Das Problem des concursus divinus: Das Zusammenwirken von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken in Karl Barths »Kirchlicher Dogmatik« 9783666562402, 3525562403, 9783525562406


124 99 6MB

German Pages [216] Year 1975

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Das Problem des concursus divinus: Das Zusammenwirken von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken in Karl Barths »Kirchlicher Dogmatik«
 9783666562402, 3525562403, 9783525562406

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Michael Plathow Das Problem des concursus divinus

M I C H A E L PLATHOW

Das Problem des concursus divinus Das Zusammenwirken von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken in K. Barths „Kirchlicher Dogmatik"

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 32

MEINER

ClP-Kur^titelaujrahme P/atbom ,

der Deutseben

FRAU

Bibliothek

Michael

Das Problem des concursus divinus : das Zusammenwirken von gotti. Schopferwirken und geschopfl. Eigenwirken in K. Barths „Kirchlicher Dogmatik". (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 32) ISBN 3-525-56240-3

ISBN 3-525-56240-3 © Vandenhocck & Ruprecht, Güttingen 1976 — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet» das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert 6c Co., Güttingen

Vorwort Die Arbeit „Das Problem des concursus divinus" wurde 1972 als Dissertation von der Theologischen Fakultät in Heidelberg angenommen; sie ist nur in einigen Punkten leicht geändert worden. An dieser Stelle möchte ich Prof. Dr. D. E. Schlink für die beratende Begleitung danken. Ferner gehört mein Dank der Evang.-Luth. Landeskirche Schleswig-Holstein und der ökumenischen Zentrale der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, die durch ihre finanzielle Unterstützung den Druck dieser Arbeit ermöglicht haben. Heidelberg, den 20. September 1975 Michael Plathow

Inhalt Einleitung Erster

Teil:

11 Grundtypen der Verhältnisbestimmung von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken . . .

17

Vorbemerkungen

17

1.Der concursus divinus immediatus — das komplexe Concursusverständnis (Thomas v. Aquin, S. th. I, Q 105,5) 1.1. Das „Daß" des concursus divinus 1.2. Das „Wie" des concursus divinus 1.3. Der Anlaß der Concursusiiberlegungen : Thomas' Erkenntnislehre . . . 1.4. Zusammenfassung und Urteil

18 18 23 27 29

2. Das mediate Concursusverständnis (J. P. Olivi, Quaestiones in secundum librum sententiarum", CXVI) 2.1. Quaestio CXVI 2.2. Der Anlaß und Grund von Olivis Concursusverständnis 2.3. Zusammenfassung und Urteil

31 31 34 35

3. Die Ablehnung des in der aristotelischen Ontologie begründeten Concursusverständnisses — das personale Cooperatioverständnis M. Luthers in seiner theologia crucis („De servo arbitrio", Cl. III, S. 253, 6—31) 3.1. „De servo arbitrio", Cl. III, S. 253, 6—31 . . . 3.2. Das personale Cooperatioverständnis in Luthers theologia crucis . . . . 3.3. Zusammenfassung und Urteil

36 36 39 44

4. Die Aporien der molinistisch-thomistischen Auseinandersetzungen

45

4.1. Das konkurrierende Concursusverständnis generali") 4.2. Die praemotio physica (der Thomismus)

(L. Molina, „De

. . . . concursu

45 46

4.3. Das konferierende Concursusverständnis (der Molinismus)

48

4.4. Das kongruierende Concursusverständnis (Fr.Suarez, „Disputationes Metaphysicae", XXII) 4.5. Die complexio oppositorum 4.6. Zusammenfassung und Urteil

49 58 59

5. Die Wiederaufnahme des scholastischen Concursusdenkens (das Concursusverständnis der protestantischen Orthodoxie)

61

5.1. Das subordinativ-konkurrierende Concursusverständnis Orthodoxie)

(die lutherische 61

7

5.2. Das subordinati v-präkurrierende Orthodoxie)

Concursusverständnis

(die

reformierte

5.3. Zusammenfassung und Urteil

67 72

6. Schematisierung des scholastischen Concursusverständnisses . . .

. . .

73

7. Die Ablehnung des concursus divinus in der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts und Fr. Schleiermachers bewußtseinstheologische Ummterpretation 7.1. Die Einwände gegen den concursus divinus

75 76

7.2. Fr Schleiermachers bewußtseinstheologische Uminterpretation cursus divinus (»Der christliche Glaube", § 46)

des

7.3. Zusammenfassung und Urteil

con-

. . .

80 85

8. Das dialektische, transzendental-ontologische Concursusverständnis (K. Rahner, „Mitwirkung Gottes", LThK V I I ; „Das Problem der Hominisation", Quaestiones disputatae 12/13)

87

8.1. K. Rahner, „Mitwirkung Gottes", LThK V I I , Sp. 5 0 2 f . ; „Das Problem der Hominisation", Quaest. disp. 12/13, S. 43

ff

87

8.2. Das dialektische, transzendental-ontologische Concursusverständnis

.

.

8.3. Zusammenfassung und Urteil

91 96

Zweiter Teil: K. Barths Verständnis des concursus divinus in der „Kirchlidien D o g m a t i k "

99

K. Barths Concur susiehre: 1. Der Ort des concursus divinus in der „Kirchlichen Dogmatik"

. . . . . .

99

1.1. Die Vorsehungslehre in der „Kirchlichen Dogmatik"

99

1.2. Die Aspekte der Vorsehungslehre

102

2. Die Voraussetzungen für den concursus divinus

110

2.1. Die „ontisdie" Verankerung des concursus divinus in der göttlichen Gnadenwahl

110

2.2. Der „noetische" Grund des concursus divinus in Jesus Christus

113

. . . .

2.3. Folgerungen für das Concursusverständnis

114

3. Die Glaubenserkenntnis und das Bekenntnis des göttlichen Begleitens

.

.

.

3.1. Das „Wer" des göttlichen Begleitens

118

3.2. Das „Daß" des göttlichen Begleitens

118

3.3. Das „Wie" des göttlichen Begleitens (die analogische Struktur)

. . . .

123

3.4. Zusammenfassende Thesen zu K. Barths Freiheitsverständnis

. . . .

126

4. Charakterisierung von K. Barths Concursuslehre 4.1. Formale Charakterisierung

8

117

127 127

4.2. K . Barths Christozentrismus in der Concursuslehre

128

4.3. K. Barths analogisches Concursusverständnis

129

4.4. Die Aussagen des concursus divinus als Bekenntnisaussagen

130

4.5. Zusammenfassende Charakterisierung: die Analogie als Träger der „ontologisch"-lehrhaften und personal-ereignishaften Struktur

131

5. Die Gründe für Κ. Barths Aufnahme des concursus divinus in die „Kirchliche Dogmatik" — ihre Konzentration in Barths Analogiedenken K. Barths Concursuslehre verständnisses:

und die verschiedenen

Typen

eines

133

Concursus-

1. K. Barths Concursusverständnis und das in der scholastischen Ontologie begründete Concursusdenken

136

2. K. Barths Concursusverständnis und M. Luthers Cooperatiogedanke . . . .

139

3. K. Barths Concursusverständnis und das des 19. Jahrhunderts

140

4. K. Barths Concursusverständnis und das K. Rahners

143

Biblisch-theologische

Erwägungen

zur

Concursusfrage:

1. Vorbemerkungen

144

2. Alttestamentlidie Erwägungen zur Concursusfrage

146

2.1. Einzelanalyse der in der Theologiegeschichte vorgegebenen Textstellen zum concursus divinus

146

2.2.Alttestamentlich-theologische Sdiöpfer und Gesdiöpf

150

Erwägungen

zum

Zusammenwirken

2.3. Die Affinität der älteren Weisheit zu einem Concursusdenken

von

. . . .

155

3. Neutestamentliche Erwägungen zur Concursusfrage

157

3.1. Vorbemerkungen

157

3.2. Einzelanalyse der in der Theologiegeschichte vorgegebenen zum concursus divinus 3.3. Neutestamentlidi-theologisdie Sdiöpfer und Gesdiöpf Auseinandersetzung

Erwägungen

mit K. Barths

Textstellen

zum Zusammenwirken

von

157 162

Concursuslehre:

1. Positive Wertung des Barthsdien Concursusdenkens

163

1.1. K. Barths Christozentrik

163

1.2. Der concursus specialis als Indikativ-Imperativ-Verhältnis

164

1.3. Das personale Concursusverständnis

165

2. Kritische Auseinandersetzung mit dem Barthsdien Concursusdenken

.

.

.

166

2 1. K. Barths Analogieverständnis

166

2.2. K. Barths Zuordnung von Evangelium und Gesetz

170

2.3. Die Mittelstellung des concursus divinus in der Vorsehungslehre der „Kirchlichen Dogmatik"

173

Dritter

Teil:

D e r concursus divinus in der Gewißheit, in der Reflexion und im Bekenntnis des Glaubens

177

Vorüberlegungen: 1. Von K. Barth aufgegriffene Gedanken

177

9

1.1. Die diristozentrisdie Struktur

177

1.2. Die personale Struktur

178

2. Der Ansatz der „ontologischen" Struktur des concursus divinus

179

3. Die terminologische Frage

180

Systematische

Darlegung

des concursus

divinus:

1. Die Gewißheit des concursus divinus (die existentielle Ebene)

182

1.1. Der Glaubende

182

1.2. Die Gewißheit des concursus divinus ist Erkennen (der christologische Aspekt)

185

1.3. Die Gewißheit des concursus divinus befreit zum Handeln und zum Erkennen (der ethische Aspekt)

193

1.4. Die Gewißheit des concursus divinus durdibridit das Erkennen (der eschatologische Aspekt)

193

2. Die Reflexion über den concursus divinus (die logisdie Ebene)

194

3. Das Bekenntnis des concursus divinus (die Einheit von personaler und ontologisdier Struktur)

200

4. Die ökumenisdie Bedeutung des Concursusthemas

202

Literaturverzeichnis

205

Anhang

213

10

Einleitung Das Concursusproblem, die Frage nach dem gegenwärtigen Mit- und Dabeisein Gottes mit dem selbständigen Tun und Handeln des Menschen, die Frage nach Gottes verborgener Gegenwart in der Welt mit ihrem Eigenwirken und ihren Eigengesetzlichkeiten und die Frage nach dem „Wie" des Zusammendenkens von göttlichem Begleiten und geschöpflicher Eigenverantwortung gerade auch in Leid und Schuld, die Frage der Zuordnung von eigengesetzlichem Geschehen in der Welt und verborgenem Mitwirken Gottes, des Schöpfers, stellt sich dem Glaubenden, wenn er mit der Gemeinde das Bekenntnis zu Gottes gegenwärtigem Erhalten und Regieren spricht und durchdenkt. Die Concursusfrage stellt sich dem Glaubenden angesichts des Erlebnisses der technischen Machbarkeit von Gegenwart und Zukunft durch den Menschen als homo faber in einer hominisierten Welt, sie stellt sich dem Glaubenden bei der Geburt eines Kindes, im Erfahren von Leid, bei Erforschen der Eigengesetzlichkeiten in Natur und Geschichte; sie stellt sich aber in gleicher Weise angesichts eines fatalistischen Führungsglaubens, der Eigenverantwortung und Selbständigkeit des Menschen lähmt oder abtötet. Und so versucht der Glaubende aus einem existentiellen Engagement heraus im Seelsorge- oder Glaubensgespräch die Frage denkend zu klären. Es ist ein gefahrvoller Versuch. Denn nur zu leicht zerschellt der um Klärung ringende Glaubende — zwischen dem Gedanken von Gottes alleinwirksamen Regieren und vom autonomen Geschöpfwirken hin- und herkreuzend — an den Klippen des Deismus oder Pantheismus oder strandet in den Gefahrenzonen eines vermittelnden Synergismus. Nur allzu leicht vergißt der Glaubende bei diesen Klärungsversuchen sein eigenes Geschöpfsein, sein eigenes Hineingenommensein in Gottes Mitwirken und versucht in verobjektivier ender Weise aus einer Betrachterposition Schöpfer- und Geschöpfwirken zu vergleichen und zu verknüpfen. Mit diesen Gefahren, mit diesen Verlegenheiten ist der Glaubende immer wieder in seinem Glaubensleben vor das Concursusproblem gestellt: Kann und wie kann das Bekenntnis zu Gottes gegenwärtigem Mitwirken mit der Erfahrung der freien Eigentätigkeit des Geschöpfes und der „Weltlichkeit" der Welt zusammengedacht werden? K. Barth behandelt dieses Problem sehr breit im Mittelteil seiner Vorsehungslehre in der „Kirchlichen Dogmatik" 1 . Mit nicht geringer Ver1

KD III 3, S. 102—175.

11

wunderung ist dies festzustellen zunächst im Blick auf die Stellungnahmen der verschiedenen protestantischen Gegenwartsdogmatiken zu diesem Thema. Nur geringe Beachtung schenken diese Dogmatiken dem Concursusproblem. In den Gliederungen und in den dogmatischen Ausführungen wird es meist gar nicht erwähnt; lediglich dogmen- und theologiegeschichtliche Abrisse verweisen auf das Concursusthema (so bei W. Eiert, S. 273; P. Althaus, S. 351; W. Trillhaas, S. 154; R. Prenter, S. 197, Anm. 69). Abgesehen von W. Trillhaas 2 und R. Prenter 8 findet die Concursuslehre häufig scharfe Ablehnung; als in scholastischen Denkvoraussetzungen begründet und damit als scholastische Denkkombination wird sie beiseite geschoben. So sieht P. Althaus im concursus divinus, der ein relatives Eigenwirken des Geschöpfes anerkennt, die Preisgabe von Gottes Allmachtswirken 4 . Noch weniger Sympathie erfährt die Concursuslehre bei E. Brunner; für „wertlos und bedenklich" erklärt er sie; denn erstens verbleibe sie als eine Denkbemühung über das Zusammenwirken von causa prima und causa secunda im scholastischen Kausaldenken, ferner sei sie „darum gefährlich, weil sie gerade das auseinanderreißt, was nicht sollte auseinandergerissen werden: Selbständigkeit der Kreatur und göttliche Erhaltung" 5 . Demgegenüber wird in den römisch-katholischen Dogmatiken der Gegenwart die Concursuslehre als Mittelteil der Providenzlehre behandelt, und zwar unter Rüdsgriff auf die Tradition als philosophisch-theologisches und biblisch-theologisches Thema (vgl. u. a. M. J . Scheeben, S. 18ff.; L. Lercher, S. 253ff.; M. Premm, S. 380ff.; M. Schmaus (6. Aufl.) II 1, S. 167ff.; Fr. Diekamp, S. 30ff.; J . Pohle — J . Gummersbach, S. 51 Iff.) Auch in den allerneuesten, von heilsgeschichtlichem Denken geprägten systematischen Abhandlungen findet die Concursusfrage ihre Darstellung (M. Schmaus, „Der Glaube der Kirche" I, S. 319ff.; W.Kern, „Mysterium salutis" II, S. 535ff.); K. Rahners Aktualisierung des Concursusthemas für die Hominisationsfrage ist dabei besonderer Bedeutung beizumessen®. Angesichts der — abgesehen von O. Webers Dogmatik 7 , die sich stark an K. Barth anschließt — einzigartigen Herausstellung des Concursusproblems in der „Kirchlichen Dogmatik" wird man zum einen die Frage 2 Bei W. Trillhaas wird innerhalb von K a p . 10,2: „Die Erhaltung der Welt" das Concursusthema als „Mitsein Gottes" mit seinem Geschöpf ausgeführt. 3 R. Prenter versucht S. 197, Anm. 69 — wohl unter dem Einfluß K . Barths — auch der Concursuslehre positive Momente abzugewinnen: „Wenn dies als ein Bekenntnis zum Glauben an die undurdischaubare Einheit von Gottes Schöpferwillen und seinem Erlöserwillen in Jesus Christus gesagt wird, ist dies nicht unwichtig." 4 P. Althaus, Die christliche Wahrheit, S. 351. 5 E. Brunner, Dogmatik II, S. 168. « Vgl. S. 87 ff. 7 O. Weber behandelt das Concursusthema in den „Grundlagen der Dogmatik" I im Teil „Gottes Weltregierung", S. 564 ff.

12

η adi dem Besonderen des Barthschen Concursusverständnisses gerade auch im Blick auf die römisch-katholische Dogmatik stellen müssen, zum anderen die Frage nach den Gründen und der Legitimität dieser breiten Ausführungen 8 im Mittelteil der Providenzlehre, schließlich auch die Frage nach der ökumenischen Bedeutung dieses Themas. Das eigentliche Concursusproblem, das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf oder besser von causa prima und causa secunda 9 , stellt sich nach dem Dogmengeschichtler A. Landgraf seit Beginn der Hochscholastik unter dem Einfluß des Aristotelismus 10 . In seinem Aufsatz „Anfänge einer Lehre vom Concursus simultaneus im X I I I . Jahrhundert" u , dessen Gedanken in der „Dogmengeschichte der Frühscholastik" 8 Diese Frage gewinnt ihre Relevanz gerade audi angesichts der Tatsache, daß wohl in der 1. Auflage der R G G (E.Troeltsch, R G G 1 I, Sp. 1879) und ebenfalls in der 2. Auflage (H. Stephan, RGG 2 I, Sp. 1716 f.) dem concursus divinus ein kurzer Artikel gewidmet wird, nicht mehr jedoch in der 3. Auflage. 8 Der concursus-Begriff wurde — wie aus K. E. Georges „Ausführliches lateinischdeutsches Handwörterbuch" I, Sp. 1413 ff., 1416 zu entnehmen ist — von den lateinischen Klassikern allgemein als „zusammenlaufen, zusammentreffen, zusammenstoßen" gebraucht. Er wurde dann im römischen Privatrecht als terminus technicus für das Zusammentreffen mehrerer Ansprüche oder Klageformen benutzt (Paulys Realencyklopädie der klass. Altertumswiss. IV 1, Sp. 839); ein beliebtes Beispiel stellt der Sklave dar, auf den «in Rechtspartner in doppelter Weise einen Rechtsanspruch hat; Dig. X X X , 108, 4: „Stichum, quem de te stipulatus eram, Titius a te herede mihi legavit: si quidem non ex lucrativa causa stipulatio intercessit, utile legatum esse placebat, sine duabus, tunc magis placet inutile esse legatum, quia nec absit quicquam, nec bis eadem res praestari possit" (vgl. auch P. Kretschmar, Die Erfüllung, Leipzig 1906, S. 35, Anm. 5; S. 43 ff.). Aus der römischen Rechtssprache fand der concursus-Begriff dann vermutlich Eingang in die scholastische Philosophie. 10 In den römisch-katholischen Dogmatiken der Gegenwart wird neben dem biblisch-theologischen und philosophisch-theologischen Nachweis des concursus divinus auch die historische Begründung aus Kirdienvätertexten geliefert. Besonders auf folgende Textstellen sei verwiesen: Orígenes, De princip., II, 1, 3 zu Apg. 17,28 (Pohle-Gummersbach); Orígenes, In Num. homil., X X I I I , 4 zu Joh.5,17 (Diekamp); Hieronymus, C. Pelag., 1, 3 (Diekamp, Scheeben, Premm); Theophil v. Antiochien, Ep. Bulg. zu Joh.5,17 (Diekamp, Premm); Augustin, Ep. 205, 17 (Diekamp, Scheeben, Premmj; Augustin, De Gen. ad. litt., IV, 12, 23 (Diekamp, Pohle-Gummersbach); Augustin, De Gen. ad litt., V, 20 (Diekamp, Scheeben); Augustin, De Gen. ad litt., VII, 26, 48 (Diekamp); Augustin, Enchir. 27 (Premm); Augustin, De civ. Dei, VII, 30 (Diekamp) u. a. Diese Belege aus den Kirchenväterschriften stellen einmal Auslegungen von Bibelstellen, zum andern apologetische oder polemische Aussagen gegen die Pelagianer dar, jedoch keine Reflexionen über das Zusammenwirken von causa prima und causa secunda. Etwa bei Augustin handelt es sich bei den Textstellen der Homilie zur Genesis um Interpretationen von Joh. 5,17, Apg. 17,28 (IV, 12); Joh. 5,17 (V, 20); Rom. 11,36 (VIII, 26) oder um die Bestreitung der pelagianischen Leugnung des gegenwärtigen Wirkens Gottes (V, 20, 40). Ferner betont Augustin apologetisch gegen den römischen Götterglauben (De civ. Dei, VII, 30) die Gewißheit von Gottes erhaltendem und regierendem Wirken in allem. 11 A. Landgraf, Anfänge einer Lehre vom Concursus simultaneus im X I I I . Jahrhundert, Recherches de Theologie ancienne et médiévale (1) 1929, S. 202ff.; 338 ff.

13

I 1, S. 220 ff. wiederholt werden, kommt A. Landgraf zu folgendem Ergebnis: Hatte Petrus Lombardus in der 17. Distinktion des ersten Sentenzenbuches das Bewirken der guten Tat durch den Heiligen Geist und durch die geschöpfliche Liebe als identisch aufgefaßt, so war es erst nach einer langen Diskussion um dieses Thema in der Frühscholastik Richard Fishacre, der in Kontinuität mit dem Lombarden und unter Aufgreifen der aristotelischen Gedanken Philipp des Kanzlers das Erwirken der guten Tat durch die göttliche und geschöpfliche causa in ihrer Verschiedenheit und Einheit denkend zu klären versuchte 12 . Die geschöpfliche Liebe wirkt nämlich als eigenwirksame forma, begleitet von und vereinigt mit der göttlichen Liebe, die gute Tat; die göttliche Liebe wirkt — in der Lichttheorie des Fishacre gesprochen — wie die Farbe des Lichts in der geschöpflichen Liebe 13 . Fr. Mitzka modifiziert in dem Aufsatz „Anfänge einer Konkurslehre im 13. Jahrhundert" 1 4 A. Landgrafs Darlegungen und Ergebnisse ein wenig 15 , erkennt aber mit diesem die Anfänge eines Concursusdenkens zu Beginn der Hochscholastik. Die vorausgehenden Epochen der theologischen Arbeit waren vor allem vom augustinischen Denken geprägt. Augustin hat in seinem Bemühen um eine Verbindung von neuplatonisch-philosophischem Denken und biblisch-theologischen Überlegungen den ontologischen und heilsgeschichtlichen Aspekt der Schöpfungs- und Vorsehungslehre zu verbinden versucht 18 . Der dreieinige Schöpfergott hat die Schöpfung aus dem Nichts geschaffen, er hat sie in die Zeit hineingestellt und der Zeitlichkeit unterstellt. Alles Geschaffene ist von Gott, der summa essentia, in verschiedenen participatio-Stufen abhängig; unmittelbar wirkt Gott in Natur („De civitate Dei", V, 11) und Geschichte („De civitate Dei", VII, 30) „durch" die Gesdiöpfe und „durch" den Willen der Menschen17. Autonomes Eigensein und -wirken kennt Augustin dementsprechend nicht. Das führt bei Augustin keineswegs zu einem pantheistischen Monismus; Augustin erkennt auch die natürliche Freiheit des Menschen an, wie Augustins Auseinandersetzung mit Cicero in „De civitate Dei", V, 9, 3 deutlich macht: „ N o n est autem consequens, ut, si D e o certus est omnium ordo causarum, ideo nihil sit in nostrae voluntatis arbitrio. Et ipsae quippe nostrae voluntates in causarum ordine sunt, qui certus est Deo eiusque praescientia continetur; quoniam et humanae voluntates humanorum operum causae sunt." A. Landgraf, Anfänge . . . , S. 351, 144 ff. Ebd., S. 350, 106 fî.; S. 351, 132fF. 14 ZkTh (54) 1930, S. 161 ff. 1 5 Fr. Mitzka kommt zu dem Ergebnis, daß die Anfänge einer Concursuslehre zwischen Thomas' Sentenzenkommentar (1255) und seinen Quaestiones disputatae (1270) liegen. 16 Vgl. L. Scheffczyk, Schöpfung und Vorsehung, S. 63 ff. 17 Ebd., S. 63. 12

13

14

Es ist dies die Freiheit — und um diese theologische Bedeutung geht es dem in so eminentem Maße christlich-existentiell denkenden Theologen —, die nach dem Sündenfall nur die Möglichkeit impliziert, der Sünde zu entsprechen und ihr zuzustimmen, nicht jedoch die Gnade aus sich selbst oder durch eigene Mitwirkung zu erlangen. Mit dem glaubenden Geschöpf kooperiert Gott in der Weise, daß Gott allein dem Menschen die Gnade, die gratia operans, schenkt und in der gratia cooperane zusammen „ m i t " dem freien Willen des Menschen und „durch" ihn das gute Werk wirkt; der freie Wille des Glaubenden ist dabei frei als der zum Guten befreite Wille. Besonders in den antisemipelagianisdien Schriften, etwa in „ D e gratia et libero arbitrio", behandelt Augustin die Frage des Zusammenwirkens von Gnade und freiem Willen: einerseits spricht Augustin in dieser Schrift vom freien Willen des Glaubenden, „revelavit autem nobis per Scripturas suas sanctas, esse in homine liberum voluntatis arbitrium" (II, 2),

wie die freie Befolgung der göttlichen Gebote und die Eigenverantwortung des Menschen für die Schuld deutlich machen (II, 2 — 4 ) ; andererseits betont Augustin, daß die Gnade dem freien Willen vorausgeht, ihn unterstützt, begleitet und mit ihm zusammenwirkt; „et quis istam etsi parvam dare coeperat caritatem, nisi ille qui praeparat voluntatem, et cooperando perficit, quod operando incipit? Quoniam ipse ut velimus operatur incipiens, qui volentibus cooperatur perficiens. Propter quod ait Apostolus: Certus sum quoniam qui operatur in vobis opus bonum, perficiet usque in diem Christi Jesu (Philipp. I, 6). Ut ergo velimus, sine nobis operatur; cum autem volumus, et sic volumus ut faciamus, nobiscum cooperatur: tamen sine ilio vel operante ut velimus, vel cooperante cum volumus ad bona pietatis opera nihil valemus. De operante ilio ut velimus dictum est: Deus est enim qui operatur in vobis et velie. De cooperante autem cum iam volumus et volendo facimus: Scimus, inquit, quoniam diligentibus Deum omnia cooperatur in boiium (Rom. V i l i , 2 8 ) " 1 8 .

Augustin stützt sich bei diesen Überlegungen auf die Interpretation der ihm besonders wichtigen Textstellen Phil. 2 , 1 2 f. und Rom. 8 , 2 8 ; an einer systematischen Klärung der Verhältnisbestimmung von Gnade und Freiheit im Reflexionsprozeß hat dieser existentiell denkende Theologe kein Interesse 1 9 . „Sine nobis et cum nobis" 2 0 wirkt Gott. Dieses augustinische Cooperatioverständnis drückte den folgenden Jahrhunderten den Stempel auf, bis zu Beginn der Hochscholastik unter dem Einfluß des Aristotelismus die reflektierende Betrachtung des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf als concursus von causa prima und causa secunda in den Vordergrund trat. De gratia et libero aibitrio, X V I I , 33. Vgl. H . J . McSorley, Luthers Lehre vom unfreien Willen, S. 108. 20 De gratia et libero arbitrio, X V I I , 33; ähnlich: De praedestinatione sanctorum, III, 7. 18 10

15

Von dieser historischen Feststellung her gilt es, sich die verschiedenen Ausformungen eines Concursusdenkens in scholastischer und nachsdiolastischer Zeit vor Augen zu führen, um durch den Vergleich das Besondere von K . Barths Concursusverständnis herausarbeiten zu können und die Bedeutung der Neuaufnahme des concursus divinus als Mittelteil der Vorsehungslehre zu ermessen. Für die gesamte Arbeit ergibt sich damit folgende Gliederung: In einem ersten Hauptteil soll eine Typisierung der in der Theologiegeschichte auftretenden Concursusverständnisse vorgenommen werden. Der zweite Hauptteil will K . Barths Concursuslehre darstellen, das Besondere seiner Concursusüberlegungen und die Gründe für die Aufnahme in einem eigenen Mittelteil der Vorsehungslehre aufzeigen und schließlich von biblisch-theologischen Überlegungen her kritische Anfragen an dieses Verständnis richten. In einem dritten Hauptteil sollen dann eigene Gedanken zu diesem Thema geäußert werden.

16

ERSTER

TEIL

Grundtypen der Verhältnisbestimmung von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken Vorbemerkungen Ein geschichtlicher Gesamtüberblick über den concursus divinus ist meines Wissens noch nicht geschrieben w o r d e n S e l b s t L. Scheffczyk verweist in seinem theologiegeschiditlidien Uberblick über die Vorsehungslehre nur an drei Stellen kurz auf das Concursusthema hin 2 . Eine historische Aufarbeitung der Concursusfrage kann und soll nun auch in dieser systematischen Arbeit nicht geliefert werden. Es soll vielmehr in diesem ersten Hauptteil der Arbeit eine Typisierung der in der Theologiegeschichte auftretenden Concursusverständnisse vorgenommen werden. Zwei Auswahlkriterien werden dabei angewandt: es werden zum einen gerade die Vertreter einer Concursuslehre behandelt, mit denen K. Barth sich auseinandersetzt oder die er direkt oder indirekt erwähnt; es wird zum anderen in exemplarischer Weise auf die immer wieder in der Theologie- und Dogmengeschichte angeführten Texte zum concursus divinus zurückgegriffen. Diese Auswahlkriterien werden an einer Stelle durchbrodien: so ist als Vertreter eines mediaten Concursusverständnisses 3 nicht der in der Theologiegeschichte immer wieder genannte Durandus de S. Portiano gewählt worden, sondern J. P. Olivi, der schon vor Durandus diesen Typ eines concursus divinus vertrat; der historische Gesichtspunkt bestimmte diese Auswahl. Es soll nun zunächst eine Typisierung der unter dem Einfluß der scholastischen Philosophie stehenden Concursusverständnisse vorgenommen und anschließend sollen einige Typen der nachscholastischen Epoche dargelegt werden. 1 Einen gewissen historischen Überblick über das Thema geben folgende Artikel: concursus, RE IV, S. 262 ff. von J. Köstlin; concursus, Ene. of Religion and Ethics III, S. 820 ff. von G.J.Stokes; concours divin, Diet, de Theol. Cath. III, Sp. 781ff. von V. Frins. 2 L. Sdieffczyk, Schöpfung und Vorsehung, Handbudi der Dogmengesdiidite II 2 a, S. 100, 113 ff., 131. 3 Ebd., S. 31 ff.

17 2

Flathow, Problem

1. Der concursus divinus immediatus — das komplexe Concur susverständnis (Thomas v. Aquin (1225—1274), S.th.I,Q105,5) In großer Einmütigkeit wird von den verschiedenen Denkern der Theologiegeschichte4 — und so auch von K.Barth 5 — auf die für das thomasische Concursusverständnis® wichtige Quaestio 105,5 des ersten Buches der Summa Theologia (1267 ff.) hingewiesen. Wegen der besonderen Bedeutung dieser Textstelle für die Concursusfrage des Thomas von Aquin und darüber hinaus wegen der grundlegenden Bedeutung des Thomas für die weitere Klärung des Concursusproblems soll die S. th. I, Q105,5 7 im vollen Wortlaut wiedergegeben werden. 1.1. Das „Daß" des concursus divinus 1.1.1. S . t h . I , Q 105,5 Vor der Darbietung des Textes von Q 105,5 soll seine Einordnung in das erste Buch der Summa Theologia vorgenommen werden. In S.th. I,Q22, also innerhalb der Überlegungen zum innergöttlichen Leben, Erkennen und Wollen (Q14—26), behandelt Thomas die Providentia dei als ratio ordinis rerum in finem (Q22,l). Die Providentia unterscheidet Thomas dabei von der gubernatio, die er als sich in der Zeit (temporale) vollziehende executio ordinis (Q22,l ad 2) versteht. Nachdem Thomas in Q27—43 seine Gedanken zur göttlichen Trinität dargelegt hat, greift er den Gedanken der gubernatio wieder auf und gibt in Q 4 4 , l (auch 103,1) eine Gliederung über den Rest des ersten Buches der Summa Theologia: productione creaturarum (Q44—64), distinctione earum (Q65—102), conservatione et gubernatione (Q103—119). Im letzten Teil des ersten Buches von Summa Theologia (Q106—119) be4 Vgl. u. a. L.Molina, D e concursu generali in: Fr. Stegmüller, Geschichte des Molinismus, S. 194, 15 ff.; Fr. Suarez, Disputationes Metaphysicae, X X I I , Sect. I, VII; Fr. Turrettini, Summa Theologiae, Loc. VI, QIV, V ; A. Calov, Systema locorum theologicorum, S. 1205; J. Köstlin, concursus divinus, RE IV, S. 262. 5 Κ. Barth, K D III 3. S. 150 f., 164. β Thomas v. Aquin kennt den concursus-Begriff in den verschiedensten Zusammenhängen (vgl. S.th. I—II, 46, l c ; S.th. I, 116, l c ; S.th. I—II, 12,3 ad 2; S.th. II—II, 104,2 ad 1; S.c.g. III, 86; 92); das Gemeinsame liegt dabei im Zusammentreffen mindestens zweier Aktivitäten. Ein besonders treffendes Beispiel aus der Providenzlehre findet sich in S.c.g. III, 74: „multitudo et diversitas causarum ex ordine divinae providentiae et dispositionis procedit, supposita autem causarum dispositione, oportet unam alteri quandoque concurrere, per quam impediatur, vel iuvetur ad suum effectum producendum. Ex concursu autem duarum vel plurium causarum, contingit aliquod casualiter evenire . . 7 Ferner ist auf folgende Texte zu verweisen: S.c.g. III, Q 66—90 (besonders Q 67—70, 88, 89); De potentia, 3 ad 7; De caritate, 1; De malo, 3 ad 2; In octo libros Physicorum Aristoteles, L. VIII, besonders 1. VI ff. Es handelt sich also um Texte theologischer und philosophischer Schriften.

18

h a n d e l t T h o m a s d i e F r a g e , w i e ein G e s c h ö p f d a s a n d e r e b e w e g t , d a v o r in Q 1 0 3 — 1 0 5 d i e g u b e r n a t i o r e r u m in c o m m u n i ( Q 1 0 3 ) u n d in s p e c i a l i ( Q 1 0 4 — 1 0 5 ) . D i e g u b e r n a t i o dei s p e c i a l i s b e h a n d e l t e i n m a l d i e c o n s e r v a t i o in esse ( Q 1 0 4 ) — m i t N a c h d r u c k b e t o n t T h o m a s hier d a s E r h a l t e n des geschöpflichen Seins mittels der causae secundae — , z u m andern die m u t a t i o o d e r m o t i o c r e a t u r a r u m a d e o ( Q 1 0 5 ) , w o b e i diese Q u a e s t i o a u f d e m H i n t e r g r u n d d e s aristotelischen B e w e g u n g s s a t z e s : „ o m n e , q u o d m o v e t u r , a b a l i o m o v e t u r " gesehen w i r d 8 . I n d e r Z w e i g l i e d e r u n g d e r g u b e r n a t i o s p e c i a l i s d e u t e t sich d i e U n t e r s c h e i d u n g v o n esse u n d o p e r a r i f o r m a l an. D i e Q u a e s t i o 1 0 5 g l i e d e r t sich n u n in d i e b e i d e n B l ö c k e 1 0 5 , 1 — 5 : Gottes Wirken secundum ordinem naturae und 1 0 5 , 6 — 8 Gottes Wirken p r a e t e r o r d i n e m n a t u r a e . A m S c h l u ß d e s e r s t e n B l o c k e s als Z u s a m m e n f a s s u n g steht d i e Q 1 0 5 , 5 : „Utrum deus operetur in omni operante": „ A D Q U I N T U M s i c proceditur. Videtur quod Deus non opeietur in omni operante. Nulla enim insufficientia est Deo attribuenda. Si igitur Deus operatur in omni operante, sufficienter in quolibet operatur. Superfluum igitur esset quod agens creatum aliquod operaretur. 2. P R A E T E R E A , una operario non est simul a duobus operantibus, sicut nec unus numero motus potest esse duorum mobilium. Si igitur operatio creaturae est a Deo in creatura operante, non potest esse simul a creatura; et ita nulla creatura aliquid operatur. 3. P R A E T E R E A , faciens dicitur esse causa operationis facti, inquantum dat ei formam qua operatur. Si igitur Deus est causa operationis rerum factarum ab ipso, hoc erit inquantum dat eis virtutem operandi. Sed hoc est a principio, quando rem facit. Ergo videtur quod ultenus non operetur in creatura operante. S E D C O N T R A est quod dicitur Is. 26: „Omnia opera nostra operatus es in nobis, Domine." [I.] R E S P O N D E O dicendum quod Deum operari in quolibet operante aliqui sic intellexerunt, quod nulla virtus creata aliquid operaretur in rebus, sed solus Deus immediate omnia operaretur; puta quod ignis non calefaceret, sed Deus in igne; et similiter de omnibus aliis. — Hoc autem est impossibile. Primo quidem, quia sic subtraheretur ordo causae et causati a rebus creatis; quod pertinet ad impotentiam creantis. Ex virtute enim agentis est quod suo effectui det virtutem agendi. — Secundo, quia virtutes operativae quae in rebus inveniuntur, frustra essent rebus attributae, si per eas nihil operarentur; quinimo, omnes res creatae viderentur quodammodo esse frustra, si propria operatione destituerentur; cum omnes res sint propter suam operationem. Semper enim imperfectum est propter perfectius. Sicut igitur materia est propter formam; ita forma, quae est actus primus, est propter suam operationem, quae est actus secundus; et sic operatio est finis rei creatae. Sic igitur intelligendum est Deum operari in rebus, quod tarnen ipsae res propriam habeant operationem. [II.] Ad cujus evidentiam considerandum est, quod cum sint causarum quatuor genera, materia non est principium actionis, sed se habet ut subjectum recipiens actionis effectum; finis vero, et agens et forma se habent ut actionis principium; sed ordine quodam. Nam primum quidem principium actionis est finis, qui movet agentem; 8 Vgl. S.th. I, Q 105, 4 ad 2 und S.th. I, Q 8, 1; ebenso S.c.g. III, Q 78; Aristoteles, Physik, VII, 2 (243 a).

19 2»

secundo vero agens; tertio autem forma ejus quod ab agente applicatur ad agendum; quamvis et ipsum agens per formam suam agat, ut patet in artificialibus. Artifex enim movetur ad agendum a fine, qui est ipsum operatum, puta arca, vel lectus; et applicat ad actionem securim, quae incidit per suum acumen. [III.] Sic igitur secundum haec tria Deus in quolibet operante operatur. Primo quidem secundum rationem finis; cum enim omnis operatio sit propter aliquod bonum verum vel apparens, nihil autem est vel apparet bonum, nisi secundum quod participât aliquam similitudinem summi boni, quod est Deus, sequitur quod ipse Deus sit cujuslibet operationis causa ut finis. — Secundo considerandum est, quod si sint multa agentia ordinata, semper secundum agens agit in virtute primi agentis. Nam primum agens movet secundum ad agendum; et secundum hoc omnia agunt in virtute ipsius Dei; et ita ipse est causa omnium actionum agentium. — Tertio considerandum est, quod Deus movet non solum res ad operandum, quasi applicando formas et virtutes rerum ad operationem (sicut etiam artifex applicat securim ad scindendum, qui tamen interdum formam securi. non tribuit), sed etiam dat formas creaturis agentibus, et eas tenet in esse. Unde non solum est causa actionum, inquantum dat formam, quae est principium actionis (sicut generan s dicitur esse causa motus gravium et levium), sed eiiam sicut conservane formas et virtutes rerum; prout sol dicitur causa manifestationis colorum, inquantum dat et conservât lumen, quo manifestante colores. Et quia forma rei est intra rem, et tanto magis quanto considerate ut prior et universalior; et ipse Deus est proprie causa ipsius esse unversalis in rebus omnibus, quod inter omnia est magis intimum rebus; sequitur quod Deus in omnibus intime operetur, Et propter hoc in Sacra Scriptura operationes naturae Deo attribuuntur, quasi operanti in natura secundum illud Job 10: „Pelle et carnibus vestisti me, ossibus et nervis compegisti me." A D P R I M U M ergo dicendum quod Deus sufficienter operatur in rebus ad modum primi agentis; nec propter hoc superfluit operatio secundorum agentium. A D S E C U N D U M dicendum quod una actio non procedit a duobus agentibus unius ordinis; sed nihil prohibet quin una et eadem actio procedat a primo et secundo agente. A D T E R T I U M dicendum quod Deus non solum dat formas rebus, sed etiam conservât eas in esse, et applicat eas ad agendum, et est finis omnium actionum, ut dictum est."

Nadb den drei öbjectiones und dem Sed contra gibt Thomas von Aquin im ersten Abschnitt des Corpus zunächst eine negative Abgrenzung seiner Themafrage: „Utrum Deus operatur in omni operante." Es geht ihm bei diesem Thema nicht um die göttliche Alleinwirksamkeit, „quod ignis non calefaceret, sed Deus in igne", wie die arabischen Philosophen meinten9. Das führe einmal zur „impotentia" des Schöpfers, der ja selbst den Geschöpfen die Wirkkraft gab, zum andern dazu, daß den Dingen „frustra" diese Wirkkraft verliehen worden sei. In Anklängen an die Akt-Potenz-Lehre betont Thomas darum, daß alle geschaffenen Dinge ihr Sein um des Wirkens willen empfangen haben: die forma, die im actus primus der materia das esse gibt10, ist als das weniger Vollkommene auf die operatio, den actus secundus, als dem Vollkommeneren, 8 10

riae".

20

Vgl. audi S.c.g. III, Q 69 und De potentia 3 a. 7. Vgl. S.th. I, Q 45, 5; auch „De principiis naturae", 339: „forma dat esse mate-

ausgerichtet. Auf diesem Hintergrund muß also die Ausgangsfrage des Thomas gesehen werden. Im zweiten Abschnitt legt Thomas in der causa-Lehre die Voraussetzung für die Klärung der Ausgangsfrage dar: von den vier causae stehen der materia, dem „subjectum recipiens actionis effectum", die drei „principia actionis" gegenüber: finis, agens, forma. Von den drei principia actionis hat die finis die ontologisch vorgeordnete Stellung inne; sie bewegt den agens, das zweite principium actionis, das wiederum die forma zum Eigenwirken entbindet, wobei zugleich auch die causa agentis durch die forma hindurch wirkt. Damit ist das Concursusproblem in seiner Allgemeinheit vor Augen geführt: das Bewegtwerden der forma bei Festhalten ihrer Eigenbewegung, das Erwirken der operatio durdi das Eigenwirken der forma und zugleich durch das Mitwirken der anderen principia actionis. Der dritte Abschnitt bezieht dann die Überlegungen des zweiten auf das Thema der Quaestio 105,5: „Sic igitur secundum haec tria Deus in quolibet operante operatur." Gott wirkt zunächst nach Art der finis: da nämlich jede operatio auf ein bonum hingeordnet ist, das in einer gewissen Ähnlichkeit am summum bonum, d.h. Gott, Anteil hat, ist Gott selbst als Ziel der operatio ihre Ursache. Ferner ist Gott als primum agens die causa omnium actionum agentium, da in seiner Kraft alle secunda agentia wirken. Schließlich entbindet Gott nicht nur die selbst auf die operatio hingeordneten formae zur operatio, sondern er gibt den wirkenden Geschöpfen die formae und erhält sie auch im Sein. Indem Gott somit die auf ihre eigene operatio ausgerichteten formae zu ihrer operatio appliziert, wirkt er „intime"11 in allem Wirken, so daß nun „una et eadem actio" vom primus und secundus agens hervorgebracht wird 12 . Damit bejaht Thomas die Ausgangsfrage, das „Daß" des hier in seiner Allgemeinheit dargelegten concursus divinus; auf die Frage des „Wie" geht Thomas demgegenüber nur in Andeutungen, nicht explizit ein. 1.1.2. Thematische Übersicht zu Thomas' Concursusverständnis War Thomas in S.th.I,Q105,5 in ganz allgemeinen Überlegungen auf das Concursusthema eingegangen, so behandelt er in den vorangehenden Quaestionen unter stärkerer thematischer Fixierung dieselbe Frage. In Q 105,2 geht er auf die Frage des göttlichen Wirkens im Naturgeschehen 11

Vgl. audi S.c.g. III, Q 89. Vgl. „De potentia", 3 a . 7 und S.c.g. III, Q 70: „Patet edam, quod non sic idem efïectus causae naturali et divinae virtuti attribuitur, quasi partim a Deo, partim a naturali agente fiat, sed totus ab utroque secundum alium modum, sicut idem effectus totus attribuitur instrumento, et principali agenti etiam totus." 12

21

ein: „ejusdem (Gottes) autem est imprimere formam, et disponere ad formam, et dare motum consequentem formam." In Q 1 0 5 , 4 geht Thomas auf Gottes Mitwirken bei den Akten der freien Geschöpfe ein: Gott wirkt als ultimus finis und als primus movens auf den freien Willen durch die inclinatio des Willens, zugleich aber hat der Wille eine „propria inclinatio" und ein „dominium sui actus" 1 3 . Und so wird der freie Willensakt vom Willen als dem principium intrinsecum und von Gott als dem principium extrinsecum bewirkt: „moveri ex se non répugnât ei quod movetur ab alio" ( Q 1 0 5 , 4 ad 2). Beim Erwirken des Sündenaktes wirkt die causa prima beim effectus der Tat mit, die Defizienz der Tat wirkt das freie Geschöpf allein 14 . Schließlich sei auch auf „De caritate", 1 verwiesen, wo Thomas die Parallelität zwischen dem göttlichen Mitwirken in den Naturdingen, in den freien Geschöpfen 15 , aber auch beim Erwirken der guten Tat aufzeigt: „Relinquitur igitur quod oporteat esse quemdam habitum caritatis in nobis creatum, qui sit formale principium actus dilectionis. Nec tarnen per hoc excluditur quin Spiritus sanctus, qui est caritas increata, sit in homine caritatem creatam habente, movens animam ad actum dilectionis, sicut Deus movet omnia ad suas actiones, ad quas tamen inclinantur ex propriis formis. Et inde est quod omnia disponit suaviter, quia omnibus dat formas et virtutes inclinantes in id ad quod ipse movet, ut in illud tendant non coacte, sed quasi sponte." 1 6 Die formale Entsprechung des Zusammenwirkens von Schöpfer und freiem Geschöpf beim Erwirken des freien Aktes in der Natur- und Gnadenordnung — die letztere überhöht die erstere als superadditive Seinsordnung — ist deutlich 17 . „De potentia", 3 a. 7, ad 12; ebenso S.c.g. III, Q 8 8 — 8 9 . Vgl. De malo, Q 3 a. 2 : „Sic ergo dicendum, quod cum Deus sit primum principium motionis omnium, quaedam sie moventur ab ipso quod etiam ipsa seipsa movent, sicut quae habent liberum arbitrium: quae si fuerint in debita dispositione et ordine debito ad recipiendum motionem qua moventur a Deo, sequentur bonae actiones, quae totaliter reducuntur in Deum sicut in causam; si autem deficiant a debito ordine, sequetur actio inordinata, quae est actio peccati; et sic id quod est ibi de actione, reducetur in Deum sicut in causam; quod autem est ibi de inordinatione vel deformitate, non habet Deum causam, sed solum liberum arbitrium." 13

14

Vgl. „De caritate", 1, Corpus. Vgl. ebd., Corpus. 1 7 Vgl. ebd., ad 13; ähnlich S.th. I I — I , Q 109—114, besonders Q 111, 2, wo Thomas das Verhältnis von gratia operans und cooperane schildert. Unter dem Gesichtspunkt der Gnade als Zustand verleiht Gott durch die gratia operans ein donum habitúale superadditum, eine auf die operatio ausgerichtete forma, und wirkt durch die gratia cooperane bei der operatio der forma mit ( Q 111, 2). Unter dem Gesichtspunkt der Gnade als Bewegung handelt es sich einmal um einen inneren Akt, bei dem Gott der Beweger, der Wille der unter eigener Zustimmung Bewegte ist (Q 111, 2 ; 113, 3), zum anderen um einen äußeren Akt, bei dem Gott erhaltend und unterstützend mitwirkt (Q 111, 2 ; 114, 4). 15

16

22

1.2. Das „Wie" des concursus divinus In S.th. I,Q105,5 geht Thomas vor allem auf das „Daß" des göttlichen Mitwirkens ein, das „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda deutet er in S.th.I,Q105,5 ad 2 und 3 an und gibt im ersten und zweiten Abschnitt dieser Quaestio die Voraussetzungen für die Beantwortung dieser Frage die causa-Lehre und das AktPotenz-Verständnis. Beide Voraussetzungen sollen von ihrem philosophischen Verständnis her noch vertieft werden, um dann die Frage des „Wie" des concursus divinus zu beantworten. 1.2.1. Die Zuordnung der vier causae Im Anschluß an Aristoteles 18 unterscheidet Thomas zwischen einem vierfachen causa-Begriff : causa materialis, woraus ein Ding entsteht, causa formalis, durch die ein Ding entsteht, causa efficiens, von der ein Ding gewirkt wird, causa finalis, um deretwillen ein Ding entsteht. In der Schrift „De principiis naturae" (1255) — also in einer der Frühschriften — nimmt Thomas eine Zuordnung der causae vor, wie sie sich auch in seinem späteren Werk findet, z.B. in S.th.I,Q105; „materia autem et forma dicuntur intrinsecae rei", weil sie ein Ding (res) konstituieren, „efficiens autem et finalis dicuntur extrinsecae", weil sie außerhalb eines Dinges verbleiben (352). Die causae intrinsecae sind nun so aufeinander bezogen, daß die materia der forma vorgeordnet ist der Entstehung und der Zeit nach, „generatione et tempore" (357), daß jedoch die forma der materia vorgeordnet ist der Substanz und Vollkommenheit nach, „substantia et complemento". In gleicher Weise sind auch die causae extrinsecae einander zugeordnet: die causa efficiens ist der causa finalis vorgeordnet „generatione et tempore", die causa finalis der causa efficiens „substantia et complemento", denn „finis est causa causalitatis efficientis"; die causa finalis wirkt, daß die causa efficiens wirksam ist; darüber hinaus bewirkt sie auch: „materiam esse materiam et formam esse formam", denn die materia nimmt die forma nur wegen der finis auf, und die forma vervollkommnet die materia nur durch die finis (356); „forma dat esse materiae" (339). Zum andern erfahren die causae in Abschnitt 359 eine Zuordnung wie auch in S.th.I,Q105,5: „Et notandum quod tres causae possunt incidere in unum, scilicet forma, finis, et efficiens: sicut patet in generatione ignis. Ignis enim generat ignem, ergo ignis est causa efficiens inquantum generat; et iterum ignis est causa formalis, inquantum facit esse actu quod prius erat in potentia; et iterum finis est, inquantum terminantur ad 18

Physik II, 1—3, besonders 3. Vgl. H. Doldi, Kausalität, S. 58 ff.; H.Meyer, Thomas v. Aquin, S. 327 ff.

23

ipsum operationes agentis, et inquantum est intentus ab agente. . . . Materia autem non coincidit cum aliis, quia materia, ex eo quod est ens in potentia, habet rationem imperfecti, sed aliae causae cum sint actu, habent rationem perfecti." Aus dieser zweifachen Zuordnung der causae wird die Zwischenstellung der forma deutlich: sie ist einmal ein principium actionis, gehört insofern mit der causa efficiens und der causa finalis zusammen; sie ist andererseits eine intrinseca res, gehört insofern gegenüber dem agens und der finis mit der materia zusammen. Sie ist ein principium actionis intrinsecum, das die causa agentis und die finis zugleich —innerlich mitwirkend — zur operatio applizieren. In dieser Zuordnung wird ferner die ontologisch vorrangige Stellung der causa finalis als causa causarum, als causa causalitatis in omnibus causis (356), deutlich. 1.2.2. Das Verhältnis von actus und potentia In S.th.I,Q 105,5 läßt Thomas im ersten Abschnitt des Corpus sein Akt-Potenz-Verständnis anklingen. Ganz knapp mag es an Hand der Frühschrift „De ente et essentia" (1254—56) 19 beschrieben werden. In zweifacher Richtung ist der actus-potentia-Gedanke zu vollziehen: Alles Seiende ist für Thomas in Zustände „in potentia" und „in actu" unterschieden; das potentiell Seiende ist auf den Zustand „in actu" als dem ontologisch höher stehenden Zustand ausgerichtet (intendere); andererseits bewirkt das Seiende „in actu" den Übergang aus dem Potenzzustand in den Aktzustand. „Omne quod recipit aliquid ab alio est in potentia respectu illius; et hoc quod receptum est in eo est actus eius." 20 So bildet sich eine Hierarchie über verschiedene Seinsstufen, die sich weniger im ontologischen Zustand der Potenz und mehr in dem des Aktes befinden, von der materia prima, der reinen Potenz, bis zum actus purus. In anderer Richtung geht in der thomasischen Ontologie alles Seiende vom actus purus, dem summum ens, aus und nimmt an ihm teil. So baut sich Thomas' Seinsordo in verschiedenen participatio-Abstufungen auf 2 1 . Als summum ens und als actus purus ist Gott somit der Grund und das Ziel alles Seienden. In S. th. I, Q105,5 ist die forma als der actus primus nun auf die operatio als dem actus secundus hingeordnet. Im Kommentar (1261 ff.) zu Aristoteles „In Physicorum VIII", L. VIII, u. zw. besonders 1. VII f. 22 , gibt " Vgl. audi Aristoteles, Physik, VIII, 5 (257b) und Metaphysik IX und H.Dolch, Kausalität, S. 47 ff., 62 ff. 20 21 De ente et essentia, S. 50. Vgl. audi Platon, Phaidon XLIX. 22 Vor allem J. Stufler hat immer wieder auf diesen Text aufmerksam gemacht, u. a. „Das Wirken Gottes in den Geschöpfen nadi dem hl. Thomas", ZkTh (49) 1925, S. 71 f.; „Zur Kontroverse über die praemotio physica", ZkTh (47) 1923, S. 546.

24

Thomas innerhalb der Interpretation des aristotelischen BewegungsJ . Stufler versuchte in den zwanziger Jahren durch höchst detaillierte Textuntersuchungen nachzuweisen, daß Thomas v. Aquin einen concursus divinus immediatus nicht kenne. Er grenzt dabei das thomasische Denken gegen die molinistische Thomasinterpretation und — dies mit besonderem Eifer — gegen das thomistische Thomasverständnis ab („Gott, der erste Beweger aller Dinge", S. 15ff., 45 ff.; „Das Wirken Gottes in den Geschöpfen nach dem hl. Thomas", ZkTh (49) 1925, S. 68 f., 216; „Ergebnis der Kontroverse über die thomistische Konkurslehre", ZkTh (51) 1927, S. 331 f., 349 ff.) und ordnet Thomas v. Aquin in der Behandlung des Concursusproblems in der Nähe von Durandus de S. Portiano an („Gott, der erste Beweger aller Dinge", S. 110 f.; „Bemerkungen zur Konkurslehre des Durandus von St. Pourçain", „Aus der Geisteswelt des M A " I, S. 1085 f.). Es gab dann in den folgenden Jahren eine heftige Diskussion vor allem in der ZkTh und dem Divus Thomas (vgl. u. a. P. R . Schuhes, Johannes von Neapel, Thomas v. Aquin und P. Stufler über die praemotio physica, Divus Thomas (1) 1923, S. 123 ff.; J . Stufler, Zur Kontroverse über die praemotio physica, ZkTh (47) 1923, S. 533fi.; P. R . Schuhes, Die Lehre des hl. Thomas über die Einwirkung Gottes auf die Geschöpfe, Divus Thomas (2) 1924, S. 176ff., 277ff.; J . Stufler, Das Wirken Gottes in den Geschöpfen nach dem hl. Thomas, ZkTh (49) 1925, S. 62ff.; 186ff.; J . Stufler, Ergebnis der Kontroverse über die thomistische Konkurslehre, ZkTh (51) 1927, S. 329 ff.), die einen gewissen Abschluß mit J . Stuflers Buch „Gott, der erste Beweger aller Dinge", Innsbruck 1936 fand. Die Hauptthesen von Stuflers Thomasinterpretation sind folgende: 1. „Die Lehre, daß Gott nicht bloß das, was er aus nichts erschafft, sondern auch all das, was die zweiten Ursachen durch Veränderung bewirken, unmittelbar durch seinen Konkurs verursache, findet sich bei Thomas nicht" („Gott, der erste Beweger aller Dinge", S. 90; vgl. auch „Das Wirken Gottes in den Geschöpfen . . . " , ZkTh (49) 1925, S. 63 f.; „Ergebnis der Kontroverse . . . " , ZkTh (51) 1927, S. 336). Für das thomasische Denken lehnt J . Stufler damit den concursus divinus immediatus ab. In den Einzelausgaben bedeutet das: 2. „Es ist ein Grundgesetz der aristotelisch-thomistischen Physik und Metaphysik, daß die Naturdinge außer den durch die Generation erhaltenen Formen und Prinzipien keines Impulses zur Tätigkeit oder Bewegung mehr bedürfen. Thomas hat dies wiederholt ausgesprochen" („Gott, der erste Beweger aller Dinge", S. 10). Alleintätig geht die in den actus primus hineingestellte Form der Naturdinge durdi die inclinatio, den appetitus oder den instinctus naturalis in den actus secundus, die operario, über (vgl. „Das Wirken . . . " , ZkTh (49) 1925, S . 6 5 f f . ; „Ergebnis der Kontroverse . . . " , ZkTh (51) 1927, S. 331 f.). Ferner: 3. „Daß die Applikation und Bewegung unmittelbar von Gott geschehe durch einen Impuls, den nur er durch seine Allmacht geben könne, davon steht bei Thomas kein Wort" („Gott, der erste Beweger aller Dinge", S. 40); nur mittelbar appliziere Gott die Geschöpfe zum Wirken (vgl. „Das Wirken . . . " , ZkTh (49) 1925, S. 187ff.; „Ergebnis der Kontroverse . . . " , ZkTh (51) 1927, S. 338. Und so folgt: 4. „Unmittelbarer Effekt Gottes ist nur das, was allein durch Erschaffung aus nichts entstehen kann. Was aus einem bereits bestehenden Stoff werden kann, verursacht Gott nur mittelbar durch die zweiten Ursachen" („Gott, der erste Beweger aller Dinge", S. 89; vgl. „Das Wirken . . . " , ZkTh (49) 1925, S. 213 ff.; „Ergebnis der Kontroverse . . . " , ZkTh (51) 1927, S. 343 ff.

25

satzes 23 : „Omne, quod movetur, ab alio movetur" (1021—1036) eine Differenzierung dieses Gedankens. An folgendem aristotelischem Beispiel verdeutlicht Thomas den Sachverhalt: ein Lehrer überführt den Schüler im Ausbildungsprozeß aus dem Zustand „in potentia" „ad actum scientiae"; es ist dies der Zustand des actus primus, der zugleich als „in potentia secunda" 2 4 auf die Verwirklichung im actus secundus hingeordnet ist, also auf die Betätigung des Wissens durch den Schüler. Gilt vom actus primus „iam habet habitum scientiae sed non considérât utens habitu" (1031), so vom actus secundus das considerare (1033). Der actus primus erfährt — entsprechend der forma im causa-Verständnis — eine Doppelbestimmung: er ist einmal das „principium motus" (1035), eben als forma das „principium operationis" 2 5 , so daß er aus sich selbst (per se ipsum) 26 tätig zu werden vermag; er besitzt die „inclinado" hierzu (1035). Andererseits ist dieses „principium motus" in „potentia secunda"; erst durch ein applizierendes movens intrinsecum (nicht extrinsecum oder violentus, 1022 ff.)27 gelangt der actus primus entsprechend dem Bewegungssatz: „omne, quod movetur, ab alio movetur" im Eigenwirken in den actus secundus. 1.2.3. Die Verhältnisbestimmung des Wirkens der causa prima mit der causa secunda Auf dem Hintergrund dieses causa- und actus-potentia-Verständnisses ergibt sich folgende Beantwortung des „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda: In der Erschaffung wird der causa secunda mit der forma das Sein von der causa prima verliehen, d.h. es wird in den actus primus hineingestellt. Die causa secunda besitzt damit das principium operationis, die Man wird gegen J. Stuflers Thomasinterpretation folgendes vorbringen müssen : Zu 2 : Die forma vermag sich durch die inclinatio im actus primus selbst in den actus secundus zu überführen; gleichwohl verbleibt sie ohne die Mitwirkung in der potentia secunda. Zu 3: Der Übergang aus der potentia secunda in den actus secundus geschieht durch die applicano der causa prima, die als finis — und damit auch als causa efficiens — unmittelbar innerlich, also auch in der inclinatio naturalis, mitwirkt. So wird ein und derselbe Effekt unmittelbar von der causa secunda und dem göttlichen Mitwirken gewirkt (zu 1 und 4). 23 Aristoteles, Physik VII, 1 (241b); VIII, 4 (256 a); VIII, 5 (256 a); Thomas, S. th. I, Q 2, 3; S.c.g. I, Q 13. 24 Vgl. 1031: „Ergo de prima potentia reducitur in actum cui coniungitur secunda potentia." 25 Vgl. S. th. I, Q 7 3 , 1; Q 105, 5. 29 Vgl. „In Physicorum VIH", L. VIII, 1. VIII, Summa 3 und 1. VII, Summa 4. 27 Vgl. 1024 f. Hier liegt ein Unterschied zur spateren thomistischen Concursuslehre, die eine motio extrínseca für das Eingehen in den Zustand des actus secundus annimmt.

26

inclinatio ad agendum, so daß sie unmittelbar „a se ipso" die Handlung und den Effekt zu bewirken vermag (posse agere). Die causa prima gibt nun aber nicht nur das Sein und erhält es; sie appliziert als ultimus finis und damit auch als causa efficiens „magis intime" — nicht in einem motus violentus — die causa secunda zum aktualen Tätigwerden (actu agere). Auch die causa prima bringt somit als finis und als agens, mit ihrer virtus selbst durch die causa secunda innerlich wirkend, unmittelbar die Handlung und den Effekt mit hervor; ein und dieselbe Handlung wird unmittelbar, in komplexer Weise von der causa prima und der causa secunda gewirkt, denn „inclinatio" der forma der causa secunda und „applicatio" der causa prima als finis und agens wirken innerlich zusammen im Ubergang von der potentia secunda in den actus secundus, der operatio. Gott als causa prima bleibt dabei transzendent; im Gegensatz zu den causae secundae sind in ihm actus primus und secundus, also esse und operari 28 , wie auch essentia und esse29, untrennbar vereint. Zugleich ist aber Gott in seinem Sein und Wirken durch die Theorie des aristotelischen Bewegungssatzes so eng an die immanenten Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten gebunden, daß auch umgekehrt aus den Ordnungen der Welt auf Gottes Sein zurückgeschlossen werden kann (S.th. I,Q2,3). 1.3. Der Anlaß der Concursusiiberlegungen: Thomas'

Erkenntnislehre

Von der thematischen Bestimmung des concursus divinus S . t h . I , Q 105,1—5 ist noch der Artikel 105,3 ausgespart worden, der auf die Frage eingeht: „Utrum Deus moveat immediate intellectum creatum." Thomas zeigt hier, daß Gott dem Geschöpf einmal die forma als principium intellectualis operationis gegeben hat und damit die virtus intellectualis im intellectus possibilis, also die Erkenntniskraft des Geschöpfes, das mit seinem Erkennen freilich „in potentia" bleibt. Zum andern „imprimât ei (intellectui possibili) similitudinem rei intellectae". Die Verstandesdinge haben nämlich zuerst in Gott ihre Existenz und gehen von ihm auf die Kreaturen über, indem sie den intellectus possibilis durch den intellectus agens aktuieren. Die strukturelle Parallelität zu dem Akt-Potenz-Verständnis in den anderen Concursusthemen ist deutlich. Nicht geht Thomas in diesem Artikel auf die Art und Weise und die Bedeutung des geschöpflichen principium intellectualis operationis ein. Nach Thomas ist der Mensch aus geistiger und körperlicher Substanz zusammengesetzt 30 und steht damit auf der Grenze zwischen geistigen und körperlichen Geschöpfen 31 , als solcher besitzt er auch in seiner anima 28 29 31

Vgl. S. th. I, Q 54,1: „substantia dei est suum esse et suum agere". 30 Vgl. ebd , Q 3, 4. Ebd., Q 75, Einleitung Ebd., Q 75, 7; 85,1.

27

u.a. ein „sensitivum" und „intellectivum" als Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen 82 . Der sensus nimmt die Dinge wahr „cum materialibus conditionibus" 38 , d.h. die „particularia" 34 und „singularia" 35 , die durch die Verknüpfung mit der materia individuierte forma. Der intellectus demgegenüber „abstrahlt speciem non solum a materia sed etiam a materialibus conditionibus individuantibus" 3e , er führt zur „cognitio universalium" 37 , zur Erkenntnis des Allgemeinen. Für den Erkenntnis Vorgang gilt nun: „cognitio intellectiva aliquo modo a sensitiva primordium sumit" 88 , die Sinneswahrnehmung geht dem Erkenntnisvorgang voraus, u.zw. „secundum viam generationis et temporis" 39 ; das ist als wichtig festzuhalten. Andererseits aber geht es Thomas entscheidend um die intelligible Erkenntnis der immateriellen Spezies; sie allein bedeuten wahre Erkenntnis 40 . Der Intellekt empfängt dabei im Erkenntnisvorgang das „phantasma" wegen seiner Stoffverhaftetheit und wegen des allgemeinen Erkenntnisgesetzes, daß Körperliches auf Unkörperliches nicht einzuwirken vermag 41 , nur als potentielle Erkennntnisform. Erst der intellectus agens aktuiert den intellectus possibilis und gibt die von allem Sinnlich-Individuellen gelösten Erkenntnisbilder und Spezies42. Das Allgemeine behält damit für die Erkenntnis die vorgeordnete Funktion. Trotz der Bedeutung des intellectus agens und damit des Allgemeinen in seiner Realexistenz für den Erkennntnisvorgang ist dodi gerade Thomas', auf Aristoteles zurückgehendes Aufgreifen der sinnlichen Wahrnehmung zu betonen; gegenwärtige Thomasinterpreten heben dies auch mit Nachdruck hervor 43 . Dieser „energischen Zuwendung zur natürlidien Welt" 44 im Erkenntnisvorgang entspricht in der Seinsordnung die Betonung des beschränkten Eigenseins und -wirkens der geschöpflichen forma 45 . 38

33 Ebd., Q 78, 1. Ebd., Q 84,2. 35 Ebd., Q 85, 1. Ebd., Q 85, 3. 38 37 Ebd., Q 84, 2. Ebd., Q 85, 3. 38 3 Ebd., Q 85, 3. » Ebd., Q 85, 3, ad 1. 40 41 Ebd., Q 84, 2. Ebd., Q 84, 6. 48 Ebd., Q 84, 7. 43 Vgl. besonders J.Pieper, Hinführung zu Thomas v. Aquin, S. 68f., 173f., 182f.; H.Meyer, Thomas v. Aquin, S. 402 f.; G.M.Manser, Das Wesen des Thomismus, Divus Thomas, 1924, S. 211 ff.; 1925, S. 6ff. 44 J. Pieper, Hinführung zu Thomas v. Aquin, S. 173. 45 Thomas nimmt hiermit eine Zwischenposition unter den herrschenden Gruppierungen etwa an der Pariser Universität seiner Zeit ein (vgl. S. th. I, Q 79, 3 und 5) : dem Augustinismus und dem „lateinischen Averroismus" (vgl. J.Pieper, S. 177ff.; G.M. Manser, Divus Thomas, 1924, S. 208 ff.; 411 ff.). Der Augustinismus, der unter St. Tempier (10. 12. 1270 und 7. 3. 1277), R. Kilwardby (18. 3.1277) und J. Pecdiam (29.10.1284 und 30.4.1286) mit dem lateini34

28

Dieses in der sinnlichen Wahrnehmung zunächst beobachtete Eigenwirken der causae secundae verlangt aber die Frage nach dem unmittelbaren Allmaditswirken der causa prima und damit nach dem „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und secunda 46 . 1.4. Zusammenfassung

und

Urteil

1. Thomas von Aquins Concursusverständnis, wie es exemplarisch an Hand von S.th. I,Q105,5 dargestellt wurde, versucht das mit den Sinnen beobachtete Eigenwirken der causae secundae zusammenzudenken mit dem unmittelbaren Allmaditswirken der causa prima. 2. Die Möglichkeit einer rationalen Klärung dieser Frage liegt für die thomasische Concursuslehre im Aufgreifen der aristotelischen Ontologie, u.zw. in folgenden Punkten: 2.1. in der Übernahme des gemeinsam für Schöpfer und Geschöpf geltenden causa-Begriffs, 2.2. in der Übernahme des Vier-Ursachen-Schemas, wonach die causa finalis die ontologisch vorgeordnete Stellung innehat, 2.3. in der Übernahme des actus-potentia-Sdiemas, 2.4. in der Unterscheidung von esse und operari als einer von actus primus und actus secundus in der Geschöpfwelt, worin die spätere Trennung zwischen conservatio und concursus begründet liegt, 2.5. in der Übernahme des Axioms der Bewegungslehre: „omne, quod movetur, ab alio movetur". 3. Mit Hilfe dieser Denkkategorien vermag Thomas ein rational durchsichtiges Verständnis des „Daß" und „Wie" seines komplexen Concursusdenkens zu geben, das geschöpfliches Einwirken und göttliches Allmaditswirken in gleicher Weise ernstnehmen will. sehen Averroismus audi Thomas verurteilte, vertritt u. a. ein mit der Erleuditungstheorie verbundenes Abbilddenken (vgl. G. M. Manser, Divus Thomas, 1924, S. 431). Der „lateinische Averroismus" etwa Siger von Brabants (vgl. Fr. Ueberwegs Grundriß der Gesdiidite der Philosophie II, S. 500, 538 ff.; M. Grabmann, Der lateinische Averroismus im 13. Jahrhundert, 1931) nahm einen allen Menschen gemeinsamen intellectus agens an, der die Erkenntnis des Individuellen bewirkt (Thomas, De unitate intellectus, 233). Ferner lehnte er durdi seine Vorstellung von einer deterministisch gelenkten Weltordnung die göttliche Vorsehung ab und geriet mit seiner Überordnung und scharfen Trennung der Vernunfterkenntnis von der Glaubenserkenntnis in aufklärerisches Denken und Praktizieren hinein (vgl. M. Grabmann). 46 Diese Überlegung entspricht A. M. Landgrafs Feststellung, daß die Concursuslehre erst zu Beginn der Hochscholastik aufbrach.

29

3.1. Die causa prima wirkt als causa finalis und damit als causa efficiens — die selbst auf die operatio inklinierte forma der causa secunda applizierend — innerlich der operatio der causa secunda mit. 3.2. Die inclinatio der forma der causa secunda im Zustand der potentia secunda auf den actus secundus hin fällt in der Aktuierung des actus secundus mit der applicatio der causa prima, der causa finalis und damit causa efficiens, innerlich zusammen. 3.3. Ein und dieselbe Handlung wird somit unmittelbar in komplexer Weise von der causa prima und der causa secunda gewirkt. 4. Thomas vermag mit dieser rational durchsichtigen Darlegung des concursus divinus einmal das Eigenwirken der causa secunda und das Allmachtswirken der causa prima ganz ernst zu nehmen, zum anderen die Transzendenz der causa prima bei ihrem immanenten Wirken; denn esse und operari fallen bei der causa prima — wie audi essentia und esse — im Gegensatz zur causa secunda zusammen. 5. Andererseits sind gegen Thomas' Concursusverständnis folgende Kritikpunkte zu erheben: 5.1. Indem Thomas sein Concursusdenken in ein vorgegebenes ontologisches System lückenlos einspannt, erübrigen sich die biblisch-theologischen Überlegungen zu dieser Frage; d.h. eine inhaltliche Bestimmung der causa prima und der causa secunda, wie sie von der Botschaft des N T her zu denken ist, das biblisch verstandene „Wer" des concursus divinus, kann ausgespart bleiben; die Bibelzitate können als bloße Ergänzung hinzugefügt werden (z.B. S . t h . I , Q 1 0 5 , 4 , 5 : Phil.2,13; Jes.26,12; Hi., 10,8 f.). 5.2. Indem Thomas sein Concursusdenken auf dem Hintergrund der harmonischen Zuordnung von Glauben und Vernunft in ein allgemeingültiges System einordnet, das Natur und Gnade in seinsanaloger Zuordnung umfaßt, kann er den concursus specialis und generalis — unbesehen des Einbruchs der Macht der Sünde — völlig parallel setzen. 5.3. Indem Thomas sein Concursusdenken in eine ontologische Ordovorstellung einordnet, bindet er — gerade auch durch die Übernahme des Bewegungssatzes — Gott als prima causa so eng an die natürliche Ordnung, daß auch rückläufig von dieser auf Gottes Existenz geschlossen werden kann. 5.4. Indem Thomas sein Concursusdenken in ein rational durchsichtiges System verlegt, behandelt er das Zusammenwirken von causa prima und causa secunda in verobjektivierender Weise. Schöpfer und Geschöpf drohen hier — trotz Mitdenkens ihrer Verschiedenheit — auf eine von einem neutralen Beobachter aus betrachtete gemeinsame Gedanken- und Reflexionsebene gestellt zu werden. 30

2. Das mediate Concursusverständnis (J. P. Olivi (1248149—1298), „Quaestiones in secundum librum sententiarum", CXVI) Das mediate Concursusverständnis soll an Hand der 116. Quaestio der von B. Jansen herausgegebenen „Quaestiones in secundum librum sententiarum" des J.P. Olivi (1248/49—98) dargestellt werden ». J. P. Olivi 2 , dessen Lehren teilweise auf dem Konzil von Vienne (1311) verurteilt wurden 3 , gehörte zu den franziskanischen Spiritualen des 14. Jahrhunderts. 2.1. Quaestio

CXVI

Die Quaestio C X V I trägt die Uberschrift: „An scilicet Deus sit causa eius quod peccatum positive dicit" ; es ist also die Frage nach Gottes Mitwirken beim Sündenakt, an der J. P. Olivis Concursusverständnis dargelegt wird. Olivi wendet sich zu Beginn der Quaestio gegen zwei Meinungen, die von Petrus Lombardus in der 37. Distinktion des zweiten Sentenzenbuches referiert werden: „Quidam enim dixerunt quod actus peccatorum et malarum voluntatum, etiam secundum illud quo sunt actus et res quaedam, non sunt a Deo nec habent ullam rationem boni." 4

Es handelt sich bei dieser Ansicht um die völlige Negierung jeglicher Mitwirkung Gottes beim Sündenakt auch dem Sein nach. Die zweite Meinung lautet wie folgt: „Alii vero dicunt quod Deus est causa omnium tarn substantiarum quam actionum et qualitatum, in quantum sunt entia." 5 1 Es war J. Stufler, der auf diesen Text aufmerksam madite. Vgl. J. Stufler, Die Konkurslehr« des Petrus Olivi, ZkTh (54) 1930, S. 406fi.; ferner J. Stufler, Bemerkungen zur Konkurslehre des Durandus von St. Pourçain, Aus der Geisteswelt des Mittelalters I, S. 1080 ff. und P. J. Kaup, Zur Konkurslehre des Petrus Olivi und des hl. Bonaventura, Franz. Studien (19) 1932, S. 315 ff. 2 J. P. Olivi ist also ein früherer Vertreter des mittelbaren Concursusverstàndnisses als der immer wieder in der Theologiegeschichte genannte Durandus (vgl. etwa L. Molina, De concursu generali, S. 196, 21 ff.; Fr. Suarez, Disputationes Metaphysicae, X X I I , Sect. II, II ff.; J. A. Quenstedt, Theologia didactico-polemica, Cap. X I I I , Sect. I, XV; J. Köstlin, Concursus divinus, RE IV, S. 262 usw.). Als Ablehner eines unmittelbaren concursus divinus werden aus der scholastischen Epoche ferner genannt: u. a. P. Aureolus, P. de Aquela von K.Werner, Geschichte des Thomismus, Regensburg 1959, S. 109, Anm. 1; Thomas v. Aquin in der Stuflersdien Interpretation, Herveus Natalis, J. de Neapoli von L. Lercher, Institutioncs Theologiae Dogmaticae II, S. 254; Heinrich von Gent, Herveus Natalis von J. Stufler, Gott, der erste Beweger aller Dinge, S. 109 ff. s J. Koch, Die Verurteilung Olivis auf dem Konzil von Vienne und ihre Vorgeschichte, Scholastik (5) 1930, S. 489 ff. und Denzinger 480. 4 „Quaestiones in secundum librum sententiarum", S. 333. 5 Ebd., S. 335.

31

Diese zweite Ansicht eines unmittelbaren Mitwirkens unterscheidet Olivi nach zwei Ausprägungen: „Sed qui tenent secundum modum dividuntur in duas partes; quia quidam dicunt quod essentia omnium actionum tarn naturalium quam vitiosarum est ita immediate a Deo sicut essentiae quas creat. Et quidam horum dicunt quod Deus applicat omnes virtutes agentium creatorum ad suas operationes, sine qua applicatione non posset voluntas nostra producere actum volendi, etiam perversum." ®

Nach der ersten Meinung bewirkt Gott unmittelbar die essentia aller Handlungen, auch der Sündenakte; nach der zweiten appliziert Gott die Wirkkräfte der Geschöpfe in der Weise, daß ohne diese Applikation der geschöpfliche Wille eine Handlung, auch eine verwerfliche, nicht hervorbringen kann. Diese Anschauung lehnt Olivi ab, er selbst entscheidet sich für eine dritte Ansicht 7 : „Alii vero dicunt quod actiones agentium creatorum, saltern illae quae sunt malae, non sunt a Deo omnino immediate, quia non facit eas nisi per hoc quod fecit et tenet et conservât in esse omnes causas activas et passivas aut qualitercunque cooperantes et concurrentes ad productionem talium actionum. Et per hoc Deus est ita sufficienter et ita indistanter et ita dominanter causa entitatis ipsarum actionum sicut si ab ipso sine omni causa intermedia fluerent; tum quia Deus est intimissimus omnibus causis activis et passivis; tum quia nulla potentia activa potest aliquid entitatis agere nec aliqua potentia passiva aliquid recipere ut distans a divina essentia et potentia; tum quia omnes actiones exeunt a causis secundis aut per vim divini imperii volentis potentiam hoc posse et per vim divinae permissionis permittentis potentiam libere facere suum actum vel non facere et sine hoc nullatenus facere posset. Et secundum hoc subest totum divino velie imperanti vel permittenti."

Es handelt sich hier um das mittelbare Concursusverständnis, das nach Olivi auch von anderen (alii) vertreten wurde: die Handlungen der Geschöpfe werden nicht unmittelbar von Gott gewirkt; nur insofern wirkt Gott auch bei ihnen mit, als er alle Wirkursachen ins Sein stellt und im Sein erhält und bewahrt. Olivi ist der Ansicht, daß Gott durch dieses mittelbare Mitwirken in genügender Weise, ja, direkt und wirkkräftig die Ursache auch der Handlungen selbst sei. Drei Gründe erwähnt er hierfür: (a) Gott ist als Erhalter „intimissimus" in allen Wirkursachen; (b) keine aktive oder passive Potenz kann irgend etwas bewirken oder empfangen ohne Gottes Seinskraft; (c) alle Handlungen gehen von den causae secundae aus auf Grund des göttlichen Befehls, der darauf zielt, daß die Handlungen von den causae secundae selbst hervorgebracht werden, und auf Grund der göttlichen Erlaubnis, daß die causae secundae eine Potenz in freier Bestimmung in den Akt überführen oder nicht. « Ebd., S. 336. 7 Ebd., S. 337: „Quia igitur iste modus omnino videtur mihi tenendus, quia non video quod Deus possit aliter in nostris culpis et vitiis omnino inculpabilis apparere."

32

Ebenso wichtig wie diese drei Gründe für ein mediates Concursusverständnis sind die vier Hauptgründe gegen ein immediates Concursusdenken; eine höchst detaillierte Analyse erfahren sie durch Olivi. Das mediate Concursusverständnis ergibt sich danach aus folgenden Gründen: „Primo, ex hoc quod sunt totaliter et immediate a secundis causis. — Secundo, ex hoc quod sunt a volúntate libera. — Tertio, ex hoc quod sunt vitiosae. — Quarto, ex hoc quod sunt culpabiles seu ex hoc quod agens vel recipiens est culpabilis propter eas."8

In der ersten Begründung, daß eine Handlung ganz und unmittelbar von den causae secundae hervorgebracht werde, wendet Olivi sich zunächst gegen die Annahme, daß dieselbe Handlung ganz und unmittelbar von zwei Wirkursachen hervorgebracht werden könne. Denn für den Fall, daß es sich um zwei verschiedene und getrennte Ursachen handele, könne audi jede unabhängig von der anderen bestehen und wirken. Seien sie jedoch in Verbundenheit einander untergeordnet, so wirke Gott einmal unmittelbar die Handlung, zum andern mittelbar durch das Geschöpf, also doppelt und auf zweifache Weise (339). Ferner lehnt Olivi eine innerliche Mitwirkung Gottes bei dem unmittelbaren Hervorbringen einer Handlung durch das Geschöpf u. a. aus folgendem Grund ab: der effectus einer unmittelbar gewirkten Handlung der causa secunda ähnelt immer ihrer virtus; kooperiere Gott nun innerlich, so könne diese Ähnlichkeit nicht mehr bestehen. Des weiteren wendet Olivi gegen eine „applicatio potentiae agentis creati ad suum actum" (340) durch Gott ein: die natürlichen Potenzen seien durch die Schöpfung in genügender Weise zum Akt appliziert; das Vermögen zur applicatio gehöre zum Schöpfungsbereich, also zu den causae secundae; es wäre auch sonderbar, wenn Gott eine niedere Potenz nicht durch ein höheres geschöpfliches Seiendes applizieren könne 9 . Und endlich wendet Olivi gegen die Überlegung, daß nur dann eine Handlung verwirklicht werde, wenn Gott sie wolle, ein, daß Gott dann auch die gotteslästerlichen Taten wollen müsse; Gott habe jedoch nach seinem Willen bestimmt, daß das Geschöpf aus sich selbst eine Handlung, also auch die gotteslästerliche Tat, ins Sein zu setzen vermag. Alle diese Gegenargumente des ersten Hauptgrundes gegen ein unmittelbares Mitwirken Gottes betonen damit das unmittelbare Hervorbringen einer Handlung durch die causae secundae. Als zweites Hauptargument hebt Olivi die Möglichkeit des freien Willens hervor, sich frei zu entscheiden, die nicht gegeben wäre, wenn der Wille sich nicht aus sich selbst heraus zu einem Willensakt bewegen könne, sondern allein durch die unmittelbare göttliche cooperatio und applicatio 8 9

„Quaestiones in secundum librum sententiarum", S. 337 f. Es handelt sich hier um das sogenannte „mediatione suppositi", vgl. S. 74.

33 3

Plathow, Problem

(341). — Der dritte Hauptgrund wendet sich entschieden gegen eine in der unmittelbaren Mitwirkung implizierten Mittäterschaft Gottes bei den verkehrten Handlungen. Würde nämlich Gott unmittelbar mitwirken, so müßte das auch für Gottesverachtung und Götzendienst (deum odire aut idolum credere et adorare), Stolz und Verbrechen (superbia et malitia) und alle Pervertierungen, Widerstände gegen das Gute, Laster, Sünde und Verstodsung gelten (341 if.). Dieser Folgerung könne auch nicht durch die Feststellung entgangen werden, daß der geschöpfliche Wille vor dem göttlichen Mitwirken die Aktion setze, da sich diese Überlegungen gegen eine Vorstellung der göttlichen Mitwirkung wendet, die vor dem geschöpflichen Wirken um eine göttliche cooperatio weiß (343). Wenn nun aber Gott unmittelbar beim Sündenakt mitwirke — so folgert Olivi viertens —, so sei er auch der Hauptträger der Schuld. Das mediate Concursusverständnis wendet dagegen ein, daß Gott nur das posse agere, das Sein einer Handlung, gebe; den defectus, die defectibilitas, wirke das Geschöpf demgegenüber allein. Gott ist damit nicht die causa próxima des Sündenaktes. Somit lehrt J. P. Olivi mit seinem mediaten Concursusverständnis gegen das immediate, daß Gott die geschöpflichen Kausalgrößen ins Sein setzt und erhält, sie aber selbst eigentätig die Handlungen hervorbringen. 2.2. Der Anlaß und Grund von Olivis

Concursusverständnis

Überschaut man die Literatur der Olivikenner, so wird immer wieder das betonte Ernstnehmen des geschöpflichen Eigenseins und -wirkens durch Olivi hervorgehoben. So ist er etwa ein früher Vertreter der gegen die aristotelische Bewegungslehre gerichteten Impetustheorie10, nach der die bewegende Kraft im sich bewegenden Körper selbst liegt. Diese Theorie wirkt später auf Newtons „klassische Mechanik", die einen Körper im Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung beharrend erkennt, es sei denn, daß er durch die Einwirkung von anderen Kräften gezwungen wird, diesen Zustand zu ändern. So bestimmt nach Olivi der Wille in völliger Unabhängigkeit und freier Entscheidung aus sich selbst den A k t u . Dieses betonte Ernstnehmen des Eigenseins der Kreatur liegt in der Einheit von essentia und esse auch in der creatura begründet, so daß eine unmittelbare Mitwirkung Gottes zur Aktuierung einer Handlung nicht notwendig ist. 10 Vgl. B. Jansen, Olivi der älteste scholastische Vertreter des heutigen Bewegungsbegriffs, Phil. Jahrbuch (33) 1920, S. 137ff. und E.J.Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, S. 199, 202 f. 1 1 Vgl. B. Jansen, Ein neuzeitlicher Anwalt der menschlichen Freiheit aus dem dreizehnten Jahrhundert, Petr. Joh. Olivi, Phil. Jahrbudi (31) 1918, S. 230 ff.

34

Eine Entsprechung findet diese Beobachtung in Olivis Erkenntnislehre 12, nach der die Seele aus sich selbst ein Ding erkennt13. Hierbei verbindet sich — unter Ablehnung der augustinischen Illuminationstheorie und der thomasischen Speziesvorstellung, nach der die Spezies, abstrahiert von der Sinneswahrnehmung, allein durch den intellectus agens im Verstand aktuiert werden — die cognitio sensibilis und intelligibilis in der colligantia 14 . Es handelt sich um eine Vorstellung vom wechselseitigen Einwirken des sinnlichen Erkennens auf das intelligible und umgekehrt, ermöglicht durch die an beiden Erkenntnisfähigkeiten teilhabende materia spiritualis. „Weil bei jedem sinnlichen Akt bereits die geistige Materie mitschwingt, in die letztere sowohl die niederen als audi die höheren Fähigkeiten münden, deshalb wird sich die Anima intellectiva in ganz entsprechender Weise betätigen." 15 Die Betonung des unabhängigen Eigenwirkens der Schöpfung, der in der Erkenntnislehre das unmittelbare und direkte Erkennen der Dinge durch die Seele entspricht, führte bei diesem den Nominalismus mit vorbereitenden Denker zu einem mediaten Concursusverständnis. 2.3. Zusammenfassung

und Urteil

1. An H a n d von J. P. Olivis „Quaestones in secundum librum sententiarum", CXVI läßt sich das mediate Concursusverständnis exemplarisch erheben. 2. Der Grund des concursus divinus mediatus liegt in Olivis Betonung des unabhängigen geschöpflichen Eigenwirkens. 3. In dem mediaten Concursusverständnis ist Gott allein der Schöpfer und Erhalter des geschöpfliehen Seins; nach seinem Willen besitzen die Geschöpfe die Fähigkeit zu eigentätigem Wirken ohne Gottes unmittelbares Mitwirken. 4. Somit wird bei diesem T y p eines Concursus Verständnisses das Eigenwirken der causae secundae absolut ernstgenommen. 5. Jedoch sind folgende Kritikpunkte anzumelden: 5.1. J. P. Olivi hält sich bei seinen Concursusüberlegungen an eine rein formale Betrachtungsweise philosophischer Reflexion; biblisch-theologische Erwägungen stellt er nicht an. 12

Vgl. B. Jansen, Die Erkenntnislehre Olivis. Dieser Satz wird audi von Bonagratia in den 19 Anklagethesen gegen Olivi genannt; vgl. J. Koch, Die Verurteilung Olivis auf dem Konzil von Vienne und ihre Vorgeschichte, S. 503. 14 Vgl. B. Jansen, Die Erkenntnislehre Olivis, S. 76 ff. 15 Vgl. ebd., S. 81 f. 15

35 3»

5.2. Das Aussparen des unmittelbaren göttlichen Mitwirkens aus dem geschöpflichen Wirken führt zu einer Autonomisierung eines Teils des Geschöpfbereiches. 5.3. Hiermit verbunden führt das mediate Concursusverständnis zu einer Beseitigung des göttlichen Regierens und damit zu einer Einschränkung des göttlichen Allmachtswirkens. 3. Die Ablehnung des in der aristotelischen Ontologie begründeten Concursusverständnisses — das personale Cooperatioverständnis M. Luthers (1483—1546) in seiner theologia crucis („De servo arbitrio", Cl.III, S. 253, 6—31) Schon in seinen Frühschriften, in der „Disputatio contra scholasticam Theologiam" (1517) 1 und der „Heidelberger Disputation" (1518) 2 , wendet sich M. Luther scharf gegen das aristotelisch-scholastische Denken. Diese Antihaltung hat M. Luther in seiner Hauptschrift „De servo arbitrio" (1526) beibehalten 3 ; er erweitert sie hier noch auf die Ablehnung des nominalistischen Denkens 4 , in dem er ausgebildet worden war. Schon von dieser Feststellung zu Luthers geistiger Entwicklung her ist es nicht verwunderlich, daß Luther nach M. Seils, der eine sehr detaillierte Untersuchung zu Luthers Cooperatioverständnis geschrieben hat, „den Ausdruck concursus in substantivischer Form wahrscheinlich gar nicht" verwendet 5 und daß Luther in der Hauptschrift „De servo arbitrio", auf die wir uns beziehen, eine systematische Darlegung des concursus divinus oder das von Thomas v. Aquin und J. P. Olivi her bekannte Concursusdenken nicht kennt. Es tritt an die Stelle des concursus-Begriffs und des Concursusdenkens das durch den biblisch-augustinischen cooperatio-BegrifT charakterisierte Denken, dessen Verständnis innerhalb von „De servo arbitrio" — gerade auch im Gegenüber zum Concursusdenken — exemplarisch an Hand einer der Textstellen ausgeführt werden soll, die am prägnantesten auf das Cooperatiodenken eingehen: Cl III, S. 253, 6—31». 3.1. „De servo arbitrio", Cl.III, S. 253, 6—31 Diese Textstelle steht am Ende des dritten Hauptteils von „De servo arbitrio", d.h. nach der Vorrede (Cl.III, S. 94—151,7), dem ersten 1

Vgl. „Luthers Werke, hrsg. O. Clemen (im folgenden abgekürzt mit Cl.) V, S. 320ff., besonders Nr. 17ff.; 42ff. 2 Vgl. Cl.V, S. 377 ff., besonders Nr. 13 ff., 19, 29 ff. 3 4 Vgl. Cl. III, S. 226, 6 ff. Vgl. ebd., S. 214, 21 ff. 6 M. Seils, Der Gedanke vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen in Luthers Theologie, S. 22, Anm. 121. « Ebd., S. 191.

36

Hauptteil (Cl.III, S. 151,8—193,22), der Erasmus' biblische Beweisstellen für den freien Willen widerlegt, und dem zweiten Hauptteil (Cl. III, S. 193,23—230,16), der die von Erasmus selbst vorgetragenen möglichen Gegenbeweisstellen gegen den freien Willen untersucht, in der Stellungnahme zu Erasmus' Widerlegung der von Luther vorgebrachten Schriftstellen gegen den freien Willen (Cl.III, S. 230,17—256,9). Im vierten Hauptteil folgen dann Luthers eigene Gründe und Nachweise gegen den freien Willen (Cl.III, S. 256,10—291,19). Im dritten Hauptteil setzt sich Luther mit folgenden biblischen Textstellen auseinander: Gen.6,3; Gen. 8,21; Jes.40,2; Jes.40,6f.; Jer. 10,23 und Joh. 15,5. Am Schluß der Textinterpretation von Joh. 15,5 (Cl.III, S. 246,22—253,31), besonders der Verstehensbemühungen des „nihil", nämlich, daß der freie Wille nichts ist, daß der Mensch nichts vermag „coram Deo" (S. 251,3,16), steht unser Text. Unmittelbar vor unserer Textstelle verwirft Luther einmal die von Erasmus vorgetragenen Gleichnisse vom Steuermann und Landmannn als nicht für das Thema der Willensfreiheit „coram Deo" passend (Cl.III, S. 252,15—29), erwähnt ferner den Cooperatiogedanken aus l.Kor.3,9 (Cl.III, S. 252,29—35), um dann in gewisser Parallelität Gottes Alleinwirksamkeit in seinem Reich „citra gratiam" (Cl.III, S. 252,35—253,2) und in seinem Reich der Gnade (Cl.III, S. 253,2—5) darzulegen: „omnia in omnibus, etiam in impiis" wirkt Gott im Reich seiner Omnipotenz, „omnia, quae condidit solus, solus quoque movet, agit et rapit omnipotentiae suae motu" 7 ; desgleichen wirkt Gott in den Gerechtfertigten und Erneuerten, „eos agit et movet", sie aber folgen, wirken mit — oder besser — werden zum Handeln getrieben (aguntur) 8 . Hieran schließt sich dann unser Text an: „Non disputamus, quid operante D e o possimus, sed, quid nos possimus, videlicet, an iam creati ex nihilo, aliquid nos faciamus vel conemur ilio generali motu omnipotentiae, ut paremur ad novam creaturam spiritus. Hie respondendum erat, non alio divertendum. Hic enim nos sic respondemus: [I.] Sicut homo, antequam creatur, ut sit homo, nihil facit aut conatur, quo fiat creatura. Deinde factus et creatus nihil facit aut conatur, quo perseveret creatura, Sed utrunque fit sola volúntate omnipotens virtutis et bonitatis Dei nos sine nobis creantis et conservantis, sed non operatur in nobis sine nobis, ut quos ad hoc creavit et servavit, ut in nobis operaretur, et nos ei cooperaremur, sive hoc fiat extra regnum suum generali omnipotentia, sive intra regnum suum singulari virtute spiritus sui, Sic deinceps dicimus: [II.] H o m o antequam renovetur in novam creaturam regni spiritus, nihil facit, nihil conatur, quo paretur ad earn renovationem et regnum, Deinde recreatus, nihil facit, nihil conatur, quo perseveret in eo regno, Sed utrunque facit solus spiritus in nobis, nos sine nobis recreans et conservans recreatos, ut et Jacobus dicit: Voluntarie genuit nos verbo virtutis suae, ut essemus initium creaturae eius; loquitur de renovata 7

Cl. I l l , S. 252, 37 f.

8

Ebd., S. 252, 3 f.

37

creatura. Sed non operatur sine nobis, ut quos in hoc ipsum recreavit et conservât, ut operaretur in nobis et nos ei cooperaremur. Sic per nos praedicat, miseretur pauperibus, consolatur afflictos. Verum quid hinc libero arbitrio tribuitur? Imo quid ei relinquitur, nisi nihil? et vere nihil."

M. Luther formuliert zu Beginn dieses Textstückes zunächst noch einmal klar sein Anliegen: nicht um allgemeine Überlegungen zu den Möglichkeiten geschöpflichen Wirkens angesichts des göttlichen Allmachtswirkens geht es ihm, sondern um die Frage, ob das natürliche Geschöpf irgend etwas zu seiner Rechtfertigung und Wiedergeburt zu tun vermag e . Luther stellt dabei seine Überlegungen aus der Sicht des „Wir" der Glaubenden an (l.Pers.Plur.); es handelt sich nicht um allgemein einsichtige Darlegungen, sondern um Glaubensaussagen. In einer formalen Paralleldarstellung zeigt Luther so das Wirken Gottes außerhalb des Reichs der Gnade durch den göttlichen Allmachtswillen (Cl. III, S. 253, 11—17) und Gottes Wirken durch den heiligen Geist im Reich der Gnade (Cl.III, S. 253,19—31) auf. Nichts, gar nichts vermag die Kreatur zu ihrer Erschaffung und Erhaltung zu tun, allein durch den Willen der allmächtigen Kraft und Güte Gottes geschieht beides „sine nobis"; von allgemeinen Überlegungen geht Luther damit auf die personalen über. Entsprechend vermag der Mensch nichts, gar nichts zu seiner Wiedergeburt und zur Bewahrung als Wiedergeborener zu tun, der heilige Geist allein wirkt beides „sine nobis"; von der allgemeinen Betrachtung geht Luther hier wiederum auf die personale über. Dieses völlige Unvermögen des Menschen vor Gott, die alleinwirksame Gnade Gottes bei der Rechtfertigung des Sünders ist es, um die es Luther geht. In diese nachdrückliche Betonung der göttlichen Alleinwirksamkeit bezieht Luther nun aber den Gedanken des Mitwirkens der Geschöpfe, der glaubenden Geschöpfe, ein. „Sed" leitet jeweils den Aspekt des Kooperierens der Geschöpfe ein (Cl.III, S. 253,15,27): „Sed non operatur in nobis sine nobis" (Cl.III, S. 253,15); kontradiktorisch steht dieser Satz zu der unserem Text vorangehenden Aussage über Gottes Alleinwirksamkeit: Deus „omnia in omnibus . . . operatur . . . solus quoque movet, agit et rapit omnipotentiae suae motu" w , wenn die beiden Aussagen auf der logischen Ebene, der Reflexionsebene, betrachtet werden. M. Luther geht es jedoch um das in der Anrede des Wortes Gottes begründete personale Verständnis der cooperano des Glaubenden in Gottes Allmachtswirken im existentiellen Vollzug, wie es der Finalsatz ausspricht: „ut in nobis operaretur et nos ei cooperaremur". Auf der existentiellen Ebene sind Gottes Allmachtswirken und das instrumental verstandene Mitwirken des Menschen miteinander verbunden zu einer Ein9

38

Vgl. Cl. III, S. 253, 30 f.

10

Ebd., S. 252, 36 ff.

heit als Kooperieren im Sinne von einem „Inwirken" 11 des Geschöpfes in Gottes Allmachtswirken. — „Sed non operatur sine nobis" (Cl. III, S. 253, 27) heißt es entsprechend in Luthers Überlegungen zum „regnum spiritus", und diese Aussage steht wiederum in scheinbarem Gegensatz zu der unserem Text vorausgehenden Betonung der göttlichen Alleinwirksamkeit im Wirken der Glaubenden: „similiter eos agit et movet, et illi . . . , sequntur et cooperantur, vel potius . . . aguntur" 12 , wenn man sie auf der Reflexionsebene betrachtet. Luther geht es jedoch um die Einheit von Gottes allmächtigem Mitwirken „in" 18 und „durch" 14 uns und unserem kooperierenden „Inwirken" 15 in Gottes Allmachtswirken auf der existentiellen Ebene beim Predigen, der Armenfürsorge und dem Trost der Angefochtenen 1β . Die formale Paralleldarstellung der beiden Texthälften von Cl.III, S. 253,11 ff. läßt die Frage nadi ihrer inhaltlichen Zuordnung aufkommen, eine Frage, die nicht allein aus dem Textstück selbst beantwortet werden kann, sondern die Gedanken der ganzen Schrift „De servo arbitrio" miteinbeziehen muß. Das regnum generalis omnipotentiae Dei und das regnum spiritus sancti sind der Bereich des verborgenen Erhaltungswillens Gottes gegen das Böse und das Reich der Rechtfertigung und Erneuerung des offenbaren Gottes, wobei nun aber der verborgene Gott und der offenbare Gott identisch sind, wie der Glaubende gewiß ist 17 . Beiden Bereichen gehören ferner die Glaubenden an, wie aus unserem Text explizit deutlich ist; die Glaubenden sind es, die, ganz „sine nobis" durch Gottes Heilswirken allein von Sünden befreit, gerechtfertigt und erneuert, einmal im regnum spiritus sancti als Prediger, Helfer und Seelsorger für den Nächsten in Gottes Allmachtswirken mitwirken, indem Gott „in" und „durch" sie wirkt, zum anderen im Bereich der göttlichen Erhaltung in Gottes Allmachtswirken kooperieren. So sind die Glaubenden im existentiellen Vollzug gewiß. 3.2. Das personale

Cooperatioverständnis

in Luthers

theologia

crucis

Die Analyse des Textes Cl.III, 253,6ff. und ihre Ergebnisse sollen nun — unter stärker systematischem Aspekt — in die ganze Schrift „De servo arbitrio" eingeordnet werden. Bei den Aussagen zu Gottes Allein- und Allmachtswirken und dem Mitwirken des Geschöpfes geht es — wie unser Text deutlich macht — um das Verständnis des glaubenden „Wir" 18 , also um Gewißheitsaus11 12 14 45 16 18

Vgl. W. Joest, Ontologie der Person bei Luther, S. 318. 13 Cl. III, S. 253, 3 f. Ebd., S. 253, 28. Ebd., S. 253, 29. Vgl.. W. Joest, Ontologie der Person bei Luther, S. 318. 17 Cl. III, S. 253, 29. Cl. III, S. 177, lOff. Vgl. Cl. III, S. 253, 14 ff., 24 ff.; S. 98, 6 ff.; S. 293, 4 f .

39

sagen, die Luther aus der Interpretation biblischer Texte gewinnt und in der Bibel bezeugt weiß. Es geht also nicht um Erwägungen und Reflexionen, die Schöpfer und Geschöpf als causa prima und causa secunda in ein allgemein einsichtiges ontologisches System der natürlichen Vernunft einordnen 19 ; gleichwohl nimmt Luther sonst häufig scholastische Begriffe und Denkformen in Dienst, durdibridit sie nun aber als existentiell denkender Bibeltheologe. Die Glaubenden sind es, die in der Anrede und im Getroffensein des göttlichen Gerichts- und Gnaden Wortes20 von Sünden befreit, gerechtfertigt und erneuert werden allein durch Gottes Gnadenwirkung, ganz „sine nobis"; in der „coram deo"-Relation vermag der sündige Mensch mit seinem Eigentun und -wollen nichts, gar nichts 21 , er ist und bleibt der Empfangende; auch das Beharren der neuen Kreatur, die immer wieder in Anfechtung getrieben und durch sie hindurchgetragen wird, ist Werk allein des heiligen Geistes, „sine nobis". Gleichwohl sind die Glaubenden in anderer Beziehung auch Kooperatoren. Die Glaubenden wirken im Reich Christi, d.h. in seiner Kirche, in Gottes allein wirksamem Allmachtswirken bei der Predigt, der Armenfürsorge, der Seelsorge „mit", und Gott „durch" sie. Gottes Allmachtswirken und das Mitwirken der Glaubenden werden dabei von Luther nicht als Gegensatz zweier kontradiktorischer Größen verstanden, sondern als Einheit des göttlichen Allmachtswirkens „durch" und „mit" dem Mitwirken der Glaubenden, wie sie im existentiellen Vollzug erfahren und gelebt wird 2 2 ; indem Gott „innerlich" lehrt, was der Prediger „außen" verkündigt 28 , geschieht ein und dasselbe Werk von Gott und dem Prediger 24 . Entsprechendes gilt vom Diakon und Seelsorger. Ähnlich sind die Glaubenden audi in Gottes allmächtigem Erhaltungswillen und -wirken „coram mundo" Mitwirkende. Bedingt durch unser Thema ist dieser Gedanke breiter auszuführen. Die Glaubenden sind sich auf Grund der Anrede des Wortes Gottes des „Daß" des unmittelbaren Allmachtswirkens des verborgenen Gottes gewiß 25 . Alles in allem, „omnia in omnibus", wirkt Gott in seiner Omnipotenz; wie ein roter Faden zieht sich dieser Gedanke durch die ganze Vgl. ebd., S. 100, 10ff.; S. 214, 21 ff. Vgl. ebd., S. 153, 2 f f . ; S. 172, 3 f f . ; S. 173, 3 7 f f . ; S. 175, 35ff. 2 1 Vgl. ebd., S. 250, 35 f.; S. 251, 15 f. 2 2 Ganz allgemein ist zu sagen, daß Luther den cooperatio-Begriff fast ausschließlich auf die belebte Kreatur anwendet; Luther kann jedoch auch beim Brot von einem cooperari spredien: WA 17 II, S. 191, 19ff. Vgl. M.Seils, S. 160. 2 3 Vgl. auch WA 40 III, S. 234, 20 ff. 24 Vgl. Cl. III, S. 252, 31 ff. 2 5 Vgl. ebd., S. 177, 2 6 f f . ; S. 182, 8 f f . ; ebenfalls WA 5, S. 544, 18ff.; WA 43, S. 178, 39ff.; WA 46, S. 560, 4 f f . ; WA 38, S. 373, 2 0 f f . ; WA 12, S. 442, I f f . ; WA 45, S. 13, 9 ff. 19 20

40

Schrift „De servo arbitrio" 2β . Nach seinem Vorauswissen reißt Gott durch seine Allmacht alles mit sich27; ja, wie ein Töpfer formt er alles nach seinem Willen. In der Geschidite und im Leben des einzelnen 28 wirkt Gott in seinem Allmachtswillen „durch" die freien Geschöpfe29, die Ungläubigen 30 , den Satan 31 , die damit nur als „Masken, Larven, Mummerei" 32 , als „Instrumente" 33 oder Diener an Gottes Erhaltungswillen beteiligt sind, dessen sind die Glaubenden gewiß. Die Glaubenden sind der verborgenen Gegenwart Gottes in allem, in Geschichte und Natur, gewiß, wie Luther in der jede geschlossene Raumvorstellung, jedes Kausalschema, jede einordnende Klassifikation von Immanenz und Transzendenz relativierenden und zerbrechenden Ubiquitätsüberlegung in der Abendmahlschrift von 1528 bekennt: „Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner. Nichts ist so groß, Gott ist größer. Nichts ist so kurz, Gott ist noch kürzer. Nichts ist so lang, Gott ist noch länger. Nichts ist so breit, Gott ist noch breiter. Nichts ist so schmal, Gott ist noch schmäler, und so fort an ists ein unaussprechlich Wesen über und außer allem das man nennen oder denken kann." 34 Die im Glauben Gewissen erkennen in der Anrede des verkündigten Wortes Gottes das verborgene Allmachtswirken Gottes in allem Geschehen und Wirken allein auf Grund der Offenbarung Gottes als „deus praedicatus, revelatus, oblatus, cultus" 35 , als „deus incarnatus" in Jesus Christus 39 . Ja, auf Grund der paradoxalen 37 Erniedrigung Gottes bis zur Selbstpreisgabe am Kreuz Christi, in dem die Liebe, verborgen unter dem Zorn, ihre tiefste Tiefe erreicht88, erkennen die Glaubenden in dieser theologia crucis „sub contrario obiectu, sensu, experientia" 3e , d.h. selbst in der Schwachheit, in der Anfechtung und im Leid 40 verborgen 26

Vgl. Cl. III S. 177, 25ff., 35ff.; S. 203, 39ff.; S. 229, 4ff.; S. 252, 35 ff. Ebd., S. 252, 38; S.251, 14. 28 29 Vgl. ebd., S. 205, 29 ff. Vgl. ebd., S. 229, 5 ff. 30 Vgl. ebd., S. 203, 9ff.; S. 252, 35 ff.; S. 253, 1 f. 31 Vgl. ebd., S. 204, 9 ff., 39 f. 32 So WA 17 II, S. 192, 28ff.; vgl. audi W A 31 I, S. 436, 7ff. 33 Vgl. Cl. III, S. 204, 24; vgl. audi WA 40 III, S. 234, 20ff. oder S. 237, 28 ff. und S. 210, 26 ff., w o die Geschöpfe als instrumenta oder causae instrumentales, nicht jedoch als causae efficientes oder auctores, verstanden werden. 34 Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, 1528, Cl. III, S. 404, 33 ff. 35 38 Ebd., S. 177,13 f. Ebd., S. 182,17 ff. 37 Ebd., S. 124, 38 ff. 38 Ebd., S. 124, 25 ff.: „Sic aeternam suam clementiam et misericordiam abscondit sub aeterna ira, Justitiam sub iniquitate. Hic est fidei summus gradus, credere ilium esse dementem, qui tam paucos salvat, tarn multos damnat, credere iustum, qui sua volúntate nos necessario damnabiles facit, ut videatur, referente Erasmo, delectari cruciatibus miserorum et odio potius quam amore dignus. Si igitur possem ulla ratione comprehendere, quomodo is Deus sit misericors et iustus, qui tantum iram et iniquitatem ostendit, non esset opus fide" und Cl. III, S. 182, 8 ff. 39 40 Ebd., S. 124,18 f. Ebd., S. 290, 23 ff. 27

41

Gottes Majestät und Güte; sie erkennen im Wirken des verborgenen Gottes letztlich den offenbaren Gott, der in Jesus Christus seine Liebe bewies. Die Glaubenden sind des verborgenen Allmachtswirkens und der Gegenwart Gottes in allem gewiß und erkennen sie in der personalen Anrede des Wortes Gottes. Zugleich wissen sie um das „non sine nobis". In Freiheit und von der Ratio geleiteter Eigentätigkeit wirkt das Geschöpf im Bereich der „natura" 41 , in den „inferiora" 42 coram mundo. Voll und ganz wird dieses Eigenentscheiden und Eigenwirken der Geschöpfe im Bereich der irdischen Existenz von Luther auch anerkannt, wobei er eindrücklich vor ihrer Verabsolutierung warnt 43 . Dieses Eigenwirken versteht Luther gleichwohl nur als Mit- und Inwirken in Gottes Allmachtswirken. Besonders deutlich wird diese Einheit von Gottes Omnipotenz und dem geschöpflichen Eigenwirken als mitwirkendem Inwirken in den Gleichnissen des Erasmus, wie Luther sie nun nicht als Nachweis für den liberum arbitrium „coram deo", sondern als Illustration für die cooperario in der Erhaltung versteht 44 . Gott erhält nicht nur das Schiff auf dem Meer, sondern er führt es auch unter dem eigenverantwortlichen Mitwirken des Steuermannns in den Hafen. Gott gibt nicht nur die Früchte des Feldes, sondern er fährt sie auch unter dem eigenständigen Mitwirken des Landmanns mit in die Scheune. Dasselbe45 Werk wird ganz von Gott und vom freien Geschöpf unter der eindeutigen Präpotenz der göttlichen Allmacht gewirkt, so weiß der Glaubende im Blick auf Gottes verborgenes Omnipotenzwirken und das relative Eigenwirken des Geschöpfes. Nicht um die logizistische Frage nach dem „Wie" der Gegensatzeinheit als Problem der Betrachtung und Reflexion handelt es sich dabei für Luther; ihn beschäftigt die „Wie"-Frage der scholastischen Concursuslehre nur bedingt: „Difficilem quidem esse quaestionem fateor, imo impossibilem, si simul utrunque voles statuere, et praescientiam Dei et libertatem hominis. Quid enim difficilius, imo magis impossibile, quam ut contradictoria aut contraria non pugnare contendas, aut ut simul aliquis numerus sit decern et simul idem sit novem?" 46 Gottes allmächtige Präskienz und die geschöpfliche Freiheit bilden für Luther 41

Ebd., S. 251,7 ff. Ebd., S. 129,1 ff.: „uti doceamus, ut homini arbitrium liberum non respectu superioris, sed tantum inferioris se rei concedatur, hoc est, ut sciât sese in suis facultatibus et possessionibus habere ius utendi, faciendi, omittendi pro libero arbitrio, licet et idipsum regatur solius Dei libere arbitrio, quocunque illi placuerit." Vgl. ebenfalls Cl. III, S. 162, 9 ff., ebenso WA 34 II, S. 243, 23 ff. 43 Vgl. etwa die Texte, in denen Luther davor warnt, sein Vertrauen auf die Güter der Welt zu setzen: WA 32, S. 457. 28ff.; WA 47, S. 361, 23ff. 44 Cl. III, S. 252, 15 ff.; S. 252, 25: „Sed dentur adhuc eadem opera Deo et homini, quid efficiunt istae similitudines? nihil nisi quod Creatura Deo operanti cooperatur." 46 « Ebd., S. 252, 25 f. Ebd., S. 212, 42 ff. 42

42

eine „geheimnisvolle" Einheit47. Die göttliche Omnipotenz und das geschöpfliche Mitwirken sind für Luther in ihrem Einssein als komplementäre Aspekte unter der eindeutigen Präpotenz der Allmacht Gottes ein Geheimnis, dem in seiner denkerisch-logischen „Unbegreiflichkeit" 48 von den Glaubenden Anbetung geschenkt wird 48 . Die Glaubenden sind nicht nur des eigenen Mitwirkens in Gottes Wirken im Reich Christi als Prediger, Helfer, Tröster gewiß und wissen nicht nur erkennend und anbetend das verborgene Allmachtswirken Gottes in allem geschöpflichen Eigengeschehen und Vernunft orientierten Eigenwirken in Gottes Erhalten, sondern sie wissen auch um das eigene Kooperieren in Gottes Allmachtswirken bei der Erhaltung der Welt 50 . Nicht ohne uns, die Glaubenden, wirkt Gott bei der Erhaltung der Welt, der physischen Existenz des Menschen, der Familie, der Gesellschaft51; die Glaubenden wirken, Früdite des Glaubens bringend, als Gottes Werkzeuge und Kooperatoren in Gottes Omnipotenz „coram mundo" „mit" und Gott „in" und „durch" die Glaubenden und ihr vernünftiges Eigenwirken 52. Nicht um einen kontradiktorischen Gegensatz von Gottes Allmachtswirken und dem Mit- und Eigenwirken der Glaubenden auf der logischen Ebene geht es dabei Luther, sondern um die Einheit des mitwirkenden Inwirkens der Glaubenden in Gottes Allmachtswirken als komplementäre Aspekte bei der eindeutigen Präpotenz und Herrschergewalt Gottes, wie die Glaubenden im existentiellen Vollzug des Mitund Inwirkens in Gottes Omnipotenzwirken gewiß sind. Dieses an theoretisch-abstrakten Erwägungen auf der Reflexionsebene wenig interessierten existentielle Denken charakterisiert die ganze Schrift „De servo arbitrio" ; so beginnt die Schrift etwa in der Vorrede mit dem Thema der Glaubensgewißheit (Cl. III, S. 97,19 ff.) und schließt mit der nachdrücklichen Betonung, daß es sich bei der Auseinandersetzung mit Erasmus' Verständnis der Willensfreiheit nicht um einen Vergleich verschiedener Meinungen handelt 58 . Es sind Gewißheitsaussagen 54 , die in der Struktur des anbetenden und lobpreisenden Bekenntnisses55 die Alleinwirksamkeit Gottes aussagen. 48 " Ebd., S. 213,21. Ebd., S. 213,19. 50 Ebd., S 213,12,19; S. 182, 29. Ebd., S. 253,15 ff. 51 Vgl. u. a. WA 23, S.515ÍÍ.; WA 40 III, S. 225, 35ff.; S. 255, 13ff.; S. 253, 35ff. 52 Cl. III. S. 253, 15 ff.; S. 162, 8 ff. 53 Ebd., S. 293, 4 ff. : „Ego vero hoc libro Non Contuli, Sed Asserui, Et Assero, ac penes nullum volo esse iudicium, sed omnibus suadeo, ut praestent obsequium. Dominus vero, cuius est haec caussa, illuminet te et faciat vascalum in honorem et gloriam. Amen." 54 Vgl. ebd., S. 98, 7 ff. 55 Man wird somit hinter „De servo arbitrio" stehende Aussagestruktur als die des „Bekenntnisses" ansehen müssen. Vgl. E. Sdilink, Gesetz und Evangelium als kontroverstheologisches Problem, in: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditio49

43

3.3. Zusammenfassung und Urteil 1. M. Luther betont in seiner Schrift „De servo arbitrio" nachdrücklich das „Daß" des absoluten und unmittelbaren Omnipotenzwirkens Gottes „in" und „mit" den freien Geschöpfen und ihrem Eigenwirken in den „inferiora" im Erhaltungsbereich. 2. Kein Interesse hat Luther an einer logischen Klärung des „Wie" des Zusammenwirkens von Gottes Allmachtswirken und geschöpflichem Mitwirken auf der Reflexionsebene. Das „Wie" ist ein Geheimnis der Anbetung. 3. M. Luther geht es vor allem um die personale cooperatio der Glaubenden in Gottes Allmachtswirken. Zu seiner Rechtfertigung und Erneuerung und zum Beharren in der Rechtfertigung als neue Kreatur vermag der Glaubende nichts zu tun; „sine nobis" wirkt Gott hier allein. In der Erhaltung und in seiner Kirche wirkt Gott jedoch nicht nur „durch" die Glaubenden, sondern auch „mit" ihnen, wobei das Mitwirken der Glaubenden als „Inwirken" in Gottes Allmachtswirken zu denken ist. Gottes Omnipotenzwirken und das geschöpfliche Mitwirken sind komplementäre Aspekte bei einer eindeutigen Präpotenz der Allmacht Gottes, wie die Glaubenden im existentiellen Vollzug auf Grund der Anrede des Wortes Gottes gewiß sind. 4. M. Luther geht es bei seinem Cooperatiodenken um das im biblischen Glauben begründete Verständnis des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf (es handelt sich jeweils um die Interpretation biblischer Texte), nicht um die in der Vernunft begründete, allgemein einsichtige Lösung des Concursusproblems der scholastischen Ontologie. Freilich nimmt Luther deren Begriffe und Denkformen auch in Dienst, durchbricht sie nun aber von seinem theologischen Ansatz her. 5. Der im Glauben Gewisse erkennt dabei allein angesichts der Offenbarung Gottes in Christi Kreuz und Auferstehung und in seinem Wort das Allmachtswirken des verborgenen Gottes in allem Geschehen und Wirken. Er erkennt angesichts der Herabneigung des allmächtigen Gottes bis in die Schwachheit des Kreuzes Christi und angesichts der letzten Verborgenheit der Liebe und Barmherzigkeit Gottes im Zorn Gottes am Kreuz auch hinter Gottes unbegreiflichem Wirken in Verwerfung, Anfechtung und Leid dennoch letztlich die Liebe des offenbaren Gottes. nen, S. 152 gegen H . J . McSorley, Luthers Lehre vom unfreien Willen, S. 285, 287 f., wo dieser in „De servo arbitrio" die Struktur der „Beschreibung" erkennen will.

44

4. Die Aporten der molinistisch-thomistischen

Auseinandersetzungen

Der nachtridentinische Katholizismus war durch den molinistisch-thomistischen Streit in der Concursusfrage aufgewühlt. In diesen Auseinandersetzungen ging es — bei Anerkennen des „Daß" des unmittelbaren concursus divinus durch alle Parteien — um die Frage des „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda. 4.1. Das konkurrierende Concursusverständnis „De concursu generali")

(L.Molina

(1535—1600),

Initiator dieser Auseinandersetzungen war der Jesuit L. Molina. An Hand der kleinen Schrift „De concursu generali" (1572), die Fr. Stegmüller in seiner „Geschichte des Molinismus" 1 wiedergibt, soll Molinas Verständnis zu unserer Frage aufgezeigt werden. Molina geht es in dieser Schrift um die Frage: „Utrum Deus immediate attingat omnes in universum effectus", also um die Frage, ob Gott den Effekt einer Handlung unmittelbar mitbewirkt. In der Beantwortung dieser Frage wendet sich Molina zunächst gegen den Determinismus der arabischen Philosophen 2 , wobei er über die Gegenargumente des Thomas v. Aquin hinaus besonders nachdrücklich auf die Erfahrung 3 der geschöpflichen Eigentätigkeit verweist. Als andere Extremposition lehnt er das mediate Concursusverständnis des Durandus ab 4 ; gegen ihn bringt er vor, daß die conservatio zur Hervorbringung eines Effektes nicht ausreiche, sondern des unmittelbaren concursus divinus bedarf 5 . Damit schließt Molina sich jedoch nicht der thomasischen Concursusvorstellung an; eine unmittelbare göttliche applicatio lehnt er ab 6 , aus sich selbst ohne eine andere unterstützende Bewegung (per se ipsum sine alia motione) 7 vermag das Geschöpf zu wirken. Wie folgt legt Molina dann sein eigenes Concursusverständnis dar: „Sicut ergo ad generationem equi non sufficit influxus solis sine influxu equi, ñeque influxus equi sine influxu solis, ita ad nullius effectus productionem sufficit influxus D e i per solum concursum universalem sine influxu causae secundae particularis, a qua dcterminetur, neque influxus causae secundae particularis sine influxu Dei per concursum universalem, quo adiuvetur et quem statuit numquam de lege ordinaria denegare. Quare ut, cessante causa secunda influere, cessât etiam Deus influere nullaque sequitur actio, eo quod influxus Dei per concursum universalem pendeat in suo esse ab influxu causae particularis cooperantis, ita cessante D e o influere per concursum universalem, ut cessavit influere cum igne in fornace, cessât continuo influxus atque actio secundae causae, ut ibi cessavit influxus et actio ignis, quia pendet similiter in suo esse ab influxu Dei." 8 1

Fr. Stegmüller, Geschichte des Molinismus, 3 De concursu generali, S. 194, 21 ff. 4 5 Ebd., S. 196, 21 ff. 7 ' Ebd., S. 198, 33 ff. 8 Ebd., S. 200, 4 ff. 2

S. 194 ff. Ebd., S. 195, 21, 31 ff. Ebd., S. 198, 6 ff. Ebd., S. 199, 12.

45

Es wird also ein und derselbe Effekt gleichzeitig, simultan, von der causa prima und der causa particularis gewirkt, u.zw. von Gott durch den concursus universalis und vom Geschöpf durch die Determination. Beide Kausalgrößen gehören zusammen und hängen voneinander ab; ohne die andere vermag eine allein den Effekt nicht zu bewirken. Im Bild gesprochen: der eine Effekt wird von der causa prima und secunda je ganz und doch in Abhängigkeit voneinander gewirkt, wie zwei Männer ein Schiff ziehen9, jeder ganz und doch den andern notwendig ergänzend und begrenzend (non sufficere, pendere)10. L. Molina stellt somit die causa universalis und die causa particularis in ein Ergänzungs- und Konkurrenzverhältnis, wobei er zugleich hervorhebt, daß die beiden Ursachen nicht derselben Ordnung angehören11. 4.2. Die praemotio

physica (der

Thomismus)

Der Begründer des Thomismus, der Dominikaner F. D. Bañez (1528— 1604), stimmt wohl mit L. Molina in der Anerkennung des concursus immediatus überein12, versucht nun aber die Frage des „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda beim Übergang vom actus primus zum actus secundus durch die auf den einzelnen Akt ausgerichtete praemotio physica zu klären. Die Thomisten nahmen in Betonung der göttlichen Allmacht für jede geschöpfliche Tätigkeit eine göttliche praemotio physica an, d. h. die Verleihung einer besonderen physischen Entität, die — den actus primus ergänzend — vorausbestimmend13 den actus secundus mitbewirkt 14 . Es handelt sich bei dieser — unthomasischen, weil Thomas das göttliche Mitwirken als innere Aktion, nicht als ein Von-außen-Eingreifen verstand — praemotio um eine praedeterminatio ad unum, eine unwiderstehliche göttliche Einwirkung, die in der eindeutigen göttlichen Präskienz begründet liegt. Die göttliche Prädetermination schließt dabei nach Meinung der Thomisten die menschliche Willensfreiheit ein, da es in der Allmacht Gottes liegt, den freien Willen so zu prädeterminieren, daß dieser sich selbst frei determiniert1δ. • Ebd., S. 200, 26ff.: „ad modum quo, quando duo trahunt navim, totus motus est ab unoquoque trahentium, sed non totalitär, quia est influente et causante simul alio singulas partes eiusdem motus." 10 Ebd., S. 200, 5 f. 11 Ebd., S. 200, 31. 12 So nimmt F. D. Bañez in „Scholastica commentarla" I, Q 105, 5 (S. 515) die Gedanken Thomas v. Aquins auf, „cuius conclusiones ratio in summa est, quia omnis virtus operativa et ipsummet esse causae secundae, dependet a Deo in fieri et conservati: ergo pendet ab ilio in omni operatione sua". 1S Ebd., S. 216. 14 Vgl. M. J. Scheeben, Handbudi der Kath. Dogmatik, III u. IV, S. 34, Anm. 22. 15 F. D. Bañez, Scholastica commentarla, Tom. I, S. 212, 216.

46

Gegen dieses Konzept einer praemotio physica wird immer wieder vorgebracht, daß es einmal die Willensfreiheit aufhebe und zum andern Gott zum Urheber der Sünde mache. Dem ersten Einwurf versucht der Thomismus mit den diffizilen Unterscheidungen zwischen necessitas consequentis und consequentiae 16 und zwischen sensus compositus und divisus 17 zu begegnen. Nach der Differenzierung zwischen necessitas consequentis und consequentiae wirkt die praemotio physica nicht in der Weise, daß sie den Willensakt notwendig erzwingt, was zur Aufhebung der Willensfreiheit führt (necessitas consequentis), sondern so, daß es dem freien Willen noch möglich ist, selbst frei zu wirken (necessitas consequentiae). Man wird jedoch gegen diese Unterscheidung einwenden müssen, daß eine als praedeterminatio ad unum wirkende praemotio physica mit dem Gedanken der necessitas consequentiae nicht zu vereinen ist, wonach dem Willen doch die Möglichkeit freier Entscheidung gegeben ist. Ganz ähnlich versucht die Trennung zwischen sensus compositus und sensus divisus, wonach einmal ein Zustand sich gleichzeitig auch in einem andern Zustand befinde (sensus compositus), zum andern ein Zustand die Möglichkeit zu einem andern besitzt (sensus divisus), die freie Willensentscheidung in sensu diviso als Eventualität anzuerkennen. Auch zu dieser Aufspaltung wird man sagen müssen, daß bei einem Verständnis der praemotio physica als praedeterminatio ad unum die Möglichkeit einer anderen Willensentscheidung, als die praemotio physica bestimmt (sensus divisus), zu keiner Verwirklichung gelangen kann und damit entfällt. Beide Unterscheidungen vermögen damit nicht, die Willensfreiheit gegenüber der Dominanz der praemotio physica in ihrem Eigensein voll ernstzunehmen. Den Einwurf, daß Gott mit der Vorstellung der praemotio physica Urheber der Sünde werde, versuchen die Thomisten durch die Unterscheidung von entitas, die Gott bewirkt, und defectus, den Gott durch das freie Geschöpf bewirken läßt, zu begegnen. Dodi auch bei diesen Überlegungen spielt die praemotio physica eine so praevalente Rolle, daß Gott mit der praedeterminatio ad unum Urheber der Sünde werden muß. Schließlich sei noch auf einen dritten Kritikpunkt hingewiesen, den K . Rahner stärker herausgestrichen hat: die durch eine göttliche praemotio jeweils verliehene physische Entität verbleibt als etwas Geschaffenes im Zustand der potentia secunda; nicht aus sich selbst vermag sie somit in den actus secundus überzugehen. Die Vorstellung der praemotio physica behandelt nicht das actu agere, sondern verschiebt das Problem, „da die Theorie eines Ubergangs von einem endlichen, von Gott allein produ« Ebd. S. 216.

17

Ebd. S. 216.

47

zierten Zwischenglied — das die Potentialität der endlichen Ursache in den Akt überführen soll — zu dem neuen Seinszuwachs, der von jenem Zwischenglied verschieden ist und doch nicht in seiner Aktualität in diesem Zwischenglied (ζ. B. einer praemotio physica) enthalten sein kann — . . . — dasselbe Problem aufs neue aufwerfen muß" 18 . Hinter der thomistischen — unthomasischen — praemotio-physicaVorstellung steht das Bemühen, die Absolutheit der causa prima in ihrer Allmacht über und Unterschiedenheit von der causa secunda herauszuarbeiten19. Gott, in dem im Unterschied zur Realdistinktion von Sosein und Dasein bei den Geschöpfen Sosein und Dasein identisch, nur logisch unterscheidbar, sind20, wirkt praedeterminierend mit den bedürftigen Geschöpfen die Handlungen und ihre Wirkungen. 4.3. Das konferierende

Concursusverständnis

(der

Molinismus)

Nach dem „klassischen" Molinismus wirken causa prima und causa secunda gemeinsam den einen Effekt in einem concursus simultaneus. Hierbei wird zwischen concursus oblatus und concursus collatus unterschieden. Gott gewährt dem Geschöpf im concursus oblatus indifferens die Möglichkeit zu einer Handlung; das Geschöpf entscheidet dann über die Annahme und Konkretion des concursus oblatus, wobei der concursus collatus dann den konkreten, vom Geschöpf bestimmten actus secundus zugleich mitbewirkt. Gott sieht nach dieser Theorie eines concursus simultaneus in seiner scientia media den actus secundus, der im actus primus wohl schon bestimmt ist, von der geschöpflichen Entscheidung aber erst determiniert wird, als futuribile, als bedingt zukünftig, voraus21. Gegen die molinistische Konzeption wird einmal vorgebracht, daß es dem Geschöpf in einem von Gottes Wirken ausgesparten Bereich eine Autonomie zuspricht, die Gottes Allmacht einschränkt, zum andern, daß durch die Theorie der scientia media Gottes Wollen und Wirken getrennt K. Rahner, Das Problem der Hominisation, S. 65. Vgl. G. M. Manser, Das Wesen des Thomismus § 6, Divus Thomas, 1930, S. 82 ff. 20 Vgl. ebd., S. 368. 21 Es sei hier auf die Parallelstruktur dieser Concursusüberlegungen zu denen der Gnadenlehre in Thomismus und Molinismus hingewiesen: So entspricht der praemotio physica die gratia efficax, die dem Glaubenden — gegenüber der gratia sufficiens — eine zusätzliche Entität verleiht. So entspricht der Unterscheidung zwischen concursus oblatus und collatus die Trennung von gratia praeveniens und efficax; die gratia efficax besitzt dabei gegenüber der gratia praeveniens keine neue Entitat. Der Widerspruch des Menschen macht die gratia praeveniens zur gratia mere sufficiens. Vgl. J . Pohle, J . Gummersbach, Lehrbuch der Dogmatik II, S. 642 ff. Diese in formaler Entsprechung einander zugeordneten Concursusverständnisse im Vorsehungs- und Gnadenbereich stehen innerhalb des einen Seinsordos in einem superadditiven Seinsverhältnis. 18

19

48

wird: Gott will in seinem Wissen das Zukünftige als Bestimmtes, dodi wirkt er es nur als bedingt Zukünftiges, das nodi nicht vom Geschöpf determiniert worden ist, d. h. Gott wirkt das gewollte Zukünftige in Abhängigkeit und Begrenzung durch die geschöpfliche Bestimmung. Schließlich sei auch auf einen dritten Kritikpunkt hingewiesen, den K. Rahner wieder betont: das molinistische System vermag nicht darzulegen, wie es zur aktualen geschöpflichen Aufnahme und Bestimmung des concursus oblatus indifferens kommt. Es wird nicht klar, „was nun eigentlidi die Kreatur selbst in der Erwirkung ihres Aktes tun könne", „wie sie selbst sich selbst den Akt geben könne" 2 2 . So ist das molinistische System eines concursus simultaneus von dem Bemühen gekennzeichnet, das geschöpfliche Wirken ganz ernstzunehmen und mit Hilfe der Theorie von der scientia media mit dem göttlichen Wollen und Wirken zusammenzudenken.

4.4. Das kongruierende Concursusverständnis (Fr.Suarez „Disputationes Metaphysicae", XXII)

(1548—1617),

Eine Sonderform des Molinismus bildet der Kongruismus, dessen Hauptvertreter der Jesuit Fr. Suarez ist. An Hand von „Disputationes Metaphysicae", X X I I (1597) soll dieser Typ eines Concursusverständnisses dargelegt werden 23 . Die 22. Disputation mit dem Titel „De prima causa, et alia eius actione, quae est cooperatio, seu concursus cum causis secundis" steht im ersten Hauptteil (Disp. 1—27) des großen philosophischen Systems der „Disputationes Metaphysicae" und hier wiederum im zweiten Absdmitt. Der erste Abschnitt (Disp. 1—11) geht nach der Einführung in die metaphysische Wissenschaft (1) und der Darstellung der Metaphysik selbst (2) auf die Eigenschaften des Seins ein (3—11). Der zweite Abschnitt (Disp. 12—27) behandelt die Ursachenlehre. Nach der Einleitung (12) stellt der Absdinitt in Disp. 13 und 14 die causa materialis, die Disp. 15 und 16 die causa formalis, die Disp. 17 bis 22 die causa efficiens und die Disp. 23 und 24 die causa finalis dar, während die Disp. 25 auf die causa exemplaris, die Disp. 26 auf das Verhältnis der Ursachen zu den Wirkungen und die Disp. 27 auf das Verhältnis der Ursachen untereinander eingeht. Der Teil über die causa efficiens (Disp. 17—22) hat nun in Disp. 1 7 — 19 allgemein die Wirkweisen der causa efficiens zum Thema, in Disp. 20 die creatio, in Disp. 21 die conservatio und in Disp. 22 den concursus. Κ. Rahner, Das Problem der Hominisation, S. 67. Es handelt sich hier also um eine rein philosophische Darlegung des Concursusproblems. Eine eigene Darstellung findet die Concursusfrage audi in der theologisdien Sdirift „De concursu et efficaci auxilio dei" (1600). 22 23

49 4

Plathow, Problem

Diese Untergliederung der causa efficiens in conservatio und concursus nach der creatio als eine Unterscheidung von esse und operari und die anschließende Behandlung der causa finalis24 deutet auf die spätere Dreiteilung der Providenzlehre und die Behandlung des concursus in einer eigenen Darstellung. In der Einleitung zur Disp.21 wird diese Beobachtung bestätigt: „Explicata prima emanatione omnium rerum a prima causa, dicendum sequitur de dependentia, quasi continua, seu perpetua, quam in suo esse et operatione habent ab eadem prima causa, seu e converso de influxu, vel gubernatione quam eadem prima causa habet circa suos effectus, quos creavit, ut subsistere possint et operari: ad haec enim duo capita, conservationis, et cooperationis seu concursus, tota divina gubernatio, quae effectus est divinae providentiae, revocatur."

Auch hier erhält der concursus auf Grund der Unterscheidung von esse und operari eine besondere Darstellung in der Providenzlehre. Einen formalen Uberblick über die Disp. 22 gibt Fr. Suarez in der Einführung zu diesem Teil seiner Metaphysik: „De concursu primae causae cum secundis ad actiones earum, pauca inveniuntur ab Aristotele aliisve Philosophis dicta, a Theologis vero res haec copiose disputatur. Et quantum potest ratione naturali cognosci, propria est huius loci. In qua re primo videndum est, quae sit nécessitas huius concursus: deinde quid sit, postea quomodo ad actionem causae secundae comparetur, ac tandem videbimus, an causae secundae vel creatae habeant inter huiusmodi subordinationem, vel ad solum Deum."

Die mit besonderem Eifer von den Theologen diskutierte Concursusfrage 2 5 will Fr. Suarez also einer der natürlichen Vernunft gemäße Darstellung unterziehen, indem er in Sectio I die Notwendigkeit des göttlichen Mitwirkens behandelt, in Sectio II und III die Frage nach dem „Was", also nach der näheren Erklärung des Mitwirkens der causa prima, in Sectio IV das „Wie", die Art und Weise, des concursus divinus und in Sectio V die Frage nach der Abhängigkeit der causae secundae von anderen causae secundae. Für die typisierende Betrachtung soll auf die Sectio I—IV eingegangen werden, die Sectio V betont noch einmal die unmittelbare Abhängigkeit der causae secundae von der causa prima, die freilich andere causae secundae als ihre Instrumente einbezieht (Sect. V, X X I f.). In Sect. I: „An possit sufficienter probari ratione naturali, Deum per se ac immediate operari in actionibus omnium creaturarum" wendet sich Hier geht Fr. Suarez in Disp. X X I V , Sect. II, VII auf die Concursusfrage ein. Fr. Suarez gebraucht den concursus- und cooperatio-Begriff — der letztere hat vor allem in der Gnadenlehre seinen Ort — z. T. synonym für das göttliche Mitwirken (vgl. Disp. Met., X X I I , Sect. I, 13; Sect. II, 21, 57; Sect. IV, 34), ζ. T. werden sie in verschiedener Bedeutung verwendet: der concursus-Begriff allein für Gottes Mitwirken, der cooperatio-Begriff für das gesdiöpfliche Mitwirken (vgl. Disp. Met., X X I I , Sect. II, 48, 57; Sect. IV, 2, 10, 24, 28, 32, 35). Vgl. audi „Opera Omnia", Bd. 28 (Indices II), S. 187 und S. 166 ff. 24

25

50

Suarez gegen das mittelbare Concursus Verständnis des Durandus, nach dem Gott bloß Schöpfer und Erhalter der causae secundae ist, mit folgenden Gründen: es herrsche in der Anerkennung des unmittelbaren Mitwirkens der causa prima bei den Denkern der Scholastik und bei den frühen Kirchenvätern Übereinstimmung (VII); ferner sprechen folgende Vernunftsgründe 26 für diese Anerkennung: Wie alle causae secundae ihrem Sein nach von Gott in der conservatio abhängen ( D i s p . X X I ) , so audi ihrem Werden, Wirken und ihrer Wirkung nach im concursus ( V I I I — X ) ; wie ferner die causae secundae ihrem Sein nach an Gott Anteil haben (als entia), so auch ihrem Wirken nach (als agentia) 2 7 ; wie Gott weiter einem geschaffenen Ding durch bloße Verneinung seines Wirkens das Sein entziehen kann, so vermag er auch durch bloße Verweigerung des concursus den Geschöpfen die Wirkmöglichkeiten zu entziehen 28 ; die causa secunda bedürfe schließlich zur eigenständigen Determination des einzelnen Effektes der göttlichen Mitwirkung ( X I I I ) ; endlich sei die causa secunda auf Grund der eigenen Unvollkommenheit auf die Mitwirkung der causa prima angewiesen (XIV). Die wichtigsten von diesen Gründen sind nach Suarez der Dependenzund der Participatiobeweis, nach dem die causae secundae — wie in ihrem Sein, so auch in ihrem Wirken — von der causa prima unmittelbar abhängen und an ihr teilhaben (XV, X V I ) . Immediate, und zwar immediatione virtutis et suppositi, wirkt Gott den Effekt mit den Geschöpfen ( X V I I — X X I V ) . Bei dieser Unterscheidung zwischen immediatione virtutis und immediatione suppositi handelt es sich um eine Differenzierung, die den Modus des unmittelbaren Mitwirkens in diffiziler Weise zu klären versucht. Die erste Möglichkeit stellt die Überlegung an, ob Gott unmittelbar, ohne Vermittlung anderer Kräfte eine Handlung mitbewirkt; die zweite geht auf die Frage ein, ob Gott unmittelbar, ohne Vermittlung anderer Kausalgrößen eine Wirkung setzt. Entsprechend dieser Überlegungen wirkt nach Fr. Suarez die causa prima unmittelbar mit den causae secundae den Effekt. Sectio II und III legt dann die in der Sectio I schon anklingende Darstellung des eigenen Concursusverständnisses des Suarez dar. In Sectio II 26 Sect. I, V I I I : „dicendum est, veritatem hanc sufficienter probari posse naturali ratione". 2 7 „ . . . deductio ita fieri, quia entia creata non minus pendent a Deo, in quantum agentia, quam in quantum entia, quia non minus sunt subordinata D e o una ratione, quam alia, et sicut sunt entia per participationem, ita etiam sunt a g e n t i a . . ( S e c t . I, XI). 2 8 » . . . nam sicut Deus potest rem creatam suo esse privare per solam negationem actionis, ita potest rem creatam sua naturali actione privare per solam negationem c o n c u r s u s . . ( S e c t . I, X I I ) .

51 4*

ordnet Suarez sein Concursusdenken zwischen das des Durandus und das der Thomisten ein. Gegen Durandus' mediaten concursus divinus, nach dem Gott, der Schöpfer und Erhalter, nur als „principium remotum" bei den Handlungen der causae secundae mitwirkt, betont Suarez den unmittelbaren concursus divinus (Sect. II, III—V). Den thomistischen Gedanken einer praemotio physica charakterisiert Suarez zunächst wie folgt: „Prima est, quod agentia secunda non agunt, nisi mota a primo (VIH) . . . Secundum principium est, quod causa secunda applicatur a prima ad agendum (IX) . . . Tertium principium est, causam primam excitare secundam ad opus (X)... Quartum ac praecipuum principium est, quod causa secunda determinatur a prima, ac per se ac necessario indiget tali determinatione (xi)··· Quintum principium est, quod causae secundae essentialiter subordinantur causae primae, ut instrumenta artifici (XII) . . . Sexto argumentan possumus, quia hic modus concurrendi primae causae, utendo causa secunda per motionem suam, et ita perfecte illam sibi subiiciendo prae se fert maiorem quandam perfectionem in modo agendi primae causae cum secundis (XIII)." Diesen den Thomismus richtig charakterisierenden Gedanken widerspricht Suarez in folgenden Überlegungen: 1. Gott wirkt mit dem Geschöpf unmittelbar innerlich zusammen, und zwar per modum principii und per modum actionis; das besagt: Gott wirkt unmittelbar mit den Geschöpfen und ihrem Wirken, so daß die Handlung und der Effekt in untrennbarer Verbundenheit von der causa prima und der causa secunda gewirkt wird (XVII f.). 2. Gott wirkt abgesehen von seinem innerlichen Dabeisein mit den handelnden Geschöpfen, ihren Handlungen und Wirkungen, nicht neu von außen eingreifend auf das Geschöpf (XX ff.), wie es die thomistische Vorstellung von einer applicatio (XXIV f.) oder einem besonderen motus Gottes (XXVI) denkt. 3. Desgleichen ist audi der Gedanke einer excitatio virtutis abzulehnen, da Gott im concursus generalis nicht von außen auf die causae secundae und ihr Handeln einwirke, sondern innerlich mit und in den Geschöpfen wirkt (XXVII ff.). 4. Das Aufgreifen der Vorstellung von einer göttlichen Determination hebt weiter die Fähigkeit des geschöpflichen Eigenwirkens auf. Der Ge52

danke der praedeterminatio ad unum verschärft diese Feststellung, die geschöpfliche Freiheit wird hierdurch beseitigt (XXXV ff.). 5. Die causa secunda, die im actus primus dem Sein und der Wirkkraft nach von der causa prima unmittelbar abhängt, braucht also keine neue göttliche Aktion, um in den actus secundus überzugehen. Innerlich wirkt die causa prima auf Grund des dependentia- und participatio-Gedankens, auch im Wirken der causa secunda, also in actu secundo, mit (XXXVII ff.). Fr. Suarez sieht nun die thomistische Position in folgenden Fundamentalaussagen, „fundamenta", verdichtet (XL VI): 1. im Axiom der aristotelischen Bewegungslehre: „omne, quod movetur, ab alio movetur". Für falsch sieht Suarez dieses Axiom an, soweit es eine neue, von außen eingreifende Bewegung zum Eigenwirken der causae secundae beinhalte. „Proprius autem sensus est, illas non agere nisi adiutus a prima, vel (quod idem est) ut cooperantes primae" (XLVIII). 2. im applicatio-Gedanken. Nicht als göttliche Ergänzungs- oder Initialbewegung ist die applicatio zu verstehen; vielmehr sind die göttliche Hinordnung und Lenkung auf die finis und die eigene Intention des Geschöpfes auf die finis in der einen applicatio verbunden (XLIXf.); „illa applicatio non est a sola prima causa, sed etiam a secunda, adiuvante prima, et sub hac ratione etiam applicante" (L). 3. im „causa secunda agit in virtute primae". Suarez versteht diesen Satz nicht als Von-außen-Einwirken der causa prima auf die causa secunda, sondern das Wirken der causa secunda als „agere per virtutem participatam a superiori virtute" (Sect. II, L I); „tale enim agens habet vim seipsum perficiendi, cum debito et accommodato concursu primae causae" (Sect. II,LUI); die prima causa „facit, ut secunda faciat" (LVII). So ordnet Fr. Suarez sein Concursusverständnis als den im dependentia- und participatio-Gedanken verankerten concursus divinus immediatus zwischen das mediate Concursusdenken und die thomistisdie praemotio physica ein. An den detaillierten Auseinandersetzungen mit dem Thomismus wird die Bedeutung klar, die Suarez gerade dieser Ansicht und ihrer Widerlegung beimißt. In Sectio III zeigt Suarez das Verhältnis des concursus divinus zum innergöttlichen Wirken auf. Es wird hier zwischen der actio interna dei und externa dei unterschieden (Sect. III, III, VII f., IX). Die actio dei interna ist von der actio creaturae scharf zu trennen (Sect. III, III), u.zw. proprietate naturae, causalitate et dignitate (Sect.III, IX). Die actio dei externa oder der concursus externus seu transeuns (Sect. III, 53

III, V, X) ist demgegenüber ununterscheidbar mit der actio creaturae verbunden und bewirkt mit ihr den einen Effekt. Behandelt Sectio I bis III das „Daß" des unmittelbaren Mitwirkens der causa prima mit der causa secunda, so geht Sectio IV auf das „Wie" dieses unmittelbaren Zusammenwirkens ein; es ist der für die typisierenden Überlegungen wichtigste Aspekt. Fr. Suarez unterscheidet bei den Überlegungen zum „Wie" des concursus divinus immediatus zwischen dem Mitwirken Gottes mit den causae naturales (Sect. IV, III ff.) und den causae liberae (Xff.). Gott, die causa prima, wirkt mit den causae naturales „ad modum naturae" mit, d. h. Gott paßt sich der Natur der Dinge an (accommodat, III), wenn er nach den Gesetzen seiner Vorsehung mit den causae naturales und durch sie wirkt; von Gott gilt: „ad singula descendit iuxta uniuscuiusque capacitatem et indigentiam" (IV). Diese allgemeinen Überlegungen zum „Wie" des göttlichen Mitwirkens fächert Suarez nun in folgende Punkte auf: 1. Die causa prima wirkt in der Weise mit den causae naturales mit, wie sie ihrer Besonderheit entsprechend den concursus postulieren, und sie determiniert die Wirkungen der causae secundae so, wie es die Ausführung einer bestimmten Aktion verlangt (V). 2. Durch den concursus divinus — der concursus oblatus und collatus fällt bei den causae naturales zusammen (XXI) — werden die Wirkungen der causae naturales „ad unum" aktuiert, d.h. determiniert; ohne diesen concursus verbleiben sie „insufficiens" in „potentia remota" (IV). 3. Die causa prima paßt sich schließlich den Anforderungen, Eigenarten und Bedürfnissen der causae naturales an (sese accommodat unicuique iuxta eius indigentiam, VIII). Der concursus divinus mit den causae liberae unterscheidet sich nach Fr. Suarez von dem göttlichen Mitwirken mit den causae naturales in doppelter Weise, wobei die zwei Gedankengänge engstens miteinander verbunden sind: 1. Wird durch den concursus divinus das Wirken der causae naturales absolut determiniert, so gilt dies vom concursus divinus ad actus liberos gerade nicht; Gott gewährt in Anpassung an das freie Geschöpf seinen concursus oblatus (praebet vel offert, XIV), worüber das freie Geschöpf dann entscheidet. Das bedeutet in thetischer Zusammenfassung folgendes: a) Gott bietet in Akkommodation an die causae secundae den freien Geschöpfen den nicht determinierten concursus an (XV). b) Es handelt sich folglich bei dem göttlichen Mitwirken mit den freien Geschöpfen nicht um eine unwiderstehliche Bestimmung (XVI). 54

c) Gott bietet im concursus oblatus in actu primo dem freien Geschöpf die indifferente Möglichkeit zu einer Handlung an, über deren Annahme und Determination die causa secunda frei und eigenständig entscheidet (XVII). d) Gott determiniert folglich das Geschöpf auch nicht zu den actus mali, vielmehr entscheiden die causae liberae frei über die durch Gottes Mitwirken ermöglichten Handlungen und bewirken „formal" die böse Tat (XVIII f.). e) Mit der Akkommodation des concursus divinus an das freie Geschöpf entfällt somit jede Nezessitierung des geschöpflichen Willens (XX). 2. Wird den causae naturales der concursus divinus „ad unum actum" gegeben, so wird den freien Geschöpfen von Gott der concursus sufficiens ad plures actus angeboten (XXI). Das bedeutet in dem aufgefächerten Gedankengang, wie Suarez ihn gibt: a) Gott schenkt den freien Geschöpfen den concursus oblatus indifferens in actu primo entsprechend der freien Natur der causae secundae (XXI). b) Die causa secunda vermag damit noch nicht allein aus sich selbst einen bestimmten Effekt zu wirken; sie bedarf weiter des göttlichen Mitwirkens, des concursus collatus (XXI). c) Aus a) ergibt sich, daß der concursus divinus der menschlichen Willensentscheidung immer vorausgehen muß — eben als concursus oblatus (XXII). d) Ferner wird Gott durch den indifferenten concursus oblatus nicht die Ursache der bösen Tat, da der Mensch frei über den Sündenakt zu entscheiden vermag (XXIII f.). Fr. Suarez unterzieht diese Überlegungen zum göttlichen Mitwirken mit den freien Geschöpfen einer sehr detaillierten Diskussion, deren Ergebnisse knapp referiert werden sollen (XXVII f.): 1. Durch das akkommodierende, die Eigenentscheidung des Menschen anerkennende Concursusverständnis wird der absolute Wille Gottes nicht beschränkt. Es liegt allerdings ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis von Schöpfer- und Geschöpfwillen vor. „Cum enim actio transiens, qua Deus concurrit cum volúntate creata, pendeat tum a volúntate divina, tum a creata" (XXIX). Der Wille Gottes wird nämlich bei diesem Mitwirken durch die geschöpfliche Eigenart konditioniert. 2. Dieses Concursusdenken führt auch nicht zu einer Beeinträchtigung der Präskienz Gottes; Gott konkurriert vielmehr dem freien Geschöpf „ex certa scientia" (XXXI). 55

3. Gott wirkt nicht nur „generali et confuso modo" (XXVII) bei den Handlungen der freien Geschöpfe mit, sondern „in particolari . . . ad hunc vel ilium actum" (XXXII) durch den concursus collatus. 4. Dieses Concursusverständnis impliziert keine „imperfectio aut confusio . . . divinae providentiae"; vielmehr gilt: „sie ergo habet Deus de omnibus et singulis in particulari perfectam providentiam, unieuique tarnen accommodatam" (XXXIII). 5. Beim Gedanken der determinatio und specificatio der freien Handlung durch die causae secundae bleibt Gott, indem er sich nach seiner „sapientissima Providentia" den causae secundae im concursus oblatus ganz anpaßt, die causa principalis dieser Handlungen, da auch sie — wie alles Seiende — von Gott abhängig sind (XXXIV). 6. So ist indirekt der einzelne Akt in Gottes Willen begründet, da sich Gottes Wille zwar nicht in absoluter Weise auf jeden Einzelakt bezieht, aber doch die Bedingungen des mitwirkenden freien Willens mit einschließt (XXXV). 7. Die im concursus oblatus ermöglichte Handlung des freien Geschöpfes bedeutet keine Determinierung einer bestimmten Handlung, weil es sich hierbei nicht um eine determinatio „sensu composito" handelt. 8. Schließlich wird durch dieses akkommodierende, die freie Entscheidung des Menschen bei der Vorstellung von einem concursus oblatus indifferens anerkennende Concursusvorstellung auch die Absolutheit der göttlichen Präskienz ganz beibehalten. Gott sieht nämlich nicht nur die den concursus oblatus indifferens determinierende Entscheidung und Handlung des Menschen voraus, sondern auch die im concursus oblatus nur ermöglichten Handlungen. „Offert ergo Deus causis liberis suum concursum sufficientem, non solum ad eos actus, quos faciunt, seu facturae sunt, sed etiam ad eos quos facere possent, si vellent" (XXXIX). Es ist hier die Theorie der scientia media angesprochen, die auch unter 2, 3, 4, 6 und 7 anklang. Zusammenfassend läßt sich aus der Differenzierung zwischen dem concursus divinus bei den causae naturales und den causae liberae und der diffizilen Diskussion dieses Concursusdenkens folgende Charakterisierung von Suarez Concursusverständnis erheben: Gott, die causa prima, paßt sich entsprechend seiner Vorherbestimmung der Besonderheit, d. h. der Aufnahmefähigkeit und Bedürftigkeit (capacitas, indigentia, Sect. IV, IV) der causae secundae im concursus oblatus indifferens (Sect. IV, XVIf.; XXXVIII) den causae secundae in der Weise an (accommodat, Sect. IV, VIII f.; X X X I V ; descendit, Sect. IV, IV usw.), daß Gottes Mitwirken, konditioniert von den causae secundae, mit der Besonderheit der causae secundae kongruiert. Ist bei 56

den natürlichen Wirkursachen das Handeln durch den concursus divinus in potentia próxima versetzt und damit „ad unum" determiniert, so entscheiden die freien Geschöpfe über die Annahme und Determination des göttlichen concursus frei und eigenständig; Gott sieht dabei in seiner Präskienz die vom Geschöpf spezifizierten Handlungen, aber auch die potentiellen Handlungen voraus. So versucht der Suarezianismus in seinem kongruistischen Concursusverständnis das Allmachtswirken der causa prima und das Eigenwirken der causae secundae ganz ernst zu nehmen. Gottes Allmacht im unmittelbaren Mitwirken zeigt sich einerseits in der Abhängigkeit des Wirkens der causae secundae von der causa prima und in der Teilhabe des Wirkens der causae secundae am Wirken der causa prima (Sect. I, VIII ff.). Andererseits hat die Eigenständigkeit und Eigentätigkeit des geschöpflichen Seienden ihre ontologische Voraussetzung in folgenden Gedanken 29 : a) in der Vorstellung von der aktuierten prima materia; b) in der Betonung des Individuellen in seiner Eigenständigkeit; c) in der realiter untrennbaren Verknüpfung von essentia und existentia im Schöpfungsbereich. Diese Gedanken bedeuten thetisdi gesprochen folgendes: a) Die materia prima ist nicht bloße Potenz, sondern aktuale Seinsweise 30. b) Das Individuationsprinzip stellt nicht die materia signata dar (Disp. V, Sect. III); vielmehr ist die materia in sich durch die eine eigenständige Entität darstellende substantielle Form individuiert 81 . c) Die Unterscheidung von essentia und existentia ist auch bei den geschaffenen Dingen als bloß gedankliche Trennung, nicht jedoch reale, anzusehen 32 . îe

Vgl. audi Β. Jansen, Die Wesensart der Metaphysik des Suarez, Scholastik (15) 1940, S. 161 ff.; G. Siegmund, Die Lehre vom Individuationsprinzip bei Suarez, 1927. ,0 Disp. XIII, Sect. IV, IX: „materia prima ex se et non intrinsece a forma habet suam entitatem actualem essentiae, quamvis non habeat illam, nisi cum intrinseca habitudine ad formam", ebenso Sect. V, VI und IX f. S1 Disp. V, Sect. VI, I : „Ex hactenus dictis contra superiores sententias, videtur, quasi a sufficienti partium enumeratione, relinqui, omnem substantiam singularem, neque alio indigere individuationis principio praeter suam entitatem, vel praeter principia intrinseca quibus eius entitas constat"; Disp. V, Sect. VI, II: „Primo igitur a materia prima incipiendo, dicendum est illam esse in re individuam, et fundamentum talis unitatis esse entitatem eius per seipsam, prout est in re absque ullo extrínseco superaddito." 82 Disp. XXXI, Sect. I, XIII: „Et sie affirmat haec sententia existentiam et essentiam non distingui in re ipsa, licet essentia, abstracte et praecise concepta, ut est in potentia, distinguatur ab existentia actuali, tanquam non ens ab ente. Et hanc senten-

57

Dieser Betonung des aktuierten Individuaiseins im Schöpfungsbereich auf der ontologischen Ebene entspricht im Erkenntnisbereich die direkte, unvermittelte Erkenntnis des Individuellen durch den Intellekt ss . Im induktiven Erkennensvorgang gewinnt der Mensch das „Wissen" des Allgemeinen. Damit redet Fr. Suarez allerdings noch nicht einem empiristischen Nominalismus das Wort; er hält vielmehr an einem gemäßigten Realismus fest, der ja die Existenz der Universalien voraussetzt 34 . Es vermeidet somit der suarezische Kongruismus bei Anerkennen des unmittelbaren göttlichen Mitwirkens einmal den thomistischen Gedanken eines Von-außen-Eingreifens der prima causa und den Gedanken der göttlichen Prädetermination, indem er das innerliche Mitwirken Gottes betont und das Eigen wirken der causae secundae hervorhebt; zum andern betont er stärker als der Molinismus die göttliche Präskienz, indem er das göttliche Wollen und Wirken durch den Gedanken der Kongruenz mit dem geschöpflichen verbindet und audi die möglichen Handlungen der causae secundae in Gottes Präskienz verankert sieht. Die gegen den Molinismus vorgebrachten kritischen Erwägungen gelten ansonsten auch für den Kongruismus: 1. die Einschränkung des freien Allmachtswirkens Gottes durch das Bedingungs- und Wechselwirkungsverhältnis von Gottes akkommodierendem Mitwirken und der konditionierenden Besonderheit des Geschöpfes; 2. die Spaltung von göttlichem Wollen und Wirken durch die Theorie einer seientia media; 3. schließlich der Rahnersche Gedanke, daß nicht klar sei, wie das Geschöpf, die causa secunda, zu einer eigenständigen Determination und Spezifikation des concursus oblatus indifferens „in potentia remota" aus sich selbst heraus zu gelangen vermag. 4.5. Die complexio

oppositorum35

Zur Klärung und Schlichtung der molinistisch-thomistischen Auseinandersetzungen in der Gnadenlehre trat 1598 die congregatio de auxiliis tiam sie explicatam existimo esse omnino veram. Eiusque fundamentum breviter est, quia non potest res aliqua intrinsece ac formaliter constituí in ratione entis realis et actualis, per aliud distinetum ab ipsa, quia, hoc ipso quod distinguitur unum ab alio, tanquam ens ab ente, utrumque habet quod sit ens, ut condistinctum ab alio, et consequenter non per illud formaliter et intrinsece." 33 Vgl. Disp. XIII, Sect. VI, I; audi M. Lediner, Die Erkenntnislehre des Suarez, Phil. Jahrbuch (25) 1912, S. 133 ff. 34 Vgl. Disp. I, Sect. VI, XXV; audi J. de Vries, Die Erkenntnislehre des Fr. Suarez und der Nominalismus, Scholastik (XX—XXIV), S. 321 ff. 35 Vgl. K. Barth, KD II 1, S. 655 ff.

58

gratiae zusammen, in der sich jedoch die Streitigkeiten fortsetzten, bis schließlich Papst Paul V. 1607 entschied: „ . . . vetitum est, in quaestione hac pertractanda ne quis partem suae oppositam aut qualificaret, aut censura quapiam notaret" se .

Mit dieser Entscheidung und den folgenden von 1611 und 1625 wurde die Unmöglichkeit der Klärung dieses dogmatischen Problems für die Gnadenlehre—und Entsprechendes gilt für die Vorsehungslehre — durch eine der Parteien eingestanden. Zugleich aber wurde auch beiden Positionen die Legitimität ihrer besonderen Akzentsetzung und ihres besonderen Ausgangspunktes zuerkannt: zum einen die Betonung der Allmacht Gottes und die Klärungsversuche der Concursusfrage vom Gedanken der Omnipotenz Gottes her, zum andern die Hervorhebung des geschöpflichen Eigenwirkens und die Auseinandersetzung mit dem Concursusproblem von der Voraussetzung des völligen Ernstnehmens der geschöpflichen Selbständigkeit her. Auf eine denkerische Zuordnung der beiden Gegensatzpositionen wurde in dieser Entscheidung verzichtet; damit tritt nicht nur die Schwierigkeit dieses dogmatischen Problems offenkundig vor Augen, sondern gerade auch die Aporie jeglicher rationaler Klärungsbemühungen. Abschließend sei zum Teil 4 erwähnt, daß die verschiedenen Positionen der molinistisch-thomistischen Auseinandersetzungen bis in die römisch-katholischen Dogmatiken der Gegenwart hinein vertreten werden. So wertet etwa M. Premm 37 und J. Pohle, J. Gummersbach 88 das molinistische Konzept eines concursus simultaneus von causa prima und causa secunda wohlwollender als das thomistische und F. Diekamp 39 und M. J. Scheeben40 die thomistischen Gedanken einer praemotio physica positiver als die molinistischen, während M. Schmaus41 den vermittelnden Gedanken einer complexio oppositorum vertritt. 4.6. Zusammenfassung

und Urteil

1. Die verschiedenen Positionen des molinistisch-thomistischen Streites erkennen gemeinsam das „Daß" des unmittelbaren göttlichen Mitwirkens an. 3β

H. Denzinger-A. Sdiönmetzer, Nr. 1997. M. Premm, Glaubenslehre I, S. 389 f. 38 J. Pohle, J. Gummersbach, Lehrbuch der Dogmatik I, S. 514. 39 Fr. Diekamp, Kath. Dogmatik II, S. 35 f. 40 M. J. Scheeben, Handbuch der kath. Dogmatik, III und IV, S. 26 ff. 41 M. Schmaus, Kath. Dogmatik, II 1, 6. Aufl. 1962, S. 175 ff., während er in der ersten Auflage noch der thomistischen Lösung den „Vorzug" gab (M. Sdimaus, Kath. Dogmatik II, 1938, S. 77). 37

59

2. Die Differenzen und Streitigkeiten entstehen bei den Bemühungen um eine rationale Klärung des „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda; die Molinisten versuchen es mit ihrem Konzept eines concursus simultaneus, die Thomisten mit der Vorstellung von der praemotio physica. 3.1. Die Thomisten wollen mit ihrem Gedanken von einer praemotio physica — wie auch mit ihrer Betonung der Realdistinktion von Sosein und Dasein im Schöpfungsbereich gegenüber deren Einheit in Gott — die Allmacht der causa prima gegenüber den causae secundae hervorheben. Die unthomasische Vorstellung von einer besonderen, eindeutig prädeterminierenden praemotio physica führt zur Aufhebung der geschöpflichen Freiheit und zur Urheberschaft Gottes für die Sündenakte, vor allem audi zu einer Fixierung des göttlichen Wirkens auf ein besonderes Von-außen-Eingreifen. 3.2. Die Molinisten wollen in ihrem System eines concursus simultaneus das geschöpfliche Wirken und die geschöpfliche Freiheit ernst nehmen. Die Theorie von einer göttlichen scientia media ermöglicht ihnen Gottes allmächtiges Vorauswissen und das freie geschöpfliche Wirken zusammenzudenken. Doch führt diese Theorie einmal zu einer Trennung von göttlichem Wollen und Wirken und zum andern zu einer Aussparung eines Bereichs für die menschliche Entscheidungsautonomie. Gegenüber dem Molinismus vermag der Kongruismus — in seinem Bemühen, das geschöpfliche Eigenwirken enger an Gottes Allmachtswirken zu binden — das göttliche Wollen und Wirken stärker zu verknüpfen und das Wirken des freien Geschöpfes unter Gottes Präskienz zu stellen. 3.3. Es vermag weder das thomistische Konzept einer praemotio physica noch das konferierende des Molinismus oder das kongruierende des Suarezianismus den Ubergang vom actus primus in den actus secundus rational eindeutig zu klären. 4. In der auf eine letzte denkerisdie Klärung der Zuordnung des Wirkens der causa prima und causa secunda verzichtenden Verbindung des molinistischen und thomistischen Ansatzes in der complexio oppositorum zeigt sich die Aporie der rationalen Klärungsbemühungen der thomistischen und molinistischen Theorie. 5. Die thomistische und molinistisch-kongruistische Position wie audi die der complexio oppositorum verbleiben bei einer Betonung der formalen Probleme des concursus divinus ganz im verobjektivierenden System scholastischen Denkens; biblisch-theologische Überlegungen treten völlig in den Hintergrund. 60

5. Die Wiederaufnahme des scholastischen Concursusdenkens (das Concursusverständnis der protestantischen Orthodoxie) Im nachreformatorischen Protestantismus gewann unter dem Neuaufleben des scholastischen Denkens und seiner Denkkategorien 1 die Concursusfrage sowohl in der lutherischen als auch in der reformierten Orthodoxie an Bedeutung. Unter typisierendem Aspekt soll wiederum auf einige Texte eingegangen werden, die zum Concursusthema in der Wirkungsgeschichte häufig genannt werden 2 , und zwar in der Gegenüberstellung von lutherischem und reformierten Altprotestantismus. Auch K. Barth greift in seiner „Kirchlichen Dogmatik" 3 in dieser Gegenüberstellung die Positionen des altprotestantischen Concursusverständnisses auf, wenn er die verschiedenen Ansichten auch nicht als „unerträglichen Widerspruch", sondern als bloßen „Schulgegensatz" versteht (KD III 3, 110).

5.1. Das subordinativ-konkurrierende (die lutherische Orthodoxie)

Concursusverständnis

Zunächst soll das subordinativ-konkurrierende Concursusverständnis der lutherischen Orthodoxie an H a n d von zwei ihrer Vertreter, nämlich A. Calov (1612—1686) und J. A. Quenstedt (1617—1688), dargestellt werden; es handelt sidi dabei um zwei Theologen der lutherischen Hochorthodoxie. In der Frühorthodoxie, etwa bei J. Gerhard (1582—1637) spürt man in der Behandlung des concursus divinus in den „Loci theologici" (1610—1625), Loc. VI, Cap. I X unter der Frage: „Quomodo concurrat divina Providentia in malis hominum actionibus" noch ganz den lutherischen Schrifttheologen, der sich um eine christlich-theologische Beantwortung der Concursusfrage bemüht. Bei A. Calov und J. A. Quenstedt gewinnt der Einfluß des sdiolastischen Denkens erheblich mehr an Gewicht. In der Spätorthodoxie gerät die Concursusfrage in zunehmendem Maße in die apologetische Auseinandersetzung mit der naturwissenschaftlichen Bestimmung der Naturkausalität 4 . 5.1.1. A. Calov, „Systema locorum theologicorum", Tom. III, Art. VI, Cap. II. Sect. II, Q I und II Im apologetischen Teil seiner „Systema locorum theologicorum" (1655 ff.) — A. Calov unterscheidet in jedem Kapitel zwischen einer 1

M. Wundt, Die Sdiulmetaphysik des 17. Jahrhunderts, 1939, S. 48 ff., 59 ff. * U . a . A.E.Biedermann, Christliche Dogmatik, 2. Aufl. 1885, § 452, 2; 453, 4; J. Köstlin, Concursus divinus. RE IV, S. 263; C. H. Ratschow, Lutherische Dogmatik 7wischen Reformation und Aufklarung II, S. 229ff., 239ff.; u. a. » KD III 3, S. 108ff., 130f., 136, 151 f., 158, 162f., 164f. u.a. 4 C. H. Ratschow, Lutherische Dogmatik zwisdien Reformation und Aufklärung II, S. 220 f.

61

didaktischen und einer apologetischen Darlegung — greift A. Calov das Concursusthema unter der Frage auf: „An Deus concurrat ad actionem quamcunque singularem causarum secundarum, et an causae secundae cum prima operentur?" (S. 1203 ff.), und zwar in einem besonderen Teil nach der conservatio und gubernatio. Zunächst grenzt Calov sein Concursusverständnis gegen das mediate des Durandus und gegen den Gedanken der Alleinwirksamkeit bei den „Mohammedanern" ab; gegen die letzteren bringt er den Schrift-, Vernunft- und Erfahrungsbeweis für die Eigentätigkeit der Geschöpfe vor (1204). Calov wählt den mittleren Weg (media via, S. 1204), wobei er sich expressis verbis der philosophischen Tradition eines Thomas v. Aquin, F. Suarez, B. J. Martini (1570—1649) und Chr. Scheibler (1589— 1653) anschließt. A. Calov erkennt dann in den eigenen Überlegungen das „Daß" des concursus divinus immediatus voll und ganz an; ein und dieselbe Aktion, „una et eadem actio" (1207), wird unmittelbar von der causa prima und der causa secunda gewirkt; von der causa prima gilt, daß sie „in actionem . . . , et cum actione, in effectum influât" (1205). Begründet ist das unmittelbare Mitwirken der causa prima mit den Handlungen der causae secundae in der Subordination der causae secundae unter die causa prima (1208) und in der Dependenz der geschöpflichen Handlungen von Gott, dem Schöpfer (1206 f., 1209). Das „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda versteht Calov im simultanen Sinn, wobei er sich äußerst scharf gegen ein prämovierendes Concursusverständnis wendet; keine Prämotion oder Prädetermination der causa secunda durch die causa prima liegt vor, sondern ein gleichzeitiges Erwirken ein und desselben Effektes von der causa prima und secunda ist anzunehmen; die causa prima konkurriert dem Wirken der causae secundae. „Verum concursus praevius est contradictio in adjecto. Si concurrit, ergo non praecurrit: Si coagit, ergo non praeagit, si cooperatur, ergo non praemovet et praeoperatur Deus. Proinde aut negandus omnis concursus, et cooperatio causarum secundarum cum prima, aut simultaneus concursus admittendus" (1206).

Somit erkennt A. Calov — gerade auch im Anschluß an die scholastische Philosophie — das „Daß" des unmittelbaren concursus divinus voll und ganz an. Das „Wie" versteht er im konkurrierenden Sinn, wobei er den concursus simultaneus mehr konstatiert als rational nachweist, wie es etwa die Molinisten zu tun versuchen. Auf biblisch-theologische Uberlegungen zur Concursusfrage verzichtet A. Calov fast ganz. 5.1.2. J. A. Quenstedt, „Theologia didáctico — polemica", Cap. X I I I J. A. Quenstedt legt die Concursusfrage innerhalb der Vorsehungslehre in seiner „Theologia didactico-polemica" (1685), die sich stark an 62

J. F. Königs „Theologia positiva acroamatica" (1664) anlehnt 5 , in einer didaktischen Section und in einer polemischen dar. Im didaktischen Teil der Providenzlehre (Cap. XIII) referiert Quenstedt in These X I I I die beiden Möglichkeiten der Gliederung der „forma divinae providentiae" e : die Trennung von conservatio und gubernatio und die Unterscheidung von conservatio, concursus, gubernatio. Quenstedt schließt sich im folgenden — wie schon J. F. König 7 — der zweiten Gliederungsmöglichkeit an. Im polemischen Teil der Providenzlehre behandelt Quenstedt den concursus divinus in der Quaestio III: „An Deus concurrat cum omnibus causis secundis immediate et simul ad earum actiones et effectus, qua tales?" und beantwortet die Frage mit folgender These: „Deus non tantum causis secundis sibi essentialiter subordinatis, dat vim operandi, eamque conservât, sed etiam ordinarie in earum actiones et effectus stngulos, qua tales per se et immediate, immediatione et vitutis et suppositi, et stmul cum ipsis ad uniuscuiusque indigentiam, et exigentiam influit ita quidem, ut ipsius Dei et causae secundae eadem numero actio sit, ad eundem numero e f f e c t u m tendens."

Quenstedt erläutert dann die These zunächst in einer breiten phänomenologischen Darstellung des concursus divinus und seiner verschiedenen Verständnismöglichkeiten (Ekthesis I — X I ) : Er unterscheidet erstens zwischen concursus specialis, concursus specialissimus und concursus generalis (I); der concursus specialis bezieht sich auf das Zusammenwirken Gottes mit den glaubenden Geschöpfen, der concursus specialissimus allein auf das Zusammenwirken mit den Schreibern der heiligen Schrift, der concursus generalis auf das göttliche Mitwirken mit allen causae secundae in der Schöpfung. Quenstedt differenziert dann zwischen concursus universalis und particularis (II); die erste Möglichkeit bezieht sich auf das indifferente, unspezifizierte göttliche Mitwirken, die zweite Möglichkeit auf das Mitwirken beim Hervorbringen eines bestimmten Effektes. In der vierten Ausführung definiert Quenstedt dann die causa prima und die causa secunda als causa independens und causa dependens. Die nun folgenden Thesen beziehen sich auf das „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda. So wird einmal zwischen dem concursus praevius und simultaneus getrennt, ferner zwischen einem 5 E. Weber, Der Einfluß der prot. Schulphilosophie auf die orthodox-luth. Dogmatik, S. 35. β Wie J. F. König benutzt J. A . Quenstedt das aristotelische causa-Schema als Gliederungskriterium der Providenzlehre. 7 Nicht J. A . Quenstedt ist damit in der lutherischen Orthodoxie der Urheber der Dreiteilung der Providenzlehre mit dem concursus divinus als eigenem Mittelteil, wie H.Schmid, Die Dogmatik der evang.-luth. Kirche, 7. Aufl., 1893, S. 125, Anm. 8; J. Köstlin, concursus divinus RE IV, S. 263, 4 0 f f . ; Κ . Barth, K D III 3, S. 108 meinen, vielmehr findet sie sich schon bei J. F. König.

63

Mitwirken mit den agentia naturalia und den agentia libera. Beim Mitwirken der causa prima mit den freien Geschöpfen unterscheidet Quenstedt zwischen dem concursus physicus und moralis, also einem real wirksamen Dabeisein und einer bloß im Willen verankerten moralischen Unterstützung. Schließlich nennt Quenstedt die schon erwähnten Aufspaltungen der verschiedenen Modi der Unmittelbarkeit des Mitwirkens: immediatione suppositi — mediatione suppositi, immediatione virtutis — mediatione virtutis ( I X ) 8 . Auf die bekannte Unterscheidung 9 von effectus und defectus, entitas und formalitas beim Bewirken der sündigen Taten sei nur verwiesen (XI)· Anschließend gibt Quenstedt eine als Explikation der Ausgangsthese anzusehende Darstellung des eigenen Concursusverständnisses, das, in die folgenden Antithesen und Ausführungen eingeordnet, vom Schriftund Vernunftbeweis her — beim letzteren wird besonders D. J . Martini und Fr. Suarez genannnt — differenziert dargelegt wird. Für die typisierenden Überlegungen soll nun vor allem auf die Gedanken des didaktischen Teils eingegangen werden, die von den Erwägungen des polemischen Teils her ergänzt werden. In Cap. X I I I , Sect. I, Thesis X V gibt J . A. Quenstedt dem concursus divinus als forma providentiae divinae folgende Definition: »Concursus est actus providentiae divinae, quo Deus influxu generali in actiones et

effectus causarum secundarum, qua taies, se ipso immediate et simul cum eis et luxta indigentiam

et exigentiam

uniuscuiusque suaviter influit."

An diese These schließt Quenstedt eine philosophisch-theologische Erklärung (Nota I) und eine biblisch-theologische Begründung an (Nota II). Quenstedt erkennt das „ D a ß " eines concursus divinus immediatus voll und ganz an (Quenstedt selbst unterscheidet nicht zwischen dem „Daß" und „Wie", sondern nimmt — in Anlehnung an das aristotelische causa-Schema — die Frage nach der causa efficiens, dem obiectum, der forma und dem modus als formale Gliederungskriterien des concursus divinus). Unmittelbar wirkt Gott als causa prima bei den Handlungen und Wirkungen der Kreaturen mit, so daß ein und dieselbe Handlung gleichzeitig von Gott und der Kreatur hervorgebracht wird, „quod (Deus) immediate influât in actionem et effectum creatura«, ita, ut idem effectus non a solo deo, nec a sola creatura, nec partim a Deo, partim a creatura, sed una eademque efficientia totali simul a Deo et creatura producatur, a Deo videi, ut causa universali et prima, a creatura, ut particulari et secunda".

Bei der Mitwirkung „ad actiones malas" ist wiederum zwischen effectus und defectus zu unterscheiden. » Vgl. S. 51.

64

» V g l . S. 22.

Das „Wie" dieses unmittelbaren Mitwirkens versteht Quenstedt nicht als praecursus, audi nicht als postcursus10, sondern als einen Akt, „qui intime in ipsa actione creaturae includitur, imo eadem actio creaturae est",

also als concursus, wobei Gott sich der jeweiligen Art der causae secundae anpaßt, sich zu ihrer Aufnahmefähigkeit, Bedürftigkeit und Schwachheit herabläßt: „est enim concursus divinus accommodatus ad naturam et agendi modum uniuscuiusque. . . . Concurrit descendendo ad singula iuxta uniuscuiusque capacitatem, indigentiam et exigentiam." 11

In dieser den Kongruismus vertretenden Concursusvorstellung steht Quenstedt bis in Einzelformulierungen hinein unter dem Einfluß der scholastischen Metaphysik, wie besonders ein Vergleich mit Fr. Suarez deutlich macht12. K. Barth 13 hat nun darauf hingewiesen, daß das kongruistische Concursusverständnis J. A. Quenstedts das Wirken der causa prima und der 10 K. Barths allgemeine Feststellung, daß bei den Lutheranern der concursus mehr in der Riditung eines succursus interpretiert wird, findet bei J. A. Quenstedt keine Bestätigung. Vgl. K D III 3, S. 109. " Cap. X I I I , Sect. I, Th. XV, Nota I. 12 Es sei ein Textstück der beiden Theologen gegenüber gestellt, das ihr kongruistisdies Verständnis deutlich macht: Fr. Suarez, Disp. Met., X X I I , Sect. IV, ]. A. Quenstedt, Theologia did.-pol., Cap. III f.: „Modum, quod concernit, concurrit Deus XIII, Sect. I, Thesis XV, Nota I : „nihilominus tarnen secundum quid dici, cum naturalibus ad modum causae naconcurrere ad modum naturae. Idque turalis, cum causis liberis, per modum duplici ratione, primo, quia in concurcausae liberae. Est enim concursus divirendo sese accommodat naturis rerum, nus accommodatus ad naturam et agendi et unicuique praebet concursum virtuti modum uniuscuiusque. Decrevit insuper eius accommodatum . . . ita etiam decreDeus ex lege quasi quadam ordinaria vit cum eisdem rebus concurrere ad eanon desùmere suo auxilio agens crearum actiones iuxta capacitatem earum. tum, eiusque proprium operandi modum Et quia sicut scientia Dei est distinctisnon immutare. Concurrit descendendo sima et in particulari de omnibus, ita et ad singula iuxta uniuscuiusque capacitavoluntas distincte et in particulari omnia tem, indigentiam et exigentiam." decernit, et ad singula descendit iuxta

uniuscuiusque capacitatem, et indigentiam, ideo in praebendo hoc concursu ex aeternitate etiam decrevit in particulari concurrere cum hac causa tali tempore, tali l o c o . . . " So wirkt Gott als causa prima unmittelbar durch seinen „influxus" bei den H a n d lungen der causae secundae mit (Disp. Met., X X I I , Sect. IV, 9; Th.d.-p., Cap. X I I I , Sect. II, Q III, 11 f.) in der Weise, wie die causae secundae es fordern, „postulare" (Disp. XXII, Sect. IV, 5; Th.d.-p., Cap. XIII, Sect. II, 12), so daß eine Handlung und Wirkung von Gottes Willen und Mitwirken abhángt und vom geschöpflichen Wirken, „pendere" (Disp. Met., X X I I , Sect. IV, 29; Th.d.-p., Cap. XIII, Sect. II, 13). 18 K D III 3, S. 164.

65 5

Plathow, Problem

causa secunda in ein Bedingungsverhältnis hinstellt, das das freie Alimach tswirken Gottes beeinträchtigt; diese Feststellung wurde auch schon in der eigenen Beurteilung des Concursusentwurfs von Fr. Suarez geäußert. Darüber hinaus sieht K. Barth 14 in der Verbindung der Vorstellung von einem Bedingungsverhältnis des Wirkens der causa prima und der causa secunda mit dem Gedanken der Einheit des Wirkens von causa prima und causa secunda die Gefahr der Umkehrbarkeit von Schöpferund Geschöpfwirken. Dagegen ist als Einwand Quenstedts Betonung des Unterschieds von causa prima und causa secunda 15 als causa independens und causa dependens (Cap. XIII, Sect. II, Q III, IV), vor allem aber die Erwähnung der göttlichen „longanimitas", in der Gott das freie Geschöpf den concursus divinus gebrauchen oder audi mißbrauchen läßt (Cap. XIII, Sect. II, Q III, XII) — worin sich ja die Größe Gottes erweist — vorzubringen; und schließlich ist gerade auch die Dependenz des geschöpflichen Seins und Wirkens von Gott zu erwähnen (Cap. XIII, Sect. II, Q III, IV, VIII). Man wird endlich audi Κ. Barths Charakterisierung des Quenstedtschen Concursusdenkens als eines rein formalen Concursusverständnisses relativieren müssen. In These XVI und XVII des didaktischen Teils seiner Providenzlehre identifiziert Quenstedt den concursus divinus mit der omnipraesentia divina, verstanden nicht „sensu philosophico" als „indistantia seu adessentia, sive increati entis ad ens creatum existentiam", sondern „sensu et stylo Biblico", „quo dénotât omnipraesentiam operosam vel quae divinam quandam ένέργειαν et operationem importât" (Thesis XVI, Nota I), also als aktuales Gegenwärtigsein Gottes. Quenstedt unterscheidet dabei zwischen dem „fundamentum divinae omnipraesentiae remotum" und dem „fundamentum propinquum" (Thesis XVII). Das „fundamentum remotum" ist teils als Gottes potentia adessendi creaturis zu verstehen, in der Gott zum einen aus seiner Erhabenheit heraus gegenwärtig ist, zum andern — entsprechend der lutherischen Ubiquitätslehre — in Christus, dem Fleisch gewordenen Logos, dem Fleisch nach allgegenwärtig ist, teils als omnipotentia, Allmacht, zu denken. Das „fundamentum propinquum" liegt in Gottes absoluter Freiheit begründet. In diesen Überlegungen zur tätigen Allgegenwart Gottes mit ihren christologiscben Konsequenzen und gleichzeitig mit der Betonung der 14

Ebd., S. 151 f. In diesem Unterschied von causa prima und secunda liegt audi eine Gleichheit; analogia attributionis intrinsecae besteht zwischen den beiden causae; vgl. KD II 1, S. 267 ff. 15

66

göttlichen Freiheit wird die formale Betrachtung des Concursusproblems relativiert und der concursus divinus stärker christlich-theologisch bestimmt 1β. 5.2. Das subordinativ-präkurrierende (die reformierte Orthodoxie)

Concursusverständnis

Für die reformierte Orthodoxie soll bei der typisierenden Betrachtung auf Fr. Turrettini (1623—1687) und J. Coccejus (1603—1669) exemplarisch eingegangen werden. Sie finden auch in K. Barths Providenzlehre besondere Berücksichtigung. 5.2.1. Fr. Turrettini, „Institutio Theologiae", Loc. VI Fr. Turrettini stellt die Concursuslehre, die er zu den schwierigsten Themen der Theologie zählt", innerhalb des VI. Locus seiner „Institutio Theologiae" (1668), also innerhalb der Providenzlehre, dar. Hier fragt er zu Beginn von Quaestio IV nach den actus providentiae: „An Providentia sita sit tantum in conservatione, et sustentatione rerum, An vero etiam in gubernatione earum, per quam Deus ipse agat, et efficaciter concurrat cum ipsis, concursu, non generali et indifferente, sed particular! specifico, et immediato?"

Turrettini gibt dann nach einer Abgrenzung gegenüber dem concursus mediatus des Durandus, dem concursus indifferens der Jesuiten, wie er sagt, und der praedeterminatio physica der Thomisten einen Uberblick über die actus providentiae, wobei er dem concursus weniger eine eigene Darstellung zuerkennt, sondern der conservatio (Q IV, 7 ff.) und der gubernatio (Q IV, 15 ff.) zuordnet. Eine besondere Darlegung erhält das Concursusthema in Quaestio V und VI, in Quaestio V unter der Frage: „An Deus concurrat cum causis secundis, non modo concursu particulari, et simultaneo, sed etiam praevio?", in Quaestio VI unter der Frage: „Quomodo concursus Dei possit conciliari cum contingentia et liberiate causarum secundarum, et praecipue voluntatis hominis?"

Quaestio VII und VIII diskutieren dann noch sehr breit die Frage der göttlichen Vorsehung angesichts des Bösen und der Sünde. In Quaestio V setzt sich Turrettini nun mit dem Thema des „Daß" des concursus divinus auseinannder. Zunächst gibt er in These 2—6 einen Überblick über die Gliederungsmöglichkeiten des concursus divinus. So unterscheidet er in These 2 zwischen concursus physicus und moralis, 16 Dem entspridit audi, daß J. A. Quenstedt die ganze Providenzlehre vom dreieinigen Gott als Subjekt bestimmt sein läßt (Cap. XIII, Sect. I, Th. VI). 17 Q V, 1: „Cum Quaestio de Concursu Dei sit ex difficillimis, quae in Theologia occurrant, in qua explicanda, si uspiam alibi, laboratum fuit, et erratum periculosissime, peculiarem et accuratam disquisitionem postulat."

67

s*

trennt dann zwischen concursus mediatus und immediatus und hier wiederum „quoad suppositum" und „quoad virtutem" (3). In der vierten Ausführung differenziert er zwischen einem Mitwirken „per modum principii" und „per modum actionis", also einem Mitwirken, das sich allein auf die conservatio der causa secunda im actus primus bezieht, und einem Mitwirken, das sich gerade auf das Wirken der causa secunda bezieht (4). These 5 unterscheidet dann zwischen dem concursus praevius und simultaneus, wobei Fr. Turrettini sich für den unmittelbar auf den einzelnen geschöpflichen Akt beziehenden concursus praevius oder die praedeterminatio entscheidet. In vier Überlegungen wird dieser Concursusgedanke begründet: 1. in der Subordination der causae secundae unter die causa prima. Im aristotelischen Bewegungssatz findet dieser Gedanke seine verdichtetste Form: Gott ist der erste Beweger jeder Handlung; die causa secunda vermag dementsprechend nichts zu wirken, wenn sie nicht von der causa prima dazu veranlaßt und unterstützt worden ist (Q V, 7) 18 ; 2. in der Akt-Potenz-Theorie. Sie besagt, daß ein Zustand „in potentia" in den Zustand „in actu" nur überführt werden kann durch etwas, was sich schon im Aktzustand, „in actu", befindet. Gott als der actus purus wirkt somit letztlich die Handlung, den actus secundus, der causa secunda bestimmend mit, während die causa secunda zugleich ihr Wirken selbst determiniert 19 ; 3. in der göttlichen Prädetermination. Sie bestimmt die causae secundae unbeirrbar (infallibilis) zum Wirken, während gleichzeitig die causae secundae ihr eigenes „dominium sui actus" besitzen (9) 20 ; 4. in der ewigen Prävision der geschöpflichen Handlungen — auch der freien Geschöpfe — bei Gott, weil Gott das, was er von Ewigkeit her bestimmt hat, audi in der Zeit ausführt (10) 21 ; Gottes Voraussehen und Vorausbestimmen sind eins. 18 Loc. VI, Q V, 7: „1. Ex natura causae primae, et subordinatione causarum secundarum, Prima causa est primum movens in omni actione, ideo causa secunda non potest movere, nisi moveatur, nec agere, nisi acta a prima; alioqui erit principium sui motus, et sic non amplius esset causa secunda, sed prima." 19 Loc. VI, Q V, 8 : „Quod est ex se indifferens ad plures actus, ad agendum, aut non agendum, necesse est ut ad agendum ab alio determinetur; Quia quod est in potentia, non potest reduci in actum, nisi ab aliquo, quod sit in actu; Sed omnis causa secunda, et praecipue voluntas hominis est talis." 20 Loc. VI, Q V, 9: „Si Deus non concurrat concursu praevio determinando antecedenter creaturam ad actum suum; neque poterit coniungi in agendo cum creatura concursu simultaneo... Unde sequitur infallibihtatem eventus non aliunde oriri posse, quam ex praedeterminatione divina." 21 Loc. VI, Q V, 10: „Deus absoluta et efficaci volúntate decrevit ab aeterno omnes actus etiam liberos antecedenter ad praevisionem determinationis ipsius liberi arbitrii."

68

Fr. Turrettini will somit bei nachdrücklicher Betonung des prämovierenden concursus divinus zugleich die geschöpfliche Eigentätigkeit beim Bewirken der einen Handlung, des einen Effektes, ernstnehmen. In Quaestio V, 13 schreibt er: „Quamvis creaturae in genere causarum secundarum, et dependentium a Deo, habeant vim sufficientem intrinsecam ad agendum; non sequitur non necessariam esse praemotionem Dei extrinsecam, qua excitentur ad operationes s u a s : . . . N o n sequitur ergo ex praemotione Dei causas secundas nihil agere, sed tantum nihil agere independenter."

Die Möglichkeit einer Verbindung von prädeterminierendem concursus praevius und geschöpflicher Eigenwirksamkeit sieht Turrettini in Quaestio V in der scholastischen Unterscheidung von „sensu diviso" und „sensu composito" (11) und „necessitas consequentis" und „necessitas consequentiae" (12). Gegenüber den sehr stark von der scholastischen Philosophie geprägten Darlegungen des „Daß" des concursus divinus praevius berücksichtigt Fr. Turrettini in Quaestio VI bei den Überlegungen des „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda auch die biblischen Überlegungen 22 (Q VI, 1). Zugleich betont er nachdrücklichst die Schwierigkeit, ja, die Unmöglichkeit, dieses Problem zu klären ( Q V I , 1) 2S ; „conciliationis istius ratio in hac vita, clare et perfecte a nobis explican" nequit (Q VI, 2). Turrettini diskutiert zunächst drei Lösungsmöglichkeiten, diese Frage zu beantworten: die Möglichkeit, die damit gegeben ist, daß die göttliche Präskienz in den Blick gefaßt wird, die Möglichkeit, die die göttliche Permissio in den Mittelpunkt stellt, und den Gedanken des „indifferens providentiae influxus", also das molinistische Concursusverständnis, über das Turrettini bei seinem prämovierenden Concursusdenken keine weiteren Worte verlieren will (Q VI, 3 f.). Gegen die Präskienzthese, nach der die göttliche Providenz allein den Akt des bloßen Vorauswissens, nicht auch das göttliche Wirken beinhaltet, betont Turrettini, daß die Präskienz gerade auch den Willensakt einschließe, durch den das Zukünftige untrüglich bestimmt werde, so daß die causae secundae der göttlichen Providenz gegenüber ein solches Verhalten zeigen, wie es von Gott nicht nur als Zukünftiges vorausgesehen 22 Q VI, 1: „Quaestio ista non minus est ardua praecedenti, imo aliquanto difficilior, nec satis explicabilis, nisi lucem Verbi Divini sequamur, et religiose, intra términos ab eo praescriptos nos contineamus." 23 Q VI, 11 : „Quod si quid praeterea in re obscurissima haeret scrupuli, vel aliquid, quod nostrum superet captum, ut sane non diffitendum est multa nobis hic esse impervia, satius est id ignorare humiliter, quam definire temerarie, et meminisse decet, vias Dei non esse sicut vias nostras, mirandas esse, non temere timandas; et nobis homuncionibus sufficere debet rò ó'rt, quod clarissime traditur in Verbo, firmiter retiñere, licet rò διότι, vel rò πώς nobis non detur piene nunc assequi."

69

wird, sondern auch von Ewigkeit als Zukünftiges bestimmt und in der Zeit verwirklicht wird. Auf diese untrennbare Verbindung von göttlichem Vorauswissen und den vorausgewußten Wirkungen verweisen nach Fr. Turrettini auch zahlreiche Bibeltexte: Mt. 18,7; 26,54; Mk. 8, 31; Lk.24,7,46; l.Kor.11,19. Gegen die Permissiothese als Denkmöglichkeit für die Art des Zusammenwirkens von causa prima und secunda bringt Fr. Turrettini erstens vor, daß es viele geschöpfliche Handlungen gibt, die über ein göttliches Erlauben hinaus gerade auch Gottes besonderes Mitwirken implizieren. Zum andern sei es falsch, daß mit dem Permissiogedanken die Indifferenz über den Ausgang eines Aktes, auch eines möglichen Sündenaktes, gegeben sei; mit der gegebenen Erlaubnis Gottes folge ja notwendig (necessario) der Sündenakt, der allein durch Gott hätte verhindert werden können. Beide Thesen lehnt Fr. Turrettini also ab; die erste vermag Gottes wirkendes Wollen in seinem Vorauswissen nicht festzuhalten, die zweite nimmt das verantwortliche Handeln des Menschen nicht ernst genug, schiebt letztlich doch Gott die Verantwortung für alles Wirken zu. Seine eigene Vorstellung zum „Wie" des concursus divinus versucht Turrettini in vier Gedanken zu erläutern: 1. Das Zusammenwirken der göttlichen Providenz und des menschlichen Willens ist nicht das von causae collatérales und aequales. Kein Koordinations-, sondern ein Subordinationsverhältnis liegt zwischen Schöpfer und Geschöpf vor; und somit wirkt die causa prima independenter und die causae secundae dependenter ein und denselben Effekt (Q VI, 5). 2. Gott wirkt in der Weise mit den causae secundae, daß er sie gemäß seiner Dekrete prämoviert und prädeterminiert, wie es der Natur der einzelnen causa secunda entspricht: die definierte ohne ihre eigene Determination, die indefinierte mit ihrer eigenen vernunftmäßigen Determination. 3. Die göttliche Providenz wirkt dabei mit dem menschlichen Willen nicht „per coactionem, cogendo voluntatem in vitam" oder durch eine physische Determination, sondern „rationaliter, flectendo voluntatem modo ipsi convenienti, ut se ipsam determinet" (Q VI, 7). 4. In verschiedener Weise wirkt Gott bei den guten und bei den schlechten Handlungen mit. Bei den guten Handlungen prämoviert Gott dem menschlichen Willen und ist damit Autor der Handlung nicht nur der Natur und Sache nach, sondern audi der Art und Weise nach. Bei den schlechten Handlungen wirkt Gott bestimmend auf die „substantia in genere entis" mit; die Defizienz der Handlung ist die eigene Tat der freien Geschöpfe (Q VI, 8). 70

In Q V I , 10 gibt Fr. Turrettini dann folgende abschließende Bestimmung des „Wie" des Zusammenwirkens: der menschliche Wille ist im actus primus indifferent und indeterminiert; zum actus secundus determiniert er sich selbst in Mitwirkung der prädeterminierenden causa prima, und zwar in der Weise, daß Gott nicht nur durò die causa secunda, sondern auch mit ihr wirkt. Gott läßt die causa secunda eigenständig mit freiem Willen wirken und nimmt sie dabei in seinen Dienst (inservire). Zusammenfassend läßt sidi zu Fr. Turrettinis Concursusverständnis folgendes sagen: 1. Turrettini betont das „Daß" eines unmittelbaren concursus divinus sehr nachdrücklich. 2. Das „Wie" des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf, dessen beschränkte Erkennbarkeit Turrettini deutlich sieht, versteht er im prämovierend-prädeterminierenden Sinn. Damit hängt Turrettini keiner praemotio-physica-Vorstellung an; vielmehr will er den kongruistischen Gedanken eines Ernstnehmens der Eigenständigkeit der causae secundae aufgreifen. So wirkt die causa libera in Subordination unter die causa prima, von Gott gelenkt (flectere) und prädeterminiert (praedeterminare), mit Gott zusammen und von Gott in Dienst genommen (inservire) frei den actus secundus. 3. Turrettini steht bei seinen Concursusüberlegungen stark im scholastischen Denken, wie die Übernahme des causa-Schemas, der AktPotenz-Lehre, des aristotelischen Bewegungssatzes, der Differenzierung von „sensu diviso" — „sensu composito" und „necessitas consequentis" „necessitas consequentiae" zeigen. Neben diesem starken Aufgreifen der Gedanken der scholastischen Ontologie treten die biblisch-theologischen Überlegungen — auch in Q VI — in den Hintergrund. 5.2.2. J. Coccejus: „Summa Theologiae", Cap. XXVIII Der Föderaltheologe J. Coccejus behandelt im 28. Kapitel seiner „Summa Theologiae" (1662) unter der Überschrift „De Providentia Dei etiam circa mala" die Concursusfrage als Mittelteil der Überlegungen zur Vorsehungslehre. Die Unterscheidung von esse und operari aufgreifend versteht J. Coccejus den concursus divinus (These 9—37) in erster Linie als Unterteil, als besonderen Aspekt, der conservatio-Lehre; „in conservatione insignis est, quem Scholae vocant, concursus. Qui significat causarum secundarum dependentiam a causa prima in suis actionibus. Quod enim a se ipso non est, id nec a se ipso agere potest" (These 19). 71

Das „Daß" des concursus divinus, das Coccejus nicht so klar wie Turrettini vom „Wie" unterscheidet, versteht der reformierte Theologe als unmittelbares, das einzelne Geschöpfwirken begleitende Mitwirken des Schöpfers (These 21, 24). Das „Wie" des concursus sieht Coccejus in seiner nur beschränkten Erkennbarkeit; „nulla creatura novit mentem Dei, et, quid Deum deceat facere vel non facere, et quomodo Deus omnia regat, ut, quum creaturae saepe ipsi adversentur, tarnen nihil fiat praeter voluntatem eius" (These 22).

Er versteht es als präkurrierendes Mitwirken Gottes, dessen Wirkkraft das geschöpfliche Handeln in der Zeit begleitet, „qua ratione et concursus praecurrit. Est enim hoc consilium ante actionem creaturae: cuius efficacitas in tempore quasi comitatur creaturae operationem; sed comitatur ut efficacitas causae primae" (These 25).

Diese dogmatischen Überlegungen zur Concursusfrage gewinnt J.Coccejus als Schrifttheologe aus biblisch-theologischen Erwägungen 24 ; seine ganze Darlegung stellt sich als Explikation herangezogener Bibeltexte dar. Konkret äußert sich diese allgemeine Beobachtung im Zurücktreten des causa-Begriffs gegenüber Aussagen über Gott, den Schöpfer, und das Geschöpf; in der äquivalenten Behandlung des concursus-Begriffs und des ein personales Verhältnis ausdrückenden comitari-Begriffs, den K. Barth für das eigene Concursusdenken übernommen hat 25 ; in der Konzentration der Überlegungen zum göttlichen Mitwirken bei den Sündenakten im Gedanken der Sündentilgung in Jesus Christus nach Gottes ewigem Gnadenratschluß (These 29). Somit vertritt J. Coccejus wie Fr. Turrettini — aber auch wie die anderen reformierten Altprotestanten 26 — einen unmittelbaren concursus divinus, und zwar im präkurrierenden Sinn. Gegenüber Fr. Turrettini tritt aber bei Coccejus die biblisch-theologische Betrachtungsweise des concursus divinus ganz in den Vordergrund. 5.3. Zusammenfassung

und Urteil

1. Die genannten altprotestantischen Dogmatiker lutherischer und reformierter Tradition erkennen alle das „Daß" eines unmittelbaren göttlichen Mitwirkens an. A. Schweizers Feststellung 27 , daß die reformierte Orthodoxie keinen concursus divinus kenne, stellt sich damit als „theologiegeschichtliche Legende" heraus, wie schon K. Barth betonte ( K D III 3,108). 25 ** Vgl. Schema (Anhang I). Vgl. KD III 3, S. 103. 26 Vgl. A. Schweizer, Glaubenslehre der evang.-ref. Kirche I, S. 320. 27 H. Heppe, E. Bizer, Dogmatik der evang.-ref. Kirche, S. 200 ff.

72

2. Das „Wie" des concursus divinus wird von den lutherischen Dogmatikern aufgrund ihrer Betonung der geschöpflichen Eigentätigkeit im konkurrierenden (A. Calov) oder kongruierenden (J. A. Quenstedt) Sinn verstanden, von den reformierten Dogmatikern aufgrund ihrer Betonung der göttlichen Allmacht im präkurrierend-prädeterminierenden Sinn (Fr. Turrettini, J. Coccejus). Unter formalem Gesichtspunkt entsprechen sie damit in etwa den molinistischen und thomistischen Verstehensbemühungen im nachtridentinisdien Katholizismus, denen sie sich zum Teil auch explizit anschließen (z. B. J. A. Quenstedt). 3. Als diese in der gleichen Spannung zwischen Gottes Allmachtswirken und geschöpflicher Eigentätigkeit stehenden, sie aber mit verschiedener Schwerpunktbildung lösenden Positionen werden die lutherische und reformierte Concursuslehre bis in die Gegenwart hinein als Typen referiert 28 . 4. Die genannten altprotestantischen Dogmatiker stehen bei ihrer Behandlung des Concursusproblems stark unter dem Einfluß der aristotelischen Ontologie, wie die Übernahme des causa-Begriffs, z. T. des AktPotenz-Schemas, des aristotelischen Bewegungssatzes, die Differenzierung von „sensu diviso" und „sensu composito", „necessitas consequentis" und „necessitas consequentiae" zeigen. Sie versuchen mit diesen Denkmitteln eine rationale Klärung der Concursusfrage auf der Denk- und Reflexionsebene zu erreichen. Andererseits bemühen sich diese Theologen um eine biblische Begründung des concursus divinus. Besonders gilt dies von dem Föderaltheologen J. Coccejus; auch J. A. Quenstedt unterzieht das Concursusthema biblischen Überlegungen. 5. Ähnlich wie gegen die Positionen des molinistisch-thomistischen Streites ist gegen das altprotestantische Concursusverständnis der Einwand zu erheben, daß hier das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf in verobjektivierender Weise als ein allgemein einsichtiges Verstandesproblem angesehen wird. Freilich wissen Einzelvertreter, die meist auch mehr von biblischen Überlegungen herkommen — wie etwa J. Coccejus und Fr. Turrettini —, auch um die beschränkte Möglichkeit einer rationalen Klärung des „Wie" des concursus divinus. 6. Schematisierung

des scholastischen

Concursusverständnisses

Abschließend soll zu den verschiedenen Typen eines Concursusverständnisses, die unter dem Einfluß der scholastischen Ontologie stehen und gegen die M. Luther sein vom existentiellen Denken bestimmtes 28 U. a. A.E.Biedermann, Christi. Dogmatik, 2. Aufl. 1885, § 452,2; § 453,4; J. Köstlin, Concursus divinus, RE IV, S. 263 ; O. Weber, Grundlagen der Dogmatik I, S. 569 f.

73

Cooperationsverständnis stellt, ein Grundschema der sogenannten „klassischen" Concursuslehre aufgestellt werden, dem alle Concursusverständnisse scholastischer Prägung bis zu einem gewissen Grad eingeordnet werden können. Es sind also dies die Concursusverständnisse, die das „ D a ß " und „Wie" des Concursusproblems mit Hilfe des ontologisdien Kausalschemas und der Akt-Potenz-Lehre zu lösen versuchen. Die „klassische" Concursuslehre unterscheidet zunächst zwischen concursus specialis und concursus generalis. Bezieht sich der concursus specialis auf das Zusammenwirken der causa prima mit den Glaubenden als causae secundae, so der concursus generalis auf das Zusammenwirken der causa prima mit allem Wirken und allen Wirkungen der natürlichen causae secundae, und zwar entsprechend der besonderen Eigenart der causae secundae: mit den agentia naturalia ihrer naturhaften Besonderheit entsprechend und den agentia libera ihrer durch die Vernunft bedingten Besonderheit entsprechend. Es wird ferner zwischen concursus moralis und physicus getrennt: im ersten Fall wird das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf als bloß moralische Anteilnahme Gottes am geschöpflichen Akt verstanden, d. h. als Begleitung durch den göttlichen Willen; im zweiten Fall ist Gott bei jeder Handlung in direkter real wirksamer Gegenwart mittätig. Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit stellt die zwischen concursus mediatus und immediatus dar. Wie der Name sagt, handelt es sich hier um das Verhältnis von mittelbarem und unmittelbarem Mitwirken Gottes, um sein Mitwirken als causa remota oder causa próxima. Die zweite Möglichkeit impliziert die Trennung von Gottes Wirken immediatione suppositi und immediatione virtutis. Die erste Unterscheidung stellt dabei die Überlegung an, daß Gott auch durch die Vermittlung anderer Kausalgrößen eine Wirkung unmittelbar geschehen läßt, die zweite die Überlegung, daß Gott auch unter Einbeziehung einer anderen Kraft eine Wirkung unmittelbar mitbewirkt. Durch diese Aufspaltung soll eine Antwort darauf gegeben werden können, wie die causa prima ein und dieselbe Handlung (una et eadem actio) unmittelbar mit der causa secunda erwirkt, also eine Antwort auf die Frage nach dem „Daß" des concursus divinus immediatus. Als Möglichkeiten der Art und Weise, des „Wie", des unmittelbaren Mitwirkens Gottes sind bei diesen Concursusverständnissen das präkurrierende, konkurrierende und kongruierende Mitwirken zu nennen. Die „klassische" Concursuslehre unterscheidet schließlich beim Zusammenwirken von Schöpfer und freiem Geschöpf beim Sündenakt zwischen „effectus" und „defectus" oder zwischen dem Bewirken einer verwerflichen Tat „materiale" und „formale". Die causa prima wirkt nur „materiale" den „effectus" des Sündenaktes, die causa secunda 74

„formale" den „defectus", wodurch allerdings das göttliche Regieren aus einem Bereich ausgespart wird. In schematischer Darstellung ergibt sich damit folgende Grundstruktur der „klassischen" Concursuslehre:

π r- c. moralis -ι i- c. mediatus ad agentis naturalia

c. praecurrens - c. physicus -

-c. immediatus- - c. congrucns

c. generalis — r- ad actus bonos

i- c. concurrens

ad agentia ^ libera ad actus malos (effectus-defectus)

7. Die Ablehnung des concursus divinus in der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts und Fr. Schleiermachers (1768—1834) bewußtseinstheologische Uminterpretation In der protestantischen Theologie der Nachorthodoxie des 18. Jahrhunderts trat die Concursusfrage immer mehr in den Hintergrund einmal durch den Einfluß der ersten Erfolge der exakten Naturwissenschaften 1 , zum andern durch die vernunftgläubige Aufklärungstheologie 2 , die sich in der Physikotheologie auf eine im teleologischen Gottesbeweis konzentrierte theologia naturalis oder in einem individualistischen Moralismus auf ein deistisches Denken reduzierte. In der Theologie des 19. Jahrhunderts wird dann eine dezidierte Ablehnung des concursus divinus mit harten Argumenten begründet, wenn sich auch einige Vertreter um Neuinterpretationen dieses dogmatischen Locus bemühten. An Hand von Fr. Schleiermachers „Der christliche Glaube" (21830), § 46 soll exemplarisch zum einen eine Darlegung der Gegengründe gegen das Concursusthema — unter Ergänzung der Gegenargumente auch anderer Theologen des 19. Jahrhunderts — gegeben werden; zum andern soll Fr. Schleiermachers Neuinterpretation dieses Dogmatikteils dargestellt 1

Vgl. C. H. Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklarung II, S. 220 f., 231, 246; G.Howe, Mensch und Physik, S.47ff. 2 Vgl. L. Schefïczyk, Sdiöpfung und Vorsehung, S. 126; K. Barth, Die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts, S. 71ff., 92ff., llOf., 137f.

75

werden. Fr. Schleiermacher ist deshalb als Exempel herauszugreifen, weil das Denken der Theologie des weiteren 19. Jahrhunderts auch in der Concursusfrage eminent unter seinem Einfluß steht, und auch K. Barth ihm in den Überlegungen zum concursus divinus die längste und detaillierteste Darlegung unter den Vertretern des 19. Jahrhunderts widmet3. 7.1. Die Einwände

gegen den concursus

divinus

Fr. Schleiermacher geht in seiner Glaubenslehre im ersten Abschnitt mit der Uberschrift: „Beschreibung unseres frommen Selbstbewußtseins, sofern sich darin das Verhältnis zwischen Welt und Gott ausdrückt" (§ 36—§ 49) im Zusatz zum § 46 auf die Concursusfrage ein, also im Zusatz zur allgemeinen Darlegung der Erhaltungslehre. Die Concursuslehre erhält hier — worauf schon ihre Behandlung in einem Zusatz verweist — eine kritisch-ablehnende Bewertung durch folgende Argumente: 1. Die Trennung von Erhaltung und Mitwirkung liege im „spekulativen" Denken der Scholastik begründet mit ihrer „spaltenden" Methode auf der Reflexions- und Abstraktionsebene4. 2. Die Sonderbehandlung der Concursusfrage enthalte den Hinweis auf eine von Gottes erhaltendem Wirken unabhängige Tätigkeit des Endlichen5. 3. Die Trennung von Erhaltung und Mitwirkung als einer von endlichem Sein und Tätigsein in seiner Abhängigkeit von Gott sei leere Abstraktion, da immer mit der Erhaltung des Seins auch das Tätigsein unter das Abhängigsein von Gott gestellt sei®. 4. Wenn man die göttliche Mitwirkung bei den endlichen Tätigkeiten als etwas mehr Unmittelbares ansehe als die Erhaltung des Seins und seiner Kräfte, so werde der Gedanke der Erhaltung letztlich ganz auf3

Vgl. K. Barth, K D I I I 3, S. 132.

Der christliche Glaube, § 46 — Zusatz: „Die spaltende ursprünglich scholastische Methode in der Glaubenslehre hat unsern einfachen Satz auf die mannigfaltigste Weise in eine Menge von Gliedern und Abteilungen zerfällt." 5 Der christliche Glaube, § 46 — Zusatz: „Es ist aber nicht zu übersehen, daß in dem Ausdruck Mitwirkung eine verborgene Andeutung liegt, als ob es in dem Endlichen eine Wirksamkeit gäbe an und für sich also unabhängig von der erhaltenden göttlichen Tätigkeit, welches ganz vermieden werden muß." 4

6 Der christliche Glaube, § 46 — Zusatz: „ . . . so beruht der Unterschied zwischen Erhaltung und Mitwirkung auch nur in einer Abstraktion. Denn ein für sich zu setzendes Sein ist doch nur da, wo Kraft ist, so wie Kraft immer nur ist in der Tätigkeit; eine Erhaltung, die also nicht zugleich das in sich schlösse, daß auch alle Tätigkeiten irgend eines endlichen Seins unter die schlechthinnige Abhängigkeit von Gott gestellt sind, ware ein ebenso leeres wie eine Schöpfung ohne Erhaltung."

76

gehoben, da innerhalb des Naturzusammenhangs die Erhaltung der Kräfte abhängig ist von den Tätigkeiten der übrigen Dinge 7 . Diese Schleiermacherschen Gegengründe gegen die „klassische" Concursuslehre — besonders die ersten drei, das vierte Argument liegt in Schleiermachers besonderem Verständnis der Erhaltungslehre begründet, wie in 6.2. darzustellen ist — sind im 19. Jahrhundert, aber auch bis in Gegenwartsdogmatiken hinein wirkungsgeschichtlich mächtig geblieben: So findet sich Schleiermachers erster Gegengrund, das wesensmäßige Verhaftetsein der Concursusfrage im scholastischen Denken, in besonders krasser Form bei E. Troeltsch. In seiner „Glaubenslehre" übt Troeltsch innerhalb des Kapitels „Der christliche Weltbegriff" bei seinen Überlegungen zum Weltregierungsglauben vernichtende Kritik an der Concursuslehre. Als „wertlos", nur „scholastischen Spekulationen" zuzurechnen, kann er ihre Versuche einer Antwort auf die Frage nach dem „Wie", der „Art", der Weltregierung ansehen 8 . Das Wertlosigkeitsurteil über den concursus divinus, da er scholastischem Denken entsprungen ist, findet sich in der Gegenwartsdogmatik ebenfalls bei E. Brunner 9 . Schleiermachers zweites Gegenargument, daß der concursus divinus eine gewisse Unabhängigkeit des Kreatürlichen von Gott bedinge, ließ A.Schweizer (1808—1888) 10 die von K.Barth 1 1 sogenannte theologiegeschichtliche Legende" in die Welt setzen: „Der reformierte Standpunkt anerkennt gar keine neben oder außer Gott oder unabhängig von ihm wirkenden Potenzen"; von R. A. Lipsius (1830—1892) 12 und F . A . B . Nitzsch (1832—1898) 13 wurde diese These dann aufgegriffen und weiter 7 Der christliche Glaube, § 46 — Zusatz: „Hierher gehört nun auch nodi dieses, daß . . . Glaubenslehrer . . . , sidi dodh verleiten lassen, die Mitwirkung als etwas mehr urmittelbares zu schildern als die Erhaltung, so daß die Tätigkeiten nodi auf eine besondere Weise unterschieden von der Erhaltung der Kräfte aus einer göttlidien Wirksamkeit hervorgehen, wodurch wieder genau genommen die Erhaltung der Kräfte auf Nichts zurückgeführt wird, da doch diese in dem Gebiet des Naturzusammenhanges immer wieder abhangig ist von den Tätigkeiten der übrigen Dinge." 8 E. Troeltsch, Glaubenslehre, S. 254: „Dieser Glaube (Weltregierungsglaube) sagt nichts über die Art, wie die Weltregierung wirkt, wie sie den einzelnen auf ihre Zwecke bezieht, wie sie die relative Selbständigkeit und die Freiheit der Kreatur in sich aufnimmt. Alle scholastischen Spekulationen über das Verhältnis der Prima causa und der Secunda causa, über den Concursus divinus oder über die in der Form des Freiheitsgefühls sich vollziehende Prädestination, über deistische Vorauskalkulierungen des Weltlaufes und den Zusammenfall von Kausalität und Finalität sind sämtlich wertlos. Die Art der Weltregierung ist unausdenkbar, und der Glaube an sie erläutert und erklärt nicht die empirischen Hergänge."

» E. Brunner, Dogmatik II, S. 168. A. Schweizer, D i e Glaubenslehre der evang.-reform. Kirche I, § 43, II, 2; S. 320 f. 11 K. Barth, K D III 3, S. 108. 12 R. A. Lipsius, Lehrbuch der evang.-prot. Dogmatik, 3. Aufl. 1893, S. 317 f. 13 Fr. A. B. Nitzsch, Lehrbuch der evang. Dogmatik, 3. Aufl. 1912, S. 421. 10

77

verbreitet. In Gegenwartsdogmatiken wird Schleiermachers zweiter Gegengrund etwa von E. Brunner und P. Althaus betont. E. Brunner 14 schreibt nach seiner Absage an das Kausalschema der „klassischen" Concursuslehre: „Zum zweiten aber ist diese Lehre darum gefährlich, weil sie gerade das auseinanderreißt, was nicht sollte auseinandergerissen werden: Selbständigkeit der Kreatur und göttliche Erhaltung. Das Geheimnis ist gerade dies, daß Gott als der Erhalter in der Selbständigkeit der Kreatur wirkt, nicht aber zu ihr hinkommt." Noch deutlicher drückt P. Althaus 15 diesen Gedanken aus: „Daher macht man in den Näherbestimmungen des concursus und mit dem Begriffe permissio den Fehler, im Widerspruch zu dem Ansätze einen Teil des Geschehens von Gottes Tun auszusparen und Gottes und der Menschen Wirken nicht ineinander, sondern nebeneinander nach Art von zwei endlichen Mächten zu denken. In Wahrheit darf man, soll Gottes Gottheit nicht preisgegeben werden, nichts in der Gesdiichte von seinem Wirken ausnehmen." Schleiermachers drittes Gegenargument, daß die Trennung von Sein und Tätigkeit, auf der die Eigenüberlegungen zum concursus divinus beruhen, als leere Abstraktion auszusehen sind, wird besonders von Fr. A. B. Nitzsch 16 aufgegriffen und vertreten. Ebenfalls nimmt A. D. Chr. Twesten (1789—1876) 17 diesen Einwand auf, erkennt aber — obwohl er sich ansonsten ganz Schleiermachers Gedanken zur Concursuslehre anschließt — diese Trennung als „in unserer Vorstellung" liegende an. Zwei weitere miteinander verbundene Gegenargumente im 19. Jahrhundert gegen das Concursusthema werden von A. Ritsehl (1822—1889) vorgebracht in der Anmerkung b zum § 15 des „Unterrichts in der christlichen Religion" (31886). Der § 15 steht innerhalb des ersten Teils des „Unterrichts in der christlichen Religion": und zwar innerhalb von „Die Lehre vom Reiche Gottes" im ersten Abschnitt „Das Reich Gottes als religiöse Idee" und hier wiederum in den §§ 11—18: „Der Gedanke Gottes." In ihm geht es um die Allmacht und Allgegenwart Gottes, d. h. um die Gottesprädikatierungen im Urteil der frommen Menschen, nach denen „der weltschaffende und -erhaltende Wille Gottes auf das Beste der Menschen gerichtet ist"; nicht haben sie den Sinn, „Bestand der Naturdinge im ganzen oder in Gruppen zu erklären". Als ein Bemühen hierum versteht Ritsehl in der Anmerkung b das Concursusdenken; es erkennt Gott als die erste Ursache, die damit „unter dem Begriff der Ursache den durch Beobachtung verständlichen Naturursachen" gleich14

E. Brunner, Dogmatik II, S. 168. P. Althaus, Christliche Wahrheit, S. 352. " Fr. A. B. Nitzsch, Lehrbuch der evang. Dogmatik, 3. Aufl. 1912, S. 413 f. 17 A. D. Chr. Twesten, Vorlesungen über Dogmatik der evang.-luth. Kirche, 1837, S. 68. 15

78

gemacht wird; es gerät aber damit in eine „unklare Verquickung religiöser und wissenschaftlicher" Betrachtung. Ritsdils erstes Gegenargument gegen den concursus divinus, die Ablehnung des Kausalitätsschemas, — bei A. Ritsehl gewiß audi in seiner Aversion gegen theologische Aussagen über Gottes Sein und Tun an sich begründet — wird in den Gegenwartsdogmatiken immer wieder mit Nachdruck betont, u. a. bei E. Brunner 18 , P. Althaus 19 und G. C. Berkouwer 20 . Ritschls zweiter Einwand findet etwa in E. Troeltschs21 scharfer Trennung von naturwissenschaftlicher Welter klär ung und religiöser Weltbetrachtung, die jedoch seiner Meinung nach in einem Concursusdenken vermischt werden, ihre Fortsetzung. Diese fünf Gegenargumente sind die Haupteinwände, die viele Vertreter der Theologie des 19. Jahrhunderts zu einer Ablehnung des Concursusthemas veranlaß ten. Mißt man diese Einwände an der „klassischen" Concursuslehre, so wird man ihnen bezüglich der von der aristotelischen Ontologie geprägten Concursuslehre im wesentlichen zustimmen können: 1. Wie A.Landgraf bei grundsätzlicher Zustimmung von Fr. Mitzka in dem S. 13, Anm. 11 genannten Aufsatz gezeigt hat, brach die Concursusfrage zu Beginn der Hochscholastik auf. Verschiedenste Antwortmöglichkeiten vor allem auch auf die Frage des „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda erhielt der concursus divinus dann in der von scholastischem Denken geprägten Concursuslehre. 2. Das Concursusdenken entstand an dem Bemühen, die geschöpfliche Eigentätigkeit ernstzunehmen, was im mediaten, konferierenden und kongruierenden Concursusverständnis in der Tat zu einer gewissen Unabhängigkeit des Wirkens der causae secundae von der causa prima führte, wie in Punkt 2 und 4 des ersten Hauptteils gezeigt wurde. 3. Die Eigendarstellung des concursus divinus lag in der Unterscheidung von esse und operari begründet, wie besonders nach Fr. Suarez die römisch-katholischen Dogmatiken, aber auch die der altprotestantischen Orthodoxie deutlich machen. Hinter dieser Trennung liegt das von heutigem geschichtlichen Denken nicht aufzugreifende statische Substanzverständnis 22 . 18

E. Brunner, Dogmatik II, S. 168: „Erstens ist schon die Anwendung des Kausalbegriffs auf Gott mehr als fraglich. Kausalitat gibt es zwisdien Geschaffenem, nicht aber zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung." " P. Althaus, Christliche Wahrheit, S. 352. 20 G. C. Berkouwer, The Providence of God, S. 169. 21 E. Troeltsch, Glaubenslehre, S. 254. 22 Vgl. u. a. G. Howe, Mensch und Physik, S. 72 f.

79

4. Die Übernahme des causa-Begriffs gemeinsam für Schöpfer und Geschöpf implizierte die Gefahr von Abgrenzungs- und Verrechnungsbemühungen von Schöpfer- und Geschöpfwirken, wie die molinistischthomistischen Auseinandersetzungen deutlich machen; in verobjektivierender Weise drohte hier Schöpfer und Geschöpf kommensurabel gemacht zu werden. Andererseits ist jedoch hervorzuheben, daß auch in der „klassischen" Concursuslehre die Transzendenz der causa prima erkannt wurde, denkt man an Thomas v. Aquin, L. Molina oder J. A. Quenstedt und Fr. Turrettini. 5. Mit der Übernahme des causa-Begrifïs für Schöpfer und Geschöpf und dem Einbau von causa prima und causa secunda in ein Kausalschema war die Möglichkeit der Vermischung von naturwissenschaftlichem und theologischem Denken gegeben, eine Möglichkeit, die in der engen Verknüpfung von Concursuslehre und aristotelischem Bewegungssatz augenfällig ist. 7.2. Fr. Schleiermachers bewußtseinstheologische concursus divinus („Der christliche Glaube§

Uminterpretation 46)

des

Von einigen Neuinterpretationen des concursus divinus im 19. Jahrhundert 23 soll exemplarisch die Fr. Schleiermachers herausgegriffen werden, da sich bei ihm die Ablehnung des „klassischen" Concursusdenkens 23

Zwei weitere sehr interessante Neuinterpretationen des concursus divinus, die von A.E.Biedermann (1819—1885) und die A. Dorners (1809—1884), seien nur kurz referiert. A. E. Biedermann gibt zunächst in der „Geschichtlichen Glaubenslehre" seiner „Christlichen Diogmatik" in § 452 und § 453 die „klassische" Concursuslehre wieder als „Vermittlung zwischen Gottes persönlicher Absolutheit und der durch diese gesetzte Selbständigkeit der Weltexistenzen" (§ 453,1). Nach seiner Meinung werden im concursus divinus die sich ausschließenden Eigenschaften Gottes: Persönlichkeit und Absolutheit oder — religionsphänomenologisch gesprochen — die pantheistische und die deistisdie Auffassung des Verhältnisses von Gott und Welt miteinander verknüpft. In den Überlegungen „zum rationellen Kern" des christlichen Glaubens, die den „objektiven Wahrheitsgehalt des christlichen Glaubens in seiner wissenschaftlich stichhaltigen Form" wiedergeben will (§ 585), versteht er dann den concursus divinus unter Berufung auf den § 34 des erkenntnistheoretischen Teils über die Gewinnung von Vorstellungen als Ausdruck des logischen Widerspruchs, daß das AllgemeinAbsolute mit dem Einzelnen in der Totalität des Einzelnen, dessen absoluter Grund es zugleich ist, als Einzelnes zusammenwirkt. Biedermann halt dieses Verständnis des concursus divinus — man könnte es als Denktechnik ansehen — für eine der „scharfsinnigsten und korrektesten Erfindungen der kirchlichen Dogmatik", wodurch „Gott in allen Momenten seines Verhältnisses zur Welt absolut und dieses Verhältnis doch als ein persönliches" festgehalten wird (§ 653). Freilich lehnt er dann in der „Darlegung der wissenschaftlich zu vertretenden dogmatischen Abhandlung" im § 733 den concursus divinus als der Verstandeskritik nicht standhaltend ab. Weil Gott als der absolute Geist der Grund des in seiner Allgemeinheit bestimmten Weltganzen ist —

80

mit den Bemühungen um ein Neuverständnis verbindet und seine Interpretation wieder besonders wirkungsträchtig war. Gegen Schluß seiner allgemeinen Überlegungen zur Erhaltungslehre (§ 46), die — ineins mit der Sdiöpfungslehre (§ 36ff., besonders § 38) und die Schöpfungstat am Anfang absorbierend — das Bewußtsein der Abhängigkeit allen „Seins" von Gott aussagt, schreibt Schleiermacher: „ . . . Eben dieses nun, daß die göttlidie Erhaltung als die sdilechthinnige Abhängigkeit aller Begebenheiten und Veränderungen von Gott, und die Natursädilichkeit als die vollständige Bedingtheit alles dessen was geschieht durch den allgemeinen Zusammenhang, nidit eine von der andern gesondert ist, noch auch eine von der andern begrenzt wird, sondern beide dasselbige sind nur aus verschiedenen Gesichtspunkten angesehen, ist schon immer von den strengsten Dogmatikern anerkannt worden."

Mit der letzten Äußerung bezieht Schleiermacher sich auf zwei Zitate aus J. A. Quenstedts Concursuslehre in der „Theologia didáctico — polemica" (1696), nämlich einmal Cap. XIII, Sect. I, Thesis XV, Nota I: „ . . . ita ut idem effectus non a solo Deo nec a sola creatura,... sed una eademque efficientia totali simul a Deo et creatura producatur . . . Actum dico (se. concursum Dei) non praevium actioni causae secundae . . . nec das Prädikat der Persönlichkeit kommt dem Menschen als endlichem Geist zu entsprechend der Hegelsdien Philosophie — fallt ein unmittelbares Mitwirken beim Einzelnen, wie es die überkommene Concursuslehre aussagt, hin. A. Dorner versteht in seinem „System der christlichen Glaubenslehre" I das Concursusthema im kausal-teleologischen Sinn idealistischer Prägung, d. h. in dem Vereinigungsprozeß von Natur und Geist, die in innerer Bezogenheit aufeinander und füreinander der göttlichen Idee der Welt eingeordnet sind (S. 479) und in dem absoluten Gottmenschen Jesus Christus — und damit wird der dominierende christologische Gedanke von Dorners Erhaltungs- und Concursuslehre augenfällig — seine „Vollendung" (S. 647) und sein Wirkprinzip hat (S. 671, 483 f., 533). Das Thema des concursus divinus, nach dem weder die „fortwirkende göttliche Tätigkeit", noch die Wirksamkeit des Geschaffenen zu seiner Erhaltung ausgeschlossen werden darf (S. 486), ist nach Dorner so zu verstehen, daß das Geschaffene als sekundäre Kausalität als „wirkendes Moment" in den göttlichen Erhaltungswillen aufgenommen worden ist, d. h. „daß Gott in jedem Moment die Welt als eine sich reproduzierende will und ihren einzelnen Gebilden eine Kraft der Selbsterhaltung verleiht" (S. 487). Seine Konkretion erhält das Concursusthema bei der Frage nach der Entstehung des „Neuen" innerhalb des Weltzusammenhangs (S. 487 f.), ohne den Weltzusammenhang zu alterieren. Das geschieht in der Weise, daß im Naturbereich das von dem Geschaffenen hervorgebrachte „Neue" eine Empfänglichkeit im Weltzusammenhang „bestätigt" und dem Naturgeschehen „einverleibt" wird (S. 488). Für die Entstehung des Menschen besitzt die N a t u r demgegenüber nur eine „rezeptive" Anlage (S. 488). Der Mensch ist nicht aus der Natur ableitbar. Erst Gottes schöpferischer Akt, für den die Natur empfänglich war und den sie in sich aufnahm, ist Schaffung des Menschen. Der Mensch ist dabei die teleologische Krönung der Welt (S. 529, 533, 488 f.), da er Anteil an der Idee der Gottebenbildlidikeit hat, die in Jesus Christus die „absolute Vollendung", die geschichtliche Verwirklichung, gefunden hat (S. 647 ff., 719). Als solcher ist Jesus Christus audi das teleologische „Prinzip" des Weltzusammenhangs und sein Erhalter, der die Macht hat, „Geist und Natur absolut zu einigen" (S. 652).

81 6

Plathow, Problem

subsequentem . . . sed talis est actus, qui intime in ipsa actione creaturae includitur, imo eadem actio creaturae est", zum andern Cap. X I I I , Sect. II, Q III, Ekthesis X I I I : „Non est re ipsa alia actio influxus Dei, alia operatio creaturae, sed una et indivisibilis actio utrumque respiciens et ab utroque pendens, a Deo ut causa universali, a creatura ut particulari." Drei für die Concursusfrage wichtige Gedanken lassen sich aus diesem Zitat entnehmen: Schleiermacher will zunächst die Concursuslehre in seiner Erhaltungslehre neu verstehen, wobei er das „klassische" Concursusdenken zum Anlaß nimmt. Das Bewirken ein und derselben Handlung von causa prima und causa secunda stellt sich ihm dabei — und dies ist der zweite Gedanke — als das Zusammenfallen24 der „Abhängigkeit aller Begebenheiten und Veränderungen von Gott" und der „vollständigen Bedingtheit alles dessen, was geschieht, durch den allgemeinen Zusammenhang"; oder anders ausgedrückt: die „vollkommenste Überzeugung, daß Alles in der Gesamtheit des Naturzusammenhanges", des „Alleinen des endlichen Seins", das auch das Kleinste und Unbedeutendste in sich verknüpft, vollständig bedingt und begründet ist, und die „innere Gewißheit der schlechthinnigen Abhängigkeit alles Endlichen von Gott" „dasselbe" sind (§ 46,2), „kein Unterschied" zwischen ihnen besteht (§ 46,1); sie sind nicht „gesondert" voneinander, sie „begrenzen" sich nicht gegenseitig; unter „verschiedenem Gesichtspunkt", aus verschiedener „Richtung", betrachten sie dasselbe. Das Concursusdenken ist somit das eine Sichabhängig-Fühlen und Abhängigsein in verschiedener Betrachtungsweise, nämlich als von „Gott" und als vom Naturzusammenhang. Schließlich kennt Fr. Schleiermacher keine unmittelbare Abhängigkeit der endlichen Dinge von Gott, sie führe zu einer „Isolierung des einzelnen Falles" (§ 46,1); das Einzelne, das Kleinste, ist vielmehr unmittelbar vom allgemeinen Naturzusammenhang abhängig. In diesem Gedanken ist auch Schleiermachers vierter Einwand gegen die „klassische" Concursuslehre begründet, daß der concursus divinus nicht als ein unmittelbareres Wirken Gottes mit der Schöpfung angesehen werden kann als die allgemeine Erhaltung. Erst indem die Bedingtheit des Einzelnen vom allgemeinen Naturzusammenhang in der Einheit mit der Gewißheit der schlechthinnigen Abhängigkeit von „Gott" erkannt wird, ist das Einzelne mittelbar auch von „Gott", unmittelbar von dem anderen Endlichen innerhalb des Naturzusammenhangs25 abhängig. Der zweite und dritte Gedanke hat seine Entsprechung in Schleiermachers Darlegung der göttlichen Allmacht, also im Verständnis jener Vgl. auch die These zu § In den §§ 4 7 — 4 9 finden Übel oder Lebenshemmung (§ jeweils die Geschlossenheit des 24

25

82

46. diese Gedanken dann bei den Themen: Wunder (§ 47), 48) und Willensfreiheit (§ 49) ihre Konkretion, wobei Naturzusammenhangs nachdrücklichst betont wird.

Eigenschaft Gottes, die als Ausdruck des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls alles endliche Sein unter „Gott" stellt (§ 50 f., § 54). So versteht Schleiermacher die göttliche Allmacht als Ausdruck dessen, daß alles, d. h. der allgemeine Naturzusammenhang, unmittelbar durch „Gott" besteht; von dem einen Naturzusammenhang ist wiederum alles Endliche unmittelbar abhängig 26 . So bezieht sich die Wirkung der göttlichen Allmacht nur mittelbar auf das partikulare endliche Sein27. Das Zusammenfallen von göttlicher Erhaltung oder Mitwirkung — audi Schleiermacher selbst kennt die Austauschbarkeit beider Begriffe in §54,4 — als Abhängigkeit aller Begebenheiten von „Gott" und Bedingtheit allen Geschehens vom Naturzusammenhang korrespondiert somit dem Zusammenfallen von göttlicher Allmacht als „Ausdruck" der göttlichen Ursächlichkeit des endlichen Seins, wie es das Abhängigkeitsgefühl aussagt, und der Ursächlichkeit vom Naturzusammenhang. Dieses Verständnis der göttlichen Erhaltung und der göttlichen Allmacht als perspektivisch betrachtetes Abhängigkeitsbewußtsein hat seine Voraussetzungen in der allgemeinen Prinzipienlehre zur „Glaubenslehre", besonders in § 4,1, wonach die Frömmigkeit und das Bewußtsein der allem endlichen Sein eigentümlichen Abhängigkeit identisch sind. Diese für alle monotheistischen Religionen geltenden Überlegungen finden im Christentum ihre eigentümliche Bestimmung: Christus ist die vollendete Schöpfung der menschlichen Natur (§ 94,3; § 97,4) und seine erlösende Wirksamkeit die „Fortsetzung" der schöpferischen und erhaltenden Tätigkeit Gottes (§ 100,2 f.). Indem in Jesus Christus das kräftige Gottesbewußtsein „urbildlich" als „Sein Gottes" in Erscheinung getreten ist (§ 93,2; § 94,1 f.), ist er audi das „tätige Prinzip" der Erlösung innerhalb des neuen Gesamtlebens, d. h. er verleiht den Glaubenden den Impuls zur selbsttätigen Höherentwicklung in Richtung auf das Reich Gottes (§ 100,1,3; § 110,3) in einem identitätsphilosophischen Durchdringungs- und Vereinigungsprozeß von Vernunft und Natur. Auch diese in dem „eigentümlichen" Charakter des Christentums begründete „Fortsetzung" des Erhaltens oder Mitwirkens „Gottes" hat ihre Vorausseztungen in der allgemeinen Prinzipienlehre zum „Christlichen Glauben": in der religionsphilosophischen Bestimmung des eigentümlichen Wesens des Christentums in der Erlösung durch Jesus Christus, der die Glaubenden zur Selbsttätigkeit, teleologisch ausgerichtet auf das Reich Gottes, befähigt (§ 10) und ferner in der Charakterisierung der Frömmigkeit als Ineinander von Freiheitsgefühl und Abhängigkeitsgefühl (§ 11,2), das — innerhalb der teleologischen Frömmigkeit des Christentums — die Tat des Erlösers in Einheit mit der freien Tat des Erlösten versteht (§ 9,1; § 100,1). 2

« Vgl. § 54, 1.

27

Vgl. §54,4. 83

6*

Abschließend sollen drei kritische Überlegungen an Fr. Schleiermadiers Neuinterpretation des göttlichen Mitwirkens in seiner Erhaltungslehre als Bewußtsein und Einsicht perspektivischen Abhängigseins, nämlich von „Gott" und vom Naturzusammenhang, angestellt werden. Zunächst wird man die Frage stellen müssen, ob Schleiermachers Berufung auf die Concursuslehre der — wie er sagt — „strengsten Dogmatiker", in diesem Fall auf die J. A. Quenstedts, legitim ist, zumal er ja im Zusatz zum § 46 harte Einwände gegen das „klassische" Concursusdenken vorbringt. Macht man den vorbehaltlichen Versuch, eine Entsprechung zwischen Sdileiermachers Concursusverständnis und dem der „klassischen" Epoche aufzuzeigen, so wird Schleiermachers Concursusverständnis als „mediates" einzuordnen sein, nicht wie bei J. A. Quenstedt als „immédiates". Doch ist dabei zugleich zu bedenken, daß beide Denkweisen von ganz verschiedenen Voraussetzungen ausgehen: einmal wird der concursus divinus in das Kausalschema scholastischen Denkens eingeordnet, was eine ontologische Behandlung der Concursusfrage impliziert, zwei verschiedene Kausalgrößen sind dabei vorausgesetzt; zum andern wird das Concursusthema in ein bewußtseinstheologisches Schema idealistischer Prägung hineingestellt, was zu einer Subjektivierung dieser Frage führt, dabei wird der concursus divinus nur als ein Sich-abhängig-Fühlen unter verschiedenem Gesichtspunkt verstanden. Man wird also Schleiermachers Rückverweis auf J. A. Quenstedt nur als vordergründig verstehen dürfen, veranlaßt durch eine Entsprechung in formaler Hinsicht, daß zwei Aktivitäten eine Wirkung hervorbringen. Es sei ferner K. Barths Charakterisierung von Schleiermadiers Concursusverständnis als „pantheistisch-naturalistischen Monismus" 28 erwähnt; löst doch Schleiermacher die Schöpfungstat am Anfang ganz in die göttliche Erhaltung auf. Schleiermacher selbst sieht die Möglichkeit eines Verständnisses seiner Erhaltungs-Concursuslehre als Pantheismus, wenn er gleich im Anschluß an unser Ausgangszitat schreibt: „Wer hierin dennoch einen Schein des Pantheismus finden will, der möge nur bedenken, daß so lange die Weltweisheit keine allgemein als gültig anerkannte Formel aufstellt, um das Verhältnis zwischen Gott und Welt auszudrücken, auch auf dem dogmatischen Gebiet, sobald nicht mehr von dem Entstehen der Welt, sondern von ihrem Zusammensein mit Gott und ihrem Bezogenwerden auf Gott die Rede ist, das Schwanken nicht vermieden werden kann zwischen solchen Formeln, die sich mehr der vermischenden Identität beider, und solchen, die sich mehr der beide entgegensetzenden Scheidung nähern." » K D III 3, S. 132.

84

Deutlicher wird die Frage nach einem pantheistischen Denken bei Schleiermacher in den Darlegungen zu den göttlichen Eigenschaften der Allmacht und Ewigkeit Gottes. So bezeichnet der „Ausdruck der göttlichen Allmacht" die „göttliche Ursächlichkeit als die der Gesamtheit der natürlichen dem Umfang nach" gleidie (§ 51,1; ferner § 54,1—3). „Die göttliche Ursächlichkeit, als der endlichen und natürlichen entgegengesetzt, wird dargestellt in dem Ausdruck der göttlichen Ewigkeit" (§ 51,1) und findet hierin seine „dichterische Darstellung" (§ 52,1), womit gegenüber dem pantheistischen Zug in der Eigenschaft der göttlichen Allmacht auch ein theistischer Aspekt angedeutet ist. Eine letzte Entscheidung über das Gegen- und Miteinander von pantheistisdhem und deistischem Denken in Schleiermachers Erhaltungslehre läßt sich erst von der allgemeinen Prinzipienlehre, und zwar von § 4,4, her fällen. Hier wird das „Woher" des schlechthinnigen Abhängigkeitsbewußtseins mit dem Ausdruck „Gott" bezeichnet; dabei gilt, „daß dieses Woher nicht die Welt ist in dem Sinne der Gesamtheit des zeitlichen Seins und noch weniger irgendein einzelner Teil derselben". Der Pantheismus Schleiermachers wird hier dadurch eingeschränkt, daß der Gottesvorstellung ein formalisierter theistischer Zug beigeordnet bleibt und das fromme Abhängigkeitsbewußtsein eine transzendente Verankerung behält. Auf jeden Fall kann Schleiermachers bewußtseinstheologische Erhaltungs-Mitwirkungslehre nicht als ausschließlich pantheistisdi charakterisiert werden. Schließlich sei noch einmal darauf verwiesen — wie sich ja schon in den vorangehenden Punkten jeweils herauskristallisierte —, daß Schleiermachers Überlegungen zur göttlichen Erhaltung und Mitwirkung ihre Voraussetzungen in der Prinzipienlehre, d. h. im System allgemeiner Geschichtsprinzipien in der Ethik, haben. Biblisch-theologische Erwägungen treten dabei in den Hintergrund. 7.3. Zusammenfassung

und Urteil

1. Die Einwände des 19. Jahrhunderts gegen den concursus divinus und ihre Beurteilung: 1.1. Die Einwände: 1.1.1. Das Concursusthema ist in erster Linie eine vom scholastischen Denken geprägte Frage. 1.1.2. Der concursus divinus setzt eine gewisse Unabhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer voraus. 1.1.3. Die Eigenbehandlung des concursus divinus liegt in der Trennung von Sein und Tätigsein, wie das scholastische Denken sie kennt, begründet. 85

1.1.4. Die Übernahme des causa-Begriffs auf die causa prima und die causa secunda faßt Schöpfer und Geschöpf in illegitimer Weise in ein Kausalschema ein. 1.1.5. Das Concursusdenken neigt damit zu einer Vermischung von naturwissenschaftlichem und theologischem Denken. 1.2. Diesen Einwänden gegen die „klassische", von der scholastischen Ontologie geprägten Concursuslehre, ist — wie unter 6.1. dargestellt — im wesentlichen, z. T. in eingeschränkter Form (1.1.2.), zuzustimmen. 2. Fr. Schleiermachers Neuinterpretation des concursus divinus: 2.1. Fr. Schleiermacher lehnt einerseits mit harten Einwänden die „klassische" Concursuslehre, d. h. die Frage nach dem „Daß" und „Wie" des concursus divinus, ab. 2.2. Andererseits bemüht Schleiermacher sich um eine bewußtseinstheologische Uminterpretation des concursus divinus im Sinne des Einsseins des Bewußtseins, daß alles endliche Geschehen vom allgemeinen Naturzusammenhang bedingt und bestimmt ist, und der Gewißheit der schlechthinnigen Abhängigkeit alles Endlichen zugleich von „Gott". Nur unter verschiedenen Gesichtspunkten wird der allgemeine Wirklichkeitszusammenhang betrachtet: naturphilosophisch und philosophisch-theologisch. 2.3. Urteil: 2.3.1. Fr. Schleiermachers Uminterpretation des concursus divinus kennt — in der Terminologie der „klassischen" Concursuslehre gesprochen — nur das Bewußtsein eines „mediaten" Abhängigseins alles Endlichen von „Gott". 2.3.2. Sein Concursusverständnis reduziert ferner die Wirklichkeit des göttlichen Mitwirkens auf ein subjektives Bewußtsein der eigenen Abhängigkeit. 2.3.3. Die Identifikation des Abhängigseins vom allgemeinen Naturzusammenhang und des Abhängigkeitsgefühls von „Gott" verleiht Schleiermachers Erhaltungslehre einen pantheistischen Zug; wie ja auch die Schöpfungstat am Anfang in die Erhaltung absorbiert ist. Dieser pantheistische Zug impliziert allerdings ein formal betrachtetes theistisches Moment. Die immanente Abhängigkeitserfahrung ist offen für die Transzendenz des Göttlichen. 2.3.4. Diese Uminterpretation des concursus divinus hat die allgemeinen Überlegungen zum Abhängigkeitsgefühl zur Voraussetzung, wie sie in der Prinzipienlehre des „Christlichen Glaubens" dargelegt werden; sie geht also nicht von biblisch-theologischen Erwägungen aus. 86

8. Das dialektische, transzendental-ontologische Concursusverständnis (K. Rahner, „Mitwirkung Gottes", LThK VII, Sp.502f., „Das Problem der Hominisation", Quaestiones disputatae 12/13) Es sei nodi der Typ eines Concursusverständnisses erwähnt, der in der römisch-katholischen Theologie der Gegenwart besonderen Einfluß hat S auf den K. Barth in seiner „Kirchlichen Dogmatik" jedoch nicht eingehen konnte, weil er seine eigentlichen Darlegungen erst nach Erscheinen von Κ D III 3 fand: der Typ des dialektischen, transzendentalontologischen Concursusverständnisses. K. Rahner geht abgesehen von einem kurzen Artikel über die „Mitwirkung Gottes" 2 vor allem in Aufsätzen und Artikeln zur Hominisation, zur phylo- und ontogenetischen Entwicklung des Menschen, auf den concursus divinus ein 3 , also nicht in dem besonderen Teil einer dogmatischen Darstellung der Vorsehungslehre. Allerdings wird die Concursusfrage auch in Aufsätzen zu anderen Themen erwähnt 4 . Es sollen nun zunächst einige charakterisierende Gedanken zu Rahners Concursusverständnis aus dem Artikel „Mitwirkung Gottes" und dem Aufsatz „Das Problem der Hominisation" erhoben und anschließend eine stärker systematische Darlegung gegeben werden, aus der dann einige typisierende und beurteilende Schlüsse zu ziehen sind. 8.1. K. Rahner: „Mitwirkung Gottes" LlhK VII, Sp. 502 f.; „Das Problem der Hominisation", Quaestiones disputatae 12/13, S. 43 ff. K. Rahners Artikel „Mitwirkung Gottes" mag zu Beginn — unter Aussparung der historischen Hinweise — in seinem Wortlaut wiedergegeben werden: „Mitwirkung Gottes bezeichnet die transzendente, schöpferische Ursächlichkeit Gottes, die für alle endliche Wirklichkeit dauernd notwendig ist, insofern sie sich auf Akte der Kreaturen unmittelbar und positiv bezieht in allem, was an diesen Akten in sich oder in ihren Wirkungen eine positive Wirklichkeit i s t . . . Diese Mitwirkung streng als solche (concursus simultaneus) ist (in einer Immediatio suppositi et virtutis) zu denken als terminativ identisch mit dem Akt des Geschöpfes selbst, insofern dieser abhangig W.Kern, in: Mysterium salutis II, S. 529ff., besonders S. 535ff. K. Rahner, Mitwirkung Gottes, LThK V I I , S p . 5 0 2 f . 3 K . Rahner, Das Problem der Hominisation, Quaest. disp. 12/13; ders., Hominisation, Sacr. mundi II, Sp. 754ff.; ders., Evolution, Sacr. mundi I, Sp. 1251 ff.; ders., Theologisches zum Monogenismus, Schriften zur Theologie I, S. 253 ff.; ders., Immanente und transzendente Vollendung der Welt, Sdir, zur Theol. V I I I , S. 593 ff. 4 K. Rahner, Die Einheit von Geist und Materie im christl. Glaubensverständnis, Sehr, zur Theol. V I , S. 185 ff., bes. 209 f.; ders., Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung, Sehr, zur Theol. V, S. 183 ff., besonders 190ff.; ders., Inkarnation, Sacr. mundi II, Sp. 824ff., bes. 837f.; ders., Gnade, Sacr. mundi II, Sp. 450ff., bes. 456; ders., Jesus Christus, Sacr. mundi II, Sp. 920 ff., bes. 942 f. 1

2

87

ist von der Ursächlichkeit Gottes und nicht nur der des Geschöpfes, also ein und derselbe Effekt von der kategorialen und transzendenten Ursache gesetzt w i r d . . . Die Lehre von der Mitwirkung wäre heute neu zu durchdenken, um das ,Werde-sein' und seine Geschichte und Entwicklung in den endlichen Seienden verständlich zu machen: Die Mitwirkung ermöglicht eine wirkliche Selbsttranszendenz des geschöpflich Seienden, so daß das von diesem ursächlich Gesetzte ontologisch mehr ist als die endliche Ursache in ihrer Potentialität und doch wirklich von dieser herkommt. Diese Mitwirkung ist dem Geschöpf innerlich, ohne ein konstitutives Moment seines eigenen Wesens zu sein."

In diesem Artikel verweist K. Rahner nach einer definierend-beschreibenden Betrachtung des concursus divinus am Schluß auf die besondere eigene Intention der Concursusbehandlung hin, die sich in zwei Gedanken manifestiert: 1. Sich in Kontinuität mit der traditionellen Concursuslehre wissend will K. Rahner das Thema der Mitwirkung Gottes in den Gedanken des Werde-Seins einordnen und diesen durch die Concursusiiberlegung verständlidi machen. 2. Das geschieht in der Weise, daß im Werde-Sein, im ontologischen Mehrwerdensprozeß, die Mitwirkung Gottes die eigene Selbsttranszendenz des geschöpflichen Seienden ermöglicht, indem sie „innerlich" im Geschöpf wirkt, ohne ein „konstitutives Moment" seines „Wesens" zu sein. Diese beiden Gedanken sind an Hand des Aufsatzes „Das Problem der Hominisation", in dem K. Rahner am detailliertesten das Concursusthema durchdenkt, zu vertiefen. Es soll dabei nur der dritte Abschnitt des Aufsatzes mit dem Titel „Theologisdi-philosophische Fragen" in die Untersuchung einbezogen werden 5 , da sich Rahner nur in ihm mit dem concursus divinus auseinandersetzt. K. Rahner ordnet hier das Hominisationsproblem in die Vorstellung vom Werde-sein ein und diese wiederum in die Zuordnung von Materie und Geist. Es ist einerseits der Unterschied zwischen Geist und Materie festzustellen. Geist ist das in der „transzendentalen Erfahrung" β des Menschen ursprünglich Gegebene, das „apriorische Datum" menschlichen Erkennens 7 in der Eröffnung des absoluten Seinsgrundes. Materie ist demgegenüber in seinem Bestimmtsein allein vom Geist her „das der Transzendenz auf das Sein überhaupt Verschlossene" 8 . Andererseits liegt in der Verschiedenheit Einheit vor. Nicht „disparat und unähnlich" 9 oder „inkommensurabel" 10 stehen sidi Geist und Materie s Im ersten Teil geht K. Rahner auf die lehramtlichen Entscheidungen zur Hominisationsfrage ein (S. 16—31), im zweiten Teil auf die biblischen Aussagen hierzu (S. 32—42). • Das Problem der Hominisation, S. 48, 49 7 8 Ebd., S. 44. Ebd. S. 48. 10 • Ebd., S. 51. Ebd., S. 51.

88

gegenüber; vielmehr sind sie in „innerer ontologischer Wesens Verwandtschaft" 11 aufeinander bezogen durch ihren gemeinsamen Ursprung im absoluten Sein. In der Wesensverwandtschaft ist Materie „eingegrenzter, gewissermaßen ,gefrorener' Geist" 12 , in der Beziehungseinheit von Materie und Geist ist das Materielle in seiner Besonderheit und Eigentümlichkeit „Ermöglichung des Zu-sich-selber-Kommens" 18 des Geistes. Es liegt somit eine „dialektische" Einheit zwischen Geist und Materie 14 insofern vor, als das Materielle in seiner Verschiedenheit von Geist zugleich „Moment" an Geist 15 und Ermöglichung der Selbstfindung des Geistes ist 16 . Diese Zuordnung von Geist und Materie ist nun in Rahners Werdensverständnis hineinzustellen. Herkommend von der scholastischen AktPotenz-Lehre 17 versteht K. Rahner Werden nicht als „Anderswerden", sondern als „Mehrwerden" 18 , als „Seinszuwachs", als Entstehen von „wirklich Neuem" 19 . Rahner knüpft hier bei der thomasischen Concursusvorstellung an, nach der die causa prima die causa secunda in das Sein des actus primus einsetzt, aus dem die endliche causa durch ihre inclinatio ad agendum in den ontologisch höher stehenden actus secundus übergeht in Kraft der innerlich mitwirkenden applicatio der causa prima als finis20. Rahner grenzt sich dabei in der Frage nach dem „Daß" des concursus divinus gegen den Gedanken einer praemotio physica, nach dem jedem geschöpflichen Wirken jeweils neu eine physische Entität verliehen wird, und gegen das die Unmittelbarkeit des göttlichen Mitwirkens beseitigende mediate Concursusverständnis ab 21 . In der Frage nach dem „Wie" des concursus divinus wendet sich Rahner gegen die „Aporien" der molinistischen und tomistischen Theorie 22 , beide Positionen verbleiben bei ihren Antworten auf die Wie-Frage im Möglichkeitsbereich der Akt-Potenz-Ordnung; sie sagen nicht die Aktualität des actus secundus aus: so macht die Theorie der Molinisten nur das „Mehrwerden" durch das Mitwirken der causa prima deutlich, nicht jedoch, wie die causa secunda den actus secundus erwirke, da ihr eigenes Wirken ja auf der Ebene des „posse agere" verbleibe 28 ; so macht die Theorie der Thomisten nicht eindeutig klar, wie die von der causa prima „gewissermaßen als Zwischenglied zwischen die endliche Ursache . . . und den erwirkten Seinszuwadis" 24 gesetzte Entität entweder als von der causa « Ebd., S. 51. 13 Ebd. S. 52. 15 Ebd., S. 51. 17 Ebd., S. 61. » Ebd., S. 64. 21 Ebd., S. 64 f. 2S Ebd., S. 67.

12

Ebd., S. 51 f. Ebd., S. 47, 49, " Ebd., S. 51 f. 18 Ebd., S. 63. 20 Ebd., S. 61 ff. 22 Ebd., S. 66 ff. « Ebd., S. 64. 14

89

secunda mitgewirkt verstanden werden oder in ihrer Potentialität neu aktuiert werden kann 25 . K. Rahners eigenes Concursusverständnis innerhalb seines evolutiven Werdensbegriffs stellt sich dann wie folgt dar: Gott, der transzendentale Seinsgrund, wirkt als das „Woher" und „Woraufhin" des endlichen Seins und Geschehens in allem Werden des endlichen Gesdiehens mit. Der absolute Seinsgrund ist also einmal das asymptotisch angenäherte „Woraufhin" des evolutiven Werdeprozesses „über" der Bewegung des endlichen Seins28 und zum andern „inneres Moment" 27 — also nicht konstitutives Wesensmoment 28 oder „exzeptionelles, außergewöhnliches" Eingreifen 29 — beim unmittelbaren Mitwirken im endlichen Geschehen und Werden. Die Art und Weise des Erwirkens des „Neuen", des „Mehr", im evolutiven Werdensprozeß durch die transzendentale Kausalität und die endliche Ursache versteht K. Rahner in dem Sinn, daß die transzendentale Ursache in „dynamischer Mitwirkung" das „Neue" bewirkt, die endliche Ursache in eigener aktiver „Selbstüberbietung". Nicht als disparate Größen wirken dabei die beiden Ursachen nebeneinander, vielmehr wirken sie „ineinander" in Beziehungseinheit das Neue: die absolute Ursache wirkt als das asymptotisch angestrebte Ziel in dynamischer Mitwirkung in den endlichen Ursachen mit, die endlichen Ursachen wirken die eigene Selbstüberbietung „in Kraft" der sich mitteilenden absoluten Ursache, denn die Mitwirkung der transzendentalen Ursache ist gerade die „Bedingung der Möglichkeit" eigener Selbstüberbietung der endlichen Ursache30. Die Art und Weise des Zusammenwirkens von transzendentaler und endlicher Ursache ist eine „dialektische" 31 . In der Verknüpfung des Gedankens der dialektischen Zuordnung von Materie und Geist und der Vorstellung von einem dialektischen Verhältnis des Wirkens der transzendentalen und der endlichen Ursache im evolutiven Werdensprozeß behandelt K. Rahner sein Verständnis der Hominisation. Das Hominisationsproblem stellt sich Rahner in diesem Aufsatz als Frage nach der göttlichen Erschaffung des ersten Menschen und der menschlichen Seele beim Beginn eines jeden individuellen Lebens entweder in einem „exzeptionellen, außergewöhnlichen" 32 Eingreifen Gottes oder in einem das göttliche Mitwirken implizierenden Entwicklungsprozeß S3. Nicht handelt es sich für K. Rahner bei der Phylo- und Ontogenese des Menschen um ein Wirken Gottes „neben" 34 dem Tun der 25 27 29 31 33

90

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 69. S. 69, 72. S. 60, 81. S. 69, 72. S. 80 f.

26 28 30 32 34

Ebd., S. 73. Ebd., S. 66. Ebd., S. 61, 66, 69, 74 ff. Ebd., S. 60. Ebd., S. 80 f.

Geschöpfe, um ein kategoriales Eingreifen Gottes zu einem bestimmten Zeitpunkt als „Ausnahme" 85 . Vielmehr indem die Selbstüberbietung des endlichen Seins, ermöglicht durch das dynamische Mitwirken des transzendentalen Seins, auch wesensmäßige Neusetzungen 36 in „sprunghafter" 3 7 Entwicklung enthält, vermag Rahner die Phylo- und Ontogenese des Menschen in einem realontologischen Zusammenhang mit dem materiellen Sein zu verstehen und zugleich als Schöpfung Gottes. So steht der Mensch, phylogenetisch gesehen, in einem ontogenetischen Zusammenhang mit der Biosphäre und ist doch aufgrund des inneren Mitwirkens Gottes im endlichen Geschehen als wesensmäßige Neusetzung „ausgezeichneter Einmaligkeit" 3 8 Geschöpf Gottes, d. h. das auf das transzendentale Sein hin offene Wesen, Geist in Welt 3 9 . So sind, ontogenetisch gesehen, „die Eltern Ursache des einen und ganzen Menschen . . . , also auch seiner Seele, weil ( . . . ) damit nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern positiv eingeschlossen ist, daß die Eltern die Ursache des Menschen nur sein können, insofern sie den neuen Menschen entstehen lassen durch die ihre Selbstüberbietung ermöglichende Kraft Gottes, die ihrem Wirken innerlich ist, ohne zu den Konstitutiven ihres Wesens zu gehören. Und der Satz: Gott schafft die Seele des Menschen unmittelbar, bedeutet dann nicht eine Leugnung des Satzes, daß die Eltern den einen Menschen zeugen, sondern seine Präzisierung, dahin nämlich, daß diese Zeugung zu jener Art von geschöpflicher Wirkursächlichkeit gehört, in der das Wirkende die mit seinem Wesen gesetzten Grenzen wesentlich übersteigt in der Kraft der göttlichen Ursächlichkeit." 40 8.2. Das dialektische, transdental-ontologische

Concursusverständnis

Die Gedanken aus dem Aufsatz: „Das Problem der Hominisation" sind nun in einen weiteren Kreis der Literatur K . Rahners hineinzustellen, wobei dem bisher ausgesparten inkarnationstheologischen 41 und erkenntnismetaphysischen 42 Aspekt besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Es ist die Vorstellung vom evolutiven Werde-Sein, in die K . Rahner seine Concursusüberlegungen mit ihrer Entsprechung in der Verhältnisbestimmung von Materie und Geist und ihrer Konkretion im Hominisationsthema einordnet 43 . 85

Ebd., S. 81, 84.

36

37

Ebd., S. 76 f.

38

Ebd., S. 76. Ebd., S. 83.

39

Ebd., S. 60, 79.

40

Ebd., S. 82 f.

41

Ebd., S. 54 f.

42

Ebd., S. 50, 71.

Dasselbe ist audi von anderen Themen zu sagen: Das Problem der Hominisation, S. 55 ff.; Evolution, Sp. 1252; Hominisation, Sp. 7 5 9 ; Jesus Christus, Sp. 9 4 2 ; Die Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung, S. 183, 185. 43

91

So versteht Rahner Geist und Materie in einem dialektischen Beziehungsverhältnis innerhalb des Geistwerdensprozesses, womit er jedoch keineswegs einer idealistischen Auflösung der Materie in Geist das Wort reden will 44 ; vielmehr hält er an der Verschiedenheit und Eigentümlichkeit von Geist und Materie fest. Geist als die vorgreifende Eröffnung des absoluten Seinsgrundes für alles Seiende in der transzendentalen Erfahrung des Menschen45 ist absolut verschieden von Materie, dem „der Transzendenz auf das Sein überhaupt Verschlossenen"4e, das allein vom Geist her seine eigentümliche Bestimmung erhält. Trotz dieser Verschiedenheit sind Geist und Materie nicht als „disparate" Größen 47 , „paradoxe Zweiheit" 48 , als „zwei voneinander unabhängige Wirklichkeiten" anzusehen. Aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs in Gott, dem Urgrund alles Seienden, liegt eine innere Wesensverwandtschaft, eine ursprüngliche Verwiesenheit aufeinander vor 49 . Das Materielle ist nur „als Moment an Geist und für (endlichen) Geist denkbar" 50 , d. h. es ist „eingegrenzter, gewissermaßen ,gefrorener' Geist" 51 und zugleich Bedingung der Möglichkeit des „eigenen Zu-sich-selber-Kommens" 52 des Geistes, wobei gerade die Materie in ihrer besonderen Eigentümlichkeit die Möglichkeit zur Selbstfindung des Geistes bietet. So stellt K. Rahner in diesen Höherwerdensprozeß das Zusammenwirken der transzendentalen und der endlichen Ursache hinein. Gott wirkt als die transzendentale Kausalität, d. h. als das asymptotisch erstrebte „Woraufhin" alles endlichen Werdens in dynamischer Mitwirkung „in" allem endlichen Geschehen53. Das innerliche, nicht „wesenskonstitutive" Mitwirken Gottes ist die Bedingung der Möglichkeit der eigenen aktiven Selbstüberbietung der endlichen Kausalität 54 . Beide Kausalitäten wirken in dialektischer Einheit das Neue, das Mehr 55 : die transzendentale Ursache als „inneres Moment" des endlichen Werdens ermöglicht das Mehr des Mehrwerdensprozesses, die endliche Ursache wirkt in Kraft der 44 Das Problem der Hominisation, S. 53, 54f.; Die Einheit von Geist und Materie, S. 203, 206. 45 Das Problem der Hominisation, S. 74; Die Einheit von Geist und Materie, S. 197, 201. 4 ® Das Problem der Hominisation, S. 48; Die Einheit von Geist und Materie, S. 201. 47 Das Problem der Hominisation, S. 51 ff.; Die Einheit von Geist und Materie, S. 187 f. 48 Die Einheit von Geist und Materie, S. 193. 49 Das Problem der Hominisation. S. 51 ff.; Die Einheit von Geist und Materie, S. 187ff., S. 199. 50 Das Problem der Hominisation, S. 51; Die Einheit von Geist und Materie, S. 203. 51 Das Problem der Hominisation, S. 51 f.; Die Einheit von Geist und Materie, S.203. 52 Das Problem der Hominisation, S. 52; Die Einheit von Geist und Materie, S. 213. 53 Das Problem der Hominisation, S. 61, 73. 64 Hominisation, Sp. 759f.; Evolution, Sp. 1258. 55 Das Problem der Hominisation, S. 69; Evolution, Sp. 1257 f.

92

dynamischen Mitwirkung der absoluten Kausalität „sich selbst überbietend" das Mehr des Mehrwerdensprozesses 5e . Somit sind ",Bewegen' und ,Bewegtwerden'... in ihrem inneren Sein dasselbe" 57 . So ordnet K. Rahner sein Verständnis der Hominisation in die Überlegungen zum Werde-Sein ein und schließt sich insofern dem gemäßigten Evolutionismus an 58 . Damit wendet sich Rahner einmal gegen den extremen Evolutionismus, der die evolutive Entwicklung auch des Menschen allein aus dem materiellen Sein erklären will 59 , und zum andern gegen ein okkasionalistisches Von-außen-Eingreifen des Schöpfers60 als „Ausnahme" 81 und Außerkraftsetzen des geschöpflichen Entwicklungsganges. K. Rahner selbst ist der Meinung, daß in dem Ineinandersein von dynamischem Mitwirken der transzendentalen Kausalität im endlichen Werden und dem hierdurch ermöglichten eigenen aktiven Selbstüberbieten des endlichen Seins — sozusagen „sprunghaft" 62 — „wesenhaft Höheres" es , „Wesensüberbietung" 64 , erwirkt wird. Damit ist es Rahner möglich, die Hominisation, d. h. die phylo- und ontogenetische Entwicklung des Menschen, in ihrem ontogenetischen Zusammenhang mit der Biosphäre und zugleich als Schöpfung Gottes zu verstehen. Der Mensch, die einzigartige Wesensüberschreitung65 der Biosphäre, weiß sich in der transzendentalen Erfahrung von Gott, der in und durch die endlichen Ursachen wirkt, geschaffen und zugleich innerweltlich herkünftig. Somit stellt K. Rahner — wie der Artikel „Mitwirkung Gottes" in verdichteter Form zeigt — das Concursusthema mit seinen verschiedenen Gesichtspunkten in die Vorstellung vom evolutiven Werde-Sein hinein. Die Lösung des Concursusproblems ist dabei eine dialektische: die transzendentale Kausalität, das asymptotisch erstrebte „Woraufhin" des endlichen Werdens, wirkt als „inneres Moment" im endlichen Geschehen mit, ohne Wesenskonstitutivum des endlichen Seins zu werden. Durch 56

Das Problem der Hominisation, S. 69. Geist in Welt, S. 359 f. 58 Teilhard de Chardin, dessen Terminologie K. Rahner teilweise aufgreift (Evolution, Sp. 1252 fi., Hominisation, Sp. 755) kennt nach meinen Beobachtungen das eigentliche Concursusproblem nicht. Zum einen löst er mit der völligen Einordnung des Wirkens Gottes in den innerweltlichen Evolutionsprozeß, d. h. der Immanentisierung Gottes in die Orthogenese der Welt, die Transzendenz Gottes und folglich das freie Wirken Gottes auf. Zum andern kennt er mit der Immanentisierung Gottes keine relative Eigenständigkeit der Geschöpfe im eigentlichen Sinn, wie sie der Concursusgedanke voraussetzt. 59 Das Problem der Hominisation, S. 45 f.; Evolution, Sp. 1252. 60 Das Problem der Hominisation, S. 60, 81; Evolution, Sp. 1253. 61 Das Problem der Hominisation, S. 81. 63 • 2 Ebd., S. 77 f. Evolution, Sp. 1257. 64 Das Problem der Hominisation, S. 76. 65 Ebd., S. 83. 57

93

dieses innnerliche Mit- und Ineinanderwirken der transzendentalen und endlichen Kausalität ermöglicht die absolute Ursache die eigene aktive Selbstiiberbietung des endlichen Seins und das endliche Sein die Selbstfindung des geistigen Seins. Dialektik ist hier also verstanden als das eigene Hinbewegen eines niederen Seienden auf das absolute Sein hin in Ermöglichung durch das absolute Sein. Zwei Aspekte dieses Concursusverständnisses sind nun noch besonders — wenn auch entsprechend der typisierenden Betrachtung nur in sehr knapper Form — herauszustellen: der inkarnationstheologische und der erkenntnismetaphysische: Aus seiner „ ,evolutiven' Weltanschauung"ββ heraus, nach der das endliche Sein in Kraft der dynamischen Mitwirkung des absoluten Seins sich selbstüberbietend und selbsttranszendierend höher entwickelt, erkennt K. Rahner die Inkarnation als die „höchste, absolute und endgültige" 87 Selbsttranszendenz, als „Höhepunkt" 68 , „letzte Aufgipfelung" 69 der Selbstüberbietung des geschaffenen Seins, die — von Gottes Zuwendung aus betrachtet — als die absolute gnadenhafte „Selbstmitteilung Gottes" 70 zu verstehen ist. Indem nun die Inkarnation der Höhepunkt der Selbsttranszendenz des endlichen Seins und der Selbstmitteilung Gottes ist, sind „letzte und höchste Selbsttranszendenz des Endlichen und radikale Selbstmitteilung Gottes . . . die beiden Aspekte dessen, was in der Geschichte geschieht"71. Es ist damit — und das ist die erste Folgerung aus dieser einmal aus einer allgemeinen Zuordnung von endlichem und transzendentalem Wirken deduzierten, zum andern die allgemeine Zuordnung von endlichem und transzendentalem Wirken in der Inkarnation zentriert sein lassenden Inkarnationsvorstellung — die Schöpfung „Teilmoment"72 an der Inkarnation innerhalb der einen Selbstmitteilung Gottes zur Vergöttlichung der Welt. Die Inkarnation des Logos in Jesus von Nazareth ist ja der absolute Höhepunkt der in Erhaltung und Mitwirkung schon „moment"-haft 73 , als „Anfang" und „Anlauf" 7 4 , angelegten Einheit von geschöpflicher Selbsttranszendenz und göttlicher Selbstmitteilung; es ist die in der Schöpfung angelegte und sich entwickelnde „Idee des Gott6 7 Ebd., Sp. 837. Inkarnation, Sp. 837. Die Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung, S. 202 f. «» Ebd., S. 206. 70 Inkarnation, Sp. 838; Die Christologie i n n e r h a l b . . . , S. 211. 7 1 Inkarnation, Sp. 838; Die Christologie i n n e r h a l b . . . , S. 207; Jesus Christus, Sp. 943; Gnade, Sp. 456; Das Problem der Hominisation, S. 54. 7 2 Die Christologie i n n e r h a l b . . . , S. 205; vgl. audi: Transzendentaltheologie, Sp. 991. 7 3 Die Christologie i n n e r h a l b . . . , S. 205. 74 Ebd., S. 201. ββ

68

94

menschen", die in Jesus von Nazareth ihre Vollendung in konkreter und geschichtlicher Wirklichkeit findet75. Ferner — und das ist die zweite Folgerung aus der inkarnationstheologischen Zentrierung — stellt die göttliche Mitwirkung ein „Moment" an der göttlichen Selbstmitteilung dar. Aus folgender Überlegung ergibt sich dieser Gedanke: in der Inkarnation teilt sich der göttliche Logos in absoluter Einmaligkeit mit, weil in ihr endliche Selbsttranszendenz und Gottes gnadenhafte Selbstmitteilung identisch sind. Entsprechend — nicht in der Absolutheit und Einmaligkeit — teilt sich der Logos in der Mitwirkung Gottes in der Schöpfung, die ja „Teilmoment" der Inkarnation ist, mit, so daß auch die Mitwirkung Gottes sich als „Moment" an der gnadenhaften Selbstmitteilung Gottes zur Vergöttlichung der Welt darstellt. Das Mitwirken Gottes im biogenetischen Bereich kommt in der Hominisation als Selbstmitteilung Gottes an den Menschen zu sich, in der Inkarnation findet dieses Mitwirken seinen einmaligen Höhepunkt. Von der Selbstmitteilung Gottes aus betrachtet ist das göttliche Mitwirken „Moment" an der gnadenhaften Selbstmitteilung. Neben dem inkarnationstheologischen Aspekt dieses in den Werdeprozeß von Geist und Materie eingeordneten dialektischen Concursusverständnisses ist auf die erkenntnismetaphysische Überlegung einzugehen. Aufgrund der gegenseitigen Riickführbarkeit von Ontologie und Erkenntnismetaphysik 76 , d. h. aufgrund der Einheit von Erkennen und Sein77 — Erkennen als „Beisichsein des Seins", wobei dieses Beisichsein das Sein des Seienden78 darstellt, und das Sein selbst als ursprüngliche „Einheit von Sein und Erkennen" 79 —, entspricht dem dialektischen Verhältnis von Materie und Geist das von Sinnlichkeit und Erkennen. Die sinnliche Wahrnehmung ist nämlich „Moment" des geistigen Erkennens und „Bedingung der Möglichkeit" geistigen Erkennens, des vorgreifenden Erfassens des transzendentalen Seins80. Das geistige Erkennen als das Worauf des sinnlichen Wahrnehmungsaktes wiederum ist „Moment" am sinnlichen Wahrnehmungsakt und „Bedingung der Möglichkeit" der sinnlichen Wahrnehmung in ihrer Eigentümlichkeit und Beschränktheit 81 . Durch diese dialektische Beziehung von sinnlicher Wahrnehmung und geistigem Erkennen wird versucht, in der transzendentalen Reflexion als vorgreifender Erfassung des absoluten Seins gerade in der sinnlichen Wahrnehmung das sinnlich Wahrnehmbare in seiner Eigentümlichkeit ernstzunehmen und es doch nur als Bedingung der Möglichkeit der 7>

75 Geist in Welt, S. 332, 83. Ebd., S. 217. 78 Ebd., S. 80 f. Ebd., S. 82. 7 » Ebd., S. 83. 80 Ebd., S. 269 f., 287, 393 f., 397, 404; Das Problem der Hominisation, S.50f., 71. 81 Geist in Welt, S. 391.

77

95

transzendentalen Erfassung des Seins zu verstehen. Der Mensch erkennt somit in seiner Verwiesenheit auf das absolute Sein die transzendentalontologische Zuordnung von endlichem und absolutem Sein und Wirken; er erkennt in der evolutiven Bewegung des endlichen Seins zugleich das dynamische Mitwirken des transzendentalen Seins als Zielgrund allen endlichen Geschehens82, den concursus divinus. 8.3. Zusammenfassung

und Urteil

1. K. Rahner erkennt das „Daß" des unmittelbaren concursus divinus, den er thematisch vor allem auf die philosophisch-theologische Evolutions- und Hominisationsfrage, eingeordnet in den Prozeß des Werdeseins, konzentriert, voll und ganz an. 2. In Abgrenzung gegen das mediate Concursusverständnis und gegen die Aporien der thomistisch-molinistischen Auseinandersetzungen versteht er das „Wie" des concursus divinus im „dialektischen" Sinn: Gott, der transzendentale Seinsgrund, wirkt als das „Woher" und „Woraufhin" allen endlichen Seins gerade auch als „inneres Moment" dynamisch im endlichen Sein mit, ohne sein „Wesenskonstitutiv" zu werden, und ermöglicht so die „eigene aktive Selbstüberbietung" des endlichen Seins asymptotisch auf das transzendentale Sein hin. 3. Dieses.von rationaler Durchsichtigkeit gekennzeichnete Concursusverständnis ist in seinen Voraussetzungen von zwei Gesichtspunkten her zu betrachten: dem inkarnationstheologischen und dem erkenntnismetaphysischen. 3.1. Es ist nämlich das göttliche Mitwirken als „Moment" der gnadenhaften Selbstmitteilung Gottes an die Welt zu verstehen, die ihren einmaligen Höhepunkt innerhalb des Vergöttlichungsprozesses der Welt in der Inkarnation hat. 3.2. Der concursus divinus und ebenso auch die Inkarnation haben ferner ihre denkerischen Voraussetzungen in der Erkenntnismetaphysik: der auf das transzendentale Sein hin offene Mensch erkennt in der transzendentalen Reflexion aufgrund des dialektischen Verhältnisses von sinnlicher Wahrnehmung und dem das absolute Sein vorgreifend erfassenden Erkennen gerade im endlichen Werden und Geschehen das dynamische Mitwirken des transzendentalen Seins. 4. K. Rahner ordnet die Concursusfrage ganz in seine Werdensvorstellung ein, d. h. in einen Mehrwerdens- und Vergöttlichungsprozeß. Es erhebt sich dabei jedoch die Frage, ob das göttliche Mitwirken auf diesen sich höher entwickelnden Prozeß eingeengt werden darf oder nicht 82

96

Ebd., S. 398; Das Problem der Hominisation, S. 74.

gerade audi von Elend und Leid ausgesagt werden muß, um nicht einem einseitigen Optimismus anzuhängen. 5. Aufgrund der Zentrierung seiner philosophisch-theologischen Überlegungen im Inkarnationsgedanken versteht K. Rahner die Schöpfung als „Teilmoment" der Inkarnation, wodurch nun aber die Erniedrigung Jesu Christi in Fleisch, Sünde, Elend nicht so ernst genommen wird, wie die Bibel sie aussagt (Mk.l,12f.; 14,35; 15,24,34). 6. Die Einordnung des concursus divinus in ein transzendental-ontologisches System führt K. Rahner zu einem impersonalen Gottesverständnis; Gott, der Vater Jesu Christi, der Schöpfer, Erhalter und Mitwirker, ist hier der „transzendentale Seinsgrund", das „Woher" und „Woraufhin" des endlichen Seins, das „Geheimnis" 88 . 7. Mit dieser Einordnung des göttlichen Mitwirkens mit dem geschöpflichen Eigenwirken in ein transzendental-ontologisches System treten die biblisch-theologischen Überlegungen, die K. Rahner wohl mitberücksichtigen will 84 , in den Hintergrund; sie sind nicht bestimmend für die Concursusfrage. 83 84

Die Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung, S. 183 ff. Vgl. Mitwirkung Gottes, LThK VII, Sp. 503.

97 7

Plathow, Problem

ZWEITER

TEIL

Κ. Barths Verständnis des Concursus Divinus in der „Kirchlichen Dogmatik" K. Barths Concursuslehre 1. Der Ort des concursus divinus in der „Kirchlichen 1.1. Die Vorsehungslehre in der „Kirchlichen

Dogmatik"

Dogmatik"

K. Barth behandelt den concursus divinus in seiner „Kirchlichen Dogmatik" als mittleren von drei Teilen der Vorsehungslehre1; er geht damit auf dieses dogmatische Problem nadi den Prolegomena und der Gotteslehre im Anschluß an die Überlegungen zur Prädestination, zur Schöpfung und Anthropologie und vor den Darlegungen über das Nichtige und die Versöhnung ein. Die Vorsehungslehre erhält folgendes Verständnis: Entsprechend der innertrinitarischen Beziehungen und Partnerschaft wählt Gott, der in Freiheit Liebende, im Geheimnis seiner Gnadenwahl in Jesus Christus die Gemeinschaft mit dem Menschen2. „Nicht als ob der Gegenstand dieser Beziehung, dieses Andere außer Gott einen Teil seiner Wirklichkeit bildete oder sonstwie seinesgleichen wäre. Nicht als ob Gott also zu dieser Beziehung genötigt, durch dieses Andere gebunden, gezwungen und gedrungen wäre." 3 Es ist die barmherzige, geduldige Liebe, in der Gott sich dem Menschen — dessen relative Eigenständigkeit anerkennend — zuwendet; es ist die souveräne Freiheit, in der Gott den Menschen zur Partnerschaft in der Bundesgeschichte erwählt 4 . In Jesus Christus, dem erwählenden Gott und dem erwählten Menschen5, hat Gottes Bundesgeschichte mit dem Menschen, aber auch das Werk des Schöpfers, Erhalters und Regierers seinen „Grund" und sein „Ziel" e . Ausführung des ewigen Dekrets von Gottes Gnadenwahl ist also die Geschichte des Bundes Gottes mit dem Menschen und die Schöpfung-, zugehörig zur Ausführung des ewigen Dekrets der Gnadenwahl ist die Vorsehung1. Gegenüber dem gemeinsamen Grund in Gottes Gnadenwahl 1 3 5 7

KD III 3, S. 102—175. Ebd., S. 4. Ebd., S. 163, 109 f., 157. KD III 3, S. 3 f., 5, 41.

KD II 2, S, 4 ff., 177. Ebd., S.9, 192 ff. • Ebd., S. 8 f., 52 ff., 202; III 3, S. 5.

1

4

99 7*

liegen die Unterschiede von Schöpfung, Vorsehung und Bundesgeschichte in folgendem: Geht es im Schöpfungsakt um die in Gottes freiem Entschluß verankerte Begründung, um den „Anfang" des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf, um die wesenhafte „Verschiedenheit" von Schöpfer und Geschöpf 8 , so in der Vorsehung um die „gegenseitige Beziehung", „die Koexistenz" von freiem Schöpfer und bedürftigem Geschöpf, „um die Zuwendung des Schöpfers zur Existenz seines Geschöpfes auf der einen, um die Teilnahme des Geschöpfes an der Existenz seines Schöpfers auf der andern Seite" e . Die Geschichte des Bundes zwischen Gott und Mensch ist ihnen gegenüber die „Mitte", die „Substanz" der „unter der Herrschaft Gottes verlaufenden Geschichte des von ihm geschaffenen Seins" 10 . Wie sie der „innere Grund" der als „äußeren Grund" gedachten Sdiöpfung ist 11 , so ist sie ebenfalls der „innere Grund" der Vorsehung, die wiederum den „äußeren Grund" der Bundesgeschichte abgibt 12 . Zugleich ist die Bundesgeschichte „Sinn", „Absicht", „Zweck" und „Ziel" 13 der von Gott in seiner Treue gehaltenen Geschichte des geschaffenen Seins, des „allgemeinen Weltgeschehens"14. Nicht um ein Parallel- 15 , sondern um ein Konvergenzverhältnis 16 handelt es sich zwischen „Geschichte der Geschöpfes" und „Geschichte des Bundes", zwischen „allgemeinem Geschehen" und „besonderem Geschehen", „allgemeiner Weltgeschichte" und „besonderer Geschichte"17. Sie stehen in einem „Zusammenhang" 18, einem „positiven Verhältnis" 19 , einer „positiven, sachlichen, inneren Beziehung" 20 , und gerade und allein in dieser Zuordnung der Geschichte des Geschöpfes zur Geschichte des Bundes hat die Vorsehungslehre „ihr eigenes Thema" 21 . So ist das geschöpfliche Geschehen dem Bundesgeschehen „zugeordnet" und „hineingefügt"; es wirkt mit ihm, dieses kann jenem nur „dienen, folgen und entsprechen" 22 . Das kreatürliche Sein tut dies „wohl in der Eigenständigkeit und Eigentümlichkeit, die ihm mit seiner Erschaffung von Gott gegeben ist, wohl in der Freiheit und Aktivität, die je seiner besonderen Natur entspricht... Aber daß sie das wirklich tut, das ist im großen und im kleinen unmittelbar Gottes eigenes Werk . . . Der relativen Freiheit und Selbständigkeit, in der die Kreatur ihm gegenüber zu existieren begonnen hat und nun fortexistiert, entspricht vielmehr die vollkommene Souveränität, in der ihr Gott in ihrer ganzen Geschichte gegen8

Ebd., S. 7. Ebd., S. 41. 12 KD III 3, S. 5. 14 Ebd., S. 42. " Ebd., S. 42. « Ebd., S. 43. 20 Ebd., S. 47. 22 Ebd., S. 48. 10

100

• Ebd., S. 7. Ebd., S. 5; III 1, S. 46, 106 f. 13 Ebd., S. 41. 15 Ebd., S. 45. 17 Ebd., S. 42 f. 19 Ebd., S. 44. 21 Ebd., S. 42, 43. 11

wärtig ist, in der er selbst sie mit der Geschichte des Gnadenbundes zusammenhält und koordiniert, sie zu diesem in jene positive Beziehung setzt." 23 Das geschöpfliche „Mitwirken" als „äußerer Grund" des Bundesgeschehens ist damit das begrenzte, Gottes souveränes Herrschaftswirken das unbegrenzte. In dieser Begrenztheit hat das geschöpfliche Sein — in „unzureichenden Bildern" 24 ausgedrückt — zunächst die Funktion des „Dienstes"25, der am Werk Gottes unentbehrlich beteiligt ist, des „Werkzeugs", das von Gott gebraucht26 wird, schließlich auch des „Gegenstandes" 27, denn, indem Gott durch die Kreatur wirkt, wirkt er an ihr und für sie28. Ferner ist die „Absicht" der Geschichte des Schöpfungsgeschehens, „Schauplatz" der Geschichte des Gnadenbundes zu sein. Endlich ist der „Charakter" 29 der Koordination von geschöpflichem Geschehen und Gnadengeschehen als „Spiegel" und „Gleichnis" zu beschreiben; es besteht eine „Ähnlichkeit", d. h. im Gegensatz ein Zusammenhang 30 , in der größeren Ungleichheit eine gewisse Gleichheit. Die Gleichheit liegt in der Unterordnung allen Geschehens unter das Wirken des dreieinigen Gottes, die Ungleichheit darin, daß das Bundesgeschehen das eigentliche Geschehen darstellt, dem das Vorsehungsgeschehen so zugeordnet wird, daß die Analogie als „Noch nicht" zum „Schon" zu verstehen ist. Bei all den bildlichen Vergleichen dieser analogischen Zuordnung handelt es sich nicht um eine ontologische31 Bestimmung, um eine analogia entis, sondern um analogia fidei, um ein von Gott „verliehenes" Ereignis werden; „es ist Gottes freie Treue ganz allein, wenn die Kreatur faktisch in ihrer Totalität immer und überall in jenem Empfangen und Werden begriffen ist, jene Funktion, jenes Telos, jenen Charakter also haben, Diener und Werkzeug, Schauplatz, Spiegel und Gleichnis . . . sein darf" 3 2 . Diese Einsichten zur Vorsehungslehre mit ihrer Zuordnung der Geschichte des geschöpflichen Seins zur Bundesgeschichte ist Glaubenserkenntnis, „im Akt des Hörens auf Gottes Wort, im Akt der Anbetung seiner unbegreiflichen Güte, im Akt der Dankbarkeit und der ihr entsprechenden Willigkeit und Bereitschaft zum Tun des Willens Gottes". Es ist weniger „theoretisches Erkennen" 33 , müßige Spekulation 34 als „praktisches Erkennen" 35 . Diese Einsicht ist ein Erkennen, das von der 23

Ebd., S. 48. Ebd., S. 54. Nur in der Polypiktie ist der Sinn 25 erfassen. Ebd., S. 2 27 « Ebd., S. 54. Ebd., S. 28 29 Ebd., S. 54. Ebd., S. 30 31 Ebd., S. 57. Ebd., S. 32 33 Ebd., S. 61. Ebd., S. 34 35 Ebd., S. 14. Ebd., S. 24

des Vorsehungsgesdiehens zu 53. 54. 57. 60. 29. 14, 27, 29.

101

Bundesgeschichte, nämlich der in Jesus Christus offenbaren göttlichen Gnadenwahl, dem „Real- und Erkenntnisgrund" 86 des Vorsehungsgeschehens, seinen Ausgang nimmt; es ist sozusagen ein „Erkennen von innen nach außen" S7 . Zwei Beobachtungen lassen sich schon aus den allgemeinen Überlegungen zur Vorsehungslehre entnehmen: Indem zum einen K.Barth das Vorsehungsgeschehen als „äußeren Grund" des Bundesgeschehens versteht, das seinen Sinn und sein Ziel allein in der Geschichte des Bundes hat, indem K. Barth zum andern das Vorsehungsgeschehen in ein analogisches Verhältnis zum Bundesgeschehen stellt, bezieht er auch das Vorsehungsgeschehen mit ein in das alles überstrahlende Gnadengeschehen. So besitzt weiter das gescböpfliche Geschehen nur „relative Freiheit und Selbständigkeit", es ist Appendix des Bundesgeschehens. Eine gewisse Unselbständigkeit zeichnet auch die Charakterisierung des Vorsehungsgeschehens aus: es ist Diener, Werkzeug, Schauplatz, Spiegel, Gleichnis38; der gnädige Gott ist der „Herr in . . . Allem, sehr verschieden hier und dort (Bundes- und Vorsehungsgeschehen), aber immer Er, eigentlich und letztlich er ganz allein" se . 1.2. Die Aspekte der Vorsehungslehre Die Vorsehungslehre K. Barths gliedert sich in den Aspekt 40 der Erhaltung, des concursus und der Regierung. Folgende zusammenfassende These gibt K. Barth der Vorsehungslehre in § 49: „Gott vollstreckt seine väterliche Herrschaft über sein Geschöpf, indem er den Verlauf seines besonderen Daseins erhält, begleitet und regiert. Er tut das, indem seine Barmherzigkeit in Jesus Christus in der Geschöpfwelt erschienen und kräftig ist und damit die Herrlichkeit dieses seines Sohnes an ihr kund werde." 41

Die These setzt sich aus zwei Hypotaxen zusammen. In der ersten Hypotaxe schließt sich an den Hauptsatz ein Modalsatz an; die zweite Hypotaxe, die die erste aufgreift, setzt sich aus dem Hauptsatz und einem Modal- und Finalsatz zusammen. Schon dieser formale Aufbau der These zeigt sehr schön ihre Tendenz: es geht beim Erhalten, Begleiten und Regieren um die Art und Weise der väterlichen Herrschaft Gottes über das Geschöpf. Diese drei göttlichen Wirkweisen im Vorsehungsgeschehen erhalten ihre Bestimmung von Gottes barmherzigem Gnadenhandeln in Jesus Christus her; ihr Sinn und Zweck liegt in der Verherrlichung Jesu Christi. »« Ebd., S. 42. « Ebd., S. 53 ff. *o Ebd., S. 102 f., 174 f.

102

37 M 41

Ebd., S. 63 f. Ebd., S. 20. Ebd., S. 67.

Die drei Aspekte der Vorsehungslehre entsprechen den drei Aspekten der Geschichte des Gnadenbundes im Vorsehungsgeschehen: Rechtfertigung, Heiligung, Berufung 42 , wie im folgenden zu verdeutlichen sein wird, und den drei „christologisdien Aspekten" 4S , worauf im folgenden hinzuweisen ist. 1.2.1. Der Aspekt des göttlichen Erhaltens Der Aspekt des göttlichen Erhaltens bezieht sich auf Gottes väterliche Herrschaft über das geschöpfliche Sein, d. h. auf das erhaltende Wirken des besonderen Seins des Geschöpfes, das Gott dem Geschöpf als das von seinem eigenen verschiedene Sein gegeben hat und nun bewahrt. Gott der Erhalter ist damit der „Bürge" und „Garant" 4 4 des besonderen geschöpflichen Seins. K. Barth unterscheidet zunächst den „Sinn", die „Ordnung", den „Modus" des göttlichen Erhaltens. Der „Sinn" des Erhaltens liegt darin, daß Gott in seiner Weisheit und Allmacht das geschöpfliche Sein als „begrenztes Sein" 45 zur Teilnahme an der Geschichte des Gnadenbundes erhält. Der „Ordnung" nach geschieht die Erhaltung als freie Tat Gottes — doch so, daß die Kreatur selbst als „Mittel" 46 zur Erhaltung der Kreatur gebraucht wird. Ist die Kreatur im Gnadenbund „nur Zeuge und Zeichen, gewissermaßen nur liturgischer Assistent des allein effektiv handelnden Gottes" 47 , so ist sie im Kreaturzusammenhang als relativ selbständig wirkendes Geschöpf gerade auch Gottes „Mittel" in der Erhaltung. Freilich ist in Erkenntnis des Analogieverhältnisses von Schöpfungs- und Bundesgeschidite zugleich zu sagen, „daß sein (Gottes) mittelbares Tun hier, im Seinszusammenhang, nicht weniger seine eigene, freie Entscheidung ist, wie sein unmittelbares in jenem geistlichen Zusammenhang" 48 . Der „Modus" der göttlichen Erhaltung ist schließlich als „Tat der freien Güte Gottes" zu verstehen, d. h. daß Gott „seiner ewigen und also vor der Schöpfung getroffenen Wahl des Geschöpfes... treu bleiben wollte . . . und . . . treu bleiben will" 4e . In einem vierten Abschnitt 60 behandelt K. Barth dann das Besondere des Aspektes der göttlichen Erhaltung: die Bewahrung des bedürftigen Geschöpfes vor der Überwältigung durch das Nichtige. „Das „Nichtige ist das, was Gott als Schöpfer nicht wählte, nicht wollte, woran er als Schöpfer vorüberging, was er nach der Beschreibung Gen. 1,2 als das Chaos hinter sich ließ, ohne ihm Wesen und Existenz zu geben." 81 Dieses 42

KD IV 1, S. 140, 583, 671; IV 2, S. 568 f. KD IV 1, S. 140ÍT. ** KD III 3. S. 69. 45 Ebd., S. 71. " Ebd., S. 73 ff. 47 48 Ebd., S. 75. Ebd., S. 75. 4 50 " Ebd., S. 80. Ebd., S. 83 ff. 51 Ebd,. S. 84. 45

103

Nichtige ist die Negativität 52 , die Chaosbedrohung, die „Verneinung" 58 , der „Widerspruch"64 der Schöpfung, der „Gegenspieler" 55 des Geschöpfes. Gleichwohl besitzt es Gott gegenüber „keine Eigenständigkeit" 56 ; es ist „kein Widerpart" für Gott, „sondern der durch seinen Zorn wie entstandene so schon verjagte Schatten seines Werkes" 57 ; es steht unter dem „Urteil" und „Gericht", das Gott in seiner Barmherzigkeit in Jesus Christus schon von Ewigkeit her über das Chaos vollzogen hat 58 . Die Bewahrung des bedrohten Geschöpfes vor dem Nichtigen ist damit eine „entschiedene Frage" 5 9 ; die Kreatur wird erhalten, und „so wird audi die Angst und der Hochmut, in der sie sich selbst erhalten möchte, gegenstandslos" eo. Der Aspekt der Erhaltung spiegelt den Aspekt der Rechtfertigung in der Vorsehungslehre wider. Die Ähnlichkeit und Entsprechung liegt darin, daß das „Sein" 6 1 des Geschöpfes nach Gottes „Barmherzigkeit" 62 in dem im göttlichen Gnadenratschluß getroffenen „Urteil"* 3 in Jesus Christus, dem Herrn als Knecht™, „Errettung" 65 und Befreiung vom Nichtigen und Hochmut66 fand und damit Anteil hat an der Bewahrung und Erhaltung 87 Gottes. Noch nicht hat das Geschöpf Anteil an der Errettung und Befreiung in Jesus Christus, gleichwohl ist es als „äußerer Grund" des Bundesgeschehens in der Bewahrung vor dem Nichtigen schon für die Errettung in Jesus Christus bestimmt. In zweierlei Hinsicht soll abschließend die Beobachtung aus den allgemeinen Überlegungen der Vorsehungslehre zur Dominanz der Einheit der Gnadenwirklichkeit gegenüber der Zweiheit von Schöpfung und Bund vertieft werden. Das geschöpfliche Sein ist der „äußere Grund" des Gnadenbundes, es ist „Mittel" der väterlichen Herrschaft Gottes und nimmt so indirekt an Gottes eigentlichem Wirken im Gnadengeschehen teil und hat auch nur in dieser Teilnahme seine Eigenständigkeit als „Mittel" des göttlichen Wirkens. Das geschöpfliche Eigensein — und folglich die Zweiheit von Erhaltungs- und Gnadengeschehen — wird somit relativiert, in die eine Gnadenwirklichkeit mit hineingenommen. Ganz ähnlich besitzt in der Erhaltung als Gottes Bewahren des geschöpflichen Seins vor dem Nichtigen das Nichtige als Negativität wohl eine Gegenspielerrolle für das Geschöpf; vor Gott jedoch besitzt das 53 Ebd., S. 87. » Ebd,. S. 84. 55 Ebd., S. 86. 54 Ebd., S. 88. 57 Ebd., S. 87 f. " Ebd., S. 88. 5» Ebd., S. 90. 58 Ebd., S. 90. M Ebd., S. 67; IV 1, S. 95 ff., 103 ff. «» Ebd., S. 93. 03 Ebd., S. 84; IV 1, S. 99. 82 Ebd., S. 90; IV 1, S. 95. «5 KD III 3, S. 86, 91; KD IV 1. S. 600. «4 K D IV 1, S. 142. «« KD III 3, S. 93; KD IV 1, S. 157, 594 f. KD III 3, S. 91; KD IV Í, S. 604ff.

104

„Nichtige" keine „Eigenständigkeit" β8 ; es ist der „schon verjagte Schatten seines Werkes" 69 , über das das Gericht und Urteil schon in Gottes Gnadenratschluß in Jesus Christus vollzogen ist. Die Einheit der Gnade Gottes umschließt auch die Zweiheit von geschöpflicher Wirklichkeit und ihrem Gegenspieler, dem Nichtigen. 1.2.2. Der Aspekt des göttlichen Begleitens — der concursus divinus: der praecursus, concursus, succursus Im zweiten Aspekt der Vorsehungslehre, der zunächst nur im Uberblick dargestellt wird, legt K. Barth die väterliche „Herrschaft in ihrem Verhältnis zur freien Eigen Wirksamkeit des Geschöpfes" 70 dar. Es geht hier — entsprechend der „klassischen" Vorsehungslehre — nicht um das „Sein" des Geschöpfes, sondern um sein „Wirken", jedoch nun nicht als actus secundus gegenüber dem actus primus verstanden, sondern als „Aspekt"; denn das geschöpfliche „Sein ist sein Akt"71. Entscheidender als dieser formale Gesichtspunkt ist ein anderer; das göttliche Begleiten der „in der göttlichen Erhaltung begründeten Selbständigkeit des geschöpflichen Wirkens" 72 , also Gottes Mitsein mit dem in seiner Eigenständigkeit vorausgesetzten Geschöpf. K. Barth versteht den concursus im Anschluß an J. Coccejus 73 vor allem 74 als comitari, als Begleiten; er hält diesen gerade ein personales Verhältnis ausdrückenden Begriff einmal deshalb für besonders geeignet, „weil er diese von Gott dem Geschöpf gegebene und gelassene Freiheit in sich schließt" 75 , zum andern weil er die „biblische Sicht" vom geschichtlich zu verstehenden „gemeinsamen Weg" Gottes und des Geschöpfes ausdrückt 76 . Freilich meldet K. Barth auch seine Bedenken gegen diesen Begriff an; er ist „sehr allgemein und darum sehr gefährlich. Er kann die Vorstellung von Einem erwecken, der ohnmächtig oder auch gleichgültig oder doch faktisch passiv oder doch nur in teilweiser Aufmerksamkeit und Mächtigkeit neben einem Andern hergeht" 11 . Barth bleibt jedoch der Meinung, daß der Satz: „Gott begleitet" den zweiten Aspekt der Vorsehungslehre in „vorläufiger Genauigkeit" trifft, „wenn Subjekt und Prädikat gleich ernstgenommen", das Prädikat vom Subjekt her verstanden, das Subjekt aber eben im Sinn dieses Prädikats erklärt wird 78 , «8 KD III 3, S. 88. · · Ebd., S. 87 f. 70 71 Ebd., S. 102. Ebd., S. 102 f., vgl. u. a. 134. 72 73 Ebd., S. 103. Ebd., S. 103. 74 Weitere Begriffe sind etwa: Gottes Zusammenwirken S. 121, 124, 153; Gegenwartigsein S. 123 f., 150; Mitwirken S. 124; Mitsein S. 149; Vorherbestimmung S. 137ff.; Vorangehen und Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg S. 106. 75 76 Ebd., S. 105 . Ebd., S. 108. 77 78 Ebd., S. 103. Ebd., S. 103.

105

wie er es in seiner trinitarisch gestalteten Einleitung zum „göttlichen Begleiten" tut 7 9 : 1. Gott begleitet in seiner Weisheit und Allmacht das Geschöpf in seiner Tätigkeit; „es ist nicht allein unterwegs", sondern indem es geht, geht Gott mit ihm als Begleiter80. 2. Gott, der in seinem Sohn selbst Geschöpf wurde, der nicht allein bleiben wollte, will niât allein wirken, sondern mit seinem Geschöpf 81 . 3. Gott, der hl. Geist wirkt mit seinem Geschöpf zusammen, indem er, der freie Gott, dem freien Geschöpf vorangeht und das befreite Geschöpf „nachfolgt" „auf dem gemeinsamen Weg" 82 . In der Einführung 88 zur sachlichen Entfaltung des göttlichen Begleitens mit seinen verschiedenen Gesichtspunkten weist K. Barth zunächst mit Nachdruck darauf hin, daß es sich beim Zusammenwirken Gottes und des Geschöpfes audi um das Wirken des souveränen Schöpfers handelt, der in „Qualitätsunterschied" 84 , in absoluter „Unumkehrbarkeit" 85 als der präpotente Herr mit seinem Geschöpf wirkt. Jede pantheistische oder deistische, jede deterministische oder synergistische Vorstellung ist damit ausgeschlossen. Gott, der Schöpfer, wirkt mit seinem Geschöpf zusammen, indem er ihm in seinem Wirken vorangeht, es begleitet und ihm nachfolgt. K. Barth greift mit diesen differenzierenden Gesichtspunkten die alte Unterscheidung von praecursus, concursus, succursus auf 8 8 (K.Barth 8 7 verweist selbst auf J. Wolleb, Comp. ehr. Theol. (1626) I, 6, can. 5); nicht um eine sachliche Unterscheidung handelt es sich hierbei, sondern nur um eine begriffliche88. Im „concursus praeviusin dem sich K. Barth bewußt der reformierten Tradition anschließt89, geht es um das „vorangehende" 90 , das „vorherbestimmende" 91 Wirken des Gottes, der in seiner ewigen Liebe nach seinem „Gnadenratschluß in Jesus Christus schon der Schöpfung aller Dinge und also dem Sein des Geschöpfes und damit auch dessen Wirken vorangeht" 92 . Barth behandelt unter dem Gesichtspunkt des praecursus das „Daß" des determinierenden Wirkens Gottes im hiervon Zeugnis 79

80 Ebd., S. 103—107. Ebd., S. 104. M Ebd., S. 104 f. Ebd., S. 106. 83 84 Ebd., S. 120—134. Ebd., S. 121 ff. 85 88 Ebd., S. 122 ff. Ebd., S. 127, 134, 149, 171. 87 88 Ebd., S. 108. Ebd., S. 149, 171. 89 Ebd., S. 134, 148; S. 135 bezieht sich K. Barth auf H. Heidegger (vgl. auch HeppeBizer, S. 201 ff.). 90 91 KD III 3, S. 135. Ebd., S. 137. 9Î Ebd., S. 134. 81

106

ablegenden geschöpflichen „Wirkzusammenhang" 93 — „material" M gesehen die „kosmische Gesamtkraft", „formal" 9 5 betrachtet die kosmischen „Gesetze" — und im Wirken des freien Geschöpfes; Barth behandelt hier also das „Daß" des concursus generalis. Fragt Barth — wie im folgenden aufzuzeigen ist — beim Zusammenwirken Gottes mit dem freien Geschöpf unter dem „concurrierenden" Gesichtspunkt auch nach dem „Wie" des Mitwirkens — analog zum Zusammenwirken mit dem glaubenden Geschöpf verstanden —, so geht er bei den „Wirkzusammenhängen" nur auf das „Daß" ein. „Ein ernster Grund dafür, daß wir um das Wie? jener inneren Verhältnisse wissen, daß wir durchaus in sie hineinschauen müßten, läßt sich ja auch nicht anführen" 9 6 ; die Wie-Frage gehört in die Kosmologie. Demgegenüber ist beim Menschen zu sagen: „Hier, im Menschen, sehen wir also, was wir in dem ihn umgebenden Kosmos nicht sehen, sehen wir jetzt und hier schon, was wir dort in alle Ewigkeit vielleicht nie sehen werden. Wir sehen hier tatsächlich in das Innere des Verhältnisses zwischen Gott und seinem Geschöpf. Wir sehen hier tatsächlich nicht nur, daß, sondern wie Gott über sein Geschöpf herrscht und von ihm gelobt wird." 97 Der „concurrierende" Gesichtspunkt des concursus divinus behandelt das „begleitende" Wirken Gottes. Es geht um die Frage nach dem „Wie" 98 des Zusammenwirkens von Schöpfer und freiem Geschöpf, also nach der Einheit von allmächtigem Schöpfer- und eigentätigem Geschöpfwirken. K. Barth greift den Gedanken der „klassischen" Concursuslehre auf von der „una actio" 99 , die unmittelbar von der causa prima und der causa secunda gewirkt wird, wobei Gott als die causa prima „magis intime" 100 im Eigenwirken der causa secunda mitwirkt. K. Barth versteht dieses Zusammenwirken als analogia operationis, d. h. als Zusammenwirken von Schöpfer- und Geschöpfwirken aufgrund einer „gewissen Gleichheit" in der Ungleichheit 101 ; es ist das Verhältnis von Vorangehen und Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg 102 . Diese analogia operationis, die an späterer Stelle noch näher auszuführen sein wird, ist als Analogie zum Zusammenwirken von Gott, dem Erretter und Befreier, und dem erretteten und befreiten Geschöpf anzusehen, d. h. aber als Entsprechung zum „Gnadengeheimnis" der Begegnung103 von Befreier und Befreitem im Indikativ-Imperativ-Verhältnis 104 . Gott, der Schöpfer, wirkt nämlich im „göttlichen Begleiten" „noch nicht" als der in Jesus Christus selbst Fleisch gewordene zur Errettung seines Geschöpfes, aber 9S

Ebd., S. 138, 140. »s Ebd., S. 140 ff. " Ebd., S. 18. 99 Ebd., S. 150 f. 101 Ebd., S. 116. 195 Ebd., S. 153, 120.

M

Ebd., S. 138 ff. · · KD III 2, S. 18. 98 KD III 3, S. 152, 157 ff., 160, 168. 100 Ebd., S. 149, 151. 102 Ebd., S. 106. 1M Ebd., S. 134, 170; IV 2, S. 405 ff.

107

doch „schon" als derselbe, der die ewige Errettung wirken will und wirkt 105 . Das freie Geschöpf wirkt ebenfalls „noch nicht" als die neue Kreatur, die in der Nachfolge Jesu Christi schon an der Errettung Anteil hat, aber doch „schon die zum Gegenstand und Empfänger von Gottes Barmherzigkeit bestimmte Kreatur" ist106. Das Verhältnis von analogia operationis zum Verhältnis von Befreiung und Befreitsein ist das von „Noch nicht" zum „Schon". Im „succursus", dem nachfolgenden Begleiten des Schöpfers, faßt K. Barth die Wirkung des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf ins Auge, also den „unum et eadem effectum" der „klassischen" Concursuslehre. Audi die Wirkungen des geschöpflichen Wirkens stehen — von den Einflußmöglichkeiten des Geschöpfes abgetrennt — durch Gottes nachfolgendes Mitwirken unter Gottes väterlicher Herrschaft. So spiegelt der zweite Aspekt des Vorsehungsgeschehens, der sich auf den „ concurrierenden" Gesichtspunkt des concursus divinus konzentriert, den zweiten Aspekt des Versöhnungsgeschehens wider. Formal geht es in beiden Aspekten gemeinsam um das „Wirken", um das „tätige Sein" 107 : im göttlichen Begleiten um das „tätige Sein" des Geschöpfes, in der Heiligung um das tätige Sein der schon an der Heiligkeit des erhöhten Menschen Jesus Christus, des Knechts als Herrn109, Teilnehmenden loe . Inhaltlich geht es um das Zusammenwirken von Gott und Mensch einmal als Gottes Vorangehen und geschöpfliches Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg, zum andern um den antwortenden Dienst der „schon" Befreiten und an der Freiheit des erhöhten Menschen Jesus Christus teilnehmenden Geheiligten, die die Weisung Christi 110 im Imperativ aufgrund des Indikativs 111 vollstrecken. Es ist das Verhältnis von „Noch nicht" zum „Schon". In der Gemeinsamkeit und Unterschiedenheit liegt Analogie vor, erkennbar dem Glaubenden aufgrund der Anrede durch das Wort Gottes. Durch diese analogische Zuordnung fällt das Licht des Heiligungsgeschehens im Gnadenbund auch auf das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf im Vorsehungsgeschehen. Auch das geschöpfliche Wirken, sei es der Zeugendienst des geschöpflichen „Gesamtwirkens", sei es der Abbildcharakter der Heiligung im Eigenwirken der freien Geschöpfe, steht in der einen Gnadenwirklichkeit der Einheit von Vorsehung und Versöhnung. 105 107 108 109 110 111

108

100 Ebd., S. 118. Ebd., S. 119. Ebd., S. 102f.; IV 1, S. 109f., 113; IV 2, S.600f. KD III 3, S. 154; IV 1, S. 143 f., 160; IV 2, S. 388 ff. KD IV 1, S. 160; IV 2, S. 586ff. K D IV 1, S. 107 f.; IV 2, S. 598 f. KD III 3, S. 107, 161; IV 2, S. 405 ff., 340 f.

1.2.3. Der Aspekt des göttlichen Regierens Im dritten entscheidenden Aspekt der väterlichen Herrschaft Gottes über sein Geschöpf behandelt K. Barth die Zielgerichtetheit der göttlichen Vorsehung. Geht es unter dem Aspekt der Erhaltung und des Begleitens allein um „die Tatsache des Herrschens" Gottes, so unter dem Aspekt des Regierens um das Herrschen eines „bewußten und bestimmten "Willens" „mit einem Sinn und Zweck, Absicht und Plan", auf ein „Telos" hin 112 . Formal betrachtet ist dabei der Grund und das Ziel, das Wirksubjekt und das Telos, Gott allein und Gott selbst, der in seiner Hoheit in, durch und über Freiheit und Notwendigkeit, Kontingenz und Kontinuität regierend wirkt 113 . Regieren ist hier als „Ordnen" 114 zu verstehen, ein Ordnen, in dem Gott das kreatürliche Wirken „beherrscht" 115 , d. h. in dem Gott durch die Geschöpfe als seine „Mittel" lenkend wirkt und das geschöpfliche Wirken Gottes gubernatio mit einschließt. Ordnen bedeutet ferner ein Ausrichten auf das „gemeinsame Ziel" 116 des göttlichen Regierens, nämlich auf Gott selbst hin. „Gott herrscht dazu in allem, weil er in Allem, mit Allem, durch Alles und auch für Alles Eines will und Eines faktisch vollbringt: seine Herrlichkeit als Schöpfer und eben in ihr die Rechtfertigung, die Errettung, das Heil 117 . Ordnen bedeutet endlich Gottes „unmittelbares" 118 Regieren der Zusammenhänge und der einzelnen Geschöpfe. Dieser „formalen" Betrachtungsweise des göttlichen Regierens schließt K. Barth — und hierum geht es ihm — die „materiale", die von einem bestimmten christlichen Grund ausgehende, an: Gott, das regierende Subjekt, ist „der König Israels und der König der Welt" 119 , der seine Königsherrschaft über alles Geschehen ausübt. Das „allgemeine Weltgeschehen" bildet den äußeren Grund des Gnadenbundes, zu dem audi das Kreaturgeschehen „berufen" 120 ist. In diesem besonderen Geschehen, dessen Mitte Jesus Christus ist121, hat die göttliche Weltregierung ihren „Zusammenhang" 122 , ihre Ganzheit 128 , ihre „Disposition und Ökonomie" 124. Das besondere Geschehen, die Gemeinde der zum Zeugendienst Berufenen, ist das „Licht der Welt" 125 , die Vorwegnahme 126 der letzten Erfüllung und Vollendung und zugleich das „Ziel" der allgemeinen 112

118

114

115

KD III 3, S. 175. Ebd., S. 186. "« Ebd., S. 190. 118 Ebd., S. 191. 120 Ebd., S. 204, 215. 122 Ebd., S. 223. 124 Ebd., S. 218. 126 Ebd., S. 207.

117 119 121 123 125

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S. S. S.

177 ff. 187. 191. 200. 222. 215. 208.

109

Weltgeschichte, wie der im Glauben Gewisse erkennt 127 und in der „praktischen Bedeutung" 128 existentiell erfährt. So spiegelt auch der dritte Aspekt der göttlichen Vorsehung, das göttliche Regieren, den dritten Aspekt der Versöhnung, die Berufung, wider. In beiden geht es um die „teleologische"129 Ausrichtung des göttlichen Wirkens: im „besonderen Geschehen" der in Christus, dem wahrhaften Zeugen1S0, geeinten Gemeinde, „den Söhnen Gottes" 181 , dem „Licht der Welt" 182 , um die Berufung 183 zum prophetischen Zeugendienst 184 in der Ausrichtung auf die endgültige „Erfüllung" und „Vollendung" 185 ; im „allgemeinen Weltgeschehen" geht es um die Sinn und Ziel gebende Hinordnung auf das „besondere Geschehen", die christliche Gemeinde. In der Gleichheit und der Verschiedenheit besteht eine Ähnlichkeit der „Aspekte" im Verhältnis von Ziel und Bestimmtsein, von „Schon" und „Noch nicht". Analogia revelationis liegt vor, erkennbar allein von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus im Bundesgeschehen her. Damit verbunden ist wieder die Betonung der einen Gnadenwirklichkeit gegenüber der Zweiheit von Vorsehungs- und Versöhnungsgeschehen bestätigt; das „allgemeine Weltgeschehen" wird von der „besonderen heiligen Geschichte" überstrahlt. Als „innerer Grund" und als „Ziel" der „allgemeinen Weltgeschichte" stellt die „besondere Geschichte" die „Ökonomie und Disposition" 188 , die „Einheit und Ordnung 187 des Weltgeschehens dar, so daß es „keine im Ernst so zu nennende ,Profangeschichte' gibt" 188 . Von dem „besonderen Geschehen" her, dessen Mitte Jesus Christus ist, kann nur die Einheit der Gnadenwirklichkeit, die noetisch und ontisdi in Gottes ewiger Gnadenwahl in Jesus Christus begründet ist, festgestellt werden. 128 »" Ebd. S. 222 f. Ebd., S. 216 f. m KD III 3, S. 179f., 190; IV 1, S. 117, 119; IV 3, S. 564. 1M 131 KD IV 1, S. 148 ff. KD III 3, S. 209; IV 3. S. 610ff. 132 KD III 3, S. 208. 139 Ebd., S. 206; IV 1. S. 123; IV 3, S. 699, 687. 134 KD III 3, S. 204, 215; IV 1, S. 123; IV 3, S. 695. 134 KD III 3, S. 207f.; IV 1, 123 f., 128 f. >3· K D III 3, S. 219 ff.; IV 3, S. 564. 137 138 KD III 3, S. 217. Ebd., S. 208, 224.

2. Die Voraussetzungen

für den concursus divinus

2.1. Die „ontische" Verankerung des concursus divinus in der göttlichen Gnadenwahl „Die Prädestination i s t . . . die Voraussetzung und ihre Vollstreckung in der Geschichte das konstituierende Zentrum der göttlichen Weltherr110

Schaft, der Grund und das Ziel ihres Vollzuges" 1 ; sie ist der „Fundamentalsatz" und der „Ausgangspunkt" der Vorsehungslehre, denn in der göttlichen Gnadenwahl, der „Summe des Evangeliums" 2 , ist die Begegnung und die Geschichte des Schöpfers mit seinem Geschöpf schon beschlossen. Gott hat entsprechend seiner innertrinitarischen Partnerschaft in Jesus Christus die partnerschaftliche Koexistenz mit dem Geschöpf beschlossen und gesucht3, „nicht als ob der Gegenstand dieser Beziehung, dieses Andere außer Gott einen Teil seiner Wirklichkeit bildete oder sonstwie seinesgleichen wäre. Nicht als ob Gott also zu dieser Beziehung genötigt, durch dieses Andere gebunden, gezwungen und gedrungen wäre" 4 . In seiner barmherzigen und geduldigen Liebe, die unter Herablassung die besondere Existenz des Partners anerkennt, hat der gnädige Gott in Jesus Christus das Geschöpf frei erwählt 5 , in ihm koexistiert® Gott seinem Geschöpf, und so existiert sein Geschöpf: in Jesus Christus, dem „erwählenden Gott" und dem „erwählten Menschen" 7 , in dem Gott den Menschen die Erwählung, sich selbst die Verwerfung zugedacht hat 8 . In ihm ist das Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl offenbar und in demütiger Anbetung erkennbar 9 . In Jesus Christus ist Gott das Partnerschaftsverhältnis mit dem Menschen eingegangen in seinem Bund. „Es schafft sich der erwählende Gott als solcher den Menschen zu einem Gegenüber, das seinerseits ihn erwählen und damit als der erwählte Mensch sich bewähren und betätigen darf und wird . . . Es ist also ganz schlicht, aber audi ganz umfassend die Autonomie des Geschöpfs, die im Akte der ewigen göttlichen Erwählung ursprüngliches Ereignis ist und legitime Wirklichkeit wird." 10 Gott behält freilich den „unbedingten Vorrang". Gott begründet, begleitet und regiert die Eigenheit und Selbständigkeit des Geschöpfes. „Der Mensch aber kann und will hier nur beten, folgen und gehorchen." 11 So hat das göttliche Begleiten seinen Realgrund, seine „ontische" Voraussetzung, im Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl in Jesus Christus, in dem das Zusammensein Gottes mit dem Geschöpf ursprunghaft offenbar ist. Unter stärkerer Herausarbeitung des christologischen Gedankens mag dies noch einmal verdeutlicht werden: Das Vorsehungsgesdiehen und das göttliche Begleiten hat seinen Realgrund in Jesus Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen, wie 1

» 4

« 7

• »

2 KD III 3. S. 2. 41 usw. K D II 2, S. 9, 13, 98 usw. KD III 3, S. 5; II 2, S. 4, 194ÍÍ.; IV 1, S. 122f.; IV 2, S. 38ff. 5 K D II 2, S. 4. KD III 3, S. 9. KD III 3. S. 5, 80; III 1, S. 204ff.; II 2, S. 194ff. 8 KD II 2, S. 157. Ebd., S. 177, 182. 10 Ebd., S. 159, 173; III 3, S. 153. KD II 2, S. 194. Ebd., S. 194.

111

die in Seinsstrukturen denkende Zwei-Naturen-Lehre aussagt, dem Erniedrigten und Erhöhten, wie die akthaft denkende Ständelehre bekennt. K. Barth versteht die Einheit der zwei Naturen in Jesus Christus entsprechend der Anhypostasie-Enhypostasie-Lehre als Aufnahme des Seins als Mensch in das Sein als Gott. Nach der Anhypostasielehre hat das in das göttliche Sein aufgenommene menschliche Sein „keine solche selbständige Existenz" 12 , die menschliche Enhypostase hat eine relativ eigene Existenz nur vom göttlichen Sein her; „nur als Gottes Sohn" ist Jesus Christus auch wirklicher Mensch"1S. In diesem Jesus Christus hat die Schöpfung ihren „ontischen Grund" 1 4 , denn Jesus Christus ist seiner menschlichen Natur nach gerade Geschöpf, das für seinen Lebensbereidi die Schöpfung benötigt. Die Schöpfung am Anfang zielt 15 nun auf Geschichte, sie ist damit „ Schöpfungsgesdbichte"16 entsprechend der auf die Geschichte Jesu Christi hinführenden und von ihr als Geschichte der christlichen Gemeinde herkommenden Geschichte des Bundes. Die Schöpfung geschah in der Zeit 1T , d. h. in der Zeit Gottes, der Ewigkeit, die die eigentliche Zeit ist; zugleich ist die Schöpfung „Grund der Zeit" 18 , d . h . der „relativen Zeit" 19 des Geschöpfes, das auf dem „Weg" ist 20 . Diese Zeit des Geschöpfes spiegelt das „eigentliche Gegenbild" 21 der Zeit Gottes wider, die „wirkliche Zeit", die Zeit Jesu Christi, die „erfüllte Zeit" 22 , „Gottes in Jesus Christus vollzogene eigene Gegenwart in der von ihm geschaffenen Welt" 2S , an der der Glaubende im „Ubergang" des simul peccator et iustus teil hat 24 . So spiegelt die Schöpfungsgeschichte, d. h. das Vorsehungsgeschehen, die Bundesgeschichte, d. h. das Gnadengeschehen, als „Noch nicht" des „Schon" wieder und hat damit ihren „ontischen Grund" in Jesus Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen. Desgleichen spiegelt das Zusammenwirken von Schöpfer und freiem Geschöpf das Indikativ-Imperativ-Geschehen im Gnadenbereich wider 25 ; es hat sein „Urbild" wiederum in Jesus Christus, in dem der Erniedrigte und Erhöhte, der wahre Mensch und wahre Gott, in der Verschiedenheit eins sind 26 . 12

KD IV 2, S. 52. KD III 1, S. 29. " Ebd., S. 67. 18 Ebd., S. 72 f. 20 Ebd., S. 74. 22 Ebd., S. 81. 24 Ebd., S. 80. 26 KD IV 2, S. 56; III 3, S. 120. 14

112

13

Ebd., S. 53. Ebd., S. 63 f. " Ebd., S. 72 f. 19 Ebd., S. 72. 21 Ebd., S. 80. 23 Ebd., S. 79. 25 Vgl. besonders KD III 3, S. 118. 15

2.2. Der „noetische Grund" des concursus divinus in Jesus Christus Die Voraussetzung für die Erkenntnis, der „noetische Grund" des göttlichen Begleitens, ist die Offenbarung des Gnadengeheimnisses27 des dreieinigen Gottes in Jesus Christus. In ihm, in dem der erwählende Gott und der erwählte Mensch eins ist, der als wahrhafter Zeuge der Herr als Knecht und der Knecht als Herr ist, offenbart sich Gottes barmherzige, das Geschöpf in seiner Andersheit durch seine Zuwendung ganz anerkennende und nicht verlassende Liebe und Gottes sich in der Wahl des Geschöpfes zum Partner erweisende Freiheit. Jesus Christus ist der „Erkenntnisgrund" des Zusammenwirkens des Schöpfers mit dem Geschöpf im „göttlichen Begleiten" 28 , denn in Jesus Christus ist das Gnadengeheimnis des Gegenübers und der Begegnung zweier unvergleichbarer Subjekte, des Schöpfers und des Geschöpfes, offenbar geworden 29 . In Jesus Christus, dem Herrn als Knecht, dem Knecht als Herrn, dem wahrhaften Zeugen, ist das „Rätsel" 30 der Erniedrigung und der Erhöhung als aspekthafte 31 Zweiheit des Sohnes Gottes, der zweiten trinitarischen Person und Seinsweise, offenkundig. Erniedrigung und Erhöhung bilden zwei „Seiten" 32 der einen Person, deren Einheit in der Zweiheit nicht als ein in verstandesmäßiger Betrachtung lösbares Rätsel 33 anzusehen ist, auch nicht als „Paradox" 34 einer Gegensatzeinheit 35 . Das Geheimnis der Einheit der Zweiheit in der Existenz Jesu Christi ist begründet in der Majestät des Sohnes Gottes, in der Doxa des dreieinigen Gottes. So liegt das Gnadengeheimnis darin, „daß das Rätsel der Existenz Jesu C h r i s t i . . . überstrahlt ist von der Herrlichkeit Gottes, weil im Grunde, im Geheimnis seiner Existenz Beides — nicht einfach Eines, vielmehr Beides in seiner Verschiedenheit wirklich und wahr ist, aber auch Beides vereinigt ist in der freien Liebe, die Gott selbst ist" 30 . Die Einheit des ewigen Gnadengeheimnisses der Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi ist der „Erkenntnisgrund" des Gnadengeheimnisses des Zusammenwirkens von Schöpfer und freiem Geschöpf: der Glaube erkennt in der Begegnung mit dem Wort Gottes durch den heiligen Geist dieses Geheimnis der Einheit in der Verschiedenheit „urbildhafl"37 in Jesus Christus. In der „praktischen Erkenntnis" 38 — nicht als 27

KD III 3, S. 153. Ebd., S. 120, 126, 38 f., 42, 83, 207 f. 30 » Ebd., S. 153, 120, 152. KD IV 2, S. 388 ff., bes. S. 400 f. 31 32 KD IV 1, S. 145, 148; IV 2, S. 394 f. KD IV 1, S. 145. 33 34 KD IV 2, S. 400 f. Ebd., S. 401. 35 Im Gegensatz zu KD III 3, S. 114 gebraucht Barth KD III 3, S. 120 den Begriff „Gegensatzeinheit" im positiven Sinn. 36 KD IV 2, S. 400; IV 3, S. 815; IV 1, S. 148. 37 38 KD III 3, S. 120, 154. Ebd., S. 14, 27, 277. 2

113 8

Plathow, Problem

„Spekulation" 39 — d. h. im Akt der Anbetung und Dankbarkeit, im Akt des Gehorsams und aktiven Tuns, erkennt der Glaubende die Einheit des Zusammenwirkens und bekennt sie. „Man w i r d . . die Einheit dieser Aktion genau genommen (gerade so wie die Einheit der zwei Naturen in Jesus Christus) immer nur im Blick auf das Handeln des göttlichen Subjektes behaupten, nur von ihm her sehen und verstehen, man wird darum aus ihr keine abstrakten Sätze über ein in der Einheit mit dem Wirken Gottes sich ereignendes, das Wirken Gottes in sich schließendes Geschöpfwirken ableiten dürfen." 4 0 2.3. Folgerungen für das

Concursusverständnis

2.3.1. Die Ablehnung des formalen Concursusverständnisses Direkt oder meist indirekt, explizit oder oft nur als Abgrenzung in die eigene Darstellung eingeflochten, wendet sich K. Barth gegen die verschiedensten Concursus Verständnisse: seien sie monistischer, deistischer, synergistischer Art, vor allem aber gegen eine rein formale Betrachtungsweise, unter die K. Barth auch die ersten drei Typisierungen subsummiert. Durch K. Barths Concursuslehre 41 , aber auch durch seine ganze Vorsehungslehre42, zieht sich die Unterscheidung von „formaler" und „materialer" Sicht43. Mit Schärfe wendet sich Barth fast schon stereotyp gegen die „formale Betrachtungsweise", die an dem christlichen „Gehalt" des Vorsehungsglaubens vorbeidenkt, die nicht nach der „christlichen Begründung", der „biblischen Mitte", dem „wirklichen Gott" fragt. Nur von dem christlichen „Inhalt" her kann nach Barths Meinung die Vorsehungs- und damit die Concursuslehre entworfen werden. Dieser christliche „Inhalt", dieser „wirkliche Gott", ist der dreieinige Gott, der sich nach seiner Gnadenwahl in Jesus Christus offenbart und in Jesus Christus nach seiner freien Liebe das Geschöpf zur Partnerschaft erwählt hat 44 . Allein dieser Gott ist der Erretter, der Schöpfer, Erhalter, Begleiter und Regierer. 3

40 » Ebd., S. 14, 277. Ebd., S. 152. K D III 3, S. 104ff., 113ff., 127, 131ff., 158ff. 42 Ebd., S. 30 ff., 34 f., 86, 179, 216 f. 43 Mit folgenden begrifflichen Gegenüberstellungen zeigt K. Barth den Gegensatz auf: allgemeine Form — Inhalt S. 30; Prinzipien — diristlidie Voraussetzungen S. 38; formaler Sinn S. 86; formale Betrachtung — materiale Betrachtung S. 104 f.; formal — inhaltlich S. 113; Gestalt — Gehalt S. 113; Form — besonderer Grund S. 114ff.; leere Begriffe — Begründung S. 131 f.; Philosophumenon — biblische Mitte S. 131 f.; allgemeine Gottes- und Weltanschauung — wirklicher Gott S. 158 f.; hohler Rahmen eines Gottesbegriffes S. 216 f. 44 Ebd., S. 132 f. 41

114

Diese grundsätzliche Ablehnung des „formalen" Concursusverständnisses konkretisiert K . Barth in den kritischen Erwägungen zum monistischen, deterministischen, synergistischen und deistischen 45 Concursusverständnis, zur scholastischen Akt-Potenz-Lehre 4 6 und zu Thomas v. Aquins Concursusdenken 4 7 ; das letztere unterzieht er keiner besonderen Einordnung. Die beiden verneinten Gegenpositionen bilden f ü r Barth der Determinismus und der Synergismus: sei es der Determinismus des Islams, für den Barth eine gewisse Affinität in dem sich mit einem formalen Denken begnügenden Thomismus 4 8 und in der reformierten Orthodoxie bescheinigt 4 9 ; sei es der Synergismus in seinen verschiedenen Abstufungen, für den eine Annäherung bei der lutherischen Orthodoxie 5 0 festgestellt wird. Unter den synergistischen Positionen erwähnt Barth — ohne explizit die N a m e n zu nennen — die konkurrierende, ein Abgrenzungsverhältnis aufzeichnende des Molina 5 1 , die Gottes Wollen und Wirken aufspaltende des Molinismus 5 2 , die Gottes Freiheit durch seine Anpassung an die geschöpfliche Eigenart eingrenzende des Kongruismus 5 3 . Das deterministische und synergistische Concursusverständnis hebt nach Barth die Freiheit des liebenden Gottes auf, indem sie Gott unter die immanenten Kausalursachen einreiht oder an die kategorialen Phänomene bindet. Daneben wendet K . Barth sich gegen das monistische Concursusdenken — sei es pantheistischer 54 , emanatistischer oder okkasionalistischer 5 5 Art, sei es in ein Akt-Potenz-Schema eingebaut —, das abgesehen von dem anonymen Denken über Gott die Freiheit des begleitenden Schöpfers nicht sieht. Schließlich kennen die theistischen Vorstellungen einer dämonischen Willkürherrschaft Gottes, vor der das Geschöpf sich entweder nur in Resignation dreingeben oder gegen die es sich in prometheischem Protest auflehnen kann 5 6 , nicht den Gott des Alten und Neuen Testaments, der in Jesus Christus seine Liebe offenbart hat. U n d endlich lehnt K . Barth die deistischen Positionen ab, tendieren sie nun mehr zu mechanistischen, das göttliche Wirken an die innerweltlichen Kausalitäten bindenden Vorstellungen 5 7 oder zu einem mediaten Concursusdenken 5 8 , 40 Ebd., S. 153. Ebd., S. 110, 10 f. Ebd., S. 117, 150 f., 164. 4 8 Ebd., S. 110; vgl. audi die breite Auseinandersetzung mit dem Thomismus und Molinismus in K D II 1, S. 640 ff. 4 8 K D III 3, S. 110. 50 Ebd., S. 110 f. D a ß K . B a r t h s Analyse von J . A. Quenstedts Concursusverständnis nicht „sine ira et studio" vorgenommen wurde ( K D I I I 3, S. 151 f., 164 f.), ist S. 66 gezeigt worden. 5 2 Ebd., S. 136. " K D III 3, S. 129. 5 3 Ebd., S. 129, 155 ff. 5 4 Ebd., S. 124; I V 2, S. 56. 5 5 Ebd., S. 154 56 Ebd., S. 128. ff. 5 7 Ebd., S. 153 f. 58 Ebd., S. 139. 45

47

115 8:

nach dem Gott nur über vermittelnde Subjekte Begleiter seiner Geschöpfe ist; um das „mediatione suppositi" der „klassischen" Concursuslehre handelt es sich also vor allem bei der zuletzt genannten Position. Alle diese Concursusverständnisse negiert K . Barth als allgemeine, gerade nicht christlich-theologisch bestimmte Gottes- und Weltanschauungen. 2.3.2. Die Einschränkung des causa-Begrifis Eng mit dieser Ablehnung der „formalen" Überlegungen und Darstellungsweisen des concursus divinus hängt die Einschränkung des causa-Begriffs zusammen. Im Gegensatz zu seinen Überlegungen in der Gotteslehre 59 erkennt K . Barth den Gebrauch des causa-Begriffs bis zu einem gewissen Grad an 6 0 und gebraucht ihn audi laufend im positiven Sinn in der Concursuslehre. Es sollen im folgenden K . Barths einschränkende und ablehnende Gründe gegen den Gebrauch des causa-Begriffs und ferner die Voraussetzungen für einen möglichen Gebrauch dieses Begriffs, wie K . Barth sie versteht, betrachtet werden. Folgende Bedingungen stellt K . Barth an eine positive Verwendung des causa-Begriffs: 1. „Der Begriff causa darf, wenn er hier legitim verwendet werden soll, nicht mit dem Begriff ,mechanisch-wirksame' Ursache gleichgesetzt werden", wie das bei A. Ritsehl der Fall ist 61 . 2. „Man hat, wenn der Begriff causa hier legitim verwendet werden soll, Sorge zu tragen, daß nicht etwa von der deutschen Übersetzung ,Ur-Sache' her die Vorstellung sich einschleiche, als ob es sich bei Gott und seinem Geschöpf um zwei ,Sachen' handle." 6 2 3. „Soll der Begriff causa hier legitim verwendet werden, dann muß Einverständnis darüber bestehen: er ist kein Oberbegriff, unter den, und kein Generalnenner, auf den nebeneinander, hier Gott, dort das Geschöpf, zu stehen kämen. Causa ist kein genus, als dessen Arten dann die göttliche und die geschöpfliche causa zu nennen wären." 6 3 Es handelt sich hier um die wichtigste der bezeichneten Bedingungen. Es liegt reine Ungleichheit der beiden Subjekte vor, keine analogia causae als analogia entis. Diese völlige Ungleichheit kommt nach Barth in der Bestimmung des Schöpfers als „causa sui" β 4 , als „causa divina oder creatrix" und des K D II 1, S. 83. So schreibt K.Barth K D III 3, S. 112: „Der Kausalbegriff stammt nicht aus der Bibel" und ferner: „Daß es dabei zu Irrtümern kommen muß, darüber ist also damit noch nicht entschieden, daß diese Terminologie in Gebrauch genommen wird." 62 Ebd., S. 114. « Ebd., S. 114. « Ebd., S. 115. «4 Ebd., S. 111. 59

60

116

Geschöpfes als „causa non divina oder creata" 65 besser heraus als in der traditionellen Unterscheidung von causa prima und causa secunda. Im Wirken der beiden unvergleichbaren Subjekte liegt demgegenüber in der Ungleichheit, daß das Wirken Gottes, des Schöpfers, „reines absolutes Setzen" ist, was vom geschöpflichen Wirken nicht gilt, und in der gewissen Gleichheit, daß das Wirken des Schöpfers und des Geschöpfes den Charakter des Bedingens eines anderen besitzt, Analogie, analogia operationis, vor ee . 4. „Die Einführung des Kausalbegriffs an dieser Stelle darf nicht in der Absicht geschehen, sie darf aber auch nicht die Folge nach sich ziehen, daß die Theologie hier philosophisch werden, ein Stück Weltbild entwerfen will." 87 Die Voraussetzung für einen positiven Gebrauch des causa-Begriffs liegen nach K. Barth darin, daß von dem „besonderen Grund" 6 8 des christlichen Concursusverständnisses in der Offenbarung des dreieinigen Gottes in Jesus Christus ausgegangen wird. Die causa prima, der begleitende Schöpfer, ist dann zwar „noch nicht der in Jesus Christus selbst Fleisch und also mit einer causa secunda identisch gewordene und ihre ewige Errettung wirkende Gott" 89 , aber doch schon der dies wollende und wirkende Gott, der sein Geschöpf hierfür bestimmt hat. Die causa secunda ist „noch nicht die in Jesus Christus zur Einheit mit dem Schöpfer aufgenommene neue Kreatur, gewiß noch nicht die Kreatur, die als das Volk und die Gemeinde Jesu Christi in der Erkenntnis dieses Einen, im Glauben an ihn, in seiner Nachfolge, an der durch ihn geschehenen ewigen Errettung jetzt schon Anteil hat"; die causa secunda ist aber doch schon die hierfür bestimmte, die „indirekt" hieran teilhabende 70 . Mit dieser „inhaltlichen" Bestimmung ist allein ein positiver Gebrauch des causa-Begriffs in der Concursuslehre für K. Barth möglich. 3. Die Glaubenserkenntnis

und das Bekenntnis des göttlichen Begleitern

Nach den einordnenden Überlegungen zum „göttlichen Begleiten" soll nun die Barthsche Concursuslehre dargestellt werden unter dem Gesichtspunkt des Subjekts des Begleitens, des „Daß" des concursus divinus in seinen verschiedenen Ausformungen und des „Wie" des Zusammenwirkens von göttlichem Mitwirken und gesdiöpflichem Eigenwirken. M

Ebd., S. 117. " Ebd., S. 117. ·» Ebd.,S. 118

«· Ebd., S. 116, 111. Ebd., S. 114ff. 70 Ebd., S. 119. 88

ff.

117

3.1. Das „Wer" des göttlichen Begleitens Nach den Darlegungen der Voraussetzungen des concursus divinus in der göttlichen Gnadenwahl des dreieinigen Gottes in Jesus Christus, dem „Real- und Erkenntnisgrund" des göttlichen Begleitens, und der scharfen Absage K. Barths an eine „formale" Betrachtung ist es nur zu selbstverständlich, daß eine Darstellung der Concursuslehre K. Barths von dem im christlichen Glauben eindeutig bestimmten Subjekt des göttlichen Begleitens ausgehen muß: Gott, der Begleiter des in „relativer" Selbständigkeit wirkenden Geschöpfes, wird von der glaubenden Gemeinde als der dreieinige Gott bekannt, der sich in Jesus Christus selbst offenbart hat 1 . Der dreieinige Gott hat entsprechend seiner innertrinitarischen Partnerschaft in seiner barmherzigen Liebe und in seiner freien Wahl die Partnerschaft mit dem Menschen in Jesus Christus, seinem Sohn, beschlossen; in der Bundesgeschichte, der das Yorsehungs- und Concursusgeschehen zugeordnet ist, erfüllt er dieses partnerschaftliche Verhältnis. Und so ist es der dreieinige Gott, „der sich dem Abraham und dem Mose offenbart, der zu seinen Propheten und durch sie gesprochen, der sich zum Gott des Volkes Israel und zum Herrn seiner Geschichte gemacht hat, der in Jesus Christus selbst Mensch und das Haupt der Gemeinde von Menschen geworden ist" 2 , der das Geschöpf Gegenstand, aber auch Mittel, Werkzeug und Organ seines Wirkens im Bundesgeschehen sein läßt und der das Geschöpf zugleich in dessen relativer Eigenwirksamkeit im Vorsehungsgeschehen begleitet. 3.2. Das „Daß" des göttlichen Begleitens Das „Daß" des göttlichen Begleitens versucht die verschiedenen Formen und Weisen des concursus divinus aufzuzeigen, wie sie sich aus der Beteiligung des Geschöpfes an Gottes väterlichem Herrschaftswirken ergeben. Es soll dabei zunächst auf den concursus divinus eingegangen werden, wie er sich bei der Beteiligung des Geschöpfes „von außen"3 an Gottes Herrschaftswirken darstellt, dann wie er beim Mitwirken des glaubenden Geschöpfes „von innen"4 an Gottes Erhalten und Regieren zu verstehen ist. 3.2.1. Die äußere Teilnahme des Geschöpfes an Gottes Allmachtswirken Bei der göttlichen Begleitung des „von außen" an Gottes vorangehendem Herrschaftswirken beteiligten Geschöpfes geht K. Barth einmal auf die Wirkzusammenhänge, zum andern auf das Wirken der freien Ge1 3

118

KD III 3, S. 159. Ebd., S. 53.

2 4

Ebd., S. 167. Ebd., S. 271, 275, 280, 322.

schöpfe ein, womit er sich im Einklang befindet mit der „klassischen" Concursuslehre 5 . 3.2.1.1. Die Teilnahme des geschöpflichen Gesamtwirkens Die Wirkzusammenhänge, das Gesamtwirken, das in einem Wechselverhältnis mit der einzelnen Kreatur steht, weil es einmal kausierend und vorherbestimmend auf es einwirkt, zum andern als mitbedingt durch das Einzelne anzusehen ist, liegt in keiner Konkurrenz mit dem vorangehenden Begleiten des Schöpfers; um kein autonomes, eigengesetzliches Gesamtwirken handelt es sich; es ist ein „seinerseits vom Wirken Gottes begleiteter, überhöhter und beherrschter und also kein absoluter, sondern nur ein relativer Wirkzusammenhang" e . K. Barth unterscheidet nun zwischen dem „materialen" und dem „formalen" Wirkzusammenhang. Der „materiale" Wirkzusammenhang ist die „Summe aller bewegenden Kraft im Kosmos" 7 , vorherbestimmend wirkt sie auf die einzelne Kreatur. Gleichwohl ist diese Gesamtkraft „Gabe" und „Mittel" 8 des Schöpfers, an dessen Schöpferkraft auch sie teilnimmt; Gottes Schöpferkraft ist und bleibt die eigentliche Gesamtkraft. „Mittelbar" durch die geschöpfliche Gesamtkraft, aber gerade auch „unmittelbar" herrschend geht Gott dem einzelnen Geschöpf voran. „Indem ein einzelnes geschöpfliches Wirken an der Kraft Gottes teilnimmt, indem Gottes Wirken dem seinigen beherrschend vorangeht und also mit diesem Geschöpf zusammenwirkt, gibt er ihm auch je seinen Anteil an der Gesamtkraft der Geschöpfwelt." 9 „Formal" gesehen handelt es sich bei dem geschöpflichen Wirkzusammenhang um die „Normen" im weitesten Sinn: die physikalischen Gesetze, die Denkgesetze, das „System objektiver Seins- und Bewegungsgesetze, in welchem dann vielleicht auch so etwas wie ein moralisches Naturgesetz als Norm des geschichtlichen Geschehens seinen Ort haben könnte" 10 . Vorherbestimmend wirken diese Gesetze auf das Einzelne, die einzelnen Vorgänge, indem sie ihnen „Form und Ordnung" verleihen. Diese „Form und Ordnung" verleihenden und setzenden Gesetze sind nun aber nicht mit dem göttlichen Wirken gleichzusetzen; Gott wirkt nicht nur „Form und Ordnung" des geschöpfliehen Wirkens, sondern das geschöpfliche Wirken „selbst und als solches" u . Beziehen sich die kreatürlichen Gesetze auf eingeschränkte, bestimmte Bereiche, so das göttliche Wirken uneingeschränkt auf alle Wirkzusammenhänge; tragen 5

Vgl. S. 73 ff. Ebd., S. 138. » Ebd., S. 139. 11 Ebd., S. 142. 7

• KD III 3, S. 138. 8 Ebd., S. 139. 10 Ebd., S. 141.

119

schließlich die „Form und Ordnung" bestimmenden Gesetze nur noetischen Charakter, so sind demgegenüber die Gesetze Gottes die eigentlich „ on tischen Gesetze" 12 . N u r „Versuche", die Erfahrung des geschöpflichen Geschehens zu ordnen, nur „Hypothesen" 1 3 f ü r weitere Erfahrungen stellen die kreatürlidien Gesetze dar gegenüber den in „Konstanz und Treue" 1 4 herrschenden Gesetzen der göttlichen Vorherbestimmung, dem „wirklichen Gesetz", dem „eigentlichen Geschehen" 15 . Die „Form und Ordnung bestimmenden Gesetze" haben somit keine absolute Selbständigkeit, sie sind „Mittel" des „unmittelbar" durch sie wirkenden Schöpfergottes 16 ; als Abbild der göttlichen Vorherbestimmung sind sie ganz in die Einheit des göttlichen Wirkens miteinbezogen. Auch hier gilt, „daß wir es unmittelbar mit Gott und nur mittelbar mit diesen Gesetzen, soweit sie uns bekannt sind, zu tun haben" 1 7 . Als „Mittel" sind die „Form und Ordnung" gebenden Gesetze auch „Zeugen" von Gottes ewigen Gesetzen, von Gottes Vorherbestimmung; sie erinnern an, verweisen auf und bezeugen Gottes Wirken und entsprechen damit „bestimmten konstanten Elementen" in der Weltgeschichte, die „Zeichen und Zeugen" 1 8 von Gottes Gnadenwirken in der Bundesgeschichte darstellen: die Geschichte der heiligen Schrift, die Geschichte der Kirche, die Geschichte der Juden, die Begrenzung des menschlichen Lebens. 3.2.1.2. Das Mitwirken des freien Geschöpfes K. Barth geht ferner auf das göttliche Begleiten der an Gottes väterlicher Herrschaft beteiligten freien Geschöpfe ein. Barth erkennt einerseits das Eigenwirken des Geschöpfes an; es ist kein „Stein und Klotz" 1 8 , keine „Marionette" 2 0 , kein „totes Material" 2 1 ; Gott übt keinen Zwang, keine Notwendigkeit 2 2 auf sein Geschöpf aus. Eigenständig wirkt das freie Geschöpf2*. Andererseits wird aus der Sicht des Wirkens Gottes in der Bundesgeschichte auch das geschöpfliche Wirken ganz von Gottes väterlicher Herrschaft umfaßt und umgriffen. Gott nimmt in seiner absoluten Präpotenz das geschöpfliche Wirken ganz in sein souveränes, allmächtiges Wirken als „Mittel" hinein, so daß nur „eine einzige Aktion" 2 4 bekannt werden kann: Gott geht voran, das Geschöpf folgt 12

1S Ebd., S. 144. Ebd., S. 144. 15 Ebd., S. 144. Ebd., S. 145. 16 Ebd., S. 146: An dieser Stelle geht K.Barth auch auf die Überlegungen zum Wunderbegriff ein: nicht um eine Durchbrechung des „wirklichen ontischen Gesetzes" handelt es sidi, sondern um ein „göttliches Formen und Ordnen, dem unsere Ordnungsbegriffe nun eben nicht gewachsen" sind (146). Diese Möglidikeit eines göttlichen Wirkens „supra et contra naturam" wird von K. Barth anerkannt. 17 18 Ebd., S. 146. Ebd., S. 225 ff. 18 20 Ebd., S. 168. Ebd., S. 105. 22 " Ebd., S. 105. Ebd., S. 168 f. 24 » Ebd., S. 147, 163 ff. Ebd., S. 150. 14

120

nach auf dem gemeinsamen Weg 25 ; Gott ermöglicht und begründet die geschöpfliehe Freiheit 26 und wirkt unmittelbar in, mit und über seinem Geschöpf. Dieses geschöpfliche Eigenwirken im Vorsehungsgeschehen als dem „äußeren Grund" des Versöhnungsgeschehens ist insofern auch „Mittel" dieses Gnadengeschehens, als es am „äußeren Grund" des Versöhnungsgeschehens mitwirkt. 3.2.2. Die „innere" Teilnahme des Glaubenden an Gottes väterlicher Herrschaft Die glaubenden Geschöpfe — und um sie geht es K. Barth — wirken als Geschöpfe „von außen", darüber hinaus aber als glaubende Geschöpfe audi „von innen" an Gottes Vorsehungsgeschehen mit. Es wird bei den folgenden Überlegungen sozusagen der Blickwinkel gewechselt und vom „Ziel", dem „inneren Grund" des Vorsehungsgeschehens, also von den an Gottes Bundesgeschehen schon teilnehmenden Geschöpfen, her das Zusammenwirken des Schöpfers mit dem Geschöpf als „inneres" Mitwirken anvisiert. Wirkt Gott in seiner Souveränität und Allmacht im Vorsehungsgeschehen gerade audi „mittelbar" durch das Geschöpf, so wirkt er im Bundesgeschehen allein und „unmittelbar" 27 ; der Mensch ist „Objekt" und „Empfänger", darüber hinaus ist er als Teilnehmer an Gottes Versöhnungsgeschehen auch „Herold" 2 8 und Verkündiger, gewissermaßen „Zeuge" 29 . Das bedeutet in thesenartiger Zusammenfassung folgendes: 1. Der dreieinige Gott ist in Jesus Christus, dem „Herrn als Knecht" 80 , der allein Handelnde in der Versöhnung unter dem Aspekt der Rechtfertigung 31 ; der Mensch ist der Empfänger der Errettung 32 , er antwortet 38 im Glauben auf die göttliche Tat und ist damit zugleich Zeuge der schon empfangenen Errettung für die Geschöpfe im Vorsehungsbereich. 2. Der dreieinige Gott ist in Jesus Christus, dem „Knecht als Herrn" 8 4 , der allein Handelnde bei der Versöhnung unter dem Aspekt der Heiligung 35 ; der Glaubende ist der an dem „erhöhten und befreiten Menschen" Jesus Christus Teilnehmende 38 , der im Gehorsam der Liebe auf die göttliche Tat antwortet 37 und damit zugleich Zeuge der durch Gott ermöglichten Teilnahme an der Befreiung und Heiligung im Vorsehungsbereich ist. 25

Ebd., S. Ebd., S. 2 » Ebd., S. 81 Ebd., S. 88 Ebd., S. 85 Ebd., S. 87 Ebd., S. 27

106. 74. 75. 145. 138 fí. 145, 113. 110.

2

« Ebd., S. 147. Ebd., S. 74. 80 K D I V 1 , S . 142. 82 Ebd., S. 600 ff. 84 Ebd., S. 144. 86 Ebd., S. 160; IV 2, S. 586ff. 28

121

3. Der dreieinige Gott ist schließlich in Jesus Christus, dem „wahrhaften Zeugen" 3 8 , das allein handelnde Subjekt bei der Versöhnung unter dem Aspekt der Berufung 3 9 ; der Glaubende ist der an Jesus Christus Teilnehmende, der in der Hoffnung auf die endgültige Vollendung antwortet 4 0 und zugleich Zeuge der schon bestehenden neuen Gemeinschaft der „Söhne Gottes" im Vorsehungsgeschehen ist. So nehmen die Glaubenden in der Gemeinschaft der Glaubenden an Christi dreifachem Amt, dem priesterlichen, königlichen und prophetischen, teil 4 1 und damit in ihrer christlichen Existenz, in ihrem christlichen Verhalten, im Glauben, im Gehorsam, im Gebet 4 2 , als Kinder, Knechte und Freunde Gottes 43 „von innen" an Gottes Vorsehung. Im Glauben, der „ganz Gottes und ebenso ganz des Menschen W e r k " 4 4 ist, nimmt der Glaubende an Jesus Christus und an Gottes Vorsehung teil: derselbe heilige Geist führt den Glaubenden im „besonderen" und im „allgemeinen" Geschehen. Ist sein Vertrauen im besonderen Geschehen in der Teilnahme an Jesus Christus begründet, so ist es im allgemeinen Geschehen Konsequenz der Teilnahme an Jesus Christus 4 5 . In diesem wagenden Vertrauen nimmt der Glaubende „von innen" teil an Gottes Vorsehung und ist zugleich als „ K i n d " Gottes Zeuge von Gottes Wirken im Bundesgeschehen. Im Gehorsam, der „aktiven christlichen Gerechtigkeit, dem christlichen Leben in der Heiligung" 4 e , nimmt der Glaubende teil an dem erhöhten und befreiten Menschen Jesus Christus 4 7 und folgt seinen Weisungen in aktiver Nachfolge 4 8 ; zugleich ist er „innerlich" am Kreatur- und Weltgeschehen beteiligt. Es ist ein und derselbe heilige Geist, der den Glaubenden leitet: im „besonderen" Geschehen „begründend", im „allgemeinen" Geschehen „ f o l g e n d " ; im „besonderen" „original", im „allgemeinen" „abbildlich" 4 9 . Somit nimmt der glaubende Christ in der Gemeinde der 38 Ebd., S. 148 ff. Ebd., S. 150. Ebd., S. 123, 138 ff., 671; IV 3, S. 687ff. 4 1 K D I I I 3, S. 309, 316, 325. 4 2 Ebd., S. 278 ff.; I V 1, S. 103, 110, 126. 4 3 Ebd., S. 324. 4 4 Ebd., S. 281, 284. 4 5 Ebd., S. 281 4 « Ebd., S. 288. 4 7 K D IV 1, S. 160; IV 2, S. 586ff. 4 8 Hier hat K . Barths Ethik der Freiheit ihre Voraussetzungen (IV 1, S. 109; III 4; I I I 3, S. 106 f., 168). Ein Zitat aus dem früheren Aufsatz „Rechtfertigung und Heiligung", Z d Z (5) 1927 mag die Dynamik des Barthsdien Denkens gerade an diesem Punkt deutlich machen; in dem Aufsatz heißt es S. 305 : „Er (der Gerechtfertigte und Geheiligte) muß in der Welt der Sünde und in ihren Ordnungen ein heimatloser, ein bewegter, ein handelnder, ein kämpfender, ein hoffender Mensch sein — wenn dann zu wählen sein sollte zwischen beiden: immer noch lieber ein Rigorist als ein Bequemling, immer lieber ein Schwärmer mit einigen Illusionen zu viel als ein Bourgeois, der überhaupt nichts erwartet. 38 40

49

122

K D I I I 3, S. 291.

Glaubenden „innerlich" teil als ein „Faktor" 50 an Gottes verborgenem Walten. Sein Gehorsam als „Knecht" Gottes 51 ist „eine Aktion zur Bezeugung seines (Gottes) Reiches, zur Erinnerung an seine schon geschehene und zur Ankündigung seiner noch ausstehenden und erst kommenden Offenbarung" 52 . In der dritten und entscheidenden Grundform des christlichen Verhaltens, im Gebet — es ist die „Spitze" 53 des christlichen Verhaltens — vor allem im Fürbitten- und Bittgebet 54 , nimmt der Glaubende mit der Gemeinde teil an Christi hohenpriesterlichem Amt 55 und wirkt zugleich „innerlich" aktiv an Gottes Vorsehungsgeschehen mit, indem Gott in seiner Allmacht sich dem Gebet „gewissermaßen entgegenneigt, in dieses eingeht, sich mit diesem vereinigt" 58 , so daß der Glaubende an Gottes Herrschaft Anteil bekommt. Gott läßt sich nämlich von den Bitten des Glaubenden „bestimmen" 57 ; zwar gibt es „kein göttliches Nachgeben der Kreatur gegenüber, es gibt aber, indem Gott sich selbst als König und Herr behauptet und durchsetzt, ein göttliches Erhören" 58 der durch den heiligen Geist gewirkten Bitten des Glaubenden als Freund. So hat der Glaubende — in seiner Existenz auf Gottes alleiniges und unmittelbares Wirken antwortend — „äußerlich" und „innerlich" an Gottes Vorsehungswirken Anteil: er wirkt mit „äußerlich" als „Mittel", aber gerade auch „innerlich", wie sich im Bittgebet als letzter Tiefe des Zusammenwirkens zeigt. 3.3. Das „Wie" des göttlichen Begleitern (die analogische

Struktur)

Die Frage nach dem „Wie" des Zusammenwirkens von göttlichem und geschöpflichem Wirken ist das eigentliche Thema des concursus divinus; K. Barth greift sie unter dem „concurrierenden" Gesichtspunkt seiner Darlegung des „göttlichen Begleitern" auf. Die Überlegungen zum „Wie" des concursus divinus müssen — und dies ist der Hintergrund für die Behandlung dieser Frage — von der analogischen Zuordnung des Vorsehungsgeschehens zum Bundesgeschehen, des Concursusgeschehens zum Heiligungsgeschehen, ausgehen. Die Verschiedenheit und gewisse Gleichheit ist als analogia revelationis59, als Verhältnis von „Noch nicht" zum „Schon" zu verstehen, erkennbar im Akt des Hörens des Wortes Gottes, im Akt der Anbetung und Dankbarkeit des Glaubens eo . 50 52 54 56 58

Ebd., S. 293. Ebd., S. 294. Ebd., S. 303 ff. Ebd., S. 322. Ebd., S. 323. Ebd., S. 63.

51

Ebd., Ebd., 55 Ebd., 57 Ebd., 5 » Ebd., 53

S. S. S. S. S.

294. 324. 314. 323. 59.

123

In den Überlegungen zum Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf geht K. Barth von einer scheinbaren koordinativen Zweiheit von göttlichem und geschöpflichem Wirken aus. Er betont in anschaulichen Bildern die eine Zweiheit voraussetzende Eigenständigkeit und Eigenwirklichkeit des Geschöpfes: die Geschöpfe sind keine „unselbständigen Agen tien und Instrumente" β1 , keine „Marionetten", keine „bloßen Werkzeuge", kein „totes Material"' 2 , kein „Stein und Klotz" 63 , keine „Schachfiguren"84; sie wirken selbständig und frei. Doch kann diese koordinative Zweiheit nur als unter kreatürlichem Gesichtskreis festgestellte beibehalten werden; sie ist eine relative, wie auch die geschöpfliche Eigenständigkeit und Freiheit eine relative ist. Denn sobald das geschöpfliche Wirken dem göttlichen zugeordnet wird, wird die Koordination angesichts von Gottes Souveränität und Allmacht in eine Subordination alteriert, um dann als „eine einzige" Tat®5 Gottes und des Geschöpfes vom Glaubenden erkannt und bekannt zu werden: Gott ist der Begründer der geschöpflichen Tat; er geht dem Geschöpf voran, das Geschöpf folgt nach. Es handelt sich hier um die Entsprechung zum Indikativ-Imperativ-Verhältnis im Gnadenbund. Diesen als Erkenntnisweg dargestellten Überblick differenziert K. Barth: Ausgehend von der „scheinbaren" Koordination versucht Barth die Einheit der Zweiheit des göttlichen und geschöpflichen Wirkens nicht als „Spannungseinheit" ββ , als „Gegensatzeinheit" 67 , als irgendwie geartete Auflösung eines „technischen Rätsels" 68 zu verstehen; er erkennt das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf auf dem Hintergrund der analogia revelationis als analogia operationis: bei absoluter Ungleichheit und Unvergleichbarkeit von Schöpfer und Geschöpf liegt in ihrem Wirken eine Ähnlichkeit, d. h. eine gewisse Gleichheit in der Ungleichheit. Das Wirken Gottes, des Schöpfers, ist allein „reines, absolutes Setzen" ββ , hierin besteht die Ungleichheit der Partner. Andererseits liegt in dem für das göttliche und geschöpfliche Wirken geltenden „Charakter des Bedingens, der Bestimmung und Veränderung eines schon Existierenden" 70 eine „gewisse Gleichheit". In der Ungleichheit und gewissen Gleichheit des Wirkens Gottes und des Geschöpfes liegt Analogie, analogia operationis, vor, die ein Denken des Zusammenwirkens der beiden verschiedenen Partner ermöglicht. Die Zusammenordnung des Wirkens der beiden unvergleichbaren Partner durch die analogia operationis ist nun als Analogat zum Heiligungsgeschehen und zugleich nur von diesem her 61

Ebd., S. 105. Ebd., S. 168. «5 Ebd., S. 150. " Ebd., S. 114. ·» Ebd., S. 116. 63

124

«* Ebd., S. 105. Ebd., S. 214. ·« Ebd., S. 214. M Ebd., S. 214. 70 Ebd., S. 116. M

zu verstehen: es ist die inhaltliche Bestimmung des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf als Vorangehen und Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg; es ist das „Noch nicht" 71 der Teilnahme an dem „befreiten Menschen" Jesus Christus und dem daraus folgenden Freisein78, des Indikativs, mit der Form des Imperativs, des Evangeliums mit dem Aspekt des Gesetzes. Das „Wie" dieses in doppelter analogischer Bestimmung erkennbaren Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf ist nur als „Gnadengeheimnis" 73 im Ereignis und in der Begegnung mit dem Wort Gottes durch den hl. Geist verstehbar. Ist durch die Erkenntnisbemühung des Zusammenwirkens des Schöpfers mit seinem Geschöpf mit Hilfe der doppelten Analogieüberlegung der Eindruck eines statischen Denkens in K. Barths Concursuslehre entstanden, so muß dieser völlig revidiert werden. Nicht um eine betrachtende und beschreibende analogia entis geht es ja K. Barth, sondern um die Ereignis werdende und die in der Begegnung mit dem Wort Gottes durch den hl. Geist erkannte analogia fidei. Spiegeln sdion die Begriffe der Barthschen Concursuslehre di e Dynamik des Ereignisses des „göttlichen Begleitens" wider („Bundesgeschehen", „Vorsehungsgeschehen", „Vorangehen und Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg", „Freimachen" und „Freisein"), so wird in noch stärkerem Maße das Erkennen des Zusammenwirkens von Gott und Geschöpf in die Dynamik eines Geschehens, das jede Denkform — auch die der Analogie — sprengt, mit hineingerissen. Bei dem Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf handelt es sich um das „Gnadengeheimnis" 74 einer Begegnung, einer Begegnung mit dem „erhöhten und befreiten Menschen" Jesus Christus, worauf der Glaubende nur in Dankbarkeit und Anbetung antworten kann 75 . Es ist die fort und fort zum Ereignis werdende Begegnung76 des Menschen mit Jesus Christus, die im existentiellen Vollzug die „wirkliche Freiheit" als „Gefangenschaft" im hl. Geist 77 erleben läßt. Diese Begegnung drängt nach Erkenntnis, nach denkender Klärung des Glaubens, d.h. aber, daß diese Erkenntnis eine eminent „praktische", in Dankbarkeit und Vertrauen begründete, bleibt 78 . Der Glaubende erkennt so das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf als „Gnadengeheimnis", das „urbildhaft" in Jesus Christus vorgebildet ist 79 . In Jesus Christus, dem Herrn als Knecht, dem Knecht als Herrn, ist Gott und Mensch eins, nicht als „Paradox" 80 , nicht als logizistisdie Gegensatzein71 73 75 77 79

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S.

118 f. 120, 153ff. 120; IV 3. S. 815 170. 120, 152.

72 74

ff

78 78 80

Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S. KD IV

164ÍT., 170. 120, 153ff. 158. 14 f., 27. 2, S. 401.

125

heit, nicht als vernünftelndes „Rätsel" 81 , sondern als „Geheimnis" der Einheit, die unter der Prävalenz der göttlichen Herrlichkeit den Erniedrigten und Erhöhten vereint, die als relativ selbständig verstandene Enhypostase des menschlichen Seins in die Anhypostase des göttlichen Seins aufnimmt. So wird auch das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf als „unteilbare" Einheit 82 , als eine „einzige Aktion" 83 verstanden; man wird „die Einheit dieser Aktion genau genommen (gerade so wie die Einheit der zwei Naturen in Jesus Christus) immer nur im Blick auf das Handeln des göttlichen Subjektes behaupten, nur von ihm her sehen und verstehen" 84 . 3.4. Zusammenfassende

Thesen zu K. Barths

Freiheitsverständnis

1. Der dreieinige Gott hat sich von Ewigkeit her als der „in Freiheit Liebende" ein Gegenüber, einen freien Partner 85 , erwählt, um ihm zu koexistieren. 2. In Jesus Christus, dem „erwählenden Gott und dem erwählten Menschen", hat der Bund Gottes mit der Kreatur seinen Grund und sein Ziel. Jesus Christus, der Herr als Knecht, ist zugleich der von Gott „erhöhte . . . freie Mensch" 86 ; in ihm erkennt und hat die Menschheit ihre Bestimmung. 3. In dem „erhöhten, freien Menschen" Jesus Christus ist die ganze Menschheit de facto schon geheiligt87. Die Glaubenden leben als Gerechtfertigte und Geheiligte in der christlichen Freiheit 88 . In der Freiheit als gehorsamer, dankbarer Antwort des Glaubenden 89 auf die Weisung Jesu Christi folgen sie dem freien Menschen Jesus Christus nach als Knechte, Kinder und Freunde Gottes 90 . Als in Liebe antwortende Teilnehmer an der Freiheit Jesu Christi sind sie Zeugen der Versöhnung im „äußeren Umkreis" 91 und zugleich freie, verantwortliche „Mitarbeiter" Gottes an der Erhaltung und Regierung des geschöpflichen Seins92. Die christliche Freiheit ist somit ganz von der Freiheit Gottes umfaßt, sie ist „Gefangenschaft, die durch das Wirken des Wortes und des Geistes entsteht" 93 . 81

82 Ebd., S. 400. K D III 3, S. 152 f. 84 Ebd., S. 150. Ebd., S. 152. 85 K D IV 2, S. 386f.; III 3, S. 13. 86 K D III 3, S. 154; IV 1, S. 143; IV 2, S. 4 1 7 f . ; IV 3, S. 815. 87 88 K D IV 2, S. 578 ff. Ebd., S. 586f.; III 3, S. 135. 89 90 K D III 3, S. 134. Ebd., S. 324. 91 92 Ebd., S. 73 f., 307 ff. Ebd., S. 304, 292 ff. 93 Ebd., S. 170. Für die Entsprechung mit dem augustinisdien Freiheitsbegriff vgl. „De gratia et libero arbitrio", Cap. XVII, 33; Cap. X X , 41. 83

126

4. Das freie Geschöpf (auch der Unglaubende) wirkt in relativer Eigentätigkeit, „denn Gott will nicht ohne sein Geschöpf wirken" 94 . Als Gottes „reales Gegenüber" 95 wirkt es selbständig in dem ihm überlassenen „Raum" 9 6 als „Mittel" Gottes 97 in der Erhaltung und Regierung des geschöpflichen Seins und damit auch des Bundesgeschehens. Das göttliche Wirken schließt so das geschöpfliche in sich; die göttliche Freiheit schließt die menschliche in sich98, denn das geschöpfliche Wirken ist die Vollstreckung des göttlichen Wirkens 99 , das geschöpfliche Wirken folgt dem vorangehenden Schöpferwirken nach auf dem „gemeinsamen Weg". 5. Die Freiheit des Glaubenden und die geschöpflidie Freiheit stehen in Analogie: Gemeinsam sind sie von Gottes freiem Allmachtswirken umschlossen, gemeinsam haben sie ihr Ziel und ihre Bestimmung im „freien Menschen" Jesus Christus. Für das Zusammenwirken von Gott und dem glaubenden Geschöpf gilt das Verhältnis von „Spruch und Entsprechung, Reden und Hören, Befehlen und Gehorchen" 100 ; für das Zusammenwirken von Schöpfer und freiem Geschöpf gilt das Verhältnis von Vorangehen und Nachfolgen auf dem „gemeinsamen Weg" 1 0 1 . Das freie Wirken des Geschöpfes und des Glaubenden steht wiederum in der analogischen Zuordnung des „Νοώ nicht" zum „Schon", wobei auch die christliche Freiheit in bezug auf die endgültige Vollendung ein „Noch nicht" darstellt. Erkennbar ist diese analogische Zuordnung allein auf Grund der Anrede durch das Wort Gottes im hl. Geist. 4. Charakterisierung 4.1. Formale

von K. Barths Concur susiehr e

Charakterisierung

Eine formale Charakterisierung der Concursuslehre K. Barths mit den Kategorien der „klassischen" Concursuslehre stellt sich wie folgt dar: 1. K. Barth kennt vor allem den concursus divinus physicus immediatus supernaturalis, also das Zusammenwirken von Schöpfer und glaubendem Geschöpf im Vorsehungsbereich. Auf das „Daß" und „Wie" als Indikativ-Imperativ-Verhältnis geht er hier ein. 2. K. Barth kennt auch den concursus divinus physicus immediatus naturalis, u.zw. ad actus necessarios und ad actus liberos. Bei den actus 94 06 08 100

K D III 3, S. 105. Ebd., S. 147, 168 f. Ebd., S. 105 . Ebd., S. 161.

Ebd., S. 154, 163. Ebd., S. 73, 167, 187 f. 9 9 Ebd., S. 153. 101 Ebd., S. 106.

95

07

127

necessarii geht Barth nur auf das „Daß" eines prädeterminierenden Wirkens des Schöpfers „in, mit und über" den geschöpflichen Wirkzusammenhängen ein, und zwar „immédiatione suppositi et virtutis", wie der Glaubende gewiß ist. Die Frage des „Wie" stellt er als kosmologische zurück. Bei den actus liberi geht K. Barth auf das „Daß" und „Wie" ein, indem er sie in Analogie zum Zusammenwirken Gottes mit den glaubenden Geschöpfen stellt. 3. Alle diese formalen Überlegungen erhalten ihre inhaltliche Bestimmung von dem christlich bestimmten „Wer" des „göttlichen Begleitens". 4.2. K. Barths Christozentrismus

in der Concursuslehre

Wie Jesus Christus der Real- und der Erkenntnisgrund der Schöpfung und Vorsehung ist, so auch des „göttlichen Begleitens". In Jesu Christi Erniedrigung und Erhöhung liegt der „ontische Grund" des concursus divinus: das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf entspricht der in der Teilnahme an dem „erhöhten" Menschen Jesus Christus begründeten Nachfolge der Glaubenden. Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, ist zugleich der „Erkenntnisgrund" des concursus divinus; er ist das „Urbild" 1 der Koexistenz und des Zusammenwirkens von Gott und Mensch; in ihm ist das „Geheimnis" 2 der Einheit von Gott und Mensch offenbar — nicht als „Paradox" 3 , sondern als Uberwindung des Widerspruchs in der Doxa Gottes, nicht als „Rätsel", sondern als „gelöstes Rätsel" 4 . Die Anhypostasielehre versteht die Einheit als Aufnahme des als Enhypostase, ohne wirkliche selbständige Existenz gedachten menschlichen Seins in Gottes Sein; sie ist das Urbild der „ontologischen"Struktur von K.Barths Concursusverständnis. In Jesus Christus liegt nicht nur der Grund, sondern audi das Ziel des Zusammenseins und -wirkens von Schöpfer und Gesdiöpf; auf ihn hin, zu seiner Verherrlichung, ist alles Geschehen hingeordnet. Durch diese christozentrische Struktur erfährt — wie erwähnt — das Subjekt des Begleitens eine eindeutige inhaltliche Bestimmung: Gott, der Begleiter, hat sich in Jesus Christus offenbart. Folglich wendet sich K. Barth mit Recht gegen eine rein „formale" Betrachtung dieser Frage, wie sie vor allem in den unter dem Einfluß der 1

2 KD III 3, S. 120; IV 2, S. 56. KD IV 2, S. 42. Ebd., S. 389 ff. 4 KD IV 1, S. 610; IV 2, S. 388ff. gebraucht K.Barth den Ausdruck „Rätsel" im positiven Sinn, sonst meist als Gegenbegriff zu „Geheimnis": III 3, S.214f.; IV 1, S. 607 ff. und besonders in der Auseinandersetzung mit den Molinisten und Thomisten II 1, 654 ff. s

128

aristotelischen Ontologie stehenden Entwürfen angestellt wurde. Ihm geht es um den christlichen „Inhalt" und „Gehalt", um die „biblische Mitte" 5 . Mit dieser Ablehnung der „formalen" Betrachtung des concursus divinus verbinden sich die Vorbehalte gegen den causa-Begriff. Nur wenn die völlige Ungleichheit des Schöpfers und des Geschöpfes als causa divina oder creatrix und causa non divina oder creata® mitbedacht wird, nur wenn die causa divina ihre inhaltliche Füllung erhält als „noch nicht der in Jesus Christus selbst Fleisch und also mit einer causa secunda identisch gewordene und ihre ewige Errettung wirkende Gott" 7 , der aber „doch schon" Errettung für sein Geschöpf „will und wirkt", nur wenn die causa creata verstanden wird als die wohl „noch nicht" an dem erhöhten und befreiten Menschen Jesus Christus teilnehmende, aber doch „schon" als die hierfür bestimmte Kreatur, erscheint K. Barth der Gebrauch des causa-Begriffs möglich und legitim. Mit dieser inhaltlichen Bestimmung des causa-Begriffs ist zugleich angedeutet, daß es K. Barth um das personale Partnerschaftsverhältnis von Schöpfer und Geschöpf geht, wie es auch in den personalen Begriffen des concursus divinus angedeutet ist: vorangehen — nachfolgen, begleiten. Im folgenden wird diese Beobachtung weiter zu vertiefen sein. 4.3. K. Barths analogisckes

Concursusverständnis

Durch die ganze Darstellung von K. Barths Concursuslehre zieht sich das analogische Verhältnis von Urbild-Abbild im Versöhnungs- und Vorsehungsgeschehen; sie laufen nicht als Parallelen nebeneinander her, sondern konvergieren in ihrem gemeinsamen Grund und Ziel, in Jesus Christus. Als Abbild von dem und auch als Voraussetzung für das Gnadengeschehen kommt dem geschöpflichen Geschehen nur in beschränktem Sinn Eigensein und -Wirksamkeit zu; Gottes Gnaden wirken ist das alles Sein und Geschehen umgreifende, überstrahlende und in seine Pläne hineinstellende. Auf Grund des analogischen Verhältnisses von Vorsehungsund Gnadengeschehen ist das analogische Verhältnis von Schöpfer- und Geschöpfwirken im Sinne der analogia operationis auch als Abbild des Zusammenwirkens von Befreier und Befreiten im Bundesgeschehen zu verstehen. Diese durch die Denkform der Analogie bedingten mehr lehrhaftbetrachtenden Überlegungen werden durch einen ein personales Verhältnis betonenden Gedanken ergänzt: es geht K. Barth ja — wie aus der analogischen Zuordnung zu entnehmen ist — entscheidend um Gottes Zusammenwirken mit dem glaubenden Geschöpf im Akt personaler Be5 7

KD III 3, S. 131. Ebd., S. 118 f.

« Ebd., S. 117.

129 9

Plathow, Problem

gegnung; der Glaubende erfährt und erkennt das „Daß" und „Wie" des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf als „Gnadengeheimnis" der personalen Einheit von Befreier und Befreitem; hier beim Zusammenwirken von erlösendem Gott und glaubendem Geschöpf ereignet sich die eigentliche, personal zu denkende analogia operationis. In K. Barths analogischem Concursusverständnis verbindet sich somit ein betrachtend-lehrhaftes und ein aktualistisches Element, der verobjektivierende Charakter und der personale Ereignischarakter. 4.4. Die Aussagen des concursus divinus als Bekenntnisaussagen Wie die christliche Vorsehungslehre, so gehört auch die christliche Concursuslehre in den „Bereich des Bekenntnisses"9. Im Hören, Vernehmen und Annehmen des Wortes Gottes ist der Glaube des Christen „Vorsehungsglaube, Glaube an den Gott, der auch als Schöpfer, auch als Herr dieses allgemeinen Geschehens derselbe ist, den er durch sein berufendes Wort kennen darf — oder umgekehrt: Glaube daran, daß eben der Gott, der ihn durch sein Wort berufen hat, auch sein Schöpfer, auch der Herr jenes allgemeinen Geschehens ist" 10 . In der Anrede und Annahme des Wortes Gottes ist sich der Glaubende des Zusammenwirkens von Schöpfer und glaubendem Geschöpf — wie auch des Zusammenwirkens Gottes mit jedem Geschöpf — gewiß. Dieser Vorsehungs- und Concursusglaube ist Erkennen, d.h. „praktisches Erkennnen" 11 , Erkennen im existentiellen Vollzug, frei von „Spekulation". Im personalen Akt der Anbetung, im „Akt der Dankbarkeit und der ihr entsprechenden Willigkeit und Bereitschaft zum Tun des Willens Gottes" 12 erkennt der Vorsehungsglaube und gewinnt der Vorsehungsglaube die Einsicht in die vom souveränen Gott ermöglichte analogische Zuordnung von Vorsehungs- und Gnadengeschehen. Diener, Werkzeug, Schauplatz und vor allem Spiegel und Gleichnis des Gnadengeschehens „ist" das Vorsehungsgeschehen — oder besser — darf es „werden": die „ontologische Definition" 13 wird in ein aktuales Geschehen verwandelt, die analogische Zuordnung wird in ein personales Ereignis der Glaubenserkenntnis aktualisiert. Ebenso erkennt der Glaubende nur im Akt der Dankbarkeit und Anbetung das „Wie" des Zusammenwirkens von Schöpfer- und Geschöpfwirken, die analogia operationis, als Gnadengeheimnis einer Begegnung; die lehrhaft-betrachtende Analogievorstellung wird aktualisiert. Im Ereignis der personalen Begegnung erkennt der Glaubende das Zusammenwirken als „urbildhaft" in Jesus Christus vorgegebene Einheit. » Ebd., S. 15, 120, 160. Ebd., S. 14, 27. 15 Ebd., S. 60.

11

130

10 18

Ebd., S. 43. Ebd., S. 63.

Dieses Erkennen des Vorsehungs- und Concursusgesdiehens im existentiellen Vollzug drängt nach Bekenntnis, zur personalen Antwort auf die Anrede des Wortes Gottes. Allein im Wort Gottes, nicht in der eigenen Erfahrung oder Vorstellung, ist das Bekenntnis begründet 14 , und es wird als personale Antwort in Anbetung, Dank und Lob vollzogen 15 : es ist das Bekenntnis zur väterlichen Herrschaft Gottes als dem „objektiven Sadiverhalt" 16 ; es ist das Bekenntnis zum Zusammenwirken von Schöpfer und Gesdiöpf 17 . So bekennt der Glaube in personaler Antwort auf die Anrede des Wortes Gottes auf Grund der selbstoffenbarenden Heilstat Gottes in Jesus Christus und auf Grund der begleitenden Taten der göttlichen Erhaltung und Regierung: der dreieinige Gott „ist" in seiner väterlichen Herrschaft der Erhalter und Regierer, Gott „ist" der Begleiter. Es sind Endaussagen des christlichen Glaubens, also nicht verobjektivierende Aussagen der Metaphysik, sondern „Ist"-Aussagen des personal betroffenen Glaubenden. Es sind doxologische17' Aussagen. Im Bekenntnis verbinden sich somit personale und „ontologische" Aussageformen. 4.5. Zusammenfassende Charakterisierung: die Analogie als Träger der „ontologisch"-lehrhaften und personal-ereignishaften Struktur Versucht man eine zusammenfassende Charakteristik von K. Barths Concursusverständnis zu geben, so liegt diese — wie in den Darlegungen immer schon angedeutet — in dem Versuch die lehrhaft-„ontologische" und die ereignishaft-personale Struktur in K. Barths Concursusdenken zu verbinden. Das lehrhaft-„ontologische" Moment liegt in Barths Aufnahme des Denkmittels der Analogie begründet. In der gewissen Gleichheit bei größerer Ungleichheit ist durch den Teilnahmeaspekt das Vorsehungsgeschehen „Spiegel" und „Gleichnis" des Bundesgeschehens; es ist das Verhältnis von „Noch nicht" zum „Sdion". In der Ungleichheit und „gewissen Gleichheit" liegt zwischen dem Wirken des Schöpfers und des Geschöpfes analogia operationis vor: es ist — wie gezeigt — das Verhältnis von Vorangehen und Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg. Diese analogische Zuordnungen sind als analogia fidei, aber eben gerade auch als Analogie mit ihrem „ontologischen" „Teilaspekt" 18 zu verstehen, d.h. der „ontische Grund" des geschöpflichen Seins und Wirkens liegt in Gottes Offenbarung in Jesus Christus, der wesenhaft Gott 14

15 Ebd., S. 16 f. Ebd., S. 63, 106, 134, 174 f. 17 " Ebd., S. 16 f. Ebd., S. 120. 17a G. Gloege, Der theologische Personalismus als dogmatisches Problem, KuD (1) 1955, S. 40. 18 KD III 3, S. 59.

131 9'

und Mensch ist, im Einssein der zwei Naturen Christi. Jesus Christus, in dem Schöpfer und Geschöpf koexistieren, ist der „ontische Grund" des concursus divinus 19 ; denn in ihm hat Gott vor aller geschöpfliehen Zeit — entsprechend der Anhypostasielehre — zu seinem Sein das Sein und damit auch das Wirken des Menschen als Enhypostase, der ja nur eine beschränkte selbständige Existenz zukommt, „hinzugenommen" und „aufgenommen" 20 . Diese lehrhaft-„ontologische" Struktur von K. Barths Concursusverständnis wird von der ereignishaft-personalen nicht nur ergänzt, sondern überstrahlt. K. Barth richtet den Blick vor allem auf den Glaubenden, d.h. auf das gerechtfertigte und befreite Geschöpf: er, der Glaubende, ist es allein, der in der Anrede des Wortes Gottes durch den hl. Geist die analogia revelationis von Vorsehungs- und Bundesgeschehen und die analogia operationis von Schöpfer- und Geschöpfwirken „erkennt", „Einsicht" in die analogische Zuordnung gewinnt. Im „Akt" der personalen Begegnung mit dem Wort Gottes erkennt der Glaubende, daß das Vorsehungsgeschehen „Gleichnis" und „Abbild" des Bundesgeschehens „werden darf" 2 1 in der Bewegung des mittelbaren Mitwirkens. Im „Akt" der personalen Begegnung im Vollzug des Indikativ-ImperativGeschehens erkennt der Glaubende das Ereignis des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf als Vorangehen und Nachfolgen auf dem gemeinsamen Weg. Dieses Zusammenwirken erkennt der an der Errettung und Heiligung in Jesus Christus schon Teilnehmende als in Christi Erniedrigung und Erhöhung begründet — die Zwei-Stände-Lehre entspricht als geschehenhaft denkende Vorstellung der mehr seins- und wesenhaft denkenden Zwei-Naturen-Lehre — und bekennt sie in personaler Antwort. Beide für K. Barths Concursuslehre charakteristischen Momente, das lehrhaft-,.ontologische" und das ereignishaft-personale, deren Folge entsprechend dem „esse sequitur operari" auch in umgedrehter Reihenfolge beschrieben werden könnte, sind in K. Barths Analogieverständnis verbunden. K. Barths Analogieverständnis, die analogia fidei, impliziert also einmal die Vorstellung der Analogie als Denkmittel, durch das eine betrachtende Verhältnisbeziehung zwischen zwei Größen in ihrer Gleichund Ungleichheit aufgestellt wird, und zugleich den Geschehenscharakter der Glaubenserkenntnis auf Grund der aktualen Anrede des Wortes Gottes. Kennzeichnet diese Verknüpfung K. Barths Analogieverständnis, so sei doch zugleich hier schon angezweifelt, daß ein Analogiedenken die Verbindung von „ontologischer" und personaler Struktur in den Glaubensaussagen wirklich tragen kann. 19 21

132

Ebd., S. 152; IV 2, S. 56. KD III 3, S. 60.

20

KD IV 2, S. 44.

5. Die Gründe für Κ. Barths Aufnahme des concursus divinus in die „Kirchliche Dogmatik" — ihre Konzentration in Barths Analogiedenken Auf die Frage nach den Gründen für K. Barths Aufnahme des concursus divinus in die „Kirchliche Dogmatik" lassen sich verschiedene Antworten von verschiedenem Gewicht geben 1 . Zunächst sei auf eine Erwähnung der Concursusfrage in K. Barths Briefwechsel mit E. Thurneysen verwiesen. K. Barth schreibt hier 2 : „Von der Schöpfung, von der Vorsehung, von guten und bösen Engeln (!), von der Kreatürlichkeit des Menschen, von seiner Gottebenbildlichkeit habe ich seit Neujahr gehandelt und stehe nun eben an der Lehre De foedere, die nach reform. Auffassung der Lehre vom Sündenfall voranschreiten muß wie die Prädestination der Schöpfung. An was für merkwürdigen, längst in die Rumpelkammer verwiesenen Dingen bin ich da überall vorbei gekommen und habe eigentlich fast überall gefunden, daß etwas dran ist, das sich wohl lohnt, wieder gesagt zu werden. Ν . B. gerade auf der Strecke an vielen Dingen, die wir zunächst nicht gern hören, die aber an ihrem Ort auch gut dastehen. Der Sauerteig der Weltanschauungen' mußte natürlich beim Vortrag der Schöpfungs- und Vorsehungslehre gründlich ausgefegt werden, aber die Immanenz Gottes in der Welt ist die große Wahrheit, wenn man nur an den creator ex nihilo durch alle Böden hindurch festhält, in Sünde, Übel und Tod mit den Vätern keine Kreaturen Gottes sieht, die Relativität des (geschaffenen!) ,Himmels' gegenüber der Erde scharf im Auge behält und an Hand der ausgezeichneten Lehre vom Concursus divinus den Klippen des ,Pantheismus', ,Deismus' sauber ausweicht. Ich hatte wieder viel Anlaß, midi zu freuen, daß ich reformierte Lehre vortragen kann mit ihrem alle Eigengesetzlichkeit der Kreatur prinzipiell überholenden und ihre Kontingenz und die Willensfreiheit doch proklamierenden Praedeterminismus . . . " Es werden in diesem Brief zwei Gründe angedeutet, die sich audi in der „Kirchlichen Dogmatik" weiter verfolgen lassen: ein traditionsgeschichtlicher und ein religionsphilosophischer. 1. Bewußt greift K.Barth auf die Tradition zurück, bewußt will er sich in einer Linie auch mit der reformierten Orthodoxie sehen: darum auch seine historisch richtige Entmythisierung der „theologiegeschichtlichen Legende" A. Schweizers8, die besagt, daß die reformierte Tradition 1 Um die Bedeutung dieser Frage in seiner Brisanz deutlich zu machen, sei auf K. Barths vorbehaltliche Haltung gegenüber kosmologischen Überlegungen hingewiesen (KD III 2, S. 17). 2 K.Barth, E. Thurneysen, Ein Briefwechsel, S. 179 f., der Brief vom 25. Februar 1925. 3 KD III 3, S. 108.

133

ein Concursusdenken und den concursus divinus als Mittelteil der Vorsehungslehre nicht kenne; darum übernimmt Barth die nach ihm selbst auf J. Wolleb4 zurückgehende Dreiteilung der Concursuslehre in die Gesichtspunkte: praecursus, concursus, succursus; darum versteht er sidi mit der eminenten Betonung des praecursus ganz in der reformierten Tradition8; darum schließlich greift er — bei aller Kritik an der oft formalen Betrachtung des concursus divinus — immer wieder auf Vertreter der altprotestantischen, besonders der reformierten, Orthodoxie zurück8 (H. Heidegger, P. van Mastricht, und besonders J. Coccejus). Es sind damit vor allem formale Elemente, Gliederungselemente, die K. Barth aus der altprotestantischen Orthodoxie übernimmt. 2. K. Barth sieht ferner im concursus divinus eine „ausgezeichnete Lehre" die Klippen des „Pantheismus" und des „Deismus" zu umfahren. Diese Bedeutung des concursus divinus — immer wieder wurde sie in der Theologiegeschichte geäußert (u.a. J. A. Biedermannn, §453,4; RGG1 I, Sp. 1879; RGG2 I, Sp. 1716 f.) — spiegelt sich in der „Kirchlichen Dogmatik" wider. Sowohl in den allgemeinen Überlegungen zur Vorsehungslehre, als auch im Teil zum concursus divinus wendet sich K. Barth gegen „pantheistische" Gedanken, die das Gegenüber von Gott und Welt, den „Qualitätsunterschied und die Unumkehrbarkeit" von Schöpfer und Geschöpf aufheben. Gott ist als der in Freiheit Liebende im, mit und über dem Wirken seines Geschöpfes mitwirkend7. Ähnlich setzt sich K. Barth audi mit deistischen Gedanken in der allgemeinen Vorsehungslehre und im „göttlichen Begleiten" auseinander. Der Liebende in seiner Freiheit überläßt dem Geschöpf nicht das Feld zum autonomen, absolut freien Wirken; er läßt das Geschöpf nicht allein, sondern begleitet es8. So ist Gott, der in Freiheit Liebende, der unmittelbar Gegenwärtige, der im geschöpflichen Wirken Mitwirkende. 3. Abgesehen von diesem traditionsgeschichtlichen und religionsphilosophischen Grund wird man für K. Barths Aufnahme des concursus divinus als Mittelteil der Vorsehungslehre auch eine Freude an Dreigliederungen, die in der trinitarischen Bestimmung der „Kirchlichen Dogmatik" ihre Wurzel haben, nicht außer Betracht lassen dürfen; so hat Barth in Entsprechung zu den Aspekten der Versöhnungslehre und auch der Christologie die Vorsehungslehre dargestellt. Für die aspekthafte Unterscheidung von Rechtfertigung und Heiligung als durch die formale Trennung von Sein und Wirken bestimmte, der die Scheidung von Erhaltung und Begleitung entspricht, liegt nicht nur die scholastische 8 Ebd., S. 134, 148. Ebd., S. 108 f. 7 Ebd., S. 30, 124; audi IV 2, S. 56. • Ebd., S. 103, 107, 123 f., 135. 8 KD III 3, S. 11, 154; vgl. audi IV 2, S. 56. 4

134

Trennung von actus primus und actus secundus, sondern auch die besonders auf Calvin zurückgehende Zweiteilung von Rechtfertigung und Heiligung zugrunde, wonach der Heiligung „eine selbständige Wichtigkeit" 9 beizumessen ist. 4. Es sei aber auch auf einen immanent in der Vorsehungslehre liegenden Gedanken verwiesen. Wenn die Erhaltungslehre neben ihrer Funktion der Bewahrung des geschöpflichen Seins vor dem Nichtigen gerade die Begründung der „Selbständigkeit des gesdiöpflichen Wirkens" 10 darlegt, wenn die Regierung sich auf den teleologischen Aspekt der Vorsehungslehre bezieht, so ist bei einer so ausgeprägten Betonung der väterlichen Herrschaft des souveränen Gottes — entsprechend zur Begründung des geschöpflichen Eigenwirkens — Gottes Mit- und Inwirken im und über dem geschöpflichen Eigenwirken zu erwarten, wenn auch dieser Gedanke letztlich in den Erwägungen zur Regierung wiederkehrt. Schließlich sei auf die beiden miteinander zusammenhängenden Hauptgründe für K. Barths Aufnahme des concursus divinus verwiesen: die Betonung des souveränen Gnadenwirkens des dreieinigen Gottes und das Analogiedenken. 5. Schon unter 4. klang an, daß es K. Barth entscheidend um Gottes souveränes Gnaden wirken geht: im Bundesgeschehen ereignete es sich, wobei diesem wiederum das Schöpfungs- und Vorsehungsgeschehen als „äußerer Grund" und „Mittel" zugeordnet ist; indem die geschöpflichen Wirkzusammenhänge geschehen, indem die freien Geschöpfe wirken, sind sie zugleich „Mittel" von Gottes unmittelbarem Gnadenwirken. Auch gegen den „Angstkomplex" u , daß das geschöpfliche Wirken nicht ernst genug genommen werden könnte, betont K. Barth dies. So liegt das „göttliche Begleiten" des geschöpflichen Wirkens gerade in Gottes souveränem Gnadenwirken begründet, das auch das Vorsehungsgeschehen auf das Bundesgeschehen hinordnet. 6. Das Vorsehungs- und Concursusgeschehen steht — und damit wird der zweite Hauptgrund erwähnt — als „äußere Voraussetzung" und als „äußerer Grund" 1 2 des Gnadengeschehens in Analogie zum Gnadengeschehen. Der Gerechtfertigte und Befreite, der in der Freiheit lebt, ist der eigentliche Partner von Gottes Mitwirken: er erlebt das Zusammenwirken, durch ihn geschieht das Zusammenwirken; in ihm verwirklicht sich das Zusammenwirken in der Unterschiedenheit und Gleichheit als die eigentliche analogia operationis. Hierdurch wird dem Glaubenden ein Eigenwirken als mitbedingendes Handeln 1 3 zuerkannt und nicht nur zuerkannt, sondern dieses nachdrücklich betont. » KD IV 1, S. 587. Ebd., S. 166 f., 170. 1S Ebd., S. 116. 11

10

KD III 3, S. 103. » Ebd., S. 55.

135

Das Zusammenwirken Gottes mit dem freien Geschöpf im Vorsehungsgeschehen steht nun in Analogie zum Zusammenwirken Gottes mit dem Glaubenden, wie das ganze Vorsehungsgeschehen eine Analogie zum Gnadengeschehen darstellt und nur insofern ein Eigensein besitzt als „Noch nicht" zum „Schon". Wie aber durch die Denkform der analogia operationis das glaubende Geschöpf in seinem Wirken auch eine Eigenbedeutung als Mittel, als Kind, Knecht und Freund erhält, wie durch die Denkform der analogia revelationis das Vorsehungsgeschehen als „äußerer Grund" des Bundesgeschehens eine gewisse Eigenständigkeit gewinnt, so erhält gerade durch diese analogischen Zuordnungen auch die Concursusfrage, das Thema des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf, eine eigene Darstellung. Zusammenfassend läßt sich somit festhalten, daß K. Barths Beachtung des Concursusthemas abgesehen von historischen und formalen Gründen entscheidend in seiner Betonung des göttlichen Gnadenwirkens und besonders in seinem Analogiedenken begründet liegt.

K. Barths Concursuslehre und die verschiedenen Typen eines Concursusverständnisses Nach der immanent aus dem Denken K. Barths sich ergebenden Charakterisierung des Concursusverständnisses der „Kirchlichen Dogmatik" ist im folgenden das Besondere der Barthschen Concursuslehre im Vergleich zu den anderen Typen eines Concursusdenkens herauszuarbeiten.

1. K. Barths Concursusverständnis und das in der scholastischen Ontologie begründete Concursusdenken Wie schon im typisierenden Hauptteil gezeigt 1 , weisen die Vertreter des scholastischen Concursusverständnisses trotz ihrer Verschiedenheiten starke Gemeinsamkeiten in den Denkformen und in der Terminologie auf durch die für sie alle geltenden Voraussetzungen der scholastischen Ontologie. Für den Vergleich mit K. Barth werden diese Vertreter darum zusammen behandelt. Es sind die formalen Gliederungskriterien und die Termini 2 , die K. Barth zum großen Teil von diesen Vertretern übernimmt, in denen er also mit ihnen übereinstimmt. Zu nennen ist hier die Aufspaltung in das „Daß" und „Wie" des concursus divinus bei der Behandlung der Con1

136

Vgl. S. 73

ff.

2

Vgl. S. 73 ff.

cursusfrage und die Trennung in das göttliche Mitwirken mit der agentia naturalia, den Wirkzusammenhängen, und mit der agentia libera, den freien Geschöpfen 8 . Bei der Frage nach dem „Daß" des concursus divinus wird weiter zwischen dem concursus mediatus und immediatus differenziert, die letzte Bestimmung in das immediatione suppositi und immediatione virtutis aufgegliedert, um so eindeutig klarstellen zu können, daß ein und dieselbe Handlung (una et eadem actio) ganz unmittelbar vom Schöpfer und ganz unmittelbar vom Geschöpf gewirkt wird. Es sind dies Aufspaltungen, die K. Barth als formale Einordnungskriterien übernimmt 4 . Bei der Frage nach dem „Wie" des concursus divinus unterscheidet K. Barth mit den Vertretern der scholastischen Concursuslehre vor allem zwischen dem „concursus concurrens" und dem „concursus praecurrens-praedeterminans" 5 . Schließlich ist der gemeinsam von K. Barth und den Vertretern des scholastischen Concursusdenkens verwendete causa-Begriff zu nennen. Doch wird nun gerade am Gebrauch des causa-Begriffs der entscheidende Unterschied zwischen K. Barth und den Vertretern der scholastischen Ontologie deutlich; K. Barth gibt den übernommenen Formalkriterien und Termini eine neue inhaltliche Bestimmung. Im Unterschied zu der Einordnung der Concursusfrage in das Kausalschema der scholastischen Ontologie, die die causa prima trotz Betonung ihrer Unbegreiflichkeit® an einen geschlossenen Seinsordo bindet, geht es K. Barth um ein eindeutig christlich bestimmtes Concursus Verständnis: die causa prima, der begleitende Gott, ist der dreieinige Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat und der sich durch den hl. Geist in seinem Wort gegenwärtig offenbart; der begleitende Gott ist somit der immer schon die Errettung seiner Geschöpfe wollende und wirkende. Die causae secundae sind die immer schon auf Gottes Gnadenwillen hingeordneten Geschöpfe 7 . Konkret für das Concursusthema bedeutet dieser Unterschied folgendes: Das „Daß" des concursus divinus immediatus verstehen die Vertreter einer von scholastischem Denken bestimmten Concursuslehre in struktureller Entsprechung zum göttlichen Mitwirken in der Gnadenordnung; das letztere zeigen sie in seiner superadditiven Seinsanalogie zum concursus divinus auf. Das Mitwirken des Schöpfers mit seinen Geschöpfen wird somit eingeordnet in einen Natur- und Gnadenordnung umfassenden Seinsordo 8 . Der concursus divinus wird dabei — eingebaut in das Kausal- und z.T. auch in das Akt-Potenz-Schema — als inneres Mitwirken der causa prima mit und in dem Wirken der causa secunda erkannt, so daß ein » Vgl. S. 74. 5 Vgl. S. 61, 114 ff., 134. 7 Vgl. S. 112 f., 126 f.

4

Vgl. S. 105, 119 ff., 127 f. « Vgl. S. 27, 65 f. 8 Vgl. S. 22, 48 Anm. 21.

137

und derselbe Akt in rational einsichtiger Weise unmittelbar von der causa prima und der causa secunda gewirkt wird. K. Barth versteht demgegenüber die Zuordnung von Versöhnungs- und Vorsehungsgeschehen — bei einer strukturellen Entsprechung — nicht als superadditive Seinsanalogie, sondern als analogia revelationis 9 . Im Gnadengeschehen hat das Vorsehungsgeschehen seine „Eigentlichkeit", seine „Voraussetzung", wie allein der Glaubende erkennt; die agentia naturalia erkennt der Glaubende nach der analogia-revelationis-Vorstellung als Abbild einmal der Kraft Gottes in der kosmischen Gesamtkraft und zum andern der Gesetze der göttlichen Prädestination in den Naturgesetzen; das Zusammenwirken Gottes mit den agentia libera erkennt der Glaubende als Abbild des Indikativ-Imperativ-Verhältnisses im relativ freien Geschöpfhandeln; Schöpfer und Geschöpf wirken dabei unmittelbar ein und dieselbe Handlung 10 . Im Seinsordo begründete Analogie und im Glauben verankerte Analogie stehen sich somit in der scholastischen und Barthschen Concursuslehre gegenüber. Vertieft wird diese Beobachtung bei den Überlegungen zum „Wie" des concursus divinus. Die scholastische Concursuslehre versuchte auf die Frage des „Wie" des concursus divinus mit Hilfe des Kausalschemas und z.T. des AktPotenz-Schemas eine rational allgemein einsichtige Antwort entweder im präkurrierenden oder konkurrierenden oder kongruierenden Sinn zu geben. Trotz scharfsinnigsten geistigen Ringens wiesen diese Denk- und Klärungsbemühungen jedoch meist auf die Aporien und Verlegenheiten dieser Unternehmungen; hingewiesen sei nur auf die molinistisch-thomistischen Auseinandersetzungen u . K. Barth wendet sich scharf gegen diese letztlich aus einer Betrachterposition vorgenommenen und zu einer Ver Objektivierung des SchöpferGeschöpf-Verhältnisses führenden Versuche; als analogia causae lehnt er sie ab. K. Barth selbst stellt diesen Antworten auf das „Wie" des concursus divinus seine Vorstellung von einer analogia operationis entgegen 12. Diese Vorstellung besagt zum einen, daß in der absoluten Verschiedenheit von Schöpfer- und Geschöpfwirken, nach der allein das Wirken des Schöpfers als „reines absolutes Setzen" anzusehen ist, doch eine gewisse Gleichheit vorliegt, insofern das Schöpferwirken und audi das geschöpfliche Handeln den „Charakter des Bedingens" eines anderen haben 13 . Dieser verobjektivierende Aspekt der analogia operationis wird nun von K. Barth aufgelöst in ein aktuales Ereignis. Der Glaubende er• Vgl. S. 123, 129 f. Vgl. S. 45 13 Vgl. KD III 3, S. 116. 11

138

10

ff.

12

Vgl. S. 107. Vgl. S. 123 ff.

kennt nämlich das „Wie" des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf nur im Akt des Hörens auf Gottes Wort, im Akt der Anbetung, im Akt der Dankbarkeit und der ihr entsprechenden Willigkeit und Bereitschaft zum Tun des Willens Gottes als Geheimnis, das allein in Jesus Christus, dem Erniedrigten und Erhöhten, dem wahren Menschen und wahren Gott, offenbar ist 14 . Es unterscheiden sich somit das Concursusverständnis K. Barths und das der vom scholastischen Denken geprägten Entwürfe in der personal-aktualistischen, christozentrischen Struktur der Glaubenserkenntnis und der betrachtend-verobjektivierenden Struktur der natürlichen Vernunft. Die Differenzen in der Behandlung des „Daß" und „Wie" des concursus divinus bei K. Barth und in der scholastischen Theologie haben ihren Grund — zusammenfassend sei dies hervorgehoben — in der unterscheidenden Trennung von analogia fidei und analogia entis. Die analogia-entis-Theorie versucht Schöpfer und Geschöpf auf Grund der beiden gemeinsamen Seinsstrukturen in ein allgemein rational einsichtiges ontologisches System einzuordnen; aus einer Beobachter- und Betrachterperspektive wird hier eine Verobjektivierung und Kategorialisierung von Schöpfer- und Geschöpfwirken vorgenommen. Demgegenüber gibt es nach K. Barths analogia-fidei-Vorstellung eine Erkennbarkeit und Erkenntnis der analogischen Struktur von Schöpfer- und Geschöpfwirken allein im und durch den Glauben; der Glaubende erkennt in der Anrede des Wortes Gottes das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf als Gnadengeheimnis einer Begegnung15. Dieses Analogiedenken, d.h. das Verständnis der analogia revelationis und analogia operationis als analogia fidei, macht das Besondere von K. Bartbs Concursuslehre gegenüber dem scholastischen Concursusdenken aus.

2. K. Barths Concursusverständnis

und M. Luthers

Cooperatiogedanke

Schon M. Luther wandte sich gegen ein theologisches Denken in den Kategorien der scholastischen Ontologie; so lehnt er — wie auch K. Barth — die betrachtend-reflektierenden Klärungsbemühungen des Concursusproblems durch das System der aristotelischen Ontologie ab. M. Luther und K. Barth geht es gemeinsam um die Glaubensgewißheit und -erkenntnis des unmittelbaren Mitwirkens Gottes in, durch und mit den glaubenden Geschöpfen im existentiellen Vollzug und um die Gewißheit und Erkenntnis des unmittelbaren Zusammenwirkens des Schöpfers mit und durch alle Geschöpfe 1 . Beide Theologen betonen dabei — ganz in 14 1

Vgl. S. 113 f., 125. Vgl. S. 39 f., 118 ff.

15

Vgl. S. 129f., 131 ff.

139

der augustinischen Tradition stehend — das absolute göttliche Allmachtswirken, das das relative geschöpfliehe Eigen wir ken ermöglicht, begleitet und umschließt, das in, durch und mit dem geschöpflichen Eigenhandeln wirkt. Das „Wie" des Zusammenwirkens erkennt der Glaubende im Wissen um die beschränkte Erfaßbarkeit letztlich als Geheimnis der Anbetung. K. Barths Concursusverständnis ist nun entscheidend gekennzeichnet durch sein Analogiedenken, durch seine Lehre von der analogia fidei; Gott wirkt mit, durch und über allem geschöpflichen Eigenwirken, das ein Analogat zum göttlichen Gnadenwirken darstellt. M. Luthers Überlegungen zum Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf sind demgegenüber von seiner theologia crucis bestimmt. Gott wirkt unmittelbar verborgen-andringend in, durch und hinter allem geschöpflichen Eigenwirken und -geschehen: im Erfolg und im Leid, durch den Freund und durch den Feind, ja, durch die Ungläubigen und die satanischen Mächte 2 . Unter Anfechtung ist der Glaubende des Mitwirkens des letztlich sich in seiner Liebe erweisenden Gottes gewiß selbst in den unbegreiflichen Härten des zornigen Gerichts wirkens Gottes; denn im Kreuz Christi weiß der Glaubende die Allmacht Gottes verborgen in der Schwachheit, die Liebe Gottes verborgen im unverständlichen Zorn. Mit dieser theologia crucis vermag Luther die Situation der von Gott begleiteten Schöpfung in ihrer eschatologischen Vorläufigkeit unter den Mächten der Sünde, unter den Angriffen der verabsolutierten immanenten Mächte, unter Leid und Haß, echter zu fassen als K. Barth, bei dem die Schöpfung und das Schöpfungsgeschehen immer schon von der Gnadensonne der Königsherrschaft Christi überstrahlt wird, an der triumphalen Versöhnungstat Christi Anteil hat.

3. K. Barths Concursusverständnis

und das des 19. Jahrhunderts

Die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts ist zunächst zu kennzeichnen als Epoche der Ablehnung des concursus divinus 1 ; insofern scheint sich ein Vergleich mit dem Barthschen Concursusdenken von selbst zu erübrigen. Doch zeigt eine nähere Betrachtung der Gegenargumente des 19. Jahrhunderts gegen die Concursuslehre im Blick auf K. Barth, daß Barth diese Gegengründe aufgreift und korrigiert, d.h. neue Möglichkeiten zum Verständnis dieses dogmatischen Locus vorbringen will. Zunächst sah die Theologie des 19. Jahrhunderts im concursus divinus ein rein im scholastischen Denken verhaftetes und darum zu eliminieren2 1

140

Vgl. S. 41. Vgl. S. 75.

des Thema 2 . Κ. Barth schreibt nun aber gerade im Wissen um die scholastische Prägung des Concursusthemas im Vorwort zu Κ D III 3, S. VI: „In der Lehre von der Vorsehung . . . meinte ich mich dem Schema der alten orthodoxen Dogmatik (conservatio, concursus, gubernatio) nun doch vertrauensvoller anschließen zu können, als ich es selbst voraussah. Die durchgehende Korrektur, in der idi es aufgenommen habe, wird man ja nicht übersehen." In besonderem Maße gilt das erwähnte „Doch" dem Concursusthema, das Barth aber — wie auch die conservatio und gubernatio — aus der formalen Betrachtungsweise, aus den Schemata der scholastischen Seinsordnung heraushebt und in eine von personalem, christozentrischem Denken geprägte Lehre überführt. Der zweite Gegengrund des 19. Jahrhunderts besagt, daß mit dem concursus divinus eine gewisse Unabhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer vorausgesetzt wurde. K. Barth erkennt diese Gefahr beim konkurrierenden und kongruierenden Concursustyp, betont jedoch seinerseits mit Nachdruck das unmittelbare göttliche Mitwirken in allem geschöpflichen Eigen wirken gerade auch gegen den Angstkomplex3, daß das geschöpfliche Eigentun nicht ernst genug genommen werden könne. Das dritte Gegenargument wendet sich gegen die besondere Behandlung des Concursusthemas, da die Eigendarstellung des concursus divinus in der scholastischen Unterscheidung von esse und operari begründet sei4. K. Barth gibt dem Concursusproblem eine besondere Darlegung; nicht als eine Trennung von actus primus und actus secundus versteht er die Differenzierung von conservatio und concursus, vielmehr erkennt er in dieser Unterscheidung nur „Aspekte" des einen Vorsehungswirkens Gottes 5 . Der vierte und fünfte Gegengrund des 19. Jahrhunderts lehnt den concursus divinus einmal wegen seiner engen Verbindung mit dem Kausalschema und dem Kausaldenken ab und ferner wegen der hierin implizierten Vermischung von naturwissenschaftlichem und theologischem Denken. Sehr deutlich stellt K. Barth diese Gefahren in seiner Erörterung des causa-Begriffs fest 6 . So wendet er sich im 2. und 3. Punkt seiner Auseinandersetzungen gegen die verobjektivierende Tendenz des gemeinsam für den Schöpfer und das Geschöpf verwendeten causa-Begriffs und gegen die Kategorialisierung der causa prima durch den causaBegriff. So gibt er weiter im ersten Punkt seiner Diskussion einer durch den causa-Begriff bedingten Vermischung von göttlichem Mitwirken und naturwissenschaftlichem Kausalitätsdenken eine klare Absage. K. Barth konzentriert sein Denken auf die inhaltliche Bestimmung des causa-Begriffs vom christlichen Glauben an den dreieinigen Gott her. Diese christ2

Vgl. S. 76 Vgl. S. 76. « Vgl. S. 116 f.

4

ff.

3 5

Vgl. S. 135. Vgl. S. 102 ff., 105.

141

lich-theologische Füllung des causa-Begriffs gibt K. Barth die Möglichkeit, die Einwände der Theologie des 19. Jahrhunderts ernstzunehmen und zugleich ein neues Concursusverständnis zu eröffnen. Nun hat sich Fr. Schleiermacher im 19. Jahrhundert um eine Neuinterpretation des concursus divinus bemüht. Diese Neuinterpretation ist allerdings nur schwer mit dem Barthschen Concursusverständnis zu vergleichen; denn Fr. Schleiermacher erklärt zum einen die conservatio und den concursus für identisch und spricht sich damit zum andern für ein — in der Terminologie der „klassischen" Concursuslehre gesprochen — mediates Concursusdenken aus 7 . In beiden Punkten denkt K. Barth extrem anders: er erkennt den concursus divinus als besonderen Aspekt der göttlichen Vorsehung an und betont mit Nachdruck das unmittelbare göttliche Begleiten. Fr. Schleiermacher versteht das Zusammenwirken von causa prima und causa secunda als ein und dasselbe nur von verschiedenem Gesichtspunkt aus betrachtetes Sich-abhängig-Fühlen: zum einen das Sich-abhängig-Wissen vom allgemeinen Naturzusammenhang, zum andern das Bewußtsein der eigenen Abhängigkeit von „Gott" 8 . Fr. Schleiermacher gerät mit dieser Uminterpretation des concursus divinus in eine bewußtseinstheologische Reduzierung, in eine subjektivistische Verkürzung des concursus divinus, der gegenüber K. Barth mit Nachdruck auf dem unmittelbaren Mitwirken Gottes dem Wollen und Wirken nach insistiert. Schleiermachers Interpretation des concursus divinus als ein unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtetes Sich-abhängig-Wissen weist ferner eine pantheistische Tendenz auf, die Schleiermacher audi selbst anerkennt. Freilich enthält die Schleiermachersche Gotteslehre ebenfalls eine theistische Nuance, die das Gottesverständnis als „Woher des schlechthinnigen Anhängigkeitsgefühls" impliziert, also eine transzendente Verankerung kennt; doch bleibt der pantheistische Zug der dominierende. Mit dieser Bestimmung Gottes als Ausdruck des „Woher des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls" erhält das Gottesverständnis schließlich eine nur neutrische Aussageform 9 . K. Barth betont demgegenüber den „Qualitätsunterschied" und die „Unumkehrbarkeit" von Schöpfer und Geschöpf 10 . Er verbleibt dabei nicht in dem formalen Schema eines Immanenz-Transzendenz-Denkens, vielmehr geht es ihm um die inhaltlichen Aussagen des christlichen Glaubens an Gott, den Vater Jesu Christi, den Schöpfer und Begleiter, um den personalen Glauben an Gott, den in Freiheit Liebenden 11 . 7 β 11

142

Vgl. S. 74, 84. Vgl. S. 85. Vgl.S. 114.

8 10

Vgl.S. 81. Vgl. S. 106.

4. Κ. Barths Concursusverständnis

und das K. Rahners

In der römisch-katholischen Theologie der Gegenwart hat K. Rahner dem Concursusthema besondere Beachtung geschenkt, allerdings nicht wie K. Barth in einem besonderen Teil der Vorsehungslehre in einer Dogmatik, sondern vor allem in Aufsätzen zur Hominisationsfrage. Mit K. Barth erkennt Rahner dabei das „Daß" des unmittelbaren göttlichen Mitwirkens mit dem geschöpflichen Eigenwirken an. Mit K. Barth gibt er der Concursusfrage eine christozentrische Bestimmung und das heißt für K. Rahner eine inkarnationstheologische1. Denn zum einen versteht Rahner die Schöpfung als „Moment" der Inkarnation, des Höhepunktes der teleologisch ausgerichteten Selbstmitteilung Gottes und der Selbsttranszendenz des Geschöpfes, zum andern sieht er — was mit dem ersten Gedanken verbunden ist — im göttlichen Mitwirken ein „Moment" der gnadenhaften Selbstmitteilung Gottes, die, vom Geschöpf aus betrachtet, sich als geschöpfliche Selbsttranszendenz und Selbstüberbietung darstellt 2 . K. Rahner ordnet somit das Concursusproblem in einen teleologischen Entwicklungsprozeß des Werde-Seins ein, d.h. in einen Durchdringungsprozeß von Geist und Materie, der seinen Höhepunkt in der Inkarnation des Logos in Jesus Christus hat. K. Barths christozentrisches Concursusverständnis ist demgegenüber ganz in seine Erwählungstheologie eingebaut 8 . Gott hat sich in seiner ewigen Gnadenwahl in Jesus Christus einen Partner erwählt; in ihm hat Gott schon für den Menschen die Erwählung, für sich selbst die Verwerfung bestimmt. Die Schöpfung und Vorsehung ist in dieser Erwählungsgeschichte der „äußere Grund" des Bundes- und Gnadengeschehens in der Zeit, die Versöhnung der „innere Grund" des Weges Gottes mit seinen Geschöpfen. Vorsehungs- und Gnadengesdiehen stehen dabei in Analogie zueinander, wie der Glaubende in der Anrede des Wortes Gottes erkennt. Das göttliche Begleiten stellt somit in dieser heilsgeschichtlichen Wegtheologie ein Abbild des Heiligungsgeschehens in der Versöhnung dar. Das „Wie" des Zusammenwirkens von causa prima und causa secunda oder besser von transzendentaler und endlicher Kausalität erklärt K. Rahner als dialektisches; das bedeutet, daß die transzendentale Kausalität als „Woher" und „Woraufhin" der endlichen Wirkursachen gerade audi als „inneres Moment" dynamisch im endlichen Geschehen mitwirkt, ohne sein „Wesenskonstitutiv" zu sein, und daß die transzendentale Kausalität so die eigene aktive „Selbstüberbietung" der endlichen Kausalität auf das transzendentale Sein hin ermöglicht 4 . Hinter diesem dialektischen Verständnis des concursus divinus steht eine auch in anderen dog1

Vgl.S. 94. » Vgl. S. 110

2

ff.

4

Vgl. S. 95. Vgl.S. 92.

143

matischen Loci von Rahner verwendete Denkform, die in der Rahnersehen Erkenntnismetaphysik ihre Grundlage hat. Diese dialektische Denkform vermag zum einen das endliche Sein in seinem Eigenwirken bei Betonung des unmittelbaren göttlichen Mitwirkens ernstzunehmen, zum andern eine rational allgemein einsichtige Klärung der „Wie"-Frage vorzunehmen 5 . Dem dialektischen Concursusverständnis Rahners steht Barths analogisches gegenüber. Das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf, als analogia operationis verstanden, erkennt nach Barth jedoch allein der Glaubende im Akt des Hörens auf Gottes Wort, im Akt der Anbetung und in der Bereitschaft zum Tun des Willens Gottes als Gnadengeheimnis, d. h. als ein Geheimnis, das in Jesus Christus offenbar ist. Schließlich sei auf einen Unterschied hingewiesen, der für das Rahnersche und Barthsche Concursusverständnis symptomatisch ist. K. Rahner macht nämlich nur neutrische Aussagen über Gott, den Schöpfer. Gott ist das „Woher" und „Woraufhin" des endlichen Seins, der „transzendentale Seinsgrund", das „Geheimnis" 6 . Es handelt sich um eine Begrifflichkeit, die Rahners transzendental-ontologischem Denksystem entspricht. K. Barth aber spricht im Sinne seines personalen, christlich-theologisch bestimmten Concursusverständnisses in personalen Begriffen von Gott; Gott ist der Erretter und Begleiter, er ist der in Freiheit Liebende, der sich in Jesus Christus offenbart hat; er ist das anzubetende Du 7 .

Biblisch-theologische Erwägungen zur Concursusfrage 1.

Vorbemerkungen

Im folgenden sollen in knapper Darstellung biblisch-theologische Erwägungen zum Concursusthema angestellt werden. Sie sind bei einem Teil der Concursusverständnisse des typisierenden Teils vermißt oder als zu wenig beachtet erkannt, aber doch auch häufig erwähnt gefunden worden (z.B. bei Thomas v. Aquin, bei den Altprotestanten). Diese biblisch-theologischen Erwägungen sollen einmal die Grundlage für die Auseinandersetzung mit K. Barths Concursusverständnis liefern, zum an5

6 Vgl. S. 96. Vgl. S. 97. Erwähnt sei noch ein gemeinsamer Gedanke bei K. Rahner und K. Barth. Beide Theologen nehmen die Madit der Sünde nicht so ernst, wie die biblische Botschaft sie betont. Für Rahner ist die Sünde das Hindernis der Selbstmitteilung Gottes, ein Hindernis, das als bloße Ubergangsgröße in den teleologischen Entwicklungsprozeß eingebaut ist. Für Barth ist die Herrschaft der Sünde die schon nach Gottes ewiger Gnadenwahl in Jesus Christus überwundene Macht, die in der Schöpfung im Höchstfall noch Verwirrung stiften kann. 7

144

dern aber auch die Möglichkeit für eine eigene Darlegung dieses Themas geben, schließlich aber auch eine gewisse Kontrolle der biblischen Überlegungen in den verschiedenen Concursustypen der Theologiegeschichte darstellen. Zwei Schwierigkeiten taudien für die biblisch-theologische Untersuchung zum Concursusthema auf: Einmal die Frage nach der Auswahl der Textstellen zu diesem so stark von scholastischem Denken geprägten dogmatischen Locus; zum andern die hermeneutische Frage nach dem Verhältnis von alttestamentlichen und neutestamentlichen Aussagen. Der ersten Schwierigkeit soll in der Weise begegnet werden, daß die in der Theologiegeschichte immer wieder als biblische Zeugnisse für den concursus divinus beigebrachten Textstellen — wie sie in Anhang I zusammengestellt worden sind — nach ihrer Aussage über das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf ganz knapp von den gegenwärtigen exegetischen Ergebnissen her befragt und somit überprüft werden; gegebenenfalls sind diese Textstellen durch weitere zu ergänzen. Nur als vorbehaltlicher Versuch kann jedoch dieser Arbeitsschritt angesehen werden angesichts des unbiblischen concursus-Begriffs und den mit ihm verbundenen Denkkategorien. In einem zweiten Schritt sollen darum altund neutestamentlich-theologisdie Erwägungen zum Thema des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf angestellt werden. Zur zweiten Frage ist zu sagen, daß eine christlich-theologische Darstellung der biblischen Aussagen zum Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf nach Ansicht des Verfassers von der Tatsache der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ausgeht, wie sie in den christologischen Bekenntnissen und Hymnen des N T bekannt wird (1. Kor. 15,3—5; G a l . 4 , 4 ; R ö m . l , 3 f f . ; Röm.10,9; Phil.2,6—11; J o h . l . l f f . ; l . J o h . 4 , 2 ; Hebr. 1,1 ff. usw.). Im Lichte dieser Bekenntnisse stehen auch die alttestamentlichen Aussagen, denn die neutestamentlidie Heilsgeschichte ist die Verlängerung und der Abschluß der alttestamentlichen Gottesgeschichte1, Christus ist der „Erfüller" der alttestamentlichen Verheißung 2 . Damit ist keine ungeschichtliche Harmonisierung der alttestamentlichen Aussagen angedeutet; die Besonderheit der alttestamentlichen Texte, ihre Form und ihr historischer „Sitz im Leben", ist vielmehr in den Blick zu fassen, gerade auch deshalb, um die neutestamentliche Botschaft — wie es H.-W. Wolff von seinem Ansatz einer „heilsgeschichtlich-exemplarischen" Typologie 8 her aussagt — vor einer „spiriG. v. Rad, Theologie des AT II, S. 407. Ebd., S. 408. * H.-W. Wolff, Zur Hermeneutik des AT, Gesammelte Studien zum AT, S. 279. 1

!

145 10

Plathow, Problem

tualistischen, individualistischen, transzendentalistischen" 4 Mißdeutung zu bewahren.

2. Alttestamentliche

Erwägungen zur

Concursusfrage

2.1. Einzelanalyse der in der Theologiegeschichte vorgegebenen stellen zum concursus divinus

Text-

Entsprechend der in Anhang I aus der Theologiegeschichte zusammengestellten wichtigsten alttestamentlichen Belege zum concursus divinus soll eine Überprüfung dieser Texte auf ihre Aussagen über das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf vorgenommen werden. Es scheidet nun ein Teil der Textstellen aus, da diese auch im entfernten nicht auf das Concursusthema eingehen (Gen. 1,2; Jer. 1,5; Hes. 36,27; Ps. 148,13; Hagg.1,5; Spr.l,6ff.; Hi.28,23) oder sich allein auf Gottes Schöpfungstat beziehen (Gen. 1,21; Ps.l39,14f.; 95,6; 100,3; 149,2; 74,16; Hi. 10,8f; 35,10; 2.Makk.7,22f.). J.Fr.König und J.A. Quenstedt haben schließlich noch Jer. 23,23 f. und Ps. 139,7 besonders erwähnt, um ihren Gedanken der Identität von concursus generalis und omnipraesentia dei zu untermauern. Es soll somit nur auf folgende Textstellen besonders Bezug genommen werden: Gen.45,7f; Ex.21,13; l.Sam.10,26; Jes. 10,15; 22,11; 26,12 (25,1); 45,7; Ps. 127,1; 146,6ff. (135,7f.; 147; Jer.10,23); 104,27f. (Dtn. 32,12,23; 1. Sam. 2,7 ff.); 17,14; Spr. 16,9f. (16,1 f.; 16,33; 19,21; 21,1); Hi.38—39. Gen. 45,7 f.: Darum hat mich Gott vor euch hergesandt, um euch Nachkommenschaft zu sichern und von euch viele zu retten und am Leben zu erhalten. (8) So habt nicht ihr mich hierher gesandt, sondern Gott. Dieser Text steht in dem zweiten der drei Gespräche zwischen Joseph und seinen Brüdern (Gen.42,7—20; 45,3—13; 50,15—21) in der elohistischen Bearbeitung der weisheitlichen Josephsnovelle. Der gottesfürchtige Weise Joseph (Gen. 42,17) glaubt sich im Vertrauen ganz unter Jahwes Führung gestellt und als Werkzeug von Jahwes regierendem Wirken zum Segen des Volkes Gottes berufen. Besonders der Gen. 50,20 vorausnehmende Vers 8 weist auf dieses personale Sich-geführt-wissen von Jahwe gerade auch durch die profanen Geschehnisse hindurch. 4

146

Ebd., S. 269.

Ex. 21,13: Hat er ihm aber nicht nachgestellt, sondern hat Gott es so durch ihn gefügt, so will idi dir eine Stätte bestimmen, wohin er fliehen kann. Der Vers stellt die kasuistische Ergänzung des Verbotes der Menschentötung innerhalb des Bundesbuches dar (Ex. 21,12 ff.). Es wird dabei die nicht vorsätzliche Tötung eines Menschen als auch unter Jahwes Fügung und Regierung gewirkt verstanden. Dem nicht vorsätzlich schuldig gewordenen Menschen steht das Asylrecht zu. 1. Sam. 10,26: Auch Saul ging heim nach Gibea und mit ihm die Tapferen, denen Gott das Herz gerührt hatte. Dieser Vers stammt aus der Geschichte von Sauls Wahl zum König, u.zw. aus einer alten Saul-Samuel-Überliefeirung (1.Sam. 10,21 bß— 27 a) 1 , die das positiv verstandene Königtum Sauls unter Jahwes Regierung gestellt wußte. Der Deuteronomistische Geschichtsschreiber hat diese alte Uberlieferung in sein Geschichtswerk aufgenommen und gerade hiermit zum Ausdruck gebracht, daß er — von den negativen Erfahrungen Israels mit dem Königtum herkommend — audi diese gegen Jahwes Willen eingeführten Instituion (1.Sam. 8,6ff.; 12,12) letztlich unter Jahwes Regierung stehend weiß. Jes. 10,15: Rühmt sich auch die Axt gegen den, der damit haut? Oder brüstet sich die Säge gegen den, der sie zieht? Wie wenn der Stock den, der ihn aufhebt, schwänge, wie wenn der Stecken den aufhöbe, der nicht Holz ist. Es wird hier im Weheruf gegen Assyrien, dem „Stecken" und der „Rute" Jahwes (10,5), in Form eines Disputationswortes auf Jahwes geschichtsmächtiges Wirken in der Völkerwelt hingewiesen. Die Weltreiche sind die „Axt", der „Stock", von Jahwes Regierung, gerade audi zu seinem Gericht benutzt; doch auch sie selbst stehen unter Jahwes Gericht, wie Jesaja hier in seiner Spätzeit verkündigt 2 . Entsprechend heißt es innerhalb der Völkersprüche in den Gerichtsworten gegen Jerusalem von Jahwes regierendem Wirken und dem Eigenwirken der Jerusalemer Bevölkerung (22,11): „Und einen Sammler machtet ihr zwischen beiden Mauern für die Wasser des alten Teiches. Aber ihr schautet nicht auf den, der es tat, und nach dem, der es von lange her bereitet hat, sähet ihr nicht." Jes.26,12: Herr! du wirst uns Frieden schaffen; denn auch alle unsere Taten hast du für uns vollbracht. Dieser Text — es ist der zum Concursusthema am häufigsten angeführte alttestamentliche — steht innerhalb der sog. Jesaja-Apokalypse 1 2

Vgl. Sellin-Fohrer, Einleitung in das AT, S. 243. Vgl. ebd., S. 399. 147

10'

(Kap. 24—27), einer Sammlung später Einzelstücke, die in das Jesajabudi eingefügt wurde. Jes.26,7—21 stellt ein Dankgebet des einzelnen dar®, das Jahwes allmächtiges Regieren des menschlichen Handelns preist und damit Jahwe selbst, der die Heiden vernichtet und sein Volk zu neuem Leben erwecken wird. In gleicher Weise lobt der Anfang des Dankliedes Jes. 25,1 Jahwe, der seine Pläne ausführt und verwirklicht. Jes. 45,7: . . . der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe, ich bin es, der Herr, der dies alles wirkt. Es handelt sich um die Selbstprädikation4 Jahwes am Schluß des deuterojesajanischen Kyrosorakels (45,1—7). Jahwe wird als der in letzter Absolutheit alles Schaffende und Regierende verstanden, wie es in dieser Konsequenz nur selten im AT geschieht: Licht und auch Finsternis, Heil und auch Unheil wirkt Jahwes Schaffen und Regieren. Ps. 127,1: Wenn der Herr nicht das Haus baut, so mühen sich umsonst, die daran bauen; wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Hüter umsonst. In diesem ersten Vers des alttestamentlichen Weisheitsgedichts Ps. 127 wird die Gewißheit von Jahwes unmittelbar erhaltendem und regierendem Wirken im geschöpflichen Wirken, das als solches in seiner Eigenbedeutung vorausgesetzt wird, ausgesagt. Das menschliche Tun und Schaffen — gerade auch das alltägliche5 — ist nichtig, umsonst ohne Gottes Mitwirken. Durch eine gewisse Grundsätzlichkeit, in der dieser Gedanke ausgesprochen wird, gewinnt die Aussage des göttlichen Mitwirkens mit dem geschöpflichen Eigenwirken hier einen impersonalen, allgemeingültig-feststellenden Charakter. Ps. 146,6ff.: . . . der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was in ihnen ist, der ewiglich Treue hält, (7) der Recht schafft den Unterdrückten, der den Hungernden Brot gibt. Der Herr erlöst die Gefangenen, (8) der Herr öffnet den Blinden die Augen, der Herr richtet die Gebeugten auf, der Herr liebt die Gerechten. Es handelt sich hier um einen Teil eines Lobpsalms, u.zw. des „beschreibenden Lobs" — womit Cl. Westermanns Terminologie aufgenommen wird® —, in dem nach dem Aufruf zum Lob (V. 1—2) und der Mah' Vgl. ebd., S. 404. Vgl. Cl. Westermann, Das Buch Jesaja, S. 131. « Vgl. H . - J . K r a u s , Psalmen II, S. 858ff. β Cl. Westermann unterscheidet zwischen „berichtenden" und „beschreibenden Lobpsalmen". Geht es im „berichtenden L o b " um den Dank und Lobpreis für das konkret 4

148

nung (V. 3) in allgemeiner Aussageform Jahwes erhaltend-segnendes Wirken in der Schöpfung und sein helfend-errettend.es Handeln im Leben des einzelnen Ausgestoßenen, Gefangenen und Kranken gepriesen wird. Ganz entsprechend wird in dem „Hallelujapsalm" 135,4 ff. Jahwes regierendes Wirken in Geschichte und Schöpfung gepriesen und damit Jahwe selbst, „der Wolken heraufführt vom Ende der Erde, der Blitze zu Regen macht, der den Wind herholt aus seinen Kammern . . ( 1 0 , 7 ) . Ähnliche Überlegungen sind auch zum „beschreibenden Lob" in Ps. 147 und zu Jer. 10,23 im Klage- und Bußgebet des Volkes Jer. 10,19—25 anzustellen. Ps. 104,27f.: Sie alle warten auf dich, daß du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; tust du deine Hand auf, so werden sie mit Gutem gesättigt. Wenn du dein Angesicht verbirgst, erschrecken sie. In diesen Versen des aus der ägyptischen Weisheit stammenden Schöpfungspsalms wird Jahwe als der segnende Erhalter, der Nahrung und Speise gibt, gepriesen. Vom starken ägyptischen Einfluß zeugt auch die Gottesrede Hi. 38 bis 39; sie stellt ein Onomastikon dar, in dem sich Jahwe als Schöpfer und Erhalter aller Naturbereiche und der ganzen Natur vorstellt 7 . Spr. 16,9: Des Menschen Herz denkt sich einen Weg aus, aber der Herr lenkt seinen Schritt. Es handelt sich hier um einen Spruch der frühen israelitischen Weisheit, die sich in besonderer Weise um die Ordnung der Erfahrungsphänomene in Schöpfung und sozialem Leben bemühte 8 . So wird im ersten Teil dieses Weisheitsspruchs eine empirische Erfahrung, das Planen des Menschen, aufgegriffen, das jedoch durch die mit dem Ί-adversativum eingeleitete Spruchhälfte relativiert, ja, aufgehoben wird. Die sich im Kontrast gegenüberstehenden Spruchhälften weisen mit einer gewissen Lehrhaftigkeit auf die Grenze des Geschöpflichen und das hinter allem Eigentun des Geschöpfs stehende Allmachtswirken Jahwes. Eine zusammenfassende Betrachtung der alttestamentlichen Textbelege zum concursus divinus, wie sie im Schema (Anhang I) mit K. Barth als Bezugsperson aufgeführt sind, macht folgendes deutlich: erfahrene hilfreiche Wirken Jahwes, so im „beschreibenden Lob" um eine allgemeine Aussage über Gottes Wirken in Geschichte, Schöpfung und Leben des einzelnen. „Das Loben Gottes in den Psalmen", S. 61 ff. und S. 87 ff. 7 G. v. Rad, Hiob 38 und die ägyptische Weisheit, Gesammelte Studien zum AT, S. 262 ff. 8 G.v.Rad, Weisheit in Israel, S. 131 ff.

149

Eine ähnliche Struktur und eine ähnliche inhaltliche Intention haben etwa auch Spr. 16, l f . , 33; 19,21; 21,1 wie auch der schon behandelte Vers Gen. 45,8. 1. Die alttestamentlichen Textstellen, in der Theologiegeschichte verwendet als dicta probantia der altprotestantischen Dogmatiker, als Schriftnachweise der römisch-katholischen Theologen, als Grundlage für ein biblisch-theologisches Verständnis bei Coccejus, als in der Traditionsgeschichte verankerte Voraussetzung für das eigene Concursusdenken bei K. Barth 9 , finden bei den altprotestantischen Dogmatikern eine Kummulation im Psalter, bei K. Barth im Sprüchebuch; die am häufigsten genannte Textstelle ist Jes. 26,12. Bei der Analyse dieser Texte kommt man zu dem Ergebnis, daß in der Tat wichtige mögliche Textgruppen und Textstellen, die für ein Concursusdenken von Bedeutung sind, in der Theologiegeschichte genannt wurden. 2. Inhaltlich handelt es sich bei den Texten einmal um Aussagen über Jahwes Erhalten und Regieren des in seiner Eigenständigkeit vorausgesetzten geschöpflichen Wirkens. Die Aussagen sind dabei in die Form von Geschichtsberichten, Gesetzesworten, Gerichtsankündigungen, Gottesreden, Dank-, Bitt- und Lobgebeten gekleidet. Zum andern handelt es sich um weisheitliche Texte über das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf als personale Gewißheitsaussagen (Gen.45,7f.) oder als konstatierende Lehrsprüche (Spr. 16,1 f., 9; 19,21; 21,1; Ps. 127,1). In beiden Fällen wird das geschöpfliche Eigentun in seiner Begrenztheit durch und seiner Nichtigkeit ohne Gottes regierendes Mitwirken erkannnt. 2.2. Alttestamentlich-theologische von Schöpfer und Geschöpf

Erwägungen

zum

Zusammenwirken

Das „Urbekenntnis Israels" 10 und damit die Keimzelle des „kleinen geschichtlichen Credos" 11 (Dtn.26,5f.; Dtn.6,20ff.) und des ganzen Hexateuchs stellt das Bekenntnis zur Herausführung Israels aus Ägypten durch Jahwe dar. So bekennt die Gemeinde, daß Jahwe, der bei ihnen Seiende, der ihnen gegenwärtig Bleibende, also der „Mitgehende" 12 , sein Volk durch die Wüste ins Land Kanaan geleitet und begleitet hat, wie 9

Vgl. KD III 3, S. 107 f. M. Noth, Überlieferungsgeschidite des Pentateuch, S. 52. 11 G.v. Rad, Das formgeschichtlidie Problem des Hexateudi, Gesammelte Studien zum AT, S. 9ff. 12 M. Buber, Königtum Gottes, S. 81. 10

150

er als „Hirte Israels" die Väter durch die Wüste zu den Weideplätzen leitete 13 . Während der Landnahme verband sich mit dem Bekenntnis zu Jahwes begleitendem Führen das zu Jahwes allmächtigem Wirken in Schöpfung und Natur. Schöpfung und Erhaltung wurden vom heilsgeschichtlich geprägten Bekenntnis zu Jahwes Retterwirken in der Geschichte verstanden, denn die Israeliten kannten keinen isolierten Schöpfungsglauben. So wurde z.B. das Bekenntnis zu Jahwes Retterwirken in der Geschichte beim Erntefest bei der Darbringung der Erstlingsfrüchte gesprochen 14. Geschichte und Natur, Gottes Wirken in Geschichte und Natur, waren miteinander verbunden. Ganz entsprechend weiß die frühe israelitische Geschichtsschreibung in der „Salomonischen Aufklärung", etwa in der Thronnachfolgegeschichte Davids (2.Sam.6—l.Kön2), hinter den prophanen Vorgängen und Ereignissen Jahwes geschichtsmächtiges Wirken (2. Sam. 11,27; 12,24; 17,14) 15 ; segnend und verstockend lenkt er die Geschichte seines Volkes. Das Geschichtsverständnis des Prophetismus ist in gleicher Weise von diesem Denken geprägt (u.a. Am.2,3—6; 9,7). Besonders Jesaja weiß andringend darum, daß Jahwes Plan und Ratschluß auch Wirklichkeit wird (Jes. 5,12,19; 7,18—20). Bei ihm hat sich nun aber der Blick erheblich geweitet: die Weltmächte, die ganze Weltgeschichte steht unter Jahwes mitgehendem und lenkendem Wirken. So ist Assyrien der „Stedten" von Jahwes Zorn, die „Rute seines Grimms" (Jes. 10,5ff.; 7,18 ff.). Für Jeremía ist Nebukadnezar das Werkzeug von Jahwes geschichtsmächtigem Wirken (Jer.25,9; 27,6); Deuterojesaja wiederum sieht in Kyros den „Gesalbten" und „Hirten" Jahwes (Jes. 44,28; 45, 1—7; 41,25; 43,14). Auch die weisheitliche Tradition, die sich bewußt um die Ordnung der naturhaften und der sozialen Phänomene erkennend bemühte, wußte um Jahwes erhaltendes und regierendes Wirken hinter und in allem Sozial- und Naturgeschehen und auch die späte Weisheitsliteratur hielt hieran trotz mancher resignativer Tendenzen besonders auf Grund des Zerbrechens des Tun-Ergehen-Schemas fest (Hi. 16,9ff.; 19,25; Pred. 7,15; 8,17; 11,5). So lebte der alttestamentliche Glaube im und vom Wissen um Jahwes erhaltendes und regierendes Mitsein und -wirken in Rettung, Segen und Verweigern, d. h. im Heil, im Guten wie auch in Gericht und Leid 1β . 13

Vgl. V. Maag, Der Hirte Israels, Schweizerische Theologische Umschau (28) 1958, S. 2 ff. 14 Vgl. G. v. Rad, Das formgesdiichtlidie Problem des Hexateuch, S. 50 f. 15 Vgl. G. v. Rad, Theologie des AT I, S. 324 ff. 16 Neben den zahlreichen alttestamentlichen Aussagen zu Jahwes segensreichem Wirken (u.a. Gen.26,3; Ps.l47,8ff.; 127; 136 usw.) kennt das AT auch Jahwes ver151

Diese Jahwes unmittelbares Mitwirken so stark in den Lichtkegel rückenden Aussagen sind nun zu ergänzen von den Gedanken zum verantwortlichen Eigenwirken der Geschöpfe. Zwei Gedankengänge mögen das nur andeuten: Nach dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht hebt Gott das Land aus dem Wasser, damit es eigentätig „sprossen lasse junges Grün: Kraut, das Samen trägt, und Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen auf der Erde" (Gen. 1,11). Den Seetieren und Vögeln gibt Gott den Auftrag: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Wasser des Meeres" (Gen. 1,22), und einen ähnlichen Auftrag gibt Gott dem Menschen, seinem Ebenbild, d.h. seinem „Gegenüber", „zu dem er reden kann und das ihn hört" 1 7 und das ihm antwortet, das Gott weiter zu seinem „Mandatar" 1 8 über die Schöpfung einsetzte (Gen. 1,28). Entsprechend überträgt der jahwistische Schöpfungsberidit dem Menschen die Namenszuweisung für die Tiere (Gen. 2,19), also die Macht über die Tiere, und versteht ihn weiter als Planer, Madier und Träger von Kultur, Agrikultur, Handwerk und Technik (Gen. 4,2,21,22; 9,20; 11,Iff. und viele andere Textstellen aus dem AT wären hier zu erwähnen). Der andere Gedankengang versteht den Mensdien als einzelnen und in der Gemeinschaft Jahwe verantwortlich: in freier Wahl vermag er sich gegen Jahwe zu entscheiden und bestimmt damit über Segen und Fluch. Die jahwistische Urgeschichte stellt etwa den Bericht einer sich ständig verschärfenden Abkehr von Jahwe dar (Gen.3,Iff.; 4,8; 6,5; 11,Iff.); ferner wird das Schema eines geschichtlichen Kreislaufdenkens im Richterbuch durch den sich wiederholenden Abfall Israels von Jahwe neu in Gang gebracht (Ri.2,11,19; 3,7,12; 4,1; 6,1 usw.); weiter mißt der deuteronomistische Geschichtsschreiber die israelitischen und judäisdien Könige an ihrem Verhalten zur ausschließlichen Jahweverehrung im Jerusalemer Tempel (l.Kön.14,9; 15,1,12,18,26 usw.). Aus der prophetischen Literatur sei nur auf den „Botenspruch" verwiesen, der sein „Drohwort" mit einem „Scheltwort" begründet, das die konkrete Unrechtstat, sei es der Abfall von Jahwe, seien es soziale Mißstände und Ungerechtigkeit, anprangert (z.B. Am.3,9—11; Hos.2,8ff.; Jes.5,11— 14; Jer. 5,1—6). Auf die das verantwortliche Handeln des Gesdiöpfes voraussetzenden Gebote in den zahlreichen alttestamentlichen Gesetzeskorpora sei nur hingedeutet. weigernd-riditendes und zorniges Wirken: Ex. 10,20,27; 2.Sam. 17,14; Hi. 1,12,21; 10,2; 13,15,26; 1 6 , l l f í . ; 19,6ff.; Pr.3,10; 7,14f.; Jes.45,7; Ps.18,8; 88,7; 90,3ff.; Jer.4,6; Joel 1,15; 2,1; Am.4,6ff. oder die Texte zum Taumelbedier: Jes.51,17,22; Jer.25,15,28; Hi.21,19fi.; Ps.60,5. 17 Vgl. Cl. Westermann, Genesis, Bibl. Kommentar AT, S. 217. 18 Vgl. G. y. Rad, Theologie des AT I, S. 160.

152

So stehen sich die Aussagen über das eigenständige Wirken und verantwortliche Handeln des Geschöpfes einerseits und über Jahwes allmächtiges Dabeisein und Mitwirken in Geschichte und Natur andererseits gegenüber. Im Leben des glaubenden Israeliten sind sie jedoch verbunden: der Glaubende weiß sich in seinem Handeln von Jahwe begleitet, in der Antwort des Glaubens weiß er das geschöpfliche Eigensein und -wirken unter Jahwes allmächtiges Wirken in Geschichte und Natur gestellt. G. v. Rad hat für das Deuteronomium herausgearbeitet, daß die Gesetze als „Explikation des Gebotes, Jahwe zu lieben und ihm allein anzuhangen (Dtn.6,4f.) K 19, zu verstehen sind. Die Struktur der Einheit von Indikativ und Imperativ des NT ist hier vorgeprägt: D t n . 6 , 1 8 ; 8 , 1 ; 1 1 , 8 f . ; 1 6 , 2 0 ; 1 9 , 8 f . ; 2 8 , 9 usw. In der von Jahwes Segen begleiteten Erfüllung des Gebotes sind geschöpfliches Wirken und Jahwes Wirken verknüpft 20 . Ferner weiß der Glaubende des AT in seinen Antworten Vgl. ebd. S. 243 ff. Besonders mag nodi auf die Textgruppe des „Mitseins" Jahwes hingewiesen werden, der in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Cl. Westermann hat das Mitsein Jahwes als Explikation des lebensfördernden, beständigen Segenswirkens Jahwes in den alltäglichen Dingen verstanden (Cl. Westermann, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, S. 33, 86, 94 und Genesis, S. 222 f.). Während nun H. D. Preuß in seinem Aufsatz „ . . . ich will mit dir sein", ZAW (80) 1968, S. 148, 153, 159 zu zeigen versucht, daß das Mitsein Jahwes als Motivformel des heilsgeschichtlidien Denkens Israels aufgrund der Rettungstaten Jahwes in der Geschichte verstanden werden muß, versucht D. Vetter im Anschluß an Cl. Westermann nachzuweisen, daß die Formel des Mitseins Jahwes im Gedanken des gegenwärtigen kontinuierlichen Segenswirkens Jahwes verankert ist (Jahwes Mit-Sein — ein Ausdruck des Segens, in: Festschrift für Cl. Westermann zum 60. Geburtstag, noch nicht veröffentlicht). Auf diese Diskussion soll nicht eingegangen werden. Es soll nur darauf hingedeutet werden, daß in all den Textstellen zum „Mitsein" Jahwes, die bei D. Vetter eine klare Zusammenstellung gefunden haben, entweder a) das von Jahwe begleitete Eigenwirken explizit genannt wird oder b) vorausgesetzt wird. 19

20

Aus der Väterzeit: a) u . a . Gen. 2 1 , 2 2 ; 2 6 , 3 ; 2 8 , 1 5 , 2 0 ; 31,3; b) u . a . Gen.21,20; 2 6 , 2 8 ; 31,5. Aus dem Zeitraum zwischen Exodus und Staatenbilden a) u . a . Ex. 3,12; Din. 31,23; Jos. 1 , 9 ; Ri. 1 , 1 9 , 2 2 ; 6 , 1 6 ; Ex. 18,19; 10,10; b) D t n . 3 1 , 8 ; Jos. 1 , 5 ; 3 , 7 ; 7 , 1 2 ; N u m . 1 4 , 4 3 ; D t n . 2 , 7 ; 20,1. Aus der Zeit der staatlichen Existenz Israels und des Exils: a)u. a. l . S a m . 1 0 , 7 ; 17,37; 2.Sam.7,3; l . S a m . 2 0 , 1 3 ; G e n . 3 9 , 2 , 2 3 ; J e s . 4 3 , 2 ; 2.Sam.7,9; 2 . K ö n . l 8 , 7 ; A m . 5 , 1 4 ; P s . 2 3 , 4 ; b) J e s . 4 3 , 5 ; Ps.91,15; G e n . 3 9 , 3 , 2 1 ; l . S a m . 3 , 1 9 ; 18,14.

l.Sam.16,18;

Aus nachexilischer Zeit: a) u. a. Hagg.2,4; l . C h r . 2 8 , 2 0 ; 2 . C h r . l 5 , 2 ; 1 9 , 6 , 1 1 ; 2 0 , 1 7 ; 32,7; l.Chr.22,11,16; Esral,3; 2.Chr.l7,3; b) 2.Chr.32,8; Sadi.8,23; l . C h r . 2 2 , 1 8 ; 2 . C h r . l , l ; 15,9; 35,21.

Sadi.10,5;

153

um Jahwes erhaltendes und regierendes Mit- und Inwirken mit und in dem geschöpflichen Eigensein und -wirken in Geschichte und Natur. Im „berichtenden Lob" des einzelnen oder des Volkes — womit Cl. Westermanns Terminologie übernommen wird 2 1 — schließt sich an die Ankündigung des Lobpreises ein die konkrete Gottestat bekennender Bericht an (z.B. der Dank für die Gesundheit: Ps.30,3; das Bekenntnis der Errettung aus dem Verderben: Ps.40,3—4; 116,6—8 usw.); dieser bekennende Bericht ist oft mit einer Zuversichtsäußerung oder einer Vertrauensaussage verbunden (Ps. 116,9—10; 18,29—30). Im „beschreibenden Lob" folgt auf den Ruf zum Lobpreis die Begründung in Form einer allgemeinen Aussage über Jahwes Schöpferwirken und sein Erhalten, Regieren und Mitsein in Natur und Geschichte (z.B. Ps.33,4—18): so preisen Ps. 105,8—45; I I I , 2—9;113 JahwesWirken in der Geschichte, Ps. 147,8; Ps.65,10—14; Ps. 104 Jahwes schöpferisches, erhaltendes und regierendes Wirken in der Natur, Ps. 135, 4—18; 136; 146,5—10; 147,2 ff. Jahwes Wirken in Natur und Geschichte. Ebenso preisen in hymnischem Stil die deuterojesajanischen „Heilszusagen" Jahwe, den Schöpfer und Herrn der Geschichte (Jes. 41,9—16; 43,1—7; 44,1—5 usw.), und die „Heilsankündigungen" sein zukünftiges segensreiches Wirken (Jes. 41,17—20) 2 2 . Die Aussagestruktur des beschreibenden Lobs findet sich auch in der Klage. In der „Klage des Volkes" folgt auf die Anrede und Klage das Bekenntnis der Zuversicht zu Jahwes Mit- und Dabeisein in Geschichte und Natur (Ps. 80,9—12; 74,12—17; 44,2—4; 115,9—11). In der „Klage des Einzelnen" folgt auf die Anrede und Klage das „Bekenntnis Es handelt sich bei diesen Texten aus den verschiedenen Epochen um Zusagen, Feststellungen, Wünsche und Grüße, wie D. Vetter herausgearbeitet hat. Besonders sei noch auf folgende Texte hingewiesen, die eine auffallende Strukturähnlichkeit aufweisen: Gen.31,3; Ex.18,19; l.Sam.10,7; l.Sam.17,37; 2.Sam.7,3; Jes.8,10; Am. 5,14; Hagg.2,4; l.Chr.17,2; 22,16; 28,20; 2 . C h r . l 9 , l l ; 20,17. Gemeinsam ist diesen Texten, daß hier ein Imperativ verbunden ist mit der Zusage von oder dem Wunsch nach Jahwes Mitsein. Verknüpft ist der Imperativ mit einer durch ein Ό (l.Sam. 10,7; 2.Sam.7,3; Jes.8,10; Hagg.2,4; l.Chr. 17,2; 28,20) oder ein Ί-kopulativum (Gen. 31,3; Ex.18,19; l.Sam. 17,37; Am.5,14; l.Chr.22,16; 2 . C h r . l 9 , l l ; 20,17) eingeleiteten Zusage oder einem Wunsch in 1. oder 3. Person. Eine gewisse Entsprechung finden diese Texte im Heilsorakel, das an den Ruf „Fürchte dich nicht!" eine Begründung anschließt. Es gibt auch eine nicht geringe Zahl von Heilszusagen und Heilsankündigungen, die den Gedanken des Mitseins Jahwes aussagen (Gen. 26,24; Dtn. 20,1; 31,8; Jos. 1,9; Jes.41,10; 43,5; Jer.1,8; 15,20; 42,11 f.; 46,28; 2.Chr.20,17; 32,7). Diese Texte weisen nun in ihrer Struktur eine auffällige Affinität zu neutestamentlidien Texten des Indikativ-Imperativs, besonders zu Phil. 2,12 f., auf. 2 1 Vgl. Cl. Westermann, Das Loben Gottes in den Psalmen, S. 61 ff.; 76ff. 22 Cl. Westermann unterscheidet in „Das Budi Jesaja", ATD 19, S. 13 ff. zwischen „Heilszusage" und „Heilsankündigung".

154

der Zuversicht" und die „Gewißheit der Erhörung" 23 , eingeleitet durch ein J-adversativum in Form eines „Heilsorakels", so daß sich bei diesen Bitten des Einzelnen keine feste Grenze ziehen läßt zwischen „erhörten" und „offenen" Bitten 24 . Dieses Heilsorakel preist Jahwes Hilfe (Ps. 13,6), seine Rettung aus Trauer (Ps.6,9), seine Stärkung des Elenden (Ps.22, 25 ff.), sein Mitsein (Ps. 27,9 f.), seine Befreiung der Verfolgten (Ps. 142,8), seine Unterstützung der ohne Jahwes Hilfe Schwachen (Jer. 10, 23). So bekennt der Glaubende des Alten Testaments im Lobpreis und Gebet Jahwes rettendes Helfen und segnendes Dabeisein in Geschichte, Natur und Privatbereich; er ist sich des unmittelbaren Getragen- und Gehaltenseins durch Jahwe gewiß und weiß sich ebenso zu aktivem, verantwortlichem Eigenwirken herausgefordert. Nicht um theoretisch-abstrakte Überlegungen über die Art und Weise des Zusammenwirkens von Schöpfer und Geschöpf geht es ihm dabei. 2.3. Die Affinität der älteren Weisheit zu einem. Concursusdenken Eine entfernte Affinität zu einer reflektierenden Betrachtung des Verhältnisses von Jahwes Allmachts wirken und geschöpflichem Eigensein und -wirken findet sich in den Sprüchen der älteren Weisheit; denn schon in der Struktur eines Spruches liegt ein generalisierend-lehrhaftes Element, das erst durch die Reflexion gewonnen wird. G. v. Rad hat folgende Spruchgruppe auf Grund ihrer gemeinsamen Satzstruktur und ihres Inhalts als zusammengehörig erkannt 25 : Spr. 16,9; 16,1; 16,2; 16,33; 19,21; 21,2; 21,31; 29,26; ferner audi der schon erwähnte Vers Gen. 45,7 f. und Gen. 50,20. Das Gemeinsame dieser Textstellen aus dem Sprüchebuch liegt einmal in ihrer Form: es handelt sich jeweils um eine Parataxe, zwei Hauptsätze werden durch ein Vadversativum in Kontrast gesetzt; die Ähnlichkeit besteht zum andern in ihrem Inhalt: einer alltäglichen Erfahrung des Denkens, Planens und Sorgens der Menschen wird als Begrenzung Jahwes letztlich entscheidendes Wirken und Lenken entgegengestellt. Es handelt sich bei diesen Sprüchen um konstatierende Aussagen der älteren Weisheit, also jener geistigen Strömung des alten Orients, die nach rationaler Durchdringung und systematischer Ordnung der empi23 Cl. Westermann, Das Loben Gottes in den Psalmen, S. 55. Besonders eindrucksvoll erscheint der Wechsel von der Bitte zum Bekenntnis der Zuversicht in den Klageliedern Jeremias (Jer. 20,11 ff.) angesichts der Sdimerzensschreie des Angefochtenen : „Unredit! Gewalttat!" (V. 8) und der Anklagen des Hiob (Hi. 16,19ff.; 19,25) angesichts der sich aufbäumenden Verzweiflung: „ W a r u m . . . ! " (Hi. 10,18), „Gewalt!" (19,7). 24 Ebd., S. 60,54. 25 Vgl. G . v . R a d , Theologie des A T I, S . 4 5 2 f . und Weisheit in Israel, S. 131 ff.

155

risdien Erfahrung im Naturgeschehen und im sozialen Zusammenleben der Menschen strebte und mit großer Verstandeskraft solche Ordnungen festlegte. Man bemühte sich daher um Vernunfterkenntnis in Rückkoppelung an die Erfahrung 2 e , erkannte also die „relative Eigengesetzlichkeit immanenter Abläufe" und die „relative Eigenwertigkeit der Lebensgüter" 27 , wußte aber zugleich hinter allen beobachteten Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten Jahwes Wirken. Welterfahrungssätze und Gotteserfahrungssätze , Vernunft- und Glaubenserkenntnis, Verstandes- und Vertrauensaussagen waren aufeinander bezogen; „ja, gerade weil dieses Wissen um Jahwe so stark, so indiskutabel war, gerade darum konnte Israel es sich leisten, auch in ganz weltlicher Form von den Ordnungen dieser Welt zu reden" 2 8 . Diese geistige Atmosphäre spiegeln die genannten Sprüche wider; in einer gewissen Grundsätzlichkeit wird hier betont, daß hinter den empirisch erfahrbaren Phänomenen Jahwe dennoch der Dabeiseiende ist. Freilich geht es auch hier nicht um eine lehrhaft-reflektierende Klärung des Verhältnisses von Vernunft- und Gotteserfahrung. „Es sind einfach Beispiele aus dem Leben, an denen man das Dazwischentreten des göttlichen Geheimnisses anschaulich demonstrieren kann" 2 9 . In dieser geistigen Bewegung stehen auch die beiden Textstellen aus der Genesis, aus der elohistischen Bearbeitung der Josephsnovelle 30 : Gen. 4 5 , 7 f . ; 50,20. Erwähnt werden mag nodi, daß in der jüngeren Weisheit das Vertrauen auf Jahwes Walten und Wirken in allem scheinbar eigengesetzlichen Geschehen, auf das das Denken der älteren Weisheit immer gegründet war, in eine Krise geriet 31 : sei es, daß man Jahwes Wirken in das Prokrustesbett eines Tun-Ergehen-Schemas hineinspannnte, so daß mit dem Zerbrechen dieses Schemas auch die Glaubensgewißheit zerstieb (Hi. 4,7; 8,3; 15,4ff.); sei es, daß man die Verborgenheit Jahwes in seiner tiefen Grausamkeit erfuhr, daß Jahwe nur noch als „Feind des Menschen", als „Zerrbild eines Teufels" 3 2 , erschien ( H i . 3 , 3 ; 10,18; 13,15; 1 6 , l l f f . ) . 20

Vgl. audi Chr. Bauer-Kayatz, Einführung in die alttestamentliche Weisheit, S. 11 ff. 28 " G. y. Rad, Weisheit in Israel, S. 83. Ebd., S. 88. 29 Ebd., S. 136. 30 Vgl. G. v. Rad, Die Josephsgeschidite, S. 10; Das erste Buch Mose-Genesis, S. 383 f. L. Ruppert hat in „Die Josephsgesdiichte der Genesis", S. 196 f. und 230 nachgewiesen, daß der bekannte Vers Gen. 50,20 nicht als weisheitlidie Aussage zu verstehen ist, da die Vorstellung eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs hier aufgelöst ist; dennodi erkennt audi er die weisheitliche Tradition dieser Stelle an. 31 Vgl. G.v.Rad, Weisheit in Israel, S. 245ff.; Theologie des AT I, S. 467ff.; H. D. Preuß, Erwägungen zum theol. Ort alttestamentlicher Weisheitsliteratur, EvTh (30) 1970, S. 400 ff. 32 G. v. Rad, Weisheit in Israel, S. 280.

156

In diesen bis zum Zerreißen gespannten Anfechtungssituationen blieb dann nur die Möglichkeit des Sich-anklammerns an Jahwe: „Ich aber weiß: mein Anwalt lebt, und ein Vertreter ersteht mir über dem Staube" (Hi. 19,25) oder die distanzierte Betrachtung einer skeptischen Resignation: „ . . . wie ist alles so nichtig" (Pr. 1,2; 12,8).

3. Neutestamentliche 3.1.

Erwägungen zur

Concursusfrage

Vorbemerkungen

Die alttestamentliche Gewißheit von Jahwes Dabeisein und Mitwirken mit den relativ eigentätigen Geschöpfen findet seine absolute Erfüllung im neutestamentlichen Glauben an Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus, wie sie in den urchristlichen Bekenntnissen und Hymnen des Neuen Testaments ausgesagt wird (Rom. 1,1—3; Gal. 4,4; aber auch Kol. 1,15ff.; Hebr.1,1—3). Im folgenden sind die in der Theologiegeschichte vorgegebenen neutestamentlichen Textstellen zum Concursusthema und die neutestamentlich-theologischen Erwägungen zum Zusammenwirken des Schöpfers mit seinen Geschöpfen in diese Kontinuität und Diskontinuität mit den alttestamentlichen Aussagen zu Jahwes Mitsein zu stellen. 3.2. Einzelanalyse der in der Theologiegeschichte vorgegebenen stellen zum concursus divinus

Text-

Entsprechend Anhang I soll ganz kurz auf folgende neutestamentliche Textstellen eingegangen werden: Phil.2,12f.; 4,13; l.Kor.12,6; 2.Kor.3,5; Röm.11,36; Mt. 10,29; 6,30; Apg. 17,28; Joh. 5,17; 15,5; Kol. 1,17; Hebr. 2,10. Phil. 2,12f. : "Ωστε, αγαπητοί μου, . . , μετά φόβου κάί τρόμου την ¿αυτών σωτηρίαν κατεργάζεστε" ϋεός γάρ εστίν ο ενεργών εν νμΐν και το •&έλειν κάί το ένεργεϊν ύπερ της ευδοκίας. Die Textstelle — es ist die am häufigsten in der Theologiegeschichte zum Concursusthema genannnte — stammt aus einem Brief oder Briefteil, den Paulus aus der Gefangenschaft in Ephesus an die von Unruhestiftern verwirrte Gemeinde in Philipp! schrieb (Phil. 1,1—3, l) 1 . Paulus 1

Vgl. G. Bornkamm, zuletzt in „Paulus", S. 96; 248 f. 157

ermahnt hier die Gemeinde zur Einmütigkeit und Demut (2,2 f.) und begründet den Gedanken mit dem Christushymnus (2,6—11). Anschließend folgt unser Text: der Imperativ, mit Furcht und Zittern die eigene Rettung zu schaffen, und die parataktische Begründung: denn Gott ist es, der in euch wirkt das Wollen und das Vollbringen. Auf der logischen Ebene wird man einen Widerspruch zwischen der Aufforderung zum Eigenwirken des Glaubenden und dem begründeten unmittelbaren Allmachtswirken Gottes konstatieren müssen; es ist ein Widerspruch, der rational nicht aufzulösen ist. Um eine logische Abgrenzung geht es Paulus jedoch auch gar nicht; „Paulus . . . redet nicht davon, daß die beiden Sätze sich ergänzen, daß also des Menschen Fähigkeit bis zu einer gewissen Grenze reicht, bis sie dann von der übernatürlichen Gnade weitergeführt werden muß, sondern er meint, daß beide Sätze sich begründen. Weil Gott alles wirkt, darum habt ihr alles zu tun." 2 Was denkerisch nur in der komplementären Zuordnung der beiden Sachverhalte zu bewältigen ist, gehört im Leben des Glaubenden untrennbar zusammen, des Glaubenden, der als die in Jesus Christus erneuerte Kreatur mit dem Philipperhymnus Christus als den Herrn preist s und der das, was er als Christ ist, zeigt und bewährt4. Phil. 4,13: πάντα Ισχύω εν τω ένδνναμονντί με. In diesem Vers aus dem Dankbriefteil (4,10—20) des Philipperbriefes 5 bekennnt der Apostel, daß seine Kraft und Stärke, sein Vermögen und Unvermögen im Wohlergehen und im Leiden allein in Jesus Christus liegt, der Leben, Freiheit und Stärke denen gibt, die an ihn glauben. 1. Kor. 12,6: και διαιρέσεις ενεργημάτων είσίν, ο δε αυτός Ό ιός δ ενεργών τà πάντα εν πάσιν. Der Vers steht im 12. Kapitel des l.Korintherbriefes über die Einheit der vielerlei Gaben in der Gemeinde. Nach der Betonung der Einheit der verschiedenen Charismen und Dienste (V.4f.) geht Paulus auf die Einheit der verschiedenen Kraftwirkungen ein, die in Gott liegt, der ja alles in allem wirkt. Die „Allmachtsformel·' β : τά πάντα εν πάσιν (vgl. Gal. 2,8; 3,5; Phil. 2,13) soll dabei Gottes unmittelbares und umfassendes Wirken in den Charismen, Diensten und Kraftwirkungen, in allem Tun der Glaubenden anzeigen. 2 Vgl. G. Bornkamm, Der Lohngedanke im NT, Studien zur Antike und Christentum, S. 91. Vgl. ebenfalls E. Dinkier, Prädestination bei Paulus, S. 92 f., Festschrift für G. Dehn und R. Bultmann, Gnade und Freiheit, Glauben und Verstehen II, S. 160. 3 Mit ωατε schließt sich ja Vers 12 direkt an den Philipperhymnus an. 4 K. Barth, Erklärung des Philipperbriefs, S. 67. 5 G. Bornkamm, Paulus, S. 248. • H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther, S. 245.

158

2. Kor. 3,5 : ούχ δτι αφ' εαυτών Ικανοί έσμεν λογία ααϋαί τ ι ώς εξ εαυτών, άλλ' ή ικανότης ημών εκ του §εοϋ, Von ähnlichem Inhalt wie der vorher genannte Vers ist diese Textstelle aus der ersten großen Apologie 7 des Apostelamtes des Paulus gegen seine Gegner in Korinth. Der Apostel weist darauf hin, daß er keine Empfehlungen für die Echtheit seines Amtes brauche; seine Empfehlung seien die von ihm gegründeten Gemeinden in Korinth. Er podie auch nicht auf seine eigene Tüchtigkeit, diese stamme vielmehr von Gott, der in Jesus Christus das neue Leben gebracht hat und zugleich die Gemeindeglieder zu Dienern und Werkzeugen des neuen Bundes befähigt hat. Es wird also die Abhängigkeit aller eigenen Fähigkeiten von Gott ausgesagt, da sie nur als Verwirklichung der neuen Wirklichkeit des christlichen Indikativs anzusehen sind. Rom. 11,36: οτι εξ αντοΰ καΐ δι' αύτοϋ και είς αυτόν τά πάντα· αντίο ή δόξα είς τους αιώνας· αμήν. Dieser Vers steht an einer Nahtstelle des Römerbriefes: am Schluß der Darstellung der Heilsgeschichte des Volkes Israel (Kap. 9—11) und dem Beginn des paränetischen Teils (Kap. 12—15). Der Text bildet den Schluß der triadischen Doxologie (11,33ff.): Gott ist Schöpfer, Erhalter und Ziel aller Dinge. V. 33, dem eine ältere stoische Formel" 8 zugrunde liegt, preist in der sich aus den drei Präpositionen zusammensetzenden Doxologie: εκ .. . δια . . . εις Gottes allmächtiges Wirken in allem. Für K. Barth bilden diese Präpositionen übrigens den Anknüpfungspunkt für die Dreigliederung seiner Vorsehungslehre in der „Kirchlichen Dogmatik". Mt. 10,29 (par Lk. 12,6): ουχι δύο στρου&ία άσσαρίου πωλείται; και εν εξ αυτών ού πεαεΐται επί την γην ανευ τοϋ πατρός υμών. Es handelt sich um einen Weisheitsspruch der jüdischen Frömmigkeit über Gottes souveränes Walten und Mitsein in allem Geschehen: in den kleinen Ereignissen und in den großen. Auf religionsgeschichtliche Parallelen in der jüdischen Literatur weist R. Bultmann hin 9 . Jesus selbst mag den Weisheitsspruch auf Grund seiner jüdischen Tradition in seiner Verkündigung aufgegriffen haben, wenn er auch keine direkte Umprägung durch Jesu eschatologische Botschaft erfahren hat. Auf jeden Fall findet sich dieser Weisheitsspruch in der Logienquelle, aus der Matthäus ihn in seine Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis der Kirche (Mt. 10,26—32) eingebaut hat: die Kirche, das neue Gottes7 8 8

G. Bornkamm, Paulus, S. 247; 93. O. Michel, Der Brief an die Römer, S. 286. Vgl. R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, S. 112. 159

volk, das an die Stelle der ungläubigen Juden getreten ist, soll allen Völkern (Mt.24,14; 28,19) die Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Davids und Abrahams (Mt. 1,1), verkündigen und in Verfolgung Gottes Mitseins gewiß sein; denn alle, gerade auch die kleinen Dinge, stehen unter Gottes Regierung. Mt. 6,30 (par. Lk. 12,28): εΐ δε τον χόρτον τον άγροϋ σήμερον δντα και ανριον είς κλίβανον βαλλόμενον δ Ί}εός όντως άμφιένννσιν, ον πολλώ μάλλον νμας, ολιγόπιστοι ; Dieser alttestamentliche Vorstellungen aufgreifende Vers (Ps. 102,12; 90,5 f.) steht innerhalb der Bergpredigt in der Warnung vor dem ängstlichen Sorgen (Mt.6,25—34). Die ganze Perikope ist sehr stark von dem weisheitlichen Verständnis von Gottes Dabeisein in allem Naturgeschehen geprägt, wie besonders die Weisheitslogien V. 26, V. 34 zeigen (vgl. auch die jüdischen Parallelen, die R. Bultmann erwähnt) 10 . Ganz ähnlich weist auch das Maschal Mt.5,45 auf Gottes segnendes Wirken über Böses und Gutes, wobei dieser Weisheitsspruch nun ganz in den Tenor der Perikope über das Gebot der Feindesliebe eingeordnet wird. Apg. 17,28: εν αντώ γαρ ζώμεν και κινούμεθα και έσμέν, ώς και τίνες των κα&' υμάς ποιητών είρήκασιν τον γαρ κάί γένος έσμέν. Der Vers stammt aus der Rede des Paulus auf dem Areopag in Athen, einer literarischen Komposition des Lukas, die Gott, den Schöpfer (V. 24—29), und Jesus Christus, den zukünftigen Richter, nach dem Vorbild der jüdischen Missionsreden verkündigen will. Dieses literarische Werk ist sehr stark von Gedanken der griechischen Popularphilosophie bestimmt: Gott ist der, der nicht bedarf, der allen alles gibt (V. 25), der alles wirkt, wie das Dichterzitat ausspricht: „Seines Geschlechts sind wir." Audi die stoisch-pantheistische Triade 11 in diesem Vers verweist hierauf: ζώμεν . . . κινούμε&α . . . εσμεν. Joh. 5,17: ο