Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne [Reprint 2018 ed.] 9783110923315, 9783110180732


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German Pages 66 [68] Year 1996

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Inhalt
Begrüßung
Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne
Mit mute singen zu dinst und lobe
Curriculum vitae
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Alois Wolf1953-1995
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Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne [Reprint 2018 ed.]
 9783110923315, 9783110180732

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Alois Wolf Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne

Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie - Vorträge herausgegeben vom Mediävistischen Institut der Universität Freiburg Schweiz Heft 5

1996

Universitätsverlag Freiburg Schweiz

Alois Wolf

Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne

1996

Universitätsverlag Freiburg Schweiz

Veröffentlicht mit Unterstützung des Hochschulrates Freiburg Schweiz

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wolf, Alois: Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne / Alois Wolf. - Freiburg, Schweiz: Univ.-Verl., 1996 (Vorträge / Wolfgang-Stammler-Gastprofessur für Germanische Philologie ; H. 5) ISBN 3-7278-1035-1 NE: Universität < F r i b o u r g > / Wolfgang-Stammler-Gastprofessur für Germanische Philologie : Vorträge

Copyright 1996 by Universitätsverlag Freiburg Schweiz Satz: Mediävistisches Institut der Universität Freiburg Schweiz Druck: Paulusdruckerei Freiburg Schweiz ISBN 3-7278-1035-1

Inhalt

Eckart Conrad Lutz - Begrüßung

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Alois Wolf - Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne

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Walter Salmen - Mit mute singen zu dinst und lobe

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Curriculum vitae Alois Wolf

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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Alois Wolf 1953-1995

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Begrüßung Meine Damen und Herren, zum fünften Mal sind wir heute zusammengekommen, um einen Gast zu begrüßen, der im Namen Wolfgang Stammlers ein Semester lang bei uns lesen wird: Es ist mein verehrter Lehrer Alois Wolf, der ein Jahr nach seiner Emeritierung in Freiburg im Breisgau seine Zusage wahrmacht, hier eine komparatistische Vorlesung zu halten. Ich begrüße Sie, liebe Frau Wolf, lieber Herr Wolf, ganz herzlich im Namen aller Anwesenden. Sie werden von vielen, die in den letzten Jahren Gelegenheit hatten, Ihre Gastvorträge zu hören, mit Spannung erwartet, und Ihre Vorlesung ist gut besucht. Der Gast des nächsten Jahres kann heute - aus naheliegenden Gründen - noch nicht unter uns sein: Michael Curschmann aus Princeton N. J. wird im kommenden Mai und Juni für sechs Wochen nach Freiburg kommen und Lehrveranstaltungen zu den Problemkreisen «Text und Bild» und «Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Bildlichkeit» anbieten. Daß aus diesen gemeinsamen Semestern dauernde Verbindungen entstehen, zeigt die Anwesenheit des Ehepaares Helga und Paul Gerhard Schmidt - ich heiße Sie sehr herzlich willkommen. Ein Zeichen dieser fortdauernden, fruchtbaren Verbundenheit ist aber auch der zweite Teil des heutigen Abends: Herr Salmen hat die bei einem unserer Mittagessen entstandene Idee, die heutige Eröffnung wie die erste mit Musik zu feiern, in ein eigentliches musikalisches Programm umgesetzt, das er uns selbst vorstellen wird. Sehr herzlichen Dank sage ich Herrn Kollegen Luigi Ferdinando Tagliavini, der spontan bereit war, sich als Organist an dieser Aufführung zu beteiligen und damit eine ganze Reihe von Vorarbeiten auf sich zu nehmen, von denen ich bei meiner Anfrage nichts ahnte; herzlichen Dank auch der Harfenistin und Sängerin Frau Debra Gomez aus Basel, die uns nur zwei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter - nicht im Stich gelassen hat. Die akademische Welt hat, wie jede andere, ihre ungeschriebenen Regeln. Und es gibt darunter durchaus auch vernünftige. Zu ihnen zählt der Grundsatz, daß es dem Jüngeren nicht zusteht, den Alteren zu loben. Wenn ich nun nicht umhin kann, Sie, lieber Herr Wolf, wie es der Usus will, als fachlich Nächster vorzustellen, so bitte ich um Verständnis, wenn ich bei dieser Gratwanderung fehltreten werde. Der gute Sinn jener Regel ist mir jedenfalls bewußt geworden.

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So beginne ich denn ganz konventionell mit einem Blick auf Ihr Leben, das 1929 im ländlichen Oberösterreich begann und Sie über die Oberschule in Linz nach Innsbruck, auch nach Wien führte, wo Sie Germanistik und Anglistik studierten. Nach der Promotion 1953 in Innsbruck verbrachten Sie volle sechs Jahre im Ausland, zunächst als Stipendiat am Deutschen Sprachatlas in Marburg und an der Universität Reykjavik, dann - als Lektor - zwei Jahre in Hull in England und zwei weitere in Straßburg (um die ich Sie immer am meisten beneidet habe). Diese Jahre erschlossen Ihnen den ganzen germanischen Sprachraum, seine Sprachen und seine Kulturen. Ihre erste Begegnung mit der Romania im zweisprachigen Straßburg wurde dann zu einem bloßen Vorspiel, als Sie sich - nach fünf Assistentenjahren im heimatlichen Innsbruck und der Habilitation in Salzburg 1965 - mit Ihrer Frau und durch sie mit Frankreich verbanden. Die Begegnung zwischen Romania und Germania, deren Bedeutung für die mittelalterliche Literatur Sie sich nach Ihrer Berufung auf den Kieler Lehrstuhl im selben Jahr 1966 mit Nachdruck zuwandten, war nun stets auch Teil Ihrer eigenen Lebenswirklichkeit. Dies um so mehr, als Sie sich mit Ihrer Berufung nach Freiburg im Breisgau 1973 so ziemlich in der Mitte niederlassen konnten - zwischen Thionville und Strasbourg hier, Kirchdorf und Innsbruck dort. In Freiburg wuchsen Ihre Kinder zweisprachig auf, das Deutsch-Französische Gymnasium bot die passende Ergänzung zum Elternhaus. Hier, wo Sie regelmäßig auch über Altnordische Literatur lasen, bezogen Ihre germanistischen Vorlesungen stets die gesamte einschlägige Literaturtradition mit ein, und hier entstanden auch Ihre großen komparatistisch fundierten Darstellungen des Tageliedes, der literarischen Kultur in Deutschland im Hochmittelalter, der Mythe von Tristan und Isolde und schließlich der Verschriftlichung der Heldensage. Dieses jüngste Buch, erst zu Beginn dieses Jahres erschienen und schon bestens aufgenommen, ist zugleich Ausdruck und Summe eines stimulierenden Austausches im Sonderforschungsbereich «Ubergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit», in dem Sie zehn Jahre lang einer der wenigen waren, deren fächerübergreifende und -integrierende Kompetenz solche Zusammenarbeit erst möglich und sinnvoll werden läßt. In Gedanken an heute abend kam mir eine Photographie in den Sinn: Sie überragen, eben 25jährig und seit einem Jahr promoviert, mit Ihrem Filzhut eine Gruppe von jungen Stipendiaten, die sich - von allen Enden Europas kommend - im damals noch sehr fernen Reykjavik begegnet sind. Unter ihnen auch jener fidele spätere Hauptpastor aus Turku, in dessen Gegenwart ich dieses Bild zu sehen bekam, Jahrzehnte später, auf Ihrer

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sommerlichen Veranda in der Freiburger Goethestraße bei einer Flasche elsässischen Rieslings. Erst in der Erinnerung an diesen Nachmittag löste sich mir auf einmal der vermeintliche Widerspruch auf zwischen Ihrem sensiblen Umgang mit mittelalterlicher Spiritualität und dem unverhohlenen Behagen, mit dem Sie sich in Gesellschaft der blutrünstigen Helden der germanischen Tradition bewegen, ja sie zu suchen scheinen. Einmal irritiert, hatte ich mir nie die Umstände klar gemacht, unter denen Sie der heillosen Welt Njals oder Gislis zuerst begegnet sind, die tiefen Eindrücke jenes Islandjahres, die intime Kenntnis der Topographie der altnordischen Texte, die Vertrautheit mit deren historischer Welt, die Ihr Verhältnis zu Sagas und Heldenepik bestimmen. Und eine andere Photographie fiel mir ein, auf der Sie sich, inzwischen 37 Jahre alt und im Besitz des ersten Lehrstuhls, zufrieden in Ihrem Liegestuhl zurücklehnen. Beide Bilder sind mir wohl nicht zufällig in Erinnerung geblieben: Wie Sie mit der Ihnen eigenen Unaufdringlichkeit ab und zu fallen ließen, daß m a n mit 36 Jahren das Assistentendasein leid sei (in diesem Alter machte Ihre Habilitation Sie frei), so haben Sie mich auch behutsam, doch beharrlich gemahnt, das Altnordische zu erlernen. Ihren ersten Rat habe ich beherzigt, den zweiten nicht. Aber gewiß nicht, weil mich das (vorgeschobene) Argument nicht überzeugte, daß Altgermanisten künftig auch das Altnordische vertreten müßten, sondern schlicht, weil sich die Erfahrungen nicht deckten, weil ich jene prägenden Eindrücke nicht in Island, nicht in der Welt der Sagas empfing. Sie werden nun in diesem Winter über die «Beiträge der deutschen und französischen Volkssprache zur mittelalterlichen Literatur» lesen. Und wir wissen dank Ihrer Ankündigung (der ersten übrigens, zu der sich Herr Wolf in seiner akademischen Laufbahn hat hinreißen lassen), daß Sie weit vor der Entstehung dieser Volkssprachen beim spätantiken Latein, bei der frühchristlichen Dichtung einsetzen. Sie wollen so (wie Sie schreiben) begreiflich machen, «wie unter der mächtigen Tradition der antiken und der christlichen Literatur in lateinischer Sprache im europäischen Mittelalter volkssprachliche Literaturen entstanden und unvorhersehbare Leistungen erbrachten, die zum Teil die europäische Literatur bis in die jüngste Gegenwart prägten»; und Sie werden so auch zeigen (wenn ich ergänzen darf), wovon eine jahrzehntelange, immer neue Faszination auf Sie selbst ausgegangen ist. Sie haben es Ihren Hörern nie leicht gemacht, Ihnen auf Ihrer Suche nach dem Wesen, den Möglichkeiten und Leistungen der volkssprachigen Literaturen des Mittelalters zu folgen. Aber nicht, weil Sie kaum je von

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Methoden, sondern stets von der Sache reden und dabei auf die Überzeugungskraft Ihrer Ausführungen und die Wachheit Ihrer Hörer zählen. Eher, weil Sie als selbstverständlich verfügbar oder doch erlernbar voraussetzen, was Sie sich - ganz selbstverständlich - erworben haben: die sprachlichen Grundlagen Ihres souveränen Umgangs mit der ganzen abendländischen Literaturtradition des Mittelalters, vom Lateinischen über die romanischen zu den germanischen Sprachen, und eine Belesenheit, deren Weite und Gründlichkeit kaum mehr erreichbar sein dürften. Dieses Wissen erst erlaubt es Ihnen, die Texte philologisch zu erschließen und komparatistisch fruchtbar zu machen. Wir sind Ihnen um so dankbarer dafür, daß Sie uns heute abend in der gebotenen Kürze an einen, ja vielleicht den Kern Ihrer Faszination heranführen wollen, an das alle Bereiche der mittelalterlichen Literaturen durchziehende, sie vielfach beherrschende, erst konstituierende Phänomen der Liebe. Vielleicht den Kern der Faszination, insofern dem Mittelalter das Wesen der Liebe stets Erkennen war, Erkenntnis in der ganzen Breite jenes Spektrums einschloß, das sich zwischen spiritueller Intuition und sinnlicher Erfahrung auftut; insofern mag dieses älteste Ihrer Themen auch dasjenige sein, das Ihnen am meisten bedeutet. Denn mit Gegenständen wie der Liebe läßt sich leben - als Komparatist und als Mensch. Das heißt aber auch: «Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne», das Thema, über das Sie heute zu uns sprechen werden, sagt so viel über die mittelalterliche Literatur wie über Sie selbst und Ihr Verhältnis zu ihr. Und so zieht sich denn dieses Thema auch durch Ihr ganzes wissenschaftliches Werk, in dem es wiederholt ganz eigentlich im Mittelpunkt steht, etwa im Vortrag über «Die Große Freude», die Eros-exsultatio in höfischer Lyrik und Epik, den Sie uns vor ein paar Jahren hier gehalten haben; aber letztlich auch, und überraschend, in Ihrer Interpretation des Nibelungenliedes, in der Sie, ein Jahr später, den herzen jamer Kriemhilts als Kern der epischen Gestaltung des Stoffes erwiesen - den jamer, die zerstörerische Kraft des menschlichen Herzens, des selben Herzens, das die höfische Dichtung erst auf geistlichem Hintergrund zum Inbegriff inneren, psychischen Erlebens erhoben hatte. Mir scheint, es ist dies eine Perspektive, die selbst den Umgang mit dem Nibelungenstoff erträglich macht. Wenn Sie so zu zeigen vermögen, wie von der Troubadour-Lyrik über die Spruchdichtung bis zum höfischen Roman (und selbst bis in die Heldenepik hinein) das Spannungsverhältnis zwischen chevalier und clericus bzw. monacus inspirierend gewirkt und das Reden über die Liebe geprägt hat, und wenn Sie dabei an jene weltbewegende, kosmische Kraft der Minne erinnern, der wir bei Gottfried von Straßburg wie schon bei Boe-

- 11 thius oder wieder bei Dante begegnen, dann deutet sich zugleich ein Spannungsbogen an, der von Ihrer Dissertation über Gottfrieds Roman bis zu Ihrem Buch über die Mythe von Tristan und Isolde reicht, das Sie fünfunddreißig Jahre später geschrieben haben. Ich habe vor Jahren gelegentlich einmal vermutet, ich hätte gerade deshalb so viel von Ihnen gelernt, weil wir verschiedene Wege verfolgten - Sie waren damals verwundert. Ich hoffe, inzwischen besser zu verstehen, was ich bei Ihnen gelernt habe; und um so mehr freue ich mich für uns alle, daß wir Sie nun einen Winter lang bei uns haben werden. Eckart Conrad Lutz

Das Faszinosum der mittelalterlichen Minne Genau in der Mitte seines zahlenkompositorischen ausgeklügelten Werkes, der Göttlichen Komödie, im 17. Gesang des Purgatorio, zusätzlich zahlenkompositorisch flankiert und das Zentrum einer zentralen Siebenergruppe bildend, wird Dante von seinem Führer Vergil über die Liebe belehrt. Thomas von Aquin folgend ist Liebe Wesensmerkmal des Schöpfers wie der Geschöpfe: Ne creator ne creatura mais [...]fit senza amore, V. 91. Dieser Thematik einen derartigen Rang zuerkannt zu haben, ist nicht erst eine Errungenschaft des Zeitalters Dantes. In einem Zeitraum von knapp einem Jahrhundert hatte das Hochmittelalter eine erstaunliche Konzentration literarischer Erscheinungen hervorgebracht, die um den Eros kreisen.1 Wenn man sich von der schmalen nationalsprachigen Betrachtungsweise löst, kann man in dieser Konzentration geradezu die Signatur dieses Zeitalters erkennen. Zählen wir einiges auf, um zu erkennen, daß es in den Jahrhunderten zuvor eine derartige Ballung von Phänomenen, die - in welcher Form auch immer - um den Eros kreisen, nicht gegeben hat. Ein Hoheliedkommentar nach dem andern entsteht, die Theologen denken eifrig nach de natura et dignitate amoris, die Troubadours entwickeln in ihren Liedern ihre Auffassung vom Eros, Ovid erfreut sich zunehmender Beliebtheit, die Vaganten treten hervor, der erotische Schwank wird zu einem literarischen Faktor, das Thema Minne dringt in erzählende Dichtungen ein, die vielfach nicht darauf angelegt waren, Andreas Capellanus versucht eine detaillierte Aufschlüsselung der verschiedenen Formen des Eros. Wird im 12. Jahrhundert in der Volkssprache die Minne immer mehr und erstaunlich rasch zu einer Macht im Hervorbringen und Verändern von lyrischer und erzählender Dichtung, so treten im 13. und 14. Jahrhundert großangelegte theoretische Darlegungen über die Minne hinzu. Darauf näher einzugehen, liegt nicht in der Inten1

Umfassende Diskussion bei Rüdiger Schnell, Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern 1985 - Peter Dinzelbacher, Über die Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter, in: Saeculum 32 (1981), S. 185-207 - C. S. Lewis, The Allegory of Love, New York 1958, S. 3 f.: «It seems to us natural that love should be the commonest theme of serious imaginative literature, but [ . . . ] what we took for is really a special state of affairs, which will probably have an end, and which certainly had a beginning in eleventh century Provence [ . . . ] Compared with this revolution the Renaissance is a mere ripple on the surface of literature.» - The Meaning of Courtly Love, ed. by Francis X. Newman, Albany 1968.

- 14 tion vorliegender Ausführungen, erwähnt sei wenigstens der französische Rosenroman, der in Deutschland kaum rezipiert wurde, dafür aber sonst ein europaweites Echo fand, man denke an Chaucer. Aus dem Deutschen seien genannt die großen Allegorien wie die eines unbekannten Autors, die des Johannes von Konstanz und die des Hadamar von Laber.2 Nach exakten Ursachen zu fragen und bündige Antworten liefern zu wollen, will ich mir im folgenden nicht anmaßen, sondern mich beglückt an den Erscheinungen erfreuen. Bei dieser intensiven Beschäftigung mit dem Phänomen Minne übertrifft die volkssprachliche Literatur die lateinische an Qualität, Originalität und in ihrer Fernwirkung, die das literarische Klima und die Mentalität Europas nachhaltig verändern sollte. Das alte Kerneuropa, Frankreich und Deutschland, erweist sich dabei als das Zentrum. Parallel zu diesem Uberholen des Lateins durch die Volkssprachen vollzieht sich ein weiterer Vorgang. Der Klerikus als privilegierter Träger und Vermittler des literarischen Eros wird vom miles - chevalier, Ritter - eingeholt. Das Dictum /actus est perclericum miles cythereus wird dadurch bestätigt, doch nicht ohne daß der Inhalt des Adjektivs cythereus eine entscheidene Veränderung erfahren hätte.5 Es geht dabei nicht nur darum, daß der miles nun als ernst zu nehmender Dichter in eroticis hervortritt, sondern auch darum, was man dabei dem miles in dieser volkssprachlichen Dichtung zutraut, gleichgültig, ob deren Verfasser milites oder clerici waren. Die hochmittelalterlichen Ritterromane - in der Lyrik verhält es sich anders - waren in der Mehrzahl ja nicht Werke von Rittern, sondern von Klerikern. Der Verfasser des französischen Thebenromans, der um 1150 schrieb, sieht clergie und chevalerie als zusammengehörig an, abgehoben von der kulturlosen Masse.4 Wenig später wird der Kleriker Chretien de Troyes in seinem Gralroman den ordre de chevalerie als das Höchste darstellen und im Prolog zu seinem Roman unter Anwendung des Translationsmusters chevalerie und clergie definitiv in Frankreich ansiedeln.5 Daß es daneben immer wieder die zur 2

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Walter Blank, Die deutsche Minneallegorie. Gestaltung und Funktion einer spätmittelalterlichen Dichtungsform, Stuttgart 1970. - Ingeborg Glier, Artes amandi Untersuchung zur Geschichte, Uberlieferung und Typologie der deutschen Minnereden, München 1971. Carmina Burana. Die Gedichte des codex buranus, lateinisch und deutsch, Zürich 1974, Lied 92, Str. 41. Le Roman de Thebes, publ. par Guy Raynaud de Lage, Paris 1969, V. 14. Les Romans de Chretien de Troyes II: Cliges publ. par Alexandre Micha, Paris 1957, V. 28-42. - Chretien de Troyes, Le Roman de Perceval ou le conte du Graal, publ. par William Roach, Genf 1956, V. 1637.

- 15 Satire neigende Spannung zwischen miles und clericus geben konnte, ändert nichts an dem literarischen Aufstieg des miles, sei es als Objekt oder als schaffendes Subjekt der neuen Dichtung. Die Verbindung von Minne und Rittertum sollte von besonderer Bedeutung werden; programmatisch formuliert in Wolframs , bekräftigt im Prosa-Lancelot und dann sogar inszeniert in Ulrichs von Lichtenstein Venus- und Artusfahrt. Es traten damit zwei Bereiche in enge Verbindung, die aus religiöser Sicht belastet waren, das Rittertum mit dem Töten, die Minne mit der Sünde der luxuria. Es ist bemerkenswert, daß ausgerechnet die Ritter einen bisher in dieser Weise noch nie derart hochstilisierten Eros so massiv für sich in Anspruch nehmen wollten und darin traditionsbildend wurden. Überdies vollzog sich diese Verbindung von Mars und Venus, ausgehend von Frankreich, ungemein rasch und wurde vor allem vom östlichen Nachbarn begierig aufgegriffen. Man ermißt die Bedeutung dieser epochalen Verbindung, wenn man bedenkt, daß noch um 1400 Heinrich Wittenweiler seinen , dieses grotesk apokalyptische Weltgemälde, auf dieser von ihm als heillos und zerstörerisch gedeuteten Verbindung von Venus und Mars, Minne und Ritter - nun bäuerlich verfremdet - aufbauen konnte.6 Durch die Kreuzzüge, man denke an St. Bernhards Traktat , war der eine Teil, das Töten, teilweise gerechtfertigt worden, und ritterliches Treiben - auch im Turnier - war ohnehin durch keinerlei religiöse Vorbehalte einzudämmen. Wie aber stand es um die zweite Komponente, den Eros? Und wozu diese enge Verbindung beider? Was konnten sich die Ritter von der Verbindung mit dem Eros versprechen? Neben den Klerikern, den im Mittelalter traditionellen Zielscheiben für erotisches Fehlverhalten, ließen die Rigoristen, man denke an Heinrich von Melk, an den Rittern in dieser Hinsicht ebenfalls kein gutes Haar. Die ritterlichen Laien setzten diesen Vorwürfen aber etwas entgegen, indem sie den irdischen Eros in einem neuen Licht erscheinen ließen in der Idee der fin'amors, der hohen Minne. Offenbar war den ritterlichen Laien die umfassende und vielgestaltige Diskussion de natura et dignitate amoris nicht verborgen geblieben, ja sie schickten sich an, einen eigenen unverwechselbaren Beitrag dazu zu leisten, statt sich damit zu begnügen, weiterhin gelegentlich simple erotische Dichtung zu pflegen und sich dabei als normale Christen zu fühlen. Kleriker und Mönch hatten in mystischen Tendenzen ausreichend Spielraum für Spiritualisierung des Eros, was dem miles ferner 6

Eckart Conrad Lutz, Spiritualis fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein , Sigmaringen 1990.

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lag; er tat den Schritt zur Überhöhung seines profanen Eros. Freilich entzieht sich da viel unserer Einsicht. Was besser erkennbar ist, sind Konsequenzen aus der Gleichsetzung von Ritter und dieser besonderen Minne. In diesem Zusammenhang ist des bedeutenden Welschschweizers Denis de Rougemont zu gedenken und seines Buch .7 Der entscheidende Schritt wurde in der Lyrik getan, in der Troubadourdichtung in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der erste Troubadour, der chevalier Wilhelm IX. von Aquitanien, setzt zwar noch ostentativ und provokant seine erotischen Fähigkeiten von denen des Klerikers und des Mönchs ab, doch läßt sich bereits in seinem schmalen opus, bei allen erstaunlichen Obszönitäten, der nach oben gerichtete Weg erahnen, wenn zum Beispiel von bort 'amor die Rede ist.8 Wilhelms jüngerer Zeitgenosse Jaufre Rudel brauchte das Insistieren auf erotischem Standesstolz des chevaliers nicht mehr. Sein lyrisches Ego ist fraglos ein Ritter-Ego, von Obszönität fehlt jede Spur und amors ist bereits als fin 'amors etabliert, als jene Errungenschaft, die das literarische Klima von Grund auf verändern sollte. Rudel kann fin 'amors rühmen, qu 'anc home non trays und als Instanz vorführen, die Werte verbürgt und Macht ausübt auf die Menschen.' Rudels Zeitgenosse und Landsmann Marcabru liefert die theoretische Grundlage, die den Durchbruch und Aufstieg des Rittereros in Form der fin'amors legitimieren sollte. In seinem programmatischen Lied