadurch auszeichnen sollte, daß mehrere gleichrangige oberste Zwecke existieren — alle anderen i m Recht vorhandenen Zwecke abzuleiten sind. Ein oberster Zweck ist als A x i o m oder mehrere oberste Zwecke sind als Axiome zu setzen, alle anderen Zwecke sind Theoreme. Das Rechtssystem ist ein axiomatisches System. Das Recht bildet ein axiomatisches System genau dann, wenn ein Zweck A x i o m ist oder mehrere gleichrangige höchste Zwecke Axiome, alle anderen, also insbesondere alle rangniederen Zwecke, Theoreme sind. — Das System, die Möglichkeit seiner Bildung vorausgesetzt, ist logisch widerspruchsfrei. Es beachtet ferner die hierarchische Struktur der Rechtsordnung, denn nur der oberste Zweck darf A x i o m oder die obersten Zwecke dürfen Axiome sein. Die rangniedriger piazierten Zwecke sind ableitbar. Das System folgt also den oben bezeichneten Realdaten. Es ist i n sich stimmig, weil es logisch folgerichtig ist. Die innere Verbindung der Elemente zueinander w i r d hergestellt durch die Ableitbarkeit der niedrig piazierten aus den höher piazierten. Der höhere Zweck muß deshalb inhaltlich umfassender sein aus, daß die Verknüpfung der Elemente beliebig ist, v i e l einfacher u n d dann auch m i t mehr Durchschlagskraft geführt werden können. Canaris muß auf die zumindest fragwürdige Prämisse zurückgreifen: es gebe eine Rechtswissenschaft, es sei n u r zu fragen, was sei i h r Sinn u n d was begründe ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit (insoweit folgt er Binder, Philosophie, S. 837), dann n i m m t er Anleihen bei der Literaturwissenschaft, die nunmehr werkimmanent ein K u n s t w e r k interpretiere, u n d schließt davon ausgehend auf den Satz: die Folgerichtigkeit juristisch-axiologischen oder teleologischen Denkens sei rationaler A r t u n d daher rational begründbar u n d lasse sich somit i n einem entsprechenden System erfassen. Der Rückschluß ist damit zustande gekommen: W e i l rational gearbeitet werde, sei die Beschäftigung m i t dem Recht Wissenschaft. A l l diese Umwege sind überflüssig: Ist Wissenschaft die Beschäftigung m i t einem Stoff unter systematischen Gesichtspunkten, dann ist auch die Beschäftigung m i t dem Recht eine Wissenschaft, sofern sie systematisch erfolgt. M i t der Frage, ob das Recht ein System beinhaltet, u n d w e n n ja, welches, hat das alles nichts zu tun. 239 Z u r Vorgehensweise beim A u f b a u eines axiomatischen Systems s. E. v. Savigny, S. 316 ff.

I I Das Verhältnis der Elemente zueinander

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als der niedrigere. Das System hat die Form einer — an der Spitze abgeflachten — Pyramide, wenn man die Existenz eines ranghöchsten Zwecks leugnet und mehrere ranghöchste Zwecke annimmt. Es hat ein inhaltlich allgemeines Element oder mehrere inhaltlich allgemeine Elemente an der Spitze, je weiter man die Stufen der Pyramide herabschreitet, desto spezieller w i r d das Element. — Ein einzelnes Gesetz ist Teil des Systems, wenn die i n i h m normierten Zwecke für den Fall ihrer rangmäßigen Gleichheit aus oberen Zwecken abzuleiten sind. Für den Fall der rangmäßigen Verschiedenheit der Zwecke ist das Gesetz Teil des Systems, wenn der Hauptzweck aus einem höheren folgt und die Unterzwecke entweder aus diesem Hauptzweck oder aus anderen höheren Zwecken folgen. Ein Gesetz ist ein (abgeschlossenes) Subsystem, wenn es nur einen ableitbaren Zweck enthält, oder wenn alle Unterzwecke des Gesetzes sich aus einem i m Gesetz selbst normierten abgeleiteten Hauptzweck ableiten lassen. Der einfachste Fall eines axiomatischen Rechtssystems stellt sich demnach wie folgt dar: Ein Gesetz X normiere die Zwecke Α, Β und C. Die Interpretation des Gesetzes ergibt, daß A der Hauptzweck ist, den das Gesetz verfolgt, Β und C sind niederrangig. Diese drei Zwecke bilden ein System, und damit auch die Rechtsnormen, die diese Zwecke enthalten, wenn Β und C Spezifizierungen von A sind, A die Zwecke Β und C mitenthält. Das ganze Recht bildet ein System, wenn entsprechend diesem Beispielsfall die Zwecke insgesamt zu ordnen sind, von den i n der Verfassung normierten bis hinunter zu den i n den Satzungen und Verordnungen enthaltenen. — Dieses System leistet die drei Funktionen, die die Arbeit vom System erwartet: die analytische, die aufbauende und die Begründungen liefernde Funktion. M i t seiner Hilfe kann untersucht werden, ob das Recht i n dieser Weise aufgebaut ist. Verneinendenfalls kann das Recht i h m entsprechend aufgebaut werden. Das System liefert Begründungen i m Hinblick darauf, ob neue Zwecke zum System passen: Nur solche Zwecke sind erlaubt, die sich aus einem schon vorhandenen ableiten lassen. — I n bezug auf dieses System konsequent handelt der Gesetzgeber, wenn er nur solche Zwecke neu schafft, die sich aus einem schon vorhandenen ableiten lassen. — Damit ist klargestellt, daß an dieses System verfassungsrechtliche Folgerungen anknüpfen können, wenn das Recht ein solches System bildet oder bilden müßte, sowie die verfassungsrechtliche Forderung als solche rechtlich existiert. — Diese Möglichkeit kann nicht von vornherein widerlegt werden m i t dem Hinweis, ein solches System leiste keine Hilfe bei der Entscheidung des Einzelfalls, weil i m Falle des Konflikts das System keine Hilfe für die Beantwortung der Frage biete, welchem Zweck / W e r t der Vorrang gebühre. Denn i n konkreten Handlungssituationen gehe es „fast immer gar nicht darum, ob ein Wert schlechthin einem anderen Wert über-

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C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

oder unterzuordnen sei, sondern um die Einschätzung, i n welchem Umfang ein Wert, mag er einem anderen an sich gleich-, über- oder unterzuordnen sein, durch eine mögliche Handlung i n Mitleidenschaft gezogen oder aber gefördert wird, bzw. m i t welcher Wahrscheinlichkeit er i n positiver oder negativer Weise tangiert w i r d " 2 4 0 . Ob diese Auffassung für den Einzelfall zutreffend ist, braucht die Untersuchung nicht zu entscheiden, denn i m Falle der Existenz des Systems und seiner verfassungsrechtlichen Relevanz besteht auf jeden Fall seine Funktion als Maßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Normen i m Rahmen der abstrakten Normenkontrolle. I n diesem Verfahren geht es nicht u m Einzelfallentscheidungen, sondern ausschließlich u m eine inhaltliche Kontrolle des materiellen Rechts am Maßstab der Verfassung bzw. des übergeordneten Rechts. Das axiologische System: Die Literatur versteht unter einem axiologischen System teilweise ein auf dem Element ,Wert' basierendes System, bei dem die Werte hierarchisch geordnet sind. Das ist nicht das System des Rechts. Eine ausschließlich hierarchische Ordnung der Rechtswerte, also der Zwecke, hat keinen Erkenntniswert. — Unter einem axiologischen System versteht Canaris 241 die Anwendung einer Grundwertung i n allen vom Recht zu bewältigenden Situationen, die entsprechend dem Prinzip bewältigt werden sollten. Folgerichtig w i r d nach dieser Auffassung gehandelt, wenn das Prinzip i n allen Situationen, i n denen es angewandt werden sollte, auch angewandt wird. Da nach Canaris aus logischen Gründen 2 4 2 nicht gesagt werden kann, i n welcher Situation ein Prinzip zur Anwendung gelangen muß, ist eine Wertung dahingehend erforderlich, ob eine Situation, i n der das Prinzip Verwendung gefunden hat, einer anderen Situation gleicht, i n der das Prinzip noch nicht realisiert ist. Wenn die Situationen einander gleichen, muß das Prinzip angewandt werden, damit Folgerichtigkeit herrscht. Dies führt jedoch, wie gezeigt, nur zu einem einbezüglichen System: diese A r t von Axiologie kommt deshalb nicht i n Betracht. — A x i o logisch kann jedoch auch i n der Weise verstanden werden, daß die Zwecke miteinander verknüpft werden wie i m logischen System, nur eben axiologisch. Die Folge ist, wenn diese Möglichkeit existiert, ein axiologisch-deduktives System. Ein solches System ist jedoch nicht möglich. Es gibt keine von der Logik zu trennende Deduktionsmöglichkeit. Folgern kann man eine Aussage nur aus Sätzen, und dieses Folgern ist entweder ein logisches oder überhaupt keines. Deshalb können Zwecke i n der zuvor angesprochenen Weise nicht verknüpft werden. 240 241 242

So Otte , Naturrecht, S. 20. Systemdenken, S. 47. Ebd., S. 41 ff.

I I Das Verhältnis der Elemente zueinander

111

Es gibt demnach kein zweibezügliches, auf dem Element Zweck basierendes, diese Zwecke axiologisch verknüpfendes System. Das teleologische System: Canaris charakterisiert sein System ebenfalls als teleologisch. Das zum axiologischen System Gesagte gilt hier entsprechend. — Unter einem teleologischen System kann nicht verstanden werden die Verknüpfung von Zwecken entsprechend dem logischen System, freilich logisch 4 ersetzt durch teleologisch'. Diese Verknüpfung gibt es nicht, das zur axiologischen Verknüpfung Gesagte gilt hier ebenfalls. — Das Recht könnte jedoch ein teleologisches System bilden i m Sinne der sog. teleologischen Betrachtungsweise 243 . Diese Teleologie ist eine Form des empirischen Erkennens 244 . Sie betrachtet das „Gewollte", das inhaltlich Statuierte, den Willensinhalt, d a s / d e r i n Verbindung m i t gewissen Bedingungen zu gewissen Konsequenzen führt 2 4 5 . Das „Gewollte" ist Erkenntnisobjekt teleologischen Denkens 246 . Die teleologische Anschauung verknüpft gedankliche Inhalte miteinander, es entsteht „eine Ordnung der gewollten Gedankeninhalte": „Die Ordnenden sind die Zwecke, die Geordneten die Mittel". Der Schwerpunkt liegt bei der teleologischen Denkform „ i n dem sachlichen Zusammenhang des Gewollten". Gegenstand der Betrachtung sind Postulate und Komplexe zusammengehöriger Postulate. I m Postulatenkomplex begründet das Ordnungsprinzip der Finalität die Zusammengehörigkeit. Die einheitliche systematische Anordnung erfolgt „inhaltlich", „nach M i t t e l n und Zwecken". Ein Glied ist jeweils „ i m Hinblick auf das untergeordnete Glied, das als M i t t e l erscheint, Zweck, i m H i n blick auf das übergeordnete, das als Zweck erscheint, Mittel". Der verschiedenen Postulaten gemeinsame Zweck steht an der Spitze des Postulatenkomplexes und ist als „das letzte Glied i m teleologischen Denken" zugleich Endzweck 247 . — Das Übertragen dieses Denkens auf das Recht ist möglich, weil das Recht final determiniert ist 2 4 8 . M i t Blick auf das Recht ist das inhaltlich Statuierte der i n der Rechtsnorm enthaltene Zweck. I m Sinne des teleologischen Denkens ist das Recht ein System, wenn die i m Recht vorhandenen Zwecke als „System von Zweck- und Mittelpostulaten gedacht" werden können. Das Recht ist genau dann ein System, wenn sich alle i n i h m vorhandenen Zwecke unter dem Gesichtspunkt der Finalität ordnen lassen. Dieses System gipfelt genauso wie das axiomatische System i n einem obersten Zentralzweck oder mehreren obersten Zentralzwecken. Es ist wie jenes zwei243 244 245 246 247 248

Englis, Begründung; Krawietz, S. 83 ff.; Weinberger, Englis, ebd.; Krawietz, S. 83. Weinberger, Rechtslogik, S. 292. Krawietz, S. 84. Ebd., S. 85. Krawietz, S. 83.

Rechtslogik, S. 291.

112

C. Der Begriff des zweibezüglichen Rechtssystems

bezüglich, Ordnungsgesichtspunkt ist die Finalität. Es ist hierarchisch aufgebaut, es ist logisch widerspruchsfrei, es beachtet also die oben angeführten Realdaten. Es ist i n sich stimmig, weil es i m Sinne der Finalität folgerichtig ist. Die innere Verbindung der Elemente ist gegeben, w e i l ein rangmäßig niedrig plazierter Zweck M i t t e l i m Verhältnis zu einem rangmäßig höheren sein muß. Der höhere Zweck muß demnach inhaltlich umfassender sein als der niedrigere. Das System hat die Form einer an der Spitze abgeflachten Pyramide, wenn man mehrere oberste Zwecke annimmt. Es hat ein inhaltlich allgemeines Element oder mehrere inhaltlich allgemeine Elemente an der Spitze; je weiter man die Stufen der Pyramide herabschreitet, desto konkreter w i r d das Element. — Ein einzelnes Gesetz ist Teil des Systems, wenn die i n i h m normierten Zwecke für den Fall ihrer rangmäßigen Gleichheit M i t t e l eines höher angesiedelten Zwecks sind; für den Fall ihrer rangmäßigen Verschiedenheit ist das Gesetz Teil des Systems, wenn der Hauptzweck M i t t e l eines höheren ist und die Unterzwecke entweder M i t t e l des Hauptzwecks oder eines anderen Zwecks sind; ein Gesetz ist ein (abgeschlossenes) Subsystem, wenn es nur einen Zweck als M i t t e l eines höheren Zwecks besitzt, oder wenn alle Unterzwecke des Gesetzes sich als M i t t e l eines i m Gesetz selbst normierten Zwecks darstellen, der selbst M i t t e l eines höheren Zwecks ist. Der einfachste Fall eines teleologischen Rechtssystems stellt sich demnach wie folgt dar: Ein Gesetz X normiere die Zwecke Α, Β und C. Die Interpretation des Gesetzes ergibt, daß A der Hauptzweck ist, den das Gesetz verfolgt, Β und C sind niederrangig. Diese drei Zwecke bilden ein System, und damit auch die Rechtsnormen, die diese Zwecke enthalten, wenn Β und C M i t t e l zur Realisierung von A sind. Das gesamte Recht bildet ein System, wenn entsprechend diesem Beispielsfall die Zwecke insgesamt zu ordnen sind, von den i n der Verfassung normierten bis hinunter zu den i n Satzungen und Verordnungen enthaltenen. — Dieses System erfüllt die drei Funktionen, die die Arbeit vom System erwartet: die analytische, die aufbauende und die Begründungen liefernde Funktion. M i t seiner Hilfe kann untersucht werden, ob das Recht ein System bildet. Verneinendenfalls kann das Recht i h m entsprechend aufgebaut werden. Das System liefert Begründungen i m Hinblick darauf, ob neue Zwecke zum System passen: Nur solche Zwecke sind erlaubt, die sich als M i t t e l i m Verhältnis zu schon vorhandenen darstellen. — I n bezug auf dieses System, seine verfassungsrechtliche Relevanz unterstellt, handelt der Gesetzgeber systemerhaltend, wenn er nur solche Zwecke neu schafft, die sich als M i t t e l zur Realisierung schon vorhandener Zwecke eignen. b) Die Verknüpfungsmöglichkeiten: Unter zwei Gesichtspunkten erscheint es also theoretisch möglich, die Zwecke zu einem System m i t einander zu verknüpfen: erster Gesichtspunkt ist die logische Ableit-

I I I . Die Präzisierung des Begriffs »Rechtssystem'

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barkeit, zweiter ist die Finalität. — Ob die Zwecke tatsächlich i n diesen Weisen geordnet sind oder geordnet werden können, ist hier noch nicht Prüfungsgegenstand. I I I . Die Präzisierung des Begriffs ,Rechtssystem' Nachdem die Untersuchung das Element des Rechtssystems und die Verknüpfungsmöglichkeiten herausgearbeitet hat, muß sie sich — entsprechend der Lehre von der Explikation — für einen Systematifikator entscheiden und i h m entsprechend den Begriff Rechtssystem präzisieren. Sie weicht jedoch von dieser Lehre ab, da sie das Recht daraufhin untersuchen w i l l , ob beide Systeme vorhanden sind. Entsprechend den zwei Systematifikatoren existieren zwei Begriffsinhalte von Rechtssystem: 1.: Das Recht ist ein System, wenn die i n i h m vorhandenen Zwecke i n der Weise geordnet sind, daß alle Zwecke, diese als Sätze formuliert, i n einer logischen Beziehung der A r t zueinander stehen, daß jeder Zweck aus einem anderen als Theorem ableitbar ist, abgesehen von den höchsten, die als Axiome die Spitze der Pyramide bilden, und von den untersten, die den Boden der Pyramide bilden — dieses System werde i m folgenden das axiomatische Rechtssystem genannt; 2.: das Recht ist ein System, wenn die i n i h m vorhandenen Zwecke in der Weise geordnet sind, daß alle Zwecke i n einer teleologischen Beziehung der A r t zueinander stehen, daß jedes Glied i m Hinblick auf das untergeordnete Glied, das als M i t t e l erscheint, einen Zweck, i m Hinblick auf das übergeordnete, das als Zweck erscheint, ein M i t t e l bildet, abgesehen von den höchsten Zwecken, die nur Zweck sind, und von den untersten, die nur M i t t e l sind — dieses System werde i m folgenden das teleologische Rechtssystem genannt.

8 Peine

D. Konkrete Systembildungen im Recht Die erarbeiteten Inhalte des Begriffs ,Rechtssystem4 erlauben nunmehr eine Analyse des Rechts der Bundesrepublik daraufhin, ob es ein System i m dargestellten Sinne enthält. Zwischen dem axiomatischen und dem teleologischen System ist zu unterscheiden. 1. Das axiomatische Rechtssystem 2. Das gesamte Recht als System Die Summe aller geschriebenen und ungeschriebenen geltenden Rechtsnormen bildet ein System, wenn die i n den Normen enthaltenen und als Sätze formulierten Zwecke sich aus einem obersten Zweck oder aus mehreren obersten Zwecken logisch deduzieren lassen. Dieser Zweck muß oder diese Zwecke müssen rechtlich normiert sein, er / sie muß / müssen einen konkreten Inhalt haben. Dieser Inhalt ist zwangsläufig ein weiter. Die Theoretiker der Wertungsjurisprudenz 1 behaupten, daß die i m Recht vorhandenen Werte ein System bilden. Sie legen jedoch weder dar, was sie unter Rechtswert verstehen, noch legen sie ihren Systembegriff offen. Diese Aussagen sind deshalb schon i m Ansatz als Nachweis der These unbrauchbar, es existiere real ein System i m Sinne der hier untersuchten axiomatischen Variante. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist bislang nicht axiomatisiert worden. Dies kann seinen Grund darin finden, daß diese Arbeit außerordentlich mühsam ist. Dieser Charakter des Unterfangens kann jedoch kein dem Ziel dienender Einwand sein, sie zu unterlassen. Wenn diese Arbeit notwendig ist, muß sie geleistet werden. Notwendig ist dieses Unterfangen dann aber nicht, wenn es ausgeschlossen ist aus Gründen, die i n der Struktur der Rechtsordnung selbst ihre Basis haben. Die Unmöglichkeit der Axiomatisierung der Gesamtordnung belegt die Untersuchung anhand eines Teilausschnitts der Rechtsordnung: an den Grundrechten. Bilden diese kein axiomatisches System oder läßt 1 Westermann, Wesen, S. 34; Larenz, Methodenlehre, S. 262 ff.; Esser, Grundsatz, S. 52, 151; Wieacker, Gesetz, S. 10 ff.; Zippelius, Wertungsprobleme.

I. Das axiomatische Rechtssystem

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sich aus ihnen keines bilden, dann läßt sich auch die Gesamtrechtsordnung nicht axiomatisieren. Ein System dieser A r t bilden die Grundrechte dann, wenn die i n ihnen enthaltenen und als Sätze formulierten Zwecke sich durch die Ableitbarkeit aus einem obersten Zweck oder aus mehreren obersten Zwecken auszeichnen. Existieren solche Zwecke nicht, müssen einige Zwecke als Axiome ,gesetzt' werden, alle anderen haben Theoreme zu sein. Gibt es einen höchsten Zweck, dann darf ausschließlich dieser A x i o m sein. Rangniedere Zwecke müssen sich ableiten lassen, müssen also Theoreme sein, um die Bewahrung der hierarchischen Struktur der Rechtsordnung zu sichern. Das Bundesverfassungsgericht 2 behauptet ständig ein Wertsystem der Grundrechte. Es begründet seine Behauptung nicht 8 . Der Judikatur läßt sich auch nicht unterstellen die Entbehrlichkeit einer Begründung deswegen, weil das Gericht Anhänger der absoluten Wertphilosophie ist und m i t i h r a priori die Existenz einer rechtlich relevanten Wertordnung bejaht. Das Gericht beruft sich nicht auf diese Wertrangordnung und unterscheidet sich dadurch von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 4 . Es darf sich auf diese Ordnung auch gar nicht berufen. Denn ihre Inbezugnahme kann konkrete Ergebnisse nicht begründen, weil sie den Nachweis einer durch die Grundrechte gebildeten Wertrangordnung nicht ersetzt. A u f diese durch die Grundrechte gebildete Wertrangordnung allein kommt es an. Die Begründung seiner Behauptung schuldet das Gericht demnach noch. Es hat ferner ein konkretes Wertsystem zwecks Ableitung von Aussagen nicht aufgestellt. Schließlich verkürzt es durch seine Bezugnahme auf ein Wertsystem eine an sich notwendige Begründung und verunmöglicht damit ein rationales Nachvollziehen seiner Argumentation 5 . — Dürig® spricht vom unantastbaren Wertsystem des Grundgesetzes. Dieses Wertsystem charakterisiert er sogar als ein „rechtslogisches". A n der Spitze des Systems stehe der 2 ζ. Β. E 7, 198/205; 21, 362/71; 25, 167/79. — Der Auffassung von der W e r t ordnung der Grundrechte folgen auch andere Gerichte, z. B. der B G H i n seiner Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht: B G H Z 13, 334; 26, 349/54f.; z. B. auch das B A G : E 1, 185; A P Nr. 16 zu A r t . 3 GG; A P Nr. 26 zu § 1 KSchG. 3 Z u dieser Feststellung Goerlich, S. 131 ff. 4 S. C., bei A n m . 122. 5 Vgl. dazu näher Goerlich, S. 135 ff. I m Ergebnis f ü h r t die Argumentation des Gerichts zu einem A r c a n u m der Verfassungsinterpretation (zum Begriff des Arcanums s. statt vieler Carl Schmitt, Die D i k t a t u r , S. 14ff.; Martens, S. 51). Zustimmung hat Goerlich gefunden bei Böckenförde, N J W 1974, 1533 ff., A n m . 63; sowie bei Denninger, J Z 1975, 546. Vgl. auch Ossenbühl, N J W 1976, 2106/7, der den Topos ,Wertordnung' zwar f ü r „hermeneutisch unergiebig" hält, aber auf i h n als Umschaltstation, „durch welche die G r u n d rechte i n die übrige gesamte Rechtsordnung ausstrahlen u n d d a m i t zu einer erhöhten W i r k k r a f t geführt werden", nicht verzichten w i l l . s. jetzt auch F. Müller, Einheit, S. 141 f. 6 I n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, A r t . 3 Abs. 1, Rdn. 254.

8*

116

D. Konkrete Systembildungen i m Recht

Schutz der Menschenwürde, A r t . 1 Abs. 1 GG. A r t . 1 Abs. 2 GG löse diesen Schutz i n einzelne Menschenrechte auf 8 a . Das Hauptfreiheitsrecht enthalte Art. 2 Abs. l e b . Zu diesem Freiheitsrecht sollen alle anderen Freiheitsrechte i m Verhältnis lex specialis zu lex generalis stehen. Eine nähere Explikation dessen, was , rechtslogisch 4 beinhaltet, unterläßt Dürig freilich. Er grenzt diesen Begriff nur ein. Das Verhältnis der Grundrechte zueinander sei kein logisches i m Sinne einer logischen Ableitung. — Häberle 7 knüpft an Wendungen des Bundesverfassungsgerichts i m L ü t h - U r t e i l an und bestimmt die Wertordnung der Verfassung als Wertrang- und Wertverhältnisordnung. Eine Begründung für seine Auffassung liefert er ebensowenig wie eine nähere Darstellung dieser Ordnung. — Eine Vielzahl von Autoren 8 hält eine Abwägung von Rechtsgütern auf der Verfassungsebene für notwendig. Zur Strukturierung dieser Abwägung verweisen sie auf ein Wertsystem. Obwohl sie die Abwägung für unumgänglich halten, tragen sie nicht vor, wie das System zu bilden ist. Aussagen zur konkreten Gestalt des Systems finden sich ebenfalls nicht. Diese kursorische Darstellung belegt, daß die Methodiker des Verfassungsrechts ebenso wie die Methodiker der Wertungsjurisprudenz, die die zuvor genannten Autoren i m Bereich des Verfassungsrechts ebenfalls anwenden, eine Abwägung von Werten für notwendig erachten und deshalb auf eine Wertrangordnung angewiesen sind. Für sie ist die Existenz dieser Ordnung notwendige Folge ihres methodischen Ansatzes. Denn soll die Abwägung nicht i n das Beliebige abgleiten, ist eine dem Grundgesetz immanente Wertrangordnung Voraussetzung für ihre verfassungsadäquate Vornahme. Diese Autoren interpretieren das Verfassungsgesetz wie jedes andere Gesetz. Die sich beim einfachen Gesetz stellenden Schwierigkeiten bzw. sich ergebenden Folgen sind auch auf der Verfassungsebene zu verzeichnen. Enttäuschung ruft hervor, daß diese Autoren keine Wertrangordnung bilden, obwohl ihr eigener Ansatz diese Ordnung erfordert. Ihre Ergebea Ebd., A r t . 1 Abs. 1, Rdn. 6 ff. «b Ebd., A r t . 1 Abs. 1, Rdn. 10 f. 7 Wesensgehaltgarantie, S. 7, 31. 8 Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, A r t . 5, Rdn. 22; Scheuner, W D S t R L 1965, 81; Schwark, S. 82 ff., 87 f. Langheineken, S. 33; Hamel, Staatsrecht, S. 83; ders., Bedeutung, S. 15; Schwabe, S. 107 ff.; E. v. Hippel, S. 18, 34; W. Müller, S. 139 f.; Schulz-Schaeffer, S. 41 f., 45, 47, 74f.; E. Hesse, S. 103 ff., 107; Schmid, S. 76 ff., 80; Hellge, S. 256 ff.; Blaesing, S. 241 f.; Hollerbach, AöR 1960, 241 ff., 253 ff.; Leisner, Grundrechte, S. 143 f.; v. Mangoldtf Klein, GG, Vorbemerkung Β I I I v o r A r t . 1 ; G. Müller, Naturrecht, S. 27, ders., FamRZ 1969, 4—10; Nipperdey, i n : Enneccerus / Nipperdey, S. 96. Diese Auffassung v o n den Grundrechten als Wertordnung ist nicht neu: I n dieser Weise interpretierte i n der Weimarer Zeit die Grundrechte Smend, Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 264 f.; ders., ebd., S. 91 f.; Hensel, S. 9; Giere.

I. Das

ische Rechtssystem

117

nisse müssen infolgedessen notwendig behauptender A r t sein. Sie sind nicht nachvollziehbar und entbehren deshalb bereits jener Bedingung, die als Voraussetzung für ihre Akzeptanz unumgänglich ist. Es unterbleibt auch eine Auseinandersetzung m i t Gegenpositionen. Die Existenz einer Wertrangordnung anzunehmen als Folge des methodischen Ansatzes, ist nicht ausreichend. Es muß der Nachweis hinzukommen, daß dieser Ansatz notwendig ist. Das ist er nicht. Die Interpretation der Verfassung unterliegt infolge ihrer knappen, m i t Lapidarformeln durchsetzten Sprache sowie infolge ihrer geringen ,Textdichte' anderen Regeln. I m übrigen folgt aus Methode nicht Normativität. Normativität ist durch methodisches Arbeiten zu erkennen. Methode produziert nicht aus sich heraus normativen Sinn, sondern reproduziert einen vorgegebenen. Das schließt nicht aus, daß Methode den Sinn der Norm mitkonstituiert. Als Nachweis der These, daß die i n den Grundrechten enthaltenen Zwecke ein axiomatisches System bilden, können diese Äußerungen nach alledem nicht dienen. Sie behaupten zwar eine Rangordnung der Grundrechte, belegen diese Behauptung aber nicht konkret. Zum axiomatischen System als solchem sind Äußerungen nicht vorhanden. Eine Vielzahl von Autoren 9 lehnt die Existenz eines grundrechtlichen Wertsystems ab. Ohne das auszusprechen, verneinen sie damit notwendig ein System der i n den Grundrechten verkörperten Zwecke. Hauptsächlich berufen sie sich auf die These, daß sich eine Rangfolge innerhalb der Grundrechte aus der Verfassung nicht ablesen lasse 10 . Bei Akzeptanz dieser Annahme läßt sich dann erst recht eine Rangfolge aller Verfassungswerte nicht erkennen. Diese Annahme verschließt jedoch nicht die Möglichkeit der Bildung eines axiomatischen Systems. Denn dieses System setzt nicht notwendig Rangdifferenzen der zu axiomatisierenden Sätze voraus. Erst wenn Rangdifferenzen vorhanden sind, dann sind die obersten Sätze als Axiome zu setzen, und es ist zu prüfen, ob alle rangniederen Theoreme sind. 9 Knies, S. 38 ff.; Rüfner, F G B V e r f G I I , S. 453, 462 f., 465; Schlink, A b wägung, S. 19, 26, 43, 153. — Diese Vorrangprüfung w i r d ferner abgelehnt m i t dem Hinweis, sie schalte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. der praktischen Konkordanz aus, vgl. dazu K . Hesse, Grundzüge, § 10 I I 2; F. Müller, Positivität, S. 20, 23 ff. u n d öfter. Ablehnend auch Lerche, Übermaß, S. 126, 129 (Anm. 105); Schwache, S. 72, 74, 77; Klein, Der Staat 1971, 145 ff., 162; Graf, S.62f.; Goerlich, S.58ff., 99 ff., 102 ff. u n d öfter; Grabitz, AöR 1973, 568; ders., Freiheit, S. 216 ff.; Bettermann, Grenzen, S. 24 f.; ders., N J W 1969, 1321 ff.; Bethge, AöR 1979, 99 ff. 10 Weitere Gegenargumente sind: Die Grundrechte enthalten auch Gewährleistungen, w i e etwa die Garantie der staatlichen Schulaufsicht, diese lassen sich nicht i n einen solchen Zusammenhang einfügen, ferner macht es die enge Verflochtenheit v o n Grundrechten u n d objektiver Ordnung der V e r fassung unmöglich, sie als ein eigenes i n sich geschlossenes System zu v e r stehen.

118

D. Konkrete Systembildungen i m Recht

Grundrechte enthalten Zwecke 11 . Diese sind, wie die sie normierenden Grundgesetznormen, von formal gleichem Rang 12 . Rein formal gesehen kann es m i t h i n insoweit Rangdifferenzen nicht geben. Diese können nur dann existieren, wenn ,materielle' Kriterien eine Rolle spielen dürfen. Das w i r d i n jüngster Zeit angenommen. Rangdifferenzen erzeugendes Merkmal sei die Bedeutung eines Grundrechts 19 . A n der Bedeutung des Grundrechts partizipiert der i n i h m verkörperte Zweck. Es w i r d argumentiert, Grundrechte hätten die Funktion, Konflikte zu lösen. Unter den Grundrechtsträgern sowie zwischen ihnen und der Gemeinschaft bestehe eine Konfliktgeneigtheit 1 4 . Aufgabe der Verfassung als Konfliktlösungsinstrument sei es, ein Gerippe von Zuordnungen und Zuordnungsmöglichkeiten zur Vermeidung oder Lösung von Konflikten anzubieten 15 . Das führe auch die Vertreter der Lehre, die den Systemcharakter der Grundrechte ablehne 16 , als Folge gewisser systematischer Verbindungen unter den Grundrechten sowie der engen Verflochtenheit von Grundrechten und übriger Verfassungsordnung 17 , der Zweiteilung i n Verfassungsnormen und Unterverfassungsrecht sowie des gestaffelten Begrenzungssystems der Grundrechte 18 dazu, ein bestimmtes Maß an Ranghierarchie und geordnetem Neben- und Nacheinander anzuerkennen. Ferner repräsentierten die Grundrechte unterschiedliche Bedeutsamkeiten, schließlich seien auch die Gemeinschaftsinteressen von ungleicher Relevanz 19 . Diese Erkenntnisse führten zur Annahme von Differenzen innerhalb der Grundrechte nach ihrer Bedeutung. Diese Annahme stellt sich für diese Auffassung als notwendige Folge der konfliktlösenden Funktion der Verfassung dar. Denn diese könne nur dann „ein Spiegel der von der Wirklichkeit geprägten Bedeutungsunterschiede sein, wenn sie neben der unterschiedlichen formellen Qualität der Normen die durch die Normierung der Lebenssachverhalte ν err echtlichten Bedeutungsunterschiede nicht i m Recht wieder einebnet, sondern materiell zum Einsatz bringt" 2 0 . Es gebe eine Vielfalt unterschied11

Vgl. auch Hesse, Grundzüge, § 9 I I 3 d. Ständige Rechtsprechung des BVerfG: Vgl. E 12, 45/52; 19, 135/8. s. auch Grabitz, AöR 1973, 577; F. Müller, Positivität, S. 40, 43, 46 ff. 18 H. Schneider, S. 221 ff. 14 So das B V e r f G i n E 20, 162/76; 28, 243/61. 15 So unter Berufung auf K. Hesse, Grundzüge, § 1 I I I ; § 2 I I I 2; § 7 I u n d öfter. Als A r g u m e n t trägt Schneider den Gesichtspunkt ,Einheit der V e r fassung 4 vor. Die U n h a l t b a r k e i t dieser Begründung hat jetzt F. Müller, E i n heit, belegt. Vgl. ebd., S. 234: „Ohne die Rede von der Einheit der Verfassung gewänne das Argumentieren i m Staatsrecht ein Stück Echtheit". 16 Nachw. Anm. 9. 17 s. K . Hesse, Grundzüge, § 9 I I I . 18 F. Müller, Positivität, S. 55 ff., 60 ff. u n d öfter. 19 Grabitz, AöR 1973, 568, 580 f. 20 H. Schneider, S. 223. Hervorhebung i m Original. H i e r auch das folgende Zitat. 12

I. Das

ische Rechtssystem

119

licher Bedeutungsgrade zwischen den Grundrechten. Diese Relationen sollen sich zwar nicht aus der Verfassung als abstraktem und zeitlosem Text ergeben. Es sei jedoch nicht Sinn der Verfassung, tote Materie zu regeln. „Vielmehr folgt aus der Bindung und Verpflichtung der Verfassung an die Wirklichkeit des zugrundeliegenden Staatsganzen die Hineinnahme der aktuellen komplexen Wirklichkeit m i t ihren Bedeutungsunterschieden i n den Gehalt abstrakter und ohne dies leerer Verfassungsnormen". Es sei unzulässig, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der Herstellung praktischer Konkordanz oder bei einer Normbereichsanalyse die Existenz der Rangfolge von Bedeutungen außer acht zu lassen. — Nach dieser theoretischen Fundierung der These von der Rangordnung der Grundrechte w i r d nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gesucht, die die Behauptung praktisch stützen. Diese Möglichkeit besteht praktisch nur dann, wenn das Bundesverfassungsgericht die Ränge zweier umfassend abstrakter Rechtsgüter abstrakt vergleicht 21 . N u r der abstrakte Rangvergleich führt zu Aussagen einseitiger Vorrangigkeit oder beiderseitiger Gleichrangigkeit. Die Analyse der Judikatur führt zu dreizehn eigenständigen Rangermittlungen 22 . Fünf davon sind i n diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, weil sie nicht das Verhältnis von Grundrechten untereinander betreffen 23 . Acht Entscheidungen 24 sind von unmittelbarer Bedeutung: Diese gelangen zu dem Ergebnis, daß die Grundrechte aus A r t . 5 Abs. 1 GG gleichwertig sind 25 . Sie stehen auch i n gleichem Rang wie das Persönlichkeitsrecht aus A r t . 2 Abs. 1 i. V. m. A r t . 1 Abs. 1 GG 2 e , welches seinerseits m i t der Grundfreiheit aus A r t . 5 Abs. 3 GG gleich eingestuft wird 2 7 . Die Menschenwürde steht als oberster Wert und Mittelpunkt des Wertsystems fest 28 . Darüber hinaus kennzeichnet die Rechtsprechung des Bundes21 Ebd., S. 158 f., 224. — Nicht-abstrakte Rangvergleiche erbringen n u r generelle Aussagen über die Verhältnisse v o n Gewicht u n d Bedeutung v e r schiedener Teilbereiche zueinander, damit k a n n die Wertrangordnung n u r m i t t e l b a r konkretisiert werden, vgl. H. Schneider, ebd., S. 224. 22 Ebd., S. 224. 23 Diese sind — nach H. Schneider — folgende: Der Bestand der Bundesrepublik Deutschland u n d i h r e r freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist gegenüber der Pressefreiheit vorrangig (BVerfGE 20, 162/78, 201, 219); das einwandfreie Funktionieren einer geordneten V e r w a l t u n g hat vor der M e i nungsfreiheit grundsätzlich Vorrang (BVerfGE 28, 191/8); die Volksgesundheit, der A r b e i t s m a r k t u n d die Energieversorgung genießen Vorrang gegenüber allen gemeinschaftsorientierten Grundrechten (BVerfGE 30, 1/16; 21, 245/51; 30, 292/324). 24 BVerfGE 12, 205/61; 27, 71/81; 28, 175/88; 30, 173/95; 33, 52/65; 34, 269/82; 35, 202/25; 35, 202/44. 25 BVerfGE 12, 261; 27, 81; 28, 188; 30, 195. 26 BVerfGE 34, 282; 35, 225. 27 BVerfGE 35, 244. 28 Ständige Rechtsprechung des Gerichts, s. ζ. Β . E 39, 1/42.

120

D. Konkrete Systembildungen i m

echt

Verfassungsgerichts vier nichtabstrakte Vorabeinstufungen zwischen Grundrechten: Ein privates Rechtsgut (Art. 2 Abs. 1 GG) muß u m so eher und mehr gegenüber der Meinungsfreiheit zurücktreten, je intensiver die Meinungsäußerung dem geistigen Meinungskampf i n einer die Öffentlichkeit interessierenden Frage und nicht privaten, eigennützigen, wirtschaftlichen Zwecken dient (Lüth-Urteil) 2 9 . Die I n t i m sphäre des einzelnen hat Vorrang vor wirtschaftlichem Gewinnstreben (Art. 2 Abs. 1 i m Verhältnis zu A r t . 12 GG) 30 . Bei der aktuellen Berichterstattung über Straftaten verdient das Informationsinteresse der Öffentlichkeit Vorrang gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Täters (Art. 5 Abs. 1 GG i m Verhältnis zu A r t . 2 Abs. 1 GG) 31 . Das Leben des Nasciturus ist gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Frau vorrangig (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i m Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG) 32 . Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich m i t h i n nur die Aussage entnehmen, daß der durch A r t . 1 Abs. 1 GG als Staatsfundamentalnorm, als oberstes Konstitutionsprinzip statuierte Schutz der Würde des Menschen Vorrang vor allen anderen Rechtszwecken hat. Von diesen ist ein Teil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichrangig. Über den Rang der anderen Zwecke äußert sich das Bundesverfassungsgericht nicht. Über deren Rang darf die Untersuchung keine eigene Spekulation anstellen und auf der Basis der Spekulation aufbauend das System aufstellen 33 . Von der Basis dieser 29

BVerfGE 7, 198/212. BVerfGE 32, 311/8. 31 BVerfGE 35, 231. 32 BVerfGE 39, 42 f. 33 Es scheint auch müßig, nach Tendenzen der Rangeinstufung zu suchen, w i e H. Schneider, S. 231 ff., es u n t e r n i m m t . Denn sein Ansatz, die G r u n d rechte nach i h r e r Bedeutung rangmäßig einzuordnen, hat selbst n u r einen, freilich schon vorher bekannten E r t r a g gehabt: Der Schutz der Menschenw ü r d e bildet die Spitze der Rangskala, u n d ferner gelangt diese Skala, so sie tatsächlich existiert, nicht bei der Lösung konkreter Fälle zum Einsatz, u n d k a n n dies auch gar nicht: Z w a r ist es Aufgabe der Verfassung, K o n f l i k t e zu lösen, damit ihre wesentliche Aufgabe, die Schaffung der rechtlichen Grundordnung eines Gemeinwesens (Hesse, Grundzüge, § 1 I I I ) i n E r f ü l l u n g geht. K o n f l i k t e werden aber nicht entsprechend der Rangskala gelöst, rein tatsächlich nicht, denn „ i n der konkreten Handlungssituation geht es", w i e Otte, Naturrecht, S. 20, feststellt, „fast i m m e r gar nicht darum, ob ein W e r t (auf das hier i n Rede stehende Problem übertragen, ein Grundrecht) schlechth i n einem anderen über- oder unterzuordnen sei, sondern u m die Einschätzung, i n welchem U m f a n g ein Wert, mag er einem anderen an sich gleich-, über- oder unterzuordnen sein, durch eine mögliche Handlung i n M i t l e i d e n schaft gezogen oder aber gefördert w i r d , bzw. m i t welcher Wahrscheinlichk e i t er i n positiver oder negativer Hinsicht tangiert w i r d " . Dieser, von den Fakten ausgehende E i n w a n d w i r d theoretisch gestützt durch die These, das Wertsystem der Gesellschaft, dessen Hineinnahme i n die Verfassung H. Schneider, S. 233, fordert (ebenso Häberle m i t seiner Theorie von der V e r fassung als offenem Prozeß, vgl. JZ 1975, 301), sei nicht feststellbar. Diesen 30

I. Das

ische Rechtssystem

121

Rechtsprechung ausgehend gibt es m i t h i n einen obersten Zweck. Diese These ist i n der Literatur allgemein akzeptiert. Dieser Zweck zählt zu den Grundrechten. Der Schutz der Menschenwürde ist ein Grundrecht 84 . A l l e i n diesen Zweck darf ein axiomatisches System, das die Realdaten berücksichtigt, als A x i o m setzen. Die Grundrechte bilden folglich dann ein axiomatisches System, wenn sich aus dem Zweck ,Schutz der Menschenwürde' alle anderen i n den Grundrechten enthaltenen Zwecke, diese als Sätze formuliert, logisch ableiten lassen, oder aber nur ein Teil der Zwecke aus dem Zweck ,Schutz der Menschenwürde' und aus diesen abgeleiteten Zwecken wiederum andere usw. Die i n den Grundrechten normierten Zwecke sind entweder Individualzwecke, Gemeinschaftszwecke oder institutionelle Gewährleistungen. E i n Individualzweck ist ζ. B. die Sicherung der Freiheit des einzelnen. Einen Gemeinschaftszweck bildet die Sicherung der Leistungsfähigkeit des Schulwesens, M i t t e l ist die Staatsaufsicht, A r t . 7 Abs. 1 GG. Neben dem Schutz des Eigentums als individuelles Recht enthält A r t . 14 GG eine Institutsgarantie, indem er das Institut Eigentum gewährleistet. Art. 1 Abs. 1 GG, der den höchstrangigen Zweck enthält, normiert einen Individualzweck. Wenn zwischen Zwecken logische Beziehungen der A r t bestehen, daß aus einem Zweck, dieser als Satz formuliert, ein anderer Zweck folgt, so ist unmittelbar einsichtig, daß der aus einem Individualzweck abgeleitete Zweck nur ein Individualzweck sein kann. Denn nur E i n w a n d gegen jede A b w ä g u n g anhand von Rangeinstufungen hat Schlink, Abwägung, vorgetragen u n d begründet. Schlink hat, S. 127 ff., festgestellt, es sei unmöglich, die Wertordnung der Gemeinschaft m i t H i l f e des i n t e r individuellen Nutzenvergleichs zu ermitteln. Der interindividuelle Nutzenvergleich sei aber die einzig brauchbare Methode zur Erlangung einer abgesicherten Rangordnung. ( I n diesem Sinne scheint Zippelius, Wertungsprobleme, vorzugehen, w e n n er auf die Wertordnung der herrschenden M o r a l abstellt; das gleiche g i l t f ü r Esser, Grundsatz, u n d Wieacker, Gesetz, die t e i l weise auf allgemeine Überzeugungen bzw. auf den Konsens der Rechtsdenkenden i n der Zeit rekurrieren). Die Unmöglichkeit ergebe sich daraus, so Schlink, daß die gesellschaftliche Wertordnung nicht starr, sondern beweglich sei (S. 130). Folglich reiche zur Darstellung der Werte keine Ordinal-, sondern n u r eine Kardinalskala, die auch die Abstände zwischen einzelnen Werten dokumentiere (zu den verschiedenen Skalenarten s. ζ. B. Stegmüller, S. 306 ff.). A n Beispielen demonstriert Schlink, S. 131 ff., daß die konkret zu erstellende Skala abhängig sei von den Verwirklichungsintensitäten der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft. N u r bei Berücksichtigung dieser V e r w i r k lichungsintensität lasse sich d e f i n i t i v f ü r jeden Wert gesondert ermitteln, welchen Rang u n d welches Gewicht er i m Rechtsgütersystem einnehme, S. 134. D r e i Möglichkeiten zur E r m i t t l u n g sieht Schlink, die letztlich jedoch ausscheiden müßten, S. 134 ff.: 1. den interpreta tor ischen Weg, dieser habe i n der Verfassung keinen A n h a l t ; 2. den Rückgriff auf die Wertphilosophie, dieser sei abzulehnen; 3. den interindividuellen Nutzenvergleich, dieser müsse scheitern, w e i l subjektive Präferenzen nicht meßbar seien. 34 BVerfGE 12, 53; 27, 6; 30, 193; 45, 227. s. ferner Dürig, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, A r t . 1 Abs. 1, Rdn. 4 m i t Nachw. der Auffassung, die erst i n A r t . 1 Abs. 2 die entscheidende Aktualisierungsnorm sieht, i n A n m . 1.

122

D. Konkrete Systembildungen i m Recht

diese Aussage enthält der Obersatz. Konsequenz ist folglich, daß alle i m Grundrechtsteil normierten Zwecke, die nicht Individualzwecke sind, nicht zum System gehören. Dieser ,Mangel· führt zur Ablehnung der Möglichkeit, alle grundrechtlich normierten Zwecke i n einem axiomatischen System zu erfassen. Dieser Mangel ist nicht behebbar durch Konstruktion eines die drei genannten Zweckarten umfassenden Zwecks. Denn dieser Zweck muß nicht nur ein außerordentlich weiter sein, sondern er ist als solcher auch nicht durch das positive Recht gesetzt. Diese Setzung ist aber Voraussetzung dafür, daß er zum ,System der rechtlich normierten Zwecke 4 gehört. Es gibt nach alledem keinen Zweck, aus dem die i n den Grundrechten normierten Zwecke ableitbar sind. Es gibt deshalb erst recht keinen Rechtszweck, der alle anderen Zwecke inhaltlich bereits mitumfaßt. Da eine Ordnung der vorhandenen Zwecke nach ihrer Bedeutung, wenn die Bedeutung als Differenzen erzeugendes K r i t e r i u m akzeptiert würde, und nach ihrem gesetzlich normierten Rang kein System ist, w e i l dieses »System4 n u r die Realität der Zwecke abbildet, gibt es kein Gesamtsystem der Zwecke. 2.

Teilsysteme

Die Tatsache der Nichtaxiomatisierbarkeit der Gesamtrechtsordnung schließt nicht die Möglichkeit aus, Teilrechtsgebiete zu axiomatisieren. Diese Behauptung ist bereits durch eine Untersuchung 35 belegt. A u f der Ebene des Grundgesetzes können ζ. B. theoretisch alle Individualzwecke ein System bilden. Ob das der Fall ist, muß durch Probieren gezeigt werden. Ferner ist nicht ausgeschlossen, daß einige Individualzwecke ein System insoweit bilden, als sie sich aus A r t . 1 Abs. 1 GG ableiten lassen. I n diesem Falle entsteht ein System m i t einem A x i o m an der Spitze. Dürig 3 6 meint zwar, A r t . 2 Abs. 1 GG stehe nicht i n einem logischen Ableitungsverhältnis zu A r t . 1 Abs. 1 GG. Wenn notwendige Bedingung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist, daß Menschen als Menschen akzeptiert werden, und diese Akzeptanz Teil des Ziels ist, Menschenwürde zu schützen, dann enthält der Schutz der Menschenwürde die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Diese ist aus jenem Schutz also zu deduzieren. Die Frage mag hier jedoch auf sich beruhen. — I m Verhältnis Verfassungsrecht — einfachgesetzliches Recht scheint die Bildung axiomatischer Systeme ebenfalls möglich. Normen des einfachen Rechts konkretisieren des öfteren Verfassungsrecht. Konkretisierte Verfassungsnorm und die sie konkretisierenden Normen können ein axiomatisches System m i t der konkretisierten Norm an der 35 Ε. v. Savigny, Z u r Rolle der axiomatisch-deduktiven Methode; auch Otte , Rechtstheorie 1970, 192, geht von dieser Möglichkeit aus. 36 I n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, A r t . 1 Abs. 1, Rdn. 11.

I I . Das teleologische Rechtssystem

123

Spitze bilden. Ein Beispiel für diesen Fall bildet das Sozialrecht. Dessen Normen geben dem Sozialstaatsprinzip erst vollzugsfähige Gestalt. Dam i t ist nicht gesagt, daß dieses Prinzip diese Normen alle zwingend erfordert. Nicht notwendig ist das geltende Sozialrecht aus diesem Grunde zwingend geboten. — Auch auf der einfachgesetzlichen Ebene sind axiomatische Systeme nicht ausgeschlossen. Ohne Bedeutung ist das Problem, ob hier Rangdifferenzen innerhalb der Zwecke existieren. Denn das axiomatische System setzt diese Differenz nicht zwingend voraus. — I m Verhältnis Gesetzesrecht — Verordnung sowie i m Bereich Gesetzesrecht — Satzungsrecht ist die Bildung axiomatischer Systeme wie i n den schon genannten Bereichen nicht unmöglich. Sie ist denkbar, weil Verordnungen immer und Satzungen ζ. B. i m Bereich des Bauplanungsrechts nur die Zwecke verfolgen dürfen und näherhin zu konkretisieren haben, die das Gesetz nennt. Für das Verhältnis Gesetz — Verordnung folgt dies unmittelbar aus A r t . 80 Abs. 1 S. 2 GG. Denn wenn das Gesetz den Zweck genau zu umreißen hat, den zu realisieren dem Verordnunggeber erlaubt ist, so bedingt das notwendig, daß der Verordnunggeber eben nicht mehr als diesen Zweck durch die Verordnung verwirklichen darf. Das gleiche gilt i m Verhältnis Gesetz — Satzung, wenn die Satzung eine Vollzugsform des einfachen Rechts bildet. Die Verordnungen generell und die Satzungen jedenfalls speziell dürfen also nur die Zwecke der Ermächtigungsgrundlage wiederholen oder konkretisieren. I m letzten Fall scheinen axiomatische Systeme möglich. I I . Das teleologische Rechtssystem 1. Das gesamte Recht als System A l l e i n der Rechtsordnung der Bundesrepublik verkörperten Zwecke müssen zumindest i n einem obersten Zentralzweck münden, damit dieses Recht ein teleologisches Rechtssystem bildet. Dann ist eine Prämisse für die Möglichkeit einer vollständigen Finaldetermination erfüllt. Diese Möglichkeit existiert jedoch nicht. I m Bereich des Rechts muß ein derartiger, alle konkreten Zwecke übergreifender Zentralzweck eine so inhaltsarme Abstraktion darstellen, daß sein Inhalt konkret nicht mehr mitteilbar ist. Das schließt eine generelle Finaldetermination aus. Ferner ist i n der Rechtsordnung der Bundesrepublik ein solcher Zweck auch nicht vorhanden. Oberster Rechtswert dieser Rechtsordnung ist der Schutz der Menschenwürde. Als Individualzweck erfaßt er bereits nicht die Gemeinschaftszwecke. Denn diese sind wesensmäßig vom Individualzweck unterschieden. Ein beide denkbaren Zweckarten umfassender Zweck ist positiv-rechtlich nicht normiert. Ein Ausweg, an den in dieser Situation gedacht werden könnte, ist verschlossen. Es könnte daran

124

D. Konkrete Systembildungen i m Recht

gedacht werden, A r t . 1 Abs. 1 GG so extensiv zu interpretieren, daß er alle anderen rechtlich normierten Zwecke erfaßt. I n diesem Fall geht diese Norm aber ihrer Funktion als Maßstab für die Rechtssetzung und Rechtsanwendung verlustig, weil ihr Inhalt sehr weit und damit nichtssagend sein muß. Eine solche Interpretation ist jedoch ausgeschlossen, weil A r t . 1 Abs. 1 GG anzuwendendes Recht ist. Es kann somit ein alle Zwecke des Rechts erfassendes teleologisches System nicht geben. 2.

Teilsysteme

Teleologische Teilsysteme erscheinen möglich. Das Recht enthält eine Vielzahl von Zwecken. Es ist deshalb naheliegend, daß diese i m Einzelfall i n einer Zweck-Mittel-Relation zueinander stehen. Dafür spricht schon, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Rechtsgrundsatz auch auf die Gesetze Anwendung findet. A u f der Ebene des Grundgesetzes dienen ζ. B. einzelne Grundrechte als M i t t e l zum Schutz der Menschenwürde. Die die Organisation der Staatsgewalt regelnden Normen dienen als M i t t e l zur Realisierung der Handlungsfähigkeit des Staates, die als Zweck i m Grundgesetz vorausgesetzt ist. I m Verhältnis Verfassung — einfachgesetzliches Recht gibt es ebenfalls Zweck-MittelRelationen. Die i m Grundgesetz vorhandenen Zwecke individueller A r t werden z. B. durch das M i t t e l Strafrecht geschützt. Der Schutz der Pressefreiheit w i r d durch die Pressegesetze angestrebt. Dem Schutz des Berufsbeamtentums dienen die Beamtengesetze. Zum Teil enthält das Grundgesetz Zwecke, die der Verwirklichung durch den Gesetzgeber bedürfen. Das gilt beispielsweise für das Sozialstaatsprinzip. A u f der einfachgesetzlichen Ebene sind Zweck-Mittel-Relationen ebenfalls vorhanden. I n den Gesetzen ,erfindet' der Gesetzgeber ständig Zwecke und stellt die M i t t e l bereit, m i t deren Hilfe die Zwecke zu realisieren sind. N u r selten sind Gesetze vorhanden, die einen bestimmten Ausschnitt der sozialen Realität i n einem bestimmten Sinne regeln und nicht zugleich das M i t t e l zur Durchsetzung dieser Absicht angeben. Auch i m Verhältnis Gesetzgeber — Verordnung- bzw. Satzunggeber gibt es teleologische Systeme. Die Straßenverkehrsordnung ζ. B. enthält eine Vielzahl von Mitteln, die den i n der Ermächtigungsgrundlage verfolgten Zweck durchsetzen sollen.

E. Die Antwort: Das Recht — zum Teil ein System Die Ausgangsfrage dieser Untersuchung lautete, ob das Recht ein System bildet, an das verfassungsrechtliche Konsequenzen geknüpft sein können. Diese Frage ist für einbezügliche Relationen vollständig zu verneinen. Das Recht als Ganzes bildet wohl schon kein einbezügliches System; denn soll die Summe aller Rechtsnormen vom System erfaßt werden, dann bleibt wohl nichts anderes übrig, als an den Normativcharakter der Rechtssätze als solche oder an ihre Zweckhaltigkeit als solcher anzuknüpfen: wenn das denn ein ,System' ist, ist es wohl ein sinnloses. Als verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt scheidet es ebenso aus wie ein einbezügliches Teilsystem; das war schon festgestellt worden. Die Ausgangsfrage ist für zweibezügliche Systeme insoweit zu verneinen, als das Recht insgesamt kein System i m Sinne der erarbeiteten Begriffe von Rechtssystem bildet. Es sind aber, wie gesagt, Teilsysteme vorhanden. Das Recht ist demnach nicht als Ganzes, aber i n Teilen ein Sysfem i m Sinne der zweibezüglichen Rechtssystembegriffe. Diese Teilsysteme bilden auch einen Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob ein Zweck zum System paßt oder nicht. Dieses ,Passen' kann verfassungsrechtlich relevant sein — ob es verfassungsrechtlich relevant ist, bildet nicht den Gegenstand dieser rechtstheoretischen Untersuchung. *

*

*

Offen bleibt das Problem, wie i n der Untersuchung bereits herausgestellt, ob m i t Hilfe anderer Elemente ein inhaltlich gehaltvolles zweibezügliches Rechtssystem gebildet werden kann. Denkbar ist dieses beispielsweise i m Hinblick auf die Elemente ,Fragen' 1 oder ,Rechtsbegriffe' 2 . Diese rechtstheoretisch und partiell auch rechtstheoretischrechtshistorische Fragestellung sprengt den Rahmen dieser Untersuchung, die von verfassungsrechtlichen Behauptungen veranlaßt worden ist 3 . Der Verfasser hofft gleichwohl, auch für Rechtstheoretiker eine Studie geliefert zu haben, die diesen bescheidenen Gewinn bringt und daraus die Rechtfertigung ihrer Publikation erfährt. 1

Dazu Gmür, S. 94 ff. Also dem Element, auf dem das System der Begriff s jurisprudenz basierte. Freilich w i r d davon ausgegangen, daß aus diesem Element ein System des Rechts nicht gebaut werden kann, s. Gmür, S. 92. 3 Siehe Α. I. 2

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