Das positive Recht als soziales Phänomen [1 ed.] 9783428541836, 9783428141838

Toru Hijikata stellt die Grundthese auf, dass das Recht in der jeweiligen Gesellschaft stets Geltung hat, obwohl der Ort

118 63 1MB

German Pages 131 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Das positive Recht als soziales Phänomen [1 ed.]
 9783428541836, 9783428141838

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schriften zur Rechtstheorie Band 268

Das positive Recht als soziales Phänomen

Von Toru Hijikata

Duncker & Humblot · Berlin

TORU HIJIKATA

Das positive Recht als soziales Phänomen

Schriften zur Rechtstheorie Band 268

Das positive Recht als soziales Phänomen

Von Toru Hijikata

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-14183-8 (Print) ISBN 978-3-428-54183-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84183-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Leges humanae nascuntur, vivunt, et moriuntur. Zur Erinnerung an Niklas Luhmann, der immer schneller schrieb als ich las.

Vorwort Das vorliegende Buch stellt die Grundthese auf, dass das Recht in der jewei­ ligen Gesellschaft stets Geltung hat, obwohl der Ort des Verfassens und der Ort der Anwendung zeitlich und räumlich verschieden sind. Das Buch befasst sich da­ bei allein mit der Frage, wie das möglich ist. Die Untersuchung wird dabei vom Versuch bestimmt, die Attribute des Rechts wie Universalität, Gültigkeit, Si­ cherheit, Richtigkeit, Normativität und Systemcharakter als gesellschaftlichen Aufbau im Sinne dieser Grundthese zu reformulieren. Hinter diesem Bestreben liegt die Absicht, einen Beitrag zur Aufklärung über die Eigenschaft des positi­ ven Rechts in konkreter und bestimmter Art und Weise zu leisten. Die Beantwor­ tung der Frage nach der Positivität des Rechts und seinen Strukturen beschränkt sich dabei nicht nur auf die juristischen Diskurse über das Recht, sondern wird auch seine weiteren Bedeutungen jenseits der Grenzen des juristischen Diskurses thematisieren. Sowohl in den Wissenschaften als auch in sozialen und kulturellen Bereichen wird seit langem auf die Defizite der Welterklärung mit herkömmlichen monis­ tisch-absolutistischen Wertvorstellungen hingewiesen. Strukturalismus und Kul­ turanthropologie haben demgegenüber andere Möglichkeiten angeboten, zugleich hat die Reflexion des Eurozentrismus den Wertepluralismus und die Relativi­ tät der einzelnen Weltanschauungen aufgedeckt. Allerdings müssen diese An­ sätze ihre Thesen und Theorien auch auf sich selbst richten. Der Pluralis­ mus muss beispielsweise auch in sich pluralistisch und der Relativismus in sich relativistisch sein. Anderenfalls widersprächen diese Theorien sich selbst. Diesen problematischen Wider­ spruch vermeiden die Theorien, indem sie ih­ ren eigenen Standpunkt auf einen privilegierten Ort verlagern, an dem Selbst­ referenz ausgeschlossen werden soll. Erst dadurch realisieren diese Theorien sich selbst. Diese Aporie ist nicht nur auf Thesen der Pluralität und der Relativität beschränkt. Wissenschaften, die die Gesellschaft und ihre Prozesse zum Beobachtungs­ gegenstand haben, müssen sich dabei des Problems bewusst sein, dass diese Be­ obachtungen selbst mitten in der Gesellschaft stattfinden. Das heißt, dass diese Wissenschaften auch ihre eigenen Beobachtungen beobachten müssen. Wenn ein wissenschaftlicher Diskurs dieses Problem der Selbstbeobachtung umgehen und die Gesellschaft von außen beobachten möchte, nimmt er sich insgeheim selbst von den Gegenständen der eigenen Beobachtung aus. Um die Fiktion zu vermei­ den, dass ein Beobachtungsstandpunkt zur Beobachtung der Selbstkonstitution unserer Gesellschaft von außen her möglich sei, wird man deshalb ein wissen­ schaftliches Selbstbewusstsein herausbilden müssen.

8

Vorwort Vorwort

Diese Gedanken sind auch auf den Diskurs über das Selbst bzw. das Subjekt anwendbar. Kann die Gewissheit der Erkenntnis über das Selbst im Selbst festge­ stellt werden? Die Moderne hat mit dem Cartesianischen Satz „Cogito ergo sum“ begonnen. Descartes hat die unbezweifelbare Existenz des eigenen Selbst zum grundlegendsten und sichersten ersten Prinzip (unum necessarium) gemacht und damit das Subjekt, das den Ausgangspunkt der Moderne ausmacht, substanziell positioniert. Seit geraumer Zeit sind aber an die Stelle der herkömmlichen Dis­ kurse über die Substanz Diskurse über die Struktur, die Funktion, das Andere, die Interaktion und die Kommunikation getreten, die zunehmend als analytisch effek­ tiver gelten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Diskurs, der sich an der Gewissheit des Selbst orientiert, seinerseits wirklich so gewiss ist. Und be­ rücksichtigt man vor diesem Hintergrund die Gesellschaft, in der das Selbst exis­ tiert, dann stellt sich nicht zuletzt auch die Frage neu, ob es möglich ist, dass das Selbst sich selbst tatsächlich bestimmen kann. All diese Aporien begründen sich in demselben Problem, nämlich im Problem der Selbstreferenz – das Selbst ergibt sich aus der Rede über sich selbst. Ein Aus­ weg aus dieser Aporie ist schwer zu finden. In der Regel wird dieses auflösbare Problem nicht direkt behandelt, sondern mithilfe von (geheimen) Theorieappara­ turen geschickt verschleiert. Aber gerade hieraus ergibt sich die Wichtigkeit eines Diskurses, der den Bezug des Selbst auf das Selbst direkt und offen behandelt. Das positive Recht, das in der Gesellschaft operiert, macht von diesem selbst­ referenziellen Charakter Gebrauch, weil Recht durch Recht festgelegt wird und Recht sich im Recht entwickelt. Das Recht wird einerseits durch die Gesellschaft bestimmt, andererseits regelt es gleichzeitig diese Gesellschaft, indem es durch rechtliche Entscheidungen als Recht fungieren kann. Gerade das positive Recht stellt eine effektive und seltene Form des Rechts dar, diese Aporie geschickt zu vermeiden und sie kreativ zu nutzen. Daher stellt sich die Frage, wie dieses bei­ spiellose Potenzial positiven Rechts freigesetzt werden kann. Vorgeschlagen wird hier die Entfaltung des Potenzials, indem man Recht zunächst als Form versteht, in diesem Sinne positiv bewertet und an einen Diskurs anschließt, um einen Aus­ weg aus der Aporie zu suchen. Im Gegensatz dazu sind im gegenwärtigen Diskurs über das Recht immer noch erhebliche Überreste seiner traditionellen Konzeptualisierung zu finden, die den Anschein erwecken, dass im Hintergrund dieses Diskurses die Heiligkeit oder der transzendente Charakter des Rechts verborgen liegen. Als wären Überlegun­ gen über die Meta-Funktionen des Rechts aus den Diskursen selbst ausgeschlos­ sen worden; und zwar als Folge dessen, dass das positive Recht aus dem traditio­ nellen Rahmen entrissen worden ist. Aber ist es nicht vielmehr so, dass all diese Beobachtungsansätze die Art und Weise, in der sich das Recht in dieser Gesell­ schaft konstituiert, nur schwer sichtbar machen und dass aus diesem Grund eine Analyse des Rechts durch einen zweckorientierten Filter zwingend geworden ist? Aufgrund dieser Vorüberlegungen wird im vorliegenden Buch der Versuch

9

Vorwort Vorwort

unternommen, die Funktion des Rechts in der Gesellschaft gemäß seiner (eige­ nen) ­Logik zu begreifen. Leges naturae perfectissimae sunt et immutabiles; humani vero juris conditio semper in infinitum decurrit, et nihil est in eo quod perpetuo stare possit. Leges humanae nascuntur, vivunt, et moriuntur (Calvin 7, Coke’s Reports, King’s Bench 25a). (Dt. Übers.: Die Naturgesetzte sind noch vollkommener und unveränderlich. Dagegen ändert sich die Situa­ tion der menschlichen Gesetze ständig ins Unendliche und darunter gibt es nichts, was für sich ewig unveränderlich wäre. Menschliche Gesetze werden geboren, leben und sterben.)

Das positive Recht, das das Recht der Menschen darstellt, ist zwar weder voll­ kommen noch unveränderlich, aber es entwickelt sich kreativ inmitten der Gesell­ schaft. Es wäre eine große Freude für den Verfasser, wenn dieses Buch einen Bei­ trag zum besseren Verständnis dieses enormen Potenzials des positiven Rechts leisten könnte. Tokio, im Oktober 2013

Toru Hijikata

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Grundthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Universalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

II.

Die rechtliche Erfassung und Beschreibung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 22

III. Die zeitliche Dimension der Erfassung und Beschreibung des Rechts . . . . . . . 24 1. Der Zeithorizont der Rechtserfassung und -beschreibung . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Entwicklung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Die Wirksamkeit des Rechts in der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Die Fortdauer des Rechts in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Der dynamische Charakter des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Die Selbstreferenzbewegung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Die Akkumulation der Erfahrungen im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Die Selbstthematisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Die Selbstdifferenzierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Die selbstreferenzielle Bewegung zum Erwerb der Universalität . . . . . . . . 34 B. Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

II.

Entscheidungsunfähige rechtliche Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Die Kontingenz des rechtlichen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

III. Die Verwirklichung der rechtlichen Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Die Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Instanz der Gültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

II.

Rechtliche Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

12

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 2. Bewahrung und Fortsetzung der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Der rechtliche Charakter der Unsicherheitsfaktoren des Rechts . . . . . . . 50 b) Die durch Unsicherheitsfaktoren nicht zu störende Rechtssicherheit . . . 50 c) Die Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit durch Rechtsexperten . . . . 51 3. Rechtssicherheit als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Die Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren als deren Erzeugnis . . . . . . 52 b) Rechtssicherheit in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Die stabile Erfüllung der Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Die Aufrechterhaltung der Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Beständige Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

D. Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

II.

Die Aporie des äußeren Grundes – Non sub rege, sed sub lege . . . . . . . . . . . . . 63

III. Die Zirkulation des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Der Grund des Rechts ist das Recht selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Recht ist Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Der Recht/Unrecht-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 V.

Der Anfang – divinam essentiam per se incomprehensiblem esse . . . . . . . . . . . 68

VI. Das Nichtvorhandensein des Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 VII. Die Post-Unvollständigkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 E. Normativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

II.

Die Norm als Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Subsumtion und Zirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Die Unterscheidung der Tatsache/Norm-Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Die Hierarchie/Heterarchie der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

III. Die Form der Rechtsgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Die hierarchische und die heterarchische Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Die Fortdauer des Geltungszustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Normativität durch rechtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Die rechtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Die Einheit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis V.

13

Unvollendete Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Die Willkürlichkeit der rechtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Die Norm in der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

VI. Die Rechtsnorm der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 F. Der Systemcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

II.

Geschlossenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Die Geschlossenheit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Konsequente Durchsetzung der Geschlossenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

III. Die Verinnerlichung der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Die Innen/Außen-Unterscheidung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Die Recht/Unrecht-Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Die Unterscheidung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Die Tatsache/Norm-Unterscheidung im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Die Normierung der Tatsache/Norm-Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 V.

Der Systemcharakter der Rechtsauslegung – Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . 108

G. Das positive Recht – Reformulierung der Grundthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

II.

Die Thematisierung des Nicht-Thematisierbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Absorption und Entwicklung der Differenz durch rechtliche Beschreibung 113 2. Absorption und Entwicklung der Differenz in der Gegenwart des Rechts . . 114

III. Statischer Zustand durch Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Selbstreferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Einleitung: Grundthese Das Recht in der jeweiligen Gesellschaft hat stets Geltung, obwohl der Ort des Verfassens und der Ort der Anwendung zeitlich und räumlich verschieden sind. Wir leben in dieser Gesellschaft unter diesem Recht. Wie aber sieht unser Recht der Gesellschaft genau aus? Was bedeutet es eigentlich, dass das Recht in der Ge­ sellschaft als Recht gilt? Wie lässt sich dieses Recht beschreiben? Das vorliegende Buch versucht, diese Fragen zu beantworten, indem es diejenigen gesellschaft­ lichen Strukturen erläutert, in denen das Recht in dieser Gesellschaft als Recht funktioniert. Untersuchungsgegenstand ist die Bestimmung des Sachverhalts, dass das Recht in dieser Gesellschaft als Recht funktioniert, als soziales Phäno­ men. Diese Funktion des Rechts als solche, die ein soziales Phänomen darstellt, wird im vorliegenden Buch in dem Sinne verstanden, dass das Recht in der jewei­ ligen Gesellschaft stets Geltung hat, obwohl der Ort des Verfassens und der Ort der Anwendung zeitlich und räumlich verschieden sind. Anders formuliert: Ge­ rade die Gültigkeit des Rechts jenseits von Raum und Zeit stellt die Grundlage für das Funktionieren des Rechts als solchem in der Gesellschaft dar. Diese Grund­ these leitet den in diesem Buch festgehaltenen Diskurs und die dem Diskurs zu Grunde liegenden Überlegungen. In akademischen Kreisen wurden kritische Auseinandersetzungen mit der Juris­prudenz als (Sozial-)Wissenschaft oder als Wissenschaft der Rechtsaus­ legung eingeordnet.1 In dieser Diskussion blieb allerdings eine schwerwiegende 1 Diese Diskussion wurde in Japan von einer bestimmten theoretischen Erwartung gegen­ über der sogenannten Rechtssoziologie maßgeblich beeinflusst, deren Hintergrund sich fol­ gendermaßen zusammenfassen lässt: Als erstes ist die Kritik am Problem des Rechtsfetischismus zu nennen. Die als Rechtsaus­ legung zu bezeichnenden Arbeiten wurden unter der Annahme durchgeführt, dass sich alle richtigen praktischen Interpretationen deduktiv aus den gesetzlichen Regelungen ableiten las­ sen, indem die vielfältig miteinander verwobenen (und somit komplex zusammengesetzten) Gesetze dogmatisch interpretiert werden. Durch die auf diese Weise praktizierte Rechtsausle­ gung und -anwendung scheint sich das Recht, das eigentlich die Menschen zu dessen Haupt­ gegenstand machen sollte, zu einer Materie zu verwandeln, die die Menschen nicht mehr errei­ chen kann. Um diese Entfernung zwischen dem Recht und den Menschen zu reduzieren, wurde im Kontext der Freirechtsbewegung, die zur monistischen Auffassung des positiven Rechts kri­ tisch Stellung bezog, die wissenschaftliche Aufgabe der Rechtssoziologie festgelegt. Zweitens sah man sich unter den nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zeit der US-amerika­ nischen Besatzung neu erlassenen Gesetzen gezwungen, die Diskrepanz zwischen den exis­ tierenden, tradierten gesellschaftlichen Lebensformen und den neu gegebenen Rechtsregeln zu überbrücken. Diese Art der Diskrepanz wird zwar im Allgemeinen bei der Anwendung der Rechtsregeln stets thematisiert, aber meistens im Rahmen der Auslegung absorbiert und tritt deshalb nicht zum Vorschein. Aber das Inkrafttreten der Gesetze in der Nachkriegszeit stellte

16

Einleitung: Grundthese Einleitung: Grundthese

Aporie verborgen: Anders als sonstige Wissenschaften bezieht sich die Jurispru­ denz nicht nur auf die Ebene faktischer Erkenntnisse (Sein), sondern ihrer Natur nach auch im Wesentlichen auf die Rechtspraxis (Sollen). Diese Sonderstellung der Jurisprudenz wird durch den Standpunkt zum Ausdruck gebracht, die Juris­ prudenz im Sinne der Auslegung des Rechts sei als eine „Mischform von Theorie und Praxis“2 zu charakterisieren. Diese Sonderstellung der Jurisprudenz hat wissenschaftlich gravierende Schwie­ rigkeiten verursacht. Bereits die Kategorisierung der Jurisprudenz erweist sich als schwierig, wenn man sie den Sozialwissenschaften zuordnen möchte, denn die So­ zialwissenschaften ziehen eine klare Trennlinie zwischen dem Sein und dem Sol­ len. Der Soziologe Max Weber unterstrich in seiner berühmten Abhandlung „Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ (1904) die Notwendigkeit, zwischen der Erkenntnis des Seins und derjenigen des Sollens eine prinzipielle Trennung zu vollziehen, und betonte, dass es nicht die Aufgabe der empirischen Wissenschaft sei, verbindliche Normen und Ideale zu entdecken und von dort aus Richtlinien für die Praxis abzuleiten. Dass die Übersetzung die­ ser Abhandlung in Japan als Monographie unter dem Titel „Methodenlehre der Sozialwissenschaft“ herausgegeben wurde, verdeutlicht, dass sich diese Charak­ terisierung aus den sozialwissenschaftlichen Grundlagen herauskristallisiert hat. Aufgrund der Inkongruenz von Rechtswissenschaften und Sozialwissenschaf­ ten hinsichtlich dieser Sein/Sollen-Problematik ist dann die Diskussion über die Wissenschaftlichkeit der Rechtsauslegung in eine Sackgasse geraten3. Das heißt, ebenso eine Änderung der festgesetzten Gesetze, die als Grundlage der juristischen Dogmen fungieren, dar wie eine Änderung der Prinzipien, die die Gesetze stützen. So konnte die dabei entstandene Diskrepanz nicht mehr mit den gewöhnlichen Rechtsauslegungen überbrückt wer­ den. Die Aufgabe, die Diskrepanz zu überbrücken oder aufzulösen, wurde nunmehr der Rechts­ soziologie übertragen. Als dritter Faktor ist die Stellung der Rechtssoziologie zu nennen, die im Besonderen durch die Auseinandersetzung über die Rechtsauslegung, die durch den Kurusu-Bericht (s. Kurusu 1953) und im Allgemeinen durch die Rede zur Erstausgabe in der Fachzeitschrift der Japani­ schen Gesellschaft für Rechtssoziologie (s. Suehiro 1951) bedingt wurde. Kurusu kritisierte die Rechtsauslegungen im Allgemeinen als nicht-wissenschaftlich und legte die Notwendigkeit der Rechtssoziologie zu einer wissenschaftlichen Rekonstruktion der Rechtsauslegungen dar. Die Japanese Association of Sociology of Law betrachtete die Rechtssoziologie als „theore­ tische Wissenschaft des Rechts“, deren Aufgabe darin besteht, das „gesellschaftliche Gesetz des Rechts“ theoretisch zu untersuchen. Die Rechtssoziologie wurde nun als „Sozialwissen­ schaft des Rechts“ definiert. Man setzte große Hoffnung in ihre Entwicklung und stellte sie we­ gen ihres theoretisch-wissenschaftlichen Charakters der praktischen Jurisprudenz und Rechts­ dogmatik als gleichwertige Disziplin gegenüber. 2 „Das Wesen der Rechtshermeneutik besteht in der Ausübung der praktischen Funktion, das Recht stets auf das lebendige Sozialphänomen anzuwenden. Wir können uns daher auf keinen Fall mit einer bloß theoretischen Erkenntnis des Rechts zufrieden stellen, ja wir dürfen es nicht“ (Odaka (1953), S. 350). 3 In dieser Situation wurde in der japanischen Rechtssoziologie der Begriff das „lebende Recht“ von Eugen Ehrlich mehrfach benutzt, da dieser Begriff den oben in Anmerkung 1 ge­ nannten drei Punkten entsprach. Konkret bedeutet dies: (1) Die Reflexion über den Rechts­

Einleitung: Grundthese Einleitung: Grundthese

17

je mehr die Eigentümlichkeit der Jurisprudenz unterstrichen wurde, desto mehr musste sich die Jurisprudenz von der Wissenschaft entfernen.4 An dieser Stelle gehen wir nicht weiter auf diese ausweglose Diskussion ein. Stattdessen fragen wir nach möglichen Gründen für die beschriebene Schwie­ rigkeit. Damit wird die aporetische Frage, ob die Jurisprudenz eine Wissenschaft sei oder nicht, überwunden. Stattdessen fragen wir nach der Ursache jener Frage, ob das in der Gesellschaft tatsächlich praktizierte Recht eine Wissenschaft dar­ fetischismus, der aus einer dogmatischen Auslegung des Rechts stammt, führt zum Versuch, durch den Bezug auf das lebende Recht, das wegen der festgesetzten Gesetze in den Hinter­ grund getretene Sozialleben der Menschen darstellt, den Abstand zwischen dem Recht und dem Menschen zu überwinden; (2) die Diskrepanz zwischen der sozialen Realität und dem in der Nachkriegszeit in Kraft getretenen neuen Gesetz lässt sich behandeln, indem im Ver­ gleich dazu das lebende Recht, das sich auf das reale Sozialleben bezieht, und das Gesetz (Staatsrecht) gegenübergestellt werden; (3) die herkömmliche Praxis, das reale Sozialverhält­ nis über eine Black Box der Auslegung in ein Rechtsverhältnis zu reduzieren, wird unter dem Gesichtspunkt des lebenden Rechts rekonstruiert. Dies stellt zugleich einen Versuch dar, die Rechtsauslegung, die oft kritisch als willkürliches Unternehmen angesehen worden ist, mit einer sozialwissenschaftlichen (und somit erfahrungswissenschaftlichen) Prozedur zu unter­ mauern. Dennoch ist festzuhalten, dass diese Suche nach dem lebenden Recht einen wichti­ gen Anstoß dazu gegeben hat, die Rechtssoziologie in eine Sackgasse zu führen, weil das Sein (Lebendes Recht) und das Sollen (Gesetz) immer voneinander unterschieden werden müssen, wenn sie sich an der Wissenschaft orientiert. 4 Die Wissenschaft hat heute jedoch hinsichtlich ihrer Fragestellungen und Lösungs­ ansätze keinen eindeutig zu bestimmenden Inhalt. Im Diskurs über die Wissenschaftlich­ keit des Rechts hat die Jurisprudenz zwar diverse Vorschläge aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen erhalten und genutzt, aber das hieß nicht unbedingt, dass es in Bezug auf den In­ halt, der mit dem Terminus Wissenschaft ausgedrückt wird, eine Übereinstimmung gegeben hätte. Von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen, ist auch der genannte Hinweis von Max Weber noch genauer im Kontext seiner engagierten Auseinandersetzung mit der historischen Schule zu verstehen, nämlich im Kontext der Frage, wie weit geschichtlich entstehende ethi­ sche Ideale erfasst werden können und ob praktische politische Aussagen aufgrund dieser Er­ kenntnis möglich sind. Will man sich daher mit diesen Problemen weiter als Wissenschaft befassen, muss man zu­ nächst eine Formulierung über die Wissenschaft vornehmen. Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass solche Diskussionen sinnvoll in Richtung auf eine umfassende Wissenschaft geführt wer­ den können. Jede Wissenschaft würde, bestimmt von ihrem eigenen Wissenschaftsverständnis, genauere oder strengere Behauptungen aufstellen. Es ist nämlich nicht klar, ob bereits am Ein­ gang solcher Diskussionen derjenige Gesichtspunkt gewonnen werden kann, der für die Be­ handlung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Rechtsauslegung angemessen ist. Des Weiteren ist das Wissenschaftsverständnis hinsichtlich der Objektivität im Fall der Rechtsaus­ legung gerade seit der „Krise der Wissenschaft“ (s. unten Kapitel A, Fn. 5) erneuert worden. Die Jurisprudenz könnte auf verschiedene wissenschaftliche Disziplinen Bezug nehmen und deren Ergebnisse anwenden, aber es ist nicht leicht, diese Ergebnisse in ihrer eigenen Logik in die eigene Disziplin zu integrieren. Niklas Luhmann setzte sich in seinen frühen Abhandlungen über die Normen mit dem Pro­ blem von Sein/Sollen auseinander (s. Luhmann (1968), Normen in soziologischer Perspek­ tive, S. 28–48, und ders. (1983), Rechtssoziologie, S. 43 ff.). Ferner weist Luhmann darauf hin, dass „die heute vorherrschende Auffassung (…) Rechtsgeltung und Legitimität durch die Kri­ tik zwischen Sein und Sollen“ trennt (s. ders. (1975), Legitimation durch Verfahren, S. 239).

18

Einleitung: Grundthese Einleitung: Grundthese

stellt oder nicht. Hinter dieser Frage steckt eigentlich die Frage nach der spezifi­ schen Eigenschaft des Rechts selbst. Im Grunde bedeutet das nichts anderes als die Grundthese über die Geltung des Rechts jenseits von Zeit und Raum in Frage zu stellen. Denn dieser Sachverhalt stellt genau das besondere Phänomen dar, das die Frage nach der Jurisprudenz motiviert. Betrachten wir dieses Phänomen umgekehrt von der Warte des Rechts her, so stellt die Existenz des Rechts, das in der Gesellschaft stets Geltung hat, eine conditio sine qua non für seine Funktionsfähigkeit dar. Zugleich ist es auch eine not­ wendige Folge davon, dass das Recht als solches funktioniert. Denn das Recht ist etwas (Sein), das in jeder Gegenwart soziale Vorgänge angemessen erkennt und deren Problematik angemessen bearbeitet. Ebenso soll es mit dem eigenen Erken­ nen und Bearbeiten in dieser Weise umgehen (Sollen). Dem Recht werden verschiedene Attribute zugeschrieben, die diese Grundthese ermöglichen, nämlich Universalität, Gültigkeit, Sicherheit, Richtigkeit, Normati­ vität und Systemcharakter. Diese Attribute werden hier zwar nacheinander behan­ delt, jedoch nicht aus einer Außen-Perspektive oder von einem dem Recht über­ geordneten Rang aus als etwas beschrieben, das den Wert und Inhalt des Rechts stützt. Mit anderen Worten, wir werden nicht versuchen, diese Attribute dadurch zu klären, indem wir uns dem Modus des Rechts wertorientiert und normerhal­ tend annähern. Das bedeutet, nicht nach dem Rechtsprinzip (ratio legis) zu fragen. Untersuchungsgegenstand ist dabei die Frage, auf welche Weise diese verschie­ denen basalen Attribute in der Gesellschaft ermöglicht werden. Die Frage der Un­ tersuchung zielt damit auf den gesellschaftlichen Aufbau ab, das jenes Rechts­ phänomen ermöglicht, das all jene Eigenschaften aufweist und in der Gesellschaft funktioniert. Es geht somit um eine soziologische Aufklärung des Rechts, über die ein Zugang zur Grundthese dieses Buchs geschaffen werden soll. Dieses Vorhaben ist daher als soziologisches einzustufen und mithin nicht der Rechtsphilosophie zuzuordnen, obwohl die einzelnen Untersuchungspunkte sich mit den (rechts-) philosophischen Begriffen überschneiden. Der Versuch, das Recht auf diese Art und Weise zu erklären, zielt aber darauf ab, die Ontologisierung und Philosophi­ sierung der verschiedenen Begriffe, die der traditionellen (Rechts-)Philosophie eigen sind, zu überwinden. Das Recht wird hier daher bewusst als ein soziales Phänomen behandelt. Damit ist diese Studie als rechtssoziologischer Versuch zu klassifizieren. Denn erst durch die diesem Versuch zu Grunde liegende De-Onto­ logisierung und Ent-Philosophisierung kann geklärt werden, welcher gesellschaft­ liche Aufbau an der Seite des Rechts die Voraussetzungen für das Funktionieren des Rechts in der Gesellschaft als Recht schafft. Alle anderen Erklärungen inner­ halb anderer Kontexte oder vor anderen Hintergründen machen den Sachverhalt des Rechts in der Gesellschaft unsichtbar. Das Ziel des vorliegenden Buchs liegt schlussendlich in der Reformulierung der Grundthese, bei der es um das Phänomen des Rechts in der Gesellschaft geht.

A. Universalität „Richtiges Recht ist die wahre Räson, die mit der Natur in Harmonie steht. Es ist universal anwendbar und für immer unveränderlich.“ (Cicero, De Republica, III, xxii, 33)

I. Vorbemerkung Die Frage nach der Universalität des Rechts gehört eigentlich einem Diskurs an, der sich auf eine apriorische, transzendente Dimension des Rechts bezieht: Das Recht Gottes, das Naturrecht, das unantastbare tradierte Recht oder die Rechte der Natur sind Begriffe, die das Recht von Grund auf stützen und das Wesen des Rechts betreffen. Die universale Geltung des Rechts verlangt einen transzenden­ ten bzw. metaphysischen Ursprung des Rechts. Selbst wenn eine Überlegung über das Recht ohne solche theoretischen Konstruktionen angestellt wird, verlangt der Rechtsbegriff universalistische Elemente des Rechts. Normen können nur dann als Rechtsnormen und damit als Recht bezeichnet werden, wenn sie universal gel­ ten und alles in sich einschließen. Recht, das lediglich partikular, lokal und ad hoc anwendbar ist, kann nicht als Recht angesehen werden. Die vorliegende Un­ tersuchung behandelt aber keinen Diskurs über den apriorischen oder transzen­ denten Charakter der Grundlegung des Rechts, noch behandelt es einen Diskurs über das Recht, der auf einer lebensweltlich verlängerten Linie externer Begrün­ dungen zurückgreift. Die Fragestellung bezieht sich hingegen auf den gesellschaft­ lichen Aufbau, der die universale Geltung des Rechts in dieser Gesellschaft als so­ ziales Phänomen ermöglicht. Der Nutzen dieser rechtssoziologischen Herangehensweise offenbart sich, wenn zunächst nachvollzogen wird, mit welchen Schwierigkeiten der Diskurs über die Universalität konfrontiert war. Diese Schwierigkeiten wurden verursacht durch eine Wende in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die auf her­ kömmliche Art und Weise nach bestimmten Prinzipien und deren Grundlagen ge­ strebt hatten. In vielen wissenschaftlichen Disziplinen ist deutlich geworden, wie problema­ tisch die Selektion bestimmter Grundvoraussetzungen als Ausgangspunkt und eine von diesem Punkt ausgehende Analyse und Argumentation sind, insbe­ sondere wie folgenreich diese Vorgehensweise ist.5 In dieser Selektion wird 5 Die herkömmlichen Wissenschaften haben sich mit der Welt unter der Voraussetzung befasst, dass sie im einheitlichen Sinne verstanden werden kann. Dabei wurde die Welt als ein einheitliches Ganzes betrachtet, während ihr endgültiger Grund im Wahren, Guten und

20

A. Universalität

der fiktive und provisorische Charakter der Untersuchungsansätze verschiedener theoretischer Rahmen, die als evidente oder als traditionelle Voraussetzungen gal­ ten, deutlich: für die selektierten Grundvoraussetzungen sind stets andere Mög­ lichkeiten der theoretischen Konzeptualisierung als Alternative denkbar. Diese perspektivischen Veränderungen sind inzwischen in allen Natur-, Geistes- und So­ zialwissenschaften erkannt und haben sich innerhalb der jeweiligen wissenschaft­ lichen Disziplin durchgesetzt. Dies hat wiederum nicht allein zu einer Wende in den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch im gesellschaftlichen Umfeld geführt. Auch in gesellschaftlichen Kontexten wurden unterschiedliche Wert­ ­ chönen sowie in der Natur und der Vernunft gesucht wurde. Aus der Weltordnung, die aus S diesen Ansätzen abgeleitet wurde, ergab sich dann die Orientierung des menschlichen Le­ bens. In der Grundlage dieses Weltverständnisses ist stets das Konzept eines absoluten Wer­ tes oder einer ewig geltenden Wahrheit vorhanden. Aber in allen wissenschaftlichen Disziplinen ist auf die Schwierigkeit dieser herkömm­ lichen ontologischen Denkweise hingewiesen worden. Der Hinweis auf diese Schwierigkeit er­ folgte zunächst in der Mathematik und der Physik, die als jene wissenschaftlichen Disziplinen galten, die objektive Welt unabhängig von unseren Aktivitäten zum Gegenstand ihrer Untersu­ chung machten. Auch auf anderen wissenschaftlichen Gebieten erkannte man diese Schwie­ rigkeit. Daraus entstand am Anfang des 20. Jahrhunderts die sogenannte „Krise in den Wis­ senschaften“ (Edmund Husserl). Diese Situation führte zwangsläufig zur Veränderung der verschiedenen theoretischen Rahmen, die in den herkömmlichen wissenschaftlichen Diszipli­ nen als selbstverständlich vorausgesetzt worden waren. In der Physik ist die Objektivität der Beobachtung verneint worden, während auf das Einge­ bundensein des Subjekts in die Beobachtungstätigkeit hingewiesen wurde (vgl. die „Unschär­ ferelation“ von Werner Heisenberg und das „Korrespondenzprinzip“ von Niels Bohr). Es hat sich auch herausgestellt, dass die Frage, ob ein System ein widerspruchsfreies System darstellt oder nicht, innerhalb des eigenen Systems nicht beantwortet werden kann (vgl. den „Unvoll­ ständigkeitssatz“ von Kurt Gödel). In der Geometrie, die lange als ein evidentes Wahrheits­ system angesehen wurde, ist eine andere Möglichkeit aufgetaucht (vgl. die Entstehung und Gültigkeit der Nichteuklidischen Geometrie gegenüber der Euklidischen Geometrie). Gegen­ über den herkömmlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die die Beschreibung aufgrund des wachen Bewusstseins voraussetzen, ist nunmehr die Möglichkeit einer Beschreibung durch das „Unbewusste“ entstanden (vgl. die Entdeckung des Unbewussten – aber mit dem Bewusst­ sein! – durch Sigmund Freud). Aus diesen innovativen Errungenschaften in der Wissenschaft hat sich ein neues Verständnis herauskristallisiert, demzufolge viele Grundlagentheorien, die bis dahin als axiomatische Voraussetzungen der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin fun­ gierten, nichts anderes als Hypothesen oder Postulate sind. Auf diese Änderungen der theoretischen Rahmen ist später in den verschiedenen Gebieten der Geistes- und Sozialwissenschaften auch mit der Terminologie des „Paradigmenwechsels“ hingewiesen worden, als würden sie ein Allgemeinwissen darstellen (paradigm theory). Seit dieser Theorie Thomas Kuhns sind tatsächlich verschiedene Paradigmen entdeckt worden, die in den verschiedenen wissenschaftlichen Fächern immanent vorhanden waren. Zur Überwin­ dung der althergebrachten Paradigmen sind diverse akademische Anstrengungen unternommen worden. Die auf diese Weise neu gewonnenen Paradigmen stehen jedoch lediglich provisorisch zur Verfügung, so dass sie auch erneut ausgewechselt werden können. Auch die Paradigmen­ theorie selbst, die die Wandelbarkeit der Theorien behauptet hatte, sollte sich als austauschbar erweisen. So ist die Theorie der Wandelbarkeit selbst dem Wandel unterworfen und kann die­ sem nicht entgehen. Auf diese Weise erweist sich alles als provisorisch und ist der Wandelbar­ keit ausgesetzt.

I. Vorbemerkung

21

motive aufgedeckt, die im Zuge der Begegnung mit fremden Kulturen ergänzt und verstärkt worden sind. Jeder Diskurs, der eine bestimmte Wertvorstellung für wahr hält und sich darauf stützt, ob nun im Rahmen der Theoriebildung oder im soziokulturellen Bereich, hat sich als problematisch erwiesen.6 Daraus folgt, dass ein wissenschaftlicher Diskurs heute nur unter der Bedingung der Relativität möglich ist und dass jede Behauptung und jeder Standpunkt stets relativ bleiben.7 Unter diesen heute herrschenden Umständen ist es unhaltbar, einfach die Univer­ salität eines Phänomens zu behaupten.

6

Auch mit Blick auf die Veränderung der gesellschaftlichen Situationen ist Einspruch ge­ gen den herkömmlichen Anspruch auf die Universalität der Wissenschaft erhoben worden. Die oben angeführte „Krise in den Wissenschaften“ hat die Möglichkeit für Alternativen zur modernen Vernunft Europas aufgezeigt. Zusammen mit dem neuen Bewusstsein über andere Möglichkeiten des wissenschaftlichen Vorgehens ist man auf die Logik, Struktur und Kul­ tur der nicht-europäischen Welten aufmerksam geworden. Da die Existenz des außereuro­ päischen Denkens politisch, wirtschaftlich und soziokulturell ins Blickfeld gerückt war, tat sich nun eine Welt vor den Augen auf, die mit dem herkömmlichen Eurozentrismus nicht mehr abgedeckt werden konnte. Es ist deshalb sehr schwierig geworden, von der Welt ohne Berück­ sichtigung des nicht-europäischen Blickwinkels zu sprechen. Mit anderen Worten, relativiert worden ist selbst die Bedeutung der Tatsache, dass viele Semantiken, die im Verlauf der Mo­ dernisierung eine wichtige Rolle gespielt haben, in Europa entwickelt worden sind. Andere Logiken, andere Grundlagen und andersartige Kontexte als die europäischen sind zum Vor­ schein getreten. Dadurch entstand der Verdacht, all die Dinge, die bis dato als universal an­ gesehen wurden, stellten letztlich nichts anderes als einzelne Ereignisse in der lokal-spezi­ fischen Kulturgestaltung dar. Erkennt man dem europäischen Logos einen universalen Wert zu und besteht darauf, wird man einer kulturimperialistischen Haltung bezichtigt. Auch die Rechtssysteme, die gleicher­ maßen als modern gelten, werden komplett andere Kontexte bilden, wenn sie in einem ande­ ren kulturellen Hintergrund ihre Anwendung finden. Begriffe wie das Eigentum, das Recht oder der Wert des Lebens besitzen in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Implikationen. Klar ist somit, dass sie mit anderen Bedeutungen belegt und in anderen Verhältnissen systema­ tisch organisiert sind. Trotz dieses Hintergrunds gibt es zum einen immer noch Versuche, beim Diskurs von einem universalen Wert auszugehen oder sich an einer gemeinsamen Idee zu orientieren. Zum ande­ ren sind die Wissenschaften in den meisten Gebieten relativiert worden. Als Folge davon kann die wissenschaftliche Entwicklung nicht mehr nach einem System der absoluten Wahrheit stre­ ben, sondern muss sich vielmehr einer relativierten Weltanschauung stellen und sich an der Plura­lität, Relativität und Andersartigkeit orientieren. Ähnlich verhält es sich mit der Proble­ matik der Universalität. Es wird nämlich darauf hingewiesen, dass die Universalität sich nicht aus einer eindeutigen Wahrheit ableiten lässt. 7 Angesichts dieser zeitlichen Situation, in der die Relativität unterstrichen wird, gibt es Diskurse, die pluralistische Ansätze zugrundelegen. Diese Art der Diskurse scheint zwar in der kritischen Lage der Wissenschaft im Allgemeinen eine bestimmte Möglichkeit aufzuzei­ gen, aber die Behauptung der Pluralität selbst gerät in eine Aporie. Denn ein pluralistischer Gesichtspunkt, der das herkömmliche einfache Verständnis zurückweisen soll, dürfte in sich genauso ein einfaches Verständnis darstellen, das schlicht als Pluralität bezeichnet wird. Es handelt sich dann um eine absolute Forderung zur Durchsetzung des Relativen. Die Behaup­ tung der Pluralität im Gegensatz zur Einfachheit muss somit in sich die Möglichkeit aufwei­ sen, vielfältig und plural zu sein.

22

A. Universalität

Dennoch glauben wir in dieser Gesellschaft unbeschadet aller Relativität und Möglichkeitsoffenheit an etwas Unverfügbares, stützen uns hierauf und leben auf dieser Grundlage. Das Recht besteht in dieser Gesellschaft nach wie vor als et­ was Gefestigtes fort und fungiert als regulierende und stabilisierende Norm. Wie ist das möglich? Im Folgenden befassen wir uns deshalb mit der Frage nach dem Aufbau, der dies ermöglicht.

II. Die rechtliche Erfassung und Beschreibung der Gesellschaft Wir behandeln verschiedenste Ereignisse in der Gesellschaft juristisch, indem wir auf diese Ereignisse Gesetze anwenden. Wir deuten also gesellschaftliche Er­ eignisse im rechtlichen Kontext durch die Anwendung von Gesetzen und behan­ deln Probleme im Rahmen dieses Kontextes. Dies erfolgt anhand der Differenz Rechtliches/Gesellschaftliches, wodurch die gesellschaftlichen Ereignisse dif­ ferenziert werden können und daraus etwas Rechtliches extrahier werden kann. Die gesellschaftlichen Ereignisse werden durch diese Operation aber nicht recht­ lich, denn sie verbleiben als etwas, das in der Gesellschaft geschieht und nicht in­ nerhalb des rechtlichen Kontextes zustande kommt. Die Ereignisse in der Gesell­ schaft werden lediglich als rechtliche Probleme behandelt und unter Anwendung der Gesetze als solche gelöst, indem die Lösungsansätze auf die Ebene des Rechts übertragen werden. Das Recht besteht wiederum allein aus rechtlichen Elementen und das bedeu­ tet, dass Bereiche wie die Politik, die Wirtschaft und die Kultur nicht dem Recht angehören. Trotz seiner sozialen Einbettung stellt das Recht, was Recht ist oder was sich als Recht bewährt hat, nichts anderes als Recht dar. Es mag zwar mög­ lich sein, vom Recht aus die sozialen oder kulturellen Faktoren zu vermuten, die den Hintergrund des Rechts bilden, aber sie werden niemals die konkreten und re­ alen Faktoren bilden, die das Recht ausmachen. Werden die sozialen oder kultu­ rellen Faktoren dennoch als Bestandteile des Rechts berücksichtigt, erfolgt dies durch Übersetzung ihrer Inhalte in rechtliche Inhalte, die dann in die rechtliche Kommunikation als rechtliche Faktoren eingesetzt werden. Im rechtlichen Dis­ kurs wird alles nicht als solches erfasst, sondern als etwas Rechtliches umformiert. Das Recht setzt sich also aus der Ansammlung der rechtlichen Elemente und de­ ren Kombinationen zusammen. Allgemein formuliert verfügen wir also über die Fähigkeit, gesellschaftliche Er­ eignisse in der Gesellschaft in verschiedenen Sinnzusammenhängen zu beschrei­ ben. Es gibt verschiedene Beschreibungsweisen, ob nun politische, ökonomische, ästhetische oder sonstige Beschreibung, die sich jeweils aus dem spezifischen ge­ sellschaftlichen Zusammenhang ergibt, und das Recht stellt lediglich eine dieser Beschreibungsmöglichkeiten dar. Das bedeutet allerdings auch, dass mit diesen bereichsspezifischen Beschreibungen, einschließlich der rechtlichen Beschrei­ bung, weder die Gesellschaft an sich, noch die Ereignisse in der Gesellschaft in

II. Die rechtliche Erfassung und Beschreibung der Gesellschaft

23

ihrer Gesamtheit erfasst werden können. Die verschiedenen Momente, die die Er­ eignisse in der Gesellschaft bilden, lassen sich ebenso wenig vollständig erfassen wie ihre Sinnzusammenhänge und das kreative Potenzial dieser Zusammenhänge. In allen wissenschaftlichen Disziplinen werden gesellschaftliche Wirklichkeiten und gesellschaftliche Ereignisse mit derjenigen Differenz selektiv erfasst, die ih­ ren je spezifischen Beschreibungsmodi entsprechen und in Form von rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Ereignissen beschrieben. Alle Erfas­ sungs- und Beschreibungsmöglichkeiten basieren auf einer je spezifischen Leit­ differenz, die ihre Relevanzbereiche organisiert (wahr/falsch bei wissenschaft­ lichen, gut/böse bei moralischen, schön/hässlich bei ästhetischen oder mächtig/ ohnmächtig bei politischen Beschreibungen) und konkurrieren gleichzeitig mit anderen Beschreibungsmöglichkeiten, die auf anderen Differenzmodi gründen. Gesellschaft ist somit stets auch in anderer Art und Weise beschreibbar. Diese Möglichkeit, dass Ereignisse stets auch anders beschreibbar und folglich anders bestimmbar sind, wird im Folgenden als Kontingenz bezeichnet. Die rechtliche Be­ schreibung stellt deshalb ebenso nur eine der verschiedenen Erfassungs-, Beschrei­ bungs- und Bestimmungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Ereignisse dar, so dass sie im Vergleich zu den anderen Möglichkeiten eine irreduzibel relative Stellung einnimmt. Auf diese Weise besteht eine Differenz zwischen den tatsächlichen Ereignis­ sen in der Gesellschaft und den rechtlich erfassten und beschriebenen Ereignis­ sen. Mit anderen Worten: Die Ereignisse in der Gesellschaft sind nicht als solche erfassbar, sondern nur mittels einer gewissen Differenzierung. Die Recht/Gesell­ schaft-Differenz hebt die rechtlichen Ereignisse gegenüber den Ereignissen in der Gesellschaft hervor und ermöglicht, die Ereignisse in der Gesellschaft als recht­ liche Ereignisse zu erfassen.8 8 Bei rechtlicher Erfassung und Beschreibung von Ereignissen in der Gesellschaft geht es nicht allein darum, das Recht und die rechtlichen Phänomene aus der Gesellschaft zu isolieren oder ihre charakteristischen Merkmale hervorzuheben. Damit hängen auch folgende Sachver­ halte eng zusammen: (1) Aus dem Engpass der Universalität und der Krise in den Wissen­ schaften, auf die bereits hingewiesen worden ist, ergibt sich die Unmöglichkeit des wissen­ schaftlichen Strebens, Gegenstände in ihrer Gesamtheit zu erfassen; (2) die Ergebnisse von Phänomenologie und Hermeneutik haben klargestellt, dass das Subjekt beim Erfassen und Verstehen des Gegenstandes diesem Gegenstand selbst seinen Sinn gibt. In der heutigen wissenschaftlichen Situation gibt es also gar keine Möglichkeit mehr, zur Welt einen für jeden ersichtlichen, gültigen und deshalb objektiven Zugang zu finden. Die Ge­ sellschaft, die wir zum Gegenstand der Analyse machen, erscheint vor unseren Augen als et­ was derart Vages, dass selbst unendlich viele Möglichkeiten der Verhältnisse unter den gesell­ schaftlichen Elementen nicht vorausgesetzt werden können, da die gesellschaftlichen Elemente arithmetisch wachsen und die Zahl ihrer Verhältnisse untereinander sich immer weiter in geo­ metrischer Reihe vergrößert. Wir können daher nicht von Welt oder von Gesellschaft mit einer einheitlichen Beschreibung zusammenfassend reden und sie deshalb auch nicht als Gan­ zes begreifen. Die Welt wird uns stets als etwas Komplexes gegenüberstehen. Aus diesem Zustand der letztlichen Unbestimmbarkeit, der aus unzähligen Elementen und ihren wechsel­ seitigen Beziehungen besteht, müssen einzelne Elemente und deren Verhältnisse selektiv be­

24

A. Universalität

III. Die zeitliche Dimension der Erfassung und Beschreibung des Rechts Die Ereignisse in der Gesellschaft werden entsprechend ihren Sinnzusammen­ hängen mittels verschiedener Beschreibungsmethoden selektiv erfasst und be­ stimmt. Dabei kann das Recht als einer dieser Methoden die Gesamtgesellschaft und all die dort stattfindenden Ereignisse nicht in ihrer Gesamtheit erfassen und beschreiben. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Gesellschaft und alle dort statt­ findenden Ereignisse nur dann in einem rechtlichen Kontext erscheinen, wenn ih­ nen durch das Recht ein rechtlicher Sinn gegeben und auferlegt wird. Die gesell­ schaftlichen Ereignisse sind zwar für das Recht erfassbar und beschreibar, die Beschreibungen des Rechts existieren aber gleichzeitig nur als eine durchgeführte Beschreibung unter den vielen Möglichkeiten, diese Ereignisse zu erfassen und zu beschreiben. Im vorhergehenden Kapitel wurde dieser kontingente Charakter der Beschreibung gesellschaftlicher Ereignisse herausgearbeitet: Die rechtliche Beschreibung schließt stets eine weitere Bedeutungsebene ein, nämlich dass die Beschreibung gerade nicht unter anderen Aspekte, wie politischen, wirtschaft­ lichen oder religiösen Aspekten erfolgt, sondern allein dem rechtlichen Erfas­ sungs- und Beschreibungsmodus entspricht. Die Kontingenz der rechtlichen Er­ fassung und Beschreibung dieser Ereignisse ergibt sich auch aus dem Umstand, dass gerade diese und keine andere Erfassung und Beschreibung ausgewählt wor­ den ist. Beide Sachverhalte können als Kontingenz im Raum bezeichnet werden.9 Allerdings unterliegen die Erfassung und Beschreibung auch einer Kontingenz in der Zeit. Die Operationen des systemspezifischen Erfassens und Beschreibens können mit einmaliger Durchführung nicht endgültig abgeschlossen werden. Da­ stimmt werden. Eine dieser selektiven Bestimmungen als „Reduktion der Komplexität“ ist die rechtliche Erfassungs- und Beschreibungsmöglichkeit (s. Luhmann (1970), Soziologische Auf­ klärung 1, S. 72 ff. u. 116 ff.). Umgekehrt formuliert: Der (rechtliche) Raum, der auf diese Weise ausgewählt und bestimmt wird, wird erst durch die Innen/Außen-Differenz des rechtlichen Raums möglich. Das heißt, dass der rechtliche Raum dadurch entsteht, dass die Gesellschaft zur Umwelt des Rechts ge­ macht und die Komplexität dieser Umwelt dadurch reduziert wird. Das bedeutet wiederum, dass der rechtliche Raum aus der Differenzstruktur des Horizonts entsteht, die aus dem Gefälle der Komplexität zwischen Gesellschaft als Umwelt und rechtlichem Raum als System besteht. In einer Theorie, die von einer solchen Differenzstruktur ausgeht, ist Gesellschaft als eine Gesamtheit anzusehen, die sich aus den Elementen, deren Gesamtheit niemals überschaubar ist, und ihren Beziehungsmöglichkeiten zusammensetzt. Sie ist daher ein Material, das redu­ zierend bearbeitet werden muss. Deswegen bleiben die Sinnzusammenhänge der verschiede­ nen Elemente und ihrer Relationierungsmöglichkeiten unbestimmbar. Ihre Realität besteht im „Letzthorizont“, dass alles auch anders möglich sein kann. Vom Recht aus betrachtet lässt sich die Gesellschaft deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt des Seins, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Komplexität thematisieren. Mit anderen Worten: Der Begriff der Kom­ plexität stellt nicht den Zustand des Seins, sondern das Verhältnis zwischen dem Recht und der Gesellschaft dar. Des Weiteren stellt sich die Gesellschaft als ein Material dar, dem durch das Recht eine Form gegeben wird (vgl. ebd., S. 212). 9 s. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 128 ff.

III. Die zeitliche Dimension der Erfassung und Beschreibung des Rechts

25

durch entsteht die Kontingenz in der Zeit. Betrachtet man die Operationen auf einem Zeitstrahl, ergibt sich folgendes Bild: Das Erfassen und Beschreiben zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Gegenwart bezieht zum Einen die Vergangen­ heit (aus der Sicht der jeweiligen Gegenwart in dem Zeitpunkt) und zum Anderen die Zukunft (aus der Sicht der jeweiligen Gegenwart in dem Zeitpunkt) mit ein. Die Übersetzungsoperationen werden und als in dem Zeitpunkt Abgeschlosse­ nes angenommen, zumindest aber ist ihre Finalität beabsichtigt. Alle Erfassungen und Beschreibungen sind zeitlich gesehen also in der jeweiligen Gegenwart ver­ ankert. Die zeitliche Kontingenz besteht darin, dass dieser Gegenwart gegenüber stets die Möglichkeiten bzw. die Wahl einer anderen Vergangenheit und einer an­ deren Zukunft existieren. Von diesen Möglichkeiten aus wird diese Gegenwart, d. h. dieser Zusammenhang zwischen der „Gegenwart und Vergangenheit“ und der „Gegenwart und Zukunft“ ausgewählt. Die Gegenwart als diese Gegenwart auszu­ wählen, ist eine erste Folge der Kontingenz in der Zeit. Darüber hinaus existiert die Kontingenz in der temporalen Struktur dieser Ge­ genwart. Die Gegenwart kann nämlich nicht als ein fester Zeitpunkt festgelegt werden. Es ist vielmehr eine andauernde Gegenwart, die sich ständig in der Zeit bewegt. Das Erfassen und Beschreiben, das sich in dieser Gegenwart vollzieht, ist stets der Möglichkeit einer anderen Gegenwart und damit der Möglichkeit einer anderen und andersartigen, erfassenden Beschreibung ausgesetzt. Das Erfassen und Beschreiben an diesem Ort und in dieser Gegenwart kommt daher im Verlauf der Zeit – mit anderen Worten in der verlaufenden Gegenwart – in einem kontin­ genten Verhältnis der jeweiligen Gegenwart zu der Vergangenheit und der Zukunft zustande. Im Folgenden wird die Rechtserfassung und -beschreibung unter diesem Gesichtspunkt der Zeit näher betrachtet.10 1. Der Zeithorizont der Rechtserfassung und -beschreibung Bei der Rechtserfassung in der Gegenwart ist der Zusammenhang zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart kontingent.11 Vergangenheit und Gegenwart sind in der Gegenwart, in der die einzelnen Rechtsbeschreibungen vor­genommen werden, kontingent verbunden. Aus der Sicht der Gegenwart können sowohl die „Vergangenheit der Gegenwart“ als auch die „Zukunft der Gegenwart“ jeweils an­ ders beschrieben werden und stellen somit das kontingente Andere dar. Die Ge­ genwart ist dabei im Differenzverhältnis zu diesem Anderen zu positionieren. Denn die Gegenwart bleibt stets vergehende Gegenwart und kann nicht in ihrer Einzelheit als solche festgestellt werden. Feststellbar ist dagegen das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit bzw. Zukunft in ihren beiden Flügeln, wenn sie über die „Vergangenheit aus der Sicht der Gegenwart“ (praesens de praeteritus) 10 „Das Recht gilt uns deshalb als eine Form, die auf das Problem dieser Spannung von Zeitdimension und Sozialdimension bezogen ist“ (ebd., S. 131). 11 Luhmann (1970), Soziologische Aufklärung 1, S. 111.

26

A. Universalität

und die „Zukunft aus der Sicht der Gegenwart“ (praesens de futuris) reflexiv als Gegenwart, also als „Gegenwart aus der Sicht der Gegenwart“ (praesens de prae­ sentibus) angesehen wird. Auf diese Weise werden die einzelnen Rechtsbeschreibungen in der jewei­ ligen Gegenwart des Rechts vorgenommen. Damit leitet diese Gegenwart zugleich auch die Beschreibung von Vergangenheit und Zukunft aus der Sicht der Gegen­ wart. Denn das Recht strebt danach, die gegenwärtig bestmöglichen Urteile und Entscheidungen zu treffen. Die Gegenwart ist dabei weder als Folge der Vergan­ genheit noch als Ursache der Zukunft zu sehen. Von den unzähligen Möglichkei­ ten wird in der Gegenwart eine Vergangenheit als Vergangenheit und gleicherma­ ßen eine Zukunft als Zukunft ausgewählt. Mittels dieser doppelten Auswahl, also durch den Vergleich von der Vergangenheit aus der Sicht der Gegenwart und der Zukunft aus der Sicht der Gegenwart in der Gegenwart, werden die als die Besten angesehenen Urteile und Entscheidungen getroffen. Die abstrakte Vergangenheit und die abstrakte Zukunft stellen einen Horizont der potenziellen Auswahl aus der Sicht der Gegenwart dar. Die in diesem Horizont enthaltenen verschiedenen Mög­ lichkeiten existieren nur als von der jeweiligen Gegenwart bedingte Auswahlmög­ lichkeiten, also nur als etwas Kontingentes.12 Jede Wahl impliziert die mögliche Wahl einer anderen Perspektive, da die Aus­ wahl einer Möglichkeit die Ablehnung aller anderen Möglichkeiten bedeutet. Diese kontingente Beziehung entwickelt sich durch die Auswahl in der Gegenwart aus den Verhältnissen zwischen der Vergangenheit und der Zukunft aus der Sicht der Gegenwart. Spricht man davon, dass das Recht bis dato gegolten hat, schließt diese Aussage daher auch die Negation der diversen Möglichkeiten des Rechts ein, also dass das Recht in der Vergangenheit andersartig sein konnte. Dass das Recht auch von nun an gelten kann, bedeutet dementsprechend die Negation der übrigen Möglichkeiten, dass das Recht in Zukunft andersartig sein kann. Gleicher­maßen schließt die Entscheidung des Rechts im gegenwärtigen Zeitpunkt die Entschei­ dung, die die anderen verschiedenen Möglichkeiten negiert, die „Gegenwart in der Gegenwart“ zu einer vergangenen Natur der „Gegenwart in der Zukunft“ zu machen. Gleichzeitig enthält diese Entscheidung auch die Entscheidung, die die anderen verschiedenen Möglichkeiten negiert, die „Gegenwart in der Gegenwart“ zu einer zukünftigen Natur der „Gegenwart in der Vergangenheit“ zu machen.13

12 Luhmann weist auf das Zeitproblem im Recht hin, wenn er schreibt, dass, „das Recht ein Zeitproblem löst“ (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 125). Zum Thema der Zeit s. ferner ders. (1976), The Future Cannot Begin, S. 130–152. 13 Vgl. Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 345 ff.; ders. (1975), Das Phänomen des Ge­ wissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, S. 241.

III. Die zeitliche Dimension der Erfassung und Beschreibung des Rechts

27

2. Entwicklung des Rechts Zeit lässt sich also als ein Horizont verstehen, der sich über die (gegen­ wärtige) selektive Rechtsbeschreibung und -entscheidung der Ereignisse in die Vergangenheit und Zukunft entfaltet, indem er die Vergangenheit und die Zu­ kunft von der Gegenwart heraus bildet. In diesem Zeithorizont entfaltet sich das Recht dadurch, dass es Probleme löst und mit jeder Lösung seine eigene Fähigkeit der Problemlösung erhöht. Dieses Phänomen lässt sich in ähnlich Weise auch bei der Wissenschaft beobachten, die die eigene Entwicklung zur Erhöhung der eige­ nen Fähigkeit der Problembewältigung vorantreibt, indem sie die Wieder­holung von Irrtümern vermeidet und sich auf Grundlage von Verifikation und Falsifika­ tion restrukturiert. Diese Selbstkorrekturen lassen sich als Geschichte der Wis­ senschaft bzw. des Rechts beschreiben, so dass die operativen Entwicklungen ihre Geschichte bilden. Ereignisse, ihre rechtliche Beschreibung und Entschei­ dungen stellen sich dabei nicht als eine bloße kettenförmige Anreihung der Fak­ ten dar, sondern als eine sinnvolle Auswahl der Beschreibungen und Entschei­ dungen in der Gegenwart: ausgewählt werden die „in der Gegenwart ausgewählte Geschichte“, die in der Vergangenheit vorgenommenen Beschreibungen und Ent­ scheidungen sowie die in der Zukunft vorzunehmenden Beschreibungen und Ent­ scheidungen. Geschichte entsteht damit als eine Auswahl aus dem Horizont der Möglichkeiten. Nicht bereits die Fakten oder die Ereignisse bilden die Geschichte, sondern die Selektion, die erst die Geschichte erzeugt.14 Basierend auf diesem Ver­ ständnis der Selektivität in der Rechtsentwicklung befassen wir uns im Weiteren mit der Wirksamkeit in der Zukunft (funktionale Seite) und der Fortdauer in der Gegenwart (strukturelle Seite) des Rechts. a) Die Wirksamkeit des Rechts in der Zukunft Unter Berücksichtigung dieses Zeithorizontes erfolgt die rechtliche Erfassung und Beschreibung der einzelnen Ereignisse selektiv. Die Auswahl findet dabei in der Gegenwart, also in der „Gegenwart als Zukunft der Vergangenheit“ und in der „Gegenwart als Vergangenheit der Zukunft“ statt. Der Gesichtspunkt der Gegenwart bezüglich der Vergangenheit bildet sich aus der Auswahl der „vergangenen Gegenwart“ in der „von der Gegenwart aus deter­ minierten Vergangenheit“ heraus. Die Geschichte gehört als in der Gegenwart ausgewählte Geschichte daher nicht zur Vergangenheit,15 sondern zur Gegenwart. Die Zukunft, die sich auf der anderen Seite befindet, hingegen wird als zu­ künftiger Horizont der Auswahl in der Gegenwart vermutet. Da sie noch nicht ge­kommen ist, ist sie eine echte Zukunft, die wir somit nicht sehen können. Die 14 15

Vgl. ders. (1975), Soziologische Aufklärung 2, S. 111. Luhmann (1970), Soziologische Aufklärung 1, S. 121 f.

28

A. Universalität

„Gegenwart in der Zukunft“ kann lediglich als „von der Gegenwart aus betrachtete Zukunft“ spekulativ erschlossen werden. Aber allein aus der bloßen spekulativen Bestimmung der Zukunft aus der Sicht der Gegenwart erklärt nicht den folgenden Umstand: Die rechtliche Behandlung vergangener Ereignisse in der Gegenwart richtet sich auf die Zukunft. Beispielsweise tritt eine gerichtlicher Entscheidung in der Gegenwart, der einen Fall in der Vergangenheit betrifft, erst mit seinem Voll­ zug und damit erst in der Zukunft in Kraft. Andererseits bezieht sich die gegen­ wärtige Entscheidung auf den historischen Gesichtspunkt der Gegenwart, in der die Entscheidung getroffen wird. Denn die Gegenwart ist die „Zukunft der Ver­ gangenheit“. Dieser historische Gesichtspunkt stellt einen Blickpunkt der Gegen­ wart in die Vergangenheit und in die Zukunft dar. Konkret stellt er sowohl einen gegenwärtigen Blickpunkt gegenüber den aktuellen rechtlichen Urteilen der Ver­ gangenheit als auch einen gegenwärtigen Blickpunkt gegenüber den virtuellen rechtlichen Urteilen der Zukunft dar. Und der Kontext, der diesen Rechtsbeschluss in der Gegenwart ermöglicht hat, gehört durch und durch zur Gegenwart. Dieser Kontext könnte in der Zukunft seine Grundlage verlegen, da der Gesichtspunkt sich in der Zukunft, also in jeder jeweiligen Gegenwart, kontextual erneuern kann. Das gilt insbesondere dann, wenn die Entscheidung, die in der Gegenwart für die Zukunft getroffen wird, vom gegenwärtigen Gesichtspunkt abhängt. Dann hängt die Wirksamkeit der rechtlichen Entscheidung in der Zukunft vom noch nicht er­ neuerten und sozusagen obsolet gewordenen Gesichtspunkt ab. Aus diesem Grund ist die „Vermutung der Zukunft aus der Sicht der Gegenwart“ nicht ausreichend. Die Zukunft ist eigentlich auch nicht thematisierbar. Denn die Zukunft kann von der Gegenwart aus nicht erfasst werden. Daher wird die Zukunft nur ver­mutet. Selbst die Vermutung der Zukunft ist nur unter der Bedingung möglich, dass die Zukunft von der Gegenwart aus gesehen kontingent ist und die Gegenwart die Vergangenheit darstellt, die von der Kontingenten Zukunft (Gegenwart in der Zu­ kunft) gesehen wird. Versucht man, die Gegenwart im Verhältnis zur Zukunft zu bestimmen, muss die zu vergleichende Gegenwart erst im Rahmen der Kontingen­ ten Zukunft ausgewählt werden, die so oder anders sein kann. Daher bedeutet das Vermuten der Zukunft (von der Gegenwart aus) das (gegenwärtige) Vollziehen der Auswahl der Gegenwart als einer von der Kontingenten Zukunft aus betrachteten Vergangenheit. Der Auswahlvorgang verläuft also von der Zukunft in die Gegen­ wart und nicht umgekehrt. Der entscheidende Faktor für die Auswahl der Gegen­ wart als „von der Zukunft aus betrachteten Vergangenheit“ wird allerdings durch den historischen Gesichtspunkt der Gegenwart gebildet. Die rechtliche Beschreibung und Entscheidung der einzelnen Ereignisse in der Gegenwart wird in diesem Sinne nach der „von der Gegenwart aus gesehenen Zu­ kunft“ ausgerichtet, so dass das Recht seine Wirksamkeit in der Zukunft sicher­ stellt. Die Zukunft wird jedoch ständig in der Gegenwart erneuert, in der Beschrei­ bung und Entscheidung vorgenommen werden. Insofern ist die Gegenwart weder ein fixierbarer noch selbständiger Punkt, sondern fließend im Zeitverlauf. Die Gegenwart erscheint so als ein Punkt, eigentlich wird damit aber kein tatsäch­

III. Die zeitliche Dimension der Erfassung und Beschreibung des Rechts

29

licher Punkt dargestellt, sondern die Bewegung, die auf die gegenwärtige Zukunft gerichtet ist. Vergangenheit und Zukunft dieser Gegenwart des Rechts sind nicht gleicher­ maßen kontingent. Die Gegenwart macht ihre Vergangenheit und Zukunft asym­ metrisch. Die Gegenwart trennt die Vergangenheit und die Zukunft als etwas von­ einander Unterschiedenes. In einer Zeitreihe gedacht stellt die Gegenwart eine der Auswahlmöglichkeiten dar, die in der Vergangenheit im Sinne der vergangenen Gegenwart als die Zukunft angenommen werden kann. Die „von der Gegenwart aus gesehene Zukunft“ besitzt außerdem mehr Auswahlmöglichkeiten als die Re­ alisierungsmöglichkeiten in der Gegenwart der Zukunft. Das bedeutet, dass von der Gegenwart aus gesehen die Möglichkeiten der Vergangenheit selektiv auf­ findbare Möglichkeiten sind. Die Möglichkeiten der Zukunft stellen im Vergleich dazu Möglichkeiten dar, die selektiv geschaffen werden können. Die Zukunft aus der Perspektive der Gegenwart zu erschließen, wird durch die (schöpferische) Pro­ jektion aus einer Zukunfts­perspektive auf die Gegenwart durch den (gefundenen) Gesichtspunkt, der von der Gegenwart aus auf die Vergangenheit ausgewählt wird, ermöglicht. Auf diese Weise werden sowohl die Möglichkeiten in der Vergangen­ heit als auch die Möglichkeiten in der Zukunft durch die Auswahl der Gegenwart temporalisiert. Durch diese Temporalisierung wird die Asymmetrie der Vergan­ genheit und der Zukunft in eine symmetrische Form gebracht. Das heißt, sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit können als ein gleichrangiges Problem der Auswahl in der Gegenwart behandelt werden. Denn die Entscheidung in der Ge­ genwart hängt einerseits von der Akkumulation vergangener Erfahrungen ab und gleichzeitig entfaltet sie in der Zukunft ihre Wirksamkeit. Dadurch wird die nicht thematisierbare Zukunft thematisiert. Ob die Thema­ tisierung so möglich ist oder nicht, ist hier irrelevant. Denn es geht nun nicht um die Thematisierung, sondern um den Effekt. Das Problem verlagert sich daher auf die Gegenwart in der Zukunft. Die Frage nach der Richtigkeit einer Prognose in der Vergangenheit wird stets in der Gegenwart (der Zukunft) gestellt. Auf diese Weise konstituiert und entwickelt sich die Geschichte des Rechts.16 b) Die Fortdauer des Rechts in der Gegenwart Wie bisher erörtert, werden Ereignisse in der Gesellschaft durch das Recht als rechtliche Ereignisse erfasst und beschrieben. Diese erfassende Beschreibung er­ folgt in einem Prozess der Adaption, indem die Ereignisse korrespondierend zu den Rechtsnormen an die Konstruktionen innerhalb des Rechtssystems ange­ passt und so die rechtlichen Zusammenhänge untergeordnet werden. Dabei wird der gesellschaftliche Kontext mit dem rechtlichen Kontext in Einklang gebracht,

16

Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 142 ff.

30

A. Universalität

wobei diese Übereinstimmung durch rechtliche Entscheidungen festgelegt wird. Damit wird ein gesellschaftliches Faktum in eine rechtliche Tatsache übersetzt, eine rechtliche Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung geht einher mit einer Auswahl, die ein gesellschaftliches Element einem rechtlichen Element entspre­ chen lässt und dabei alle anderen Möglichkeiten der Koppelung der Elemente aus­ schließt. Kann etwas jedoch nicht als ein rechtliches Problem behandelt werden oder gehört nicht zum Gegenstand der Rechtspflege, wird rechtlich eine selektive Entscheidung mit dem Inhalt getroffen, dass es außerhalb des Rechts liegt und da­ her nicht rechtlich behandelt wird. Allerdings werden damit die nicht ausgewähl­ ten Möglichkeiten ausgeschlossen. Sie werden vielmehr bei der Auswahl negiert und vorläufig in Form einer Neutralisierung aus der Auswahl/Nicht-AuswahlUnterscheidung in den Hintergrund gestellt. Dadurch werden die nicht ausgewähl­ ten Möglichkeiten als verborgene Möglichkeitsgruppe gleichsam als Lagerbestand der Möglichkeiten festgehalten. Diese in den Hintergrund getretenen, verschiede­ nen Möglichkeiten können dann, wenn es erforderlich wird, durch abermalige Ne­ gation, also die Negation der Negation, oder die Negation der negativen Auswahl, noch einmal aktualisiert werden.17 Bei jeder Übersetzung der einzelnen gesellschaftlichen in rechtlich relevante Ereignisse werden die Summe der selektiven Entscheidungen und damit das Er­ fahrungswissen benutzt. Die Übersetzung wird außerdem durch die wachsende Anzahl der Übersetzungsmöglichkeiten optimiert, die aus verschiedenen recht­ lichen Elementen und deren Relationen zu bestehenden Inhalten wie Rechts­ theorien, Lehrmeinungen, Urteilssprüchen und verschiedenen Rechtsdiskursen gewonnen wird. Die Fortdauer des Rechts hängt deshalb nicht von der Frage ab, ob die Ent­ scheidung bei der Übersetzung richtig ist oder nicht. Sie hängt auch nicht von der Rechtmäßigkeit und dem Inhalt der Entscheidung ab. Vielmehr ist sie von der provisorischen Aufrechterhaltung und Fortführung einer solchen Entscheidungs­ möglichkeit überhaupt abhängig. Aspekte wie die Richtigkeit, die Rechtmäßig­ keit und der Inhalt der Entscheidung unterstützen zwar die jeweilige rechtliche Entscheidung, aber nicht die Fortdauer des Rechts. Denn die Entscheidungen sind der ständigen Aktualisierung und Änderung ausgesetzt. Umgekehrt gilt, dass Ent­ scheidungen, die nicht geändert werden können, inhaltliche Unangemessenheit herbeiführen können. Eine Entscheidung, die dem Druck der Änderung in der Zu­ kunft nicht stand hält, wird insoweit ihre Angemessenheit in diesem Zeitpunkt in der Zukunft verlieren. Daher wird die Fortdauer des Rechts dadurch gestützt, dass die Entscheidung rechtlich getroffen werden konnte. Von Bedeutung ist somit nicht ob der Inhalt der Entscheidungen, sondern ob die Form der rechtliche Ange­ messenheit einer getroffenen Entscheidung angemessen ist.

17

Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 101.

IV. Der dynamische Charakter des Rechts

31

Die Fortdauer des Rechts oder, noch restriktiver formuliert, die Aufrecht­ erhaltung des Rechts wird in der Selektivität des Rechts realisiert. Es geht um die Art der Aufrechterhaltung, die in der Rechtsentwicklung realisiert wird, in der verschiedene Ereignisse in der Gesellschaft, ob sie vom Recht erwartet werden oder nicht, verarbeitet werden. In dieser Selektivität stellt eine Entscheidung in der Gegenwart eine Entscheidung für die Zukunft (also eine Entscheidung im Hin­ blick auf „die von der Gegenwart gesehene Zukunft“) dar und die Zeitdauer der Aufrechterhaltung ihrer Entscheidung wird nachträglich als Zeit der Fortdauer des Rechts verstanden. Die Fortdauer des Rechts bedeutet die Aufrechterhaltung sei­ ner Vorläufigkeit der Entscheidungen.18

IV. Der dynamische Charakter des Rechts 1. Die Selbstreferenzbewegung des Rechts Die den dynamischen Charakter des Rechts bedingende Bewegung des Rechts, die sich in der beschriebenen Zeitstruktur entwickelt, nämlich im rechtsinternen Aufbau, lässt sich unter den folgenden drei Gesichtspunkten erläutern. a) Die Akkumulation der Erfahrungen im Recht Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die jeweils getroffene Auswahl stets der Möglichkeit des Andersseins ausgesetzt ist, und dass sie daher als Erfahrungs­ wissen des Rechts angesammelt wird. Bei jeder Auswahl oder Entscheidung bringt die Ansammlung des Erfahrungswissens die verschiedenen Möglichkeiten in eine Ordnung, fasst sie zusammen und bildet ihre Identität für die Gesamtheit der Er­ fahrungen im Recht.19 Bei der Akkumulation der selektierten Erfahrungen wird eine weitere Er­ fahrungsakkumulation erwartet. Da die Fortdauer des Rechts die Aufrechterhal­ tung der Vorläufigkeit der Entscheidung bedeutet, macht insofern gerade diese Vorläufigkeit die letztendliche Bestimmung des Entscheidungspotenzialss aus.20 Über die Vorläufigkeit hinaus gibt es weder einen ewigen Bestand noch einen fi­ xierten Endpunkt. Die jeweilige Auswahl wird unter Berücksichtigung des be­ stimmten Probleminteresses oder der bestimmten Absicht getroffen und von da aus wird den gesellschaftlichen Ereignissen ein rechtlicher Sinn geben. Betrachten wir diese Sinngebung von der umgekehrten Warte aus, so verstehen wir, dass jede Auswahl vor dem Hintergrund des bis dato angesammelten Erfahrungswissens vorgenommen wird. Dieser Ansammlung von Wissen, Erfahrung und Komplexi­ 18

Vgl. Habermas/Luhmann (1971), S. 35 ff. Luhmann (1970), Soziologische Aufklärung 1, S. 64. 20 Vgl. Rombach (1971), S. 148 f. 19

32

A. Universalität

tät verdankt die erneut akkumulierten Erfahrungen den bei der Auswahl verwen­ deten Apparaten (wie Theorie, Methode, Begriffe usw.). Das heißt, das akkumu­ lierte Erfahrungswissen ermöglicht die jeweilige Auswahl und bildet so zugleich neue Erfahrungen. Die jeweilige Auswahl stellt demzufolge eine „Auslegung der verschiedenen vorherigen Erfahrungen“ dar, während die Erfahrungen die „Reflexion über die vorherigen Erfahrungen“ bedeuten. Diese „Modulation“ des akkumulierten Er­ fahrungswissens bearbeitet das Recht als kontinuierliches und ungestörtes Kor­ rektiv, so dass das Recht für seine eigene Entwicklung geöffnet wird.21 b) Die Selbstthematisierung des Rechts Diese ununterbrochenen Operationen des Rechts machten das Recht selbst zum Gegenstand seiner Erfassung und Beschreibung. Denn der Inhalt der gesellschaft­ lichen Ereignisse, die einmal als rechtliche Ereignisse erfasst und beschrieben worden sind, werden der rechtlichen Beschreibung wieder als gesellschaftliches Ereignis, und damit als Umwelt des Rechts gegenübergestellt: Das Recht orientiert sich an der Recht/Gesellschaft-Differenz und beschreibt die gesellschaftlichen Er­ eignisse als rechtliche Ereignisse. Die rechtlichen Ereignisse, die auf diese Weise erfasst und beschrieben worden sind, werden in der Gesellschaft als gesellschaft­ liche Ereignisse in rechtlicher Form thematisiert werden und können wiederum gemäß der Recht/Gesellschaft-Differenz rechtlich beschrieben werden.22 Nehmen wir den Fall an, dass gegen ein rechtliches Urteil von gesellschaft­ licher Seite Einspruch erhoben wird, oder gegen das gegenwärtig gültige Recht in der Gesellschaft Zweifel geäußert werden, dann wird über die Diskrepanz oder Nichtübereinstimmung zwischen Recht und Gesellschaft, zwischen Rechtsnor­ men und Gesellschaftsansichten diskutiert. Wird die Lösung im Recht gesucht, so wird das Recht das betreffende Problem rechtlich erfassen und beschreiben, um eine rechtliche Lösung zu finden. Das heißt, das Recht muss die Nichtübereinstim­ mung zwischen Recht und Gesellschaft rechtlich lösen. Selbst wenn der Wider­ spruch zwischen Recht und Gesellschaft weder offensichtlich noch klar ist, so dass die Lösung nicht im Recht gesucht wird, kann diese Nichtübereinstimmung oder Widersprüchlichkeit ihrerseits in einer rechtlichen Kommunikation thematisiert werden. Wenn das Recht in der Gesellschaft in irgendeiner Art und Weise proble­ matisiert werden sollte, wird also selbst dieses gesellschaftliche Ereignis rechtlich thematisiert. Auf diese Weise wird das Recht in der Gesellschaft durch das Recht selbst thematisiert. Diese rekursive Vergegenständlichung ist als Selbstthematisie­ rung des Rechts zu bezeichnen.

21

Vgl. Hendrichs (1973), S. 21 f. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 501 ff.

22

IV. Der dynamische Charakter des Rechts

33

c) Die Selbstdifferenzierung des Rechts Eine rechtliche Erfassung und Beschreibung kommt dadurch zustande, dass das gesellschaftliche Verhältnis als ein rechtliches erfasst und beschrieben wird. Gesellschaftliche Ereignisse werden nämlich unter die Recht/Gesellschaft-Diffe­ renz gestellt, um daraus ein rechtliches Verhältnis zu extrahieren, d. h. die gesell­ schaftlichen Ereignisse auf die Seite des Rechts zu absorbieren. Die emergierende Selbstthematisierung bedeutet, dass die in der Gesellschaft vom Recht vorgenom­ menen Handlungen wie die rechtliche Erfassung und Beschreibung sowie die dar­ aus resultierenden Entscheidungen als eigentlich gesellschaftliche Ereignisse zum Gegenstand der rechtlichen Erfassung und Beschreibung werden. Dies bedeutet wiederum, dass das Recht die Recht/Gesellschaft-Differenz in der Gesellschaft zur Diskussion stellt. Die zuvor vom Recht durchgeführte Behandlung der Recht/ Gesellschaft-Differenz wird erneut in der Gesellschaft zum Gegenstand der Dis­ kussion und wird wieder durch das Recht selbst als Recht/Gesellschaft-Differenz behandelt. Diese Selbstthematisierung führt zu einer rechtlichen Änderung des Rechts, Änderungen in der Auslegung und Entscheidungen durch öffentliche Institu­ tionen sowie konsistenten Erklärungen über die Sachlage durch neue Prinzipien oder akademische Lehrmeinungen. Es wird eine rechtliche Lösung für die thema­ tisierte Recht/Gesellschaft-Differenz gesucht, das heißt eine rechtliche Lösung des thematisierten Rechts selbst und eine rechtliche Lösung des Problems um das Recht. Auf diese Weise führt das Recht die eigene Veränderung durch rechtliche Entscheidungen durch. Die Recht/Gesellschaft-Differenz als gesellschaftliches Ereignis erzeugt einen Druck zur rechtlichen Veränderung durch das Recht, indem sie rechtlich be­ schrieben, das heißt unter die Recht/Gesellschaft-Differenz gestellt wird. Das Recht wird revidiert. Dieses revidierte Recht wird (irgendwann oder sofort) in der Gesellschaft erneut unter die Recht/Gesellschaft-Differenz gestellt und somit der Möglichkeit zugeführt, erneut rechtlich thematisiert und geändert zu werden. Das heißt, solange die Recht/Gesellschaft-Differenz als gesellschaftliches Ereignis be­ steht, kann das Recht geändert werden. Auf diese Weise revidiert das Recht sich selbst auf rechtliche Weise, indem der Inhalt der durch die Differenz bereits durch­ geführten, rechtlichen Beschreibung wieder unter die Differenz gestellt wird. Dies stellt die Selbstdifferenzierung des Rechts dar.23 Diese ununterbrochene Bewegung der Selbstdifferenzierung entfaltet das Recht selbst. Das Recht erscheint in dem Zeithorizont, das es selbst entwickelt, und wird damit selbst zum Gegenstand des Rechts (d. h., Selbstthematisierung des Rechts). Indem es auch sich selbst unter die Differenzstruktur stellt, wird es zu einer sich entwickelnden (autopoietischen) Bewegungseinheit, denn das durch die Diffe­ 23

Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S.  524 ff.

34

A. Universalität

renz entstehende Recht vergegenständlicht das Recht selbst unter dieser Diffe­ renz (Selbstdifferenzierungsbewegung). Motor dieser Selbstentwicklung ist das hierdurch entstehende Zirkulationsverhältnis (vermittels der Recht/GesellschaftDifferenz) zwischen dem Recht, das die rechtliche Änderung vorantreibt, und dem Recht, von dem die Änderung verlangt wird. Nicht die Gesellschaft bewegt das Recht, denn nichts außer dem Recht selbst setzt das Recht als solches in Bewegung. Im Recht werden nur Rechtselemente be­ handelt und alles, was außerhalb des Rechts steht, ob es die Gesellschaft ist oder etwas anderes, wird ins Rechtliche übersetzt. Dazu wird die rechtlich erfassende Beschreibung im Bereich außerhalb des Rechts thematisiert und diese Thema­ tisierung wird wiederum rechtlich erfasst und beschrieben. Antrieb dieser Diffe­ renzierung ist also nicht das gesellschaftliche Ereignis, sondern das Recht selbst, das wiederum das Recht bewegt. Das Recht wiederholt die zirkuläre Bewegung von rechtlicher Erfassung und Beschreibung zur Selbstthematisierung des Rechts und zurück zur rechtlichen Erfassung und Beschreibung, so dass es sich selbst auf diese Weise unaufhörlich weiter differenziert. So verleihen dem Recht die Kon­ tinuität und die Erfahrung des Provisorischen der rechtlichen Beschreibung und Entscheidung eine zirkuläre Struktur. In diesen zirkulären Operationen entwickelt sich das Recht selbst kreativ, indem es gesellschaftliche Ereignisse beschreibt, ent­ scheidet und darin die Selbstbewegung des Rechts realisiert. 2. Die selbstreferenzielle Bewegung zum Erwerb der Universalität In diesem Zeithorizont, nämlich in den verschiedenen Möglichkeiten in der Vergangenheit und der Zukunft aus der Perspektive der Gegenwart, strebt die rechtliche Beschreibung und Entscheidung in der Gegenwart an, in der Zukunft Richtigkeit und Geltung zu haben. Dabei spielt die Vergangenheit als solche für das Recht keine Rolle. In der Ge­ genwärt wird nur die Zukunft in Frage gestellt. Die Vergangenheit wird nur in­ sofern relevant, als die Wirksamkeit des Rechts in der Zukunft sichergestellt wer­ den muss. Damit das Recht stets wirksam sein kann, muss es sich stets an der Zukunft orientieren. Da es um die Zukunft der Gegenwart geht, muss die recht­ liche Beschreibung in der Gegenwart diese Beschreibung selbst ständig zum Ge­ genstand der Beschreibung machen und diese erneuern. Das Recht muss die Pro­ gnose des Rechts selbst immer vorhersehen – und diese Zukunftsorientiertheit des Rechts bringt das Recht in Bewegung.24 Auf diese Weise beschreibt das Recht sich selbst rechtlich. Es setzt rechtliche Verhältnisse rechtlich in Beziehung zueinander. Die Recht/Gesellschaft-Diffe­ 24 Luhmann (1986), Ökologische Kommunikation: Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, S. 159.

IV. Der dynamische Charakter des Rechts

35

renz und das dadurch differenzierte Gesetz setzen das Recht/Gesellschaft-Verhält­ nis immer wieder ins Recht/Gesellschaft-Verhältnis. In der beständigen Bewe­ gung, diese Verhältnisse weiter in Beziehung zu sich zu setzen, gewinnt das Recht seine Universalität. Diese Selbstreferenzbewegung ermöglicht die Universalität des Rechts. Das Recht ist nicht in sich universal. Es kann vielmehr nur univer­ sal bleiben, indem es die selbsterneuernde Bewegung entfaltet, universal zu sein. Insofern wird das Bestreben des Rechts, sich als solches zu beschreiben, an sich zu einer universalen Beschreibung. Das Recht existiert nämlich (als Recht). Dies zeigt bereits seine universale Orientierung und evolutionäre Leistung, die sich in der Strukturierung der Recht/Gesellschaft-Differenz durch das In-Beziehung-Set­ zen der Verhältnisse und in den Schleifen (loop), die durch diese vorantreibende Bewegung und ihrer zirkulären Struktur entstehen, manifestiert. Das Problem der Universalität ist seit den philosophischen Bemühungen des Mittelalters Gegenstand eines großen Streits. Der Realismus ging vom Univer­ salen als zeitlich und hierarchisch Grundlegendem aus und formulierte, dass das Universale dem Einzelnen vorausgeht (universalia ante rem). Der Nominalismus dagegen sah im Universalen einen bloßen Namen (nomina) oder ein Produkt der gedanklichen Abstraktion und formulierte, dass das Universale nach dem Einzel­ nen existiert (universalia post rem). Aber das Universale existiert nirgendwo. Universalität wird nur durch die Eigenschaft der „Beziehung der Beziehung (relatio relationis)“ erreicht.25 Für den Erwerb der Universalität des Rechts stellt die Recht/Gesellschaft-Differenz die äußerliche Grundlage dar, während die Bewegung des Rechts die innere Grund­ lage bildet. Solange die Differenz besteht, bewegt sich das Recht. Das DifferenzVerhältnis ins Differenz-Verhältnis zu setzen, dies stellt die Bedingung für das Er­reichen der Universalität dar. Das heißt, die Universalität des Rechts ist nichts anderes als die unendliche Fortbewegung der Selbstreferenz, um das (Differenz-) Verhältnis ins (Differenz-)Verhältnis zu setzen. Reformulierung Universalität bedeutet die unendliche Fortbewegung der Selbstreferenz.

25 Luhmann (1981), Ausdifferenzierung des Rechts – Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, S. 397.

B. Geltung „Lex semper intendit quod convenit rationi.“ (Coke, The First Part of the Institutes of the Laws of England; or, A Commentary upon Little­ ton, 7b)

I. Vorbemerkung Das Problem der Rechtsgeltung wird in diesem Kapitel nicht als Frage nach dem Wahrheitswert behandelt, der die Geltung stützt, sondern lediglich als Frage nach dem Sachverhalt, der das soziale Phänomen ermöglicht, dass etwas unabhängig von seinem Inhalt gilt. Der Grund für diese Herangehensweise liegt darin, dass im Recht, wie in der Grundthese aufgestellt, eine zeitliche und räumliche Differenz zwischen dem Ort seiner Entstehung und dem Ort seiner Anwendung besteht. Trotz dieser Differenz gilt das Recht stets in der Gegenwart. Vom Recht aus gesehen stellt dieses Phäno­ men eine Selbstverständlichkeit dar. Betrachtet man dies aber von einem externen Blickwinkel aus, also außerhalb des Rechts, als ein Phänomen in der Gesellschaft, scheint es etwas sehr Sonderbares zu sein. Was außerhalb des Rechts, historisch gesehen, macht die so geartete Geltung möglich? Viele Wahrheitenen wie die theologischen, die transzendenten, die metaphy­ sischen, die sich im evidenten Verständnis begründeten, die naturwissenschaft­ lichen Wahrheiten selbst und die Wahrheiten der sozialen Utopien auch sind inzwi­ schen widerlegt und überholt. Dennoch funktioniert das Recht in der jeweiligen Gegenwart als etwas Geltendes. Das Recht ermöglicht, sowohl bis jetzt als auch von jetzt an, stets in der Gegenwart nach Gerechtigkeit zu fragen und ein ideales Gesellschaftsbild zu zeichnen. Und es sieht so aus, als würde es eine über die Zeit und den Raum hinausgehende Geltung ermöglichen. Wie ist dies aber möglich? Diese Frage zielt weniger auf die rechtlichen Elemente, sondern mehr auf den ge­ sellschaftlichen Aufbau ab, das das Phänomen der rechtlichen Geltung in dieser Gesellschaft ermöglicht.

II. Entscheidungsunfähige rechtliche Geltung

37

II. Entscheidungsunfähige rechtliche Geltung 1. Komplexität Die Geltung rechtlicher Entscheidungen wird unter dem Gesichtspunkt der in­ dividuellen Konkretheit gegenüber dem relevanten Ereignis als konkrete Gül­ tigkeit behandelt. Traditionell wurde die Geltung als Problem der universellen Geltung erörtert. Die Annahme der universellen Geltung wird aber inzwischen unter dem Hinweis auf die zu relativierenden Werte als problematisch ange­ sehen. Hier wird nun versucht, unter den verschiedenen Lösungsansätzen bezüg­ lich der Problematik mit der Universalität der Geltung einen Anhaltspunkt zu fin­ den, der die Gültigkeit hervorhebt und die Problematik der konkreten Geltung klar herausstellt. Wie bereits erwähnt ist der Diskurs über die Universalität problematisch ge­ worden.26 Heute kann Geltung im traditionellen Sinne nicht mehr gedacht wer­ den, weil universelle Geltung innerhalb eines einheitlichen Weltverständnisses unmöglich geworden ist. Daher muss der Versuch, die Welt oder die Gesellschaft in einem einheitlichen Sinne zu begreifen, zu Gunsten eines anderen Weltver­ ständnisses aufgegeben werden. Stattdessen gehen wir hier daher von einem kom­ plexen Verständnis von Welt und Gesellschaft aus.27 Anstatt der traditionellen Vorstellung, dass die Welt oder die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu erfassen wären, ist vielmehr eine Vorstellung anzunehmen, wonach Welt und Gesellschaft als eine Überfülle von Möglichkeiten erfasst werden müssen. Mit dem Konzept der Komplexität ist also ein Einspruch gegen diejenigen Analysen zu erheben, de­ ren Weltverständnis absolute Werte voraussetzt oder eine als ewig geltende Wahr­ heit annimmt oder die Welt sonst wie in einem streng einheitlichen Sinne zu be­ greifen sucht.28 Dem einheitlichen Weltverständnis ist aber nicht bloß ein Konzept der Kom­ plexität gegenüberzustellen. Eine bloße Gegenüberstellung würde lediglich an­ stelle des einheitlichen Ansatzes einen komplexen Ansatz vorziehen, wobei die ­ aradoxie Komplexität dennoch als etwas Einheitliches fungieren würde. Diese P bei Ersetzung des einheitlichen Weltverständnisses ist entsprechend selbst dort zu finden, wo man auf die Vielfältigkeit der die Welt konstruierenden Bedeu­ tungen achtet und einen Pluralismus bzw. Relativismus behauptet. Denn die Frage lautet, ob der Pluralismus einen monistischen Standpunkt, der den Plura­ lismus selbst ausschließen will, in sich einzuschließen vermag. Gleichermaßen stellt sich die Frage, ob der Relativismus seinen relativierenden Standpunkt gegen einen Absolutheitsanspruch, der die Relativität ausschließen will, aufrechterhalten

26

s. Kapitel A., Fn. 5 und 6.  Luhmann (1970), Soziologische Aufklärung 1, S. 212 ff. 28 Luhmann (1975), Soziologische Aufklärung 2, S. 111 f. 27

38

B. Geltung

kann.29 In dieser Paradoxie werden die logisch bedingten Schwierigkeiten der Dis­ kurse deutlich, die mit den Begriffen der Pluralität und der Relativität operieren. Das Gleiche gilt auch für die Komplexität. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Welt komplex ist, und sie als solche bezeichnet, würde eine bloße Beschrei­ bung der Welt in einer einheitlichen Beschreibung unter dem Schlagwort der Komplexität enden und den Anforderungen eines komplexen Verständnisses nicht genügen.30 Im Gegensatz zu den vorangehenden Ansätzen wird hier als Lösungsansatz vorgeschlagen, für die Unmöglichkeit einer eindeutigen Aussage über die Kom­ plexität oder ihre Auslegung zu argumentieren. Es gibt keinen festgeschriebenen Zustand der Komplexität, so dass es weder einen einheitliche Komplexität geben kann, die komplexe Sachverhalte ausschließt, noch eine eindeutige Komplexität. Ein von der Komplexität ausgehender Diskurs darf daher auch keine Einheitlich­ keit als Ursprung der Komplexität voraussetzen, etwa einen Aristotelischen Gott oder den unbeweglichen Bewegender. Es geht dabei nicht so sehr um die Kom­ plexität, die vom Einheitlichen unterstützt wird. Man kann die Komplexität als solche nicht beim Namen rufen. Spricht man davon, komplex zu sein, so bedeutet dies, dass man die Tatsache ausschließt, komplex zu sein. In dem Umstand, dass man von Komplexität nicht reden kann, liegt die Komplexität.31 Insofern stellt die Komplexität etwas dar, das gerufen wird und doch nicht gerufen werden kann, das ist und doch nicht sein kann. Diese Überlegungen sollen nun auf den rechtlichen Kontext übertragen wer­ den. Das Recht operiert dort, wo es Ereignisse in der Gesellschaft in rechtliche Angelegenheiten übersetzt. Die Gesamtheit der Ereignisse in der Gesellschaft oder der Gesellschaft im Sinne eines Hintergrunds lassen sich jedoch nicht in ih­ rer Gesamtheit erfassen. Zumindest ist das Recht nicht in der Lage, von der Ge­ sellschaft in ihrer Gesamtheit zu sprechen. Aus der Perspektive des Rechts bleibt die Gesellschaft der Horizont, in dem sie unter dem rechtlichen Gesichtspunkt se­ lektiv erfasst und beschrieben wird. Die Gesellschaft liefert dem Recht die Ele­ mente für Sinnentwürfe und Sinngebungen. Bildlich ist die Gesellschaft mit einem Lagerhaus zu vergleichen, das gefüllt ist mit einer unendlichen Fülle an Möglich­ keiten rechtlicher Beschreibungen. Entsprechend der rechtlichen Erfassung und Beschreibung werden die auszuwählenden Stoffe aus der Gesellschaft herausge­ zogen. Für das Recht stellt sich die Gesellschaft als eine Überfülle des Möglichen dar und damit als etwas, das nicht als Ganzes erfasst werden kann. Sie ist komplex. Das Recht erfasst aber diesen Zustand der Komplexität nicht. Die Gesellschaft ent­ 29 Von diesem Verständnis aus wird deutlich, dass die hier angesprochenen pluralistischen oder relativistischen Gedanken keine nennenswerte Bedeutung haben können. Solange man beim Pluralen oder Relativen nicht von einer logischen Struktur sprechen kann, die in sich pluralisiert oder relativiert wird, wird das Plurale als Monistisches und das Relative als Abso­ lutes verbleiben. Dazu s. Kapitel A., Fn. 7. Vgl. Hijikata (2012). 30 Luhmann (1990), Soziologische Aufklärung 5, S. 60 f. 31 Baba (1994), S. 276, und ders. (1998), S. 23.

II. Entscheidungsunfähige rechtliche Geltung

39

steht deshalb im rechtlichen Sinne lediglich unter dem Gesichtspunkt der Auswahl oder der Möglichkeit als das (rechtlich zu beschreibende) Problem. Vom Recht aus gesehen soll eine Überfülle des Möglichen, das das Recht umgibt, (rechtlich) redu­ ziert werden. Erst durch die Reduzierung der Komplexität (der Gesellschaft) kann das Recht im Recht selbst die Zusammenhänge zwischen den rechtlichen Elemen­ ten herstellen.32 Diese rechtliche Einschränkung hat jedoch nicht zur Folge, dass die Möglich­ keiten sich reduzieren, sondern führt vielmehr zur Erweiterung der Beschrei­ bungsmöglichkeiten. Denn durch die Einschränkung werden weitere mögliche Zusammenhänge unter den rechtlichen Elementen erschlossen. Die unbestimmte Komplexität wird auf diese Weise als bestimmbare und damit reduzierbare Kom­ plexität sichtbar. Die rechtliche Erfassung und Beschreibung der Gesellschaft bil­ det die Gesellschaft schärfer und detaillierter ab. Durch diese Steigerung der Ab­ bildung hinsichtlich der Schärfe und der Detailliertheit der Beschreibung ist die Summe der Teile größer als die Beschreibung des Ganzen.33 2. Die Kontingenz des rechtlichen Urteils Die komplexe Gesellschaft ist stets relativ zum beobachtenden Gesichtspunkt, da die jeweilige Erfassung und Beschreibung gerade dadurch ermöglicht wird, dass die Gesellschaft unter einem bestimmten Gesichtspunkt erfasst und beschrie­ ben werden kann. Jede Erfassung wird deshalb wesentlich durch den selektiv be­ stimmten Gesichtspunkt beeinflusst. Es gibt dabei allerdings keinen umfassenden, gleichsam panoptischen Gesichtspunkt, der alles erfassen könnte. Die Erfassung der Gesellschaft unter dem rechtlichen Gesichtspunkt stellt deshalb eine Erfassung unter einem Gesichtspunkt, nämlich dem des Rechts dar und schließt zugleich an­ dere Gesichtspunkte aus. Das Verhältnis zwischen diesem einen und den anderen Gesichtspunkten ist kontingent in dem Sinne, dass das Verhältnis sich auch von einem anderen Gesichtspunkt bestimmen ließe. Dies lässt sich durch die (Aus­ tausch-)Möglichkeit verdeutlichen, denn ein Gesichtspunkt könnte ebenso der an 32 Die Gesichtspunkte, die dabei nicht verwendet und folglich abgelehnt worden sind, wer­ den aber nicht etwa vernichtet, sondern treten als Bestand von Möglichkeiten in den Hinter­ grund und werden zum Gegenstand zukünftiger Auswahl. Das heißt, sie werden durch spätere Ablehnung der Ablehnung (des Nicht-verwendet-worden-seins) in eine austauschbare Position gebracht, wodurch sie zum Vorschein treten und aktualisierbar werden (Negation der Nega­ tion). Vgl. Habermas/Luhmann (1971), S. 35–37, und s. oben Kapitel A. III. 2. b). 33 In der Regel gilt die „allgemeine Systemtheorie“, die Ludwig von Bertalanffy 1968 ver­ öffentlichte, als Pionierleistung auf diesem Gebiet. Dieses Buch beginnt mit der Widmung an den mittelalterlichen Theologen Nicolaus Cusanus. Damit positioniert Bertalanffy gleich zu Beginn des Buchs den historischen Anfang des Systembegriffes bei Cusanus und schließt das Buch mit dessen Wort ab: „Aus allen Teilen leuchtet das Ganze (ex omnibus partibus relucet totum)“. Dagegen behauptet Luhmann, dass die Summe der Teile größer als das Ganze sei. Dazu vgl. Habermas/Luhmann (1971), S. 349, sowie s. unten Kapitel G. II. 1.

40

B. Geltung

dere Gesichtspunkt sein. Dieser Kontingenz unterliegt genauso jedes Urteil, das unter einem selektiven Gesichtspunkt gefällt wird, wie das für die verschiedenen rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkte der Fall ist. Dies bedeutet, dass ein rechtliches Urteil unter dem rechtlichen Gesichtspunkt nicht absolut entschieden werden kann und keinen fixierten oder fixen Zustand darstellt. Das konkrete rechtliche Urteil ist kontingent als ein Urteil unter vielen anderen möglichen Rechtsurteilen. Die Komplexität der Gesellschaft und die Kontingenz des Rechtsurteils be­ dingen somit das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Recht, das kein festes und statisches ist und bei jedem Urteil von Neuem kontingent gesetzt wird. Das Verhältnis bleibt immer eines, das unter den unzähligen möglichen Verhält­ nissen auch anders möglich wäre. Daraus ergibt sich, dass es eine der Möglichkei­ ten des In-Beziehung-Setzens unter den verschiedenen Möglichkeiten des In-Be­ ziehung-Setzens realisiert. Mit anderem Worten verweist der Sachverhalt, dass die Gesellschaft komplex ist, beim Rechtsurteil nicht darauf, dass vom Recht aus ge­ sehen ein komplexer Zustand besteht. Zwischen der Gesellschaft und dem Recht besteht nämlich ein komplexes Verhältnis, das nicht eindeutig einzuordnen ist, und genau darin besteht die Möglichkeit des selektiven In-Beziehung-Setzens. Somit setzt sich das In-Beziehung-Setzen an etwas. In Bezug auf die Komplexität der Gesellschaft, die einen Gegenstand des Urteilens darstellt, wird deshalb erst durch das In-die-rechtliche-Beziehung-Setzen ein Weg zum Rechtsurteil geschaf­ fen. Mit der Komplexität zu beginnen, bedeutet deshalb von vornherein etwas in Beziehung zu setzen.34 Dieser Sachverhalt lässt sich von der Differenz zwischen dem Recht und der Ge­ sellschaft aus folgendermaßen darstellen. Das Recht und die Gesellschaft stehen zueinander in einem Differenzverhältnis. Für dieses Differenzverhältnis ist weder das Recht noch die Gesellschaft entscheidend, sondern der Schrägstrich „/“ des Recht/Gesellschaft-Verhältnisses, also das Differenz-Verhältnis von Recht und Gesellschaft. Diese Differenz ist jedoch bereits (doppelt) differenziert worden, da ansonsten die Differenzierung nicht möglich wäre. Für das Differenz­verhältnis bedeutet dies wiederum, dass es selbst im Differenzverhältnis zu einer anderen Differenz steht, weil die Möglichkeit einer Differenz die Möglichkeit einer ande­ ren Differenz produziert. Ein „/“ ist ständig der Möglichkeit des anderen „/“ und damit der potentiellen Andersartigkeit ausgesetzt. Auf diese Weise wird die Dif­ ferenz selbst kontingent gesetzt. Daher setzt auch die Differenz von Recht und Ge­ sellschaft eine vorhergehende Differenzierung voraus.35 Nur dieses kontingente Verhältnis zwischen den Differenzen, also zwischen den Möglichkeiten des In-Beziehung-Setzens, lässt noch das Ganze oder die Gesamt­ 34

Zur Kontingenz s. oben A. II. und zum Thema des In-Beziehung-Setzens oben A. I. 1. Zum Verhältnis von Kontingenzform und Gerechtigkeit vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 214–238. 35 Luhmann (1990), Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 84.

II. Entscheidungsunfähige rechtliche Geltung

41

heit der Möglichkeiten zu, um in der komplexen Gesellschaft überhaupt ein recht­ liches Urteil fällen zu können. Denn das Ganze oder die Gesamtheit existieren als solche nicht. Da eine Beziehung unter den unzähligen Möglichkeiten des InBeziehung-Setzens in ein kontingentes Verhältnis mit anderen Beziehungen ge­ setzt ist, kann die Möglichkeit des Rechtsurteils unter der Vorstellung des stets Anders-sein-Könnens als unendlich – im Sinne der „fehlenden Unendlichkeit (privative infinitum)“, dass bis zum Ende keine Grenze erkannt werden kann – ange­ nommen werden. An diesem Punkt wird verständlich, was darunter zu verstehen ist, dass die Summe der Teile über das Ganze hinausgeht. In der Logik, der die Grenze fehlt und die ständig weitere (andere) Möglichkeiten zulässt, ist es auf­ grund ihrer Grenzenlosigkeit nicht möglich, die Kontur des Ganzen festzustel­ len oder zu verdeutlichen. Aber weil es möglich ist, das Anders-sein-Können, also die Kontingenz zu denken, kann es größer werden als das Ganze. Daraus entsteht eine Vorstellung von der Gültigkeit des Rechtsurteils, die durch die Kontingenz gestützt wird. Das Recht gilt also nicht für alle Fälle, sondern stets für den einzelnen konkreten Fall. Das Rechtsurteil ist in der Gesellschaft daher nur im jeweiligen Kontingenten Kontext denkbar. Das einzelne Urteil wird unter Veranlassung der rechtlich er­ fassenden Beschreibung der Ereignisse in der Gesellschaft selektiv als ein solches Urteil angenommen und wird somit in ein kontingentes Verhältnis zu einem an­ derem Urteil gesetzt. Aufgrund dieses Kontingenten Verhältnisses stellt das Urteil eine Entscheidung dar, die unter dem relativen Gesichtspunkt der jeweiligen Er­ fassung des Ereignisses getroffen wurde. Das Rechtsurteil ist mithin in dem kon­ tingent ausgewählten Gesichtspunkt verankert. Für die Rechtsoperation sind da­ her die einzelnen Besonderheiten und die spezifische Sachlage maßgeblich. Für die Auswahl des Gesichtspunktes, der gegenüber anderen Gesichtspunkten mehr Geltung beanspruchen kann, ist ein relativer und kontingenter Gesichtspunkt zu wählen. Dass die Gültigkeit des Rechtsurteils für die einzelnen Fälle konkret sein kann, verdankt es der Selektion des Gesichtspunkts, der für die einzelnen Fälle gültiger ist als andere. Mit anderen Worten, aus dem gleichen Grund der erhöhten Selekti­ vität ermöglicht die Kontingenz den gültigeren und konkreteren Gesichtspunkt für das Urteil. So vollzieht sich das Rechtsurteil in der den einzelnen Fällen adäqua­ ten Weise. Es wird konkret gefällt. Daraus ergibt sich allerdings die anschließende Frage, wie dieses konkrete und einzelfallbezogene Urteil stets gültig sein kann.36

36 Nach der Einführung des Begriffs der Autopoiesis hat Luhmann in der zweiten Auflage seiner Rechtssoziologie das letzte Kapitel geändert und bezieht sich erneut auf die Geltung. Vgl. Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 358.

42

B. Geltung

III. Die Verwirklichung der rechtlichen Geltung 1. Die Verknüpfung Das Rechtsurteil ist von kontingentem Charakter und stets der Andersartig­ keit ausgesetzt. Diese Andersartigkeit bedeutet nicht nur, dass die andere Mög­ lichkeit (latent) existiert, sondern auch, dass mit dem Vollzug des Rechtsurteils die andere Möglichkeit zur Realisierung dieses Rechtsurteils aktualisiert wird. Die Andersartigkeit bedeutet die Möglichkeit der andersartigen Aktualisierung und stellt den Sachverhalt dar, dass das Mögliche durch ein tatsächliches Urteil zum Aktuellen wird. Das Recht wird durch ein Urteil realisiert (verwirklicht). Die kontingente Natur des Urteils impliziert, dass dessen Aktualisierung der Än­ derungsmöglichkeit ausgesetzt ist und durch eine andere Aktualisierung ersetzt werden kann. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass keine Realisierung des Rechts den da­ bei erzielten Erfolg auf Dauer halten kann. Eine Realisierung des Rechts ver­ mag ihre eigene Wirksamkeit nur so lange stabil zu halten, bis sie eine andere, aktualisierte Realisierung des Rechts für realistisch hält und eine andere Reali­ sierung des Rechts erfolgt. Fällt ein andersartiges Urteil, schließt sich die Gül­ tigkeit, die der bisherigen Realisierung anhaftete, an die Wirksamkeit der neuen Realisierung an. Diese Verknüpfung kann sowohl positiv, also den Urteilsinhalt weiterführen als auch negativ sein, also den Urteilsinhalt verwerfen. Unabhän­ gig von der inhaltlichen Ausgestaltung schließt sich ein Urteil aber auf alle Fälle an das andere und das nächste Urteil an das vorangehende an. Diese Verknüp­ fung ist nicht inhaltlich ausgestaltet, sie richtet sich nicht nach Werten oder In­ halt eines Urteils, sondern nach einer rechtlichen Operation, eine solche stellt das Urteil dar. Dabei folgt nicht ein Urteil konsekutiv auf ein anderes Urteil, viel­ mehr werden das (eine) Urteil und das (andere) Urteil derart miteinander in Be­ ziehung zueinander gesetzt, dass eine kommunikative Verbindung zwischen den Urteilen emergiert. Diese kommunikative Verknüpfung stützt die Realisierungs­ möglichkeit des Rechtsurteils ununterbrochen, weil die Form des Verknüpfens das Urteilen fortsetzt und die Fortdauer des Urteils über das einzelne Urteil hin­ aus ermöglicht. Die Ersetzung eines Urteils durch das nächste erfolgt, weil das vorausgehende Urteil außer Kraft gesetzt und unabhängig von seiner Bejahung oder Verneinung erneuert wird. Betrachtet man das Urteil nicht inhaltlich, sondern formell und den Umstand, dass es gefällt worden ist, dann bedeutet es keine Unterbrechung auf­ grund der inhaltlichen Anpassung, sondern die formelle Fortsetzung der Realisie­ rung des Rechts. Das vorausgehende Urteil wird an das nachfolgende Urteil durch Erneuerung angeschlossen: Das nachfolgende Urteil nimmt Bezug auf das vor­ ausgesehene Urteil als ein zu erhaltendes oder als negatives, gegenteiliges Fall­ beispiel, indem es also als Referenzpunkt für die rechtliche Entscheidung in Form des Urteils fungiert. Der Anschluss vollzieht sich also dadurch, dass das voraus­

III. Die Verwirklichung der rechtlichen Geltung

43

gehende Urteil das darauffolgende Urteil induziert, indem das bestehende Urteil seinerseits beurteilt wird.37 In konsequenter Rekonstruktion bedeutet dies, dass allein die Unterscheidung das sich anschließende Element ist. Das Rechtsurteil kommt durch die Unterschei­ dung zustande. Dabei handelt es sich um eine Differenzierung zwischen den Ele­ menten, die im Urteil angenommen, und denjenigen, die abgelehnt worden sind. Solche Unterscheidungen entstehen durch die Strukturierung verschiedener Ele­ mente anhand der Dichotomie Gut/Böse, Erforderlich/Nicht-Erforderlich oder Positiv/Negativ. Die Verknüpfung des Urteils bedeutet daher die Unterschei­ dungen miteinander zu verbinden. Die Verbindung erfolgt jedoch nicht derart, dass eine Seite der Unterscheidung von Gut/Böse, Erforderlich/Nicht-Erforder­ lich oder Positiv/Negativ lediglich an die andere angeschlossen wird, statt­dessen wird die vorgenommene Unterscheidung an die andere Unterscheidung ange­ schlossen. Im Kern handelt es sich also um die Verknüpfung zwischen den Unter­ scheidungen „/“. Das jeweilige Rechtsurteil wird, wie oben erörtert, durch weitere zu ent­ scheidende Einzelfälle unter den variablen Möglichkeiten entweder aufrecht­ erhalten oder verworfen. Das beibehaltene Urteil steht unter den andersartigen Möglichkeiten und ist weiterhin vielen Einzelfällen ausgesetzt. Durch die stetige Möglichkeit von Erhalten/Verwerfen ausgesetzt ist, setzt das jeweilige Urteil den Anschluss fort, um den einzelnen Einzelfällen auf diese Weise immer angemesse­ ner zu werden. Die Operation des Verknüpfens kann daher nicht endgültig abge­ schlossen oder die Unterscheidung kann nicht synthetisiert werden. Der Anschluss einer Unterscheidung an eine andere Unterscheidung findet unendlich statt und setzt sich aus genau diesem Grund fort.38 Diese Verknüpfung und ihre potentiell unendliche Wiederholung ermöglicht die Vorstellung, dass das Rechtsurteil auch in Zukunft gültig gemacht wird. Die Gül­ tigkeit des einzelnen Urteils hängt vom jeweiligen Wert-Urteil ab. Die Wertung, die das Urteil stützt, mag zwar die Gültigkeit des Urteils ein einziges Mal stützen, aber kann sie nicht konstant stützen. Nur die fortdauernde Kontinuität des An­ 37

Sucht man das vorliegende Problem vom Inhalt aus zu klären, stellt sich heraus, dass der Inhalt durch die Zirkulation gestützt wird. Dabei geht es nicht um den Inhalt des Inhalts, sondern die Form, in der der Inhalt (durch die Zirkulation) bestimmt wird. Hierzu s. unten das Kapitel D. III. 2. 38 Dieser Anschluss findet jeweils als ein notwendiger statt. Genauer gesagt, auch der An­ schluss, der als ein zufälliger verstanden wird, wird in seiner Notwendigkeit verstanden und interpretiert. In diesem Fall werden stets andere Möglichkeiten hervorgerufen. Auch hier spielt die Kontingenz eine wichtige Rolle. Kontingenz bedeutet als theologischer Begriff Zu­ fälligkeit. Ist aber das menschliche Schicksal zufällig oder notwendig? Wir nehmen es über die Zufall/Notwendigkeit-Unterscheidung hinaus als Gottes Wille an und schließen diese an eine andere Zufall/Notwendigkeit-Unterscheidung an. Dieser Anschluss führt insgesamt zur Vorstellung Gottes. Dadurch wird gleichermaßen deutlich, dass dieser Anschluss insgesamt die Vorstellung der (Gültigkeit) des Gesetzes ermöglicht. Dazu s. Kapitel E., Fn. 103.

44

B. Geltung

schlusses ermöglicht die Stabilisierung der Geltung, oder noch genauer: der An­ schluss ermöglicht die Geltung und die Fortdauer ermöglicht die Sicherheit – nicht durch die Substanz, sondern durch die Form.39 2. Instanz der Gültigkeit Wie lässt sich nun der substanzielle Gehalt der Gültigkeit des Rechtsurteils sicher­stellen? Das jeweilige Urteil ist in verschiedenen Kontexten eingebettet und unterliegt einem bestimmten Hintergrund. Kontext und Hintergrund stellen die Voraus­ setzungen für die Möglichkeit der verschiedenen Urteile dar. Innerhalb dieser Vor­ aussetzungen besitzt das Subjekt des Urteils sein eigenes Kriterium, selbst wenn dieses von provisorischem Charakter ist. Das Urteil selbst wird dadurch gebildet, dass eine der verschiedenen Kontingenten Möglichkeiten ausgewählt wird. Das Urteil stellt sich somit in den einzelnen Fällen nicht jeweils unabhängig und auto­ nom ein, sondern wird in einem kontextuellen Verhältnis zu den anderen Entschei­ dungsmöglichkeiten vorgenommen. Das heißt, es geht um ein Urteil in der Ver­ knüpfung. Für das Urteil in diesem Anschluss kommen verschiedene Faktoren in Betracht wie die bereits gefällten Urteile, andere mögliche Urteile, verschiedene Hintergründe, die diese Urteile konstituieren, die durch die vorausgehenden Ur­ teile gelösten Probleme oder die Einzelheiten der Ersetzung des Urteils durch ein anderes. Ein Urteil kann daher nicht völlig autonom entstehen. Das Urteil kommt stets als das Urteil zustande, das unter den verschiedenen Urteilsmöglichkeiten aus­ gewählt worden ist. Somit stellt es nicht nur die Bejahung einer Entscheidungs­ möglichkeit, sondern auch die Negation der anderen Urteilsmöglichkeiten dar. Es kann nur im exklusiven Verhältnis zwischen dem Angenommenen und dem Ab­ gelehnten als etwas existieren, das so ist und daher nicht anders ist. In dieser Auswahl ist auch eine Kontrollfunktion eingeschlossen, indem der An­ schluss am jeweiligen Anschlusspunkt auf seine Geltung hin kontrolliert wird. Bei jedem Anschluss wird eine Auswahl vorgenommen und es findet in der Ausfüh­ rung dieser Auswahl eine Wertung statt. Diese Wertung stellt eine durch die Ver­ knüpfung vermittelte, interne Kontrolle über die Gültigkeit des Rechts dar. Sie ist zugleich eine lose Kontrolle, weil ein neues Urteil angenommen wird, das mehr Gültigkeit zu haben scheint. Dies ist die für die Rechtsgeltung mögliche Kontrolle und gilt zunächst als die effektivste Kontrolle, die dem Recht Geltung verleiht. Das Recht kann nicht von außen kontrolliert werden, gegenüber der inhaltlichen Dis­ 39

Vgl. dazu Luhmann (1970), Positives Recht und Ideologie, in: Soziologische Aufklärung 1, S. 180–181. Luhmann versteht das Rechtssystem als ein auf Operationen basierendes, ge­ schlossenes System und weist darauf hin, dass die Gültigkeit den Eigenwert des Systems dar­ stellt (vgl. ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 101). Vgl. auch oben das Kapitel D.

III. Die Verwirklichung der rechtlichen Geltung

45

kontinuität oder Veränderung wird mehr Wert auf die Aufrechterhaltung der An­ schlussfähigkeit gelegt. Da diese Kontrolle innerhalb des Rechts und sehr locker stattfindet, führt sie zu einem systemerhaltenden oder konservativen Standpunkt. Radikaler, gründlicher, systemverändernder und anti-konservativer als dieser kri­ tische Hinweis führt aber die konsequente Durchführung dieses Standpunktes zu einer Entfaltung der Sachlage, und zwar aus folgenden Gründen. Eigentlich wird das kontrollierende Subjekt vom betreffenden, zu kontrollie­ renden Gegenstand vereinnahmt, so dass die Kontrolle selbst nur dadurch möglich wird, dass das kontrollierende Subjekt sich selbst stillschweigend vom zu kontrol­ lierenden bzw. kontrollierten Gegenstand auf die selbstprivilegierende Weise be­ freit. Damit schließt es sich selbst vom kontrollierten Objekt aus. Um ein Beispiel zu nennen: Eine Kritik verdankt ihr Dasein dem betreffenden kritisierten Gegen­ stand. Erlischt dieser Gegenstand, hört das kritisierende Subjekt ebenfalls auf zu existieren – zumindest als etwas Kritisierendes. Das kritisierende Subjekt kons­ tituiert sich parasitär am Gegenstand seiner Kritik und erhält dadurch sein eige­ nes Dasein aufrecht. Deshalb dürfen, was immer auch zum Gegenstand der Kritik gemacht wird, der Aufbau der Kritik selbst und die Tatsache, dass man kritisiert, nicht kritisiert werden. Das Kritik-Üben kann insofern eine (selbst-)erhaltende Arbeit des kritisierenden Subjekts darstellen. Oder um ein weiteres, theoreti­ sches und abstraktes Beispiel zu nennen: Die Dialektik besteht darin, ein Sys­ tem zu bejahen, das durch Negation möglich wird. Insofern scheint die Dialek­ tik ein in sich widerspruchsfreies System darzustellen, das durch Widersprüche vorangetrieben wird. Dabei kann die Dialektik selbst den Aufbau der Dialektik selbst nicht zum Gegenstand der Aufhebung machen. Sie entkommt diesem dia­ lektischem bzw. dem der Dialektik inhärenten Aufbau nur stillschweigend, wenn sie die Logik ermöglichen soll. Ein System, das widerspruchsfrei über den Wi­ derspruch verfügt, widerspricht sich selbst nicht. Daraus geht hervor, dass eine Kritik zwar den zu kritisierenden Gegenstand negativ behandeln mag, aber seine Existenz selbst nicht negieren kann. Vielmehr setzt die Kritik die Existenz ihres Gegenstandes voraus. Diese Überlegungen sollen nun auf das Recht angewendet werden. Das Recht wird durch rechtliche Operationen rechtlich festgesetzt. Das so entstandene posi­ tive Recht vermag eigentlich keinen höheren Wert zu besitzen als das Recht selbst. Inhalt und Wert des so festgesetzten Rechts sind eine Art Abmachung, die sich auf das rechtliche Verfahren stützt. Diesem bestehenden Recht kann etwas als neues Recht entgegentreten. Das dahinter stehende Vorhaben ist die Änderung des be­ stehenden Rechts (von oberhalb oder außerhalb des Rechts) mit der Begründung der Gültigkeit (oder des Mangels an Gültigkeit). Begründungsansätze können die Natur, die Vernunft, eine rationale Überlegung, ein Interesse, der Volkswille, das Entwicklungsgesetz der Geschichte, das Ziel der Rasse oder die internationale Lage sein. Jedenfalls bedeutet es aber, dass dieses neue Recht akzeptiert und zu­ gelassen wird, und dies als eine Abmachung über die Abmachung fungieren soll. Es handelt sich somit um ein Recht, das über ein Recht hinausgeht, das nur eine

46

B. Geltung

Abmachung wäre. Dies kann dennoch nicht mehr als das Recht sein, weil es nicht mehr als Recht funktionieren kann, wenn es nicht ein Recht bleiben wird. Kurz ge­ sagt, ein Recht wird dadurch geschaffen, dass die Herrschaft des Rechts herrscht (wobei dies über das Recht hinausgeht, doch als Recht bleibt).40 Das ist aber in sich ein Widerspruch. Es handelt sich hierbei um die Kontrolle der Kontrolle durch die Kontrolle. Durch die Vorstellung, dass die Kontrolle selbst kontrolliert werden kann, entsteht in der Konsequenz die Möglichkeit und die Fähigkeit, die (als Gegenstand pro­ blematische) Kontrolle einzustellen. Mit der Kontrolle der Kontrolle wird näm­ lich vorausgesetzt, dass die (als Gegenstand problematische) Kontrolle unvollstän­ dig ist. Erst dieser logische Gedankenschritt ermöglicht eine strikte Kontrolle, die durch die Gültigkeit (oder das, was als gültig angenommen worden ist) unterstützt wird. Zugleich jedoch kann die Möglichkeit der Kontrolle der Kontrolle durch die Kontrolle einen gewaltsamen Amoklauf des Rechts herbeiführen und realisie­ ren. Denn die Kontrolle der Gültigkeit kann sich seinerseits zu einem Aufbau ent­ wickeln, das die Gültigkeit zu zerstören vermag. Durch eine Kritik kann man den­ jenigen, der kritisiert, ausschließen, um eigene Kritik auszuüben. Entsprechend verhält es sich so, wenn man die eigene Herrschaft durch die Herrschaft über die Herrschaft ausübt. Um das Recht vor destruktiven Angriffen verschiedener Werte zu schützen, wendet man den von einem selbst akzeptierten Wert allein als Recht an und setzt diesen Wert durch. Oder man setzt zum Zweck der Durchsetzung des Rechts radikalerweise Gewalt ein, oder man leitet eine Revolution ein, um dem Recht durch die Zerstörung des gegenwärtig gültigen Rechts Geltung zu verschaf­ fen. Man kann dabei stillschweigend die Voraussetzung verbergen, auf die man sich stützt, und sich selbst entsprechend dieser Voraussetzung aufrecht­erhalten. Aber ob es nun selbsterhaltend oder selbstverändernd (-zerstörend), konservativ oder radikal ist – auf alle Fälle kann es in Willkür enden. Denn das Verfahren wird durch die initiierende Energie maßgeblich beeinflusst: ist die Willkür konservativ, so wird die Sachlage konservativ eingeleitet, und wenn die Willkür progressiv ist, wird sie progressiv durchgeführt. Fraglich ist nur, ob es sich nicht um eine selbstsichernde Logik handelt. Bezüglich der Art und Weise dieser Kontrolle kann die Kontrolle der Gültig­ keit des Rechtsurteils im Anschluss und über den ununterbrochenen Anschluss des Rechtsurteils jeweils die Gültigkeit der Kontrolle der Gültigkeit selbst in Frage stellen. Der Diskurs über die Gültigkeit selbst ermöglicht nämlich in der Kontin­ genten Beziehung mit dem anderen möglichen Diskurs über die Gültigkeit dessen operative Reflexivität. Im Vergleich zum vorherigen Beispiel ist noch einschrän­ kender zu sagen: Da sie den oben genannten Widerspruch ständig zum Vor­ schein zu bringen und die selbstsichernde Logik, die von der Kontrolle begleitet wird, zu entlarven versucht, verfügt die Kontrolle der Gültigkeit des Rechtsurteils im Anschluss über die Fähigkeit, diese jeweils zu entfernen. Dadurch wird eine 40

s. Baba (1994), S. 277.

III. Die Verwirklichung der rechtlichen Geltung

47

beliebige Kontrolle (der Kontrolle) oder die Einstellung der Kontrolle vermie­ den. Jedes Mal müssen der Widerspruch und die darin versteckte Ideologie durch und durch enthüllt werden.41 Ansonsten wird es sich so ergeben, dass das Recht einen (konservativen oder progressiven) einseitigen Amoklauf aufgrund der Be­ liebigkeit oder versteckter Intentionen als Recht unterstützt. Der vorläufige und daher einzige Weg, die Gültigkeit zu kontrollieren, ist es, bei jeder Verknüpfung die Probleme zum Vorschein zu bringen, über die Verknüpfung radikale Kritik zu üben und vor allem die Verknüpfung an den nächsten Verknüpfungspunkt an­ zuschließen.42 Werden diese Operationen gründlich durchgeführt, werden die Geltung (und auch ihre Kontrolle) nicht bloß willkürlich sein. Sie wird in jeder Situation notwen­dig sein, da durch das Rechtsurteil die Unterscheidung zwischen dem „­So-sein-müssen“ und dem „Nicht-so-sein-dürfen“ in der Kontingenten Situation stets weiter verknüpft wird. Die Notwendigkeit der jeweiligen Unterscheidung si­ chert die Gültigkeit der Einzelfälle und die ununterbrochene Fortsetzung dieser Jeweiligkeit ermöglicht die Geltung des Rechts. Es gibt keine beständige Instanz, die die Geltung des Rechts installiert. Der jeweilige Anschluss bildet „das, was als Instanz gilt“. In diesem Sinne stellt „das, was als Instanz gilt“, einen prozessualen Begriff dar, von dem nicht im Sein, sondern in der Gestaltung die Rede ist. Nicht die Instanz ermöglicht die Geltung, sondern die Fortsetzung der Gültigkeit der Verknüpfungen ermöglicht die Instanz. Die Geltung bewegt sich graduell und ver­ wirklicht sich selbst dadurch, indem sie sich von sich aus immer weiter erneuert.43 Reformulierung Die Geltung bewegt sich graduell, und verwirklicht sich dadurch selbst, indem sie sich von sich aus immer weiter erneuert.

41

Wie bereits erwähnt, mögen beim einzelnen Urteil verschiedene Gründe und Grundlagen benutzt werden wie Natur, Vernunft, rationale Überlegung, Interesse, Volkswille, Entwick­ lungsgesetz der Geschichte, Ziel der Rasse oder internationale Lage. Sie werden jedoch im je­ weiligen Anschluss einmalig benutzt werden und sind an sich von kontingentem Charakter. 42 „Konsens kann also nicht Bedingung der Rechtsgeltung sein“ (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 261). 43 „(…) sondern in der in jeder zum Problem gewordenen Hinsicht geändert werden soll oder nicht. Die Rechtsgeltung beruht demnach nicht auf Einheit, sondern auf Differenz. Sie ist nicht zu sehen, nicht zu finden, sondern liegt in der laufenden Reproduktion“ (ebd., S. 281).

C. Sicherheit „Wir werden gezwungen, dem Recht zu folgen, weil es sicher ist.“ (Vico, Scienza Nuova Seconda 1744, CXI, CXII)

I. Vorbemerkung Vom Recht wird erwartet, dass es in einer sich verändernden Gesellschaft be­ ständig ist und für die Erwartung als stabile Referenz dient. Ändert sich das Recht entsprechend der Veränderungen in der Gesellschaft oder in Übereinstimmung mit den einzelnen sich ändernden Situationen und Fällen, können wir uns nicht auf das Recht als eine stabile Referenz verlassen, auf die wir stets Bezug nehmen kön­ nen. Aufgrund dieser Bedingungen wird insofern vom Recht erwartet, dass es vo­ raussehbar und geltungssicher ist. Im folgenden Kapitel betrachten wir die Sicher­ heit des Rechts in der Gesellschaft als ein soziales Phänomen und befassen uns mit dem gesellschaftlichen Aufbau, der diese Rechtssicherheit ermöglicht.

II. Rechtliche Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren 1. Rechtssicherheit Die wissenschaftliche Erkenntnis (Episteme) der Menschheit hat sich seit der griechischen Antike am Logos orientiert und so das philosophische Denken beein­ flusst. Dabei ging es durchgehend um das Problem der Kosmologie. Der Kosmos stellt das geordnete, harmonische und deshalb schöne Ganze dar. Seit der antiken Kosmologie hat sich die Wissenschaft auf die Klärung der Frage konzentriert, wel­ che Ordnung diesen Kosmos ermöglicht. Dabei ging es entweder um die Erkennt­ nis des göttlichen Willens und der Naturordnung oder um die Bestimmung der menschlichen Vernunft und der Bedeutung der menschlichen Existenz oder aber um die Analyse der verschiedenen sozialen Phänomene. In dieser wissenschaftli­ chen Tradition, die sich prinzipiell an der Kosmologie orientiert, wurde das Chaos als Abweichung von bzw. Ausnahme zur Ordnung verstanden, genauso wie der Wahnsinn im Verhältnis zur Vernunft, der Irrtum im Verhältnis zur Wahrheit und die Gefahr im Verhältnis zur Sicherheit. Durch die Wertung als Abweichung von einem Standard wurden diese Aspekte jeweils negativ bewertet und wurden als die unsicheren und beunruhigenden Faktoren verstanden. Ziel war es daher, diese Faktoren zu beseitigen und geordnete Zustände wiederherzustellen, die letztlich

II. Rechtliche Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren

49

dem Modell der antiken Kosmologie entsprechen sollten. Damit wurde die Un­ sicherheit von vorneherein von der Warte der Sicherheit aus problematisiert. Genauso stellte sich die Gesellschaft, die durch die Verwirklichung der Gesetze zu erwarten war, als eine schöne und friedliche Gesellschaft dar, die so wie die Welt, die das Recht entwirft, von einer vorherrschenden Ordnung (der zu verwirk­ lichenden Gesellschaft) bestimmt ist. In diesem Sinne bildete das Recht lange Zeit den geordneten Kosmos ab. Die traditionelle Begriffsjurisprudenz besagte, dass das Recht logische Geschlossenheit besitze und die Berechnung durch Begriffe zu­ lasse. Wie man hier sieht, stand im Hintergrund des Diskurses über Rechtssicher­ heit eine von Grund auf präzise aufgebaute kosmische Struktur des Rechts. Sicherheit im Recht ist daher gleichbedeutsam mit der Sicherheit des Rechts­ systems als einem Kosmos, der durch die logische Struktur des Rechts erreicht wird. Insofern ist das Recht lückenlos. Selbst wenn eine Gesetzeslücke auftritt, wenn sich also unerwartete Dinge ereignen oder unkalkulierte Handlungen durch­ geführt werden, bleibe das Recht sicher, solange die Lücke angemessen verarbei­ tet und geschlossen wird.44 2. Bewahrung und Fortsetzung der Rechtssicherheit Das Recht begegnet unvorhersehbaren Ereignissen, das heißt unsicheren Fak­ toren des Rechts. Daher kann keine makellose Sicherheit des Rechts existieren. Wird das Recht mit einem Unsicherheitsfaktor konfrontiert, muss es ihn inner­ halb der logischen Struktur des Rechts verarbeiten, unabhängig davon, woher die­ ser Unsicherheitsfaktor stammt und in welcher Form er entstanden ist. Behandelt das Recht diesen Faktor dabei unter Bezugnahme auf etwas außerhalb von sich selbst (als etwas außerhalb des Rechts), könnte es das Vertrauen in die Stabilität des Rechts nicht mehr sicherstellen und der Rechtssicherheit Schaden zufügen. Die Rechtssicherheit ist bedingt durch die angemessene Bearbeitung der die Sicher­ heit störenden Unsicherheitsfaktoren, wenn sie auftreten. Unter dieser Vorausset­ zung stellt sich der Raum, der durch das Recht und dessen Bearbeitung gebildet wird, als derjenige Raum dar, der erwartet wird. Das Recht wird dabei zureichend voraussehbar. Im Folgenden sind zu diesem voraussehbaren Raum drei Punkte zu nennen.45

44 Bezüglich der Sicherheit (Stabilisierung) des Rechts und ihrer Auslegung macht Luh­ mann folgende Bemerkungen: „Nur über eine ausgearbeitete Rechtsdogmatik kann die Stabi­ lisierung des Rechts von der einfachen (und dann zumeist religiös begründeten) Geltung be­ stimmter Normen auf deren Konsistenz verlagert werden. Die Dogmatik garantiert, dass das Rechtssystem sich in seiner eigenen Veränderung als System bewährt“ (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 275). 45 Zu diesen drei Punkten vgl. die Aufsätze über die Paradigmentheorie in: Noe (1981).

50

C. Sicherheit

a) Der rechtliche Charakter der Unsicherheitsfaktoren des Rechts Die Unsicherheitsfaktoren des Rechts werden in bestimmten Sinnzusammen­ hängen des Rechtssystems über das mögliche In-Beziehung-Setzen durch ver­ schiedene Elemente (wie dem Gesetzestext, der Lehre und den Präzedenzfällen) erfasst und verarbeitet. Dadurch kann das Recht innerhalb des voraussehbaren Raums funktionieren. Umgekehrt heißt es: Jeder Unsicherheitsfaktor des Rechts stellt in diesem Sinne keinen nicht-rechtlichen, sondern einen rechtlichen Un­ sicherheitsfaktor dar, weil er im Recht vorausgesehen und innerhalb des Rechts konstruiert wird. b) Die durch Unsicherheitsfaktoren nicht zu störende Rechtssicherheit Gleichgültig, was für ein Unsicherheitsfaktor entstehen mag, kann die Rechts­ sicherheit prinzipiell nicht durch diesen Faktor gestört werden. Die Unsicherheits­ faktoren führen nicht zur Auflösung oder zum Wiederaufbau des Rechts(-systems) selbst, weil sie über das In-Beziehung-Setzen der verschiedenen den Rechts­ raum bildenden Elemente bearbeitbar sind. Das heißt, die Problematik der Un­ sicherheitsfaktoren wird durch die Wechselwirkung der verschiedenen Rechts­ elemente und das In-Beziehung-Setzen dieser verschiedenen Rechtselemente, der Struktur (bzw. Strukturierung) des Rechts selbst absorbiert. Das Recht löst als Recht solche Probleme, indem es eine bestimmte Struktur erhält und die ver­ schiedenen Elemente (wieder) miteinander verknüpft. Die Unsicherheitsfakto­ ren werden, selbst wenn sie auf den ersten Blick als nicht-bearbeitbar erschei­ nen, innerhalb des Rechts bearbeitbar gemacht und gefährden den Bestand des Rechts selbst nicht, wie das Beispiel der Rechtsfindung und der Rechtsschöpfung verdeutlicht.46 Auf diese Weise entwickelt das Recht als ein System die selbstreproduktive Fortbewegung im Recht selbst und sichert als Folge davon die logische Konsistenz des Rechtssystems. Diese Problematik aufgrund der Unsicherheitsfaktoren regt das kreative Potenzial des Rechts an und wirkt dahingehend, die Problembearbei­ tungsfähigkeit des Rechtssystems noch weiter zu erhöhen. Durch Konflikte wer­ den nämlich die Beständigkeit und die Konstitution des Rechts gestärkt.47 Wenn die Problematik von der Bearbeitungsfähigkeit des Rechtssystems allerdings sehr 46

Luhmann nennt dabei als Möglichkeit für die strukturelle Änderung zusätzlich zum ideologischen Charakter des Wertes und dem hypothetischen Charakter der Wahrheit aus­ drücklich die Positivität des Rechts (s. Luhmann (1970), Soziologische Aufklärung 1, S. 263. 47 Zur Diskussion über den Konflikt s. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 159 ff., sowie ders., Konflikt und Recht, in: ders. (1981), Ausdifferenzierung des Rechts, S. 92–112. Kurz zusammengefasst bedeutet dies: Das Recht verändert sich durch das Auf­ rechterhalten der bestimmten Struktur, um auf die jeweiligen Fälle zu reagieren. Dabei wer­ den die Konflikte und die Anwendungsform des Rechts durch die komplexe Zusammenset­ zung des Rechts vermittelt.

II. Rechtliche Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren

51

weit abweicht oder darüber hinausgeht, wird sie rechtlich als Ausnahme verarbei­ tet (durch ein rechtliches Urteil, das gewissermaßen nicht zum rechtlichen Urteil passt) oder sie wird einem anderen Problemlösungssystem überlassen (durch ein rechtliches Urteil über die Vermeidung des Urteils). Es geht dabei aber dennoch stets um rechtliche Urteile. Deshalb kann die rechtliche Sicherheit nicht durch et­ waige Unsicherheitsfaktoren gestört werden. c) Die Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit durch Rechtsexperten Einige dieser rechtlichen Bearbeitungen werden von Rechtsexperten vorge­ nommen. Problematische Rechtsfälle oder rechtstheoretisch strittige Fragen wer­ den dabei unter Bezugnahme auf das Recht erschlossen, korrigiert und ent­wickelt, so dass die Bedingung für die weitere kontinuierliche Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit gewährleistet wird. Zur Realisierung der Rechtssicherheit wer­ den die Rechtsexperten nicht nur auf zufällige Manifestationen der einzelnen Un­ sicherheitsfaktoren warten, sondern gezielt nach diesen Faktoren forschen. Sie werden von hier aus unbekannte Unsicherheitsfaktoren antizipieren und einen Be­ arbeitungsmechanismus ins Rechtssystem einführen, der den Unsicherheitsfakto­ ren antizipierend entgegenwirkt. Die systematische Organisierung der Forschung wird dementsprechend in der Weise fortgesetzt, dass die Unsicherheitsfaktoren des Rechts entdeckt, ihre rechtlichen Bearbeitungen vorgenommen, weitere Un­ sicherheitsfaktoren prognostiziert und neuen Bearbeitungen unterworfen werden. Auf diese Weise werden die verarbeiteten Unsicherheitsfaktoren und die Tech­ niken, durch die die Unsicherheitsfaktoren verarbeitet worden sind, gesammelt, um weitere Bearbeitungen der Unsicherheitsfaktoren und die Entwicklung der Bearbeitungstechniken voranzutreiben. Durch diese Operationen werden die Unsicherheitsfaktoren der Rechtssicher­ heit gegenüber entschärft. Es geht dabei nicht um die inhaltliche Bearbeitung der Problematik der betreffenden Unsicherheitsfaktoren. Von Bedeutung ist allein die Form, in der die eigene Logik zur Bildung und Bewahrung der Rechtssicher­ heit die Unsicherheitsfaktoren erfolgreich und konsistent bearbeitet hat. Dadurch werden die Erwartungen an das Recht ohne Enttäuschung erfüllt und die Rechts­ sicherheit bleibt erhalten. Die Rechtssicherheit wird also dadurch kontinuierlich aufrechterhalten, dass sie sich mit der Problembehandlungsfähigkeit für weitere Erwartungen ausrüstet. Dies ermöglicht der Wirkungszusammenhang der Erwar­ tung gegenüber dem Recht in Bezug auf die Unsicherheitsfaktoren und der vom Recht durchzuführenden Bearbeitung. Obwohl das Recht ständig Erwartungen ausgesetzt ist, verfügt es über die Struktur, diese Erwartungen zu erfüllen, das heißt, es kann als ein Recht existieren, das den Erwartungen entspricht.

52

C. Sicherheit

3. Rechtssicherheit als Prozess Die beschriebene Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren des Rechts vergrößert ständig seine Problembehandlungsfähigkeit und erhöht damit das Potenzial der Rechtssicherheit. Aber selbst wenn dieses Potenzial erhöht worden ist, reicht es nicht, um alle Elemente in der Wirklichkeit und all ihre Beziehungsmöglich­keiten zu erfassen. Es existieren immer noch viele Unsicherheitsfaktoren, die selbst durch die besten Antizipationsmechanismen nicht vorausgesehen werden können. Es handelt sich dabei nicht allein um qualitative und quantitative Probleme der Unsi­ cherheitsfaktoren und auch nicht um Probleme und Fähigkeiten der rechtlichen Si­ cherheitsstiftung. Es ist ein der Rechtssicherheit selbst immanentes Problem, das sich unter zwei Aspekten erklären lässt. a) Die Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren als deren Erzeugnis Das Recht ist für alle auftretenden Unsicherheitsfaktoren stets offen und auch auf weitere Unsicherheitsfaktoren vorbereitet. Das Recht stabilisiert sich dadurch, dass es den Unsicherheitsfaktoren, also den einzelnen Tatsachen und Fällen, ent­ gegenwirkt. Dieser Sachverhalt kann als kontrafaktische Stabilisierung48 be­ zeichnet werden. „Rechtsfindung“ und „Rechtsschöpfung“ stellen Operationen dieser Stabilisierung dar. Diese Stabilisierung ist eine der Aspekte in der Bearbei­ tung der Unsicherheitsfaktoren. Sie ermöglicht aber paradoxer Weise gleichzeitig dazu die Schöpfung neuer Unsicherheitsfaktoren des Rechts und schafft so einen neuen Sachverhalt, den man als Instabilisierung bezeichnen könnte. Dies bedeu­ tet, dass mit der Vergrößerung des Potenzials der rechtlichen Sicherheit und mit der Vergrößerung der Bearbeitungsfähigkeit rechtlicher Unsicherheitsfaktoren, vom Recht selbst neuartige Unsicherheitsfaktoren ins Recht eingeführt werden. Die Bearbeitung eines Unsicherheitsfaktors hängt davon ab, dass ein Rechtsur­ teil für die Ermöglichung der Bearbeitung und eine rechtliche Entscheidung zur Durchführung getroffen worden ist. Dies bringt gleichzeitig diejenigen Elemente zum Vorschein, die durch diese Entscheidung nicht verarbeitet werden können. Eine Entscheidung ruft nämlich einen weiteren (anderen) Unsicherheits­faktor her­ vor, weil durch die Bearbeitung dieses Faktors das bis dahin Unsichtbare sichtbar wird, so dass das zu bearbeitende Problem hervortritt. Mit anderen Worten: die neue Entscheidung zur Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren weist auf die Un­ vollständigkeit der Entscheidung selbst hin, weil jede Entscheidung zwar auf eine vollkommene Bearbeitung abzielt, diese aber niemals erzielen kann. Mit der auf Vollkommenheit abzielenden Entscheidung rücken deshalb zugleich Probleme er­ neut in den Blick, die nicht bearbeitet werden konnten und die als Nebenfolgen 48 „Normen sind demnach kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen“ (Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 43).

II. Rechtliche Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren

53

gerade dieser Entscheidung entstanden sind. So können bestimmte Unsicherheits­ faktoren durch die Verwendung einer neuen Auslegung, die Anwendung einer Ge­ neralklausel oder die Festlegung eines speziellen Rechts bearbeitet werden, andere Möglichkeiten aber, die durch solche Bearbeitungen weder berücksichtigt noch abgedeckt worden sind, bleiben präsent. Darüber hinaus kann eine voll­kommen neue Sachlage entstehen, wobei man sich gegebenenfalls ihren konkreten Inhalt vorstellen kann. Die Rechtssicherheit hängt also gleichzeitig mit der Dimension, in der die Un­ sicherheitsfaktoren absorbiert werden, sowie mit der Dimension, in der die Un­ sicherheitsfaktoren geschaffen werden, zusammen. Die Bearbeitung der Unsicher­ heitsfaktoren schafft weitere Unsicherheitsfaktoren. Jedes Unternehmen für die Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren wird von der Produktion neuer Unsicher­ heitsfaktoren begleitet. Daher führt die Vergrößerung der Kapazität für die Be­ arbeitung der Unsicherheitsfaktoren die weiteren, für das Recht unbekannten Un­ sicherheitsfaktoren, aber auch solche Unsicherheitsfaktoren herbei, die über die bisherigen Annahmen hinausgehen und die Bearbeitung erschweren. Die Erweite­ rung der Grenze in der Bearbeitungskapazität des Rechts macht eine neue Grenze deutlich und verlangt vom Recht eine weitere und größere Bearbeitungskapazität. Auf alle Fälle muss das Recht zur weiteren Aufrechterhaltung der Sicherheit diese Unsicherheitsfaktoren kontinuierlich bearbeiten. Das Beheben eines Mangels ruft also einen weiteren Mangel hervor und das Beheben dieses neuen Mangels führt einen weiteren Mangel herbei, der wiede­ rum zu beheben ist. Ein Ende in der Behebung der Mängel ist nicht in Sicht. Sollte man der Auffassung sein, dass der Mangel grundsätzlich behoben worden sei, so würde dies bedeuten, dass im Recht keine Unsicherheitsfaktoren mehr existie­ ren und dass es dem Recht aus eben dieser Negation an einer Maßnahmefähigkeit gegen neue Unsicherheitsfaktoren mangelt. Dieser Mangel verwiese dann aller­ dings nicht nur auf ein Defizit an Maßnahmefähigkeit, sondern vor allem auf das Fehlen der Fähigkeit zur Lösung von Problemen, und damit auf einen grund­ legenden Mangel des Rechts. In diesem Fall vermag das Recht nicht mehr als Recht zu funktionieren und auch nicht mehr als Gegenstand der Ordnungserwar­ tung zu fungieren. Die Rechtssicherheit führt somit in den Bearbeitungsprozess der Unsicherheits­ faktoren die Frage ein, ob immer noch gewisse Unsicherheitsfaktoren vorhanden sind oder nicht. Sie reagiert auf diese Frage, indem sie die Unsicherheitsfaktoren als solche fortgesetzt bearbeitet. Einen anderen Weg gibt es nicht, weil es in die­ ser ununterbrochenen Bearbeitung kein Ende gibt. Nur die Fortsetzung oder zu­ mindest die Fortsetzungsmöglichkeit dieses Prozesses von Bearbeiten garantiert sozusagen die Rechtssicherheit. Deshalb kann es hier prinzipiell weder eine letzte noch eine endgültige Sicherheit geben.

54

C. Sicherheit

b) Rechtssicherheit in der Zeit Auf diese Weise schafft das Recht seine eigene Rechtssicherheit, indem es ver­ schiedene Bearbeitungen ordnet und auf dieser Grundlage weitere Erwartungen freisetzt. Die jeweilige Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren wird also nicht in sich abgeschlossen. Vielmehr sind zur Vorbereitung auf weitere, neuartige Unsicher­heitsfaktoren Operationen erforderlich, die die einzelnen Bearbeitungen auf die Erwartungen beziehen und von da aus neue Erwartungen freisetzen, kor­ rigieren und weiter voraussehen. Das Recht wartet nicht auf das Zusammentref­ fen der antizipierten Unsicherheitsfaktoren, sondern organisiert verschiedene Dis­ kurse um das Recht zur Erhöhung der Rechtssicherheit, nimmt die Korrektur und die Änderung des Rechts in die eigene Ägide und macht selbst neue Vorschläge. Alle diese Operationen werden im Recht reflektiert und akkumuliert. Dadurch er­ hält das Recht eine komplexe Konstruktion. Durch die Komplexität der Rechts­ konstruktion werden die angemessene Überbrückung von Unsicherheitsfaktoren und die Problemlösungsfähigkeit des Rechts überhaupt erst möglich. Die Kom­ plexität des Rechts stellt dann gleichsam einen Puffer dar, der die Vermittlung zwischen den Unsicherheitsfaktoren und der Problemlösungsfähigkeit des Rechts ermöglicht.49 Bei jeder Problembearbeitung werden Gesetzestext, Lehre und Prä­ zedenzien in eine komplexe Beziehung zueinander gesetzt oder in die bis dahin akkumulierten Zusammenhänge mit einbezogen, um eine umfassende Problemlö­ sung gegenüber verschiedenartigen und vielfältigen Unsicherheitsfaktoren in der Zukunft zu ermöglichen. Dadurch wird die Rechtssicherheit sichergestellt. Die Sicherstellung dieser Sicherheit wird im Zeithorizont erreicht, weil das Recht bei der Problemlösung in der jeweiligen Gegenwart sich reflexiv auf die rechtliche Zusammensetzung vor der Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren be­ zieht und zugleich ein solches Recht heuristisch konstituiert, das die zukünftige Erscheinung der Unsicherheitsfaktoren und deren Bearbeitungsmöglichkeit im Blickfeld behält. Die in der Gegenwart bearbeiteten Unsicherheitsfaktoren und deren Bearbei­ tungstechniken wirken gegenüber den Unsicherheitsfaktoren der Zukunft wie ein Immunsystem. Ähnliche Unsicherheitsfaktoren werden in der Zukunft nicht wie­ der als etwas Schädliches erscheinen, sondern als etwas Bekanntes und Erlern­ tes verarbeitet, so dass sie die Rechtssicherheit nicht wieder erschüttern können. Diese Bearbeitungserfahrungen werden nicht nur als bloße Beispiele vergange­ ner Be­arbeitungen genutzt, sie ermöglichen vielmehr weitere flexible Analogien und ausgedehnte Interpretationen, so dass sie auf verschiedene zukünftige Fallbei­ spiele angemessen angewandt werden können – das ist die Funktion der Präzeden­ zien. Jenseits der zeitlichen Erfahrung leiten die Bearbeitungserfahrungen nicht nur die Bearbeitung der einzelnen konkreten Fälle, sondern auch die Formulie­ rung der Form der möglichen künftigen Bearbeitungen und damit wird durch die 49

s. Fn. 47 im vorliegenden Kapitel.

II. Rechtliche Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren

55

Erfahrung eine verallgemeinerte Form gewonnen. Die Erfahrung mit der Bearbei­ tung von Unsicherheitsfaktoren – gleich ob diese theoretisch erschlossen worden sind oder in der Realität existierten – leitet daher eine neue Lehre ein. Auf diese Weise wird nämlich die Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren – auch wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ausschließlich für einen Fall vorgenommen wurde – für die Zukunft auf alle anderen Fälle angewandt werden. In der zeitlichen Ausdehnung können jedoch selbstverständlich auch Sach­ lagen entstehen, die über die vom Recht zunächst angenommenen Erwartungen weit hinausgehen. Selbst wenn sie innerhalb der Erwartung liegen würden, lassen sich die Folgen nur schwer vorstellen, die sich aus der Bearbeitung dieser Fälle er­geben. Außerdem ist es denkbar, dass die Entscheidung über eine Bearbeitung nach­träglich die Änderung der in der Vergangenheit vorgenommenen Bearbei­ tung verlangt. Diese Unvollständigkeit wird noch verstärkt, wenn man berücksichtigt, dass die rechtliche Entscheidung für die Zukunft wirksam wird.50 Denn die Be­arbeitung der Unsicherheitsfaktoren zu einem bestimmten Zeitpunkt betrifft lediglich die Bearbeitung zu diesem Zeitpunkt. Sie stellt die beste (zumindest ist dies die Ab­ sicht) Bearbeitung dar, die zu diesem Zeitpunkt vorgenommen wird. Daher kann sie allerdings nicht als beste Bearbeitung auch für die unbestimmbare Zukunft ab dem Zeitpunkt der Bearbeitung garantiert werden. Das Recht trifft zwar eine Entscheidung für die Zukunft und bindet damit die Zukunft, aber es ist bereits im Zeitpunkt der vollzogenen Bearbeitung darauf ausgerichtet, dass die Bearbei­ tung zu einem künftigen Zeitpunkt eine andere Bearbeitung sein wird, weil die aktuelle durch eine neue Bearbeitung ersetzt wird. Die erreichte Sicherheit ist nämlich vom Augenblick der vollzogenen Bearbeitung an wiederum der Un­ sicherheit ausgesetzt. Auf diese Weise stellt die Rechtssicherheit keinen statischen Zustand dar, der in einem bestimmten Zeitpunkt für die Ewigkeit fixiert werden könnte. Eine über die Zeit hinaus andauernde Sicherheit oder eine unveränderliche Sicherheit kann denklogisch nicht existieren. Für die Rechtssicherheit ist es deshalb unvermeidbar, dass eine Voraussage über ein künftiges Ereignis unmöglich ist und jede dahin­ gehende Erwartung am Ende enttäuscht wird.51 Die Aufrechterhaltung oder Sicherstellung der Rechtssicherheit bedeutet so­ mit nichts anderes als den Sachverhalt, dass die Bearbeitung der Unsicherheits­ 50 Wenn dieser Vektor in die Zukunft klar herausgestellt wird, kann die Veränderung der kosmischen Weltanschauung noch deutlicher erkannt werden, auf die am Eingang des vorlie­ genden Kapitels hingewiesen worden ist. Denn der gegenwärtige Zeitpunkt kann unter dieser Voraussetzung niemals der beste Zustand sein. 51 Luhmann weist darauf hin, „dass das Rechtssystem mehr und verschiedenartigere Fälle bearbeiten kann, wenn es auf strenge Anforderungen an Konsistenz der Fallentscheidungen (Redundanz) verzichtet oder dafür neue Formen findet, die mit höherer Varietät kompatibel sind“ (ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 290).

56

C. Sicherheit

faktoren ohne Verzögerung vollzogen wird. Umgekehrt wird die Unvollständigkeit oder das Fehlen der Rechtssicherheit durch den Mangel in der Bearbeitung der Un­sicherheitsfaktoren verursacht.52

III. Die stabile Erfüllung der Erwartungen 1. Die Aufrechterhaltung der Erwartungen Unsicherheitsfaktoren des Rechts unterstützen also die die Rechtssicherheit so­ zusagen von außen her, weil die Rechtssicherheit durch die Bearbeitung der be­ unruhigenden Unsicherheitsfaktoren gewahrt wird. Auf der anderen Seite spielt die Rechtssicherheit ihre Rolle für die Aufrechterhaltung der in das Recht gesetz­ ten Erwartungen. Aufrechterhaltung meint hier den stabilen Fortbestand des Ur­ teils darüber, dass das Recht weiterhin die Erwartungen erfüllt, die an das Recht gesetzt werden. Dabei ist die Aufrechterhaltung selbst Folge davon, dass die Er­ wartungen an das Recht gestellt und von diesem erfüllt worden sind. Daher kann man sagen, dass die Erfüllung der Erwartungen an das Recht die Rechtssicherheit von innen her unterstützt. Wie oben beschrieben, verfügt das Recht über eine komplexe Konstruktion mit hochgradigen Problemlösungsfähigkeiten, um die verschiedenen gesellschaft­ lichen Probleme zu verarbeiten, die ihm gestellt werden. Unter einer komplexen Konstruktion ist es jedoch schwierig, einen Gesamtüberblick über die eigenen Operationen zu bekommen, so wie es schwierig ist, die Erwartungen und deren Folgen vorauszusehen. Die Erwartungen an das Recht erfolgen daher weder mit der festen Überzeugung, dass diese Erwartungen sich zu einem bestimmten Wahr­ scheinlichkeitsfaktor erfüllen werden, noch mit Voraussicht auf die Folgen, son­ dern einzig in der Erwartung, dass sie erfüllt werden können. Die Erwartung kann erfüllt oder enttäuscht werden. Im Fall des Erfolgs wird die Rechtssicherheit nicht erschüttert und somit auch nicht in Frage gestellt. Die Rechtssicherheit gilt wie bisher weiterhin als Voraussetzung rechtlichen und ge­ sellschaftlichen Handelns. Umgekehrt wird die Rechtssicherheit aber auch dann aufrecht erhalten, wenn die Erwartung enttäuscht und ihre Änderung er­zwungen wird, wenn eine zusätzliche Koordination zwischen der Erwartung und dem Recht erforderlich wird, sofern der Fehlschlag und die Koordination akzeptiert werden können, oder wenn der Inhalt der Erwartung durch Lernprozesse, die der Fehlschlag oder die Koordination induziert haben, geändert werden kann. Da­ bei wirken die Erklärungen seitens des Rechts, Alternativvorschläge oder andere Auswahlmöglichkeiten als Katalysatoren für die Überbrückung zwischen Rechts­ sicherheit und enttäuschter Erwartung. Wenn diese katalytische Wirkung effektiv 52

Ebd., S. 126 f.

III. Die stabile Erfüllung der Erwartungen

57

funktioniert, wenn also in diesem Ausgleichsprozess das Erlernen möglich wird auf der Seite desjenigen, der die Erwartung an das Recht (ob positiv oder nega­ tiv) formuliert, bleibt die Orientierung am Recht weiterhin aufrechterhalten. So­ lange dessen Bearbeitungen angemessen durchgeführt werden, kann es nicht pas­ sieren, dass diejenigen, bei denen die Erwartung enttäuscht wurde, dem Recht den Rücken kehren oder gegen das Recht handeln. Selbst wenn man Zweifel am Recht hegt oder mit dem Recht unzufrieden ist, ist diesen Kritikern die Erwartungshal­ tung zumutbar, dass Lösungen trotz dieses Zweifels oder dieser Unzufriedenheit im Recht gefunden werden können. Die Rechtssicherheit setzt sich somit fort, so­ lange überhaupt Erwartungen an das Recht herangetragen werden können.53 Auf der anderen Seite entsteht der Zweifel oder die Unzufriedenheit am Recht, wenn man sich mit den Folgen der Erwartungsenttäuschung und ihrer Bearbei­ tung nicht zufrieden geben kann, und es ist auch kaum zu erwarten, dass dieser Zweifel oder diese Unzufriedenheit beseitigt werden kann. Für diejenigen, die Er­ wartungen an das Recht richten, wird sich die Rechtssicherheit als ausgesprochen un­sicher erweisen. Letzten Endes wird es soweit kommen, dass nichts vom Recht erwartet wird. In einem solchen Fall stellt sich das Recht nicht mehr als etwas dar, das eine Bezugnahme verdient und einen Ansatz zu einem akzeptablen Urteil ge­ ben kann. Daraus ergibt sich, dass die Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit von der Angemessenheit der Bearbeitung der (enttäuschten) Erwartung abhängt. Mit Angemessenheit hier ist allerdings nicht die Angemessenheit der inhaltlichen Be­ arbeitung gemeint. Die Angemessenheit des Inhalts bedeutet lediglich die An­ gemessenheit in dem Zeitpunkt der Bearbeitung und trägt nicht zur Aufrecht­ erhaltung der Rechtssicherheit bei. Wenn diese Angemessenheit in der Zukunft widerlegt wird, wird der Zweifel an der Sicherheit entsprechend dem Zweifel selbst umso stärker, je stärker die Über­zeugung von der Angemessenheit zum Zeitpunkt der Bearbeitung der (enttäuschten) Erwartung ist. Ist die Erwartung zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfolgreich, weil sie erfüllt wird, gibt es keine Garantie dafür, dass sie auch in Zukunft erfolgreich sein wird. Daher bedeutet dies die Möglichkeit, dass die zum gegenwärtigen Zeitpunkt ent­ täuschte Erwartung in der Zukunft angenommen werden kann. Die Möglichkeit des stets anders möglich Seins, der Kontingenz, ergänzt die Vorläufigkeit der Er­ wartungen-Bearbeitung durch die einmalige Entscheidung zu diesem Zeitpunkt und durch die Änderungsmöglichkeit in der Zukunft. Dadurch wird die Rechts­ sicherheit der Gegenwart verstetigt. In diesem Sinne sind sowohl die erfüllten Er­ wartungen als auch die enttäuschten Erwartungen gleichwertige funktionale Äqui­ valente. Kurzum, für die Rechtssicherheit hat weder der Bearbeitungsinhalt der Erwartung noch deren Erwartung/Enttäuschung-Unterscheidung eine Bedeutung. Von Bedeutung ist vielmehr der Erfolg der Aufrechterhaltung der Idee, dass die Erwartung bewahrt wird, dass das Erlernen oder Korrektur der fehlgeschlagenen Erwartung unter dem Recht angemessen und auch in Zukunft weiter angemessen 53

Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 143 ff.

58

C. Sicherheit

durch­geführt wird. Das heißt, wichtig für die Rechtssicherheit ist nicht die Erfül­ lung oder die Enttäuschung der Erwartung, sondern der Erfolg oder der Misser­ folg der Aufrechterhaltung der Erwartung. Wie aber wird diese Aufrechterhaltung der Erwartung gewährleistet? Zunächst wird die Aufrechterhaltung der Erwartung dadurch gewährleistet, dass die Maßnahme ohne Verzögerung in Gang gesetzt wird, die rechtlich ange­ zeigt wird zur Korrektur der Erwartung und zur Akzeptanz des Rechtsurteils für den Fall, dass man mit Enttäuschung der Erwartung einverstanden ist; oder die rechtlich angezeigt wird zur Korrektur des Rechtsurteils für den Fall, dass man mit der Enttäuschung der normativen Erwartung nicht einverstanden ist und dass die Korrektur dieser Erwartung unmöglich ist. Dadurch wird unabhängig vom aktu­ellen/konkreten Ergebnis die Motivation für die konstante Bezugnahme auf das Recht sichergestellt. Viele Sachverhalte können (zumindest vorläufig) die Mo­ tivation für die weitere Bezugnahme auf das Recht bilden, ohne die Enttäuschung der Erwartung in einem nicht wiedergutzumachenden Fehlschlag enden zu lassen. Beispiele hierfür sind etwa die Art und Weise der Einsicht in die Gründe des Ur­ teils, die Diskrepanz zwischen Antrag und Urteil, ein strafrechtliches Urteil mit oder ohne Bewährung für mildernde Umstände; die rechtliche Hilfestellung für die Reflexion und die Korrektur der Erwartung durch die Annahme einer mög­ lichen Kompensation für die Enttäuschung der Erwartung in einer anderen Form als die des eigentlichen Schadens, so dass die Erwartung der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes im Einvernehmen durch Schlichtung, Vergleich oder Vermittlung sowie durch finanzielle Entschädigung oder aber nach einer Ent­ schuldigung aufgegeben wird, sowie die Bereitstellung von Verfahren der Beru­ fung und Einspruchserhebung zum Zwecke der rechtlichen Prüfung, ob das vor­ hergehende Rechtsurteil richtig oder falsch ist. Zum Zweiten handelt es sich um einen Fall, in dem die Änderung des Rechts ohne Belastung für die Erwartungen möglich wird, wenn beim Vergleich zwi­ schen dem Recht und der Erwartung an das Recht eine Änderung auf der Seite des Rechts vorgenommen wird. Dabei wird das Recht unter Umständen ohne klares Bewusstsein des Erwartenden über die Rechtsänderung geändert. Es geht um das Vermögen des Rechts, sich unter Beibehaltung der Rechtsstruktur zu ändern, also um seine strukturelle Variabilität. Dieses Potenzial der Variabilität steht in einem Parallelverhältnis zur kontrafaktischen Stabilisierung des Rechts in Form des Wi­ derstands gegen die Unsicherheitsfaktoren, wie bereits oben im vorliegenden Ka­ pitel erläutert worden ist [Abschnitte II. 2. b) und II. 3. a)]. Das Recht stabilisiert sich kontrafaktisch, ohne dass es durch die außerhalb des Rechts liegenden Unsi­ cherheitsfaktoren gestört wird. Auf der anderen Seite, von der Erwartung her ge­ sehen, reagiert das Recht auf die äußeren Unsicherheitsfaktoren, indem es nicht sein Äußeres, sondern sein Inneres verändert, während die Struktur beibehalten wird. Der Bewahrung der Aufrechterhaltung der Erwartungen dient damit die si­ tuative Anpassungsfähigkeit des Rechts. Ohne Veränderung seiner Form reagiert das Recht flexibel und passend auf die jeweilige Situation oder orientiert sich am

III. Die stabile Erfüllung der Erwartungen

59

Status-quo des Rechts und nimmt innerhalb dieses Rahmens die Veränderung des Rechts vor. Ein typisches Beispiel dafür ist die Änderung der Auslegung einer Rechtsnorm, wenn diese Auslegungsänderung innerhalb eines bestimmten Rah­ mens durch Orientierung an bestehenden Paragraphen vorgenommen wird. In diesem Fall bedarf die Erwartung an das Recht trotz der Änderung keiner um­ fassenden Korrektur, so dass sie weiterhin erhalten bleibt. Das ermöglicht kon­ tinuierliche Erwartungen an das Recht. Umgekehrt bedeutet dies, dass es dort keinen Raum für die Entstehung von Erwartungen gibt, wo es keine Möglichkeit für das Andersartige und somit keine Änderungsmöglichkeit gibt. Selbst die Erwartung, die die Änderungsmöglichkeit fürchtet und wegen der Änderungsunmöglichkeit beruhigt wird, beruht, ob die Erwartung es mag oder nicht, auf der Änderungsmöglichkeit. Die Erwartung wird an sich selbst verwiesen, weil stets andere kontingente Möglichkeiten erwartet werden oder solange diese erwartet werden. Das heißt, beide Änderungsmöglich­ keiten der Erwartung, nämlich die Lernmöglichkeit der Erwartung und die struk­ turelle Variabilität des Rechts, lassen die Möglichkeit der Erwartung an das Recht weiterhin zu. Auf diese Weise werden insofern auch die enttäuschten Erwartun­ gen stabil in die Operationen zur Bewahrung und Aufrechterhaltung der Erwar­ tungen eingebunden.54 2. Beständige Erwartungen In diesem Verständnis von Rechtssicherheit wird ein grundlegender Wandel sichtbar. Strukturell gesehen wirft die Frage der Rechtssicherheit nämlich ein Pro­ blem auf, das das Ganze des Rechtssystems betrifft. Wie schon erwähnt, rührt es von der endlosen Variabilität der Einzelfälle, dass diese Sicherheit Unsicherheits­ faktoren ausgesetzt ist und deshalb erschüttert wird. Funktionell gesehen wird die Rechtssicherheit durch die einzelnen Fälle hin- und hergerissen, die das Rechts­ system ins Schwanken bringen. Es ist nicht so, dass die Rechtssicherheit die Be­ arbeitung der einzelnen Fälle ermöglicht, sondern die einzelnen Fälle machen die Rechtssicherheit möglich. Dies bedeutet deshalb im Detail: Der Anschein, dass die Rechtssicherheit die einzelnen Fälle bearbeitet, wird durch die inner-recht­ lichen Operationen gestützt, so dass die Rechtssicherheit durch die Bearbeitung der einzelnen Fälle ermöglicht wird.55 Aus der Sicht der Sicherheit absorbiert die Rechtssicherheit die Unsicherheit. Umgekehrt, aus der Sicht der Unsicherheit konstruiert die Unsicherheit die Sicher­ heit des Rechtssystems. Sowohl die Absorption als auch die Konstruktion hören 54

Zur grundlegenden Diskussion über die Erwartung s. Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S.  40 ff. 55 Vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 269 ff. Zur Analyse der Institutio­ nalisierung und Stabilisierung dieser Operation vgl. ders., Rechtssoziologie, S. 64 ff.

60

C. Sicherheit

nicht auf und können ständig operieren. Diese ständigen Operationen implizieren, dass die Rechtssicherheit niemals einen (sicheren) stabilen Zustand erreicht. Für den Gesichtspunkt der Sicherheit werden die Sachlagen, die eintreten, so vielfältig, dass sie über jede Vorstellung hinausgehen, während das Recht aus der Perspektive der Unsicherheit angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen zu starr bleibt. Die Rechtssicherheit, die von der Aufrechterhaltung der Erwartungen unter­ stützt wird, wird nun ihrerseits dadurch sichergestellt, dass die Erwartung des ständigen Funktionieren-Könnens immer präsent ist. Dies findet allerdings nicht immer manifest, sondern in der Regel latent statt. Solange das Recht eine gewisse Kapazität zur Problemlösungen beibehält, erweckt die Sicherheit den Anschein, dass es beständig sei. Aber dieser Anschein kann nur dann aufrecht erhalten wer­ den, wenn die Sicherheit tatsächlich durch die ständige Erneuerung gewährleis­ tet wird. Das Problem liegt daher in der Geschwindigkeit der Operationen, und es ist von Bedeutung, dass die Erwartung dieser Operation stets möglich ist. Diese Möglichkeit ist die Möglichkeit der Rechtssicherheit selbst.56 Die verschiedenen Methoden und Techniken der Auslegung, wie logische, tele­ ologische, historische oder soziologische Interpretation, Interessenabwägung und Folgenorientierung, stellen Versuche dar, die vom Recht zu behandelnden Pro­ blemvariationen auf überzeugende Weise für das Recht zurückzugewinnen. Jede Methode arbeitet auf die Wahrung der Aufrechterhaltung der Erwartungen hin. Und gegebenenfalls beschränken sich die Versuche des Rechtssystems angesichts einer Veränderung nicht nur auf eine Interpretation als Aufgabenbewältigung, son­ dern erneuern gar Recht, welches durch die Gesetzgebung positiviert wird. Auch dies wird nicht ohne die Erwartung geschehen, dass ein rechtliches Verfahren, wie beispielsweise die Neuerung des Rechts durch das parlamentarische Gesetz­ gebungsverfahren, eingeleitet wird. Insofern bleibt auch die Innovation innerhalb des Rechtssystems und damit bewegen sich die Operationen in einem Bereich, der die Rechtssicherheit fördert. Im Allgemeinen mag das, was das Recht ermöglicht oder das Ultimative des Rechts den Anschein haben, als befände es sich auf einer das Recht transzendie­ renden Ebene oder sei eine über dem Recht stehende Instanz, sei es der Wille der Bürger, die Politik oder die Wirtschaft. Aber von der Orientierung am Recht selbst aus gesehen, benötigt die Existenz solcher Meta-Ebenen des Rechts genau die ständige Erwartung vom Recht. Das, was an seine Existenz glauben lässt (und sogar zu diesem Glauben zwingt), ist die Erwartung der Erwartung, d. h. die Er­ wartung, dass die Erwartung der Erwartung erfüllt werden wird, also die Erwar­ tung von Rechtssicherheit. Die Forderung der Rechtssicherheit wird, weil sie nicht als ein Zustand besteht, über die Meta-Ebenen des Rechts in den Diskurs übertra­ gen. Aber da das Recht faktisch existiert und operiert, müssen die Meta-Ebenen

56

s. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 105 ff.

III. Die stabile Erfüllung der Erwartungen

61

des Rechts nicht thematisiert werden, um die Existenz des Rechts zu erklären. Es geht vielmehr um die Sicherheit des Rechts durch das Recht selbst. Letzten Endes kommt die Rechtssicherheit durch die Erwartung für die Rechts­ sicherheit (als wirklicher Möglichkeit) zustande. Weil diese Erwartung perma­ nent enttäuscht wird und das Recht sich dadurch ständig neu konstituiert, bleibt die Rechtssicherheit als Sicherheit bestehen. Diejenigen, die sich auf das Recht be­ ziehen, gewinnen die Rechtssicherheit deshalb paradoxerweise gerade aufgrund der Unsicherheitsfaktoren des Rechts. Genauer gesagt, sie erhalten die sichere Be­ arbeitung der Unsicherheitsfaktoren in einer andersartigen Bearbeitungsmöglich­ keit, die ihrerseits kontingent ist. Alle Entscheidungen sind von provisorischer Natur, und gerade die provisorische Einmaligkeit der Entscheidungen ermöglicht die Sicherheit bezüglich der Andersartigkeit der Zukunft. Die Fortsetzung der Vorläufigkeit macht den wahren Sachverhalt der Sicherheit aus.57 Dieses Verständnis der Rechtssicherheit führt zu einem gravierenden Ein­ spruch gegen die kosmologische Weltanschauung, die zu Beginn dieses Kapitels angesprochen worden ist. Darüber hinaus schließt ein solches Verständnis an eine positive Bewertung der Unsicherheitsfaktoren an, weil die Rechtssicherheit gerade durch die Unsicherheit gestützt wird. Das ist die entgegengesetzte Auffassung von Rechtssicherheit gegenüber der traditionellen Auffassung, in der das Recht als ein Kosmos vorgestellt und in der die Unsicherheit von der Rechtssicherheit aus dis­ kutiert wird. Ausgangspunkt ist daher nicht der Kosmos, sondern das Chaos, das den Kos­ mos zuallererst möglich macht. Deshalb ist es gerade die Unsicherheit, die die überhaupt Rechtssicherheit realisieren kann. Wichtig ist dabei, dass jede eine un­ unterbrochene Bewegung darstellt. Sowohl der Kosmos als auch die Rechtssicher­ heit werden deshalb niemals in einem vollendeten Zustand realisiert werden. Die Rechtssicherheit schreitet lediglich weiter fort, ohne einen finalen bzw. stabilen Zustand zu erreichen, der daher nur ideell und nicht tatsächlich existieren kann. Die Rechtssicherheit stellt den Inbegriff einer Bewegung dar, die durch die Un­ sicherheit unterstützt wird. Reformulierung Die Rechtssicherheit ist eine Bewegung, die durch die Unsicherheit unterstützt wird.

57

Luhmann bezieht die Funktion des Rechts auf die Erwartung und schreibt: „Die Funk­ tion des Rechts besteht nur darin, Erwartungssicherheit zu ermöglichen, und zwar gerade an­ gesichts von absehbaren, nicht zu verhindernden Enttäuschungen“ (ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 152 f.).

D. Richtigkeit „Jus ex injuria non oritur.“ (Ulp. D.50, 17, 134,I)

I. Vorbemerkung Das Recht hat stets einen Grund, um die eigene inhaltliche Richtigkeit zu stüt­ zen. Das Recht stützt sich auf einen Geltungsgrund und existiert als richtiges und rechtmäßiges Recht, so dass es in der Gesellschaft genutzt werden kann. Den­ noch sind, wie bereits im ersten Kapitel erörtert, in verschiedenen Wissenschaf­ ten Zweifel an den traditionellen oder bis jetzt für selbstverständlich gehaltenen Begründung des Rechts geäußert worden. Dieser Umstand macht es schwer, einen einzigen festgelegten Grund anzunehmen. Ob es sich um die Natur, die Vernunft oder den allgemeinen Willen handelt – es bleibt ungewiss, ob es überhaupt so et­ was wie einen substanziellen Grund des Rechts gibt und wie er bestimmt werden könnte. Ebenso wenig ist sicher, ob es in unserer Gesellschaft überhaupt einen be­ stimmbaren Rechtsgrund gibt, der die Geltung des Rechts begründen kann. Jenseits dieses Zweifels gibt es die Ansichten, die das Verfahren als solches als Rechtsgrundlage betrachten. Aber solange das Verfahren als Ersatz behandelt wird, ändert sich nichts an der eigentlichen, defizitären Situation. Denn die Frage, welches Verfahren angemessen und damit zugleich geltungsbegründend und le­ gitimierend sei, um begründend zu wirken, bleibt und gelöst bzw. unbeantwortet. Vielmehr zeigt diese Diskussion über das Verfahren die Ohnmacht der Diskussion über die Angemessenheit des Grundes, der die Richtigkeit des Rechts begründen soll. Deshalb bietet sich eine Rekonstruktion des Rechtsgrundes an, die sich von einem Denken löst, das den Geltungsgrund des Rechts mit der Richtigkeit gleich­ setzt und damit inhaltlich zu bestimmen sucht. Dementsprechend ist in der Dis­ kussion über das Verfahren danach zu fragen, was durch das Verfahren möglich ist, obwohl die Frage nach dem anzuwendenden Verfahren keineswegs geklärt ist. Insofern wird auch hier die Stütze der Rechtsbegründung immer noch nicht aufge­ zeigt. Der Grund des Rechts wird in der Diskussion über das Verfahren vielmehr als nicht aufzeigbar behandelt. Das heißt jedoch nicht, dass das Recht keinen Grund nötig hätte. Selbst wenn die Existenz dieses Grundes unklar und sein Inhalt unsicher ist oder wenn dieser Grund nicht aufgezeigt werden kann, gilt das Recht dennoch als etwas, das einen Grund besitzt und deswegen als richtigkeitsstiftend betrachtet wird. Im Folgenden

II. Die Aporie des äußeren Grundes – Non sub rege, sed sub lege

63

wird sein gesellschaftlicher Aufbau untersucht. Dabei geht es weder um eine Dis­ kussion über das Sein und den Inhalt des Grundes noch um die Gültigkeit der Dis­ kussion über den Grund. In der Gesellschaft gibt es einen Grund, der das Recht als richtiges anzunehmen ermöglicht, dieser Grund fungiert als Grundlage des Rechts und er stützt das Recht (und dessen Richtigkeit). Dieser Umstand lässt sich als ein soziales Phänomen behandeln, dessen Aufbau im Folgenden untersucht wird.

II. Die Aporie des äußeren Grundes – Non sub rege, sed sub lege Das griechische Denken wurde maßgeblich durch die Vorstellung geprägt, dass der Anschauende in dem Angeschauten enthalten sei, dass es also eine Einheit von Zugehörigkeit und Theoria gebe. Im Gegensatz dazu befand sich der Grund des Rechts im Zeitalter des Naturrechts stets außerhalb des Rechts, das jener be­ gründen sollte. Das Recht wurde durch Faktoren untermauert, die wie die Auto­ rität und die Natur oder die Vernunft und das Wesen des Menschen dem Recht nicht innewohnten, sondern äußerlich waren. Der Grund für diesen Gedanken des äuße­ren Grundes ist in der Vorstellung des Schöpfergottes in der christlichen Theologie des Mittelalters zu suchen. Die Akzeptanz des Schöpfergottes der Welt bedeutet die Hinnahme eines Grundes, der sich außerhalb der Welt befindet. Die Annahme Gottes als äußeren Grund bedeutet jedoch die Ent-Weltlichung des exis­ tentiellen Grundes der Welt selbst. Gott schuf die Welt, indem er sich außerhalb der Welt befand, und seine Schöpfung war nur durch die Vergegenständlichung der Welt möglich. Andererseits wurde der Mensch nach der Cartesianischen Sichtweise des mo­ dernen Selbstbewusstseins als selbständiges Individuum und als Subjekt verstan­ den, das die Weltordnung zu erklären vermag. Wir Menschen besitzen die Fähig­ keit, zu denken und aufzuklären: cogito ergo sum. Von dieser Positionierung des Menschen ging der moderne Rationalismus aus, und die moderne Wissenschaft konnte sich in die allgemein bekannte Richtung entwickeln. Aus dieser Perspektive heraus wird die Stellung des Menschen ersichtlich. Will der Mensch die Welt zum Gegenstand machen und ihre Ordnung erklären, so nimmt er die Ordnung der Welt als göttliche Schöpfung an, um diese in Form des Logos zu reformulieren. Im Zeitalter des Naturrechts war das Recht durch einen Grund außerhalb seiner selbst begründet. Angesichts der gegenseitigen Bezie­ hung von äußerem Grund im Sinne der Grundlage des Rechts und dem Recht, das durch diese äußere Stütze untermauert wird, wird das Recht als etwas angesehen, das durch einen äußeren Grund begründet wird, um Rechtmäßigkeit zu erlangen. In diesem Diskurs steckt allerdings eine schwerwiegende Paradoxie. Der Mensch setzt seinen Beobachtungspunkt dabei heimlich und stillschweigend außerhalb der Welt, zusammen mit dem Standpunkt Gottes, und betrachtet die Welt von außen her. Er verhält sich somit wie Gott. Oder anders formuliert: Der

64

D. Richtigkeit

Mensch sitzt in einer Position (Gott von Gott), von der aus die Schöpfung Gottes beobachtet und analysiert wird. Das bedeutet dass der Mensch die Beobachtung des Gottes beobachtet. Der Mensch erklärt zwar Gott zur ersten Ursache (prima causa), die allen anderen vorgeht, erhebt sich aber zugleich zu einem gottgleichen Beobachter der Welt. Ist aber Gott der Schöpfer und die erste Ursache der Welt, dann bleibt der Mensch lediglich ein Geschöpf Gottes, das nicht die Beobachtung der Welt von Gott einnehmen kann. In der naturrechtlichen Begründung wird da­ her verdeckt, dass der Mensch den Standpunkt Gottes einnimmt. Für diese Art der Paradoxieverdeckung, sind für das Recht bekannte Beispiele zu nennen, wie der privilegierte Standpunkt, von dem aus die Gleichheit verkün­ det wird, oder der Souverän, der an das von ihm selbst festgelegte Gesetz nicht gebunden ist. Dieser Sachverhalt kommt durch die Verheimlichung des eigenen Standpunktes zustande und beruht darauf, sich selbst eine besondere Macht zu verleihen, also eine Selbstprivilegierung zu vollziehen. Es handelt sich dabei je­ doch – rein rechtlich gesehen – um eine Art von Gewalt, solange diese Privilegie­ rung rechtlich nicht festgelegt wird. Tatsächlich gibt es viele Rechtsstaaten, die auf Grund von Gewalt zustande gekommen sind. Die Gewalt mag die Bedingung gewesen sein, die das Recht ermöglicht hat, aber sie kann keine legitimierende Grundlage für das entstandene Recht bilden. Für das bestehende Recht stellt sie nunmehr nur eine (äußere) Störung und zugleich einen (äußeren) Widerspruch dar. Von diesen klassischen Positionen aus kann kein sinnvoller Diskurs mehr geführt werden, um die Welt zu erklären oder auch das Recht zu begründen. ­Foucault befasste sich in diesem Sinne zunächst mit dem Problem der Geistes­ krankheit und war mit der Frage konfrontiert, wie man sich selbst als einen Text behandeln kann. Aus der Schwierigkeit heraus, dass man von sich selbst spricht, entwickelte Foucault bekanntlich die Ausrichtung seiner Forschung in Richtung auf die Archäologie des Wissens. Wenn wir aber gesellschaftliche Wesen sind, muss die Schwierigkeit thematisiert werden, über die Gesellschaft zu sprechen, in­ dem wir über diese hinausgehen. So betreffen beispielsweise das aktuelle Problem der Ökologie und der globalen Risiken auch die Beobachter selbst, und in diesem Sinne wird jeder Diskurs, der sich auf die Privilegierung des eigenen Standpunk­ tes stützt, wegen seines (selbst-)betrügerischen Charakters in Frage gestellt. An­ gesichts der Risiken wird das Zustandekommen der Kommunikationsmöglichkeit selbst gefährdet, auch wenn von der Identität von Sein und Denken sowie von der seelischen Erlösung und der Existenz der Menschen gesprochen wird. Diese Überlegungen lassen sich, Voraussetzung ist die Annahme eines privile­ gierten Beobachters im Hintergrund, auf jeden Diskurs anwenden, der den äuße­ ren Grund in der Annahme einer metaphysischen Idee oder Vorstellung sucht oder dadurch begründet werden soll. Es gibt viele Beispiele in der Rechtspraxis, in der durch Auslegung des positiven Rechts der Geltungsgrund außerhalb des Rechts selbst gesucht wird. Solche äußerlichen Faktoren wie die Rechtsquelle, die Absicht des Verfassers oder die Einbeziehung der Folgenorientierung werden in der Aus­

III. Die Zirkulation des Rechts

65

legung des positiven Rechts häufig verwendet. Doch stellt auch der Begründungs­ versuch rechtlicher Entscheidungen über solche äußerlichen Faktoren ein Unter­ nehmen eines Beobachters dar, der dem Grund und dem Recht gegenüber einen äußerlichen, da privilegierten Standpunkt einnimmt. Es handelt sich hierbei um einen Diskurs, der nur auf der Aporie der äußeren Gründe beruht. So müssen wir betonen, dass „nicht die Herrschaft des Königs, sondern die Herrschaft des Rechts (Non sub rege, sed sub lege)“ gilt.58

III. Die Zirkulation des Rechts 1. Der Grund des Rechts ist das Recht selbst Durch was für einen Grund lässt sich das Recht dann begründen? Lässt sich das Recht überhaupt durch einen Recht begründen? Das heißt: Was macht über­ haupt den Grund des Rechts aus? Diese Frage kann durch folgende Formulierung aufgelöst (also nicht gelöst) werden, nämlich: Der Grund des Rechts ist das Recht selbst.59 Diese Formulierung stellt eine Tautologie dar und liefert somit keine Ant­ wort. Was hier mit der Auflösung gemeint ist, die keine Lösung darstellt, weist darauf hin, dass diese Frage in den zirkulären Kreislauf um den Grund des Rechts gestellt wird. Aus dieser Formulierung ergibt sich nun das folgende Verständnis des erwähn­ ten äußeren Grundes: Die Zugrundelegung des äußeren Grundes kann zunächst einmal nur als innere Operation des Rechts verstanden werden, die sich auf den äu­ ßeren Grund bezieht. Der äußere Grund erscheint dem Recht als ein fiktiver Grund (die fiktive Natur) und stellt keinen Grund an sich dar. Das heißt, das Recht be­ dient sich lediglich dessen, was als Grund fungiert, und zwar zum Zweck der in­ ternen Kommunikation. Es wird also überhaupt nicht in Frage gestellt, ob der äußere Faktor, auf den sich das Recht stützen soll, in Wirklichkeit als solcher gelten kann oder nicht. Ein solcher Gesichtspunkt existiert im Recht nicht. Von Bedeutung ist nur, dass ein solcher äußerer Faktor in der internen Kommunikation des Rechts als Grund er­ scheint und in dieser Eigenschaft behandelt wird. Was dieser Grund als solcher er­ möglicht, ist die Entscheidung. Was hier die Entscheidung bedeutet, betrifft die Entscheidung des Rechtssystems selbst, diesen äußeren Faktor im Rahmen des Rechts als Grund gelten zu lassen und als Grund zu behandeln. Diese Entschei­ dung des Rechts gewährleistet den äußeren Faktor als Grund. Daher besteht die 58 Vgl. „Das Recht wird zirkulär konstituiert, und ein Beobachter, der dies als Einheit be­ schreiben will, muss deshalb zu einer tautologischen Formulierungen greifen“ (Luhmann (1985), Die soziologische Beobachtung des Rechts, S. 26.). 59 Vgl. „Austin, Durkheim, and Kelsen offer competing attempts to avoid circularity and to found the validity of law on something else. However, validity is circularity (…)“ (Luhmann (1990), Essays on Self-Reference, S. 231).

66

D. Richtigkeit

Grundlage dafür, sich des äußeren Faktors als seines Grundes zu bedienen, im Recht selbst. Es wird ersichtlich, dass die Art und Weise der Problemstellung, die einen äuße­ ren Grund zu Grunde legt, falsch ist. Denn es gibt außerhalb des Rechts keinen Grund. Der Grund kann keinesfalls dem Äußeren entstammen, sondern ergibt sich aus den Operationen innerhalb des Rechtssystems selbst. Somit erweist sich der äußere Faktor als ein erfundener Grund, den das System sich selbst fiktiv konstru­ iert. Außerhalb des Rechts existiert kein Recht. Mit anderen Worten, alle Funktio­ nen des Rechts existieren nirgendwo real in der Gesellschaft. Sie werden lediglich im Rechtssystem als solche wahrgenommen. Selbst die Bezugnahme auf eine Variation der Vernunft oder auf Gott bedeu­ tet ja nur, dass man sie als Vernunft oder als Gott heranzieht. Alles ist eine innere Konstruktion der Abbildung der Vorgänge außerhalb des Rechts, die im Recht er­ scheint, so dass es sich bei ihnen um ein Produkt der internen Kommunikation handelt. 2. Recht ist Recht Wie lässt sich aber dann der Sachverhalt, dass das Recht als solches besteht, in dieser zirkulären Formulierung begründen? Welcher Mechanismus lässt die Rechtmäßigkeit als rechtmäßig gelten? Das Recht stellt eine Norm dar. In einer zirkulären Formulierung wird dieser Sachverhalt so dargestellt: Der Grund dafür, dass das Recht von normativem Cha­ rakter ist, besteht im Recht selbst, nämlich indem das Recht sich selbst die nor­ mative Eigenschaft verleiht. Fragen wir immer weiter nach diesem Grund, so wer­ den wir in einen unendlichen Regress geraten, der die Kette vom Recht des Rechts des Rechts und so weiter darstellt. Diese Zirkularität steht allerdings im Gegen­ pol zu jener Konzeption, die das Recht in einem hierarchischen Rechtssystem zu begründen sucht. In diesem Rechtsverständnis gibt es weder einen panoptischen Gipfel noch ein Zentrum mit einer Peripherie. Das Recht Gottes vermag, durch die menschlichen Hände Gott selbst zu verurteilen.60 Und ein Einspruch zur Ände­ rung der Verfassung hängt vom Niveau der parlamentarischen Regeln für die Ein­ reichung des Einspruchs ab. Da gibt es keine hierarchische Struktur des Rechts­ systems, auf dessen Gipfel die Verfassung steht, sondern einen zirkulären Diskurs um die Verfassung selbst. Somit erfordert das Recht nicht etwa einen rechtlichen Inhalt, sondern aus­ schließlich die Form, wonach es das Recht ist. Diese Form des Rechts besagt, dass „das Recht schlicht aufgrund der Tatsache gilt, dass es gilt. Eine solche Form

60

„Und Gott lachte“ (Teubner (1989), S. 7 u. 20).

IV. Der Recht/Unrecht-Code

67

wird deswegen als formal angesehen, weil sie die Begründung auf sich nimmt.“61 Schließlich stützt sich der Grund des Rechts auf eine solche Form und in dieser Form gilt, dass das Recht das Recht ist. Das Recht wird zirkulär begründet.62

IV. Der Recht/Unrecht-Code Nach diesem Verständnis erweist sich die Richtigkeit des Rechts zum jewei­ligen Zeitpunkt als die Richtigkeit der rechtlichen Entscheidung. Wenn nun diese Rich­ tigkeit zu dem Zeitpunkt erklärt wird, als wäre sie durch einen äußeren Faktor be­ gründet worden, verweist diese Erklärung lediglich auf etwas, was als Grund er­ scheinen kann, indem man die zu dem Zeitpunkt getroffene Entscheidung zum Ausgangspunkt für die Aussage nimmt, dass das Recht das Recht sei. Der Vek­ tor darf hier nicht in der umgekehrten Richtung gedacht werden, denn das zu dem Zeitpunkt Recht-Seiende wird durch die zirkuläre Form begründet. Das heißt, die Richtigkeit des Rechts ist immer vorläufig, und die Aufrechterhaltung und Fort­ setzung dieser Vorläufigkeit macht die Wahrhaftigkeit des Rechts aus. Die Wahr­ haftigkeit des Rechts wird dabei stets (durch das Recht rekursiv) überprüft. In die­ sem Sinne ist dieses Verständnis anders als ein bloßer Determinismus. Die Entscheidung des Rechts, von der hier die Rede ist, ist diejenige Entschei­ dung, die unter der Forderung getroffen worden ist, dass das Recht das Recht sein soll, und betrifft einen Querschnitt der Verknüpfungskette (oder des Anschlusses) seiner Form. Dabei geht es nicht um die richtige Entscheidung (also, ihren Inhalt), sondern um die Richtigkeit der Entscheidung (also, ihrer Form). Es wird dann um den Inhalt der Entscheidung gehen, wenn die Übereinstimmung zwischen dem Hintergrund bzw. dem äußeren Grund, der die Entscheidung ermöglicht hat, und ihrem Inhalt zur Debatte steht. Wenn hingegen die Form thematisiert wird, wird es sich, wie im Folgenden dargestellt wird, um die Regel der Verknüpfungskette handeln. Daher verweist das Recht nicht auf seinen Inhalt, sondern es wird als Form verstanden, die Recht und Unrecht voneinander unterscheidet. Die These, dass das Recht das Recht ist, wird somit durch die Unterscheidung von Recht und Unrecht codiert.63 Wo ist aber die Richtigkeit einer solchen Entscheidung zu finden, die sich auf Recht und Unrecht bezieht? Mit der Richtigkeit ist hier zunächst die Rechtmäßig­ keit gemeint. Denn das Recht kann in sich keine Entscheidung zulassen, die vom Rechtmäßigen abweicht. Ist die Entscheidung richtig, so ist sie rechtmäßig. Ist die Entscheidung jedoch nicht richtig, so ist sie unrechtmäßig. Gleichermaßen ist die 61

Luhmann (1985), Soziologische Beobachtung des Rechts, S. 16. Vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 143 ff., und ders. (1985), Soziolo­ gische Beobachtung des Rechts, S. 24 ff. 63 Zur Eigenschaft des Codes im Rechtssystem vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesell­ schaft, S. 174 ff. 62

68

D. Richtigkeit

Entscheidung rechtmäßig, wenn sie richtig ist. Sie ist aber nicht richtig, wenn sie unrechtmäßig ist. Dass das Recht das Recht ist, wird also nicht im Hinblick auf die Frage verstan­ den, was das Recht ist; dieser Sachverhalt weist vielmehr darauf hin, dass die Un­ terscheidung von Recht und Unrecht, also von Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßig­ keit, rechtlich getroffen worden ist.64 Um es noch einmal zu betonen: Es handelt sich hier nicht um einen inhaltlichen Aspekt des Rechts oder des Unrechts, son­ dern darum, ob bei der Entscheidung die Unterscheidung von Recht und Unrecht richtig (das heißt: rechtlich) angewandt worden ist oder nicht. Es geht um die Un­ terscheidung selbst, die also dem Zeichen „/“ in der Formulierung von Recht/ Unrecht entspricht. Die Rechtmäßigkeit dieser Unterscheidung von (Recht und Unrecht) steht außerdem im Zusammenhang mit der Frage nach der Rechtmäßig­ keit der Unterscheidung selbst, die diese Unterscheidung als rechtmäßig erklärt. Das heißt, die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung wird durch die „rechte Unterscheidung/unrechte Unterscheidung – Unterscheidung“ ersichtlich gemacht, und der Grund dafür besteht in der Unterscheidung, nämlich die Unterscheidung der Unterscheidung(en). Auf diese Weise setzt sich diese Formel ad infinitum fort. Und aus diesem Grund lässt sich der vorhin aufgezeigte unendliche Regress (die Kette vom Recht des Rechts des Rechts des …) folgendermaßen umschreiben: „Recht/Unrecht“? „[Recht/Unrecht]/Unrecht“? „{[Recht/Unrecht]/Unrecht}/Un­ recht“? und so fort.

V. Der Anfang – divinam essentiam per se incomprehensiblem esse Fängt man nun auf diese Weise damit an, nach der Unterscheidung zu fragen, die diese Unterscheidung ermöglicht, so entsteht eine Kette der Unterscheidung der Unterscheidung, der Unterscheidung der Unterscheidung der Unterscheidung und so weiter, die einen unendlichen Regress einleitet. Wie konnte aber überhaupt die erste Recht/Unrecht-Unterscheidung, also die Ur-Unterscheidung zustande kommen? Am Anfang war etwas, und daraus entstand die Unterscheidung. Wenn diese Unterscheidung als Recht vorgenommen worden sein sollte, so war sie diejenige, die im Recht, nämlich in der Rechtmäßigkeit entstanden war. Das Recht, auf das verwiesen wurde, ist das rechtmäßige Recht. Das Recht muss aber durch die Rich­ tigkeit der Unterscheidung, also durch das Recht selbst erklärt werden. Das liegt nicht etwa daran, dass das Recht etwas Richtiges wählt, sondern nur daran, dass das richtige Urteil mit dem Zweck gefällt wird, entweder das als richtig gegoltene Urteil (über Recht/Unrecht) für richtig zu halten, oder das als richtig gegoltene

64

Z. B. vgl. Luhmann (1997), Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 755.

V. Der Anfang – divinam essentiam per se incomprehensiblem esse

69

Urteil als unrichtig neu zu urteilen. Es handelt sich also um das richtige Urteil der Gegenwart über das richtige Urteil der Vergangenheit. Dabei existiert das Krite­ rium dafür im Rechtssystem überall und zugleich doch nirgends. Das Recht grün­ det die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Urteils über das von sich selbst juris­ tisch gefällte Urteil (Recht/Unrecht) auf der Richtigkeit der Unterscheidung selbst oder schließt an sie an. Wenn der Anschluss an diese Unterscheidung möglich ist, existiert das Kriterium überall im Rechtssystem. Das Kriterium selbst exis­ tiert jedoch, da es sich auf den Anschluss mit einem anderen Kriterium gründet, nirgends. Der Anfang der Unterscheidung ist im Mythos der Vertreibung aus dem Paradies zu erkennen. Da Gott Gott war, vertrieb er Adam und Eva, denen das ewige Leben verliehen wurde, aus dem Garten Eden, weil sie seinen Willen zuwider gehandelt hatten. Damit aber machte er sie sterblich. Allerdings konnte es sich hier nicht um Strafe handeln, weil Strafe Recht voraussetzen würde. Es gab weder Recht noch Strafe im Paradies. Gottes Urteil war vielmehr Ausdruck seiner Macht. Damit be­ ginnt die Operation der ersten Unterscheidung, und von dieser ersten Unterschei­ dung an werden die aus dem Paradies vertriebene Menschen, dem Recht Gottes, d. h. der Unterscheidung von Schuld/Unschuld, unterworfen. Somit lässt sich die erste Unterscheidung an die zweite Unterscheidung anschließen. Am Anfang war Gott. Gott ist die erste Ursache (prima causa) und in dieser Ur­ sache gibt es keine Unterscheidung. Gott ist aber kein Grund für Richtigkeit. Wenn man nämlich annimmt, dass er den Grund der Richtigkeit darstellt, so müsste er gleichermaßen als Grund der Unrichtigkeit erkannt werden. Gott ist aber weder der Grund von Richtigkeit noch von Unrichtigkeit, sondern geht über die mensch­ liche Unterscheidung von Richtigkeit/Unrichtigkeit hinaus. Er ist schlicht die erste Ursache und der Schöpfer dieser Unterscheidung. So wie die Grundzahl Eins, aus der sich durch weiteres Addieren gerade und ungerade Zahlen ergeben,65 ist Gott einfach nur der Anfang, seiner Einheit entstammen alle Formen der Vielfältigkeit. Gott produziert als unbewegter Beweger die Differenz zwischen dem Beweglichen und dem Unbeweglichen. Daher übersteigt Gott jede Unterscheidung und bleibt gegenüber allen mög­ lichen Unterscheidungen transzendent. Gott transzendiert die Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, Licht und Finsternis, Seiendem und Nicht-Seiendem, Sein und Nichts, Gleichheit und Verschiedenheit oder Identität und Differenz.66 Ein Gott, der die Recht/Unrecht-Unterscheidung transzendiert, ist der Anfang der Unterscheidung. Am Anfang der Unterscheidung ist jedoch keine Unterscheidung zu erkennen. Wir können jedoch keinen Anfang sehen – er ist ein verborgener Gott: Deus absconditus.67 Wäre es möglich, ihn zu sehen, so müsste 65

Vgl. Luhmann (1988), The Third Question, insb. (III). „De venatione sapientiae“ (von Kues (1964), S. 58. 67 Hijikata (1989). 66

70

D. Richtigkeit

die Beobachtung durch einen äußeren Beobachter (Gott von Gott) erfolgen. Daher erkennen wir ausschließlich die von Gott vollzogene Unterscheidung, die die sicht­ bar gemachte Gestalt des verborgene Gottes (Deus sensibilis oder Deus revelatus) ist. Die Unterscheidung bedeutet deshalb den contractio Gott. Als das von Gott verliehene Recht entwickelt das Recht die Recht/Unrecht-Unterscheidung weiter. Darin besteht die Bedeutung des Schöpfungsmythos und der Genesis: Gott schuf am Anfang Himmel und Erde, unterschied zwischen Licht und Finsternis und schuf Mann und Frau.68 Und das bedeutet weiter: „Am Anfang war kein Recht.“69 Es ist eine Schöpfung aus dem Nichts, eine creatio ex nihilo. Diesen Anfang kann man dem Recht aber nicht ansehen, denn es kann keinen Standpunkt einnehmen, von dem aus der Standpunkt Gottes beobachtet werden könnte. Das Recht kann also weder Gott noch die Unterscheidung als dem Recht inhärente Eigenschaft von außen her beobachten.70 Die Unterscheidung wird des­ halb stets ausschließlich durch eine innere Operation konstituiert. Somit gerät das Recht in einen zirkulär strukturierten Prozess, da es die von ihm vorgenommene Unterscheidung auf sich selbst anwendet. Im Recht ist am Anfang eine Instanz, die als solche von ihm nicht erfasst werden kann (essentiam per se incomprehensiblem esse).71 Bei einer Unterscheidung, die ein Mensch vornimmt, wird stets nach dem Grund des Grundes gefragt, der am Anfang dieser Unterscheidung steht. Die Rechtmäßigkeit dieser ursprünglichen Unterscheidung kann jedoch niemals durch einen Grund nachgewiesen werden. Es kann höchstens der Anfang der fortlau­ fenden Unterscheidungen anhand der Rechtmäßigkeit der Unterscheidung, die die Entscheidung für die Unterscheidung ermöglichte, bestimmt werden. Das heißt, die Rechtmäßigkeit der Unterscheidung wird als zeitliche Dauer einer solchen Un­ terscheidung und auch als Aufrechterhaltung und Fort­setzung der Vorläufigkeit der Unterscheidung zum Ausdruck gebracht und lässt sich auf keinen Grund zu­ rückführen. Der Grund wird lediglich in der Kette der miteinander verknüpften Unterscheidungen fiktiv konstruiert.

VI. Das Nichtvorhandensein des Unrechts Das Recht vermag lediglich auf die Recht/Unrecht-Unterscheidung zu verwei­ sen und nicht auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Rechts selbst. Das Recht kann die Frage nach dem Warum, die über das Rechtliche hinausgeht, grundsätz­ lich nicht beantworten. Ebenso verhält es sich mit der Frage, ob das Recht bzw. die Rechtsnorm vernünftig oder moralisch sei und ob es den gesellschaftlichen Kon­ 68

Vgl. Luhmann (1987), Soziologische Aufklärung 4, S. 263. Der Titel des Kap. 1 in: Luhmann (1980), Gesellschaftsstruktur und Semantik. 70 Vgl. Luhmann (1992), Operational Closure and Structural Coupling, S. 1431. 71 Eriugena (1987), S. 37 ff. 69

VI. Das Nichtvorhandensein des Unrechts

71

ventionen oder dem Volkswillen entspreche. Alle diese Fragen verweisen auf Pro­ blemkreise, die im Recht selbst nicht behandelt werden können. Daher kann das Recht beispielsweise auf die Frage „Warum man andere nicht töten darf“ lediglich eine zirkuläre Antwort innerhalb der Grenzen des Recht/Unrecht-Codes geben: „Weil das Recht es so vorschreibt.“ Für alle Fragen nach dem Warum kennt das Recht also keine Antwort, die es selbst geben könnte, ohne das System des Rechts oder die Form des Rechts zu verlassen. Bei den entgegengesetzten Polen von Recht und Unrecht handelt es sich um das Begriffspaar vom richtigen Recht und richtigen Unrecht, das aufgrund der Richtig­ keit der Unterscheidung, die beide Begriffe voneinander unterscheidet, aufgrund der funktionalen Äquivalenz jederzeit austauschbar ist. In der Logik dieser Unter­ scheidung schließt die Rede vom Recht daher gleichzeitig die Rede vom Unrecht ein. Dies ist auch in entgegengesetzter Richtung anwendbar, die Rede vom Unrecht führt zur Rede vom Recht – wie etwa beim Priester in Nietzsches „Genealogie der Moral“. Das Recht lässt sich deshalb nicht nur auf Diskursen über das Rechtmä­ ßige aufbauen. Denn die Vorstellung, dass das Recht etwas Richtiges repräsen­ tiert, besteht nur, wenn und solange die Operation der rechtlichen Unterscheidung zwischen richtig und unrichtig bzw. Recht und Unrecht nicht aktiv ist. Sobald ein Ereignis (ein Fall) eintritt, das sich auf das Recht bezieht, beginnt das Recht wie­ derum mit der Bearbeitung dieses Ereignisses unter Verwendung der systeminter­ nen Unterscheidung. Solange ein solches Ereignis aber nicht eintritt, vermittelt das Recht den Eindruck eines unveränderlichen, perfekten, prächtigen Palastes. Stellt sich Recht als etwas Richtiges oder als unveränderbarer Wert dar, erscheint Recht in seiner Gestalt während seines Stillstands. In diesem Sinne stellt das Gesetzbuch einen Normenkatalog des Rechts und zugleich einen Normenkatalog des Unrechts dar. Das Unrecht ist demzufolge ein Sachverhalt, der durch das Recht normalisiert werden muss, damit dieser Zustand dargestellt werden kann, also eine Anzeige des Zustandes, der dem rechtlichen Ur­ teil unterstellt wird. Der Zustand wiederum wird in Form des Verbots und der Res­ titution formuliert. Das Unrecht, auf das im Recht verwiesen wird, besitzt einen negativen Stellenwert und legt dadurch einen Weg, der zum Richtigen führt. Das Verbrechen stellt das durch das Recht bestimmte Unrecht dar; daher wird durch das Recht vom Verbrechen aus beschrieben, wie das Unrecht aufgehoben werden kann. Unrecht muss also negiert werden, wodurch negiertes Unrecht zum Recht wird. Erst die rechtliche Unterscheidung ermöglicht diese Konversion, da diese Unterscheidung eine rechtliche ist. Insofern kann das Gesetzbuch als ein Kata­ log des durch das Recht bestimmten Unrechts und seines Ausgleichs durch Kom­ pensation bzw. Vergeltung verstanden werden. Es ist z. B. ein Katalog der Auf­ hebungsmittel für den Fall, dass man unter dem Vorbehalt, andere nicht töten zu dürfen, doch den Mord begangen hat. Mit dem Verweis auf die Gesetzeswidrig­ keit des Mordes wird jedoch auch auf die Möglichkeit eines nicht zu bestrafenden Tötungsaktes wie im Fall des Krieges oder der Notwehr, also auf die Möglichkeit eines rechtmäßigen Tötungsaktes und auf die Strafmaßnahmen im Fall eines tat­

72

D. Richtigkeit

sächlichen Mordes verwiesen. Es ist das Gesetzbuch, in dem alles, was man nicht tun darf, im Einzelnen aufgelistet und beschrieben wird. In diesem Sinne kann das Recht auch so verstanden werden, dass es aus allem Unrechten besteht. Es ver­ hält sich ähnlich wie eine kasuistische Morallehre, in der alles aufgeführt wird, was man nicht tun darf. Es wird dabei nicht danach gefragt, ob man es nicht tun darf. Letzten Endes begründet erst das Recht die rechtmäßige Recht/Unrecht-Un­ terscheidung, und von da aus werden sowohl das rechtmäßige Recht als auch das rechtmäßige Unrecht abgeleitet. Aufgrund dieser Unterscheidung kann innerhalb des Rechts nichts existieren, das von Natur aus Unrecht ist. Die Existenz des Rechts selbst könnte durch äußere Gewalt in Form von Re­ volution, Kapitulation oder eine Katastrophe bedroht werden. Selbst in solchen Fällen handelt es sich, wie bereits ausgeführt, um Unrecht, das der spezifischen Logik des Rechts entsprechend konstruiert und abgeleitet wird. Es ist daher zwei­ felhaft, ob es überhaupt etwas gibt, das die Existenz und den Fortbestand des Rechts von Grund auf bedrohen kann. Was gegenüber dem Recht als Gewalt wirkt, kommt von außerhalb der Recht/Unrecht-Unterscheidung. Es gibt deshalb inner­ halb des Rechts nichts, was die Existenz und den Fortbestand des Rechts bedro­ hen kann. Angenommen, jemand hat die größte Freude daran, das Recht zu verlet­ zen. Das Recht selbst stellt aber die unabdingbare Voraussetzung für diesen Ge­ nuss dar. Ohne diese Voraussetzung vermag der Rechtsverletzer sich nicht über seine Rechtsverletzung zu freuen. Oder angenommen den Fall, dass jemand sich wünscht, dass es kein Recht gebe, weil er wegen der Existenz des Rechts zögert, ein Verbrechen zu begehen. In diesem Fall weiß er, dass das Verbrechen ein recht­ liches Unrecht ist. Seine Vorstellung über das Einhalten des Rechts hindert ihn nämlich an der Durchführung seines Wunsches, das Gesetz zu verletzen. Oder er antizipiert und akzeptiert das rechtliche Urteil, wenn er sich über den Gesetzes­ verstoß bewusst ist und sich deshalb den rechtlichen Sanktionen unterwirft. Er beugt sich dem Recht und wird durch das Recht verurteilt. In beiden Fällen wird er schließlich rechtlich bestraft/nicht bestraft. Alles Nicht-Rechtliche wird rechtlich bearbeitet und kann deswegen niemals von der rechtlichen Unterscheidung abweichen. Die Recht/Unrecht-Unterschei­ dung wird also stets eingehalten. Die Bedeutung des Gebots zur Beachtung des Rechts besteht darin, diese Unterscheidung einzuhalten. Das Recht unterscheidet damit zwischen Recht und Unrecht, so dass jede Abweichung vom Recht selbst unmöglich ist, weil sie rechtlich unterbunden wird. Das Unrecht wird als sol­ ches durch die rechtliche und deshalb richtige Unterscheidung bestimmt. Es han­ delt sich hierbei um ein legales und deshalb legitimes Unrecht, das vom Recht antizipiert wird. Umgekehrt bedeutet dies, dass es innerhalb des Rechts kein Un­ recht geben kann, das von diesem nicht erwartet wird. Ebenso wenig kann es ein schlechtes Recht als solches geben. Das Recht, das Sokrates mit seinem Tod und den Worten, dass „das schlechte Recht ebenso ein Recht ist“, befolgte, war kein

VII. Die Post-Unvollständigkeit des Rechts

73

schlechtes Recht, sondern eine richtige, da rechtliche Unterscheidung, die auch schlechtes Recht als Recht zur Geltung verhilft.72 So wie der Mensch seinen eigenen Tod nicht sehen kann, ist das Recht ebenso wenig in der Lage, seinen eigenen Tod, das heißt die Zerstörung des Rechts durch Unrecht beobachten zu können. Außerdem kann kein Mensch sehen, dass er nicht sehen kann, was er nicht sehen kann. Falls er sehen kann, dass er nicht sehen kann, so ist es nicht mehr das, was nicht zu sehen ist.73 Auf die Frage, ob die Sprache etwas finden könne, was sie nicht zum Ausdruck bringen kann, wurde mit der be­ rühmten Formulierung der „Nicht-Hintergehbarkeit der Sprache“ geantwortet.74 Das Gleiche kann auch vom Recht gesagt werden. Es ist unmöglich, ein Unrecht im System des Rechts zu entdecken. Da das Recht ein rechtliches Produkt ist, kann es kein Unrecht sehen. Im Recht kann nämlich kein wahres Unrecht existieren.

VII. Die Post-Unvollständigkeit des Rechts Die Begriffsjurisprudenz begründet sich auf der Lückenlosigkeit und Geschlos­ senheit des Rechts. Anderseits enthält beispielsweise das schweizerische Zivilge­ setzbuch gleich zum Anfang Vorschriften, die die Lückenhaftigkeit des Gesetzes behandeln und das Verfahren für seine Ergänzung regeln. Wie ist vor diesem Hin­ tergrund die Aussage bzw. Forderung zu verstehen, dass das Recht lückenlos sei? Was hat es für Folgen, dass das Recht seine Lückenhaftigkeit voraussetzt? Das die Lückenlosigkeit einfordernde und deklarierende Recht besitzt den Grund dafür im lückenlosen Recht selbst. Sollte der Grund der Lückenlosigkeit des Rechts außerhalb des Rechts bestehen, so bedarf das Recht einer äußeren Vollkommenheit, da es an sich nicht lückenlos sein kann. Es ist lückenlos, weil es lücken­los ist: Das ist eine Tautologie. Andererseits kann Recht, das seine Lücken­ haftigkeit voraussetzt, als solches nicht lückenhaft sein. Denn jede Lücke wird als Recht behandelt. Aber wo ist sowohl jener Grund, der die Voraussetzung der Lückenlosigkeit ermöglicht, als auch seine Lückenlosigkeit selbst zu finden? Der Grund liegt in einer Paradoxie: Es ist lückenlos, weil es lückenhaft ist. Sowohl im lückenlosen als auch im lückenhaften Recht, die hier als zwei ver­ schiedene Typen des Rechts verstanden werden, gibt es keinen einzigen Fall, der durch das jeweilige Recht nicht behandelt werden könnte. Wie sollte auch in­ nerhalb eines widerspruchsfrei konstituierten Systems ein Widerspruch als Wi­ derspruch auffindbar sein? Im ersteren Typ kann logisch zwingend keine Lücke existieren, während sie im letzteren Typ gemäß der internen Logik des Rechts auto­matisch ergänzt wird. In beiden Fällen umfassen diese Bedingungen jeweils 72

Vgl. Luhmann (1974), Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 48. Vgl. Haferkamp/Schmid (1987) S. 317. 74 Vgl. Mittelstraß (1974), S. 156 f. u. 166 f. Dazu ferner Holenstein (1980), S. 10–52, und Kuhlmann (2010), S. 9–95. 73

74

D. Richtigkeit

Operationen innerhalb des Rechtssystems: Das Recht, von außen her gesehen, das seine Lückenlosigkeit deklariert, enthält dennoch eine Lücke, da es seine Lücken­ losigkeit deklariert. Die Lückenlosigkeit lässt sich selbst lückenhaft aussehen. Da­ gegen ist das Recht, das seine eigene Lückenhaftigkeit voraussetzt, von außen her gesehen, ein lückenloses Recht. Die Lückenhaftigkeit lässt sich selbst lückenlos aussehen. Im ersteren Typus zeigt sich das Moment der Lückenlosigkeit als inne­ rer Grund, während die Lücken und ihre Ergänzungen einen äußeren Grund dar­ stellen. Im zweiten Typ ist dies entgegengesetzt: die Lücken zeigen sich als inne­ rer Grund, während die Lückenlosigkeit als äußerer Grund erscheint. Schließlich können beide keine Lücken enthalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es im Recht überhaupt keine Lücken gibt. Das Recht kann in sich selbst weder das Vorhandensein noch das Fehlen von Lü­ cken entdecken. Das entspricht dem „Unvollständigkeitstheorem“ Gödels. Gödel hat gezeigt, dass innerhalb eines Systems ein Problem besteht, das weder verifi­ ziert noch falsifiziert werden kann. Das heißt: „Jedes System S enthält in sich eine These G, welche trotz ihrer Wahrheit nicht zu entscheiden ist.“75 D. h. das Recht enthält in sich die These, dass das Recht weder das Vorhandensein oder das Feh­ len von Lücken nicht entscheiden kann. Aus den hier angestellten Überlegungen ergibt sich, dass das Recht sich letzt­ lich darauf gründet, dass es seine eigene Begründung nicht begründet hat.76 Das Recht, das im Allgemeinen als richtig angesehen wird, stützt sich lediglich darauf, dass es noch nicht geändert worden ist. Das Recht befindet sich in der Kette der in der Gegenwart als richtig angesehenen Recht/Unrecht-Unterscheidung, absorbiert jeden Unsicherheitsfaktor und jede Abweichung kasuistisch sowie reflexiv und steigert so sein Konfliktlösungspotenzial und seine eigene Komplexität, indem es sich an die gesellschaftliche Entwicklung anpasst. Darüber hinaus beobachtet das Recht gegebenenfalls seine eigenen operativen und kommunikativen Ergebnisse selbst-reflexiv und zirkulär, um die Unterscheidung auf sich selbst anzuwenden: Selbstdifferenzierung und Selbstthematisierung. Das heißt, das Recht wird recht­ lich abgeändert, es wird anerkannt und zugleich reformuliert. In seinen Änderun­ gen verarbeitet das Recht den fortschreitenden gesellschaftlichen Wandel. Das Recht ist ständig „in Reparatur“.77 Anders formuliert: „Recht liefe auf eine Ab­ wicklung der eigenen Defekte hinaus“.78 Zugleich wird damit „immer neues altes Recht produziert, das in den Status quo eingeht.“79 Auf diese Weise reagiert das Recht variabel auf die sich ändernde Wirklichkeit, während zugleich seine Ein­

75 Über das Verhältnis der Logiken nach der Logik Gödels vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 505 ff. 76 Vgl. ders. (1985), Die Soziologische Beobachtung des Rechts, S. 36. 77 s. ders. (1988), Third Question, V. 78 Ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 152. 79 Vgl. ders. (1983), Rechtssoziologie, S. 348.

VII. Die Post-Unvollständigkeit des Rechts

75

heit bewahrt wird. Das ist seine strukturelle Variabilität.80 Recht ist deshalb ein sich selbst entwickelndes System. Gesetzgebung stimuliert weitere Gesetzgebung, denn das Recht muss ständig weiter reformiert werden – Ecclesia reformata semper est reformanda (Die Kirche muss ständig weiter reformiert werden). Lücken werden in der Entwicklung der dem Recht eigenen Logik zwar ergänzt, aber sie werden hierdurch auch erzeugt. Das bedeutet, das Recht entwickelt sich und hat nur dann eine Fähigkeit zur Evolution, wenn es wie alle Systeme Unentscheid­bares entscheiden kann.81 Diese evolutionären Rechtsoperationen erfolgen – nicht mehr wie das die Na­ turrechtstheorien beschrieben, die das Naturrecht als ein jenseits der physischen Ordnung, von außen verordnetes Recht sahen – als schrittweise Entwicklung „eins nach dem anderen“.82 Postmoderne Theoretiker haben das Ende der großen Erzäh­ lung diskutiert. Das umfasste aber nur eine Erzählung vom Ende der großen Erzählung, also die Produktion einer neuen großen Erzählung. Die hier skizzierte Theorie, die die Selbstdifferenzierung des Rechts beschreibt, bildet hierzu eine Al­ ternative. Gerade in dem Prozess, in dem das Recht sich gegenüber einer Alterna­ tive als eine sich dynamisch selbstentwickelnde, also selbstdifferenzierende große Erzählung präsentiert, liegt ein Mechanismus vor, der dem Anspruch der Richtig­ keit durch die innere Operation des Rechts genügen kann. In der Gesellschaft ist die Richtigkeit des Rechts in der oben geschilderten Weise möglich. Dabei handelt es sich um die Dynamik des Rechts, die über die Gödelsche Problematik hinausgeht. Wenn das Recht jedoch durch das Außeracht­ lassen seiner Operationen und mit der äußeren Kraft beschrieben wird, um die Richtigkeit des Rechts zu unterstützen, so wird diese Beobachtung des Rechts das Recht selbst zerstören. Reformulierung Richtigkeit ist eine Bewegung, in der das Recht sich selbst jeweils einen Alter­ nativvorschlag unterbreitet.

80

Die Diskussion über die jeweilige Gültigkeit und ständige Sicherheit des Rechts muss an diesen Punkt angeschlossen werden. Hier ist eine Klärung des Mechanismus erforderlich, dass der Fortgang und die Aufrechterhaltung des Rechtssystems gleichzeitig stattfinden. Die Gültigkeit und Sicherheit des Rechtssystems stellen verschiedene Seiten einer Operation dar. Vgl. ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 154. 81 Vgl. „Das gilt auch für systematische Theorieentwürfe, ja selbst für Logiken, wie man seit Gödel nachweisen kann“ (Luhmann (1983), Soziale Systeme – Grundriß einer allgemei­ nen Theorie, S. 10). 82 Luhmann (1985), Soziologische Beobachtung des Rechts, S. 28.

E. Normativität Lex injusta non est lex. (Augustinus)

I. Vorbemerkung In diesem Kapitel wird die Normativität der Rechtsnorm in der Gesellschaft er­ örtert. Schwerpunkt der Untersuchung liegt daher auf der Frage, wie das Recht in der Gesellschaft als Norm funktioniert. In der philosophischen Tradition ist das Problem der Normativität im Zusam­ menhang mit transzendenten, universalen Werten wie dem Wahren, Guten und Schönen diskutiert worden. Mit dem Aufkommen der Naturrechtsphilosophie, dem Rechtspositivismus (Kelsen) sowie der daraus hervorgegangenen Konzeption der Rechts- bzw. Normenhierarchie ist die Normativität des Rechts dagegen un­ ter Begründung höherer sogenannter Meta-Ebenen erörtert worden. Demgegen­ über kann auch eine theoretische Konzeption argumentiert werden, die die Nor­ mativität des Rechts von ihrer Heterarchie her zu begreifen sucht, wonach sich das positive Recht, an dem sich unsere Gesellschaft orientiert, durch Entscheidung des Rechts über das Recht selbst ermöglicht.83 Beide theoretischen Ansätze sind jeweils aporetisch und paradox. Wesentlich ist daher die Frage, welche von diesen theoretischen Ansätzen das Problem der Normativität des Rechts angemessener beschreiben kann. Mit anderen Worten: Wie vermeiden diese rechtstheoretischen Ansätze jeweils die ihnen innewohnende Aporie und wie lösen sie die Paradoxie auf? Mittels dieser Fragestellung können die Ansätze miteinander verglichen wer­ den, um die Diskussion auf den gesellschaftlichen Aufbau zu führen, der die Nor­ mativität des Rechts ermöglicht.

II. Die Norm als Tatsache Seit Hans Kelsen gilt, dass die Juristen sich mit Normen und die Soziologen sich mit Tatsachen befassen. Vor allem Max Weber hat die strikte Trennung der beiden Kategorien als Forderung zur Trennung von Sein und Sollen thematisiert. Auffällig ist hier, dass diese Forderung, die beiden Kategorien strikt voneinander 83

Vgl. „Im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung zu höherer Komplexität muss das Recht in zunehmendem Masse abstrahiert werden, begrifflich-interpretative Elastizität für verschiedenartige Situationen erhalten und schließlich sogar durch Entscheidung änderbar, als positives Recht werden“ (Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 8).

II. Die Norm als Tatsache

77

zu trennen, selbst als Sollen formuliert ist. Das stellt aber eine Tautologie und zu­ gleich eine Paradoxie dar, weil diese Forderung der Trennung sich selbst als Sollen vom Sein trennen muss bzw. weil derjenige, der diese Forderung stellt, sich gerade selbst vom Inhalt der Forderung befreien will. Hier schließt sich dann die Frage an, wie diese Forderung möglich ist, wenn sie derart problematisch ist. 1. Subsumtion und Zirkulation Zwei Lösungswege sind denkbar. Der erste Lösungswegliegt in der Annahme einer dritten Instanz: ein Dritter, jenseits der Sein/Sollen-Unterscheidung, wird als eine privilegierte oder transzendente Instanz angenommen. Diese Annahme setzt eine hierarchische Struktur voraus, die die Sein/Sollen-Unterscheidung aus der Vogelperspektive, der Beobachtung aus einer höheren, transzendenten Position er­ möglicht. Der Beobachter selbst wird dabei von dieser Unterscheidung dispensiert oder befindet sich an einem Ort, den diese Unterscheidung nicht erfassen kann. Er gehört also weder der Sein/Sollen-Unterscheidung noch dem Sein oder dem Sol­ len an, auf das die Unterscheidung jeweils verweist. Er ist der Seiende selbst, der die Unterscheidung transzendiert, oder die treibende Kraft für die Operation der Unterscheidung und somit der Seiende als Schöpfer der Unterscheidung. Die Pa­ radoxie wird somit in einer Form bearbeitet oder verdeckt, dass eine höhere Eben eine niedrigere subsumiert. Der zweite Lösungsweg liegt in der Heterarchisierung der Unterscheidung: die Sein/Sollen-Unterscheidung selbst wird durch die Sein/Sollen-Unterscheidung un­ terschieden. Dies führt eine „Sein (der Sein/Sollen-Unterscheidung) / Sollen (der Sein/Sollen-Unterscheidung) -Unterscheidung“ herbei. Diese Unterscheidung (der Unterscheidungen) kann aber keine weitere Unterscheidung verhindern, so dass sich die Unterscheidung weiter entfalten wird. Die weitere Unterscheidung wird mittels einer Unterscheidung unterschieden. Das ist eine tautologische Entwick­ lung. Dabei entfaltet sich die Unterscheidung heterarchisch, ohne eine andersartige Unterscheidung zu verwenden. Der zu erwartende Sachverhalt ist daher kein unend­ licher, linearer Regress in eine Richtung, in die die Entwicklung hin konvergiert, sondern vielmehr eine geschlossene Zirkulation, die sich fortlaufend an der Sein/ Sollen-Unterscheidung orientiert. Im Folgenden wird diese operative Ent­faltung in Anlehnung an die Aussage, dass das Recht ein System der Norm ist, näher erläutert. 2. Die Unterscheidung der Tatsache/Norm-Unterscheidung Wendet man diese Aussage auf die Tatsache/Norm-Unterscheidung an, dann kommt man zur Unterscheidung zwischen der Tatsache, dass das Recht ein Sys­ tem der Norm ist und der Norm, dass das Recht ein System der Norm sein soll. Ein transzendenter, außerhalb der Unterscheidung stehender Dritter nimmt den Stand­

78

E. Normativität

punkt ein, dies als Tatsache anzuerkennen, und kann beweisen, dass diese Aussage eine Tatsache ist. Das heißt, ein transzendenter Dritter verhält sich wie ein über­ geordneter Beobachter, der diese Aussage über das Recht in einer hierarchischen Struktur von oben betrachtet, oder wie ein übergeordneter Beobachter, der die Tat­ sache, dass das Recht ein System der Norm ist, akzeptiert, oder aber als ein über­ geordneter Machthaber, der zur Beglaubigung oder Authentifizierung der Tatsa­ che berechtigt ist. Umgekehrt kann diese Aussage zur Norm nur vom Standpunkt eines transzendenten Dritten gemacht werden. Dabei bleibt die Art und Weise der Ausführung völlig gleich. Dies zeigt der Standpunkt des höheren Rangs. Hier geht es nicht mehr um die Tatsache/Norm-Unterscheidung, sondern um die Unterschei­ dung von hohem Rang und niederem Rang. Betrachtet man andererseits den Sachverhalt heterarchisch, stellt sich die Frage, ob die Aussage, dass das Recht ein System der Norm ist, als Tatsache oder als Norm zu werten ist. Diese „ist ein System der Norm/soll ein System der Norm sein – Unterscheidung“ lässt sich auch folgender maßen darstellen: „Tatsache/ Norm“ – Tatsache/„Tatsache/Norm“ – Norm. Diese Unterscheidung wird ihrer­ seits aufgrund der Tatsache/Norm-Unterscheidung unterschieden. Diese Unter­ scheidung muss (muss!, d. h. die Norm) ihrerseits weiter unterschieden werden, so dass die Unterscheidung eine Kette an Unterscheidungen induziert. Da sie sich auf die Unterscheidung stützt, muss die Unterscheidung fortgesetzt werden, weil die Paradoxie sofort offengelegt würde, wenn das Fortführen der Unterscheidung unterbrochen und die Unterscheidung keiner weiteren Unterscheidung unterwor­ fen wird. Aber solange das Unterscheiden fortgesetzt wird, kommt die Paradoxie nicht zum Vorschein, die Unterscheidung selbst von die Unterscheidung zu befreien. Sie wird vor sich hergeschoben und somit wird die Unterscheidung wei­ ter fortgesetzt. 3. Die Hierarchie/Heterarchie der Unterscheidung Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Normkonzepte erheblich voneinan­ der abweichen, je nach Beschreibungsmethode ist dieses Problem als hierarchisch oder als heterarchisch zu klassifizieren. Zumindest bei der hierarchischen Klassi­ fizierung ist die Differenziertheit aller Unterscheidungen im höheren Rang über­ wunden oder aufgehoben. Es gibt eine höhere Ebene, auf der sich schließlich das Letztendliche befindet, das über allen Unterscheidungen steht und diese indu­ ziert, das alles bewegt, ohne selbst bewegt zu werden, also das Sein des unbeweg­ lichen Bewegers. Die Hierarchie beruht auf dem Erklärungsprinzip, dass sich in der höchsten Stufe, in der die Unterscheidung selbst nicht angewandt wird, der Grund der Unterscheidung befindet oder zumindest das Sein des Grundes der Un­ terscheidung anzunehmen ist. Daraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass die Tatsache/Norm-Unterschei­ dung wie die Sein/Sollen-Unterscheidung neben dem Urgrund (prima causa) nicht

II. Die Norm als Tatsache

79

eigentlich existieren kann. Als höchste Stufe der Hierarchie stellt diese Stufe eine Spitze ohne Unterscheidung dar und geht als ursprüngliche Spitze darin dennoch über die Unterscheiden/Nicht-Unterscheiden-Unterscheidung hinaus bzw. liegt ihr voraus, weil sich die höchste Stufe anderenfalls ihrerseits auf eine Unterschei­ dung, nämlich die Gipfel/Rand-Unterscheidung, gründen müsste.84 Daraus folgt: Die Hierarchie ist die Form, die das Sein des Nicht-Seienden ermöglicht. Es han­ delt sich damit um eine Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo). Jeder Dis­ kurs, der sich auf die Form der Hierarchie gründet, – sei es als Naturrechtstheorie, sei es als Theorie des Rechtspositivismus – stößt die Diskussion mit dieser grund­ legenden Strukturierung auf einen Bereich jenseits aller Unterscheidungen und richtet sie auf den Grund des Rechts. Wählt man dagegen einen heterarchischen Diskurs als Grundlage, führt die Unterbrechung der Unterscheidung (der Unterbrechung) direkt in eine Paradoxie: Aufgrund der nicht unterscheidbaren Unterscheidung entsteht ein Selbstwider­ spruch. Das führt zur Vernichtung der Unterscheidung. Der heterarchische Dis­ kurs verbietet dabei einen diese Paradoxie auflösenden Rückgriff auf eine MetaEbene zur Aufgabe oder Aufhebung der Unterscheidung. Einziger Ausweg des heterarchischen Diskurses ist daher die Fortsetzung der Unterscheidung. Außer ihrer Fortsetzung ist kein anderes Fundament vorstellbar, worauf sich der heterar­ chische Diskurs stützen könnte. Außerhalb der endlosen Unterscheidung ist es un­ möglich, eine Norm zu begründen. Die Norm wird damit deontologisiert. Keine Meta-Ebene, sondern die unendliche Fortsetzung der Unterscheidung der Unter­ scheidung lässt die Norm entstehen, nur durch die endlose Unterscheidung kann aus den Rechtselementen eine Norm emergieren. Für den Fortbestand für das Recht als das System der Norm bestehen lediglich zwei Möglichkeiten, nämlich das Nicht-Unterscheiden (Hierarchie) oder das Weiter-Unterscheiden (Heterarchie). Im Folgenden gehen wir davon aus, dass in dieser Gesellschaft das Recht das System der Norm ist, und diskutieren die Frage, wie dies möglich ist. Wird dieser Ausgangspunkt hierarchisch erörtert, verschiebt sich der Diskurs hin zur traditio­ nellen (Rechts-)Philosophie, die ihren theoretischen Mittelpunkt in den Fragen 84 Um diese Aporie zu überwinden, dürfte es zwei theologische Wege geben. Der eine Weg besteht darin, das „an sich nicht erfassbare, heilige Wesen (divinam essentiam per se incomprehensiblem esse)“ zu behaupten (vgl. Eriugena, S. 37 ff.) Der andere Weg ist ein Diskurs, der das „Nicht-Andere (De non-aliud)“ oder „das, was nicht anders ist als das Andere“ von Cusanus radikal entwickelt. An dieser Stelle tritt das theologische Problem mit der Beobach­ tung des Gottes hervor, nämlich, ob Gott seine eigene Beobachtung beobachten kann. Dies schließt sich an die andere Auswahlmöglichkeit an, die die hier aufgeführte Diskussion über die „Unterscheidung der Unterscheidung“. Hierzu s. Luhmann (1988), Erkenntnis als Kon­ struktion, S. 27 f. Darüber hinaus gibt es, wie im Rechtspositivismus zu sehen ist, einen Aus­ weg, der die Diskussion über die Regel der Regel entfaltet. Dieser Ansatz scheint jedoch, wie später noch erklärt wird, in der Diskussion über die Unterscheidung der Unterscheidung zu­ rückgenommen zu werden.

80

E. Normativität

des Seins oder der Wertigkeit der Rechtsnorm hat. Erörtern wir den Ausgangs­ punkt aber heterarchisch, nimmt der Diskurs Merkmale der Soziologie der Rechts­ norm an, weil dann nach dem Aufbau gefragt wird, durch die das Recht in die­ ser Gesellschaft weiterhin als Norm bestehen kann. Es ist ein Versuch, das soziale Prinzip zu klären, das die Normativität des Rechts ermöglicht, indem diese Eigen­ schaft ihrerseits als soziales Phänomen vorausgesetzt wird. Dies bedeutet die Er­ klärung der Realität der Rechtsnorm in der Gesellschaft dass das Recht seine Grundlage als Norm in der tatsächlichen Erfahrung und in der Kommunikation dieser Gesellschaft hat und die Erklärung der realen Erfahrungen in der Gesell­ schaft dass das Recht mit Normativität sich ausstattet. Wesentlich ist also nicht die strikte Trennung von Norm und Tatsache, sondern die Klärung der Norm als Tatsache, die durch die Unterscheidung von Norm und Tatsache fortgesetzt wird. Auf diese Weise sollte man in der Rechtssoziologie jene herkömmliche For­ mulierung umdeuten, dass die Soziologie nicht die Norm, sondern die Tatsache behandelt.

III. Die Form der Rechtsgeltung 1. Die hierarchische und die heterarchische Geltung Im Diskurs über die Hierarchie beruft sich die Hierarchie auf ein ontologisches Weltverständnis, das die Welt als Essenzkosmos begreift, in dem alles in Genus und Spezies klassifiziert werden kann. Gemäß der Naturrechtslehre besitzt das (positive) Recht nur dann Geltung, wenn es dem Naturrecht entspricht. Und nach dem Rechtspositivismus Kelsens wird nicht der Inhalt, sondern die objektive Gel­ tung des (positiven) Rechts von der Grundnorm abgeleitet. Auf alle Fälle stützt sich die Geltung aber auf die Normenhierarchie, wodurch der Rechtsnorm ihr nor­ mativer Wert durch höhere Ebenen verliehen wird. Im Fall des Rechtspositivismus besitzt die Geltung des Rechts also keinen eigenen inhaltlichen Wert. Die „Grundnorm“ Kelsens knüpft die Geltung posi­ tiven Rechts nicht an inhaltliche Vorgaben wie der Entsprechung mit Naturrecht. Ebenso wenig findet sich eine inhaltliche Bedingung bei den „secondary rules of recognition“ von Hart. Die Diskurse von Kelsen und Hart beziehen sich zwar auf Regeln einer Meta-Ebene, die die Gültigkeit von Rechtsnormen regelt, diese Re­ geln verweisen aber auf keine inhaltlichen Anknüpfungspunkte. Dadurch kommt der Rechtspositivismus ohne eine inhaltlich angereicherte Hierarchiespitze aus und kann den Inhalt der Gipfel/Rand-Unterscheidung vernachlässigen, weil das Problem nicht in der inhaltlichen Gültigkeit der Regel, sondern in der formalen Re­ gel, die die Gültigkeit der Rechtsnormen regelt. Durch diesen Fokus auf die Form, die die Gültigkeit der Rechtsnormen bestimmt, ist der Rechtspositivismus vom Diskurs über den Inhalt der Spitze befreit. Diese formale Geltungsbegründung er­ fordert aber auch, das Problem der Gültigkeit in der tautologischen Aussage zum

III. Die Form der Rechtsgeltung

81

Ausdruck zu bringen. Das gültige Recht ist gültig, das heißt, es muss sich auf die heterarchische Beschreibung verlassen, weil die Gültigkeit derjenigen Regel, nach der die Entscheidung darüber getroffen wird, ob das Recht gültig ist oder nicht, nicht von der als gültig angesehenen Regel abgeleitet wird. Will man die Geltung des Rechts in Orientierung der Normenhierarchie begründen, bleiben einem nur zwei Begründungsmöglichkeiten. Entweder man strebt die Spitze der Normen­ pyramide an, an der keine Unterscheidung vorgenommen werden kann, weil sie das Jenseits der Unterscheidung ist, oder man sucht den Grund der Rechtsgeltung jenseits der Normenhierarchie und damit außerhalb des Rechts zu begründen und wendet sich von der Hierarchie ab. Diese Alternative scheint wenig fruchtbar: Im ersten Fall wird sich das Problem der Hierarchie wiederholen. Im zweiten Fall wird die Hierarchie zusammenbrechen. Soll die Hierarchie durch die (die Geltung der Regel regelnde) Regel konsequent vollzogen werden, so kann auch das Nied­ rigste das Oberste regeln, solange in die Regeln keine Hierarchie eingebaut wird. Gegebenenfalls kann sogar ein Umsturz möglich sein – dies führt zu einer verwor­ renen Hierarchie.85 Diese Problematik schließt sich an die bekannte pole­mische Frage nach der Grenze der Verfassungsrevision an, nämlich an die Frage, ob die Verfassung eine Änderung, die über die substanzielle Bedeutung der Verfassung hinausgeht, verfassungsgemäß, also in der Form des durch die Ver­fassung geregel­ ten Revisionsverfahrens, vornehmen kann. Die heterarchischen Theorien hingegen verstehen die Gültigkeit des Rechts als eine Form oder ein Symbol. Das Recht gilt solange „es mit dem Geltungssymbol als geltend bezeichnet wird.“86 Dort vermag das geltende Recht die Recht/UnrechtUnterscheidung mit Gültigkeit zu entscheiden, weil es als geltendes Recht gilt. Die einzelnen Ereignisse werden als Ereignisse betrachtet, die von der Norm aus be­ trachtet als übereinstimmende oder abweichende Ereignisse unter dem Symbol der Gültigkeit angeschlossen werden. Umgekehrt heißt das, das Symbol der Gültig­ keit macht alle Ereignisse im Verhältnis zum Recht (als Recht/Unrecht) anschluss­ fähig. Dieser Anschluss kann nur vom geltenden Recht aus vorgenommen werden. Ungültigkeit bringt also keinen Anschluss zustande, denn ein ungültiges Recht kann als Recht nicht bestehen. Somit stützt sich der Umstand (die Tatsache), dass das Recht gültig ist, auf die kontinuierliche Fortdauer des Geltungszustandes.87 Recht, das keine Geltung hat, kann kein Recht sein und zugleich ist jedes Recht gültig. Daraus ergibt sich auch die Möglichkeit, diesen Umstand (Tatsache) als Forderung (Norm) zu beschrei­ ben, dass jedes Recht gültig sein muss, weil es Recht ist.

85

Vgl. Hofstadter (1979), S. 692 f. und 701 f., sowie Teubner (1989), S. 7 u. S. 20. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 32. 87 s. oben Kapitel A. III. 2. 86

82

E. Normativität

2. Die Fortdauer des Geltungszustandes Wie sieht nun die kontinuierliche Fortdauer des Geltungszustandes aus? Gel­ tung muss weiterbestehen. Unter dem heterarchischen Standpunkt ist zu überprü­ fen, ob die Aussage selbst, dass das Recht gilt, gültig ist, also weiterhin die Gül­ tigkeit fortsetzt88, indem die Geltung der Recht/Unrecht-Unterscheidung gilt oder nicht. Dies zeigt mehr als die Bekräftigung der Geltung, dass die Recht/UnrechtUnterscheidung als gültig festgestellt wird (und weiter die Geltung festgestellt wird und weiter diese Geltung …). Die erste Recht/Unrecht-Unterscheidung kommt durch das Urteil über die Gel­ tung der jeweiligen Entscheidung und namentlich ihres Inhalts zustande. Dies führt weiter zur Frage, ob die Geltung des Urteils über diesen Inhalt (= die Geltung der Unterscheidung) in der jeweiligen Gegenwart gültig war oder nicht, also zur Gültigkeit/Ungültigkeit-Unterscheidung der Gültigkeit in der Gegenwart. Wenn nun auch in der Gegenwart die Geltung des Urteils gelten sollte, so existiert es in der Gegenwart als stets Geltendes. Wenn es umgekehrt nicht gültig sein sollte, muss das, was durch das damalige ungültige Urteil als gültig erklärt wurde, ge­ mäß dem Rechtsverfahren zum Gültigen erneut geändert werden. Denn etwas Un­ gültiges darf nicht innerhalb des Systems der Rechtsnorm bestehen bleiben. Noch einmal ist zu unterstreichen, dass das Recht als etwas Ungültiges nicht existieren kann und stets als etwas Gültiges, das durch Änderung neu festgelegt worden ist, in der Gegenwart existiert. In der vorhergehenden Unterscheidung kann das, was als legal (recht) angese­ hen wurde, als unrecht und umgekehrt das, was als illegal (unrecht) galt, durch eine rechtmäßige Form erneut als legal positioniert werden. Es handelt sich dabei um eine Änderung, die der (negativen) Entscheidung, die die vorhergehende Ent­ scheidung negativ entscheidet, die Gültigkeit durch eine rechtmäßige Form ver­ leiht. Durch eine rechtmäßige Form kann auch die neue Entscheidung abgeleitet werden, die diejenige Entscheidung, die die Unterscheidung als legal legitimierte, negiert und die Entscheidung für die Gültigkeit revidiert. Problematisch ist jedoch nicht die Änderung des Inhalts der Entscheidung, son­ dern der Umstand, dass die Änderung der Entscheidung durch eine recht­liche Form Gültigkeit verliehen bekommen hat. Denn die in der Gegenwart als gül­ tig legitimierte Entscheidung die Möglichkeit nicht ausschließen kann, dass sie 88

Luhmann erklärt: „Alles Recht ist geltendes Recht. Nicht geltendes Recht ist kein Recht. Also kann die Regel, die Geltung erkennbar macht, nicht eine der geltenden Regeln sein. Überhaupt kann es im System keine Regel geben, die die Anwendbarkeit oder Nicht­ anwendbarkeit aller Regeln regelt. Das Problem muss gödelisiert werden durch Verweisung auf eine externe Grundlage“ (ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 102). Hier entwickelt sich der Diskurs zur Selbstdifferenzierung im Sinne des Re-entry, der Wiedereinführung der Un­ terscheidung in die Unterscheidung oder der Unterscheidung, die auf sich selbst angewandt wird und einen Versuch darstellt, die Gödelisierung für die Dynamik des Systems zurück­ zugewinnen.

III. Die Form der Rechtsgeltung

83

in Zukunft geändert werden kann. Es besteht stets die Möglichkeit falscher An­ schuldigungen und von Fehlurteilen oder – besonders im Fall der unteren Instan­ zen – auch stets die Möglichkeit, dass Entscheidungen in der Zukunft revidiert werden. An dieser Stelle scheint die Kette der Operationen die Geltung als solche gel­ ten zu lassen. Weil die (formale) Geltung nach der (inhaltlichen) Gültigkeit der Entscheidung gefragt wird, mag sie den Anschein erwecken, dass es sich um ein ähnliches Abgrenzungskriterium wie des diskutierten Verfahrens auf der Grund­ lage der Hierarchie handelt, wonach die Regel auf der Meta-Ebene festgelegt wird. Aber es handelt sich nicht um die Hierarchie, sondern lediglich um den Anschluss­ mechanismus, der die Gültigkeit/Nicht-Gültigkeit der inhaltlichen Recht/UnrechtUnterscheidung in das stets Gültige transformiert, das sich auf der Ebene der Form befindet.89 Auf diese Weise wird die Geltung des Rechts kontinuierlich aufrechter­ halten und zugleich geändert.90 Dieser Prozess bewirkt für das Recht die Einheit als Recht. Hier kommen die Tatsache, dass das Recht gilt, und die Norm, dass das Recht gelten muss, unter der Formulierung, dass das gültige Recht das Recht ist, zusammen. Unter dem Sym­ bol der Gültigkeit (in der Gegenwart) werden Tatsache und Norm temporalisiert. Weil das Recht unter dem Zustand (Tatsache), dass das Recht gegolten hat, und der Forderung (Norm), dass das Recht gelten muss, als veränderbare Maschinerie den Gültigkeitszustand im stets gegenwärtigen Zeitpunkt kontinuierlich aufrecht­ zuerhalten vermag.91 Der Grund, warum das Recht in der Gesellschaft uns als Gül­ tiges existiert und als geltendes scheint, der Grund dafür also, warum das Recht Normativität zu besitzen scheint, besteht nicht darin, dass es von einer höheren Norm gestützt ist, sondern darin, dass es durch diesen realen Prozess der Gültig­ keit in der Gesellschaft gestützt wird.92

89 „Die Norm wird durch vorherige und durch spätere Praxis gehalten, durch operative Se­ quenzen, in denen sie als dieselbe (wie auch immer der Interpretationsspielraum beschaffen sein mag) kondensiert“ wird (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 80 f.). 90 Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 106 f. Führen wir diesen Diskurs weiter auf der Zeitachse, so bedeutet dies, dass die Gültigkeit (Normativität) durch das Zurückblicken auf die Vergangenheit und das Vorwegnehmen der Zukunft erscheint. Das heißt, die Differenz „eines vorher und nachher geltenden Rechtzustands“ wird unter dem Symbol der Gültigkeit zu einer Einheit gebracht (s. ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 102). Dieser Punkt wird unten im Abschnitt 4 behandelt. 91 Zur Gültigkeit des Rechts als Symbol vgl. ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 98. 92 Luhmann betrachtet das Recht als Rechtssystem und meint: „die Quelle der Rechtsgel­ tung ist, … das Rechtssystem selbst“ (ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 165).

84

E. Normativität

IV. Normativität durch rechtliche Entscheidung 1. Die rechtliche Entscheidung Das Recht funktioniert nicht deshalb, weil das Rechtssystem als lückenloser Ka­ non thront, sondern weil es für die Bearbeitung konkreter Ereignisse operativ her­ angezogen wird. Insbesondere gewinnt das Recht seine Realität durch das Setzen von Referenzen und Zitaten.93 Diese Realität wird jedoch nicht durch die Ange­ messenheit des referierten und zitierten Inhalts hervorgebracht, sondern durch die Form, die das Referieren und Zitieren allerdings immer möglich macht. Formell ist das Referieren und Zitieren des Rechts allerdings immer möglich aufgrund des Sachverhalts, dass eine Entscheidung durch dieses Referieren und Zitieren getrof­ fen werden kann, und zwar unabhängig davon, ob ein Ereignis dem Recht passt oder nicht. Von Bedeutung ist lediglich, dass eine Entscheidung getroffen wer­ den kann. Diese Entscheidung kann aus diesem Grund aber auch nur insofern als rechtmäßig angesehen werden, als sie sich auf das rechtmäßige (= nicht unrecht­ mäßige) Recht bezieht und beruft. Denn das Recht ist das Recht und kein Unrecht. Auf diese Weise wird das Recht stets referiert und zitiert. Und bei der recht­ lichen Entscheidung wird erwartet, dass sie gerecht vollzogen wird. Genauer: Er­ wartet wird der Vollzug dessen, was als gerecht verstanden wird. Aber das Recht könnte auch, wie im vorherigen Abschnitt angesprochen, in einer falschen Art und Weise angewandt werden (da es später geändert werden kann), und aus dem Bezug auf diese Referenz kann eine ungewollte rechtliche Entscheidung getroffen wer­ den. Außerdem können aufgrund der Vielfältigkeit und Möglichkeitsoffenheit des Rechts niemals alle Erwartungen an die rechtlichen Entscheidungen erfüllt wer­ den. Die rechtliche Entscheidung kann aufgrund verschiedener Faktoren wie der Zeit, dem Ort und dem Hintergrund unterschiedlich ausfallen. Außerdem können die Inhalte der diversen Entscheidungen und die verschiedenen Betroffenen unter­ schiedliche Erwartungen haben. Eine Entscheidung, die für einige Personen als richtig erscheint, kann sich für die anderen als unrichtig darstellen. Auf der einen Seite wird die rechtliche Entscheidung als rechtmäßig verstanden, auf der ande­ ren jedoch wird die gleiche rechtliche Entscheidung als unrechtmäßig angesehen. Dennoch wird für jede Seite die Normativität des Rechts bewahrt/nicht-bewahrt. Und die Angehörigen beider Seiten bleiben Mitglieder der gleichen Gesellschaft. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Unterscheidungen von richtig/unrich­ tig und rechtmäßig/unrechtmäßig in die Normativität des Rechts aufzulösen. Das Recht muss deshalb in der Form der positiven Norm aufrechterhalten werden, selbst wenn es die Erwartungen nicht erfüllen kann. Ansonsten kann das Recht nicht als Recht und die Norm nicht als Norm funktionieren.94 93

Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S.  46 f. „(…) es ist überhaupt nur Recht, wenn erwartet werden kann, dass normatives Erwarten normativ erwartet wird. Und auch insofern ist das Recht nicht hierarchisch von oben, sondern 94

IV. Normativität durch rechtliche Entscheidung

85

2. Die Einheit des Rechts Das Recht macht von der Unterscheidung der Unterscheidung Gebrauch, um die Einheit des Rechts zu bewahren. Es geht dabei um die Unterscheidung, ob die Entscheidung der Unterscheidung von Recht/Unrecht auch dem Recht entspricht. Es wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Recht/Unrecht-Unterscheidung rechtmäßig erfolgt, also im Sinne der Norm (Sollenssatz) erfolgt, so dass die Un­ terscheidung rechtlich gemacht werden muss. Diese Norm macht die Normativität der rechtlichen Unterscheidung möglich. Die Normativität der Rechtmäßigkeit für das differenzierende „/“ in der Recht/Unrecht-Unterscheidung, die die inhaltlichte Unterscheidung des Rechts darstellt, also die Normativität der Rechtmäßigkeit für die Form, stützt die Normativität der rechtlichen Unterscheidung. Entscheidend ist also nicht die Normativität des Inhalts, sondern die Normativi­ tät der Form, und auch hier geht es nicht um den Inhalt der Normativität der Form, sondern um die Form der Normativität der Form. Diese Form normativ anzuneh­ men, stellt die (über die Form/Inhalt hinausgehende) substanzielle Bedeutung der Formel „dem Recht zu folgen“ dar. Die Annahme, dass diese Form normativ an­ zunehmen ist, repräsentiert die Normativität des Rechts selbst. Wegen dieser Nor­ mativität, die diese Form inne hat und die sich in der Forderung ausdrückt, die Unterscheidung ist rechtlich vorzunehmen, ist dem Recht zu folgen. Selbst wenn die Erwartung nicht erfüllt werden sollte, kann die Normativität der rechtlichen Entscheidung immer erwartet und nie enttäuscht werden. Somit wird die Recht/ Unrecht-Unterscheidung in Form der Unterscheidung von (rechtlichem) Recht und (rechtlichem) Unrecht ausgedrückt. Beide sind Recht und kein Unrecht, da sie beide Elemente der rechtliche Differenzierung sind. Auf diese Weise bricht die Symmetrie der Dichotomie Recht/Unrecht zusam­ men, so dass sowohl das Recht als auch das Unrecht von Seiten des Rechts be­ trachtet werden können. Eine Unterscheidung, die das Recht betrifft, stellt eine rechtliche Entscheidung dar. Deswegen stellt das Recht das Recht dar. Die Durch­ setzung des Rechts erfolgt, indem das Recht die Recht/Unrecht-Unterscheidung in rechtlichen Operationen durchführt und als Unterscheidung von (rechtlichem) Recht und (rechtlichem) Unrecht vornimmt. Die Funktion des Rechts besteht so­ mit darin, das vorrechtliche Unrecht, das sozusagen vor dem rechtlichen Unrecht existiert, ins rechtliche Unrecht zu übertragen. Das Recht bleibt nur insofern ver­ trauenswürdig, als erwartet werden kann, dass sich die ordnungsgemäße Über­ tragung des vorrechtlichen Unrechts ins rechtliche Unrecht fortsetzt. In diesem Sinne stellt das Recht einen Apparat dar, der die Abweichungen dadurch absor­ biert, indem er sie auf die Seite des Rechts bringt und dem Recht einverleibt. Auf diese Weise wird alles Rechtliche erklärt.

jeweils heterarchisch, also kollateral, also in nachbarschaftlichen Vernetzungen determiniert“ (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 144).

86

E. Normativität

Aber inhaltliches Unrecht als solches verbleibt noch. Rechtliches Unrecht ist an sich eine Paradoxie. Denn es ist rechtlich ein Widerspruch, dass das Recht (inhaltliches) Unrecht enthält. Diese Paradoxie muss rechtlich entfaltet und aufge­ löst werden, das heißt, es wird erforderlich, die Unrechtmäßigkeit des rechtlichen Unrechts durch das Recht zurückzuweisen. So kann das rechtliche (inhaltliche) Unrecht auf die Rechtmäßigkeit hin entparadoxisiert werden und der Inhalt spielt keine Rolle mehr. Beispiele dafür sind: Im Rechtsstaat sind Enteignung, Tötung, Gewalt oder Freiheitsberaubung als solche nicht immer vorbehaltslos rechtswid­ rig. Beraubt jemand einen anderen Menschen seiner Freiheit, so wird ihm ebenso die Freiheit genommen; Invasoren werden Angriffen ausgesetzt; wer das Recht der anderen verletzt, dem wird sein Recht aberkannt; das Vermögen desjenigen, der in Zahlungsverzug gerät, wird gepfändet. Enteignungen, Freiheitsstrafe in Form der Inhaftierung und der Krieg mögen aus moralischen Gründen als unmenschlich kritisiert werden, aber keiner wird sie als Unrecht bezeichnen. Die Probleme wer­ den auf eine andere Ebene übertragen. Es geht zwar um rechtswidrige Taten wie Enteignung, Tötung, Gewalt oder Freiheitsberaubung, aber es geht nicht um recht­ lich gedeckte Übergriffe auf das Menschenrecht. Es geht nämlich nicht darum, was Recht und was Unrecht ist, sondern um die Frage ihrer Einbettung in die Un­ terscheidung Recht/Unrecht. Es geht nicht um den Inhalt, sondern um die Form; nicht um die Bewertung, sondern um die Unterscheidung; nicht um die Identi­ tät, sondern um die Differenz. Auf diese Weise, werden diese rechtlichen (inhalt­ lichen) Unrechtstatbestände entparadoxisiert. Es geht eben um die rechtliche Unterscheidung, das heißt, es geht um das „/“, das die Recht/Unrecht-Unterschei­ dung möglich macht. Unabdingbar ist nunmehr lediglich das rechtliche „/“, also die Entscheidung oder die Konditionierung durch das Recht. Denn das Recht (als rechtliche Unterscheidung) verübt kein Unrecht. Auf diese Art und Weise kommen wir dazu, das Urteil dem Recht anzuvertrauen und keine (unrechtliche) Lynch­ justiz oder Rache zuzulassen. Das, was die Recht/Unrecht-Unterscheidung im­ pliziert, entwickelt sich, da das Recht(s-Norm) (Rechts-)Norm ist, vom Inhalt der Unterscheidung zur Form der Unterscheidung und weiter von der Form der Un­ terscheidung zur Unterscheidung selbst. Dadurch unterwirft sich alles dem Recht. Dieser Sachverhalt lässt sich in anderen Worten folgendermaßen verallgemei­ nern. Zunächst wird die inhaltliche Recht/Unrecht-Unterscheidung zur Seite des Rechts hin überführt, so dass die Unterscheidung von Recht und Unrecht verrechtlicht wird. Dann führt das zur Unterscheidung von rechtlichem Recht/recht­ lichem Unrecht. Das bedeutet dass die inhaltliche Unterscheidung in die Unter­ scheidung der Form des Rechts umformuliert wird, und dadurch diese rechtliche Unterscheidung wieder symmetrisiert wird. Durch Aufhebung und Übertragung der Asymmetrie auf die Ebene der Form wird die Symmetrie der Form Recht/ Unrecht wiedergewonnen. Allerdings geht es jetzt nicht mehr um den Inhalt. Die Symmetrie wird auf der Ebene der Form weiter asymmetrisiert, indem die beiden Seiten der Symmetrie auf die Seite der Unterscheidung hin asymmetrisiert wer­ den, die sie ermöglicht. Von Bedeutung ist hier lediglich die Tatsache, dass diese

V. Unvollendete Rechtsnormen

87

Unter­scheidung rechtlich vorgenommen worden ist. Auf diese Weise wird alles durch die Entscheidung oder die Bestimmung durch das Recht möglich gemacht. Mehr gibt es nicht.95 Die Normativität des Rechts wird durch die rechtliche Entscheidung her­gestellt. Dabei werden alle Tatsachen dem Recht durch rechtliche Entscheidungen in­härent gemacht. Sobald etwas als Recht erklärt worden ist, ist vom Inhalt keine Rede mehr. Das Recht betrifft nicht den Inhalt und es wird nur durch eine rechtliche Entscheidung Recht.

V. Unvollendete Rechtsnormen 1. Die Willkürlichkeit der rechtlichen Entscheidung Auf diese Weise regelt das Recht sich durch sich selbst. Es bedarf weder äuße­ rer, rechtsfremder Standards noch übergeordneter Normen, die das Recht regeln. Daraus lässt sich folgern, dass alles rechtlich bleibt, solange es dem rechtlichen Verfahren entspricht, das vom Recht selbst geregelt wird. Genau an dieser Stelle wird dann aber das Problem offensichtlich, dass jede inhaltliche Willkürlichkeit durch einen rechtlichen Prozess gerechtfertigt werden kann. Aus der Sicht der naturrechtlich orientierten Theorien kann das positive Recht, das nur als veränderliches Recht existiert, im Vergleich zum unveränderlichen, da unverfügbaren Naturrecht, nur als willkürliches Recht verstanden werden. Denn das positive Recht ist ein Recht, das nicht von einer ewigen Wahrheit jenseits von Raum und Zeit abgeleitet wird, sondern von der jeweiligen Situation und dem je­ weiligen Kontext abhängig und kann sich deshalb stets verändern. Im Gegensatz zum Naturrecht, das nicht auf menschliche Eingriffe angewiesen ist, kann ein positives Recht, das durch Menschen gesetzt wird, als ein künstliches Recht ver­ standen werden. Fraglich ist nun, ob die Unterscheidung „durch Gottes Wille/durch menschliche Hand“ der Unterscheidung von „nicht-willkürlich/willkürlich“ entspricht. Im ers­ ten Fall ist die Universalität des Rechts durch Gottes Willen oder durch die Natur gewährleistet, während sie im zweiten Fall durch die Rechtmäßigkeit des Verfah­ rens gewährleistet wird, Änderungen des Rechts durch die vom Recht selbst fest­ gelegte Norm durchzuführen. Mit anderen Worten: Das Naturrecht wird durch die Unveränderlichkeit des Inhalts gewährleistet, das positive Recht hingegen wird durch die Unveränderlichkeit des Verfahrens (und des Verfahrens des Verfahrens) gewährleistet, welches durch das Verfahren festgelegt wird. Das Verfahren selbst ist gewiss veränderbar, aber das Verfahren, das durch das Verfahren festgelegt wird, ist unveränderbar. Somit zielt der erste Fall auf den Ausschluss der Willkür­ 95

Zur Asymmetrisierung der Gleichheit s. Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 111 f.

88

E. Normativität

lichkeit hinsichtlich des Inhalts, der letzte jedoch auf den Ausschluss der Willkür­ lichkeit hinsichtlich der Form. Andererseits wird hier der Spielraum ersichtlich, die die Willkürlichkeit im ersten Fall hinsichtlich der Form und im letzten dem­ gegenüber hinsichtlich des Inhalts inne hat. Im Naturrecht wird nämlich die Zer­ störung des Inhalts durch das auf den Inhalt bezogene Verfahren möglich, im posi­ tiven Recht wird jedoch die inhaltliche Zerstörung des Verfahrens gemäß dem Verfahren möglich. Der Wille Gottes oder die göttliche Vorsehung wird durch menschliche Hand willkürlich (als Gottes Wille) angewandt. Dem entsprach die Herrschaft der Kirche im Mittelalter. Das Verfahren wird willkürlich (durch ein legitimes Verfahren) zunichte gemacht. Dem entsprach die Machtübernahme des Nationalsozialismus. Aus der Perspektive der Gesellschaft sind beide nicht voll­ ständig von ihrer Willkürlichkeit befreit worden. Willkürlichkeit ist Willkürlichkeit in Bezug auf die rechtliche Entscheidung. Vom Konzept der Hierarchie aus gesehen, geht es bei dieser Entscheidung um die inhaltliche Übereinstimmung. Vom Konzept der Heterarchie aus gesehen, geht es bei dieser Entscheidung um die formale Übereinstimmung. Das erste Konzept fragt nach der Übereinstimmung mit der Richtigkeit im Sinne einer inhaltlichen Übereinstimmung mit dem Richtigen, während das zweite Konzept die Überein­ stimmung mit den Rechtssätzen im Sinne einer formalen Übereinstimmung mit dem, was einen richtigen Inhalt hat, überprüft. Auf dieser Grundlage wird eine Entscheidung getroffen. Aber, wie bereits erwähnt, ist die Willkürlichkeit in bei­ den Fällen nicht ausgeschlossen. So stellt sich die Frage, wie diese Willkürlichkeit in der Hierarchie und in der Heterarchie verarbeitet wird. Im Fall der Hierarchie wird von der profanen Entscheidung durch mensch­ liche Hand keine Vollkommenheit verlangt. Die Unvollkommenheit wird vom Vollkommenen absorbiert. Die Menschen sind Sünder und werden durch das Glaubensbekenntnis erlöst. Das Recht zu achten und zu befolgen sowie der Ent­ scheidung des Rechts zu gehorchen, ist deshalb sozusagen das Geheimritual, in dem die Unvollkommenheit in die Vollkommenheit verwandelt wird. Schließlich ist ein unrichtiges Recht auch ein Recht, sodass auch die Seele des Sokrates die Sphäre der Ewigkeit erreichen wird. Im Fall der Heterarchie wird dieser Funktion durch die Änderungsmöglich­ keit Rechnung getragen. Die rechtlich vollzogene unvollkommene Entscheidung kann durch die rechtliche Korrektur dieser Entscheidung in eine andere voll­ kommene Entscheidung transformiert werden. Aber die Entscheidung kann prin­ zipiell weder vollkommen sein, noch kann sie vollkommener werden. Die Korrek­ tur bedeutet lediglich, dass die Unvollkommenheit, die bei der einen Entscheidung aufgewiesen wurde, ergänzt worden ist – und dass auch diese Ergänzung keine vollkommene Entscheidung schafft. Es handelt sich hier schlicht um einen un­ unterbrochenen Prozess, in dem nicht nur eine neue Unvollkommenheit, sondern auch die Möglichkeit, dass diese ergänzt werden kann, ständig in Betracht gezo­ gen wird.

V. Unvollendete Rechtsnormen

89

In beiden Fällen wird die jeweilige Entscheidung stets der Zukunft ausgesetzt. Bereits in der Gegenwart muss sie für die Perspektive der Zukunft offen sein, weil sie in der Zukunft einer kontingenten Situation ausgesetzt wird. In der Gegenwart kann die künftige Frage nach der Richtigkeit oder Nicht-Richtigkeit der in der Ge­ genwart getroffenen Entscheidung nicht gestellt werden.96 Auf diese Weise ist die Entscheidung der Gegenwart durch die Differenz zwischen der Zukunft in der Ge­ genwart und der Gegenwart in der Zukunft belastet. Deshalb richtet sich das Ge­ setz auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit (Lex prospicit, non respicit). Der Diskurs der Hierarchie wird diese Differenz als Differenz von erreich­ barem Zustand und Nicht-erreichtem Zustand unter der Bestimmung des Ziels absorbieren oder verdecken. Das heißt, die erreichbare Zukunft wird angenom­ men.97 Der Diskurs der Heterarchie trifft die Unterscheidung von erreichbarem Zustand und nicht-erreichtem Zustand dagegen selbst. Vorausgesetzt wird im Dis­ kurs der Hierarchie die Möglichkeit, dass die Differenz zwischen dem erreich­ baren Zustand und dem nicht-erreichten Zustand irgendwann in der Zukunft auf­ gehoben wird. Im Diskurs der Heterarchie wird im Gegensatz zur erreichbaren Zukunft eine nicht-erreichbare Zukunft, eine ständige Nicht-Vollendung ange­ nommen. Im ersten Fall wird also eine Welt als Kosmos oder als geordnete Welt oder geordnete Gesellschaft angenommen, im letzten aber eine Risikogesellschaft und eine komplexe Welt nicht eindeutig entscheidbarer Situationen. Die Gegen­ wart ist damit stets dem Risiko ausgesetzt, dass die Gegenwart in der Zukunft eine andersartige Zukunft sein kann als die, die in der Gegenwart erwartet wird. 2. Risiko Der Begriff des Risikos bewirkt eine Veränderung im Verhältnis zwischen der Entscheidung und der Zukunft. Die Entscheidung wird nämlich für die Zu­ kunft vorgenommen und wird stets den Inhalt haben, der jeweils als der beste und höchste zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. Dennoch garantiert die beste Ent­ scheidung in dem Zeitpunkt, also in der jeweiligen Gegenwart, nicht das Beste in der Zukunft. Keine Entscheidung vermag mehr, als ein Urteil in der Gegenwart zu sein. Aber diese Entscheidung schränkt die Zukunft einerseits ein und ist gleich­ zeitig andererseits stets der Entscheidungsunfähigkeit der Zukunft ausgesetzt. Daraus jedoch nicht zu schlussfolgern, die Entscheidung als solche aufzugeben. Denn eine Entscheidung muss stets getroffen werden.98 96 Luhmann erörtert dieses Problem unter Bezugnahme auf das 9. Kapitel von Aristo­ teles’ „De Interpretatione“. Vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 171, Anmer­ kung 11.  97 Vgl. ders. (1983), Rechtssoziologie, S. 198. 98 In Bezug auf die Entscheidung im Verhältnis zum Risiko ist zu sagen, dass dies Entschei­ dungen sind, „die die Möglichkeit nachteiliger Folgen in Kauf nehmen“ (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 141).

90

E. Normativität

Aufgrund dieser Unsicherheit lässt sich bei der Orientierung am Risiko kein Ziel annehmen. Von der kommenden Zukunft aus kann niemals die Gegenwart bestimmt werden. Was für die Entscheidung unter dem Verständnis der Heterar­ chie möglich ist, ist für die rechtliche Entscheidung gerichtet auf die Zukunft in der Gegenwart. Mit der Entscheidung ist hier die Konditionierung der Rechtmä­ ßigkeit der Unterscheidung von Recht und Unrecht erfolgt. Diese Entscheidung projiziert die als wirksam festgelegte Begründung des Recht/Unrecht-Urteils zu diesem Zeitpunkt auf die Zukunft. Das ist die Festlegung, die durch das bestmög­ liche Urteil in der Gegenwart herbeigeführt worden ist. Aber gegen diese Urteils­ entscheidung wird – wie sehr sie auch im gegenwärtigen Zeitpunkt die beste sein mag – im Laufe der Zeit die Möglichkeit einer andersartigen Entscheidung treten. Die Möglichkeit einer noch besseren Entscheidung wird in Aussicht gestellt. Dabei ist sowohl die Annahme als auch die Zurückweisung der neuen Alternative mög­ lich. Auf alle Fälle wird eine weitere Festlegung, nämlich die Unterscheidung von Bewahrung oder Verwerfung der Entscheidung in der Gegenwart, für die Zu­ kunft akzeptiert. Und im Laufe der Zeit entstehen weitere Entscheidungsmöglich­ keiten … und noch weiter ebenso gleich. So beginnt in der Gegenwart mit der „eine andere Entscheidung treffen/nicht treffen – Unterscheidung“ die Operation der „Zukunft in der Gegenwart/Gegen­ wart in der Zukunft – Differenz“. Die Andersartigkeit kann durch keine Ent­ scheidung vermieden werden. Hier wird die „eine andere Entscheidung treffen/ nicht treffen – Unterscheidung“ nicht in die Entscheidung in der Gegenwart auf­ genommen. Die Differenz wird sich in der jeweiligen Gegenwart fortsetzen und die Unterscheidung verbindet sich immer weiter an die weitere Unterscheidung. So bleibt sie als ständige Nicht-Vollendung und befindet sich gerade dadurch im Werden.99 Auf diese Weise behält die rechtliche Entscheidung ihre Wirksamkeit, bis sie durch die nächste rechtliche Entscheidung geändert wird. Solange diese rechtliche Entscheidung ihre Wirksamkeit inne hat, bildet diese Entscheidung das Recht. Die Entscheidung verkettet die Entscheidungen miteinander und das Recht in der Ge­ genwart bleibt stets Recht – und sei es dadurch, dass das Recht der Vergangenheit als Unrecht erklärt wird. Aufgrund der rechtlichen Entscheidungen in der Gegen­ wart kann Recht, zumindest bis zu seinem Fälligkeitsdatum durch ständige Ver­ längerung der Dauer seine normative Kraft entfalten. Die Gegenwart stellt unter der teleologischen Perspektive – vom Kosmos aus gesehen – einen Unrechtzustand oder Abweichungszustand dar. Es geht dann um das Problem der Theodizee, also um die Frage, ob Gott das Vorhandensein des Bösen in dieser Welt zulässt. Das Recht fungiert hier lediglich als ein Korrekturapparat für die Abweichungen inner­ halb der festen Ordnung des Kosmos. Und die immanente Normativität des Rechts hängt von der transzendenten Autorität ab. 99 Zur zeitlichen Kette s. den Aufsatz „Temporalisierung von Komplexität – Zur Semantik neuzeitlicher Zeitbegriffe, in: Luhmann (1980), Gesellschaftsstruktur und Semantik, S. ­235–300.

V. Unvollendete Rechtsnormen

91

Ebenso verhält es sich mit dem Naturrecht, den Gesetzen der Entwicklungs­ geschichte, der Grundnorm oder dem teleologischen Zweck als externen Rechts­ gründen. In all diesen Konzepten wird keine offene Zukunft angenommen. In jeder Gegenwart wird deshalb stets über eine zu erreichende Zukunft als Ideal­ zustand spekuliert. Die Gegenwart ist stets der möglichen Verbesserung und der Korrektur ausgesetzt. Andererseits eröffnet die Festlegung der jeweiligen Gegen­ wart der Heterarchie zufolge zu allererst die jeweilige Zukunft. Damit setzt sich eine Gegenwart fort, die die Unbestimmtheit der Zukunft zum maximalen Pro­ blem macht. Die Zukunft ist weder etwas, was so sein soll, noch was so wird, son­ dern sie ist als kontingentes Ereignis zu verstehen, das durch die jeweilige Ent­ scheidung auch anders möglich ist. Das ist weder notwendig noch zufällig und auch weder absolut noch relativ. Es ist ein Prozess ohne Ende, ein nicht abschließ­ barer Prozess.100 3. Die Norm in der Zukunft Im Diskurs der Hierarchie, in dem ein Ziel in der Zukunft als eine zu er­ reichende Zukunft angenommen wird, stellt sich das Problem der Willkürlich­ keit unter dem Aspekt des Kosmos, der als ewige Ordnung bestehet. Im Diskurs der Heterarchie wird der Versuch unternommen, dieses Problem dadurch zu lö­ sen, dass der kettenförmige Entscheidungsprozess, der durch die Änderungs­ möglichkeit gestützt wird, auf die Zukunft hin niemals willkürlich entwickelt wird. Es geht nämlich um die Sicherstellung der Möglichkeit, angesichts der Ge­ genwart der rechtlichen Entscheidung alle Inhalte bestmöglich einzubringen und diese als Elemente der Entscheidung zu diskutieren – und zwar unabhängig da­ von, ob die Art und Weise des Einbringens willkürlich ist oder nicht. So stammen oft verwendete Konzepte und Begründungsmuster der Entscheidungsfindung wie die Rechtsquelle oder die Absicht des Verfassers nicht von einem Ursprung jen­ seits von Zeit und Raum ab und fungieren auch nicht als arche. Auch Utopia reicht keine leitende Hand aus der Zukunft in die Gegenwart hinein. Dadurch aber wird die Zukunft entideologisiert. Wir schreiten lediglich aus der Gegenwart Schritt für Schritt fort. Wir können uns zwar die Logik des Jenseits im Diesseits vorstellen, aber wir können mit dieser Jenseitslogik nicht vom Diesseits aus über das Diesseits reden. Wir Menschen mögen über Gott reden, aber nicht anstelle Gottes. Die Zu­ kunft bleibt nur insofern Zukunft, als das, was als Zukunft der Gegenwart gedacht wird, aus der Akkumulation der Vergangenheit abgeleitet und bei der Entschei­ dung in der Gegenwart reflektiert wird. Auf diese Weise können die herrschen­ 100 Zum Thema Konflikt erklärt Luhmann, „daß das Recht nicht nur Konflikte bereinigt, sondern auch Konflikte erzeugt; denn mit Berufung auf das Recht kann man dann auch Zu­ mutungen ablehnen und sozialen Pressionen widerstehen. Immer aber setzt das Recht voraus, daß abweichendes Verhalten auf welcher Motivgrundlage auch immer als möglich voraus­ gesehen wird“ (ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 141).

92

E. Normativität

den Gesellschaftsbilder, die politische Lage, die internationale Situation und am Ende sogar auch ein Ziel gleichermaßen zu Elementen der rechtlichen Entschei­ dungen im gegenwärtigen Zeitpunkt werden. Alle diese Elemente werden bei der Entscheidung maximal in Anspruch genommen. In der jeweiligen Gegenwart wird die rechtliche Entscheidung auf diese Weise im gegenwärtigen Zeitpunkt mit dem bestehenden Recht verbunden, und die Ansammlung aus der Vergangenheit wird in die Gegenwart hineingelesen, als wäre sie seit jeher als Recht vorhanden.101 Dies wird in der Gegenwart zusammengesetzt, um in der Gegenwart eine Entscheidung für die Zukunft zu treffen. All diese Umstände machen die besten Entscheidungen in der steten Gegenwart möglich. Dadurch, dass die besten Entscheidungen getroffen werden, indem un­ vollständige Entscheidungen ständig erneuert werden, lässt sich die Willkürlich­ keit des Entscheidens maximal ausschließen. Die Frage nach der Zukunft kann ausschließlich in der Gegenwart gestellt werden und nicht über die Gegenwart hinausweisen. Unter dieser Voraussetzung wird in der Gegenwärtigkeit der Norm die Entscheidung fortgesetzt, die die Zukunft festlegt. Dadurch ist dem Recht das Potential gegeben, in der Zukunft als Norm zu fungieren. Das ist die Normativität des Rechts in der Zukunft, die in der Gegenwart vorgestellt werden kann.

VI. Die Rechtsnorm der Gesellschaft Wenn wir versuchen, die Normativität des Rechts unter dem Gesichtspunkt der Norm als Tatsache zu analysieren, also vom realen Erlebnis aus, dass das Recht in der Gesellschaft als Norm fungiert, scheint die Erklärung mithilfe des Konzepts der Heterarchie besser für die Beschreibung des Sachverhaltes geeignet zu sein als diejenige, die sich am Konzept der Hierarchie orientiert. Die hierarchische Er­ klärung besteht dagegen in der Kontrolle der Gesellschaft durch das Setzen einer Außen­welt, die nicht in der Gesellschaft oder jenseits der Gesellschaft existiert. Zwischen dieser Struktur, die diese hierarchische Erklärung besitzt und dem rea­ len Eindruck, dass das Recht mit seiner Normativität in unserer Gesellschaft funk­ tioniert, besteht eine gewisse Distanz. Mit anderen Worten: Die hierarchische Per­ spektive wird durch vieles gestützt, was über unsere Erlebnisse in der Gesellschaft hinausgeht. In der letzten Konsequenz ist zu vermuten, dass die hierarchische Er­ klärung der Normativität des Rechts auf der starken Willkürlichkeit beruht, Äuße­ res wie Ideen, Weltanschauungen, Ideologien oder Probleme in der politischen Sphäre, ins Innere des Rechts aufzunehmen. Das in dieser Gesellschaft funktionierende Recht wird durch den Vergleich mit einer äußeren Norm oder der funktionalen Äquivalenz einer solchen Norm objek­ tiviert, und zwar zum Objekt der Reflexion und auch zum Gegenstand von Kri­ 101 „(…) immer neues altes Recht produziert, das in den Status quo eingeht“ (Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 348).

VI. Die Rechtsnorm der Gesellschaft

93

tik oder Negation. Aber diese Methode, über etwas zu sprechen, das durch seine Negation oder durch Kritik affirmiert werden soll, enthält implizit jene parasi­ täre Aporie, dass deren Logik aber erst durch das Vorhandensein des Gegenstands der Negation oder der Kritik ermöglicht wird. Diese Aporien-hervorrufende Me­ thode bildet ein affirmatives System, das aber etwas zu Negierendes voraus­ setzt. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein affirmatives theoretisches System möglich ist, in welchem etwas enthalten ist, das negiert werden soll, oder noch radikaler formuliert, ob es ein theoretisches System ohne Widerspruch geben kann, das einen Widerspruch als Grundlage hat.102 Festzustellen ist zunächst, dass die Theorie selbst also in einer paradoxen Weise aufgebaut ist. Daher muss sie einen Mechanismus in sich selbst enthalten, diese Paradoxie in irgendeiner Form aufzulösen. Die Theorie, die sich auf die Idee der Hierarchie gründet, besitzt da­ für Lösungsansätze weder innerhalb der Gesellschaft noch in der Rechtsnorm, die in dieser Gesellschaft funktioniert.103 Schließlich gibt es zwei perspektivische Wege. Der eine besteht in der Diskus­ sion über die Normativität des Rechts im Fortschreiten mit dem einen Bein inner­ halb des Rechts (mit dem diesseitigen Recht) und mit dem anderen Bein außerhalb des Rechts (mit dem jenseitigen Recht) – aber wo könnten der Kopf und der Rumpf sein, geschweige denn der Geist und der Körper? Der andere Weg besteht darin, Schritt für Schritt tastend voranzuschreiten. Im ersten Fall wird bei der Diskus­ sion über die Normativität des Rechts einerseits auf das in der Gesellschaft existie­ rende Recht und andererseits auf das Äußere des Rechts, der Gesellschaft, Bezug genommen. Dafür muss es einen Standpunkt im Geheimen geben, der diese bei­ den Beobachtungsbereiche vollständig erfassen und unter Kontrolle halten kann. Aber weder die wahre Gestalt noch eine solche Position ist in der Gesellschaft zu finden. Es ist aber auch nicht klar, ob eine Identifizierung außerhalb der Gesell­ schaft stattfinden kann. Im letzten Fall entwickelt sich die weitere Norm der Norm im Inneren des Rechts, das in der Gesellschaft funktioniert. Dabei bleibt die Frage nach der Zukunft gegenüber der Gesellschaft offen, weil weder der Mensch noch die Gesellschaft die Zukunft vorhersehen können. Diese nicht-erfahrbare Zukunft stellt eine reale Erfahrung in der Gesellschaft dar.

102 Luhmann (1982) schreibt im Vorwort zur japanischen Ausgabe der Soziologischen Auf­ klärung 1 sinngemäß folgendermaßen: „Hegel hat in seinem eigenen System keinen Platz für das System selbst gefunden. Musste ein solcher Platz wie ein Sekretär des Weltgeistes erfasst werden? Husserls transzendentale Phänomenologie beruht auf der Selbstanalyse des eigenen Bewusstseins, für das die Kommunikation etwas Oberflächliches darstellt. Daher kann der transzendentale Theoretiker nicht über sich selbst angemessen kommunizieren und sich als einen Theoretiker beschreiben, der seine Joker nicht offenlegt“ (S. 6). 103 Eine weitere Entwicklung dieses Problems ist im theologischen Diskurs zu finden, und zwar in der Theorie, in der Gott als Kontingenzformel angesehen und die Transzendenz/ Immanenz-Unterscheidung behandelt wird. s. die Schriften Luhmanns über die Religion wie: Die Funktion der Religion (1977); Unterscheidung des Gottes (1987); Die Religion der Gesell­ schaft (2000). s. auch Oberdorfer (2001), S. 71–86; Thomas (2001), S. 87–99.

94

E. Normativität

Wie zu Beginn dieses Kapitels gesagt, geht es um die Aufklärung unserer realen Erfahrung mit der Norm als Tatsache, also um das Erlebnis, dass das Recht in der Gesellschaft als Norm mit evidenter Normativität funktioniert. Die Erklärung der auf Grundlage hierarchischer Weltanschauung vermag solche Sachverhalte nicht angemessen zu erfassen. Denn der analytische Ausgangspunkt für diese Erfassung steht von Anfang an nicht zur Verfügung. Solange es sich um das Problem mit dem Recht handelt, das in der Gesellschaft existiert, funktioniert und als in der Gesell­ schaft möglich angesehen wird, wird deshalb der heterarchische Diskurs geführt. Die Normativität wird aber durch die Weiterführung der Unterscheidung der Un­ terscheidung oder der Norm der Norm möglich gemacht. Reformulierung Normativität ist die Bewegung, die die Norm normiert.

F. Der Systemcharakter „Das systematische Element endlich bezieht sich auf den inneren Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft.“104

I. Vorbemerkung Im Allgemeinen wird das Recht in seiner Gesamtheit als Rechtssystem bezeich­ net und gilt als systematisch. Was bedeutet es aber, dass das Recht ein System oder systematisch ist?105 Die japanische Jurisprudenz in der modernen Gesellschaft auch beginnt die ju­ ristische Arbeit mit der Auslegung von Paragraphen nach Art der scholastischen Rechtslehre, die hier als Begriffsrecht bezeichnet wird. Damit setzt das positive Recht in seiner monistischen Orientierung die Lückenlosigkeit und Geschlossenheit des Rechtssystems voraus. Das Dogma der logischen Geschlossenheit des Rechtssystems ist Voraussetzung für die Systematisierung des Rechts und ver­ langt, dass alle Sätze des Rechts miteinander in bestimmte Zusammenhänge ge­ bracht werden und ein logisch klares, in sich widerspruchsfreies und lückenloses System von Regeln bilden.106

104

Savigny (1840), S. 214. Das Originalwort für das System ist das griechische systēma, das Zusammengesetzte. Es bedeutet das Ganze bestehend aus den Teilen oder das Ganze als Ergebnis der Zusammenset­ zung von Teilen bzw. Fragmenten. Das System stellt also das Ganze dar, das sich aus den ein­ zelnen Teilen in bestimmten Zusammenhängen zusammensetzt. In der Moderne verstand Kant unter einem System „die Einheit der mannigfaltigen Erkennt­ nisse unter einer Idee“: „Unter der Regierung der Vernunft dürfen unsere Erkenntnisse über­ haupt keine Rhapsodie, sondern sie müssen ein System ausmachen“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, A832, B860). Für Hegel bedeutet es: „Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit exi­ stiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 14). Daraus ergibt sich, dass das System eine unter bestimmten Prinzipien geord­ nete Einheit oder die Gesamtheit der intellektuell organisierten Erkenntnisse darstellt. Daher bedeutet die Rede, dass das Recht ein System ist, dass im Recht eine Einheitlichkeit vorhanden ist oder dass es eine Einheit darstellt. Zur dementsprechend weitergehenden Definition vgl. Canaris: „eine erschöpfend geglie­ derte Einheit“ (Stammler), „ein nach einheitlichen Gesichtspunkten geordnetes Ganzes von Rechtsbegriffen“ (Binder), „die Darstellung eines Wissensgebietes in einem Sinnaufbau, das sich als einheitliche, zusammenhängende Ordnung desselben darstellt“ (Hegler), „ein einheit­ lich geordnetes Ganzes“ (Stoll) und „eine Ordnung von Erkenntnissen nach einem einheit­ lichen Gesichtspunkt“ (Coing). 106 Kuryu (1932), S. 59–65. 105

96

F. Der Systemcharakter

II. Geschlossenheit Der Systemcharakter des Rechts wird zunächst als Geschlossenheit des Rechts verstanden. Mit Geschlossenheit ist gemeint, dass das Rechtssystem über eine lo­ gisch geschlossene Struktur verfügt. Für das Recht hat dies zwei Auswirkungen auf seinen Mechanismus der Konfliktlösung: (1) Geschlossenheit – das Recht be­ ruft sich grundsätzlich nicht auf etwas, das sich außerhalb des Rechts befindet oder etwas, was anders ist als das Recht selbst; (2) konsequente Durchsetzung der Geschlossenheit – alle Probleme werden durch das Recht selbst, also innerhalb des Rechts konsequent behandelt. Im Folgenden werden diese beiden Aspekte nä­ her beleuchtet. 1. Die Geschlossenheit des Rechts Das Recht behandelt alle Ereignisse, die in der Gesellschaft entstehen, als Rechtsprobleme und verarbeitet sie in diesem Kontext. Das heißt, alle Ereignisse in der Gesellschaft werden vom Recht in einen rechtlichen Kontext übertragen und innerhalb dieses Referenzrahmens bearbeitet. Die Ereignisse selbst sind je­ doch Ereignisse, die sich in der Gesellschaft und nicht etwa im Inneren des Rechts ereignen und entstehen. Durch die Inkorporation sozialer Ereignisse ins Recht be­ handelt das Recht diese genuin gesellschaftlichen Ereignisse als rechtliche Pro­ bleme. Hieran ist die Offenheit des Rechtssystems erkennbar, denn das Recht ist für die Ereignisse der Außenwelt offen. Anders verhält es sich im Inneren des Rechts. Das Recht ist durch seine sys­ temspezifische Logik gekennzeichnet und kann keine Ereignisse beschreiben, die einer anderen Logik als der rechtlichen gehorchen. Jedes Ereignis kann daher nur mit der rechtlichen Logik und im rechtlichen Kontext beschrieben werden. Ein Ereignis, das außerhalb des Rechts liegt, kann das Recht nicht als solches, son­ dern nur als etwas Rechtliches beschreiben. Sämtliche Ereignisse werden mithilfe rechtlicher Elemente beschrieben und der rechtlichen Logik entsprechend struk­ turiert. Insofern ist das Recht sowohl in seinen Bestandteilen als auch in der eige­ nen Logik rechtlich geschlossen. Dieser Sachverhalt wird als Geschlossenheit des Rechts bezeichnet.107 107 Geschlossenheit ist ein Terminus technicus der Systemtheorie. Luhmann definiert sie so: „Beziehungen zur dieser Umwelt kann das System nur auf Grund von Eigenleistungen her­ stellen, nur im Vollzug eigener Operationen, die nur dank jener rekursiven Vernetzung mög­ lich sind, die wir als Geschlossenheit bezeichnen“ (ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 76 f.). Canaris diskutiert das Rechtssystem mit Bezug auf Beweglichkeit und Offenheit zugleich und versteht „unter Offenheit die Abgeschlossenheit, die Entwicklungsfähigkeit, die Modifi­ zierbarkeit“; So „hat sich in der Gefährdungshaftung das Risikoprinzip, in der Rechtsschein­ haftung und in der Lehre von der culpa in contrahendo das Vertrauensprinzip, im Institut der Geschäftsgrundlage das materielle Äquivalenzprinzip als systemtragender oder -modifiziieren­ der Faktor durchgesetzt“ (S. 61 f.) Dazu vgl. auch Fn. 108 in diesem Buch.

II. Geschlossenheit

97

Die Geschlossenheit des Rechtssystems impliziert gleichzeitig die Offenheit des Rechts. Denn nur die Offenheit gewährleistet, dass das Rechts stets durch so­ziale Probleme herausgefordert wird und kann jeweils ad hoc darauf reagieren. Das Recht ist dabei nicht in der Lage, als solches selbstständig und autonom zu sein. Demgegenüber hätte das Recht als gänzlich geschlossenes System nicht die Fä­ higkeit, soziale Probleme zu erfassen und mit diesen umzugehen. Deshalb ist das Recht zugleich offen und geschlossen. Es ist für die Wahrnehmung der Probleme offen, als würde es gleichsam seinen Tastsinn auf Dinge jenseits seines eigenen Er­ kennungsbereiches erweitern, zugleich ist es aber logisch geschlossen, um die Pro­ bleme behandeln zu können. Der Begriff der Geschlossenheit ist in diesem Sinne als das Partizip des Schließens, nämlich das Geschlossen-Sein (= Geschlossen­ heit) zu verstehen. Dass das Recht sich nicht auf seine Außenwelt bezieht und auch nicht auf etwas Anderes als das Recht beruft, bedeutet, dass etwas, was offen ist, gleichzeitig geschlossen ist und dass es sich dadurch bei der Behandlung der Er­ eignisse der Außenwelt an der rechtsinternen Logik orientiert.108 2. Konsequente Durchsetzung der Geschlossenheit Die dem Rechtssystem inhärente Logik versucht, die Probleme durch das Recht selbst zu lösen, indem sie diese innerhalb des Rechts positioniert und die Probleme in diesem internen Rahmen behandelt. Damit wird die Geschlossenheit des Rechts konsequent durchgehalten und genau das bedeutet die Durchsetzung des Rechts. Im Folgenden werden hier, unter gezielter Berücksichtigung einschlägiger theo­ retischer Ansätze, der „Stufenbau der Rechtsordnung“ von Kelsen, der sich mit Metaebenen der Normen beschäftigt, und die Unterscheidung von „primären und sekundären Rechtsnormen“ nach Hart diskutiert. Kelsen positioniert auf der unteren Stufe seines Konzepts das Rechtsgeschäft oder die Gerichtsentscheidung, auf der mittleren Stufe das Gesetz und darüber dann auf der oberen Stufe die Verfassung als höchste Norm. Darüber hinaus stellt er eine Grundnorm auf, die die Verfassung selbst begründen soll. Hart ent­ 108 Die Systemtheorie erklärt diesen Sachverhalt im Zusammenhang mit der Offenheit und Geschlossenheit folgendermaßen: das Rechtssystem operiert normativ geschlossen und zu­ gleich kognitiv offen (s. Luhmann (1983), Die Einheit des Rechtssystems, S. 139, und ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 76). Oder: „Offenheit ist nur auf Grund von Geschlos­ senheit möglich“ (S. 76 f.) Oder aber: „L’ouvert s’appuie sur le fermé“ (Morin (1977), S. 201). Des Weiteren werden die beiden gleichzeitigen Eigenschaften der Offenheit und Geschlos­ senheit mit dem Terminus geschlossenes System ausgedrückt. Dieser Begriff impliziert näm­ lich den Sachverhalt, dass das Offene geschlossen ist. Dazu s. Luhmann (1992), Operational ­Closure and Structural Coupling, S. 1419–1441. In Fußnote 107 ist Canaris’ These der Offenheit und Beweglichkeit des Rechtssystems an­ geführt. Dieser Ansatz scheint mir als Diskurs über ein geschlossenes System prinzipieller an­ gelegt zu sein als eine Erklärung, die sich auf den Aspekt des Rechts oder dessen Phänomene beschränkt.

98

F. Der Systemcharakter

wickelt eine zweigliedrige Logik bestehend aus primären Regeln, die die Tätig­ keiten von Menschen regelt, und sekundären Regeln, die die Genehmigung der Normen betrifft. Beide Theorieansätze beziehen sich jeweils mit den Konzep­ ten der Grundnorm als auch der sekundären Regeln nicht auf den materiellen In­ halt der Normen. Vielmehr fungieren sie als Normen der Normen, also als MetaNormen.109 Diese theoretischen Ansätze ziehen jedoch die tiefgreifende Frage nach sich, wie diese Meta-Normen existieren können. Diese Frage zielt darauf ab, woraus diese Normen ihre Geltungsbegründung ziehen. Topologisch gesprochen: Liegt der mögliche Ursprung dieser Meta-Normen im Außen oder im Innen des Rechts? Vom Recht aus betrachtet, stellt das, was außerhalb des Rechts liegt, kein Recht dar, weil das Recht allein das Recht ist. Alles, was außerhalb des Rechts liegt, kann das Recht als Recht nicht anerkennen, solange es nicht durch das Recht in die Form des Rechts gebracht worden ist. Wenn die Norm für die Rechtsnormen oder die das Recht begründende MetaNorm zum Recht gehören soll, wird sie selbst innerhalb des Rechts oder vom In­ neren des Rechts gestützt werden. Aber ist es möglich, dass im Inneren des Rechts eine Meta-Ebene und darüber hinaus noch eine weitere Meta-Ebene des Rechts existiert? Und kann es noch eine weitere Meta-Ebene geben, wenn die ersten bei­ den existieren? Der Diskurs, der Meta-Ebenen einführt, muss auf diese Weise ständig auf eine weitere Meta-Ebene zurückgreifen und führt deshalb in einen un­ endlichen Regress, in dem kein höchstes Glied sichtbar wird. Die andere Möglich­ keit besteht darin, dass dieser Aufstieg in die Meta-Ebenen irgendwann die äußere Hülle des Rechts durchbricht und zur Annahme von Etwas außerhalb des Rechts führen wird. Kann aber dieses Etwas immer noch als eine Norm bezeichnet wer­ den oder sollte es nicht besser als Autorität oder Gott bezeichnet werden? Auf alle Fälle ist es etwas, das außerhalb des Rechts oder mehr als das Recht ist, und so­ mit ist es kein Recht. Das Recht mag dabei ein Teil des Systems sein, aber die­ ses System kann kein Rechtssystem sein. Dasjenige, das kein Recht ist, kann le­ diglich das Recht stützen.110 Das widerspricht dem Postulat der Geschlossenheit des Rechts und bedeutet die Zerstörung des Rechts (siehe die Schlussbemerkung in Kapitel D.). Kelsen vermeidet diese Problematik durch die Aufstellung der Grundnorm. Der Diskurs über die Grundnorm stützt nicht etwa den Inhalt des Rechts, son­ dern das Verfahren, mit dem auf den Rechtsinhalt zurückgegriffen werden kann. Das Recht wird schließlich nicht durch einen inhaltlichen Diskurs, sondern durch 109 Zu den Ansätzen von Kelsen und Hart vgl. Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S.  101 f. 110 In Anlehnung an die Aussage Kelsens, „that a norm of the kind just mentioned is the ­basic norm of the natural legal order does not imply that it is impossible to go beyond that norm“, behauptet D’entreves, dies „can only be a proposition of ‚natural law‘“ (s. D’Entreves (1994), S. 104).

II. Geschlossenheit

99

einen Diskurs über das Verfahren begründet. Bei diesem Verfahren, in dem vom Recht niedrigeren Rangs aus auf das Recht höheren Rangs geschlossen wird, geht es nicht um den Inhalt des Rechts. Der Diskurs bezieht sich vielmehr auf die Verhältnisse unter den verschiedenen Rechten, die in verschiedenen Stufen der hierarchischen Struktur angeordnet worden sind, wie sie sich von dem Rechts­ geschäft oder der Gerichtsentscheidung über die Verfassung bis hin zur Rückfüh­ rung der Grundnorm, oder umgekehrt, von der Grundnorm über die Verfassung bis hin zur Rückführung des Rechtsgeschäfts oder der Gerichtsentscheidung er­ strecken. Die Grundnorm an der Spitze dieser hierarchischen Stufenordnung fun­ giert nur als die Stunde null für den Anfang des Rechts höchsten Rangs und als Endpunkt für den Abschluss des Rechts niedrigen Rangs. Da ist kein inhaltlicher Wert vorhanden, sondern lediglich der Wert der Position als Ausgangspunkt und Fluchtpunkt. Dadurch wird die Grundnorm selbst unsichtbar gemacht, weil es nicht um ih­ ren Inhalt geht, sondern um ihre Position. Nicht ihr Wesen, sondern ihr Verhält­ nis zu anderen Normen von Bedeutung. Sie selbst ist nicht sichtbar, aber sie ruft auf jeden Fall eine Reihe von Operationen hervor, die das in Beziehung Setzen von verschiedenen Normen ermöglichen. Die Grundnorm existiert somit als et­ was, das wesentlich über die Unterscheidung von Vorhanden-sein oder Nichtvorhanden-sein hinausgeht, ebenso wie sie über die Unterscheidung „Mit-recht­ lichem-Inhalt-ausgestattet“ oder „Nicht-mit-rechtlichem-Inhalt-ausgestattet“ und über die Unterscheidung „Außenwelt des Rechts/Innenwelt des Rechts“, also die Unterscheidung von Recht-Sein und Nicht-Recht-Sein hinausgeht. Sie existiert (!) als etwas, das durch diese Unterscheidungen nicht gesehen werden kann und auch einer Einsicht nicht bedarf. Oder genauer: Ob die Grundnorm als Rechts­ norm existiert oder nicht, kann nicht diskutiert werden, aber die rechtliche Un­ terscheidung, die durch den Diskurs über die Grundnorm eingeführt wird, exis­ tiert ohne Zweifel als Stufenstruktur des Rechts. Die Grundnorm existiert nämlich als Autorität, die nicht angerufen werden kann. Thront doch ein Gott im Hinter­ grund des Rechtspositivisten Kelsen? Diese Art und Weise, die Grundnorm als Unsichtbares aufzustellen, macht die Geschlossenheit des Rechts jedenfalls noch konsequenter. Entsprechend verhält es sich mit der „secondary rule of cognition“ von Hart. Bei dieser Regel geht es nicht um den Inhalt der Norm, sie stützt vielmehr die pri­ märe Regel für den Inhalt der Norm von außen oder von einer Meta-Ebene her. Sie bleibt immer im Inneren des „Begriffes des Rechts (The Concept of Law)“ und bleibt damit eine rechtliche Regel. Will man nun danach fragen, was die sekun­ däre Regel stützt, so kommt man wieder zum Diskurs über die Meta-Ebenen zu­ rück, der zuvor abgelehnt worden ist. Besteht die Stütze im Inneren des Rechts, so muss über eine dritte und vierte Regel diskutiert werden, so dass dieser Diskurs zu einem unendlichen Aufstieg in die verschiedenen Meta-Ebenen des Rechts führt. Umgekehrt gefragt: Wenn das, was das Recht stützt, außerhalb des Rechts exis­ tieren sollte, wie kann es das Recht stützen, ohne sich auf eine Autorität oder die

100

F. Der Systemcharakter

Natur zu berufen? Ist es überhaupt möglich, dass etwas, das kein Recht darstellt, Recht stützen kann?111 Auf alle Fälle kollidieren diese Vorschläge mit dem Postu­ lat der Geschlossenheit des Rechts. Mit diesen beiden Schwierigkeiten spielt die Frage, ob rechtliche oder nicht-rechtliche Elemente Recht stützen können, keine Rolle mehr. Bei Hart bilden primäre und sekundäre Regel ein Paar, um das Recht als sol­ ches zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist weder im Inneren noch im Äußeren des Rechts eine Stütze des Rechts zu finden. Diese Paarung von Normen allein macht das Recht als solches möglich, indem das Recht seinen Inhalt rechtlich de­ finiert. Gleichzeitig regelt es rechtlich das Verfahren. Durch die Differenzierung von primären und sekundären Regeln ist das Recht mit Instrumentarien ausge­ stattet, den verfahrensrechtlichen Normen entsprechend seinen normativen Inhalt zu be­stimmen. Zugleich existiert der Inhalt des Rechts als rechtlicher, der durch das Verfahren als solcher gebildet wird, solange das Verfahren sich auf das Recht gründet. Auf diese Weise wird die Geschlossenheit des Rechts gerade dadurch möglich, dass die Unterscheidung dieser zwei Arten von Regeln rechtlich zur Ver­ fügung steht. Es ist ein Zirkel des Rechts durch das Recht. Die Geschlossenheit des Rechts wird durch eine rechtliche, zirkläre Einheit konsequent durchgesetzt, die über zwei voneinander unterschiedenen Regeln verfügt.112 Die logische Geschlossenheit des Rechts wird deshalb eher in einer Zirkular­ struktur konsequent durchsetzbar sein als in einer Stufenstruktur, die eine un­ sichtbare Spitze voraussetzt. Denn das unsichtbare Außen in einem hierarchi­ schen System wird in einer Zirkularstruktur nicht nur hinsichtlich des Inhalts, sondern auch in Bezug auf die Position einer Meta-Norm unsichtbar. Ist im Außen keine Re­ferenz vorhanden, bezieht sich die Logik auf das Innen. Insofern

111 Es stellt sich das gleiche Problem mit der „Unhintergehbarkeit der Sprache“ in der sprach­analytischen Philosophie. Dazu s. Kapitel D., Fn. 74, und die entsprechenden Ausfüh­ rungen im Haupttext. Vgl. auch Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 109. 112 In diesem Verständnis kann es eigentlich keinen Spielraum geben, in dem außerrecht­ liche Elemente wie politische oder wirtschaftliche Momente als solche in die sekundäre Regel integriert werden könnten. Versucht man etwa aus einer politischen Absicht heraus das Recht mit Hilfe des rechtlichen Verfahrens zu ändern, indem man den Inhalt und die Verfahrensre­ gel überschreitet, so wird man gegen die Geschlossenheit des Rechts verstoßen, was eine Zer­ störung des Rechtssystems darstellt (s. die Schlussbemerkung im Kapitel D.). Dies ist auch dann der Fall, wenn man versucht, die (komplette) Revision der Verfassung gemäß der Verfas­ sungsbestimmung oder die Festlegung einer (neuen) Verfassung durch die Konzentration auf die Diskussion über das Verfahren für diese Verfassungsrevision vorzunehmen. Denn der Ge­ sichtspunkt, der über die Verfassung hinausgeht, kann nicht in der Verfassung selbst vorhan­ den sein. Daher muss die Diskussion über das Verfahren der Verfassungsrevision, das durch die Verfassung festgelegt ist, gemäß der primären Regel der Verfassung inhaltlich unterstützt werden. Eine Revision, die rechtlich oder in geschlossener Weise möglich ist, betrifft nur die vorläufige Teilrevision. Alles Andere stellt eine Änderung durch außerrechtliche Gewalt wie Revolution, Besetzung oder Orakelspruch dar. Sie sind zwar als solche möglich, aber sie stel­ len keine rechtliche Änderung dar.

III. Die Verinnerlichung der Unterscheidung

101

ist die Logik in sich geschlossen, und genau das bedeutet die Selbstreferenz des Rechts.113

III. Die Verinnerlichung der Unterscheidung Wie bereits ausgeführt, ist das Recht innerhalb der Logik des Rechts in sich geschlossen, aber die Ereignisse, die das Recht behandelt, indem es sie zu Fäl­ len macht, ereignen sich außerhalb seiner Geschlossenheit. Das Recht bearbei­ tet gesellschaftliche Ereignisse nämlich dadurch als Rechtsprobleme, dass es sie als rechtliche Elemente beschreibt und damit auf die Ebene der rechtlichen Logik überträgt. Das ist die Perspektive eines Dritten, der sowohl das Recht als auch die Gesellschaft von außen her beobachtet. Dieser Sachverhalt bedarf bei genauerem Hinsehen noch weiterer Erklärungen, weil es prinzipiell unmöglich ist, etwas, das außerhalb der eigenen Logik erfasst worden ist, mit der Eigenlogik zu beschrei­ ben. Wie kann man beispielsweise einen Sachverhalt im Deutschen verstehen, der zwar durch eine andere, nicht aber durch die deutsche Sprache ausgedrückt wer­ den kann. Es muss daher erklärt werden, wie das Recht, das ein in sich geschlos­ senes System darstellt, die verschiedenen außerrechtlichen, d. h. die sozialen Ele­ mente in die rechtliche Logik integriert. 1. Die Innen/Außen-Unterscheidung des Rechts Bei der Integration der verschiedenen außerrechtlichen Elemente in die recht­ liche Logik wird zunächst eine Unterscheidung zwischen der Innenwelt und der Außenwelt des Rechts bzw. dem Recht und dem Außerrechtlichen vorgenommen. Dabei besteht das Problem für das Recht nicht in der Außenwelt oder im AußerRechtlichen. Die Logik des Rechts ist ja in sich geschlossen und im Recht werden die beiden Seiten der Unterscheidung, eben die Innenwelt und die Außenwelt des Rechts oder das Recht und das Außerrechtliche nicht gleichzeitig problematisiert. Beurteilt das Recht das Außerrechtliche als etwas, beruht das Urteil auf der Logik, die das Recht ausmacht. Das Recht kann die Eigenlogik, die etwas Außerrechtli­ ches hat, nicht auf der Grundlage dieser Logik sehen. Was das Recht kann, ist le­ diglich, dieses Etwas in der Logik zu sehen, die das Recht bildet. Das heißt, das Recht problematisiert das vom Recht her betrachtete Außerrechtliche. Umgekehrt bedeutet es, das Recht vermag die Außenwelt des Rechts oder das Außerrecht­liche als solches nicht zu sehen, denn all dies wird durch einen rechtlichen Filter ge­ 113 Versteht man die „sekundäre Regel der Erkenntnis“ als eine Begründung durch etwas Rechtsexternes und kann diese Begründung strikt als eine interne Operation begründet wer­ den, so lässt sich die Geschlossenheit sicherstellen. Dabei wird unter dem rechtsinternen Ge­ sichtspunkt lediglich eine Trennung vorgenommen, die auf dem Recht/Unrecht -Code beruht (s. Kapitel D. IV.).

102

F. Der Systemcharakter

sehen. Das Recht sieht eben nur rechtlich. Noch konsequenter formuliert: Etwas, das für das Recht nicht sichtbar ist, existiert für das Recht im Prinzip nicht. In Be­ zug auf das, was nicht zu sehen ist, ist das Sehen des Nicht-Sehens selbst nicht möglich.114 Und genau hier stellt sich die Frage, wie das Recht die gesellschaftli­ chen Ereignisse rechtlich behandelt. Der Gesichtspunkt, unter dem die Reziprozität „Recht → Außerrechtliches“ und „Außerrechtliches → Recht“ ermöglicht wird, ist weder im Recht noch im Außerrechtlichen vorhanden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, einen dritten Gesichtspunkt einzuführen, der einen diesen beiden Gegenständen gegenüber neutralen Standpunkt einführt, um das Innen und das Außen des Rechts aus der Vogelperspektive zu sehen. Aber, wo könnte sich dieses dritte Glied, das die bi­ näre Eigenschaft vom Recht/Außerrechtlichen erkennt und sichtbar macht, in die­ sem binären Schema befinden? Bedeutet diese binomische Eigenschaft etwa die 2+1-gliedrige Eigenschaft, in die einen externen Gesichtspunkt, die die Betrach­ tung der binomischen Eigenschaft von außen her ermöglicht, notwendigerweise versteckt ist? Oder ist es nicht vielmehr eine dreigliedrige Eigenschaft? Ergibt sich gleichermaßen aus der dreigliedrigen Eigenschaft nicht eine 3 + 1-gliedrige Eigen­ schaft? – Auf diese Weise wird sich die Anzahl der Glieder immer weiter vermeh­ ren, solange das Verhältnis zwischen den Gliedern unter dem externen Gesichts­ punkt thematisiert wird. Es ist an dieser Stelle darauf zu achten, dass die Unterscheidung von Recht und Außerrechtlichem die Erfassung des Außerrechtlichen im Recht möglich macht. Es geht hier nicht um das Recht und das Außerrechtliche, sondern um die durch das Recht vorgenommene Recht/Außerrechtliches-Unterscheidung – also um eine rechtliche Unterscheidung. Das bedeutet, dass dieses „und“ zwischen dem Recht und dem Außerrechtlichen im Recht zu suchen ist. Das „und“, also das zwischen der Unterscheidung, das zwischen der Innenwelt und der Außenwelt des Rechts, das zwischen dem Recht und dem Außerrechtlichen – dieser Sachverhalt lässt sich im Rechtsurteil über die konkreten Fallbeispiele und Fälle schärfer aktualisieren. Als Beispiel für gesellschaftliche Elemente sollen die Verhältnisse zwischen Recht und Politik oder zwischen Recht und Wirtschaft dienen. Diese Elemente – Politik und Wirtschaft – bestehen auf ihren eigenen logischen Strukturen. Wenn das Recht die Politik sieht, sieht es die Politik als etwas Außerrechtliches und nicht die Politik als solche. Außerdem sieht es die Politik mit der Logik, die das Recht zustande bringt, während die der Politik anhaftenden eigene Logik nur in­ sofern zum Problem wird, wie sie auf die Ebene der rechtlichen Logik gebracht wird. Es verhält sich entsprechend mit der Wirtschaft. Bei der Analyse oder Be­ handlung von konkreten Ereignissen oder Situationen werden Recht und Politik oder Recht und Wirtschaft von der Rechtssphäre aus problematisiert. Auf die je­ weiligen Fallbeispiele und Fälle nimmt das Recht dadurch Bezug, dass es sie als 114

s. Kapitel D., Fn. 73, sowie die entsprechenden Referenztexte.

III. Die Verinnerlichung der Unterscheidung

103

rechtliche Probleme mit dem politischen Gebiet oder als rechtliche Probleme mit dem wirtschaftlichen Gebiet fasst. Für die einzelnen Fallbeispiele wird das, was in zwei Elemente (Etwas/das Andere) eingeteilt worden ist, erörtert, indem es an der einen Logik orientiert wird. Das bedeutet, das Andere des Selbst im Selbst mit der in sich geschlossenen Eigenlogik zu erklären. Das Recht unterscheidet rechtlich, ob es sich um die Recht/Politik-Unterschei­ dung oder die Recht/Wirtschaft-Unterscheidung handelt. Die Recht/Politik-Unter­ scheidung ist beispielsweise „Recht durch die rechtliche Unterscheidung/Politik durch die rechtliche Unterscheidung – Unterscheidung“. So stellt die Recht/Wirt­ schaft-Unterscheidung gleichermaßen die „Recht durch die rechtliche Unterschei­ dung/Wirtschaft durch die rechtliche Unterscheidung“ dar. Auf diese Weise wer­ den alle Unterscheidungen rechtlich vorgenommen. In der rechtlichen Logik wird alles, was anders als Recht ist, als etwas Rechtliches beschrieben wie zum Bei­ spiel rechtliche Politik und rechtliche Wirtschaft. Es ist vorhin darauf hingewie­ sen worden, dass das Recht alles, was anders als Recht ist, prinzipiell nicht sehen kann. Dieser Sachverhalt wird hier umgekehrt ausgedrückt. Hier liegt ein zweistufiger Aufbau in dem Sinne vor, dass die Unterscheidung, die durch die eigene Logik vorgenommen wurde, durch die eigene Logik wei­ ter unterschieden wird. Das rechtliche Urteil, dass etwas kein Recht ist, erweckt den Anschein, dass ein außerrechtliches Problem unter Verwendung der Unter­ scheidung von Recht/Außerrechtlichem aus dem Recht ausgeschlossen wird. Das Recht thematisiert jedoch die vom Recht vorgenommene Unterscheidung recht­ lich und stellt sie somit unter die rechtliche Beschreibungsmöglichkeit. Das, was durch das Recht als Außerrechtliches in die Außenseite des Rechts verlegt wor­ den ist, wird zugleich als eine Seite der rechtlichen Unterscheidung im Inneren des Rechts aufbewahrt. Das Recht/Außerrechtliche stellt eine für das Recht unsicht­ bare Unterscheidung dar und diese Unterscheidung wird nun ins Innere des Rechts hineingenommen, um sie im Recht sichtbar zu machen. Die Recht/Außerrechtli­ ches-Unterscheidung wird zur „[(rechtliches) Recht/(rechtliches) Außerrechtli­ ches]/Außerrechtliches – Unterscheidung“. Das ist die Bedeutung der Aussage, dass das Recht geschlossen ist, also systemische Geschlossenheit inne hat. Etwas, das eigentlich in der Unterscheidung des Rechts nicht zu sehen ist, wird über die Unterscheidung des Rechts sichtbar. Geht es etwa um die Frage nach der Rechts­ fähigkeit der Bäume oder der Tiere, so werden diese zuerst durch das Recht als Nicht-Menschen ausgeschlossen und dann wieder dem Recht als Rechtssubjekte zurückgewonnen, indem sie der rechtlichen Beschreibung (bzw. Umschreibung) der Recht/Außerrechtliches-Differenz unterworfen werden.115 Diese Überlegungen zur Geschlossenheit des Rechtssystems führen zu einer weiteren Konsequenz aus dem in Beziehung Setzen des Rechts auf der Grund­ lage der unsichtbaren Grundnorm im Diskurs von Kelsen und der Unterscheidung 115

Zu diesem 1972 heftig diskutierten Thema s. Stone (1996).

104

F. Der Systemcharakter

zwischen dem Recht und dem Recht über das Recht im Diskurs von Hart. Von der anderen Seite aus gesehen, betrachtet die Grundnorm Kelsens an der Spitze der Hierarchie des Rechts diese Hierarchie selbst von außen her. Bei Hart ist die Posi­ tion, an der die zwei Regeln voneinander unterschieden werden, rechtlich nicht si­ chergestellt. Somit ist das Recht in beiden Fällen noch nicht geschlossen, so dass eine weitere Vertiefung des Verständnisses erforderlich wird. Lassen sich das in Beziehung Setzen und die Unterscheidung rechtlich vornehmen, das heißt, kann sich das Recht in seinem Inneren mit der nötigen Struktur für diese Operationen ausstatten, dann müssen diese Operationen nicht der Außenwelt des Rechts über­ lassen werden und es wird möglich, sie durch das Recht zurückzugewinnen. An­ hand dieser Verinnerlichung der Unterscheidung des Rechts lässt sich die komplex verwirklichte Geschlossenheit des Rechts verstehen. Radbruch zitiert Augustinus: „Wenn die zwei eins sein werden und wenn das, was außen ist, sein wird wie das, was innen ist.“116 Aber in unserer Diskussion geht es nicht um das Immanent-Machen der Transzendenz, also nicht um die Ver­ innerlichung des Überrechtlichen, des über das positive Recht Hinausgehenden oder des Meta-positiven Rechts. Es geht vielmehr um die Verinnerlichung der ­Transzendenz/Immanenz-Unterscheidung.117 2. Die Recht/Unrecht-Unterscheidung Das Recht führt alles gemäß rechtlicher Logik durch. Im Recht kann prinzi­ piell keine andere als die rechtliche Logik gelten. Das Recht unterscheidet näm­ lich im Recht zwischen dem Recht und dem Unrecht und behandelt das Unrecht mit dem Recht. Wir richten unsere Aufmerksamkeit nun auf diese Recht/Unrecht-Unterschei­ dung und betrachten die rechtliche Bearbeitung des Unrechts etwas genauer. Das Recht führt im Recht die Recht/Unrecht-Unterscheidung aus. Dabei wird im Recht durch diese Unterscheidung auf das Unrecht verwiesen. Somit handelt es sich um rechtliches, oder genauer: um rechtliches Unrecht. Nur in diesem Sinne, dass das Unrecht rechtlich behandelt und rechtlich als solches bezeichnet wird, ist das Un­ recht von rechtlicher Bedeutung. Eine Tötung wird erst durch eine rechtlich er­ fassende Beschreibung der Handlung zu einem rechtlich bestimmbaren Verbre­ chen wie Totschlag oder Mord, das rechtlich bestrafbar ist. Durch rechtliche Be­arbeitung gewinnt das Recht das Nicht-Rechtliche im Namen des Rechts zu­ rück. Daher besteht unter dem Recht das Unrecht selbst nicht, und es ist nochmals zu unterstreichen, dass nur rechtliches Unrecht existiert.

116

Radbruch (1956), S. 93, Fn. 5. Zur Verinnerlichung der Transzendenz/Immanenz-Unterscheidung s. Luhmann (1987), Die Unterscheidung Gottes, S. 250–268; Thomas (2001), S. 87–99. 117

III. Die Verinnerlichung der Unterscheidung

105

Dies ermöglicht erst die rechtliche Behandlung dessen, was durch das Recht un­ terschieden wird, also das Unrecht. Das Recht kann im Namen des Rechts Men­ schen die Freiheit nehmen, das Vermögen einziehen und ihn sogar – zumindest in den Ländern, in denen die Todesstrafe gilt – des Lebens berauben. Das Recht kann durch Gewaltanwendung bestrafen. Aber für das Recht selbst stellen diese Gewalt­ handlungen keine illegale oder sogar illegitime Gewalt dar. Selbst wenn sie für das Recht Gewalt wären, stellt diese Gewalt eine rechtliche Gewalt dar und schließt eine rechtswidrige Gewaltanwendung aus. Das versteht sich von selbst, wenn wir an die Todesstrafe denken. Das Recht schließt nämlich jede Lynchjustiz aus und ermöglicht die legale Tötung durch die öffentliche Macht, also die rechtliche Voll­ streckung der Strafe. Hier besteht allerdings eine Paradoxie, da die Tötung, die an sich rechtlich nicht zugelassen ist, rechtlich möglich gemacht wird. Diese Pa­ radoxie wird jedoch durch eine Veränderung der Unterscheidung unsichtbar ge­ macht. Die Tötung/Nicht-Tötung-Unterscheidung wird nunmehr auf die rechtlich/ nicht-rechtlich-Unterscheidung übertragen. Die Problemlage wird damit verscho­ ben und es geht in der Folge nicht mehr um einen Mord, sondern lediglich darum, ob es rechtlich ist oder nicht. Die Logik des Rechts wird im Recht realisiert, in­ dem danach gefragt wird, ob eine Handlung rechtlich ist oder nicht und vollzieht gerade dadurch die Geschlossenheit des Rechts.118 Analog verhält es sich mit der Rechtsrevision durch das rechtliche Verfahren. Das Recht kann Mängel und Unzulänglichkeiten des Rechts aufgrund seiner Ge­ schlossenheit nicht selbst innerhalb des Rechts erfassen.119 Aber das Recht kann durch das Recht geändert werden. Behauptet jemand, dass das Recht die eigene Konsistenz und die logische Geschlossenheit nicht mehr aufrechterhalten könne, wird es sich selbst erhalten, indem es sich selbst revidiert. Dabei erhält es sich selbst durch Verwendung des Revisionsverfahrens, mit dem es ausgestattet ist. Auf diese Weise schließt die Geschlossenheit des Rechts Mängel und Unzulänglich­ keiten des Rechts aus. Es baut die Behebung und Beseitigung eines Mangels oder einer Unzulänglichkeit durch das rechtliche Mittel des Revisionsverfahrens in die rechtliche Logik ein. Das heißt: Das Recht verfügt über einen Mechanismus, mit dem das Äußere, das durch die Innenseite des Rechtslogik/Außenseite der Rechtslogik-Unterschei­ dung ausgeschlossen wurde, durch das Revisionsverfahren aufgrund der recht­

118

Zum Hinweis mit dem gleichen Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Normativität s. oben Kapitel E. IV. 2. Die systemische Geschlossenheit kann auch in der Politik gezeigt wer­ den. Die Demokratie kann in diesem Sinne als eine interne Operation der Politik gesehen werden, mit der das Politische durch die Volkssouveränität begründet wird. In diesem Fall ist der Herrscher mit dem Beherrschten identisch. In der Demokratie ist der Bürger das poli­ tische Subjekt und zugleich das politische Objekt. Er unterliegt Entscheidungen, während er zugleich Entscheidungen trifft. Vgl. hierzu Luhmann (2000), Die Politik der Gesellschaft, S. 357. 119 Vgl. oben Kapitel D. VII.

106

F. Der Systemcharakter

lichen Logik ins Innere zurückgewonnen wird. Gleichzeitig behält es seine logi­ sche Geschlossenheit, weil das Recht von Anfang an das Revisionsverfahren hat. Umgekehrt heißt es: Sowohl wenn das Recht revidiert wird als auch wenn es nicht revidiert wird, seine logische Geschlossenheit bleibt geschützt. Die Geschlossenheit des Rechts selbst wird also dadurch bewahrt, dass das, was durch die rechtliche Unterscheidung aus dem Recht ausgeschlossen worden ist, in die Seite des unterscheidenden Rechtlichen wieder hereingenommen wird, so dass genau das, was einmal in die Außenseite des Rechts abgeschoben worden ist, wie­ der in die Unterscheidung der Innenseite des Rechts aufgenommen wird. Es ist, wie gesagt, für das Recht, das mit logischer Geschlossenheit ausgestat­ tet ist, unmöglich, Mängel und Unzulänglichkeiten des Rechts im Recht selbst zu sehen. Es stellt deshalb einen Widerspruch dar, wenn das System, das die logi­ sche Geschlossenheit realisiert, den Riss der logischen Vollendung ohne Unter­ brechung (also ohne Riss!) zum Ausdruck bringen könnte. Das Nicht-Sehen-Können ist in sich eben nicht zu sehen, und wenn es sichtbar wird, ist es nicht mehr das Nicht-Sehen-Können. Das Recht trifft diese Unterscheidung (der Unterscheidung), um den Riss des Rechts logisch ohne Riss zurückzugewinnen. Es enthält also im Inneren die durch die Unterscheidung ausgeschiedenen Gegenstände, und weil es unvollkommen ist, enthält es gleichsam einen Apparat, der seine Vervollkommnung ermöglicht. Ist das Recht dadurch also doch vollkommen oder bleibt es weiterhin unvollkom­ men? Auf alle Fälle bringt diese Doppeldeutigkeit (von Vollkommen/Unvollkom­ men) einen komplementären Sachverhalt zum Ausdruck, genauso wie das Verhält­ nis zwischen figure und ground in der Gestaltpsychologie. Dass es ein Sachverhalt ist, macht den Systemcharakter des Rechts aus.

IV. Die Unterscheidung des Rechts Die binomische Eigenschaft des Rechts wird erst sichtbar, wenn das Recht nicht vom Gesichtspunkt des Inneren des Rechts aus, sondern von außen her ge­ sehen wird. Unter Berücksichtigung der Frage, zu welcher Seite die Unterschei­ dung selbst gehört, die diese beiden Seiten unterscheidet, wird das binäre Schema von Tatsache (Sein) und Norm (Sollen) für diese Überlegungen zum Recht ver­ wendet. 1. Die Tatsache/Norm-Unterscheidung im Recht Es ist sicherlich nicht nötig zu wiederholen, dass die strikte Trennung zwi­ schen Tatsachen (Sein) und Normen (Sollen) in der Geschichte der Philosophie und der Sozialwissenschaften eine prominente und wichtige Unterscheidung dar­

IV. Die Unterscheidung des Rechts

107

stellt. Im Allgemeinen wird das Erste als quid facti oder Sein und das Letztere als quid juris oder Sollen bezeichnet. Es ist gefordert worden, dass beide prinzipiell vonein­ander getrennt werden, und es galt, dass die Sozialwissenschaften ohne diese strikte Trennung nicht wissenschaftlich sein können. Das Sein zu unter­ suchen, das vom Sollen abgetrennt ist, macht die Wissenschaft aus und die wissen­ schaftliche Erkenntnis in den Sozialwissenschaften kann ohne diese strikte Tren­ nung nicht bestehen. Diese Unterscheidung wurde auch in die Rechtswissenschaft aufgenommen und es wurde heftig diskutiert, ob diese Methode für diese Wissenschaft adäquat ist oder nicht. Schon die Tatsache dieser Diskussion verweist jedoch angesichts des normativen Charakters der Rechtswissenschaft auf eine ernste Schwierig­ keit. Denn die Rechtswissenschaft hat einen eigentümlichen epistemologischen Charakter, da sie hinsichtlich der konkreten Probleme, die sich in der Gesellschaft ereignen, eine gewisse Orientierung geben und nötigenfalls problemlösende Maß­ nahmen bereitstellen muss. Daher muss die Rechtswissenschaft zeigen, was sein soll. Nach der oben genannten klassifikatorischen Trennung könnte die Rechts­ wissenschaft nicht mehr als Wissenschaft gelten. Wenn diese Schwierigkeit allerdings positiv verstanden wird, kann die Rechts­ wissenschaft als diejenige Wissenschaft gelten, die sich sowohl auf das Sein als auch auf das Sollen bezieht, die fähig ist, das enge Verhältnis der beiden prin­ zipiell jenseits der Unterscheidung zu verarbeiten. Sie kann dann als eine Wissen­ schaft bezeichnet werden, die mit der Mischung von beiden an Ort und Stelle des Geschehens konfrontiert ist. Daher haben viele Rechtswissenschaftler und Rechts­ praktiker diese besondere Eigenart der Rechtswissenschaft unterstrichen oder eine andere Unterscheidung als diese demonstriert oder aber auch äußere Gründe ge­ gen diese Unterscheidung herangezogen, um das Problem zu vermeiden oder ihre strikte Forderung zu durchbrechen. Unter dem hier diskutierten Gesichtspunkt der Verinnerlichung der Unterscheidung lässt sich dieses Problem folgender­maßen behandeln. 2. Die Normierung der Tatsache/Norm-Unterscheidung Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Norm in dem Sinne die Norm als Tatsache darstellt, dass sie durch das ständige Weiterunterscheiden der Tat­ sache/Norm-Unterscheidung zustande kommt (siehe Kapitel E. II.). Dieses Ver­ ständnis sei nun unter dem Gesichtspunkt der Verinnerlichung der Unterschei­ dung weitergeführt. Die Unterscheidung zwischen Tatsache und Norm wird, wie bereits einige Male angesprochen, stets als Imperativ des Unterscheidens dargestellt. Das bedeutet, die Unterscheidung zwischen Tatsache und Norm selbst ist normativ. Dies zeigt, dass die Unterscheidung in der Tatsache/Norm-Unterscheidung, also der Teil „/“,

108

F. Der Systemcharakter

der die Tatsache und die Norm voneinander trennt, in die Seite der Norm einge­ bracht und verinnerlicht ist. Hier wird nicht etwa der Zustand ausgedrückt, dass die Tatsache existiert und die Norm existiert und dass diese voneinander unter­ schieden werden. Die Tatsache und die Norm sind als etwas beschlossen, das un­ ter der Norm des Unterschieden-Werden-Soll und des „Unterscheide!“ unterschie­ den wird. Daher ist diese Unterscheidung durch die Verinnerlichung auf der Seite der (von der Tatsache unterschiedenen) Norm geschlossen. Die im vorherigen Abschnitt erläuterte Geschlossenheit des Rechts, die ja die Verinnerlichung der Unterscheidung im Recht darstellt, bietet dem Recht die Möglichkeit, alle Dinge rechtlich zu bearbeiten. Betrachtet man dies als Tat­ sache, so ist es zu verstehen, dass das Recht alles rechtlich bearbeitet. Betrachtet man dies als Norm, so bedeutet es, dass das Recht alles rechtlich bearbeiten soll. Aber die Tatsache, dass das Recht alles rechtlich bearbeitet, ist nicht unbedingt feststellbar. Auf der anderen Seite ist es sicher, dass das Recht alles rechtlich be­ arbeiten soll. Die Geschlossenheit des Rechts stellt nämlich in sich eine bestimmte Norm dar. Wenn es nun heißt, dass die Rechtswissenschaft Normen behandelt, während die Sozialwissenschaften Tatsachen behandeln, kann dies noch allgemeiner so for­ muliert werden, dass die Rechtswissenschaft die Tatsachen und Normen norma­ tiv behandelt, während die Sozialwissenschaften die Tatsachen und Normen fak­ tisch behandeln. Somit ist die Rechtswissenschaft eine normative Wissenschaft, die Normen als Normen behandelt, die Sozialwissenschaften dagegen sind fak­ tische Wissenschaften, die Normen als Tatsachen zu ihrem Gegenstand ma­ chen. Daher verhält es sich nicht so, dass die Unterscheidung zwischen Tatsache und Norm in der Rechtswissenschaft auf der Seite der Norm verinnerlicht wird (Tatsache), sondern dass diese verinnerlicht werden muss (Norm). Durch diese Verinnerlichung wird der Sachverhalt, dass das Recht alles rechtlich behandeln soll, prinzipiell als vom Inneren des Rechts heraus unabdingbare Forderung oder als die wissenschaftliche Identität der Rechtswissenschaft festgelegt, die sich selbst von innen heraus stützt.

V. Der Systemcharakter der Rechtsauslegung – Theorie und Praxis Das wissenschaftliche Ergebnis, das die Rechtswissenschaft anbietet, wird – ob es latent oder manifest ist und ob ein gewisser gradueller Unterschied vorliegt oder nicht – danach beurteilt, ob es praktisch nützlich ist oder nicht. Denn das Ergebnis steht aufgrund des Charakters der Rechtswissenschaft im direkten oder indirekten Zusammenhang mit irgendeinem Urteil. Es gibt dementsprechend die Meinung, dass der Diskurs über die Ausrichtung der Rechtswissenschaft, die sich entweder an der Theorie oder der Praxis zu orientieren habe, da Theorie und Praxis in einem sich gegenseitig ausschließenden Verhältnis stünden, dem tatsächlichen Verhält­

V. Der Systemcharakter der Rechtsauslegung – Theorie und Praxis

109

nis von Rechtswissenschaft und praktischem Urteil nicht gerecht werde. Daher wird die Rechtsdogmatik als „Mischform von Theorie und Praxis“ bezeichnet.120 Die Rechtspraxis wird durch eine Reihe von Entscheidungen begleitet. Diese Entscheidungen haben ihrerseits bestimmte Wirkungen. Hier gibt es keine wis­ senschaftliche Situation, in der man bei einer Entscheidung die Tatsache und die Norm binär gegenüberstellen und sich nur mit der Konzentration auf die strikte Trennung begnügen könnte. Dieser Amalgam- oder Hybrid-Zustand macht jedoch, wie gesagt, die Zuordnung der Rechtswissenschaft als eine Sozialwissenschaft nur schwer bestimmbar. Denn vom Objektivitätspostulat sozialwissenschaftlicher Er­ kenntnis aus betrachtet, müssen die Tatsache (Sein) und die Norm (Sollen) vonein­ ander strikt getrennt werden. Daher wird an dieser Stelle nicht diese strikte Tren­ nung thematisiert, sondern die Mischform hinsichtlich der Verinnerlichung der Unterscheidung in Frage gestellt, um von da aus die Rechtspraxis (oder schlicht: die Rechtsauslegung) in Betracht zu ziehen. Wie soeben erwähnt, wird diese Unterscheidung in der Rechtswissenschaft in der Seite der Norm verlagert, was auch bedeutet, dass die Tatsache/Norm-Unter­ scheidung ins Innere der Norm eingebettet wird. Diese Unterscheidung wird wei­ ter als neue Norm von der Tatsache unterschieden. Das heißt, die Tatsache wird unter der Norm in die normative Tatsache, nämlich die durch die Norm formulierte Tatsache, verwandelt und diese wird wiederum als (normative) Tatsache erneut unter die Tatsache/Norm-Unterscheidung gestellt. Dies ruft über die Forschung und Diskussion oder auch durch die bearbeitende Auslegung der Ereignisse eine Kette hervor, die von Tatsache/Norm-Unterscheidungen zur Tatsache/[Tatsache/ Norm]-Unterscheidung und zwar der Tatsache/{Tatsache/[Tatsache/Norm]}-Unter­ scheidung … und so weiter reicht. Diese Kettenreaktion bringt dem Recht Erfah­ rungen und führt zur Entwicklung des Rechts als Geschichte. In dieser Entwick­ lung werden die verschiedenen Elemente angesammelt, die die in der Rechtspraxis zu verwendenden Lehren und Präzedenzien ausmachen. Somit drückt das Zeichen „/“ keinen Zustand aus, sondern es ist ein Zeichen, das für die Dynamik der Un­ terscheidung steht, die die Entwicklungskette ermöglicht. Die durch die Dicho­ tomie auszudrückende Unterscheidung, nämlich das „/“, zeigt keinen statischen, sondern einen dynamischen Zustand. Auf diese Weise setzt die Tatsache/NormUnterscheidung diese Kettenreaktion fort, während die Rechtspraxis die ständige Verinnerlichung der Unterscheidung in die Seite der Norm ermöglicht. Wird dieser Sachverhalt auf die Theorie/Praxis-Unterscheidung angewandt, so entsteht die folgende Kettenreaktion: Die Theorie leitet die Praxis an, diese Praxis verstärkt und entwickelt die Theorie und diese Theorie leitet wiederum die Pra­ xis an, und so weiter. Daran ändert sich nichts, wenn diese Kettenreaktion nicht mit der Theorie, sondern mit der Praxis begonnen wird. Hier geht es nicht darum, dass Theorie und die Praxis kein bipolares Begriffspaar bildet, von Bedeutung 120

s. Einleitung, Fn. 2.

110

F. Der Systemcharakter

ist vielmehr das zirkulare Verhältnis von beiden und somit die Entwicklung auf­ grund dieser Zirkulärstruktur. Dieser Kreislauf ist keiner, der an einer bestimm­ ten Fixposition stehend stattfindet, sondern einer, der sich als schrittweise Anhäu­ fung entwickelt.121 Daher wird es im Recht, in dem die Tatsache/Norm-Unterscheidung verinner­ licht worden ist, prinzipiell unmöglich, im Diskurs um das Recht und insbeson­ dere die Rechtsauslegung, das Schema von Tatsache/Norm und Theorie/Praxis als solche zu bewahren. In dieser Trennung ist eigentlich nicht entscheidbar, an wel­ cher der beiden Seiten man sich orientieren soll. Sobald man sich an einer Seite orientiert, wird man mit der Möglichkeit konfrontiert, die andere Seite aufzuneh­ men oder von dieser eingenommen zu werden. Umgekehrt ist das, was den Inhalt der Rechtswissenschaft und der Rechtshandlungen ausmacht, eine Kette von Dis­ kursen, die durch Unterstützung dieser Nichtentscheidbarkeit auf der Seite der Norm und der Praxis entfaltet werden. Über den eigentümlichen Charakter der Rechtswissenschaft wird manchmal gesagt, dass sie sich in den beiden Seiten von Tatsache und Norm positionieren oder sich auf die beiden Seiten von Theorie und Praxis erstrecken. Solche Ausdrücke sind aber nur das Ergebnis eines oberfläch­ lichen Verständnisses über die oben genannten Sachverhalte. Was vielmehr als Problem des Rechts die Aufmerksamkeit verdient, ist sein dynamischer Charak­ ter, der durch derartige dichotomische Analysen offengelegt wird. Ereignisse in der Gesellschaft stehen stets vor der Möglichkeit der rechtlichen Entscheidung. Im Fall der Realisierung dieser Möglichkeit beschreibt die Rechts­ praxis diese als rechtliche Ereignisse und muss eine rechtliche Entscheidung dar­ über treffen. Gerade diese Funktionen, die Probleme rechtlich einzuschätzen und darüber rechtliche Entscheidungen zu treffen, rufen kontinuierlich die Kettenre­ aktionen hervor und ermöglichen die Aufrechterhaltung des Systemcharakters des Rechts (als Norm) und die systematische Entwicklung des Rechts wie der Rechts­ praxis. In diesem Recht werden alle rechtlichen Handlungen in Form von Normen (Sol­ len) ausgeführt. Das Recht muss Probleme erfassen und beschreiben. Es muss ent­ scheiden und Probleme lösen. Es muss eine Unterscheidung vornehmen, aber auch die Unterscheidung weiter unterscheiden.122 Dies bedeutet jedoch nicht etwa den Zustand (Sein), dass das Recht die Norm ist, sondern die normative Forderung des Rechts gegenüber dem Recht, dass das Recht die Norm sein muss. Das Recht ist 121

Es geht also nicht um das Thema von Theorie und Praxis (Habermas), sondern um die Praxis der Theorie (Luhmann). s. dazu Habermas (2000), Theorie und Praxis, und Luhmann (1970), Die Praxis der Theorie, in: Soziologische Aufklärung 1, S. 253–267. 122 Im vorliegenden Buch wird auf den Sachverhalt hingewiesen, dass das Recht die ver­ wendete Unterscheidung wieder in die eigene Unterscheidung hineinbringt. Dies wird Reentry genannt. Vgl. dazu Spencer-Brown (1994), S. 69–76; Varela (1979), S. 122–169; Luhmann (1990), Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 83 ff.; ders. (1993), Dekonstruktion als Be­obachtung zweiter Ordnung, S. 9–35. Vgl. auch Fn. 88 in Kapitel E.

V. Der Systemcharakter der Rechtsauslegung – Theorie und Praxis

111

keine Tatsache, sondern die Norm selbst. Die Tatsache, dass das Recht die Norm ist, stellt im Recht keine Tatsache, sondern eine Norm dar. Oder aber diese Tat­ sache ist im Recht normiert als Norm behandelt worden, weil es eine Norm sein muss. Die treibende Kraft für die Ermöglichung der rechtlichen Entscheidung und Praxis ist, dass das Recht selbst die Norm ist und dass es als Recht, also als Norm in sich geschlossen ist. Gerade diese eigentümliche Eigenschaft und Bewegung des Rechts, die mit Begriffen wie Tatsache und Norm sowie Theorie und Praxis operiert, macht die Systematisierung des Rechts als logisch geschlossenes System der Normen möglich. Deswegen kann das Recht als ein System des Rechts bestehen. Reformulierung Der Systemcharakter des Rechts besteht in der Bewegung, die die Unterschei­ dung verinnerlicht.

G. Das positive Recht – Reformulierung der Grundthese Grundthese Das Recht hat in der jeweiligen Gesellschaft stets Geltung, obwohl der Ort des Verfassens und der Ort der Anwendung zeitlich und räumlich verschieden sind.

I. Vorbemerkung In der bisherigen Darlegung ist erklärt worden, dass das Recht sich universal, gültig, sicher und richtig entwickelt und zugleich seine Normativität und seinen Systemcharakter aufrecht erhält. Dieser rechtliche Aufbau wird abschließend in Bezug zur Positivität des Rechts gesetzt, d. h. unter dem Gesichtspunkt des posi­ tiven Rechts betrachtet.123 Das in unserer Gesellschaft funktionierende Recht stellt trotz verschiedener so­ zialer und kultureller Hintergründe sowie anderer Unterschiede im Prinzip ein positives Recht dar. Was bedeutet es aber, dass das Recht positiv ist? Hier versu­ chen wir die Positivität des Rechts von der These aus zu begreifen, dass das Recht durch Entscheidungen änderbar ist.124 Dadurch unterscheidet sich das positive Recht genealogisch entscheidend von anderen Rechten wie dem Naturrecht, weil es als selbstreferenzielles System zu verstehen ist, in dem das Recht selbst durch Recht entschieden wird. Auch hier geht es nicht um den konkreten Inhalt des positiven Rechts, vielmehr wird die Positivität des Rechts in der Gesellschaft als ein soziales Phänomen be­ trachtet. Dadurch versuchen wir die Grundthese abschließend zu reformulieren und den Diskurs um das positive Recht als soziales Phänomen zu beenden. 123 Luhmann erhebt einen Einwand gegen das herkömmliche Verständnis des positiven Rechts und der Positivität und unternimmt den Versuch einer Reformulierung. Hierzu be­ merkt er, „daß der Begriff der Positivität theoretisch nicht ausreicht.“ Oder „sie lassen es of­ fen, ob man nicht besser fährt, wenn man das „mit Positivität“ unzulänglich bezeichnete Problem begrifflich anders formuliert. Wir wollen das im Folgenden mit Hilfe systemtheo­ retischer Mittel versuchen“ (Luhmann (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 38, u. 409). Zu einem intensiven Diskurs Luhmanns über das positive Recht vgl. ders. (1983), Rechtssoziolo­ gie, S. 207–353. Zum Verhältnis zur modernen Gesellschaft vgl. ders. (1981), S. 113–153. Zum Naturrecht vgl. ders. (1993), Das Recht der Gesellschaft, S. 565–568. 124 Vgl. Hegel (1970), § 212: „Im positiven Rechte ist daher das, was gesetzmäßig ist, die Quelle der Erkenntnis dessen, was Recht ist, oder eigentlich, was Rechtens ist.“

II. Die Thematisierung des Nicht-Thematisierbaren

113

II. Die Thematisierung des Nicht-Thematisierbaren Die Ereignisse als Gegenstand des Rechts, die zeitliche Differenz für das Recht, die vom Recht zu behandelnden Elemente und sozialen Zusammenhänge – all diese Elemente gehören nicht zu den Dingen, die das Recht als solche thematisie­ ren kann. Denn das Recht besteht ausschließlich aus rechtlichen Elementen und rechtlichen Kommunikationsanschlüssen, insofern gibt es keine Instrumente im Rechtssystem zur Behandlung von Nichtrechtlichem. Umgekehrt bedeutet es, dass das Recht etwas nicht thematisieren muss, was eigentlich nicht thematisiert wer­ den kann. 1. Absorption und Entwicklung der Differenz durch rechtliche Beschreibung Das Recht treibt seine eigene Bewegung an, indem es soziale Vorgänge in recht­ liche Kategorien übersetzt und unter rechtliche Normen subsumiert. Letztend­ lich absorbiert das Recht die Vorgänge in der Gesellschaft durch die Gesellschaft/ Recht-Unterscheidung in das Innere des Rechtssystems. Die Aufgabe der Jurispru­ denz besteht in der rechtlichen Beschreibung der gesellschaftlichen Ereignisse und einer juristischen Entscheidung aufgrund dieser Beschreibung. In diesen Operatio­ nen (re-)konstruiert das Recht die Gesellschaft rechtlich. Durch diese Operationen kann alles, was außerhalb des Rechts liegt, im Recht nicht mehr existieren, weil das Recht eine eigene Bewegung entfaltet, indem es alles Außerrechtliche absor­ biert. Umgekehrt kann das Recht dadurch in der Bearbeitung durch Verwendung der Gesellschaft/Recht-Unterscheidung von der Seite der Rechtsnorm her soziale Vorgänge als rechtliche Vorgänge schaffen. Aus der Perspektive des Rechtssys­ tems nimmt nicht die Gesellschaft die erfassende Beschreibung im Recht vor, son­ dern das Recht selbst. Das Recht beschreibt die Gesellschaft konstitutiv, es kreiert die Gesellschaft erst in dieser Beschreibung. In diesem Sinne eröffnet sich ein größerer Horizont, wenn die Gesellschaft vom Recht aus betrachtet wird, als wenn sie als solche bestimmt wird. Die Summe der Teile bringt aus dieser Perspektive mehr als das Ganze zum Ausdruck.125 Denn im Fall, dass die Gesellschaft als solche beobachtet wird, wird durch die Beschrän­ kung auf das Gesellschaftliche nur so viel in die Beschreibung eingehen, dass es erfasst und beschrieben werden kann. Im Fall dagegen, dass die Gesellschaft vom Recht aus beobachtet wird, wird ein komplementärer erfassend-beschreibbarer Horizont im rechtlich möglichen Bereich eröffnet. Noch radikaler gesagt: Es ist als würde die rechtliche Beschreibung über ihr Gebiet hinaus in der Erosion ent­faltet. Selbst in dem Falle dass der rechtliche Inhalt vollkommen in Widerspruch oder Gegensatz zu dem Inhalt des Außerrechtlichen steht, also das Andere wie Politik, 125

s. Kapitel B., Fn 33.

114

G. Das positive Recht – Reformulierung der Grundthese

Wirtschaft oder Religion beschrieben wird, kann das Recht alle Vorgänge recht­ lich beschreiben. Dabei ist jedoch auch das Gegenteil der Fall, dass nämlich die rechtlich beschreibbaren Vorgänge durch das Andere in Form des Widerspruchs und des Gegensatzes beschrieben werden können. Aufgrund dieses Potenzials der zweifachen Beschreibungsmöglichkeit, die sich hinsichtlich ein und derselben Vorgänge einander absolut widersprechen kann, ergibt sich aus der Summe der Teile mehr als das Ganze. Für das Recht (aber auch für das Andere) stellt die Ge­ sellschaft den „letzten Horizont“ dar, in dem alles anders möglich ist.126 In der Beschreibung durch das Recht gibt es deshalb im doppelten Sinne nichts Unmögliches. Zum einen eröffnet das Recht einen Horizont, indem es das Unmög­ liche ergänzt oder das Unmögliche ausschließt. Zum anderen macht die rechtli­ che Beschreibung das für das Recht Unmögliche unsichtbar. Vor diesem Hinter­ grund ist das Recht von dieser Unmöglichkeit befreit. Insofern kann von der Seite des Rechts die Differenz zwischen Recht und Gesellschaft nicht existieren und somit zwangsläufig auch nicht wahrgenommen werden. Für das Recht ist ledig­ lich die rechtlich beschriebene bzw. rechtlich beschreibbare Gesellschaft exis­ tent, nur diese oder, (vom Recht aus gesehen) noch positiver formuliert, die­jenige Gesellschaft, die das Recht rechtlich beschreibt, kann das Recht wahrnehmen. Diese Beschreibung der Gesellschaft befindet sich nicht auf der Seite der Gesell­ schaft, sondern auf der Innenseite des Rechts und gehört damit dem Rechtssystem an. Demzufolge eröffnet das Recht genau genommen nicht den gesellschaftlichen Hori­zont, sondern den Horizont der rechtlichen Gesellschaft. 2. Absorption und Entwicklung der Differenz in der Gegenwart des Rechts Die zeitliche und räumliche Differenz zwischen dem Verfassensort und dem Anwendungsort des Rechts in der Gegenwart des Rechts nicht als Differenz wahr­ genommen. Für die Gegenwart des Rechts ist diese Differenz belanglos, da das Recht der Gegenwart dies in der Weise behandelt, dass sie von der jeweiligen Gegenwart aus und am jeden Ort konstruiert. Das Recht konstruiert von der Ge­ genwart aus alle für die Rechtsoperationen erforderlichen Elemente, dogmatische Auslegungsmethoden, den eigenen Umständen in den einzelnen Fallkonstella­ tionen, der Intention des Verfassers, den Rechtsquellen oder den Folgen und Wir­ kungen. Es entwickelt jeweils in der Gegenwart den Horizont der rechtlichen Ge­ sellschaft oder zeigt in der Gegenwart einen derart entwickelten Horizont als den rechtlichen Horizont. 126 Luhmann (1970), Soziologische Aufklärung 1, S. 212. Dies bedeutet im Kontext der Theorie des sozialen Systems, dass die Gesellschaft die Umwelt des Rechts darstellt. Eigent­ lich ist die Welt die Umwelt im Sinne des letzten Horizonts für alle Systeme, aber in der Recht/Gesellschaft-Differenz stellt die Gesellschaft für das Recht den Horizont dar, in dem etwas Andersartiges sein kann.

III. Statischer Zustand durch Dynamik

115

Die zeitliche Differenz für das gegenwärtige Recht wird in der Gegenwart (des Rechts) durch das Recht (der Gegenwart) geschafft. Deshalb ist sie keine Diffe­ renz mehr. Differenzen werden als etwas in den Blick gestellt, was für das Recht der Gegenwart bearbeitbar ist, und in diesem Sinne sind sie Verschiebungen oder Abweichungen, die in der Gegenwart des Rechts beschrieben werden können. Alle Differenzen werden im Recht der Gegenwart in der Weise thematisiert, dass sie dem Recht der Gegenwart passen. Sie werden in der Gegenwart des Rechts in der Weise kondensiert, dass die Geltung der Gegenwart des Rechts bewahrt wird. Die verschiedenen Differenzen, die einmal in der Gegenwart des Rechts kon­ densiert worden sind, werden als rechtliche Elemente des Rechts der Gegenwart im Einzelnen entfaltet, also als verschiedene Elemente, die unter dem Gesetz Gel­ tung haben – als Vergangenheit und Zukunft unter der Geltung des Rechts der Ge­ genwart oder als eine zeitliche Differenz unter der Geltung. Auf diese Weise er­ gibt sich eine Kette von Recht, Tatsache und Schluss für das anzuwendende Recht, die einem Syllogismus entspricht: Das Recht stellt die Hauptprämisse dar, die Tat­ sache die Prämisse und das rechtliche Urteil den Schluss. Dieser Syllogismus stellt die Operation des Rechts dar, die Abweichungen oder Differenzen der Vergangen­ heit und Zukunft in die Gegenwart (den gegenwärtigen Zeitpunkt) des Rechts zu kondensieren. Über diese Operationen werden die rechtliche Vergangenheit und die rechtliche Zukunft entwickelt, die unter dem Recht der Gegenwart gelten. Eine Reihe von Operationen für diese Öffnung der Horizonte und die Kon­ densierung in die Gegenwart ermöglichen es, die zeitliche und räumliche Diffe­ renz von Recht und Gesellschaft in das Recht der Gegenwart zu absorbieren und ein solches Recht zu entfalten. Alle Differenzen werden unter dem Recht der Ge­ genwart als Recht beschreibbar.127 Das Recht stellt damit einen Bewegungskörper dar, der in der steten Gegenwart des Rechts alle sozialen Elemente normanpassend kondensiert und normgeltend entwickelt. Das Recht thematisiert über diese Öff­ nung und Kondensierung das Nicht-thematisierbare.

III. Statischer Zustand durch Dynamik Universalität, Geltung, Sicherheit und Richtigkeit ziehen hingegen aber den sta­ tischen Diskurs vor, denn diese Konzepte stehen im Gegensatz zu dem Unsiche­ ren, dem Veränderlichen und somit dem Ungewissen und sind eng an den Diskurs von Ewigkeit und Gewissheit angeknüpft. In den bisherigen Erläuterungen wurden diese verschiedenen Konzepte aber im Zusammenhang mit der Bewegung des Rechts reformuliert. Die Universalität wird in der ununterbrochenen Aktivität für den Erwerb der (unerreichbaren) Universa­ 127 Die oben in Kapitel E., Fn. 101 erwähnt Beschreibung wird noch radikaler ausgedrückt werden müssen: „immer neues altes Recht produziert, das in den Status quo eingeht“ (Luhmann (1983), Rechtssoziologie, S. 348).

116

G. Das positive Recht – Reformulierung der Grundthese

lität ermöglicht, die Geltung wird im ständigen Anschluss der nicht zu vollenden­ den Gültigkeit ermöglicht, die Sicherheit durch die Reproduktion der Unsicherheit und die Fortsetzung der Bearbeitung sowie die Richtigkeit durch die jeweilige Er­ setzung des Richtigen. Auf diese Weise wird jedem Konzept in einer dynamischen und doch sehr pa­ radoxen Weise ermöglicht, dass das zu Erreichende mit großer Schwierigkeit oder über die Unmöglichkeit zu erreichen. Es ist in sich schon ein paradoxes Phänomen, dass das Recht das Recht ist oder als solches fungiert. Wie bereits erwähnt, ist das Recht stets universal, gültig, sicher und richtig. Es bewahrt die Normativität und seinen Systemcharakter und befasst sich dennoch mit der Bearbeitung der gesell­ schaftlichen Probleme. Diese Problembehandlung des Rechts wird nur durch den Vollzug in einer paradoxen Art und Weise ermöglicht. Denn die Gesellschaft ändert sich. Die Probleme, die sich daraus ergeben und dem Recht zur Lösung anvertraut werden, sind vielfältig, während das Recht eine gleichmäßige Bearbeitung vornimmt. Diese gleichmäßige Bearbeitung der viel­ fältigen Probleme wird nicht etwa durch die Verallgemeinerung oder Abstraktion bei der rechtlichen Erfassung und Bearbeitung der Probleme verursacht. Die Mög­ lichkeit für die gleichmäßige Bearbeitung kommt deswegen zustande, weil das Recht das Paradox der gleichmäßigen Bearbeitung vom Vielfältigen in seiner Dy­ namik versteckt. Die Dynamik des Rechts macht nämlich den paradoxen Charak­ ter dieser Paradoxie im jeweiligen Recht unsichtbar. Die Dynamik bringt einen scheinbar statischen Charakter zustande und macht diese Unsichtbarkeit möglich. Dadurch, dass das Recht die von ihm verwendete Unterscheidung dynamisch in sich selbst unterscheidet, wird der Anschein be­ wahrt, als wäre es mit ewig andauernder Universalität, Gültigkeit, Sicherheit und Richtigkeit ausgestattet. Die Universal/Nicht-universal-Unterscheidung wird universal, die Gültig/Ungültig-Unterscheidung wird gültig, die Sicher/UnsicherUnterscheidung wird sicher und die Richtigkeit/Unrichtigkeit-Unterscheidung wird richtig immer weiter unterschieden. Auf diese Weise differenziert die Un­ terscheidung sich selbst immer weiter aus. Die verschiedenen statischen Begriffe werden durch den dynamischen Charakter positioniert. Dadurch wird unter der selbstreferenziellen Dynamik des Rechts jener Widerspruch versteckt, dass all diese verschiedenen permanenten oder auf Permanenz abzielenden Begriffe in dieser Gesellschaft provisorisch und veränderlich sind (sein müssen). So ermög­ licht die Vorläufigkeit die Dauerhaftigkeit. Daher bleibt das Recht, wenn es ver­ wendet wird, immer universal, gültig, sicher und richtig. Das sind die statischen Attribute des Rechts, die durch die Dynamik erreicht werden.

IV. Selbstreferenz

117

IV. Selbstreferenz Das positive Recht in der Gesellschaft muss etwas Nicht-thematisierbares the­ matisieren. Aber bereits in der Annahme von etwas Nicht-thematisierbaren im Recht ist das Recht in sich unvollständig. In dieser Unvollkommenheit einen Man­ gel zu sehen, erfasst aber nur eine Komponente dieser Unvollkommenheit. Ge­ rade diese Unvollkommenheit des Rechts stellt jedoch ein Schlüsselelement für die Omnipotenz des Rechts dar, insbesondere reichert es das positive Recht mit der Funktion zur Entfaltung des maximalen Potenzials an. Aus den bisherigen Ausführungen zum Verständnis des Rechts als ein sich stän­ dig bewegendes System zu verstehen, ergeben sich folgende Charakteristika für das Recht: 1. Das Recht lässt sich nicht aus universalen Regeln ableiten. 2. Das Recht entfaltet sich im stufenweisen Prozess und die Richtung dieser Ent­ wicklung lässt sich nicht voraussehen. 3. Das Recht ist ein System, das die eigene Mangelhaftigkeit voraussetzt. 4. Die Begründung des Rechts durch Außerrechtliches zerstört das Recht. 5. Rechtsnormen lassen sich nicht deduktiv von übergeordneten Begriffen oder Werten her begründen. 6. Dichotomische Schemata (wie Tatsache/Norm und Theorie/Praxis) können das Recht nicht angemessen erklären. Diese verschiedenen Charakteristika des Rechts rufen für die herkömmlichen Diskurse über das Recht Änderungen hervor. Aber bei näherem Betrachten die­ ser Hinweise kann das Phänomen des Rechts in der Gesellschaft geklärt werden. Wie bereits gesagt, ist das Recht immerfort der Kontingenz ausgesetzt. Das Recht führt aufgrund der Möglichkeit, auch anders zu sein, eine Reihe von Opera­ tionen durch, die von der Fähigkeit, Ereignisse in der Gesellschaft unter dem recht­ lichen Aspekt zu deuten, bis hin zur Fähigkeit reicht, die entsprechenden recht­ lichen Entscheidungen zu fällen. Umgekehrt gesagt, weil diese Kontingenz dem Recht inhärent ist, kann es die Vollkommenheit, die niemals erreichbar ist, vortäuschen, und zwar im Prozess, dass die Unvollkommenheit in den kontingenten Operationen, anders sein zu können, jeweils überwunden wird bzw. jeweils einer anderen Unvollkommenheit begegnet. Die Vollkommenheit des Rechts wird durch seine Unvollkommenheit in einer kontingenten Art und Weise unterstützt. Dies bedeutet das paradoxe Erreichen der Vollkommenheit, dass die Unvoll­ kommenheit die Vollkommenheit hervorbringt. Diese Paradoxie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass keine echte Vollkommenheit erreicht wird. Die durch die ununterbrochene Bewegung des Rechts erzeugte Tarnung der Unvoll­ kommenheit als Vollkommenheit stellt die wahre Gestalt der möglichen Vollkom­

118

G. Das positive Recht – Reformulierung der Grundthese

menheit dar. Metaphorisch bedeutet die Vollkommenheit hier eine Idee (idea) und wir können dabei einen Zugang zu dieser Idee aufzeigen. Das bedeutet jedoch kei­ nen Aufstieg, sondern einen endlosen Kreislauf der Unvollkommenheit zur Voll­ kommenheit zur Unvollkommenheit zur Vollkommenheit und so fort. Es geht also nicht um einen räumlichen Aufstieg oder das Erreichen eines Endpunktes, sondern um den gesellschaftlichen Aufbau, dass durch die Zirkulation die Unvollkommen­ heit getarnt oder die Vollkommenheit fiktiv konstruiert wird. Die Vollkommen­ heit stellt sozusagen einen Geist dar, der die Unvollkommenheit verwaltet, und die Unvollkommenheit bedeutet dann einen Körper, der zur Vollkommenheit fort­ schreitet. Beide sind aufeinander angewiesen und können für sich allein nicht ih­ ren Funktionen entsprechen. Die Vollkommenheit ist von der Unvollkommenheit und die Unvollkommenheit gleichermaßen von der Vollkommenheit abhängig. Ist das Recht nun vollkommen, weil es unvollkommen ist? Oder ist es un­ vollkommen, weil es vollkommen ist? Auf diese Paradoxie gibt es keine feste und somit statische Antwort, denn beide können auch nicht gleichzeitig zustande ­kommen. Diese Paradoxie wird durch die Dynamik des Rechts umgangen, da es sich im­ mer in Bewegung befindet. In dieser Bewegung wird nämlich die Paradoxie un­ sichtbar gemacht. Die Entparadoxisierung findet in folgender Weise statt: Das Recht, das jetzt unvollkommen ist, kann zu einem vollkommenen Recht werden und das, was als vollkommenes Recht dargestellt wird, bleibt immer noch unvoll­ kommen und dieses unvollkommen Recht ist … usw. Dadurch tarnt das Recht die Unvollkommenheit oder die Vollkommenheit des Rechts wird fiktiv konstruiert. Wir können jederzeit die Vollkommenheit des Rechts erwarten. Dass dies jederzeit möglich ist, ist darin begründet, dass diese Erwartung immer in der Ent­täuschung enden wird. Nur der Fehlschlag lässt die Hoffnung auf die Vollkommenheit zu und ermöglicht ihre Erwartung. Diese Enttäuschung/Erwartung ist zwar in sich eine Paradoxie, aber solange sie fortgesetzt wird, wird die Aktualisierung der Parado­ xie auf weiteres verschoben, so dass sie zuerst in der Gegenwart verborgen wird. Genau diese Gegenwart ist nichts anderes als die Gegenwart, in der das Recht gilt. Letzten Endes lässt sich das positive Recht tautologisch formulieren, nämlich: Das Recht ist das Recht. Diese Tautologie zieht eine Paradoxie nach sich: Kann das Recht zeigen, dass das Recht das Recht ist? Das Recht entwickelt sich durch die Entparadoxisierung dieser Paradoxie, d. h. das Recht bewegt sich. Diese Ope­ rationen sind der Aufbau, der die Positivität des Rechts, das Recht durch das Recht zu entscheiden, und sein Potenzial ermöglicht. Das Recht bewirkt seine eigene Be­ wegung ausschließlich durch die inneren Operationen des Rechts. In diesem Sinne machen diese Hinweise eine konsequente Begriffsjurisprudenz aus. In dem Sinne jedoch, dass es die Unvollkommenheit des Rechts voraussetzt und die Kontingenz zugrundelegt, stellt der vorliegende Sachverhalt eine konsequente Gegen-Begriffs­ jurisprudenz dar. ***

IV. Selbstreferenz

119

Aus den Ausführungen lässt sich nun das Recht als ein Bewegungskörper for­ mulieren, und diese Formulierung ermöglicht das Verständnis von der Geltung des Rechts in der Gegenwart. Das Recht ist nämlich ein Systemapparat, das die zeit­ liche und räumliche Differenz in der Gegenwart des Rechts unsichtbar macht. In dieser Gegenwart entfaltet das Recht alle Elemente immer weiter, indem es diese entsprechend den Rechtsnormen der Gegenwart bearbeitet. In der Gegenwart des Rechts operiert das Recht, indem es universal, gültig, sicher und richtig bleibt und seine Normativität und Systemcharakter beibehält. An dieser Stelle wird der Aufbau deutlich, dass die zeitliche und räumliche Differenz zwischen dem Verfas­ sensort und dem Anwendungsort bestimmter Rechte überwindet und stets die Gel­ tung in der Gegenwart ermöglicht. Dieser Aufbau wird als das Charakteristikum des positiven Rechts begründet. Somit lässt sich die Grundthese folgendermaßen reformulieren, die am Eingang des vorliegenden Buchs aufgestellt und durch das gesamte Buch fortgeführt und weiterentwickelt worden ist: Reformulierung der Grundthese Das Recht ist ein Bewegungskörper, der in der steten Gegenwart Differenzen absorbiert und sich mit Geltungswirkung entwickelt.

Literaturverzeichnis Baba, Yasuo: Fukuzatsusei toiu kijutsukeishiki (Beschreibungsform der Komplexität), in: Sei­ gou Matsuoka, Fukuzatsusei no umi he (Zum See der Komplexität), NTT Shuppan, 1994. – Shakaigakuteki keimou no shosou (Verschiedene Aspekte der soziologischen Aufklärung), in: Sociologos Nr. 22, 1998. Canaris, Claus-Wilhelm: Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin 1983. D’Entreves, Alessandro Passerin: Natural Law – An Introduction to Legal Philosophy, London 1951 (Neudruck 1994). Eriugena, Johannes Scottus: Ausgabe von I. P. Sheldon-Williams, Bd. I, Dublin 1987. Habermas, Jürgen: Theorie und Praxis, Frankfurt am Main 2000 (neu gedruckt). Habermas, Jürgen/Luhmann, Niklas: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt am Main 1971. Haferkamp, Hans/Schmid, Michael: Sinn, Kommunikation, soziale Differenzierung: Beiträge zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt am Main 1987. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1970. – Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt am Main 1970. Hendrichs, Hubert: Modell und Erfahrung – Beitrag zur Überwindung der Sprachbarriere zwi­ schen Naturwissenschaft und Philosophie, Freiburg/München 1973. Hijikata, Toru: Systemtheoretische Umformulierung des Begriffs Gott – Identität der religiösen Kommunikation, in: Informationes Theologiae Europae, 1988, S. 305–312. – Die Logik interreligiösen Dialogs nach der Theorie des geschlossenen Systems, in: Gerhard Wegner (Hrsg.), Gott oder die Gesellschaft? – Das Spannungsfeld von Theologie und So­ ziologie, Würzburg 2012, S. 49–64. Hofstadter, Douglas R.: Gödel, Escher, Bach – An Eternal Golden Braid, New York 1979. Holenstein, Elmar: Von der Hintergehbarkeit der Sprache – Kognitive Unterlagen der Sprache, Frankfurt am Main 1980. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1956. Keiichi, Noe: Kagaku to Ningen (Wissenschaft und Mensch), in: Jitsuzonshugi (Existenzialis­ mus) Nr. 88, S. 2–15. von Kues, Nikolaus: Philosophisch-Theologische Schriften, hrsg. von Leo Gabriel, Bd.1, Wien 1964.

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

121

Kuhlmann, Wolfgang: Unhintergehbarkeit – Studien zur transzendental Pragmatik, Würzburg 2010. Kurusu, Saburo: Hou no Kaishaku to Houritsuka (Die Auslegung des Rechts und Juristen), in: Shihō (Privates Recht), Nr. 11, 1953, S. 16–25. Kuryu, Takeo: Kap. 4, Houkaishaku no shingakusei ha ikani hajimattaka (Wie fängt der theo­ logische Charakter des Rechtsdogmatik an?), in: Hou no Hendou (Der Wandel des Rechts), Iwanami Shoten, Tokyo 1932 . Luhmann, Niklas: Normen in soziologischer Perspektive, in: Soziale Welt 20, 1969, S. 28–48, – Soziologische Aufklärung 1 – Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Opladen 1970. – Jap. Übers. Hou to shakaisisutemu: shakaigakutekikeimou, (Auswahl), Sinsensha, Tokio 1982. – Rechtssystem und Rechtsdogmatik, Stuttgart 1974. – Legitimation durch Verfahren, 1969, 2. Aufl. 1975. – Soziologische Aufklärung 2 – Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975. – Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Franz Böckle/Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973, S. 223–243; neugedruckt in: Religionsgespräche – Zur gesellschaftlichen Rolle der Reli­ gion, Darmstadt 1975, S. 95–119. – The Future Cannot Begin, in: Social Research 43,1976, S. 130–152. – Die Funktion der Religion, Frankfurt am Main 1977. – Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 1, Frankfurt am Main 1980. – Ausdifferenzierung des Rechts – Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frank­ furt am Main 1981. – Rechtssoziologie, 2. Aufl., Opladen 1983. – Die Einheit des Rechtssystems, in: Rechtstheorie 14 (1983) – Soziale Systeme – Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1984. – Die soziologische Beobachtung des Rechts, Frankfurt am Main 1985. – Ökologische Kommunikation – Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Ge­ fährdungen einstellen?, Opladen 1986. – Die Unterscheidung Gottes, in: ders., Soziologische Aufklärung 4 – Beiträge zur funktiona­ len Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, S. 236–253. – Soziologische Aufklärung 4, Opladen 1987. – The Third Question – The Creative Use of Paradoxes in Law and Legal History, in: Jounal of Law and Society, Vol. 15, No. 2, (Summer, 1988), pp. 153–165. – Erkenntnis als Konstruktion, Bern 1988.

122

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

– Gesellschaftsstruktur und Semantik – Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesell­ schaft, Frankfurt am Main 1989. – Soziologische Aufklärung 5 – Konstruktivistische Perspektiven, Opladen 1990. – Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990. – Essays on Self-Reference, New York/Oxford 1990, – Operational Closure and Structural Coupling – The Differentiation of legal System, in: Car­ dozo Law Review Vol. 13, 1992. – Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993. – Dekonstruktion als Beobachtung zweiter Ordnung, in: Henk de Berg/Matthias Prangel (Hrsg.), Differenzen, Tübingen/Basel 1993, S. 9–35. – Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997. – Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000. – Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000. Mittelstraß, Jürgen: Die Möglichkeit von Wissenschaft, Frankfurt am Main 1974. Morin, Edgar: La Méthode, Paris 1977. Noe, Keiichi: Kagaku to Ningen (Wissenschaft und Menschen), in: Jitsuzonshugi (Existenzia­ lismus) Nr. 88 (1981), S. 2–15. Oberdorfer, Bernd: Der liebe Gott sieht alles – und wir schauen ihm dabei zu: Theologische Randbemerkungen zu Luhmanns Bestimmung von Gott als Kontingenzformel, in: Soziale Systeme 7, 2001. S. 71–86. Odaka, Tomoo: Kaitei Houtetsugaku Gairon (Allgemeine Einführung in die Rechtsphiloso­ phie, Gakuseisha 1953 (revidierte Fassung). Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie, Stuttgart 1956. Rombach, Heinrich: Struktur Ontologie – Eine Phänomenologie der Freiheit, Freiburg/Mün­ chen 1971. Savigny: System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840, Spencer-Brown, George: Laws of Form, Portland OR 1994 (Limited Edition). Stone, Christopher D.: Should Trees Have Standing? – And Other Essays on Law, Morals and the Environment, Oxford 1996. Suehiro, Izutaro: Boukansha no kotoba – Soukan no ji (Die Worte eines Beobachters: Die Rede zur Erstausgabe): in: Hōshakaigaku (Rechtssoziologie) 1, 1951, S1–3. Teubner, Gunther: Recht als autopoietisches System, Frankfurt am Main 1989. Thomas, Günther: Die Unterscheidung der Trinität und die Einheit der Kontingenzformel Gott, in: Soziale Systeme, Heft 1, Bd. 7 (2001), S. 87–99. Varela, Francisco Javier: Principles of Biological Autonomy, North Holland 1979.

Personen- und Sachverzeichnis Abbildung  39, 66 Abmachung 45 Absicht des Verfassers  64, 91 Absolutheitsanspruch 37 Absorption 59 Abweichung  48, 72, 74 Akkumulation  29, 31, 91 Aktualisierung  30, 42, 118 Änderung  16, 30, 34, 45, 50, 54, 55, 56, 58, 66, 81, 82, 100 –– des Rechts  33 Angemessenheit  30, 62, 84 Anschluss  42, 43, 44, 46, 47, 67, 69, 81, 116 Aporie  11, 12, 16, 21, 65, 76, 79, 93 Archäologie des Wissens  64 Aristoteles 89 Asymmetrie 86 –– der Vergangenheit und der Zukunft  29 Attribute  18, 116 –– des Rechts  11 Aufbau  22, 46, 80, 118, 119 –– der Dialektik  45 –– der Kritik  45 –– gesellschaftlicher ~ 11, 18, 19, 36, 48, 63, 76, 118 –– rechtlicher ~  112 –– rechtsinerner ~  31 –– zweistufiger ~  103 Aufklärung  11, 94 –– soziologische ~  18 Aufrechterhaltung  56, 67, 70, 75 –– der Anschlussfähigkeit  45 –– der Entscheidungsmöglichkeit  30 –– der Erwartung  58, 59, 60 –– der Idee  57 –– der Rechtssicherheit  51, 55, 57 –– der Sicherheit  53 –– der Vorläufigkeit der Entscheidung  31 –– des Rechts  31 –– des Systemcharakters des Rechts  110 Augustinus  76, 104

Auslegung des Rechts  16, 17 äußerer –– Faktor 65 –– Grund  63, 65, 66 außerhalb –– der Welt  63 –– des Rechts  30, 34, 36, 45, 49, 58, 63, 64, 66, 73, 81, 93, 96, 98, 99, 113 Auswahl  26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 39, 41, 44 –– doppelte ~  26 –– möglichkeit 29 autonom  44, 97 Autopoiesis 41 autopoietisch 33 Autorität  63, 90, 98, 99 Bearbeitung der Unsicherheitsfaktoren  53, 56 Begriff des Rechts  99 Begriffsjurisprudenz  49, 73, 118 Begründung  19, 45, 62, 64, 67, 74, 76, 90, 101, 117 Beobachter  64, 65, 77 –– äußerer ~  70 –– gottgleicher ~ der Welt  64 –– privilegierter ~  64 –– übergeordneter ~  78 Beobachtung  11, 20, 65, 77, 79 –– des Gottes  64 –– des Rechts  75 –– durch äußeren Beobachter  70 –– zweiter Ordnung  110 Berechnung durch Begriffe  49 Bertalanffy, Ludwig von 39 Beschreibung  20, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 32, 33, 34, 35, 38, 39, 41, 81, 92, 103, 104, 113, 114, 115 –– rechtliche ~  34 Bestreben des Rechts  35 Bewegung  29, 33, 34, 35, 61, 75, 94, 111, 113, 118 –– der Rechtswissenschaft  111

124

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis

–– des Rechts  31, 35, 115, 117 –– selbsterneuernde ~  35 –– zirkuläre ~  34 Beziehung der Beziehung  35 Beziehungsmöglichkeit 52 Bohr 20 Cartesianisch  12, 63 Code  71, 101 Cogito ergo sum  12, 63 creatio ex nihilo  70, 79 Cusanus  39, 79 deontologisiert 79 De-Ontologisierung 18 Descartes 12 Deus absconditus  69 Deus revelatus  70 Deus sensibilis  70 Dialektik 45 Dichotomie  85, 109 –– Gut/Böse 43 Differenz  23, 24, 34, 35, 47, 69, 83, 86 –– der Zukunft in der Gegenwart und der Ge­ genwaret in der Zukunft  89 –– Recht/Gesellschaft  23, 32, 33, 34, 35, 114 –– Rechtliches/Gesellschaftliches 22 –– struktur  24, 33 –– verhältnis  25, 35, 40 –– von erreichbarem Zustand und nicht-er­ reichbarem Zustand  89 –– von Recht und Gesellschaft  115 –– zeitliche ~  113, 115 –– zeitliche und räumliche ~  36, 119 –– Zukunft in der Gegenwart/Gegenwart in der Zukunft  90 –– zwischen dem Bewegglichen und dem Unbeweglichen 69 –– zwischen dem Verfassensort und dem An­ wendungsort des Rechts  114 –– zwischen den tatsächlichen Ereignissen und den rechtlich beschriebenen Ereig­ nissen 23 –– zwischen Recht und Gesellschaft  40, 114 Differenzierung  23, 34, 40, 43, 85, 100 Diskrepanz  15, 17, 32, 58 Doppeldeutigkeit von Vollkommen/Unvoll­ kommen 106

Dritter –– transzendenter ~  78 Druck  30, 33 Durchsetzung des Rechts  46, 85, 97 Dynamik  75, 82, 109, 116, 118 Effekt 29 Ehrlich 16 Eigenlogik  101, 103 Einheit  47, 63, 65, 69, 75, 83, 85, 95, 100 Element  43, 95 –– gesellschaftliches ~  30 Entparadoxisierung 118 Ent-Philosophisierung 18 Entscheidung  12, 28, 30, 31, 34, 41, 42, 52, 55, 57, 65, 67, 68, 70, 76, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 109, 110, 113 –– des Rechts  26, 67, 76 –– in der Gegenwart  28, 29, 31, 34 –– rechtliche ~  85 Entscheidungspotential 31 Enttäuschung  51, 58, 118 Ent-Weltlichung 63 Entwicklung  16, 21, 51, 74, 75, 76, 93, 110, 117 –– der Geschichte  45 –– des Rechts  109 –– eigene ~  27, 32 –– schrittweise ~  75 –– systematische ~  110 –– tautologische ~  77 Ereignis  22, 37, 71, 84, 96 –– gesellschaftliches ~  32, 33, 34 –– kontingentes ~  91 –– künftiges ~  55 Erfahrungs –– akkumulation 31 –– wissen  30, 31, 32 erfüllt  51, 56, 57, 60, 84, 85 Eriugena  70, 79, 120 Erneuerung  42, 60 erste Ursache  64, 69 Erwartung  15, 48, 51, 54, 55, 56, 57, 59, 60, 61, 85, 118 –– an das Recht  57, 58 –– erfüllt oder enttäuscht  56 –– normative ~  58

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis Erwartungsenttäuschung 57 essentiam per se incomprehensiblem esse  70, 79 Euklidische Geometrie  20 Eurozentrismus 11 Evolution 75 Ewigkeit  55, 88, 115 Fehlen –– der Problemlösungsfähigkeit  53 –– der Rechtssicherheit  56 –– von Lücken  74 figure und ground 106 Fiktion 11 fiktiv  66, 70, 118 Folgenorientierung  60, 64 Form  12, 24, 25, 30, 32, 42, 43, 44, 47, 49, 51, 54, 58, 66, 67, 77, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 88, 93 –– des Rechts  71, 86, 98 –– symmetrische ~  29 Formulierung  17, 54, 65, 66, 68, 73, 80, 83, 119 Fortdauer  27, 44 –– des Geltungszustandes  81, 82 –– des Rechts  30, 31 –– des Urteils  42 Fortsetzung –– der Gültigkeit  47 –– der Vorläufigkeit  61 Foucault 64 Freiheitsberaubung 86 Freirechtsbewegung 15 Freud 20 Funktion  12, 16, 61, 88, 93, 117 –– der Präzedenzien  54 –– des Rechts  13, 15, 85 funktionale –– Äquivalente 57 –– Seite 27 Gegenstand  20, 23, 32, 35, 39, 45, 46, 63, 108 –– der Beschreibung  34 –– der Kritik  92 –– der Ordnungserwartung  53 –– der rechtlichen Erfassung und Beschrei­ bung 33

125

–– der Rechtspflege  30 –– der Überprüfung  88 –– des Rechts  33, 113 –– des Urteils  40 Gegenwart  18, 25, 28, 36, 54, 69, 82, 89, 90, 91, 92, 115, 119 –– aus der Sicht der Gegenwart  26 –– der Zukunft  29 –– des Rechts  26, 29, 115 –– in der ~  25, 26, 27, 28, 36, 74, 82, 83, 89, 90, 118, 119 –– in der Vergangenheit  26 –– in der Zukunft  26, 28, 29, 89 Geltung  11, 15, 18, 34, 36, 37, 41, 44, 46, 47, 49, 73, 80, 81, 82, 83, 112, 115, 116 –– des Rechts  18, 19, 62, 80, 119 Gerechtigkeit 36 –– des Rechtsurteils  40 Geschichte  27, 47, 106, 109 –– des Rechts  27, 29 Geschlossenheit  96, 97, 100, 101, 105, 106 –– des Rechts 73, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 103, 105, 108 –– logische ~  49, 106 –– systemische ~  103 Gesetz  13, 15, 22, 49 –– gebung  60, 75 Gesetzeslücke 49 Gesichtspunkt –– dritter ~  102 gewährleisten 58 Gewalt  46, 64, 72, 86, 100, 105 Gleichheit  64, 69, 87 Gödel  20, 74, 75 Gödelisierung 82 Gott  43, 63, 66, 69, 70, 79, 90, 91, 93, 98, 99 –– Aristotelischer ~  38 –– ~es Wille  43 –– von Gott  64, 70 griechisches Denken  63 Grund  19, 62, 63, 65, 66, 67, 68, 69, 73, 83 –– äußerer ~  63, 64, 65, 67, 74 –– der Rechtsgeltung  81 –– der Unterscheidung  78 –– des Grundes  70 –– des Rechts  62, 63, 67, 79 –– fiktiver ~  65 –– innerer ~  74

126

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis

–– norm  80, 91, 97, 98, 99, 103 –– these  11, 15, 18, 36, 112, 119 Gültigkeit  11, 18, 20, 37, 42, 44, 45, 46, 47, 63, 75, 82, 83, 116 –– der Entscheidung  83 –– des Gesetzes  43 –– des Rechts  15, 44, 81, 83 –– des Rechtsurteils  41, 43, 44, 46 –– von Rechtsnormen  80 Hart  80, 97, 98, 99, 100, 104 Hegel  93, 95, 112 Heisenberg 20 Herrschaft 46 –– der Kirche  88 –– des Königs  65 –– des Rechts  46, 65 Heterarchie  76, 79, 88, 89, 90, 91, 92 Heterarchisierung der Unterscheidung  77 Horizont  26, 27, 38, 113, 114 Husserl  20, 93 idea 118 Identität  31, 64, 69, 86, 108 Ideologie  44, 46 Immunsystem 54 In-Beziehung-Setzen der Verhältnisse  35 Individuum 63 Inhalt  17, 18, 30, 32, 33, 36, 42, 43, 45, 53, 56, 62, 66, 67, 77, 80, 82, 85, 86, 87, 88, 89, 98, 99, 100, 110, 112, 113 inhärente Eigenschaft  70 Instabilisierung 52 Instanz  47, 60, 70, 77 Interaktion 12 Interesse  45, 47 Jurisprudenz  15, 16, 17, 95, 113 juristische Dogmen  16 Kant 95 Katalysatoren 56 Kelsen  65, 76, 80, 97, 98, 99, 103, 104 Kette  70, 74, 78, 109, 115 –– der Operation  83 –– der Unterscheidung der Unterscheidung  68 –– vom Recht des Rechts des Rechts  66, 68

–– von Diskursen  110 –– zeitliche ~  90 Kettenreaktionen 110 Kommunikation  12, 22, 32, 65, 66, 80, 93 Kommunikationsmöglichkeit 64 kommunikative Verbindung  42 Komplexität  24, 32, 37, 38, 39, 40, 46, 54, 74, 76 –– eindeutige ~  38 –– einheitliche ~  38 –– Reduzierung der ~  39 kondensiert  83, 115 Konfliktlösungspotenzial 74 konsequente Durchführung  45 konservativ  45, 46, 47 Konsistenz  49, 50, 55, 105 Konstruktion  54, 56, 59, 66, 79 kontingent  25, 28, 29, 39, 40, 41, 61 Kontingenz  23, 25, 40, 41, 43, 57, 117, 118 –– der rechtlichen Erfassung  24 –– des Rechtsurteils  40 –– im Raum  24 –– in der Zeit  24 Kontinuität  34, 43 kontrafaktische Stabilisierung  52 Kontrolle  44, 45, 46, 92, 93 Koppelung 30 Korrektur  54, 57, 58, 59, 88, 91 Korrespondenzprinzip 20 Kosmologie  48, 49 Kosmos  48, 49, 61, 89, 90, 91 Krise in den Wissenschaften  20, 21, 23 Kriterium  44, 69 Kritik  15, 17, 45, 46, 47, 93 Kuhn 20 Lehre  50, 54, 55, 96 Lehrmeinung  30, 33 Leitdifferenz 23 letzten Horizont  114 Logik  17, 21, 41, 45, 74, 100, 102 –– der Unterscheidung  71 –– des Jenseits im Diesseits  91 –– des Rechts  72, 73, 101 –– eigene ~  13, 51, 75, 103 –– inhärente ~  97 –– rechtliche ~  101, 103, 104, 105, 106 –– rechtsinterne ~  97

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis

127

–– selbstsichernde ~  46 –– systemspezifische ~  96 –– zweigliedrige ~  98 Logos  21, 48, 63 loop 35 Lücken  74, 75 –– haftigkeit  73, 74 –– losigkeit  73, 74, 95 lückenlos  49, 73, 74 Lynchjustiz  86, 105

–– der Norm  94 –– positive ~  84 Normativität  11, 18, 76, 83, 90, 92, 93, 94, 105, 112, 116 –– der Form  85 –– der Rechtmäßigkeit  85 –– der Rechtsnorm  76 –– des Inhalts  85 –– des Rechts  76, 80, 84, 85, 87, 92, 93 Normenhierarchie  76, 80, 81

Machtübernahme des Nationalsozialismus  88 Mangel  53, 56, 117 Maßnahmefähigkeit 53 meta –– physisch  19, 36, 64 –– positives Recht  104 Meta –– ebene 97 –– -Ebene  60, 76, 79, 80, 83, 98, 99 –– -Funktion 12 –– -Norm  98, 100 Mischform von Theorie und Praxis  109 Modulation 32 Mord  71, 104, 105

Objektivität  16, 17, 20 öffentliche Institutionen  33 Ökologie 64 Operation  22, 24, 32, 42, 43, 59, 60, 65, 69, 70, 71, 75, 77, 90, 101, 105, 115 Ordnung  31, 48, 49, 63, 75, 90, 91, 95

Natur  16, 19, 20, 26, 42, 45, 47, 61, 62, 63, 65, 72, 87, 100 –– recht  63, 75, 80, 87, 91, 112 Negation  26, 30, 44, 45, 53, 93 –– der Negation  30, 39 Neutralisierung 30 Nicht –– aufzeigbar 62 –– entscheidbarkeit 110 –– erfahrbare Zukunft  93 –– -Hintergehbarkeit der Sprache  73 –– -Sehen-Können 106 –– -so-sein-dürfen 47 –– ständige ~-Vollendung  90 –– -Unterscheiden 79 –– -Vollendung 89 Nietzsche 71 Nominalismus 35 Non sub rege, sed sub lege  65 Norm  19, 22, 66, 76, 77, 79, 81, 83, 85, 87, 92, 93, 94, 97, 98, 99, 106, 107, 108, 109, 110 –– als Tatsache  80, 107

paradigm theory  20 Paradigmenwechsel 20 paradox  61, 76 Paradoxie  37, 63, 73, 76, 77, 78, 79, 86, 93, 105, 116, 117, 118 –– verdeckung 64 Peripherie 66 Phänomen  18, 27, 36 –– des Rechts  18, 117 –– paradoxes ~  116 –– soziales ~  15, 18, 36, 48, 63, 80, 112 Pluralismus  11, 37 Pluralität  11, 21, 38 Positivität  50, 112 –– des Rechts  11, 112, 118 Praxis  16, 17, 83, 108, 111 Präzedenz  54, 109 prima causa  64 privative infinitum  41 privilegierter –– Ort 11 –– Standpunkt  64, 65 Privilegierung 64 Problemlösungsfähigkeit  54, 56 Prognose  29, 34 progressiv  46, 47 Prozess –– der Adaption  29 –– der Bearbeitung  53 –– nicht abschließbarer ~  91

128

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis

–– rechtlicher ~  87 –– zirkulärer ~  70 quid juris  107 Radbruch 104 ratio legis  18 Rationalismus 63 Realisierung 110 –– des Rechts  42, 51 –– des Rechtsurteils  42 Realisierungsmöglichkeit 29 –– des Rechtsurteils  42 Realität  17, 24, 55, 80, 84 Recht –– /Außerrechtliches 102 –– der Menschen  13 –– /Gesellschaft-Verhältnis 35 –– Gottes 19 –– lebendes ~  16, 17 –– positives ~  11, 12, 13, 15 –– schlechtes ~  72 –– /Unrecht  68, 85, 86, 90, 101 rechtmäßig  66, 67, 68, 84, 85 Rechts –– auslegung  15, 16, 17, 108, 109, 110 –– begriff 19 –– expert 51 –– fetischismus  15, 17 –– findung  50, 52 –– grundlage 62 –– norm  59, 70, 76, 80, 82, 92, 93, 99, 113 –– phänomen 18 –– philosophie  18, 122 –– positivismus  76, 79, 80 –– praxis  16, 64, 109, 110 –– quelle 91 –– revision 105 –– schöpfung  50, 52 –– sicherheit  48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61 –– soziologie  15, 16, 17, 80 –– soziologisch 18 –– system 21, 44, 49, 51, 55, 59, 66, 67, 69, 73, 83, 84, 95, 96, 97, 98, 113, 114, 121 –– theorie  30, 35, 121 –– urteil  40, 41, 42, 43, 47, 52, 58, 102

Reduktion der Komplexität  24 Re-entry  82, 110 Reflexion  32, 58, 92 Reflexivität, operaive  46 rekursiv 67 –– ~e Vergegenständlichung  32 Relativismus  11, 37 Relativität  11, 21, 22, 37 Revolution  46, 72, 100 Richtigkeit  11, 18, 29, 30, 34, 44, 62, 63, 69, 70, 75, 88, 89, 115, 116 –– der Bearbeitung  57 –– der Entscheidung  67 –– der Unterscheidung  68, 71 –– des Rechts  62, 67, 75 Risiko  89, 90 Schöpfer 64 –– der Unterscheidung  69, 77 –– gott 63 Schöpfung –– aus dem Nichts  70, 79 –– Gottes 64 secondary rules of recognition  80 Sein  16, 17, 18, 47, 63, 64, 78, 107, 110 –– /Sollen 17 –– und Nichts  69 –– und Sollen  16, 106, 109 selbst –– erhaltend 46 –– privilegierend 45 –– referenziell 112 –– reproduktiv 50 –– ständig 97 –– verändernd 46 Selbst –– beobachtung 11 –– bewusstsein 11 –– differenzierung  33, 74, 75, 82 –– entwicklung 34 –– konstitution 11 –– korrektur 27 –– privilegierung 64 –– referenz  11, 12, 35, 101, 117 –– thematisierung  32, 33, 34, 74 –– widerspruch 79 Selektivität  27, 31, 41 –– des Rechts  31

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis Sicherheit  11, 18, 44, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 59, 60, 61, 75, 115, 116 –– des Rechts  48, 49, 61 Sicherstellung  54, 91 –– der Rechtssicherheit  55 Sinngebung 31 Sinnzusammenhänge  23, 24, 50 Sollen  16, 17, 18, 106, 107, 109, 110 So-sein-müssen 47 Souverän 64 soziales Phänomen  48 (siehe auch ­Phänomen) Sozialwissenschaft 109 –– des Rechts  16 Stabilität 49 Standpunkt Gottes  63, 70 Stellenwert 71 Strafe  69, 105 Struktur  12, 21, 38, 49, 50, 51, 58, 77, 92, 96, 99, 104 –– hierarchische ~  66, 78 –– temporale ~  25 –– zirkuläre ~  34, 35 strukturelle –– Seite des Rechts  27 –– Variabilität  58, 59, 75 Strukturierung  35, 43, 79 –– des Rechts  50 Subjekt  12, 23, 44, 45, 63, 105 Substanz  12, 44 Symmetrie  85, 86 symmetrisiert 86 system –– erhaltend 45 –– verändernd 45 System –– charakter  11, 18, 96, 106, 111, 112, 116, 119 –– der Norm  77, 78, 79, 111 Tatsache/Norm 117 Tautologie  65, 73, 77, 118 Temporalisierung 29 Theologie 63 Theoria 63 Theorie  16, 20, 24, 32, 75, 79, 93, 108, 111, 114 –– /Praxis 117 –– Praxis 110

129

–– und Praxis  108 Todesstrafe 105 Tötung  86, 104, 105 transzendent  19, 69 –– ~er Dritter  78 Trennung von Sein und Sollen  76 Übereinstimmung  17, 30, 48, 67, 88 Überfülle des Möglichen  38 Überzeugung  56, 57 Umwelt  24, 96, 114 unendlicher Regress  66, 68, 98 Unendlichkeit, fehlende  41 universalia –– ante rem  35 –– post rem  35 Universalität  11, 18, 19, 21, 23, 35, 37, 115, 116 –– der Geltung  37 –– des Rechts  19, 87 –– eines Phänomens  21 Unrechtmäßigkeit  68, 86 Unschärferelation 20 Unsicherheitsfaktor  49, 50, 52, 74 Unterscheidung 43, 47, 68, 69, 70, 78, 82, 85, 87, 100, 103, 106, 107, 109, 110, 116 –– Auswahl/Nicht-Auswahl 30 –– der Unterscheidung  79, 85, 94 –– Entscheidung treffen/nicht treffen  90 –– Erreichbarer Zustand/Nicht-erreichbarer Zustand 89 –– Erwartung/Enttäuschung 57 –– Gesellschaft/Recht 113 –– Gipfel/Rand 80 –– Gültigkeit/Ungültigkeit 82 –– mit-rechtlichem-Inhalt-ausgestattet oder Nicht-mit-rechtlichem-Inhalt-ausgestattet  99 –– nicht-willkürlich/willkürlich 87 –– Recht/Politik 103 –– Recht/Unrecht  68, 69, 70, 72, 74, 81, 82, 83, 85, 86, 104 –– Recht/Wirtschaft 103 –– rechtlich/nicht-rechtlich 105 –– rechtliche ~  71, 72, 106 –– Rechtslogik/Außenseite der Rechtslogik   105 –– Richtigkeit/Unrichtigkeit 69

130

Personen- und Sachverzeichnis Personen- und Sachverzeichnis

–– –– –– –– –– –– ––

Sein/Sollen  77, 78 Sicher/Unsicher 116 Tatsache/Norm  77, 78, 109 Theorie/Praxis  109, 110 Transzendenz/Immanenz  93, 104 von Norm und Tatsache  80 von primären und sekundären Rechts­ normen 97 –– von Recht und Außerrechtlichem  102 –– von Recht und Unrecht  67, 68, 90 –– von Vorhanden-sein oder Nicht-vorhan­ den-sein 99 –– zwischen der Innenwelt und der Außen­ welt des Rechts bzw. dem Recht und dem Außerrechtlichen 101 –– zwischen Tatsache und Norm  107, 108 unum necessarium  12 Unvollkommenheit  88, 117, 118 Unvollständigkeit  55, 56 –– der Entscheidung  52 Unvollständigkeitssatz 20 Unzufriedenheit 57 Urteil  32, 40, 41, 42, 43, 44, 47, 57, 58, 69, 71, 72, 82, 86, 89, 90, 101, 103, 108, 115 –– rechtliches ~  51 –– richtiges ~  68 Urteilssprüche 30 Utopie 36

Wahrheit  20, 21, 36, 37, 48, 50, 74, 87, 95 Wahrheitswert 36 Wahrscheinlichkeitsfaktor 56 Weber  16, 17, 76 Weltverständnis  37, 80 Wertepluralismus 11 Wertung  43, 44, 48 Wert-Urteil 43 Wertvorstellung, monistisch-absolutistische  11 Widerspruch  11, 45, 46, 64, 73, 86, 93, 106, 113, 116 –– zwischen Recht und Gesellschaft  32 Wille –– allgemeiner ~  62 –– Volks~  45, 47 Wirklichkeit  52, 65, 69, 74 Wirksamkeit  27, 28, 29, 42, 90 –– des Rechts  34 Wissenschaft  16, 17, 20, 21, 27, 48, 63, 107, 108, 110 –– empirische ~  16 –– Geistes~ 20 –– Natur~  20, 36 –– Sozial~  15, 16

Variabilität  58, 59 Verfassung  66, 81, 97, 99, 100 Vergangenheit  25, 34, 55, 69, 83, 89, 90, 91, 115 –– aus der Sicht der Gegenwart  25, 26 –– der Gegenwart  25 –– und Zukunft aus der Sicht der Gegen­ wart 26 –– von der Zukunft aus betrachtet  28 Verheimlichung 64 Verinnerlichung  104, 108 –– der Unterscheidung  101, 104, 107, 108, 109 Verknüpfung  42, 43, 44, 47 Verknüpfungskette 67 Vernichtung der Unterscheidung  79 Vernunft  20, 21, 45, 47, 48, 62, 63, 66, 95 verrechtlicht 86 Vollkommenheit  52, 73, 88, 117, 118

Zeit –– horizont  27, 33, 34, 54 –– punkt  25, 26, 30, 55, 57, 67, 83, 89, 90, 92, 115 –– struktur 31 Zentrum 66 Zirkel 100 zirkulär  65, 67, 70, 74 Zirkularität 66 Zirkulationsverhältnis 34 Zufälligkeit 43 Zukunft  25, 27, 28, 34, 43, 54, 55, 57, 61, 83, 89, 90, 91, 92, 93, 115 –– aus der Sicht der Gegenwart  25, 26, 28 –– der Gegenwart  25, 34, 91 –– der Vergangenheit  28 –– in der Gegenwart  90 –– von der Gegenwart aus gesehen  28 Zweifel  32, 57, 62, 99

Vorläufigkeit  31, 57, 67, 70, 116 –– der Entscheidung  31