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German Pages 80 [81] Year 1987
LUCIAN KUDERA
Das Modell der Ideologie
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 50
Das Modell der Ideologie
Von
Lucian Kudera
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Kudera, Lucian: Das Modell der Ideologie / von Lucian Kudera. Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd.50) ISBN 3-428-06245-0 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten &. Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter VOigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany
© 1987 Duncker
ISBN 3-428-06245-0
Für
Johannes Alexander Michael Stefan
Inhalt I. Womit kann angefangen werden? ................................ 9 1. Das Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13 2. Das Ich ................................................... 16 11. Begriffsbestimmung der Ideologie ................................ 1. Übereinstimmung des Menschen mit dem Menschen ............. 2. Dogmatischer Antidogmatismus ...................... . ....... 3. Subjektivität des Erkennens ..... . .............. . ...... . ..... 4. Ich und Über-Ich .......................................... 5. Gleichheit ................................................ 6. Einheit von Theorie und Praxis .............................. 7. Determiniertes Bewußtsein .................................. 8. Gesellschaftlicher Nexus ............... . .............. . ..... 9. Bildungsideal .............................................
22 23 28 32 33 36 38 45 47 49
111. Determiniertes DenkeIi ......................................... 1. Identität des Ichs außerhalb der Wirklichkeit ................... 2. Subjektivität der socialitas .................................. 3. Spinozas Einheit ...................... . .............. . ..... 4. Vico: Wahr ist das Geschaffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Die soziale Gewöhnung als Entfremdung ...................... 6. Der dialektische Prozeß bei Lukacz ........................... 7. Freyer: Wollen ergibt Erkennen .............................. 8. Mannheims totaler Ideologiebegriff ........................... 9. Die Relativität des Bewußtseins ......... . .... . .... . .... . ..... 10. Adornos Subjekt-Objekt-Verhältnis .......................... 11. Was ist Negation? .......................................... 12. Das Denken geht über das Denken hinaus ..................... 13. Kritik an der Gesellschaft ist Erkenntniskritik (Adorno) .........
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IV. Das Verstehen der Wirklichkeit .................................. 1. Die Leugnung der Vernunft des Wirklichen .................... 2. Kritik als schöpferischer Akt ................................. 3. Die unendliche Negation von Subjekt und Objekt ...............
68 68 69 69
Literaturverzeichnis ............................................... 71
Einige haben die Ansicht vertreten, daß unsere Erkennt~ niskräfte nur ihre eigenen Modifikationen (Erleidungen) erkennen ... Demgemäß verstehe auch der Verstand nichts als seine subjektive Modifikation, nämlich ... das von ihm aufgenommeme Erkenntnisbild. Doch diese Meinung erweist sich aus zwei Gründen als offensichtlich falsch. Erstens das, was wir mit dem Verstande erkennen, und das, wovon die Wissenschaften handeln, ist dasselbe. Wenn unsere Denkkraft ausschließlich subjektive, in der Seele befindliche species erkennen würde, dann könnten die Wissenschaften sich auf keine außerhalb des Denkens stehenden Objekte beziehen. Zweitens würde sich aus dieser subjektiven Deutung des menschlichen Erkennens die Folgerung ergeben, daß alles was ins Erscheinen gerät, schon deshalb wahr ist und daß auch zwei widersprechende Behauptungen zugleich wahr sind. Wenn nämlich das Vermögen nur die eigene Erleidung erkennt, urteilt es bloß über diese.
Thomas von Aquin, Summa theologica, I, 85, 2 Die Krankheit unserer Zeit ist es, welche zu der Verzweiflung gekommen ist, daß unser Erkennen nur ein subjektives und daß dieses Subjektive das Letzte sei. Nun aber ist die Wahrheit das Objektive, und dieselbe soll die Regel für die Überzeugung aller sein, dergestalt, daß die Überzeugung des Einzelnen schlecht ist, insofern sie dieser Regel nicht entspricht. Nach der neueren Ansicht dagegen ist die Überzeugung als solche, die bloße Form des Überzeugtseins, schon gut, - der Inhalt mag sein wie er will, denn es ist kein Maßstab für seine Wahrheit vorhanden. Hegel, G. W. F. System der Philosophie, Ausg. Glockner, Bd. 8, Stuttgart 1955, S. 81
I. Womit kann angefangen werden? Es wird nichts zur Problematik der Ideologie gesagt werden können, wenn nicht zuvor ein Hinweis gegeben wird, woraus man die Berechtigung zu Aussagen über das ideologische Denken herleitet. Denn, wenn die Bezeichnung Ideologie in dem Sinne gebraucht wird, daß hier ein für den einzelnen nicht erkennbares Mißverstehen der Wirklichkeit gemeint ist, dann wird jeder, der zur Ideologie etwas zu sagen versucht, den, der eine andere Meinung vertritt, als Ideologen bezeichnen. So können Kampfgruppen gebildet werden, die ein Miteinander-Reden unmöglich machen. Der Platz auf dem derartige Kämpfe ausgetragen werden, ist aber nicht mehr durch die eigentliche Frage: Was hat es mit unserer Wirklichkeit auf sich? gekennzeichnet, sondern dieser Kampf findet dann auf ganz anderen Plätzen statt, die mit dieser Frage nur noch indirekt im Zusammenhang stehen. Das ist besondsers in der politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West der Fall. Das ist aber auch dort der Fall, wo die Vertreter verschiedener Lehrmeinungen über die wesentlichen Dinge ihres Erkennens nicht mehr miteinander reden können und wo es dann sehr robust um die Verteidigung von Positionen geht. Hat man eine Position errungen, dann verteidigt man sie mit anderen Mitteln und schließt die Frage nach dem, worin wir leben, aus. Überhaupt ist das Fragen unbeliebt, denn es könnte sich ja dabei die Situation ergeben, daß die Beantwortung einer Frage eine neue Frage nach sich zieht und daß in dem Fragen eine Kette sichtbar wird, die zumindest den Erweis bringt, daß dem Menschengeist eine Offenheit für alles Seiende zu eigen ist. Selbstverständlich gibt es zwischen den Ideologien Übertritte und "Bekehrungen", die in gewisser Weise sogar immer durch ein ÜberzeugtSein gerechtfertigt sind. Aber worin liegt die Garantie, daß die Rechtfertigung der einen sogenannten Sicht der Dinge und die Ablehnung der anderen nun als Ideologie erkannten Sicht nicht genauso ideologisch ist? Läßt sich nicht in gewisser Weise, wenn man auf diese Frage keine Antwort findet, Nationalsozialismus, Kommunismus, Demokratie, Positivismus, Empirismus und was es sonst noch gibt, auf gleiche Weise verteidi-
1. Womit kann angefangen werden?
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gen, daß es im Grunde einem geht, wie wenn man jahrelang an Gespenster geglaubt hat und nun eines Tages ein Gespenst erscheint, das verlangt, man solle diesen Glauben aufgeben. Gibt man ihn auf, so ist man demnach nicht von dem Glauben an Gespenster befreit, sondern hat im Gegenteil einen weiteren Beweis für diesen Glauben geliefert. Kolakowski hat diesen Sachverhalt folgendermaßen ausgedrückt: "Die Losung von einer völligen Befreiung von der Ideologie ist eine naive Fiktion, und diejenigen, die sich einbilden, daß es ihnen gelungen ist, sich von ihr zu lösen, werden zu Opfern einer Mystifikation, die selbst einen ideologischen Charakter hat. Um nämlich ctie~bschaffung der Ideologie zu fordern, muß man sie bewerten, und das ist ein ideologischer Akt." 1 Und doch muß eine Antwort darauf gefunden werden, woraus sich die Berechtigung für eine Aussage zum Ideologieproblem herleiten läßt. Angehöriger einer sozialen Gruppe, einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Staatsgebildes, einer Konfession zu sein und damit seine Weise des Erkennens zu begründen, ist im Grunde wiederum ideologisch. Die sehr vorläufige Antwort könnte lauten: "Nur im Bedenken des Ganzen ist das, was Ideologie genannt wird, verständlich; denn Ideologie ist die Teilwahrheit, die im äußersten nur die Relativität des Denkens gelten läßt. Bedenken des Ganzen bedeutet zuallererst, daß nichts ausgelassen werden darf. Aber woher weiß ich, daß es etwas gibt, das für mich und die Wahrheit, die ich suche, von Belang ist? Und wann lasse ich etwas aus? Allein, daß es in meinem Blickfeld steht, ist noch kein Erweis dafür, daß es damit der Berücksichtigung wert erscheint. Das wäre ja Ideologie. Das Ganze kann ich mir nicht vorstellen. Denn, wenn ich es könnte, dann bestände die Begrenzung in einem Horizont. Innerhalb dieses Horizontes wäre alles auszumachen; aber schon den Horizont auszumachen wäre eine Schwierigkeit. Noch etwas anderes ist zu überlegen: Ich kann nicht mit Beweisen beginnen, denn beweisen setzt ja schon voraus, daß etwas da ist, was bewiesen werden muß. Die Ideologie fängt mit dem Beweis an. Aber genausowenig kann ich mit dem Glauben an eine geoffenbarte Wahrheit beginnen, denn die Relevanz der Glaubensaussage, das heißt die Frage, was diese Aussage mit meiner Wirklichkeit zu tun hat, ist wiederum nicht selbst im Glauben enthalten. Ein derartiges System von Geboten
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Kolakowski, Leszek, Der Mensch ohne Alternative, München 1964, S. 35.
1. Womit kann angefangen werden?
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und Verboten aus dem Glauben abzuleiten, hieße, den Glauben ideologisieren. Gibt es denn überhaupt etwas? Ja, und das ist alles. Nein zu sagen wäre töricht, denn dann würde ich alles verneinen; wie zum Beispiel auch das, daß ich fragen kann. Das Nein wäre kein Beginn, sondern ein Ende. Es bleibt im Grunde nur das Ja, und das ist es auch, was Sokrates in Platons Dialogen seinem Gesprächspartner klarzumachen versucht. Wobei er aber gerade eine Patentantwort vermeidet, sondern im Gegenteil daran erinnert, daß das Fragen zum Menschsein gehört, und daß es im Grunde sein Nicht-Wissen ist, woraus er die Frage stellt. Aristoteles hat versucht, dieses Anliegen des Sokrates im Satz vom Widerspruch zu "systematisieren". Dieses System hat wiederum die Eigenart, über sich hinauszuweisen. Er sagt: "Es ist unmöglich, daß jemand annehme, dasselbe sei und sei unter der gleichen Rücksicht nicht. "2 Die Möglichkeit, daß dasselbe bejaht und zugleich verneint werde, ist eigentlich für jeden Menschenverstand so durchsichtig, daß darüber kaum ein Zweifel herrschen kann. Keiner käme hier auf den Gedanken, damit eine subjektive Erkenntnis zu verbinden. Es gibt nur ein Hinnehmen, was aber nicht das Annehmen einer Meinung bedeutet, sondern das Hinnehmen eines Sich-Befindens im Sein. Wenn Aristoteles weiter sagt, daß ein Beweis für den Satz vom Widerspruch nicht möglich ist, "wollte man diesen führen, so würde man das zu Erweisende dem Scheine nach voraussetzen"3, so wird im Grunde die ganze sokratische Aussage noch einmal deutlich. Nur ein indirekter Beweis sei möglich, daß ein Zweifler überhaupt etwas sage. Von diesem Gegner könne man aber nicht verlangen, "er solle erklären, daß etwas sei oder nicht sei, denn dies würde man schon für eine Annahme des zu Beweisenden ansehen, sondern daß er im Reden etwas bezeichne für sich wie für einen anderen; denn das ist ja notwendig, sofern er überhaupt etwas reden will. Wo nicht, so hätte ja ein solcher gar keine' Rede, weder zu sich selbst noch zu einem andern. Gibt jemand einmal dies zu, so läßt sich ihm auch die Wahrheit des Axioms erweisen; denn es ist dann schon etwas fest bestimmt. Die Grundlage zum Beweis aber gibt nicht der Beweisende, sondern der, welcher Rede steht; denn er steht Rede, obgleich er doch die Rede aufhebt. "4 2
3 4
Aristoteles, Metaphysik, 4,3, 1005 b, 23ff. Ebd., 4,4, 1006a, 17. Ebd., 23.
I. Womit kann angefangen werden?
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Im Verständnis des Aristoteles ist dieses so bezeichnete Sein zunächst einmal mehr als das durch den Menschen empirisch erkannte Sein. Das bedeutet aber andererseits, daß das von der Erkenntnis der Gestaltungskraft getroffene Sein voll und ganz im Sein enthalten ist. Weiterhin heißt Sein für Aristoteles, daß alles, was ist, seinen Grund in eben diesem Sein hat. Die Rechtfertigung jedes Dinges ist so durch seine je eigene Wesenheit bedingt. Was auf der anderen Seite auch bedeutet, daß nichts erkannt werden könnte, wenn es nicht- der Wesenheit nach erkennbar wäre. Diese Aussagen sind insgesamt vom ideologischen Denken angezweifelt worden. Aber das ist im Grunde nicht das Entscheidende. Schwerer wiegt das ideologische Frageverbot. Denn, wo Fragen gestellt werden, ist die Richtung das Offene. 5 Man verlangt eine Antwort, die aber wiederum zum Anlaß einer neuen Frage werden muß. Fragen ist so im Dialog das Mensch mit Mensch verbindende Element. Hier weiß man sich eins in der Verantwortung gegenüber der Sache, um die Subjektivität der Meinungen zu überwinden. Die Nicht-Begründbarkeit des Seins, die einfach daraus erklärt ist, daß dem Menschen der Beobachtungspunkt außerhalb des Seins nicht gegeben ist, wird im Fragen nicht etwa zum geglaubten Dogma, sondern ist im Gegenteil Anlaß zum Suchen nach Gründen, um das Sein in seiner Offenheit dem Menschen gegenwärtig zu erhalten. Dieses Fragen braucht nicht nur als wissenschaftliches Fragen verstanden werden, sondern gehört zum alltäglichen Leben des Menschen, zur Arbeit und Beruf, zu Ehe und Familie, zur Politik usw. Es ist das Kontinuum der Freiheit, die immer als Selbverwirklichungsmöglichkeit des Menschen aufgefaßt ist. Die philosophische Methode des Fragens heißt von alters her Dialektik. Das Sein ist so als das zu Suchende aufgefaßt worden, dessen Verbindlichkeit nicht darin besteht, daß man es als ein Ganzes annimmt, sondern als die unendliche Weite, die offen ist für die Verwirklichung des Menschen. Dabei ist aber der Mensch nicht selbst die offene Weite des Seins, sondern Mensch und Sein stehen sich gegenüber. Diese Überlegung spielt beispielsweise bei Thomas von Aquin eine Rolle, wo er die Ränge der Geister zu beschreiben versucht. Wirklichkeit und Möglichkeit sind hier das Gegensatzpaar. Je höher der Geist, um so mehr Wirklichkeit und weniger Möglichkeit, je niederer der Geist, um so weniger Wirklichkeit und um so mehr Möglichkeit. "Diese Reihe endet bei der 5
s. Gadamer, Hans Georg, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960, S. 348.
1. Das Sein
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Menschenseele, welche die unterste Stufe der geistigen Substanzen bildet"6. Das ist für diesen mittelalterlichen Philosophen ein Hinweis, der Mangel und Reichtum des Menschen in einem bedeutet. Mangel, weil die Fülle des Seins nur in der Erkenntnismöglichkeit offe steht. Reichtum, weil im Hinblick auf die Welt nur einer an der Fülle des Seins teilhat: der Mensch. Das bedeutet aber auch, daß der Reichtum des Menschen in der Welt ebenso der Reichtum des Menschen in der Gesellschaft ist. Die Dinge können hier nicht in dem Maße wahr sein, wie sie etwa wahr "für sich" oder unabhängig davon für das menschliche Gedachtsein sind. Nur in dem Maße sind die Dinge wahr, wie eine Beziehung zum Sein hergestellt werden kann. Die Überbrückung zum Sein braucht dabei nicht in einem lückenlosen Aufweis alles Vorhandenen zu bestehen, wie es dann in der Ideologie zur Aufgabe der Wissenschaft geworden ist, sondern in der Beziehung zum Sein können Dinge an ihren Möglichkeiten eingeordnet und erkannt werden. Das heißt andererseits: jedes Ding ist soviel wert, wie es Wert im Sein besitzt. Damit ist aber auch gleichzeitig gesagt, daß die Dinge Eigenwertigkeit besitzen, denn ihnen entspricht auf verschiedene Weise ein Teilhaben, so daß sich je nach Teilhabe am Sein der Seinsrang ablesen läßt. 7 Seit Sokrates ist demnach nicht das Denken das bevorzugte Thema der Philosophie, sondern das Bedenken des Seins, um aus Möglichkeit und Sein das Reale erkennbar zu machen. Das Denken an sich zu denken, käme so zu keinem Ergebnis. Es kann nur in dem deutlich werden, wo es ein Gedachtes findet, auf das es sich zu erstrecken vermag. So liegt im Erkennen die Bindung an das Sein, während später die Ideologie nur den Denkprozeß kennt, dem dann die Autonomie dessen fehlt, was in der Philosophie Vernunft genannt wird. 1. Das Sein
Im Sein befindet man sich unabhängig davon, ob man den Versuch anstellt, es zu bestimmen. Es ist das Verborgene, das aber in allem Seienden gegenwärtig ist und somit vom Seienden aus bestimmbar gemacht werden kann. Je weiter man eindringt um dieses Verborgene zu bestim6 Thomas v. Aquin, Über das Sein und das Wesen, deutsch-lat. Ausgabe, Darmstadt 1956, S. 51. 7 Vgl. hierzu Pieper, Joseph, Wahrheit der Dinge, München 1951, S. 84/85.
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1. Womit kann angefangen werden?
men, um so mehr wird der Charakter deutlich, der dem Sein zutiefst eigen ist: Anonymität, Unendlichkeit, Wahrheit in völliger Abstraktion. Die Überlegung geht darauf, zu erfahren, womit überhaupt angefangen werden soll. Es ist die Suche nach dem Grund, um das, was ist, in der Spiegelung dessen, was sein Grund ist, begreifen zu können. Nur so läßt sich eine Ausgangsposition finden, um eine Antwort auf die Ideologie zu geben. Sein ist die Fülle aller Möglichkeiten, der Grund der Differenzierung in höchster Potenz. Dabei ist es als Anfang nur Sein. Das bedeutet, daß es weder Synthese noch Sinn vor sich haben kann, wie es auch keine Ursache seines Seins zu sein vermag. In der Negation des Satzes vom Widerspruch ist gerade als erstes gesagt, daß im Erfahren des Seins die Unmöglichkeit deutlich wird, es irgendwie aus einem synthetischen Urteil zu erklären. Es ist entrückt und gegenwärtig zugleich. Die Vernunft ist somit nicht durch irgendeine Erfassungsweise, sondern durch das Sein selbst in Widerspruch gestellt, weil am Anfang dieser Überlegungen nicht irgendein Begriff vom Sein gesetzt werden kann. Nicht von einer Vorstellung kann ausgegangen werden, sondern nur von dem, was Sein selbst ist, um damit die Vernunft zu zwingen, dieses als Erstes anzusehen. Es ist eine Teilhabe der Vernunft am Sein und nicht umgekehrt, wie es die Ideologie zuallererst zu sagen versucht, ein Teilhaben des Seins an der Vernunft. Objektiv ist somit von hier aus alles, was teil hat. Die Ideologie weiß damit nichts anzufangen, weil hier das Sein in den Intellekt verlegt wird und weil so im Ausgangspunkt das Subjektive als Subjektives nicht mehr bestimmbar gemacht werden kann. Denn wenn alles Sein von der Subjektivität im Erkennen ausgehen soll, so steckt schon ein Widerspruch darin, daß auch diese Subjektivität nicht ausgemacht werden könnte, weil niemand dann über seine Subjektivität hinauszudenken vermag. Der Widerspruchssatz entzieht sich vollkommen der Möglichkeit, ihn zu einer Kategorie des Denkens zu machen. Es müßte sonst das Denken im Widerspruch zum Sein stehen. Gerade indem im Widerspruchs atz gezeigt werden soll, wovon auszugehen ist, wird gleichzeitig die Identität des Denkens mit dem Im-Sein-Stehen dargestellt. Die Lehre vom Sein will im Erweisen des Seins zugleich zeigen, wie das Gründende gesehen werden muß. So ist Metaphysik und Erkenntnistheorie in diesem Stadium unaufhebbar miteinander verbunden. Hier eine Trennung zu vollziehen würde auf der Seite der Metaphysik bedeuten, daß das Sein wie ein Klotz zu beschreiben wäre. Es wäre so nur noch
1. Das Sein
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die Erfahrungswirklichkeit ohne Bezug auf das Werden, da der Grund des Möglichen nur einem rationalen Erkenntnisakt zugänglich ist. Denn, wenn etwas ist, dann erschließt sich in der Erkenntnis zuallererst, daß es mehr als Nichts ist. Das Freisetzen dessen, was etwas ist, geschieht durch das Entdecken der den Dingen je eigenen Rationalität. Denken und Sein, Grund und Wesen, Logik und Onto-Logik sind hier nicht getrennt. Jedes Seiende kann seiner je eigenen Wirklichkeit und Möglichkeit nur aus dem Gründenden im Sein erfahren werden. Auf der Seite des Erkennens würde man bei einer gedachten Trennung von ens und ratio keine Antwort darauf geben können, daß das Erkennen immer nur erkennend geschehen kann und daß zuallererst das Problem gelöst sein müßte, wie es möglich sein soll, daß das zu Erkennende, nämlich das Erkennen, mit dem Erkennen selbst erkannt werden soll. Denn, so sagt Hegel, "die Untersuchung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen; bei diesem sogenannten Werkzeuge heißt dasselbe untersuchen, nicht anders als es erkennen. Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt, als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe er sich ins Wasser wage"8. Denken ist somit immer ein Bedenken des Gründenden. Wie Sein in seiner völligen Abstraktion als das Anonyme erscheint, aber nur am Seienden erkannt werden kann, weil Seiendes im Sein nur begründbar ist, so ist das Denken in der Abstraktion der Möglichkeit auch nur verständlich, daß etwas da ist, worüber gedacht wird. Auch Descartes will nichts anderes sagen, als daß in der Unbezweifelbarkeit des Zweifelns und Denkens das dahinterliegende Sein sichtbar wird, was früher ist und sich durch das Denken nicht verändern läßt. Hier ist ebenfalls nicht im entferntesten daran gedacht, das als wahr zu bezeichnen, was dazu gestempelt wird. Der Erkenntnisakt ist immer eine Abstraktion, und das besagt auf der einen Seite, daß man nicht in der Anonymität des Seins zu leben vermag, auf der anderen Seite, daß durch Abstraktion erst das deutlich wird, was Fülle des Seins bedeutet. Denn in der Abstraktion liegt die Freiheit, die das Zu-eigen-Machen der Dinge je nach ihrer eigenen Wesenheit bedeutet. Die Bewegung geht vom Konkreten ins Abstrakte, aber immer nur, um wieder im Konkreten zu enden. Durch die Abstraktion erfährt das Sein seine Notwendigkeiten, die negieren dessen bedeutet, was sich negieren läßt. Den Dingen auf den Grund gehen und abstrahieren ist B Hegel, G. W. F., System der Philosophie, Einleitung, Ausgabe Glockner, Bd. 8, Stuttgart 1955, S. 54.
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1. Womit kann angefangen werden?
somit das Gleiche. Denn nur so kann der Grund der Dinge ausgemacht werden, indem das, was sich abziehen läßt, das Seiende, bis zuletzt abgezogen wird. Was übrig bleibt in der totalsten Abstraktion ist das Sein als die Wirklichkeit, die alle anderen Wirklichkeiten bedingt und durch die den Dingen ihre Wesenheiten zuteil sind. Das Vorletzte jedoch muß das Werden genannt werden, denn wenn man es als Letztes bezeichnete, dann wäre nicht erklärt, woraus etwas wird, da aus Werden nicht Werden entstehen kann. Werden ist somit vom Sein her gesehen das erste Konkrete. 9 Die Ideologie versucht die Modernität und somit das Werden aus dem Werden zu erklären. Aber in diesem Erklären des Werdens wird das Werden gleichsam festgehalten. Hier haben alle Theorien ihren Ort, die das Erkennen auf einem Höhepunkt des Gewordenen festlegen. Dazu gehören alle Aussagen, die sehr eilfertig als moderne Erkenntnis ausgegeben werden; sich aber bei näherem Hinsehen aus einem Wirkzusammenhang erklären lassen, bei dem kritiklos ein vermeintlicher Standort einfach hingenommen wird, um daraus jede beliebige Aussage konstruieren zu können. Gemeint sind hier vor allem empirische Antworten auf Fragen, die "die Geschichte selbst" oder die "geschichtliche Situation" selbst gestellt haben soll. Die Bedeutung solcher Aussagen enthält nicht mehr die Antwort auf die Wirklichkeit des Seins, sondern nur noch eine Aussage für die Subjektivität eines vermeintlich nur subjektiv Denkenden. 2. Das Ich
Um aber diese Zusammenhänge erörtern zu können, ist noch eine Voraussetzung zu klären. Abstraktion ist immer zugleich ein Erkennen dessen der erkennt, d. h. ein Erfassen des eigenen Ichs. Erkennen eines Objekts in dessen Wesenszusammenhang ist somit auch ein Erkennen des Selbst; denn in nichts anderem bin ich bei mir als im Vollzug des Denkens und dieses ist ein Erkennen des Allgemeinen. Abstraktion ist also ebenso die negative Beziehung zu mir selber, indem ich versuche als der so Seiende mein Sinnliches abzuziehen, um das Eigentliche, das einerseits das Ich, andererseits das Allgemeine ist, zu erkennen. Es wird abgezogen von dem, der beschaut, und mit dem erreichten Vollkommenheitsgrad dieses Bemühens wird einerseits das Ding, andererseits das Ich damit erkannt. Das Ich als so erkanntes Ich wäre das reine Fürsichsein, 9
Regel, Bd. 8, § 88, S. 213 - 215.
2. Das Ich
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das in seiner Abstraktion dem Sein gegenüberzustehen vermag. Aber auch hier ist die Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten, um wieder das Konkrete zu ergreifen. Denn darin kann ich nicht existieren, daß ich als reines Selbstbewußtsein mich im Denken frei glaube, um nicht in einem anderen zu sein. 10 Im Ich schließe ich alles andere aus, um zugleich den Boden darzustellen, um alles andere zu begreifen. Es ist die Subjektivität als Abstraktum in ihrer letzten Vollkommenheit, die somit die Grenze dessen erreicht, was damit Offenheit für alles bedeutet. Auch dieser Akt ist ein Akt des Verstehens, der parallel zum Erkennen des Seins das abstrakt Freie zum Objekt hat. Empfindungen, Vorstellungen, Begierden, die immer als etwas je subjektives dargestellt werden, sind hier überwunden und müssen in der Abstraktion des Ich beiseitegelassen werden. "Ich aber abstrakt ... ist die reine Beziehung auf sich selbst, in der vom Vorstellen, Empfinden, von jedem Zustand, wie von jeder Partikularität der Natur, des Talents, der Erfahrung usf. abstrahiert ist. Ich ist insofern die Existenz der ganz abstrakten Allgemeinheit, das abstrakt Freie. "11 Nur hier in seiner vollsten Armut ist das Subjekt entsubjektiviert. Nicht durch eine Fiktion ist das geschehen, daß man die Erkenntnis ihrer Subjektivität zu entkleiden trachtet, indem man das Erkennen auf eine Methode festnagelt, die diese Garantie bieten soll - alle Ideologien sind hierin einig und sind Abkömmlinge des auf empirisches Erkennen festgelegten Positivismus - sondern allein durch Abstraktion des Erkennens durch Erkennen. Aber die Aussage: Ich bin Ich, ist genauso wenig wie die Aussage, Sein ist Sein. Die Abstraktion ist nur durchgeführt, um die Gewißheit zu haben, daß in der Abstraktion nichts an Wirklichkeit ist, woraus sich andererseits erklärt, daß dieses Ich in jedem Erkenntnisakt an der Fülle des Seins teilzuhaben trachtet; denn sonst wäre es nicht das Subjektive, d.h. das auf dem das Andere aufruht, zum Leben kommt, aktualisiert wird, Denken, daß ich denke ist noch nicht weitergekommen. Die Dinge in ihrem Gegründetsein im Sein, in ihrem Wesen zu denken, erst das ist aktualisieren des Denkens und erst dann bin ich bei mir selbst. Indem ich aber im praktischen Vollzug des Lebens die theoretische Überlegung nach dem Wesen der Dinge nicht umgehen kann, die eine Abstraktion ist und mir erst die Möglichkeit mit dem Umgang der Dinge und der Fülle der Gestaltungsmöglichkeiten vermittelt, indem ich also dieses Wesen denke, erfahre ich mich gleichzeitig 10 11
Vgl. Hegel, G. W. F., Phänomenologie des Geistes, Stuttgart 1957, S. 459. Hegel, Bd. 8, S. 75.
2 Kuder.
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I. Womit kann angefangen werden?
abstrahiert von meiner Sujektivität wurzelnd im eigentlichen Objektiven im Grunde des Seins. Erst so können subjektive Vorurteile, Empfindungen und Begierden abgestreift werden. Und der Grad dieses Abstreifens ist ablesbar am Entdecken der Wesenheiten der Dinge. Das Denken selbst kann dies nicht aus sich vollziehen, indem dieses versucht, von sich selbst das Subjektive zu beseitigen - das ist der in jedem Akt fehlgeschlagene Versuch des sogenannten empirischen Erkennens, das sich zugute hält entsubjektiviert zu sein - sondern nur so, daß es etwas denkt und das kann allein vom Wesen der Dinge her geschehen. Dieses Wesen der Dinge ist nur durch Abstraktion zu erfahren und mit diesem Vorgange erfahre ich mein je eigenes Ich. Das bedeutet aber nicht, daß jeder verschieden erkennt, d.h. sein Subjektives immer in jedem Erkenntnisakt mit ausgedrückt ist, sondern genau umgekehrt, daß in dem Vorgang der Abstraktion das Subjektive zunichte gemacht ist, um das Allgemeine ergreifen zu können. Hegel drückt diesen Sachverhalt mit einer faszinierenden Radikalität aus: "Das Streben der Menschen geht überhaupt dahin, die Welt zu erkennen, sie sich anzueignen und zu unterwerfen und zu dem Ende muß die Realität der Welt gleichsam zerquetscht d.h. idealisiert werden. Zugleich ist dann aber Zu bemerken, daß es nicht die subjektive Thätigkeit des Selbstbewußtseins ist, welche die absolute Einheit in die Mannigfaltigkeit hineinbringt. Diese Identität ist vielmehr das Absolute, das Wahrhafte selbst. Es ist dann gleichsam die Güte des Absoluten, die Einzelheiten zu ihrem Selbstgenuß zu entlassen und diese selbst treibt sie in die absolute Einheit zurück. "12 Das Gerüst dieser Zusammenhänge ist von alters her bekannt, so daß Hegel hier nur etwas ausdrückt, was in der Tradition der Philosophie schon immer lebendig gehalten wurde. Wenn Aristoteles erklärt: "Die Vernunft ist der Möglichkeit nach gewissermaßen die Gesamtheit der Denkobjekte, aber der Wirklichkeit nach nichts davon, bevor sie denkt. Man muß sich die Sache so vorstellen, wie bei einer Schreibtafel, auf der in Wirklichkeit nichts geschrieben steht"13, so ist hier im Grunde nichts anderes gesagt, als daß von dem ausgegangen werden muß, was Abstraktion im Erkennen bedeutet und daß die Gewähr für das Personsein des Menschen nur darin zu finden ist, daß wir in jedem Akt des Erkennens und jedem Versuch des Findens unseres eigenen Ichs uns dieser Abstrak12 Hegel, Bd. 8, § 42, Zusatz 1, S. 129.
13 Aristoteles, Über die Seele IIl.c.4. 429b, 31 - 43a 1, übersetzt von Rolfes, Leipzig 1896, S. 78.
2. Das Ich
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tion und damit der Grenzenlosigkeit anheim geben müssen, denn erst im Vollzug des Denkens kann uns Sein, Sein der Dinge und Denken bewußt werden. "Niemand aber nimmt wahr, daß er erkennt, ohne etwas zu erkennen. Denn erst wird etwas erkannt, ehe man erkennt, daß man erkennt; und so gelangt die Seele dahin, aktuell wahrzunehmen, daß sie ist. "14 sagt Thomas v. Aquin und er nimmt damit eine Überzeugung voraus, die später Descartes zum zentralen Thema seiner Philosophie gemacht hat. Diese Zusammenhänge haben die Eindeutigkeit, ja sogar die Dekkungsgleichheit jedes Erkennens zu erweisen. Die Auskunft ist dabei immer durch die Abstraktion gefunden. Daneben aber bleibt bestehen, was Hegel zum Verhältnis von Abstraktion und Wirklichkeit sagt: Die "Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören. Der Fanatismus der Freiheit, dem Volke in die Hand gegeben, wurde fürchterlich" .15 Was es hier abschließend festzuhalten gilt, um überhaupt etwas zur Ideologie sagen zu können und nicht der Gefahr zu erliegen Ideologie durch Ideologie zu vertauschen, ist, daß einfach nichts mitgebracht werden sollte, um die Ideologie als Ideologie zu verstehen. Die Abstraktion ist ein Rückgriff auf das Sein, um so das Sein des Seienden aus sich verständlich werden zu lassen. Hierin liegt zugleich die Analogie zum Universum, denn in dem Zerstören dessen, was als Wirklichkeit angesehen wird, kann erst deutlich werden, was diese Wirklichkeit an sich ist. Die Antwort wird jedoch für den unbefriedigend ausfallen, der glaubt, die Faktizität, was wirklich ist, könne alles sein. Leider schwingt in dem Bekannten das Unbekannte immer mit und sich davon lösen zu wollen, würde bedeuten, sich von dem zu lösen, was Sein ist. Ernst Topitsch hat in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "Leerformel " geprägt und variiert dieses Thema immer wieder in seinen Veröffentlichungen. "Leerformel" ist das nicht bezeichnete, das damit der menschlichen Willkür zur Verfügung gestellt werden kann. Man arbeite, sagt Topitsch, in der Philosophie seit Aristoteles mit manchen Scheinargumenten und Rechtfertigungen, um das "wahrhaft Gute", das "Gerechte", das "naturrechtlich Gültige" usw. zu erweisen. Die Forschung (besonders Pareto und H. Kelsen) habe "mit immer größerer 14 Thomas v. Aquin, De Veritate, 10, 8, übersetzt von Edith Stein, Louvain, Freiburg 1952. 15 Hegel, Geschichte der Philosophie, 3, Bd.19, S. 553.
2'
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I. Womit kann angefangen werden?
Klarheit und Vollständigkeit einen Apparat von Leerformeln bloßgelegt und bloßgestellt, der sich in der Sozialphilosophie durch die Jahrhunderte mit überwältigendem Erfolg behaupten konnte, da er sich infolge seiner Inhaltlosigkeit dazu verwenden ließ, jede beliebige soziale Gegebenheit oder Aspiration mit dem Pathos der Absolutheit zu rechtfertigen oder zu bekämpfen. Infolge seiner unbeschränkten Manipulierbarkeit war dieser Apparat - dem neben den ,naturrechtlichen' und ,dialektischen' beispielsweise auch die ,organischen' oder ,ganzheitlichen' Leerformeln angehören - gegen den Wechsel der Gesellschaftsformen nahezu unempfindlich, ließ er sich doch praktisch jeder sozialen Situation anpassen".16 Die Befürchtung, die Topitsch hier ausspricht, ist nicht unberechtigt. Hinter den uns im täglichen Leben immer wieder begegnenden "Leerformeln" steht eine Gleichgültigkeit, die Unterscheidungen vermissen läßt. Man appelliert an "Gerechtigkeit", "Frieden" usw., weil man weiß, daß damit das verstanden wird, was einen gewissen Konsensus erzeugt, wobei man sich aber in keiner Weise festzulegen braucht. Aber Topitsch geht weiter. Er behauptet, daß die Philosophie von alters her mit diesen "Leerformeln" gearbeitet habe und daß sie vor allem einen Begriff der Ganzheit gebraucht habe, den zu bestimmen ihr nicht gelungen sei. Selbstverständlich ist eine Ganzheit in diesem Sinne nicht zu beschreiben und das Wissen, das sich als ein exaktes Wissen von einer Ganzheit auszugehen versucht, wird sicher falsch sein. Aber sollte Topitsch nicht bemerkt haben, daß er selbst "Leerformeln" in seinem Sinne gebraucht. Was besagt z.B. der Begriff "Vollständigkeit" in dem oben zitierten Text anderes als ein Leeres und ein Begriff "Gesellschaftsformen" ist ebenso ohne das Leere nicht denkbar. Sollte beispielsweise Topitsch der Fortschritt in der Erfindung der Algebra entgangen sein, wo nicht mehr Zahlen, sondern "leere" Buchstaben zum Rechnen als Symbol verwendet werden? Diese Erfindung ist alt und ebenso wäre der weit~re Fortschritt in der Mathematik, wenn man die Konstruktion von Topitsch hier anwenden wollte, ein Fortschritt in "Leerformeln ". Mit unserer Sprache ist es nicht anders. Präzision wäre hier fehl am Platze. Jedes Wort ist immer Symbol für etwas, was dahinter steht und damit gemeint ist. Denn jeder Begriff ist daraus zu verstehen, daß etwas umgriffen ist, und darin steckt eine Totalität, die auch Gebrochenes umfaßt. Eine präzise Bezeichnung von Gleichen ist überhaupt nicht 16 Topitsch, Ernst, Begriff und Funktion der Ideologie, in: Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft, Neuwied 1966 2 , S. 39.
2. Das Ich
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möglich; schon deshalb nicht, weil es in Wirklichkeit absolut Gleiches garnicht gibt. Die Formel von der "Leerformel ", die Topitsch gefunden zu haben glaubt, ist eine Entdeckung, die alles menschliche Denken auszeichnet. Das Neue, was Topitsch hier entdeckt hat, ist nur seine Entrüstung über die "Leerformel ".
11. Begriffsbestimmung der Ideologie Um die Problematik der Ideologie deutlich werden zu lassen, soll hier versucht werden, eine begriffliche Klärung durchzuführen. Die Ideologie will darüber Auskunft geben, wie die Menschen zu ihren Erkenntnissen kommen. Hat man eine Antwort darauf gefunden, so glaubt man, daraus ableiten zu können, wie die Menschen miteinander verbunden sind. Dabei gehört das Miteinander-verbunden-Sein zum Glück der Menschen, weil keiner ohne den anderen leben könne und weil notwendig immer irgendeine Gemeinschaft existiert. Die begriffliche Klärung der Ideologie hat aber in sich schon eine Schwierigkeit. Da nichts wahr sein kann, was nicht durch sich wahr ist, wird allein in der Begriffsbestimmung an den Aussagen das deutlich, was die Aussage der Ideologie sofort wieder aufhebt. Denn da, wo uns Ideologie begegnet, zeigt sich als erstes, daß man etwas entgegensetzt, was die Aussage bedingt. Aus sich heraus ist hier nichts begründbar, weil die Geschlossenheit der Aussage schon im Begriff sich widerspricht. Ein wahrer Begriff zeichnet sich dadurch aus, daß er das als letztes enthält, was sein Wesen ausmacht. Dabei ist aber der Begriff immer etwas noch nicht Abgeschlossenes, was in der Begriffsbestimmung die Konsequenz hat, daß ihr eine bessere folgen kann. Im Verbessern der Begriffsbestimmungen wird der Weg zurückgelegt, der zum Wesen der Dinge führt. Der Vorgang ist auch hier eine Abstraktion; unterscheidet sich aber von der Abstraktion, die das Sein zum Endpunkt hat und Sein des Seienden darstellt, dadurch, daß durch den Begriff etwas im Sein steht und dieser seine Wahrheit dadurch erweist, daß er im Sein zu stehen vermag. Während das Begreifen des Seins keinen Begriff vor sich haben kann. Außerdem muß festgestellt werden, daß selbstverständlich Aussagen einzelner Personen zur Sprache gebracht werden müssen, daß aber damit hier nicht festgestellt sei, man könne diese Person auf eine bestimmte Anschauung festlegen. Das ist völlig unmöglich und jeder Versuch in dieser Richtung erweist, daß die Denkkonsequenz eines Menschen immer allgemein Gültiges zu Tage zu bringen vermag, so daß nicht im geringsten dieser oder jener einfach als Ideologe abzustempeln ist. Das hängt
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damit zusammen, daß es jedem Menschen zu eigen ist, im Sein zu stehen und daß in der Negation oder Bejahung, in jedem Nennen eines Grundes, um eine Aussage zu stützen, immer dieses Im-Sein-Stehen mitschwingt, das als Letztes doch irgendwie den Grund abgibt. Oder anders ausgedrückt: In der Ablehnung oder Bejahung dessen, was Metaphysik ist, wird andererseits immer auch eine metaphysische Begründung ungewollt eine Rolle spielen. Sollte jemand also sagen, er wolle für irgendeine Aussage keine Begründung geben, so ist doch in der Behauptung "keine Gründe" irgendwie anerkannt, daß Begründungen existieren. "Denn immer gründet sich in der Wirklichkeit der Dinge alle Verneinung auf irgendeine Form der Bejahung, die sogar in gewisser Weise die Ursache von jener ist. "1 1. Übereinstimmung des Menschen mit dem Menschen
Erstens. Es wird in der Ideologie zuallererst die Übereinstimmung des Menschen mit dem Menschen gesucht. Die Rechtfertigung liegt in der Menschlichkeit. Aber was ist der Mensch? Ein denkendes Ding. Descartes geht davon aus. Nichts erschien einleuchtender für die Überlegqngen, die besonders am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts angestellt wurden, als daß man dieses denkende Ding zum Gegenstand, Ausgangspunkt, ja, zur Rechtfertigung für ein Handeln zu machen versucht. Sieht man jedoch genauer hin, so ist dies nicht die Aussage von Descartes. Wohl ist sein Ausgangspunkt: "Ich denke". Alle Freiheit ist darin enthalten. Aber einleuchtender ist doch auch, daß hier, wie bei dem Satz des Widerspruchs, das Sein gemeint ist. Denn die Absolutheit des abstrakten Ichs steht nur allein dem gegenüber, was Sein genannt werden muß. Der Nachweis ist ähnlich wie im Widerspruchs satz durch das Herausgreifen eines Urteils vollzogen. Man geht nicht von einem Äußeren, vorher Gegebenen aus, sondern erklärt im Urteil die abstrakte Bezogenheit auf das eigene Ich, womit zugleich das Sein in Erscheinung treten muß. Dabei ist Sein selbst nicht ausgesprochen. "Ich denke, deshalb bin ich." Hier ist das Denken das reine Einssein mit sich, das nicht in irgendeinem Sein eines Ichs vollzogen werden kann, sondern im Grunde dieser Einheit, im Sein. Indem ich ein Denkender bin, liegt zugleich Sein darin. "Ich erkenne daher, daß nicht von dem allen, was ich mit Hilfe der Einbildungskraft erfassen kann, Bezug hat auf die Kenntnis, die ich mit 1
Thomas v. Aquin, Summa theologica I, II, 72.6.c.
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meinem Ich habe, daß ich vielmehr meinen Geist auf das sorgfältigste hiervon abwenden muß, wenn ich mir seine Natur recht deutlich zum Bewußsein bringen will. "2 Die Unmittelbarkeit des Denkens als reinste Abstraktion enthält somit für Descartes zugleich die reinste Abstraktion als Sein. Eins ist hierbei nicht möglich, daß ich denke nicht zu sein. Die Abstraktheit kann keine Beliebigkeit sein. Sie zwingt die Vernunft, worin gleichfalls die Parallelität zum Widerspruchssatz liegt. Thomas Hobbes macht hier einen Einwand: "Descartes nimmt also an, daß es dasselbe ist, eine verstehende Sache und das Verstehen, welches die Tätigkeit des Verstehenden ist oder doch wenigstens, daß es dasselbe ist, die verstehende Sache und der Verstand, der die Fähigkeit (potentia) des Verstehenden ist. "3 Das denkende Ding erscheint ihm dabei gerechtfertigt. Auch daß mit dem Denken die Rechtfertigung der Existenz verbunden ist, ist für Hobbes nicht zweifelhaft. "Hieraus dürfte dann folgen, daß das denkende Ding etwas Körperliches ist, denn, wie es scheint, sind alle Subjekte von Tätigkeiten als etwas Körperliches, Materielles aufzufassen ... "4 Descartes verweist in seiner Antwort zunächst einmal darauf, daß das denkende Ding als "Geist, Seele, Vernunft usw." nicht aus der "Fähigkeit" zu denken verstanden werden kann, sondern daß er "die mit der Fähigkeit des Denkens versehenen Dinge" gemeint habe. 5 D.h. daß in den Dingen das enthalten ist, was unser Denken ausmacht und nicht umgekehrt, das denkende Ding, also das Ich die Dinge herstellt. Und er verweist auf seine sechste Meditation. Hier setzt er sich mit der Unterscheidung von Seele und Körper auseinander. "Und wenngleich ich vielleicht oder vielmehr gewiß ... einen Körper habe, der mit mir sehr eng verbunden ist, so ist doch, - da ich ja einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst habe, sofern ich nur ein denkendes, nicht ein ausgedehntes Ding bin, und andererseits eine deutliche Idee vom Körper, sofern er nur ein ausgedehntes, nicht denkendes Ding ist - soviel gewiß, daß ich von meinem Körper wahrhaft verschieden bin und ohne ihn 2 Descurtes, Rene, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, Hamburg 1965, I1, 13,8. 2l. 3 Ebd., 8.156. 4 Ebd.,8.157. 5 Ebd.,8.157.
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existieren kann. "6 Seele ist damit nicht etwa Wesensmitte, die mit Fähigkeiten der Aktualisierung ausgestattet ist, sondern - und das gilt für Descartes wie für die Aussage der Philosophie seit jeher - der Ort der Erstreckung auf Wirklichkeit. Denn auch hier bei Descartes ist die Leere die Voraussetzung für Erkenntnis. Diese Leere wäre sinnlos, wenn sie nicht das Bezugsfeld für anderes wäre. Dabei gibt es keine Passivität, die von außen auf das Erkennen einwirkt. Das Denken ist dabei höchste Aktivität, denn es muß den Energiekern treffen, der das Ding erkennbar macht und aus dem damit die Vernunft ihre Aktivität erfährt. Die Freiheit des Menschen hat hier ihren Grund. Sie ist nur erfahrbar im Beschreiten des Weges der Negativität. Indem der Geist ganz in die Entfremdung hinabsteigt, hat er dann seine Freude daran, daß hier Konkretion stattfinden kann. Um es ganz einfach zu sagen: Abstraktion ist die Karte der Umgebung, in der ich wohne, Konkretion ist die Straße, dieses Haus, diese Verkehrsverbindung, dieser Garten und dieser Wald. Im Erkennen dieser Umgebung liegt zugleich ein Teil meiner Freiheit. Das Hinschauen auf meine Vernunft ist somit nur möglich, indem ich die Erstreckungsmöglichkeiten erfahre im Erkennen der Dinge, so daß das Denken nie ohne das Gedachte, der Akt nie ohne das intendierte Objekt gedacht werden kann. Die ideologische Umkehr findet dann dort statt, wo das denkende Subjekt, der Mensch als denkendes Ding, von seinen Fähigkeiten her verstanden werden soll. Aber zuvor vollzieht Locke eine Wendung in der Philosophie, die auf einen kurzen Nenner gebracht, die Erfahrbarkeit der Abstraktion als Vorgang beschreibt. Es wird hier nicht mehr danach gefragt, wie Wahrheit als Wahrheit erfahren wird, sondern nur noch der Vorgang des Aufnehmens überlegt. Damit ist der Weg des Bewußtseins beschrieben, das sich so oder so entwickelt. Der menschliche Geist ist hier zum Speicher von Erfahrungen geworden und Lockes Bemühungen sind darauf angelegt, festzustellen, wie gespeichert wird. 7 Sein wird hier somit zum erfahrbaren Sein, d.h. als Sein des Bewußtseins, indem Locke den Vorgang des Denkens an sich beschreibt. Condorcet (1743 - 1794) nimmt diesen Gedanken auf, denn was lag näher als seinen eigenen Geist zu beobachten. Dieser Geist besteht für Descartes, VI. Meditation, 17, S. 67. Locke, J., An Essay concerning human Understanding, Book I, Oxford 1894, Chap. III, § 22, p. 51. 6
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Condorcet, Cabanis und Destutt de Tracy aus Fähigkeiten. Daß aber Fähigkeiten sich nicht durch Fähigkeiten beschreiben lassen, daß also das, was beobachtet werden sollte, zugleich das ist, was beobachtet, fiel nicht auf. Condorcets Überlegungen beginnen mit der Aussage über die Fähigkeiten des Menschen. "Der Mensch wird mit der Fähigkeit geboren, Sinneseindrücke aufzunehmen und die einfachen Eindrücke, aus denen sie zusammengesetzt sind, wahrzunehmen und zu unterscheiden; er ist imstande, sie zu behalten, sie wiederzuerkennen, sie miteinander zu verknüpfen und die Verknüpfungen dieser Eindrücke miteinander zu vergleichen; er vermag zu erfassen, was sie gemeinsam haben und was sie voneinander unterscheidet, und kann all diesen Gegenständen Zeichen zuordnen, um sie sich besser zu merken und um leichter zu neuen Verknüpfungen zu gelangen. Diese Fähigkeit entwickelt sich in ihm durch die Einwirkung der Dinge der Außenwelt, d.h. durch das Vorhandensein gewisser zusammengesetzter Sinneseindrücke, deren mit sich identische oder auch gesetzmäßig sich verändernde stetige Gleichförmigkeit unabhängig vom Menschen ist. Sie entwickelt sich zugleich durch den Umgang mit Individuen seinesgleichen, endlich durch künstliche Mittel, auf deren Erfindung die ursprüngliche Entwicklung der Sinneseindrücke die Menschen gebracht hat. Die Sinneseindrücke sind von Lust und Schmerz begleitet; auch hat der Mensch die Fähigkeit, diese augenblicklichen Eindrücke in dauernde angenehme oder schmerzliche Empfindungen zu verwandeln und diese Empfindungen beim Anblick der Freude oder des Schmerzes anderer empfindender Wesen, oder in der Erinnerung daran, zu verspüren. "8 Dabei ist der "Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes" darauf angelegt, "den Ursprung der allgemeinen Irrtümer" darzulegen. Sie "haben den Gang der Vernunft mehr oder weniger verzögert oder aufgehalten und oft sogar, ebenso wie die politischen Ereignisse den Menschen in Unwissenheit zurückfallen lassen. "9 Woher, müßte man Fragen, nimmt Condorcet das Maß für seine Wertungen? Seine Antwort macht jedoch schon die Willkür deutlich, die einfach 8 Condorcet, M. A. de, Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, hrsg. v. W. Alff, Frankfurt a.M. 1963, S. 27. 9 Ebd., S. 41.
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einen Fortschritt als gegeben hinstellt. "Wenn es eine Wissenschaft gibt, die Fortschritte des Menschengeschlechtes vorauszusehen, zu lenken und zu beschleunigen, so muß sie von der Geschichte der Fortschritte, die bereits gemacht sind, ihren Ausgang nehmen." 10 "Erlaubt mir, Bürger, daß ich euch heute über eine Studie zur physischen Beschaffenheit des Menschen berichte, womit der Fortschritt seiner Intelligenz verbunden ist. Mit der systematischen Entwicklung der menschlichen Organe ist zugleich die Entwicklung der Gefühle und der Leidenschaften beschrieben. Das Resultat ist eindeutig: Die Physiologie, die Analyse der Ideen und die Moral sind drei Zweige ein und derselben Wissenschaft, die man mit dem Titel bezeichnen könnte: Die Wissenschaft vom Menschen," erklärt später Cabanis (1757 - 1808).1 1 Und er fügt in einer Fußnote hinzu: "Dieses nennen die Deutschen Anthropologie und unter diesem Titel verstehen sie wahrhaftig die drei Hauptdisziplinen, von denen wir sprechen. " Condorcets Rechtfertigung ist der Fortschritt des menschlichen Geistes, der Konkretion und damit Kulturen zustandebringt. Cabanis' Fortschritt des menschlichen Geistes ist der Fortschritt der Entwicklung aus dem "Menschsein" selbst. Condorcet kennt noch den Begriff "Welt", während Cabanis den Menschen in den Bereich einer allgemeinen Zoologie zu stellen versucht. Cabanis ist den radikalen Weg einer Anthropologie gegangen, die die physische Natur des Menschen zum Ausgangspunkt hat. Seine "wahre Metaphysik ist in einem Wort die Wissenschaft der Methode, die sich auf das Wissen von den Fähigkeiten des Menschen gründet und die sich gemäß der Natur die verschiedensten Güter zu eigen macht. "12 Der Schritt zu Destutt de Tracy ist nun nicht mehr weit. Das denkende Ding muß seine Absolutheit erhalten, indem das Denken zum Fühlen wird. "Denken, ... das ist immer Fühlen. Jetzt fragen sie mich, was Fühlen ist? Ich antworte ihnen: Was sie fühlen, was sie erfahren ... Sobald sie ein Bewußtsein von dieser Art des Seins haben, brauchen sie keine Erklärung, um es zu kennen. Es genügt ihre Erfahrung. Fühlen ist ein Phänomen unserer Existenz, ja es ist unsere Existenz selber; denn ein Ebd., S. 43. Cabanis, P. J. G.,