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German Pages 505 [514] Year 2021
Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 12
Patrick Wagner Franz Steiner Verlag
Notgemeinschaften der Wissenschaft Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in drei politischen Systemen, 1920 bis 1973
Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft --------------------------------------herausgegeben von Rüdiger vom Bruch (†), Ulrich Herbert und Patrick Wagner Band 12
Patrick Wagner
Notgemeinschaften der Wissenschaft Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in drei politischen Systemen, 1920 bis 1973
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft Umschlagabbildung: Karte des Notgemeinschaftsgletschers Quelle: Wissenschaftliche Ergebnisse der Alai-Pamir-Expedition 1928 im Auftrage der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Berlin 1932.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-12857-5 (Print) ISBN 978-3-515-12862-9 (E-Book) Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Druckerei Steinmeier GmbH & Co. KG, Deiningen Printed in Germany
INHALT EINLEITUNG: EINE ERSTE FÜHRUNG DURCH DAS „RESERVAT DER ORDINARIEN“................................................................
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TEIL I: ABSEITS DER DEMOKRATIE. DIE NOTGEMEINSCHAFT IN DER WEIMARER REPUBLIK .................................................................
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ERSTES KAPITEL: NOT UND GEMEINSCHAFT. EINE GRÜNDUNGSGESCHICHTE ...........................................................
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März 1920: Ein ehemaliger Minister findet eine neue Aufgabe ..................... „Not der Wissenschaft“ – Das deutsche Wissenschaftssystem in den Anfangsjahren der Weimarer Republik ................................................. Eine Innovation neben anderen: Die Durchsetzung des Projekts Notgemeinschaft................................................................................................ ZWEITES KAPITEL: AUTORITÄT UND SELBSTVERWALTUNG. INNENANSICHTEN DER NOTGEMEINSCHAFT .................................. Autokratie, Demokratie oder Klientelismus? Die internen Machtstrukturen der Notgemeinschaft ......................................................................................... Der Präsident und die anderen: Entscheidungsfindung zwischen Autokratie und Demokratie ................................................................................................ Die Fachausschüsse: Integration und Legitimation durch Peer Review .......... Wertideen und Begutachtungskriterien: Die konstitutiven Elemente seriöser Wissenschaft aus Sicht der Notgemeinschaft ...................................... Begutachtung, oder: Woran erkannte man 1930 „reife“ Wissenschaft? .......... DRITTES KAPITEL: FORSCHUNG UND VOLK. DIE FÖRDERPOLITIK DER NOTGEMEINSCHAFT ...............................
21 25 38 56 56 60 68 75 82 93
Überwindung der Not: Die Förderpolitik bis 1924 ......................................... 93 Standardisierung, Experimentalisierung, Berieselung: Förderlinien der Notgemeinschaft zwischen 1924 und 1932 ............................................... 95 Von der Nothilfe zur Schwerpunktförderung: Die Gemeinschaftsarbeiten ab 1925 ............................................................................................................. 101 Inter-Nationalismus: Die Notgemeinschaft, „das Ausland und Amerika“ ..... 114 Ein erster Blick über den Atlantik: Der National Research Council als amerikanisches Äquivalent zur Notgemeinschaft ....................................... 122
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Inhalt
Forschung am Volk, für das Volk und durch das Volk: Volkskunde und Rassenforschung als Förderschwerpunkte der Notgemeinschaft ............. 128 VIERTES KAPITEL: AUS DER NOT IN DIE KRISE. DIE NOTGEMEINSCHAFT IN DER ENDPHASE DER WEIMARER REPUBLIK ....................................................................... 137 Im „Irrgarten deutscher Gelehrsamkeit“: der Machtkampf zwischen Notgemeinschaft und republikanischer Politik 1928/29 ................................. 138 Aus der Krise zurück in die Not: Die Notgemeinschaft in der wirtschaftlichen Depression 1930 bis 1932............................................ 146 TEIL II: SELBSTMOBILISIERUNG. DIE DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT IM „DRITTEN REICH“.................... 153 FÜNFTES KAPITEL: „KÄMPFENDE WISSENSCHAFT“. DIE DFG IN DEN ERSTEN JAHREN DES NS-REGIMES ....................... 155 Selbstgleichschaltung und moralischer Bankrott ............................................. 155 Sich bekämpfende Wissenschaft ....................................................................... 166 SECHSTES KAPITEL: BÜNDNIS DER GENERATIONEN. DFG UND REICHSFORSCHUNGSRAT ZWISCHEN 1937 UND 1945 190 Nationalsozialistischer Pragmatismus. Rudolf Mentzel an der Spitze von DFG und Reichsforschungsrat .................................................................. 190 Peer Review nach dem Führerprinzip. Die Fachspartenleiter des RFR ........... 200 Arbeitsgruppen und Schwerpunktprogramme. Der Zweite Reichsforschungsrat ab Sommer 1942 ........................................................................ 208 SIEBTES KAPITEL: ZWECKORIENTIERTE GRUNDLAGENFORSCHUNG. RFR UND DFG ALS RAHMEN FÜR DIE SELBSTMOBILISIERUNG DER WISSENSCHAFT................................... 225 Förderlinien und Förderschwerpunkte ............................................................. Grundlagenforschung für Autarkie, Rüstung und Rassenpolitik .................... Geistige Kriegsführung. Die Förderung der Geisteswissenschaften................. Der „Generalplan Ost“. Begleitforschung für Völkermord und Vertreibung.. Der Reichsforschungsrat – vom Ende her gesehen ..........................................
225 236 252 265 281
Inhalt
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TEIL III: PLURALISIERUNG. DIE DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT IN DER FRÜHEN BUNDESREPUBLIK .................... 291 ACHTES KAPITEL: RESTAURATION DER GEMEINSCHAFT. EINE NEUGRÜNDUNGSGESCHICHTE .................................................. 293 Von Berlin nach Bad Godesberg ....................................................................... Präsidenten, Referenten und Gutachter, Grundlagenforscher und Ingenieure. Die internen Machtstrukturen der DFG....................................... Vergangenheitspolitiken I: Nationalsozialisten als Dilettanten....................... Vergangenheitspolitiken II: Debatten über die Autonomie der Wissenschaft und kontaminierte Forschungsfelder ................................................................ Forscherpersönlichkeiten auf Aufholjagd. Das Profil der DFG-Forschungsförderung zwischen 1949 und 1967 ..................................................................
293 304 319 333 353
NEUNTES KAPITEL: ÖFFNUNG, REFORM UND FREMDBESTIMMUNG ............................................................................................... 380 Reputation, Innovation und Kooptation: Begutachtungskriterien im Wandel.......................................................................................................... Die DFG in der Reformära um 1970 I: Pluralisierung..................................... Die DFG in der Reformära um 1970 II: Autonomieverluste .......................... Die DFG der 1970er Jahre: Garantin für das Überleben der Hochschulforschung ........................................................................................................... Ein zweiter Blick über den Atlantik: Die National Science Foundation als amerikanisches Äquivalent zur DFG ..........................................................
380 407 419 434 447
AUSBLICK UND BILANZ: DIE DFG ALS SOZIALER RAUM DER HOCHSCHUL- UND GRUNDLAGENFORSCHUNG IN DREI SYSTEMEN ...................................................................................... 453
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS .......................................... 471 Archivalien ......................................................................................................... 471 Publizierte Quellen und Sekundärliteratur ...................................................... 472 Personenregister ................................................................................................. 499 Dank .................................................................................................................. 505
EINLEITUNG EINE ERSTE FÜHRUNG DURCH DAS „RESERVAT DER ORDINARIEN“ Die gegenwärtige Deutsche Forschungsgemeinschaft ist wie ihre Vorgängerin, die 1920 gegründete Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, ein eingetragener Verein. Dessen Mitglieder waren und sind die wissenschaftlichen Hochschulen, die Wissenschaftsakademien, die Max-Planck-Gesellschaft (bis 1945: KaiserWilhelm-Gesellschaft) und eine Reihe großer Forschungseinrichtungen. Die DFG verteilt Geld – im Jahr 2018 waren es 3,4 Milliarden Euro – unter Forscherinnen und Forschern, damit diese ihre Projekte finanzieren können. 99 Prozent ihres Etats bestreitet die DFG derzeit aus Zuwendungen des Bundes und der Länder. Im Wesentlichen fördert die DFG Forschung, die an Hochschulen angesiedelt ist. Sie bildet deren wichtigste Drittmittelquelle und wird in ihren Gremien von Hochschullehrern geprägt. 61 Prozent der Universitätsprofessorinnen und –professoren haben zwischen 2013 und 2017 mindestens einen Antrag bei der DFG eingereicht, 43 Prozent haben Fördermittel erhalten, und gar 62 Prozent waren gutachtend an den Förderentscheidungen der DFG beteiligt. Nur ein Fünftel der Professorenschaft war in diesem Zeitraum weder mit eigenen Anträgen, noch mit Gutachten im Kontext der DFG aktiv. Pro Jahr begutachten etwa 15.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Bitten der DFG rund 20.000 eingegangene Anträge. Die 613 gewählten Mitglieder der 48 Fachkollegien geben auf dieser Basis Empfehlungen ab, und schließlich trifft der mehrheitlich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (sowie aus Vertretern der Geldgeber) bestehende Hauptausschuss die Förderentscheidungen. Daneben gibt es seit Gründung der DFG ein bürokratisches Element in ihrer Organisation, die Geschäftsstelle, deren Referenten erheblichen Einfluss auf die Förderpraxis besitzen.1 Die DFG erfüllt – um es in Anlehnung an ein Modell des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zu formulieren – für das „wissenschaftliche Feld“ der Bundesrepublik drei Funktionen: Sie vermittelt erstens als eine von dessen Repräsentantinnen die Beziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem politischen Feld. Sie akquiriert staatliche Fördermittel für die Wissenschaft und verteilt sie nach Grundsätzen weiter, welche die Interessen beider Felder in Einklang zu bringen suchen. Gegenüber der Politik artikuliert sie die Erwartungen der Wissenschaft, in diese hinein kommuniziert sie die Erwartungen der Politik. Wer also den Grad von Autonomie oder Heteronomie der Forschung gegenüber außerwissenschaftlichen Einflüssen vermessen will, kann dies anhand der DFG1
Vgl. Forschungsgemeinschaft, Jahresbericht 2018, S. 238, 183 ff. und 15.
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Förderpraxis tun. Zweitens werden in den Gremien der DFG Regeln mit Gültigkeitsanspruch für die gesamte Wissenschaft ausgehandelt und qua Autorität, aber auch mit dem sanften Druck ihrer Ressourcen im Feld vermittelt: Worin wissenschaftliches Fehlverhalten bestehen könnte, woran Berufungskommissionen Befangenheiten ihrer Mitglieder erkennen und warum Großprojekte eigene Strategien zur Förderung von Wissenschaftlerinnen entwickeln sollten, wird im Hochschulalltag häufig unter Rückgriff auf „die Regeln der DFG“ geklärt (und meist nicht weiter problematisiert). Drittens überweist sie den von ihr Geförderten nicht nur Gelder, sondern auch „symbolisches Kapital“: Von ihr geförderte Projekte gelten gemeinhin als penibel per Peer Review geprüft, sprich: als nachgewiesen seriös. Die Förderung durch die DFG erhöht die Reputation von Forscherinnen und Forschern und kann in Statusgewinne samt materieller Gratifikation übersetzt werden, sei es im Rahmen von Berufungsverfahren, sei es im hochschulinternen Wettbewerb um knappe Ressourcen.2 Diese Rolle innerhalb des wissenschaftlichen Feldes hat die DFG seit Gründung der Notgemeinschaft im Jahr 1920 in drei verschiedenen politischen Systemen erworben und gegen Konkurrenten verteidigt.3 In ihrem Innern hat sie immer wieder aufs Neue Strukturen und Regeln etabliert, nach denen einzelne Gruppen (seien es Statusgruppen wie die Ordinarien oder Vertreter bestimmter wissenschaftlicher Schulen und Denkkollektive) Einfluss auf ihre Praxis nehmen und somit Macht im wissenschaftlichen Feld ausüben konnten. Während die Notgemeinschaft der 1920er Jahre als „wohlmeinende Autokratie“ ihres Präsidenten, des letzten königlich-preußischen Kultusministers Friedrich Schmidt-Ott, funktionierte, der sich dabei auf ein informelles Kontaktnetz von Wissenschaftlern, Ministerialbeamten, Bankiers und Industriellen stützte, galt in der DFG des „Dritten Reiches“ das „Führerprinzip“, wobei dessen Praxis auf einem Bündnis nationalsozialistischer Nachwuchswissenschaftler mit bereits vor 1933 etablierten Professoren beruhte, vereint in einem nationalistischen Konsens.4 Auf die Idee, die DFG aus Überzeugung als demokratisch zu bezeichnen – als „Gutachterdemokratie“ (Julius Speer 1968) oder „Gelehrtenrepublik“ (Heinz Maier-Leibnitz 1974) –, kamen erst die bundesdeutschen DFG-Präsidenten.5 Die Machtstrukturen innerhalb der Notgemeinschaft/DFG korrespondierten in ihrer Geschichte jeweils mit jenen der zeitgenössischen Hochschulverfassungen, also in der Weimarer wie der frühen Bundesrepublik mit der Ordinarienuniversität, in der die Lehrstuhlinhaber die akademischen Selbstverwaltungsgremien monopolisierten und an „ihren“ Instituten fast unbeschränkt über Personal, Res2 3
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Vgl. Bourdieu, Gebrauch. In der DDR, existierte zwar zwischen 1957 und 1990 ein auf Natur- und Technikwissenschaften beschränkter „Forschungsrat“, doch unterschied sich dieser allzu deutlich von den in diesem Buch vorgestellten Organisationen und berief sich selbst (anders als die bundesdeutsche DFG) auch nicht auf die Weimarer Notgemeinschaft als Vorgängerin, daher bleibt er ausgespart. Allerdings wäre er eine eigene Untersuchung wert, erste Ansätze vgl. bei Wagner, Forschungsrat. Die Formulierung der „wohlmeinendes Autokratie“ stammt aus einem Briefs Fritz Habers an Friedrich Schmidt-Ott vom 25.6.1929, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 126. Speer, Vorwort 1967, S. 7, und Amtsübergabe, S. 4.
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sourcen und Studenten herrschten. Während des „Dritten Reiches“ waren die Hochschulen als „Führeruniversitäten“ verfasst, beruhten in ihrem Alltag gleichwohl auf einer Selbstmobilisierung der Ordinarien für das NS-Regime. Als ab Mitte der 1960er Jahre um eine Demokratisierung der Hochschulen gestritten wurde und sich die Ordinarien- in die Gruppenuniversität mit ihren aus Vertretern unterschiedlicher Statusgemeinschaften besetzten Wahlgremien transformierte sowie zugleich der Staat unter den Vorzeichen von Gesellschaftsreform und Planungseuphorie eine dirigistischere Forschungspolitik anstrebte, führte dies auch innerhalb der DFG zu einer Umformatierung ihrer Machtstrukturen, Förderlinien und Außenbeziehungen. In diesem Kontext formulierte die Bundesassistentenkonferenz, eine zwei Jahre zuvor gegründete Interessenvertretung des akademischen Mittelbaus, im Oktober 1970 eine Fundamentalkritik an der gerade ihr 50. Gründungsjubiläum feiernden DFG: „Alle Diskussionen über Mitbestimmung sind fruchtlos an der DFG vorübergegangen; je mehr sich die Ordinarien in den Hochschulen der Mitsprache anderer Gruppen nicht mehr entziehen können, desto mehr drohen sie die DFG als letztes Reservat zu mißbrauchen.“6 Zwar war diese Kritik insofern überzogen, als die damaligen Partizipationsregeln ebenso wie alle vorangegangenen Satzungen und Wahlordnungen seit 1920 den Kreis der innerhalb der DFG Mitspracheberechtigten keineswegs auf die Lehrstuhlinhaber beschränkten, sondern ihn im Wesentlichen als die Gesamtheit der Habilitierten definierten. Diese besaßen als durch eine spezifische akademische Leistung Ausgewiesene das aktive wie passive Wahlrecht zu den Fachausschüssen, deren Mitglieder die Projektanträge begutachteten. In den Leitungsgremien wie Präsidium, Senat oder Hauptausschuss waren allerdings im Herbst 1970 die Ordinarien in der Tat fast völlig unter sich. Im Dezember dieses Jahres erfasste der Reformimpetus dann auch die DFG. Nun wurde das aktive Wahlrecht zu den Fachausschüssen auf alle promovierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DFG-Mitgliedsinstitutionen ausgedehnt, sofern sie seit der Promotion mindestens drei Jahre in der Forschung tätig gewesen waren. Damit verdoppelte sich die Zahl der Wahlberechtigten. Insgesamt wurden während des Reformjahrzehntes um 1970 innerhalb der DFG im Wesentlichen jene Partizipationsstrukturen geschaffen und wurde in den Beziehungen zum Staat jene Mischung aus Autonomie und Auftragsverwaltung etabliert, die zumindest bis zur Umformung der Fachausschüsse in Fachkollegien im Jahr 2004, in vielen anderen Bereichen aber bis in die Gegenwart Bestand hatten respektive haben.7 Dies ist einer der Gründe, warum die vorliegende Studie Mitte der 1970er Jahre endet. Der zweite besteht darin, dass von nun an vor allem solche Problemlagen die DFG beschäftigten, die man auf die erst nach 1949 entstandenen Strukturen der bundesdeutschen Gesellschaft und ihres Innovationssystems zurückführen kann (etwa die strukturelle Unterfinanzierung des Hochschulsystems „nach dem Boom“), während zuvor ein erheblicher Teil der von den DFG-Gremien zu lösenden Fragen noch mit Folgen der NS-Zeit und 6 7
Presseerklärung des Vorstandes der Bundesassistentenkonferenz vom 26.10.1970, in: Bundesarchiv (von nun an: BArch), B 227/543. Vgl. Hornbostel/Olbrecht, Peer Review.
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Eine erste Führung durch das „Reservat der Ordinarien“
des Zweiten Weltkrieges zusammengehangen hatte.8 Im Vergleich mit den Jahrzehnten seit Mitte der 1970er Jahre – das ist der dritte Grund für die Wahl des Untersuchungszeitraums – erscheint die Entwicklung der Notgemeinschaft/DFG zuvor insofern als Einheit, als sie geprägt wurde durch die Dominanz einer Teilgruppe der Hochschullehrerschaft, der Ordinarien, die sich selbst über die Notgemeinschaft/DFG ihres Status als Leistungs- und Werteelite des wissenschaftlichen Feldes versicherten, durch sie Macht innerhalb dieses Feldes ausübten und sie als Schutzraum („Reservat“) gegenüber jenen Bedrohungen ihres Wissenschafts- und Lebensstiles nutzten, die sie seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhren, empfanden, mitunter auch imaginierten. Dass die Notgemeinschaft im Jahr 1920 als ein solcher Schutzraum gegründet worden war, signalisierte bereits ihr Name. Zwei Jahre später beschrieb sie sich in ihrem ersten Tätigkeitsbericht gegenüber der Öffentlichkeit als „Selbstverwaltungskörper der gesamten deutschen Wissenschaft“, in dem „alle zur Abwehr der drohenden Gefahr geeigneten Kräfte zusammengefaßt“ seien.9 Dass sich deutsche Wissenschaftler in den Anfangsjahren der Weimarer Republik angesichts von Kriegsfolgen, politischer Instabilität, einer im Bildungsbürgertum ungeliebten neuen Ordnung und galoppierender Inflation in „Not“ und „Gefahr“ wähnten, verwundert wenig. Aber auch der zwischen 1964 und 1973 amtierende DFG-Präsident Julius Speer nannte seine Organisation immer wieder öffentlich eine „Notgemeinschaft“.10 Durch die Geschichte der DFG ziehen sich bis in die 1970er Jahre als rote Fäden zum einen besorgte Debatten über Nöte, Rückstände und Gefahren, zum anderen Aufrufe, sich gegen diese Bedrohungen als Gemeinschaft zusammenzuschließen. Die Nöte wurden zu verschiedenen Zeitpunkten in wechselnden Phänomenen verortet, aber einige Grundmotive wiederholten sich durchgängig, hierunter vor allem die Befürchtung, in einer modernen Industriegesellschaft werde die Forschung zunehmend aus den Hochschulen in die Labore der Industrie sowie der staatlichen Ressortforschung umziehen, im Zusammenhang damit werde die an den Hochschulen verortete Grundlagenforschung den ihr vermeintlich zustehenden Primat gegenüber Zweckforschung und technologischer Entwicklung einbüßen und schließlich: in modernen Massengesellschaften werde die wissenschaftliche Elite abhängig werden von den Launen einer halbgebildeten Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund eines solchen Verständnisses der DFG als Organisation und sozialer (Schutz-)Raum, in dem sich über Jahrzehnte und in drei politischen Systemen vor allem habilitierte Hochschulwissenschaftler unter Führung der Ordinarien vergemeinschafteten, verfolgt dieses Buch vier Bündel von Leitfragen. Das erste Fragenbündel bezieht sich auf die institutionelle Seite von Forschungsförderung – auf die Rolle der DFG bei der Zuteilung von materiellem und symbolischem Kapital im wissenschaftlichen Feld: Wie wandelten sich das Förderprofil und die Förderinstrumente der DFG, und welche Ursachen waren 8 9 10
Zu den 1970er Jahren als Zäsur vgl. Doering-Manteuffel, Boom, und derselbe/Raphael, Boom. Bericht 1922, S. 5. Bericht 1967, S. 19.
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hierfür verantwortlich? Welche Disziplinen, Forschungsfelder und Teilgruppen der Wissenschaft wurden wann und aus welchen Gründen in welchem Umfang gefördert? Inwiefern schuf die Förderpraxis Innovationen Raum oder belohnte sie ein Verharren im Mainstream? Eng verknüpft mit diesem ersten Fragenbündel ist das zweite, um die Kategorie der „Macht“ gruppierte: Welche Akteure erwarben unter wechselnden historischen Rahmenbedingungen innerhalb der DFG Macht, stabilisierten oder verloren sie wieder? Wie setzten sie die Machtressourcen der DFG (vor allem die Möglichkeit, einzelnen Mitgliedern des wissenschaftlichen Feldes Geld und Anerkennung zuzuteilen) für ihre Interessen ein? Und schließlich: Welche Rolle spielten jeweils außerhalb der DFG angesiedelte Akteure – sei es die Staatsbürokratie, seien es Vertreter der Wirtschaft – für deren Förderpolitik, und welche Grade von Autonomie oder Heteronomie erreichte die DFG im Verhältnis zu diesen Akteuren? Eine dritte Gruppe von Leitfragen zielt auf die Formulierung, Durchsetzung und Modifizierung der Regeln des wissenschaftlichen Feldes innerhalb der und durch die DFG: Welche Akteure formulierten in welchen historischen Kontexten jeweils welche Positionen zur Autonomie bzw. Außenlenkung der deutschen Wissenschaft, zu ihrer Verpflichtung gegenüber übergeordneten Kollektiven (sei es die internationale Wissenschaft, sei es das „Volk“ oder die „Gesellschaft“), zur Unterscheidung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung sowie zur Setzung von Schwerpunkten und damit zur Etablierung von Relevanz-, Macht- und Ressourcenhierarchien innerhalb des wissenschaftlichen Feldes? Die Zeit des Nationalsozialismus gibt viertens Anlass zu spezifischen Leitfragen: Welche Forschungsstränge wurden nur in der Ausnahmesituation des NSStaates gefördert, und welche Stränge erfuhren zwar im Nationalsozialismus eine spezifische Aufladung, stellten aber an sich Variationen längerer Trends dar? So ist danach zu fragen, welche Rolle die DFG in den Prozessen der völkischen Aufladung von Wissenschaft seit den 1920er Jahren, während deren Kulmination im Zweiten Weltkrieg und bei ihrem Abklingen nach 1945 spielte. Zugleich ist nach der Funktion der DFG und des ab 1937 eng mit ihr verwobenen Reichsforschungsrates für die Rüstungs-, Kriegs- und Vernichtungspolitik des NS-Regimes zu fragen. Um diese Fragen zu beantworten – und damit in der Summe die historische Entwicklung der Notgemeinschaft/DFG innerhalb des wissenschaftlichen Feldes zwischen 1920 und den 1970er Jahren nachzuzeichnen – konzentriere ich mich zum einen auf die für eine Institutionengeschichte typischen Themen – die Politiken und Debatten der Leitungsgremien und Spitzenfunktionäre, die inneren Machtstrukturen und die Interaktionen der Organisation mit Akteuren außerhalb ihrer selbst. Zum anderen richte ich meine Aufmerksamkeit auf die für eine Organisation wie die Notgemeinschaft/DFG spezifischen Aspekte, nämlich auf die Entwicklung der Förderlinien sowie auf die Begutachtung als die über Jahrzehnte zentrale Praxis im sozialen Raum der DFG. Es geht im Rahmen einer historischen Untersuchung nicht darum, die reichhaltige Literatur über die Vorteile und Risiken des Peer Review zu vermehren oder die in solchen Untersuchungen
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Eine erste Führung durch das „Reservat der Ordinarien“
häufig aufgeworfene Frage zu beantworten, ob die Begutachtung durch Fachleute einer Entscheidung per Zufallsgenerator wirklich überlegen sei.11 Ich habe Zweifel, ob es möglich ist, verallgemeinerbare Kriterien für die Bewertung der „Richtigkeit“ von Förderentscheidungen zu formulieren, auch wenn es im Einzelfall möglich sein mag, ihre Effekte zu bewerten. Nicht den geringsten Zweifel habe ich dagegen an meiner eigenen Inkompetenz, die Plausibilität von Gutachten zur Hochfrequenzphysik, Biochemie oder Keltologie zu bewerten. Ich untersuche vielmehr Prozesse der Begutachtung als soziale Praktiken, durch die den Begutachteten, ihren Vorhaben, Methoden und Erkenntnisinteressen jeweils von den Gutachtern ein Status zugewiesen wurde (wie berechtigt oder unberechtigt auch immer), durch die Gutachter Macht innerhalb ihres Fachgebietes ausübten und mittels derer über jene Regeln verhandelt wurde, die im wissenschaftlichen Feld gültig sein sollten. Ob nun das einzelne Gutachten angemessen gewesen sein mag oder nicht: Durch die Analyse der Argumentationsmuster eines größeren Samples an Gutachten quer durch die Fächer und in diachroner Perspektive können wir die in der Notgemeinschaft/DFG organisierten wissenschaftspolitischen Interessen, die hier als gültig erachteten Regeln und Wertvorstellungen und schließlich die Machtausübung seitens der Gutachter zwischen 1920 und den 1970er Jahren untersuchen – und damit einen aus meiner Sicht zentralen Aspekt der DFGGeschichte. Bereits bevor die ersten Studien des im Jahr 2000 vom damaligen DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker initiierten Forschungsvorhabens „Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920–1970“ publiziert wurden, lagen neben Untersuchungen zur Förderung einzelner Fächer (hier sollen nur partes pro toto die Untersuchungen von Steffen Richter zur Physik und Ute Deichmann zur Biologie und Chemie erwähnt werden)12 bereits fünf institutionengeschichtliche Monographien zur Geschichte der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft bzw. Deutschen Forschungsgemeinschaft vor, nämlich die Bücher von Kurt Zierold (1968), Thomas Nipperdey und Ludwig Schmugge (1970), Ulrich Marsch (1994) und Notker Hammerstein (1999) sowie die im Netz veröffentlichte Dissertation von Jochen Kirchhoff (2003).13 Während Marsch die Gründungsphase der Notgemeinschaft zwischen 1920 und 1925 sehr verlässlich rekonstruiert, darüber hinaus aber nur geringe analytische Ambitionen entwickelt und Jochen Kirchhoff sich primär mit der Rolle Friedrich Schmidt-Otts sowie der 1925 unter der Bezeichnung „Gemeinschaftsarbeiten“ gestarteten Schwerpunktförderung der Notgemeinschaft beschäftigt, verstehen sich die Bücher von Zierold und Nipperdey/ Schmugge als Überblicksdarstellungen für den Zeitraum zwischen 1920 und 1968/70. Kurt Zierold bleibt als langjähriger Generalsekretär der DFG einer Verwaltungs-Perspektive verhaftet, explizit wollte er ein „Handwerkszeug für Mitar11 12 13
Vgl. beispielsweise die bereits klassischen Untersuchungen von Cole/Cole, Peer Review, Cole/Cole/Simon, Chance, Cole/Rubin/Cole, Peer Review und Hill/Rieser, Förderungspolitik, S. 250 ff. sowie Reinhart, Soziologie. Vgl. Richter: Forschungsförderung und Deichmann, Biologen. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, Nipperdey/Schmugge, 50 Jahre, Marsch, Notgemeinschaft, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft und Kirchhoff, Wissenschaftsförderung.
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beiter“ herstellen.14 Über die Gremien, Satzungen, Richtlinien und das Ausmaß der Förderungstätigkeit findet man daher bei ihm vielfältige und differenzierte Informationen. Eine historisierende Perspektive nimmt er jedoch nicht ein, die Rolle der DFG im Nationalsozialismus beispielsweise wird von ihm letztlich auf Organisationsfragen reduziert. Der Wert seines Buches ist somit eher der einer Quelle. Thomas Nipperdey und Ludwig Schmugge ist es mit ihrem nur 100 Seiten langen Text gelungen, einen Überblick über die Geschichte der DFG mit einem ersten Interpretationsversuch dieser Geschichte vor dem Hintergrund der politischen Zeitgeschichte zu verbinden. Die Grenzen ihres bescheiden als „Bericht“ titulierten Textes haben die Autoren explizit benannt: Sie beschreiben mit der DFG eine Institution der Forschungsförderung, ohne das Feld, auf dem diese Institution handelte, nämlich die Forschung selbst, zu thematisieren.15 Notker Hammerstein hat dagegen in seiner auf die Jahre zwischen 1920 und 1945 konzentrierten Untersuchung drei Ebenen miteinander verknüpft: die Geschichte der Institution, die Geschichte der deutschen Forschung (zumeist am Beispiel der Physik) sowie deren allgemeinen historischen Hintergrund. Meines Erachtens hat Hammerstein die Wechselbeziehungen zwischen dem NS-Regime und der Forschung nicht überzeugend analysiert. Dies hat seinen Grund vermutlich in seinen Vorstellungen einerseits über den Nationalsozialismus und andererseits über die deutschen Universitäten. Die NS-Machthaber treten hier als plebejische Ideologen und Machtmenschen auf, zu denen deutsche Professoren in ihrer Eigenschaft als unpolitische Bildungsbürger in einer quasi natürlichen Distanz verblieben seien. Hammerstein betont immer wieder eine „Normalität“ des Forschungsalltags während des Nationalsozialismus, ohne die Parameter des „Normalen“ selbst zu hinterfragen. Diesem Defizit steht die immense Leistung gegenüber, die Hammerstein in der Erschließung von Akten der DFG und des Reichsforschungsrates vollbracht hat. Er hat seine Untersuchung als Einzelforscher angestellt, und wenn er in seinem Buch darauf verweist, er habe aus Gründen der Arbeitsökonomie auf eine systematische Erschließung der Förderakten verzichten müssen, so benennt er selbst die Grenzen seiner Analyse. Demgegenüber befinde ich mich in einer unverdient privilegierten Lage, weil ich bei der Arbeit an diesem Buch von dem Wissen, den Erfahrungen, Anregungen und Ideen der etwa 20 Kolleginnen und Kollegen profitieren konnte, die zwischen 2001 und 2008 (und manche gleich mir noch über das offizielle Projektende in diesem Jahr hinaus) an dem von Ulrich Herbert und Rüdiger vom Bruch geleiteten Forschungsvorhaben „Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920–1970“ beteiligt waren. Ohne die von der Kollegin Karin Orth erstellten Datenbanken zu den Förderakten wären wir anderen wahrscheinlich in den Archiven reichlich verloren gewesen. Bei den Workshops des Projektes (und vielen Diskussionen nebenher) habe ich für dieses Buch Tragendes von anderen gelernt; so beruht meine Perspektive auf die Quellengruppe der Gutachten sehr weitgehend auf den analytischen Anregungen des Sprachwissenschaftlers Klaas14 15
Zierold, Forschungsförderung, S. VIII. Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 7.
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Hinrich Ehlers (ohne dass er für irgendeinen meiner Irrtümer verantwortlich wäre). Vor allem aber profitiert das vorliegende Buch davon, dass ich mich für viele Einzelthemen auf die inzwischen publizierten Untersuchungen der Kolleginnen und Kollegen verlassen kann. Dieses Buch basiert folglich auf einem Mix an eigenen Quellenrecherchen und den Befunden anderer, deren Genese ich mitverfolgen und daher frühzeitig in ihrer Bedeutung für meine eigenen Erkenntnisinteressen erfassen konnte. Zugleich entlasten mich die Veröffentlichungen der anderen davon, in diesem Buch jeden Aspekt im Detail darstellen und interpretieren zu müssen. Wer sich besonders für die Institutionengeschichte von DFG und Reichsforschungsrat im „Dritten Reich“ und ihre Bedeutung für die Kriegsforschung interessiert, sollte das einschlägige Buch von Sören Flachowsky lesen.16 Die Förderpolitik der bundesdeutschen DFG bis in die 1970er Jahre hat niemand präziser analysiert als Karin Orth, die sich zudem nach dem Ende unseres gemeinsamen Forschungsvorhabens in weiteren Büchern mit dem Schicksal im Kontext der DFG aktiver Wissenschaftler jüdischer Herkunft beschäftigt hat.17 Die Mehrzahl der Projekte unseres Verbundes hat sich mit der Entwicklung einzelner Disziplinen und Forschungsfelder zwar durch die Sonde ihrer DFGFörderung beschäftigt, ist aber immer auch den Eigenlogiken der jeweiligen Themen gefolgt oder hat jeweils eigene theoretische Rahmungen gewählt. Wer also jenseits der knappen Hinweise in diesem Buch Substanzielles über die Geschichte von Ostforschung, Vererbungswissenschaft, Krebsforschung, Volkskunde, Rohund Werkstoffforschung, Agrarwissenschaften, Strahlungsforschung, Sprachwissenschaft oder Wirkstoffforschung erfahren möchte, greife zu den Büchern von Corinna Unger, Anne Cottebrune, Gabriele Moser, Friedemann Schmoll, Günther Luxbacher, Willi Oberkrome, Alexander von Schwerin, Klaas-Hinrich Ehlers und Heiko Stoff.18 Andere Teilprojekte haben aus verschiedenen Gründen nicht zu Monographien geführt; ihre Ergebnisse finden sich gleichwohl in kondensierter Form in einem von Karin Orth und Willi Oberkrome herausgegebenen Sammelband.19 Jenseits der Publikationen unseres Verbundes waren vor allem die Studien des Forschungsverbundes zur Geschichte der Kaiser-WilhelmGesellschaft (KWG) für dieses Buch wegweisend; explizit verweisen möchte ich hier nur exemplarisch auf Rüdiger Hachtmanns konzeptionell grundlegendes Buch über die Generalverwaltung der KWG.20 Um die Entwicklung meines eigenen Projektes und damit die Entstehung dieses Buches zu charakterisieren, muss ich einen Kriminalroman zitieren. Der Historiker Christian von Ditfurth lässt in einer kleinen Serie von Büchern einen Hamburger Historiker namens Josef Maria Stachelmann Kriminalfälle lösen, obwohl er seine Zeit eigentlich darauf verwenden sollte, eine Habilitationsschrift 16 17 18 19 20
Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft. Vgl. Orth, Autonomie, dieselbe, NS-Vertreibung und dieselbe, Vertreibung. Vgl. Unger, Ostforschung, Cottebrune, Mensch, Moser, Forschungsgemeinschaft, Schmoll, Vermessung, Luxbacher, Ersatzstoffe, Oberkrome, Ordnung, Schwerin, Strahlenforschung, Ehlers, Wille und Stoff, Wirkstoffe. Vgl. Orth/Oberkrome (Hrsg.), Forschungsgemeinschaft. Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement.
Eine erste Führung durch das „Reservat der Ordinarien“
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über das Konzentrationslager Buchenwald fertigzuschreiben. Stachelmann aber lässt sich immer wieder von seiner wissenschaftlichen Aufgabe ablenken, und so türmt sich auf seinem Schreibtisch ein „Berg der Schande“ in Gestalt von mehreren Stapeln Material, die er nur noch verwahrt, aber nicht mehr in Text verwandelt.21 Zwischen 2003 und 2006 habe ich meinerseits als Mitarbeiter des erwähnten Forschungsverbundes in Freiburg große Mengen an Quellen und Literatur gesammelt und in meinem Kopf in eine Erzählung verwandelt. Da allerdings im Unterschied zum Kollegen Stachelmann die Habilitation zu einem anderen Thema längst fertig war, konnte ich im Jahr 2006 eine Professur in Halle erhalten. Das war für mich selbst natürlich ein Glück – niemand täusche sich über die Kontingenz akademischer Karriereverläufe –, für das zu schreibende Buch über die Geschichte der DFG aber bedeutete dies, dass es in den folgenden Jahren immer wieder in den Hintergrund rückte, weil Graduiertenkollegs zu beantragen und zu betreiben, ein Projekt zur Geschichte des Bundeskriminalamtes einzuwerben und abzuschließen, Studien- und Prüfungsordnungen zu schreiben, Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung zu erledigen waren und so weiter und so fort. Immerhin war die neue Wohnung in Halle geräumig, sodass ich dort einen eigenen Tisch aufstellen konnte, auf dem sich mein „Berg der Schande“ in Gestalt der Materialien zur DFG nicht nur türmte, sondern er wuchs sogar weiter, wurde aber nur sehr schleppend in Text verwandelt. Dass derweil die erste studentische Hilfskraft, die mir in Freiburg bei der Materialsammlung zur Hand gegangen war, Germanistikprofessor an einer amerikanischen Universität geworden ist und die zweite sich als investigativer Journalist zum NDR durchgeschlagen hat, freut mich und macht mir zugleich bewusst, wie weit der Start des Projektes inzwischen entrückt und wie unwahrscheinlich sein Abschluss zwischendurch geworden war. Da half auch ein von der DFG gewährtes Freisemester zunächst wenig, und es war allzu verständlich, dass mir die zu dessen Evaluation bestellten Gutachter bescheinigten, der Output sei doch enttäuschend und mehr werde es wohl nicht mehr werden. Doch wer lebt schon gern mit solcher Schande, und deshalb gibt es nun doch einen geleerten Tisch und dieses Buch.
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Ditfurth, Mann, S. 17.
TEIL I ABSEITS DER DEMOKRATIE. DIE NOTGEMEINSCHAFT IN DER WEIMARER REPUBLIK
ERSTES KAPITEL NOT UND GEMEINSCHAFT. EINE GRÜNDUNGSGESCHICHTE MÄRZ 1920: EIN EHEMALIGER MINISTER FINDET EINE NEUE AUFGABE Anfang März 1920 schien die gerade erst gegründete Weimarer Republik zu wanken. Zwei Monate zuvor war der Versailler Friedensvertrag in Kraft getreten; die dort festgeschriebenen, in ihrer Höhe aber noch nicht definierten Reparationsverpflichtungen hingen ebenso als Damoklesschwert über der jungen Demokratie wie die Forderung der Entente, die noch etwa 400.000 in regulärer Reichswehr und Freikorps dienenden Soldaten bis Juli des Jahres auf 100.000 Mann zu reduzieren. Ob die überzähligen Soldaten widerstandslos ins Zivilleben zurückkehren würden, musste als fraglich erscheinen; vielmehr lag eine Meuterei geradezu in der Luft. Das nationalistische Lager mobilisierte derweil offen zur Gewalt gegen die Republik, am 26. Januar hatte ein Attentäter den Zentrumspolitiker und Reichsfinanzminister Matthias Erzberger durch zwei Schüsse schwer verletzt. Erzberger, der während des Krieges zunächst zu den Vertretern einer Eroberungspolitik gehört hatte, 1917 aber auf die Forderung nach einem Verständigungsfrieden umgeschwenkt war, verkörperte für die radikalen Nationalisten den vermeintlichen Verrat der Heimat an der Front. Am 11. November 1918 hatte er im Auftrag von Regierung und Oberster Heeresleitung den Gang nach Compiègne auf sich genommen und dort den Waffenstillstand unterzeichnet. Zum Zeitpunkt des Attentates setzte sich der Minister gerade in einem Prozess vor dem Berliner Landgericht gegen eine Verleumdungskampagne des deutschnationalen Politikers Karl Helfferich zur Wehr. Der Prozess vor offen mit Helfferich sympathisierenden Richtern und einem ebenso eingestellten bürgerlichen Publikum endete für Erzberger – und damit für die von ihm repräsentierte demokratische Ordnung – am 12. März 1920 mit einem Fiasko, da die Richter in ihrem Urteil die Vermutung äußerten, Erzberger habe sich im Amt materielle Vorteile verschafft. Der Minister trat noch am selben Tag zurück. Am folgenden Tag, dem 13. März, marschierten Freikorps, die bis dahin in der Umgebung von Berlin stationiert waren, in die Hauptstadt und installierten eine Putschregierung unter dem deutschnationalen Politiker Wolfgang Kapp. Der von langer Hand durch eine Gruppe um den ehemaligen Kopf der Obersten Heeresleitung Erich Ludendorff vorbereitete Staatsstreich brach innerhalb weniger Tage zusammen. Ein Generalstreik, den auch die Masse der Beamtenschaft mittrug, nötigte die Putschisten am 17. März zur Aufgabe.
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Not und Gemeinschaft. Eine Gründungsgeschichte
Unter den Putschisten befanden sich auch die Studenten Eduard und Albrecht Schmidt-Ott, Söhne des letzten königlich-preußischen Kultusministers Friedrich Schmidt-Ott. Die Brüder hatten sich einem Bataillon der putschenden MarineBrigade Ehrhardt angeschlossen und an der Besetzung des Reichswehr- sowie des preußischen Kultusministeriums teilgenommen. Nachdem sie ihrem Vater am Morgen telefonisch von ihrem Abenteuer berichtet hatten, machte sich der 59jährige Ex-Minister von Steglitz aus auf den Weg in die Innenstadt, um nach seinen Söhnen zu suchen. So jedenfalls berichtete er selbst in seiner 1952 publizierten Autobiographie. Was Schmidt-Ott mit dieser Suche bezweckte, ließ er im Rückblick offen, dementierte nur Gerüchte, er habe im Auftrag der Putschisten das Kultusministerium übernehmen wollen, dem er zwischen August 1917 und November 1918 schon einmal vorgestanden hatte. Immerhin beklagte SchmidtOtt noch 1952, dass „aus dem ganzen kopflosen und ohne Herrschaft über die Finanzen unternommenen Versuch, eine nationale Regierung zu gründen, (…) leider nichts werden“ konnte. An das Bedauern schloss Schmidt-Ott unmittelbar einen Satz an, der aufgrund seiner Stellung im Text wie eine Erklärung für das Scheitern des Putsches wirkt: „Daß die einziehenden Truppen überall das Hakenkreuz mit sich führten, regte natürlich auch die jüdischen Mächte auf.“1 Schmidt-Otts Autobiographie ist voller antisemitischer Ressentiments, hierauf wird zurückzukommen sein. Schmidt-Ott hatte allerdings an jenem 13. März 1920 einen Termin, der ihn von einer Beteiligung am Putsch möglicherweise abhielt. Dabei ging es um die für Schmidt-Ott entscheidende Ressource von Macht: um „die Finanzen“. Der 1918 von Ingenieuren gegründete Reichsbund deutscher Technik veranstaltete am Nachmittag dieses Tages in der von den Putschisten besetzten Berliner Innenstadt eine Tagung über die „Notlage der wissenschaftlichen Forschungsinstitute“.2 Zu den 13 Teilnehmern gehörten neben Schmidt-Ott und Fritz Haber, seit 1911 Direktor des Berliner Kaiser-Wilhelm-Institutes für physikalische Chemie, weitere Professoren der Berliner Hochschulen sowie Vertreter der Preußischen Staatsbibliothek und mehrerer Technikerverbände. In weniger als zwei Stunden verständigten sich die Anwesenden nicht nur auf eine gemeinsame Wehklage über die Finanzsorgen der Hochschulen, wissenschaftlichen Bibliotheken und Forschungsinstitute, sondern gründeten auch einen „Arbeitsausschuss“, der die Forderung nach einem verstärkten finanziellen Engagement des Reiches zugunsten der Wissenschaft gegenüber Parlamenten und Regierungen vertreten solle, sich aber zunächst um ein Mandat aller deutschen Hochschulen bemühen müsse. Zum Vorsitzenden dieses Ausschusses wählte die Versammlung auf Vorschlag Habers per Akklamation Friedrich Schmidt-Ott. Haber betonte, angesichts der „Vielfältigkeit und Zwiespältigkeit der Meinungen der wissenschaftlichen Autoritäten“ könne kein Forscher für die Wissenschaft sprechen, sondern hierzu bedürfe es einer „Persönlichkeit (…), die auf Grund ihrer vieljährigen Erfahrung in der Lage sei“, die innerwissenschaftlichen Differenzen „auszuschalten bzw. zu einem einigenden 1 2
Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 173. Niederschrift der Sitzung vom 13.3.1920 in: Marsch, Notgemeinschaft, S. 142–146, hier S. 142.
März 1920: Ein ehemaliger Minister findet eine neue Aufgabe
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brauchbaren Vorschlag zu verdichten“.3 Zwar beschlossen die Versammelten, dass dem Arbeitsausschuss Vertreter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (der heutigen Max-Planck-Gesellschaft), der Universitäten und Technischen Hochschulen und einiger Verbände angehören sollten, begnügten sich aber zunächst mit der Wahl des Vorsitzenden und dem Beschluss, dass der vorerst nur aus Schmidt-Ott bestehende Ausschuss ein „Selbstergänzungsrecht“ habe.4 Die Initiative zur Selbstorganisation der Wissenschaft begann insofern mit einer Selbstentmündigung der Forscher, mit der Rückwendung zum führenden Wissenschaftsbürokraten des späten Kaiserreiches, Schmidt-Ott, dem man eine Blankovollmacht ausstellte. Im Jahr 1860 in Potsdam als Sohn eines Verwaltungsjuristen geboren war Friedrich Schmidt nach Jurastudium und Promotion im Oktober 1888 als Hilfsarbeiter in das Preußische Kultusministerium eingetreten.5 Dort wurde er Referent und engster Mitarbeiter Friedrich Althoffs, der zwischen 1882 und seinem Abschied im Jahr 1907 die preußische Wissenschaftspolitik leitete. Schmidt seinerseits stand ab diesem Jahr an der Spitze der Ministeriumsabteilung für Kunst und außeruniversitäre Wissenschaftseinrichtungen, bevor er im August 1917 zum preußischen Kultusminister aufstieg. Am 13. November 1918 verlor er durch die Revolution sein Amt. Zwei Jahre später fügte er anlässlich seiner silbernen Hochzeit seinem Namen den Mädchennamen seiner Frau hinzu. Der nunmehrige Schmidt-Ott verkörperte im Jahr 1920 das von den meisten Wissenschaftlern im Rückblick idealisierte „System Althoff “ einer strikten Hochschulpolitik von oben.6 Althoff und sein Schüler Schmidt-Ott hatten bei Berufungen häufig die Vorschläge der Fakultäten ignoriert, ihre Entscheidungen aber jeweils durch die informelle Konsultation eines weit gespannten Kontaktnetzes wissenschaftlicher Koryphäen und wirtschaftlicher Interessenvertreter vorbereitet. Zudem hatten sich beide als findig erwiesen, wenn es gegolten hatte, Finanzmittel aus den unterschiedlichsten Quellen für die Gründung wissenschaftlicher Institutionen zu mobilisieren. In der Gründungsphase der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zwischen 1909 und 1911 hatte Schmidt-Ott zum einen durch seinen Einfluss auf Wilhelm II., dessen Mitschüler am Kasseler Gymnasium Fridericianum er zweitweise gewesen war, eine entscheidende politische Rolle gespielt. Zum anderen hatte er erfolgreich bei privaten Spendern um Mittel für die neue Gesellschaft geworben.7 Nach seinem unfreiwilligen Abschied infolge der Revolution unternahm Schmidt-Ott erstmals im April 1919 einen Versuch, auf die wissenschaftspolitische Bühne zurückzukehren. In einem Artikel, der unter dem Titel „Die Kulturaufgaben und das Reich“ in der 1907 von ihm selbst und Althoff gegründeten Internationalen Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik erschien, plädierte 3 4 5 6 7
Ebenda, S. 144. Ebenda, S. 145. Vgl. zum Folgenden Brocke, Schmidt-Ott, S. 153–188, Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 141–145 und Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 379–408. Den Begriff „System Althoff “ hat mit kritischer Implikation Max Weber 1911 geprägt, vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 142. Vgl. Brocke, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiserreich, S. 72. Allg. zur Rolle Schmidt-Otts bei der KWG-Gründung siehe ebenda, S. 49, 70–76 sowie 83 f.
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Schmidt-Ott dafür, dass das Reich mehr Kompetenzen in der Wissenschaftspolitik erhalten solle. Er bezweifelte aber, ob die Reichsregierung mangels einschlägig vorgebildeter Fachbeamter in der Lage sein werde, dieser notwendigen Aufgabe gerecht zu werden: Die Regierung solle darauf verzichten, „durch eigene Verwaltungsorgane maßgebenden Einfluß zu üben“, und sich stattdessen auf „Sachverständigenkommissionen“ stützen. „Ob nicht neben staatlichen Organisationen freiere Gestaltungen, wie sie bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (…) obwalten, zu fördern sind, darf weiterer Prüfung empfohlen werden.“8 Ohne die Zusammenarbeit mit Fritz Haber hätte Schmidt-Ott im Jahr 1920 kaum Erfolg gehabt. Haber besaß Fähigkeiten, die dem ehemaligen Kultusbürokraten fehlten, unter den neuen Rahmenbedingungen aber unabdingbar waren: In Schrift wie Rede vermochte Haber strategische Konzepte stilistisch geschliffen zu entwickeln und Adressaten ganz unterschiedlicher Zielgruppen (von den Kollegen über Parlamentarier bis hin zur breiten Öffentlichkeit) von großartigen Perspektiven zu überzeugen. Daneben personifizierte Haber wie kaum ein anderer deutscher Wissenschaftler dieser Zeit den Einsatz für einen deutschen Sieg im Ersten Weltkrieg, die internationale Anerkennung der Exzellenz deutscher Forschung, aber auch ihre Verfemung durch die Entente. Als Sohn jüdischer Eltern im Jahr 1868 in Breslau geboren, war Haber 1891 im Fach Chemie promoviert worden. Nach der Habilitation in Karlsruhe fünf Jahre später war er dort 1898 außerordentlicher und 1906 ordentlicher Professor geworden. Seit 1911 hatte er in Berlin als Gründungsdirektor das KWI für physikalische Chemie aufgebaut. Haber war zunächst dadurch berühmt geworden, dass er zwischen 1904 und 1908 ein Verfahren zur Synthese von Ammoniak entwickelt und 1909 zusammen mit Carl Bosch für die BASF zu einem großtechnisch nutzbaren Verfahren weiterentwickelt hatte. Nur auf Basis dieser Entwicklung konnte die deutsche Chemieindustrie ab 1915 die Munitionsproduktion aufrechterhalten, nachdem mit Kriegsbeginn die Salpeterimporte aus Chile ausgeblieben waren. Zudem hatte sich Haber zur treibenden Kraft beim militärischen Einsatz von Giftgas entwickelt. Den ersten deutschen Giftgasangriff am 22. April 1915 bei Ypern hatte er selbst vor Ort vorbereitet. Die Entente betrachtete Haber seitdem als Kriegsverbrecher, die schwedische Akademie der Wissenschaften verlieh ihm dagegen 1919 aufgrund seiner Arbeiten zur Ammoniaksynthese den Nobelpreis des Jahres 1918 für Chemie. Daher verkörperte Haber um 1920 den bedingungslosen Einsatz der Wissenschaft für die Nation, die vermeintlich ungerechte Behandlung durch die früheren Kriegsgegner sowie das Beharren darauf, von der internationalen Scientific Community als Weltspitze anerkannt zu werden. Dass sich Habers Ehefrau Clara Immerwahr am 2. Mai 1915 wohl aus Verzweiflung über die Rolle Habers im Giftgaskrieg erschossen hatte, fügte seinem Nimbus eine tragische Komponente hinzu.9 Zugleich hatte ihn seine Tätigkeit als Manager an der Schnittstelle von Forschung und Rüstungsindustrie während des Ersten Weltkrieges (so beobachtete sein Freund und Kollege Richard Willstätter) der „Kleinarbeit eines 8 9
Schmidt, Kulturaufgaben, Sp. 462 f. Vgl. zu Haber die ausgezeichnete Biographie von Szöllösi-Janze, Fritz Haber.
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experimentierenden Gelehrten“ entfremdet und ihn auf einen Weg in Wissenschaftspolitik und –management verwiesen.10 Der Verlauf der Tagung vom 13. März 1920 war von Schmidt-Ott und Haber sorgfältig geplant worden; zehn Jahre später verwies ein von Schmidt-Ott redigierter Bericht auf eine „Vorbesprechung“ der beiden im Vorfeld der Tagung, die zu dem Plan geführt habe, „eine Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft zu gründen“.11 Von einer solchen Institution war freilich am 13. März 1920 noch nicht die Rede, aber immerhin, so hat Margit Szöllösi-Janze überzeugend argumentiert, scheint die Sitzung in ihrer Zusammensetzung – Vertreter von Hochschulen, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und industrienaher Technikervereinigungen – dazu bestimmt gewesen zu sein, „Beschlüsse (zu) legitimieren (…), die zuvor von einem engeren Kreis längst vorentschieden worden waren“.12 Im Kern ging es um den Versuch von Akteuren, die seit Langem wissenschaftspolitisch aktiv und miteinander vernetzt waren, sich als Repräsentanten der Wissenschaft gegenüber der Republik zu etablieren und aus dieser Position heraus die finanzielle Absicherung der wissenschaftlichen Institutionen einerseits und die Wahrung ihrer relativen Autonomie andererseits zu erreichen. Nimmt man den Umstand hinzu, dass sich Fritz Haber, KWG-Präsident Adolf von Harnack und der Berliner Physiker Heinrich Rubens nur sechs Tage zuvor, am 7. März 1920, mit einem dramatischen, auf der Titelseite des Berliner Tageblatts unter dem Aufmacher „Die Not der deutschen Wissenschaft“ platzierten Alarmruf an die Öffentlichkeit gewandt hatten, so liegt der Gedanke nahe, dass hier eine strategisch geplante Kampagne in Gang kam.13 Doch worin bestand um 1920 eigentlich die „Not der deutschen Wissenschaft“? „NOT DER WISSENSCHAFT“ – DAS DEUTSCHE WISSENSCHAFTSSYSTEM IN DEN ANFANGSJAHREN DER WEIMARER REPUBLIK Die „Not der deutschen Wissenschaft“ wurde zwischen 1919 und 1923 in hunderten von Publikationen beschworen, meist zusammen mit einer „Not der geistigen Arbeiter“, so der Titel einer Broschüre des Soziologen Alfred Weber aus dem Jahr 1923.14 Im selben Jahr verfasste der Zentrumspolitiker und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster Georg Schreiber auf der Basis von mehr als 150 einschlägigen Publikationen eine weitere Broschüre, die beide 10 11 12
13 14
Willstätter, Leben, S. 268. Schmidt-Ott, Werden, S. 13. Szöllösi-Janze, Haber, S. 533. Später haben Schmidt-Ott und Haber kolportiert, sie hätten den Gedanken einer Notgemeinschaft am 13. März spontan entwickelt, als sie auf den sich wegen des Putsches verzögernden Beginn der Tagung warten mussten, vgl. Bericht Mitgliederversammlung 1930, S. 12. Diese wenig wahrscheinliche Version sollte wohl betonen, dass die Notgemeinschaft auf eine Eingebung großer Männer zurückzuführen sei und gerade damit gut ins Gesamtensemble deutscher Wissenschaft passe. Vgl. Szöllösi-Janze, Haber, S. 533. Weber, Not.
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Elemente explizit im Titel vereinigte: „Die Not der deutschen Wissenschaft und der geistigen Arbeiter“.15 Dass beide Schlagworte in einem Atemzug aufeinander bezogen wurden, gibt einen ersten Hinweis darauf, dass es nicht allein um die Finanzierungssorgen wissenschaftlicher Institutionen, sondern ebenso um die Statusängste einer sozialen Gruppe, nämlich des Bildungsbürgertums (der „geistigen Arbeiter“), ging. Da die Professoren sich im Lauf des 19. Jahrhunderts als dessen Wortführer in der Öffentlichkeit etabliert hatten und seine Wertvorstellungen idealtypisch zu verkörpern schienen, besaß diese Verbindung zweier Krisenwahrnehmungen um 1920 eine hohe suggestive Plausibilität.16 Insofern war es alles andere als zufällig, dass ein Großteil der unter den genannten Schlagworten firmierenden Bücher und Artikel auf Vorträge ihrer Verfasser bei wissenschaftlichen Tagungen oder anderen Veranstaltungen vor akademisch gebildetem Publikum zurückging. So handelte es sich beispielsweise bei Alfred Webers Broschüre um die erweiterte Fassung eines Vortrages, den er 1922 auf einer Tagung des Vereins für Sozialpolitik gehalten hatte. Das Bildungsbürgertum war sowohl die soziale Gruppe, aus der heraus und für welche die professoralen Kassandren ihre Stimme erhoben, als auch jene Teilöffentlichkeit, an die sie ihre Klagelieder bevorzugt adressierten. Analysiert man die in diesem Zusammenhang entstandenen Texte, so kann man die in ihnen artikulierten Problemwahrnehmungen unter sieben thematischen Rubriken ordnen. Erstens wurden konkrete Finanzierungs- und Ausstattungsprobleme der wissenschaftlichen Institutionen erörtert, die durch eine galoppierende Inflation hervorgerufen wurden. Zweitens ging es um die Zerstörung des bisherigen bildungsbürgerlichen Lebensstils durch eben diese Inflation. Drittens galt es, den Zusammenbruch jener politischen Ordnung zu verkraften, die bis 1918 den Orientierungsrahmen des Bildungsbürgertums gebildet hatte. Damit verbunden mussten sich die Ordinarien viertens an den Hochschulen mit einer Infragestellung ihrer Dominanz durch andere Gruppen des wissenschaftlichen Personals auseinandersetzen. Die Vertreter der Wissenschaft insgesamt wiederum sahen sich fünftens mit einem Verfall ihrer gesellschaftlichen Autorität und mit einer Hochkonjunktur konkurrierender Anbieter von Welterklärungen konfrontiert. Innerhalb der internationalen Scientific Communities befanden sich die deutschen Forscher sechstens weiterhin in jener Isolierung, die mit dem Kriegsbeginn 1914 begonnen hatte und auf die sie selbst mit einer trotzigen Selbstabsonderung geantwortet hatten. In diesem Zusammenhang und gefördert von den anderen Krisenwahrnehmungen verschärften sich schließlich siebtens die bereits vor 1914 latenten Ängste deutscher Forscher, von der internationalen Konkurrenz deklassiert zu werden. Diese sieben Problemwahrnehmungen sollen im Folgenden knapp skizziert werden, denn zum einen galt die Gründung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ihren führenden Protagonisten 1920 als Antwort auf genau diese Problemlagen. Zum anderen prägte die Ausein-
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Vgl. Schreiber, Not. Vgl. Ringer, Gelehrte, S. 44.
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andersetzung mit denselben Problemlagen im folgenden Jahrzehnt die internen Debatten der Notgemeinschaft. Das wichtigste Problem des wissenschaftlichen Alltags bestand um 1920 darin, die materielle Ausstattung der Forschungseinrichtungen sicher zu stellen. Während des Krieges hatten die technisch-naturwissenschaftlichen Institute die Erneuerung ihrer Apparaturen zurückstellen und die Beschaffung von Materialien für experimentelle Arbeiten radikal einschränken müssen, da Maschinen und Rohstoffe für die Rüstung benötigt worden waren. Die Universitätsbibliotheken hatten die Beschaffung ausländischer Monographien und Zeitschriften weitgehend eingestellt, sei es aus Devisenmangel, sei es aus bewusstem Boykott der Literatur aus „Feindstaaten“. Der Nachholbedarf der Wissenschaftseinrichtungen war folglich ab 1919 immens, doch gleichzeitig machte es die Inflation unmöglich, aus den regulären Etats auch nur die laufenden Kosten zu decken, geschweige denn die zuvor entstandenen Lücken zu füllen. Die Regierung des Kaiserreichs hatte den Krieg durch Anleihen und die Erhöhung der Geldmenge zu finanzieren versucht; die Republik erbte innere Kriegsschulden in der nach damaligen Begriffen astronomischen Höhe von 154 Milliarden Mark. Zum Vergleich: der Reichshaushalt für das Jahr 1914 war vor Kriegsbeginn mit gerade einmal 3,4 Milliarden Mark kalkuliert worden. Die ersten Nachkriegsregierungen setzten zur Bewältigung der Folgekosten des verlorenen Krieges – Demobilisierung, Entschädigung der Kriegsopfer und der Umsiedler aus den abgetretenen Gebieten – „auf eine Politik des leichten Geldes“.17 Den sinnvollsten Maßstab für die so voran getriebene Inflation liefert der Index der deutschen Großhandelspreise: Setzt man den Stand des Jahres 1914 gleich eins, so waren die Preise bei Kriegsende 1918 auf 2,17, dann bis 1920 auf 14,86 gestiegen, blieben 1921 mit 19,11 fast „stabil“, erreichten allerdings 1922 mit 341,82 und dann am Ende des Jahres 1923 mit 1.261.000.000.000 (1,261 Milliarden) astronomische Höhen. Die Hyperinflation des Jahres 1923 hat sich in die kollektive Erinnerung der deutschen Gesellschaft tief eingeprägt. Aber für die Besitzer von Geldvermögen einerseits und für jene, die auf den Import von Waren aus dem Ausland angewiesen waren, andererseits, hatte die Entwertung ihrer Mittel schon 1920 katastrophale Ausmaße erreicht: Die einen hatten über 90 Prozent ihrer Vermögen verloren, die anderen mussten ihre Einkäufe auf den Weltmärkten mit einer nahezu wertlos gewordenen Währung bestreiten. Zu den durch die Inflation de facto Enteigneten gehörten auch die modernsten deutschen Forschungsinstitute, nämlich jene der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Deren Finanzierung beruhte seit der Gründung im Jahr 1911 auf einem Stiftungsvermögen, dessen Zinserträge die laufenden Ausgaben decken sollten. Das im Jahr 1918 nominal noch 24 Millionen Mark betragende KWG-Vermögen schrumpfte bis zur Restabilisierung der Währung im Januar 1924 auf nur noch 400.000 Mark. Bis ins Jahr 1919 hinein reichten die Zinseinnahmen noch aus, um die laufenden Kosten zu decken, da17
Peukert, Republik, S. 72. Vgl. für die folgenden Angaben ebenda, S. 73 f. Zum Reichsetat von 1914 vgl. Finanzen 1914–1918, S. 233.
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nach aber war die Gesellschaft gezwungen, alternative Finanzierungsquellen zu erschließen, wollte sie nicht untergehen.18 Den experimentellen Wissenschaften verstellte die Inflation nach Kriegsende den Zugang zu jenen Materialien, die sie zuvor aufgrund der staatlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen ohnehin kaum hatten beziehen können; die Preise für Chemikalien beispielsweise stiegen bis Mitte 1920 je nach Stoff auf das zwölf- bis 30fache des Vorkriegsniveaus, Versuchstiere verteuerten sich um den Faktor 25.19 Die Preise wissenschaftlicher Bücher erhöhten sich zwischen 1914 und 1920 um den Faktor sieben bis neun; die Reichsdruckerei beispielsweise hob die Preise der von ihr hergestellten Akademieschriften gegenüber der Vorkriegszeit um 770 Prozent an. Die Anschaffungsetats der Bibliotheken aber wurden maximal verdoppelt.20 Aufgrund des Devisengefälles fielen die Preissteigerungen bei ausländischen Publikationen noch drastischer aus. Einer Schätzung nach verteuerten sie sich zwischen 1914 und 1920 um den Faktor 15 bis 18. Die deutschen Universitätsbibliotheken insgesamt reduzierten daher in diesem Zeitraum ihre Abonnements ausländischer Zeitschriften von weit über 3.000 auf nur noch 250. Die wichtigste deutsche Bibliothek, die preußische Staatsbibliothek in Berlin, hatte am Vorabend des Ersten Weltkrieges regelmäßig 2.200 ausländische Periodika bezogen, 1920 konnte sie sich noch 140 leisten.21 Die Würzburger Universitätsbibliothek verringerte derweil die Zahl der von ihr abonnierten ausländischen Zeitschriften von 123 auf nur noch zwei.22 Da die vor 1914 verlässlichen Abnehmer wissenschaftlicher Publikationen unter diesen Umständen weitgehend ausfielen, stagnierte auch deren innerdeutsche Produktion oder wurde von ständig steigenden Druckkostenbeihilfen abhängig. Der Jahrgang einer mathematischen Zeitschrift oder eine mathematische Monographie mussten 1920 jeweils mit etwa 100.000 Mark Druckkostenzuschuss unterstützt werden. Große, bislang vom Staat geförderte Editionsvorhaben wie die Monumenta Germaniae historica, das Grimm’sche Deutsche Wörterbuch, der Thesaurus Linguae Latinae oder die Acta Borussica kamen infolgedessen zum Stillstand. Nicht einmal die fünf deutschen Wissenschaftsakademien sahen sich 1920 noch in der Lage, die Forschungsergebnisse ihrer Mitglieder zu publizieren.23 Was für wissenschaftliche Stiftungen wie die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft galt, traf auch für die soziale Formation des Bildungsbürgertums zu: Die Inflation entzog ihm die finanzielle Basis. Der Lebensstil des wilhelminischen Bildungsbürgers hatte auf einer Mischfinanzierung beruht. Neben dem Gehalt aus einer die akademische Qualifikation voraussetzenden Berufstätigkeit hatten Zinsen aus Geldanlagen die zweite Säule der Einkünfte gebildet. In der Summe hatte dies nicht nur eine standesgemäße Lebensführung in der Gegenwart, sondern auch die Finanzierung des Studiums der Söhne und einer Aussteuer für die Töchter 18 19 20 21 22 23
Vgl. Brocke, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Republik. S. 199 f. Vgl. Wildhagen/Schmidt-Ott, Not, Sp. 7 und 26. Vgl. Minde-Pouet, Notlage, S. 12 und Szöllösi-Janze, Haber, S. 532. Vgl. Schulze, Stifterverband, S. 50. Vgl. Mälzer, Notgemeinschaft. S. 336. Vgl. Wildhagen/Schmidt-Ott, Not, Sp. 14 ff.
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und damit eine Statuswahrung der nächsten Generation ermöglicht. Indem dieses Finanzierungsmodell durch die Inflation zusammenbrach, wurden Lebensstil, Status und elitäres Selbstbewusstsein der Bildungsbürger prekär: Wer 1914 ein Geldvermögen von 100.000 Mark angelegt hatte, sah dessen Kaufkraft im Juni 1920 auf 10.000 Mark, bis November 1921 gar auf 1.500 Mark reduziert.24 Da sich das Personal des Wissenschaftssystems zu einem beträchtlichen Teil aus den Kindern des Bildungsbürgertums rekrutierte, gab diese Entwicklung Professoren wie eben Alfred Weber Anlass zu trüben Prognosen. Die „weitgehende Proletarisierung der bisherigen deutschen Bildungsschichten, derjenigen intellektuellen Kreise, welche unsere Kulturtradition bisher vertraten“, so klagte Weber in einer für das Reichsfinanzministerium erarbeiteten Denkschrift vom Januar 1920, bedeute eine „gänzlich unfruchtbare soziale Revolution“: Das Bildungsbürgertum sei nicht mehr in der Lage die „Vorbildung der Kinder für geistige Berufe“ zu finanzieren, das Proletariat sei es noch nicht, weil in ihm weiterhin die „unentrinnbaren Sorgen des täglichen Daseins“ dominierten. Übrig bleibe eine „neue Oberschicht (…), ein reich gewordenes Schiebertum“, das jedes „geistige Leben“ in einem „Schlamm vollkommener Barbarei“ abtöten werde.25 Sich selbst hielten deutsche Professoren für ein besonders hart von der „Proletarisierung“ betroffenes Segment des Bürgertums. In der Tat sank ihr Realeinkommen infolge der Inflation so rapide, dass der – als Lobbyorganisation zu schrillen Tönen neigende – Verband der Deutschen Hochschulen in einer Denkschrift vom Herbst 1922 über die „wachsende materielle Not“ der Professoren klagte, die zu einer „Verkümmerung des Gesundheitszustandes infolge Verärgerung, Unterernährung, Sorgen und Verschuldung“ führe.26 Je nach Stand der Inflation lag die Kaufkraft der professoralen Grundgehälter zwischen 1919 und 1923 mal bei der Hälfte, mal bei einem Drittel oder einem Fünftel ihres Vorkriegsniveaus.27 Die Verarmung der Professoren wurde durch die Struktur ihrer laufenden Einkünfte noch verschärft. Diese bestanden im Wesentlichen aus drei Bestandteilen: einem Grundgehalt, den Kolleggeldern, das heißt den von den Besuchern einer Lehrveranstaltung an den Professor zu zahlenden Gebühren sowie den ebenfalls von den Studierenden zu entrichtenden Prüfungsgebühren. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Grundgehalt nur 52 Prozent der Dienstbezüge des durchschnittlichen preußischen Ordinarius ausgemacht, etwa 38 Prozent waren auf die Kolleggelder, knapp zehn Prozent auf die Prüfungsgebühren entfallen. Als nun in den Nachkriegsjahren die Beamtengehälter der Inflation schrittweise und jeweils nachträglich angepasst wurden, erhöhten sich bis Herbst 1922 die professoralen Grundgehälter zwar um das Vierzigfache (was der Gehaltsentwicklung der höheren Beamtenschaft insgesamt entsprach), die Kolleggelder aber wurden aus Rücksicht auf die prekäre Lage der Studierenden lediglich verdoppelt. In der Summe glich der Dienstherr folglich die Inflationseffekte für die Professoren nicht annähernd aus
24 25 26 27
Vgl. Brocke, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Republik, S. 199. Weber, Zukunft, S. 561 f. Einkommen, S. 252 und 256. Vgl. Grüttner, Nachkriegszeit, S. 36.
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und stellte sie schlechter als die übrigen höheren Beamten, deren Bezüge zu 100 Prozent aus ihren Tarifgehältern bestanden.28 Eine Mehrheit der publizistisch aktiven Professoren ließ in den Anfangsjahren Weimars keinen Zweifel daran, dass sie der in ihren Augen an dieser Misere schuldigen Republik gegenüber keine Loyalitätsverpflichtung empfanden. Sie sehnten sich vielmehr nach der Monarchie zurück oder hofften auf ein neuartiges autoritär-nationalistisches Regime. Völlig zu Recht sah der sozialdemokratische Wissenschaftspolitiker Julius Moses im Jahr 1922 die Universitäten als „Hort der Reaktion“: „Die Arbeiterschaft weiß, dass sie neben den Offizieren der alten Zeit keinen schlimmeren Feind hat als das offizielle Akademikertum von heute.“29 Selbst der professorale Zentrumspolitiker Georg Schreiber kam ein Jahr später zu dem Befund, dass sich seine Standesgenossen mit den neuen Rahmenbedingungen schwer täten. Sie wahrten „Distanz zur Öffentlichkeit“, weil sie „die politischen Umwälzungen, die Unterschätzung geistiger Arbeit, die schmerzlich empfundene Proletarisierung“ der Republik zuschrieben.30 Mit der politischen Ordnung des Kaiserreiches hatten sich die Professoren nicht nur identifiziert und sie mit „etatistisch ausgerichteten, affirmativen Deutungen“ der Gegenwart gestützt, sondern sie hatten umgekehrt auch eine „soziale Wertschätzung“ erlebt wie nie zuvor (und nie mehr seitdem): Die Nachfrage nach ihren mit wissenschaftlicher Autorität versehenen Weltdeutungen war hoch, ihr Einfluss auf die Reproduktion der Eliten aufgrund der Bedeutung akademischer Bildungspatente groß gewesen.31 In der Republik dagegen galten sie als eine Interessengruppe neben anderen und sollten „sich in einem pluralistischen Interessenkampf (…) behaupten“, dessen Regeln ihnen zuwider waren.32 Friedrich Schmidt-Ott war als der letzte königlich-preußische Kultusminister der ideale Repräsentant seiner professoralen Klientel.33 Mit dem Fall der monarchischen Ordnung hatte zudem auch die hierarchische Struktur der Hochschulen ihre scheinbare Selbstverständlichkeit verloren. Der Münchner Medizinordinarius Friedrich von Müller, der in der Notgemeinschaft der 1920er Jahre eine führende Rolle spielen und 1929 zum Vorsitzenden ihres Hauptausschusses avancieren sollte, erinnerte sich später mit Entsetzen an die Revolutionsmonate um die Jahreswende 1918/19. In dieser Zeit hätten die Assistenten nicht nur höhere Gehälter, sondern sogar „größere Selbständigkeit und Unabhängigkeit“ von ihren „Chefs“ gefordert: „Es hat viel Mühe gekostet, diesen Ansprüchen der Assistentenschaft einen Damm entgegenzusetzen und ihre Selbstständigkeitswünsche (…) auf ein bescheideneres Maß zu reduzieren.“34 Den Ansprüchen der Privatdozenten und außerordentlichen Professoren auf Mitsprache an den Fakultätsgremien entgegenzukommen, hielt Müller dagegen nicht 28 29 30 31 32 33 34
Vgl. Einkommen, S. 248 und 252–257. So Moses am 16.11.1922 in: Verhandlungen Reichstag, Band 357, Sp. 9005 f. Schreiber, Not, S. 90. Eckel, Geist, S. 36 f. Ebenda, S. 37. Vgl. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 189. Müller, Lebenserinnerungen, S. 207 f.
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für völlig unberechtigt, vor allem aber für eine taktisch notwendige Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen („um die Einigkeit im Lehrkörper wieder herzustellen“). Innerhalb des Hochschulverbandes verfocht Müller die Forderung, dass zwar die Fakultätsgremien entsprechend erweitert werden sollten, die Ordinarien aber sichere Mehrheiten behalten müssten, damit die habilitierten Nichtordinarien „nicht maßgebenden Einfluß auf die Beschlüsse ausüben“ könnten.35 Es ging ihm also letztlich um eine integrierend wirkende, die Macht der Ordinarien aber bewahrende Strukturanpassung der universitären Selbstverwaltung. Als Rektor der Münchner Universität setzte Müller eine solche „freisinnige Gestaltung der Universitätsverfassung“ durch, die „an Stelle eines exklusiven Regiments der Ordinarien eine gemeinschaftliche Anteilnahme aller Universitätsangehörigen“ setzte – in Form einer strikt minoritären Mitsprache der habilitierten Nichtordinarien und eines Anhörungsrechtes der Studierenden in sozialen Fragen.36 Ungebrochen aber blieb die Überzeugung von Ordinarien wie Müller, dass nur sie selbst die universitäre Leistungselite bildeten: Mitbestimmungsforderungen – so erinnerte sich Müller in seinen 1935/36 verfassten Lebenserinnerungen – hätten 1918/19 „hauptsächlich diejenigen“ Nichtordinarien erhoben, „welche wegen Mangel an geeigneten Leistungen niemals Aussicht gehabt hatten, einen Ruf zu erlangen, während die tüchtigen unter ihnen im Vertrauen auf ihr Können und durch ihre Zuversicht sich von diesen Bewegungen und Eingaben völlig fernhielten.“37 Dass die Hierarchie der Ordinarienuniversität nicht nur auf leistungsbedingten Statusunterschieden, sondern auch auf einem persönlichen Herrschaftsanspruch der Lehrstuhlinhaber beruhte, wurde zwischen 1916 und 1920 im sogenannten „Fall Valentin“ öffentlich vorgeführt. Nachdem der Historiker und außerplanmäßige Professor der Freiburger Universität Veit Valentin in einer Rezension vom August 1916 den Politiker Ernst von Reventlow kritisiert hatte, war er von dem in Freiburg als Ordinarius tätigen Historiker Georg von Below (wie Reventlow Aktivist des Alldeutschen Verbandes) in einen Briefwechsel verwickelt worden, in dessen Verlauf sich beide Kontrahenten wechselseitig beleidigt glaubten. Die Philosophische Fakultät der Universität forderte Valentin daraufhin im Oktober 1916 auf, auf seine venia legendi zu verzichten, was dieser im Frühjahr 1917 denn auch tat. Drei Jahre später veranlassten die neuen politischen Verhältnisse die Freiburger Fakultät, ihr Handeln noch einmal öffentlich zu begründen. In ihrem Auftrag verfasste der Ordinarius für Neuere Geschichte Felix Rachfahl ein Buch, in dem er das Vorgehen seiner Fakultät mit einer bezeichnenden Charakterisierung der sozialen Beziehungen innerhalb des Lehrkörpers rechtfertigte: „Mit der einfachen (…) Formel einer schematischen Kollegialität läßt sich eben das Verhältnis des jüngeren Privatdozenten zu den Ordinarien (…) nicht erschöpfen; wenn es für beide Teile sich ersprießlich gestalten soll, so liegt es im Wunsche und Interesse gerade des Jüngeren, daß es den Charakter eines gewissen freundschaftlichen Schutzgenossen-Verhältnisses annehme, das auf der einen Seite 35 36 37
Ebenda, S. 208. Vgl. ebenda, S. 214. Ebenda, S. 208 f.
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Wohlwollen und verständnisvolle Förderung in wissenschaftlicher Hinsicht und beruflichem Fortkommen, auf der anderen Seite Anhänglichkeit und Vertrauen zur Voraussetzung hat.“38 Um 1920 konnten die Ordinarien die Bedrohung ihres Status und ihres paternalistischen Herrschaftsanspruches durch republikanische Politiker und mit diesen verbündete Nichtordinarien für durchaus real halten. Immerhin plante der zwischen 1919 und 1921 in Preußen amtierende sozialdemokratische Kultusminister Konrad Haenisch, alle außerordentlichen Professoren zu Ordinarien zu machen, also die Hierarchie zwischen beiden Gruppen zu beseitigen. Haenischs Mitarbeiter Carl Heinrich Becker, ein habilitierter Orientalist, schlug zudem vor, Habilitationen durch die Hinzuziehung externer Gutachter der Willkür einzelner Mentoren zu entziehen.39 Haenisch scheiterte an den finanziellen Mehrkosten seines Plans, und letztlich ließen die Reformgesetze der einzelnen Länder die Machtpositionen der Ordinarien unangetastet. Zum Zeitpunkt der Gründung der Notgemeinschaft aber sahen sich viele Ordinarien noch in einem erbitterten Kampf für ihre Privilegien, den sie zur „mutigen Verteidigung akademischer Wertmaßstäbe gegen eine (…) demokratische Duldung von Lässigkeit und Mittelmäßigkeit“ stilisierten.40 Einen Abwehrkampf ganz anderer Art und mit wesentlich unklareren Frontverläufen führte die akademische Wissenschaft um 1920 zwar bereits seit Jahrzehnten, empfand sich aber in der spannungsgeladenen Umbruchatmosphäre als wesentlich stärker bedrängt denn zuvor: Lebensreformbewegungen, mystische, esoterische oder okkulte Denksysteme, politische Ideologien und neue Formen von Religiosität konkurrierten auf dem Markt autoritativer Weltdeutungen zunehmend erfolgreich mit den Wissenschaften. Zur Irritation der Forscher maßte sich eine nur mäßig kundige Öffentlichkeit das Recht an, zwischen wissenschaftlichen und alternativen Deutungsangeboten je nach Gusto zu wählen, statt den Wahrheitsanspruch der wissenschaftlichen Experten und ihrer Institutionen willig zu akzeptieren. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Konkurrenz der Wissenschaften mit konkurrierenden Denkstilen bildet die öffentliche Debatte um Albert Einsteins Relativitätstheorie. Jenseits der innerwissenschaftlichen Skepsis und Kritik gegenüber Einsteins Theorie – die es auch unter seriösen Physikern noch lange gab – erschienen während der 1920er Jahre in Deutschland hunderte von Druckschriften, deren (nicht durch ein Physikstudium belastete) Autoren sie auf der Basis weltanschaulicher Positionen angriffen, die sie mit populärwissenschaftlichen Wissensfragmenten frei kombinierten.41 Die Akkreditierungsrituale akademischer Wissenschaft – die Publikation in anerkannten Fachjournalen, die offizielle Anerkennung durch Akademien und selbst die Verleihung des Nobelpreises an 38 39 40 41
Rachfahl, Fall, S. XII. Vgl. Spenkuch, Einleitung, S. 15 ff., Ringer, Gelehrte, S. 68 f. und Pawliczek, Alltag, S. 54–57 und 68 f. Siehe das Plädoyer für eine solche Hochschulreform durch Haenischs Unterstaatssekretär Carl Heinrich Becker in: derselbe, Gedanken, S. 204–214. Ringer, Gelehrte, S. 75. Vgl. Wazeck, Gegner.
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Einstein – übten auf weite Teile der Öffentlichkeit nicht die erwartete Wirkung aus und beförderten im schlimmsten Fall sogar Verschwörungstheorien, die den Wahrheitsanspruch des so Beglaubigten weiter diskreditierten. Sofern es ihr eigenes Fach betraf, reagierten die akademischen Wissenschaftler zumeist verwundert bis empört darauf, dass ihnen jenes Wahrheitsmonopol streitig gemacht wurde, das sie doch gerade erst durch die eindrucksvollen Erfolge der Forschung im 19. Jahrhundert – durch die, wie es Max Weber nannte, „Entzauberung der Welt“ –42 erfolgreich den Kirchen streitig gemacht hatten. Die Kriegsniederlage, so mutmaßte 1927 der Münchner Physiker Arnold Sommerfeld, habe in der deutschen Öffentlichkeit den „Glauben an eine vernünftige Weltordnung“ zerstört und „eine Welle der Irrationalität“ ausgelöst. Nun sei man mit dem „ungeheuerlichen Anachronismus“ konfrontiert, dass Astronomen ernsthaft zugemutet werde, im Forum angesehener Publikumszeitschriften mit Astrologen zu diskutieren und dass „in München mutmaßlich mehr Menschen von der Astrologie leben als in der Astronomie tätig sind“.43 Sein Kollege Max Planck hatte 1923 beklagt, dass trotz aller „Abwehrversuche“ der Wissenschaften, „der Wunderglaube in den verschiedensten Formen als Okkultismus, Spiritismus, Theosophismus (…) in weiten Kreisen Gebildeter und Ungebildeter“ Konjunktur habe.44 Alfred Weber schließlich fand im selben Jahr heraus, dass gegenüber dem Kaiserreich der Anteil wissenschaftlicher Bücher an den Neuerscheinungen stark zurückgegangen war. Stattdessen hätten Geheimwissenschaften und Spiritismus auf dem Buchmarkt an Bedeutung gewonnen – für Weber allesamt „geistige Narkotika“.45 Doch so eindeutig, wie es diese Zitate glauben machen könnten, war die Abwehrhaltung der Wissenschaft gegenüber irrationalen Strömungen um 1920 gar nicht. Zum einen konnten auch Wissenschaftler alternativen Deutungsangeboten leicht etwas abgewinnen, sofern diese nicht die eigene, sondern andere Disziplinen betrafen. Abends, so gestand Albert Einstein seinem Kollegen Max Born im Januar 1923, sei er durchaus anfällig für die Ideen des dilettierenden Geschichtsphilosophen Oswald Spengler, dessen Werk „Der Untergang des Abendlandes“ nach 1918 mehrere Auflagen erlebte, aber am nächsten Morgen, so Einstein weiter, lächele er dann doch wieder darüber.46 „Von meinem Fach versteht Spengler zwar nicht das Geringste“, konstatierte der Mathematiker Gerhard Hessenberg 1921, „aber im übrigen ist sein Buch glänzend.“47 Zum anderen standen viele Forscher mit dem einen Fuß auf dem Paradigma ihrer Disziplin, mit dem anderen aber mitten im Zeitgeist, denn auch sie lebten ja nicht außerhalb der Weimarer Gesellschaft. So dachte der Mathematiker Richard von Mises 1922 über „Zahlenharmonien, ja Zahlenmysterien“ nach, und sogar Arnold Sommerfeld erkannte 42 43 44 45 46 47
Weber, Wissenschaft, S. 87. So Sommerfeld 1927, zit. nach Forman, Kultur, S. 72 f. Zit. nach ebenda, S. 71. Weber, Not, S. 614. Vgl. die Tabelle mit Angaben zu den Neuerscheinungen der Jahre 1913 und 1920 ebenda, S. 639. Vgl. Metzler, Wissenschaft, S. 150. Zit. nach Forman, Kultur, S. 91.
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1925 in einem Vortrag vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an, dass innovative Physiker häufig „ausgesprochene Zahlenmystiker“ seien – auch wenn er selbst sich sofort von „den astrologischen, metaphysischen und spiritistischen Anwandlungen unserer Zeit“ distanzierte.48 Wie der einzelne sich auch positionieren mochte, auf jeden Fall sahen sich fast alle Wissenschaftler in den 1920er Jahren gezwungen, das Verhältnis ihrer Disziplin zu konkurrierenden Denk- und Glaubenssystemen zu erläutern und zu rechtfertigen – und erlebten diese Unterwerfung unter das Urteil einer außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit als eine „Not der Wissenschaft“. Den eigentlichen „Krieg gegen die deutsche Wissenschaft“ führten aber aus deren Sicht nicht einheimische Astrologen und Okkultisten, sondern die wissenschaftlichen Kollegen aus den Staaten der Entente, die seit 1914 die deutschen Forscher durch einen Boykott zu isolieren suchten.49 Der Ausgangspunkt dieser Isolation lag freilich in zwei bewussten Akten der Selbstisolation: dem Aufruf von 93 prominenten deutschen Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern (darunter 58 Professoren) „An die Kulturwelt!“ vom 4. Oktober 1914 sowie der „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“ vom 23. des Monats, letztere unterschrieben von über 4.000 Dozenten. Beide Texte reagierten polemisch auf die internationale Empörung, die der Bruch der belgischen Neutralität sowie die Zerstörung der mittelalterlichen Universitätsstadt Löwen durch deutsche Truppen im August 1914 hervorgerufen hatten. Die deutschen Wissenschaftler leugneten nicht nur die Rechtsbrüche seitens der deutschen Heeresführung, sondern bekannten sich zudem bewusst provokativ zur willigen Unterordnung des einzelnen unter die Ideale eines positiv bewerteten „Militarismus“: „Unser Glaube ist, daß für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche ‚Militarismus‘ erkämpfen wird, die Manneszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen freien deutschen Volkes.“50 Der ebenso überhebliche wie aggressive Tonfall beider Aufrufe stand in Kontrast zu einem vorangegangenen Appell britischer Wissenschaftler, der zwar die deutsche Politik angegriffen, aber zugleich betont hatte, die deutsche Kulturnation sei in den Wissenschaften und Künsten führend: „We have all learnt and are learning from German scholars.“ Ein deutsch-britischer Krieg sei daher „a sin against civilization“.51 Mit den Aufrufen deutscher Wissenschaftler wandelte sich dieses Meinungsklima radikal und nachhaltig. Fünf Jahre später erinnerte 48
49 50 51
Mises und Sommerfeld zit. nach ebenda, S. 111 f. Forman zugespitzte These, die in den 1920er Jahren in Deutschland entwickelte Quantenphysik sei letztlich als „Kapitulation“ der Physiker „vor Spengler“ (ebenda, S. 110) bzw. als „Anpassung des Wissens an die geistige Umgebung“ (ebenda, S. 125) zu verstehen, beruht allerdings auf einer einseitigen Lesart der Quellen. Den Titel „Der Krieg gegen die deutsche Wissenschaft“ führte eine 1922 erschienene Broschüre von Karl Kerkhof, zit. nach Schröder-Gudehus, Wissenschaft, S. 112. Vgl. zum Folgenden insgesamt Metzler, Wissenschaft, S. 103–119. So die Erklärung vom 23. Oktober 1914, zit. nach dem Faksimile in: Brocke, Wissenschaft, S. 717. Vgl auch zum Folgenden, ebenda. Vgl. den „Aufruf an die Kulturwelt“ in: UngernSternberg/Ungern-Sternberg, Aufruf. Aufruf in der Times vom 1.8.1914, zit. nach Brocke, Wissenschaft, S. 670.
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sich der Präsident der amerikanischen Columbia University, Nicholas Murray Butler, an sein Erstaunen über die „Selbstprostitution deutscher Gelehrsamkeit (…) vor nationaler Eroberungsgier“ und das „Konglomerat von Unwahrheiten“ in den Professorenaufrufen, das ihn an der „geistigen und moralischen Lauterkeit deutscher Gelehrter“ zweifeln ließ.52 Auf solche ihrerseits radikale Kritik wiederum reagierten deutsche Wissenschaftler mit Trotz, der 1918 durch die Niederlage nur noch verstärkt wurde. Wortführern wie Friedrich Schmidt-Ott galten die Professorenmanifeste von 1914 noch 1921 schlicht als ein selbstverständliches „Bekenntnis zum Vaterlande“.53 Die blinde Parteilichkeit, der Chauvinismus und die Selbstüberhebung, die aus den Kriegsaufrufen renommierter deutscher Wissenschaftler sprachen, waren im internationalen Vergleich nicht einzigartig. Dass die Parteinahme der deutschen Wissenschaftler für ihre Nation bei den britischen und französischen, spätestens ab 1917 auch bei den amerikanischen Kollegen nachhaltige Empörung auslöste, obwohl diese selbst nach Kriegsbeginn Analoges taten, hatte – neben deren eigenem Nationalismus – vor allem drei Gründe: Erstens waren deutsche Wissenschaftler in den Jahrzehnten vor 1914 international als Lehrmeister einer auf strenge Methoden gestützten wissenschaftlichen Objektivität akzeptiert, ja bewundert worden – umso verheerender wirkte die Wende der deutschen Gelehrten zu einem nationalistischen Subjektivismus. Zweitens erschien die 1914 in vielen Disziplinen offensichtliche Dominanz deutscher Wissenschaft im Nachhinein nicht mehr einfach als Ergebnis einer besonderen Leistungsfähigkeit, sondern als Ausdruck eines generellen deutschen Weltherrschaftsstrebens, dem nur ein fester Zusammenschluss der anderen Nationen – wissenschaftlich wie militärisch – Einhalt gebieten könne, ja im Interesse eines freien internationalen Wettbewerbs der Wissenschaften Einhalt gebieten müsse. Ironischerweise sahen dies Vertreter des deutschen Wissenschaftssystems nach dem Krieg in ihrer Verklärung des wilhelminischen Reiches nicht sehr anders, so beispielsweise wenn sich Schmidt-Ott im April 1919 wehmütig an die Vorkriegszeit erinnerte, in der die deutsche Wissenschaft „die Weltgeltung unserer Kultur im Wettkampf mit den Mächten des Westens“ erfolgreich vertreten habe.54 Und drittens schließlich bot sich hier schlicht die Gelegenheit, den Klassenprimus, der die anderen seine Überlegenheit lange und deutlich genug hatte spüren lassen, zu isolieren und zu demütigen, eine Versuchung, der auch wissenschaftliche Koryphäen nicht zu widerstehen vermochten. Da fehlte auch manche absurde Blüte nicht, etwa wenn der französische Physiker Pierre Duhem 1915 die Spezielle Relativitätstheorie zu einer „unerträglichen Zumutung“ erklärte, die nur durch Einsteins deutsche Prägung zu erklären sei.55 Einen Monat vor Kriegsende, im Oktober 1918, beschloss eine Konferenz der Wissenschaftsakademien aus zehn Staaten der Entente die Gründung gemeinsamer Dachverbände (des International Research Council für die Naturwissenschaften sowie der Union académique internationale für die Geisteswissenschaften), 52 53 54 55
So Butler 1919, zit. nach ebenda, S. 682. Zit. nach Schulze, Stifterverband, S. 45. Schmidt, Kulturaufgaben, Sp. 454. Kleinert, Science, S. 519.
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denen Institutionen der Mittelmächte (Deutschlands, Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reiches) in den nächsten zwölf Jahren nicht beitreten dürfen sollten. Obwohl der Krieg kurz darauf endete, schlossen die meisten internationalen Fachverbände in der Folge deutsche Wissenschaftler von Tagungen aus und verpflichteten ihre Mitglieder, nicht an Tagungen in Deutschland teilzunehmen. Zwischen 1919 und 1925 fanden infolgedessen 60 Prozent aller internationalen wissenschaftliche Tagungen (165 von 275) ohne deutsche Teilnehmer statt, der Anteil in Deutschland stattfindender internationaler Tagungen an deren Gesamtheit, der vor dem Krieg etwa 20 Prozent betragen hatte, fiel in den 1920er Jahren auf drei Prozent. In einem Großteil der internationalen Wissenschaftsjournale wurden deutschsprachige Artikel nicht mehr akzeptiert (auch wenn sie von Autoren aus neutralen Staaten wie der Schweiz stammten) – dadurch verlor das Deutsche seine Rolle als lingua franca vieler Disziplinen.56 Als der Boykott ab Mitte des Jahrzehnts zu erodieren begann, war die frühere Dominanz deutscher Forscher auf vielen Gebieten längst gebrochen. Durchaus zu Recht verstanden deutsche Forscher die nach dem Krieg fortdauernden Boykottmaßnahmen ihrer Kollegen aus den Ententeländern als Versuch, nach der Zerstörung des militärischen Machtpotenzials auch Deutschlands wissenschaftliche Ressourcen zu minimieren. „Betriebsame Fachleute in den Ententestaaten“, so erkärte Adolf von Harnack in einer Eingabe der Wissenschaftsakademien an die Reichsregierung vom Februar 1920, hielten „den geeigneten Augenblick für gekommen, um dem deutschen Einfluß auch auf diesem Gebiete ein Ende zu machen“.57 Die meisten wissenschaftlichen Verbände und Einrichtungen reagierten auf den Boykott vor diesem Hintergrund mit einem Gegenboykott: Sie verpflichteten ihre Angehörigen darauf, Einladungen zu Tagungen in den Staaten der Entente bzw. unter Schirmherrschaft internationaler Wissenschaftsgesellschaften nur dann anzunehmen, wenn sie volle Gleichberechtigung genössen und ihre Beiträge in deutscher Sprache leisten könnten. Jeder deutsche Teilnehmer an einer internationalen Tagung solle, so forderte der Hochschulverband 1923, „immer wieder darauf hinweisen, dass die Welt ein Verbrechen an seinem Volk begangen hat und dass sie ihm Genugtuung dafür schuldet“. Überhaupt, so befand der Verband, solle ein deutscher Wissenschaftler bei Kontaktaufnahmen seitens ausländischer Kollegen „kalte Zurückhaltung“ zeigen.58 „Wir hätten uns als Sieger den schönen Luxus versöhnlicher Grossmut gestatten dürfen; zerschlagen, geknechtet und verarmt wie wir sind, bleibt uns nur die Rolle schweigender, abweisender Zurückhaltung“, befand der Archäologe Georg Karo in einem mit dem Titel „Der Krieg der Wissenschaft gegen Deutschland“ überschriebenen Artikel der Süddeutschen Monatshefte vom Mai 1919.59 Und der Astronom Georg Struve befand sieben Jahre später: „Den Gedanken an eine Ver56 57 58 59
Vgl. Schröder-Gudehus, Challenge, S. 95–102, Kevles, Camps und Cock, Chauvinism. Die von Harnack formulierte Denkschrift der Akademien ist abgedruckt in: Zierold, Forschungsförderung, S. 4–8, hier S. 8. So das „Auslandsmerkblatt“ des Hochschulverbandes vom Dezember 1923, zit. nach SchröderGudehus, Wissenschaft, S. 206 f. Zit. nach Schröder-Gudehus, Wissenschaft, S. 203.
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ständigungs- und Versöhnungspolitik um jeden Preis müssen die deutschen Astronomen entschieden von sich weisen. (…) Da sollte die deutsche Wissenschaft (…) es als ihre vornehmste Pflicht und Aufgabe ansehen, die deutsche Würde in der Welt zu wahren.“60 Der Krieg war für Professoren wie Struve selbst 1926 noch nicht gänzlich vorbei (und verloren) – auf dem Feld der wissenschaftlichen Konkurrenz kämpften sie ihn verbissen weiter. Allerdings machte sich in den 1920er Jahren unter deutschen Wissenschaftlern das Bewusstsein breit, seit 1914 international so viel Boden verloren zu haben, dass auch auf diesem Kriegsschauplatz eine Niederlage nicht auszuschließen sei. So stellte der Berliner Ordinarius und Unterstaatsekretär im preußischen Kultusministerium Ernst Troeltsch 1920 fest, vor 1914 sei Deutschland „das wissenschaftliche Laboratorium und die Gelehrtenschule Europas“ gewesen, nun aber drohe die deutsche Forschung „zu verkümmern“.61 Der Mediziner Friedrich von Müller kleidete dieselbe Deutung ebenfalls 1920 in ein schönes Bild, als er die deutsche Forschung mit einem Wettläufer verglich, „der sich bis dahin mit großem Vorsprung mühelos an der Spitze hat halten können, der aber seinen gefährlichsten Konkurrenten mehr und mehr aufholen hört.“62 Dieser „gefährlichste Konkurrent“, darüber herrschte unter deutschen Wissenschaftlern schon seit der Jahrhundertwende Konsens, erwuchs ihnen in den Vereinigten Staaten. Der politische Aufstieg Amerikas im Gefolge des Ersten Weltkrieges verschärfte die Angst der Deutschen, auch wissenschaftlich in die zweite Position verwiesen zu werden, obwohl sie zugleich aufgrund ihrer vergangenen Leistungen das Gefühl pflegten, einen moralisch berechtigten Anspruch auf „die führende Stellung (…) in der Weltwissenschaft“ erheben zu können, so Friedrich Schmidt-Ott noch 1929.63 Auf das ambivalente Verhältnis der deutschen Forscher zu ihren amerikanischen Kollegen wird zurück zu kommen sein; hier gilt es zunächst festzuhalten, dass der Verlust einer durch die Leistungen des deutschen Innovationssystems vor 1914 begründeten globalen Führungsposition von den deutschen Wissenschaftlern um 1920 in Verbindung mit der militärischen Niederlage Deutschlands und dem revolutionären Systemwechsel gebracht und folglich entschieden nationalistisch aufgeladen wurde. „World War I and it’s aftermath”, so kann man zusammenfassend mit Gerald Feldman konstatieren, „cemented the relationship between science and industry, exaggerated the nationalist component in the German scientific and scholarly community, profoundly undermined the material foundations upon which German research had rested, and significantly transformed the political environment in which science and scholarship operated.“64
60 61 62 63 64
Zit. nach Forman, Internationalism, S. 173. Troeltsch, Not, S. 378. Kundgebung 1920, Sp. 126. Schmidt-Ott, Titel, S. 113. Feldman, Politics, S. 263.
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EINE INNOVATION NEBEN ANDEREN: DIE DURCHSETZUNG DES PROJEKTS NOTGEMEINSCHAFT Im Jahr 1920 erreichte das Krisenbewusstsein deutscher Wissenschaftler einen vorläufigen Höhepunkt: Die finanzielle Not gefährdete akut die Funktionsfähigkeit der Hochschulen, Forschungsinstitute, Akademien und wissenschaftlichen Bibliotheken, das Inkrafttreten des Versailler Vertrages dramatisierte zugleich das Gefühl nationaler Demütigung. Vor diesem Hintergrund suchten verschiedene Akteure institutionelle Antworten auf die Krise, die jeweils ihren Interessen entsprachen. Die von Fritz Haber und Friedrich Schmidt-Ott mit der Tagung vom 13. März 1920 gestartete Initiative zur Gründung einer vorerst noch vage als „Arbeitsausschuss“ titulierten Interessenvertretung der Wissenschaft, war zunächst nur eines von mehreren solcher Projekte. Den Anfang hatte die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin gemacht, indem sie im Dezember 1919 eine Kommission eingesetzt hatte, die sich mit der künftigen Beschaffung ausländischer Publikationen beschäftigen sollte. Der Kommission gehörten neben Fritz Haber die Berliner Physiker Max Planck und Heinrich Rubens an – unter anderem mit dem letztgenannten sollte Haber dann am 7. März 1920 im Berliner Tageblatt den erwähnten Aufruf zur Linderung der „Not der deutschen Wissenschaft“ veröffentlichen. Die Debatten innerhalb der Akademie mündeten im Februar 1920 in einen gemeinsamen Antrag aller deutschen Wissenschaftsakademien (das heißt neben der Berliner auch der Akademien aus Göttingen, München, Heidelberg und Leipzig) an die Nationalversammlung. Diesen Antrag verfasste der Präsident der Berliner Akademie (und zugleich Präsident der KWG), der Theologe Adolf von Harnack, auch er einer der Autoren im Berliner Tageblatt vom 7. März. Der Antrag zielte darauf, dass die Nationalversammlung dem Reichsinnenministerium mindestens drei Millionen Mark pro Jahr bewilligen möge, mit deren Hilfe das Ministerium „unter Zuziehung von Sachverständigen“ Hilfsmaßnahmen für die wissenschaftliche Infrastruktur (vor allem die Bibliotheken sowie die Träger „der großen wissenschaftlichen Unternehmungen“, wie zum Beispiel des Grimm’schen Wörterbuches) ergreifen sollte.65 Der Antrag stieß am 27. April 1920 im Plenum der Nationalversammlung auf Bedenken des Finanzministers Joseph Wirth, da das Verhältnis von Reich und Ländern in der Wissenschaftspolitik noch ungeklärt sei. Formal war der Antrag ohnedies nicht beschlussfähig, da er nicht rechtzeitig vor den Plenarberatungen im Haushaltsausschuss hatte beraten werden können.66 Immerhin lag die Bedeutung des im Parlament scheiternden Antrages darin, dass er drei fortan zentrale Gedanken in die politische Debatte einbrachte. Erstens postulierte er eine aus der Not geborene Zuständigkeit des Reiches für die bis dahin weitgehend den Einzelstaaten vorbehaltene Wissenschaftspolitik. Zwar hatte das Reich am Vorabend des Ersten Weltkrieges bereits in fast hundert Fällen Forschungseinrichtungen und Einzelprojekte unterstützt, die gene65 66
Zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 6 f. Vgl. Verhandlungen Nationalversammlung, Band 333, Sp. 5529 ff. und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 33 ff.
Eine Innovation neben anderen: Die Durchsetzung des Projekts Notgemeinschaft
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relle und dauerhafte Verschiebung entsprechender Kompetenzen von den Ländern auf das Reich hatte man jedoch tunlichst vermieden.67 Zweitens erhob der Antrag die Forderung, dass die Reichsregierung mit ihren Fördergeldern nicht selbständig agieren, sondern einen in der Organisationsform noch vage umschriebenen Selbstverwaltungsanspruch der Wissenschaft (verkörpert von aus ihren Reihen stammenden „Sachverständigen“) akzeptieren solle. Und drittens schließlich sah Harnack die Bewilligung von Reichsmitteln für Notmaßnahmen zugunsten der Forschung auch als Weg, private Geldquellen für denselben Zweck zu erschließen: Eine Initiative der Nationalversammlung, so glaubte er, werde „wie ein Appell an das ganze Volk wirken“.68 Die Mischfinanzierung künftiger Wissenschaftsförderung durch staatliche wie private Gelder sollte genau wie die beiden anderen Vorschläge letztlich in der Notgemeinschaft realisiert werden. In Harnacks Antrag dürfte die Idee nicht zuletzt dadurch Eingang gefunden haben, dass Haber am 12. Januar 1920 in einem Brief an Harnack in dessen Eigenschaft als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eine solche Mischfinanzierung als Finanzierungsmodell der KWG propagiert hatte.69 Harnack selbst hatte schon in der an den Kaiser adressierten Gründungsdenkschrift der KWG vom November 1909 formuliert, die Zukunft der Forschungsförderung liege in der „Kooperation des Staates und privater kapitalkräftiger (…) Bürger (…); denn in ihr allein ist die Zukunft der wissenschaftlichen Forschung nach der materiellen Seite hin sicher verbürgt“.70 Im Mai 1920 beantragte Harnack dann auch für die KWG beim Reichsinnenministerium eine Nothilfe zur Deckung des wachsenden Defizits.71 Ebenfalls in die ersten Monate des Jahres 1920 fielen Versuche, bereits bestehende Institutionen der Forschungsförderung den neuen politischen Rahmenbedingungen anzupassen und zugleich auf neue Grundlagen zu stellen, um sie wieder handlungsfähig zu machen. So beschloss das Kuratorium der KaiserWilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft (KWKW) am 9. März 1920 (also nur vier Tage vor der Tagung des Reichsbundes Deutscher Technik), diese in die Berliner Akademie zu integrieren.72 Die Stiftung war im November 1916 von Schmidt-Ott, Haber und anderen später wieder im Kontext der Notgemeinschaft aktiven Forschern gegründet worden. Der Industrielle Leopold Koppel, der ab 1911 den Aufbau von Habers KWI finanzierte, hatte für die KWKW ein Stammkapital von zwei Millionen Mark in Kriegsanleihen zur Verfügung gestellt. Bis Herbst 1917 hatte die Stiftung etwa 150 Hochschulprofessoren für die Rüstungsforschung mobilisiert und einige Charakteristika herausgebildet, die dann auch die Notgemeinschaft bestimmen sollten: Erstens waren die Entscheidungen darüber, welche Projekte die Stiftung aus ihrem Etat fördern würde, in sechs Fachausschüssen gefallen. In diesen hatten renommierte Wissenschaftler eines 67 68 69 70 71 72
Vgl. Schroeder-Gudehus, Argument, S. 537 f. Zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 6. Vgl. Schroeder-Gudehus, Argument, S. 538. Zit. nach Vierhaus, Einführung, S. 6. Vgl. Schroeder-Gudehus, Argument, S. 539. Vgl. zum Folgenden Rasch, Wissenschaft, Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 40–44 und 78 f. sowie Szöllösi-Janze, Haber, S. 423–426.
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Forschungsfeldes jeweils die Mehrheit gegenüber Vertretern von Regierung und Militär gehabt; den Vorsitz hatte einer der Wissenschaftler innegehabt, bestimmt von der Berliner Akademie. Die Mobilisierung für Rüstungsforschung war also in Selbstverwaltung der einschlägigen Disziplinen geschehen. Zweitens hatte die Stiftung gerade dank dieser Struktur dazu gedient, Hochschulprofessoren für Projekte der angewandten Forschung zu gewinnen, ihnen aber dabei die Wahrung ihres Selbstverständnisses als Jünger einer von äußerer Steuerung (etwa seitens des Militärs) freien Forschung zu ermöglichen. Da die „führenden Gelehrten“ ein „Bedürfnis (…) nach persönlicher Unabhängigkeit und Freiheit in der fachlichen Betätigung“ empfänden, so hatte Koppel 1916 in einer Denkschrift notiert, sei es nicht ratsam, sie in „rein militärische Betriebe einzugliedern“.73 Es war wiederum Koppel, der zusammen mit Schmidt-Ott und Haber im März 1920 vorschlug, die KWKW mit ihren verbliebenen Finanzmitteln unter dem Namen Kaiser-Wilhelm-Stiftung für technische Wissenschaft der Berliner Akademie anzugliedern, damit sie sich fortan „vaterländischen Aufgaben“ widmen könne.74 Eine nennenswerte Tätigkeit entfaltete die Stiftung in der Folge nicht mehr, zum einen aufgrund mangelnder Finanzierungsquellen, zum anderen aber wohl, weil ihre Initiatoren in der Notgemeinschaft einen passenderen Rahmen für ihre forschungspolitischen Ambitionen fanden. Im Jahr 1925 löste sich die Stiftung auf. Im Frühjahr 1920 war sie aber eines jener Eisen gewesen, die Haber und Schmidt-Ott gleichzeitig im Feuer zu haben suchten. Weitere Initiativen kamen im Lauf des Jahres aus der Industrie, so betrieb etwa Carl Duisberg, Generaldirektor des Bayer-Konzerns, gleich drei Stiftungsgründungen parallel: der am 15. Juni 1920 gegründeten Emil-Fischer-Gesellschaft zur Förderung der chemischen Forschung, der einen Tag später ins Leben gerufenen Adolf-Bayer-Gesellschaft zur Förderung der chemischen Literatur und der am 27. September gegründeten Justus-Liebig-Gesellschaft zur Förderung des chemischen Unterrichts (die ungeachtet ihres Namens vor allem Forschungsstipendien an Nachwuchswissenschaftler vergeben sollte). In den Gremien aller drei Stiftungen dominierten die Geldgeber aus der Industrie.75 Damit bildeten die Stiftungen ein Alternativmodell zum Versuch der Akteure um Schmidt-Ott, Haber und Harnack, eine relative Autonomie der Forscher von ihren Geldgebern dadurch zu erreichen, dass man mittels der Mischfinanzierung einer Förderungsinstitution einseitige Abhängigkeiten vermied (und hoffte, staatliche und private Geldgeber würden sich in ihren Steuerungsambitionen gegenseitig neutralisieren). Im politischen Raum traten derweil vor allem preußische Kulturpolitiker vehement dafür ein, dass die Infrastruktur der Forschung künftig stärker vom Reich gefördert werden solle – bei Wahrung der Länderzuständigkeit für die Hochschulpolitik im engeren Sinne. Sowohl der sozialdemokratische Kultusminister Preußens Konrad Haenisch als auch seine der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zuzurechnenden Staatsekretäre Carl Heinrich Becker und Ernst 73 74 75
Abgedruckt in: Rasch, Wissenschaft, S. 92. Zit. nach ebenda, S. 86. Vgl. zu Duisbergs wissenschaftspolitischen Aktivitäten Plumpe, Duisberg, S. 618–650, daneben Szöllössi-Janze, Haber, S. 548 ff.
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Troeltsch (beide Professoren) zählten Wissenschaft zu den wenigen die Nation integrierenden Faktoren.76 Gleichzeitig sahen sie ein, dass selbst ein Einzelstaat von der Größe Preußens mit der dringlichen Nothilfe zugunsten der Forschung überfordert war. Und so reihte sich Haenisch Anfang April 1920 in den allgemeinen Chor ein, indem er einen Vortrag über „Die Not der geistigen Arbeiter“ hielt, den er im Untertitel gar als „Alarmruf “ klassifizierte. Troeltsch folgte Ende Mai, indem er in der Vossischen Zeitung einen Artikel mit dem kaum originellen Titel „Die Not der deutschen Wissenschaft“ veröffentlichte.77 Schmidt-Ott, Haber und andere Wissenschaftler, die an staatlicher Förderung einerseits, weitgehender Autonomie der Forschung andererseits interessiert waren, konnten also im Frühjahr 1920 feststellen, dass die Stimmung innerhalb der Politik günstig war, rief doch der Sozialdemokrat Haenisch die Wissenschaftler explizit auf, zum „Mittel der Selbsthilfe durch Organisation“ zu greifen und forderte sein Staatssekretär Becker die Verteilung von Forschungsaufträgen durch eine „wissenschaftlich autoritative (…) Stelle“.78 Überblickt man die Gesamtheit der Initiativen des Jahres 1920, so wird offensichtlich, dass der Kreis derer, die versuchten, neue Institutionen zur Akquise und Verteilung von Fördermitteln für die wissenschaftliche Infrastruktur zu gründen, recht überschaubar war, zugleich aber die Grenzen der politischen Lager wie jene der gesellschaftlichen Teilsysteme (Wissenschaft, Politik und Wirtschaft) überschritt. Zugleich zeigte sich eine kleine Kerngruppe von Akteuren, die immer wieder im Kontext unterschiedlicher Projekte initiativ oder zumindest frühzeitig einbezogen wurden; zuvörderst sind hier Fritz Haber, Friedrich Schmidt-Ott, Adolf von Harnack und Carl Duisberg zu nennen. Der große Einfluss dieser Akteure speiste sich zum einen aus spezifischen Ressourcen: Duisberg konnte als Türöffner zu den Kassen der Industrie auftreten. Der 68 Jahre alte Theologe von Harnack verfügte durch seine Leitungsfunktionen sowohl in der Kaiser-WilhelmGesellschaft, als auch in der Berliner Akademie und der dortigen Staatsbibliothek (deren nebenamtlicher Generaldirektor er seit 1906 war) nicht nur über eine institutionelle Schlüsselstellung, sondern auch über die Reputation eines über allen Parteien und Partikularinteressen stehenden Elder Statesman der Wissenschaftspolitik. Schmidt-Ott zehrte in Professorenkreisen von Nimbus, der letzte königliche (aus Sicht vieler Ordinarien hieß dies: der letzte legitime) preußische Kultusminister gewesen zu sein. Zudem galt er als politischer Ziehsohn des nun schon legendären, die „gute alte Zeit“ verkörpernden Friedrich Althoff. Zum anderen verfügte Schmidt-Ott auch 1920 noch über ein dichtes Netz von Kontakten, Freundschaften und Loyalitätsbindungen, das er mobilisieren konnte. So hatten die beiden in der Gründungsphase der Notgemeinschaft für das Reichsinnenministerium handelnden Ministerialbeamten, Staatssekretär Theodor Lewald und der Geheime Regierungsrat Hugo Krüß, bereits im Kaiserreich über Jahrzehnte mit bzw. unter Schmidt-Ott gearbeitet. Lewald hatte als Referent im Reichsamt 76 77 78
Vgl. Marsch, Notgemeinschaft, S. 45–50. Vgl. Haenisch, Not, und Troeltsch, Not. Haenisch, Not, S. 45 und Becker, Aufgaben, S. 40.
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des Innern mit Schmidt-Ott bei Organisation und Finanzierung von Großexpeditionen und des deutschen Auftritts bei der Weltausstellung in St. Louis (1904) sowie bei der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zwischen 1909 und 1911 eng zusammengewirkt.79 Schon im März 1919 hatte Lewald erfolglos versucht, für seinen früheren Verhandlungspartner im Rahmen des Reichsinnenministeriums die Position eines „Reichskommissars für Kulturpflege“ einzurichten.80 Krüß hatte seit 1903 im preußischen Kultusministerium als Referent unter Schmidt-Ott gearbeitet und die Gründung der KWG mit vorbereitet. In seiner Autobiographie erinnerte sich Schmidt-Ott daran, dass Krüß stets sein besonderer Protegé gewesen und 1919 erst „nach Rücksprache mit mir“ ins Reichsinnenministerium eingetreten sei.81 Vom Ende des Jahres 1919 an führten Schmidt-Otts Beziehungen auf ganz verschiedenen Ebenen dazu, dass der mit der Revolution vorübergehend aus der ersten Reihe ausgeschiedene Ex-Minister in institutionelle Leitungsfunktionen zurückkehrte. Im September dieses Jahres bestimmte ihn die Kaiser-WilhelmGesellschaft zu ihrem Zweiten Vizepräsidenten, am 28. Februar 1920 wurde er von der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas zu ihrem Präsidenten gewählt (unter anderem auf Initiative von Krüß); im Mai desselben Jahres trat er in den Aufsichtsrats des von seinem Freund Duisberg geführten Bayer-Konzerns ein, um am 1. November 1920 zu dessen Aufsichtsratsvorsitzenden aufzusteigen.82 Während Friedrich Schmidt-Ott sich wie kein zweiter dazu eignete, ein wissenschaftspolitisches Projekt durch informelle Kontakte zu Entscheidungsträgern in Ministerialbürokratie, Industrie und Wissenschaftsinstitutionen zu befördern, verfügte Fritz Haber wie kein anderer damaliger Akteur über Willen, Fähigkeit und öffentlichen Nimbus, ein solches Projekt argumentativ wie rhetorisch mitreißend an verschiedene Zielgruppen zu vermitteln. Die persönliche Beziehung von Schmidt-Ott und Haber war aufgrund unterschiedlicher politischer Grundhaltungen konfliktträchtig. Da sie bis 1920 bereits über längere Erfahrungen in der Kooperation miteinander verfügten (so verwaltete Schmidt-Ott unter anderem die Finanzen von Habers KWI), müssen ihnen diese Differenzen bewusst gewesen sein. In der Konstellation des Jahres 1920 scheinen sie aber erkannt zu haben, dass nur ein arbeitsteiliges Zusammenwirken – bei dem Haber eher die Ausarbeitung breit zustimmungsfähiger Konzepte und deren Propagierung, Schmidt-Ott dagegen die Verhandlungen im Hintergrund übernahm – dem gemeinsamen Interesse zum Erfolg verhelfen konnte, mit Mitteln von Reich und Privatwirtschaft eine Organisation zu gründen, welche die „Not der Wissenschaft“ in Selbstverwaltung der Forschung (sprich: der Professorenschaft) lindern sollte.
79 80 81 82
Vgl. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 49, 58 und 117 ff. und Brocke, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiserreich, S. 33 und 140–143. Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 66 f. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 167. Vgl. ebenda, S. 126 und 171 f., Plumpe, Duisberg, S. 629 sowie Brocke, Kaiser-WilhelmGesellschaft Kaiserreich, S. 83.
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Dass sich die beiden mit ihrem am 13. März 1920 öffentlich lancierten Projekt letztlich gegenüber anderen Initiativen durchsetzen und die Notgemeinschaft als institutionelle Neuerung etablieren konnten, geht wohl nicht zuletzt auf ihre in dieser Kooperation gebündelten Ressourcen zurück.83 Es gelang ihnen sowohl, durch Artikel, Vorträge und Veranstaltungen eine relevante Öffentlichkeit für ihre Ziele herzustellen, als auch einflussreiche Bündnispartner quer durch alle Institutionen zu mobilisieren. Zudem entsprach ihr Projekt besser als andere den politischen Rahmenbedingungen der Zeit, indem es dem Reich eine Stärkung seiner wissenschaftspolitischen Rolle ermöglichte, zugleich aber auch die Akquise von Geldern der Privatwirtschaft versprach und damit schließlich der professoralen Klientel glaubhaft machen konnte, dass Förderung nicht mit einer einseitigen Abhängigkeit wahlweise von der innerlich abgelehnten Republik oder von borniert utilitaristischen Industriellen einhergehen würde. Werben mussten Schmidt-Ott und Haber für eine Selbstorganisation der Forscher nämlich nicht nur gegenüber potenziellen Geldgebern, vielmehr galt es zunächst, ihrer Initiative die öffentliche Unterstützung einer Klientel zu verschaffen, als deren Repräsentanten man dann in Verhandlungen mit Staat und Wirtschaft würde treten können. Von der Politikfähigkeit deutscher Professoren hielt zumindest Haber wenig; er sah „die Mehrzahl der Kollegen eingestellt auf den unfruchtbaren Standpunkt mürrischen Mißvergnügens und auf den Gedanken, daß auf irgendeine geheimnisvolle Weise ihnen in ihrem engsten Kreise Hilfe werden könnte, obwohl es insgesamt dauernd schlechter geht“.84 Diese Klientel für das Projekt einer Forschungsförderung in Selbstverwaltung zu gewinnen, war also keineswegs ein Selbstläufer. Auch in dieser Hinsicht markierte die Tagung vom 13. März 1920 einen Start, aufgrund der Beschränkung des Teilnehmerkreises auf Berliner Wissenschaftler aber noch nicht mehr. Obwohl diese Tagung Schmidt-Ott zum Vorsitzenden des erst noch aus Vertretern der großen wissenschaftlichen Einrichtungen und Verbände zu bildenden „Arbeitsausschusses“ gewählt und ihn beauftragt hatte, bei den in Frage kommenden Institutionen um ein Mandat zu werben, war es nicht Schmidt-Ott selbst, sondern Fritz Haber, der in den folgenden Wochen für die Konstituierung des Ausschusses warb, den er in einem Schreiben an den badischen Kultusminister vom 17. März 1920 erstmalig als „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ bezeichnete.85 Hier wird die Arbeitsteilung der beiden Hauptprotagonisten offenbar: Schmidt-Ott sollte in Erscheinung treten, wo es um Verhandlungen über konkrete organisatorische wie finanzielle Fragen mit den ihm vertrauten Ansprechpartnern ging, Haber aber all jene Schritte unternehmen, bei denen es galt, eindringlich für konzeptionelle Vorstellungen zu werben. Folglich wandte sich Haber in der zweiten Märzhälfte mehrfach mit längeren Schreiben an solche Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen, die er als Multiplikatoren innerhalb der Professorenschaft ansah. So bat er in einem Schreiben vom 29. März 1920 Max Planck in seiner Eigenschaft als ständiger Sekretär der Preußischen Akademie 83 84 85
Vgl. Szöllösi-Janze, Haber, S. 529. Zit. nach ebenda S. 539. Zit. nach Marsch, Notgemeinschaft, S. 64.
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nicht nur um deren Beitritt, sondern zugleich darum, dass die Berliner die übrigen Akademien für den Beitritt zu dem nun durchgängig als „Notgemeinschaft“ bezeichneten Ausschuss bewegen möge. Am selben Tag bat er den Rektor der Berliner Universität, Eduard Meyer, sowohl um den Beitritt seiner Hochschule als auch darum, „namens der hiesigen Universität an alle anderen deutschen Universitäten mit dem gleichen Vorschlage heranzutreten“.86 Habers zentrales Argument in den von ihm versandten Schreiben bestand darin, dass die Wissenschaft in ihrer akuten Notlage zwar der finanziellen Unterstützung von Staat und Privatwirtschaft bedürfe, zugleich aber die Kriterien dieser Förderung selbst bestimmen müsse. Explizit appellierte er an die Ressentiments seiner Kollegen gegenüber der demokratischen Politik: Eine „schlecht unterrichtete Öffentlichkeit“ neige dazu, „Schaumschlägerei und Dilettantismus“ statt seriöser Forschung zu unterstützen. Daher müsse sich künftig eine „sachkundige (…) Stelle“ als autorisierte „Stimme der Wissenschaft“ gegenüber „dem ungeordneten Lärm der Tagesforderungen“ Gehör verschaffen. Korporativ solle diese „Stelle“ als „freier Zusammenschluß der deutschen Wissenschaft“ konstituiert, nach außen aber durch eine Person repräsentiert werden, die „für den richtigen Zusammenhang mit den behördlichen Stellen“ bürge – und dies sei eben Friedrich Schmidt-Ott.87 Am 15. April 1920 stellte Haber das Projekt auf einer Plenarsitzung der Preußischen Akademie vor, die daraufhin ihren Beitritt zur Notgemeinschaft beschloss. Im Auftrag der Akademie bat Max Planck vier Tage später ihr Ehrenmitglied Schmidt-Ott in einem Brief, den Vorsitz einer „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ zu übernehmen. Damit folgte Planck zwar Habers Initiative, ignorierte aber zugleich, dass Schmidt-Ott bereits von der Tagung am 13. März mit einer solchen Aufgabe betraut worden war. Vielmehr betonte er, dass es die Berliner Akademie gewesen sei, die beschlossen habe, die Gründung einer Notgemeinschaft „im Verein mit den übrigen deutschen Akademien ins Auge zu fassen“.88 Offenbar wollte Planck deutlich machen, dass nur elitäre Korporationen wie die Akademien zur Vertretung der Wissenschaft legitimiert seien, nicht etwa die Tagung irgendeiner Ingenieursvereinigung. Schmidt-Ott übernahm später diese Version, er sei erst mit Plancks Schreiben vom 19. April 1920 und damit durch die Berliner Akademie zur Vorbereitung der Notgemeinschaft ermächtigt worden.89 Hier ging es nicht allein um Prestigefragen, vielmehr machte Planck einen Primat der in Akademien, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Universitäten betriebenen Grundlagenforschung gegenüber der von der Klientel des Reichsbundes Deutscher Technik betriebenen Zweckforschung geltend. Das Interesse der Notgemeinschaft, so hob Planck hervor, müsse in erster Linie das „Gedeihen der reinen Wissenschaftspflege“ sein.90 Damit versuchte er, die künftige Selbstor86 87 88 89 90
Zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 10. So Haber in seinem Schreiben an Meyer vom 29.3.1920, zit. nach ebenda, S. 11. Vgl. Plancks Schreiben an Schmidt-Ott vom 19.4.1920, zit. nach ebenda, S. 12. Vgl. Schmidt-Ott, Werden S. 13 ff. Vgl. Plancks Schreiben an Schmidt-Ott vom 19.4.1920, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 12.
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ganisation der Wissenschaft auf ein spezifisches normatives Ideal zu verpflichten, das Planck wie viele seiner Kollegen durch die Erfolge der deutschen Forschung vor 1914 für unwiderlegbar plausibilisiert hielt. Im Laufe der ersten Maihälfte schlossen sich nach der Berliner auch die übrigen Akademien der Notgemeinschaft an, am 10. Juni 1920 erklärten die Technischen Hochschulen ihren kollektiven Beitritt, am 21. Juni folgte der Hochschulverband als offizielle Vertretung aller Universitäten und Technischen Hochschulen.91 Den Schreiben, mit denen diese Beitritte vollzogen wurden, dürften informelle Verhandlungen voraus gegangen sein; so teilte Friedrich Schmidt-Ott schon am 7. April 1920 dem Bankier Max Warburg mit, er sei von den Akademien darum gebeten worden, den Vorsitz der Notgemeinschaft zu übernehmen – acht Tage vor der Plenarsitzung der Berliner Akademie, zwölf Tage vor Plancks Schreiben an Schmidt-Ott und einen Monat vor den Beitrittserklärungen der anderen Akademien.92 Sofern wir nicht unterstellen, Schmidt-Ott habe gegenüber Warburg gelogen, hatte er also offenbar bereits sehr bald nach Habers ersten Initiativen zustimmende Signale von Seiten der Akademien empfangen. Ab Ende April 1920 traten Schmidt-Ott und Haber gegenüber den Reichsund Länderministerien als autorisierte Sprecher einer in Gründung befindlichen Notgemeinschaft auf und wurden von ihren Gegenübern als solche anerkannt und zu Besprechungen eingeladen. Die erste dieser Sitzungen fand auf Einladung des Reichsinnenministeriums am 30. April 1920 statt; außer Haber und SchmidtOtt nahmen Vertreter des preußischen Kultus- sowie des Reichsinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes teil. Wie das Protokoll der Sitzung zeigt, lag die Federführung seitens des Reichsinnenministeriums bei Schmidt-Otts Intimus Krüß. Daher dürfte es kaum Zufall gewesen sein, dass dieser nach einleitenden Worten über den in der Einladung ausgewiesenen Anlass der Besprechung (Möglichkeiten zur Akquise von Finanzhilfen für die deutsche Wissenschaft aus dem Ausland), zunächst Schmidt-Ott und dann Haber bat, „die Pläne der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ vorzustellen.93 Während Schmidt-Ott betonte, dass „vor allem persönliche Beziehungen ausschlaggebend“ seien, wenn es um die Gewinnung ausländischer Fördermittel gehe (sprich: auf die Unverzichtbarkeit erfahrener Netzwerker seines Schlages abhob), hielt Haber einen konzeptionellen Vortrag, den der ranghöchste Ministerialvertreter, Unterstaatssekretär Heinrich Schulz aus dem Reichsinnenministerium, sogleich als „eindrucksvolle Darlegungen“ lobte und mit der Zusage „jeder möglichen Unterstützung durch das Reich“ belohnte.94 Haber hatte jene Grundgedanken vorgetragen, die er in den folgenden Monaten gegenüber Politikern und Ministerialbeamten immer wieder in den Vordergrund rücken sollte: Die deutsche Wirtschaft sei langfristig „unbedingt abhängig (…) von dem Einstrom der technischen Wissenschaft“, die derzeitige Finanznot führe aber dazu, dass „eine ganze Forschergeneration“ und damit die Zukunftsfähigkeit der Industrie „verloren“ gehe, weshalb der Staat mit 91 92 93 94
Vgl. Schmidt-Ott, Werden, S. 15 f. Vgl. Marsch, Notgemeinschaft, S. 67. Zit. nach dem Sitzungsprotokoll, ediert ebenda, S. 147–151, hier S. 148. Zit. nach ebenda, S. 148 und 149.
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Fördermitteln helfen, diese Hilfe aber über einen „Selbstverwaltungskörper“ der Wissenschaft verteilen solle. Denn in der Forschung könne nur das „Wirken der einzelnen Persönlichkeit“, das heißt des durch wissenschaftliche Leistung qualifizierten Forschers, nicht aber eine bürokratische Lenkung zum Erfolg führen. Ganz konkret, so trug Haber vor, benötige die Wissenschaft „etwa eine Million Dollar“ zum „Durchhalten der Notjahre“. 95 Konkrete Ergebnisse in Gestalt finanzieller Zusagen an die Notgemeinschaft zeitigte die Besprechung am 30. April zwar nicht. Aber drei Tage, nachdem der Antrag der Akademien auf Förderung in der Nationalversammlung abgelehnt worden war, erkannten mit Krüß und Schulz zwei Repräsentanten der Reichsregierung erstmals an, dass die Notgemeinschaft nach ihrer Konstituierung „als eine Vertretung aller in Frage kommenden Interessen und Bedürfnisse angesehen werden könnte“.96 Bereits vor dem expliziten Beitritt der Akademien und Hochschulen hatten Schmidt-Ott und Haber damit die Anerkennung eines Vertretungsanspruches ihrer Notgemeinschaft für die Wissenschaft erreicht – und zwar in der bereits angesprochenen Kombination einer konzeptionellen wie rhetorischen Brillanz Habers und des auf Beziehungen (hier: zu dem federführenden Ministerialbeamten Krüß) fußenden Geschicks Schmidt-Otts als Strippenzieher. Auf diesem Erfolg aufbauend führten sie parallel zur schrittweise wachsenden Akzeptanz der Notgemeinschaft durch Akademien und Hochschulen die Kontakte mit den Ministerien fort.97 Ihren Höhepunkt erreichten diese Verhandlungen in einer Sitzung im Reichsinnenministerium am 22. Juni 1920, an der Ministerialbeamte aus dem Innen- und Finanzministerium des Reiches, Vertreter fast aller Länder und Repräsentanten der Akademien, der Kaiser-WilhelmGesellschaft sowie der Preußischen Staatsbibliothek teilnahmen. Die Vertreter der Reichsregierung erkannten nicht nur den Anspruch der Notgemeinschaft an, legitime Interessenvertreterin der Wissenschaft zu sein, sondern stellten ihr auch eine Summe von zunächst 20 Millionen Mark aus dem – freilich noch vom Parlament zu billigenden – Reichsetat in Aussicht. Auch die Teilnehmer aus den süddeutschen Regierungen und Wissenschaftsinstitutionen akzeptierten nun den Vertretungsanspruch einer neuen Organisation, die zunächst aufgrund der von Berlin ausgehenden Initiative auf Skepsis gestoßen war.98 Als Vertreter der Münchner Akademie gab der Archäologe Paul Wolters zu Protokoll, dass die Notgemeinschaft „das Vertrauen aller Kreise genieße“ und „am besten geeignet“ sei, künftige Fördermittel des Reiches zu verteilen.99 Für die Initiatoren der Notgemeinschaft fand die Sitzung zu einem günstigen Zeitpunkt statt: Mit dem Hochschulverband hatte just am Vortag die letzte noch ausstehende relevante Wissenschaftsorganisation ihren Beitritt erklärt; die Öffentlichkeit stand unter dem Eindruck des nationalen Triumphes der feier95 96 97 98 99
Zit. nach ebenda, S. 148 ff. So Krüß am Ende der Sitzung, zit. nach ebenda, S. 151. Vgl. zu den weiteren Verhandlungen ebenda, S. 69 f. Die Vertreter von Reich und Ländern hatten sich bei einer Tagung in Bamberg Anfang Juni 1920 auf eine Unterstützung der Notgemeinschaft verständigt, vgl. ebenda, S. 109 f. Zit. nach dem Sitzungsprotokoll, ediert in: ebenda, S. 152–164, hier S. 162.
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lichen Verleihung der Wissenschaftsnobelpreise für die Jahre 1914 bis 1919 in Stockholm am 1. Juni 1920, als mit Fritz Haber, Max Planck, Johannes Stark, Max von Laue und Richard Willstätter insgesamt fünf Deutsche von den im Krieg neutral gebliebenen Schweden geehrt worden waren, von denen immerhin zwei (Haber und Planck) bereits öffentlich als Werber für die Notgemeinschaft hervorgetreten waren.100 Zudem hatten die Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 dramatische Stimmenverluste der SPD und der linksliberalen DDP sowie Gewinne der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) und der rechtsradikalen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) gebracht. Die Bildung einer nach rechts geöffneten Regierung unter Ausschluss der Sozialdemokraten stand bevor und damit eine Konstellation, die den politischen Präferenzen der Professorenschaft weit eher entsprach als die bisher von sozialdemokratischen Kanzlern geführten Koalitionen. Auch in der Sitzung am 22. Juni führten Schmidt-Otts Vertraute die Regie, Staatssekretär Theodor Lewald als Vorsitzender und Hugo Krüß als Berichterstatter, der in einem Einführungsvortrag die wesentlichen Ergebnisse der Sitzung bereits zu Beginn vortrug. Fritz Haber hielt wiederum einen aus Sicht der Ministerialbeamten beeindruckenden konzeptionellen Vortrag.101 Zudem war den Teilnehmern zuvor eine Denkschrift zur „Not der deutschen Wissenschaft“ übersandt worden, die Lewald und Krüß zur Grundlage der Beratungen erklärten. Diese stammte teils von Schmidt-Ott, vor allem aber von Eduard Wildhagen, einem 1890 in Fallersleben geborenen, promovierten Philosophen, der im März am Kapp-Putsch teilgenommen hatte, schon im Monat darauf aber von SchmidtOtt quasi aus einem Freikorps heraus als Mitarbeiter für die Notgemeinschaft angeworben worden war.102 Am 18. Juni 1920 hatte die Preußische Akademie die Denkschrift an das Reichsinnenministerium übersandt und damit beglaubigt, dass sie einen Konsens der Wissenschaft zum Ausdruck bringe.103 Die Denkschrift avancierte zur zentralen Werbeschrift für die Ziele der Notgemeinschaftsgründer und wurde systematisch an bzw. von Multiplikatoren verbreitet. Im Rahmen der Internationalen Frankfurter Messe fand zum Beispiel am 8. Oktober 1920 eine Veranstaltung unter dem Titel „Die Not der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland“ statt, deren Referenten explizit und fast ausschließlich aus der Denkschrift vortrugen.104 Diese war schon aufgrund ihrer großen Verbreitung bedeutsam, aber zugleich deshalb, weil sie prägnant alle Argumentationsfiguren enthielt, mit denen die Gründer der Notgemeinschaft damals für ihr Projekt warben. Daher sollen die zentralen Elemente der Denkschrift hier kurz resümiert werden. Erstens beschrieben Schmidt-Ott und Wildhagen eindringlich all jene materiellen Nöte der deutschen Wissenschaft, von denen bereits die Rede war, spitzten die landläufigen Klagen aber zu einem geradezu apokalyptischen Szenario zu, 100 101 102 103 104
Vgl. Metzler, Sieg. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 16. Vgl. zu Wildhagen Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 167 f. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 16 und Schmidt-Ott, Werden, S. 17. Vgl. Messamt (Hrsg.), Not.
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das erkennbar an die Statusängste des Bildungsbürgertums anknüpfte und appellierte: Nur „einige Jahre Stillstand“ der Forschung könnten schon dazu führen, dass Deutschland „aus der Reihe der Kulturvölker“ ausscheide und „unwiederbringlich auf das Niveau halbgebildeter Völker“ herabsinke – es gehe folglich um „Sein oder Nichtsein unserer Kultur“: „Wir müssen mit innerem Erschaudern an unserer eigenen Zeit erkennen, daß Kulturen untergehen können.“105 Zweitens bot die Denkschrift der Öffentlichkeit Wissenschaft als letzte Ressource eines deutschen Weltmachtanspruches an, nachdem Militär und Industrie durch den Weltkrieg entscheidend geschwächt worden waren. Die Forschung sei „heute vielleicht das einzige, um das die Welt Deutschland noch beneidet“, Deutschland stehe „auch jetzt noch in vielen Wissensgebieten an führender Stelle“.106 Aber auch hier wanke die deutsche Position. Während die Publikationen deutscher Wissenschaftler quantitativ wie qualitativ „vor dem Kriege an der Spitze“ gestanden und in manchen Feldern „eine unbedingte Hegemonie auf der Erde“ besessen hätten, müssten die Deutschen sich nun schon wegen der finanziellen Schwierigkeiten beim Druck wissenschaftlicher Bücher und Zeitschriften „mit einer untergeordneten Rolle bescheiden“.107 Drittens griffen Schmidt-Ott und Wildhagen das ansonsten von Fritz Haber unermüdlich vorgetragene Argument auf, dass die Zukunft der deutschen Industrie aufgrund der Rohstoffarmut des Landes in der „Veredelungsarbeit“ liege, sprich: in der Entwicklung und Anwendung von Spitzentechnologien zur synthetischen Herstellung der in Deutschland nicht vorhandenen Rohstoffe. Dies sei der einzige Weg, „um aus der wirtschaftlichen Not wieder zu erträglichen Lebensbedingungen zu gelangen“. Nun barg allerdings dieses utilitaristische Argument die Gefahr, dass sich staatliche wie private Förderung auf die anwendungsbezogene technische Forschung und Entwicklung konzentrieren oder gar beschränken könnten. Dagegen entwickelte die Denkschrift ein lineares Modell des Innovationsprozesses, laut dem die technologische Entwicklung regelmäßig erst am Ende einer längeren Abfolge von Erkenntnisschritten stehe, die mit der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung beginne: Die von dieser erarbeiteten Wissensbestände über Naturphänomene und das Wesen von Stoffen sowie die zu deren Erforschung entwickelten Messmethoden würden zunächst von der angewandten Forschung für utilitaristische Erkenntnisinteressen genutzt; die Ergebnisse dieser Forschung wiederum könnten schließlich in den Laboren und Werkstätten der Industrie von Ingenieuren in Produkte und Verfahren umgesetzt werden. Auf den ersten Blick „theoretische, anscheinend wirklichkeitsfremde Überlegungen“ könnten so „in ihrer Fortentwicklung von weittragender praktischer Bedeutung für die Volksgesamtheit“ werden.108 Infolgedessen nutze die gegenwärtig zu beobachtende „Abwanderung der Befähigtsten“ aus der Grundlagenforschung „in die Praxis“ der Industrielabore langfristig keineswegs der zunächst scheinbar hiervon profitierenden Wirtschaft, sondern gefährde die Basis des Innovationssystems. 105 106 107 108
Wildhagen/Schmidt-Ott, Not, Sp. 5 und 35 f. Ebenda, Sp. 1. Ebenda, Sp. 7. Vgl. ebenda, Sp. 11. Ebenda, Sp. 3.
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„Es muß daher dem Befähigten, der sich der reinen Wissenschaft ergeben will, ein Existenzminimum in irgendeiner Form in Aussicht stehen.“109 War so nicht nur die Förderungswürdigkeit der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung, sondern sogar ihr Primat argumentativ legitimiert (sollte sie doch das Betätigungsfeld der „Befähigtsten“ sein), so bedurfte es viertens einer besonderen Begründung, warum auch geisteswissenschaftliche Forschung in Zeiten einer materiellen Not gefördert werden solle. Die Denkschrift machte sich in diesem Kontext das in der deutschen Professorenschaft – und zwar auch unter Naturwissenschaftlern – dominante Ideal einer umfassenden, Disziplinen übergreifenden Gelehrsamkeit als notwendiger Grundlage für die Erzielung von Spitzenleistungen auf den jeweiligen Spezialgebieten zu eigen. Gerade das „Ausland“, so behaupteten Wildhagen und Schmidt-Ott, habe erkannt, dass in Deutschland „die Höhe unserer naturwissenschaftlichen Forschung aus dem hohen Stande der allgemeinen Geistesbildung der deutschen Gelehrten herrühre“.110 Die Argumente für eine Förderung naturwissenschaftlicher Grundlagen- sowie der geisteswissenschaftlichen Forschung zielten nicht allein darauf, für diese Felder eventuell zahlungsunwillige Politiker und Industrielle umzustimmen. Vielmehr artikulierten Schmidt-Ott und Wildhagen hier auch die zeitgenössisch in der deutschen Professorenschaft dominanten Idealvorstellungen seriöser und vermeintlich spezifisch deutscher Wissenschaft: einen Primat der Grundlagen- gegenüber der Zweckforschung sowie ein neuhumanistisches Bildungsideal. Diese Ideen als Idealvorstellungen zu bezeichnen, soll sie nicht als weltfremden Idealismus markieren. Vielmehr entsprang die Überzeugung von ihrer Richtigkeit der empirischen Erfahrung, dass sich der rapide Aufstieg Deutschlands zur zweitgrößten Handels- und Industrienation (hinter Großbritannien bzw. den USA) zwischen 1890 und 1914 nicht nur zeitgleich mit der Etablierung seiner naturwissenschaftlichen Grundlagenforscher und Geisteswissenschaftler an der Weltspitze vollzogen hatte, sondern gerade durch die Innovationen der deutschen science based industries (dem Maschinenbau, der Chemie- und der Elektroindustrie) erreicht worden war, die sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges als Weltmarktführerinnen etabliert hatten (mit Anteilen von jeweils knapp 30 Prozent am globalen Handel dieser Branchen) – dank großzügig ausgestatteter Firmenlabore, aber eben auch aufgrund der theoretischen Grundierung der dort betriebenen Forschung (beispielsweise in der analytischen Chemie).111 Die Bezugnahme auf die hierdurch begründeten Selbstbilder im Rahmen der Denkschrift sollte die künftige Klientel der Notgemeinschaft davon überzeugen, dass das Projekt der Notgemeinschaft die Gesamtinteressen wie den normativen Konsens der Wissenschaft vertrete. Der Vorsitzende des Hochschulverbandes, der Münsteraner Rektor Rudolf Schenck, verlangte von Schmidt-Ott anlässlich des Beitrittes der Hochschulen zur Notgemeinschaft am 21. Juni 1920 denn auch dezidiert, die Grundlagenforschung zu fördern, und wies zugleich darauf hin, dass die Technischen Hochschulen ihrerseits bewusst darauf verzichtet hätten, durch die Bildung 109 Ebenda, Sp. 9. 110 Ebenda, Sp. 5. 111 Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 613–618.
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einer separaten Organisation um einen privilegierten Zugang der anwendungsorientierten Disziplinen zu Fördergeldern zu kämpfen.112 Fünftens leitete die Denkschrift aus den erörterten Aspekten die Notwendigkeit einer neuen „straffen Organisation der Forschungsmittel“ ab, wollte man nicht riskieren, dass „die Wissenschaft und mit ihr das Volk untergehe“. Diese Organisation solle als Selbstverwaltung der Wissenschaft „unter erfahrener Leitung“ gestaltet werden, sprich durch eine von den Initiatoren geführte Korporation der Wissenschaft.113 Konkret warben Wildhagen und Schmidt-Ott für die Konzentration der potenziell die deutsche Kultur, Wirtschaft und Weltmachtrolle rettenden Maßnahmen auf vier Felder, nämlich die Subventionierung wissenschaftlicher Publikationen, die Verbesserung der kommunikativen Infrastruktur der Forschung (Bibliotheken und Zeitschriften), die zentrale und damit kostengünstige Beschaffung der Instrumente sowie Ausgangsmaterialien experimenteller Forschung und schließlich die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch Stipendien. Mit dem letzten Punkt war konkret die Förderung von etwa 400 Privatdozenten und Habilitanden gemeint, die sich im Schwebezustand zwischen Promotion oder Habilitation und Festanstellung befänden: „Durch Stipendien, die den Jünger der Wissenschaft bis zur eigenen gewinnbringenden Leistung, bis zur Berufung auf einen Lehrstuhl oder bis zur Anstellung am Forschungsinstitut über Wasser halten, (…) muss unbedingt für die Heranziehung neuer Forscher gesorgt werden.“ Dabei wollten Schmidt-Ott und Wildhagen „nur die Tüchtigsten ausgewählt“ sehen und „verhindern, daß ein Drohnentum von Mäßigbegabten an den Stätten der Forschung sich breitmacht“.114 In der Summe forderten Schmidt-Ott und Wildhagen in ihrer Denkschrift einen Fonds von 80 Millionen Mark, von denen sie drei Millionen für Stipendien, zwölf Millionen für Druckkostenbeihilfen, 31 Millionen für Neuanschaffungen der großen Bibliotheken, 29 Millionen für Instrumente, Materialien und Versuchstiere und schließlich weitere fünf Millionen für die Behebung „allgemeiner Nöte der Institute“ ansetzten.115 Die Zahlen wurden in den Debatten freilich flexibel gehandhabt. Nachdem Staatssekretär Lewald zu Beginn der Sitzung am 22. Juni eine Reichsförderung in Höhe von 20 Millionen Mark für realistisch erklärt und Krüß die Denkschrift dahin interpretiert hatte, ihre Autoren hätten 56 Millionen Mark gefordert, insistierten die Vertreter der Notgemeinschaft (SchmidtOtt, Wildhagen und Haber) nicht auf ihren ursprünglichen Ziffern, sondern legten ihren Diskussionsbeiträgen die versprochenen 20 Millionen zugrunde.116 Wichtiger als Details dürfte ihnen gewesen sein, dass damit Ende Juni 1920 die Regierungen des Reiches wie der Länder, die Wissenschaftsakademien und die Hochschulen das in der Denkschrift zusammengefasste Konzept der künftigen Notgemeinschaft sowie den Führungsanspruch ihrer Initiatoren anerkannt hatten. Die Notgemeinschaft, so hatte Krüß am 22. Juni für das Reichsinnenminis112 113 114 115 116
Vgl. Marsch, Notgemeinschaft, S. 68 f. Wildhagen/Schmidt-Ott, Not, Sp. 22 und 10. Ebenda, Sp. 31. Ebenda, Sp. 28; die Zahlen errechnet aus den verstreuten Angaben ebenda, Sp. 15–30. Vgl. das Sitzungsprotokoll in: Marsch, Notgemeinschaft, S. 153, 156 und 159.
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terium erklärt, galt nun als „von Sachkunde und dem Vertrauen der Gesamtheit getragene Gesamtvertretung der deutschen Wissenschaft“.117 Nachdem die Grundsatzentscheidungen gefallen waren, konstituierte sich zwei Tage später, am 24. Juni 1920, ein Gründungsausschuss der Notgemeinschaft, bestehend aus dem Vorsitzenden Schmidt-Ott, seinem Stellvertreter Haber sowie sieben Vertretern der Akademien, der KWG, der Hochschulen und der Wissenschaftsverbände, darunter Harnack und Planck. Haber konnte das Konzept der Notgemeinschaft am 27. Juli dem Reichsfinanzminister Joseph Wirth vorstellen, allerdings, wie er selbst später ironisch berichtete, ohne gegenüber dem strikt utilitaristischen Minister „Philologie und Zubehör“ zu erwähnen.118 Drei Tage später beantwortete Innenstaatssekretär Schulz im Reichstag eine Anfrage des Berliner Osteuropahistorikers und deutschnationalen Abgeordneten Otto Hoetzsch dahingehend, dass das Reich die Notgemeinschaft finanziell fördern werde.119 Da es sich bei Hoetzsch um einen Vertrauten Schmidt-Otts handelte, kann man davon ausgehen, dass diese öffentliche Selbstverpflichtung der Reichsregierung bewusst in Szene gesetzt worden war. Tatsächlich teilte Wirth dann am 24. September dem Reichsinnenministerium mit, dass er in dessen Etat 20 Millionen Mark zur Finanzierung der Notgemeinschaft eingestellt habe und erneuerte diese Zusage am 11. Oktober 1920 auch für das Haushaltsjahr 1921, so dass eine gewisse Kontinuität der Förderung absehbar wurde. Die Reichstagsabgeordneten erhielten als Erläuterung zu diesem Haushaltsposten die Denkschrift vom 18. Juni. Die amerikanische Rockefeller Foundation nahm schon Ende August 1920 Kontakt mit Schmidt-Ott auf und bekundete ihre Bereitschaft zur Kooperation.120 Obwohl sich die parlamentarische Verabschiedung des Etats und damit auch die Bewilligung der Gelder für die Notgemeinschaft bis zum Mai 1921 verzögern sollten (die Notgemeinschaft erhielt dann im Abstand von nur vier Wochen zunächst 20 Millionen für 1920 und dann weitere 20 Millionen für 1921)121, konnte am 30. Oktober 1920 in der Preußischen Staatsbibliothek die offizielle Gründungsversammlung der Notgemeinschaft stattfinden. Diese wurde als eingetragener Verein gegründet, dessen Mitglieder die 24 Universitäten und elf Technischen Hochschulen, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die fünf Wissenschaftsakademien, der Deutsche Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine sowie die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte wurden.122 Die Versammlung verabschiedete eine vom Gründungsausschuss entworfene Satzung und wählte einen Hauptausschuss sowie ein vierköpfiges Präsidium, letzteres bestehend aus dem Präsidenten Schmidt-Ott, seinen Stellvertretern Walther von Dyck und Fritz Haber sowie dem Hauptausschussvorsitzenden Adolf von Harnack. Mit dem 117 Zit. ebenda, S. 155. 118 So Haber in einem Brief an Schmidt-Ott vom 2.8.1920, zit. nach ebenda, S. 72. 119 Vgl. das Protokoll der Reichstagssitzung vom 30.7.1920 in: Verhandlungen Reichstag, Band 344, Sp. 413. 120 Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 105. 121 Vgl. Schmidt-Ott, Werden, S. 27. 122 Später kamen noch die Tierärztlichen, Land- und Forstwirtschaftlichen Hochschulen sowie die Bergakademien hinzu.
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Mathematiker von Dyck, Rektor der TH München und stellvertretender Vorsitzender sowohl des Hochschulverbandes als auch der Gesellschaft Deutscher Naturforscher, wurden einerseits die Technischen Hochschulen, andererseits die nicht-preußischen Wissenschaftler symbolisch in eine ansonsten solide von Berliner Grundlagenforschern beherrschte Institution integriert. Zudem handelte es sich auch bei dem Münchner Mathematiker um einen älteren (das heißt 64jährigen) Honoratioren, den Schmidt-Ott bereits seit Jahrzehnten aus diversen Kooperationen kannte.123 Um die Bereitschaft des Reichstages zur Bewilligung der Mittel für die Notgemeinschaft zu befördern, stellte sich die Notgemeinschaft am 23. November 1920 im Rahmen eines sogenannten Parlamentarischen Abends im Plenarsaal des Reichstages der Öffentlichkeit vor. In Anwesenheit sowohl des Reichspräsidenten Friedrich Ebert, als auch des Kanzlers Konstantin Fehrenbach warben Reichsinnenminister Erich Koch-Weser, Schmidt-Ott, Adolf von Harnack, Fritz Haber sowie der Münchner Mediziner Friedrich von Müller für die Notgemeinschaft. An der Zielgruppe der Abgeordneten orientiert hoben die Redner prominent auf Habers Grundgedanken ab, dass Deutschland aus seinen wenigen Rohstoffen durch wissenschaftsgestützte Technologien eine breite Palette synthetischer Stoffe gewinnen müsse. „Heute ist alles, was unsere selbstgeschaffene technische Welt ausmacht, (…) verwandelte Kohle“, betonte Haber,124 und Koch-Weser behauptete, dass Deutschland nur durch „Veredelungsarbeit“ im Sinne Habers den „Wettbewerb mit anderen Völkern, die über mehr Land, über mehr Geld, über mehr Rohstoffe und über mehr ungebrochene Volkskraft verfügen“, bestehen könne.125 Aber gerade der Chemiker Haber ergriff die Gelegenheit, um vor einer utilitaristischen Verengung der Forschungsförderung zu warnen. Veredelungsarbeit, so betonte er, beruhe auf einem „Reichtum der Erfindung“, der aber seinerseits „nur aus dem Reichtum um ihrer selbst willen betriebener Wissenschaft“ erwachse: „Nichts Unverständigeres gibt es als den Gedanken, die Leistung dadurch zu steigern, dass man die wissenschaftliche Forschung auf das beschränkt, was unmittelbar praktisches Resultat verspricht.“126 Und er erweiterte dieses Plädoyer für Grundlagenforschung sofort um den Hinweis, auch die Geisteswissenschaften seien unabdingbare Grundlagen eines ökonomisch erfolgreichen Innovationssystems. Zwar wollten beschränkt utilitaristisch denkende Industrielle nicht einsehen, „wozu man Archäologie braucht und eine Kunstwissenschaft, Sprachforschung und Geschichte“. Aber auch „die technisch-naturwissenschaftliche Erziehung“ könne „den geisteswissenschaftlichen Einschlag nicht entbehren (…). Das geistige Leben der jüngeren Generation, die für die Forschung in den Fragen der Technik heranwächst, verödet und verkrüppelt, wenn die Pflege der alten 123 Dyck hatte bei der Vorbereitung des deutschen Auftritts bei der Weltausstellung in Chicago 1893 und bei der „Flamisierung“ der belgischen Universität Gent während des Ersten Weltkrieges mit Schmidt-Ott zusammengearbeitet, vgl. Hashagen, Dyck, S. 426–435 und 503–536. 124 Kundgebung 1920, Sp. 108. Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 51 ff. 125 Kundgebung 1920, Sp. 98. 126 Ebenda, Sp. 114.
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geisteswissenschaftlichen Kultur nicht fortbesteht. Was dann heranwächst, ist ein Spezialistentum, eng in seinen Zielen, arm an Idealismus, brauchbar für tausend Geschäfte, aber ungeeignet für die führende Leistung, die die Zukunft von ihm fordert.“127 Solche Appelle im Sinne eines holistischen und spezifischen Kulturwerten verpflichteten Wissenschaftsverständnisses richteten sich, es sei nochmals betont, nicht allein an die direkt angesprochenen Vertreter von Politik, medialer Öffentlichkeit und Wirtschaft, sondern ebenso an die ins Auge gefasste Klientel der Notgemeinschaft: die Professoren sowie ihr bildungsbürgerlich-akademisches Umfeld. Daher wurden die Vorträge des 23. November 1920 ebenso wie die Denkschrift vom 18. Juni oder ähnliche Texte der Notgemeinschaftsprotagonisten vielfach in entsprechenden Zeitschriften nachgedruckt. Auf die professorale Klientel sollten diese Texte integrierend wirken, anwendungsorientierte und Grundlagenforscher, Techniker, Natur- und Geisteswissenschaftler unter dem Slogan einer Einheit der Wissenschaft zur Vergemeinschaftung in der Notgemeinschaft motivieren. Während es den Initiatoren der Notgemeinschaft zwischen Frühjahr und Herbst 1920 relativ problemlos gelang, die Unterstützung der Politik sowie der wichtigsten wissenschaftlichen Korporationen zu gewinnen, gestaltete sich der Versuch, die Privatwirtschaft zur Unterstützung der neuen Organisation zu gewinnen, komplizierter. Generell war unter deutschen Industriellen die Neigung größer als in der Politik, die Förderung von Forschung auf unmittelbar technologierelevante Sektoren zu begrenzen und direkte Steuerungsmöglichkeiten für die Geldgeber zu beanspruchen.128 Es war der rührige Chemieindustrielle Carl Duisberg, der durch die Gründung einer neuen Organisation in diesem Sinne ein Gegengewicht zur Notgemeinschaft zu etablieren schien. Die auf sein Betreiben am 27. Oktober 1920, drei Tage vor der Gründungsversammlung der Notgemeinschaft, als eingetragener Verein ins Leben gerufene Helmholtz-Gesellschaft zur Förderung der physikalisch-technischen Forschung begrenzte, geleitet vom Montanindustriellen Albert Vögler, ihre Förderungsziele auf die industriell interessante anwendungsorientierte Forschung und übertrug die Verteilung ihrer aus der Industrie eingeworbenen Mittel einem Verwaltungsrat, der aus nur sechs Wissenschaftlern, aber zwölf Vertretern der Geldgeber bestand.129 Es ist unwahrscheinlich, dass Duisberg die Pläne seines persönlichen Freundes Schmidt-Ott, den er im November 1920 zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Bayer-Werke machte, zum Scheitern bringen wollte. Werner Plumpe hat gezeigt, dass die Pläne zur Gründung der Helmholtz-Gesellschaft bereits älteren Datums und keine direkte Reaktion auf die Entstehung der Notgemeinschaft waren; eine Konkurrenz bildeten sie angesichts begrenzter Ressourcen gleichwohl. Duisberg verband die Bereitschaft der Industrie, Gelder für die Förderung von Forschung 127 Ebenda, Sp 115 f. 128 In einem Brief an Schmidt-Ott vom 2. August 1920 malte Haber aufgrund dieser Bestrebung eine „Industrie-Autokratie im Wissenschaftsbetriebe“ als „trostlose Zukunftsaussicht“ an die Wand, zit. nach Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 83. 129 Vgl. Plumpe, Duisberg, S. 633–637 und 641 f., Szöllösi-Janze, Haber, S. 550–553 und Maier, Forschung, S. 224–235.
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außerhalb der eigenen Entwicklungslabore zu spenden, mit der Erwartung, dass die Interessen der Geldgeber institutionell vertreten sein würden. Insofern wollte er wohl mit Hilfe der Helmholtz-Gesellschaft in den Gründungsprozess der Notgemeinschaft mit dem Ziel intervenieren, innerhalb der neuen Organisationsformen seinen eigenen Einfluss und jenen der mit ihm verbundenen Industriellen zu wahren. Darauf deutet auch hin, dass Duisberg zur selben Zeit die im Juni 1920 startende Initiative des Reichsverbandes der deutschen Industrie mit vorantrieb, einen weiteren Verein zu gründen, der für die Notgemeinschaft Spenden sammeln sollte. Nachdem sieben Spitzenverbände der Wirtschaft (darunter der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Reichsverband der Industrie und der Zentralverband des deutschen Bankgewerbes) am 1. Dezember 1920 einen öffentlichen Appell an die Privatwirtschaft gerichtet hatten, „der deutschen Wissenschaft durch diese schweren Jahre (zu) helfen“ und für die Notgemeinschaft zu spenden,130 gründeten sie am 14. Dezember 1920 den Stifterverband der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft unter dem Vorsitz von Carl Friedrich von Siemens.131 Über die Modalitäten des Einsammelns und Verteilens von Spenden verhandelten Notgemeinschaft, Stifterverband und Helmholtz-Gesellschaft bis in den Juli 1921 – insofern erreichte Duisberg sein Ziel, mit Gründung der HelmholtzGesellschaft Einfluss auf die künftige Organisation der Forschungsförderung zu erlangen. Im Ergebnis einigte man sich darauf, dass der Stifterverband zwei Drittel der bei ihm eintreffenden Industriespenden an die Helmholtz-Gesellschaft und ein Drittel an die Notgemeinschaft weiterleiten, alle Spenden anderer Provenienz aber über die Notgemeinschaft verteilen würde. Über die Verwendung der an die Notgemeinschaft überwiesenen Gelder sollte eine paritätisch aus Vertretern des Stifterverbandes und der Notgemeinschaft gebildete Kommission entscheiden; ab 1923 vereinfachte man dieses Verfahren soweit, dass die Notgemeinschaft die Überweisungen des Stifterverbandes de facto nach eigenem Gusto verplanen konnte.132 Materiell waren die Folgen sowohl der Gründung von Stifterverband und Helmholtz-Gesellschaft als auch des ausgehandelten Verteilungsmodells für die Notgemeinschaft von geringer Bedeutung. Zwar erhielt der Stifterverband aufgrund des Spendenaufrufs vom 1. Dezember 1920 fast 100 Millionen Mark, da aber nur die Zinsen des Kapitals ausgeschüttet werden sollten und zugleich die Inflation rasch an diesem Grundstock zehrte, deckten die erst im März 1922 einsetzenden Zuwendungen des Stifterverbandes in den 1920er Jahren nie mehr als drei Prozent des Etats der Notgemeinschaft.133 Immerhin waren diese Gelder für 130 Zit. nach dem Abdruck des Aufrufes bei Zierold, Forschungsförderung, S. 31 f., hier S. 32. 131 Zur Gründung des Stifterverbandes vgl. Schulze, Stifterverband, S. 59–69, Plumpe, Duisberg, S. 637–642, Szöllösi-Janze, Haber, S. 548 und 550 f. und Marsch, Notgemeinschaft, S. 88– 95. 132 Vgl. Schulze, Stifterverband, S. 76–80, Plumpe, Duisberg, S. 637–643, Zierold, Forschungsförderung, S. 29 ff. und Schmidt-Ott, Werden, S. 25 f. 133 Vgl. Schroeder-Gudehus, Argument, S. 542 f., Zierold, Forschungsförderung, S. 33 f., Schulze, Stifterverband, S. 72 ff. und Schmidt-Ott, Werden, S. 25 f.
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jenes Segment der Förderpolitik, in dem sie schwerpunktmäßig eingesetzt wurden, von zunächst großer, dann aber auch dort abnehmender Relevanz: Wurde 1925 noch fast die Hälfte der von der Notgemeinschaft vergebenen Stipendien durch den Stifterverband finanziert, sank dieser Anteil bis 1930 auf weniger als ein Zehntel.134 Doch auch mit Hilfe der quantitativ geringen Privatspenden erreichten die Gründer der Notgemeinschaft jenes strategische Ziel, das sie mit einer Mischfinanzierung angestrebt hatten: Steuerungsbegehrlichkeiten von Seiten des Staates konnten sie mit Verweis auf Verpflichtungen gegenüber den Privatspendern zurückweisen, Interventionsversuche der Industrie mit dem umgekehrten Argument blockieren. Für anwendungsorientierte Technikwissenschaftler konnte die Notgemeinschaft gerade deshalb attraktiv sein, weil sie auch den Weg zu Geldern der Industrie ebnete; zugleich konnten Grundlagenforscher aus den Natur- und Geisteswissenschaften in der Notgemeinschaft ihr Ideal einer Autonomie der Wissenschaft gegenüber Politik wie Wirtschaft gewahrt sehen. Als Wortführer der letztgenannten Gruppe hatte Adolf von Harnack im Vorfeld der Gründung des Stifterverbandes von Schmidt-Ott gefordert, dass die Industriellen nicht in die Notgemeinschaft hineinregieren dürften, sonst geriete die deutsche Wissenschaft „in amerikanische Zustände der Rockefeller usw.“ und werde „an die Plutokratie ausgeliefert“.135 Die neue Organisation hatte sich etablieren können, weil es den in der Republik an die Macht gelangten Parteien an eigenen wissenschaftspolitischen Experten und Programmen fehlte und weil die Krisenerfahrungen der Ordinarien nach einem organisatorischen Ausdruck suchten. Die Notgemeinschaft trug dabei den Charakter einer „schonenden Innovation“: Sie machte niemandem bisherige Kompetenzen streitig, vielmehr lagerte sie sich neben den bestehenden Institutionen an.136 Sie war gegründet worden durch ein Berliner Cluster von Wissenschaftsmanagern, die den Kern eines größeren, auf Schmidt-Ott zentrierten „Systems von Vertrauensmännern“ bildeten, „die jeweils gesamte Fachgebiete überblickten, in einem engen Netzwerk geheimrätlicher Exzellenzen aus Wissenschaft und Staatsbürokratie“.137 Insofern bildete die Notgemeinschaft ein Element jenes von Michael Geyer beschriebenen Ensembles „parastaatlicher“ Verbände des Bürgertums in der Weimarer Republik, „die nachdrücklich ihre Fähigkeit zur Organisation des Zugriffs auf staatliche Ressourcen verteidigten“ und Politik auf die „Administration von Interessen“ reduzieren wollten.138
134 135 136 137 138
Vgl. Richter, Wirtschaft, S. 36 f. Brief Harnacks an Schmidt-Ott vom 8.12.1920, zit. nach ebenda, S. 62. So Hubert Laitko zit. nach Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 157. Bruch, Not, S. 47. Geyer, Nation, Klasse, S. 38.
ZWEITES KAPITEL AUTORITÄT UND SELBSTVERWALTUNG. INNENANSICHTEN DER NOTGEMEINSCHAFT AUTOKRATIE, DEMOKRATIE ODER KLIENTELISMUS? DIE INTERNEN MACHTSTRUKTUREN DER NOTGEMEINSCHAFT Im Herbst 1922, zwei Jahre nach Gründung der Notgemeinschaft, erschien deren erster Tätigkeitsbericht in Gestalt eines fast 80 Seiten starken Büchleins. Der erkennbar als Werbeschrift konzipierte Text betonte schon auf seiner ersten Seite, dass die Notgemeinschaft ein „völlig neuartiges Gebilde“ darstelle und den Anspruch erhebe, „ein Selbstverwaltungskörper der gesamten deutschen Wissenschaft“ zu sein.1 Bevor wir uns der Förderpolitik der Notgemeinschaft zuwenden, müssen wir daher zunächst untersuchen, inwiefern sie diesen doppelten Anspruch – nämlich die Wissenschaft in ihrer Gesamtheit zu integrieren und dies in neuartigen Formen der Selbstverwaltung zu tun – in ihren Strukturen und Praktiken tatsächlich zu verwirklichen suchte. Die Strukturen der Entscheidungsfindung sowie die Mechanismen von Inklusion und Exklusion werden dabei im Vordergrund stehen. Institutionell beruhte der Vertretungsanspruch der Notgemeinschaft auf drei Säulen: Erstens umfasste ihre Mitgliedschaft mit allen Hochschulen, Wissenschaftsakademien und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sowie mehreren wissenschaftlichen Verbänden die wesentlichen Forschungsinstitutionen jenseits der staatlichen Ressortforschung und der Industrielabore. Die alljährlich in wechselnden Hochschulstädten stattfindende Mitgliederversammlung symbolisierte den Mitbestimmungsanspruch dieser Institutionen, bot aber auch die Gelegenheit, für die in Berlin residierende Institution in der Fläche zu werben. Daher schlossen sich an die Mitgliederversammlungen regelmäßig öffentliche Veranstaltungen an, in denen prominente Wissenschaftler die Notgemeinschaft sowie die Ergebnisse von ihr geförderter Projekte vorstellten. Um die Beziehungen zwischen der Spitze der Notgemeinschaft und ihren Mitgliedern zu intensivieren, beschloss die Mitgliederversammlung im Oktober 1921, dass jede Institution einen Vertrauensmann der Notgemeinschaft bestimmen sollte, der nicht nur als Multiplikator für deren Informationen diene, sondern der Notgemeinschaft auch über die „Bedürfnisse, Wünsche und Stimmungen“ an seiner Institution berichte.2
1 2
Bericht 1922, S. 5. Rundschreiben Schmidt-Otts an die Mitgliedsinstitutionen vom 13. Dezember 1921, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 64, vgl. ebenda, S. 63–66.
Autokratie, Demokratie oder Klientelismus?
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Zweitens tarierten die Gründer der Notgemeinschaft die Zusammensetzung der zentralen Gremien – des aus vier Mitgliedern bestehenden Präsidiums und des elfköpfigen Hauptausschusses – sorgsam nach Disziplinen, regionaler und institutioneller Herkunft aus. So repräsentierte Walther von Dyck im Präsidium sowohl den Hochschulstandort München als auch die Technischen Hochschulen, die Berliner Haber und Harnack dagegen Berlin, die KWG und die Akademien. Unter den elf im Gründungsjahr von der Mitgliederversammlung gewählten Hauptausschussmitgliedern fanden sich neben vier Berlinern zwei Münchner und je ein Tübinger, Dresdner, Leipziger und Münsteraner; jedes Hauptausschussmitglied vertrat eine andere Disziplin von der Theologie über Germanistik, Geschichtswissenschaft, Chemie, Physik und Medizin bis zum Maschinenbau. Die Präsidenten des Hochschulverbandes (zunächst der Chemiker Rudolf Schenck, später der Theologe Fritz Tillmann) gehörten dem Hauptausschuss ebenso an wie ein Vertreter der außeruniversitären Forschungsinstitute (der Potsdamer Meteorologe Hugo Hergesell). Zugleich bestanden Präsidium und Hauptausschuss der Notgemeinschaft zu einem großen Teil aus Personen, die bereits vor 1920 eng miteinander kooperiert hatten; die Hälfte ihrer Mitglieder hatte zum Beispiel bereits 1916 den Gremien der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft angehört.3 Drittens beschloss die Notgemeinschaft, Fachausschüsse zu gründen, die über Förderanträge zu entscheiden hatten – es sollten 21 sein, nach Disziplinen oder Gruppen von Disziplinen gebildet. Diese Ausschüsse bildeten ihrerseits das gesamte Spektrum der an Hochschulen betriebenen Wissenschaft ab, ihre Mitglieder waren von den für ein Gebiet jeweils einschlägigen Fachgesellschaften vorgeschlagen und von ihren Kollegen gewählt worden. Mit der Gründung von Fachausschüssen schloss die Notgemeinschaft unmittelbar an das Vorbild der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft an. Frühere Mitglieder der KWKW-Fachausschüsse waren ab 1920 in den Gremien der Notgemeinschaft dicht vertreten (im Hauptausschuss hatten zum Beispiel Hergesell und Schenck zuvor Fachausschüssen der KWKW angehört).4 Die Fachausschüsse der Notgemeinschaft dienten zuvörderst der Integration eines möglichst großen Teiles der Forscher, bedeuteten allerdings nicht notwendig deren Partizipation auf gleichberechtigter Basis. Um die internen Machstrukturen – und dies hieß vor allem: um die Strukturen der Entscheidungsfindung über die Verteilung der Ressourcen – wurde in der Gründungsphase der Notgemeinschaft hart gerungen. Vereinfacht gesagt standen sich zwei Modelle gegenüber. Fritz Haber wollte möglichst viele Entscheidungen in gewählten Gremien ansiedeln, die beraten und Beschlüsse nach dem Mehrheitsprinzip treffen sollten. Damit hätte sich die Notgemeinschaft das allgemeine politische Verfahrensprinzip der Weimarer Republik zu eigen gemacht, ihre Wissenschaftler hätten sich der Demokratie öffnen und deren Funktionsweise einüben müssen.5 3 4 5
Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 70. Vgl. das Verzeichnis der Fachausschussmitglieder der KWKW in: Rasch, Wissenschaft, S. 99– 102. Vgl. Szöllösi-Janze, Haber, S. 539 ff. und 542 f.
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Autorität und Selbstverwaltung. Innenansichten der Notgemeinschaft
Friedrich Schmidt-Ott dagegen wollte an jene Praktiken anknüpfen, die er über drei Jahrzehnte in der königlich-preußischen Wissenschaftsverwaltung erlernt und praktiziert hatte: Entscheidungen wurden in diesem Modell durch einen Verwaltungsfachmann vorbereitet, der zunächst die Informationen einschlägiger Experten sammelte, sich dann informell mit Honoratioren verständigte, um sodann allein verantwortlich eine Entscheidung zu treffen, die einen weitgehenden Konsens jener Beteiligten spiegelte, die sich wechselseitig als in Sache und Habitus qualifiziert betrachteten. Im Mittelpunkt dieses Modells standen informelle Aushandlungsprozesse, weniger formalisierte Verfahren und schon gar nicht Abstimmungen. Dieses Modell war darauf angelegt, wesentliche Elemente der politischen und Verwaltungskultur der preußischen Monarchie fortzuführen und die Anpassungen an den demokratischen Staat auf jene Formalia zu begrenzen, ohne deren Beachtung ein Verlust der staatlichen Finanzierung zu befürchten stand. Haber wie Schmidt-Ott entwarfen im Vorfeld der Gründungsversammlung der Notgemeinschaft Satzungen, die jeweils ihrem Modell entsprachen.6 Haber wollte die Kompetenzen eines geschäftsführenden Präsidiums dadurch begrenzen, dass er es erstens der Wahl und der Kontrolle durch ein sechsköpfiges Kuratorium unterwarf, dem vier Vertreter der wissenschaftlichen Mitgliedsorganisationen, aber auch je ein Vertreter des Reiches und der Länder angehören sollten. Zweitens sollten alle Entscheidungen über die Verteilung von Geldern gemeinsam durch das Präsidium und einen ebenfalls vom Kuratorium gewählten neunköpfigen Hauptausschuss getroffen werden. Drittens würden diesen Entscheidungen die Stellungnahmen einschlägig qualifizierter Wissenschaftler vorausgehen, die in nach Disziplinen (also etwa: Medizin, Physik, Neuere Philologien oder Maschinenbau) gebildeten Ausschüssen beraten sollten. Das Prinzip des Peer Review war in der Forschungsförderung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neu. Vor allem die 1902 in den USA gegründete Carnegie Institution hatte es etabliert; SchmidtOtt, Haber und andere an der Gründung der Notgemeinschaft beteiligte Akteure hatten aber nicht nur das amerikanische Vorbild eingehend studiert, sondern sie kannten unterschiedliche Modelle der Entscheidungsfindung über Fachkommissionen zudem aus der im Jahr 1900 gegründeten Jubiläumsstiftung der deutschen Industrie zur Förderung der technischen Wissenschaften und der 1916 ins Leben gerufenen Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft, die mit fünf bzw. sechs Fachausschüssen gearbeitet hatten.7 Für Haber bildeten die Ausschüsse den Kern seines auf Demokratisierung zielenden Konzeptes, denn sie sollten jeweils von den auf einem Gebiet tätigen Wissenschaftlern der Mitgliedsinstitutionen gewählt werden. Das letztgenannte Element konnte Haber in längeren Auseinandersetzungen (die endgültige Entscheidung fiel erst in der Mitgliederversammlung vom 12. Oktober 1921) durchsetzen, obwohl es Schmidt-Ott lieber gewesen wäre, wenn die Auswahl der Fachausschüsse dem Präsidium und dem Hauptausschuss überlassen worden wäre.8 Im Übrigen aber obsiegte der künftige Präsident: Habers Kura6 7 8
Vgl. zum Folgenden Marsch, Notgemeinschaft, S. 74–77. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 42 f. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 59.
Autokratie, Demokratie oder Klientelismus?
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torium und damit die laufende Kontrolle durch ein kleines und arbeitsfähiges Gremium, an dem neben Wissenschaftlern auch der geldgebende Staat beteiligt gewesen wäre, entfiel. Stattdessen bestimmte die bei der Gründungsversammlung am 30. Oktober 1920 verabschiedete Satzung eine alljährliche Mitgliederversammlung zum höchsten Organ, das alle drei Jahre ein vierköpfiges Präsidium sowie einen elfköpfigen Hauptausschuss wählen sollte. Erkennbar war die Satzung vom Bestreben geprägt, dem Präsidenten weitestmögliche Handlungsfreiheit zu gewähren: Er vertrat den Verein Notgemeinschaft allein als dessen Vorstand; das Präsidium entschied souverän über die Verwendung der Mittel – anders als in Habers Entwurf war der Hauptausschuss laut Satzung nur anzuhören. Innerhalb des Präsidiums oblag die „laufende Geschäftsführung“ allein dem Präsidenten,9 seinen Stellvertretern blieb wenig mehr als ein schöner Titel und das Privileg, von Schmidt-Ott nach dessen Ermessen frühzeitig in Beratungen eingebunden zu werden. Der Hauptausschuss durfte zwar auf Vorlage des Präsidenten den Jahresetat verabschieden, wurde im Übrigen aber als reines Beratungsgremium konzipiert. Dieses sollte integrierend wirken, sprich: „die Ansprüche der verschiedensten Wissenschaftszweige gegeneinander ausgleichen und über die Wahrung voller Unparteilichkeit in der Verteilung der Mittel wachen“. Er durfte aber über nichts entscheiden, sondern nur auf „Maßnahmen hinwirken“, sprich: gegenüber dem Präsidium Empfehlungen aussprechen.10 Die Fachausschüsse blieben das eigentlich demokratische Element, allerdings überließ die Satzung dem Präsidium und dem Hauptausschuss die Bestimmung des „zweckmäßigsten Wahlverfahrens“.11 1921 setzte sich in diesen Gremien ein Wahlmodus durch, der im Interesse einer Integration möglichst weiter Kreise der Wissenschaft das Wahlrecht breit streute, gleichzeitig aber Präsidium und Hauptausschuss Instrumente zur Lenkung des Wählerwillens an die Hand gab. Primär zielte die Konstruktion der Fachausschüsse auf die Beratung des Präsidiums, das nicht an die Empfehlungen der Ausschüsse gebunden war, sondern sie nur „tunlichst zu berücksichtigen“ hatte. Zudem sollten die Ausschüsse die getroffenen Entscheidungen nach außen legitimieren.12 Mit der Satzung hatte sich Schmidt-Otts Vorstellung durchgesetzt, in einem neuen institutionellen Rahmen Entscheidungspraktiken fortzusetzen, die aus der Verwaltungspraxis der preußischen Monarchie stammten. Die Partizipationsrechte der Wissenschaftler an ihrer Notgemeinschaft wurden in Formen von Beratung und Mitverantwortung, aber nur geringer Mitbestimmung im Interesse der Integration breit gestreut; die zentralen Entscheidungsbefugnisse über die Verteilung von Ressourcen und den Aufbau einer Geschäftsstelle hingegen wurden sehr einseitig dem Präsidium, ja der Person des Präsidenten zugewiesen. Einen Einfluss des geldgebenden Staates auf die Entscheidungsprozesse innerhalb der 9 10 11 12
So die Geschäftsordnung der Notgemeinschaft vom 9.9.1929, die nur die bereits übliche Praxis kodifizierte, abgedruckt in: ebenda, S. 592–594, hier S. 592. Die Satzung vom 30.10.1922 ist abgedruckt ebenda, S. 543–547, das Zitat S. 545. Ebenda, S. 547. Ebenda, S. 546.
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Autorität und Selbstverwaltung. Innenansichten der Notgemeinschaft
Notgemeinschaft schloss die Satzung bewusst aus. Damit konnten die in ihrer Mehrheit der Republik distanziert bis ablehnend gegenüberstehenden Wissenschaftler in den Gremien der Notgemeinschaft selbst dem direkten Kontakt mit dem demokratischen Staat aus dem Weg gehen und diese Aufgabe an den Präsidenten delegieren. Dieser Aspekt dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich Schmidt-Ott als Person (und damit sein Konzept) im Gründungsprozess der Notgemeinschaft letztlich durchsetzte. Für die praktische Entwicklung der Notgemeinschaft in den folgenden Jahren entscheidend sollten drei Faktoren werden: erstens das Austarieren der Machtbeziehungen zwischen Präsidium, Hauptausschuss und Mitgliederversammlung, zweitens die Ausgestaltung des von der Satzung nach „außen“ verlagerten Verhältnisses zwischen Notgemeinschaft und Staat sowie drittens das Ausmaß, in dem es gelang, die deutsche Wissenschaft über das System der Fachausschüsse in die Notgemeinschaft zu integrieren und ihre Förderentscheidungen zu legitimieren. DER PRÄSIDENT UND DIE ANDEREN: ENTSCHEIDUNGSFINDUNG ZWISCHEN AUTOKRATIE UND DEMOKRATIE Die Satzung von 1920 gab der Mitgliederversammlung des Vereins Notgemeinschaft oberflächlich betrachtet hinreichende Instrumente zur Kontrolle des Präsidiums an die Hand: Sie entschied alljährlich über dessen Entlastung und wählte alle drei Jahre Hauptausschuss und Präsidium. In der Praxis jedoch gestaltete Schmidt-Ott die jährlichen Zusammenkünfte von Anfang an als Bühnen, um seine Politik bestätigen zu lassen und der Öffentlichkeit eine Leistungsschau zu präsentieren. Das Präsidium und der Hauptausschuss wurden bis zur Krise der Notgemeinschaft im Jahr 1929 regelmäßig „durch Zuruf (…) wiedergewählt“.13 Aufgrund der Heterogenität der Interessen von Hochschulen unterschiedlichen Typs, Akademien, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der wissenschaftlichen Verbände bildeten sich in der Mitgliederversammlung zu keinem Zeitpunkt handlungsfähige Mehrheiten gegen den Präsidenten, zumal dieser durch seine fast flächendeckende Präsenz in den Gremien der Mitgliedsorganisationen einerseits und durch das über Jahrzehnte gesponnene Netz persönlicher Beziehungen zu den wichtigen Akteuren andererseits aufkeimende Widersprüche durch informelle Verhandlungen zu glätten verstand. Eine strikte Informationskontrolle durch den Präsidenten raubte der Mitgliederversammlung ohnehin jede Chance zur fundierten Kritik: Die von SchmidtOtt redigierten Tätigkeitsberichte der Notgemeinschaft gaben ab Mitte der 1920er Jahre nur noch ungefähre Auskunft über die Verwendung ihrer Mittel; ein klares Bild davon, welchen Anteil einzelne Disziplinen, Institutionen oder Standorte an den Gesamtaufwendungen der Notgemeinschaft gewannen, war aufgrund dieser 13
So das Protokoll der Mitgliederversammlung vom 12.11.1927, in: BArch, R 73/92, fol. 14.
Der Präsident und die anderen
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Berichte nicht möglich, obwohl sie den Leser mit einer Fülle einzelner Zahlenangaben und der exemplarischen Darstellung geförderter Unternehmungen in der falschen Sicherheit wogen, umfassend informiert zu werden. Als Werbematerial für die Notgemeinschaft nach außen waren die Berichte geeignet – und offensichtlich auch gedacht, erschienen sie doch gedruckt in Buchform –, als Grundlage ernsthafter Etat- und Strategiediskussionen aber nicht. Zudem gelang es Schmidt-Ott unter Verweis auf die Notwendigkeit, eine breite Öffentlichkeit für die Interessen der Notgemeinschaft zu gewinnen, den Schwerpunkt der Mitgliederversammlungen von der internen Beratung zur öffentlichen Präsentation in Form von „Kundgebungen“ am jeweiligen Tagungsort zu verschieben. Auch die Redner dieser an die Mitgliederversammlungen anschließenden Abendveranstaltungen versuchten, ihr Publikum durch Beispiele von der großen gesellschaftlichen Bedeutung der Forschung und den Leistungen der Notgemeinschaft zu überzeugen, ohne aber genauere Einblicke in deren Funktionsweisen zu gewähren.14 Mitunter kontroverse Debatten über strategische Fragen fanden immerhin im Hauptausschuss der Notgemeinschaft statt, so im Januar 1925 über den Übergang zur schwerpunktmäßigen Förderung einzelner Forschungsfelder („Gemeinschaftsarbeiten“) und im Oktober 1929 über Reformen, die der Notgemeinschaft von der Reichsregierung aufgezwungenen worden waren.15 Allerdings folgten solche Debatten einer strikten Regie von Seiten Schmidt-Otts. Da Präsidium und Hauptausschuss regelmäßig gemeinsam tagten, leitete der Präsident – und nicht der Ausschussvorsitzende – die Sitzungen und prägte sie, wie Fritz Haber 1929 kritisierte, durch unverbindliche „Thronreden“. 16 Ohnehin verstanden sich weder der bis 1929 amtierende Hauptausschussvorsitzende Adolf von Harnack noch sein Nachfolger, der Münchner Mediziner Friedrich von Müller, als Gegenspieler des Präsidenten; Müller sah sich gar als seinen „treuen Schildknappen“.17 Schmidt-Ott, so erkannte 1928 der preußische Ministerialbeamte Werner Richter, inszenierte regelmäßig „eingehende Diskussionen über wenig bedeutsame Fragen“, um die „wichtigen Fragen (…) nur ziemlich en passant“ erörtern zu lassen.18 Die Sitzungen beruhten auf Vorlagen, die der Präsident erstellt hatte und führten regelmäßig, notfalls nachdem alle Interessierten sich verbal Luft verschafft hatten,
14 15 16 17 18
Vgl. die Abschriften der „Öffentlichen Kundgebungen“ anlässlich der Mitgliederversammlungen in Hamburg 1929 und Berlin 1930, in: Bericht Mitgliederversammlung 1929, S. 38– 68 und Bericht Mitgliederversammlung 1930, S. 37–73. Vgl. die Protokolle der gemeinsamen Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss am 9.1.1925, in: BArch, R 73/89, fol. 13 bis 18 und am 19.10.1929, in: BArch, R 73/97, fol. 5–44. Brief Habers an Schmidt-Ott und Harnack vom 25.6.1929, zit. nach dem Abdruck bei Zierold, Forschungsförderung, S. 123 ff., hier S. 126. Müller, Lebenserinnerungen, S. 220 f. Einer der Söhne Schmidt-Otts war Arzt in Müllers Klinik, vgl. ebenda, S.156. So Richter am 28.11.1928 gegenüber dem Schatzmeister der Notgemeinschaft, Arthur Salomonsohn, laut dessen Gesprächsvermerk, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 112.
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zu Beschlüssen im Sinne dieser Vorlagen, zu denen das Protokoll dann lapidar „allseitige Zustimmung“ notierte.19 In der entscheidenden Machtfrage, nämlich in jener der Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel der Notgemeinschaft, sicherte sich Schmidt-Ott in der Praxis ein weitgehendes Entscheidungsmonopol. Nach Eingang eines Förderantrages wurde dieser von der Geschäftsstelle an den jeweiligen Fachausschuss weitergeleitet. Zu jedem Antrag nahmen zunächst ein Ausschussmitglied, welches für das vom Antrag betroffene Fachgebiet zuständig war, und anschließend der Ausschussvorsitzende Stellung. Einige der Vorsitzenden, so der dem Ausschuss für alte und orientalische Philologie vorstehende Eduard Meyer, übergingen sogar nach Gutdünken die gewählten Ausschussmitglieder und suchten je nach Antrag freihändig Gutachter aus.20 Sitzungen der Ausschüsse, bei denen sie jeweils die Anträge hätten beraten können, fanden nicht statt; auch hier vermied Schmidt-Ott die offene Diskussion und Beschlussfassung in Gremien.21 Auf Basis der beiden ihm vorliegenden Voten traf der Präsident eine Entscheidung. In der Regel folgte er dem Votum des Fachausschussvorsitzenden, lehnte jedoch auch von diesem befürwortete Anträge mitunter ab, wenn sie seinen Vorstellungen über Förderschwerpunkte zuwiderliefen.22 Der Präsident, so betonte SchmidtOtts Mitarbeiter Viktor Schwoerer im Juni 1929, müsse die Anträge gemäß ihrer „Dringlichkeit“ im Vergleich zu anderen Projekten bewerten, „da der Stand der Mittel der Notgemeinschaft nur die Berücksichtigung einer besonderen Auslese aus der großen Zahl der Anträge ermöglicht“.23 Damit war Schmidt-Ott letztlich souverän, einzelne Disziplinen oder Forschungsfelder bewusst zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Aus den von ihm bereits entschiedenen Fällen ließ Schmidt-Ott in periodischen Abständen Listen für den Hauptausschuss zusammenstellen.24 Von diesem Verfahren ausgenommen blieben allerdings die Forschungsstipendien für Nachwuchswissenschaftler, deren Zahl am 1. Dezember 1928 einen Höchstwert von 689 erreichte; über diese erfuhr der Hauptausschuss nur sporadisch einige statistische Angaben und exemplarische Themen.25 Wie folgsam sich der Hauptausschuss gegenüber Schmidt-Ott verhielt, kann man daran ermessen, dass er sich mit dieser Praxis im April 1930 ausdrücklich einverstanden erklärte.26 Zu 19 20 21 22
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So im Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 9.1.1925, in: BArch, R 73/89, fol. 18. Vgl. Unte, Meyer, S. 530. Vgl. die Anweisung für die Fachausschüsse der Notgemeinschaft von 1922, in: BArch, R 73/120, fol. 57–58R, hier fol. 58R. Nach außen hin behauptete Schmidt-Ott, er betrachte es als „laienhafte Willkür“, wenn er von den Fachausschüssen befürwortete Anträge ablehnen würde. Dies tat er allerdings im November 1929 auch deshalb, um sich aus dem Fokus der damals breiten öffentlichen Kritik an der Förderpolitik der Notgemeinschaft zu ziehen, Schmidt-Ott, Einführung 1929, S. 6. Schreiben Schwoerers an das preußische Kultusministerium vom 26. Juni 1929, in: BArch, R 73/109, fol. 5. Vgl. die Listen der Jahre 1928 bis 1934 in: BArch, R 73/88 bis 118. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 70. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 12.4.1930, in: BArch, R 73/100, fol. 6.
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allen anderen Anträgen enthielten die Hauptausschusslisten jeweils Angaben zu Antragsteller, Thema, Antragssumme, eine Zusammenfassung der Stellungnahmen aus dem Fachausschuss sowie die vom Präsidenten getroffene Entscheidung, sprachlich zur „Empfehlung“ heruntergespielt. In der Weitergabe der Informationen aus dem Fachausschuss gingen Schmidt-Otts Mitarbeiter beim Verfassen der Listen bewusst selektiv vor. „Kritische Bemerkungen der wissenschaftlichen Fachberater über bewährte Gelehrte“, so fasste Schwoerer die Praxis zusammen, nehme man „selbstverständlich (…) nur ungern“ in die Listen auf: „Übungsgemäß wird eine möglichst milde Formulierung der Kritik angestrebt; ein völliger Verzicht auf die Wiedergabe der Fachausschußgutachten ist aber nicht möglich, wenn dem Hauptausschuß die Grundlagen der Bildung eines Urteils geboten werden sollen.“27 Die Listen gingen den Mitgliedern des Hauptausschusses per Post zu; Schmidt-Otts jeweilige Entscheidung galt dann als bestätigt, wenn im Laufe der folgenden drei Wochen kein Hauptausschussmitglied explizit und schriftlich Einspruch erhob. Erst ab Ende der 1920er Jahre verzeichnen die Akten der Notgemeinschaft eine relevante Zahl von schriftlichen Einsprüchen und Kommentaren der Hauptausschussmitglieder, zuvor waren sie die absolute Ausnahme gewesen.28 Bei den Einsprüchen ging es zumeist darum, von Schmidt-Ott positiv vorentschiedene Anträge im Interesse der Sparsamkeit zurückzustellen; bei den Kommentaren handelte es sich in der Regel um allgemeine Zustimmungen („begrüße ich außerordentlich“), die mit dezent relativierenden Hinweisen garniert wurden („erlaube mir aber den Hinweis, daß diese Forschungen nicht allzu lange ausgedehnt werden sollten“).29 Jene Fälle, in denen Hauptausschussmitglieder Zweifel an Schmidt-Otts Entscheidung angemeldet hatten, hätten an sich in den Sitzungen des Ausschusses besprochen und entschieden werden sollen. Dies geschah allerdings nur äußerst selten. Da der Hauptausschuss ab 1922 vom Präsidenten im Schnitt nur noch zwei Mal pro Jahr zu einer Sitzung einberufen wurde, war der Raum zur Erörterung strittiger Einzelfälle knappgehalten. Zudem beschäftigte Schmidt-Ott den Hauptausschuss bewusst mit der Diskussion über von ihm ausgewählte Fälle, in denen der jeweilige Fachausschuss kein eindeutiges Votum abgegeben hatte.30 Als Kontrollorgan zur effektiven Korrektur der Entscheidungen des Präsidenten sollte der Hauptausschuss aus Sicht der Akteure eben nicht dienen. In einem Gespräch mit Schmidt-Ott und Schwoerer vom Februar 1930 zeigte sich sogar der ansonsten gegenüber dem Präsidenten kritische Haber überzeugt, dass der Hauptausschuss „nicht Appellationsinstanz“ sein könne. „Geheimrat Haber stimmte (…) zu, daß auch bei zweifelhaften Anträgen dem Hauptausschuß le27 28 29 30
Ebenda. Vgl. zum Beispiel die Stellungnahmen zur Hauptausschuss-Liste 1/1929/30 vom April/Mai 1929, in: ebenda, fol. 25–51. Anmerkung des Hauptausschussmitgliedes Hoetzsch zur Liste 3/1929/30, in: BArch, R 73/110, fol. 316. Vgl. das Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss vom 9.1.1925, in: BArch, R 73/89, fol. 11.
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diglich eine gutachtliche Stellungnahme zustehe“, durch die jedoch „unmöglich (…) das diskretionäre Ermessen des Leiters der Verwaltung beeinträchtigt werden“ könne. Daher solle in den Ausschusssitzungen auch nicht über strittige Anträge abgestimmt werden (wie es das Ausschussmitglied Gustav Radbruch, als Sozialdemokrat ein Außenseiter, vorgeschlagen hatte), vielmehr müsse letztlich „der Präsident (…) in allen Einzelfällen entscheidend“ sein. Die Hauptausschusslisten dienten „lediglich als eine Information“, auf deren Basis der Ausschuss „einen Rückhalt für den Präsidenten schaffen“, sprich: dessen Entscheidungen legitimieren solle.31 Drei Jahre zuvor hatte Schmidt-Ott die großen zeitlichen Abstände zwischen den Hauptausschusssitzungen direkt damit begründet, dass die Mitglieder ja dank der Listen „über den Gang der Geschäfte gut unterrichtet“ seien – und dies genüge.32 Der Öffentlichkeit gegenüber stellte Schmidt-Ott dagegen die Entscheidungsprozesse völlig anders – und irreführend – dar: „Alle Bewilligungen setzen die Zustimmung des Fachausschusses und des Hauptausschusses voraus“, behauptete er 1930.33 Eine effektive Begrenzung seiner Macht erwartete Schmidt-Ott in der Anfangsphase der Notgemeinschaft durch den Staat; er hielt es für wahrscheinlich, dass das Reichsinnenministerium auf einer direkten Mitsprache bei der Verteilung „seiner“ Millionen bestehen würde. Letztlich gelang es ihm aber, die Rolle des Reiches im Alltagsgeschäft minimal zu halten. In mehreren Verhandlungsrunden im März, Juli und Oktober/November 1921 einigte man sich darauf, dass das Reichsinnenministerium sechs Beobachter zu den Sitzungen des Hauptausschusses entsenden durfte, von denen vier auf Vorschlag der Länder benannt wurden. Das Ministerium behielt sich ausdrücklich ein Vetorecht gegen alle Beschlüsse der Notgemeinschaftsgremien vor, ohne hiervon je Gebrauch zu machen. Einige Akteure auf Seiten der süddeutschen Länder hatten sich eine andere Machtverteilung gewünscht, nämlich einerseits eine stärkere Repräsentanz im Hauptausschuss, andererseits eine Übertragung des Rechtes zur Bewilligung von Fördergeldern vom Präsidenten auf den Hauptausschuss. Dass sich diese Forderungen explizit gegen Schmidt-Ott richteten, geht schon daraus hervor, dass die Vertreter dieser Länder auf einer Tagung am 11. Oktober 1921 erklärten, ihnen wäre „der Rücktritt des Präsidenten“ aus Protest gegen eine solche Regelung „nicht unerwünscht“.34 Aber weder die preußische Regierung noch die Reichsregierung – und nur sie gab ja letztlich Geld für die Notgemeinschaft und konnte daher den Kurs bestimmen – waren zu diesem Zeitpunkt bereit, eine offene Konfrontation mit Schmidt-Ott zu suchen. In der Praxis der folgenden Jahre litten die Vertreter der Reichs- und Länderministerien unter demselben Problem wie die wissenschaftlichen Mitglieder des Hauptausschusses: Schmidt-Ott entzog sich durch eine Taktik bruchstückhafter 31 32 33 34
Notiz über das Gespräch vom 21.2.1930, in: BArch, R 73/72, fol. 209 ff. Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Hauptausschuss und Präsidium vom 29.1.1927, in: BArch, R 73/91, fol. 9. Schmidt-Ott, Notgemeinschaft, S. 604. Zit. aus dem Tagungsprotokoll nach: Zierold, Forschungsförderung, S. 26. Vgl. hier allgemein S. 21–28 und Marsch, Notgemeinschaft, S. 112–120.
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Information jeder effektiven Kontrolle. Um dem entgegenzusteuern, verlangte das preußische Kultusministerium Mitte Juli 1922 von den Hochschulen und Akademien seines Sprengels, das Ministerium über jeden Antrag bei der Notgemeinschaft zu informieren. Doch dieser Versuch einer indirekten Kontrolle der Notgemeinschaft scheiterte schon im Ansatz an der Obstruktion durch die Klientel der Notgemeinschaft. So beschloss etwa die Preußische Akademie am 26. Oktober 1922 auf Antrag des offen republikfeindlichen Altphilologen Eduard Meyer, der Anweisung des Ministeriums „einstweilen nicht stattzugeben“, wobei hier schon in der Wortwahl die Umkehr der de jure gültigen Hierarchie zum Ausdruck kam.35 Schmidt-Otts Erfolge gegenüber allen Versuchen, ihn wenigstens einer Kontrolle des geldgebenden Staates zu unterwerfen, beruhten nicht auf offenem Widerstand. Vielmehr wich er dort, wo Regelungen formell auf Papier fixiert wurden, meist schnell zurück und erfüllte scheinbar die Wünsche seiner Verhandlungspartner, akzeptierte zum Beispiel klaglos ein Vetorecht des Reichsinnenministeriums. In der Praxis aber verband er eine restriktive Informationspolitik mit dem beharrlichen Versuch, die getroffenen Regelungen durch enge informelle Kontakte zu den Entscheidungsträgern in Ministerien und Reichstag in seinem Sinne umzuinterpretieren bzw. zu entschärfen.36 Zu allen im Reichsinnenministerium für die Notgemeinschaft zuständigen Beamten entwickelte Schmidt-Ott freundschaftliche Arbeitsbeziehungen (sofern er diese nicht bereits vor 1920 etabliert hatte). Ähnliche Kontakte baute er ab 1920 zielgerichtet in den Reichstag hinein auf. Dabei kam ihm zugute, dass dieser als seine (nicht stimmberechtigten) Beobachter in den Sitzungen des Hauptausschusses drei Abgeordnete delegierte, die selbst Professoren waren, nämlich den sozialdemokratischen Juristen Gustav Radbruch, den deutschnationalen Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch sowie den dem Zentrum angehörenden Prälaten und Kirchenhistoriker Georg Schreiber. Radbruch erwies sich aus Sicht Schmidt-Otts als unangenehm widerspruchsfreudig; mit Hoetzsch dagegen teilte Schmidt-Ott nicht nur seine politischen Neigungen (in seinen Lebenserinnerungen bekannte er, zwar nie der DNVP beigetreten, seit Anfang 1919 aber „im ganzen ihren Spuren“ gefolgt zu sein)37, sondern hatte mit ihm bereits mehrfach in wissenschaftspolitischen Fragen kooperiert; gemeinsam führten sie seit Anfang 1920 die Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas. Georg Schreiber, als Mitglied des Fraktionsvorstandes der Zentrumspartei und als deren kulturpolitischer Sprecher im Reichstag zwischen 1920 und 1932 die Schlüsselfigur der Wissenschaftspolitik, hatte Schmidt-Ott Anfang 1920 noch ferngestanden und sich zunächst für direkte Kontrollrechte des Parlamentes bei der Verteilung von Reichsmitteln für die Forschungsförderung eingesetzt. Doch Schmidt-Ott gelang es Schreiber mit Mitteln zu gewinnen, die einen unverkennbar korrumpierenden Zug hatten; die beiden vereinbarten nicht nur eine regelmäßige Unterstützung der katholischen Görres-Gesellschaft 35 36 37
Vermerk der Akademie vom 26.10.1922, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 27. Ministerium wie Akademie bekräftigten ihre jeweilige Position 1924 noch einmal, vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 25. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 166.
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durch die Notgemeinschaft, sondern Schmidt-Ott stellte Schreiber auch noch über Jahre eine Sekretärin der Notgemeinschaft für sein Büro zur Verfügung.38 Zudem vermochte der erfahrene Wissenschaftspolitiker Schmidt-Ott dem 1920 erstmals in den Reichstag gewählten Schreiber aufgrund seines Netzwerkes Hintergrundinformationen zur Verfügung zu stellen, mit denen der Prälat seine politischen Interessen verfolgen konnte. Diese politische Landschaftspflege zahlte sich unmittelbar aus; im Reichstag sorgte Schreiber als Berichterstatter des Haushaltsausschusses für Wissenschaftsausgaben regelmäßig für eine reibungslose Bewilligung der Wünsche der Notgemeinschaft. Auf Schreibers Einfluss dürfte es auch zurückzuführen sein, dass bei den alljährlichen Etatberatungen nicht (wie bei anderen Untertiteln) der zuständige Ministerialbeamte Max Donnevert die Zuweisungen für KWG und Notgemeinschaft begründete, sondern die Repräsentanten der begünstigten Institutionen, Adolf von Harnack und Friedrich Schmidt-Ott, selbst.39 Im Reichstag trafen die Wünsche der Notgemeinschaft ohnehin bis 1929 kaum auf Widerspruch; zumeist plädierte eine breite Koalition von den Deutschnationalen bis hin zur kommunistischen Fraktion für deren Unterstützung.40 Dass Schmidt-Ott in der Lage war, den Informationsfluss innerhalb der Notgemeinschaft zu kontrollieren und sich ein faktisches Entscheidungsmonopol über die Verteilung ihrer Ressourcen zu sichern, beruhte also auf seinen Beziehungsnetzwerken und der seinen Bestrebungen entgegenkommenden Neigung der professoralen Gremienmitglieder, Verwaltungsaufgaben sowie die notwendigen Kontakte mit der ungeliebten Republik an einen ihnen vertrauten Fachmann zu delegieren. Daneben verfügte er über einen Verwaltungsapparat, der ihm treu ergeben war. Ab Ende 1920 baute Schmidt-Ott eine Geschäftsstelle auf, die zunächst in der Berliner Staatsbibliothek, seit 1922 dann (wie die Geschäftsstelle der KWG) im Berliner Schloss untergebracht war. Neben Sekretärinnen, Buchhaltern und Büroangestellten bildeten zwischen neun und elf wissenschaftliche Referenten den Kern des Apparates.41 Es handelte sich ausnahmslos um promovierte, teilweise sogar habilitierte Wissenschaftler aus einem breiten disziplinären Spektrum von den Rechtswissenschaften bis zur Chemie, die jeweils separate Aufgabenfelder in direktem Kontakt mit Schmidt-Ott bearbeiteten. Bemerkenswerterweise nutzte der Präsident auch die Besetzung der Referentenstellen zum Ausbau und zur Festigung seiner Netzwerke: Der für Stipendien zuständige Referent, der Historiker Max Horst, war ein Vertrauter Schreibers, der die Auslandsbeziehungen der Notgemeinschaft pflegende Historiker August Wilhelm Fehling arbeitete zugleich bis 1936 drei Tage pro Woche (von der Notgemeinschaft freigestellt) für die Rockefeller Foundation. Ein besonderer „Coup“ gelang Schmidt-Ott, als er 38 39 40 41
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 21 f. und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 97 ff. Vgl. Brocke, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Republik, S. 289 f. Vgl. Schroeder-Gudehus, Argument, S. 555 f. und Marsch, Notgemeinschaft, S. 123–127 sowie Verhandlungen Reichstag, Band 357, Sp. 9003–9033. Vgl. Schmidt-Ott, Werden, S. 28 f., Zierold, Forschungsförderung, S. 42–46 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 204 ff.
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im Jahr 1928 auf Anraten Habers den Geheimrat Viktor Schwoerer zu seinem Stellvertreter in der Leitung der Geschäftsstelle berief. Bis dahin hatte Schwoerer die Hochschulabteilung im badischen Kultusministerium geleitet. Mit dem bereits 63 Jahre alten Geheimrat hatte Schmidt-Ott nicht nur einen Verwaltungsfachmann gewonnen, der in der Folge die wachsenden Finanzprobleme der Notgemeinschaft zu lindern vermochte, sondern auch die bis dahin gegenüber der Notgemeinschaft und ihrem Präsidenten kritische Kultusbürokratie der süddeutschen Länder ruhiggestellt.42 Zusammenfassend kann man feststellen, dass es Schmidt-Ott aufgrund seiner Verwaltungs- und Netzwerkerfahrung rasch gelang, in der Notgemeinschaft eine beherrschende Stellung zu erlangen. Er kontrollierte rigide den Informationsfluss und die Entscheidungsprozesse und war damit in der Lage, die Ausbildung relevanter Gegengewichte oder gar eine Entwicklung der Notgemeinschaft zu einer Gremiendemokratie zu verhindern. Der schärfste Kritiker des Präsidenten innerhalb der Notgemeinschaft, Fritz Haber, charakterisierte dessen Führungsstil im Juni 1929 als „wohlmeinende Autokratie“,43 und Habers Biographin Margit Szöllösi-Janze hat dieses Urteil in der Formel fortgeführt: „Die Notgemeinschaft war Schmidt-Ott.“44 Er selbst mag dies zumindest am Ende seines Lebens ebenfalls so gesehen haben; in seinen 1952 publizierten Lebenserinnerungen beschrieb er jedenfalls die Entscheidungen der Notgemeinschaft durchgängig in der ersten Person Singular. Dennoch geht eine solche Deutung insofern fehl, als sie den Blick dafür verstellt, dass Schmidt-Ott auf der Basis eines soliden Konsenses „seiner“ professoralen Klientel in Grundsatzfragen agierte und sie in ihren Augen eher ideal repräsentierte, als beherrschte. Vor allem ersparte er ihr mit seinem Führungsstil sowohl die Praktizierung von Demokratie, als auch direkte Kontakte mit dem republikanischen Staat. Der zeitweilige Vorsitzende des Hauptausschusses, Friedrich von Müller, brachte es auf den Punkt: Die zentrale Leistung Schmidt-Otts seien dessen Verhandlungen mit den „Parteien des Parlamentes“ gewesen, in deren Verlauf er „Konzessionen“ habe machen müssen, „welche seinem engeren Kreise nicht ganz sympathisch waren“, die er aber stellvertretend für diesen „Kreis“ auf sich genommen habe.45 Brigitte Schroeder-Gudehus hat überhaupt die Schaffung von Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft nach 1918 interpretiert als „a politically unobtrusive way of avoiding intimate connection with a ‚system‘ which the majority of politically conservative academics abhorred“.46 SchmidtOtt war insofern der ideale Repräsentant seiner Klientel, der durch ostentative Bekenntnisse zur Monarchie zudem jeden Verdacht ausräumte, er selbst werde durch den Kontakt mit Demokraten zum Republikaner. Dass er mitten in der Aufbauarbeit der Notgemeinschaft im Juni 1921 die Zeit fand, Wilhelm II. in 42 43 44 45 46
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 28 und 45. Brief Habers an Schmidt-Ott und Harnack vom 25.6.1929, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 126. Szöllösi-Janze, Haber, S. 542. Müller, Lebenserinnerungen, S. 220. Schroeder-Gudehus, Argument, S. 570.
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dessen holländischem Exil in Doorn zu besuchen – und zwar in der feldgrauen Hauptmannsuniform, die er bei Kriegsbeginn 1914 für einige Wochen getragen hatte – kann in diesem Zusammenhang nicht nur als Folge seiner Anhänglichkeit an den Monarchen, sondern auch als symbolischer Akt gegenüber seiner Klientel gedeutet werden.47 Zudem gingen Schmidt-Otts autokratisch wirkenden Entscheidungen häufig informelle Verhandlungen voraus, in deren Verlauf er den Konsens mit Fachgutachtern, mächtigen Einzelakteuren aus der Notgemeinschaft und anderen wissenschaftlichen Institutionen, Ministerialbeamten, Geldgebern aus der Wirtschaft etc. suchte. Schmidt-Ott, so hat es 1959 Erich Wende, der frühere persönliche Referent des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker, formuliert, ging „behutsam (…) die Wege möglichsten Einvernehmens mit möglichst vielen“.48 Er spannte nicht nur die Mitglieder seines weit gestreuten Netzwerkes für seine Ziele ein, sondern er musste hierfür auch Gegenleistungen bieten. Insofern agierte Schmidt-Ott innerhalb der Notgemeinschaft eher als deren mächtiger Patron, denn als Autokrat, und die Notgemeinschaft insgesamt war eher auf Strukturen der Patronage und Klientelverhältnisse aufgebaut, statt auf demokratischer Selbstverwaltung oder diktatorischer Herrschaft. DIE FACHAUSSCHÜSSE: INTEGRATION UND LEGITIMATION DURCH PEER REVIEW Obwohl die letzte Entscheidung über alle Förderanträge beim Präsidenten lag und mitunter – aber offenbar nicht allzu häufig – auch anders ausfallen konnte, als vom jeweiligen Fachausschuss empfohlen, legte Friedrich Schmidt-Ott Wert auf die Behauptung, „das Schwergewicht der Notgemeinschaft“ liege „in der ehrenamtlichen Arbeit“ der den Ausschüssen „angehörenden ausgezeichneten Gelehrten“.49 In seinen Augen war erstens die Expertise der Fachgutachter eine unverzichtbare Entscheidungsgrundlage für ihn selbst als verantwortlich agierenden Wissenschaftsmanager, zweitens erfüllte sie eine wesentliche Funktion für die Legitimierung der getroffenen Entscheidungen nach außen, und drittens dienten die Fachausschüsse dazu, ein möglichst breites Spektrum deutscher Wissenschaftler über von ihnen anerkannte Repräsentanten in die Notgemeinschaftsklientel zu integrieren. Im Folgenden sollen daher vor allem diese Legitimations- und Integrationsfunktionen der Fachausschüsse im Mittelpunkt der Analyse stehen, bevor wir nach den allgemeinen Kriterien ihrer Empfehlungen und damit sowohl nach den fächerübergreifenden Tendenzen ihrer Einflussnahme auf die Förderpolitik, als auch nach den in ihnen erkennbar werdenden Wertideen und Selbstbeschreibungen der in der Notgemeinschaft beheimateten Wissenschaft fragen. Als Übergangslösung bis zur Wahl der Ausschüsse beschloss die Gründungsversammlung am 30. Oktober 1920, Fachausschüsse aufgrund von Vorschlags47 48 49
Vgl. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 189. Wende, Becker, S. 60. Schmidt-Ott, Notgemeinschaft, S. 604.
Die Fachausschüsse: Integration und Legitimation durch Peer Review
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listen zu bilden, die vom Hochschulverband, den Akademien und der KaiserWilhelm-Gesellschaft erstellt werden sollten. Der Hochschulverband nominierte beispielsweise Anfang 1921 die Mitglieder der Ausschüsse für Medizin, Bauingenieurwesen, Anthropologie, Land- und Forstwissenschaft sowie Bergbau- und Hüttenwesen, während die Bayerische Akademie die Ausschüsse für Biologie sowie Geschichte und die Preußische Akademie die Ausschüsse für Staatswissenschaften sowie Alte und Orientalische Philologie benannte.50 Umstritten war lediglich der Fachausschuss für Physik, der von der Göttinger Wissenschaftsakademie nominiert wurde. Der Nobelpreisträger, Einstein-Gegner und passionierte Antisemit Johannes Stark protestierte Mitte Dezember 1920 bei Schmidt-Ott dagegen, dass der Fachausschuss einseitig zugunsten einer „jüdischen, mathematisch ausgerichteten Gruppe“ besetzt worden sei.51 In den Monaten zuvor hatte Stark auf verschiedenen Tagungen gegen die Notgemeinschaft polemisiert, weil er sie für eine „prosemitische Gründung“ hielt.52 In seinem Bestreben, auch den Narrensaum der etablierten Wissenschaft in die Notgemeinschaft zu integrieren, bot Schmidt-Ott Ende Januar 1921 im Einvernehmen mit der Göttinger Akademie Stark an, er könne selbst in den Fachausschuss eintreten, was dieser auch tat.53 Bei der Wahl ein Jahr später hatte Stark aber keine Chance, zu solide war die Hegemonie der modernen theoretischen Physik, und zu sehr hatte sich Stark durch seinen exaltierten Radikalismus isoliert. Seine Physikalische Fachgemeinschaft wurde vor den Wahlen noch nicht einmal gebeten, Kandidatenvorschläge einzureichen, in den folgenden Jahren bemühten sich Physiker seiner Fraktion erfolgreich um Förderungen durch die Helmholtz-Gesellschaft und spielten im Kontext der Notgemeinschaft kaum noch eine Rolle.54 Bei der Wahl der Fachausschüsse Anfang 1922 galt ein Wahlrecht aller habilitierten Hochschulangehörigen, das heißt außerordentliche sowie Honorarprofessoren und Privatdozenten durften ebenso wählen wie die Ordinarien; hinzu kamen die Mitglieder der Wissenschaftsakademien, Direktoren und wissenschaftlichen Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Institute sowie solche „Persönlichkeiten, denen als anerkannten Forschern seitens des Präsidiums und des Hauptausschusses das Wahlrecht“ verliehen wurde.55 Das im Kaiserreich ungefährdete, nach der Revolution aber ins Wanken geratene Machtmonopol der Ordinarien hatte man an dieser Stelle somit aufgebrochen, die Partizipationsrechte waren stattdessen an eine positive Reputation unter den Fachkollegen gebunden worden. Als deren Gewähr galt in erster Linie die Habilitation, daneben waren aber auch schon in der Vergangenheit erfolgte Kooptationen in elitäre Wissenschaftsinstitutionen von Belang (wobei auch die wahlberechtigten Akademie- und KWG50 51 52 53 54 55
Vgl. das Schreiben Schmidt-Otts an den Berliner Mediziner Bier vom 31.1.1921, in: BArch, R 73/119, fol. 69. Schreiben Starks an Schmidt-Ott vom 15.12.1920, in: ebenda, fol. 223R. So im Rückblick Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 180. Vgl. Forman, Support, S. 58 f., 61 ff. und 65. Vgl. den Briefwechsel Schmidt-Otts mit dem Göttinger Physiker Runge und Stark zwischen dem 25.1 und 9.2.1921, in: BArch, R 73/119, fol. 155 ff. und BArch, R 73/120, fol. 120. Vgl. Forman, Support, S. 62 und 65 f. Vgl. Bericht 1922, S. 8.
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Mitglieder in aller Regel habilitiert waren). Schließlich zählte die auf den Vorschlägen von Fachgesellschaften basierende Akkreditierung wissenschaftlichen Ansehens. Unter den insgesamt 6.747 im Jahr 1922 Wahlberechtigten entfielen immerhin knapp 1.000 Wähler auf die Kategorie der „anerkannten Forscher“ (über 5.400 waren habilitierte Hochschulangehörige, knapp 300 entfielen auf KWG und Akademien).56 Schmidt-Ott begründete die Öffnung gegenüber den Nichtordinarien, die zuvor in der Notgemeinschaft praktisch keine Rolle gespielt hatten, damit, es gehe nun darum, deren Arbeit „auf eine möglichst breite Basis zu stellen“.57 Eine Wahlbeteiligung von gut 53 Prozent konnte somit zwar nicht gerade als ein beeindruckendes, aber doch als ein zur Legitimation der neuen Gremien wie der Notgemeinschaft insgesamt hinreichendes Ergebnis gelten. Unter den gewählten Fachausschussmitgliedern dominierten die Ordinarien eindeutig. Karin Orth hat ermittelt, dass unter den insgesamt 258 zwischen 1920 und 1933 in den Fachausschüssen tätigen Wissenschaftlern lediglich 14 Männer (Frauen fehlten in den Ausschüssen wie überhaupt in allen DFG-Gremien der Weimarer Republik gänzlich) waren, die keinen Lehrstuhl bekleideten.58 Dies mag zum einen an der innerfachlichen Reputation der gewählten Ordinarien gelegen haben, zum anderen aber sorgte auch das vom Präsidium und vom Hauptausschuss beschlossene Wahlverfahren dafür, dass die von ihm favorisierten Ordinarien reifer Jahrgänge die Oberhand behielten. Der Wahlzettel listete nämlich 1922 einerseits für jedes Fach die amtierenden Fachausschussmitglieder auf und präsentierte andererseits einen Wahlvorschlag von Präsidium und Hauptausschuss, der nur so viele Kandidaten benannte, wie Mandate zu vergeben waren. Dabei waren beide Gremien zwar von Nominierungen seitens der Fachgesellschaften ausgegangen, hatten aber ihrerseits eine Auswahl aufgrund wissenschaftspolitischer Erwägungen getroffen. So hatte beispieslweise die Deutsche Gesellschaft für technische Physik als Mitglied des Fachausschusses Physik für den Bereich Experimentalphysik den Heidelberger Nobelpreisträger und polemischen Einstein-Gegner Philipp Lenard vorgeschlagen, die Notgemeinschaftsspitze nominierte aber dessen Jenaer Kollegen Max Wien (der dann auch gewählt wurde).59 Zwar konnten die Stimmberechtigten, die jeweils in einem von ihnen gewählten Fachgebiet wählen durften, theoretisch handschriftlich weitere Namen hinzufügen und wählen. Aber da die Hochschulen, Akademien und Institute die Wahlunterlagen erst am 20. Februar 1922 erhielten, die Wahl aber schon am 28. Februar endete, war – wie das Konzil der Greifswalder Universität kri56 57
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Vgl. die Aufstellung von Anfang 1922 in: BArch, R 73/123, fol. 22 f. und Orth, NS-Vertreibung, S. 56. Schreiben Schmidt-Otts an die Vorsitzenden der Fachausschüsse vom 14.11.1921, in: BArch, R 73/122, fol. 6. Georg Schreiber nutzte das Wahlverfahren 1923 als Argument in der Werbung für die Notgemeinschaft: es stelle einen „gesunden Zug“ dar, dass „zur Wahl der Fachausschußmitglieder auch die Privatdozenten und Nichtordinarien herangezogen“ worden seien, Schreiber, Not, S. 91 Orth, NS-Vertreibung, S. 47. Vgl. das Schreiben der Deutschen Gesellschaft für technische Physik an Schmidt-Ott vom 14.1.22, in: BArch, R 73/123, fol. 53.
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tisierte – „die Frist viel zu kurz angesetzt (…), um eine Verständigung mit auswärtigen Universitäten und Fakultäten herbeizuführen“. Damit konnten auch keine Gegenkandidaten zu den Favoriten der Notgemeinschaftsspitze aufgebaut werden. Daher, so monierte der Greifswalder Rektor, sei der offiziell Nominierte „mit größter Wahrscheinlichkeit von vornherein als gewählt zu betrachten“. Die Greifswalder Forderung, dass die Wahl innerhalb eines Jahres wiederholt werden müsse und künftig „für jeden Fachausschuß mehrere Vertreter zur Auswahl vorgeschlagen“ werden sollten,60 konterte Schmidt-Ott mit der bis heute in akademischen Selbstverwaltungsgremien übliche Entschuldigung, man habe unter Zeitdruck handeln müssen.61 Dies konnte aber nicht überdecken, dass die Führungsspitze der Notgemeinschaft bestenfalls eine gelenkte Demokratie zugelassen hatte. Der Berliner Altertumswissenschaftler Eduard Meyer, Mitglied der die Wahl organisierenden Kommission, hatte schon Ende Oktober 1921 gegenüber Kollegen gespottet, dass die Abstimmung „wie so viele glorreiche Erfindungen der Demokratie auf eine Farce hinauskommen“ werde.62 Nach Ablauf der satzungsgemäß auf zwei Jahre begrenzten Amtszeit der Fachausschüsse hätten diese regulär zu Beginn des Jahres 1924 neu gewählt werden müssen. Präsidium und Hauptausschuss beschlossen jedoch im März 1924, keine Neuwahlen auszuschreiben und bekräftigten diese Entscheidung im Januar 1925: Statt der „ebenso kostspieligen wie zeitraubenden allgemeinen Wahlen“ solle das Präsidium bei Vakanz von Mandaten in den Fachausschüssen Vorschläge der Fachgesellschaften einholen und der Mitgliederversammlung zur Beschlussfassung vorlegen.63 De facto aber besetzte das Präsidium der Notgemeinschaft frei werdende Mandate nach Rücksprache mit den jeweils einschlägigen Verbänden selbst.64 Die Mitgliederversammlung ihrerseits verlängerte die Wahlperiode der 1922 gewählten Fachausschüsse im März 1926 um weitere zwei Jahre. Im Vorfeld der damit 1928 fällig werdenden Neuwahlen stellte die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft Ende 1927 eine Umfrage bei den Mitgliedsinstitutionen an, von der man sich offensichtlich ein Meinungsbild zugunsten eines erneuten Wahlverzichts erhoffte. Das Ergebnis war freilich ambivalent. Der Senat der Universität Gießen lehnte eine Neuwahl tatsächlich ebenso ab wie eine Verjüngung der Fachausschüsse: Auf „ältere bewährte Forscher“ müsse „der Gedanke“, von jüngeren Kollegen begutachtet zu werden, geradezu „peinlich wirken“. Daher könne man die Ausschüsse höchstens bei Bedarf und im Einzelfall durch „besonders 60 61 62 63 64
Schreiben des Greifswalder Rektors an die Notgemeinschaft vom 2.3.1922, in: BArch, R 73/122, fol. 205. Vgl. Schmidt-Otts Schreiben an den Greifswalder Rektor vom 5.4.1922 in: ebenda, fol. 152. So Meyer in einem Bericht an seinen Fachausschuss vom 25.10.1921, zit. nach Unte, Meyer, S. 528. Protokoll der Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 9.1.1925, in: BArch, R 73/89, fol. 11. Vgl. das Protokoll der Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 17.3.1924, in: BArch, R 73/88, fol. 9. Vgl. das Schreiben Schmidt-Otts an die Mitglieder des Hauptausschusses vom 1.10.1925 und an den von ihm zum Mitglied des Fachausschusses Völkerkunde ernannten Eugen Fischer vom 24.10.1925, in: BArch, R 73/120, fol. 47 f.
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bewährte Forscher des mittleren Alters“ ergänzen.65 Die Marburger Universitätsleitung plädierte für Neuwahlen, zeigte sich aber zugleich überzeugt, dass die amtierenden Ausschussmitglieder wiedergewählt werden würden. Die mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse der Münchner Akademie bildete schließlich den radikalen Flügel der Notgemeinschaft, indem sie nicht nur eine Neuwahl der Fachausschüsse, sondern auch deren systematische Verjüngung wünschte.66 Nachdem Schmidt-Ott zunächst versucht hatte, das ihm unangenehme Thema weiter zu verschleppen, befassten sich Präsidium und Hauptausschuss in einer gemeinsamen Sitzung am 14. Juli 1928 in einer mehrstündigen kontroversen Debatte – allein dies schon ein für diese Gremien außergewöhnlicher Vorgang – mit der Neuwahlfrage. Während der Präsident eine „Neuwahl im demokratischen Verfahren“ als „sehr schwierig und kostspielig“ ablehnte, sah Haber ein Legitimationsdefizit der bisherigen Praxis, Neuwahlen durch Beschlüsse hierzu gar nicht berechtigter Gremien immer wieder aufzuschieben: „Es fehle die positive Äußerung der Fachgenossen darüber, ob sie einverstanden sind, daß die Vertretung in den Fachausschüssen immer in den gleichen Händen liegt.“67 Schmidt-Ott musste feststellen, dass im Gegensatz zur Vergangenheit in dieser Sitzung seine wichtigsten Partner auf Seiten von Politik und Ministerialbürokratie, der Zentrumsabgeordnete Georg Schreiber sowie der im Reichsinnenministerium seit 1921 das Sachgebiet Forschungsförderung bearbeitende Ministerialrat Max Donnevert, Habers Partei ergriffen. Den Hintergrund dürfte der Umschwung gebildet haben, den die Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 gebracht hatten. Aufgrund massiver Gewinne der SPD und deutlicher Verluste aller bürgerlichen Parteien war am 28. Juni eine Koalition unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller gebildet worden, die von der rechtsliberalen DVP über Schreibers Zentrum bis zur SPD reichte. Das Reichsinnenministerium hatte mit Carl Severing zum ersten Mal seit November 1923 wieder ein Sozialdemokrat übernommen. Dessen Vertreter Donnevert erklärte nun, eine „ewige Verlängerung des Mandats der Fachausschüsse“ sei unmöglich, da sie „von der breiten Masse der Fachgenossen“ geradezu „abfällig beurteilt werde.“68 Etwas verschlüsselt verwies Donnevert darauf, dass sich durch die neue Koalition die politischen Rahmenbedingungen verändert hätten: Sein Plädoyer für die Neuwahl der Fachausschüsse, so erklärte er, sei „nur aus politischem Gefühl heraus“ erfolgt und solle es Schmidt-Ott ermöglichen, „allem etwa aufkommenden Mißtrauen zu begegnen“.69 So musste sich Schmidt-Ott fügen; am 1. Dezember 1928 beschloss die Mitgliederversammlung die Neuwahl der Fachausschüsse mit einer auf vier Jahre ver65 66 67 68 69
So der Gießener Senat im Schreiben an Schmidt-Ott vom 7.12.1927, in: BArch, R 73/125, fol. 43R. Vgl. die Zusammenfassung der Antworten auf die Rundfrage der Geschäftsstelle vom 21.11.1927, in: ebenda, fol. 20 f. Protokoll der Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 14.7.1928, in: BArch, R 73/93, fol. 1–16, hier fol. 4 und 7. Vermerk Donneverts über die Sitzung vom 17.7.1928, in: ebenda, fol. 29–32, hier fol. 30. Protokoll der Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 14. Juli 1928, in: ebenda, hier fol. 9.
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längerten Amtszeit; die Wahl selbst fand Ende Februar 1929 statt. Diesmal machten Präsidium und Hauptausschuss zwar keine expliziten Wahlvorschläge, gaben den 7.344 Wahlberechtigten jedoch Listen der bisherigen Fachausschussmitglieder an die Hand – „sonst“, so hatte der Münchner Altertumswissenschaftler Eduard Schwartz im Hauptausschuss gewarnt, werde unter den demokratieungewohnten Akademikern „ein Tohuwabohu entstehen“.70 Anstoß an diesem Procedere scheint nur der Göttinger Jurist Fritz Pringsheim genommen zu haben, der am 5. Februar 1929 gegenüber seinem Rektor klagte: „Wir sind gezwungen, wenn wir nicht leere Proteste einlegen wollen, einfach die bisherigen Fachausschüsse wiederzuwählen; die beiliegende Zusammenstellung der bisherigen Fachausschüsse dient also in Wirklichkeit nicht nur als Anhalt, und die Wahl ist in Wahrheit keineswegs völlig frei.“71 Dank der Fürsorge der Leitungsgremien fiel die personelle Erneuerung bescheiden aus: Unter den 137 Gewählten fanden sich (verglichen mit 1922) lediglich 33 Neulinge, und ein Großteil von diesen war nur deshalb in die Ausschüsse gelangt, weil die Zahl der Mitglieder einiger Ausschüsse erhöht worden war, um die wachsende Spezialisierung ihrer Disziplinen abzubilden.72 Der Berliner Professor Ludwig Bieberbach, Vorsitzender des Fachausschusses Mathematik, glaubte denn auch feststellen zu können, dass sich die Wähler an den ihnen vorgelegten Listen orientiert hätten: „Es ist fast überall so gewesen, daß die nicht auf bisherige Fachausschussmitglieder entfallenen Stimmen zersplittert waren.“73 Auch von einer Verjüngung der Ausschüsse konnte nicht die Rede sein, sank doch deren Durchschnittsalter von 59 Jahren (1928) nur auf 58 Jahre (1930). Im Januar 1930 war das jüngste Mitglied eines Fachausschusses 41, das älteste dagegen 78 Jahre alt.74 Ein Blick auf die Stimmergebnisse für die einzelnen Ausschüsse zeigt, dass sich die Fachgebiete im Jahr 1929 in sehr unterschiedlichem Maße auf jeweils einen Repräsentanten verständigen konnten.75 So vereinigte der Hamburger Völkerrechtler Albrecht Mendelsohn-Bartholdy 109 von 127 in seinem Fachgebiet abgegebenen Stimmen auf sich, der Berliner Historiker Albert Brackmann wurde mit der Zustimmung durch 97 von 104 Fachkollegen gewählt, und der Freiburger Volkskundler John Meier gewann 19 von 20 Stimmen seines Gebietes. Der Berliner Bakteriologe Martin Hahn hatte dagegen nur die Zustimmung von 24 seiner 70 71 72
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Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 16.2.1929, in: BArch, R 73/95, fol. 13. Zit. nach Richter, Forschungsförderung, S. 19. Vgl. die Auflistung der 1928 amtierenden Fachausschussmitglieder in: Bericht 1928, S. 188– 195 und die Aufschlüsselung des Wahlergebnisses, die Schmidt-Ott am 26.3.1929 an die Hauptausschussmitglieder versandte, in: BArch, R 73/128, fol. 20–27 sowie die Protokolle der Hauptausschusssitzungen vom 20.4. und 19.10.1929, in: BArch, R 73/96, fol. 5 und BArch, R 73/97, fol. 14. Schmidt-Ott konstatierte 1930 zufrieden: „Fast für alle Fächer wurden die früheren Vertreter wiedergewählt“, Schmidt-Ott, Werden, S. 39. Schreiben Bieberbachs an das Mitglied seines Fachausschusses Hecke vom 28.4.1929, in: BArch, R 73/129, fol. 192. Vgl. Richter, Forschungsförderung, S. 19 und eigene Berechnung anhand der Aufstellung der 1929 Gewählten in: BArch, R 73/128, fol. 20–27. Vgl. dieselbe Liste, in: BArch, R 73/128, fol. 20–27.
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72 abstimmenden Fachkollegen erhalten, was aufgrund der Aufsplitterung der übrigen Stimmen auf mehrere Kandidaten aber reichte. Der Bonner Soziologe Joseph Schumpeter wurde ebenfalls mit relativer Mehrheit in den Fachausschuss Staatswissenschaften gewählt, erhielt aber nur elf der 80 von Nationalökonomen und Soziologen abgegebenen Stimmen. Dass der Nobelpreisträger Richard Willstätter nur 55 der 88 im Bereich der organischen Chemie abgegebenen Stimmen erhalten hatte, dürfte kaum mit mangelndem wissenschaftlichem Prestige zu erklären sein; vermutlich hatte eine relevante Minderheit der Wähler ihm nicht verziehen, dass er öffentlich gegen den an der Münchner Universität grassierenden Antisemitismus gekämpft hatte.76 In der Summe deuten diese Stimmergebnisse darauf hin, dass die Wählerschaft der Notgemeinschaft im gleichen Maße disziplinär, aber wohl auch politisch fragmentiert war, wie die deutsche Akademikerschaft des Jahres 1929 insgesamt. Dies bedeutet dann aber auch, dass es der Notgemeinschaft gelungen war, sich als Repräsentantin des gesamten Spektrums der Wissenschaft zu etablieren. In dieselbe Richtung weist die gegenüber 1922 gestiegene Wahlbeteiligung von 61,3 Prozent: Die Notgemeinschaft hatte sich inzwischen im Bewusstsein ihrer Klientel als Interessenvertretung und Ressourcenquelle etabliert.77 Auch in Bezug auf die Länder und Regionen war der Notgemeinschaft die Integration der Wissenschaft gelungen. Von den 131 im Jahr 1930 amtierenden Fachausschussmitgliedern arbeiteten 35 in Berlin und weitere 30 an anderen preußischen Hochschulstandorten; angesichts der Größe Preußens und der Bedeutung der Berliner Universität, Akademie und Kaiser-Wilhelm-Institute kann man schwerlich von einem unangemessenen Gewicht der Standorte Berlin bzw. Preußen sprechen. Immerhin 23 Fachgutachter kamen aus Bayern, 15 aus Sachsen und 13 aus Baden. An der Spitze der Ausschüsse standen zumeist Ordinarien, die durch eine Fülle weiterer Funktionen als tonangebende Manager ihres Forschungsfeldes ausgewiesen waren. Der dem Fachausschuss für alte und orientalische Philologien sowie Archäologie vorstehende Eduard Meyer beispielsweise bekleidete nicht nur den Posten eines Vorsitzenden der orientalischen Kommission der preußischen Akademie, sondern saß zudem in der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Institutes und im Vorstand der Deutschen Orient-Gesellschaft, die seit dem Kaiserreich die Feldforschung im Nahen Osten dominierte. Eine Akzeptanz der Notgemeinschaft als Repräsentanz der Wissenschaft kann man des Weiteren daran ablesen, dass die Vertreter von Fächern, die sich gerade im Prozess der Disziplingenese und institutionellen Etablierung befanden, von der Notgemeinschaft regelmäßig die Berücksichtigung ihrer Forschungsfelder zunächst als Sonderbereiche etablierter Fachausschüsse, dann als eigene Fachausschüsse verlangten.78 Die Notgemeinschaft war am Ende der 1920er Jahre nicht nur als Geldquelle attraktiv, sondern auch als Akkreditierungsagentur seri76 77 78
Vgl. Willstätter, Leben, S. 342–351. Zur Wahlbeteiligung vgl. das Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 20.4.1929, in: BArch, R 73/96, fol. 5. Vgl. die Auseinandersetzungen um die Einrichtung eigener Fachausschüsse für Soziologie und Betriebswirtschaftslehre zwischen 1929 und 1931, in: BArch, R 73/130, fol. 294–343.
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öser Forschung etabliert. Ihre Gremien agierten auf diesem Feld ausgesprochen restriktiv. Die Notgemeinschaft, so befand ihr Hauptausschussmitglied, der Kölner Nationalökonom Bruno Kuske 1931, sei „mit verantwortlich dafür, daß sich das System der deutschen Wissenschaft in geordneten Formen gestaltet“. Daher lehnte Kuske – und mit ihm der Hauptausschuss – den Wunsch aus der Betriebswirtschaftslehre ab, als eigene Disziplin anerkannt zu werden: Dieses Fach wirke „noch nicht reif “, es behandele nur wenige relevante Forschungsfragen, die zudem „wissenschaftlich ziemlich einfach“, sprich: niveauarm seien.79 Der Freiburger Nationalökonom Karl Diehl, Vorsitzender des Fachausschusses Staatswissenschaften, klassifizierte gar noch 1932 die Soziologie als „ein Sammelsurium (…), bei dem sich Dilettanten aller Art zusammenfinden. Es fehlt eben die strenge Zucht und Methode einer Wissenschaft mit besonderen Problemen.“80 Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Gremienmitglieder der Notgemeinschaft im eigenen Verständnis als jener Zirkel der deutschen Wissenschaft etabliert, der befähigt sowie befugt war, das Niveau wissenschaftlicher Tätigkeiten verbindlich zu bewerten und dabei „reife“, durch „Zucht und Methode“ definierte Forschung bzw. Forscher von minder seriöser Wissenschaft zu unterscheiden. WERTIDEEN UND BEGUTACHTUNGSKRITERIEN: DIE KONSTITUTIVEN ELEMENTE SERIÖSER WISSENSCHAFT AUS SICHT DER NOTGEMEINSCHAFT Als Schmidt-Ott, Haber, Harnack und andere im Jahr 1920 ihrem eingetragenen Verein den Namen Notgemeinschaft gaben, war der Begriff der „Gemeinschaft“ gerade auf dem Weg, eine der zentralen, normativ aufgeladenen Formeln der politischen Sprache zu werden. Die 15. Auflage des Großen Brockhaus fasste zehn Jahre später die Bedeutung dieses Terminus so zusammen: Eine „Gemeinschaft“ sei „eine Gruppe von Menschen, die sich durch die Gemeinsamkeit des Denkens, Fühlens und Wollens im Sein und Verhalten eins fühlt. (…) Die Gemeinschaft gilt als natürlich und organisch gewachsen. In ihr herrscht die gemeinsam verbindende Gesinnung und nicht der Kampf um Interessen.“81 In den öffentlichen Äußerungen wie in den Gremienprotokollen und Hauptausschusslisten der Notgemeinschaft aus den 1920er und frühen 1930er Jahren spiegelt sich genau dieses Selbstverständnis der eigenen Organisation. Die Selbstbezeichnung als Notgemeinschaft war insofern nicht zufällig und regulierte zudem die sozialen Praktiken von Inklusion und Exklusion: Wer zu dieser Gemeinschaft gehören wollte, musste nicht allein eine Forschungsleistung nachweisen, sondern auch eine spe79
80 81
Stellungnahme des Hauptausschussmitgliedes und Nationalökonomen Bruno Kuske vom 2.1.1931, in: ebenda, fol. 323 f. Anderthalb Jahre später bewilligte der Hauptausschuss den Betriebswirten einen eigenen Fachgutachter innerhalb des Ausschusses für Staatswissenschaften, vgl. das Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 10.10.1932, in: BArch, R 73/105, fol. 31. Diehls Schreiben an Schmidt-Ott vom 28.10.1932, in: BArch, R 73/130, fol. 294. Brockhaus, S. 133.
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zifische „Gesinnung“. In Fachgutachten wurde diese Eigenschaft mit Formeln kodiert wie jener, dass der Antragsteller nicht nur in Fragestellung und Methode überzeuge, sondern „auch persönlich (…) durchaus den Eindruck eines ernst zu nehmenden Forschers“ mache.82 Über Walter Frank, den späteren Leiter des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, gutachtete der Historiker Karl Alexander von Müller im Januar 1928, er zeige nicht nur „verantwortungsvollen wissenschaftlichen Ernst“, sondern auch einen „männlichen Charakter“, daher sei er „befähigt für große historische Aufgaben“.83 Die Notgemeinschaft konstituierte sich in der Praxis ihrer Akteure also nicht nur als Leistungs-, sondern auch als Werteelite. Die zentrale Verhaltensnorm innerhalb der Gemeinschaft bildete die Akzeptanz einer vermeintlich „natürlichen“ Ordnung qua „Gesinnung“; Entscheidungsprozesse basierten auf „organischen“ Hierarchien, nicht auf dem „Kampf um Interessen“. Da es in diesem Verständnis keine tiefen Interessendivergenzen unter den Angehörigen der Notgemeinschaft geben konnte, basierten Entscheidungen auf informeller Konsensbildung und der Autorität anerkannter Führer bzw. Patrone, nicht auf der Austragung von Konflikten oder Abstimmungen in Gremien. Jene Wertideen und Normen, deren Erfüllung aus Sicht der in den Gremien der Notgemeinschaft Aktiven die Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur in ihrer Organisation vergemeinschafteten Wissenschaft bildeten, werden in der Folge über zwei Zugänge rekonstruiert. Im ersten Schritt untersuche ich, wie die institutionelle Spitze der Notgemeinschaft, das heißt die Mitglieder des Präsidiums und des Hauptausschusses, die Werteideen und Normen ihrer Gemeinschaft beschrieb; als Quellen hierfür dienen die jährlichen Tätigkeitsberichte, Artikel und Vorträge der Akteure sowie die Gremienprotokolle. Im zweiten Schritt geht es um die Frage, inwieweit diese Werteideen und Normen die Förderpraxis beeinflussten. Anhand der Hauptausschusslisten wird analysiert, welche Kriterien die Fachgutachter während der Weimarer Republik ihren Empfehlungen, ob ein Projekt und/oder ein Antragsteller der „reifen“ Wissenschaft zugerechnet werden könne, zugrunde legten. Dabei geht es nicht um Spezifika der Fächer – also zum Beispiel nicht darum, welche Fragestellungen, Themen und theoretischen Konzepte um 1930 in der deutschen Physik als akzeptabel galten –, sondern um die als fächerübergreifend gültig behaupteten Merkmale guter bzw. schlechter Forschung. Jenes Kollektiv, für das die Funktionäre der Notgemeinschaft zu sprechen beanspruchten, wurde in den hier untersuchten Texten in erster Linie als Gemeinschaft zur Verteidigung gegenüber existentiellen Gefahren beschrieben – also zunächst eher durch die Abgrenzung gegen ein bedrohliches „Außen“ als durch eine positive Identifikation im „Inneren“. Die Notgemeinschaft, so proklamierte der erste Tätigkeitsbericht im Jahr 1922, sei ein „Selbstverwaltungskörper (…), in dem alle zur Abwehr der drohenden Gefahr geeigneten Kräfte zusammengefaßt“
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Begründung eines Reisestipendiums für den Soziologen Gunther Ipsen im Jahr 1928, zit. nach Oberkrome, Ordnung, S. 71. Zit. nach Heiber, Frank, S. 50.
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seien.84 In einem anderen Kontext war von der „geistigen Abwehr der Professorenschaft“ die Rede.85 Als Quellen der abzuwehrenden Bedrohung galten zunächst „mancherlei vielverheißende Propheten, Spiritisten und Okkultisten“, die mit ihren „unklaren Ideen (…) die Allgemeinheit“ verwirren würden. Als konkretes Beispiel für eine solche Bedrohung der Wissenschaft durch Scharlatane galt der Notgemeinschaft 1928 der sogenannte „Vitaminrummel“, nämlich die Begeisterung der Öffentlichkeit für die vermeintliche Wunderwirkung der gerade erst durch Forschung identifizierten Wirkstoffe. Die Öffentlichkeit, so kritisierte ein Bericht der Notgemeinschaft, interessiere sich vornehmlich für „unfertige und in der Anlage verfehlte“ Entwicklungsarbeiten, die kommerzielle Interessen verfolgten. Genau diese „Auswüchse“ wollte die Notgemeinschaft „konkurrenzunfähig“ machen, indem sie die „wirklich berufenen Forscher“ förderte.86 Die Notgemeinschaft sollte also die am Anfang der 1920er Jahre durchaus brüchige Solidarität akademischer Wissenschaft gegenüber konkurrierenden Anbietern von „Wissen“ wiederherstellen, um angesichts einer zunehmenden Abhängigkeit der Wissenschaft von ihrer Bewertung durch eine breite Öffentlichkeit bestehen zu können.87 Eine zweite Gefahr drohte nicht nur den Wissenschaftlern selbst, sondern zugleich ihrer Nation. Sie ging aus von anderen, über reichere materielle Ressourcen verfügende Wissenschaftsnationen, die Deutschland seine Spitzenposition in Fächern wie Physik, Chemie oder den Altertumswissenschaften streitig machten und gegenüber denen „Deutschland im wissenschaftlichen Wettkampf der Nationen bestehen“ solle.88 In dieser, auf den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, des Versailler Vertrages und der unmittelbaren Kriegsfolgen beruhenden Perspektive, waren die Schicksale der Nation und der Wissenschaftler miteinander verbunden. „Die deutsche Wissenschaft“, so erinnerte sich Schmidt-Ott im Jahr 1930 an die unmittelbare Nachkriegszeit, „wurde in den allgemeinen Zusammenbruch hineingezogen“, kämpfte aber auch ihrerseits als „Armee der Wissenschaft“ gegen die Feinde der Nation.89 Zehn Jahre zuvor hatte Haber die Notwendigkeit der Notgemeinschaft damit begründet, dass „unsere Existenz als Volk von der Aufrechterhaltung der geistigen Großmachtstellung“ abhängig sei.90 Gegenüber der geldgebenden Politik hatte diese Selbstbeschreibung den angenehmen Nebeneffekt, dass man sie im selben Atemzug zur Erfüllung ihrer Verpflichtung gegenüber „der deutschen Wissenschaft und am deutschen Volk“ ermahnen konnte.91 Die Identifikation der eigenen wissenschaftlichen Gemeinschaft mit der Nation prägte auch den Blick auf jene ausländischen Spender, die in den ersten 84 85 86 87 88 89 90 91
Bericht 1922, S. 5. So Georg Schreiber zit. nach Bericht Mitgliederversammlung 1929, S. 20. Wiederabdruck, S. 105. Bericht 1922, S. 38. Schmidt-Ott, Einführung 1928, S. 10; vgl. Bericht 1922, S. 38 f. Schmidt-Ott, Werden, S. 9 und 11. F(ritz) Haber, Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, in: BArch, R 73/11067 (in der Akte handschriftlich auf „Dez. 1920“ datiert, identisch mit dem Text eines Artikels in der Allgemeinen Zeitung vom 21.11.1920), S. 4. Schmidt-Ott, Einführung 1931, S. 6.
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Jahren für das Überleben der Notgemeinschaft entscheidend waren. Man suchte Hilfe bei „deutschfreundlichen Kreisen des Auslandes“,92 deren Spenden man als „Genugtuung“ empfand angesichts dessen, dass die deutschen Wissenschaftler wie ihre Nation nach 1914 „verlassen von jedermann, gegen die ganze Welt zu kämpfen hatten, nicht nur gegen eine Welt in Waffen, sondern vor allem auch gegen eine Welt der Lüge und Verleumdung“.93 Im Jahr 1928 stellte Eduard Meyer fest, dass es „gelungen“ sei, „den von unseren Feinden unternommenen Versuch, auch die deutsche Wissenschaft zu ersticken und zu ächten, vollständig abzuschlagen“, indem man „unbekümmert (…) unseren geraden Weg gegangen sei“.94 Aufgrund der doppelten Erfahrung des Boykotts durch die Kollegen aus den Ententestaaten weit über den Friedensschluss hinaus und des Verlustes der vor 1914 errungenen Spitzenposition in der internationalen Forschungskonkurrenz galt den Protagonisten der Notgemeinschaft das Eintreten für eine nationalistische, den Versailler Vertrag überwindende Gesinnungspolitik nicht als außerwissenschaftliches Interesse, sondern als normatives Kriterium für die Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft.95 „Wissenschaftliche Betätigung“, so befand 1932 der Historiker Karl Brandi, Mitglied im Hauptausschuss der Notgemeinschaft, „muß zugleich nationalbewußter Dienst am Volksganzen sein“.96 Trotz dieser Festlegung auf eine spezifische politische Grundhaltung erklärten die Protagonisten der Notgemeinschaft „die uneingeschränkte Freiheit“ von allen politischen Steuerungsversuchen, zur zentralen Norm, aber auch zur „sichersten Gewähr für den wissenschaftlichen Fortschritt“ (so Schmidt-Ott im Dezember 1926).97 Während das Bekenntnis zur Nation als unpolitisch verstanden und in den Texten stetig deklamiert wurde, vermied die Notgemeinschaft in zwölf Jahren staatlicher Förderung jedes Bekenntnis zur Republik. Bezeichnenderweise sandte man erst ab jenem Zeitpunkt von den Gremientagungen telegrafische Ergebenheitsadressen an den Reichspräsidenten, als dieser Paul von Hindenburg hieß. Aber auch Einflussversuchen von Seiten der Privatwirtschaft erteilte man eine Absage. Die „Autorität“ der Wissenschaft in der Öffentlichkeit und deren „Glauben“ an das „wissenschaftliche Urteil“ in Fragen von Wirtschaft und Technologie, so betonte Haber 1929, beruhe schließlich darauf, dass sich hier an den Interessenkämpfen der Industrie „unbeteiligte Wissenschaftler“ zu Wort meldeten.98 Das innerhalb der Notgemeinschaft von ihrer Spitze für gültig erklärte normative Idealbild des Wissenschaftlers bestand außer aus dessen aktivem Engagement für die Nation bei gleichzeitiger Autonomie gegenüber Republik und Wirtschaft aus drei zentralen Elementen: aus der Vorstellung, dass wissenschaftlicher Fortschritt im Kern stets eine individuelle Leistung sei, aus der Erwartung, 92 93 94 95 96 97 98
Bericht 1922, S. 5. Weber, Beschaffung, S. 33. Meyer, Einführung, S. 11. Dies korrespondiert mit Wolfgang Hardtwigs Beobachtungen für die Preußische Akademie, vgl. Hardtwig, Akademie, S. 38 f. und 49. Zit. nach Schöttler, Geschichtsschreibung, S. 76 f. Schmidt-Ott, Einführung 1926, S. 7. Haber, Chemie, S. 9.
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dass diese vornehmlich in der Grundlagenforschung zu erbringen sei, sowie aus der Annahme, dass eine umfassende humanistische Bildung Voraussetzung für Spitzenleistungen auch auf Spezialgebieten sei. Damit setzten die Spitzenfunktionäre der Notgemeinschaft drei Maßstäbe, von denen sie selbst wussten, dass diese von einem Großteil der in der Notgemeinschaft Engagierten und von ihr Geförderten zumindest nicht in Gänze erfüllt werden konnten: Viele von ihnen forschten in arbeitsteiligen Verbünden (und die Notgemeinschaft förderte dies sogar explizit). Sie arbeiteten (wie ja nicht zuletzt Fritz Haber) zumindest teilweise im Bereich anwendungsorientierter Forschung (wobei die Notgemeinschaft genau dieses Segment ihrer Tätigkeit nicht fördern wollte), und nicht jeder Elektrotechniker konnte 1920 von sich behaupten, Platon im altgriechischen Urtext gelesen zu haben. Diese Maßstäbe zu setzen, hatte demnach nicht die Funktion, präzise Kriterien für die Zugehörigkeit zur bzw. den Ausschluss aus der wissenschaftlichen Notgemeinschaft zu formulieren. Vielmehr ging es darum, innerhalb dieser Gemeinschaft eine aus den genannten Wertideen abgeleitete Hierarchie zu legitimieren. Nicht alle der sich in der Notgemeinschaft vergemeinschaftenden Wissenschaftler mussten ganzheitlich gebildete Kulturträger sein, die sich auf die Grundlagenforschung konzentrierten, aber alle mussten die Vorstellung akzeptieren, dass solchen Gelehrten innerhalb der Gemeinschaft die Führung gebühre. Fritz Ringer und Jonathan Harwood haben die deutschen Wissenschaftler des ersten Drittels des 20. Jahrhundert in unterschiedliche Typen unterschieden – in „orthodoxe Mandarine“ bzw. „Universalisten“ und „Modernisten“ bzw. „Pragmatiker“ – und konstatiert, dass sich die „Mandarine“ auf dem Rückzug befunden und die vor allem aus den Natur- und Technikwissenschaften stammenden Pragmatiker immer stärker das Bild der Wissenschaft geprägt hätten.99 Folgt man dieser Beobachtung, so kann man das von den Protagonisten der Notgemeinschaft – und in der ersten Reihe stand hier der ausgewiesene Pragmatiker Fritz Haber – propagierte Wissenschaftsideal auch als den Versuch interpretieren, sowohl eine Hegemonie der Mandarine (denn genau sie beschrieb das skizzierte Idealbild) als auch eine Einheit der Wissenschaft zu wahren, welche die anderen Gruppen mit einschloss. Daher flochten die Notgemeinschaftsfunktionäre in ihren Lobpreis des Mandarins stets Konzessionen an andere Forschertypen ein. Schmidt-Ott, Haber und anderen erschienen beispielsweise Leitsätze wie dieser unverrückbar: „Entscheidend fortschreiten kann die Wissenschaft nur durch die geniale Tat des Einzelnen.“100 Aber sie räumten dann in Nebensätzen ein, dass die Genialität des Individuums vor allem dort fruchtbar werde, wo sie der „gemeinsamen Durchführung großer Aufgaben“ diene.101 Zwar, so erklärte Schmidt-Ott 1930, entspringe der „zündende Funke“ regelmäßig „dem Kopf des Wissenschaftsmeisters“, aber dieser bedürfe für „eine Fülle von Aufgaben, die über die Kraft des einzelnen hinausgehen“, der „Hilfe jüngerer Kräfte“.102 Wis99 100 101 102
Vgl. Ringer, Gelehrte und Harwood, Mandarine. Schmidt-Ott, Einführung 1929, S. 6. Vgl. auch Bericht 1924, S. S. 4. Schmidt-Ott, Einführung 1928, S. 9 f. Derselbe, Notgemeinschaft, S. 607 f.
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senschaft als arbeitsteiliger Großbetrieb erschien damit als akzeptable Modernisierung, solange die hierarchische Sozialstruktur der Wissenschaft („Meister“ und helfende „jüngere Kräfte“) gewahrt blieb. Die Vorstellung, die in der Grundlagenforschung Engagierten bildeten eine Kerngruppe der Wissenschaft mit legitimem Führungsanspruch, wurde denn auch einerseits unter Rekurs auf traditionelle Bildungsideale, andererseits aber mit dem auch für in der Zweckforschung Engagierte akzeptablen, weil pragmatischen Argument begründet, die Grundlagenforschung bilde im Rahmen eines linear gedachten Innovationsprozesses eben dessen notwendige erste Stufe (auf die dann angewandte Forschung und technische Entwicklung folgten). Zudem, so argumentierte Fritz Haber 1925, habe der Primat der Grundlagenforschung innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems quer durch alle Disziplinen eine Grundhaltung erzeugt, die er als Wettbewerbsvorteil anpries: Deutsche Forscher hätten nämlich „vor den Amerikanern“ (und nur diese Konkurrenten nahm Haber ernst) „die Geduld und Nachdenklichkeit“ voraus, „die sich in langfristige Aufgaben vertieft“.103 Jener (Grundlagen-)Forscher, der seinen Kollegen als „Führer zu neuen Gestaden der Erkenntnis“ zu dienen vermochte, konnte nicht enger Spezialist, sondern er musste eine ganzheitlich gebildete „Persönlichkeit“ sein (so der Freiburger Mediziner und das Hauptausschussmitglied Ludwig Aschoff 1929).104 Insofern – wir haben diesen Gedanken bereits bei Fritz Haber kennengelernt – schuf die Forschung der Geisteswissenschaftler den Natur- und Technikwissenschaftlern erst einen Verständnishorizont für das eigene disziplinäre Tun.105 Bemerkenswerter Weise wurde dieses Argument allerdings nie dahin gewendet, dass auch der Geisteswissenschaftler sich um naturwissenschaftlich-technisches Grundwissen bemühen solle. Darin mag sich eine Wertschätzung für die Geisteswissenschaften ausdrücken, vielleicht sahen Naturwissenschaftler aber auch in den 1920er Jahren einfach keinen Bedarf, den Wert ihrer Fächer mit deren Bedeutung für Philologen und Historiker zu begründen. Die ganzheitliche Bildung, die eine wissenschaftliche Persönlichkeit formte, ging ohnehin über kognitive Kompetenzen noch hinaus: „Wissenschaftliche Forschung will tiefste Versenkung und darum eine besonnene Seele“, so Schmidt-Ott 1924.106 Gerade in den „positiven (= Natur-, P. W.) Wissenschaften“ bestehe der „starke Wunsch“ nach einer über die einzelne Disziplin hinausweisenden „Weltanschauung“, hieß es 1928 in einem Rückblick der Notgemeinschaft auf die Entwicklung der von ihr geförderten Disziplinen.107 Fritz Haber wiederum betonte 1927, dass erst ganzheitliche Bildung die Wissen103 Haber, Anlage, S. 125. 104 Ludwig Aschoff, Forschungsgebiet, S. 42. 105 Der auf sein Fach spezialisierte Naturwissenschaftler, so befand der Frankfurter Physiker, Reichstagsabgeordnete (Zentrum) und Mittelempfänger der Notgemeinschaft Friedrich Dessauer, sei außerstande, „die Technik, die Naturforschung in ihren Tiefen (…) und in den großen Richtungen ihrer Entfaltung zu verstehen, wenn er nichts von den philosophischen Hintergründen weiß“, Dessauer am 11.6.1929 im Reichstag, in: Verhandlungen Reichstag, Band 425, Sp. 2284. 106 Schmidt-Ott, Vorwort 1924. 107 Wiederabdruck, S. 17.
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schaftler dazu befähige, eine gesellschaftliche Rolle als Wert- und Leistungselite auszufüllen: „Fachwissen verwandelt sich in Führertum nur durch den geistigen Horizont seiner Träger“.108 Solche Reflektionen reagierten auf ein reales Problem moderner Wissenschaft – dass die im Interesse von Höchstleistungen notwendige Spezialisierung der Forschung den intellektuellen Horizont der Forscher bis zum Fachidiotentum verengen konnte –, überschätzten aber zugleich die Möglichkeiten universeller Gelehrsamkeit im 20. Jahrhundert. Die Notgemeinschaft jedenfalls sollte dieses Problem institutionell durch die Vergemeinschaftung der unterschiedlich spezialisierten Wissenschaftler unter einem Dach lösen und die Einheit der Wissenschaft als „unteilbares Ganzes“ verteidigen.109 An dieser Stelle verbanden die Protagonisten ihre Überlegungen über die normativ „richtigen“ Eigenschaften eines Wissenschaftlers regelmäßig mit dem Anspruch, seriöse Wissenschaft halte sich zwar unabhängig von (Partei-)Politik, diene aber gleichwohl notwendiger Weise der (als unpolitisches, naturgegebenes Kollektiv verstandenen) Nation. Das von Haber gewünschte „Führertum“ der Wissenschaftler war durchaus auch in gesamtgesellschaftlicher Perspektive gedacht, denn ihre Arbeit wurde als „Element der sittlichen Erhaltung des deutschen Volkes“ (so der Bonner Physiker und Hauptausschussmitglied Heinrich Konen 1929),110 ja als Beitrag zu einer „Erneuerung unserer Volksgemeinschaft“ (so Schmidt Ott 1924),111 angepriesen. Die „Bildungshöhe eines Volkes“ beruhe auf der „Gesamtheit der Wissenschaftsbestrebungen“, erklärte Schmidt-Ott 1932, und nur wissenschaftliche „Höchstleistung“ (und damit die Klientel der Notgemeinschaft) verhindere den „Verfall“ eines Volkes.112 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Notgemeinschaft aus Sicht ihrer führenden Protagonisten eine Gemeinschaft zur Abwehr sowohl der deutschen Nation wie ihrem Wissenschaftssystem drohender existenzieller Gefahren sein sollte. Sie wollte Forscher aller Disziplinen im Bekenntnis zu spezifischen Wertideen (zu Autonomie und Einheit der Wissenschaft, zum Primat sowohl des neuhumanistisch gebildeten Forscherindividuums als auch der Grundlagenforschung) vergemeinschaften und in einer hierarchischen Ordnung organisieren, die ihrerseits aus diesen Wertideen heraus legitimiert wurde, ohne für die „Letzten“ dieser Hierarchie gänzlich unattraktiv zu erscheinen. Für die Praxis der Notgemeinschaft während der Weimarer Republik gewannen diese Wertideen reale Bedeutung vor allem auf zwei Ebenen, nämlich zum einen in den Modi der Rekrutierung ihres Führungspersonals, die ganz offensichtlich darauf angelegt waren, die Gremien der Notgemeinschaft überwiegend mit normgerechten „Mandarinen“ zu besetzen. Zum anderen hing die reale Bedeutung der Wertideen aber 108 So Haber bei einer „öffentlichen Kundgebung“ der Notgemeinschaft in Karlsruhe am 30.1.1927, Fritz Haber, Über Staat und Wissenschaft, in: BArch, R 73/91, fol. 76–86, hier fol. 82. 109 Schmidt-Ott, Einführung 1929, S. 6. Vgl. auch derselbe, Einführung 1928, S. 5. 110 Konen, Bedeutung, S. 64. 111 Schmidt-Ott, Vorwort 1924. 112 Schmidt-Ott, Einführung 1932, S. 5. Vgl. zum Selbstverständnis von Naturwissenschaftlern, nationale „Kulturträger“ zu sein, Metzler, Wissenschaft, S. 60–83.
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davon ab, dass sich die Förderpraxis an ihnen orientierte. Im Folgenden sollen daher jene Kriterien ermittelt und beschrieben werden, an denen sich die Förderentscheidungen im Einzelfall orientierten. Zudem soll die Frage gestellt werden, inwieweit hier die allgemeinen Wertideen für die Praxis operationalisiert wurden. BEGUTACHTUNG, ODER: WORAN ERKANNTE MAN 1930 „REIFE“ WISSENSCHAFT? Schon in ihrem ersten Tätigkeitsbericht von 1922 bekannte sich die Notgemeinschaft mit Verve dazu, nur jene Forschung fördern zu wollen, für die dann Jahrzehnte später der Kampfbegriff der „Exzellenz“ erfunden werden sollte: Es gehe darum, so hieß es in der Diktion des Jahres 1922, „die Berufenen“ zu identifizieren und zugleich „die Mittelmäßigkeit rücksichtslos (… zu) übergehen“.113 An welchen Attributen aber erkannten nun die Fachausschüsse jeweils „Berufung“ bzw. „Mittelmäßigkeit“? Klaas-Hinrich Ehlers hat in seiner Untersuchung zur Förderung der Sprachforschung durch die DFG herausgearbeitet, dass Anträge wie Gutachten in verschiedenen Phasen jeweils auf einen begrenzten „Bestand an typischen Argumenten“ rekurrierten, wobei die im Einzelfall getroffene Auswahl von Begründungen, „die Erwartungen der Textverfasser über deren geltendes Überzeugungspotenzial“ spiegelten.114 Folglich lassen sich die Kriterien, an denen sich die Fachausschüsse bei ihren Empfehlungen orientierten, in ihren Grundtendenzen dadurch rekonstruieren, dass man die „typischen Argumente“ und ihre jeweilige relationale Bedeutung zu bestimmen versucht. Als Quellengrundlage hierfür bieten sich die bereits erwähnten Hauptausschusslisten an, da sie es ermöglichen, über einen Zeitraum von mehreren Jahren (1928 bis 1932) Tausende von Empfehlungen der Fachausschüsse samt jeweils kurzer Begründungen quer durch alle Disziplinen zu analysieren. Dem Vorteil des großen Samples steht das quellenkritische Problem gegenüber, dass es sich bei den in den Listen abgedruckten Texten um Zusammenfassungen der Originalgutachten durch die Geschäftsstelle handelt, sich hier also unter Umständen auch deren Sichtweisen und Kriterien niederschlagen. Ein stichprobenartiger Vergleich von Listentexten mit den Originalgutachten hat jedoch ergeben, dass ein Großteil der Gutachten nicht oder doch nicht erheblich länger war als die Listentexte – Originalgutachten von nur ein bis drei Sätzen waren durchaus keine Seltenheit – und dass der Tenor der Gutachten in den Listen gewahrt blieb, wenn auch Kritik an etablierten Forschern mitunter abgeschwächt wurde. Einen ersten Eindruck von den Kriterien der Fachausschüsse soll eine quantitative Analyse der zehn Hauptausschusslisten des Zeitraumes zwischen April 1929 und März 1930 bieten. In ihnen sind die Empfehlungen der Fachausschüsse zu insgesamt 509 Anträgen auf Unterstützung von Experimentalforschung in den 113 Bericht 1922, S. 36. 114 Ehlers, Wille, S. 76.
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Natur- und Technikwissenschaften, in Medizin, Psychologie, „Rassenkunde“ und Sprachwissenschaft dokumentiert.115 Nur 5,5 Prozent der Anträge wurden abgelehnt, dagegen 20 Prozent teilweise und 74,5 Prozent im vollen Umfang bewilligt. Zwar sind aufgrund der Quellenlage präzise Angaben zu den Ablehnungsquoten in anderen Formaten nicht möglich, dennoch dürfte ein Wert von 5,5 Prozent selbst für die Verhältnisse der Notgemeinschaft gering gewesen.116 Bei einem Teil der 481 bewilligten Anträge verzichteten die Fachausschüsse bzw. die deren Voten zusammenfassenden Referenten der Geschäftsstelle gänzlich auf Argumente und teilten nur mit, dass der Ausschuss sie befürwortet habe. Klassifiziert man die in den Hauptausschusslisten erkennbar werdenden Argumente der Fachausschüsse für Annahme oder Ablehnung der Anträge, so ergeben sich folgende Tendenzen: 295 (und damit 58 Prozent) der Anträge wurden ausschließlich oder zumindest teilweise aufgrund der persönlichen Reputation des Antragstellers unter seinen Fachkollegen befürwortet oder abgelehnt. In 270 Fällen (53 Prozent) beruhte die Bewertung ausschließlich oder teilweise auf innerwissenschaftlichen Qualitätsargumenten, die sich auf das Innovations- und Erkenntnispotenzial oder die Methoden der beantragten Untersuchung bezogen. In nur 70 Fällen (und damit in 13,7 Prozent der Stellungnahmen) wurde auf einen außerwissenschaftlichen Nutzen (für Wirtschaft, Technik, Politik oder künftige Therapiechancen der Medizin) verwiesen. Die letztgenannte Dimension war folglich in der Begutachtungspraxis der Fachausschüsse weitgehend irrelevant; sie orientierten sich fast ausschließlich an innerwissenschaftlichen Kriterien. Dabei spielte die Reputation des Antragstellers unter seinen Kollegen die größte Rolle, ein erheblicher Teil der Projekte wurde bewilligt, ohne dass die Fachausschüsse Thema, Fragestellung oder Methodik der jeweiligen Untersuchung auch nur erörtert hätten. Die positive oder negative Bewertung der Reputation eines Antragstellers wurde dabei in 230 Stellungnahmen (45,2 Prozent aller Fälle) explizit auf die positive oder negative Resonanz seiner früheren Arbeiten zurückgeführt, in 65 Fällen (12,8 Prozent) dagegen bewerteten die Fachausschüsse ausschließlich die Person des Antragstellers positiv oder negativ, ohne diese Einschätzung für begründungspflichtig zu halten.117 Die überragende Bedeutung der Reputation eines Wissenschaftlers für seinen Erfolg oder Misserfolg im Antragsverfahren der Notgemeinschaft muss man vor 115 Vgl. diese Listen in: BArch, R 73/109 bis 111. In die Analyse nicht einbezogen werden Anträge auf Druckkostenbeihilfen und die Unterstützung von Forschungsreisen. Wie erwähnt wurden die Gutachten und Entscheidungen zu Forschungsstipendien nicht in die Hauptausschusslisten aufgenommen. 116 Für die Forschungsstipendien ist belegbar, dass 1927/28 12,4 Prozent der Anträge abgelehnt wurden; vgl. Bericht 1928, S. 140. 117 Dieses Ergebnis unterscheidet sich von Ehlers Beobachtung für die Sprachforschung, dass in zwei Dritteln der von ihm untersuchten Texte die Argumente verwendet worden seien, das in Rede stehende Projekt arbeite mit neuen Methoden oder werfe innovative Fragen auf. Dies mag zum einen eine Spezifik der untersuchten Disziplin sein, erklärt sich aber wohl zum anderen aus dem anders zusammengestellten Sample. Ehlers untersucht Anträge wie Gutachten aus dem Zeitraum 1921 bis 1944 bei einem Übergewicht der Texte aus der NSZeit, vgl. Ehlers, Wille, S. 80–89 und 145 ff.
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dem Hintergrund sehen, dass die meisten Disziplinen in den 1920er und 1930er Jahren noch über ein sehr überschaubares Personaltableau verfügten. Im Jahr 1931 lehrten an deutschen Hochschulen insgesamt nur knapp 2.600 verbeamtete Professoren (darunter knapp 2.300 Ordinarien), hinzu kamen 3.400 außerplanmäßige Professoren und Privatdozenten.118 Das (verhältnismäßig personalstarke) Fach Geschichte lehrten zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 238 Professoren; bei den Fachausschusswahlen von 1929 hatten 274 Historiker ihre Stimmen abgegeben. Bei gleicher Gelegenheit hatten sich 273 Chemiker, 242 Physiker, 158 Mathematiker und 95 Bauingenieure durch Wahlbeteiligung als im Kontext der Notgemeinschaft aktive Angehörige ihres Faches verortet.119 Mit hoher Wahrscheinlichkeit war jeder dieser Forscher mindestens einem der jeweils fünf bis sechs Fachausschussmitglieder seiner Disziplin persönlich bekannt. Kombinieren wir die Befunde zu den Entscheidungsgründen mit der sehr niedrigen Ablehnungsquote, welche die Vermutung nahelegt, dass fast ausschließlich solche Wissenschaftler Anträge bei der Notgemeinschaft stellten, die sich eines Erfolges bereits im Vorfeld sicher sein konnten, so können wir als Hypothese formulieren: Vor allem solche Forscher stellten Anträge bei der Notgemeinschaft, die sich ihrer persönlichen Wertschätzung durch deren Fachgutachter sicher sein konnten. Gutachter und Antragsteller gehörten also zu einer Teilgruppe innerhalb des deutschen Wissenschaftsbetriebes, deren Angehörige sich wechselseitig als dessen Leistungselite betrachteten und anerkannten. Die Praxis der Fachausschüsse scheint somit im Wesentlichen jener Leitlinie gefolgt zu sein, die Fritz Haber Ende November 1920 in einem Zeitungsartikel formuliert hatte: „Es würde die wissenschaftliche Produktivität lähmen, wenn der einzelne Gelehrte einen genauen Plan der Untersuchung, die er im Kopfe trägt, vorlegen müßte, ehe er Unterstützung findet. Seine frühere Leistung und das aus ihr in der Fachwelt erwachsene Vertrauen, bei jüngeren Kräften die Empfehlung ihres Lehrers, müssen die Grundlage abgeben“, auf deren Basis die Gremien der Notgemeinschaft entscheiden sollten.120 Im Juni 1922 hatte die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft einem Fachausschussvorsitzenden bezeichnenderweise empfohlen, bei Anträgen auf Druckbeihilfen nicht das Manuskript selbst zu prüfen, sondern die Frage zu beantworten, ob „der Antragsteller“ als Person erwarten lasse, dass „eine wertvolle Arbeit vorliegt“. Wenn man in diesen Fällen „ein Gutachten von einem Dritten“ einhole, solle man einen Wissenschaftler wählen, der zum Antragsteller „in engen wissenschaftlichen Beziehungen steht“, das heißt auch hier ging es primär um die Person des Antragstellers und nicht um seinen Text (zu dessen Bewertung den Ausschüssen eine knappe „Inhaltsangabe“ ausreichen sollte).121 118 Vgl. die Zahlen der Reichsstatistik nach Ferber, Entwicklung, Sp. 30 und zur Kategorie der außerplanmäßigen Professoren Spenkuch, Einleitung, S. 17. 119 Vgl. die nach Fächern aufgeschlüsselten Wahlergebnisse von 1929, in: BArch, R 73/128, fol. 20–27. 120 F(ritz) Haber, Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, in: BArch, R 73/11067, S. 3. 121 Konzept eines Schreibens der Notgemeinschaft an einen Fachausschussvorsitzenden vom 28.6.1922, in: BArch, R 73/120, fol. 63.
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Generell scheint es üblich gewesen zu sein, dass Fachausschussmitglieder die ihnen bekannten akademischen Lehrer eines Antragstellers nach dessen Qualitäten befragten, wie es etwa der Freiburger Volkskundler John Meier 1928 tat, als er über einen Antragsteller das „Urteil seines Lehrers, meines Freundes“ einholte.122 Die Ende 1928 mit einer Arbeit über Augustinus promovierte Hannah Arendt erhielt im Frühjahr 1930 ein Stipendium für die gerade begonnene Studie über die deutsch-jüdische Schriftstellerin Rahel Varnhagen, nachdem ihr Doktorvater Karl Jaspers nicht nur selbst ein Gutachten zu ihrer Person abgegeben, sondern auch noch Unterstützungsschreiben von Martin Heidegger und dem Theologen Martin Dibelius besorgt hatte.123 Im Vorteil war folglich, wessen akademischer Lehrer gut vernetzt war und wer die persönlichen Beziehungen zu seinem Lehrer pflegte. Ausgehend von den Befunden der quantitativen Analyse eines in Zeitraum und Disziplinen begrenzten Samples, werde ich im Folgenden die Perspektive weiten und anhand von Beispielen aus der gesamten Bandbreite der Disziplinen und aus allen Hauptausschusslisten der Jahre 1928 bis 1932 die „typischen Argumente“ der Gutachter genauer betrachten. Zumindest in den Hauptausschusslisten beschränkte sich die Begründung der Fachausschüsse für die Förderung „anerkannter Antragsteller“ zumeist auf einen einzigen Satz.124 So befand der Fachausschuss Elektrotechnik im Frühjahr 1929 lapidar, „die Person des Antragstellers, der auf dem fraglichen Gebiete schon mit anerkanntem Erfolg gearbeitet hat, gebe die Gewähr, daß die Untersuchungen wichtige Ergebnisse zeitigen würden“.125 Der Ausschuss für Medizin befand zum selben Zeitpunkt, dass die Reputation eines Antragstellers es erlaube, den „Erfolg der beabsichtigten Arbeiten (…) vorauszusehen“,126 einem anderen bescheinigte er immerhin, dass dieser „die Gewähr für eine gute und ernste Arbeit biete“.127 Man kann eine kleinere Zahl von Fällen, in denen die Reputation des Antragstellers als evident gesetzt wurde, von jener Mehrheit der Fälle unterscheiden, in denen eine solche Reputation ebenfalls als das zentrale Argument angeführt wurde, aber durch einen Hinweis auf die positive Resonanz der bisherigen Forschung des Antragstellers spezifiziert wurde. In diesem Sinne berichtete der Fachausschuss Chemie 1929 von einem Antragsteller, dessen bisherigen „Leistungen (…) hoch eingeschätzt“ würden und von einem weiteren, der gefördert werden solle, weil seinen früheren Forschungen innerhalb der Wissenschaft „von verschiedenen Seiten (…) hohe Bedeutung“ zugeschrieben würde.128 Arbeiten eines dritten Antragstellers hatten aus Sicht des Ausschusses „wertvolle Klarstellungen“ 122 Gutachten Meiers vom 20.2.1928, in: BArch, R 73/15841. 123 Vgl. den hierauf bezüglichen Briefwechsel zwischen Arendt und Jaspers in: Köhler/Saner (Hrsg.), Arendt, S. 41–49. Der nationalsozialistische Nachwuchshistoriker Walter Frank mobilisierte 1927/28 mehrere Ordinarien und Ministerialbeamte zu Empfehlungsschreiben an Schmidt-Ott, um ein Stipendium zu erhalten, vgl. Heiber, Frank, S. 49 ff. 124 So der Fachausschuss Medizin in der Hauptausschussliste 1 1929/30 vom Mai 1929, in: BArch, R 73/109, fol. 102. 125 Ebenda, fol. 96. 126 Ebenda, fol. 92. 127 Ebenda, fol. 87. 128 Ebenda, fol. 90.
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erbracht: „Da es hiernach wahrscheinlich ist, daß auch die weiteren Untersuchungen den Fortschritt der Erkenntnis fördern werden, wird die Bewilligung des Antrages bestens befürwortet.“129 Es liege schlicht „im Interesse der Deutschen Forschung“, resümierte derselbe Ausschuss in einem letzten Fall, einem Forscher, der bereits „häufig mit Erfolg“ Untersuchungen angestellt hatte, „Gelegenheit zu geben, seine Arbeiten fortzuführen“.130 Der Fachausschuss Medizin argumentierte 1929 ganz ähnlich, wenn er aus den „bisherigen Erfolgen des Antragstellers“ ableitete, dessen nächste Projekte würden „sicherlich günstige Ergebnisse zeitigen“. Zur Begründung der Förderung eines weiteren Forschers beschränkte er sich auf den Hinweis, dass dessen bisherige Arbeiten in Fachkreisen „große Beachtung gefunden“ hätten.131 Nachdem die Notgemeinschaft einige Jahre bestanden hatte, erschlossen die Gutachter die hohe Reputation eines Forschers mitunter auch aus früheren Bewertungen des Betreffenden durch deren Gremien (also letztlich: durch sie selbst): „Der Antragsteller ist mehrfach unterstützt worden, da nach Ansicht des Fachausschusses seine Arbeiten jede Förderung verdienen“. Das zum Beispiel stellte der Fachausschuss Medizin 1929 fest und leitete hieraus den Schluss ab, auch der vorliegende Antrag sei zu bewilligen.132 Dass nur eine positive Resonanz in den engeren Fachkreisen geeignet war, die Förderungswürdigkeit eines Forschers zu begründen, unterstrich im Juli 1930 der Fachausschuss für Geographie, der den Antrag eines Wissenschaftlers gerade deshalb ablehnte, weil dieser viele Vorträge „vor weiteren Kreisen“, aber „nur vereinzelt“ vor Fachkollegen gehalten habe; seine Forschung sei zwar „in der Öffentlichkeit viel beachtet und hervorgehoben“ worden, „doch wenig in wissenschaftlichen Kreisen“.133 Ein Primat der Person und ihrer Resonanz unter den Kollegen vor Gegenstand, Fragestellung und Methodik in der Begutachtung wurde von den Gremien der Notgemeinschaft besonders explizit für Anträge des wissenschaftlichen Nachwuchses gefordert. Die vom Präsidium der Notgemeinschaft den Fachausschüssen 1922 an die Hand gegebene „Anweisung“ vermerkte, die Anträge von Nachwuchswissenschaftlern sollten primär danach beurteilt werden, ob diese Personen „für die Forschung wertvoll“ seien und „zu Hoffnungen berechtigen“ würden – dies hieß letztlich nichts anderes, als dass die Ausschüsse Prognosen über die künftigen Chancen der Antragsteller auf dem Berufungsmarkt stellen sollten.134 Der Fachausschuss Biologie befürwortete in diesem Sinne 1929 ein Projekt mit der Begründung, dass „der Antragsteller zu den begabtesten jüngeren 129 130 131 132 133 134
Hauptausschussliste 6 1929/30, in: BArch, R 73/110, fol. 150. Hauptausschussliste 8 1929/30, in: ebenda, fol. 52. Ebenda, fol. 41. Hauptausschussliste 7 1929/30, in: ebenda, fol. 95. Hauptausschussliste 4/1930–31, in: BArch, R 73/111, Sparte B Anhang. Anweisung für die Fachausschüsse der Notgemeinschaft aus der zweiten Jahreshälfte 1922, in: BArch, R 73/120, fol. 57–58R, hier fol. 57 f. Auf derselben Linie erklärte Schmidt-Ott im Oktober 1930, gerade bei den individuellen Forschungsstipendien gehe es primär um „Nachwuchsschulung“, daher käme es bei der Bewertung der Anträge „nicht allein auf die Probleme“ an, „sondern vor allem auf den Mann, der sie durchführt“, Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 30.10.1930, in: BArch, R 73/101, fol. 4
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Forschern zähle, von denen ernste wissenschaftliche Arbeit zu erwarten sei.“135 Der Ausschuss für Geographie wollte ein Buch über die Spitzbergen-Expedition von 1927 „besonders deshalb“ gefördert sehen, weil er die beiden Verfasser für „hoffnungsvolle junge Gelehrte“ hielt.136 Der Soziologe Helmuth Plessner hat zeitgenössisch (nämlich 1924) argumentiert, dass die existentielle „Abhängigkeit“ der Nachwuchswissenschaftler „vom Urteil der Ordinarien“ diese zu Konformismus in Bezug auf theoretische Konzepte, Methoden und Problemstellungen einerseits sowie einem „Maximum an Originalität“ im Detail andererseits zwinge. „Akademiker zu sein“, so schlussfolgerte Plessner, „setzt noch andere Gaben voraus als schöpferische Intuition. Es erfordert Disziplin, Anpassungsfähigkeit und Sinn für die Grenzen des eigenen Tuns.“137 In diesem Sinne prüften die Fachgutachter, ob „Begabung“ von der Bereitschaft zur „ernsten wissenschaftlichen Arbeit“, mithin zur Unterordnung unter die bereits „anerkannten Gelehrten“ und zur Akzeptanz eines „Maximums an Kontinuität mit dem Vergangenen der älteren Leistung“, begleitet wurde.138 Die positive Beurteilung der Nachwuchskräfte war beispielsweise von deren Bereitschaft abhängig, denselben dornenreichen Weg harter Arbeit zu gehen, auf den die Gutachter im Rückblick ihre eigene Karriere zurückführten. Daher lehnte der Fachausschuss Medizin im Juni 1928 den Antrag eines Nachwuchswissenschaftlers ab, obwohl dieser als „wohl befähigt“ und durch frühere Projekte bewährt galt. Die Gutachter machten „prinzipielle Bedenken“ geltend, weil der Antragsteller „langweilige“ Laboranalysen „an eine Laborantin“ delegieren wollte: „Es erscheine notwendig, daß jüngere Forscher ihre Arbeiten in vollem Umfange selbst durchführen.“139 In Bezug auf den wissenschaftlichen Nachwuchs beteiligten sich die Fachausschüsse der Notgemeinschaft mit ihren Gutachten am Prozess der schrittweisen Kooptation jener Forscher, die aus Sicht der bereits etablierten Ordinarien für die Aufnahme in die Professorenschaft in Frage kamen; hier ist die Exklusions- bzw. Inklusionsfunktion der Gutachten am greifbarsten. Nicht nur die finanzielle Unterstützung durch die Notgemeinschaft während der häufig jahrelangen Wartezeit auf eine Professur war für die „jüngeren Gelehrten und vielversprechenden Anfänger“ von mitunter existenzieller Bedeutung.140 Vielmehr stellte die Förderung eines Nachwuchswissenschaftlers durch die Notgemeinschaft auch eine Art offizieller Akkreditierung seiner Person als berufungsfähig und damit als künftiges Mitglied der Gemeinschaft dar. Angesichts der in den meisten Fächern während der Weimarer Republik doch recht überschaubaren Zahl Beteiligter kann man davon ausgehen, dass solche Akte symbolischer In- oder Exklusion schnell Teil des kollektiven Wissensbestandes einer Disziplin und damit selbst zu Einflussfak135 136 137 138 139 140
Hauptausschussliste 1 1929/30, in: BArch, R 73/109, fol. 87. Ebenda, fol. 63. Pleßner, Soziologie, S. 420 ff. Ebenda. Hauptausschussliste 3 1928/29, Sparte Apparate und Materialien, S. 11, in: BArch, R 73/107. Anweisung für die Fachausschüsse der Notgemeinschaft aus der zweiten Jahreshälfte 1922, hier zit. nach BArch, R 73/120, fol. 57R.
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toren für die Karrieren der Betreffenden wurden. Im Jahr 1919 hatte der Hochschulreformer Carl Heinrich Becker vorgeschlagen, Habilitationen dadurch zu „objektivieren“, dass sie außer durch die Mentoren der Kandidaten auch durch ein Kollegium externer „Fachgenossen“ begutachtet werden sollten.141 Dieser Reformvorstoß war gescheitert, aber in ihren Fachausschüssen verwirklichte die Notgemeinschaft die Idee, die Leistungsbewertung des Nachwuchses auf mehr Schultern zu verteilen. Kehren wir zurück zu den allgemeinen Begutachtungskriterien. Sofern die Anerkennung früherer Arbeiten eines Antragstellers durch die Fachkollegen explizit erklärt wurde, bezogen sich die Gutachter signifikant häufig auf die Methoden des Betreffenden. „Seine Arbeiten zeugen von hervorragender experimenteller Kunst und Fantasie“, hieß es 1929 über einen Chemiker.142 Besonders erfolgreich waren dann im Begutachtungsverfahren solche Antragsteller, die ihre in der Vergangenheit erwiesene Methodenkompetenz in der Gegenwart auf Forschungsfeldern einsetzen wollten, denen die Gutachter hohe Relevanz zuschrieben. Forschungen zu Fragen, die „gegenwärtig im Zentrum einer regen Debatte“ standen, galten dem Fachausschuss Medizin als solche „von ernster Bedeutung“.143 Der Fachausschuss Physik zählte die von einem Antragsteller „in Angriff genommenen Probleme (…) zu den wichtigsten der Geophysik“ und glaubte, „bei der Person des Antragstellers“ sei „Gutes aus den Untersuchungen zu erwarten“.144 Nur sehr selten befürworteten Fachausschüsse die Förderung eines Projektes gerade deshalb, weil sein Gegenstand „bisher (…) vernachlässigt“ worden sei, es aber immerhin „für möglich erachtet“ werden könne, dass auch dieses Forschungsfeld Potenzial berge.145 Eine „Originalität der Probleme“ wurde in der Regel nur dann positiv bewertet, wenn sie sich im Rahmen des jeweils disziplinär hegemonialen Themenspektrums bewegte.146 Ein außerwissenschaftlicher Nutzen spielte für die naturwissenschaftlichen Fachausschüsse nur selten eine Rolle, in der Medizin wurde hingegen aus naheliegenden Gründen die therapeutische Relevanz der Forschung öfter angesprochen. Vor allem jedoch waren es Geisteswissenschaftler die neben innerfachlichen Kriterien auch solche der Relevanz eines Gegenstandes für einen außerwissenschaftlichen Zweck, nämlich für nationalistische Politik mit ins Kalkül zogen. Den Druckkostenzuschuss für eine Untersuchung über die deutsche Verwaltung in Elsass-Lothringen nach 1871 befürwortete der Fachausschuss Geschichte 1929 „auf wärmste“, weil dieses Buch ihm als „dringendes wissenschaftl. und nationalpolitisches Bedürfnis“ erschien.147 Kurz darauf hielt derselbe Ausschuss auch 141 142 143 144 145 146 147
Becker, Gedanken, S. 211 f. Hauptausschussliste 2 1929/30, in: BArch, R 73/110, fol. 416. Hauptausschussliste 6 1929/30, in: ebenda, fol. 138. Hauptausschussliste 8 1929/30, in: ebenda, fol. 47. Ebenda, fol. 54. Hauptausschussliste 2 1929/30, in: ebenda, fol. 416. Hauptausschussliste 1 1929/30, in: BArch, R 73/109, fol. 65. Der Volkskundler John Meier hatte ein Jahr zuvor eine Druckkostenbeihilfe für eine Arbeit über die Volkskultur der Ungarndeutschen „nicht nur vom wissenschaftlichen, sondern auch vom nationalpolitischen
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das Buch eines Luxemburger Pfarrers über die Geschichte der Abtei Echternach für „im nationalen Interesse“ förderungswürdig, weil die „Unterstützung der deutschgesinnten Wissenschaftler in Luxemburg“ ein nötiges Gegengewicht zur Förderung einiger ihrer Kollegen durch Frankreich bilde.148 Im Jahr 1931 schließlich begründete der Fachausschuss sein Votum für ein Projekt zur Geschichte des ostpreußischen Ermlandes („ein dringendes Bedürfnis der Forschung“) wiederum mit einer politischen Konkurrenzsituation, sei doch „auf dem letzten polnischen Historikertag in Warschau 1929 die Parole ausgegeben worden“, man müsse qua Forschung polnische Ansprüche „auf die Gebiete bis zur Elbe“ begründen.149 Der Fachausschuss Völkerkunde hielt im selben Jahr die Unterstützung eines Forschungsprojektes in den donauschwäbischen Siedlungen in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien „wissenschaftlich und auch nationalpolitisch“ für wünschenswert.150 Im Interesse der Instrumentalisierung wissenschaftlicher Argumente für nationalistische Ziele drängten manche Gutachter sogar auf die Lockerung wissenschaftlicher Standards. Als der Linguist Friedrich Lorentz die Notgemeinschaft im Jahr 1927 darum bat, die Förderung seines Projektes über die in Westpreußen und dem damaligen polnischen „Korridor“ gesprochene kaschubische Sprache zu verlängern, bestätigte der für den Fachausschuss Neuere Philologie gutachtende Slawist Max Vasmer zwar die „nationale Bedeutung der Forschungen dieses Gelehrten“, kritisierte aber deren Ergebnisoffenheit. Lorentz, so forderte Vasmer, müsse seine allzu sehr um Differenzierung bemühte Untersuchung stärker darauf konzentrieren, „das Alter und die Ausbreitung des deutschen Einflusses im Kaschubischen“ nachzuweisen (um so ein Argument für die Zugehörigkeit der Kaschuben zum deutschen Volk zu gewinnen).151 Als Wissenschaftler hervorragend ausgewiesene Gutachter wie Vasmer scheinen in den 1920er und frühen 1930er Jahren gar keinen Widerspruch darin gesehen zu haben, einerseits zu behaupten, Grundlagenforschung sei von äußeren Einflüssen frei, und andererseits eine Forschung zu protegieren, die erklärtermaßen nationalistische Positionen vertrat. Vielmehr galt ihnen die Bereitschaft zum nationalistischen Engagement als Attribut einer spezifisch deutschen seriösen Wissenschaft – hier wirkten erkennbar die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges nach. Bemerkenswerter Weise regte sich aber am Ende der 1920er und Beginn der 1930er Jahre in den Gremien der Notgemeinschaft Widerspruch gegen dieses Wissenschaftsverständnis. In mehreren Fällen betonten Fachausschüsse oder Hauptausschussmitglieder, dass Wissenschaft und Politik voneinander getrennt werden müssten und die Notgemeinschaft nicht die Aufgabe habe, primär politische Projekte zu fördern – ungeachtet der jeweiligen Übereinstimmung mit
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Standpunkt“ befürwortet, weil sie der „Erhaltung des deutschen Charakters“ der betreffenden Region diene, Gutachten vom 20.2.1928, in: BArch, R 73/15841. Hauptausschussliste 2 1929/30, in: BArch, R 73/110, fol. 362. Vgl. auch Ehlers, Wille, S. 96 f. Hauptausschussliste 1 1931/32, in: BArch, R 73/114, fol. 137. Hauptausschussliste 4 1929/30, in: BArch, R 73/110, fol. 265. Stellungnahme Vasmers zu Lorentz’ Verlängerungsantrag vom 9.6.1927, zit. nach Ehlers, Wille, S. 74. Vgl. ebenda, S. 138–143 und 171 f.
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deren Beweggründen. So bewertete der Fachausschuss Neuere Philologie es zwar im Juli 1930 durchaus positiv, dass ein Projekt zur Ortsnamenskunde Südtirols den deutschen Charakter dieses „besonders bedrohten (…) Grenzlandes“ nachweisen wolle, lehnte ihn aber trotzdem ab, weil das Projekt nur „Bedeutung im Sinne von allgemein-deutschem Wert“, aber keine „wissenschaftliche Bedeutung im strengsten Sinne“ besitze: „Der Fachausschuß empfiehlt daher aus grundsätzlichen Erwägungen heraus: ‚Principiis obsta!‘“152 Im Oktober 1929 nahm gar der Vorsitzende des Hauptausschusses Friedrich von Müller schriftlich gegen eine (auch vom zuständigen Fachausschuss abgelehnte) Druckkostenbeihilfe für eine Untersuchung über ungarndeutsche Schriftsteller Stellung, weil er das herausgebende Deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart für eine reine Agitationsfiliale des Bundes der Auslandsdeutschen und seine Leitung nicht für fähig hielt, „in wissenschaftlichen Fragen (…) die nötige Kritik walten zu lassen“.153 Auch in den folgenden Monaten erhoben Hauptausschussmitglieder Bedenken gegen Anträge aus dem Kontext der Forschungen über den deutschen „Volks- und Kulturboden“ jenseits der Reichsgrenzen. So mahnte der Kölner Nationalökonom Bruno Kuske, die „Grenzgebiete“ seien „in den letzten Jahren üppige Tummelplätze“ einer Forschung geworden, „die über alle Notwendigkeiten hinausgeht“.154 Friedrich Schmidt-Ott versuchte Kuske mit dem Hinweis zu beruhigen, es bestehe Konsens darüber, dass die Notgemeinschaft Projekte „lediglich aus wissenschaftlichen, nicht aus politischen Rücksichten“ fördern dürfe.155 Er konnte aber nicht verhindern, dass Kuske sein Plädoyer gegen die Förderung von politischen „Modeströmungen“ wie der Erforschung des Auslandsdeutschtums bei der Hauptausschusssitzung am 30. Oktober 1930 noch einmal wiederholte.156 Zu konstatieren ist folglich ein Meinungspluralismus innerhalb der Notgemeinschaftsgremien zur Frage, ob die Vertretung nationalistischer Positionen in Forschungsarbeiten diese wissenschaftlich disqualifiziere oder gar besonders qualifiziere. Innerhalb dieses pluralistischen Meinungsspektrum verschoben sich allerdings, wie Klaas-Hinrich Ehlers am Beispiel der Anträge und Gutachten zur Sprachforschung gezeigt hat, während der Weimarer Republik mehrfach die Gewichte: Nachdem in der von einer Konvergenz der Notlagen von Nation und Wissenschaft geprägten Gründungsphase der Notgemeinschaft nationalpolitische Argumente Hochkonjunktur gehabt hatten, wurden nach der politischen Stabilisierung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre jene Stimmen lauter, welche die Vereinbarkeit nationalistischer Agenden und seriöser Forschungsprogramme anzweifelten. Für die letzten Jahre der Republik dagegen beobachtet Ehlers ein 152 Hauptausschussliste 4 1930/31, S. 16, in: BArch, R 73/111. 153 Schreiben Müllers von Anfang Oktober 1929 an die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft, in: BArch, R 73/110, fol. 161R. 154 Schreiben Kuskes an die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft vom 27.1.1930, in: BArch, R 73/111, fol. 137. Vgl. Ehlers, Wille, S. 72 und 128 und zu Kuskes Rolle in der Weimarer Republik Engels, Medien, S. 73–79. 155 Schreiben Schmidt-Otts an Kuske vom 4.3.1930, in: BArch, R 73/111, fol. 125. 156 Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 30.10.1930, in: BArch, R 73/101, fol. 44.
Begutachtung, oder: Woran erkannte man 1930 „reife“ Wissenschaft?
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wiederum wachsendes Gewicht der Argumentation, Forschung solle unmittelbar nationalistischen Zielen dienen – wobei die Verknappung der Ressourcen in der Weltwirtschaftskrise sowie die zunehmende Kritik der Öffentlichkeit an vermeintlich wirklichkeitsfremden und gesellschaftlich nutzlosen Projekten der Notgemeinschaft diese Verschiebung der Gewichte ausgelöst habe.157 Allerdings verschwanden die einer nationalistisch-völkischen Politisierung der Forschung gegenüber kritischen Stimmen bis Anfang 1933 nicht aus der Binnenkommunikation der Notgemeinschaft; erst die Etablierung der Nationalsozialisten an der Macht brachte sie zum Verstummen. De facto allerdings, dies wird noch zu erörtern sein, förderte die Notgemeinschaft während der Weimarer Republik in großem Maßstab im Sinne des Nationalismus und eines deutschen Irredentismus engagierte Forschung.158 Zusammenfassend lässt sich konstatieren: In der Begutachtungspraxis der Fachausschüsse stand die Beurteilung der „Persönlichkeit“ des einzelnen Antragstellers (und nicht so sehr jene des Projektdesigns) deutlich im Vordergrund. Es ging um die Förderung von Wissenschaftlern, die den Gutachtern als „ernst zu nehmende Forscher“, ergo als Teil der von der Notgemeinschaft zu erfassenden Klientel und zugleich als Garanten einer Fortsetzung der überaus erfolgreichen Forschungskultur der Vorkriegszeit galten. Die Angehörigen dieser Klientel sollte das Bewusstsein verbinden, eine Meritokratie zu sein, das heißt eine ständische Gruppe, deren Angehörige sich wechselseitig (aber nicht gleichberechtigt) einen „Anspruch auf Sonderschätzung“ zubilligten.159 Kriterien für die Identifizierung der förderungswürdigen Antragsteller waren das Ansehen, das sich die Betreffenden durch ihre früheren Arbeiten unter den Fachkollegen erworben hatten, die Formulierung am aktuellen Mainstream ihres Faches orientierter Fragen sowie die Fähigkeit zu deren methodisch versierten Bearbeitung. Da das Personal der meisten Disziplinen während der Weimarer Jahre noch überschaubar war, stellte die primäre Bewertung der Antragsteller anhand ihrer Reputation unter Kollegen durchaus ein plausibles Verfahren zur Vergabe der Fördermittel nach Leistung bzw. Leistungspotenzial dar. Zugleich stabilisierte sie die Hierarchien innerhalb des wissenschaftlichen Feldes. Die allgemeiner auf die „Persönlichkeit“ des Forschers bezogenen Wertideen der Notgemeinschaftsspitze – etwa das Ideal des holistisch interessierten, neuhumanistisch gebildeten Forscherindividuums – finden sich in der Begutachtung nicht explizit, waren aber wohl teilweise in Formeln wie jener des „ernst zu nehmenden Forschers“ kodiert. Deutlich orientierten sich die Fachausschüsse am Ideal einer Autonomie der Forschung und dem Primat der Grundlagenforschung, daher fielen Verweise auf den außerwissenschaftlichen Nutzen eines Projektes nur selten positiv ins Gewicht. Umstritten blieb dagegen bis zum Ende der Weimarer Republik die Frage, ob der vermutete Nutzen eines Forschungsvorhabens für die Interessen der Nation ein innerhalb der wis157 Vgl. Ehlers, Wille, S. 145–148. 158 Zum Gesamtkomplex dieser Forschung und ihrer Förderung zum Beispiel durch das Reichsinnenministerium vgl. Haar, Historiker, S. 25–69. 159 Diese Formulierung von Rainer M. Lepsius nutze ich in Anlehnung an Rüdiger Hachtmanns Überlegungen zur KWG, siehe Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 41.
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senschaftlichen Bewertung legitimes Argument sein könne oder nicht; die große Mehrheit der Gutachter und Gremienmitglieder bejahte dies.
DRITTES KAPITEL FORSCHUNG UND VOLK. DIE FÖRDERPOLITIK DER NOTGEMEINSCHAFT ÜBERWINDUNG DER NOT: DIE FÖRDERPOLITIK BIS 1924 Bis die Währung und politische Ordnung am Ende des Jahres 1923 stabilisiert waren, kam die Notgemeinschaft über provisorische Maßnahmen zur Stützung der wankenden Forschungsinfrastruktur nicht hinaus. Dies lag nicht zuletzt daran, dass auch ihr eigener Haushalt in den Sog der ab Mitte 1922 galoppierenden Inflation geriet, wodurch die zu verteilenden Mittel bald weit hinter den anfänglichen Erwartungen zurückblieben. Dass das Reich der Notgemeinschaft nach jeweils 20 Millionen Mark für 1920 und 1921 im Jahr 1922 sogar 440 Millionen und 1923 schließlich 900 Milliarden Mark überwies, dokumentiert nur das Ausmaß der Geldentwertung, nicht aber die Gestaltungsspielräume der Forscher. Da die Zuwendungen der Wirtschaft über den Stifterverband unerheblich blieben, waren es neben den Zuschüssen des Reichs vor allem ausländische, in harten Devisen geleistete Spenden, die der Notgemeinschaft ein Minimum an Tätigkeit erlaubten. Hilfsorganisationen, die in den USA, Argentinien, Brasilien und der Schweiz tätig waren (wie die in New York ansässige Emergency Society for German and Austrian Science), überwiesen ab Herbst 1920 beträchtliche Summen. Der japanische Pharmaindustrielle Hoshi Hajimi stellte der Notgemeinschaft zwischen 1922 und 1925 Mittel zur Förderung chemischer und physikalischer Forschung zur Verfügung, die von einem Sonderausschuss unter Fritz Habers Vorsitz an insgesamt 80 Forscher verteilt wurden. Im Jahr 1923 folgte der amerikanische Konzern General Electric mit einer ähnlichen Initiative zugunsten der elektrophysikalischen Forschung; auch diese Gelder wurden (bis 1930) von einem Sonderausschuss unter Vorsitz von Max Planck verteilt. Eine dauerhafte, letztlich bis 1939 währende Kooperation mit der Notgemeinschaft nahm 1921 die amerikanische Rockefeller Foundation auf. Zum einen finanzierte sie ab diesem Zeitpunkt den Ankauf von 300 Exemplaren englischsprachiger medizinischer Fachzeitschriften durch die Notgemeinschaft mit 10.000 Dollar pro Jahr; zum anderen stellte sie ab 1923 jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Dollar für Forschungsstipendien in der Medizin und den Naturwissenschaften zur Verfügung, die über einen gemeinsamen Ausschuss von Notgemeinschaft und Rockefeller Foundation verteilt wurden. Insgesamt entfielen bis 1923 zwischen zehn und 15 Prozent der Einnahmen der Notgemeinschaft auf ausländische Geldgeber.1
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Vgl. Bericht 1922, S. 32 f., Schulze, Stifterverband, S. 72, Schroeder-Gudehus, Argument,
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Die bis Ende 1923 von der Notgemeinschaft getätigten Ausgaben kann man fünf Förderlinien zuordnen: erstens Druckkostenzuschüsse für Monographien und Editionen (hierauf entfielen in den beiden ersten Etatjahren 26,3 Prozent der Gelder), zweitens die Bereitstellung ausländischer Fachliteratur für die großen Bibliotheken (32,5 Prozent der Etats 1920/22), drittens die Beschaffung von Apparaturen, Verbrauchsmaterialien und Versuchstieren für die experimentelle Forschung (33,8 Prozent) sowie viertens die Vergabe von Forschungs- und Reisestipendien (2,9 Prozent). Auf nicht projektgebundene Unterstützungen für die Kaiser-Wilhelm- sowie die Görres-Gesellschaft entfielen fünftens weitere 3,1 Prozent der Ausgaben bis Frühjahr 1922. Einzelne Institute der KWG konnten zu diesem Zeitpunkt nur dank der Überweisungen der Notgemeinschaft am Leben gehalten werden.2 Die Förderung einzelner Forschungsprojekte spielte zunächst nur eine untergeordnete Rolle, so wurden 1922 nur 58, im Folgejahr dann 98 Stipendien für Nachwuchsforscher vergeben. Jenseits der Subventionierung oder Beschaffung von Literatur zielte die Fördertätigkeit bis Ende 1923 darauf, den Trend zur Experimentalisierung und Technisierung der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung zu stabilisieren. Mit 400.000 Mark unterstützte die Notgemeinschaft zum Beispiel 1921/22 den Ausbau einer Zuchtanlage an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, um die Versorgung mit Versuchstieren sicherzustellen.3 Der 1921 gebildete Apparateausschuss der Notgemeinschaft stellte – nach vorheriger positiver Begutachtung durch den jeweiligen Fachausschuss – einzelnen Forschern Apparate und Instrumente für ihre Projekte leihweise zur Verfügung; durch deren zentralen Einkauf en gros zu Sonderkonditionen erzielte die Notgemeinschaft für die Gesamtheit der Experimentalforscher einen deutlichen Kostenvorteil.4 „In erster Linie“ aber, so stellte Friedrich Schmidt-Ott 1926 im Rückblick auf die ersten Jahre der Notgemeinschaft fest, sei diese „eine Notgemeinschaft der Bibliotheken“ gewesen.5 Fast ein Drittel ihres Etats flossen bis 1924 unmittelbar in die Bibliotheksbestände, aber auch die Druckbeihilfen für wissenschaftliche Publikationen (etwa ein Viertel des Notgemeinschaftsetats) kamen indirekt den Bibliotheken als den wichtigsten Käufern dieser Bücher und Zeitschriften zugute. Angesichts der Bedeutung von Zeitschriften für die Kommunikation innerhalb der Wissenschaften widmete sich die Notgemeinschaft vor allem ihrer Unterstützung und Verbreitung. Im Jahr 1922 bezogen 500 deutsche Fachjournale Druckkostenzuschüsse, die ihre Existenz sicherten.6 Mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels vereinbarte die Notgemeinschaft die Einrichtung einer
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S. 542, Marsch, Notgemeinschaft, S. 51 f., 101 und 129 ff., Zierold, Forschungsförderung, S. 38 und 88 f. sowie Szöllösi-Janze, Haber, S. 563 ff. und 583. Vgl. Schreiber, Not, S. 92. Die Prozentangaben sind errechnet nach Bericht 1922, S. 12 f. Zur Unterstützung der KWG vgl. Marsch, Notgemeinschaft, S. 104 ff. Vgl. Bericht 1922, S. 15 und Moser, Forschungsgemeinschaft, S, 39. Vgl. Bericht 1922, S. 11 und 15–18 sowie Schwerin, Staatsnähe, S. 311 f. Versammlung, S. 426. Vgl. Schreiber, Not, S. 94.
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zentralen Einkaufsstelle für ausländische Literatur in der Leipziger Geschäftsstelle des Vereins. Der Börsenverein gewährte der Notgemeinschaft bei der Ergänzung der seit 1914 dramatisch ausgedünnten Bibliotheksbestände an ausländischen Zeitschriften nicht nur hohe Rabatte, sondern überwies zudem eine Spende in Höhe von drei Millionen Mark. In der Summe kaufte die Notgemeinschaft bis 1923 etwa 2.400 Zeitschriftenbände (in der Regel pro Zeitschrift ein bis zwei Exemplare) sowie 4.000 Monographien aus dem Ausland und verteilte sie auf 60 Staats-, Hochschul- und Institutsbibliotheken. Daneben unterstützte die Notgemeinschaft die im Januar 1920 mit Reichsmitteln im organisatorischen Rahmen der Berliner Akademie gegründete Reichszentrale für naturwissenschaftliche Berichterstattung, die nicht nur Übersichten über die Inhalte einer großen Zahl wissenschaftlicher Zeitschriften, sondern auf Bestellung sogar Reproduktionen der Artikel zur Verfügung stellte, eine Innovation mit Zukunft – 1929 sollte die Reichszentrale bereits über 100.000 Kopien versenden (mit 90.000 Mark von der Notgemeinschaft finanziert). 100 der 160 von der Reichszentrale regelmäßig ausgewerteten ausländischen Fachzeitschriften erhielt sie leihweise von der Notgemeinschaft. Als langfristige Strategie vereinbarte die Notgemeinschaft mit der amerikanischen Library Association einen ständigen Austausch wissenschaftlicher Literatur, durch den etwa 300 amerikanische Wissenschaftsjournale zu Vorkriegspreisen erworben werden konnten.7 STANDARDISIERUNG, EXPERIMENTALISIERUNG, BERIESELUNG: FÖRDERLINIEN DER NOTGEMEINSCHAFT ZWISCHEN 1924 UND 1932 Nach der Einstellung des Ruhrkampfes durch die Reichsregierung im September 1923, nach dem Scheitern kommunistischer und nationalsozialistischer Putschversuche Ende Oktober bzw. Anfang November des Jahres, vor allem aber mit der Währungsreform vom 15. November gewann die politische wie monetäre Ordnung überraschend schnell wieder an Stabilität. Der Notgemeinschaft ermöglichte die Regierung durch die Auszahlung von 500.000 Goldmark Ende 1923 den Übergang in die Zeit nach der Hyperinflation. Die weitere Entwicklung der Reichszuschüsse folgte der vorübergehenden Stabilisierung und (ab 1929) erneuten Erosion der Republik. Für 1925 und 1926 erhielt die Notgemeinschaft reguläre Etats von fünf bzw. 4,7 Millionen Reichsmark, die jeweils um 1,5 Millionen Mark zur Schwerpunktförderung einzelner Forschungsfelder aufgestockt wurden. 1927 und 1928 konnte die Notgemeinschaft jeweils über acht Millionen Mark insgesamt verfügen (reguläre und Schwerpunktförderung wurden nun nicht mehr differenziert); diese Zuwendungen fielen auf jeweils sieben Millionen Mark in den Jahren 1929 und 1930. Als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrisen stürzten die Reichszuschüsse für die Notgemeinschaft dann 1931 auf 5,1 und 1932 7
Vgl. Bericht 1922, S. 9 und 26 f., Schreiber, Not, S. 30 und 92, Szöllösi-Janze, Haber, S. 532, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 69–73, Schmidt-Ott, Notgemeinschaft, S. 606, Briel, Beschlagnahmt, S. 29–33 sowie Behrends, Auswirkungen, S. 58 f.
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Forschung und Volk. Die Förderpolitik der Notgemeinschaft
auf nur noch 4,4 Millionen Mark ab. Die Notgemeinschaft blieb primär auf die Zahlungen des Reiches angewiesen, der Anteil privater Spender (sei es über den Stifterverband, sei es unmittelbar) an ihren Einnahmen lag bis 1932 nie über 14 Prozent (mit Höchstwerten 1924 und 1932) und pendelte meist zwischen zwei und sechs Prozent. Von insgesamt 58,1 Millionen Mark, welche die Notgemeinschaft zwischen 1924 und 1932 einnahm, stammten 55,2 Millionen (95 Prozent) aus dem Reichshaushalt.8 Diesen Einnahmen standen im selben Zeitraum Ausgaben von 57,3 Millionen Mark gegenüber. Um die Grundlinien der Förderpolitik zu erkennen, ist es in einem ersten Schritt sinnvoll, die Verteilung dieser Gelder auf unterschiedliche Formate einerseits, auf die Disziplinen andererseits zu untersuchen. Abgesehen von den Verwaltungskosten, die zwischen 1924 und 1932 nur 3,3 Prozent der Ausgaben bildeten, können wir zunächst die unter dem Begriff der „Gemeinschaftsarbeiten“ firmierende Schwerpunktförderung von zuletzt (1932) 40 Themenfeldern unterscheiden von der alle akademischen Disziplinen und zumindest potenziell alle Themen umfassenden Breitenförderung. Letztere bildete durchgängig den monetären Kern der Notgemeinschaftsarbeit; 68,8 Prozent aller Ausgaben zwischen 1924 und 1932 erfolgten in ihrem Rahmen, auf die Gemeinschaftsarbeiten entfielen 27,9 Prozent.9 Innerhalb der Breitenförderung können wir fünf Förderformate voneinander unterscheiden. Erstens setzte die Notgemeinschaft zwischen 1924 und 1932 die Unterstützung der informationellen Infrastruktur der Wissenschaften fort und wendete 16 Prozent ihrer Gesamtausgaben zur direkten Förderung des Bibliothekswesens auf (die wie gesehen zuvor fast ein Drittel ihrer Gelder beansprucht hatte). Bis 1931 setzte die Notgemeinschaft selbst den Ankauf ausländischer Zeitschriften und Monographien über die Leipziger Einkaufsstelle des Börsenvereins zu deutlich ermäßigten Preisen fort.10 Im Januar 1925 startete die Notgemeinschaft ein neues Programm, in dessen Rahmen sie den einzelnen Bibliotheken jährlich Mittel zuwies, mit denen diese über die Leipziger Stelle im Ausland publizierte Literatur anschaffen konnten. Im Vergleich zu den regulären Etats der Bibliotheken handelte es sich um beträchtliche Summen; der Würzburger Universitätsbibliothek stellte die Notgemeinschaft beispielsweise allein im Jahr 1925 eine Summe von 12.000 Reichsmark zur Verfügung, während dieselbe Bibliothek für das Geschäftsjahr 1924/25 aus ihrem regulären Etat nur 6.500 Reichsmark für den Ankauf von Monographien ausgeben konnte. Der halleschen Universitätsbibliothek standen im Jahr 1926 für Neuerwerbungen aus ihrer staatlichen Grund8
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Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 38 und Hachtmann, Erfolgsgeschichte, S. 48. Generell zog sich die Wirtschaft in den 1920er Jahren aus der Forschungsförderung außerhalb ihrer eigenen Labore und Ingenieurbüros zurück. Die 1900 gegründete Jubiläumsstiftung der Deutschen Industrie zur Förderung der technischen Wissenschaften musste ihre Tätigkeit im Jahr 1924 einstellen, nachdem die Inflation ihr Kapital vernichtet hatte; die Kaiser-WilhelmGesellschaft konnte in der Weimarer Republik nur noch 29 Prozent ihres Etats aus privaten Quellen decken – wobei ein Großteil der ihr zufließenden Privatmittel aus dem Ausland kam; vgl. Schulze, Stifterverband, S. 37 und 42. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 38 f. Vgl. ebenda, S. 97.
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finanzierung 54.000 Reichsmark zur Verfügung, während die Notgemeinschaft 30.000 Reichsmark beisteuerte.11 Zwei Elemente dieses Programms sind bemerkenswert: Zum einen beruhte es auf einer Mischfinanzierung aus dem Etat der Notgemeinschaft sowie aus zweckgebundenen Spenden amerikanischer Stiftungen, wie des Laura Spelman Rockefeller Memorial und der Rockefeller Foundation. Zum anderen waren die Universitätsbibliotheken nicht frei bei ihren Einkäufen, sondern hatten diese aus von der Notgemeinschaft vorgegebenen „Standard-Listen“ ausländischer Literatur auszuwählen. Zwischen 1925 und 1930 erstellte die Notgemeinschaft insgesamt elf solcher Listen, allein die ersten beiden vom Jahresanfang 1925 enthielten etwa 3.700 Titel. Sie basierten jeweils auf Vorschlägen der Berliner und Münchner Staatsbibliotheken, die von den Fachausschüssen der Notgemeinschaft ergänzt wurden. Die Notgemeinschaft förderte damit nicht nur den Kauf ausländischer Literatur, sondern sie erstellte zudem einen Kanon, der angesichts der permanenten Finanznöte der Universitätsbibliotheken das Profil des in ihnen für Studenten und Forscher greifbaren ausländischen Wissens entscheidend prägte.12 Das zweite Förderungsformat waren die Druckkostenzuschüsse: 17,8 Prozent des Etats der Notgemeinschaft zwischen 1924 und 1932 wurden hierfür verwendet. Nach doppelter Prüfung durch den jeweils zuständigen Fachausschuss und einen die wirtschaftlichen Aspekte prüfenden Verlagsausschuss, nach Entscheidung des Präsidenten und Kenntnisnahme durch den Hauptausschuss wurde so die Publikation von knapp 1.200 Zeitschriftenbänden und fast 2.000 Monographien gefördert. Der Schwerpunkt dieses Förderformates lag aber bei der Unterstützung der (meist im Rahmen der Akademien betriebenen) langfristigen Publikationsvorhaben wie des Thesaurus Linguae Latinae oder des Grimm’schen Wörterbuchs und der großen Editionsvorhaben wie der Monumenta Germaniae Historica (deren Präsident Paul Kehr praktischer Weise Mitglied im Hauptausschuss der Notgemeinschaft war). Fast 38 Prozent aller Druckkostenzuschüsse entfielen auf diese Großunternehmungen (etwa 37 Prozent auf Monographien und 25 Prozent auf Zeitschriften).13 Wie die Förderung der Zeitschriften stabilisierte auch die Förderung der bereits im 19. Jahrhundert gestarteten, das Profil der deutschen Geisteswissenschaften langfristig prägenden Wörterbücher und Editionen die jeweils disziplinären Infrastrukturen der Wissenschaft. Vor allem steigerte diese Förderung die relative Bedeutung der wenigen Großforschungsprojekte innerhalb der Geisteswissenschaften als „Leuchttürme“ ihrer jeweiligen Disziplinen. Drittens bezuschusste die Notgemeinschaft mit neun Prozent ihrer Gesamtausgaben Expeditionen, Forschungsreisen und archäologische Grabungskampagnen, um auf diese Weise nicht nur Anschluss an die internationale Forschung zu halten und durch den Weltkrieg abgerissene Kontakte zu erneuern, sondern auch um eine vor 1914 errungene Dominanz deutscher Wissenschaft auf manchen Fel-
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Vgl. Häseler, Shylock, S. 450 und den Bericht der hallischen Universitätsbibliothek an den Rektor vom 29.4.1929, in: Universitätsarchiv Halle (UA Halle), Rep. 4, Nr. 156. Vgl. Mälzer, Notgemeinschaft. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 83 und Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 43.
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dern internationaler Forschung – wie etwa der vorderasiatischen Archäologie – zu behaupten. Etwa dieselbe Summe, nämlich 9,1 Prozent der Gesamtausgaben zwischen 1924 und 1932, setzte die Notgemeinschaft viertens für die direkte Förderung der Experimentalforschung ein, zuvörderst durch die Ausleihe von Apparaten und Instrumenten und den Kauf von Versuchstieren. Unter der Leitung der Biologen Alfred Kühn und Erwin Baur baute die Notgemeinschaft (in Kooperation mit Strafanstalten) ein Netz von Zuchteinrichtungen für Versuchstiere auf, um der Forschung „standardisierte“ Tiere zur Verfügung zu stellen.14 Der Apparateausschuss verfügte im Jahr 1929 bereits über insgesamt 8.000 Geräte im Wert von zwei Millionen Mark. Indem die Notgemeinschaft die Apparate einzelnen Forschern nur leihweise für spezifische Projekte überließ, schuf sie ein Instrument flexibler Forschungsförderung: Wissenschaftler, die an eine andere Universität berufen wurden, durften die ihnen geliehenen Geräte mitnehmen, nach Projektende forderte die Notgemeinschaft dann entliehene Geräte zurück und reichte sie für neue Projekte an andere Forscher weiter. Wie Gabriele Moser am Beispiel der Krebsforschung gezeigt hat, stützte die Notgemeinschaft auf diese Weise unter anderem den ohnehin bestehenden Trend zur „chemischen Experimentalisierung“ der Medizin.15 Daneben beteiligte sich die Notgemeinschaft anteilig an der Finanzierung von Großgeräten an festen Standorten, so steuerte sie Mitte der 1920er Jahre 250.000 Mark für die Anschaffung einer Tiefsttemperaturanlage zur Heliumproduktion an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) bei.16 Im fünften und letzten Förderformat fand sich dann eine thematisch wie methodisch bunte Mischung, von der Experimentalforschung im Labor bis zum sinnierenden Quellenstudium von Philosophen. Mit den individuellen Forschungsstipendien, auf die 16,9 Prozent aller Ausgaben der Notgemeinschaft zwischen 1924 und 1932 entfielen, sollten auch eher aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres Schülerverhältnisses zu einem respektierten Ordinarius, der Resonanz früherer Arbeiten und ihrer von den Fachgutachtern prognostizierten Karriereaussichten förderungswürdige Nachwuchsforscher unterstützt werden als die Untersuchung eines bestimmten Gegenstandes. Die von Schmidt-Ott auf der Basis von Gutachten der Fachausschüsse für jeweils ein Jahr vergebenen (aber mehrfach verlängerbaren) Stipendien lagen denn auch mit einer schwankenden Durchschnittshöhe von 150 bis 250 Mark im Monat etwa auf dem Niveau einer halben Assistentenstelle an Hochschulen, waren also nur für Nachwuchskräfte leidlich attraktiv.17 Um die Bedeutung der Stipendien für die Förderpolitik der Notgemeinschaft einzuordnen, sind zwei Beobachtungen aufschlussreich – die erste betrifft die diachrone Entwicklung, die andere ihre Verteilung auf die Disziplinen. Von einem niedrigen Sockel von nur 174 Stipendien Ende April 1925 aus erfolgte vor dem Hintergrund steigender Etatmittel zunächst fast eine Verdoppelung auf 344 Sti14 15 16 17
Vgl. Schwerin, Strahlen, S. 53 f. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 42. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 38 f. Zum Ausbau der Versorgung mit Versuchstieren vgl. Cottebrune, Mensch, S. 31 f. Vgl. Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 200 f. Vgl. Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 41 und Bericht 1927, S. 114 f.
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pendien im März 1926; ein Jahr später betrug die Zahl der Stipendien 488, im März 1928 dann sogar 670, um im Folgejahr wieder auf 610 abzusacken. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben nahm zwischen 1926 und 1929 von neun auf nunmehr 25 Prozent zu.18 Bis zum Ende der Weimarer Republik sollte er nie wieder unter einen Wert von 21 Prozent fallen. Gleichzeitig sanken sowohl der Anteil der Förderung von Bibliotheken als auch derjenige der Druckkostenzuschüsse von jeweils 22 Prozent im Jahr 1927 auf nur noch jeweils zwölf Prozent im Jahr 1928. Während die fallende Tendenz sich bei den Geldern für die Bibliotheken in den Folgejahren fortsetzte, stiegen die Druckkostenzuschüsse zwar noch einmal bis auf 17 Prozent (1931), erreichten aber nie mehr das Niveau der Jahre bis 1927. In der Summe weist dies darauf hin, dass die Gremien der Notgemeinschaft im Jahr 1928 die Folgen des Ersten Weltkrieges und der Inflation als weitgehend überwunden ansahen und den Schwerpunkt ihre Förderung weg von der Stabilisierung der Infrastruktur und hin zur Projektförderung verschoben. Betrachten wir nun die Verteilung der vergebenen Forschungsstipendien auf die Disziplinen und Fächergruppen, so zeigt sich, dass mit der steigenden Zahl der Stipendien die Anteile der Geistes- und Sozialwissenschaften zurückgingen, jene der Medizin, Natur- und Ingenieurwissenschaften stiegen.19 Hatten die Geistes- und Sozialwissenschaften im April 1926 noch 63,2 Prozent der Stipendiaten gestellt, war dieser Wert bis zum Juni 1929 auf 39,8 Prozent gesunken. Damit hatten die Naturwissenschaften fast gleichgezogen, deren Anteil bis 1929 auf 38,3 Prozent gestiegen war, nachdem er 1926 nur 24,7 Prozent betragen hatte. Der Anteil der Mediziner war zwischen 1926 und 1929 von 9,2 auf 13,3, jener der Ingenieurwissenschaften von 2,3 auf 5,1 Prozent gestiegen. Aus Sicht der Geistes- und Sozialwissenschaftler mochte diese Entwicklung keinen Anlass zu akuter Besorgnis bieten, war doch die absolute Zahl ihrer Stipendiaten zwischen 1926 und 1929 nicht etwa gesunken, sondern sogar von 110 auf 242 gestiegen. Allerdings blieb es dann auch bei den aufgrund geringerer Reichszuschüsse nach 1929 fallenden Stipendiatenzahlen bei einer verminderten Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften. Im September 1931 stellten sie nur noch 30,8 Prozent von nunmehr 490 Stipendiaten (nämlich 151), während der Anteil der Naturwissenschaften auf 42,4 Prozent gestiegen war. Zugelegt hatten zwischen 1929 und 1931 auch die Ingenieurwissenschaften (auf 8,8 Prozent), zurückgegangen war dagegen der Anteil der Medizin an den Stipendien (auf 9,6 Prozent). Ab 1927 war die Chemie unangefochten jenes Fach, das die relativ meisten Stipendien gewinnen konnte (mit 18,8 Prozent im Jahr 1931); um den zweiten Platz konkurrierten Medizin und Physik, 1931 errang die letztere ihn erstmals (mit 12,7 Prozent). Im Bereich der Nachwuchsförderung gewannen demnach seit 1926 vor allem jene Disziplinen an Boden, die auch im Mittelpunkt der Schwerpunktbildung durch die Gemeinschaftsaufgaben standen. Von jenen 148 Forschungsstipendien des 18 19
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 38 f. und 70 auch für das Folgende. Vgl. zu diesen und den folgenden Angaben zu den Stipendien: Bericht 1926, S. 120, Bericht 1928, S. 140 sowie den Überblick über die Forschungsstipendien zum 1.6.1929, in: BArch, R 73/72, fol. 221 f. sowie die Aufstellung der laufenden Forschungsstipendien zum 1.9.1931, in: ebenda, fol. 107.
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Forschung und Volk. Die Förderpolitik der Notgemeinschaft
Jahres 1931, die auf die Gemeinschaftsaufgaben entfielen, waren denn auch nur fünf Projekte den Geistes-, mehr als die Hälfte dagegen den klassischen Naturwissenschaften zuzuordnen. In den Ingenieurwissenschaften arbeiteten zu diesem Zeitpunkt sogar drei Viertel aller Stipendiaten im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben. Es wäre aber falsch anzunehmen, die Notgemeinschaft habe die Geisteswissenschaften generell zugunsten der naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen vernachlässigt. Schlüsselt man alle Ausgaben der Notgemeinschaft zwischen April 1928 und März 1933 nach Fächergruppen auf, so entfiel auf die Naturwissenschaften ein Anteil von 31,4 Prozent, die Geisteswissenschaften standen ihnen aber mit 30,2 Prozent kaum nach – nur schlugen sich die Großprojekte der Geisteswissenschaften eher in Druckkostenzuschüssen und Reisebeihilfen als in Stipendien oder der Zurverfügungstellung von Apparaturen nieder. Allein die Altertums- und Orientwissenschaften erreichten durch die hohen Kosten ihrer archäologischen Großprojekte einen stolzen Anteil von 10,4 Prozent an den Gesamtausgaben der Notgemeinschaft. Das war denn auch in Relation ein beachtlicher Wert, entfielen doch im gleichen Zeitraum auf die Medizin 18,9, auf die Ingenieurwissenschaften 11,4 und auf die Agrarwissenschaften 5,9 Prozent.20 Gemessen an ihren Anteilen am Gesamtaufkommen der Notgemeinschaft zwischen 1928 und 1933 bildeten neben der Medizin zweifelsohne die Physik und die Chemie (mit Anteilen an der Gesamtförderung von 11,2 bzw. 10,7 Prozent) Kernfächer der Forschungsförderung. Dies bildete sich, wie wir gesehen haben, auch in der Stipendienvergabe ab und korrespondierte mit der Bedeutung dieser Fächer für das industrielle Innovationssystem Deutschlands, mit der (etwa in Nobelpreisen messbaren) internationalen Spitzenstellung dieser Disziplinen und damit mit ihrer Leistung für die internationale Reputation deutscher Wissenschaft, aber auch mit der Aufmerksamkeit seitens der nationalen Öffentlichkeit für diese Fächer (man denke nur an die populären Debatten über die Relativitäts- und Quantentheorie). In den letztgenannten Dimensionen waren aus dem Bereich der Geisteswissenschaften nur bzw. immerhin die Altertumsdisziplinen (und hier im Kern die Archäologie) vergleichbar, was deren hohen Anteil an der Förderung durch die Notgemeinschaft mit erklären dürfte. Für die intensiv geförderten Fächer erweiterte die Notgemeinschaft in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre die Spielräume zur Forschung erheblich. Paul Forman hat die Höhe der den physikalischen Hochschulinstituten zwischen 1928 und 1932 von der Notgemeinschaft zufließenden Fördergelder mit deren staatlichen Grundfinanzierung verglichen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus der letzteren maximal 200.000 Mark pro Jahr für Forschungszwecke einsetzen ließen, während die Notgemeinschaft je nach Jahr etwa 360.000 bis 580.000 Mark zur Verfügung gestellt habe. Und Steffen Richter schätzt nach einer Auswertung der Jahresberichte sowie der wichtigsten Fachzeitschriften, dass die Notgemein-
20
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 69. Der Rest entfiel auf unter „Verschiedenes“ klassifizierte Forschungen.
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schaft mindestens ein Viertel der erfolgreichen, das heißt zu Publikationen führenden physikalischen Forschungsprojekte gefördert habe.21 In der Summe lässt sich für die Förderpolitik der Notgemeinschaft zwischen 1924 und 1932 konstatieren, dass sie zwar die akademische Forschung in ihrer ganzen thematischen Breite förderte (und somit integrierte), aber keineswegs auf eine egalitäre Berieselung aller Forschungsfelder setzte. Vielmehr folgte sie dem zeitgenössischen Motto der von philanthropischen Stiftungen in den USA betriebenen Forschungsförderung: „to make the peaks higher“.22 Den Kern dieser Strategie der Notgemeinschaft bildete seit 1926 die Schwerpunktförderung der sogenannten „Gemeinschaftsarbeiten“, das heißt von als interdisziplinär und kooperativ konzipierten Großforschungsprojekten auf Themenfeldern, die den Gremien der Notgemeinschaft als sowohl wissenschaftlich, als auch ökonomisch und politisch relevant galten. VON DER NOTHILFE ZUR SCHWERPUNKTFÖRDERUNG: DIE GEMEINSCHAFTSARBEITEN AB 1925 Die Stabilisierung der politischen Ordnung und der Währung ab Ende 1923 besaß aus der Sicht Schmidt-Otts auch eine bedrohliche Dimension: Würden die Regierungen und der Reichstag, würden die etablierten akademischen Institutionen eine Existenzberechtigung der Notgemeinschaft auch dann noch akzeptieren, wenn die deren Tätigkeit legitimierende „Not“ überwunden schien? Der Präsident der Notgemeinschaft war nach über 30 Jahren in der Wissenschaftsadministration zu erfahren, als dass er diese Gefahr nicht frühzeitig erkannt hätte. Ab Herbst 1923 lotete er in vielen Einzelgesprächen mit Regierungsvertretern Chancen und Bedingungen für eine Verstetigung der Notgemeinschaft aus, musste aber zugleich registrieren, dass sich Gegenstimmen aus seinem eigenen Netzwerk erhoben.23 Max Planck, immerhin Mitglied des Hauptausschusses der Notgemeinschaft, erklärte am 24. Januar 1924 in einem öffentlichen Vortrag vor der Berliner Akademie, dass die Notgemeinschaft „nicht zu einer dauernden Einrichtung“ werden könne.24 Etwas differenzierter äußerte sich Adolf von Harnack, Vorsitzender des Hauptausschusses, einige Monate später in einem Brief an Schmidt-Ott. Zwar räumte er die Nützlichkeit der Notgemeinschaft in der näheren Zukunft ein, bestand aber auf einem qualitativen Unterschied zwischen ihr und der von ihm selbst als Präsident geführten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Diese werde „ein bleibendes Werk in unserem Vaterlande sein“, die Notgemein21 22 23
24
Vgl. Forman, Support, S. 40–43 und Richter, Forschungsförderung, S. 55 f. Diese Formel wird Wickliffe Rose zugeschrieben, der zwischen 1924 und 1929 den General Education Board leitete, hier zit. nach Geiger, Knowledge, S. 161. Die Aktivitäten des Notgemeinschaftspräsidenten, die letztlich in das Programm der Gemeinschaftsarbeiten mündeten, hat Johannes Kirchhoff anhand Schmidt-Otts Tageskalenders minutiös rekonstruiert, hierauf kann an dieser Stelle verzichtet werden; vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 156–204. Zit. nach Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 159.
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schaft dagegen werde „einmal (…) aufhören“.25 Hintergrund solcher Stellungnahmen war die zu diesem Zeitpunkt allgemein verbreitete Überzeugung, dass der Staat nach Überwindung der Inflation einen rigiden Sparkurs würde einschlagen müssen – und in dieser Situation bemühten sich die Repräsentanten aller Wissenschaftsinstitutionen, die Finanzierung der eigenen Einrichtung zu sichern, und sei es auf Kosten anderer. Am 25. Januar 1924, einen Tag nach Max Plancks öffentlicher Distanzierung von der Idee einer dauerhaften Notgemeinschaft, erfuhr Schmidt-Ott, dass die Reichsregierung dieser für das im April beginnende Haushaltsjahr statt der beantragten fünf Millionen lediglich eine Million Mark bewilligen wolle.26 Da es Schmidt-Ott wie seinen Kollegen unvorstellbar erschien, die eigene Institution zur Disposition zu stellen, suchte er fortan nach einer neuen Ausrichtung der Notgemeinschaft, die sowohl in der Politik, als auch bei Akademien, KWG und Hochschulen zur Akzeptanz ihrer langfristigen Existenz führen könnte. In diesem Zusammenhang ist es zu verstehen, wenn er während einer Besprechung mit dem Vorstand der Gesellschaft für Erdkunde am 31. Januar 1924 klagte, dass von Seiten der Forscher zwar viele Anträge an ihn herangetragen würden, „aber wirklich Großzügiges wäre nicht darunter“.27 Sechs Wochen später – die Reichsregierung hatte inzwischen signalisiert, der Notgemeinschaft für 1924 doch immerhin drei Millionen Mark bewilligen zu wollen – beschloss der Hauptausschuss, in Zukunft ein Schwergewicht auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses legen zu wollen; die Mitgliederversammlung bestätigte diesen Kurs am 27. Juni 1924.28 In der Tat spielte die Notgemeinschaft, wie wir bereits am Beispiel der Stipendien gesehen haben, in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern. Als die Existenz sicherndes Alleinstellungsmerkmal taugte dieses Programm aber kaum. Schmidt-Ott suchte denn auch zwischen April und Oktober 1924 immer wieder Rat bei von ihm als einfluss- oder ideenreich beurteilten Wissenschaftlern. Mit Henry Eversole, Direktor der Europaabteilung der Rockefeller Foundation, sprach er zum Beispiel am 22. April über seine Probleme und erhielt die Anregung, dass die Notgemeinschaft einen strategischen („constructive“) Plan entwickeln solle.29 In der Folge beschäftigte sich Schmidt-Ott unter anderem mit der Tätigkeit des 1916 in den USA gegründeten National Research Council (NRC). Der NRC eignete sich schon strukturell als Vorbild, beruhte er doch ähnlich der Notgemeinschaft auf einem „old boys network“ von Forschern und Wissenschaftsmanagern und diente primär der Förderung an den Universitäten arbeitender Grundlagenforscher. Anders als die rein reaktiv arbeitenden Fachausschüsse der Notgemeinschaft bemühten 25 26 27 28 29
Harnacks Schreiben an Schmidt-Ott vom 11.9.1924 ist abgedruckt in: Nötzoldt, Akademien, S. 94 f. Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 162. So der Geograph Alfred Merz in seinem Tagebuch, zit. nach Spiess, Forschungsschiff, S. 11. Vgl. Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 159 und Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S.175. Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 173.
Von der Nothilfe zur Schwerpunktförderung: Die Gemeinschaftsarbeiten ab 1925
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sich aber die Kommissionen des NRC darum, zu von ihnen als ökonomisch oder gesellschaftlich relevant erachteten Themen interdisziplinäre und jeweils von mehreren Einrichtungen kooperativ betriebene Forschung anzuregen und zu organisieren, wobei die in diesen Verbundprojekten weiterhin dominierende Grundlagenforschung die Voraussetzungen für die Lösung praktischer Probleme liefern sollte. Diesen Forschungsstil hat Schmidt-Ott letztlich für die Notgemeinschaft adaptiert und zu einem späteren Zeitpunkt – am 9. Januar 1925 – auch im Hauptausschuss der Notgemeinschaft explizit auf das Vorbild des NRC verwiesen.30 Aber auch auf seine eigenen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg mit der vergleichbar arbeitenden Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft kam er in diesem Zusammenhang zurück.31 Im Lauf des Sommers 1924 scheinen Schmidt-Otts Vorstellungen über ein künftig von der Notgemeinschaft zu initiierendes Forschungsprogramm grobe Konturen gewonnen zu haben. In Briefen deutete er jedenfalls an, das Programm solle sich volkswirtschaftlich relevanten Themen widmen, ab Oktober 1924 war auch von Problemen der Volksgesundheit die Rede. Aber die Inhalte der Forschung waren dem gelernten Administrator letztlich weniger wichtig als die informelle Einigung mit Wissenschaftshonoratioren über die Abgrenzung konkurrierender Interessen und die frühzeitige Gewinnung möglicher Projektmanager. Bevor Schmidt-Ott ab Mitte November 1924 die Protagonisten in Frage kommender Forschungsfelder um Projektvorschläge bat, hatte er daher bereits breit sondiert und sich vor allem mit Adolf von Harnack in zähen Verhandlungen verständigt: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wollte ein Schwerpunktförderungsprogramm der Notgemeinschaft unter der Bedingung unterstützen, dass die Kaiser-WilhelmInstitute bevorzugt gefördert werden würden und die Notgemeinschaft darauf verzichtete, in Konkurrenz zur KWG eigene Forschungsinstitute einzurichten.32 Tatsächlich hatte die Förderpolitik der Notgemeinschaft stets eine Schlagseite zugunsten der Akademien einerseits (deren Anträge nach den Worten Friedrich von Müllers und Walther von Dycks aus dem Jahr 1929 nach „stets geübtem Brauch“ per se „ausserhalb der Beurteilung“ stünden, ergo unbesehen genehmigt werden müssten) und zugunsten der KWG andererseits.33 Allein das Kaiser-WilhelmInstitut für Eisenforschung erhielt zwischen 1926 und 1932 Zuwendungen für 172 Projekte. Dies mag auch an der Qualität der in den Instituten der KWG geleisteten Arbeit gelegen haben, aber zumindest nicht unerheblich war, dass die KWG einen der festesten Stränge von Schmidt-Otts Netzwerkpolitik bildete; im Jahr 1928 saß er in den Kuratorien von 22 der 31 Kaiser-Wilhelm-Institute.34
30 31 32 33 34
Vgl. das Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 9.1.1925, in: BArch, R 73/89, fol. 13 und Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 205 und 364. So im Brief an Oskar von Miller vom 13.9.1924, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 77. Vgl. ebenda und derselbe/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 165 ff. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 14.12.1929, in: BArch, R 73/99, fol. 20. Vgl. Brocke, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Republik, S. 215.
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Forschung und Volk. Die Förderpolitik der Notgemeinschaft
Als Schmidt-Ott die Ergebnisse seiner Vorgespräche am 9. Januar 1925 dem Hauptausschuss vorstellte, sah er sich ausgedünnten Reihen gegenüber. Nur sechs der elf Gremienmitglieder waren zur Sitzung nach Darmstadt gekommen und dass mit Harnack, Haber und Dyck die nach dem Präsidenten wichtigsten Akteure fehlten, spricht nicht dafür, dass diese die Beratungen des Gremiums für bedeutsam hielten. Schmidt-Ott stellte das entscheidende Thema erst ganz am Ende der Sitzung vor; er erwartete wohl Widerspruch und wollte längere Diskussionen vermeiden. In der Tat gaben einige Gremienmitglieder vorhersehbare Bedenken zu Protokoll: kooperative Großforschung nach amerikanischem Vorbild berge „Gefahren einer Mechanisierung“ und sei nicht vereinbar mit der Autonomie der Forscherpersönlichkeit. Schmidt-Ott verwendete viel rhetorische Energie darauf, sich zur „Individualität des Einzelforschers“ als oberstem Wert zu bekennen und zu betonen, es gehe um die „freie Vereinbarung zu gemeinsamer Inangriffnahme größerer Ziele“, aber nicht um eine Steuerung der Forschung durch außerwissenschaftliche Interessen oder Interessenten. Wie üblich akzeptierte der Hauptausschuss am Ende mit „allseitiger Zustimmung“ Schmidt-Otts Vorlage, hatte aber deutlich gemacht, dass die Mandarine den Erhalt der Notgemeinschaft nicht mit der Preisgabe ihres normativen Wissenschaftsbildes erkaufen wollten.35 Wie unklar Schmidt-Otts Konzept zu diesem Zeitpunkt noch war, zeigte sich in den folgenden Monaten an seinen schwankenden Angaben darüber, wie viel Geld das Reich in die künftige Schwerpunktforschung der Notgemeinschaft investieren solle. Georg Schreiber bereitete er am 2. Februar 1925 darauf vor, im Haushaltsausschuss des Reichstages zunächst 500.000 Mark einzuwerben; mittelfristig brauche man eine Million. Gegenüber Finanzminister Otto von Schlieben sprach Schmidt-Ott einen Monat später von fünf Millionen Mark, welche die Notgemeinschaft im Laufe der nächsten drei Jahre für Schwerpunktförderung benötige.36 Noch immer ging es offenbar nicht um die Finanzierung konkreter Pläne, sondern darum, dass der Reichstag der Notgemeinschaft durch die Bewilligung eines Sonderfonds eine mittelfristige Zukunftsperspektive zubilligen sollte. Erst Ende Mai waren die Vorarbeiten so weit gediehen, dass die Notgemeinschaft in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Denkschrift einen Sonderfonds von fünf Millionen Mark für die Förderung von sieben Forschungsschwerpunkten beantragen und die Aufteilung der Mittel auf verschiedene Projektpakete ausweisen konnte. Neben Schmidt-Ott und Fritz Haber, der die Denkschrift um eine eigene „Anlage“ ergänzt hatte, die auf die für ihn typische Weise Visionen, Erfahrungswissen und Pragmatik kombinierte, zeichneten nun weitere 25 Koryphäen aus den Bereichen Metallforschung, der Geologie, der Motoren-, Turbinen und Strömungsforschung, der Ernährungs- und Arbeitsphysiologie sowie der landwirtschaftlichen Schädlingsbekämpfung namentlich für die Bewältigung von „Forschungsaufgaben der (…) höheren Art“ verantwortlich. „Planmäßig“ und „gemeinsam“, wenn auch „unter Wahrung der eigenen Initiative“ der einzelnen Wissenschaftler, so versprach Schmidt-Ott, werde man qua „Forschung der 35 36
Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 9.1.1925, in: BArch, R 73/89, fol. 15 und 18. Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 197 f.
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Wirtschaft neue Wege (…) bahnen“ sowie „Volksgesundheit und Volkswohl (…) heben“.37 Teilweise standen die großen Worte im Widerspruch zu den Projektideen, die so beworben wurden; manche Themen waren zeitgenössisch ebenso anerkannt wichtig wie unspezifisch – etwa das Vorhaben der Mediziner, zur Tuberkulose zu forschen –, andere – wie die Absicht, sich in den Agrarwissenschaften auf die Erforschung „der blutsaugenden Insekten“ zu konzentrieren – wurden zweideutig als „ganz eigenartige Aufgaben“ der Forschung beschrieben.38 Hier scheint der feste Vorsatz des Notgemeinschaftspräsidenten, bestimmte Forscher in sein Programm zu integrieren, denn doch bestimmender gewesen zu sein als die konkrete Relevanz ihrer Ideen für das „Volkswohl“. Freilich bewegte sich Schmidt-Ott bei Auswahl und Präsentation der Themen auch in einem engen Korsett des Möglichen. Einerseits musste er gegenüber der Politik deutlich machen, dass die zu fördernde Forschung gesellschaftlich relevanten Zielen dienen konnte, also etwa der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, der Produktivität der Landwirtschaft oder der Verbesserung der nach den Mangeljahren seit 1914 angeschlagenen Volksgesundheit. Andererseits konnte er nicht solche anwendungsorientierte Forschung vorschlagen, die direkt zu Patenten, Produkten oder Produktionsverfahren hätte führen können. Deren Finanzierung hätte die Politik angesichts ihrer Sparzwänge an die interessierten Unternehmen verweisen müssen. Von der Wirtschaft war aber nach den Erfahrungen der Notgemeinschaft kein relevantes finanzielles Engagement zu erwarten. Zudem wäre so zugeschnittene Forschung auch in der Klientel der Notgemeinschaft nur bei einer Minderheit auf Akzeptanz gestoßen, zu eindeutig und breit gestreut war die normative Festlegung auf die Autonomie der Forschung gegenüber ökonomischen Partikularinteressen und einen ethischen Primat der Grundlagenforschung. Der Weg zum wirklich großzügigen Aufbau neuer Strukturen war ohnehin verbaut, seit sich Schmidt-Ott die Unterstützung der KWG mit dem Verzicht erkauft hatte, neue Institute aufzubauen; dies unterstrich seine Denkschrift noch einmal explizit.39 War die Förderung der Notgemeinschaft bis dahin von einem breiten Konsens der Reichstagsfraktionen getragen gewesen, regte sich diesmal dezenter Widerspruch von Seiten sozialdemokratischer und kommunistischer Abgeordneter und Zweifel innerhalb der bürgerlichen Parteien in Bezug auf die Höhe der zu bewilligenden Mittel. Bestärkt wurden diese Vorbehalte durch eine Erhebung des preußischen Kultusministeriums, die festgestellt hatte, die Wissenschaft werde inzwischen vom Staat sogar mit höheren Summen unterstützt, als dies vor dem Krieg der Fall gewesen sei. Haber hatte diesen (von der späteren Forschung bestätigten) Befund in seinem Teil der Notgemeinschaftsdenkschrift mit dem Argument zu relativieren versucht, dass die staatlichen Aufwendungen für Kirche und Schulen in den Jahren der Republik sogar noch stärker gestiegen seien als jene
37 38 39
Schmidt-Ott, Denkschrift, S. 118 f. Vgl. Haber, Anlage. Schmidt-Ott, Denkschrift, S. 122. Vgl. ebenda, S. 119.
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Forschung und Volk. Die Förderpolitik der Notgemeinschaft
für die Wissenschaft.40 Vor diesem Hintergrund spricht es für die Wirksamkeit von Schmidt-Otts langfristig angelegtem Lobbyismus, dass es seinem Vertrauensmann Schreiber am 9. Juni 1925 gelang, die Zustimmung des Reichstags-Haushaltsausschusses zur Bewilligung eines Sonderfonds von insgesamt drei Millionen Mark für die Schwerpunktforschung der Notgemeinschaft, auszuzahlen in zwei Tranchen 1925 und 1926, zu erhalten. Das Plenum stimmte dieser Vorlage in der folgenden Woche zu.41 Dennoch blieb die Notgemeinschaft erkennbar in der Pflicht, ihre strategische Neuausrichtung in der Öffentlichkeit offensiv zu begründen und die gesellschaftliche Relevanz der von ihr unterstützten Forschung nachzuweisen. Auf Wunsch von Reichskanzler Hans Luther musste die Notgemeinschaft Ende Oktober 1925 in Essen eine Veranstaltungswoche unter dem Titel „Medizinische Wissenschaft und werktätiges Volk“ ausrichten. In deren Verlauf versuchten acht Professoren, darunter Ferdinand Sauerbruch und Friedrich von Müller, in Vorträgen den Nachweis anzutreten, dass – wie es Schmidt-Ott einleitend formulierte – die Wissenschaft „sich auch der Arbeiterklasse mit besonderer Liebe angenommen“ habe.42 Die Vorträge wurden anschließend in Buchform in einer Auflage von immerhin 15.000 Exemplaren veröffentlicht; 1927 ließ die Notgemeinschaft die Buchreihe Deutsche Forschung folgen, die bis Ende 1932 mit 19 Titeln über die Arbeit der Notgemeinschaft im Allgemeinen und die Erträge ihrer Schwerpunktforschung im Besonderen informierte. Parallel zur Intensivierung der Außenwerbung bildete Schmidt-Ott mehrere Kommissionen „aus hervorragenden Gelehrten“, die bis Ende 1925 Forschungsprogramme für elf Themenfelder (unter anderem Metall-, Strömungs- und Eiweißforschung, Ernährungsphysiologie der Pflanzen und Elektrotechnik) erarbeiteten.43 Hauptausschuss und Mitgliederversammlung billigten diese Pläne im Januar bzw. März 1926; damit konnten die nun unter dem Begriff „Gemeinschaftsarbeiten“ firmierenden Projekte beginnen.44 Bis Ende 1932 berief Schmidt-Ott insgesamt 40 Kommissionen, die jeweils ein Schwerpunktprogramm konzeptionell entwickeln und organisieren sollten.45 In der Regel folgte er Anregungen aus den Kreisen der Forscher und bestimmte dann selbst – nach den üblichen informellen Absprachen mit in Frage kommenden Honoratioren – die Zusammensetzung der Kommissionen. Wahlverfahren ähnlich jenen zu den Fachausschüssen konnte er vermeiden; ein Teil der Kommissionsmitglieder stammte je40 41 42 43 44 45
Vgl. Haber, Anlage, S. 127, Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 176 und 204 sowie Pfetsch, Datenhandbuch, S. 64 f. Vgl. zu Schreibers Rede, in der er sich knapp auch mit der Kritik der Linksparteien beschäftigte, das Protokoll der Reichstagssitzung vom 16.6.1925 in: Verhandlungen Reichstag, Band 386, Sp. 2350 f. Schmidt-Ott, Einführungswort, S. 7. Plan, S. 7. Den Terminus hat Schmidt-Ott selbst im Juni 1925 erfunden, vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 208. Vgl. das Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss vom 6.1.1926, in: BArch, R 73/90, fol. 3–8. Vgl. die Liste in Zierold, Forschungsförderung, S. 49. 1929 waren an den Gemeinschaftsarbeiten bereits über 400 Forscher beteiligt, vgl. Schmidt-Ott, Titel, S. 112.
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doch aus den Ausschüssen. Strategische Debatten im Hauptausschuss über die Gemeinschaftsarbeiten oder auch nur Ansätze zu einer Mitbestimmung seitens dieses Gremiums nach 1926 sind in den Akten nicht erkennbar. Selbst gegenüber der Öffentlichkeit dokumentierte der Präsident seinen Führungsstil informeller Absprachen; so wies er im Tätigkeitsbericht von 1930 darauf hin, dass er die Gemeinschaftsarbeiten zur Medizin am Rande einer Veranstaltung der KWG „einer großen Reihe der hervorragendsten Mediziner“ vorgestellt und deren „volle Billigung“ erfahren habe.46 Die Bewilligung der Einzelprojekte im Rahmen einer Gemeinschaftsarbeit erfolgte im Standardverfahren über Fach- und Hauptausschuss.47 Unter den vierzig Kommissionen für Gemeinschaftsarbeiten widmeten sich zehn medizinischen Themen, vier agrarwissenschaftlichen Forschungen, drei den medizinisch-naturwissenschaftlichen Aspekten von Anthropologie und Rassenkunde und eine der Gewässerkunde. Drei Kommissionen waren für Expeditionen zuständig, so für die Grönland-Expedition Alfred Wegeners (1930/31) oder die Atlantikfahrten des Vermessungsschiffes Meteor (1925–1927). Zwölf Kommissionen organisierten die Kooperation naturwissenschaftlicher Grundlagenforscher mit Technikwissenschaftlern, so beispielsweise in der Metallforschung, der Geophysik, der Schall- und Strömungsforschung sowie in der Elektrotechnik. In einigen dieser Kommissionen bestand zumindest ein Teilziel darin, neue Produkte zu entwickeln oder vorhandene zu verbessern. Oder man suchte nach Produktionsverfahren, zum Beispiel in der Luftfahrt- und Schiffbauforschung. Wie Sören Flachowsky gezeigt hat, unterstützte die Notgemeinschaft im Rahmen der Gemeinschaftsarbeiten auch von der Reichswehr gewünschte Rüstungsforschung, die diese aufgrund des Versailler Vertrages nicht selbst durchführen oder finanzieren konnte.48 Andere Kommissionen widmeten sich dagegen Feldern der Grundlagenforschung, deren Förderung sich schwerlich mit Volkswirtschaft oder Volksgesundheit begründen ließ. Beispielsweise unterstützte die Notgemeinschaft zwischen 1928 und 1934 im Rahmen der Gemeinschaftsarbeiten zur Astronomie die Teilnahme deutscher Sternwarten an dem von der Internationalen Astronomischen Gesellschaft betriebenen „Zonenunternehmen“, das der Katalogisierung der Fixsterne diente, durch Apparate und Stipendien.49 Sieben Kommissionen planten oder betrieben geisteswissenschaftliche Großprojekte, neben archäologischen Grabungskampagnen ging es vor allem, nämlich in fünf der sieben Projekte, um die wissenschaftliche Konstruktion und Vergewisserung eines völkischen Selbst innerhalb wie jenseits der geographischen Grenzen des Deutschen Reiches; das bedeutendste dieser Projekte waren die 1928 gestarteten Arbeiten an einem „Atlas der Deutschen Volkskunde“. 46 47 48 49
Bericht 1930, S. 52. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 93. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 87–92. Der Kommission für Schallforschung gehörten sogar drei Offiziere an, vgl. ebenda, S. 89. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 49 und Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 255– 259.
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Forschung und Volk. Die Förderpolitik der Notgemeinschaft
Für eine Einordnung der natur- und technikwissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeiten in die Geschichte der Notgemeinschaft sind vor allem zwei Fragen relevant. Erstens gilt es angesichts der bisher entwickelten Deutung der Notgemeinschaft als einer Selbstorganisation von Wissenschaftlern, die einem Primat der Grundlagenforschung huldigten, zu klären, inwiefern es sich bei den Gemeinschaftsarbeiten um einen Bruch mit dieser Norm und um eine Neuorientierung in Richtung anwendungsorientierter Forschung handelte. Zweitens ist für jene Gemeinschaftsarbeiten, die mit ihrem vermeintlichen volkswirtschaftlichen Nutzen begründet wurden, danach zu fragen, ob es hier um Nutzen im Rahmen einer auf Autarkie zielenden politischen Strategie ging. Da einige der führenden Köpfe der Notgemeinschaft – allen voran Fritz Haber – während des Ersten Weltkrieges ihre Forschung bewusst in den Dienst einer die vierjährige Kriegsführung „gegen eine Welt von Feinden“ erst ermöglichenden Autarkie- und Ersatzstoffwirtschaft gestellt hatten und sich die Notgemeinschaft ab 1933 zweifelsfrei in den Dienst der nationalsozialistischen Autarkiepolitik stellte, liegt die Vermutung einer Kontinuität autarkiepolitischer Konzepte zwischen 1914 und 1945 nahe. Friedrich Schmidt-Ott waren die Vorbehalte seiner Klientel gegenüber einer Orientierung der Forschungsförderung am Kriterium des wirtschaftlichen oder politischen Nutzens bewusst; zugleich musste er gegenüber den Vertretern der Regierung, des Reichstages und der im Stifterverband engagierten Industrie gerade mit solchen utilitaristischen Argumenten für die Fortexistenz der Notgemeinschaft werben. In seinen Verlautbarungen setzte er daher je nach Zielgruppe unterschiedliche Akzente und knüpfte im Übrigen an zwei den Adressaten einleuchtende Denkmuster an: Erstens interpretierte er nationalistische Zielsetzungen als genuin unpolitisch und warb für eine Forschung, die ihre Themen und Fragen aus außerwissenschaftlichen Nutzungserwartungen ableitete, mit dem Argument, dass der eigentliche Nutznießer nicht die Vertreter von Partikularinteressen seien sondern „das deutsche Volk“. Die erste für die Öffentlichkeit bestimmte Denkschrift über Schwerpunktforschung vom Mai 1925 beschrieb diese schon im Titel als „Forschungsaufgaben (…) im Bereich der nationalen Wirtschaft, der Volksgesundheit und des Volkswohles“.50 Auch intern, nämlich im Hauptausschuss der Notgemeinschaft, betonte der Präsident 1926, es handele sich „bei all den Fragen“ der Gemeinschaftsarbeiten um „Volksaufgaben. Wovon unser Leben gegenüber anderen Nationen abhängt“.51 Zweitens trat Schmidt-Ott für den Primat einer Grundlagenforschung ein, die im Rahmen eines linearen Innovationsmodells künftige Nutzanwendungen zwar als unvermeidbare Folge der eigenen, „reinen“ Wissenschaft erwartete und billigend in Kauf nahm, aber nicht zum Bewertungskriterium für die Leistung eines Forschers machte. In diesem Sinne betonte er 1928 bei der Präsentation verschiedener Denkschriften zu Gemeinschaftsarbeiten, es komme „nicht darauf an, spezielle Interessen, wie sie die Vertreter der im praktischen Leben stehenden Be50 51
Schmidt-Ott, Denkschrift. Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss vom 6.1.1926, in: BArch, R 73/90, fol. 37.
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rufsstände hegen mögen, zu fördern, sondern wissenschaftlich grundlegende Fragen zu lösen, die für jeden erfolgreichen Fortschritt (…) Voraussetzung sind.“52 Die ab 1926 im Rahmen der Gemeinschaftsarbeiten organisierte Metallforschung kann hier als repräsentatives Beispiel für ein Forschungsfeld dienen, auf dem Vertreter der „reinen“ Naturwissenschaft mit Ingenieuren kooperierten und das vom Design eines Teils der Projekte her auf ökonomische Nutzeffekte zielte. Daher nahmen Vertreter der Schwerindustrie an den Sitzungen der Kommission für Metallforschung teil.53 Dennoch dominierte, wie Günther Luxbacher in einer detaillierten Analyse gezeigt hat, innerhalb des Gesamtvorhabens „die metallphysikalische und –chemische Grundlagenforschung“, das heißt Projekte zu Struktur, Eigenschaften und physikalischen Zuständen von Metallen und Legierungen.54 Unter der Leitung des Münsteraner Chemikers Rudolf Schenck (der bis 1925 Vorsitzender des Hochschulverbandes gewesen war und seit 1920 dem Hauptausschuss der Notgemeinschaft angehörte) beteiligten sich bis Ende 1929 42 Projektleiter (sowie deren Assistenten und ihnen zuarbeitende Stipendiaten, insgesamt etwa 100 Forscher) an diesen Gemeinschaftsarbeiten – oder in Schencks eigener Diktion von 1929: an „systematischer Großforschung“ unter „genialer Führung“.55 17 Projektleiter arbeiteten an Technischen Hochschulen, elf an Universitäten, acht an Instituten der KWG, und schließlich waren sechs in Instituten beschäftigt, die von der staatlichen Bergbauverwaltung oder Ingenieurverbänden getragen wurden. Bereits in dieser Zusammensetzung spiegelte sich eine Mischung von Grundlagen- und Zweckforschung wider, allerdings unter eindeutiger und von Schenck intendierter Dominanz der ersteren. Dass immerhin 16 der 42 Projektleiter keinen Professorentitel trugen, verweist darauf, dass sich in den Gemeinschaftsarbeiten der Kreis der zur Teilnahme Zugelassenen gegenüber den traditionellen Modi der Forschung geöffnet hatte. Ausgeschlossen blieben aber zunächst – dies betonte Schenck explizit – die in den Laboren von Industrieunternehmen Forschenden. Erst ab 1930 wurden sie über neu eingerichtete Ausschüsse der Kommission (zum Beispiel zur Stahlerzeugung) einbezogen.56 Obwohl also ein beträchtlicher Teil der Projektleiter nicht zu den Mandarinen des deutschen Wissenschaftssystems zählte und im Forschungsalltag technik-, ja industrienah agierte, verstanden sich die führenden Protagonisten ganz in Schmidt-Otts Sinn 52
53 54 55 56
Denkschriften, S. 25 f. (Vorwort Schmidt-Otts). Zwei Jahre zuvor hatte er um Akzeptanz für die Gemeinschaftsarbeiten geworben, indem er betont hatte: „Grundsätzlich handele es sich um keine Unterstützung der Industrie oder medizinische Praxis, sondern um reine Forschung, deren Vorteile für das Leben zunächst in zweiter Linie stünden, aber in kürzerer oder längerer Zeit sich segensreich auswirken müßten“; Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss vom 6.1.1926, in: BArch, R 73/90, fol. 3 f. Vgl. Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 173. Vgl. zu Schenck und der Kommission Maier, Forschung, S. 243–255. Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 197. Vgl. Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 167–175. So Schenck 1929 in einer Rede zur Übernahme des Münsteraner Rektorates zit. nach Maier, Forschung, S. 248. Vgl. Schenck, 1929, S. 95 f., derselbe, Bericht 1928, S. 60 f., derselbe, Bericht 1925, 1926, 1927, S. 8 und Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 206–216.
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als Grundlagenforscher, deren Erkenntnisse ohne ihr Zutun, einfach aufgrund der linearen Struktur des Innovationsprozesses, „die verschiedensten Zweige der Metallindustrie (…) dringend benötigen“ würden (so Schenck 1930).57 Die Gemeinschaftsarbeiten zur Metallforschung lassen sich grob in vier Gruppen einteilen: erstens Projekte der experimentellen Grundlagenforschung, in denen es zum Beispiel um die „Natur“ bzw. eine „Theorie des metallischen Zustandes“, den atomaren Aufbau metallischer Elemente, das Verständnis der Supraleitfähigkeit bei tiefen Temperaturen oder die Entwicklung einer „Systematik der Eisenlegierungen“ ging;58 zweitens Untersuchungen zu Messverfahren (wie zur „quantitativen Röntgenspektralanalyse“ von Legierungen oder zu „mikroskopischen Erzuntersuchungsmethoden“);59 drittens Forschungen zur effektiven Ausbeutung von Erzvorkommen sowie schließlich viertens Arbeiten, deren Ergebnisse den Einsatz von Metallen in industriellen Produktionsverfahren optimieren sollten (etwa in Schmelz- oder Walzverfahren oder bei der Nutzung von Leichtmetalllegierungen im Flugzeugbau)60. Von ihren Fragestellungen her liefen also eine auf das theoretische Verständnis von Naturphänomenen orientierte und zwei unmittelbar auf wirtschaftliche Anwendungen zielende Projektlinien nebeneinander her, während eine weitere flexibel nutzbares Methodenwissen generieren sollte. Der Vorsitzende der Kommission für Metallforschung Rudolf Schenck insistierte stets auf einer Hierarchie der Projektlinien. Im Mittelpunkt standen aus seiner Sicht „Untersuchungen, welche aus rein wissenschaftlichem Interesse ohne jede Rücksicht auf etwaige praktische Verwendbarkeit der Ergebnisse unternommen“ würden.61 Die Metallforschung, so betonte Schenck, sei kein wirtschaftlichen Interessen geschuldetes „Sondergebiet“ der chemisch-physikalischen Forschung, sondern biete vielmehr „der Wissenschaft im allgemeinen (…) den Schlüssel (…) zu mancher wichtigen theoretischen Frage“.62 Um diese Einbindung der Metallforschung in die „reine“, auf theoretische Fragen zielende Grundlagenforschung zu unterstreichen, beteiligte Schenck Koryphäen dieser Forschung wie etwa den Münchner Physiker Arnold Sommerfeld zumindest als Berater der Kommission.63 Getreu des Konzeptes eines linear verlaufenden Innovationsprozesses sollte ein Ergebnis der Grundlagenforschung und theoretischen Modellbildung „zum Ausgangspunkt für technisch bedeutsame Entwicklungen werden“.64 Andere Projekte wiederum sollten zwar primär technisch relevante Probleme lösen, erhielten aber eine willkommene Zusatzbedeutung, wenn sie daneben eine Frage 57 58 59 60 61 62 63 64
Schenck, Bericht 1928, S. 37. Schenck, Bericht 1929, S. 71 und 74; vgl. zudem Denkschriften, S. 28 f. Schenck, Bericht 1929, S. 72 und 84. Vgl. ebenda, S. 78. Schenck, Vorwort. Auch andere Denkschriften zu Gemeinschaftsarbeiten insistierten darauf, die Forscher sollten „ganz unabhängig von Erwerbsinteressen und unabhängig von Erwerbsgesellschaften auf rein wissenschaftlicher Basis“ arbeiten, Denkschriften, S. 44. Schenck, Bericht 1928, S. 33. Vgl. ebenda, S. 35. Derselbe, Vorwort.
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der „reinen“ Wissenschaft beantworten konnten. Schenck selbst leitete an der Universität Münster Untersuchungen zu Reaktionen von Schwefeldioxid mit Kalken und bewertete sie primär als „für die metallurgischen Prozesse“ bedeutend. Er erkannte in den Befunden aber zudem „eine neue Möglichkeit zur Erklärung der Entstehung der sizilianischen Schwefellager“ – was in seinen Augen einen Fortschritt im zweckfreien Verstehen der Natur mit sich brachte.65 In ganz ähnlicher Weise beschrieb eine Denkschrift über Gemeinschaftsarbeiten in der Motorenforschung deren Status: Der Vorstellung, dass „an derartigen Forschungen in erster Linie die Motorenindustrie interessiert sei“, wollten die Autoren „in einem höheren Interesse“ widersprechen. Die durch die Notgemeinschaft zu fördernden Arbeiten sollten schon in der Problemstellung „weit entfernt von den Tagesaufgaben der Konstruktion“ von Motoren liegen und seien daher „der geistigen Einstellung der im praktischen Leben stehenden Ingenieure“ so fremd, dass die Lösung der Leitfragen „aus dem Schoße der Fabriken unmöglich erwartet werden“ könne. Die „bedeutsame“ und von der Notgemeinschaft zu fördernde Aufgabe des also notwendig an einer Hochschule zu verortenden Grundlagenforschers in Sachen Motorenbau konnte nur darin bestehen, „die schaffende Industrie stets mit neuen entwicklungsfähigen Keimen wissenschaftlicher Erkenntnis auszustatten“, deren Verwandlung in industrielle Verfahren und Produkte aber sollte außerhalb seines Gesichtsfeldes liegen.66 Schenck forderte, die Grundlagenforscher sollten nach Erarbeitung der „wissenschaftlichen Grundlagen“ beiseitetreten und „die weitere Entwicklung wohl sich selbst überlassen“.67 Dass es sich bei solchen Bekundungen nicht um folgenlose Rhetorik handelte, kann man daran ablesen, dass die Leistung der an den Gemeinschaftsarbeiten zur Metallforschung Beteiligten nicht an materiellen Produkten oder Patenten gemessen wurde, sondern an ihren Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Bis 1932 gingen aus den Gemeinschaftsarbeiten zur Metallforschung 698 Veröffentlichungen hervor, die in den Berichten akribisch aufgelistet wurden. Wie Günther Luxbacher ermittelt hat, entfiel um 1930 etwa ein Siebtel aller Artikel in den führenden deutschen Fachzeitschriften der Metallkunde auf im Rahmen der Gemeinschaftsarbeiten entstandene Forschungsergebnisse.68 Der Wissenschaftssoziologe Norman Storer hat argumentiert, dass man Grundlagen- und Zweckforscher nicht so sehr anhand der Themen und Fragestellungen ihrer Projekte unterscheiden könne, als vielmehr daran, ob sie mit ihrer Forschung primär Reputationsgewinne bei ihren Fachkollegen erzielen wollen (Grundlagenforscher) oder nach Reputation und Gratifikation seitens außerwissenschaftlicher Adressaten streben, etwa in der Industrie und in der Politik (Zweckforscher).69 In diesem Sinne verstanden sich die in den Gemeinschaftsarbeiten zur Metallforschung engagierten Wissenschaftler in ihrer großen Mehrheit 65 66 67 68 69
Derselbe, Bericht 1928, S. 57. Denkschriften, S. 48 f. Ebenda, S. 30. Vgl. Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 196, Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 171 und Schenck, Bericht 1929, S. 69. Vgl. Storer, Aspekte, S. 91–100.
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als Grundlagenforscher und orientierten sich am oben skizzierten normativen Wissenschaftsverständnis ihrer Notgemeinschaft. Zugleich aber bot diese den in ihrer Praxis anwendungsorientierten, in ihrer „geistigen Einstellung“ aber dem traditionellen Wissenschaftsideal verbundenen Technikwissenschaftlern mit den Gemeinschaftsarbeiten eine Erhöhung ihrer Reputation und Förderung (Letzteres ablesbar am steigenden Anteil der Ingenieurwissenschaften an den Ausgaben der Notgemeinschaft). Hierin unterschied sie sich markant von den Mandarinen der Preußischen Akademie, die 1922 die Einrichtung einer „Klasse Technik“ als „wesensfremde Erweiterung“ abgelehnt hatten.70 Ulrich Wengenroth hat 2002 in einem knappen Aufsatz eine Interpretation der Geschichte des deutschen Innovationssystems im 20. Jahrhundert entwickelt, die seitdem in der Wissenschaftsgeschichte mehrfach aufgegriffen worden ist: Demnach hätten die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges das deutsche Innovationssystem auf den Pfad einer forschungsbasierten „Ersatzstoffkultur“ gesetzt, den es bis in die 1950er Jahre nicht mehr verlassen sollte. Nach der doppelten Erfahrung des Ersten Weltkrieges – einer relativ erfolgreichen, auf der Synthesechemie basierenden Kriegswirtschaft und der dann doch folgenden Niederlage – hätten deutsche Naturwissenschaftler und Ingenieure „einem wissenschaftsgestützten Isolationismus“ gehuldigt und ihre Forschung darauf ausgerichtet, Deutschland durch Verfahren zur Herstellung auf heimischer Kohle basierender synthetischer Ersatzstoffe autark zu machen und vom Weltmarkt abzukoppeln. „Am Ende stand die überdurchschnittlich entwickelte Fähigkeit, aus ungeeigneten Ressourcen mit hohem Aufwand Zweitklassiges herzustellen.“71 Die Zeit der Weimarer Republik thematisiert Wengenroth kaum, letztlich gilt sie ihm aber als Etappe auf dem mit groben Strichen skizzierten Pfad. Im Projekt zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind gleich mehrere Studien der Frage nachgegangen, ob die Notgemeinschaft der 1920er und frühen 1930er Jahre den Pfad der Ersatzstoffkultur und Autarkieorientierung durch ihre Förderpolitik mit ausgebaut hat. Im Ergebnis divergieren die Antworten je nachdem, für welche Disziplinen und Forschungsfelder diese Frage aufgeworfen wird. Besonders ausgeprägt scheinen autarkiepolitische Leitvorstellungen in den Agrarwissenschaften gewesen zu sein; hier führten, wie Willi Oberkrome gezeigt hat, die Mangelerfahrungen des Ersten Weltkrieges zu einer Fixierung der Forschung auf das Ziel, die deutsche Bevölkerung „aus eigenem Boden“ zu ernähren und von Lebensmittelimporten unabhängig zu werden, dies gilt auch für die entsprechenden Gemeinschaftsarbeiten der Notgemeinschaft.72 Für die Gemeinschaftsarbeiten der Metallforscher kommen hingegen Günther Luxbacher und Helmuth Trischler einerseits, Sören Flachowsky andererseits zu divergierenden Befunden. Während Flachowsky die von der Notgemeinschaft geförderte Metallforschung vor der Folie der Thesen Wengenroths als zumindest
70 71 72
Zit. nach Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 165. Vgl. Schlicker, Akademie, S. 113 ff. Wengenroth, Die Flucht, S. 55 und 53. Plan, S. 12. Vgl. Oberkrome, Ordnung, S. 47–57.
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„autarkierelevant“ charakterisiert,73 kommen Luxbacher und Trischler zu dem Ergebnis, dass „eine autarkistisch motivierte Stoffökonomie und der Einsatz von Ersatzstoffen“ erst ab 1932 eine Rolle gespielt hätten – zu einem Zeitpunkt also, als fast alle Industriestaaten auf die Weltwirtschaftskrise mit Autarkiekonzepten antworteten.74 Ein starkes Argument für die Interpretation von Trischler und Luxbacher besteht darin, dass nur vier von 698 Veröffentlichungen, die bis 1932 aus den Gemeinschaftsarbeiten zur Metallforschung hervorgingen, Ersatzstoffe thematisierten.75 Ein Problem sowohl des Wengenroth’schen Modells als auch eines Teils der Quellen besteht darin, dass hier die Forschung nach synthetischen Ersatzstoffen, das zeitgenössische Schlagwort der „Autarkie“ und eine volkswirtschaftliche Strategie der Isolierung vom Weltmarkt den Eindruck eines in sich geschlossenen, kohärenten Gesamtkonzeptes erwecken. Dies wird beispielsweise deutlich in einem Vortrag, den Max Haber im März 1923 auf einer Veranstaltung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert hielt. Haber warb, anknüpfend an Erfahrungen bei der industriellen Nutzung der Synthesechemie während des Weltkriegs, für die technologische „Veredelung“ der in Deutschland vorhandenen Rohstoffe, in erster Linie der Kohle. Der Krieg, so führte Haber aus, habe in einer „Treibhausatmosphäre des Augenblicksbedürfnisses (…) einen Reichtum neuer Arbeitsweisen“ hervorgebracht, den es nun „für Zwecke des Friedens wirtschaftlich nutzbar zu machen“ gelte. Denn auch im Frieden müsse Deutschland nach „Autarkie“ streben, um „aus den eigenen Rohstoffen wirtschaftlich zu leben“. Auf den ersten Blick liest sich dies wie ein Beleg für Wengenroths These, aber im Folgenden klassifizierte Haber Autarkie gerade als ein Instrument im Wettbewerb auf dem Weltmarkt, keineswegs aber als dessen Negation: Das letzte Ziel sei die „Wiedereroberung“ „unserer früheren Führerstellung“ innerhalb der „wirtschaftlichen Welt“.76 Genau diesem Konzept folgten die Protagonisten der Notgemeinschaft dort konsequent, wo sie den volkswirtschaftlichen Nutzen der Gemeinschaftsarbeiten zu beweisen suchten: Jene Ersatzstoffe für natürliche Rohstoffe, die man zu entwickeln suchte, sollten ebenso wie die Optimierung der Erkundung und Ausbeutung heimischer Rohstoffe die Produktionskosten der deutschen Industrie senken, um es ihr zu ermöglichen, am „gesteigerten Wettbewerb auf dem Weltmarkt teilzunehmen“, so Schmidt-Ott in der Denkschrift vom Mai 1925.77 Haber verortete in seiner Anlage zu dieser Denkschrift die Neigung zu Autarkiepolitik und Protektionismus gerade bei Deutschlands Wettbewerbern auf dem Weltmarkt, dessen Heil dagegen im Freihandel: Da seit dem Krieg „alle fremden Staaten (…) hohe Mauern“ errichtet hätten, um den Import von Industrieprodukten zu erschweren, müsse Deutschland „Tore in den wirtschaftlichen Schutzmauern“ der 73 74 75 76 77
Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 173; vgl. ebenda S. 169 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 81 ff. Luxbacher, Werkstoff, S. 168; vgl. Trischler, Rückstandssyndrom, S. 119 f.; anders akzentuierend Flachowsky/Nötzoldt, Notgemeinschaft, S. 169 und 173. Vgl. Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 233 f. Haber, Arbeitsweisen, S. 753 und 755. Schmidt-Ott, Denkschrift, S. 118.
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anderen dadurch öffnen, dass es auf dem Weltmarkt neben Produkten auch Technologien anbiete.78 Die von Haber als fortbestehend angenommene Überlegenheit der deutschen Natur- und Technikwissenschaften sollte die ansonsten auf Abschottung bedachten Handelspartner dazu bewegen, diese Technologien zu importieren und damit zugleich der deutschen Industrie den Zugang zu neuen Märkten öffnen. Auch Rudolf Schenck begründete die Schwerpunktförderung der Metallforschung zunächst scheinbar autarkiepolitisch: „Einem geistig hochstrebenden Volke, dem mißgünstige und feindselige Nachbarn kaum das Lebensnotwendige gönnen, bleibt kein anderer Weg, sich von der Außenwelt unabhängig zu machen (…), als die Vertiefung in die Natur und ihre Gesetze, und der tatkräftige Wille, die Armut des heimischen Bodens durch Ausnutzung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse (…) in das Gegenteil zu verkehren und so aus Steinen Brot zu machen, den Geist zum Siege über die Materie führend.“ Doch schon im nächsten Absatz erklärte Schenck es zum Kern künftiger Wirtschaftspolitik, die wenigen heimischen Rohstoffe durch wissenschaftsbasierte Technologien „in möglichst hochwertige Erzeugnisse“ zu verwandeln, die nun aber nicht nur den Binnenmarkt versorgen, sondern „auch für die Ausfuhr“ bestimmt sein sollten.79 Die Gemeinschaftsarbeiten sollten also während der Weimarer Republik primär der Rückkehr Deutschlands auf die Weltmärkte dienen, nicht als „Waffenschmiede in der Wagenburg“.80 INTER-NATIONALISMUS: DIE NOTGEMEINSCHAFT, „DAS AUSLAND UND AMERIKA“ Schon einen Monat bevor Schmidt-Ott bei der Regierung und dem Reichstag einen Sonderfonds für die künftige Schwerpunktforschung beantragte, startete die erste von der Notgemeinschaft finanzierte Großunternehmung jenseits der deutschen Grenzen, die „Deutsche Atlantische Expedition“. Am 16. April 1925 stach das Vermessungsschiff Meteor von Wilhelmshaven aus in See. An Bord des 72 Meter langen, umgebauten Kanonenbootes befand sich eine Besatzung von 136 Mann, außer neun Wissenschaftlern allesamt Offiziere und Matrosen der Marine. Dem Projekt vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen SchmidtOtt, der hier Anfang 1924 die erste Chance gesehen hatte, die Notgemeinschaft durch ein spektakuläres Großprojekt zu profilieren (unmittelbar nach Beginn der Gemeinschaftsarbeiten wurde die Expedition denn auch als Pilotprojekt in diese integriert) und der Marineleitung, der es primär darum ging, erstmalig nach 1918 „draußen die Flagge zu zeigen“.81 Die Hierarchien im Projekt wie an Bord waren klar geordnet: „Das Verhältnis der Offiziere zu den Wissenschaftlern war ein78 79 80 81
Fritz Haber, Anlage, S. 124 f. Denkschriften, S. 27. Wengenroth, Flucht, S. 53. Spiess, Forschungsschiff, S. 3. Vgl. zu dieser Expedition Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 137–156.
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wandfrei“, berichtete 1927 der das Schiff führende Fregattenkapitän Fritz Spiess, auch wenn der Umgang mit zivilen Forschern von den Offizieren „Selbstbeherrschung“ verlangt habe. Die Wissenschaftler ihrerseits hätten sich brav „in die ihnen fremde militärische Schiffsetikette“ eingefügt.82 Das wissenschaftliche Team unter Leitung des Berliner Ozeanographen Alfred Merz (dessen Rolle nach seinem Tod am 16. August 1925 Spiess mit übernahm) bestand aus Hydrographen, Biologen, Meteorologen sowie Chemikern und führte während der bis zum 2. Juni 1927 dauernden Fahrt an 505 Seetagen und auf einer Gesamtstrecke von 67.535 Seemeilen an mehreren hundert Punkten Messungen der Temperaturen und Strömungen in Tiefen bis 6.000 Meter sowie Analysen der chemischen Zusammensetzung und der biologischen Artenvielfalt des Südatlantiks durch. Im Kern ging es um ozeanographische Grundlagenforschung, deren Ergebnisse schließlich in 17 Bänden veröffentlicht wurden.83 Aber Fritz Haber hatte den Chemikern an Bord zudem im Geheimen den Auftrag gegeben, an den Messpunkten jeweils den Goldgehalt des Meerwassers zu bestimmen. Er hoffte, ein Verfahren entwickeln zu können, mit dessen Hilfe Deutschland so rentabel Gold aus dem Meer gewinnen würde, dass es die ihm mit dem Versailler Vertrag auferlegten Reparationszahlungen auf einen Schlag würde ablösen können. Dieser Teil der Expedition endete mit einer – in den offiziellen Berichten verschwiegenen – Enttäuschung, da sich der Goldgehalt des Atlantiks überall als zu gering für ein solches Vorhaben erwies.84 Auch wenn sich Habers Ziel, Deutschland durch ein geniales Forschungsprojekt aus seiner Rolle als verarmter Paria des internationalen Staatensystems zu befreien, als unerreichbar erwies, markierte die Expedition dennoch aus Sicht von Marine, Notgemeinschaft und Öffentlichkeit die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der respektierten Kulturnationen. Der 1932 publizierte offizielle Expeditionsbericht betonte, dass die Fahrt der Meteor die ruhmreiche Tradition deutscher Meeresexpeditionen wieder aufgenommen habe, dass man erstmals nach 1918 die deutsche „Kriegsflagge“ wieder in einer Vielzahl ausländischer Häfen gezeigt habe und selbst bei früheren Gegnern wie Südafrika auf „eine bemerkenswert freundliche Aufnahme“ gestoßen sei, „die wir in diesem ehemals feindlichen Lande nicht hatten erwarten können und die weit über das Maß internationaler Höflichkeit hinausging“.85 In den angelaufenen brasilianischen, argentinischen, chilenischen, südafrikanischen und spanischen Häfen registrierte Kapitän Spiess akribisch den wechselseitigen „Austausch von Ehrenbezeugungen“ zwischen der Meteor und Kriegsschiffen anderer Länder sowie die Besuche von Delegationen
82 83 84 85
So Spiess am 2.6.1927 bei der Rückkehr nach Wilhelmshaven, zit. nach Spiess, Forschungsschiff, S. 324 und ebenda S. 74. Ab 1932 in der Reihe „Wissenschaftliche Ergebnisse der Deutschen Atlantischen Expedition auf dem Forschungsschiff ‚Meteor‘“. Im Expeditionsbericht von 1932 ist in Form eines Zitates aus dem Tagebuch von Merz nur von „Herrn Habers speziellem Interessengebiet“ die Rede, zit. nach Spiess, Forschungsschiff, S. 12. Vgl. Szöllösi-Janze, Haber, S. 508–527, Hahn, Gold, S. 303–314. Spiess, Forschungsschiff, S. 325 und 113.
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der jeweiligen Regierungen und Marinen auf dem Schiff.86 Die Wissenschaftler versuchten, ihre einheimischen Kollegen durch Vorträge von der Spitzenstellung deutscher Forschung zu überzeugen – nach eigener Einschätzung durchaus erfolgreich. Bei Landgängen hielt die Schiffsbesatzung wo irgend möglich an den Gräbern im Ersten Weltkrieg gefallener Deutscher Gedenkfeiern ab; auf offener See steuerte man gezielt jene Stellen an, an denen während des Krieges deutsche Schiffe gesunken waren und warf Kränze ins Meer.87 Nicht dass man dies tat, ist bemerkenswert – da die Meteor das erste deutsche Marineschiff war, das diese Orte nach 1918 aufsuchte, kann dies als im zeitgenössischen Kontext selbstverständliches militärisches Gedenkritual gesehen werden. Interessant ist aber, dass der Expeditionsbericht in der Summe auf die Aussage angelegt war, man habe bei dieser Rückkehr auf die internationale Bühne keine Konzessionen gemacht und sich überall demonstrativ zur heroischen Vergangenheit bekannt. Der Initiator und erste wissenschaftliche Leiter der Expedition, Alfred Merz, hatte sich im Vorfeld von ihr „grundlegende Erkenntnisse“ für die Meeresforschung erhofft, daneben aber auch „der Welt Zeugnis (…) geben wollen „von der Größe der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands“, um „für die Zukunft zu verhindern, daß Deutschland von der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit ausgeschlossen würde“.88 In dieser Hinsicht war die Expedition ein voller Erfolg, denn im Jahr nach ihrem Abschluss standen ihre Ergebnisse im Mittelpunkt der Internationalen Ozeanographischen Konferenz, die nicht nur in Berlin, sondern sogar unter dem Vorsitz Friedrich Schmidt-Otts tagte.89 Damit war die Meteor-Expedition ein Prototyp für die internationale Politik der Notgemeinschaft: Sie förderte in großem Stil Konferenzreisen, Forschungsaufenthalte und Expeditionen deutscher Wissenschaftler ins Ausland und damit deren Rückkehr in die jeweilige internationale Fachöffentlichkeit nach einem Jahrzehnt Boykott und Gegenboykott. Aber sie bestand darauf, dass es sich jeweils um eine Rückkehr an die internationale Spitze des Faches, nicht in dessen zweite Reihe handeln müsse und dass die deutschen Forscher selbst die Bedingungen definierten, unter denen sie zu dieser Rückkehr bereit sein würden. Auf Versuche der vom Völkerbund eingerichteten Commission de Coopération, Kontakte zur Notgemeinschaft aufzubauen, reagierte Schmidt-Ott 1923 mit der Begründung abweisend, solange der Völkerbund nicht die eigentliche Ursache der Not in Deutschland, nämlich den Versailler Vertrag, beseitige, könne er auch der deutschen Wissenschaft nicht helfen.90 Im Bericht von 1925 betonte der Notgemeinschaftspräsident zwar deren Bereitschaft zu internationaler Kooperation, erklärte aber zugleich, dass „die Notgemeinschaft (…) nirgends ihrerseits bittend an das Ausland herangetreten ist oder herantreten wird“.91 86 87 88 89 90 91
Ebenda, S. 321. Vgl. ebenda, S. 131, 160, 199, 201, 229 und 308. Zit. nach ebenda, S. 13. Vgl. Schreiber, Auslandsbeziehungen, S. 19 f. Vgl. Schröder-Gudehus, Wissenschaft, S. 170 ff. Bericht 1925, S. 105.
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Ein besonderes Engagement entwickelte die Notgemeinschaft in der Kooperation mit sowjetischen Wissenschaftsinstitutionen. Als die Russische Akademie der Wissenschaften Anfang September 1925 ihr 200. Gründungsjubiläum feierte, führte Schmidt-Ott eine Delegation von 30 deutschen Wissenschaftlern an, die in Leningrad und Moskau Verhandlungen mit Kollegen und Kulturfunktionären führte. Hieraus entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre eine Art „privilegierter Partnerschaft“, die erst Anfang der 1930er Jahre versandete, als die Notgemeinschaft in Finanznöte geriet und die voranschreitende Stalinisierung der Sowjetunion dazu führte, dass bisherige Partner Einfluss und Positionen verloren.92 In den Jahren unmittelbar nach 1925 jedoch organisierte und finanzierte die Notgemeinschaft neben einem systematischen Literaturaustausch und einzelnen Forschungsreisen mehrere Großprojekte in der Sowjetunion. Im November 1927 wurde zum Beispiel in Moskau ein „Institut für Rassenforschung“ als deutsch-sowjetisches Kooperationsprojekt gegründet. Hier gingen, weitgehend von der Notgemeinschaft finanziert, deutsche und russische Mediziner der Frage nach, inwiefern unterschiedliche Ethnien bzw. unter unterschiedlichen geographischen und klimatischen Bedingungen lebende Menschen unterschiedliche Dispositionen für Erkrankungen aufwiesen.93 Im August 1933 stellte die Notgemeinschaft, nach Darstellung Schmidt-Otts allein aus Kostengründen, die Förderung des Institutes ein, das dann geschlossen wurde.94 Die zeitweise enge Kooperation mit sowjetischen Wissenschaftlern beruhte einerseits auf der Kalkulation, dass sich hier zwei von den Westmächten diskriminierte Wissenschaftssysteme gegen diese zusammenschließen könnten, aber auch auf der Erwartung, dass die künftige politische Entwicklung Russlands weiterhin offen sei. Noch 1930 begründete ein am Moskauer Rassenforschungsinstitut arbeitender Mediziner dieses Engagement mit der Erwartung einer postsowjetischen Zukunft: „Dass es gerade die deutsche Wissenschaft ist, die mit ihnen in dieser schweren Zeit so enge Verbindung aufrecht erhält, wird uns gewiss nicht vergessen werden, (…) wenn wieder bessere Tage für die russischen Wissenschaftler kommen (…). Dann sind wir Deutsche, die die schweren Jahre mit ihnen durchgehalten haben, die ersten auf dem Platz, und umso dauerhafter wird dann das gegenseitige Verhältnis sein.“95 Ihren Höhepunkt erreichten die Aktivitäten der Notgemeinschaft in der Sowjetunion mit der Alai-Pamir-Expedition zwischen Juni und November 1928.96 Unter Leitung des Forschungsreisenden und Bergsteigers Willi Rickmer Rickmers erkundete ein interdisziplinäres Team deutscher und sowjetischer Wissenschaftler (unter anderem Geologen, Zoologen, aber auch Sprachforscher), verstärkt durch Alpinisten des Alpenvereins, die Hochgebirge an der sowjetischen Grenze zu Af92 93 94 95 96
Vgl. Schenk, Beziehungen, Nötzoldt, Wissenschaftsbeziehungen, S. 778–787, Kirchhoff, Wissenschaftsförderung S. 222–238 sowie 336–343 und Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 217–247. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 46–61. Vgl. ebenda, S. 59. Bericht von Dr. H. Hamperl an Aschoff v. 15.6.1930, in: BArch, R 73/226. Vgl. die herausragende Studie von Torma, Turkestan-Expeditionen, S. 179–211, Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 284–306 und Alai-(Pamir-)Expedition.
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ghanistan und China. Während es der sowjetischen Seite vor allem um die Kartierung eines 15.000 Quadratkilometer großen, strategisch und auch in Hinblick auf seine Rohstoffe interessanten Gebietes ging, war es stand für die Notgemeinschaft neben den wissenschaftlichen Ergebnissen der Gletscherkunde im Vordergrund, dass sie sich als Akteur auswärtiger Kulturpolitik profilieren konnte. Die deutsche Presse berichtete ausführlich über die Expedition; großes Aufsehen erregte auch der ein Jahr später in die Kinos kommende abendfüllende Dokumentarfilm „Pamir“. In der medialen Darstellung der Expedition dominierten neben der von bizarren Berglandschaften ausgehenden Faszination und der Inszenierung als Abenteuer zwei politische Elemente. Zum einen wurde – im Einklang mit einer zeitgenössischen Stimmung im nationalistischen Bürgertum – die enge Kooperation zweier Nationen hervorgehoben, die zwar in unterschiedlichen politischen Systemen lebten, sich aber gleichermaßen als Parias des internationalen Staatensystems diskriminiert wähnten. Hiergegen setzte die Expedition, so schrieb die Weser-Zeitung anlässlich der Heimkehr der deutschen Teilnehmer im Dezember 1928, die „gemeinsame Arbeit der beiden großen Völker“.97 Als Symbole dieses Bündnisses gegen den Westen mochte gelten, dass die sowjetischen Expeditionsteilnehmer den höchsten von ihnen bestiegenen Gipfel auf den Namen „Pik Kommunismus“ tauften, einen kleineren aber auf den Namen „Pik SchmidtOtt“ sowie einem großen Gletscher den Namen „Notgemeinschafts-Gletscher“ gaben.98 Zum anderen stand das Pamir-Hochgebirge für die (so das Plakat zum Film von 1929) „unerforschten Landen“,99 die von der Moderne bislang nicht erreichten „leeren“ Räume der Welt, deren Erschließung gerade deshalb für Deutsche einen besonderen Reiz haben sollte, weil der Versailler Vertrag Deutschland seinen vermeintlich legitimen Anteil an den „weißen Flecken“ der Erde genommen hatte. Schon die Meteor-Expedition von 1925 hatte der Geograph Albrecht Penck damit begründet, dass den deutschen Forschern, nachdem „das Arbeitsfeld der deutschen Kolonien verloren“ gegangen war, „nur wenige Gebiete (…) offen“ stünden, weshalb man auf die „weiten Flächen“ des Meers ausweichen müsse.100 Als sich der norwegische Polarforscher Fritjof Nansen im März 1928 bei Schmidt-Ott über die bevorstehende Pamir-Expedition informierte, schickte ihm der Notgemeinschaftspräsident bezeichnenderweise ein Exemplar des Romans „Volk ohne Raum“ von Hans Grimm.101 Und fünf Jahre zuvor war das erste Reisestipendium, das die Notgemeinschaft einem an der UdSSR interessierten Forscher bewilligt hatte, dem Geographen Erich Obst zugefallen, damit dieser eine geopolitische Untersuchung über das europäische Russland anstellen konnte.102 Für alle von der Notgemeinschaft während der Weimarer Republik geförderten Expeditionen, sei es für jene in die UdSSR, in die südamerikanischen Anden oder die tragisch mit dem Tod ihres Leiters Alfred Wegener endende Grönlandex97 98 99 100 101 102
Zit. nach Torma, Turkestan-Expeditionen, S. 182. Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 302. Zit. nach Torma, Turkestan-Expeditionen, S. 180. Penck, Expedition, S. 243. Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 306. Vgl. ebenda, S. 134 f.
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pedition von 1930/31, gilt, dass sie nach innen wie außen Willen und Fähigkeit der deutschen Forschung demonstrieren sollten, weltweit wettbewerbsfähig zu operieren.103 „Der einsame Pionier in der Arktis, in den Ruinenresten Mittelasiens“, so erklärte der Bonner Physiker Heinrich Konen 1929 auf der Mitgliederversammlung der Notgemeinschaft, „wirkt lebensnah, wenn er den gedemütigten deutschen Namen wieder hinausträgt in ferne Kontinente und in das Bewußtsein der Kulturvölker“.104 Expeditionen in die letzten unkartierten Räume der Erde standen, wie Konen andeutete, in dieser Hinsicht auf derselben Ebene wie die großen archäologischen Ausgrabungsunternehmungen der Notgemeinschaft. In den Berichten über Expeditionen wie Ausgrabungen wurden diese jeweils in Kontinuitätslinien zu Unternehmungen der Jahrzehnte vor 1914 gesetzt und einerseits als integrale Bestandteile einer ganzheitlich gedachten nationalen Wissenschaftskultur und andererseits als Säulen des deutschen Anspruches auf wissenschaftliche Weltgeltung beschrieben. Gerade mit den Ausgrabungen im türkischen Bergama (Pergamon) und UrukWarka (350 km südöstlich von Bagdad) konzentrierte sich die Notgemeinschaft auf Großprojekte, durch welche die deutsche Archäologie bereits vor 1914 internationales Ansehen gewonnen hatte und die damals vom preußischen Staat oder dem Kaiser finanziert worden waren. Die Notgemeinschaft verstand sich hier ausdrücklich als Akteur auswärtiger Kulturpolitik; im Februar 1927 vereinbarte sie daher mit dem Auswärtigen Amt, nur solche Ausgrabungskampagnen zu unterstützen, die für die Erforschung „großer Zusammenhänge maßgebend“ seien und daneben durch eine „Mustergültigkeit der Durchführung“ den Anspruch auf eine internationale Führungsrolle unterstreichen könnten.105 „Gerade in diesen Jahren“, so behauptete Gerhard Rodenwaldt, Generaldirektor des Deutschen Archäologischen Instituts, im November 1929 auf einer Veranstaltung der Notgemeinschaft, werde „im Wetteifer der Völker die archäologische Welt verteilt, und wir hätten (…) für immer beiseitestehen müssen, wenn es nicht gelungen wäre, uns einzelne bedeutende Forschungsstätten zu sichern“.106 Wegen ihrer politischen Dimension fielen die archäologischen Vorzeigeprojekte auch Anfang der 1930er Jahre nicht jenen Sparmaßnahmen zum Opfer, die durch die Kürzung der staatlichen Überweisungen an die Notgemeinschaft notwendig wurden. Als Fritz Haber im Juli 1931 vorschlug, die Bewilligungen für Forschungsreisen und Ausgrabungen zu reduzieren, weil die Öffentlichkeit für diese Ausgaben mitten in der Wirtschaftskrise kein Verständnis habe, reagierte Schmidt-Ott ablehnend.107 Er setzte vielmehr zwei Monate später die Bewilligung weiterer 40.000 Mark für die Ausgrabungen in Warka durch, weil die dortigen Funde nicht nur von „grundlegender Bedeutung“ für die „Geschichte der 103 Vgl. den zeitgenössischen Überblick Penck, Expeditionen. 104 Konen, Bedeutung, S. 64. 105 Aus dem Protokoll der Besprechung vom 10.2.1927, zit. nach Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 243. Zur Notgemeinschaft und dem Spektrum deutscher Ausgrabungsprojekte nach 1924 vgl. Marchand, Olympus, S. 276 f. und 285. 106 Rodenwaldt, Ausgrabungen, S. 60. 107 Vgl. das Protokoll der Präsidiumssitzung vom 11.7.1931, in: BArch, R 73/72, fol. 128.
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Menschheit“ seien, sondern es sich auch um eine Frage des nationalen Prestiges handele: Falls „die Grabungen deutscherseits im Stich gelassen würden“, werde dies „in der wissenschaftlichen Welt nicht verstanden werden“. Im Übrigen stünden amerikanische Archäologen bereits in den Startlöchern, um an die Stelle ihrer deutschen Kollegen zu treten.108 Neben der innerdeutschen Öffentlichkeit und den internationalen Kollegen, die jeweils von der Weltgeltung deutscher Forscher überzeugt werden sollten, galten vor allem die im Ausland lebenden Deutschen als Adressaten jener kulturpolitischen Mission, welche die Notgemeinschaft Expeditionen und Ausgrabungskampagnen zuschrieb. Die Besatzung der Meteor suchte an jeder Station ihrer Reise den Kontakt mit der jeweiligen deutschen Kolonie. In Südafrika, Südwestafrika, Kamerun und Brasilien veranstaltete man Ausflüge zu deutschen Siedlungen, um nach einem Jahrzehnt „die Verbindung mit dem Auslandsdeutschtum wieder aufzunehmen“ und den ihr „Deutschtum“ eventuell nicht mehr ernst genug nehmenden Auslandsdeutschen „einen starken Impuls zum Zusammenschluß“ zu geben.109 Befriedigt registrierte Expeditionsleiter Spiess gerade in der früheren Kolonie Südwestafrika das „überwältigende, vaterländische Bekenntnis der Deutschen des ganzes Landes zu ihrer alten Heimat“, für ihn der „Höhepunkt der ‚Meteor‘-Reise“.110 „Orientalia, Archäologie, Forschungsreisen“, so befand der Physiker Konen 1929, seien „unentbehrlich und ebenso lebensnah wie Bakteriologie und Maschinenbau“, weil sie der „Pflege des allein zur Zeit pflegefähigen inneren Zusammenhangs zwischen Auslandsdeutschtum und uns“ und somit als „Stütze unserer schicksalsbestimmenden Auslandspolitik“ dienten.111 Über kein anderes Land wurde in den Gremien der Notgemeinschaft so viel gesprochen wie über die Vereinigten Staaten von Amerika – sei es als Konkurrenz, als Vorbild, als potenzielle Verbündete, immer wieder aber auch als Fleisch vom eigenen Fleisch. Keine andere ausländische Institution unterhielt so kontinuierlich Kooperationsbeziehungen mit der Notgemeinschaft wie die amerikanische Rockefeller Foundation; von Anfang an hatte sie die Notgemeinschaft materiell unterstützt, im Laufe der 1920er und 1930er Jahre kamen gemeinsame Stipendienprogramme und situative wie dauerhafte Unterstützungsaktionen für Projekte der Notgemeinschaft hinzu. So vermittelte die Foundation beispielsweise 1930 ihren deutschen Partnern Versuchstiere für die Krebsforschung und stellte zwischen 1930 und 1934 insgesamt 125.000 Dollar für die Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenforschung zur Verfügung.112 Der Umfang der einzelnen Programme mochte gering sein – so wurden „nur“ 23 der 427 im März 1932 von der Notgemeinschaft gewährten Stipendien von der Rockefeller Foundation finanziert –, aber ihr Wert lag zum einen darin, dass sie auf Dauer angelegt waren, zum anderen darin, dass die Amerikaner die einzigen Vertreter einer Siegermacht des Ersten 108 Schreiben Schmidt-Otts an die Präsidiumsmitglieder vom 10.9.1931, in: ebenda, fol. 64. Zu diesem und weiteren Ausgrabungsprojekten vgl. Unte, Meyer, S. 521 ff. 109 Spiess, Forschungsschiff, S. 3 und 113; vgl. ebenda S. 198, 200, 218 und 270. 110 Ebenda, S. 229. 111 Konen, Bedeutung, S. 64. 112 Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S.34 und Cottebrune, Mensch, S. 76.
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Weltkrieges waren, welche die Deutschen von Beginn an als Gleichberechtigte behandelten.113 Diese wiederum taten sich schwer damit, dass amerikanische Forscher bereits vor 1914 in vielen Disziplinen begonnen hatten, ihre deutschen Kollegen zu übertreffen und diesen Überholvorgang spätestens in den 1920er Jahren fast überall abschließen konnten. Der Mediziner Friedrich von Müller hatte schon beim Parlamentarischen Abend der Notgemeinschaft im November 1923 den harten Konkurrenzkampf deutscher Forscher mit den aufstrebenden US-Kollegen in den Mittelpunkt seines Plädoyers für mehr staatliche Forschungsförderung gestellt: „Schon rücken sie uns näher und näher dank ihrer großen Hilfsmittel und wir deutschen Arbeiter haben das Gefühl etwa wie ein Wettrenner, der sich bis dahin mit großem Vorsprung mühelos an der Spitze hat halten können, der aber seinen gefährlichsten Konkurrenten mehr und mehr aufholen hört.“114 Die Denkschriften und Berichte zu Gemeinschaftsarbeiten ab 1925 verorteten die deutsche Forschung durchgängig durch Bezugnahmen auf die USA. Klagen darüber, dass „Amerika (…) in dieser Beziehung viel weiter“ sei oder „einen Vorsprung erreicht“ habe, wurden in aller Regel mit der Erklärung kombiniert, dies liege an „den gewaltigen Mitteln, die dort für solche Untersuchungen ausgeworfen“ würden.115 Um den eigenen Überlegenheitsanspruch aufrecht erhalten zu können, bedienten sich die deutschen Forscher zweier nicht ganz miteinander harmonierender Argumente. Erstens unterschieden sie zwischen einer (den amerikanischen Kollegen unterstellten) oberflächlichen, nur quantitativ enormen Erzeugung neuer empirischer Daten und einer tiefschürfenden Erforschung des „Wesens“ der Dinge, die sie selbstverständlich bei sich selbst erkannten.116 „Von Amerika aus“, so hieß es etwa über die Vitaminforschung, sei man „mit Versuchen geradezu überschüttet worden“; diesen „Massenversuchen“ gegenüber tue den deutschen Wissenschaftlern aber stolze „Zurückhaltung gut“.117 Auch in der Proteinforschung galt die US-Forschung den deutschen Kollegen nur quantitativ, aber nicht qualitativ als überlegen; hier habe der in den USA betriebene Aufwand „nur zu sehr unsicheren und summarischen Ergebnissen“ geführt, die durch die „besseren Erfolg versprechenden deutschen Methoden“ in Zukunft leicht revidiert werden könnten.118 Nur ein Außenseiter wie der Eisenhüttenkundler Hermann Schenck, Sohn des Metallforschers Rudolf Schenck, der selbst einige Zeit in Amerika gearbeitet hatte, wagte es, die amerikanischen Forscher dafür zu loben, dass sie „rein nach praktischen Erwägungen“ vorgingen, während die deut113 Vgl. Bericht 1932, S. 61. Die Rockefeller Foundation leitete den größten Teil ihrer in Deutschland ausgezahlten Fördergelder an der Notgemeinschaft vorbei direkt den begünstigten Institutionen zu; Anfang der 1930er Jahre stellte sie geneinsam mit dem International Education Board den Mathematischen und Physikalischen Instituten der Universität Göttingen sowie dem KWI für Physik in Berlin insgesamt 700.000 Dollar zur Verfügung, vgl. Forman, Support, S. 41. 114 Kundgebung, Sp. 126. 115 Denkschriften, S. 90 und S. 121. 116 Vgl. Oberkrome, Ordnung, S. 59 f. 117 Denkschriften, S. 90. 118 Ebenda, S. 98.
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schen Kollegen „die theoretischen Fragen gelegentlich in zu einseitig abstrakter Richtung“ verfolgten.119 Der Abqualifizierung der angeblich einem primitiv materialistischen und anwendungsorientierten Wissenschaftsverständnis folgenden amerikanischen Forschung stand zweitens das Argument zur Seite, deren Erfolge beruhten ohnehin darauf, dass die US-Kollegen ihre Arbeit auf den Erkenntnissen deutscher Grundlagenforschung aufgebaut hätten. In der Ernährungswissenschaft etwa, so behauptete Müller 1923, beruhten „die amerikanischen Forschungen (…) in der Hauptsache auf der deutschen Basis“, und „ihre Träger sind in deutschen (…) Instituten ausgebildet“.120 Drei Jahre später erklärte Müller in den Beratungen des Hauptausschusses der Notgemeinschaft über die künftigen Gemeinschaftsarbeiten, bei „Eiweiß-Konstitution und Stoffwechsel“ handele es sich um Forschungsfelder „rein deutschen Ursprungs“: „Amerika hat erst von uns übernommen. Wir müssen in Deutschland weiterkommen, denn wir haben Persönlichkeiten hier!“ Seine widersprüchliche Sicht der US-Kollegen brachte Müller schließlich in die schöne Formel, die deutsche Forschung befinde sich im „Konkurrenzkampf mit dem Ausland und Amerika“.121 Letztlich waren die USA also nicht das Andere, sondern Teil des Eigenen. Fremd waren aus Sicht Müllers nur einige Aspekte der amerikanischen Wissenschaftskultur, so ihr radikaler Empirismus, der vermeintliche Mangel an „Persönlichkeiten“, sprich: im Sinne der deutschen Wissenschaftskultur ganzheitlich gebildeter Forscherindividuen sowie „eine gewisse Bevorzugung der jüdischen Elemente“, die Müller 1924 im Agieren der Rockefeller Foundation zu erkennen glaubte und der deutsche Wissenschaftler aus einem von Müller nicht näher spezifizierten Grund „entgegen zu treten“ hätten.122 EIN ERSTER BLICK ÜBER DEN ATLANTIK: DER NATIONAL RESEARCH COUNCIL ALS AMERIKANISCHES ÄQUIVALENT ZUR NOTGEMEINSCHAFT An dieser Stelle unterbrechen wir für einige Seiten die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Notgemeinschaft und folgen dem komparatistischen Blick ihrer Gremien auf den 1916 gegründeten National Research Council. In beiden Organisationen sammelten sich im bzw. unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg vor allem an Universitäten arbeitende Wissenschaftler, die sich selbst als Vertreter von Fundamental Research und Pure Science verstanden. Während allerdings Kriegsniederlage und Revolution in Deutschland einen Neuanfang in Gestalt der Notgemeinschaft erzwangen – sie war eben nicht die Verstetigung der 1916 gegründeten
119 So Hermann Schenck in einem Bericht an den Verein Deutscher Eisenhüttenleute von 1930, zit. in Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 212. 120 Kundgebung, Sp. 126. 121 Protokollnotizen zur Beratung des Hauptausschusses über Gemeinschaftsarbeiten am 6.1.1926, in: BArch, R 73/90, fol. 32. 122 Schreiben Müllers an Schmidt-Ott vom 3.3.1924, in: BArch, R 73/301, fol. 106R.
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Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft –, vermochte sich der NRC aufgrund seiner Leistungen während des Krieges dauerhaft zu etablieren. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges unterschied sich die amerikanische von der deutschen Innovationskultur darin, dass ihr Leitbild weder im Universitätsgelehrten noch im Industriechemiker bestand, sondern im kommerziellen Erfinder oder schlicht: in Thomas Alpha Edison. Der 1847 geborene Edison, der im Lauf seiner Karriere 1.093 Patente auf Erfindungen wie die Glühlampe, das Mikrophon oder den Filmprojektor anmeldete, pflegte das Image eines Autodidakten, dessen Erkenntnisinteressen von seinen Geschäftsinteressen diktiert waren und dessen Methode das schiere Tüfteln sei. Allerdings verdeckte sein öffentlich zur Schau getragener Hochmut gegenüber Hochschulwissenschaftlern, dass er in seinen Entwicklungslaboren neben Feinmechanikern und Schlossern sehr wohl auch promovierte Physiker und Chemiker beschäftigte und seine Erfindungen häufig auf der Rezeption wissenschaftlicher Literatur basierten.123 Mit der Selbstinszenierung als rigoroser Pragmatiker, der aus kommerziellem Eigeninteresse Innovation hervorbringe und gerade dadurch der Gesellschaft diene, passte Edison besser zum Selbstverständnis einer Nation von Pionieren und freien Unternehmern als der vermeintlich den praktischen Erfordernissen der Welt entfremdete Professor. Nachdem ein deutsches Unterseeboot am 7. Mai 1915 den britischen Dampfer Lusitania versenkt und 1.200 Menschen getötet hatte, von denen ein erheblicher Teil US-Bürger gewesen war, folgte die amerikanische Regierung Edisons Vorschlag, einen „Naval Consulting Board“ ins Leben zu rufen, der Techniken zur Bekämpfung von U-Booten entwickeln sollte. In dieses Gremium, so forderte ein Sprecher Edisons, sollten keine theoretisierenden Akademiker berufen werden, sondern „Männer der Praxis (…), die es gewohnt sind, Dinge zu tun und nicht über sie zu reden“.124 Auch wenn im weiteren Verlauf des Krieges einige universitäre Experimentalphysiker in den Board berufen wurden, so stand dessen programmatische Ablehnung eines auf theoretischen Grundlagen aufbauenden Innovationsprozesses doch insgesamt für die noch geringe Wertschätzung der Hochschulen innerhalb des amerikanischen Innovationssystems. Zu diesem Zeitpunkt existierten in den USA etwa 600 Universitäten und Colleges, aber nur 15 von ihnen konnten als international konkurrenzfähige Forschungseinrichtungen gelten. In einem Ranking von 1906 waren 403 der insgesamt 596 als ausgezeichnet klassifizierten USForscher auf diese 15 Hochschulen entfallen, wobei allein 66 für Harvard, 60 für die Columbia University und 39 für die Universität von Chicago gezählt worden waren.125 Nur fünf der Spitzenuniversitäten waren staatliche Einrichtungen, die übrigen zehn finanzierten sich aus Studiengebühren, vor allem aber aus Stiftungskapital, das systematisch durch Zuwendungen von Alumni vermehrt wurde. Die großen philanthropischen Stiftungen (wie beispielsweise der 1902 von John D. Rockefeller gegründete General Education Board, die im selben Jahr ins Leben gerufene Carnegie Institution und die 1913 gegründete Rockefeller Foundation), 123 Vgl. Hughes, Erfindung, S. 34–43. 124 Zit. nach ebenda, S. 127. 125 Vgl. Geiger, Emergence und derselbe, Knowledge.
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förderten zwar die Hochschullehre, finanzierten aber im Bereich der Forschung nur außeruniversitäre Institute oder bauten solche gar in Eigenregie auf. Aus Sicht der Stiftungen widersprachen vor dem Ersten Weltkrieg sowohl ein individualistischer Habitus der an den Research Universities tätigen Professorenschaft als auch deren Präferenz für Grundlagenforschung den eigenen Zielvorstellungen, nämlich der Förderung kooperativ organisierter und auf gesellschaftlichen Fortschritt zielender Forschung. Die Wissenschaftler der amerikanischen Spitzenuniversitäten wiederum sahen sich zum einen gerade als Nachzügler innerhalb der internationalen Scientific Community gezwungen, durch eine Konzentration auf Grundlagenforschung zu den hier dominierenden europäischen (nicht zuletzt deutschen) Kollegen und Konkurrenten aufzuschließen. Zum anderen betraten sie hier ein Feld, durch das sie sich sowohl von den in der Öffentlichkeit so erfolgreichen Erfindern wie Edison als auch der seit etwa 1900 (in diesem Jahr hatte General Electric sein erstes Forschungslabor eingerichtet) boomenden Industrieforschung abheben konnten.126 Der Erste Weltkrieg veränderte diese Konstellation in all ihren Elementen. Auch die Professoren der Forschungsuniversitäten suchten nun nach Wegen, ihr Potenzial in den Dienst der Nation zu stellen. Auf Initiative des Astrophysikers George Ellery Hale schlug die National Academy of Sciences im April 1916 USPräsident Woodrow Wilson die Gründung eines Gremiums vor, das in rüstungsrelevanten Fragen die Forschung der Hochschulen mit jener von Regierungs- und Industrieinstituten koordinieren sollte. Hieraus ging im Juni 1916 der unter dem Dach der Akademie (und somit dominiert durch die universitären Forscher) organisierte National Research Council hervor. Dessen in Fachausschüssen organisierten Forscher hatten Erfolg, wo die Praktiker des Naval Consulting Board versagten. Letztere sammelten und prüften zwar während des Ersten Weltkrieges über 100.000 Vorschläge von Erfindern, erzielten aber keine konkreten Erfolge, während die NRC-Physiker unter Leitung des späteren Nobelpreisträger Robert Millikan, eines Professors der Universität Chicago, bis Sommer 1918 ein einsatzfähiges System zur U-Boot-Ortung entwickelten und Chemiker Probleme der Kriegsführung mit Giftgas lösten.127 Der somit geführte Beweis einer Nützlichkeit von Grundlagenforschern verschaffte diesen eine bis dahin unbekannte Anerkennung seitens der großen philanthropischen Stiftungen, welche die Kriegsforschungen des NRC im Wesentlichen finanzierten. George E. Vincent, Präsident der Rockefeller Foundation, zog schon im Dezember 1917 hieraus Konsequenzen für die Zukunft: „National efficiency will be tested by intense competition after the war. Merely ‚practical‘ research tends to defeat itself. The cultivation of pure science is essential to the best practical results.”128 „Reine“ Wissenschaft erschien den Philanthropie-Managern nun nicht mehr als Forschung im Elfenbeinturm, sondern als nötige Grundlegung – eben in diesem Sinne: Grundlagenforschung – jedes Innovationsprozesses. Zugleich übernahmen unter den Bedingungen des Krieges jene Professoren 126 Vgl. Kohler, Science, S. 135–138. 127 Vgl. Hughes, Erfindung, S. 124–133 und Kevles, Hale, S. 427–431. 128 Zit. nach Reingold, Case, S. 91.
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die Führung der naturwissenschaftlichen Hochschulforschung, die bereit waren, ihre Forschung so zu verorten und zugleich im NRC die Erfahrung machten, dass dessen Modi der kooperativen Forschung sowohl zu wissenschaftlichen Erfolgen führten, als auch die Schatullen der großen Stiftungen öffneten. Der ursprüngliche Initiator des NRC Hale hatte sich bereits zuvor im Schnittfeld von Universitäten und Stiftungen bewegt, das heißt zunächst an der Universität Chicago und dann für die Carnegie Institution gearbeitet; später wurde der Wechsel zwischen Führungspositionen an einer der Forschungsuniversitäten, im National Research Council und in einer der großen Stiftungen ein üblicher Karriereverlauf.129 Somit gelang es der Führung des NRC, seine Finanzierung durch die Stiftungen über das Kriegsende im November 1918 hinaus auf Dauer zu stellen. Die den Gründern der deutschen Notgemeinschaft als selbstverständlich erscheinende Finanzierung der Hochschulforschung primär durch den Staat, lehnten die führenden, mehrheitlich an Privatuniversitäten tätigen Hochschulwissenschaftler der USA zu diesem Zeitpunkt ab, weil sie der Bundesregierung kein Einfallstor für politische Interventionen öffnen wollten. Im Jahr 1919 führten Verhandlungen des NRC mit der Rockefeller Foundation dazu, dass diese den Plan, ein eigenes Institut für physikalische Forschung aufzubauen, zugunsten eines Programms von Forschungsstipendien aufgab, die über den NRC an Hochschulforscher vergeben wurden. Während 1914 keine der größeren Stiftungen Forschung an Universitäten gefördert hatte, taten es um 1925 alle bedeutenden – und dies zu großen Teilen über den National Research Council. Dessen mit Wissenschaftlern besetzte Fachkomitees verteilten zwischen 1916 und 1940 zwölf Millionen Dollar aus den Kassen der Rockefeller und Carnegie Stiftungen an universitäre Forschungsprojekte; zudem stellte die Carnegie Stiftung dem NRC im Jahr 1919 einmalig ein Grundkapital von fünf Millionen Dollar zur Verfügung. Der auf die Naturwissenschaften beschränkte NRC wurde von 1923 an für die Geistesund Sozialwissenschaften durch einen analog operieren Social Science Research Council (SSRC) ergänzt, der in den folgenden zehn Jahren von den großen Stiftungen 4,2 Millionen Dollar einwarb und weiterverteilte.130 Die gemeinsame Forschungsförderung durch die großen philanthropischen Stiftungen und die beiden Councils beruhte bis zum Ende der 1920er Jahre auf einem Konsens der Beteiligten über vier Grundsätze. Erstens sollten die geförderten Projekte Grundlagenforschung in den Vordergrund stellen, bei der Auswahl ihrer Themen gleichwohl von Anfang an die Frage von deren möglichen Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft mitberücksichtigen (hierin ähnelten sie den Gemeinschaftsarbeiten der Notgemeinschaft, respektive: dienten diesen als Vorbild). So bot beispielsweise die Rockefeller Foundation dem NRC im Jahr 1928 Fördergelder für ein Forschungsprogramm zu Morphinen an, das „purely scientific“ und „most fundamental“ sein solle, aber zugleich gesellschaftlich relevant werden könne, weil es nach den Erfahrungen des Weltkrieges einen Bedarf 129 Vgl. Kohler, Science, S. 428 und Kargon/Hodes, Compton, S. 303 f. 130 Vgl. Kohler, Partners, derselbe, Science, 41 ff. und 158, Kevles, Hale, S. 432–435 und Reingold, Case, S. 91–100.
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für nicht abhängig machende Betäubungsmittel gebe.131 Das ein Jahr später unter Leitung eines hierfür gebildeten NRC-Komitees gestartete Forschungsprogramm führte letztlich nicht zur Entdeckung solcher Mittel, wohl aber zu neuem pharmakologischen Basiswissen. Insgesamt, so hat der Wissenschaftshistoriker Ronald Kline argumentiert, propagierte die Kerngruppe des NRC um Hale, Millikan und andere, den überlegenen Status von Fundamental research in den 1920er und 1930 Jahren so erfolgreich, dass auch amerikanische Ingenieure zunehmend Wert darauf legten, als Vertreter dieses Forschungsstils anerkannt zu werden.132 Zweitens sollten die Programme von NRC und SSRC nicht den Interessen einzelner Individuen dienen, sondern in den geförderten Forschungsfeldern oder Disziplinen „cooperative, self-regulating research communities“ schaffen.133 Aus Sicht der philanthropischen Stiftungen bildete dieser Grundsatz die Übertragung des in ihren anderen Tätigkeitfeldern (wie dem öffentlichen Gesundheitswesen oder in der Sozialfürsorge) verfolgten Ziels eines Community Development in das wissenschaftliche Feld. Aus ihrer Sicht bildeten etwa die 24 im Jahr 1927 aktiven Fachkomitees des NRC Clearing Houses ihrer Disziplinen, die sicherstellen sollten, dass die geförderten Vorhaben die Unterstützung „of a representative group of scholars“ besaßen, so Carnegie-Präsident Frederick Keppler im Jahr 1925.134 Hier trafen sich die Ziele der Stiftungen mit den Interessen der Hochschulforscher, die ihrerseits Wert darauf legten, nicht vereinzelt und aus der Position des abhängigen Bittstellers mit den Stiftungen verhandeln zu müssen, sondern die Förderprogramme über von ihnen selbst gebildeten Komitees nach innerwissenschaftlichen Kriterien (Best Science) zu verwalten. Dem Ziel eines Community Development diente drittens von 1919 an als zentrale Förderlinie die Vergabe von Stipendien an promovierte Nachwuchswissenschaftler in ausgewählten Disziplinen und Forschungsfeldern. Diese sollten so gezielt auf ein international konkurrenzfähiges Niveau gehoben werden. Mehr als ein Drittel der NRC-Mittel floss in diese Research Fellowships; bis 1932 wurden so 774 Nachwuchsforscher gefördert. Die Förderung diente bewusst der Auslese – weniger als ein Drittel der Anträge wurde bewilligt – und der Nachwuchsgewinnung für die Universitäten – 80 Prozent der Geförderten setzten ihre Karrieren an einer Hochschule fort. An den Universitäten wiederum galt ein NRC-Fellowship als Gütesiegel; alle während der 1920er Jahre auf Professuren in Berkeley berufenen Physiker etwa waren frühere NRC-Fellows.135 Anders als die Notgemeinschaft ergänzte der NRC die Förderung von Postdoktoranden in einigen Feldern, so der theoretischen Physik, gezielt durch eine Doktorandenförderung. Die Fellowships hatten in doppelter Hinsicht „a strong directive effect on scientific communities”: Zum einen lenkten sie das Interesse von Nachwuchswissenschaftlern auf jene Felder, die der NRC als aussichtsreich markierte.136 Zum anderen führte 131 132 133 134 135 136
Vgl. Acker, Addiction. Vgl. Kline, Technology, S. 209–217 und Geiger, Milking, S. 335 ff. Kohler, Science, S. 163. Zit. nach ebenda, S. 139; vgl. ebenda S. 138–142 auch für das Folgende. Vgl. ebenda, S. 143 und Kevles, Hale, S. 432. Kohler, Science, S. 143; vgl. zum Folgenden ebenda, S. 143 f.
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gerade ihre Anlage als Free Choice Fellowships, deren Inhaber sich die Universität, an der sie forschen wollten, frei aussuchen durften, zu einer Konzentration vielversprechender Nachwuchswissenschaftler an einigen wenigen Zentren – in der Physik waren dies beispielsweise Harvard, Chicago, Princeton, Ann Arbor, Berkeley und das California Institute of Technology (CalTech). Dieser Effekt diente schließlich auch dem vierten Grundsatz der Förderpolitik, nämlich der Strategie des „Making the peaks higher” (so der Slogan von Wickliffe Rose, Präsident von Rockefellers General Education Board): Aus den Instituten bereits als Spitzenforscher etablierter Wissenschaftler wurden mit Hilfe mehrjähriger Förderungszusagen Zentren zur Fortentwicklung einzelner wissenschaftlicher Felder und Disziplinen geschaffen.137 Dass die Atom- und theoretische Physik der amerikanischen Universitäten in den 1920er Jahren zur Weltspitze aufschloss, ja diese ab den 1930er Jahren definierte, war unter anderem Ergebnis dieser Förderstrategie. Die philanthropischen Stiftungen verstärkten deren Effekt noch dadurch, dass sie auch jenseits der vom NRC gesteuerten Programme auf die Schwerpunktförderung weniger Zentren setzten. Infolgedessen konzentrierten sich von den 226 in einer Erhebung aus dem Jahr 1938 als distinguished klassifizierten Departments 208 auf die 15 bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Spitzenuniversitäten etablierten Hochschulen plus dem CalTech, das seitdem dadurch zu ihnen aufgeschlossen hatte, dass es seinen Schwerpunkt gezielt auf die Grundlagenforschung verschoben hatte. Der National Research Council teilte am Ende der 1920er Jahre einige Merkmale der Notgemeinschaft: Beide Institutionen setzten auf ein hierarchisches Verhältnis von Grundlagen- und Zweckforschung, und sie teilten ein Selbstverständnis als Selbstverwaltungsorganisation der Hochschulforschung samt der Funktion einer Interessenwahrung der universitären Grundlagenforschung in der Konkurrenz mit anderen Akteuren des Innovationssystems. Sie ähnelten einander zudem in ihrer jeweils im Kontext des Ersten Weltkrieges verstärkten Orientierung auf eine Funktion der Forschung für die Weltgeltung der Nation. Die beiden Organisationen unterschieden sich aber in anderen Aspekten deutlich, vor allem in der Systematik, mit welcher der NRC übergeordnete strategische Ziele verfolgte. Während die Notgemeinschaft die Förderung von Individuen bevorzugte, setzte der NRC auf kooperativ organisierte Communities. Die Idee einer Einheit der Wissenschaft war hingegen in den USA nicht sehr ausgeprägt (was schon organisatorisch im Nebeneinander von NRC und SSRC zum Ausdruck kam). Schließlich sah die Notgemeinschaft in deutscher Tradition vor allem den Staat in der Pflicht, Hochschulforschung zu finanzieren (ohne dass dies ein positives Verhältnis zur republikanischen Staatsform impliziert hätte), während die amerikanischen Forscher auf das Mäzenatentum privater Geldgeber, vom allem in Gestalt der philanthropischen Stiftungen bauten. Am Ende der 1920er Jahre erwiesen sich die Abhängigkeit des National Research Councils von den großen Stiftungen und die Distanz seiner Führungsgruppe gegenüber der Bundesregierung als prekär. In der Weltwirtschaftskrise 137 Zit. nach Geiger, Knowledge, S. 161.
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brachen die Erträge aus den Kapitalstöcken der Stiftungen ein. Die Rockefeller Foundation, bis dahin wichtigste Geldgeberin des NRC, strukturierte ihre Forschungsförderung in der Folge neu und verteilte fortan immer höhere Anteile ihrer Mittel direkt. Ab 1935 reduzierte sie schrittweise die Finanzierung des NRC. Gleichzeitig scheiterte zwischen 1926 und 1934 der Versuch, durch eine großangelegte Spendenkampagne in Industriekreisen ein Kapital von 20 Millionen Dollar für einen vom NRC zu verwaltenden National Research Fund zusammenzubringen; die Sammlung ergab lediglich 380.000 Dollar. Zu spät unternahm der NRC nun Versuche, die New Deal Regierung Franklin D. Roosevelts von der Relevanz der von ihm vertretenen Pure Science für die wirtschaftliche Genesung der USA zu überzeugen. Der NRC existierte zwar weiter, erreichte aber in der Folge nie mehr jene Bedeutung, die er während der 1920er Jahre besessen hatte.138 FORSCHUNG AM VOLK, FÜR DAS VOLK UND DURCH DAS VOLK: VOLKSKUNDE UND RASSENFORSCHUNG ALS FÖRDERSCHWERPUNKTE DER NOTGEMEINSCHAFT Fünf der sieben geisteswissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeiten, welche die Notgemeinschaft bis 1932 auf den Weg brachte, sollten (so die offizielle Diktion) „der geistigen Klärung über das Eigenwesen der deutschen Kultur“ dienen und damit einen Beitrag zur „Besinnung auf die Kräfte unseres Volkstums“ leisten.139 Generell war kein anderer außerwissenschaftliche Phänomene bezeichnender Kollektivbegriff in den Verlautbarungen, Gremienprotokollen und Projektanträgen der Notgemeinschaft so präsent wie jener des „Volkes“. Und die einzige außerwissenschaftliche Zweckbestimmung, die fast alle Angehörigen der Notgemeinschaftsklientel vor 1933 zu akzeptieren, ja als Norm zu setzen bereit waren, dürfte der Dienst am „Volk“ gewesen sein. Anders als in der politischen Linken, die mit dem Begriff des Volkes meist eine soziale bzw. politische Kategorie bezeichnete (also das „einfache Volk“ oder die „Volksmassen“ bzw. den Demos als Staatsbürgervolk), signalisierte die Semantik der Notgemeinschaft durch den Rekurs auf die Kategorie des „Volkstums“ eine Identifizierung des „Volkes“ mit einer überzeitlichen Kultur- und Abstammungsgemeinschaft, einem Ethnos. Im Jahr 1930 definierte es Schmidt-Ott als Ziel der von der Notgemeinschaft geförderten Forschung, „den tieferen Grundlagen unseres Volkstums nachzugehen“.140 Das „Volk“ war in diesem Sinne erstens zentraler Gegenstand, zweitens primärer normativer Bezug der Forschung und sollte drittens dank ihrer Hilfe zur Besinnung auf sich selbst motiviert und damit – wenn wir eine Marx’sche Formel einmal abwandeln wollen – zum Volk an und für sich werden. Im Grundsatz war dieses Programm in den 1920er Jahren nicht neu; vielmehr lassen sich seine 138 Vgl. Abir-Am, Discourse, S. 348–352 und Kargon/Hodes, Compton, S. 304–318, Kohler, Partners, S. 102 f. und derselbe, Science, S. 161 f. 139 Bericht 1932, S. 19 f. und Denkschrift zur Zukunft der Notgemeinschaft vom August 1932, zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 25. 140 Schmidt-Ott, Notgemeinschaft, S. 608.
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Konturen bereits vor dem Ersten Weltkrieg erkennen. Aber damals waren die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaftler doch im Wesentlichen noch kosmopolitisch interessiert. Erst der Krieg löste eine entschiedene Wende hin zu einem „ethnozentrischen Projekt“,141 zu einer engen Kunde des nationalen Selbst und des fremden Anderen aus. Nach 1918 intensivierte sich diese Entwicklung weiter dadurch, dass eine Hinwendung zum vermeintlich überzeitlichen „Volkstum“ als dreifache Abkehr von der Gegenwart verstanden wurde. Erstens ging es um eine Abkehr vom neuen Staat. Bis 1918 hatte sich die Mehrheit der Geistes- und Sozialwissenschaftler als Legitimationsinstanz der monarchischen Ordnung verstanden und war von dieser alimentiert worden. Nun standen die Wissenschaftler vor dem Problem, dass sie zwar nicht bereit waren, der Republik durch ihre Arbeiten zu Legitimität zu verhelfen, ihren sozialen Status aber behaupten wollten. Die Hinwendung zum überzeitlichen „Volk“ als dem imaginären eigentlichen Adressaten und Wertbezug des eigenen Tuns erlaubte es nun, die Feindseligkeit gegenüber der Republik mit dem Anspruch auf Weiterbezahlung durch dieselbe in Einklang zu bringen. Man diente keineswegs dem Staat der Gegenwart, sondern dem „ewigen deutschen Volkstum“, dem „Reich“ und einer künftigen, noch wissenschaftlich zu ersinnenden „Volksordnung“ und konnte damit die real existierende Republik schon einmal als künftige Fußnote der Geschichte hinweg imaginieren. Zweitens erlaubte es die Wendung zum Volk, die deutsche Kriegsniederlage und die folgenden Gebietsverluste virtuell ungeschehen zu machen sowie zugleich die Revision der Versailler Ordnung vorzubereiten. Die Grenzen des realen deutschen Staates mochten enger geworden sein, eine intensive Erforschung des sogenannten „Grenz- und Auslandsdeutschtums“ konnte aber diese engen Grenzen sprengen – jetzt im Geiste, später dann auch in der materiellen Welt. Drittens bot sich das „Volk“ auch als Identifikationscontainer an für den im deutschen Bildungsbürgertum seit etwa 1900 anschwellenden Kulturpessimismus, für die Klagen über eine durch Industrialisierung, Urbanisierung und massenkulturelle Moderne vermeintlich verlorengegangene Idylle. Das atemberaubende Tempo, mit dem die deutsche Gesellschaft zwischen 1890 und 1920 in die Moderne katapultiert worden war, hatte es der Gesellschaft verwehrt, sich allmählich in dieser neuen Lebensform einzugewöhnen. Deren am meisten angefeindete Ausdrucksform war die Großstadt. In ihr, so bemerkte Eduard Spranger im Dezember 1918, dominierten „die zuchtlosen Massen“ – deren Gegenpol aber, so glaubte der Historiker Eduard Meyer, sei die Landbevölkerung, die weiterhin „die gesunde Kraft jedes Volkes“ bilde.142 Die Aufgabe der Geisteswissenschaften sollte nun darin bestehen, anhand des jeweiligen disziplinären Gegenstandes ein vor dem Einbruch der Moderne zu verortendes „unverfälschtes“ Deutschtum zu rekonstruieren und es der gegenwärtigen Nation als Alternative zur westlichen Moderne vor Augen zu führen. Die urbanisierte Bevölkerung der Gegenwart war in dieser Sicht eben keineswegs identisch mit jenem deutschen Volk, um das 141 Schmoll, Vermessung, S. 38. 142 Zit. nach Hardtwig, Akademie, S. 37 und 45.
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es ging; zumindest in Teilen war sie eher Teil des Fremden als Teil des Selbst. Als das eigentliche deutsche Volk galt ein Volk der Vormoderne, das sich in der Gegenwart nur noch in zwei Gruppen erhalten habe: zum einen im „Landvolk“ und zum anderen im „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ Ostmitteleuropas. Das Landvolk, so glaubten die Wissenschaftler zu wissen, lebe zu großen Teilen noch unverdorben fern von der städtischen Moderne. Die in den ethnischen Grenzräumen Mitteleuropas oder verstreut in Osteuropa siedelnden Deutschen seien dort einerseits von Überlagerungen durch die Moderne verschont geblieben. Andererseits seien sie sich ihrer Identität im Kampf mit anderen Völkern bewusst geblieben. Die „auslandsdeutschen Volksgenossen“, so meinten etwa Mitte der 1920er Jahre die Geographen Emil Meynen und Friedrich Metz, seien „Bewahrer älterer Formen des Volkslebens“, die in Deutschland selbst durch moderne Lebensstile „vielfach ausgespült“ worden seien.143 Zu einem Leitprojekt dieser Volksforschung wurden ab 1928 die von der Notgemeinschaft organisierten Gemeinschaftsarbeiten an einem „Atlas der deutschen Volkskunde“. Dessen Förderung durch die Notgemeinschaft und ihre Nachfolgerinnen sollte über fünf Jahrzehnte währen.144 Bis etwa 1970 bildete das Atlasprojekt – so urteilt Friedemann Schmoll, der seine Geschichte geschrieben hat – „in vieler Hinsicht das Zentrum der kognitiven und institutionellen Identität der zwischen völkischer Leitdisziplin und Orchideenfach changierenden Volkskunde“.145 Die Volkskunde war am Ende des 19. Jahrhunderts zunächst als Laienbewegung entstanden. Die in ihr aktiven Bildungsbürger plagte die Besorgnis, die Modernisierung werde Traditionen, Bräuche, alltagskulturelle Praktiken und Überlieferungen auslöschen. Daher bemühte man sich um deren Sammlung, Dokumentation und Konservierung. Der 1904 gegründete Verband der deutschen Vereine für Volkskunde hatte zunächst noch eher universelle Interessen gepflogen, die jeweils konkret erforschte lokale oder regionale Volkskultur galt ihm ebenso als Teil einer Menschheits- wie einer nationalen Kultur. Der Erste Weltkrieg aber führte zur Reduktion der Volkskunde auf eine Kunde des nationalen Selbst, das von einem fremden Anderen zu trennen sei. Diese Verengung war mit Initiativen zur akademischen Etablierung verwoben. „Nur mühsam“, so resümierte der Sprachwissenschaftler Theodor Frings auf einer Veranstaltung der Notgemeinschaft im Oktober 1930, habe sich die Volkskunde, die lange als „Sammelstelle für Raritäten“ betrachtet worden sei, „den Weg zur Anerkennung als Wissenschaft gebahnt“.146 Als die Notgemeinschaft das Atlasprojekt am 16./17. Juni 1928 mit einer Tagung im Berliner Schloss startete, bezeichnete der Volkskundeverband diese Versammlung von etwa 50 Wissenschaftlern wohl zu Recht als den „größten volkskundlichen Kongreß, der je tagte“.147 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Disziplinwerdung der Volkskunde zwar begonnen, aber sie befand sich noch „in einem ihr Feld ordnenden Handbuch- und Enzyklopädiestadium, be143 144 145 146 147
Zit. nach Oberkrome, Geschichte, S. 109. Vgl. zum Folgenden insgesamt Schmoll, Vermessung. Derselbe, Vermessung Volkskultur, S. 377. Zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 10 f. Zit. nach ebenda, S. 11. Zur Zahl der Anwesenden vgl. Bericht 1928, S. 177.
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fasst mit unruhigen Suchbewegungen, die auf Systematisierung und Ordnung diffuser Wissensbestände zielten“.148 Zu diesen Suchbewegungen zählten seit Anfang der 1920er Jahre Diskussionen über die Möglichkeit, Volkskultur nicht nur – wie es der bisherigen Praxis der Volkskundevereine entsprach – museal, sondern auch kartographisch zu dokumentieren. Es fehlte in diesem von Anfang an interdisziplinären Verständigungsprozess nicht an Vorschlägen, aber an einem organisatorischen Kern. Daher entwickelten Geographen, Philologen, Museumspraktiker und junge Historiker wie Hermann Aubin, die gerade das Projekt einer „Volksgeschichte“ angingen, ihre Ideen eher neben- als miteinander. Friedrich Schmidt-Ott scheint solche Initiativen spätestens im Sommer 1927 durch Aubin sowie durch den Freiburger Volksliedforscher John Meier kennengelernt zu haben. Meier war sowohl Vorsitzender des Verbandes der Volkskundevereine (seit 1911), als auch Mitglied des Fachausschusses Völkerkunde der Notgemeinschaft (seit 1922). Bereits vor 1918 hatte er zu Schmidt-Otts Professorennetzwerk gehört und war vom preußischen Kultusministerium mit dem Vorsitz einer Volksliederkommission betraut worden.149 Zusammen mit Georg Schreiber verfolgte der Notgemeinschaftspräsident ab Ende 1927 energisch das Ziel, die Arbeit an einem Volkskundeatlas in das Portfolio der Gemeinschaftsarbeiten aufzunehmen, verständigte sich mit Meiers Verband und organisierte schließlich die erwähnte Versammlung im Juni 1928, die eine Kommission und eine Zentralstelle für die Gemeinschaftsarbeiten gründete. Die Zentralstelle wurde direkt in den Räumen der Notgemeinschaftsgeschäftsstelle untergebracht; mit Eduard Wildhagen übernahm einer der engsten Mitarbeiter und Vertrauten Schmidt-Otts die Position eines „Technischen Leiters“ des Atlasprojektes. Indem sie sich das Projekt eines Volkskundeatlas zu eigen machte, beschritt die Notgemeinschaftsspitze einen – gemessen an ihren üblichen Verhaltensmodi – ungewöhnlichen Weg: Sie verstärkte nicht den Mainstream einer existierenden Disziplin, sondern organisierte einen institutionellen Kern für die Genese einer neuen Disziplin. Dabei nahm sie massiv Einfluss auf das künftige Profil des Faches. Durch das Atlasprojekt wurde die Volkskunde dazu gedrängt, den Zusammenhang von Raum und Volkskultur in den Mittelpunkt zu stellen; die Methoden zur Erhebung von Daten (Fragebogen) und zu ihrer Verarbeitung (qua Kartierung) rückten die künftige Disziplin, deren Gründergeneration aus den Geisteswissenschaften stammte, näher an die Sozial- und Naturwissenschaften heran. Mangels valider Quellen können wir nur spekulieren, warum Schmidt-Ott und Schreiber sich für dieses Projekt engagierten; vermutlich kamen drei Motive zusammen. Erstens bot das Atlasprojekt der Notgemeinschaft die Chance, Einfluss auf das zu diesem Zeitpunkt boomende, in seinen Strukturen aber noch ungeformte Feld der Volkstumswissenschaften insgesamt (von der Volksgeschichte bis zu den Forschungen über das Auslandsdeutschtum) zu gewinnen und sich auch in diesem Kontext zu profilieren. Zweitens fiel es der Notgemeinschaft in den 148 Schmoll, Vermessung, S. 39. 149 Vgl. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 285.
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Geisteswissenschaften viel schwerer als in den Natur- und Technikwissenschaften oder der Medizin, Forscher für die Kooperation in interdisziplinären Großprojekten zu gewinnen. Hier bot der Atlas die Chance, ein großzügig dimensioniertes Projekt samt methodischem Innovationspotenzial mit Vorbildcharakter in Gang zu bringen. Drittens bot die Kooperation mit der Basisbewegung der Volkskundevereine die Möglichkeit, der um 1928 zunehmenden öffentlichen Kritik an der Lebensfremdheit der von der Notgemeinschaft geförderten Forschung etwas entgegenzusetzen.150 Der Volkskundeatlas wurde zum teuersten Notgemeinschaftsprojekt im Bereich der Geisteswissenschaften während der späten 1920er und frühen 1930er Jahre; er kostete mindestens 100.000 Mark pro Jahr. Die Berliner Zentralstelle entwarf, testete und verteilte zwischen 1930 und 1935 fünf Fragebögen zu insgesamt 243 Themenkomplexen. Gefragt wurde unter anderem nach Festtagsbräuchen, Totenkulten, Kinderspielen, Formen und Geräten bäuerlicher Arbeit, nach Essgewohnheiten und Bezeichnungen für sauer gewordene Milch, Arbeitsteilungen von Mann und Frau, religiösen Vorstellungen, Sprichwörtern und dem Umgang mit der Nachgeburt von Nutztieren. Der ursprüngliche Plan, in die Bögen fast 1.100 Fragen einzuarbeiten, erwies sich in deren Erprobungsphase rasch als illusorisch.151 In Deutschland und mehreren Staaten mit deutschsprachigen Minderheiten bauten Notgemeinschaft und Volkskundeverband 37 Landesstellen des Atlasprojektes auf; abgedeckt wurden so neben dem Reichsgebiet Österreich, Luxemburg, die Tschechoslowakei, Siebenbürgen, Bessarabien und der Banat, der Freistaat Danzig sowie das polnische Westpreußen. Die eigentliche Datenerhebung nahmen über 20.000 ehrenamtliche Mitarbeiter vor, in der großen Mehrheit (79 Prozent) handelte es sich um Lehrer, daneben engagierten sich vor allem Pfarrer (sieben Prozent der Feldforscher).152 Eine interdisziplinär besetzte Kommission der Notgemeinschaft, an deren Spitze John Meier stand, zimmerte das konzeptionelle Dach des Projektes. Nach der Erarbeitung und Verteilung der ersten drei Fragebögen mit insgesamt 150 Themen geriet die Arbeit der Kommission 1932 in eine ernste Krise. In deren Folge schied Eduard Wildhagen im Oktober 1932 vorübergehend aus der Leitung des Volkskundeatlas aus; Anfang 1933 lagen drei konkurrierende Entwürfe für die weiteren Fragebögen vor.153 In der Sache stritt man darum, ob in deren Mittelpunkt Fragen zur Sachkultur stehen sollten (dies die Position einer starken Strömung um Meier) oder aber der Versuch, „die psychischen Tiefen“ des „Volksmenschen“ auszuloten (für diese Zielsetzung trat neben dem Exponenten einer „Volksseelenforschung“, dem Germanisten Adolf Spamer, auch Wildhagen ein).154 Am Vorabend des nationalsozialistischen Machtantritts konnte der Versuch der Notgemeinschaft, der Volkskunde ein sie als Disziplin einigendes Zentrum zu verschaffen, als gescheitert gelten. Die Führung des Atlasprojektes hatte 150 151 152 153 154
Vgl. Schmoll, Vermessung, S. 34 f. und 91–97. Vgl. ebenda, Vermessung, S. 31 und 66–75. Vgl. ebenda, S. 60. Vgl. ebenda, S. 69–86 und Vorschläge. Spamer zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 84.
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es nicht vermocht, die Volkskunde auf ein Paradigma, das heißt auf allgemein als gültig angenommene Axiome, auf Kriterien für die Formulierung relevanter Fragestellungen oder auf einen Katalog anerkannter Methoden auszurichten. Institutionell hatte der aufwendige Apparat des Projektes nicht kompensieren können, dass es weder Lehrstühle für Volkskunde noch einen spezifisch volkskundlichen wissenschaftlichen Nachwuchs gab; wer Volkskunde betrieb, hatte seine Qualifikation in einem anderen Fach – als Sprachwissenschaftler, Geograph oder Historiker – erworben oder gar als Autodidakt.155 Dennoch lohnt es sich, den Gesamtkorpus der Fragen zu analysieren. Im Wesentlichen ergeben sich drei Befunde: Erstens dokumentierte man fast ausschließlich ländliche Lebens- und Kulturformen. Die Alltagskultur der Städter interessierte die Volkskundler kaum. Zweitens richteten sich nur wenige Fragen auf die Gegenwart, also die frühen 1930er Jahre. Stattdessen ging es darum, solche Phänomene festzuhalten, die vor der Ankunft der Moderne bestanden hatten, etwa inzwischen ausgestorbene Bräuche. Und drittens nahm die Untersuchung der Volkskultur keinerlei Differenzierungen jenseits der räumlichen vor: Sie unterschied nicht nach sozialen Schichten und ignorierte die Kulturen ethnischer oder religiöser Minderheiten. Die deutschen Juden, slawische Minderheiten oder Sinti wurden nicht als Teile jenes kulturellen Raumes betrachtet, der zu vermessen war; in den Karten des Atlas blieben sie unsichtbar.156 Was man auf jenen erkennen konnte, waren regionale Feindifferenzierungen einer aber im Wesentlichen als homogen präsentierten deutschen Volkskultur. Der Atlas, so verkündete 1930 Adolf Spamer, zeige die „Einheit in der Vielheit“ deutscher Volkskultur: „Eine Einheit, die sich gemeinsam volkstumsmäßig stark abhebt von fremdstämmigen Nachbarn.“157 Diese Ausrichtung war von Anfang an Programm. Schmidt-Ott begründete den Start des Atlasprojektes 1928 damit, man wolle den Deutschen ihre „volkstümlichen Eigenheiten“ bewusstmachen. Die „zunehmende Industrialisierung und die Bewegtheit des modernen Lebens“ drohten diese Eigenheiten zu überwuchern, daher müsse man jetzt die „im Volke noch lebenden Reste bodenständigen Kulturgutes“ dokumentieren.158 Von vornherein ging es dabei um ein politisches Ziel. So erklärte etwa der die schlesische Landesstelle leitende Germanist Walther Steller 1929, der Atlas diene der Erziehung der Deutschen. Diese sollten ihre vermeintlich „kosmopolitische Denkweise“ abstreifen und sich durch den Atlas „auf die Eigenart des angestammten Volkstums besinnen“.159 Der Volkskundeatlas untersuchte das deutsche Volk als Kulturgemeinschaft und ein Teil der Forschenden mag davon ausgegangen sein, dass dieser Gemeinschaft bzw. ihrer „Volksseele“ eine gemeinsame Abstammung zugrunde lag. Doch wurden rassenanthropologische Fragestellungen bei Konstituierung des Projektes
155 156 157 158 159
Vgl. ebenda, S. 112. Zum Medium Karte vgl. ebenda, S. 61–65. Zit. nach ebenda, S. 30. Schmidt-Ott, Einführung Volkskunde, S. 5. Zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 13.
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im Juni 1928 explizit ausgeklammert.160 Dies bedeutete aber keineswegs, dass die Notgemeinschaft sich dem am Ende der 1920er Jahre zunehmenden Sog der akademischen Rassenkunde hätte entziehen wollen. Friedrich Schmidt-Ott legte großen Wert darauf, diesem Trend durch semantische Anpassung Tribut zu zollen. So bestand er darauf, dass im Oktober 1927 in Moskau gegründete Institut „Institut für Rassenforschung“ zu taufen, obwohl die in diesem Kontext engagierten Forscher wie der Freiburger Mediziner Ludwig Aschoff hervorhoben, dass sie hier eine multiperspektivische, vergleichende „Völkerpathologie“ beabsichtigten, die gerade nicht mit der Kategorie der „Rasse“ operiere. Am Beispiel der am Institut betriebenen Forschung zur „Entstehung des Kropfes“ betonte Aschoff 1929 bei einer Veranstaltung der Notgemeinschaft, „dass die rassige Zusammensetzung der Bevölkerung (…) so gut wie gar keine Rolle“ spiele.161 Trotzdem versah SchmidtOtt (und nach außen zogen Aschoff und andere Zweifler durchaus mit) solche Forschung recht unbekümmert mit dem Label „Rassenforschung“ – offenbar versprach er sich hiervon positive Resonanz in einer breiteren Öffentlichkeit.162 Zur selben Zeit, als er mit Vertretern der Volkskunde das Atlasprojekt vorbereitete, verhandelte Schmidt-Ott mit Anthropologen über die Initiierung von Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenforschung, die bemerkenswerte konzeptionelle Ähnlichkeiten mit dem Volkskundeprojekt aufwiesen, von ihren Protagonisten aber explizit der physischen Rassenanthropologie zugeordnet wurden. Auf Basis einer Vorbesprechung im Dezember 1927 entwarf eine Forschergruppe um Eugen Fischer bis Februar 1928 den Plan einer systematischen „anthropologischen Erforschung der deutschen Bevölkerung“.163 Fischer war seit 1925 Fachgutachter der Notgemeinschaft für Anthropologie und 1927 Direktor des Berliner KaiserWilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik geworden. In seinem Konzept übernahm er sowohl die in der Notgemeinschaft normativ vorgegebene Unterscheidung von seriöser Forschung und außerwissenschaftlichen Weltanschauungsfragen, als auch das Bekenntnis zum Primat der Grundlagenforschung. In diesem Sinne warb er für sein Projekt gerade mit dem Argument, die abgesicherten „Kenntnisse über die rassenmäßige und erbbiologische Zusammensetzung des deutschen Volkes“ seien noch „außerordentlich gering“, obwohl die „vielen und verbreiteten Schriften, die die letzte Zeit über Rassenfragen gebracht hat“, das Gegenteil suggerierten.164 Der seriösen Forschung müsse es daher darum gehen, „ein wirkliches Bild“ sowohl der „anthropologischen Zusammensetzung“ der Deutschen allgemein als auch der „pathologischen Erblinien in unserem Volke“ zu erarbeiten.165 Erst in einem zweiten Schritt könnten die durch Forschung gewonnenen Grundlagenerkenntnisse dann als „unendlich wichtige 160 Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 81. 161 Aschoff, Forschungsgebiet, S. 47. 162 Ebenda, S. 45: Demnach war Aschoff durchaus bereit, sein Forschungsgebiet gegenüber der Öffentlichkeit als „Rassenpathologie“ zu bezeichnen, ohne sich hierdurch aber in seiner Forschungsperspektive beeinflussen zu lassen; zu Schmidt-Ott vgl. Cottebrune, Mensch, S. 49 f. 163 Fischer, Denkschrift, S. 130. Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 114–122 und 222. 164 Fischer, Denkschrift, S. 130. 165 Ebenda, S. 131 und 134.
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Quellensammlung“ für „sanitäre und bevölkerungspolitische Verwaltungs- und Gesetzesfragen“ dienen.166 Die von Fischer geplante anthropologische Erhebung ähnelte in ihren methodischen Grundmustern dem Konzept des Volkskundeatlas. Auch der Rassenanthropologe stellte sich ein dichtes Netz von Erhebungsstellen vor, deren Feldforscher „wohl großenteils Volksschullehrer“ sein würden.167 In 64 kleinräumigen Untersuchungsbezirken sollten Daten über den physischen Phänotyp der Bevölkerung erhoben werden, zum Beispiel über die Gesichtsform, Höhe und Breite der Nase, Form des Nasenrückens, Haar- und Augenfarbe sowie die Körpergröße. Zudem reduzierte Fischer die anthropologische Erhebung ähnlich wie der Volkskundeatlas auf „die rein ländliche“ oder kleinstädtische Bevölkerung. Er begründete dies damit, dass die „bodenständige“ Bevölkerung durch die „Bevölkerungsmischung in den inzwischen riesig angewachsenen Großstädten und die Fluktuation der Bevölkerung in den Industriegebieten“ als isoliert erfassbares Sample zu verschwinden drohe.168 Auch die Anthropologen wollten also nicht die gegenwärtig real vorhandene Bevölkerung vermessen, sondern ein Volk, wie es aus ihrer Sicht vor Urbanisierung und Industrialisierung existiert haben sollte – und überhaupt eigentlich sein sollte. Auf der Basis des von Fischer entworfenen Konzeptes einigten sich die interessierten Anthropologen am 19. April 1928 bei einem Treffen in Frankfurt am Main auf das Programm ihrer Gemeinschaftsarbeiten.169 Bereits im August 1929 waren die rassenanthropologischen Erhebungen in 17 der 64 Erhebungsbezirke abgeschlossen, in 19 waren sie im Gang und in weiteren 27 wurden sie zu diesem Zeitpunkt vorbereitet. Der wissenschaftliche Ertrag der Erhebung bestand letztlich in 16 Monographien, die zwischen 1929 und 1938 in der Reihe Deutsche Rassenkunde veröffentlicht wurden. Anne Cottebrune, die diese Gemeinschaftsarbeiten im Detail analysiert hat, kommt zu dem Ergebnis, dass der in den Untersuchungen verwendete Rassenbegriff ebenso uneinheitlich war wie die von den Forschern vorgenommenen Bewertungen ihrer Befunde. So huldigten einige Autoren dem Ideal „reiner“ Rassen, während andere nicht nur deren Existenz bezweifelten, sondern auch die Mischung von Rassenmerkmalen für einen im Lauf der Evolution durchaus vorteilhaften Faktor hielten. Gerade die Vielstimmigkeit innerhalb des Großprojektes mag dazu beigetragen haben, dass die Rockefeller Foundation im November 1929 beschloss, die von der Notgemeinschaft geförderten Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenkunde und menschlichen Vererbungslehre ihrerseits zwischen 1930 und 1934 mit insgesamt 125.000 Dollar zu unterstützen.170 Ab 1930 verschob sich allerdings der Schwerpunkt dieser Gemeinschaftsarbeiten hin zu jenen Untersuchungen, die nach der Vererbung pathologischer Phänomene fragten; auch die Rockfeller Foundation engagierte sich gerade auf 166 167 168 169 170
Ebenda, S. 132. Ebenda, S. 133. Ebenda, S. 131. Vgl. zum Folgenden Cottebrune, Mensch, S. 65–74. Vgl. ebenda, S. 75 f.
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diesem Teilgebiet stark.171 Der Psychiater Ernst Rüdin (seit 1928 an der zur KWG gehörenden Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München tätig, deren Leitung er 1931 übernahm) einigte sich bei einer Sitzung im Februar 1930 mit Fischer und anderen Vertretern der Notgemeinschaft darauf, dass die bisherigen Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenforschung um Projekte zur Vererbung von Geisteskrankheiten ergänzt werden sollten. Ab 1931 floss ein erheblicher Teil (vermutlich etwa ein Drittel) der von der Notgemeinschaft und der Rockefeller Foundation für die Gemeinschaftsarbeiten zur Verfügung gestellten Mittel in Projekte Rüdins, die in mehreren ländlichen Erhebungsbezirken alle psychisch kranken Menschen zu erfassen und deren Stammbäume zu rekonstruieren versuchten. Verstärkt wurde die Trift der Notgemeinschaft in Richtung erbbiologischer Forschung dadurch, dass gleichzeitig mit der Akzentverlagerung der unter dem Label Rassenforschung geförderten Projekte ein davon gesondertes Programm kriminalbiologischer Gemeinschaftsarbeiten in Gang gesetzt wurde, in dem neben Rüdin vor allem der Leiter der Bayerischen kriminalbiologischen Forschungsstelle Theodor Viernstein sowie der Direktor des Berliner KWI für Hirnforschung Oskar Vogt leitend beteiligt waren. Die engagierten Forscher (unter anderem Johannes Lange, Friedrich Stumpfl und Otmar Freiherr von Verschuer) gingen davon aus, dass Kriminalität im Wesentlichen genetisch bedingt sei und suchten nun zum einen nach Belegen für diese aus ihrer Sicht nicht mehr falsifizierbare Erkenntnis. Zum anderen bemühten sie sich um Diagnosetechniken, welche die Identifizierung der qua Erbanlage „Kriminellen“ ermöglichen würde.172 Auch in diese Gemeinschaftsarbeiten flossen Mittel der Rockefeller Foundation. Mit deren Hilfe hatte sich die Notgemeinschaft um 1930 als feste Größe im Milieu jener Forschung etabliert, die sich nach 1933 durch ihre Verschränkung mit der rassenhygienischen Bewegung zu einem die Vernichtungspolitik des NS-Regimes dynamisierenden Faktor entwickeln sollte.173
171 Vgl. zum Folgenden ebenda, S. 76–84. 172 Vgl. ebenda, S. 84–88 und zur Kriminalbiologie insgesamt Baumann, Verbrechen, S. 60–79. 173 Zum Doppelcharakter der Rassenhygiene als Wissenschaft und politische Bewegung vor wie nach 1933 vgl. Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse, S. 15–26, 91–104 und 367–381.
VIERTES KAPITEL AUS DER NOT IN DIE KRISE. DIE NOTGEMEINSCHAFT IN DER ENDPHASE DER WEIMARER REPUBLIK Zwischen Anfang 1926 und Mitte 1928 befand sich die Notgemeinschaft auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Entwicklung: Mit dem Anlaufen der Gemeinschaftsarbeiten hatte sie ihre Existenz gesichert; der vom Reich zur Verfügung gestellte Jahresetat erreichte 1927 und 1928 mit jeweils acht Millionen Mark (an der Kaufkraft gemessen) seinen Höchststand während der Weimarer Republik. Mit dem Deutschnationalen Walter von Keudell amtierte bis Juni 1928 ein Reichsinnenminister, der Friedrich Schmidt-Ott politisch nahestand; die Akzeptanz der Notgemeinschaft reichte jedoch von rechts bis (halb-)links: Einen Aufruf, der die Notgemeinschaft als eine der Garantinnen der „Weltgeltung“ deutscher Wissenschaft pries, unterzeichneten im Juni 1927 über 50 Prominente aus Wissenschaft und Wirtschaft, darunter sowohl Eberhard Graf von Kalkreuth, Präsident des reaktionären Reichslandbundes, Walther Lampach, Vorstandsmitglied des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes und der Industrielle Gustav Krupp von Bohlen und Halbach als auch der sozialdemokratische Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Theodor Leipart.1 Innerhalb der Wissenschaften hatte sich die Notgemeinschaft zu diesem Zeitpunkt nicht nur als Interessenvertretung und Finanzierungsquelle etabliert, sondern auch als Institution, deren Organe als gültig anzuerkennende Bewertungen von Akteuren, Themen, Fragen und Methoden der Forschung abgaben. In diesem Sinne erklärte Walther von Dyck, Vizepräsident der Notgemeinschaft und Vorsitzender der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, auf deren 89. Jahresversammlung im Jahr 1926, die Notgemeinschaft sei „als eine unabhängige Prüfstelle zur gerechten Verteilung der Mittel auf das allerbeste bewährt“,2 und der Senat der Universität Gießen pries die Mitglieder der Fachausschüsse 1927 als die „anerkannten Führer der einzelnen Wissenschaftsgebiete“.3 Hier zahlte sich Schmidt-Otts Integrationsstrategie gegenüber den Honoratioren des wissenschaftlichen Feldes aus, denn ein beträchtlicher Teil des öffentlichen Lobes für die Notgemeinschaft war selbstreferentiell. So handelte es sich bei dem die Notgemeinschaft 1926 preisenden Vorsitzenden der deutschen Naturforscher um 1 2 3
Abgedruckt unter dem Titel „Für die deutsche Wissenschaft. Ein Mahnruf an das deutsche Volk“ in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 25.6.1927. Zit. nach Griewank, Staat, S. 59. So der Gießener Senat im Schreiben an Schmidt-Ott vom 7.12.1927, in: BArch, R 73/125, fol. 43R.
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Aus der Not in die Krise
niemand anderen als Walther von Dyck, den Vizepräsidenten der Notgemeinschaft. Hier lag nun aber auch die Gefahr einer Selbstüberschätzung und Selbstüberhebung vor allem gegenüber der geldgebenden Politik. Einen solchen Ton schlug beispielsweise der Historiker Karl Griewank an, in der Geschäftsstelle der Notgemeinschaft für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, der die Notgemeinschaft in einer Schrift von 1927 nicht nur als schlechthin „unentbehrliche (…) Organisation“ bezeichnete, sondern ihr auch die Funktion zuschrieb, die durch das Fehlen eines Reichswissenschaftsministeriums gelassene institutionelle Lücke als „freie Organisation der wissenschaftlichen Anstalten“ zu füllen.4 Ein Bewusstsein für die Risiken, in die sich die Notgemeinschaft mit diesem Kurs begab, scheint innerhalb der Führungsebene nur Fritz Haber entwickelt zu haben. Er kritisierte 1927 intern den Tätigkeitsbericht des Vorjahres, weil dieser nur unsystematisch und unvollständig ausweise, für welche Zwecke und Fächer jeweils wie viel Geld aufgewendet worden war. So entstehe der fatale Eindruck, „dass seitens des Präsidiums die Absicht obgewaltet hat, gewisse Dinge offen zu legen und andere im Dunkel zu halten“.5 Allerdings war es Schmidt-Ott zu diesem Zeitpunkt längst gelungen, Habers Einfluss innerhalb der Gremien zu marginalisieren.6 Den Ton gaben hier vor Selbstbewusstsein berstende Redner wie Georg Schreiber vor, der auf der Hauptausschusssitzung am 12. November 1927 Kritik an der Altersstruktur der Gremien mit einem Bekenntnis zur „Hindenburgfront des Alters“ abwies.7 IM „IRRGARTEN DEUTSCHER GELEHRSAMKEIT“: DER MACHTKAMPF ZWISCHEN NOTGEMEINSCHAFT UND REPUBLIKANISCHER POLITIK 1928/29 Mit der Reichstagswahl vom 20. Mai und der Bildung einer vom Sozialdemokraten Hermann Müller geführten Reichsregierung am 28. Juni 1928 änderten sich die Rahmenbedingungen für die Notgemeinschaft einschneidend. Der seit 1925 als preußischer Kultusminister amtierende liberale Demokrat Carl Heinrich Becker erkannte die Chance, im Bündnis mit dem nunmehr von der SPD gestellten Reichsinnenminister Carl Severing die Autonomie der Notgemeinschaft zu beschneiden. Becker wie Severing ging es um eine Grundsatzfrage: Wie viel Selbstverwaltung konnte eine in ihrer Binnendemokratie zumindest fragwürdige Institution beanspruchen, deren Finanzen fast ausschließlich von durch Wahlen legitimierten Regierungen und Parlamenten zur Verfügung gestellt wurden? Becker hatte zudem schlechte Erfahrungen hinsichtlich der Loyalität eines Großteils der Professorenschaft gegenüber der Republik gemacht. Als rechtsradikale Studenten an der Technischen Hochschule Hannover im Jahr 1925 gewaltsam Krawalle gegen den jüdischen Privatdozenten Theodor Lessing entfesselt hatten, 4 5 6 7
Griewank, Staat, S. 56. Zu Griewank vgl. Kaiser, Griewank, S. 93–99. Brief Habers an Schmidt-Ott vom 9.3.1927 zit. nach Szöllösi-Janze, Haber, S. 623. Vgl. ebenda, S. 556–559. Protokoll der Hauptausschuss-Sitzung vom 12.11.1927 in: BArch, R 73/92, fol. 20.
Im „Irrgarten deutscher Gelehrsamkeit“
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waren sie von Rektor und Senat in der Sache unterstützt worden. Becker hatte es große Mühe gekostet, den Konflikt zu deeskalieren und sah sich dafür noch Beschimpfungen seitens der rechten Parteien ausgesetzt. Im Dezember 1927 hatte Becker eine schwere Niederlage hinnehmen müssen, als in einer Abstimmung an allen preußischen Hochschulen 77 Prozent der Studierenden eine Verordnung abgelehnt hatten, nach der nur solche Studentenvertretungen vom Staat anerkannt würden, die auch Jüdinnen und Juden als Mitglieder der Studentenschaft akzeptierten. Die Masse der Professoren hatte in diesem Konflikt abseits gestanden oder gar Sympathien für die völkischen Studenten erkennen lassen.8 Becker war beileibe kein Feind der Ordinarienuniversität. Im Jahr 1925 hatte er die deutsche Universität als eine „Gralsburg der reinen Wissenschaft“ bezeichnet, in der die Ordinarien als „Ritter (…) einen heiligen Dienst“ vollzögen.9 Aber berechtigte das konkrete Verhalten dieser Ritter in den erwähnten Konflikten zu der Erwartung, der demokratische Staat möge beträchtliche Haushaltsmittel in die freie Verfügung einer Selbstverwaltungsorganisation der Ordinarien geben? Von Mitte 1928 an geriet die Notgemeinschaft in eine sich schrittweise zuspitzende politische Krise, innerhalb derer auf drei Ebenen um ihre Zukunft gekämpft wurde. Erstens meldeten sich – beginnend mit einem Artikel in der Weltbühne vom Juni 1928 – in der linken und liberalen Presse Kritiker zu Wort, die der Notgemeinschaft vorwarfen, sie fördere „mehr oder weniger überflüssige“ Projekte wirklichkeitsfremder Akademiker, statt ihre Förderpolitik daran zu orientieren, wie Forschung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen könne. Zudem mokierte sich dieser Flügel der veröffentlichten Meinung darüber, dass sich in der Notgemeinschaft „die Ordinarii“ zu unumschränkten „Herrschern der deutschen Wissenschaft“ aufgeschwungen hätten, die den „einzelnen Forscher (…) ganz in der Hand“ hätten. „Mit dem Geld des Staates“ sei „eine Tummelstätte übeln Cliquengeistes geschaffen worden“, urteilte etwa die Weltbühne.10 Zweitens wurde die Notgemeinschaft sowohl öffentlich, wie auch im direkten Verkehr zwischen Schmidt-Ott, Becker und Severing scharf kritisiert, weil sie völkische Wissenschaftler förderte. Drittens schließlich betrieben das preußische Kultus- und das Reichsinnenministerium ab Herbst 1928 eher abseits der großen Öffentlichkeit eine Reform der inneren Machtstrukturen der Notgemeinschaft, durch welche die Macht Schmidt-Otts und seiner Gefolgschaft eingeschränkt und der Einfluss der Politik vergrößert werden sollte. Für die Akteure waren alle drei Ebenen miteinander verschränkt; sowohl die Kritiker wie die Verteidiger Schmidt-Otts verbanden etwa die Ebene publizistischer Auseinandersetzung mit informellen Verhandlungen und Reden im Reichstag; zugleich bezogen sie in aller Regel in ihren Äußerungen die genannten drei thematischen Ebenen aufeinander. Für die Rekonstruktion des Konfliktes ist es aber nützlich, die Ebenen voneinander zu unterscheiden.
8 9 10
Vgl. Grüttner, Studentenschaft, S. 214–220, Jarausch, Studenten, S. 146–149 und Wende, Becker, S. 252–268. Becker, Wesen, S. 306 f. Alher, IG Wissenschaft, S. 908 f. und 911.
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Den Artikel der Weltbühne vom Juni 1928 mochte Friedrich Schmidt-Ott noch als unbedeutende Wortmeldung einer weit links angesiedelten Kulturzeitschrift abtun; mit der in diesem Monat stattfindenden Gründungsversammlung des Volkskundeatlas dürfte sich der Notgemeinschaftspräsident auf einem Höhepunkt seines Einflusses gewähnt haben. Dass sich aber die politischen Rahmenbedingungen seines Handelns ernsthaft verändert hatten, muss ihm spätestens mit der Hauptausschusssitzung vom 14. Juli 1928 klar geworden sein, auf der ihn Ministerialrat Max Donnevert aus dem sozialdemokratisch geführten Reichsinnenministerium dazu gezwungen hatte, seinen Widerstand gegen eine Neuwahl der Fachausschüsse aufzugeben.11 Kurz darauf zeigte der neue Innenminister Carl Severing Schmidt-Ott seine Grenzen auf: Er drohte ihm offen damit, die Reichsmittel für die Notgemeinschaft zu sperren, sofern der Notgemeinschaftspräsident nicht ein Stipendium für den Greifswalder Mathematiker und Nationalsozialisten Theodor Vahlen widerrufe. Vahlen hatte am 11. August 1924, dem fünften Jahrestag des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung, als Prorektor der Universität Greifswald demonstrativ die zur Feier dieses Jubiläums auf dem Universitätsgebäude gehisste schwarz-rot-goldene Flagge einholen lassen. Am nächsten Tag hatte er in einer öffentlichen Versammlung erklärt, den Verfassungstag „feierten wohl nur die, die im (…) November 1918 sich an die staatliche Futterkrippe herangepirscht haben und die nun in Fritze Ebert ihr würdiges Staatsoberhaupt verehren“.12 Vahlen war zunächst suspendiert, dann nach einem längeren Verfahren im März 1927 ohne Pension aus dem preußischen Staatsdienst entlassen worden, was wiederum öffentliche Debatten ausgelöst hatte. Nachdem Walther von Dyck dem Entlassenen Hilfe zugesagt und sich deshalb an Schmidt-Ott gewandt hatte, hatte dieser Vahlen im März 1928 ein bereits seit mehreren Jahren laufendes Forschungsstipendium erneuert und erhöht.13 Bewilligung und Verlängerung eines solchen – nach den Regularien der Notgemeinschaft eigentlich für Nachwuchswissenschaftler vorgesehenen – Stipendiums für den 1869 geborenen Vahlen waren schon für sich genommen ungewöhnlich. Im Kontext des Frühjahrs 1928 bedeuteten sie aber nicht nur eine finanzielle Unterstützung für den bedürftigen Republikfeind Vahlen, sondern auch seine Rehabilitierung als seriöser Forscher zumindest in der wissenschaftlichen Teilöffentlichkeit. Tatsächlich sollte Vahlen, nachdem er sich die unfreiwillige Freizeit mit einer Tätigkeit als erster pommerscher NSDAP-Gauleiter und dem Verfassen von Texten wie „Weltvernichtung durch Bibelforscher und Juden“ vertrieben hatte, 1930 an die Wiener Universität berufen werden.14 Als der Vorgang im Sommer 1928 der preußischen und der Reichsregierung bekannt wurde, bestätigte er eindrucksvoll alle Vorbehalte, die demokratische Politiker gegenüber einer Notgemeinschaft unter Führung eines ehemals königli11 12 13 14
Vgl. das Protokoll der Sitzung von Präsidium und Hauptausschuss am 14. Juli 1928, in: BArch, R 73/93, fol. 9. Zit. nach Walther, Arisierung, S. 102, vgl. ebenda, S. 100–106, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 78 f. und Inachin, Märtyrer, S. 38–41 und 48 f. Vgl. Hashagen, Dyck, S. 647 f. und Nemitz, Antisemitismus. Zit. nach Heiber, Frank, S. 117.
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chen Ministers aus dem Umfeld der Deutschnationalen gehegt haben mochten. Schmidt-Ott selbst blieb in der Folge völlig uneinsichtig. „Bei ruhigeren Verhältnissen“, so erklärte er am 14. Dezember 1929 vor dem Hauptausschuss, „würde (…) der Fall Vahlen“ keinen „Anstoß gegeben haben“,15 und noch in seiner Autobiographie zeigte sich Schmidt-Ott pikiert, dass er trotz persönlicher Besuche bei Reichsinnenminister Severing und beim preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun im August 1928 nicht „zu einer befriedigenden Lösung“, sprich: dem Einknicken der republikanischen Politiker vor seiner selbstempfundenen Autorität, gelangen konnte.16 Vielmehr musste sich Schmidt-Ott fügen. Der Fall Vahlen dürfte Becker und Severing in ihrem Misstrauen gegenüber der Führung der Notgemeinschaft bestätigt haben, war aber kaum mehr als ein letzter Anlass, diese unter direkte Kontrolle zu nehmen sowie ihre inneren Machtstrukturen zu verändern. Becker hatte sich bereits vor Bekanntwerden der Causa Vahlen Gedanken über eine Reform der Notgemeinschaft gemacht. Im Frühjahr 1928 hatte er vor der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung einen Vortrag gehalten, in dem er die wesentlichen Elemente seiner Kritik an der Notgemeinschaft formuliert hatte: Bei ihrer Gründung habe diese ihre Autonomie gegenüber dem Staat mit dem Versprechen legitimiert, so „Mittel aus den breiten Kreisen der Gesellschaft“ für die Forschung mobilisieren zu können. Doch Geld aus der Wirtschaft oder von privaten Spendern sei in der Folge kaum geflossen, so dass in Wirklichkeit das Reich die Kosten der Notgemeinschaft fast allein trage, ohne aber Einfluss auf die Verteilung der Mittel zu besitzen. Vielmehr würden hier Steuergelder von „einer privaten Interessenten-Organisation“ verteilt. Diese Entwicklung sei Teil einer allgemeineren Tendenz, nämlich der „Auflösung des Staates in Selbstverwaltungskörper (…), so daß der Staat oft nur noch als Geldverteilungsstelle an die Interessenten Bedeutung“ habe. In der Tat war genau dies ja die Ratio bei Gründung der Notgemeinschaft gewesen: Republikferne Professoren hatten eine Selbstorganisation ins Leben gerufen, die es ihnen zwar ermöglichen sollte, Forschung mit staatlichen Geldern zu fördern, ohne aber selbst in enge, aus ihrer Sicht kompromittierende, Loyalitätspflichten mit sich bringende Beziehungen zum demokratischen Staat zu treten. Eine solche Entwicklung, so hatte Becker Anfang 1928 befunden, widerspreche dem „echt deutschen Staatsgedanken“, daher müsse „die Führung auch in der Wissenschaftspflege an die staatlichen Stellen zurück (…), und zwar in erster Linie an das Reich“.17 Wie ein Brief Beckers an Severing vom 22. November 1928 bezeugt, in dem er warnte, von einer zu großen Selbständigkeit der Notgemeinschaft könnten eines Tages „politische Schwierigkeiten durch eine etwaige ablehnende Haltung wissenschaftlicher Kreise gegenüber dem Staat auftreten“, verständigten sich die beiden Ministerien im Herbst 1928 auf ein gemeinsames Vorgehen gegenüber der Notgemeinschaft.18 Eine Woche später, am 29. November und damit einen 15 16 17 18
Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 14.12.1929, in: BArch, R 73/99, fol. 17. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 276. Becker, Probleme, S. 399 ff. Zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 95.
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Tag vor der nächsten Hauptausschusssitzung der Notgemeinschaft, sorgte Becker dafür, dass Schmidt-Ott erfuhr, auf welche Kritikpunkte und Reformwünsche er zu reagieren hatte. Zu diesem Zweck führten Becker und sein Ministerialdirektor Werner Richter ein Gespräch mit dem Bankier Arthur Salomonsohn, welcher der Hausbank der Notgemeinschaft, der Disconto-Gesellschaft, vorstand und zugleich als alter Freund Schmidt-Otts sowohl im Stifterverband als auch in der Notgemeinschaft als Schatzmeister fungierte. Salomonsohn fertigte unmittelbar nach dem Gespräch eine Aktennotiz über dessen Inhalt für Schmidt-Ott an – genau dies dürften seine Gesprächspartner beabsichtigt haben.19 Becker hatte Salomonsohn zunächst darüber informiert, dass er und Severing sich „dahin verständigt“ hätten, gegenüber der Notgemeinschaft „in Zukunft an einem Strang (zu) ziehen“. In der Notgemeinschaft, so fuhr Becker fort, „bestehe (…) keine Selbstverwaltung, sondern eine Autokratie von Exzellenz Schmidt-Ott, der als gelehriger Schüler von Althoff es verstanden habe, alles so aufzuziehen, daß niemand einen Einblick habe und daß eine Clique von alten Herren (…) ihn umgebe und eifersüchtig darüber wache, daß keine jüngeren Kräfte aufkommen könnten“. Der Hauptausschuss sei „mit alten Bonzen“ besetzt, „die natürlich auch den maßgebenden Einfluß in den Fachverbänden hätten, und vor denen sich, weil sie die Hand am Geldbeutel hätten, alles beugen müsse“. Zu groß sei auch der Einfluss Georg Schreibers, wodurch die Notgemeinschaft sich „in eine gefährliche Abhängigkeit“ von dessen Zentrumspartei begeben habe. Der Staat, so hatte Richter ergänzt, müsse in dieser Situation eingreifen, weil die Notgemeinschaft selbst reformunfähig sei. In ihrer Klientel werde „die Macht der alten Bonzen gefürchtet“, dies verhindere interne Diskussionen. Becker hatte schließlich drei konkrete Forderungen erhoben: Der Staat („Reich und Länder“) müsse zwar nicht bei den einzelnen Bewilligungen, sehr wohl aber „bei Festsetzung der generellen Kriterien“ der Mittelvergabe mitwirken. Zudem müssten die Ministerien immerhin darüber informiert werden, an wen zu welchem Thema ein Stipendium in welcher Höhe vergeben worden sei. Und schließlich müssten Hauptausschuss und Fachausschüsse durch regelmäßige Neuwahlen aufgefrischt werden, „damit auch die jüngere Gelehrtenwelt zu ihrem Recht käme“. In der Sitzung am nächsten Tag machte der Hauptausschuss der Notgemeinschaft nur zwei minimale Zugeständnisse. Fortan sollten zu den Sitzungen des Hauptausschusses auch dessen stellvertretende Mitglieder eingeladen werden, was den Altersdurchschnitt der Teilnehmer ein wenig senkte.20 Außerdem beschloss man eine Ordnung für die Neuwahl der Fachausschüsse, die dann im Februar 1929 zwar stattfand, von Schmidt-Otts „alten Bonzen“ aber (wie im zweiten Kapitel beschrieben) im Sinne einer Bestätigung ihrer Machtstellung manipuliert wurde. Letztlich bestätigte auch dieser Wahlgang, dass Beckers Analyse der internen Machtverhältnisse der Notgemeinschaft in der Sache zutreffend war. Dass Schmidt-Ott die Entschlossenheit seiner Kontrahenten unterschätzte, geht auch daraus hervor, dass er ohne Not im Februar 1929 einen Konflikt mit den Aka19 20
Vgl. den Gesprächsvermerk Salomonsohns, wiedergegeben in Zierold, Forschungsförderung, S. 109–112, die folgenden Zitate hier S. 109 f. und 112. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 113.
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demien vom Zaun brach, indem er behauptete, der Notgemeinschaft käme die Funktion einer (übergeordneten) „Großakademie“ zu.21 In der Berliner Akademie wurde daraufhin eine, letztlich nicht verschickte, Denkschrift an das Preußische Kultusministerium entworfen, in der die Akademie anbot, die wesentlichen Funktionen der Notgemeinschaft zu übernehmen.22 Becker seinerseits sorgte, nachdem Schmidt-Ott die Gelegenheit hatte verstreichen lassen, auf die ihm informell zugetragenen Forderungen des Ministers zu reagieren, im Januar 1929 durch Veröffentlichung seines ein Jahr zuvor bei der Staatswissenschaftlichen Vereinigung gehaltenen Vortrages dafür, dass seine Kritik an der Notgemeinschaft öffentlich wurde. Auch Beckers Mitarbeiter Richter schrieb mehrere Aufsätze zum Thema, in denen er viel direkter als sein Vorgesetzter Schmidt-Ott angriff, der durch eine „rein bureaukratische Wissenschaftsverwaltung“ eine „wahre Selbstverwaltung“ der Notgemeinschaft „durch ihre eigenen Gelehrten“ blockiere und für „Kreise“ stehe, die unter dem „Schlagwort ‚Selbstverwaltung‘ (…) nur die Loslösung vom Staat auf Kosten des Staates“ betrieben.23 Ein breiteres Publikum erreichte der Konflikt erst Ende März 1929, als der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Julius Moses – vermutlich, aber nicht nachweisbar inspiriert durch Severing – der Notgemeinschaft im Parteiorgan Vorwärts vorwarf, sie pflege (so der Untertitel des Artikels) einen „Irrgarten deutscher Gelehrsamkeit“. Aus dem Eindruck, dass die Gremien der Notgemeinschaft „einen sehr erheblichen Teil der Aufwendungen nichtigen Gelehrtenspielereien zukommen“ ließen, leitete Moses die Forderung nach einer Mitsprache von Regierungs- und Parlamentsvertretern in den Gremien der Notgemeinschaft ab.24 Der Konflikt wurde nun einerseits auf offener Bühne ausgetragen – durch Artikel und Gegenartikel von Moses, Schreiber, Schmidt-Ott und anderen sowie im Plenum und den Ausschüssen des Reichstags –, andererseits durch Verhandlungen, Briefe und Winkelzüge im Hintergrund.25 Den Höhepunkt der öffentlichen Diskussionen bildete eine Reichstagsdebatte vom 10. bis 12. Juni 1929. Hier wiederholte der als Arzt und kundiger Kritiker der medizinischen Forschung bereits profilierte Moses seinen Vorwurf, dass ein Großteil der von der Notgemeinschaft geförderten Forschung „für die Aufwärts- und Vorwärtsentwicklung unseres Volkes (…) völlig bedeutungslos“ sei. Er warnte vor einer staatlich subventionierten „wissenschaftlichen Überproduktion“, „Vielschreiberei und Überexperimentiererei“ und charakterisierte die politische Einseitigkeit der Notgemeinschaft durch die (wohl zutreffende) Behauptung unter den mehr als hundert Fachausschussmitgliedern 21 22 23
24 25
Schmidt-Ott, zit. nach Nötzoldt, Spannungsfeld, S. 76; vgl. ebenda, S. 75 ff. Vgl. Nötzoldt, Strategien, S. 247 f. und Schlicker, Akademie, S. 301 f. Richter, Organisation, S. 11 und derselbe, Wissenschaftsverwaltung, S. 621. Die Artikel erschienen zwar erst nach Ende des Konfliktes, sind aber erkennbar bereits längere Zeit vorher geschrieben worden Am 16. Juli 1929 wiederholte Richter die Kritik in einer Sitzung der Universitätskuratoren, vgl. das Protokoll dieser Sitzung in Neugebauer/Spenkuch (Hrsg), Wissenschaftspolitik, S. 253–257. Moses, Wirtschaft. Zu Verteidigungen der Notgemeinschaft durch Schreiber und Konen vgl. Nemitz, Antisemitismus, S. 384 f. Vgl. etwa den Artikel „Aus der Dunkelkammer der Universität“ im Berliner Tageblatt vom 14.8.1929, der die „Protektionswirtschaft leitender Professoren“ anprangerte.
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sei kein einziger Sozialdemokrat.26 Gegen diese Kritik traten so viele professorale Abgeordnete der bürgerlichen Parteien auf, dass Moses am dritten Debattentag konstatierte, es habe sich „eine geschlossene Front der Professoren“ zur Verteidigung der Notgemeinschaft gebildet.27 Dieser Eindruck war jedoch trügerisch. Hinter den Kulissen suchten sowohl Schmidt-Ott als auch Becker und Severing nach Verbündeten aus der Wissenschaft – denn „geschlossen“ war deren Unterstützung für den Notgemeinschaftspräsidenten keineswegs. Dabei wurde mit harten Bandagen gekämpft. Nachdem sich die Preußische Akademie am 14. Mai 1929 in einer Denkschrift für die Notgemeinschaft eingesetzt hatte, gab das Kultusministerium ihr in einem Schreiben vom 21. Mai (das aus Gründen der Generalprävention alle Hochschulen in Abschrift erhielten) den Hinweis, dass auch ihr eigener „Fortbestand“, zumindest aber der „Ausbau der Akademie im Sinne erweiterter Forschungsorganisation“ keineswegs gesichert sei.28 Reichsinnenminister Severing versuchte zeitweilig, Schmidt-Otts engen Mitarbeiter Wildhagen abzuwerben, verfolgte diese Idee aber schließlich nicht weiter.29 In der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft äußerte deren Generalsekretär Friedrich Glum im September 1929 Zweifel, ob man klug beraten sei, die bisher guten Beziehungen zur regierenden SPD durch eine Parteinahme für Schmidt-Ott aufs Spiel zu setzen.30 KWG-Präsident Adolf von Harnack, zugleich Hauptausschussvorsitzender der Notgemeinschaft und deren Vizepräsident Fritz Haber drängten Schmidt-Ott ohnedies, den Reformforderungen entgegenzukommen.31 Severing hatte den reformbereiten Akteuren innerhalb der Notgemeinschaft mehrfach goldene Brücken gebaut, indem er (am 14. Mai 1929 im Haushaltsausschuss und am 11. Juni vor dem Plenum des Reichstages) die Forderung nach neuen Formen staatlicher Kontrolle mit einer Bestandsgarantie für die Notgemeinschaft verbunden hatte.32 Haber warnte Schmidt-Ott in einem Brief vom 25. Juni 1929 eindringlich vor der Gefahr eines „9. November 1918 innerhalb der Notgemeinschaft“, falls der Präsident nicht selbst Reformen einleite. Die interne Selbstverwaltung der Notgemeinschaft sei allzu „unentwickelt“ und das Agieren Schmidt-Otts gleiche „einer wohlmeinenden Autokratie“. Haber schlug Schmidt-Ott vor, dem Hauptausschuss künftig echte Mitbestimmungsrechte zu geben, indem er alljährlich auf der Basis transparenter Unterlagen über den Haushalt der Notgemeinschaft entscheide – dadurch werde die Position der Notgemeinschaft „gegenüber Regierungen und Parlamenten sehr gewinnen“.33 Schmidt-Ott aber verweigerte sich allen Argumenten und verteidigte seine Machtposition öffentlich mit Behaup26 27 28 29 30 31 32 33
Moses am 10.6.1929 im Reichstag, in: Verhandlungen Reichstag, Band 425, Sp. 2265 f. Moses am 12.6.1929 im Reichstag, in: ebenda, S. 2318. Rundschreiben des Ministeriums an alle preußischen Rektoren vom 8.5.1929, in UA Halle, Rep. 4, Nr. 156; vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 115. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 127 f. Vgl. Feldman, Politics, S. 279. Vgl. Szöllösi-Janze, Haber, S. 629–633. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 121 und Severings Rede im Reichstag vom 11.6.1929 in: Verhandlungen Reichstag, Band 425, Sp. 2291. Zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 125 f.
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tungen, die sich zwischen Schönfärberei und Lüge bewegten. So verglich er in einem Zeitschriftenartikel die Notgemeinschaft mit den „kommunalen Selbstverwaltungsorganisationen“ aus der Zeit der Stein-Hardenbergschen Reformen; ihre Gremien seien „aus demokratischer Wahl“ hervorgegangen, das Präsidium führe deren Beschlüsse lediglich aus und fühle sich der Reichsregierung „in allen Beziehungen untertan und verantwortlich“.34 Eine Lösung des Konfliktes wurde erst möglich, als Adolf von Harnack Schmidt-Ott Anfang Oktober 1929 drohte, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft werde aus der Notgemeinschaft austreten, wenn diese nicht zu einer Einigung mit der Reichsregierung gelange.35 Ein solcher Schritt der KWG wäre gleichbedeutend mit dem Zerfall der Notgemeinschaft und einem unrühmlichen Karriereende Schmidt-Otts gewesen. Daher lenkte er nun rasch ein; schon am 19. Oktober 1929 beschloss der in Weimar versammelte Hauptausschuss weitgehende Strukturreformen, die am 15. und 16. November 1929 in Hamburg stattfindende Mitgliederversammlung ratifizierte entsprechende Satzungsänderungen.36 Die Neuerungen entsprachen im Wesentlichen einem Reformplan, den der Ministerialrat Ludwig Niessen am 19. Juni 1929 Severing vorgelegt und den dieser sich zu eigen gemacht hatte.37 Der Hauptausschuss sollte fortan aus 15 Mitgliedern bestehen, von denen zehn wie bisher alle drei Jahre durch die Mitgliederversammlung gewählt wurden; mindestens drei der Gewählten mussten beim Übergang in die nächste Amtsperiode ihr Mandat aufgeben. Dem Reichsinnenminister kam das Recht zu, weitere fünf Hauptausschussmitglieder „aus dem Kreise deutscher Wissenschaftler“ zu nominieren.38 Das Gremium musste mindestens zweimal pro Jahr tagen und erhielt nun im Unterschied zur bisherigen Praxis die Kompetenz, über den jährlich vom Präsidium aufzustellenden Haushaltsplan zu beschließen. Gesonderte Richtlinien über die Beziehungen zwischen Notgemeinschaft und Reichsregierung schrieben das bereits seit 1921 bestehende Vetorecht des Innenministers für alle aus den Reichsmitteln zu finanzierenden Entscheidungen noch einmal ausdrücklich fest und betonten das Recht des Ministeriums, „jederzeit“ die Geschäftsführung der Notgemeinschaft zu überprüfen.39 Im Gegenzug buchte Severings Innenministerium den Reichszuschuss für die Notgemeinschaft im Etat des Jahres 1930 erstmalig unter den „fortdauerenden Ausgaben“ (statt wie in den Etats zuvor als jeweils einmalige Bewilligung) und realisierte so die gegebene Bestandsgarantie.40 Die meisten zwischen dem Reichsinnenministerium und der Notgemeinschaft getroffenen Regelungen sollten sich letztlich als von eher symbolischer 34 35 36 37 38 39 40
Schmidt-Ott, Titel, S. 111 f. Vgl. Szöllösi-Janze, Haber, S. 633. Vgl. das Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 19.10.1929 in: BArch, R 73/97, Bericht Mitgliederversammlung 1929, S. 11–18 und Zierold, Forschungsförderung, S. 129 f. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 123. Aus der Satzung von 1929, zit. nach ebenda, S. 545. Aus den Richtlinien zu den Beziehungen zwischen Reich und Notgemeinschaft zit. nach ebenda, S. 131. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 23.
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Natur erweisen, da sie die Praxis wie zuvor nur vage regelten und dem alltäglichen Aushandeln zwischen den Akteuren überließen. Einen besonders hohen Symbolgehalt hatte Severings Forderung, die Notgemeinschaft umzubenennen, da doch in der inzwischen stabilisierten Republik von einer Not der Wissenschaft nicht mehr die Rede sein könne. Dem stimmten die Gremien der Notgemeinschaft zu, und so sollte sie ab Ende 1929 „Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung“ – kurz: „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ – heißen.41 Als einschneidend empfanden die reformfeindlichen Kräfte innerhalb von Hauptausschuss und Präsidium vor allem die Ergänzung ihres Gremiums durch fünf vom Reichsinnenminister zu ernennende Mitglieder. Diese Regelung, so betonte auf der Hauptausschusssitzung vom 19. Oktober 1929 der Physiker Heinrich Konen, bringe eine „radikale personale Änderung“, die zu einem intellektuellen Niveauverlust führen werde. Allerdings distanzierte sich nur der Altertumswissenschaftler Eduard Schwartz scharf von jedem Kompromiss mit der Regierung: „Die Notgemeinschaft wird ein Organ des Reichsministeriums des Innern. Ich will nicht dagegen protestieren, aber bei dem, was jetzt wird, spiele ich nicht mehr mit. Ich erkläre meinen Austritt aus der Notgemeinschaft und werde an ihren weiteren Arbeiten nicht mehr teilnehmen.“ Schmidt-Ott dagegen hatte sich bereits wieder gefangen. Er warf sich in die Pose des von der republikanischen Politik Verfolgten („Ich bin der Hauptangegriffene“), erklärte aber die neue Zusammensetzung des Hauptausschusses nur zu einem „Schönheitsfehler“, den man in der Praxis heilen könne.42 AUS DER KRISE ZURÜCK IN DIE NOT: DIE NOTGEMEINSCHAFT IN DER WIRTSCHAFTLICHEN DEPRESSION 1930 BIS 1932 Mit den Wahlen durch die Mitgliederversammlung Mitte November und der Nominierung von fünf weiteren Hauptausschussmitgliedern durch Severing am 10. Dezember 1929 gab es zwar eine personelle Veränderung, sie hielt sich jedoch in engen Grenzen. Das Präsidium bestand weiterhin aus Schmidt-Ott als Präsidenten und den Vizepräsidenten Dyck und Haber, wurde aber um den Bonner Physiker Heinrich Konen ergänzt, der bislang schon dem Hauptausschuss angehört hatte, dort nicht als Reformer aufgefallen war und Schreiber politisch nahestand. Sieben der zehn gewählten Hauptausschussmitglieder hatten dem Gremium bereits zuvor als reguläre Mitglieder oder Stellvertreter angehört; als reformorientiert konnte unter den Gewählten nur der frühere Reichsjustizminister Gustav Radbruch gelten. Severing bemühte sich bei der Auswahl der von ihm zu entsendenden fünf Gremienmitglieder ostentativ um Überparteilichkeit, indem er mit Georg Schreiber sowie dem deutschnationalen Abgeordneten und Historiker Otto Hoetzsch selbst Mitglieder des engeren Zirkels um Schmidt-Ott nominierte. 41 42
Vgl. Bericht Mitgliederversammlung 1929, S. 17 f. und Zierold, Forschungsförderung, S. 133. Erste Version des Protokolls der Sitzung des Hauptausschusses vom 19.10.1929, in: BArch, R 73/97, fol. 43 f.
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Nur die Delegation von Julius Moses war geeignet, Unruhe in das Gremium zu tragen – dieser zeigte sich aber zur Verwunderung des Notgemeinschaftspräsidenten „als verständig und immer mehr wohlgesinnt“.43 Eine gute Gelegenheit, sich als „verständig“ zu bewähren, erhielt Moses bereits in seiner ersten Hauptausschusssitzung am 14. Dezember 1929, denn sein Präsident war in der Öffentlichkeit wieder einmal durch die Neigung zu antisemitischen Wissenschaftlern in Verruf geraten. Seit August 1926 hatte die Notgemeinschaft den Freiburger Privatgelehrten Ludwig Schemann mit einem Forschungsstipendium unterstützt, damit dieser an seinem mehrbändigen Werk „Die Rasse in den Geisteswissenschaften“ arbeiten konnte.44 Am 10. Juli 1929 hatte Schmidt-Ott (trotz seiner Erfahrungen im Fall Vahlen) das Stipendium erneut verlängert, wie bereits jeweils zuvor auf der Basis eines befürwortenden Gutachtens des Anthropologen Eugen Fischer.45 Nun gehörte Schemann mit 77 Jahren nicht mehr unbedingt zur Zielgruppe der Forschungsstipendien, den Nachwuchsforschern, dafür hatte er sich aber publizistisch durch antirepublikanische wie antisemitische Schriften reichlich hervorgetan. Daher war es wohl nicht ganz ehrlich, wenn Schmidt-Ott Schemann am 11. Dezember 1929 schrieb, er habe im gerade erschienenen zweiten Band des besagten Werkes „Ausführungen politischen Charakters“ etwa über „‚Juda und Rom‘“ oder über die „‚Herrschaft der Minderwertigen‘“ entdeckt, weswegen die Notgemeinschaft „zu meinem lebhaften Bedauern“ das Stipendium mit dem Jahresende einstellen müsse.46 Immerhin handelte Schmidt-Ott gerade noch rechtzeitig, erschien doch schon am nächsten Tag ein Artikel im Vorwärts, der unter der Überschrift „Schundliteratur aus Reichsmitteln?“ Schemanns Förderung als „skandalös“ und „die Verantwortlichen der Notgemeinschaft“ als „stark belastet“ bezeichnete: Eine „ernste Gemeinschaft von Gelehrten“ dürfe nicht „rein demagogische Naturen“ fördern.47 Zwei Tage später tagte der Hauptausschuss erstmals in neuer Zusammensetzung und gestaltete die Sitzung als so eindrucksvolle Inszenierung einer in ihrer Ablehnung jedweder Politisierung einigen Gelehrtengemeinschaft, dass man geneigt ist, dahinter eine überlegene Regie zu vermuten. Moses begrüßte lediglich die Gelegenheit, im Fall Schemann „Missverständnisse“ zu klären und bat darum, „bei Rassewerken (…) in Zukunft Vorsicht zu üben“, konnte es aber seinem Abgeordnetenkollegen Hoetzsch überlassen, konkrete Kritik an Schemann zu üben: „Gerade weil er rechts stehe“, erklärte Hoetzsch, müsse er erklären, dass er dessen Arbeiten „nicht für sehr bedeutend“ halte und in Schemanns Buch „schwere Entgleisungen“ festgestellt habe.48 Prälat Schreiber durfte die Rolle des um Toleranz bemühten Wissenschaftspolitikers übernehmen, der Wert darauf legte, dass „je43 44 45 46 47 48
Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 277. Zu Schemann und seinem Werk vgl. Köck, Geschichte, S. 184–210. Vgl. Nemitz, Antisemitismus, S. 385 f., 388 f. und 397–403, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 82 f., sowie Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 149 f. Schreiben Schmidt-Otts an Schemann vom 11.12.1929, abgedruckt in: Nemitz, Antisemitismus, S. 403. Schundliteratur. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 14.12.1929, in: BArch, R 73/99, fol.15, 19 und 21.
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der Forscher (…) unabhängig davon, welcher politischen Meinung er sei“, Unterstützung verdiene: „Nur wenn absolute Staatsgefährlichkeit sich äußere, müsse der Faden zerschnitten werden.“49 Schmidt-Ott erinnerte schließlich an eine theoretisch bereits gültige, in seiner eigenen Praxis aber immer wieder durchlöcherte Regel: „Ein wissenschaftliches Forschungsstipendium dürfe nicht für die Politik ausgenutzt werden, das sei die Grenze der Arbeit der Notgemeinschaft.“50 Wie inkonsequent Schmidt-Ott sich in dieser Frage allerdings verhielt, wurde noch in derselben Sitzung dadurch deutlich, dass sich der Präsident vehement gegen die einhellige Meinung der Ausschussmitglieder sträubte, den Antrag des Rassenforschers Herman Wirth auf ein Stipendium zur Erforschung einer vermeintlichen „Urreligion“ abzuweisen. Der zuständige Fachausschuss hatte die Ablehnung empfohlen, und das Hauptausschussmitglied Georg Thilenius erklärte als Ethnologe, Wirth vertrete „unglaubliche Hypothesen“. Eduard Meyer und Ludwig Aschoff bezweifelten generell Wirths Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit – aber Schmidt-Ott insistierte darauf, dass die „Grenzen von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft“ schwierig zu ziehen seien und selbst fehlerhafte Bücher „doch anregend wirken“ könnten.51 Daher verschob man die Entscheidung bis zur nächsten Sitzung im April 1930 (um dann auf Vorschlag Meyers einstimmig die Ablehnung des Stipendiums zu beschließen).52 Während Schmidt-Ott den Fall Wirth dazu nutzte, dem Hauptausschuss seine Unabhängigkeit von dessen Meinungsbildung zu demonstrieren, bemühten sich seine Vizepräsidenten Dyck und Konen sowie Schreiber intensiv darum, die vom Reichsinnenminister in das Gremium delegierten Mitglieder darauf zu verpflichten, sich primär als „Gelehrte“ zu sehen und zu verhalten, aber nicht als Parteivertreter: „Alle Mitglieder seien Akademiker“, die „nur aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten urteilen“ könnten.53 Gerade Moses, an den solche Mahnungen wohl vornehmlich gerichtet waren, beeilte sich, Zustimmung zu signalisieren: „Er lehne es ab, die Selbstverwaltung unter parlamentarische Kontrolle zu stellen“, vielmehr sehe er die Parlamentarier im Hauptausschuss „als Verbindungsoffiziere zum Reichstag“.54 Dieses Rollenverständnis gefiel dann auch Schmidt-Ott, der sich noch einmal gegen „unberechtigte parlamentarische Einflüsse“ verwahrte, sich aber von Moses „sachliche Förderung“ versprach.55 In den folgenden drei Jahren bereitete weder der neu zusammengesetzte Hauptausschuss noch das Reichsinnenministerium Schmidt-Ott irgendein ernsthaftes Problem. Zwar erinnerte sich der Hauptausschussvorsitzende Müller später, das Gremium sei „nicht mehr so einheitlich wie früher“ gewesen und er habe „oft“ Mühe gehabt, „die auseinanderstrebenden Meinungen in ruhige Bahnen
49 50 51 52 53 54 55
Ebenda, fol. 16. Erste Fassung des Protokolls, in: ebenda, fol. 50 f. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 14.12.1929, in: ebenda, fol. 7 f. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 21.4.1930, in: BArch, R 73/100, fol. 21 f. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 14.12.1929, in: BArch, R 73/99, fol. 19 f. Ebenda, fol. 18. Ebenda, fol. 22.
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zu leiten“.56 Hiervon findet sich aber in den Protokollen des Hauptausschusses kaum eine Spur; vermutlich hielt Müller das Führen kontroverser Diskussionen in einem Gremium akademischer Honoratioren schon per se für ungehörig. Den Höhepunkt der Aufmüpfigkeit erlebte der Ausschuss in der Sitzung vom 12. April 1930, als Gustav Radbruch anmerkte, der Hauptausschuss stimme den Gutachten der Fachausschüsse allzu unbesehen zu, und Bruno Kuske vorschlug, Schmidt-Ott solle dem Hauptausschuss künftig Namenslisten der Stipendiaten vorlegen (was das Gremium ablehnte).57 Bei der nächsten Sitzung am 30. Oktober 1930 kritisierte Moses einige bewilligte Projekte und äußerte den Wunsch, die Notgemeinschaft möge in den Tätigkeitsberichten künftig zu jedem Stipendium jeweils Name, Thema und Fördersumme aufzulisten. Schmidt-Ott belehrte ihn daraufhin, auf die Themen geförderter Projekte komme es gar nicht so sehr an, „sondern vor allem auf den Mann, der sie durchführt“; die Publikation einer Liste aller Stipendiaten sei angesichts von 600 laufenden Stipendien zudem unmöglich.58 Dabei blieb es. Mehrheiten gegen Schmidt-Ott und seine Gefolgsleute waren im Hauptausschuss auch nach Dezember 1929 unmöglich. Die internen Kritiker des Präsidenten mochten – wie es zum Beispiel Fritz Haber 1931 gegenüber Richard Willstätter tat – untereinander über den „wohlangesehenen Thoren SchmidtOtt“ klagen, sahen aber keine Alternative zu ihm.59 Mit dem Rücktritt der vom Sozialdemokraten Hermann Müller geführten Reichsregierung und der Bildung des Präsidialkabinettes unter Heinrich Brüning Ende März 1930 verebbten die Ambitionen des Reichsinnenministeriums zu einer effektiven Kontrolle der Notgemeinschaft. Becker hatte sein Amt bereits im Januar 1930 verloren. SchmidtOtt konnte damit zur bewährten Praxis informeller Verständigung mit dem zuständigen Referenten des Reichsinnenministeriums, seit 1921 der Ministerialrat Max Donnevert, zurückkehren. Den Umstand, dass noch nicht einmal der im Dezember 1929 von der Mitgliederversammlung beschlossene Namenswechsel der Notgemeinschaft zur „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ realisiert wurde, kann man zweifach deuten. Einerseits sträubten sich offensichtlich die Traditionalisten gegen den neuen Namen, den sie mit den von Severing angestrebten neuen Machtstrukturen assoziierten. Andererseits konnte Schmidt-Ott ab Ende 1930 zu Recht argumentieren, dass die „gegenwärtigen Verhältnisse“, sprich: die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, „den Charakter der Nothilfe (…) wieder mehr in den Vordergrund stellten“.60 Erst am 27. Oktober 1931 wurde der neue Name ins Vereinsregister eingetragen.61 In Schriftverkehr und Publikationen nutzte man aber bis 1934 weiter die Selbstbezeichnung „Notgemeinschaft“, mal mit, mal ohne kleingedruckten Hinweis auf den offiziellen neuen Namen. 56 57 58 59 60 61
Müller, Lebenserinnerungen, S. 220 f. Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 12.4.1930, in: BArch, R 73/100, fol. 15 und 6. Vgl. das Protokoll des Hauptausschusses vom 30.10.1930, in: BArch, R 73/101, fol. 46. Undatierter Brief Habers an Willstätter, zit. nach Stoltzenberg, Haber, S. 418. Protokoll der Präsidiumssitzung vom 16.10.1930, in: BArch, R 73/72, fol. 169. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 133.
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Gegenüber dem rigiden Sparkurs der ab März 1930 regierenden Präsidialkabinette erwiesen sich die bisherigen Lobbystrategien der Notgemeinschaft als wenig wirksam. Weder Schmidt-Otts persönliche Kontakte, noch die ab Oktober 1930 zusammen mit der KWG, dem Verband Deutscher Ingenieure und dem Hochschulverband unter dem programmatischen Titel forschung tut not herausgegebene Reihe von Werbebroschüren konnten einschneidende Kürzungen der staatlichen Wissenschaftshaushalte verhindern.62 Von sieben Millionen im Jahr 1930 stürzte der Reichszuschuss für die Notgemeinschaft über 5,1 Millionen im Jahr 1931 bis auf 4,4 Millionen Mark im Etat für 1932 ab. Im Haushalt der Notgemeinschaft wurden Einschnitte in allen Förderlinien unvermeidlich. Ab 1931 wurde die Bibliotheksförderung auf die Berliner und Münchner Staatsbibliothek sowie einige ausgewählte Sondersammlungen anderer Bibliotheken beschränkt, die Leipziger Einkaufsstelle des Börsenvereins, über welche die Notgemeinschaft bislang ausländische Literatur beschafft hatte, wurde aufgelöst. Für 1932 mussten 7.000 ausländische Zeitschriftenbände abbestellt werden. Die Zahl der mit Druckkostenzuschüssen subventionierten deutschen Fachjournale fiel von 135 im Jahr 1926 bis 1932 auf nur noch 92.63 Die Zahl der Forschungsstipendien sank von ihrem Höchststand bei 689 im Dezember 1928 bis auf 427 im März 1932.64 Relativ am wenigsten litten die Gemeinschaftsforschungen; ihre Mittel wurden zwischen 1930 und 1932 lediglich von 2,3 auf 1,6 Millionen gesenkt; damit erhöhte sich ihr Anteil am sinkenden Etat der Notgemeinschaft von 32,1 auf 38,1 Prozent.65 Diese Verschiebung der Gewichte zugunsten der Schwerpunktförderung dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass sich diese wesentlich besser als die breit streuende Einzelförderung dazu eignete, gegenüber Politik und Öffentlichkeit die Relevanz der Tätigkeit der Notgemeinschaft zu belegen. Zum anderen waren die Gemeinschaftsarbeiten per se auf längere Dauer ausgelegt als die Einzelförderung und die Notgemeinschaft damit in der Beschränkung ihrer Förderung weniger flexibel. Der Innenminister des autoritären Regimes Franz von Papens, der Deutschnationale Wilhelm von Gayl, verzichtete 1932 auf das von Severing drei Jahre zuvor durchgesetzte Recht, fünf Hauptausschussmitglieder zu ernennen. Die Mitgliederversammlung machte am 11. Oktober 1932 die entsprechende Satzungsänderung rückgängig und wählte den fünfzehnköpfigen Hauptausschuss neu (wobei zwölf der Gewählten bereits zuvor dem Gremium angehört hatten).66 Dem ausscheidenden Sozialdemokraten Julius Moses, der sich längst vom Kritiker zu einem loyalen Partner Schmidt-Otts entwickelt hatte, blieb nichts anderes übrig,
62 63 64 65 66
Vgl. ebenda, S. 143 und Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 309–313. Vgl. Mälzer, Notgemeinschaft, S. 338 ff., Zierold, Forschungsförderung, S. 145–148, Schmidt-Ott, Notgemeinschaft, S. 8 und Ehlers, Wille, S. 153. Eine spätere Liste weist immerhin noch knapp 3.600 Titel nach, vgl. Verzeichnis. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 70 und Bericht 1932, S. 60 ff. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 38 f. Vgl. Gayls Rede auf der Mitgliederversammlung in: Bericht Mitgliederversammlung 1932, S. 11–16 und zur Neuwahl ebenda, 31 f.
Aus der Krise zurück in die Not
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als diesen zum Abschied um eine Fotografie zu bitten.67 Zehn Jahre später starb Moses im Konzentrationslager Theresienstadt, in das ihn die Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Herkunft deportiert hatten. Die inneren Strukturen und Praktiken der Notgemeinschaft waren 1932 wieder auf das 1920 verlegte Gleis zurückgekehrt: Ihr Präsident agierte aufgrund informeller Absprachen mit den Honoratioren des wissenschaftlichen Feldes und gestützt auf eine restriktive Informationspolitik nach innen wie außen weitgehend unkontrolliert. Die Auseinandersetzungen von 1928/29 und die nachfolgende Implementierung bescheidener Strukturveränderungen hatten, wie Margit Szöllösi-Janze konstatiert, gezeigt, dass „der Erneuerungsdrang der selbstverwalteten Wissenschaft (…) denkbar gering“ war.68 Wissenschaftler wie Haber, die der demokratischen Republik offen gegenüberstanden, waren seit 1920 stets eine kleine Minderheit geblieben; die Mehrheit der professoralen Klientel der Notgemeinschaft hielt von demokratischen Regeln untereinander wenig, von der Kooperation mit den Repräsentanten der Republik gar nichts. Sie war daher zufrieden, dem früheren königlich-preußischen Minister Schmidt-Ott die Rolle ihres Repräsentanten zu überlassen. Die Hoffnungen Schmidt-Otts und seiner Klientel, das Papen-Regime werde ihnen auch in materieller Hinsicht entgegenkommen, wurden aber enttäuscht. Papen und sein Innenminister bekundeten Schmidt-Ott zwar bei seinen Bittbesuchen ihr „wärmstes Interesse“, lehnten aber alle Gesuche um eine Erhöhung des 1932 auf einen vorläufigen Tiefststand von 4,4 Millionen Mark gesunkenen Reichzuschusses ab.69 Aus der „Krise“ war die Notgemeinschaft erneut in die „Not“ geraten. Wie tief man diese empfand, ist daran ablesbar, dass Schmidt-Ott und der Hauptausschuss zwischen Dezember 1932 und Februar 1933 versuchten, bei Reichsfinanzminister Lutz Schwerin von Krosigk zusätzliche Mittel zu beschaffen, indem sie versprachen, diese zur Finanzierung industrieller Auftragsforschung zu verwenden. Im Jahr 1926 hatte Schmidt-Ott den Vorschlag, in der Industrie angestellten Wissenschaftlern Fördermittel zu zahlen, noch zurückgewiesen, „weil in der Industrie tätige Leute meistens der Wissenschaft verloren seien“.70 Nun war er auf der Sitzung des Hauptausschusses am 4. Februar 1933 selbst für diese Idee offen und setzte gegenüber Skeptikern wie Walther von Dyck durch, dass ein Beirat aus Industriellen gebildet werden sollte, um über die Notgemeinschaft vom Reich finanzierte Zweckforschung zu koordinieren. Trotz mancher salvatorischen Klausel im Verlauf der Sitzung – Schmidt-Ott betonte, das neue Programm dürfe nicht zu einer „Diskreditierung der Tätigkeit“ der Notgemeinschaft führen, und Richard Willstätter wollte „subalterne Arbeit im Übermaß“ vermieden sehen – war die Spitze der Notgemeinschaft angesichts der Auswirkungen der Weltwirt67 68 69 70
Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 277. Szöllösi-Janze, Haber, S. 634. Schmidt-Ott auf der Mitgliederversammlung am 11.10.1932, in: Bericht Mitgliederversammlung 1932, S. 10; vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 142 ff. und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 103–107. So Schmidt-Ott auf der Mitgliederversammlung der Notgemeinschaft am 12.3.1926, zit. nach Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 247.
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Aus der Not in die Krise
schaftskrise bereit, den Primat der Grundlagenforschung aufzugeben.71 Die entsprechenden Vorschläge aber gingen im hektischen Betrieb der Ministerien in den Wochen nach der NS-Machtübernahme unter. Und die Notgemeinschaft stand bald vor völlig anderen Herausforderungen.
71
Zit. nach ebenda, S. 256.
TEIL II SELBSTMOBILISIERUNG. DIE DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT IM „DRITTEN REICH“
FÜNFTES KAPITEL „KÄMPFENDE WISSENSCHAFT“.1 DIE DFG IN DEN ERSTEN JAHREN DES NS-REGIMES SELBSTGLEICHSCHALTUNG UND MORALISCHER BANKROTT Am Ende des Jahres 1932 durften sich Ernst Rabel, Ludwig Bieberbach und Alfred Stock als akademische Honoratioren fühlen, die innerhalb ihrer Fächer hohe Akzeptanz genossen. Alle drei besaßen als Fachausschussvorsitzende der Notgemeinschaft – Rabel für die Rechtswissenschaften, Bieberbach für die Mathematik und Stock für die Chemie – Einfluss auf die Vergabe von Fördermitteln, Reputation und Karrierechancen in ihren Disziplinen. Sie waren von ihren Kollegen 1929 in diese Funktionen gewählt worden und repräsentierten nach außen wie nach innen ihre Fächer sowie den Seriositätsanspruch der von der Notgemeinschaft repräsentierten Wissenschaft. In den folgenden Jahren sollten die Wege der drei Männer radikal auseinanderdriften. Ernst Rabel wurde 1935 aus seinem Ordinariat an der Berliner Universität entlassen, zwei Jahre später auch als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes für ausländisches und internationales Privatrecht. Ungeachtet seines Bekenntnisses zum Katholizismus galt Rabel den Nationalsozialisten qua Abstammung als Jude. Im März 1939 konnte er durch Emigration sein Leben retten; nach einigen Zwischenstationen setzte er seine wissenschaftliche Arbeit an der Harvard Law School fort.2 Ludwig Bieberbach, der vor 1933 zwar als Nationalist, aber doch als loyaler Beamter des republikanischen Staates gegolten hatte, profilierte sich nach dem Machtantritt der NSDAP als Prorektor und Dekan an der Berliner Universität sowie innerhalb der Preußischen Akademie (der er seit 1924 angehörte) als „Großinquisitor“, für den die Verfolgung jüdischer und demokratischer Wissenschaftler zur „Obsession“ wurde.3 In den folgenden Jahren versuchte Bieberbach mit mäßigem Erfolg eine auf antisemitische Axiome gegründete „Deutsche Mathematik“ zu etablieren, die ihre Inspirationen von einer „Stimme der Volksseele“ empfangen sollte.4 Der Karlsruher Chemiker Alfred Stock schließlich bedauerte 1933 gegenüber amerikanischen Kollegen die Vertreibung „so vieler bedeutender Kollegen“ aus
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Bei dieser Formel handelt es sich um eine Selbstbeschreibung nationalsozialistischer Nachwuchswissenschaftler, vgl. Frank, Kämpfende Wissenschaft. Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 363 ff. und dieselbe, Vertreibung, S. 124–135. Kinas, Massenentlassungen, S. 382; vgl. Walther, Arisierung, S. 107 ff. Bieberbach, Persönlichkeitsstruktur Forschungen, S. 235. Vgl. Lindner, Mathematik.
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Deutschland.5 Er sorgte auf Bitten des nach London emigrierten, bis dahin Königsberger Chemikers Friedrich Adolf Paneth dafür, dass dessen Mitarbeiter Paul Günther ab September 1933 in den Genuss einer im März dieses Jahres noch von Paneth beantragten Sachbeihilfe der Notgemeinschaft kam.6 Zwei Jahre später kümmerte sich Stock darum, dem wegen seiner jüdischen Herkunft entlassenen Chemiker Stefan Goldschmidt eine Stelle in den USA oder Großbritannien zu verschaffen. Aber zugleich warb Stock in Briefwechseln mit amerikanischen Bekannten um Verständnis für einen vermeintlich berechtigten, ordnungsgemäß abgewickelten Antisemitismus. Schließlich, so ließ Stock seiner Phantasie freien Lauf, seien nach dem Ersten Weltkrieg „Hunderttausende höchst unerfreulicher Ostjuden nach Deutschland gekommen“ und hätten sich als Kommunisten oder Sozialdemokraten erwiesen.7 Im Februar 1936 wurde Stock zum Präsidenten der Deutschen Chemischen Gesellschaft gewählt, die er von da an nach dem „Führerprinzip“ leitete.8 Vor 1933 hatte sich die Notgemeinschaft als Repräsentantin einer akademischen Leistungs- und Werteelite profiliert, deren Mitglieder ein normatives Wissenschaftsverständnis teilten. Zu diesen Normen hatte unter anderem gehört, dass sich der Status eines Forschers an seiner fachlichen Leistung bemesse und diese Leistung nur von seinen Kollegen gemäß innerwissenschaftlicher Regeln, nicht aber von außerwissenschaftlichen Instanzen nach politischen oder ökonomischen Kriterien bewertet werden könne. Dem demokratischen Staat gegenüber hatten die Gremien der Notgemeinschaft diese Grundsätze penetrant betont und Konflikte – man denke an den Fall Vahlen – nicht gescheut. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten waren diese Normen über Nacht in den Augen jener Mehrheit deutscher Wissenschaftler ungültig geworden, die sich für die Loyalität gegenüber dem Regime und gegen die Solidarität mit bedrängten Kollegen entschied. Die einen bewahrten wie Stock ein schlechtes Gewissen, beruhigten sich aber mit einem soliden Grundstock antisemitischer und antidemokratischer Ressentiments, dem grundsätzlich als positiv empfundenen Lebensgefühl eines nationalen Aufbruchs sowie der Plattitüde, wo gehobelt werde, fielen eben Späne. Die „Übertreibungen und Entgleisungen“ einzelner Aktivisten gegenüber jüdischen Wissenschaftlern, so schrieb Stock im Juli 1933 einem amerikanischen Kollegen, würden ja „von allen Einsichtigen bedauert“, seien aber in einer Revolution schlicht „unvermeidbar“.9 Andere zimmerten wie Ludwig Bieberbach ein neues normatives Koordinatensystem. Wissenschaft, so argumentierte der Mathematiker 1934, sei in dem Sinne standortgebunden, dass in ihr jeweils der „Einfluß von Volkstum, von Blut und Rasse“ zum Ausdruck komme.10 Je nach Abstammung beantworte ein For5 6 7 8 9 10
Brief von Stock an Louis Monroe Dennis (Cornell University) vom 26.10.1933, zit. nach Neubauer, Stock, S. 635. Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 93 f. Brief von Stock an Dennis vom 25.7.1933, zit. nach Neubauer, Stock, S. 635. Vgl. Schmaltz, Thiessen, S. 333 f. Zit. nach Neubauer, Stock, S. 635. Bieberbach, Persönlichkeitsstruktur Forschungen, S. 235.
Selbstgleichschaltung und moralischer Bankrott
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scher die Grundfragen seines Faches in spezifischer Weise und wähle eigentümliche Gegenstände und Methoden. Jede wissenschaftliche Grundsatzdebatte sei folglich im Kern ein „Rassenstreit“.11 Bieberbach knüpfte an einen Topos an, der in den Selbstbeschreibungen deutscher Wissenschaftler bereits seit dem Ersten Weltkrieg weitgehende Akzeptanz gefunden hatte: Das Alleinstellungsmerkmal deutscher Forscher sei ihr von philosophischer Tiefe zeugendes ganzheitliches Denken. Bieberbach sprach in diesem Zusammenhang 1934 reichlich gedrechselt davon, dass der idealtypische deutsche Forscher „mit der Wirklichkeit und in sich integriert“ sei, sich selbst „in allen seinen Eigenschaften als ein Ganzes“ fühle und daher stets versuche, „den organischen Standort“ eines Phänomens zu ermitteln.12 Hatte dieses Stereotyp vor 1933 dazu gedient, eine Überlegenheit deutscher Wissenschaft gegenüber der internationalen Konkurrenz zu behaupten, also inländische und ausländische Forschung idealtypisch voneinander abzugrenzen, so verlegte Bieberbach die Unterscheidung zwischen „uns“ und den „anderen“ nun ins Innere der deutschen Akademikerschaft, indem er sie nicht mehr auf nationalkulturelle Traditionen, sondern auf die Abstammung der Akteure zurückführte. Forscher jüdischer Herkunft, so glaubte Bieberbach, könnten bei aller „Gerissenheit in der Handhabung des technischen Apparates“ aufgrund ihrer genetischen Disposition „in den Dingen nur das“ erkennen, „was der Verstand in sie hineinlegt oder was kühle Berechnung mit ihnen anfangen kann“.13 Ähnlich war in den Debatten der Notgemeinschaftsgremien vor 1933 die amerikanische Forschung abqualifiziert worden, nun galt dieses Verdikt den Kollegen der eigenen Hochschule, sofern sie jüdischer Herkunft waren. Deren „undeutscher Stil“, so behauptete Bieberbach, sei „deutschem Empfinden ganz unerträglich“ und rufe bei deutschen Akademikern instinktiv selbst dann „mannhafte Ablehnung“ hervor, wenn die Leistung der jüdischen Kollegen an sich unbezweifelbar sei.14 Wer die Rassenbedingtheit wissenschaftlicher Stile erkenne, müsse „von der Besinnung zur Tat (…) schreiten: Pflege der deutschen Art in der Wissenschaft“ – womit der völkische Mathematiker den Ausschluss der jüdischen Kollegen aus den akademischen Institutionen meinte.15 Bieberbach behauptete nicht, seine Thesen seien nach den Regeln der Wissenschaft verifizierbar. „Die Typen der Rassenkunde“, so räumte er ein, seien primär „Ideale des völkischen Glaubens.“16 Als solche bedürften sie „für einen Nationalsozialisten (…) nun freilich (…) gar keines Beweises“, sondern spiegelten „eine Einsicht von größter Selbstverständlichkeit“.17 Damit führte Bieberbach in die Bewertung wissenschaftlicher Leistung Kriterien ein, die er selbst freimütig als weltanschaulich und wissenschaftsfremd definierte. 11 12 13 14 15 16 17
Derselbe, Persönlichkeitsstruktur Unterrichtsblätter, S. 241. Derselbe, Persönlichkeitsstruktur Forschungen, S. 236. Derselbe, Persönlichkeitsstruktur Unterrichtsblätter, hier S. 241 und derselbe, Persönlichkeitsstruktur Forschungen, S. 236. Derselbe, Persönlichkeitsstruktur Forschungen, S. 236. Ebenda, S. 235. Derselbe, Persönlichkeitsstruktur Unterrichtsblätter, S. 241. Derselbe, Persönlichkeitsstruktur Forschungen, S. 235.
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„Kämpfende Wissenschaft“. Die DFG in den ersten Jahren des NS-Regimes
Im Vergleich mit der während der Weimarer Republik innerhalb der Notgemeinschaft dominanten Selbstbeschreibung waren hier also zwei Elemente neu: die Ableitung eines spezifisch deutschen Wissenschaftsstils aus der Abstammung der Akteure sowie die Bereitschaft, eine vermeintliche rassische Zugehörigkeit als Bewertungskriterium von außen in die Wissenschaft einzuführen. Auch die letztgenannte Innovation konnte zwar an Vertrautes anknüpfen (nämlich an die bereits vor 1933 erfolgte normative Aufladung der Kategorie des „Volkes“), radikalisierte dieses aber in einer Weise, die unter den pluralistischen Rahmenbedingungen der Weimarer Republik nicht durchsetzbar, ja kaum denkbar gewesen wäre. Wie Rüdiger Hachtmann am Beispiel der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gezeigt hat, lieferte Bieberbach die theoretische Begründung für eine Praxis, die sich im deutschen Wissenschaftssystem im Verlauf des Jahres 1933 gegen nur schwache Widerstände durchgesetzt hatte: Man hielt zwar am „meritokratischen Prinzip“ fest, akzeptierte aber zunehmend als selbstverständlich, dass „das rassistische Selektionsraster als pauschales Kriterium vor die ‚Auslese‘ nach Leistung gesetzt“ wurde.18 Gesetzlich normiert hatte das NS-Regime dieses Selektionsprinzip mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Dieses verlangte die Zwangspensionierung von Beamten, „die nicht arischer Abstammung sind“, sowie die Entlassung alle jener, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“.19 Bis Ende 1934 wurden auf Grundlage dieses Gesetzes 614 Hochschullehrer entlassen Da die zunächst geltenden Ausnahmeregelungen – zum Beispiel für Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges – schrittweise gestrichen wurden, stieg die Zahl der Entlassenen und der unter Druck ihre Ämter Aufgebenden bis 1945 auf 19,3 Prozent des Lehrkörpers deutscher Universitäten (das entsprach etwa 1.200 Personen), wie Michael Grüttner und Sven Kinas in der bislang umfassendsten Untersuchung dieses Geschehens festgestellt haben.20 Für die Gremien der Notgemeinschaft hat Karin Orth nachgewiesen, dass von den 240 Wissenschaftlern, die seit 1920 dem Präsidium, dem Hauptausschuss oder einem der Fachausschüsse angehört hatten und die im Jahr 1933 noch lebten, 28 Personen ihre berufliche Stellung ab 1933 durch Entlassung verloren, ein weiterer gab sein Amt von sich aus auf. Bei 20 der Betroffenen bestand der Entlassungsgrund darin, dass sie selbst oder ihre Ehefrauen vom NSRegime als Juden klassifiziert wurden.21 Diese „Vertreibungsquote“ (Orth) von 12,1 Prozent für die Notgemeinschafts-Gremien gegenüber 19,3 Prozent für die Hochschulen insgesamt verweist noch einmal darauf, dass Juden oder Republikaner bereits während der Weimarer Republik unter den Gremienmitgliedern der Notgemeinschaft seltener gewesen waren als an den Hochschulen insgesamt. Die Notgemeinschaft war vor 1933 von mehrheitlich im rechten politischen Spek18 19 20 21
Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 396; Hervorhebung dort. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 175. Vgl. Grüttner/Kinas, Vertreibung, S. 141 und 147, Kinas, Massenentlassungen, S. 341 und Zierold, Forschungsförderung, S. 150. Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 66 ff. und 72–77.
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trum verorteten Ordinarien geführt worden. Betrachtet man dagegen den größeren Kreis der Notgemeinschaftsklientel, inklusive Antragstellern und bei den Fachausschusswahlen Wahlberechtigten, dürfte die Vertreibungsquote näher bei dem von Grüttner und Kinas ermittelten Wert liegen; exakte Angaben sind unmöglich, weil spätestens 1938 die Förderakten als jüdisch klassifizierter Forscher in der DFG-Geschäftsstelle systematisch vernichtet wurden – dem Ausschluss folgte die Damnatio Memoriae.22 Ein nennenswertes Widerstreben jener Professorenschaft, die während der Weimarer Republik in großartiger Pose (aber ohne jedes Risiko) Eingriffe der Politik in ihre Autonomie zurückgewiesen hatte, ist nach 1933 nicht erkennbar. Einzelfälle immerhin gab es, so wenn Max Bodenstein, Mitglied des ChemieFachausschusses der Notgemeinschaft, 1934 gegenüber dem Reichswissenschaftsministerium durchsetzte, dass er den aus dem KWI für Physikalische Chemie entlassenen jüdischen Privatdozenten Hans Beutler an seinem Berliner Universitätsinstitut aufnehmen konnte.23 Eine einsame moralische Integrität bewies der Pharmakologe Otto Krayer, der im Juni 1933 den an ihn ergangenen Ruf auf einen Lehrstuhl in Düsseldorf ablehnte, weil er dort die Nachfolge des entlassenen jüdischen Kollegen Philipp Ellinger hätte antreten sollen. Gegenüber dem preußischen Kultusministerium begründete er seine Rufablehnung damit, dass er „die Ausschaltung der jüdischen Wissenschaftler als ein Unrecht empfinde, dessen Notwendigkeit ich nicht einsehen kann, da sie, wie mir scheint, mit außerhalb der Sphäre der Wissenschaft liegenden Gründen gestützt wird“.24 Der in Berlin als außerplanmäßiger Professor tätige Krayer wurde beurlaubt, verließ Ende 1933 Deutschland und avancierte nach mehreren Zwischenstationen 1937 zum Direktor des Pharmakologischen Institutes der Harvard Medical School.25 Bodenstein und Krayer waren rare weiße Raben; die Masse der deutschen Wissenschaftler begleitete die Vertreibung jüdischer und demokratischer Kollegen mit bleiernem Schweigen, mit boshaften Kommentaren, aber auch mit wachem Blick für die Karrierechancen, die sich aus der politisch induzierten Verminderung von Konkurrenz ergaben. Als Otto Hahn im Juli 1933 Max Planck fragte, ob nicht eine Gruppe von Professoren gemeinsam gegen die Entrechtung der jüdischen Kollegen protestieren solle, warnte Planck, auf jeden Protestierenden kämen dann fünf andere Wissenschaftler, die sich mit dem Regime solidarisieren würden, um die frei werdenden Stellen zu erbeuten.26 Am Vorabend der NS-Machtübernahme hatten an den Universitäten den 1.943 verbeamteten Professoren 1.364 Privatdozenten und 1.301 nichtverbeamtete außerplanmäßige Professoren gegenüber gestanden; in den Philosophischen Fakultäten hatte nur ein Drittel der Habilitierten eine Chance besessen, jemals Ordinarius zu werden, im Bereich der Medizin war es sogar nur ein Siebtel gewesen.27 Hier war die 22 23 24 25 26 27
Vgl. Mertens, Würdige, S. 14 f. und 19. Vgl. Kinas, Massenentlassungen, S. 380. Schreiben Krayers an das Ministerium vom 15.6.1933, zit. nach Deichmann, Flüchten, S. 81. Vgl. ebenda, S. 81 f. und Kinas, Massenentlassungen, S. 372–375. Vgl. Metzler, Wissenschaft, S. 184. Vgl. Grüttner, Wissenschaftler, S. 156 und derselbe/Kinas, Vertreibung, S. 149 f.
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Versuchung hoch, die Entlassung eines jüdischen Kollegen nicht als Schmach für Institution und Stand, sondern als individuelle Chance wahrzunehmen. Im April 1939 berichtete Fritz Knoll, Rektor der Wiener Universität, dass „gleich nach dem Umbruch“, das heißt der Angliederung Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 und der Entlassung jüdischer Wissenschaftler, sich „schon verschiedene Leute persönlich“ und aus eigener Initiative bei ihm gemeldet hätten, um sich „als allfähige Anwärter“ auf die frei gewordenen Stellen „vorzustellen“.28 Dass Wissenschaftler dritten Ranges unter Ausnutzung der politischen Konjunktur Positionen zu erbeuten suchten, zeugte vom Potenzial menschlicher Gemeinheit. Aus Sicht der Verdrängten bestürzender war aber das nur als Zustimmung zu verstehende Schweigen der anerkannten Koryphäen zur öffentlichen Diffamierung und Verfolgung ihrer Kollegen, etwa das unsolidarische Verhalten der Leitfiguren der Preußischen Akademie gegenüber deren Mitglied Albert Einstein.29 Dieser klagte Ende April 1933 gegenüber Thomas Mann, mit sehr wenigen Ausnahmen hätten die „zu geistiger Führung Berufenen (…) nicht den Mut und die Charakterstärke aufgebracht, einen deutlichen Trennungsstrich zu ziehen zwischen sich und denen, welche aufgrund von Mitteln der Gewalt heute den Staat vertreten“.30 Wer seine Karriere auf Kosten eines Verfolgten beschleunigt, aber auch wer hierzu geschwiegen oder sich wie Alfred Stock mit dem Ressentiment beruhigt hatte, irgendwie geschehe den Juden als Gruppe (wenn auch nicht jedem einzelnen) doch Recht, weil so unerklärlich viele von ihnen erfolgreich seien, der hatte sich auf eine schiefe Ebene begeben, auf der es in der Folge kaum noch ein Halten gab. Nachdem man zur öffentlichen Diffamierung, zur Entlassung und zur erzwungenen Emigration von Menschen geschwiegen oder Zustimmung geäußert hatte, die man noch kurz zuvor aufgrund von Leistung, gemeinsamer Werte und Habitus als Mitglieder desselben akademischen Standes betrachtet hatte – an welcher Stelle der weiteren Entwicklung wollte man dann den Mut finden, dem Regime mit moralischen Gründen zu widersprechen? Jeder weitere Eskalationsschritt schien in dieser Perspektive nur die für sich genommen bedauerliche, gemessen am schon Hingenommenen (oder Mitgestalteten) aber nur weitergeführte logische Konsequenz zu sein. Am Ende hatte man Völkermord und Vernichtungskrieg hingenommen oder sogar mitgestaltet. In der Notgemeinschaft betrieb der Präsident sofort mit Verkündung des Berufsbeamtengesetzes deren „Entjudung“. Die einzige als jüdisch geltende Angestellte, die Mitarbeiterin des Bibliotheksausschusses Käthe Schabehard, wurde von Schmidt-Ott nach zehnjähriger Dienstzeit entlassen.31 Schon ab Ende April 1933 wollte die Notgemeinschaft keine Stipendien an jüdische Nachwuchswissenschaftler mehr vergeben, was zu diesem Zeitpunkt sogar über die Verordnun28 29 30 31
Knoll in einem Brief an den Staatskommissar Plattner vom 27.4.1939, zit. nach Deichmann, Biologen, S. 38. Vgl. Hoffmann, Verhältnis, S. 70. Brief Einsteins an Mann, zit. nach Deichmann, Flüchten, S. 78. Vgl. Mertens, Würdige, S. 62.
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gen des Regimes hinausging. Ein erst am 1. Januar 1933 begonnenes Stipendium für den jüdischen Chemiker Ernst Boris Chain, der an der Berliner Universität bei dem Biochemiker Peter Rona arbeitete, wurde schon zum 31. Mai 1933 wiedereingestellt. Chain ging nach England, wo er seine Forschung zunächst in Cambridge, dann in Oxford fortsetzte; mit Howard W. Florey sollte er dort 1940 erstmals Penicillin isolieren und gemeinsam mit Florey und Alexander Fleming 1945 den Medizinnobelpreis erhalten.32 Mitte Juni 1933 berichtete Schmidt-Otts Mitarbeiter Viktor Schwoerer dem Reichsinnenministerium über den Fall des an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) tätigen Joachim Böhme, dem die Notgemeinschaft aufgrund seiner jüdischen Herkunft ein Stipendium verweigern wolle. Erst durch dieses Schreiben bemerkte das Ministerium, dass hier eine Regelungslücke bestand und verfügte im September 1933, dass „Nichtarier“ in Zukunft grundsätzlich keine Stipendien mehr erhalten sollten. Im Einzelfall agierte die Notgemeinschaft unter Schmidt-Ott nicht konsequent, vermutlich weil er die antisemitische Politik des Regimes mit den Interessen von Angehörigen seiner Netzwerke auszutarieren versuchte. Ausgerechnet Böhme erhielt im September 1933 doch ein Stipendium und die von der Gestapo als Jüdin und Sozialdemokratin verdächtigte Zellforscherin Rhoda Erdmann wurde über ihre Zwangspensionierung im März 1934 hinaus mit einer Beihilfe gefördert.33 Im Grundsatz aber signalisierte die Notgemeinschaft ab April 1933 jüdischen Wissenschaftlern, dass sie diese nicht mehr als Teil ihrer Klientel betrachtete. Einige von diesen setzten im Herbst desselben Jahres einen Kontrapunkt, indem sie die von Zürich aus arbeitende Beratungsstelle für vertriebene deutsche Gelehrte in die „Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland“ umbenannten.34 Schmidt-Ott selbst pflegte zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten antisemitische Ressentiments, die er nie weltanschaulich systematisierte und die ihn auch nicht gehindert hatten, mit Wissenschaftlern wie Fritz Haber zu kooperieren oder die Finanzen seiner Institutionen bis zu dessen Tod im Jahr 1930 dem Bankier Arthur Salomonsohn anzuvertrauen. Aber während der Weimarer Republik blitzten Schmidt-Otts Ressentiments mitunter doch handlungsleitend auf, so 1929 im Fall Schemann. Noch in seine 1952 publizierten Lebenserinnerungen streute er Anekdoten ein, mit denen er jüdische Deutsche als störende, zum aggressiven Erheben unberechtigter Ansprüche neigende Fremdkörper in ansonsten harmonischen Verkehrskreisen darstellte.35 Vor diesem Hintergrund scheint ihm 32 33 34 35
Vgl. Deichmann, Flüchten, S. 308 ff. Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 90 ff. Im September 1933 beendete die Notgemeinschaft das Stipendium eines Berliner Metallkundlers jüdischer Herkunft vier Monate vor Ende des Bewilligungszeitraums, vgl. Mertens, Würdige, S. 60 f. Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 136–145. Vgl. zum Beispiel die Schilderung einer Schiffsreise in die USA 1893, bei der „die an Bord befindlichen Juden“ gegen den mitreisenden Hofprediger Stöcker, einen bekannten antijüdischen Hetzer agitiert und der Schiffslinie „mit Boykott“ gedroht hätten sowie SchmidtOtt lästiger Weise „mehrfach jüdischerseits darauf angeredet“ worden sei, wieso Stöcker – in Schmidt-Otts Augen ein „mutiger Volksführer“ – an Bord predigen dürfe, in Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 29 f.
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die Distanzierung von jüdischen Partnern 1933 nicht schwer gefallen zu sein, ohne dass sie ihm ein eigenes Bedürfnis gewesen wäre. Einer der Betroffenen war Schmidt-Otts Vizepräsident Fritz Haber. Zwar war dessen Stellung als Direktor des KWI für Physikalische Chemie aufgrund der Ausnahmeregelungen des Berufsbeamtengesetzes im Frühjahr 1933 noch nicht direkt bedroht. Doch angesichts des Drängens aus dem preußischen Kultusministerium, er solle die jüdischen Mitarbeiter seines Institutes entlassen, kämpfte Haber mit sich, was er selbst ertragen sollte, um Angehörige seines Institutes vor Repressionen zu schützen.36 Schließlich siegte, wie er dem Freund und Kollegen Richard Willstätter schrieb, sein „Gefühl für Ehre“.37 Am 30. April 1933 bat er den neuen Kultusminister, den NSDAP-Gauleiter von Hannover Bernhard Rust, um seine Pensionierung. Seine „Tradition“, so erklärte Haber, schreibe ihm vor, „bei der Auswahl von Mitarbeitern nur die fachlichen und charakterlichen Eigenschaften“, nicht aber ihre „rassenmäßige Beschaffenheit“ zu berücksichtigen. Daher stehe er in einem „Gegensatze (…) zu den veränderten Anschauungen“ der Regierung und der „großen derzeitigen nationalen Bewegung“.38 SchmidtOtt hatte zuvor in seiner Funktion als Vizepräsident der KWG in mehreren Gesprächen versucht, Haber zur Unterwerfung unter die Bedingungen des Regimes, das heißt zur Opferung der jüdischen KWI-Mitarbeiter, sowie zum Verbleiben im Amt zu drängen; zugleich hatte er sich im Kultusministerium für Haber eingesetzt.39 Rust reagierte auf Habers – nicht öffentliches, in seinem Bekanntenkreis aber zirkulierendes – Abschiedsgesuch, indem er sich am 6. Mai 1933 in einer Rede an der Berliner Universität die Kritik eines „bekannten Professors des KaiserWilhelm-Instituts“ an der antisemitischen Politik verbat.40 Drei Tage später erklärte Haber in einem Brief an Schmidt-Ott seinen Rücktritt aus dem Präsidium der Notgemeinschaft, da „nach meiner Auffassung mein längeres Verbleiben im Präsidium der Notgemeinschaft nur zu deren Schaden ausschlagen“ könne.41 Es blieb Walther von Dyck vorbehalten, den einzigen Kommentar zu Habers Rückzug zu den Akten zu geben: Er erinnerte den Präsidenten am 14. Mai 1933 daran, dass er die Wahl Habers zum Vizepräsidenten „nie für gut gehalten habe“.42 Schmidt-Ott hielt die Differenzen zwischen seinen beiden Vizepräsidenten im Rückblick für ein Resultat ihrer „Rassenunterschiede“, um dann zu betonen, dass Haber „der einzige Nichtarier unter uns“, das heißt in der Führungsgruppe der Notgemeinschaft, gewesen sei.43 Immerhin: Nachdem Haber am 29. Januar 1934 36 37 38 39 40 41 42 43
Szöllösi-Janze, Haber, S. 652 f. bietet Indizien dafür, dass es dem Kultus- und Reichswehrministerium auch darum gegangen sein könnte, das KWI auf Gaskriegsforschung umzuorientieren, wogegen sich Haber gesträubt habe. Brief Habers an Willstätter vom 1.4.1933, zit. nach Stoltzenberg, Haber, S. 576. Der Brief Habers an Rust vom 30.4.1933 ist abgedruckt: ebenda, S. 581. Vgl. ebenda, S. 577 f., Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 92 und Szöllösi-Janze, Haber, S. 653–662. Zit. nach Szöllösi-Janze, Haber, S. 658. Schreiben Habers an Schmidt-Ott vom 9.5.1933, zit. nach Stoltzenberg, Haber, S. 602. Zit. nach Schulze, Stifterverband, S. 85; vgl. Hashagen, Dyck, S. 635–640. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 180.
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im Schweizer Exil gestorben war, gab Schmidt-Ott namens der Notgemeinschaft eine Traueranzeige in der Deutschen Allgemeinen Zeitung auf, die den Toten als ihren „Mitgründer“ und einen „ausgezeichneten, um das Vaterland hochverdienten Forscher“ würdigte.44 Ein Jahr später, als Max Planck eine Gedächtnisfeier für Haber in Berlin plante, kommentierte der Sohn des Verstorbenen solche posthumen Ehrungen mit der bitteren Bemerkung, „daß man kein Recht hat, Menschen tot zu feiern, die man lebend auch heute nicht dulden würde“.45 Bereits einen Tag nach Habers Rücktritt, am 10. Mai 1933, hatte Reichsinnenminister Wilhelm Frick auch Schmidt-Ott den Rücktritt nahegelegt. Am 17. Mai 1933 erklärte das Präsidium der Notgemeinschaft insgesamt – also neben Schmidt-Ott und Haber auch die Vizepräsidenten Dyck und Konen (der aufgrund seiner Nähe zum Zentrum unzeitgemäß geworden war) – seinen Rücktritt.46 Schmidt-Ott verband allerdings mit diesem Schritt die Hoffnung, sich auch im Zuge einer Neuformierung des Präsidiums durch die auf den 17. Juni einberufene Mitgliederversammlung an der Spitze halten zu können. Tatsächlich wurde er vom Innenministerium aufgefordert, sein Amt vorerst weiter wahrzunehmen. Schmidt-Ott hatte zu diesem Zeitpunkt begonnen, sich von seinen nun verfemten Ex-Partnern abzusetzen, die Übereinstimmung seiner bisherigen Förderpolitik mit den Zielen des Nationalsozialismus öffentlich hervorzukehren und für die Zukunft eine Schwerpunktsetzung auf Forschungsfeldern zu versprechen, deren Relevanz für das NS-Regime offensichtlich war. Seine Partizipation am „Weimarer System“ konnte Schmidt-Ott nicht leugnen, auch wenn seine Funktion vor 1933 ja gerade darin bestanden hatte, als Vermittler zwischen Staat und Ordinarien letzteren den direkten Kontakt mit den ungeliebten demokratischen Politikern zu ersparen. In dem im Herbst 1933 publizierten Jahresbericht für das Rechnungsjahr 1932/33 erwies sich der Notgemeinschaftspräsident als Meister des Gratwanderns: Indem er „auch der früheren Reichsleitung (…) die Anerkennung“ nicht versagen wollte, weil diese „das Recht der Selbstverwaltung (…) im allgemeinen nicht angetastet“ habe, vermied er ein angesichts des Offensichtlichen unglaubwürdiges Abstreiten seiner Beziehungen zu Repräsentanten der Republik. Zugleich erhob er den Anspruch, diese hätten kaum Einfluss auf die Notgemeinschaft gewonnen. Weder er selbst noch die Notgemeinschaft seien durch die unvermeidlichen Kontakte mit Demokraten weltanschaulich kontaminiert, sprich: „ihrer nationalen Gesinnung entfremdet worden“. Und er erklärte: „Ich persönlich fühle mich dem früheren Regiment und seinen Trägern gegenüber 44 45
46
Zit. nach Stoltzenberg, Haber, S. 538. Zit. nach Deichmann, Flüchten, S. 92. Die historiographische Debatte über das in dieser Feier (nicht) zu Tage getretene Resistenzpotenzial der nationalkonservativen Ordinarien blendet eine solche Verfolgten-Perspektive meist aus und reproduziert damit weitgehend die Binnenperspektive der in Deutschland gebliebenen Akteure; vgl. abgewogen Szöllösi-Janze, Haber, S. 692–700. Konen wurde 1934 unter Vorwänden aus seiner Bonner Professur entlassen, kehrte 1945 als Rektor zurück und wurde später nordrhein-westfälischer Kultusminister, vgl. Höpfner, Universität, S. 60 f.
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vollkommen frei und ich bekenne, daß ich hohe Bewunderung für den Führer hege, dem es gelungen ist, uns aus dem jahrhundertelangen [sic!], elenden Parteiwesen herauszuretten und als Volk zusammenzuschmieden.“47 Bedeutend leichter tat sich Schmidt-Ott in den ersten Monaten der NS-Herrschaft damit, die Übereinstimmung seiner Förderpraxis mit den Zielen nationalistischer Politik nachzuweisen, hatten doch er, die Gremien und die Klientel der Notgemeinschaft in der Tat vor 1933 solche Ziele als selbstverständliche, geradezu unpolitische normative Setzungen verstanden. In der Hauptausschusssitzung vom 8. April 1933 versicherte das Gremium (in Anwesenheit sowohl des neuen Reichsinnenministers Frick als auch des noch amtierenden Vizepräsidenten Haber) der Regierung, dass „die Notgemeinschaft die nationalen Aufgaben immer in den Vordergrund gestellt“ habe.48 Nur wenige Tage nach Habers Ausscheiden aus dem Präsidium der Notgemeinschaft hielt diese am 13. und 14. Mai 1933 in der Königsberger Stadthalle eine „wissenschaftliche Kundgebung“ mit etwa 1.000 Besuchern ab. Deren Funktion beschrieb Schmidt-Ott in seiner Eröffnungsrede damit, sie solle dafür werben, dass die Notgemeinschaft „im nationalen Staat auch ferner am Aufbau des deutschen Volkes mitarbeiten“ könne.49 Was die Notgemeinschaft dem Regime anzubieten hatte, erläuterten der Biologe Erwin Baur und der Anthropologe Eugen Fischer in ihren Vorträgen. Baur warb für eine „kriegsmäßige Mobilisierung“ der Landwirtschaft mit dem Ziel einer Selbstversorgung Deutschlands und hob die Bedeutung der von der Notgemeinschaft geförderten Züchtungsforschung für dieses Ziel („als Waffe in dem uns bevorstehenden wirtschaftlichen Kampfe“) hervor.50 Nach einem ähnlichen Muster begründete Fischer, Leiter der Notgemeinschaftskommission für die Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenforschung, die Relevanz der Vererbungsforschung mit einer politischen Zwecksetzung: Sie biete eine wissenschaftliche „Grundlage“ für die „eugenische Bevölkerungspolitik“ des NS-Regimes. Diese müsse zwei Gefahren vom deutschen Volk abwenden, zum einen das Eindringen fremder Erbanlagen aufgrund „der Ostjuden-Einwanderung“ und zum anderen die stärkere Vermehrung der „erbunwerten“ als der „erbwerten“ Teile des deutschen Volkes. Die Förderung der Vererbungsforschung durch die Notgemeinschaft diene unmittelbar der „Pflege des körperlich und geistig gesunden, deutschstämmigen, unser Volkstum tragenden Menschen“.51 Ein halbes Jahr später betonte Schmidt-Ott im Tätigkeitsbericht für 1932/33, die Notgemeinschaft habe „von Anfang an“ jene Forschungsfelder gefördert, „die vom vaterländischen Gesichtspunkt Berücksichtigung heischten“: „So haben besonders auch die für die heutigen nationalen Bestrebungen wichtigen Gebiete reichliche Förderung erfahren“, etwa „die rassenmäßige Erschließung des deutschen Volkes“.52 In einem Rundschreiben an die Mitglieder der Notgemeinschaft 47 48 49 50 51 52
Schmidt-Ott, Einführung 1933, S. 11 f. Zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 89. Begrüßungsworte, S. 38. Baur, Auswirkungen, S. 42. Fischer, Fortschritte, S. 55, 63, 65 und 71. Schmidt-Ott, Einführung 1933, S. 7 f.
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erklärte Schmidt-Ott im November 1933, diese wolle „den Zielsetzungen des nationalen Staates dienen“ und ihre Gemeinschaftsarbeiten „für praktische Gegenwartsaufgaben“ einsetzen, „die der Führer des deutschen Volkes (…) gestellt hat. (…) In den Vordergrund treten die Forschungen, die der Rasse, dem Volkstum und der Gesundheit des deutschen Volkes gewidmet sind“, zum Beispiel „Arbeiten, die der empirischen Erbprognose dienen“ und „Material für die praktische Eugenik“ liefern könnten.53 In den Akten der DFG verwies man zudem nun darauf, dass einige Projekte gefördert würden, weil sie militärischen Stellen erwünscht seien.54 „Als die Gleichschaltung kam“ so erinnerte sich der frühere Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Friedrich Glum im Jahr 1964 an das Agieren der KWG im Jahr 1933, „konnten wir sagen, daß wir davon nicht betroffen würden, da wir uns schon gleichgeschaltet hatten.“55 Diese Formel gilt auch für die Notgemeinschaft: Ihr Präsident gab im Frühjahr 1933 die vom neuen Regime Verfemten preis. Er betonte zudem rückblickend eine politische Konvergenz mit dem Nationalsozialismus bereits vor dessen Sieg. Schließlich diente er dem Regime die Notgemeinschaft als effektives Instrument an. Einerseits zeigte Schmidt-Ott hier unter anderen Vorzeichen jene Anpassungsbereitschaft, die der Herzensmonarchist bis 1932 im Umgang mit den Vertretern der Republik gezeigt hatte, wenn sie dem aus seiner Sicht übergeordneten Ziel einer von diesem Staat weitgehend autonomen Selbstverwaltung der Wissenschaft gedient hatte. Andererseits entsprachen die 1933 offensichtlichen Ziele, Schlagworte und Wertvorstellungen des Nationalsozialismus – die Errichtung eines autoritären Staates, die gewaltsame Unterdrückung der Arbeiterbewegung, die Revision des Versailler Vertrages, eine darüber noch hinausgehende Expansion gen Osten, der Ausschluss der Juden aus einer künftigen „Volksgemeinschaft“ sowie überhaupt die Verabsolutierung des als Abstammungsgemeinschaft begriffenen deutschen Volkes – den innerhalb der Notgemeinschaftsklientel und in ihren Gremien hegemonialen Weltbildern. Gleichwohl waren Wissenschaftler, die öffentlich für den Nationalsozialismus eintraten wie der Münchner Historiker Karl Alexander von Müller (Fachausschuss Geschichte) und der Berliner Chirurg August Bier (Fachausschuss Medizin), vor 1933 in den Gremien der Notgemeinschaft selten gewesen.56 Trotz der Distanz zum Nationalsozialismus in einzelnen Fragen dürfte die Mehrheit der in der Notgemeinschaft engagierten Wissenschaftler jene Stimmung eines nationalen Aufbruchs geteilt haben, die den Hochschulverband am 22. April 1933 von einer „Wiedergeburt des Deutschen Volkes“ nach einer Zeit
53 54
55 56
Schmidt-Otts Rundschreiben an die Mitgliedsinstitutionen der Notgemeinschaft vom 10.11.1933, zit. nach Cottebrune, Mensch, S. 99. So förderte die DFG 1934 ein Projekt der TH Berlin-Charlottenburg zur Messung der Materialbelastung von Frachtschiffen mit 60.000 Mark, weil der „Chef der Marineleitung“ es „lebhaft begrüßt“ habe, Hauptausschussliste 12/1933/34 vom 22. März 1934 in: BArch R 73/118, fol. 111. Glum, Wissenschaft, S. 443. Vgl. Schlicker, Akademie, S. 293 f.
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des „fremden Diktats“ schwärmen ließ.57 Das hohe Ausmaß an politischem Konsens zwischen NS-Regime und Professorenschaft und nicht etwa schlichter Opportunismus bildete den wesentlichen Grund dafür, dass Präsident, Gremien und Klientel der Notgemeinschaft 1933 bereit waren, sowohl den bislang gewahrten politischen Pluralismus als auch die Standessolidarität aufzugeben. Damit schlossen sie zugleich etwa ein Fünftel der eigenen Gruppe aufgrund außerwissenschaftlicher Kriterien aus. SICH BEKÄMPFENDE WISSENSCHAFT Ab Juni 1933 lebte die Notgemeinschaft für ein Jahr in einem Zustand scheinbarer Stabilität. Aus den Reichshaushalten für 1933 und 1934 erhielt sie mit jeweils knapp 4,4 Millionen Mark den gleichen Betrag wie im letzten Jahr der Weimarer Republik. Vom Stifterverband wurden diese Summen um je 130.000 Mark pro Jahr aufgestockt, und 1934 teilte die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung der Notgemeinschaft 500.000 Mark zur Unterstützung von fast 500 erwerbslosen Akademikern zu.58 Die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft nahm weiterhin Anträge entgegen und ließ diese durch die erst im März 1933 mit einer Wahlbeteiligung von 59,1 Prozent turnusmäßig neu gewählten Fachausschüsse begutachten. Die Mitglieder des Hauptausschusses waren zwar im Mai 1933 auf Anregung des zurücktretenden Präsidiums ebenfalls demissioniert, erhielten aber weiter die gewohnten Antragsübersichten in Listenform; der Präsident befand wie vor 1933 autoritativ über die Förderung der Projekte.59 Die Zahl der an Nachwuchswissenschaftler vergebenen Stipendien stieg sogar an – von 427 im Jahr 1932 auf 480 im November 1933.60 Von den 135 Fachgutachtern, die eine Übersicht vom Herbst 1933 auflistete, waren 26 im März desselben Jahres erstmalig in diese Funktion gewählt worden. Das Revirement war also nicht größer ausgefallen als bei der vorangegangenen Wahl von 1929. Bis Herbst 1933 wurden acht weitere Gutachter kommissarisch bestellt, weil gewählte Kandidaten dem „Berufsbeamtengesetz“ zum Opfer gefallen waren oder wie der Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt sowie die Chemiker Fritz Haber, Ernst Berl und Richard Willstätter (der schon 1924 seinen Münchner Lehrstuhl aus Protest gegen den an dieser Universität grassierenden Antisemitismus aufgegeben hatte) ihre Wahl unter den neuen Rahmenbedingungen abgelehnt hatten. Im Juni 1934 resümierte Schmidt-Ott, diese Gutachter seien „durch 57 58
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Würzburger Erklärung des Verbandes der Deutschen Hochschulen vom 22. April 1933, abgedruckt in: Oberdörfer, Gleichschaltung, S. 30 f. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 180 und 228. Ein Rundschreiben der DFG vom 6.11.1934, in: UA Halle, Rep. 4, Nr. 157, berichtete, dass die von der Reichsanstalt für Arbeit finanzierte Wissenschaftliche Akademikerhilfe derzeit 724 Arbeitsplätze bereitstelle, von denen 492 besetzt seien. Vgl. Mertens, Würdige, S. 51 und die Hauptausschusslisten der Jahre 1933 und 1934, in: BArch, R 73/118; die letzte Liste (2/1934/35) stammt vom 2. Juni 1934. Vgl. Mertens, Würdige, S. 48.
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Kooptation jüngerer Kräfte, die auch vom Standpunkt der neuen Regierung Vertrauen verdienen“, ersetzt worden.61 Der erwähnte Jurist Ernst Rabel allerdings gehörte weiterhin dem Fachausschuss Rechtswissenschaften an, wenn auch nicht mehr als dessen Vorsitzender; vier der acht Mitglieder dieses Ausschusses galten den Nationalsozialisten als Juden.62 Hinter der Fassade zerfielen aber die Strukturen der Notgemeinschaft, ohne dass vorerst neue geschaffen worden wären. Schmidt-Ott amtierte seit dem Rücktritt des Präsidiums am 17. Mai 1933 kommissarisch allein weiter; der Hauptausschuss wurde weder neu gebildet noch zu Sitzungen einberufen. Das Innenministerium verwehrte eine schnelle Lösung der Führungskrise, indem es die für den 17. Juni 1933 einberufene Mitgliederversammlung absagen ließ.63 Stattdessen ernannte Minister Frick auf Anregung des persönlich bei ihm erschienenen Johannes Stark am 13. Juni eine Kommission, die eine Reform der Notgemeinschaft vorbereiten sollte. Schmidt-Ott wurde nicht in diese Kommission berufen, die vielmehr aus dem alten Nationalsozialisten, Physiknobelpreisträger und Einsteinhasser Stark sowie aus solchen Vertretern des Reichsinnen- und des preußischen Kultusministeriums bestand, die nicht zu Schmidt-Otts Vertrauten innerhalb der Administration, sondern zu den neuen nationalsozialistischen Parteibuchbeamten zählten. Im Oktober 1933 um einige Wissenschaftler (unter anderem Erwin Baur) und einen Vertreter des Reichswehrministeriums erweitert, sollte die Kommission schließlich nichts weniger als die „Vereinheitlichung der Deutschen Wissenschaft“ planen.64 Dies dokumentiert zwar den immensen Ehrgeiz des durch Vorträge und Denkschriften voran treibenden Stark, führte aber nicht zu greifbaren Ergebnissen. Das NS-Regime entwickelte bereits in seinen ersten Monaten regelrecht eine Kultur des Denkschriften-Schreibens, die bis in die letzten Kriegswochen gepflegt werden sollte. Weil sich große Teile der Funktionseliten aufgefordert fühlten, am nationalsozialistischen Projekt zu partizipieren, brachten Tausende kleiner Möchtegern-Führer ihre Anregungen zur inhaltlichen Ausrichtung, zur Organisation und zu (nicht zuletzt die eigene Person betreffenden) Personalfragen ihres jeweiligen Blickfeldes zu Papier. Sie richteten sich mit diesen Texten an einen Adressatenkreis von diffuser Breite, da Prozesse der regimeinternen Entscheidungsfindung (jenseits des direkten Appells an den „Führer“ oder Mitglieder seiner engsten Gefolgschaft) nie klar geregelt wurden. Den Historikern beschert dieser Modus der (in der Mehrzahl der Fälle nur imaginierten) Teilhabe an der Diktatur 61
62 63 64
Denkschrift Schmidt-Otts für das Reichswissenschaftsministerium vom 14.6.1934, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 155. Vgl. Bericht 1933, S. 104–112 und Orth, NS-Vertreibung, S. 110 und 188 f. Dagegen nahm der jüdische Chemiker Carl Neuberg die Wahl nach längerem Zögern an, vgl. ebenda, S. 201. Vgl. Bericht 1933, S. 104 und 110, sowie Mertens, Würdige, S. 83. Vgl. die Einladung Schmidt-Otts vom 24.5.1933 und sein die Versammlung absagendes Telegramm vom 15.6.1933, in: UA Halle, Rep. 4, Nr. 157 sowie Zierold, Forschungsförderung, S. 151 f. So ein Vermerk von Staatssekretär Pfundtner aus dem Reichsinnenministerium zu der Kommission vom 17.10.1933, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 122. Zu Vahlen vgl. ebenda, S. 136 f. und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 124 f.
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dicke Aktenbündel in den Archiven, prall gefüllt mit konzeptionellen Papieren, deren Einfluss auf die Entscheidungsprozesse meist schwer zu rekonstruieren ist. So enthalten die Sachakten des preußischen Kultus-, des Reichsinnen- sowie des Reichswehrministeriums zur Wissenschaftspolitik eine große Zahl solcher Eingaben, die nicht zuletzt diverse Vorschläge zu Reform, Auflösung oder Überleitung der Notgemeinschaft in neue Organisationen enthielten. Als Autoren traten neben Ministerialbeamten einzelne Wissenschaftler, Vertreter der Industrieforschung bzw. der Industrieverbände, Schmidt-Ott und schließlich der bereits erwähnte Johannes Stark auf.65 In Kollegenkreisen war Stark vor 1933 nicht wegen seines Antisemitismus oder seiner ab 1923 lautstark artikulierten Bewunderung für Hitler, sondern wegen seines querulatorischen Habitus ins Abseits geraten. Im Jahr 1922 hatte er nach Konflikten an der Würzburger Universität seine Professur aufgegeben und sich fortan als Privatgelehrter betätigt. 1930 in die NSDAP eingetreten, wurde er zum 1. Mai 1933 von Innenminister Frick zum Präsidenten der PhysikalischTechnischen Reichsanstalt ernannt, was Stark als Aufforderung missverstand, „das wissenschaftliche Programm der Reichsregierung“ zu formulieren.66 Rüdiger Hachtmann hat Stark als den Prototyp des „ideologischen Eiferers“ bezeichnet, der Hitlers „Worte zu prophetischen ‚Offenbarungen‘“ und sich selbst zum berufenen Interpreten dieses Glaubens erklärte.67 Als Präsident der PTR traktierte er die Ministerien mit immer neuen Denkschriften und warb in Vorträgen und Artikeln öffentlich für seine Ideen, vor allem aber für seine Ambitionen als Führer einer nationalsozialistischen Wissenschaft. Da sich Stark eines persönlichen Zugangs zu Hitler rühmte, wurden seine Texte gelesen und er selbst an Besprechungen und Kommissionen beteiligt. Sören Flachowsky hat Starks Konzepte analysiert und Elemente identifiziert, die später realisiert wurden.68 Solche Fragen der Archäologie wissenschaftspolitischer Ideen sollen hier nicht weiter verfolgt werden, zumal angesichts der Fülle von Denkschriften, Artikel und Vermerke verschiedenster Akteure kaum belegbar ist, auf wessen Ideen nun letztlich welche Elemente späterer Maßnahmen zurückgingen. Bis zu Schmidt-Otts Entlassung im Juni 1934 bestand die Bedeutung all dieser in den Berliner Amtsstuben allgemein bekannten Aktivitäten vor allem darin, dass sie den Druck auf den Notgemeinschaftspräsidenten erhöhten, sich seinerseits als Innovationsmotor im nationalsozialistischen Sinne zu betätigen. Schmidt-Ott suchte denn auch emsig nach Gelegenheiten, den Wert seiner Organisation für das Regime unter Beweis zu stellen. Der einfachste Weg bestand darin, dem Regime verbundene Forscher, die bereits vor 1933 in der Notgemeinschaft etabliert gewesen waren, noch stärker zu fördern als zuvor. Zum größten Nutznießer dieser Entwicklung wurde Ernst Rüdin, Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Rüdin gehörte zu den wis65 66 67 68
Die Debatte um eine zentralisierte Neuorganisation der Wissenschaft bis 1937 im Überblick bei Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 571–589. Brief Starks an Frick vom 1.7.1933, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 116. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 319. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 116–128.
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senschaftlichen Protagonisten der nationalsozialistischen Rassenhygiene, hatte aber seit 1930 auch schon an den Gemeinschaftsarbeiten der Notgemeinschaft zur Rassenforschung teilgenommen. 1933 avancierte er zum einflussreichsten Gutachter der Notgemeinschaft für psychiatrische Projekte, und seine eigene, der KWG angegliederte Forschungsanstalt akquirierte so erfolgreich Gelder der Notgemeinschaft, dass sie 1933/34 gut 27 Prozent ihres Etats aus dieser Quelle deckte. Damit wurde sie zugleich jenes der 18 von der Notgemeinschaft geförderten KWG-Institute, das den größten Anteil an den der Gesellschaft zufließenden Geldern verbuchen konnte (nämlich fast ein Drittel).69 Schmidt-Ott versuchte so, seine öffentlichen Bekundungen, Felder wie die Rassenhygiene zu fördern, glaubhaft zu machen. Er setzte sich aber zugleich unter Druck, wissenschaftliche Kriterien hintanzusetzen. So hielt es der Breslauer Psychiater Johannes Lange, ein früherer Mitarbeiter Rüdins, in einem erfolgreichen Antrag vom Oktober 1933 für hinreichend, darauf hinzuweisen, dass „die Wichtigkeit der Untersuchungen (…) in der gegenwärtigen Zeit nicht des Näheren erläutert zu werden“ brauche, „da sie als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann“.70 Wenig erfolgreich war Schmidt-Ott mit seinen Versuchen, die Existenz der Notgemeinschaft dadurch abzusichern, dass er sie als Dienstleisterin der boomenden Rüstungsforschung anbot. Er organisierte in dieser Absicht Anfang März 1933 eine Tagung zur Luftfahrtforschung. Er verhandelte zwischen August und Oktober 1933 mit dem Reichsverkehrsministerium über die Bildung von Notgemeinschaftskommissionen zur Kraftfahrforschung. Und er bot im März 1934 dem Reichswehrministerium an, einen „Kreis hervorragender Fachleute (…) unter der Wahrung der gebotenen Geheimhaltung planmäßig in den Dienst der (…) Landesverteidigung“ zu stellen. Doch all diese Schritte führten nicht zu den von Schmidt-Ott erhofften Kooperationen mit mächtigen Institutionen des NS-Staates.71 Entweder zogen es diese – wie Hermann Görings Luftfahrtministerium – vor, eigene Forschungskapazitäten aufzubauen oder sie hielten die Notgemeinschaft nicht für eine attraktive Partnerin, weil ihre Zukunft in den Ministerien als ungewiss galt. Abstrahiert man von den vielen Winkelzügen, taktischen Manövern und Intrigen, so bleibt als ausschlaggebender Faktor für Schmidt-Otts Machtverlust und letztlichen Sturz im Juni 1934 der Zerfall jener Strukturen und Handlungsmuster, auf die er seine Dominanz innerhalb der Notgemeinschaft wie deren Stellung im Wissenschaftssystem seit 1920 aufgebaut hatte. Schmidt-Otts Macht hatte erstens darauf beruht, dass er als Vermittler zwischen dem republikanischen Staat und der diesen ablehnenden, zugleich aber auf ihn materiell angewiesenen Professorenschaft benötigt und zugleich aufgrund seines Profils als deutschnationaler Monarchist einerseits, Insider des bürokratischen Apparates andererseits von allen Seiten akzeptiert worden war. Eines solchen Vermittlers bedurften ab 1933 mittelfristig weder die den NS-Staat in ihrer großen Mehrheit bejahenden Professoren 69 70 71
Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 99 ff. Antrag Langes vom 25.10.1933, zit. nach ebenda, S. 117, vgl. Roelcke, Wissenschaft, S. 119. Schmidt-Otts Denkschrift vom 24.3.1934, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 133; zu Schmidt-Otts Aktivitäten zur Stabilisierung der Notgemeinschaft vgl. ebenda, S. 128–134.
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noch die nationalsozialistischen Akademiker, die nun in die Führungsetagen der Ministerien einzogen. Zweitens hatte Schmidt-Ott seine Rolle dadurch autoritativ ausfüllen können, dass er seit den 1880er Jahren ein weit verzweigtes Geflecht von Kontakten mit Honoratioren der Wissenschaft, Industriellen und Ministerialbeamten aufgebaut hatte. Entscheidungen hatte der Notgemeinschaftspräsident informell mit den jeweils an einer Frage Interessierten seines Kontaktnetzes vorbereitet. Dadurch hatte er Konstellationen schaffen können, in denen seine Gegenüber auf gute Beziehungen zu ihm angewiesen blieben und nicht durch Vernetzung untereinander relevante Gegengewichte schaffen konnten. So abgesichert hatte er Entscheidungen ohne große Rücksichtnahme auf Gremien und formalisierte Verfahren treffen können. Der Zerfall dieser Strukturen hatte bereits im Jahr 1930 begonnen, als mit Adolf von Harnack und Arthur Salomonsohn für Schmidt-Ott zentrale Kontaktpersonen zu Wissenschaft und Wirtschaft gestorben waren. Er selbst wurde 1933 schon 73 Jahre alt; ein wichtiger Teil seiner Netzwerke zerfiel schlicht aufgrund von Überalterung. Ein anderer Teil seiner Kontaktleute, sei es in den Forschungseinrichtungen, in den Gremien der Notgemeinschaft, in den Ministerien oder im Reichstag wurde 1933 von den Nationalsozialisten gewaltsam aus ihren Funktionen verdrängt wie Fritz Haber oder doch marginalisiert wie Georg Schreiber (der bis 1934 noch einige Nebenämter wie die Mitgliedschaft in der Historischen Reichskommission bewahren konnte, seinen politischen Einfluss aber 1933 sofort verloren hatte).72 Auch wenn er sie mit Schweigen überging, so erwies sich doch gerade die Vertreibung Habers für Schmidt-Ott als fatal: Während der Weimarer Republik hatte der Chemienobelpreisträger Schmidt-Otts größte Schwäche – die Unfähigkeit zur überzeugenden Argumentation für strategische Konzepte – zuverlässig kompensiert. Im Denkschriftenkrieg der Jahre 1933/34 agierte Schmidt-Ott ohne Habers Unterstützung weitgehend hilflos. Andere wissenschaftliche Honoratioren, auf die Schmidt-Ott in der Vergangenheit gesetzt hatte, blieben zwar in ihren Positionen, gerieten aber unter Druck durch Konkurrenten nationalsozialistischer Provenienz. So musste sich Rudolf Schenck, der Vorsitzende der Notgemeinschaftskommission für Metallforschung, ab Sommer 1933 gegen Versuche des Metallkundlers William Guertler zu Wehr setzen, die Kommission zugunsten einer neuen Organisation aufzulösen, die dieser selbst zu führen gedachte. Guertler, Professor an der Technischen Hochschule Berlin, war schon 1931 der NSDAP beigetreten, galt seinen Kollegen als „Typus des rauhbeinigen SA-Mannes in Uniform“ und warb für ein Forschungsprogramm, das – anders als die bisherigen Gemeinschaftsarbeiten zur Metallforschung – im Interesse einer Autarkiepolitik auf Technologien zielte, mit deren Hilfe Importmetalle durch „deutsche Werkstoffe“ ersetzt werden könnten.73 Im März 1934 konnten Schenck und Schmidt-Ott Guertler noch einmal zu einem Kompromiss zwingen: Er musste den Führungsanspruch der Notgemeinschafts72 73
Vgl. Haar, Historiker, S. 128 und 213. Maier, Forschung, S. 381, vgl. ebenda 377–382 und Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 263–268. Schenck galt in der Weimarer Republik als rechtsstehend, trat aber nach 1933 nicht in die NSDAP ein, vgl. ebenda.
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kommission in der Metallforschung anerkennen, durfte an dieser aber fortan selbst mit mehreren Projekten teilnehmen. Nach Schmidt-Otts Sturz allerdings wurde die Kommission im Oktober 1934 durch eine neu gegründete „Reichsarbeitsgemeinschaft Forschungen auf dem Gebiet der Nichteisenmetalle“ ersetzt, deren Vorsitz Guertler übernahm. Dass eine zu diesem Zeitpunkt erstellte Liste noch laufender Projekte der Kommission nur noch etwa 20 jener 50 Projektleiter verzeichnete, die Anfang 1933 an den Gemeinschaftsarbeiten zur Metallkunde beteiligt gewesen waren, verweist noch einmal darauf, dass Schmidt-Otts Basis innerhalb seiner Klientel seit diesem Zeitpunkt erodiert war.74 Wenn Schmidt-Ott bis zum 23. Juni 1934 im Amt blieb, so war dies nicht seiner Stärke, sondern der bis in den Vormonat hinein unklaren institutionellen Zukunft der Wissenschaftspolitik geschuldet.75 Das Reichsinnenministerium, die Kultusministerien der Länder und Parteistellen wie die Dienststellen des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und des selbstgefühlten Parteiphilosophen der NSDAP, Alfred Rosenberg, hatten jeweils eigene Ansprüche formuliert. Schließlich zog Hitler mit einem Erlass vom 11. Mai 1934 einen vorläufigen Schlussstrich unter diese Konflikte, indem er ein neues „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ gründete und den bisherigen preußischen Kultusminister Bernhard Rust zu dessen Chef ernannte.76 Die im Kern aus Rusts bisherigem Haus stammende Spitze des neuen Ministeriums musste einen Weg finden, wie sie die gerade erst errungene Führungsfunktion in der Wissenschaftspolitik ausbauen, zugleich aber Hitlers verbindlichen Wunsch erfüllen konnte, Johannes Starks Position zu stärken. Wenige Tage bevor Hitler das Reichswissenschaftsministerium Rust übertragen hatte, hatte er Stark empfangen, sich dessen Vorstellungen zur Zentralisierung der Forschungslenkung angehört und Rust am 9. Mai 1934, also zwei Tage vor dessen Bestallung zum Reichsminister, mitteilen lassen, dass er Starks Vorstellungen berücksichtigen solle.77 Als das Ministerium Anfang Juni offiziell seine Tätigkeit aufnahm, entschied sich seine Spitze dafür, Stark an die Spitze der Notgemeinschaft zu stellen. So konnten die Ministerialen zu Lasten eines von ihnen nicht geschätzten Reliktes des alten „Systems“ einem ehrgeizigen Konkurrenten eine Spielwiese eröffnen und ihn zugleich über deren Abhängigkeit von den Geldzuweisungen des Ministeriums unter Kontrolle halten. Schmidt-Otts letzter Anbiederungsversuch in Gestalt einer Denkschrift vom 14. Juni 1934 nutzte ihm daher nichts mehr, obwohl er zum wiederholten Male seine Bereitwilligkeit bekundete, die Förderpolitik der Notgemeinschaft an den Bedürfnissen der „neuen Zeit“ auszurichten und darauf hinwies, dass „die Notgemeinschaft den seit Neuordnung des Reiches maßgeben-
74 75 76 77
Vgl. Maier, Forschung, S. 388. Das damalige Verhältnis des Reichswissenschaftsministeriums zu Schmidt-Ott erhellt sich aus Rusts erfolglosem Vorstoß beim Innenministerium vom September 1933, Schmidt-Otts Pension als preußischer Kultusminister zu kürzen, vgl. Nagel, Bildungsreformer, S. 54. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 133 ff. Einen prägnanten Überblick zu den Akteuren der Wissenschaftspolitik des NS-Regimes gibt Grüttner, Wissenschaftspolitik, S. 559–563. Vgl. Flachowsky. Notgemeinschaft, S. 164.
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den, gewisse Personenkreise ausschließenden Grundsätzen entsprochen“ habe.78 Am 16. Juni verbat ihm das Ministerium, weitere Bewilligungen auszusprechen, eine Woche später eröffnete Rust dem ins Ministerium zitierten Schmidt-Ott, dass Hitler seinen Rücktritt wünsche. Schmidt-Ott reichte selbigen sofort ein; noch am selben Tag übernahm der vom Wissenschaftsministerium zum Präsidenten ernannte Stark die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft.79 Starks einziger Rückhalt war Hitler, aber gerade deshalb sahen Rust und seine Vertrauten in Stark einen Konkurrenten mit Ambitionen, zum „Führer der deutschen Wissenschaft“ aufzusteigen.80 Nennenswerte Kontakte in die an Forschung interessierte Industrie besaß Stark nicht. Der Stifterverband wählte im November 1935 bezeichnenderweise Friedrich Schmidt-Ott zum neuen Vorsitzenden (was er bis 1945 blieb) und markierte somit Distanz zu Stark. In den Honoratiorenkreisen der Wissenschaft hatte sich Stark bis zum Zeitpunkt seiner Ernennung erfolgreich isoliert. Seinen Griff nach der Präsidentschaft der Deutschen Physikalischen Gesellschaft hatte Max von Laue im September 1933 vereitelt. Im Dezember desselben Jahres war Stark aus dem Senat der KWG ausgetreten, weil er sich mit seinen Vorstellungen auch dort nicht hatte durchsetzen können. Einen Monat später war seine Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften am Widerstand der Mitglieder gescheitert.81 Als das Wissenschaftsministerium mit Rundschreiben vom 17. Juli 1934 die Mitgliedsorganisationen der Notgemeinschaft aufforderte, Starks Ernennung zum Präsidenten (zu der Rust de lege gar nicht befugt gewesen war) durch Unterschrift auf einem beigefügten Formular zu bestätigen, taten dies zwar 47 der 57 Angeschriebenen, aber da es sich in der Masse um vom Ministerium direkt abhängige Hochschulrektoren handelte (seit Oktober 1933 wurden die Rektoren von diesem ernannt), besaß dies wenig Gewicht.82 Bemerkenswert war dagegen, dass sich nicht nur der Rektor der Münchner Universität Karl Leopold Escherich, sondern auch vier der fünf Wissenschaftsakademien (Berlin, Göttingen, München und Leipzig) gegen Stark aussprachen, während sich die von Max Planck geführte KWG enthielt. Die Bayerische Akademie teilte dem Ministerium am 24. Juli 1934 mit, man könne von Stark „nicht erwarten, daß er den Überblick besitzt, der für den Präsidenten der Notgemeinschaft bei deren außerordentlich vielseitigen Aufgaben unerläßlich ist und den sein Vorgänger in so ungemein hohem Maße besessen hat“.83 Gleichwohl teilte das Wissenschaftsministerium den Mitgliedern der Notgemeinschaft am 3. August 1934 mit, dass Stark nunmehr bestätigt sei.84 78 79 80 81 82 83 84
Zit. nach ebenda, S. 165. Vgl. Schmidt-Ott, Erlebtes, S. 293 und Zierold, Forschungsförderung, S. 157 f. Schmidt-Otts Vertrauter Schwoerer wurde wenige Wochen später entlassen, vgl. ebenda, S. 178. Als solchen begrüßte ihn der Leipziger Mineraloge Ernst Schiebold in einem Brief vom 8.9.1934, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 167. Vgl. Metzler, Wissenschaft, S. 188. Zur Neuorganisation der Hochschulen nach 1933 vgl. Jahr, Machtübernahme. Zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 176 f. Vgl. das Rundschreiben des Ministeriums an die Mitglieder der Notgemeinschaft vom 17.7.1934, in: UA Halle, Rep. 4, Nr. 157. Vgl. das Rundschreiben des Ministeriums vom 3.8.1934 (in dem von 47 positiven Voten die Rede ist), in: ebenda. Juristisch korrekt war dies nicht, wie das Berliner Amtsgericht der
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Stark verband mit seinem neuen Amt große Hoffnungen; zwei Tage nach seiner Ernennung verkündete er auf einer Tagung in München, die Forschung werde nun grundsätzlich reorganisiert, um das ihr vom „Führer“ gesetzte Ziel zu erreichen, „ausländische Rohstoffe möglichst weitgehend durch heimische, gleichwertige Stoffe zu ersetzen“. Mit dem für ihn typischen drohenden Unterton forderte der Physiker in diesem Zusammenhang, „die Wissenschaftler“ müssten sich nun „in ein positives Verhältnis zur deutschen Volksgemeinschaft und zur nationalsozialistischen Staatsführung setzen“.85 Am 10. und 11. November 1934 veranstaltete Stark in Hannover eine Mitgliederversammlung mit anschließender Kundgebung in der Stadthalle. Vor den Vertretern der Mitgliedsinstitutionen bezeichnete er sich selbst als „Treuhänder der deutschen Forschung“, betonte, dass er erst kürzlich von Hitler persönlich Leitlinien für die Forschungspolitik erhalten habe und fantasierte, dass der Etat der Notgemeinschaft um „ein Vielfaches“ erhöht werde.86 Bei der anschließenden Kundgebung verband er solche Visionen mit einer Darstellung seines innigen Verhältnisses zu Hitler. Er berichtete von ihrer ersten Begegnung vor dem Novemberputsch 1923 und von seiner Diffamierung in den folgenden Jahren als „Hitler-Professor“.87 Kurz: Stark versuchte, bei den ihn skeptisch betrachtenden Wissenschaftsfunktionären Legitimität durch die Betonung seines engen Gefolgschaftsverhältnisses zu Hitler und Gehorsam durch die Herausstellung der ihm künftig angeblich zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erlangen. Inhaltlich sah Stark die Zukunft der Notgemeinschaft in der Konzentration auf Forschungen im Dienste einer deutschen, „später“ (hier schwang die Erwartung einer expansiven Außenpolitik mit) einer „mitteleuropäischen Autarkie“.88 Daher plante Stark neue Großprojekte, etwa zur Silikat-, Faserstoff- und Treibstoffforschung oder zur Erkundung von Rohstofflagerstätten. Symbolisch kam der imaginierte Aufbruch darin zum Ausdruck, dass Stark von der Hannoveraner Versammlung an die bereits 1929 beschlossene, dann aber angesichts der Weltwirtschaftskrise nicht realisierte Umbenennung der Notgemeinschaft in „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) vollzog.89 Im nationalsozialistischen Deutschland konnte die Wissenschaft kaum noch in Not sein, eine Gemeinschaft hatte sie freilich mehr denn je zu sein. Im April 1935 markierte der Umzug der
85 86 87 88 89
DFG mit einem Brief vom 24.12.1936 mitteilen sollte, da bei schriftlicher Abstimmung Einstimmigkeit „zwingend“ vorgeschrieben sei, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 167. Die Heidelberger Akademie hatte zwar zugestimmt, bedauerte aber in einem Brief vom 26.7.1934 gegenüber der Berliner Akademie, dies in Unkenntnis von deren Votum getan zu haben, vgl. Mertens, Würdige, S. 73 und Zierold, Forschungsförderung, S. 175 ff. Nach einem Artikel aus der Bayerischen Staatszeitung über die unter dem Titel „Was ist deutsch?“ veranstaltete Tagung am 25.6.1934, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 174 f. Stark, Aufgaben, S. 13 und 21. Vgl. derselbe, Hitler, S. 8. So argumentierte Stark in seinem Haushaltsentwurf für 1935/36, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 169. Vgl. zum Folgenden ebenda, S. 169 f. und Stark, Aufgaben, S. 17 f. Erstmalig konsequent wurde der Name wohl in der Broschüre nach der Hannoveraner Mitgliederversammlung verwendet, vgl. Stark, Hitler.
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Geschäftsstelle aus dem Berliner Schloss (und damit aus dem Schatten der Monarchie, der Schmidt-Ott und sein Netzwerk immer verbunden geblieben waren) in ein Haus am Berliner Matthäikirchplatz 6 den Neustart der DFG unter Stark.90 Frohen Mutes beantragte Stark Anfang Februar 1935 beim Wissenschaftsministerium für das Haushaltsjahr 1935/36 eine Erhöhung des Etats auf 19,2 Millionen Mark – und erhielt genau jene 4,4 Millionen, über die Schmidt-Ott im Vorjahr hatte verfügen können, erneut aufgestockt durch die Reichsanstalt für Arbeit, diesmal aber nur um 300.000 Mark. Zudem behielt sich das Ministerium vor, über zwei Millionen Mark aus diesem Etat selbst zu disponieren. Für das Haushaltsjahr 1936/37 reduzierte das Ministerium seine Überweisung an die DFG auf zwei Millionen Mark, von denen wiederum eine Million vom Ministerium selbst verteilt werden sollte; der Zuschuss der Arbeitsverwaltung entfiel.91 Aus Starks großen strategischen Plänen konnte folglich nichts werden, vielmehr hatte er fortan den Mangel zu verwalten. Stark hatte die Wirkung seines Verhältnisses zu Hitler überschätzt, und Rusts Ministerium zeigte kein Interesse, einen Konkurrenten materiell aufzubauen. Ein Großteil der seit 1926 betriebenen Gemeinschaftsarbeiten war bereits ab Anfang 1933 stille Tode gestorben, da die sie organisierenden Sonderkommissionen nicht mehr zu Sitzungen einberufen worden waren oder keine Initiativen mehr entfaltet hatten; eine Übersicht vom Februar 1935 verzeichnete nur noch 20 zu größeren Forschungsfeldern arbeitende Kommissionen (gegenüber 40 Ende 1932).92 Nur zum Teil handelte es sich dabei um Sonderkommissionen des alten Musters, teilweise aber auch um jene „Reichs(arbeits)gemeinschaften“, durch welche Stark die alten Kommissionen seit August 1934 zu ersetzen versuchte. Die Zahl dieser Arbeitsgemeinschaften sollte auf fünf oder sechs beschränkt werden, sie selbst gegenüber den Sonderkommissionen noch einmal vergrößerte interdisziplinäre Verbünde bilden.93 Ab Herbst 1934 arbeiteten solche Reichsgemeinschaften unter anderem in den Bereichen Agrarforschung, Mineralogie und Faserforschung. Die erwähnte „Reichsarbeitsgemeinschaft Forschungen auf dem Gebiet der Nichteisenmetalle“ ersetzte im Oktober 1934 Schenks bisherige Sonderkommission Metallforschung und wurde von dessen Konkurrenten Guertler geführt.94 Bereits im August 1934 war die „Reichsgemeinschaft für Deutsche Volksforschung“ gegründet worden, um im Rahmen der DFG all jene geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungen zu koordinieren, die sich dem als Abstammungsgemeinschaft verstandenen Volk verbunden fühlten – sowohl als Gegenstand wie auch als Wertbezug und Adressat.95 Fast 90 Prozent der für die Geisteswissenschaften vorgesehenen Mittel wollte Stark in diesem Schwerpunkt einsetzen.96 90 91 92 93 94 95 96
Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 88. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 180 f. und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 171 f. Vgl. Tabelle 7 im Anhang von Flachowsky, Forschungsgemeinschaft. Vgl. Heiber, Frank, S. 804. Vgl. Stark, Aufgaben, S. 19 und Maier, Forschung, S. 383–388. Vgl. Heiber, Frank. S. 802 ff. und Schmoll, Vermessung, S. 139. Vgl. Haar, Historiker, S. 198.
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Dafür sollten sich die eingebundenen Wissenschaftler unter die autoritäre Führung eines der Ihren begeben – das war ein neues Organisationsprinzip. Der im August 1934 zum Leiter der „Abteilung Volkssprache“ innerhalb der Reichsgemeinschaft ernannte Marburger Ordinarius Walther Mitzka beispielsweise inspizierte mit Hilfe eines von der DFG gestellten Dienstwagens die Arbeiten seiner Kollegen vor Ort und erteilte ihnen explizite Weisungen. Deren Befolgung erzwang Mitzka, durchdrungen von seiner (wie er selbst 1935 notierte) „Führeraufgabe“, indem er dafür sorgte, dass die DFG Fördermittel mit der Auflage vergab, Mitzkas Weisungen zu folgen und im Falle hartnäckiger Renitenz den Entzug der Förderung androhte.97 Die Umstrukturierung der interdisziplinären Forschungsverbünde endete jedoch innerhalb kurzer Frist in Sackgassen, zum einen aus schierem Geldmangel, zum anderen, weil Stark an die Spitze der nach dem „Führerprinzip“ organisierten Reichsgemeinschaften zumeist Wissenschaftler gestellt hatte, die innerhalb ihrer Felder auf starke Opponenten trafen. Guertler etwa konnte sich mittelfristig nicht gegen Werner Köster durchsetzen, der am 1. Juli 1934 die Direktion des in Stuttgart neu aufgebauten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Metallforschung übernommen hatte und im Unterschied zu Guertler durch eine zehnjährige Tätigkeit in Industrielaboren mächtige Unterstützer in der Rüstungsindustrie besaß. Guertlers Niederlage in dieser Konkurrenz wurde im Juli 1936 dadurch besiegelt, dass er die Redaktion der Zeitschrift für Metallkunde an Köster übergeben musste. Bei der Bildung des Reichsforschungsrates im Jahr 1937 wurde Köster, nicht Guertler Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle.98 Die Reichsgemeinschaft für Deutsche Volksforschung stellte (wie die übrigen Reichsgemeinschaften) im Jahr 1937 ihre Tätigkeit ein. Stark hatte 1934 Wissenschaftler an ihre Spitze gestellt, die zumeist dem für die weltanschauliche Schulung der NSDAP zuständigen Amt Alfred Rosenbergs verbunden waren. Da Rosenberg danach strebte, selbst Führer eines nationalsozialistisch umgestalteten Wissenschaftssystems zu werden, war ihm das Reichswissenschaftsministerium in herzlicher Feindschaft zugetan und förderte seine Gefolgsleute grundsätzlich nicht.99 Den finanziellen Mangel verwaltete Stark noch selbstherrlicher als sein Vorgänger. Zunächst einmal bedachte er die von ihm selbst geleitete PhysikalischTechnische Reichsanstalt; allein zwischen Juli 1934 und Januar 1935 bewilligte er ihr 693.000 Mark aus DFG-Mitteln, das entsprach etwa 14 Prozent von deren Jahresetat (inklusive der Sondermittel der Arbeitsverwaltung). Eine Jubiläumsschrift der PTR von 1937 feierte unverhohlen, dass Stark während seiner Präsidentschaft beider Institutionen „den Ausbau der Reichsanstalt“ mit Geldern der Forschungsgemeinschaft finanziert habe.100 In den Naturwissenschaften entschied 97
Schreiben Mitzkas an Wildhagen vom 12.3.1935, zit. nach Ehlers, Wille, S. 206; vgl. ebenda, S. 202–214. 98 Vgl. Maier, Forschung, S. 440. 99 Vgl. Heiber, Frank, S. 803 f. Zu Rosenberg vgl. Bollmus, Amt. Walter Mitzka allerdings wurde von der DFG auch nach Auflösung der Reichsgemeinschaft für Volksforschung als Leiter der von ihr geförderten Wörterbuchprojekte bestätigt. 100 Zit. nach Mertens, Würdige, S. 112; vgl. ebenda, S. 108–114.
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Stark auch jenseits seines eigenen Fachgebietes manche Anträge, ohne überhaupt Gutachter beizuziehen. In den meisten Fällen aber wählten er und die Referenten der Geschäftsstelle nach eigenem Gusto Gutachter aus, ohne die Mitglieder der 1933 gewählten Fachausschüsse zu berücksichtigen. Alfred Stock, offiziell noch immer Vorsitzender des Fachausschusses Chemie, fragte im Oktober 1935 irritiert bei Stark nach, warum er „seit Monaten“ keine Anträge zur Begutachtung erhalten habe.101 Ende Januar 1936 traten sowohl der Vorsitzende des Fachausschusses Neuere Philologie, Edward Schröder, als auch der Mineraloge Gottlob Linck, die beide der Notgemeinschaft seit ihrer Gründung als Fachgutachter gedient hatten, von ihren Funktionen zurück, um damit gegen das Übergehen ihrer Ausschüsse zu protestieren.102 Die von Stark eigenmächtig zu Gutachtern Bestellten hielten die Anfragen mitunter für „Irrläufer“ und fragten verwundert in der Geschäftsstelle nach, warum nicht die gewählten Fachgutachter herangezogen würden.103 Stark pflegte dies mit dem lapidaren Hinweis auf die „grossen personellen und sachlichen Umwälzungen“ seit 1933 zu begründen, musste aber zur Kenntnis nehmen, dass die Akzeptanz der von ihm zur Seite geschobenen „alten Fachausschüsse“ innerhalb der Wissenschaft immer noch hoch war.104 Starks Eigenmächtigkeiten behinderten sogar die vom Ministerium mit seinem Amtsantritt eingeführte systematische Gesinnungsprüfung der Antragsteller. Am 1. Juli 1934 war zu diesem Zweck innerhalb der Geschäftsstelle ein Personalamt unter Johannes Weniger eingerichtet worden, der vor 1933 in Göttingen in jener SS-Standarte 51 aktiv gewesen war, der auch mehrere inzwischen an der Spitze des Rust’schen Ministeriums tätige Nachwuchswissenschaftler angehört hatten. Sein Personalamt sollte zu allen Antragstellern, deren nationalsozialistische Haltung nicht bereits bekannt war, politische Beurteilungen der im März 1934 an den Hochschulen eingesetzten NS-Dozentenschaftsführer einholen, mitunter ergänzt durch Berichte örtlicher Parteistellen und der Gestapo. Für den Zeitraum bis 1937 hat Lothar Mertens 1.140 solcher Gutachten ausfindig machen können.105 Weniger allerdings wurde bereits im März 1935 von Stark entlassen und behauptete nun dem Ministerium gegenüber, „in den weitaus meisten Fällen“ habe Stark über die Anträge bereits entschieden gehabt, bevor er selbst habe Stellung nehmen können; er habe dann Stark nur nachträglich Informationen zuleiten können, ohne dass dies den Gang der Dinge beeinflusst habe.106 Zwar verfälschte diese Darstellung durch Übertreibung – Mertens zeigt an vielen Beispielen, dass die politischen Gutachten sehr wohl entscheidungsrelevant sein konnten –, beschreibt aber in der Tendenz treffend die Folgen von Starks Neigung zu autokratischen Entscheidungen. 101 Brief Stocks an Stark vom 7.10.1935, zit. nach ebenda, S. 81. Vgl. Richter, Forschungsförderung, S. 21. 102 Vgl. Mertens, Würdige, S. 81. 103 Brief des Hallenser Zoologen Buddenbrock an die DFG, zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 199. 104 Brief Starks an Linck vom 21.1.1936, zit. nach Mertens, Würdige, S. 81. 105 Vgl. ebenda, S. 18 und 23. 106 Brief Wenigers an Theodor Vahlen vom 28.3.1935, zit. nach ebenda, S. 134.
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Wenigers Auftrag war nicht auf die Gesinnungsprüfung von Antragstellern begrenzt gewesen, vielmehr hatte ihn das Wissenschaftsministerium in der DFGGeschäftsstelle als „Verstärkung der dort nur sehr schwach vertretenen nationalsozialistischen Gesinnung“ platziert, so notierte es im April 1935 der im Ministerium für die DFG zuständige Rudolf Mentzel.107 Das Misstrauen der ab Sommer 1934 im Ministerium dominierenden Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler galt zwar auch dem noch aus der Ära Schmidt-Ott stammenden Personal der Geschäftsstelle, vor allem aber Starks Ehrgeiz. Ab Oktober 1934 arbeitete man im Ministerium zielstrebig daran, Starks Spielräume zu beschneiden, spätestens ab Dezember desselben Jahres an seinem Sturz und der Überführung der DFG in eine neue, vom Ministerium direkt zu steuernde Organisation. Bevor die weitere Entwicklung geschildert wird, müssen die wichtigsten Akteure innerhalb des Ministeriums charakterisiert werden, denn sie sollten bis 1945 die Geschichte der DFG prägen. Der nominell bedeutendste Akteur war der Minister. Bernhard Rust, 1883 in Hannover geboren und seit 1911 dort als Gymnasiallehrer tätig, war 1933 zum preußischen Kultus- und ein Jahr später zum Reichserziehungs- und Wissenschaftsminister aufgestiegen, weil er sich in Hitlers Augen drei Verdienste erworben hatte: Am Ersten Weltkrieg hatte er von Anfang bis Ende als Frontoffizier teilgenommen, war hoch dekoriert, aber auch schwer verwundet worden. Zwischen 1920 und 1924 war er beim Kapp-Putsch in Hannover und verschiedenen Organisationsversuchen der völkischen Bewegung in Norddeutschland aktiv geworden; für die NSDAP hatte er von 1925 an den Gau Hannover als Gauleiter aufgebaut, die Organisation und Propagandaarbeit seines Gaus galten um 1933 innerhalb der Partei als vorbildlich. Als Minister erschien Rust jedoch Kollegen und Konkurrenten, wie dann auch den meisten Historikern, als wenig durchsetzungsfähig. Josef Goebbels, der zunächst selbst auf den Posten des Kultusministers spekuliert hatte, bedachte seinen zeitweiligen Konkurrenten mit heftigen Invektiven („absoluter Hohlkopf “, „nicht ganz zurechnungsfähig“), die später umstandslos Eingang in die Einschätzungen der Historiographie gefunden haben.108 Richtig ist, dass sich der ehemalige Lehrer Rust eher für das Aufgabengebiet Schule seines Ressorts interessierte als für die Wissenschaftspolitik; diese überließ er weitgehend den Beamten der entsprechenden Abteilung. Zudem war sich Rust bewusst, dass sein Ministerium auf allen Aufgabenfeldern gewichtigen Konkurrenten gegenüberstand und für sich genommen zu schwach war, um sich gegen diese durchzusetzen. Daher blieb seine Politik bis 1945 von dem Bemühen gekennzeichnet, Bündnisse mit mächtigeren Instanzen des Regimes zu suchen. Für die Forschungspolitik bedeutete dies, dass Rust und seine Beamten ihr Haus dem Reichswehrministerium als jene Institution andienten, die am effektivsten die Ressourcen der Hochschulen, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der na-
107 Vermerk Mentzels vom 30.4.1935, zit. nach ebenda S. 132. 108 Zit. nach Grüttner, Wissenschaft, S. 135. Zur Konkurrenz von Goebbels und Rust vgl. Nagel, Universität und Pedersen, Rust, S. 24 f. und 81–88.
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turwissenschaftlich-technischen Reichsanstalten für die Rüstungsforschung würde mobilisieren können.109 Mit dieser Strategie war Rust durchaus erfolgreich; bereits im Sommer 1933 traf er erste Vereinbarungen mit der Reichswehrführung. Am 25. Juni 1934 rief Rust in seinem gerade neugebildeten Reichsministerium eine Forschungsabteilung ins Leben, die Abteilung Wissenschaft II (W II), während sich die Abteilung Wissenschaft I der Hochschulpolitik widmete. An die Spitze der neuen Abteilung W II stellte er mit dem Physiker Erich Schumann den Leiter der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes (HWA); die enge Kooperation von Wissenschaftsund Reichswehrministerium war damit institutionalisiert. Der 1898 geborene Schumann hatte als Fliegeroffizier im Ersten Weltkrieg gedient, dann Physik und Musikwissenschaften studiert und war 1922 in Berlin promoviert worden. Im Jahr 1926 war er in den Dienst des Reichswehrministeriums getreten und 1929 an der Berliner Universität habilitiert worden. Im selben Jahr innerhalb des Heereswaffenamtes zum Leiter der für Physik und Chemie zuständigen Dienststelle aufgestiegen, sollte es Schumann bis 1938 zum obersten Wissenschaftler des Heeres im Range eines Generalmajors bringen.110 Schumann agierte in seiner Doppelfunktion „als eine Art Scharnier zwischen Reichskriegs- und Reichserziehungsministerium“, versah aber weiter hauptamtlich seine Funktion im Heereswaffenamt.111 Daher wurde im Wissenschaftsministerium sein Vertrauter und Stellvertreter in der Leitung der Abteilung W II, Rudolf Mentzel, zu deren faktischem Chef; nach Starks Sturz ernannte ihn Rust zudem im November 1936 zum Präsidenten der DFG. Im März 1937 wurde Mentzel Geschäftsführer des neu gegründeten Reichsforschungsrates (RFR). Seine Funktion im Ministerium behielt Mentzel weiterhin und verkörperte dort wie in seinen neuen Ämtern das Bündnis des Wissenschaftsministeriums mit dem Heereswaffenamt. Mentzels Karriere beruhte nicht allein auf individuellen Eigenschaften, auch wenn es ihm in der permanenten Konkurrenzsituation des NS-Systems zugutegekommen sein dürfte, dass er von seinen Vorgesetzten, Mitarbeitern, Partnern und Konkurrenten als ein Akteur gesehen wurde, der seine Interessen „wenn nötig rücksichtslos“ vertrat.112 Wichtiger war, dass Mentzel als Teil einer Gruppe handelte, die ihre gemeinsamen sowie die Einzelinteressen ihrer Mitglieder über einen langen Zeitraum arbeitsteilig, geschlossen und kämpferisch vertrat. Die meisten Mitglieder waren einander durch eine gemeinsame Vergangenheit als junge Naturwissenschaftler der Universität Göttingen und zugleich als frühe Aktivisten der dortigen NSDAP verbunden.113 Den Kern der Gruppe bildeten neben Mentzel der Agrarwissenschaftler Konrad Meyer und der Chemiker Peter Adolf Thiessen, die ab 1937 im von Mentzel geführten Reichsforschungsrat die Fachsparten Landbauwissenschaft und Biologie bzw. Allgemeine 109 Zu Rust vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 134 ff. 110 Vgl. ebenda, S. 138 und 145–148, Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 278 ff., Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 134–158 und Ciesla, Heereswaffenamt. 111 Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 279. 112 Personalbericht des SS-Abschnitts III vom 10.10.1934, zit. nach Heiber, Frank, S. 833. 113 Vgl. zur „Göttinger Clique“ Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 274–280.
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und anorganische Chemie leiten und bis 1945 die mächtigsten Repräsentanten ihrer Disziplinen bleiben sollten. Alle drei waren etwa gleich alt, nämlich 1899 (Thiessen), 1900 (Mentzel) und 1901 (Meyer) geboren, hatten sich bereits in den 1920er Jahren völkischen und paramilitärischen Organisationen angeschlossen sowie während ihrer Zeit als Nachwuchswissenschaftler in Göttingen den Weg zur NSDAP sowie in die SS-Standarte 51 gefunden. Bis Juni 1934 hatten alle drei Funktionen im Reichswissenschaftsministerium übernommen, wobei sie davon profitierten, dass sie ihrem Minister aus dessen Tätigkeit als Gauleiter bekannt waren. Sie zogen im Lauf der Zeit weitere Kameraden nach, etwa den erwähnten Johannes Weniger, oder den Biologen Walter Greite, der 1931 in die Göttinger NSDAP eingetreten und ein Jahr später an der dortigen Universität promoviert worden war. Ab 1935 arbeitete er als Referent für Biologie und Leiter der Personalstelle in der DFG-Geschäftsstelle. Vervollständigt wurde die Gruppe im Lauf der Zeit durch Männer wie den Volkskundler Heinrich Harmjanz, auch er früher Parteigenosse (1930) sowie SS-Mitglied (1931) und wie die übrigen Mitglieder der Gruppe von einer „etwas burschikosen und ganz und gar unbürokratischen Art“; ihn holte Mentzel 1937 von der Universität Königsberg als Referenten für die geisteswissenschaftliche Forschung ins Ministerium.114 Spätestens ab 1937 verband Mentzel zudem eine Duzfreundschaft mit Ernst Telschow, seit Oktober 1933 einer der Geschäftsführer und ab Juli 1937 Generalsekretär der KaiserWilhelm-Gesellschaft.115 Der am 28. April 1900 in Bremen geborene Rudolf Mentzel hatte noch in den letzten Monaten des Ersten Weltkrieges als Soldat an diesem teilgenommen. Nach dem Kriegsende hatte er im Februar 1919 in Göttingen zunächst ein Mathematikstudium begonnen, um im Herbst 1921 zur Chemie zu wechseln; im März 1925 wurde er am Institut des Nobelpreisträgers Adolf Windau promoviert. Das Studium hatte Mentzel mehrfach unterbrochen, um an Einsätzen rechtsradikaler Freikorps teilzunehmen, so 1920 beim Kapp-Putsch und 1921 während der Kämpfe zwischen deutschen und polnischen Nationalisten in Oberschlesien. Bereits 1922 war er in die NSDAP und die SA eingetreten; zwischen Juni 1930 und Juni 1933 baute Mentzel als Ortsgruppen- bzw. Kreisleiter die Partei in Stadt und Landkreis Göttingen auf. Im Juni 1932 wurde er zudem in die SS aufgenommen und führte ab Januar 1933 den Göttinger Sturmbann I der SS-Standarte 51.116 An Windaus Institut arbeitete Mentzel seit Juni 1926 als Assistent des Abteilungsleiters für anorganische Chemie, Gerhart Jander. Der 1892 geborene und 1921 in Göttingen bei dem Nobelpreisträger Richard Zsigmondy habilitierte Jander war 1925 der NSDAP beigetreten; unterstützt von Mentzel arbeitete er ab 1926 114 Heiber, Frank, S. 648, vgl. ebenda, S. 648 ff. Zu Greite vgl. Mertens, Würdige, S. 31, 102 f. und 131. Heiber, Frank, S. 828, hält dagegen Greite nicht für einen Kompagnon Mentzels, da er „zu der Butenandt-Gruppe“ gehört habe. Freilich müssen sich beide Affiliationen nicht ausschließen. 115 Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 279 f. 116 Vgl. Mentzels handgeschriebenen Lebenslauf vom 5.10.1933, http://www.ifz-muenchen. de/archiv/zs/zs-0554.pdf, S. 8–12 (zuletzt besucht am 14.10.2016) und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 130 ff.
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im Auftrag des Heereswaffenamtes in der Chemiewaffenforschung. Damals begann Mentzels Kooperation mit dem im HWA für diese Forschung zuständigen Schumann.117 Als Jander auf Betreiben des Reichswehrministeriums und wohl auch seines zum preußischen Kultusminister aufgestiegenen Gauleiters im November 1933 die Nachfolge des vertriebenen Haber als Direktor des KWI für Physikalische Chemie antrat, folgte ihm Mentzel als Abteilungsleiter nach Berlin.118 Zuvor war Mentzel im Juli 1933 an der Universität Greifswald habilitiert worden, nach Angaben des zuständigen Dekans „auf Veranlassung des Kultus- und des Reichswehrministeriums“.119 Mentzels Habilitationsschrift beschäftigte sich mit der Frage, wie chemische Kampfstoffe Gasmasken durchdringen könnten, galt daher als geheimhaltungsbedürftig und durfte außer von den Gutachtern von keinem Fakultätsmitglied eingesehen werden. Der begutachtende Professor Walter Hückel bescheinigte Mentzel, von „verhältnismässig primitiven Vorstellungen“ ausgegangen zu sein; die Leistung sei für eine Habilitation „im üblichen Sinne nicht ausreichend“, aber da er „zweifellos eine starke praktische Begabung“ besitze, könne man ihn habilitieren, wenn dies seiner Verwendung im Ministerium dienlich sei.120 Als KWI-Abteilungsleiter setzte Mentzel die Kooperation mit Schumanns HWA fort, sodass es nur folgerichtig war, dass Rust mit Einrichtung einer Forschungsabteilung im Wissenschaftsministerium unter Schumanns nomineller Leitung am 12. Juni 1934 dessen bewährten Partner ins Ministerium berief und zum faktischen Chef der Abteilung machte – zumal Mentzel dem Minister-Gauleiter als sein jahrelanger Kreisleiter in Göttingen vertraut war.121 Auf Vorschlag von General Karl Becker, des Chefs der für technisches Prüfwesen zuständigen Amtsgruppe im Heereswaffenamt, ernannte Rust Mentzel einen Monat später zum außerordentlichen Professor an der TH Berlin. Ende 1935 wurde er zum ordentlichen Professor für Wehrchemie an der inzwischen eingerichteten und von Becker als Dekan geleiteten Wehrtechnischen Fakultät der TH ernannt.122 Für Lehre und Forschung hatte der Wissenschaftsmanager Mentzel weder Zeit noch Interesse; aber er und seine Vorgesetzten legten offensichtlich Wert darauf, dass 117 Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 273 f., Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 134–137, Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 148 ff., Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 48 ff. und 54–59 sowie Mentzels 1981 verfasste „Erinnerungen an Bernhard Rust“, in: Pedersen, Rust, S. 363. 118 Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 62–74. 119 Schreiben des Dekans der Greifswalder Philosophischen Fakultät an das Kultusministerium vom 14.7.1933, zit. nach Eibl, Physikochemiker, S. 78. 120 Hückels Gutachten, hier zit. nach der Wiedergabe in Gerhart Janders an die Führung des NS-Dozentenbundes gerichteten Gutachten über Mentzel vom 2.12.1935, in: BArch-M, RL 3/56, fol 98–104, hier fol. 100 f. Vgl. Eberle, Instrument, S. 505 f. 121 Mentzel führte in seiner Vernehmung durch den alliierten Ankläger Beauvais vom 17.6.1947 die Übernahme ins Ministeriums auf sein „sehr gutes Verhältnis“ zu Rust zurück, http:// www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-0554.pdf, S. 22 (zuletzt besucht am 14.10.2016). 122 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 152. Zur 1933 eingerichteten Wehrtechnischen Fakultät der TH Berlin vgl. Reichherzer, Front, S. 167 f. und Ludwig, Technik, S. 220 ff.
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der oberste Forschungsorganisator des Ministeriums qua Ordinarien-Status mit seinen Gegenübern aus der akademischen Wissenschaft auf Augenhöhe verkehren konnte. Gemeinsam mit Mentzel wurde am 12. Juni 1934 mit Peter Adolf Thiessen ein weiterer Abteilungsleiter des KWI für Physikalische Chemie ins Wissenschaftsministerium berufen. Thiessen hatte bereits seit Januar desselben Jahres im Ministerium mitgearbeitet, nun galt er auch offiziell als nebenamtlicher Referent der Hochschulabteilung W I, für die er bis ins Frühjahr 1937 Fragen der Hochschulreform, aber auch der „Entjudung“ der Universitäten bearbeitete. Auf Thiessens Vorarbeiten ging beispielsweise der Erlass des Reichswissenschaftsministeriums vom 15. April 1937 zurück, der jüdischen Deutschen die Promotion verbot.123 Thiessen, am 6. April 1899 im schlesischen Schweidnitz geboren, war im Ersten Weltkrieg Soldat geworden, hatte 1919 das Chemiestudium aufgenommen, war 1923 in Göttingen bei Zsigmondy promoviert worden und hatte sich 1926 als dessen Assistent habilitiert. Ab 1927 vertrat Thiessen den zunächst erkrankten, 1931 dann verstorbenen Zsigmondy und wurde im Dezember 1932 zum außerordentlichen Professor ernannt. Wie Mentzel hatte sich auch Thiessen während des Studiums den Freikorps angeschlossen und war bereits 1922 in die NSDAP eingetreten. Ebenfalls wie Mentzel war er 1923 auch Mitglied der Göttinger SA geworden, die zu diesem Zeitpunkt von Gerhart Janders Bruder, dem Chemiestudenten Wilhelm Jander, gegründet worden war. Im Interesse einer reibungslosen Habilitation war Thiessen allerdings 1926 aus Partei und SA ausgetreten, was ihm 1933 nicht zum Nachteil gereichte, weil die NSDAP ihn noch im April wiederaufnahm. Wenig später trat Thiessen der SS bei und wechselte wie Mentzel mit Jander an das KWI für Physikalische Chemie. Auch Thiessen hatte in der Weimarer Republik Kontakte zur Reichswehr gepflegt und ab 1931 mehrfach Offizierskurse absolviert. So konnte er im Mai 1935 Gerhart Janders Posten als KWI-Direktor übernehmen, als dieser auf eine Greifswalder Professur abgeschoben wurde.124 Wie eng sich Thiessens Verhältnis zu Mentzel gestaltete, geht daraus hervor, dass beider Familien fortan gemeinsam in der früher von Haber bewohnten Dienstvilla des KWI in Dahlem lebten.125 Das dritte Kernmitglied der Göttinger Gruppe, der am 15. Mai 1901 im niedersächsischen Salzderhelden geborene Konrad Meyer, hatte ab 1921 in Göttingen Agrarwissenschaften, Biologie und Volkswirtschaft studiert. Im Jahr 1925 promoviert arbeitete Meyer seit 1927 als Assistent am Göttinger Institut für Pflanzenbau, wo er sich im Februar 1930 habilitieren konnte. Zuvor in der völkischen Jugendbewegung aktiv trat Meyer am 1. Februar 1932 in die NSDAP ein und wurde unter dem Kreisleiter Mentzel Stadtverordneter in Göttingen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gehörte Meyer zu den treibenden Akteuren bei der „Säuberung“ der Göttinger Universität; noch in seiner am Anfang 123 Vgl. Eibl, Physikochemiker, S. 112–130 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 139 ff. 124 Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 545 f., Eibl, Physikochemiker, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 125–130, Schmaltz, Thiessen, S. 312 ff. und derselbe, Kampfstoff-Forschung, S. 59–62 und 86–100. 125 Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 277.
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der 1970er Jahre verfassten Autobiographie hielt er dies für eine legitime „Bereinigung des im Weimarer System stark verjudeten Hochschulkörpers“.126 Im Juni 1933 avancierte er zum „Hauptschulungsleiter für Rasse und Siedlung“ in der Göttinger SS-Standarte 51, aber schon im Oktober desselben Jahres verließ Meyer die Stadt, weil ihn Rust als Referenten ins preußische Kultusministerium holte.127 Dort – und ab Juni 1934 im neuen Reichsministerium – bearbeitete er die Angelegenheiten der Landwirtschaftlichen und Tierärztlichen Hochschulen. Zugleich wurde Meyer durch agrarwissenschaftliche Ordinariate zunächst im April 1934 in Jena, ab November desselben Jahres in Berlin nicht nur alimentiert, sondern auch für Führungsaufgaben in dieser Disziplin aufgebaut. Von dieser Basis aus, mit Unterstützung durch Mentzel und Rust sowie dank seiner Kontakte in die SS hinein, etablierte sich Meyer in den folgenden Jahren als zentraler Organisator all jener Forschungen, die eine genuin nationalsozialistische Raum- und Siedlungsplanung ermöglichen sollten. Am 21. Mai 1935 wurde er durch einen gemeinsamen Erlass Rusts und des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Walther Darré zum „Obmann“ des neu gegründeten „Forschungsdienstes“ berufen, einer Dachorganisation für die Agrarwissenschaften, finanziert durch das Ernährungsministerium, den Reichsnährstand, die Landwirtschaftsverbände und die DFG. Der Forschungsdienst wurde in acht „Reichsarbeitsgemeinschaften“ (zum Beispiel für Pflanzenbau, für Viehzucht, aber auch für Agrarpolitik) gegliedert, die unter Führung eines von Meyer ernannten Obmannes jeweils die Wissenschaftler eines Forschungsfeldes koordinierten. Zum Zeitpunkt seiner Gründung erfüllte der Forschungsdienst vor allem den Zweck, die seit 1933 boomende „völkisch-esoterische“ Agrarforschung zugunsten einer „pragmatischen Erzeugungsforschung“ zurückzudrängen.128 Meyers Aufstieg war nur dadurch möglich geworden, dass er ein halbes Jahr vor Gründung des Forschungsdienstes durch Intrigen dafür gesorgt hatte, dass die bis dahin führende Einrichtung wissenschaftlicher Agrarpolitik, das im Jahr 1921 von dem Berliner Agrarökonomen Max Sering gegründete Deutsche Forschungsinstitut für Agrarund Siedlungswesen, aufgelöst worden war. Der 77jährige nationalkonservative Institutsdirektor Sering war lange Zeit die unangefochtene Autorität der deutschen Agrarwissenschaften gewesen. Indem Meyer ihm seine institutionelle Basis nahm, schaltete er Sering politisch aus und etablierte sich schließlich mit Gründung des Forschungsdienstes an seiner Stelle an der Spitze der deutschen Agrarwissenschaften.129 Am 16. Dezember 1935 übernahm Meyer im nächsten Schritt bei Gründung der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“, einer Parallelorganisation zum Forschungsdienst, deren Leitung. Die Reichsarbeitsgemeinschaft richtete 126 Meyer, Über Höhen und Tiefen. Ein Lebensbericht. MS. Manuskript, o. O. o. J. (1973), S. 74, in: BArch, N 1561/24. 127 Vgl. zu Meyer und seinen Funktionen Flachowsky, Forschungsförderung, S. 141–145, sowie Kegler/Stiller, Meyer. 128 Oberkrome, Ordnung, S. 104 und 92. Vgl. zu den Vertretern der esoterischen Agrarforschung ebenda, S. 105–111 und zum Forschungsdienst umfassend ebenda, S. 115–184. 129 Vgl. Stoehr, Sering und Oberkrome, Ordnung, S. 198 ff.
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neun zentrale Arbeitskreise ein (zum Beispiel „Volkskraft, Volksdichte, Arbeitseinsatz“, „Bodenschätze“ oder „Gesundung der Ballungsräume“) und baute an 40 Hochschulen interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaften auf.130 Mit der Personalunion beider Dachorganisationen verkörperte Meyer die Leitidee nationalsozialistischer Raumplanung, diese von der ländlichen Siedlung her zu entwickeln. Und so wie Mentzel und Thiessen für das Bündnis von Wissenschaftsministerium und Heereswaffenamt standen, so fungierte Meyer als Scharnier zwischen dem Ministerium und den Siedlungsplanern der SS. Die ab Juni 1934 im Wissenschaftsministerium dominante Gruppe um Mentzel suchte nach Möglichkeiten, sich selbst und damit ihr Haus innerhalb der Konkurrenz um eine politische Steuerung der Forschung zu behaupten. Eine Fülle von Akteuren, darunter vor allem das Amt Rosenberg, Görings Luftwaffe, ab 1936 auch die ihm unterstehende Vierjahresplanbehörde, Heer und Marine, die großen Industriekonzerne und jede Menge kleiner Möchtegern-Führer wie Stark rangen miteinander und intrigierten gegeneinander, ohne dass einer von ihnen stark genug gewesen wäre, alle anderen zu deklassieren. In dieser Konstellation versuchte Mentzels Gruppe systematisch, die eigene Position dadurch zu stärken, dass sie sich sowohl dem Reichswehrministerium als auch der SS als Koordinations- und Führungsorgan für die von diesen Stellen nachgefragte Forschung anbot. Der Wehrmachtsführung versprach man die Mobilisierung der Hochschul-, KWG- und Akademieforschung für ihre Zwecke, der SS Ressourcen für Himmlers individuelle Forschungsinteressen und für Projekte seines Sicherheitsdienstes (SD). Wie ein Vermerk des Gestapo-Organisationschefs Werner Best vom März 1935 belegt, galt Mentzel dem SD zu diesem Zeitpunkt als sein Vertrauensmann im Wissenschaftsministerium. Nachdem Mentzel Präsident der DFG geworden war, beteiligte sich diese ab 1937 mit 24.000 Reichsmark pro Jahr an der Finanzierung des Wannsee-Institutes, das dem SD zur „Gegnerforschung“ in Osteuropa diente. Im April 1937 wurde Mentzel innerhalb der SS dem Persönlichen Stab des Reichsführers zugeteilt, was faktisch wenig bedeutete, symbolisch dagegen eine besondere Nähe zu Himmler signalisierte.131 Starks DFG stand der Gruppe um Mentzel aus drei Gründen im Weg. Erstens verhinderte eine Organisation, die nach eigenen Plänen Forschung förderte, ein Monopol des Ministeriums auf Steuerung der akademischen Forschung. Zweitens bedrohte Starks Führungsanspruch, der auf seinem persönlichen Verhältnis zu Hitler beruhte, die Macht des Ministeriums, zumal er sich mit dessen Konkurrenten Alfred Rosenberg verbündete. Und drittens hielten Mentzel & Co. den querulatorischen Egomanen Stark für unfähig, die Forschung effizient in den Dienst der rüstungs- und rassenpolitischen Ziele des NS-Regimes allgemein und ihrer Bündnispartner im Besonderen zu stellen. Ab Herbst 1934 arbeitete Mentzel gezielt darauf hin, zunächst Starks Spielräume einzuschränken, dann ihn zu stürzen und die DFG unmittelbar der For130 Vgl. Leendertz, Reichsarbeitsgemeinschaft, S. 116 f. 131 Vgl. Bests Vermerk vom 22.3.1935 http://www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-0554.pdf, S. 11 (zuletzt besucht am 14.10.2016) und Schmaltz, Thiessen, S. 315. Zum Wannsee-Institut vgl. Botsch, Ostforschung.
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schungsabteilung des Wissenschaftsministeriums unterzuordnen. Zum ersten offenen Konflikt kam es auf einer Sitzung mehrerer Ministerien und Reichsämter am 10. Oktober 1934, in der es um die Umstellung der Rohstoffwirtschaft auf autarkiepolitische Strategien ging. Als Stark hier den Versuch unternahm, die DFG als jene Organisation zu profilieren, die allein in der Lage sei, die gesamte Breite der Forschungseinrichtungen für die Autarkiepolitik zu mobilisieren, fuhr ihm Mentzel in die Parade: Die DFG, so betonte er, sei nur eine seinem Ministerium „unterstehende Stelle“, die nicht selbständig agieren könne. Allein die Forschungsabteilung des Ministeriums sei zur gezielten Steuerung „der reinen und angewandten Forschung“ in der Lage und werde dies künftig in Bezug auf die Rohstofffragen zusammen mit allen interessierten Stellen, „insbesondere“ aber in Kooperation mit der Wehrmacht in einer neuen organisatorischen Form tun.132 Stark nahm zwar die offen formulierte Bedrohung seiner Position zur Kenntnis, blieb aber im Vertrauen auf seine Beziehungen optimistisch. Wie erwähnt setzte er sich auf der DFG-Mitgliederversammlung in Hannover am 10. und 11. November 1934 als enger Gefolgsmann seines „Führers“ in Szene. Zugleich markierte er selbstbewusst seine Distanz zum Ministerium, indem er nicht den Minister – der ja immerhin auch der lokale Gauleiter war –, sondern dessen wissenschafts- und bildungspolitischen Konkurrenten Alfred Rosenberg um eine öffentliche Grundsatzrede zum Thema „Nationalsozialismus und Wissenschaft“ bat. Noch brüskierender war, dass Stark, als Rosenberg kurzfristig absagen musste, die Rede kurzerhand selbst hielt. Am 5. Januar 1935 teilte der DFG-Präsident dem Wissenschaftsministerium mit, er habe einen neuen Hauptausschuss ernannt und für den 12. Januar zu einer ersten Sitzung einberufen. Das mochte dem Führerprinzip entsprechen, konform mit der Satzung der DFG war es nicht. Die Liste der 17 von Stark ernannten Ausschussmitglieder signalisierte Konzessionen an das Rust-Ministerium (Konrad Meyer) und die traditionelle akademische Elite (neben Max Planck als Vertreter der KWG nominierte Stark den Berliner Chirurgen Ferdinand Sauerbruch). Aber in erster Linie reflektierte die Liste Starks Bemühen, die eigene Position zu stärken, indem er sich des Rückhaltes bei Repräsentanten der staatlichen Ressortforschung versicherte (zum Beispiel in Gestalt von Hans Reiter, Präsident des Reichsgesundheitsamtes oder Wilhelm Hoff, Direktor der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt), ebenso bei exponierten Nationalsozialisten unter den Wissenschaftlern (zum Beispiel dem Jenaer Rassenforscher Hans F. K. Günther). Dies misslang gründlich. Das Wissenschaftsministerium teilte den Ausschussmitgliedern, die von ihm abhängig waren, mit, dass es ihr Erscheinen am 12. Januar nicht erlaube. Das Heereswaffenamt und Görings Luftfahrtministerium folgten dieser Linie. Die Sitzung mit den Übriggebliebenen endete für Stark blamabel. Nach seiner Eröffnungsrede traf ein Eilbote des Wissenschaftsministeriums mit der Nachricht ein, das Ministerium wünsche die Konstituierung des Hauptausschusses nicht; damit endete die Sitzung abrupt.133 132 Vermerk Mentzel über die Sitzung vom 10.10.1934, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 174. 133 Vgl. Heiber, Frank, S. 799, Zierold, Forschungsförderung, S. 184 f. und Mertens, Würdige, S. 95–100.
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In den Akten des Wissenschaftsministeriums sind für die Zeit ab Oktober 1934 Hinweise auf Neuordnungspläne zu finden, in deren Zuge die DFG aufgelöst werden sollte. Am 9. Februar 1935 übersandte Rust der Reichskanzlei und seinen Ministerkollegen den „Entwurf eines Gesetzes über die Gründung einer Reichsakademie der Forschung“. Die Akademie sollte an die Stelle der DFG treten und dem Wissenschaftsministerium direkt unterstehen. An Stelle der früheren Fachausschüsse sollten dem Führerprinzip gemäß 34 Wissenschaftler jeweils die Förderung eines abgegrenzten Forschungsgebietes organisieren, zwar „ohne Befehlsgewalt“ gegenüber den Wissenschaftlern, aber doch mit der Autorität eines staatlichen Auftrages – und mit der Entscheidungsgewalt über die Verteilung der staatlichen Fördermittel.134 Diesen Vorstoß des Ministeriums konnte Stark noch abwehren, indem er schriftlich bei Hitler protestierte; die Reichskanzlei nahm den Gesetzentwurf am 22. Februar von der Tagesordnung der nächsten Kabinettsitzung. Allerdings hatte Stark auch die Grenzen seiner vermeintlichen Nahbeziehung zu Hitler zur Kenntnis nehmen müssen, eine von ihm erbetene persönliche Audienz erhielt er nämlich nicht.135 Ende Februar 1935 war ein Patt erreicht – weder Stark noch das Wissenschaftsministerium konnten hoffen, demnächst die Ausschaltung des jeweils anderen aus der Forschungspolitik zu erreichen. Damit begann ein administrativer Kleinkrieg. Das Ministerium sperrte am 25. Februar die Überweisungen an die DFG und zwang so Stark dazu, dem Ministerium künftig Listen der von ihm bewilligten Projekte vorzulegen. Im Gegenzug entließ Stark am 8. März den vom Ministerium entsandten Aufpasser Johannes Weniger. Über immer größere Teile des DFG-Etats behielt sich das Ministerium vorab das Dispositionsrecht vor und entzog so Starks Plänen zum Aufbau einer auf „Reichsgemeinschaften“ gestützten Schwerpunktförderung für ausgewählte Forschungsfelder die materielle Grundlage. Bis auf die Ebene der Einzelfallentscheidung hinab intervenierte das Ministerium fortlaufend, indem es der DFG-Geschäftsstelle Listen zu bewilligender oder abzulehnender Projekte mit der lapidaren Aufforderung übersandte, „das Erforderliche zu veranlassen“.136 Im Gegenzug unterließ es Stark immer wieder einmal, die verlangten Listen bewilligter Projekte vorzulegen. Bei einer Tagung der von dem Rosenberg-Mann Hans Reinerth geleiteten Abteilung Vor- und Frühgeschichte der Reichsgemeinschaft für Deutsche Volksforschung im September 1935 wurde der vom Ministerium entsandte Beobachter an der Tür zurückgewiesen.137 Am Ende des Jahres 1935 bestellte das Wissenschaftsministerium seine Referenten Konrad Meyer und Werner Jansen (der im Ministerium für 134 Der Gesetzentwurf ist abgedruckt in: Zierold, Forschungsförderung, S. 194–197, für das Zitat S. 197. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 174–187, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 165–169 und Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 586. 135 Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 168; auch vonseiten der Parteikanzlei hatte es Einsprüche gegeben, vgl. ebenda, S. 166–169, Zierold, Forschungsförderung, S. 198–206 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 186 f. 136 Schreiben des Ministeriums an die DFG vom 29.3.1935, zit. nach Mertens, Würdige, S. 115. Vgl. zum Kleinkrieg Heiber, Frank, S. 812 ff., Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 170 ff. und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 187. 137 Vgl. Heiber, Frank, S. 250.
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die Hochschulmedizin zuständig war) zu Vizepräsidenten der DFG, die jeweils eigenverantwortlich die Förderung der agrarwissenschaftlichen (Meyer) bzw. medizinischen (Jansen) Forschung organisieren sollten. Am 30. April 1936 verbot Stark den Vizepräsidenten, an ihm vorbei Förderentscheidungen zu treffen. Das Ministerium wiederum verbot ihm am 29. Mai dieses Verbot, worauf Stark erfolglos die beiden Vizepräsidenten aufforderte, ihre Tätigkeit einzustellen.138 Dieses zähe Ringen um jeden Zentimeter Einflussgebiet im administrativen Alltag begleiteten beide Seiten durch wechselseitiges Anschwärzen gegenüber Dritten. Besonders beliebt war der Vorwurf, der andere sei in seinem Antisemitismus lau. So machte Stark Reichsinnenminister Frick Ende Februar 1935 darauf aufmerksam, dass Rust sich von Max Planck beraten lasse, der vor 1933 „der Hauptförderer Einsteins und des jüdischen Einflusses in der Wissenschaft“ gewesen sei. Den so „neu auflebenden jüdisch-demokratischen Einfluss in der Wissenschaft“ müssten „wir alten nationalsozialistischen Kämpfer“ stoppen.139 Rudolf Mentzel dagegen studierte im April 1935 die Listen der längst irrelevant gewordenen Fachausschüsse und vermerkte mit gespielter Empörung, deren Mitglieder seien offenbar „heute noch zum großen Teil jüdisch und liberalistisch“, selbst „Volljuden“ dulde Stark weiterhin in den Ausschüssen. De facto waren die von Mentzel Entdeckten zu einem großen Teil längst aus ihren Ämtern entlassen und aus Deutschland vertrieben.140 Im Februar 1936 konnte das Wissenschaftsministerium registrieren, dass Starks Rückhalt bei Hitler kein relevantes Hindernis für dessen Entmachtung bilden würde. Nachdem Max Planck am 11. Januar 1936 angekündigt hatte, die Präsidentschaft der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft niederlegen zu wollen, warnte Rust in einem Schreiben an Hitler davor, dass Stark auch dieses Amt anstrebe, jedoch von „vielen namhaften führenden Männern und höchsten Staatsstellen abgelehnt“ werde.141 Indem Hitler Rust am 8. Februar 1936 mitteilen ließ, das Ministerium möge die Nachfolge Plancks nach eigenem Ermessen entscheiden, dementierte er Starks Behauptung, ein besonderer Günstling des „Führers“ zu sein. Am 19. Juni 1936 eröffnete das Ministerium die Schlussoffensive gegen Stark, indem es dessen engsten Mitarbeiter Eduard Wildhagen öffentlich, das heißt in einem Artikel der in Dortmund erscheinenden Westfälischen Landeszeitung, denunzieren ließ: Wildhagen habe sich 1929 für Severings im Auftrag „der Juden“ unternommenen Versuch einspannen lassen, Schmidt-Ott als DFG-Präsident zu stürzen, und hinter dessen Rücken gegen seinen Mentor intrigiert. 1932 habe Wildhagen zudem ein Buch herausgegeben, in dem sechs von 19 Autoren Juden gewesen seien, darunter Einstein. Nach 1933 aber habe Wildhagen mit der „einen Hand die alten Fäden“ gezogen, während „sich die andere Hand nun fromm und 138 Vgl. ebenda, S. 844 f. 139 Schreiben Starks an Frick vom 21.2.1935, zit. nach Mertens, Würdige, S. 79. 140 Vermerk Mentzels vom 30.4.1935, zit. nach ebenda, S. 82 f. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 189. 141 Schreiben Rusts an Hitler vom 3.2.1936, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 208. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 191.
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bieder im Hitlergruß“ gereckt habe. Erst die Beseitigung dieser dem Hauptfeind des Nationalsozialismus („den Juden“) hörigen „Grauen Eminenz“ werde einen „30. Januar der Wissenschaft“, also eine NS-Machtergreifung auch in diesem Teilsystem der Gesellschaft ermöglichen.142 Geschrieben hatte den Artikel der Historiker Walter Frank, Leiter des 1935 gegründeten „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“, der so das Wissenschaftsministerium für seine eigenen Ambitionen günstig stimmen wollte, Chefhistoriker des nationalsozialistischen Deutschland zu werden und der sich zugleich dafür rächte, dass Stark auf seine Forderung nicht eingegangen war, ihm „die volle Verantwortung für die geschichtliche Forschungsarbeit“ innerhalb der DFG zu übertragen.143 Mit den Recherchen hatte Frank im Januar/Februar 1936 begonnen, also etwa zu jenem Zeitpunkt, als im Wissenschaftsministerium klar geworden sein dürfte, dass Stark von Hitler letztlich nicht geschützt werden würde. Der Großteil des Materials für den Artikel stammte von Johannes Weniger und dem Indogermanisten Helmut Arntz. Diesen hatte Wildhagen nach halbjähriger Beschäftigung als Referent in der DFG-Geschäftsstelle Ende 1935 entlassen. Von Mentzel hatte Frank Wildhagens Personalakte erhalten, weitere Unterlagen scheinen von Himmlers Sicherheitsdienst gekommen zu sein.144 Eduard Wildhagen war im Oktober 1932 von Schmidt-Ott aus der Notgemeinschaft entlassen worden, wobei unklar bleibt, ob dies mit seiner halbherzigen Illoyalität im Jahr 1929 zu tun hatte (von der Schmidt-Ott erst drei Jahre später erfahren hatte) oder mit Querelen in der von Wildhagen geleiteten Geschäftsstelle des Volkskundeatlas. Immerhin übersandte Schmidt-Ott Wildhagen im Dezember 1932 Weihnachtsgrüße und sprach nur von einer „zeitweiligen Trennung“; zudem zahlte er ihm sein Gehalt weiter.145 Im April 1933 trat Wildhagen in die NSDAP ein und wurde im März 1934 als Referent im preußischen Kultusministerium eingestellt. Mit dem Amtsantritt Starks als Präsident der Notgemeinschaft setzte das Wissenschaftsministerium Wildhagen am 30. Juni 1934 als deren Vizepräsidenten ein. Wie Weniger sollte er Stark für das Ministerium überwachen und zugleich die administrativen Defizite des Präsidenten kompensieren. Wildhagen übernahm de facto die Leitung der DFG-Geschäftsstelle, da Stark in der Regel pro Tag nur für eine halbe Stunde dort zu erscheinen pflegte, sich aber ansonsten in der PTR aufhielt.146 Wildhagen scheint an der mit dieser Konstellation verbundenen Macht Gefallen gefunden zu haben, entzog sich dem Einfluss seiner ministeriellen Gönner und versuchte selbständig zu agieren. Wie Stark bemühte sich auch Wildhagen zu diesem Zweck um Rückhalt bei Alfred Rosenberg. Dieser hatte seit der Früh142 Zit. nach Heiber, Frank, S. 822; vgl. zur „Affäre Wildhagen“ insgesamt ebenda, S. 822–833, Bollmus, Amt, S. 94–97, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 185–193 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 192 ff. 143 Schreiben Franks an die DFG vom 7.2.1936, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 192. 144 Vgl. ebenda, S. 193 f. und Heiber, Frank, S. 827–833. 145 Schreiben Schmidt-Otts an Wildhagen vom 22.12.1932, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 178; vgl. Heiber, Frank, S. 786 und 790 f. 146 Vgl. Heiber, Frank, S. 792–799.
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„Kämpfende Wissenschaft“. Die DFG in den ersten Jahren des NS-Regimes
zeit der NSDAP zu Hitlers unmittelbarer Gefolgschaft gehört, gerierte sich seit der Veröffentlichung seines Buches „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ im Jahr 1930 als Parteiideologe und trachtete nach 1933 danach, sich als oberste Entscheidungsinstanz für alle aus seiner Sicht politikrelevanten Wissenschaftsfelder zu etablieren. Seitdem er im Januar 1934 zum „Beauftragten des Führers für die geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP“ ernannt worden war, besaß Rosenberg zwar einen pompösen Titel und eine Funktion, in der er Autoren als Zensor Schwierigkeiten bereiten konnte, geriet im Konkurrenzkampf der engeren Gefolgschaft Hitlers aber ins Hintertreffen.147 Dass Stark ihn Ende 1934 zum DFG-Ehrenpräsidenten ernannte und Wildhagen auf dem Feld der Geisteswissenschaften erkennbar jene Wissenschaftler bevorzugte, die zu Rosenbergs Entourage gehörten, erwies sich daher als machtpolitischer Fehler. Gegen das Wissenschaftsministerium konnte Rosenberg, dessen Ansehen bei Hitler längst gesunken war, keine relevante Hilfe bieten; zudem brachte die DFG-Spitze jene Instanzen gegen sich auf, die ihrerseits Rosenberg als Konkurrenten betrachteten. Hier ist vor allem SS-Chef Heinrich Himmler zu nennen, der mit der Gründung seiner Wissenschaftsstiftung „Ahnenerbe“ im Juli 1935 bekundete, sich künftig in der Volks- und Rassenforschung zu betätigen, deren Kontrolle bislang Rosenberg (zum Beispiel über die von der DFG finanzierte Reichsgemeinschaft für Deutsche Volksforschung) beansprucht hatte.148 Stark versuchte zunächst, Wildhagen gegen die öffentlichen Vorwürfe zu verteidigen und seinerseits Walter Frank und dessen Hintermann Rudolf Mentzel zu attackieren. Letzterer, so ereiferte sich Stark in einem Schreiben an das Wissenschaftsministerium, könne Wildhagen schon deshalb keine Vorwürfe machen, weil er sich im Streit zwischen „der jüdischen“ und der „völkischen Richtung in der Physik“ auf die Seite Werner Heisenbergs geschlagen habe, des „gegenwärtigen Vorkämpfers für den jüdischen Geist in der Physik“.149 Kurz darauf aber musste Stark einsehen, dass er diesen Konflikt nicht würde gewinnen können: Der Nachdruck von Franks Schmähartikel in mehreren Parteiblättern (der auf eine Initiative aus dem Stab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zurückging) und die offene Unterstützung nicht nur des Wissenschaftsministeriums, sondern auch Himmlers für Frank markierte die Vergeblichkeit weiterer Gegenwehr. Am 12. August 1936 entließ Stark Wildhagen.150 Somit aber hatte sich der im administrativen Alltag hilflose Stark des einzigen Vertrauten beraubt, der bislang eine Niederlage im Kleinkrieg mit dem Wissenschaftsministerium hatte abwenden können. In den folgenden drei Monaten gelang es Mentzel & Co., Stark so in die Enge zu treiben, dass er am 11. November 1936 um seinen Abschied als DFG-Präsident bat. Zuvor hatte Vizepräsident 147 Vgl. Bollmus, Amt und Nagel, Bildungsreformer, S. 123 ff. 148 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 187 f., Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 185 f. und Heiber, Frank, S. 800 f. 149 Schreiben Starks an Staatssekretär Zschintzsch vom 13.7.1936, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 194. Zur Gegenwehr Wildhagens und Starks vgl. ebenda, S. 193 f. und Heiber, Frank, S. 837–842. 150 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 194 und Heiber, Frank, S. 833 und 837.
Sich bekämpfende Wissenschaft
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Jansen eigenmächtig ein Tumorforschungsprogramm initiiert und den beteiligten Forschern großzügig einen Jahresetat von 300.000 Mark in Aussicht gestellt, obwohl die DFG im Etatjahr 1936/37 für die medizinische Forschung insgesamt nur 175.000 Mark hatte ansetzen können. Jansen hatte Stark damit nur die Wahl gelassen, entweder ein von mehreren Ministerien gewünschtes Großprojekt zu blockieren, oder fast ein Drittel seiner inzwischen auf nur noch eine Million Mark zusammengeschrumpften disponiblen Mittel für Jansens Programm einzusetzen. Stark versprach dem Münchner Pathologen Max Borst, der an die Spitze des Tumorforschungsprogramms treten sollte, seine Unterstützung, konnte aber zugleich keine relevanten Summen zusagen. Borst schwante Anfang Oktober 1936, dass Jansen ihn in einem Konflikt mit Stark zu instrumentalisieren versuchte; in einem Brief an Letzteren bedauerte Borst, dass er „in Spannungen hineingestellt worden“ sei, von denen er nichts geahnt habe.151 Der letzte Trumpf des Ministeriums im Kampf gegen Stark bestand in dessen Faible für das Projekt des Zahnarztes Fritz Oberländer, aus den oberbayerischen Mooren Gold zu gewinnen. Stark hatte Oberländer die Rechte an dem von diesem entwickelten Verfahren für 50.000 Mark aus dem Etat der DFG abgekauft, aber das Vorhaben hatte sich als Schimäre erwiesen. Am 26. Oktober 1936 drohte das Wissenschaftsministerium gemeinsam mit dem Reichsrechnungshof Stark, ihn für die verschwendeten Mittel haftbar zu machen. Hierauf verzichtete das Ministerium erst, als Stark seinen Rücktritt versprach; als Abfindung erhielt er noch einige Zusagen zur künftigen Förderung seiner PTR und der Moorgoldforschungen, an denen er stur festhielt. Nachdem Mentzel die Eckpunkte dieser Übereinkunft am 9. November 1936 mit Stark besprochen hatte, reichte dieser zwei Tage später seinen Rücktritt ein, den Rust am 14. November annahm und den Stark wiederum zwei Tage später den Mitgliedsorganisationen der DFG per Rundschreiben mitteilte.152
151 Brief Borsts an Stark vom 8.10.1936, zit. nach Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 82; vgl. ebenda S. 71–85. 152 Vgl. Starks Rundschreiben vom 16.11.1936, in: UA Halle, Rep. 4, Nr. 157, Heiber, Frank, S. 807 und 846, Zierold, Forschungsförderung, S. 189 f., sowie Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 190 und 196 f.
SECHSTES KAPITEL BÜNDNIS DER GENERATIONEN. DFG UND REICHSFORSCHUNGSRAT ZWISCHEN 1937 UND 1945 NATIONALSOZIALISTISCHER PRAGMATISMUS. RUDOLF MENTZEL AN DER SPITZE VON DFG UND REICHSFORSCHUNGSRAT Am 14. November 1936 bestellte Rust Mentzel zum kommissarischen DFG-Präsidenten. Da dieser zugleich im Ministerium Leiter der Forschungsabteilung blieb, war somit der letzte Rest an Selbständigkeit der DFG beseitigt. Von nun an und bis 1945 fungierte sie als weisungsgebundene Untergliederung des Reichswissenschaftsministeriums. An den Hochschulen und Forschungseinrichtungen waren die Reaktionen geteilt. Nachdem Mentzel die Mitgliedsinstitutionen mit einem Schreiben vom 30. November 1936 aufgefordert hatte, seiner Bestallung zum DFG-Präsidenten sowie seiner Ermächtigung zu Satzungsänderungen ohne Einberufung einer Mitgliederversammlung zuzustimmen, bedurfte es einiger Schriftwechsel, bis er das Eintreffen aller Zustimmungen notieren konnte.1 Mehrere Hochschulrektoren gaben bei dieser Gelegenheit in vorsichtigen Wendungen ihren Unmut darüber zu Protokoll, dass das Ministerium die Entscheidung nicht einer Mitgliederversammlung überlassen wollte und sie zu Statisten degradierte. Erst am 5. Februar 1937 konnte Mentzel mitteilen, dass er nun im Vereinsregister als Präsident der DFG eingetragen sei; eine neue Satzung erhielt die DFG durch Beschluss von Rust und Mentzel am 30. Oktober 1937.2 Die Praxis der letzten beiden Amtswechsel, nämlich die Ernennung des Präsidenten durch den Wissenschaftsminister statt seiner Wahl durch die Mitglieder, wurde in der Satzung verankert. Zudem führte man offiziell das Führerprinzip ein: Der DFG-Präsident konnte fortan uneingeschränkt alle Entscheidungen treffen, die Mitgliederversammlung wurde auf eine beratende Funktion reduziert; Gremien wie der Hauptausschuss und die Fachausschüsse wurden abgeschafft. Bereits mehrere Monate zuvor, am 12. Juli 1937, hatte die DFG-Geschäftsstelle den Mitgliedern der Fachausschüsse mitgeteilt, ihre Dienste würden nicht mehr gebraucht, da fortan die
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Vgl. Mentzels Rundschreiben vom 30.11. und 18.12.1936, in: UA Halle, Rep. 4, Nr. 157. Vgl. Mentzels Rundschreiben vom 5.2.1937 in: ebenda und die Satzung vom 30.10.1937, in: BArch, B 227/540.
Nationalsozialistischer Pragmatismus. Rudolf Mentzel
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Fachspartenleiter des im März dieses Jahres gegründeten Reichsforschungsrates allein über Anträge entscheiden würden.3 Auf Zustimmung stieß Mentzels Übernahme der DFG bei den traditionalistischen Honoratioren. Als einer der ersten stimmte KWG-Präsident Max Planck schon fünf Tage nach Mentzels Rundschreiben dessen Berufung mit „besonderer Befriedigung“ zu.4 Mentzel selbst setzte von Beginn an auf die Reaktivierung der noch verfügbaren Repräsentanten der alten Notgemeinschaft für seine Politik. Bereits die dem Sturz Starks vorausgegangene „Affäre Wildhagen“ hatte ja nicht zuletzt eine öffentliche Rehabilitierung des hier als Opfer jüdischer Intrigen hingestellten Schmidt-Ott bedeutet. Dieser bekundete Mentzel sofort nach dessen Amtsantritt seine Unterstützung, indem er ihm 60.000 Mark aus der Kasse des Stifterverbandes zur Verfügung stellte. Dieses Geld konnte der zunächst weiterhin finanziell klamme DFG-Präsident dem von Jansen ein halbes Jahr zuvor angekündigten Tumorforschungsprogramm zuwenden. „Schwierigkeiten“ bei der großzügigen Finanzierung der Krebsforschung, so teilte Mentzels Referent Sergius Breüer am 12. Dezember 1936 einem der Zuwendungsempfänger mit, gebe es „nach dem Ausscheiden des Herrn Professor Stark aus dem Präsidium der Forschungsgemeinschaft von keiner Seite mehr“.5 Schmidt-Ott trat auch in den folgenden Jahren öffentlich als Unterstützer Mentzels auf, der seinem Vorgänger seinerseits demonstrativ Respekt zollte. So sprach Schmidt-Ott beim Festakt zum 20. Jahrestag der DFG-Gründung am 30. Oktober 1940 Mentzel „seine hohe Anerkennung für das bisher Geleistete“ aus und übergab ihm als „Ausdruck des Vertrauens“ einen Scheck des Stifterverbandes über 200.000 Mark.6 Nach der Stagnation der Ära Stark, so lautete die Botschaft dieser Kooperation von dessen Vorgänger und Nachfolger, sollte ein Aufschwung der Forschungsförderung beginnen. Dessen Träger sollte nach dem Willen der Beteiligten ein Bündnis sein, das zum einen aus den bereits vor 1933 etablierten Ordinarien bestehen würde, die bereit waren, sich für nationalistische Politik und einen autoritären Staat zu engagieren, auch wenn sie manchen Elementen der nationalsozialistischen Weltanschauung – wie zum Beispiel deren antichristlichen Tendenzen – skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen mochten. Als ihre Partner boten sich zum anderen jene jungen Wissenschaftsfunktionäre wie Mentzel, Meyer und Thiessen an, die sich sowohl als Nachwuchswissenschaftler wie als frühe Aktivisten der NS-Bewegung bewährt hatten und sich als weltanschauliche Kämpfer, zugleich aber als zweckrationale Pragmatiker verstanden.
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Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 201 ff. und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 222. Plancks Schreiben an Mentzel vom 4.12.1936, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 201. Schreiben Breüers an den Berliner Tumorforscher Heinrich Cramer vom 12.12.1936, zit. nach Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 86. Zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 303. Vgl. den Artikel „Forschung vor großen Aufgaben. Vorträge bei der Jubiläumsfeier der Deutschen Forschungsgemeinschaft“ in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 31.10.1940.
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Bündnis der Generationen. DFG und Reichsforschungsrat
Die drei Genannten ähneln im Habitus dem Typus jener völkischen Intellektuellen aus der Kriegsjugendgeneration des Ersten Weltkrieges, die Ulrich Herbert als Kerngruppe der NS-Vernichtungspolitik und hier vor allem als tonangebendes Element innerhalb des SS- und Polizeiapparates identifiziert hat. Konrad Meyer entsprach diesem Typus sehr genau; Mentzel und Thiessen dagegen besaßen ein schwächeres intellektuelles Profil. Aber alle drei wiesen die wesentlichen Grundzüge der (so die Formulierung Michael Wildts) „Generation des Unbedingten“ auf: In den 1920er und frühen 1930er Jahren hatten sie die Welt aus einer völkisch-rassenantisemitischen Perspektive zu sehen, zu verstehen und zu erklären gelernt. Mit dieser Weltanschauung verband sich der unbedingte Wille, Elite – oder in ihrem Duktus: „Führer“ – zu sein, was für sie identisch war mit einer aus zwei Komponenten zusammengesetzten Haltung: Erstens galt es ungehemmt von bürgerlich-christlicher Moral initiativ gemäß der Weltanschauung zu handeln. Zweitens durften beim Handeln nicht Ressentiments bestimmend sein, sondern ein Pragmatismus, dessen einziger Maßstab das Erreichen der von der Weltanschauung vorgegebenen Endziele sein konnte. 7 Die jungen Wissenschaftsfunktionäre um Mentzel im Vergleich zu Eiferern wie Stark als pragmatisch zu bezeichnen, bedeutet somit keineswegs, sie für harmlos zu erklären. Die Zwecke, denen Mentzel & Co. pragmatisch zu dienen suchten, waren der Sieg des nationalsozialistischen Deutschland in einem Expansionskrieg und die gewaltsame ethnische Neuordnung Europas gemäß ihrer völkischen Weltanschauung. Für diese Ziele wollte Mentzels Gruppe die Forschung der Hochschulen, Akademien und Kaiser-Wilhelm-Institute effizient mobilisieren. Für Starks Hass auf die theoretische Physik war in dieser Politik kein Platz, dies aber nicht, weil Mentzels Gruppe Starks Antisemitismus abgelehnt hätte. Vielmehr erkannte sie, dass die theoretischen Physiker einen Beitrag zur Entwicklung von kriegsrelevanten Technologien leisten konnten. Mentzel unterstützte daher im Jahr 1936 Werner Heisenbergs Initiative, für eine an Rust adressierte Eingabe zugunsten der modernen Physik unter Kollegen Unterschriften zu sammeln, und auch in den folgenden Jahren stärkte er den Gegnern der „Deutschen Physik“ den Rücken.8 Von deren Anhängern wurde Mentzel noch Ende 1942 vorgeworfen, er verkenne die Notwendigkeit, das naturwissenschaftliche Weltbild „aus der Weltanschauung heraus“ umzugestalten. Stattdessen habe er Heisenberg und „die erst durch Juden gross gemachte theoretisierende, rein mathematischrechenhafte, geistreichelnde Richtung“ gefördert.9 Allerdings markierte Mentzel auch die Grenzen des Entgegenkommens gegenüber der modernen Physik, wenn er zum Beispiel den Physiker Max von Laue im Mai 1943 aufforderte, künftig in Vorträgen explizit deutlich zu machen, dass 7 8 9
Vgl. Herbert, Best und Wildt, Generation. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 319, rechnet Mentzel „eher dem Typus des ‚technokratischen NS-Funktionärs“ als jenem des SSIntellektuellen zu. Die von 75 Physikern unterzeichnete Eingabe ist abgedruckt in: Rechenberg (Hrsg.), Heisenberg, S. 81 ff. Vermerk für Ministerialrat Görnnert vom 14.12.1942, in: BArch, RL 3/56, fol. 107–110, hier fol. 107 und 109.
Nationalsozialistischer Pragmatismus. Rudolf Mentzel
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die Akzeptanz der Relativitätstheorie nicht gleichbedeutend sei mit jener ihres jüdischen Erfinders Albert Einstein.10 Überhaupt ließ Mentzels aktivistischer Antisemitismus keinen Zweifel daran, dass sein Pragmatismus auf die möglichst effektive Durchsetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung, nicht auf ihre Relativierung gerichtet war. Als DFG-Präsident setzte er wissenschaftliche Zeitschriften unter Druck, sich von ihren letzten jüdischen Autoren zu trennen, indem er mit dem Entzug von Druckkostenzuschüssen drohte.11 Als Vertreter des Wissenschaftsministeriums drängte er hartnäckig auf die Entlassung als „Halbjuden“ klassifizierter Forscher wie des Direktors des Berliner KWI für Zellphysiologie und Nobelpreisträgers Otto Warburg, den im Jahr 1941 nur eine Intervention der NSDAP-Parteikanzlei rettete.12 Die Führungsebene des Wissenschaftsministeriums trat im Interesse und im Rahmen der Ziele des NS-Regimes zwar für eine „geduldete Mehrstimmigkeit“ der Forschung ein, nahm aber zugleich immer wieder für sich in Anspruch, deren Grenzen nach politischen Kriterien zu definieren.13 In diesem Sinne bekannte sich Bernhard Rust im November 1939 gegenüber Rosenberg zu dem „Grundsatz (…), daß wir uns bei wissenschaftlichen Lehrmeinungen nicht auf Dogmen festlegen und jede Meinung, die gegen dieses Dogma verstößt, als unrichtig verdammen“; dies aber gelte nur, „solange eine wissenschaftliche Meinung als solche nicht den Interessen des Volkes schadet“.14 Innerhalb dieser von ihnen selbst definierten Grenzen waren Rust wie Mentzel zu Zugeständnissen an jene Ordinarien bereit, die sie für die Ziele des Regimes mobilisieren wollten. Dies sollte sich 1937 sowohl beim Umbau der Forschungsförderung zeigen als auch dadurch, dass das Ministerium nun zu der Praxis zurückkehrte, vakante Professuren auf der Basis von Dreierlisten zu besetzen, welche die Fakultäten dem Ministerium vorlegten.15 Im Rückblick bildete die Ära Stark eine Übergangsphase. Nach der sukzessiven Verdrängung der älteren Generation nationalkonservativer Wissenschaftspolitiker und nach dem Scheitern der Machtansprüche „alter Kämpfer“ vom Typ Starks krönte Mentzels Übernahme der DFG den Aufstieg junger völkischer Wissenschaftler pragmatischer Orientierung. Insofern unterschied sich die Geschichte der DFG wenig von der Geschichte anderer wissenschaftlicher Institutionen nach 1933.16 Man kann in den ersten Jahren nach 1933 einen Generationenkonflikt erkennen, der – wie Rüdiger Hachtmann anhand der KWG argumentiert 10 11
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Vgl. Walker, National Socialism, S. 76 und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 401. Vgl. Ehlers, Wille, S. 158–165. Er spricht S. 195 von einer „zweiten Vertreibungswelle“, in der Menschen, die nach ihrer (ersten) Vertreibung aus akademischen Berufen als Privatgelehrte in bescheidenem Umfang hatten weiterarbeiten können, auch die letzten Betätigungsmöglichkeiten genommen wurden. Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 117 ff. und Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 431–435. So Bollenbeck, Interesse, S. 12. Schreiben Rusts an Rosenberg vom 28.11.1939, zit. nach Nagel, Bildungsreformer, S. 148. Vgl. Grüttner, Wissenschaftspolitik, S. 570 ff. Mark Walker hat diese Rhythmen der „Nazifizierung“ in Anlehnung an Aufstieg und Fall Ernst Röhms als das „SA Modell“ bezeichnet, vgl. Walker, Nazification, S. 82.
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Bündnis der Generationen. DFG und Reichsforschungsrat
hat – „nicht in erster Linie politisch grundiert“ war, sondern sich „aus scharfen sozialhabituellen (…) Gegensätzen“ speiste. Aber unmittelbar nach der Etablierung der jungen nationalsozialistischen Privatdozenten in Professuren und an den Schaltstellen der Wissenschaftspolitik suchten sie das Bündnis mit den alten Ordinarien. Sie eigneten sich in der Interaktion mit den Ordinarien partiell deren „gepflegte, gutbürgerliche Umgangsformen“ an, diese wiederum passten sich an die „Rollenerwartungen der neuen Machthaber“ und deren „Führerprinzip“ an; Hachtmann spricht von „einer beidseitigen habituellen Verschleifung“.17 Diese beruhte auf einen doppeltem politischen Konsens. Erstens waren sich Ordinarien und junge „alte Kämpfer“ einig in der Ablehnung jener Wirrköpfe vom Schlage eines Johannes Stark, die in den ersten Jahren des NS-Regimes versucht hatten, die Wissenschaft gemäß einer von ihnen selbst erfundenen reinen Lehre des Nationalsozialismus umzugestalten. In der DFG wie in anderen Bereichen des Wissenschaftsbetriebes war die Zeit dieser Hohepriester des Nationalsozialismus abgelaufen, als das NS-Regime im Frühjahr 1936 den Kurs beschleunigter Umstellung der Wirtschaft auf die Fähigkeit zur Kriegsführung einschlug.18 Hier eröffnete sich nun die zweite generationenübergreifende Konsenszone in Gestalt des Willens, die Forschung möglichst effektiv in den Dienst des Sieges in einem Zweiten Weltkrieg zu stellen. Der Übergang von Stark zu Mentzel bedeutete daher zugleich den Übergang von einer unsystematischen Förderpolitik, die zwischen der Fortschreibung etablierter Praktiken und einer verstärkten Ideologisierung hin und her geschwankt war, zu einer dezidiert auf den Beitrag der Wissenschaften für die Kriegsvorbereitung und -führung ausgerichteten Strategie. Dies entsprach im Herbst 1936 sowohl dem generellen Einschwenken des Regimes auf einen Kurs forcierter Kriegsvorbereitung als auch den Interessen des wichtigsten Partners des Wissenschaftsministeriums, des Heereswaffenamtes. Am 4. April 1936 hatte Hitler Göring damit beauftragt, die Wirtschaft kriegsfähig zu machen; ab Mai 1936 entstanden jene Dienststellen, die vom Oktober dieses Jahres an geführt vom „Beauftragten für den Vierjahresplan“ Göring systematisch daran arbeiteten, das Deutsche Reich auf dem Roh- und Werkstoffsektor autark zu machen und die Rüstung zu forcieren. Wissenschaftsministerium wie Heereswaffenamt erkannten hier zum einen die Chance, sich als unverzichtbare Akteure auf diesem Feld zu profilieren, zum anderen die Gefahr, dass Görings Dienststellen den Anspruch erheben könnten, die gesamte Forschungspolitik im Interesse der Kriegswirtschaft zu steuern. Immerhin baute der IG-Farben-Direktor Carl Krauch innerhalb des im Oktober 1936 eingerichteten „Amtes für deutsche Roh- und Werkstoffe“ der Vierjahresplanorganisation eine Abteilung „Forschung und Entwicklung“ auf, welche die Forschung für die Kriegswirtschaft mobilisieren sollte.19 General Karl Becker, Leiter des für technische Entwicklung zuständigen Prüfwesens im HWA, hatte daher unmittelbar vor Starks Sturz Ende Oktober 1936 vom Wissenschaftsministerium gefordert, aus eigener Initiative Maßnahmen zur 17 18 19
Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1205 f. Vgl. Ash, Wissenschaft, S. 40 f. Vgl. Maier, Forschung, S. 422 ff.
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„Straffung und Bündelung der Forschungsaktivitäten“ im Interesse des Vierjahresplans zu ergreifen.20 Mentzel ließ bereits in den ersten Wochen als DFG-Präsident keinen Zweifel daran, dass er genau hier die künftigen Schwerpunkte der Forschungsförderung sah. Er habe Mentzel als einen jener „Vertreter des Gedankens der ‚totalen Mobilmachung‘“ kennengelernt, „die wohl im Ganzen jetzt das Ministerium beherrschen“, schrieb der DFG-Referent für Geisteswissenschaften Karl Griewank Mitte Dezember 1936 an einen Bekannten. Der „Sinn des Wechsels“ von Stark zu Mentzel, so Griewank weiter, liege darin, dass das „Schwergewicht“ der DFG nun auf die Kriegsvorbereitung verlegt werden solle; Mentzel selbst verfechte diesen Kurs als „eine vorwiegend soldatische Natur, nüchtern und militant“.21 Das Wissenschaftsministerium bemühte sich darum, die ihm unterstellten akademischen Institutionen über den Hebel der Forschungsförderung für die Kriegsvorbereitung zu mobilisieren. Dass die DFG in diesem Programm eine zentrale Rolle spielte, lässt sich schon an ihrem Etat ablesen: Dieser schnellte im Jahr 1937 auf siebeneinhalb Millionen Reichsmark empor, nachdem er im Vorjahr gerade einmal zwei Millionen Mark betragen hatte. Dieses Wachstum setzte sich fort, sodass im Jahr 1939 bereits neun Millionen Mark über die DFG verteilt wurden. Gleichzeitig kam die Neuorientierung der Forschungsförderung darin zum Ausdruck, dass die Entscheidungsprozesse über Fördermittel für die Geisteswissenschaften einerseits, die Medizin, Natur- und Technikwissenschaften andererseits institutionell voneinander getrennt wurden. Während die Förderung der Geisteswissenschaften in starkem Maße vom Ministerium bzw. der DFGGeschäftsstelle administriert wurde, delegierte Mentzel im 1937 neugeschaffenen Reichsforschungsrat Entscheidungen an Fachwissenschaftler, die „Führer“ ihrer jeweiligen Forschungsfelder sein sollten. Die Förderung der Geisteswissenschaften splittete Mentzel in drei Segmente auf. Das erste bestand in der Organisation von Schwerpunkten durch im Ministerium selbst angesiedelte Wissenschaftler von ausgewiesener nationalsozialistischer Überzeugung. So übertrug Mentzel im Mai 1937 die Leitung des Volkskundeatlasses dem Referenten für Geisteswissenschaften im Wissenschaftsministerium Heinrich Harmjanz.22 Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Organisation von der DFG finanzierter geisteswissenschaftlicher Schwerpunktforschung im Ministerium selbst angesiedelt wurde, sollte ab Februar 1940 der sogenannte „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ werden, in dessen Rahmen bis Kriegsende etwa 300 Forscher in insgesamt 67 Büchern Arbeiten publizierten, mit denen die nationalsozialistische Expansionspolitik legitimiert werden sollte. Der Initiator dieses in seinen Dimensionen völlig neuartigen interdisziplinären Großprojektes, der im Jahr 1900 geborene Jurist und Rektor der Kieler Universität Paul Ritterbusch, Parteimitglied seit 1932, wurde im März 1940 als Referent ins Wissenschaftsministerium berufen und im folgenden Jahr zum Ministerialdirigenten sowie zum 20 21 22
Schreiben Beckers an das Ministerium vom 27.10.1936, zit. nach Nagel, Bildungsreformer, S. 239. Zu Becker vgl. Ciesla, Meister. Schreiben Griewanks an Willy Andreas vom 20.12.1936, zit. nach Kaiser, Griewank, S. 111. Vgl. Schmoll, Vermessung, S. 169.
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Bündnis der Generationen. DFG und Reichsforschungsrat
Ordinarius an der Berliner Universität ernannt, um den „Kriegseinsatz“ zu koordinieren.23 Das zweite Segment der neuen Forschungspolitik auf dem Feld der Geisteswissenschaften bildete die massive Förderung von Projekten der SS-Stiftung „Ahnenerbe“ (so zum Beispiel für archäologische Ausgrabungen, die Edition von Quellen zur germanischen Kulturgeschichte oder die Märchenforschung) einerseits, die Übertragung bislang von der DFG getragener Forschungseinrichtungen an das Ahnenerbe (bei Fortdauer der DFG-Finanzierung) andererseits. Mentzel hatte unmittelbar nach Übernahme der DFG-Präsidentschaft das Ahnenerbe zu einem Hauptempfänger von Fördermitteln für die Geisteswissenschaften gemacht und die in der Ära Stark von der DFG unterhaltene „Hauptstelle für Sinnbildforschung“ in die SS-Stiftung ausgelagert.24 Er förderte damit den Kurswechsel des Ahnenerbes, der auf Akzeptanz in der akademischen Wissenschaft zielte. Dieser Richtungswechsel an der Spitze der Stiftung ging mit der Verdrängung des Propagandisten einer „Geistesurgeschichte“ Herman Wirth durch den Münchner Ordinarius für „Arische Kultur- und Sprachwissenschaft“ Walther Wüst einher. Im Unterschied zum Privatgelehrten Wirth, der in Hochschulkreisen als Scharlatan verachtet wurde, galt der 1901 geborene Wüst als Jungkoryphäe der Indogermanistik: Er hatte sich bereits 1926 habilitieren können und war noch im letzten Jahr der Weimarer Republik 1932 außerordentlicher Professor in München geworden, um 1935 dort eine ordentliche Professur zu erhalten und Dekan der Philosophischen Fakultät zu werden.25 Am 3. Dezember 1937 vereinbarte Mentzel mit dem neuen AhnenerbePräsidenten, die Förderung auf Basis spezifischer Kriterien nationalsozialistischer Forschung zu verstetigen: Es gehe, so berichtete Ahnenerbe-Geschäftsführer Wolfram Sievers eine Woche später an Himmler, DFG wie Ahnenerbe um „exakte wissenschaftliche Leistung ohne dogmenhafte Enge, kameradschaftliche Zusammenwirkung in wissenschaftlicher Gemeinschaftsarbeit, Ausrichtung auf nur sachliche Erfolge“.26 Normen und Arbeitsformen, die in der DFG bereits vor 1933 etabliert worden waren („exakte wissenschaftliche Leistung“, „Gemeinschaftsarbeit“), verbanden sich hier mit dem Habitus der jungen „alten Kämpfer“ („kameradschaftlich“) und einem am Ertrag der Forschung für die Ziele des NS-Regimes orientierten Pragmatismus („Leistung ohne dogmenhafte Enge“, „sachliche Erfolge“). Mentzel seinerseits betonte gegenüber Wüst, dass das zentrale Kriterium der DFG-Förderung die „wissenschaftliche Zuverlässigkeit“ des Antragstellers sei.27 Mentzel und sein Ministerium stärkten so ihr Bündnis mit Himmler, dem das Ahnenerbe als Werkzeug zur Befriedigung seiner wissenschaftlichen Interessen diente; Himmlers Stiftung dagegen konnte fortan die Förderung durch die DFG als Ausweis ihrer vermeintlichen „wissenschaftlichen Zuver23 24 25 26 27
Vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 20, 23 ff. und 32–41. Vgl. Kater, Ahnenerbe, S. 140 f. Zu Wirth und Wüst vgl. ebenda, S. 11–16 und 41–46. Bericht des Ahnenerbe-Geschäftsführers Sievers über das Gespräch zwischen Mentzel und Wüst an Himmler vom 10.12.1937, zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 165. Zit. nach ebenda.
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lässigkeit“ verwenden. Im Jahr 1938 wechselte auch der Volkskundeatlas in die Verantwortung des Ahnenerbes, weiter geleitet von Harmjanz und weiter finanziert von der DFG. Die Zuwendungen der DFG an die SS-Stiftung, die nicht nur geistes-, sondern auch naturwissenschaftliche und medizinische Projekte betrafen, stiegen von 58.000 Reichsmark im Etatjahr 1936/37 bis auf 300.000 im Etatjahr 1942/43. Zwischen 1943 und 1945 erhielt das Ahnenerbe dann von DFG und RFR eine institutionelle, nicht für einzelne Projekte bestimmte Förderung von 750.000 Reichsmark.28 Als drittes Segment der Förderung geisteswissenschaftlicher Forschung verblieb die Fortführung der Einzelförderung, die nun aber ohne formale Beteiligung von Fachgutachtern von den DFG-Referenten, den Historikern Karl Griewank, August Wilhelm Fehling und Max Horst organisiert wurde. Zwar holten die Referenten, da sie bereits während der 1920er Jahre in ihre Positionen gekommen waren und seitdem eine Fülle von Verbindungen in die Fachwissenschaften aufgebaut hatten, in Einzelfällen Gutachten ausgewählter Ordinarien ein, von einem institutionalisierten Peer Review konnte jedoch nicht mehr die Rede sein. Vielmehr erlangten die promovierten (im Falle Griewanks sogar habilitierten) Referenten in diesem Segment entscheidenden Einfluss. Engagierte Nationalsozialisten scheinen alle drei Referenten nicht gewesen zu sein, in NS-Organisationen waren sie erst nach 1933 eingetreten.29 Dessen ungeachtet funktionierten sie in der DFG-Geschäftsstelle im Sinne der von Mentzel gesetzten Zielsetzungen. In den Natur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin ging es für das Wissenschaftsministerium nicht nur um die Mobilisierung der Forscher für den künftigen Krieg, sondern zugleich um ein Arrangement mit Görings Vierjahresplanbehörde. Im Februar 1937 handelten deren Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe, das Wissenschaftsministerium und das Heereswaffenamt die künftige Aufteilung ihrer Einflusssphären aus. Görings Vertreter beanspruchten und erhielten das gesamte Feld der Luftfahrtforschung sowie die Kontrolle und Finanzierung all jener Aktivitäten im Bereich der Roh- und Werkstoffforschung, die unmittelbar auf die Entwicklung industriell nutzbarer Produkte und Verfahren zielten. Das Wissenschaftsministerium dagegen sollte im Rahmen eines linearen Innovationsmodells die nicht als Entwicklung zu klassifizierende Forschung zu Roh- und Werkstoffen sowie die gesamte übrige im Interesse des Vierjahresplanes mobilisierbare Forschung fördern und lenken, sofern sie an den Hochschulen oder im Rahmen der KGW angesiedelt war.30 Damit orientierte sich die Abgrenzung der Aufgabenfelder weitgehend an jener traditionellen Scheidung von Grundlagen- respektive angewandter Forschung und Entwicklung, welche die von der DFG profitierenden Wissenschaftler seit Langem ihrem kollektiven Selbstverständnis zugrunde gelegt und die sich auch die jungen NS-Wissenschaftspolitiker um Mentzel zu eigen gemacht hatten. Bewegte sich die DFG insoweit weiter auf dem bereits von der Notgemeinschaft eingeschlagenen Pfad, so erfuhr dieser doch dadurch eine Modifizierung, als das Wissenschaftsministerium nun zu28 29 30
Vgl. Reitzenstein, Forscher, S. 35 und 263 sowie Kaiser, Griewank, S. 108 f. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 204 ff. Vgl. Maier, Forschung, S. 432 ff.
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gleich den Interessen des Heereswaffenamtes Rechnung trug, die Hochschulen und Kaiser-Wilhelm-Institute für die Weiterentwicklung von Waffentechnologien einzuspannen.31 Vor diesem Hintergrund verwirklichte das Wissenschaftsministerium für Natur- und Technikwissenschaften sowie die Medizin jenes Konzept einer auf einem disziplinären Führerprinzip beruhenden „Reichsakademie“, das es zwei Jahre zuvor entwickelt hatte. Per Erlass gründete Rust am 16. März 1937 den Reichsforschungsrat zur Lenkung und Förderung der an Hochschulen, in den KWG-Instituten und Einrichtungen der zivilen Ressortforschung angesiedelten Forschung. Die Forschungseinrichtungen von Wehrmacht und Industrie hingegen blieben jenseits des Horizontes des RFR, der damit im Kern ein Instrument zur Mobilisierung der an Hochschulen und in den Kaiser-Wilhelm-Instituten arbeitenden Grundlagenforscher für die Kriegspolitik des NS-Regimes allgemein und für die Interessen des Heereswaffenamtes im Besonderen sein sollte.32 Dass der RFR keine Ambitionen auf dem Feld der „reinen Luftfahrtforschung“ besitze, versicherte der zu seinem Präsidenten bestellte General Karl Becker bei der feierlichen Gründungsveranstaltung am 25. Mai 1937 in Anwesenheit Hitlers dem ebenfalls präsenten Göring noch einmal ausdrücklich.33 Einige Historiker sehen in der vom Rust-Ministerium so akzeptierten Arbeitsteilung einen Beweis für seine Schwäche in der Konkurrenz mit den anderen Akteuren der Forschungspolitik. Dass das Ministerium im Vergleich mit seinen Konkurrenten nur über geringe Machtressourcen verfügte, ist richtig. Dennoch übersehen Historiker, die so argumentieren, zwei Aspekte. Erstens gelang es dem Ministerium mit dem RFR, seine Kontrolle über die Hochschul- und KWG-Forschung auch unter den Bedingungen von Vierjahresplan und Krieg zu bewahren. Zweitens entsprach die im RFR institutionalisierte Trennung zwischen den Hochschul- und KWG-Forschern einerseits und den in den Laboren der Industrie oder der Wehrmacht tätigen Kollegen andererseits dem traditionellen Selbstverständnis jener Ordinarien, die Mentzel & Co. für die nationalsozialistische Politik mobilisieren wollten – sie war also auch in diesem Sinne funktional. Dass Rust die Gründung des Gremiums explizit damit begründete, es solle die „großen Aufgaben, die der Vierjahresplan an die deutsche Wissenschaft stellt, (…) planmäßig“ zu lösen helfen und zugleich mit Becker einen Repräsentanten der Heeresforschung zum Präsidenten des Reichsforschungsrates ernannte, zeigte unzweideutig die Richtung an.34 In seinem Erlass betonte der Minister, dass die Forschung künftig gesteuert werden würde und definierte ihre Handlungsspielräume neu: Die „Freiheit der Forschung“ bestehe „nicht in der Willkür der Aufgabenstellung, sondern der Selbständigkeit ihres Verfahrens“.35 Dies entsprach 31 32 33 34 35
So Helmut Maiers These, vgl. ebenda. Vgl. ebenda und Hachtmann, Wissenschaftsmanagement. S. 591. Zit. nach Maier, Forschung, S. 442. Sechs Wochen zuvor hatte Hitler Görings alleinige Kompetenz für diesen Sektor ohnehin in einem „Führererlass“ festgeschrieben, vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 593. Rusts Erlass vom 16. März 1937 zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 215. Zit. nach ebenda.
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jener Haltung von Mentzel & Co., die oben als Pragmatismus beschrieben wurde: Die Physiker beispielsweise sollten frei sein, sich der Erkenntnisse und Verfahren der von Gefühlsantisemiten als „jüdisch“ geschmähten theoretischen Physik zu bedienen – zu jenen politischen Zwecken, die das Regime vorgab. Der Reichsforschungsrat bestand aus seinem Präsidenten, einem Vizepräsidenten (dem Leiter des Amtes Wissenschaft im Wissenschaftsministerium, Otto Wacker), einem Geschäftsführer sowie einer flexiblen Zahl von Wissenschaftlern, die jeweils ein Fachgebiet führen sollten und als „Fachspartenleiter“ bezeichnet wurden. Der von Rust im März 1937 zum Präsidenten des RFR bestellte Karl Becker war bereits im Vorjahr in den Senat der KWG berufen worden und sollte im März 1938 zum Leiter des Heereswaffenamtes aufsteigen. Im Alltagsgeschäft des Reichsforschungsrates interessierte sich Becker nur für unmittelbar das Heer betreffende Themen und ließ sich ansonsten vom Geschäftsführer vertreten – und dies wurde auf dem Papier Mentzels Stellvertreter als DFG-Präsident Carl Zimmermann, de facto aber wiederum Mentzel selbst.36 Als Becker im April 1940 Selbstmord beging, machte sich Rust selbst zum Präsidenten des RFR, an Mentzels realer Führungsrolle änderte dies nichts, zumal Mentzel im Mai 1939 nach dem Ausscheiden seines Vorgesetzten Otto Wacker aus dem Wissenschaftsministerium dort zum Leiter des Amtes Wissenschaft sowie zum Vizepräsidenten des RFR aufgestiegen war.37 Der Reichsforschungsrat baute weder einen eigenen Verwaltungsapparat auf, noch bezog er selbst Gelder aus dem Reichsetat, noch erhielt er jemals eine Rechtsform, die ihn selbständig handlungsfähig machte. Vielmehr erledigte die Geschäftsstelle der DFG die Verwaltungsaufgaben des RFR und erhielt jene Haushaltsmittel zugewiesen, die der RFR verteilte. Sollte ein Wissenschaftler ein bestimmtes Projekt für den RFR durchführen, so sandte ihm Mentzel als Geschäftsführer des Reichsforschungsrates unter dessen Briefkopf einen entsprechenden „Forschungsauftrag“ zu. Von der DFG-Geschäftsstelle erhielt der Forscher zugleich ein Schreiben des DFG-Präsidenten Mentzel, mit dem ihm die für sein Projekt bewilligten Gelder oder Apparate zugesagt wurden. Die Referenten der DFG führten in der Folge den Schriftverkehr mit den Projektnehmern und wickelten die Fördermaßnahmen verwaltungsmäßig ab. Der eigentliche Zweck des RFR lag jedoch nicht darin, Mentzels Briefköpfe zu vermehren. Vielmehr sollte seine Gründung im Frühjahr 1937 zum einen signalisieren, dass das Wissenschaftsministerium nun die Initiative zur Mobilisierung der ihm unterstehenden Forschung für die Kriegsvorbereitung ergriffe. Zum anderen organisierte er diese Mobilisierung in qualitativ neuer Weise: Für einzelne Forschungsfelder wurde je ein Wissenschaftler zum Fachspartenleiter ernannt und mit der Lenkung seiner Kollegen betraut. Mentzel hielt die zentrale Leitung in der Hand, indem er den Fachspartenleitern jeweils jährlich die Etats zuwies, aus denen sie die von ihnen bewilligten Projekte fördern konnten; zudem behielt er sich die Verfügung über Sondermittel jenseits dieser Budgets 36 37
Vgl. ebenda, S. 219. Zu Wackers Abgang vgl. Nagel, Bildungsreformer, S. 110 ff.
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vor.38 Mit der DFG-Geschäftsstelle kontrollierte er jenen Apparat, dessen die Fachspartenleiter im Alltag bedurften und der stetig wuchs – 1938 umfasste er bereits 52 Angestellte, drei Jahre später waren es 69 geworden, und eine Liste der DFG-Angestellten von Anfang 1945 zählte schließlich 103 Personen auf.39 Ab Ende 1939 residierte die Geschäftsstelle repräsentativ im neuerrichteten „Haus der Forschung“ in der Kaiser-Wilhelm-Straße 11 (später: Grunewaldstraße 35) in Berlin-Steglitz. PEER REVIEW NACH DEM FÜHRERPRINZIP. DIE FACHSPARTENLEITER DES RFR Die Schlüsselpositionen innerhalb des Reichsforschungsrates besetzten die zunächst zwölf Fachspartenleiter, bis 1942 kamen fünf weitere hinzu. Anders als die früheren Fachausschüsse der Notgemeinschaft, die lediglich Gutachten zu ihnen vorgelegten Anträgen abgegeben hatten, entschieden die Fachspartenleiter im Rahmen ihrer Budgets eigenständig über die Förderung von Projekten; allerdings mussten alle Bewilligungen zunächst von Becker, später von Mentzel gegengezeichnet werden. Letzterer behielt sich so eine letzte Kontrolle vor. Zudem waren die Fachspartenleiter nicht auf eine reaktive Rolle (nämlich die Entscheidung über von anderen eingereichte Anträge) beschränkt, sondern ermächtigt, selbst Forschungsprogramme zu konzipieren, für diese Projekte geeignete Forscher und Institute zu suchen und deren Arbeit zu finanzieren, ergo „aktive Wissenschaftspolitik zu treiben“, wie Mentzel im Januar 1938 schrieb.40 Die zwölf Fachsparten, die im Frühjahr 1937 durch Ernennung ihrer künftigen Leiter konstituiert wurden, entsprachen teilweise den klassischen Disziplinen.41 So sollten der Jenaer Ordinarius für technische Physik Abraham Esau die Fachsparte Physik und der Berliner Chirurg Ferdinand Sauerbruch die Sparte Allgemeine Medizin organisieren. Andere Fachsparten konzentrierten sich auf jene Teildisziplinen, die innerhalb ihrer Fächer als besonders kriegsrelevant galten, so die dem Greifswalder Ordinarius für Dermatologie Wilhelm Richter übertragene Wehrmedizin oder die von Peter Adolf Thiessen geleitete Fachsparte Allgemeine und anorganische Chemie. Weitere Fachspartenleiter sollten interdisziplinär jene Forschung koordinieren, die sich mit einer spezifischen Stoffgruppe beschäftigte, so die Fachsparten Forst- und Holzforschung, Eisen und Stahl, Nichteisenmetalle oder Treibstoffe. Diese Gliederung verweist auf ein zentrales politisches Ziel, dem die vom RFR geförderte Forschung dienen sollte, nämlich auf eine Autarkie Deutschlands. Erwin Marx, Ordinarius für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Braunschweig und Fachspartenleiter für dasselbe Forschungsgebiet, sah in diesem Sinne im November 1937 den Zweck der naturwissenschaftlich-technischen Forschung darin, 38 39 40 41
Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 282 und 594 und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 215 ff. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 216 und Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 196. Vermerk Mentzels vom 17.1.1938, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 236. Zum Folgenden vgl. ebenda, S. 235–246.
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„deutsche Roh- und Werkstoffe“ zu erzeugen: „Ein Volk ist in seinem Daseinskampf schließlich doch immer auf seine eigenen Kräfte angewiesen.“42 Vergleicht man das Tableau der Fachsparten von 1937 mit der Organisation der Notgemeinschaft fünf Jahre zuvor, so stellte es eine Mischung dar zwischen den disziplinär definierten Fachausschüssen der Notgemeinschaft und ihren für einzelne Forschungsfelder gebildeten Sonderkommissionen für Gemeinschaftsaufgaben (wie zum Beispiel jenen für Metallforschung oder Strahlenkunde). Die Notgemeinschaft hatte um 1932 den Bereich der Medizin, Natur- und Technikwissenschaften in insgesamt 14 Fachausschüssen und 30 Sonderkommissionen kooperativ vernetzt. Der Reichsforschungsrat setzte nun zum einen auf das Führerprinzip des Nationalsozialismus, zum anderen auf eine von den politischen Zwecken her gedachte Konzentration der Forschung auf kriegsrelevante Themen. Dies ging einher mit einer Subsumption der akademisch eigenständigen Disziplinen unter Zweckverbünde. Geologie und Mineralogie sahen sich in dieser Struktur beispielsweise auf die Rolle von Hilfswissenschaften einer an der Rohstoffautarkie ausgerichteten Bodenkunde reduziert, während die Mathematik Dienstleisterin der Physik sein und deshalb von Esau gleich mitgeführt werden sollte. Eine Sonderrolle spielte in der neuen Struktur die von Konrad Meyer geleitete Fachsparte Landbauwissenschaft und Biologie, die aufgrund der Schlüsselstellung Meyers innerhalb einer von Agrarstrukturen und Volkstum her denkenden Raumordnungswissenschaft zu einer Raupe Nimmersatt der völkischen Lebens- und Raumwissenschaften werden sollte. In den Jahren 1937 bis 1939 besaß Meyers Fachsparte mit Jahresetats von jeweils zwei Millionen Mark eine einsame Spitzenposition unter den Sparten (den zweiten Platz belegte mit Budgets zwischen 880.000 und einer Million Mark jeweils Sauerbruchs Medizin) und konsumierte allein etwa ein Viertel der über die DFG verteilten Mittel. Bei allen Strukturveränderungen blieb diese Forschungspolitik unter der Kontrolle von Ordinarien. Elf der zwölf im Jahr 1937 auf Vorschlag des RFRPräsidenten Becker von Rust ernannten Fachspartenleiter besaßen zum Zeitpunkt ihrer Bestellung den Status eines ordentlichen Professors, der zwölfte, nämlich Thiessen, war immerhin Direktor eines Institutes der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (während der Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle Werner Köster sowohl Ordinarius an der TH Stuttgart als auch Direktor des KWI für Metallforschung war). Mit einem Altersdurchschnitt von 47 Jahren zum Zeitpunkt ihrer Ernennung stand die Mehrheit der Fachspartenleiter für die etablierte Mittelgruppe der Ordinarien zwischen den aufstrebenden Nachwuchswissenschaftlern mit ausgeprägter NS-Affinität (unter den Fachspartenleitern vor allem von Thiessen und Meyer repräsentiert) einerseits und den nationalkonservativen Altordinarien andererseits. Für die Integration der zweiten Gruppe stand der 1937 bereits 61jährige Sauerbruch. Seitdem er 1910 in Zürich sein erstes Ordinariat angetreten hatte, dem Lehrstühle in München (1918) und Berlin (1927) gefolgt waren, war der Chirurg nicht nur eine allseits respektierte Fachautorität, sondern auch ein ge42
Marx, Hochschule, S. 54.
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fragter Arzt der besseren Gesellschaft mit erheblicher medialer Präsenz geworden. Sauerbruch hatte dem wachsenden akademischen Antisemitismus der 1920er Jahre kritisch gegenübergestanden, trat nie in die NSDAP ein, half nach 1933 in mehreren Fällen Verfolgten und protestierte im Sommer 1940 beim Justizministerium gegen die Ermordung behinderter Menschen in der Aktion T4. Dem Sicherheitsdienst der SS galt Sauerbruch laut einer Beurteilung vom September 1944 als politisch „instinktlos und unzuverlässig“.43 Auf der anderen Seite aber zeigte er Verständnis für einzelne antisemitische Maßnahmen des Regimes, weil doch manche Kliniken in der Tat „verjudet“ gewesen seien. In einer Rundfunkansprache vom 28. Oktober 1933 fasste Sauerbruch seine Position prägnant zusammen: Angesichts der Demütigung der deutschen Nation und der innenpolitischen Zwietracht seit 1918, müssten nun selbst jene Patrioten, die Zweifel gegenüber der Regierung empfänden, diese um der Nation willen unterstützen und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten als ihre Revolution verstehen.44 Insofern nur vier Fachspartenleiter wie Sauerbruch bereits vor der NS-Machtübernahme Ordinarien geworden waren, dominierten unter ihnen die vom NSRegime protegierten Forscher. Zehn Fachspartenleiter gehörten der NSDAP, der SA oder der SS an, allerdings hatten sich nur zwei von ihnen (Thiessen und Meyer) bereits vor 1933 für den Nationalsozialismus engagiert. Die meisten Fachspartenleiter hatten sich für ihre Funktionen durch eine Mischung aus wissenschaftlicher Leistung und politischer Konformität qualifiziert. Zudem besaßen vier von ihnen zum Zeitpunkt ihrer Ernennung Erfahrungen aus der Arbeit in der Ministerialverwaltung, fünf hatten Berufserfahrungen und Kontakte in Industrieunternehmen gesammelt und schienen auch dadurch für die Aufgabe geeignet, die Akteure ihrer Forschungsfelder auf die Ziele der Kriegswirtschaft und Kriegsführung auszurichten. Trotz einiger organisatorischer Veränderungen, auf die noch zurückzukommen sein wird, sollte sich dieses Profil der Fachspartenleiter bis zum Kriegsende wenig verändern. Von den 14 am Anfang des Jahres 1945 amtierenden Fachspartenleitern, waren sieben bereits 1937 ernannt worden. Das Durchschnittsalter der Funktionsträger lag nun bei knapp 53 Jahren, zwölf von ihnen waren Ordinarien und drei (teilweise zugleich) Direktoren von Instituten der Kaiser-WilhelmGesellschaft. Die Zahl der bereits vor 1933 für den Nationalsozialismus Engagierten hatte sich nicht vermehrt, dagegen war sogar der Anteil derjenigen, die ihre Lehrstühle bereits vor 1933 erhalten hatten, auf fünf der zwölf Ordinarien gewachsen. Gleich geblieben war die Zahl derjenigen, die über Erfahrungen in Ministerialverwaltungen und Industriebetrieben verfügten. Generell scheinen drei Kriterien für die Auswahl der Fachspartenleiter bestimmend gewesen zu sein: Erstens gehörten mehrere von ihnen entweder bereits seit Längerem zur Gruppe um Mentzel oder hatten mit dieser in den letzten Jahren doch reibungsfrei zusammengearbeitet. Zweitens hatte ein Teil der Fachspar43 44
Schreiben des zuständigen SD-Abteilungsleiters Wilhelm Spengler an Werner Osenberg vom 26.9.1944, zit. nach dem Anhang zu Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 57. Vgl. Dewey u. a., Sauerbruch, S. 320, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 419–423 und Eckart, Sauerbruch.
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tenleiter, so etwa neben Richter und Köster der Fachspartenleiter für Eisen und Stahl Adolf Fry, in der Vergangenheit (teilweise seit den 1920er Jahren) eng mit dem Heereswaffenamt kooperiert. Drittens besaßen die Fachspartenleiter in der Regel Erfahrungen in der Koordination größerer Verbundprojekte und hatten innerhalb ihrer Fächer, aber auch in die staatliche Ressort- und die Industrieforschung hinein Beziehungen aufgebaut, die sie nun in den Dienst des RFR stellen konnten.45 Ab 1937 und bis 1945 war der Prototyp des Fachspartenleiters der etwa 50jährige Ordinarius, der sich im traditionellen Modus akademisch etabliert hatte, über Zusatzqualifikationen in Gestalt von Verwaltungs- oder Wirtschaftserfahrung verfügte und dem NS-Regime gegenüber auf der Basis eines nationalistischen Grundkonsenses zu Konformität bereit war, ohne zum politisch aktivistischen Kern der „Bewegung“ oder gar zu den „alten Kämpfern“ zu zählen. Der 1884 geborene Fachspartenleiter für Physik Abraham Esau repräsentierte diesen Typus ziemlich perfekt.46 Als Doktorand und Assistent des Danziger Physikordinarius Max Wien hatte sich Esau auf die physikalischen Grundlagen des Funkens spezialisiert und war nach Promotion und Militärdienst im Jahr 1912 in die Privatwirtschaft gewechselt. Für die Firma Telefunken hatte er ab 1913 in der westafrikanischen Kolonie Togo eine Funkstation aufgebaut und war nach Kriegsbeginn bis 1919 von der französischen Armee interniert worden. Seit 1925 war Esau Professor für technische Physik an der Universität Jena und galt am Beginn der 1930er Jahre als renommierter Experte für Hochfrequenzphysik, als etablierter Ordinarius (im Januar 1932 wurde er zum Rektor der Jenaer Universität gewählt und ein Jahr später, kurz vor der NS-Machtübernahme, im Amt bestätigt), als Mittler zwischen Hochschul- und Industriephysik sowie als glühender Nationalist. Im Jahr 1932 schmähte Esau in öffentlichen Reden die Weimarer Republik als „Jammertal der Jetztzeit“.47 Er zeigte sich überzeugt, dass ein weiterer Krieg „um Ehre, Freiheit und Abschüttelung unserer Sklavenketten“ unvermeidbar und von der Entente „aufgezwungen“ sein werde: „Der Kampf geht auf Leben und Tod. Er wird geführt gegen einen Feind, der keine Schonung und kein Erbarmen kennt (…). Wie schwer er aber auch sein (…) mag, er muß durchgefochten werden.“48 Zum 1. Mai 1933 trat Esau in die NSDAP ein und forderte fortan Kollegen wie Studenten dazu auf, sich in „treuer Gefolgschaft“ Hitlers Führung anzuvertrauen.49 Esau erwarb das Vertrauen des Thüringer Gauleiters Fritz Sauckel, obwohl ihm der Gaudozentenführer bescheinigt hatte, er habe vom „tieferen Wesen des Nationalsozialismus (…) keine blasse Ahnung“.50 Er war dem Regime gegenüber loyal, galt zu Recht als radikaler Nationalist und sah sich selbst als Vermittler zwischen der NSDAP und den älteren Ordinarien. Als „Grenzgänger“ zwischen Hochschulforschung und Industrie stand der Jenaer Professor für jenen Typus 45 46 47 48 49 50
Vgl. Maier, Forschung, S. 437–440. Zu Esau vgl. Hoffmann/Stutz, Grenzgänger. Esau, Weltnachrichtenverkehr, S. 28. Derselbe, Vertrag, S. 3 und 17; vgl. Hoffmann/Stutz, Grenzgänger, S. 137 f. und 146. Esau, 375 Jahre, S. 7. Vgl. derselbe, Entwicklung, S. 35. Zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 405.
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des Forschers, den die Nationalsozialisten für ihr Rüstungsprogramm dringend brauchten – dies genügte Sauckel, wie später auch Mentzel.51 Esau blieb bis März 1935 als Jenaer Rektor im Amt (und bekleidete dieses Amt erneut zwischen 1937 und 1939), befürwortete in den physikalischen Fachgesellschaften den Ausschluss jüdischer Mitglieder und den Nichtabdruck von Aufsätzen jüdischer Autoren, konzentrierte sich aber vor allem darauf, die universitäre Grundlagenforschung durch Kooperationen mit der Industrie in den Dienst der Aufrüstung zu stellen. Ab 1934 amtierte er neben seinen Hochschulfunktionen auch als ehrenamtlicher Staatskommissar bei der Carl-Zeiss-Stiftung, der Trägerin der Jenaer Optikfirma; schon in den 1920er Jahren hatte die Stiftung Esaus Forschungen mitfinanziert.52 Im Jahr 1937 zum RFR-Fachspartenleiter für Physik und Maschinenbau ernannt, wechselte Esau im Frühjahr 1939 als Ordinarius für technische Physik und Hochfrequenztechnik an die Wehrtechnische Fakultät der TH Berlin und wurde zugleich als Nachfolger Starks Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Mit „unbedingtem Siegeswillen und (…) Unerbittlichkeit gegen diejenigen, die nicht siegen wollten“, entwickelte Esau die PTR zum messtechnischen Dienstleistungszentrum für Wehrmacht und Rüstungsindustrie.53 Als „etablierter Vertreter des wissenschaftlich-militärisch-industriellen Komplexes“ engagierte er sich in gleicher Weise als Fachspartenleiter des Reichsforschungsrates und verfocht in diesem Rahmen zugleich die Interessen der Grundlagenforschung.54 Esaus größte Sorge – und auch hierin war er repräsentativ für die Mehrheit der Fachspartenleiter – resultierte aus der Einsicht, dass die amerikanischen Kollegen aufgrund einer ungleich intensiveren Förderung der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung in der Lage sein könnten, in dieser früheren Domäne deutscher Forschung, „einen Vorsprung vor uns (zu) gewinnen“, wie er in einen Denkschrift vom Oktober 1941 warnte.55 Als Spezialist für Hochfrequenztechnik erwies er sich allerdings als überfordert, das gesamte Spektrum seiner Sparte – neben der Physik auch die Mathematik und der Maschinenbau – zu überblicken und Akzeptanz unter den Kollegen zu gewinnen. Hieraus resultierten Konflikte, etwa mit den Atomphysikern um Werner Heisenberg. Im Dezember 1943 wurde Esau als Fachspartenleiter durch den Münchner Physikordinarius Walther Gerlach ersetzt, zugleich aber als „Bevollmächtigter für Hochfrequenzforschung“ in seinem engeren Fachgebiet als Vertreter des RFR bestätigt.56 Da Gerlach nicht nur einer der aktivsten Fachspartenleiter des RFR wurde, sondern auch in den 1950er Jahren als Vizepräsident großen Einfluss auf die bundesdeutsche DFG gewinnen sollte, wird seine Biographie hier kurz skizziert. 1889 als Sohn eines Mediziners in Wiesbaden geboren, studierte Walther Gerlach in Tü51 52 53 54 55 56
Hoffmann/Stutz, Grenzgänger, S. 151 und 159. Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 404. So Esaus Untergebener in der PTR Eberhard Justi nach 1945, zit. nach Hoffmann/Stutz, Grenzgänger, S. 160, vgl. ebenda, S. 159. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 243. Denkschrift Esaus vom 13.10.1941, zit. nach Ehlers, Wille, S. 124. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 305, Hoffmann/Stutz, Grenzgänger, S. 161 f. und 166 f. und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 396–403.
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bingen Philosophie, Mathematik und Physik und wurde dort 1912 bei Friedrich Paschen promoviert. Während des Ersten Weltkrieges diente er zeitweise als Oberingenieur bei der Technischen Abteilung der Funktruppen in Berlin, Jena und an der Westfront, konnte sich aber zugleich 1916 in Tübingen habilitieren. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst im Labor der Bayer-AG, bis er im Herbst 1920 außerordentlicher Professor in Frankfurt am Main wurde. Hier forschte Gerlach im Umfeld des künftigen Nobelpreisträgers Max Born (1954), profilierte sich zusammen mit Otto Stern, der 1943 ebenfalls den Nobelpreis erhalten sollte, durch Experimente zur Atomtheorie (Stern-Gerlach-Experiment) und wurde 1924 als Nachfolger seines Doktorvaters Paschen auf sein erstes Ordinariat nach Tübingen berufen. Fünf Jahre später wechselte er als Nachfolger des Nobelpreisträgers Wilhelm Wien (1911) nach München und war damit endgültig in der Spitzengruppe der Physik etabliert. Zum NS-Regime hielt Gerlach Distanz, weshalb er im Jahr 1933 für einige Monate ein Vorlesungsverbot erhielt. Er trat nicht in die NSDAP ein, setzte sich in den Debatten um eine „Deutsche Physik“ für die moderne theoretische Richtung ein, engagierte sich aber ab Kriegsbeginn in Forschungsprojekten zur Entwicklung von Torpedos für die Marine. Als Fachspartenleiter des RFR avancierte er 1944/45 zu einem der Organisatoren des deutschen Atomprojektes. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Gerlach zunächst zusammen mit anderen deutschen Kernphysikern von den Briten interniert, dann im April 1946 auf einen Lehrstuhl nach Bonn berufen, vom dem er zwei Jahre später nach München zurückkehrte. In der Folge bekleidete Gerlach nicht nur zeitweise das Rektorat der Münchner Universität sowie Führungspositionen in der DFG, der Fraunhofer und der Max-Planck-Gesellschaft, sondern profilierte sich sowohl in seinen Gremienfunktionen als auch öffentlich als Wissenschaftler, der aus seinem Engagement für die Kriegsforschung gelernt hatte: Er opponierte gegen Forschung, die im Auftrag der Bundeswehr erfolgte, protestierte gegen deren Atombewaffnung (Gerlach gehörte 1957 zu den Unterzeichnern der entsprechenden „Göttinger Erklärung“ von 18 Kernphysikern) und sprach sich öffentlich für die Aufarbeitung der NSVergangenheit aus. Im Jahr 1952 warnte Gerlach anlässlich der Debatten um den Regisseur Veit Harlan, der 1940 den Hetzfilm „Jud Süß“ gedreht hatte, vor einem Wiederaufleben des Antisemitismus in der Bundesrepublik.57 Kehren wir zurück zu Profil und Rolle der RFR-Fachspartenleiter. Nach ihrer Bestellung stellten die Ernannten ihre Erfahrungen in der Kooperation mit Industrie, Wehrmacht und anderen Reichsbehörden ebenso in den Dienst des Reichsforschungsrates wie ihre einschlägigen Beziehungsnetzwerke. Werner Köster, Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle und Direktor der KWI für Metallforschung, organisierte beispielsweise über seine Kontakte zu Industriellen, die im Kuratorium seines Institutes vertreten waren, eine systematische Aufgabenteilung zwischen dem RFR und der Industrie. Die Industrievertreter machten Köster auf Themen der Grundlagenforschung aufmerksam, von denen sie sich Nutzen versprachen und die der Reichsforschungsrat fördern sollte, und sie verwiesen Hochschulforscher, die sie wegen solcher Projekte um Unterstützung gebeten hatten, 57
Vgl. Huber, Gerlach und Rusinek, Mr. DFG.
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an Köster. Die Förderung von auf dieser Grundlagenforschung aufbauenden Entwicklungsarbeiten an einzelnen Produkten und Verfahren übernahm wiederum die Industrie. Köster beteiligte sich darüber hinaus an Arbeitsgemeinschaften des im Dezember 1939 in „Reichsamt für Wirtschaftsausbau“ (RWA) umgetauften Amtes für deutsche Roh- und Werkstoffe der Vierjahresplanorganisation. Das Gleiche galt für die Fachspartenleiter Erwin Marx (Elektrotechnik), Richard Kuhn (Organische und Biochemie), Peter Adolf Thiessen (Allgemeine und anorganische Chemie), Fry (Eisen und Stahl) und Albert Wolfgang Schmidt (Treibstoffe). Auch im Rahmen dieser Kooperationen wurde jeweils die Arbeitsteilung in der Forschungsförderung abgesprochen.58 Über solche Beziehungen seiner Fachspartenleiter war der Reichsforschungsrat Akteur in den Aushandlungsprozessen einer Forschungspolitik ohne eindeutiges Zentrum. Die einzelnen Fachspartenleiter entschieden selbständig über die Förderanträge ihrer Kollegen, auch wenn zunächst Becker und später Mentzel die Bewilligungsschreiben jeweils gegenzeichneten. Sofern sie ihrer zu bedürfen glaubten, erbaten sich die Fachspartenleiter Gutachten von Kollegen, die von ihnen ausgewählt, mitunter auch vom zuständigen Referenten der DFG-Geschäftsstelle vorgeschlagen worden waren. Als offizielle Entscheidungskriterien galten zum einen die Relevanz eines Projektes für den Vierjahresplan bzw. ab 1939 seine „Kriegswichtigkeit“ und zum anderen seine Verortung im Bereich der Grundlagenforschung. Dagegen beendete Mentzel spätestens 1938 die drei Jahre zuvor eingeführte Praxis, zur politischen Haltung der Antragsteller jeweils Stellungnahmen des NS-Dozentenbundes einzuholen. Dies verweist auf den zweckorientierten Pragmatismus Mentzels, vermutlich aber auch darauf, dass er nach fünf Jahren nationalsozialistischer Diktatur Nonkonformismus in Wissenschaftskreisen nicht mehr für ein relevantes Problem hielt.59 Die Fachspartenleiter machten ihre Kollegen regelmäßig auf die geltenden Kriterien aufmerksam und erwiesen sich in aller Regel als großzügig beim Identifizieren entsprechender Nutzversprechen von Projekten oder bei der Anpassung von Projektanträgen an die Kriterien. So reichte etwa Walther Gerlach den Antrag eines Tübinger Physikers im März 1944 nicht etwa zurück, nur weil dieser unvollständig war, sondern schrieb selbst den fehlenden Arbeitsplan und bewilligte das Projekt.60 Solches Wohlwollen wiederum leitete sich bei den meisten Fachspartenleitern wie schon bei den Fachausschüssen der Weimarer Zeit aus einer positiven Beurteilung der Persönlichkeit des Antragstellers und der bisherigen Resonanz seiner Forschung unter den Fachkollegen ab. Diese informellen Entscheidungskriterien wurden regelmäßig sowohl 58 59
60
Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 258 f. und 273, Schmaltz, Thiessen, S. 317 sowie Maier, Forschung, S. 462 ff. Mertens hat das letzte von der DFG eingeholte politische Gutachten für März 1938 entdeckt, vgl. Mertens, Würdige, S. 303. Moser glaubt unter Berufung auf eine Nachkriegsaussage des DFG-Referenten für Medizin, Sergius Breüer, dass Mentzel die Gutachten 1938 für unnötig erachtet und ihre Einholung eingestellt habe, vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 197. Vgl. den Arbeitsplan, die Notiz Gerlachs an den Antragsteller Otto von Brießen und Gerlachs Schreiben an die DFG vom 23. und 24.3.1944, in: BArch, R 26 III/440, Bl. 206 und 209.
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von den Fachspartenleitern wie von anderen Wissenschaftlern, die von ersteren um gutachterliche Stellungnahmen gebeten wurden, aktenkundig gemacht. Von dieser Kontinuität der Kriterien profitierten viele Wissenschaftler, beispielsweise der Hallenser Physiologe Emil Abderhalden. Dessen Förderanträge waren bis 1945 regelmäßig erfolgreich, obwohl von der DFG um Rat gebetene Kollegen zugaben, dass sie Abderhaldens Thesen und Experimente zu körpereigenen Abwehrfermenten (die sich als grandiose Irrtümer oder Fälschungen erweisen sollten) weder prüfen noch beurteilen könnten. Aber allein der „Ruf und die Stellung Abderhaldens“, so glaubte ein Gutachter im April 1937, müssten „eine weitere Stützung seiner Arbeiten durchaus hinreichend begründen“.61 Der Münchner Pathologe Max Borst stimmte dem zu: „Die Unterstützung der Arbeiten eines Forschers vom Range Abderhaldens würde ich von vornherein und grundsätzlich empfehlen.“62 Wie Ute Deichmann gezeigt hat, beruhten auch große Teile der während des Zweiten Weltkrieges am KWI für Biochemie betriebenen und von der Fachsparte Medizin des RFR erheblich geförderten Proteinforschung entweder auf „international bereits seit Jahrzehnten als unhaltbar“ identifizierten Hypothesen oder „auf nicht reproduzierbaren bzw. (…) auf gefälschten Forschungsergebnissen“.63 Dass dies vom Fachspartenleiter Sauerbruch nicht beachtet wurde, führt Deichmann auf die Reputation zurück, die der Direktor des KWI, der Nobelpreisträger Adolf Butenandt, im Kollegenkreis genoss. Butenandt selbst verschloss aus Loyalität gegenüber befreundeten Kollegen und Untergebenen die Augen vor deren Fehlleistungen.64 Wenn das Reputations-Kriterium in der Entscheidungspraxis der Fachspartenleiter starkes Gewicht behielt, so orientierten sie sich nicht nur an einer traditionellen Praxis, sondern sie verstärkten diese sogar noch, indem sie nicht passiv auf zu entscheidende Anträge warteten, sondern ihrerseits geschätzte Kollegen dazu aufforderten, dem RFR Projekte vorzuschlagen. Vor Beginn eines Haushaltsjahres baten die Fachspartenleiter jeweils aus ihrer Sicht potenzielle Antragsteller, ihnen ihre Pläne mitzuteilen, damit sie bei der Mittelzuteilung berücksichtigt werden könnten.65 In der Summe bestand die doppelte Funktion der RFR-Fachspartenleiter also darin, die aus ihrer Sicht qualifizierten Forscher einer Disziplin möglichst umfassend für die vom NS-Regime gesetzten Ziele zu mobilisieren und zugleich diesen Wissenschaftlern ein solches Engagement auf der Basis der jeweils eigenen Forschungsinteressen durch die Vermittlung von Fördergeldern, materiellen und personellen Ressourcen sowie Kooperationspartnern zu ermöglichen. 61 62
63 64 65
Aktennotiz des zuständigen DFG-Referenten vom 24.4.1937, zit. nach Deichmann, Flüchten, S. 360; zu Abderhalden generell vgl. ebenda, S. 357–372 und dieselbe, Fraud, S. 109 ff. Gutachten vom 30.4.1937, zit. nach Deichmann, Flüchten, S. 360; vgl. ebenda, S. 357–362 und 364–372. Der Königsberger Gynäkologe Carl Clauberg erhielt im selben Jahr eine DFGBeihilfe, obwohl der Gutachter zugegeben hatte, den Antrag nicht nachvollziehen zu können, weil er zugleich betonte, dass Clauberg als Person „Gewähr für zweckmässige Verwendung“ der Mittel biete, zit. nach Stoff, Wirkstoffe, S. 241. Deichmann, Proteinforschung, S. 28. Vgl. ebenda, S. 23–36. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 351 f.
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ARBEITSGRUPPEN UND SCHWERPUNKTPROGRAMME. DER ZWEITE REICHSFORSCHUNGSRAT AB SOMMER 1942 Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges begann erneut ein Tauziehen um die Frage, welche Interessengruppe wieviel Zugriff auf welche Forschungseinrichtungen erhalten werde. Die verschiedenen Industriebranchen, Wehrmachtsgattungen, Ministerien und Ämter der Göring’schen Vierjahresplanbehörde entwickelten Konzepte zur Schaffung einer neuen zentralen Institution, welche die akademische, die Industrie- und die Ressortforschung möglichst umfassend im Sinne der jeweiligen Partikularinteressen steuern würde. In der Phase der Blitzkriege zwischen Herbst 1939 und Herbst 1941 waren damit Erwartungen verbunden, eine jetzt durchgesetzte Neujustierung des Wissenschaftssystems werde eine unmittelbar bevorstehende Nachkriegsordnung langfristig prägen. Zugleich aber war in dieser Phase das Interesse der Spitzenakteure des Regimes, namentlich Hitlers und Görings, sich mit den komplexen Fragen der Forschungsorganisation zu beschäftigen und Entscheidungen zu treffen, gering, da sie keine unmittelbar den Ausgang des Krieges beeinflussenden Probleme erkannten und mal von operativen Augenblicksfragen, mal von euphorischen Siegesstimmungen absorbiert wurden. Unter diesen Rahmenbedingungen beschränkten sich die Auseinandersetzungen um eine Neuformatierung der Forschungslandschaft bis Ende 1941 einerseits auf die Verbesserung der jeweiligen Machtposition durch die Besetzung vakanter Schlüsselämter und andererseits darauf, dass die Akteure erneut eine „Flut von Denkschriften“ produzierten, lasen, kommentierten und mit eigenen Texten konterten.66 Nachdem General Karl Becker, Chef des Heereswaffenamtes und Präsident des Reichsforschungsrates, am 8. April 1940 Selbstmord begangen hatte, weil ihm die Verantwortung für Munitionsengpässe zugeschrieben worden war, übernahm Wissenschaftsminister Rust schon am Tag darauf selbst die Präsidentschaft. Er vermied damit kurzfristig ein Vakuum an der Spitze des RFR, das Begehrlichkeiten anderer Akteure geweckt hätte. Mentzel und sein Minister stabilisierten mittelfristig das bislang von Becker personifizierte Bündnis mit dem Heereswaffenamt und dem Oberkommando der Wehrmacht, dessen Forschungsabteilung seit April 1938 von Mentzels Vertrauten Erich Schumann geleitet wurde.67 Weniger Erfolg hatte das Wissenschaftsministerium im Poker um die Nachfolge des am 26. April 1940 verstorbenen Chemieindustriellen Carl Bosch im Präsidentenamt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Nach komplizierten Aushandlungen setzte Göring am 31. Juli 1941 mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Vereinigten Stahlwerke Albert Vögler einen Industriemanager an der Spitze der KWG durch. Der Kandidat des Wissenschaftsministeriums, Rudolf Mentzel, musste sich mit der Position eines zweiten Vizepräsidenten, noch hinter dem Staatssekretär im Ernährungsministerium und nun ersten Vizepräsidenten der KWG, Herbert Backe, begnügen. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wahrte einen gewissen Handlungsspielraum ge66 67
Ebenda, S. 273. Vgl. Ciesla, Heereswaffenamt, S. 62–66.
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genüber dem NS-Staat, indem sie ihre Verbindungen zur Großindustrie hervorkehrte und quotierte den Einfluss der Ministerien nach deren Beitrag zum Etat der KWG – und hier entfielen im Jahr 1941 eben 47,5 Prozent der öffentlichen Zuschüsse auf das an Agrar- und Autarkieforschung interessierte Ernährungs-, aber nur 32,5 Prozent auf das Wissenschaftsministerium.68 Aus Mentzels Sicht ließ sich diese personalpolitische Niederlage insofern verschmerzen, als auch Carl Krauch mit seinen Ambitionen auf die KWG-Präsidentschaft gescheitert war. Der IG-Farben-Manager und Leiter des zur Vierjahresplanorganisation gehörenden Reichsamtes für Wirtschaftsausbau hatte sich nicht nur um die Präsidentschaft der KWG und deren Integration in Görings Apparat bemüht, sondern warb seit April 1940 zudem in Denkschriften für eine radikale „Neugestaltung der wissenschaftlichen Forschung“.69 Demnach sollte zum einen die KWG in eine neue, Göring unterstellte Gesellschaft hinein aufgelöst werden. Zum anderen plante Krauch eine Görings Vierjahresplan zugeordnete und von Krauch selbst zu führende Behörde, die nicht nur jedwede Ressort- und Wehrmachtsforschung sowie die Forschung an Hochschulen und KWG-Instituten, sondern auch die Industrieforschung koordinieren und lenken würde. Krauch deutete in seinen Denkschriften den Wettbewerb unter Forschern nicht als Innovation steigernden Anreiz, sondern als „Zersplitterung“ und Ressourcen unnütz verzehrende „Doppelarbeit“.70 Von dieser Wertung aus kritisierte er die Strategie des RFR, den Forschern weitgehend freie Hand in den Fragestellungen, Methoden und Formen ihrer Arbeit zu lassen, solange sie diese in den Dienst der Ziele des NS-Regimes stellten, als ein Führungsdefizit. Aus der Sicht des Industriellen Krauch war Grundlagenforschung im technischen Innovationsprozess unverzichtbar; in einer an Göring adressierten Denkschrift vom Oktober 1941 behauptete er, die Industrie habe bei ihren Entwicklungen seit Kriegsbeginn die bis dahin entstandenen „Vorräte“ an Grundlagenforschung „aufgezehrt“, die Hochschulen als die notwendigen Zentren dieser Forschung – nur in „der anspornenden Umgebung zahlreicher erstklassiger Fachgenossen“ könne, so meinte Krauch, grundlegend Neues entstehen –, aber kaum nachgeliefert, weil es an politischer Führung gemangelt habe.71 So eindringlich Krauch auch bei Göring für seine Pläne warb und dies mit (so Helmut Maier) „regelrecht denunziatorischen Attacken“ gegen die Person Mentzels verband und obwohl weitere Stimmen in diesen Chor einstimmten (wie zum Beispiel der Chef der Luftwaffenforschung Adolf Bauemker, dem seinerseits an einem erweiterten Zugriff auf Hochschul- und Industrieforscher gelegen war): 68 69 70 71
Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 832–845 sowie 1237 f. und Albrecht/ Hermann, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, S. 392 ff. So Krauch in einer Denkschrift an Göring vom 6.4.1940, zit. nach Maier, Forschung, S. 720. Zit. nach ebenda, S. 724. Krauchs Denkschrift vom 29.10.1941, zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 367 und 370. Mentzel, so hieß es in einer Denkschrift des Krauch-Vertrauten Hubert Meth vom April 1941, habe „mit den Zuständigkeiten, die er lange genug gehabt hat, nichts (…) anfangen können“, weshalb „aus der Forschung nichts geworden“ sei, Meths an Görnnert gerichtete Denkschrift vom 1.4.1941, in: BArch-M, RL 3/56, fol. 491–495, hier fol. 492.
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In der Sache bewegte sich bis Ende 1941 nichts.72 Dies lag nicht daran, dass sich Mentzel & Co. geschickt zur Wehr gesetzt hätten, sondern am Desinteresse der entscheidenden Akteure Hitler und Göring. Im ersten Halbjahr 1942 entwickelten Göring und Hitler vorübergehend ein konkretes Interesse an der Forschungspolitik, und mit der Ernennung Albert Speers zum Rüstungsminister am 13. Februar dieses Jahres betrat ein neuer Akteur das Feld. Beides waren unmittelbare Folgen dessen, dass sich die strategische Perspektive der NS-Führung ab Dezember 1941 mit dem Scheitern vor Moskau und der Kriegserklärung an die USA radikal verändert hatte: Nun galt es, operative Kriegsführung und Rüstung auf einen langandauernden Krieg aus der Defensive heraus umzustellen. Damit erschien es nun sinnvoll, Forschung systematisch so zu planen, dass sie möglichst effizient von der Grundlagen- über die angewandte Forschung bis hin zur technischen Entwicklung neue Waffensysteme und Verfahren zur Behebung des Rohstoffmangels hervorbringen würde. Dass es der vom Staatsarchitekten zum Rüstungsminister mutierte Speer war, der die Initiative ergriff, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Bereits Mitte März 1942 vermerkten Fachbeamte des Reichsluftfahrtministeriums, dass Speer zusammen mit dem ihn beratenden Stahlmanager und KWIPräsidenten Vögler eine Neuordnung der Forschung auf den Weg brachte. Nachdem er Absprachen mit Göring getroffen hatte, erreichte der Rüstungsminister am 13. Mai 1942 bei Hitler, dass der Reichsforschungsrat unter einer Präsidentschaft Görings neu organisiert wurde, wobei aber alle rüstungsrelevanten Forschungsfelder unter Speers Kontrolle gestellt und von Vögler geführt werden sollten.73 Am 9. Juni 1942 unterzeichnete Hitler einen hierzu in Speers Ministerium ausgearbeiteten Erlass. Mit ihm ordnete er an, dass der bisherige in einem neuen Reichsforschungsrat aufgehen werde. Dieser solle im Unterschied zu seinem Vorgänger ein eigenständiges Rechtssubjekt – sprich aus der Abhängigkeit vom Verwaltungsapparat der DFG gelöst – werden und unter Görings Präsidentschaft „den zusammengefaßten Einsatz der wissenschaftlichen Forschung und ihre Ausrichtung auf die zu erstrebenden Ziele“ sicherstellen.74 Wie Rüdiger Hachtmann feststellt, handelte es sich bei Hitlers Erlass um „ein NS-typisches Konglomerat an Generalklauseln, die auszufüllen der Person überlassen blieb, der die zentrale Position übertragen wurde – im vorliegenden Fall Göring“.75 Dieser hielt denn auch am 6. Juli 1942 eine Gründungssitzung des neuen Reichsforschungsrates im Großen Saal des Luftfahrtministeriums ab, auf der die Grundlinien der Neuorganisation besprochen wurden. Außer Göring, Speer, Rust, Wirtschaftsminister Funk, Postminister Ohnesorge, Rosenberg, Mentzel, Vögler und Krauch nahmen Vertreter der Wehrmachtsgattungen teil. Zu Beginn 72 73 74 75
Maier, Forschung, S. 721. Zu den diversen Denkschriften von 1940/41 vgl. ebenda, S. 720– 738, Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 866–875 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 269–276. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 286 f. Zum engen Verhältnis zwischen Speer und Vögler vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 853–856. „Erlaß des Führers über den Reichsforschungsrat“ vom 9.6.1942, in: RGBl 1942 I, S. 389. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 877.
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der Sitzung hielt Göring einen Vortrag, mit dem er in Zustandsbeschreibung wie Perspektive an Krauchs Denkschriften anschloss: Die Wehrmachtsgattungen, Industrielabore und akademischen Forschungseinrichtungen forschten zu oft ohne Abstimmung an ähnlichen Themen; dem einzelnen Professor habe man die Freiheit gelassen, zu erforschen, „wofür er sich gerade interessierte“ und auf seinem „Gebiet herumzutoben, wie es ihm passte“. Dies müsse vom neuen Reichsforschungsrat zugunsten einer zentralen Koordination überwunden werden. In der folgenden Diskussion markierte Speers Vertrauter Vögler eine Gegenposition: Die Industrieforschung werde bereits durch die Arbeitsgemeinschaften und Ringe des Rüstungsministeriums effektiv koordiniert; das eigentliche Problem sei der „Ressortneid“ der Wehrmachtsteile. Der neue Reichsforschungsrat müsse folglich keine zentrale Steuerungsinstanz für die Gesamtheit der deutschen Forschung (also inklusive jener der Industrie) werden. Vielmehr könne er auf den Strukturen seines Vorgängers aufbauen und um Obmänner der Wehrmachtsteile ergänzt werden – die man freilich nicht aus dem Militär, sondern aus den Reihen der „Gelehrten (…) mit Ruf und Namen“ nehmen solle.76 Was aus dem RFR werden würde, hing infolge von Hitlers Erlass von Göring ab – aber eben auch von Görings Willen und Möglichkeiten, sich gegenüber anderen Akteuren durchzusetzen. Diesbezüglich zeigte die Sitzung vom 6. Juli 1942 seine Grenzen auf: Gegen Speers Rüstungsministerium, Industriemanager wie Vögler und die Spitzen von Heer, Marine und OKW, die eine Dominanz von Görings Luftwaffe innerhalb der Wehrmachtsforschung ablehnten, besaß er nicht genügend Durchsetzungskraft. Als er am Ende der Sitzung deren Ergebnis zusammenfasste, akzeptierte er im Wesentlichen Vöglers Position.77 In der Folge verlor Göring schnell das Interesse an den komplexen Fragen der Forschungspolitik. So erhielt der neue Reichsforschungsrat nie den von Hitler verordneten Status eines selbständigen Rechtssubjektes; damit blieb er wie sein Vorgänger im Verwaltungsalltag auf den Apparat der DFG angewiesen. Die Wehrmachtsgattungen unterhielten auch in der Folge eigene Forschungsabteilungen und eigene Kooperationsbeziehungen zu Hochschul-, KWG- und Ressortforschern. Indem Göring im Juni 1942 für seine Luftwaffe eine zentrale „Forschungsführung“ unter dem Vorsitz Ludwig Prandtls, des Direktors des KWI für Strömungsforschung, eingerichtet hatte, signalisierte er selbst, dass der Primat der Partikularinteressen innerhalb der Wehrmacht fortbestand.78 Zwar ernannte Göring mit einem Rundschreiben vom 24. Juli 1942 einen 24köpfigen Präsidialrat des Reichsforschungsrates, in dem alle interessierten In76
77 78
Stenographischer Bericht über die Besprechung über den Reichsforschungsrat am Montag, den 6. Juli 1942, in: BArch-M, RL 3/56, fol. 301–376, hier fol. 307, 340 und 342; eine Teilnehmerliste ebenda fol. 394. Görings Eingangsvortrag beruhte auf einer Ausarbeitung von Görnnert vom 4.7.1942, vgl. diese ebenda, fol. 382–386, eine Denkschrift Krauchs für Göring vom 25.6.1942 ebenda, fol. 479–484. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 293–297, Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 877–883, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 384 ff. und Maier, Forschung, S. 752–759. Vgl. den Stenographischen Bericht, in: BArch-M, RL 3/56, fol 368 f. Vgl. Albrecht/Hermann, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, S. 400 und Ludwig, Technik, S. 237.
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stitutionen mit ihren Spitzenleuten vertreten sein sollten – wenn er denn jemals zu einer Sitzung zusammengetreten wäre. Indem Göring den Präsidialrat aber nie einberief, wurde der neue Reichsforschungsrat de facto weiter von Rudolf Mentzel geleitet, den Göring am 5. September 1942 zum Leiter eines Geschäftsführenden Beirates ernannte. Eine Satzung oder Geschäftsordnung, die dieses Gremium und seine Kompetenzen definiert hätten, erhielt der RFR nie; auf entsprechende Entwürfe Mentzels reagierte Göring schlicht nicht. In der Praxis agierte Mentzel ab Herbst 1942 weiter mit den bisherigen Verwaltungsapparat, aber unter einem neuen Briefkopf, auf dem der Verweis auf Göring als Präsidenten des RFR mehr abgeleitete Macht suggerierte als zuvor.79 In der Summe waren Mentzels Handlungsspielräume an der Spitze des Reichsforschungsrates im Zuge von dessen Formwandel insofern gewachsen, als er nun als RFR-Geschäftsführer nicht mehr seinem Minister Bernhard Rust unterstellt war, sondern einem zumeist desinteressierten Hermann Göring.80 Mentzel musste fortan lediglich Görings damit beauftragtem Adjudanten, dem SA-Oberführer Fritz Görnnert, den Eindruck vermitteln, dieser übe eine Kontrolle über die Tätigkeit des RFR aus. Obwohl Görnnert als promovierter Maschinenbauingenieur und früher Aktivist des NS-Studentenbundes von der eigenen Expertise in Sachen Forschungspolitik überzeugt war und sich zwischen 1940 und 1942 bei Göring für Krauchs Konzepte verwendet hatte, bildete er in der Folge kein Gegengewicht zu Mentzel. Er kritisierte diesen zwar ab und an, sammelte Material gegen ihn und beteiligte sich an Intrigen, reichte im Alltag aber die von Mentzel eingereichten Entwürfe für Schreiben Görings in seiner Eigenschaft als RFR-Präsident an seinen Chef zur Unterschrift weiter.81 Dass Mentzel aus den Auseinandersetzungen um eine Neuorganisation der Forschung letztlich gestärkt hervorging, hatte er neben der Stabilität seines Bündnisses mit dem Heereswaffenamt und dem OKW der Protektion durch SS-Chef Heinrich Himmler zu verdanken. Mit einem Schreiben vom 9. November 1942 bedankte sich der am selben Tag zum SS-Brigadeführer beförderte Mentzel bei Himmler explizit dafür, „daß ich inzwischen aufgrund ihrer Fürsprache und Anregung durch den Reichsmarschall zum Leiter des Geschäftsführenden Beirats des neuen Reichsforschungsrats berufen worden bin“.82 Unterstützt vom Geschäftsführer des SS-Ahnenerbes, Wolfram Sievers, hatte Mentzel Himmler im Juni 1942 darauf aufmerksam gemacht, dass die Finanzierung dieser Stiftung wie auch jene der Begleitforschung zu Himmlers „Generalplan Ost“ seitens der DFG gefährdet sein könnte, wenn im Zuge der Neuorganisation des RFR statt Mentzel 79 80 81
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Vgl. Görings Schreiben vom 24.7.1942, Mentzels Ernennung am 5.9.1942, sein Dankschreiben an Göring vom 11.11.1942 und einen Satzungsentwurf für den RFR, in: BArch-M, RL 3/56, fol. 158 ff., 270 und 183–191, sowie Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 300 ff. Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 284. Vgl. zu Görnnerts Agieren Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 274 f., 292 f., 300, 386 f. und 451, sowie Maier, Forschung, S. 729 f. Vgl. das von Görnnert Ende 1942 gesammelte Material gegen Mentzel sowie einige der Vorlagen Menzels für ihn, in: BArch-M, RL 3/56, fol. 93–109 und 111–129. Auszug aus dem Schreiben Mentzels an Himmler vom 9.11.1942 http://www.ifz-muenchen. de/archiv/zs/zs-0554.pdf, S. 13 (zuletzt besucht am 20.10.2016).
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ein Vertrauensmann Görings, Speers oder gar Rosenbergs die Kontrolle über die Fördergelder in die Hände bekomme. Mentzel stabilisierte seinen Rückhalt bei der SS im Juni 1943 weiter dadurch, dass er Sievers in Absprache mit Himmler zu seinem Stellvertreter im Geschäftsführenden RFR-Beirat bestellte. Damit besaß Sievers die Möglichkeit, innerhalb des RFR dafür zu sorgen, dass die Projekte des Ahnenerbes weiter gefördert würden. Er konnte ihnen außer Geld auch jene Bescheinigungen über „Kriegswichtigkeit“ beschaffen, von denen die Belieferung mit knappen Rohstoffen und Instrumenten abhängig war. Gegenüber Dritten – etwa dem Reichspatentamt – vertrat Sievers unter dem Briefkopf des Reichsforschungsrates Interessen der SS-Stiftung und beglaubigte so, dass das Ahnenerbe Teil des seriösen Wissenschaftssystems sei.83 Im Laufe des Jahres 1943 strukturierte Mentzel die Arbeit des Reichsforschungsrates neu, indem er sieben der inzwischen 18 Fachsparten auflöste (nämlich jene für Verkehrswesen, Treibstoffe, Berg- und Hüttenwesen, Wehrmedizin, Kolonialwissenschaften, Raumforschung und Bevölkerungspolitik/Erbbiologie) und die Leiter der Fachsparten für Eisen und Stahl sowie für Physik (Adolf Fry und Abraham Esau) durch Nachfolger (Friedrich Körber und Walther Gerlach) ersetzte, von denen sich Mentzel mehr Aktivität erhoffte.84 Auch die beiden Neulinge repräsentierten jedoch den traditionellen Typus des DFG-Ordinarius: Gerlach hatte wie erwähnt sein erstes Ordinariat 1924 in Tübingen angetreten; Körber amtierte schon seit 1923 als Direktor des Düsseldorfer KWI für Eisenforschung und hatte sich bereits vor 1933 in Kommissionen der Notgemeinschaft engagiert.85 Die übrigen neun Fachspartenleiter wurden in ihren Ämtern bestätigt. Bis zum Anfang des Jahres 1945 wuchs die Zahl der Fachsparten durch Neueinrichtungen für Hoch- und Tiefbau, Maschinenbau und Biologie wiederum von elf auf 14; im Frühjahr 1945 kam noch die Mathematik hinzu. Für Mentzels Machtposition war bezeichnend, dass er es sich bei der Neubesetzung der Fachsparten leisten konnte, alle von anderen Stellen gegenüber Göring gemachten Vorschläge zu ignorieren.86 Zusätzlich zu den Fachspartenleitern ließ Mentzel durch Göring bis Anfang 1945 mindestens 20 „Bevollmächtigte“ bzw. „Beauftragte“ des RFR ernennen. Diese sollten – im Unterschied zu den Leitern der im Wesentlichen disziplinär angelegten Fachsparten – die Forschung auf jeweils konkreten Themenfeldern der Kriegsforschung fördern und koordinieren, so zum Beispiel auf dem Gebiet der Ballistik, der Hochfrequenz- oder der Faserstoffforschung. Wie die Fachspartenleiter erhielten die Bevollmächtigten Jahresbudgets, über die sie eigenständig verfügen konnten. Die Bevollmächtigten waren mit einem Durchschnittsalter von gut 49 Jahren am Jahresbeginn 1945 etwas jünger als die Fachspartenleiter. Der Anteil der Ordinarien an dieser Gruppe war mit neun, von denen fünf bereits vor 83 84 85 86
Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 289 f. und 301 f., Kater, Ahnenerbe, S. 289 f., Ehlers, Wille, S. 192 und Reitzenstein, Forscher, S. 40, 185, 187, 197 f. und 262–268. Im Falle Frys hatte Mentzel auf Druck aus der Industrie reagiert, vgl. Flachowsky, Arbeit, S. 195. Vgl. ebenda, S. 164. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 304 ff.
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1933 diesen Status erreicht hatten, deutlich kleiner als bei den Fachspartenleitern. Nur zwei Bevollmächtigte waren bereits vor 1933 zur NSDAP gestoßen – früher Aktivismus für den Nationalsozialismus bildete auch in dieser Gruppe eine Randerscheinung; überhaupt ist nur für elf Bevollmächtigte die Mitgliedschaft in der NSDAP nachweisbar. Typisch für sie war vielmehr eine frühere oder noch aktuelle Leitungstätigkeit in Forschungseinrichtungen der Wehrmacht (dies traf auf sieben Bevollmächtigte zu) oder der Industrie (sechs Bevollmächtigte); drei Bevollmächtigte stammten aus Leitungsfunktionen der zivilen Ressortforschung.87 Während die vor allem an den Hochschulen verankerten Fachspartenleiter auch während des Krieges Wert darauf legten, die von ihnen betreuten Projekte in der Grundlagenforschung zu verorten, sollten und wollten die Bevollmächtigten vor allem angewandte Forschung und technische Entwicklung vorantreiben. Die meisten Bevollmächtigten kamen in ihre Funktion, weil Mentzel, Speer und (weniger ausgeprägt) Göring ihnen das Potenzial zuschrieben, die Hochschul-, KWG-, Ressort- und Industrieforschung für konkrete Aufgabenstellungen der Rüstung, Kriegsführung und Autarkiewirtschaft zu koordinieren. Sie sollten unter dem Briefkopf des Reichsforschungsrates (durch den sie zugleich auf die Autorität seines Präsidenten Göring verweisen konnten) und in den auf anderen Feldern von Speers Rüstungsministerium entwickelten Formen von Arbeitskreisen, „Erfahrungsgemeinschaften“ und „Ringen“ ein Maximum an Kooperation zwischen den genannten Institutionen erreichen. Aus diesen Motiven heraus avancierte nicht ein Ordinarius zum RFR-Bevollmächtigten für Nahrungsmitteltechnik, sondern mit Hans Crampe ein Direktor der Oetker-Werke, und deshalb auch wurde die Ballistik seitens des RFR vom Direktor des Ballistischen Institutes der Luftwaffe, Hubert Schardin, betreut.88 Im Regelfall wurden also bereits ausgewiesene Schnittstellenmanager ausgewählt, nicht akademische Koryphäen. Diesen Typus verkörperte beispielsweise der im Jahr 1899 geborene Diplomingenieur Friedrich Gladenbeck, der im Februar 1943 zum Bevollmächtigten für Fernsteuerungstechnik ernannt wurde. Nach einem Studium der Elektrotechnik und Berufsstationen bei Siemens und der Reichspost hatte er zwischen 1938 und 1941 die Forschungsanstalt der Reichspost geleitet. Im Jahr 1942 war Gladenbeck in den Vorstand der Allgemeinen ElektrizitätsGesellschaft (AEG) gewechselt. Zudem amtierte er als Vorsitzender des Verbandes Deutscher Elektrotechniker. Indem er neben seiner beruflichen Tätigkeit für die AEG nicht nur als Bevollmächtigter für den RFR, sondern ab Mai 1944 auch als Leiter einer Kommission des Rüstungsministeriums fungierte, die sich mit der Entwicklung elektronischer Zielsuchsysteme und Zünder für Bomben und Raketen beschäftigte, besaß Gladenbeck Einfluss, Zugang zu Informationen und Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen aller Art und aus allen einschlägigen Quellen. Er konnte Hochschulforscher, Entwicklungslabore der Industrie, der Reichs87 88
Vgl. ebenda die Tabellen 13 und 16 des Anhangs, zur disziplinären Gliederung der Fachsparten S. 331 und zu den Finanzierungsmodalitäten S. 387 f. Vgl. ebenda, S. 349–355. Zu Crampes Arbeitsbereich vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 473–478 und zum Organisationsmodell des Speerministeriums Tooze, Ökonomie, S. 645 ff.
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post und der Wehrmacht in die Entwicklung von Infrarotzielsuchgeräten und Abstandszündern für Luft-Luft-Raketen, Panzerabwehrraketen, Sprengboote und Lenkbomben einbeziehen – und er tat all dies in der Funktion und unter dem Briefkopf eines Bevollmächtigten des Reichsforschungsrates. Durch Schnittstellenmanager wie Gladenbeck fielen nicht nur Kommunikationsbarrieren zwischen akademischer, Ressort- und Industrieforschung, sondern nun gelangten auch Aufträge und Geld des RFR an die Forschungseinrichtungen der Industrie.89 Ein Schnittstellenmanager anderer Art war der 1910 geborene Geograph Otto Schulz-Kampfhenkel, der im Mai 1943 zum Beauftragten des RFR „für Sonderaufgaben der erdkundlichen Forschung“ ernannt wurde. Vor dem Krieg hatte er mit Expeditionen in Südamerika und Afrika von sich reden gemacht, die von der DFG und vom Wissenschaftsministerium gefördert worden waren; während des Krieges führte er mit Kommandos der Wehrmacht Erkundungsmissionen in Afrika und Osteuropa durch. 1943 wurde er nicht nur RFR-Beauftragter, sondern übernahm zugleich den Befehl über eine „Forschungsstaffel“ des OKW. Diese fertigte Luftbilder von potenziellen Kampfgebieten an, nahm vor Ort Bodenund Vegetationsproben, befragte Kriegsgefangene und sammelte weiteres Material. Über seine Stellung als RFR-Beauftragter erteilte Schulz-Kampfhenkel dann Aufträge an Wissenschaftler zur Auswertung dieses Materials. Zwischen November 1943 und Dezember 1944 stellte der Reichsforschungsrat hierfür mehr als 270.000 Reichsmark zur Verfügung, die sechs Universitäten und mehreren außeruniversitären Instituten zuflossen. Produziert wurden zum Beispiel sogenannte „Geländebeurteilungskarten“ für Regionen in der Sowjetunion, in Griechenland, Jugoslawien, Italien und Frankreich. Die Wehrmacht erhielt so Informationen über die Befahrbarkeit von Terrains durch Panzer zu verschiedenen Jahreszeiten, über Wassertiefen in Küstenzonen, zu einer dem Gelände angepassten Tarnung von Befestigungen, aber auch zu Fragen der Seuchenhygiene – all dies über einen Geographen, der zwischen akademischer und militärischer Sphäre und beiden angehörend vermittelte.90 Die Ernennung von Bevollmächtigten des RFR war eine von fünf Neuerungen, welche die Praxis des Zweiten von jener des Ersten Reichsforschungsrates qualitativ unterschieden. Die weiteren Innovationen bestanden (zweitens) in der Bildung von Arbeitsgruppen innerhalb der Fachsparten, (drittens) in einer Systematisierung der Koordination zwischen den Funktionsträgern des RFR und Gremien des Rüstungsministeriums, der Wehrmacht, einiger Ministerien und Ämter des Vierjahresplanes, (viertens) im Aufbau einer zentralen Kartei über die vom Reichsforschungsrat betreuten Forscher, Einrichtungen und Projekte und schließlich (fünftens) in der Einrichtung eines „Planungsamtes“ des RFR ab Juni 1943. Das Interesse an einer Bearbeitung abgegrenzter, von konkreten Nutzerwartungen angeregter Forschungsfragen führte 1943 nicht nur zur Bestellung der Bevollmächtigten, sondern ebenso zur Gliederung der Fachsparten des RFR in Arbeitsgruppen. So richteten die Fachspartenleiter innerhalb der Fachsparte Ei89 90
Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 331–336. Vgl. ebenda, S. 336–346, die Zitate hier S. 340 und 342; vgl. Rössler, Wissenschaft.
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sen und Stahl acht, in der Fachsparte Physik 16 und innerhalb der Sparte für Allgemeine und anorganische Chemie sogar 22 Arbeitsgruppen ein und ernannten Obmänner, die diesen vorstanden.91 Aus den Beratungen der Arbeitsgruppen gingen Projektanträge der beteiligten Forscher hervor, über deren Förderung der jeweilige Fachspartenleiter und Mentzel entschieden. Die Arbeitsgruppen spezialisierten sich zum einen auf durch Fragestellungen oder Methoden definierte Teilgebiete, in der Chemie zum Beispiel auf Felder wie die Aerosole, Massenspektrographie oder Grenzflächenvorgänge. Zum anderen musste ein Teil der Arbeitsgruppen über die Fachgrenzen interdisziplinär arbeiten. Daher beteiligten sich etwa am Arbeitskreis Ferromagnetismus der Fachsparte Physik auch die Leiter der Fachsparten Eisen und Stahl, Friedrich Körber und Nichteisenmetalle, Werner Köster, während der Leiter der Fachsparte Physik, Walther Gerlach, einer Arbeitsgruppe der Fachsparte Allgemeine und anorganische Chemie als Obmann vorstand.92 Die Fachspartenleiter rekrutierten die Obmänner ihrer Arbeitsgruppen in der Mehrheit aus den Hochschulen oder Instituten der KWG; so trugen in der Fachsparte Chemie 18 der 22 Obmänner Professorentitel, 14 der 22 arbeiteten an Hochschulen und fünf an Kaiser-Wilhelm-Instituten.93 Während die Vertreter der akademischen Forschung innerhalb der Arbeitsgruppen dominierten, diese also primär eine Mobilisierung dieser traditionellen DFG-Klientel gewährleisteten, dienten die Arbeitsgruppen doch zugleich dazu, diese Wissenschaftler mit Forschern und Ingenieuren aus der Industrie- und staatlichen Ressortforschung zusammenzuführen. Entsprechend beschrieb Walther Gerlach im April 1944 die Aufgaben der Arbeitskreise seiner Fachsparte Physik dahin, dass sie der zielgerichteten Kommunikation zwischen zwei Gruppen dienen sollten. Deren eine bezeichnete er als „die Forscher“, womit Gerlach die akademischen Grundlagenforscher an Hochschulen und KWG-Instituten meinte, die andere als „die Technik“, worunter der Fachspartenleiter die Entwicklungsingenieure der Industrie verstand: „Wichtigste Aufgabe des Arbeitskreises ist es, die bei der Industrie neu auftretenden wissenschaftlichen Probleme den Forschern zugänglich zu machen, die Forschungswünsche auf die Forschungsstellen zu verteilen bzw. dort zu übernehmen, wo ihre schnelle Lösung erwartet werden kann und rückwärts die Ergebnisse der Forschung raschestens der Technik wieder zuzuführen.“94 Für die Bevollmächtigten wie die Fachspartenleiter galt ab 1943 gleichermaßen, dass sie sich systematisch und auf zwei Wegen um institutionalisierte Kooperationen mit Akteuren aus der Industrie, den wissenschaftlich-technischen Fachgesellschaften, der Wehrmacht, dem Reichsamt für Wirtschaftsausbau sowie dem Rüstungsministerium bemühten, nämlich erstens durch die Integration sol91 92 93 94
Vgl. die Tabellen 14 und 15 im Anhang von Flachowsky, Notgemeinschaft sowie derselbe, Arbeit, S. 195–199 und 212. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 309. Vgl. Tabelle 15 im Anhang ebenda. Bericht Gerlachs über den Arbeitskreis Ferromagnetismus vom April 1944, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 308; vgl. zu den Arbeitskreisen anderer Fachsparten ebenda, S. 314–318 und Maier, Forschung, S. 884.
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cher Akteure in die Arbeitskreise des Reichsforschungsrates und zweitens durch ihre eigene Mitarbeit in Gremien dieser Partnerinstitutionen. Wie bereits erwähnt leitete zum Beispiel Friedrich Gladenbeck, der RFR-Bevollmächtigte für fernsteuerungstechnische Forschung, eine einschlägige Kommission des Rüstungsministeriums. Ernst Schmidt, der RFR-Bevollmächtigte für Strahlvortrieb, Hubert Schardin, Bevollmächtigter für Ballistik und Werner Köster, Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle, führten gleichzeitig Forschungskommissionen der Luftwaffe, Köster zudem eine Arbeitsgruppe des Rüstungsministeriums an. Insgesamt hatten sechs Bevollmächtigte oder Fachspartenleiter des RFR zugleich den Vorsitz in Kommissionen des Rüstungsministeriums, neun weitere aus dieser Gruppe sowie mehrere Obmänner von Arbeitskreisen des RFR nahmen als Mitglieder an Kommissionen des Rüstungsministeriums teil.95 Neun Bevollmächtigte und Fachspartenleiter waren zugleich Mitglieder einschlägiger Arbeitskreise des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau.96 Der Fachspartenleiter für Physik, Walther Gerlach, beteiligte sich schon seit Kriegsbeginn an Kommissionen der Marine, die sich mit der Entwicklung neuer Torpedos und der Entmagnetisierung von Schiffsrümpfen beschäftigten sowie an der im November 1943 gebildeten Kommission „Ultrarot“ des Rüstungsministeriums, welche die Entwicklung von Nachtsichtgeräten vorantreiben sollte. Gerlach leitete dann die in dieser Kommission formulierten „reinen Forschungsaufträge von grundsätzlicher Bedeutung“ über einen Arbeitskreis seiner Fachsparte an vom RFR finanzierte Projektnehmer weiter.97 Er insistierte darauf, dass der Reichsforschungsrat nur jene Themen zu übernehmen habe, die er der Grundlagenforschung zuordnete, während als anwendungsorientierte Forschung oder technische Entwicklung klassifizierte Arbeiten von Wehrmacht oder Industrie zu leisten seien. Gerlach erklärte im April 1944 apodiktisch: „Aufgabe des RFR ist die Planung und Steuerung der Grundlagenforschung.“98 Die Erforschung der physikalischen Eigenschaften eines Stoffes oder die Entwicklung von Messverfahren für diese Forschung galten ihm dabei als Grundlagenforschung, die Klärung der Frage, zu welchen praktischen Zwecken dieser Stoff geeignet sei, als angewandte Forschung und die Entwicklung einer Waffe oder eines Gerätes unter Nutzung dieses Stoffes als Entwicklungsarbeit.99 Werner Köster, Fachspartenleiter für die Nichteisenmetall-Forschung, hatte im Jahr 1939 mit Vertretern der Metallindustrie eine analoge Aufgabenteilung ausgehandelt: Seine Fachsparte werde die Grundlagenforschung an Hochschulen und Kaiser-Wilhelm-Instituten fördern, während alle Projekte, die unmittelbar zu industriellen Produkten und Verfahren führen konnten, von der Industrie zu 95 96 97 98 99
Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 357–362. Vgl. Teil 3 („Interinstitutionelle Querverbünde und Kooperationsverhältnisse des RFR“) des Anhangs zu ebenda. Protokoll der Arbeitskommission Ultrarot im Rüstungsministerium vom 21.8.1944, zit. nach ebenda, S. 308. Bericht Gerlachs über eine Besprechung des Arbeitskreises Ferromagnetismus im RFR vom 28./29.4.1944, zit. nach ebenda. Vgl. ebenda, S. 306, 311 ff. und 358 f.
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fördern seien. In der Folge traf Köster ähnliche Absprachen mit Speers Rüstungsministerium. Daher lehnte er im Juni 1943 die Förderung und Koordination von Projekten der Gießereiforschung ab, weil es hier um Produkte wie Panzerketten gehe, der RFR aber keine Stelle sein könne, „die der Industrie Entwicklungsarbeit abnimmt“.100 Diese Linie Gerlachs und Kösters entsprach dem Agieren in der Zentrale des Reichsforschungsrates. Mentzel erklärte im Mai 1943 gegenüber dem Reichsrechnungshof, dass der RFR, die Wehrmacht und das Rüstungsministerium darüber einig seien, ihre Forschungsprojekte zu koordinieren und dabei dem RFR die Betreuung aller „Grundlagen-Forschungsaufgaben“ zu übertragen.101 Ein Maximum an institutionalisierter Kooperation und Arbeitsteilung erreichte der Fachspartenleiter für Allgemeine und anorganische Chemie, Peter Adolf Thiessen, mit der Bildung eines „Arbeitsstabes chemische Forschung und Entwicklung“ im April 1943. Dieser „Chemiestab“ wurde von einem Triumvirat geleitet, das aus Thiessen, dem SS-Brigadeführer Walter Schieber, Chef der Reichsfachgruppe Chemie im Nationalsozialistischen Bund Deutscher Technik und des Rüstungslieferungsamtes im Rüstungsministerium, sowie Karl Krauch, Präsident des RWA und Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung im Vierjahresplan, bestand. Der Chemiestab koordinierte die gesamte Forschung, soweit sie durch die von Thiessen, Krauch und Schieber repräsentierten Institutionen initiiert oder betrieben wurde. Dabei überwies Thiessen über seine RFR-Fachsparte nur jene Projekte an Institute der Hochschulen oder der KWG, die der Chemiestab als „reine Forschungsaufgaben“, sprich: als Grundlagenforschung identifizierte.102 Aus der Sicht aller Akteure war eine Verbesserung der Informationsflüsse innerhalb seiner Gremien und seiner Klientel sowie zwischen dem RFR und seinen Partnern zentral – nur so konnte der Zweite Reichsforschungsrat im Sinne der Kriegsführung funktionieren. Hierzu diente eine Fülle von Tagungen und Besprechungen der erwähnten Arbeitskreise, aber auch die Systematisierung des schriftlichen Informationsaustauschs. Vom Sommer 1943 an informierten sich die Geschäftsstelle der DFG und die drei Wehrmachtsteile regelmäßig wechselseitig darüber, welche Projekte sie initiiert hatten; innerhalb des RFR wurden diese Informationen an die Fachspartenleiter und Bevollmächtigten weitergeleitet, die ihrerseits in Monatsabständen zu berichten hatten. Ab Dezember 1944 versandte die Geschäftsstelle zudem alle 14 Tage einen nach Fächern gegliederten Nach100 Schreien Kösters an Mentzel vom 30.6.1943, zit. nach Maier, Forschung, S. 881. Zu seinen Absprachen mit der Industrie und Speer vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 256 f. und 359. 101 Mentzels Bericht vom 10.5.1943, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 307. Die RFRKriegswirtschaftsstelle beschied den Bevollmächtigten für Fernsteuerungstechnik Gladenbeck im November 1944, man fördere zwar auch Projekte, die aus in der Sache liegenden Gründen „die Grenzen der reinen Forschung“ überschreiten müssten, aber auf keinen Fall solche Arbeiten, „die klar erkennbar reine Produktionsangelegenheiten“ darstellten, zit. nach ebenda, S. 309. 102 Das Zitat aus einem Schreiben des RWA an den RFR vom 21.10.1943, in: ebenda, S. 363; vgl. ebenda, S. 360–364, Eibl, Physikochemiker, S. 145, Schmaltz, Thiessen, S. 317 f. und Maier, Forschung, S. 817 f.
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richtendienst an einen ausgewählten Empfängerkreis von etwa 200 Personen aus der Klientel des RFR, darunter die Fachspartenleiter, Bevollmächtigten und Präsidiumsmitglieder. Diese Mitteilungen des Reichsforschungsrates berichteten jeweils knapp über die Forschung des Auslandes und über deutsche Forschungsarbeiten, die aus Gründen der Geheimhaltung nicht allgemein bekannt waren.103 Als Rückgrat all dieser Bemühungen um eine Verbesserung der Informationsflüsse ließ der RFR ab Anfang 1943 in der Bibliothek der Technischen Hochschule Berlin eine zentrale Kartei aufbauen. Hier sammelten und systematisierten 25 Mitarbeiter des Reichsforschungsrates unter der Leitung von Albert Predeek, dem Bibliotheksdirektor der TH, Daten über Forscher und ihre Arbeitsgebiete, über die staatlichen Forschungsinstitute und zumindest zu einem Teil auch über jene der Industrie, zudem über die Gegenstände laufender Forschungsprojekte. Die Kartei war bereits weit gediehen, als ein alliierter Bombenangriff sie am 22. November 1943 vollständig zerstörte. Der Neuaufbau am Ausweichstandort Roßla am Harz führte bis Dezember 1944 immerhin zu einer Kartei, die etwa 25.000 Wissenschaftler, 3.000 Institute und 45.000 Forschungsthemen verzeichnete.104 Die letzte Innovation in der Praxis des Zweiten Reichsforschungsrates bestand darin, ein „Planungsamt“ unter dem Hannoveraner Professor für Maschinenbau Werner Osenberg zu etablieren. Wie bereits die Bezeichnung des Ende Juni 1943 eingerichteten Amtes andeutet, verband sein Leiter mit ihm das Ziel einer zentralisierten Planung von Forschung in großem Stil. Während er hieran scheiterte, war sein Amt doch gleichzeitig erfolgreich darin, Tausende zur Wehrmacht eingezogene Wissenschaftler und Ingenieure zurück an ihre Institute zu holen und Tausende weitere vor der Rekrutierung zu bewahren. Zwischen dem Kriegsbeginn und dem Jahreswechsel 1942/43 waren 35 Prozent der Hochschullehrer und wissenschaftlichen Assistenten zur Wehrmacht eingezogen worden. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hatte 40 Prozent ihrer männlichen Belegschaft abgeben müssen, allerdings erreicht, dass dieser Aderlass vor allem das nichtwissenschaftliche Personal betraf. Für 25 ihrer 36 Institute hatte die Gesellschaft von der Wehrmacht die Anerkennung als kriegswichtige Betriebe erwirkt, deren Beschäftigte als „unabkömmlich“ („uk“) vom Kriegsdienst zurückgestellt wurden.105 Nachdem Hitler am 22. November 1942 den General Walter von Unruh als „Sonderbeauftragten für die Überprüfung des zweckmäßigen Kriegseinsatzes“ beauftragt hatte, den Staatsapparat systematisch nach neuen Rekruten abzusuchen, war die Gefahr gewachsen, dass die Forschungsinstitute weiter Personal verlieren würden.106 Vor diesem Hintergrund gelang es Mentzel im Januar 1943, sowohl Speer wie auch Göring davon zu überzeugen, dass dem vorgebeugt werden müsse. Von nun an konnten die Fachspartenleiter und Bevollmächtigten des 103 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 365 f. und 371 ff. 104 Vgl. ebenda, S. 367, Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 885 f. und Zierold, Forschungsförderung, S. 247. 105 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 433 und Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1247–1250. 106 Vgl. Kroener, General.
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RFR, aber auch einzelne Institute Listen erstellen, in denen vermeintlich unabkömmliche Forscher genannt wurden, welche die in der DFG-Geschäftsgestelle angesiedelte Kriegswirtschaftsstelle Göring vorlegte. Dieser ließ die gemeldeten Wissenschaftler dann uk stellen. Parallel dazu erwirkte auch das Rüstungsministerium im Frühjahr 1943 auf der Basis von Listen der Kriegswirtschaftsstelle die Uk-Stellung einiger Tausend Wissenschaftler und technischer Hilfskräfte. Als das Oberkommando der Wehrmacht die Einziehung von 50 Prozent aller bislang ukgestellten Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes plante, erreichte Mentzel Anfang September 1943 über das Speer-Ministerium, dass als kriegswichtig deklarierte Forschungseinrichtungen hiervon ausgenommen wurden.107 Dies sollte der letzte Erfolg Mentzels auf diesem Feld sein, denn in der Folge übernahm das erwähnte Planungsamt unter Werner Osenberg die Sicherung des Forschungspersonals vor dem Zugriff der Wehrmacht.108 Der im Jahr 1900 in Zeitz geborene Osenberg hatte seit 1924 als wissenschaftlicher Assistent an der TH Dresden gearbeitet und seine akademische Karriere von 1933 an nicht zuletzt durch Spitzeldienste für den Sicherheitsdienst der SS vorangetrieben. Im April 1938 zum Ordinarius am Institut für Werkzeugmaschinen der TH Hannover ernannt, hatte sich Osenberg erfolgreich um Projekte der Kriegsmarine bemüht und war im November 1942 im Nebenamt Abteilungsleiter im Marinewaffenhauptamt geworden. Als Insider der Rüstungsforschung, der zugleich das Vertrauen hoher Parteifunktionäre und der für die Beobachtung der Wissenschaft zuständigen Abteilung des SD unter SS-Standartenführer Wilhelm Spengler (einem promovierten Germanisten) besaß, griff Osenberg zwischen Februar und Juni 1943 die Politik des RFR massiv an. In Denkschriften an einen breiten Adressatenkreis behauptete er zum einen, nur 20 bis maximal 50 Prozent der deutschen Forschungskapazitäten seien überhaupt für kriegsrelevante Projekte mobilisiert, zum anderen kritisierte er, niemand habe die Einberufung Tausender Forscher zur Wehrmacht – und damit ihren Ausfall für die Forschung – verhindert.109 Osenberg fand schnell Gehör. Der von ihm angeschriebene NSDAP-Gauleiter für Südhannover-Braunschweig, Hartmann Lauterbacher, vermittelte Ende Mai 1943 ein Gespräch mit Görings Adjudanten Görnnert; der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Robert Ley, unterrichtete Ende Juni Hitler über Osenbergs Kritik. Im Hintergrund warben Spengler und sein Vorgesetzter, der Chef des Inlands-SD Otto Ohlendorf, dafür, Osenberg mit der Rückberufung einberufener Rüstungsforscher zu beauftragen. Im Ergebnis all dieser Aktivitäten ernannte Göring Osenberg am 29. Juni 1943 zum Leiter eines neu einzurichtenden Planungsamtes des RFR, das unabhängig von Mentzel arbeiten sollte.110 Dieser Erfolg Osenbergs beruhte darauf, dass er aus der Perspektive seiner subjektiven Erfahrung dramatische Szenarien entwarf, die zwar auf maßlosen Übertreibun107 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 432–436, Maier, Forschung, S. 827–836 und Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 482–486. 108 Zu Osenberg vgl. Federspiel, Mobilisierung. 109 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 437 und Ludwig, Technik, S. 243 f. 110 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 437 ff., Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1009–1014 und Ludwig, Technik, S. 244 f.
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gen beruhten, aber in den Monaten unmittelbar nach Stalingrad auf in der Sache ahnungslose Mitglieder der NS-Führung wie Lauterbacher oder Ley überzeugend wirkten. Ihre scheinbare Plausibilität verdankten Osenbergs Ideen dem Umstand, dass sie zum einen die angesichts der drohenden Niederlage akute Panik seiner Adressaten verstärkten, zum anderen aber suggerierten, eine energisch gesteigerte Rüstungsforschung könne den Ausweg bieten und zwar durch genau jenes Mittel, das die NS-Funktionäre gemäß ihrer Weltanschauung ohnehin für ein Allheilmittel hielten: durch den rast- und rücksichtslosen Aktivismus eines mit personaler Macht ausgestatteten Überzeugungstäters. Die Kernaufgabe des neuen Planungsamtes bestand nach Görings Erlass vom 29. Juni 1943 darin, das für die Rüstungsforschung benötigte Personal vor dem Zugriff der Wehrersatzbehörden zu bewahren. Osenbergs Amt stellte bis Dezember 1943 durch Erhebungen an den Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen eine Liste von 3.721 Wissenschaftlern und Ingenieuren zusammen, die von der Wehrmacht zurück an ihre Institute gebracht werden sollten. Nachdem Hitler selbst am 18. Dezember 1943 über das OKW angeordnet hatte, bis zu 5.000 Forscher aus der Wehrmacht zu entlassen und über das Planungsamt neu einzusetzen, gelang es Osenbergs Amt innerhalb eines Jahres, 3.761 eingezogene Wissenschaftler freistellen zu lassen. Zwei Drittel dieser Männer wurden in staatlichen Forschungseinrichtungen eingesetzt, das letzte Drittel in Instituten der Industrie. Für 11.198 bereits zuvor in Forschungseinrichtungen Tätige erreichte Osenbergs Amt die Bestätigung ihrer Uk-Stellung.111 Mit dieser Tätigkeit gab sich Osenberg jedoch nicht zufrieden, er wollte sein Amt vielmehr zu der Planungszentrale für jedwede auf rüstungsrelevante Produkte zielende Forschung machen. Görings Erlass hatte Osenberg nur vage beauftragt, im Interesse der Wehrmacht „vordringliche“ Forschungsthemen zu identifizieren, diese an die Fachspartenleiter und Bevollmächtigten des RFR „abzugeben“ und schließlich für die sofortige Umsetzung von Forschungsergebnissen in technische Verfahren und Produkte zu sorgen – all dies unter Beteiligung Mentzels, zugleich aber mit einer „Vollmacht“ Görings und diesem „unmittelbar unterstellt“.112 Osenberg las aus diesem Auftrag die Chance zur zentralisierten Leitung der Forschung heraus, zugleich fehlten ihm aber hinreichend konkrete Kompetenzen, um diesen Anspruch durchzusetzen. Zwar verfügte das Planungsamt mit einem Jahresetat von knapp 1,9 Millionen Reichsmark und 28 Beschäftigten, von denen nur sechs unmittelbar mit der Rückstellung oder Rückholung von Forschern von der Wehrmacht beschäftigt waren, über einige Kapazität zur Verwirklichung von Osenbergs Plänen.113 Aber vom Ende her gesehen, saß das ab Oktober 1943 in Lindau im Harz residierende Amt nicht nur geographisch im Abseits der Forschungspolitik. So blieben denn von seiner Tätigkeit vor allem die immer schriller werdende Denkschriften über das vermeintliche Versagen der Konkurrenten,
111 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 442–446, Federspiel, Mobilisierung und Ludwig, Technik, S. 251 f. 112 Görings Erlaß vom 29.6.1943, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 248 f. 113 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 441 und Tabelle 19 des Anhangs.
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die zwar nach 1945 gern zitiert wurden, um ein Chaos der NS-Forschungspolitik zu illustrieren, bis dahin aber weitgehend wirkungslos geblieben waren.114 Dass Osenberg mit seinen strategischen Absichten scheiterte, lag zum einen daran, dass die meisten NS-Funktionäre, die im ersten Halbjahr 1943 seinen Aufstieg befördert hatten, in ihrem kampagnenartigen Politikstil schnell wieder das Interesse an der Forschungspolitik verloren. Die hartnäckigeren Partner Osenbergs im Wissenschaftsreferat des SD wiederum konnten Himmler nicht von seiner Parteinahme für Mentzel abbringen und besaßen somit selbst kaum reale Macht. Zum anderen machte sich Osenberg sowohl mit seinen Führungsansprüchen als auch mit seinen Kampfschriften all jene aus dem Führungskreis des RFR zu Gegnern, die er hätte gewinnen müssen, um nicht nur neben, sondern über Mentzel hinweg agieren zu können. Im Gegensatz zu Mentzel, aber eben auch zur großen Mehrheit der Fachspartenleiter, hielt Osenberg Grundlagenforschung angesichts der Kriegslage für überflüssigen Luxus: Weit über die Hälfte der naturwissenschaftlichen und technischen Forschungsinstitute, so behauptete er in einer Denkschrift vom Dezember 1943, beschäftige sich mit für die Kriegsführung irrelevanten Gegenständen. Im August 1944 vermochte sein Amt gar in einer Liste von 802 Projekten des RFR nur fünf zu erkennen, die sich mit aus seiner Sicht „kriegsentscheidenden Problemen“ befassten. Schon daraus, dass sich die Fachsparte Physik „im Wesentlichen mit Grundlagenforschung“ beschäftige, glaubten Osenbergs Berichterstatter ableiten zu können, diese widme sich „nur wenig entscheidenden Problemen“.115 Namentlich die Fachspartenleiter für Chemie und Physik, Thiessen und Gerlach, widersprachen Osenberg ab Frühjahr 1944 regelmäßig und kritisierten gegenüber ihren Partnern aus Forschung, Industrie und Behörden die Versuche des Planungsamtes, unter Umgehung der Fachspartenleiter Projekte zu organisieren. Unterstützung fanden sie unter anderem bei SS-Chef Himmler, der sich am 3. August 1944 gegenüber Rüstungsminister Speer gegen eine Einschränkung der Grundlagenforschung sowie gegen jede Zentralisierung der Forschungsplanung aussprach: „Die Fachgruppenleiter bezw. Bevollmächtigten des Reichsforschungsrates und die jeweiligen Chefs der Wehrmachtwaffenämter“, so schrieb Himmler, seien diejenigen, „die Verantwortung für die Steuerung der Forschung übernehmen“ müssten.116 Zwar gelang es Osenberg mit Unterstützung Görnnerts, der Parteikanzlei und des SD, sich am 24. August 1944 von Göring mit der Bildung und Führung einer „Wehrforschungs-Gemeinschaft“ innerhalb des RFR beauftragen zu lassen, 114 Vgl. ebenda, S. 447 f., Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 470 ff. und Ludwig, Technik, S. 245 ff. und 253. 115 Bericht des Planungsamtes vom 19.8.1944, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 447; vgl. ebenda, S. 437, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 470 ff. und Maier, Forschung, S. 916 f. 116 Schreiben Himmlers an Speer vom 3.8.1944, zit. nach Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1018; vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 254, Eibl, Physikochemiker, S. 146 f. und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 449 f. Die Behauptung des SD-Funktionärs Fischer, er und Spengler hätten erfolgreich zwischen Osenberg, Thiessen und Gerlach vermittelt, dürfte Selbststilisierung sein, vgl. Fischer, Erinnerungen, S. 131.
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in der alle staatlichen Forschungseinrichtungen zusammengefasst und „auf vordringlichste durch Erfordernisse der künftigen Kriegführung diktierte Aufgaben“ ausgerichtet werden sollten. Doch diese wiederum ebenso pompöse wie vage Ermächtigung wurde schon in Görings Erlass dadurch relativiert, dass die eigentliche Steuerungsaufgabe einem „wissenschaftlichen Führungsstab“ übertragen wurde, der aus den Fachspartenleitern und Bevollmächtigten des RFR bestehen sollte.117 Göring und Görnnert entfalteten im Sommer 1944 insgesamt einigen forschungspolitischen Aktivismus, doch dieser blieb erneut erratisch. Andere Akteure taten es ihnen gleich. Für das Rüstungsministerium versuchte Oberst Friedrich Geist im September 1944, die Kontrolle über einige bislang den RFRFachspartenleitern unterstellte Projekte zu übernehmen, dies führte zu einigen hitzigen Besprechungen, aber nicht mehr. Ein weiteres Beispiel bildete die Gründung eines „Nachwuchsamtes“ im RFR unter dem Salzburger Gauleiter, Reichsstudenten- und Reichsdozentenführer Gustav Adolf Scheel am 7. Juni 1944. Das Amt brachte noch einen erheblichen Papierausstoß zustande, mehr aber leistete es nicht.118 Im September 1944 ernannte Speer in Reaktion auf Görings Erlass zur Wehrforschungsgemeinschaft Thiessen und Gerlach zu Vorsitzenden von Entwicklungskommissionen des Rüstungsministeriums und versetzte sie damit in die Lage, künftig alle Steuerungsbegehren Osenbergs durch Verweis auf ihre Verantwortlichkeit gegenüber Speer abzuweisen.119 Gerlach teilte den Direktoren der Physikalischen Institute am 2. Oktober 1944 per Rundschreiben mit, auch künftig würden Forschungsaufträge dritter Stellen ausschließlich über ihn als Fachspartenleiter erteilt werden und nur er entscheide über Fördergelder. Kurz darauf, am 20. Oktober 1944, verständigten sich die Fachspartenleiter und Bevollmächtigten des RFR auf einer Sitzung mit Mentzel und in Abwesenheit Osenbergs darauf, dass sich ihre Praxis nicht ändern und weiterhin ohne Eingriffe Osenbergs vonstattengehen werde. Das Ziel des Reichsforschungsrates werde unvermindert darin bestehen, „die Grundlagenforschung intensiv weiterzubearbeiten“.120 Der Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle Köster beruhigte denn auch zwei Wochen später den Berliner Professor Ernst Justus Kohlmeyer, dem das Planungsamt kurz zuvor die Fortführung eines Projektes untersagt hatte: „Bearbeiten Sie die Frage bitte ruhig weiter, wenn Sie Ihnen von grundsätzlicher Bedeutung erscheint.“121 Die von Osenberg geführte „Wehrforschungsgemeinschaft“ nahm sich auf dem Papier Ende 1944 beeindruckend aus. Da künftig nur ihr angeschlossene Institute darauf rechnen konnten, dass ihre Mitarbeiter vom Planungsamt vor der 117 Görings Erlass vom 24.8.1944, zit. nach Federspiel, Mobilisierung, S. 100 bzw. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 454. 118 Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 491–496 und 525 sowie das Schreiben des im Amt III des Reichssicherheitshauptamtes für die Forschung zuständig gewesenen Helmut Fischer an den Ankläger beim Spruchgericht Bielefeld vom 20.5.1949, http://www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-0548.pdf, S. 11 f. (zuletzt besucht am 14.10.2016). 119 Vgl. Eibl, Physikochemiker, S. 147 f., Ludwig, Technik, S. 264 und Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 446. 120 Zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 457; vgl. ebenda, S. 455–458. 121 Schreiben Kösters an Kohlmeyer vom 4.11.1944, zit. nach Maier, Forschung, S. 923.
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Rekrutierung durch die Wehrmacht geschützt sein würden, hatten sich bis dahin 1.341 Einrichtungen mit 15.624 männlichen und 8.172 weiblichen Beschäftigten bei der Gemeinschaft angemeldet. Hierzu hatten auch Osenbergs Gegner explizit geraten. Aber für die Forschung dieser Einrichtungen bedeutete die papierne Zugehörigkeit zu Osenbergs Kreation im Übrigen: nichts.122 Insgesamt, so lässt sich eine Zwischenbilanz ziehen, ist es Rudolf Mentzel trotz vieler Angriffe auf seine Position und die Existenz der von ihm seit Ende 1936 geleiteten Institutionen gelungen, sich selbst bzw. die DFG und den RFR als Vermittlungsinstanz zwischen akademischen Grundlagenforschern einerseits und jenen Institutionen des NS-Regimes andererseits zu behaupten, die diese Forschung für ihre politischen Zwecke nutzen wollten. Der Selbstmobilisierung der Forscher für diese Zwecke hat er einen Rahmen gezimmert und erhalten, innerhalb dessen sie ihr Selbstbild als Akteure der Grundlagenforschung wahren und zugleich gemäß einer nationalistischen Wertorientierung praktisch handeln konnten. Nach außen basierte Mentzels Erfolg sowohl auf der Uneinigkeit seiner Gegner als auch auf seiner Fähigkeit, sich starken Partnern wie dem Heereswaffenamt, Himmler und schließlich Speers Rüstungsministerium anzudienen. Nach innen setzte Mentzel auf das „Prinzip der Selbstverantwortung und –organisation“.123 Insofern war es interessegeleitet übertrieben, aber nicht völlig falsch, wenn er im Dezember 1948 vor dem Bielefelder Spruchgericht behauptete, er habe den Reichsforschungsrat „als ein Gremium von Wissenschaftlern geschaffen“.124 Gegenüber seinen Partnern aus der akademischen Forschung zeigte sich Mentzel zwischen 1937 und 1945 bereit, Macht zu delegieren und damit zu teilen. Er vertraute darauf, dass die so von ihm ermächtigten Fachspartenleiter, Bevollmächtigten und Arbeitskreise ihrerseits jene Forschungsleistungen liefern würden, die der Kriegsführung, damit aber auch der Stellung des RFR und seines Leiters im Ensemble der NS-Wissenschaftspolitik, den größtmöglichen Nutzen bringen würden. Um die Effizienz dieser Strategie für die nationalsozialistische Kriegsführung wenigstens grob abschätzen zu können – exakt vermessen lässt sie sich nicht –, muss man als Rahmenbedingung die eklatante strukturelle Unterlegenheit des NS-Regimes gegenüber den Kriegsgegnern USA, UdSSR und Großbritannien – sei es in Bezug auf Menschen, Rohstoffe, Industriekapazitäten oder Forschungsressourcen – berücksichtigen. Legt man folglich an die Forschungspolitik des RFR nicht den angesichts dieser Bedingungen irrealen Maßstab an, sie hätte Technologien hervorbringen können, die einen Sieg des „Dritten Reiches“ ermöglicht hätten, so war sie durchaus effizient in dem Sinne, dass sie die gegebenen Potenziale der Hochschulen und der Kaiser-Wilhelm-Institute weitgehend ausschöpfte, deren Forscher in ihrer Selbstmobilisierung für den Krieg unterstützte und mit den Akteuren aus Wehrmacht, Rüstungsministerium und Industrie koordinierte. 122 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 456 und Ludwig, Technik, S. 262–266. 123 Maier, Forschung, S. 885. 124 Protokoll der Vernehmung Mentzels durch den Ankläger am Spruchgericht Bielefeld vom 4.12.1948, http://www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-0554.pdf, S. 2 (zuletzt besucht am 14.10.2016).
SIEBTES KAPITEL ZWECKORIENTIERTE GRUNDLAGENFORSCHUNG. RFR UND DFG ALS RAHMEN FÜR DIE SELBSTMOBILISIERUNG DER WISSENSCHAFT FÖRDERLINIEN UND FÖRDERSCHWERPUNKTE Nach der Übernahme durch das Wissenschaftsministerium sollte die DFG bis Kriegsende keine finanziellen Probleme mehr haben, auch wenn ihr Etat schwankte. Schon in Mentzels erstem Amtsjahr als DFG-Präsident konnte er über 7,5 Millionen Mark aus dem Reichsbudget verfügen (zum Vergleich: im selben Jahr betrugen die staatlichen Gesamtaufwendungen für die deutschen Hochschulen 145 Millionen Mark). Im Jahr 1938 wurden hieraus acht Millionen, während der Etat für 1939 zunächst auf neun Millionen Reichsmark festgesetzt, nach Kriegsbeginn aber auf 7,1 Millionen abgesenkt wurde. Nachdem der Reichszuschuss für die DFG 1940 und 1941 jeweils sechs Millionen Mark betragen hatte, schnellte er im Jahr 1942 auf neun und im Folgejahr auf zehn Millionen hoch. Die Zahlungen des Reiches wurden je nach Jahr um 200.000 bis 500.000 Mark durch weitere Einnahmen aufgestockt, beispielsweise von Seiten des Stifterverbandes. Zwar wurde der vom Reich finanzierte reguläre Etat im Januar 1944 erneut auf sechs Millionen Reichsmark reduziert, reale Bedeutung gewann diese Kürzung aber nicht, da im Reichshaushalt ab September 1943 ein Sonderfonds von 50 Millionen Mark „für besondere Kriegsaufgaben des Reichsforschungsrates“ eingerichtet wurde, aus dem Mentzel bei Bedarf Teilsummen abrufen konnte. Geld war nun reichlich vorhanden. Obwohl DFG und RFR ihre Ausgaben im Jahr 1944 noch einmal erheblich steigerten (allein zwischen April und Oktober 1944 gaben sie 18,3 Millionen Reichsmark aus), wurde der Sonderfonds bis Kriegsende nicht ausgeschöpft.1 Mit diesen Mitteln setzten DFG und RFR zwischen 1937 und 1945 die etablierten Förderlinien fort: Sie unterstützten einzelne Projekte durch Sachbeihilfen oder Stipendien, finanzierten Forschungsreisen, Expeditionen und Ausgrabungen, beschafften Apparaturen, Versuchstiere und Rohstoffe für die Experimentalforschung, ermöglichten die Publikation wissenschaftlicher Zeitschriften und 1
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 225–230 und 252 sowie Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 385–389. Vor allem die Zahl der Stipendien war von 469 im Jahr 1939 auf 278 im Folgejahr und 275 im Jahr 1941 abgestürzt, vgl. den Überblick über die finanziellen Leistungen 1939/40, in: BArch, R 73/11067, Bl. 7 und Mertens, Würdige, S. 228. Zu den Gesamtaufwendungen für die Hochschulen 1937 vgl. die undatierte Denkschrift zum Reichsforschungsrat, in: BArch-M, RL 3/56, fol. 465–472, hier fol. 467.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
Monographien durch Druckkostenzuschüsse, förderten Langzeitvorhaben (und damit die institutionelle Infrastruktur der betreffenden Disziplinen) und leisteten finanzielle wie organisatorische Hilfestellung bei Initiierung und Verstetigung von Gemeinschaftsprojekten der Wissenschaftler eines Forschungsfeldes. Lediglich die Förderung des wissenschaftlichen Bibliothekswesens war bereits unter Stark an die Berliner Staatsbibliothek ausgegliedert worden.2 Dennoch veränderte sich die relative Bedeutung der einzelnen Förderlinien. Unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft verlor die finanzielle Förderung an Relevanz für die Forscher: Geld war für ein Regime, das auch auf dem Feld der Staatsfinanzen Vabanque spielte und die Engpässe der Gegenwart kurzfristig durch Schulden, Raubzüge und die Vermehrung der Geldmenge meisterte, keine knappe Ressource. Prekär war dagegen die Gewährleistung anderer Voraussetzungen der Forschung. Die Nachfrage aus Wehrmacht, Industrie und Forschung nach Rohstoffen, Instrumenten und Apparaturen überstieg eklatant das Angebot; diese Ressourcen unterlagen einer rigiden Bewirtschaftung. Die Förderung eines Projektes durch den Reichsforschungsrat wurde folglich für die Forscher insofern interessant, als sie mit einer verbesserten Position in der Konkurrenz um knappe Materialien verbunden war. Gleiches galt für das wissenschaftliche Personal: Nur die Etikettierung eines Projektes als „kriegswichtig“ durch den RFR machte es möglich, Forscher vor dem Kriegsdienst zu bewahren oder sie von der Wehrmacht zurück an ihr Institut zu holen. Die Bedeutung der finanziellen Förderung für die Forscher sank also im Verhältnis zur Relevanz anderer Förderlinien, aber Geld wurde nicht per se bedeutungslos, da es seinen Wert als Tauschmittel grundsätzlich behielt – auch wenn man eben nicht mehr alles für Geld eintauschen konnte. Im Gegensatz zur Notgemeinschaft der Weimarer Republik, veröffentlichten weder Stark noch Mentzel offizielle Bilanzen. Sören Flachowsky hat daher seine Berechnung der Ausgaben von DFG und RFR für einzelne Disziplinen, Projekte oder Forschungsverbünde auf eine akribische Auswertung einer Fülle von Akten aufbauen müssen. Da die zur Verfügung stehenden Daten lückenhaft sind, mit zunehmender Kriegsdauer spärlicher werden und in sich schon deshalb nicht widerspruchsfrei sein können, weil die verwendeten Kategorien und Zuordnungen mehrfach verändert wurden, ergeben sich immer wieder Zahlen, die im Detail divergierten. Gleichwohl zeigen sie eindeutige Tendenzen.3 Zwischen 1937 und 1943 gaben DFG und RFR insgesamt 48,7 Millionen Reichsmark aus. 5,2 Millionen Mark davon entfielen auf Verwaltungskosten (2,2 Millionen), institutionelle Förderungen (etwa für das SS-Ahnenerbe) oder lassen sich aus anderen Gründen nicht klar einzelnen Disziplinen zuordnen. Betrachtet man die Verteilung der übrigen Ausgaben auf die einzelnen Fächergruppen zwischen 1937 und 1943 und vergleicht diese mit der Verteilung während der letzten fünf Jahre der Weimarer Republik (also von 1928 bis 1932), so wird erkennbar, dass sich der Schwerpunkt der Förderung hin zu den Agrarwissenschaften und 2 3
Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 148 ff. und Briel, Beschlagnahmt, S. 39–43. Die folgenden Berechnungen stützen sich auf Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 374–390 und Zierold, Forschungsförderung, S. 227–235.
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zur Biologie verschoben hatte. Hatten diese in der Weimarer Republik mit einem Anteil von 5,9 Prozent an den DFG-Fördermitteln das Schlusslicht der Disziplinen gebildet, so standen sie zwischen 1937 und 1943 mit einem Anteil von 34,5 Prozent an der Spitze. Auf die Förderung von Natur- und Technikwissenschaften entfielen nun lediglich 30,0 Prozent gegenüber 42,8 Prozent zwischen 1928 und 1932. Die Geisteswissenschaften waren von 30,2 auf 21,7 Prozent abgestürzt, die Medizin von 18,9 auf 13,8 Prozent.4 Will man diese Zahlen bewerten, muss man zunächst zwei Relativierungen vornehmen. Erstens ist das Bild für das (bis zum 31. März 1944 reichende) Haushaltsjahr 1943 unvollständig, da es die ab September 1943 verfügbaren Sondermittel nicht berücksichtigt. Diese flossen in ihrer großen Masse den Natur- und Technikwissenschaften zu. Zweitens ist beim Blick auf die Entwicklung der Anteile einzelner Fächergruppen an den Fördermitteln zu beachten, dass DFG und RFR in absoluten Zahlen zwischen 1937 bis 1943 mehr Fördergelder verteilten, als es die DFG zwischen 1928 und 1933 getan hatte, nämlich im Jahresdurchschnitt 6,2 gegenüber 5,1 Millionen Mark. Die Medizin erhielt beispielsweise von DFG und RFR zwischen 1937 und 1943 durchschnittlich 894.000 Mark pro Jahr, in den letzten fünf Jahren der Weimarer Republik waren dies 899.000 Mark gewesen; die Förderung bewegte sich also (nachdem sie unter Stark eingebrochen war) ab 1937 wieder auf dem Niveau der Weimarer Zeit.5 Während auch die Natur- und Technikwissenschaften in absoluten Zahlen keinen nennenswerten Einbruch erlitten hatten, war die jährliche Förderung der Geisteswissenschaften tatsächlich von 1,58 auf 1,35 Millionen Mark reduziert worden. Dies entsprach der generellen Tendenz der Wissenschaftspolitik: Die Zahl der Lehrstühle war in den Geisteswissenschaften zwischen 1931 und 1938 stärker gesunken als in allen anderen Fächergruppen, nämlich um fast zehn Prozent von 486 auf 439 (die Medizin hatte gleichzeitig knapp drei Prozent, die Naturwissenschaften hatten vier Prozent ihrer Lehrstühle eingebüßt).6 In relativen wie absoluten Werten waren die Agrarwissenschaften die eindeutigen Gewinner. Schlüsselt man die Ausgaben der Fachsparten des Reichsforschungsrates für die Jahre 1937 bis 1943 genauer auf, so entfielen allein auf die von Konrad Meyer geleitete Fachsparte Landbauwissenschaft und Biologie 23,2 Prozent der Fördermittel. Ihr Spitzenrang war mehr als deutlich, denn die zweitplatzierte Fachsparte Allgemeine Medizin unter Ferdinand Sauerbruch konnte nur 7,4 Prozent der DFG-Mittel verteilen; den dritten Platz belegte Peter Adolf Thiessens Fachsparte Allgemeine und anorganische Chemie, auf die 5,4 Prozent der Gelder entfielen. Die Fachsparten Holz- und Forstforschung, Elektrotechnik und Physik folgten mit 5,0 bzw. 4,8 und 4,6 Prozent. Außer der mit 3,5 Prozent der Fördergelder unterstützten Krebsforschung verzeichneten alle übrigen Fachsparten jeweils nur Anteile zwischen 0,1 und 2,5 Prozent.7
4 5 6 7
Vgl. die Tabelle bei Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 377. Vgl. ebenda und Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 57. Vgl. Grüttner, Wissenschaftspolitik Geisteswissenschaften, S. 36. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 380 f.
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Die herausragende Stellung der Fachsparte Landbauwissenschaft und Biologie sowie ihres Leiters Konrad Meyer erklärt sich erstens aus der persönlichen Machtposition, die er um 1940 als forschungspolitischer Multifunktionär auf den Feldern der Agrar- und Raumordnungswissenschaften, als Mitglied der Gruppe um Mentzel und durch seine engen Verbindungen zur SS-Führung erlangt hatte. Diese Macht ließ sich direkt in Finanzmittel konvertieren. Zweitens besaßen Forschungen, die auf Produktivitätssteigerungen der Landwirtschaft zielten, seit 1936 einen überragenden Stellenwert, weil sie einer Ernährungspolitik im Krieg dienen konnten. Und drittens schließlich organisierte Meyer nach 1939 im Rahmen seiner Fachsparte auch jene Forschungsprogramme, die eine von „Bauerntum“ und ländlicher Siedlung ausgehende ethnische Neuordnung Mittel- und Osteuropas vorbereiten sollten und 1942 in Himmlers „Generalplan Ost“ mündeten. Rechnet man die von Meyer zu diesen Zwecken zusätzlich aus den DFG-Fördermitteln für die Geisteswissenschaften akquirierten Gelder hinzu, so steigt der seiner Verfügungsgewalt übergebene Anteil an den DFG-Fördermitteln sogar auf 25 Prozent. Allerdings vermitteln die Statistiken zu Fachsparten und Fächergruppen nur ein unscharfes Bild der Schwerpunktsetzungen durch den Reichsforschungsrat und die DFG, denn sie verdecken, dass sich innerhalb von Disziplinen die Förderung einzelner Forschungsfelder, Forscher und Institute stärker oder schwächer entwickeln konnte. So setzte der RFR beispielsweise in der Förderung chemischer Forschung erkennbare Schwerpunkte bei der physikalischen und der Polymerchemie. Anhand der Förderakten von 619 während der NS-Zeit an deutschen Hochschulen und KWG-Instituten tätigen Chemikern hat Ute Deichmann festgestellt, dass die Förderung der physikalischen Chemie durch den RFR zwischen 1937 und 1944 um mehr als das Fünffache expandierte und damit deutlich stärker zunahm als in anderen Feldern der chemischen Forschung.8 In einer ähnlich angelegten Studie über 445 deutsche Biologen hat dieselbe Autorin zeigen können, dass innerhalb der Biologie nach Kriegsbeginn der von Botanikern eingeworbene Anteil von Fördergeldern des RFR stark sank, während die Anteile von Genetikern und Mutationsforschern im Gegenzug anstiegen.9 Zugleich wird ein Konzentrationsprozess erkennbar, der im Ergebnis dazu führte, dass bereits bestehende „Leuchttürme“ der Spitzenforschung mit Mitteln des Reichsforschungsrates stärker ausgebaut wurden als weniger prominente Institute. Für 445 Biologen hat Deichmann im Jahr 1937 ein Fördervolumen von 300.000 Reichsmark, verteilt auf 101 Projekte, ermittelt, 1944 aber eine Fördersumme von 520.000 Mark, die nun nur noch 67 Projekten zugutekamen. Die gleiche Beobachtung hat sie für ihr Sample von 619 Chemikern gemacht: Im Jahr 8
9
Vgl. Deichmann, Flüchten, S. 225–228, für ihr Sample kommt sie auf ein durchschnittliches Wachstum des Fördervolumens um den Faktor 3,8 zwischen 1937 und 1944. Dies dürfte zum einen auf den ab September 1943 zur Verfügung stehenden Sonderfonds zurückzuführen sein, zum anderen aber addiert Deichmann hier die Förderungen für Chemiker, gleichgültig über welche Fachsparte sie die Mittel einwarben; hierdurch sind ihre Daten schwer vergleichbar etwa mit jenen von Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 380 f. Vgl. Deichmann, Biologen, S. 73 f. und Cottebrune, Mensch, S. 161–169.
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1937 zählt sie 103 Projekte, die mit insgesamt 359.000 Mark gefördert wurden, 1944 waren es dagegen 116 Projekte, für die der RFR nun 1.373.000 Mark aufwendete. Für den Reichsforschungsrat insgesamt wurden im Juni 1943 etwa 1.700 laufende Projekte registriert; im Jahr 1939 waren es noch knapp 2.800 gewesen, die sich aber in eine deutlich kleinere Gesamtsumme hatten teilen müssen, als sie vier Jahre später zur Verteilung stand. Eine relativ kleine Zahl von Forschern und Instituten waren die wesentlichen Profiteure dieser Entwicklung. Hierbei handelte es zum einen um unbestrittene Koryphäen ihrer Fächer wie Adolf Butenandt, Direktor des KWI für Biochemie und Nobelpreisträger (1939), zum anderen um die Gremienmitglieder des Reichsforschungsrates selbst wie Peter Adolf Thiessen, der zwischen 1937 und 1944 etwa 15 Prozent der Fördergelder seiner Fachsparte in von ihm selbst geleitete Projekte lenkte oder wie den 1943 zum Fachspartenleiter für Eisen und Stahl ernannten Friedrich Körber, auf dessen KWI für Eisenforschung fortan etwa 30 Prozent der Bewilligungen dieser Sparte entfielen. Innerhalb des Deichmann’schen Biologensamples entfielen 49 Prozent der Fördergelder des Jahres 1944 auf an KWI tätige Forscher, während es 1932 nur zehn Prozent gewesen waren. Auch bei der Beschaffung rarer Instrumente wie zum Beispiel Zentrifugen oder Elektronenmikroskopen über die Kriegswirtschaftsstelle des RFR wurden die Institute der KWG bevorzugt – der seit dem Frühjahr 1943 an ihrer Spitze stehende Chemiker Georg Graue war aus Thiessens KWI gekommen.10 Der Reichsforschungsrat förderte demnach im Wesentlichen die bereits gut etablierten Akteure und Institutionen akademischer Forschung. Umgekehrt vermochten jene, die vom RFR gefördert wurden, sich gemessen an ihrer internationalen Reputation langfristig in der Spitzengruppe ihrer Disziplinen zu behaupten. Ute Deichmann hat untersucht, wie die Forschungsleistung durch den RFR geförderter bzw. nicht geförderter Biologieordinarien in der Nachkriegszeit (zwischen 1945 und 1954) von der internationalen Scientific Community beurteilt wurde und hat hierzu den Science Citation Index (SCI) ausgewertet. Für die 56 von ihr untersuchten Lehrstuhlinhaber, die zwischen 1937 und 1945 vom Reichsforschungsrat gefördert worden waren, weist der SCI im Nachkriegsjahrzehnt durchschnittlich 45,1 Zitationen von Artikeln aus, die zwischen 1933 und 1945 publiziert worden waren. Für eine 22köpfige Kontrollgruppe von Biologen, die zwar zwischen 1937 und 1945 in Deutschland einen Biologie-Lehrstuhl innegehabt hatten, aber nicht vom RFR gefördert worden waren, errechnet Deichmann dagegen einen Durchschnittswert von nur 11,8 Zitaten aus während der NS-Zeit publizierten Artikeln. Die Gründe dieses Befundes sind kaum eindeutig zu bestimmen, aber er belegt, dass es den vom RFR bis 1945 geförderten Biologen auch über das Kriegsende hinaus mittels ihrer vor 1945 publizierten Arbeiten gelang, sich in Bezug auf fachin10
Vgl. den Überblick über die finanziellen Leistungen 1939/40 in: BArch, R 73/11067, Bl. 7, Deichmann, Biologen, S. 61 ff., dieselbe, Flüchten, S. 225–232, dieselbe, Proteinforschung, S. 17, Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 192, Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 385 und 402, derselbe, Arbeit, S. 197 sowie Zierold, Forschungsförderung, S. 230. Zu Graue vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 397–400 sowie für die bevorzugte Apparateausstattung der KWIs Gausemeier, Heimatfront, S. 160.
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ternes Ansehen deutlich vor den nicht geförderten Kollegen zu platzieren.11 Der Reichsforschungsrat orientierte sich also bei seiner Förderpolitik vorwiegend an den bereits bestehenden Reputationshierarchien der Fächer und trug mit seiner Förderpolitik zugleich zur Reproduktion und Verstetigung dieser Hierarchien bei. Die politische motivierte Förderung von Außenseitern und spezifisch nationalsozialistischen Institutionen, wie zum Beispiel der SS-Stiftung Ahnenerbe, bildete die Ausnahme, besaß aber gerade deshalb für die Geförderten die Funktion, ihre ansonsten prekäre Zugehörigkeit zum Feld seriöser Wissenschaft zu beglaubigen. Die vorliegenden Fallstudien zur Entwicklung einzelner Forschungsgebiete der Agrar-, Natur- und Technikwissenschaften während der NS-Zeit ermöglichen im Übrigen drei allgemeine Befunde, die im Rahmen dieses Kapitels noch näher dargestellt werden, hier aber schon einmal zusammen gefasst werden sollen: Erstens förderte der Reichsforschungsrat in größerem Umfang, als es die Notgemeinschaft in der Weimarer Republik getan hatte, Projekte, die von den Antragsstellern und Entscheidungsträgern der angewandten Forschung zugeordnet wurden. Zweitens kann man – um mit Helmut Maier einen Begriff der wissenschaftssoziologischen Debatte der 1970er Jahre zu verwenden – von einer „Finalisierung“ der Grundlagenforschung, also von ihrer Orientierung an Zwecken, sprechen.12 Das heißt: Die meisten Fachspartenleiter legten großen Wert darauf, dass sie die Mehrzahl der von ihnen geförderten Projekte als Grundlagenforschung klassifizieren konnten, weil ihre Ergebnisse Resonanz vor allem unter Fachkollegen finden würden. Zugleich betonten sie, dass für die konkrete Themenwahl dieser Forschung entscheidend sei, dass die gewonnenen Erkenntnisse bei der Lösung von Problemen helfen konnten, die bereits zu diesem Zeitpunkt die angewandte Forschung beschäftigten und die eine Umsetzung in zu entwickelnde Produkte (seien es Waffen, Ersatzstoffe aller Art oder verbessertes Saatgut) versprachen. Drittens bestanden die der Grundlagenforschung vorgegebenen Zwecke in einer Autarkie des deutschen Machtbereichs, das heißt im Ersatz oder in der Einsparung solcher Roh- und Werkstoffe, die innerhalb desselben nicht ausreichend vorhanden waren, daneben in der Entwicklung neuer Waffen und Geräte für die Wehrmacht sowie schließlich in der Produktion von Wissen für eine Neuordnung Europas gemäß der nationalsozialistischen Weltanschauung. Wechselt man die Perspektive und fragt danach, welche Relevanz die Förderpraxis von RFR und DFG für die einzelnen Forscher hatte, so muss man mehrere Dimensionen unterscheiden: den Anteil von RFR und DFG an der Aufrechterhaltung der kommunikativen Infrastruktur der Wissenschaften, die jeweilige Bedeutung der finanziellen Förderung für die Einzelprojekte sowie die Folgen dieser Förderung für den Zugriff der Forscher auf weitere knappe Ressourcen, nämlich Rohstoffe, Apparate und schließlich: Mitarbeiter. Von zentraler Bedeutung für die Forschung blieb bis 1945, dass die DFG die Infrastruktur der wissenschaftlichen Kommunikation durch Druckkostenzuschüsse für Editionsprojekte und Lexika (wie das Grimm’sche Wörterbuch, die Acta 11 12
Vgl. Deichmann, Biologen, S. 68. Vgl. Maier, Forschung, S. 671 und Böhme/Daele/Krohn, Finalisierung.
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Borussica, den Thesaurus Linguae Latinae oder das Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums) sowie Fachzeitschriften förderte. Zugleich griff die DFG in diese Infrastruktur ab Mitte 1936 aktiv steuernd ein, indem sie Absprachen zwischen den Journalen desselben Fachgebietes über deren „einheitliche Gestaltung“ herbeiführte und ihre Bewilligungsbescheide an die Bedingung knüpfte, dass die betreffende Zeitschrift solche von der DFG moderierte Absprachen beachtete.13 Unter Mentzels Präsidentschaft verfolgte diese Politik erkennbar drei Ziele: Erstens ging es aus wirtschaftlichen Gründen um eine Verringerung der Zahl wissenschaftlicher Zeitschriften. Zweitens machte Mentzel den Herausgebern klar, dass er von ihnen eine politisch „einwandfreie Haltung“ erwartete; dies galt sowohl für Weltanschauungsfragen wie auch die Zensur jedweder Kritik an Maßnahmen der Fachspartenleiter des RFR.14 Drittens schließlich übte die DFG Druck auf jene Fachzeitschriften aus, in deren Redaktionen noch jüdische Wissenschaftler mitarbeiteten oder die noch Artikel jüdischer Autoren druckten. Klaas-Hinrich Ehlers hat am Beispiel des Indogermanischen Jahrbuches im Einzelnen gezeigt, wie dessen Herausgeber infolge dieses Drucks zwischen 1939 und 1942 schrittweise die jüdischen Kollegen ausgrenzten, nachdem im Frühjahr 1939 der Schweizer Indogermanist Albert Debrunner seine Funktion als Mitherausgeber „aus den besonderen Gründen, die mit der Auswahl der Mitarbeiter zusammenhängen“, niedergelegt hatte.15 Die finanzielle Förderung eines Einzelprojektes durch den Reichsforschungsrat bildete für Natur-, Agrar- und Technikwissenschaftler in der Regel nur eine der Komponenten innerhalb einer Mischfinanzierung. Hermann Staudinger, Professor in Freiburg, Pionier der Polymerchemie (und 1953 Nobelpreisträger), warb während des Zweiten Weltkrieges Fördergelder in Höhe von fast 700.000 Reichsmark ein, darunter 150.000 vom Chemiekonzern IG Farben, 160.000 von anderen Industriefirmen, 60.000 vom Reichsamt für Wirtschaftsausbau, 150.000 vom Reichsluftfahrtministerium und schließlich etwa 150.000 Mark vom Reichsforschungsrat. Der Braunschweiger Elektrotechniker Erwin Marx erhielt von diesem während des Krieges etwa 1,6 Millionen Reichsmark und damit den größten Teil der Fördermittel jener Fachsparte, deren Leiter er selbst zwischen 1937 und 1945 war. Aber Marx akquirierte gleichzeitig 6,1 Millionen Mark allein vom Reichsamt für Wirtschaftsausbau; zudem arbeitete er teilweise mit Anlagen, welche die AEG und die Luftwaffe für ihn errichtet hatten.16 Zwar nahm die relative Bedeutung einer Förderung durch den RFR für Natur- und Technikwissenschaftler während des Krieges teilweise dadurch zu, dass die Industrie ihre Förderung für Forschung 13 14 15 16
Aus den gleichlautenden Bewilligungsbescheiden für mehrere sprachwissenschaftliche Zeitschriften vom Juni und Juli 1936, zit. nach Ehlers, Wille, S. 154. Vgl. Mertens, Würdige, S. 120–124. Schreiben Mentzels an Wüst vom 28.7.1938 über eine Besprechung Mentzels mit dem Herausgeber des Indogermanischen Jahrbuchs, Walter Porzig, am 19.7.1938, zit. nach Ehlers, Wille, S. 160 f. Antrag der verbleibenden Herausgeber der Indogermanischen Forschungen an die DFG vom 6.2.1939, zit. nach Ehlers, Wille, S. 163 f.; vgl. ebenda, S. 161–165 und 194 f. Vgl. Erker, Vierjahresplan-Chemie, S. 190 f. und Maier, Marx, S. 307–311.
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außerhalb der eigenen Labore reduzierte. Daher beantragte jeweils mehr als die Hälfte der von Deichmann erfassten Chemiker und Biologen mindestens einmal beim RFR eine Förderung.17Aber der Reichsforschungsrat war eindeutig nur eine der schwächer sprudelnden Finanzquellen der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung.18 Zunehmend wichtiger wurde dagegen nach 1937, dass die finanzielle Förderung seitens des Reichsforschungsrates zugleich den Zugang zu Instrumenten, Rohstoffen oder Versuchstieren öffnen konnte – und damit zu den immer knapper werdenden materiellen Ressourcen experimenteller Forschung.19 Die DFG verstärkte ab Juli 1937 ihre 1922 gestartete Förderung von Zuchtanlagen für normierte Versuchstiere; zu den bisher finanzierten Anlagen in Göttingen und im brandenburgischen Plauerhof kam nun eine dritte am Berliner VirchowKrankenhaus hinzu, die 1943 nach Posen verlagert wurde.20 Zudem stieg vor dem Hintergrund von Ressourcenknappheit sowie einer Wehrmacht und Industrie bevorzugenden Bewirtschaftung knapper Güter die Bedeutung des innerhalb der DFG-Geschäftsstelle weiterarbeitenden Apparateausschusses für die Forscher. Seit ihrer Gründung hatte die DFG Tausende von Instrumenten, vom Fotoapparat über die Rechenmaschine bis zum Elektronenmikroskop, angeschafft und an geförderte Projektleiter verliehen.21 Diese Leihe, ihre Verlängerung oder aber der Rückruf der Apparate ermöglichten es der DFG, einzelne Forscher und Projekte vor anderen zu bevorzugen und Förderschwerpunkte zu setzen. So forderte der Apparateausschuss beispielsweise im Jahr 1943 verliehene Instrumente von ihren bisherigen Nutzern zurück, um das im Aufbau befindliche Zentralinstitut für Krebsforschung in Posen auszustatten. Die Akten der DFG dokumentieren manchen zähen Kleinkrieg um Vergabe oder Rückgabe einzelner Instrumente und offenbaren so deren extreme Knappheit. 22 Die ab Januar 1940 innerhalb der DFG-Geschäftsstelle eingerichtete Kriegswirtschaftsstelle unterstützte die finanziell geförderten Forscher bei der Beschaffung von Rohstoffen und Apparate, die der Bewirtschaftung unterlagen, also nur dann gekauft werden konnten, wenn die zuständigen Ämter dem zustimmten. Nachdem ein Projekt durch den Fachspartenleiter und Mentzel bewilligt worden war, stellte die Kriegswirtschaftsstelle dem Projektleiter eine Bescheinigung darüber aus, welche Materialien oder Apparate er aufgrund der Anerkennung seiner
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Vgl. Deichmann, Flüchten, S. 223 und 238. Allein der Etat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war zwischen 1938 und 1943 regelmäßig höher als jener von DFG und RFR, vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1264 f. Vgl. Deichmann, Biologen, S. 63 und dieselbe, Flüchten, S. 225. Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 157–169 und 217–228. Als besonders wertvoll galten in diesem Zusammenhang Elektronenmikroskope, vgl. Deichmann, Flüchten, S. 234. Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 210. Noch Mitte Februar 1945 bemühte sich der Direktor des Posener Krebsinstitutes, Friedrich Holtz, um die Ausleihe einer Kamera; zu diesem Zeitpunkt befand sich der Sitz seines Institutes bereits in den Händen der Roten Armee; vgl. ebenda, S. 228 f.
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Vorhaben als „kriegs- und staatswichtiger Forschungsarbeiten“ beziehen solle.23 Allerdings stellte diese Bescheinigung lediglich eine Empfehlung gegenüber den weiterhin allein entscheidungsbefugten Vergabestellen der Vierjahresplanbehörde dar. Dennoch konnte der seit 1940 amtierende Leiter der Kriegswirtschaftsstelle, der Bergbauingenieur Hermann Kühn, im März 1943 resümieren, dass seine Stelle durch Verhandlungen mit den Bewirtschaftungsämtern für hinreichende Zuteilungen „von Eisen, Stahl, Metallen, Chemikalien, industriellen Fetten, Textilien, technischen Erzeugnissen, Kautschuk, Leder, Asbest (und) landwirtschaftlichen Erzeugnissen“ habe sorgen können, „so dass die Versorgung der Forschung wieder prompt und fast ohne jeden Abstrich“ gesichert sei.24 Im Juni 1943 erreichte Kühns Nachfolger Georg Graue, dass die Kriegswirtschaftsstelle fortan selbständig sogenannte „Dringlichkeitsstufen“ für den Materialbedarf von Forschungsprojekten vergeben durfte (mithilfe der Dringlichkeitsstufen stellten die Bewirtschaftungsämter Hierarchien der zu versorgenden Antragsteller her). Die Kriegswirtschaftsstelle durfte die beiden Dringlichkeitsstufen „S“ sowie „SS“ für „vordringliche Fertigungen“ nun selbst vergeben, während die Vergabe der obersten Dringlichkeitsstufe „DE“ („dringende Entwicklung“), in den Händen von Rüstungsminister Albert Speer blieb. Dieser vergab aber an die Vorhaben mehrerer Arbeitsgruppen des Reichsforschungsrates und die Kaiser-Wilhelm-Institute der RFR-Fachspartenleiter Thiessen, Köster und Kuhn pauschal die höchste Dringlichkeitsstufe, für weitere 60 Einzelprojekte erreichte die Kriegswirtschaftsstelle bis Oktober 1944 deren Einstufung als „DE“. Insgesamt teilte die Stelle bis zu diesem Zeitpunkt etwa 3.000 Forschungsprojekten die Dringlichkeitsstufen „S“ oder „SS“ zu, jeweils auf der Basis von Empfehlungen der Fachspartenleiter. Auch über die Genehmigung von Dienstreisen für Forscher oder die geographische Verlagerung von Instituten entschieden ab Mitte 1944 die Bescheinigungen der Kriegswirtschaftsstelle mit.25 Indem sich die Kriegswirtschaftsstelle als Gatekeeper an jenem Tor etablierte, durch das die materielle Versorgung der Forschung erfolgte (sofern diese nicht über Wehrmacht oder Industrie andere Zugänge besaß), wurde es für Wissenschaftler immer existentieller, Projekte vom RFR fördern zu lassen. Daher schnellte die Zahl der in der Kriegswirtschaftsstelle zu bearbeitenden Anträge von etwa 1.700 im Juni 1943 über 3.000 im April 1944 bis auf 4.000 im August desselben Jahres in die Höhe. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ein Fünftel der gut 100 DFG-Beschäftigten für die Kriegswirtschaftsstelle, auch dies verweist auf ihre neue Bedeutung für die Forschungsförderung.26 Walther Gerlach behauptete im Dezember 1944, die DFG könne „für jede Einzelbestellung jede nur erforderli23 24 25 26
Brief Mentzels an Görings Beauftragten für den RFR Görnnert vom 28.11.1942, in: BArchM, RL 3/56, fol. 115. Vgl. zur Kriegswirtschaftsstelle detailliert Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 390–411. Schreiben Kühns an Mentzel vom 10.3.1943, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 396. Vgl. zur Vergabe der Dringlichkeitsstufen ebenda, S. 400–405, zu Graue ebenda, S. 397–400. Vgl. ebenda, S. 405 und 394. Am 28.11.1942 hatte Mentzel Görnnert mitgeteilt, dass die Kriegswirtschaftsstelle 15 Mitarbeiter habe, vgl. sein Schreiben in: BArch-M, R 3L/56, fol. 115 f.
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che Dringlichkeit bekommen“.27 Allerdings garantierten zu diesem Zeitpunkt selbst hohe Dringlichkeitsstufen nicht mehr die reale Verfügbarkeit des Beantragten. Seit Sommer 1944 jagte ein Notprogramm in Wirtschaft und Forschung das nächste. Die Kriegswirtschaftsstelle konnte nur noch den Mangel umverteilen; so wurde Ende Oktober 1944 eine 3-Millionen-Volt-Anlage, die bereits dem KWI für Biophysik zugesagt worden war, stattdessen dem Uranprojekt zur Verfügung gestellt. Gerlach und seine Kollegen mussten einen erheblichen Teil der Projekte ihrer Fachsparten streichen (zum Beispiel etwa 20 Prozent in der Fachsparte Eisen und Stahl und über 30 Prozent in der Hochfrequenzforschung).28 So wie die deutsche Kriegsökonomie insgesamt auf der Ausplünderung der besetzten Länder Europas beruhte, organisierte auch der Reichsforschungsrat im Interesse seiner Klientel Raubzüge durch deren Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Bereits in der zweiten Oktoberhälfte 1939 reisten Mentzel und Schumann durch das gerade erst besetzte Polen, um in den dortigen Hochschulen jene Apparaturen und Bibliotheken zu erfassen, die zugunsten deutscher Universitäten beschlagnahmt werden sollten.29 Diesem ersten Raubzug folgten weitere. Im Juni 1943 beauftragte Mentzel auf Betreiben Thiessens den Berliner Chemiker Erich Pietsch, in Kooperation mit der Wehrmacht sowie dem Krakauer „Institut für Deutsche Ostarbeit“ im Baltikum, in der Ukraine und Weißrussland Geräte und Bibliotheksbestände zu beschlagnahmen und Wissenschaftler aus diesen Ländern sowie Polen an deutschen Forschungsinstituten im Generalgouvernement einzusetzen. Wie Susanne Heim gezeigt hat, konkurrierte der RFR in der besetzten Sowjetunion mit einer Fülle weiterer an denselben materiellen Ressourcen und Menschen interessierter Dienststellen (so dem Einsatzstab Rosenberg, dem SS-Ahnenerbe, dem Auswärtigen Amt und der dem Ostministerium unterstehenden „Zentrale für Ostforschung“), was die Neigung der Akteure verstärkte, möglichst schnell, energisch und umfassend auf alles zuzugreifen, was erreichbar war.30 In Krakau baute Pietsch für den RFR ein Lager mit wissenschaftlichen Geräten auf, die er in Warschau, Tarnów und Lemberg erbeutet hatte; allein aus Lemberg schaffte er bis Ende April 1944 rund 1.200 Kisten in dieses Lager. Von hier aus wurden die geraubten Geräte bei Bedarf vom Apparateausschuss der DFG an Projektleiter verliehen. Im Spätsommer 1944 wurde das Krakauer Lager angesichts des Vorrückens der Roten Armee geräumt. Zusammen mit rund 230 russischen und ukrainischen Wissenschaftlern und ihren Familien wurden die erbeuteten Gerätschaften mit 38 Waggons in die Oberpfalz sowie nach Potsdam evakuiert.31 Ein Lager mit Materialien aus tschechischen Forschungseinrichtungen in der Nähe von Prag wurde von der Kriegswirtschaftsstelle im Herbst 1944 ebenfalls 27 28 29 30 31
Schreiben Gerlachs an Walther Meißner von der TH München vom 30.12.1944, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 410. Vgl. ebenda, S. 408 und Deichmann, Biologen, S. 168 f. Vgl. Steffen, Blut, S. 321–326. Vgl. Heim, Luft. Zu Pietschs Aktivitäten in Osteuropa vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 415–420 und 424–429. Zum Institut für deutsche Ostarbeit vgl. Jahr, Institut. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 230 ff.
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für die Versorgung deutscher Institute genutzt. Ende August 1944 bemühte sich Pietsch um den Abtransport von Apparaten und Chemikalien der Belgrader Hochschule.32 In Westeuropa ließen der in der DFG-Geschäftsstelle für Apparate zuständige Referent Georg Heinrich Becker und andere Vertreter des RFR ab Herbst 1943 an den Universitäten von Brüssel, Paris, Leiden und Amsterdam Geräte und Instrumente für die chemische und physikalische Forschung beschlagnahmen. Diese gelangten unter anderem an die Hochschulen in Aachen und Münster, an die Physikalische-Technische Reichsanstalt und das KWI für physikalische Chemie in Berlin.33 Neben Instrumenten und Rohstoffen waren Wissenschaftler selbst jene „Ressource“, die vom ersten Kriegstag an in Deutschland knapp wurde. Wie wir gesehen haben, engagierte sich der RFR in diesem Kontext für die Freistellung deutscher Wissenschaftler durch die Wehrmacht. Thiessen, Pietsch und die RFR-Bevollmächtigten für Hochfrequenzforschung, Hans Plendl bzw. ab Ende 1943 Abraham Esau, organisierten zudem den Einsatz von wissenschaftlich qualifizierten KZ-Häftlingen in Projekten ihrer Fachgebiete. Für die Hochfrequenzforschung des Reichsforschungsrates arbeiteten ab Ende 1942 mindestens 90 Häftlinge, zunächst im Dachauer Außenlager Sudelfeld, seit August 1943 in Dachau selbst und ab Juni 1944 im Lager Groß-Rosen. Eine zehnköpfige Häftlingsgruppe wurde ab November 1944 im Lager Sachsenhausen für mathematische Forschungsarbeiten eingesetzt. Thiessen ließ seit Mai 1944 über Pietsch die Arbeitskraft von etwa 60 KZ-Häftlingen (Chemiker, Ingenieure, Mathematiker und Übersetzer) zunächst im KZ Plaszow bei Krakau, ab November 1944 in Flossenbürg für chemische Forschungsprojekte seines KWI, der Marine und des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau ausbeuten. Bei Besprechungen mit Vertretern des RSHA zu diesem Einsatz im Juli 1944 drang Mentzel darauf, entsprechend qualifizierte Häftlinge im Rahmen der Kampfstoffforschung des KWI einzusetzen.34 Im Übrigen hatte sich die RFR-Geschäftsstelle (in der Person von Sievers) zwei Monate zuvor beim Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS dafür eingesetzt, bei der Auslagerung von Teilen desselben Institutes ins brandenburgische Falkenhagen KZ-Häftlinge als Bauarbeiter einzusetzen (bzw. diesen bereits laufenden Einsatz fortzusetzen).35
32 33 34 35
Vgl. ebenda, S. 429. Vgl. ebenda, S. 411–414. Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 178–188, derselbe, Thiessen, S. 321–326, Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 420–426, Strebel/Wagner, Zwangsarbeit, S. 63 ff. und Fröbe, KZ-Häftlinge, S. 660–663. Vgl. Strebel/Wagner, Zwangsarbeit, S. 47 f. und Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 164– 169.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
GRUNDLAGENFORSCHUNG FÜR AUTARKIE, RÜSTUNG UND RASSENPOLITIK Ordnet man die vom Reichsforschungsrat unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkrieges initiierten und geförderten Projekte in der Medizin sowie in den Natur- und Technikwissenschaften nach ihren politischen Zwecken, so zeichnen sich vier Schwerpunkte ab. Erstens zielte die Forschung darauf ab, die deutsche Kriegswirtschaft autark, das heißt unabhängig vom Import von Rohund Werkstoffen aus Ländern außerhalb des deutschen Machtbereiches zu machen. Zweitens sollte sie Grundlagen für die Entwicklung neuer Waffen, Geräte und Verfahren für Wehrmacht und Rüstungsindustrie schaffen. Drittens ging es in einem erheblichen Teil der medizinischen Projekte um die Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Soldaten und Arbeitenden sowie um den Erhalt der Volksgesundheit. Viertens schließlich widmeten sich andere Projekte dieser Fachsparte der Entwicklung von diagnostischen Methoden zur Identifizierung rassistisch definierter Feinde. Die vom Reichsforschungsrat geförderte Autarkieforschung war breit über die Fachsparten gestreut. Das begann bei Konrad Meyers Agrarwissenschaftlern, die einerseits die Ausbeutung der Ressourcen des besetzten Europas mitplanten, andererseits nach Möglichkeiten suchten, den Ertrag und Nährstoffgehalt von in Deutschland angebauten Nutzpflanzen zu steigern.36 Die Biochemiker suchten nach Möglichkeiten, die Insulinproduktion in Deutschland zu erhöhen sowie Vitamine zu synthetisieren oder aus bislang nicht genutzten Pflanzen zu gewinnen. Walter Zimmermann von der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim fahndete noch im März 1945 mit Unterstützung des RFR nach „einheimischen Rohstoffen zur Herstellung von Vitamin C-haltigen Konzentraten“ und hoffte, in „Apfel-, Erdbeer-, Himbeer- und Brombeerblättern sowie Fichtennadeln“ fündig zu werden.37 An den Kaiser-Wilhelm-Instituten für Leder bzw. Bastfaserforschung beteiligte sich der RFR an der Finanzierung von Projekten, in denen es um Einsparung oder Ersatz von Leder und Naturfasern in der Textil- und Schuhindustrie ging.38 Thiessens Fachsparte beschäftigte sich unter anderem mit dem Ersatz knapper Roh- durch Kunststoffe und mit den Problemen synthetischer Treibstoffe.39 Im Bereich der Metallforschung verfolgte, wie Günther Luxbacher ermittelt hat, ein Drittel der zwischen 1937 und 1944 geförderten Projekte für die Autarkiepolitik relevante Fragestellungen. Die Mehrzahl dieser Projekte zielte auf Einsparungen von Roh- und Werkstoffen oder auf die Erschließung bislang 36 37
38 39
Vgl. den fast 800 Seiten dicken Überblick in: Forschung Volk. Bericht Zimmermanns an die DFG vom 26.3.1945, zit. nach Stoff, Wirkstoffe, S. 263; vgl. ebenda, S. 66–69, 78 f., 140 f. und 257–264. Vermutlich trug es zur Sicherung der deutschen Fleischversorgung bei, dass ein Rostocker Biologe 1944 herausfand, dass Hühnern der Geschmack ihres Futters gleichgültig sei: „Der Geschmack spielt danach im natürlichen Leben des Huhnes eine recht untergeordnete Rolle“, vgl. Engelmann, Geschmackssinn, S. 257. Zu vom RFR geförderten Versuchen, das Wachstum von Nutzpflanzen durch Hormone zu beeinflussen, vgl. Eberle, Instrument, S. 484–488. Vgl. Luxbacher, Roh- und Werkstoffe, S. 41 und Deichmann, Proteinforschung, S. 11. Vgl. Deichmann, Flüchten, S. 231 ff.
Grundlagenforschung für Autarkie, Rüstung und Rassenpolitik
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ungenutzter Rohstoffvorkommen; lediglich ein kleinerer Teil widmete sich der Entwicklung von Ersatzstoffen.40 Ein Teil der autarkieorientierten Projekte überschnitt sich mit solchen zur Volksgesundheit qua optimierter Ernährung, ein anderer mit der Entwicklung neuer oder der Verbesserung alter Waffensysteme, so wenn sich Projekte der Fachsparte Eisen und Stahl mit der Frage beschäftigten, wie man bei der Produktion von Panzerungen knappe Rohstoffe ersetzen könnte.41 Insgesamt nahmen neben den Sparten der Metallforschung vor allem die Fachsparten Physik sowie Allgemeine und anorganische Chemie an Projekten teil, die auf die Entwicklung von Waffen und anderem militärischen Gerät zielten. Man vermaß, welche Schäden Bombensplitter an Panzerplatten anrichteten, und forschte an Panzerminen und Panzermotoren, Bombenzündern, Störsendern, Nachtsicht- und Minensuchgeräten, Treibschrauben und Abstandszündern für Torpedos oder metallischen Werkstoffen für den Motorenbau. Man arbeitete an der Tarnung von U-Booten, der Drehzahlmessung von Flugzeugmotoren und an Infrarot-Messverfahren für die Luftabwehr.42 Nachdem das Heereswaffenamt im Februar 1942 aufgrund von Berichten der beteiligten Physiker zu dem Schluss gelangt war, dass die Entwicklung einer Atombombe nicht schnell genug gelingen würde, um den Kriegsausgang noch beeinflussen zu können, übergab das Amt die Finanzierung und Koordination seines Atomprojektes an den Reichsforschungsrat. Damit fiel es dessen Fachspartenleitern für Physik (zunächst Abraham Esau und ab Dezember 1943 Walther Gerlach) zu, das Projekt zu organisieren, wozu sie zusätzlich mit Titel und Etat eines RFR-Bevollmächtigten für Kernphysik ausgestattet wurden. Beide taten dies engagiert, aber im Ergebnis erfolglos – sofern man die Entwicklung einer Bombe oder die Inbetriebnahme eines Reaktors zum Maßstab nimmt. Trotz ihrer im deutschen Maßstab großzügigen Förderung (für 1943/44 belief sie sich auf drei Millionen Reichsmark), lebten die deutschen Atomforscher verglichen mit den Konkurrenten des amerikanischen Manhattan Project auf sehr kleinem Fuß. Die feindlichen Kollegen gaben bis Ende 1945 zwei Milliarden Dollar aus, konnten auf bis zu 250.000 Arbeitskräfte zurückgreifen und litten nie unter Materialmangel.43 Die Forschung zu chemischen Kampfstoffen war längst vor Kriegsbeginn an Thiessens KWI für Physikalische Chemie fest etabliert und wurde im Krieg von diesem sowohl im eigenen Institut wie in seiner Funktion als Fachspartenleiter fortgesetzt.44 Zwischen 1939 und 1944 förderte die Fachsparte neben den an Thiessens KWI angesiedelten Arbeiten 24 weitere Projekte zu chemischen Kampfstoffen, zu ihren Wirkungen und zur Weiterentwicklung von Gasmasken. An 40 41 42 43 44
Vgl. Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 289 und derselbe, Werkstoff, S. 174 f. Vgl. Luxbacher, Ersatzstoffe, 296 f. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 319–326 und 331–336, sowie Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 519 f. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 258–268, Karlsch, Bombe, Walker, Uranmaschine, Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 396–406 und Trischler, Wachstum, S. 241 f. Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 127–137.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
der Greifswalder Universität betrieb die Fachsparte Wehrmedizin, deren Leiter Wilhelm Richter zugleich Leiter der dortigen Hautklinik war, mehrere Projekte, die das Kampfmittel Senfgas betrafen.45 Mindestens sechs weitere Projekte zur Nervengasforschung förderte 1943/44 die vom Direktor des Heidelberger KWI für medizinische Forschung und Chemie-Nobelpreisträger (1938) Richard Kuhn geleitete Fachsparte für Organische Chemie und Biochemie.46 Unter den geförderten Projekten waren Studien des Straßburger Mediziners Otto Bickenbach, in deren Verlauf dieser zusammen mit seinem Kollegen August Hirt im Juni und August 1944 Häftlinge des Konzentrationslagers Natzweiler in der dortigen Gaskammer mit Phosgen erstickte. Hirt, Anatom an der Reichsuniversität Straßburg und zugleich Abteilungsleiter im „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ der SS-Stiftung Ahnenerbe, hatte bereits seit November 1942, gefördert von Sauerbruchs Fachsparte Medizin, in Natzweiler an Häftlingen mit Senfgas experimentiert. Nach Abschluss der Experimente, aber noch während ihrer Auswertung, hatte Hirt im Oktober 1943 eine weitere Förderung des RFR zum Thema „Veränderungen des lebenden Organismus bei Einwirkung von Kampfstoffen als Grundlage für die Verhinderung von Schäden durch prophylaktische Anwendung bestimmter Wirkstoffe“ erhalten.47 Verantwortlich für die letztgenannte Förderung zeichnete der stellvertretende Reichsgesundheitsführer Kurt Blome, der im April 1943 zum Bevollmächtigten des RFR für Krebsforschung ernannt worden war.48 Blome und dem Leiter der Kriegswirtschaftsstelle der DFG, Georg Graue, muss aufgrund der Korrespondenz mit Hirt bekannt gewesen sein, dass dieser tödliche Humanexperimente unternommen hatte. Wolfram Sievers, der seit Juni 1943 zusätzlich zu seiner Funktion als Geschäftsführer des SS-Ahnenerbes in der Geschäftsführung des RFR als Stellvertreter Mentzels amtierte, kannte ohnehin alle Details der auch vom Ahnenerbe geförderten mörderischen Experimente Hirts. Thiessen dürfte hiervon spätestens erfahren haben, als er zusammen mit Blome, Graue und Sievers am 3. März 1944 an einer Besprechung zur Koordinierung der Senfgas-Forschung teilnahm.49 Als Bevollmächtigter für Krebsforschung koordinierte Blome nicht nur einen seit dem Tumorforschungsprogramm von 1936 etablierten Schwerpunkt von DFG und RFR innerhalb der Medizin, der wegen seiner Relevanz für die Volksgesundheit auch im Krieg weitergeführt wurde. Vielmehr organisierte er zugleich unter dem Label der Krebsforschung Untersuchungen zur biologischen Kriegsführung. Gabriele Moser konnte 28 der insgesamt 52 von Blome 1943/44 betreu45 46 47 48 49
Vgl. Eberle, Instrument, S. 511–526. Vgl. Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 138–42 und 377 f., 464–471 und 479 sowie derselbe, Thiessen, S. 337–347. Bewilligung vom 4.10.1943, zit. nach Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 203. Vgl. Deichmann, Biologen, S. 202, Schmaltz, Bickenbach, derselbe, Kampfstoff-Forschung, S. 521–562 und Reitzenstein, SS-Ahnenerbe, S. 105–156. Zu Blome vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 116–123 und 197–216. Vgl. Reitzenstein, Forscher, S. 129–149 sowie Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 165 und derselbe, Thiessen, S. 318 ff., 327 ff. und 348.
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ten Projekte der Krebsforschung zurechnen, während es sich bei mindestens 13 weiteren Projekte um Forschung zu Biowaffen handelte, etwa um Untersuchungen zum Kartoffelkäfer, zu Methoden der Bodenentseuchung, zu Insektiziden und zu Insekten, die Krankheiten auf Menschen übertragen. Im ab 1943 von Blome an der Universität Posen aufgebauten, auf Drängen Mentzels von der KWG in ihren Verbund integrierten Zentralinstitut für Krebsforschung wurden sowohl Projekte der Tumorforschung als auch Arbeiten zur biologischen bzw. bakteriologischen Kriegführung betrieben. Mit Fördermitteln von fast 1,7 Millionen Mark zwischen Juli 1943 und Dezember 1944 war der RFR die Hauptfinanzquelle des Institutes.50 Wie bereits angesprochen, beinhaltete ein Teil der vom RFR geförderten Forschung zur Entwicklung von Waffen oder zu Verfahren der Leistungssteigerung und medizinischen Versorgung von Soldaten tödliche Humanexperimente. Hier sollen nur einige Beispiele aufgeführt werden: Ab Oktober 1943 förderte der RFR die Forschung des Arztes Sigmund Rascher (Institut für wehrwissenschaftliche Forschung des SS-Ahnenerbes) zur Frage, wie man ausgekühlte Soldatenkörper wiedererwärmen könnte. Rascher experimentierte an Häftlingen des KZ Dachau mit tödlichen Folgen für die Probanden.51 Der Mediziner Eugen Haagen, ab 1941 Direktor des Hygiene-Institutes der Reichsuniversität Straßburg, forschte mit finanzieller Unterstützung des RFR zu Impfstoffen gegen Fleckfieber. Hierbei infizierte er 1943/44 Häftlinge der Konzentrationslager Natzweiler und Schirmeck mit Fleckfieberviren, was ein Teil der unfreiwilligen Probanden nicht überlebte. In einem Aufsatz, den er Ende Dezember 1944 (zu diesem Zeitpunkt waren Straßburg, Natzweiler und Schirmeck bereits von den Alliierten befreit worden) im Zentralblatt für Bakteriologie publizierte, vermerkte Haagen offenherzig, dass seine experimentelle Fleckfieberforschung nicht nur vom RFR, sondern auch von dem für die Verwaltung der Konzentrationslager zuständigen Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS gefördert worden sei.52 Der Tropenmediziner Claus Schilling infizierte zwischen Anfang 1942 und Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Dachau etwa 1.200 Häftlinge mit Malaria; über 300 Probanden starben. Von der DFG erhielt Schilling, der bereits vor 1933 von ihr gefördert worden war, für seine Forschung im Mai 1944 Instrumente, die er unter der Adresse des Konzentrationslagers Dachau beantragt hatte.53 Gerhard Rose, auch er ein Tropenmediziner, stellte Malariaexperimente mit Insassen der Heil- und Pflegeanstalten
50 51
52 53
Vgl. Deichmann, Biologen, S. 129 und 216–224, dieselbe, Flüchten, S. 336–339 und Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 119–123 und 198–216. Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 203, Reitzenstein, Forscher, S. 170–178 und Eckart/ Vondra, Disregard. Auch Raschers Forschung an einem Blutstillungsmittel („Polygal”), in deren Rahmen Versuche an Häftlingen des KZ Dachau unternommen wurden, förderte der RFR 1943/44, vgl. Reitzenstein, Forscher, S. 192–201, 218 f. und 221 f. Vgl. Haagen/Crodel, Versuche, S. 369, Deichmann, Flüchten, S. 326 f., Klee, Auschwitz, S. 367–370 und Weindling, Virologist. Vgl. Hulverscheidt, Malarialogy, S. 228, Eckart, Modernität, S. 234 f. und Klee, Auschwitz, S. 117–125.
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Pfafferode (Thüringen) und Görden (Brandenburg) an und berichtete der DFG hierüber ausführlich in einem Bericht vom November 1944.54 Dass solche Humanexperimente gegen ethische Normen der Medizin verstießen, war den Akteuren bewusst. Während der Weimarer Republik hatte es ausführliche Debatten gegeben, die im Jahr 1931 zu Richtlinien des Reichsgesundheitsrates geführt hatten. Nach diesen waren Humanexperimente nur zulässig, wenn sie mit informierter Zustimmung der Versuchspersonen durchgeführt wurden sowie die Erhaltung von Leben und Gesundheit der Patienten Vorrang vor allen anderen Zielen besaß.55 Aber aus Sicht jener deutschen Ärzte, die während des Zweiten Weltkrieges gleichwohl tödliche Experimente an ihnen ausgelieferten Menschen durchführten, besaßen ihre Versuchspersonen einen geringeren „Wert“ als andere Menschen, weil sie anderen ethnischen Gruppen angehörten, politische Gegner waren oder als „lebensunwerte“ Kranke klassifiziert wurden. Zudem galt der Krieg diesen Medizinern als Rahmenbedingung, welche die Gültigkeit aller ethischen Verpflichtungen jenseits nationalistischer Pflichterfüllung relativierte und damit Handlungen denkbar, ja geboten erscheinen ließ, die noch kurz zuvor nicht vorstellbar gewesen wären. Die zuständigen Fachspartenleiter und Bevollmächtigten des Reichsforschungsrates sowie die Kriegswirtschaftsstelle der DFG ermöglichten diese Verbrechen nicht nur, indem sie den Tätern Fördergelder und Instrumente zur Verfügung stellten. Vielmehr signalisierte die Erteilung eines Forschungsauftrages durch eine staatliche Forschungsorganisation unter Beteiligung respektierter Koryphäen wie Richard Kuhn oder Ferdinand Sauerbruch (unabhängig von der schwer zu beantwortenden Frage, wie viel diese im Detail über die Experimente wussten) eben auch, dass die geförderten Vorhaben sich im Rahmen seriöser Wissenschaft bewegten. Man könnte erwarten, dass die Erb- und Rassenforschung zu jenen Feldern gehörte, die während der NS-Zeit in diesem Sinne durch DFG und RFR aufgewertet und stark gefördert wurden. Bemerkenswerterweise ist dies aber nur für die ersten Jahre nach 1933 zutreffend. Nachdem bereits Stark ab Ende 1935 aufgrund seiner Haushaltsprobleme gezwungen gewesen war, die Förderung von Rassenund Erbforschern einzuschränken, fuhr Sauerbruch nach seiner Ernennung zum Fachspartenleiter für Medizin im Sommer 1937 die Förderung dieses Feldes weiter zurück. Er wies zunächst Anträge von Erb- und Rassenforschern zur Ausweitung ihrer Unterstützung ab und kürzte vom Rechnungsjahr 1938/39 an die Aufwendungen für dieses Forschungsfeld. Anders als unter Stark lagen die Gründe für die Kürzungen aber nicht im Geldmangel, sondern darin, dass Sauerbruch einen Großteil der Projekte für anwendungsorientierte Vorhaben im Interesse der staatlichen Rassenpolitik hielt. „Wissenschaftliche Arbeitsgebiete von besonderem staatlichen Interesse“ aber, so entschied Sauerbruch laut eines Vermerks des in der DFG-Geschäftsstelle zuständigen Referenten Sergius Breüer vom August 1937, sollten „pflichtgemäß von den dafür zuständigen staatlichen Stellen geför54 55
Vgl. Winau, Versuche, S. 174 f., Hulverscheidt, Malarialogy, S. 230 ff. und Eckart, Modernität, S. 235 f. Vgl. Eckart/Reuland, Priniciples.
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dert werden“ und nicht seitens des RFR.56 Gleichzeitig zeigte Sauerbruch keinerlei Bedenken, Forschungsprojekte zu fördern, die mit Interessen des Vierjahresplanes begründet wurden; seine Absage an direkt anwendungsorientierte Projekte bezog sich also speziell auf solche der Erb- und Rassenforschung, die ihn schlicht nicht interessierten. Im Jahr 1933 hatte die Notgemeinschaft unter Friedrich Schmidt-Ott gerade durch extensive Förderung dieses Feldes versucht, ihre Nützlichkeit für die Nationalsozialisten zu beweisen. Die seit 1928 im Rahmen der Gemeinschaftsarbeiten geförderten systematischen anthropologische Erhebungen wurden fortgesetzt und ihre Ergebnisse bis 1938 in der Reihe Deutsche Rassenkunde publiziert.57 Zudem konnten Biologen und Mediziner, die in der Mutationsforschung tätig waren, auf Initiative der Notgemeinschaft am 21. September 1933 eine Sonderkommission gründen, die Gemeinschaftsarbeiten zur Keimschädigung durch Strahlen organisierte. Die Projekte waren in der Zoologie angesiedelt, aber die Teilnehmer einer Kommissionssitzung im Juli 1934 betonten, dass an Tieren gewonnene Erkenntnisse auf Erbschädigungen des Menschen übertragen werden und für rassenhygienische Fragen relevant sein könnten.58 Zu Recht verwies Schmidt-Ott 1933 darauf, dass die Notgemeinschaft bereits in der Weimarer Republik rassenanthropologische Forschung erheblich unterstützt hatte. Diese Forschung selbst aber unterschied sich nach 1933 qualitativ von den früheren Arbeiten, indem die Perspektivenvielfalt, welche die Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenanthropologie bis dahin ausgezeichnet hatte, zugunsten einer Beschränkung auf die mit den nationalsozialistischen Rassenkonzepten kompatiblen Ansätze aufgegeben wurde. Vor allem jüngere Forscher erklärten nun einen „nordischen“ Rassenanteil der Deutschen in ihren Studien selbst dann für dominant, wenn sie ihn empirisch nur nachrangig auffinden konnten. Die voluntaristische Interpretation der Daten verbanden sie mit politischen Glaubensbekenntnissen, so wenn der seit 1935 von der DFG geförderte Gottfried Kurth in einer Publikation von 1938 zwar einräumte, dass die „nordische Rasse (…) in keinem“ der vier von ihm untersuchten thüringischen Dörfer einen Anteil von 50 Prozent oder mehr zu verzeichnen habe, dann aber doch deklamierte: „Das Bauerntum ist immer noch der größte Träger nordischen Blutes in unserem Volke. (…) Auf den Fähigkeiten und Kräften der nordischen Rasse beruhen die größten Leistungen unseres Volkes. Von der Sicherung einer breiten Grundlage nordischen Bluts (…) hängt die Zukunft des Deutschtums ab.“59 Der Mediziner Johannes Gottschick, Assistent am Rassenbiologischen Institut der Hamburger 56 57 58
59
Schreiben Breuers an den Münchner Erbmediziner Alfred Schittenhelm vom 26.8.1937, zit. nach Cottebrune, Mensch, S. 149. Vgl. ebenda S. 141, 143 ff. und 148–153. Vgl. ebenda, S. 200 f. Vgl. Deichmann, Biologen, S. 108 ff. Der Genetiker Hans Nachtsheim begründete in einem Antrag vom Mai 1937 seine Forschungen über Erbkrankheiten bei Kaninchen damit, dass er so „ein neues, auch für die menschliche Rassenhygiene wichtiges Gebiet, das der vergleichenden Erbpathologie, bereits erfolgreich (…) in Angriff genommen“ habe, zit. nach ebenda, S. 271. Kurth, Rasse, S. 60. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 200–209.
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Universität, versuchte zwischen 1936 und 1938 mit Förderung der DFG die „erblichen Bedingungen der Sprechweise“ zu identifizieren.60 Allerdings musste er in seinem Schlussbericht konstatieren, dass (anders als erhofft) „die Häufigkeit einzelner Wortklassen in der freien Rede nichterblich sei“, sondern vielmehr vom Bildungsgrad abhänge. Da das rassistische Paradigma aber nicht falsifizierbar war, erkannte Gottschick in der Bedeutung der Bildung immerhin einen indirekten Einfluss der Gene: Schließlich sei Bildung ihrerseits auf die „Mitwirkung bestimmter Erbanlagen“ zurückzuführen.61 Mit Starks Präsidentschaft gewann die für die rassenhygienische Politik zuständige Gesundheitsabteilung des Reichsinnenministeriums Einfluss auf die DFGFörderung. Walter Greite, der damals in der DFG-Geschäftsstelle für Biologie und Medizin zuständig war, bat ab Mitte 1935 bei Anträgen zur Vererbungsforschung die Ministerialbeamten Arthur Gütt und Herbert Linden um Stellungnahmen. Diese drangen auf die bevorzugte Förderung solcher Projekte, die ihnen als unmittelbar nützlich für die rassenhygienische Praxis des Regimes erschienen; der Schwerpunkt der DFG-Förderung verlagerte sich damit von der Rassenanthropologie zu medizinisch-erbpathologischen Untersuchungen. Ein aus dieser Sicht idealer Forscher war der Frankfurter Lehrstuhlinhaber für Rassenhygiene Otmar von Verschuer, der in einem Antrag vom September 1935 hervorhob, dass seine Forschung „neben dem wissenschaftlichen Ziel der Bereicherung unseres Wissens über die Vererbung beim Menschen ganz unmittelbar den praktischen Zwecken der Erb- und Rassenpflege“ diene, „indem sie auf dem Gebiet der Inneren Medizin Unterlagen für die erbärztliche Beratung und Begutachtung schaffen“ werde.62 Mit Sauerbruchs Amtsantritt als Fachspartenleiter im Jahr 1937 änderte sich die Förderstrategie erneut. Gütt und Linden verloren ihren bestimmenden Einfluss, und die Zahl der von der Fachsparte Medizin geförderten Projekte zu Erbund Rassenforschung sank von 1937 bis 1940 von 46 auf zwölf. Ein Teil der bisherigen DFG-Klientel orientierte sich daher um. Ernst Rüdin etwa, Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, der seit 1931 zu den von der DFG bevorzugt geförderten Rassenhygienikern gehört hatte, fand 1939 in Heinrich Himmler einen neuen Mäzen.63 Am Rückgang der RFR-Förderung auf diesem Feld änderte auch die vorübergehende Einrichtung einer Fachsparte „Bevölkerungspolitik, Erbbiologie und Rassenpflege“ zwischen 1939 und 1943 unter Kurt Blome nichts Wesentliches, da sich Blome primär für die Krebsforschung interessierte. Allerdings förderte er einige besonders praxisorientierte Rassenhygieniker. So setzte er die von Sauerbruch begonnene, bei Kriegsbeginn aber 60 61 62
63
Antrag Gottschicks vom 2.4.1936, zit. nach Ehlers, Wille, S. 102. Schlussbericht Gottschicks vom 23.3.1938, zit. nach ebenda, S. 103. Antrag Verschuers an die DFG vom 7.9.1935, in: BArch, R 73/15341, fol. 81; vgl. den Vermerk Greites vom 6.12.1935 über eine Besprechung unter anderem mit Gütt hierzu in: ebenda, fol. 75. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 102–105 und Mertens, Würdige, S. 277 ff. Für alle Projekte zum Deutschtum im Osten hatte das Innenministerium schon Anfang 1934 den Direktor des preußischen Staatsarchivs Albert Brackmann zum Gutachter bestimmt, vgl. Haar, Historiker, S. 190. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 153, 169 ff. und 186 f.
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eingestellte Förderung des „Zigeuner-“ und „Asozialen-“Forschers Robert Ritter fort, der zwischen 1937 und 1944 insgesamt 120.000 Mark sowie Apparate vom Reichsforschungsrat erhielt. Ritters Institut, das dem Reichsgesundheitsamt unterstellt und ab 1941 zugleich dem Reichssicherheitshauptamt zugeordnet war, sollte zum einen die wissenschaftlichen Grundlagen für eine kriminalbiologische Verbrechensprävention schaffen und erstellte zum anderen bis März 1944 etwa 24.000 Gutachten über die vermeintlichen Rassenmerkmale sogenannter „Zigeuner“ und „Zigeunermischlinge“. Unter anderem auf Grundlage dieser vom RFR indirekt mitfinanzierten Gutachten entschied die Kriminalpolizei über die Deportation deutscher Sinti in die Konzentrationslager.64 Gemäß der allgemeinen Tendenz des RFR, die etablierten Forschungseinrichtungen zu bevorzugen, konzentrierte sich ein Großteil der unter Sauerbruchs restriktivem Kurs übrigbleibenden Förderung der Erbpathologie und Rassenforschung auf die Arbeiten des Berliner KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. In der zweiten Kriegshälfte entfiel die Hälfte der Gesamtaufwendungen des RFR für die Erb- und Rassenforschung auf dieses Institut.65 Inhaltlich setzte der Reichsforschungsrat seinen Schwerpunkt bei der Förderung von Forschern, die Diagnoseverfahren zu entwickeln suchten, mit deren Hilfe Menschen präzise einer „Rasse“ zugeordnet werden konnten. Zum einen förderte der RFR mehrere Projekte, in deren Verlauf Tausende Kriegsgefangene anthropologisch vermessen wurden. Wolfgang Abel, Leiter der Abteilung Anthropologie am Berliner KWI konnte beispielsweise seine Ende 1941 mit Hilfe der Wehrmacht begonnenen rassenanthropologischen Untersuchungen an sowjetischen Kriegsgefangenen ab September 1943 mit Unterstützung sowohl des SSAhnenerbes wie des RFR fortsetzen. Er hatte die Gunst der Förderer mit einem alarmierenden Zwischenbefund gewonnen: Der Anteil nordischer Rassenmerkmale sei unter den russischen Gefangenen viel höher als erwartet – folglich sei die UdSSR auch eine viel gefährlichere Gegnerin als bislang angenommen.66 Zum anderen experimentierten Mediziner mit Unterstützung des RFR mit Methoden einer auf Blutuntersuchungen beruhenden Rassendiagnostik. So injizierte Karl Horneck vom Rassenbiologischen Institut der Universität Königsberg 1943/44 Kriegsgefangenen, die aus verschiedenen Kolonien Frankreichs stammten, Blutseren von Europäern intravenös. Danach entnahm er den Probanden Blutproben in der Erwartung, je nach „Rasse“ spezifische Reaktionen nachweisen zu können. Hornecks Ansatz baute auf Forschungen des Serologen Werner Fischer auf, der schon 1938 geglaubt hatte, ein „Weißenserum“ von einem „Negerserum“ unterscheiden zu können. Einen Erfolg konnte Horneck allerdings nicht vermelden.67 64 65 66 67
Vgl. Luchterhandt, Ritter, S. 320–328, Fings, Äußerungen, Hohmann, Ritter, S. 185–216 und Cottebrune, Mensch, S. 190–193. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 183 f. und Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 341 f., 344, 347 und 352–356, 376, 382–397 und 423–436. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 196–200 und Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 455 ff. und 462 ff. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 194 ff., dieselbe, Blut, S. 114–125 und Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 511–522.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
Ein anderes vom RFR gefördertes Projekt zur serologischen Rassendiagnostik ist in der historischen Forschung stark beachtet worden, weil an ihm der berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele beteiligt war. Angesiedelt war das Projekt in den Jahren 1943 und 1944 am KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Institut vom bereits erwähnten Otmar von Verschuer geleitet. Der 1896 geborene Mediziner war nach Promotion in München (1923) und Habilitation in Tübingen (1927) zunächst Abteilungsleiter am Berliner KWI geworden und hatte sich mit erbbiologischer Zwillingsforschung international profiliert; zwischen 1932 und 1934 war seine Forschung von der Rockefeller Foundation unterstützt worden. Nach einer Zwischenstation auf dem Ordinariat für Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt am Main ab 1935 war Verschuer im Jahr 1942 als Nachfolger seines Mentors Eugen Fischer Direktor des Berliner KWI geworden. Verschuer, der erst 1940 der NSDAP beitrat und sich in der Bekennenden Kirche engagierte, nahm für seine Forschung in Anspruch, die rassenhygienische Praxis der NS-Behörden anzuleiten. Zwischen 1934 und 1944 gab er die Zeitschrift Der Erbarzt heraus, in der zum einen Forschungsergebnisse publiziert wurden, zum anderen in einer Ratgeberrubrik erörtert wurde, welche rassenhygienischen Maßnahmen von der Verweigerung von Ehestandsdarlehen bis zur Zwangssterilisation aus einzelnen Diagnosen abgeleitet werden sollten. Zudem erstattete Verschuer dem Reichssippenamt Gutachten über die „jüdische“ oder „arische“ Rassenzugehörigkeit von Menschen und fungierte als Beisitzer an einem der Erbgesundheitsgerichte, die seit 1934 Zwangssterilisationen anordneten.68 In seinem 1941 publizierten „Leitfaden der Rassenhygiene“ plädierte Verschuer für einen „Schutz des Volkskörpers vor fremden Rasseneinschlägen“, worunter er „die Juden und die Zigeuner“ verstand. Da die „Judenfrage“ in der Vergangenheit weder durch Assimilation noch durch Ghettoisierung, noch durch Emanzipation gelöst worden sei, formulierte Verschuer als „politische Forderung der Gegenwart (…) eine neue Gesamtlösung des Judenproblems“.69 1944 konstatierte er dann zufrieden, das Problem einer Vermischung der Deutschen und anderer nord- und mitteleuropäischer Völker mit „Juden und Zigeunern“ sei „durch die rassenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre im Sinne einer Reinigung unseres Volkskörpers gelöst worden“.70 Seine eigene Aufgabe als Erbpathologe sah Verschuer darin, einer so ausgerichteten Politik eine präzise Grundlage zu schaffen. In diesem Sinne schrieb er im November 1937 an seinen Mentor Eugen Fischer: „Es ist jedoch wichtig, daß unsere Rassenpolitik – auch in der Judenfrage – einen objektiven wissenschaftlichen Hintergrund bekommt, der auch von weiteren Kreisen anerkannt wird.“71 68 69 70 71
Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 69–76, 88 f., 202–211, 286–291 und 401–406, Kröner, Rassenhygiene, S. 29–34 und 40–48, Ehrenreich, Verschuer, Sachse, Butenandt, S. 288 ff. und dieselbe/Massin, Forschung, S. 20. Verschuer, Leitfaden, S. 125 und 127. Derselbe, Bevölkerungs- und Rassenfragen, S. 13. Brief Verschuers an Fischer vom 5.11.1937, zit. nach Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 308, vgl. ebenda, S. 307–312 und 448 f.
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Im Juni 1943 beantragte Verschuer beim Reichsforschungsrat das Projekt „Spezifische Eiweißkörper“, das im August desselben Jahres bewilligt und bis kurz vor Kriegsende weitergeführt wurde. Im Rahmen dieses Vorhabens, das Achim Trunk trotz schwieriger Quellenlage überzeugend rekonstruiert hat, gewann Verschuer aus Blutproben von Menschen, die er und seine Mitarbeiter bestimmten Abstammungslinien (nämlich „Sippen“ und „Rassen“) zuordneten, Eiweißsubstrate. Diese Substrate injizierte man wiederum Kaninchen in der Erwartung, dass diese je nach Rasse oder Sippenzugehörigkeit des menschlichen Blutspenders unterschiedliche Abwehrenzyme gegen dieses Fremdeiweiß entwickeln würden. Die im Projekttitel angesprochenen „Eiweißkörper“ wären dann als jeweils für eine engere oder weitere Abstammungsgemeinschaft „spezifisch“ nachweisbar gewesen. Hieraus wiederum hätte man ein Verfahren entwickeln können, mit dessen Hilfe anhand der aus dem Blut eines Menschen hergestellten Eiweißsubstrate dessen Verwandtschaftsbeziehungen sowie die Zugehörigkeit zu einer „Rasse“ experimentell nachweisbar gewesen wären.72 Die Grundlage des Projektes bildete die Theorie spezifischer Abwehrenzyme, die der Hallenser Physiologe Emil Abderhalden im Jahr 1909 entwickelt hatte: In Tierversuchen glaubte er entdeckt zu haben, dass Lebewesen gegen körperfremde Eiweiße Enzyme entwickelten, die als Katalysatoren eine Aufspaltung der Fremdproteine bewirkten, körpereigene Eiweiße dagegen unversehrt ließen. Diese demnach spezifisch auf die von außen eingedrungenen Proteine abgestimmten „Abwehrfermente“ glaubte Abderhalden im Blut von Versuchstieren nachweisen zu können. Bereits 1914 demonstrierte indes Leonor Michaelis, außerordentlicher Medizinprofessor an der Berliner Universität, dass die Abwehrfermente nicht existierten. Doch Michaelis galt als Außenseiter, dessen Kritik an einer anerkannten Autorität die deutsche Fachöffentlichkeit wenig Bedeutung zumaß. Er wanderte 1922 über Japan in die USA aus, um seine Karriere fortsetzen zu können; ab 1926 lehrte er an der John Hopkins University. Während Abderhaldens Thesen in der Folge international bezweifelt und experimentell widerlegt wurden, galten sie in Deutschland bis in die späten 1940er Jahre als sakrosankt. Die internationale (Selbst-)Isolation der deutschen Wissenschaftler im und nach dem Ersten Weltkrieg trug hierzu bei.73 Nach 1933 schien das Konzept der Abwehrfermente eine Chance zu bieten, die nationalsozialistische Rassenpolitik auf die Grundlage experimenteller Naturwissenschaft zu stellen. Zwischen 1934 und 1936 untersuchte der Zoologe Alfred Kühn in Zusammenarbeit mit Abderhalden und gefördert von der DFG, ob sich mithilfe jeweils spezifischer Abwehrferment-Reaktionen Meerschweinrassen voneinander unterscheiden ließen. Abderhalden selbst publizierte 1938/39 zu analogen Experimenten an Schafen und Schweinen. Verschuer rezensierte diese Studien im Jahr 1940 und merkte an, die von Abderhalden entwickelte „Methode zur Feststellung der Rassenspezifität von Eiweißstoffen“ erwecke „das größte In72 73
Vgl. Trunk, Blutproben, Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 502–510 und Gausemeier, Radikalisierung, S. 186–190. Vgl. Deichmann, Flüchten, S. 47 f. und 364–372 und Trunk, Blutproben, S. 23–26 sowie S. 48 ff.
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teresse des Erbbiologen“.74 In einem Briefwechsel aus demselben Jahr erörterte er mit Abderhalden, ob sich dessen Methode auch in Verschuers Zwillingsforschung anwenden lasse. Zwar bejahten dies beide, doch Verschuer hielt es für unmöglich, für solche Experimente während des Krieges genügend freiwillige Blutspender aus den Reihen der in Frage kommenden Zwillinge zu finden.75 Im Frühjahr 1943 bot sich Verschuer jedoch eine Möglichkeit, an Blutproben in hinreichender Zahl zu gelangen, gerade weil von einer Freiwilligkeit der Spender keine Rede sein konnte. Der im Jahr 1911 geborene Arzt Josef Mengele, der 1938 bei Verschuer mit einer Studie zur Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte promoviert worden war und bis zu seiner Einberufung zur Waffen-SS im August 1940 als Assistent Verschuers gearbeitet hatte, trat im Juni 1943 seinen Dienst als Lagerarzt im KZ Auschwitz an. Unmittelbar bevor Mengele auf eigenen Wunsch nach Auschwitz versetzt wurde, hatte Verschuer seine technische Assistentin Irmgard Haase zu Abderhalden nach Halle geschickt, um dort die Technik zum Nachweis der Abderhalden-Reaktion zu erlernen. Unmittelbar nach Mengeles Versetzung beantragte Verschuer im Juni 1943 bei der DFG das Projekt „Spezifische Eiweißkörper“. Benoit Massin vermutet aufgrund dieses Zeitverlaufs, dass Mengeles Versetzung nach Auschwitz von vornherein dazu diente, das erwähnte Projekt durchzuführen, sicher ist dies aber nicht. Jedenfalls bot der Lagerkomplex Auschwitz Verschuer über Mengele einen Zugriff auf Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft, auf ganze Familien sowie auf Zwillingspaare in großer Zahl. Damit waren die Voraussetzungen für ein Projekt gegeben, in dessen Mittelpunkt die Frage stand, ob bzw. wie man unterschiedliche Abstufungen der Zugehörigkeit zu Abstammungslinien – von der Kleinfamilie über die „Sippe“ bis zur „Rasse“ anhand von Blutproben identifizieren könnte.76 Im März 1944 berichtete Verschuer der DFG-Geschäftsstelle: „Als Mitarbeiter in diesen Forschungszweig ist mein Assistent Dr. med. et phil. Mengele eingetreten. Er ist als Hauptsturmführer und Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt. Mit Genehmigung des Reichsführers SS werden anthropologische Untersuchungen an den verschiedensten Rassegruppen dieses Konzentrationslagers durchgeführt und Blutproben zur Bearbeitung an mein Laboratorium geschickt.“77 Aus späteren Berichten Verschuers ergibt sich, dass er aus Auschwitz die Blutproben von mehr als 200 Menschen erhielt, wobei Mengele darauf achtete, dass in diesem Material verschiedene „Rassen“, „Sippen“ sowie Zwillingspaare vertreten waren. Die im Berliner Labor aus den Blutproben gewonnenen Eiweißsubstrate injizierte Verschuer Kaninchen und untersuchte in deren Urin, ob sie je nach Verwandtschaftsverhältnissen und „Rasse“ des unfrei74 75 76 77
Verschuer, Rezension, S. 92. Vgl. Trunk, Blutproben, S. 26 f. Vgl. Massin, Mengele, S. 218–234, Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 470–479 und Trunk, Blutproben, S. 9–15. Vgl. Bericht Verschuers an die DFG vom 20.3.1944, in: BArch, R 73/15342, fol. 64. Verschuer stellte dies im Mai 1946 gegenüber Otto Hahn so dar, als habe Mengele ihm von sich aus mehrfach jeweils 20 bis 30 Blutproben gesandt, vgl. Sachse/Benoit, Forschung, S. 23 und Trunk, Blutproben, S. 52.
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willigen Blutspenders unterschiedliche Abwehrfermente bildeten.78 Für wie bedeutsam Verschuer dieses Projekt hielt, ergibt sich auch daraus, dass er im Februar 1945, als er aus Berlin auf das hessische Familiengut floh, aus dem Gesamtinventar seines Institutes nur die besagten Eiweißsubstrate mitnahm.79 Mengele sandte auch die Augen von Zwillingen, die er in Auschwitz ermordet hatte, an Verschuers KWI, wo sie von dessen Mitarbeiterin Karin Magnussen für ein Forschungsprojekt genutzt wurden. Verschuer erhielt zur selben Zeit vom Reichsforschungsrat Fördermittel für ein Projekt Magnussens zur Pigmententwicklung in Kaninchenaugen, die, so erklärte ein Bericht vom Oktober 1944 „Ähnlichkeit mit der der Menschen zeigte“, womit „die Grundlage für größere Untersuchungen im nächsten Jahr gelegt“ sei. Deren Ziel sollte es sein, aufgrund der „Erbbedingtheit der Entwicklung der Augenfarbe“ ein Klassifikationssystem von Augenfarben zu entwickeln, das „als Grundlage für Rassen- und Abstammungsuntersuchungen“ dienen konnte.80 Verschuer suchte mit diesen Projekten nach einer experimentellen Methode, um Menschen präzise kleineren („Sippen“) oder größeren („Rassen“) Abstammungsgemeinschaften zuordnen zu können. Wenn man Verschuers Forschung in den Kontext der anderen vom Reichsforschungsrat geförderten Projekte zur rassistischen Klassifizierung von Menschen einordnet und berücksichtigt, dass er über Mengele in Auschwitz vor allem Zugriff auf Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen Ostmittel- und Osteuropas hatte, erscheint die Annahme als plausibel, dass er seine Forschung als ersten Schritt hin zu Diagnoseverfahren sah, mit deren Hilfe die Nationalsozialisten diese Regionen ethnisch neu ordnen, dabei jeden Menschen präzise „seiner“ Abstammungsgemeinschaft zuordnen und entsprechend differenziert würden behandeln können. Hierfür spricht auch, dass Mengele 1940/41 im Rassen- und Siedlungshauptamt (RuSHA) der SS Gutachten zur Eindeutschungsfähigkeit von volksdeutschen Umsiedlern erstellt hatte.81 Dass die ethnische Neuordnung Europas bis hin zur physischen Vernichtung einer „Rasse“ gehen konnte, muss zumindest Mengele aufgrund seiner eigenen Mittäterschaft am Holocaust klar gewesen sein, und dass sein Mentor Verschuer hiervon nichts erfahren haben soll, erscheint doch wenig wahrscheinlich, auch wenn er nach 1945 genau dies behauptete.82 Man kann Verschuers Projekt zur serologischen Rassendiagnose in dem Sinne als Grundlagenforschung verstehen, dass es ihm um Grundwissen über Abstammungsgemeinschaften und um die Entwicklung diagnostischer Verfahren ging. In den Akten des RFR rangierte das Projekt denn auch mit vollständigem Titel als „Experimentelle Forschung zur Feststellung der Erbbedingtheit spezifischer 78 79 80 81 82
Bericht Verschuers an die DFG vom 4.10.1944, in: BArch, R 73/15342, fol. 47. Vgl. Trunk, Blutproben, S. 7 f., 37–43 und 55 f. Vgl. Trunk, Blutproben, S. 34 und 42. Bericht Verschuers vom 2.10.1944, in: BArch, R 73/15342, fol. 38 f. Vgl. Massin, Mengele, S. 240–252 und Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 482–502. Vgl. Trunk, Blutproben, S. 12 f. und 59 ff. Vgl. Schieder, Spitzenforschung, S. 67, Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 481 f. und Trunk, Blutproben, S. 15 f.
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Eiweißkörper als Grundlage von Erb- und Rassenforschung“.83 Dass dieser neue Wissensbestand aber gezielt aufgebaut werden sollte, um hieraus praktische Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenpolitik zu entwickeln, ergibt sich aus den Kontexten des Projektes, vor allem aber daraus, dass Verschuer genau diese Zweckbestimmung seiner Forschung seit 1933 immer wieder betonte. So hatte er 1939 im Erbarzt geschrieben: „Das Parallelgehen von politischen und wissenschaftlichen Gedanken ist kein Zufall, sondern innere Notwendigkeit. (…) Wir Erbbiologen und Rassenhygieniker haben mit Beglückung erlebt, daß der stillen Arbeit aus Gelehrtenstube und wissenschaftlichem Laboratorium die Auswirkung im Leben des Volkes zuteil wird. Unsere Verantwortung ist dadurch ins Riesengroße gewachsen. Wir bleiben in der Stille unserer wissenschaftlichen Forschungstätigkeit aus der inneren Überzeugung heraus, daß auch auf diesem Felde Schlachten geschlagen werden, die für den Fortbestand unseres Volkes von größter Bedeutung sind.“84 Wie in diesem Beispiel legte Verschuer während der NS-Zeit regelmäßig Wert darauf, sich selbst als Grundlagenforscher (hierfür standen im obigen Zitat die Begriffe des „Gelehrten“ und der Arbeit im „Stillen“) zu beschreiben, der aufgrund einer historischen Ausnahmesituation in der „Verantwortung“ stehe, seine Grundlagenforschung von ihren möglichen Zwecken her zu betreiben. Dieser Befund lässt sich in Anlehnung an Anmerkungen Helmut Maiers zur Rüstungsforschung für die von der Klientel des RFR betriebene Forschung verallgemeinern. Maier identifiziert einen Unterschied zwischen der Forschungsförderung der Weimarer Jahre und im Zweiten Weltkrieg: „Der qualitative Sprung im Vergleich zum ‚alten System‘ bestand in der Finalisierung der Grundlagenforschung, bei der die Ziele des Erkenntnisfortschritts nicht mehr überwiegend aus der disziplinären Logik einer Scientific Community hergeleitet wurden, sondern nunmehr als disziplinäre Übersetzungen rüstungsrelevanter Problemstellungen vorgegeben wurden (…). Daraus resultiert, dass die grundlagenorientierten ‚Freiräume‘ keine selbstgeschaffenen Refugien antragsrhetorisch versierter Wissenschaftler waren, sondern staatlich sanktionierte und von einer technowissenschaftlich geschulten Elite gesteuerte Wissensfabriken.“85 Die Formel einer „finalisierten Grundlagenforschung“ beschreibt insgesamt jenes Segment der Forschung, das sowohl der Geschäftsführer des Reichsforschungsrates Rudolf Mentzel, als auch die in den Gremien des RFR dominierenden Ordinarien in arbeitsteilig zwischen ihnen, dem Militär und der Industrie koordinierten Innovationsprozessen als ihr ureigenes Feld beanspruchten. Damit hielten sie an dem in der DFG seit 1920 etablierten linearen Innovationsmodell fest: Erst eine von ihren Erkenntnisinteressen her nicht unmittelbar auf spätere Produkte zielende Grundlagenforschung, also eine Erforschung der Eigenschaften und des „Wesens“ von Stoffen, der Kausalitäten von Naturprozessen und der Methoden zu ihrer Messung oder Berechnung erzeuge jenes Wissen, das die angewandte Forschung im zweiten Schritt für die Lösung konkreter Probleme 83 84 85
Zit. nach Trunk, Blutproben, S. 7. Verschuer, Erbbild, S. 12. Maier, Forschung, S. 671.
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nutzen könne, woran sich im dritten Schritt die Entwicklung einzelner Produkte und Verfahren anschließe. Wie wir im dritten Kapitel gesehen haben, hatte schon Friedrich Schmidt-Ott in der Mitte der 1920er Jahre, orientiert am Vorbild des amerikanischen National Research Council, propagiert, Themen der Grundlagenforschung aus Vermutungen über ihren späteren Nutzen abzuleiten. Insofern war die vom Reichsforschungsrat betriebene Finalisierung der Grundlagenforschung qualitativ nicht neu, aber erst in der Ausnahmesituation des von der RFR-Klientel als nationaler Existenzkampf gedeuteten Zweiten Weltkrieges setzte sie sich in der Breite durch und wurde zu der zentralen Strategie in der Förderpolitik. Für die Projekte des Reichsforschungsrates standen Problemstellungen der Waffentechnologie und der Kriegswirtschaft bereits am Anfang der Grundlagenforschung initiierenden heuristischen Prozesse. Zum Beispiel gewann Grundlagenforschung zum Stoffwechsel und zum Nährstoffgehalt von Pflanzen vom politischen Interesse an einer Optimierung der Ernährung im Krieg her gedacht einen konkreten Sinn. Aus diesem Grund förderte der RFR zwischen 1937 und 1944 mehrere Reihenuntersuchungen.86 Wenn das KWI für Strömungsforschung Messstrecken entwarf, um die „Oberflächenreibung eines strömenden Mediums an einem Körper“ präzise zu vermessen, so generierten seine Forscher neue Wissensbestände zum grundlegenden Verständnis von Strömungsvorgängen, lieferten aber nicht nur im Ergebnis, sondern von Beginn an hierauf zielend die Basis für Innovationen beim Bau von Schiffsrümpfen.87 Als schließlich ein Mitarbeiter des Leipziger Chemikers Wolfgang Ostwald im Rahmen eines Projektes der Luftwaffe festgestellt hatte, dass für die Ziele dieses Projektes „ein Ausholen in Fragen der Grundlagenforschung unbedingt erforderlich“ sei, beantragte Ostwald im Januar 1943 hierfür erfolgreich beim RFR ein Stipendium – die Zweckforschung hatte der Grundlagenforschung die Fragestellung diktiert.88 Zwar hat die Wissenschaftsgeschichte längst Konsens darüber erzielt, dass ein lineares Innovationsmodell den Rückkoppelungen zwischen den nur scheinbar sauber getrennten Elementen eines Innovationsprozesses nicht gerecht wird. Und die meisten mithilfe von Förderungen des RFR Forschenden wechselten immer wieder zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung sowie technischer Entwicklung hin und her. Dennoch leitete das skizzierte lineare Innovationsmodell die Förderpolitik des Reichsforschungsrates und motivierte die Entscheidungen seiner Funktionsträger. Diese Entscheidungen zielten darauf, das eigene Arbeitsfeld auf eine im obigen Sinn finalisierte Grundlagenforschung einzugrenzen und zugleich die alleinige Steuerungskompetenz für dieses Segment zu beanspruchen. Peter Adolf Thiessen beispielsweise betrieb nach dem Urteil Paul Erkers „eine sehr breit gestreute, heterogene und stark auf Grundlagenforschung orientierte Forschungsförderung, die in seiner Überzeugung aber genau dadurch als optimale Ressourcenbeschaffung für das NS-Regime im Sinne einer ‚VierjahresplanChemie‘ sowie einer ‚Wehrchemie‘ fungierte“.89 Im April 1942 bewilligte Thiessen 86 87 88 89
Vgl. Stoff, Wirkstoffe, S. 173 f. und 264 ff. Vgl. Epple, Rechnen, S. 331–341, das Zitat S. 334. Ostwalds Antrag vom 20.1.1943 vom 2.2.1943, in: BArch, R 26 III/719. Erker, Vierjahresplan-Chemie, S. 186. Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 263 f.
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ein Projekt des an seinem eigenen KWI tätigen Chemikers August Winkel über die Eigenschaften von Aerosolen. Winkel hatte sein Projekt im Antrag auf idealtypische Weise als finalisierte Grundlagenforschung beschrieben, indem er betonte, wenn man die Eigenschaften von Aerosolen kenne, ergebe sich unmittelbar eine militärische Relevanz, denn dieses Grundlagenwissen ermögliche „die optimale Verwendung dieser Stoffe“ beispielsweise in „Tarnnebeln“. Thiessen befand denn auch, dass Winkels Arbeiten „die für die Erforschung, Weiterentwicklung und Anwendung der Aerosole notwendigen Grundlagen“ legten, was „im Interesse der Wehrmacht, des Luftschutzes und auch vieler technischer Probleme dringend erforderlich“ und somit „unmittelbar kriegs- und staatswichtig“ sei. 90 Während Thiessen es mit der Finalisierung der Grundlagenforschung ernst meinte, kann man dies für Werner Köster, Fachspartenleiter für die Nichteisenmetall-Forschung, bezweifeln. Dieser dehnte die Behauptung einer Zweckorientierung der Grundlagenforschung im Interesse seiner Klientel ins Uferlose aus, wenn er behauptete, in Einzelfällen könne auch „eine mehr oder weniger reine Forschungsarbeit“ kriegswichtig sein, sofern man aus Erfahrung annehmen dürfe, dass sich aus ihr am Ende doch technische Anwendungsmöglichkeiten ergäben. Zwischen 1940 und 1944 förderte Köster daher die Forschung Siegfried Valentiners von der Bergakademie Clausthal zu Indium, obwohl dieses „heute technisch noch nicht eingesetzt werden“ könne: Man werde schon eine „Verwendung“ finden. Ja, gerade weil man derzeit noch nicht wisse, wie IndiumLegierungen technisch genutzt werden könnten, sei weitere Forschung „von besonderem Wert“.91Ab Frühjahr 1942 förderte Köster ein Projekt des Göttinger Physikochemikers Rudolf Vogel zu Legierungen auf Basis seltener Erden: „Auf diesem Gebiet herrscht noch eine weitgehende Unkenntnis und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass überraschende Entdeckungen gemacht werden.“92 Das war zwar grundsätzlich richtig, unter Kriegsbedingungen aber doch ein sehr vages Nutzversprechen. Walther Gerlach mochte sich auf solche argumentativen Kunststücke nicht einlassen. Selbst an der Entwicklung von Torpedos beteiligt, hielt er es zwar für richtig, weil den Kriegserfordernissen entsprechend, die Fragestellungen der von seiner Fachsparte geförderten Grundlagenforschung im Regelfall aus den konkreten Problemen der Rüstungsindustrie abzuleiten. Zugleich aber beharrte er darauf, dass auch unter Kriegsbedingungen zweckfreie Grundlagenforschung weiterbetrieben werden müsse, ohne dass man diese antragsrhetorisch frisiere: „Ein verantwortungsvoller Forscher“, so schrieb Gerlach im September 1944 an 90 91 92
Winkels Antrag vom 19.2.1942 und das Schreiben Thiessens an die DFG vom 22.4.1943, in: BArch, R 26 III/228, Bl. 4 f. Aus dem Schreiben Valentiners an Köster vom 5.5.1940 sowie Kösters Schreiben an die DFG vom 21.5.1940 und 9.2.1942, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 263. In der Tat wurde Indium noch während des Krieges im Flugzeugbau eingesetzt, allerdings in den USA. Kösters Gutachten vom 20.4.1942, zit. nach Luxbacher, Ersatzstoffe, 312. Köster zog die Kritik William Guertlers auf sich, er sei ein „unbedingter Anhänger des Prinzips der freien Forschung ohne Bindung an einen besonderen Zweck“, so ein Schreiben Guertlers an den Präsidenten des RFR Becker vom 28.11.1939, zit. nach ebenda, S. 280.
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Osenberg, werde „diesen Weg nicht gehen“. Es gebe in der Kernphysik, im Ferromagnetismus oder zu Fragen der Relativitätstheorie Forschungsthemen, die man nicht guten Gewissens als „kriegswichtig“ etikettieren könne, deren Bearbeitung aber dennoch gefördert werden müsse, weil ihre „allgemeine und grundsätzliche Bedeutung für den Fachgelehrten zweifellos feststeht. D.h., wenn es sich um eine Vermehrung des Kapitals der Forschung handelt“.93 Zwei Monate später bestand Gerlach gegenüber der Marine darauf, dass „wir ganz unabhängig von der jeweiligen äußeren Lage die wissenschaftlich-systematische Arbeit weiterlaufen lassen“ müssten.94 Einerseits diente die Behauptung einer Kriegsrelevanz der Grundlagenforschung dem Erhalt der Forschungsinstitute, der Durchsetzung ihrer Interessen an materiellen Ressourcen und dem Schutz ihrer Beschäftigten vor den Auskämmaktionen der Wehrersatzbehörden. Insofern ist es kaum erklärungsbedürftig, dass in den Akten des RFR von fast allen Akteuren die Kriegswichtigkeit ihrer Forschung herausgestrichen wurde. Andererseits stellt sich die Frage, warum es zu den semantischen Normen innerhalb der Gremien und Klientel des RFR gehörte, die eigene Arbeit als „Grundlagenforschung“ zu etikettieren, obwohl man hierdurch Eiferern wie Werner Osenberg die Chance bot, sie gegenüber den Spitzen des Regimes als irrelevant zu diskreditieren. Meines Erachtens entsprang das Beharren eines Großteils der Ordinarien und der KWI-Direktoren darauf, dass ihre Forschung trotz Finalisierung, trotz der Genese ihrer Fragestellungen aus militärisch-politischen Zwecken, weiterhin Grundlagenforschung sei, zum einen der echten Überzeugung von deren kulturellem Eigenwert und ihrer strategischen Bedeutung für das Innovationssystem, zum anderen dem Bestreben, ihr traditionelles Selbstbild zu wahren. Werner Köster hat dieses im Mai 1943 ausgerechnet vor dem Kuratorium der Fördergemeinschaft der deutschen Industrie beschworen, einem Kreis von Großindustriellen, der von Forschern technische Innovationen erwartete: „Der bedeutende Gelehrte, der echte Forscher (…) ist ausschließlich von seinem Problem erfüllt, dient der Erkenntnis um der Erkenntnis willen, aus der rein geistigen Freude heraus, der Natur ein Geheimnis abzuringen, ihr als Sieger und Bewunderer zugleich gegenüberzutreten.“95 Günther Luxbacher hat für die Metallforschung die These aufgestellt, dass die Ordinarien in ihrer vom RFR geförderten Forschung einen Kompromiss schließen konnten zwischen der Reputationslogik ihrer Gruppe, nach der seriöse, Karriere und Ansehen fördernde Forschung sich theoretisch interessanten Problemen zu widmen hatte, und ihrem durchaus ebenfalls vorhandenen Willen, einen Beitrag zu einer erfolgreichen Kriegsführung zu leisten: Das Erkenntnisinteresse ihrer Projekte bestanden weiterhin darin, chemische und physikalische Prozesse theoretisierend zu beschreiben und zu analysieren, um mit den erzielten Ergebnissen Reputation in den Fachkreisen (unter Gerlachs „Fachgelehrten“) zu gewinnen. Als Gegenstände dieser Forschung aber wählte man nun in der Regel 93 94 95
Brief Gerlachs an Osenberg vom September 1944, in: BArch, R 26 III, Nr. 447. Brief Gerlachs an das Oberkommando der Marine vom 28.11.1944, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 313. Zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 451.
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kriegsrelevante Themen, untersuchte also Korrosionsphänomene „nicht mehr an einem frei gewählten Untersuchungsgegenstand, sondern an Patronenhülsen“. Oder man dachte über die chemischen Eigenschaften von Titan unter dem Gesichtspunkt nach, ob es in Panzerplatten Nickel ersetzen könnte.96 Wenn die Fachspartenleiter des RFR in der Kommunikation mit den Antragstellern, der DFG-Geschäftsstelle oder Partnern aus Wehrmacht und Industrie Projekte als „Grundlagenforschung“ beschrieben, so taten sie dies, weil die Unterscheidung von Grundlagen- und Zweckforschung sowie technischer Entwicklung „ein Koordinatensystem“ aufspannte, innerhalb dessen „sich die Forscher selbst verorteten“, nämlich dort (wie es Köster im Juni 1942 formulierte), „wo originelle Kräfte am Werke sind“.97 Es ist daher müßig, anhand der Themen, Fragestellungen und Methoden einzelner Projekte, diese retrospektiv eindeutig der Grundlagen- oder angewandten Forschung oder der technischen Entwicklung zuordnen zu wollen. Entscheidend war vielmehr, dass sich die Klientel des RFR an den Hochschulen und KWG-Instituten darum bemühte, zwei gleichermaßen von ihr angestrebte Ziele miteinander in Einklang zu bringen: eine im Rahmen ihrer Forschungsfelder möglichst effektive Selbstmobilisierung für die Kriegsführung der Nation einerseits, die Wahrung ihres Selbstverständnisses als akademische Grundlagenforscher andererseits. Indem Mentzel und andere Funktionsträger des Reichsforschungsrates ihrer Klientel beides zugleich ermöglichten, erfüllte der RFR seinen Zweck für die Interessen des NS-Regimes. GEISTIGE KRIEGSFÜHRUNG. DIE FÖRDERUNG DER GEISTESWISSENSCHAFTEN Im März 1937 begründete der Germanist Werner Betz den Antrag, die DFG möge seine Untersuchung über den Einfluss des Lateinischen auf das Althochdeutsche fördern, mit dem Argument, die Studie werde einen „Beitrag zur Wissenschaft vom deutschen Menschen“ leisten.98 Im selben Monat bewarb sich der Wirtschaftshistoriker Adolf Helbok um Fördermittel für ein Projekt über die „germanisch-deutsche Siedlungskontinuität im donauländisch-karpathischen“ Raum. Er behauptete, seine Forschung werde „den Anteil des Deutschtums“ an der Entwicklung Südosteuropas „ins richtige Licht (…) setzen“; schließlich seien die dortigen Slawen erst durch die deutsche Siedlung „kulturfähig“ geworden.99 Wie wir im dritten Kapitel gesehen haben, hätten Betz und Helbok diese Argumente auch fünf Jahre zuvor gegenüber der Notgemeinschaft ins Feld führen können: Seit Ende der 1920er Jahre hatte diese den Schwerpunkt ihrer geisteswissenschaftlichen Förderpolitik bei Projekten gesetzt, die das Ziel verfolgten, ein überzeitliches Wesen des deutschen Volkes zu identifizieren und die Deutschen der Gegenwart so zur Besinnung „auf die Eigenart des angestammten Volkstums“ 96 97 98 99
Luxbacher, Werkstoff, S. 175, vgl. ebenda, S. 174 ff. Maier, Forschung, S. 360; Kösters Vortrag vor Speer am 3.6.1942, zit. nach ebenda, S. 747. Betz’ Antrag vom 9.3.1937, zit. nach Ehlers, Wille, S. 95. Antrag Helboks vom 18.3.1937, zit. nach ebenda, S. 131.
Geistige Kriegsführung. Die Förderung der Geisteswissenschaften
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zu bewegen.100 Den Kern dieser Förderpolitik hatte die Initiierung, Organisation und Finanzierung des „Atlas der deutschen Volkskunde“ gebildet. Zudem hatte die DFG die Forschung zum deutschen „Volks- und Kulturboden“ jenseits der Reichsgrenzen gefördert, um künftigen Gebiets- und Hegemonieansprüchen Legitimationen zu verschafften. Nach der NS-Machtübernahme verwies Friedrich Schmidt-Ott denn auch darauf, dass sich die DFG in den Geisteswissenschaften seit Langem auf einem entschieden nationalistischen Kurs und damit im Einklang mit dem neuen Regime befinde. Die Förderung des Volkskundeatlas’ ab 1928 stilisierte Schmidt-Ott im Jahr 1934 gar nachträglich zu einem Akt mutiger Opposition angesichts „der volkstumsfremden Zersplitterung der Nachkriegszeit“, der darauf gezielt habe, den Deutschen „den innersten Gehalt unseres Volkswerdens und -wesens“ bewusstzumachen.101 Die von der DFG geförderten Geisteswissenschaftler kehrten 1933/34 ihre Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung rhetorisch hervor. Hierzu nutzten sie in Anträgen, Gutachten und öffentlichen Reden geradezu inflationär Formeln, welche Georg Bollenbeck und Clemens Knobloch als „Scharnierbegriffe“ bezeichnen, also Begriffe wie „Volk“, „Volkstum“ oder „Deutschtum“, die sowohl in der Sprache der Wissenschaft wie in der „Basissemantik“ des Nationalsozialismus etabliert waren, dort zwar bei genauerem Hinsehen jeweils unterschiedliche Bedeutungen besitzen mochten, aber dennoch als Signale eines inhaltlichen Konsenses verstanden werden sollten.102 So erklärte der Germanist Edward Schröder 1934, die am Thesaurus Linguae Latinae beteiligten Sprachwissenschaftler betrieben eine umfassende „Wissenschaft vom Deutschtum“, und sein Kollege Arthur Hübner behauptete 1933, „große nationale Wörterbücher“ könnten „eine volkschaffende Kraft werden“.103 Der „semantische Umbau der Geisteswissenschaften“ (Bollenbeck/Knobloch) bestand im Wesentlichen in der quantitativen Aufblähung von Reden und Anträgen mit entsprechenden Formeln. Sowohl die Begriffe als auch die von ihnen signalisierte Verortung der Forschung in einer Schnittmenge aus disziplinärer Logik und nationalistischem Engagement waren in der geisteswissenschaftlichen Klientel der DFG bereits vor 1933 solide verankert gewesen. Mochte also unter den Akteuren ein Gefühl der Kontinuität vorherrschen, so sind doch eine Zäsur sowie eine schrittweise Akzentverschiebung erkennbar. Die Zäsur bestand darin, dass eine vor 1933 in den Gremien der DFG durchaus vernehmbare Kritik an völkisch inspirierter Forschung mit der Machtübernahme abrupt verstummte. Ein Teil der Kritiker war geflüchtet und nicht mehr im Land, ein Teil hatte sich angepasst. Ein prominentes Beispiel für die zweite Variante ist der Nationalökonom Bruno Kuske, der vor 1933 als DFG-Hauptausschussmitglied gegen „Modeströmungen“ wie die Forschung zum Auslandsdeutschtum protestiert hatte und 1933 aufgrund seiner SPD-Mitgliedschaft die Leitung des rheinisch-westfälischen Wirtschaftsarchivs verlor. Im Folgenden bemühte er sich 100 101 102 103
So der Germanist Walther Steller 1929, zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 13. Schmidt-Ott, Vorwort. Vgl. Schmoll, Vermessung, S. 125 f. Vgl. Bollenbeck, Interesse, S. 17 f. Schröder, Thesaurus, S. 14 und Hübner, Lage, S. 101. Vgl. Ehlers, Wille, S. 90 und 118 f.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
um Konformität, musste jedoch 1944 gleichwohl mehrere Monate Zwangsarbeit leisten.104 Mit dem Übergang von Schmidt-Ott zu Stark verschoben sich dann die Akzente der geförderten Forschung in die Richtung rassenbiologischer Erklärungsversuche für die kulturelle „Eigenart“ des deutschen Volkes, die bis dahin im Kontext der DFG nur eine marginale Rolle gespielt hatten. Nun interessierte beispielsweise den Breslauer Indogermanisten Franz Specht die „ursprüngliche Denkweise des indogermanischen Menschen“ als historische Wurzel deutschen Volkstums.105 Die Förderpolitik der DFG lag hier im allgemeinen Trend der vom Wissenschaftsministerium betriebenen Ausrichtung der Geisteswissenschaften. Wenn zum Beispiel die Zahl der Lehrstühle für Vor- und Frühgeschichte bis 1942 von sechs auf 25 anstieg (bei einer gleichzeitig schrumpfenden Gesamtheit geisteswissenschaftlicher Ordinariate), so war auch dies auf die bewusste Stärkung einer Disziplin zurückzuführen, die einen germanisch-nordischen Ursprung der Deutschen beweisen sollte.106 Wissenschaftsminister Rust formulierte den dahinter stehenden Leitgedanken 1940 in einer Publikation der DFG: „Von der Entdeckung der Rasse schließlich erhält auch die Wissenschaft ihren entscheidenden revolutionären Anstoß“, die „Rassenerkenntnis“ werde „das System der Wissenschaften neu ordnen“.107 Organisatorisch schlug sich die Intensivierung der Volkstumsforschung und die Akzentverschiebung in Richtung Rasse unmittelbar nach Starks Amtsantritt im August 1934 in der Gründung einer „Reichsgemeinschaft für Volksforschung“ nieder, welche die Masse der von der DFG geförderten geisteswissenschaftlichen Forschung, gegliedert in fünf Abteilungen („Vor- und Frühgeschichte“, „Rassenkunde“, „Volkssprache“, „Siedlung“ und „Volkskunde“) einheitlich ausrichten sollte. Hierfür stellte die DFG im Jahr 1935 insgesamt 160.000 Reichsmark zur Verfügung. Als umfassende „Deutschkunde“, so formulierte im Januar 1935 der für die Hochschulen zuständige Referent des badischen Kultusministeriums Eugen Fehrle, sollte die Arbeit der Reichsgemeinschaft den Deutschen ihre „völkische Eigenart“ einerseits, die Gefahr von „Überfremdungen“ andererseits bewusst machen und sie zur „seelischen Haltung des germanischen Menschen“ erziehen.108 Dass der ab diesem Jahr für die Reichsgemeinschaft zuständige DFGReferent Matthes Ziegler 1934 eine Programmschrift unter dem Titel „Volkskunde auf rassischer Grundlage“ publiziert hatte, markiert ebenfalls die nun eingeschlagene Richtung.109 104 Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 30.10.1930, in: BArch R 73/101, fol. 44. Vgl. Engels, Medien, S. 79–88, Orth, NS-Vertreibung, S. 385, Haupts, Universitätsarbeitsgemeinschaft und Kuske, Raum. 105 Antrag Spechts vom 25.10.1941, zit. nach Ehlers, Wille, S. 99. 106 Vgl. Grüttner, Wissenschaftspolitik Geisteswissenschaften, S. 35. Vgl. ebenda, S. 22–30 resümierend zum Ausmaß der Konformität in den Geisteswissenschaften der NS-Zeit. 107 Rede Reichsminister, S. 9 f. 108 Programmatischer Text Fehrles zur Reichsgemeinschaft vom 13.1.1935, zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 189. 109 Vgl. Schmoll, Vermessung, S. 139 und 143 f.
Geistige Kriegsführung. Die Förderung der Geisteswissenschaften
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Größtes Projekt der Volksforschung blieb zunächst der Volkskundeatlas, im Jahr 1935 wurde er trotz der finanziellen Nöte mit 85.000 Mark gefördert. Eduard Wildhagen, unter Stark für die Geisteswissenschaften zuständiger DFG-Vizepräsident, tauschte im August 1934 einen großen Teil des Personals in der Berliner Zentrale des Atlasprojektes aus. In der Projektleitung ersetzte er den seit 1928 amtierenden Nationalkonservativen John Meier durch den Dresdner Germanisten Adolf Spamer, der zugleich an die Spitze der Abteilung Volkskunde innerhalb der Reichsgemeinschaft trat. Das Erkenntnisinteresse für den von Spamer konzipierten fünften Fragebogen des Projektes zielte auf die Volkspsychologie der Deutschen, verstanden als „Rassenseele“ und „uraltes Erbgut völkischen Gemeinschaftsempfindens“.110 Zugleich unternahm die DFG Versuche, den Atlas in Kooperation mit nordeuropäischen Kollegen zu einem „Volkskundeatlas des germanischen Sprach- und Volksraumes“ zu erweitern; auch hier lag der Akzent nun also stärker auf nordischer Rasse als auf der deutschen Nation im engeren Sinne.111 Hieran änderte sich in der Sache nichts, nachdem die Gruppe um Rudolf Mentzel Stark und Wildhagen verdrängt hatte. Erneut kam es zwar zu einem Personalaustausch in der DFG-Geschäftsstelle und der Zentrale des Atlasprojektes, diesmal zu Lasten von Gefolgsleuten Rosenbergs wie Ziegler. Die Reichsgemeinschaft für Volksforschung wurde im Mai 1937 aufgelöst, an die Spitze des Volkskundeatlas rückte mit Heinrich Harmjanz der im Wissenschaftsministerium für die Geisteswissenschaften zuständige Referent. Der im Jahr 1904 geborene Harmjanz war bereits als Student 1930 der NSDAP und 1931 der SS beigetreten und hatte an seinen Studienorten München und Königsberg eine führende Rolle im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund gespielt. Im Jahr 1935 hatte er sich an der Universität Königberg mit Rückendeckung des Rust’schen Ministeriums für das Fach Volkskunde habilitieren können, obwohl seine Habilitationsschrift bei einigen Gutachtern auf Ablehnung gestoßen war. Nach dem Eintritt in das Ministerium zwei Jahre später baute ihn dieses gezielt zum dominanten Akteur der Volkskunde auf: Neben dem Atlasprojekt übernahm er noch 1937 die Mitherausgeberschaft des zentralen Fachorgans, der Zeitschrift für Volkskunde, sowie eine neu eingerichtete Professur für Volkskunde in Königsberg. Im Herbst 1938 wechselte er auf das Ordinariat für Volkskunde an der Frankfurter Universität, blieb aber de facto im Ministerium. Im Jahr 1942 stieg er dort zum Leiter des Ministeramtes auf. Harmjanz agierte als Repräsentant der SS innerhalb der Geisteswissenschaften. Nachdem er in mehreren Publikationen des Amtes Rosenberg scharf kritisiert worden war, bat Harmjanz im Juni 1938 Himmler persönlich darum, „mir den 110 Aus einer Publikation des Atlas von 1935 zit. nach ebenda, S. 138. Vgl. ebenda, S. 135–142. Auch die Sprachforschung setzte sich gleichzeitig das Ziel, in Dialekten die „Volksseele“ zu identifizieren, vgl. Ehlers, Wille, S. 66 f. Pro forma hatte Wildhagen die Leitung des Atlas dem Hannoveraner Kulturhistoriker Wilhelm Peßler übertragen, de facto aber amtierte Spamer, vgl. Schmoll, Vermessung, S. 136 und Lixfeld, Institutionalisierung. 111 Aus einem Artikel des Völkischen Beobachters über eine Tagung des Internationalen Verbandes für Volksforschung vom 2. bis 4.4.1936 in Berlin, zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 151.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
Schutz der SS angedeihen zu lassen“.112 Tatsächlich mahnte Himmler daraufhin den ebenfalls der SS angehörenden Harmjanz-Kritiker Matthes Ziegler zu mehr Zurückhaltung. Im selben Jahr verknüpfte Harmjanz seinen Arbeitsbereich im Ministerium mit der SS-Stiftung Ahnenerbe, indem ihr das Atlasprojekt übertragen wurde. Harmjanz konnte 1939 die Liste seiner Titel um denjenigen eines Leiters der „Lehr- und Forschungsstätte für deutsche Volksforschung“ im Ahnenerbe vermehren; die von vielen Geisteswissenschaftlern als Residuum völkischer Dilettanten bespöttelte SS-Stiftung wiederum erhielt mit der Verantwortung für das Atlasprojekt das Gütesiegel einer seriösen Forschungseinrichtung. Dass Harmjanz im Jahr 1943 aus dem Ministerium und allen wissenschaftspolitischen Funktionen ausschied, weil Denunzianten aus dem Amt Rosenberg die Tatsache skandalisiert hatten, dass er in seiner Habilitationsschrift jüdische Autoren ausgiebig zitiert hatte, ist eine der vielen abstrusen Intrigengeschichten aus dem Innern der nationalsozialistischen Polykratie und soll hier nur vermerkt werden.113 Für das Atlasprojekt war all dies ebenso bedeutungslos wie Harmjanz’ Schwadronieren darüber, dass die Volkskunde seit 1933 auf die „onkelhaften Worte auf Tagungen und leutseligen Ergüsse auf dem Papier“ verzichte und stattdessen „Erkenntnisgrundlagen für eine zukünftige praktische Volkstumspflege“ lege, also finalisierte Grundlagenforschung im Dienste völkischer Politik betreibe.114 An entsprechenden Beschwörungen der eigenen Bedeutung herrschte kein Mangel, so wenn etwa der Mitherausgeber Erich Röhr 1939 behauptete, der Atlas zeige plastisch „das in allen Zeiten Unveränderliche unserer Volksseele“, er biete „Erklärungen für unsere völkische Wesenheit“ und ermögliche es auf diese Weise, „Fremdes von Arteigenem zu sondern“.115 Die empirische Erhebungsarbeit aber war schon 1938 eingestellt worden, 1939 wurde die letzte von sechs Kartenlieferungen publiziert, danach wurde das Material für die Dauer des Krieges lediglich verwahrt, zunächst in Frankfurt am Main, ab Frühjahr 1944 im Vogelsberg.116 Rudolf Mentzel waren die Geisteswissenschaften nach eigenem Bekunden von 1943 schlicht „gleichgültig“, und in der Tat gingen von der DFG ab Ende 1936 zunächst kaum Impulse zur strategischen Entwicklung oder Indienstnahme dieser Disziplinen aus.117 Mit dem Kriegsbeginn im September 1939 brach ihre Förderung ein, statt den knapp 1,4 Millionen Reichsmark, mit denen die DFG die Geisteswissenschaften 1939 gefördert hatte, erhielten sie 1940 nur noch 766.000 Mark. Als der DFG-Etat jedoch ab 1941 wieder zu steigen begann, profitierten hiervon auch die Geisteswissenschaften. In den Jahren 1942 und 1943 lagen ihre Fördersummen in absoluten Zahlen mit 1,7 bis 1,8 Millionen Reichsmark sogar 112 Brief Harmjanz’ an Himmler vom 16.6.1938, zit. nach ebenda, S. 166. Zu Harmjanz’ Karriere und Funktionen vgl. ebenda, S. 165–192. 113 Vgl. ausführlich und präzise ebenda, S. 175–192. 114 So Harmjanz im Jahr 1939 auf einer Tagung des Ahnenerbes, zit. nach Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 287 und Schmoll, Vermessung, S. 173. 115 Zit. nach Schmoll, Vermessung, S. 41 f. 116 Vgl. ebenda, S. 192 f. 117 So berichtete jedenfalls Walter Groß, Leiter des Hauptamtes Wissenschaft im Amt Rosenberg, am 13.4.1943 über ein Gespräch mit Mentzel, zit. nach Grüttner, Wissenschaftspolitik Geisteswissenschaften, S. 37.
Geistige Kriegsführung. Die Förderung der Geisteswissenschaften
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höher als je nach 1930, obwohl ihr prozentualer Anteil am Etat von DFG und RFR deutlich niedriger lag als in der Weimarer Republik.118 Aus der Sicht des Wissenschaftsministeriums konnten die Geisteswissenschaften im Krieg drei ihre Förderung rechtfertigende Funktionen erfüllen: Erstens vermochten sie Wissen über die gegnerischen und besetzten Länder bereitzustellen. Zweitens sollte die demonstrative Fortführung augenfällig nicht kriegsrelevanter Forschung nach innen, vor allem aber gegenüber dem neutralen und feindlichen Ausland demonstrieren, mit welch selbstsicherer Gelassenheit eine kulturell hochstehende Nation die Entwicklung des Krieges verfolge. Drittens schließlich sollten die Geisteswissenschaften mit ihren Mitteln die Kriegsziele des nationalsozialistischen Regimes legitimieren, im besetzten und neutralen Europa für eine Neuordnung des Kontinents unter deutscher Dominanz werben und die Deutschen geistig auf den Krieg einstellen. Unmittelbar anwendbares Expertenwissen von Geisteswissenschaftlern mobilisierte die DFG beispielsweise bei der Umsiedlung von Volksdeutschen aus Osteuropa in die 1939 annektierten und zur „Germanisierung“ auserkorenen Gebiete Polens. Zwischen 1939 und 1943 stellte die DFG der „Volksdeutschen Wissenschaftshilfe“ 600.000 Reichsmark für die „wissenschaftliche Aufnahme des Kulturgutes der umzusiedelnden Volksgruppen, die wissenschaftliche Bearbeitung von Fragen der Umsiedlung und des Aufbaus der Forschungsarbeit in den wiedergewonnenen Gebieten“ zur Verfügung.119 Einen praktischen Gebrauchswert konnten auch das von der DFG geförderte deutsch-litauische, das deutsch-albanische und das deutsch-ukrainische Wörterbuch, das deutsch-ukrainische landwirtschaftliche Wörterbuch und das Fachwörterbuch der russischen Forstwirtschaft für sich beanspruchen, während das 1941 geförderte Projekt über „Deutsche Namengebung für afrikanische Tiere“ bereits in eine Zukunft nach dem „Endsieg“ verwies. Es sollte verhindern, dass man nach Wiedererwerb eines Kolonialreiches dessen zoologische Ressourcen nicht würde benennen können.120 Den Anspruch, geisteswissenschaftliche Expertise für Expansion und Besatzungspolitik zu mobilisieren und zu finanzieren, erfüllte die DFG am umfassendsten im Kontext der unter dem Label „Generalplan Ost“ firmierenden Planungsarbeiten für die ethnische Neuordnung Ost- und Ostmitteleuropas. Hierauf wird noch einzugehen sein. Daneben versuchte die DFG gegenüber ihrer inländischen Klientel, vor allem aber gegenüber ausländischen Beobachtern die Siegesgewissheit des NS-Regimes dadurch zu demonstrieren, dass sie die Förderung von Fachzeitschriften und Langzeitunternehmen fortsetzte, andere (wie die erst 1940 begonnenen Arbeiten am Mittelhochdeutschen Wörterbuch) gar neu in Gang brachte. Die DFG förderte bewusst Untersuchungen und Tagungen, die vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens als schiere Elfenbeinturmprojekte erscheinen mussten, so wenn sich der 118 Vgl. den Überblick über die finanziellen Leistungen 1939/40 in: BArch, R 73/11067, Bl. 8, sowie Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 377 und 380 f. 119 Ausarbeitung Griewanks „Betr. Geisteswissenschaften“ vom 13.6.1941, in: BArch, R 73/11067, Bl. 10. Zu den Fördersummen vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 80 f. 120 Folgeantrag von Lutz Heck vom 9.4.1942, zit. nach Ehlers, Wille, S. 137; zu den Wörterbuchprojekten vgl. ebenda, S. 115.
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Braunschweiger Historiker Ernst August Roloff noch im Herbst 1944 den Kopf über „offene Fragen der Eulenspiegelforschung“ zerbrach.121 „Dass Deutschland mitten im Kriege derartige Kulturwerke weiterführt“, notierte der für die Geisteswissenschaften zuständige DFG-Referent Karl Griewank im Juni 1941 mit Bezug auf das Grimm’sche Deutsche Wörterbuch und ähnliche Langzeitunternehmen, „wurde allgemein beachtet“.122 Das Deutsche Wörterbuch erhielt denn auch noch in den beiden letzten Kriegsjahren etwa 150.000 Mark von der DFG.123 Dass es der DFG in starkem Maße um kulturpolitische Auslandspropaganda ging, erhellt ihre Förderstrategie gegenüber wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Diese mussten nach Kriegsbeginn den Anteil ausländischer Abonnenten ausweisen, die Chancen auf eine Fortsetzung der DFG-Förderung stiegen, desto höher dieser Anteil war. Die Zeitschriften sollten, so notierte Griewank, als „Zeugnis der ungebrochenen geistigen Produktion Deutschlands“ dienen.124 Die Klientel der DFG eignete sich dieses Argumentationsmuster ihrerseits erfolgreich an und baute in die Anträge Verweise auf die internationale Rezeption der beantragten Unternehmungen ein. Der Druckkostenzuschuss für eine Studie über „Grundfragen der isländischen Satzphonetik“ wurde 1940/41 erfolgreich damit begründet, dass die deutsche Islandforschung „ein grosses kulturpolitisches Aktivum in unseren Beziehungen zu Island“ darstelle, in denen es gegen einen mächtigen „englischen Einfluss“ zu bestehen gelte. Gerade wegen des „Fehlens direkter Einwirkungsmöglichkeiten“ (Island war seit Mai 1940 von britischen Truppen besetzt) sei es „das Gebotene, durch die Förderung wissenschaftlicher Arbeiten wie der vorliegenden neue Aktiva für die Zukunft zu schaffen“.125 Der Verlag Vandenhoek & Ruprecht erhielt im März 1944 für den zweiten Band einer Altindischen Grammatik von der DFG einen Druckkostenzuschuss von 5.000 Mark, nachdem der Verlag argumentiert hatte, das Werk werde von „Fachgelehrten der ganzen Welt“ erwartet. Da zu den Herausgebern prominente, dem NSRegime fernstehende Schweizer Wissenschaftler gehörten, hoffte die DFG, so die internationale Reputation deutscher Wissenschaft beweisen zu können.126 Den Kern der DFG-Förderpolitik in den Geisteswissenschaften bildete ab dem Jahr 1940 ein intern wie öffentlich als deren „Kriegseinsatz“ tituliertes Forschungs-, Tagungs- und Publikationsprogramm, an dem insgesamt etwa 1.000 Geisteswissenschaftler teilnahmen. Das materielle Ergebnis bestand letztlich in 43 repräsentativ aufgemachten Monographien und 24 Sammelbänden, an denen über 300 Autoren aus zwölf Disziplinen beteiligt waren; hinzu kamen populärwissenschaftliche Broschüren, eine Berliner Ausstellung im Dezember 1941 sowie 121 Roloff, Fragen, S. 220 ff. 122 Ausarbeitung Griewanks „Betr. Geisteswissenschaften“ vom 13.6.1941, in: BArch, R 73/11067, Bl. 9. 123 Vgl. Ehlers, Wille, S. 60–63 und 117 f. 124 Ausarbeitung Griewanks „Betr. Geisteswissenschaften“ vom 13.6.1941, in: BArch, R 73/11067, Bl. 9. Vgl. Ehlers, Wille, S. 155, 173 ff. und 197 ff. 125 Gutachten Leopold Magons, Leiter des Isländischen Instituts der Universität Greifswald vom 20.12.1940, zit. nach Ehlers, Wille, S. 125. 126 Schreiben des Verlags an den Münchner Rektor Walther Wüst, zit. nach ebenda, S. 121.
Geistige Kriegsführung. Die Förderung der Geisteswissenschaften
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eine Vielzahl von Artikeln in der Tagespresse. Die DFG förderte das Unternehmen zwischen 1940 und 1945 nach der Schätzung Frank-Rutger Hausmanns mit 500.000 bis 750.000 Reichsmark.127 Am 3. Februar 1940 beauftragte Wissenschaftsminister Rust den Kieler Rektor und Juristen Paul Ritterbusch damit, einen „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ zu organisieren, im Monat darauf berief er Ritterbusch als Referenten ins Ministerium. Ein Jahr später notierte Griewank in einem internen Vermerk, Ausgangspunkt sei die Beobachtung gewesen, dass es eines von vielen Versäumnissen der Reichsleitung im Ersten Weltkrieg gewesen sei, einen „planmäßig organisierten Einsatz der Geisteswissenschaft für die Aufgaben des Krieges“ zu organisieren.128 Ritterbusch versammelte zunächst im März und April 1940 einige Wissenschaftler, die er aufgrund persönlicher Kontakte oder wegen ihres Status als anerkannter Koryphäen ihrer Fächer ausgewählt hatte, zu zwei Tagungen in Berlin und Kiel.129 In Kiel wurde die Ausrichtung des Kriegseinsatzes festgelegt: Ritterbusch selbst betonte in seinem Eröffnungsvortrag, dass es um die Legitimierung der deutschen Expansionspolitik mithilfe der „Idee einer neuen europäischen Ordnung“ gehe. Die Aufgabe der Geisteswissenschaftler bestehe darin, diese Idee „in einer wissenschaftlich unanfechtbaren Weise herauszuarbeiten“, was aber keineswegs bedeutete, dass sie diese Idee selbst konzipieren sollten. Vielmehr, so behauptete Ritterbusch, existiere diese „Idee“ bereits „als die Wahrheit und Wirklichkeit des Lebens der europäischen Völker“, was per Forschung nur noch „zu erweisen“ sei.130 Auf Basis dieser Festlegung der erwünschten Forschungsergebnisse ernannte Ritterbusch – in Analogie zur Organisation des Reichsforschungsrates – für einzelne Fächer und interdisziplinäre Forschungsfelder mal als „Sparten-“ mal als „Gemeinschaftsleiter“ bezeichnete Wissenschaftler, die geeignete Kollegen zur Mitarbeit motivieren und koordinieren sollten. Die DFG stellte den Spartenleitern Budgets zur Finanzierung von Tagungen zur Verfügung, mittels derer die Spartenleiter Publikationen für bestimmte Forschungsfelder organisierten. Die Kette der Tagungen wurde noch im April 1940 von den Anglisten in Weimar eröffnet und erst Mitte Januar 1945 mit einer Tagung der Historiker in Hitlers Geburtsstadt Braunau am Inn beendet.131 Ähnlich den RFR-Fachsparten funktionierten auch die Bereiche des Kriegseinsatzes: Sie wurden unter die Führung von anerkannten Koryphäen gestellt, die ihre Beziehungsnetzwerke in den jeweiligen Fachkreisen aktivieren sollten. Die Spartenleiter entschieden grundsätzlich nach dem „Führerprinzip“, wen sie wie einbinden und fördern wollten, neben Reisekosten zu Tagungen und Pub127 Vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 103 ff. und 120. Zur von der DFG mit 10.000 Mark geförderten Berliner Ausstellung vgl. ebenda, S. 80–83. Zur öffentlichen Rezeption des Kriegseinsatzes vgl. ebenda, S. 84–98. 128 Ausarbeitung Griewanks „Betr. Geisteswissenschaften“ vom 13.6.1941, in: BArch, R 73/11067, Bl. 11. Vgl. Hausmann, Kriegseinsatz, S. 33 f. 129 Vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 61 f. und 69. 130 Ritterbusch zit. nach Dietze, Bericht. 131 Vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 67 ff., 74 ff. und 199.
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likationsbeihilfen konnten sie in Einzelfällen auch Forschungsaktivitäten selbst unterstützen, also die Kosten für Sachmittel, Archiv- und Bibliotheksreisen übernehmen oder Stipendien bewilligen. Allerdings wurde dieses autoritäre Führungsprinzip in vielen Sparten dadurch relativiert, dass es sich gegen ältere Usancen nicht durchsetzen konnte. So mancher Sammelband wurde wie bislang üblich von mehreren Herausgebern organisiert, und in der Kommunikation mit den Mitwirkenden bevorzugten die Spartenleiter den tradierten kollegialen Tonfall gegenüber einem Befehlscode. Ritterbusch, dem der zuständige DFG-Referent Karl Griewank Kopien jeder Mittelbewilligung im Rahmen des Kriegseinsatzes zukommen ließ, führte eine Oberaufsicht.132 Die Rekrutierung der geisteswissenschaftlichen Spartenleiter der DFG erfolgte 1940 entlang ähnlicher Kriterien wie die Auswahl der RFR-Fachspartenleiter. Ritterbusch griff auf politisch zuverlässige, innerhalb ihrer Fächer etablierte und ihm zumeist persönlich bekannte Kollegen zurück. Unter den 16 in einer DFG-Liste von Ende 1940 neben Ritterbusch selbst benannten Spartenleitern besaßen 14 des Status eines Ordinarius, wobei die Hälfte diesen bereits vor 1933 erreicht hatte. Zwölf der Spartenleiter waren Mitglieder der NSDAP, aber auch wenn sich einige von ihnen während der Weimarer Republik in nationalistischen Organisationen betätigt hatten, so war doch keiner von ihnen vor der Machtübernahme in die Partei eingetreten. Mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren am Jahresende 1940 waren die geisteswissenschaftlichen Spartenleiter genauso alt, wie es die RFR-Fachspartenleiter im Jahr ihrer Ernennung 1937 gewesen waren.133 Auffällig viele der von Ritterbusch Berufenen bekleideten zu diesem Zeitpunkt das Rektorenamt ihrer jeweiligen Universität, gehörten also zum hochschulpolitischen Establishment wie zum überregionalen Beziehungsgeflecht des Kieler Rektors Ritterbusch – so der Mittelalterhistoriker Theodor Mayer (Marburg), der Neuzeithistoriker Walter Platzhoff (Frankfurt am Main) und der Althistoriker Helmut Berve (Leipzig). Standen die drei Genannten zugleich für jene Mehrheit der Hochschullehrer, die am Ersten Weltkrieg als Soldaten teilgenommen und sich bereits in den 1920er Jahren als Professoren etabliert hatten sowie nach 1933 in die NSDAP eingetreten waren, so vertraute Ritterbusch die Leitung einiger Fachsparten jüngeren und zugleich radikaleren Wissenschaftlern an, die wie er selbst in den ersten Jahren des NS-Regimes in Kiel Professoren geworden waren. Zu dieser Gruppe gehörten der Germanist Gerhard Fricke und der (inzwischen nach Leipzig berufene) Zivilrechtler Karl Michaelis, später auch der ebenfalls von Kiel nach Leipzig gewechselte Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber, allesamt erst nach der NS-Machtübernahme auf Lehrstühle berufene Wissenschaftler, die sich seitdem ohne jede Einschränkung und mitunter radikal in Sache und Ton für den Nationalsozialismus eingesetzt hatten. Mentzel und Ritterbusch formulierten explizit vier Ziele des Kriegseinsatzes: Er sollte erstens den Deutschen durch die „Erkenntnis ihrer eigenen Wesensart“ und „der eigenen artgemäßen geistigen Ordnung (…) die Selbstbefreiung 132 Vgl. ebenda, S. 77 und 103 ff. 133 Die hier verwendeten Angaben finden sich verstreut in ebenda.
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vom fremden Wesen“ ermöglichen. Zweitens sollte der Kriegseinsatz die „Auseinandersetzung mit der geistigen und Wertwelt des Gegners“ führen und drittens international für eine „Neuordnung der Welt“ durch Deutschland werben.134 Nachdem der Angriff auf die Sowjetunion vor Moskau steckengeblieben war und das NS-Regime den USA im Dezember 1941 den Krieg erklärt hatte, trat als viertes Ziel hinzu, die Durchhaltebereitschaft der Deutschen zu stärken. In einem Antrag des Wissenschaftsministeriums an das Berliner Wehrbezirkskommando vom März 1942, mit dem es die Verlängerung der Uk-Stellung Ritterbuschs erbat, betonte das Ministerium, die Publikationen des Kriegseinsatzes wendeten sich gezielt an die deutschen Funktionseliten im weitesten Sinne, also jene „Teile des Volkes, auf die es entscheidend ankommt“. Nur wenn diesen – anders als im Ersten Weltkrieg – „die Zielsetzung des Krieges in ihrer Notwendigkeit und ihren Zusammenhängen (…) zu Bewußtsein gebracht“ würde, sei „der Einsatz des Volkes bis zum letzten gewährleistet“.135 Aufgrund dieser Definition des Adressatenkreises erschienen die Bücher des Kriegseinsatzes in Auflagenhöhen von 2.000 bis 8.000 Stück. Das war erkennbar zu viel für eine jeweils rein fachinterne Rezeption, aber zu wenig für eine Massenpropaganda; die Bücher wurden denn auch zu einem beträchtlichen Teil an Institutionen von Staat, Wehrmacht, Partei und SS verteilt.136 Den beteiligten Geisteswissenschaftlern ermöglichte die elitäre Definition der Zielgruppe, sich von gewöhnlichen NS-Propagandisten abzusetzen. Die Leiter des anglistischen Kriegseinsatzes Wolfgang Schmidt (Bonn) und Paul Meißner (Breslau) beispielsweise verwahrten sich im März 1940 gegen den Verdacht, es ginge um „Beiträge zum Tagesschrifttum“; vielmehr solle „streng wissenschaftliche Arbeit geleistet werden“.137 Und der Spartenleiter für Alte Geschichte Helmut Berve, seit 1927 Ordinarius an der Leipziger Universität, verglich die Arbeiten des Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften im März 1943 mit dem Bestreben der Naturwissenschaftler, das deutsche Kriegspotenzial durch Grundlagenforschung zu stärken: „Das echte wissenschaftliche Ringen um Erkenntnis der geistigen Grundlagen unserer eigenen Existenz erweist sich, ähnlich wie die Grundlagenwissenschaft in der Naturwissenschaft, als ein nur scheinbar lebensfremdes Bemühen. In Wahrheit werden hier die Werte unserer Kultur gehoben, geläutert und nutzbar gemacht für den geistigen Kampf, der heute zwischen Deutschland und seinen Feinden kaum minder heftig tobt als der Kampf der Waffen. Was wir einer teils bolschewisierten, teils amerikanisierten Welt entgegenzusetzen haben an kultureller Überlegenheit, liegt in der Kunst und in den Gehalten der Geisteswissenschaften beschlossen.“138 134 Das erste und vierte Zitat: S. 30 f. des undatierten Manuskripts des Vortrages, den Mentzel am 30.10.1940 in Berlin aus Anlass des 20. Gründungsjubiläums der Notgemeinschaft hielt, in: BArch, R 73/11065; das zweite und dritte aus Ritterbusch, Wissenschaft, S. 7. 135 Schreiben des Ministeriums an das Wehrbezirkskommando vom 3.3.1942, zit. nach Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 47. 136 Vgl. Hausmann, Kriegseinsatz, S. 341. 137 Zit. nach der von Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 140–143, dokumentierten ersten Version des anglistischen Forschungsplans von Anfang März 1940, hier S. 140 f. 138 So Berve am 24.4.1943 im Hannoverschen Kurier, zit. ebenda, S. 134. Zu Berve vgl. Rebenich, Geschichte.
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Zweckorientierte Grundlagenforschung
Ein Beispiel dafür, wie die beteiligten Geisteswissenschaftler mit den Mitteln ihrer Disziplinen dem Krieg einen Sinn als existenzielle Auseinandersetzung einander vermeintlich wesensfremder Völker zu geben versuchten (Hausmann spricht in diesem Kontext von „völkisch-rassischen Abgrenzungswissenschaften“),139 liefert der Kriegseinsatz der Altertumswissenschaftler. Die Richtung gab Berve mit einem Vortrag auf der altertumswissenschaftlichen Tagung vor, die Anfang April 1941 im Berliner Harnack-Haus stattfand. Berve behauptete, der in der Gegenwart „bewußt gewordene Rasseninstinkt indogermanischen Menschentums“ lasse „uns die beiden großen Völker der Antike (Griechen und Römer, P. W.) als verwandt, als Völker unseres Blutes und unserer Art empfinden“.140 Wohin diese Analogiebildung führen konnte, lässt sich wiederum an dem 1943 vom Tübinger Althistoriker Joseph Vogt im Rahmen des Kriegseinsatzes herausgegebenen Sammelband „Rom und Karthago“ ablesen. Hier wurden die Punischen Kriege als Folge eines Antagonismus zwischen den nordischen, Ackerbau treibenden Römern und dem semitischen Händlervolk der Karthager gedeutet, womit man – ohne dies offen schreiben zu müssen – nicht nur den gewaltsamen Antisemitismus bildungsbürgerlich rechtfertigen, sondern auch den Krieg gegen das vermeintliche englische Händlervolk in eine für die deutschen Romerben attraktive Analogie setzen konnte.141 Den Adressaten innerhalb der Funktionseliten des NS-Regimes mochten solche Argumentationsmuster eingängig sein, ob sie aber der von der DFG als weiteres Ziel des Kriegseinsatzes proklamierten „geistigen Gewinnung“ der eroberten Länder dienen konnten, ist doch fraglich.142 Als Instrument einer (so Mentzel im November 1940) „gewaltigen Kulturpropaganda“ im besetzten Europa kam der Kriegseinsatz kaum über Absichtserklärungen hinaus.143 Ihre gefährlichsten Gegner im Kampf um die Herzen westeuropäischer Bildungsbürger identifizierten die deutschen Geisteswissenschaftler – in Fortführung eines bereits vor 1933 etablierten Musters – in den amerikanischen Kollegen. In der Keltologie, so behauptete ein Antragsteller im Oktober 1940, dränge sich „die amerikanische Philologie (…) machtvoll in den Vordergrund“ und müsse folglich bekämpft werden. Auch in der Phonetik erkannte der Anglist Wolfgang Schmidt im August 1941 die „Gefahr“, dass „die Führung (…) an die Amerikaner übergeht“, und Gunther Ipsen sah die deutsche Soziologie Ende Dezember 1941 in einem „Zweikampf mit den USA“.144 Dass im Rahmen des Kriegseinsatzes von der DFG geförderte philologische Studien deutscher Keltologen dazu geeignet gewesen sein könnten, deutsch139 Hausmann, Kriegseinsatz, S. 340. 140 So Berve laut dem von ihm selbst verfassten Protokolls der Tagung vom 3. und 4.4.1941, zit. nach Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 131. 141 Vgl. Vogt, Rom, S. 25 f. und Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 135 f. 142 Ausarbeitung Griewanks „Betr. Geisteswissenschaften“ vom 13.6.1941, in: BArch, R 73/11067, Bl. 12. 143 So Mentzel auf einer Tagung mit Vertretern von DFG, RFR und KWG am 12.11.1940, zit. nach Deichmann, Biologen, S. 157. 144 Arbeitsplan August Knochs vom 1.10.1940 und Gutachten des Anglisten Wolfgang Schmidt vom 20.8.1941, zit. nach Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 123 f., Ipsen in einem Schreiben an das Wissenschaftsministerium vom 23.12.1941, zit. nach Klingemann, Soziologie, S. 409.
Geistige Kriegsführung. Die Förderung der Geisteswissenschaften
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freundliche Separatisten in der Bretagne zu stärken, antibritische Stimmungen in Irland zu fördern und westeuropäische Bildungsbürger von einer Überlegenheit Deutschlands gegenüber den USA zu überzeugen, glaubten vermutlich nicht einmal die Antragsteller ernsthaft. Dies hinderte aber weder sie noch die DFGSpitze daran, in ihrer Binnenkommunikation darüber zu fabulieren, dass solche Projekte „durch die Kriegsnotwendigkeiten immer dringlicher gefördert werden“ müssten.145 In der Regel blieb es im Rahmen des Kriegseinsatzes bei dem Versuch, die nationalsozialistische Kriegs- und Expansionspolitik geisteswissenschaftlich zu rechtfertigen, nur selten beschäftigten sich die Forscher mit anwendungsorientierten Themen wie etwa der „Psychologie der Völker des Ostraums“, über die sich die Teilnehmer einer „Arbeitstagung über Fragen des Kriegseinsatzes der Psychologie“ Ende Oktober 1943 in Weimar die Köpfe zerbrachen.146 So wie Otmar von Verschuer zur selben Zeit versuchte, ein Verfahren zur serologischen Unterscheidung von Rassen zu entwickeln, dachten hier die Psychologen darüber nach, ob man mit Verfahren ihrer Wissenschaft die Träger deutscher und polnischer Erbsubstanzen würde voneinander unterscheiden können.147 Die Willigkeit der meisten Beiträger des Kriegseinsatzes basierte nach allem, was wir aus der fragmentarischen Überlieferung wissen, auf ihrer Identifikation mit der Nation sowie auf den materiellen Chancen, die eine Beteiligung an diesem politisch gewollten Großprojekt bot und die von lukrativen Publikationsmöglichkeiten in Zeiten der Papierknappheit bis zur Rückstellung vom Kriegsdienst reichten. Ob die insgesamt nicht zahlreichen Forscher, die sich dem Programm entzogen, dies aufgrund einer Distanz zum Regime taten, ist nicht zu belegen, in manchen Einzelfällen aufgrund anderweitiger Engagements für den Nationalsozialismus sogar klar zu verneinen.148 Immerhin galt für den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaftler ähnlich wie für die vom RFR mobilisierten Natur- und Technikwissenschaftler, dass nur ein kleiner Teil von ihnen als aktivistische Nationalsozialisten gelten konnte, die Mehrheit aber mit dem NS-Regime hinreichend viele Überzeugungen teilte (vom Nationalismus über autoritäre Ordnungsvorstellungen bis hin zu diversen Spielarten des Antisemitismus), um sich mit seinem Kriegserfolg zu identifizieren. Der von der DFG organisierte Kriegseinsatz bot seinen Akteuren zudem die Chance, sich des Vorwurfes weltfremder Elfenbeinturmwissenschaft zu erwehren. Als er im Dezember 1941 an der Berliner TH eine Ausstellung über den Kriegseinsatz eröffnete, sprach Ritterbusch dies offen und öffentlich aus: „Gegen eine rein negierende Kritik“ müsse man darauf hinweisen, dass „der deutsche Professor nicht an sich das Urbild des unkämpferischen Menschen und der Typ eines nihilistischen, in sich bodenlosen und charakterlosen Intellektualismus“ 145 Antrag Leo Weisgerbers vom 2.3.1942, zit. nach Ehlers, Wille, S. 114. 146 Aus einem Rundschreiben der Deutschen Gesellschaft für Psychologie über die Tagung am 25./26. Oktober vom November 1943, zit. nach Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 267. 147 Vgl. ebenda, S. 268 und Ash, Psychologie, S. 258–261. 148 Dies hat Hausmann akribisch und umfassend dokumentiert, vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft.
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sei. Vielmehr sei „der deutsche Professor ein aus der Geschichte unseres Volkes überhaupt nicht wegzudenkender Menschentypus (…), der eine übergroße Zahl größter Söhne unseres Volkes gestellt hat, die oft genug härteste Kämpfer für deutsche Art und deutsches Wesen und zugleich seine schöpferistischen (sic) Gestalter gewesen sind“.149 Die Tagungen und Publikationen des Kriegseinsatzes erwiesen sich im Übrigen nicht als Orte konzeptioneller und methodischer Innovationen oder bahnbrechender Erkenntnisse. In der Regel reproduzierten sie bereits zuvor erarbeitete Wissensbestände, spitzten sie im Sinne der politischen Zweckorientierung zu und brachten sie in eine einem breiteren Kreis von Rezipienten verständliche Form.150 So war es beispielsweise im Jahr 1940 alles andere als innovativ, wenn die Organisatoren des Kriegseinsatzes der Germanistik als dessen Ziel ausgaben, „den Wesensgehalt des Deutschen (…) herauszuarbeiten“, um so ihre „Dienstpflicht (…) an der geistigen Front des Krieges zu erfüllen“.151 Als Ergebnis dieser Bemühungen erschien schon 1941 ein siebenbändiges Werk unter dem Titel Von deutscher Art in Sprache und Dichtung.152 Da sich weite Bereiche der Geisteswissenschaften bereits seit den 1920er Jahren einer obsessiven Beschäftigung mit allem Deutschem – seien es Volk, Kulturboden oder Seele – gewidmet und das Fremde – von England über die Slawen bis zur Zivilisation – aus einer antagonistischen Perspektive vermessen hatten, bedurfte es wenig mehr als einer Verschärfung des Tonfalls, um aus dem sich für seriös erachtenden Mainstream akademischer Gelehrsamkeit eine explizite politische Positionierung zu destillieren. Selbst wenn es schwer nachweisbar ist, so liegt doch zugleich die Vermutung nahe, dass jene Wissenschaftler, die ihre Gegenstände wie Berve und Vogt nun mit rassistischen Kategorien zu ordnen und zu begreifen suchten, dies nicht als zeitbedingtes Lippenbekenntnis, sondern als sinnvolle Erweiterung ihres Arsenals an Deutungsmustern betrachteten. Jüngere, stark im Sinn des Nationalsozialismus politisierte Wissenschaftler waren darüber enttäuscht, dass die Beiträge zu den Tagungen und Publikationen des Kriegseinsatzes aus ihrer Sicht zu viel an traditioneller Gelehrsamkeit und zu wenig an weltanschaulicher Entschlossenheit atmeten. So klagte ein Spitzel des SD, der im Juli 1942 an einer im Rahmen des Kriegseinsatzes veranstalteten Tagung von 50 Historikern in Weimar teilgenommen hatte, darüber, dass „der Gesamteindruck (…) für den Freund einer (…) nationalsozialistisch ausgerichteten Wissenschaft recht niederdrückend“ gewesen sei. Die Vortragenden – unter ihnen „der im Fahrwasser der ‚objektiven‘ Historiker segelnde“ DFG-Referent Karl Griewank – hätten selbst über aus nationalsozialistischer Sicht eindeutig abscheuliche Gegenstände wie den Wiener Kongress, den Versailler Vertrag oder den Völkerbund akademisch differenzierend, ergo: „undeutsch“ gesprochen. Zwar hätten einige Vertreter „einer politischen Geschichtswissenschaft (…) in der 149 Ritterbusch, Wissenschaft, S. 4. 150 Vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 275 f. 151 Von Gerhard Fricke und Franz Koch formuliertes Programm von Ende 1940, dokumentiert in ebenda, S. 171 f. 152 Vgl. Fricke/ Koch/ Lugowski, Art.
Der „Generalplan Ost“. Begleitforschung für Völkermord und Vertreibung
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Form etwas ungestüm“ widersprochen, aber insgesamt sei die Tagung „keine vom nationalsozialistischen Geiste erfüllte“ gewesen; vielmehr habe sich die Mehrheit der Anwesenden als „‚objektiv‘-gelehrte Gesellschaft“ geriert.153 Auch andere nationalsozialistische Eiferer, darunter das Amt Rosenberg, erhoben immer wieder den Vorwurf, im Kriegseinsatz werde zu viel Wissenschaft und zu wenig Glaube mobilisiert. Genau dies entsprach aber der Strategie der Wissenschaftsfunktionäre um Rudolf Mentzel. So wie sie die theoretischen Physiker gegen die Protagonisten einer „deutschen Physik“ in Schutz nahmen, weil sie sich hiervon mehr Effektivität im Interesse der Kriegsanstrengungen des Regimes versprachen, so legten sie in den Geisteswissenschaften Wert darauf, die traditionalistischen Ordinarien in die Mobilisierung für den Kriegseinsatz zu integrieren, weil sie sich hiervon in der Summe eine wirksamere, nicht nur ohnehin überzeugte Nationalsozialisten erreichende Werbung für die Ziele des Regimes versprachen – und weil auch die von SD-Spitzeln oder anderen Eiferern geschmähten Ordinarien keinen Zweifel daran ließen, dass ihr Engagement dem Sieg des nationalsozialistischen Deutschlands galt.154 Als der Kriegseinsatz in dem Sinne funktionierte, dass er die gewünschten Publikationen in großer Zahl lieferte, entwickelte Ritterbusch den weiterreichenden Ehrgeiz, über seine Spartenstruktur die Geisteswissenschaften insgesamt ähnlich zu führen, wie es das Vorbild RFR für die Natur- und Technikwissenschaften beanspruchte. Hiervon zeugt ein Rundbrief Ritterbuschs an die Spartenleiter vom 18. Juni 1942, mit dem er sie beauftragte, ihm Berichte „über die Gesamtlage ihres Fachgebietes und die darin bestehenden allgemeinen Bedürfnisse“ zu erstatten und zugleich jeweils „eine Planung für wichtige Aufgaben innerhalb Ihres Faches“ anzustellen, „mit Angabe eines Kreises von Wissenschaftlern, der für die Leitung vielleicht auch für die Mitarbeit bei den einzelnen Aufgaben in Betracht kommen würde.“155 Folgen hatten Ritterbuschs Pläne nicht, dafür schätzten Mentzel und Rust die Relevanz der Geisteswissenschaft im „totalen Krieg“ denn doch zu gering; spätestens im Frühjahr 1944 schwand auch Ritterbuschs Einfluss im Ministerium.156 Aber immerhin zeigt der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, dass sich mit den Strukturen des RFR ein Modell für die nationalsozialistische Führung der an Hochschulen und KWG-Instituten angesiedelten Forschung etabliert hatte. DER „GENERALPLAN OST“. BEGLEITFORSCHUNG FÜR VÖLKERMORD UND VERTREIBUNG Zwei Tage nach dem Überfall auf die Sowjetunion, am 24. Juni 1941, war Konrad Meyer zu einem Termin bei Heinrich Himmler einbestellt. Dieser beauftragte den Berliner Ordinarius für Agrarwesen und Agrarpolitik, einen Plan für die deutsche 153 154 155 156
Schick, Beobachtungen, S. 264–267. Vgl. Kaiser, Griewank, S. 130–133 und Hausmann, Kriegseinsatz, S. 341. Rundbrief Ritterbuschs vom 18.6.1942, zit. nach Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 48. Vgl. ebenda, S. 49 f.
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Besiedlung Ost- und Ostmitteleuropas auszuarbeiten.157 Bereits am 15. Juli 1941 übersandte Meyer Himmler ein Dokument, das er im Anschreiben als „Generalplan Ost“ bezeichnete.158 Das Dokument selbst ist nicht erhalten; wir wissen aber, dass Himmler Meyer in der Folge und unter dem Eindruck des Vormarsches der Wehrmacht aufforderte, die Dimensionen des Planes zu erweitern und ihn in den Details – von Organisations- und Finanzierungsfragen bis hin zum Bedarf an Baumaterialien – auszuarbeiten. Meyer tat dies in enger Abstimmung mit Himmler; dessen Dienstkalender verzeichnet für den 16. September 1941, den 26. Januar, den 19. Februar sowie den 14. März 1942 Besprechungen mit Meyer.159 Am 28. Mai 1942 sandte dieser eine Kurzfassung des erweiterten Plans direkt an Himmler. Eine vollständige und auf „Juni 1942“ datierte „Denkschrift ‚Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus‘“ erhielt Himmler einige Tage später über den SS-Gruppenführer Ulrich Greifelt.160 Seitdem Himmler am 7. Oktober 1939 von Hitler unter dem Titel „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ (RKF) zum Bevollmächtigten für die ethnische Neuordnung Europas ernannt worden war, leitete Greifelt den Stab Himmlers als RKF. Konrad Meyer sind wir bereits mehrfach begegnet, als Mitglied von Rudolf Mentzels Göttinger Gruppe und als Fachspartenleiter des Reichsforschungsrates für Landbauwissenschaft und Biologie. Der SS gehörte Meyer seit 1933 an; bis 1942 stieg er in ihr zum Rang eines Oberführers auf. Im November 1939 war er von Himmler zum Leiter der RKF-Planungsabteilung bestellt worden und hatte Ende Januar 1940 „Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete“ vorgelegt. In diesem Dokument hatte er vorgeschlagen, aus den westlichen Regionen des eroberten Polen, das heißt Westpreußen, dem „Warthegau“ und Ostoberschlesien, innerhalb weniger Jahre 3,4 Millionen Polen zu vertreiben und dort ebenso viele Deutsche anzusiedeln – all dies unter der expliziten Voraussetzung „daß die gesamte jüdische Bevölkerung dieses Gebietes von rund 560.000 bereits evakuiert ist“.161 157 Vgl. Witte u. a. (Hrsg.), Dienstkalender, S. 179. Die von Himmler, Meyer und seinen Mitarbeitern, aber auch Institutionen wie dem Reichssicherheitshauptamt betriebenen Planungen, die gemeinhin unter dem Oberbegriff „Generalplan Ost“ zusammengefasst werden, sind bereits mehrfach untersucht worden. Ich beschränke mich hier auf die innerhalb einer Geschichte der DFG wesentlichen Aspekte und verweise im Übrigen vor allem auf Roth, Generalplan, S. 25–45 und 53–95, Heinemann, Wissenschaft, Leendertz, Ordnung, S. 133–186 und 195–202 und Oberkrome, Ordnung, S. 196–232. 158 Vgl. das Begleitschreiben Meyers an Himmler vom 15.7.1941, in: Madajczyk, (Hrsg.), Generalplan, S. 14 f. Diese vom Herausgeber konzise eingeleitete Quellenedition bietet die Kerndokumente zu den Planungsarbeiten Meyers zwischen 1940 und 1944. 159 Vgl. Witte u. a. (Hrsg.), Dienstkalender, S. 211, 328, 356 und 380. 160 Vgl. Meyers Begleitbrief an Himmler und die Kurzfassung des Plans vom 28.5.1942, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 85–90 sowie den Begleitbrief an Greifelt vom 2.6.1942 und die auf „Juni 1942“ datierte Langfassung, in: ebenda, S. 90–130. 161 „Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete”, in: ebenda, S. 3. Zur Datierung des Dokumentes vgl. Leendertz, Ordnung, S. 156, zur Interpretation Jureit, Ordnen, S. 342– 349. Zur Entwicklung der Planungen Meyers zwischen Anfang 1940 und Mitte 1941 vgl. Esch, Verhältnisse, S. 99 ff. und 135–138.
Der „Generalplan Ost“. Begleitforschung für Völkermord und Vertreibung
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Dass Himmler Meyer im Sommer 1941 mit einem auf ganz Ost- und Ostmitteleuropa erweiterten Plan zur ethnischen Neuordnung qua Vertreibung, Massenmord und Ansiedlung betraute, hatte drei Gründe: Erstens entsprach Meyers Radikalität, wie sein Plan von Anfang 1940 erwiesen hatte, Himmlers Vorstellungen. Zweitens war er wie kein anderer Wissenschaftsmanager in der Lage, Raumplaner und Agrarforscher für Himmlers Planungen zu mobilisieren. Wie im fünften Kapitel beschrieben, hatte Meyer im Lauf des Jahres 1935 sowohl die Führung des Forschungsdienstes, der zentralen Dachorganisation für Projektverbünde der Agrarwissenschaften, als auch die Leitung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG) übernommen. In dieser Personalunion hatte er deren Forschung auf die nationalsozialistische Leitidee ausgerichtet, die Zukunft des deutschen Volkes im Raum vom „Bauerntum“ her zu denken. Zwar hatte er im September 1939 die Führung der RAG an Paul Ritterbusch übergeben, aber mit diesem, der 1942 auch Leiter einer neuen RFR-Fachsparte für Raumplanung werden sollte, verbürgte ein der Göttinger Gruppe eng verbundener Wissenschaftsfunktionär Meyers fortdauernden Einfluss. Drittens schließlich gelang es Himmler durch die Übertragung seiner Ostplanungen an den RFR-Fachspartenleiter Meyer, die Ressourcen von RFR und DFG für seine Zwecke zu mobilisieren: Unmittelbar nachdem Meyer im Juni 1941 mit der Ausarbeitung des Generalplans Ost beauftragt worden war, stellte ihm die DFG am 7. Juli 1941 einen Etat von 100.000 Reichsmark zur „Durchführung von planungswissenschaftlichen Arbeiten für den RKF“ zur Verfügung.162 Als Meyer Himmler am 28. Mai 1942 die Kurzfassung des Generalplans zusandte, wies er ihn explizit darauf hin, dass dieser auf einem breit angelegten Forschungsprogramm beruhe.163 Die DFG finanzierte die dem Generalplan Ost vom Mai/Juni 1942 zugrundeliegende Forschung, und der RFR-Fachspartenleiter Meyer organisierte sie. Doch weder Meyers Forschungsprogramm noch dessen DFG-Finanzierung endeten im Sommer 1942. Da Himmler Meyers Vorlage „ganz gut“ gefallen hatte, beauftragte er ihn schon am 12. Juni 1942, einen auf Böhmen und Mähren, Elsass-Lothringen und den nördlichen Balkan ausgeweiteten „Gesamt-Siedlungsplan“ auszuarbeiten, im weiteren Verlauf ist in den Dokumenten von einem „Generalsiedlungsplan“ die Rede.164 Himmlers persönliches Interesse und seine Interventionen in die Planungsarbeiten bis Mitte 1943 sind sowohl an seiner Korrespondenz als auch in seinem Dienstkalender ablesbar: Dieser verzeichnete für den 9. und 10. August, 13. und 14. November sowie 29., 30. und 31. Dezember 1942 sowie für den 12. und 13. Mai 1943 Besprechungen mit Meyer.165 Zugleich sorgte Himmler dafür, dass sein von ihm in Briefen als „Lieber Meyer!“ angesprochener Siedlungsplaner eine Richtlinienkompetenz für alle 162 Zit. nach Heinemann, Wissenschaft, S. 56. 163 Vgl. den Begleitbrief Meyers an Himmler vom 28.5.1942, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 86. 164 Schreiben Himmlers an Greifelt vom 12.6.1942, in: ebenda, S. 134. 165 Vgl. Witte u. a. (Hrsg.), Dienstkalender, S. 510 ff., 612 f. und 658–661, sowie Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 266 f., 272 und 274 f. Für den Hinweis auf Meyers Termine mit Himmler im Jahr 1943 danke ich Herrn Thomas Pruschwitz.
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Siedlungsplanungen des NS-Regimes erhielt.166 Bereits am 30. Mai 1942 hatte Greifelt in Himmlers Auftrag mit den Staatssekretären Herbert Backe und Werner Willikens aus dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft vereinbart, dass Meyer künftig „alle Planungsarbeiten“ zur Siedlungspolitik, inklusive der auf das Altreich bezogenen, leiten solle. Am 5. Juni 1942 ernannte das Ernährungsministerium Meyer offiziell zu seinem Planungsbeauftragten „für die Siedlung und ländliche Neuordnung“.167 Einen Monat später, am 8. Juli 1942, setzte Himmler gegenüber Alfred Rosenberg durch, dass der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Meyer die Leitung der Siedlungsplanungen dieses Ressorts übertrug.168 Damit war Himmlers Mann zum obersten Siedlungsplaner für das gesamte vom NS-Regime als künftig „deutsch“ vorgestellte Europa aufgestiegen. Die DFG trug diesem erweiterten Planungshorizont dadurch Rechnung, dass sie Meyer in seiner RKF-Funktion bis Kriegsende alljährlich Sonderetats zuwies. Insgesamt bewilligte die DFG zwischen 1941 und 1945 für die Begleitforschung zu den Planungen des RKF 510.000 Mark; für das im April 1945 beginnende Rechnungsjahr 1945/46 waren weitere 100.000 Reichsmark veranschlagt.169 Zudem erhielten Meyers Planer von der DFG auf Leihbasis eine apparative Grundausstattung in Gestalt von Rechenmaschinen. Mit diesen Mitteln baute Meyer ein interdisziplinäres Forschungsprogramm auf, dessen Ergebnisse in die Arbeiten am Generalplan Ost, am Generalsiedlungsplan und in hieran anschließende Konzepte zur Umstrukturierung des Altreichs einflossen.170 Einerseits finanzierte und erweiterte Meyer so die von ihm in Personalunion geleiteten Berliner Institutionen, den Forschungsdienst, das Planungsamt des RKF sowie sein eigenes Universitätsinstitut.171 Andererseits vergab Meyer eine Reihe von Forschungsaufträgen an Professoren verschiedener Disziplinen aus Berlin, Breslau, Darmstadt, Dresden, Gießen, Hannover, Jena, Leipzig und München. In einer Villa in der Dahlemer Podbielskiallee 25/27, die Meyer 1938 für die Geschäftsstelle des Forschungsdienstes erworben hatte und in der seit Ende 1939 auch das Planungsamt des RKF residierte, versammelte er für die Arbeiten zum Generalpan Ost eine sowohl disziplinär wie auch in Bezug auf ihre politischen Biographien bunt gemischte Gruppe von rund 15 wissenschaftlichen Mitarbeitern.172 Deren gemeinsame Merkmale bestanden in jeweils für das Gesamtpro166 Schreiben Himmlers an Meyer vom 12.1.1943, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 256. 167 Vermerk Greifelts vom 2.6.1942 über eine Besprechung mit Backe und Willikens am 30.5.1942 und Verlautbarung des Reichsernährungsministeriums über Meyers Bestallung vom 5.6.1942, in: ebenda, S. 84 und 130. 168 Vgl. den Vermerk vom 23.7.1942 über die Besprechung Himmlers mit Rosenberg am 8.7.1942, in: ebenda, S. 154 f. 169 Vgl. Heinemann, Wissenschaft, S. 56. 170 Zu den auf das Altreich bezogenen Planungen vgl. das Standardwerk von Mai, Rasse, 331– 360. 171 Vgl. Meyer, Höhen, S. 105 f., in: BArch, N 1561/24. 172 Vgl. ebenda, S. 83, zur Villa in der Podbielskiallee. Nach 1945 residierte hier zunächst die Restgeschäftsstelle der DFG. Dann wurde das Haus verkauft und Meyer verwaltete den Erlös noch Anfang der 1970er Jahre zur „Förderung der landwirtschaftlichen Forschung und Wissenschaft“, ebenda. Die Villa des Forschungsdienstes lag in der Nähe einer weiteren Villa,
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jekt nützlichen Spezialkenntnissen, in der Zugehörigkeit zur bürgerlichen Kriegsjugendgeneration des Ersten Weltkrieges (aus den Geburtsjahrgängen 1901 bis 1909) und schließlich in einer (noch in der Nachkriegszeit von den Akteuren positiv erinnerten) Begeisterung darüber, in einem „kleinen Kreis ideell verbundener Fachleute“ für das „Wunschbild einer idealen Volks- und Raumordnung“ planen zu können, ohne auf Rechte und Interessen der verplanten Menschen Rücksicht nehmen zu müssen.173 Meyer begeisterte sich öffentlich für die Chance, als Wissenschaftler „nicht nur Zeuge, sondern Mitgestalter am großen Geschehen der Zeit zu sein“ – wozu er von sich und seinen Mitarbeitern eine „revolutionäre kämpferische Haltung“ forderte.174 Zu Meyers Mitarbeitern in der RKF-Planungsabteilung gehörten unter anderen der Architekt Josef Umlauf, der zuvor als Raumplaner für das Reichsheimstättenamt der Deutschen Arbeitsfront und mehrere westfälische Regionalverbände gearbeitet hatte; der von Umlauf rekrutierte Frankfurter Architekt Udo von Schauroth; der seit 1933 für den SD engagierte und 1944 ins Reichssicherheitshauptamt wechselnde Verwaltungsjurist Erhard Mäding; der seit Ende der 1920er Jahre in der Ostforschung aktive Kartograph Franz Doubek, der Siedlungsexperte Wilhelm Zoch; der Geschäftsführer des Forschungsdienstes Herbert Morgen; Walter Gebert, der als Hauptschriftleiter die 1939 vom Forschungsdienst übernommene Fachzeitschrift Neues Bauerntum betreute; der ebenfalls aus dem Mitarbeiterstamm des Forschungsdienstes stammende Ökonom Artur von Machui; der von der Organisation Todt zum RKF wechselnde Verkehrsexperte HansJoachim Schacht; und schließlich der Geograph Walter Christaller, der Senior (geboren 1893) in einer Kohorte junger Planer.175 Bei der Wahl dieser Mitarbeiter erwies sich Meyer als Pragmatiker, dem fachliche Kompetenz und die Bereitschaft zum Engagement für das politische Ziel wichtig waren, nicht aber eine lupenreine nationalsozialistische Biographie. Sowohl Christaller als auch Machui hatten bis 1933 der SPD angehört; Letzterer hatte deshalb 1933 seine Stelle bei einer schlesischen Siedlungsgesellschaft verloren. Nach dem Krieg behaupteten Meyers Männer, zumindest Christaller, Schauroth und Machui hätten dem Widerstand gegen das NS-Regime nahegestanden und Meyer habe sie gedeckt. Dafür gibt es freilich nur dürftige Belege.176
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Im Dol 27/27, in der Meyers Universitätsinstitut untergebracht war, die beiden Häuser waren „durch Grünanlagen“ miteinander verbunden, ebenda, S. 84. Das erste Zitat aus einem Brief Umlaufs an einen Kollegen vom November 1951, zit. nach Leendertz, Ordnung, S. 150, das zweite aus einer Aufzeichnung Konrad Meyers für seinen Verteidiger im achten Nürnberger Nachfolgeprozess, zit. nach ebenda, S, 152. Meyer, Bedeutung, S. 191, sowie derselbe, Bodenordnung, S. 14. Vgl. zu Meyers Mitarbeitern Leendertz, Ordnung, S. 110 und 149 ff., Heinemann, Wissenschaft, S. 55–62, Gröning/Wolschke-Bulmahn, Liebe, S. 11–22 und Gutberger, Meyer. Besondere Prominenz erlangte später Walter Christaller, weil seine in der Endphase der Weimarer Republik entwickelte Theorie der zentralen Orte in der bundesdeutschen Raumplanung reüssierte, vgl. zu Christaller Leendertz, Ordnung, S. 167–174, Kegler, Raumplanung, 174–181 und 205–249, derselbe, Begriff und Jureit, Ordnen, S. 296–311. Vgl. Leendertz, Ordnung, S. 168 ff., Madajczyk, Einleitung, S. XIX und Gröning/WolschkeBulmahn, Liebe, S. 35.
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Die Mehrheit der Professoren, die Meyer über Forschungsaufträge in das Programm einbezog, stammte aus der Klientel der von ihm geführten RFRFachsparte, so etwa der Münchner Ordinarius für Landwirtschaftslehre Otto Heuser, der Leipziger Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre Friedrich Waldhäusl und der Gießener Agrarökonom Max Rolfes. Letzterer hatte sich bereits kurz vor Beginn der Arbeiten am Generalplan Ost von sich aus bei der DFG um die Förderung eines Projektes bemüht, das Material „für den vom Reichsführer SS/Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums geleiteten Aufbau des Elsass“ liefern sollte.177 Mit dem Berliner Professor für Landschaftsgestaltung Heinrich Wiepking-Jürgensmann beteiligte Meyer einen Kollegen aus der eigenen Fakultät, dessen Berufung er im Jahr 1934 vom Wissenschaftsministerium aus betrieben hatte. Den Ökonomen Friedrich Bülow hatte Meyer im Jahr 1937 zu seinem Stellvertreter als Leiter der RAG bestellt, 1940 erhielt Bülow eine Professur in Berlin und wurde 1942 Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät, der auch Meyer angehörte.178 Daneben versicherte sich Meyer der Mitarbeit des Jenaer Ordinarius für Wirtschaftswissenschaften Felix Boesler, des Hannoveraner Professors für Baukonstruktion Walther Wickop, des Dresdner Professors für landwirtschaftliches Bauwesen Friedrich Bergmann, des Darmstädter Professors für Straßen- und Stadtbauwesen Friedrich Reinhold, des Breslauer Juristen Horst Bartholomyczyk und des Berliner Staatsrechtlers Reinhard Höhn. Bis auf Heuser und Wickop, die bereits 1925 Ordinariate angetreten hatten, waren die von Meyer zur Mitarbeit am Generalplan Ost ausgewählten Kollegen erst während des und durch das NS-Regime auf Lehrstühle gelangt, in der Regel erst zwischen 1939 und 1942. Höhn arbeitete seit 1933 für den SD und ab 1939 neben seiner Berliner Professur im Reichssicherheitshauptamt.179 Der SS gehörte auch Bartholomyczyk an, seit 1939 war er für deren Rasse- und Siedlungshauptamt tätig. Die zwischen 1894 und 1904 geborenen Professoren, die Meyer an den Arbeiten zum Generalplan Ost beteiligte, gehörten also in ihren Disziplinen überwiegend zu den dezidiert nationalsozialistischen Jungprofessoren. Einer von ihnen, nämlich Friedrich Bülow, hatte 1938 das eigene Selbstverständnis mit den Worten beschrieben, es gelte eine „wahrhaft politische Wissenschaft“ zu betreiben, die „volksverbunden und raumverpflichtet“ sein müsse – diese Charakteristik dürften sich (vor 1945) alle von Meyer mit Forschungen für den Generalplan Ost betrauten Professoren zu eigen gemacht haben.180 Die von Meyers Abteilung für Himmler ausgearbeiteten Planungsunterlagen sowie die von den Beteiligten hierzu bis 1945 veröffentlichten Aufsätze und Bücher weisen drei charakteristische Merkmale auf: die aseptische Kälte, mit der Meyers Planer die Umsiedlung, Vertreibung und Ermordung von Millionen Menschen durchkalkulierten, die Begeisterung an der megalomanen Totalität des eigenen Projektes sowie die akribische Detailliertheit der Planungen. Die slawi177 So Rolfes in einem Antrag an die DFG vom 19.6.1941, zit. nach Oberkrome, Ordnung, S. 204. 178 Vgl. Leendertz, Ordnung, S. 123 f. 179 Zu Höhn vgl. zuletzt Jureit, Ordnen, S. 367–373. 180 Bülow, Raumordnung, S. 316.
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sche Bevölkerung Ost- und Ostmitteleuropas, deren Vertreibung oder Tod die Planer einkalkulierten, kam in ihren Texten nur in Form von Zahlen vor. In Bezug auf die Juden gingen alle Planungen von der Annahme aus, dass der Völkermord an ihnen bei Kriegsende vollzogen sein würde; diese Menschen wurden in den Dokumenten schlicht nicht mehr erwähnt. Lediglich in einem auf die Stadt Lodz bezogenen Arbeitspapier Josef Umlaufs vom März 1943 ist lapidar davon die Rede, dass der jüdische Bevölkerungsanteil dort im Jahr 1940 bei 40 Prozent gelegen habe, man aber nun die Stadt „ohne Juden“ plane.181 Zwischen 1940 und 1942 schwelgte Konrad Meyer immer wieder in Allmachtsphantasien. Im Juni 1940 beschrieb er in einem Vortrag vor der Berliner Akademie die gewaltsame ethnische Neuordnung Polens als eine der „größten Agrarumwälzungen der Geschichte“, innerhalb derer die deutschen Planer „den Sieg einer neuen Ordnungsidee“ erkämpfen würden.182 „Über die totale Ordnung von Raum und Wirtschaft“, so beschrieb Meyer ein Jahr später seine Vision, zielten die Planer auf „die Schaffung eines gesunden Volksgefüges und eine dauerhafte, dem germanisch-deutschen Menschen artgemäße Gestaltung unseres Lebensraums.“183 Im Jahr 1942 schwärmte er dann von einer „vollen Planungsfreiheit“, die das NS-Regime und seine Raumplaner durch die bevorstehende „Vernichtung der sowjetischen Herrschaft und die Einbeziehung weiterer östlicher Räume (…) in den europäischen Lebensraum“ erlangen würden. Die Freiheit der deutschen Planer ergab sich für Meyer aus der ihm selbstverständlichen Entrechtung der im eroberten Ost- und Ostmitteleuropa lebenden Menschen: „Grund und Boden“, so frohlockte er, seien dort „nicht im Besitz von Angehörigen des eigenen Volkstums“ und damit für das NS-Regime willkürlich verfügbar.184 Die Planer könnten nun, so erklärte Meyer im Januar 1942 vor den Honoratioren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, mit „Glauben, Phantasie und Mut (…) an den Neuordnungsaufgaben im Osten“ mitwirken: „Wir müssen uns daher auch von den halben Lösungen früherer Zeiten abzusetzen versuchen, und (…) den Mut zum chirurgischen Eingriff haben, d. h. (…) eine Neuordnung des gesamten Volksgefüges wagen.“185 Meyers Generalplan Ost vom Juni 1942 sah vor, innerhalb von 25 Jahren nach dem deutschen Sieg, also noch innerhalb der aktiven Lebenszeit jener kurz nach 1900 geborenen Generation, der Himmler, Meyer und dessen Mitarbeiter in der RKF-Planungsabteilung angehörten, große Teile Ost- und Ostmitteleuropas mit Deutschen zu besiedeln. Das Endziel hatte Meyer schon im Vorjahr öffentlich so definiert, dass aus dem geschlossenen deutschen Siedlungsraum alles fremde Blut (…) restlos entfernt“ sein müsse. Damit „der Osten (…) wirklich für alle Zeiten deutsch bleiben“ werde, müsse er „bis in den letzten Winkel mit 181 182 183 184
Ausarbeitung Josef Umlaufs vom 9.3.1943, zit. nach Leendertz, Ordnung, S. 181. Meyer, Bodenordnung, S. 24 und 1. Derselbe, Planung Ostaufbau, S. 392. Zit. nach Gröning/Wolschke-Bulmahn, Liebe 50 f., vgl. ebenda, S. 49–53. Vgl. zu dieser auch bei anderen deutschen Planern dieser Zeit verbreiteten Haltung Raphael, Sozialexperten, S. 336. 185 Meyer, Planung Aufbau, S. 255.
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eigenem Volkstum gefüllt“ sein:186 „Die Träger des ganzen volklichen Lebens müssen fest im neuen Raum verwurzelte deutsche Menschen sein.“187 Von dieser Langzeitperspektive, die jenseits seines Planungshorizontes von 25 Jahren lag, unterschied Meyer eine Vorstufe, innerhalb derer die deutschen Siedler nicht verstreut über das gesamte künftig zu germanisierende Land zu verteilen seien, sondern „siedlungsstrategisch so (…) einzusetzen“ wären, dass „zuerst die wichtigsten und völkisch umbrandetsten Landstriche restlos eingedeutscht und deutsch gestaltet werden“ würden.188 Bis Mitte 1941 hatte Meyer dabei an die 1939 annektierten Westgebiete Polens (in den Plänen als „eingegliederte Ostgebiete“ bezeichnet) gedacht. Nachdem Himmler ihn im Siegesrausch des Sommers 1941 beauftragt hatte, auch Teile der Sowjetunion als deutsche Siedlungsgebiete einzubeziehen, plante Meyer zusätzlich drei größere „Siedlungsmarken“ in Litauen und Lettland, im nordwestlichen Russland südlich der – in den Planungen nicht mehr vorhandenen – Stadt Leningrad („Ingermanland“) und schließlich auf der Krim und in den nördlich von ihr beiderseits des Dnjepr gelegenen Gebieten („Gotengau“). Diese größeren Siedlungsgebiete sollten durch ein Netz von 36 befestigten „Siedlungsstützpunkten“ von jeweils etwa 2.000 Quadratkilometern Fläche verbunden werden; 14 dieser Stützpunkte lagen auf dem Territorium des Generalgouvernements (zum Beispiel um Krakau, Lemberg, Lublin und Warschau), acht in der Ukraine (zum Beispiel um Rowno und Nikolajewa) sowie 14 im Baltikum und Weißrussland (zum Beispiel um Riga, Reval und Dorpat).189 Insgesamt rechneten die Planer im Frühjahr 1942 damit, nach 25 Jahren etwa 7,4 Millionen Deutsche östlich der Reichsgrenzen von 1939 angesiedelt zu haben. In den „eingegliederten Ostgebieten“ sollten dann bei einer auf 7,2 Millionen Menschen kalkulierten Gesamtbevölkerung vier Millionen Deutsche leben. In den drei östlich hiervon gelegenen Siedlungsmarken sollten zwei Millionen und auf dem Gebiet der Stützpunkte weitere 1,4 Millionen Deutsche siedeln. Im Gegenzug zur geographischen Ausweitung der Pläne hatte Meyer seine Zielvorstellung einer hundertprozentigen Germanisierung der Siedlungsgebiete revidieren müssen – aus Mangel an deutschen Siedlern für die neu dimensionierten Räume und zugunsten der Perspektive einer langfristigen Koexistenz deutscher Kolonisatoren mit einer ihnen unterworfenen slawischen Restbevölkerung. Unter „Eindeutschung“ verstanden die Planer in den Siedlungsstützpunkten einen deutschen Bevölkerungsanteil von 25 bis 30 Prozent, in den drei „Siedlungsmarken“ strebten sie einen Anteil von 50 Prozent Deutscher an der Gesamtbevölkerung an. Sie kalkulierten also für Siedlungsmarken und –stützpunkte mit einer weiterhin vorhandenen indigenen Bevölkerung von etwa sechs Millionen Menschen. Da man auf die „jetzt bodenständige Bevölkerung“ nicht völlig werde verzichten können, suchte Meyer im Generalplan Ost vom Juni 1942 nach Wegen zu ihrer 186 187 188 189
Derselbe, Siedlungs- und Aufbauarbeit, S. 7. Derselbe, Landvolk, S. 22. Derselbe, Siedlungs- und Aufbauarbeit. Vgl. hierzu und zu den folgenden Angaben die Denkschrift Generalplan Ost vom Juni 1942, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 122–128.
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„Befriedung“ unter deutscher Herrschaft. Teile der zugunsten der deutschen Siedler zu vertreibenden slawischen Bevölkerung sollten auf das Land aufgelöster Kolchosen und Sowchosen umgesiedelt und ihr dort ein „Bodenbesitzrecht“ gewährt werden, um die Bereitschaft zur Kollaboration zu fördern: „Diese Umsetzung muß gebunden sein an eine sinnvolle Auslese nach dem Leistungsprinzip und mit einem sozialen Aufstieg der positiven Kräfte des fremden Volkstums Hand in Hand gehen.“ In den Städten der Siedlungszonen werde die „führende Schicht“ von Deutschen gestellt werden; „die verbleibende fremdvölkische Bevölkerung verteilt sich auf die tieferen sozialen Schichten“.190 Mit Zahlen und damit mit dem Schicksal von Menschen operierten Meyer und seine Mitarbeiter ganz nach Belieben. Als sie Himmler im Dezember 1942 Zahlenmaterial zu einem künftigen Generalsiedlungsplan vorlegten, hatte sie gegenüber dem ein halbes Jahr zuvor entwickelten Plan die Zahl der deutschen Siedler nach oben, jene der verbleibenden Polen, Russen, Ukrainer, Litauer oder Letten nach unten gerechnet. Jetzt gab Meyer für die Siedlungsgebiete in Polen und der Sowjetunion nach Abschluss eines nunmehr auf 30 Jahre kalkulierten Germanisierungsprozesses eine „erstrebte Bevölkerungszahl“ von 20,2 Millionen Menschen an, den gegenwärtigen Ist-Bestand aber mit 33,1 Millionen. Zugleich bezifferte Meyer nun den Anteil deutscher Siedler und ihrer Nachkommen an dieser künftigen Bevölkerung der Siedlungsgebiete auf 13,5 Millionen Menschen. Innerhalb von drei Jahrzehnten rechnete Meyer also mit dem „Verschwinden“ von mehr als 26 Millionen Menschen aus der indigenen Bevölkerung dieser Regionen. Darüber, wie dies zu bewerkstelligen sei, wo diese Menschen künftig leben, ja ob sie überhaupt noch am Leben sein würden, gaben Meyers Tabellen keine Auskunft.191 Quellen aus dem Reichssicherheitshauptamt schätzten die Zahl der aus den künftig deutschen Siedlungsgebieten zu entfernenden Menschen Anfang 1943 auf über 30 Millionen.192 Jene Millionen deutscher Siedler, die künftig Ost- und Ostmitteleuropa beherrschen sollten, gedachten die Planer aus der ganzen Welt zusammenzubringen; im Generalplan Ost vom Juni 1942 zeigte sich Meyer optimistisch, allein 500.000 dieser Siedler aus den verstreut über Südosteuropa lebenden Deutschen mobilisieren zu können, zudem rechnete er mit 160.000 Siedlern aus dem „Volksdeutschtum aus Übersee“; weitere 150.000 „germanische Siedler“ hoffte er aus den Niederlanden und Skandinavien für den deutschen Osten begeistern zu können. Zudem wollte Meyer etwa 750.000 Siedler aus „dem nichtgermanischen Volkstum“, das heißt aus den baltischen Nationen, „durch systematische Auslese und Leistungszucht“ gewinnen. Aber vor allem das Altreich galt ihm als Siedlerquelle: Fast vier Millionen deutsche Staatsangehörige sollten binnen einer Generation den Weg nach Osten finden.193 Um einen Zusammenhalt zwischen 190 Ebenda, S. 127 ff. 191 Vgl. das von Meyer erstellte „Material zum Generalsiedlungsplan“, das Greifelt Himmler am 23.12.1942 übersandte, in: ebenda, S. 236 ff. 192 Vgl. die Notizen des SD-Funktionärs Hermann Krumey über eine Tagung im RSHA vom 1./2. Februar 1943, in: ebenda, S. 261–266. 193 Ebenda, S. 127 f.
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den Siedlern zu stiften und sie zugleich gegen eine Vermischung mit der einheimischen Bevölkerung zu immunisieren, sollten sie „nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten“ angesiedelt werden: „Es werden daher in der Regel die Siedlungswilligen eines Heimatkreises in Dorfgemeinschaften zusammengefaßt.“194 Der sich aus der Ostsiedlung ergebende Rückgang der Bevölkerungsdichte im Kern des Reiches wiederum galt Meyer und seinem Planungsstab als gesellschaftspolitisch erwünscht: In den Agrargebieten sollte er die Zusammenlegung unrentabler Kleinbauernwirtschaften zu größeren Betrieben ermöglichen, und die industriellen Ballungszonen sollten aufgelockert werden. So erreiche man, warb Meyer Mitte 1943 in der Zeitschrift Neues Bauerntum, dass „der künftige deutsche Lebensraum eine ausgeglichenere Bevölkerungsstruktur und –dichte im Sinne einer gleichmäßigen Durchsiedlung und Industriestreuung im Raum erfahren muß. (…) Der Bombenkrieg unserer Tage unterstreicht diese Lehre.“195 Meyer dachte Gesellschaft vom „Bauerntum“ her, weil er dieser Gruppe zwei integrative Funktionen zuschrieb: Erstens verkörperten Bauern das „Ideal einer selbständigen Existenz“, in der Kapital und Arbeit nicht voneinander getrennt seien, und zweitens bildeten sie in einer notwendigerweise mobilen modernen Gesellschaft jenen Teil des Volkes, der dafür sorge, dass „das Volksganze mit dem Boden fest verbunden“ bleibe.196 Hingegen teilte Meyer nicht die bei anderen NS-Theoretikern verbreiteten Vorstellungen über eine besondere erbbiologische Qualität der deutschen Bauern, die sie zu einer Art nordischen Genpool prädestinierten. Ja, er polemisierte offen sowohl gegen Vorstellungen, es gebe ein „ewiges Bauerntum an sich“, wie gegen Versuche, „Naturschutzparks für das Bauerntum“ zu schaffen.197 Im Jahr 1941 propagierte er als Alternative zum „Sektierertum von Natur- und Bauernschwärmern“ (womit er wahrscheinlich Landwirtschaftsminister Walther Darré und Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß meinte) ein „gemeinschaftsbewusstes Fortschritts- und Leistungsdenken“, das die moderne Technik aufs Dorf tragen und statt des unwiderruflich vergangenen „‚alten Bauerntums‘“ das „neue Bauerntum des Dritten Reiches“ schaffe.198 Dieses sollte aus den Eigentümern effizienter Mittel- und Großbetriebe, deren Gesinde und den Landarbeitern bestehen, wobei den Letztgenannten im Rahmen einer Leistungsgesellschaft der Aufstieg zur Selbständigkeit möglich sein müsse.199 Statt auf einen von den genannten „Schwärmern“ propagierten biologisch-dynamischen Landbau setzte Meyer auf mineralische Dünger und die konsequente Technisierung der Landwirtschaft, um ihre Erträge zu steigern. Im Osten hielt Meyer die „Neubildung deutschen Bauerntums“ für eine notwendige Bedingung zur „endgültigen Gewinnung des durch das Schwert gewonnenen Bodens“. Aber die „häufig anzutreffende Meinung, wonach die Ostgebiete als reine Agrargebiete aufzubauen seien“, wies er scharf zurück: Vom „volkstum194 195 196 197 198 199
Ebenda, S. 100. Vgl. Meyer, Bodenordnung, S. 17. Meyer, Bauerntum, S.141. Derselbe, Bodenordnung, S. 10 f. Ebenda, S. 12 f. Derselne, Landvolk, S. 21 f. Vgl. ebenda, S. 41 und derselbe, Bodenordnung, S. 21.
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politischen (…) Standpunkt“ aus gesehen, müsse „das Ideal“ für die neuen Siedlungsgebiete in einer „Bevölkerungsdichte von etwa 80–100 Einwohnern je qkm“ liegen, dies aber erfordere eine „gemischt agrarisch-industrielle Struktur (…), wie sie etwa unseren gesündesten Altreichsgebieten (z. B. der Provinz Hannover) entspricht“.200 Für die eingegliederten Ostgebiete sah der Generalplan Ost vom Juni 1942 nur eine Landbevölkerung von 2,9 Millionen Menschen gegenüber 4,3 Millionen Städtern vor. In den weiter östlich gelegenen Siedlungsmarken und Stützpunkten sollte jeweils die Hälfte der deutschen Siedler in Städten und auf dem Land leben.201 Die Städte des neuen deutschen Ostens sollten jene Industriewaren herstellen, derer die Landbevölkerung bedürfe und zugleich deren Produkte weiterverarbeiten.202 Die sowjetischen Metropolen aber sollten verschwinden: Für das „Ingermanland“ sah die Planung nur 200.000 Stadtbewohner vor, obwohl das in dieser Region liegende Leningrad im Jahr 1939 etwa 3,2 Millionen Einwohner gezählt hatte. Die Auslöschung dieser Großstadt und ihrer Bevölkerung, auf welche die deutsche Belagerung zwischen 1941 und 1944 abzielte, entsprach Meyers Planungshorizont.203 Die Visionen, die Meyer und seine Mitarbeiter im Kontext des Generalplan Ost entwarfen, zielten auf eine totale Transformation aller ethnischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Strukturen Mittel- und Osteuropas, inklusive des Altreichs selbst und in Ansätzen auch ausgeweitet auf Westeuropa. Um ihre Realisierbarkeit glaubhaft zu machen, wurden die Pläne reichlich mit Zahlenkolonnen versehen und bis in scheinbar kleinste Details ausgearbeitet. Dies betraf Modi der Finanzierung, die Strukturierung der Siedlungsräume durch ein hierarchisches Muster von Dörfern, Hauptdörfern, Klein- und Mittelstädten (orientiert an Walter Christallers Theorie der zentralen Orte), die Anlage von Eisenbahntrassen und Autobahnen, die Gestaltung von Kulturlandschaften, die Auswahl der für die Ostsiedlung geeigneten Baustoffe sowie die ergonomisch optimierte Anlage von Bauernhöfen (inklusive einer an der Rationalisierung von Arbeitswegen orientierten Platzierung von Wohnküche, Ställen, Futterlagerräumen und Misthaufen).204 Dabei waren alle Detailplanungen von der völkischen Prämisse geleitet, dass deutsche Siedler im Vergleich zur indigenen Bevölkerung Träger einer überlegenen Kultur und daher anspruchsvoller in Bezug auf Lebenshaltung und Ästhetik seien. Den Slawen sprachen die Planer überhaupt die Fähigkeit ab, den geographischen Raum sinnvoll zu strukturieren, sie hätten lediglich öde Steppenlandschaften hervorgebracht.205 Dem setzten Meyers Planer als genuin deutsche Kul200 201 202 203 204 205
Derselbe, Landvolk, S. 23. Vgl. den Generalplan vom Juni 1942, in: Madajcyk (Hrsg.), Generalplan, S. 122 und 124. Vgl. Meyer, Landvolk, S. 24 und derselbe, Planung 1941, hier S. 395 und 397. Vgl. den Generalplan vom Juni 1942, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 126. Vgl. Frank, Grundlagen, S. 12. Vgl. Oberkrome, Ordnung, S. 221 und Gröning/Wolschke-Bulmahn, Liebe, S. 127–134. Im Jahr 1953 sollte Meyer behaupten, die polnische Besiedlung der früheren deutschen Ostprovinzen habe diese nach 1945 in „5 Mill. Ha versteppte Brache“ verwandelt, vgl. Meyer, Nahrungsraum, S. 6.
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turleistung ihre eigene Vision einer zugleich funktional wie ästhetisch gegliederten Landschaft entgegen. Folgte man dieser Vorstellung, so bedurfte es im künftig deutschen Osten wiederaufgeforsteter Wälder und der „systematischen Anlage von Hecken, Bäumen und Sträuchern (…), um damit dem deutschen Menschen die Landschaft und das Gefühl der Heimat zu geben“.206 Die Dörfer als „planvoll gestalteter Ausdruck volksgemeinschaftlicher Verbundenheit“ sollten in ihrer architektonischen Gestaltung die Traditionen jener Regionen zitieren, aus denen die Siedler stammten und zugleich all jene modernen Einrichtungen (Arztpraxen, Sparkassen sowie Häuser für Partei und Hitlerjugend) aufweisen, derer deutsche Menschen vermeintlich zur „Neuschaffung von Gemeinschaft“ bedurften.207 Die von der DFG zwischen 1941 und 1945 finanzierten Forschungsprojekte des RKF lassen sich grob in drei Typen unterscheiden. Erstens widmeten sich einige Projekte der Erarbeitung von Daten und Positionen, die unmittelbar in die für Himmler verfassten Planungsdokumente einfließen konnten. Zu solchen Arbeiten gehörten beispielsweise Erhard Mädings „statistische und verwaltungsrechtliche Untersuchungen über die Gliederung der Ostgebiete“ von 1941/42 und sein im Folgejahr finanziertes Vorhaben der „Aufstellung von Grundsätzen zur ländlichen Neuordnung des Altreiches im Hinblick auf die Aufgaben der Festigung deutschen Volkstums in den neuen Siedlungsgebieten“, mehrere Projekte Walter Christallers und Franz Doubeks aus den Jahren 1942 bis 1944, in deren Rahmen sie „kartographische Unterlagen“ für die Planungen schufen, Josef Umlaufs 1942/43 betriebene „Untersuchung über den Siedlungsaufbau in den eingegliederten Ostgebieten“ und der dem Breslauer Juristen Horst Bartholomeyczyk 1943 erteilte Auftrag zur „Erforschung der rechtlichen Voraussetzungen und der Rechtsform der Ostsiedlung“.208 Auch Artur von Machuis Untersuchung über „volksbiologische und volksgemeinschaftliche Voraussetzungen ländlichen Aufbaus im deutschen Osten“ (gefördert 1942/43) dürfte diesem Typus zuzuordnen sein. Dass die zwischen 1941 und 1945 finanzierten Forschungen des Jenaer Experten für Finanzwirtschaft Felix Boesler unmittelbar in die Planungsdokumente einflossen, geht nicht aus ihren meist nichtssagenden Titeln („Untersuchung zu Problemen des Ostaufbaus“ oder schlicht „Erledigung von Forschungsaufträgen beim RKF“) hervor, aber Meyer erwähnte Boeslers Zuarbeit explizit in seinem an Himmler adressierten Begleitbrief zum Generalplan Ost vom 28. Mai 1942; eine Inhaltsübersicht zum Generalsiedlungsplan vom November desselben Jahres führt Boesler als „Bearbeiter“ zum Thema „Finanzierung“ auf.209 Eine zweite Gruppe von Untersuchungen widmete sich Detailfragen einer praktischen Umsetzung der Planungen und suggerierte so deren Realisierbarkeit. 206 Meyer, Planung Aufbau, S. 266. 207 Derselbe, Bodenordnung, S. 18, vgl. derselbe, Planung Aufbau, S. 264 f. und Hartenstein, Dorflandschaften. 208 Diese und alle folgenden Angaben zu Projekten und Zitate aus den Anträgen, sofern nicht explizit anders vermerkt nach Heinemann, Wissenschaft, S. 56–62; vgl. auch Oberkrome, Ordnung, S. 218 ff. 209 Begleitbrief Meyers an Himmler vom 28.5.1942, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 86 und Inhaltsübersicht des Generalsiedlungsplans vom 9.11.1942, in: ebenda, S. 210.
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So widmete sich nicht nur Meyers Mitarbeiter Hans-Joachim Schacht, sondern auch der Darmstädter Professor für Bauwesen Friedrich Reinhold zwischen 1942 und 1944 „Untersuchungen über die Einschaltung neuer Baustoffe und Bauverfahren im Aufbau im Osten“ bzw. „Versuchen zur Ermittlung der hoch- und tiefbautechnischen Eigenschaften von Bodenbeton“. Der beim Bodenamt des RKF in Danzig angestellte Rechtsanwalt Ellger dachte zwischen 1943 und 1945, finanziert von der DFG, über die rechtliche Gestaltung des „polnischen Grundstücksverkehrs“ nach, während zeitgleich der Münchner Professor Otto Heuser „landwirtschaftliche Steuerfragen“ zu lösen versuchte und der RKF-Mitarbeiter Erich Ewald die Verwendung von Luftbildaufnahmen zu Planungszwecken erprobte. Zusätzlich zu dem explizit zum Zwecke der RKF-Arbeiten von der DFG geförderten Forschungsprogramm Meyers setzte dieser reguläre Mittel seiner Fachsparte für Projekte mit ähnlicher Zielsetzung ein. So erforschte das KWI für Züchtungsforschung 1942 das Erbmaterial von Wildpflanzen, die „bei der Herauszüchtung anspruchsloser Sorten für den Deutschen Osten eine entscheidende Rolle“ spielen könnten.210 Ab Herbst 1943 förderte Meyers Fachsparte ein Projekt des Instituts für Pflanzengenetik des Ahnenerbes, mit dem sich die SS-Forscher anhand von Samenmaterial, das sie zuvor aus ukrainischen Instituten geraubt hatten, um die „Züchtung erblich widerstandsfähiger frostresistenter und dürrefester Formen von Kulturpflanzen für den Ostraum“ bemühten.211 Den dritten Typus von Untersuchungen kann man einer finalisierten Grundlagenforschung zuordnen, das heißt sie widmeten sich zumeist Themen, deren Erforschung auch ohne Bezug zum Generalplan Ost wissenschaftsimmanent sinnvoll hätte sein können, deren Untersuchung im Kontext von Meyers Forschungsprogramm aber bewusst darauf abzielte, Grundlagenwissen für die Planer bereitzustellen. Reinhard Höhn beschäftigte sich zwischen 1942 und 1943 mit der Politik des Deutschen Ritterordens gegenüber dem „fremden Volkstum“ seiner mittelalterlichen Kolonisationsgebiete und einer „Auswertung des Materials des geheimen Staatsarchivs über die Volkstumspolitik der preußischen Ansiedlungskommission“ in der Provinz Posen vor 1914.212 Felix Boesler widmete sich 1943/44 verwaltungs- und wirtschaftshistorischen Studien über die „preußischen Ostgebiete seit 1772“, die „früheren österreichischen Ostgebiete“ im 19. Jahrhundert sowie die „Probleme der Industrielandschaft im Regierungsbezirk Merseburg (…) seit Beginn der Industrialisierung“, und Heinrich Wiepking-Jürgensmann untersuchte „wasserwirtschaftliche Maßnahmen der theresianischen Kolonisation (…) in der Untersteiermark“. Die Arbeiten des RKF-Planungsamtes wurden im September 1944 angesichts der Kriegslage auf Weisung Himmlers eingeschränkt und Meyer selbst für den Dienst in der Waffen-SS freigestellt. Seine Berliner Mitarbeiter führten das 210 Antrag Stubbes vom 23.1.1942, zit. nach Deichmann, Biologen, S. 160. 211 Schreiben des Institutes an Meyer vom 30.9.1943 nach ebenda, S. 205; vgl. Schleiermacher, Forschung. 212 Antrag Höhns vom 28.10.1942, zit. nach Oberkrome, Ordnung, S. 205; der Titel seines Projektes von 1943/44 zit. nach Heinemann, Wissenschaft, S. 60. Ebenda, S. 59 ff. die folgenden Zitate zu Boesler und Wiepking-Jürgensmann.
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Forschungsprogramm aber in Meyers Auftrag bis zum Kriegsende fort. Herbert Morgen beantragte noch am 5. März 1945 ein Projekt mit dem Titel „Untersuchungen über die Entwicklung der Siedlungsrente in Hinblick auf die Finanzierung der Siedlungshöfe in den neuen Ostgebieten“; zwei Wochen später beantragte Meyer über seinen Mitarbeiter Walter Gebert bei der DFG die Bereitstellung von 100.000 Reichsmark aus dem Etat 1945/46 für die Planungsarbeiten des RKF und teilte mit, er werde als Projektleiter derzeit von Boesler vertreten.213 Im Mai 1945 geriet Meyer in amerikanische Gefangenschaft. Als er zwischen Juli 1947 und März 1948 im achten Nürnberger Nachfolgeprozess als Angeklagter vor einem US-Militärtribunal stand, behaupteten er und seine als Entlastungszeugen auftretenden Ex-Mitarbeiter, ihre Planungen seien theoretisch und praxisfern geblieben. Ein Zusammenhang zu der von Himmlers Apparat zeitgleich in Ost- und Ostmitteleuropa durchgeführten Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik habe nicht bestanden. Die Richter folgten dieser Version und verurteilten Meyer nur wegen seiner SS-Funktionen zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft, nicht aber wegen der Arbeiten am Generalplan Ost.214 Die nachträgliche Behauptung der Planer, ihre Arbeit habe keinerlei konkreten Einfluss auf die während des Krieges durchgeführte Politik besessen, war schlicht falsch, und Meyer hatte Glück, dass ihm dies 1947/48 nicht nachgewiesen wurde. Mehrere Anweisungen Himmlers an seine Um- und Ansiedlungsstäbe fußten inhaltlich auf Ausarbeitungen, die Meyers Planer erstellt hatten.215 Die in den Regionen Lublin (Generalgouvernement) und Shitomir (Ukraine) von SS-Stellen durchgeführten Vertreibungen Einheimischer und Ansiedlungen Volksdeutscher stellten Pilotprojekte für den Generalplan Ost dar, selbst wenn sie in den Dokumenten nicht explizit als solche bezeichnet wurden. Zwar handelten die Akteure vor Ort, wie zum Beispiel der SS- und Polizeiführer in Lublin, Odilo Globocnik, auch aus eigener Initiative, aber Meyer besuchte 1942/43 die genannten Regionen, inspizierte Umsiedlungsprojekte und erteilte Ratschläge.216 Gleichwohl lag die Bedeutung der Planungs- und Forschungsarbeiten zum Generalplan Ost letztlich weder darin, dass sie eine detaillierte Blaupause für die 213 Vgl. das Schreiben von Himmlers Adjudant Rudolf Brandt an Greifelt vom 21.9.1944 und Geberts Antrag vom 22.3.1945 in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 288 ff.; Morgens Antrag vom 5.3.1945 zit. nach Oberkrome, Ordnung, S. 206. 214 Vgl. Heinemann, Rasse, dieselbe, Wissenschaft, S. 65 ff. und Rössler, Meyer; Meyers Aussage vom 10.12.1947, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 299–308. 215 Vgl. etwa die Allgemeine Anordnung Nr. 7/II des Reichsführers SS Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums vom 26.11.1940 über „Grundsätze und Richtlinien für den ländlichen Aufbau in den neuen Ostgebieten“, in: Meyer (Hrsg.), Landvolk, S. 361–367, die von Josef Umlauf formulierten, von Himmler am 30.1.1942 in Kraft gesetzten „Richtlinien für die Planung und Gestaltung deutscher Städte in den eingegliederten Ostgebieten, in: Rössler/Schleiermacher (Hrsg.), Generalplan, S. 263–270 und hierzu Gutschow, Stadtplanung, S. 253 ff. sowie Gröning/Wolschke-Bulmahn, Liebe, S. 82–88 und 112–125. 216 Vgl. Leendertz, Ordnung, S. 184 f., Meyers Bericht über seine zweiwöchige Reise „in die volksdeutschen Siedlungsgebiete der Ukraine“ vom 31.7.1943, in: Madajczyk (Hrsg.), Generalplan, S. 277–281, sowie Meyer, Höhen, S. 116, in: BArch, N 1561/24, wo er berichtet, in Warschau, Lodz und Lublin auch die Ghettos besichtigt zu haben.
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realisierte Besatzungs- und Vernichtungspolitik geliefert, noch darin, dass sie der NS-Führung neue visionäre Ziele aufgezeigt hätten. Es bedurfte weder Meyers Plänen noch der anderen Denkschriften deutscher Professoren (man denke etwa an jene des Historikers Theodor Schieder, mit der dieser im Oktober 1939 eine „Herauslösung des Judentums“ aus den polnischen Städten vorgeschlagen hatte), um der NS-Spitze die Idee einer gewaltsamen ethnischen Neuordnung Europas zu soufflieren.217 Den „alten Kämpfern“ um Hitler war die Germanisierung Ostund Ostmitteleuropas bereits in den 1920er Jahren zum selbstverständlichen Teil ihrer Weltanschauung geworden – und zwar nicht aufgrund der Lektüre wissenschaftlicher Literatur, sondern auf der Basis von antisemitischen und antikommunistischen Pamphleten, von Romanen oder von persönlichen Erfahrungen etwa im Baltikum und in Oberschlesien. Generell hielten viele NS-Führer Wissenschaft dort für entbehrlich, wo es um Fragen ging, in denen sie sich aufgrund ihrer Weltanschauung ohnehin für Experten hielten. Die SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps etwa stellte im Juli 1941 klar: „Was der Staat ist, wissen wir vom Führer; was andere darüber schreiben, betrifft uns nicht. Der Führer braucht keine Professoren, um das auszuführen, was er vorbedacht hat.“218 „Gerade im Schlachthaus der besetzten Ostgebiete“, so hat es Lutz Raphael formuliert, „waren die wissenschaftlichen Experten keineswegs die allgewaltigen Lenker der Vernichtung, sondern (…) ‚mussten‘ sich häufig mit der Rolle der Mitdenker, Begleiter oder Nachplaner bereits beschlossener (…) Maßnahmen begnügen.“219 Nicht unterschätzen darf man aber zwei Funktionen solch wissenschaftlicher Zuarbeit, auf die Susanne Heim und Lutz Raphael hingewiesen haben. Zum einen trugen Denkschriften, Vorträge oder Artikel nicht an der Spitze, aber sehr wohl in den mittleren Ebenen des Herrschaftsapparates „zur Formulierung eines common sense bei, der moralische Hemmschwellen zu überwinden half, indem er Vertreibung und (…) Massenmord“ als notwendige Mittel für die planvolle Gestaltung einer für die Deutschen glänzenden Zukunft erscheinen ließ.220 Die Wissenschaftler lieferten den „auf mittlerer Ebene“ der NS-Institutionen handelnden Tätern „Rationalisierungsformeln, die mit ihren weltanschaulichen Vorgaben übereinstimmten“.221 Zum anderen führten die Experten „den Machthabern der NS-Diktatur immer wieder die Machbarkeit ihrer radikalen Ziele vor Augen“.222 Dass man alle europäischen Juden ermorden und die slawischen Völker vertreiben oder zu Heloten machen sollte, glaubten Hitler und sein Umfeld auch ohne wissenschaftliche Erläuterung. Dass bzw. wie dies aber naher Zukunft realisierbar sein würde, das lernten sie erst ab 1939 schrittweise aus der Praxis der SS-Einsatzkommandos und eben auch aus der Arbeit von Wissenschaftlern.
217 Zit. nach Ebbinghaus/Roth, Vorläufer des „Generalplans Ost“, S. 90. 218 So der Artikel „Politik den Berufenen!“ in der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ vom 31.7.1941. 219 Raphael, Ordnungsdenken, S. 37 f. 220 Heim, Vordenker, S. 89. 221 Raphael, Ordnungsdenken, S, 38. 222 Derselbe, Sozialexperten, S. 329.
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In diesem Sinne erfüllten die Arbeiten am Generalplan Ost und die von Meyer organisierte Begleitforschung eine wichtige Funktion: Gerade durch ihre Mischung aus megalomaner Zukunftsperspektive einerseits und kleinteiliger Expertise über Baustoffe, Landschaftsgestaltung, Finanzierungsinstrumente und die Ergonomie der Bauernhöfe im künftig deutschen Osten andererseits, vermittelten sie ihren Adressaten das Gefühl, sich an einer großen Vision für die Zukunft des deutschen Volkes zu beteiligen, die in naher Zukunft realisiert werden könne. Meyers Planungen und die begleitenden Forschungen wurden denn auch ab Anfang 1940, beginnend mit den ersten Plänen zur Germanisierung des eroberten Polen, in Grundzügen, aber unter Aussparung ihrer gewalthaften Aspekte, öffentlich propagiert. Meyer selbst sprach in diesem Zusammenhang von einer „Erziehungsaufgabe (…), nämlich unserem Volk wieder das Bewußtsein seiner ostkolonisatorischen Mission (…) zu vermitteln“.223 Einen frühen Höhepunkt erreichte Meyers Propaganda für die Germanisierung Ostmitteleuropas im März 1941 mit einer aufwendig gestalteten Ausstellung in Berlin. Unter dem Titel „Planung und Aufbau im Osten“ präsentierten er und seine Mitarbeiter anhand von Schaubildern, Karten sowie Modellen künftiger deutscher Dörfer und Höfe bis ins puppenstubenartige Detail ihre Zukunftsvision. Ein in mehreren Auflagen produzierter Katalog sollte für eine nachhaltige Wirkung der Ausstellung sorgen.224 Himmler selbst ließ es sich nicht nehmen, am 21. und 27. März 1941 zusammen mit Meyer hohe NS-Führer (darunter Rudolf Heß, Robert Ley, Reinhard Heydrich, Martin Bormann, Fritz Todt und Philipp Bouhler) durch die Ausstellung zu führen.225 Noch im selben Jahr 1941 gab Meyer unter dem Titel „Landvolk im Werden“ einen fast 400 Seiten dicken Sammelband mit „Material zum ländlichen Aufbau in den neuen Ostgebieten und zur Gestaltung des dörflichen Lebens“ heraus, an dem sich ein Großteil seiner RKF-Mitarbeiter mit Beiträgen beteiligt hatte. Mit der zweiten Auflage von 1942 wurden insgesamt 46.000 Exemplare hergestellt – ganz offensichtlich war das Werk für ein breiteres Publikum bestimmt.226 Im Jahr 1943 folgte ein Buch über „neue Dorflandschaften“.227 Daneben hielten die an den Planungsund Forschungsarbeiten Beteiligten bis in den Sommer 1944 Vorträge im akademischen Raum – Meyers Auftritte vor der Berliner Akademie im Jahr 1940 und vor den Honoratioren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zwei Jahre später habe ich bereits erwähnt –, aber auch vor Studenten und Gliederungen der NSDAP. Diese Vortragstexte wurden bis 1944 immer wieder in akademischen wie populärwissenschaftlichen Zeitschriften oder als Sonderdrucke veröffentlicht.228 Ende Juni 223 Meyer, Planung Aufbau, S. 272. 224 Vgl. Reichskommissar (Hrsg.), Planung. 225 Vgl. Witte u. a. (Hrsg.), Dienstkalender, S. 135 und 140, sowie Gröning/Wolschke-Bulmahn, Liebe, S. 163–167. 226 Vgl. Meyer (Hrsg.), Landvolk. 227 Reichskommissar, Dorflandschaften. 228 Vgl. neben den bereits zitierten Texten Meyer, Osten, derselbe, Agrarprobleme, Christaller, Grundgedanken, Kann, Landvolk, Machui, Landgestaltung, Morgen, Aufforstung, Rolfes, Aufgaben, Schauroth, Aufgaben, Umlauf, Stadtplanung, derselbe, Stand, Wickop, Niedersachsendorf und Wiepking-Jürgensmann, Landschaft.
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1942 beauftragte Himmler Meyer zudem, Vorträge vor Verbänden der Waffen-SS zu halten.229 So trug die ab Mitte 1941 von der DFG finanzierte Forschung der RKF-Planungsabteilung nicht zuletzt dazu bei, einem (verglichen mit der Zielgruppe des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ deutlich breiteren) Kreis an Adressaten aus dem Kern der NS-Bewegung Sinn und Zukunftsvision des nationalsozialistischen Eroberungskrieges nahezubringen. DER REICHSFORSCHUNGSRAT – VOM ENDE HER GESEHEN In den letzten Monaten des Krieges pendelten die Akteure der Forschungspolitik hin und her zwischen Alltagsroutinen, Versuchen, durch letzte Anstrengungen die Niederlage hinauszuzögern, und Maßnahmen, die auf ein Weitermachen nach der Niederlage zielten. Bis in den März 1945 suggerierte der Alltagsbetrieb des Reichsforschungsrates die Verwaltbarkeit des Zusammenbruchs. Rudolf Mentzel hielt weiterhin Besprechungen mit den in Berlin anwesenden Fachspartenleitern und Bevollmächtigten sowie den Kooperationspartnern aus Wehrmacht und Rüstungsministerium ab, bei denen die Dringlichkeit einzelner Projekte erörtert wurde. Werner Osenberg versandte aus seinem Ausweichquartier im Harz Anweisungen zur Effektivierung der Forschung, die nichts bewirkten. In der Berliner Geschäftsstelle gingen Förderanträge ein, wurden bearbeitet, an die Fachspartenleiter weitergereicht und beantwortet. Ende Februar 1945, die Rote Armee stand an der Oder, mahnte die DFG-Geschäftsstelle bei der KWG ausstehende Verwendungsnachweise für Fördermittel an. Kurz darauf wurde den Referenten klar, dass es angesichts des schnellen Vormarsches der Alliierten künftig schwierig werden könnte, den Geförderten regelmäßige Überweisungen zukommen zu lassen. Die Fachspartenleiter erhielten daher hohe Verfügungssummen (Walther Gerlach zum Beispiel bekam Anfang März 1945 eine Abschlagszahlung von 500.000 Reichsmark für seine Sparte; Peter Adolf Thiessen wurden Mitte April 1945 Barschecks in Höhe von ebenfalls 500.000 Mark ausgehändigt), damit kein Projekt aus Geldmangel eingestellt werden müsste, falls die Verbindung nach Berlin abbrechen sollte. Das größte Kapital der DFG, nämlich die Tausenden an Forscher ausgeliehenen Apparate, versuchte man zu retten, indem der zuständige Referent Georg Heinrich Becker die zu ihrer Verwaltung angelegte Kartei (und sich selbst) nach Göttingen evakuierte.230 Rudolf Mentzel setzte sich Ende April 1945 aus Berlin ab und stieß in Eutin zu dem bereits zuvor geflohenen Bernhard Rust. Nach dessen Selbstmord in der Nähe von Schleswig am 8. Mai 1945 organisierte Mentzel das Begräbnis seines Mi-
229 Vgl. Witte u. a. (Hrsg.), Dienstkalender, S. 472. 230 Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 532 ff. sowie Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 458 f. und 464 f. Gerlach konnte das Geld bis Kriegsende nicht mehr ausgeben, verwahrte es bis zur Währungsreform im Juni 1948 und deklarierte es bei dieser als Mittel, die für den Wiederaufbau des Physikalischen Instituts der Münchner Universität bestimmt seien, vgl. Mertens, Würdige, S. 130.
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nisters.231 Am 30. Mai 1945 geriet er in britische Gefangenschaft und verbrachte die folgenden Jahre bis zu seiner Freilassung Ende Januar 1948 im Internierungslager Eselheide bei Paderborn. Von hier aus versuchte er anfänglich, durch die Korrespondenz mit früheren Mitarbeitern den Anschein zu erwecken, er amtiere weiterhin als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, allerdings glaubte hieran außerhalb des Internierungslagers wohl niemand.232 Den Alliierten und den deutschen Entnazifizierungsbehörden versuchte Mentzel weiszumachen, er habe ab Herbst 1933 nur noch nominell der SS angehört, sei zum unpolitischen Verwaltungsbeamten mutiert und habe insbesondere von Menschenversuchen in den Konzentrationslagern nichts gewusst.233 Zur Unterstützung in seinem Entnazifizierungsverfahren mobilisierte Mentzel im Jahr 1948 Aussagen einer Vielzahl ehemaliger Partner, von Ernst Telschow (inzwischen Geschäftsführer der in Max-Planck-Gesellschaft umbenannten KWG) über Abraham Esau und Richard Kuhn bis Walther Gerlach (inzwischen Rektor der Universität München). In seltener Einmütigkeit sagten seine beiden Vorgänger als DFG-Präsidenten, Friedrich Schmidt-Ott und Johannes Stark, zu Gunsten Mentzels aus. Gemeinsam war allen Aussagen wie Mentzels Verteidigung die Behauptung, er habe Entscheidungen stets aufgrund wissenschaftsimmanenter, nie aber aufgrund politischer Motive getroffen. Die meisten Entlastungszeugen taten gut daran, dies zu behaupten, konnten sie doch so ihre eigene Kooperation mit Mentzel in den Raum des Unpolitischen rücken. Am 29. Juni 1949 stufte die Spruchkammer IV des Spruchgerichts Bielefeld Mentzel in die Gruppe III der fünfgliedrigen Entnazifizierungsskala, das heißt als „Minderbelasteten“, ein und verurteilte ihn zu zweieinhalb Jahren Haft, die durch die Internierung als abgebüßt galten. Damit hatte Mentzel den Hals aus der Schlinge gezogen; sein Stellvertreter als RFR-Geschäftsführer, der SS-Ahnenerbe-Geschäftsführer Wolfram Sievers, war am 2. Juni 1948 wegen seiner Mittäterschaft bei Menschenversuchen hingerichtet worden. Mentzel überstand auch in der Folge gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren unbeschadet, arbeitete in der Industrie und starb 1987 in Twistringen bei Bremen.234 Unmittelbar nach Kriegsende bildeten sich unter den früheren Protagonisten des RFR zwei Erzählmuster zur Entwicklung des Reichsforschungsrates heraus, die man unter die Schlagworte Normalität bzw. Versagen subsumieren kann. Diese Narrative wurden in der Folge über Jahrzehnte in Darstellungen der Rolle von DFG und RFR während des „Dritten Reiches“ reproduziert. Erstens bemühten sich Mentzel und andere Funktionsträger gegenüber den Entnazifizierungsbe231 Vgl. Mentzels 1981 verfasste „Erinnerungen an Bernhard Rust“, in: Pedersen, Rust, S. 364. 232 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 465. 233 Vgl. das Protokoll der Vernehmung Mentzels durch den Ankläger am Spruchgericht Bielefeld 20.11.1947, in: BArch, Z 42 IV/3512, fol. 35 f., das Protokoll der Vernehmung Mentzels durch den Ankläger am Spruchgericht Bielefel vom 4.12.1948 http://www.ifz-muenchen.de/ archiv/zs/zs-0554.pdf, S. 1 ff. (zuletzt besucht am 14.10.2016) und das Protokoll der Vernehmung Mentzels durch den alliierten Staatsanwalt Beauvais am 17.6.147, in: ebenda, S. 16 f. 234 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 466–471. Zu Starks Entnazifizierungsverfahren vgl. Kleinert, Spruchkammerverfahren.
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hörden um eine retrospektive Entpolitisierung ihres Handelns: Der Reichsforschungsrat und die DFG hätten lediglich im internationalen Maßstab „normale“ Forschung gefördert, eine engere Bindung an die Spitze des Regimes und an die nationalsozialistische Ideologie habe es nicht gegeben. Von den Verbrechen in den Konzentrationslagern hätten weder Mentzel noch die Gremienmitglieder und Referenten von DFG und RFR etwas gewusst. Ihren Einsatz für eine vermeintlich unpolitische Grundlagenforschung unter den Bedingungen einer als wissenschaftsfeindlich beschriebenen Diktatur stilisierten die früheren RFRProtagonisten rückblickend geradezu zum Widerstand. Peter Adolf Thiessen etwa, der 1945 im Unterschied zu seinen Kollegen auf die sowjetische Karte gesetzt und bis 1956 unter privilegierten Bedingungen in der Sowjetunion gearbeitet hatte, um nach Berlin zurückgekehrt im Juni 1957 zum Vorsitzenden des Forschungsrates der DDR aufzusteigen, behauptete 1972, Gerlach, Graue von der Kriegswirtschaftsstelle der DFG, Oberst Geist aus dem Rüstungsministerium und er selbst hätten sich im Sommer 1943 getroffen, um angesichts der wahrscheinlich gewordenen Kriegsniederlage „zu überlegen, ob und wie man nationale Substanz (…) erhalten“ könne.235 In der Folge hätten sie ihre Ämter dazu genutzt, möglichst viele hervorragende Wissenschaftler vor dem Tod an der Front zu bewahren, indem man sie in offiziell auf militärische Anwendungen ausgerichteten, in Wirklichkeit aber rein grundlagenorientierten Projekten des RFR beschäftigte. Zugleich habe man versucht, eine wissenschaftliche Infrastruktur zu erhalten, die nach der Niederlage als Ressource für den Wiederaufbau Deutschlands dienen könnte. Der Mathematiker Wilhelm Süss sah das von ihm im November 1944 in der Schwarzwaldgemeinde Oberwolfach gegründete und vom RFR finanzierte Reichsinstitut für Mathematik im Rückblick als reine Rettungsstation für Spitzenforscher angesichts der Gefahren in den Monaten vor Kriegsende. Dass Süss, Thiessen und Gerlach das Leben von Wissenschaftlern durch den Einsatz in RFR-Projekten hatten retten wollen (und gerettet haben), ist durchaus möglich, ja wahrscheinlich. Ebenso eindeutig zeigt aber ihr energisches Engagement für eine im Sinne der Kriegsführung finalisierte Grundlagenforschung zumindest bis Ende 1944, dass das Bemühen um den Erhalt „nationaler Substanz“ nach einem Untergang des NS-Regimes und ein forschungspolitisches Engagement für die Abwendung einer Kriegsniederlage nicht im Widerspruch zueinanderstehen mussten. Für Gerlach und Thiessen dürfte dies bereits deutlich geworden sein. In Bezug auf Süss spricht der Nachdruck, mit dem er als Vorsitzender der Deutschen Mathematiker-Vereinigung den Ausschluss jüdischer Mitglieder betrieben hatte, nicht für unpolitische Distanz zum NS-Regime. Zudem haben Moritz Epple und Volker Remmert nachgewiesen, dass das von Süss seit 1942 für den RFR organisierte mathematische Forschungsprogramm militärisch relevante Themen fokussierte.236
235 So Thiessen in einem unveröffentlichten autobiographischen Text von 1972, zit. nach Eibl, Physikochemiker, S. 186. Zu seinem Weg ab 1945 vgl. ebenda, S.181 f., 187 und 261–276. 236 Vgl. Epple/Remmert, Synthese, Remmert, Universitäts- und Fachpolitik, S. 150, sowie Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 458–469.
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Zweitens stützten sich amerikanische Geheimdienststellen (wie die ALSOSMission) ab 1945 bei dem Versuch, das Funktionieren des NS-Forschungssystems zu rekonstruieren, vor allem auf die Aussagen Werner Osenbergs, auf die Akten seines Planungsamtes sowie auf die Einschätzungen von Osenbergs Verbündeten aus dem SD wie Wilhelm Spengler und Helmut Fischer. Diese Quellen aber waren vor wie nach 1945 von dem Bestreben geleitet, dem Kreis um Rudolf Mentzel Unfähigkeit, Intrigen und Versagen in Fragen der Forschungslenkung zuzuschreiben. Hier ging es noch retrospektiv um Konkurrenzgehabe, außerdem um den Versuch, Schuldige für die vermeintlich mit ungenützten Innovationspotenzialen zusammenhängende Kriegsniederlage zu finden. Der offizielle ALSOS-Bericht von 1947 übernahm diese Interpretation und konstatierte ein Versagen des Reichsforschungsrates in der Lenkung der deutschen Kriegsforschung.237 Die Begriffe Normalität und Versagen standen fortan im Mittelpunkt des öffentlichen Redens über die DFG und den RFR der NS-Zeit, je nach Interessenlage betonten die Zeitzeugen das eine oder das andere bzw. verbanden die beiden Motive miteinander. Kurt Zierold kombinierte in seiner 1968 publizierten Darstellung der DFG-Geschichte die an Osenberg angelehnte Beschreibung einer von Mentzel verschuldeten „Desorganisation innerhalb des Reichsforschungsrates“ mit den exkulpierenden Darstellungen der Fachspartenleiter: „Männer wie Gerlach, Köster und Thiessen versuchten immer wieder darauf hinzuwirken, daß nicht alle Forschung unter militärischen Gesichtspunkten geschah und daß Geld, Zeit und Kraft für die allgemeine Grundlagenforschung übrigblieben. Sie sahen den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates voraus und bemühten sich, (…) soviel wissenschaftliche Substanz wie möglich in die Nachkriegszeit hinüberzuretten.“238 Auch Historiker haben diese Deutungen der Akteure lange Zeit in sich wandelnden Mischungsverhältnissen übernommen. Die Funktionen von DFG und Reichsforschungsrat während der NS-Zeit, das Selbstverständnis und das Handeln ihrer Gremienmitglieder sowie der von ihnen geförderten Klientel werden so aber nicht adäquat erfasst, sondern systematisch verfehlt. Man kann gewiss große Teile der von RFR und DFG geförderten Forschung – wie es etwa Notker Hammerstein getan hat – in dem Sinne als normal beschreiben, dass zeitgenössisch ein Engagement von Forschern für den Sieg der jeweiligen Nation im Krieg international für unproblematisch gehalten wurde. In der Tat handelte es sich auch insofern „um völlig herkömmliche, unideologische Forschungen“, als es bei der Verbesserung von Panzerstählen und Torpedos sinnlos war, dies auf der Basis von Rassentheorien oder anderer NS-Glaubenssätze zu tun. Jenseits der Technikwissenschaften, der Physik und der Chemie, also bei den Geistes- und Humanwissenschaften, bewegte sich die deutsche Forschung allerdings, wie wir gesehen haben, deutlich auf eigenen, schon vor 1933 von nationalistischen, danach von völkisch-nationalsozialistischen Ideen geprägten Pfaden. Dennoch kann man auch in dem Sinne von einer Normalität der meisten von RFR und DFG geförderten Projekte sprechen, als nur wenige von ihnen pathe237 Vgl. Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 472 ff. und Zierold, Forschungsförderung, S. 270 f. 238 Zierold, Forschungsförderung, S. 253 und 272.
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tisch mit „NS-Gesinnung“ begründet wurden oder gar Gewaltverbrechen (etwa in Gestalt mörderischer Menschenversuche) beinhalteten. Zutreffend ist auch, dass ein erheblicher Teil der älteren Ordinarien sich am plebejischen Habitus vieler NS-Funktionäre stieß und Distanz zu polternden Braunhemden wahrte.239 Wie aber Rüdiger Hachtmann in seinem Buch über die Kaiser-WilhelmGesellschaft gezeigt hat, folgen das skizzierte Verständnis einer Normalität von Grundlagenforschung unter den Rahmenbedingungen des „Dritten Reiches“ und der Glaube an eine habituelle Resistenz kultivierter Ordinarien allzu bereitwillig den Exkulpationsstrategien der Akteure. Bei diesen Strategien handelte es sich im Übrigen, wie wir inzwischen aus vielen Untersuchungen über die deutschen Funktionseliten wissen, um Argumentationsmuster, die nicht nur in der Wissenschaft, sondern generell von bürgerlichen Anhängern des NS-Regimes nach 1945 entwickelt wurden: Indem man den vermeintlich echten Nationalsozialisten als antibürgerlichen Barbaren beschrieb, konnte man behaupten, das eigene Naserümpfen über primitive NS-Funktionäre beweise zugleich einen „politischen Dissens“ ihnen gegenüber und den unpolitischen Charakter des eigenen Engagements innerhalb der Strukturen des NS-Staates.240 Dass das dienstliche Handeln von Trägern staatlicher Ämter – inklusive der Professorenschaft – per se unpolitisch sei, hatte im Übrigen bereits seit dem Wilhelminischen Reich zu den sorgsam gepflegten Selbsttäuschungen des deutschen Bildungsbürgertums gezählt. Nur wenige im Rahmen der DFG aktive Wissenschaftler bewahrten sich 1933 so viel „gelehrte Distanz zu den Machthabern“, dass sie der Ausgrenzung und Vertreibung eines Fünftels ihrer Kollegen und Kolleginnen aufgrund antisemitischer oder politischer Kriterien widersprochen bzw. den nun Verfemten geholfen hätten.241 Wissenschaftler schufen je nach Fach die technologischen bzw. ideellen Voraussetzungen für den Angriffskrieg, ab 1942 für seine Verlängerung und schließlich für die mit dem Krieg verbundene Vernichtungspolitik. Sie mussten hierzu keine überzeugten Nationalsozialisten sein, es genügte, seit der Weimarer Republik dem antidemokratischen, nationalistischen und Antisemitismus akzeptierenden Mainstream der Professorenschaft gefolgt zu sein und diesen als unpolitische Haltung misszuverstehen.242 Die entscheidende Konsenszone zwischen dem NS-Regime und den meisten der 1933 bereits etablierten Wissenschaftlern, so hat Rüdiger Hachtmann am Beispiel der KWG konstatiert, bestand in einem „tiefverwurzelten Nationalismus“, der so sehr „zentrale Antriebskraft“ der Forscher war, dass ihnen bis 1945 ihr Dissens in anderen Fragen als nachrangig erschien.243 DFG und Reichsforschungsrat mussten daher keinen Forscher zwingen, seine Fähigkeiten dem NS-Regime zur Verfügung zu stellen. Ihre Leistung für den Nationalsozialismus bestand darin, vor allem den Hochschulforschern einen Freiraum bereitzustellen, in dem sie ihre Kreativität und ihre Bereitschaft zum Enga239 240 241 242 243
Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 219 und 269. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1213. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 219. Vgl. Maier, Normalwissenschaft. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 1211. Ähnlich Raphael, Ordnungsdenken, S. 40.
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gement für das Regime und seine Kriegsziele verwirklichen konnten – und zwar in der Atmosphäre einer auf das Wissenschaftliche begrenzten Meinungsfreiheit bei Akzeptanz des politischen Grundkurses.244 Dazu bedurfte es nicht mehr, aber auch nicht weniger, als einiger finanzieller, materieller und personeller Ressourcen sowie eines gewissen Schutzes der für das Regime aktiven Wissenschaftler gegen störende Interventionen selbsternannter Glaubenswächter des Nationalsozialismus einerseits und gegen die Versuche von Technokraten andererseits, der Wissenschaft die Funktionsmodi anderer Teilsysteme aufzuzwingen. In diesem Sinne erinnerte sich Gerlach 1949 in einem Briefwechsel mit Heisenberg befriedigt daran, dass es ihm in schweren Kämpfen mit Speers Rüstungsministerium gelungen sei, dessen Zugriff auf die „Hochschulinstitute“ abzuwehren und sie „lediglich“ unter die Leitung des RFR zu stellen, „unter einzig maßgeblicher Leitung von Professoren“.245 Von den Zielen der Mobilisierung war hier nicht die Rede, sondern nur von ihren mehr oder weniger wissenschaftsadäquaten Modi.246 Wenn die politische Spitze von DFG und Reichsforschungsrat im Gegenzug von den Wissenschaftlern erwartete, den ihnen gewährten Freiraum gemäß des „Führerprinzips“ zu verwalten, so war damit zum einen die Erwartung verbunden, die Effektivität von Forschung im Sinne einer kurzfristigen Kampagnenfähigkeit für konkrete Ziele zu erhöhen. Zum anderen diente die Implantation dieses Organisationsprinzips des NS-Staates in die Forschung dazu, die Wissenschaftler in das nationalsozialistische Herrschaftssystem strukturell einzubinden. Der Mentalität des durchschnittlichen deutschen Ordinarius von 1940 war ein solch autoritäres Prinzip nicht fremd, im Binnenverhältnis der Wissenschaften wurde das Führerprinzip gleichwohl an ältere Normen des professoralen Komments angepasst. Ob man nun die Rolle von DFG und RFR bei der Selbstmobilisierung deutscher Wissenschaftler für erfolgreich oder gescheitert hält, hängt von den Prämissen ab, die man der Bewertung zugrunde legt. Jene Akteure und Historiker, die dem Reichsforschungsrat retrospektiv Versagen bei der Organisation der Wissenschaft für die Kriegsführung vorgehalten haben, gingen von der Voraussetzung aus, eine straffe hierarchische Führung der Forschung erhöhe per se deren Effizienz gegenüber einem auf Konkurrenz der Forscher und ihrer Auftraggeber ausgelegten System, im Fall des NS-Staates oft als „polykratisches Chaos“
244 Vgl. Raphael, Ordnungsdenken, S. 12. 245 Brief Gerlachs an Heisenberg vom 12.11.1949, in: Bachmann/Rechenberg (Hrsg.), Gerlach, S. 245. 246 Hier gilt, was Hans-Walter Schmuhl zum KWI für Anthropologie resümiert hat: „Es gilt jedoch, die beiden Ebenen der Mittel und der Ziele sorgfältig auseinanderzuhalten. Auf der Ebene der Mittel – im Spiel um Macht und Einfluß, Posten und Geld – gingen Politiker und Wissenschaftler ein Zweckbündnis ein, das immer wieder neu ausgehandelt wurde, um unterschiedliche Interessenlagen auszutarieren. Auf der Ebene der Ziele – in der biopolitischen Utopie einer wissenschaftlich angeleiteten Entwicklungsdiktatur – gab es weitgehende Konvergenzen und Kongruenzen, arbeiteten Politiker und Wissenschaftler aus Überzeugung zusammen. Hier liegt die eigentliche Basis der Allianz von Wissenschaft und Politik“, Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 155 f.
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beschrieben.247 Zudem glaubten sie, das Potenzial der deutschen Forschung sei grundsätzlich so groß gewesen, dass es bei besserer Organisation den Kriegsverlauf zugunsten des NS-Regimes hätte beeinflussen können. Beide Prämissen sind keineswegs evident. „Ein Innovationssystem, das Doppelarbeit zuläßt“, so hat Helmut Maier argumentiert, „kann sich als wesentlich effektiver erweisen als ein hierarchisch-autoritäres, wie es im Wissenschaftsverständnis von Historikern häufig als Optimalform unterstellt wird“, denn indem in Konkurrenz zueinander stehende Forscher unterschiedliche Wege zur Lösung eines Problems gehen, können sie unter Umständen (wenn auch nicht immer) in der Summe ein höheres Maß an Innovation erreichen.248 Im Übrigen wurde auch in den USA die Forschung während des Zweiten Weltkrieges keineswegs von einem einzigen Zentrum aus gesteuert. Hier vergaben das Kriegs- und das Marineministerium jeweils eigene Forschungsaufträge an die Industrie (nur 0,5 Prozent ihrer Forschungsmittel gingen an Hochschulen), während das im Juni 1941 gegründete Office for Scientific Research and Development (OSRD) unter der Leitung erfahrener Wissenschaftsmanager aus den Netzwerken des National Research Council vor allem die Kapazitäten der Hochschulen für die Kriegsforschung mobilisierten: Zwei Drittel der OSRD-Gelder (das waren über 500 Millionen Dollar) wurden über Forschungsaufträge an die US-Universitäten vergeben.249 Ein weiteres kommt hinzu: Die These vom polykratieinhärenten Chaos verzeichnet, wie Rüdiger Hachtmann gezeigt hat, die Realität der nationalsozialistischen Forschungspolitik. Denn diese bildete zwar nicht das eine starke Zentrum aus, schuf aber über Institutionen wie zum Beispiel die Gremien des Reichsforschungsrates und die diversen Arbeitskreise des Rüstungsministeriums, in denen eine Kerngruppe von Akteuren in wechselnden Zusammensetzungen aufeinandertraf, netzwerkartige Formen der Koordination von Rüstungs- und Kriegsforschung.250 Mir scheint es wenig hilfreich zu sein, in der Analyse solcher Strukturen mit der Formel einer „Neuen Staatlichkeit“ des NS-Regimes zu operieren, wie es Rüdiger Hachtmann, Sven Reichardt und Wolfgang Seibel vorgeschlagen haben. Denn bei genauerem Hinsehen war vieles an den so beschriebenen Interaktionsmustern gar nicht so neu. Bezogen auf die Forschungspolitik hatten informelle Strukturen ähnlicher Art schon die Basis von Schmidt-Otts Agieren in der Weimarer Republik gebildet. Und generell war moderne Staatlichkeit spätestens seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr schlicht als Weberanischer Anstaltsstaat zu fassen, sondern nahm in sich wandelnden Konstellationen korporatistischer, bürokratischer oder netzwerkartiger, formeller wie informeller Elemente immer
247 So Maier, Forschung, S. 26, in der Charakterisierung dieser von ihm selbst nicht geteilten Position; vgl. seinen luziden Forschungsüberblick ebenda, S. 21–51. 248 Ebenda, S. 444. 249 Vgl. Geiger, Research, S. 6–12. 250 Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 266, Walker, Sciene, S. 804 f. und Grunden u. a., Laying, S. 81 ff., 88–92 und 104 ff.
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neue Formen an.251 Dennoch bleibt die Feststellung richtig, dass im NS-Herrschaftssystem „Personennetzwerke“ „ein dynamisches Reagieren“ ermöglichten, „welches gerade unter den schwierigen Kriegsbedingungen von höchster Wichtigkeit war“.252 Zugleich scheint mir auch die der Versagens-These zugrundeliegende Annahme, der Zweite Weltkrieg wäre anders verlaufen, wenn das NS-Regime eine striktere Forschungsführung praktiziert hätte, problematisch, denn sie übernimmt unreflektiert die eklatante Selbstüberschätzung eines Teils der deutschen Wissenschaft dieser Zeit. Zum einen hätten die materiellen Ressourcen, die das NS-Regime im Krieg mobilisieren konnte, niemals ausgereicht, um auch nur die USA, geschweige denn das Bündnis von USA, UdSSR und Großbritannien (samt dessen Empire) besiegen zu können. Eine Atombombe beispielsweise hätten die deutschen Physiker auch dann bis 1945 nicht bauen können, wenn sie straffer organisiert gewesen wären. In der virtuellen Weltrangliste der Physik standen schon vor 1933 nicht die deutschen, sondern die US-Physiker an der Spitze, die Emigration exzellenter Forscher aus Deutschland verstärkte diese Entwicklung nach 1933 noch, und die materiellen Möglichkeiten des NS-Staates – von der Verfügung über spaltbares Material und schweres Wasser bis hin zur Zahl hochqualifizierter Arbeitskräfte – waren verglichen mit jenen des amerikanischen Manhattan-Project schlicht mickrig. Erklärungsbedürftig ist also nicht die Niederlage des „Dritten Reiches“, sondern vielmehr, wie es diesem System gelang, über sechs Jahre einen Krieg gegen fast die gesamte Welt zu führen, in dem es vom ersten Tag an auf allen relevanten Ebenen – von den Rohstoffen über die zur Verfügung stehenden Menschen und die Stückzahlen der Rüstungsproduktion bis hin zur Qualität der Waffentechnik – dramatisch unterlegen war. Misst man den Reichsforschungsrat nicht an irrealen Erwartungen, sondern an den Möglichkeiten des nationalsozialistischen Deutschlands einerseits und seiner spezifischen Funktion andererseits, so war er bezogen auf eine Förderung der Selbstmobilisierung der an den Hochschulen und in den KWG-Instituten arbeitenden Grundlagenforscher für den Krieg durchaus erfolgreich. Die Klientel von DFG und RFR war seit der Weimarer Republik daran gewöhnt, dass die DFG die wechselseitigen Ansprüche von Staat und Forschung aneinander jeweils so übersetzte, dass sich die Forscher nicht als unmittelbare Auftragsempfänger der Regierung verstehen mussten. Diese eingespielte Vermittlungsfunktion übernahmen ab 1937 RFR (Auftragserteilung) und DFG (Bewilligung und Verwaltung der Fördermittel) arbeitsteilig, aber als Handlungseinheit. Damit konnte sich die Klientel der DFG in den ihr gewohnten Stilen und in Einklang mit ihren Selbstbeschreibungen und Distinktionsbedürfnissen (Distinktion nicht vom politischen Ziel, sondern von anderen Akteuren des Innovationsprozesses, wie etwa den Industrie- oder Ressortforschern) mobilisieren. Sie konnte – aus ihrer Sicht widerspruchsfrei – ihr Selbstbild wahren: als in einer nationalen Ausnahmelage patriotisch Handelnde und zugleich weiterhin Grundlagenforschung Treibende. 251 Auch Hachtmann verweist auf traditionelle Elemente der „Neuen Staatlichkeit“; vgl. Hachtmann, Effizienz. 252 Reichardt/Seibel, Radikalität, S. 16.
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In diesem Sinne funktionierte die Hochschulforschung bis Kriegsende als Ressource des NS-Regimes – und das Regime als Ressource für die Forscher, beides vermittelt über den Reichsforschungsrat.253
253 Hier ist nun der Verweis auf die Formel Mitchell Ashs von „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“ nötig, siehe Ash, Wissenschaft.
TEIL III PLURALISIERUNG. DIE DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT IN DER FRÜHEN BUNDESREPUBLIK
ACHTES KAPITEL RESTAURATION DER GEMEINSCHAFT. EINE NEUGRÜNDUNGSGESCHICHTE VON BERLIN NACH BAD GODESBERG Im Jahr 1920 hatte eine Gruppe deutscher Wissenschaftsmanager und -honoratioren die Notgemeinschaft gegründet, um sich in einer mehrfachen Not zu behaupten: gegenüber dem Ressourcenmangel, der Inflation, der „Proletarisierung“ des Bildungsbürgertums, der bedrohten „Weltgeltung“ deutscher Forschung infolge der Kriegsniederlage und der internationalen (Selbst-)Isolierung sowie schließlich gegenüber einer von der Mehrheit der Ordinarien abgelehnten demokratischen Ordnung. Aus der Retrospektive der Jahre nach 1945 mussten diese Nöte vergleichsweise gering erscheinen: Nun galt es aus Sicht der DFG-Klientel, die Forschung und den Lebensstil der Ordinarienuniversität wiederaufzubauen in einem Land, dessen Infrastruktur zerstört war, in dem massenhaftes Hungern und die Ökonomie der Schwarzmärkte das Alltagsleben bestimmten, das in vier Besatzungszonen geteilt erst langsam wieder Strukturen eigener Staatlichkeit aufbaute und dessen Wissenschaftler sich durch ihr Engagement für das NS-Regime international diskreditiert hatten. Die Gebäude vieler Universitäten waren zerstört (in Bonn und Kiel betraf dies noch 1950 etwa 60 Prozent des Bestandes von 1939) und die Bibliotheksbestände zu erheblichen Teilen verbrannt.1 Hinzu kam, dass die Gebietsverluste im Osten Deutschlands die Hochschullandschaft verkleinert und – zusammen mit den Entnazifizierungsbemühungen der Alliierten – einen erheblichen Teil der Wissenschaftler in Arbeitslosigkeit und prekäre Existenzen gestürzt hatten, von der Desillusionierung radikalnationalistischer Visionen durch die totale Niederlage gar nicht zu reden. Kaum hatten die Universitäten im Herbst 1945 ihren Betrieb wiederaufgenommen, setzten deren Spitzen zur Überwindung dieser Nöte ihre Hoffnungen in eine Neuauflage des Weimarer Modells einer vor allem auf Hochschul- und Grundlagenforscher ausgerichteten Organisation zur Forschungsförderung. Dieses Modell war durch positive Erfahrungen seiner Klientel so gut eingeführt, dass es weder Wissenschaftlern noch Politikern in den Sinn kam, seine Notwendigkeit zu bezweifeln oder einen neuen Pfad der Forschungsförderung einzuschlagen. Dies unterschied die Gründungsgeschichte der neuen DFG markant von der ihrer Vorgängerin: Während deren Protagonisten in der ersten Hälfte der 1920er Jahre gezwungen gewesen waren, für die Gründung, die staatliche Anschubfinanzierung und schließlich die Verstetigung der Notgemeinschaft mit intensivem Lob1
Vgl. Stamm, Staat, S. 42 f.
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byismus und umfangreichen Konzeptpapieren zu werben, genügten nach 1945 relative knappe Verweise darauf, dass sich das Modell der Notgemeinschaft während der Weimarer Republik bewährt und zur Lösung von Problemen beigetragen habe, die sich auch gegenwärtig stellten (vom Ressourcenmangel der Hochschulen bis zum internationalen Rückstand des deutschen Innovationssystems). Bereits auf der ersten Rektorenkonferenz der britischen Besatzungszone, die am 26. und 27. September 1945 in Göttingen stattfand, schlug der Rektor der Universität Münster vor, eine Organisation nach dem Vorbild der Notgemeinschaft aufzubauen, dies aber im Unterschied zu 1920 in Ermangelung eines nationalstaatlichen Rahmens „von unten“, von den sich gerade bildenden Ländern aus anzugehen.2 Am 17./18. Dezember 1945 beschloss die zweite Rektorenkonferenz der Britischen Zone im westfälischen Bünde diesem Vorschlag folgend, dass die Hochschulen regionale Organisationen der Forschungsförderung aufbauen sollten. Damit begann ein Prozess der Aushandlung kongruenter wie widerstreitender Interessen, der schließlich am 11. Januar 1949 für die westlichen Besatzungszonen zur Gründung einer „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ führte. Diese wiederum verwandelte sich mit ihrer Mitgliederversammlung vom 2. August 1951 unter Integration des bis dahin konkurrierenden „Deutschen Forschungsrates“ in jene „Deutsche Forschungsgemeinschaft“, die bis in die Gegenwart besteht. Im Gründungsprozess der neuen DFG sind fünf Grundlinien zu erkennen: Erstens entstand sie tatsächlich von unten, durch die schrittweise Bündelung aus den Ländern heraus entstandener Initiativen. Den Beschlüssen der nordwestdeutschen Rektorenkonferenz vom Dezember 1945 folgte der Aufbau regionaler Förderorganisationen. In Niedersachsen wurde 1946 die „Leibniz-Stiftung für Kunst und Wissenschaft“ gegründet, in Nordrhein-Westfalen ein Jahr später eine „Forschungsgemeinschaft“ des Landes; beide wurden von ihren Gründern als Vorformen einer nationalen Dachorganisation verstanden. Zweitens wurde der Prozess stark von Akteuren beeinflusst, die bereits Leitungspositionen in der alten Notgemeinschaft und im Reichsforschungsrat bekleidet hatten. So handelte es sich bei jenem Münsteraner Rektor, der im September 1945 den ersten Anstoß gab, um den Kirchenhistoriker Georg Schreiber, der während der Weimarer Republik als Zentrumsabgeordneter im Haushaltsausschuss des Reichstages Lobbyarbeit für die Notgemeinschaft geleistet und ihrem Hauptausschuss angehört hatte. In Nordrhein-Westfalen engagierten sich Kultusminister Heinrich Konen (CDU), der zwischen 1929 und 1933 Vizepräsident der Notgemeinschaft gewesen war, und der frühere Leiter der Fachsparte Physik des Reichsforschungsrates, Walther Gerlach, der seit 1946 in Bonn lehrte, für den Neuaufbau einer Förderorganisation. Im Kultusministerium Schleswig-Holsteins zeichnete August Wilhelm Fehling, von 1923 bis 1945 Referent in der Geschäftsstelle der Notgemeinschaft/DFG, verantwortlich für die Hochschulpolitik. Der 2
Das Protokoll der Rektorenkonferenz am 26./27.9.1945, zit. nach Orth, Autonomie, S. 23; vgl. zur Entstehung der neuen Notgemeinschaft insgesamt ebenda, S. 21–29, Stamm, Staat, S. 70–78 und 110–116, sowie Zierold, Forschungsförderung, S. 275–283.
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greise Friedrich Schmidt-Ott unterstützte die Gründung der neuen Notgemeinschaft beratend und wurde später deren Ehrenpräsident.3 Daher kann es nicht verwundern, dass die Akteure drittens ausnahmslos die alte Notgemeinschaft als Vorbild der künftigen betrachteten, das jedoch durch Adaptionen an die neue Demokratie zu modifizieren sein würde. Als die Geschäftsstelle Anfang 1949 in Bad Godesberg aufgebaut wurde, hielt denn auch ihr Leiter Kurt Zierold fest: „Wir beginnen hier völlig neu, (…) und würden doch großen Wert darauf legen, an die bewährte Tradition aus der Zeit von Exzellenz Schmidt-Ott anzuknüpfen.“4 Zugleich hatte sich die Kommission, die unter Zierolds maßgeblicher Beteiligung im Jahr 1948 die Satzung der neuen Notgemeinschaft ausgearbeitet hatte, darum bemüht, diese im Vergleich zu ihrer Vorgängerin vorsichtig zu demokratisieren: Sie übertrug die Bewilligung von Fördermitteln statt dem Präsidenten dem aus Wissenschaftlern und Vertretern des Staates zu bildenden Hauptausschuss. Unter Schmidt-Ott, so resümierte der Bericht der Notgemeinschaft für 1950/51, sei die Organisation eine „Monarchie“ gewesen, nun habe man sich zu „einer parlamentarischen Republik“ weiterentwickelt.5 Zudem wurden in die Fachausschüsse je zwei Vertreter für jedes Fachgebiet gewählt, und zu jedem Antrag sollten mindestens zwei Gutachten eingeholt werden, während die Weimarer Notgemeinschaft immer wieder dafür kritisiert worden war, dass einzelne „‚Fachpäpste‘“ ihr Gebiet autokratisch beherrscht hatten.6 Insofern hatte sich die Satzungskommission für einen Neuanfang im Sinne einer Anpassung tradierter Strukturen an eine nun von einer Mehrheit der Ordinarien und Kultusbürokraten bejahte demokratische Ordnung entschieden. Viertens wurde nicht nur im Vorfeld der Gründung sondern noch darüber hinaus im folgenden Jahrzehnt darüber gestritten, welche Personen, Institutionen (Hochschulen, Akademien, die 1946 aus der KWG entstandene Max-PlanckGesellschaft, schließlich die wissenschaftlichen Fachgesellschaften) und Teilgruppen (zum Beispiel Vertreter der Grundlagen- oder der angewandten Forschung, Natur- oder Geisteswissenschaftler) wieviel Einfluss in der neuen Organisation gewinnen sollten. Zum Zeitpunkt der Gründung im Jahr 1949 hatte sich das traditionelle Modell durchgesetzt, wonach die Notgemeinschaft zwar als Repräsentantin der gesamten Wissenschaft fungieren solle, als ihre Klientel aber nur die an Hochschulen und Akademien arbeitenden Forscher integrieren würde. Damit waren Versuche aus den Kultusministerien der Länder gescheitert, auf die Notgemeinschaft die Grundfinanzierung all jener bis 1945 vom Reich getragenen Forschungseinrichtungen abzuwälzen, die mit dem Untergang des Nationalstaates den Ländern zugefallen waren.7 In der Konstruktion der neuen Notgemeinschaft wurde festgeschrieben, dass deren Forschungsförderung im Kern in 3 4 5 6 7
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 283 und Bericht 1950, S. 21. Zu Konen vgl. Orth, Vertreibung, S. 49 ff. Schreiben Zierolds an Karl Stuchtey, Geschäftsstelle der Berliner DFG, vom 4.3.1949, in: BArch, B 227/540. Bericht 1951, S. 34. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 279. Bericht 1951, S. 35. Vgl. Orth, Autonomie, S. 27 f. und Zierold, Forschungsförderung, S. 280 f.
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der Finanzierung einzelner Projekte von als Grundlagenforschern ausgewiesenen Wissenschaftlern auf der Basis eines Peer Review bestehe. Die Zugehörigkeit zur bzw. der Ausschluss von Akteuren der angewandten Forschung aus der Klientel der DFG blieb über 1949 hinaus ebenso ein Dauerbrenner der internen Debatte wie die Ansprüche der Naturwissenschaftler, den Idealtypus seriöser Forschung darzustellen und daher zur Führung der Wissenschaft berufen zu sein. Fünftens schließlich wurde im Entstehungsprozess der neuen Organisation zwischen den Vertretern der Kultusministerien einerseits und den Repräsentanten der DFG-Klientel andererseits darüber gestritten, wieviel Einfluss die Politik auf die künftige Förderpolitik ausüben dürfte bzw. wieviel gestaltende Selbstverwaltung die Ordinarien erlangen würden. Am 14. Februar 1947 beschlossen die Hochschulrektoren der britischen Zone in Bad Driburg einstimmig „die Wiedererrichtung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ als Verein der Akademien und Hochschulen.8 Nun begannen Verhandlungen zwischen den Kultusministerien der Länder einerseits und den Rektoren andererseits, an denen sich ab Frühjahr 1948 auch Vertreter der amerikanischen und der französischen Zone beteiligten – die Genese der Notgemeinschaft folgte der schrittweise Entstehung einer westdeutschen Staatlichkeit auf dem Fuße. Ab April 1948 arbeitete die bereits erwähnte, aus vier Rektoren und drei Ministerialbeamten bestehende Kommission unter der offiziellen Leitung des Frankfurter Rektors Walter Hallstein, de facto aber geführt von dem niedersächsischen Ministerialrat Kurt Zierold, an der Satzung einer künftigen Notgemeinschaft. Der 1899 in Bromberg geborene und 1921 an der Universität Greifswald promovierte Jurist Zierold hatte zwischen 1925 und 1945 im Preußischen bzw. Reichswissenschaftsministerium gearbeitet; 1937 war er wegen nonkonformer Ansichten zur Kunst vom Abteilungsleiter zum Referenten herabgestuft worden. Schon bald nach Kriegsende forderte Zierold öffentlich einen kritischen Umgang mit der NS-Vergangenheit, sprach von einem „Versagen der Hochschulen in der Zeit des Nationalsozialismus“ und konkretisierte diesen Vorwurf anhand des Nürnberger Ärzteprozesses: Die dort wegen Menschenversuchen und Krankenmorden angeklagten Mediziner hätten im Studium offenbar nicht gelernt, dass „Arztsein nicht zuletzt eine Frage des Ethos ist“.9 Ab Herbst 1945 arbeitete Zierold zunächst als Hochschulreferent in der hannoverschen Provinzialverwaltung, dann nach Gründung des Landes im niedersächsischen Kultusministerium. Von hier aus wirkte er entscheidend am Aufbau der neuen Notgemeinschaft mit.10 Die Verhandlungen über die Satzung zogen sich über Monate hin und beschäftigten mehrfach die Kultusminister- und die Rektorenkonferenzen, weil die Kultusminister verlangten, in den Spitzengremien der Notgemeinschaft müssten Vertreter aller Landesregierungen vertreten sein und einen jenem der Wissenschaftler gleichwertigen Einfluss besitzen. Die Rektoren wiederum hielten an der Leitidee einer zwar vom Staat finanzierten, aber in Selbstverwaltung der Wis8 9 10
Zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 276. So Zierold 1948, wieder abgedruckt als Zierold, Hochschulprobleme, S. 7 und 5. Vgl. Orth, Autonomie, S. 26 und 32.
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senschaft organisierten Forschungsförderungsgemeinschaft fest. Mitte Oktober 1948 lenkten die Kultusministerien ein und machten den Weg zur Gründung der Notgemeinschaft frei. Auf Einladung der nordrhein-westfälischen Kultusministerin Christine Teusch versammelten sich am 11. Januar 1949 in der Kölner Universität Vertreter der Hochschulen sowie der Göttinger, Münchner und Heidelberger Akademie, verabschiedeten die Satzung, konstituierten als Mitglieder den Verein „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ und wählten deren Hauptausschuss, das Kuratorium sowie das Präsidium. Zum ersten Präsidenten wurde der 71jährige Heidelberger Jurist und Rektor Karl Geiler gewählt, zu seinen Vizepräsidenten der seit Kurzem als Münchner Rektor amtierende Walther Gerlach sowie Kurt Zierold.11 Letzterer leitete fortan (im Unterschied zu seinen ehrenamtlich arbeitenden Präsidiumskollegen) hauptberuflich die ab dem 1. März 1949 in Bad Godesberg eingerichtete Geschäftsstelle und baute die Notgemeinschaft organisatorisch auf. Wie in der Weimarer Republik kombinierte man die Repräsentanz der DFG-Klientel durch Honoratioren aus ihren Reihen mit der Verwaltungserfahrung (und wohl auch den Netzwerken) eines früheren Ministerialbeamten, um die neue Organisation als Vermittlungsinstanz zwischen Ordinarien und Kultusverwaltung zu etablieren. Indem am 30. September 1949 auch der „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ unter dem Vorsitz des Frankfurter Industriellen (und Remigranten) Richard Merton gegründet wurde, war ein weiteres Element der Weimarer Konstellation wiederhergestellt.12 Zu den ersten Aufgaben der Notgemeinschaft gehörte es, ihr Verhältnis zu zwei Konkurrenten zu klären, nämlich zum am 9. März 1949 von einigen Forschern um den Physiker Werner Heisenberg ins Leben gerufenen „Deutschen Forschungsrat“ sowie zum Verein DFG, der über das Kriegsende von 1945 hinaus weiterbestand. Während der Reichsforschungsrat, der ja nie eine eigene Rechtsperson geworden war, mit dem NS-Regime untergegangen war, lösten die Alliierten den im Jahr 1920 von Universitäten und Akademien gebildeten Verein Notgemeinschaft/DFG nicht auf.13 Am Kriegsende waren der DFG-Referent für die Geisteswissenschaften Karl Griewank und eine größere Zahl der Büroangestellten in Berlin geblieben und hielten dort über die Kapitulation hinaus den Betrieb der Geschäftsstelle aufrecht; zu ihnen gesellte sich der Physiker Karl Stuchtey, der als Mitarbeiter Schmidt-Otts bis 1934 den Apparateausschuss geleitet hatte und diese Arbeit nun fortführen wollte. Am 1. Juli 1945 übernahm Griewank im Auftrag des Berliner Magistrates die Leitung der DFG, das für den Verein zuständige Amtsgericht Berlin-Charlottenburg erkannte Griewank in dieser Funktion an. Allerdings beschlagnahmte die US-Armee am 6. Juli 1945 das im Krieg unversehrt gebliebene Gebäude der DFG in Berlin-Steglitz; die Referenten, Sekretärinnen und Buchhalter setzten die Arbeit in wechselnden Ausweichquartieren fort; einen Teil der Akten lagerten sie zeitweise in ihren Wohnungen (und 11 12 13
Vgl. ebenda, S. 32. Vgl. Stamm, Staat, S. 116–126, Orth, Autonomie, S. 62 f. und Schulze, Stifterverband, S. 105–139. Vgl. im Folgenden zur Berliner DFG Orth, Autonomie, S. 34–39.
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nutzten sie zu Heizzwecken).14 Ab Sommer 1946 kam die DFG-Geschäftsstelle in jenem „Haus des Forschungsdienstes“ in der Dahlemer Podbielskiallee 25/27 unter, in dem bis Kriegsende Konrad Meyers Fachsparte und das Planungsamt des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums residiert hatten. Die fortbestehende DFG erhielt ab Mai 1945 zwar keine Zahlungen aus dem Etat des untergegangenen Reiches mehr, verfügte aber auf dem Papier über ein erhebliches Vermögen in Gestalt jener Tausende von Apparaten und Instrumenten, die sie in der Vergangenheit erworben und Forschern leihweise überlassen hatte. De facto war die Berliner Geschäftsstelle nicht in der Lage, ihre Ansprüche auf dieses Kapital geltend zu machen. Dazu hätte sie der Kartei des Apparateausschusses bedurft, die dessen Vorsitzender Georg Heinrich Becker im März 1945 aus Berlin nach Göttingen verbracht hatte. Becker war sich des Wertes der Kartei bewusst und nicht gewillt, auf dieses von mehreren Seiten begehrte Kapital ohne Gegenleistung zu verzichten. Der frühere DFG-Präsident Mentzel machte im August 1945 aus der Internierungshaft heraus Ansprüche auf die Kartei geltend und erteilte Becker Vollmacht zu deren Verwaltung, weil er selbst „im Augenblick gehandicapt“ sei.15 Spätestens im Januar 1946 reklamierte die Berliner Geschäftsstelle gegenüber Becker die Kartei für sich, konnte ihren Anspruch aber nicht durchsetzen. Auch ihre Versuche, über Briefwechsel mit einzelnen Instituten und Forschern den Verbleib von Leihgeräten zu klären und Zugriff auf sie zu erlangen, führten nicht zu nennenswerten Ergebnissen.16 Im Oktober 1945 wandte sich Griewank mit einem Schreiben an die deutschen Universitäten und teilte mit, dass die Berliner Hochschulen und die Preußische Wissenschaftsakademie nach dem „Wegfall der nationalsozialistischen Leitung“ an der Existenz der DFG festhalten wollten.17 Die bis März 1945 unverdrossen in der Geschäftsstelle eingegangenen Förderanträge wurden allerdings nun unerledigt abgeheftet. Ab Herbst 1945 trafen Anfragen ein, ob die DFG wieder Fördergelder vergeben werde – die Geschäftsstelle musste sie abschlägig bescheiden.18 Ihre Finanzierung durch den Berliner Magistrat bzw. ab dem 1. Juli 1946 durch die früher Preußische, nun Deutsche Akademie der Wissenschaften deckte lediglich die laufenden Verwaltungskosten. Generell verfügte die in der Viermächtestadt Berlin sitzende Geschäftsstelle weder über finanzielle noch organisatorische Mittel oder auch nur über funktionierende Beziehungsnetzwerke, um außerhalb der früheren Reichshauptstadt aktiv zu werden. Letztlich kam sie nicht über die Rolle einer Treuhänderin der Akten der alten DFG hinaus. Griewank wurde im Jahr 1947 als Ordinarius für Geschichte nach Jena berufen; fortan von Stuchtey und dem Berliner Geologie-Ordinarius Hans Stille geleitet, geriet die DFG in die lokalen Machtkämpfe des frühen Kalten Krieges. Nach der Währungsreform stellte die (östliche) Deutsche Akademie ihre Zahlungen an die 14 15 16 17 18
Vgl. den Bericht Griewanks vom 9.7.1945, in: BArch, B 227/540. Brief Mentzels an Becker, zit. nach Flachowsky, Notgemeinschaft, S. 465. Vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 242 und Mertens, Würdige, S. 129 f. Schreiben Griewanks an den Rektor der Hamburger Universität vom 10.10.1945, zit. nach Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 241. Vgl. ebenda, S. 241 ff. und Mertens, Würdige, S. 18.
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im Westen Berlins sitzende DFG zum 1. April 1949 ein; die Beschäftigten setzten den Betrieb „schon aus dem Gefühl der langjährigen Verbundenheit heraus“ unbezahlt fort; teilweise hatten sie seit den frühen 1920er Jahren für die DFG gearbeitet.19 Einfluss auf den Neukonstituierungsprozess der westdeutschen Notgemeinschaft gewann die alte DFG in ihrer Berliner Isolierung jedoch zu keinem Zeitpunkt. Nachdem die Notgemeinschaft gegründet worden war, bemühte sie sich sofort um das Erbe der alten DFG, also um die Aktenbestände der Berliner Geschäftsstelle, teilweise auch um deren Personal, um die von den Alliierten 1945 eingefrorenen Konten und den Immobilienbesitz der DFG sowie um den Zugriff auf die von ihr ausgeliehenen Apparate und Instrumente. Am 22. Juni 1949 einigte sich Zierold nach längeren Verhandlungen mit Stille darauf, dass die DFG ihre in Westdeutschland befindlichen Leihgaben der Notgemeinschaft treuhänderisch überließ.20 Da beide Organisationen noch immer keinen Zugriff auf die von Becker in Göttingen verwahrte Apparatekartei besaßen, wandte sich die Notgemeinschaft im August 1949 an vor 1945 geförderte Wissenschaftler und bat um eine Liste der noch vorhandenen DFG-Leihgeräte, die sie nun ihrerseits beanspruchte.21 Ein Jahr später gelangte die Notgemeinschaft per einstweiliger Verfügung in den Besitz der Göttinger Kartei; bis März 1951 konnte sie knapp 2.700 noch bei ihren Empfängern vorhandene und funktionsfähige Geräte, dies entsprach etwa zwei Dritteln des ursprünglichen Bestandes, ermitteln und übernehmen. Der Rechtsstreit mit Becker endete erst Anfang 1953 durch einen Vergleich.22 De jure existierte die alte DFG weiter; intern stritten sich die Berliner Akteure über die Orientierung an der im Osten ansässigen Deutschen Akademie oder der westdeutschen Notgemeinschaft, ja, sie führten geradezu einen Kalten Krieg im Kleinformat. Während Stille Anfang 1950 darauf beharrte, die Notgemeinschaft sei – anders als die von ihm vertretene DFG – keine gesamtdeutsch legitimierte Organisation, kreidete ihm der die Notgemeinschaft in Berlin repräsentierende Oberregierungsrat Viktor Prößler an, Stille habe als Akademiemitglied „eine Glückwunschadresse an Stalin“ mitverantwortet.23 Die Notgemeinschaft bilde daher in Berlin „ein Bollwerk gegen den Osten“, was allein schon ihre Ansprüche auf das Erbe der DFG legitimiere.24 Mithilfe der Rektoren der West-Berliner Universitäten gelang es Zierold Ende 1950, nachdem Stuchtey verstorben und 19 20 21 22 23 24
Schreiben von Eva Schönwald an Viktor Pröstler vom 18.7.1950, in: BArch, B 227/540. Vgl. ähnliche Schreiben vom Herta Walczok vom 25.7.1950, in: ebenda und den Bericht von Ewald Schönwald und Willy Schröter vom 10.1.1951, in: BArch, B 227/666. Vgl. die Vereinbarung zwischen Zierold und Stille vom 22.6.1949, in: BArch, B 227/540 und Orth, Autonomie, S. 36 f. Vgl. die Antwort des Aachener Maschinenbauprofessors Herwart Opitz vom 26.8.1949, in: Archiv der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG-Archiv), Op 1, fol. 07507. Vgl. Bericht 1951, S. 25 f. und die Niederschrift der Sitzung des DFG-Präsidiums vom 17.1.1953, in: BArch, B 227/162700. Schreiben Pröstlers an den alliierten Custodian of NSDAP-properties vom 14.7.1950, in: BArch, B 227/540. Vgl. Pröstlers Ausarbeitung vom 3.11.1950, in: ebenda.
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Stille emeritiert worden war, den Physiker Carl Ramsauer an der Spitze der DFG zu platzieren. Ramsauer berief auf den 18. Mai 1951 eine Mitgliederversammlung der DFG nach München ein, die den Verein auflöste und sein Restvermögen auf die Notgemeinschaft übertrug.25 Damit hatte diese auch de jure das Erbe des 1920 von Friedrich Schmidt-Ott gegründeten Vereins angetreten. Ein Monopol zur Vertretung der Wissenschaft gegenüber Staat und Öffentlichkeit besaß die Notgemeinschaft damit aber noch nicht. Denn seit März 1949 erhob auch der von den drei westdeutschen Akademien und der Max-PlanckGesellschaft gegründete Deutsche Forschungsrat (DFR) den Anspruch, „die einzige Vertretung der gesamten deutschen Wissenschaft zu sein“.26 Die Anfänge des Forschungsrates gehen auf ein Beratergremium zurück, das sich die britische Militärregierung im Januar 1946 geschaffen hatte: Dieser „Deutsche Wissenschaftliche Rat“ bestand vor allem aus Göttinger Naturwissenschaftlern und gewann die dauerhafte Unterstützung der britischen und amerikanischen Besatzungsbehörden dadurch, dass er umfangreiche Ausarbeitungen über die deutsche Forschung während des Zweiten Weltkrieges lieferte, die sogenannten FIAT-Berichte. Werner Heisenberg, der nach vorübergehender Internierung durch die Briten 1946 als Direktor des Max-Planck-Institutes für Physik nach Göttingen gelangte, sah in dem Gremium die Chance, seine Schlussfolgerungen aus der Erfahrung der NSDiktatur zu institutionalisieren: Wollte sich die Wissenschaft nicht von Staat und Wirtschaft missbrauchen lassen, müsste sie den Elfenbeinturm verlassen und ihre Interessen sowie ihre überlegen rationale Einsicht in den Lauf der Welt aktiv gegenüber den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen vertreten. Für diese Aufgabe wollte Heisenberg den Göttinger Rat zu einem permanenten Gremium wissenschaftlicher Honoratioren weiterentwickeln. Hierfür betrieb er die Gründung des Deutschen Forschungsrates und gewann die Unterstützung der drei westdeutschen Akademien und der MPG. Schon die Wahl dieser Gründungsmitglieder zeigte, dass der DFR nicht als allseitige Alternative zur Notgemeinschaft gedacht war, schließlich hatten die Akademien (anders als die zunächst abseits gebliebene MPG) gerade erst die Notgemeinschaft mitgegründet. Der DFR erklärte denn auch, er wolle sich (freilich als die übergeordnete Instanz) zur Forschungsförderung der Notgemeinschaft bedienen, seine eigentliche Aufgabe sei die Vertretung der Wissenschaft gegenüber dem Staat.27 Die Gründungsmitglieder des DFR standen für ein elitäres Konzept des Kreises um Heisenberg. In seinem Verständnis bildeten die qua Kooptation in die Akademien aufgenommenen (und damit von Koryphäen als Koryphäen anerkannten) Forscher einerseits, die Spitzen der MPG andererseits eine Leistungselite, die einen höheren Anspruch darauf erheben könnte, für die Wissenschaft zu sprechen 25 26
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Vgl. Orth, Autonomie, S. 38 f. So Heisenberg in einem Vortrag vom 9.3.1949, zit. nach ebenda, S. 44; vgl. insgesamt zum Folgenden vor allem ebenda, S. 39–51, Stamm, Staat, S. 126–141, Zierold, Forschungsförderung, S. 297–306, Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 72–78, Osietzki, Physik und Stoff, Butenandt, S. 394–400. Vgl. die Satzung des DFR in der Fassung vom März 1949, in: Eickemeyer (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 82.
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als die Masse der Notgemeinschaftsmitglieder, nämlich die Hochschulen, und die Kernklientel der Notgemeinschaft, also die Gesamtheit der Ordinarien. Die Gründungsversammlung des DFR in Bad Nauheim am 9. März 1949 bestimmte dessen 15 Mitglieder und wählte Heisenberg zum Präsidenten. Unmittelbar danach begannen der DFR und die Notgemeinschaft mit Verhandlungen über das künftige Verhältnis der Organisationen. Beide strebten eine Fusion an, doch wer sich in deren Folge die jeweils andere würde unterordnen können, blieb strittig. Erst am 2. August 1951 konnte eine außerplanmäßige Mitgliederversammlung der Notgemeinschaft eine neue Satzung beschließen, zugleich mit dem DFR fusionieren und der so umgewandelten Organisation den Namen „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) geben. Die im April 1949 beginnenden und erst im August 1951 endenden Verhandlungen zwischen DFR und Notgemeinschaft sollen hier in ihrem wendungsreichen Verlauf nicht nacherzählt werden, dies hat Karin Orth präzise getan.28 Stattdessen möchte ich den Blick darauf lenken, dass dieser Prozess so kurvenreich ablief, weil in ihm um sechs miteinander verwobene Konfliktlinien gekämpft wurde, die insgesamt die formative Phase des bundesdeutschen Wissenschaftssystems kennzeichneten. Erstens wurde zwischen den Hochschulen einerseits und den Institutionen der außeruniversitären Forschung andererseits der seit der KWG-Gründung im Jahr 1911 schwelende Konflikt darüber fortgeführt, welche der beiden Seiten einen Vorrang in der Forschungspolitik beanspruchen dürfe. Die Gründung des DFR stellte in diesem Kontext den Versuch außeruniversitärer Akteure dar, die Dominanz der (in der Notgemeinschaft organisierten) Hochschulen zu brechen – einen Versuch, der mit der Fusion von 1951 scheiterte, denn die DFG blieb primär Vertretung der Hochschulen.29 Zweitens erhoben im DFR Naturwissenschaftler den Anspruch, ihnen gebühre ein Vorrang gegenüber den Vertretern anderer Disziplinen. Während in den Gremien der Notgemeinschaft das Verhältnis der Fachgruppen bewusst so austariert war, dass keine von ihnen dominierte, besaßen die zehn Naturwissenschaftler im bei seiner Gründung 15köpfigen DFR eine ostentativ eindeutige Mehrheit.30 Die Weltbilder umstürzenden Revolutionen in der Physik seit 1900 und der Beginn des Atomzeitalters überzeugten Wissenschaftler wie Heisenberg davon, dass sie nicht nur durch ihre Forschung die Geschicke der Menschheit lenkten, sondern auch berufen seien, das politische Chaos der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu überwinden. Grundlagenforscher aus den Naturwissenschaften, so behauptete Heisenberg im März 1949, würden „naturgemäß von den Zusammenhängen ausgehen und diese deshalb besser begreifen“. Gesellschaften sollten idealerweise 28 29 30
Vgl. Orth, Autonomie, S. 44–51 und den Briefwechsel zwischen Werner Heisenberg und dem Vizepräsidenten der Notgemeinschaft, Walther Gerlach, in dieser Sache, auszugsweise ediert in: Bachmann/Rechenberg (Hrsg.), Gerlach, S. 229–245. Vgl. Gerlachs Brief an Heisenberg vom 18.10.1949 sowie dessen Antwort vom 21.10.1949, in: Bachmann/Rechenberg (Hrsg.), Gerlach, S. 239 ff. und Zierold, Forschungsförderung, S. 299. Vgl. Eickemeyer (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 19–22.
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ebenso harmonisch geordnet sein wie die Natur. Die politische Aufgabe des Naturwissenschaftlers sei also die „‚Herbeiführung einer aus der Ordnung heraus geborenen Harmonie‘“.31 Wiederum rückübersetzt in Wissenschaftspolitik bedeutete dies, dass der DFR eher eine bewusste Planung von Forschung propagierte, während die Gremien der Notgemeinschaft den Schwerpunkt ihrer Förderpolitik darin sahen, die Initiative den Ordinarien zu überlassen und deren Projekte zu fördern, also einem reaktiven Muster zu folgen. Die großen politischen Visionen Heisenbergs haben sich nicht erfüllt, und in der fusionierten DFG nach 1951 ließ sich eine Herrschaft der naturwissenschaftlichen Grundlagenforscher nicht durchsetzen, auch wenn ihr Einfluss vor allem im Senat der DFG groß blieb. Dieser Einfluss wurde aber eher durch Hochschulforscher wie Walther Gerlach verkörpert als durch in der Gremienarbeit schnell ermüdende Meisterdenker wie Werner Heisenberg. Dieser gab die im August 1951 erreichte Position eines DFGVizepräsidenten schon im April des Folgejahres wieder auf.32 Drittens unterschieden sich die Notgemeinschaft und der DFR in der Haltung zur Demokratie. Es stellte sich ja die Frage, wieviel Demokratie die von beiden gleichermaßen als Leistungs- und Werteelite verstandene Scientific Community praktizieren solle, wie sehr sie sich also dem neuen politischen Ordnungsprinzip der westdeutschen Gesellschaft angleichen solle. Die Notgemeinschaft hatte bei ihrer Gründung im Jahr 1949 zwar nicht den Kreis der zur Partizipation Zugelassenen erweitert – wie in der Weimarer Republik besaßen nur habilitierte Hochschulwissenschaftler und eine kleine Gruppe weiterer „anerkannter“ Forscher das aktive und passive Wahlrecht zu den Fachausschüssen –, aber deren Mitwirkungsrechte gestärkt und insgesamt Macht breiter verteilt, etwa durch die Vermehrung der zu wählenden Fachgutachter und durch echte Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Kandidaten. Grundsätzlich wurden alle Funktionen, die Wissenschaftler innerhalb der Notgemeinschaft bekleideten, durch Wahl besetzt. Dies blieb auch das Prinzip der DFG, während sich der Forschungsrat, nachdem seine ersten Mitglieder von den Gründungsorganisationen gewählt worden waren, durch Kooptation ergänzte, das heißt neue Mitglieder des Rates wurden jeweils von den ihm bereits Angehörenden ausgewählt. Dies entsprach einem Selbstverständnis des Kreises um Heisenberg, das dieser mit dem schönen Satz artikulierte: „Die Vernunft hat nun im DFR Gestalt gewonnen.“33 Die Kultusministerkonferenz hatte schon im April 1949 moniert, der DFR sei von Spitzenforschern gegründet worden, die „zu einer gewissen Hybris“ neigten und nicht demokratisch legitimiert seien.34
31 32 33
34
Zit. nach Orth, Autonomie, S. 44. Zum politischen Gestaltungsanspruch des DFR vgl. Eickemeyer, Bedeutung und Osietzki, Physik, S. 70 f. Vgl. Orth, Autonomie, S. 55. Zit. nach Stoff, Butenandt, S. 399. Vgl. die Satzung von 1949 bei Eickemeyer (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 83. In seinem ersten Jahresbericht lobte sich der DFR selbst als Gremium „von anerkannten Forscherpersönlichkeiten“, zit. nach dem Abdruck in ebenda, S. 133–136, hier S. 134. Das Protokoll der Konferenz vom 20./21.4.1949, zit. nach Orth, Autonomie, S. 44.
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Viertens zogen die Spitzen der Notgemeinschaft und des DFR unterschiedliche Folgerungen aus der Erfahrung des NS-Staates. Während die Naturwissenschaftler um Heisenberg zum politischen Engagement drängten, hielten es in der Notgemeinschaft einflussreiche Kollegen wie Gerlach für vorrangig, eine weitgehende Autonomie der Wissenschaft gegenüber dem Staat institutionell abzusichern – genau hierzu sollten Selbstorganisationen wie die DFG beitragen. Dieses Themenfeld blieb nach 1951 in der DFG umstritten. Zum einen formulierten ihre Spitzengremien immer wieder den Anspruch auf Autonomie, zum anderen integrierte die DFG die vom DFR zuvor zum Zwecke der Politikberatung auf Gebieten wie etwa der Lebensmittelsicherheit, der Atomphysik oder des Strahlenschutzes eingerichteten Kommissionen.35 Hierauf wird zurückzukommen sein. Fünftens bildete das Tauziehen um DFR und Notgemeinschaft ein Element in der Aushandlung künftiger Einflusszonen zwischen den Ländern und dem entstehenden Bundesstaat; gerade deshalb griff Bundeskanzler Konrad Adenauer mehrfach auf Seiten des DFR ein und standen die Kultusminister der Länder von Beginn an auf Seiten der Notgemeinschaft. Im Sommer 1949 gelang es Heisenberg, Adenauer für den Gedanken zu gewinnen, die Bundesregierung könne über den DFR an den eigentlich zuständigen Ländern vorbei eine eigene Wissenschaftspolitik betreiben.36 Adenauer intervenierte in die Verhandlungen zwischen Notgemeinschaft und DFR, indem er den Anspruch des Letzteren auf Repräsentanz der Wissenschaft am 11. Mai 1951 explizit anerkannte und noch am 2. Juli 1951, als die Fusion von DFR und Notgemeinschaft bereits ausgehandelt zu sein schien, um deren Vertagung bat, da die Bundesregierung beabsichtige, ein Förderprogramm für die Forschung aufzulegen, dessen Mittel in Absprache mit dem DFR vergeben werden sollten.37 In den Gremien der DFG behielten die Vertreter der Länder dann jedoch ein Übergewicht gegenüber dem Bund. Zugleich deckte dieser aber zwischen 1953 und 1964 den größten Teil des DFG-Etats (je nach Jahr zwischen 58 und 76 Prozent); erst nach einer Neuregelung pendelte sich ab 1965 eine gleichgewichtige Finanzierung der DFG durch beide Seiten ein. Sechstens schließlich besaßen in der Formierungsphase des westdeutschen Wissenschaftssystems Einzelpersonen große Handlungsspielräume, gerade weil, so hat Karin Orth gezeigt, dieses System noch nicht verfestigt und strukturiert war. Damit spielten persönliche Interessen, Eigenheiten und nicht zuletzt Animositäten in den Streitigkeiten um Notgemeinschaft und DFR eine große Rolle. Während die Fusion der beiden Organisationen im August 1951 überwiegend die Strukturen der Notgemeinschaft bestätigte (mit Ausnahme des neu eingerichteten Senates und seiner Kommissionen), führte die Personalisierung der Konflikte dazu, dass einige Akteure der Notgemeinschaft abtraten (so deren erster Präsident Karl Geiler) oder an Status verloren (so Kurt Zierold, der seinen Platz im Präsidium verlor, aber hauptamtlicher Generalsekretär blieb).38 Auch Heisenbergs 35 36 37 38
Einen Überblick über die Kommissionen bietet Eickemeyer (Hrsg.), Abschlußbericht, S. 38– 48. Vgl. die Denkschrift Heisenbergs für Adenauer vom 1.9.1949, in: ebenda, S. 117–121. Vgl. den Wortlaut von Adenauers Brief an Heisenberg vom 1.7.1951, in: ebenda, S. 73 f. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 304 f.
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schneller Rückzug aus dem DFG-Präsidium mag eine Folge der mit harten Bandagen ausgetragenen Konflikte der Vorjahre gewesen sein. Im Ergebnis handelte es sich bei der mit der Fusion am 2. August 1951 formierten Deutschen Forschungsgemeinschaft um eine modifizierte Fortführung der zwei Jahre zuvor gegründeten Notgemeinschaft. Um deren wesentliche Strukturmerkmale, um die Aufgaben- und Machtverteilung in dieser Organisation bis zur Mitte der 1960er Jahre soll es nun im Folgenden gehen. PRÄSIDENTEN, REFERENTEN UND GUTACHTER, GRUNDLAGENFORSCHER UND INGENIEURE. DIE INTERNEN MACHTSTRUKTUREN DER DFG Die am 2. August 1951 von der Mitgliederversammlung beschlossene Satzung konstituierte die DFG als Verein der wissenschaftlichen Hochschulen, der Wissenschaftsakademien, der Max-Planck-Gesellschaft, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Brauschweig sowie mehrerer Fachgesellschaften. Wie die 1949 gegründete Notgemeinschaft und im Unterschied zu deren Weimarer Vorläuferin konzentrierte die DFG von 1951 die Macht nicht mehr bei einem Präsidenten, sondern verteilte sie auf mehrere gewählte Gremien und die von einem hauptamtlichen Generalsekretär geführte Geschäftsstelle. Eine alljährlich stattfindende Mitgliederversammlung beschloss Richtlinien für die Arbeit der DFG und wählte die Mitglieder des Senates sowie das Präsidium. Der ausschließlich aus Wissenschaftlern bestehende Senat debattierte und beschloss über Grundsatzfragen, inklusive der Schwerpunkte in der Förderpolitik. Indem der Senat der Mitgliederversammlung bei Neuwahlen jeweils drei Vorschläge für jedes zu besetzende Senatsmandat unterbreitete, kombinierte man in diesem Organ das vom Forschungsrat bevorzugte Prinzip der Reproduktion von Honoratiorengremien durch Kooptation mit den demokratischen Wahlgrundsätzen der Notgemeinschaft. Die operativen Fragen der Förderpolitik entschied ein mehrheitlich aus Wissenschaftlern, zusätzlich aber auch aus Vertretern der staatlichen Geldgeber und des Stifterverbandes gebildeter Hauptausschuss. Das Kuratorium, bestehend aus den Mitgliedern des Senates, aus Vertretern aller Bundesländer und der Bundesregierung sowie aus drei Vertretern des Stifterverbandes, beschloss alljährlich auf Vorschlag des Hauptausschusses den Etat der DFG. Zwischen 1949 und 1973 amtierten fünf Präsidenten von Notgemeinschaft und DFG. Den Anfang machte der 1878 geborene Jurist Karl Geiler. Dieser hatte sich in der Weimarer Republik als Heidelberger Ordinarius einen Ruf als Experte für Gesellschaftsrecht erworben, die Lehrerlaubnis aber 1939 verloren, weil das NS-Regime seine Ehefrau als „jüdischen Mischling“ und Geiler selbst als „charakterlich mehr nach der jüdischen Seite“ neigend klassifiziert hatte.39 Von der amerikanischen Militärregierung eingesetzt amtierte Geiler zwischen 1945 und 39
Beurteilung des Heidelberger Rektors von 1936 und des NS-Dozentenbundes von 1939, zit. nach Orth, NS-Vertreibung, S. 331.
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1947 als erster Ministerpräsident des Landes Hessen und kehrte dann an die Heidelberger Universität zurück, deren Rektorat er zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Präsidenten der Notgemeinschaft im Januar 1949 bekleidete. Geiler amtierte von Heidelberg aus und überließ dem die Geschäftsstelle in Bad Godesberg aufbauenden geschäftsführenden Vizepräsidenten Kurt Zierold das Alltagsgeschäft. In den Verhandlungen um die Fusion von Notgemeinschaft und DFR agierte Geiler in der Sache erfolgreich und war zugleich selbstlos genug, Ende Juli 1951 als Notgemeinschaftspräsident zurückzutreten, weil sein gespanntes Verhältnis zu Heisenberg im Fusionsprozess hinderlich zu werden schien.40 Die DFG-Mitgliederversammlung vom 2. August 1951 wählte den 1898 geborenen Hannoveraner Ordinarius für Mechanik und Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium Otto Flachsbarth zum ersten DFG-Präsidenten. Dieser war insofern eine symbolträchtige Wahl, als er im Oktober 1937 aus dem Hochschuldienst entlassen worden war, weil die Nationalsozialisten seine Ehefrau wie im Fall Geiler als „nichtarisch“ klassifiziert hatten. Flachsbarth arbeitete danach in der Industrie, um 1945 auf seinen Lehrstuhl zurückzukehren. Da er schwer krank war, trat Flachsbarth sein Amt als DFG-Präsident de facto nie an; zunächst vertrat ihn Vizepräsident Ludwig Raiser, nach Flachsbarths Amtsverzicht wurde Raiser im Mai 1952 zum Präsidenten gewählt.41 Wie seine beiden Vorgänger konnte auch der 1904 geborene Jurist Ludwig Raiser an der Spitze der DFG gleichermaßen Kontinuität zur Wissenschaftskultur der Weimarer Republik wie einen Bruch mit der Wissenschaftspolitik des NS-Regimes symbolisieren. In den späten 1920er Jahren hatte er seine wissenschaftliche Karriere unter anderem am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht begonnen und sich Ende 1933 habilitieren können. Das NS-Wissenschaftsministerium versagte ihm jedoch die Lehrerlaubnis, weil Raiser in einer den Nationalsozialisten suspekten Organisation der Jugendbewegung, dem Volkacher Bund, aktiv gewesen war, seine Karriere bei den nun als „nichtarisch“ geltenden Juristen Martin Wolff und Ernst Rabel begonnen und sich kritisch über seine Erfahrungen in einem Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes geäußert hatte. Nachdem er mehrere Jahre in der Privatwirtschaft tätig gewesen war, wurde Raiser 1942 doch noch auf ein Ordinariat berufen, nämlich an die Reichsuniversität Straßburg. Er lehrte dort allerdings nie, weil er inzwischen als Militärverwaltungsrat beim „Wirtschaftsstab Ost“ der Wehrmacht in den besetzten Gebieten der Sowjetunion eingesetzt worden war.42 Nach der Kriegsgefangenschaft erhielt Raiser Ende 1946 eine Professur in Göttingen (wobei sein Verhandlungspartner auf Seiten des niedersächsischen Kultusministeriums Kurt Zierold war) und bezog nun deutlicher Position gegen die NS-Herrschaft als viele seiner akademischen Kollegen; so trat er im Jahr 1947
40 41 42
Vgl. dieselbe, Autonomie, S. 48. Vgl. dieselbe, NS-Vertreibung, S. 332 f. Zu Raisers Biographie vgl. ebenda, S. 333–338 und dieselbe, Autonomie, S. 81–85. Zum Wirtschaftsstab Ost vgl. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 1–18.
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öffentlich für die unpopuläre Entnazifizierung ein.43 Da er sich sowohl im Forschungsrat als auch in der Notgemeinschaft engagiert hatte, wurde Raiser nach deren Fusion zum idealen Repräsentanten eines gemeinsamen Neuanfangs. Aus der retrospektiven Sicht Zierolds bildete Raisers Charakter als „lauterer Mensch, wie man ihn nicht häufig trifft“, seinen zentralen Beitrag zur Etablierungsgeschichte der DFG, denn so habe er jenes „Prestige“ wiederhergestellt, „das die Forschungsgemeinschaft in der Zeit Schmidt-Otts besessen hatte“, was wohl heißen sollte: Raiser konnte die NS-Vorgeschichte der DFG vergessen machen, weil er persönlich für Distanz zu dieser stand.44 Im Jahr 1955 gab Raiser das Amt des DFG-Präsidenten auf, blieb aber wissenschaftspolitisch aktiv, etwa als Vorsitzender des Wissenschaftsrates zwischen 1961 und 1965. Zudem gehörte Raiser als engagiertes Gremienmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland (deren Präses er zwischen 1970 und 1973 war) in den frühen 1960er Jahren zu den ersten westdeutschen Prominenten, die für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze warben.45 Auch der zwischen 1955 und 1964 amtierende Romanist Gerhard Hess vermittelte als Person das Bild einer westdeutschen Wissenschaft ohne relevante NSVergangenheit. 1907 in Südbaden geboren besaß Hess durch seine Mutter die Schweizer Staatsbürgerschaft. Dies ermöglichte es ihm zwischen 1933 und 1945, dem Regime kaum Konzessionen zu machen, solange er sich mit einer wissenschaftlichen Nischenexistenz begnügte, was er nach der Berliner Habilitation vom Herbst 1938 auch tat. Er wurde Mitarbeiter der preußischen Akademie, fertigte zusammen mit seiner Frau Übersetzungen an, vertrat ab Mai 1941 in Heidelberg dauerhaft einen Lehrstuhl für Romanistik und wurde schließlich dort 1946 Professor. Seine Rolle während der NS-Herrschaft beschrieb er im Rückblick als Rückzug eines politisch „Widerstrebenden (…) in saubere wissenschaftliche Arbeit“. Er glaubte, dies sei die Haltung eines „beträchtlichen“ Teils der damaligen Professorenschaft gewesen.46 Hess bewährte sich, um noch einmal Zierold zu zitieren, als geschickter „Wissenschaftsdiplomat“, der es in einer Phase schneller Expansion des Hochschulsystems verstand, steigende finanzielle Zuwendungen (von 43 Millionen im Jahr 1956 bis auf 120 Millionen im Jahr 1964) zu akquirieren und der DFG trotz des Aufstiegs neuer Akteure wie des Wissenschaftsrates und des Bundesforschungsministeriums eine zentrale Rolle in der Forschungspolitik zu sichern.47 In der Tat war Hess der Prototyp eines Netzwerkers: Anfang der 1950er Jahre war er Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz und stellvertretender Vorsitzender des Hochschulverbandes gewesen, und während seiner DFG-Präsidentschaft wurde er unter anderem Vizepräsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und Mitglied des Wissenschaftsrates.
43 44 45 46 47
Vgl. seine spätere Reflektion über die Entnazifizierung der Universitäten in: Raiser, Wiedereröffnung. Zierold, Forschungförderung, S. 310. Vgl. Raiser, Deutscher. Zit. nach Orth, Autonomie, S. 87; vgl. ebenda, S. 85–88 zu Hess’ Biographie. Zierold, Forschungsförderung, S. 310.
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Hess’ Nachfolger Julius Speer, der zwischen 1964 und 1973 amtierte, hielt an der Strategie fest, dass ein DFG-Präsident wissenschaftspolitischer Multifunktionär sein müsse: Auch er gehörte dem Wissenschaftsrat an, zudem dem Senat der Max-Planck-Gesellschaft sowie dem Kuratorium der Fritz-Thyssen-Stiftung und stand dem Auswahlausschuss der Humboldt-Stiftung vor. Aber als „Wissenschaftsdiplomaten“ wollte Zierold Speer gewiss nicht beschreiben, wenn er ihn 1968 als „energische und impulsive Persönlichkeit“ bezeichnete, die „nicht willens“ sei, „den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen“.48 In der Tat änderte sich mit dem Übergang der Präsidentschaft auf Speer der Stil der öffentlichen Stellungnahmen der DFG. So hieß es im Bericht für 1965 unverblümt, die Beziehungen der DFG zum Bundestag hätten „im Wahljahr 1965 einen Tiefpunkt erreicht“, weil das Parlament „eine verhängnisvolle Welle fragwürdiger Wahlgeschenke“ verteilt, dabei aber die Forschung vernachlässigt habe.49 Generell betrieb Speer eine Politik der aggressiven Defensive gegen eine in seinen Augen oft unverständige, mitunter übergriffige Forschungspolitik, aber auch gegen die am Ende der 1960er Jahre aufkommenden Forderungen zur Demokratisierung der Hochschulen. Die Vorrechte der Ordinarien verteidigte Speer hartnäckig, allerdings nicht allzu erfolgreich. Misst man seine Präsidentschaft dagegen am Wachstum des DFG-Etats, so hat sein Stil zumindest nicht geschadet: Von 141,1 Millionen DM im Jahr 1965 stiegen die Einnahmen bis 1973 auf 536,8 Millionen DM.50 Der 1905 geborene Speer hatte eigentlich Förster werden wollen, dann aber 1934 eine akademische Karriere begonnen und war schon 1935, ohne habilitiert zu sein, in Freiburg auf die Professur seines verstorbenen Lehrers Heinrich Weber gelangt; im September 1942 wurde er dort zum Ordinarius ernannt. Politisch stand Speer am Ende der Weimarer Republik rechts, gehörte seit 1931 dem Stahlhelm an, bewarb sich aber erst Ende Oktober 1940 um eine Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt diese zum 1. Januar 1941.51 Während des Krieges geriet Speer als Stabsoffizier in Kontakt mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg und in das weitere Umfeld des 20. Juli 1944, ohne nach dem Scheitern des Staatsstreichversuches verfolgt zu werden. Im Jahr 1946 konnte Speer seinen Freiburger Lehrstuhl wieder einnehmen, wechselte 1952 nach München, amtierte dort zwischen 1960 und 1963 als Rektor und zwischen 1962 und 1964 als Präsident der Rektorenkonferenz. Wie Hess war er also bereits vor seiner Wahl an die DFG-Spitze als Wissenschaftsmanager etabliert gewesen. Was hatten die ersten fünf Präsidenten der westdeutschen Notgemeinschaft und DFG gemeinsam? Sie hatten sich der NSDAP nicht oder im Falle Speers erst spät angeschlossen; vielmehr hatten sie in unterschiedlichen Graden Distanz zur NS-Bewegung gewahrt, das reichte von Hess’ akademischer Nischenexistenz bis zu Speers Tätigkeit am Rande des militärischen Widerstands. Jeder von ihnen konnte für sich in Anspruch nehmen, deutlich weniger belastet durch eine NSVergangenheit zu sein als die Masse der Kollegen, tat genau dies aber zumindest 48 49 50 51
Ebenda. Bericht 1965, S. 17 und 13. Vgl. Speer, Bericht 1965, S. 14 f. Vgl. Orth, Autonomie, S. 64, 88–92 und 197. Speers Mitgliedsnummer war 8.379.357; vgl. BArch, R 9361-IX Kartei/42010732.
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öffentlich nicht. Dadurch wurden die Präsidenten zu geeigneten Repräsentanten einer Organisation von Ordinarien, die über diese Vergangenheit lieber nicht allzu konkret verhandeln, gleichwohl aber als unbelastet erscheinen wollte. Angesichts der in anderen Bereichen des Wissenschaftssystems geringen Scheu davor, sich durch ehedem engagierte Nationalsozialisten repräsentieren zu lassen, stellten die DFG-Präsidenten aber tatsächlich eine positive Auslese dar. Nach 1945 hatten sich die Präsidenten für ein politisches Engagement entschieden; an die Spitze wissenschaftlicher Organisationen gelangten sie nicht, weil sie Koryphäen ihrer jeweiligen Fächer gewesen wären – dies unterschied die DFG von Heisenbergs DFR –, sondern weil sie Fähigkeiten zum Wissenschaftsmanagement bewiesen hatten. Anders als in der Weimarer Notgemeinschaft, die von einem ehemaligen Ministerialbeamten geführt worden war, rekrutierten sich die Präsidenten ihrer bundesdeutschen Nachfolgerin aus der Gruppe der Ordinarien selbst und repräsentierten deren Führungsanspruch. Die eigentlichen Verwaltungsgeschäfte führte daneben ein nicht aus der Wissenschaft stammender Experte, der Generalsekretär. Das DFG-Präsidium bestand aus dem hauptamtlich arbeitenden Präsidenten und vier nebenamtlich tätigen Vizepräsidenten. Jene übernahmen aufgrund der beschränkten Zeitressourcen, die sie für die Organisation einsetzen konnten, nur vereinzelte Aufgaben und fungierten primär als Repräsentanten des Anspruchs der DFG auf autoritative Vertretung der Wissenschaft. Daher handelte es sich bei den Vizepräsidenten stärker als bei den Präsidenten um bekannte Fachkoryphäen, wie beispielsweise die Physiker Werner Heisenberg und Walther Gerlach, den Biochemiker Adolf Butenandt oder den Historiker Hermann Heimpel. Zudem waren die Positionen der Vizepräsidenten informell quotiert um die Einheit der Wissenschaft zu repräsentieren: Neben zwei Naturwissenschaftlern amtierten stets ein Geistes- und ein Technikwissenschaftler. Den Senat bildeten zunächst 24, von 1960 an 30 gewählte Wissenschaftler sowie ex officio die Präsidenten der Rektorenkonferenz, der Max-Planck-Gesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft der Akademien. Ausschließlich aus Wissenschaftlern bestehend, sollte der Senat über Grundsatzfragen beraten und beschließen, vor allem aber nach innen wie außen als jenes DFG-Gremium auftreten, das die Interessen der Wissenschaft artikulierte. Er entwickelte sich (samt der von ihm zu Einzelthemen eingesetzten Kommissionen) im Lauf der 1950er Jahre zum Ort strategischer Debatten: Hier wurde darüber beraten, welche Normen für die Klientel der DFG verbindlich seien, welche Förderstrategien die Organisation verfolgen und in welchen Feldern sie Schwerpunkte setzen sollte. Allerdings war die Zeit, welche die nebenamtlich tätigen Senatoren dem Gremium widmen konnten, begrenzt, zumal bei jener Hälfte der Senatoren, die gleichzeitig im Hauptausschuss mitarbeiteten. Folglich nur dreimal im Jahr tagend verzichtete der Senat in der Praxis auf einen Teil seiner Kompetenzen, indem er sie der hauptamtlich arbeitenden Geschäftsstelle überließ; hierauf werden wir im Zusammenhang mit den Entscheidungsprozessen über die Einrichtung von Förderschwerpunkten zurückkommen. War der Senat für strategische Fragen zuständig, so traf der Hauptausschuss einen Großteil der Einzelentscheidungen über die Förderung von Projekten. Er
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tagte im Durchschnitt der 1950er und 1960er Jahre achtmal pro Jahr und bestand zum einen aus zunächst zwölf, ab 1960 aus 15 Wissenschaftlern, die der Senat aus seinen Reihen bestimmte, zum anderen aus anfänglich fünf, nach 1960 aus zwölf Vertretern der Bundes- und der Landesregierungen sowie zwei Vertretern des Stifterverbandes. Die im Gründungsprozess der DFG vor allem von Walther Gerlach vertretene Forderung, in den Gremien dürften, um die Autonomie der Forschung zu wahren, Ministerialbeamte gar nicht beteiligt werden, hatte sich nicht durchgesetzt.52 Aber die Wissenschaftler waren immerhin im Senat unter sich und in Kuratorium wie Hauptausschuss stets in der Mehrheit. Ihr Einfluss auf die Diskussionen des Hauptausschusses wurde noch dadurch erhöht, dass die Mitglieder des Präsidiums, zwar ohne Stimm- aber mit Rederecht an den Sitzungen teilnahmen. Grundsätzlich besaß der Hauptausschuss die Entscheidungskompetenz über alle an die DFG adressierten Förderanträge. Angesichts von deren schieren Zahl – allein im Normalverfahren waren es 2.026 Anträge im Jahr 1951 und 4.760 Anträge im Jahr 1967 – delegierte der Ausschuss seine Kompetenzen im Lauf der Jahre zunehmend an den Präsidenten. Ab 1952 durfte dieser eigenständig Bewilligungen bis zur Höhe von 2.400 DM aussprechen, sofern der betreffende Antrag von den Gutachtern einhellig positiv beurteilt worden war; dieser Schwellenbetrag wurde bis 1965 schrittweise auf 40.000 DM angehoben. In diesen Fällen wurde der Hauptausschuss erst nach der Bewilligung über den jeweiligen Vorgang informiert. Bezogen auf die insgesamt von der DFG bewilligten Anträge stieg der Anteil der Präsidialentscheidungen zwischen 1952 und 1967 von etwa 30 auf 66 Prozent. Da die ausgabenträchtigeren Projekte von diesem Verfahren ausgeschlossen waren, blieb der Anteil der Präsidialentscheidungen an den bewilligten Mitteln deutlich geringer, aber auch er stieg zwischen 1952 und 1967 von 13 auf 38 Prozent.53 Doch selbst die Zahl der Anträge, die dem Hauptausschuss zur Entscheidung verblieben, war noch viel zu hoch, als dass sie mündlich in seinen Sitzungen hätten verhandelt werden können. Daher stellte die Geschäftsstelle aus den Anträgen und Gutachten Übersichten zusammen, die sogenannten Hauptausschusslisten. In diesen wurde jeder Antrag mit einer Beschlussempfehlung der Geschäftsstelle versehen, die als durch den Ausschuss akzeptiert galt, sofern nicht mindestens ein Mitglied innerhalb von 14 Tagen nach Zusendung der Liste Einspruch eingelegt hatte. Die Masse der Anträge wurde so erledigt, nur über die verbleibenden Streitfälle und einzelne explizit von der Geschäftsstelle zur mündlichen Verhandlung designierte Fälle wurde auf den Ausschusssitzungen diskutiert und entschieden.54 De facto beschränkten sich die Entscheidungskompetenzen des Hauptausschusses auf ein kleines Segment der Förderanträge, nämlich auf die vergleichsweise kostenintensiven, innerhalb des betroffenen Fa52 53 54
Vgl. Gerlachs Brief an Werner Heisenberg vom 16.3.1949, in: Bachmann/Rechenberg (Hrsg.), Gerlach, S. 231. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 331, 363 f. und 371. Vgl. ebenda, S. 362 und die Schilderung des Verfahrens in der Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 29.9.1961, S. 2 f., in: BArch, B 227/162.
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ches strittigen Fälle, in denen die Beschlussempfehlungen der Geschäftsstelle die Hauptausschussmitglieder nicht überzeugt hatten. Solange man daran festhielt, dass die Mitglieder des Hauptausschusses nach den tradierten Regeln akademischer Selbstverwaltung, sprich: nebenamtlich, tätig waren, ließ sich ein Mehr an demokratischer Entscheidungsfindung kaum konstruieren. Im Vergleich mit dem Hauptausschuss der Ära Schmidt-Ott, den der Präsident nach Gutdünken über von ihm bereits getroffene Entscheidungen informiert hatte, war der Fortschritt in Richtung einer breiteren Streuung von Entscheidungen über die DFG-Förderpolitik ohnedies unverkennbar. Senat und Hauptausschuss wurden wie das Präsidium de facto nach Quoten gewählt. Im Vorfeld der jeweiligen Wahlen verständigten sich die Beteiligten informell darauf, Repräsentanten der wichtigsten Fachgruppen in einem bestimmten Verhältnis in die Gremien zu entsenden. In den ersten Senat wurden 1951 zwölf Natur- und sieben Geisteswissenschaftler, drei Mediziner, drei Ingenieure sowie ein Vertreter der Agrarwissenschaften gewählt. Ende 1967 gehörten dem Senat dann je elf Natur- und Geisteswissenschaftler, fünf Ingenieure, zwei Mediziner sowie ein Vertreter der Agrarwissenschaften als gewählte Mitglieder an.55 Die Quotierung der Mandate entsprach dem doppelten Selbstverständnis der DFG: Einerseits beanspruchte sie, die Repräsentanz der bundesdeutschen Wissenschaft in ihrer ganzen Breite zu sein. Andererseits bildeten die Vertreter der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung bis zum Ende der 1960er Jahre die stärkste Gruppe innerhalb der Gremien. Vor allem in den ersten Jahren nach der Vereinigung der (von Beginn an auf disziplinäre Breite angelegten) Notgemeinschaft mit dem von Naturforschern dominierten Forschungsrat, betonte die DFG offensiv, dass „die personelle Zusammensetzung ihrer Organe“ sich an einem Primat der in den Naturwissenschaften zu verortenden „zweckfreien Grundlagenforschung“ orientiere.56 Wie wir sehen werden, galt dieser Primat auch in der Förderpraxis. Bis 1970 blieb der Senat eine männliche Domäne; erst in diesem Jahr wählte die Mitgliederversammlung mit der Göttinger Psychologin Erna Duhm eine Frau in den Senat. Zum Zeitpunkt ihrer Wahl war die 1923 geborene Duhm, die als Pionierin der Klinischen Psychologie in Deutschland gilt, zwar schon Professorin, einen Lehrstuhl erhielt sie jedoch erst vier Jahre später. Im Juli 1974 wurde mit der 1929 geborenen Soziologin Renate Mayntz, die seit 1965 nacheinander Lehrstühle in Berlin, Speyer und Köln erhalten hatte und im Jahr 1985 Gründungsdirektorin der Max-Planck-Institutes für Gesellschaftsforschung werden sollte, eine zweite Frau hinzugewählt.57 In den Fachausschüssen war der weibliche Anteil sogar noch geringer als im Senat – ganze zwei Frauen wurden jeweils 1967 und 1971 zu Fachgutachterinnen gewählt. Am Ende der 1970er Jahre hatte sich die Zahl weiblicher Fachausschussmitglieder lediglich auf fünf (gegenüber 412 Männern) erhöht, und im Frühjahr 1989 amtierten neben 442 männlichen Fachaus55 56 57
Vgl. die Aufstellung der gewählten Senatsmitglieder in: Zierold, Forschungsförderung, S. 316–321. Bericht 1952, S. 12; vgl. Bericht 1954, S. 1. Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1971, S. 24 und 212 und dieselbe, Tätigkeitsbericht 1974, S. 18 und 223.
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schussmitgliedern nur 13 Frauen – dies entsprach einem Anteil von 2,9 Prozent, während der weibliche Anteil an der Professorenschaft der wissenschaftlichen Hochschulen damals bei 5,1 Prozent lag. Im Senat der DFG waren im Frühjahr 1989 zwei von 30 gewählten Mitgliedern weiblich.58 Die Geisteswissenschaftler konnten in den 1950er und 1960er Jahren mit einem Primat der Naturwissenschaftler im Senat gut leben, weil sich ein großer Teil der Letzteren weiterhin am traditionellen Ideal eines humanistisch gebildeten Gelehrten orientierte. Daher setzten sie den Wünschen ihrer geisteswissenschaftlichen Kollegen in der Regel keinen Widerstand entgegen, sondern ermunterten sie vielmehr zur Vermehrung ihrer Förderanträge – wobei man allerdings bedenken muss, dass die reichlich fließenden staatlichen Zuwendungen der DFG vorerst ohnehin harte Verteilungskämpfe ersparten. Wenn der Stuttgarter Fertigungstechniker Carl Martin Dolezalek im Januar 1959 gegenüber Gerhard Hess beklagte, dass in den Gremien der DFG „der geisteswissenschaftlich gebildete Mensch“ dominiere, der von moderner Technik nur wenig verstehe, zielte er angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesen Gremien wohl weniger auf die Romanisten und Historiker als auf die Physiker und Biologen.59 Der in der Geschäftsstelle zuständige Referent Gottfried Gambke vermerkte denn auch zu Dolezaleks Klage, in der Tat hätten im Hauptausschuss besonders die Naturwissenschaftler über Jahre hinweg an ingenieurwissenschaftliche Anträge eine besonders „harte Kritik angelegt“.60 Dass mit Dolezalek ein Technikwissenschaftler mit langjährigen Erfahrungen in der Industrie Kritik an der Machtverteilung innerhalb der DFG übte, war nicht zufällig. Denn anders als Geisteswissenschaftler mussten Ingenieure das Insistieren einiger Naturwissenschaftler auf einem normativen Primat der vermeintlich nur von ihnen verkörperten Grundlagenforschung als anmaßend empfinden – so wenn DFG-Vizepräsident Gerlach 1955 das Streben von Technikwissenschaftlern nach Patenten mit den Worten kritisierte, sie „sollten erst einmal an Forschung, nicht ans Geldverdienen denken“ und vier Jahre später die Akteure eines ingenieurwissenschaftlichen Schwerpunktprogramms ermahnte, „das Schwergewicht der Arbeiten auf die Grundlagenforschung zu legen“.61 Einen Primat der Grundlagenforschung zu proklamieren, bedeutete dabei im Horizont der DFG-internen Debatten wie der Förderpraxis, dass das Ziel eines Projektes in der an die Fachkollegen gerichteten Publikation bestehen müsse, nicht aber in der wirtschaftlichen (oder gar politischen) Nutzanwendung der erzielten Ergebnisse. „Er glaube noch immer“, gab Ludwig Raiser 1955 zu Protokoll, dass „der Hochschulforscher primär publizieren und nicht die Patentierung seiner Forschungsergebnisse anstreben solle. Andernfalls drohe eine Kommerzialisierung und Utilitarisierung der
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Vgl. dieselbe, Tätigkeitsbericht 1979, S. 331–355, dieselbe, Tätigkeitsbericht 1988, S. 304 f. und 333–368, sowie Müller-Benedict, Bildung, S. 72. Schreiben Dolezaleks an Hess vom 19.1.1959, in: BArch, Film 1789 K. Vermerk Gambkes für Hess vom 28.1.1959, in: ebenda. Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 25.2.1955, S. 21, in: BArch, B 227/162890 und Niederschrift der Senatssitzung vom 26.6.1959, in: BArch, B 227/162891.
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Forschung, die sich verhängnisvoll auswirken könne“.62 Zwei Jahre zuvor hatte der DFG-Präsident öffentlich gewarnt, die Abhängigkeit von Forschungsaufträgen der Industrie gefährde die „charakterliche Integrität des Forschers“.63 Angesichts solcher Stellungnahmen aus der DFG-Spitze ist es nicht verwunderlich, dass sie sich mit der Integration der angewandten Forschung schwertat. Daher musste die DFG hinnehmen, dass sich mit der 1949 gegründeten „Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V.“ neben ihr eine weitere Interessenvertretung der Technikwissenschaften langfristig etablierte. In der Folge machte die DFG den Akteuren angewandter Forschung mehrfach Integrationsangebote, so im Jahr 1954 mit der Gründung eines von den Präsidenten persönlich geleiteten „Ausschusses für angewandte Forschung“, der deren Interessen innerhalb der DFG vertreten sollte, oder durch eine Vergrößerung des Senates im Jahr 1960, um die Zuwahl weiterer Ingenieurwissenschaftler zu ermöglichen. Im September 1954 richtete die DFG zudem in Kooperation mit dem Stifterverband und dem Bundesverband der Deutschen Industrie in der Geschäftsstelle eine Stelle zur Vermittlung von Industrieaufträgen an interessierte Forscher ein.64 Zwei Monate später pries Raiser die DFG in einem Vortrag vor Technikwissenschaftlern als eine Art Absicherung gegenüber industriellen Auftraggebern an: Die an den Technischen Hochschulen mit Hilfe der DFG gewährleistete Verknüpfung von Grundlagen- und angewandter Forschung bewahre Letztere davor, zum „abhängigen Instrument“ der Wirtschaft zu werden, statt deren „selbständiger Partner“. 65 Die Vermittlungsstelle erwies sich als Fehlschlag; sie verzeichnete kaum Erfolge und entschlief im Lauf der 1960er Jahre. Erfolgreicher war die Einbeziehung der Ingenieurwissenschaften in die 1953 gestarteten Schwerpunktprogramme der DFG; innerhalb dieser Förderlinie entfielen immerhin knapp 26 Prozent der bis 1967 vergebenen Fördermittel auf diese Disziplinen (aber damit nicht notwendig auf angewandte Forschung, siehe Gerlachs oben zitierte Mahnung).66 Das ambivalente Verhältnis der Entscheidungsträger aus den anderen Disziplinen gegenüber der angewandten Forschung blieb bestehen: Einerseits bemühte man sich um ihre Integration in die Strukturen und Förderprogramme der DFG, denn nur so konnte jene Einheit der Wissenschaft gewahrt bleiben, die es der DFG ermöglichte, gegenüber der Politik als die Repräsentantin der Forschung aufzutreten. Andererseits teilten viele DFG-Honoratioren die 1953 von Raiser artikulierte Sorge, dass „die Deutsche Forschungsgemeinschaft zerstört werde, wenn die Industrie-Forschung einbezogen werde“.67 Denn letztlich, hierin blieb sich in den 1950er und 1970er Jahren eine große Mehrheit in den Gremien einig, bildete die
62 63 64 65 66 67
Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 25.2.1955, S. 20 f., in: BArch, B 227/162890. Raiser, Subventionen, S. 14 f. Vgl. Orth, Autonomie, S. 59–62 und 150–155. Raiser, Förderung, S. 17. Errechnet nach der Aufstellung in Zierold, Forschungsförderung, S. 406 f. Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 27.2.1953, S. 4, in: BArch, B 227/162700; vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 31.7.1953, S. 2 f., in: BArch, B 227/162890.
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Förderung der Grundlagenforschung den eigentlichen Existenzzweck der DFG und zugleich die eine Hälfte ihres normativen Kerns. Dessen zweite Hälfte bestand im Anspruch, als das Selbstverwaltungsorgan der Forschung die für die bundesdeutsche Ordnung essentiellen repräsentativdemokratischen mit den für das Teilsystem Wissenschaft spezifischen meritokratischen Prinzipien zu vereinen. Ihre offizielle Selbstbeschreibung als „Gutachterdemokratie der Wissenschaft“ (so Julius Speer 1968), fasste die Organisation als repräsentative Partizipationsordnung auf: Eine mit der Wissenschaft identifizierte Stimmbürgerschaft wählte auf jeweils vier Jahre die Mitglieder der 26 Fachausschüsse; diese wiederum sollten durch die Begutachtung entscheidenden Einfluss auf die Förderpraxis der DFG ausüben.68 Jeder Wähler durfte jeweils die (je nach Größe des Gebietes zwei oder vier) Gutachter eines der Fachgebiete wählen, in welche die Fachausschüsse untergliedert waren; dieses Prozedere zwang jeden Wähler sich eindeutig zuzuordnen und schrieb zugleich (sub)disziplinäre Grenzen fest. So kam es immer dann zu Debatten, wenn sich diese Grenzen in der wissenschaftlichen Praxis verschoben oder neue Subdisziplinen ihre Selbständigkeit (und einen eigenständigen Zugang zu den Ressourcen der DFG) beanspruchten; daher nahm die Zahl der Fachgebiete zwischen 1949 und 1975 von 131 auf 164 zu.69 Aktiv wie passiv wahlberechtigt waren bis zu einer Reform im Jahr 1970 und in Kontinuität zu den Bestimmungen der Weimarer Notgemeinschaft alle Professoren der Mitgliedshochschulen, inklusive der Emeriti, alle Privatdozenten und Mitglieder der Wissenschaftsakademien, die Direktoren und wissenschaftlichen Mitglieder der Max-Planck-Institute sowie „sonstige anerkannter Forscher“, das heißt vom Hauptausschuss auf Vorschlag von DFG-Mitgliedsinstitutionen oder eines von knapp 200 Fachverbänden nominierte Wissenschaftler; diese stellten allerdings mit 300 bis 600 Stimmberechtigten stets eine marginale Gruppe dar. Aufgrund der Expansion des Hochschul- und Wissenschaftssystems vermehrte sich ungeachtet der gleichbleibenden Kriterien die Zahl der Wahlberechtigten von 5.783 im Jahr 1951 über 8.302 im Jahr 1959 bis 1967 auf 12.498. Die Wahlbeteiligung bewegte sich auf relativ konstantem Niveau und lag je nach Abstimmung bei 64 bis 69 Prozent, was für eine breite Akzeptanz der DFG als Selbstverwaltungs- und Repräsentationsorgan spricht.70 Die Gruppe der Stimmberechtigten und damit der von der DFG selbst als ihre Klientel definierten Wissenschaftler war deutlich größer als die Professorenschaft, im Wesentlichen war sie identisch mit den habilitierten Angehörigen der Hochschulen, der Akademien und der Max-Planck-Gesellschaft. Damit war sie wiederum erheblich kleiner als die Gesamtheit der an diesen Institutionen beschäftigten Wissenschaftler. Im Wahljahr 1967 beispielsweise arbeiteten allein an 68 69 70
Speer, Vorwort 1967, S. 7. Dokumente zu den entsprechenden Debatten finden sich in: BArch, Film 1789 K. Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1975, S. 27. Vgl. die Wahlordnungen von 1928 und 1966 bei Zierold, Forschungsförderung, S. 587 und 589. Die statistischen Angaben vgl. ebenda, S. 342; zu den „sonstigen“ Wählern und ihrer Nominierung vgl. Bericht 1952, S. 33, Petersen, Neuwahl 1963 und derselbe, Neuwahl 1967.
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den Universitäten gut 32.000 Wissenschaftler, darunter etwa 5.000 Professoren, stimmberechtigt im Rahmen der DFG aber waren insgesamt (das heißt auch außerhalb der Universitäten) knapp 12.500 Personen. Grundsätzlich ausgeschlossen von der Stimmbürgerschaft in der DFG blieben (wie zu Zeiten der Weimarer Republik) die in der Industrie arbeitenden Forscher, deren Zahl Mitte der 1960er Jahre auf etwa 18.000 geschätzt wurde.71 In diesen Beschränkungen der partizipationsberechtigten Klientel schlug sich – aus Sicht der an diesen Kriterien festhaltenden Gremien – der meritokratische Charakter der DFG ebenso nieder, wie im faktischen Vertretungsmonopol der Ordinarien in den Gremien. Unter den 24 gewählten Senatsmitgliedern des Jahres 1951 befanden sich ein Industrieforscher, 21 Ordinarien und zwei Direktoren von Max-Planck-Instituten (die ihrerseits zuvor schon Ordinarien gewesen waren). Im Senat des Jahres 1968 saßen zwei Industrieforscher, der Direktor des Deutschen Archäologischen Institutes sowie 27 Ordinarien. Obwohl die Professoren nicht die Mehrheit der aktiv wie passiv Wahlberechtigten bildeten, dominierten sie ähnlich eindeutig die Fachausschüsse. Bei den Wahlen von 1951 gewannen Hochschulwissenschaftler 84,6 Prozent der Mandate, und bei diesen handelte es sich fast ausschließlich um Ordinarien; 77 Prozent der gewählten Fachgutachter entfielen auf ihre Gruppe. Bis 1959 änderte sich hieran wenig, bei den Fachausschusswahlen dieses Jahres rekrutierten sich 75 Prozent der Gewählten aus jener Teilgruppe der Professorenschaft, die Ordinariate bekleidete; 84,7 Prozent der Mandate entfielen insgesamt auf Hochschulbeschäftigte. Mit einem Durchschnittsalter von 57 bzw. 55 Jahren standen die Fachgutachter erkennbar für das etablierte Establishment der Hochschulwissenschaft, und dass 1951 keine und 1959 nur drei Frauen 300 Kollegen gegenübersaßen, spiegelte ebenfalls die Verhältnisse an der Spitze der universitären Hierarchie.72 Dies dürfte mit dem Prozedere der Kandidatenaufstellung zusammenhängen: Die Kandidaten wurden von den Fachverbänden nominiert, zudem setzte die DFG selbst jeweils jene bereits amtierenden Gutachter auf die Vorschlagslisten, die erneut kandidieren wollten und durften (nur eine einmalige Wiederwahl war zulässig). Wenn bis hierhin die überlegenen Machtressourcen der Ordinarien innerhalb der DFG betont worden sind, so bezog sich dies auf die Binnenverhältnisse der DFG-Klientel: Unter den zur Partizipation berechtigten Wissenschaftlern stach der hohe Einfluss der Ordinarien heraus. Man muss aber ebenso fragen, inwiefern die Entscheidungsprozesse innerhalb der DFG von den gewählten Repräsentanten der Klientel oder aber von den hauptamtlich für die DFG tätigen Mitarbeitern beeinflusst wurden. An dieser Stelle gehe ich dieser Frage exemplarisch anhand des alltäglichen Umgangs mit Projektanträgen nach, in einem späteren Abschnitt wird erörtert, wer wieviel Einfluss auf die strategischen Schwerpunktsetzungen in der Forschungsförderung ausübte. Nach Eingang eines Antrages klärte in der Geschäftsstelle der jeweilige Fachreferent zunächst ihm offen erscheinende Fragen, bevor er den Antrag über den 71 72
Vgl. Bundesbericht Forschung II, S. 38. Knapp 85 Prozent der 1951 wie 1959 Gewählten arbeiteten an Universitäten, alle Werte errechnet anhand der Fachgutachterlisten in den DFG-Jahresberichten.
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Fachausschussvorsitzenden an die beiden zuständigen Gutachter weiterleitete. Ein Teil der Antragsteller hatte bereits vor Einreichung ihres Antrages beim zuständigen Referenten persönlich vorgesprochen; hier wird ein – in den Akten nur ausnahmsweise erwähnter – Vorlauf erkennbar, dessen Einfluss aufgrund seines informellen Charakters nicht abzuschätzen ist. Etwa fünf Prozent der zwischen 1949 und 1965 eingegangenen Anträge wurden statt durch Bewilligung oder Ablehnung „anderweitig erledigt“, etwa dadurch, dass die Antragsteller ihre Projekte wieder zurückzogen; hierin dürften sich Effekte der Kommunikation der Fachreferenten mit den Antragstellern niederschlagen.73 Nach Eingang der Gutachten und des Votums des Fachausschussvorsitzenden fasste der Referent die Stellungnahmen für den Hauptausschuss in der Weise zusammen, dass er ihre wesentlichen Passagen – und da viele Gutachten sehr kurz waren, häufig deren Volltext – in indirekter Rede wiedergab und einen Entscheidungsvorschlag der Geschäftsstelle hinzufügte. Dieser entsprach bei übereinstimmender Tendenz der Gutachten in der Regel denselben, in strittigen Fällen aber konnte, ja musste die Geschäftsstelle eine eigene Empfehlung abgeben.74 Diese wurde schriftlich meist nur knapp formuliert und im Übrigen auf eine mündliche Verhandlung in der nächsten Sitzung des Hauptausschusses verwiesen, in welcher in der Regel wiederum nur die anwesenden Mitarbeiter der Geschäftsstelle den Sachverhalt aus eigener Kenntnis darstellen konnten, was ihren Einfluss gewiss nicht schmälerte. Die Referenten selbst sollten – so jedenfalls der normative Anspruch der DFG – im Streit verschiedener wissenschaftlicher Meinungen nicht Partei nehmen, sich aber bewusst bleiben, dass die Voten der Gutachter von „manchen Vorurteilen wissenschaftlicher Rivalen“ oder aber „durch kollegiale Rücksichten“ verzerrt sein könnten.75 Daher hatten die Referenten möglichst viele persönliche Kontakte zu Forschern der ihnen anvertrauten Fächer zu pflegen, insbesondere aber im Zweifelsfall schriftlich erstattete Gutachten noch einmal mündlich mit ihren Autoren zu erörtern, da mitunter erst so „die wahre Meinung“ eines Gutachters erkennbar werde.76 Solche Regeln erscheinen bei der Lektüre der oft inhaltsarmen oder aber sich angestrengt zwischen Standessolidarität, fachlichen Meinungsunterschieden und Rivalitäten windenden Gutachtentexten als durchaus plausibel. Aber sie eröffneten den Referenten auch Spielräume zur Interpretation und argumentativen Rahmung der Gutachten für die Entscheidungsfindung seitens des Hauptausschusses. Bezogen auf den Hauptausschuss, das qua Satzung zur Entscheidung über Förderanträge befugte Gremium, verlangte Generalsekretär Zierold explizit von den Referenten, sich als notwendiges „Gegengewicht“ zu der Tendenz des Ausschusses zu verstehen, jeweils nur den Einzelantrag zu sehen: Sie sollten gegenüber dem Hauptausschuss „mit besonderer Eindringlichkeit die Grundsätze“
73 74 75 76
Vgl. Bericht 1965, S. 53. Zum Prozedere vgl. die Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 20.9.1961, S. 2 f., in: BArch, B 227/162. Bericht 1950, S. 22. Ebenda, S. 23.
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der Förderpolitik „betonen“, sprich: den Ausschuss in den Bahnen einer von der Geschäftsstelle zu wahrenden Corporate Identity der DFG zu halten.77 Von Beginn an schwelten zwischen einem Teil der gewählten Fachgutachter und der Geschäftsstelle Konflikte um deren Praxis, Sondergutachter hinzuziehen. Die „willkürliche“ Bestellung von Sondergutachtern, so beschwerte sich 1952 der Vorsitzende eines Fachausschusses, „bagatellisiere“ die Arbeit der gewählten Gutachter und kränke dies „aufs bitterste“.78 Vier Jahre später berichtete DFGPräsident Gerhard Hess dem Senat, die Geschäftsstelle versuche gerade in den in Bezug auf ihre Bewertungskriterien so uneinigen Geisteswissenschaften, durch Sondergutachten Gegengewichte zu parteiischen Fachgutachten zu setzen.79 Allerdings beschränkte sich diese Praxis nicht darauf, im wissenschaftlichen Meinungsstreit ausgleichend zu wirken, sondern sie konnte auch forschungsstrategischen Interessen von Geschäftsstelle und Präsidium dienen, wie Klaas-Hinrich Ehlers am Beispiel der Sprachwissenschaft gezeigt hat. In diesem Fach erkannten Präsidium und Geschäftsstelle am Anfang der 1960er Jahre eine Gelegenheit, den Einsatz der EDV in den Geisteswissenschaften zu testen und exemplarisch zu fördern. Weil ihr dies aus wissenschaftspolitischen Gründen ein Anliegen war, finanzierte die DFG Kolloquien einschlägig interessierter Linguisten und ermutigte der zuständige Fachreferent potenzielle Antragsteller. Als deren Anträge dann im Fachausschuss auf Bedenken trafen – dessen Vorsitzender Friedrich Ohly gab 1964 sein „humanistisches Mißtrauen und Unbehagen“ gegenüber einer computergestützten Sprachwissenschaft zu Protokoll –, bestellte die Geschäftsstelle Sondergutachter aus deren Kreisen, die erwartungsgemäß ein argumentatives Gegengewicht zu den Einwänden der Fachgutachter lieferten.80 In diesem Fall dienten also Sondergutachten Präsidium und Geschäftsstelle dazu, eine methodische Innovation gegen das Widerstreben des Mainstreams eines Faches durchzusetzen. In den Ingenieurwissenschaften scheiterte die Geschäftsstelle dagegen um 1960 mit dem Versuch, systematisch Sondergutachter aus den Entwicklungslaboren der Industrie einzusetzen, weil den Fachgutachtern aus den Kreisen der Hochschullehrerschaft das Wissen um „allgemeine wirtschaftliche Zusammenhänge“ fehle.81 Der zuständige Referent Waldemar Heitz bekannte in einem Rundschreiben vom Dezember 1959, dass die Geschäftsstelle dies bereits „häufig“ getan habe und schlug vor, nun mithilfe von Verbänden der Industrieforscher eine Liste geeigneter Sondergutachter zu erstellen.82 Damit hatte die Geschäftsstelle an eine normative Grundüberzeugung der in der DFG aktiven Technikwissenschaftler gerührt, nämlich an die Selbsteinschätzung, als Hochschulforscher nicht nur qualifizierter, sondern vor allem auch unabhängiger urteilen zu können als die Kollegen aus der Industrie. Als Repräsentant der Hochschulingenieure ver77 78 79 80 81 82
Zierold, Forschungsförderung, S. 360. Schreiben des Vorsitzenden des Fachausschusses Neuere Philologie an die DFG von 1952, in: BArch, Film 1789 K. Niederschrift der Senatssitzung vom 8.6.1956, in: BArch, B 227/162891. Ohly zit. nach Ehlers, Wille, S. 305, vgl. ebenda S. 301–306. Vermerk des Fachreferenten Waldemar Heitz vom 15.1.1959, in: BArch, Film 1790 K. Rundschreiben Heitz’ vom 15.12.1959, in: ebenda.
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wahrte sich der Darmstädter Brückenbauingenieur und DFG-Vizepräsident Kurt Klöppel im Januar 1960 gegen einen von der Geschäftsstelle riskierten „Einbruch der Verbände (…) in den akademischen Raum“.83 Nachdem die Geschäftsstelle weitere zwei Jahre lang versucht hatte, in den Gremien der DFG Akzeptanz für Sondergutachter aus der Industrie zu wecken, gab sie dieses Anliegen im Juni 1962 auf: „Der Widerstand aus den Reihen der Wissenschaftler war groß“, lautete der letzte Vermerk in dieser Sache.84 Am Anfang der 1960er Jahre bildete dieser strikte Widerstand von Fachgutachtern und Gremienmitgliedern gegen Sondergutachter eine Ausnahme, die durch eine besondere Konkurrenzsituation zwischen Hochschul- und Industrieingenieuren bedingt gewesen sein dürfte. In vielen anderen Fächern des kräftig expandierenden Hochschulsystems hatte sich dagegen zu diesem Zeitpunkt die Einsicht durchgesetzt, dass die Spezialisierung der Forschung und die Vermehrung der Forschenden dazu geführt hatten, dass die gewählten Fachgutachter weder alle Themen noch alle Akteure aus eigenem Wissen heraus beurteilen konnten. Unter diesen Bedingungen, so reflektierte der Freiburger Philosophiehistoriker Max Müller im April 1960 seine Erfahrung, werde die Begutachtung zum „Va banque“.85 Zudem erzwang schon die schiere Zahl der zu erstattenden Gutachten – im Jahr 1965 belief sich ihre Zahl auf etwa 18.000, die Zahl der Fachgutachter aber nur auf gut 300 – die Geschäftsstelle zur Aktivierung weiterer Gutachter.86 Bis in die 1970er Jahre wurde die Bestellung von Sondergutachtern schrittweise vom Ausnahme- zum Regelverfahren. In einer Untersuchung über 752 Gutachten, die zwischen 1974 und 1979 zu Anträgen aus den Fächern Elektrotechnik, Politologie, Psychologie und Wirtschaftstheorie verfasst worden waren, hat der Soziologe Friedhelm Neidhardt festgestellt, dass 34,7 Prozent der Gutachten von Sondergutachtern erstattet worden waren. Die Mehrheit der Sondergutachter in Neidhardts Sample (nämlich 58,2 Prozent) hatte jeweils nur ein einziges Gutachten erstattet; immerhin 22,8 Prozent aber waren mehr als dreimal um Stellungnahmen gebeten worden, bildeten also eine Art festen Stamm an Gutachtern neben den regulären Fachgutachtern.87 Diese Entwicklung bildete eine zwingende Konsequenz der immer weiter zunehmenden Differenzierung des Wissenschaftssystems und war vermutlich nicht (oder doch nur um den Preis sinkender Qualität in der Begutachtung) zu vermeiden. Gleichwohl verschob diese Entwicklung die Gewichte innerhalb der Entscheidungsprozesse der DFG zugunsten der Geschäftsstelle, die einen steigenden Anteil der Gutachter selbst auswählte und zu Lasten der gewählten Fachgutachter und damit zu Lasten ihrer Wählerschaft. Die Geschäftsstelle der DFG war in ihrem Selbstverständnis, ihren Regeln, Routinen und ihrem Personal bis weit in die 1960er Jahre hinein das Werk Kurt 83 84 85 86 87
Schreiben Klöppels an den Fachgutachter Friedrich-Wilhelm Gundlach vom 7.1.1960, in: ebenda. Vermerk des Referenten Gotthard Gambke vom 7.6.1962, in: ebenda. Schreiben Müllers an die DFG vom 23.4,1960, in: ebenda. Vgl. Speer, Bericht 1966, S. 7. Vgl. Neidhardt, Selbststeuerung, S. 50–56.
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Zierolds. Zwar war er bei der Fusion von Notgemeinschaft und Forschungsrat zur DFG im Jahr 1951 vom geschäftsführenden Vizepräsidenten zum Generalsekretär herabgestuft worden, seine Machtressourcen aber hatte dies nicht ernsthaft beschnitten: Er verfügte aufgrund seiner Karriere im preußischen Kultus- und Reichswissenschaftsministerium über gute Beziehungen innerhalb der westdeutschen Ministerialbürokratie, war neben dem Präsidenten der einzige hauptamtliche Spitzenfunktionär der Organisation, amtierte aber kontinuierlicher als die Präsidenten, nämlich durchgängig von 1949 bis 1964. Das Personal der Geschäftsstelle rekrutierte er in deren formativen ersten Jahren persönlich. Zierold führte die Bewerbungsgespräche auch mit niederrangigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und wählte sie, „von einem hervorragenden Graphologen wirkungsvoll unterstützt“, nach fachlichen wie charakterlichen Eigenschaften (die er mit Begriffen wie „willensstark“, „verwaltungsmäßige Sauberkeit“, „Gefühl für Gerechtigkeit“ oder „geistige Beweglichkeit“ umschrieb) aus.88 Gezielt rekrutierte Zierold ehemalige Beamte des Reichswissenschaftsministeriums für leitende Positionen, so Franz Senger als Haushalts- und Personalreferent sowie Erwin Gentz als Justitiar und Organisator des Hauptausschusses. Eine Mischung aus Erfahrung in der Wissenschaftsverwaltung und von Zierold selbst während seiner Tätigkeit im Rust-Ministerium gewahrter partieller Distanz zum NS-Regime scheint ihm als Optimum vorgeschwebt zu haben, wenn man seiner Selbstauskunft glauben darf, die „politische Haltung in der NS-Zeit“ bei der Personalauswahl berücksichtigt zu haben.89 Tatsächlich blieb die DFG-Geschäftsstelle von Skandalen um die NS-Vergangenheit von Mitarbeitern verschont, und einige Referenten wie der für die Geisteswissenschaften zuständige Historiker Wolfgang Treue erwiesen sich als durchaus kritisch, wenn es um die NS-Vergangenheit von Antragstellern ging.90 Als Zierold die erste Geschäftsstelle der Notgemeinschaft 1949 in Bad Godesberg eröffnete, begann er mit 21 Angestellten, darunter acht wissenschaftlichen Mitarbeitern. Im Jahr 1954 zog die DFG mit nunmehr 98 Mitarbeitern in ein mithilfe von Spenden aus der Wirtschaft eigens für sie gebautes Haus am heutigen Standort um. Weitere fünf Jahre später hatte sich die Zahl der Mitarbeiter bereits auf 149 erhöht, darunter 20 wissenschaftliche Mitarbeiter, und 1968 verzeichnete die DFG eine Belegschaft von 256 Personen, darunter 37 wissenschaftlichen Mitarbeitern.91 Die Stellenvermehrung wie die Ausdifferenzierung der Geschäftsstelle in eine steigende Zahl von Referaten folgte zum einen den Aufwärtsentwicklungen des zu verwaltenden Budgets, der Antragszahlen und der Antragsberechtigten sowie der zunehmenden Spezialisierung der Forschung. Zum anderen spiegelte sich in der Zunahme der Fachreferenten deren wachsende Bedeutung als Schnittstellenmanager zwischen den Gremien und der Klientel der DFG, damit aber auch ihr wachsender Einfluss auf Entscheidungsprozesse.
88 89 90 91
Zierold, Forschungsförderung, S. 289 ff. Ebenda, S. 291. Vgl. zum Beispiel seinen Vermerk vom 1.4.1963, in: BArch, Film 1874 K und Unger, Ostforschung, S. 289. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 314.
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Die maßgeblich von Zierold geprägte Organisationskultur der Geschäftsstelle betonte zwar die selbstlose Dienstleistungsfunktion des Referenten für „sein“ Fach, und forderte von ihm, dem Habitus der Klientel gemäß mit dieser zu kommunizieren – denn bei Antragstellern und Gutachtern handele es sich, so hieß es 1955 von Seiten des Präsidiums, um „Gelehrte, d. h. um hochqualifizierte, hochempfindliche Menschen (…), die Anspruch erheben können, individuell behandelt zu werden“.92 Dennoch besaß ein hauptamtlicher Fachreferent in einer bürokratischen Organisation von im Lauf der Jahre stark wachsender Komplexität mehr Einfluss als ein nebenberuflich tätiger, wenn auch gewählter Fachgutachter. Zierolds Nachfolger ab 1965, der 1922 geborene und seit 1956 als Referent für die Angelegenheiten des Senates und die Schwerpunktprogramme in der DFG tätige Jurist Carl-Heinz Schiel, bemühte sich um eine Rationalisierung der Strukturen und Arbeitsabläufe, um die mit der Expansion des Fördervolumens wachsende Zahl und Komplexität der Verwaltungsvorgänge zu bewältigen. Nebenamtlich tätige Gutachter und Gremienmitglieder in derart rationalisierte Entscheidungsroutinen zu integrieren, war, wie Karin Orth überzeugend argumentiert hat, bei bestem Willen aller Beteiligten nur dadurch möglich, dass die Geschäftsstelle immer mehr Vorgaben machte, die den „Entscheidungskorridor“ der Wissenschaftler einengten.93 Bereits Zierold hatte im Jahr 1962 monatliche Referentenbesprechungen mit dem Generalsekretär und dem Präsidenten eingeführt, Schiel vermehrte deren Takt fünf Jahre später auf zwei bis drei pro Monat. Hier wurden die Sitzungen der Gremien, das heißt des Präsidiums, des Senates und des Hauptausschusses, vorbereitet und damit zentrale Entscheidungsprozesse vorstrukturiert – all dies angesichts der Explosion der Geschäfte unvermeidlich, aber zugleich unweigerlich die interne Machtverteilung in Richtung der Geschäftsstelle verschiebend. VERGANGENHEITSPOLITIKEN I: NATIONALSOZIALISTEN ALS DILETTANTEN Die nationalsozialistische Vergangenheit blieb während der 1950er Jahre schon allein dadurch innerhalb der DFG präsent, dass die Masse der Gremienmitglieder und leitenden Geschäftsstellenmitarbeiter bereits vor 1945 Funktionen im deutschen Wissenschaftsbetrieb bekleidet hatte. Von den 21 im Jahr 1951 in den Senat gewählten Ordinarien hatten beispielsweise 14 ihre Lehrstühle bereits vor 1933 erhalten, fünf weitere während des „Dritten Reiches“. Unter den in der neuen DFG einflussreichen Wissenschaftlern fanden sich denn auch einige Amtsträger des Reichsforschungsrates wieder. Im Präsidium blickte Walther Gerlach (Vizepräsident zwischen 1949 und 1961) auf eine Vergangenheit als Fachspartenleiter für Physik des Reichsforschungsrates zurück; im Senat traf er zwischen 1953 und 1960 auf Richard Vieweg, den Präsidenten der Physikalisch-Technischen 92 93
Protokoll der Kuratoriumssitzung vom 29.9.1955, zit. nach Orth, Autonomie, S. 79. Hierzu und zum Folgenden vgl. ebenda, S. 202–208.
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Bundesanstalt, der bis 1945 RFR-Bevollmächtigter für Kunststoffforschung gewesen war. Unter den Fachgutachtern fanden sich in den 1950er Jahren unter anderem Werner Köster (1937 bis 1945 Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle), Richard Kuhn (1939 bis 1945 Fachspartenleiter für organische und Biochemie), Ernst Schmidt (1943 bis 1945 Bevollmächtigter für Strahlvortrieb), Erich Siebel (1944/45 Bevollmächtigter für Werkstoffprüfung) und Alfred Bentz (1944/45 Bevollmächtigter für Mineralölforschung). Der Braunschweiger Ordinarius Erwin Marx, der dem Reichsforschungsrat zwischen 1937 und 1945 als Fachspartenleiter für Elektrotechnik gedient hatte, wahrte auch in der frühen Bundesrepublik seinen innerfachlichen Einfluss, indem er zwischen 1949 und 1955 als Vorsitzender des Fachausschusses für Elektrotechnik amtierte. Für eine Gruppe wie die im Kontext der DFG tätigen Professoren und Referenten, die um 1955 überwiegend aus zwischen 1890 und 1910 geborenen männlichen deutschen Akademikern bestand, ist der Befund einer beruflichen Kontinuität kaum überraschend. Ebenso wenig verwunderlich ist, dass diese Akteure Grundsatzfragen der Forschungspolitik vor ihren Erfahrungshintergründen in Diktatur und Krieg diskutierten. Walther Gerlach etwa, den wir als einen der aktivsten Fachspartenleiter des Reichsforschungsrates kennengelernt haben, sah sich nicht nur selbst im Rückblick als Verteidiger der Grundlagenforschung gegen das NS-Regime, sondern propagierte auch innerhalb der DFG der 1950er Jahre den unbedingten Primat einer als „rein“ apostrophierten Grundlagenforschung. Zugleich problematisierte er mehrfach eine Forschung, die mit militärischen (aus seiner Sicht per se inhumanen) Interessen verquickt sei.94 Gremienmitglieder wie Gerlach sprachen in Grundsatzdebatten auch immer über ihre eigene Vergangenheit; allerdings taten sie es meist sehr allgemein und verklausuliert, hierauf komme ich im nächsten Teilkapitel zurück. Zur gleichen Zeit trafen die Gremien der DFG eine Fülle konkreter, auf einzelne Wissenschaftler bezogener Entscheidungen darüber, ob deren Biographie vor 1945 Konsequenzen für ihre Zugehörigkeit zu der in der DFG organisierten Gemeinschaft (und damit aus deren Sicht zur Leistungs- und Wertelite der deutschen Forschung) haben müsse. Dies betraf zum einen Forscher, die ab 1945 aufgrund ihres Engagements für das NS-Regime aus Hochschulen oder Forschungsinstituten entlassen und dadurch auf längere Zeit wissenschaftlich marginalisiert worden waren. Es betraf aber ebenso jene Forscher, die vom NS-Regime entlassen, verfolgt oder vertrieben worden waren, den Krieg überlebt hatten und deren Re-Integration in den Wissenschaftsbetrieb der frühen Bundesrepublik betrieben – oder hintertrieben – werden konnte. Um diese Frage geht es im folgenden Abschnitt: Welche Rolle spielte der Lebenslauf eines Forschers während der NS-Zeit für seine Integration in die oder Exklusion aus der Klientel der neugegründeten DFG? Wie Karin Orth nachgewiesen hat, entwickelten die Gremien der DFG nach 1949 zu keinem Zeitpunkt ein Programm, das darauf gezielt hätte, die Rückkehr von den Nationalsozialisten vertriebener Wissenschaftler zu unterstützen.95 In of94 95
Gerlach, Bilanz, S. 369. Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 351–360; zum Kontext vgl. Krohn, Wissenschaftsemigration.
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fiziellen Dokumenten den „Rückstand“ der deutschen gegenüber der angelsächsischen Forschung infolge des Aderlasses zu beklagen, den die Emigration Tausender Wissenschaftler unter dem NS-Regime bedeutet hatte, blieb wohlfeil.96 Die nahe liegende Schlussfolgerung, wenn schon nicht aus moralischen, so doch aus utilitaristischen Gründen die Rückkehr der angeblich so stark Vermissten zu fördern, zogen die DFG-Honoratioren dagegen nicht. Zwar berichtete Vizepräsident Adolf Butenandt am 7. Mai 1953 im DFG-Präsidium, dass er bei einer Türkeireise auf zahlreiche dort arbeitende „deutsche Gelehrte“ (so die neutrale Umschreibung des Protokolls für die zum großen Teil nach 1933 Emigrierten) getroffen sei, und das Präsidium identifizierte deren Rückkehr nach Deutschland als „ein wichtiges Anliegen der deutschen Wissenschaft“. Auf den Gedanken, dass die DFG dieses Anliegen mit ihren Mitteln – also etwa finanziellen Beihilfen, Laboreinrichtungen oder der Vermittlung von Kontakten hinein in die westdeutschen Forschungsnetzwerke – fördern könnte, kam das Präsidium nicht. Vielmehr beauftragte es den DFG-Präsidenten Ludwig Raiser, das Thema „bei den zuständigen Stellen“ (gemeint waren das Außen- und das Innenministerium) anzusprechen und beschloss damit zugleich die eigene Nicht-Zuständigkeit.97 Ein Jahr zuvor hatte dagegen der Hauptausschuss beschlossen, „Anträge ostvertriebener Forscher auf Forschungsstipendien und Sachbeihilfen großzügig zu behandeln“, und das Präsidium hatte dem die Interessen dieser Gruppe vertretenden Erlanger Professor Oskar Eugen Günther vorgeschlagen, er solle „ein Dutzend vertriebener Ostforscher von sich aus“ auffordern, bei der DFG „Anträge zu stellen“.98 Dieser Gruppe gegenüber hatten die Gremien der DFG also sowohl die Notwendigkeit als auch die eigene Zuständigkeit für eine privilegierte Förderung bejaht. Unter dem NS-Regime hatte die DFG das Ihre getan, um die Exklusion jüdischer und demokratischer Wissenschaftler voranzutreiben – vom Versagen von Stipendien bis zur Streichung von Druckkostenzuschüssen für Zeitschriften, die weiterhin jüdische Autoren zu Wort kommen ließen. In den 1950er Jahren wäre eine breite Palette von Maßnahmen möglich gewesen, um die Reintegration der Ausgegrenzten voran zu treiben – man hätte etwa das Wahlrecht zu den Fachausschüssen und das Recht, Förderanträge zu stellen, auf all jene erweitern können, die am 30. Januar 1933 wahl- und antragsberechtigt gewesen und danach von den Nationalsozialisten entlassen worden waren; man hätte mit Stipendienprogrammen die Rückkehr Emigrierter erleichtern können. Was aus heutiger Sicht möglich, ja notwendig gewesen wäre, scheint aus Sicht der damaligen Akteure nicht einmal denkbar gewesen zu sein. Jedenfalls findet sich in den Akten der DFG kein Hinweis auf entsprechende Vorschläge. Allerdings finden sich durchaus Einzelfälle, in denen man sich bemühte, nach 1933 Verfemte zu unterstützen. Raiser setzte sich gegenüber den Wiedergutmachungsbehörden und anderen staatlichen Stellen für emigrierte Wissenschaft96 97 98
Vgl. Clausen, Stand, S. 17 f. 1963 begründete die DFG die Notwendigkeit einer Schwerpunktförderung der Immunbiologie damit, dass „nach 1933 hervorragende deutsche Immunologen nach Amerika ausgewandert“ seien, Bericht 1963, S. 62. Niederschrift der Sitzung des DFG-Präsidiums vom 7.5.1953, S. 4, in: BArch, B 227/162700. Niederschrift der Sitzung des DFG-Präsidiums vom 14.10.1952, S. 8, in: ebenda.
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ler ein, die er für Koryphäen hielt. Die Geschäftsstelle stellte vor 1933 von der Notgemeinschaft geförderten und später emigrierten Wissenschaftlern Bescheinigungen darüber aus, dass ihre Förderung während der Weimarer Republik belege, dass ihnen der Weg in eine Professur offen gestanden hätte, wenn dies nicht durch die NS-Machtübernahme verhindert worden wäre. Damit lieferte die DFG den Betroffenen ein in Wiedergutmachungsverfahren wertvolles Argument.99 Die Praxis der Fachausschüsse gegenüber antragstellenden NS-Verfolgten und Remigranten schließlich war schwankend. Sie reichte vom Verschleiern ihrer Biographien (so hieß es in einem Gutachten über den 1937 als „Mischling II. Grades“ entlassenen Kölner Anatomen Otto Veit irreführend, dieser sei in seinen Forschungen „durch Kriegseinwirkung“ behindert worden) bis zur expliziten Anerkennung, dass gegenüber einem vom NS-Regime vertriebenen Forscher „eine besondere Wiedergutmachungspflicht“ bestehe (so 1957 im Fall des aus Istanbul nach München zurückgekehrten Physiologen Hans Winterstein).100 Bei anerkannten Spitzenforschern wie dem Physiker Max Born oder dem Biologen Ernst G. Pringsheim galt den Gutachtern die Remigration als Zusatzargument für ihre Förderung. So betrachteten die Gutachter im Jahr 1954 einen Antrag Borns zwar als „höchst suspekt“, befürworteten ihn aber gleichwohl, einerseits weil „bei einem so grundgescheiten Theoretiker (…) auch bei vermutlich irrigen Ausgangspunkten etwas Interessantes herauskommen“ werde, andererseits weil der Fachausschussvorsitzende Robert Pohl „davon durchdrungen“ war, dass Born „jetzt nach seiner Rückkehr nach Deutschland bei seinen weiteren wissenschaftlichen Plänen gefördert werden müsse“.101 Pringsheim galt den Gutachtern 1959 als förderungswürdig, weil „es gelungen sei, einen der ‚big old men‘ der Biologie (…), einen Mann von internationalem Prestige für Deutschland zurückzugewinnen“.102 Andere DFG-Gutachter hielten allerdings in den frühen 1950er Jahren Remigranten nicht für eine Bereicherung, sondern für eine Bedrohung ihrer weiterhin als national eigentümlich erachteten Wissenschaftskultur. Die Förderung des 1949 aus dem amerikanischen Exil nach Hamburg zurückgekehrten Psychologen Curt Bondy wollte der Fachgutachter Gustav Kafka, der selbst während der NS-Zeit dezidiert oppositionell geblieben war, 1952 davon abhängig machen, dass Bondy seine „aus den USA“ mitgebrachten „Auffassungen über den akademischen Betrieb“ ablege.103 99 Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 357–360. 100 Zit. nach ebenda, S. 389 bzw. 408; vgl. ähnliche Fälle ebenda, S. 404 f. und 407–415. Der Fachausschuss Philosophie befürwortete 1953 die Bezuschussung eines Essaybandes des in Chicago lehrenden Siegfried Marck: „Der Verfasser gehöre zu den jüdischen Gelehrten, die der Nationalsozialismus aus einer fruchtbaren Tätigkeit herausgerissen und allen Widrigkeiten eines Emigranten-Daseins ausgeliefert habe. Eine besonders wohlwollende Behandlung erscheine schon aus diesem Grunde geboten.“ Vgl. Hauptausschussliste 15/1953, S. 10, in: BArch, B 227/149. 101 Hauptausschussliste 64/1954, S. 2, in: BArch, B 227/118. Vgl. Orth, NS-Vertreibung, S. 401 f. 102 Zit. nach Orth, NS-Vertreibung, S. 403. 103 Gutachten von Gustav Kafka vom 24.12.1952, DFG-Archiv, Bo 59, fol. 2786. Ebenda, fol. 002787 wies Kafka darauf hin, dass Bondy bislang von „überreichen USA-Zuschüssen“ profitiert habe.
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Die nach 1945 im Zuge der Entnazifizierung ins Abseits geratenen und bis zur Neukonstituierung der Notgemeinschaft noch nicht wieder an Hochschulen etablierten Forscher unterschieden sich von den ab 1933 durch das NS-Regime Vertriebenen dadurch, dass sie ihr berufliches Schicksal dem Engagement für das NS-Regime verdankten Und sie waren gegenüber den NS-Opfern in der frühen Bundesrepublik doppelt im Vorteil: Erstens galt ihr Schicksal vielen Kollegen weniger als Folge schuldhaften Verhaltens, sondern als Folge des Zusammenbruchs des deutschen Nationalstaates im Jahr 1945, also eines als (Natur-)Katastrophe gewerteten Kollektivschicksals aller Deutschen. Zweitens ging es im Fall dieser Gruppe nicht um Menschen, die erst nach Deutschland zurückkehren und bis dahin ihre Sache aus der Ferne betreiben mussten, sondern die bereits vor Ort waren und ihre Interessen öffentlich aggressiv, vor allem aber nicht nur individuell, sondern organisiert vertraten. Gegenüber der Notgemeinschaft tat dies ab Sommer 1950 der „Notverband amtsverdrängter Hochschullehrer“ (NAH) in Person von Max Hildebert Boehm. Dieser hatte ab Oktober 1933 an der Universität Jena einen Lehrstuhl für völkische Soziologie bekleidet. Von dieser Plattform aus hatte Boehm eine Volkstumspolitik propagiert, die auf eine Assimilation von Teilen der „kleinen Völker im Osten“ an die Deutschen setzte, zugleich aber eine „Ausscheidung der Juden aus der engen, vielfach parasitenhaften Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Volk“ für selbstverständlich hielt.104 Nachdem er im Oktober 1945 in Jena entlassen worden und in die britische Zone geflohen war, hatte Boehm im Februar 1950 zusammen mit anderen arbeitslosen Professoren und unterstützt durch den Hochschulverband den NAH gegründet.105 Dieser stellte sich nach außen primär als Interessenvertretung jener Professoren dar, die ihre Positionen entweder durch die Auflösung der deutschen Hochschulen in Königsberg, Posen, Danzig, Breslau, Prag und Straßburg oder durch politische Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone verloren hatten.106 „Heimat-“ bzw. „ostvertriebene“ Wissenschaftler, die der Verband in der westdeutschen Öffentlichkeit als Opfer eines von ihnen nicht verschuldeten historischen Verhängnisses präsentierte, stellten jedoch nur den einen Teil der Klientel des NAH. Hierauf wies bereits der Verbandsname hin, denn 1945 „aus dem Amt verdrängt“ worden waren ja auch Professoren, die nicht vertrieben, sondern im Zuge der Entnazifizierung entlassen worden waren. Sie bildeten die zweite Teilklientel des Verbandes; Männer wie Boehm selbst oder der bis 1945 in Leipzig lehrende Rassenanthropologe Otto Reche bildeten eine dritte Gruppe als Schnittmenge der beiden anderen: Sie traten einerseits als „Ostflüchtlinge“ und Opfer der sowjetischen Besatzungsmacht auf, andererseits ging ihre Entlassung im Kern auf ihr hohes Engagement für das NS-Regime bis 1945 zurück (und wäre wohl auch von den Westalliierten vollzogen worden).
104 Zit. nach Prehn, Boehm, S. 346 und 291; vgl. zu Boehm ebenda und Klingemann, Soziologie, S. 132–164. 105 Vgl. Prehn, Boehm, S. 399 f. und 408 f., Orth, NS-Vertreibung, S. 375 f. und Bauer, Geschichte, S. 108. 106 Vgl. Boehm, Hochschullehrer.
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Eine Liste von 620 „amtsverdrängten“ und noch nicht wieder etablierten Professoren, die Boehm der DFG am 21. Juni 1951 übersandte, enthielt denn auch, wie Generalsekretär Kurt Zierold vermerkte, „schwer belastete Nationalsozialisten, die an Hochschulen nicht wieder verwendet werden“ könnten.107 Wen Zierold im Einzelnen meinte, ist nicht erkennbar; in der Liste selbst finden sich die Namen Konrad Meyers, des Rassenanthropologen Eugen Fischer, des völkischen Soziologen Gunther Ipsen, des unter anderem für das RSHA und das SSAhnenerbe tätig gewesenen Agrarhistorikers Günther Franz und des Theologen Johannes Hempel, der bis 1945 Judenforschung betrieben hatte. Boehm forderte seitens des NAH in mehreren Briefen von der Notgemeinschaft, den Aufgelisteten en bloc das Wahlrecht zu den Fachausschüssen zu verleihen. Die Vertriebenen, so schlug Boehm am 8. Juni 1951 vor, könnten in „Traditionsverbänden“ ihrer früheren Universitäten abstimmen, die im Zuge der Entnazifizierung von westdeutschen Hochschulen Entlassenen in deren Rahmen (wodurch sie symbolisch wieder in diese aufgenommen worden wären).108 Die von Boehm vorgetragenen Forderungen zielten darauf ab, über die Notgemeinschaft als organisierte Gemeinschaft aller Hochschul-, Akademien- und MPG-Forscher einen Umweg zur Reintegration der seit 1945 Entlassenen zu öffnen. Die Verleihung des Wahlrechts zu den Fachausschüssen, so behauptete Boehm am 16. Juli 1951 gegenüber dem Vorsitzenden des Hauptausschusses Emil Lehnartz, folge aus „dem Geist kollegialer Solidarität unseres Standes“.109 Diese Standessolidarität, so hatte Boehm bereits sechs Wochen vorher gegenüber Notgemeinschaftspräsident Karl Geiler geklagt, werde gegenwärtig von den in Amt und Würden befindlichen Professoren missachtet. Diese, darunter viele „Schnellberufene nach 1945“, besetzten vakante Lehrstühle lieber mit „Emigranten“ (die Boehm eben nicht als Teil des nationalen akademischen „Standes“ betrachtete) als mit den seit 1945 Entlassenen (deren fortdauernde Standeszugehörigkeit Boehm evident erschien).110 Dass Boehm zu diesem Zeitpunkt für seine Klagen und Forderungen Rückhalt besaß, zeigt ein Referat, das der Göttinger Staatsrechtler Werner Weber am 19. Mai 1951 auf dem ersten Hochschulverbandstag gehalten hatte. Darin hatte Weber argumentiert, die Entlassung von Professoren durch die Alliierten habe zwar deren Beamtenstatus beseitigt, dürfe aber keineswegs ihre Mitgliedschaft in „einer aristokratischen Gelehrtenrepublik, die sich durch Kooptation ergänzt“, berühren. Vielmehr seien die „akademischen Körperschaften“ aufgerufen, „das Chaos im personalpolitischen Erbe der Nachkriegsereignisse“ zu beseitigen und den „Status zahlreicher amtsenthobener Hochschullehrer wieder in Ordnung (zu) bringen“.111 Auch bei Weber war von einer fortdauernden 107 Vermerk Zierolds vom 3.7.1951, in: BArch, Film 1790 K; hier auch ein Auszug der Liste. Vorgänge um Wähler und Kandidaten zu den Fachausschüssen, deren NS-Vergangenheit Geschäftsstelle und Hauptausschuss als Ausschließungsgrund betrachteten, finden sich in: BArch, Film 1789 K. 108 Schreiben Boehms an Zierold vom 8.5.1951, in: BArch, Film 1790 K. 109 Schreibens Boehms an Lehnartz vom 16.7.1951, in: ebenda. 110 Schreiben Boehms an Geiler vom 1.6.1951, in: ebenda. 111 Weber, Die Rechtsstellung des deutschen Hochschullehrers, S. 11, 64 und 61.
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Zugehörigkeit der vom NS-Regime Entlassenen zur deutschen Akademikerschaft keine Rede. Da der Hauptausschuss der Notgemeinschaft befürchtete, unter den 620 vom NAH Nominierten könnten sich allzu viele „aus der nationalsozialistischen Zeit schwer belastete Herren“ befinden, beschloss er Ende Juni 1951, nur etwa 200 Personen das Wahlrecht zuzubilligen, die jeweils einzelnen Ausschussmitgliedern bekannt oder ohnehin bereits von westdeutschen Universitäten nominiert worden waren.112 Daraufhin beschwerte sich Boehm nicht nur am 16. Juli 1951 über das „Verfahren einer privaten politischen Inquisition“, sondern mobilisierte auch etwa 30 Betroffene, die ihrerseits Protestbriefe folgen ließen, die in dem für diese Gruppe typischen selbstmitleidig-pathetischen Tonfall der Notgemeinschaft vorwarfen, sich ihrer „inneren Verpflichtung zur Solidarität“ zu entziehen und die durch das „Unrecht“ der Entnazifizierung „grundlos Verfemten und Entrechteten“ erneut zu demütigen: „Derartige Maßnahmen sind unseres Wissens nicht einmal nach 1933 erfolgt“.113 Die Schreiben machen deutlich, dass im Mittelpunkt der Auseinandersetzung nicht die Interessen der aus dem Osten geflohenen oder vertriebenen Wissenschaftler, sondern jene der wegen eines überdurchschnittlichen Engagements für das NS-Regime auch 1951 noch im akademischen Abseits verbliebenen Ex-Professoren standen. Den „Kern unseres Anliegens“ brachte der prominenteste Briefeschreiber, der als Staatsekretär für Vertriebene im bayerischen Innenministerium amtierende Agrarwissenschaftler Theodor Oberländer, in einem Brief vom Februar 1952 auf den Punkt. Oberländer, der 1923 an Hitlers Münchner Putschversuch teilgenommen hatte, zwischen 1940 und 1945 Professor in Prag gewesen war, für die Abwehr der Wehrmacht in der Sowjetunion agiert sowie als völkischer Ostforscher antipolnische und antisemitische Texte verfasst hatte, forderte für sich und die übrigen „Amtsverdrängten“ das Wahlrecht zu den DFG-Fachausschüssen, weil dieses gleichbedeutend sei mit der „Anerkennung als wissenschaftliche Forscher“. Wer von der DFG „bei der Verleihung des Wahlrechts übergangen worden“ sei, so klagte Oberländer, werde in Kollegenkreisen „nicht mehr als Forscher betrachtet“: „Daß eine solche Vermutung die Aussicht auf Wiederberufung (…) beeinträchtigen kann, steht außer Zweifel.“114 Bis 1963 wurde die Frage des Wahlrechts der im Zuge der Entnazifizierung ausgeschiedenen Wissenschaftler schrittweise in deren Sinne gelöst. Die meisten der etwa 400 Personen, denen der Hauptausschuss das Wahlrecht 1951 verweigert hatte, dürften in den folgenden Jahren individuell dadurch zum Wahlrecht gekommen sein, dass sie – wie beispielsweise Konrad Meyer 1956 in Hannover – auch 112 Lehnartz in einem Schreiben an Felgentraeger vom 7.7.1951, in: BArch, Film 1790 K. 113 Zitate aus dem Brief Boehms an Lehnartz vom 16.7.1951 und den Protestbriefen von Josef März (1940 bis 1945 Zeitungswissenschaftler an der Universität Prag), eines Dr. Dr. habil von Kunowski und von Johannes Hempel, in: ebenda. Auch der Vorsitzende des Hochschulverbandes kritisierte in einem Schreiben an Lehnartz vom 13.7.1951 das Verfahren des Hauptausschusses, vgl. in ebenda. 114 Schreiben Oberländers an die DFG vom 29.2.1952, in: ebenda; vgl. dort auch sein Schreiben vom 14.8.1951. Vgl. zu Oberländer Wachs, Fall.
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ohne das vorab errungene symbolische Kapital eines DFG-Wahlrechts wieder auf Professuren berufen wurden. In Bezug auf die Übrigen erhielt die DFG vor den Fachausschusswahlen von 1955, 1959 und 1963 vom Bundesinnenministerium Listen derer, denen das Wahlrecht zuerkannt werden könne, insgesamt handelte es sich schließlich um etwa 90 Personen. Den vom Ministerium Nominierten bewilligte der DFG-Hauptausschuss jeweils in toto das Wahlrecht, „ohne eine Einzelanerkennung auszusprechen“.115 Dennoch führte der Ausschuss bei diesen Gelegenheiten kontroverse Debatten um einzelne Personen, so 1963 um den Archäologen Hans Reinerth, der während der NS-Zeit als Günstling Rosenbergs Germanenforschung betrieben hatte und um den Historiker Ernst Anrich, einen Protagonisten der nationalsozialistischen Westforschung. Die hartnäckigsten Gegner der Wiedereingliederung exponierter NS-Wissenschaftler in die Klientel der DFG fanden sich nicht unter den Ordinarien, sondern in der Geschäftsstelle. Der für die Geisteswissenschaften zuständige Referent Wolfgang Treue warnte 1963 nachdrücklich, aber vergeblich vor einer Rehabilitierung Anrichs und Reinerths: Beide hätten „nach 1945 keine ernsthaften Publikationen mehr veröffentlicht“, sondern verstockt an ihren früheren, „pseudowissenschaftlichen“ Positionen festgehalten; Reinerth habe sich zudem dadurch disqualifiziert, dass er während der NS-Herrschaft „seine Machtstellung in skrupellosester Weise ausgenutzt“ habe, „um Fachkollegen zu schaden“.116 Vom Ergebnis her gesehen haben die DFG-Gremien zwischen 1951 und 1963 die Wiederaufnahme von Forschern, die ihre Positionen durch die Entnazifizierung verloren hatten, in einer größeren Zahl von Einzelfällen verzögert, sich aber letztlich dem seit den frühen 1950er Jahren feststehenden Willen der Bundesregierung, die Entnazifizierung rückabzuwickeln, nicht widersetzt. Charakteristisch für das Agieren der DFG war der Beschluss ihres Präsidiums vom Oktober 1951, auf „Eingaben“ für die Anliegen „‚amtsverdrängter Hochschullehrer‘ (…) zunächst hinhaltende Antworten zu geben“.117 Damit demonstrierten die DFG-Gremien gegenüber dieser Gruppe eine von Zweifeln an ihrer Integrität genährte Reserve, und zwar länger, als dies andere Institutionen des wissenschaftlichen Feldes taten – voran der Hochschulverband, der sich seit den frühen 1950er Jahren für die Interessen der „Amtsverdrängten“ engagierte.118 Während die DFG-Gremien eine Reintegration im Zuge der Entnazifizierung entlassener Professoren am Anfang der 1950er Jahre verzögerten, fand in der politischen Öffentlichkeit, von den Medien über die Parteien bis hin zur Bundesregierung, längst ein Wettlauf um die Gunst der „Entnazifizierungsgeschädigten“ inklusive der Verharmlosung ihrer NS-Biographien und ihres gegenwärtigen Potenzials zur
115 Niederschrift des Hauptausschusses vom 9.5.1959, S. 10, in: BArch, B 227/162. Böhms NAH reichte jeweils Listen von „heimatvertriebenen bzw. amtsverdrängten Hochschullehrern“ ein, die das Wahlrecht erhalten sollten, siehe die Schreiben vom 12.2.1955, 5.7.1955 und 5.2.1959, in: BArch, Film 1790 K. 116 Vermerk Treues vom 1.4.1963, in: BArch, Film 1874 K. 117 Niederschrift der Sitzung des Präsidiums vom 13.10.1951, S. 3 f., in: BArch, B 227/162700. 118 Vgl. Bauer, Geschichte, S. 108–115.
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Gefährdung der Demokratie statt.119 Vor diesem Hintergrund ist das letztendliche Einlenken der DFG zu erklären, in seinem verlangsamten Verlauf aber doch bemerkenswert. Als die Wiedereinstellung der 1945 Entlassenen in Hochschulen oder Forschungsinstitute und somit die Aufnahme in die Klientel der DFG in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre fast flächendeckend abgeschlossen war, bemühte sich die DFG-Spitze, zumindest ihre Präsenz in den Gremien so zu begrenzen, dass sie weder einflussreich werden noch Anlässe zur Skandalisierung bieten konnten. Als der Senat im Jahr 1957 eine Kommission für Ostforschung bildete, überprüfte der zuständige Referent Carl-Heinz Schiel im Auftrag von Präsident Gerhard Hess die vorgeschlagenen Kandidaten und sortierte mehrere von ihnen aus, weil sie vor 1945 „so tiefbraun gewesen“ seien, dass „auch heute mit einer echten Gesinnungsänderung nur schwerlich gerechnet werden könne“.120 In der Begutachtungs- und Entscheidungspraxis der DFG während der frühen 1950er Jahre wurde die Frage, welche Bedeutung man dem Verhalten eines Wissenschaftlers während der NS-Zeit für seine fachliche Reputation und damit für seine Förderungswürdigkeit zumessen sollte, in aller Regel beschwiegen oder insofern entpolitisiert, als die Gutachter über frühere Forschungsleistungen von Antragstellern räsonierten, ohne die NS-Herrschaft als deren Rahmenbedingung zu erwähnen. Otmar von Verschuers erbbiologische Zwillingsforschung etwa erschien den Fachgutachtern der 1950er Jahre als fortzuführende Traditionslinie der deutschen Vererbungsforschung; seiner Förderakte ist ebenso wie jener Konrad Meyers oder Werner Osenbergs nicht zu entnehmen, dass es das „Dritte Reich“ jemals gegeben hatte. Dass Meyer ab Anfang der 1960er Jahre mit seinen Anträgen regelmäßig scheiterte, mag damit zusammenhängen, dass seine Vergangenheit unter Kollegen bekannt war, erwähnt aber wurde sie in den Gutachten nicht.121 Der Geograph Erich Otremba lobte 1956 die an der Pädagogischen Hochschule Vechta tätige Geographin Angelika Sievers wegen ihrer seit 1953 von der DFG finanzierten Forschung auf Ceylon und erwartete, sie werde die ländlichen Siedlungen dieser Insel analytisch in „regionale Dorftypen nach ihrer Sozial- und Wirtschaftsstruktur“ unterteilen – wie sie dies ja bereits „früher“ ein-
119 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 54–100. 120 Vermerk Schiels vom 7.2.1957, zit. nach Unger, Ostforschung, S. 289, vgl. ebenda S. 192. Das letzte von der DFG zu lösende biographische Problem bestand in den Rentenansprüchen, die ihr früherer Mitarbeiter Eduard Wildhagen 1964 gelten machte. Dies bot noch einmal diversen DFG-Honoratioren Anlass, widersprüchliche Erinnerungen und Bewertungen der NS-Zeit zu Protokoll zu geben, vgl. die Vorgänge in: BArch, B 227/689. Einen Ausweg fand man 1968 darin, dass sich der Stifterverband auf Bitten der DFG bereit erklärte, an Wildhagen „aus sozialen Gründen“ Zahlungen zu leisten. Vgl. Schreiben des Stifterverbandes an die DFG vom 28.5.1968, in: ebenda. 121 Vgl. die Gutachten zu Verschuers Zwillingsforschung aus den Jahren 1951 bis 1965, in: DFGArchiv, Ve 3, Meyers Förderakte, in: DFG-Archiv, Me 149 und jene Osenbergs, in: DFGArchiv, Os 6. Zum kollektiven Schweigen über die je individuellen NS-Vergangenheiten vgl. die Überlegungen bei van Laak, Gespräche, S. 120 f. und 126–133.
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mal „in Deutschland“ gemacht habe.122 Damit spielte Otremba unter anderem auf Studien an, die Sievers zwischen 1940 und 1942 als Mitarbeiterin Konrad Meyers durchgeführt hatte, ohne die politische Orientierung dieser Forschung zu erwähnen. Das Problembewusstsein, das die Notgemeinschaft anfangs bei der Förderung deutscher Forschung im Ausland gezeigt hatte – die Gutachter sollten laut der offiziellen Kriterien vom Dezember 1949 „gerade in der ersten Zeit“ prüfen, ob ein Antragsteller „vorbehaltlos als deutscher Repräsentant im Ausland geeignet“ sei – hatte schon die Förderung von Sievers’ Forschungsreise nicht mehr verhindert.123 Über den Göttinger Runenforscher Wolfgang Krause, der während des Zweiten Weltkrieges für das SS-Ahnenerbe tätig gewesen war, hieß es 1952 ganz unschuldig, er sei aufgrund seiner Vorarbeiten geeignet, „die abgerissenen Fäden zwischen den germanischen Völkern wieder zu knüpfen“.124 Das Nichtwissen um die NS-Vergangenheit dieser Wissenschaftler war erkennbar gespielt. Darüber etwa, dass Meyer vor 1945 mit Unterstützung der DFG am „Generalplan Ost“ geforscht hatte, wusste man immerhin soviel, dass die DFG-Geschäftsstelle im Herbst 1952 nach den „Herrn Professor Konrad Meyer seinerzeit überlassenen Leihgaben“ suchte.125 Gerade in Fachgebieten, deren Forscher der nationalsozialistischen Politik vor 1945 besonders nahegestanden und zugearbeitet hatten – wie etwa Anthropologie oder Agrarwissenschaften –, finden sich in den 1950er Jahren gehäuft Gutachter mit entsprechender Vergangenheit, die zum wechselseitigen Nutzen zu schweigen wussten. Warum hätte Max Rolfes, zwischen 1949 und 1955 Fachgutachter für landwirtschaftliche Betriebslehre, dem Antragsteller Georg Blohm vorhalten sollen, dass dieser sich 1940/41 gefördert von Meyers RFR-Fachsparte in der Beratung volksdeutscher Umsiedler engagiert hatte, die auf den Höfen vertriebener Polen angesetzt worden waren?126 Schließlich hatte Rolfes selbst Studien für den Generalplan Ost betrieben und an Besprechungen zum Generalsiedlungsplan teilgenommen.127 Nur wenn aufgrund der Themenwahl eines Antragstellers Gutachter aus anderen Fachgebieten hinzugezogen wurden, gerieten solche Arrangements in Unordnung. Solange Max Rolfes beispielsweise auf dem Feld der landwirtschaftlichen Betriebslehre blieb, begegnete er bei seinen gutachtenden Kollegen (ab 1955 war dies unter anderem regelmäßig Georg Blohm) keiner Kritik. Als er aber 1956 ein Projekt zur Wirtschaftsgeschichte Schlesiens 122 Otrembas Gutachten vom 28.9.1956, in: DFG-Archiv, Si 33, fol. 5354. Vgl. Rössler, Wissenschaft, S. 165 und 274, Morgen/Sievers, Grundlagen, sowie Sievers, Einfluß, S. 31. 123 Richtlinien der Notgemeinschaft für die Gutachter vom 16.12.1949, S. 3, in: BArch, Film 1789 K. 124 Zit. nach der Hauptausschussliste 19/1952, S. 4, in: DFG-Archiv, Kr 6, fol. 00912. 125 Entwurf eines Schreibens der Geschäftsstelle an Meyers früheren Mitarbeiter Konrad Morgen vom 21.10.1952, in: DFG-Archiv, Mo 20, fol. 05328. Immerhin fand sich noch eine Schreibmaschine, die inzwischen sinnigerweise einem DFG-geförderten Projekt zur „Landwirtschaft der Ostzone“ diente, Schreiben des Leiters des Institutes für Landwirtschaftliche Betriebslehre Berlin-Dahlem, Kramer, an die DFG-Geschäftsstelle vom 29.10.1952, in: ebenda, fol. 05329. 126 Vgl. Blohms Förderakte aus den Jahren 1952 bis 1975, DFG-Archiv, Bl 12. 127 Vgl. Heinemann, Wissenschaft, S. 56 ff.
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beantragte, traf er auf Gutachter aus den Wirtschaftswissenschaften, die nicht zu seinem Kollegenkreis gehörten und ihm daher unbefangen „übertriebenen Nationalismus mit leichter Färbung durch nationalsozialistisches ‚Ideengut‘“ attestieren konnten und den Antrag ablehnten.128 Dort, wo die Biographien von Antragstellern während der NS-Zeit von den Gutachtern konkret angesprochen wurden, findet sich in den Quellen aufgrund unterschiedlicher Fachkulturen und einer Vielfalt individueller Haltungen jede denkbare Position, von der entschlossenen Ablehnung ehemals exponierter NSWissenschaftler bis zum Versuch, die DFG zu ihrer Rehabilitierung zu nutzen.129 Im letzteren Sinne befürwortete der Ökonom Erwin von Beckerath 1953 einen Antrag des völkischen Soziologen Karl Valentin Müller, der sich bis 1945 unter anderem im Dienste der Prager „Reinhard Heydrich-Stiftung“ Gedanken über die Germanisierung Böhmens und Mährens gemacht hatte, mit dem (einzigen) Argument, es sei „notwendig, ihn auf Grund der Notlage, in die er als verdrängter Hochschullehrer gekommen ist“, zu unterstützen.130 Drei Jahre zuvor hatten medizinische Fachgutachter für eine Förderung des Anatomen Max Clara plädiert, weil er „sich unverschuldet in wirtschaftlicher Not befinde“.131 In Not war Clara geraten, weil er sich zwischen 1936 und 1942 als Führer des NS-Dozentenbundes an der Universität Leipzig den Ruf eines radikalen Nationalsozialisten erworben hatte, was seine Wiederberufung als Ordinarius in München, wo er bereits zwischen 1942 und 1945 gelehrt hatte, nach Abschluss seines Entnazifizierungsverfahrens verzögerte (und im Ergebnis verhinderte, da Clara schließlich einem Ruf nach Istanbul folgte). Ähnlich fürsorglich wollten sich die Fachgutachter 1953 im Fall des Luftfahrtmediziners Hermann Becker-Freyseng zeigen. Dieser war 1947 im Nürnberger Ärzteprozess wegen der Durchführung von Experimenten an Häftlingen des KZ Dachau zu 20 Jahren Haft verurteilt, aber bereits Ende 1952 aus dem Gefängnis entlassen worden. Im Jahr darauf wollten die DFGGutachter dem arbeitslosen Arzt ein Forschungsstipendium zukommen lassen, weil die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (unter Mitwirkung eines der DFG-Gutachter) festgestellt habe, dass Becker-Freyseng „eine strafbare Tat nicht nachzuweisen sei“. Die Gutachter befanden, dass er aufgrund „seiner Persönlichkeit“ und seiner Spezialkenntnisse besonders qualifiziert zur Bearbeitung eines luftfahrtmedizinischen Themas sei. An diesem Punkt intervenierte jedoch DFGVizepräsident Walther Gerlach und sorgte dafür, dass der Hauptausschuss BeckerFreysengs Antrag im Januar 1954 ablehnte. 132 Dagegen förderte die DFG in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mehrere Projekte des Mediziners Eugen Haagen, 128 Auszug aus der Hauptausschussliste 70/1956, in: DFG-Archiv, Ro 76, fol. 05422 f.; vgl. Unger, Ostforschung, S. 160 ff. 129 Vgl. Beispiele aus der Sprachwissenschaft bei Ehlers, Wille, S. 238–246. 130 Gutachten Beckeraths vom 3.6.1953, in: DFG-Archiv, Mu 5, fol. 00791; zu Müller vgl. Klingemann, Soziologie, S. 95–98 und Wiedemann, Reinhard-Heydrich-Stiftung, S. 63–67 und 77 f. 131 Auszug aus der Hauptausschussliste 10/1950, in: DFG-Archiv, Hu 6, fol. 06403. Zu Clara vgl. Klee, Personenlexikon, S. 93 f. 132 Hauptausschussliste 76/1953, S. 1 f., in: BArch, B 227/140; vgl. Roth, Bodies, S. 135. Alexander Mitscherlich und Fred Mielke hatten es 1947 in ihrer Dokumentation des Ärzteprozesses für
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der damals an der in Tübingen ansässigen Bundesanstalt für Viruskrankheiten der Tiere arbeitete. Dass Haagen 1943/44 KZ-Häftlinge mit Fleckfieberviren infiziert und getötet hatte, war allgemein bekannt, denn er war deswegen von einem französischen Gericht zu 20 Jahre Haft verurteilt und 1955 begnadigt worden.133 In den Geisteswissenschaften bemühten sich die Gutachter der frühen 1950er Jahre, mit Blick auf die NS-Zeit scharf zwischen seriöser Wissenschaft einerseits und einem von völkischen Ideologemen oder pathologischen Persönlichkeitsmerkmalen hervorgerufenen Dilettantismus andererseits zu unterscheiden. Als spezifisch nationalsozialistisch und damit für eine erneute Förderung disqualifizierend galt den Gutachtern nur Letzterer, womit sie zugleich die Frage für obsolet erklärten, ob nicht auch nach ihren Kriterien „normale“ Forschung von Nationalsozialisten bzw. zum Nutzen des nationalsozialistischen Regimes möglich gewesen sei. So scheiterte der Germanist Edmund Baldauf 1953 an Gutachtern, die ihm bescheinigten, „er sei ausgesprochen dilettantisch“ und hege „sehr unklare Vorstellungen“, weil er immer noch mit denselben Begriffen und Konzepten hantierte, mit denen er bis 1944 im besetzten Litauen nach germanischen Spuren gesucht hatte.134 Ebenfalls 1953 lehnte die DFG den Projektantrag „Europa und der fränkische Geist“ des Historikers Friedrich Wagner ab. Dieser hatte im Antrag Angaben zu seiner Karriere nach der Heidelberger Habilitation im Jahr 1938 vermieden, wohl weil er unter anderem Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes und Professor an der mit diesem verbundenen Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität gewesen war.135 Seinen Antrag von 1953 identifizierten die Gutachter als „das typische Produkt einer Sorte von politisch-völkischer ‚Geistesgeschichte’, die in ihrem gedanklichen Wirrwarr nur verheerend wirken könne“.136 Auch Gerhard Oestreich, der sich später mit seinen Thesen zur frühneuzeitlichen „Sozialdisziplinierung“ profilieren sollte, wäre 1952/53 fast vom Fachausschuss Geschichte als nationalsozialistischer Dilettant aussortiert worden. Den Anlass dazu bot, dass Oestreich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre am (damals von der DFG subventionierten) Institut für allgemeine Wehrlehre der Berliner Universität gearbeitet hatte, das den Gutachtern retrospektiv als eine Werkstatt von der Wehrmacht gehätschelter, unseriöser Zweckforscher galt.137 Schließlich konnte jedoch Oestreichs Doktorvater Fritz Hartung dem Fachausschuss glaubhaft machen, dass Oestreich inzwischen „zu ernster Wissenschaftlich-
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„zweifelhaft“ gehalten, ob dem Gericht der Nachweis von Becker-Freysengs Schuld einwandfrei gelungen sei, Mitscherlich/Mielke (Hrsg.), Medizin, S. 90. Vgl. Reitzenstein, SS-Ahnenerbe, S. 155. Hauptausschussliste 67/1953, S. 2, in: BArch, B 227/140. Vgl. zu dieser Fakultät Hachmeister, Gegnerforscher, S. 119–143, zu Wagner vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 837–843, 1104 und 1133 f. und Klingemann, Institut, S. 89 f. Hauptausschussliste 94/1953, S. 38, in: BArch, B 227/140. Wagner fungierte später als Vorsitzender des NAH, vgl. seinen Briefwechsel mit der DFG von 1963 in: BArch, Film 1874 K. Vgl. Miller, Nazis, S. 159 f. und 167–180, Reichherzer, Front, S. 306, sowie den programmatischen Aufsatz Oestreich, Wesen, in dem sich der Autor emphatisch zur Zweckforschung bekannt hatte: Die Wissenschaft stelle sich in der Gegenwart „selbst stärker in den Dienst der völkischen Selbstbehauptung“ und wolle mit ihren „Erkenntnissen der politischen und militärischen Führung von Volk und Staat“ zuarbeiten, ebenda, S. 231 und 233.
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keit“ gelangt sei und sich von seinen eindeutig „als Dilettanten ausgewiesenen“ früheren Kollegen (gemeint waren die an besagtem Institut tätig gewesenen Oskar von Niedermeyer und Karl Linnebach) distanziert habe.138 Nur der Ausschussvorsitzende Peter Rassow hielt daran fest, dass Oestreichs „Dilettantismus (…) unüberwindbar“ sei.139 1954 konnte sich Oestreich, von der DFG mit einem Stipendium gefördert, an der Freien Universität Berlin habilitieren. In einigen Fächern bedurfte es vieler Jahre, bis DFG-Gutachter jenen „Dilettantismus“ von Kollegen als solchen zu identifizieren vermochten. Ludwig Ferdinand Clauss, während der NS-Zeit einer der profiliertesten Vertreter der „Rassenseelenkunde“, erntete zwar in den 1950er Jahren mit Anträgen, die auf eine Fortsetzung seiner völkerpsychologischen Forschung zielten, Kritik, weil er zu „fragwürdigen Interpretationen“ neige, aber auch Anerkennung für das ethnographische Material, das er über Beduinen gesammelt hatte.140 Erst 1965 rang sich ein psychologischer Fachgutachter zu dem Urteil durch, Clauss arbeite nicht „streng wissenschaftlich“, sondern vertrete „unqualifizierte Auffassungen“, die „auch von unwissenschaftlichen Motivationen gespeist“ seien; Wertungen des „nordischen Menschen“ als „Leistungstypus“ und des „ostischen“ als „Entlastungstypus“ seien „Stereotypisierungen“, die sich in der Vergangenheit „als gefährlich für das Zusammenleben der Menschen erwiesen“ hätten.141 Was den völkischen Dilettanten (und damit den vermeintlich echten Nationalsozialisten) vom seriösen, wenn auch in der Vergangenheit vorübergehend vom Nationalsozialismus angezogenen Wissenschaftler unterschied, schien den DFGGutachtern die Unfähigkeit zum Umlernen zu sein. So beurteilten philologische Gutachter 1953 einen Antrag des nach Professuren in Jena, Berlin und Graz seit 1945 stellenlosen Musikwissenschaftlers Werner Danckert durchaus wohlwollend und vermuteten, dass er „Wichtiges zu sagen habe“, nahmen aber an der konzeptionellen Nähe Danckerts zu den inzwischen diskreditierten NS-Volkskundlern Eugen Fehrle und Karl Theodor Weigel sowie an einigen Begriffen „Anstoß“, die „durch die Sinnbildforschung der vergangenen Epoche zu Tode geritten worden“ seien.142 Der Historiker Heinrich Schnee musste ein Jahr zuvor auf einen Druckkostenzuschuss für sein Buch über Hofjuden in der Frühen Neuzeit verzichten, weil die Gutachter befanden, dass man der Sprache des Textes seine Entstehung
138 Die Zitate aus den Auszügen der Hauptausschusslisten 36/1952 und 41/1953, in: DFGArchiv, Oe 9, fol. 06880 und 06889. 139 Auszug aus der Hauptausschussliste 41/1953, in: ebenda, fol. 06890. 140 Auszug aus der Hauptausschussliste 59/1951, in: DFG-Archiv, Cl 4, fol. 01933. 141 Auszug aus der Hauptausschussliste 96/1965, in: ebenda, fol. 00031. 142 Hauptausschussliste 64/1953, S. 31, in: BArch, B 227/140; die Originalgutachten in DFGArchiv, Da 15, fol. 06272 ff. Danckert wurde zwar 1953 doch gefördert, blieb aber ein misstrauisch beäugter Forscher. Noch 1970, als es um einen Druckkostenzuschuss für ein posthum zu publizierendes Buch Danckerts ging, vermerkte ein Gutachter, der Autor sei auf dem „Forschungsstand der Zeit vor 1945 stehengeblieben“, Gutachten von Martin Ruhnke vom 30.11.1970, in: ebenda.
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am früheren „Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands“ noch immer anmerke.143 Dagegen stellte der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber, bis 1945 Professor in Straßburg, „seit dem Zusammenbruch (…) Privatgelehrter“, aus Sicht der Gutachter von 1950 den Prototypen eines lernfähigen, ergo seriösen NS-Wissenschaftlers dar. Zweifellos, so hieß es über Huber, „sei er ein Schüler von Carl Schmitt und einer der Hauptvertreter der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft gewesen“. Aber zum einen habe er sich seit 1945 mustergültig verhalten, das heißt „sich seit dem Zusammenbruch einer völligen Zurückhaltung befleißigt“ und sich „in bescheidener Weise in die stille Arbeit des Gelehrten zurückgezogen“, also den Irrweg einer politisch engagierten Wissenschaft verlassen. Zum anderen, so argumentierte namentlich der Freiburger Historiker Gerhard Ritter, sei Huber „zu klug, um heute noch nationalsozialistische Ansichten zu hegen und publizistisch zu vertreten“, dies aber mache seine Förderung ungeachtet der NS-Biographie „unbedenklich“.144 Acht Jahre später kam der nun gutachtende Heinrich Heffter noch einmal auf Hubers NS-Vergangenheit zurück und entnazifizierte nachträglich dessen ältere Schriften. Zwar trügen diese „nationalsozialistischen Charakter“, seien aber zugleich stilvoll und von einem „ganz positivistischen Standpunkt“ aus geschrieben, wie es der „Tradition der deutschen Staatsrechtslehre“ entspreche – und damit eben doch nicht wirklich nationalsozialistisch, sprich: dilettantisch.145 Letztlich orientierten sich die DFG-Gutachter an der Fiktion einer weitgehenden Normalität des deutschen Wissenschaftsbetriebes zwischen 1933 und 1945, die nur von außen durch erratische Eingriffe eines wissenschaftsfeindlichen Regimes gestört und von innen durch einige wenige Dilettanten und Glücksritter gefährdet worden sei. „Ernsthafte Wissenschaftlichkeit“ galt als per se inkompatibel mit nationalsozialistischer Gesinnung. Wer durch fachliche Leistung ausgewiesen war, konnte folglich gar kein echter Nationalsozialist gewesen sein. Einig war man sich quer durch die Fächer auch darin, dass neben den Dilettanten jene Kollegen abzulehnen seien, die während der NS-Herrschaft ihre Karriere mithilfe außerakademischer Instanzen zum Schaden von Standesgenossen beschleunigt hatten. Medizinische Fachgutachter lehnten in diesem Sinne 1951 die Förderung eines Krebsforschers ab, weil dieser sich nach 1935 aufgrund seiner „politischen Einstellung“ in der DFG-Förderung Vorteile verschafft und fachintern einen Status erreicht habe, der ihn zur „Selbstüberschätzung“ verleite.146 Diese Perspektive reduzierte das NS-Regime auf eine beliebige Form politischer Herrschaft, die mit Hilfe von eigennützigen Ehrgeizlingen aus den Reihen der
143 Vgl. Hauptausschussliste 30/1952, S. 23 f., in: BArch, B 227/142. Ein Germanist scheiterte 1950 daran, dass die Gutachter nach seinem Engagement für das NS-Regime „die letzte Reifung und Abrundung aus ernster Selbstkritik“ vermissten, zit. nach Ehlers, Wille, S. 240. 144 Auszug aus der Hauptausschussliste 10/1950, in: DFG-Archiv, Hu 9, fol. 06576–06579. 145 Gutachten Heffters vom 23.2.1958, in: ebenda, fol. 06584. 146 Hauptausschussliste 41/1951, S. 30, in: BArch, B 227/110.
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deutschen Wissenschaft deren Autonomie bedroht hatte.147 Ausgeblendet wurden dabei sowohl jene Verstöße gegen die Standessolidarität, deren Opfer nach 1933 jüdische Kollegen geworden waren – diese galten offenbar weiterhin nicht als solche –, als auch Handeln, dessen Opfer ohnehin außerhalb der Wissenschaft gestanden hatten (wie beispielsweise die KZ-Häftlinge, an denen Becker-Freyseng und Haagen experimentiert hatten). Die Exklusion der wenigen echten, sprich: auch in der Gegenwart unbelehrbaren, fachlich mediokren Nationalsozialisten erschien damit als hinreichend, um Distanz zur NS-Vergangenheit zu gewinnen. Diese Fiktion genoss in den 1950er Jahren auch jenseits der DFG-Gremien in der westdeutschen Wissenschaft breite Akzeptanz. Insofern bewegte sich die personelle Vergangenheitspolitik der DFG im Mainstream, je nach Fach und handelndem Akteur konnte sie sogar etwas kritischer ausfallen als an den meisten Hochschulen, im Hochschulverband und in den Fachgesellschaften. VERGANGENHEITSPOLITIKEN II: DEBATTEN ÜBER DIE AUTONOMIE DER WISSENSCHAFT UND KONTAMINIERTE FORSCHUNGSFELDER Im Jahr 1962 scheiterte der Antrag des Frankfurter Soziologen Ludwig Neundörfer, die DFG möge die Förderung eines „Atlas sozioökonomischer Regionen Europas“ verlängern. Die Gutachter hatten bemängelt, der Atlas werde den politischen Zwecken der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dienen und solle daher auch von deren Institutionen, nicht aber durch die DFG finanziert werden: „Eine Forschungsaufgabe im Sinne der Statuten der Deutschen Forschungsgemeinschaft liege nicht vor.“148 Ein Gutachter begründete seine Ablehnung einer Zweckentfremdung der DFG-Gelder für politische Interessen mit dem Verweis darauf, dass er „unter dem Naziregime erlebt habe, wie unkritisch und primitiv unter dem Namen ‚Raumforschung‘ Bestandsaufnahmen kartographisch dargestellt worden seien“.149 Drei Jahre zuvor hatte der Senat bereits ein anderes Atlas-Projekt abgelehnt. Zwar hatten die Autoren eines Atlas über Ostmitteleuropa für ihr Unternehmen explizit mit dem Argument geworben, es sei keine „Fortsetzung des während des dritten Reiches von Professor Krebs begonnenen ‚Atlas des deutschen Lebensraums’; das neue Atlasvorhaben basiere (…) auf einer völlig neuen Konzeption“, indem es alle Länder „gleichgewichtig“ und in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn darstelle wolle. Trotzdem, so hatte DFG-Präsident Gerhard Hess erklärt, erscheine es ihm „problematisch“, wie man dieses Projekt „unter der Hypothek der alten, jetzt aufgegebenen Ideen“ erfolgreich durchführen wolle.150
147 Eine analoge Beobachtung hat Thomas Etzemüller anhand des Briefwechsels westdeutscher Historiker der 1950er Jahre gemacht, vgl. Etzemüller, Sozialgeschichte, S. 219–222. 148 Zit. nach der Hauptausschussliste 24/1962, S. 18, in: DFG-Archiv, Ne 22, fol. 03025. 149 S. 19 dieser Hauptausschussliste, in: ebenda, fol. 03026 f. 150 Niederschrift über die Sitzung des Senates, S. 5 f. vom 26.6.1959, in: BArch, B 227/162891.
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Wie diese Beispiele zeigen, beschränkten sich die Auseinandersetzung der DFG-Gremien mit den Erfahrungen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges nach 1949 nicht darauf, einige wenige Remigranten zu fördern, einzelne Forscher aufgrund ihres nationalsozialistischen Engagements aus der DFG-Klientel auszuschließen oder aber durch die Entnazifizierung arbeitslos gewordene Wissenschaftler zu reintegrieren. Zwar diskutierten die Gremien der DFG in den 1950er und 1960er bei keiner Gelegenheit speziell und ausführlich über die Rolle der Wissenschaft und ihrer Institutionen zwischen 1933 und 1945. Die Diktatur- und Kriegserfahrungen wurden allerdings in dreifacher Weise immer wieder aufs Neue aufgerufen und zu Ausgangspunkten strategischer Debatten: Erstens hieß es immer wieder, dass die Emigration von Leistungsträgern nach 1933 und der Verlust an Menschen und Ressourcen durch den Krieg die deutsche Wissenschaft im internationalen Vergleich zurückgeworfen habe. Allerdings kam solchen Erklärungsangeboten nur die Funktion zu, von den Diskutanten nicht (oder doch zumindest nicht direkt) zu verantwortende Ursachen für den internationalen „Rückstand“ der deutschen Forschung zu identifizieren, zu strategischen Schlussfolgerungen führten sie nicht. Dies war bei den beiden anderen Anlässen zur Bezugnahme auf die NS-Vergangenheit anders, nämlich zweitens bei der Frage, inwieweit sich Forschung allgemein und die DFG im Besonderen für politische und militärische Interessen einspannen lassen dürfe sowie drittens bei Entscheidungen über die Förderung von Forschungsfeldern, die einem Teil der Gremienmitglieder als nationalsozialistisch kontaminiert erschienen. Beide Fragen wurden die 1950er und 1960er Jahre hindurch in Wellen debattiert; der Bezug zu den NS-Erfahrungen der Diskutanten erscheint heute als offensichtlich, obwohl oder gerade weil diese selbst häufig Wert darauf legten, solche Bezüge zu entkonkretisieren. Die Frage des Verhältnisses von Politik und Wissenschaft diskutierten die Gremien der DFG vor allem deshalb immer wieder aufs Neue, weil sich die Bundesregierung als maßgebliche Geldgeberin der Forschungsgemeinschaft berechtigt sah, von ihr Dienstleistungen zu fordern. Dies lehnte die DFG nicht per se ab, vielmehr schrieb schon die Satzung von 1951 dem Senat (und den von ihm eingesetzten Kommissionen) die Aufgabe zu, „Regierungsstellen in wissenschaftlichen Fragen gutachtlich“ zu beraten.151 Beispielsweise arbeiteten mehrere Senatskommissionen zu Fragen der Lebensmittelsicherheit, das heißt sie erstellten Listen gesundheitsschädlicher Inhaltsstoffe und entwarfen Ausführungsverordnungen zum 1958 novellierten Lebensmittelgesetz. Im Jahr 1955 kam eine Kommission zu gesundheitsschädlichen Arbeitsstoffen hinzu, in den 1960er Jahren wurden Kommissionen zur Luftverschmutzung, zum Gewässer- und zum Lärmschutz eingerichtet.152
151 Die Satzung vom 2.8.1951 ist abgedruckt in: Zierold, Forschungsförderung, S. 555–561, hier S. 558. 152 Vgl. Stoff, Wirkstoffe, S. 309–322, Bericht 1955, S. 26–29, Bericht 1956, S. 20–23, Bericht 1957, S. 25–30, Bericht 1966, S. 18 und Zierold, Forschungsförderung, S. 451–456. Zur Senatskommission für Atomphysik vgl. Stamm, Staat, S. 155–193.
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Was die Haltung der DFG-Klientel in den 1950er von jener in den 1920er Jahren grundsätzlich unterschied, war ihre nun vorbehaltlose Bereitschaft, mit den Repräsentanten des demokratischen Staates unmittelbar zusammenzuarbeiten. Wie wir gesehen haben, hatte vor 1933 eine zentrale Funktion der vom früheren königlich-preußischen Kultusminister Friedrich Schmidt-Ott geführten Notgemeinschaft gerade darin bestanden, antirepublikanischen Ordinarien die Ressourcen des demokratischen Staates zu vermitteln, ohne dass sie selbst direkt in Kontakt mit dessen Politikern treten mussten. Solche prinzipiellen Reserven gegenüber der Republik spielten nach 1949 keine Rolle mehr. Zugleich knüpften die DFG-Gremien ihre Bereitschaft zu politisch nutzbaren Dienstleistungen regelmäßig an die Bedingung, dass die Wissenschaft ihre Leistungen ausschließlich nach den eigenen Regeln, unter freier Definition der Erkenntnisinteressen und in organisatorischer Autonomie erbringen werde. Denn, so behauptete eine Arbeitsgruppe des Senates im Oktober 1952 apodiktisch, dort, „wo das Politische in die Wissenschaft einbricht“ verleite das die Forscher zu „Verstößen gegen das der Wissenschaft vorgeschriebene Ethos des reinen Wahrheitssuchens“.153 Im folgenden Jahr unterschied DFG-Präsident Ludwig Raiser in einem öffentlichen Vortrag zwischen Regimen, welche die „Eigengesetzlichkeit“ der Wissenschaft respektierten und anderen, die dies in einer „totalitären Entartung“ nicht täten, als Beispiele für Letztere nannte er die DDR und den „NS-Staat“.154 Das deklarative Beharren auf einer Autonomie des Teilsystems Wissenschaft gegenüber dem Teilsystem Politik folgte aus einer weitgehend konsensualen Deutung der Vergangenheit: Die breite Selbstmobilisierung der Wissenschaftler für die Ziele des NS-Regimes blieb ausgeblendet, stattdessen redete man sich retrospektiv einen idealen, eigentlich politikfernen Wissenschaftsbetrieb ein, in den der NS-Staat als fremder Eindringling geradezu gewaltsam hineinregiert habe. Für die Gegenwart der 1950er und 1960er Jahre legte diese Deutung aus Sicht der DFG-Gremien drei Schlussfolgerungen nahe: Erstens führte sie zu einer ebenso gebetsmühlenartigen wie pathetischen Rezitation von Formeln wie „reine Grundlagenforschung“. Zweitens interpretierte man die Rolle der DFG und ihrer Klientel dahin, dass man der Politik aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse autoritativen Rat zu geben bereit war, sich aber die Vorgabe von Fragestellungen, Methoden oder Ergebnissen der Forschung verbat. Und drittens reagierten die DFG-Gremien, vor allem der Senat, reserviert gegenüber solchen Wünschen des Staates, die eine militärische Komponente besaßen. Für die westdeutschen Technikwissenschaften hat Helmut Maier beobachtet, dass „die wissenschaftssystematische Entkoppelung von Grundlagen- und Zweckforschung“ nach 1945 „zu einer Standardformel des Verantwortungsdis-
153 Bericht 1953, S. 16. Im Jahr 1971 historisierte DFG-Präsident Julius Speer die anfängliche Reserve seiner Organisation: Deren Gründer hätten 1940 „ihre Autonomie über alles“ gestellt, „da sie auf Grund der Erfahrungen in der NS-Zeit befürchteten, durch eine politisch engagierte Wissenschaft die Unabhängigkeit der Forschung zu gefährden“, Speer, Standort, S. 21. 154 Raiser, Subventionen, S. 16 f.
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kurses der Technikwissenschaften“ avanciert sei.155 Die Leitung der Max-PlanckGesellschaft, so argumentiert Carola Sachse, habe erst nach 1945 ein dichotomisches Verhältnis von angewandter und „reiner“ (sprich: von politischen oder ökonomischen Zwecken freier) Grundlagenforschung behauptet und sich selbst als Repräsentanten der letzteren verortet. Dies habe dazu gedient, die Spuren des eigenen Engagements für das NS-Regime zu verwischen, in der Gegenwart einen Anspruch auf „institutionelle Unabhängigkeit“ sowie „wissenschaftliche Autonomie“ zu begründen und sich selbst für die Zukunft auf ein „Ordnungsmuster“ zu verpflichten, das sowohl eine scheinbar eindeutige Orientierung, als auch bei Bedarf weite Handlungsspielräume bieten würde, da der Kernbegriff vage gehalten war.156 Die Debatten der DFG-Gremien der 1950er Jahre zeigen ein ähnliches Muster und ihre Definition der DFG als primär der Grundlagenforschung verpflichteter „Gelehrtenrepublik“ erfüllte für die DFG und ihre Klientel im Prinzip ähnliche Funktionen wie für die MPG. Allerdings sind beim Transfer von Sachses Thesen auf die DFG zwei Relativierungen notwendig. Zum einen hatte der Begriff der Grundlagenforschung, wie wir in den früheren Kapiteln gesehen haben, innerhalb der DFG eine bis in die 1920er Jahre zurückreichende Tradition als Selbstbeschreibung ihrer Klientel (wenn auch nicht unbedingt deren konkreter Praxis). Zum anderen konnte die DFG, wollte sie ihren Anspruch auf Repräsentanz der gesamten westdeutschen Forschung durchsetzen, zwar einen normativen Primat der Grundlagenforscher behaupten und so deren Privilegierung bei der Verteilung von Einfluss und Ressourcen legitimieren, musste sich aber zugleich um eine Integration der anwendungsorientiert forschenden Hochschulwissenschaftler bemühen. Daher musste die Frage nach der Legitimität anwendungsorientierter Forschung allgemein und politischen Zwecken verpflichteter Forschung im Besonderen von den DFG-Gremien immer wieder konkret beantwortet werden. Von einer grundsätzlichen Ablehnung der Förderung von Projekten zu politischen Zwecken kann, wie erwähnt, keine Rede sein. Untersuchungen des Agrarwissenschaftlers Otto Schiller wurden in den 1950er und 1960er Jahren beispielweise mehrfach gefördert, weil sie im Kalten Krieg relevante Alternativentwürfe zur staatsozialistischen Agrarpolitik, sei es nach einer deutschen Wiedervereinigung, sei es in der „Dritten Welt“ versprachen.157 Helmut Schelsky traf 1956 mit einer Studie über die Erwartungen von Eltern an die Schule auf das Wohlwollen der Gutachter, weil sie „eine kultur- und gesellschaftspolitische Frage ersten Ranges“ betreffe.158 Dagegen warnte ein Gutachter aus den Wirtschaftswissenschaften 1962 davor, Institute zu fördern, „die zwar behaupten wissenschaftlich zu arbeiten, aber in Wirklichkeit völlig von Interessentenideologien abhängig sind“.159 Nicht der Gegenstand einer Untersuchung sollte also „unpolitisch“ sein, sondern 155 Maier, Einleitung, S. 28 f. 156 Sachse, Grundlagenforschung, S. 3 und 8. 157 Zit. nach der Hauptausschussliste 53/1951, S. 38, in: DFG-Archiv, Ma 48, fol. 02022, zu Schillers Projekten vgl. seine Förderakte in: DFG-Archiv Schi 9. 158 Zit. nach der Hauptausschussliste 56/1956, S. 17, in: DFG-Archiv, Sche 37, fol. 02137. 159 Gutachten Fritz Voigts vom 22.8.1962, in: DFG-Archiv, Th 21, fol. 13655.
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ihr Erkenntnisziel sollte nicht auf die Bestätigung eines vorgegebenen politischen Werturteils zielen. Im Jahr 1951 begeisterten sich die Gutachter für ein Projekt des Kieler Soziologen Gerhard Mackenroth mit der Begründung, es könne einen „Beitrag zur Klärung sozialpolitischer Fragen liefern“.160 Auf Initiative Mackenroths richtete der Senat dann Ende 1952 eine „Kommission für vordringliche sozialpolitische Fragen“ ein, die bis 1966 arbeitete und den Anspruch erhob, Öffentlichkeit und Politik den tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft und die sich hieraus ergebenden politischen Fragen zu erklären. Die Sozialwissenschaften, so führte Mackenroth im Oktober 1952 aus, beobachteten in „der ganzen Welt“ denselben Trend einer Entwicklung „von der Klassengesellschaft zur nivellierten Mittelstandsgesellschaft (…) – in Deutschland noch akzentuiert durch Kriegsereignisse und Flüchtlingszustrom“. Inmitten dieses epochalen Wandels orientiere sich aber die deutsche Politik an „veralteten Ideologien und Vorurteilen, die mit der sozialen Wirklichkeit nicht übereinstimmen“, sie gehe beispielsweise von längst unzeitgemäßen „romantischen Vorstellungen einer patriarchalischen Familie aus.“ Für die Wissenschaft – und konkret für die von ihm initiierte DFG-Kommission – beanspruchte Mackenroth die Autorität, das „Leitbild einer soziologisch fundierten“ Gesellschaftspolitik, ja einen umfassenden „deutschen Sozialplan“ zu entwickeln.161 Zwei Jahre nach dem Beginn der Kommissionsarbeiten erhielt der Kieler Soziologe im Senat der DFG dessen Zustimmung für die Forderung, „der Gesetzgeber müsse sich an den Gedanken gewöhnen, daß er, bevor er ein Gesetz erlasse, bei der Wissenschaft anfrage, welches die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem zu ordnenden Gebiet seien“. Zugleich aber, so trug Mackenroth vor und beschloss der Senat, dürfe sich die Kommission selbst keineswegs in die Niederungen der Politik begeben: Sie habe „sachlich-wissenschaftliche Arbeit“ zu leisten, ohne Verantwortung dafür zu tragen, was aus ihren Impulsen in der weiteren Aushandlung „zwischen politischen Parteien und Ministerialbürokratie“ werde.162 Im Jahr 1957 musste die Kommission feststellen, dass sie mit dieser Form politikabstinenter Politikberatung gescheitert war. Die anfangs erhoffte „Grundsatzdebatte“ über Sozialpolitik war „nicht zustande gekommen“. Hieraus zogen die Wissenschaftler nun keineswegs den Schluss, etwas versäumt zu haben, sondern sahen ihre Skepsis gegenüber den politischen Akteuren bestätigt: „In dieser Erkenntnis hat die Kommission sich vorgenommen, unabhängig von der tagespolitischen Aktualität darauf hinzuarbeiten, daß die ungelösten sozialpolitischen Probleme (…) eine wissenschaftliche Behandlung erfahren.“163 Im Juli 1966 löste der Senat die Kommission auf Antrag ihres Mitgliedes Helmut Schelsky auf, weil sie (so Schelsky), für eine konkrete Politikberatung „zu
160 Zit. nach der Hauptausschussliste 53/1951, S. 38, in: DFG-Archiv, Ma 48, fol. 02022. 161 Protokoll der Sitzung der Kommission „Verantwortung der Wissenschaft“ vom 18.10.1952, S. 7 und 10 f., in: BArch, B 227/162890 und Bericht 1953, S. 26. Zu dieser Kommission als Vorläuferin der Mackenroth’schen Kommission vgl. Stamm, Staat, S. 150 ff. 162 Niederschrift der Senatssitzung vom 22.10.1954, in: Barsch, B 227/162890. 163 Bericht 1957, S. 20.
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schwerfällig“ sei.164 In den 14 Jahren ihres Bestehens hatte die Kommission eine Reihe wissenschaftlicher Projekte ermöglicht, aber nur eine einzige gemeinschaftliche Publikation in Gestalt einer 1964 produzierten Broschüre von 61 Seiten Umfang hervorgebracht.165 An ihren hochfliegenden politischen Ansprüchen scheiterte sie ohnehin kläglich, gerade weil die in der Kommission diskutierenden Ordinarien vielleicht Gesellschaften zu analysieren vermochten, von den Bedingungen politischen Handelns aber nicht nur nichts verstanden, sondern auch gar nichts verstehen und sich nicht auf sie einlassen wollten. Aus Sicht ihrer regierungsamtlichen Auftraggeber recht effektiv arbeitete hingegen zwischen 1951 und 1961 die sogenannte „Schutzkommission“ des DFGSenates – und gerade deshalb versuchten innerhalb der DFG einflussreiche Akteure von Anfang an, sich dieser Kommission zu entledigen. Die Aufgabe der Kommission bestand darin, Möglichkeiten für den Schutz der Zivilbevölkerung vor atomaren, chemischen und biologischen Waffen in einem Dritten Weltkrieg zu erforschen. Konkret widmeten sich die Wissenschaftler unter anderem Messmethoden für radioaktive Niederschläge und der Definition von Grenzwerten, medikamentösen Wegen zur Erhöhung der Strahlungsresistenz des Körpers und Behandlungsformen für Strahlenkrankheiten, schließlich Methoden, um radioaktiv verstrahlte Gebiete und Gegenstände passierbar bzw. benutzbar zu machen.166 Die DFG hatte die Kommission 1951 bei der Vereinigung von Notgemeinschaft und Forschungsrat übernommen; der DFR seinerseits hatte die Kommission auf Bitten des Bundesinnenministeriums in der Weise verwaltet, dass er die vom Ministerium bereitgestellten Mittel an sie weitergereicht hatte. Einen inhaltlichen Einfluss hatte er auf die Schutzkommission nicht gehabt; letztlich sollte diese Konstruktion nur verschleiern, dass das Bundesinnenministerium direkt zu Fragen des Zivilschutzes in einem künftigen Krieg forschen ließ. Die Schutzkommission behielt auch in der Obhut der DFG nach 1951 einen Sonderstatus. Sie handelte ihren Etat jährlich mit dem Bundesinnenministerium aus, das ihr seine Fördermittel zwar über die Konten der DFG anwies, deren Gremien aber zunächst gar keine, ab 1956 nur minimale Mitsprachemöglichkeiten einräumte (nun durften DFG-Fachgutachter die Forschungsvorhaben „sehr summarisch“ zur Kenntnis nehmen).167 Im Juli 1954 beschloss der DFG-Senat erstmals, die Schutzkommission an eine andere Institution weiterzureichen, gedacht war an die Bundesanstalt für zivilen Luftschutz, die kurz vor ihrer Gründung stand.168 Dieser Beschluss wurde schon im Oktober desselben Jahres wieder ausgesetzt, nachdem der Vorsitzende der Schutzkommission, der Bonner Physikordinarius Wolfgang Riezler an die Standessolidarität der DFG-Honoratioren appelliert hatte: „Für die in der Kom164 165 166 167
Niederschrift der Senatssitzung vom 14.7.1966, S. 17 f., in: BArch, B 227/162894. Vgl. Umverteilung, Bericht 1964, S. 22 f. und Orth, Vertreibung, S. 342–350. Vgl. Schwerin, Strahlenforschung, S. 309–313. So die retrospektive Darstellung von Zierold laut der Niederschrift der Senatssitzung vom 20.10.1961, S. 27, in: BArch, B 227/162892. 168 Niederschrift der Senatssitzung vom 2.7.1954, S. 10, in: BArch, B 227/162890.
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mission mitarbeitenden Forscher“ bedeute „die Anlehnung an die DFG Schutz und Hilfe“ gegenüber politischen Eingriffen der Geldgeber.169 In den folgenden Jahren debattierte der Senat mehrfach das Verhältnis der DFG zur Schutzkommission, forderte ihre Herauslösung aus dem Verbund der DFG oder band ihren Verbleib an die Beachtung wissenschaftlicher Standards (vor allem an die Veröffentlichung auch solcher Forschungsergebnisse, die der Regierung unbequem waren) und erreichte schließlich im Jahr 1961, dass das Bundesinnenministerium die Kommission in eigene Verantwortung übernahm. Die jahrelangen Debatten und Verhandlungen zur Schutzkommission sind insofern aufschlussreich, als in ihnen alle Seiten ihre Interessen und normativen Vorstellungen in Bezug auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik anhand eines durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und die Gegenwart des Kalten Krieges dramatisierten Themas erörterten. Die Haltung der Bundesregierung zielte darauf, die DFG als Akkreditierungsagentur für die Seriosität staatlich beauftragter Wissenschaft zu nutzen. Erich Hampe, früherer Wehrmachtsgeneral und erster Präsident der Bundesanstalt für zivilen Luftschutz, erklärte 1954 offen, er „wolle das wissenschaftliche Ansehen der DFG für die von der Schutzkommission betriebenen Forschungen (…) einsetzen“.170 Die in ihrer Mehrheit kritischen DFG-Senatoren dagegen hielten es für unvereinbar mit der Autonomie von Wissenschaft, dass in den Ausschüssen der Schutzkommission Vertreter der Bundesregierung leitend mitarbeiteten. Im Februar 1957 beschloss der Senat auf Anregung von Walther Gerlach, dass Ministerialbeamte generell nicht Mitglieder seiner wissenschaftlichen Kommissionen werden könnten.171 Zudem beharrte der Senat darauf, dass die freie Veröffentlichung von Forschungsergebnissen konstitutiv für seriöse Wissenschaft sei: Eine „Geheimhaltungspflicht“ sei jene „Grenzlinie für die DFG“, welche die Schutzkommission und ihre Auftraggeber nicht überschreiten dürften, erklärte 1954 mit dem Maschinenbauingenieur Emil Sörensen ausgerechnet ein als Forschungsmanager beim Industriekonzern MAN tätiger DFG-Senator.172 Fünf Jahre später unterstützte der Senat die Schutzkommission, als diese mit der Bundesregierung über deren Weigerung in Konflikt geriet, eine kritische Bilanz des Zivilschutzes zu veröffentlichen. Der Germanist Jost Trier erinnerte seine Mitsenatoren bei dieser Gelegenheit daran, dass „die Wissenschaft“ „schon einmal (…) in der jüngsten Vergangenheit aus politischen Erwägungen geschwiegen (habe) und nachher für diese Entscheidung nicht das Verständnis gefunden (habe), das sie erhofft hatte“.173 21 Jahre zuvor, im Jahr 1938, hatte Trier sein wissenschaftliches Selbstverständnis
169 Niederschrift der Senatssitzung vom 22.10.1954, S. 11, in: ebenda. 170 Ebenda. 171 Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 22.2.1957, S. 7, in: BArch, B 227/162891. Gerlach hatte sich bei der Gründung der Notgemeinschaft vergeblich darum bemüht, jede Beteiligung von Ministerialvertretern an deren Gremien zu verhindern, vgl. Gerlachs Brief an Werner Heisenberg vom 16.3.1949, in: Bachmann/Rechenberg (Hrsg.), Gerlach, S. 231. 172 Niederschrift der Senatssitzung vom 22.10.1954, S. 11, in: BArch, B 227/162890. 173 Niederschrift der Senatssitzung vom 19.12.1959, S. 22, in: BArch, B 227/162893.
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dahin definiert, „der Beauftragte seiner Volksgemeinschaft“ zu sein.174 Scheinbar hatte er inzwischen hinzugelernt. Schließlich beurteilten die DFG-Senatoren die Schutzkommission deshalb kritisch, weil sie eine Grenzgängerin zwischen, wie es ihr Vorsitzender Riezler selbst formulierte, „guter wissenschaftlicher Arbeit“ (im Sinne von Grundlagenforschung) und „rein praktischen Aufgaben“ sei. DFG-Präsident Raiser empfand im Oktober 1954 „ein unbehagliches Gefühl“, als Zeitungen Bilder einer „Volksgasmaske“ publizierten, „die mit Unterstützung der DFG entwickelt werde“.175 Der Physiker Otto Haxel empfahl in derselben Senatssitzung, „die nichtwissenschaftlichen Ausschüsse“ der Kommission „abzudrängen und den Rest in die DFG hereinzunehmen“.176 Den Anlass für die endgültige Trennung der DFG von der Schutzkommission bot dann 1961 eine von ihr publizierte Denkschrift, in der eine Ausweitung des Bunkerbaus und der Bevorratung für den Atomkriegsfall mit dem Argument gefordert wurde, so könne die zu erwartende Zahl ziviler Opfer „ganz erheblich gesenkt“ werden.177 Nun betrieb vor allem Generalsekretär Kurt Zierold die Trennung von der Kommission, weil deren Denkschrift „keine wissenschaftlichen, sondern politische und praktische Gesichtspunkte“ enthalte. Unterstützung erhielt Zierold vom Chemiker Hans Deuticke, der sich während des Zweiten Weltkrieges in der Kampfstoffforschung engagiert hatte und es nun als erwiesen ansah, dass „in der Schutzkommission Dinge behandelt würden, für die die Wissenschaft allein die Verantwortung nicht zu tragen in der Lage sei. Man müsse durch eine Ablehnung der Übernahme einer solchen Verantwortung jetzt – ehe es zu spät sei – klarstellen, wie es um diese Dinge wirklich stehe“ (dass nämlich ein Atomkrieg selbst bei optimiertem Zivilschutz katastrophal sein werde). Nun beschloss der Senat endgültig die „Rückgabe“ der Schutzkommission an das Bundesinnenministerium; dort existiert sie bis heute. 178 Dass der DFG-Senat überhaupt so lange gezögert hatte, diesen Schlussstrich zu ziehen, war im Wesentlichen der Rücksichtnahme auf die materiellen Interessen einiger Kollegen, ergo einer Form von Standessolidarität, zuzuschreiben. Immerhin, so hieß es immer wieder, müsse man bedenken, „dass über die Schutzkommission einigen Forschern beachtliche Gelder zuflössen, die im großen Umfange für die Grundlagenforschung ihrer Institute verwendet werden könnten“.179 Demgegenüber lehnten mit dem DFG-Vizepräsidenten Walther Gerlach und dem Elektrotechniker Hans Piloty zwei Senatsmitglieder grundsätzlich jedwede mit militärischen Interessen verbundene Forschung ab, die sich selbst während des Zweiten Weltkrieges in der Rüstungsforschung engagiert hatten, nun aber vor dem (unausgesprochenen) Hintergrund dieser Erfahrungen und der von ihnen ausgelösten Lernprozesse emphatisch propagierten, die DFG solle 174 175 176 177
Trier, Geschichte, S. 349. Niederschrift der Senatssitzung vom 22.10.1954, S. 11, in: BArch, B 227/162890. Ebenda, S. 12. Aus der Denkschrift vom 15.8.1961 als Anlage zur Niederschrift der Senatssitzung vom 20.10.1961, in: BArch, B 227/162892. 178 Niederschrift der Senatssitzung vom 20.10.1961, S. 28 f., in: ebenda. 179 Niederschrift der Senatssitzung vom 22.10.1954, S. 11, in: BArch, B 227/162890.
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die Selbstorganisation einer „reinen“ Grundlagenforschung sein. Als der Senat im Oktober 1954 über die Schutzkommission diskutierte, vermerkte das Protokoll: „Herr Gerlach warnt davor, im Grundsätzlichen nachzugeben. Herr Piloty bemerkt, die DFG habe nicht nur Geld, sondern auch Ansehen zu vergeben. Man müsse prüfen, wie weit man dabei gehen wolle.“180 Walther Gerlach exponierte sich auch öffentlich mehrfach als scharfer Kritiker der Wiederaufrüstung, so etwa im April 1957 als Mitunterzeichner der gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr gerichteten „Göttinger Erklärung“ von 18 Atomwissenschaftlern. Innerhalb der DFG argumentierte er die gesamten 1950er Jahre hindurch immer wieder gegen ein Engagement ihrer Klientel in der Rüstungsforschung. Zusammen mit dem Mediziner Wolfgang Bargmann und dem DFG-Präsidenten Gerhard Hess stellte er beispielsweise in einer Senatssitzung vom Februar 1958 die Förderung von Hochschulinstituten der Luftfahrtforschung in Frage, die zugleich vom Verteidigungsministerium mitfinanziert würden. Er erreichte zudem, dass der Senat beschloss, im Ausschuss für angewandte Forschung künftig keinen Vertreter dieses Ministeriums mehr dulden zu wollen.181 In den ersten Jahren der NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik und des Aufbaus der Bundeswehr setzten das Präsidium und der Senat der DFG ohnehin immer wieder Signale „kühler Distanz“ zu diesen Institutionen.182 Hess sah es 1956 als Aufgabe der Forschungsgemeinschaft an, der „drohenden Gefahr“ zu begegnen, dass die Hochschulen mit „Geheimhaltungsklauseln“ versehene militärische Forschungsaufträge erhielten: Man müsse „dem einzelnen Hochschullehrer bei der Zurückweisung solcher Forderungen einen moralischen Rückhalt in der Korporation geben“.183 Im folgenden Jahr blockierte Hess den Vorstoß des Verteidigungsministeriums, einen seiner Vertreter in den Hauptausschuss zu entsenden, und 1960 sorgte er sich, dass ein Interesse des Verteidigungsministeriums an der Meeresforschung die Aktivitäten der DFG auf diesem Feld „stören“ könnte.184 Der Luft- und Raumfahrtexperte Günther Bock (während der NS-Zeit Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt, danach bis 1954 in sowjetischer Gefangenschaft) steuerte 1960 den praktischen Vorschlag bei, zivile Forscher sollten sich nur mit Raketen beschäftigen, die mit Flüssigtreibstoff angetrieben würden, weil das Militär solche mit Feststoffantrieb bevorzuge.185 Die Diskussionen, aus denen ich zitiert habe, besaßen den Charakter interner Selbstverständigungsdebatten von Senat und Präsidium der DFG. Daher erscheint es plausibel, dass sich in diesen Bedenken gegenüber militärischer Forschung durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges ausgelöste Lernprozesse offenbarten. Die DFG konnte allerdings kaum ignorieren, dass sich Teile ihrer Klientel durchaus in Kooperationen mit dem Verteidigungsministerium engagieren woll180 181 182 183 184
Ebenda, S. 12. Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 28.2.1958, S. 14–17, in: BArch, B 227/162891. Trischler/Bruch, Forschung, S. 236. Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 15.3.1956, S. 5, in: BArch, B 227, Nr. 162700. Niederschrift der Senatssitzung vom 12.2.1960, S. 11, in: BArch, B 227/162892; vgl. Stamm, Staat, S. 253. 185 Niederschrift der Senatssitzung vom 9.12.1960, S. 24, in: BArch, B 227/162892.
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ten, zumal das Ministerium damit lockte, mit hohen Millionenbeträgen auch Grundlagenforschung fördern zu wollen. Daher verhandelten Hess und der zuständige DFG-Referent Gottfried Gambke zwischen 1958 und 1962 mit dem Verteidigungsministerium über ein Modell, nach dem das Ministerium nur sehr allgemein für die Bundeswehr interessante Forschungsthemen benennen und der DFG Mittel zukommen lassen würde, die diese wiederum im Rahmen ihrer Schwerpunktprogramme so verteilen sollte, dass mit ihnen Grundlagenforschung gefördert werden würde. Die Projekte sollten den Interessen der Bundeswehr entsprechen, aber nicht geheim gehalten werden (dies war vor allem für Hess die entscheidende Bedingung) und insofern mit den Normen der Grundlagenforscher vereinbar bleiben. Dass sich das Ministerium und die DFG-Geschäftsstelle darauf verständigten, entsprechende Absprachen sollten nur informell als „gentleman agreement“ zwischen den Referenten beider Häuser geschlossen werden, zeigt deutlich, dass sich die DFG-Spitze hier angesichts konträrer Positionen innerhalb ihrer Klientel wie ihrer Gremien um einen Balanceakt bemühte.186 Im Jahr 1962 scheiterten die Verhandlungen allerdings nicht an der DFG, sondern an Haushaltsproblemen des Verteidigungsministeriums. Wenige Jahre später hatten die aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges abgeleiteten Vorbehalte gegenüber Rüstungsforschung weiter an Kraft verloren; im März 1964 diskutierte der DFG-Senat über eine Beteiligung des Verteidigungsministeriums am Schwerpunktprogramm „Festkörperphysik“ und nahm zur Kenntnis, dass es auf diesem Feld längst „sehr lebhafte“ Kontakte gebe. Das Sitzungsprotokoll verzeichnet keine Kritik an dieser Praxis.187 Problematisch blieben allerdings die Geheimhaltungswünsche der Militärs, auf welche sich die DFG aufgrund ihrer normativen Festlegung auf die öffentliche Zugänglichkeit der mit ihren Mitteln geförderten Forschung nicht einlassen konnte. Im April 1968 erklärte sich der Senat zwar mit dem Vorschlag von Generalsekretär Carl-Heinz Schiel einverstanden, Großprojekte der Grundlagenforschung in Kooperation mit dem Verteidigungsministerium zu fördern (die DFG sollte die Forschungsarbeiten selbst finanzieren, das Ministerium die Anschaffung teurer Großgeräte bezuschussen). Aber der Senat bestand nach einer längeren Debatte darauf, solche Projekte nur dann zu unterstützen, wenn die Antragsteller der DFG versicherten, dass ihre „Forschungsergebnisse einer Verpflichtung zur Geheimhaltung nicht“ unterlägen. Wie unwohl sich die Senatoren angesichts des zunehmend kritischen Zeitgeistes in Sachen Militärforschung fühlten, zeigt ihre Suche nach Möglichkeiten, Kooperationen mit dem Verteidigungsministerium gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern: Die Geschäftsstelle solle den Schriftwechsel mit dem Ministerium „auf ein Minimum“ beschränken „und insbesondere keine Berichte oder gar Gutachten“ austauschen.188 Ein letztes Beispiel für das Beharren der DFG-Gremien auf einer Autonomie gegenüber staatlichen Instrumentalisierungsversuchen und zugleich ein ers186 Vermerk Gambkes vom 6.4.1959, zit. nach Schwerin, Strahlenforschung, S. 374; vgl. zu den Verhandlungen ebenda, S. 373–376. 187 Niederschrift der Senatssitzung vom 19.3.1964, S. 20, in: BArch, B 227/162893. 188 Niederschrift der Senatssitzung vom 4.4.1968, S. 25 ff., in: BArch, B 227/162895.
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tes Beispiel für die „Entnazifizierung“ eines Forschungsfeldes bietet der Wiederaufbau der Ostforschung. Anfang 1953 reagierte DFG-Präsident Ludwig Raiser positiv auf eine Initiative des Historikers Hermann Aubin, der zwischen 1929 und 1945 als Ordinarius in Breslau ein Protagonist der aufs Deutschtum zentrierten Erforschung Ostmitteleuropas gewesen war und seit 1946 in Hamburg lehrte.189 Aubin schlug Raiser vor, die DFG solle den Ausbau einer universitären Forschung gezielt fördern, welche die Bundesbürger zu einer „Beschäftigung mit dem Osten“ motiviere. Zwar zollte er dem wissenschaftlichen Autonomiepostulat Tribut, indem er betonte, dass sich die Ostforschung nicht als „politische Zweckforschung“ verstehe, aber zugleich lenkte Aubin Raisers Blick darauf, dass das Bundesinnenministerium bereit sei, die Ostforschung mit hohen Summen zu fördern.190 In der Tat stellte das Ministerium der DFG kurz darauf 500.000 DM für ein entsprechendes Schwerpunktprogramm in Aussicht, verband dies aber mit der Forderung, die DFG möge auf ihr Begutachtungsverfahren teilweise verzichten und vom Ministerium bewilligte Projekte unbesehen in das Schwerpunktprogramm übernehmen. Dies lehnten Raiser und der Senat ab, worauf das Innenministerium nachgab und die Mittel ohne Auflagen zur Verfügung stellte.191 In der Folge entstand, wie Corinna Unger in einer detaillierten Studie gezeigt hat, eine zweigeteilte Institutionenlandschaft der Ostforschung: Neben einer universitären Forschung, die von der DFG gefördert wurde und dem Postulat folgte, zwar politisch relevante, aber in ihrer Produktion nicht von politischen Werturteilen beeinflusste Wissensbestände über Ost- und Ostmitteleuropa zu erzeugen, entstand ein Netz außeruniversitärer, von der Bundesregierung direkt finanzierter Institute, die ihren Zweck primär in der Propagierung politischer Zielsetzungen – vom Grenzrevisionismus bis zur Befreiung Ostmitteleuropas aus sowjetischer Herrschaft – sahen.192 Die DFG galt auf diesem geteilten Feld als Akkreditierungsagentur seriöser, von politischen Interessen unabhängiger Forschung. Gerade deshalb aber blieb es für politische Akteure erstrebenswert, die DFG in ihre Vorhaben einzubinden, um eben eine solche Akkreditierung zu erhalten und damit die öffentliche Akzeptanz und Wirkung der eigenen Positionen zu erhöhen. So ist es zu erklären, dass das Außenministerium und die eng mit ihm verbundene Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) 1957/58 den Versuch unternahmen, die DFG für die Förderung antisowjetischer Tendenzstudien zu gewinnen und zu diesem Zweck die Aufnahme von Vertretern des Auswärtigen Amtes in die DFG-Kommission für Ostforschung zu erreichen. Die Kommission aber war lediglich bereit, zu einzelnen Sitzungen Ministeriumsvertreter als Gäste einzuladen; die von DGO und Auswärtigem Amt vorgeschlagenen Projekte scheiterten an Gutachtern, die in ihnen „eine politisch gelenkte Forschung“ erkannten, „die nicht in der Lage sein werde, objektive Ergebnisse zu zeitigen“.193 189 Zu Aubin vgl. Mühle, Volk. 190 Aubins Schreiben an Raiser vom 22.1.1953 zit. nach Unger, Ostforschung, S. 116; vgl. hier insgesamt zum Folgenden S. 116–130 und 294–298. 191 Vgl. ebenda, S. 117 f. 192 Vgl. ebenda, S. 130–138, 174–204, 208–215 und 221–250. 193 Zit. nach ebenda, S. 274; vgl. ebenda, S. 272–275.
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Nun war das Insistieren der DFG-Gremien auf einer Autonomie der Wissenschaft gegenüber der Politik nicht gleichbedeutend damit, dass die Anträge stellende Klientel, die Gutachter oder die Mitglieder der Spitzengremien dagegen gefeit gewesen wären, ihrerseits politische Werturteile und fachliche Sachurteile zu vermischen. Dies gilt auch für die Ostforschung, so wenn Hermann Aubin 1954 in seiner Eigenschaft als DFG-Gutachter ein Projekt des Göttinger Geographen Hans Mortensen zur Siedlungsgeschichte Ostpreußens befürwortete, weil die Untersuchung eines „völkisch umstrittenen Grenzgebietes“ dessen deutsche Prägung beweise und den „nationalen Zweck“ erfülle, „der Idee der verlorenen Länder durch die geistige Beschäftigung mit ihnen zu dienen“.194 Aber immerhin schuf die Förderpolitik der DFG die Bedingungen für eine schrittweise Ablösung der aus den 1920er bis 1940er Jahren stammenden thematischen wie normativen Zentrierung der Ostforschung auf den Nachweis einer historischen, gegenwärtige politische Ansprüche begründenden Kulturleistung des „Deutschtums“ in Ost- und Ostmitteleuropa. Indem nämlich der DFG-Ausschuss für Ostforschung diese in seiner Denkschrift von 1953 breit interdisziplinär definierte, zwang er die zunächst weiterhin völkisch argumentierenden Historiker und Kulturwissenschaftler, sich in Kommissionen und im Zuge der Begutachtung der Kritik von Slawisten, Juristen, Geographen, Theologen oder Ökonomen zu stellen, die teilweise – aber keineswegs durchgängig! – anderen Denkschulen angehörten. Ein solches pluralistisches Korrektiv war neu; in der Weimarer Republik wie im NS-Staat waren die völkisch orientierten Ostforscher institutionell unter sich geblieben, was, wie DFG-Präsident Raiser 1955 anmerkte, dazu geführt hatte, dass „die sogenannte Ostforschung ja vor 1945 ein Tummelplatz für sehr viele mehr politisch als wissenschaftlich ausgewiesene Leute“ gewesen sei.195 Gerade Slawisten kritisierten in der Folge immer wieder die völkische Orientierung und den Überlegenheitsdünkel der traditionellen Ostforschung, wobei sie sich des zeitgenössisch gut eingeführten Vorwurfes des „Dilettantismus“ und des „pseudowissenschaftlichen Konjunkturrittertums“ bedienten.196 In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurde die Kritik an völkischen Konzepten der Ostforschung innerhalb der Fachausschüsse immer stärker, wie Corinna Unger plausibel argumentiert, infolge eines Generationswechsels unter den Gutachtern.197 Zehn Jahre später galten Projektanträge, die sich der seit den 1920er Jahren etablierten Begriffe und Ideen der Ostforschung bedienten, den Gutachtern nur noch als „dürftig“ und „peinlich“.198 Den Abschluss der Entwicklung markierte ein 1969 eingerichtetes Schwerpunktprogramm zur frühmittelalterlichen Archäologie in germanischen und slawischen Siedlungsgebieten. Es sollte nicht mehr eine Überlegenheit germanischer bzw. deutscher Kolonisten beweisen, sondern interessierte sich für deutsch-slawische Wechselbeziehungen. Diese, so erklärte 194 Zit. nach der Hauptausschussliste 10/1954, S. 19, in: DFG-Archiv, Mo 25, fol. 05393. 195 So Raiser am 5.1.1955 in einem Brief an den Historiker Hermann Heimpel, zit. nach Unger, Ostforschung, S. 123, vgl. ebenda, S. 122 ff. 196 Zit. nach ebenda, S. 127; vgl. ebenda S. 124–128 und 200. 197 Vgl. ebenda, S. 162. 198 Aus Gutachten von 1964 zit. nach ebenda, S. 294.
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die DFG, wolle man „sachlich klären“, nachdem die Forschung „seit 1933 durch radikale Ideologien verschiedener Richtungen stark beeinflußt worden“ sei.199 Friedemann Schmoll und Klaas-Hinrich Ehlers haben für die 1954 wiederaufgenommene DFG-Förderung des Volkskundeatlas und die 1951 einsetzende Förderung der Vertriebenenwörterbücher ähnliche Entwicklungen beschrieben: Auf eine anfängliche Restauration tradierter wissenschaftlicher Konzepte und mit ihnen verbundener politischer Interessen durch in beidem befangene Akteure (im Fall des Atlas durch den DFG-Ehrenpräsidenten Friedrich Schmidt-Ott und den Freiburger Volksliedforscher John Meier, im Fall der Vertriebenenwörterbücher durch den bereits in der NS-Zeit führenden Marburger Dialektforscher Walther Mitzka) folgte ein über mehr als ein Jahrzehnt gestreckter, mit einem Generationswechsel verbundener Prozess zunehmender Kritik und methodischer Neuorientierung.200 Im Fall der Wörterbücher zu den Dialekten der aus den Ostgebieten Vertriebenen zeigt Ehlers, dass deren Protagonisten ihnen in den 1950er und 1960er Jahren durchgängig auch politische Funktionen zuschrieben, nämlich den Nachweis der kulturellen Prägung dieser Regionen durch Deutsche, die Identitätswahrung der Vertriebenen und langfristig die „Rückgewinnung des deutschen Ostens“.201 Die DFG-Entscheidungsträger übergingen solche Argumentationen in den 1950er und frühen 1960er Jahren weitgehend mit Schweigen, da sie ihnen als außerwissenschaftlich und damit nicht entscheidungsrelevant erschienen. Am Ende der 1960er Jahre dagegen zogen diese Argumentationsmuster schon aufgrund ihres veralteten politischen Vokabulars explizite Kritik der Gutachter (und des zuständigen Referenten Wolfgang Treue) auf sich, die bis zu Ablehnungen führen konnte. Generell ist in der DFG-Förderpolitik der 1950er Jahre zu beobachten, dass solche Forschungsfelder und Konzepte, die bis 1945 aufgrund einer besonderen Kompatibilität mit der Weltanschauung und den Interessen des NS-Regimes Hochkonjunktur gehabt hatten, schrittweise marginalisiert wurden, ohne dass es dazu einer allzu selbstkritischen und expliziten Reflexion der jeweiligen Disziplinen bedurft hätte. Sehr schnell erfolgte dies in den Natur- und Technikwissenschaften in Bezug auf Forschungsfelder, die sich zuvor an der nationalsozialistischen Autarkiepolitik ausgerichtet hatten. Schon Ende 1950 berichtete die Geschäftsstelle über eine Umfrage unter den Fachausschüssen, dass eine „Steuerung der Forschung durch (…) politische Strömungen (Autarkiebestrebungen) (…) schärfstens abgelehnt“ werde.202 Fünf Jahre später war sich der DFG-Ausschuss für angewandte Forschung darüber einig, dass wirtschaftliche „Autarkiebestrebungen sinnlos geworden“ seien.203 Wie Günther Luxbacher gezeigt hat, spielte denn auch autarkieorientierte Ersatzstoffforschung in keinem einzigen der 199 Zit. nach ebenda, S. 17. Vgl. zur beschriebenen Entwicklung zusammenfassend ebenda, S. 424–431. 200 Vgl. Schmoll, Vermessung, S. 200–238 und Ehlers, Wille, S. 268–289. 201 Aus einem Antrag für das Preußische Wörterbuch vom 26.1.1953, zit. nach Ehlers, Wille, S. 272. 202 Bericht der Geschäftsstelle undatiert, zit. nach Orth, Autonomie, S. 73. 203 Protokoll der Ausschusssitzung vom 4.5,1955, zit. nach Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 438.
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in den 1950er bis 1970er Jahren eingerichteten technikwissenschaftlichen DFGSchwerpunktprogramme eine Rolle.204 Keine andere Fachrichtung erlebte im Jahr 1945 aufgrund ihrer offenkundigen Affinität zur NS-Politik einen so drastischen institutionellen Einbruch wie die in Deutschland bereits vor 1933 eng miteinander verbundenen Forschungsfelder der biologischen Anthropologie und der menschlichen Vererbungsforschung. Bei Kriegsende war entsprechende Forschung an 22 deutschen Hochschulen in jeweils eigenen Instituten oder Abteilungen betrieben worden (gegenüber elf im Jahr 1932). Mitte der 1950er Jahre dagegen wurde nur noch an neun bundesdeutschen Hochschulen institutionell eigenständig zu Anthropologie oder menschlicher Vererbung geforscht. Die DFG-Förderung dieses Feldes fiel in den 1950er Jahren entsprechend bescheiden aus; Anne Cottebrune beziffert sie auf insgesamt nur 542.000 DM im gesamten Jahrzehnt, das entsprach weniger als zwei Promille der DFG-Förderausgaben. Im folgenden Jahrzehnt stiegen die DFG-Ausgaben für Anthropologie und menschliche Vererbungsforschung – Letztere nun unter dem Label „Humangenetik“ geführt – stark an, nämlich auf 8,3 Millionen DM, was jedoch angesichts stark steigender Gesamtausgaben der DFG weiterhin nur einem marginalen Anteil an den verteilten Fördermitteln entsprach.205 Die Schließung von Instituten hatte 1945 vor allem die mit der praktischen Rassenhygiene und damit unmittelbar mit den Verbrechen des NS-Regimes verbundenen medizinischen Institute für Vererbungsforschung getroffen; daher waren sieben der neun Mitte der 1950er Jahre an westdeutschen Hochschulen verbliebenen Institute explizit der Anthropologie zugeordnet, lediglich zwei der medizinischen Vererbungsforschung. Im weiteren Verlauf der Entwicklung kehrte sich der Trend jedoch um. Hochschulinstitute für Anthropologie wurden in den 1960er Jahren verstärkt in solche für Humangenetik umgewandelt, zudem wurden neue Institute für diese Disziplin eingerichtet. Die DFG-Förderung hatte diesen Trend bereits seit Anfang der 1950er Jahre vorweggenommen (und damit früh gestützt): 445.000 der insgesamt 542.000 DM, welche die DFG in diesem Jahrzehnt für Anthropologie und Humangenetik aufwandte, entfielen auf Letztere. In den 1960er Jahren erhielt die Humangenetik 7,9 Millionen DM, die biologische Anthropologie dagegen nur 412.000 DM.206 Warum also gelang es den medizinischen Vererbungsforschern sich als Humangenetiker neu zu etablieren, während die besser gestarteten Anthropologen langfristig immer mehr an den Rand des bundesdeutschen Wissenschaftssystems gedrängt wurden? Wie es den Rassenhygienikern der NS-Zeit nach einer gewissen Karenzzeit gelang, ihre primär an erbpathologischen Fragestellungen interessierte Forschung zunächst fortzusetzen, um sie sich dann ab Ende des Jahrzehnts mit ihrer Schülergeneration in die Richtung der internationalen Trends humangenetischer Forschung weiterentwickeln zu lassen, lässt sich exemplarisch an der Person Otmar von Verschuers zeigen. Nachdem dieser in der unmittelbaren Nachkriegszeit wegen seines Engagements für die nationalsozialistische Rassenpolitik in die Kritik 204 Vgl. ebenda, S. 473. 205 Vgl. Kröner, Kaiser-Wilhelm-Institut, S. 656 und Cottebrune, Mensch, S. 215–218. 206 Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 217 f.
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geraten, aber von alten Freunden wie Adolf Butenandt geschützt worden war, konnte sich Verschuer im Jahr 1951 mit dem Ruf auf einen Lehrstuhl in Münster wieder etablieren. Im Jahr darauf wurde er zum Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie gewählt.207 In der DFG fungierte Verschuer ab 1955 als Fachgutachter; während der gesamten 1950er Jahre führte sein Lehrstuhl, gemessen an den Fördersummen, die Rangliste der von der DFG geförderten humangenetischen und anthropologischen Hochschulinstitute an. Mit dem Wiederaufstieg wuchs das Selbstbewusstsein; im Jahr 1955 behauptete Verschuer in einem Projektantrag, sein Institut sei „die einzige Stelle in Deutschland (…), an welcher die Erbforschung am Menschen noch auf einem Niveau fortgeführt werde, das mit dem Ausland konkurrenzfähig sei“.208 Acht der 23 Projektanträge, mit denen Verschuer zwischen 1951 und 1965 bei der DFG erfolgreich war, bezogen sich auf die Fortsetzung der von ihm seit 1923 betriebenen Zwillingsforschung, standen also keineswegs für Umorientierung, sondern für die Fortsetzung eines im internationalen Vergleich überholten Forschungspfades. Trotzdem waren Verschuers Anträge sogar dann erfolgreich, wenn die Fachgutachter Kritik an seinen Thesen einerseits, an seinem Verharren in veralteten Methoden andererseits übten. 1954 kritisierte zum Beispiel ein Gutachter folgenlos, dass Verschuer in seiner Zwillingsforschung zu „etwas metaphysischen Schlussfolgerungen“ neige; seine Behauptung einer „‚überragenden Prägekraft‘“ erblicher Faktoren gegenüber Umwelteinflüssen, sei eine unzulässige Verallgemeinerung.209 Ein anderer Gutachter bezweifelte im selben Jahr, ob sich die Fördermittel für Verschuers Zwillingsuntersuchungen „wirklich lohnten“: „Er wisse nicht, ob diesem Aufwand Entsprechendes, grundsätzlich Neues, für Humangenetik und Medizin herauskomme.“210 Dies führte zu einer leichten Kürzung der Fördermittel, nicht aber zu ihrer Verweigerung. Verschuer war als wissenschaftliche Persönlichkeit im Sinne des in der DFG gültigen Ideals viel zu anerkannt, als dass er an sachlicher Kritik hätte scheitern können. Vor allem aber war er bereit, sich bei Fortführung seiner alten Konzepte in dreifacher Hinsicht an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Erstens zeigte Verschuer sich semantisch wendig. Mit Übernahme des Münsteraner „Lehrstuhls für menschliche Erblehre und Anthropologie“ benannte er diesen in „Lehrstuhl für Humangenetik“ um; im Jahr 1959 publizierte er ein „Lehrbuch der Humangenetik“ – wir erinnern uns, dass er 1941 einen „Leitfaden der Rassenhygiene“ veröffentlicht hatte.211 Generell sprach er in der Bundesrepublik öffentlich statt von „Rassenhygiene“ nur noch von „Eugenik“. Diesen Begriff flaggte er mit der Begründung als unverdächtig aus, dass er auch in anderen Ländern üblich sei 207 Vgl. Sachse, Persilscheinkultur, Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse, S. 572–580 und Kroener, Rassenhygiene, S. 85–149. 208 Indirekt zit. nach dem (diese Selbsteinschätzung tadelnden) Gutachten in der Hauptausschussliste 30/1955, S. 17, in: DFG-Archiv, Ko 110. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 215 und 223. 209 Hauptausschussliste 4/1954, S. 20, in: DFG-Archiv, Ve 3, fol. 14290. 210 Hauptausschussliste 32/1954, S. 25, in: ebenda, fol. 00344. 211 Vgl. Sachse, Persilscheinkultur, S. 239, Verschuer, Leitfaden und derselbe, Genetik.
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und dort die mit ihm verbundenen Positionen als unbedenklich gelten würden. Im Zusammenhang mit diesem semantischen Umbau lieferte Verschuer eine exkulpierende Deutung: Das NS-Regime und pseudowissenschaftliche Literaten hätten die an sich wissenschaftlich solide Eugenik gegen den Willen der Forscher missbraucht, zum „Rassenwahn“ verfälscht und durch „rassenpolitische Gesetze und Gewaltakte“ diskreditiert. Dies aber habe „mit Eugenik nichts mehr zu tun“ gehabt, sondern sei „Ausfluß einer politischen Ideologie“ gewesen. Die verantwortungsbewussten Eugeniker (wie er selbst) hätten versucht, „die Ideale der Eugenik zu retten“ und sich im Rahmen des Zwangssterilisationsgesetzes „für das Wohl der einzelnen betroffenen Menschen“ eingesetzt.212 Diese Deutung war zwar nicht kongruent mit den Worten und Handlungen Verschuers (und anderer Rassenhygieniker) bis 1945, schloss aber nahtlos an die in der Wissenschaft der 1950er Jahre konsensuale Deutung des Verhältnisses von NS-Regime und Wissenschaft an. Daher wirkte sie suggestiv überzeugend – und vermutlich wirkte sie so auch auf Verschuer selbst. Jedenfalls formulierte dieser, nachdem er erst einmal semantisch Distanz zwischen sich und die Rassenpolitik des Nationalsozialismus gelegt hatte, in späteren Texten sogar eine Kritik an der Praxis der Zwangssterilisationen zwischen 1934 und 1945 („verhängnisvoll“), befand, dass die Alliierten das Zwangssterilisationsgesetz von 1933 nach Kriegsende „berechtigterweise“ aufgehoben hätten und die deutschen Eugeniker „begründeten Anlaß zu kritischer Neudurchdenkung der Probleme“ hätten.213 In diesem Punkt zeigte sich Verschuer lernbereiter als viele seiner Kollegen. Zweitens betonte Verschuer nun stets, dass er sich an international gültigen Standards der Genetik orientiere, die von ihm betriebene Forschung also schon deshalb über den Verdacht erhaben sein musste, nationalsozialistisch kontaminiert zu sein. Mit dieser Selbstdarstellung war Verschuer innerhalb der bundesdeutschen Kollegenschaft bis in die frühen 1960er Jahre erfolgreich; international beschränkten sich seine Kontakte allerdings weitgehend auf Genetiker aus den früheren Achsenmächten, während britische und amerikanische Kollegen ihm gegenüber distanziert bis offen ablehnend blieben.214 Drittens schließlich erkannte er die Chance, welche die in den 1950er Jahren national wie international florierenden Debatten über die Schädigung menschlicher Gene durch radioaktive Strahlung boten: Auf solche Kontexte bezogen ließ sich klassische erbpathologische Forschung, als Missbildungs- bzw. Mutationsforschung neu etikettiert, zeitgemäß legitimieren. Ab 1957 finanzierte das Bundesatomministerium Verschuers Projekt einer Erhebung aller genetisch bedingten Anomalien im Regierungsbezirk Münster mit hohen, Verschuers Förderung durch die DFG weit übersteigenden Summen. Zwar erwies sich die im Münstera212 Verschuer, Eugenik, S. 14. Als Gutachter plädierte Verschuer weiterhin dafür, dass gerade „deutsche Anthropologen (…) Untersuchungen an fremdrassigen Völkern“ durchführen sollten, zit. nach der Hauptausschussliste 7/1956, S. 16, in: DFG-Archiv, Scha 61, fol. 01038. 213 Verschuer, Eugenik, S. 51 und 84. Wie er sich allerdings die „freiwillige eugenische Sterilisierung“ von Kindern oder „Schwachsinnigen“ vorstellte, die ja kaum in der Lage gewesen wären, informiert und freiwillig in ihre Sterilisation einzuwilligen, ließ er offen, ebenda S. 54 ff. 214 Vgl. Kröner, Kaiser-Wilhelm-Institut, S. 661 f.
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ner Institut angelegte Datensammlung als nutzlos, weil methodisch fehlerhaft.215 Aber durch die Ausrichtung seines Institutes auf Mutationsforschung ermöglichte es Verschuer seinen Schülern, Anschluss an innovative Trends der Humangenetik zu gewinnen, teils in Kontinuität, teils durch Umschulung auf zyto- und populationsgenetische Methoden. Dies galt für den seit 1942 für Verschuer arbeitenden Gerhard Koch (1965 auf den Erlanger Lehrstuhl für Humangenetik berufen) oder für Heinrich Schade (1966 nach Düsseldorf berufen). Letzterer konnte ab 1957 seine zwischen 1935 und 1938 durchgeführte erbbiologische Datenerhebung in der bäuerlichen Bevölkerung der Schwalm mithilfe einer DFG-Förderung weiter auswerten, sich aber zugleich in die experimentelle Chromosomenforschung einüben.216 Am erfolgreichsten war dann aber nicht einer der alten Gefolgsleute Verschuers, sondern sein erst 1920 geborener Assistent Karl-Heinz Degenhardt. Dessen seit 1950 von der DFG stetig gefördertes Engagement in der Mutationsforschung führte ihn 1961 auf einen Frankfurter Lehrstuhl und 1964 in die Rolle des Koordinators im neuen DFG-Schwerpunktprogramm „Schwangerschaftsverlauf und Kindesentwicklung“.217 Es wäre falsch, Degenhardts Forschung und das genannte Schwerpunktprogramm als Verlängerungen der Verschuer’schen Erbpathologie zu betrachten. Vielmehr veränderte sich die von Verschuers Schülern betriebene Forschung im Zuge der beschriebenen Entwicklung qualitativ einschneidend – durch die Übernahme zytogenetischer und populationsgenetischer Konzepte, in Bezug auf ihre Erkenntnissinteressen, Methoden und theoretischen Grundlagen und durch das Fehlen eugenischer Zielsetzungen. Verschuer selbst vollzog diese Entwicklungen nicht mehr aktiv mit; er hatte ihnen zwar anfänglich einen Rahmen bereitet, verlor aber zunehmend den Anschluss. An den Vordiskussionen des 1964 eingerichteten Schwerpunktprogramms nahm er noch teil, übte aber keinen erkennbaren Einfluss mehr aus.218 Im Jahr der Einrichtung des Programms und ein Jahr vor seiner Emeritierung wurde Verschuer von der DFG bescheinigt, überholt zu sein. Im Mai 1964 bewilligte der Hauptausschuss ihm letztmalig Mittel für die Nachuntersuchung von Zwillingen, die 1923 erstmalig untersucht worden waren, obwohl die Geschäftsstelle „zur Ablehnung“ geneigt hatte und die Stellungnahmen der Gutachter vernichtend gewesen waren.219 Der Heidelberger Humangenetiker Friedrich Vogel hatte bemängelt, es handele „sich nicht gerade um eine moderne“ Untersuchung, die auch keine „ungewöhnlich neuen Forschungsergebnisse“ hervorbringen werde, sondern höchstens gegenüber „Laienkreisen“ einen „gewissen illustrierenden Wert“ haben könne.220 Sein Freiburger Kollege Helmut Baitsch vermisste 215 Vgl. Sachse, Persilscheinkultur, S. 241, Cottebrune, Mensch, S. 227, Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse, S. 588–592 und Kröner, Kaiser-Wilhelm-Institut, S. 663. 216 Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 218 ff. und 230–235, sowie Kröner, Kaiser-Wilhelm-Institut, S. 658. 217 Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 216 f. und 227 f. 218 Vgl. ebenda, S. 226 f. und 231. 219 Auszug aus der Hauptausschussliste 45/1964, S. 25, in: DFG-Archiv, Ve 3, fol. 14343. 220 Gutachten Vogels vom 11.3.1964, in: ebenda, fol. 14344.
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„Fragestellungen, die neue Ergebnisse bringen würden“, der Innovationsgehalt von Verschuers Arbeiten werde „bei Anlegen wissenschaftlicher Maßstäbe kärglich erscheinen“.221 Wie aber in den 1960er Jahren häufig entschied sich die DFG auch in diesem Fall dafür, einem der Pension entgegensehenden Ordinarius, der den Anschluss an die neueren Entwicklungen verpasst hatte, einen würdigen Abgang zu ermöglichen. Verschuer durfte seine Zwillingsuntersuchungen mit DFGGeldern bis 1965 fortführen, weil man ihm, so hatte Baitsch vermerkt, den „Abschluss“ seines „Lebenswerkes“ nicht versagen mochte.222 Aber zugleich sahen die Gutachter diesen Abschluss eben als Endpunkt in einer forschungsstrategischen Sackgasse. 1964 trat Verschuer als Herausgeber der Zeitschrift für menschliche Vererbungsund Konstitutionslehre zurück; zugleich wurde das Fachjournal in Humangenetik umgetauft. Zuvor hatte Baitsch Verschuer aufgesucht und ihm den Rückzug nahegelegt – weil er aufgrund seiner NS-Vergangenheit eine Belastung für die Zeitschrift sei.223 Die junge Generation der Humangenetiker vollzog einen Schnitt mit der Geschichte ihres Faches, aber sie tat es ohne öffentliche Diskussion über ihr Verhältnis zu dieser Geschichte und zu deren Repräsentanten, denen ein Abgang in Würde ermöglicht werden sollte. Die DFG förderte die Neuorientierung, man könnte auch sagen: die um mindestens ein Jahrzehnt verzögerte Suche nach Anschluss an die internationale Entwicklung, indem sie der Schülergeneration der NS-Vererbungsforscher ab Ende der 1950er Jahre Kongressreisen und Forschungsaufenthalte in den USA und Großbritannien finanzierte sowie durch zwei Schwerpunktprogramme, dem bereits erwähnten, 1964 gestarteten Programm zu „Schwangerschaftsverlauf und Kindesentwicklung“ und dem 1968 begonnenen Schwerpunktprogramm „Biochemische Grundlagen der Humangenetik“.224 Damit befand sich die Schülergeneration der NS-Vererbungsforscher auf ihrem eigenen Weg. Da sie es aber vermieden hatte, den Bruch mit den Lehrern in einer öffentlichen Debatte über deren Handeln in der NS-Zeit herbeizuführen, musste die deutsche Humangenetik langfristig mit dem in der Gesellschaft mal latenten, mal in Skandalisierungen hochkochenden Verdacht leben, sie sei weiterhin eugenischen Konzepten verpflichtet. Während es die medizinischen Erbforscher vermochten, sich zunächst semantisch, dann Schritt für Schritt auch inhaltlich von der NS-Vergangenheit zu distanzieren, taten sich die biologischen Anthropologen mit einer solchen Wendung schwer und steuerten ihre Disziplin mittelfristig ins Abseits. Jene Anthropologen, die für die DFG Gutachten schrieben, machten für diese Entwicklung ebenso stetig wie verklausuliert den politischen Systemwechsel von 1945 verantwortlich, während sie an ihren eigenen Konzepten Defizite nicht zu erkennen vermochten. So hieß es 1952 bedauernd, die deutsche Forschung sei „in der reinen physischen Anthropologie wie in der biologisch-kulturgeschichtlichen Forschung 221 222 223 224
Gutachten Baitschs vom 20.3.1964, in: ebenda, fol. 14345. Ebenda, fol, 14346. Vgl. Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse, S. 580. Vgl. Cottebrune, Mensch, S. 235–247. 1973 folgte das Schwerpunktprogramm „Pränatale Diagnostik genetischer Defekte“, vgl. Thomaschke, Gesellschaft, S. 127–139.
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in letzter Zeit stark in Rückstand geraten“. Und die Mainzer Anthropologin Ilse Schwidetzky beklagte zehn Jahre später, dass „die Rassenkunde in Deutschland seit 1945 völlig daniederliege“.225 Gutachter wie Antragsteller waren sich bis zum Beginn der 1970er Jahre zum einen weitgehend einig darin, dass eine ganzheitliche Anthropologie an ihrer in Deutschland traditionellen Zentrierung um die Kategorie der „Rasse“ festhalten sollte, zum anderen aber ratlos, wie man dies unter gleichzeitiger Setzung neuer Akzente oder gar unter Anschluss an die internationale Forschung in der Ethnologie bzw. der physischen Anthropologie tun könnte. Folglich bestätigte man sich gegenseitig, in einer zunehmend marginalen Nische des Wissenschaftssystems verharrend, die Berechtigung eines Festhaltens an tradierten Vorstellungen, die Sinnlosigkeit methodischer Innovation und eine Haltung solider Ignoranz gegenüber der Außenwelt. So bescheinigte ein Gutachter dem bis 1945 in Breslau und seit 1946 in Mainz lehrenden Egon von Eickstedt im Jahr 1955, dass dessen 1944 publiziertes Buch „Rassendynamik von Ostasien“ ein „großartiger Wurf “ gewesen sei.226 Eickstedt hatte in diesem Buch als Regel formuliert, dass nördliche Völker ihren südlichen Nachbarn überlegen seien und dies darauf zurückgeführt, dass während der Eiszeit „die Nordformen“ durch „Kampf und Auslese (…) die Stärkeren, Härteren und Klügeren“ geworden seien.227 Als DFG-Fachgutachter und zugleich Hauptempfänger von DFG-Fördermitteln unter den Anthropologen bietet Eickstedt zusammen mit seiner Schülerin (und ab 1961 Nachfolgerin auf dem Mainzer Lehrstuhl) Ilse Schwidetzky ein gutes Beispiel für die Reaktion der deutschen Anthropologen auf die Diskreditierung ihres Paradigmas.228 Beide hielten an ihren vor 1945 geprägten Begriffen und Konzepten fest, suchten aber in der Erforschung der Steinzeit und außerdeutscher Regionen bewusst unverfänglich erscheinende Gegenstände. Eickstedt untersuchte ab den frühen 1950er Jahren Höhlenmalereien in Südwesteuropa, um eine Rassengeschichte der Steinzeit zu schreiben. In der Regel stieß er damit auf wohlwollende Gutachter, nur ein Abweichler bezweifelte 1953, dass es gelingen könne, aus prähistorischen Malereien sowohl die „Rasse der Ritzer“ wie auch jene der Dargestellten zu bestimmen.229 Schwidetzky, die 1939 eine „Rassenkunde des nordöstlichen Oberschlesiens“ publiziert hatte, scheiterte zunächst 1954 trotz eines positiven Gutachtens Verschuers mit dem Antrag zu einem Projekt, durch das sie den „physiognomischen Rassentypus“ von 30.000 westfälischen Schülern bestimmen wollte.230 Daraufhin wandte auch sie sich Spanien zu und war in der 225 Gutachten von 1952 in: DFG-Archiv, Ei 5, fol. 00023 und Gutachten Schwidetzkys von 1962, zit. nach der Hauptausschussliste 76/1962, S. 9, in: DFG-Archiv, Gi 24/2, fol.04527. Als Überblick vgl. Hoßfeld, Geschichte. 226 Zit. nach der Hauptausschussliste 19/1955, S. 3, in: DFG-Archiv, Ei 5, fol. 00040. 227 Eickstedt, Rassendynamik, S. 24; vgl. Preuß, Anthropologe, S. 92 f., Lüddecke, Rassen, S. 143–162, sowie Kröner, Rassenhygiene, S. 157–169. 228 Vgl. Lüddecke, Rassen, S. 165–235. 229 Zit. nach dem Auszug aus der Hauptausschussliste vom 19.8.1953, in DFG-Archiv, Ei 5, fol. 00034. 230 Der Antrag zit. nach der Hauptausschussliste 69/1954, S. 13, in: DFG-Archiv, Schw 32, fol. 3928; vgl. Schwidetzky, Rassenkunde.
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Folge gleich mehrfach bei der DFG mit Projektanträgen erfolgreich. Indem sie ab 1956 auf den Kanarischen Inseln prähistorische Skelettfunde untersuchte und 1962 innerhalb von vier Wochen 2.700 Schulkinder anthropologisch vermaß, hatte auch Schwidetzky ein vermeintlich unpolitisches Abseits gefunden, in dem sie weiterhin mithilfe der DFG und anerkannt von ihren Kollegen Rassenforschung betreiben konnte.231 Als DFG-Gutachter verteidigte Eickstedt mit Rassenmodellen operierende Kollegen gegen Kritiker, die solche Konzepte als durch die NS-Zeit diskreditiert bewerteten. Als etwa der Soziologe Leopold von Wiese in einem Gutachten von 1951 erklärte, „die Annahme namhafter Anthropologen“, es gebe „eine deutliche (…) Beziehung zwischen körperlicher Konstitution und sozialen Verhaltenstypen“, sei „ein Ausfluß der eine Zeitlang herrschenden Rassenlehren, ohne mit ihnen identisch zu sein“, verwahrte sich der ebenfalls als Gutachter befragte Eickstedt, man müsse die von Wiese bezweifelte These doch „ernst (…) nehmen, auch wenn sie zu dieser oder jener liebgewordenen und weitverbreiteten Meinung nicht“ passe.232 Innerhalb des engeren Kreises der Anthropologen stellte sich Kritik an der linearen Fortführung der Rassenforschung nur sehr langsam ein. Der wie Eickstedt in Mainz lehrende Wilhelm Emil Mühlmann lobte seinen Kollegen noch 1960 dafür, dass er ein „Mann der großzügigen Synthesen“ sei: „Die Einzelheiten stimmten natürlich nicht immer, aber oft treffe er aus seiner breiten Tatsachenkenntnis heraus intuitiv das Richtige“.233 Ein Jahr später verpackte dann der Humangenetiker Peter Emil Becker vernichtende Kritik in freundliche Worte: Eickstedts Schriften seien von „feuilletonistischer Lebendigkeit“, das hieß im Code der DFG-Klientel: wissenschaftlich belanglos und unseriös.234 Im Wesentlichen aber verteidigten die anthropologischen Fachgutachter auch zu diesem Zeitpunkt noch das Festhalten an tradierten Konzepten. Erst in den 1970er Jahren räumten sie ein, dass die Konzepte Eickstedts und Schwidetzkys veraltet sein könnten. Der Hamburger Anthropologe Rainer Knußmann empfahl seiner Doktormutter Schwidetzky in einem Gutachten von 1971, sie solle statt von „Rassengeschichte“ doch „vielleicht unverfänglicher“ von „Mikroevolutionen innerhalb der variantenreichen Spezies Homo sapiens“ sprechen. Der Heidelberger Humangenetiker Friedrich Vogel merkte im selben Jahr an, es fehle den „sehr traditionellen“ Beiträgen eines von Schwidetzky herausgegebenen Bandes an einer plausiblen „Theorie der Rassenbildung überhaupt auf moderner populationsgenetischer Grundlage“.235 Im Jahr 1976 endlich rang sich Knußmann aller Loyalität gegenüber seiner früheren Lehrerin zum Trotz („Ich 231 Vgl. den Auszug aus der Präsidialvorlage vom 26.1.1956, in: DFG-Archiv, Schw 32, fol. 3935, das Gutachten des Tübinger Anthropologen, früheren „Rassenbiologen“ und SS-Hauptsturmführers Wilhelm Gieseler vom 5.7.1962, in: ebenda, fol. 00698 und Schwidetzky, Bevölkerung. 232 Gutachten Wieses vom 25.7.1950 und Eickstedts vom 24.2.1951, in: DFG-Archiv, Mu 5, fol. 00778 f. 233 Zit. nach der Hauptausschussliste 63/1960, S. 25, in: DFG-Archiv, Ei 5, fol. 00066. 234 Gutachten vom 6.3.1961, in: ebenda, fol. 00059. 235 Gutachten Knußmanns vom 9.1.1971 und Vogels vom 26.11.1971, in: DFG-Archiv, Schw 32.
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habe die Akte mehrmals wieder zur Seite gelegt“) zu dem Urteil durch, dass deren Forschung „sogar innerhalb der Anthropologie (…) nur auf das Interesse eines kleinen Teiles der Kollegen stoßen“ werde.236 Die DFG hatte bis zu diesem Zeitpunkt das langsame Dahinschwinden der klassischen (Rassen-)Anthropologie mit einer Art Palliativförderung begleitet, sich aber zu mehr – etwas der bewussten Förderung einer strategischen Neuausrichtung des Faches – nicht entschließen können. Vorstöße für ein Schwerpunktprogramm Anthropologie hatte der Senat im März 1959 abschlägig beschieden, nachdem Gutachter aus den Kreisen der Humangenetik abgeraten hatten. Überhaupt verschärften die ihrerseits gerade in der Neuorientierung begriffenen medizinischen Erbforscher die Krise der mit ihnen über gemeinsame Fachgesellschaften und Zeitschriften verbundenen Anthropologen, indem sie jene von den Schaltstellen verdrängten und jeweils die Humangenetik in den Mittelpunkt rückten. Letztlich war die deutsche Anthropologie in der Mitte der 1970er Jahre aufgrund ihrer Unfähigkeit zur Erneuerung eine Failed Science, deren Bestandteile anderen Disziplinen, von der Ethnologie bis zur Humangenetik, zustrebten oder sich zu Bindestrich-Anthropologien auflösten. Erst zu diesem Zeitpunkt engagierte sich die DFG merklich für einen Neuaufbau des Faches, indem sie (ab 1973) eine großangelegte Studie zu dessen Stand finanzierte.237 FORSCHERPERSÖNLICHKEITEN AUF AUFHOLJAGD. DAS PROFIL DER DFG-FORSCHUNGSFÖRDERUNG ZWISCHEN 1949 UND 1967 Wie ihre Weimarer Vorgängerin setzte auch die im Januar 1949 gegründete Notgemeinschaft darauf, durch eine Mischfinanzierung aus staatlichen und privatwirtschaftlichen Quellen auskömmliche Ressourcen und zugleich weitgehende Autonomie gegenüber den einzelnen Geldgebern zu erreichen. Allerdings erfüllte sich die Hoffnung nicht, der im September 1949 wiedergegründete Stifterverband werde in großem Stil Zuwendungen der Industrie für die Notgemeinschaft mobilisieren. Zum einen hielt es sich der Stifterverband qua Satzung offen, ein Drittel seiner Einnahmen an der Notgemeinschaft vorbei zu verteilen. Zum anderen blieb sein Erfolg bei der Mittelakquise – wie schon während der Weimarer Republik – hinter den Erwartungen zurück.238 Immerhin stammten zwischen 1949 und 1967 etwa zehn Prozent der Einnahmen von Notgemeinschaft bzw. DFG vom Stifterverband, wobei die Werte für einzelne Jahre zwischen sechs und 20 Prozent schwankten. Am Anfang der 1960er Jahre kamen zweckgebundene Zuwendungen der 1959 gegründeten Fritz Thyssen Stiftung sowie der 1961 ins
236 Gutachten Knußmanns vom 25.3.1976, in: ebenda. 237 Vgl. Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse, S. 622–630 und Spiegel-Rösing/Schwidetzky, Maus, S. 7–28. 238 Vgl. Orth, Autonomie, S. 62 f. und Schulze, Stifterverband, S. 158 f.
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Leben gerufenen Volkswagenstiftung hinzu, die je nach Jahr zwischen zwei und acht Prozent des DFG-Etats deckten.239 Im Kern aber entwickelte sich die DFG wie zwischen 1920 und 1945 zu einer Institution, die Geldmittel des Staates innerhalb des wissenschaftlichen Feldes verteilte. 85 Prozent ihrer Einnahmen zwischen 1949 und 1967 stammten von Bund und Ländern. In der Gründungsphase bis 1952 finanzierten die Länder über die Hälfte der Einnahmen, der Bund nur etwa ein Drittel. Im Jahr 1953 kehrte sich dieses Verhältnis durch ein Sonderprogramm des Bundes zur Förderung von Forschungsschwerpunkten um; bis zum Jahr 1964 deckte er nun zwischen 58 und 76 der jährlichen DFG-Etats, während der Anteil der Länder auf (je nach Jahr) zwölf bis 32 Prozent sank. Nachdem sich Bund und Länder im Juni 1964 darauf geeinigt hatten, sich die Zuwendungen an die DFG hälftig zu teilen, entfielen ab dem Folgejahr jeweils etwa 42 Prozent der DFG-Mittel auf Bund und Länder. Insgesamt deckte der Bund zwischen 1949 und 1967 etwa 57 Prozent der Mittel von Notgemeinschaft bzw. DFG, die Länder 28 Prozent.240 Diese einseitige Abhängigkeit der DFG von staatlichen Zuwendungen bildete den Hintergrund der oben dargestellten Versuche ihres Senates, über die Autonomie der Forscher gegenüber politischen Steuerungsversuchen zu wachen. Im Unterschied zu ihrer Weimarer Vorgängerin, die in der Endphase der Republik mit stark sinkenden Einnahmen zu kämpfen hatte, profitierte die bundesdeutsche DFG vom ökonomischen Boom und verzeichnete im Untersuchungszeitraum dauerhaft steigende Zuwendungen: Nachdem die Notgemeinschaft 1949 mit knapp 2,7 Millionen DM gestartet war, verzeichnete der Etat von 1951 bereits Einnahmen von 9,1 Millionen DM. Im Jahr 1961 schlugen 67,8 Millionen zu Buche, und 1973 verfügte die DFG über 536,8 Millionen DM. Die meisten Rechnungsjahre brachten moderate Einnahmenzuwächse, mitunter aber schnellten die Zuwendungen von einem zum nächsten Jahr so markant in die Höhe, dass wir anhand dieser Daten einzelne Phasen in der Geschichte der DFG identifizieren können. Eine erste Zäsur wird in der Mitte der 1950er Jahre erkennbar: Im Jahr 1956 stiegen die Einnahmen der DFG rasant von knapp 24,7 auf 43,1 Millionen DM (= um 74,9 Prozent); bereits drei Jahre zuvor war der Etat um 62 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Der Sprung von 1953 war darauf zurückzuführen, dass der Bund der DFG von diesem Jahr an Sondermittel für Schwerpunktprogramme in ausgewählten Forschungsfeldern zur Verfügung stellte. Auch der abrupte Mittelzuwachs von 1956 wurde dadurch verursacht, dass der Bund seine Zuwendungen zweckgebunden erhöhte: Von nun an sollte die DFG die Anschaffung von Großgeräten für Forschungseinrichtungen koordinieren und mit Sondermitteln des Bundes finanzieren.241 Damit trennt eine Zäsur in der Mitte der 1950er Jahre 239 Zur Thyssen Stiftung vgl. Hockerts, Erbe. 240 Damit wandten Bund und Länder die im Königsteiner Abkommen vom 31. März 1949 vereinbarten Grundsätze der staatlichen Forschungsfinanzierung auf die DFG an. Vgl. hierzu Braun, Steuerung, S. 218 f. Die folgenden Angaben zu den Einnahmen der DFG nach Zierold, Forschungsförderung, S. 346–352 und Orth, Autonomie, S. 64. 241 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 349.
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zwei Phasen der DFG-Geschichte voneinander. Von der Neugründung bis in die Mitte der 1950er Jahre diente die Notgemeinschaft bzw. DFG primär dem Aufbau der durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten Infrastruktur der Forschung und der Ermöglichung vieler kleiner Neuanfänge. Im Vergleich zu späteren Zeiten hohe Anteile der DFG-Ausgaben entfielen in dieser Phase auf die Förderung der Bibliotheken (im Jahr 1952 etwa elf Prozent aller vergebenen Fördermittel), die so darin unterstützt wurden, Kriegsverluste zu kompensieren und ihre Bestände wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen. Zudem erhielt die DFG in den Jahren 1951 und 1952 über sechs Millionen DM aus dem European Recovery Program (ERP, vulgo „Marshallplan“), um für Forschungseinrichtungen Apparate inländischer Produktion anzuschaffen; in diesen beiden Jahren entfielen 47 bzw. 22 Prozent der DFG-Ausgaben auf diese ERP-Mittel.242 Die Konstante in der Förderpolitik der frühen Phase bestand in der breit gestreuten Förderung einzelner Forschungsvorhaben auf Antrag, dem Normalverfahren. Bis zur Einführung des Schwerpunktverfahrens im Jahr 1953 ging die Projektförderung ausschließlich diesen Weg; mit Ausnahme des durch hohe ERP-Mittel geprägten Jahres 1950 verteilte die DFG zwischen 1949 und 1952 jährlich zwischen 74 und 84 Prozent ihrer Gelder auf insgesamt etwa 5.000 Einzelprojekte.243 An diese Phase des „Wiederaufbaus“ schloss sich mit der ökonomischen und politischen Stabilisierung der Bundesrepublik Mitte der 1950er Jahre eine „Aufhol- und Imitationsphase“ des westdeutschen Innovationssystems an, die bis zur Mitte der 1960er Jahre währte.244 Danach setzte (wiederum parallel zur allgemeinen Entwicklung der Republik) eine dritte, von „Innovation“, „Effizienzsteigerung“ und Planungsvisionen, sprich: tiefgreifenden Strukturreformen geprägte Phase ein, so der weitgehende Konsens der Wissenschaftsgeschichte.245 Begriffe wie Innovation und Strukturreform beschreiben die Entwicklung der DFG in dieser Phase durchaus zutreffend, sei es mit Blick auf einen mit der Erweiterung der Wählerschaft zu den Fachausschüssen im Jahr 1971 verbundenen Pluralisierungsschub, sei es hinsichtlich einer neuen Schwerpunktbildung in Gestalt der im Jahr 1968 gestarteten Sonderforschungsbereiche. Auf diese entfielen schon fünf Jahre später 36 Prozent des DFG-Haushalts. Zugleich war das Gesamtbudget der DFG zwischen 1967 und 1973 noch einmal sprunghaft von 179,9 Millionen DM auf 536,8 Millionen DM gewachsen.246 Diese Reformphase wird im neunten Kapitel untersucht; dagegen widmet sich dieses Kapitel der DFG-Förderpolitik vor Einführung der Sonderforschungsbereiche, also bis 1967. In der bis dorthin reichenden „Aufhol- und Imitationsphase“ gingen die Akteure der Wissenschaftspolitik von der Annahme aus, dass die westdeutsche Forschung auf strategisch relevanten Feldern den Anschluss an internationale Stan242 Vgl. Bericht 1951, 8 und Orth, Autonomie, S. 68 ff. 243 Zur Zahl der bewilligten Projekte vgl. Bericht 1965, S. 53. Die 5.137 bewilligten Anträgen dürfte auch Fortsetzungsanträge beinhalten, so dass die Zahl der Projekte etwas niedriger liegen dürfte. 244 Zu den Phaseneinteilungen und den Begriffen siehe Orth, Autonomie, S. 21. 245 Vgl. ebenda, S. 157–160. 246 Vgl. ebenda, S. 193 und 196.
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dards verloren habe – gegenüber der Sowjetunion (als Gegner im Kalten Krieg), aber auch gegenüber der Forschung der westlichen Verbündeten und hier vor allem jener der USA. Diese Rückstände, so der Konsens von Politik und Forschungsmanagern, gelte es aufzuholen, indem man die erfolgreichen Modelle der westlichen Konkurrenten imitierend adaptiere. Die Bundesregierung schlug hierzu drei Wege ein. Erstens zog sie mit der Gründung des Ministeriums für Atomfragen (ab 1962: Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung) im Oktober 1955 die Forschungsorganisation in einzelnen Feldern direkt an sich. Mit den Kernforschungseinrichtungen in Karlsruhe und Jülich sowie dem „Deutschen Elektronen Synchrotron“ in Hamburg entstanden schon 1956 die ersten Großforschungseinrichtungen, und in der Folge reservierte der Bund strategische Felder wie die Atom- und die Weltraumforschung für seine Einrichtungen und verdrängte damit die DFG (und die Hochschulen) aus Teilen ihres traditionellen Kerngebietes, nämlich der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung.247 Zweitens gründeten Bund und Länder mit dem Wissenschaftsrat im September 1957 ein neues Beratungsgremium, das auf den ersten Blick den Anspruch der DFG in Frage stellte, in Fragen der Forschung die Repräsentanz der Wissenschaft zu sein.248 Vor allem aber pumpte der Staat drittens rasch zunehmende Ressourcen in das Wissenschaftssystem; die Gesamtausgaben von Bund und Ländern für Wissenschaft vervierfachten sich zwischen 1955 und 1967. Während die DFG in den erstgenannten Aspekten an Einfluss verloren zu haben schien, profitierte sie immerhin als inzwischen etablierte Verteilungsinstanz staatlicher Fördergelder von der finanziellen Expansion des staatlichen Engagements. Zwischen 1955 und 1962 schnellten ihre Gesamteinnahmen von 24,7 auf 98,7 Millionen DM in die Höhe und erreichten 1967 einen Umfang von 179,9 Millionen DM. Gemessen am Gesamttrend der Wissenschaftsausgaben von Bund und Ländern erscheinen die Etatzuwächse der DFG weniger spektakulär. Im Jahr 1967 entsprachen die staatlichen Zuwendungen an die DFG (158,4 Millionen DM) einem Anteil von 3,3 Prozent an den Gesamtausgaben des Staates für Hochschulen, Forschung und Entwicklung.249 Solche Zahlen relativieren den Stellenwert der DFG für das Wissenschaftssystem – die Ausgaben des Staates für die Grundfinanzierung der Hochschulen etwa betrugen im Jahr 1967 das Zehnfache des DFG-Budgets –, sie belegen aber auch, dass die Bedeutung der DFG für die Versorgung des Wissenschaftssystems mit nicht langfristig festgelegten, also für Projekte disponiblen Mittel hoch war und dass sie sich im Kontext eines rasanten Auf- und Umbaus des Wissenschaftssystems in dieser Kernfunktion für die Forschung zu behaupten verstand. Dazu bedurfte es erstens eines Mitte der 1950er Jahre erkennbar forcierten Lobbyings im politischen Raum. Ab 1954 führte die DFG im Bundestag regel247 Vgl. ebenda, S. 107–116, Stamm, Staat, S. 185–192, Braun, Steuerung, S. 223 ff. und Osietzki, Physik, S. 63–70. 248 Zur Genese des Wissenschaftsrates und der aktiven Rolle des DFG-Präsidenten Hess in diesem Prozess vgl. Stamm, Staat, S. 202–219 und Bartz, Wissenschaftsrat, S. 23–36. 249 Zu den Gesamtausgaben vgl. die nicht ganz kongruenten Statistiken bei Pfetsch, Datenhandbuch, S. 66 und Ritter, Großforschung, S. 156 f.
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mäßig „parlamentarische Abende“ durch und institutionalisierte ihre Kontakte zu Abgeordneten schließlich im Jahr 1956 in einem „Wissenschaftlich-Parlamentarischen Arbeitskreis“.250 Zweitens beruhte der politische Einfluss der DFG darauf, dass ihre Spitzenfunktionäre in den institutionenübergreifenden Netzwerken des Forschungsmanagements stark positioniert waren: Elf der 16 wissenschaftlichen Mitglieder des Wissenschaftsrates gehörten bei dessen (unter anderem von DFG-Präsident Hess initiierten) Gründung 1957 zugleich Senat oder Präsidium der DFG an; ab 1962 koordinierten zudem die Präsidenten bzw. Vorsitzenden von DFG, Max-Planck-Gesellschaft, Rektorenkonferenz und Wissenschaftsrat ihr wissenschaftspolitisches Vorgehen in der sogenannten „Heiligen Allianz“ der Wissenschaftsorganisationen. Und im 1955 gegründeten Atomministerium avancierte mit Alexander Hocker 1956 der zuvor in der DFG für den Senat zuständige Referent an die Spitze der Forschungsabteilung. Messen wir den Einfluss der DFG an der Präsenz ihrer Funktionsträger in den Gremien der Wissenschaftspolitik, so können wir sogar davon sprechen, neue Institutionen wie der Wissenschaftsrat hätten diesen Einfluss im Ergebnis nicht gemindert, sondern nur die Modi seiner Wirksamkeit modifiziert.251 Drittens beruhte die Teilhabe der DFG am Ausbautrend des Wissenschaftssystems auf ihrer Bereitschaft, auch solche Förderprogramme des Bundes umzusetzen, gegen die innerhalb der DFG-Gremien zunächst schwere Bedenken geherrscht hatten – das wichtigste Beispiel ist die Einführung von Schwerpunktprogrammen ab 1953; hiervon wird noch die Rede sein. Viertens aber konnte die DFG ihre Relevanz durch das Setzen eigener Akzente beim Ausbau der bundesdeutschen Forschungslandschaft herausstellen, nämlich indem sie sich als Motor einer Entwicklung in Richtung Interdisziplinarität profilierte. Präsident Gerhard Hess fasste die dieser Strategie zugrundeliegende Diagnose eines „Rückstandes“ im Jahr 1963 so zusammen: „Auf den klassischen Gebieten“, also den bereits vor 1933 in ihren Grundzügen formatierten Forschungsfeldern, habe die deutsche Forschung einen „dem Ausland ebenbürtigen Stand (…) wahren können. In den Gebieten, die sich am Rande der klassischen Fächer und zwischen ihnen entwickelt haben und in denen es auf die Zusammenarbeit von Sachkennern verschiedener Disziplinen ankommt, herrscht im Ganzen (…) ein Rückstand. Es sind dies die Bereiche, in denen die Forschung in Neuland vorstößt und sich neue Arbeitsrichtungen mit neuen Techniken entwickeln“; als Beispiele nannte Hess unter anderem die chemische Mikrobiologie, die Immunbiologie und die Ozeanographie.252 Zur initiierenden Förderung sowohl interdisziplinär als auch als Teamarbeit angelegter Forschung richtete die DFG 1962/63 das Förderformat der Forschergruppen ein: An einem Standort sollten Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und Spezialisierung koordiniert für eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren Probleme eines Forschungsfeldes bearbeiten und so eine „Avantgarde 250 Vgl. Bericht 1955, S. 9 und Bericht 1956, S. 36. 251 Vgl. Orth, Autonomie, S. 105 f., Bartz, Wissenschaftsrat, S. 42 f. und Stamm, Staat, S. 219– 223; zu Hocker vgl. ebenda, S. 190. 252 Rede Präsident, S. 7.
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auf Gebieten“ bilden, „für die es noch keine speziellen Lehrstühle oder Institute gibt“.253 In einer Pilotphase dieses neuen Formates wurden zunächst eine Forschergruppe zur Kybernetik an der TU Karlsruhe (1962) und drei Forschergruppen an der Universität Freiburg bzw. an dortigen Max-Planck-Instituten eingerichtet, nämlich zur Virologie (1963), zur Präventiv- bzw. Krebsmedizin (1963) sowie zur Immunbiologie (1965); 1967 folgte eine Forschergruppe zur Diabetes in München.254 Das Konzept der Forschergruppen hatte die DFG auf Empfehlung des Wissenschaftsrates aus Großbritannien übernommen; im Herbst 1961 waren der Kölner Neurologe Kurt-Alphons Jochheim und der Göttinger Chemiker Wilhelm Jost nach Großbritannien gereist, um die dortigen „Research Units“ zu studieren und der DFG Bericht zu erstatten.255 Während der Anlaufphase der ersten Forschergruppen fuhren Generalsekretär Carl-Heinz Schiel und der für die Technikwissenschaften zuständige Fachreferent Gottfried Gambke über den Kanal und unterrichteten im Dezember 1965 den Senat über die Organisation der Research Units. Der Senat erachtete diese schon deshalb als Vorbilder für die deutschen Forschergruppen, weil ihm ihre Konstruktion um einen „hervorragenden Forscher“ herum als kompatibel mit seinem Ideal des genialischen Einzelforschers (nun als Spiritus rector eines „Teams“) erschien.256 Am Beispiel der ersten Forschergruppen zeigt sich im Übrigen, dass die Zuwendungen des Stifterverbandes und anderer Stiftungen zum Haushalt der DFG zwar in Prozenten gering sein mochten, aber deren Flexibilität erhöhten, mit neuen Formaten zu experimentieren: Im Fall der Forschergruppen Präventivmedizin und Diabetes finanzierte der Stifterverband ganz oder teilweise die nötigen Neubauten, die VW-Stiftung finanzierte das Gebäude der Forschergruppe Immunbiologie und die Thyssen Stiftung einen Großteil der Personal- und Sachkosten der Forschergruppe Virologie.257 Die Forschergruppen beanspruchten ab 1963 mangels Nachfrage der potenziellen Antragsteller jährlich nur etwa ein Prozent des DFG-Etats – dieses Angebot scheint mit seiner Orientierung auf Teamarbeit der Ordinarienuniversität in den 1960er Jahren noch fremd geblieben zu sein.258 Neben den Forschergruppen lassen sich die Ausgaben der Notgemeinschaft/DFG zwischen 1949 und 1967 im Wesentlichen drei weiteren Förderlinien zuordnen, nämlich erstens dem gezielten Ausbau der Infrastruktur wissenschaftlicher Forschung, für den die DFG knapp 18 Prozent ihres Etats aufwendete, zweitens der breit gestreuten, jeweils auf Anträge reagierenden Förderung einzelner Projekte im Normalverfahren, die 253 Meyl, Rückblick, S. 3. 254 Vgl. Bericht 1962, S. 67, Bericht 1963, S. 72 ff. und Zierold, Forschungsförderung, S. 417– 420. 255 Vgl. Stoff, Wirkstoffe, S. 108 f. 256 Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 10.12.1965, S. 18, in: BArch, B 227/162894. 257 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 417 ff. und Bericht 1964, S. 10. Die Thyssen-Stiftung finanzierte zudem das Schwerpunktprogramm zur Krebsforschung zwischen 1961 und 1971 mit 10,1 Millionen DM, vgl. Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 265 und 272 ff. 258 Vgl. Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 102.
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mit 47 Prozent aller Ausgaben die quantitativ bedeutendste Förderlinie bildete und schließlich drittens der Förderung wiederum jeweils einzeln beantragter Projekte in allerdings zuvor definierten Schwerpunktfeldern der Förderung, also dem Schwerpunktverfahren, in das 32 Prozent der bis 1967 getätigten Ausgaben flossen. Ganz exakt sind diese Zahlenangaben nicht, weil die DFG in ihren Statistiken einzelne Posten anders zuordnete, als es die hier angelegte Systematisierung nahelegen würde; so rechnete die DFG etwa die Subventionierung von Zeitschriften dem Normalverfahren zu, während es sich nach meinen Kriterien um eine Finanzierung der kommunikativen Infrastruktur der Wissenschaft handelte.259 Bereits die Weimarer Notgemeinschaft hatte vor allem mit ihrer Förderung des Bibliothekswesens, der Subventionierung von Zeitschriften und dem Aufbau von Versuchstierzuchten die infrastrukturellen Voraussetzungen von Forschung gefördert; ganz ähnlich agierte nun auch ihre Nachfolgerin. Die Errichtung eines „Zentralinstituts für Versuchstierzüchtung“ in Hannover durch eine zu 100 Prozent im Besitz der DFG befindliche GmbH im Jahr 1957 diente wie ähnliche Maßnahmen der 1920er bis 1940er Jahre der Versorgung von Forschungsinstituten mit standardisierten Versuchstieren; der Aufbau des Institutes wurde von Stifterverband und VW-Stiftung mitfinanziert. Im Jahr 1967 verkaufte das Zentralinstitut 472.000 Mäuse und Ratten an Forschungseinrichtungen.260 Drei Prozent der von der DFG zwischen 1949 und 1967 getätigten Ausgaben entfielen auf die Förderung wissenschaftlicher Bibliotheken, wobei die Anteile im ersten, noch von den Kriegsfolgen geprägten Jahrzehnt deutlich höher waren als in den 1960er Jahren. Umgekehrt stieg die Zahl der von der DFG durch Druckkostenzuschüsse subventionierten wissenschaftlichen Zeitschriften mit dem Ausbau des Wissenschaftssystems an, von 45 im Jahr 1950 auf 90 im Jahr 1968.261 Die Unterstützung der Bibliotheken ab 1949 schloss explizit an das Vorbild der Weimarer Notgemeinschaft an; Generalsekretär Kurt Zierold übertrug das entsprechende Referat in der Geschäftsstelle mit Gisela von Busse einer Mitarbeiterin, die in diesem Sachgebiet bereits seit 1930 für die Notgemeinschaft/DFG tätig gewesen war (und bis 1965 im Amt blieb).262 Ähnlich ihrer Vorgängerin nach dem Ersten Weltkrieg so begann auch die westdeutsche Notgemeinschaft damit, dass sie zunächst jene Lücken in den Beständen ausländischer Fachjournale schloss, die in den Bibliotheken seit 1930 durch die Wirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg gerissen worden waren. Von 1951 an kaufte die DFG auch im Ausland erschienene Monographien für die Bibliotheken an, zwei Jahre später übertrug 259 Die folgenden Angaben zu den Ausgaben der DFG nach Zierold, Forschungsförderung, S. 353–367, vor allem nach der Tabelle S. 364 f. 260 Vgl. Speer, 50 Jahre Wissenschaftsförderung, hier S. 733, Zierold, Forschungsförderung, S. 414, Moser, Forschungsgemeinschaft, S. 269 f. sowie zur Entwicklung des bis 1993 bestehenden Institutes: Wissenschaftsrat, Stellungnahme. 261 Insgesamt flossen 42 Millionen DM in die Bibliotheksbestände, vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 395 f. und das Protokoll der Sitzung der Fachausschussvorsitzenden vom 16.2.1968, S. 5, in: BArch, Film 1831 K. 262 Vgl. hierzu und zum Folgenden Zierold, Forschungsförderung, S. 423–442.
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sie den Ankauf den Bibliotheken selbst, unterstützte diese dabei aber durch jährliche Zuwendungen. Im Unterschied zur Weimarer Notgemeinschaft verzichtete die DFG darauf, die Bibliotheken durch „Standardlisten“ auf den Ankauf eines vorgegebenen Kanons an Literatur zu verpflichten. Ab Mitte der 1950er Jahre konnte sie den direkten Ankauf von Zeitschriften und Büchern schrittweise reduzieren, da die Bibliotheken zunehmend selbst in die Lage kamen, ihren Bedarf zu decken. 1958/59 schloss ein Sonderprogramm des Bundes, der den wissenschaftlichen Bibliotheken über die DFG zehn Millionen DM zur Verfügung stellte, die Maßnahmen zur Schließung krisen- und kriegsbedingter Bestandslücken ab. Mit ihren Unterstützungsprogrammen förderte die DFG nicht nur den Wiederaufbau der für Forschung essentiellen Infrastruktur wissenschaftlicher Bibliotheken, sondern veränderte zugleich deren Struktur. Die Notgemeinschaft der Weimarer Jahre hatte neben einer Gießkannenförderung aller Hochschulbibliotheken vor allem die Berliner und die Münchner Staatsbibliothek darin unterstützt, ihre Funktionen als Leih- und Servicezentren für ganz Deutschland und quer durch die Fächer zu optimieren. Diesen zentralen Status hatten die genannten Bibliotheken durch die Kriegsfolgen eingebüßt, nun bedurfte es einer neuen, dem bundesdeutschen Föderalismus angepassten Struktur. Daher beschloss der Hauptausschuss der Notgemeinschaft im Jahr 1949 auf Vorschlag des aus Bibliotheksdirektoren und Wissenschaftlern bestehenden Bibliotheksausschusses ein System von etwa 100 Sondersammelgebieten, verteilt auf 25 westdeutsche Hochschulbibliotheken. Jede dieser Bibliotheken sammelte fortan prioritär für einige ihr zugewiesene Fächer und wurde hierin kontinuierlich von der Notgemeinschaft/DFG unterstützt; diese wendete zwischen 1949 und 1967 etwa ein Drittel ihrer Bibliotheksmittel für die Sondersammelgebiete auf. Ab 1959 wurde diese Struktur durch die Einrichtung von zentralen Fachbibliotheken ergänzt; den Anfang machte die Technische Informationsbibliothek Hannover, es folgten 1962 bzw. 1965 Fachbibliotheken für die Agrarwissenschaften in Bonn und für die Wirtschaftswissenschaften in Kiel. Die Praxis ihrer Vorgängerin, den im Rahmen der Projektförderung unterstützten Instituten auch apparative Ausstattung zur Verfügung zu stellen, führte die Notgemeinschaft/DFG ab 1949 weiter, indem sie die beantragten Gerätschaften zentral beschaffte und den Förderungsempfängern leihweise überließ. In den ersten Jahren entfiel sogar die Mehrheit der Fördergelder für Projekte auf Sachkosten, weil es an den Hochschulen noch am Nötigsten mangelte; so besaßen etwa im Jahr 1951 nur 16 Institute in Westdeutschland Elektronenmikroskope.263 Ab 1953 wurde dieser Bedarf an Geräten en detail schrittweise kleiner, ohne gänzlich zu verschwinden; in den 1960er Jahren sollte er dann im Zuge des raschen Wachstums der Hochschulen verstärkt wiederkehren. 1971 schließlich gab die DFG ihre Praxis auf, auch kleinere Apparate nur leihweise zur Verfügung zu stellen; nun konnten die Zuwendungsempfänger Geräte unter einem Wert von 5.000 DM mit Projektmitteln selbst erwerben.264 Inzwischen hatte sich der Fokus der 263 Vgl. ebenda, S. 372 f. und mit Beispielen Stoff, Wirkstoffe, S. 98 f. 264 Vgl. Speer, Zur Situation der Forschung und ihrer Förderung, S. 15.
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DFG längst verschoben: Seit Mitte der 1950er Jahre, mit dem Übergang des westdeutschen Innovationssystems in die Aufhol- und Imitationsphase, erhielt sie umfangreiche Sondermittel für die Anschaffung von Großgeräten, worunter vor allem Rechenanlagen zu verstehen sind. Hierfür stellte der Bund im Jahr 1956 erstmalig 18,7 Millionen DM zur Verfügung; in den 1960er Jahren unterstützte auch der Stifterverband die DFG bei der Anschaffung von Großgeräten, sodass im Verlauf dieses Jahrzehntes ca. 14 Prozent ihres Etats in dieses Programm flossen, bis 1970 summierten sich die Aufwendungen für Großgeräte auf insgesamt 230 Millionen DM.265 Ab 1962 folgten Sonderzuwendungen für sogenannte „Hilfseinrichtungen der Forschung“, die sich bis 1967 auf 8,3 Millionen DM summierten.266 Dieses Programm zielte darauf, den Laborwissenschaften zentrale Einrichtungen mit besonders teuren Anlagen zur Verfügung zu stellen und EDV-Kapazitäten für die Forschung aufzubauen. Im Jahr 1961 gründete die DFG in Kooperation mit dem Land Niedersachsen in Göttingen ein „Zentrallaboratorium für die Geochemie der Isotope“ und rüstete es mit Massenspektrometern aus, sechs Jahre später kam in Freiburg ein „Zentrallaboratorium für Mutagenitätsprüfung“ hinzu. In diesen zentralen Einrichtungen konnten Forscher aus der gesamten Bundesrepublik auf Antrag mit den dortigen Großgeräten arbeiten.267 Die Einrichtung zentraler Labore durch die DFG ab 1961 war nur insofern innovativ, als sich diese an Land befanden. Denn das im Jahr 1925 von Notgemeinschaft und Reichsmarine gemeinsam auf seine Reise geschickte Forschungsschiff Meteor war ja auf seine Art ebenfalls ein zentrales Großlabor gewesen. Im März 1964 setzte die DFG auch diese Tradition fort. Zusammen mit dem Deutschen Hydrographischen Institut stellte sie ein Forschungsschiff in Dienst, für dessen Bau der Bund Sondermittel in Höhe von 16 Millionen DM bereitgestellt hatte und das wiederum auf den Namen Meteor getauft wurde. Die Meeresforschung galt der DFG zu diesem Zeitpunkt als eines jener interdisziplinären Forschungsfelder, in denen die deutsche Forschung durch Kraftakte wieder Anschluss an die internationale Entwicklung finden müsse (und qua Tradition könne). Auf der Meteor konnten sich deutsche Forscher ab 1964 mit einem eigenen Beitrag an internationalen Kooperationsprojekten wie einem 1959 gestarteten und von insgesamt mehr als 20 Staaten getragenen Projekt zur Erforschung des Indischen Ozeans beteiligen. Die Meeresforschung, so zog DFG-Präsident Julius Speer im Jahr 1967 eine befriedigte Bilanz der ersten Expeditionen, sei zu einem „Musterbeispiel dafür“ geworden, „wie durch gezielten Einsatz von Mitteln ein wichtiges, aber nach dem Kriege schon nahezu nicht mehr existentes Wissenschaftsgebiet wieder zur Blüte (…) geführt werden konnte“.268 Die neue Meteor wurde von der DFG der 1960er Jahre nicht nur innenpolitisch als Werbeträger für Forschungsförderung genutzt (über 100 Pressemeldungen der DFG begleiteten 1964/65 die erste Expedition), wie dies die Notgemein265 266 267 268
Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 420–423 und Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 91. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 364 f. Vgl. Zierold, ebenda, S. 414–417 und Speer, 50 Jahre, S. 734. Speer, Bericht 1967, S. 21. Vgl. Bericht 1964, S. 11 f.
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schaft mit dem Vorgängerschiff getan hatte. Vielmehr wurden ihr auch teilweise ähnliche Funktionen für die äußere Kulturpolitik zugeschrieben wie der Meteor der 1920er Jahre: Wissenschaftlern aus Entwicklungsländern richtete man an Bord „Gastforscherplätze“ ein, und in den „ausländischen Anlegehäfen“ veranstalteten die deutschen Expeditionsteilnehmer „neben Schiffsbesichtigungen und Empfängen stets auch (…) wissenschaftliche Fachvorträge“.269 Damit, so behauptete der Bericht der DFG von 1965 etwas vollmundig, habe das Schiff „über den wissenschaftlichen Ertrag hinaus nicht unwesentlich dazu beigetragen, politische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern im Bereich der Expedition herbeizuführen“.270 Im Unterschied zu dem 1920er Jahren allerdings diente das Schiff nun nicht mehr als Verbindungsglied zwischen dem „Auslandsdeutschtum“ und dessen ferner Heimat – es fungierte als Instrument der Internationalisierung, nicht einer Volkstumspolitik. Die erwähnte Anschaffung von Großgeräten der Laborforschung, zum Beispiel Massen-, Kernresonanz- und Elektronenresonanzspektrometern, für eine größere Zahl von Hochschulen erfolgte in zwei befristeten Aktionen 1956 bis 1958 sowie 1964 bis 1966. Langfristig angelegt war dagegen die Förderung des Aufbaus einer EDV-Infrastruktur für die Wissenschaft. Die 1952 auf Initiative des DFG-Vizepräsidenten und Münchner Elektrotechnikers Hans Piloty gegründete Kommission für Rechenanlagen trieb ab dem Folgejahr mit Sondermitteln des Bundes die Entwicklung von Rechenanlagen für Zwecke der Forschung voran, beginnend mit Pilotanlagen in München, Göttingen und Darmstadt. Von 1956 an kaufte die DFG Elektronenrechner und stellte sie Hochschulen als Leihgaben zur Verfügung, um so ein Netz von Rechenzentren zu schaffen. Insgesamt finanzierte sie bis 1965 die Anschaffung von 54 Rechenanlagen an Hochschulen und Max-Planck-Instituten mit insgesamt 85 Millionen DM. Zugleich trugen von der DFG-Kommission veranstaltete Kolloquien zur Vermehrung des für den EDVEinsatz in der Wissenschaft nötigen Fachpersonals bei, auch wenn die Kommission anfänglich eine „Monopolpolitik“ zugunsten der in ihr vertretenen Institute betrieb. Im Jahr 1961 schließlich gründete die DFG zusammen mit dem Bund und dem Land Hessen die „Stiftung Deutsches Rechenzentrum“. Das Darmstädter Zentrum stellte nicht nur seine Großrechner Wissenschaftlern aller Hochschulen zur Verfügung, sondern engagierte sich auch in der Aus- und Fortbildung zum Einsatz von EDV in der Forschung.271 So bedeutsam die Funktion der DFG für die Entwicklung der westdeutschen Forschungsinfrastruktur auch war, der finanzielle Schwerpunkt ihrer Förderpolitik lag durchgängig in der Finanzierung einzelner Forschungsprojekte. Im Schnitt der Jahre 1949 bis 1967 entfielen gut 80 Prozent der Etats auf die Projektförderung im Normal- und Schwerpunktverfahren. Die Gewichte zwischen diesen beiden 269 Bericht 1967, S. 25. 270 Bericht 1965, S. 20. 271 Vgl. kritisch bilanzierend Hashagen, Rechner, S. 133–141, Wiegand, Informatik, S. 19–24, 48–56 und 112–118, Petzold, Maschinen, S. 402–416, Eckert, Siemens-Digitalrechner, S. 26 ff., Bericht 1960, S. 32, Bericht 1963, S. 88, Speer, 50 Jahre, S. 734 und Zierold, Forschungsförderung, S. 402 und 421 ff.
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Förderlinien wiederum waren zugunsten des Normalverfahrens verteilt. Im Jahr 1957 wendete die DFG 37 Prozent ihrer Mittel für Projekte des Normalverfahrens und 36 Prozent für das vier Jahre zuvor auf Initiative der Bundesregierung eingeführte Schwerpunktverfahren auf. Nachdem der Bund entschieden hatte, die der DFG zunächst zweckgebunden für das Schwerpunktverfahren zugewiesenen Gelder von 1959 an von dieser Bindung befreit zu verstetigen, nutzte die DFG die neue Autonomie bezeichnenderweise zur Umschichtung von Mitteln aus dem Schwerpunkt- in das Normalverfahren: In den 1960er Jahren entfielen jeweils mindestens 42 Prozent der Jahresbudgets auf das Normalverfahren (das im Jahr 1967 mit 57 Prozent sein Maximum erreichte), während sich das Schwerpunktverfahren bei Werten knapp über 30 Prozent einpendelte.272 Die Bevorzugung des Normalverfahrens beruhte auf einem ebenso breiten wie stabilen Konsens der Gremien darüber, dass es die Kernaufgabe der DFG sei, „den eigentlichen Quellgrund der wissenschaftlichen (…) Leistung, nämlich die freie Phantasie des Forschers und seinen nur dem eigenen Gewissen verantwortlichen Drang nach Erkenntnis“ zu pflegen.273 Die Kreativität befördernde Autonomie des einzelnen Wissenschaftlers aber sei im Normalverfahren am besten gewährleistet, in dem er ohne einengende thematische Vorgaben die Förderung seiner Projektidee beantragen und von Fachgutachtern individuell begutachten lassen konnte. Gerade in puncto Innovationsförderung sei die Einzelförderung des Normalverfahrens den Schwerpunktprogrammen überlegen, stellte 1967 der Freiburger Anglist Herbert Pilch im DFG-Senat fest, weil „fruchtbare Ansätze meist klein anfingen. Wenn ein Gebiet erst einmal in die Schwerpunktförderung aufgenommen worden sei, bestehe viel mehr die Gefahr, daß die Arbeiten schon zur Routine würden“.274 Im Jahr 1951 gingen bei der DFG 2.026 Anträge im Normalverfahren ein, zehn Jahre später waren es 3.287 und schließlich 4.760 Anträge im Jahr 1967.275 Das Ansteigen der Antragszahlen ergab sich aus dem Wachstum der bundesdeutschen Hochschulen und damit der Vermehrung möglicher Antragsteller: Zwischen 1954 und 1967 wuchs die Zahl der Lehrstühle in der Bundesrepublik um den Faktor 1,5.276 Trotz der Vermehrung der Anträge stieg die Bewilligungsquote bis zur Mitte der 1960er Jahre an; 1951 hatte sie bei 79,8 Prozent gelegen, im Jahr 1965 waren 93,1 Prozent der im Normalverfahren eingereichten Anträge erfolgreich; die Gesamtzahl der somit bis 1968 geförderten Projekte lag bei 36.518.277 272 Vgl. Zierold Forschungsförderung, S. 364 und Bericht 1960, S. 10 f. 273 Bericht 1952, S. 10; im Bericht 1956, S. 12 hieß es, das Normalverfahren sei das „Kernstück“ der DFG-Forschungsförderung; ähnlich Bericht 1967, S. 66. 274 Niederschrift der Sitzung des Senates vom 12.7.1967, S. 6, in: BArch, B 227/162895. 275 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 371. 276 Vgl. Busch, Stellenplan, Sp. 32 und 79 f. und Bundesbericht Forschung II, S. 224 f. 277 Errechnet aus der Tabelle in Bericht 1965, S. 53; zur Gesamtzahl vgl. Orth, Autonomie, S. 138. Die Bewilligungsquote ist aussagekräftiger als die Ablehnungsquote, da letztere jene Anträge nicht berücksichtigt, die „anderweitig erledigt“, zum Beispiel wegen schlechter Erfolgsprognosen zurückgezogen wurden. Die Ablehnungsquoten schwankten in den 1950er und 1960er Jahren im Normalverfahren zwischen sechs und 21 Prozent, im Schwerpunktverfahren zwischen vier und sechs Prozent, vgl, Bericht 1955, S. 45, Bericht 1960, S. 57, Bericht 1962, S. 67, Bericht 1963, S. 52 und 60, Bericht 1964, S. 58. sowie Meyl, Rückblick, S. 3.
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Leider lässt sich nicht valide ermitteln, ob die hohen Bewilligungsquoten auf eine großzügige Praxis der DFG-Gremien (und das rasante Wachstum der zur Verfügung stehenden Gelder) zurückzuführen sind oder ob nicht vielmehr in der damals noch relativ überschaubaren Scientific Community der Bundesrepublik weitgehend bekannt war, wer mit welchen Forschungsthemen bei den DFGGutachtern Erfolgschancen besitzen würde (und wer nicht). Träfe Letzteres zu, so wären die hohen Bewilligungsquoten teilweise dadurch zu erklären, dass Wissenschaftler, die ihre Erfolgschancen bei der DFG pessimistisch beurteilten, von vornherein auf eine Antragstellung verzichteten. Ein Indiz für die Bedeutung dieses Faktors liefert das Protokoll einer internen Besprechung der DFG-Fachreferenten mit dem Präsidium vom August 1971. Hier führten die Referenten die niedrigen Ablehnungsquoten im Normalverfahren explizit darauf zurück, dass „sehr viele Anträge“ bereits „in der Vorbereitungsphase abgelehnt“, das heißt nach einer ersten Kommunikation zwischen Geschäftsstelle und an einer Antragstellung interessierten Wissenschaftlern (häufig in Gestalt eines persönlichen Vorsprechens beim zuständigen Referenten) erst gar nicht eingereicht würden.278 Auch die hohe Relevanz personenbezogener Bewertungen in der Begutachtungspraxis der 1950er und teilweise noch der 1960er Jahre, die im neunten Kapitel erörtert werden wird, spricht dafür, dass die Bewilligungsquoten auch deshalb hoch waren, weil die meisten Antragsteller aus jenen In-Groups ihrer Fächer stammten, denen auch die Gutachter angehörten. Ging im Normalverfahren die Initiative zur Antragstellung vom einzelnen Forscher aus, so regte im Schwerpunktverfahren die DFG ihrerseits Wissenschaftler an, Projekte zu spezifischen Themenfeldern zu beantragen, was DFG-Präsident Hess 1963 als lediglich „sanfte Lenkung“ der Forscher verstanden wissen wollte:279 Präsidium, Senat und vor allem die Fachreferenten der Geschäftsstelle identifizierten durch Recherchen unter von ihnen frei (das heißt nicht unbedingt aus dem Pool der Fachausschüsse) ausgewählten Experten Felder, zu denen Forschungsprojekte schwerpunktmäßig gefördert und durch die DFG koordiniert werden sollten. Sie luden aus ihrer Sicht einschlägig profilierte Wissenschaftler zu vorbereitenden Besprechungen ein und entwickelten mit ihnen Vorschläge für Themen, Fragen und Organisation eines Schwerpunktprogramms. Die formellen Beschlüsse über die Einrichtung eines solchen Programms trafen Senat und Hauptausschuss. Hatten diese ein Schwerpunktprogramm eingerichtet, so konnten Forscher Einzelanträge hierzu einreichen. Indem Geschäftsstelle und Senat aber vorab eine Liste von Wissenschaftlern erstellten, die gezielt zur Teilnahme am Programm aufgefordert wurden, schufen sie (im Unterschied zum Normalverfahren) bewusst ungleiche Konkurrenzbedingungen unter den Forschern. Die Anträge wurden – im Interesse einer Beschleunigung, vor allem aber einer Koordinierung und Abstimmung der Einzelprojekte – nicht schriftlich, sondern mündlich durch eine Prüfgruppe behandelt, deren Voten dann (wie im Normalverfahren) Grundlagen für die Entscheidung des Hauptausschusses waren. Zwar 278 Niederschrift der Sitzung von Direktorium und Fachgruppenleitern vom 30.8.1971, in: BArch, B 227/171352. 279 Hess, Bericht, S. 11.
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wurden die Fachausschüsse an der Begutachtung der Anträge beteiligt, indem ihre Vorsitzenden und einzelne Mitglieder an den jeweiligen Prüfgruppen teilnahmen. Aber daneben nahmen wiederum von der Geschäftsstelle nominierte Experten an diesen Gruppen teil. 280 Das Schwerpunktverfahren unterschied sich folglich vom Normalverfahren dadurch, dass die Gremien der DFG bereits vor Stellung der Einzelanträge durch die Forscher Vorentscheidungen über Themen und Personen trafen, dass der einzelne Antrag als Teil eines größeren Forschungsprogramms beurteilt wurde, dass die DFG über die Besprechungs- und Prüfgruppen die Koordinierung der Forschung auf einem spezifischen Feld unter ihrem Dach institutionalisierte und dass schließlich nicht die gewählten Fachausschüsse, sondern die Geschäftsstelle sowie die von dieser ausgewählten Experten den maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse ausübten. Der von 1965 an als Generalsekretär amtierende Carl Heinz Schiel fasste das Procedere 1971 in bezeichnender Weise verkürzt zusammen: „Zu einem von der Geschäftsstelle ausgeschriebenen Oberthema konnten sich einzelne Forscher mit ihren Anträgen melden.“281 Der entscheidende Einfluss der Geschäftsstelle ergab sich zum einen daraus, dass nur die in ihr hauptamtlich arbeitenden Akteure (Präsident, Generalsekretär, Fachreferenten) in der Lage waren, in die zumeist jahrelangen Vorbereitungsphasen eines Schwerpunktprogramms kontinuierlich steuernd einzugreifen; hier waren ehrenamtlich arbeitende Gremien wie Fachausschüsse und Senat schlicht überfordert. Zum anderen fremdelten erhebliche Teile des formal für die Etablierung der Schwerpunktprogramme verantwortlichen Senates bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre hinein mit dieser Förderlinie, weil sie diese für zu dirigistisch und für zu wenig auf die Individualität der Forschenden ausgerichtet hielten. Daher machten die DFG-Senatoren in der Regel entweder gar keine oder aber aus der Situationslogik einer Sitzung entspringende, sich dann bald als ungeeignet erweisende Vorschläge für neue Schwerpunktprogramme. Die Präsidenten ermahnten den Senat mehrfach, „mehr als bisher eigene Initiative“ zu entwickeln, und die Geschäftsstelle machte Verfahrensvorschläge, die dem Senat eine frühzeitige Mitsprache sichern sollten.282 Die Senatoren gingen jedoch hierauf nicht ein; stattdessen bescheinigten sie sich selbst, ihre Entscheidungen über Schwerpunktprogramme bildeten „letztlich doch (…) eine Zufallsauswahl“.283 Die sich aus dieser Bereitschaft des Senats entwickelnde Praxis, der Geschäftsstelle die Initiative zu überlassen, verstärkte dann in einem zirkulären Prozess wiederum das Misstrauen der Senatoren gegenüber den Schwerpunktprogrammen: 1967 erklärten der Gießener Chemiker und DFG-Vizepräsident Hansjürgen Staudinger und der Münchner Bauingenieur Hubert Rüsch, im Normalverfahren erfolge in Gestalt 280 Vgl. Orth, Autonomie, S. 131–134 und die Beschreibung des Verfahrens in der Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 7.5.1953, S. 2, in: BArch, B 227/162700. 281 Schiel, Zeitenwende, S. 5. 282 So Hess laut der Niederschrift der Senatssitzung vom 28.2.1958, S. 18, in: BArch, B 227/162891. 283 Niederschrift der Senatssitzung vom 27.2.1957, S. 34, in: ebenda; vgl. ebenda, S. 25–29 zur Rolle der Geschäftsstelle.
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der schriftlichen Einzelbewertung von Projekten durch gewählte Fachgutachter „letzten Ende eine straffere Qualitätskontrolle“ als im Schwerpunktverfahren,.284 Einen ersten Vorstoß zur Etablierung von bewusst gesetzten Förderschwerpunkten hatte Kurt Zierold bereits im Sommer und Herbst 1950 unternommen. Zunächst brachte er die Anfang August in Bonn tagende Mitgliederversammlung der Notgemeinschaft dazu, eine „Sonderkommission zur Schwerpunktbildung“ einzusetzen. Am 10. Oktober 1950 schrieb Zierold dann alle Fachausschüsse an und bat um Vorschläge, welche Felder die Notgemeinschaft vorrangig fördern solle: Schon die als Vorbild für die Gegenwart allgemein anerkannte Weimarer Notgemeinschaft habe mit ihren Gemeinschaftsarbeiten Schwerpunktförderung betrieben, so Zierold, und der bundesdeutsche Staat sei (wie zuvor der Weimarer) nur dann für eine großzügige Mittelvergabe zu gewinnen, wenn man ihm „einen Plan“ mit begründeten „Schwerpunkten“ vorlege.285 Die Fachausschüsse reagierten zurückhaltend; nur die Hälfte reichte überhaupt Vorschläge ein. Eine daraufhin von Fachreferenten angestellte Umfrage unter ausgewählten Wissenschaftlern ergab die Erkenntnis, dass die Bedenken gegen eine „Planung im Sinne einer Steuerung der Forschung durch wissenschaftsfremde Kräfte“ groß seien.286 Die Sonderkommission mühte sich redlich und entwickelte eigene Vorschläge, aber im Dezember 1951 beschloss der Senat, kein Schwerpunktprogramm aufzustellen. Es sei verfehlt, die Forschung „durch planmäßige Vergebung oder Versagung von Geldmitteln zu lenken“, denn erstens widerspreche dies „der deutschen Wissenschaftstradition, welche die Individualität des einzelnen Gelehrten“ in den Vordergrund stelle, zweitens bedürfe man gerade angesichts der Nöte der Gegenwart der „geistig produktiven Persönlichkeiten“, nicht aber sie bevormundender Programme und drittens seien die Forscher in „Erinnerung an die Lenkungsmethoden des totalitären Staates“ zumindest „einstweilen noch mißtrauisch gegenüber jedem, noch so schwach dosierten Führungsanspruch“.287 Im November 1952, nur elf Monate nach dieser vollmundig mit Tradition, Prinzipien und Erfahrung begründeten Absage an jedwede Planung, beschloss der Senat dann gleichwohl ein Schwerpunktprogramm, denn inzwischen hatte die Bundesregierung einen zusätzlichen Betrag von fünf Millionen DM in Aussicht gestellt und zwar unter der Bedingung, dass die DFG diese Gelder nach einem zuvor aufgestellten Plan auf Förderschwerpunkte konzentriere. Da der Gesamtetat der DFG im ablaufenden Haushaltsjahr gerade einmal 11,6 Millionen DM betragen hatte, lockten diese Zusatzmittel denn doch allzu sehr. Der Senat beschloss folglich, er sehe es weiterhin „nicht als seine Aufgabe an, ein umfassendes Forschungsprogramm für die gesamte deutsche Wissenschaft aufzustellen“ (was auch niemand von ihm verlangt hatte), um dann doch immerhin „ein Programm zur schwerpunktmäßigen Förderung ausgewählter Forschungsfelder“ auf den Weg 284 Niederschrift der Sitzung des Senates vom 12.7.1967, S. 6, in: BArch, B 227/162895. 285 Schreiben Zierolds an die Fachausschüsse vom 10.10.1950, in: BArch, B 227/162700; vgl. Bericht 1951, S. 28 ff. und Orth, Autonomie, S. 70–75. 286 Aus einem zusammenfassenden Bericht der Geschäftsstelle von Anfang 1951, zit. nach Orth, Autonomie, S. 73. 287 So die Position des Senates, referiert im Bericht 1952, S. 10 f.
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zu bringen.288 Das Schwerpunktverfahren wurde also 1953 neu aufgenommen, nicht weil es der DFG-Senat per se für wünschenswert gehalten hätte, sondern weil ihn die „Furcht“ plagte, die Bundesmittel könnten „sonst einer anderen Förderinstitution“ zufließen und somit der Einfluss der DFG gemindert werden.289 Aber die innere Distanz vieler Senatoren dem Schwerpunktverfahren gegenüber blieb bestehen, und hierin dürften sie repräsentativ für erhebliche Teile der DFG-Klientel gewesen sein. Zur Beruhigung ihrer Bedenken repetierten sie zwar in der Folge immer wieder die Formel, Forschungsplanung sei immerhin solange ungefährlich, wie sie „in den Händen der Forscher selbst“ liege, überließen aber dennoch die Praxis der Planung lieber dem Präsidium und der Geschäftsstelle der DFG, als sich selbst allzu sehr auf sie einzulassen.290 Die DFG-Präsidenten der 1950er und 1960er Jahre achteten ihrerseits darauf, über Planung stets so zu sprechen, dass auch sie Signale innerer Distanz setzten: Gerhard Hess bekannte sich auf der DFG-Mitgliederversammlung von 1956 nur zu einer „beschränkten Planung“, weil schon der Begriff „Planung“ durch die Erfahrungen der NS-Zeit „verdächtig“ geworden sei, und Julius Speer konstatierte noch 1967 in einer Rede vor Industrievertretern, „Schwerpunktbildung“ entspreche „nicht den traditionellen Idealen der deutschen Wissenschaft“.291 In ihrer Praxis aber kamen die DFGPräsidenten nicht darum herum (und wollten auch gar nicht darauf verzichten), zunächst das Schwerpunktverfahren und ab Anfang der 1960er Jahre die gesamte Förderpolitik der DFG an vorab gesetzten Zielen zu orientieren, die Mittelverteilung entsprechend zu planen und durch materielle Anreize die Entwicklung von Forschung zumindest partiell zu steuern. Die Geschäftsstelle, das heißt Generalsekretär Kurt Zierold und seine Fachreferenten, bemühte sich von Anfang an, systematisch die Lage einzelner Disziplinen und Forschungsfelder zu analysieren und Förderstrategien zu entwickeln. Schon im November 1953 schlug Zierold im Präsidium vor, „zunächst einmal probeweise“ für einzelne Fächer, nämlich „Chemie, Elektrotechnik und ein noch auszuwählendes geisteswissenschaftliches Fach“ deren Entwicklungsstand, „Forschungslücken“ und Förderbedarfe erheben zu lassen.292 In den folgenden Jahren erarbeiteten die Fachreferenten bzw. zu diesem Zweck jeweils gebildete Ausschüsse eine ganze Reihe entsprechender Denkschriften. Den Anfang machte 1956 die Denkschrift über „Lage und Ausbaunotwendigkeiten der angewandten Forschung“, es folgten bis 1968 weitere 28 Denkschriften, beispielsweise über Chemie (1957), Agrarwissenschaft (1957), Physik (1958), Biologie (1958), Geographie (1960), Soziologie und Politikwissenschaft (1961), Meeresforschung (1962), Psychologie (1964), Metallforschung (1966) und Medizin (1968).293
288 289 290 291 292 293
So der Beschluss des Senates nach dem Bericht 1953, S. 11 f. Orth, Autonomie, S. 76. Bericht 1954, S. 10 f. Hess zit. nach Orth, Autonomie, S. 117 und Speer, Bildung, S. E 7. Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 21.11.1953, S. 5, in: BArch, B 227/162700. Vgl. die Liste der Denkschriften bei Zierold, Forschungsförderung, S. 604 ff. Zu den Denkschriften über Chemie und Biologie vgl. Stoff, Wirkstoffe, S. 94–98.
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Die Denkschriften beruhten im Kern auf Umfragen unter ausgewählten Professoren und MPI-Direktoren. Sie widmeten sich der Entwicklung von Themen, Leitfragen und Methoden des jeweiligen Feldes, bezogen aber auch dessen institutionelle Bedingungen wie die Zahl und Ausstattung einschlägiger Institute und Lehrstühle mit ein. Eine Kernaufgabe der Denkschriften bestand darin, jeweils zu identifizieren, warum ein Fach sich im internationalen Vergleich im Rückstand befinde – der Rückstand als solcher scheint meist bereits Prämisse der Untersuchungen gewesen zu sein. Eine Zwischenbilanz zu dieser Frage zog 1964 die vom Fachreferenten für angewandte Forschung, dem Chemiker Richard Clausen, erarbeitete Denkschrift über „Stand und Rückstand der Forschung in Deutschland in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften“. Sie hielt diesen Disziplinen zum einen vor, methodisch vielfach auf dem „klassischen“ Stand vor dem Zweiten Weltkrieg stehengeblieben zu sein und zum anderen, den internationalen Trend zu interdisziplinärer Forschung verschlafen zu haben.294 Insgesamt dienten die Denkschriften einerseits dem Präsidium der DFG zur Orientierung seiner Förderstrategien, andererseits wurden sie aber auch nach Beratung in Präsidium und Senat in gegebenenfalls überarbeiteter Fassung publiziert. Sie gewannen damit, versehen mit dem Seriositätsstempel der DFG, den Charakter autoritativer Beschreibungen von Zustand und Potenzialen eines Faches oder Forschungsfeldes, die wiederum in dieses hinein, aber auch in den politischen Raum wirkten.295 Ein letztes hier zu erwähnendes Planungsinstrument stellten die sogenannten „Grauen Pläne“ der DFG dar, deren erster im Februar 1961 veröffentlicht wurde und in denen die Geschäftsstelle den Finanzbedarf der DFG für jeweils drei Jahre im Voraus abzuschätzen (und gegenüber den staatlichen Geldgebern zu begründen) versuchte; der erste Graue Plan tat dies für 1962 bis 1965, der zweite von 1965 kalkulierte den Bedarf für 1966 bis 1968 usw. Den Ausarbeitungen lagen jeweils Erhebungen der Geschäftsstelle unter Hinzuziehung von Fachvertretern zugrunde, das so entstehende Zahlenwerk definierte Prioritäten und Handlungsspielräume der künftigen Förderpolitik. Dass sich dieser Modus des Planens ohne erkennbare Probleme etablieren konnte, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die ersten Grauen Pläne von der Politik spektakulär honoriert wurden. Nachdem der Wissenschaftsrat im Juni 1961 den ersten Grauen Plan als plausibel bewertet hatte, erhöhten Bund und Länder auf seiner Grundlage ihre Zuwendungen 1962 um gut 50 Prozent.296 Sich auf die politische Logik des Planens einzulassen – zumindest in Form einer „beschränkten Planung“ á la Gerhard Hess –, gehörte letztlich zu den Bedingungen, welche die DFG gegenüber dem demokratischen Staat erfüllen musste, wollte sie ihre Funktion als Ressourcenvermittlerin in die Hochschulforschung hinein wahren (und keine Konkurrenten neben sich aufkommen lassen). Kehren wir zurück zum Schwerpunktverfahren als jener Förderlinie, über die Forschungsplanung vor allem praktisch wirksam werden konnte. Welche Argu294 Vgl. Clausen, Stand, S. 16. 295 Vgl. Orth, Autonomie, S. 119. 296 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 350 f. und Orth, Autonomie, S. 119 ff.
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mente sprachen aus Sicht der DFG-Gremien für die Einrichtung eines Schwerpunktprogramms? Im Anschluss an Überlegungen von Karin Orth lassen sich vier Begründungsmuster identifizieren:297 Erstens konnten Schwerpunktprogramme dazu dienen, bereits etablierte Forschungsrichtungen auszubauen, weil diese einen außerwissenschaftlichen Nutzen versprachen – sei es, dass sie die Produktivität der Wirtschaft verbessern könnten (Beispiele wären die Schwerpunktprogramme „Schiffbau“ und „Schweißtechnik“), sei es, dass sie der wissenschaftlichen Politikberatung seitens bereits bestehender DFG-Kommissionen zuarbeiten sollten (ein Beispiel wäre der Schwerpunkt „Reinhaltung der Luft“). Zweitens wurden Schwerpunktprogramme eingerichtet, um deutsche Forscher zum Auf- und Ausbau internationaler Kooperationen zu befähigen (dies traf in besonderem Maße auf den zwischen 1954 und 1965 geförderten Schwerpunkt „Internationales Geophysikalisches Jahr und Jahr der ruhigen Sonne“ und den Schwerpunkt „Meeresforschung“ zu). Im Jahr 1963 konstatierte die Prüfgruppe zum 1960 gestarteten ozeanographischen Schwerpunktprogramm befriedigt, dass „schon nach wenigen Jahren intensiver Förderung (…) die deutsche Meeresforschung wieder internationale Geltung besitze“.298 Drittens konnte es für einen Schwerpunkt sprechen, dass in seinem Rahmen Forscher unterschiedlicher Disziplinen koordiniert zusammenwirken würden – die Förderung von Interdisziplinarität stellte ab den 1960er Jahren ein offiziell immer wieder hervorgehobenes Anliegen der DFG dar. Allerdings erwies sich, wie Heiko Stoff am Beispiel der Schwerpunkte „Entwicklungsphysiologie“ und „Biochemie“ gezeigt hat, die Einlösung dieses Anspruchs für eine traditionell disziplinär gegliederte Organisation (siehe Fachausschüsse) als teilweise schwer einlösbar – Gutachter welcher Disziplinen sollten interdisziplinäre Vorhaben nach welchen Kriterien bewerten?299 In der Prüfgruppe des Schwerpunktprogramms „Empirische Kriminologie“ scheiterten jedenfalls 1968 Projekte aus der Soziologie daran, dass sie den Gutachtern „zu sehr kriminalsoziologisch“ ausgerichtet zu sein schienen, was die aus der forensischen Psychiatrie stammenden Gutachter für abwegig hielten.300 Viertens schließlich zielte ein Teil der Schwerpunktprogramme darauf, entweder in Deutschland bislang an den Hochschulen nicht verankerte Forschungsfelder neu zu etablieren (ein Beispiel bildete die „Institutionalisierung der Molekularbiologie“ durch gleich drei zwischen 1964 und 1966 eingerichtete Schwerpunktprogramme) oder die von den DFG-Gremien vor dem Hintergrund der internationalen Forschungsentwicklung als notwendig erachtete Neuausrichtung einer Disziplin voranzutreiben.301 Klaas Hinrich Ehlers hat letzteres Motiv für 297 Vgl. Orth, Autonomie, S. 135–138. 298 Zit. nach der Schwerpunktliste 21/1963, S. 17, in: DFG-Archiv, Di 22, fol. 06133. Fünf Jahre später rechneten diese Gutachtergruppe die von ihr geförderten Institute dann zu „Spitzengruppe der internationalen Forschung“, zit. nach der Schwerpunktliste 36/1968, S. 3, in: DFG-Archiv, Br 18. 299 Vgl. Stoff, Wirkstoffe, S. 108. 300 Auszug aus dem Protokoll der Prüfungsgruppe vom 20.11.1968, in: DFG-Archiv, Ko 216. 301 Stoff, Wirkstoffe, S. 104 zur Molekularbiologie.
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die Einrichtung des Schwerpunktprogramms „Theoriebildung und Methodenentwicklung für die Linguistik“ im Jahr 1968 nachgewiesen. Dessen Vorgeschichte hatte 1962 mit von der DFG geförderten Workshops jener anfänglich kleinen Gruppe von Sprachwissenschaftlern begonnen, die am Einsatz der EDV interessiert waren. Die DFG-Geschäftsstelle sah seitdem in der Sprachwissenschaft die Möglichkeit, exemplarisch für die Geisteswissenschaften die Entwicklung computergestützter Methoden sowie eine mit diesen verbundene theoretische Neufundierung der Disziplin in Gang zu bringen. Damit griff die DFG massiv in die Entwicklung einzelner Fächer ein, im Fall der Sprachwissenschaft unterstützte sie bis dahin marginale Ansätze der Linguistik darin, gegen das anfängliche Widerstreben der gewählten Fachgutachter zum neuen Mainstream zu werden.302 Für das Forschungsfeld der Kybernetik, das die DFG seit 1962 in Gestalt einer Forschergruppe und ab 1965 durch ein Schwerpunktprogramm voranbringen wollte, definierten die Förderentscheidungen der DFG für die westdeutschen Wissenschaftsinstitutionen, welche spezifischen Gegenstände, Fragen und Methoden dieses bis dahin nur vage umschriebene Feld konstituieren sollten. Im Jahr 1948 hatte der amerikanische Mathematiker Norbert Wiener den Begriff der „Kybernetik“ geprägt, um die Idee auf den Begriff zu bringen, Informationsverarbeitungs- und Regelungsprozesse in Maschinen und Lebewesen funktionierten grundsätzlich in gleicher Weise. In der Folge blieb unter den interessierten Disziplinen umstritten, ob die hieraus abzuleitenden Erkenntnisinteressen eher der Biologie, den Technikwissenschaften oder der Philosophie zuzuordnen sein würden, während sich eine breite Öffentlichkeit unter dem Schlagwort „Kybernetik“ für Visionen begeisterte, Regelungsprozesse jeder Art – von biochemischen Prozessen im Körper über automatisierte Produktionsverfahren bis hin zur Gesellschaftspolitik – könnten demnächst auf wissenschaftlicher Grundlage zielgerichtet optimiert werden. In dieser Version schien Kybernetik das biologischtechnikwissenschaftliche Pendant zur Suche der theoretischen Physik nach einer „Weltformel“ zu sein.303 Als sich die DFG-Gremien in den Jahren 1959/60 anlässlich der Versuche von Technikwissenschaftlern, ein Schwerpunktprogramm „Regelungstechnik“ auf den Weg zu bringen, mit der Frage beschäftigten, ob dieses Programm durch die Integration von Biologen, Geistes- und Sozialwissenschaftlern in Richtung einer „Kybernetik“ erweitert werden sollte – was immer dies bedeuten mochte; die Vagheit dieses Begriffes wurde in den Stellungnahmen der von der Geschäftsstelle befragten Experten selbst kritisch thematisiert – begann ein Klärungsprozess, der in der Arena DFG stattfand, die Frage nach dem Zuschnitt der bundesdeutschen Kybernetik aber insgesamt entschied. Die vom Senat eingesetzte Experten-Besprechungsgruppe zum genannten Schwerpunktprogramm sprach sich Ende 1960 dafür aus, dieses auf die Technikwissenschaften zu beschränken, empfahl aber zugleich, durch eine Umfrage unter einschlägig interessierten Experten zu klären, wie daneben eine primär in der Biologie verortete Kybernetik 302 Vgl. Ehlers, Wille, S. 301–311. 303 Vgl. zum Folgenden insgesamt Aumann, Mode.
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mit eigenen Formaten gefördert werden könne. Die Geschäftsstelle startete eine solche Umfrage, und nun bildete sich in einem mehrstufigen Prozess (Befragung einzelner Experten, Debatten einer vom Senat eingesetzten Besprechungsgruppe und schließlich Bewilligung eines Schwerpunktes „Kybernetik“ durch den Senat) ein Konsens darüber, dass die DFG ihrer Förderung ein im internationalen Vergleich enges Verständnis der Kybernetik zugrunde legen sollte: Diese wurde als Forschung definiert, die Organismen „als Übertragungs-, Steuerungs-, Regelungsund Verrechnungssysteme“ auffasste, mit Hilfe von Modellen der Nachrichtenund Regelungstechniker analysierte, vor allem aber mit mathematischen Formeln zu beschreiben suchte.304 Methodisch interdisziplinär angelegt beschränkten sich ihre Erkenntnisinteressen demnach auf Fragen der Biologie und – sofern menschliche Organismen untersucht wurden – der Medizin. Der Geschäftsstelle war von Beginn des Beratungsprozesses an bewusst, dass ein solches Förderprogramm, das gegenüber der bis dahin unpräzisen Terminologie zunächst einmal eine spezifische Definition von „Kybernetik“ etablieren musste, „mit starker Lenkungstendenz“ verbunden sein würde.305 Dies bestätigte sich nach dem offiziellen Start des Schwerpunktprogramms im Oktober 1962, denn die ersten Anträge widmeten sich zwar Informationsverarbeitungsprozessen in Organismen, waren aber kaum interdisziplinär angelegt und setzten nicht auf Mathematisierung. Mit Zustimmung des Senates verschob die Geschäftsstelle daher den Start des Programmes und schwor die Antragssteller in Sitzungen mit den Gutachtern auf das DFG-Konzept einer Biokybernetik ein. DFG-Präsident Hess betonte im Januar 1964 gegenüber dem Hauptausschuss, gerade aufgrund der „oft angreifbaren Behandlung der Themen in der populärwissenschaftlichen Literatur“ müsse die DFG auf einer strikt wissenschaftlichen Herangehensweise an die Kybernetik bestehen, um diese als seriöse Forschung zu etablieren.306 Erst im März 1965 startete das Schwerpunktprogramm „Kybernetik“ mit der Aufforderung der Geschäftsstelle an potenzielle Antragsteller, Projekte einzureichen, die auf die „technische oder mathematische Modellierung einzelner biologischer Funktionen“ zielten.307 Zwölf Projekte wurden noch im selben Jahr begonnen; bis 1971 flossen insgesamt 4,8 Millionen DM in das Schwerpunktprogramm. Seit 1969 wurde es in einen an der TH München angesiedelten Sonderforschungsbereich (SFB) überführt, den wiederum die DFG-Geschäftsstelle durch entsprechende Aufforderungen an die Münchner Forscher in Gang gebracht hatte. Bis 1983 förderte die DFG den SFB 50 „Kybernetik“ mit 22,5 Millionen DM. Mit ihrer Förderpolitik, so resümiert Philipp Aumann in seiner grundlegenden Studie zur Entwicklung der Kybernetik in der Bundesrepublik, konstituierte die DFG
304 Gutachten des Würzburger Zoologen Günter Schneider vom 14.8.1961, zit. nach ebenda, S. 212; vgl. zu den Debatten im Vorfeld des Schwerpunktprogrammes „Kybernetik“ insgesamt ebenda, S. 207–227. 305 Vermerk des Referenten Waldemar Heitz vom 12.9.1961, zit. nach ebenda, S. 215. 306 Hess’ Äußerung vom 15.1.1964 zit. nach ebenda, S. 219. 307 Ebenda, S. 220; vgl. den Bericht 1965, S. 77.
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mittels der Gewährung oder Versagung von Fördergeldern „willentlich die Wissenschaft Kybernetik“.308 Dass die Schwerpunktprogramme einer anderen Förderstrategie folgten als das Normalverfahren, spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Gewichtung einzelner Förderformate. Auf die Projektförderung im engeren Sinne über Sachbeihilfen entfielen 79 Prozent der zwischen 1949 und 1967 im Normalverfahren verteilten Mittel, zwölf Prozent flossen in Stipendien, fünf Prozent in Druckbeihilfen und zwei Prozent in Reisebeihilfen.309 Dagegen wurden die im Rahmen von Schwerpunktprogrammen verausgabten Mittel fast ausnahmslos in Sachbeihilfen investiert. In der Tendenz setzte das Normalverfahren stärker auf die Förderung der Karrieren einzelner Wissenschaftler – eben über personalisierte Förderformate wie Stipendien oder Reisebeihilfen. Das Schwerpunktverfahren war dagegen primär auf die Projekte und ihre Forschungsziele ausgerichtet, auch sollten neue Methoden oder theoretische Grundlagen gefunden werden. Positive Effekte für die Nachwuchsförderung wurden als Kollateralnutzen und nötiges Element im disziplinär-institutionellen Wandel angestrebt, aber die fachliche Qualifikation der von den Antragstellern eingesetzten Mitarbeiter unterlag nicht der Begutachtung durch die DFG. Allerdings dienten in solchen Feldern, die aus Sicht der DFG an den westdeutschen Hochschulen neu institutionell verankert bzw. verstärkt werden sollten, auch Schwerpunktprogramme explizit der Vermehrung des Pools künftiger Professoren, so jenes zur Genetik (1955–1964) und jenes zur Analytischen Chemie (1956–1967).310 Das 1958 aufgelegte Schwerpunktprogramm „Geophysikalische Lagerstättenforschung“ sollte Kandidaten für neue Ordinariate auf diesem Wissenschaftsgebiet heranbilden. 1964, im letzten Förderjahr des Programms, meldete die DFG Vollzug: „Alle bis jetzt Berufenen kommen aus dem Mitarbeiterkreis des Schwerpunktprogramms. Damit hat dieses Programm seine Aufgabe glücklich erfüllt.“311 Den Kern der DFG-Förderung künftiger Professoren (und nun langsam zunehmend auch: künftiger Professorinnen) bildeten aber in der 1950er und 1960er Jahren mehrere im Normalverfahren angesiedelte Stipendienprogramme.312 Dabei handelte es sich in den 1950er Jahren zumeist um Forschungs- und nachrangig um Ausbildungsstipendien; die Vergabe von Assistentenstipendien wurde 1954 eingestellt, weil die DFG hatte feststellen müssen, dass Ordinarien dieses Format dazu ausgenützt hatten, sich nach Gutdünken einsetzbare Mitarbeiter von der DFG finanzieren zu lassen. Dies widersprach der Intention der DFG, durch Stipendien gerade die Verselbständigung von Nachwuchswissenschaftlern zu fördern, durch eine auf ihre Person bezogene Finanzierung ebenso wie durch Kolloquien der Stipendiaten benachbarter Fächer, die ihnen den Aufbau von eigenen Netzwerken mit anderen Stipendiaten und den ebenfalls anwesenden 308 Aumann, Mode, S. 222; zum Verlauf des Schwerpunktprogramms sowie zum SFB 50 vgl. ebenda, S. 224–242. 309 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 368. 310 Vgl. Massow, Förderung, S. 2. 311 Bericht 1963, S. 69. Vgl. Orth, Autonomie, S. 136. 312 Vgl. zum Folgenden Zierold, Forschungsförderung, S. 380–390.
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Fachgutachtern erlauben sollten. Forschungsstipendien sollten Nachwuchswissenschaftlern die eigenständige Durchführung eines Projektes ermöglichen, ohne dass sie als Mitarbeiter eines Ordinarius dessen Weisungsgewalt unterworfen waren. Die ab 1952 vergebenen Ausbildungsstipendien förderten das Erlernen neuer Methoden, zunächst nur an ausländischen Instituten, ab 1955 auch im Inland. Die Stipendienprogramme zielten auf Privatdozenten, Assistenten und andere promovierte Wissenschaftler. Für Assistenten ging es in der Regel darum, sich durch ein Stipendium auf Zeit aus den Lehr- und Verwaltungsaufgaben eines Institutes oder von Dienstleistungen für „ihren“ Ordinarius zurückziehen zu können, um eigenständig zu forschen. Antragsteller aus den experimentellen Disziplinen bemühten sich um Instrumente oder um technische Hilfskräfte, die sie von Routinetätigkeiten entlasten sollten. Privatdozenten strebten danach, die Zeit zwischen der Habilitation und der Berufung auf eine Professur zu überbrücken; ab 1956 vergab die DFG explizit Stipendien zu diesem Zweck. All dies müssen wir in den Kontext des Hochschulausbaus ab Mitte der 1950er Jahre einordnen. Dieser führte zunächst zur Expansion des akademischen Mittelbaus, um dann in eine Vermehrung auch der Lehrstühle zu münden. Zwischen 1954 und 1966 stieg die Zahl der an westdeutschen Hochschulen beschäftigten Privatdozenten, wissenschaftlichen Räte, Assistenten etc. mit Promotion von zunächst 3.880 über 7.125 im Jahr 1960 bis auf 25.773 weitere sechs Jahre später. Die Zahl der Lehrstühle wuchs im selben Zeitraum von 1.982 über 3.106 im Jahr 1960 auf 4.938.313 Damit vermehrte sich die Menge der berechtigten Antragsberechtigten für Stipendien, aber auch die Zahl der Professuren, für die eine hinreichende Zahl von Bewerbern qualifiziert werden musste. Um zur Deckung dieses Bedarfs beizutragen, führte die DFG im Jahr 1961 auf Empfehlung des Wissenschaftsrates einen neuen Typus von Stipendien ein, der explizit darauf ausgerichtet war, die Geförderten auf dem Weg zur Habilitation zu unterstützen. Anfänglich von der Thyssen-Stiftung finanziert – hier erwies sich erneut die Funktion der von nichtstaatlichen Geldgebern beigesteuerten Mittel als Anschubfinanzierung für neue Formate – sollten die Habilitationsstipendien zunächst speziell den „Massen- und Mangelfächern“ zugutekommen; schon 1965 aber wurde ihre Vergabe auf alle Disziplinen ausgedehnt.314 Ab 1962 entfiel mehr als die Hälfte – im Jahr 1967 waren es sogar zwei Drittel (in absoluten Zahlen: 422) – der DFG-Stipendien auf die Förderung von Habilitanden. Die Förderung durch die DFG besaß folglich in der frühen Bundesrepublik für Nachwuchswissenschaftler die Funktion, ihre Etablierung auf einem aussichtsreichen akademischen Arbeitsmarkt zu unterstützen, vorübergehende „Durststrecken“ zu überbrücken, aber auch der Gefahr entgegenzuwirken, dass das ebenfalls kräftige Anwachsen der Studierendenzahlen von 95.000 im Jahr 1948 bis auf 370.000 im Jahr 1967 zur völligen Absorbierung des Mittelbaus durch Lehrauf-
313 Vgl. Busch, Stellenplan, Sp. 32 und 79 f., Bundesbericht Forschung I, S. 15 und Bundesbericht Forschung II, S. 224 f. 314 So die Empfehlung des Wissenschaftsrats, zit. nach Zierold, Forschungsförderung, S. 387, vgl. ebenda, S. 385 ff.
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gaben führen würde.315 Für Stipendien gab die DFG zwischen 1949 und 1967 zehn Prozent ihrer im Normalverfahren verteilten Mittel aus. Die Zahl der so Geförderten pendelte während der 1950er Jahre zwischen 260 und 360 pro Jahr, um dann im folgenden Jahrzehnt auf Werte zwischen 380 und 680 zu klettern; in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurden nie weniger als 520 Stipendien pro Jahr vergeben.316 Die Stipendien bildeten jenes Segment der DFG-Förderung, das explizit Antragstellern aus den Reihen des promovierten Nachwuchses vorbehalten war. Da aber ein Großteil der professoralen Antragsteller im Rahmen ihrer von der DFG geförderten Projekte Mitarbeiter beschäftigten, lag die Gesamtzahl der durch die DFG geförderten promovierten Wissenschaftler deutlich höher. Zwischen 1952 und 1955 wurden jährlich zwischen 320 und 650 promovierte Mitarbeiter in Projekten „ihrer“ Professoren gefördert; im Jahr 1956 schnellte diese Zahl auf über 1.000 in die Höhe. Fünf Jahre später wies eine DFG-Statistik schon 1.666 von ihr im Rahmen der Forschungsförderung finanzierte Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter aus, davon 1.078 im Normalverfahren und 588 im Schwerpunktverfahren.317 Bis 1967 stieg die Gesamtzahl der von der DFG finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiter weiter bis auf 3.916.318 In ihrem Bericht für 1966 hatte die DFG die Zahl der finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiter sogar auf „über 4.000“ geschätzt, allerdings bleibt unklar, ob hier Doktoranden mitgezählt worden waren.319 Die in der Entwicklungstendenz eindeutigen, im Einzelnen aber widersprüchlichen Zahlenangaben und Schätzwerte, welche die DFG damals publizierte, deuten darauf hin, dass die indirekte Finanzierung wissenschaftlicher Mitarbeiter sich in einer Grauzone bewegte, an deren präziser Vermessung die DFG zeitgenössisch kein rechtes Interesse besaß. Offiziell hielt die DFG daran fest, dass Doktoranden nicht direkt gefördert werden konnten; ihr Präsident Julius Speer lehnte sogar im März 1966 bereits den Vorschlag ab, zu diesem Thema eine Denkschrift anfertigen zu lassen.320 Drei Jahre später gab er immerhin zu, dass es eine „de facto-Bezahlung“ von Doktoranden insofern gebe, als Professoren in geförderten Projekten Personen beschäftigten, „die zwar nicht Doktoranden-Stipendien im formalen Sinn erhielten, sondern als wissenschaftliche Mitarbeiter im Rahmen eines Gesamtprojektes ein Gehalt bezogen und bei dieser Gelegenheit auch an einer Dissertation 315 316 317 318
Vgl. Jarausch, Studenten, S. 215 und 234. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 368 und 380–390. Vgl. Förderung, S. 3. Hinzu kamen 349 Stipendiaten, 2.405 technische und 590 studentische Hilfskräfte, vgl. Bericht 1967, S. 77. Dass Zierold, Forschungsförderung, S. 381, für die 1960er Jahre noch einmal andere Zahlen referierte, zeigt nur, dass die DFG es damals nicht genau wusste oder wissen wollte. 319 Bericht 1966, S. 13. Vgl. ebenda, S. 77 und Massow, Förderung, S. 3. 320 Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 31.3.1966, S. 31 f., in: BArch, B 227/162894. Schon 1952 hatte DFG-Vizepräsident Eduard Spranger angesichts eines durch den Krieg bedingten Nachwuchsmangels vorgeschlagen, „die starke Zurückhaltung gegenüber Doktoranden aufzugeben“, Niederschrift der Präsidiumssitzung vom 31.7.1952, S. 4, in: BArch, B 227/162700.
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arbeiteten“.321 Wie unwohl sich die DFG-Verantwortlichen dabei fühlten, lässt sich daran ablesen, dass sie nur vage und schwankende Schätzungen darüber abgaben, wie viele Doktoranden sie indirekt förderten. 1962 war von einigen Hundert die Rede, 1969 nannte DFG-Präsident Speer die Zahl von 800, nur ein Jahr später erhöhte er seine Schätzung unvermittelt auf 3.000 bis 4.000.322 Im Rahmen der Begutachtung begegnen wir derselben ambivalenten Haltung. Einerseits plädierten die Gutachter in aller Regel dafür, den Antragstellern die als Hilfskräfte eingeplanten Doktoranden zu bewilligen. Andererseits machten Gutachter immer wieder ihren Widerspruch im Grundsätzlichen gegen die Förderung von Dissertationen aktenkundig, indem sie ihre Verwunderung zu Protokoll gaben, nun auch Anträge zur Finanzierung von Dissertationsprojekten vorgelegt zu bekommen. Das sei, so vermerkte ein Mineraloge im November 1962, früher nicht üblich gewesen.323 „Man denke an die Konsequenzen!“, hatte ein gutachtender Biologe im Jahr 1959 gewarnt, um das betreffende Projekt gleichwohl zu befürworten.324 In den 1960er Jahren begann ein Teil der Gutachter, zwischen nicht förderungswürdigen „anspruchslosen Doktorthemen“, die lediglich auf eine massenhafte „Doktorfabrikation“ angelegt seien und von der DFG wegen ihres Innovationsgehaltes zu unterstützenden Dissertationen zu unterscheiden.325 In diesem Jahrzehnt entfielen im Rahmen des Normalverfahrens pro Jahr zwischen 58 und 69 Prozent der Ausgaben für Sachbeihilfen auf Personalkosten, zwischen 28 und 39 Prozent auf Geräte und Verbrauchsmaterial. Dagegen machten diese Sachkosten zwischen 39 und 50 Prozent der Aufwendungen im Schwerpunktverfahren aus, während auf die Personalkosten 47 bis 57 Prozent der Ausgaben entfielen.326 Dass im Schwerpunktverfahren ein höherer Anteil der Fördergelder in Sachkosten floss, korrelierte damit, dass die Projekte dieser Förderlinie teurer waren als jene des Normalverfahrens. Im Jahr 1965 lag die durchschnittliche Bewilligungssumme eines naturwissenschaftlichen Projektes im Schwerpunktverfahren bei 28.700 DM gegenüber 17.300 DM im Normalverfahren.327 Auf beide Förderlinien bezogen beobachtete die DFG-Spitze in den 1960er Jahren mit Missfallen, dass der Anteil der Sachkosten an den Projektausgaben anstieg. Julius Speer kritisierte ab Mitte des Jahrzehnts stetig, dass die Bundesländer bei der Gründung neuer und der Erweiterung bestehender Hochschulen zwar deren Ausgaben für Lehre in die Kalkulationen der staatlichen Grundfinanzierung einberechnet hätten, nicht aber den mit steigenden Personalzahlen ebenfalls wachsenden Bedarf an Gerätschaften für die Forschung. Dieser Bedarf 321 Speer, Bericht 1969, S. 6. 322 Vgl. ebenda, Massow, Förderung, S. 1 und Speer, Ansprache 1970, S. 37. 323 Gutachten von Ehrenreich Tröger vom 28.11.1962, in: DFG-Archiv, Ha 275, fol. 10330. Vgl. ein ähnliches Gutachten des Historikers Kurt von Raumer noch vom 24.1.1967, in: DFGArchiv, Co 24. 324 Gutachten des Biologen André Pirson vom 20.9.1959, in: DFG-Archiv, Ba 54, fol. 003303. 325 Gutachten des Betriebswirtes Erich Kosiol vom 29.12.1960 und vom Juni 1962, in: DFGArchiv, Ni 27, fol. 04547 und 04551. 326 Vgl. die Angaben für einzelne Jahre in Bericht 1963, S. 70, Bericht 1964, S. 70, Bericht 1965, S. 71, Bericht 1967, S. 76 und Bericht 1969, S. 72. 327 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 366.
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schlage sich dann in wachsenden Antragssummen bei der DFG nieder, die so eine mangelhafte Grundausstattung der Hochschulen kompensieren müsse.328 Betrachten wir die DFG-Projektförderung zwischen 1949 und 1967 insgesamt (also unter Summierung der Mittel für Normal- und Schwerpunktverfahren) unter dem Gesichtspunkt ihrer Verteilung auf Fächergruppen und vergleichen diese Werte mit jenen der Weimarer Notgemeinschaft aus den Jahren 1928 bis 1932, so wird ein Bedeutungszuwachs der Natur- und Technikwissenschaften zu Lasten vor allem der Geisteswissenschaften erkennbar. Allerdings muss dieser Befund von vornherein durch den Hinweis relativiert werden, dass die bundesdeutsche DFG aufgrund ihrer besseren Haushaltslage in absoluten Zahlen Jahr für Jahr deutlich großzügiger Projekte fördern konnte als ihre Weimarer Vorgängerin, dass also ein niedrigerer Anteil am Budget nicht identisch war mit sinkender Förderung. Wenden wir uns aber den Relationen zu, so entfiel auf die Geisteswissenschaften zwischen 1949 und 1967 ein Anteil von 16,1 Prozent an den von der DFG verteilten Projektmitteln; zwischen 1928 und 1932 hatte der Anteil 30,2 Prozent betragen. Damit setzte sich in der Bundesrepublik ein Trend fort, der bereits in der NS-Zeit begonnen hatte (zwischen 1937 und 1943 waren 21,7 Prozent der DFG-Gelder in die Geisteswissenschaften geflossen). Dagegen hatten die Naturwissenschaften in der frühen Bundesrepublik ihren Anteil gegenüber den Weimarer Jahren von 31,4 auf 40,4 Prozent erhöht, und die Ingenieurwissenschaften hatten von 11,4 auf 17,6 Prozent zugelegt. Der Anteil der Medizin war nun geringfügig geschrumpft (von 18,9 auf 17,2 Prozent), allerdings gegenüber den Werten der NS-Zeit (13,8 Prozent zwischen 1937 und 1943) wieder gestiegen. Umgekehrt legte die Förderung der Agrarwissenschaften in der Bundesrepublik gegenüber den Weimarer Jahren zu, nämlich von 5,9 auf nun 8,7 Prozent der DFG-Projektmittel. Gegenüber der privilegierten Förderung dieser Disziplinen in der NS-Zeit (zwischen 1937 und 1943 hatte ihr Anteil bei 34,5 Prozent gelegen), bedeutete dies allerdings geradezu einen Absturz.329 Die Spitzenstellung der Naturwissenschaftler in der DFG-Förderung während der 1950er und 1960er Jahre wird noch deutlicher, wenn man sie in Relation setzt zu ihrem Anteil am wissenschaftlichen Personal der Hochschulen. Denn hier bekleideten die Geisteswissenschaftler 1953 wie 1966 mit 31,7 bzw. 30,9 Prozent der Stellen den ersten Platz unter den Fachgruppen, während die Naturwissenschaftler mit 23 bzw. 21,6 Prozent der Hochschulwissenschaftler nur den dritten Rang hinter den Medizinern (28,5 bzw. 30,3 Prozent) belegten – relativ wenige Naturwissenschaftler akquirierten also einen erheblichen Teil des DFG-Budgets.330 Auch wenn wir Normal- und Schwerpunktverfahren jeweils für sich untersuchen, entspricht die Entwicklung der Fächergruppen in der Tendenz dem Gesamttrend, aber vor allem im Verhältnis der Natur- und Technikwissenschaften zu den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zeigen sich deutliche Unterschiede zwi-
328 Vgl. Speer, Bericht 1965, S. 5 und derselbe, Bericht 1966, S. 14. 329 Für 1949 bis 1967 errechnet aus den Tabellen bei Zierold, Forschungsförderung, S. 369 und 408. 330 Vgl. Bundesbericht Forschung II, S. 39.
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schen den Förderlinien. So betrug der Anteil der Geisteswissenschaften an den im Normalverfahren verteilten Geldern zwischen 1949 und 1967 insgesamt 22,5 Prozent, im Schwerpunktverfahren zwischen 1953 (dem Jahr, in dem diese Förderlinie startete) und 1967 aber nur 7,5 Prozent. Dagegen profitierten die Naturwissenschaften besonders vom Schwerpunktverfahren, in dem sie sich einen Anteil von 49 Prozent sichern konnten, gegenüber 34,1 Prozent im Normalverfahren. Auch die Ingenieurwissenschaften waren im Schwerpunktverfahren besonders erfolgreich, in dem sie einen Anteil von 20,6 Prozent der Fördermittel erreichten, gegenüber 15,5 Prozent im Normalverfahren. Mediziner und Agrarwissenschaftler dagegen waren wie die Geisteswissenschaftler im Normalverfahren erfolgreicher als im Schwerpunktverfahren (mit 18,1 zu 15,8 bzw. 9,8 zu 7,1 Prozent). Schlüsseln wir die Fördermittel nach den 28 Fachausschüssen statt nach Fachgruppen auf – Karin Orth hat dies für das Normalverfahren zwischen 1949 und 1968 getan –, so zeigt sich, dass die Hierarchie der Disziplinen in der Förderpolitik der bundesdeutschen DFG grundsätzlich jener der Weimarer Notgemeinschaft entsprach. Wie damals stand auch in den 1950er und 1960er Jahren die Medizin mit 18 Prozent an der Spitze, gefolgt von der Chemie mit 13,5 und der Physik mit 8,6 Prozent. Die folgenden Plätze belegten die Agrarwissenschaften (6,5 Prozent), die Biologie (6,4 Prozent) und die Elektrotechnik (5,7 Prozent). Als die mittelstärkste Geisteswissenschaft tauchten – dank der hohen Projektkosten in der Archäologie – die Altertums- und Orientwissenschaften mit 5,5 Prozent auf dem siebten Rang auf.331 Im Schwerpunktverfahren entfielen 56 der 144 zwischen 1953 und 1968 ausgeschriebenen Programme auf die Naturwissenschaften (davon je 15 auf Physik und Biologie, zwölf auf die Chemie, 13 auf die Geowissenschaften und eines auf die Mathematik), 25 auf die Technik- und 20 auf die Agrarwissenschaften sowie je 18 auf Medizin und Geisteswissenschaften. Besonders hohe Fördermittel flossen in solche Schwerpunktprogramme, die für ihre Projekte teure Apparaturen benötigten. So schlugen jeweils über zehn Millionen DM pro Schwerpunktprogramm für die Flugforschung, die Festkörper- und die Hochfrequenzphysik, die Forschung zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, zu Rechenanlagen sowie die Wasser- und die Ernährungsforschung zu Buche – diese sieben Programme kosteten allein bis 1967 119 Millionen DM; das entsprach 27,8 Prozent der Schwerpunktmittel insgesamt. Unter den Geisteswissenschaften waren es wiederum archäologische Schwerpunktprogramme, die höhere Summen (von jeweils über sieben Millionen DM) beanspruchten; die reinen Textwissenschaften beanspruchten dagegen mit Fördersummen zwischen 200.000 und 1,6 Millionen DM pro Schwerpunktprogramm nur relativ geringe Mittel.332 Die geringe Beteiligung der Geisteswissenschaften am Schwerpunktverfahren entsprang keiner darauf gerichteten Strategie von Präsidium, Geschäftsstelle oder Senat. Vielmehr versuchten Vertreter des Präsidiums in den 1950er Jahren mehrfach, zum Beispiel die geisteswissenschaftlichen Klassen der Akademien zu Vor331 Vgl. Orth, Autonomie, S. 140 f. 332 Vgl. die Aufstellung bei Zierold, Forschungsförderung, S. 403–407 und die Analyse von Orth, Autonomie, S. 142–145.
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schlägen für Schwerpunkte zu motivieren – ohne relevanten Erfolg. Der Senat, dessen Mitglieder zu einem Drittel selbst Geisteswissenschaftler waren, suchte geradezu händeringend nach Möglichkeiten, den Anteil geisteswissenschaftlicher Schwerpunkte zu erhöhen, scheiterte aber nach eigener Wahrnehmung daran, dass aus diesen Fächern zu wenige Initiativen für Schwerpunktprogramme kamen und jene, die schließlich die DFG erreichten, von den Gutachtern „oftmals zu kritisch und subjektiv“ bewertet würden (so jedenfalls die Beobachtung der Physiker Albrecht Unsöld und Walther Gerlach).333 Die koordinierte Zusammenarbeit in größeren Formaten, so glaubte Kurt Zierold 1957 erkannt zu haben, sei den Geisteswissenschaften eben „nicht eigen“, sie widerspreche dem dezidiert individualistischen Habitus der Ordinarien dieser Fächer.334 Richtig ist, dass sich die Geisteswissenschaften regelmäßig in jenen Förderformaten hohe Anteile sicherten, in denen es um die Förderung einzelner Wissenschaftler ging, so bei den Forschungsstipendien (hier entfiel in den 1960er Jahren etwa die Hälfte der Bewilligungen auf die Geisteswissenschaften) oder den Druckbeihilfen (die ihnen zu etwa 80 Prozent zugutekamen).335 Auch dass Gutachter aus den Geisteswissenschaften nach einer relativen konstanten Beobachtung von Senat und Hauptausschuss in den 1950er und 1960er Jahren kritischer und zugleich uneinheitlicher über ihre Fachkollegen urteilten als jene aus den Natur- und Technikwissenschaften, mag ein Indikator für eine geringere Bereitschaft zur Einordnung in große Geleitzüge sein.336 Dagegen aber spricht, dass die „Großforschung“ seit dem 19. Jahrhundert durchaus auch in den Geisteswissenschaften eine eigene Tradition besaß und vielfach disziplinbildend gewirkt hatte – denken wir nur an die von Notgemeinschaft und DFG seit den 1920er Jahren kontinuierlich geförderten Projekte des Volkskundeatlas, des Grimm’schen Wörterbuchs, des Thesaurus Linguae Latinae oder der Monumenta Germaniae historica. Im Jahr 1966 unterstützte die DFG 106 solcher Langfristunternehmungen mit insgesamt 6,5 Millionen DM.337 Gerhard Hess hielt den Eindruck einer geringen Beteiligung der Geisteswissenschaften an Schwerpunktförderung denn auch 1958 teilweise für eine optische Täuschung: „Praktisch sei die Förderung langfristiger Vorhaben (Editionen, Wörterbücher etc.) das Schwerpunktprogramm der Geisteswissenschaften“, obwohl sie in der Systematik der DFG dem Normalverfahren zugeordnet blieb.338 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass während der 1950er und 1960er Jahre die Förderung der Naturwissenschaften im Zentrum der DFG-Förderpolitik stand und auch die Technikwissenschaften im Vergleich zur Weimarer 333 Niederschrift der Senatssitzung vom 27.2.1957, S. 22, in: BArch, B 227/162891; vgl. ebenda. S. 21–28 und Orth, Autonomie, S. 146–149. 334 Niederschrift der Senatssitzung vom 27.2.1957, S. 24, in: BArch, B 227/162891. 335 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 384 und Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 89 f. 336 Vgl. die Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 7.10.1966, in: BArch, Film 1831 K. 337 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Zierold, Forschungsförderung, S. 485–493. 338 Niederschrift der Senatssitzung vom 18.7.1958, S. 6, in: BArch, B 227/162891; ähnlich in: Hess, Förderung, S. 10. Tatsächlich hatte der 1950 gebildete Schwerpunktausschuss erwogen, die Förderung der MGH in eine Schwerpunktförderung umzuetikettieren (und zu intensivieren), vgl. die Niederschrift der Sitzung des Ausschusses vom 11.1.1951, S. 9, in: BArch, B 227/162700.
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Notgemeinschaft an Stellenwert gewonnen hatten. Die übrigen Fächergruppen büßten jedoch realiter nichts ein, lag doch das Gesamtvolumen der von der bundesdeutschen DFG verteilten Gelder spätestens ab Mitte der 1950er Jahre deutlich über dem Niveau der 1920er Jahre und wuchs dauerhaft gewaltig an, nämlich von 2,7 Millionen DM im Jahr 1949 bis auf 179,9 Millionen DM im Jahr 1967. Über die DFG hatten Bund und Länder (aus deren Kassen 85 Prozent der Fördermittel stammten) zunächst in den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Infrastruktur der Forschung investiert. Ab Mitte der 1950er Jahre hatten sie via DFG die Modernisierung dieser Infrastruktur (etwa in Gestalt der ersten Hochschulrechenanlagen) organisiert und finanziert sowie eine Förderstrategie unterstützt, die auf das Aufholen eines massiv empfundenen Rückstands der westdeutschen Forschung im internationalen Vergleich zielte. Um dieses Ziel zu erreichen, setzte die DFG außer auf materielle Förderung auf die imitierende Übernahme von Methoden der angelsächsischen Wissenschaftssysteme. Die anfänglich geringe Nachfrage nach der auf die Initiierung von Teamforschung ausgerichteten Förderlinie der Forschergruppen verweist darauf, dass die Klientel der DFG ihre Vorbehalte gegenüber solchen „Importen“ nur langsam überwand. Traditionell, im Sinne von: Strategien der Weimarer Notgemeinschaft fortführend, blieb die DFG-Förderpolitik insofern, als sie die breit gestreute Finanzierung einzelner Projekte und Forscher sowie die individuelle Förderung des akademischen Nachwuchses in den Mittelpunkt stellte: Über 40 Prozent der DFG-Fördergelder flossen in den 1960er Jahren in das Normalverfahren inklusive mehrerer Stipendienprogramme. Bis Mitte der 1960er Jahre hatte sich die DFG so als eine der wichtigsten Akteurinnen im Ensemble der großen Wissenschaftsinstitutionen (neben MPG, Wissenschaftsrat und Rektorenkonferenz) und zugleich als die Vermittlerin staatlicher Drittmittel an die Hochschulen etabliert. Um diese Position zu erreichen und zu bewahren, war die sie zu Konzessionen gegenüber der staatlichen Forschungspolitik bereit gewesen: Mit dem Schwerpunktverfahren hatte die DFG die Administration eines von der Bundesregierung initiierten Förderprogramms übernommen, gegen das ihre Gremien anfänglich opponiert hatten, weil sie hinter ihm die Intention vermutet hatten, Forschung staatlich planend zu steuern. Das Streben nach einer möglichst weitgehenden Autonomie der Forschung und das Organisationsinteresse der DFG, ein Monopol auf die Vermittlung staatlicher Drittmittel an die Hochschulen zu erringen und zu behaupten, standen seitdem in einem latenten Spannungsverhältnis zueinander. Innerhalb der DFG selbst hatte die Übernahme des Schwerpunktverfahrens, über das in den 1960er Jahren etwa 30 Prozent der Fördergelder vergeben wurden, zu einer Verschiebung von Entscheidungsmacht weg von den ehrenamtlich tätigen Gremien und hin zum Präsidenten und zur Geschäftsstelle geführt; auch hier war also ein latenter Widerspruch entstanden, nämlich zwischen dem Ideal einer Selbstverwaltung der Wissenschaftler und den funktionalen Erfordernissen einer systematischen Förderpolitik.
NEUNTES KAPITEL ÖFFNUNG, REFORM UND FREMDBESTIMMUNG REPUTATION, INNOVATION UND KOOPTATION: BEGUTACHTUNGSKRITERIEN IM WANDEL Im Dezember des Jahres 1958 beantragte der Hamburger Historiker Egmont Zechlin bei der DFG eine Sachbeihilfe, um Recherchen zur deutschen Russlandpolitik während des Ersten Weltkrieges voranzutreiben. Die Fachgutachter mochten dem Antrag nicht folgen, auch wenn sie inhaltlich kaum etwas einzuwenden hatten. Sie störte vielmehr, dass Zechlin mit denselben Archivbeständen arbeiten wollte, in denen auch sein Hamburger Kollege Fritz Fischer gerade recherchierte. Dessen Forschungen aber, welche die DFG seit April 1958 mit einer Sachbeihilfe förderte, besaßen in den Augen der Gutachter „eine sachliche Priorität“, denn Fischers Antrag sei „von klareren Vorstellungen“ ausgegangen.1 Seine Arbeiten versprächen innovative Ergebnisse, und die wichtigste Fachzeitschrift, die Historische Zeitschrift, deren Herausgeber Theodor Schieder als Sondergutachter mitdiskutierte, werde in Kürze einen ersten Aufsatz Fischers zum Thema publizieren. Zechlin wurde bewogen, seinen Antrag zurückzuziehen reichte ihn aber im April 1959 in veränderter Form erneut ein. Nun sahen sich die Gutachter in einer Zwickmühle: Einerseits plädierten sie für die Ablehnung des Antrages, weil man verhindern müsse, dass Fischers Recherchen durch Zechlins Arbeit mit demselben Quellenmaterial „ernstlich behindert“ würden. Andererseits aber könne man Zechlin keine „völlig negative Antwort“ geben, da dies „wahrscheinlich erhebliche persönliche Reaktionen hervorrufen (…) würde.“.2 Der Hauptausschuss war zu so viel Diplomatie nicht geneigt und lehnte Zechlins Antrag rundheraus ab. Für den Ausgang der sogenannten Fischer-Kontroverse um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren damit bereits Weichen gestellt worden, bevor sie 1961 mit dem Erscheinen von Fischers Buch „Der Griff nach der Weltmacht“ das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Fischer erreichte mit Hilfe der DFG einen Vorsprung in Sachen Materialkenntnis vor seinem Widersacher Zechlin. Erst drei Jahre nach der Publikation von Fischers Buch besann sich der Fachausschuss Geschichte auf eine Rolle als unparteiischer Förderer des intellektuellen Wettbewerbs und förderte sowohl Fischers als auch Zechlins weitere Forschungen mit Sachbeihilfen. Da man bislang nur Fischer unterstützt habe, so befanden die Gutachter 1964,
1 2
Zit. nach der Hauptausschussliste 52/1959, S. 10, in: DFG-Archiv, Fi 58, fol. 02332. Zit. nach der Hauptausschussliste 74/1959, S. 30, in: DFG-Archiv, Ze 75, fol. 8604.
Reputation, Innovation und Kooptation: Begutachtungskriterien im Wandel
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sei es nun „schon nach dem Prinzip ‚audiatur et altera pars’ angebracht“, auch Zechlin zu fördern.3 Der Fachausschuss Geschichte hatte hier in einer Weise agiert, die typisch war für die Rolle, welche die DFG-Förderpraxis in der frühen Bundesrepublik für die Entwicklung vieler Disziplinen spielte. Er hatte eine wissenschaftliche Kontroverse zwar nicht über den Weg der Forschungsfinanzierung entschieden, aber er hatte doch die Konkurrenzbedingungen für die miteinander wetteifernden Tendenzen frühzeitig und einseitig beeinflusst. Nicht immer geschah dies zugunsten der Innovation, mitunter sorgte die Orientierung der DFG-Gutachter an jenem fachlichen Mainstream, mit dem sie selbst groß geworden waren, für die Verzögerung von Wandel. Der Gießener Chemiker Hansjürgen Staudinger beispielsweise kämpfte in den späten 1960er Jahren als Fachgutachter erbittert gegen Anträge von Kollegen, die angelsächsische Ansätze der Molekularbiologie nach Deutschland transferieren wollten; Staudinger erklärte dies pauschal zur „Scharlatanerie“.4 Im Kontext der Fischerkontroverse, wenn auch keineswegs verursacht durch diese, wandelte sich das Selbstverständnis der westdeutschen Geschichtswissenschaft: Ihre Neigung zur Apologie der Nationalgeschichte und ihre methodische Verengung auf die historistische Tradition wichen dem Impetus einer sich selbst als „kritisch“ verstehenden Reflexion der deutschen Geschichte und einer nachholenden Adaption theoretischer und methodischer Innovationen der angelsächsischen und französischen Historiographie. Die Pluralisierung von Theorien, Methoden und als legitim definierten Fragestellungen, vorangetrieben durch Kooperationen mit Kollegen aus anderen westlichen Gesellschaften, bildete in der Bundesrepublik der 1960er Jahre kein Spezifikum der Geschichtswissenschaft, sondern war in einem Großteil der Disziplinen zu beobachten. Spätere Darstellungen dieser Wandlungsprozesse, nicht selten verfasst von deren Protagonisten selbst, beschreiben sie gern im Stile einer Revolutionserzählung, betonen also ihren konfrontativen, extrem beschleunigten Charakter und ordnen den disziplinären Wandel in den Kontext eines von den jüngeren Alterskohorten um 1968 erkämpften gesamtgesellschaftlichen Umbruchs ein. Demgegenüber hat KlaasHinrich Ehlers in seiner Untersuchung der DFG-geförderten Sprachwissenschaft argumentiert, dass deren in der Tat einschneidender Paradigmenwechsel weder als abrupt am Ende der 1960er Jahre durchbrechend, sprich: als revolutionär, noch als das alleinige Werk einer neuen Generation von Forschern zu verstehen sei. Vielmehr zeige die Begutachtungspraxis der DFG, dass die Bindekraft traditioneller Orientierungen bereits ab Anfang der 1960er geschwunden sei – und zwar zunächst durchaus auch bei Vertretern der älteren Gutachterkohorte – und dass dann ein mit der Fachgutachterwahl von 1967 vollzogener Generationswechsel diesen bereits in Gang gekommenen evolutionären Wandlungsprozess noch ein-
3 4
Gutachten Heinz Gollwitzers vom 5.8.1964, in: ebenda. In einem Schreiben an die DFG-Geschäftsstelle vom 13.11.1967, zit. nach Stoff, Wirkstoffe, S. 106.
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Öffnung, Reform und Fremdbestimmung
mal beschleunigt und damit in der Wahrnehmung der Beteiligten dramatisiert habe.5 In der Tat führte die Fachgutachterwahl von 1967 zu einem deutlichen personellen Umbruch quer durch die Fächer: 68,8 Prozent der Gewählten zogen erstmalig in einen Fachausschuss ein, 80 von 206 an sich wiederwählbaren Gutachtern waren durchgefallen. Allerdings waren solche Werte nicht ungewöhnlich für Fachgutachterwahlen, zumal die Satzung die Zahl der Wiederwahlen auf eine beschränkte; bei der Wahl von 1959 hatte der Anteil der „Neulinge“ 65,4 Prozent betragen, 1963 gar 67,8 Prozent (61 von 173 wiederwählbaren Gutachtern waren durchgefallen).6 Als scharfe Zäsur deutete die DFG-Spitze die Wahl von 1967 vor allem deshalb, weil die Wähler „in vielen Fällen von den Vorschlägen der Fachverbände abgewichen“ waren.7 DFG-Vizepräsident Hansjürgen Staudinger führte dies später darauf zurück, dass die Vorstände der Fachbände deren Vorschläge „in einsamen Entschlüssen“ gemacht hätten, statt sie mit ihrer Basis abzustimmen.8 Verbunden damit, dass seit 1951 das Durchschnittsalter der gewählten Fachgutachter kontinuierlich gesunken war, nämlich von anfänglich 57 auf nun nur noch 52 Jahre, und zugleich der Anteil der Fachgutachter, der noch vor 1945 auf Lehrstühle gelangt war, 1967 nur noch bei etwa fünf Prozent lag, schien diese Wahl den Eindruck zu bestätigen, dass sich das Wissenschaftssystem, wie überhaupt die westdeutsche Gesellschaft, in einem generationellen Umbruch befinde. Im Folgenden geht es zum einen um die Frage, welche Rolle die Praxis der DFG-Fachgutachter in den Wandlungsprozessen ihrer Disziplinen während der 1950er und 1960er Jahre spielte. Zum anderen soll die Begutachtung von Forschungsanträgen als Indikator dafür betrachtet werden, wie sich während dieser Jahrzehnte die Bewertungskriterien und normativen Vorstellungen jener Teilgruppe westdeutscher Wissenschaftler entwickelten, die wir aufgrund ihrer Wahl zu DFG-Fachgutachtern jeweils für Repräsentanten des Mainstreams ihrer Disziplinen halten dürfen. Es geht mit Klaas Hinrich Ehlers, an dessen Vorgehen ich mich orientiere, darum, den „Bestand an typischen Argumenten“ zu erfassen, der innerhalb der DFG-Begutachtungspraxis aufgerufen wurde. Ich gehe davon aus, dass die Gutachter sich bei der Wahl ihrer Argumente an „Erwartungen (…) über deren geltendes Überzeugungspotenzial“ untereinander orientierten und dass es folglich möglich ist, anhand der Argumentationsmuster die Überzeugungen der Gutachter darüber zu rekonstruieren, welche Regeln für die Klientel der DFG und für von dieser als seriös zu akkreditierende Wissenschaft galten.9
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Vgl. Ehlers, Wille, S. 219–224 zum Narrativ einer „Revolutionsgeschichte“ der Sprachwissenschaft und ebenda, S. 293–298 zur evolutionären Entwicklung der Begutachtung in den 1960er Jahren. Errechnet anhand der Fachgutachterlisten in den DFG-Jahresberichten. Vgl. Neuwahl, S. 1 f. und Bericht 1963, S. 42. Niederschrift der Senatssitzung vom 12.7.1967, in: BArch, Film 1831 K; die Prozentangaben ermittelt anhand der Fachgutachterlisten in den DFG-Jahresberichten. Niederschrift der DFG-Mitgliederversammlung am 9.7.1970, in: BArch, B 227/596, S. 11. Ehlers, Wille, S. 76.
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Das dieser Analyse zugrunde gelegte Sample besteht aus zwei Teilen. Erstens habe ich für die Jahre 1951 bis 1954 sowie 1958/59 jeweils alle Hauptausschusslisten in Hinblick auf die in ihnen referierten Gutachten ausgewertet. Zweitens habe ich im DFG-Archiv die verfilmten Auszüge der Förderakten von 190 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersucht, die zwischen 1949 und Mitte der 1970er Jahre Anträge bei der DFG gestellt haben und in den Fächern Geographie, Biologie, Physik, Chemie, Humangenetik, Anthropologie, Soziologie, Geschichte, Agrarwissenschaften sowie in verschiedenen Ingenieurwissenschaften tätig waren. Das Sample kann schon deshalb nicht repräsentativ sein, weil ich aufgrund meiner Erkenntnisinteressen bevorzugt Förderakten von Personen einbezogen habe, die im Lauf ihrer Karriere besonders häufig gefördert wurden, sowie von Wissenschaftlern, die bereits vor ihrer Etablierung als Professoren bzw. Professorinnen Anträge an die DFG gestellt haben. Die vergleichsweise oft Anträge stellenden und Bewilligungen erhaltenden Forscher habe ich in der Annahme ausgewählt, dass sie den Kriterien der Gutachter besonders gut entsprochen haben dürften. Der Auswahl von Anträgen aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs lag die sich im Lauf der Recherchen bestätigende Ausgangshypothese zugrunde, dass die Gutachter sie besonders explizit auf die Kompatibilität mit ihren Leitvorstellungen geprüft haben dürften. Auch habe ich die Akten von Forscherinnen mit 40 Fällen stärker berücksichtigt, als es ihrem prozentualen Anteil an der Gesamtheit entsprochen hätte, denn nur so ließ sich ein Eindruck von den spezifischen Kriterien gewinnen, anhand derer die fast ausschließlich männlichen Gutachter ihre Kolleginnen beurteilten. Das so zusammengestellte Material deckt den Zeitraum zwischen der Neugründung der DFG im Jahr 1949 und der Mitte der 1970er Jahre ab. Die Förderakten sind in der DFG nur fragmentarisch und nach uneinheitlichen Kriterien verfilmt worden. Finanznachweise finden sich regelmäßig, wohl, weil man bei Nachfragen des Bundesrechnungshofes gewappnet sein wollte. Dagegen fehlen in aller Regel die Anträge selbst. Ihre Begutachtung lässt sich in manchen Fällen anhand von in den Akten enthaltenen Auszügen aus den Hauptausschusslisten rekonstruieren, in anderen liegen Originalgutachten und der Schriftverkehr zwischen der Geschäftsstelle und den Gutachtern vor. Wie in den Akten aus der Weimarer Republik, so zeigt sich auch in diesem Sample, dass die Hauptausschusslisten die Gutachten im Tenor korrekt widergaben, sie meist kaum kürzten, die entscheidenden Passagen wörtlich wiedergaben und folglich eine geeignete Quellengrundlage bilden, um den Begutachtungsprozess zu analysieren. Wo immer dies möglich war, habe ich aber auf die Originalgutachten zurückgegriffen. Anknüpfend an die im zweiten Kapitel durchgeführte Analyse von Gutachten aus den Jahren 1928 bis 1932 gehe ich im Folgenden zunächst der Frage nach, welche Rolle in der Begutachtung der 1950er und 1960er Jahre die persönliche Reputation bzw. das Projektdesign eines Antragstellers spielten. Zweitens interessiert mich, wie die Gutachter solche Projekte, in denen sie Innovationspotenzial (und die dazugehörigen Risiken des Scheiterns) vermuteten, im Vergleich mit solchen beurteilten, die sie als risikoarme lineare Fortsetzungen etablierter Pfade be-
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trachteten. Drittens frage ich, welche Rolle für die Gutachter die Kontrastfolie der internationalen Forschung spielte, und viertens, inwiefern sie ihrer Begutachtung den von der DFG offiziell so stark betonten Primat der Grundlagenforschung zugrunde legten. Im fünften Schritt soll schließlich untersucht werden, anhand welcher spezifischen Kriterien die Gutachter den wissenschaftlichen Nachwuchs allgemein und seine weibliche Teilgruppe im Besonderen bewerteten. In der Summe und vom Einzelfall abstrahierend, lässt sich anhand der Gutachten verfolgen, wie sich innerhalb der Organisation DFG Meinungen zu diesen Fragen bildeten und entwickelten sowie welche Normen und Wertideen die Gutachter in Bezug auf diese Fragen zur Geltung bringen wollten, indem sie von ihnen die Zustimmung oder Ablehnung zur Förderung von Fachkollegen abhängig machten. Zu Beginn der Untersuchung des ersten Aspektes – Reputation oder Projektdesign? – lohnt der Blick auf eine am Beginn der 1960er Jahre angesiedelte Kontroverse zwischen den Soziologen Helmut Schelsky und Ralf Dahrendorf. Im Jahr 1961 beantragte Schelsky bei der DFG die Förderung eines Projektes zur Methodik der Meinungsforschung. Es war der sechste Antrag, den er stellte, aber es war der erste, an dem ein Gutachter Kritik übte. Dieser, der junge Tübinger Professor Ralf Dahrendorf, erhob methodische Einwände und sprach die Vermutung aus, Schelsky kenne die einschlägige amerikanische Literatur nicht. Dahrendorfs Anmerkungen, die gar nicht auf die Ablehnung des Projektes zielten, schlugen in der DFG hohe Wellen, weil Schelsky als Fachgutachter seit 1955 zu ihren Honoratioren zählte; 1962 wurde er in den Senat gewählt. Der Ökonom Andreas Predöhl, Mitglied des Hauptausschusses, führte in einer Stellungnahme Dahrendorfs Kritik auf dessen mangelnde Erfahrung zurück, warnte „vor einer Überbewertung dieser amerikanischen Literatur“ und stellte klar, dass es bei der Entscheidung über Förderanträge in erster Linie „auf die wissenschaftliche Persönlichkeit“ des Antragstellers ankäme.10 Ein Referent der DFG-Geschäftsstelle informierte Schelsky über Dahrendorfs Gutachten, und Schelsky machte Dahrendorf in einem persönlichen Gespräch darauf aufmerksam, dass seine Art der Begutachtung „äusserst unkollegial“ gewesen sei. Zudem, so belehrte er den jüngeren Kollegen, sollten vom Antrag abweichende wissenschaftliche Meinungen generell nicht den Schwerpunkt eines Gutachtens bilden.11 Als sich Dahrendorf seinerseits bei der Geschäftsstelle darüber beschwerte, dass Schelsky sein Gutachten erhalten habe,12 erfuhr Schelsky auch dies (diesmal von Predöhl) und beklagte nun gegenüber DFG-Präsident Hess, dass Dahrendorf mit dem Komment unter Wissenschaftlern nicht vertraut sei: Gegenüber einem älteren Ordinarius, dem man zu guten Teilen seine Karriere verdanke und der den jüngeren Kollegen mehrfach zu sich nach Hause eingeladen hatte, verhalte man sich nicht so kritisch. In der Tat wäre Dahrendorfs Habilitation in Saarbrücken 1957 wohl gescheitert, wenn sich nicht Schelsky als externer Gutachter vehement 10 11 12
Zit. nach der Hauptausschussliste 64/1961, S. 39, in: DFG-Archiv, Sche 37, fol. 17617. So gab Dahrendorf Schelskys Äußerungen ihm gegenüber wieder in einem an die Geschäftsstelle gerichteten Brief vom 5.4.1962, in: BArch, Film 1789 K. Schelsky hatte Dahrendorf erklärt, dass die DFG-Referenten, „mit denen er befreundet sei, ihm selbstverständlich sämtliche Begutachtungen sofort mitteilten“, ebenda.
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für ihn eingesetzt hätte, und auch seine Berufung nach Hamburg noch im selben Jahr verdankte Dahrendorfs zumindest teilweise Schelsky. Dieser akzeptierte in anderen Kontexten bereitwillig Kritik von Seiten des jüngeren Kollegen, im Begutachtungsverfahren allerdings hielt er sie für standeswidrig. Dass er Dahrendorf über das Verfassen von Gutachten belehrt habe, so schrieb Schelsky an Hess, entspreche der bewährten Praxis, dass erfahrene Kollegen jeweils den neugewählten Gutachtern in einem persönlichen Gespräch erklärten, welche Regeln zu beachten seien; der Kieler Soziologe Gerhard Mackenroth habe es seinerzeit bei ihm auch so gehalten.13 Einige Jahre später hatte Dahrendorf einen Antrag des Kölner Soziologen Renè König zu begutachten. Zwar erhob er auch hier Einwendungen in der Sache, war aber nunmehr bereit, sich dem von Schelsky formulierten Komment unter Professoren zu unterwerfen: „Nach einigem Schwanken und nicht ganz ohne Bedenken würde ich meinen, daß bei einem so hervorragenden Soziologen der Antrag hinreichend begründet ist, um ihn zu unterstützen.“14 In der Kontroverse zwischen Dahrendorf und Schelsky trafen vor dem Hintergrund zeitgenössischer Richtungskämpfe in der Soziologie zwei selbstbewusste Persönlichkeiten aufeinander. Vor allem aber ist ihr Konflikt ein Indiz dafür, dass es den DFG-Honoratioren um 1960 nicht mehr umstandslos gelang, ihre Kriterien für die Bewertung von wissenschaftlicher Leistung, ihre akademischen Wertideen und ihre Vorstellungen vom idealtypischen Habitus eines Forschers innerhalb der DFG an die nächste Alterskohorte zu tradieren. Schelsky repräsentierte einen traditionalistischen Typus des Ordinarius, wenn er verlangte, Gutachten dürften nicht um theoretische oder methodische Streitfragen zentriert sein, sondern müssten die Persönlichkeit, also die Frage der Zugehörigkeit eines Antragstellers zur auf Kooptation beruhenden, exklusiven Gemeinschaft seriöser Forscher, in den Mittelpunkt stellen. Dahrendorf dagegen hatte sich in seiner akademischen Sozialisation, die er teilweise in London erlebt hatte, daran gewöhnt, Forschung primär nach dem Innovationsgehalt ihrer Thesen, ihrer theoretischen Basis und ihren methodischen Zugriffen zu beurteilen und weniger nach der Reputation des Forschers – auch wenn er sich in diesem Punkt zu Zugeständnissen bereitfand. Dahrendorfs Haltung entsprach dem zeitgenössischen Trend der Fachgutachter; Schelsky führte ein Rückzugsgefecht. Dies wird erkennbar, wenn man die Argumentationsmuster untersucht, mit denen die Gutachter im von mir gewählten Stichjahr 1959 Anträge des Normalverfahrens ablehnten. Zu 170 Anträgen, welche die Fachausschüsse dem Hauptausschuss in diesem Jahr zur Ablehnung vorschlugen, konnte ich 480 Gutachten auswerten.15 In 92 dieser Gutachten bewerteten die Autoren die Reputation der Antragsteller, in 99 Gutachten finden sich Bemerkungen zu deren früheren Forschungen. Dagegen widmeten sich 249 Gutachten dem Arbeitsplan der Antragsteller und 141 dem in den Projekten 13 14 15
Schreiben Schelskys an Hess vom 7.5.1962, in: ebenda. Zum Verhältnis von Schelsky und Dahrendorf vgl. Meifort, Dahrendorf, S. 76 ff., 85 und 94. Gutachten vom 11.6.1965, in: DFG-Archiv, Ko 216, fol. 04418. Die Hauptausschusslisten des Jahres 1959 finden sich verteilt auf die Akten BArch, B 227/115, 120, 141, 145 und 150.
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vermuteten Innovationspotenzial. In 35 Fällen bezogen sich die Gutachter auf die theoretischen Grundlagen der Projekte, und nur in 13 Fällen zogen sie deren außerwissenschaftlichen Nutzen ins Kalkül. Eine Untersuchung des Soziologen Friedhelm Neidhardt, für die er 662 Gutachten aus mehreren Disziplinen ausgewertet hat, die zwischen 1974 und 1979 im Normalverfahren erstattet worden waren, zeigt ein in der Tendenz ähnliches Bild. Unter den neun von Neidhardt in den Gutachten identifizierten Argumentationsmustern bildete jenes der Reputation des Antragstellers nur das sechsthäufigste; es wurde in 30,2 Prozent der Gutachten angeführt. Vor diesem Kriterium rangierten quantitativ die Kosten (in 42,9 Prozent der Gutachten thematisiert), die bereits geleisteten Vorarbeiten (42,4 Prozent), die „wissenschaftliche Relevanz“ (38,8 Prozent), der Arbeitsplan (36 Prozent) und die „Theoriequalität“ (35,2 Prozent) des Antrages.16 Dabei fand Neidhardt stärkere Bezüge zur Reputation des Antragstellers zum einen in Gutachten, die sich auf Neuanträge bezogen – also dann, wenn die Entscheidungssituation relativ offen war – und zum anderen dann, wenn die Tendenz des Gutachtens positiv ausfiel – oder anders gesagt: Mit Reputation begründeten die Gutachter der 1970er Jahre eher ihre Zustimmung zu einem Antrag, lehnten sie ihn dagegen ab, so kritisierten sie vor allem theoretische und methodische Mängel.17 Erinnern wir uns daran, welche Relevanz die DFG-Gutachter den verschiedenen Argumentationsmustern um 1930 zugemessen hatten: Damals hatten sie ihre Empfehlungen ganz überwiegend aufgrund der Reputation der Antragsteller und der Resonanz ihrer bisherigen Forschungen unter den Fachkollegen abgegeben. Im Gegensatz zu den Gutachten der späten 1950er und der 1970er Jahre hatten Arbeitsplan, Innovationspotenzial sowie die methodischen und theoretischen Grundlagen der Anträge in der Weimarer Republik kaum eine Rolle gespielt. Bezieht man Gutachten aus den frühen 1950er Jahren in die Analyse mit ein, so stellt sich heraus, dass die Gutachter zunächst an die Praxis der Weimarer Republik anschlossen, also die Reputation eines Antragstellers und die Resonanz seiner bisherigen Forschung unter den Fachkollegen als entscheidende Bewertungskriterien betrachteten. In diesem Sinne räumte der Biochemiker Adolf Butenandt in einem Gutachten von 1954 ein, er erkenne nicht, worin das Ziel des beantragten Projektes bestehe, um dann gleichwohl den Antrag mit den Worten zu befürworten, sein Verfasser habe „große wissenschaftliche Verdienste“, man greife „auf seine sauberen Arbeiten (…) in der ganzen Welt zurück (…), und man müsse davon ausgehen, daß hinter dem Antrag eine ernst zu nehmende wissenschaftliche Persönlichkeit stehe, die sicher irgend einen Erfolg (…) mitbringen werde“.18 Ein Jahr später war der Fachausschuss Germanistik überzeugt, dass „der Name des 16
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Neidhardt, Kollegialität, S. 11. Allerdings unterschieden sich die Fächer in dieser Frage deutlich voneinander, in der Politikwissenschaft etwa äußerten sich die Gutachter in 53,5 Prozent der Fälle zu Qualifikation und Reputation des Antragstellers, vgl. Hartmann, Begutachtung, S. 117 f. Vgl. Neidhardt, Kollegialität und derselbe, Selbststeuerung, S. 90–113. Zit. nach der Hauptausschussliste 59/1954, S. 5, in: BArch, B 227/118. Ein analoges Gutachten aus der Medizin von 1957 vgl. in: DFG-Archiv, La 43, fol. 05472.
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Antragstellers allein schon genüge, um seinen Arbeiten jede nur mögliche Förderung angedeihen zu lassen“.19 Und noch 1964 bemerkte der Historiker Heinz Gollwitzer zu einem Antrag, er verstehe von der Sache nichts, aber: „Grundsätzlich ist mein Standpunkt der: Herr Kollege Kellenbenz ist Ordinarius und genießt Vertrauen und Ansehen bei der Fachwelt. Wichtige Veröffentlichungen aus seiner Feder liegen vor. Da es sich bei ihm um einen bewährten Forscher handelt, sollte man ihm im Rahmen des von der DFG Vertretbaren wohl das größtmögliche Entgegenkommen beweisen.“20 Wer auf seinem Fachgebiet „seit langem als eine Autorität“ galt oder „in seinem Fachgebiet einen so angesehenen Namen“ besaß, stieß auch dann auf das Wohlwollen der Gutachter, wenn sie sachliche Schwächen der Anträge bemängelten.21 Der Heidelberger Psychiater Kurt Schneider resümierte im Juni 1951 in einem Schreiben an die DFG-Geschäftsstelle, nur bei sechs der 30 von ihm seit September 1949 begutachteten Anträge sei er sachkundig gewesen. Bei den übrigen Anträgen habe er „die Forschungspläne meist nicht beurteilen und höchstens über die Vertrauenswürdigkeit und den wissenschaftlichen Ruf der mir persönlich meist bekannten Forscher etwas sagen“ können.22 Der Kreis potenzieller Antragsteller in einzelnen Fachgebieten war Anfang der 1950er Jahre noch überschaubar, die Gutachter kannten die meisten Antragsteller von Begegnungen oder zumindest vom Hörensagen unter Kollegen und bildeten sich daher ihre Meinungen jenseits der Antragstexte.23 Eine besondere Bedeutung schrieben sie dem Eindruck zu, den die Kandidaten auf Tagungen hinterlassen hatten. Relevant war hier nicht nur, wie die Gutachter selbst die Antragsteller erlebt, sondern auch, wie sie deren Erfolg bei Dritten wahrgenommen hatten. Die Feststellung, der Vortrag eines Physikers auf der letzten Jahrestagung seiner Fachgesellschaft „habe sehr großen Beifall gefunden“, führte 1960 zur Bewilligung seines DFG-Antrages.24 Dagegen wurde es einem Krebsforscher 1951 zum Verhängnis, dass seine Vorträge auf Kongressen „keinen besonderen Widerhall gefunden“ hatten;25 im Jahr 1959 lehnte ein Gutachter den Antrag eines Geologen mit der Begründung ab, er habe von dessen „Auftreten auf der Tagung der Deutschen Geologischen 19 20 21 22 23
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Zit. nach Ehlers, Wille, S. 275. Gutachten Gollwitzers vom 25.5.1964, in: DFG-Archiv, Ke 2, fol. 09566. Zit. nach den Hauptausschusslisten 43/1951, S. 9, in: BArch, B 227/110 und 84/1953, S. 6, in: BArch, B 227/140. Schreiben Schneiders an die DFG vom 19.6.1951 in: BArch, Film 1789 K. Der Soziologe Hans Achinger beschränkte sein Gutachten über eine Kollegin vom 26.10.1960 auf die Bemerkung, da er „sie öfters spreche, habe ich ohnehin keine Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität ihrer Arbeit“, DFG-Archiv, Pf 30, fol. 00747. Über einen Biologen wusste ein Gutachter 1952 vom Hörensagen, er habe als Student „einen guten Eindruck (…) hinterlassen“; das genügte für ein positives Urteil, zit. nach der Hauptausschussliste 56/1953, S. 23, in: DFG-Archiv, We 75, fol. 05277. Zit. nach der Hauptausschussliste 79/1960, S. 14, in: DFG-Archiv, Kr 194, fol. 02063. Vgl. analoge Bewertungen einer Chemikerin bzw. eines Pharmakologen in den Hauptausschusslisten 123/1961, S. 2, in DFG-Archiv, Ba 98, fol. 004984 bzw. 24/1962, S. 8, in: DFG-Archiv, Es 20, fol. 04280. Zit. nach der Hauptausschussliste 41/1951, S. 31, in: BArch, B 227/110.
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Gesellschaft (…) einiges Kritisches gehört“.26 Regelmäßig bewerteten Gutachter frühere Bücher und Aufsätze von Antragstellern – und zwar nicht nur qualitativ, sondern auch indem sie deren Resonanz in Fachkreisen abschätzten. Über eine Medizinerin vermerkten die Gutachter 1955 anerkennend, aber auch ein wenig paternalistisch, ihre bisherigen Arbeiten seien „als wichtige Beiträge zur Grundlagenforschung (…) in Fachkreisen bekannt geworden und fänden durchaus die gebührende Anerkennung“.27 Der während der 1950er Jahre zu beobachtende langsame (und keineswegs vollständige) Bedeutungsverlust des Kriteriums Reputation im Vergleich zu jenen Kriterien, die man unter dem Begriff des Projektdesigns zusammenfassen kann, soll hier nicht an einer Batterie weiterer Beispiele illustriert werden. In dem für diese Untersuchung ausgewerteten Quellenmaterial, nämlich den Hauptausschusslisten der Jahre 1951 bis 1954 und 1958/59, bildet er sich deutlich ab. Bemerkenswert erscheint mir aber der Befund, dass dieser Wandel bereits am Ende der 1950er Jahre im vollen Gange war – also deutlich früher als es die wissenschaftlichen Revolutionserzählungen in ihrer Fixierung auf die zweite Hälfte der 1960er Jahre erwarten ließen. Zum zentralen Bewertungskriterium avancierte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, ob die Gutachter in einem Antrag das glaubwürdige Versprechen des Antragstellers erkannten, er werde neue Methoden entwickeln und testen oder doch zumindest eine andernorts entwickelte, noch relative neue Methode als einer der ersten in sein spezifisches Forschungsfeld transferieren. Als einer der ersten profitierte der aus dem amerikanischen Exil nach Frankfurt zurückgekehrte Soziologe Theodor W. Adorno von der neuen Wertschätzung methodischer Innovationen, ab 1954 wurde er mit dem Argument gefördert, dass er neue empirische Methoden teste.28 Drei Jahre später waren die Meinungen der Gutachter geteilt; während der eine Adorno wiederum dafür lobte, bei der Untersuchung der politischen Meinungen von Studenten auf die „besten, modernen Verfahren“ zu setzen, bekannte ein anderer, dass ihm bei der von Adorno angebotenen Mixtur aus „Verhaltensforschung, soziologischer Interpretation und sozialpsychologischer Analyse (…) Angst werde“. Ein dritter schlichtete schließlich mit dem Hinweis, ihm erscheine zwar die von Adorno angestrebte „psychologische Vivisektion“ der Probanden „einfach fürchterlich“, aber da die Soziologie noch keine ausgereifte Disziplin sei, sondern sich methodisch „ganz einfach im Probierstadium“ befinde, müsse die DFG auch tastende Versuche in Richtung Innovation fördern.29 Die Beurteilung von Adornos Methodik als mitunter fragwürdig, aber immer mutig, wurde in der Folge zum festen Muster der DFGGutachter und sicherte ihm regelmäßige Bewilligungen. In den 1950er Jahren hielten sich allerdings das Argument der methodischen Innovation und jenes einer Fortsetzung bewährter Forschungspfade – ein Gutachter prägte hierfür später den Begriff der „Fussgängerforschung“ – noch die 26 27 28 29
Zit. nach der Hauptausschussliste 120/1959, S. 15, in: BArch, B 227/150. Zit. nach der Hauptausschussliste 6/1955, S. 3, in: DFG-Archiv, Ga 33, fol. 02043. Gutachten des Marburger Soziologen Max zu Solms vom 23.4.1954, in: DFG-Archiv, Ad 1. Hauptausschussliste 90/1957, S. 4, in: ebenda.
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Waage.30 Im Jahr 1958 genügte es zur Förderung eines Zoologen, dass dieser „einer der ganz wenigen optimalen Schüler Max Hartmanns“ (der zwischen 1914 und 1955 das KWI bzw. MPI für Biologie geleitet hatte) sei und „dessen Tradition weiterreichen“ könne.31 Aber bereits zu diesem Zeitpunkt erschien es den Gutachtern in solchen Fällen notwendig, letztlich positive Empfehlungen mit kritischen Hinweisen zu garnieren; etwa wenn wiederum ein Gutachter aus der Zoologie einem Forscher bescheinigte, in seinem Antrag „seien weder die Methoden noch die Fragestellungen originell. Es handele sich um fleissige Routinearbeit. Die Wissenschaft brauche aber durchaus auch solches Material.“32Nachdem sich ein Forscher als Innovationsmotor seiner Disziplin profiliert hatte, rückte in der Begutachtung die so erworbene Reputation des Betreffenden als Argument in den Vordergrund. Dem Berliner Meteorologen Richard Scherhag bescheinigten die Gutachter 1966/67 „Pionierleistungen, die auf der ganzen Erde Beachtung gefunden haben“ und zu der Erwartung berechtigten, dass er „nach menschlichem Ermessen weitere besondere Leistungen“ vollbringen werde.33 Gegenüber Forschern, die nach der Communis Opinio ihres Faches Entscheidendes zu dessen Fortentwicklung beigetragen hatten, erlegten sich die DFG-Gutachter über längere Zeiträume jene schonende Zurückhaltung auf, die Denkmälern gebührt, solange sie nicht den Verkehr behindern. Den Göttinger Agrarhistoriker Wilhelm Abel beispielsweise priesen die Gutachter ab Mitte der 1950er Jahre immer wieder aufs Neue dafür, seit der Habilitationsschrift von 1935 quantitative Methoden und ökonomische Fragestellungen in der Agrargeschichtsschreibung verankert zu haben, nachdem dies „bei uns seit langem fast ganz vernachlässigt worden“ sei.34 Zwar erkannten die Gutachter im Jahr 1968, dass sich ein seit 1961 von der DFG gefördertes Projekt aufgrund methodischer Defizite zu einem „Fass ohne Boden“ entwickelt hatte, plädierten aber gleichwohl für eine Fortsetzung der Förderung.35 Ein Jahr später tat dies auch der Fachausschussvorsitzende, „wenn auch mit Bedenken“, denn schließlich sei aus den Zwischenberichten erkennbar, dass „einfach ‚drauflos‘ analysiert wurde, ohne daß versucht worden wäre, vorweg untersuchungswürdige und nachprüfbare Hypothesen zu formulieren“.36 Aber Abels Reputation war derart gefestigt, dass die Geschäftsstelle noch 1970 trotz
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Gutachten des Metallphysikers Peter Haasen vom 22.2.1967, in: DFG-Archiv, Fe 69. Zit. nach der Hauptausschussliste 106/1958, S. 3, in: DFG-Archiv, Ha 7, fol. 01875. Zit. nach der Hauptausschussliste 82/1956, S. 15, in: DFG-Archiv, En 14, fol. 02916. Vgl. auch die Gutachten vom 10.8.1959 und 13.9.1961, in: DFG-Archiv, Fr 35, fol. 05738 und 05755. Gutachten Walter Diemingers vom 1.2.1966 und 28.4.1967, in: DFG-Archiv, Sche 29. Vgl. auch die positiven Gutachten zu einem Pharmakologen, der seine nach der Habilitation entwickelte, damals innovative Methodik über Jahrzehnte weiterführte, Gutachten von Herkens (16.12.1960), Kewitz (21.1.1965), Zettler (27.1.1969) und Palm (28.3.1978) in: DFG-Archiv, Schu 100. So ein Gutachten von Hermann Aubin, zit. nach der Hauptausschussliste 6/1954, S. 3, in: DFG-Archiv, Ab 1. Gutachten Knut Borchardts vom 24.7.1968, in: ebenda. Stellungnahme Horst Möllers vom 18.6.1969, in: ebenda.
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nun deutlich ablehnender Voten der Gutachter versuchte, eine Weiterfinanzierung des Projektes in anderen Förderlinien zu ermöglichen.37 Abel gehörte zu den unbestrittenen Koryphäen seines Faches, daher überdeckte seine Reputation auch um 1970 noch die den Gutachtern an sich offenkundigen Defizite einzelner Projekte. Weniger herausragende Forscher dagegen zogen im Lauf der 1960er Jahre trotz früherer Innovationsleistungen immer heftigere Kritik auf sich, wenn sie sich methodisch nicht weiterentwickelten oder der ab Ende des Jahrzehnts immer vernehmbareren Forderung nach einer expliziten theoretischen Fundierung ihrer Projekte nicht entsprachen. So war ein Pathologe zunächst auf das Wohlwollen der Gutachter gestoßen, weil er „die Methoden der Ultraviolettmikrospektrographie, Gefriertrocknung und Röntgenhistoradiographie in Deutschland fast als einziger vorbildlich entwickelt und diese Methoden (…) eingeführt“ hatte.38 Hatten sich die Gutachter zu diesem Zeitpunkt noch gewünscht, der Forscher möge sich „auf das Vorhandene konzentrieren“ und seine „ordentlichen Arbeiten“ einfach weiterführen, so warfen sie ihm wenige Jahre später genau dies vor: Er habe sich nicht weiterentwickelt, „sei ein großer Bastler, bei dem die Apparatur im Vordergrund stehe“, erziele aber keine „nennenswerten“ neuen Erkenntnisse.39 1962 lautete das Urteil: Der Pathologe sei „fraglos ein fleissiger und begabter Forscher“, in seiner Arbeit komme aber die „Fragestellung zu kurz“.40 Weitere zwölf Jahre später fällte schließlich ein Gutachter über ihn das Verdikt, er besitze „keine echte wissenschaftliche Problemstellung“, seine Anträge seien gemessen am Stand seiner Disziplin „in jeder Hinsicht eine Zumutung“.41 Besonders entschlossen zur Förderung mutmaßlicher Innovation zeigten sich die Gutachter (in Einklang mit Geschäftsstelle, Präsidium und Zeitgeist) zwischen der Mitte der 1960er und der Mitte der 1970er Jahre, wenn es um mit dem Label „Kybernetik“ versehene Projekte ging. Entsprechende Anträge trafen im Normalverfahren (also jenseits des 1965 gestarteten Schwerpunktprogramms zur Kybernetik, dessen Genese ich im achten Kapitel beschrieben habe) auf weitgehend ratlose Gutachter, denen es zwar als reichlich vage erschien, was eigentlich mit welchen Zielen und Methoden erforscht werden sollte, die sich aber gutwillig zeigen wollten und die Antragsteller persönlich berieten. Häufig findet sich in Gutachten der Verweis, man habe die Anträge nicht recht verstanden, weil schon „der Gebrauch der Fachsprache (…) für mein Empfinden ungewöhnlich“ sei, sprich: Antragsteller und Gutachter hatten auf diesem neuen und zudem interdisziplinären Feld grundsätzliche Verständigungsschwierigkeiten.42 Gutachter aus der Biologie gaben freimütig zu, die mathematischen Grundlagen von Projekten der biologischen Kybernetik nicht zu verstehen, zogen sich dann aber 37 38 39 40 41 42
Vermerk von Petersen vom 8.9.1970, in: ebenda. Zit. nach der Hauptausschussliste 93/1959, S. 18, in: DFG-Archiv, Sa 80, fol. 09276. Zit. nach der Hauptausschussliste 55/1958, S. 5, der Schwerpunktliste 17/1961, S. 20 und Gutachten vom 21.6.1961 in: ebenda, fol. 09270, 09295 und 09302. Zit. nach der Schwerpunktliste 21/1962, S. 20, in: ebenda, fol. 09331. Gutachten vom 26.12.1974, in: ebenda. Gutachten des Betriebswirts Gert von Kortzfleisch vom 5.5.1968, in: DFG-Archiv, Gr 207.
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auf grundsätzliche Erwägungen zurück, die ihnen regelmäßig für die Projekte zu sprechen schienen.43 Ab und an setzten sich Gutachter mit Ironie symbolisch zur Wehr („Ein Sondergutachter begrüßt zunächst, daß nun auch der Antragsteller seine besondere Neigung zum Gebiet der Kybernetik entdeckt habe“), um dann doch im Ergebnis zuzustimmen und später in Stellungnahmen zu Arbeitsberichten zu konstatieren, dass die von den Antragstellern geweckten Erwartungen nicht erfüllt worden seien.44 Die Förderung der Kybernetik erschien aber schon deshalb als alternativlos, weil sie „in Mitteldeutschland und den Ostblockländern intensiv betrieben“ werde: „Wir sollten dieses Gebiet daher nicht ganz vernachlässigen.“45 Der Hauptausschuss zeigte sogar noch mehr guten Willen und bewilligte auch Projekte, die von den Gutachtern als unverständlich oder schlecht begründet kritisiert worden waren.46 Methodische Innovation bedeutete in der bundesdeutschen Forschung der 1950er Jahre zumeist nicht die eigenständige Entwicklung einer neuen Methode, sondern ihren Transfer aus dem Ausland, zumeist aus den USA und Großbritannien, nach Deutschland. Im scharfen Kontrast zu den Rückstandsdebatten, die während der Weimarer Republik innerhalb der Notgemeinschaft geführt worden waren, räumten die Gremien der bundesdeutschen DFG von Beginn an ein, dass die von ihnen vertretenen Forscher im internationalen Vergleich den Anschluss verloren hatten. Der Jahresbericht der DFG von 1955 formulierte schließlich ein vorläufiges Resümee: Jetzt, da es nach der Überwindung der Nachkriegsnöte dem einzelnen Wissenschaftler wieder möglich sei, „im ungehinderten geistigen Austausch den Standort seiner Disziplin im internationalen Zusammenhang klar zu überschauen“, erkenne man deutlich, dass man sich selbst auf Feldern, „auf denen vor Jahrzehnten die ersten bahnbrechenden Entdeckungen in Deutschland gemacht worden“ seien, nun nachholend bemühen müsse, „ganz neue Arbeitsrichtungen und experimentelle Methoden, die draußen entwickelt worden sind, überhaupt erst in deutschen Instituten heimisch zu machen“.47 In den Gutachten zu Einzelprojekten der 1950er Jahre wurde der internationale Rückstand der deutschen Forschung immer wieder für einzelne Felder durchdekliniert. Zwar geschah dies erkennbar auch, um die DFG-Gremien von der Förderung aufholender Forschung zu überzeugen, aber die Bereitschaft, eigene Defizite einzuräumen, war doch in diesem Ausmaß neu und spricht dafür, dass entsprechende Tatsachenbehauptungen nicht nur taktisch motiviert waren. So beklagten beispielsweise im Jahr 1952 Gutachter aus der Astronomie, dass ihnen schon seit Langem „das notwendige Instrumentarium gefehlt habe“, um im internationalen Maßstab „wirklich vollwertige astronomische Messungen“ vorzunehmen.48 Richard Vieweg, Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (und vor 1945 RFR-Bevollmächtigter für Kunststoffforschung), erklärte sich den 43 44 45 46 47 48
Gutachten des Zoologen Georg Birukow vom 26.1.1970, in: DFG-Archiv, Gu 19. Zit. nach der Hauptausschussliste 32/1967, S. 8, in: DFG-Archiv, Ka 157. Gutachten des Wirtschaftswissenschaftlers Martin Beckmann vom 13.5.1968, in: ebenda. Vgl. etwa die Förderakten DFG-Archiv, Wi 36. Bericht 1955, S. 9. Zit. nach der Hauptausschussliste 18/1952, S. 11.
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apparativen Rückstand 1955 damit, dass während der NS-Zeit einschlägige deutsche Experten in die USA emigriert seien und dort weitergearbeitet hätten – mit dieser Argumentation ließ sich wenigstens ein Teil des deutschen Überlegenheitsgefühls wahren.49 Mediziner gaben zu Protokoll, sie müssten sich angesichts der Fortschritte der US-Forschung darum bemühen, „überhaupt die Bakteriengenetik in Deutschland in die Hand zu bekommen“.50 Elektroingenieure gaben zu, sich angesichts des „Vorsprungs“ des Auslandes in das Themenfeld der elektronischen Rechenanlagen noch einmal neu einarbeiten zu müssen; Betriebswirte wollten Methoden und Volkswirte theoretische Modelle der amerikanischen Kollegen erlernen, um „wieder Anschluß an den Stand der Forschung im anglo-amerikanischen Bereich“ zu finden.51 Gutachter aus der Soziologie konstatierten im Jahr 1954 das Gleiche für die Interviewforschung, und Entwicklungsphysiologen zeigten sich im selben Jahr bestürzt, dass sie nicht nur von der amerikanischen, sondern sogar von der Forschung in Belgien, der Schweiz und Skandinavien „weit überholt“ worden waren.52 Die DFG-Gutachter zogen aus diesen Diagnosen in den 1950er Jahren vier Schlüsse: Erstens befürworteten sie regelmäßig Anträge von Nachwuchsforschern, die eine Zeitlang an ausländischen Instituten – und hier wiederum bevorzugt in den USA und Großbritannien – arbeiten wollten, um dort in Deutschland noch unbekannte Methoden zu erlernen, ihren „Gesichtskreis zu erweitern“ und dann mit Folgeprojekten an der heimischen Hochschule „die Methodik auch in Deutschland auf den neuesten Stand zu bringen“.53 Zweitens traten die Gutachter für eine vermehrte Reisetätigkeit auch etablierter Ordinarien ein, die aber im Ausland nicht so sehr Neues lernen sollten, als vielmehr positive Leistungen der deutschen Forschung international bekannt machen und ihr „Ansehen“ wieder steigern sollten, nachdem dieses, wie der Heidelberger Geograph Gottfried Pfeiffer 1952 euphemistisch feststellte, „bedingt durch die Zeitumstände“ gelitten hatte.54 Drittens befürworteten Gutachter, die ansonsten die Anschaffung von Kleingeräten und Verbrauchsmaterial aus DFG-Mitteln wortreich kritisierten, die Anschaffung sehr teurer Apparaturen für die Forschung, sofern dies dem Aufholen eines Rückstandes dienen konnte – so im Fall des Physikalischen Institutes der Universität Würzburg, dem die DFG im Jahr 1952 die für damalige Verhält-
49 50 51
52 53 54
Vgl. Luxbacher, Ersatzstoffe, S. 436. Zit. nach der Hauptausschussliste 10/1952, S. 19, in: BArch, B 227/117. Votum des Fachausschussvorsitzenden für Elektrotechnik, zit. nach der Hauptausschussliste 1/1952, S. 16, in: ebenda und Votum des Fachausschussvorsitzenden für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zit. nach der Hauptausschussliste 39/1952, S. 5, in: BArch, B 227/142; vgl. auch das Gutachten eines Betriebswirtes in der Hauptausschussliste 3/1952, S. 32, in: BArch, B 227/117. Gutachten aus der Entwicklungsphysiologie, zit. nach der Hauptausschussliste 987/1954, S. 4, in: DFG-Archiv, En 14, fol. 02905; vgl. ein Gutachten aus der Soziologie, zit. nach der Hauptausschussliste 57/1954, S. 2, in: DFG-Archiv, Ad 1. Auszüge aus den Hauptausschusslisten 15/1956, S. 21 und 90/1957, S. 30, in: DFG-Archiv Schw 15, fol. 3597 und 3601. Zit. nach der Hauptausschussliste 22/1952, S. 17, in: DFG-Archiv, Mo 25, fol. 05379.
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nisse exorbitante Summe von 125.000 DM zur Finanzierung einer Elektronenschleuder bewilligte. Viertens aber beharrten viele Gutachter auf einer sie beruhigenden Unterscheidung nationaler Wissenschaftskulturen: Der Vorsprung der amerikanischen Forscher beruhe ausschließlich auf quantifizierbaren materiellen Faktoren; die Zahl der Forscher und Forschungseinrichtungen sei in den USA eben größer als in Deutschland und ihnen stünden reichlichere Ressourcen zur Verfügung; dies aber führe dazu, dass die US-Forscher in großer Stückzahl empirische Detailbefunde produzierten, ohne tiefere Einsichten zu gewinnen – wie es, aller materiellen Nachteile zum Trotz, deutschen Forschern qua ihrer geistigen Tradition weiterhin gelinge. In diesem Sinne befürwortete 1952 der stellvertretende Vorsitzende des Fachausschusses Physik zwar das Begehren der Würzburger Kollegen, ihnen die erwähnte Elektronenschleuder zu ermöglichen, fügte aber hinzu: „Er habe jedoch den bestimmten Eindruck, daß die Aktivität der an den Riesenmaschinen beteiligten ausländischen Forscher durch die technische Konstruktion der Apparate so sehr in Anspruch genommen werde, daß ihnen zu wenig Zeit bleibe, über die wissenschaftlichen Probleme, die damit gelöst werden sollten, nachzudenken.“55 Einer ähnlichen Kritik von DFG-Gutachtern sah sich 1953 der aus dem New Yorker Exil nach West-Berlin zurückberufene Politologe Arcadius Gurland gegenüber: Seine von einer „Überwucherung durch Statistik“ geprägte Methodik („viel Apparat, wenig selbständiges Denken“) stehe für die „schnell voranschreitende Amerikanisierung der früher so selbständigen deutschen Sozialwissenschaften“.56 Auch in der Psychologie merkten Gutachter an, die neueren amerikanischen Testmethoden seien „etwas steril“ und erschlössen (im Unterschied zu den ganzheitlichen Ansätzen der deutschen Tradition) „die tieferen Schichten der Persönlichkeit“ nicht.57 Wie wir gesehen haben, war dieses Festhalten an einer vermeintlichen geistigen Überlegenheit deutscher gegenüber einer materiell privilegierten amerikanischen Forschung bereits während der 1920er Jahre als Modus etabliert worden, um sich ungeachtet aller Wandlungen des globalen Wissenschaftssystems in eine Weltmachtrolle hineinimaginieren zu können – indem man an jenen Haltungen festhielt, die ja in der Tat vor 1914 zu einer internationalen Spitzenstellung deutscher Forschung beigetragen hatten. Die DFG-Gutachter setzten in den frühen 1950er Jahren zugleich eine Denktradition fort, mittels derer sich auch Naturund Technikwissenschaftler der NS-Zeit über ihre Zweitklassigkeit hinweggetröstet hatten. In der Genetik, so hatte der Göttinger Zoologe Alfred Kühn 1935 in einem Gutachten für die DFG behauptet, setzten die Amerikaner auf „die Häu55 56 57
Hauptausschussliste 4/1952, S. 17, in: BArch, B 227/117. Hauptausschussliste 64a/1953, S. 13, in: BArch, B 227/140. Gutachten von Gustav Kafka vom 24.12.1952, DFG-Archiv, Bo 59, fol. 2787. Aller Kritik ungeachtet reüssierte Bondy mit diesem und mehreren weiteren Anträgen. Den remigrierten Politologen Arnold Bergstraesser beurteilte der Gutachter Helmut Schelsky 1958 abschätzig: Dessen Untersuchung über die politischen Anschauungen von Studenten gäben zwar „ein sehr lebendiges Bild“, sei aber „rein wissenschaftlich“ unbefriedigend, es fehle „an analytischer Schärfe und Ordnung“, DFG-Archiv, Be 118, fol. 004080.
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fung von Versuchen“, die Deutschen aber auf „die folgerichtige Fortbildung der Fragestellungen“.58 Und der Fachspartenleiter Elektrotechnik des RFR, Erwin Marx, hatte im Oktober 1942 Rudolf Mentzel berichtet, zwar müsse man „die schöpferischen Leistungen der amerikanischen Ingenieure nicht allzu hoch“ bewerten, aber es werde eben einfach durch ihre größere Zahl und die überlegenen Ressourcen „ein Vorteil zu Gunsten der Amerikaner entstehen“.59 Dieses Argumentationsmuster verlor im weiteren Verlauf der 1950er Jahre offenbar an Plausibilität; jedenfalls ist es im ausgewerteten Quellensample am Ende des Jahrzehnts nicht mehr zu finden. Dass die Forschung in den USA mit wesentlich höheren Mitteln, mehr Personal und Technikeinsatz betrieben wurde, als dies in der Bundesrepublik möglich war, blieb augenfällig und wurde von DFG-Akteuren regelmäßig herausgestellt, wenn sie um mehr staatliche Fördermittel warben. Aber anstelle eines trotzigen Beharrens auf geistiger Überlegenheit setzte sich nun die schlichte Einsicht durch, dass – wie es Adolf Butenandt 1963 im DFG-Senat formulierte – „die Deutschen (…) ein viel zu kleines Volk (seien), als daß sie auf allen Gebieten mit den großen Völkern dieser Erde konkurrieren könnten“.60 Dass amerikanische Forschung in der DFG-Klientel das Stigma geistiger Minderwertigkeit verlor, zeigt sich auch daran, dass im Lauf der 1950er Jahre gerade die positive Reputation eines Antragstellers unter US-Kollegen in der DFG-Begutachtung zum positiven Argument wurde.61 Dieser Abbruch einer etablierten Denktradition und die Durchsetzung einer im Wesentlichen vorbehaltlosen Akzeptanz der Leistungen des US-Wissenschaftssystems dürfte nicht zuletzt mit den Erfahrungen jener Nachwuchswissenschaftler zusammenhängen, die nach 1949 durch Aufenthalte im westlichen Ausland mitgeprägt worden waren und die ab dem Ende der 1950er Jahre in Professuren und damit auch in DFGFunktionen eintraten – das Beispiel Ralf Dahrendorfs habe ich oben erwähnt. Die neue Akzeptanz des „Westens“ von Seiten der westdeutschen Wissenschaftler korrespondierte mit der Bereitschaft der früheren Kriegsgegner, die Deutschen in die internationale Scientific Community zu integrieren: Bereits 1954 konnte die DFG Mitglied des International Council of Scientific Unions werden.62 Das Bemühen der Gutachter, Projekte in solche der angewandten und solche der Grundlagenforschung zu unterscheiden und nur Letzteren eine uneingeschränkte Förderfähigkeit seitens der DFG zu bescheinigen, bildete im Untersuchungszeitraum eine Konstante. Von den 480 gesichteten Gutachten des Jahres 1959 gingen lediglich 13 überhaupt auf außerwissenschaftliche Anwendungsaspekte der erwarteten Projektergebnisse ein. Auch in Neidhardts Sample aus den Jahren 1974 bis 1979 belegt dieses Kriterium mit einer Erwähnung in 25,2 Prozent 58 59 60 61 62
Gutachten Kühns vom 28.11.1935, in: BArch 73/15057. Schreiben Marx’ an Mentzel vom 23.10.1942, in: BArch-M, RL 3/56, fol 120–127, hier fol. 122. Niederschrift der Sitzung des Senates vom 4.3.1963, S. 6, in: BArch, B 227/162893. Vgl. zum Beispiel Hauptausschussliste 98/1958, S. 21, in: DFG-Archiv, Tr 39, fol. 01320. Vgl. auch die Vorlagen für Präsidialentscheidungen von 1967 und 1968, in: DFG-Archiv, He 241. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 476.
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der Gutachten nur den vorletzten von neun Plätzen. Die Autonomie des wissenschaftlichen Feldes gegenüber anderen Teilsystemen der Gesellschaft bildete um 1975 weiterhin eine leitende Wertidee der DFG-Gutachter. Welche konkreten Folgen die Konstanz dieser Wertidee nun aber in der Begutachtungs- und Förderpraxis der DFG hatte, lässt sich am besten am Beispiel der Technikwissenschaften ausloten, denn Gutachter aus diesen Disziplinen standen vor der schwierigen Aufgabe, zwei Elemente ihres Selbstverständnisses miteinander zu versöhnen: Einerseits besaßen sie in der Regel Berufserfahrungen in der Industrie oder zumindest Forschungserfahrungen in Projekten für diese; sie kannten den Reiz praktischer Anwendung der eigenen Ideen und sahen auch die monetären Vorteile einer Kooperation mit der Wirtschaft. Andererseits bekleidete die große Mehrheit von ihnen Hochschulordinariate und interpretierte diese Situierung außerhalb der direkten Zwänge der Industrieforschung als einen Statusvorteil gegenüber den dort angestellten Kollegen, den sie ihrer zumindest partiellen Zuordnung zur Gruppe der Grundlagenforscher verdankten. Entsprechend ambivalent argumentierten diese Gutachter. Sie verwiesen in den 1950er und 1960er Jahren immer wieder darauf, dass die erwarteten Ergebnisse eines Projektes „technisch bedeutungsvoll“ seien und „in der Industrie lebhaftes Interesse“ hervorrufen könnten.63 Gleichzeitig aber betonten dieselben Gutachter in der Regel auch die „theoretische Seite“ der Untersuchungen und ihren Anspruch, die Antragsteller müssten sich um die „theoretische Klärung“ der von ihnen experimentell erzielten Befunde bemühen.64 Sie hielten also am tradierten Selbstverständnis der von der DFG geförderten und für sie gutachtenden Ingenieure fest, im Unterschied zu den in der Industrie arbeitenden Kollegen gelte ihr primäres Interessen den Eigenschaften von Materialien; aus entsprechenden Erkenntnissen könnten sich zwar Nutzanwendungen ergeben, die Suche nach diesen lenke aber nicht den eigenen heuristischen Prozess – und daher sei man eben Grundlagenforscher. „Es sei sehr zu begrüssen“, erklärte ein Gutachter 1951 in diesem Sinne, „wenn in systematischer Grundlagenforschung das Spannungs-Dehnungsverhalten des so vielseitig verwendbaren Maschinenbaustoffes Gusseisen unter Anwendung eines modernen (…) Prüfverfahrens untersucht werde“.65 Umgekehrt hielt ein Gutachten im Jahr 1960 Grundlagenforschung zu Korrosionsvorgängen auch dann für förderungswürdig, wenn deren Nutzanwendung noch vage sei: „Eine Vermehrung des Wissens um das Verhalten von technisch wichtigen Metallen (…) wird auf die Dauer sicher praktische und wirtschaftliche Bedeutung haben.“66 Gutachter aus der Metallkunde hielten 1964 ein Projekt selbst dann für förderungswürdig, wenn es nicht die vom Antragsteller versprochenen technischen Nutzanwendungen erreiche: Schließlich sei es ohnehin „wissenschaftlich 63 64 65 66
Zit. nach den Hauptausschusslisten 29/1951, S. 11 und 61/1957, S. 6, in: DFG-Archiv Gl 3, fol. 04800 bzw. 04851. Zit. nach den Hauptausschusslisten 16/1956, S. 7 und 7/1957, S. 8, in: ebenda, fol. 04839 bzw. 04843. Zit. nach der Hauptausschussliste 29/1951, in: DFG-Archiv, Ha 66, fol. 03499. Gutachten des Metallkundlers Max Hansen vom 7.1.1960, in: DFG-Archiv, Ka 117, fol. 09296.
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so interessant, daß es genehmigt werden sollte“, und es sei doch wahrscheinlich, dass „die Ergebnisse (…) in irgend einer Richtung bedeutungsvoll werden“ könnten.67 Die Förderung durch die DFG galt geradezu als Hilfestellung für Wissenschaftler, die sich aus der einseitigen Abhängigkeit von Industrieunternehmen befreien wollten. In diesem Sinne befürworteten die Gutachter 1959 und 1961 die Förderung eines ansonsten für die Autoindustrie tätigen Institutes, damit dieses neben den „Aufträgen der Industrie (…) überhaupt wissenschaftliche Forschung“ betreiben könne und deren Ergebnisse „nicht nur einzelnen Industriewerken, sondern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich würden“.68 Die Bewertung ingenieurwissenschaftlicher Projekte als Grundlagenforschung blieb aber grundsätzlich prekär und wurde daher in der Begutachtung intensiv erörtert. „Diese Untersuchung müsse man als Grundlagenforschung ansehen, wenngleich es Anhaltspunkte gebe, dass die angeschnittenen Fragen auch praktische Bedeutung haben könnten“, urteilte im Jahr 1962 ein Gutachter über das Projekt eines Bauingenieurs zur Wärmeleitfähigkeit gefrorener Böden, während ein zweiter Gutachter zum selben Projekt drängte, der Antragsteller solle unbedingt Messwerte sammeln, die für „praktische Aufgaben“ beim Bau von Kühlhäusern geeignet seien.69 Dass der besagte Bauingenieur die gesamten 1960er Jahre hindurch von der DFG gefördert wurde, hing aber primär von seiner Klassifikation als Grundlagenforscher ab, obwohl einige Gutachter ihm dann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts genau dies vorhielten: Er forsche an „recht praxisfernen Stoffen“, denke „viel zu theoretisch“ und erziele so kaum Ergebnisse, „die für die Praxis wichtig sind“.70 Diese Kritik war bemerkenswert folgenlos für die Förderung des Kritisierten, was noch einmal den normativen Primat der Grundlagenforschung innerhalb der DFG unterstreicht. Dieser Primat führte aber keineswegs dazu, dass die Gutachter von ihnen der Zweckforschung zugerechneten Projekten stets Absagen erteilten. Im Fall des Braunschweiger Fertigungstechnikers Gotthold Pahlitzsch befürworteten die Gutachter im Jahr 1952 ein Projekt zum „Schönschleifen und Polieren von Metallen“, mit dem Argument, es diene dem „Auslandsabsatz deutscher Fabrikate“, wenn die Industrie über neue Verfahren verfüge, ihre Produkte optisch zu verbessern.71 Der Aachener Fertigungstechniker Herwart Opitz war ab den frühen 1950er Jahren in großem Umfang mit Anträgen erfolgreich (seine Förderakte weist 169 Projekte aus), in denen er meist keinen Zweifel daran ließ, dass es ihm um industriell unmittelbar verwertbare Erkenntnisse ging. In einem Antrag von 67 68 69 70 71
Gutachten von Adolf Dietzel vom 17.3.1964 und Wilhelm Hofmann vom 4.4.1964, in: DFG-Archiv, Ge 131. Zit. nach den Hauptausschusslisten 11/1959, S. 4 f. und 51/1961, S. 11, in: DFG-Archiv Hu 56, fol. 08128 bzw. 08136. Vgl. eine ähnliche Argumentation zum einem Projekt der Fischereiforschung in der Hauptausschussliste 51/1952, S. 3, in: DFG-Archiv, Di 22, fol. 09418. Zit. nach der Hauptausschussliste 121/1962, S. 28, in: DFG-Archiv, St 78, fol. 01998. Gutachten des Metallkundlers Günter Wassermann vom 3.10.1966 und Schreiben desselben an die DFG-Geschäftsstelle vom 12.12.1967, in: ebenda. Zit. nach den Hauptausschusslisten 2/1952, S. 15 f. und 25/1953, S. 12, in: DFG-Archiv Pa 9, fol. 00390 f. und 00396.
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1953 wies Opitz auf die „Unterstützung durch die Schleifmittelindustrie“ hin, in einem weiteren Antrag aus demselben Jahr betonte er, dass er das Projekt in Kooperation mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt durchführen wolle – dabei solle dieser „die Grundlagenforschung (…) vorbehalten sein“, während er sich mit „praktischen“ Fragen befassen wolle. Die Gutachter goutierten dies, indem sie in diesen Verflechtungen Belege dafür erkannten, „dass das Interesse an diesen Arbeiten besonders groß sei“.72 Opitz wie Pahlitzsch konnte es sich offenbar leisten, sich noch nicht einmal verbal als Grundlagenforscher in Szene zu setzen, weil sie innerhalb ihres Faches als Koryphäen galten, bereits seit etwa 1937 von der DFG gefördert worden waren und als Fachgutachter (Pahlitzsch 1951– 1959 und Opitz 1949–1951, 1959–1963 und 1967–1971) zum inneren Kreis der DFG zählten – und sich in der Begutachtung wechselseitig förderten. Während die beiden selbst keinen Kotau vor dem Götzen Grundlagenforschung machten, konnten einige Gutachter der Versuchung nicht widerstehen, ihrerseits Anzeichen für Grundlagenforschung in den Anträgen der beiden zu suchen und zu finden.73 Die Gutachter folgten in der Summe dem Leitbild einer finalisierten Grundlagenforschung, das heißt sie förderten Projekte, die sich den Eigenschaften von Stoffen, der Ermittlung von Kausalbeziehungen oder der Entwicklung von Messmethoden widmeten, ihre Fragestellungen aber zugleich im Rahmen eines linearen Innovationsmodells mit Blick auf praktische Implikationen entwickelten. Die Grenzen zwischen finalisierter Grundlagenforschung und technologischer Entwicklung zu ziehen, fiel den Gutachtern immer wieder schwer. Vor allem Technikwissenschaftler wie Erwin Marx, dessen elektrotechnische Forschungen die DFG in den 1950er und 1960er Jahren mit erheblichen Mitteln und vielfach förderte – Ende 1966 registrierte die Geschäftsstelle seinen 66. Antrag seit dem Jahr 1951 – betrieben komplexe Forschungsprogramme, innerhalb derer die Grenzen verschwammen. Wie könne man garantieren, so fragte sich im Februar 1966 ein besorgter Fachgutachter, dass „die Weiterarbeit an diesem Projekt wirklich im Bereich wissenschaftlicher Forschung bleibt und nicht zu einer Vorarbeit für industrielle technische Entwicklung wird“?74 Letztlich lautete die Antwort: Die DFG konnte es gar nicht garantieren, zumal bei Antragstellern wie Marx, deren fachliche Reputation Kritik fast als Sakrileg erscheinen ließ – davon zeugt die immense Vorsicht, mit der sich die Gutachter immer wieder zu den Projekten des Braunschweiger Ordinarius äußerten, ebenso wie die Tatsache, dass ihre Kritik erst nach seiner Emeritierung im Jahr 1961 einsetzte.75 Letztlich schlug eine herausragende persönliche Reputation auch noch in den späten 1960er Jahren nicht
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Zit. nach den Hauptausschusslisten 15/1953, S. 43 und 38/1953, S. 16, in: DFG-Archiv, Op 1, fol. 07545 bzw. 07539. Vgl. zu Opitz die Präsidialvorlage vom 13.11.1958, in: ebenda, fol. 07754 und zu Pahlitzsch die Hauptausschussliste 87/1960, S. 22, in: DFG-Archiv Pa 9, fol. 00591. Gutachten des Berliner Elektrotechnikers Otto Mohr vom 1.2.1966, in; DFG-Archiv, Ma 60. Vgl. das Gutachten des Stuttgarter Energietechnikers Helmut Böcker vom 11.11.1963, in: ebenda, fol. 08275. Zu Marx’ DFG-Förderung ab 1949 vgl. auch Maier, Marx, S. 54 ff.
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nur nachlassende Innovationskraft, sondern auch Abweichungen vom korrekten Weg der Grundlagenforschung. Die Analyse der für diese Untersuchung ausgewerteten Gutachten zu Anträgen aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs zeigt, dass in diesem Segment die Bewertung der jeweiligen Persönlichkeit während der 1950er und 1960er Jahre gegenüber allen anderen Kriterien den Vorrang behielt. Schon die ersten Richtlinien der neugegründeten Notgemeinschaft für ihre Fachgutachter vom 16. Dezember 1949 hatten betont, dass bei Anträgen von Nachwuchsforschern „die Persönlichkeit des Stipendiaten eine besondere Rolle“ spielen solle.76 Die Fachausschüsse betrachteten die Förderung junger habilitierter bzw. promovierter Wissenschaftler wie schon während der Weimarer Republik in erster Linie als Element jenes Kooptationsprozesses, durch den sich die Statusgruppe der Ordinarien reproduzierte, daher beurteilten sie die Eignung und die Chancen der Antragsteller auf dem Weg zur Professur, nicht Details ihrer jeweiligen Forschungsprojekte. Hierbei erwies es sich in der Praxis als gleichgültig, ob es um ein Stipendium oder eine Sachbeihilfe ging. Bedingung für die Anerkennung als förderungswürdiger Nachwuchswissenschaftler waren zunächst Leistungen, die in den Fachkreisen Anerkennung gefunden hatten, ablesbar an der Resonanz bisheriger Veröffentlichungen oder von Auftritten der Antragsteller bei Tagungen. Bei jüngeren Forschern genügte hier mitunter auch die Bestätigung des Mentors, sofern dieser selbst so viel Reputation besaß, dass ihm die Gutachter autoritative Urteile über seine Mitarbeiter zutrauten. Unter jenen, die insoweit positiv bewertet wurden, differenzierten die Gutachter im nächsten Schritt erstens danach, ob das jeweilige Forschungsthema als „wichtig“ galt – eine ebenso omnipräsente wie vage Wertung –, zweitens nach dem Arbeitsstil des Nachwuchswissenschaftlers sowie drittens anhand von Prognosen über seine künftigen Chancen, wenigstens festangestellter Dozent, möglichst aber Ordinarius zu werden. Förderungswürdig war nur, wer sich nicht allein als fleißig, sorgfältig, experimentell geschickt und ausdauernd erwiesen hatte – also „gediegene wissenschaftliche Arbeit zu leisten imstande“ war,77 sondern zugleich eine emphatische Identifizierung mit der Forschung erkennen ließ. Um diese zu beschreiben, wählten die Gutachter Charakterisierungen wie „begeisterte Arbeitsweise“, „liebevolle Versenkung“ in die Arbeit oder „seiner Wissenschaft leidenschaftlich ergebener junger Forscher“.78 Neben der Leistung und kognitiven Qualitäten bedurfte es aus Sicht der Gutachter auch eines emotionalen Zugangs zur eigenen Arbeit – und dies galt in gleicher Weise für Natur- wie Geisteswissenschaften –, um als „bereits weitgehend wissenschaftlich ausgereifte Persönlichkeit“, „originale Forscherpersönlichkeit im besten Sinne“ und damit
76 77 78
S. 3 der Richtlinien, in: BArch, Film 1789 K. Zit. nach der Hauptausschussliste 8/1957, S. 12, in: DFG-Archiv, Schn 14. Zit. nach der Hauptausschussliste 84/1958, S. 21, in: DFG-Archiv, Te 9, fol. 04517, der Hauptausschussliste 9/1950, in: DFG-Archiv, Ro 5 und der Hauptausschussliste 16/1960, S. 8, in: DFG-Archiv, La 128, fol. 01091.
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als „ausgesprochenermaßen das Holz, aus dem künftige Professoren geschnitzt würden“, zu gelten.79 Jürgen Habermas galt den Gutachtern am Beginn seiner Karriere geradezu als Verkörperung ihres Ideals. Nach seiner Promotion in Bonn und während der Assistenzzeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung bewilligte die DFG ihm ab 1955 mehrfach Stipendien. Zu Habermas’ Anträgen erhoben die Gutachter in der Sache teilweise Einwände; so hieß es 1955 in Stellungnahmen zu einem Projekt, Habermas habe das falsche Thema gewählt. Das aber hinderte die Gutachter nicht an der nachdrücklichen Befürwortung einer Förderung, denn es handele sich beim Antragsteller „um einen sehr begabten Mann“, der „unbedingt bei der Wissenschaft gehalten werden“ müsse: „Es scheine Gefahr des Abwanderns in journalistische Berufstätigkeit vorzuliegen.“80 Vier Jahre später beantragte Habermas ein weiteres Stipendium, um sein später berühmt gewordenes Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ vorzubereiten. Nun überzeugte die Gutachter auch das Thema, aber vor allem schwelgten sie in Superlativen, um den Akademiker Habermas zu beschreiben: er sei „eine der größten Begabungen in seiner Generation“. Da sich schon jetzt mehrere Universitäten darum rissen, ihn zu habilitieren, sei die Berufung auf eine Professur „in absehbarer Zeit sicher“.81 Spekulationen über die künftige Berufbarkeit eines Antragstellers spielten bei Anträgen aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs generell eine zentrale Rolle. Gefördert wurde, wem die Gutachter „die beste Prognose für seine wissenschaftliche Laufbahn“ stellten oder wen sie gar „zweifellos“ als „Aspiranten für eines der demnächst freiwerdenden (…) Ordinariate“ identifizierten.82 Kam noch die Möglichkeit hinzu, dass der Betreffende aufgrund schlechter Forschungsbedingungen ins Ausland (oder wie Habermas in ein außerwissenschaftliches Berufsfeld) abwandern könnte, stand selbst der Erfüllung in den Gutachten als unbescheiden monierter Wünsche nichts im Wege.83 Ohnehin flossen Mutmaßungen über die akademischen Markt- und Wettbewerbsbedingungen immer wieder in die Gutachten ein; so befürwortete ein Gutachter das Projekt eines Privatdozenten im Jahr 1959 mit dem Argument, in „der Metallphysik sei ohnedies kein Überschuß an Nachwuchskräften“.84 Auf den zu diesem Zeitpunkt beginnenden massiven Ausbau der Universitäten und die damit steigende Zahl an neu zu besetzenden Lehrstühlen, reagierte die DFG mit einer gezielten Vermehrung der Nachwuchsförderung, beispielsweise mit der Einführung von Habilitationsstipendien im Jahr 1961. Allerdings begegnete die Vermehrung der Lehrstühle um 1960 unter den etablierten Ordi79 80 81 82 83 84
Zit. nach der Hauptausschussliste 16/1954, S. 3, in: DFG-Archiv, Ha 147, fol. 05355 und der Hauptausschussliste 39/1952, S. 5, in: BArch, B 227/142. Zit. nach dem Auszug aus der Hauptausschussliste 1/1955, in: DFG-Archiv Ha 161. Zit. nach der Hauptausschussliste 66/1959, S. 11 f., in: ebenda, fol. 05510 f. Zit. nach der Hauptausschussliste 15/1956, S. 22, in: DFG-Archiv, Schw 15, fol. 3598 und nach dem Gutachten des Zoologen Alfred Kaestner vom 22.8.1961, in: DFG-Archiv, Schn 14, fol. 00734. Vgl. die Bemühungen der DFG um einen solchen Privatdozenten in den frühen 1960er Jahren in: DFG-Archiv, Schn. 14. Zit. nach der Hauptausschussliste 34/1959, S. 23, in: DFG-Archiv, We 252, fol. 07158.
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narien Kritik; sie fürchteten einen Status- und Ressourcenverlust, vor allem aber waren sie überzeugt, es gebe unter den von ihnen ausgebildeten Nachwuchswissenschaftlern keine Begabungsreserve zur adäquaten Besetzung der neuen Stellen. Der Historiker Gerd Tellenbach, lange Jahre Mitglied von Senat und Hauptausschuss der DFG, behauptete 1959, es fehle einfach „an Persönlichkeiten (…), die in Forschung und Lehre ein hohes Niveau erreichen“ könnten, und „Konzessionen hinsichtlich des Niveaus bei Besetzung von Professuren“ dürfe man keinesfalls machen.85 Mit „Niveau“ umschrieben Ordinarien wie Tellenbach nicht einfach ein hohes Maß wissenschaftlicher Leistung, sondern dessen aus ihrer Sicht notwendige Verbindung mit charismatischen Eigenschaften. Der Historiker Hermann Heimpel (1954 bis 1958 Vizepräsident der DFG), erinnerte sich in diesem Zusammenhang 1956 fast schwärmerisch an seine akademischen Vorbilder: „Die Lehrer, die mir den größten Eindruck gemacht haben, haben sehr wenig oder nie mit mir gesprochen (…) Sie wirkten durch ihre Darlegungen, durch ihre Persönlichkeit und gerade durch die große Masse der Zuhörer, in deren Mitte sich das Ereignis des Geistes vollzog.“86 „Das Ereignis des Geistes“ – akademische Bildung bedeutete in dieser Perspektive nicht einfach den Erwerb von Wissen, analytischen Kompetenzen und eines intellektuellen Horizonts, sondern zugleich die Teilhabe an emotionalen Bildungserlebnissen, die nur von außergewöhnlichen Persönlichkeiten bewirkt werden konnten. Ein solches Verständnis vom Habitus eines Ordinarius und damit eine massive Reserve gegen die Vermehrung der Hochschullehrerschaft, schlug sich in der DFG-Begutachtung in Versuchen nieder, im Einzelfall gegenzusteuern. So hielt ein Gutachter der Volkswirtschaftslehre im Jahr 1959 einen Assistenten nur für bedingt förderungswürdig, weil er zweifelte, ob sich dieser „zu der überlegenen pädagogischen Wirkung, die den akademischen Lehrer mache“, entwickeln könne.87 Im Falle eines Pharmakologen bezweifelten die Gutachter im selben Jahr nicht nur, dass er eine „so hervorragende Forscherpersönlichkeit“ sei, dass „man ihn zum anerkannten wissenschaftlichen Nachwuchs zählen könne“, sondern sie warnten auch, dass der gegenwärtige „Mangel an Nachwuchskräften in der Pharmakologie (…) nicht zu einer Verminderung der Anforderungen führen sollte“.88 Die in Aussicht stehende Kooptation eines Antragstellers in den Kreis der Ordinarien wiederum relativierte in den Augen der Gutachter die Relevanz sachlicher Kritik, vermutlich, weil sie fürchteten, andernfalls die von Schelsky in seiner Kontroverse mit Dahrendorf markierten Grenzen der Standessolidarität zu überschreiten. Daher erhielt ein Frankfurter Botaniker im Jahr 1960 eine Beihilfe, obwohl die Gutachter seinen Antrag für „inferior“ und „planlos“ hielten. Immerhin glaubten sie vom Hörensagen zu wissen, der Antragsteller sei bei der Besetzung eines Lehrstuhls „in der engeren Wahl“. Damit, so lautete die Schlussfolgerung, dürfe man ihn aller Defizite zum Trotz „zum wissenschaftlichen Nach85 86 87 88
Tellenbach, Hochschullehrer, S. 17. Heimpel, Probleme, S. 20. Zit. nach der Hauptausschussliste 127/1959, S. 13, in: BArch, B 227/150. Zit. nach der Hauptausschussliste 9/1959, S. 6 f., in: BArch, B 227/120.
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wuchs rechnen“ und ergo als förderungswürdig betrachten.89 Die Begutachtung von Nachwuchswissenschaftlern durch die DFG reproduzierte folglich zum einen Bewertungen der Betreffenden als Ordinarien in spe, die bereits in anderem Rahmen getroffen worden waren. Zum anderen aber bildete die Förderung eines Nachwuchswissenschaftlers durch die DFG ihrerseits eine in die jeweilige Fachöffentlichkeit ausstrahlende Kooptationsentscheidung. Ein Habilitand oder Privatdozent, der von DFG-Gutachtern positiv beurteilt wurde, trat, so beschrieb es Kurt Zierold 1967, „aus der Enge des reinen Lehrer-Schülerverhältnisses heraus“. Diese größere Publizität sei „begabten Stipendiaten zuweilen bei ihrem Fortkommen sehr dienlich gewesen“.90 Die DFG-Gutachter ihrerseits versuchten, über die Vergabe von Fördermitteln Einfluss auf die Personalpolitik der Hochschulen zu nehmen, indem sie zum Beispiel im Fall einer Münchner Botanikerin die Vergabe von Projektmitteln an Zusagen der Universität knüpften, die geförderte Wissenschaftlerin in eine dauerhafte Anstellung zu übernehmen. Der Erfolg solcher Interventionen war freilich relativ; die Münchner Botanikerin etwa erhielt zwar im Jahr 1973 eine Professur – allerdings erst 13 Jahre nach ihrer Habilitation und dem Start einer langen Abfolge von jeweils auf ein Jahr befristeter Förderungen durch die DFG.91 Die „Selbständigkeit“ eines Nachwuchswissenschaftlers von seinem akademischen Lehrer gehörte zu den von Gutachtern regelmäßig eingeforderten Eigenschaften; wer sie gänzlich vermissen ließ, etwa die Thesen seines Mentors „in schülerhafter Weise sklavisch“ wiederkäute, zog Kritik auf sich (im hier zitierten Fall allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als der Mentor verstorben war).92 Nachwuchswissenschaftler, so formulierten es 1951 Gutachter aus der Geographie, sollten zwar in der „Schule“ eines etablierten Ordinarius heranreifen, dann aber „eine eigene Forscherpersönlichkeit“ entwickeln und von ihrem Mentor nicht auf eine „untergeordnet auszuführende Tätigkeit“ reduziert werden.93 Die Wertschätzung einer so definierten Eigenständigkeit des Nachwuchses durch die Gutachter nahm im Verlauf der 1950er und 1960er Jahre zu. Wurde den Mentoren zunächst noch regelmäßig die „Beaufsichtigung“ ihrer Assistenten ans Herz gelegt, so forderten die Gutachter in den 1960er Jahren immer seltener eine solche Einhegung der von zu früher Selbständigkeit des Nachwuchses vermeintlich ausgehenden Risiken.94 Trotzdem blieb im Begutachtungsverfahren das Verhältnis von Nachwuchswissenschaftlern zu ihren Chefs und Mentoren von ausschlaggebender Bedeutung. Die Gutachter reproduzierten regelmäßig die Statushierarchie ihrer Fächer, indem sie die Reputation von Nachwuchsforschern von jener ihrer Mentoren ableiteten, und verstärkten zugleich die an der Ordinarienuniversität institutionalisierten Abhängigkeitsverhältnisse. Die allgemeine Praxis der DFG-Referenten, 89 90 91 92 93 94
Zit. nach der Hauptausschussliste 70/1960, S. 16 f., in: DFG-Archiv, Ri 90, fol. 03174 f. Zierold, Forschungsförderung, S. 384. Vgl. DFG-Archiv, Kr 186. Hauptausschussliste 6/1956, S. 6, in: DFG-Archiv, Ma 48, fol. 02095. Zit. nach der Hauptausschussliste 55/1951, S. 31 f., in: DFG-Archiv, Ja 25, fol. 01142 f. Zit. nach der Hauptausschussliste 74/1952, S. 23, in: DFG-Archiv, He 84, fol.08957.
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Fachausschüsse und einzelner Gutachter, zu Anträgen von Nachwuchswissenschaftlern Stellungnahmen ihrer akademischen Betreuer einzuholen, ja diese sogar förmlich als Sondergutachter zu bestellen, verstärkte doch eher Abhängigkeiten, als sie kritisch zu reflektieren.95 Als etwa ein Assistent 1957 eine Sachbeihilfe beantragte, ließ sich der Fachausschussvorsitzende vom Chef des Antragstellers bestätigen, dass dieser „eine der verheißungsvollsten Nachwuchskräfte“ auf seinem Feld sei und befürwortete „nach den anerkennenden Worten“ des Mentors den Antrag.96 Selbst äußerst negative Urteile über Anträge verloren in den Augen der sie abgebenden Gutachter an Gewicht, wenn sich die Mentoren entschieden für Nachwuchskräfte einsetzten; „Anfängerförderungen“ seien eben immer „ein Risiko“ hieß es dann.97 Junge Forscher, die nicht den Rückhalt ihrer Mentoren besaßen oder gar mit diesen in Konflikt gerieten, galten den Gutachtern hingegen als Problemfälle, weil es ungewiss wurde, ob der Betreffende „unter den obwaltenden Umständen große Aussichten“ habe, „an eine Hochschule berufen zu werden“.98 Dass die DFG bei Einführung der Habilitationsstipendien im Jahr 1961 auf die Begutachtung durch die Fachgutachter verzichtete und sich stattdessen damit begnügte, dass zwei „Fachgelehrte die Qualifikation des Bewerbers bezeugten und einer von ihnen sich bereit erklärte, den Bewerber zur Habilitation vorzuschlagen“, kann wohl ebenfalls kaum als Initiative zur Auflösung persönlicher Abhängigkeiten interpretiert werden.99 Am Beginn der 1960er Jahre waren die DFG-Gutachter hin- und hergerissen zwischen zwei unterschiedlichen Impulsen. Zum einen nutzten sie die Begutachtung immer wieder, um sich ihren Ärger über die Massenuniversität von der Seele zu schreiben (die Zahl der Studierenden verdoppelte sich zwischen 1950 bis 1961 auf 265.000), die nicht nur die Ordinarien (also sie selbst), sondern auch die Assistenten und Privatdozenten durch eine Überbürdung mit Lehraufgaben an der Forschung hindere.100 Dies legte die großzügige Bewilligung von Stipendien an die Nachwuchskräfte nahe, um sie wenigstens zeitweise aus der Gefangenschaft studentischer Massen zu befreien.101 Zum anderen aber reagierten Gutachter regelmäßig pikiert, wenn Nachwuchsforscher von sich aus in ihren Anträgen signalisierten, sich aus den Zwängen der Massenuniversität lösen zu wollen, weil sie darin zugleich den Versuch erkannten, sich aus der akademischen Hierarchie zu befreien. Als ein Antragsteller im Jahr 1960 einen Stipendienantrag damit begründete, dass er „die prekären Abhängigkeiten eines Assistentenstatus vermeiden“ wolle, nahmen die Gutachter dies zum Anlass, sich über ihre eigene 95
Vgl. etwa den Auszug aus dem Gutachten des Physikers Walther Gerlach von 1956, in: DFGArchiv, Bu 45, fol. 001015. Ein in der Sache ratloser Gutachter bat 1965 den Institutschef des Antragstellers um Auskunft, vgl. die Stellungnahme des Physikers Friedrich Hund sowie Hauptausschussliste 65/1965, S. 29 f., in: DFG-Archiv, Stu 29. 96 Zit. nach der Hauptausschussliste 127/1959, S. 13, in: BArch, B 227/150. 97 Zit. nach der Hauptausschussliste 9/1959, S. 6 f., in: BArch, B 227/120. 98 Gutachten Hubert Rüschs vom 6.12.1966, in: DFG-Archiv, Sta 78. 99 Zierold, Forschungsförderung, S. 387. 100 Vgl. die Tabelle in: Empfehlungen 1967, S. 283. 101 Vgl. zum Beispiel das Gutachten des Zoologen Alfred Kaestner vom 6.11.1961, in: DFGArchiv, Te 9, fol. 13180.
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Unfreiheit als mit Arbeit überlastete Ordinarien zu beklagen und vermuteten, der Antragsteller wolle sich lediglich Vorteile „gegenüber konkurrierenden Altersgenossen“ verschaffen.102 Gutachter aus den Labordisziplinen reagierten ungehalten, wenn sie bei Nachwuchswissenschaftlern eine mangelnde Bereitschaft erkannten, jene experimentelle Ochsentour zu absolvieren, an die sich die gutachtenden Ordinarien im Rückblick romantisierend erinnerten. So heißt es 1955 in einem Gutachten: „Jeder Gelehrte habe in seinen Lehr- und Wanderjahren weitgehend mechanische oder Laborantenarbeit machen müssen, die sich zu Jahren summieren ließe. In all diesen Fällen werde man sagen können, daß eine Entlastung sehr zweckmäßig gewesen wäre. Andererseits stelle diese mechanische Arbeit eine Entspannung dar, die nicht unbedingt der wissenschaftlichen Leistung schade. Er sei daher der Meinung, daß man der Antragstellerin zunächst die Weiterarbeit ohne Laborantin zumuten dürfe.“103 In der Sache war es sicher berechtigt, das Einüben des experimentellen Handwerks als notwendigen Bestandteil wissenschaftlicher Ausbildung zu betrachten. Aber hierauf beschränkten sich Gutachten wie das zitierte eben nicht. Vielmehr ging es in ihnen darum, dass promovierte Nachwuchswissenschaftler durch die Übernahme von intellektuell nicht anspruchsvollen und zeitraubenden Routinearbeiten signalisieren sollten, dass sie sich in die Hierarchie eines Institutes einzuordnen bereit waren – und zwar auf einer der unteren Stufen. Der Befund ist also widersprüchlich: Einerseits gehörte „Selbständigkeit“ zu den positiven Signalwörtern in DFG-Gutachten über Nachwuchswissenschaftler, andererseits zielten die Verhaltenserwartungen der Gutachter auf den Erhalt bestehender Hierarchien. Für die sehr langsam wachsende Zahl weiblicher Nachwuchskräfte (noch 1976 zählte das Institut für Demoskopie auf Basis einer Umfrage unter 5.000 wissenschaftlichen Hochschulbeschäftigten weniger als fünf Prozent Frauen in der Professorenschaft und neun Prozent im promovierten Mittelbau) galten im Wesentlichen die gleichen fachlichen und persönlichen Kriterien wie für ihre männlichen Kollegen, und in den Förderakten finden sich in großer Zahl Fälle, in denen promovierte Frauen als förderungswürdig klassifiziert wurden, weil sie „originell und selbständig“ arbeiten oder „gedanklich weitgehend eigene Wege“ gehen würden.104 Hierin unterscheiden sich die Bewertungen der DFG-Gutachter von jenen eines 1954/55 von dem Sozialpsychologen Hans Anger befragten Samples von 138 Hochschullehrern, die sich Forschungserfolge von Frauen nicht durch Begabung, sondern nur durch einen besonderen, fehlende geistige Eigenschaften kompensierenden Fleiß erklärten.105
102 Zit. nach der Hauptausschussliste 45/1960, S. 9, in: DFG-Archiv, Ha 161, fol. 05516. 103 Zit. nach der Hauptausschussliste 11/1955, S. 16, in: DFG-Archiv, Va 9, fol. 00249. 104 Gutachten des Zoologen Hansjochem Autrum vom 22.5.1958, in: DFG-Archiv, Bu 44, fol. 000980 und Gutachten des Physiologen Hans Netter vom 19.11.1960, in: DFG-Archiv, Bo 72, fol. 003558. Vgl. zu den Zahlen Institut, Untersuchung, S. 175. 105 Vgl. Hagemann, Gleichberechtigt, S. 116 f. und Anger, Probleme; die Zitate aus den Interviews lassen kein denkbares Stereotyp aus.
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Ein Teil der DFG-Gutachter maß jedoch bei Antragstellerinnen einem konformen Sozialverhalten einen wesentlichen höheren Stellenwert für die Beurteilung zu, als sie dies bei Männern taten. Die Dissertation einer Biologin fand der Zoologe Hermann Weber 1952 zwar „ganz hübsch“, bemängelte dann aber vom Hörensagen einen Mangel an „Takt“.106 Einer anderen Biologin verübelten die Gutachter 1953, dass sie dem Rat eines der ihren nicht gefolgt war, Lehrerin statt Forscherin zu werden. In ihrem Institut habe ihr zudem „der uneigennützige Einfügungswille in eine Arbeitsgemeinschaft gefehlt“, was „nicht für ihre charakterliche Eignung als wünschenswerte Nachwuchskraft“ spreche.107 Wollten Gutachter die Förderung einer jungen Forscherin blockieren, so griffen sie auch am Ende der 1950er Jahre noch auf Charakterisierungen wie „persönlich problematisch“, „taktloses Verhalten“ oder „keine Sympathien erworben“ zurück, die sich in Gutachten über männliche Nachwuchskräfte nicht finden.108 Der Genetiker Hans Nachtsheim kritisierte in einem 1959 erstatteten Gutachten eine frühere Doktorandin, weil sie seine Forderung abgelehnt hatte, sie möge unbezahlt arbeiten (er sprach von seinem „Rat, die wissenschaftliche Tätigkeit mit etwas mehr Idealismus zu betreiben“). Vor allem ärgerte ihn, dass sie bei der DFG Anträge stelle, obwohl ihr Mann doch selbst Lehrstuhlinhaber sei und sie versorgen könne: „Er (Nachtsheim, P. W.) habe wohl seinen guten Grund gehabt, wenn er in einem früheren Gutachten der Hoffnung Ausdruck gegeben habe, daß die Antragstellerin über der wissenschaftlichen Arbeit ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter nicht vergessen möge.“109 Was bei Männern gerade als Argument für ihre Qualifikation zum Ordinarius (und damit zum DFG-Beihilfeempfänger) zählte – die rückhaltlose Versenkung in die Forschung – galt Nachtsheim bei Frauen als Charakterdefizit. Indem Gutachter von Nachwuchswissenschaftlerinnen verlangten, wie Männer zu forschen, sich aber zugleich als Frauen gemäß patriarchaler Rollenbilder zu verhalten, formulierten sie nicht einlösbare, weil einander widersprechende Erwartungen. Sobald Nachwuchswissenschaftlerinnen zu Professorinnen geworden waren, wurden die Erwartungen an sie auf das Professionelle beschränkt, Erörterungen ihres Sozialverhaltens finden sich dann nicht mehr in ihren Förderakten, ihr Geschlecht wurde insgesamt nun nicht mehr thematisiert.110 Der idealtypische Ordinarius war eben männlich, die auf Lehrstühle Berufenen wurden folglich unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht sozial als Männer betrachtet. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich im Lauf der 1950er und 1960er Jahre die Kriterien, nach denen DFG-Gutachter Forschung taxierten, evolutionär wandelten: von einer primären Orientierung an der Reputation der Antragsteller unter ihren Fachkollegen hin zur Bewertung ihrer Innovationsversprechen, ihrer methodischen Fertigkeiten und der theoretischen Fundierung ih106 Gutachten des Zoologen Hermann Weber vom 11.12.1952, in: DFG-Archiv, Bu 44, fol. 000929. 107 Zit. nach der Hauptausschussliste 89/1953, S. 14, in: BArch, B 227/140. 108 Beispiele aus der Hauptausschussliste 32/1959, in: BArch, B 227/115. 109 Zit. nach der Hauptausschussliste 2/1959, S. 13, in: BArch, B 227/120. 110 Vgl. zum Beispiel die 1950 angelegte Akte einer Chemikerin, in: DFG-Archiv, Hu 10.
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rer Projekte. Erhalten blieb dabei die normative Leitidee, von der DFG als seriös akkreditierte Forschung müsse primär auf wissenschaftsimmanente Fortschrittseffekte (in der Regel operationalisiert als an Fachkollegen adressierte Publikationen) zielen, auch wenn sie als „finalisierte Grundlagenforschung“ ihre Fragen mit Blick auf spätere (und als sekundär auszuweisende) Anwendungsoptionen formulieren dürfe. Forscher und ihre Vorhaben wurden zunehmend daran gemessen, welchen Beitrag sie zur internationalen Anschluss- und Konkurrenzfähigkeit der westdeutschen Forschung leisteten, wobei die seit den 1920er Jahren etablierte Vorstellung einer in ihrer vermeintlich spezifischen Tiefsinnigkeit gegründeten Überlegenheit deutscher Forscher gegenüber ihren ausländischen Kollegen einer weitgehenden Akzeptanz des von der amerikanischen Forschung aufgespannten Koordinatensystems wich. Der Wandel der Begutachtungskriterien spiegelte nicht einfach eine Entwicklung innerhalb der Wissenschaft, sondern die DFG-Gutachter handelten genau diese Entwicklung in ihrer Praxis mit aus, denn der Peer Review der DFG stellte eine der zentralen Arenen dar, in denen die westdeutschen Wissenschaftler über die Gültigkeit von Bewertungskriterien und über Statuszuweisungen verhandelten. Bezeichnenderweise wich dabei die Bewertung von Forschern am Beginn und am Ende ihrer Karrieren vom oben skizzierten Muster ab: Anträge von Nachwuchswissenschaftlern wurden auch noch am Ende der 1960er Jahre gemäß des Kriteriums „Reputation“ entschieden, denn in diesen Fällen verhandelten die Gutachter (häufig unter Einbeziehung der jeweiligen Mentoren) darüber, ob die Betreffenden als Personen künftig in eine Professorenschaft kooptiert werden sollten, die sich weiterhin nicht nur als Leistungs-, sondern auch als Wertelite verstand. Der Emeritierung zustrebende Koryphäen dagegen schützte weiterhin ihre einmal erworbene Reputation vor allzu scharfer Gutachterkritik, und sei es nur, dass man ihnen den Abschluss eines Lebenswerkes vergönnte, auch wenn dieses der nachrückenden Kohorte bereits als veraltet galt. In der Summe reproduzierte das Begutachtungsverfahren der DFG damit trotz einer partiellen Modernisierung die Hierarchien der Ordinarienuniversität und deren Strukturen „persönlicher Abhängigkeit face to face“ (Jürgen Habermas 1969).111 Zugleich aber, so hat der Soziologe Niklas Luhmann im Jahr 1970 argumentiert, fungierte das von ihm für das Wissenschaftssystem generell konstatierte Festhalten am Wahrheits- und Bewertungskriterium „Reputation“ als Schutz gegen die Versuche anderer gesellschaftlicher Teilsysteme, der Wissenschaft ihre (politischen oder wirtschaftlichen) Interessen als Kriterien aufzuzwingen. Folgt man Luhmanns Argumentation, so drohte eine Relativierung des Kriteriums Reputation die Fähigkeit des Wissenschaftssystems zur „Selbststeuerung“ zu beeinträchtigen und öffnete Einfallstore für außerwissenschaftliche Interessen. Dagegen erklärte Luhmanns Kollege Peter Weingart ebenfalls 1970 gerade die „Verselbständigung des Reputationskriteriums“ zu einem „zentralen Funktionsproblem des Wissenschaftssystems“ und forderte neue Wege zu dessen demokratischer Kon-
111 Habermas, Protestbewegung, S. 131 f.
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trolle.112 Die Debatten über das richtige Verhältnis zwischen (partieller) Autonomie der Wissenschaft und ihrer Verpflichtung auf vom demokratischen Gemeinwesen definierte Zwecke wurden zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Wissenschaft selbst streitig geführt und waren untrennbar mit den Debatten über eine Demokratisierung der wissenschaftlichen Institutionen (von den Hochschulen bis zur DFG) verbunden. Hierauf wird zurückzukommen sein. Innerhalb der DFG wurde der Peer Review seit den frühen 1950er Jahren von Kritik begleitet. Der Historiker Gerd Tellenbach etwa kritisierte im Juli 1952 in einem Schreiben an die Geschäftsstelle, er habe als Hauptausschussmitglied feststellen müssen, dass Gutachten immer wieder „so hingewischt“ seien, dass man keine sachlichen Begründungen für die Voten nachvollziehen könne: „Dann sollte man sich darauf beschränken, nur ja oder nein – ohne Begründung – zu sagen.“113 Ein Gutachter aus der Physik gab 1962 zu Protokoll, „etwas ungehalten“ zu sein „über die billige Art“, mit der einige Kollegen ihre Gutachten schrieben, das heißt ohne Studium der Antragsunterlagen.114 Die Geschäftsstelle selbst machte sich Sorgen über die „Schulmeisterei“ mancher Gutachter, von der sich Antragsteller „verletzt fühlten“.115 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde die Kritik an den Fachgutachtern in den übergeordneten Gremien wie von Seiten der Antragsteller häufiger und schärfer. Nachwuchswissenschaftler kritisierten das weitgehende Monopol der Ordinarien in den Fachausschüssen; Präsidium und Hauptausschuss erörterten ab 1966 mehrfach kritisch, dass die Gutachter nur den jeweiligen Einzelfall berücksichtigten, aber nicht (so DFG-Präsident Julius Speer) ihre „Gesamtverantwortung für die Wissenschaft“ wahrnähmen.116 Die Gutachten seien zu wohlwollend und zugleich in ihren Kriterien schwankend. Speer versuchte zunächst, die Gutachter durch Rundbriefe zu rigideren Kriterien anzuhalten, dann veranstaltete er zum gleichen Zweck Treffen mit den Fachausschussvorsitzenden. Gutachter verteidigten sich, indem sie auf ihre Überlastung durch hohe Antragszahlen verwiesen. Ein Mediziner klagte im September 1967, er habe in acht Jahren als Fachgutachter insgesamt 600 Gutachten verfassen müssen.117 Die Geschäftsstelle arbeitete derweil an einer großen Lösung: Im Juni 1968 legte die Referentin Ursula Hollender eine Ausarbeitung zur „Systematisierung der Gutachten“ vor, deren Kern eine „Liste von Kriterien“ bildete, „bei deren Erfüllung ein Antrag generell bewilligt“ werden sollte.118 Zwei Jahre später präsentierte der Genetiker Carsten Bresch, Leiter des DFG-Zentrallabors für Mutagenitätsprüfung und Ordinarius in Freiburg, einem von der DFG veranstalteten Kolloquium zur Forschungsplanung einen Vorschlag zur Reform der Projektbe112 Luhmann, Selbststeuerung, S. 237 f. und Weingart, Selbststeuerung; vgl. hierzu Neidhardt, Selbststeuerung, S. 104 f. 113 Schreiben Tellenbachs an die Geschäftsstelle vom 31.7.1952, in: DFG-Archiv, Bo 59, fol. 002779 f. 114 Stellungnahme von Hans Kopfermann vom 19.2.1962, in: DFG-Archiv. Mo 59, fol. 00363. 115 Vermerk des Referenten Waldemar Heitz vom 28.5.1957, in: BArch, Film 1790 K. 116 Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 7.10.1966, in: BArch, Film 1831 K. 117 Brief vom 18.9.1967, in: ebenda. 118 Ausarbeitung Hollenders vom 24.6.1968, in: ebenda.
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gutachtung: Mithilfe von Vektorgleichungen könne man die Bewertung von Anträgen in Rechenoperationen verwandeln und objektivieren. Allerdings räumte Bresch ein, sein Vorschlag könne „als naiver, technokratischer Versuch erscheinen, komplexeste Überlegungen in eine formalistische Zwangsjacke zu pressen“.119 Wenige Wochen später erteilte DFG-Präsident Julius Speer mit explizitem Verweis auf das erwähnte Kolloquium jeder „Quantifizierung“ von Förderentscheidungen eine Absage, sie müssten weiterhin „durch den Sachverstand, die Vernunft und den gesunden Menschenverstand einer Gruppe von dafür gewählten Persönlichkeiten“ getroffen werden; deren „subjektives Werturteil“ sei jeder abstrahierenden „Systemanalyse“ überlegen.120 Das Unbehagen am Peer Review nahm am Ende der 1960er massiv zu, dennoch blieb er erhalten – weil er den Kern der sozialen Praxis innerhalb der Organisation DFG bildete: nämlich die Aushandlung der Regeln als seriös anzuerkennender Forschung und die Zuweisung von Positionen innerhalb des wissenschaftlichen Feldes nicht qua scheinobjektivem Rechenverfahren, sondern durch Menschen, welche die Klientel der Organisation als ideale Repräsentanten des Feldes betrachteten und die ihrerseits ihre Voten nicht nur auf Sach- sondern auch auf Werturteile gründeten. Aber mussten sich die Repräsentanten seriöser Wissenschaftlichkeit zwingend aus der Gruppe der Ordinarien rekrutieren? Und entsprach die Beschränkung der bei den Fachausschusswahlen stimmberechtigten Klientel auf eine (im Kern durch Habilitation definierte) Teilgruppe der in der Forschung Tätigen noch den Realitäten der quantitativ expandierenden Hochschulforschung? Diese auf die Regeln der Teilhabe gerichteten Fragen standen um 1970 im Zentrum der Debatten um eine Reform der DFG, nicht die grundsätzliche Berechtigung des Peer Review. DIE DFG IN DER REFORMÄRA UM 1970 I: PLURALISIERUNG In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre geriet die Ordinarienuniversität unter massiven Reformdruck. Die Studentenbewegung attackierte lautstark den Autoritarismus der bestehenden, alle Entscheidungsrechte bei den Ordinarien monopolisierenden Universitätsverfassungen. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund als organisatorischer Kern der Bewegung forderte schon seit 1961 die Demokratisierung der Hochschulen: An die Stelle einer „Oligarchie der Ordinarien“ sollten Hochschulgremien treten, die zu je einem Drittel von habilitierten bzw. nicht habilitierten Angehörigen des wissenschaftlichen Personals sowie von Studenten zu wählen seien.121 Im April 1968 leitete die Kultusministerkonferenz eine Welle von Reformen der Landeshochschulgesetze ein, indem sie Leitlinien für diese 119 Bresch, Prioritätensetzung, S. 70; wortidentisch mit S. 13 von Breschs Manuskript zum DFG-Kolloquium am 17./18. November 1970 in Bonn, in: BArch. B 227/171350. 120 Julius Speer, Standort, S. 24. 121 So die Reformdenkschrift des SDS von 1961, zit. nach Wehrs, Protest, S. 52; vgl. zum Folgenden ebenda, S. 45–67 und 347–370, sowie Münkel, Bund.
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formulierte: Die unmittelbare Verfügungsgewalt der Lehrstuhlinhaber über Personalmittel (und damit über die mit diesen entlohnten Menschen) sollte auf neu zu konstituierende Fachbereiche übertragen werden und das Rektorenamt nicht mehr im Jahresrhythmus unter den Ordinarien rotieren, sondern auf jeweils mehrere Jahre besetzt, der Rektor vom primus inter pares zum Dienstvorgesetzten seiner Kollegen und zum Hochschulmanager werden.122 Die in den folgenden Jahren novellierten Hochschulgesetze der Länder unterschieden sich zwar in der Frage, wie weit und auf welche Weise die Partizipationsrechte ausgedehnt werden sollten. In der Regel aber wahrten sie die Professorenmehrheiten in den Gremien (die das Bundesverfassungsgericht dann mit seinem Urteil vom 29. Mai 1973 festschrieb), setzten aber den Grundgedanken einer Gruppenuniversität um und beseitigten das Machtmonopol der Lehrstuhlinhaber. Zugleich stärkten sie das Rektorenamt und eröffneten den Weg zur in der Gegenwart weitgehend verwirklichten Herrschaft von Managern, die Hochschulen als Unternehmen, nicht als Bildungsinstitutionen betrachten. Zum Kollateralschaden einer (halben) Demokratisierung der Universitäten sollte ihre Ökonomisierung werden, der Entmachtung der Ordinarien folgte eine Ermächtigung der Verwaltungsapparate. Doch diese Entwicklung lag um 1970 noch in weiter Ferne. Der in den Jahren der Debatte um 1970 amtierende DFG-Präsident Julius Speer positionierte sich im Lager der Reformgegner. Er warnte vor einer „Forschungsmisere“ als Folge eines die Hochschulen plagenden, an „idealen Wunschbildern“ orientierten, „verkrampften Reformfetischismus“ und behauptete „jede (…) gruppenparitätisch fixierte Mitbestimmung“ werde durch Interventionen „von nicht kompetenten Gremien“ eine zielklare Forschungspolitik unmöglich machen.123 Im Juni 1972 glaubte Speer schließlich feststellen zu müssen, dass „die Forschung in einem Teil der Universitäten durch deren innere Unruhe und Radikalisierung (…) pervertiert worden ist und zum Teil ganz aufgehört“ habe.124 Für seine eigene Organisation beharrte er auf „der vorrangigen Respektierung des speziellen wissenschaftlichen Sachverstandes“ (den er implizit ausschließlich unter Habilitierten verortete) und warnte, im Zuge einer Demokratisierung der Hochschulen könne die DFG „durch politisch indoktrinierte (…) Gruppen behindert“ werden.125 Vor allem aber bestritt Speer öffentlich jeden Reformbedarf innerhalb der DFG. Er wiederholte stetig die Behauptung, deren Fachgutachter würden ja längst von „der Gesamtheit aller Forscher“ gewählt – was richtig war, sofern man „Forscher“ und „Habilitierte“ als Synonyme begriff – und damit seien alle Entscheidungen der DFG nach „den der Forschung adäquaten demokratischen Spielregeln“ legitimiert.126 Widerspruch erfuhr der DFG-Präsident von Seiten der im März 1968 als Interessenvertretung des akademischen Mittelbaus gegründeten „Bundesassistenten-
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Vgl. den Bundesbericht Forschung III, S. 11 f. Speer, Ansprache 1973, S. 18, derselbe, Situation 1970, S. 15 f. und derselbe, Standort, S. 28. Derselbe, Geldmittel, S. 20. Speer, Bericht 1969, S. 15 und derselbe, Standort, S. 26. DFG im Wandel, S. 14.
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konferenz“ (BAK).127 Hochschulpolitisch trat diese für Partizipationsrechte ihrer Gruppe im Rahmen einer Gruppenuniversität ein. Bezogen auf die DFG forderte die BAK ein aktives wie passives Wahlrecht der promovierten Mittelbauangehörigen bei der Wahl der Fachausschüsse und damit für diese die Chance, über die Vergabe der Fördermittel als Fachgutachter mitzuentscheiden. „Alle Diskussionen über Mitbestimmung sind fruchtlos an der DFG vorübergegangen“, teilte die BAK anlässlich des 50jährigen Jubiläums der DFG-Gründung im Oktober 1970 per Presseerklärung mit und fuhr fort: „Je mehr sich die Ordinarien in den Hochschulen der Mitsprache anderer Gruppen nicht mehr entziehen können, desto mehr drohen sie die DFG als letztes Reservat zu mißbrauchen.“128 Identifizierte man die öffentlichen Stellungnahmen ihres streitbaren Präsidenten mit der Position der DFG, so schien sie eindeutig im Lager der Reformgegner zu stehen. Dass ihr Hauptausschuss schließlich im Dezember 1970 die Ordnung für die Fachausschusswahlen änderte und damit einer Mehrheit der promovierten Mitarbeiter ihrer Mitgliedsinstitutionen das aktive (jedoch nicht das passive) Wahlrecht verlieh, wäre somit als von außen erzwungene Anpassung an die zeitgenössische Reformpolitik zu interpretieren. Drei Indizien allerdings sprechen gegen diese allzu simple Deutung. Erstens fanden sich auch unter den Honoratioren der DFG Ordinarien, die eine Hochschulreform für unumgänglich hielten, weil sie nüchtern erkannten, dass die persönliche Allmacht eines Lehrstuhlinhabers in einem von ihm monopolisierten Teilgebiet unter den Bedingungen moderner Großforschung und im Rahmen der Massenuniversität zur Fiktion geworden war. So kritisierte der ehemalige DFG-Vizepräsident Walther Gerlach im Jahr 1962, dass „unser konservatives Festhalten an Instituts- und Hochschul-Organisationsformen, welche (…) für die (…) veränderten Verhältnisse einfach nicht mehr passen“, die Kreativität jüngerer Wissenschaftler „verkümmern“ lasse.129 Im selben Jahr forderte der amtierende DFG-Vizepräsident Wilhelm Walcher, wie Gerlach Physiker (und Ordinarius in Marburg), das „gleichberechtigte Zusammenwirken“ aller Habilitierten in den Strukturen der Hochschulen.130 Der Soziologe und langjährige DFG-Senator Helmut Schelsky analysierte im Jahr 1969, der klassische, auf seine „produktive Individualität“ so stolze deutsche Universitätsprofessor, sei per se unfähig „zur Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten“: „Die vielberedete ‚Autorität’ der Ordinarien in den Selbstverwaltungsgremien der Universität (…) stellt also keineswegs (…) die organisierte Herrschaftsposition einer ihrer kollektiven Interessen bewußten Machtgruppe dar, sondern beruht auf der Naivität, mit der prinzipielle Individualitäten, die verwaltungsfremd sind, guten Gewissens und dilettantisch Verwaltung, Organisation und Politik 127 Vgl. Rohstock, Ordinarienuniversität, S. 248 ff., Wehrs, Protest, S. 56 f. und Bartz, Wissenschaftsrat, S. 108 f. 128 Presseerklärung des BAK-Vorstandes vom 26.10.1970, in: BArch, B 227/543. 129 Gerlach, Bilanz, S. 368. Zur Kritik an der Ordinarienuniversität aus den Reihen der Professorenschaft vgl. Rohstock, Ordinarienuniversität, S. 63–68; zur Befürwortung weitgehender Reformen durch den früheren DFG-Präsidenten Gerhard Hess im Jahr 1965 vgl. ebenda, S. 139. 130 Walcher, Struktur, S. 48.
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ausüben.“131 Neben konservativen Realisten wie Schelsky waren auch viele der jüngeren, in den 1960er Jahren auf Lehrstühle gelangenden Professoren gegenüber Reformen zumindest offen, teilweise auch ihre aktiven Befürworter. Die innere Homogenität der Ordinarienschaft schwand sowohl durch den Generationswechsel wie auch durch den gleichzeitigen Ausbau der Hochschulen. In dessen Zuge vermehrte sich die Zahl der Lehrstühle an den wissenschaftlichen Hochschulen von 3.106 im Jahr 1960 bis auf 5.496 im Jahr 1970.132 Zweitens werteten auch die Spitzengremien der DFG die Fachausschusswahlen von 1967, bei denen ein Großteil der Wähler nicht den Wahlvorschlägen der Fachverbände, sprich: des disziplinären Establishments gefolgt war, als Anzeichen eines Generationswechsels innerhalb der DFG-Klientel, der zu – in den internen Debatten allerdings zunächst vage bleibenden – Reformen führen müsse.133 Drittens diskutierten dieselben Spitzengremien bereits seit 1963, inwieweit die von ihnen diagnostizierten Rückstände der westdeutschen Forschung ihre Ursache (auch) in dysfunktionalen Hierarchien an den Hochschulen haben könnten. Insofern hatte bereits zu diesem Zeitpunkt eine interne Reformdebatte begonnen, die allerdings nicht unter dem Signum einer Demokratisierung, sondern unter dem Menetekel internationaler Deklassierung gestanden hatte. Ihren Hintergrund bildete die stetige Abwanderung jüngerer Forscher in die USA; nach einer Erhebung der Bundesregierung wechselten zwischen 1956 und 1964 fast 3.200 Naturwissenschaftler und Ingenieure aus der Bundesrepublik an amerikanische Forschungseinrichtungen. Setzte man diesen Wert in Bezug zur Gesamtzahl der im Jahr 1964 in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen des Staates, der Wirtschaft und freier Träger Westdeutschlands arbeitenden Wissenschaftler – nämlich knapp 52.000 –, so konnte er als beunruhigender Indikator für die Zukunft des nationalen Innovationssystems gedeutet werden – und wurde auch allgemein so interpretiert.134 Konkreter Auslöser der Debatte war ein Aufsatz des Physikers Frederick Seitz, des Präsidenten der amerikanischen National Academy of Sciences, in der Zeitschrift Physics Today vom Juli 1962 gewesen. In diesem Text, dessen Argumente Seitz kurz darauf bei einem Vortrag in München für das deutsche Publikum wiederholte, hatte er den westdeutschen Kollegen bescheinigt, sie hätten nach 1945 den Fehler begangen, „die Uhr auf die beste Zeit“ zurückzudrehen, „die sie gekannt hatten, nämlich die Zeit vor dem 1. Weltkrieg“.135 Die Organisation der westdeutschen Hochschulen in von Lehrstuhlinhabern autoritär geleitete Institute verhindere jene Forschung im Team, durch welche die in 131 Schelsky, Abschied, S. 44 f. Noch viel schärfer als Schelsky (und mit Spitzen gegen diesen) wetterte der Politologe Wilhelm Hennis, zwischen 1963 und 1967 DFG-Fachgutachter, gegen die traditionellen Universitätsideale seiner Kollegen: sie seien „undiskutierbar“ und „reiner Ausdruck deutscher Professorenideologie“, Hennis, Unruhe, S. 23 und 25. 132 Vgl. Bundesbericht Forschung IV, S. 7. Im Jahr 1976 stellte das Allensbacher Institut fest, dass unter 3.000 befragten Professoren 49 Prozent Väter ohne akademischem Beruf hatten, vgl. Institut, Untersuchung, S. 176. 133 Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 12.7.1967, in: BArch, Film 1831 K. 134 Vgl. Bundesbericht Forschung II, S. 38 und 45. 135 Seitz, Wissenschaft, S. 13; es handelt sich um die deutsche Übersetzung von Seitz’ Artikel aus Physics Today.
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Departments mit weniger ausgeprägten Hierarchien gegliederten amerikanischen Spitzenuniversitäten erfolgreich seien. Das westdeutsche Forschungssystem dagegen sei einer modernen Industriegesellschaft nicht mehr angemessen. Nachdem er im Januar 1963 Seitz’ Thesen mit den Präsidenten der MaxPlanck-Gesellschaft, der Rektorenkonferenz und des Wissenschaftsrates diskutiert hatte, brachte DFG-Präsident Gerhard Hess am 4. März 1963 im Senat der DFG den Vorschlag ein, von der Geschäftsstelle zusammen mit den anderen Spitzenorganisationen der Wissenschaft eine Denkschrift erarbeiten zu lassen, die den internationalen Stand der westdeutschen Forschung bestimmen und die Ursachen von Rückständen benennen solle. Offensichtlich wollte Hess nicht abwarten, bis die DFG von der Politik mit Seitz’ Kritik konfrontiert werden würde, sondern proaktiv handeln.136 Mehrere Senatsmitglieder nutzten die Gelegenheit, Seitz zu widersprechen („Im Ausland heiße es immer, in Deutschland habe sich nichts verändert. Das Gegenteil sei mühelos festzustellen“), aber es wurde auch verhaltene Zustimmung laut. So berichtete der Göttinger Chemiker Wilhelm Jost, „er habe viele junge deutsche Wissenschaftler gesprochen, die sich ihm gegenüber alle gleichlautend dahin geäußert hätten, sie fühlten sich in Deutschland ‚wie unter einer Schicht von Zement’.“137 In ihrem einige Zeit darauf erscheinenden Jahresbericht für 1962 erkannte die DFG denn auch wesentliche Kritikpunkte von Seitz indirekt an, indem sie es als bedenklich bezeichnete, dass viele jüngere Forscher in die USA abwanderten, „nicht so sehr aus finanziellen Gründen, sondern wegen der Verlockung einer freieren, kollegialen Atmosphäre an dortigen Forschungsstätten“.138 Ein Jahr später konnte der Senat den Entwurf der von Hess initiierten Denkschrift diskutieren. Verfasst von dem Geschäftsstellenmitarbeiter Richard Clausen, einem promovierten Chemiker, konzentrierte sich die Analyse auf die Natur- und Technikwissenschaften. Zwar arbeitete Clausen auch Gründe für ein Zurückfallen der deutschen Forschung heraus, die von Seitz nicht berücksichtigt worden waren – so die Emigration „vieler bedeutender Forscher“ nach 1933, die Kriegszerstörungen und die Forschungsverbote der Besatzungsmächte nach 1945.139 Er schloss aber in Bezug auf die Beschreibung der gegenwärtigen institutionellen Verfasstheit der Forschung fast nahtlos an Seitz’ Argumentation an. Auf der Basis von Umfragen unter im Kontext der DFG aktiven Wissenschaftlern – und mit deren Autorität argumentierend – kritisierte Clausen die Hierarchien der Universitäten als „erstarrt“. Die „Machtfülle“ mancher Ordinarien führe zu einer „lähmenden Unfreiheit junger Forscher“, die „bis hin zur Habilitation“ dauere
136 Immerhin hatte Bundesforschungsminister Hans Lenz (FDP) schon geklagt, „wütende junge Männer“ wanderten ins Ausland ab, weil sie nicht mehr willens seien „sich der bei uns üblichen Hierarchie in der Wissenschaft mehr oder weniger bedingungslos unterzuordnen“, zit. nach Rohstock, Ordinarienuniversität, S. 25; vgl. hier zu der Abwanderungsdebatte S. 23 ff. 137 Niederschrift der Senatssitzung vom 4.3.1963, S. 7 f., in: BArch, B 227/162893; zum vorherigen Gespräch der Spitzenorganisationen vgl. ebenda, S. 5. 138 Bericht 1962, S. 14. 139 Clausen, Stand, S. 18; vgl. zu den „verlorenen Jahren“ nach 1933 ebenda, S. 17 ff.
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und die Nachwuchswissenschaftler „ihrer Initiative beraube“.140 Das Protokoll der Senatsdebatte am 19. März 1964 verzeichnet lautes Murren über die „Subjektivismen“ der Denkschrift und entschlossenes Abstreiten des kritischen Befundes. Aber der frühere DFG-Präsident Ludwig Raiser rief doch zugleich die etablierten Ordinarien dazu auf, eine Staffelübergabe an den wissenschaftlichen Nachwuchs in die Wege zu leiten: „Man müsse den jungen Leuten sagen: ‚Ihr seid jetzt dran! Wir Alten sind nur noch Platzhalter!‘“141 Die von der DFG publizierte Fassung der Denkschrift entschärfte Clausens Kritik, enthielt aber immerhin weiter die Diagnose einer „lähmenden Unfreiheit junger Forscher“. In seinem Nachwort rückte Hess so wie zuvor Raiser die Krisendebatte in den Kontext eines Generationenwechsels: „Die Generation, die 1945 die Stätten der Wissenschaft wiederaufzubauen (…) hatte, ist im Begriff, von Jüngeren abgelöst zu werden. (…) Es ist jetzt an den Jungen, Reformen durchzuführen und Forschung in modernen, zweckmäßigeren Arbeitsformen zu betreiben. (…) Die junge Generation muß mit Mut (…) daran gehen, das Überkommene zu wandeln, damit sie die Zukunft meistern kann.“142 Auf einer Tagung des Stifterverbandes im Oktober 1964 kleidete der die DFG vertretende Referent Claus Müller-Daehn die Diagnose Clausens in Worte, welche die Empfindlichkeiten traditionalistischer Ordinarien schonten: „Junge Wissenschaftler sehen bei aller Anerkennung und Wertschätzung großer Lehrerpersönlichkeiten ihr Lebensziel weniger darin, in der Geborgenheit patriarchisch regierter Institute und im Schatten großer Männer aufzuwachsen, als in verantwortlicher und selbständiger Arbeit gemeinsam mit erfahrenen Kollegen ihre Fähigkeiten zu erproben und zu entfalten.“143 In der Begutachtung etablierte sich von diesem Zeitpunkt an die Feststellung als positives Argument, ein Antragsteller habe in seinem Institut „ein gut organisiertes und wissenschaftlich eindrucksvolles Teamwork“ zustande gebracht.144 Diplomatische Formulierungen, kontroverse Senatsdebatten und sich verschiebende Begutachtungskriterien resultierten aus dem insgesamt uneinheitlichen Meinungsbild zu Fragen der Hochschulreform innerhalb der westdeutschen Professorenschaft der 1960er Jahre. Während eine lautstarke Minderheit bestehende Hierarchien vehement verteidigte, einige wenige die „irrationalen (…) Faktoren der Auslese“ des akademischen Nachwuchses ebenso vehement attackierten und einen „konsequenten Abbau der Einmannherrschaft auf Lehrstühlen und in Instituten“ forderten, verortete sich eine Mehrheit irgendwo zwischen diesen Polen und suchte – wie es etwa der Wissenschaftsrat in seinen „Anregungen zur 140 Entwurf der Denkschrift „Stand und Rückstand der Forschung in Deutschland in den Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften“ in der Anlage des Senatsprotokolls vom 19.3.1964, S. 25, in: BArch, B 227/162893. 141 Niederschrift der Senatssitzung vom 19.3.1964, S. 41 f., in: ebenda; die Debatte ist protokolliert ebenda, S. 36–54. 142 Clausen, Stand, S. 23 und 51. 143 Zit. nach Paulus, Vorbild, S. 328. 144 Gutachten R. Mügges vom 20.1.1964, in: DFG-Archiv, Bu 135, fol. 002613. Vgl. auch die Hauptausschussliste 62/1965, S. 105, in: DFG-Archiv, Scho 87.
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Gestalt neuer Hochschulen“ vom Juli 1962 tat – nach Wegen, die „Oligarchie der Lehrstuhlinhaber“ durch moderat erweiterte Partizipationsrechte der Nichtordinarien unter den Professoren und des akademischen Mittelbaus aufzubrechen.145 Innerhalb der DFG waren alle Positionen zu vernehmen, die Oberhand behielten aber bis zum Ende der 1960er Jahre die Traditionalisten. Im November 1969 begannen sich die Machtverhältnisse innerhalb der DFG zu verschieben, als der 31jährige Soziologe Rolf Kreibich, obwohl er nicht habilitiert war und nur den Status eines Assistenten besaß, zum Präsidenten der Freien Universität Berlin gewählt wurde. Im März des folgenden Jahres rückte der 38jährige Assistent der Theologie Peter Fischer-Appelt, der 1968/69 Vorsitzender der BAK gewesen war, an die Spitze der Hamburger Universität, im Mai folgte der 34jährige, kurz vor der Promotion stehende Maschinenbauingenieur Alexander Wittkowsky als Präsident der Technischen Universität Berlin, und der 33jährige (immerhin frisch habilitierte) Historiker Thomas von der Vring wurde Anfang Juli 1970 Gründungsrektor der Universität Bremen. Damit waren vier Mitgründer der Bundesassistentenkonferenz aus dem Mittelbau heraus an die Spitze von Mitgliedsinstitutionen der DFG gewählt worden und konnten die Forderungen ihrer Gruppe nun direkt in deren Gremien einspeisen. Die Geschäftsstelle reagierte frühzeitig auf die sich anbahnenden Verschiebungen; Generalsekretär Carl-Heinz Schiel und der für Strukturfragen zuständige Referent Peter Petersen führten vom Herbst 1969 an Gespräche mit dem Sprecher der Bundesassistentenkonferenz, dem erst 26jährigen Bonner Doktoranden der Geschichtswissenschaft Bodo von Borries. Dieser hatte namens der BAK beantragt, dieser (wie Hunderten von Fachverbänden) ein Vorschlagsrecht für die Fachausschusswahlen einzuräumen.146 Für die Mitgliederversammlung der DFG reichte die inzwischen von FischerAppelt geleitete Universität Hamburg am 9. Juni 1970 den Antrag ein, zum einen die Entscheidungen über das Prozedere der Fachausschusswahlen dem von Ordinarien beherrschten Hauptausschuss zu entziehen und der Mitgliederversammlung zu übertragen. Zum anderen forderte die Hamburger Universität, dass fortan alle promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter der DFG-Mitgliedsinstitutionen sowohl aktiv als auch passiv wahlberechtigt sein sollten, sofern sie seit mindestens zwei Jahren an ihrer Einrichtung beschäftigt waren.147 Der DFGHauptausschuss reagierte hierauf in seiner Sitzung vom 19. Juni 1970, indem er einen Unterausschuss bildete, der die Wahlrechtsfrage erörtern sollte. Schon vier Tage später legte dieser Unterausschuss den Entwurf einer neuen Wahlordnung vor, die das aktive wie das passive Wahlrecht zu den Fachausschüssen allen promovierten Wissenschaftlern gewährte, die seit der Promotion mindestens drei Jahre auf Plan- oder Drittmittelstellen von Mitgliedsinstitutionen der DFG tätig waren oder von der DFG ein Forschungs- bzw. Habilitationsstipendium bezogen. In den Ingenieurwissenschaften sollten nach diesem Vorschlag sogar nicht pro-
145 Baumgarten, Gedanken, S. 11 und derselbe, Kriterien, S. 12. 146 Vgl. den Brief Petersen an Borries vom 12.1.1970, in: BArch, B 227/604. 147 Vgl. den Antrag der Universität Hamburg an die Mitgliederversammlung vom 9.6.1970, in: BArch, Film 1831 K.
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movierte Assistenten wahlberechtigt werden.148 Auch wenn der Hauptausschuss seine Zuständigkeit für die Wahlen wahren wollte, so war er doch im Wahlrecht dem Hamburger Antrag weit entgegengekommen – zu weit, fand Julius Speer. In einem Brief an den Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, den rheinlandpfälzischen Minister Bernhard Vogel, warnte Speer schon am 26. Juni vor dem Vorschlag des Hauptausschusses: Dieser könne dazu führen, dass „die fachliche Kompetenz der DFG“ zerstört werde, denn die etwa 32.000 promovierten Mitarbeiter der DFG-Mitgliedsinstitutionen würden die bisherigen knapp 13.000, in der Regel habilitierten Wahlberechtigten „majorisieren“.149 Die am 9. Juli 1970 in Bonn tagende Mitgliederversammlung diskutierte den Hamburger Antrag unter zwei Gesichtspunkten: der Kompetenzverteilung zwischen Hauptausschuss und Mitgliederversammlung sowie der Erweiterung des Stimmrechts bei den Fachausschusswahlen. Fischer-Appelt machte deutlich, dass er grundsätzlich die Kompetenzen der Mitgliederversammlung zu Lasten des Hauptausschusses stärken wolle: „Die Hochschulen sollten nicht nur die Empfänger der Gelder sein, sondern auch verantwortlich für die Planung und die weitere Entwicklung der DFG“, nur dann sei diese „wirklich eine Selbstverwaltungsorganisation“.150 Der Hamburger Universitätspräsident verstand die DFG als Organisation der Hochschulen, deren Zukunft er wiederum in ihrer Demokratisierung im Sinne einer Gruppenparität von Professoren, Assistenten und Studenten sah. Dagegen verstanden die Gegner des Hamburger Antrages die DFG weiterhin als Selbstverwaltungsorganisation der Professorenschaft. Solange diese Gruppe die Hochschulen beherrschte, bestand de facto kein Unterschied zwischen den Definitionen der DFG als Selbstverwaltungsorgan der Hochschulen bzw. der Professoren. Angesichts der 1970 noch unentschiedenen Fragen einer Hochschulreform aber wollten die Gegner des Hamburger Antrages nicht das Risiko eingehen, dass die Professoren eines Tages auch innerhalb der DFG von Assistentenrektoren wie Fischer-Appelt entmachtet werden könnten. Daher plädierten sie dafür, die aus ihrer Sicht zentralen Entscheidungsbefugnisse (nicht nur über das Wahlrecht, sondern auch über die Förderpolitik) weiter in Gremien wie Hauptausschuss und Senat zu verorten, in denen die Ordinarien dominierten und diese Dominanz trotz aller Hochschulreformen dadurch würden wahren können, dass sich die Gremien durch eine Mischung von Wahl- und Kooptationsverfahren reproduzierten. Die Verteidiger der so institutionalisierten Macht der Ordinarien wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer rechtfertigten diese mit dem „Gesichtspunkt der Sachverständigkeit“, was eher der Verschleierung der Machtfrage als ihrer Entscheidung durch ein Argument diente.151 Gleichwohl siegten die Verteidiger des Status quo in diesem Punkt in der entsprechenden Abstimmung mit 38 zu sieben Stimmen deutlich. Dagegen herrschte weitgehend Einigkeit darüber, ab den nächsten Fachausschusswahlen im Jahr 1971 die Teilhabe der „jungen Kräfte“ 148 Vgl. Petersens Vermerke vom 24.6.1970, in: ebenda und vom Dezember 1970, in: BArch, B 227/596. 149 Schreiben Speers an Vogel vom 26.6.1970, in: BArch, Film 1831 K. 150 Niederschrift der Mitgliederversammlung am 9.7.1970, S. 10, in: BArch, B 227/596. 151 Ebenda, S. 12.
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durch ein Wahlrecht auch für einen – allerdings durch den Hauptausschuss, nicht die Mitgliederversammlung zu definierenden – Teil der zwar promovierten, aber nicht habilitierten Forscher zu erweitern.152 Fünf Monate später, am 11. Dezember 1970, entsprach der Hauptausschuss dem Wunsch der Mitgliederversammlung und verabschiedete eine neue Wahlordnung, die ein aktives Wahlrecht für alle akademischen Räte, Assistenten, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Stipendiaten vorsah, sofern diese zum Zeitpunkt der Wahl nach einer Promotion mindestens drei Jahre an einer Hochschule oder anderen Forschungseinrichtung forschend tätig gewesen waren. Bei den auf Grundlage dieser Bestimmungen im November 1971 durchgeführten Wahlen besaßen 28.412 Wissenschaftler ein Stimmrecht, gegenüber den Wahlen von 1967 hatte sich die Zahl der Wahlberechtigten also um knapp 16.000 Personen mehr als verdoppelt – allerdings bei Weitem nicht um jene 32.000, die Speer zuvor mehrfach warnend kolportiert hatte. Etwa 14.000 wissenschaftliche Hochschulmitarbeiter blieben ohne aktives Wahlrecht, da sie die Bedingungen nicht erfüllten. Mit 54,4 Prozent fiel die Wahlbeteiligung um fast zehn Prozent niedriger aus als 1967; der Mobilisierungseffekt der Reform hielt sich demnach in Grenzen.153 Dies lag vermutlich auch daran, dass der Hauptausschuss von dem Entwurf, den sein Unterausschuss am 23. Juni 1970 vorgelegt hatte, in einem entscheidenden Punkt abgewichen war: Die neu hinzugekommenen Stimmberechtigten hatten mit der Wahlordnung vom Dezember 1970 zwar das aktive, nicht aber das passive Wahlrecht erhalten; für dieses blieben die alten Bestimmungen in Kraft. Zu Fachgutachtern konnten somit wie zuvor mit wenigen Ausnahmen nur habilitierte Wissenschaftler gewählt werden. Bemerkenswerterweise war die Initiative zu dieser Beschränkung der Reform nicht aus den Kreisen der Ordinarien hervorgegangen (deren Vertreter im Unterausschuss auf ein Gutachtermonopol der Habilitierten hatten verzichten wollen), sondern aus der Geschäftsstelle. Am 9. September 1970 hatte Generalsekretär Carl-Heinz Schiel eine Sitzung mit den wichtigsten Referenten abgehalten. Die Teilnehmer waren „nach eingehender Beratung (…) zu dem Ergebnis gekommen, dem Hauptausschuß als Alternative zu dem Vorschlag des Unterausschusses (…) einen Vorschlag zu unterbreiten, der eine Trennung des aktiven und passiven Wahlrechts vorsieht“. Offiziell begründete die Geschäftsstelle ihren Vorstoß damit, dass die DFG den Kreis der passiv Wahlberechtigten erst nach der Verabschiedung eines Hochschulrahmengesetzes des Bundes (das zu diesem Zeitpunkt erst im Entwurfsstadium vorlag) definieren sollte. Denn falls das Gesetz den Status der promovierten Hochschulmitarbeiter als inferior festschreiben würde, die DFG ihnen aber zuvor das passive Wahlrecht verliehen habe, werde die „Rücknahme einmal verliehener Rechte kaum möglich sein“.154
152 Ebenda, S. 11. 153 Vgl. die Wahlordnung vom 11.12.1970, in: ebenda; vgl. zu den Wahlen von 1971 Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1971, S. 16 f. und zur Gesamtzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter den Bundesbericht Forschung IV, S. 7. 154 Vermerk Petersens vom Dezember 1970, in: BArch, B 227/596.
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Der in der Geschäftsstelle für Medizin zuständige Fachreferent Fritz Fischer hatte bereits seit Mitte August 1970 in Briefen an DFG-Amtsträger aus seinem Bereich gegen ein Wahlrecht für nichthabilitierte Forscher Stimmung gemacht; nach der Sitzung vom 9. September erweiterte er den Kreis der Adressaten auf weitere Angehörige des Präsidiums, des Senates bzw. Hauptausschusses und der Geschäftsstelle selbst. Fischer argumentierte zum einen mit pragmatischen Überlegungen, zum anderen entwarf er das Schreckgemälde einer Unterwanderung der DFG durch akademische Revolutionäre. In dem von ihm betreuten Fachgebiet der klinischen Medizin, so schrieb Fischer am 13. August 1970 an den Tübinger Internisten Hans Erhard Bock, DFG-Senator und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, sei die offizielle DFG-Lesart, wonach Gutachter ihre Stellungnahmen allein verfassten, bekanntlich eine Fiktion. Vielmehr würden die Fachgutachter ihren Voten regelmäßig Zuarbeiten ihrer Mitarbeiter zugrunde legen. Folglich sei „nur ein erfahrener Ordinarius in der Lage (…), Fachgutachter zu sein“, weil nur er „Mitarbeiter zur Vorbereitung von Gutachten“ einsetzen könne.155 Zwei Monate später warnte Fischer einen größeren Adressatenkreis, die Assistenten seien sowohl zahlreich als auch „gut organisiert“ und daher in der Lage, die Fachausschusswahlen in ihrem Sinne zu entscheiden. Damit aber bestehe zumindest in den Sozialwissenschaften die Gefahr, dass sich „marxistisch orientierte Fachgutachter durchsetzen könnten“. Selbst wenn es gelinge, den Assistenten nur das aktive, nicht aber das passive Wahlrecht zuzugestehen, könnten diese sich auf eigene Kandidaten aus den Reihen der Habilitierten verständigen, nämlich auf „politisch (marxistisch) fortschrittliche, wissenschaftlich dagegen drittklassige Privatdozenten“. Diese im Fall ihrer Wahl „zu eliminieren oder kaltzustellen“, was Fischer für notwendig hielt, müsse wiederum dem öffentlichen Erscheinungsbild der DFG schaden.156 Fischer wähnte die DFG bereits als weiteren Schauplatz jenes politischen Kleinkrieges, der ja in der Tat um 1970 an einigen Universitäten wütete. Zugleich sprach er offener als andere Reformgegner aus, dass es ihm nicht allein um die Begrenzung der Gutachterschaft auf einen durch eine spezifische wissenschaftliche Leistung (die Habilitation) ausgewiesenen Kreis ging, sondern um die Absicherung einer Dominanz der „erfahrenen Ordinarien“. DFG-Präsident Julius Speer warb ebenfalls während des Herbstes 1970 in Briefen an Honoratioren seiner Organisation dafür, die Reform möglichst bescheiden zu gestalten, verzichtete aber auf Fischers schrillen Tonfall und kalkulierte kühler. So schrieb er am 1. Dezember an den Heidelberger Internisten und Vorsitzenden des Medizinischen Fakultätentages Gotthard Schettler, dass in der DFG-Mitgliederversammlung „insbesondere junge Präsidenten sich ihre Sporen verdienen“ wollten – dies spielte unverkennbar auf Fischer-Appelt und die anderen aus der BAK stammenden Rektoren an. Daher müsse man hinnehmen, dass „ein Kompromiß zustande kommt, nach dem den Assistenten das aktive Wahlrecht drei Jahre nach vollzogener Promotion eingeräumt wird, während es hinsichtlich des passiven Wahlrechts bei der bisherigen Regelung verbleiben 155 Schreiben Fischers an Bock vom 13.8.1970, in: ebenda. 156 Schreiben Fischers unter anderem an Bock, Staudinger und Butenandt vom 13.10.1970, in: ebenda.
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soll.“157 Im Ergebnis waren Speer und die Geschäftsstelle mit ihren Bemühungen erfolgreich, den aus einigen Hochschulen in die DFG hinüberschwappenden Reformimpetus einzudämmen, zugleich aber gegenüber Öffentlichkeit und Politik den Eindruck einer Reformfreudigkeit zu erwecken. Als der sozialdemokratische Bundeswissenschaftsminister Klaus von Dohnanyi am 13. Juni 1972 vor dem Kuratorium der DFG eine Rede hielt, behauptete er, seit der Wahlordnungsreform vom Dezember 1970 könnten „auch nicht habilitierte Wissenschaftler als Gutachter eingesetzt werden“; das DFG-Mitteilungsblatt druckte die ministerielle Ente ungerührt ab.158 Und als Julius Speer anderthalb Jahre später als DFGPräsident abtrat, befand das Blatt, er habe sich für die Reform der Fachausschusswahlen und damit für eine „Demokratisierung im Bereich der Selberverwaltung“ eingesetzt.159 Bilanziert man die Reform von 1970 von ihren Folgen her, sollte man statt von Demokratisierung im Sinne einer Egalisierung von Partizipationschancen eher von Pluralisierung innerhalb einer weiterhin hierarchisch strukturierten Ordnung sprechen, deren Grundlage normativ in meritokratischen Leitideen lag und deren soziale Basis die Netzwerke des professoralen Establishments blieben. Die Teilhabe an den Entscheidungsprozessen der Organisation DFG wurde grundsätzlich durch die Verleihung des aktiven Wahlrechts für promovierte Forscher geöffnet; zusammen mit dem weiteren Wachstum der Hochschulen führte dies dazu, dass sich die Zahl der Wahlberechtigten bis zu den Fachausschusswahlen von 1979 auf 38.000 erhöhte – gegenüber 12.500 vor der Reform von 1970. Dennoch blieb die Wählerschaft auf eine durch besondere Qualifikationen ausgewiesene Teilgruppe beschränkt: Allein an den wissenschaftlichen Hochschulen arbeiteten um 1979 etwa 71.000 Wissenschaftler.160 Die Fachausschüsse selbst veränderten sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre unabhängig von der Modifikation des Stimmrechts dadurch, dass die wachsenden Antragszahlen zu einer Vermehrung der Gutachter zwangen. Statt der 372 Gutachter des Jahres 1971 wurden bei den Wahlen von 1979 insgesamt 432 Fachgutachter gewählt. Auch dies führte unweigerlich dazu, dass sich das Gutachterwesen im Sinne einer Beteiligung breiter Kreise eines Faches pluralisierte (noch verstärkt durch die im achten Kapitel erörterte Steigerung der Zahl von Sondergutachtern), rüttelte aber nicht an den etablierten Strukturen. Weiterhin konnten mit wenigen Ausnahmen nur Habilitierte in die Fachausschüsse gewählt werden. Diese Bestimmung knüpfte – wie zuvor – die Eignung zum Gutachter an eine inhaltliche Qualifikation, die durch mindestens zwei größere Forschungsarbeiten (Dissertation und Habilitation) nachgewiesene wissenschaftliche Leistungsfähigkeit. In der Praxis jedoch blieb der Anteil der zwar Habilitierten, aber nicht ein Ordinariat bekleidenden Fachgutachter klein. Analysiert man die Zusammen157 Schreiben Speers an Schettler vom 1.12.1970, in: ebenda; vgl. ebenda auch Schettlers Brief an Speer vom 26.11.1970. 158 Ansprache Minister, S. 12. 159 Mitglieder, S. 7. 160 Vgl. Fachausschusswahlen, Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1975, S. 27 f. und dieselbe, Tätigkeitsbericht 1979, S. 35 und Antwort, S. 19.
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setzung der Fachausschüsse, so erweisen sie sich ungebrochen als Domäne der Professorenschaft allgemein und der Ordinarien im Besonderen, mindestens 83 Prozent der 1971 Gewählten stammten aus dieser Statusgruppe. Immerhin waren die 1971 gewählten Fachgutachter mit einem Durchschnittsalter von nur noch 48 Jahren (gegenüber 57 Jahren bei der Wahl von 1951 und 52 bei der Wahl von 1967) die jüngste Gutachterschaft in der bisherigen Geschichte der DFG.161 Gutachter, die noch vor 1945 Ordinarien geworden waren, stellten inzwischen eine seltene Ausnahme dar, der Anfang der 1960er Jahre eingeleitete Generationswechsel war nun auch insofern abgeschlossen. Die DFG-Fachgutachter blieben auch nach der Reform von 1970 Repräsentanten des wissenschaftlichen Establishments. Der Soziologe Friedhelm Neidhardt stellte in einer Untersuchung anhand von Daten aus dem Wintersemester 1976/77 fest, dass 59,2 Prozent der Fachgutachter Mitherausgeber einer Fachzeitschrift waren, aber nur 17,2 Prozent jener Hochschullehrer, die nicht regelmäßig für die DFG gutachteten. Die Fachgutachter hatten zwischen 1974 und 1976 im Schnitt 8,3 wissenschaftliche Artikel publiziert, während für die Nichtgutachter lediglich 6,3 Artikel zu Buche schlugen; auch in Fachverbänden und anderen überregionalen wissenschaftlichen Gremien waren die Fachgutachter doppelt so aktiv wie die nicht gutachtenden Kollegen. Ihre Wähler scheinen sich also an Leistung und fachinterner Sichtbarkeit der Kandidaten orientiert zu haben.162 Zugleich zeigen die Werte einer von Neidhardt durchgeführten Umfrage, dass die Fachgutachter traditionellere wissenschaftspolitische Haltungen einnahmen, als die Gesamtheit der Hochschullehrer. Während nach einer Erhebung des Allensbacher Institutes für Demoskopie aus dem Wintersemester 1976/77 unter 3.000 Professorinnen und Professoren 36,1 Prozent der Befragten angaben, „gute“ Forschung solle dem „gesellschaftlichen Fortschritt“ dienen, glaubten dies nur 24,5 Prozent der DFG-Fachgutachter. 45,9 Prozent von ihnen glaubten immerhin, dass die praktische „Verwertbarkeit“ ein Qualitätsmerkmal von Forschung sei (ein 1925 oder 1955 in dieser Höhe kaum denkbarer Wert), aber auch hier dachten sie tendenziell traditioneller als die Gesamtheit der Hochschullehrer, die diese Aussage zu 54,5 Prozent unterstützten. Die DFG-Fachgutachter blieben stärker als ihre Kollegen darauf bedacht, dass die Scientific Community ihre eigene, nicht von außerwissenschaftlichen Akteuren beeinflussten Bewertungsmaßstäbe pflegen und ihre Forschung vor allem an die Fachkollegen adressieren solle: 30,6 Prozent der Fachgutachter, gegenüber 21,7 Prozent aller Hochschullehrer, hielten die „Anerkennung“ von Forschung „durch andere Forscher“ für ein zentrales Qualitätskriterium. 71,4 Prozent der Fachgutachter, aber nur 64,1 Prozent aller Hochschullehrer glaubten, dass der wesentliche Zweck von Forschungsergebnissen in ihrer Mitteilung an andere Forscher liege.163 Die Fachgutachter, so fasste Neidhardt seine Befunde zusammen, gaben sich Mitte der 1970er Jahre „etwas 161 Diese Angaben beruhen auf biographischen Recherchen ausgehend von den Fachgutachterlisten in den DFG-Jahresberichten. 162 Vgl. Neidhardt, DFG-Gutachter, S. IIIff. 163 Vgl. ebenda, S. VI, derselbe, Selbststeuerung, S. 91 f. und Institut, Untersuchung, S. 77, 82 und 93.
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‚akademischer‘ als der Durchschnitt ihrer Kollegen“. Da die Gutachter ja aber von ebendiesen Kollegen in ihre Funktionen gewählt worden waren, vermutete der Soziologe, die Wähler hätten ihrerseits bevorzugt für Personen gestimmt, denen sie eine „hohe Resistenzfähigkeit“ gegenüber außerwissenschaftlichen Interessen zutrauten: „Gutachter sind – im Hinblick auf Umweltbeziehungen – nicht gewählt, um zu vermitteln, sondern um zu verteidigen.“164 Wie wir gesehen haben, hatten Klientel und Honoratioren der DFG in der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik generell eine „hohe Resistenzfähigkeit“ gegenüber den Profitinteressen der Privatwirtschaft wie gegenüber staatlichen Steuerungsbegehren als zentrales Kriterium wissenschaftlicher Seriosität betrachtet. 1925, 1955 und 1975 (allerdings nicht 1935!) erwarteten die in der DFG heimischen Wissenschaftler diese Eigenschaft sowohl von ihren Gremien als auch von jedem Einzelnen, der sich als Grundlagenforscher zur Elite des wissenschaftlichen Feldes zählen wollte. Insofern sprechen Neidhardts Befunde zur normativen Orientierung der DFG-Klientel in den 1970er Jahren zunächst einmal für die Persistenz traditioneller Werthaltungen dieser Gruppe, die von deren Pluralisierung anscheinend zwar in ihrer Verbindlichkeit abgeschwächt worden, aber nicht verschwunden waren. Und sie verweisen zugleich darauf, dass die Herausforderungen, auf welche diese Werthaltungen reagierten, auch unter den Bedingungen der „mehr Demokratie wagenden“ Gesellschaft der 1970er Jahre virulent blieben, ja sogar größer wurden: nämlich die Steuerungs- und Instrumentalisierungsbegehren des Staates und diverser außerwissenschaftlicher Interessengruppen gegenüber der (Hochschul-)Forschung im Allgemeinen sowie der DFG gegenüber im Besonderen. DIE DFG IN DER REFORMÄRA UM 1970 II: AUTONOMIEVERLUSTE Die von Neidhardt bei den Fachgutachtern und ihrer Wählerschaft identifizierte defensive Grundhaltung gegenüber Gefährdungen der Autonomie des wissenschaftlichen Feldes, durchzog in der zweiten Hälfte der 1960er und am Beginn der 1970er Jahre die Gremiendebatten der DFG ebenso wie die öffentlichen Stellungnahmen ihrer Spitzenvertreter. Problematisiert wurden zunehmende Versuche von Regierungen und Parlamenten, Forschung über selektive Mittelvergabe zu steuern, mittelfristig zu planen und strukturell auf von ihnen definierte gesellschaftliche Interessen auszurichten. Solche Bestrebungen waren kein spezifisch bundesdeutsches Phänomen, sondern fanden sich um 1970 in den meisten westlichen Industriestaaten. Die OECD publizierte zwischen 1972 und 1974 eine dreibändige Studie unter dem Titel „The Research System“, deren Autoren ein Mehr an staatlicher Planung und dadurch ein Mehr an unmittelbar anwendungsorientierter Forschung forderten: Die traditionelle Forschungsförderung reproduziere nur die schon vorhandenen Tendenzen der Forschung, und die ihr zugrunde lie164 Neidhardt, DFG-Gutachter, S. VII.
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gende Annahme, Grundlagenforschung werde langfristig gesellschaftlichen Nutzen bringen, sei nicht mehr als ein substanzloser „article of faith“, an den man glaube aus „folklore, custom and even a bit of magic“.165 Vor diesem Hintergrund jonglierte die Spitze der DFG im Reformjahrzehnt mit zwei Bällen: Einerseits kam sie nicht umhin, sich an die politischen Vorgaben der staatlichen Geldgeber anzuschmiegen – und manche dieser Vorgaben entsprachen durchaus Interessen, die in der DFG selbst stark repräsentiert waren, ebenso den sich ja ebenfalls pluralisierenden Haltungen der Klientel (siehe Neidhardts Befunde zum teilweise positiven Widerhall von Kriterien wie „gesellschaftlicher Fortschritt“ oder „Verwertbarkeit“). Bezeichnend für diesen inzwischen entstandenen Pluralismus der Grundhaltungen war eine streitige Debatte des DFG-Senates vom Juli 1970, in der ein Teil der Redner die DFG als genossenschaftliche Organisation von Hochschulen bzw. Wissenschaftlern definierte, andere sie dagegen als dem „öffentlichen Interesse“ verpflichtete Organisation betrachteten, die im Konfliktfall „gegen das Interesse der Wissenschaftler zu entscheiden habe“.166 Andererseits blieb die DFG in ihren Spitzenpositionen während des Reformjahrzehnts doch überwiegend geprägt von älteren, traditionalistischen Wissenschaftlern, welche die normative Leitidee einer Autonomie des wissenschaftlichen Feldes aus gleich mehreren Richtungen (inklusive von Seiten der jüngeren Kollegen) bedroht glaubten, wobei sie mitunter wohl auch die Autonomie von Wissenschaft mit der eigenen Machtposition verwechselten. Julius Speer formulierte diese Deutung der Gegenwart im Jahr 1971 so: „Die Auseinandersetzung zwischen den herkömmlichen Werten des Wissenschaftssystems und den Zwängen der politischen Wirklichkeit ist in vollem Gange.“167 Diese äußeren „Zwänge“ zeigten sich aus Sicht der von Speer repräsentierten Ordinarien in vier Phänomenen: erstens, indem ihre Machtposition an den Hochschulen durch linke Studenten in Frage gestellt wurde und auch der Mittelbau Mitsprache einforderte, schließlich staatliche Eingriffe in bisherige Strukturen akademischer Selbstverwaltung befürchtet wurden; zweitens darin, dass in der Forschungspolitik nicht nur unbotmäßige Assistenten, sondern auch die geldgebenden Regierungen bis dahin funktionierende korporatistische Arrangements zwischen den Wissenschaftsministerien und den Selbstverwaltungsorganisationen der Professorenschaft in Frage stellten; drittens in der von Seiten der Politik, aber auch von Professoren formulierten Forderung, Forschung müsse sich an gesellschaftspolitischen Ziele ausrichten; und schließlich viertens in einer Zunahme von Initiativen der Politik, die Forschungslandschaft durch strukturelle Eingriffe nach Plan zu modernisieren. Bereits die von der Bundesregierung initiierte und von der DFG 1953 nach einigem Widerstreben verwirklichte Einrichtung von Schwerpunktprogrammen hatte steuernde Eingriffe in die Entwicklung von Disziplinen und Forschungsfeldern nach zuvor definierten Zielen bedeutet. Präsidium und Geschäftsstelle der DFG hatten versucht, über diese Programme die Interdisziplinarität von For165 Zit. nach Geiger, Home, S. 65. 166 Niederschrift der Senatssitzung vom 8.7.1970, S. 5, in: BArch, B 227/171352. 167 Speer, Standort, S. 22.
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schung zu stärken, um Rückstände im internationalen Vergleich aufzuholen; sie hatten mit ihnen die Institutionalisierung neuer Forschungsfelder wie der Molekularbiologie oder der Kybernetik gefördert oder in Disziplinen wie der Sprachwissenschaft die Computerisierung der Forschung vorangetrieben. Seit 1956 hatte die DFG mit ihren Denkschriften zu einzelnen Disziplinen deren Entwicklungsstände systematisch untersucht, um hieraus Förderstrategien abzuleiten; mit den Grauen Plänen hatte sie sich seit 1961 um mittelfristige Finanzierungssicherheit bemüht, damit aber auch das Fördervolumen einzelner Felder, Disziplinen und Förderformate für jeweils mehrere Jahre im Voraus definiert – ergo: geplant. Der Senat, dessen Honoratioren sich als Hüter der um 1950 etablierten Leitwerte der DFG betrachteten, hatte zwar Signale der Distanz zu solchen Planungsinstrumenten gesetzt, aber diese waren symbolisch geblieben und hatten de facto zu einem Machtverzicht der Senatoren zugunsten der stärker planungsaffinen Geschäftsstelle und des Präsidiums geführt. Dementsprechend betonte Speer in den Debatten ab Mitte der 1960er Jahre, dass die DFG bereits seit Langem plane, „wenn auch ohne viel Geräusch und ohne den Anspruch auf ein perfektionistisches System“.168 Neu war Mitte der 1960er Jahre nicht die Idee einer Planung von Forschung an sich, sondern dass die Vorstöße zur Implementierung weiterer planerischer Elemente in der Forschungspolitik im Gesamtkontext einer die politischen Lager übergreifenden Planungseuphorie standen. Die Planungsdebatten der 1960er und frühen 1970er Jahre hat Gabriele Metzler in einer großen Studie im Detail untersucht; hierauf soll nur verwiesen und der für die Geschichte der DFG wesentliche Leitgedanke der Planungsenthusiasten hervorgehoben werden: Aufgrund der Erfahrung mit einem vermeintlich linear in die Zukunft fortschreibbaren ökonomischen Boom ging der politische Mainstream davon aus, dass eine auf elektronischer Datenverarbeitung und wissenschaftlicher Expertise beruhende Planung in der Lage sein werde, Gesellschaft auf definierte Ziele (die wiederum gern mit dem Schlagwort „Modernisierung“ umschrieben wurden) hin zu steuern.169 Forschung sollte sowohl hierzu beitragen als auch im Interesse der Optimierung ihrer Effizienz selbst Objekt von Planung werden. Erste Aufforderungen an die DFG, im Interesse einer internationalen Konkurrenzfähigkeit des westdeutschen Innovationssystems zu einer mittelfristig planenden Förderpolitik überzugehen, formulierte das Bundesforschungsministerium bereits im Januar 1963. Gleichzeitig artikulierte der zuständige Staatssekretär Wolfgang Cartellieri erste Zweifel am bisherigen Arrangement seines Ministeriums mit den Selbstverwaltungsorganisationen: Das Geld des Bundes scheine „in unüberschaubaren Selbstverwaltungskörperschaften“ zu verschwinden, sprich: das Ministerium besitze zu wenig Einblick in die Modi der Förderentscheidungen und die Erfolgsbilanz der Förderung.170 Nachdem der Bundestag im Mai 1965 beschlossen hatte, die Bundesregierung solle „gemeinsam mit den Ländern einen nationalen Gesamtplan für Bildung und Forschung (…) erarbeiten“, setzten mit 168 Derselbe, Ansprache 1970, S. 38, 169 Vgl. Metzler, Konzeptionen und für die Forschungspolitik Orth, Autonomie, S. 156–165. 170 Zit. nach Orth, Autonomie, S. 215.
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der Großen Koalition und dem Forschungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) entschlossene Interventionen des Ministeriums ein, auch in der Forschungspolitik das Paradigma einer auf systematischer Datenerhebung basierenden Planung zu verwirklichen.171 Die DFG kam aufgrund ihrer Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen gar nicht umhin, auf diesen Kurs einzuschwenken; der zeitgenössischen Faszination von Formeln wie „Planung“ und „Modernisierung“ erlagen ohnehin auch die Selbstverwaltungsorganisationen vom Wissenschaftsrat bis zur DFG. In ihrem Bericht für 1967 lobte die Forschungsgemeinschaft denn auch, dass Stoltenberg mit dem in diesem Jahr vorgelegten „Forschungsbericht II (…) erstmals Zukunftsziele für die deutsche Wissenschaft“ aufgestellt habe, „die für diese ebensosehr Orientierungsgrundlage wie Verpflichtung“ seien.172 Drei Jahre später bekannte sich Speer zur Verpflichtung der DFG, „den allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Zielvorstellungen“ zu dienen.173 Zugleich aber verteidigte die DFG das korporatistische Modell der Forschungspolitik: Der Staat solle einen Orientierungsrahmen und allgemeine Ziele setzen, dann würden sich Wissenschaftsorganisationen wie die DFG „einer einmal getroffenen Gesamtplanung anpassen“. Die operativen Einzelentscheidungen über die Förderung von Forschung sowie deren Evaluierung aber müssten weiterhin im Modus „der kollegialen Kontrolle“, sprich allein durch die in der DFG tätigen Wissenschaftler erfolgen.174 Dabei könne „die gesellschaftliche Bedeutung eines Themas“ zwar eine „zusätzliche (…) Motivation“ zu seiner Förderung bilden, aber nicht dessen wissenschaftsimmanente Relevanz „ersetzen“.175 In der Sache setzten diese Stellungnahmen der DFG und vor allem ihres Präsidenten Speer kaum neue Akzente, sie hielten an dem in den 1950er Jahren unter den DFG-Honoratioren und mit der Politik ausgehandelten Selbstverständnis der Organisation fest, sie übersetzten dieses aber in die neue politische Sprache, und damit gewöhnten sich auch die Gremien und die Klientel der DFG an die Argumentation mit Kategorien wie „Planung“, „Modernisierung“ und „gesellschaftspolitische Relevanz“.176 Blickt man vom Ende der Amtszeit Speers im Jahr 1973 aus zurück auf den etwa zehn Jahre zuvor einsetzenden Reformprozess, so hatte dieser für die DFG im Kern fünf mittelfristige Veränderungen gebracht: Erstens hatte das Bundesforschungsministerium die Einflussstrukturen innerhalb des „wissenschaftlich-politischen Komplexes“ (Karin Orth) neu justiert; zweitens war die DFG durch die öffentlichen Debatten über Forschungspolitik dazu veranlasst worden, ihr Handeln transparenter zu vermitteln und die Außendarstellung gezielter auf die Erwartungen der Öffentlichkeit abzustellen.177 Drittens hatte die DFG intern neue 171 Antrag der CDU/CSU vom Mai 1965, zit. nach Bartz, Wissenschaftsrat, S. 91; vgl. auch Cartellieri, Bildungs- und Forschungspolitik. 172 Bericht 1967, S. 9. 173 Speer, 50 Jahre, S. 734; vgl. im Tenor gleich Bericht 1969, S. 9 und 11 f. 174 Bericht 1967, S. 9. 175 Diabetesforschungszentrum, S. 24. 176 Auch wenn Speer, Standort, S. 27, letzteren Begriff als „Modeausdruck“ schmähte. 177 Orth, Autonomie, S. 170.
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Strukturen geschaffen, um der von außen an sie gerichteten Erwartung gerecht zu werden, sie solle die Entwicklung der Hochschulforschung planen. Viertens hatte ein Strategiewechsel der staatlichen Forschungspolitik zu einer noch einmal intensivierten Konzentration der DFG auf die Förderung von Grundlagenforschung geführt. Und fünftens hatte die DFG die Verwaltung weiterer Programme der staatlichen Forschungsförderung übernommen und war dadurch noch stärker als zuvor zu deren ausführendem Instrument geworden. Träger des korporatistischen Arrangements zwischen Staat und Wissenschaft waren in der Mitte der 1960er Jahre auf Seiten der Wissenschaft die Repräsentanten der „Heiligen Allianz“ aus DFG, Max-Planck-Gesellschaft, Rektorenkonferenz und Wissenschaftsrat, wobei wiederum in den Gremien dieser Organisationen jeweils Honoratioren saßen, die auch in den anderen wirkten oder gewirkt hatten; die DFG-Präsidenten Raiser, Hess und Speer etwa hatten nicht nur vor ihrer Wahl an die Spitze der DFG Leitungsfunktionen in der Rektorenkonferenz ausgeübt, sondern saßen ebenso während bzw. nach ihrer DFG-Präsidentschaft im Wissenschaftsrat oder im Senat der MPG. Letztlich stimmte sich ein kleiner Kreis von Wissenschaftsmanagern seit den 1950er Jahren in wechselnden Funktionen informell über die Interessen der Wissenschaft ab und handelte diese in Beratergremien der Bundesregierung sowie nicht zuletzt wiederum in informellen Kontakten mit den zuständigen Ministerialbeamten sowie in sogenannten „Kaminrunden“ mit dem Minister aus.178 Im Rückblick spottete der sozialdemokratische Bundeswissenschaftsminister Klaus von Dohnanyi im Jahr 1972, „früher“ seien wissenschaftspolitische Entscheidungen „in esoterischen Zirkeln unter Ausschluß der Öffentlichkeit“ gefallen.179 Die Wissenschaftsminister der frühen 1970er Jahre, Dohnanyi und sein Vorgänger Hans Leussink (der selbst vor Antritt seines Ministeramtes im Herbst 1969 Vorsitzender des Wissenschaftsrates gewesen war), reformierten dieses System informeller Einflussnahmen, indem sie neue Beratergremien schufen. Sie berücksichtigten einen größeren Kreis von jüngeren Kandidaten, betrieben also eine Pluralisierung der für die Wissenschaft Sprechenden, formalisierten die Berufung und Tätigkeit der Gremien und machten sie zugleich der Öffentlichkeit gegenüber transparenter, als dies zuvor üblich gewesen war. Zugleich aber verringerten die Ministerien, indem sie die Mitglieder dieser Gremien mit einem Mandat der Regierung ausstatteten, statt sie aufgrund einer Bevollmächtigung durch ihresgleichen zu berufen, die Resistenzfähigkeit der Gremien gegenüber den Wünschen der Politik. Ziel dieser Reformpolitik war keineswegs eine Auflösung des korporatistischen Modus der Aushandlungen zwischen der Regierung und den Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft – Dohnanyi betonte 1972, die Planungen seines Ministeriums sollten mit jenen der DFG „verzahnt“ werden und forderte im Jahr darauf die Beteiligung von Ministerialbeamten an den internen Planungsarbeiten der DFG. Es ging eher darum, die Gewichte innerhalb dieses Arrange178 So der zeitgenössische Terminus, zit. nach Orth, Autonomie, S. 169. 179 Ansprache Minister, S. 9; vgl. Orth, Autonomie, S. 168–173.
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ments zugunsten des Staates und der jüngeren Kohorte der Wissenschaftsmanager zu verschieben.180 Daneben blieben etablierte Aren der Interessenabstimmung weiter bestehen, etwa in Gestalt der halbjährlich stattfindenden Konsultationen zwischen den Vertretern der „Heiligen Allianz“ und den zuständigen Bundesministern und ihren Staatssekretären.181 Vereinzelt blitzten weitergehende Reformideen auf, so als Vertreter des Forschungsministeriums im Mai 1971 während einer Besprechung mit dem Planungsreferat der DFG darüber sinnierten, sie könnten sich eine Prioritätensetzung für die Forschung statt durch deren Selbstverwaltungsorgane auch durch Gremien „von Politikern, Gewerkschaftlern, Journalisten“ oder gar durch „plebiszitäre“ Entscheidungen vorstellen.182 Solche Visionen riefen den Widerspruch der DFG-Spitze hervor, trugen aber das ihre dazu bei, dass die Organisation immer stärker ihre Übereinstimmung mit den bzw. ihre Dienstleistungsfunktion für die Leitideen der Reformpolitik herausstellte.183 Mit der Planungseuphorie und den Reformdebatten veränderten sich ab Mitte der 1960er Jahre die Resonanzbedingungen der Forschungspolitik. Der Bundestag beschäftigte sich mehrfach in kontrovers geführten Debatten mit diesem Politikfeld.184 Der investigative Journalismus entdeckte die Defizite des westdeutschen Innovationssystems als skandalträchtiges Thema; das Magazin Der Spiegel etwa widmete dem Thema im Jahr 1966 eine Titelgeschichte unter der Überschrift „Notprogramm für Deutschlands Forschung?“ und ließ im Jahr 1969 eine 17teilige (!) Serie über „Krise und Zukunft der deutschen Hochschulen“ folgen (in deren Rahmen der DFG vorgeworfen wurde, ihr „System der Antragsbewilligung“ sei „undurchschaubar“).185 Das Bundesforschungsministerium legte ab 1965 alle zwei Jahre einen Bundesbericht Forschung vor, der jeweils (mit aufsteigender Tendenz) mehrere hundert Seiten umfasste, im Bundestag debattiert wurde und zu dem alle staatlich finanzierten Forschungsorganisationen, also auch die DFG, Angaben über Finanzen und Modi ihrer Arbeit beizusteuern hatten. Die DFG stellte vor diesem Hintergrund im Jahr 1971 ihre öffentliche Berichterstattung um: Der nun als „Tätigkeitsbericht“ betitelte Jahresbericht fiel fortan viel detaillierter aus, umfasste folglich jeweils zwei Bände und vermittelte zentrale Botschaften mit Schaubildern.186 Vor allem die Geschäftsstelle kalkulierte am Anfang der 1970er Jahre sehr bewusst mit den Erwartungen der Öffentlichkeit und des Forschungsministeriums. Nachdem das Planungsreferat im Mai 1971 mit den Vertretern des Ministeriums den Grauen Plan IV für die Jahre 1972 bis 1974 vorbesprochen hatte, hielt es 180 Ansprache Minister, S. 9; vgl. Ansprache Bundesminister, S. 15. 181 Vgl. Bentele, Kartellbildung, S. 189. 182 Vermerk von Czermak (DFG-Planungsreferat) vom 2.6.1971 über die Besprechung mit Vertretern des Forschungsministeriums am 27.5.1971, S. 2, in: BArch, B 227/171352. 183 Vgl. Speers Kritik an „plebiszitären“ Entscheidungen in: Speer, Standort, S. 27. 184 Vgl. zum Beispiel die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages vom 21.5.1965, 10.2.1966 und 7.2.1968, Verhandlungen Bundestag, Berichte, 4. Wahlperiode, 186. Sitzung, Verhandlungen Bundestag, Berichte, 5. Wahlperiode, 19. Sitzung und Verhandlungen Bundestag, Berichte, 5. Wahlperiode, 152. Sitzung. 185 Latein, S. 100; vgl. Jahre. 186 Vgl. Speer, Vorwort 1970, S. 9.
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fest, dass es „ein deutliches Anliegen“ des Ministeriums sei, dass die DFG sich nicht nur an dem „wissenschaftsimmanenten Bedarf “ orientiere, sondern auch an einer „gesellschaftlichen Relevanz der vorgeschlagenen Forschungsvorhaben“, was konkret nur bedeuten konnte: an den Vorstellungen der Bundesregierung über die „gesellschaftliche Relevanz“ von Forschung. In der Sache hielten die DFG-Referenten dies zwar für falsch, nahmen sich aber gleichwohl vor, „bei der Abfassung“ des Plans rhetorisch „auf den Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Relevanz der Forschung besonderes Gewicht“ zu legen.187 In den Materialien, die anlässlich der Vorstellung dieses Grauen Plans im Februar 1972 für die Presse aufbereitet wurden, kehrte die DFG hervor, dass sie vor allem die Förderung der Umweltforschung massiv erhöhen wolle.188 Im Jahresbericht für 1971 änderte die DFG die nach Fächergruppen gegliederte Ausweisung der Fördermittel dahin, dass nun eine neue Kategorie „Umweltforschung“ eingeführt (allerdings nicht systematisch und trennscharf von den anderen abgegrenzt) wurde. Unübersehbar suchte die DFG hier Anschluss an einen aktuellen Trend: Zunächst hatte nämlich Bundeskanzler Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 den Umweltschutz zum Gegenstand der Reformpolitik erklärt. Im September 1970 legte dann die Bunderegierung ein Sofortprogramm für den Umweltschutz vor. Im Oktober 1971 folgte dem ein erstes umfassendes Umweltprogramm.189 Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema „Umwelt“ war zugleich seit Herbst 1969 steil angestiegen, ablesbar an der Artikelfrequenz in Medien wie dem Spiegel, aber zum Beispiel auch daran, dass sich die Jury des bundesdeutschen Vorentscheids für den Eurovision Song Contest im Februar 1971 für den Schlager „Diese Welt“ entschied, der die Bedrohung der Erde durch Schadstoffemissionen besang (Katja Epstein wurde mit diesem Lied immerhin Dritte des europäischen Wettbewerbs in Dublin).190 Derweil beschäftigte sich eine im Dezember 1970 von der Bundesregierung eingesetzte Professorenkommission unter dem Vorsitz des Philosophen Georg Picht mit der Frage, wie eine wissenschaftliche Beratung der Bundesregierung in Umweltfragen künftig organisiert sein sollte. Ende Juli 1971 legte die Kommission ihren Bericht vor.191 In diesem Umfeld musste die DFG ihre Bereitschaft demonstrieren, auf eine neue gesellschaftliche Nachfrage nach durch Forschung generiertem Orientierungswissen zu reagieren. Im Zuge der Reorganisation der Geschäftsstelle richtete sie bereits im Mai 1970 eine eigene Fachgruppe für Umweltforschung ein. Deren erste Aufgabe bestand darin, in einer Broschüre all jene Kommissionen, Schwerpunktprogramme, Forschergruppen und Sonderforschungsbereiche 187 Vermerk von Czermak (DFG-Planungsreferat) vom 2.6.1971 über die Besprechung mit Vertretern des Forschungsministeriums am 27.5.1971, S. 2 f., in: BArch, B 227/171352. 188 Vgl. die Materialien zum Pressegespräch am 21.2.1972, in: ebenda. 189 Vgl. die Regierungserklärung vom 28.10.1969, in: Verhandlungen Bundestag, Berichte, 6. Wahlperiode, 5. Sitzung. 190 Vgl Küppers/Lundgreen/Weingart, Umweltforschung, S. 112–116 und https://www.ecgermany.de/archiv/DV1971.htm (zuletzt besucht am 19.5.2019). 191 Vgl. Küppers/Lundgreen/Weingart, Umweltforschung, S. 139–155.
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zusammenfassend vorzustellen, die seit 1949 zu Themen gearbeitet hatten (und mit etwa 120 Millionen DM gefördert worden waren), die rückblickend unter dem neuen Begriff „Umweltforschung“ subsumiert werden konnten – so etwa die Farbstoff-Kommission (gegründet 1949), die Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (ab 1955), die Kommission für Wasserforschung (seit 1956), die Kommission für Lärmforschung (ab 1962) bis hin zum Schwerpunktprogramm Kariesforschung (seit 1963).192 Zu Recht verwies Julius Speer in seinem Vorwort darauf, dass die DFG eine Fülle der um 1970 unter dem Label „Umwelt“ zusammengefassten Probleme jeweils separiert voneinander „schon verhältnismäßig früh“ als relevant „erkannt und in vorausschauender Weise in Angriff genommen“ habe, irreführend aber war seine implizite Behauptung, die DFG habe diese Themen bereits früher als einen „komplexen (…) und interdisziplinären Aufgabenbereich“, als „die Umweltproblematik“ aufgefasst.193 Intern, sprich: vor dem Senat, gab Speer im Oktober 1971 dagegen zu, dass die DFG von der politischen Nachfrage nach Umweltforschung überrascht worden sei.194 Diese von nun an im Tätigkeitsbericht als gesonderte Fächergruppe auszuweisen, entsprang jedenfalls nicht wissenschaftssystematischen Überlegungen, sondern reagierte auf die zu diesem Zeitpunkt große Resonanz und den Neuigkeitswert des Themas „Umweltschutz“. Oder in den Worten von Günter Küppers, Peter Lundgreen und Peter Weingart: Es handelte sich primär um eine „durch die Politisierung“ des Themas „bedingte Legitimationsstrategie“.195 Wie die Studie der genannten Autoren zeigt, war die DFG mit dieser Strategie insofern erfolgreich, als sie sich in der Mitte der 1970er Jahre als wichtigste Drittmittelquelle der an Hochschulen angesiedelten Umweltforschung behauptet und zugleich die thematischen Schwerpunkte ihrer Förderung gegenüber den 1950er und 1960er Jahren nicht verändert hatte.196 Mitunter ist in den Quellen schwer zu unterscheiden, wo die DFG in Sachen Planung Schaufensterpolitik betrieb und wo sie ihre Praktiken tatsächlich in Richtung systematischer Planung zu verschieben suchte. Im Januar 1971 beispielsweise erklärte Generalsekretär Carl-Heinz Schiel auf einer Direktoriumssitzung, dass „allein das Einsetzen“ von vier Planungskommissionen durch den Senat einige Monate zuvor schon „eine politische Wirkung habe, die das Gewicht der Äußerungen der DFG vergrößere“.197 Schiel kalkulierte zu diesem Zeitpunkt primär mit der Außenwirkung der Kommissionen, aber sie stellten zugleich doch auch ein Experiment da, wie die DFG ihren strategischen Entscheidungen sys-
192 Vgl. Forschungsgemeinschaft, Umweltforschung; zum Umfang der Förderung vgl. ebenda, S. 14. 193 , Speer, Vorwort Kolloquium, S. 9. Vgl. zur DFG-Broschüre die Analyse durch Küppers/ Lundgreen/Weingart, Umweltforschung, S. 38–43. 194 Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 21.10.1971, S. 8, in: BArch, B 227/171352. 195 Küppers/Lundgreen/Weingart, Umweltforschung. S. 121. 196 Berücksichtigt man nur die durch Dritt- und nicht durch Eigenmittel der Hochschulen finanzierten Projekte, entfiel etwas weniger als die Hälfte auf die DFG, vgl. ebenda, S. 214–256. 197 Niederschrift der Direktoriumssitzung vom 18.1.1971, S. 3, in: BArch, B 227/171352.
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tematischer erarbeitete Grundlagen verschaffen könnte, als dies bislang bei den Schwerpunktprogrammen geglückt war. Der Senat hatte im April 1970 auf Vorschlag Speers je eine Planungskommission für die Natur-, Geistes-, Technik- und Biowissenschaften (eine neue Kategorie, unter der fortan Medizin, Biologie, Agrar- und Forstwissenschaften zusammengefasst wurden) gebildet, die jeweils von einem der Vizepräsidenten geleitet wurden. Die Kommissionen sollten jene Forschungsfelder ermitteln, auf deren Förderung sich die DFG mit ebenfalls zu definierenden Instrumenten konzentrieren würde. Nebenbei sollten sie eine „Theorie der Kriterien“ für die Forschungsplanung entwickeln.198 Zu diesem Zweck führten die Kommissionen mithilfe der Geschäftsstelle 1971 Umfragen unter knapp 800 Wissenschaftlern (Fachgutachtern und weiteren als Experten identifizierten Forschern) durch, 1974 wurde der Kreis der Befragten auf über 1.300 Wissenschaftler sowie auf Beamte von Bundes- und Landesministerien ausgedehnt. Allerdings stellte sich aus Sicht der Kommissionen heraus, dass die Antworten in der Gesamtsicht „von Zufälligkeiten“ bestimmt waren und als Planungsunterlagen kaum taugten (auch wenn sie dem Historiker ein interessantes Panorama der Sorgen und Erwartungen der damaligen Professorenschaft bieten).199 Im Frühjahr 1976 endete das Experiment, einen größeren Teil der Klientel über die Kommissionen an den Planungsprozessen zu beteiligen, mit der Auflösung der Kommissionen. Bei der Entwicklung des Schwerpunktverfahrens ab 1953 hatte sich der Senat als unfähig erwiesen, eine konsistente Strategie zu entwickeln; in den 1970er Jahren kamen die von ihm eingesetzten Kommissionen über Ansätze nicht hinaus. Damit erwies sich ein zweites Mal, dass die Konzipierung einer stringenten Förderstrategie für eine Organisation von der Größenordnung und Komplexität der DFG die Möglichkeiten ehrenamtlicher akademischer Selbstverwaltung weit überstieg. Auch in den Planungsprozessen der 1970er Jahre fiel somit die Hauptlast der Arbeit, aber auch der größte Einfluss den hauptamtlich tätigen Referenten der Geschäftsstelle zu, und hier schien zunächst das bei deren Reorganisation im Mai 1970 neu geschaffene Planungsreferat unter der Leitung der Juristin Dagmar Dahs-Odenthal zum strategischen Zentrum zu werden. Das Referat wollte mithilfe der elektronischen Datenverarbeitung systematisch Informationen so erheben, dass man auf ihrer Basis forschungspolitische Initiativen planen könne. Beispielsweise sollten die „signifikanten Einflussfaktoren“ auf die Entwicklung der Antragszahlen im Normalverfahren identifiziert werden, um diese im Voraus per „Trendextrapolation“ abschätzen zu können.200 Innerhalb der Geschäftsstelle 198 Speer, Situation 1970, S. 18. 199 So der Historiker Rudolf Vierhaus, Mitglied der Planungskommission Geisteswissenschaften, in deren Sitzung vom 7.6.1971, zit. nach Orth, Autonomie, S. 234; vgl. ebenda, S. 230–237 und die Auswertung der Umfrage unter 792 Wissenschaftlern zum Grauen Plan IV vom 20.8.1971, in: BArch, B 227/171352. Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1975, S. 28 f. 200 Zit. nach Orth, Autonomie, S. 224 und 226. Der wissenschaftlichen Unterfütterung dieses Vorhaben diente das im November 1970 durchgeführte Kolloquium über Forschungsplanung.
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trafen die Projekte des Planungsreferates, wie Karin Orth herausgearbeitet hat, auf ein geteiltes Echo: Jüngere, „planungseuphorische und technologiebegeisterte“ Referenten hätten sie begrüßt, ältere „traditionsbewusste Mitarbeiter“ dagegen, die den Kern ihrer Tätigkeit in der persönlichen Interaktion mit Antragstellern und Gutachtern sahen, bezweifelten grundsätzlich den Sinn eines Vorhabens, das Erfahrungswissen durch aggregierte Daten ersetzen wollte.201 Die 1970/71 vom Planungsreferat durchgeführten Untersuchungen, die auch Studien zu fünf ausgewählten Hochschulen umfassten, zeichneten ein aufschlussreiches Bild davon, wie relevant die Forschungsförderung der DFG am Anfang der 1970er Jahre für die Hochschulforschung geworden war – deren Finanzierung erfolgte kaum noch aus der Grundausstattung, sondern fast ausschließlich durch Drittmittel, und diese wiederum stammten zu 50 bis 60 Prozent von der DFG. Es erschien daher als wahrscheinlich, dass die Antragszahlen vor allem im Normalverfahren mit dem Ausbau der Universitäten weiter steigen würden.202 Freilich gingen diese Befunde trotz ihrer aufwendigen Gewinnung kaum über das Erfahrungswissen hinaus, das zu diesem Zeitpunkt in den Gremien und unter den Fachreferenten als gesichert galt. Schlussfolgerungen, die qualitativ über eine lineare Ausweitung der bisherigen Förderpraxis hinausgegangen wären, ließen die Erhebungen nicht zu. Im Verlauf der 1970er Jahre sollte die Entwicklung der Antragszahlen dann hinter diesen Prognosen zurückbleiben – was man sich in der Geschäftsstelle nur als Folge einer Krise der Hochschulforschung erklären konnte, ergo: als unvorhersehbare Abweichung von einer virtuellen Normalität. Im Ergebnis führten also weder die Arbeit der Planungskommissionen, noch die Experimente des Planungsreferates zu qualitativen Sprüngen. Karin Orth hat dies prägnant zusammengefasst: „Der in der Diskussion gleichwohl ständig benutzte Begriff der ‚Planung‘ erwies sich dabei als Chiffre für die systematisierte und ausdifferenzierte Fortschreibung dessen, was die wissenschaftlichen Referenten der Geschäftsstelle“ – und hier können wir ergänzen: sowie die Fachausschüsse, der Senat und der Hauptausschuss – „ohnehin seit Jahren taten“.203 Dass sich in der Phase der Planungseuphorie die Förderpraxis der DFG stark veränderte, ging weniger auf ihre eigenen Initiativen, als auf Impulse von außen zurück. Nachdem das Bundesforschungsministerium im Jahr 1968 die Grundfinanzierung der Fraunhofer-Gesellschaft übernommen und diese zur zentralen Förderorganisation der angewandten Forschung bestimmt hatte, ordneten die Ministerien für Bildung und Wissenschaft bzw. (ab 1972) für Forschung und Technologie ihre Portefeuilles zwischen 1969 und 1973 nach dem Grundsatz neu, dass der Staat selbst sich auf die direkte Finanzierung der Großforschungsanlagen konzentrieren sollte.204 Hinter beiden Maßnahmen stand die Überlegung, dass 201 Ebenda, S. 219; vgl. ebenda, S. 218–227. Zu den Skeptikern gehörte auch DFG-Präsident Speer, vgl. Speer, Bericht 1969, S. 16. 202 Vgl. den Vermerk von Dimitriadis (Planungsreferat) vom 20.10.1971 über die Ergebnisse der Untersuchung an fünf Hochschulen, in: BArch, B 227/171352. 203 Orth, Autonomie, S. 227; vgl. ebenda, S. 241. 204 Die Förderung der Großforschungseinrichtungen wurde im Mai 1969 durch eine Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) als Staatsaufgabe definiert. Im Vorfeld hatte sich der Bund
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vor allem diese Felder und Einrichtungen unmittelbar bedeutsam für die technologische und damit ökonomische Zukunft der Bundesrepublik sein würden. Infolge des Strategiewechsels übertrug die Bundesregierung der DFG nun die Förderung von Feldern der Grundlagenforschung (samt der entsprechenden finanziellen Ressourcen), die sie der DFG in den zwei Jahrzehnten zuvor aufgrund ihrer Prestigeträchtigkeit oder ihrer strategischen Bedeutung abgenommen hatte – so die Plasmaphysik, die kernphysikalische Grundlagenforschung (nicht aber die entsprechenden Großforschungsanlagen) und die Meeresforschung. Damit konzentrierte sich das Aufgabengebiet der DFG in den Natur- und Technikwissenschaften noch stärker als zuvor auf die hochschulbasierte Grundlagenforschung, also auf jenes Segment, dessen normativen Primat ihre Gremien ohnehin stets behauptet hatten.205 Die DFG selbst beschrieb denn auch in den ersten Jahresberichten der 1970er Jahre die Aufgabenverteilung zwischen ihr und dem Staat dahin, dass dieser „bevorzugt Schwerpunkte seiner Förderung nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten“ auswähle, während sie selbst die „breitangelegte Grundlagenforschung“ fördere.206 Um dennoch ihren Anspruch auf Vertretung der Wissenschaft aufrechterhalten zu können, betonte die DFG nun nicht nur wie früher, dass die Grundlagenforschung erst die Voraussetzungen der angewandten Forschung schaffe, sondern vor allem, dass in der hochschulbasierten Grundlagenforschung jener wissenschaftliche und technische Nachwuchs ausgebildet werde, dessen die angewandte Forschung bedürfe. Ebenfalls am Beginn der 1970er Jahre übertrug das Bundesforschungsministerium der DFG die Begutachtung und Entscheidung von Anträgen, die Hochschulen im Rahmen von Bundesprogrammen zur Anschaffung von Rechenanlagen und anderen Großgeräten stellten. Auch bisher vom Ministerium selbst verantwortete Fördergelder für wissenschaftliche Tagungen und internationale Beziehungen deutscher Wissenschaftsverbände, wurden von 1972 an über die DFG vergeben. In der Summe übernahm diese damit weitere Dienstleistungen für den Staat: Ihre Geschäftsstelle wickelte die Programme ab, von der DFG bestellte Gutachter und Gremien beurteilten bzw. entschieden die Anträge. Die Bedeutung der DFG für die Hochschulen stieg damit weiter, in den DFG-Gremien trafen diese Aufgabenzuwächse dennoch auf Bedenken, weil sie den Aufwand der Organisation erhöhten, ohne ihr relevante Entscheidungsspielräume zu verschaffen, denn über die Programme selbst und den Umfang ihrer Finanzierung entschied weiterhin die Bundesregierung. Dass sie dennoch im Ergebnis stets die an sie delegierten neuen Aufgaben übernahm, lag im Wesentlichen daran, dass die DFG verhindern wollte, dass sich neben ihr andere Förderorganisationen etablieren könnten.207 zur Übernahme von 90 Prozent der Kosten bereit erklärt (10 Prozent sollte das jeweilige Sitzland tragen); im Januar 1970 gründeten die Großforschungseinrichtungen eine Arbeitsgemeinschaft, um ihre Interessen koordiniert zu vertreten. vgl. Ritter, Großforschung, S. 93–99. 205 Vgl. Orth, Autonomie, S. 164 f. und 174–182. Noch im Bericht 1967, S. 12, hatte die DFG dagegen protestiert, dass die Bundesregierung sie aus der Meeresforschung verdrängt habe. 206 Speer, Situation 1971, S. 17; auch zum Folgenden vgl. ebenda. 207 Vgl. Orth, Autonomie, S. 177–180.
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Im Fall der Friedens- und Konfliktforschung misslang ihr dies zunächst. Ausgehend von Initiativen Gustav Heinemanns und Willy Brandts, die diese 1969 jeweils unmittelbar nach ihrer Wahl zum Bundespräsidenten bzw. Kanzler ergriffen hatten, gründete sich im Oktober 1970 die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK). Bereits im Vorfeld hatte die Bundesregierung den Gründern finanzielle Förderung zugesagt und damit ein aus Sicht der DFG bedrohliches Signal gesendet: Die Regierung förderte durch eine neue Organisation vor allem an Hochschulen angesiedelte Forschung, von der sie sich positive Effekte für die eigene (Entspannungs-)Politik versprach und deren Protagonisten vor allem aus der DFG fernstehenden Wissenschaftskreisen stammten. Julius Speer warnte denn auch sofort vor einem „Chaos in der Wissenschaftsförderung“, sollte dieses Vorgehen „Schule machen“. Die DFG konnte die Gründung der DGFK nicht verhindern, aber die Spielräume der von ihr misstrauisch beäugten Friedensforscher einhegen. Mithilfe der Ministerialbürokratie setzte die DFG durch, dass ihr Hauptausschuss die Hälfte jener Kommission nominierte, die für die DGFK die staatlichen Fördermittel vergab. Auch hatte die DGFK bei der Begutachtung und Abwicklung von Projekten auf die Referenten und Gutachter der DFG zurückzugreifen sowie sich an deren Verfahrensregeln zu orientieren. Speer stellte dies öffentlich als uneigennütziges Engagement seiner Organisation dar, die so „die wissenschaftlichen Standards der Friedensforschung heben“ wolle.208 Als die Finanzierung der DGFK ab 1979 schrittweise wegbrach, weil sich die unionsgeführten Bundesländer eines nach dem anderen aus ihr zurückzogen, wurde die Gesellschaft im Jahr 1983 aufgelöst; bis dahin hatte sie mit 28,3 Millionen DM 305 Forschungs- und 64 Transferprojekte gefördert. Auf Empfehlung des Wissenschaftsrates übernahm 1984 die DFG die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung in eigener Regie. Ohne dass sie dies nach 1970 selbst aktiv betrieben hätte, hatte sich die DFG auf diesem Feld langfristig als einzige Vermittlungsinstanz zwischen staatlichen Geldgebern und Hochschulforschern durchgesetzt. Inhaltlich verengte die DFG in den 1980er Jahren das nun von ihr geförderte Feld auf die Kriegsursachenforschung und ordnete die Erforschung innergesellschaftlicher Konflikte, welche die DGFK bis dahin ebenfalls gefördert hatte, anderen Sachbereichen der Gesellschaftswissenschaften zu.209 Die bedeutendste von außen induzierte Erweiterung des Aufgabengebietes der DFG stellte indes um 1970 die Einführung von Sonderforschungsbereichen dar. Aus der zeitgenössischen Sicht der DFG-Spitze markierte gerade sie den Einstieg ihrer Organisation in einer systematische, die gesamte Hochschullandschaft erfassende Forschungsplanung.210 Der Wissenschaftsrat hatte sich seit Anfang der 1960er Jahre mit der Frage beschäftigt, wie der Auszug der Spitzenforschung aus den Hochschulen in Richtung der Großforschungseinrichtungen, anderer außeruniversitärer sowie industrieller Institute gestoppt und die Hochschulforschung 208 Speer, Situation 1970, S. 14 f. Vgl. zur Geschichte der DGFK und der Rolle der DFG in dieser Wasmuht, Geschichte, S. 189 ff. und 197–231. 209 Vgl. Wasmuht, Geschichte, S. 329–340 und 347 f. 210 Vgl. Speer, Vorwort Kolloquium, S. 8, Schiel, Zeitenwende, S. 8 und Sonderforschungsbereich, S. 3.
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konkurrenzfähig gehalten werden könnte. Im Frühjahr 1966 hatte der Rat hierzu ein zweistufiges Konzept entwickelt: Erstens sollten die Hochschulen jeweils für sich entscheiden, auf welche Fächer und Felder sie sich in der Forschung konzentrieren wollten (bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer thematischen Breite in der Lehre). In einem zweiten Schritt sollte sich hieraus ein arbeitsteiliger Verbund miteinander auf einzelnen Forschungsfeldern kooperierender, in anderen sich ergänzender Hochschulen entstehen. Angesichts der inzwischen erreichten Spezialisierung der Forschung und der steigenden Kosten für deren apparative Grundlagen vor allem in Medizin, Natur- und Technikwissenschaften könnten, so lautete die Überzeugung des Wissenschaftsrates, nur spezialisierte und zugleich vernetzte Hochschulen als Forschungsstandorte überleben. Die im Juli 1967 veröffentlichten „Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970“ fassten dieses Konzept in die Formeln „Schaffung leistungsfähiger Forschungseinheiten in den Hochschulen“, „Konzentration der Kräfte“, „planvolle Abstimmung der Spezialisierungsgebiete“ und schließlich „Verbundsystem der Forschung“ zusammen. Sie forderten eine großzügige Finanzierung der künftigen Sonderforschungsbereiche durch Bund und Länder sowie die Organisation des Programms durch die DFG.211 Der Wissenschaftsrat ging davon aus, dass für die Organisation auf Peer Review beruhender Entscheidungsprozesse über die Einrichtung von SFB an einzelnen Hochschulen, die Abstimmung der Initiativen der Hochschulen aufeinander, eine begleitende „Leistungskontrolle“ sowie die Verwaltung der Fördermittel nur der Apparat der DFG in Frage komme. Daher hatte der Vorsitzende des Rates, Hans Leussink, bereits im Juli 1966 versucht, Speer und den DFG-Senat für das Vorhaben zu gewinnen. Das Präsidium und der Senat hatten allerdings Bedenken. Zum einen scheute man ganz pragmatisch vor einer neuen Aufgabe unbekannter Dimension zurück. Außerdem befürchtete man, dass die Länder ihren Anteil an der Finanzierung der SFB durch Kürzungen in der Grundfinanzierung der Hochschulen kompensieren würden. Die Kernaufgabe der DFG bestehe in der Förderung von Projekten; mit der Förderung von Schwerpunktbildungen an einzelnen Hochschulen greife die DFG dagegen in deren institutionelle Hardware ein. Zudem werde sich durch die Einführung von Sonderforschungsbereichen die Struktur der Hochschullandschaft einschneidend verändern, denn, so gab Speer zu bedenken, durch die SFB werde eine Hierarchien ausbildende „Unterschiedlichkeit der Hochschulen institutionalisiert (…), während bisher alle Hochschulen prinzipiell – wenn auch nicht tatsächlich – gleich seien“.212 Als Alternative schlug der Senat vor, der Staat solle die Mittel für das Schwerpunktverfahren „erheblich aufstocken“.213 Die Bedenken von Präsidium und Senat waren anfänglich massiv, schien das Konzept des Wissenschaftsrates doch exemplarisch ihre Befürchtung zu bestäti211 Empfehlungen 1967, S. 127 f.; vgl. ebenda, S. 126–143 und die ersten Ansätze zu diesem Konzept in den Empfehlungen 1960, S. 41 ff. 212 So Speer am 8.7.1966 vor der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates, zit. nach Bartz, Wissenschaftsrat, S. 98. 213 Bericht 1967, S. 17.
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gen, dass der Übergang zu einer stärker planenden Forschungspolitik die traditionellen Strukturen der deutschen Universität zerstören werde. Aber wie bei der Einführung des Schwerpunktverfahrens am Beginn der 1950er Jahre so führte auch in diesem Fall letztlich die Sorge der DFG-Gremien, im Falle ihrer Verweigerung gegenüber einem politisch gewollten Programm werde sich neben der DFG eine konkurrierende Forschungsförderungsorganisation etablieren, dazu, dass sie sich mit der neuen Förderlinie anfreundeten. Allerdings bedurfte es hierzu etwas Zeit und einiger die gefühlte Dramatik der Entscheidung abmildernder Zwischenschritte. Nach ersten Debatten im Juli und November 1966 setzte der Senat eine Kommission unter dem DFG-Vizepräsidenten und Byzantinisten Hans-Georg Beck ein, welche die Voraussetzungen für eine Übernahme des SFBProgramms klären sollte. Im März 1967 legte Beck dem Senat die Ergebnisse vor: Die Kommission habe sich zu der Empfehlung „durchgerungen“, mit dem Wissenschaftsrat die Durchführung des Programms zu vereinbaren, sofern der Rat mehrere Bedingungen erfülle. Diese liefen darauf hinaus, die künftigen DFGHaushalte von Risiken zu entlasten, indem für die Sonderforschungsbereiche ein gesonderter Etat eingerichtet würde, ausschließlich solche SFB einzurichten, die von den DFG-Gutachtern zuvor positiv beurteilt worden sein würden und das Programm nur schrittweise zu realisieren, um die Kapazitäten der DFG nicht zu überdehnen.214 Unter diesen Voraussetzungen stimmten am 3. März 1967 der Senat und am 13. Juli desselben Jahres die Mitgliederversammlung der DFG (also die Hochschulen selbst) der neuen Förderlinie zu. Nachdem der Wissenschaftsrat die Bedingungen der DFG akzeptiert hatte, richtete der Senat Anfang Dezember 1967 einen aus 22 Wissenschaftlern bestehenden Ausschuss für die SFB ein. Dieser sichtete die mehr als 350 bereits beim Wissenschaftsrat eingegangenen Vorschläge für Sonderforschungsbereiche. In einem mehrstufigen Antrags- und Prüfverfahren verständigten sich DFG und Wissenschaftsrat auf zunächst 18 Sonderforschungsbereiche, die am Ende des Jahres 1968, nachdem sich Bund und Länder über die Finanzierungsmodalitäten geeinigt hatten, mit einem Fördervolumen von knapp 4,6 Millionen DM starteten. Schon 1970 wurden 60 SFB mit 64,4 Millionen DM gefördert, 1973 waren hieraus 106 Sonderforschungsbereiche geworden, in die in diesem Jahr 196,4 Millionen DM flossen – dies entsprach 36,4 Prozent des damaligen DFG-Budgets. Damit lag die erst fünf Jahre alte Förderlinie 1973 deutlich vor den Ausgaben für das Schwerpunktverfahren (in das 16,7 Prozent des Etats flossen) und sogar knapp vor dem Normalverfahren (auf das 35,9 Prozent der Mittel entfielen).215 Motor des Erfolgs war der 1921 geborene Humangenetiker Helmut Baitsch, 1963 bis 1967 als Fachgutachter für Anthropologie einer der Modernisierer seines Faches, 1966 bis 1968 Rektor der Freiburger Universität, 1968 bis 1973 Mitglied des DFG-Senates und in der Anlaufphase bis 1970 der erste Senatsbeauftragte für die Sonderforschungsbereiche. Nach der Beobachtung zweier für die SFB zu214 Vgl. die Niederschrift der Senatssitzung vom 3.3.1967, S. 9–20, insbesondere S. 9 f., in: BArch, B 227/162895 und insgesamt Orth, Autonomie, S. 182–187 sowie die Darstellung im Bericht 1967, S. 16 ff. 215 Vgl. Orth, Autonomie, S. 192 und 196.
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ständiger Geschäftsstellenreferenten warb Baitsch an den Hochschulen wie ein „Missionar“ für die neue Förderlinie.216 In den ersten Jahren bildete sich schrittweise ein systematisches Verfahren zur Einrichtung und Leistungskontrolle der Sonderforschungsbereiche heraus. Zugleich einigten sich DFG, Wissenschaftsrat und staatliche Geldgeber darauf, dass die SFB keine von Beginn an fixierten, sondern durch regelmäßige Überprüfungen jeweils neu zu entscheidende Laufzeiten besitzen, im Prinzip aber endlich sein und die entstandenen Strukturen eines Tages in die Finanzierungsverantwortung der Hochschulen zurückfallen sollten. 1982 wurde eine Maximaldauer von 15 Jahren beschlossen.217 Eingehende Anträge wurden zunächst vom Wissenschaftsrat formal geprüft, dann von DFG-Gutachtern, dem Senatsausschuss und dem Senat im Detail bewertet und im Falle einer positiven Beurteilung vom Wissenschaftsrat in eine Liste potenziell einzurichtender SFB aufgenommen. Erst jetzt konnte die betreffende Hochschule mit einer Unterstützungszusage ihres Kultusministeriums bei der DFG den eigentlichen Einrichtungsantrag stellen, der im für die DFG neuen Format einer „Begehung“, also in der mehrtägigen Verhandlung einer Gutachtergruppe mit den Antragstellern vor Ort, geprüft wurde, wonach sich noch einmal der Senatsausschuss und schließlich der aus dessen Mitgliedern sowie Vertretern des Bundes und der Länder zusammengesetzte „Bewilligungsausschuss“ abschließend mit dem Antrag befassten.218 Nach der Einrichtung eines SFB wurden dessen „Leistungen“ alle drei Jahre wiederum durch Gutachtergruppen evaluiert.219 Die Gremien der DFG schwankten im ersten Jahrzehnt des SFB-Programms zwischen Erstaunen, wie positiv das Programm von ihrer Klientel aufgenommen wurde, und Bedenken, das Programm werde durch die turbulenten Mitbestimmungsdebatten an den Hochschulen paralysiert werden oder aus Finanzknappheit ein „Torso“ bleiben.220 In der Tat reichten die vom Staat überwiesenen Gelder in der Anlaufphase bei Weitem nicht aus, um alle positiv beurteilten Sonderforschungsbereiche gemäß ihrer Anträge zu finanzieren. Im Jahr 1975 führten die wachsenden Nöte der öffentlichen Haushalte sogar zu einem Rückgang des Gesamtetats der SFB von den 228,8 Millionen DM des Vorjahres auf nur noch 184,5 Millionen DM. Die Planungen der staatlichen Geldgeber, die fünf Jahre zuvor für das Jahr 1975 Zuwendungen in Höhe von 220 Millionen DM angesetzt hatten, erwiesen sich als nicht verlässlich.221 Der Einbruch blieb jedoch konjunkturell, ab 1976 stiegen die Mittel wieder an und erreichten am Ende des Jahrzehnts das Niveau von 1974.222 Da ihre Gremien im Sinne der oben zitierten 216 Stackmann/Streiter, Teil, S. 9. 217 Vgl. ebenda, S. 25 ff. 218 Vgl. zur Entwicklung des Verfahrens ebenda, S. 5–9, 13–18 und 25 ff. und Wissenschaftsrat, Verzeichnis, S. 5–18. 219 Leitsätze, S. 14. 220 Speer, Situation 1971, S. 21; vgl. Möller, Entwicklung, S. 9 f. 221 Vgl. die Kostenprognosen in Möller, Entwicklung, S. 7. 222 Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1976, S. 173 f. und die Tabelle in Streiter, 20 Jahre, S. 99.
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Kritik Speers davor zurückscheuten, über die neue Förderlinie das Gefälle zwischen forschungsstarken und –schwachen Universitäten zu vergrößern, reagierte die DFG zunächst auf die finanziellen Engpässe nicht mit einer schärferen Selektion unter den Antragstellern. Vielmehr reduzierte sie die Budgets der einzelnen Sonderforschungsbereiche und ließ sie teilweise gemäß einer Warteliste zeitverzögert starten. Erst nach einer Überarbeitung der Verfahrensordnung im Jahr 1977 stieg die Ablehnungsquote in dieser Förderlinie an und lag in der Mitte der 1980er Jahre bei einem Viertel der Anträge.223 Im Ergebnis etablierten sich die Sonderforschungsbereiche, wie es Karin Orth formuliert hat, als „eine Art Großforschung auf Universitätsniveau“ und bildeten hier „das Pendant zu den Großforschungseinrichtungen“.224 Allerdings konstatierte der für die Sonderforschungsbereiche zuständige DFG-Vizepräsident Eduard Pestel Ende 1974 zu Recht, dass die weitergehenden Planungsvisionen des Wissenschaftsrates sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt hätten: Zwar bezögen die Hochschulen die Bedürfnisse der SFB in ihre Berufungspraxis mit ein, aber es könne keine Rede davon sein, dass sie nennenswerte eigene Mittel in deren Ausbau investierten. Die vom Wissenschaftsrat 1967 erhoffte Abstimmung der Hochschulen untereinander über eine arbeitsteilige Schwerpunktbildung und damit eine Gesamtplanung für die Hochschulforschung liege „leider noch in weiter Ferne“. Als forschungspolitischer Realist warnte Pestel aber vor einer allzu negativen Debatte über die SFB, denn wenn die Kritik zu einem Wegfall „dieses politisch intendierten Programms“ führe, gehe auch die Masse des hierfür eingesetzten Geldes der Forschung verloren.225 Die Erwartung bzw. Befürchtung, die SFB könnten die Struktur der Hochschullandschaft grundlegend umwälzen, hatte sich Mitte der 1970er Jahre also nicht bewahrheitet – so wie generell die Planungsanstrengungen im Kontext der DFG zwar deren Semantik umgebaut, erhebliche zusätzliche Mittel mobilisiert und ihre Konzentration auf die an Hochschulen situierte Grundlagenforschung nochmals verstärkt, dabei aber ihre Strukturen nicht grundsätzlich umgestaltet hatten – dies hatten vielmehr andere Faktoren bewirkt: nämlich die mit einem Generationswechsel einhergehende Pluralisierung ihrer Klientel und ihrer Gremien, der Ausbau der Geschäftsstelle zu einem die Entscheidungen der ehrenamtlichen Honoratiorengremien vorstrukturierenden Management sowie schließlich die Kollateralschäden des Ausbaus der Hochschulen zu Massenuniversitäten. DIE DFG DER 1970ER JAHRE: GARANTIN FÜR DAS ÜBERLEBEN DER HOCHSCHULFORSCHUNG Am Jahresende 1973 schied der inzwischen 68 Jahre alte Julius Speer aus seinem Präsidentenamt. Zu seinem Nachfolger hatte die Mitgliederversammlung bereits am 6. Juni 1973 aus einem dreiköpfigen Bewerberfeld den Münchner Atomphy223 Vgl. Mayer, Universitäten, S. 57–70 und Waßer, Universitätsfabrick, S. 213 f. 224 Orth, Autonomie, S. 191. 225 Pestel, Lage, S. 9 ff.
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siker Heinz Maier-Leibnitz gewählt; allerdings hatte dieser nur 28 der 53 abgegebenen Stimmen erhalten.226 Die Wahl spiegelte somit die mit einer jüngeren Rektorenkohorte in die Mitgliederversammlung der DFG eingezogene Pluralität sowie die Bereitschaft dieser Akteure, politische und Interessendivergenzen untereinander offen auszutragen. Mit dem 1911 geborenen Maier-Leibnitz hatte sich die knappe Mehrheit für einen Kandidaten entschieden, der sich in mehrfacher Hinsicht von seinen Vorgängern unterschied: Anders als Raiser, Hess und Speer war er vor seiner Wahl an die Spitze der DFG nie Rektor einer Hochschule gewesen und hatte weder im Hochschulverband noch in der Rektorenkonferenz eine führende Rolle gespielt; dem Wissenschaftsrat gehörte er erst seit 1972 als Mitglied an. Maier-Leibnitz’ Karriere signalisierte Westorientierung und Reformbereitschaft, aber kaum Verankerung in den Traditionen der deutschen Ordinarienuniversität. Er war 1935 in Göttingen mit einer Dissertation promoviert worden, die zwar nicht formal, aber de facto der Nobelpreisträger James Franck betreut hatte, obwohl dieser aufgrund seiner Gegnerschaft zum NS-Regime bereits zwei Jahre zuvor in die USA hatte emigrieren müssen. Maier-Leibnitz hatte in der Folge als Physiker am Heidelberger KWI, dann MPI für medizinische Forschung gearbeitet, bevor er 1952 auf einen Lehrstuhl an der Technischen Hochschule München berufen worden war. Dort war er als doppelter Modernisierer aufgefallen: Zum einen war auf seine Initiative hin der Bau des ersten deutschen Versuchsreaktors in Garching in Angriff genommen worden (1957 war das „Atomei“ in Betrieb gegangen). Zum anderen hatte Maier-Leibnitz im Jahr 1962 zusammen mit Kollegen die Umwandlung seiner Fakultät in ein Physik-Department nach amerikanischen Vorbild mit abgeflachten Hierarchien und kooperierenden Abteilungen statt voneinander isolierten Lehrstühlen in Gang gebracht (und zwei Jahre später durchgesetzt). Er habe sich damit als Lehrstuhlinhaber „selbst entmachtet“, konstatierte Maier-Leibnitz im Jahr 1974 rückblickend, aber es war ihm so auch gelungen, seinen 1961 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Doktoranden Rudolf Mößbauer aus den USA zurück an die TH München zu holen.227 Maier-Leibnitz selbst leitete von 1967 an das neu gegründete deutsch-französische Institut LaueLangevin in Grenoble. 1972 nach München zurückgekehrt, gelangte er ein Jahr später aus einer wissenschaftspolitischen Sonderrolle an die Spitze der DFG. Gerade dieser relative Außenseiterstatus innerhalb des hochschulpolitischen Establishments (bei gleichzeitig internationaler Reputation) scheint ihn in den Augen seiner Wähler für das neue Amt qualifiziert zu haben: Maier-Leibnitz war nicht eindeutig einem Lager zuzuordnen, erschien reformwillig und hatte sich in Garching wie Grenoble in der Kooperation mit der Politik bewährt. Zugleich galt er unzweifelhaft (und auch hierin unterschied er sich von seinen Vorgängern) als eine Koryphäe seines Fachs, was die traditionalistischen Kollegen beruhigen mochte. 226 Vgl. Mitglieder, S. 6. 227 Maier-Leibnitz, Weihnachtsgedanken, S. 23. Mößbauer hatte die Einführung eines Department-Systems explizit zur Bedingung seiner Rückkehr gemacht, vgl. Rohstock, Ordinarienuniversität, S. 72, vgl. zur Münchner Reform ebenda, S. 154.
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Vor seiner Wahl im Juni 1973 durfte sich Maier-Leibnitz aus entgegengesetzten Richtungen und auf Grundlage einander widersprechender Diagnosen versichern lassen, seine Organisation sei von eminenter Bedeutung, sehe aber einer existenzbedrohenden Krise entgegen. Wenige Tage vor der Mitgliederversammlung stellte die Journalistin Nina Grunenberg in der Wochenzeitung Die Zeit Mutmaßungen darüber an, ob die Ministerialbürokratie möglicherweise die Kontrolle über die DFG übernehmen werde, wenn mit Julius Speer „eine Figur (…) von einsamer Größe“ abtrete. Anders als die aus Sicht der Journalistin mediokre Mehrheit der Hochschulmanager sei Speer „unbeugsam“ gegenüber den „modischen Trends (…) der Wissenschaftspolitik“ geblieben, und habe dadurch den Hochschulen die DFG als „das letzte Instrument“ ihrer Selbstbehauptung gegenüber der Politik erhalten.228 Grunenbergs Misstrauen gegenüber den Absichten der Politik schien sich zu bestätigen, als Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi der in München tagenden Mitgliederversammlung eine sozialdemokratische Grundsatzkritik vortrug: Die DFG fördere „zuviel konservative Wissenschaft“, die sich zudem „mit gesellschaftlich uninteressanten Fragen“ beschäftige; innerhalb der DFG gebe es „zuviel Hierarchie“ zuungunsten von Nachwuchswissenschaftlern und gegenüber den Antragstellern herrsche „zuwenig Transparenz“ in Bezug auf die Entscheidungsgründe der Gremien. Schließlich forderte der Minister, die DFG müsse auch im Normalverfahren die Förderpolitik „noch stärker systematisieren“.229 Speer ging dem Konflikt nicht aus dem Weg und entgegnete Dohnanyi in seiner Abschiedsrede, „das Wesen lebendiger Wissenschaft“ bestehe in der „schöpferischen Freiheit und Initiative“ des einzelnen Forschers; statt von Planung sprach der DFG-Präsident von „freier Spontaneität“ und „intuitivem Einfall“, auf deren Förderung das Normalverfahren angelegt sei.230 Während Speer beklagte, dass die DFG „wieder zu einer Notgemeinschaft“ geworden sei,231 verband der gastgebende Münchner Rektor Nikolaus Lobkowicz die Lobpreisung des scheidenden Präsidenten mit einer dramatischen Diagnose des Universitätssystems insgesamt: Dieses sei aus eigener Kraft zur Forschung nicht mehr in der Lage, nur die DFG verhindere derzeit noch, dass die „Lehr- und Lernfabrik“ Universität völlig verschule. Speer habe die DFG mit seiner „Festigkeit im Grundsätzlichen“ als einen „Leuchtturm in der Brandung“ bewahrt, der „von der Turbulenz der Zeitläufe kaum berührt“ geblieben sei. Aber es sei zu fürchten, dass die DFG ihre Funktion künftig nicht mehr erfüllen könne, dann aber würden die „Hochschulen (…) nur noch Schulen sein“.232 Gegenüber diesem dissonanten Chor der Missvergnügten setzte MaierLeibnitz von Beginn an Signale, die auf Beruhigung und Ausgleich zielten. Speers mitunter konfrontativer Ton verschwand aus den Verlautbarungen der DFG, stattdessen betonte der neue Präsident die Vereinbarkeit der Interessen von 228 Grunenberg, Präsidentenwahl. Immerhin hielt Grunenberg auch Maier-Leibnitz für „standfest“. 229 Ansprache Bundesminister 1973, S. 13 f. 230 Speer, Ansprache 1973, S. 21. 231 Ebenda, S. 18. 232 Lobkowicz, Ansprache, S. 9 f.
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Forschern und Politikern. Die DFG sei „aufgebaut als eine Gelehrtenrepublik“, erklärte er am 7. Januar 1974 in seiner Antrittsrede vor den Mitarbeitern der DFGGeschäftsstelle und fügte hinzu: „Aber durch die Struktur ihrer Gremien ist der Einfluß der anderen gesellschaftlichen Kräfte sichergestellt.“233 Einige Monate später räumte Maier-Leibnitz im ersten von ihm verantworteten DFG-Jahresbericht Zweifel ein, „ob die Grundlagenforschung die Forderungen erfüllt, die an sie als ein Werkzeug zur Veränderung von Gesellschaft und Umwelt zu stellen sind“. Demgegenüber bekannte er sich dazu, dass die DFG eine „Dienstleistungsorganisation“ sowohl für die Wissenschaft als auch für den Staat sei, in der sich die „Initiativen der Forscher“ und die „Wünsche der Politiker (…) ergänzen“ sollten.234 Wie bereits deutlich geworden sein dürfte, speiste sich die düstere Grundstimmung eines Teils der DFG-Klientel am Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre aus einer Abwehrhaltung gegenüber der (letztlich begrenzt bleibenden) Demokratisierung der Hochschulen, gegenüber der Politisierung ihres Alltags durch den vielerorts eskalierenden Aktivismus linker Studierender, aber auch gegenüber der „Massenuniversität“ allgemein (die Beschwörung einer Verschulung der akademischen Bildung war ja nicht nur kulturkritischem Ressentiment, sondern zugleich einer sich real weitenden Schere zwischen Studierendenzahlen und den Personalkapazitäten der Hochschulen geschuldet) – und damit wesentlich aus Faktoren, die jenseits des Einflusses der DFG lagen. Misst man deren eigene Entwicklung in diesem Zeitraum an ihrem Etat, so scheinen die Reformjahre auf den ersten Blick eher Jahre erfolgreicher Expansion gewesen zu sein. Die Gesamteinnahmen der DFG stiegen zwischen 1967 (dem letzten Jahr vor Einführung der Sonderforschungsbereiche) und 1973 (Julius Speers letztem Amtsjahr) von 179,9 auf 536,8 Millionen DM an, dies war fast eine Verdreifachung. Rechnet man die für die Sonderforschungsbereiche vorgesehenen Mittel aus den Einnahmen heraus, so waren sie mit 352,9 Millionen DM gegenüber 1967 immer noch um 96,2 Prozent angestiegen. Selbst wenn man die zeitgenössische Inflation berücksichtigt (die zwischen 1967 und 1973 zu einem Kaufkraftverlust von gut 17 Prozent führte), waren die Einnahmen der DFG realiter erheblich gewachsen.235 Anders als es diese Zahlen erwarten lassen, galt die Haushaltslage den DFGGremien ab 1966 durchgängig als prekär. Im Oktober dieses Jahres diskutierte der Hauptausschuss ein ihm außergewöhnlich erscheinendes Phänomen: Die der DFG zur Verfügung stehenden Mittel reichten nicht mehr aus, alle positiv begutachteten Projekte in vollem Umfang zu finanzieren. Es sei nötig, so stellte man fest, „eine schärfere Auslese“ zu betreiben.236 Zwei Jahre später behauptete der DFG-Bericht für 1967, die DFG sei „unversehens wieder zu einer Notgemeinschaft“ geworden, die „dort einspringen mußte, wo die Länder selbst denjenigen Aufgaben der Forschungsförderung, die ihnen verfassungsgemäß vorbehalten 233 234 235 236
Amtsübergabe, S. 4. Maier-Leibnitz, Situation, S. 11 und 9. Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1973, S. 24. So Adolf Butenandt laut der Niederschrift der Hauptausschusssitzung vom 7.10.1966, in: BArch, Film 1831 K.
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sind, nicht mehr voll nachkommen konnten“.237 Diese Diagnose verstetigte sich in der Folge; wie wir gesehen haben, charakterisierte Speer die DFG auch in seiner Abschiedsrede vom Juni 1973 als „Notgemeinschaft“. Drei Phänomene führten in der Summe zum pessimistischen Blick eines Teils der DFG-Spitze auf die Entwicklungsmöglichkeiten der westdeutschen Hochschulforschung im Allgemeinen und die Spielräume der eigenen Förderpolitik im Besonderen. Erstens beobachteten die DFG-Gremien mit konstantem Missvergnügen, dass die Länder beim Ausbau der Hochschulen vor allem die wachsende Nachfrage im Bereich der Lehre im Blick hatten (zwischen 1967 und 1980 stiegen die Studentenzahlen von 370.000 auf eine Million) und ihre Mittel auf die für den Ausbau der Hochschulen nötigen Investitionen (zum Beispiel in Bauten) konzentrierten. Das Planungsreferat der DFG stellte 1971 in seiner Untersuchung von fünf ausgewählten Hochschulen fest, dass deren für Forschung und Lehre disponiblen Mittel seit 1966 um etwa 30 Prozent gesunken, dagegen die Investitionen stark gestiegen seien. Der Haushaltsreferent der Münchner Universität, so vermerkte das Referat, habe erklärt, dass „bei der Neueinrichtung eines Lehrstuhles (…) diesem im Normalfall nur Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zum größten Teil für den Lehrbetrieb ausreichen. Dem Bewerber für diesen Lehrstuhl wurde nahegelegt, für die Finanzierung seiner Forschungsvorhaben einen Antrag bei der DFG zu stellen“.238 In einer Umfrage des Allensbacher DemoskopieInstitutes vom Wintersemester 1976/77 gaben 57 Prozent der 3.000 befragten Professorinnen und Professoren an, die Grundfinanzierung ihres Institutes reiche für Forschung nicht aus.239 Für das Jahr 1976 vermerkte der sechste Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung, dass ein Drittel des in der Forschung tätigen Hochschulpersonals durch Drittmittel finanziert werde, wobei die DFG mit einem Anteil von 56 Prozent die wichtigste Drittmittelquelle der Hochschulen sei und 57 Prozent von deren Drittmittelbeschäftigten finanziere.240 Zwar hatten die DFG-Gremien bereits in den 1960er Jahren regelmäßig geklagt, die DFG müsse im Gefolge des Hochschulausbaus zunehmend Aufgaben der Länder übernehmen, die sich aus der Grundfinanzierung der Forschung zurückzögen. In den 1970er Jahren aber verband sich diese Dauerklage mit der Beobachtung, dass die Antragssummen schneller anzögen als die der DFG von ihren staatlichen Geldgebern zur Verfügung gestellten Mittel. Versteht man unter „Krise“ die Unmöglichkeit, auf eine Situation mit den bislang eingeübten Wahrnehmungs- und Handlungsmustern sinnvoll zu reagieren, so erfuhren die DFG-Akteure die an sie adressierte wachsende Nachfrage als Krise, weil diese sie in bis dahin ungewohntem Maße zu Entscheidungen gegen die Interessen eines Teils ihrer Klientel zwang, etwa in Gestalt steigender Ablehnungsquoten. Die Leiterin des DFG-Planungsreferates Dagmar Dahs-Odenthal erschrak 1971 über „die Möglichkeit von Zielkonflikten“: „Beispielsweise wird die Frage, welche Dimension der Freiheitsraum ungeplanter For237 238 239 240
Bericht 1967, S. 19. Vermerk von Dimitriadis vom 20.10.1971, S. 5, in: BArch, B 227/171352. Institut, Untersuchung, S. 22. Vgl. Bundesbericht Forschung VI, S. 91.
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schung im Verhältnis zu der stärker gesteuerten Forschungsförderung haben soll, in den kommenden Jahren voraussichtlich besonders umstritten sein.“241 Zweitens blieben die Einnahmen um 1970 deutlich hinter jenen Erwartungen zurück, welche die DFG zuvor in ihren Grauen Plänen an die staatlichen Geldgeber adressiert hatte. Der Graue Plan IV hatte beispielsweise für das Jahr 1972 einen Bedarf von 377,5 Millionen DM (ohne SFB) prognostiziert, demgegenüber lagen die Einnahmen in diesem Jahr (ohne SFB) nur bei 326,3 Millionen DM, deckten also den angemeldeten Bedarf nicht. Nachdem die ersten Grauen Pläne in den 1960er Jahren von der Politik mit entsprechenden Steigerungen der Zuwendungen honoriert worden waren, hatte sich in den DFG-Gremien die Erwartung eingestellt, der Staat werde dies langfristig linear fortsetzen. Dies aber war einerseits politisch kaum plausibel zu machen, hätte es doch bedeutet, dass die DFG nur zu bestellen und die Politik zu liefern habe. Andererseits konnten die Grauen Pläne die Gesamtentwicklung der Staatsfinanzen nicht mit einkalkulieren, operierten also notwendigerweise in Unkenntnis der letztlich entscheidenden Rahmenbedingungen auf Seiten der Geldgeber. Gleichwohl minderte die Nichterfüllung der eigenen Pläne durch die Politik das Vertrauen der DFGGremien in ihre staatlichen Gegenüber.242 Das Vertrauen litt zudem dadurch, dass sich die staatlichen Geldgeber drittens ab 1966 mehrfach selbst dann als nicht verlässlich erwiesen, wenn sie zuvor explizit Zusagen gemacht hatten. In Jahren der konjunkturellen Abschwächung – so 1966/67 und 1975 – verzögerte das Finanzministerium die Freigabe von Mitteln, die bereits in den Bundeshaushalt eingestellt waren. 1972 – im Jahr des Misstrauensvotums gegen Willy Brandt und der vorgezogenen Neuwahlen – konnte der Bundestag den Haushalt erst im Dezember beschließen; auch dies registrierte die DFG als Indikator wachsender „Unsicherheit“ ihrer Finanzbasis.243 Hinzu kamen die Effekte steigender Inflationsraten, die von den Geldgebern nicht vollkommen ausgeglichen wurden. Im Jahr 1977 bezeichnete es Heinz Maier- Leibnitz als „Schock“, dass das DFG-Budget in den beiden Vorjahren zwar nominell um 5,6 bzw. 3,5 Prozent gewachsen war, damit aber hinter der Inflation von 6,9 bzw. sechs Prozent zurückgeblieben, ergo real geschrumpft war.244 Trotz der realen Probleme der DFG im Umgang mit einer steigenden Nachfrage seitens ihrer Klientel einerseits, mit der nicht gleichermaßen steigenden Finanzierungsbereitschaft von Bund und Ländern andererseits, sind dramatisierende Begriffe wie „Schock“ und „Notgemeinschaft“, vor dem Hintergrund des generellen hochschulpolitischen Krisenbewusstseins zu verstehen, das einen Teil der DFG-Klientel damals (aus teils verständlichen Gründen) plagte. Julius Speer etwa hatte 1973 im letzten von ihm verantworteten Jahresbericht der DFG eine „beunruhigende Krise der Universitäten“ schlechthin diagnostiziert.245 Sein 241 242 243 244
Dahs-Odenthal, Einleitung, S. 12. Vgl. Speer, Situation 1972, S. 14 und Orth, Autonomie, S. 200 ff. Speer, Ansprache 1973, S. 26. Maier-Leibnitz, Humanisierung, S. 11; die folgenden Zahlen vgl. in ebenda, S. 16 und https://www.inflation-deutschland.de/inflation-historisch.html (zuletzt besucht am 19.5.2019). 245 Speer, Situation 1972, S. 13.
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Nachfolger Heinz Maier-Leibnitz problematisierte im Bericht für 1976 den Befund, dass das Wachstum der Antragszahlen deutlich hinter den Erwartungen der DFG zurückgeblieben war: „Ein Vertrauensschwund der Forscher ist unverkennbar, gleich ob zu sich selbst oder zu den Förderern. Die Forschung an den Hochschulen ist in Gefahr.“246 Solche Warnungen waren allerdings nicht typisch für Maier-Leibnitz, vielmehr sprach er sie nur sporadisch aus, eventuell um die Gefühlslage von Teilen der DFG-Klientel zu artikulieren. In der Regel bemühte er sich um einen gelassenen Umgang mit der Krise. Im Jahresbericht für 1974 verwies der DFG-Präsident darauf, dass nicht die Gegenwart, sondern die beiden Boom-Jahrzehnte der Forschungsförderung nach Gründung der Bundesrepublik eine Ausnahmesituation gewesen seien. Damals hätten „weitgehend die Wünsche der Wissenschaftler das Tempo bestimmt (…). Diese Periode raschen Wachstums geht in diesen Jahren zu Ende: auf allen Gebieten ist Begrenzung, Lenkung, Kontrolle – kurz: Forschungspolitik notwendig geworden.“247 Dies klang wie ein Echo der ersten Regierungserklärung Helmut Schmidts vom Mai 1974, in der dieser „Kontinuität und Konzentration“ als Leitbegriffe seines Kabinetts ausgegeben hatte.248 Im Jahr 1978 würdigte Maier-Leibnitz noch einmal den „spektakulären Anstieg“ der Fördermittel in den 1960er Jahren und betonte, dass die bundesdeutsche Forschungsförderung auch am Ende der 1970er Jahre „mindestens“ das Niveau der anderen westlichen Staaten besitze.249 Konsolidierende Forschungspolitik in Maier-Leibnitz’ Sinne betrieb die DFG auf zwei Ebenen: im Förderalltag durch steigende Ablehnungsquoten und in ihrer mittelfristigen Haushaltspolitik, indem sie die Anteile zwischen den Förderlinien und zwischen den Disziplinen verschob. Seit Auftreten der ersten Engpässe im Jahr 1966 erörterten die DFG-Gremien Möglichkeiten, die Ausgaben durch eine Verschärfung der Begutachtung oder die Deckelung der Förderung von „Groß- und Vielantragstellern“ zu senken. Im Februar 1968 forderte Speer in einer Sitzung mit den Vorsitzenden der Fachausschüsse, die Gutachter sollten nicht nur isoliert die Qualität eines Antrages bewerten, sondern zugleich seine relative Dringlichkeit im Verhältnis zu anderen Projekten.250 Wie die Soziologen Ilse Hartmann und Friedhelm Neidhardt anhand der Analyse von Begutachtungsund Entscheidungsprozessen der 1970er Jahre festgestellt haben, wurde es zudem gängige Praxis, dass die Fachreferenten in ihren Entscheidungsvorschlägen für den Hauptausschuss Mittelkürzungen für die grundsätzlich positiv zu bescheidenden Anträge anregten, um eine aus ihrer Sicht allzu weitgehende Kulanz der Gutachter auszugleichen. Im Fach Politikwissenschaft betraf dies 31 Prozent der
246 Maier-Leibnitz, Humanisierung, S. 11. 247 Maier-Leibnitz, Vorwort, S. 9. 248 So Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974, in: Verhandlungen Bundestag, Berichte, 7. Wahlperiode, 100. Sitzung, S. 6593. 249 Maier-Leibnitz, Tendenzen, S. 35. 250 Niederschrift der Besprechung Speers mit den Fachausschussvorsitzenden vom 16.2.1968, in: BArch, Filkm 1831 K.
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von Hartmann untersuchten Verfahren.251 Gemessen an den Antragssummen stiegen die Ablehnungsquoten zwischen 1967 und 1973 im Normalverfahren von 21 auf 25,7 und im Schwerpunktverfahren von 18 auf 26,9 Prozent – nachdem sie 1966 noch in beiden Förderlinien bei nur zwölf Prozent gelegen hatten.252 In der Folge stiegen die Ablehnungsquoten elastisch in Jahren knapper Kassen (1976 betrugen sie im Normalverfahren 45,1 und im Schwerpunktverfahren 40,4 Prozent), um in Zeiten entspannter Haushalte wieder zu sinken: 1979 wurden im Normalverfahren 27,3 und im Schwerpunktverfahren 29,2 Prozent der Antragssummen abgelehnt.253 Auch in Bezug auf die Fachgruppen erwies sich die Bewilligungspraxis in den 1970er Jahren als flexibel, mal lagen die Ablehnungsquoten in den Naturwissenschaften unter jenen der Ingenieur- oder der Biowissenschaften, mal über ihnen. Die Quoten der Geisteswissenschaften bewegten sich stets auf ähnlichem Niveau; dass gerade sie zu Opfern von Sparzwängen geworden wären, lässt sich an den Ablehnungsquoten jedenfalls nicht belegen.254 Dasselbe Bild ergibt sich, wenn wir die Anteile der Geisteswissenschaften an der Summe aller Projektbewilligungen (also im Normal- und Schwerpunktverfahren sowie ab 1968 im Rahmen von Sonderforschungsbereichen) zwischen 1967 und 1979 erfassen; diese stiegen von 15,8 Prozent der bewilligten Mittel im Jahr 1967 über 16,3 Prozent im Jahr 1973 bis auf 16,6 Prozent im Jahr 1979 moderat an. Eine relevante Umschichtung der Fördermittel fand dagegen zwischen den klassischen Naturwissenschaften (Physik, Chemie und Geowissenschaften) einerseits und den Ingenieur- und Biowissenschaften andererseits statt. Die letztgenannte Fächergruppe wurde mit der Reorganisation der DFG-Geschäftsstelle im Jahr 1970 aus den bislang jeweils eigene Fächergruppen bildenden Agrar- und Forstwissenschaften, der Medizin und der nun aus den Naturwissenschaften in die neue Kategorie verschobenen Biologie neu konstituiert.255 Um die quantitative Entwicklung der Fächergruppen adäquat abzubilden, muss man folglich die Zahlen für 1967 (als die Biologie der DFG noch als Naturwissenschaft gegolten hatte) nach der 1970 neu eingeführten Systematik umrechnen, um eine einheitlich strukturierte Datenbasis für die drei hier betrachteten Stichjahre 1967, 1973 und 1979 zu erhalten. Untersucht man auf dieser Grundlage die Entwicklung der Fächergruppen, so zeigt sich, dass die Konstituierung der Biowissenschaften nicht nur ein administrativer Akt war, sondern auch eine Intensivierung der Förderung dieser Disziplinen durch die DFG einleitete. Während im Jahr 1967 auf die späteren Biowissenschaften 29 Prozent aller Fördergelder entfallen waren, kletterte dieser Anteil bis 1973 auf 33,9 und bis 1979 sogar auf 36 Prozent. Auch die Ingenieurwissenschaften gewannen nach dem Jahr 1967, in dem auf sie 17,6 Prozent der 251 Vgl. Hartmann/Neidhardt, Wissenschaft, S. 97 f. 252 Vgl. Bericht 1967, S. 20 und Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1973, S. 33 und 53. 253 Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1976, S. 141 und 154 sowie dieselbe, Tätigkeitsbericht 1979, S. 151 und 165. 254 Vgl. exemplarisch Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1971, S. 38, dieselbe, Tätigkeitsbericht 1973, S. 30 und dieselbe Tätigkeitsbericht 1975, S. 64. 255 Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1971, S. 35.
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DFG-Projektmittel entfallen waren, Anteile hinzu. 1973 entfielen 23,3 Prozent der Fördergelder auf sie, bis 1979 verloren sie zwar wieder an Boden, gehörten aber dennoch mit einem Anteil von nun 20,9 Prozent zu den Gewinnern der 1970er Jahre.256 Eindeutige Verlierer der Verschiebungen in der DFG-Förderpolitik waren die klassischen Naturwissenschaften, deren Anteile an den Projektmitteln von 37,6 Prozent im Jahr 1967 über 23,2 Prozent 1973 bis 1979 auf nur noch 20,9 Prozent abstürzten. Mit dieser Verschiebung der Gewichte in der Förderung korrespondierte eine Umverteilung der Mandate im Senat der DFG: Hatten diesem im Jahr 1967 noch (bezogen auf die drei Jahre später eingeführte neue Systematik) neun Naturwissenschaftler und fünf Biowissenschaftler angehört, so saßen im Senat von 1973 sechs Naturwissenschaftler acht Biowissenschaftlern gegenüber; im Jahr 1979 betrug dieses Verhältnis sechs zu neun.257 Für die Umverteilung der Fördermittel gibt es im Kern drei Erklärungen. Erstens entsprach sie einem generellen Bedeutungszuwachs der von der Medizin angeführten Biowissenschaften im Vergleich zu den klassischen Naturwissenschaften während der 1970er Jahre – bezogen auf den Rahmen der an Hochschulen betriebenen Forschung. Im Jahr 1975 betrug der Anteil der Biowissenschaftler unter den dort Forschenden 40 Prozent gegenüber 26 Prozent für die Naturwissenschaftler; die DFG selbst merkte hierzu im Bericht für dieses Jahr an, der Anteil der Biowissenschaften an ihren Fördergeldern sei deshalb so hoch, weil Fächer wie die Physik eher über Großforschungseinrichtungen außerhalb der Hochschulen verfügten und hier direkt vom Staat gefördert würden.258 Zweitens dürfte die verstärkte Förderung der Bio- wie auch der Technikwissenschaften eine strategische Antwort der DFG-Gremien auf die Forderungen der Politik gewesen sein, vermehrt gesellschaftlich relevante Forschung zu finanzieren. Für beide Fächergruppen ließ sich der Nutzeffekt selbst solcher Forschung, die wissenschaftsintern als Grundlagenforschung ausgeflaggt wurde, gegenüber der Öffentlichkeit relativ einfach plausibel machen. Und drittens schließlich gelang es sowohl den Bio- als auch den Ingenieurwissenschaften besser als den anderen Fächergruppen, die neue Förderlinie der Sonderforschungsbereiche zu bespielen. Betrachtet man nämlich den Anteil der Fächergruppen speziell an dieser Förderlinie, so entfielen hier auf die Biowissenschaften im Jahr 1973 imposante 42,4 Prozent der Mittel, auf die Technikwissenschaften 24,5 Prozent, auf die klassischen Naturwissenschaften dagegen nur 21,5 Prozent; 11,7 Prozent der SFB-Mittel flossen 1973 in geisteswissenschaftliche Projekte. Dieses Muster setzte sich auch in der Folge fort, 1979 belief sich der Anteil der Naturwissenschaften an den SFB-Mitteln sogar nur noch auf 19,7 Prozent, jener 256 Den Umweltwissenschaften wurden 1973 2,6 und 1979 5,5 Prozent der Fördermittel zugeschrieben; diese Zuschreibungen muten allerdings etwas unsystematisch an. 257 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 317–320, Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1973, S. 209 f. und dieselbe, Tätigkeitsbericht 1979, S. 301 f. 258 Vgl. Bundesbericht Forschung VI, S. 91 und Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1975, S. 96. Für die USA hat Geiger, Milking, S. 343, konstatiert, in den 1970er und 1980er Jahren seien 55 Prozent der für Grundlagenforschung aufgewendeten Bundesmittel in die Biowissenschaften geflossen.
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der Biowissenschaften dagegen auf 43,2 und jener der Ingenieurwissenschaften auf 24,2 Prozent. Den Bio- und Technikwissenschaftlern gelang es also besser als den Naturwissenschaftlern, sich eine Förderlinie anzueignen, welche die Konzentration von Forschern einer Hochschule auf ein Themenfeld verlangte – während die Naturwissenschaftler in den 1950er und 1960er Jahren von der Förderlinie der die Forscher verschiedener Hochschulen koordinierenden Schwerpunktprogramme stärker profitiert hatten als andere Fächergruppen. Hier scheinen strukturelle Eigenheiten der Disziplinen ihren Erfolg in den Förderlinien mitbestimmt zu haben.259 Wenn die Naturwissenschaftler während der 1970er Jahre innerhalb der DFGFörderung ins Hintertreffen gerieten, dann also auch deshalb, weil die DFG die Förderung der Schwerpunktprogramme zurückfuhr. Im Jahr 1970, als die drei Jahre zuvor eingeführten SFB als etabliert gelten konnten, entfielen 26,4 Prozent der für die nun drei großen Förderlinien eingesetzten Mittel auf die Sonderforschungsbereiche, 46,5 Prozent auf das Normal- und 27,1 Prozent auf das Schwerpunktverfahren. Dessen Anteil sank bis 1979 auf nur noch 17,7 Prozent, während auf die SFB nun 33,5 Prozent entfielen, und das Normalverfahren seinen Anteil leicht auf 48,8 Prozent der Projektmittel gesteigert hatte.260 Die Naturwissenschaftler waren zwischen zwei Mühlsteine geraten, nämlich den politischen Willen, die neue Förderlinie der SFB zu etablieren, und das Beharren der DFG-Gremien darauf, das aus ihrer Sicht politisch bedrohte Normalverfahren unbedingt zu verteidigen. Das Normalverfahren, so begründete Julius Speer diese Haltung 1971, müsse der Kern der DFG-Förderpolitik bleiben, weil nur diese Förderlinie „der geistigen Individualität der Forscherpersönlichkeit (…) einen möglichst großen relativen Spielraum (…) sichern“ könne.261 Unter den Haushaltsbedingungen der 1970er Jahre aber war die Stärkung des Normalverfahrens nur zu Lasten des Schwerpunktverfahrens möglich. Um den Stellenwert und die Funktion der DFG innerhalb der bundesdeutschen Forschungslandschaft zur Mitte der 1970er Jahre zu bestimmen, kann man zunächst die Höhe ihres Etats in Relation setzen zu den Gesamtausgaben von Bund und Ländern für Forschung und Entwicklung, die im Jahr 1975 bei zwölf Milliarden DM lagen. Hiervon erhielt die DFG lediglich fünf Prozent. Sinnvoller dürfte es allerdings sein, die Bedeutung der DFG nicht an ihrem Anteil an der Gesamtheit der staatlichen „FuE“-Aufwendungen (inklusive der Wehr- und anderer Ressortforschung) zu messen, sondern sie als Akteurin der institutionellen Forschungsförderung durch den Staat in den Blick zu nehmen. An jenen 259 Den relativen Misserfolg der Geisteswissenschaften in der Förderlinie der SFB erklärten sich die DFG-Gremien damit, dass diese Disziplinen an den Hochschulen nicht ausreichend mit Personal ausgestattet und daher zur Forschung in großen Formaten kaum in der Lage seien, vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1975, S. 71. Bis 1979 hatte sich ihr Anteil an den SFB-Mitteln aber immerhin auf 12,9 Prozent gesteigert, vgl. dieselbe, Tätigkeitsbericht 1979, S. 189. 260 Vgl. Orth, Autonomie, S. 197 und Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1979, S. 18 (Die Prozentangaben abweichend von der Quelle bezogen nur auf die drei großen Förderlinien). 261 Speer, Situation 1970, S. 16.
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knapp 2,6 Milliarden DM, die Bund und Länder im Jahr 1975 hierfür ausgaben, betrug der Anteil der DFG 23,2 Prozent. Damit blieb sie weit hinter den Großforschungseinrichtungen zurück, deren Anteil 49,6 Prozent betrug. Zugleich aber lag die DFG in dieser Rangliste auf Platz 2 vor allen anderen Empfängern, so der Max-Planck-Gesellschaft (17,9 Prozent) oder den Einrichtungen der Blauen Liste (7,5 Prozent).262 Der Wissenschaftsrat bezeichnete die DFG 1975 als die „größte und wichtigste Forschungsförderungseinrichtung“ in der Bundesrepublik, und Heinz Maier-Leibnitz beanspruchte im selben Jahr für seine Organisation die Funktion, „die Leistungsfähigkeit der Forschungsinstitutionen in der Grundlagenforschung und solcher anwendungsnaher Forschung, die in den Hochschulen geschieht“, sicherzustellen.263 In der Tat war die DFG während der 1970er Jahren die mit großem Abstand wichtigste Drittmittel-Quelle für die Hochschulen: Im Jahr 1976 beispielsweise beliefen sich die gesamten Drittmittel-Einnahmen der Hochschulen auf 991 Millionen DM, die Zahl der so finanzierten Stellen lag bei 21.850. Aus den Kassen der DFG stammten hiervon 554 Millionen DM, und sie finanzierte 12.500 Stellen in der Hochschulforschung, während die zweiwichtigste Drittmittelquelle, das Bundesforschungsministerium, den Hochschulen nur knapp 209 Millionen DM zukommen ließ, womit 4.300 Stellen finanziert wurden. Umgekehrt flossen während dieses Jahrzehnts mehr als 90 Prozent des DFG-Etats an die Hochschulen, und waren über 90 Prozent der Antragsteller Hochschulangehörige. 264 Eine im Wintersemester 1976/77 auf Initiative der DFG und finanziert durch mehrere Stiftungen durchgeführte Erhebung des Allensbacher Institutes für Demoskopie unter 3.000 Professorinnen und Professoren sowie 1.900 Angehörigen des akademischen Mittelbaus belegt, dass die damaligen Hochschulwissenschaftler ihrerseits die DFG als ihre Organisation betrachteten. 95 Prozent der Professorinnen und Professoren bewerteten die Förderprogramme der DFG als „sehr wichtig“ für ihr jeweiliges Fach; den zweiten Platz belegte in dieser Hinsicht mit 62 Prozent die Volkswagenstiftung, Förderungen durch das Bundesforschungsministerium hielten nur 36 Prozent der Befragten für ebenso wichtig. 74,9 Prozent gaben an, dass sie sich zuerst an die DFG wenden würden, falls sie Geld für ein Projekt benötigten. Nur acht Prozent der Befragten glaubten, mit ihren Projekten bei der DFG chancenlos zu sein – obwohl zugleich 55 Prozent vermuteten, Anträge würden oft „nicht neutral“, nämlich von Konkurrenten begutachtet. 69 Prozent der Professorinnen und Professoren hatten bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits Anträge bei der DFG gestellt (in einigen Fächern wie den Geowissenschaften, der Biologie oder der Chemie lagen diese Werte bei 90 Prozent 262 Vgl. Bundesbericht Forschung VI, S. 76, 147 und 149. Speers Kritik an der Förderung der Großforschungseinrichtungen vgl. in Speer, Situation 1972, S. 14. 263 Wissenschaftsrat, zit. nach Neidhardt, Selbststeuerung, S. 16 und Maier-Leibnitz, Vorwort, S. 9. 264 Vgl. Bundesbericht VI, S. 91 und 141, den Vermerk Dimitriadis’ vom 20.10.1971 über die Untersuchung von fünf Hochschulen durch das Planungsreferat, S. 4, in: BArch, B 227/171352 sowie Orth, Autonomie, S. 182.
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und darüber) und zwar im Schnitt 6,3 Anträge mit einer Erfolgsquote von 91 Prozent. Die Akzeptanz der DFG als primärer Ansprechpartnerin auf der Suche nach Forschungsförderung fiel bei den Mittelbauangehörigen nur unwesentlich schwächer als bei ihren Vorgesetzten: 91 Prozent von ihnen hielten die DFG für „sehr wichtig“ in Hinsicht auf die Entwicklung ihres jeweiligen Faches. Unter den Antragstellern spielten die Mittelbauangehörigen dagegen keine große Rolle: Nur 23 Prozent der Befragten dieser Gruppe gaben 1976/77 an, bereits Anträge bei der DFG gestellt zu haben – und zwar im Schnitt 1,9 Anträge mit der vergleichsweise geringen Erfolgsquote von 79 Prozent.265 Vom Zeitpunkt der Allensbach-Umfrage aus betrachtet hatte sich die DFG im vorausgegangenen Reformprozess des bundesdeutschen Wissenschaftssystems als die zentrale Förderorganisation der an wissenschaftlichen Hochschulen angesiedelten Forschung behauptet und sich zugleich bewusst auf dieses Segment konzentriert, ja beschränkt. Die Abgrenzung ihrer Klientel nach außen war im Zuge der Umstrukturierung des Ensembles von Forschungsinstitutionen noch einmal expliziter und schärfer gezogen worden – von den staatlichen Geldgebern, aber auch von den DFG-Gremien selbst. Im Juli 1971 beispielsweise hatte die Mitgliederversammlung durch eine Satzungsänderung klargestellt, das Fach- und Pädagogische Hochschulen nicht Mitglieder der DFG werden konnten.266 Zwar durften sie Anträge einreichen, aber Maier-Leibnitz signalisierte diesen Hochschulen im Juli 1974 unverblümt, dass ihre Chancen gering seien, weil die DFG „eine Überschwemmung mit zweitklassiger Forschung“ abwehren müsse.267 Im Innern hatte die DFG-Klientel eine Pluralisierung durchgemacht und die breitere Streuung von Partizipationschancen erfahren – denken wir an die Ausdehnung des aktiven Wahlrechts zu den Fachausschüssen auf Teile des akademischen Mittelbaus und an die zunehmende Beteiligung von Sondergutachtern (laut Neidhardts Untersuchung entfielen auf sie mehr als ein Drittel der in der Mitte der 1970er Jahre erstatteten Gutachten) an den Entscheidungsprozessen. Zugleich hatten sich die Hierarchien innerhalb der Klientel abgeflacht, waren im Kern aber erhalten geblieben. Unter Antragstellern wie Gutachtern dominierten weiterhin die Lehrstuhlinhaber: In den von Neidhardt analysierten Antragsverfahren aus den Bereichen Elektrotechnik, Politologie, Psychologie und Wirtschaftstheorie zwischen 1974 und 1979 entfiel eine Mehrheit der Antragsteller (57,1 Prozent) auf die Ordinarien (hier: die C4-Professorinnen und –Professoren), diese Gruppe beantragte im Schnitt deutlich höhere Summen und war im Bewilligungsverfahren erfolgreicher als andere.268 Ressourcen und Einfluss der Ordinarien innerhalb der DFG wurden am Ende der 1960er sowie in den 1970er Jahren nicht so sehr von Mittelbauangehörigen bedroht, die auf Demokratisierung drängten, ihrerseits bald mit oder ohne Ha265 Vgl. Institut, Untersuchung, S. 23, 135–146 und 151. Zur Rolle der DFG und der Stiftungen (Stifterverband, Volkswagen-, Thyssen- und Bosch-Stiftung) vgl. ebenda, S. 1. 266 Vgl. Speer, Situation 1971, S. 13 und Orth, Notgemeinschaft, S. 98 f. 267 Maier-Leibnitz, Fragen, S. 13 f. 268 Vgl. Neidhardt, Selbststeuerung, S. 19–47. C4-Professoren beantragten demnach im Schnitt 140.500 DM pro Projekt, Antragsteller aus dem Mittelbau dagegen nur 41.000.
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bilitation Lehrstühle eroberten und dann deren Status häufig mit ganz anderen Augen sahen. Sondern das Machtgefüge wurde dadurch verändert, dass die Geschäftsstelle die Entscheidungsprozesse der ehrenamtlichen Gremien aus funktionalen Gründen immer stärker vorstrukturieren musste, damit aber auch steuerte. Diese Entwicklung hatte bereits in den 1950er Jahren mit der Einführung des Schwerpunktverfahrens begonnen und setzte sich nun unter den Vorzeichen von Planungsbemühungen, der Gleichzeitigkeit wachsender Haushalte und zunehmender Sparzwänge sowie einer weiteren Ausfächerung der Förderlinien (insbesondere mit Einführung der Sonderforschungsbereiche) fort. Die Mitarbeiterzahl der Geschäftsstelle wuchs vor diesem Hintergrund zwischen 1968 und 1973 von 256 auf 450, um sich dann auf diesem Niveau zu stabilisieren; 1972 wurde ein weiteres Bürogebäude bezogen, im Mai 1976 das Wissenschaftszentrum eingeweiht.269 Struktur und Arbeitsläufe wurden seit dem Amtsantritt des zweiten Generalsekretärs Carl-Heinz Schiel im Jahr 1965 mehrfach und gestützt auf externe Beratung rationalisierend reformiert. Die Neugliederung im Mai 1970 ist bereits erwähnt worden. In ihrem Zuge wurde die Geschäftsstelle in drei Bereiche strukturiert (Zentrale Verwaltung, Allgemeine Forschungsförderung und Sonderforschungsbereiche), deren Leiter fortan mit Präsident und Generalsekretär ein „Direktorium“ bildeten. Dieses Gremium bildete neben dem Präsidium und dem aus Präsident und Generalsekretär bestehenden Vorstand des Vereins DFG ein drittes Leitungsorgan, das die anderen beiden von Routineaufgaben entlasten sollte. Da Präsident und Generalsekretär auch dem neuen Direktorium angehörten, handelte es sich de facto um eine Entlastung der ehrenamtlich tätigen Vizepräsidenten und einen Einflussgewinn der drei Bereichsleiter. Die Fachreferate des Bereichs Allgemeine Forschungsförderung wurden in fünf Fächergruppen und drei besonderen Förderfeldern (wie dem Bibliothekswesen) gewidmeten Gruppen zusammengefasst, die an ihre Spitzen jeweils Sprecher wählten. Die Arbeit der Geschäftsstelle wurde damit zum einen stärker funktional strukturiert, zugleich aber flachte die Umgruppierung Hierarchien ab und erweiterte die Mitsprachemöglichkeiten der 72 wissenschaftlichen Referenten (Stand 1973); Karin Orth spricht in diesem Zusammenhang vorsichtig von „Demokratisierungstendenzen“.270 Die Handlungsspielräume der Referenten erweiterten sich zudem dadurch, dass sie ab 1969 bei divergierenden Gutachten dem Hauptausschuss eigene Entscheidungsvorschläge zuleiten durften, die dieser im Regelfall nicht mehr mündlich beriet. Im selben Jahr ermächtigte die Mitgliederversammlung die Geschäftsstelle, Anträge mit einem Volumen bis 5.000 DM ohne Begutachtung selbst zu entscheiden – das primäre Motiv lag in einer Entlastung der Gutachter von Bagatellsachen, aber die Entscheidung führte eben auch zu einem weiteren
269 Vgl. Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1973, S. 18, Speer, Ansprache 1973, S. 17 und 30, derselbe, Situation 1972, S. 30 und Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1976, S. 259. 270 Orth, Autonomie, S. 211; vgl. insgesamt zur Entwicklung der Geschäftsstelle ebenda, S. 202–215 und den Geschäftsverteilungsplan in Organisationsplan der Geschäftsstelle aus dem Jahr 1972 in Forschungsgemeinschaft, Tätigkeitsbericht 1971, S. 27.
Ein zweiter Blick über den Atlantik: Die National Science Foundation
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Machtzuwachs der Referenten.271 Generalsekretär Schiel und zumindest ein Teil der Referenten bekannten sich explizit zur Erweiterung ihres Einflusses. In einer Sitzung des Direktoriums im August 1971 sinnierte Schiel in Umkehrung der satzungsgemäßen Hierarchie über die Möglichkeiten der Geschäftsstelle, „durch den Senat als ihrem Instrument das politische Feld (zu) beeinflussen“ und namentlich über Beschlüsse des Senates „auch für die Mitgliederversammlung Sachzwänge“ zu schaffen“.272 Zwei Jahre später hob das Direktorium ohne Konsultation des Senates dessen Beschluss zur vorläufigen Haushaltsführung auf, damit war die Hierarchie der Gremien de facto auf den Kopf gestellt. Anlässlich der Verabschiedung Speers in der Geschäftsstelle am 7. Januar 1974 erwähnte Schiel in einer Rede die wiederholten Mahnungen des scheidenden Präsidenten, dass die „Geschäftsstelle über die wissenschaftliche Selbstverwaltung die Oberhand gewinnen“ könne, bekundete den Willen, dieser Entwicklung entgegenzuarbeiten, verwies aber zugleich darauf, dass man über den „Prinzipien“ nicht „die Realitäten“ übersehen dürfe: Angesichts ihrer sonstigen Arbeitsbelastung seien eben die ehrenamtlich als Gutachter und in den Gremien der DFG arbeitenden Wissenschaftler nicht dazu in der Lage, Entscheidungen über Forschungsförderung zu treffen, wenn die Geschäftsstelle diese nicht „vorbereite“.273 Speers Nachfolger Maier-Leibnitz räumte ein halbes Jahr später vor dem DFG-Kuratorium anhand des Beispiels der Bestellung von Sondergutachtern ein, es sei wohl „unvermeidlich“, dass die Macht (hier als „größere Verantwortung“ kodiert) der Geschäftsstelle angesichts funktionaler Erfordernisse wachse.274 Die DFG des Jahres 1974 war nicht mehr die Autokratie ihres Präsidenten wie 50 Jahre zuvor, aber auch nicht die in Reden beschworene „Gelehrtenrepublik“, sondern ein Mischsystem aus akademischer Selbstverwaltung (die ihrerseits gleichermaßen auf Wahl wie auf meritokratisch begründeten Hierarchien beruhte) und der Leistungsverwaltung durch eine selbstbewusste Fachbürokratie. EIN ZWEITER BLICK ÜBER DEN ATLANTIK: DIE NATIONAL SCIENCE FOUNDATION ALS AMERIKANISCHES ÄQUIVALENT ZUR DFG Die um 1970 in der Bundesrepublik geführten Debatten wurden damals ähnlich in den meisten westlichen Industriegesellschaften geführt. Zum Abschluss dieser Geschichte der DFG in der frühen Bundesrepublik will ich daher – wie schon im dritten Kapitel für die 1920er Jahre – den Blick über die westdeutschen Grenzen ausweiten und im Vergleich die Förderung der hochschulbasierten Grundlagenforschung in jenem Land skizzieren, das in den DFG-internen Debatten stets den primären Bezugspunkt bildete: in den USA. 271 Vgl. Orth, Autonomie, S. 205 f. 272 Protokoll der Direktoriumssitzung vom 11.11.1971, zit. nach ebenda, S. 214; zum Folgenden vgl. ebenda, S. 214 f. 273 Schiel zit. nach Amtsübergabe, S. 6. 274 Maier-Leibnitz, Verhältnis, S. 10.
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Während des Zweiten Weltkrieges hatten sich die amerikanischen Universitäten über das im Juni 1941 gegründete Office of Scientific Research and Development (OSRD) für die Zwecke ihres Staates mobilisieren lassen. Die Führung des OSRD lag in den Händen einer Boundary Elite von Wissenschaftsmanagern, die im Lauf ihrer Karrieren sowohl an einer der 16 Spitzenuniversitäten, als auch in Leitungsfunktionen großer Konzerne und staatlicher Administrationen tätig gewesen waren. Der Sieg von 1945 erzeugte bei ihnen wie bei den von ihnen erfolgreich organisierten Forschern (man denke nur an die Physiker des vom OSRD verantworteten Manhattan Project) ambivalente Erwartungen. Zum einen hatte sie der Krieg davon überzeugt, dass nur der Bundesstaat (und nicht die philanthropischen Stiftungen) künftig in der Lage sein werde, ihre Forschung in dem nötigen großen Stil (Big Science) zu finanzieren. Zum anderen fürchteten sie unter dem Eindruck ihres Engagements in der Rüstungsforschung, der Staat werde im Gegenzug für seine Gelder auch im Frieden auf einer politischen Steuerung der Wissenschaft bestehen, diese einseitig auf ihm unmittelbar nützlich erscheinende Zwecke ausrichten und dabei die Grundlagenforschung marginalisieren. Sie selbst aber sahen sich weiterhin als Grundlagenforscher, gründeten hierauf (ähnlich ihren westdeutschen Kollegen) ein Elitebewusstsein, und vor allem die unter ihnen tonangebenden Physiker luden dieses aufgrund ihres Erschrecken über die praktischen Folgen der Atomforschung stark moralisch auf.275 Vor diesem Hintergrund bemühte sich die Leitung des OSRD schon in der Endphase des Krieges darum, eine Institution zu gründen, die der hochschulbasierten Grundlagenforschung auch in Friedenszeiten eine großzügige Finanzierung durch den Bundesstaat wie weitgehende Selbstverwaltung garantieren sollte. An der Spitze dieser Initiativen stand der Ingenieurwissenschaftler Vannevar Bush, dessen Karriere ihn geradezu als Inkarnation der Boundary Elite auswies: Gestartet 1919 als Professor für Elektrotechnik am Massachusetts Institute of Technology war er 1932 dessen Vizepräsident geworden und hatte die Kooperation mit der Industrie forciert. Er war Berater und Aufsichtsratsmitglied großer Konzerne sowie 1939 Präsident der Carnegie Institution geworden, um schließlich 1941 von Präsident Roosevelt zum Leiter des OSRD berufen zu werden. Von Roosevelt verschaffte er sich auch im November 1944 den Auftrag, zusammen mit Kollegen eine programmatische Schrift zur Zukunft der Forschungsförderung zu verfassen. Diese wurde im Juli 1945 unter dem Titel „Science, the Endless Frontier“ publiziert, formulierte paradigmatisch die „Ideology of Basic Research“ und übersetzte sie in ein politisches Programm: Die Grundlagenforschung sei die unverzichtbare Basis jeden Fortschritts, und ihr Ort seien notwendigerweise die Universitäten.276 Da die Industrie an ihr nicht hinreichend interessiert und die großen Stiftungen finanziell mit ihrer Förderung überfordert seien, müsse der Bundesstaat die Grundlagenforschung finanzieren. Er dürfe sie aber in keiner Weise steuern, weil sie nur dann auch für ihn optimale Ergebnisse liefere, wenn sie frei bleibe „from 275 Vgl. Geiger, Milking, S. 340. Zum Begriff der „Boundary Elite“ in diesem Zusammenhang Kleinman, Layers, S. 268 und 277. 276 Geiger, Science, S, 43.
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the influence of pressure groups, free from the necessity of producing immediate practical results, free from dictation by any central board”.277 Bush’s Konzept blieb nicht unwidersprochen. Demokratische Senatoren favorisierten im Geist des staatsinterventionistischen New Deal eine Bundesagentur, die nur solche Forschung fördern und koordinieren solle, welche unmittelbar nützlich für staatliche oder industrielle Zwecke sei. In zähen Auseinandersetzungen setzte sich schließlich die Lobby der Grundlagenforscher durch, weil sich die Großindustrie aus Eigeninteresse auf ihre Seite schlug: Die großen Konzerne sympathisierten mit der Idee, dass der Staat (und nicht etwa sie selbst) die auch von ihnen für unabdingbar gehaltene Grundlagenforschung finanziere, und wollten den Staat aus geschäftlichen Gründen zugleich von jeder Förderung anwendungsorientierter, das hieß aus ihrer Sicht: zu Patenten führender Forschung fernhalten.278 Im Jahr 1950 wurde schließlich per Gesetz die „National Science Foundation“ (NSF) gegründet, die mit einem jährlich vom Kongress zu bewilligenden Etat die an Hochschulen angesiedelte Grundlagenforschung im Bereich der Naturwissenschaften fördern sollte (erst ein Gesetz von 1968 dehnte die Zuständigkeit der NSF auf die Sozialwissenschaften aus; die medizinische Forschung blieb langfristig unter der Obhut der „National Institutes of Health“).279 Im Unterschied zum 1916 gegründeten und als Beratungsgremium fortbestehenden National Research Council operierte die NSF nicht unter dem Dach der National Academy of Sciences oder einer anderen wissenschaftlichen Selbstorganisation, sondern als Agentur des Bundesstaates. An ihrer Spitze stand ein 24köpfiger „National Science Board“ (NSB), dessen Mitglieder vom US-Präsidenten mit Zustimmung des Senates ernannt wurden. Da Präsident und Senat gehalten waren, Wissenschaftler zu berücksichtigen, die von der National Academy of Sciences und den Hochschulvereinigungen nominiert worden waren, entwickelte sich der NSB trotz seines staatlichen Charakters zu einer Repräsentanz des wissenschaftlichen Establishments der USA. Zudem oblag die Auswahl der zu fördernden Projekte innerhalb der NSF Komitees aus Wissenschaftlern und erfolgte im Wege eines Peer Review.280 In den Jahrzehnten nach ihrer Gründung entwickelte sich das Budget der NSF zunächst von 3,5 Millionen Dollar im Jahr 1952 bis auf 40 Millionen im Jahr 1957, um dann infolge des Sputnik-Schocks – der durch den erfolgreichen Start eines sowjetischen Satelliten im Oktober 1957 ausgelösten Wahrnehmung, die USA falle technologisch hinter der UdSSR zurück – rasant in die Höhe zu schießen. Schon 1959 standen der NSF 134 Millionen Dollar zur Verfügung, bis 1966 stieg diese Summe auf 480 Millionen. Mit diesen Mitteln setzte die NSF 277 Bush, Science, S. 79. Vgl. Kleinman, Politics, S. 56–59 und 92–97, sowie Kevles, Physicists, S. 293–301. 278 Vgl. Weingart, Wissenschaftslobby, S. 84–94, Kleinman, Layers, derselbe, Politics, S. 18–21, 84–99 und 139–144, Kevles, Foundation und derselbe, Physicists, S. 343–348 sowie 356– 366. 279 Zum NIH vgl. Geiger, Research, S. 179–185 und Braun, Steuerung, S. 266–269. 280 Vgl. Weingart, Wissenschaftslobby, 61 f. und 129–134.
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vor allem die nach dem Sputnik-Schock von der US-Regierung getroffene strategische Entscheidung um, die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses (als in der Systemkonkurrenz entscheidender „Humanressource“) zu forcieren. Im Jahr 1967 förderte die NSF 8.156 Doktorandinnen und Doktoranden (gegenüber 845 im Jahr 1956) und damit ein Achtel aller an amerikanischen Universitäten Promovierenden.281 Im Vergleich mit anderen Drittmittelquellen der Hochschulen stand die National Science Foundation stets quantitativ gesehen in der zweiten Reihe hinter dem über Jahrzehnte dominierenden Militär: Im Jahr 1965 wurden 14 Prozent der für Forschungszwecke an die Hochschulen fließenden Bundesmittel über die NSF vergeben, 50 Prozent dagegen vom Verteidigungsministerium. Ähnlich der DFG besaß die NSF aber eine herausragende qualitative Bedeutung für die universitären Naturwissenschaftler, weil sie überhaupt eine Alternative zu den Fördertöpfen der Militärs eröffnete. Der Präsident des California Institute of Technology Lee DuBridge hatte die Gründung der NSF 1950 begrüßt, weil sie die Grundlagenforschung von der Gefahr befreie, ein Stiefkind der Militärtechnologie zu werden und zugleich programmatisch gerade jene Projekte förderte, durch die sich die Hochschulforscher ihres Status als Grundlagenforscher versichern konnten.282 Die Repräsentanten der National Science Foundation wurden deshalb nicht müde, einen Primat der von ihnen geförderten Forschung und Wissenschaftler zu behaupten und diesen mit einer Absage an politische Steuerungsbegehren zu verbinden. So erklärte beispielsweise NSF-Direktor Alan Waterman im Januar 1965: „We have a fundamental conviction that the country’s cause is best served when we are given carte blanche to work as we see fit, since we know very well that the greatest progress in science is made when that is the case.“283 Der Wissenschaftshistoriker Roger L. Geiger hat in diesem Zusammenhang plausibel argumentiert, die Förderpolitik der NSF habe über ihren begrenzten finanziellen Rahmen hinaus das Selbstverständnis der amerikanischen Universitäten geprägt: „NSF largely set the tone for the entire expansion of academic science. It most forcefully articulated the ideology of basic research; it also was the most aggressive agency in implementing measures that reflected that outlook. Finally, it succeeded to a large extent in influencing other federal agencies to act in a similar manner. The NSF thus provided scientific leadership throughout the 1960s.”284 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre stieg aber ähnlich wie in der Bundesrepublik auch in den USA der Druck auf Institutionen der wissenschaftlichen Selbstverwaltung wie die NSF, ihre Förderprogramme an gesellschaftspolitischen Zielen zu orientieren. Der Kongress verlangte, die NSF müsse aus Gründen sozialer Gerechtigkeit künftig gezielt Hochschulen jenseits des Zirkels der 16 Eliteuniversitäten und regional außerhalb von Neuengland und Kalifornien fördern, um das in der Tat eklatante strukturelle Gefälle in der Hochschullandschaft abzufla281 Vgl. ebenda, S. 57–66; zur Entwicklung des NSF insgesamt vgl. England, Patron, Geiger, Research, S. 158–161 und 173–179, sowie Braun, Steuerung, S. 258–266. 282 Zit. nach Kevles, Physicists, S. 358. 283 Zit. nach Weingart, Wissenschaftslobby, S. 129. 284 Geiger, Research, S. 179.
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chen. Parallel zu einem „University Science Development Program“ des Bundes, das zwischen 1965 und 1971 insgesamt 231 Millionen Dollar in 32 Universitäten der zweiten Reihe lenkte, legte die NSF nach anfänglichen Widerständen ihrer um Autonomie und Gelder fürchtenden Gremienmitglieder (die ihrerseits mehrheitlich aus den Spitzenuniversitäten stammten) eigene „NSF University Science Development Grants“ auf, um neue Forschungszentren aufzubauen. So erhielt beispielsweise die University of Arizona über fünf Jahre hinweg 7,2 Millionen Dollar zur Stärkung ihrer naturwissenschaftlichen Departments.285 Nach 1968 geriet die NSF in den Strudel der zunächst durch den Vietnamkrieg, in den 1970er Jahren durch die Rezession verursachten Haushaltsprobleme des US-Bundesstaates. Infolgedessen stagnierte ihr Etat; unter Präsident Ronald Reagan sollten sich die Prioritäten der Forschungspolitik weiter in Richtung Rüstungsforschung einerseits, einer wachsenden Rolle privater Auftraggeber für universitäre Forschung andererseits verschieben.286 Dies im Einzelnen zu verfolgen, ist für unsere Zwecke nicht notwendig. Festzuhalten bleibt vielmehr der Befund, dass die NSF im Untersuchungszeitraum zumindest für den Bereich der Naturwissenschaften ein funktionales Äquivalent zur bundesdeutschen DFG bildete: Sie bot universitären Forschern, die sich als Grundlagenforscher verstanden und sich den Zwängen eines überwiegend von Politik, Militär und Industrie kontrollierten Drittmittelmarktes (zumindest partiell) entziehen und so in ihrem Verständnis eine (maximal partielle) Autonomie der Wissenschaft wahren wollten, einen institutionellen, von ihresgleichen selbst verwalteten Raum bei gleichzeitigem Zugang zu staatlichen Fördergeldern. Zugleich fungierte sie als Organisation in der Funktion einer Übersetzerin der Interessen und Codes zwischen wissenschaftlichem und politischem Feld.
285 Vgl. ebenda, S. 277. 286 Vgl. Remington, Science und Geiger, Milking, S. 341–347.
AUSBLICK UND BILANZ DIE DFG ALS SOZIALER RAUM DER HOCHSCHULUND GRUNDLAGENFORSCHUNG IN DREI SYSTEMEN Diese Studie hat die Geschichte der DFG bis in die Mitte der 1970er Jahre verfolgt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Organisation die von ihr vertretene Klientel in einer bis heute gültigen Weise neu definiert, die Erfahrungen der NS-Zeit hatten an handlungsleitender Bedeutung verloren, und im institutionellen Ensemble der bundesdeutschen Wissenschaftspolitik hatte die DFG im Wesentlichen jene Rolle gefunden, die sie bis heute ausfüllt. Die Organisationssoziologin Renate Mayntz, seit 1974 Mitglied des DFG-Senates, hat in späteren Veröffentlichungen die im November 1975 zwischen Bund und Ländern abgeschlossene Rahmenvereinbarung Forschungsförderung zur Zäsur erklärt, weil diese zum einen die 1964 (zunächst befristet) vereinbarte je hälftige Finanzierung der DFG durch Bund und Länder und zum anderen die bis zu diesem Zeitpunkt entwickelte Aufgabenverteilung zwischen den großen Wissenschaftsorganisationen (DFG, MPG, Fraunhofer-Gesellschaft und Wissenschaftsrat) dauerhaft festgeschrieben und somit „Domänenkonflikte“ zwischen diesen Organisationen ausgeschlossen habe.1 Mindestens ebenso wichtig wie diese vertragliche Fixierung des bereits seit Längerem in der Praxis Etablierten scheint mir aber zu sein, dass ab Mitte der 1970er Jahre die Grundfinanzierung der Hochschulen in eine – bis in die Gegenwart anhaltende – Schieflage geriet, wodurch sich die Rahmenbedingungen, unter denen die DFG als wichtigste Drittmittelquelle der Hochschulen operierte, noch einmal einschneidend veränderten. Dies kann hier nur grob in Form eines Ausblicks über den eigentlichen Untersuchungszeitraum dieser Studie hinaus und begrenzt auf die Zeit bis zum Ende der „alten“ Bundesrepublik im Jahr 1990 skizziert werden.2 Warnungen vor einer durch hohe Studentenzahlen erzwungenen Verschulung der Universitäten, das heißt ihrer Reduktion auf den Lehrbetrieb und eines Auszugs der Forschung aus den Hochschulen, hatten bereits die schnelle Zunahme der Immatrikulationszahlen am Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre begleitet. Auch in den Gremien der DFG war in diesem Zusammenhang, wie wir im neunten Kapitel gesehen haben, eine Krise der Hochschulforschung diagnostiziert worden. Die Expansion akademischer Bildung setzte sich auch nach Mitte der 1970er Jahre fort; zwischen 1975 und 1990 vermehrte sich die 1 2
Mayntz/Scharpf, Steuerung, S. 27; vgl. ebenda, S. 25 ff. und dieselben, Chances, S. 69–72. Zur Entstehungsgeschichte der Rahmenvereinbarung vgl. Bentele, Kartellbildung, S. 133– 209. Vgl. zum Kontext Schimank, Hochschulforschung und Mayer, Universitäten.
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Zahl der an Universitäten Eingeschriebenen noch einmal um 67 Prozent.3 Anders als in früheren Phasen steigender Studentenzahlen weigerte sich aber die Politik angesichts der Probleme der staatlichen Haushalte „nach dem Boom“, die Grundfinanzierung und Personalausstattung der Hochschulen an den Bedarf anzupassen. Vielmehr beschlossen Bund und Länder im November 1977, die Hochschulen müssten für etwa zehn Jahre bei stagnierenden Budgets eine „Überlast“ an Studierenden bewältigen. Als Folge dieser Politik gingen die Ausgaben der Länder für ihre Hochschulen inflationsbereinigt zwischen 1975 und 1989 um sieben Prozent zurück und die Zahl der Planstellen (also der aus der staatlichen Grundausstattung finanzierten Stellen) für Wissenschaftler sank leicht von 54.200 auf 54.000.4 Die Erwartung der Hochschulpolitiker, die steigenden Immatrikulationszahlen würden zu einem nur vorübergehenden „Studentenberg“ führen, den es zu „untertunneln“ gelte, um nach Überschreiten des Gipfels nicht zu viel Personal für eine dann wieder schrumpfende Studentenschaft eingestellt zu haben, hat bekanntlich getrogen.5 Die seit 1977 dauerhafte, ergo strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen fand außerhalb dieser selbst bald kaum noch Beachtung, zumal sie von der Politik und Teilen der Medien routinemäßig mit der Behauptung verschleiert wurde, die Universitäten seien nicht unterfinanziert, sondern zu wenig effizient und ihr Personal leiste zu wenig – eine, wie der Hochschulforscher Uwe Schimank 1994 anmerkte, „auf höchst subjektiven Maßstäben und vagen Impressionen“ beruhende, gleichwohl nachhaltig wirksame Behauptung.6 Während die an Hochschulen betriebene Forschung dauerhaft unter einen „zeitlichen Verdrängungsdruck“ durch die Lehre geriet, konnten gleichzeitig die großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen ihre Planstellen vermehren, zwischen 1975 und 1990 um 27 Prozent im Fall der Großforschungseinrichtungen, um 32 Prozent im Fall der MPG und gar um 163 Prozent im Fall der FraunhoferGesellschaft.7 Für die Universitäten wurde es vor diesem Hintergrund noch einmal wichtiger, Drittmittel einzuwerben; zwischen 1975 und 1990 konnten sie ihre Einnahmen aus dieser Quelle inflationsbereinigt um 67,8 Prozent steigern; ähnliche Wachstumsraten wies das durch Drittmittel finanzierte Hochschulpersonal auf.8 Notwendigerweise führte dies dazu, dass sich die Personalstruktur der Hochschulen veränderte, weil der Anteil befristet beschäftigter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anstieg.9 Für die DFG bedeutete diese Entwicklung, dass die Zahl der bei ihr gestellten Anträge und die beantragten Summen zwischen Mitte der 1970er und Ende der 1980er Jahre stark anstiegen. Im Normalverfahren lagen die Antragszahlen im 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. ebenda, S. 62 ff. Vgl. ebenda, S. 64, 75 f. und 80, sowie Mayer, Universitäten, S. 22. Vgl Szöllösi-Janze, Art, S. 331 f. und Mayer, Universitäten, S. 22 f. Vgl. Schimank, Ressourcenverknappung, S. 10; vgl. ebenda, S. 9 ff. und derselbe, Hochschulforschung, S. 88 ff. Derselbe, Steuerung, S. 79. Vgl. derselbe, Hochschulforschung, S. 136 und 139 sowie Mayer, Universitäten, S. 65 f. Vgl. Mayer, Universitäten, S. 21.
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Jahr 1989 mit 6.541 um 48 Prozent über jenen des Jahres 1975, die Antragssummen vervierfachten sich sogar in diesem Zeitraum.10 Zwar verzeichneten auch die staatlichen Zuwendungen an die DFG – im Unterschied zu den Grundetats der Hochschulen – in diesem Zeitraum Steigerungsraten, die deutlich über der Inflationsrate lagen, aber dennoch stiegen die Antragsvolumina dauerhaft viel stärker als der Etat der DFG.11 Diese reagierte mit drei Strategien. Erstens hielt sie am Primat des Normalverfahrens unter ihren Förderlinien fest; dessen Anteil am Gesamtfördervolumen bewegte sich in den 1980er Jahren bei Werten über 40 Prozent.12 Zweitens setzte die DFG in allen Förderlinien darauf, möglichst viele Anträge zu bewilligen, dafür aber die pro Antrag zugesagten Summen zu reduzieren. Im Normalverfahren beispielsweise fiel die Quote bewilligter Anträge zwischen 1975 und 1989 nur moderat von 76,8 auf 70,2 Prozent, bezogen auf die bewilligten Antragssummen aber fiel die Quote von 65,8 auf 48,9 Prozent.13 Die DFG gab also in diesem Zeitraum der möglichst breiten Berieselung der Hochschulforschung den Vorzug vor Strategien der Schwerpunktsetzung. Drittens trieb die DFG die weitere Diversifizierung ihrer Förderlinien durch die Einführung des Heisenberg-Programms (1978), des Leibniz-Programms (1986), des Gerhard-Hess-Programms (1988) und schließlich der Einrichtung von Graduiertenkollegs (1990) voran, durch die jeweils spezifische Schwächen unterfinanzierter Hochschulen (wie beispielsweise die prekären Karrierewege in Richtung Professur) gelindert werden sollten. Weil aber der Bedarf der Hochschulen an Drittmitteln für ihre Forschung die Möglichkeiten der DFG überstieg, verfolgten auch die Universitäten Strategien der Diversifizierung, die im Lauf der 1980er Jahre die dominante Position der DFG-Förderung relativierten. Im Jahr 1975 hatten 56,2 Prozent der von Hochschulen für Forschung akquirierten Drittmittel von der DFG gestammt. Im Jahr 1990 waren es noch 38,8 Prozent (und auf etwa diesem Niveau ist der Anteil der DFG-Förderung seitdem geblieben), während die Anteile der direkten Projektförderung durch Bund und Länder sowie die Anteile der Wissenschaftsstiftungen zwischen 1975 und 1990 leicht von 28,5 auf 30,2 beziehungsweise von 9,4 auf 10,1 Prozent angestiegen waren. Den markantesten Zuwachs verzeichneten die Drittmittel aus den Kassen von Wirtschaftsunternehmen und Verbänden, deren Anteil von 5,9 auf nun 15,5 Prozent hochgeschossen war.14 Immerhin behauptete sich die DFG als die relativ wichtigste Drittmittelquelle der Hochschulen. Untersuchungen von Hochschulforschern betonen, dass die DFG-Förderlinien gerade in einer nun diversifizierten Drittmittellandschaft als Gegengewichte zu außerwissenschaftlichen Einflussnahmen auf die Universitäten dienten: „Das Förderverfahren der DFG“, so urteilt Alexander Mayer für den Zeitraum zwischen den 1980er Jahren und dem Start der Exzellenzinitiative 10 11 12 13 14
Vgl. Forschungsförderung, S. 67 und Schimank, Hochschulforschung, S. 150. Vgl. Markl, Zukunft, S. 12. Vgl. Forschungsförderung, S. 22 und 67. Vgl. ebenda auch für das Folgende. Errechnet nach der Tabelle in Schimank, Hochschulforschung, S. 149; vgl. Mayer, Universitäten, S. 66–73, Wissenschaftsrat, Drittmittel, S. 18 und 55, sowie Szöllösi-Janze, Art, S. 342.
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im Jahr 2006, „wirkte nicht nur der starken Bevorzugung wirtschaftlich relevanter Forschung durch andere Drittmittelgeber entgegen, sondern verhinderte auch – da die DFG ihrem Anspruch nach bevorzugt ‚Grundlagenforschung‘ förderte – eine stärkere Verschiebung zu anwendungsnaher Forschung“. Damit „schirmte“ die DFG tendenziell „die Entscheidungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über ihre Forschungstätigkeit gegenüber einer stärkeren Außensteuerung ab“.15 Allerdings passte sich die DFG schrittweise an den sich seit den 1970er Jahren verstärkenden Trend der Politik an, die Hochschulen als Unternehmen zu betrachten und sie als ganze (und nicht mehr nur einzelne Forscher) in Konkurrenz zueinander zu setzen, um so die vermeintlich unzureichende Produktivität der Hochschulen durch externe Leistungsanreize zu erhöhen. Vor Einführung der Sonderforschungsbereiche am Ende der 1960er Jahre hatte DFG-Präsident Julius Speer explizit davor gewarnt, langfristig könne diese Förderlinie Hierarchien zwischen forschungsstarken und –schwachen Hochschulen verstärken. Im ersten Jahrzehnt der SFB hatte sich die DFG denn auch bemüht, die westdeutschen Universitäten möglichst breit gestreut mit Sonderforschungsbereichen zu bedenken. Hierfür hatte sie die Reduktion der Mittel pro SFB in Kauf genommen und akzeptiert, dass Warteschlangen positiv beschiedener, aber erst mit Verzögerung finanzierbarer Sonderforschungsbereiche entstanden. Erst nach einer Änderung der Verfahrensordnung im Jahr 1977 stiegen die Ablehnungsquoten bei SFB-Anträgen in den 1980er Jahren auf etwa ein Viertel. Und erst jetzt entfaltete die Förderlinie strukturelle Wirkungen innerhalb der Hochschulen, weil diese ihre Berufungspolitik zunehmend am Ziel orientierten, die Chancen für die Einwerbung von SFB zu verbessern. Da zugleich die Länder begannen, erfolgreiche Drittmitteleinwerbungen durch Zuwendungen an die Hochschulen zu belohnen, wurde die Vergabepolitik der DFG auch unabhängig von ihrer eigenen Strategie zu einem Faktor in der von der Politik forcierten Konkurrenz der Universitäten untereinander. 16 Das Für und Wider wie Unternehmen geführter Universitäten oder einer zunehmenden Hierarchisierung der Universitätslandschaft soll hier nicht erörtert werden.17 Für die DFG jedenfalls markiert es einen Wandel ihres Selbstverständnisses als Repräsentantin der Hochschulforschung, dass sie das von Speer (in vollem Bewusstsein der realen Unterschiede zwischen den Universitäten) noch vehement verteidigte Ideal einer Gleichheit der wissenschaftlichen Hochschulen (und damit ihrer Mitgliedsinstitutionen) spätestens mit dem Start der Exzellenzinitiative aufgab. Nun wurde die Ungleichheit der Universitäten auch von der DFG nicht nur diagnostiziert, sondern auch normativ positiv aufgeladen; im Jahr 2008 strich ihr Präsident Matthias Kleiner hervor, mit der Exzellenzinitia-
15 16 17
Mayer, Universitäten, S. 72 f.; vgl. Schimank, Steuerung, S. 116. Vgl. Mayer, Universitäten, S. 55–63 und Waßer, Universitätsfabrick, S, 212 ff. Zur Geschichte der Konkurrenz zwischen Universitäten vgl. im Überblick Szöllösi-Janze, Art.
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tive habe die Hochschulpolitik „Abschied von der verhängnisvollen Fiktion der Gleichheit genommen“.18 Während ihrer gesamten Geschichte hat die DFG der Vermittlung zwischen den Interessen der die Hochschulen jeweils dominierenden Gruppen und den Akteuren staatlicher Forschungspolitik gedient. Ihre Spitzengremien und vor allem ihre Präsidenten agierten an der Schnittstelle zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen Wissenschaft und Politik, gehörten zu sich wandelnden Graden beiden Teilsystemen zugleich an, übten Einfluss in beide Richtungen aus und mussten immer Rücksicht auf die unterschiedlichen Logiken von Politik und Wissenschaft nehmen. Die Vorläuferin der heutigen DFG, die im Oktober 1920 gegründete Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, entstand, weil die der neuen republikanischen Ordnung gegenüber zumindest distanzierten Ordinarien zwar die materielle Hilfe des Staates beanspruchen, zugleich aber möglichst weitgehende Autonomie gegenüber dem demokratischen Staat wahren wollten. Die Initiatoren der Notgemeinschaftsgründung stammten aus der ersten Reihe wilhelminischer Wissenschaftsorganisatoren: Der 60jährige Friedrich Schmidt-Ott war der letzte königlich-preußische Kultusminister gewesen, bis ihn die Novemberrevolution außer Dienst gesetzt hatte; nun wurde er Präsident der Notgemeinschaft. Deren Hauptausschuss saß der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der 68jährige Theologe Adolf von Harnack, vor. Als Vizepräsidenten fungierten der 51jährige Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, Leiter des Berliner Kaiser-Wilhelm-Institutes für physikalische Chemie und als Repräsentant der außerpreußischen Universitäten der 64jährige Rektor der Münchner Technischen Hochschule Walther von Dyck. Schmidt-Ott lenkte die neue Organisation mithilfe jener informellen Kontaktnetze zu Wissenschaftlern, Ministerialbeamten und Wirtschaftsvertretern, die er von seinem Vorgänger als Leiter der preußischen Hochschulpolitik, dem 1920 schon legendär gewordenen Friedrich Althoff, übernommen und weiter ausgebaut hatte. Die Notgemeinschaft bildete folglich, obwohl sie eine Neugründung war, ein Element der Kontinuität zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik. Zugleich stand die Notgemeinschaft für die Neuerungen und Anpassungszwänge, mit denen der Erste Weltkrieg und die Gründung der Weimarer Republik die Wissenschaft konfrontiert hatten. Erstens war Forschungspolitik schon im und durch den Krieg „national“ geworden (etwa in Gestalt der 1916 unter anderem von Schmidt-Ott und Haber gegründeten Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft). Daher erhob nun die Notgemeinschaft ihrerseits den Anspruch, die Wissenschaftler aller deutschen Einzelstaaten zu vertreten, aus dem Reichshaushalt finanziert zu werden und als eine Institution der Forschungspolitik des Reiches innerhalb des fortbestehenden hochschulpolitischen Föderalismus zu agieren. Zweitens stand die Mehrheit der im Kontext der Notgemeinschaft aktiven Professoren der Republik – anders als zuvor der Monarchie – distanziert bis ablehnend gegenüber. Während die Ordinarien die Notgemeinschaft 18
Zit. nach Mayer, Universtäten, S. 320; vgl. zur Exzellenzinitiative ebenda, S. 310–323 und Szöllösi-Janze, Art, S. 339–345. Man könnte den Beginn dieses Wandels auch schon im Jahr 1997 verorten, als die DFG erstmals ein Förder-Ranking der Hochschulen präsentierte, vgl. ebenda, S. 338.
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grundsätzlich als neben dem, aber nicht für den demokratischen Staat wirkendes Selbstverwaltungsorgan ihrer selbst betrachteten, delegierten sie zugleich die administrativen Aufgaben und die Verhandlungen mit dem republikanischen Staat an den jeder Sympathie diesem gegenüber unverdächtigen Herzensmonarchisten und erfahrenen Wissenschaftsbürokraten Schmidt-Ott. Drittens schließlich sollte die Notgemeinschaft neuartige Gefahren für den Status der Ordinarien abwehren, nämlich die materiellen Nöte der Nachkriegszeit, die Deklassierung durch ausländische Konkurrenten, das vom neuen politischen Rahmen ermutigte Aufstiegsbegehren außerplanmäßiger Professoren, Privatdozenten und Assistenten, den erwarteten Umzug der Forschung aus den Hochschulen in die Entwicklungslabore der Industrie sowie die Hinwendung der Öffentlichkeit zu alternativen Anbietern von Weltdeutungen.19 Damit entstand unter der ebenso autokratischen wie fürsorglichen Verwaltung Schmidt-Otts ein Reservat der wilhelminischen Ordinarien innerhalb der Republik, ein sozialer Raum, in dem und durch den sie sich materielle Ressourcen, Einfluss und Reputation sichern und doch zugleich den (bei genauerem Hinsehen illusionären) Anspruch weitgehender Autonomie gegenüber Staat und Gesellschaft pflegen konnten. Die Bewohnerschaft dieses sozialen Raums – und damit die Klientel der Notgemeinschaft wie später der DFG – bildete, nimmt man das Wahlrecht zu den Fachausschüssen als Indikator, bis 1970 im Wesentlichen die Gesamtheit der habilitierten Hochschulforscher. Die Gremien aber wurden über Jahrzehnte von einer kleinen Gruppe von Ordinarien dominiert, die zugleich an ihren Hochschulen, in Fachverbänden, als Lehrbuchautoren und Häupter wissenschaftlicher Schulen einflussreich waren. Dass die Gründer ihre Organisation 1920 als „Notgemeinschaft“ bezeichneten, stand zum einen für den Anspruch, die Klientel der DFG sei nicht einfach durch gleiche Funktionen innerhalb des Wissenschaftssystems, sondern vielmehr durch affektive Bindungen, durch Haltungen und Werte untereinander verbunden; sie sei nicht durch widerstreitende Interessen gespalten, sondern durch gemeinsame Gesinnung gegenüber einer von außen drohenden Not zusammengeschweißt. Zum anderen verwies der Begriff der Gemeinschaft auf jene soziale Praxis, durch die der einzelne zu ihrem Mitglied werden und bleiben konnte: durch Akte der Kooptation (also durch die Begutachtung) und durch Konformität gegenüber den innerhalb der Gemeinschaft gültigen Leitbildern, Werten und Regeln wissenschaftlicher Leistung, deren fortdauernde Gültigkeit oder Modifikation wiederum in ebendieser sozialen Praxis, der Begutachtung, ausgehandelt wurde. Vergleicht man die Begutachtungspraktiken der Notgemeinschaft/DFG während der Weimarer Jahre und in der frühen Bundesrepublik miteinander, so wird in der Tendenz eine Verschiebung der Kriterien erkennbar: In den 1920er und ebenso in den frühen 1950er Jahren dominierte unter den Kriterien die explizite Bewertung der Persönlichkeit des Antragstellers und der Resonanz seiner bisherigen Arbeiten innerhalb einer engeren Fachgemeinschaft. Ab Ende der 1950er 19
Im Folgenden wiederhole ich einerseits Argumentationen, die ich bereits publiziert habe. Da das Denken aber nicht stillsteht, setze ich andererseits neue Akzente, vgl. Wagner, Reservat.
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Jahre verschoben sich die Gewichte unter den explizit benannten Begutachtungskriterien. Das Innovationsversprechen, die theoretische Fundierung und das methodische Design sowie die internationale Anschlussfähigkeit beantragter Projekte gewannen an Relevanz gegenüber explizit personalisierenden Kriterien: Seriöse Wissenschaftlichkeit wurde nun immer stärker über wissenschaftliche Praktiken und in sinkendem Maß über den Habitus des Antragstellers identifiziert. Allerdings sparte diese Verschiebung der Begutachtungskriterien zwei Gruppen von Antragstellern aus: Etablierte Koryphäen konnten auch noch um 1970 auf die überlegene Wirkmächtigkeit ihrer Reputation setzen. Auch bei Antragstellern aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs erörterten die Gutachter weiterhin deren Persönlichkeit, indem sie Prognosen über eine künftige Berufbarkeit abgaben. Wo es also um die erstmalige Kooptation in die Gemeinschaft ging, blieb das Kriterium Reputation in Kraft. Zugleich mehrten oder verminderten die Bewertungen seitens der DFG-Gremien die Reputation des betreffenden Nachwuchswissenschaftlers innerhalb des wissenschaftlichen Feldes und damit seine Berufungschancen – sie wirkten damit als Filter in den Kooptationsverfahren der Professorenschaft. Um 1970 waren die Debatten über eine stärkere Steuerung des Wissenschaftssystems durch die Politik, über die Modi und Kriterien der Begutachtung innerhalb der DFG sowie über die Bedeutung ihrer Förderlinien ineinander verschränkt: Die stärkere Berücksichtigung von Kriterien wie der gesellschaftlichen Relevanz von Projekten wurde innerhalb wie außerhalb der DFG ebenso eingefordert wie kritisiert. Verteidiger einer Autonomie der Wissenschaft gegenüber einer aus ihrer Sicht übergriffigen Politik wie Julius Speer verteidigten um 1970 einen Vorrang des Normalverfahrens mit dem Argument, gerade diese Förderlinie prämiere die „geistige Individualität der Forscherpersönlichkeit“.20 Und die zunehmende Ergänzung der gewählten Fachausschüsse durch die von der Geschäftsstelle benannten Sondergutachter wurde einerseits mit funktionalistischen Argumenten verteidigt, andererseits als Entmachtung der Selbstverwaltung und damit der Autonomie der Forschung kritisiert. Letztlich weichte in der DFG-Begutachtung die frühere Dominanz des Kriteriums Reputation auf. Die DFG machte sich Förderlinien wie die Schwerpunktprogramme und die Sonderforschungsbereiche zu eigen, die sie anfänglich wegen der durch sie steigenden Einflusschancen der Politik abgelehnt hatte. Auch passte sie sich der Rhetorik gesellschaftlicher Nützlichkeit an und trug der Ausdifferenzierung der Fächer durch eine Expansion des Sondergutachterwesens (und damit steuernder Eingriffe der Geschäftsstelle) Rechnung. Zugleich legten ihre Klientel und die von dieser gewählten Fachgutachter auch in den 1970er Jahren Wert auf eine „hohe Resistenzfähigkeit“ gegenüber außerwissenschaftlichen Interessen und hielten grundsätzlich am Kriterium Reputation (nun eben neben anderen) fest.21 Der rasante Ausbau der Hochschulen warf die Frage auf, wer anhand welcher Kriterien die Eignung und die Leistungen der hier wissenschaftlich Tätigen beurteilen würde – die bereits als seriöse Wis20 21
Speer, Situation 1970, S. 16. Neidhardt, DFG-Gutachter, S. VII.
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senschaftler akkreditierten Fachkollegen, durch Wahl legitimierte Gremien von Hochschulangehörigen aller Statusgruppen oder die staatliche Wissenschaftsverwaltung nach politischen Interessenlagen. Anders formuliert: Während die Hochschulpolitik ab Ende der 1960er Jahre den Bedarf an Professorinnen und Professoren nur noch dadurch decken zu können glaubte, dass sie die bisherige Kriterien akademischer Leistungsfähigkeit wie die Habilitation als Berufungsvoraussetzung in Frage stellte, hielt die Klientel der DFG daran fest, nur die Kooptation von Wissenschaftlern durch deren bereits etablierte Kollegen anhand spezifischer wissenschaftlicher Leistungskriterien – und damit eben auch auf der Basis von Reputation – erhalte dem wissenschaftlichen Feld ein Mindestmaß an Selbststeuerung.22 Allerdings wandelten sich ab den späten 1950er Jahren jene Attribute, anhand derer die DFG-Gutachter „Forscherpersönlichkeiten“ als solche identifizierten und ihnen Reputation zuerkannten. Bis dahin orientierten sie sich nicht allein an früheren wissenschaftlichen Leistungen eines Antragstellers, sondern auch an seiner Konformität gegenüber einem kulturellen Leitbild, das sich aus nach dem Bruch von 1918 rasch nostalgisch verklärten Vorstellungen darüber speiste, wie jener Forscher des Jahres 1913 gewesen sei, auf dem die Weltgeltung deutscher Wissenschaft beruht habe. Um diesem 1955 wie schon 1925 innerhalb der Notgemeinschaft/DFG dominierenden Leitbild zu entsprechen, musste ein Wissenschaftler an einer Hochschule arbeiten, habilitiert sein und sich vor allem als Grundlagenforscher verstehen bzw. von seinen Kollegen als solcher betrachtet werden. In bzw. für die Industrie oder Einrichtungen der staatlichen Ressortforschung tätige Forscher besetzten in der Gemeinschaft seriöser Wissenschaft bestenfalls prekäre Randpositionen. Die Selbst- und Fremdetikettierung als Grundlagenforscher sagte wenig aus über die konkrete Tätigkeit des Betreffenden – Walther Gerlach etwa, der als Funktionär des Reichsforschungsrates auf einem Primat der Grundlagenforschung beharrte, beteiligte sich zur gleichen Zeit an der Entwicklung von Waffentechnologien –, aber viel über seine Selbstsicht, sein normatives Verständnis „reiner“ Wissenschaft und sein „Resonanzkalkül“: Im Unterschied zum Zweckforscher, der mit seiner Forschung Reputation bei und Gratifikation durch Adressaten außerhalb der Wissenschaft suchte, strebte der Grundlagenforscher mit seiner Forschung auch dann primär Reputationsgewinne bei seinen wissenschaftlichen Fachkollegen an, wenn er seine Fragestellungen aus Problemen der industriellen Fertigung gewonnen hatte (in diesem Zusammenhang war und ist dann von „finalisierter Grundlagenforschung“ die Rede).23 Wichtig ist an dieser Stelle nicht, den ohnehin müßigen Versuch zu unternehmen, Grundlagen- und Zweckforschung definitorisch sauber voneinander abzugrenzen, sondern die Einsicht, dass die Reputation des einzelnen Wissenschaftlers innerhalb der Notgemein22 23
Das Land Berlin etwa verzichtete ab 1969 auf die Habilitation als Berufungsvoraussetzung, vgl. Bundesbericht Forschung IV, S. 17. Den Begriff des Resonanzkalküls entlehne ich Bollenbeck, Interesse, S. 10, die Vorstellung, dass dieses Kalkül den Grundlagen- vom Zweckforscher unterscheide, Storer, Aspekte, S. 91– 100 und schließlich das Konzept der „Finalisierung“ von Maier, Forschung, S. 671.
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schaft/DFG zumeist davon abhing, dass er sich als „Forscherpersönlichkeit“ vom Typus Grundlagenforscher betrachtete – denn dies war im Kern eben nicht das Bekenntnis zu einer bestimmten Tätigkeit, sondern die Identifikation mit einer Wertvorstellung, nämlich dem uneigennützigen und auch nicht an fremden Interessen orientierten Streben nach „reiner“ Erkenntnis. Nun entsprachen die beiden bisher angesprochenen Elemente des traditionellen Leitbildes – die Eigenschaften als etablierter Hochschulwissenschaftler und als Grundlagenforscher – auch nach 1970, ja sie entsprechen bis in die Gegenwart dem offiziellen Verständnis der DFG von ihrer Klientel (wobei sich allerdings der Kreis der als zugehörig erachteten Hochschulangehörigen über die Gruppe der Habilitierten hinaus ausgedehnt hat). Seine Spezifik erhielt das Leitbild des wilhelminischen Ordinarius dadurch, dass es diese Elemente verwob mit der Vorstellung, der ideale Wissenschaftler dürfe nicht ein spezialisierter Experte, sondern müsse ein umfassend neuhumanistisch gebildeter „Gelehrter“ sein. Als die energischsten Propagandisten dieses holistischen Wissenschaftsverständnisses innerhalb der Notgemeinschaft/DFG traten über Jahrzehnte Vertreter der klassischen Naturwissenschaften wie Fritz Haber oder Walther Gerlach auf. Es büßte seine Dominanz ab den 1960er Jahren ein, als die Spezialisierung der Forschung, die soziale Ausweitung des Hochschulpersonals über die kleine Gruppe von Absolventen neuhumanistischer Gymnasien hinaus sowie innerhalb der DFG der Aufstieg der nun unter Biowissenschaften subsumierten Disziplinen ihm den Boden unter den Füßen wegzog. Bis dahin hatte das traditionalistische Leitbild erstens dazu geführt, dass sich die DFG als Klammer für eine Einheit der Wissenschaft verstand und anders als etwa ihre zeitgenössischen Äquivalente in den USA, Mediziner, Geistes- und Naturwissenschaftler unter einem organisatorischen Dach und in einer Gelehrtengemeinschaft vereinte. Zweitens hatte es vom jeweiligen Fachspezialisten gefordert, seine Erkenntnisinteressen und Befunde an ein holistisches, letztlich auf die Erklärung der Welt Anspruch erhebendes Gesamtkonzept zurückzubinden, Empirie philosophisch aufzuladen und die eigene Arbeit als Element einer übergreifenden nationalen Kultur zu verstehen. Drittens wurde so die herausragende Bedeutung des (vermeintlich) genialen Einzelnen für den wissenschaftlichen Fortschritt begründet – denn nur eine kleine Elite herausragender Persönlichkeiten, keinesfalls aber arbeitsteilig organisierte Teams amerikanischer Manier, konnten solchen Ansprüchen an umfassende Bildung und holistische Erklärungskompetenz genügen – oder in den Worten Fritz Habers von 1927: „Fachwissen verwandelt sich in Führertum nur durch den geistigen Horizont seiner Träger.“24 In der Notgemeinschaft/DFG sollte sich nicht nur eine Leistungs-, sondern auch eine Werteelite vergemeinschaften. Dazu musste nicht jeder in der Notgemeinschaft/ DFG tätige Wissenschaftler tatsächlich ein auf die Grundlagenforschung konzentrierter, ganzheitlich gebildete Kulturträger sein, aber jeder sollte die Vorstellung
24
So Haber bei einer Veranstaltung der Notgemeinschaft am 30.1.1927, in: BArch, R 73/91, fol. 76–86, hier fol. 82.
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akzeptieren, dass solchen Gelehrten innerhalb der Gemeinschaft die Führung gebühre. Die Dominanz der am kulturellen Leitbild des Lehrstuhlinhabers von 1913 orientierten Ordinarien war allerdings mehrfach umstritten– so nach 1933 von Seiten an die Macht und auf die Lehrstühle drängender Nachwuchswissenschaftler aus den Kreisen der NS-Akademiker, ab den späten 1950er Jahren von Seiten einer jungen, unter Einfluss der angelsächsischen Wissenschaftskultur sozialisierten Generation von Wissenschaftlern und (nun auch) Wissenschaftlerinnen. Aber erst ab den späten 1950er Jahren büßte dieses Leitbild seine Hegemonie schrittweise ein: aufgrund der mit dem Ausbau der Universitäten einsetzenden Pluralisierung der Hochschullehrerschaft, des kulturellen Auseinanderdriftens der Disziplinen und des Generationswechsels hin zu an angelsächsischen Leitbildern (wie der Teamarbeit) orientierten Wissenschaftlern. Das Leitbild des wilhelminischen Gelehrten hatte aufgrund der nationalen Selbstisolierung der deutschen Wissenschaft nach 1914 lange überleben können; mit der „Westernisierung“ der bundesdeutschen Wissenschaft wurde es von immer größeren Teilen der DFGKlientel als Anachronismus empfunden.25 Die Gründung der Notgemeinschaft im Jahr 1920 war von der Erfahrung motiviert, dass der Status des deutschen Ordinarius im Wissenschaftssystem, in der Gesellschaft und in der Konkurrenz mit seinen ausländischen Kollegen durch die Folgen des Ersten Weltkrieges und den politischen Systemwechsel in Gefahr geraten war. Viele der nun als akut bedrohlich wahrgenommenen Phänomene – die Verlagerung von Spitzenforschung aus den Hochschulen in Industrielabore und andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die Verschiebung von Ressourcen aus der Grundlagen- in die Zweckforschung, das Zurückbleiben im internationalen Wettbewerb oder staatliche Eingriffe in die inneren Hierarchien der Hochschulen – werden im Rückblick als langfristige, strukturelle Trends erkennbar. Da die meisten dieser Trends in allen Industriegesellschaften auftraten, war die Notgemeinschaft/DFG keineswegs ein Solitär im institutionellen Gefüge der Wissenschaften. Auch in den USA oder Frankreich befürchteten die an Hochschulen arbeitenden, sich als Grundlagenforscher definierenden Wissenschaftler in wiederkehrenden Schüben ihre Marginalisierung seitens der Zweckforschung, die Abwanderung des Nachwuchses in die Industrielabore oder die Instrumentalisierung durch einen übergriffigen Staat. Und so schufen sich die französischen Grundlagenforscher während der 1930er Jahre und erneut ab den späten 1940er Jahren mit der Caisse Nationale des Recherche Scientifique, jene der USA 1916 mit dem National Research Council und 1950 mit der National Science Foundation der Notgemeinschaft/DFG vergleichbare, wenn auch aufgrund der jeweiligen nationalen Traditionen und Bedingungen in vielem variierende Organisationen.26 25 26
Zum Konzept der Westernisierung vgl. exemplarisch Doering-Manteuffel, Deutsche. Zu den USA siehe das dritte und neunte Kapitel dieses Buches, zu Frankreich vgl. Picard, République, derselbe, Organisation, Braun, Steuerung, S. 110–115, 160 ff. und 234–255 sowie Weart, Scientists.
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Eine spezifisch deutsche Prägung entwickelte die Notgemeinschaft dadurch, dass in ihrer Gründungsphase um 1920 ein erster Höhepunkt in der säkularen Krise der Hochschulforschung zusammentraf mit der demütigenden Kriegsniederlage und dem Untergang der alten Ordnung: Die Not der deutschen Wissenschaft und der Absturz der Nation erschienen vielen Ordinarien als Einheit. Daher lud die Klientel der Notgemeinschaft ihre Krisenängste, ihre Interessen und ihre Strategien zu deren Wahrung von Anfang an nationalistisch auf. Dies führte in der Förderstrategie der Notgemeinschaft dazu, dass man in der Medizin, den Natur- und Technikwissenschaften Schwerpunkte in solchen Themenfeldern bildete, in denen der „Konkurrenzkampf mit dem Ausland und Amerika“ besonders scharf zu sein schien.27 In den Geisteswissenschaften hatten solche Projekte besonders gute Chancen, die eine Revision des Versailler Vertrages und deutsche Dominanzansprüche in Europa mit historischen und kulturkundlichen Studien zu untermauern und das geistige Profil potenzieller Kriegsgegner wissenschaftlich zu vermessen versprachen. Ins Zentrum der öffentlichen Rhetorik, aber auch der internen Selbstverständigungsdebatten rückte das (deutsche) „Volk“ – als Gegenstand der Forschung, als außerwissenschaftlicher Adressat der so gewonnenen Erkenntnisse und schließlich als normativer Bezug und Legitimationsgrundlage der Forschung. Von heute aus glaubt man einen Widerspruch zwischen dieser Selbstpolitisierung der in der Notgemeinschaft organisierten Forscher einerseits und ihrem Selbstverständnis als unpolitische Gelehrte zu erkennen. Ihnen selbst aber galt Nationalismus damals gar nicht als politische Position, sondern als selbstverständliche Haltung eines deutschen Ordinarius, der sich per se und fernab jeder Parteipolitik als nationaler Kulturträger verstehen sollte. Immerhin gab es hierzu unter den Rahmenbedingungen der Weimarer Demokratie auch in den Notgemeinschaftsgremien um 1930 kritische Gegenstimmen. Diese brachte das NS-Regime 1933 sofort zum Verstummen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete für die Notgemeinschaft insofern einen tiefen Einschnitt, als innerhalb weniger Jahre etwa ein Fünftel der deutschen Hochschullehrer aus ihren Positionen – und damit auch aus der Notgemeinschaft – vertrieben wurde. Kennzeichnend für die Vertreibung jüdischer und demokratischer Wissenschaftler war das bleierne Schweigen, mit dem ihre Kollegen dies quittierten und damit zuvor gegenüber der Republik inbrünstig beschworene Normen wie die Autonomie der Wissenschaft preisgaben. Die Gründe hierfür reichten von Opportunismus bis zu den Traditionen des akademischen Antisemitismus, entscheidend aber war eben, dass sich seit den 1920er Jahren ein entschiedener Nationalismus zum selbstverständlichen Bestandteil des Habitus deutscher Hochschullehrer entwickelt hatte, gegenüber dem traditionelle Normen wie die Standessolidarität als nachrangig empfunden wurden. Ende 1934 vollzog der nunmehrige Präsident Johannes Stark den (1929 schon einmal eingeleiteten, dann aber doch unterlassenen) Namenswechsel von der Notgemeinschaft zur Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Botschaft dieses symbolischen Aktes – die von der Republik verschuldete „Not“ sei durch das 27
Protokollnotizen des Hauptausschusses vom 6.1.1926, in: BArch, R 73/90, fol. 32.
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NS-Regime beseitigt – dürfte die große Mehrheit der noch in Amt und Würden befindlichen Professorenschaft damals für richtig gehalten haben. Obwohl die über 1933 hinaus im Rahmen der DFG aktiven Ordinarien hoffen durften, das neue Regime werde sie als Brüder im nationalistischen Geiste anerkennen, geriet die DFG schnell in den Strudel jener Auseinandersetzungen um Macht, Einflusssphären und Konzepte, die das wissenschaftliche Feld während der ersten drei Jahre des NS-Regimes prägten. Im Juni 1934 musste Friedrich Schmidt-Ott die Präsidentschaft an den Physiker und „alten Kämpfer“ Johannes Stark übergeben, der seinerseits zwei Jahre später dem Chemiker Rudolf Mentzel, ebenfalls „alter Kämpfer“, aber mit 36 Jahren Vertreter einer neuen Generation, zu weichen hatte. 1937 wurde die DFG in zwei Ebenen aufgeteilt, nämlich den ebenfalls von Mentzel gemanagten Reichsforschungsrat, der jene Forschungsfelder der Natur-, Agrar-, Sozial- und Technikwissenschaften förderte, die den expansiven und gesellschaftsbiologischen Zielen des Nationalsozialismus dienlich sein konnten und die fortbestehende DFG, die nun einerseits als Verwaltungsstelle des RFR, andererseits als Förderorganisation für die Geisteswissenschaften diente. Aus einer wissenschaftlichen Selbstverwaltungsorganisation war de facto, wenn auch nicht de jure, eine dem Reichswissenschaftsministerium nachgeordnete Behörde geworden (wobei im Ministerium wiederum Mentzel die einschlägige Abteilung leitete). Sieht man ab vom Wortgetöse, von den Intrigen zum persönlichen Vorteil und von den Überspanntheiten vieler Akteure, so ging es in diesen Machtkämpfen zwischen 1933 und 1936 um einen Generationskonflikt. Die DFG wie die Universitäten wurden Anfang 1933 noch immer vom Typus des spätwilhelminischen Ordinarius beherrscht; 1933 lag der Altersdurchschnitt der meisten DFGGremien deutlich über sechzig Jahren. Betrachtet man dagegen die Führungsspitze des Reichsforschungsrates, so fällt eine deutliche Verjüngung ins Auge. Von den 18 zwischen 1937 und 1942 ernannten Fachspartenleitern waren acht zwischen 1891 und 1899 sowie fünf zwischen 1900 und 1907 geboren. Ein Teil der mit Rudolf Mentzel nach oben strebenden jungen Wissenschaftler und „alten Kämpfer“ stilisierte sich zwar zunächst als Gegner einer aus ihrer Sicht spießbürgerlichen Ordinarienkultur und legitimierte seine Karriereansprüche mit einer schon vor 1933 unter Beweis gestellten Rolle als Protagonisten einer spezifisch nationalsozialistischen „kämpfenden Wissenschaft“. Doch zumindest für die im Rahmen der DFG Aktiven dieser Alterskohorte galt: Sobald sie sich einigermaßen sicher etabliert hatten, suchten sie einen Modus Vivendi mit den älteren Kollegen, der auf dem generationenübergreifenden Konsens aufbaute, dass es das primäre Ziel deutscher Wissenschaftler sein müsse, einen Beitrag zur Kriegführung der Nation zu leisten. Sowohl im Interesse größtmöglicher Effizienz als auch in Anpassung an die älteren Ordinarien hielten die neuen Führungskräfte der DFG und des RFR zwischen 1937 und 1945 an einigen Elementen der traditionellen Corporate Identity der DFG fest. So erkannten zum einen auch die politisierten Spitzenfunktionäre um Mentzel an, dass die Effizienz von Forschungsförderung gewinne, wenn die Entscheidungen nicht von außerwissenschaftlichen Instanzen getroffen würden. Die Mehr-
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heit der Fachspartenleiter des RFR bestand daher aus in ihren jeweiligen Fächern als Leitfiguren anerkannten Ordinarien. Wenn es ihnen nötig erschien, holten die Fachspartenleiter Gutachten zu einzelnen Projekten ein; sofern sie sich selbst für hinreichend kompetent hielten, gutachteten und entschieden sie in einer Person. Gemessen an den nach 1945 in Westdeutschland etablierten Regeln kann hier selbstverständlich nicht von einem echten Peer Review die Rede sein. Allerdings hatte auch das von der Notgemeinschaft bis 1934 praktizierte Begutachtungsverfahren diesen Regeln keineswegs entsprochen: Zumeist hatte man zu jedem Antrag nur ein einziges Gutachten (ergänzt um eine Stellungnahme des Fachausschussvorsitzenden) eingeholt und auf dessen Grundlage hatte Schmidt-Ott weitgehend autokratisch entschieden. Die Gutachter waren in der Regel durch Wahlen in ihre Funktionen gelangt, bei denen sie – vom Präsidium nominiert – jeweils die einzigen Kandidaten für ihre Position gewesen waren. Gemessen an diesem Modus des Peer Review kann man das ab 1937 vom RFR praktizierte Verfahren denn doch als ein solches beschreiben – und zwar als ein Peer Review gemäß des „Führerprinzips“. Zum anderen hielt der Reichsforschungsrat selbst im Krieg an einer normativen Hierarchisierung von Grundlagenforschung, Zweckforschung und technischer Entwicklung fest und vermittelte seiner Klientel die Gewissheit, dass sie als vom RFR geförderte Wissenschaftler der eigentlichen Elite des wissenschaftlichen Feldes, nämlich der Gruppe der Grundlagenforscher, zuzurechnen seien. Diese Grenzziehung war rein symbolisch. Innerhalb der komplexen Forschungsprogramme des RFR, die vor allem auf die Entwicklung von Rüstungstechnologie zielten, war eine klare Unterscheidung von Grundlagenforschung, Zweckforschung und technischer Entwicklung nicht ernsthaft möglich. Die vom Reichsforschungsrat geförderte Forschung war letztlich „finalisierte Grundlagenforschung“, das heißt sie versuchte Basiswissen über die Eigenschaften von Stoffen, Kausalitäten von Naturphänomenen oder über Messmethoden zu generieren, dessen vermutete Relevanz für Problemstellungen etwa der Technologieentwicklung schon am Beginn der Forschung unterstellt wurde und den heuristischen Prozess in Gang setzte. Dass Fachspartenleiter wie Walther Gerlach immer wieder den Charakter der RFR-Projekte als Grundlagenforschung hervorstrichen, sagt letztlich vor allem etwas darüber aus, wie sich die betreffenden Wissenschaftler selbst sehen wollten, unabhängig davon, was sie gerade konkret taten – eben als Grundlagenforscher. Und der Reichsforschungsrat tat das Seine, den Erhalt dieses normativen Selbstbildes zu ermöglichen. All dies war möglich, weil zwischen allen miteinander konkurrierenden Fraktionen, Seilschaften und Generationen ein solider Grundkonsens darüber bestand, dass die Forschung einem deutschen Sieg im Zweiten Weltkrieg zu dienen habe. Forschungsgemeinschaft und Reichsforschungsrat boten ihrer professoralen Klientel förderliche Rahmenbedingungen und Dienstleistungen – von der Finanzierung über die UK-Stellung von Mitarbeitern und die Beschaffung von Rohstoffen und Apparaten bis zur Gewährleistung von Kommunikation und Koordination der Beteiligten. Dies alles diente der Selbstmobilisierung im Dienste des NS-Regimes. Teilweise betrieben die Fachspartenleiter aktivierende Forschungspolitik,
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indem sie ihnen qua Reputation als geeignet erscheinende Wissenschaftler auf Möglichkeiten aufmerksam machten, sich mit ihren Forschungsinteressen für die Kriegs- und Rüstungspolitik zu engagieren. Häufig aber wurden solche Wissenschaftler oder disziplinäre Netzwerke von Forschern selbst initiativ und wussten die Möglichkeiten von DFG und RFR für sich zu nutzen. Deren wesentliche Leistung für den Nationalsozialismus bestand darin, den Hochschulforschern einen Freiraum bereitzustellen, in dem sie ihr Engagement für das Regime und seine Kriegsziele in der Atmosphäre einer auf das Wissenschaftliche begrenzten Vielstimmigkeit verwirklichen konnten. Viele Fachspartenleiter des RFR gehörten zugleich Gremien des Rüstungsministeriums, der Vierjahresplanbehörde oder der Wehrmacht an. Dies trug dazu bei, die Vorhaben der RFR-Forscher mit den Interessen und Projekten der anderen Institutionen zu koordinieren. Misst man den Reichsforschungsrat nicht an der irrealen Erwartung, er hätte das der NS-Forschungspolitik fehlendes Steuerungszentrum ersetzen sollen, sondern an den strukturellen Bedingungen des Regimes, so erfüllte er sowohl für dieses als auch für seine Klientel seine originären Funktionen, nämlich zum einen die Ausschöpfung der Potenziale der Hochschulforscher für den Krieg, zum anderen die Aufrechterhaltung staatlicher Förderung für die Wissenschaftler auch im Krieg. Zudem bot der RFR den radikalen NS-Aktivisten unter den Forschern, wie beispielsweise dem Agrarwissenschaftler Konrad Meyer, die Möglichkeit, ihre politischen Projekte – in Meyers Fall die Planung einer ethnischen Neuordnung Osteuropas, deren Voraussetzung in der Ermordung, Vertreibung oder Versklavung von Millionen Menschen bestand – mit dem Siegel seriöser Wissenschaftlichkeit zu versehen und damit ihre Überzeugungskraft innerhalb der NS-Funktionseliten zu erhöhen. Die totale Niederlage von 1945 hat das Leitbild einer nationalistisch aufgeladenen und zugleich gegenüber der westlichen Demokratie ablehnenden Wissenschaftskultur radikal diskreditiert, ohne dass dies in der Binnenkommunikation der DFG nach ihrer Neukonstituierung 1949 explizit diskutiert worden wäre. Vielmehr distanzierte sie sich unter Aussparung offener Grundsatzdebatten von diesem Leitbild auf fünf indirekten Wegen: Erstens setzten die DFG-Gremien auf eine widersprüchliche, im Vergleich zu anderen Bereichen des wissenschaftlichen Alltags gleichwohl etwas konsequentere Entnazifizierung, indem sie versuchten, scheinbar seriöse Wissenschaftler von – so der Schlüsselbegriff in Gutachten der 1950er Jahre – „Dilettanten“ zu unterscheiden. Gleichzeitig erkannte die DFG es jedoch nicht als komplementäre Aufgabe, die Wiedereingliederung der nach 1933 aus Hochschulen und Land vertriebenen Wissenschaftlern zu fördern. Zweitens etablierten die Spitzengremien wie die Gutachter eine abstrakte, das heißt: nicht konkret gegen den Nationalsozialismus gerichtete Politikferne als Kriterium seriöser Forschung. Daher blieb der Senat beispielsweise lange Zeit abwehrend gegenüber Kooperationen mit der Bundeswehr oder dem propagandistischen Zweig der Ostforschung. Hiermit korrespondierend bestand der dritte Weg zur Distanzierung vom früheren Leitbild des national engagierten Wissenschaftlers in einer inbrünstigen Beschwörung der Grundlagenforschung. So wie sich die Ordinarienuniversität
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über die „Rückkehr zur Humboldtschen Rhetorik“ jene vermeintlich unbelasteten Kontinuitäten und Traditionen schuf, durch deren Reaktivierung man sich vom Nationalsozialismus distanzieren konnte, ohne ihn überhaupt ansprechen zu müssen, insistierten Gremienmitglieder der DFG darauf, in der Vergangenheit stets nur der Grundlagenforschung gedient zu haben.28 Für die Gegenwart setzten sie dieses Credo als ethische Prämisse der Förderpolitik. Dass ein Engagement in der Grundlagenforschung vor 1945 keineswegs identisch mit einer Distanz zur Kriegs- und Rüstungsforschung gewesen war, blieb in solchen Erörterungen ausgespart. Viertens brach die Notgemeinschaft/DFG in ihrer Neugründungsphase zwischen 1949 und 1951 institutionell mit einigen Traditionen der Weimarer Notgemeinschaft, thematisierte dies aber keineswegs offen, sondern suggerierte sogar in der öffentlichen Präsentation das genaue Gegenteil. De facto aber streute die neue Organisation die Partizipationsmöglichkeiten ihrer Klientel breiter, als dies unter der Autokratie Schmidt-Otts üblich gewesen war: Der Präsident erhielt nur begrenzte Entscheidungskompetenzen, die Rolle der gewählten Gremien wurde gestärkt und indem pro Projektantrag nun regelmäßig mindestens zwei Gutachten eingeholt wurden (wiederum ergänzt um eine Stellungnahme des Ausschussvorsitzenden), zog in die Entscheidungsprozesse echter Pluralismus ein. Zudem verwandelten sich die Wahlen zu den Fachausschüssen zu echten, kompetitiven Abstimmungen, auch wenn der Kreis der Wahlberechtigten bis 1970 gegenüber den Regelungen der Weimarer Zeit unverändert blieb. Die fünfte Neuorientierung ab 1949 betraf das Verhältnis der deutschen zur internationalen, vor allem zur amerikanischen Wissenschaft. Hatten die Gremien und Gutachter der Notgemeinschaft/DFG die Wissenschaftler der USA während der 1920er bis frühen 1940er Jahre als ernstzunehmende, aber zweitklassige Konkurrenten gesehen, weil deutsche Forscher durch ihr philosophisch begründetes, holistisches Denken den angelsächsischen Nur-Empirikern per se überlegen sein müssten, so gestand man sich nun ein, den Anschluss an deren Spitzenleistungen erst wieder mühsam herstellen zu müssen. In den frühen 1950er Jahren versuchten die Gutachter zunächst ein Muster des Umgangs mit dem neuen wissenschaftlichen Vorbild Amerika normativ verbindlich zu machen, das die Aneignung von Wissen, den Import und die Einübung international anerkannter Methoden mit Signalen einer kritischen Distanz im Wissenschaftsverständnis kombinierte. Die Gremiendebatten der 1960er Jahre zeigen dann aber die genau gegenläufige Wirkung der intensivierten Kontakte in die USA, denn sie importierten von dort eine scharfe Kritik an den Hierarchien und persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen der deutschen Ordinarienuniversität. Zwar dominierte in den ersten Debatten des DFG-Senates noch eine trotzige Abwehrreaktion, aber das Problembewusstsein begann von nun an innerhalb der Organisation zu wachsen. Wenn die Versuche, das traditionelle Leitbild des holistischen GelehrtenOrdinarius trotz zunehmender Integration in die westliche Scientific Community aufrechtzuerhalten, seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre rapide an Kraft verlo28
Jarausch, Humboldt-Syndrom, S. 61. Vgl. Weisbrod, Geist.
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ren, so spiegelte sich hierin eine Gesamttendenz wieder: nämlich die Auflösung der sozialen und normativen Homogenität innerhalb des sozialen Raumes DFG, das Einrücken einer durch Studien- und Forschungsaufenthalte im westlichen Ausland geprägten Generation auf die Lehrstühle und die Pluralisierung wissenschaftlicher Stile. Die Kombination von Generationswechsel und schnellem Ausbau der Universitäten ließ die Homogenität der Professorenschaft erodieren und veränderte die Machtverteilungen auch innerhalb der DFG. Zwischen 1955 und 1967 wuchs auch ohne Wahlrechtsreform die Zahl der im Rahmen der Fachausschusswahlen Stimmberechtigten aufgrund des Ausbaus der Hochschulen um 70 Prozent. Bei jeder der Wahlen in den 1960er Jahren tauschten die Abstimmenden zwei Drittel der Ausschussmitglieder aus. Die schließlich im Dezember 1970 erfolgte Reform dehnte das aktive Wahlrecht – die Stimmbürgerschaft im sozialen Raum DFG – auf etwa die Hälfte der promovierten Hochschulangehörigen aus. Ähnlich wie die Hochschulreformgesetze der 1970er Jahre führte auch die novellierte Wahlordnung der DFG nicht zu einer Demokratisierung im Sinne einer Egalisierung der Teilhaberechte aller an den Hochschulen Forschenden, denn das passive Wahlrecht und damit die konkrete Einflussnahme qua Begutachtung blieb den Habilitierten vorbehalten. Damit blieb die DFG zwar fest in der Hand der Professoren (und nun auch: der Professorinnen), aber deren Führungsanspruch wurde jetzt nicht mehr mit der Behauptung legitimiert, es handele sich bei ihnen um eine Wertegemeinschaft herausragender Gelehrter von exklusivem Habitus und semimagischer Aura. Vielmehr griff man nun auf profane und damit diskutable, das heißt im Einzelfall bestreitbare bzw. nachzuweisende Legitimationen wie die Eignung zur Erfüllung konkreter Funktionen und vor allem wissenschaftsspezifische Leistungsnachweise (wie eben die Habilitation) zurück. Daher gelang es der DFG, die Akzeptanz ihres Vertretungsanspruchs für die an Hochschulen angesiedelte Forschung langfristig zu stabilisieren. Dieser Pluralisierung und Rationalisierung der Teilhaberegeln innerhalb der DFG-Klientel standen etwa zeitgleich ein wachsender Einfluss der Geschäftsstelle auf die internen Entscheidungsprozesse und zunehmende Steuerungsversuche von Seiten der zuständigen Bundesministerien gegenüber. Die Spezialisierung der Forschung und die mit dem Ausbau der Hochschulen schnell wachsenden Antragszahlen führten ab den 1960er Jahre für die Geschäftsstelle zu der funktionalen Notwendigkeit, in immer mehr Fällen von sich aus statt der gewählten Fachgutachter qualifizierte Sondergutachter zu bestellen. Mitte der 1970er Jahre hatte ein Drittel der Professorinnen und Professoren mindestens einmal ein Sondergutachten erstattet (gegenüber drei Prozent, die einmal Mitglied eines Fachausschusses gewesen waren). Auch dies mag man als Pluralisierung lesen, und funktional war diese Entwicklung gewiss unabweisbar, aber sie verschob denn doch Macht weg von den gewählten Vertretern der Klientel und hin zu den Referenten der Geschäftsstelle. Besonders ausgeprägt war dieser Effekt gerade in jenen Förderlinien, die von außen, vom Wissenschaftsrat und/oder von der Bundesregierung, initiiert worden waren, also ohnehin nicht einer Logik der Selbstverwaltung, sondern politischen Interessen und staatlichem Auftrag entsprungen waren. Im 1953 gestarteten
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Schwerpunktverfahren und in der 1968 angelaufenen Förderlinie der Sonderforschungsbereiche musste der Einsatz von Sondergutachtern besonders hoch sein, um ihren jeweiligen Besonderheiten gerecht zu werden. Zudem machten es die langen Vorlaufzeiten und komplexen Verfahren dieser Programme unmöglich, sie durch ehrenamtlich tätige Gremien wie den DFG-Senat in Gang zu bringen und zu steuern. Wie wir im Fall der Schwerpunktprogramme gesehen haben, blieb den gewählten Gremien in diesen Förderlinien gar nichts anderes übrig, als sich ihrer Entscheidungskompetenzen zugunsten der Geschäftsstelle zu entledigen. Hier wurden die Grenzen traditioneller, auf das Ehrenamt gestützter akademischer Selbstverwaltung deutlich. Eine weitere Grenze für die Autonomie der durch die DFG geförderten und repräsentierten Wissenschaft lag in ihrem Organisationsinteresse, das erworbene Zuständigkeitsmonopol an der Schnittstelle zwischen staatlichen Geldgebern und Hochschulen zu behaupten. Sowohl im Fall der Schwerpunktprogramme am Beginn der 1950er Jahre, als auch in jenem der Sonderforschungsbereiche 15 Jahre später, war der DFG-Senat der von außen an die DFG herangetragenen Erwartung, diese neuen Förderlinien zu übernehmen, zunächst skeptisch begegnet, weil er als deren Folge zum einen Strukturveränderungen an den Hochschulen, zum anderen staatliche Eingriffsmöglichkeiten in die Haushaltspolitik der DFG befürchtete. Letztlich aber administrierte die DFG jeweils nach kurzem Zögern die genannten Programme, weil sie unbedingt vermeiden wollte, dass der Staat konkurrierende Organisationen zur Verteilung seiner Drittmittel bemühte oder schuf. Damit aber nahm sie immer stärker die Rolle einer nachgeordneten Verwaltungseinrichtung von Bund und Ländern und immer weniger die Funktion einer initiierenden Interessenvertretung der Wissenschaft wahr. Mit dieser Politik ist die DFG insofern erfolgreich gewesen, als sie seit nun vielen Jahrzehnten als die Schnittstelleninstitution im Bereich der Forschung zwischen Staat und Hochschulen etabliert ist. Sie war seit Beginn der Bundesrepublik und ist bis heute die wichtigste Drittmittelquelle der Universitäten. Die Anteile der einzelnen Fächer haben sich dabei immer wieder verschoben, in den 1970er Jahren zum Beispiel von den klassischen Naturwissenschaften hin zu den damals als Bio- und heute als Lebenswissenschaften bezeichneten Fächern. Nur für wenige (stark auf Auftragsforschung orientierte) Bereiche der Hochschulforschung war die DFG unwichtig. Die DFG ist mit ihrer Förderpolitik im Wesentlichen den Eigenlogiken der Disziplinen und Forschungsfelder gefolgt. Sie hat in Einzelfällen deren Entwicklung in bestimmte Richtungen beschleunigt und mit dem sanften Druck ihrer Ressourcen mal rhetorische, mal faktische Annäherungen an neue Forschungsstile – wie etwa Interdisziplinarität – sowie die Institutionalisierung neuer Forschungsfelder befördert, aber wohl kaum ausgelöst. Die Fächer haben die verschiedenen Förderlinien unterschiedlich stark nutzen können; die Geisteswissenschaftler etwa taten sich von Beginn an schwer mit Formaten, die von ihnen die Einordnung in größere Verbünde verlangten. Über die breit gestreute Förderung von Einzelprojekten im Normalverfahren, das fast durchgängig die relativ finanzstärkste Förderlinie geblieben ist, haben aber auch die Geisteswissenschaften den seit Jahrzehnten immer wieder neu aufbrandenden
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Die DFG als sozialer Raum der Hochschul- und Grundlagenforschung
Klagen über ihre Vernachlässigung zum Trotz eine kontinuierliche Förderung erfahren. Neben der Projektförderung hat die DFG den Aufbau großer Teile der Forschungsinfrastruktur der Hochschulen finanziert und administriert; was mit Programmen zur Ausstattung der Bibliotheken mit Zeitschriften und Büchern sowie der apparativen Ausrüstung von Laboren begann und mit dem Aufbau der ersten Rechenzentren fortgesetzt wurde, wird in der Gegenwart mit Programmen zur Digitalisierung weitergeführt. Gerade weil die DFG sich sowohl als Schnittstelleninstitution und primäre Drittmittelquelle für alle Universitäten etabliert hat, als auch von deren Angehörigen weiterhin als ihre Organisation gesehen wird, zieht sie in der Gegenwart einen Teil jener Kritik auf sich, die eigentlich aufgrund der strukturellen Unterfinanzierung der Hochschulen der Politik gelten müsste. Tatsächlich birgt die Bereitwilligkeit, mit der sich die DFG zum ausführenden Organ einer einseitig auf Drittmittelfinanzierung setzenden Forschungspolitik von Bund und Ländern macht, Gefahren. Allzu häufig bestätigt sie die Illusionen von Politik und Öffentlichkeit, durch befristete und im Vergleich zu den Kapitalien amerikanischer Spitzenuniversitäten lächerlich dimensionierte Förderprogramme ließe sich „Exzellenz“ züchten. So verabreicht sie mit den von den Antragstellern heiß begehrten und dankbar akzeptierten Fördermitteln zugleich wissenschaftspolitische Placebos, Palliativmittel sowie Halluzinogene und erspart Politik und Öffentlichkeit eine ehrliche Debatte über Strukturprobleme der Hochschulen. Die DFG bietet keine Lösung für diese Probleme – aber sie ist beileibe auch nicht deren Ursache. Vor allem aber dürfte sie auch in ihren gegenwärtigen Fehlern ein ziemlich repräsentatives Abbild ihrer Klientel sein.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ARCHIVALIEN Archiv der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG-Archiv) Verfilmte Förderakten seit 1949
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Bundesarchiv-Militärarchiv (BArch-M) RL 3 (Generalluftzeugmeister)
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Universitätsarchiv Halle (UA Halle) Rep. 4 (Rektorat)
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PERSONENREGISTER (Die Einträge beziehen sich nur auf den Fließtext und ausgewählte Fußnoten sowie nicht auf Autorinnen und Autoren von Sekundärliteratur) Abderhalden, Emil 207, 245 f. Abel, Wilhelm 389 f. Abel, Wolfgang 243 Adenauer, Konrad 303 Adorno, Theodor W. 388 Althoff, Friedrich 23, 41, 142, 457 Anrich, Ernst 326 Arendt, Hannah 85 Arntz, Helmut 187 Aschoff, Ludwig 80, 134, 148 Aubin, Hermann 131, 343 f. Backe, Herbert 208, 268 Baitsch, Helmut 349 f., 432 f. Baldauf, Edmund 330 Bargmann, Wolfgang 341 Bartholomyczyk, Horst 270, 276 Bauemker, Adolf 209 Baur, Erwin 98, 164, 167 Beck, Hans-Georg 432 Becker, Carl Heinrich 32, 40 f., 68, 88, 138 f., 141–144, 149 Becker, Emil 352 Becker, Georg Heinrich 235, 281, 298 f. Becker, Karl 180, 194, 198–201, 206, 208 Beckerath, Erwin von 329 Becker-Freyseng, Hermann 329, 330, 333 Below, Georg von 31 Bentz, Alfred 320 Bergmann, Friedrich 270 Bergstraesser, Arnold 393 Berl, Ernst 166 Berve, Helmut 260 ff., 264 Betz, Werner 252 Beutler, Hans 159 Bickenbach, Otto 238 Bieberbach, Ludwig 73, 155–158 Bier, August 165 Blohm, Georg 328 Blome, Kurt 238 f., 242 Bock, Erhard 416 Bock, Günther 341 Bodenstein, Max 159
Boehm, Max Hildebert 323 ff. Boesler, Felix 270, 276 ff. Böhme, Joachim 161 Bondy, Curt 322, 393 Bormann, Martin 280 Born, Max 33, 205, 322 Borries, Bodo von 413 Borst, Max 189, 207 Bosch, Carl 24, 208 Bouhler, Philipp 280 Brackmann, Albert 73, 242 Brandi, Karl 78 Brandt, Willy 425, 430, 439 Braun, Otto 141 Bresch, Carsten 406 f. Breüer, Sergius 191, 240 Brüning, Heinrich 149 Bülow, Friedrich 270 Bush, Vannevar 448 f. Busse, Gisela von 359 Butenandt, Adolf 179, 203, 207, 229, 308, 321, 347, 382, 394 Butler, Nicholas Murray 35 Chain, Ernst Boris 161 Christaller, Walter 269, 275 f. Clara, Max 329 Clauberg, Carl 207 Clausen, Richard 368, 411 f. Clauss, Ludwig Ferdinand 331 Crampe, Hans 214 Dahrendorf, Ralf 384 f., 394, 400 Dahs-Odenthal, Dagmar 427, 438 Danckert, Werner 331 Darré, Walther 182, 274 Debrunner, Albert 231 Degenhardt, Karl-Heinz 349 Dessauer, Friedrich 80 Deuticke, Hans 340 Dibelius, Martin 85 Diehl, Karl 75 Dohnanyi, Klaus von 417, 423, 436 Dolezalek, Carl Martin 311
500
Personenregister
Donnevert, Max 66, 72, 140, 149 Doubek, Franz 269, 276 DuBridge, Lee 450 Duhem, Pierre 35 Duhm, Erna 310 Duisberg, Carl 40 ff., 53 f. Dyck, Walther von 51 f., 57, 103 f., 137 f., 140, 146, 148, 151, 162 f., 457 Ebert, Friedrich 52, 113, 140 Edison, Thomas Alpha 123 f. Eickstedt, Egon von 351 f. Einstein, Albert 32 f., 35, 69 f., 160, 167, 186, 193 Ellger 277 Ellinger, Philipp 159 Erdmann, Rhoda 161 Erzberger, Matthias 21 Esau, Abraham 200 f., 203 f., 213, 235, 237, 282 Escherich, Karl Leopold 172 Eversole, Henry 102 Ewald, Erich 277 Fehling, August Wilhelm 66, 197, 294 Fehrenbach, Konstantin 52 Fehrle, Eugen 254, 331 Fischer, Eugen 134 ff., 147, 164, 244, 324 Fischer, Fritz (Historiker) 380 f. Fischer, Fritz (Fachreferent) 416 Fischer, Helmut 222, 284 Fischer, Werner 243 Fischer-Appelt, Peter 413 f., 416 Flachsbarth, Otto 305 Fleming, Alexander 161 Florey, Howard W. 161 Franck, James 435 Frank, Walter 76, 85, 187 f. Franz, Günther 324 Frick, Wilhelm 163 f., 167 f., 186 Fricke, Gerhard 260, 264 Frings, Theodor 130 Fry, Adolf 203, 206, 213 Gadamer, Hans-Georg 414 Gambke, Gottfried 311, 342, 358 Gayl, Wilhelm von 150 Gebert, Walter 269, 278 Geiler, Karl 297, 303 ff., 324 Geist, Friedrich 223, 283 Gentz, Erwin 318 Gerlach, Walther 204 ff., 213, 216 ff., 222 f., 233 f., 237, 250 f., 281–284, 286, 294, 297, 302 f., 308 f., 311 f., 319 f., 329, 339 ff., 378, 409, 460 f., 465 Gladenbeck, Friedrich 214 f., 217
Globocnik, Odilo 278 Glum, Friedrich 144, 165 Goebbels, Josef 177 Goldschmidt, Adolph, 166 Goldschmidt, Stefan 156 Gollwitzer, Heinz 387 Göring, Hermann 169, 183 f., 194, 197 f., 208–214, 219–223 Görnnert, Fritz 211, 212, 220, 222 f. Gottschick, Johannes 241 f. Graue, Georg 229, 233, 238, 283 Greite, Walter 179, 242 Griewank, Karl 138, 195, 197, 258 ff., 264, 297 f. Grimm, Hans 118 Grunenberg, Nina 436 Guertler, William 170 f., 174 f., 250 Günther, Hans f.K. 184 Günther, Oskar Eugen 321 Günther, Paul 156 Gurland, Arcadius 393 Gütt, Arthur 242 Haagen, Eugen 239, 329 f., 333 Haase, Irmgard 246 Haber, Fritz 22, 24 f., 38–48, 50–53, 57 ff., 61, 63 f., 67, 72, 75, 77–81, 84, 93, 104 f., 108, 113 ff., 119, 138, 144, 146, 149, 151, 161–164, 166, 170, 180 f., 457, 461 Habermas, Jürgen 399, 405 Haenisch, Konrad 32, 40 f. Hahn, Martin 73 f. Hahn, Otto 159, 246 Hajimi, Hoshi 93 Hale, George Ellery 124 ff. Hampe, Erich 339 Harlan, Veit 205 Harmjanz, Heinrich 179, 195, 197, 255 f. Harnack, Adolf von 25, 36, 38–41, 51 f., 55, 57, 61, 66, 75, 101, 103 f., 144 f., 170, 457 Hartmann, Max 389 Hartung, Fritz 330 Haxel, Otto 340 Heffter, Heinrich 332 Heidegger, Martin 85 Heimpel, Hermann 308, 400 Heisenberg, Werner 188, 192, 204, 286, 297, 300–305, 308 Heitz, Waldemar 316 Helbok, Adolf 252 Helfferich, Karl 21 Hempel, Johannes 324 Hennis, Wilhelm 410 Hergesell, Hugo 57
Personenregister Hess, Gerhard 306 f., 311, 316, 327, 333, 341 f., 357, 364, 367 f., 371, 378, 384 f., 411 f., 423, 435 Heß, Rudolf 171, 188, 274, 280 Hessenberg, Gerhard 33 Heuser, Otto 270, 277 Heydrich, Reinhard 280 Himmler, Heinrich 183, 187 f., 196, 212 f., 222, 224, 228, 242, 255 f., 265–268, 270–273, 276 ff., 280 f. Hirt, August 238 Hitler, Adolf 168, 171–174, 177, 183, 185–188, 194, 198, 203, 208, 210 f., 219 ff., 259, 266, 274, 279, 325 Hocker, Alexander 357 Hoetzsch, Otto 51, 65, 146 f. Hoff, Wilhelm 184 Höhn, Reinhard 270, 277 Hollender, Ursula 406 Holtz, Friedrich 232 Horneck, Karl 243 Horst, Max 66, 197 Huber, Ernst Rudolf 260, 332 Hübner, Arthur 253 Hückel, Walter 180 Immerwahr, Clara 24 Ipsen, Gunther 262, 324 Jander, Gerhart 179 ff. Jander, Wilhelm 181 Jansen, Werner 185 f., 189, 191 Jaspers, Karl 85 Jochheim, Kurt-Alphons 358 Jost, Wilhelm 358, 411 Kafka, Gustav 322 Kalkreuth, Eberhard von 137 Kapp, Wolfgang 21 Karo, Georg 36 Kehr, Paul 97 Kellenbenz, Hermann 387 Keppler, Frederick 126 Keudell, Walter von 137 Klöppel, Kurt 317 Knoll, Fritz 160 Knußmann, Rainer 352 f. Koch, Franz 264 Koch, Gerhard 349 Koch-Weser, Erich 52 Kohlmeyer, Ernst Justus 223 Konen, Heinrich 81, 119 f., 146, 148, 163, 294 König, René 385 Koppel, Leopold 39 f. Körber, Friedrich 213, 216, 229
501
Köster, Werner 175, 201, 203, 205 f., 216 ff., 223, 233, 250 ff., 284, 320 Krauch, Carl 194, 209–212, 218 Krause, Wolfgang 328 Krayer, Otto 159 Krebs, Norbert 333 Kreibich, Rolf 413 Krupp, Gustav 137 Krüß, Hugo 41 f., 45 ff., 50 Kühn, Alfred 98, 245, 393 Kühn, Hermann 233 Kuhn, Richard 206, 233, 238, 240, 282, 320 Kurth, Gottfried 241 Kuske, Bruno 75, 90, 149, 253 Lampach, Walther 137 Lange, Johannes 136, 169 Laue, Max von 47, 172, 192 Lauterbacher, Hartmann 220 f. Lehnartz, Emil 324 Leipart, Theodor 137 Lenard, Philipp 70 Lenz, Hans 411 Lessing, Theodor 138 Leussink, Hans 423, 431 Lewald, Theodor 41 f., 47, 50 Ley, Robert 220 f., 280 Linck, Gottlob 176 Linden, Herbert 242 Linnebach, Karl 331 Lobkowicz, Nikolaus 436 Lorentz, Friedrich 89 Ludendorff, Erich 21 Luhmann, Niklas 405 Luther, Hans 106 Machui, Artur von 269, 276 Mackenroth, Gerhard 337, 385 Mäding, Erhard 269, 276 Magnussen, Karin 247 Maier-Leibnitz, Heinz 10, 435 ff., 439 f., 444 f., 447 Mann, Thomas 160 Marck, Siegfried 322 Marx, Erwin 200, 206, 231, 320, 394, 397 Mayer, Theodor 260 Mayntz, Renate 310, 453 Meier, John 73, 85, 88, 131 f., 255, 345 Meißner, Paul 261 Mendelsohn-Bartholdy, Albrecht 73 Mengele, Josef 244, 246 f. Mentzel, Rudolf 177–184, 186–200, 202, 204, 206, 208 ff., 212 ff., 216, 218–226, 228, 231 f, 234 f, 238 f., 248, 252, 255 f., 260 ff., 265 f., 281–284, 298, 394, 464
502
Personenregister
Merton, Richard 297 Merz, Alfred 115 f. Meth, Hubert 209 Metz, Friedrich 130 Meyer, Eduard 44, 62, 65, 71, 74, 78, 129, 148 Meyer, Konrad 178 f., 181–186, 191 f., 201 f., 227 f., 236, 265–281, 298, 324 f., 327 f., 466 Meynen, Emil 130 Michaelis, Karl 260 Michaelis, Leonor 245 Millikan, Robert 124, 126 Mises, Richard von 33 Mitzka, Walther 175, 345 Morgen, Herbert 269, 278 Mortensen, Hans 344 Moses, Julius 30, 143 f., 147–151 Mößbauer, Rudolf 435 Mühlmann, Wilhelm Emil 352 Müller, Friedrich von 30 f., 37, 52, 61, 67, 90, 103, 106, 121 f., 148 f. Müller, Hermann 72, 138, 149 Müller, Karl Alexander von 76, 165 Müller, Karl Valentin 329 Müller, Max 317 Müller-Daehn, Claus 412 Nachtsheim, Hans 241, 404 Nansen, Fritjof 118 Neuberg, Carl 167 Neundörfer, Ludwig 333 Niedermeyer, Oskar von 331 Niessen, Ludwig 145 Oberländer, Fritz 189 Oberländer, Theodor 325 Obst, Erich 118 Oestreich, Gerhard 330 f. Ohlendorf, Otto 220 Ohly, Friedrich 316 Opitz, Herwart 396 f. Osenberg, Werner 219–224, 251, 281, 284, 327 Ostwald, Wolfgang 249 Otremba, Erich 327 f. Pahlitzsch, Gotthold 396 f. Paneth, Friedrich Adolf 156 Papen, Franz von 150 f. Penck, Albrecht 118 Pestel, Eduard 434 Petersen, Peter 413 Peßler, Wilhelm 255 Pfeiffer, Gottfried 392 Picht, Georg 425 Pietsch, Erich 234 f.
Pilch, Herbert 363 Piloty, Hans 340 f., 362 Planck, Max 33, 38, 43 ff., 47, 51, 93, 101 f., 159, 163, 172, 184, 186, 191 Platzhoff, Walter 260 Plendl, Hans 235 Plessner, Helmuth 87 Pohl, Robert 322 Prandtl, Ludwig 211 Predöhl, Andreas 384 Pringsheim, Ernst G. 322 Pringsheim, Fritz 73 Prößler, Viktor 299 Rabel, Ernst 155, 167, 305 Rachfahl, Felix 31 Radbruch, Gustav 64 f., 146, 149 Raiser, Ludwig 305 f., 311 f., 321, 335, 340, 343 f., 412, 423, 435 Ramsauer, Carl 300 Rascher, Sigmund 239 Rassow, Peter 331 Reagan, Ronald 451 Reche, Otto 323 Reinerth, Hans 185, 326 Reinhold, Friedrich 270, 277 Reiter, Hans 184 Reventlow, Ernst von 31 Richter, Werner 61, 142 f. Richter, Wilhelm 200, 203, 238 Rickmers, Willi Rickmer 117 Riezler, Wolfgang 338 ff. Ritter, Gerhard 332 Ritter, Robert 243 Ritterbusch, Paul 195 f., 259 ff., 263 ff., 267 Rockefeller, John D. 123 Rodenwaldt, Gerhard 119 Röhr, Erich 256 Rolfes, Max 270, 328 Roloff, Ernst August 258 Rona, Peter 161 Roosevelt, Franklin D. 128, 448 Rose, Gerhard 239 f. Rosenberg, Alfred 171, 175, 183 ff., 187 f., 193, 210, 213, 234, 255 f., 265, 268, 326 Rubens, Heinrich 25, 38 Rüdin, Ernst 136, 168 f., 242 Rüsch, Hubert 365 f. Rust, Bernhard 162, 171 f., 174, 176 ff., 180, 182, 184 ff., 189 f., 192 f., 198 f., 201, 208, 210, 212, 254 f., 259, 265, 281 f., 318 Salomonsohn, Arthur 142, 161, 170 Sauckel, Fritz 203 f.
Personenregister Sauerbruch, Ferdinand 106, 184, 200 ff., 207, 227, 238, 240–243 Schabehard, Käthe 160 Schacht, Hans-Joachim 269, 277 Schade, Heinrich 349 Schardin, Hubert 214, 217 Schauroth, Udo von 269 Scheel, Gustav Adolf 223 Schelsky, Helmut 336 f., 384 f., 393, 400, 409 f. Schemann, Ludwig 147, 161 Schenck, Hermann 121 f. Schenck, Rudolf 49 f., 57, 109 ff., 114, 170 Scherhag, Richard 389 Schettler, Gotthard 416 Schieber, Walter 218 Schiebold, Ernst 172 Schieder, Theodor 279, 380 Schiel, Carl-Heinz 319, 327, 342, 358, 365, 413, 415, 426, 446 f. Schiller, Otto 336 Schilling, Claus 239 Schlieben, Otto von 104 Schmidt, Albert Wolfgang 206 Schmidt, Ernst 217, 320 Schmidt, Helmut 440 Schmidt, Wolfgang 261 f. Schmidt-Ott, Albrecht 22 Schmidt-Ott, Eduard 22 Schmidt-Ott, Friedrich 10, 14, 22–25, 30, 35, 37–53, 55, 58–73, 75, 77–81, 86, 90, 94, 98, 101–109, 113 f., 116–119, 128, 131, 133 f., 137–151, 160–172, 174, 177, 186 f., 191, 241, 249, 253 f., 282, 287, 295, 297, 300, 306, 310, 335, 345, 457 f., 464 f., 467 Schmitt, Carl 332 Schnee, Heinrich 331 f. Schneider, Kurt 387 Schreiber, Georg 25 f., 30, 65 f., 70, 72, 104, 106, 131, 138, 142 f., 146 ff., 170, 294 Schröder, Edward 176, 253 Schulz, Heinrich 45 f., 51 Schulz-Kampfhenkel, Heinrich 215 Schumann, Erich 178, 180, 208, 234 Schumpeter, Joseph 74 Schwartz, Eduard 73, 146 Schwerin von Krosigk, Lutz 151 Schwidetzky, Ilse 351 ff. Schwoerer, Viktor 62 f., 67, 161, 172 Seitz, Frederick 410 f. Senger, Franz 318 Sering, Max 182 Severing, Carl 72, 138–146, 149 f., 186
503
Siebel, Erich 320 Siemens, Carl Friedrich von 54 Sievers, Angelika 327 f. Sievers, Wolfram 196, 212 f., 235, 238, 282 Sommerfeld, Arnold 33 f., 110 Sörensen, Emil 339 Spamer, Adolf 132 f., 255 Specht, Franz 254 Speer, Albert 210 f., 213 f., 218 ff., 222 ff., 233, 286 Speer, Julius 10, 12, 307, 313, 335, 361, 367, 374 f., 406 ff., 414–417, 420–423, 426f., 430 f., 434–440, 443, 447, 456, 459 Spengler, Oswald 33 f. Spengler, Wilhelm 220, 222, 284 Spiess, Fritz 115, 120 Spranger, Eduard 129, 374 Stark, Johannes 47, 69, 167 f., 171–178, 183–189, 191–196, 204, 226 f., 240, 242, 254 f., 282, 463 f. Staudinger, Hansjürgen 365, 381 f. Staudinger, Hermann 231 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 307 Stille, Hans 298 ff. Stock, Alfred 155 f., 160, 176 Stoltenberg, Gerhard 422 Struve, Georg 36 f. Stuchtey, Karl 297 ff. Stumpfl, Friedrich 136 Süss, Wilhelm 283 Tellenbach, Gerd 400, 406 Telschow, Ernst 179, 282 Teusch, Christine 297 Thiessen, Peter Adolf 178 f., 181 ff., 191 f., 200 ff., 206, 218, 222 f., 227, 229, 233–238, 249 f., 281, 283 f. Thilenius, Georg 148 Tillmann, Fritz 57 Todt, Fritz 269, 280 Treue, Wolfgang 318, 326, 345 Trier, Jost 339 f. Troeltsch, Ernst 37, 41 Umlauf, Josef 269, 271, 276, 278 Unruh, Walter von 219 Unsöld, Albrecht 378 Vahlen, Theodor 140 f., 147, 156 Valentin, Veit 31 Valentiner, Siegfried 250 Varnhagen, Rahel 85 Vasmer, Max 89 Veit, Otto 322 Verschuer, Otmar von 136, 242, 244–248, 263, 327, 346–351
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Personenregister
Viernstein, Theodor 136 Vieweg, Richard 319 f., 391 f. Vincent, George E. 124 Vogel, Bernhard 414 Vogel, Friedrich 349, 352 Vogel, Rudolf 250 Vögler, Albert 53, 208, 210 f. Vogt, Joseph 262, 264 Vogt, Oskar 136 Vring, Thomas von der 413 Wacker, Otto 199 Wagner, Friedrich 330 Walcher, Wilhelm 409 Waldhäusl, Friedrich 270 Warburg, Max 45 Warburg, Otto 193 Waterman, Alan 450 Weber, Alfred 25 f., 29, 33 Weber, Heinrich 307 Weber, Hermann 404 Weber, Max 23, 33 Weber, Werner 324 f. Wegener, Alfred 107, 118 Weigel, Karl Theodor 331 Weniger, Johannes 176 f., 179, 185, 187 Wickliffe, Rose 127 Wickop, Walther 270 Wien, Max 70, 203 Wien, Wilhelm 205
Wiener, Norbert 370 Wiepking-Jürgensmann, Heinrich 270, 277 Wiese, Leopold von 352 Wildhagen, Eduard 47–50, 131 f, 144, 186 ff., 191, 255, 327 Willikens, Werner 268 Willstätter, Richard 24 f., 47, 74, 149, 151, 162, 166 Wilson, Woodrow 124 Windau, Adolf 179 Winkel, August 250 Winnacker, Ernst-Ludwig 14 Winterstein, Hans 322 Wirth, Herman 148, 196 Wirth, Joseph 38, 51 Wittkowsky, Alexander 413 Wolff, Martin 305 Wolters, Paul 46 Wüst, Walther 196 Zechlin, Egmont 380 f. Ziegler, Matthes 254 ff. Zierold, Kurt 14 f., 295 ff., 299 f., 303, 305 ff., 315–319, 324, 340, 359, 366 f., 378, 401 Zimmermann, Carl 199 Zimmermann, Walter 236 Zoch, Wilhelm 269 Zsigmondy, Richard 179, 181
DANK Auf dem Weg zu diesem Buch haben mich viele Menschen unterstützt oder einfach geduldig zugehört und so das Ihre dazu beigetragen, dass ich das Projekt einer DFG-Geschichte nicht aufgegeben habe. Wollte ich ihnen allen angemessen danken, so würde dies zu einer ermüdend langen, den Dank durch Inflationierung entwertenden Liste führen. Daher will ich mich hier auf wenige Personen beschränken, deren Beitrag unverzichtbar war für das Entstehen dieses Buches und denen ich daher in dieser öffentlichen Form danken will, ohne sie für meine Fehler oder Thesen in Anspruch zu nehmen. Mein erster Dank gebührt Ulrike Kappler, die im Lauf der Jahre zugunsten dieses Buches auf mehr verzichtet hat als auf ein paar gemeinsame Unternehmungen, die mir so viele Lasten abgenommen hat, dass wir einer klassischen Rollenverteilung allzu nah gekommen sind und ohne deren Kommentare bei der gemeinsamen morgendlichen Zeitungslektüre mir ein beschwingter Start in den Tag schwer vorstellbar erscheint. Unser Sohn Finn ist mit dem Projekt aufgewachsen und nach eigenem Bekunden heilfroh, wenn dieses Geschwisterkind – so wie er selbst schon vor Jahren – endlich aus der elterlichen Wohnung auszieht. Statt Finn hier für seine Geduld zu danken, sollte ich wohl lieber öfter mit ihm ins Stadion gehen. In der akademischen Welt habe ich vor allem Ulrich Herbert und dem leider bereits verstorbenen Rüdiger vom Bruch zu danken, die das Gesamtprojekt zur Geschichte der DFG geleitet und inspiriert haben, ohne seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bevormunden. Ulrich Herbert hat mein ursprüngliches Manuskript präzise und prägnant kritisiert. Ich hoffe, wenigstens einem Teil seiner Monita gerecht geworden zu sein und an anderen Stellen eine weiterhin differierende Sichtweise plausibler gemacht zu haben. Während der Arbeit der Projektgruppe durfte nicht nur ich von den umsichtigen Organisationsleistungen Karin Orths immens profitieren. Von Klaas-Hinrichs Ehlers’ analytischer Perspektive auf Gutachten habe ich ebenso viel gelernt wie von Willi Oberkromes ironischem Blick auf manchen Gegenstand und das eigene Tun. Auf Seiten der DFG hat Guido Lammers unermüdlich und unkompliziert Wege geebnet und kluge Fragen gestellt, während Walter Pietrusziak mit ebenso großem Engagement wie Wissen den Weg zu den Beständen des hauseigenen Archivs geebnet hat. Der Kollege Yuji Ishida von der Universität Tokyo gab mir über Jahre das Gefühl, mein Thema könnte sogar auf der anderen Seite der Erde auf Interesse stoßen. Torsten Carstensen, Nils Naber, Malte Hirschbach, Felix Schneider, Patricia Fromme, Pauline Weiland und Henriette Glatter möchte ich von Herzen danken, weil sie im Lauf des Projektes zu ganz verschiedenen Zeiten als studentische Hilfskräfte im Maschinenraum der Forschung geschuftet haben. Simone Barth hat das Register erstellt. Jörg Später hat das Manuskript am Ende durch sein präzises Lektorat noch einmal verbessert und zugleich ertragen, dass ich auf einigen stilistischen und formalen Fehlern als meinen vermeintlichen Eigenheiten beharren wollte. Halle im Februar 2021
studien zur geschichte d e r d e u t s c h e n f o r s c h u ng s g e m e i n s c h a f t
Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch (†), Ulrich Herbert und Patrick Wagner.
Franz Steiner Verlag
1.
ISSN 1865–1526
Corinna R. Unger Ostforschung in Westdeutschland Die Erforschung des europäischen Ostens und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 1945–1975 2007. 497 S., kt. ISBN 978-3-515-09026-1 „Eine ganz hervorragende Studie. […] In einem souveränen Überblick skizziert die Verfasserin zunächst den Aufstieg der Ostforschung in der Weimarer Republik und im ‚Dritten Reich‘ und konzentriert sich dann auf deren Rekonstruktion unter den günstigen Bedingungen einer dominanten antikommunistisch-abendländischen Integrationsideologie im Kalten Krieg, die auch die stereotypen antislawischen Traditionen funktionalisierte, die angesichts des Vertreibungsgeschehens zusätzlich beglaubigt erschienen. “ Axel Schildt, GWU 62, 2011/11+12 „Unger hat das Grundlagenwerk für den wissenschaftlichen wie den politischen Umgang mit Ostmittel- und Osteuropa in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland verfasst, zugleich auch eine eindrückliche Untersuchung über die Zusammenhänge von Wissenschaft und Politik unter den Bedingungen des ‚Kalten Krieges‘.“ Wolfgang Kessler, ABDOS-Mitteilungen 27, 2007/2 „… ein Desiderat […], das die Wissenschaftsgeschichte bereichert und für weitergehende Forschungen viele Anregungen gibt.“ Jutta Petersdorf, Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 16, 2009 „Mit Corinna R. Ungers im Urteil sorgfältigen und gut lesbaren Dissertation liegt jetzt eine Pionierstudie vor […]: Über die deutschtumszentrierte Ostforschung hinaus wird hier erstmals eine verdienstvolle Gesamtschau der bundesdeutschen Forschung über Osteuropa geboten, die zu weiteren Forschungen vielfältige Anregungen bietet.“
Eike Eckert, Inter Finitimos, 2009/7 „Through the lense of German perceptions of east central and eastern Europe, [the book] offer[s] important new insights into the early stages of the mental and political transformation of postwar German society.“ Gregor Thum, Central European History 42, 2009/1 „Unger has produced an excellent, multilayered study into how Cold War research and West German and American politics were all interlinked.“ V. R. Berghahn, American Historical Review 114, 2009/5 2.
Anne Cottebrune Der planbare Mensch Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die menschliche Vererbungswissenschaft, 1920–1970 2008. 298 S., kt. ISBN 978-3-515-09099-5 „Anne Cottebrune [hat] sowohl eine grundlegende Geschichte der Forschungsförderung im Bereich der menschlichen Vererbung durch die NG und DFG als auch der innerwissenschaftlichen Entwicklung von Vererbungslehre, Rassenhygiene und Humangenetik in Deutschland vorgelegt, woran sich weitere Forschungsfragen, insbesondere zur Zeit nach 1945, gewinnbringend anschließen lassen.“ Regula Argast, Gesnerus 67, 2010/1 „Eine kompakte, gut lesbare Geschichte der Erbforschung in Deutschland bis in die Bundesrepublik hinein.“ Gen-ethischer Informationsdienst 197, 2009
3.
Sören Flachowsky Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg 2008. 545 S. mit 16 Abb., 6 Tab. und CD-ROM, kt. ISBN 978-3-515-09025-4
„Mit ihrer systematischen Aufarbeitung der Organisationen Deutsche Forschungsgemeinschaft und Reichsforschungsrat schließt die Dissertation […] ohne Frage eine merkliche Forschungslücke. Nicht zuletzt durch den ausführlichen Anhang auf CD-Rom, der Kurzbiographien enthält und die Zusammensetzung von Fachausschüssen sowie die personellen Vernetzungen aufführt, wird die Studie von Sören Flachowsky ein wichtiges Nachschlagewerk für weitere Forschungen zur Wissenschaft im Nationalsozialismus werden.“ Désirée Schauz, Technikgeschichte 76, 2009/1 „Daß Flachowsky zu so grundlegend anderen Befunden als seine Vorgänger gekommen ist, hängt offenkundig damit zusammen, daß er sich konsequent von einigen hartnäckigen Vorurteilen hinsichtlich der Effizienz des RFR gelöst hat, für deren Entstehung sowohl die Alliierten als auch bestimmte deutsche Protagonisten der NS-Forschungsförderung verantwortlich zeichnen. Außerdem ist Flachowskys Quellenbasis die bislang eindeutig breiteste. Das zeigt wieder einmal eindrucksvoll, wie penibles Recherchieren im Verein mit unvoreingenommenem Denken zum Aufstoßen neuer Türen führen kann.“ Wolfgang Kaufmann, Das HistorischPolitische Buch, 2008/1 „Sören Flachowsky’s important book is a good representative of how historical research into science and technology under National Socialism has become more subtle, comprehensive, and mature.“ Mark Walker, Journal of Modern History 82, 2010/2 4.
5.
Willi Oberkrome Ordnung und Autarkie Die Geschichte der deutschen Landbauforschung, Agrarökonomie und ländlichen Sozialwissenschaft im Spiegel von Forschungsdienst und DFG (1920–1970) 2009. 371 S., kt. ISBN 978-3-515-09255-5 Friedemann Schmoll Die Vermessung der Kultur Der „Atlas der deutschen Volkskunde“ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1928–1980 2009. 331 S., kt. ISBN 978-3-515-09298-2
„Wer sich künftig mit dem ADV beschäftigt, wird an dem Band nicht vorbeikommen.“ Thomas Schürmann, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2010 „Eine außerordentlich kenntnisreiche, sorgfältig recherchierte und materialgesättigte, sensibel abwägende und doch mit scharfem Blick auf Akteure und Interessen urteilende, konzis verdichtete Arbeit, kurz: ein vorbildlicher Beitrag zum großen wissenschaftsgeschichtlichen und politischen Kontext eines kleinen Faches.“ Siegfried Becker, Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 51, 2010 „Eine spannende und anregende Lektüre nicht nur für fachgeschichtlich interessierte Leser, sondern vor allem für die Frage nach der Positionierung von Wissenschaft in der Gesellschaft.“ Silke Göttsch-Elten, Zeitschrift für Volkskunde 106, 2010/2 „Eine dichte, auf der Auswertung zahlreicher Archive beruhende und über das Dritte Reich hinausgehende Arbeit zur Förderung, Organisation und politischen Vereinnahmung des ADV auf hohem Niveau. […] Die Arbeit [ist] mustergültig.“ Karl Ditt, Rheinische Vierteljahrsblätter 75, 2011 „Es ist leicht, Fachgeschichte in Schwarzweiß zu malen und lieb gewonnene Vorstellungen über die Licht- und Schattengestalten unter unseren Vorgängern zu reproduzieren. Sehr viel schwieriger ist es dagegen, genaueren Einblick in frühere Zeiten zu nehmen, die Texte und Dokumente von einst neu zu lesen und zu bewerten, um zu verstehen, wie es zu dem kommen konnte, wie es heute ist. Das hat Friedemann Schmoll am Beispiel des Atlasprojektes getan und dafür ist ihm zu danken.“ Michael Simon, Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 56, 2011 6.
Klaas-Hinrich Ehlers Der Wille zur Relevanz Die Sprachforschung und ihre Förderung durch die DFG 1920–1970 2010. 365 S., kt. ISBN 978-3-515-09712-3 „Ehlers’ Darstellung ist […] sehr gut recherchiert und zudem ausgesprochen lesbar geschrieben. Sie führt etwas vor Augen, was man theoretisch bereits er-
fasst haben mag, was aber erst im detaillierten Nachvollzug des konkreten historischen Falls wirklich deutlich wird […]: Wie es keine Wissenschaft jenseits der Gesellschaft gibt, ohne ihre Interessen, die erst zu den Forschungsfragen führen, so kann es, im Guten wie im Schlechten, auch keine Förderung der Wissenschaft außerhalb des gesellschaftlich-politischen Raumes geben. Das galt für die Vergangenheit und gilt für die Gegenwart.“ Andreas Gardt, Historiographia Linguistica XXXIX, 2012/1 „Die vorliegende Monografie ist eine sehr fundierte, sorgfältig erarbeitete und gut strukturierte Studie, die, auf den maßgeblichen Quellen und sekundärliterarischen Werken basierend, gut leserlich und methodisch nachvollziehbar einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der germanistischen Linguistik leistet.“ Gerrit Appenzeller, Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik LXXIX, 2012/1 „Ein umsichtig formulierter, informationsreicher und insgesamt wertvoller, vornehmlich wissenschaftssoziologischer Beitrag zur Geschichte der Sprachwissenschaft.“ Maria Winkler, Germanistik 52, 2011/1+2 7.
Gabriele Moser Deutsche Forschunggemeinschaft und Krebsforschung 1920–1970 2011. 358 S., kt. ISBN 978-3-515-09791-8 „With her highly commendable publication, Gabriele Moser offers an important contribution to the history of science.“ Sylvelyn Hähner-Rombach, History and Philosophy of the Life Sciences 34, 2012/4 „Moser’s book will be a valuable resource for future, comparative historical research projects on cancer, and essential reading for scholars interested in the intricacies of medical research funding in Germany.“ Carsten Timmermann, Social History of Medicine 26, 2012/1
„Das Buch ist eine Pflichtlektüre für alle Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Geschichte der Krebsforschung in Deutschland befassen.“ Beat Bächi, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 34, 2011/4 8.
Karin Orth Autonomie und Planung der Forschung Förderpolitische Strategien der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1949–1968 2011. 284 S., kt. ISBN 978-3-515-09832-8
9.
Heiko Stoff Wirkstoffe Eine Wissenschaftsgeschichte der Hormone, Vitamine und Enzyme, 1920–1970 2012. 396 S., kt. ISBN 978-3-515-10099-1 „Äußerst lesenswert, und da Stoffs große Leistung vor allem darin besteht, die Erzählbarkeit einer Dinggeschichte auszuloten, sei es hiermit allen an Wissenschaftsgeschichte Interessierten wärmstens zur Lektüre empfohlen.“ Beat Bächi, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 36, 2013
10. Alexander von Schwerin Strahlenforschung Bio- und Risikopolitik der DFG, 1920–1970 2015. 505 S. mit 22 Abb. und 16 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10633-7 11.
Günther Luxbacher Ersatzstoffe und Neue Werkstoffe Metalle, Technik und Forschungspolitik in Deutschland im 20. Jahrhundert 2020. 477 S., kt. ISBN 978-3-515-12723-3
Fabian Waßer
Von der „Universitätsfabrick“ zur „Entrepreneurial University“ Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre wissenschaftskulturen | reihe iii – band 53 2020. 352 Seiten 978-3-515-12486-7 gebunden 978-3-515-12487-4 e-book
Wettbewerb unter Hochschulen ist seit der Exzellenzinitiative auch in Deutschland in aller Munde. Bei der interuniversitären Konkurrenz handelt es sich jedoch keineswegs um ein neues Phänomen: In einem historischen Längsschnitt von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre hinein zeichnet Fabian Waßer kompetitive Praktiken deutscher Universitäten nach. Aufbauend auf Georg Simmels triadischem Konkurrenzmodell stehen dabei Fragen nach den am Wettbewerb beteiligten Akteuren, den Prämien der Konkurrenz und den schiedsrichterlichen Instanzen, die über die Verteilung derselben entscheiden, im Vordergrund. Im Fokus der Untersuchung stehen Umbruchphasen, in denen sich neue Wettbewerbsordnungen etablierten: die Epoche von der Gründung der Aufklärungsuniversität Göttingen bis zu den Humboldtschen Bildungsreformen sowie das Kaiserreich und das „Dritte Reich“, aber auch die „langen 1960er Jahre“ und
der Beginn der „Ära Kohl“ in den 1980er Jahren. Im Vergleich wird deutlich, dass sich der Wettbewerb bei einer Verknappung der Prämien verschärfte und Zeiten starken Konkurrenzdrucks mit Phasen eines nur schwach ausgeprägten Wettbewerbs abwechselten. aus dem inhalt Einleitung | Interuniversitäre Konkurrenz in der Spätaufklärung: Von der Gründung der Reformuniversität Göttingen bis zur Humboldt’schen Bildungsreform | Staatlich gelenkter Wettbewerb: Die Universitäten im Kaiserreich | Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung: Die Hochschulen im „Dritten Reich“ | „Hochschulpolitischer Keynesianismus“: Bildungsplanung und Wettbewerb in der Bundesrepublik während der „langen“ 1960er Jahre | Mehr Wettbewerb wagen? Die bundesdeutschen Universitäten in den 1980er Jahren | Resümee | Verzeichnisse | Register
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Christa Klein
Elite und Krise Expansion und „Selbstbehauptung“ der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945–1967 WissensChaFtsKultuRen | Reihe iii – band 54 2020. 394 Seiten mit 22 s/w-Abbildungen und 10 Tabellen 978-3-515-12599-4 gebunden 978-3-515-12601-4 e-booK
Als in den 1950er Jahren die Studierendenzahlen zu steigen begannen, erklärte die Professorengeneration der Jahrgänge 1886–1910 die später sogenannte Bildungsexpansion zur „universitären Krise“: Universitäre Abschlüsse sollten einer Elite vorbehalten, die „Masse“ abgewehrt werden. Da sich die Studierendenanzahl in den Geisteswissenschaften dennoch vervierfachte, versuchten die Professoren, zumindest ihre eigene Gruppe möglichst klein zu halten. Neue Hierarchien wurden eingeführt, neue Abschlüsse eingezogen und große Teile der Forschung und Lehre auf den Mittelbau verschoben, der kurzfristig ausgebaut wurde. Erst als Studierende und verschiedene Hochschulreformer sich die Krisenrhetorik aneigneten und öffentlich gegen die unzureichenden universitären Ausbildungskapazitäten, Demokratisierungsdefizite und staatliche Finanzierungsengpässe protestierten, bahnte sich ein Wandel an.
Mit institutionsgeschichtlichen, kollektivbiographischen und diskursanalytischen Methoden untersucht Christa Klein exemplarisch die Spannungsverhältnisse zwischen institutionellen und repräsentativen Entwicklungen der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945–67. Universitätsgeschichte jenseits der Jubiläumsrhetorik, so zeigt sich hier, ist ein „missing link“ zwischen Wissenschafts- und Gesellschaftsgeschichte. aus dem inhalt Vorwort | Einleitung. Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau | Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät | Die Expansion der Philosophischen Fakultät | Die Professoren der Philosophischen Fakultät | Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit | Die Krise der Elite als Chance der Geisteswissenschaften | Quellen- und Literaturverzeichnis
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Marianne Taatz-Jacobi / Andreas Pecar
Die Universität Halle und der Berliner Hof (1691–1740) Eine höfisch-akademische Beziehungsgeschichte wIssenschAftskulturen | reIhe III – bAnd 55 2021. 351 Seiten 978-3-515-12910-7 gebunden 978-3-515-12915-2 e-book
Drei Universitätsgründungen gelten in der Universitätsgeschichte als Meilensteine für die Entstehung der modernen Forschungsuniversität in Deutschland: Halle (1691), Göttingen (1734) und Berlin (1810). Am Beispiel der Universität Halle wird diese Meistererzählung auf den Prüfstand gestellt. Im Zentrum steht die Kommunikation zwischen den politisch für die Universität Halle Verantwortlichen am Berliner Hof und den Gelehrten in Halle. Erst durch deren Auswertung lässt sich fragen, ob es um 1700 bereits wissenschaftspolitische Planungen gab, welche Leitideen mit der Universitätsgründung einhergingen und welche Akteure hierbei eine zentrale Rolle spielten. Der Begriff der Steuerung dient dabei als Instrument, um die handelnden Akteure in Berlin und in Halle in den Blick zu nehmen und zu untersuchen, wie sie jeweils auf die Belange der Universität
Einfluss nahmen. Die Universität Halle und deren Entwicklungsgeschichte von ihren Anfängen bis in das Jahr 1740 ist damit Teil einer Herrschaftsgeschichte der preußischen Monarchie unter dem brandenburgischen Kurfürsten und preußischen König Friedrich III./I. und unter Friedrich Wilhelm I. Aus dem InhAlt Einleitung | Die Gründung der Universität Halle: Reform- oder Landesuniversität? | Krisenmanagement: Die Diskussion um den Verfall der Fridericiana 1730 | Die Berufungspraxis an der Fridericiana | Grabenkämpfe und Gelehrtenzank. Die Dynamik von Auseinandersetzungen in der Universität Halle | Konflikte der Universität im städtischen Raum | Schlussbetrachtung | Quellen- und Literaturverzeichnis
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Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde
neuen Leitideen ab Ende der 1940er Jahre. So
1920 als „Notgemeinschaft der Deutschen
wird erkennbar, dass die Notgemeinschaft/
Wissenschaft“ gegründet. Schnell entwickelte
DFG sich als Vergemeinschaftung einer Lei-
sie sich zur wichtigsten Förderinstanz für die
stungs- und Wertelite innerhalb der deut-
Forschung an Hochschulen – und ist dies bis
schen Wissenschaft verstand. Ihre Gutachter
heute.
entschieden nicht einfach Projektanträge, sondern vor allem über die Zugehörigkeit der
Patrick Wagner untersucht die Geschichte
Antragsteller zu dieser Elite und damit über
dieser Organisation von der Gründung bis in
ihren Status innerhalb der Ordinarienuni-
die 1970er Jahre: Er beschreibt die Entwick-
versität. Wie diese reformierte sich auch die
lung ihrer Förderpolitik, deren langfristige
DFG während der 1960er und 1970er Jahre in
Orientierung am Ideal des umfassend ge-
einem längeren Prozess, der von der Öffnung
bildeten Grundlagenforschers, das Ringen
in Richtung USA, einem Generationswechsel
mit dem geldgebenden Staat um Autonomie
und der Umverteilung von Einfluss zwischen
bzw. Fremdsteuerung, die „Selbstmobilisie-
den Disziplinen vorangetrieben wurde.
rung“ der DFG-Klientel für die Kriegsziele des NS-Regimes und schließlich die Suche nach
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
isbn 978-3-515-12857-5
9
7835 1 5 1 285 7 5