Das Bundesverfassungsgericht und der US Supreme Court zur Sicherungsverwahrung gefährlicher, strafrechtlich verantwortlicher Straftäter: Eine rechtsvergleichende Untersuchung [1 ed.] 9783428553532, 9783428153534

Ende des letzten Jahrhunderts ist in Deutschland eine vermeintlich empfindliche Sicherheitslücke beim effektiven Schutz

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German Pages 261 [262] Year 2019

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Das Bundesverfassungsgericht und der US Supreme Court zur Sicherungsverwahrung gefährlicher, strafrechtlich verantwortlicher Straftäter: Eine rechtsvergleichende Untersuchung [1 ed.]
 9783428553532, 9783428153534

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Schriften zum Strafrechtsvergleich Band 8

Das Bundesverfassungsgericht und der US Supreme Court zur Sicherungsverwahrung gefährlicher, strafrechtlich verantwortlicher Straftäter Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Von

Tessia Tober

Duncker & Humblot · Berlin

TESSIA TOBER

Das Bundesverfassungsgericht und der US Supreme Court zur Sicherungsverwahrung gefährlicher, strafrechtlich verantwortlicher Straftäter

Schriften zum Strafrechtsvergleich Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Würzburg und Prof. Dr. Brian Valerius, Bayreuth

Band 8

Das Bundesverfassungsgericht und der US Supreme Court zur Sicherungsverwahrung gefährlicher, strafrechtlich verantwortlicher Straftäter Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Von

Tessia Tober

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D30 Alle Rechte vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 2364-8155 ISBN 978-3-428-15353-4 (Print) ISBN 978-3-428-55353-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85353-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2016 von der Juristischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, als Dissertation angenommen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich folgenden Personen und Institutionen danken: Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann. Im Hinblick auf die Gestaltung der Dissertation gewährte er mir alle Freiheiten – die Betreuung der Arbeit hätte nicht angenehmer sein können. Zudem hat er mich im Rahmen von Stipendien- und Universitätsbewerbungen unterstützt. Dafür gebührt ihm mein herzlicher, aufrichtiger Dank. Herrn Privatdozent Dr. Thomas Kleinlein – für die Erstellung des Zweitgutachtens. Der Columbia Law School, New York City – in ihrer angenehmen Bibliothek ist die Arbeit im Rahmen eines Forschungsaufenthalts von September 2014 – Januar 2015 zu einem großen Teil entstanden. Meinem Vater, Herrn Dr. Dieter Tober – er las die Endfassung des Dissertationsmanuskripts akribisch und machte wertvolle Anmerkungen zu seiner Verbesserung. Schließlich möchte ich Frau Henrikje Buroh und Frau Yas Frömel für ihre umfassende Unterstützung während der Promotionszeit danken. Frankfurt a.M., im Februar 2018

Tessia Tober

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1. Teil Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung

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A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . 18 I. Rechtsquellen des Strafrechts in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Das Schuldprinzip als Grundlage des deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. In Deutschland anerkannte Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 IV. Zur Bedeutung des Resozialisierungsgedankens in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 23 V. Die Zweispurigkeit des Sanktionensystems des Strafgesetzbuches . . . . . . . . . . . 24 B. Die frühe rechtsgeschichtliche Entwicklung der Sicherungsverwahrung – Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Die Entwicklung bis zum Ende der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gewohnheitsverbrechergesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Die Entwicklung des Rechts der Sicherungsverwahrung nach 1945 . . . . . . . . . . 30 C. Frühe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung . . . 31 I. Frühe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vollstreckung und zum Vollzug der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Erstmalige Überprüfung der Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 D. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2004 und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Die kriminalpolitische Trendwende in Deutschland seit 1998 . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Die kriminalpolitische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Abschaffung der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . 37 b) Herabsetzung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung . . . . . . 38

8

Inhaltsverzeichnis 4. Die landesrechtlichen Straftäter-Unterbringungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Februar 2004 . . . . . . . . . . . . 40 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der vorhandenen Regelungen über die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Vereinbarkeit mit der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Vereinbarkeit mit der Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . 45 c) Vereinbarkeit mit dem Rückwirkungsverbot, Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . 47 d) Vereinbarkeit mit dem Vertrauensschutzgebot, Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 III. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 . . . . . . . . . . . . 49 1. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Kompetenzrechtliche Zuständigkeit zur Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Die Weitergeltungsanordnung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . 53 4. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Unterbringung . . . 54 5. Abweichendes Votum der Richter Broß, Osterloh und Gerhardt . . . . . . . . . . . 55 IV. Rechtspolitischer Hintergrund der beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 V. Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . 57 1. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Mehrfachtäter gem. § 66b Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Ersttäter gem. § 66b Abs. 2 StGB 59 3. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Unterbringungserledigung gem. § 66b Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VI. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. August 2006 zur bundesrechtlich eingeführten nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Verfassungswidrigkeit der gegen den Beschwerdeführer ergangenen Anordnung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 VII. Kritische Würdigung der kriminalpolitischen Trendwende in Deutschland . . . . . 62

E. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Verfahren „M. gegen Deutschland“ und die verfassungsrechtlichen Konsequenzen in Deutschland

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I. Die Entscheidung des EGMR „M. gegen Deutschland“ vom 17. Dezember 2009 65 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Rechtstatsächliche Analyse des Vollzugs der Sicherungsverwahrung des M. 65 3. Statistische Angaben zur bundesweiten Praxis der Sicherungsverwahrung . . . 66 4. Rechtsvergleichende Bemerkungen des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

Inhaltsverzeichnis

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5. Bezugnahme auf Stellungnahmen internationaler Überwachungsorgane zur Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 6. Maßgebliche Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Verstoß gegen Art. 5 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Verstoß gegen Art. 5 I lit. a) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Art. 5 Absatz 1 lit. c) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 cc) Art. 5 Absatz 1 lit. e) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 dd) Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK . . . . . . . 71 II. Die Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung als Folge des Urteils des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Änderungen im Bereich der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Einführung der Möglichkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung . . . . 76 3. Das Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 und die weitere gesetzgeberische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Freiheit der Person, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Gewährleistungen der MRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Die Verfassungswidrigkeit der vorhandenen Regelungen über die Sicherungsverwahrung und Vorgaben für den Umgang mit Altfällen . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5. Die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 IV. Auf die Grundsatzentscheidung vom 04. Mai 2011 folgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2012 . . . . . . . . . . . . . 87 2. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Februar 2013 . . . . . . . 88 3. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2013 . . . . . . . . . . 89 V. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Verfahren „Bergmann gegen Deutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Maßgebliche Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Verstoß gegen Art. 5 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Verstoß gegen Art. 7 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

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Inhaltsverzeichnis 2. Teil Die Rechtsprechung des US Supreme Court zu freiheitsentziehenden Sanktionen gegen gefährliche Straftäter

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den Vereinigten Staaten von Amerika

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I. Rechtsquellen des Strafrechts in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Die verfassungsmäßige Zuständigkeit für die Strafgesetzgebung . . . . . . . . . . . 96 2. Das Präjudizienrecht des common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Verfassungsrechtlich verbürgte Rechte für Straftäter und deren Durchsetzung durch den US Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Frühere strenge Einspurigkeit des Sanktionensystems in den USA . . . . . . . . . . . 99 IV. Abkehr von der strengen Einspurigkeit des Sanktionensystems seit 1990 . . . . . . 101 V. Die Zwecke staatlichen Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Die Resozialisierung des Straftäters als Hauptvollzugsziel bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Die „theory of just deserts“ mit Schwerpunkt auf Abschreckung und Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Erweiterung der bisherigen Strafzwecke um den der Sicherung der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Die US-amerikanische Verfassung und die Haltung des US Supreme Court zu den einzelnen Strafzwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 B. Die Entscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ 114 I. Kurze Einführung in die Geschichte der zwangsweisen Unterbringung psychisch kranker Personen in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Die Sexually Violent Predator Acts am Beispiel des „Kansas Sexually Violent Predator Act“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Ursprung der „Sexually Violent Predator Acts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Bundesweite statistische Angaben zu den „sexually violent predator laws“ . . 117 3. Der „Kansas Sexually Violent Predator Act“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Regelungsinhalt des „Kansas Sexually Violent Predator Act“ . . . . . . . . . . . 119 III. Frühe Rechtsprechung des US Supreme Court zu freiheitsentziehenden Sicherungsmaßnahmen gegen gefährliche Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court zur Unterscheidung von Freiheitsstrafe und zivilrechtlicher Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Unterbringung . . . . . . . . . . . . . 124 a) Entscheidungen zur Unterbringung von strafrechtlich nicht verantwortlichen Tätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Von der Zwangseinweisung eines schuldunfähigen zur Sicherungsverwahrung eines schuldfähigen Straftäters: Foucha v. Louisiana . . . . . . . . . . . . . . 125

Inhaltsverzeichnis

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IV. Die Rechtsprechung des US Supreme Court zur Verfassungsmäßigkeit der zivilrechtlichen Unterbringung aufgrund des „sexually violent predator laws“ . . . . . . 127 1. Die Entscheidung des US Supreme Court Kansas v. Hendricks . . . . . . . . . . . . 127 a) Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Verletzung des Rechts auf ein ordentliches Gerichtsverfahren („due process clause“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot („double jeopardy clause“) sowie das Rückwirkungsverbot („prohibition on ex post facto legislation“) 131 aa) Muss den „sexually violent predator laws“ Strafcharakter beigemessen werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 cc) Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 d) Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Breyer . . . . . . . . . . . 134 2. Die Entscheidung des US Supreme Court Kansas v. Crane . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Die Mehrheitsentscheidung des US Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Scalia . . . . . . . . . . . 140 3. Reaktionen auf die Rechtsprechung des US Supreme Court zu den „Sexually Violent Predator Acts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Kritik an der Aufhebung der vormals strikten Trennung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Grundsätze in Hendricks und Crane widersprechen der früheren Rechtsprechung des US Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Kritik an der Aufgabe der Voraussetzung des Befundes einer „mental illness“ für eine zivilrechtliche Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Untauglichkeit der Termini „mental abnormality“ und „personality disorder“ für die Bestimmung von besonders gefährlichen Sexualstraftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Kritische Würdigung des Leistungspotenzials der Psychiatrie . . . . . . . 147 dd) Die Überbetonung der Gefährlichkeit eines Straftäters . . . . . . . . . . . . . 149 c) Fehlen gerichtlicher Leitsätze hinsichtlich der Qualifizierung einer Regelung als strafrechtlich oder zivilrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 d) Zweifel an der Therapiefähigkeit von „sexually violent predators“ und der Ausrichtung des Vollzugs der Unterbringung auf Therapie . . . . . . . . . . . . . 150 e) Die zivilrechtliche Unterbringung als zusätzlicher Kostenfaktor für die Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 C. Die Rechtsprechung des US Supreme Court zu den „three strikes laws“ . . . . . . . . . . . 153 I. Die „three strikes laws“ am Beispiel des kalifornischen „three strikes laws“ . . . 153 1. Entstehungsgeschichte der „three strikes laws“ des Bundesstaates Kalifornien 154 2. Regelungsinhalt der kalifornischen „three strikes laws“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Statistische Angaben zu den kalifornischen „three strikes laws“ . . . . . . . . . . . 158 4. Argumente der Befürworter der „three strikes“-Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . 159

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Inhaltsverzeichnis 5. Zweifel an der Effektivität der „three strikes laws“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Frühe Rechtsprechung des US Supreme Court zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Beurteilung von Freiheitsstrafen . . . . . . . . . . . . . 162 1. Die erstmalige Herausbildung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . 163 2. Die Rechtsprechung des US Supreme Court zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwischen 1980 und 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Rummel v. Estelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Hutto v. Davis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Solem v. Helm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 d) Harmelin v. Michigan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Die Entscheidung des US Supreme Court Ewing v. California . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Die Urteilsbegründung der Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Zustimmende Stellungnahme von US Supreme Court Justice Scalia und Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4. Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Stevens . . . . . . . . . . . . 175 5. Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Breyer . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Reaktionen auf Ewing v. California . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Verbot grausamer und ungewöhnlicher Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Ewing v. California schafft unverhältnismäßig hohe Hürde für Verfassungsklagen gegen Strafurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Fehlende Berücksichtigung der in der Gesellschaft vorherrschenden Wertevorstellungen innerhalb der Prüfung des achten Zusatzartikels . . . . . . . . . . . . 180 4. Fehlende Vorgabe von Grundsätzen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung von Strafurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5. Überbetonung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . 182 V. Die Entwicklung nach Ewing v. California . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

3. Teil Vergleich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des US Supreme Court

186

A. Zur Zweckmäßigkeit rechtsvergleichender Betrachtungen des US-amerikanischen Rechts im Bereich der Schnittstellen zwischen Verfassungsrecht und Strafrecht . . . . . 186 B. Die US-amerikanische Verfassung und das Grundgesetz im Vergleich . . . . . . . . . . . . 187 I. Entstehungsgeschichte der Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Verfassungstext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Inhaltsverzeichnis

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III. Grundrechtliche Gewährleistungen in der US-amerikanischen Verfassung und im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 IV. Die Rolle und Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von gefährlichen, strafrechtlich verantwortlichen (Rückfall-)Tätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Ausgangsbetrachtungen: Übereinstimmungen und Differenzen . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Herausarbeitung der Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Strafrechtsdogmatische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Strafe und Maßregel: Ein- bzw. Zweispurigkeit der strafrechtlichen Reaktionsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Die rechtliche Ausgestaltung freiheitsentziehender Sicherungsmaßnahmen 197 2. Verfassungsrechtliche Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Der verfassungsrechtliche Schutz der Würde des Menschen in Deutschland und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Die verfassungsrechtliche Stellung des Resozialisierungsgedankens in Deutschland und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Die verfassungsrechtliche Verankerung des Schuldprinzips im Grundgesetz und seine Auswirkungen auf die Verfassungsrechtsprechung zur Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 d) Unterschiede in der föderalistischen Struktur beider Jurisdiktionen . . . . . . 211 e) Die Einbindung des Bundesverfassungsgerichts und des US Supreme Court in das supranationale Institutionengefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Kriminalpolitische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Die Bedeutung des Resozialisierungsgedankens in der Kriminalpolitik Deutschlands und der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Die Ausgestaltung des Sanktionenvollzugs in Deutschland und den USA

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4. Historische Unterschiede: Das sich in der Verfassungsrechtsprechung manifestierende Vertrauen in den Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 D. Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 I. Plädoyer für das zweispurige Sanktionensystem in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 229 II. Befürwortung eines substantiellen Strafverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 III. Zustimmung zum Verbot der nachträglichen Anordnung oder Verlängerung einer sichernden Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 IV. Verbesserungsvorschläge für einen menschenrechtsorientierten Umgang mit gefährlichen Straftätern in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Einleitung Es gibt Straftäter, die mit großer Wahrscheinlichkeit nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe erneut schwere Straftaten begehen. Jede Gesellschaft hat die Frage zu beantworten, wie sie dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Freiheitsanspruch des Straftäters andererseits Geltung verschafft. Ende des letzten Jahrhunderts ist in Deutschland eine vermeintlich empfindliche Sicherheitslücke beim effektiven Schutz vor gefährlichen Straftätern erkannt worden, deren Schließung von der Bevölkerung unter dem Eindruck einiger medial stark beachteter Sexualstraftaten verlangt wurde. Der rechtspolitischen Forderung nach verbessertem Schutz vor gefährlichen Straftätern wurde vom Gesetzgeber unter anderem durch eine Reihe von Novellierungen des Rechts der bis dato eher unbedeutenden Sanktion der Sicherungsverwahrung Rechnung getragen. Diese führten zu einer wiederholten, äußerst fragwürdigen Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Sanktion. Erst eine Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte veranlasste den Bundesgesetzgeber zu einem Richtungswechsel und einer damit verbundenen umfassenden Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung. Das gesellschaftliche und kriminalpolitische Interesse an Sicherheit und Risikokontrolle ist kein auf Deutschland beschränktes Phänomen. In vielen anderen Staaten ist Sicherheit seit Ende des letzten Jahrhunderts zu einem Leitmotiv für Reformen des nationalen Strafrechts geworden. Das ist namentlich in den Vereinigten Staaten der Fall. Anstoß für die Einführung neuer Regelungen zur Sicherungsverwahrung gaben ebenso wie in Deutschland Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern, die in der Bevölkerung die Forderung nach politischer Reaktion laut werden ließen. Zwangsläufig haben sich infolge der Veränderungen des Rechts der Sicherungsverwahrung auch die Verfassungsgerichte beider Länder mit der Verfassungsmäßigkeit dieser freiheitsentziehenden Sanktionen befassen müssen. Die Verfassungsgerichte müssen sich einer altbekannten Problematik stellen: Wie kann der Konflikt zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und den Freiheitsrechten des betroffenen Straftäters aufgelöst werden? Wie weit darf ein Rechtsstaat gehen, der seine Bürger vor Straftätern schützen will, die gemäß gutachterlicher Einschätzung eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, wenn sich das Ende ihrer Freiheitsstrafe abzeichnet?

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Einleitung

Wird eine Strafe durch das Maß der Schuld des Täters begrenzt oder können präventive Gesichtspunkte ebenso eine Strafschärfung begründen? Kann eine freiheitsentziehende Maßnahme, die auf Behandlung und Therapie ausgerichtet ist, eine mitunter lebenslange Unterbringung legitimieren? Oder handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung letztlich um eine Strafe? Es bietet sich daher an, eine rechtsvergleichende Untersuchung darüber durchzuführen, wie sich zwei moderne Rechtssysteme denselben verfassungsrechtlichen Herausforderungen gestellt haben, um damit zugleich aufzeigen zu können, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Instrument der Sicherungsverwahrung von Straftätern allgemeingültig sind. Ziel der Arbeit ist es, festzustellen, ob sich beide Rechtsordnungen trotz unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Ausgangslage bei der Bewältigung der konstitutionellen Probleme annähern oder ob divergierende Lösungen hervorgebracht werden. Die Arbeit soll sich in drei Teile gliedern: Die ersten beiden Teile widmen sich der Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auch unter Berücksichtigung europäischer Einflüsse sowie korrelierender Verfassungsurteile vom US Supreme Court. Die Untersuchung der Verfassungsrechtsprechung beider Staaten erfolgt auch unter Zuhilfenahme von Kommentar- und wissenschaftlicher Sekundärliteratur.1 Dabei soll im Rahmen der einzelnen Länderbetrachtungen ebenso ein kurzer Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Instituts der Sicherungsverwahrung sowie das Strafrechts- und Verfassungssystem gegeben werden, um das konkrete Dissertationsthema angemessen in das relevante Rechtssystem einordnen und grundlegende Zusammenhänge darstellen zu können. Im dritten Teil erfolgt schließlich der Vergleich der Verfassungsrechtsprechung beider Staaten. Der Vergleich wird aufzeigen, dass die Verfassungsrechtsprechung beider Staaten die unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten in Deutschland bzw. in den USA widerspiegelt, insbesondere ein unterschiedliches Verständnis für einen angemessenen Umgang mit Straftätern. Im Rahmen der ersten beiden Teile soll im Wesentlichen untersucht werden, welche Grundrechte bzw. Verfassungsgarantien nach der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte durch die Sicherungsverwahrung verletzt sein können bzw. unter welchen Voraussetzungen die Verfassungsgerichte die Sicherungsverwahrung eines Straftäters für verfassungskonform erachten. Es sollen dabei insbesondere folgende Fragestellungen untersucht werden: Anhand welcher Kriterien ermitteln die Verfassungsgerichte, ob einer präventiven Maßnahme ein punitiver Charakter beigemessen werden muss?

1 Soweit die Verfasserin Entscheidungen des US Supreme Court und englischsprachige Sekundärliteratur zitiert, stammen die Übersetzungen von ihr selbst; es sei denn, auf die Übernahme einer Übersetzung ist explizit hingewiesen worden.

Einleitung

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Welche Voraussetzungen hinsichtlich des Grades der vom Täter ausgehenden Gefahr werden verlangt? Genügt die bloße Gefährlichkeit eines Täters zur Sicherungsverwahrung, oder müssen vielmehr noch hinsichtlich der geistigen Verfassung des Sicherungsverwahrten gerichtliche Feststellungen getroffen werden? Wird in der Frage der Legitimation der Sicherungsverwahrung auch die Ausgestaltung des Vollzugs einbezogen?

1. Teil

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland1 I. Rechtsquellen des Strafrechts in Deutschland Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Vielzahl von Entscheidungen mit dem Begriff des Strafrechts befasst und legt ein weites Verständnis des Begriffs zugrunde.2 Danach fallen unter den Begriff über repressive, vergeltende Sanktionen hinaus all diejenigen Regelungen, durch die strafwürdiges Verhalten in seinen Voraussetzungen gekennzeichnet und mit staatlicher Sanktion bedroht wird.3 Dem Strafrecht sind damit nicht nur schuldbezogene Sanktionen, sondern die Gesamtheit der Rechtsnormen, die für eine rechtswidrige Tat eine Strafe, Buße oder Maßregel der Besserung und Sicherung festsetzen, zuzuordnen.4 Das Strafrecht als Teilgebiet des öffentlichen Rechts unterteilt sich wiederum in die drei Rechtsgebiete des materiellen Strafrechts, des Strafverfahrensrechts und des Strafvollstreckungsrechts.5 Im Strafgesetzbuch ist die Kernmaterie des materiellen deutschen Strafrechts normiert. Es regelt die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit (Allgemeiner Teil des StGB) und die einzelnen Delikte (Besonderer Teil des StGB). Zudem beinhaltet es Bestimmungen über die möglichen Rechtsfolgen in Form der Strafe, Maßregel der Besserung und Sicherung sowie weiteren Maßnahmen und Nebenfolgen.6

1

Im Folgenden: Deutschland. Maiwald, ZRP 2006, S. 19. 3 BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 87; das Gericht zitiert hierbei Jescheck, in: LK StGB, 11. Aufl., Einl., §§ 1 – 31, Rn. 1. 4 BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 90; ausführlich er zu dem Urteil siehe 1. Teil, D., II. 5 Sogenannte „Drei-Säulen-Theorie, Weigend, in: LK StGB, Einl., §§ 1 – 31, Rn. 10 ff.; Joecks, in Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 7. 6 Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 12. 2

A. Das Strafrechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland

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Gemäß dem allgemeinen Verfassungsprinzip „Bundesrecht bricht Landesrecht“ (Art. 31 GG) ist das Strafgesetzbuch gegenüber etwaigem Landesrecht vorrangig.7 Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafrecht leitet sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ab. Damit haben gem. Art. 72 Abs. 1 GG die Länder im Bereich des Strafrechts nur insoweit eine Gesetzgebungskompetenz, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Da der Bundesgesetzgeber seine Regelungskompetenz ausgeschöpft hat, verbleibt für die Länder wenig Raum zum Erlass von ergänzenden oder gar abweichenden Regelungen.8 Das Strafverfahrensrecht bzw. Strafprozessrecht regelt, wie der staatliche Strafanspruch im Einzelfall festgestellt, die passende Sanktion auferlegt und durchgesetzt wird.9 Bedeutendste Rechtsgrundlagen sind die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Der Bund regelt über die konkurrierende Gesetzgebung für das „gerichtliche Verfahren“ gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG auch das Strafverfahren, wobei mit der Föderalismusreform vom 01. September 2006 „das Recht des Untersuchungshaftvollzugs“ davon ausgenommen wurde und nunmehr unter die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer fällt.10 Das Strafvollstreckungsrecht regelt die Durchführung und Überwachung der rechtskräftig angeordneten Strafen, Maßnahmen und Nebenfolgen durch die Staatsanwaltschaft als zuständige Vollstreckungsbehörde.11 Die wichtigsten Bestimmungen sind in der Strafprozessordnung, in der zwischen dem Bundesminister

7

Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. vor § 1, Rn. 36. Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. Vor § 1, Rn. 36. Nach Art. 1 Abs. 2 EGStGB gelten die Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB auch für das Landesrecht; das Bundesrecht kann jedoch besondere Vorschriften des Landesrechts zulassen. Als Ausnahmen führt Art. 2 EGStGB abweichende Regelungen zum räumlichen Geltungsbereich sowie zur Straflosigkeit von Verhalten auf. Art. 3 EGStGB regelt die zulässigen Rechtsfolgen bei Straftaten nach Landesrecht und bestimmt nach AbS. 1 Nr. 1, dass landesrechtliche Strafvorschriften höchstens zwei Jahre Freiheitsstrafe vorsehen dürfen. Die Vorschriften des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs wiederum lassen die Straf-und Bußgeldvorschriften des Landesrechts gem. Art 4 II EGStGB unberührt, soweit diese nicht eine Materie zum Gegenstand haben, die im Strafgesetzbuch abschließend geregelt ist, wie etwa das Pressestrafrecht (Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. vor § 1, Rn. 44). Ausdrückliche Vorbehalte zugunsten der Landesgesetzgebung sind im Bereich des Steuerund Abgabenrechts gem. Art. 4 III EGStGB sowie des Feld- und Forstschutzrechts gem. Art. 4 IV EGStGB geschaffen worden. Zuletzt bleibt für den Landesgesetzgeber eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs, wie etwa presserechtliche Regelungen über die Verjährung von Presseinhaltsdelikten (Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 107; Eser/Hecker, in: Schönke/ Schröder, StGB, Vorbem. vor § 1, Rn. 45). 9 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 101. 10 Schultheis, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 119, Rn. 1. 11 Weigend, in: LK StGB, Einl., §§ 1 – 31, Rn. 12; Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Einleitung, Rn. 14. 8

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

der Justiz und den Landesjustizverwaltungen vereinbarten Strafvollstreckungsordnung und der vergleichbaren Einforderungs- und Betreibungsordnung enthalten. Teil des Strafvollstreckungsrechts ist auch das Strafvollzugsrecht, welches die Art und Weise der Durchführung der Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln in den Justizvollzugsanstalten von der Aufnahme der Gefangenen bis zu ihrer Entlassung regelt.12 Rechtsgrundlage hierfür ist das Strafvollzugsgesetz. Auch wenn seit der Föderalismusreform die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder übertragen wurde, gilt gem. Art. 125a Abs. 1 GG das Strafvollzugsgesetz des Bundes fort, soweit es nicht durch Länderrecht ersetzt wird. Inzwischen haben bereits zehn Bundesländer eigene Strafvollzugsgesetze erlassen (Stand März 2015).13 Das Grundgesetz enthält einige fundamentale Prinzipien, die das Strafrecht betreffen und teilweise auch in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden.14 So verbietet Art. 102 GG die Todesstrafe. Art. 103 Abs. 2 GG regelt das Gesetzlichkeitsprinzip („nullum crimen, nulla poena sine lege“) und Art. 103 Abs. 3 GG normiert das Doppelbestrafungsverbot („ne bis in idem“). Art. 104 GG beinhaltet die für das Strafverfahrensrecht geltenden Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung. Zudem leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Strafen und Maßnahmen15, das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Strafen16 und das Schuldprinzip ab.17

II. Das Schuldprinzip als Grundlage des deutschen Strafrechts Das deutsche Strafrechtssystem liegt dem sog. „Schuldprinzip“ zugrunde.18 Auch wenn das Schuldprinzip nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert ist, so hat das Bundesverfassungsgericht dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“ dennoch den Rang eines Verfassungssatzes eingeräumt.19 In der Grundsatzentscheidung aus dem 12 Weigend, in: LK StGB, Einl., §§ 1 – 31, Rn. 12; Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 14. 13 Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen. 14 Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 17. 15 BVerfG v. 10. 5. 1957 – 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389 (439). 16 BVerfG v. 13. 6. 1952 – 1 BvR 137/52, BVerfGE 1, 332 (348); Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 17. 17 BVerfGE 57, 250, 275; 58, 159, 163; 80, 244, 255; 95, 96, 140. 18 Siehe unter vielen nur Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 13 ff., Rn. 103/ 104; Börchers, Schuldprinzip und Fahrlässigkeit, S. 5; Hörnle, Die verfassungsrechtliche Begründung des Schuldprinzips, S. 325 ff.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 109 ff. 19 BVerfGE 20, 323/323 (Leitsatz); ebenso BVerfGE 41, 121/125; BVerfGE 45, 187/228; BVerfGE 86, 288/313; BVerfGE 95, 96/140; siehe auch BGH 1 StR 423/70; BFHE 88, 363/ 367 f.; BSGE 57, 266/268 f.; zitiert nach Wolff, AöR 1999, S. 56.

A. Das Strafrechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland

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Jahre 1966 zum Schuldprinzip heißt es: „Dem Grundsatz, dass jede Strafe – nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht – Schuld voraussetzt, kommt verfassungsrechtlicher Rang zu. Er ist im Rechtsstaatsprinzip begründet.“20 Aus diesem Verfassungsprinzip leiten sich einige Gebote ab: So darf ein Verhalten nicht bestraft werden, für das man schuldlos ist, das einem also nicht vorgeworfen werden kann. „Nach dem den Bereich staatlichen Strafens wesentlich bestimmenden Schuldgrundsatz setzt jede Strafe Schuld voraus.“21 Ebenso gebietet das Schuldprinzip die Verhängung einer schuldangemessenen Strafe.22 Dieses Gebot muss sowohl bei der Einführung einer Strafsanktionsnorm als auch bei der Bemessung der konkreten Strafe berücksichtigt werden.23 So gliedert sich das Gebot des schuldangemessenen Strafens in zwei Teilgebote auf: Sowohl zwischen Rechtsfolge und Tatbestand (abstraktes Gebot der schuldangemessenen Strafe) als auch zwischen der begangenen Tat und der verhängten Strafe (konkretes Gebot des schuldangemessenen Verhaltens) muss ein angemessenes Verhältnis bestehen.24 Bezüglich der Ausgestaltung einer Sanktionsnorm bedeutet dies, dass „Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein müssen.“25 „Die angedrohte Strafe darf nach Art und Maß der unter Strafe gestellten Handlung nicht schlechthin unangemessen“ sein; sie muss vielmehr „in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen.“26 In einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957 heißt es bezüglich der konkreten Strafzumessung: „Aus den allgemeinen Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, folgt für das Strafrecht, dass eine Strafe „die Schuld des Täters nicht übersteigen“ darf. „Sie muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters stehen.“27 Zwar ist nach herrschender Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur die Verfolgung des Sicherungszwecks im Rahmen der schuldange-

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BVerfGE 20, 323/331; zitiert nach Wolff, AöR 1999, S. 56. BVerfGE 80, 244/255, zitiert nach Wolff, AöR 1999, S. 56. 22 (BVerfGE 6, 389/439). 23 Wolff, AöR 1999, S. 61. 24 Wolff, AöR 1999, S. 60. 25 BVerfG BvL 4/77, NJW 1979, S. 1037; siehe auch BVerfGE 25, 269 (286)= NJW 1969, S. 1059. 26 BVerfGE 6, 389 (439) = NJW 1957, S. 865; BVerfGE 25, 44 (54 f.) = NJW 1969, S. 738; BVerfGE 28, 191 (197 f.) = NJW 1970, S. 1498; BVerfGE 45, 187 (228) = NJW 1977, S. 1525. 27 BVerfG, 2 BvR 1603/06, vergleiche auch BVerfGE 20, 323 (331); 25, 269 (285 ff.); 50, 5 (12). 21

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

messenen Strafe zulässig.28 So findet nach der sog. „Spielraumtheorie“ der Richter innerhalb des anwendbaren gesetzlichen Strafrahmens einen auf den Fall bezogenen Schuldrahmen. Innerhalb dieses Schuldrahmens darf der Richter auch spezial- und generalpräventive Erwägungen zur Festlegung der konkreten Strafe berücksichtigen, solange Überschreitung und Unterschreitung von Schuld vermieden werden.29 Mit der Einräumung von Verfassungsrang für das Schuldprinzip geht nämlich auch einher, dass eine Bestrafung jenseits des Maßes an Schuld allein aus präventiven Gründen nicht möglich ist.30 Dem Schuldprinzip kommt damit unmittelbar freiheitschützende Wirkung zu.31 Das Schuldprinzip hat in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB hinreichend Ausdruck gefunden. Diese Norm bestimmt, dass die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe ist.32

III. In Deutschland anerkannte Strafzwecke Nach Austragung des sog. „Schulenstreits“33 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hat sich schließlich in den zwanziger Jahren mit der Herausbildung der noch heute herrschenden sog. Vereinigungstheorien ein Kompromiss hinsichtlich der verschiedenen Straftheorien durchgesetzt. Bis heute handelt es sich bei den Vereinigungstheorien um die in Literatur und Praxis herrschenden Strafzwecktheorien in Deutschland.34 Gemeinsam ist allen Vereinigungstheorien, dass der mit der Androhung, Verhängung und Vollstreckung von Strafe verfolgte Zweck nicht je isoliert auf Schuldvergeltung, Resozialisierung, Individual- oder Generalprävention bezogen wird, sondern alle Aspekte bei der Bestimmung der Strafzwecke berücksichtigt 28

Streng, JZ 2011, S. 616; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 46, Rn. 26. Vgl. BGHSt 20, S. 264, 266 f.; BGHSt 24, S. 132, 133; Streng, JZ 2011, S. 617; Streng, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 46, Rn. 97; Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff., Rn. 60; Streng, Das Legitimations-Dilemma sichernden Freiheitsentzugs, S. 616. Abgelehnt wird die Heranziehung von Präventionsaspekten bei der Ermittlung der konkreten Strafe von den Anhängern der sog. „Stellenwerttheorie“, siehe ausführlich dazu Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff., Rn. 60 ff. 30 Mushoff, Strafe-Maßregel-Sicherungsverwahrung, S. 9. 31 Mushoff, S. 9; Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff. StGB, Rn. 70. 32 Mushoff, S. 9, Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 13 ff., Rn. 103/104. 33 Siehe ausführlich unter 1. Teil B., I. Danach bekämpften die Anhänger der auch von Kant und Hegel vertretenen absoluten Straftheorien („klassische Schule“) die von Franz von Liszt propagierte Umgestaltung des bisherigen vergeltenden Tatstrafrechts in ein präventionsorientiertes Täterstrafrecht (sog. „moderne Schule“); siehe Leyendecker, (Re-)Sozialisierung und Verfassungsrecht, S. 49; Hörnle, Straftheorien, S. 15 – 20. Ausführlich zur historischen Entwicklung der in Deutschland vorherrschenden Strafzwecke siehe Leyendecker, S. 42 ff.; Koriath, Jura 1995, S. 625 ff. zur Vereinigungstheorie im 19. und 20. Jahrhundert. 34 Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vorbem. § 1, Rn. 286; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 38 ff. StGB, Rn. 11. 29

A. Das Strafrechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland

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werden sollen.35 Die Schuld des Täters ist zwar weiterhin Ausgangspunkt für die Bemessung der Strafe; unter Berücksichtigung derselben kann die Strafe aber durch general- und spezialpräventive Erwägungen ausgestaltet werden.36

IV. Zur Bedeutung des Resozialisierungsgedankens in Deutschland Die Bedeutung des Resozialisierungsgedankens durchlief in Deutschland verschiedene Phasen, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Während der Resozialisierungsgedanke im Zuge der Entwicklung der Vereinigungstheorien in der Weimarer Republik vorherrschend war, wurden unter dem NSRegime Vergeltung und Abschreckung alleinige Strafzwecke. In den sechziger Jahren wurde der Resozialisierungsgedanke in der Kriminalpolitik wieder deutlich in den Vordergrund gestellt: Nachdem zunächst die einzelnen Länder Strafvollzugsgesetze erließen, die als Vollzugsziel die Resozialisierung vorsahen, trat 1976 schließlich das Strafvollzugsgesetz des Bundes in Kraft, welches in § 2 StVollzG ausdrücklich die Resozialisierung als Vollzugsziel festlegt und das Angebot von Behandlungsprogrammen fordert.37 Ende der siebziger bis Anfang achtziger Jahre war international wegen der Ernüchterung angesichts der fehlenden Effizienz von Behandlungsprogrammen hinsichtlich der Rückfallquote eine Abwendung vom Resozialisierungsgedanken feststellbar.38 Auch in Deutschland setzte ein genereller Trend zur Stärkung der Opferrechte ein und der Gedanke der Wiedergutmachung rückte in den Vordergrund.39 Trotz dieser bis heute andauernden sog. „Krise des Resozialisierungskonzepts“40 ist der Strafzweck der Prävention weiterhin als vorherrschend in Deutschland anzusehen.41 Die Vielzahl an bis dato herausgebildeten Vereinigungstheorien, die untereinander stark differieren, stimmen nämlich überwiegend darin überein, dass Strafe 35

Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff StGB, Rn. 51. Ausführlicher zu den einzelnen Vereinigungstheorien siehe Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 38 ff., Rn. 11; Koriath, Jura 1995, S. 625 ff. 36 Leyendecker, S. 49; Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff. StGB, Rn. 53; Calliess, NJW 1989, S. 1339. 37 Leyendecker, S. 51. 38 Leyendecker, S. 51 f.; Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff., Rn. 43. 39 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 38 ff. StGB, Rn. 25. 40 Ausführlich hierzu etwa Roxin, Wandlungen der Strafzwecklehre, S: 701 ff.; Weigend, ZStW 94 (1982), S. 801 ff. 41 Leyendecker, S. 52; Bock, JuS 1994, S. 96; Alroth, GA 1988, S. 405 ff.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

zwar durch Schuld begrenzt wird, innerhalb dieser Grenzen aber vornehmlich präventive Zwecke verfolgt.42 Dies liegt nicht zuletzt an verfassungsrechtlichen Vorgaben, die eine alleinige Begründung von Strafen mit absoluten Straftheorien wegen des Gebots der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip verbieten.43 Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spiegelt sich die besondere Bedeutung von Resozialisierung im deutschen Strafvollzug wider: Grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung verschiedener Strafzwecke weitestgehend Gestaltungsfreiheit zukommt.44 Bemerkenswert ist jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht allein dem Strafzweck der Resozialisierung Verfassungsrang eingeräumt hat.45

V. Die Zweispurigkeit des Sanktionensystems des Strafgesetzbuches Der Entscheidung für die Schuldbindung der Strafe ist es auch zu verdanken, dass das geltende deutsche Strafrechtssystem durch die sog. Zweispurigkeit der Unrechtssanktionen geprägt ist.46 Die Zweispurigkeit des deutschen Strafrechts geht zurück auf das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. 11. 1933.47 Danach ist die Strafe (§§ 38 bis 43 StGB) das Hauptreaktionsmittel auf rechtswidrig begangene und schuldhafte Taten. Die 42

Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 46, Rn. 2. Leyendecker, S. 52. 44 Grasberger, Verfassungsrechtliche Problematiken der Höchststrafen in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, S. 62; Arloth, GA 1988, S. 413. So heißt es: „Das geltende Strafrecht und die Rechtsprechung folgen weitgehend der Vereinigungstheorie, die – allerdings mit verschieden gesetzten Schwerpunkten – versucht, sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Dies hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber von Verfassung wegen zukommenden Gestaltungsfreiheit, einzelne Strafzwecke anzuerkennen, sie gegeneinander abzuwägen und miteinander abzustimmen. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung nicht nur den Schuldgrundsatz betont, sondern auch die anderen Strafzwecke anerkannt.“ (BVerfGE 45, 187, 253; 91, 1, 31; BVerfG, Beschluss vom 16. 03. 1994 – 2 BvR 202/93, NStZ 1994, S. 578; BVerfG, Beschl. v. 2. 11. 1994 – 2 BvR 268/92, NJW 1995, S. 1081). 45 „Als Träger der aus der Menschenwürde folgenden und ihren Schutz gewährleistenden Grundrechte muss der verurteilte Straftäter die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen. Vom Täter aus gesehen erwächst dieses Interesse an der Resozialisierung aus seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1. i.V.m. Art. 1 GG.“ (BVerfGE 35, 202, 235 f.; bestätigend BVerfGE 66, 337, 360; 86, 288, 312; BVerfG, Beschluss vom 7. 6. 1993 – 2 BvR 1907/91, StV 1994, S. 94; BVerfG, Beschl. vom 14. 8. 1995 – 2 BvR 2267/95, StV 1997, S. 30; BVerfG, Beschl. vom 2. 3. 1998 – 2 BvR 77/97, NStZ 1998, S. 374. (Leyendecker, S. 144, S. 79; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 61; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 247; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 107). 46 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 38 ff., Rn. 22; Mushoff, S. 9. 47 Ausführlicher dazu siehe 1. Teil, B., II. 43

A. Das Strafrechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland

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Sicherung der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern ist als Strafzweck nur im Rahmen der schuldangemessenen Strafe legitim.48 Über das Maß der schuldangemessenen Strafe hinaus kann das Sicherheitsinteresse des Staates vor gefährlichen Straftätern jedoch nur über die Anordnung einer sog. Maßregel der Besserung und Sicherung erfüllt werden, die allein präventiver Natur ist.49 Im Gegensatz zur Strafe dienen die in § 61 StGB aufgelisteten Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht der Ahndung begangenen Unrechts. Sie sollen darauf abzielen, gefährliche Täter zu bessern und/oder die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen. Anders als Strafen werden Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht als Antwort auf eine Tat angeordnet, sondern die Tat wird vielmehr zum Anlass genommen, den Täter an der Begehung weiterer Straftaten zu hindern. Somit unterliegen die Maßregeln auch nicht dem Schuldprinzip, sondern allein dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.50 Mit Maßregeln der Besserung und Sicherung sind nicht nur Maßnahmen gegen schuldfähige Täter möglich; es kann auch auf rechtswidrige Handlungen schuldunfähiger adäquat reagiert werden.51 Das Strafgesetzbuch sieht als freiheitsentziehende Maßregeln die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB); die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) vor.52 Diese Arbeit soll sich mit der in den §§ 66 ff. StGB geregelten Sicherungsverwahrung beschäftigen. Die Maßregel der Sicherungsverwahrung ermöglicht die Unterbringung von gefährlichen, aber strafrechtlich voll verantwortlichen Tätern nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe zum Schutz der Allgemeinheit.

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Streng, JZ 2011, S. 616, siehe auch BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 162. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 38 ff. , Rn. 22; Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 3 ff. 50 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 22. 51 Baier, Jura 2004, S. 552. So können beide Sanktionsformen sowohl alternativ als auch kumulativ zur Verfügung stehen: Begeht ein Täter schuldhaft ein Verkehrsdelikt gem. § 316 StGB, kann er bestraft werden und zugleich die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis gegen ihn verhängt werden. Begeht ein Täter jedoch im Zustand der Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB oder verminderten Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB eine Straftat, kann er nicht bestraft werden, es kann aber die Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus gem. § 63 Abs. 1 StGB angeordnet werden, sollte der Täter infolge seines Zustands für die Allgemeinheit gefährlich sein (Münchener Kommentar, StGB, Band 1, Einleitung, Rn. 5). 52 Hinzu kommen die Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot (S. §§ 61 ff. StGB). 49

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

B. Die frühe rechtsgeschichtliche Entwicklung der Sicherungsverwahrung – Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter Wie sich im Folgenden herausstellen wird, sah das deutsche Sanktionssystem nicht immer die Unterscheidung von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung vor. Es erscheint daher sinnvoll, die Gründe für die Einführung der Maßregeln zu ermitteln, um die hohe rechtspolitische Brisanz der Sicherungsverwahrung besser einordnen zu können.

I. Die Entwicklung bis zum Ende der Weimarer Republik Auch wenn der Umgang mit gefährlichen Rückfalltätern gerade die kriminalpolitische Debatte der letzten Jahrzehnte besonders geprägt hat, reicht das gesellschaftliche Bedürfnis nach Sicherheit vor besonders gefährlichen Rückfalltätern weit in die Strafrechtsgeschichte zurück. Da über Jahrhunderte die in der Form von Leibes- und Todesstrafe auferlegte Strafe derart hart war, dass sie zugleich Sicherungsbedürfnisse der Gesellschaft erfüllte, war die Einführung der Maßregeln der Besserung und Sicherung lange Zeit nicht erforderlich. Vor der Einführung der Freiheitsstrafe im eigentlichen Sinne, die in der Strafrechtsgeschichte relativ jung ist, wurden Straftäter insbesondere im 15. und 16. Jahrhundert zum Zwecke der Unschädlichmachung und Abschreckung einfach hingerichtet oder verstümmelt.53 Erste Ansätze präventiver Maßregeln finden sich in Deutschland in der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V., der „Constitutio Criminalis Carolina“ aus dem Jahre 1532.54 Gem. Art. 176 CCC55 konnten Personen auf unbestimmte Zeit in Verwahrung genommen werden, wenn Rückfallgefahr bestand und von den Personen keine Sicherheit erbracht werden konnte. Erstaunlich ist die in Art. 176 enthaltene Forderung, dass eine solche Maßnahme „nicht leychtfertigklich“ oder „on mergklich verdechtlichkeyt künfftiges“ und nur „mit Radt der rechtsuerstendigen“ verhängt 53 Riebe, Die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung, S. 5; Müller, Anordnung und Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, S. 25; Henkel, ZStW 57 (1938), S. 702, Mushoff, S. 10. 54 Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 8; Sturm, Die Sicherungsverwahrung in Deutschland und England, S. 10; Mushoff, S. 10; Lange, Die Kriminalprognose im Recht der Sicherungsverwahrung, S. 22. 55 Abgedruckt in Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, 5. Auflage, Stuttgart 1975, S 110 f. Die Überschrift zu Art. 176 CCC lautet wie folgt: „Von straff oder versorgung der personen von den man auß erzeygten vrsachen, übels und missethatt warten muß“ (Ebner, Die Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit deutschem Verfassungsrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 23).

B. Die frühe rechtsgeschichtliche Entwicklung der Sicherungsverwahrung

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werden dürfe.56 Dennoch ist eine dogmatisch scharfe Trennung von Strafe und Maßregel in dieser Zeit nicht gegeben; Strafe und Maßregel gingen vielmehr ineinander über.57 Erst im Zuge der Aufklärungsbewegung, die sich dem vorherrschenden System der Leibes- und Lebensstrafen widersetzte und auf eine Humanisierung des Strafrechts hinwirkte, unterschied der Schöpfer des Allgemeinen Preußischen Landrechts, Ernst Ferdinand Klein, erstmals die Strafe von den präventiven Sicherungsmitteln.58 So sah § 5 Abs. 2 Ziff. 20 ALR vor, dass „Diebe und andere Verbrecher, welche ihrer verdorbenen Neigungen wegen dem gemeinen Wesen gefährlich werden können“ auch nach Verbüßung ihrer Strafe aufgrund einer präventiven Maßnahme untergebracht werden können, bis „sie sich auf eine ehrliche Art zu ernähren im Stande sind.“59 Jedoch wurde diese durch Klein eingeführte Trennung bereits fünf Jahre später wieder aufgegeben und mit Verordnung vom 26. 02. 1799 durch eine einheitliche Sicherungsstrafe von unbestimmter Dauer ersetzt.60 Begründet wurde die Aufgabe dieser Maßnahme mit den gleichen tatsächlichen Bedingungen für präventive Maßnahmen und Strafen, die beide in alten Festungen und Zuchthäusern vollstreckt werden.61 Bemerkenswert dabei ist, wie der hochaktuelle Kritikpunkt des „Etikettenschwindels“62 bei der Unterscheidung von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung bereits im späten 18. Jahrhundert angeführt wurde.63 Vor der Einführung der Maßnahme der Sicherungsverwahrung standen sich zwei Grundpositionen der Straftheorie als unvereinbar gegenüber.64 Nach der sog. „klassischen Strafrechtsschule“, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschend war und auf den Lehren von Kant und Hegel beruht, dient die Strafe allein der Vergeltung und Sühne und soll das durch die Tat begangene Übel wieder ausgleichen. Demgegenüber befürwortete Franz von Liszt in seinem Marburger Programm von 56

Ebner, S. 24; Mushoff, S. 11; Finger, Vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung, S. 25; Kinzig, Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 8; Milde, Die Entwicklung der Normen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung in den Jahren von 1998 bis 2004, S. 5. 57 Mushoff, S. 11; Ebner, S. 24; Finger, S. 25; Wacker, Sicherungsverwahrung und Grundgesetz, S. 4. 58 Sturm, S. 10; Ebner, S. 24, Mushoff, S. 11. 59 Abgedruckt in: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Textausgabe, Frankfurt am Main/Berlin 1970, S. 666. 60 Ebner, S. 24; Mushoff, S. 11. 61 Kinzig, Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, 1996, S. 9; Karmrodt, Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht, S. 3. 62 Kinzig spricht in „Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand“ von „Etikettenschwindel“, siehe S. 9, 117. Der Vorwurf geht jedoch bereits auf Kohlrausch zurück (ZStW 44 [1924], S. 33), siehe Kunz, Die Sicherung als gefährlich eingestufter Rechtsbrecher, S. 82. 63 Ebner, S. 24; Sturm, S. 11, Karmrodt, S. 4. 64 Sturm, S. 11.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

1882 die Vorstellung, dass Strafe den Zweck verfolge, die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern zu schützen (sog. „Marburger Schule“).65 Zwischen den Anhängern eines zweckorientierten Strafrechts und des klassischen Vergeltungsstrafrechts entwickelte sich eine strafrechtswissenschaftliche und philosophische Diskussion, die gemeinhin als sog. „Schulenstreit“ bezeichnet wird.66 Auch wenn von beiden Seiten das kriminalpolitische Bedürfnis der Einführung präventiver Maßnahmen gegen Rückfalltäter und Schuldunfähige erkannt wurde, konnte zunächst keine Einigung erzielt werden.67 Zumindest konnte die Diskussion jedoch ein wenig durch den Vorentwurf des schweizerischen Strafgesetzbuchs von Carl Stooss 1893 entschärft werden, da er neben der auf dem Vergeltungsgedanken beruhenden Strafe auch präventive Maßregeln vorsah. Dieses System der Zweispurigkeit ist von der deutschen Strafrechtsreformbewegung übernommen worden.68 Die darauf folgenden Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch sahen alle neben der Strafe auch Maßregeln der Besserung und Sicherung vor, keiner dieser Entwürfe wurde jedoch gesetzlich umgesetzt.69

II. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gewohnheitsverbrechergesetz Erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die präventive Maßnahme der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über die Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 24. November 193370, das am 01. Januar 1934 in Kraft trat, eingeführt. Die Aufgabe des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ bestand darin, den „Schutz der Volksgemeinschaft“ gegen „verbrecherische Schädlinge“ in den Vordergrund zu rücken.71 Die Neuregelung sollte als „Waffe im Kampfe gegen die schwere und schwerste Kriminalität, insbesondere das gemeingefährliche Verbrechertum“ eingesetzt werden.72 Im Unterschied zu den bisherigen Gesetzesentwürfen verfolgte das 65

Sturm, S. 11; Ebner, S. 24; Riebe, S. 6 ff.; Mushoff, S. 12 f.; Karmrodt, S. 4 f.; Sprung, Nachträgliche Sicherungsverwahrung – verfassungsgemäß?, S. 17. 66 Mushoff, S. 12; Ebner, S. 24; Schewe, Die Geschichte der Sicherungsverwahrung, S. 20 f. 67 Mushoff, S. 14. 68 Ebner, S. 25; Mushoff, S. 14 ff. 69 Ebner, S. 25; Finger, S. 27; Mushoff, S. 14 ff.; Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 9 ff. Detailliert zu den einzelnen Entwürfen siehe Jansing, Nachträgliche Sicherungsverwahrung, S. 16 ff. 70 RGBl. L. S. 995. 71 So lautete die Gesetzesbegründung, Deutscher Reichs—und Preußischer Staatsanzeiger vom 27. 11. 1933, S. 2, zitiert nach Mushoff, S. 18. 72 Rietzsch, DJ 1933, S. 741 ff.

B. Die frühe rechtsgeschichtliche Entwicklung der Sicherungsverwahrung

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Gewohnheitsverbrechergesetz eine bevölkerungspolitische Zielsetzung und stand daher mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ im engen Zusammenhang.73 Eine verfassungsrechtliche Legitimation wurde nicht angestrebt; die Legitimität der Sicherungsverwahrung wurde allein mit dem „uneingeschränkten Vorrang (…) des Schutzes der Volksgemeinschaft“ begründet.74 Die Anordnung der Sicherungsverwahrung setzte gem. § 20a RGStB voraus, dass die sicherungsverwahrte Person als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu einer Strafschärfung verurteilt worden ist, ohne dass eine Definition eines Gewohnheitsverbrechers im Gesetz vorhanden war.75 Gemäß § 42e StGB war die Sicherungsverwahrung im Urteil anzuordnen, wenn die Voraussetzungen des § 20a vorgelegen haben und die „öffentliche Sicherheit“ die Anordnung erforderlich machte. Gegenüber bisherigen Gesetzesentwürfen sah das Gewohnheitsverbrechergesetz weitreichende Verschärfungen vor.76 Als Besonderheit ist insbesondere die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung hervorzuheben.77 Dabei handelte es sich jedoch nur um eine Übergangsregelung für Täter, die sich am 01. 01. 1934 bereits in Haft befanden. Eine über die Übergangszeit hinausgehende Ermächtigungsgrundlage wurde abgelehnt.78 Wegen der Absenkung formeller Voraussetzungen und der damit einhergehenden erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs nimmt es auch kein Wunder, dass die Sicherungsverwahrung von den Nationalsozialisten extensiv angeordnet wurde: Bis 1945 sind etwa 16.000 Personen zur Sicherungsverwahrung verurteilt worden.79 Noch bis heute haftet dem Institut der Sicherungsverwahrung aufgrund ihrer Einführung unter dem nationalsozialistischen Regime ein gewisser Makel an. Große Teile des Schrifttums klassifizierten die Sicherungsverwahrung als ausschließlich 73

Mushoff, S. 18. Karmrodt, S. 11; Jansing, S. 25. 75 Im Kommentar von Schäfer/Wagner/Schafheutle ist der Täter dadurch gekennzeichnet, „dass seine verbrecherische Betätigung auf einem in seiner Persönlichkeit verwurzelten Hang zum Verbrechen beruht, der seinen äußeren Ausdruck in mindestens drei erheblichen Straftaten gefunden hat und es wahrscheinlich macht, dass der Täter auch künftig weitere nicht unerhebliche Straftaten begehen wird.“ (Schäfer/Wagner/Schafheutle, GewVerbrG, Art. 1 Ziff. 1, § 20 a StGB, S. 59, Rn. 35). 76 Mushoff, S. 18; Karmrodt, S. 12. 77 Diese Möglichkeit ist in Art. 5 Nr. 2 des Gewohnheitsverbrechergesetzes i.V.m. Art. 14 des Ausführungsgesetzes zum Reichsstrafgesetzbuch normiert (Ausführungsgesetz zu dem Gesetz gegen Gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 24. 11. 1933, RGBl. I S. 1000); siehe Ebner, S. 25; Karmrodt, S. 13. 78 Mushoff, S. 22; Karmrodt, S. 13. 79 Riebe, S. 10; Mushoff, S. 22; Ebner, S. 25. Die Sicherungsverwahrung wurde häufig gegen sog. gemeinlästige Personen angeordnet, die kleine Diebstähle und Betrügereien begangen hatten; gegen Sexual-und Gewaltstraftäter erging die Sicherungsverwahrung jedoch selten (Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand S. 16 ff.; Mushoff, S. 26). 74

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

nationalsozialistische Willkürmaßregel, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sei.80 Eine solche Sichtweise verkennt jedoch, dass die Nationalsozialisten sich vom „Marburger Programm“ von Franz von Liszt distanzierten. Während für von Liszt der rechtsstaatliche Schutz des Einzelnen und der Resozialisierungsgedanke im Vordergrund standen, diente die Sicherungsverwahrung in der NS-Ideologie allein dem Schutz der Volksgemeinschaft.81 Angesichts der Wurzeln der Sicherungsverwahrung in den liberalen Ideen von Franz von Liszt und der Distanzierung des nationalsozialistischen Verständnisses der Sicherungsverwahrung von diesen Ideen erscheint die Charakterisierung dieser Maßnahme als spezifisch nationalsozialistisch unbegründet.82

III. Die Entwicklung des Rechts der Sicherungsverwahrung nach 1945 Nach Ende des zweiten Weltkriegs wurden die Regelungen zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung im Wesentlichen unverändert in das Strafgesetzbuch übernommen. Erst durch das erste Strafrechtsreformgesetz vom 25. 06. 1969 wurde das Recht der Sicherungsverwahrung grundlegend geändert. Ziel dieser Reform war es, die Sicherungsverwahrung als „ultima-ratio“-Maßnahme auszugestalten, so dass sie tatsächlich nur gegen gefährliche Straftäter angeordnet wird.83 So wurden die Anforderungen an die Vorstrafen angehoben, die grundsätzliche Voraussetzung einer Vorverbüßung eingeführt und das zu verwirkende Strafmaß der Anlasstat verschärft.84 Im Zuge des zweiten Strafrechtsreformgesetzes vom 04. 07. 1969 wurde § 42e StGB in § 66 StGB umbenannt. Der Begriff des Gewohnheitsverbrechers wurde durch den des Hangtäters ersetzt, da der Grund des Hangs nicht zwangsläufig auf Gewohnheit beruhen müsse.85 Zudem wurde unter Hinweis auf das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Bestimmtheitsgebot die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gem. § 67d Abs. 1 StGB auf eine Höchstdauer von zehn Jahren beschränkt.86 Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung hatte zur Folge, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten nach der Strafrechtsreform deutlich sank.87 80 Nachweise hierzu in Mushoff, S. 45; Bender, Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, S. 21 f.; Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 19 f.; Sturm, S. 16. 81 Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 18; Mushoff, S. 45. 82 Sturm, S. 16. 83 Mushoff, S. 27, Ebner, S. 26. 84 Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 21; Mushoff, S. 27. 85 BT-Drs. IV/650, S. 214; siehe Nachweis bei Mushoff, S. 27. 86 BT-Drs. 7/2222, S. 2 f.; Mushoff, S. 27. 87 Während es im Jahr 1965 noch 902 sicherungsverwahrte Personen in Deutschland gab, waren es 1975 nur noch 337 und 1980 nur noch 208 Personen (Mushoff, S. 44).

C. Frühe Entscheidungen des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

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In der ehemaligen DDR hob das oberste Gericht mit Urteil vom 23. 12. 1952 die Vorschriften zur Sicherungsverwahrung auf, da sie als „inhaltlich faschistisch“ eingestuft wurden.88 Ein mit der Sicherungsverwahrung vergleichbares Rechtsinstitut existierte im Strafrecht der DDR nicht. Für einen Rückfalltäter waren jedoch Strafschärfungen vorgesehen. Die Sicherungsverwahrung trat durch das „Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung“ am 1. 8. 1995 in den neuen Bundesländern in Kraft.89

C. Frühe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung I. Frühe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vollstreckung und zum Vollzug der Sicherungsverwahrung Bereits in sehr frühen Urteilen hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit verfassungsrechtlichen Fragen rund um die Sicherungsverwahrung auseinanderzusetzen. Die erste Entscheidung solcher Art erging am 30. Januar 1953.90 Darin machte der Beschwerdeführer geltend, dass seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine verfassungswidrige Freiheitsbeschränkung im Sinne des Art. 104 Abs. 1 GG darstelle, da sie genauso vollstreckt werde wie die Zuchthausstrafe, also die reguläre Freiheitsstrafe. Einen Verstoß gegen Art. 104 Abs. 1 GG konnte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht erkennen, da eine materiell-rechtliche Grundlage für die Sicherungsverwahrung in Form des § 42e StGB (Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung) gegeben sei. Die Verfassung schreibe nicht die Art und Weise vor, wie der Vollzug der Sicherungsverwahrung ausgestaltet werden solle. Dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung dem Vollzug der Freiheitsstrafe weitgehend entspricht – wie das Bundesverfassungsgericht selbst einräumt –, berühre ferner nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Auch wenn mit der Sicherungsverwahrung und der Gefängnis- und Zuchthausstrafe jeweils andere Zwecke verfolgt werden, seien „stichhaltige Gründe vorhanden, die es rechtfertigen, den Vollzug der Sicherungsverwahrung dem Vollzug einer Strafe im wesentlichen anzugleichen“. Sicherungsverwahrung und Strafvollzug könnten 88

OG, Urteil vom 23. 12. 1952, Az. 3 Ust III 28/52= NJ 1953, 54 (54 f.) Mushoff, S. 28 f.; Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 24 f. 90 Vgl. BVerfGE 2, 118; ausführlich zu dieser Entscheidung siehe Mushoff, S 309; Dessecker, ZIS 2011,S. 706. 89

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

beide allein mittels Freiheitsentziehung durchgeführt werden und aus Sicherheitserwägungen müsse die bei der Sicherungsverwahrung erforderliche Freiheitentziehung ebenso streng überwacht werden wie beim Strafvollzug. Daher bleibe „für eine Unterscheidung zwischen dem Vollzug der Strafe und dem Vollzug der Sicherungsverwahrung nur ein verhältnismäßig bescheidener Raum.“91 Fernab dieser Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinen frühen Jahren nur mit untergeordneten Teilaspekten der Sicherungsverwahrung auseinandergesetzt. Unter den wenigen veröffentlichten Entscheidungen finden sich Ausführungen zu formellen Voraussetzungen für die Vollstreckung und den Vollzug der Sicherungsverwahrung. So beschäftigte sich das Gericht 1976 mit der Frage, ob der Vollzug der im Strafurteil angeordneten Sicherungsverwahrung im Einklang mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 104 GG steht, auch wenn die Strafvollstreckungskammer über die Erforderlichkeit des Vollzugs gem. § 67c Abs. 1 StGB noch nicht entschieden hat.92 Das Gericht kam dabei zu dem Ergebnis, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung auch vor Abschluss des Prüfungsverfahrens durch die Strafvollstreckungskammer keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Im Rahmen weiterer Entscheidungen beschäftigte sich das Gericht etwa mit der Notwendigkeit der Einholung neuer Sachverständigengutachten vor der Prüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung93 sowie eines Anspruchs auf rechtliches Gehör im Rahmen der Entscheidung über die bedingte Entlassung.94

II. Erstmalige Überprüfung der Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht Bereits im Jahre 1977 hatte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Grundsatzentscheidung über die Vereinbarkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit dem Grundgesetz festgestellt, dass einem gemeingefährlichen Straftäter über seine Strafverbüßung hinaus die Freiheit mittels Sicherungsverwahrung entzogen werden darf, um die Allgemeinheit zu schützen.95 91

BVerfGE 2, 118 (120). BVerfGE, 42, 1 ff. 93 BVerfG, Beschluss v. 15. 3. 1993 – 2 BvR 2062/92, BVerfG NJW 1994, S. 510. Wegen der nunmehr normierten Begutachtungspflicht gem. §§ 463 Abs. 3 S. 3, 454 Abs. 2 StPO sind uneinheitliche Kammerbeschlüsse über die verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Verfahren nach § 67c StGB inzwischen überholt (Renzikowski, ZIS 2011, S. 706). 94 BVerfGE 17, 139 ff.; 18, 419 ff.; zum Anspruch auf rechtliches Gehör vor der Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung später BVerfG, 2 BvR 2229/00 v. 21. 08. 2001. Zum Ganzen siehe Frisch, Das Bundesverfassungsgericht und die Sicherungsverwahrung, S. 959. 95 BVerfGE 45, 187, 183. 92

C. Frühe Entscheidungen des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

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Die Vereinbarkeit des Instituts der Sicherungsverwahrung als solchem mit dem Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht jedoch erst im Jahre 1995 erörtert.96 Der Beschwerdeführer machte im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend, dass die gegen ihn ergangene Anordnung der Unterbringung in die Sicherungsverwahrung verfassungswidrig sei. Im Rahmen eines Nichtannahmebeschluss führte das Gericht aus, dass die Vorschriften des § 66 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Einen Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht gem. Art. 104 Abs. 1 GG konnte das Gericht nicht erkennen, da die im Strafgesetzbuch enthaltenen Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung den Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt genügen würden. Die formellen Voraussetzungen für eine Unterbringung seien detailliert geregelt; zudem habe der Gesetzgeber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kodifiziert und sehe die Prüfung vor, ob der Sicherungszweck auch durch andere Maßnahmen erfüllt werden könne. Auch der Bestimmtheitsgrundsatz sei nicht verletzt, da unbestimmte Rechtsbegriffe sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen würden. Im Hinblick auf die unbestimmte Dauer der Unterbringung in die Sicherungsverwahrung ergäben sich keine Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Bestimmtheit, da die Dauer der Unterbringung in jedem Falle auf zehn Jahre beschränkt sei. Auch ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung sei nicht gegeben, da es sich bei der Sicherungsverwahrung gerade nicht um eine Strafe, sondern um eine Maßregel der Besserung und Sicherung handele. Die strikte Unterscheidung zwischen Strafe und Maßregel beruhe auf dem dualistischen Sanktionensystem des Strafgesetzbuches, gegen welches keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden. Zudem werde die einem Verurteilten im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip eingeräumte reelle Chance auf Wiedergewinnung von Freiheit durch die Sicherungsverwahrung nicht berührt. Nach lebenslanger Freiheitsstrafe werde die Sicherungsverwahrung schließlich grundsätzlich nicht angeordnet. Da der Gesetzgeber vor dem Ende des Vollzugs einer zeitigen Freiheitsstrafe stets das Vorliegen der Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung prüfe und im Falle deren Wegfalls die Aussetzung des Vollzugs vorsehe, bleibe für den Betroffenen weiterhin eine hinreichend konkrete Aussicht auf Wiederentlassung in die Freiheit. Auch die zeitliche Höchstdauer der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren, die Überprüfung der Voraussetzungen in zeitlichen Abständen von höchstens zwei Jahren sowie die Ausrichtung des Vollzugs auf Resozialisierung belege den Einklang der Sicherungsverwahrung mit dem in Art. 1 GG verankerten Schutz der Menschenwürde.

96 Beschluss vom 27. 09. 1995 – 2 BvR 1734/90, BVerfG NStZ-RR 1996, S. 122; siehe hierzu Milde, S. 84; Dessecker, ZIS 2011, S. 706.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

D. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2004 und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber Das Bundesverfassungsgericht erließ im Februar 2004 innerhalb weniger Tage zwei grundlegende Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung. Gegenstand dieser Entscheidungen waren eine Reihe von Verschärfungen, die der Gesetzgeber am Institut der Sicherungsverwahrung seit Ende der 1990er Jahre vorgenommen hat. Diese sind Ausdruck einer kriminalpolitischen Trendwende, dem kollektiven Sicherheitsinteresse vor gefährlichen Straftätern einen weitaus höheren Stellenwert als dem individuellen Freiheitsinteresse einzuräumen. Im Folgenden sollen die am Recht der Sicherungsverwahrung vorgenommenen Veränderungen dargelegt werden, bevor die Reaktion des Bundesverfassungsgerichts näher untersucht werden soll.

I. Die kriminalpolitische Trendwende in Deutschland seit 1998 1. Die kriminalpolitische Ausgangslage Bis in die Mitte der 1990er Jahre wurde die Sicherungsverwahrung zunehmend seltener angeordnet und verlor infolgedessen an kriminalpolitischer Bedeutung.97 Für viele Stimmen in Wissenschaft und Politik drohte die Sicherungsverwahrung in die Bedeutungslosigkeit zu versinken und sollte daher besser gänzlich abgeschafft werden.98 Diese Entwicklung sollte jedoch schlagartig ins Gegenteil umschlagen. Das Institut der Sicherungsverwahrung sollte eine regelrechte Renaissance99 erleben. Dieser gesellschaftliche Wandel wurde durch einige spektakuläre Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge, insbesondere den zwei folgenden Verbrechen, angestoßen:100

97 Die Zahl der sicherungsverwahrten Personen sank 1990 auf einen historischen Tiefstand von 182 Personen; 1995 waren es 183 Personen (Mushoff, S. 44). 98 Eine Abschaffung befürwortete etwa Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 600; PDS, Gesetzesentwurf vom 03. 11. 1995, BT-Drs. 13/2859; Weichert, StV 1989, S. 265 f.; zu einem allmählichen Aussterben der Sicherungsverwahrung siehe Blau, Die Sicherungsverwahrung – ein Nekrolog?, S. 761; zitiert nach Ebner, S. 27; Alex, Nachträgliche Sicherungsverwahrung, S. 1. 99 So auch der gleichnamige Titel eines Artikels von Laubenthal, 116 ZStW (2004), S. 703 ff. 100 Milde, S. 39; Sturm, S. 24; Mushoff, S. 29; Ebner, S. 27; Finger, S. 30.

D. Entscheidungen des BVerfG und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber

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Die siebenjährige Natalie Astner101 aus dem bayerischen Epfach wurde am 20. 09. 1996 sexuell missbraucht. Nachdem der Täter sie gewürgt und bewusstlos geschlagen hatte, warf er das Kind in die Lech, in der Natalie schließlich ertrank.102 Der einige Zeit später festgenommene Täter Arnim S. war 1993 wegen sexueller Nötigung zu viereinhalb Freiheitsstrafe verurteilt worden, war jedoch bereits im Juli 1995 wegen günstiger Sozialprognose vorzeitig entlassen worden. Im zweiten Fall, der sich im niedersächsischen Varel ereignete, ermordete der 34jährige Rolf D. am 09. Januar 1997 die 10-jährige Kim Kerkow.103 Rolf D. hatte bereits 18 Jahre zuvor ein 12-jähriges Mädchen ermordet und gestand zudem, zwei Jungen sexuell misshandelt zu haben. Auch die Ermittlungen in Belgien gegen Marc Dutroux erregten in den deutschen Medien und in der Bevölkerung großes Aufsehen. 1996 wurden auf dem Grundstück von Marc Dutroux die Leichen mehrerer entführter Mädchen gefunden. Auch Dutroux war zuvor wegen Entführung und Vergewaltigung Minderjähriger im Jahre 1989 zu dreizehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, jedoch bereits nach drei Jahren vorzeitig entlassen worden.104 Diese Sexualstraftaten lösten eine Welle der Empörung in der Bevölkerung sowie den Medien aus.105 Forderungen nach einer politischen Reaktion auf dieser Ereignisse wurden laut. Es wurde nachdrücklich der Vorwurf erhoben, der Gesetzgeber gehe zu lasch mit amtsbekannten Rückfalltätern um und biete keinen umfassenden Schutz der Bevölkerung vor solchen Tätern.106 In den Massenmedien wurde zunehmend über Sexualstraftaten berichtet, so dass sich der Leser nicht des Eindrucks erwehren konnte, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen seien.107

101 Der Fall Natalie wird ausführlich dargestellt in: Der Spiegel 1996, Heft 40, Titel: Schrei der Hilflosigkeit, S. 31 f.; siehe auch Brandt, Sicherheit durch nachträgliche Sicherungsverwahrung, S. 4. 102 Sturm, S. 24; Schall/Schreibauer, NJW 1997, S. 2413. 103 Ausführlich zu diesem Fall siehe Kusch, ZRP 1997, 89 ff. 104 Mushoff, S. 29; Ebner, S. 27. 105 Schöch, NJW 1998, S. 1257. 106 Sturm, S. 25; Ullenbruch, NStZ 1998, S. 326; Stolpmann, NStZ 1997, S. 316. 107 Mushoff, S. 29. Tatsache ist jedoch, dass insbesondere in den Jahren 1996 – 1998, als Forderungen nach einer schärferen Bestrafung von Sexualstraftätern und einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung massiv erhoben wurden ein bemerkenswerter Rückgang an Sexualmorden zu verzeichnen ist. Während 1971 deutschlandweit 77 Sexualmorde verübt worden sind, waren es 1998 nur noch 20 (Quelle: Bundeskriminalamt [Hrsg.], Polizeiliche Kriminalstatistik). Trotzdem hat die Zahl der Presseberichte über sexuellen Kindesmissbrauch in diesem Zeitraum um das Zehnfache zugenommen (Mushoff, S. 30 f.). Ausführlich hierzu siehe 1. Teil, D., VII.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Der Mordfall Natalie S. führte etwa im Rahmen einer Bürgerinitiative zu einer Unterschriftenaktion, in der über eine Million Menschen einen besseren Schutz vor Sexualstraftätern forderten.108 Auch im Hinblick auf die anstehenden Bundestagswahlen wollte der Gesetzgeber die Erwartungen der Bevölkerung erfüllen und das Vertrauen der Allgemeinheit in den umfassenden Schutz vor gefährlichen Wiederholungstätern gewinnen.109 In diesem Zusammenhang ist auch die populistische Aussage des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zu verstehen, wonach erwachsene Männer, die sich an Mädchen vergingen, weggeschlossen werden müssten, „und zwar für immer“.110 Diesem öffentlichen Druck konnte sich auch der Gesetzgeber dauerhaft nicht entziehen, obwohl sich im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 08. 09. 1997 mehrere Experten unter anderem aufgrund der mangelnden Prognosesicherheit gegen eine Verschärfung der Vorschriften zur Sicherungsverwahrung aussprachen und auch auf ähnliche Entwicklungen in anderen europäischen Ländern zur Abschaffung bzw. Nichtanwendung dieser Maßnahmen aufmerksam machten.111 Im Zuge dieses kriminalpolitischen und gesellschaftlichen Wandels erließ der Gesetzgeber also neue Regelungen, durch die das Institut der Sicherungsverwahrung schrittweise verschärft worden ist. Auf diese soll im Folgenden näher eingegangen werden. 2. Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten Der Gesetzgeber erließ am 31. 01. 1998 unter Bezugnahme auf „in letzter Zeit bekannt gewordener schwerer Straftaten“112 das „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26. 01. 1998.113 Diesem Gesetz ist insgesamt zu entnehmen, dass nunmehr nicht wie bisher der Schwerpunkt bei der Resozialisierung von Sexualstraftätern, sondern auf der Sicherheit der Gesellschaft liegt.114 Das Gesetz wirkte sich in Bezug auf das Institut der Sicherungsverwahrung im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht verschärfend aus: 108

Mushoff, S. 29. Milde, S. 40; Ullenbruch, NStZ 1998, S. 327. 110 Bild am Sonntag vom 08. 07. 2001; Ebner, S. 28; Milde, S. 41. 111 Vgl. Protokolle der 93. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 8. 9. 1997; Hammerschlag/Schwarz, NStZ 1998, S. 321; Mushoff, S. 32. 112 BT-Drucks. 13/7163; Alex, S. 10. 113 BGBl. I. S. 1838. 114 Renzikowski, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 84; Laubenthal, 116 ZStW (2004), S. 704. 109

D. Entscheidungen des BVerfG und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber

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a) Abschaffung der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung Zunächst wurde die bislang gem. § 67d Abs. 1 StGB geltende zeitliche Befristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre aufgehoben. Nach dem neugeregelten § 67d StGB wurde nunmehr jede Sicherungsverwahrung ohne zeitliche Begrenzung angeordnet. Zur Abschwächung dieser generellen Verschärfung wurde jedoch in dem neu eingefügten § 67d III StGB geregelt, dass die Sicherungsverwahrung – gleich, ob die erste, oder eine wiederholt angeordnete, nach Ablauf von zehn Jahren vom Gericht für erledigt erklärt wird, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die Gesetzesänderung hat damit praktisch zur Folge, dass eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre durch den Gesetzgeber nicht etwa kategorisch ausgeschlossen ist, eine solche Unterbringung jedoch an gewisse strengere Voraussetzungen geknüpft ist.115 Aufgrund der Änderung des Art. 1a Abs. 3 EGStGB findet diese Regelung auch Anwendung auf Täter, die zur Zeit der Gesetzesänderung bereits in erstmals angeordneter Sicherungsverwahrung untergebracht waren. Somit ist durch die Neuregelung für alle zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes untergebrachen Personen die zehnjährige Befristung der Sicherungsverwahrung nicht mehr gültig, so dass eine Entlassung auch in diesen Fällen nicht mehr automatisch erfolgen kann bzw. muss.116 b) Herabsetzung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung Die zweite erhebliche Verschärfung der Regelungen zur Sicherungsverwahrung ergibt sich aus dem neu eingefügten Absatz 3 des § 66 StGB, der die Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung deutlich herabsetzt.117 Danach kann das Gericht bei einem Straftäter, der wegen einer der in Absatz 3 aufgezählten Straftaten zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt wird, neben der Freiheitsstrafe zugleich die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Straftäter bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Auch ohne eine frühere Verurteilung kann das Gericht die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Straftäter zwei der in Abs. 3 aufgezählten Straftaten begangen 115 116 117

Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 67d, Rn. 44. Hammerschlag/Schwarz, NStZ 1998, S. 323. Hammerschlag/Schwarz, NStZ 1998, S. 321.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

hat, durch die er jeweils mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe verwirkt hat und nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Eingeschränkt wird die Ausweitung der vereinfachten Anordnungsmöglichkeit der Sicherungsverwahrung durch den neuen Straftatenkatalog des § 66 Abs. 3 StGB, der die Herabsetzung der Anordnungsvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Wesentlichen auf besonders gefährliche Sexual- und Gewalttäter beschränkt.118 Um einen ausufernden Anwendungsbereich des § 66 Abs. 3 StGB zu vermeiden, hat der Gesetzgeber zudem in Abs. 3 auf § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verwiesen, nach der eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nur möglich ist, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, für die Allgemeinheit gefährlich ist.119 Weiterhin findet § 66 Abs. 3 StGB nach der neu geregelten Vorschrift des Art. 1a Abs. 2 EGStGB nur Anwendung, wenn der Täter eine der Katalogtaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen hat. 3. Das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Ein weiterer wichtiger Teil des Bündels von Verschärfungen am Recht der Sicherungsverwahrung bildet das „Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung“ vom 21. 08. 2002120, das am 28. 08. 2002 in Kraft getreten ist. Im Folgenden sollen die wichtigsten Inhalte des Gesetzes wiedergegeben werden. Kernstück des Gesetzes war die Einführung des Instituts der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.121 Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung soll die Gesellschaft vor denjenigen Straftätern schützen, bei denen sich erst im Laufe der Haftzeit herausstellt, dass sie für die Allgemeinheit eine Gefahr darstellen.122 Es handelt sich dabei um einen Kompromiss zwischen der klassischen Form der Sicherungsverwahrung und der nachträglichen Sicherungsverwahrung, da zum Zeitpunkt der Entstehung des Gesetzes sämtliche Gesetzgebungsvorhaben zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bereits gescheitert waren.123 118

Hammerschlag/Schwarz, NSZ 1998, S. 321. Hammerschlag/Schwarz, NStZ 1998, S. 321. 120 BGBl I, S. 3344. 121 Daneben wurde auch die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung neben einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe eingeführt, die nach altem Recht wegen des Gesetzeswortlauts in § 66 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, S. 2 StGB („Verurteilung zu zeitiger Freiheitsstrafe“) nicht zulässig war (Kinzig, NJW 2002, S. 3204). 122 Milde, S. 123 ff. 123 BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 15; Milde, S. 123; Kinzig, NStZ 2004, S. 655. Die erste Initiative wurde durch das Land Bayern mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung“ vom 16. 09. 1997 (BR-Dr 699/ 97) verfolgt. 119

D. Entscheidungen des BVerfG und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber

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So kann gem. § 66a Abs. 1 StGB das erkennende Gericht wegen einer der in § 66 Abs. 3 StGB aufgelisteten Straftaten im Urteil die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist, ob der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist und die übrigen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB erfüllt sind. In einem Nachverfahren ordnet sodann das Gericht des ersten Rechtszuges (vgl. § 275a StPO) die Sicherungsverwahrung gem. § 66a Abs. 2 S. 2 StGB an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Das Gericht hat über die Anordnung spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt zu entscheiden, ab dem eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung möglich ist (§ 66a Abs. 2 S. 1 StGB). 4. Die landesrechtlichen Straftäter-Unterbringungsgesetze Ein weiterer bedeutender Schritt im Rahmen des Ausbaus der Sicherungsverwahrung war die Einführung der landesgesetzlichen Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung: Anstoß für die Ländergesetze gab u. a. eine bereits im September 1997 stattgefundene Anhörung eines Anstaltsleiters zum späteren „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. 1. 1998“, im Rahmen derer der Anstaltsleiter u. a. zwei Fälle von Gefangenen schilderte, in denen die Anstalt gezwungen war, die Gefangenen nach Ablauf ihrer Freiheitsstrafe zu entlassen, obwohl sie diese als weiterhin gefährlich für die Allgemeinheit einstufte. Diese wurden nach der Entlassung wieder erheblich straffällig.124 Damit stellte sich für die Politik die Frage, wie man sich nun vor Straftätern schützen könne, die eigentlich nach der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe entlassen werden müssten, die man aber weiterhin als gefährlich erachtet.125 Dabei musste die Gesetzeslücke geschlossen werden, die daraus entsteht, dass von der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nicht diejenigen Personen erfasst wurden, die sich bereits im Maßregel- oder Strafvollzug befanden und bei denen der Richter nicht die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hatte.126 Die Einführung der Landesgesetze war notwendig, da sich die Kodifizierung einer echten nachträglichen Sicherungsverwahrung, die zwar kausal an die Verurteilung wegen einer oder mehrerer Straftaten anknüpft, deren Anordnungsvoraussetzungen

124 125 126

Kinzig, NStZ 2004, S. 655; Ebner, S. 29. Kinzig, NStZ 2004, S. 655. Milde, S. 123.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

jedoch von den im Strafverfahren ermittelten Erkenntnissen losgelöst ist, auf Bundesebene trotz einiger Gesetzesinitiativen127 nicht durchsetzen konnte.128 Als erstes Land führte Baden-Württemberg 2001 das „Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter“ ein, welches auf die später folgenden Ländergesetze maßgeblichen Einfluss hatte.129 Bayern130, Sachsen-Anhalt131, Thüringen132 und Niedersachsen133 taten es ihm gleich.134 Allen Landesgesetzen war gleich, dass durch sie für die einzelnen Länder die Möglichkeit geschaffen wurde, Straftäter unter gewissen Voraussetzungen auch dann nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe zu verwahren, wenn das Tatgericht eine Sicherungsverwahrung nach den Vorschriften des StGB nicht vorgesehen hatte.135 Womöglich spekulierten die Landesgesetzgeber dabei auch damit, dass im Falle der sicher sofort erfolgenden Überprüfung der Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht und der womöglich erfolgenden Aufhebung derselben Gesetze der Druck auf den Bundesgesetzgeber steigen werde, eine bundeseinheitliche Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung in eigener Zuständigkeit zu erlassen.136

II. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Februar 2004 In der Entscheidung vom 05. Februar 2004 musste sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit der Frage auseinandersetzen, ob die rückwirkende Entfristung der ersten Anordnung der Sicherungsverwahrung vereinbar mit dem Grundgesetz ist. Das Bundesverfassungsgericht sah die Verfassungsbeschwerde als unbegründet an.137 127 BR-DrS. 159/00; 850/02; 860/02; BT-Drs. 15/29; 15/899; vgl. auch BT-Drs. 15/1311, zitiert nach Baier, Jura 2004, Fn. 21. 128 Baier, Jura 2004, S. 354. 129 (Straftäter-Unterbringungsgesetz – StrUBG), BWGBl 5/2001, 188, in Kraft getreten am 17. 3. 2001, Milde, S. 127. 130 „Bayrisches Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern“ (BayStrUBG). 131 „Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ (UBG). 132 „Thüringer Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter“ (ThürStrUBG). 133 „Gesetz über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ (NVBG). 134 Überblick über die einzelnen Ländergesetze in Kinzig, StV 2002, S. 500 f.; Rzepka, Recht & Psychiatrie 2003, S. 130 ff., zitiert nach Baier, Fn. 28. 135 Kinzig, NJW 2004, S. 912. 136 Hamm, NJW 2004, S. 1303. 137 BVerfG, Urteil vom 05. 02. 2004, Az. 2 BvR 2029/01. Die Entscheidung erging mit 6:2 Stimmen. Die Verfassungsrichter Jentsch und Di Fabio bejahten eine Verletzung des rechts-

D. Entscheidungen des BVerfG und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber

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Diese Entscheidung soll im Folgenden näher untersucht werden. 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging auf eine Verfassungsbeschwerde des hessischen Sicherungsverwahrten Reinhard M. zurück.138 Der 1957 geborene Beschwerdeführer verbrachte seit Erreichen seiner Strafmündigkeit nur wenige Wochen in Freiheit. Ohne die von ihm angegriffene Neuregelung der §§ 67d Abs. 3 StGB, Art. 1a Abs. 3 EGStGB wäre er bereits 2001 wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden.139 Zwischen 1971 und 1975 ist der Beschwerdeführer mehrfach wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und Einbruchs verurteilt worden. Im Jahre 1977 wurde er wegen versuchten Mordes, gemeinschaftlichen Raubes, gefährlicher Körperverletzung und räuberischer Erpressung zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Auch im Strafvollzug ist der Beschwerdeführer immer wieder gewalttätig geworden. So warf er im Jahre 1977 einem Vollzugsbeamten einen schweren Metallkasten auf den Kopf und stach mit einem Schraubenzieher auf ihn ein. 1979 wurde er deshalb wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Zudem ordnete das Gericht seine anschließende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB an. Ein Sachverständiger bestätigte, dass der Beschwerdeführer unter einer schweren seelischen Abartigkeit leide und daher vermindert schuldfähig gem. §§ 20, 21 StGB sei. Nachdem der Beschwerdeführer im Maßregelvollzug Vollzugslockerungen genoss und im Rahmen eines mehrstündigen Ausgangs versucht hatte, eine ehrenamtliche Vollzugshelferin auszurauben und zu töten, wurde er im Jahre 1986 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub zu fünf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung gem. § 66 Abs. 1 StGB verurteilt.140 Ein Sachverständigengutachten führte aus, dass der Beschwerdeführer zwar noch unter einer schweren seelischen Störung leide, aber nicht im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gehandelt habe. Da der Beschwerdeführer jedoch eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen aufweise und für die Allgemeinheit gefährlich sei, sei eine Sichestaatlichen Vertrauensschutzgebots aus Art. 2 Abs. 2 GG, verzichteten jedoch auf ein Sondervotum. Die Entscheidung wurde in der Literatur überwiegend kritisch aufgenommen (siehe unter vielen Mushoff, KritV 2004, S. 140 f.; Kinzig, NJW 2004, S. 912 f.; positiv aber Passek, GA 2005, S. 105 f.). 138 Es handelt sich dabei um denselben Sicherungsverwahrten, der im Verfahren „M. gegen Deutschland“ am 17. Dezember 2009 vor dem EGMR letztlich Erfolg mit seinem Begehren hatte, keine rückwirkende Streichung der Höchstfrist der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren zuzulassen (Dessecker, ZIS 2011, S. 706). 139 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 44. 140 Siehe ausführlich zum Werdegang BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 45 ff.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

rungsverwahrung notwendig. Während der Sicherungsverwahrung, die seit dem 18. August 1991 vollzogen wurde, zeigte sich erneut sein impulsiv-aggressives Verhalten. So nutzte der Beschwerdeführer einen Tagesausgang zur mehrwöchigen Flucht und brach einem Mitgefangenen im Juli 1996 die Nase. Zudem war der Beschwerdeführer Anhänger der Skinheadszene geworden. Unter Berufung auf ein Sachverständigengutachten lehnte die Strafvollstreckungskammer es ab, die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären. Zwar weise der Beschwerdeführer keine psychiatrische Erkrankung mehr auf, weise aber histrionische Persönlichkeitszüge auf und zugleich stark ausgeprägte narzisstische Tendenzen. Zudem leide er unter einem hochgradigen Empathiemangel. Daher sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Freilassung erneut Straftaten begehen werde, durch die seine Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Die Strafvollstreckungskammer ordnete zudem die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung auch nach dem Ablauf von zehn Jahren hinaus an. Die gesetzliche Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB n.F. i.V.m. Art. 1a Abs. 3 EGStGB begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auf die sofortige Beschwerde von Reinhard M., mit der er die Verfassungswidrigkeit von §§ 67d Abs. 3 StGB, Art. 1a Abs. 3 EGStGB geltend machte, erklärte das Oberlandesgericht die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt, verwarf aber die Beschwerde hinsichtlich der Fortdauer der Sicherungsverwahrung als unbegründet. Die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers erfordere seine weitere Unterbringung und sei angesichts der im Falle seiner Entlassung zu erwartenden Straftaten auch verhältnismäßig. Zudem verletzten die neuen Regelungen auch nicht Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2 GG oder das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.141 2. Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der vorhandenen Regelungen über die Sicherungsverwahrung Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Ablehnung seines Antrags im Wege eines strafgerichtlichen Beschlusses, die erstmalig gegen ihn angeordnete Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren für erledigt zu erklären. Mittelbar prüfte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung in seiner aktuellen Ausgestaltung.142

141 142

BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 55 ff. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 1.

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a) Vereinbarkeit mit der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG Einleitend stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine langdauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund der fortdauernden Gefährlichkeit des Untergebrachten die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG nicht verletze, soweit auch in diesen Fällen die Eigenständigkeit des Untergebrachten gewahrt und seine Würde geachtet und geschützt werde. Aufgrund des Gemeinschaftsbezugs des Individuums, der vom Grundgesetz vorgegeben sei, müsse es der staatlichen Gemeinschaft ermöglicht sein, sich gegen gefährliche Straftäter durch Freiheitsentzug zu sichern, um so wesentliche Gemeinschaftsgüter vor Schaden zu bewahren.143 Die Sicherungsverwahrung in der dem Bundesverfassungsgericht vorliegenden Fassung als Präventivmaßnahme zum Schutz der Allgemeinheit genüge den Anforderungen des Grundgesetzes. Im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung sei genau wie im Rahmen des Strafvollzugs auf eine Resozialisierung hinzuwirken, d. h. der Untergebrachte sei auf ein „verantwortliches Leben in Freiheit“ vorzubereiten.144 Diesem Maßstab genüge das Institut der Sicherungsverwahrung in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung. Ein verfassungsrechtliches, aus der Menschenwürde resultierendes Gebot, eine Höchstfrist des Vollzugs der Sicherungsverwahrung festzusetzen und eine verbindliche Entscheidung über den Entlassungszeitpunkt bereits im Rahmen der Anordnung derselben zu treffen, lasse sich nicht herleiten. Das im Rahmen der §§ 67 ff. StGB geregelte System wiederkehrender Überprüfungen von Aussetzungs- und Erledigungsreife gewährleiste eine angemessene prozedurale Sicherheit. Der Sicherungsverwahrte könne so bereits vor Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung absehen, zu welchen Zeitpunkten sich seine Chance auf Entlassung realisieren könne. Auch sei zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren nur ausnahmsweise gestattet sei und im Regelfall weiterhin eine Erledigung der Sicherungsverwahrung eintreten würde.145 Einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG wegen möglicher Haftschäden konnte das Gericht ebenfalls nicht feststellen. Die zwangsläufige Hervorrufung von Schäden psychischer oder physischer Art durch den Maßregelvollzug sei nicht belegt; zudem könne möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund langjährigen Vollzugs durch Gesetz und Vollzugspraxis entgegengewirkt werden.146 143 144 145 146

BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 74. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 75. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 82. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 86.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Auch der gesetzlich vorgeschriebene Behandlungsvollzug für Sicherungsverwahrte stelle die Verfassungsmäßigkeit der unbefristeten Sicherungsverwahrung sicher: Dies sieht das Bundesverfassungsgericht durch § 129 S. 2 StVollzG belegt, nachdem dem Sicherungsverwahrten zu helfen ist, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Daneben solle die nach § 131 StVollzG vorgesehene besondere Ausstattung der Hafträume und sonstiger privilegierter Haftbedingungen ebenso Schäden eines langen Freiheitsentzugs vorbeugen. Die in den §§ 132 und 133 StVollzG normierten Vergünstigungen für Sicherungsverwahrte147 wertet das Bundesverfassungsgericht ebenso als Belege dafür, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung „am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet“ sei.148 Auch wenn eine Therapie der untergebrachten Personen im Rahmen der Sicherungsverwahrung nicht ausdrücklich vorgesehen sei, sei durch die Regelung des § 67a Abs. 2 StGB sichergestellt, dass die klinische Behandlung des Straftäters stets im Vordergrund stehe. Nach dieser Regelung kann der Sicherungsverwahrte nachträglich in ein psychiatrisches Krankenhaus oder eine Erziehungsanstalt überwiesen werden. Daneben dienen Angaben der Landesregierungen zur vollstreckungs- und vollzugsrechtlichen Handhabung der Sicherungsverwahrung dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls als Beweis dafür, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht um einen reinen Verwahrvollzug gefährlicher Straftäter handele. So werde laut Angaben der Landesregierungen dem Resozialisierungsgedanken durch Bereitstellung von Therapien und Arbeitsangeboten Rechnung getragen, auch wenn diese – mit je nach Bundesland unterschiedlicher Ausprägung – nicht von allen Personen wahrgenommen werden würden.149 Das Bundesverfassungsgericht mahnt an dieser Stelle ausdrücklich an, dass die Landesregierungen nicht über einheitliches statistisches Material zur vollstreckungsund vollzugsrechtlichen Handhabung der Sicherungsverwahrung verfügen. Es sei eine regelmäßige nachvollziehbare Überprüfung erforderlich, anhand derer belegt werden könne, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung entgegen der gesetzlichen Vorgaben nicht doch um einen reinen Verwahrvollzug gefährlicher Straftäter handele und Sicherungsverwahrte tatsächlich eine realisierbare Chance haben, die Freiheit wieder zu erlangen. Eine solche Erhebung solle etwa Aufschluss über Behandlungs-, Therapie- oder Arbeitsmöglichkeiten bieten. Die Landesjustizverwaltungen hätten dafür Sorge zu tragen, dass die Möglichkeiten der Besserstellung im Vollzug der

147 § 132 StVollzG sieht das Recht der untergebrachten Person vor, eigene Kleidung, Wäsche und eigenes Bettzeug zu benutzen; § 133 StVollzG sieht ein Recht auf Selbstbeschäftigung vor und regelt das Mindesttaschengeld. 148 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 88. 149 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 91 f. Als Gründe für die fehlende Wahrnehmung von Therapie- und Arbeitsangeboten werden auf Alter, Krankheit, Verweigerung, fehlende Motivation, fehlende Eignung der Untergebrachten, Leugnen der Tat oder Sicherheitsgründe hingewiesen.

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Sicherungsverwahrung „soweit ausgeschöpft werden, wie sich dies mit den Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt“.150 b) Vereinbarkeit mit der Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Auch einen Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG verneint das Bundesverfassungsgericht. Der Wesensgehalt des Freiheitsgrundrechts werde nicht angetastet, wenn der Eingriff durch gewichtige Schutzinteressen Dritter gerechtfertigt sei und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werde. Diesen Anforderungen genüge die Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB. Dem Gesetzgeber stehe bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zum Schutz der Allgemeinheit sowie bei der Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht nur in begrenztem Umfang überprüft werden könne.151 Insofern sei es auch unerheblich, ob die Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung auf einen objektiven Anstieg der Gewaltkriminalität oder allein auf ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit zurückzuführen sei. Die Entscheidung über die kriminalpolitische Erforderlichkeit einer Maßnahme sei schließlich vornehmlich Sache des Gesetzgebers. Das Bundesverfassungsgericht könne dabei allein „offensichtlich fehlsame Entscheidungen des Gesetzgebers“ korrigieren.152 Ein solcher Fall sei aber vorliegend nicht gegeben; gegen die Aufhebung der Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung bestünden von Verfassungs wegen keine Bedenken. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Sicherungsverwahrten und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen sei so zu lösen, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzug des Sicherungsverwahrten steigen, je länger der Vollzug der Sicherungsverwahrung im Einzelnen andauere.153 Der verstärkten Bedeutung des Freiheitsanspruchs des Sicherungsverwahrten nach Ablauf von zehn Jahren trage der Gesetzgeber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch Einführung des § 67d Abs. 3 StGB Rechnung. Zum einen würden nämlich höhere Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und die drohenden Straftaten gestellt, zum anderen werde im Regelfall nach zehn Jahren die Erledigung der Maßnahme erklärt und nur ausnahmsweise die Fortdauer der Maßnahme angeordnet. Für eine Fortdauer sei nämlich die Feststellung konkreter und gegenwärtiger Anhaltspunkte notwendig, dass entgegen der gesetzlich geregelten 150 151 152 153

BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 125. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 99. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 100. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 106.

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Vermutung der Ungefährlichkeit des Straftäters die Gefährlichkeit weiterhin fortbesteht. Die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung könne daher nur als „ultima ratio“ angeordnet werden.154 Auch eine möglicherweise jahrzehntelang andauernde Sicherungsverwahrung verstoße nicht gegen das Freiheitsgrundrecht, auch wenn dann die Sicherungsverwahrung nicht mehr auf die Resozialisierung des Täters hinwirken könne. Schließlich beruhe die Unmöglichkeit der Resozialisierung in diesen Fällen nicht auf der Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern allein auf dem Verhalten des Täters, welches eine erfolgreiche Resozialisierung ausschließe.155 Überdies werde durch die neuen Regelungen der verfassungsrechtlichen Anforderung Genüge getan, die Notwendigkeit der weiteren Vollstreckung durch den Strafvollstreckungsrichter regelmäßig überprüfen zu lassen und die richterliche Prognose durch ein hinreichend substantiiertes und zeitnahes Gutachten abzusichern. Das Bundesverfassungsgericht betonte die Bedeutung von Angaben im Gutachten zum Verhalten des Täters bei etwaigen Vollzugslockerungen. Nur wenn das Sachverständigengutachten verschiedene Hauptbereiche aus dem Leben des Sicherungsverwahrten beleuchte, könne das Gericht eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter vornehmen. Gerade das Verhalten im Rahmen von vollzugsöffnenden Maßnahmen stelle einen wichtiger Indikator für die künftige Legalbewährung des Täters da. Daher dürfe die Vollzugsbehörde dem Sicherungsverwahrten auch nicht einfach ohne hinreichenden Grund Vollzugslockerungen verwehren.156 Anschließend postulierte das Bundesverfassungsgericht das sog. Abstandsgebot. Danach diene die Sicherungsverwahrung wegen der Zweispurigkeit des deutschen Sanktionensystems nicht der Vergeltung begangener Rechtsgutsverletzungen, sondern allein der Verhinderung zukünftiger Rechtsgutsverletzungen. Diesem besonderen Charakter der Sicherungsverwahrung müsse durch einen privilegierten Vollzug Rechnung getragen werden, der einen Abstand zwischen dem allgemeinen Vollzug und dem Vollzug der Sicherungsverwahrung erkennen lasse.157 Dieser Abstand müsse den spezialpräventiven Charakter der Sicherungsverwahrung sowohl für den Sicherungsverwahrten als auch für die Allgemeinheit deutlich machen. Nach 154 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 111 f. Das Bundesverfassungsgericht zitiert hier Streng, Das Legitimationsdilemma sichernden Freiheitsentzugs, S. 633. 155 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 113. 156 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 122. 157 Mit der Formulierung des Abstandsgebots weicht das Bundesverfassungsgericht von seiner früheren Rechtsprechung zur Vollzugsgestaltung der Sicherungsverwahrung ab, in der es noch festgestellt hatte, dass „die Sicherungsverwahrung nach den gleichen Maßstäben wie die Strafe zu vollziehen sei.“ (BVerfG v. 30. 1. 1953 – 1 BvR 377/51, BVerfGE 2, 118 = NJW 1953, S. 577; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar, StGB, § 66 StGB, Rn. 36).

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Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zeichnen die §§ 131 – 133 StVollZG diesen nötigen Abstand angemessen vor.158 Es sei nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, konkrete Richtlinien zur Ausgestaltung des Vollzugs vorzugeben. Das Ausmaß der Privilegierung habe sich aber am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren. Gerade bei besonders langer Unterbringung sei die Gewährung zusätzlicher Privilegien zu erwägen, „um dem hoffnungslos Verwahrten einen Rest an Lebensqualität zu gewährleisten.“159 c) Vereinbarkeit mit dem Rückwirkungsverbot, Art. 103 Abs. 2 GG Schließlich beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob die §§ 67d Abs. 3 StGB, Art. 1a Abs. 3 StGB gegen das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht führte im Einklang mit früheren Entscheidungen aus, dass das absolute Rückwirkungsverbot auf staatliche Maßnahmen beschränkt sei, „die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient.“160 Maßnahmen hingegen, die wie die Sicherungsverwahrung einen rein präventiven Zweck verfolgen, seien nach der Entstehungsgeschichte der Norm von Art. 103 Abs. 2 GG nicht erfasst. Maßnahmen würden im Gegensatz zur Strafe nicht dem Zweck dienen, begangenes Unrecht zu sühnen, sondern die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen. Trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten von Strafe und Sicherungsverwahrung hält das Bundesverfassungsgericht eine Ausdehnung der Sicherungsverwahrung auf den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG für verfehlt, da die Schwere des Eingriffs oder Ähnlichkeiten in der Vollzugsgestaltung allein nicht den Strafcharakter der Sicherungsverwahrung begründen können. Dies belege auch ein Vergleich mit den hoheitlichen Maßnahmen der Untersuchungshaft und der landesrechtlichen Unterbringung psychisch Kranker wegen Selbst- oder Fremdgefährdung. Diese Maßnahmen begründen zwar ebenfalls einen schweren Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG, ihnen komme aber dennoch kein Strafcharakter im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG zu.161

158 159 160 161

BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 88. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 126. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 129. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 156.

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d) Vereinbarkeit mit dem Vertrauensschutzgebot, Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG Einen Verstoß gegen das Vertrauensschutzgebot konnte das Bundesverfassungsgericht in der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung ebenso nicht erkennen. Auch wenn das Vertrauensschutzgebot den Bürger vor der Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens durch eine belastende Neuregelung schützen solle, gehe der Vertrauensschutz nicht so weit, „den Staatsbürger vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage“ zu schützen.162 Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen der sog. „echten Rückwirkung“, wonach eine Rechtsfolge schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintritt (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), und der „unechten Rückwirkung“, wonach die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach Verkündung der Norm eintreten, ihr Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung ins Werk gesetzt worden sind. Die Vorschrift des Art. 1a Abs. 3 EGStGB i.V.m.§ 67d Abs. 3 StGB stelle einen Fall der tatbestandlichen Rückanknüpfung dar. Die Neuregelung ändere nicht nachträglich eine an die Anlasstat anknüpfende Rechtsfolge, da die Dauer der Sicherungsverwahrung auch nach altem Recht nicht von Umständen zum Zeitpunkt der Anlasstat abgehängt habe. Vielmehr sei für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die Zehnjahresgrenze hinaus das Vorliegen der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen zum Urteilszeitpunkt entscheidend. Die Entscheidung über die Erledigung der Sicherungsverwahrung basiere auf einem Sachverhalt, der weder zum Zeitpunkt der Tat noch zu dem des Urteils oder des In-Kraft-Tretens der Neuregelung abgeschlossen gewesen sei.163 Auch wenn damit kein Fall der echten Rückwirkung vorliege, müsse der Vertrauensschutz des Sicherungsverwahrten dennoch Berücksichtigung finden. Die nach altem Recht geltende Höchstfrist für Sicherungsverwahrte begründe nämlich die Erwartung, spätestens nach dem Ablauf von zehn Jahren wieder in die Freiheit entlassen zu werden. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf Fortbestand der Höchstfrist erfahre jedoch durch § 2 Abs. 6 StGB eine Einschränkung. Diese Regelung bestimmt, dass über Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Somit habe die Zehnjahresfrist ohnehin unter dem Vorbehalt der späteren Gesetzesänderung gestanden. Eine Interessenabwägung ergebe, dass das Freiheitsgrundrecht der von der tatbestandlichen Rückanknüpfung betroffenen Gefangenen hinter der Bedeutung des 162 163

BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 172. BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 182.

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gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit zurücktrete. Ob die Rückanknüpfung tatsächlich geeignet und erforderlich sei, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen, falle in den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers und begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.164

III. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 In der Entscheidung vom 10. 02. 2004 stand die Frage im Mittelpunkt, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung aufgrund landesrechtlicher Unterbringungsgesetze mit dem Grundgesetz vereinbar ist, insbesondere ob die Länder die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass dieser Gesetze inne haben. Das Bundesverfassungsgericht erachtete zwar die überprüften Unterbringungsgesetze der Länder Bayern und Sachsen-Anhalt als unvereinbar mit dem Grundgesetz, verzichtete aber gleichwohl darauf, die Gesetze für nichtig zu erklären.165 Auch auf diese Entscheidung soll im Folgenden detaillierter eingegangen werden. 1. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt Hintergrund für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 2. 2004 waren die Verfassungsbeschwerden von zwei Inhaftierten aus Bayern und SachsenAnhalt. Bei dem ersten Beschwerdeführer handelt es sich um den Straftäter Albert Haidn.166 Von 1980 an unterhielt er ein außereheliches Verhältnis und missbrauchte die 7-jährige Tochter seiner Freundin mindestens einmal wöchentlich. Später ließ er 164

BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 188 f. BVerfG, Urteil vom 10. 02. 2004, Az. 2 BvR 834/02. Die Entscheidung erging mit 5:3 Stimmen. Die Verfassungsrichter Gerhardt, Broß und Verfassungsrichterin Osterloh verfassten eine abweichende Meinung. Die Entscheidung geht konform mit der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung, dass eine nachträgliche Sicherungsverwahrung – ob auf Bundes- oder Landesebene reglementiert – verfassungswidrig sei (siehe nur Ullenbruch, NStZ 2001, S. 293 f.; Kinzig, NJW 2011, S. 1455 f.). Entscheidungsbesprechungen siehe Waterkamp, StV 2004, S. 267 ff.; Baier, Jura 2004, S. 552 f.; Kinzig, NJW 2004, S. 911 ff. 166 Zwar wird Albert Haidn in den Urteilsgründen des Bundesverfassungsgerichts nicht mit Namen genannt, jedoch sind die Gemeinsamkeiten zwischen seiner Strafakte und dem in den Urteilsgründen dargestelltem Fall unverkennbar. Über Albert Haidn hatte bereits die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ in einem Artikel vom Februar 2003 berichtet (Siehe Artikel der Zeit „Wird er es wieder tun?“, S. 13. Februar 2003); zitiert nach Hammel, Preventive detention in comparative perspective, S. 89. Ausführlich zur Strafakte Haidns siehe BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 32 ff. 165

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sich auch von der 14-jährigen Tochter seiner Freundin regelmäßig sexuell befriedigen. Als beide Opfer die Straftaten anzeigten, waren sie bereits verjährt. Albert Haidn musste sich 1999 wegen Vergewaltigung der zwölfjährigen Tochter seiner Geliebten vor Gericht verantworten. Da die Taten aber zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sehr lange zurücklagen und der Angeklagte wegen einer schweren Körperverletzung und eines zerebralen Zerfallsprozesses vermindert schuldfähig gem. § 21 StGB war, verurteilte ihn das Landgericht Passau zu einer Freiheitsstrafe von nur drei Jahren und sechs Monaten. Auch die Sicherungsverwahrung gem. § 66 Abs. 3 StGB wurde vom Gericht nicht angeordnet, da Haidn die Taten vor dem 31. Januar 1998 begangen hatte und die Sicherungsverwahrung gem. § 66 Abs. 3 StGB somit gem. Art. 1a Abs. 2 EGStGB in seinem Fall keine Anwendung fand. Albert Haidn hat im Rahmen der Hauptverhandlung sowie auch im Gefängnis behauptet, unschuldig zu sein und das Opfer eines Racheaktes zu sein. Im Rahmen des Strafvollzugs lehnte er eine Tätertherapie ab, weil er niemanden vergewaltigt habe. Die für Haidn im Auftrag des Gerichts verantwortlichen Psychologen und Psychiater attestierten ihm keine günstige Prognose, da er aufgrund der Leugnung seiner begangenen Taten nicht für therapeutische Maßnahmen offen sei. Bis zum 13. April 2002 verbüßte der Beschwerdeführer seine Freiheitsstrafe vollständig. Mit Beschluss vom 10. April 2002 ordnete die Strafvollstreckungskammer die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Justizvollzugsanstalt nach dem Bayerischen Straftäterunterbringungsgesetz an. Nach dem Gutachten der beiden von der Kammer beauftragten Sachverständigen hätten sich nach der Verurteilung bei dem Beschwerdeführer neue Tatsachen ergeben, aufgrund derer angenommen werden müsse, dass von dem Beschwerdeführer eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgehe. Der zweite Beschwerdeführer aus Sachsen-Anhalt wurde wegen Mordes an der Schwägerin seiner Verlobten im Alter von siebzehn Jahren vom Bezirksgericht Halle zu der nach DDR-Recht höchstmöglichen Jugendstrafe von 15 Jahren verurteilt.167 Nachdem das Kreisgericht Naumburg die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hatte, beging der Beschwerdeführer nur etwa zwei Monate nach seiner Entlassung einen versuchten Totschlag. Das Landgericht Marburg verurteilte den Beschwerdeführer daraufhin zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren; die früher gewährte Strafaussetzung wurde widerrufen. Da das Recht der Sicherungsverwahrung zum Tatzeitpunkt in der ehemaligen DDR nicht galt, konnte gem. Art. 1a Abs. 1 EGStGB eine Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden.

167 Ausführlich zur Strafakte des Beschwerdeführers siehe BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 43 ff.

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Auch der Beschwerdeführer aus Sachsen-Anhalt erhielt keine langfristige Therapie; dies lag zum Teil an fehlenden Therapieangeboten in der Justizvollzugsanstalt, andererseits aber auch an der Weigerung des Beschwerdeführers. Einen Tag vor Verbüßung seiner Freiheitsstrafe beschloss die Strafvollstreckungskammer die Unterbringung des Beschwerdeführers für die gesetzliche Höchstdauer von sechs Monaten nach dem Sachsen-Anhaltischen Straftäterunterbringungsgesetz. Sowohl der Anstaltspsychologe als auch drei externe Sachverständige sind zu dem Ergebnis gekommen, dass von dem Beschwerdeführer aufgrund seiner schweren Persönlichkeitsstörung weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgehe. 2. Kompetenzrechtliche Zuständigkeit zur Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung Zunächst hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage zu beschäftigen, ob die Länder überhaupt kompetenzrechtlich zuständig für die Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung sind. Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die durch die Landesunterbringungsgesetze geregelte Materie Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes sei und die Länder damit keine Befugnis zur Gesetzgebung in diesem Bereich haben. Das Bundesverfassungsgericht subsumiert unter den Begriff der Strafe nämlich nicht nur eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten in Form der Geld- oder Freiheitsstrafe. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass „zum Strafrecht die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten gehört, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen.“168 Dabei führt das Bundesverfassungsgericht historische Erwägungen zur Begründung dieser Auslegung aus: Schon die Reichsverfassung von 1871 sowie die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hätten unter dem Begriff des Strafrechts ebenfalls rein präventive Unrechtsfolgen subsumiert. Das Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte zweispurige Sanktionensystem finde sich sowohl in den Entwürfen eines Strafgesetzbuches unter der Reichverfassung von 1871 als auch der Weimarer Reichsverfassung wider. Dabei sei die Reichskompetenz zur Einführung des Maßregelrechts unter der Reichsverfassung als auch der Weimarer Verfassung unbestritten gewesen. Auch im Rahmen des Gewohnheitsverbrechergesetzes vom 24. November 1933, mit dem die Maßregel der Sicherungs-

168

BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 85.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

verwahrung in das deutsche Strafgesetzbuch eingeführt wurde, habe es sich bei den Maßregeln um „Strafrecht“ im Sinne der Weimarer Reichsverfassung gehandelt.169 Der Parlamentarische Rat habe bei den Beratungen zum Grundgesetz eben dieses 1933 geschaffene zweispurige Sanktionensystem vorgefunden und dieses System auch beibehalten wollen. Damit seien auch von dem heutigen Begriff des „Strafrechts“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG präventive freiheitsentziehende Maßnahmen gegen Straftäter erfasst. Aber auch aus dem Gedanken des Sachzusammenhangs folgert das Bundesverfassungsgericht die Zuordnung der in den Straftäterunterbringungsgesetzen geregelten Materie zur Kompetenz des Bundes: Dies begründet das Bundesverfassungsgericht damit, dass die Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen, nicht etwa einen selbstständigen Sachbereich ausmachen würden, welcher ausschließlich in die Kompetenz des Landesgesetzgebers falle. Für die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz seien die Normen vielmehr demjenigen Sachbereich zuzurechnen, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stehen.170 So dürfe der Bundesgesetzgeber auch punktuelle Annexregelungen zu einer Materie erlassen, die der Landeskompetenz zuzuordnen sind, wenn die Regelungen in einem notwendigen Zusammenhang zu der durch den Bundesgesetzgeber geregelten Sachmaterie stehen und diese daher für den effektiven Vollzug der Regelungen erforderlich sind. Diesen notwendigen Sachzusammenhang zwischen Strafe und präventiver Sanktion sieht das Bundesverfassungsgericht darin begründet, dass sich beide Sanktionen auf die Anlasstat beziehen. Zwar weise die Freiheitsstrafe einen direkteren Bezug zur Anlasstat auf, als die Umstände der Tat das Maß der Schuld, also die Strafzumessung, wesentlich bestimmen. Aber auch für präventive Maßnahmen sieht das Bundesverfassungsgericht den erforderlichen Sachzusammenhang für gegeben, da diese Maßnahmen allesamt die Begehung einer Straftat voraussetzen würden.171 Die Feststellungen zur Anlasstat würden eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Gefahrenprognose darstellen. Dies lasse sich auch den Vorschriften über Maßregeln der Besserung und Sicherung entnehmen, nach denen sich die Gefährlichkeit des Täters aus einer „Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten“ ergebe.172 Dieser Sachzusammenhang bestehe auch im Falle einer nachträglichen Anordnung einer präventiven Maßnahme. In diesem Fall finde zwar auch das Vollzugs169

BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 93. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 96. 171 BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 98. 172 Siehe etwa § 63 StGB – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, § 70 Abs. 1 S. 2 StGB, Anordnung des Berufsverbots. 170

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verhalten des Straftäters für die Entscheidung über die Gefahrenprognose Berücksichtigung, maßgeblicher Faktor für die Prognoseentscheidung bleibe jedoch weiterhin die abgeurteilte Tat.173 Diese Auffassung stehe nicht in Widerspruch zu der Entscheidung vom 05. Februar 2004, in der das Gericht festgestellt hat, dass Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht als „Strafe“ im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG zu verstehen seien. Dies begründet das Bundesverfassungsgericht mit der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Regelungen. Art. 103 Abs. 2 GG komme als Abwehrrecht des Bürgers freiheitschützende Funktion zu, während es sich bei Art. 74 GG allein um eine kompetenzrechtliche Vorschrift handele, die somit kein subjektives Recht des Einzelnen entfalte.174 Die Länder hätten keine Befugnis zum Erlass der Straftäterunterbringungsgesetze, da der Bund das Institut der Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch bereits abschließend geregelt habe. Insbesondere habe der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 bewusst auf die Aufnahme der nachträglichen Sicherungsverwahrung in das Sanktionengefüge verzichtet. Damit sei es den Ländern auch verwehrt, eigene Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zu erlassen, da die Bundesregelungen zur Sicherungsverwahrung auch keinen Vorbehalt zugunsten der Landesgesetzgebung enthalte (sog. „Öffnungsklausel“).175 3. Die Weitergeltungsanordnung durch das Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht erklärte die beanstandeten Gesetze allerdings nicht für nichtig, sondern lediglich für unvereinbar mit dem Grundgesetz und ordnete eine befristete Fortgeltung der Gesetze bis zum 30. September 2004 an. Eine solche Unvereinbarkeitsfeststellung kommt laut Bundesverfassungsgericht in den Fällen in Betracht, in denen andernfalls dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter die Grundlage entzogen werden würde und nach einer Abwägung der betroffenen Grundrechte die Hinnahme des Eingriffs für eine Übergangzeit angezeigt erscheine.176 Ein solch „überragendes Gemeinwohlinteresse“ sieht das Bundesverfassungsgericht in dem Schutz vor Verurteilten, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe schwere Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Im Falle der Nichtigerklärung der Landesgesetze durch das Bundesverfassungsgericht hätte dies nämlich die unausweichliche Konsequenz, dass alle aufgrund der Landesgesetze untergebrachten Straftäter sofort entlassen werden müssten. 173 174 175 176

BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 100. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 103. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 156 ff. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 163.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Zudem würde dem Bundesgesetzgeber so unwiderruflich die Möglichkeit genommen, die Erforderlichkeit einer Regelung zum Schutz der derzeit noch inhaftierten Straftäter zu prüfen. Das Regelungsanliegen einer bundesgesetzlich geregelten nachträglichen Sicherungsverwahrung bliebe so bei sofortiger Nichtigkeit „ohne Wirkung“.177 Mit der Unvereinbarkeitserklärung hingegen werde dem Bundesgesetzgeber die Gelegenheit dazu gegeben, über die Notwendigkeit eigener Vorschriften zum Schutz vor weiteren Straftaten dieses Personenkreises zu entscheiden und die eventuell für erforderlich erachteten Regelungen zu erlassen. 4. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Unterbringung Eine Aussage über die materiell-rechtliche Verfassungsmäßigkeit der Ländergesetze hat das Bundesverfassungsgericht nicht getroffen. Eine vom zuständigen Gesetzgeber erlassene Regelung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung stehe jedoch nicht schon per se unter dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit.178 Dennoch lässt es sich das Bundesverfassungsgericht nicht nehmen, einige verfassungsrechtliche Anforderungen an die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu formulieren: Für eine kleine Gruppe hochgefährlicher Straftäter sei diese Sanktion durchaus verfassungsrechtlich legitim.179 Die Entscheidung über die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung müsse aber auf einer umfassenden Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten, und der Entwicklung im Strafvollzug beruhen und die Gefahr erheblicher Straftaten von den Gerichten positiv festgestellt werden. Dabei dürfe insbesondere die Prognoseentscheidung nicht allein von der fehlenden Bereitschaft des Straftäters zu Resozialisierungs- und Therapiemaßnahmen abhängig gemacht werden. Einer derartigen Verweigerungshaltung komme lediglich Indizwirkung zu; daneben müssten die vom Untergebrachten begangenen Straftaten sowie weitere gewichtigere Gesichtspunkte aus dem Vollzug zur Begründung der Gefährlichkeit des Untergebrachten herangezogen werden. Weiterhin forderte das Bundesverfassungsgericht die Regelung der Möglichkeit der nachträglichen Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus oder in eine Entziehungsanstalt, um das Ziel der Resozialisierung besser zu fördern.180

177 178 179 180

BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 169 f. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 171. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 165. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 177 ff.

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5. Abweichendes Votum der Richter Broß, Osterloh und Gerhardt Verfassungsrichter Broß, Verfassungsrichterin Osterloh und Verfassungsrichter Gerhardt lehnten mit Nachdruck die von der Senatsmehrheit bestimmte Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit der Ländergesetze ab. So hätte die Feststellung der Senatsmehrheit, dass die Ländergesetze mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, zu der Erklärung ihrer Nichtigkeit führen müssen. In ihrem Votum greifen die Richter dabei einerseits staatsorganisatorische Aspekte sowie grundrechtlich geschützte Gegenrechte der Inhaftierten auf, um gegen die Unvereinbarkeitserklärung zu argumentieren.181 Die Abwägungsbefugnis, die die Senatsmehrheit dem Bundesverfassungsgerichts bzgl. der Rechtsfolgen bei Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes einräumt, sei rechtsstaatlich bedenklich, als ihr originärer Charakter zukomme und sie keinen verbindlichen Regeln folge. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu müsse klar und berechenbar sein. Die Tatsache, dass den Ländern keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass der Straftäterunterbringungsgesetze zukomme, sei in zweierlei Hinsicht von verfassungsrechtlichem Gewicht: Zum einen fehle die demokratische Legitimation für die aufgrund dieser Gesetze erfolgte Freiheitsentziehung. Daher stelle sich die Frage, ob ein kompetenzwidriges Gesetz überhaupt taugliche Grundlage für eine Weitergeltungsanordnung sein könne. Zum anderen werde den Ländern unter Mitwirkung des Bundesverfassungsgerichts mittelbar die Möglichkeit der Einwirkung auf die Bundesgesetzgebung gegeben, als der Bund faktisch zur Umsetzung der Länderforderungen gedrängt werde. Mit der Weitergeltungsanordnung werde „ein Weg zur Durchsetzung politischer Anliegen der Länder auf Bundesebene honoriert, der nicht nur mit dem verfassungsrechtlich geordneten Gesetzgebungsverfahren unvereinbar ist, sondern durch die Mitwirkung des Bundesverfassungsgerichts auch geeignet ist, dessen Stellung im gewaltenteiligen Gesamtgefüge der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen.“182 Darüber hinaus seien verfassungsrechtliche Gründe für eine Weitergeltungsanordnung nicht gegeben. Dem Gesetzgeber stünden neben der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch weitere Schutzinstrumente zur effektiven Gefahrenabwehr zur Verfügung, wie etwa Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht sowie polizeirechtliche Standardmaßnahmen, wenn auch unter erhöhtem personellem Aufwand.183 181 182 183

Baier, Jura 2004, S. 556. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 192. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 197 f.

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Indem die Senatsmehrheit dem Bundesgesetzgeber faktisch die Überprüfung der aktuellen Gesetze zur Sicherungsverwahrung nahegelegt hat, maße sich das Bundesverfassungsgericht Kompetenzen an, die ihm nach dem Gewaltenteilungsprinzip nicht zustehen. Damit mache sich die Senatsmehrheit die die Bundesgesetzgebung korrigierende politische Risikobewertung der Landesgesetzgeber „zu Eigen“.184 Das Gericht dürfe aber wegen der Bindung an Recht und Gesetz nicht seine eigenen rechtspolitischen Vorstellungen durchsetzen, wenn diese im gewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren nicht erreicht werden konnten.185

IV. Rechtspolitischer Hintergrund der beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2004 Die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts müssen auch vor dem Hintergrund des jeweiligen Ergebnisses im Falle der Erklärung der Verfassungswidrigkeit und damit unter Umständen einer Nichtigkeit der ihnen zugrundeliegenden Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht betrachtet werden.186 So hätten im Rahmen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Februar 2004 einige Straftäter, die von Sachverständigen im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer ausdrücklich als gefährlich eingestuft wurden, sofort entlassen werden müssen, wenn das Gericht die zugrundeliegenden Normen für verfassungswidrig erklärt hätte.187 Dieselbe Konsequenz hätte bei der Entscheidung vom 10. Februar 2004 gedroht, wenn das Bundesverfassungsgericht neben der Aufhebung der Ländergesetze nicht zugleich eine Weitergeltungsanordnung der verfassungswidrigen Gesetze bis zum 30. September 2004 ausgesprochen hätte.188 Auch der auf dem Bundesverfassungsgericht lastende erhebliche mediale Druck und Druck von Seiten der Bevölkerung hat sicher einen großen Einfluss auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehabt. Der Einfluss der Medien auf das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft wird etwa durch die Hetz-Kampagne der Bild-Zeitung im Januar 2004 offenkundig: So stellte diese in einer Reihe von Artikeln Richter am Bundesgerichtshof an den Pranger, indem sie auf Fotografien deren Augenpartien mit schwarzen Balken verdeckte und mit Überschriften wie „Saustall Justiz“ , „Skandalrichter“ oder „Schämen Sie sich, Herr Richter“ versah.189 Auch stellte die Bild-Zeitung provokativ die Frage: „Wer 184 185 186 187 188 189

BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 202. BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 204. Kinzig, NJW 2004, S. 912; Dünkel/van Zyl Smit, 5 German Law Journal 2004, S. 637. Kinzig, NJW 2004, S. 912. Kinzig, NJW 2004, S. 912; Hamm, NJW 2004, S. 1303. Schöch, NK 2/2012, S. 48; Hamm, NJW 2004, S. 1303.

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schützt uns künftig vor solchen milden Richtern?“.190 Anlass für die schwere Kritik am Bundesgerichtshof war, dass der Bundesgerichtshof die (revisionsrechtlich zwingende) Aufhebung von Urteilen und darauf erfolgende Freilassung eines mehrfach vorbestraften Vergewaltiger zu verantworten habe, der kurz nach seiner Entlassung eine Frau in Hamburg vergewaltigt haben soll.191 Nachdem der Präsident des Bundesgerichtshofs Beschwerde beim deutschen Presserat eingelegt hatte, lautete die Antwort des Chefredakteurs der „Bild“, dass der Bundesgerichtshof für das Leid der Opfer offenbar kein Auge habe.192 Diese und andere provokante Artikel suggerierten eine unmittelbare Gefährdung der Gesellschaft durch Wiederholungstäter von Sexual-und Gewaltverbrechen und haben sicherlich ebenfalls dazu beigetragen, dass der Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht in beiden Entscheidungen weitestgehend Rückendeckung erhielt.

V. Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung Im Rahmen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 2. 2004 forderte selbiges den Bund dazu auf, bis zur Weitergeltung der Ländergesetze bis zum 30. September 2004 über die Notwendigkeit eigener bundesgesetzlicher Regelungen zu entscheiden und gegebenenfalls eigene Gesetze zu erlassen.193 Obwohl das Bundesverfassungsgericht damit dem Bund die Entscheidung überlassen hat, ob eigene Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung tatsächlich erforderlich sind oder nicht, konnte der in dem Urteil enthaltene konkludente Gesetzgebungsauftrag kaum verhüllt bleiben.194 Der Bundesgesetzgeber sah sich also zu einer Neuregelung in kürzester Zeit gezwungen, da andernfalls die Freilassung aller von den Ländergesetzen betroffenen Verurteilten hätte veranlasst werden müssen.195 Bereits vier Wochen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts lagen drei Entwürfe eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10. 3. 2004, der mit der Notwendigkeit der Schließung bestehender Schutzlücken legitimiert wurde196, setzte 190

Sturm, S. 25. Kinzig, NJW 2004, S. 912. 192 Sturm, S. 25; Hamm, NJW 2004, S. 1303. (Der Spiegel Nr. 7/2004, S. 170). 193 Milde, S. 223. 194 Renzikowski, JR 2004, S. 271; Flaig, Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, S. 84. 195 Milde, S. 223. 196 BR-DruckS. 202/04 vom 11. 3. 2004; BR-DruckS. 510/04; BT-DruckS. 15/2887, S. 5. Dabei steht die Schnelligkeit, mit der der Entwurf erarbeitet wurde, im Widerspruch zu der besonderen Betonung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 167, dass 191

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

sich dabei gegenüber Entwürfen der CDU/CSU-Fraktion vom 02. 03. 2004 und der Länder Bayern und Thüringen vom 03. 03. 2004 sowie einem Entwurf des Bundesrates durch.197 Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung wurde am 23. 7. 2004 verabschiedet und trat am 29. 07. 2004 in Kraft.198 Das neu eingeführte Gesetz orientierte sich dabei an den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Vorgaben an eine vom Bundesgesetzgeber eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung.199 Im Rahmen des § 66b StGB normiert der Gesetzgeber drei Anwendungsbereiche für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, wobei die materiellen Voraussetzungen für alle Anwendungsbereiche identisch sind:200 Die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat bzw. seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Dabei soll das Erfordernis einer Gesamtwürdigung im Rahmen der Gefahrenprognose verhindern, dass monokausale Erklärungsmuster genutzt werden, wie etwa das alleinige Abstellen auf das Therapieverhalten.201 Mit dem „Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht“202, das am 12. 07. 2008 in Kraft getreten ist, wurde zudem die äußerst umstrittene nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht gem. § 7 Abs. 2 JGG eingeführt.

1. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Mehrfachtäter gem. § 66b Abs. 1 StGB Bei der Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung auf der Grundlage von § 66b Abs. 1 StGB müssen die Voraussetzungen von § 66 StGB vorliegen. Danach kommt § 66b Abs. 1 StGB nur bei Tätern zur Anwendung, die bereits mehrfach verurteilt wurden. Weiterhin muss der Betroffene wegen eines Verbrechens aus den aufgeführten Straftatbereichen verurteilt worden sein. Auch die in § 66 Abs. 3 StGB aufgeführten Verbrechen genügen als Anlasstaten. Insoweit kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung insbesondere bei Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung angeordnet werden. Während die Anordnung nach Satz 1 die Erkennbarkeit von Tatsachen während des Vollzugs der Freiheitsstrafe, die auf eine die Prüfung der Erforderlichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung „einige Zeit in Anspruch nehmen“ werde (Mushoff, S. 41). 197 Flaig, S. 84 f. 198 BGBl I 2004. S. 1838. 199 BVerfG, 2 BvR 834/02, Rn. 177 ff.; Frisch, S. 966. 200 Flaig, S. 87. 201 Siehe die entsprechende Forderung des Bundesverfassungsgerichts in 2 BvR 834/02, Rn. 182; Poseck, NJW 2004, S. 2560. 202 BGBl I 2008, 1212; ausführlicher hierzu siehe Ullenbruch, NJW 2008, S. 2609 ff.

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erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen schließen lassen, voraussetzt, ermöglicht Satz 2 auch die Berücksichtigung von Tatsachen, die bereits bei Urteilsverkündung erkennbar waren, wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu diesem Zeitpunkt aus rechtlichen Gründen nicht möglich war.203 2. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Ersttäter gem. § 66b Abs. 2 StGB Da die Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB auch gegenüber Ersttätern angeordnet werden kann, erfolgt die Sicherungsverwahrung nur unter engen Voraussetzungen. Der Betroffene muss wegen eines der in Abs. 2 aufgeführten Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden sein. 3. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Unterbringungserledigung gem. § 66b Abs. 3 StGB § 66b Abs. 3 StGB ermöglicht die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch ohne Anlasstat oder frühere Verurteilung, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt wurde. Die Anordnung ist möglich, wenn die Unterbringung wegen einer Tat nach § 66 Abs. 3 StGB angeordnet wurde und der Betroffene schon früher wegen solcher Taten verurteilt oder untergebracht wurde. Wegen Art. 1a EGStGB ist die bundesgesetzlich geregelte nachträgliche Sicherungsverwahrung auch auf die nach den verfassungswidrigen Landesgesetzen untergebrachten Sicherungsverwahrten anwendbar.204

VI. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. August 2006 zur bundesrechtlich eingeführten nachträglichen Sicherungsverwahrung Im Rahmen dieser Entscheidung prüfte das Bundesverfassungsgericht erstmals inzident die Verfassungsmäßigkeit der neu in Kraft getretenen bundesgesetzlichen Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB. Wegen der Konformität des Gesetzes mit den im Urteil vom 10. Februar 2004 aufgestellten verfassungsmäßigen Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts über eine bundesrechtlich geregelte nachträgliche Sicherungsverwahrung verwundert es nicht, dass 203 Diese Sicherheitslücke ist erst im Rahmen des „Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung“ vom 13. April 2007 geschlossen worden; siehe ausführlich dazu Peglau, NJW 2007, S. 1561 f.; Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter, S. 61 ff. 204 Mushoff, S. 42.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur nachträglichen Sicherungsverwahrung die Ausgestaltung dieses Instituts durch den Bund als verfassungsgemäß bestätigten.205 1. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 2006 wegen versuchten Totschlags, vorsätzlicher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung vom Landgericht München zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Vor der vollständigen Verbüßung seiner Freiheitsstrafe vom Landgericht München wurde gegen ihn nachträglich Unterbringung in die Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Das Vorliegen neuer Tatsachen i.S.d. § 66b Abs. 1 StGB stützte das Gericht vor allen Dingen darauf, dass der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt seiner Verurteilung schuldeinsichtig und therapiewillig gezeigt habe, die in ihn gesetzten Erwartungen jedoch durch sein Verhalten im Straf- sowie Maßregelvollzug enttäuscht wurden. Das Gericht verstand die Therapieresistenz sowie fehlende Verantwortungsübernahme des Beschwerdeführers als dem Tatgericht nicht erkennbare, neue erhebliche Tatsachen i.S.d. § 66b Abs. 1 StGB, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die Allgemeinheit deuten würden. Zugleich begründete das Gericht die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers mit disziplinarischen Vergehen im Straf- und Maßregelvollzug.206 2. Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung Zunächst stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die neu eingeführten gesetzlichen Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot gem. Art. 103 Abs. 2 GG und dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2. Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verweist das Gericht im Wesentlichen auf die Ausführungen im Rahmen der Entscheidung vom 05. Februar 2004. Bei der Sicherungsverwahrung handele es sich um eine allein präventive Maßnahme; die bei einer unechten Rückwirkung erforderliche Abwägung zwischen dem individuellen Vertrauensschutz und dem Allgemeinwohl ergebe, dass Vertrauens-

205 BVerfG (1. Kammer des zweiten Senats), 2 BvR 226/06, NJW 2006, S. 3483; Frisch, S. 966; Anmerkungen zur dieser Entscheidung siehe Foth, NStZ 2007, S. 89. 206 BVerfG, 2 BvR 226/06, Rn. 5.

D. Entscheidungen des BVerfG und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber

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schutzbelange des Verurteilten hinter dem Gemeinwohlinteresse zurücktreten müssen. Auch verstoße die Regelung des § 66b Abs. 2 StGB nicht gegen das Freiheitsgrundrecht gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Durch die enge Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 66b StGB sei gewährleistet, dass die Maßnahme der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht komme und auf einige wenige Verurteilte beschränkt bleibe und somit als verhältnismäßige Regelung verfassungskonform sei.207 Die gesetzgeberische Entscheidung für einen Verzicht auf die Feststellung eines Hanges zu erheblichen Straftaten in § 66b Abs. 2 StGB sei nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, da die Vorschrift anders als § 66b Abs. 1 StGB weitere limitierende Erfordernisse in Form einer verhängten Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren und einer weiteren Begrenzung des Anlasstatenkatalogs enthält.208 3. Verfassungswidrigkeit der gegen den Beschwerdeführer ergangenen Anordnung der Sicherungsverwahrung Das Bundesverfassungsgericht kommt im Ergebnis dennoch zur Unvereinbarkeit der gegen den Beschwerdeführer angeordneten nachträglichen Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz wegen Verletzung von Art. 2. Abs. 2 S. 2 GG. Neue Tatsachen i.S.d. § 66b I StGB können nur solche sein, die die Gefährlichkeit des Verurteilten in einem neuen Licht erscheinen lassen. Zwar könne auch der Wegfall der Therapiemotivation eine neue Tatsache i.S.d. § 66b Abs. 1 StGB darstellen, das solle aber nicht in denjenigen Fällen gelten, in denen – wie im konkreten Fall – die unbewältigte Suchtproblematik schon dem Erstrichter bekannt war und dem über die Anlasstat entscheidenden Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung offen gestanden hätte.209 Zudem reiche es verfassungsrechtlich nicht aus, eine hohe Wahrscheinlichkeit i.S. des § 66b StGB bereits dann anzunehmen, wenn überwiegende Umstände auf eine künftige Delinquenz des Betroffenen hindeuten. Erforderlich sei vielmehr die Feststellung einer gegenwärtigen erheblichen Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit. Darüber hinaus betont das Bundesverfassungsgericht, dass wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzips die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nur für solche Fälle erwogen werden dürfe, in denen ein milderes Mittel zur Erreichung des mit diesem Institut verfolgten Zwecks, wie etwa die Anordnung von 207 208 209

BVerfG, 2 BvR 226/06, Rn 18. BVerfG, 2 BvR 226/06, Rn. 22. BVerfG, 2 BvR 226/06, Rn. 29.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Führungsaufsicht oder auch präventive Maßnahmen auf polizeirechtlicher Grundlage, nicht zur Verfügung stehen.210

VII. Kritische Würdigung der kriminalpolitischen Trendwende in Deutschland Wie sich aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt, ist das Recht der Sicherungsverwahrung zwischen 1998 und 2008 im Rahmen von sechs verschiedenen Gesetzen in zehn Punkten schrittweise ausgedehnt worden.211 Dies ist umso erstaunlicher, als es noch Mitte der neunziger Jahre eine Frage der Zeit zu sein schien, bis die Sicherungsverwahrung infolge ihrer Bedeutungslosigkeit abgeschafft werden würde.212 Auch wenn die in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen einen nur geringen Anteil der Gesamtzahl der Strafvollzugspopulation ausmachen213, darf dies nicht über die nunmehr weitaus häufigere Anwendung dieser Maßnahme

210 BVerfG, 2 BvR 226/06, Rn. 25. Auch im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. 10. 2008 (2 BvR 749/08, NJW 2009, S. 980) baut das Bundesverfassungsgericht auf die Entscheidung vom 10. Februar 2004 auf und bekräftigt die Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung, insbesondere die mit § 66b Abs. 1 S. 2 StGB einhergehende Erweiterung der Möglichkeiten zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Der Gesetzeswortlaut setze die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten voraus; keineswegs genüge es, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Untergebrachte in Freiheit weitere rechtswidrige Straftaten begeht. Die enge Begrenzung des Anwendungsbereiches des § 66b Abs. 1 S. 1,2 StGB könne sicherstellen, dass diese Maßnahme auch weiterhin nur in krassen Ausnahmefällen angeordnet werde und auf einen kleinen Kreis von verurteilten Personen beschränkt und damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werde. Im Beschluss vom 05. 08. 2009 (BVerfG, NStZ 2010, S. 265 f) bestätigt das Gericht die Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Unterbringungserledigung gem. § 66b Abs. 3 StGB, insbesondere in Altfällen. Nachweise zu Besprechungen dieser Entscheidungen bei Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 66b, Rn. 1; Frisch, S. 967. 211 Schöch, NK 2/2012, S. 48. Dazu gehören das „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“, die landesrechtlichen Straftäterunterbringungsgesetze, das „Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung“, das „Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung“, das „Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung“ und das „Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilung nach Jugendstrafrecht“. 212 Sprung, S. 32; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 10; Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 597 ff. 213 Am 31. 03. 2011 waren insgesamt 58.568 Personen, davon 3.222 Frauen, im Vollzug der Freiheitsstrafe, Jugendstrafe oder Sicherungsverwahrung untergebracht, in der Sicherungsverwahrung waren es 487, davon drei Frauen (Statistisches Bundesamt, Bestand der Gefangenen und Verwahrten, Stand: 04. 11. 2011); Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 10.

D. Entscheidungen des BVerfG und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber

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hinwegtäuschen.214 Während im Jahre 1990 nur 182 Personen in der Sicherungsverwahrung untergebracht waren, waren es 2010 bereits 536 Personen.215 Auch die Deliktsstruktur der Anlasstaten hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert: Während der Anteil der wegen Eigentums- und Vermögensdelikten untergebrachten Personen stetig sank, ist der Anteil der untergebrachten Sexualstraftäter erheblich gestiegen.216 Angesichts dieser Zahlen drängt sich die Frage förmlich auf, ob eine Verschärfung der Regelungen zur Sicherungsverwahrung wegen eines erhöhten Sicherheitsrisikos durch gefährliche (Rückfall-)Täter tatsächlich erforderlich war. Erstaunlich ist hierbei, dass die Auswertung der Kriminalstatistiken nicht ergibt, dass die außergewöhnliche Betonung auf Eliminierung von Risiken und Sicherheit in der Rechtspolitik durch einen tatsächlichen Wandel von Sicherheitsrisiken legitimiert werden kann. So ist nicht etwa ein vermehrtes Auftreten schwerwiegender Delinquenz im Zeitraum der Ausweitung der Sicherungsverwahrung zu beobachten; laut Angaben des periodischen Sicherheitsberichts der Bundesregierung war die Anzahl der begangenen Tötungs-, Sexual- und Gewaltdelikte sogar rückläufig.217 Gerade die Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge, die in den Medien besondere Aufmerksamkeit auf sich zogen, beschränkten sich seit Anfang der neunziger Jahre auf höchstens sechs pro Jahr.218 Ebenso ist anzuführen, dass die Rückfallquote von Sexualstraftätern erheblich niedriger ist, als man es vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens angenommen hatte 214

Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 10. Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 10; Schöch, NK 2/2012, S. 48; Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter, S. 320 (Quelle: Strafverfolgungsstatistik, Strafvollzugsstatistik [Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen]). 216 Bartsch, Sicherungsverwahrung-Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, S. 35; Strafvollzugsstatistik (Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen) 2010; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 12. So waren 1970 mehr als zwei Drittel aller Untergebrachten wegen eines gewaltlosen Vermögensund Eigentumsdelikts bestraft, während es 1990 weniger als 30 % und 2010 nur etwa 7,5 % ausmachten. Auf Sexualstraftäter hingegen entfiel 1970 ein Anteil von etwa 25 %, 2010 aber schon rund 50 %. 217 Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), 2. Periodischer Sicherheitsbericht, 2006, S. 66 ff.; Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter, S. 320; Schöch, NK 2/2012, S. 53; siehe auch Brandt, S. 4. So ist etwa die Zahl der bekannt gewordenen Fälle auf 100.000 Einwohner für alle Sexualstraftaten, für den sexuellen Missbrauch, für die Vergewaltigung, die sexuelle Nötigung und den Sexualmord im Jahre 1975 (teilweise sogar deutlich) höher als im Jahre 2002 (Boetticher, NStZ 2005, S. 417). 218 Renzikowski, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 174 ff., Rn. 84; siehe zu statistischen Angaben auch Frehsee, Kriminalität in den Medien, S. 32; Meier, Zum Schutz der Bevölkerung erforderlich?, S. 446 ff. 215

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

und wie es nach der medialen Darstellung anzunehmen wäre.219 Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Kriminalität haben statistisch gesehen weder die polizeilich registrierten Sexualstraftaten noch die Morde bzw. Sexualmorde an Kindern seit den 1990er Jahren statistisch zugenommen. 220 Es verbleibt also ein dumpfes Gefühl, dass die gesetzliche Ausdehnung des Instituts der Sicherungsverwahrung weniger aus einer kriminalpolitischen Notwendigkeit heraus vollzogen wurde, sondern im Wesentlichen auf Druck seitens der Medien und der Bevölkerung zurückzuführen ist. Die objektive Bedrohungslage durch Sexual- und Gewaltstraftäter hat in den letzten Jahrzehnten nämlich nicht zugenommen; allein das durch die Medien geschürte Empfinden einer Bedrohungssituation der Gesellschaft hat sich geändert.221 Die Überbetonung staatlicher Sicherheitsinteressen und die Tatsache, dass vor allem Rückfall- und Sexualstraftäter stark in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten sind, scheint nach alledem allein auf einen Gesinnungswandel zurückzuführen zu sein und ist nicht Abbild objektiver Realität.

E. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Verfahren „M. gegen Deutschland“ und die verfassungsrechtlichen Konsequenzen in Deutschland Dem schrittweisen Ausbau der Sicherungsverwahrung sollte jedoch bald Einhalt geboten werden. Eingeleitet werden sollte diese Gegenbewegung, die zu einer Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung führen sollte, durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg. In der Entscheidung „M. gegen Deutschland“ vom 17. 12. 2009 wertete der EGMR die rückwirkende Entfristung der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen Art. 5 und Art. 7 EMRK.222 Im Folgenden soll daher zunächst ausführlich auf diese Entscheidung eingegangen werden, um sodann die Reaktion des Bundesverfassungsgerichts und des Gesetzgebers darzulegen.

219

Schöch, NJW 1998, S. 1257. Schöch, NJW 1998, S. 1261. So ergab eine vorläufige Auswertung der von der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden 1997 durchgeführten bundesweiten Untersuchung zehn Jahre nach der Vortat bei besonders schweren Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 III StGB eine einschlägige Rückfallquote von 12,3 %, bei Vergewaltigung 13,7 %, eine Untersuchung in Baden-Württemberg nach fünf Jahren in Freiheit „höchstens 20 %“ (Schöch, NJW 1998, S. 1261). 221 Schöch, NK 2/2012, S. 49; Kury, Gemeingefährlichkeit und Medien, S. 193, 199, 229. 222 EGMR, Urteil vom 17. 12. 2009, Az. 19359/04 (5. Kammer), NJW 2010, S. 2495. 220

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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I. Die Entscheidung des EGMR „M. gegen Deutschland“ vom 17. Dezember 2009 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt Der Entscheidung „M gegen Deutschland“ liegt eine Individualbeschwerde eines deutschen Staatsbürgers gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 24. Mai 2004 zugrunde. Bei dem Beschwerdeführer „M“223 handelt es sich um denselben Straftäter, der am 05. Februar 2004 bereits Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt hat. Bezüglich des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts wird daher auf die ausführliche Darstellung in 1. Teil, D., II., 1. verwiesen.224 M. befand sich seit dem 08. September 2001 in Sicherungsverwahrung und war von der rückwirkenden Entfristung der Sicherungsverwahrung für Altfälle unmittelbar betroffen. 2. Rechtstatsächliche Analyse des Vollzugs der Sicherungsverwahrung des M. Zunächst untersuchte das EGMR die genauen Vollzugsbedingungen in der JVA Schwalmstadt, in der auch der Beschwerdeführer untergebracht ist. So seien Sicherungsverwahrte in der JVA Schwalmstadt in einem vom regulären Gefängnis getrennten Gebäude untergebracht und würden im Vergleich zu Strafgefangenen einige Privilegien genießen, wie etwa größere Bewegungsfreiheit, längere Besuchszeiten und erhöhtes Taschengeld.225 Ferner könnten Sicherungsverwahrte eine wöchentliche Gesprächsgruppe und einen 14-tätigen Wohngruppenabend wahrnehmen. Im Bedarfsfall würden dem Sicherungsverwahrten einzeltherapeutische Gespräche mit Therapeuten oder Gruppentherapien angeboten. Der Beschwerdeführer habe bereits seit Anfang 1993 Therapiegespräche wahrgenommen, die auch im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung mit einem externen Psychologen fortgesetzt und schließlich im März 2003 abgeschlossen worden seien. Dem Beschwerdeführer seien einige Male im Jahr Ausführungen gestattet und er werde etwa drei Mal im Monat von seiner Verlobten besucht. Durch seine Beschäftigung in der Metallwerkstatt der Justizvollzugsanstalt erwerbe sich der Beschwerdeführer ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 350,– bis 543,– Euro. 223

Gem. Artikel 47 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist dem Antrag des Beschwerdeführers stattgegeben worden, seine Identität nicht preiszugeben. 224 Siehe auch BVerfG, Urteil vom 05. 02. 2004, Az. 2 BvR 2029/01, Rn. 44 ff; EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 2 ff. 225 EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 37 ff.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Laut eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und eines psychologischen Gutachtens vom September 2006 weise der Beschwerdeführer eine positive Persönlichkeitsentwicklung in Richtung Resozialisierung auf. Dennoch empfehle der Sachverständige zur nachhaltigen Festigung der Persönlichkeit die Beibehaltung der aktuellen Vollzugslockerungsmaßnahmen.226 3. Statistische Angaben zur bundesweiten Praxis der Sicherungsverwahrung Nach einem ausführlichen Abschnitt über das deutsche Strafrechtssystem und den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung zur Sicherungsverwahrung macht der EGMR sodann einige statistische Angaben zum Vollzug der Sicherungsverwahrung in Deutschland. So seien im Jahre 2005 insgesamt 75 Unterbringungen in die Sicherungsverwahrung angeordnet worden; davon handele es sich in 42 Fällen um Sexualstraftäter. 415 Personen befänden sich im März 2007 insgesamt in Sicherungsverwahrung.227 Im Jahre 2002 seien vom Wegfall der zehnjährigen Höchstfrist 261 Personen betroffen gewesen. Von diesen seien im Jahre 2008 noch 70 Personen betroffen und befänden sich demnach seit mehr als zehn Jahren in Sicherungsverwahrung.228 Ferner weise Deutschland eine weitaus niedrigere Gesamtzahl an inhaftierten Personen als der europäische Durchschnitt auf.229 4. Rechtsvergleichende Bemerkungen des EGMR Weiterhin hält das Gericht rechtsvergleichende Umschau und untersucht gesetzliche Bestimmungen in anderen europäischen Ländern, die den Freiheitsentzug von als besonders gefährlich erachteten, aber voll verantwortlichen Straftätern regeln.

226

EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 39. Nach Jörg Kinzig sind die vom Gericht vorgetragenen Zahlen teilweise bereits überaltert. Allein im Jahre 2008 befänden sich laut Statistischem Bundesamt (Rechtspflege Strafverfolgung 2007 und 2008, Tab. 5, S. 334 f.) bereits 111 Personen in Sicherungsverwahrung. Im August 2009 befänden sich bereits 500 Personen in Sicherungsverwahrung. Noch bis Mitte der 90er Jahre seien durchschnittlich nur etwa 30 bis 40 Personen in Sicherungsverwahrung untergebracht; 1996 seien es insgesamt nur 176 verwahrte Straftäter gewesen (Kinzig, NStZ 2010, S. 234). 228 EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 62. 229 Das Gericht beruft sich auf von der Regierung bereitgestellte Statistiken, nach denen in Deutschland 95 Gefangene auf 100.000 Einwohner kommen und 2006 insgesamt 2.907 Menschen zu Freiheitsstrafen zwischen zehn Jahren und lebenslanger Haft verurteilt wurden (EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 63). 227

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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So legt das Gericht dar, dass nur sieben weitere Vertragsstaaten der Konvention Systeme aufweisen, die ähnlich wie die deutsche Sicherungsverwahrung konzipiert seien.230 Die große Mehrheit dieser Staaten sähe die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in speziellen Anstalten vor.231 Überwiegend gäbe es auch keine zeitliche Obergrenze für die Anordnung der Sicherungsverwahrung.232 Eine rückwirkende Anwendung der Anordnung der Sicherungsverwahrung sei in vier der insgesamt sieben untersuchten Staaten genau wie in Deutschland möglich.233 Es gäbe zugleich zahlreiche Vertragsstaaten der Konvention, die keine Regelungen zur Sicherungsverwahrung erlassen haben und die Gefährlichkeit des Straftäters allein bei der Bemessung der Freiheitsstrafe berücksichtigen würden. Ein und derselbe Sanktionstyp werde in einem Vertragsstaat als zusätzliche Strafe und in einem anderen Staat als Maßregel verstanden. Abschließend geht das Gericht näher auf eine Entscheidung des französischen Verfassungsrats von 2008 ein. Darin wurde die Verfassungsmäßigkeit eines neu eingeführten Gesetzes mit Maßregelcharakter bewertet. Obwohl der Verfassungsrat einer ähnlichen Argumentation wie der des Bundesverfassungsgerichts folgte und dem Gesetz den Strafcharakter absprach, habe es abweichend dennoch eine rückwirkende Anwendung als unzulässig erklärt.234 5. Bezugnahme auf Stellungnahmen internationaler Überwachungsorgane zur Sicherungsverwahrung Zunächst bezieht sich das Gericht auf einen Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats. Dieser habe sich während seines Besuchs in Deutschland über die steigende Anzahl an sicherungsverwahrten Personen besorgt gezeigt und eine restriktive Anwendung dieses Instruments befürwortet. Damit Sicherungsverwahrte eine Zukunftsperspektive gewinnen können, wäre eine psychologische und psychiatrische Betreuung notwendig.235

230 Zu diesen Staaten gehören Österreich, Dänemark, Italien, Liechtenstein, San Marino, die Slowakei und die Schweiz (EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 65). 231 Allein in Dänemark fände die Unterbringung in regulären Gefängnissen statt. In Italien sei zwar die Unterbringung in speziellen Anstalten vorgesehen, in der Praxis werde die Sicherungsverwahrung dennoch in regulären Gefängnissen vollzogen (EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 65). 232 Allein in Liechtenstein und Österreich dürfe die Sicherungsverwahrung nicht länger als zehn Jahre andauern (EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 66). 233 Das Gericht führt dabei Italien, Slowakei, Dänemark und San Marino an (EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 67). 234 EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 70. 235 EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 71 ff.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Sodann geht das Gericht auf den Bericht des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe236 aus dem Jahre 2007 über seinen Besuch in der Sicherungsverwahrungsabteilung der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel ein. Danach stufte der Ausschuss zwar die materiellen Bedingungen als äußerst positiv ein, beanstandete aber die mangelhafte psychosoziale Betreuung der Sicherungsverwahrten und führte die vor Ort herrschende Perspektivlosigkeit auf. Auch wenn der Ausschuss grundsätzlich den Ansatz begrüßte, den Häftlingen eine größere Verantwortung zu übertragen und ihre Unabhängigkeit zu festigen, müssten sie auf diesem Weg dennoch durch Fachpersonal intensiv unterstützt und begleitet werden. Die individuelle Arbeit mit den Inhaftierten beschränke sich auf ein Minimum; die psychologische Betreuung sei absolut unzureichend.237 Zuletzt erwähnt das Gericht die Erklärung des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zur französischen Praxis der Sicherungsverwahrung. Danach bestünden trotz Verbots der rückwirkenden Anwendung dieser Maßnahme durch den französischen Verfassungsrat in der Praxis Probleme im Hinblick auf Art 9, 14 und 15 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.238 6. Maßgebliche Entscheidungsgründe Das Gericht prüfte zunächst eine mögliche Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK und ging dann näher auf eine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 EMRK ein. a) Verstoß gegen Art. 5 I EMRK Zunächst hält das Gericht fest, dass die in Art. 5 aufgeführten Gründe kumulativ anwendbar sind und zugleich erschöpfend sind, eine Freiheitsentziehung also nur durch Erfassung einer dieser Gründe gerechtfertigt sein kann. aa) Verstoß gegen Art. 5 I lit. a) EMRK Die Ausführungen zu der Prüfung, ob eine rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht gem. Art. 5 I lit. a) EMRK vorliegt, bildet den Schwerpunkt der Entscheidung. Zunächst erläutert der Gerichtshof, dass der Begriff der „Verurteilung“ neben einer Schuldfeststellung auch die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen 236 European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (kurz: CPT). Der Bericht über den Besuch ist in deutscher Sprache unter http:// www.cpt.coe.int/documents/deu/2007-18-inf-deu.pdf abrufbar. 237 EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 75 ff. 238 Artikel 9 normiert das Recht auf Freiheit, Artikel 14 den „ne bis in idem“-Grundsatz und Artikel 15 den Grundsatz „nulla poena sine lege“.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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freiheitsentziehenden Maßnahme umfasse. Zwischen der Verurteilung und der in Rede stehenden Freiheitsentziehung müsse ein „hinreichender Kausalzusammenhang bestehen“. Diese Verbindung zwischen ursprünglicher Verurteilung und einer zusätzlichen Freiheitsentziehung werde jedoch „mit zunehmendem Zeitablauf allmählich schwächer“. Ein Kausalzusammenhang sei nicht mehr gegeben, wenn sich die Entscheidung über die weitere Freiheitsentziehung auf Gründe stütze, die mit den Zielen der ursprünglichen Entscheidung unvereinbar wären oder auf eine Einschätzung, die im Hinblick auf diese Ziele unangemessen wäre. Unter diesen Umständen würde sich eine zu Beginn rechtmäßige Freiheitsentziehung in eine willkürliche, mit Art. 5 unvereinbare, Freiheitsentziehung verwandeln.239 Weiter erläutert der Gerichtshof den Begriff der „rechtmäßigen Freiheitsentziehung“ in Art. 5 Abs. 1 lit. a) EMRK. Dabei verweise die Konvention im Wesentlichen auf das innerstaatliche Recht. Eine Freiheitsentziehung müsse somit zusätzlich auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die hinreichend präzise gefasst sein muss. Eine Person müsse die rechtlichen Folgen einer Handlung voraussehen können. Darin inbegriffen sei auch ein Willkürverbot.240 Diese Grundsätze wendet der Gerichtshof bei der nachfolgenden Prüfung an, ob dem M. durch die die Dauer von zehn Jahren überschreitende Sicherungsverwahrung die Freiheit rechtmäßig entzogen worden ist. In einem ersten Schritt prüft der Gerichtshof, ob das Institut der Sicherungsverwahrung grundsätzlich unter Art. 5 Abs. 1 lit. a) EMRK fällt. Diese Frage bejaht er unter Berufung auf frühere Entscheidungen der Kommission und des Gerichtshofs selbst zum deutschen Institut der Sicherungsverwahrung sowie vergleichbaren gesetzlichen Regelungen in anderen Vertragsstaaten der Konvention.241 Da der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des M. durch das Landgericht Marburg 1986 und der Freiheitsentziehung in Form der Sicherungsverwahrung gegeben sei, sei jedenfalls die ursprüngliche Sicherungsverwahrung für zehn Jahre von Art. 5 Abs. 1 lit. a) EMRK erfasst. Sodann widmet sich der Gerichtshof der Prüfung, ob auch die über die Zehnjahresfrist hinaus andauernde Sicherungsverwahrung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a) EMRK gerechtfertigt sei. Dabei widerspricht der Gerichtshof dem Vorbringen der Bundesregierung. Diese hatte das Vorliegen des erforderlichen Kausalzusammenhangs damit begründet, dass das erkennende Gericht die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ohnehin ohne Befristung angeordnet habe und die Bestimmung der genauen Dauer der Sicherungsverwahrung allein den Vollstreckungsgerichten obliege. Die Bundesregierung verkenne dabei jedoch, dass die Dauer der Sicherungsverwahrung nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches stets von den Vollstreckungsgerichten fest239 240 241

EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 97. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 99 f. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 102.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

gelegt werde, diese sich jedoch bei der Festlegung der Dauer innerhalb des zeitlichen Spielraums bewegen müssen, der ihnen zum Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts vom Gesetzgeber eingeräumt worden ist.242 Da jedoch zum Zeitpunkt der Anordnung der Sicherungsverwahrung durch das Landgericht Marburg 1986 der Gesetzgeber eine Höchstdauer von zehn Jahren für die Sicherungsverwahrung vorgesehen hatte, hätte der Beschwerdeführer ohne die Gesetzesänderung nach zehn Jahren aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des M. durch das erkennende Gericht und der Anordnung der Sicherungsverwahrung über den Ablauf von zehn Jahren hinaus sei damit nicht gegeben. bb) Art. 5 Absatz 1 lit. c) EMRK Während nach Auffassung des Gerichtshofs Art. 5 Abs. 1 lit. b), d) und f) EMRK eindeutig nicht einschlägig seien, handelte er nachfolgend kurz die Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK ab. Danach kann der Freiheitsentzug einer Person gerechtfertigt sein, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, die Person an der Begehung einer Straftat zu hindern. Die potentiellen weiteren Straftaten, an deren Begehung der M. durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung gehindert werden sollte, seien jedoch nicht „hinreichend konkret und spezifisch“, um unter lit. c) zu fallen. Dies begründet der Gerichtshof mit einem Hinweis auf Art. 5 Abs. 3 EMRK, der bestimmt, dass jede Person, deren Freiheitsentziehung auf Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK gestützt wird, unverzüglich einem Richter vorzuführen ist und Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens hat. Sicherungsverwahrte Straftäter würden jedoch gerade nicht wegen potentieller künftiger Straftaten einem Richter vorgeführt und vor Gericht gestellt.243 cc) Art. 5 Absatz 1 lit. e) EMRK Auch wenn der Gerichtshof nicht prinzipiell ausschließen möchte, dass die Sicherungsverwahrung bestimmter Straftäter durch Art. 5 Abs. 1 lit. e) EMRK gerechtfertigt ist, sei dieser Rechtfertigungsgrund im vorliegenden Fall jedenfalls nicht einschlägig. Das Oberlandesgericht habe festgestellt, dass M. nicht mehr an einer schweren seelischen Störung leide und daher auch kein „psychisch Kranker“ im Sinne dieser Alternative sein könne.244

242 243 244

EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 109. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 113. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 114.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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dd) Vorhersehbarkeit Zuletzt schneidet der Gerichthof kurz die Frage an, ob selbst dann, wenn einer der Rechtfertigungsgründe des Art. 5 EMRK einschlägig gewesen wäre, die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung für den Beschwerdeführer vorsehbar gewesen sei. Auch wenn der Gerichtshof die Frage letztlich offen lässt, äußert er „ernstliche Zweifel“ an der Vorhersehbarkeit der zeitlich unbegrenzten Sicherungsverwahrung für den Beschwerdeführer.245 b) Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK Fortan prüft der Gerichtshof, ob die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung ebenso einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK begründet. Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK bestimmt, dass niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden darf, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Zunächst betont der Gerichtshof die „herausragende Stellung“ des Rückwirkungsverbots innerhalb der Konvention, die ein „wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips“ darstelle.246 Da der in Artikel 7 verwendete Begriff „Recht“ („law“) qualitative Anforderungen, einschließlich Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit impliziere, müsse der Einzelne dem Wortlaut der Bestimmung entnehmen können, durch welche Handlung oder Unterlassung er sich strafbar mache und mit welcher Strafe die Handlung bzw. Unterlassung bedroht ist. Bei der Prüfung der Frage, ob einem Gesetz Strafcharakter zukommt oder nicht, bleibe es den Gerichten unbenommen, eine eigene Würdigung vorzunehmen und nicht allein den äußeren Anschein zu berücksichtigen. Dadurch könne dem Rückwirkungsverbot volle Wirksamkeit verliehen werden. Ausgangspunkt dieser Prüfung sei stets die Frage, ob die in Rede stehende Maßnahme im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat verhängt worden ist. Als weitere Kriterien nennt der Gerichtshof die Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, die Art und der Zweck der Maßnahme sowie die mit ihrer Schaffung und Umsetzung verbundenen Verfahren. Auch die Schwere der Maßnahme müsse bei der Prüfung berücksichtigt werden, könne jedoch keinen entscheidenden Faktor ausmachen, da Maßnahmen präventiver Art ebenso gravierende Auswirkungen auf die betroffene Person haben könnten. Auch müsse zwischen der Strafe an sich und Maßnahmen, die allein die Vollstreckung bzw. den Vollzug der Strafe betreffen, unterschieden werden.247

245 246 247

EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 115. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 128. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 133.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Unter Anwendung dieser Grundsätze prüft der Gerichtshof sodann, ob die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers tatsächlich eine Strafe im Sinne des Art. 7 EMRK darstellt. Dabei stellt er zunächst fest, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in die Sicherungsverwahrung im Jahre 1986 wegen einer Straftat angeordnet wurde. Zweifel an der Charakterisierung dieser Maßnahme als Maßregel nach deutschem Recht ergäben sich für den Gerichtshof jedenfalls nicht aus der Tatsache, dass die Sicherungsverwahrung erstmals während des NS-Regimes eingeführt wurde. Dagegen sei bereits einzuwenden, dass die gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nach 1945 mehrfach vom deutschen Gesetzgeber bestätigt worden seien. Dennoch betont der Gerichthof auch an dieser Stelle seine Kompetenz, den Begriff der Strafe autonom zu prüfen. So könne durch den Gerichtshof dieselbe Art von Maßnahme in einem Land als Strafe und in einem anderen Land als präventive Maßnahme bewertet werden.248 Bei der Prüfung der Sicherungsverwahrung in Deutschland sei zunächst auffällig, dass sich die Vollzugsgestaltung der Sicherungsverwahrung nur geringfügig vom Strafvollzug unterscheide. So seien sicherungsverwahrte Personen zwar in separaten Abteilungen, aber dennoch in regulären Strafvollzugsanstalten untergebracht. Auch die den sicherungsverwahrten Personen gewährten unwesentlichen Privilegien „können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung gibt“.249 Diese Einschätzung stützte der Gerichtshof unter anderem auf die Tatsache, dass im Strafvollzugsgesetz nur wenige Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung enthalten seien, sondern im Wesentlichen Bestimmungen über den Vollzug von Freiheitsstrafen entsprechende Anwendung fänden.250 Weiter untermauert wird diese Bewertung mit der Feststellung, dass für sicherungsverwahrte Personen gegenüber Langzeitgefangenen keine speziellen Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen vorgesehen seien, um die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und die Unterbringungsdauer auf ein unbedingt erforderliches Maß zu beschränken.251 Erneut beruft sich der Gerichtshof auf den Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats und des CPTs und betont die herausragende Bedeutung psychologischer Betreuung und Unterstützung. So könne die Rückfallgefahr der Gefangenen verringert werden und letztendlich eine Entlassung ermöglicht werden. Solche Maßnahmen sehe das deutsche Sicherungsverwahrungssystem jedoch nicht vor.252

248 249 250 251 252

EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 138. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 139. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 139. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 140. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 142.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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Wie sich auch den in §§ 2 und 129 StVollzG formulierten Vollzugszielen entnehmen lasse, seien die Zwecke von Strafe und Maßregel nicht grundlegend verschieden. Auch die Strafe diene neben der Maßregel dem Schutz der Allgemeinheit und der Vorbeugung von Straftaten. Die Sicherungsverwahrung wiederum könne aufgrund ihrer unbegrenzten Dauer „durchaus als zusätzliche Bestrafung für eine von der betreffenden Person begangene Straftat verstanden werden“ und beinhalte „eindeutig ein Element der Abschreckung“.253 Wegen der nunmehr möglichen unbegrenzten Dauer der Sicherungsverwahrung sowie der hohen Anforderungen an eine Entlassung sei sie „eine der schwersten – wenn nicht die schwerste – (Maßnahme), die nach dem StGB verhängt werden kann.“254 Nach alledem kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Sicherungsverwahrung nach dem Strafgesetzbuch als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Konvention einzustufen sei, so dass es sich bei der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung durch Aufhebung der bis dahin geltenden zehnjährigen Höchstfrist, wie im Falle des Beschwerdeführers geschehen, um eine Verschärfung der Strafe unter Verletzung des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK handele. Wegen der über die Zehnjahresfrist hinaus andauernden Sicherungsverwahrung gewährte der Gerichtshof dem Beschwerdeführer zudem Schadensersatz in Höhe von 50.000 Euro gem. Artikel 41 der Konvention.255

II. Die Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung als Folge des Urteils des EGMR 1. Änderungen im Bereich der Sicherungsverwahrung Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat eine fundamentale Veränderung der deutschen Gesetzgebung zur Sicherungsverwahrung angestoßen: Die sich in dieser Entscheidung abzeichnende kritische Haltung des EGMR zum deutschen Institut der Sicherungsverwahrung, die fortan auch in weiteren Entscheidungen des EGMR bekräftigt wurde256, machte dem Gesetzgeber bewusst, dass eine Angleichung der Rechtsnormen zur Sicherungsverwahrung an die Vorgaben des EGMR unumgänglich war.257 Die Entscheidung führte zu einer um253

EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 143. EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 145. 255 EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 156. 256 Die eindeutige Position des EGMR, dass bei Altfällen Art 5 und Art 7 EMRK verletzt werden, spiegelt sich auch in weiteren Entscheidungen des EGMR ab, die „M. gegen Deutschland“ bestätigen: Nr. 20008/07 (Mautes v. Germany); 23760/04 und 42225/05 (Schummer v. Germany); 6587/04 (Haidn v. Germany); 30060/04 (Jendrowiak v. Germany). 257 Kinzig, NJW 2011, S. 177. 254

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

fassenden Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung, ohne dass zuvor eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung abgewartet wurde.258 Diese Gegenbewegung wurde eingeläutet durch das „Gesetz zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ vom 22. 12. 2010, welches am 1. 1. 2011 in Kraft trat.259 Die wichtigsten Punkte dieser Reform sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Mit dem Erlass dieses Reformgesetzes wurde beabsichtigt, einen effektiven Schutz der Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straftätern bei gleichzeitiger Wahrung von rechtsstaatlichen Grundsätzen zu ermöglichen.260 Dies sollte durch Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung, Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sowie Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gelingen.261 a) Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung Das neue Gesetz hält grundsätzlich an der in § 66 StGB normierten primären Sicherungsverwahrung fest, schränkt ihren Anwendungsbereich durch engere Fassung der möglichen Anlasstaten gem. § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB jedoch weiter ein.262 Im Wesentlichen kommen nunmehr als Anlasstaten nur noch Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie Taten aus dem ersten, siebten, zwanzigsten und achtundzwanzigsten Abschnitt263 und Teilbereiche der §§ 145a und 323a StGB in Betracht. Ferner wurde der im Urteil festzustellende Hang zur Begehung von Straftaten gem. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB auf solche beschränkt, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer beschädigt werden. Eine weitere erhebliche Begrenzung der anfänglichen Sicherungsverwahrung ergibt sich daraus, dass als Vortaten gem. § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB allein die in Nr. 1 aufgelisteten Katalogtaten in Betracht kommen.

258

Frisch, S. 968. BGBl. I 2010, S. 2300 ff.; BT-DruckS. 17/3403, S. 13 ff. (Begründung); näher zu dem Gesetz siehe Esser, JA 2011, S .732 f. 260 BT-Dr. 17/3403, S. 1; zitiert nach Kinzig, NJW 2011, S. 177. 261 BT-Dr 17/3403, S. 2, 23; zitiert nach Kinzig, NJW 2011, S. 177. 262 Kreuzer, StV 2011, S. 129; Kinzig, NJW 2011, S. 178. 263 Umfasst sind damit Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (erster Abschnitt), Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (siebter Abschnitt), Raub und Erpressung (zwanzigster Abschnitt) sowie gemeingefährliche Straftaten (achtundzwanzigster Abschnitt; dabei wurde jedoch vor allem an Brandstiftungsdelikte gedacht). Eine weitere Einschränkung dieser in § 66 I 1 b) StGB aufgeführten Anlasstaten ergibt sich daraus, dass sie im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sein müssen (Kreuzer, StV 2011, S. 129). 259

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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b) Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung hingegen ist gegenüber der alten Fassung erheblich ausgebaut worden: Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gegen Gewalt- und Sexualstraftäter gem. § 66a Abs. 1 StGB müssen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein, sondern es genügt die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter einen Hang zu erheblichen Straftaten hat und für die Allgemeinheit gefährlich ist.264 Zudem ordnet das Gericht gem. § 66a Abs. 3 S. 2 StGB die Sicherungsverwahrung in einem Nachverfahren an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten seine Gefährlichkeit ergibt, ohne dass ein Hang zu erheblichen Straftaten erneut festgestellt werden muss. Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gegen Ersttäter gem. § 66a Abs. 2 StGB ist für die Anordnung des Vorbehalts die Begehung einer Katalogtat ausreichend265, wegen der der Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist. Auch hier wird gem. § 66a Abs. 3 S. 2 StGB das Vorliegen sog. „Nova“, also neuer Tatsachen, bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht vorausgesetzt. Überdies ist die Frist für eine endgültige Anordnung der Sicherungsverwahrung in beiden Varianten gem. § 66a Abs. 3 S. 1 StGB bis zur vollständigen Vollstreckung der Strafe oder bis zur Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung ausgeweitet worden. c) Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung Die nachträgliche Sicherungsverwahrung hingegen ist bis auf zwei Ausnahmen nicht beibehalten worden. So ist gem. § 66b StGB die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach für erledigt erklärter Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus aufrechterhalten worden.266

264

Siehe gem. § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB. Damit rückt der Gesetzeswortlaut von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, der für den Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung die Feststellung eines Hangs mit hinreichender Sicherheit forderte (BGHSt 50, 188 (194f.) = NJW 2005, S. 3155). 265 Gem. § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB muss der Täter wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem 28. Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 StGB, verurteilt worden sein. 266 Gem. 7 IV JGG ist in diesen Fällen auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung von nach Jugendstrafrecht verurteilten Personen aufrechterhalten worden.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Gem. § 316e Abs. 1 S. 2 EGStGB wird zudem die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Altfälle beibehalten, für die das bisherige Recht anzuwenden ist.267 2. Einführung der Möglichkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung Das neue Gesetz hat weiterhin die gesetzlichen Bestimmungen zur Maßregel der Führungsaufsicht gem. § 68 Abs. 1 StGB angepasst. Besonders hervorzuheben ist die nunmehr bestehende Möglichkeit elektronischer Überwachung des Aufenthaltsorts nach Entlassung aus der Sicherungsverwahrung gem. § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB. 3. Das Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter Eine weitere Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“ ist die Einführung des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz)268, mit der die Schließung der durch das Urteil entstandenen Schutzlücke bezweckt wurde.269 Danach können Personen, die deshalb nicht mehr länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können, „weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist“, gem. § 1 Abs. 1 ThUG weiterhin in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden. Die Anordnung einer solchen Unterbringung setzt voraus, dass die Person an einer psychischen Störung270 leidet, welche dazu führt, dass „mit hoher Wahrscheinlich267 Sind die Taten, wegen derer die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB angeordnet werden soll, jedoch vor dem 1. Januar 2011 begangen und der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, bestimmt § 316e Abs. 2 EGStGB, dass das jeweils mildere Gesetz gelten soll. Zu den Gründen der Anwendbarkeit des § 66b a.F. siehe BT-DruckS. 17/3043, S. 49 f. 268 Therapieunterbringungsgesetz vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305); dazu BT-Drucks. 17/3403, S. 14, 19 f. und 53 ff. 269 Klein, in: Beck’scher Online-Kommentar StPO, ThUG § 1, Rn. 1. 270 Der unbestimmte Rechtsbegriff der psychischen Störung knüpft an den Begriff der psychischen Krankheit („unsound mind“) aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK an. In der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass die Störung nicht zwingend die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters ausschließen noch in der psychiatrisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet werden muss. Es muss sich jedoch um eine grundsätzlich behandlungsbedürftige, ernsthafte psychische Störung handeln („true mental disorder“); eine bloß dissoziale Persönlichkeitsstruktur genügt nicht (EGMR Urteil vom 28. 11. 2013, Nr. 7345/12, Rn. 88); Klein, in: Beck’scher Online-Kommentar StPO, § 1 ThUG, Rn. 24; Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Therapieunterbringungsgesetz siehe Beschluss vom 11. Juli 2013 (2 BvR 2302/11; näher hierzu unter 1. Teil, E., IV. 3.)).

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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keit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer Person erheblich beeinträchtigt“ wird und die Unterbringung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist. Dabei sind nur diejenigen Einrichtungen geeignet, die eine angemessene Behandlung der Person gewährleisten können, eine möglichst wenig belastende Unterbringung zulassen und räumlich und organisatorisch von Einrichtungen des Strafvollzugs getrennt sind.

III. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 und die weitere gesetzgeberische Entwicklung Der synoptischen Aufgabe, die Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention miteinander in Einklang zu bringen, musste sich das Bundesverfassungsgericht erneut in der Entscheidung vom 04. Mai 2011 stellen. Diese Entscheidung sollte zu einem tiefgreifenden Wandel des deutschen Verfassungsverständnisses im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung besonders gefährlicher Straftäter führen.271 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt Der Entscheidung liegen insgesamt fünf Verfassungsbeschwerden zugrunde, die das Bundesverfassungsgericht zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden hat. Zwei Beschwerdeführer wenden sich dabei gegen die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die zehnjährige Höchstfrist hinaus und zwei weitere Beschwerdeführer in drei Verfahren gegen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. Der erste Beschwerdeführer wandte sich im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde gegen Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit Sitz in Straubing und des Oberlandesgerichts Nürnberg, die es ablehnten, die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über den Zeitpunkt von zehn Jahren hinaus für erledigt zu erklären. Der 1955 geborene Beschwerdeführer wurde 1995 vom Landgericht Augsburg wegen drei Diebstählen zu einer dreijährigen Gesamtfreiheitsstrafe sowie wegen eines weiteren Diebstahls zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt; zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB angeordnet. Das Landgericht begründete die Anordnung damit, dass der Beschwerdeführer einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten aufweise, zu denen auch nächtliche 271

BVerfG, Urteil des 2. Senats vom 04. 05. 2011, 2 BvR 2365/09. Das Urteil ist hinsichtlich des Tenors zu II 2 und IV einstimmig, im Übrigen mit 7:1 Stimmen ergangen. Siehe dazu die Entscheidungsbesprechungen von Dessecker, ZIS 2011, S. 707 ff.; Esser, JA 2011, S. 727 ff.; Streng, JZ 2011, S. 827 ff.; Eisenberg, StV 2011, S. 480 ff. Die Entscheidung wurde in der Literatur äußerst positiv aufgenommen.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Einbrüche in Wohnungen von Frauen gehören. Tatsächlich ist der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist seit Dezember 1998 nur mit jeweils kurzen Unterbrechungen vollzogen worden und wurde erst am 17. Mai 2011 aufgrund von § 316e Abs. 3 EGStGB durch die Strafvollstreckungskammer für erledigt erklärt.272 Der zweite Beschwerdeführer wandte sich im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichts Köln und des Landgerichts Aachen, die es ablehnten, die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über den Zeitpunkt von zehn Jahren hinaus für erledigt zu erklären oder die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen. Der 1957 geborene Beschwerdeführer, der sich seit Oktober 1990 nicht mehr in Freiheit befunden hat, wurde im März 1991 durch das Landgericht Köln wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Raub und sexueller Nötigung, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Zugleich ordnete das Gericht gem. § 66 Abs. 2 StGB die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung an, die es darauf stützte, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu schweren Sexualstraftaten habe. Aufgrund einer seelischen Abartigkeit, die ihn Lust an der Angst und Ohnmacht seiner Opfer empfinden lasse, sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Rückfall zu rechnen. Die Vollstreckung der Unterbringung in die Sicherungsverwahrung wurde seit Oktober 1999 vollzogen.273 Der dritte Beschwerdeführer wandte sich im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde gegen Beschlüsse des Landgerichts Regensburg und des Oberlandesgerichts Nürnberg, aufgrund derer die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Der 1978 geborene Beschwerdeführer wurde im Oktober 1999 wegen Mordes zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt, da er eine Joggerin angegriffen, erwürgt und sodann sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hat. Die einstweilige Unterbringung wurde darauf gestützt, dass von dem Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Straftaten gegen Leib und Leben und die sexuelle Selbstbestimmung zu befürchten seien. Im Juni 2009 schließlich ordnete das Landgericht Regensburg die nachträgliche Unterbringung in die Sicherungsverwahrung aufgrund des erst kurz zuvor in Kraft getretenen § 7 Abs. 2 JGG an. Die Revision des Beschwerdeführers wurde vom Bundesgerichtshof 2010 als unbegründet verworfen. Auch gegen diese beiden Urteile hat der Beschwerdeführer eine weitere Verfassungsbeschwerde eingelegt.274 Der vierte Beschwerdeführer wandte sich im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem seine Revision 272 273 274

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 32 ff. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 43 ff. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 51 ff.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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gegen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung durch das Landgericht Baden-Baden als unbegründet verworfen wurde. Der 1947 geborene Beschwerdeführer ist vielfach wegen schwerer Sexualdelikte verurteilt worden und befand sich seit 1973, abgesehen von kurzen Unterbrechungen, fortlaufend in Haft oder Maßregelvollzug. Zuletzt wurde er 1990 durch das Landgericht Baden-Baden wegen versuchter Vergewaltigung und Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Zugleich ordnete das Gericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, da das Gericht wegen falscher Angaben des Beschwerdeführers zur Biographie und Sexualanamnese fälschlich davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführer an einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20,21 StGB leide. Bereits 1993 wurde die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt, da der Beschwerdeführer therapieunfähig sei. Im Februar 1990 ordnete das Landgericht Baden-Baden schließlich nachträglich die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung an, da die Behandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers erst nachträglich erkennbar gewesen sei und diese die fortdauernde Gefährlichkeit des Beschwerdeführers belege.275 Die Beschwerdeführer machten im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG (persönliche Freiheit), Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (Vertrauensschutz) geltend und beriefen sich auf die Entscheidung „M. gegen Deutschland“ des EGMR. Insbesondere sei Art. 103 Abs. 2 GG konventionsgemäß dahingehend zu interpretieren, dass die Sicherungsverwahrung eine „Strafe“ sei. 2. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung musste sich das Bundesverfassungsgericht vor allem mit dem Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Februar 2004 auseinandersetzen, in der die Verfassungsmäßigkeit von § 67d Abs. 3 StGB und Art. 1a Abs. 3 EGStGB bereits bestätigt wurde. Bereits an dieser Stelle deutet sich die Taktik des Gerichts an, einen offenen Konflikt mit dem EGMR zu vermeiden:276 So stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Entscheidungen des EGMR – auch wenn sie keine unmittelbare Änderung der Rechtslage herbeiführen könnten – aufgrund des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes einer rechtserheblichen Änderung gleichstehen könnten. Die Entscheidungen des EGMR könnten somit auch zu einer

275 276

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 58 ff. So auch Frisch, S. 970.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen.277 3. Freiheit der Person, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Gewährleistungen der MRK Auch im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde bekundet das Bundesverfassungsgericht Respekt gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Zwar betont das Bundesverfassungsgericht, dass Prüfungsmaßstab für die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde allein Normen des Grundgesetzes sein, im Folgenden also Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Ungeachtet der Tatsache, dass die Europäische Menschenrechtskonvention den Rang eines Bundesgesetzes einnehme und damit unter dem Grundgesetz stehe, sei die Konvention und die Rechtsprechung des EGMR aufgrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes dennoch als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen.278 Der Rechtsprechung des EGMR komme eine faktische „Orientierungs- und Leitfunktion“ zu, die sich nicht nur auf den konkret entschiedenen Einzelfall beschränke, sondern wegen des „internationalen und europäischen Dialogs des Gerichts“ auch bei verschiedenen Streitgegenständen herangezogen werden müsse.279 Neben der dadurch möglichen europaweiten Angleichung der Auslegung der EMRK können darüber hinaus auch Verurteilungen der Bundesrepublik durch den EGMR vermieden werden. Das Bundesverfassungsgericht versäumt es dennoch nicht, die Grenzen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung zu betonen. Eine Aufnahme der Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sei dann nicht mehr geboten, wenn dadurch der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt werde. Eine „schematische Parallelisierung einzelner verfassungsrechtlicher Begriffe“ sei nicht beabsichtigt; vielmehr müssten völkerrechtliche Verträge „im Rahmen eines aktiven (Rezeptions-)Vorgangs in den Kontext der aufnehmenden Verfassungsordnung „umgedacht“ und „möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem“ eingepasst werden.280 Am Ende der Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht erneut, dass der Rechtsprechung des EGMR keine Präjudizienbindung zukomme.281

277 278 279 280 281

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 82. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 86 ff.; Dessecker, ZIS 2011, S. 708. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 89. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 94. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 165; siehe auch Hörnle, NStZ 2011, S. 489.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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Zugleich macht das Bundesverfassungsgericht klar, dass es an der bisherigen Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung und der Zweispurigkeit des deutschen Strafrechtssystems festhalten werde: Während die Freiheitsstrafe auf dem Schuldprinzip282 beruhe, welches neben der Legitimation zugleich der Begrenzung der Anordnung und des Vollzugs der Freiheitsstrafe diene, folge die Berechtigung zur Anordnung und zum Vollzug der Sicherungsverwahrung allein aus dem „Prinzip des überwiegenden Interesses“, d. h. dem Überwiegen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit gegenüber dem Freiheitsrecht des Betroffenen. Der Zweck der Freiheitsstrafe bestehe in einer „repressiven Übelszufügung als Reaktion auf schuldhaftes Verhalten“, der Zweck der Maßregel liege „allein in der zukünftigen Sicherung der Gesellschaft“.283 Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung sollen sich jedoch nicht nur in ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation und den von beiden Instituten verfolgten Zwecken, sondern auch in ihrer praktischen Ausgestaltung grundlegend voneinander unterscheiden:284 Veranlasst durch die Wertungen des Art. 7 EMRK, der die unterschiedliche Ausgestaltung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe und des präventiven Freiheitsentzugs fordere, postuliert auch das Bundesverfassungsgericht die strikte Einhaltung des verfassungsrechtlichen „Abstandsgebots“ zwischen Strafvollzug und Sicherungsverwahrung. Dafür sei zum einen erforderlich, dass die Sicherungsverwahrung nur so lange vollzogen werden darf, wie die Schutzinteressen der Allgemeinheit das Freiheitsrecht des Untergebrachten überwiegen. Dabei müsse der Staat aktiv darauf hinwirken, dass die Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten nach Möglichkeit beseitigt werde. Aufgrund des Resozialisierungsgebotes, das gleichermaßen für den Vollzug der Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung Anwendung finde, sei auch der Vollzug der Sicherungsverwahrung derart auszugestalten, dass der Untergebrachte zumindest eine „Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit“ habe.285 Da die derzeit in Deutschland vorhandenen Regelungen zur Sicherungsverwahrung dem Abstandsgebot nicht gerecht werden würden, seien sie wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104. Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar. Zur effektiven Umsetzung des Abstandsgebots fordert das Bundesverfassungsgericht die Ausarbeitung eines „freiheitsorientierten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung mit klarer therapeutischer Ausrichtung“.286 Auch wenn dem Gesetzgeber bei der Entwicklung dieses Gesamtkonzepts ein gewisser Gestaltungsspielraum zukomme, müsse es eine derart hohe Regelungsdichte aufweisen, dass 282 283 284 285 286

Siehe ausführlich zum Schuldprinzip unter 1. Teil, A., II. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 105. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 100 ff; siehe auch Frisch, S. 970. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 101. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 101.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

maßgebliche Fragen nicht den Strafvollzugsbehörden und Strafgerichten überlassen werden, sondern „deren Handeln in allen wesentlichen Bereichen wirksam determiniert“ werde.287 Das vom Gesetzgeber zu erarbeitende Gesamtkonzept müsse sieben Prinzipien gerecht werden:288 Nach dem sog. „ultima-ratio-Prinzip“ darf Sicherungsverwahrung nur angeordnet werden, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht genügen, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gerecht zu werden. Schon während des Strafvollzugs muss durch psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen auf eine Reduzierung der Gefährlichkeit des Straftäters hingewirkt werden. Nach dem „Individualisierungs- und Intensivierungsgebot“ ist bereits zu Beginn des Vollzugs der Sicherungsverwahrung ein auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittener, fortlaufend zu aktualisierender Vollzugsplan zu erstellen, der auf die Minderung der Gefährlichkeit des Untergebrachten hinwirken soll, um dem Untergebrachten eine „realistische Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit zu eröffnen“. Das sog. „Motivierungsgebot“ soll den mit der unbestimmten Dauer einer Sicherungsverwahrung typischerweise einhergehenden psychischen Folgen für die Untergebrachten entgegenwirken. Dafür genügt nicht allein die Bereitstellung eines Behandlungs- und Betreuungsangebots, sondern es muss auf die aktive Mitarbeit durch gezielte Motivationsarbeit hingewirkt werden. Nach dem sog. „Trennungsgebot“ muss ein deutlicher Abstand des Vollzugs der Sicherungsverwahrung zum regulären Strafvollzug erkennbar sein. Soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen, ist der Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen. Das „Minimierungsgebot“ betont die Bedeutung von Vollzugslockerungen, die eine Entlassung des Untergebrachten vorbereiten können und damit eine freiheitseröffnende Wirkung entfalten. Um „der Gefahr übervorsichtiger oder voreingenommener Beurteilungen vorzubeugen“, könne etwa ein unabhängiges Gremium aus vollzugserfahrenen Fachleuten „auf der Grundlage objektiver, realistischer Risikobewertungen“ über die Gewährung von Vollzugslockerungen entscheiden. Das „Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot“ betont die Erforderlichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes auch während des Vollzugs der Sicherungsverwahrung. Das „Kontrollgebot“ unterstreicht die Notwendigkeit der Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung durch die Strafvoll-

287 288

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 110. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 111 ff.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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streckungsgerichte in mindestens jährlichen Abständen, mit zunehmender Dauer des Vollzugs sogar häufiger. 4. Die Verfassungswidrigkeit der vorhandenen Regelungen über die Sicherungsverwahrung und Vorgaben für den Umgang mit Altfällen Das Bundesverfassungsgericht kritisiert, dass der Gesetzgeber – entgegen der Vorgaben des Gerichts im Urteil vom 05. Februar 2004 – die Ausarbeitung eines „freiheitsorientiertem und therapiegerichtetem Gesamtkonzept“ unterlassen habe, das den zuvor aufgeführten sieben Grundsätzen entspreche und zugleich dem Abstandgebot genüge.289 Zwar berichtige der durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung eingeführte § 2 ThUG die negative Entwicklung der schrittweisen Ausweitung der Sicherungsverwahrung, wegen § 316e Abs. 1 EGStGB gelte jedoch für Altfälle weiterhin die alte Rechtslage. Das Strafvollzugsgesetz des Bundes und der Länder enthalte „nur rudimentäre Regelungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung“, die allenfalls Randbereiche beträfen und im Übrigen auf die Vorschriften zum Strafvollzug verweisen.290 In wesentlichen Kernbereichen werde den Strafvollzugsbehörden ein zu weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum gewährt. Als normative Defizite führt das Gericht neben der unzureichenden psychologischen und psychiatrischen Betreuung und fehlenden Regelung der räumlichen Trennung der Sicherungsverwahrung vom Strafvollzug die Regelüberprüfungsfrist des § 67e Abs. 2 StGB auf, die mit zwei Jahren zu lang bemessen sei. Zudem fehle es an Regelungen zur Vermeidung der Sicherungsverwahrung während des vorangehenden Strafvollzugs. Bei Strafgefangenen, gegen die zugleich die anschließende Unterbringung in die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, werde nicht ausreichend auf die mögliche Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung, etwa durch Bereitstellung von Therapien und Gewährung von Vollzugslockerungen, hingearbeitet.291 Dass der Bundesgesetzgeber seit der Föderalismusreform die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug verloren hat, ändere nichts an seiner Pflicht, die „wesentlichen Leitlinien [für die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung] vorzugeben.“292 Wenn der Bund sich für das zweispurige Sanktionensystem in Deutschland und die besonders einschneidende freiheitsentziehende Maßnahme der Sicherungsverwahrung entscheide, müsse er auch die Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Länder sicherstellen und gemeinsam mit den Ländern ein neues Regelungskonzept schaffen. 289 290 291 292

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 119 ff. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 121. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 121. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 130.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Weiter führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Vorschriften zur rückwirkenden Verlängerung und zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzen. Die Anordnung bzw. Verlängerung der Strafe stelle möglicherweise „den schwersten vorstellbaren Eingriff“ in das Grundrecht der Freiheit der Person dar, weshalb Vertrauensschutzbelangen des Einzelnen ein besonders hohes Gewicht zukomme.293 An dieser Stelle versucht das Bundesverfassungsgericht erneut, eine Konfrontation mit dem EGMR elegant zu umgehen. So weist das Gericht zunächst ausdrücklich darauf hin, dass an dem durch Urteil vom 05. Februar 2004 bereits definierten Begriff der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG festzuhalten sei, auch wenn dieser vom in „M. gegen Deutschland“ aufgestellten Begriff in Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK abweiche. Eine Anpassung an dieses Verständnis von Strafe sei nicht erforderlich, da die Vorschriften des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK und Art. 103 Abs. 2 auch nach dem Verständnis des EGMR nicht inhaltsgleich ausfallen müssen.294 An dieser Stelle nutzt das Gericht auch die Gelegenheit zu dem Hinweis, dass es die faktische Wirkung der Strafe zwar nicht in seinen Strafbegriff aufgenommen habe, aber dennoch im Urteil vom 05. Februar 2004 als ein zu berücksichtigendes Element anerkannt habe. Das Gericht lenkt letztlich ein und billigt der Entscheidung „M. gegen Deutschland“ zumindest zu, das Gewicht der Vertrauensschutzbelange noch zu verstärken, so dass im Falle der Nichtbeachtung des Abstandgebots das Gewicht des Vertrauens einem absoluten Vertrauensschutz entspräche.295 Die rückwirkende Verlängerung bzw. nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sei damit nur bei kumulativem Vorliegen dreier Bedingungen zulässig: Das Abstandsgebot muss beachtet worden sein; es muss eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten vorliegen, die sich aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten ableitet; und der Nachweis einer psychischen Störung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK muss erbracht worden sein.296 Eine verfassungskonforme Auslegung der angegriffenen Vorschriften sei nicht möglich, da den Fachgerichten derzeit nicht das erforderliche normative Instrumentarium zur Verfügung stehe, um verfassungskonforme Verhältnisse im Recht der Sicherungsverwahrung herzustellen. Allein der parlamentarische Gesetzgeber könne die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung bestimmen. „Zur Vermeidung eines rechtlichen Vakuums“ erklärte das 293 294 295 296

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 136. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 141 f.; siehe auch Frisch, S. 971. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 139. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 143.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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Bundesverfassungsgericht die Vorschriften für verfassungswidrig und ordnete deren Weitergeltung bis zum 31. Mai 2013 an. Dadurch konnte es die im Falle der Erklärung der Nichtigkeit der Vorschriften zwingende Freilassung aller in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen vermeiden, welche „Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme stellen würde.“297 5. Die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 Mit dem am 01. 06. 2013 in Kraft getretenen „Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung“298 kommt der Gesetzgeber der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Forderung des Bundes- und Landesgesetzgebers nach, ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entwickeln, das dem Abstandgebot ausreichend Rechnung trägt.299 Auf eine Neuordnung der Anordnungsvoraussetzungen gegenüber dem am 01. 01. 2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung verzichtete der Gesetzgeber. Der wesentliche Kern der Gesetzesreform ist die Umsetzung des Abstandsgebotes im Wege der Einführung der Vorschrift des § 66c StGB. Darin wurden fünf der sieben durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Gebote zur Einhaltung eines Abstandes zwischen Strafvollzug und Vollzug der Sicherungsverwahrung festgehalten.300 So sind in § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB zentrale Vorgaben der therapeutischen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung normiert. Die Sicherungsverwahrung soll gem. § 66c Abs. 1 Nr. 2 StGB an die „allgemeinen Lebensverhältnisse (…) angepasst“ sein und im Regelfall in vom Strafvollzug getrennten Gebäuden oder Abteilungen erfolgen. In § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB wird bestimmt, dass vollzugsöffnende Maßnahmen und Entlassungsvorbereitungen zu treffen sind, soweit zwingende Gründe nicht entgegenstehen. Auch eine nachsorgende Betreuung in Freiheit ist bereitzustellen.301 297

BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 169. BGBl. I (2012) S. 2425; wesentliche Gesetzesmaterialien: BT-Drs. 17/9876, BTDrs. 17/11388; BR-DrS. 173/12, Stellungnahmen im Rahmen der 90. Sitzung des Rechtsausschusses am 27. 06. 2012. 299 BVerfG, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 128 ff. 300 Siehe BVerfG, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 115. Das Individualisierungs- und Intensivierungsgebot, das Motivierungsgebot, das Trennungsgebot, das Minimierungsgebot sowie das ultima-ratio Prinzip sind in § 66c StGB umgesetzt worden. 301 Der neu eingeführte § 2 ThUG Abs. 2 bestimmt, dass auch die Therapieunterbringung in Einrichtungen im Sinne des § 66c Abs. 1 StGB vollzogen werden können, sofern die in § 66c Abs. 1 StGB aufgestellten Anforderungen an den Vollzug tatsächlich umgesetzt werden. 298

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Zudem bestimmt § 66c Abs. 2 StGB, dass einem Täter mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung bereits im Strafvollzug eine intensive und individuelle Betreuung i.S.d. § 66c Abs. 1 Nr. 1StGB anzubieten ist, um die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung möglichst entbehrlich machen zu können. Ebenfalls neu ist die in § 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB geregelte Prüfung vor dem Ende des Strafvollzugs, ob die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung nicht unverhältnismäßig ist, weil dem Betroffenen keine ausreichende Betreuung i.S.d. §§ 66c Abs. 2 i.V.m. 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB angeboten wird.302 Die Verkürzung der Überprüfungsfrist in §67e Abs. 2 StGB von zwei auf ein Jahr setzt das im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 aufgestellte Kontrollgebot um.303 Die in den §§ 463 Abs. 3, Abs. 8 StPO und 109 Abs. 3 StVollzG normierte Gewährung von Rechtsbeistand zur Einforderung der erforderlichen Betreuungsmaßnahmen soll dem Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot Rechnung tragen.304 Neben der Umsetzung des Abstandsgebots sind im Zuge der Gesetzesreform auch Änderungen im Jugendgerichtsgesetz vorgenommen worden.305 Das bereits vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 04. Mai 2011 aufgestellte und nun vom Gesetzgeber fortgeschriebene Kriterium der „psychischen Störung“ bezweckt eine Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit e) EMRK, um so den Verstoß dieser Sanktionen gegen die EMRK vermeiden zu können. Der Gesetzgeber sowie das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof interpretieren den Begriff der psychischen Störung derart, dass er keine Einschränkung der Schuldfähigkeit gem. §§ 20,21 StGB ausgelöst haben muss. Vielmehr würden unter diesen Begriff spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- und Triebkontrolle, insbesondere eine dissoziale und antisoziale Persönlichkeitsstörung fallen (BT-Drs. 17/9874 S. 31, BVerfGE 128 407, StV 12, 26, BGH 56 251, 261); ausführlich hierzu Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 66b, Rn. 38. Auch ein „weiterhin abnorm aggressives und ernsthaft unverantwortliches Verhalten eines verurteilten Straftäters“ könne eine Freiheitsentziehung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK rechtfertigen – unabhängig von einer im klinischen Sinne behandelbaren psychischen Krankheit (BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, StV 2012, 25 f., kritisch hierzu Krehl, StV 2012, 29 f.). Auffällig ist jedoch trotz der Anlehnung des Begriffs an Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit e) EMRK, dass der EGMR bisher bei keinem Straftäter, gegen den eine nachträgliche oder rückwirkend verlängerte Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung wegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit e) EMRK annahm (weitere Hinweise zu den Entscheidungen des EGMR siehe Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 66b, Rn. 38). 302 Eine für den Vollzug der Sicherungsverwahrung vergleichbare Regelung enthält § 67d Abs. 2 S. 2 StGB. Danach ist eine unverhältnismäßige Vollstreckung der Sicherungsverwahrung dann gegeben, wenn ein Betreuungsdefizit nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten beseitigt worden ist. 303 BVerfG, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 118. 304 BT-Drs. 17/9876, S. 12. 305 Die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach der Jugendstrafe wurde abgeschafft. Allein die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nach § 7 Abs. 4 JGG

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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Gem. § 316f Abs. 1 EGStGB finden die Vorschriften zur Sicherungsverwahrung in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung Anwendung, wenn mindestens eine Anlasstat nach Inkrafttreten der Neuregelung begangen wurde. In Altfällen jedoch, die gegen das Vertrauensschutzgebot verstoßen, gilt weiterhin der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 04. Mai 2011 aufgestellte, bis zum 31. 05. 2013 befristete Maßstab mit den deutlich strengeren Voraussetzungen des § 316f Abs. 2 S. 2 EGStGB.306

IV. Auf die Grundsatzentscheidung vom 04. Mai 2011 folgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Auch in nachfolgenden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht seinen am 04. Mai 2011 zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, am Institut der Sicherungsverwahrung prinzipiell festhalten zu wollen, bestätigt. 1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2012 Im Rahmen eines Beschlusses des zweiten Senats vom 20. 06. 2012 befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.307 Der Beschwerdeführer, der kontinuierlich wegen pädophiler Straftaten im In- und Ausland in Erscheinung getreten ist, wurde im Februar 2008 vom Landgericht Deggendorf u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zugleich wurde die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Im November 2010 ordnete das Landgericht die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung an. Tatsächlich erklärte das Bundesverfassungsgericht die gegen den Beschwerdeführer ergangene Anordnung wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG für verfassungswidrig, da sie auf § 66a StGB a.F. beruhte, der mit Urteil vom 04. Mai 2011 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. Vom Verstoß des Abstandgebotes abgesehen sei das Institut der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere stellt das Gericht klar, dass die Menschenwürde nicht berührt werde. Zwar sei es richtig, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Verurteilung sowie weiterhin zulässig. Zugleich wurde gem. § 7 Abs. 2 und Abs. 3 JGG die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt. Dieselben Grundsätze gelten nunmehr auch bei Heranwachsenden (vgl. § 106 Abs. 7 JGG). 306 So ist die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung nur dann zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder in seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. 307 BVerfG, Beschluss vom 20. 06. 2012, 2 BvR 1048/11.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

zumindest während eines großen Teils seiner Straftat über sein weiteres Schicksal im Ungewissen gelassen werde. Da er jedoch etwa durch Mitwirkung an einer Therapie zu einer für ihn günstigen Gefährlichkeitsprognose beitragen könne, führe die vorbehaltene Anordnung nicht zu einer besonderen Belastung psychischer oder physischer Art, die als unmenschlich, grausam oder erniedrigend zu werten wäre.308 Gerade der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung könne dem Betroffenen verdeutlichen, dass er Einfluss auf die spätere Entscheidung über die Sicherungsverwahrung durch sein Verhalten nehmen könne. Auch das Verhältnismäßigkeitsgebot sieht das Gericht als gewahrt an. Ferner stelle die vorbehaltene Sicherungsverwahrung auch unter Berücksichtigung der Wertungen der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht dar. Das Gericht sieht die Sicherungsverwahrung durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a) EMRK gerechtfertigt. Der Annahme eines hierfür erforderlichen hinreichenden Kausalzusammenhangs zwischen der Verurteilung und Freiheitsentziehung stehe nicht entgegen, dass die Sicherungsverwahrung erst nach der Verurteilung angeordnet wird. Vielmehr komme es darauf an, dass sich eine später angeordnete Freiheitsentziehung in dem zum Zeitpunkt der Verurteilung bestehenden gesetzlichen und durch die Verurteilung gesteckten Rahmen bewege. Diese Voraussetzung sei bei der nachträglichen Anordnung der im Urteil vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gegeben, da die Anordnung keine Korrektur, sondern nur eine Ergänzung des strafgerichtlichen Urteils darstelle und mit dem Vorbehalt die Grundlage für eine spätere Anordnung geschaffen werde.309 Schließlich verstoße die vorbehaltene Sicherungsverwahrung auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Rechtssicherheit. 2. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Februar 2013 Mit Beschluss vom 06. 02. 2013 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine psychiatrische Unterbringung in Altfällen nur nach Maßgabe der im Urteil vom 04. Mai 2011 geforderten strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung möglich sei.310 Beide Beschwerdeführer, deren Verfassungsbeschwerden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden wurden, wurden wegen mehrfacher Begehung sexuell motivierter Gewaltstraftaten in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Nachdem die Unterbringung wegen Fehlens eines die Schuldfähigkeit ausschließenden oder vermindernden Zustands jeweils für erledigt erklärt wurde, ordnete das

308 309 310

BVerfG, 2 BvR 1048/11, Rn. 78. BVerfG, 2 BvR 1048/11, Rn. 109. BVerfG, Beschluss vom 06. 02. 2013, 2 BvR 2122/11.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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Landgericht 2008 gem. § 66b Abs. 3 StGB a.F.311 die nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG begründet sind. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts beinhalte die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht eine bloße Fortführung dieser Maßregel auf anderer Rechtsgrundlage, sondern „einen neuen, eigenständigen, Grundrechtseingriff.“312 Entsprechend der Vorgaben aus dem Urteil vom 04. Mai 2011 nähere sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen auf ein Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung einem absoluten Vertrauensschutz. Die den Gerichten in diesen Fällen obliegende Prüfung einer hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten unter strikter Beachtung der Verhältnismäßigkeit sei jedoch nicht vorgenommen worden.313 3. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2013 Im Rahmen des Beschlusses vom 11. 07. 2013 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Therapieunterbringungsgesetz bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Gesetz müsse dahingehend ausgelegt werden, dass die Unterbringung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden darf, wenn von dem Täter eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht.314 Der Beschwerdeführer beging seit seinem 20. Lebensjahr mehrfach Gewaltdelikte, zumeist mit Sexualbezug, wobei er dabei vorwiegend unter Alkoholeinfluss stand. Die gegen den Beschwerdeführer zuletzt am 17. Juli 2009 angeordnete nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde vom Bundesgerichtshof unter Berufung 311

Gemeint ist die Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. 07. 2004. 312 BVerfG, 2 BvR 2122/11, Rn. 31. 313 BVerfG, 2 BvR 2122/11, Rn. 42. In einem sehr ähnlich gelagerten Fall (Beschluss vom 07. 05. 2013) hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls die Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG angenommen. Gegen den mehrfach wegen Sexualstraftaten verurteilten Beschwerdeführer wurde nach zehnjähriger Vollstreckung der Sicherungsverwahrung durch das Oberlandesgericht Nürnberg im Mai 2012 die weitere Vollziehung der Sicherungsverwahrung angeordnet, da eine aus konkreten Umständen ableitbare Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten bestehe. Das Bundesverfassungsgericht kam jedoch auch hier zu dem Ergebnis, dass die vom Gericht getroffenen Feststellungen der Voraussetzungen für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nicht den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil vom 04. Mai 2011 genügen (BVerfG, 2 BvR 1238/ 12). 314 BVerfG, Beschluss vom 11. 07. 2013, 2 BvR 2302/11.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

auf die Entscheidung des EGMR „M. gegen Deutschland“ für unzulässig erklärt. Zugleich wurde die sofortige Freilassung des Beschwerdeführers angeordnet.315 Das Landgericht Saarbrücken ordnete mit Beschluss vom 17. Februar 2012 die Unterbringung des Beschwerdeführers nach dem Therapieunterbringungsgesetz bis zum 01. März 2013 an. Die Unterbringung wurde damit begründet, dass die beim Beschwerdeführer diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung eine psychische Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1ThuG darstelle, die zugleich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK genüge. Zunächst stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das Therapieunterbringungsgesetz nicht gegen die Kompetenznorm des Art. 70 Abs. 1 GG verstoße. Die im Therapieunterbringungsgesetz geregelte Materie sei als Strafrecht Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Der Kompetenztitel Strafrecht erfasse neben vergeltenden Sanktionen spezialpräventive Reaktionen, zu denen auch die Sicherungsverwahrung gehöre. Die Zugehörigkeit zum selben Kompetenztitel wurde neben der Anknüpfung an eine strafrechtlich sanktionierte Anlasstat vor allem mit der Funktion des Therapieunterbringungsgesetzes begründet, die durch das Urteil „M. gegen Deutschland“ entstandene Lücke im Instrumentarium des Strafrechts zu schließen.316 Die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz sei auch mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar. Da die Therapieunterbringung hinsichtlich der Eingriffsintensität weitreichende Parallelen zur Sicherungsverwahrung aufweise, seien die für dieses Instrument entwickelten Maßstäbe auch auf die Therapieunterbringung anzuwenden. Eine Unterbringung könne demnach nur angeordnet werden, wenn von dem Untergebrachten eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgehe.317 Auch das Tatbestandsmerkmal der psychischen Störung beanstandet das Bundesverfassungsgericht nicht. Der Begriff knüpfe an die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 5. Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK an, der die Freiheitsentziehung psychisch Kranker ermögliche, und stehe mit den Wertungen der Konvention im Einklang. Die psychische Störung müsse insbesondere nicht den Grad einer Einschränkung der Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB erreichen.318 Im Ergebnis bejaht das Bundesverfassungsgericht dennoch eine Verletzung des. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG durch die fachgerichtlichen Entscheidungen, weil die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugrundegelegt hätten. Dabei komme es allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit der fachgerichtlichen 315 316 317 318

BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09. BVerfG, 2 BvR 2302/11, Rn. 62. BVerfG, 2 BvR 2302/11, Rn. 75. BVerfG, 2 BvR 2302/11, Rn. 97 ff.

E. Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“

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Entscheidungen an; unerheblich sei, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten auch vorwerfbar sei.319 Beanstandet wurde dabei, dass weder das Saarländische Oberlandesgericht noch das Landgericht Saarbrücken bei der Entscheidung über die Unterbringung den erhöhten Gefährlichkeitsmaßstab aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 angewandt hätten. Danach müsse eine hochgradige Gefahr „schwerster“ Gewalt- oder Sexualdelikte bestehen; die Gefahr der Begehung lediglich „schwerer (Sexual-)Straftaten“ genüge nicht.320

V. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Verfahren „Bergmann gegen Deutschland“ In seinem Urteil vom 07. Januar 2016 in der Rechtssache „Bergmann gegen Deutschland“ entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die neu eingeführten deutschen Regelungen zur rückwirkend verlängerten Sicherungsverwahrung keinen Verstoß gegen Art. 5 und Art. 7 EMRK begründen.321 1. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt Der 1943 geborene Beschwerdeführer Karl-Heinz Bergmann wurde 1986 nach fünf Vorstrafen vom Landgericht Hannover wegen zweifachem Mordversuchs, in einem Fall in Verbindung mit versuchter Vergewaltigung, und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Zudem ordnete das Gericht eine anschließende Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB an. Zwei medizinische Sachverständigengutachten bestätigten, dass der Beschwerdeführer infolge einer sexuellen Devianz und Persönlichkeitsstörung einen Hang zur Begehung schwerer Straftaten habe und ein hohes Risiko bestehe, dass er im Falle seiner Entlassung unter Alkoholeinfluss erneut Gewaltstraftaten begehen werde.322 Nach Verbüßen seiner Freiheitsstrafe wurde der Beschwerdeführer am 12. 06. 2001 in der Sicherungsverwahrung untergebracht; nach Ablauf der früher geltenden zehnjährigen Höchstfrist wurde die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Am 2. 06. 2013 wurde der Beschwerdeführer in einer neu errichteten Einrichtung für Sicherungsverwahrte, einem separaten Gebäude auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Rosdorf, untergebracht. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung in dieser 319

BVerfG, 2 BvR 2302/11, Rn. 132. BVerfG, 2 BvR 2302/11, Rn. 133 ff. In einem Sondervotum vertritt Verfassungsrichter Huber die Ansicht, dass der Erlass des Therapieunterbringungsgesetzes nicht von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht gedeckt sei und nimmt stattdessen eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhang an (BverfG, 2 BvR 2302/11, Rn. 144 f.). 321 EGMR, Urteil vom 97. 01. 2016, Az: 23279/14 (5. Kammer), HRRS 2016 Nr. 101. 322 HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 6. 320

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

Einrichtung wurde nach den in dem Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 aufgestellten Grundsätzen konzipiert.323 Am 26. Juli 2013 ordnete das Landgericht Lüneburg erneut die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 316 Abs. 2 S. 2 EGStGB erfülle. Der Beschwerdeführer leide nämlich an einer psychischen Störung im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes. Es bestehe weiterhin ein sehr hohes Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung schwere sexuell motivierte Straftaten begehen werde.324 Die Berufung Bergmanns gegen diesen Beschluss wurde zurückgewiesen; das Bundesverfassungsgericht lehnte es mit Beschluss vom 29. 10. 2013 ab, seine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen. Im April 2014 und Januar 2015 ordnete das Landgericht Lüneburg erneut die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers an. Das Gericht befand, dass sich die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr durch therapeutische Behandlung nicht verringert habe, da dieser die Behandlung mit triebdämpfenden Medikamenten verweigert habe. Zudem nahm der Beschwerdeführer seit August 2014 nicht mehr an therapeutischen Gruppengesprächen teil. Am 18. März 2014 legte Bergmann Beschwerde beim EGMR ein und machte eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EMRK geltend. 2. Maßgebliche Entscheidungsgründe a) Verstoß gegen Art. 5 I EMRK Zunächst überprüfte das Gericht, ob die Unterbringung des Beschwerdeführers wegen Vorliegens einer psychischen Krankheit („unsound mind“) gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK gerechtfertigt sei. Dabei betonte das Gericht, dass den Mitgliedstaaten ein gewisses Ermessen hinsichtlich der Entscheidung zukommt, ob ein Straftäter als psychisch krank diagnostiziert wird.325 Die deutschen Gerichte hätten das Vorliegen einer psychischen Störung beim Beschwerdeführer unter Einholung von psychiatrischen Sachverständigengutachten festgestellt. Zudem hätten sie befunden, dass sich seine sexuelle Devianz trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht verringert habe und er daher weiterhin eine sehr große Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.326 Die beim Beschwerdeführer diagnostizierte Störung sei ausreichend schwer, um den engen Voraussetzungen an das Vorliegen einer psychischen Krankheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK zu genügen. Folglich handele es sich 323 324 325 326

HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 31. HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 14. HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 108. HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 141.

F. Zusammenfassung

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um eine „rechtmäßige“ Freiheitsentziehung; eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK habe nicht vorgelegen. b) Verstoß gegen Art. 7 I EMRK Hinsichtlich der Frage, ob die Unterbringung des Beschwerdeführers als eine „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren sei, stellte der EGMR zunächst fest, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers genau wie im Verfahren „M. gegen Deutschland“ rückwirkend verlängert worden sei. Das Gericht müsse demnach prüfen, ob die Unterbringung angesichts der gesetzlichen Neuregelung der Sicherungsverwahrung und der Änderungen der bisherigen Vollzugspraxis weiterhin als „Strafe“ zu beurteilen sei.327 Dabei kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich das Wesen der Sicherungsverwahrung durch die gesetzliche Neugestaltung grundlegend geändert habe. Zunächst seien die Straftäter infolge der praktischen Umsetzung des „Abstandgebots“ in separaten Einrichtungen untergebracht, in denen den untergebrachten Personen eine individuelle und intensive medizinische und therapeutische Betreuung zur Verfügung stehe. Ein weiteres entscheidendes Indiz für den Wandel des Charakters der Sicherungsverwahrung sei die Tatsache, dass nunmehr eine zusätzliche Voraussetzung für die rückwirkende Verlängerung der Maßnahme erfüllt sein müsse. So müsse bei dem Straftäter eine psychische Störung festgestellt werden – ein Kriterium, das bei der ursprünglichen Entscheidung des zuständigen Gericht über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht herangezogen wurde und damit ein neues, zusätzliches Element begründe.328 Auch wenn die Sicherungsverwahrung grundsätzlich weiterhin als eine der schwersten Sanktionen des Strafgesetzbuches eingestuft werden müsse, sei sie in denjenigen Fällen, in denen sie wegen Vorliegens einer psychischen Störung verlängert werde, nicht mehr als Strafe im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren.329 Eine Verletzung von Art. 7 EMRK liege damit nicht vor.

F. Zusammenfassung Die oben vorgenommene Untersuchung offenbart einen radikalen Wandel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung: Während sich die frühen Entscheidungen mit untergeordneten Teilproblemen zur Si327 328 329

HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 164. HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 187. HRRS 2016 Nr. 101, Rn. 191 f.

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1. Teil: Die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung

cherungsverwahrung beschäftigen, ergingen infolge der mehrfachen Novellierung des Rechts der Sicherungsverwahrung im Jahre 2004 zwei grundlegende Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung: Mit Urteil vom 05. 02. 2004 bestätigte es die Verfassungsmäßigkeit der Streichung der zehnjährigen Höchstgrenze einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung. Mit Urteil vom 10. 02. 2004 erklärte es zwar die landesrechtlichen Unterbringungsgesetze wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz der Länder für verfassungswidrig, ebnete aber zugleich den Weg für eine bundesrechtlich geregelte nachträgliche Sicherungsverwahrung. Beide Entscheidungen lassen damit eine wohlwollende Haltung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der schrittweisen gesetzlichen Ausdehnung der Sicherungsverwahrung erkennen. Ausgelöst durch das Urteil des EGMR im Verfahren „M. gegen Deutschland“ vollzog sich eine Abkehr des Bundesverfassungsgerichts von seiner früheren Rechtsprechung: Die 5. Kammer des EGMR urteilte am 17. 12. 2009 einstimmig, dass die rückwirkende Aufhebung der 10-jährigen Höchstfrist der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung konventionswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht reagierte prompt und erklärte mit Urteil vom 04. 05. 2011 die wesentlichen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Zugleich forderte es den Gesetzgeber auf, ein umfassendes Gesamtkonzept für den Vollzug der Sicherungsverwahrung zu entwickeln. Alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die nach der Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung ergangen sind, bestätigen die Verfassungsmäßigkeit der nunmehrigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung. Auch der EGMR erachtet das Institut der Sicherungsverwahrung infolge der tiefgreifenden Umgestaltung der gesetzlichen Regelungen inzwischen als kompatibel mit der EMRK, wie es in seiner Entscheidung im Verfahren „Bergmann gegen Deutschland“ zum Ausdruck bringt. Ein erneuter Richtungswechsel des Bundesverfassungsgerichts und eine damit einhergehende Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung ist angesichts der Rückendeckung durch den EGMR nicht zu erwarten.

2. Teil

Die Rechtsprechung des US Supreme Court zu freiheitsentziehenden Sanktionen gegen gefährliche Straftäter Mit deutschem Verfassungsrecht vergleichbare verfassungsrechtliche Fragestellungen waren auch Gegenstand einiger Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court. Die mit der Anordnung freiheitsentziehender Sanktionen einhergehenden verfassungsrechtlichen Probleme sind in den USA einige Jahre früher als in Deutschland thematisiert worden. Die Entscheidungen wurden jedoch ebenso kontrovers diskutiert und sind jeweils nur mit knappen Mehrheiten ergangen. Wie in Deutschland prüfte der US Supreme Court die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen, die der Gesetzgeber aufgrund des verstärkten Sicherheitsverlangens der Bevölkerung Ende des 20. Jahrhunderts erließ. Anders als in Deutschland sind jedoch zwei Wege beschritten worden, dem gesellschaftlichen Interesse an der Sicherheit vor gefährlichen Straftätern gerecht zu werden: Zum einen existieren in den USA (nicht-strafrechtliche) Regelungen, die die zwangsweise Unterbringung strafrechtlich voll verantwortlicher Täter nach Verbüßung der Freiheitsstrafe vorsehen (sog. „sexually violent predator laws“). Genau wie die deutsche Sicherungsverwahrung wird die Unterbringung als präventive Maßnahme ohne Strafcharakter verstanden. Daneben sieht das US-amerikanische Strafrecht strafschärfende Regelungen für Wiederholungstäter vor (sog. „three strikes laws“), die ebenfalls mit dem angeblichen Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit legitimiert werden. Im Folgenden sollen nach einem Überblick über das US-amerikanische Strafrechtssystem die Entscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ sowie den „three strikes laws“ näher beleuchtet werden. Allen im Folgenden dargestellten Entscheidungen des US Supreme Court ist gemeinsam, dass sie eine wohlwollende Haltung gegenüber einer extensiven Anwendung freiheitsentziehender Regelungen für gefährliche Straftäter erkennen lassen.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den Vereinigten Staaten von Amerika1 I. Rechtsquellen des Strafrechts in den USA 1. Die verfassungsmäßige Zuständigkeit für die Strafgesetzgebung Die US-amerikanische Verfassung ist streng föderalistisch ausgerichtet. Folgerichtig ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts beschränkt: Explizite Zuständigkeitsnormen für das Strafrecht, die dem Bund entsprechend Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG die generelle Kompetenz zum Erlass von Strafnormen oder eines Bundesstrafgesetzbuches geben, sind nicht enthalten.2 Legiferiert werden darf nur in den durch die Bundesverfassung enumerativ eingeräumten Kompetenzen.3 Vielmehr hat jeder der fünfzig Bundesstaaten, der Bund selbst sowie der District of Columbia, der ein vom Bund unabhängiges Strafrechtssystem vorweist, eine eigenständige Gesetzgebung, die auch ein eigenes Strafrecht und Strafprozessrecht umfasst. In den USA existieren damit 52 voneinander unabhängige Rechtssysteme, die alle ihre eigenen Strafrechtsgesetze besitzen.4 Von einem „US-amerikanischen Strafrecht“ an sich zu sprechen, wäre daher wegen der Eigenständigkeit der einzelnen Rechtsordnungen verfehlt.5 Trotz der Unabhängigkeit der einzelnen Strafrechtssysteme finden sich dennoch auffällig viele Gemeinsamkeiten. Dies resultiert nicht nur aus der enormen Bedeutung der Rechtsprechung des US Supreme Court, sondern auch aus der Vor1

Im Folgenden: USA. Reinbacher, Das Strafrechtssytem der USA, S. 53; Trüg, Lösungskonvergenzen trotz Systemdivergenzen im deutschen und US-amerikanischen Strafverfahren, S. 31 ff. 3 So sind dem Bund in Art. I, Section 8, und Art. IV., Section 3 der Verfassung von 1787 Kompetenzen in Bereichen wie Zoll, Münzwesen, Handel mit dem Ausland und unter den Staaten, Konkurswesen, Post, geistiges Eigentum, eingeräumt worden; zudem enthält der letzte Absatz von Art. I, Section 8, die Kompetenz des Kongresses, alle Gesetze zu erlassen, die notwendig sind, um die den Vereinigten Staaten eingeräumten Befugnisse zu vollziehen (sog. coefficient clause). Aus dieser Bestimmung wird auch die allgemeine Kompetenz des Kongresses hergeleitet, in diesen Bereichen Strafbestimmungen zu erlassen. Weiterhin wird aus den explizit durch die Verfassung eingeräumten Kompetenzen, im Bereich des zwischenstaatlichen Handels und Postverkehrs Gesetze zu erlassen, allgemein abgeleitet, dass dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die die Grenze eines Staates überschreitende Kriminalität zukomme (Trüg, S. 32; Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten, S. 20 f.). 4 Silverman, United States of America, in: Wegsperren?, S. 365; Trüg, S. 32; Schmid, S. 21; Dubber, Journal of Criminal Law and Criminology, S. 72. Zudem besitzt jeder Bundesstaat eigene Vollzugsordnungen; Strafvollzugsgesetze gibt es nicht. Vollzugsanstalten existieren auf drei Ebenen: Die Bundesstrafanstalten (federal prisons), Staatsgefängnisse (state prisons) und Ortsgefängnisse (jails), Leyendecker, S. 237. 5 Wössner, Die Notwehr und ihre Einschränkungen, S. 23; Schmid, S. 23 f. 2

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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bildfunktion des Strafverfahrensrechts des Bundes sowie dem vom American Law Institute entworfenen Musterstrafgesetzbuch, dem Model Penal Code.6 Dieses hat zwar keinen verbindlichen Charakter, erfuhr jedoch aufgrund seiner stichhaltigen Argumentation eine große Akzeptanz und wurde fortan von der überwiegenden Mehrzahl der Bundesstaaten ganz oder teilweise in das jeweilige Strafrecht übernommen.7 2. Das Präjudizienrecht des common law Das US-amerikanische Recht ist durch die aus dem englischen Recht stammende Rechtskultur des common law geprägt. Auch wenn die einzelnen Bundesstaaten auf dem Gebiete des Straf- und Strafverfahrensrechts Gesetze (Acts of Congress, Codes, Statutes) erlassen haben, wird die Fortbildung des Rechts im Wesentlichen von Seiten der Richter geprägt.8 So schafft in den USA jede gerichtliche Entscheidung Recht, bis sie nicht durch eine gegenteilige spätere Entscheidung desselben Gerichts ihre Bindungswirkung wieder verliert (sog. „stare decisis“-Prinzip).9 Auch Gesetzesrecht kann durch die Rechtsprechung überlagert werden, da es ebenfalls der bindenden Auslegung durch die Rechtsprechung unterliegt.10 Trotz der Formulierung weiter Teile des Strafrechts in Gesetzen kommt dem common law auf der Ebene der Bundesstaaten weiterhin ein größeres Gewicht zu.11 Dies lässt sich neben der Bindungswirkung von Entscheidungen höherer Gerichte als Präzedenzfall auch darauf zurückführen, dass die bundesstaatlichen Gesetze größtenteils auf common law beruhen, als es sich vordergründig um in Gesetzesform übertragenes Präjudizienrecht handelt.12 Ferner sind auch heute noch auf der Ebene der Bundesstaaten einzelne Bereiche des Strafrechts nicht kodifiziert worden und bedürfen damit der Konkretisierung durch das common law.13 Die Stellung der Gerichte ist in den USA im Verhältnis zur Literatur wesentlich höher, der nur eine nebensächliche Rolle bei der Auslegung des Rechts zugebilligt wird.14 6

Trüg, S. 32; Dubber, Crim. L. and Crim. 99, S. 73 ff. Schmid, S. 30; Wössner, S. 25; Herrmann, JZ 85, S. 602. Hinsichtlich der genauen Anzahl an Staaten, die den Model Penal Code übernommen haben, besteht offenbar Unklarheit (Fletcher, Buffalo Criminal Law Review 1998, S. 3 [über 35 Staaten]; Schmid, S. 30 [über 40 Staaten]). 8 Markwordt Skehan, S. 98 f.; Schmid, S. 24 f. 9 Markwordt Skehan, S. 99. Nach dem „stare decisis“-Prinzip entfaltet eine Gerichtsentscheidung Präjudiz-Wirkung und bindet andere Gerichte, wenn das erkennende Gericht ein höherrangiger Spruchkörper der gleichen Gerichtsbarkeit ist (sog. „binding authority“); Kau, United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht, S. 395. 10 Hay, US-amerikanisches Recht, Rn. 19; Wössner, S. 27. 11 Reinbacher, Das Strafrechtssystem der USA, S. 17 f. 12 Schmid, S. 26; Wössner, S. 27. 13 Reinbacher, Das Strafrechtssystem der USA, S. 19. 14 Reinbacher, Das Strafrechtssystem der USA, S. 19. Das deutsche Rechtssystem baut hingegen wie die meisten Länder in Kontinentaleuropa auf römischrechtlichen Traditionen auf. 7

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

II. Verfassungsrechtlich verbürgte Rechte für Straftäter und deren Durchsetzung durch den US Supreme Court Die US-amerikanische Bundesverfassung („Articles of Confederation“) von 1781 und der Grundrechtskatalog, die „Bill of Rights“ von 1791, die erst über den 14. Zusatzartikel unmittelbar bindend für die Einzelstaaten wurde, enthalten detaillierte Garantien für die prozessualen Rechte eines Strafverdächtigen.15 So beinhalten von den 23 einzelnen in der „Bill of Rights“ kodifizierten Rechten allein 12 strafprozessuale Fragen. Jedoch enthalten Verfassungstext und Verfassungszusätze keine genauen Vorgaben für die Statuierung und Umsetzung staatlicher Strafgewalt durch das materielle Recht.16 Die Klagen Strafgefangener oder zwangsweise untergebrachter Personen werden regelmäßig auf die Verletzung der folgenden vier Zusatzartikel, der sog. „amendments“ der Bill of Rights, gestützt: Auf den ersten Zusatzartikel, die grundlegenden Freiheitsrechte17; den fünften Zusatzartikel, das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren; den achten Zusatzartikel, das Verbot grausamer und ungewöhnlicher Strafen und den 14. Zusatzartikel, Absatz 1, das Gleichheitsgebot.18 Diese eher summarisch abgefassten Grundsätze, die größtenteils über 200 Jahre alt sind, bedürfen hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf das moderne Strafverfahren der Auslegung. Die Aufgabe, die Bedeutung dieser verfassungsrechtlichen Bestimmungen für das Strafverfahren zu konkretisieren, obliegt dem US Supreme Court. Die Formulierung „Die Verfassung ist, was die Richter sagen“19, verdeutlicht die enorme

Anders als im common law ist das Gerichtsverfahren weithin durch den Richter beherrscht. Wichtigste Rechtsquelle ist das parlamentarische Gesetz; das Fallrecht hat anders als im angloamerikanischen Rechtskreis nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Funktion deutscher Gerichte besteht in der Anwendung und nicht der Schaffung von Recht; einzelne Entscheidungen begründen keine Rechtsquelle. Auch wenn niedere Gerichte in Deutschland regelmäßig der Rechtsprechung der höheren oder höchstinstanzlichen Rechtsprechung folgen, gibt es keine der „stare decisis“ im anglo-amerikanischen Rechtsraum entsprechende Doktrin. Dafür hat die Rechtslehre in Deutschland eine weitaus höhere Bedeutung als im anglo-amerikanischen Rechtsraum (Wössner, S. 29 f.; Markwordt Skehan, S. 433). 15 Leyendecker, S. 241. 16 Leyendecker, S. 241; Weigend, ZStW 90 (1978), S. 1085. 17 Zusatzartikel 1 der US Verfassung lautet: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder die Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petitionen um Abstellung von Missständen zu ersuchen.“ 18 Für eine Übersicht über diese Klagen siehe Cohen, The law of prisoners’ rights, S. 321 ff.; Mattzie/Jones, The Georgetown Law Journal 1993, S. 1621 ff.; zitiert nach Leyendecker, S. 241. 19 Die Formulierung stammt von Charles E. Hughes, der von 1930 – 41 Präsident des US Supreme Court war (Schmid, S. 27).

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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Bedeutung der Verfassungsgerichtspraxis zu Fragen des Einflusses der Verfassung auf das Strafverfahren.20

III. Frühere strenge Einspurigkeit des Sanktionensystems in den USA Traditionell gehörten die USA bis in die 1990er Jahre zu den Ländern, die ein einspuriges Sanktionensystem aufweisen.21 Für schuldfähige Straftäter sah das Gesetz demnach als mögliche Sanktionen nur die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe vor. Auch das Vorliegen einer psychischen Störung eröffnete dem Staat keine zusätzliche Reaktionsmöglichkeit, solange diese keine Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Täters hatte.22 Auf von schuldunfähigen Straftätern begangenes Unrecht kann hingegen in den USA bis heute nicht mit strafrechtlichen Maßnahmen reagiert werden, sondern dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit allein durch Anordnung einer sog. „zivilrechtlichen Unterbringung“ („civil commitment“) begegnet werden.23 Diese Maßnahme erlaubt die zwangsweise Unterbringung einer psychisch kranken Person in eine Heilanstalt auf unbestimmte Zeit, wobei die Mehrheit der eingewiesenen Personen üblicherweise infolge ihrer psychischen Stabilisierung bereits nach dreißig Tagen entlassen werden können.24 Wie schon der gewählte Terminus dieser Maßnahme nahelegt, wird die Unterbringung von geisteskranken Straftätern dem Zivilrecht zugeordnet.25 Anders als die Freiheitsstrafe dient die zivilrechtliche Unterbringung nicht der Vergeltung für begangenes Unrecht, sondern soll im Interesse des Untergebrachten zukünftiges Fehlverhalten durch Freiheitsentzug und die dort stattfindende Resozialisierung verhindern.26 Straftäter wurden damit traditionell in zwei unterschiedliche Kategorien eingeordnet, die eine völlig unterschiedliche Behandlung zur Folge haben: Gegen schuldfähige Straftäter wurde als freiheitsentziehende Maßnahme allein die Freiheitsstrafe aufgrund strafrechtlicher Vorschriften verhängt, während für Straftäter, die wegen einer psychischen Krankheit als schuldunfähig eingestuft werden, allein 20

Schmid, S. 27. Albrecht, in: Wegsperren?, S. 434. Zur Freiheitsstrafe als Hauptsanktion siehe Plagemann, S. 1627 ff.; Jescheck, Die Freiheitsstrafe in rechtsvergleichender Darstellung, S. 2074; Steiker, 85 Geo. L.J. (1997), S. 777. 22 Robinson, 83 J. Crim. L. & Criminology, S 695 f. 23 Pearman, 76 North Carolina Law Review, S. 2011; Janus, Preventing sexual violence, S. 209. 24 Demleitner, Abusing state power or controlling risk, 30 Fordham Urb. L. J., S. 1632; Fitch, S. 489. 25 Pearman, S. 2011. 26 Saad, 75 Denv. U. L. Rev., S. 608; Friedland, 70 U. Colo. L. Rev, S. 85. 21

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

die nicht-strafrechtliche Maßnahme der „zivilrechtlichen Unterbringung“ als legitime staatliche Reaktion in Frage kam.27 Folgerichtig wurde auch Sicherheit vor besonders gefährlichen, strafrechtlich verantwortliche Täter in den USA vor Einführung der „sexually violent predator laws“28 allein durch die Ausdehnung der Freiheitsstrafe gesucht.29 Die Bestimmung der Schuldfähigkeit eines Straftäters und die damit einhergehende Entscheidung zwischen Freiheitsstrafe und zivilrechtlicher Unterbringung hat weitreichende Folgen: Im Zivilprozess ist die Erbringung eines „eindeutigen und überzeugenden Beweises“ („clear and convincing evidence“) erforderlich, während im Strafprozess erhöhte Anforderungen an den Beweis gestellt werden30, nämlich dass die Schuld des Angeklagten „ohne jeden vernünftigen Zweifel („beyond a reasonable doubt“) feststeht.31 Im Rahmen des zivilrechtlichen Unterbringungsverfahrens muss der Nachweis erbracht werden, dass der Straftäter unter einer schweren psychischen Krankheit32 leidet, die ihn zu einer Gefahr für sich selbst und die Allgemeinheit macht. Im Strafprozess ist hingegen der Nachweis einer Geisteskrankheit („mental illness“) nicht erforderlich, sondern allein der Nachweis, dass die Handlung vorsätzlich begangen worden ist („scienter“).33 Die Bestimmung der Schuldfähigkeit eines Straftäters hat auch gravierende Auswirkungen auf die Schutzwirkung der Verfassung zugunsten eines Straftäters: Im Verfahren über die zivilrechtliche Unterbringung finden nämlich zahlreiche für einen Angeklagten im Strafverfahren geltende Verfassungsgarantien keine Anwendung, wie z. B. das Doppelbestrafungsverbot34, das Rückwirkungsverbot35, der Anspruch auf kostenfreie Beiordnung eines Verteidigers36 oder das Aussageverweigerungsrecht37,38 27

Pearman, S. 2004. Mehr dazu unter 2. Teil, B., II. 29 Albrecht, in: Wegsperren?, S. 434. 30 Siehe In re Winship, 397 US 358, 364 (1970), wonach in strafrechtlichen Verfahren die Schuld „ohne jeden vernünftigen Zweifel“ erwiesen werden muss. 31 Friedland, S. 85 f. 32 Für gewöhnlich handelt es sich dabei um eine Psychose, die den Realitätssinn beeinträchtigt, z. B. der Schizophrenie (Friedland, S. 86). 33 Friedland, S. 86. 34 Fünfter Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten. 35 Artikel I, section 9, clause 3 der US-amerikanischen Verfassung. 36 Sechster Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten; Gideon v. Wainwright, 372 US 335, 344 – 45 (1963) (wonach ein Angeklagter im Rahmen des Strafprozesses einen Anspruch auf Beistand durch einen Verteidiger hat, dessen Honorar im Falle der Mittellosigkeit des Straftäters durch den Staat getragen werden muss (Zum Urteil siehe auch Beaney, Virginia Law Review 49, 1150 ff.). 37 Fünfter Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten. 28

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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Mithin trifft der Gesetzgeber eine extreme Unterscheidung zwischen den kranken („the mad“) und den bösen („the bad“) Straftätern.39

IV. Abkehr von der strengen Einspurigkeit des Sanktionensystems seit 1990 Seit Ende des letzten Jahrhunderts lassen sich jedoch auch in den USA durch Einführung der strafrechtlichen Sanktion der sog. „sexually violent predator laws“ Ansätze einer Entwicklung in Richtung Zweispurigkeit erkennen.40 Mit der Einführung der „sexually violent predator laws“ ist in den USA die Möglichkeit einer Kumulation von jeweils freiheitsentziehender Strafe und freiheitsentziehender Maßregel vorgesehen.41 Die zwangsweise Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator laws“, die eine Unterbringung von als gefährlich eingestuften Sexualstraftätern nach Verbüßung der Freiheitsstrafe in psychiatrischen Einrichtungen ermöglichen, wird vom Gesetzgeber ebenso wie die herkömmliche zivilrechtliche Unterbringung schuldunfähiger Straftäter als zivilrechtliche Maßnahme kategorisiert.42 Die untergebrachten Personen müssen zwar eine psychische Störung aufweisen, sind jedoch anders als die nach den traditionellen Zwangsunterbringungsgesetzen („civil commitment laws“) untergebrachten Straftäter voll schuldfähig. Diese Gesetze ermöglichen damit erstmalig die Anordnung einer präventiven Maßnahme gegenüber einem schuldfähigen Straftäter, wo zuvor die Sicherheitsinteressen der Gesellschaft allein über die Verlängerung der Freiheitsstrafe verfolgt werden konnten. Die „sexually violent predator laws“ haben damit die allmähliche Auflösung der starren Grenzen zwischen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen ausgelöst.43 Sie eröffnen quasi eine dritte Kategorie von Rechtsbrechern, deren geistiger Zustand zwar nicht den hohen Anforderungen an eine Schuldunfähigkeit genügt, die aber dennoch an einer psychischen Erkrankung leiden. Für diese Rechtsbrecher gelten Sanktionen, die „zwischen“ denen liegen, die für Strafgefangene einerseits und schuldunfähige Täter andererseits gelten.44 Wegen der Neuartigkeit dieser

38

Steiker, S. 777 f.; Friedland, S. 87. Blakey, Notre Dame Journal of Law, Ethics and Public Policy 10, S. 229; Hammel, S. 109. 40 Albrecht, in: Wegsperren?, S. 435. 41 Koch, in: Wegsperren? S. 514; Albrecht, in: Wegsperren?, S. 436. 42 Albrecht, in: Wegsperren?, S. 436. 43 Steiker, S. 782 f. 44 Hammel, S. 109; Blakey, S. 230; Pearman, S. 2014. 39

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Sanktionsart ist deren dogmatische Einordnung bis dato in Rechtsprechung und Literatur stark umstritten.45 Die Einführung der „sexually violent predator laws“ bedeutet zugleich eine Annäherung an das Sanktionensystem des deutschen Strafrechts, ist damit doch eine Sanktion in den USA etabliert worden, die wegen ihres rein präventiven Charakters dem deutschen Institut der Sicherungsverwahrung ähnelt. Von einer „US-amerikanischen Sicherungsverwahrung“ zu sprechen ist aber dennoch nicht richtig, als dieser Begriff wegen seines Ursprungs im deutschen Institut der Sicherungsverwahrung vermuten lässt, dass in den USA Sicherheit allein über die Anordnung einer präventiven Maßnahme gesucht wird. Tatsache ist jedoch, dass trotz Einführung der „sexually violent predator laws“ Sicherheit vor gefährlichen Straftätern weiterhin vordergründig über die Verhängung einer Freiheitsstrafe gesucht wird. Der Einfachheit halber wird im Zuge dieser Arbeit der Begriff der „Sicherungsverwahrung“ dennoch an manchen Stellen als Oberbegriff für die neu eingeführten Sanktionen in den USA genutzt, wohl wissend, dass dieser Begriff im amerikanischen Kontext auch die Verlängerung der Freiheitsstrafe umfasst.

V. Die Zwecke staatlichen Strafens 1. Die Resozialisierung des Straftäters als Hauptvollzugsziel bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollte der Resozialisierungsgedanke Eingang in die US-amerikanische Rechtstheorie und -praxis finden.46 Das 1899 errichtete Jugendgericht in Cook County schuf die Grundlage für eine bundesweite Reform des Strafrechtssytems.47 Tragendes Prinzip war die Annahme, dass der Gesellschaft am meisten gedient ist, wenn Straftäter bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft unterstützt werden und die Verantwortung für eine Straffälligkeit nicht allein beim Täter, sondern auch bei der Gesellschaft gesucht wird.48 Die Resozialisierungstheorie war mit der Vorstellung verbunden, dass die Strafvollzugspolitik vorwärts gewandt sein sollte und sich nicht auf die in der Vergangenheit liegenden Vergehen konzentrieren sollte. Schuldzuschiebung sei nicht förderlich; vielmehr müsse konstruktiv und zielorientiert auf die Wiedereingliederung von Straftätern in die Ge45 Hammel, S. 109; ausführlich zur dogmatischen Einordnung siehe Slobogin, 98 Nw. U.L.Rev., S. 12 ff. 46 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365; Silverman, USA, in: Wiedergutmachung im Kriminalrecht, S. 15 – 20. 47 Alschuler, 70 University of Chicago Law Review, S. 1; Buss, 70 University of Chicago Law Review, S. 39. 48 Alschuler, S. 1.

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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sellschaft hingewirkt werden.49 Die traditionelle Auffassung, dass jeder Mensch selbstbestimmt handele und einen freien Willen habe, wurde ersetzt durch die Hypothese, dass die Persönlichkeit eines jeden Menschen weitestgehend durch Lebensumstände geprägt wird.50 Ein verändertes Verständnis im Umgang mit Straftätern wird auch durch die Einführung zweier Institute in den meisten US Bundesstaaten zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts offenkundig: Zu nennen sind dabei die Bewährungsstrafe („probation“), die es Verurteilten ermöglicht, sich anstelle des Strafvollzugs in einer therapeutischen Einrichtung behandeln zu lassen, sowie die Freiheitsstrafe von unbestimmter Dauer („indeterminate sentence“), die die vorzeitige Entlassung eines Straftäters unter Beobachtung der Behörden ermöglicht, sobald spezielle Bewährungskommissionen („parole boards“) das Vollzugsziel der Resozialisierung als erreicht erachten.51 Auch das Rechtsinstitut der Rechtsstrafaussetzung zur Bewährung („parole“) und die Möglichkeit des Haftnachlasses für gute Führung und Teilnahme an vollzuginternen Arbeitsprogrammen („good time credits“) sind Teil dieser Entwicklung flexibler Mechanismen, die eine individuellere Sanktionierung von Straftätern anstreben.52 Zudem ist das dem Einzelrichter eingeräumte uferlose Ermessen bei der Strafzumessung Anzeichen für die einseitige Betonung des Resozialisierungsgedankens in dieser Phase.53 All diese Reformen, die den Strafjustizbehörden einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Strafbemessung einräumen, beweisen ein in den Staatsapparat und seine Institutionen gesetztes großes Vertrauen.54 Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu Reformen war der erste nationale Gefängniskongress in Cincinnati im Oktober 1870, an dem herausragende Personen aus der europäischen Strafrechtswissenschaft und -Praxis sowie Strafrechtsreformer aus den USA teilnahmen.55 Die Grundsatzerklärung des Kongresses lautete, dass „die Läuterung von Straftätern das oberste Ziel des Strafvollzugs“ sei. Die wiederholte Auferlegung kurzer Freiheitsstrafen sei sinnlos; vielmehr solle die Strafe lang genug

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Alschuler, S. 2. Alschuler, S. 2. 51 Alschuler, S. 2. Bis zum Jahre 1922 führten mit Ausnahme von 4 US-Bundesstaaten alle anderen zeitlich bestimmte Freiheitsstrafen anstelle von zeitlich unbestimmten („indeterminate sentences“) ein (Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 70). 52 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 69. 53 Leyendecker, S. 236; Hirsch, 25 Jahre Rechtsentwicklung des Strafrechts, S. 40. 54 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 70 f. 55 Sog. „National Congress on Penitentiary and Reformatory Discipline“, Alschuler, S. 2; Henze, Die internationalen Gefängniskongresse, S. 65. 50

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

sein, damit zur Läuterung des Einzelnen und der Sicherheit der Bevölkerung resozialisierende Maßnahmen anschlagen können.56 Die Idee der Resozialisierung fand alsbald große Zustimmung in der Lehre, bei Strafrechtsreformatoren und der Beamtenschaft im Strafvollzug und sollte fortan die herrschende Strafzwecktheorie werden.57 So erklärte der US Supreme Court in Williams v. New York, dass „Vergeltung nicht mehr das Hauptziel des Strafrechts“ sei. „Läuterung und Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft sind wichtige Ziele geworden.“58 Auch auf bundesgesetzlicher Ebene ist auf den Resozialisierungsgedanken Bezug genommen worden: Der Model Penal Code59, ein im Jahre 1962 vom American Law Institute ausgearbeitetes unverbindliches Musterstrafgesetzbuch, sollte eine auf dem Resozialisierungsgedanken beruhende Grundlage für die Staatenparlamente bieten.60 Der Model Penal Code listete zwar nahezu alle Strafzwecke auf, erwähnte den Strafzweck der Vergeltung aber nur als einschränkendes Prinzip.61 In § 1.02 des Model Penal Code wurde ferner ausdrücklich bestimmt, dass im Rahmen des Strafvollzugs eine individuelle Behandlung von Gefangenen gewährleistet und insgesamt die Resozialisierung von Gefangenen unterstützt wird.62 Die gesamte Vollzugsgestaltung wird konsequent am Vollzugsziel der Resozialisierung ausgerichtet.63 Zudem wählte der Model Penal Code eine neue Formulierung für die herkömmliche Definition der Schuldunfähigkeit wegen psychischer Krankheit64, die den bisher gän56

National Congress on Penitentiary and Reformatory Discipline, Declaration of Principles, in: Wines, Transactions of the National Congress on Penitentiary and Reformatory Discipline, S. 541 – 545, zitiert nach Alschuler, S. 3. 57 Siehe auch zu Kritikern der Resozialisierungsidee Alschuler, S. 3 ff. 58 Williams v. New York, 337 US 241, 248 (1949), zitiert nach Alschuler, S. 6. An anderer Stelle sprach der US Supreme Court von einem „verspäteten und unvollendeten Austausch von Vergeltung und Rache gegen Abschreckung und Läuterung als Beweggründe für Strafverfolgung.“, Morissette v. United States, 342 US 246, 251 (1952), siehe Alschuler, S. 6; Silverman, USA, in: Reparation in criminal law, S. 14 f. 59 Ausführlich zum Model Penal Code Wechsler, Columbia Law Review 1963, S. 589 ff.; Sieber, JZ 1997, S. 376 ff. 60 Leyendecker, S. 237; Weigend, ZStW 90 (1978), S. 1103. 61 § 1.02 Model Penal Code (American Law Institute Proposed Official Draft 1962). In Laufe der letzten vierzig Jahre haben über zwei Drittel aller Bundesstaaten zumindest Teile des Codes in ihre Strafgesetze integriert, siehe Clark/Ansay, Introduction to the Law of the United States, S. 140; Cotton, 37 Am. Crim. L. Review, S. 1318 ff. 62 Siehe dazu ausführlich Leyendecker, S. 237. 63 So sollen zB. Freiheitsstrafen von weniger als einem Jahr nicht verhängt werden, damit jeder Straftäter ausreichend diagnostiziert werden kann; siehe § 6.06 Model Penal Code, siehe dazu ausführlich Alschuler, S. 6. 64 Danach ist gem. § 4.01 Model Penal Code ein Fall der Schuldunfähigkeit (insanity) gegeben, wenn eine Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder Störung die Straf-

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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gigen „right or wrong test“65 ersetzte und von etwa der Hälfte aller Bundesstaaten übernommen wurde.66 In vielen Entscheidungen der folgenden Jahre, die den Resozialisierungsgedanken besonders betonten und anstelle eines bloßen „Wegsperrens“ von Straftätern auf deren Therapierung setzten, ist diese Vorschrift angewandt worden.67 Dennoch mehrten sich fortan auch kritische Stimmen zur besonderen Betonung des Resozialisierungsgedankens: Der Resozialisierungsgedanke würde übermäßig lange Freiheitsstrafen legitimieren und die pauschale Annahme rechtfertigen, dass der Staat Einfluss auf die Persönlichkeitsstruktur eines Straftäters nehmen könne. Das Vergeltungsprinzip könne zwar Strafe nicht rechtfertigen, solle aber zumindest zur Begrenzung von Strafe, also zugunsten des Delinquenten, benutzt werden.68 Auch wenn die Notwendigkeit einer Einschränkung der Resozialisierungstheorie von Lehre und Rechtsprechung zunehmend erkannt wurde, blieb sie dennoch die führende Strafzwecktheorie bis ins letzte Viertel des 20. Jahrhunderts hinein.69 2. Die „theory of just deserts“ mit Schwerpunkt auf Abschreckung und Vergeltung Das Resozialisierungsideal, das sich über viele Jahrzehnte in der US-amerikanischen Kriminalpolitik als herrschende Maxime etabliert hatte, geriet immer stärker in die Kritik, bis hin zur umfassenden Diskreditierung des Resozialisierungsideals.70 Innerhalb kürzester Zeit ist eine radikale Abwendung von der zuvor herrschenden Resozialisierungstheorie erfolgt. Es setzte sich innerhalb der US-amerikanischen

würdigkeit ihres Tuns nicht erkennen oder nicht entsprechend dieser Einsicht handeln konnte. (Übersetzung siehe Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 446). 65 Der „right or wrong test“ wird auch „M’Nagthen Rule“ genannt und wurde 1843 vom House of Lords niederlegt. Nach dieser Regel setzt Schuldunfähigkeit voraus, dass eine psychische Krankheit vorliegt, die die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt und der Täter infolgedessen nicht wusste, was er tat oder die Bedeutung dessen, was er tat, nicht verstand. Der Test setzte sich fortan im gesamten anglo-amerikanischen Rechtskreis durch (Safferling, S. 439). 66 Auch jedes Bundesberufungsgericht (mit einer Ausnahme) hat die neue Regel übernommen (Alschuler, S. 7). 67 Die Vorschrift wurde erstmals in der bekannten Entscheidung des District of Columbia Circuit United States v. Brawner, 471 F.2d 969 (1972) angewandt und wird umgangssprachlich auch „Brawner rule“ genannt, siehe Alschuler, S. 7. 68 Kritik an der Resozialisierungsidee wurde vor allem durch Francis A. Allen angeregt, Vorsitzender des Gesetzgebungsausschusses für das Strafgesetzbuch von Illinois, das als einer der ersten Bundesstaaten große Teile des Model Penal Code übernommen hatte (Alschuler, S. 7, S. 10). 69 So ergab eine 1968 durchgeführte Umfrage, dass für 72 % der Befragten Hauptzweck einer Haftstrafe die Resozialisierung sei (Cullen/Gilbert, Reaffirming Rehabilitation S. 8, zitiert nach Alschuler, S. 8). 70 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 61.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Rechtskultur rasch die Vorstellung durch, dass die Resozialisierung von Straftätern zum Scheitern verurteilt sei.71 Wie lässt sich der Bedeutungsverlust der Resozialisierungstheorie ab den 1970er Jahren erklären? Ausgelöst wurde die US-amerikanische Skepsis gegenüber dem Erfolg von Resozialisierung durch einen 1974 in der Zeitschrift „The Public Interest“ veröffentlichten Artikel. Unter dem provokanten Titel „What works“ untersuchte der Verfasser Robert Martinson empirische Daten zum Erfolg von Resozialisierungsprogrammen in den USA und England und kam im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass Resozialisierungsversuche bei Straftätern zum Scheitern verurteilt sind, schlichtweg „nichts funktioniert“.72 Die sich in der Bevölkerung und Lehre breit machende Ernüchterung über die Resozialisierungstheorie wurde fortan unter dem Schlagwort „nothing works“ bekannt.73 Es wurde fortan die Auffassung vertreten, dass ein Straftäter weder behandelbar noch behandlungsbedürftig sei. Kriminelles Verhalten wurde nicht als ein durch die Gesellschaft verursachtes Problem identifiziert, das außerhalb des Einfluss- und Kontrollbereichs des Straftäters steht; sondern das Individuum entscheide sich vielmehr nach einer rationalen Abwägung von möglichen Kosten und Nutzen für oder gegen eine Straftat.74 Weitere wesentliche Faktoren für diesen Meinungswandel sind zum einen die konstante Zunahme der Kriminalitätsrate in den USA in den 1960er Jahren (Verdopplung der nationalen Gesamt- und Gewaltkriminalitätsrate zwischen 1960 und 1970)75, die in den Medien überproportional vertretene Berichterstattung über Gewaltdelikte sowie Studien zur fehlenden Effektivität von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug.76 Während zuvor der Mitanteil der Gesellschaft an der Normabweichung einzelner Personen betont wurde, ist nunmehr

71

Hammel, S. 108; Cotton, 37 Am. Crim. L. Rev., S. 1359; Vitiello, 65 Tul. L. Rev. 1991, S. 1012 – 1013; Silverman, USA, in: Reparation in criminal law, S. 16. 72 Martinson, See what works? 35 Public Interest, S. 22; ausführlich zu dem Artikel siehe Alschuler, S. 9; Hammel, S. 108 f. Der Verfasser stufte die methodologischen Mindeststandards von 231 Einrichtungen als minderwertig ein. 73 Hammel, S. 108; Zürcher, Legitimation von Strafe, S. 53; Köstler-Loewe, Strafrecht USStyle, S. 63; Silverman, USA, in: Reparation in criminal law, S. 15. 74 Kögler, Die zeitliche Unbestimmtheit freiheitsentziehender Sanktionen des Strafrechts, S. 195; Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 64. 75 So verdoppelte sich die im Uniform Crime Report des FBI aufgeführte Gesamtbegehungsrate von 1.887,2 auf 3.984,5 Straftaten pro 100.000 Einwohner; zudem war ein Anstieg der Begehungsrate der Gewaltkriminalität von 160,9 auf 363,5 Gewaltdelikte pro 100.000 Einwohner zu verzeichnen (Maguire/Pastore, Sourcebook of Criminal Justice Statistics, S. 306; zitiert nach Köstler-Loewe, Dissertation, S. 192 f.). 76 Kögler, S. 195 f.; Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 62; Beale, The Story of Ewing v. California, S. 3.

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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eine Verlagerung hin zur Betonung des frei verantwortlich handelnden Einzelnen zu erkennen.77 Auch soziale und politische Turbulenzen werden als Gründe für den fundamentalen Wandel im Kriminalitätsverständnis in den USA angeführt. So werden etwa die Ermordung des US Präsidenten John F. Kennedy im Jahre 1963, die Radikalisierung von Teilen der Bürgerrechtsbewegung, das zunehmende Auftreten von Studentenunruhen und gewalttätigen Demonstrationen erwähnt, die unverhältnismäßige staatliche Reaktionen nach sich zogen, welche allesamt zu einem zunehmenden Misstrauen gegenüber staatlicher Autorität führten und letztlich neben Ereignissen wie der Ermordung von Martin Luther King und der „Watergate-Affäre“ 1972 einen massiven Vertrauensverlust in den Staat und seine Institutionen verursachten.78 Ein wesentlicher Kritikpunkt am Resozialisierungsideal, der im Zuge dieses Richtungswechsels angeführt wurde, waren die infolge der unbestimmten Freiheitsstrafen auftretenden Disparitäten in der Strafpraxis, die sich auch häufig zu Lasten von Afroamerikanern auswirken würden, die weitaus längere Haftstrafen erhielten als weiße Straftäter mit gleichen Anlasstaten.79 Hauptverantwortlich für diesen Missstand wurden die staatlichen Bewährungskommissionen gemacht, deren Entscheidung über den Entlassungszeitpunkt von Straftätern keine objektiven Kriterien zugrunde liege und demzufolge willkürlich sei.80 Dieser kriminalpolitische Richtungswechsel erklärt auch den Erlass der Strafzumessungsrichtlinien des Bundes („US Federal Sentencing Guidelines“) im Jahre 1984. Bis auf wenige Ausnahmen81 schafften die meisten Bundesstaaten die zeitlich unbestimmten Freiheitsstrafen nicht ab, die Einführung der „sentencing guidelines“ zielte aber auf eine stärkere Angleichung der bundesweit verhängten Strafen ab. Der den Richtern eingeräumte Ermessensspielraum wird durch die neu eingeführten standardisierten Richtlinien so weit reduziert, dass für jedes einzelne Delikt nur eine eng begrenzte Auswahl an möglichen Strafen vorgesehen ist.82 Die starke Beschneidung der Ermessensspielräume ist Ausdruck der nunmehr beabsichtigten Verlagerung der Entscheidungskompetenz über den Straftäter vom Strafjustizapparat hin zum demokratischen Gesetzgeber.83 Es sollte sich aber bald herausstellen, dass das neue Strafregime nicht allein die Behebung regionaler Unterschiede, sondern einen radikalen Wandel in der Straf77

Kögler, S. 196; Fogel, We are the living proof, S. 183. Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 61 f. 79 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 72. 80 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 72. 81 Colorado 1976; Illinois 1978; Indiana 1977; Kalifornien 1977 und Maine 1976 (KöstlerLoewe, Strafrecht US-Style, S. 75). 82 Starkweather, Indiana Law Journal 67, S. 862. 83 Zimring/Hawkins/Kamin, Punishment and Democracy, S. 179; Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 77. 78

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

praxis der Gerichte bezweckte. Fortan sollten weitaus härtere Strafen verhängt werden und auf ähnliche Straftaten ähnlich reagiert werden, ohne sich bei der Wahl des richtigen Strafmaßes weiterhin am sozialen Hintergrund oder an Sozialisierungsbedürfnissen des Täters zu orientieren. Während zuvor das Strafmaß allein durch den zuständigen Richter festgelegt wurde und auf eine mögliche Resozialisierung des Straftäters ausgerichtet war, schaffen die „sentencing guidelines“ ein System starrer Richtlinien bei der Bemessung des Strafmaßes. Zudem ist die Resozialisierung als Vollzugsziel sogar durch den Kongress im United States Code explizit ausgeschlossen worden.84 Die neuen Strafregime sind allesamt von der nunmehr herrschenden Straftheorie der „just deserts“ geprägt.85 Danach solle jeder Täter genau das erhalten, „was er sich mit seiner Tat verdient hat – nicht mehr, aber auch nicht weniger“.86 Dahinter steht die Vorstellung, dass jeder Mensch ein rationales Wesen sei, das den freien Willen besitzt, sich zu einer Tat zu entscheiden, von der er weiß, dass sie verboten ist. Die menschliche Würde könne bewahrt werden, indem der Staat zwar von seinem Recht zur Pönalisierung Gebrauch macht, die Entscheidung zur Begehung einer strafbaren Handlung aber grundsätzlich respektiert.87 Das „just deserts“Konzept vertritt somit einen vergeltungsorientierten Ansatz und lässt den Aspekt der Resozialisierung völlig außer Acht.88 Aufgrund der Desillusionierung über die Resozialisierungsidee wurde sie zugunsten des Vergeltungs- und Abschreckungsgedankens zurückgedrängt.89 Weiterer Ausfluss der geänderten Zielrichtung des Strafrechts ist die Tatsache, dass Ende der siebziger Jahre in fast allen US-amerikanischen Staaten Bundesgesetze mit dem Titel „mandatory sentencing statutes“ bzw. „determinate sentencing laws“ eingeführt wurden. Diese Gesetze verhindern die Verkürzung bestimmter 84 Hammel, S. 108. So erläutert der US Supreme Court in Mistretta v. United States (488 US 361, S. 367 [1989]), dass der Kongress die Idee der Resozialisierung als Vollzugsziel ablehne und dass nunmehr der Strafvollzug allein der Vergeltung, Abschreckung und Unschädlichmachung dienen solle (siehe 28 United States Code § 994(k) & 18 United States Code § 3553 [a][2]). 85 Wörtlich übersetzt werden könnte sie als Theorie des „gerechten Verdiensts“ (Kunz, Kriminologie, S. 318). Gemeint im übertragenen Sinne ist, dass ein Straftäter verurteilt wird, „weil er es verdient“. In der Literatur wird als Ableitung des Wortes „deserts“ auf das frühenglische „deserve“ (verdienen) verwiesen (Starkweather, S. 862). Das „just deserts“-Konzept wurde in den USA vor allem durch das 1976 veröffentlichte Buch „doing justice“ von Andrew von Hirsch sehr einflussreich. Von Hirsch ist ein führender Befürworter des „just deserts“-Konzepts und plädierte in seinem Buch für einen Austausch der Resozialisierungstheorie durch die „just deserts“-Theorie (Barton, Just Deserts Theory, S. 504). 86 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 65. 87 Starkweather, S. 855; Albrecht, in: Wegsperren?, S. 444. 88 Kunz, Kriminologie, S. 318. 89 Leyendecker, S. 239; Weitekamp/Herberger, Neue Kriminalpolitik 1995, S. 16; Weitekamp, And the Band Played On oder Wahnsinn und kein Ende, S. 70.

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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Strafrahmen durch eine bedingte Entlassung. Die Strafunterbrechung und Strafaussetzung zur Bewährung sind nicht möglich.90 Der kalifornische Gesetzgeber, der als erster Bundesstaat das neue Gesetz zur Regelung des Strafrahmens („determinate sentencing laws“) erließ, erklärte, dass einziger mit der Gefängnisstrafe verfolgte Zweck die Bestrafung des Täters sei und dieser Zweck am besten durch Verhängung von Haftstrafen erreicht wird, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen.91 Ein weiteres Indiz für den Wandel vom Resozialisierungsstrafrecht hin zu einer Vergeltung und Strafe betonenden Grundhaltung ist die starke Einschränkung des Anwendungsbereichs des Plädoyers auf Unzurechnungsfähigkeit (sog. „insanity defense“) infolge des Attentats auf US-Präsident Ronald Reagan 1981.92 Der Freispruch des Attentäters John Hinckley wegen Schuldunfähigkeit („not guilty by reason of insanity“) löste eine Welle der Entrüstung aus. In der öffentlichen Wahrnehmung und damit auch unter potentiellen Geschworenen wurde die „insanity defense“ fortan als ein von Straftätern häufig missbrauchtes Instrument betrachtet. Sie ermögliche Straftätern, unter dem Deckmantel einer ernsthaften psychischen Erkrankung einer Todesstrafe zu entkommen und lediglich zivilrechtlich untergebracht zu werden. Aus der psychiatrischen Einrichtung könnten die Straftäter dann mit einer Entlassung bereits nach kurzer Zeit rechnen.93 Die heftige Debatte um die „insanity defense“ kulminierte schließlich darin, dass der Kongress 1984 den „Insanity Defense Reform Act“ erließ. Auf Bundesebene erfordert eine Berufung auf die „insanity defense“ nunmehr den vom Straftäter zu erbringenden „klaren und überzeugenden Beweis“, dass er „infolge einer schweren psychischen Störung im Zeitpunkt der Tatbegehung unfähig ist, die Art und Qualität seiner Handlung zu erkennen oder das Unrecht der Tat einzusehen“.94 Nach der bisherigen Rechtslage genügte die Erhebung eines „vernünftigen Zweifels“ an der Schuldfähigkeit durch den Angeklagten, um der Regierung die Beweislast der „Schuldfähigkeit bei der Tatbegehung ohne vernünftigen Zweifel“ aufzuerlegen.95

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Leyendecker, S. 239. California Penal Code § 1170(a)(1) (West 1985); siehe auch Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365; Alschuler, S. 10. 92 Hammel, S. 107; Alschuler, S. 13. 93 Hammel, S. 107. 94 18 United States Code § 17 (2002); Hammel, S. 107; Moriarty, The role of mental illness in criminal trials, Volume Introduction S. XIV. Die Verfassungsmäßigkeit des „Insanity Defense Reform Act“ wurde 1986 durch den US Supreme Court in United States v. Freeman bestätigt (356 F. 2d 606). 95 Piel, J Am Acad Psychiatry Law 2012, S. 538. 91

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Einige Bundesstaaten folgten diesem Beispiel und erließen ebenfalls Gesetze, die eine restriktive Anwendbarkeit der „insanity defense“ vorsahen; in einigen Bundesstaaten wurde sie sogar gänzlich abgeschafft.96 3. Erweiterung der bisherigen Strafzwecke um den der Sicherung der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern Es blieb jedoch nicht nur bei einer starken Betonung des Abschreckungsgedankens in der US-amerikanischen Rechtspolitik: Seit den 1990er Jahren haben die Mehrzahl der US-Bundesstaaten die traditionellen Strafzwecke um den Strafzweck der Sicherheit der Allgemeinheit erweitert. Die Gründe für diesen erneuten Paradigmenwechsel in der US-Kriminalpolitik werden ebenso in den enttäuschenden Studien aus den 1960er und 1970er Jahren gesehen, die keine überzeugenden Ergebnisse bezüglich der effektiven Abschreckungswirkung von strafrechtlichen Sanktionen auf potentielle Straftäter liefern konnten.97 Ein weiterer Grund, der inzwischen allgemein anerkannt ist, ist der Legitimationsvorteil des Strafzwecks der Unschädlichmachung bzw. der Sicherheit der Allgemeinheit gegenüber den übrigen Strafzwecken, speziell denen der Vergeltung und Abschreckung.98 Anders als die Resozialisierung und Abschreckung ist der Erfolg dieses Ansatzes nicht auch von der subjektiven Bereitschaft des jeweiligen Täters und der Effektivität der jeweiligen Methode, mit der eine Verhaltensbeeinflussung des Individuums angestrebt wird, abhängig. Die objektive Unmöglichkeit der Gefährdung der Gesellschaft durch die Inhaftierung eines Straftäters kann von niemandem in Zweifel gezogen werden und ist wegen seiner offenkundigen Effektivität damit einer Kritik an ihrer Wirkung nicht zugänglich.99 Der starke Fokus auf Sicherung ist besonders durch den dramatischen Ausbau der Sicherheitsgesetzgebung erkennbar:100 Besondere internationale Aufmerksamkeit hat dabei die Einführung der im Fokus dieser Arbeit stehenden „sexually violent predator laws“101 sowie der „three strikes laws“102 in den 1990er Jahren erregt.

96

Moriarty, S. XIV; Pollähne, Diskriminierung im Strafrecht, S. 81; Alschuler, S. 13; Hammel, S. 107. Siehe ausführlicher dazu in Kadish/Schulhofer, Criminal Law and its Processes, S. 902. 97 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 97. 98 So auch Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 101; Zimring/Hawkins, Incapacitation: Penal Confinement and the Restraint of Crime, S. 157. 99 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 101. 100 Siehe auch Albrecht, in: Wegsperren?, S. 443 f.; Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365; Monahan, 92 Virginia Law Review (2006), S. 391; Schmid, S. 172. 101 Mit den sog. „sexually violent predator acts“ wird die zivilrechtliche Einweisung von rückfallgefährdeten Sexualstraftätern geregelt. Ausführlich dazu siehe 2. Teil, B., II.

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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Den Gesetzen liegt die Annahme zugrunde, dass die meisten Delikte von einer kleinen Gruppe von Straftätern begangen werden und damit der Sicherungseffekt durch die Ausschaltung dieser Intensivtäter potenziert werden kann.103 Die Einführung der neuen Strafgesetzgebung hat dramatische Folgen: Während bis etwa 1975 die Anzahl der Strafgefangenen in den USA jährlich bis auf 380.000 sank, ist bis Ende 1998 die Zahl der Inhaftierten in den USA auf annähernd 2.000.000 gestiegen und hatte sich damit mehr als verfünffacht.104 Innerhalb von etwa 20 Jahren hat sich in den USA ein Übergang vom „Wohlfahrtsstaat“ zum „Gefängnisstaat“ vollzogen.105 Diese Sicherheitsgesetze sind nicht die einzigen Änderungen, die im Zeichen des Wandels der US-amerikanischen Strafkultur stehen. Auch die in vielen Bundesstaaten eingeführte Überwachungsmöglichkeit von bereits aus der Haft entlassenen Straftätern (lifetime supervision), die Registrierungspflicht von Sexualstraftätern sowie die vereinfachte Verurteilung von Jugendlichen nach Erwachsenen-Strafrecht erklären sich durch das verstärkte Sicherheitsbestreben US-amerikanischer Politik.106 Auch in Gerichtsentscheidungen wird das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit vor Straftätern besonders betont. So hat etwa der Oberste Gerichtshof von Kalifornien 1978 dem Schutz der Allgemeinheit im Rahmen der Strafzumessung „überragende Bedeutung“ eingeräumt.107 Auch der Kongress hat die von ihm 1984 geschaffene United States Sentencing Commission, die für die Veröffentlichung der US-Strafzumessungsrichtlinien (sog. „Federal Sentencing Guidelines“) zuständig ist, ausdrücklich damit beauftragt, Richtlinien zu schaffen, die die Allgemeinheit vor Wiederholungstaten von Straftätern schützen.108 Denselben Auftrag richtete der Kongress auch an die das Urteil 102 Die „three strikes laws“ sehen verschärfte Strafen für Rückfalltäter vor. Ausführlich dazu siehe 2. Teil, C., I. 103 Albrecht, in: Wegsperren?, S. 447. 104 Düx, ZRP 2003, S. 191. Pro 100.000 Einwohnern waren im Jahre 1997 648 Personen in den USA im Gefängnis. Im Vergleich dazu waren es in Deutschland 90. Allein von 1980 bis 1993 stieg die Anzahl an Häftlingen um 172 % (von 501.886 auf 1.364.881 Personen, Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 110). 105 Wacquant, Armut als Delikt, S. 67; Wacquant, Elend hinter Gittern, S. 31 ff., S. 47 ff., S. 143 ff. 106 Alschuler, S. 12 f. 107 People v. Warner, 574 P.2d 1237, 1243 (Cal. 1978), zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365. 108 So solle die Strafe erstens die Schwere der Tat widerspiegeln, Respekt vor dem Gesetz fördern, eine gerechte Strafe für das Delikt darstellen, zweitens abschreckende Wirkung entfalten, drittens die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten schützen und viertens Angebote zur Behandlung von Straftätern bereitstellen (Public Law Number No. 98-473, Oct. 12, 1984, 98 Stat. 1989, 2018; kodifziert in 18 United States Code § 3553 (a) (2), 28 United States Code § 991(b)(1)(A), zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

aussprechenden Richter.109 Tatsächlich sehen neu eingeführte Richtlinien für die Strafzumessung erhöhte Strafen für Wiederholungstäter vor, da bei dieser Personengruppe die Strafrückfälligkeit am wahrscheinlichsten ist.110 4. Die US-amerikanische Verfassung und die Haltung des US Supreme Court zu den einzelnen Strafzwecken Eine Herleitung verfassungsrechtlich anerkannter Strafzwecke ist weder in der US-amerikanischen Literatur noch von der Rechtsprechung unternommen worden. Begründet wurde dies u. a. damit, dass in den USA ohnehin die wissenschaftliche Erörterung von Rechtsproblemen nicht im Vordergrund steht. Nicht etwa die rechtsdogmatische, abstrakt-generelle Herangehensweise an Rechtsprobleme ist üblich, sondern bezüglich kriminalrechtlicher Fragen wird üblicherweise ein induktiv-pragmatischer Ansatz verfolgt.111 Hauptgrund für die Zurückhaltung mit einem Bekenntnis zu verfassungsrechtlich zulässigen Strafzwecken ist jedoch das Fehlen von Anknüpfungspunkten für eine Herleitung von legitimen Strafzwecken aus der Verfassung und dem Grundrechtskatalog.112 Das Gebot der Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip, die ein Recht auf Resozialisierung begründen könnten, sind nicht in der Verfassung verankert. Auch aus dem achten Zusatzartikel, der ein Verbot grausamer und ungewöhnlicher Strafen normiert, entnimmt der US Supreme Court kein Gebot der Achtung der Menschenwürde.113 Dass die Verhängung einer Strafe zumindest nicht alleine die Resozialisierung des Straftäters bezweckt, ergibt sich bereits aus der Vereinbarkeit der Todesstrafe per se mit dem Verbot grausamer Strafen. Die fehlende verfassungsrechtliche Fundierung der Resozialisierung als alleiniges Vollzugziel hat der US Supreme Court in Atiyeh v. Capps auch ausdrücklich bestätigt: „Nirgendwo in der Verfassung steht geschrieben, dass Resozialisierung alleiniges Strafvollzugsziel ist.“114 Die soeben dargestellten, verschiedenen Phasen in der Kriminalpolitik durchlief auch der US Supreme Court in seiner Rechtsprechung zur Ausgestaltung des Strafvollzugs und dessen Ausrichtung auf Resozialisierung: Bis Ende der sechziger Jahre verfolgte der US Supreme Court eine sog. „hands off“-Rechtsprechung: Im Wege einer bewussten Kompetenzbeschränkung überließ 109

Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365. Siehe, e. g., US Sentencing Guidelines Manual Kapitel 4, Teil A (1998 – 99); Kapitel 5, Teil A; Arizona Revised Statutes § 16-90-801 (b)(1) (1995); Delaware Code Annotated, Title ii, § 6580 (c)(1) (I995); Revised Code of Washington Annotated, § 9.9 4 A.010(1) (West 1985); zitiert nach Robinson, 114 Harvard Law Review, S. 1431. 111 Leyendecker, S. 241; Kögler, S. 161 f. 112 Leyendecker, S. 242. 113 Leyendecker, S. 242. Siehe ausführlich hierzu 3. Teil, C., II., 2. a). 114 Atiyeh v. Capps, 449 US 1312 (1981); Leyendecker, S. 242. 110

A. Kurzüberblick über das Strafrechtssystem in den USA

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er aufgrund der besonderen Sachnähe der Vollzugsverwaltung die genaue Ausgestaltung des Strafvollzugs den Strafvollzugsbehörden. Dies hatte die erschwerte Durchsetzung von Vollzugsrechten für Strafgefangene zur Folge.115 Erst im Zuge der Liberalisierung der Kriminalpolitik Ende der sechziger Jahre begann der US Supreme Court, die Verfassungsgarantien auch auf Strafgefangene anzuwenden.116 Infolge dieses Wandels erließ das Gericht in den siebziger Jahren zahlreiche Urteile zur Resozialisierung, in denen die Bedeutung der Resozialisierung explizit betont wird.117 Entsprechend der zunehmenden „Null-Toleranz“-Kriminalpolitik in den USA nahm die Anzahl der Urteile des US Supreme Court in den achtziger Jahren zur Resozialisierung von Straftätern jedoch schlagartig ab. Außerdem äußerte das Gericht Zweifel an dem Erfolg eines auf Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzugs: In einer Entscheidung aus dem Jahre 1989 hat der US Supreme Court die neu erlassenen Strafzumessungsrichtlinien des Bundes („federal sentencing guidelines“) als verfassungsgemäß bestätigt, obwohl sie den Gesichtspunkt einer möglichen Resozialisierung bei der Strafzumessung nicht mehr berücksichtigen.118 In einer späteren Entscheidung heißt es: „Heutzutage zweifelt fast jede in der Strafrechtspflege tätige Person daran, dass die Resozialisierung von Straftätern in Haftanstalten Aussicht auf Erfolg hat.“119 Das letzte Urteil des US Supreme Court, das sich mit der Resozialisierung von Straftätern befasst, stellte fest, dass die Streichung der Resozialisierung als Vollzugsziel aus den Strafzumessungsrichtlinien des amerikanischen Bundesrechts („US Sentencing Guidelines“) zulässig sei und eine allein am Gedanken der Vergeltung und Unschädlichmachung orientierte Strafzumessung im Einklang mit der Verfassung stehe.120

115 Weigend, Die Rechte Gefangener in internationaler Perspektive, S. 147 f; Leyendecker, S. 243. 116 „Ein eiserner Vorhang zwischen der Verfassung und den Gefangenen dieses Landes existiert nicht.“ (Wolff v. McDonnell 418 US 551 f. [1974]), zitiert nach Leyendecker, S. 243. 117 So forderte der US Supreme Court etwa die Gerichte auf, bei der Entscheidung über einen Wiederholungstäter die Folgen für den Resozialisierungserfolg durch ein mögliches weiteres Verfahren zu berücksichtigen (Strunk v. United States, 412 US 439 [1973]). Zahlreiche weitere Nachweise über Entscheidungen des US Supreme Court zur Resozialisierung siehe Leyendecker, S. 243 ff. 118 Mistretta v. United States, 488 US 361 (1989); Miller, The Debate on rehabilitating criminals: Is it true that nothing works? Washington Post, März 1989. 119 Carchman v. Nash, 473 US 716 (1985); Leyendecker, S. 244. 120 United States v. Dunnigan, 507 US 87 (1993), S. 98; Leyendecker, S. 244.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

B. Die Entscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ Im Folgenden sollen die Entscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ namens Kansas v. Hendricks und Kansas v. Crane näher untersucht werden. Zuvor wird eine kurze Übersicht über die „sexually violent predator“-Gesetzgebung gegeben. Zudem wird auf einige frühere Entscheidungen des US Supreme Court zu freiheitsentziehenden Sicherungsmaßnahmen näher eingegangen.

I. Kurze Einführung in die Geschichte der zwangsweisen Unterbringung psychisch kranker Personen in den USA Die USA können auf eine lange Geschichte der Zwangsunterbringung von als gemeingefährlich und geisteskrank eingestuften Personen zurückblicken. Bereits Anfangs des 19. Jahrhunderts wurden auf bundesstaatlicher Ebene freiheitsentziehende Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit eingeführt.121 In der Entscheidung In re Oakes von 1845 formulierte der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaats Massachusetts als erstes Gericht in den USA die Legitimationsgrundlage für die Zwangsunterbringung geisteskranker Personen.122 Darin wies das Gericht den Antrag des unter Halluzinationen leidenden Oakes auf Entlassung aus dem Vollzug der Zwangsunterbringung zurück, die ohne vorangegangenes gerichtliches Verfahren angeordnet worden war.123 Das Gericht schuf einen Präzedenzfall, indem es vier wichtige Grundsätze für die Zwangsunterbringung formulierte: Der Staat habe das Recht auf Unterbringung einer Person gegen ihren Willen; die Entscheidungsgewalt über die geisteskranke Person liege beim Pfleger, der auch die Dauer der Unterbringung bestimmen solle; zivilrechtliche Verfahren bedürfen nicht einer derart strengen Beachtung der Garantie des „due process“ wie in strafrechtlichen Angelegenheiten; aufgrund der „parens patriae“-Doktrin124sei eine

121 Saad, S. 608 f.; ausführlich zur Geschichte der civil commitment laws siehe James/ Thomas/Foley, Civil commitment of sexually dangerous persons, S. 5 ff. 122 Meyer/Weaver, Law and mental health, S. 128. 123 Saad, S. 609. 124 Die sog. „parens patriae“-Doktrin liefert eine staatliche Legitimation zur Zwangsunterbringung von psychisch kranken Menschen. Der Staat fungiert dabei gleichermaßen als Vormund für diese Personen, die ihr eigenes Wohl nicht erkennen können und dadurch eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen (Chamberlin, Erfahrungen und Zielsetzungen der nordamerikanischen Selbsthilfe-Bewegung, S. 300 ff.; Cooper, Akron Law Review 1975, S. 378; Gottlieb, Kansas Law Review 2002, S. 1035 f.).

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Unterbringung nicht nur wegen Gefährlichkeit der Person, sondern zu ihrem eigenen Wohl gerechtfertigt.125 Einen ersten Versuch, eine Gesetzgebung zur zwangsweisen Unterbringung aufgrund einer psychiatrischen Diagnose in den US-Bundesstaaten einzuführen, stellt der 1911 erlassene Briggs-Act aus Massachusetts dar.126Als erstes Gesetz seiner Art in den USA ermöglichte es die Untersuchung von Wiederholungstätern (bei Begehung besonders schwerer Verbrechen auch von Ersttätern) durch zwei Psychiater auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten selbst. Im Falle der Diagnose einer Schuldunfähigkeit wurden die Täter anschließend zwangsweise in spezielle Gefangenenanstalten untergebracht, bei denen es sich offiziell nicht um Strafgefängnisse handelte.127 Eine Unterbringung aufgrund des Briggs Acts war aufgrund der Begehung aller Arten von Straftaten möglich, wurde jedoch hauptsächlich bei Sexualstraftätern angeordnet.128 Allmählich wurden auch in anderen US-Bundesstaaten vom Briggs Act beeinflusste Gesetze eingeführt. Es bestand jedoch weiterhin eine Regelungslücke zur Unterbringung von schuldfähigen Sexualstraftätern, die dennoch eine psychische Störung aufweisen.129 Ab den späten dreißiger Jahren wurden diese Gesetze in den meisten US-Bundessstaaten durch die Einführung sog. „sexual psychopath laws“ ersetzt oder erweitert, begonnen mit dem Bundesstaat Michigan im Jahre 1937.130 Diese Gesetze ermöglichten erstmalig die Zwangseinweisung von Sexualstraftätern in eine geschlossene Anstalt, ohne dass diese strafrechtlich verurteilt oder für schuldunfähig erklärt worden sein mussten.131 In den 1980er Jahren gerieten die Gesetze im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung und aufgrund erheblicher Zweifel an der Befähigung eines Psychiaters zur zweifelsfreien Einschätzung der Gefährlichkeit einer Person jedoch zunehmend in die Kritik. Viele Bundesstaaten sahen sich daher gezwungen, diese Gesetze wieder abzuschaffen, so dass im Jahre 1990 bereits die Hälfte dieser Bundesstaaten diese Gesetze außer Kraft gesetzt haben.132

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Meyer/Weaver, S. 128. Schlesinger/Scanlon, 11 U. Pitt. L. Rev., S. 642. 127 Roth, Uncle Sam’s Sexualhölle erobert die Welt, S. 151. 128 Roth, S. 151; James/Thomas/Foley, CRS Report for Congress, Civil Commitment of Sexually Dangerous Persons, S. 3 f. 129 Schlesinger/Scanlon, S. 643. 130 Bis in die 1950er Jahren wurden in insgesamt 29 Bundesstaaten „sexual psychopath laws“ in den USA erlassen; Schlesinger/Scanlon, S. 153. Ausführlicher zu den einzelnen sexual psychopath laws siehe Denno, 92 Nw. U.L. Rev., S. 1351 ff.; Miller, 98 California Law Review, S. 2096 ff. 131 Denno, S. 153; Saad, S. 606. 132 Dorsett, DePaul L. Rev. 1998, S. 115. 126

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

II. Die Sexually Violent Predator Acts am Beispiel des „Kansas Sexually Violent Predator Act“ Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die „sexually violent predator laws“ gegeben. Dabei werden insbesondere die „sexually violent predator laws“ von Kansas (sog. „Kansas Sexually Violent Predator Act“) näher beleuchtet, da sich der US Supreme Court in Kansas v. Hendricks und Kansas v. Crane mit der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes auseinandergesetzt hat. Zudem ist das Gesetz typisch für die Sexualstraftätergesetzgebung in den einzelnen Bundesstaaten.133 1. Ursprung der „Sexually Violent Predator Acts“ Der Ursprung der kriminalpolitischen „sexually violent predator laws“-Bewegung in den USA kann in den US-Bundesstaat Washington zurückverfolgt werden: Dort ist das erste Gesetz seiner Art mit dem sog. „Community Protection Act“ im Jahre 1990 erlassen worden.134 Anlass für die Gesetzesinitiative war die öffentliche Empörung über den grausamen sexuellen Missbrauch und die anschließende Verstümmelung eines siebenjährigen Jungen in Tacoma. Begangen wurde dieses Sexualverbrechen von Earl Shriner, der auf eine 24-jährige kriminelle Karriere als Kinderschänder zurückblickte und kurz zuvor aus der Haft entlassen worden war. Zwar lagen dem Haftpersonal Hinweise darauf vor, dass Shriner die Begehung von Sexualdelikten an Kindern nach seiner Entlassung plante, angesichts der fehlenden Anwendbarkeit der traditionellen „civil commitment laws“ auf Shriner waren den Behörden jedoch die Hände gebunden, Shriner weiter die Freiheit zu entziehen.135 Noch im selben Monat setzte der Gouverneur ein Sondergremium zusammen, welches mit der Ausarbeitung eines Gesetzes beauftragt wurde, das die Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter auch nach der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe und bis zu dem Zeitpunkt, in dem keine Gefahr mehr von ihnen ausgeht, ermöglichte.136 Anders als die „sexual psychopath laws“, die diese Gesetzgebung er-

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Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 390. Wash. Rev. Code 71.09 (1992); Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 390; Fabian, 29 William Mitchell Law Review, S. 1373; Morris, Mental disorder and the civil/criminal distinction, S. 15 f. 135 Zum einen wurde bei Earl Shriner keine die Schuldfähigkeit einschränkende psychische Krankheit diagnostiziert, des Weiteren war für die Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung eine kürzlich begangene, die Gefährlichkeit des Täters offenbarende Handlung („recent overt act“) erforderlich (Gaenslen, Die Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, S. 142; Gunn, UCLA Women’s Law Journal 5, S. 277; Cornwell, 34 Seton Hall Law Review [2004], S. 1213 ff.). 136 Gaenslen, S. 142 f.; Gunn, S. 278. Unterschiede zu den zuvor erlassenen „sexual psychopath laws“ bestehen also insofern, als diese allein die Einweisung in eine Heilanstalt alternativ zur Freiheitsstrafe vorsahen und nicht etwa eine Einweisung erst nach Verbüßung der Freiheitsstrafe (Gaenslen, S. 143). 134

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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setzen sollte, sollte fortan also eine Kumulation von Strafe und sichernder Maßnahme ermöglicht werden.137 Der „Community Protection Act“ von Washington sollte als Vorbild für Gesetze ähnlichen Inhalts dienen, die in den folgenden Jahren in anderen Bundesstaaten erlassen wurden.138 Auch in anderen Bundesstaaten sollte die Gesetzesinitiative maßgeblich durch die öffentliche Empörung über Sexualdelikte ausgelöst werden, die von Straftätern kurz nach der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe begangen wurden. Daher tragen viele dieser Gesetze auch den Namen der Opfer der Sexualstraftäter. So ist etwa das in New Jersey erlassene „sexually violent predator“-Gesetz als „Megan’s Law“ allgemein bekannt. Es wurde nach dem siebenjährigen Opfer eines Sexualmordes namens Megan Kanka benannt, der von einem zweimal einschlägig vorbestraften Kinderschänder aus ihrer Nachbarschaft begangen wurde.139 Wie in Deutschland, ist die Furcht vor der Rückfälligkeit von Sexualstraftätern vor allen den Medien geschuldet. Denn Studien belegen, dass die Rückfallhäufigkeit verurteilter Sexualstraftäter erheblich geringer ist als von der US-amerikanischen Bevölkerung befürchtet.140 2. Bundesweite statistische Angaben zu den „sexually violent predator laws“ Derzeit sind in 20 Bundesstaaten sowie im District of Columbia Gesetze in Kraft, die die zivilrechtliche Unterbringung von gefährlichen Sexualstraftätern regeln.141 Nur drei dieser Vorschriften befinden sich im Strafgesetzbuch oder der Strafprozessordnung142 ; die übrigen 18 Regelungen sind in Gesetzen enthalten, die sich mit

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Morris, S. 15 f. Gaenslen, S. 143. 139 Hammel, S. 99; Demleitner, S. 1626; Fabian, S. 1368; Gaenslen, S. 157; Janus, Failure to protect, S. 15. 140 So geht die Bevölkerungsmehrheit Umfragen zufolge von einer Rückfallquote von über 80 Prozent aus, obwohl sich diese in Wirklichkeit zwischen 2 und 13 Prozent bewegt. Zudem treten Sexualstraftäter in viel geringerem Maße als andere Straftäter erneut strafrechtlich in Erscheinung (Douard, 30 International Journal of Law and Psychiatry, S. 43 f.). 141 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 367; Klein/Wittes, S. 168 f., Preventive detention in American theory and practice; Wright, S. 287 (Stand: Januar 2016). 142 Illinois (725 Illinois Compiled Statutes 2071/-207/99) und Wisconsin (Wisconsin Statutes §§ 980.01 – 980.14.). Auch der Bund hat eine eigene Regelung für die zivilrechtliche Unterbringung von Sexualstraftätern erlassen (18 United States Code § 4248), siehe auch Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 367. 138

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

dem Allgemeinwohl („public welfare“), der Gesundheit, der psychischen Verfassung oder Ähnlichem befassen.143 Laut einer Untersuchung aus dem Jahre 2002 waren zu diesem Zeitpunkt 2.478 Personen bundesweit als „sexually violent predators“ zivilrechtlich untergebracht.144 Einer weiteren Studie zufolge waren bis Dezember 2004 3.493 Personen als „Sexually Violent Predators“ untergebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt sind insgesamt 427 Personen wieder entlassen worden; in 44 Fällen ist die Entlassung widerrufen worden.145 Ein Artikel aus der New York Times vom März 2007 berichtete von einer Unterbringung von insgesamt 2.700 Personen in 19 Bundesstaaten und einer Entlassung von insgesamt 250 Personen seit Einführung der Gesetze.146 Diese Zahlen verdeutlichen, wie gering der Anteil der aus dem Strafvollzug entlassenen Personen ist, die tatsächlich als „Sexually Violent Predators“ eingestuft werden.147 Zugleich demonstrieren die Zahlen, dass nur wenige Personen wieder aus der Unterbringungsanstalt entlassen werden und die Unterbringung für die meisten Personen lebenslangen Freiheitsentzug bedeutet.148 Mehrheitlich haben die Bundesstaaten bisher keine einzige Frau untergebracht; kein Bundesstaat hat bis zu diesem Zeitpunkt mehr als zwei Frauen untergebracht.149

3. Der „Kansas Sexually Violent Predator Act“ a) Entstehungsgeschichte Auch die Einführung des „Kansas Sexually Violent Predator Act“ ist durch ein Sexualverbrechen in Kansas ausgelöst worden, über das in den Medien intensiv Bericht erstattet wurde: 1993 wurde Stephanie Schmidt brutal vergewaltigt und 143

Arizona, California, Florida, Iowa, Massachusetts, Minnesota, Missouri, North Dakota, South Carolina, Nebraska, New Hampshire, New York, Texas, Virginia, Washington, Kansas, New Jersey, Pennsylvania (Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 367). 144 Fitch, Ann. N.Y. Acad. Sci. 989, S. 492, zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 400. 145 Gookin, Involuntary commitment of sexually violent predators, S. 1. 146 Davey/Goodnough, N.Y. Times vom 04. März 2007. Eine weitere Statistik vom August 2007 besagt, dass 4532 Personen in den USA untergebracht wurden und 494 Personen entlassen worden sind (Gookin, Comparison of state laws authorizing involuntary commitment of Sexually Violent Predators, S. 1, zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 401; Klein/ Wittes, S. 168 f.). 147 Im Bundesstaat Washington sind etwa im Jahre 1998 nur etwa 1 % aller entlassenen Häftlinge als „Sexually Violent Predator“ eingestuft worden (Gaenslen, S. 143). 148 Klein/Wittes, S. 169. 149 Davey/Goodnough, N.Y. Times vom 04. März 2007, zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 400 f.; Klein/Wittes, S. 168 f.; abrufbar unter http://www.nytimes.com/2007/ 03/04/us/04civil.html?pagewanted=all&_r=0.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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anschließend ermordet. Täter dieses Verbrechens war Don Gideon, ein Arbeitskollege, der kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war, wo er eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung abgesessen hatte.150 Daraufhin gründeten die Eltern des Opfers eine Initiative, in der sie sich für strengere Gesetzgebung zur Bekämpfung von Sexualstraftätern einsetzten. Diese Initiative führte letztlich zur Verabschiedung des „Kansas Sexually Violent Predator Acts“ am 27. 04. 1994, der sich im „Probate Code“ (Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit) von Kansas befindet.151 b) Regelungsinhalt des „Kansas Sexually Violent Predator Act“ Die so genannte „zivilrechtliche Unterbringung“ („civil confinement“) aufgrund der „sexually violent predator laws“ in Kansas wird als eine präventive Sanktion verstanden, die nicht anstelle, sondern neben der Freiheitsstrafe angeordnet wird.152 Mit der Einführung dieser Maßnahme ist somit neben der Freiheitsstrafe eine „zweite Spur“ im Sanktionensystem des Bundesstaates Kansas eröffnet worden.153 Die Gesetze erlauben die zivilrechtliche Unterbringung von Personen, die „wegen einer Sexual-Gewaltstraftat („sexually violent offense“) angeklagt oder verurteilt“ sind und eine „mentale Abnormalität“ („mental abnormality“)154 oder „Persönlichkeitsstörung“ („personality disorder“) aufweisen, aufgrund welcher sie wahrscheinlich zum wiederholten Male Akte sexueller Gewalt verüben werden.155 Unter Sexual-Gewaltstraftaten fallen die Vergewaltigung, sexueller Missbrauch oder schwerer („aggravated“) sexueller Missbrauch von Kindern, strafbare Sodomie oder strafbare Sodomie in einem besonders schweren Fall156, das unsittliche und schwer unsittliche Anbieten und die sexuelle Ausbeutung von Kindern; die schwere sexuelle Nötigung, der schwere Inzest, der Versuch des schweren Inzests, gemeinschaftliches oder strafbares Anstiften zur Begehung einer Sexual-Gewaltstraftat.157 150

Pearman, S. 1973. Pearman, S. 1973. 152 Das Gesetz findet ebenso Anwendung auf zur Verhandlung geladene, aber als nicht verhandlungsfähig eingestufte Personen, sowie diejenigen, die wegen Geisteskrankheit als schuldunfähig eingestuft wurden. In diesen Fällen wird die zivilrechtliche Unterbringung anstelle und nicht neben der Freiheitsstrafe angeordnet (Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 391 f.). 153 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 391. 154 Die „mentale Abnormalität“ wird definiert als „erblich bedingter oder erworbener Zustand, der Einfluss auf die emotionalen und willensmäßigen Fähigkeiten hat und die Person zur Begehung von Sexual-Gewaltstraftaten, die eine Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit darstellen, prädisponiert (Kansas Statutes § 59-29a02[b]). 155 Kansas v. Hendricks, 117 S. Ct. at 2076 – 2077, siehe Kansas Statutes §§ 59-29a01 – 59.29a20. (zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 368). 156 Unter Sodomie ist unnatürlicher Geschlechtsverkehr (typischerweise Analverkehr, Oralverkehr oder Geschlechtsverkehr mit Tieren) zu verstehen, auch wenn dieser einverständlich ist. 157 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 392. 151

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Aber auch auf „sexuell motivierte Straftaten“ („sexually motivated offenses“) ist das Gesetz anwendbar.158 Ein Täter kann also in Kansas als „Sexually Violent Predator“ eingestuft werden, ohne dass er wegen einer Sexualstraftat verurteilt worden ist.159 Die Formulierung, „wahrscheinlich wiederholt Akte sexueller Gewalt“ verüben bedeutet, dass die „Neigung einer Person zur Verübung von Akten sexueller Gewalt einen solchen Grad erreicht hat, dass sie eine Bedrohung für die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit darstellt.“160 Im Falle der Anwendung der „sexually violent predator laws“ auf schuldfähige Straftäter, die wegen einer Sexualstraftat verurteilt wurden, beginnt der Verfahrensablauf, wenn sich die betroffenen Personen noch in der Strafhaft befinden: Spätestens 90 Tage vor der geplanten Entlassung eines Straftäters aus dem Gefängnis muss der Justizminister sowie ein erfahrenes, interdisziplinäres Team („standing multidisciplinary team“) durch Gefängnispersonal darüber informiert worden sein, dass ein Straftäter, der zeitnah aus dem Gefängnis entlassen werden soll, womöglich die Kriterien eines Sexualstraftäters entsprechend des „Sexually Violent Predator Acts“ erfüllt. Nachdem das interdisziplinäre Team den Justizminister über seine Einschätzung informiert hat, muss der Justizminister zusammen mit einem vom Justizminister berufenen Überprüfungsausschuss der Staatsanwaltschaft („prosecutor’s review committee“) eine vorläufige Entscheidung darüber treffen, ob der Straftäter die Voraussetzungen eines „Sexually Violent Predator“ nach dem Gesetz von Kansas erfüllt. Falls dies bejaht wird, muss der Justizminister einen Antrag auf Feststellung, dass es sich bei dem Straftäter um einen „Sexually Violent Predator“ handelt, beim örtlichen Gericht des Landkreises stellen, in welchem der Straftäter wegen der Sexualstraftat verurteilt oder angeklagt wurde. Infolgedessen führt der zuständige Richter eine Anhörung des Straftäters durch und unterzieht ihn einer Prüfung durch einen Sachverständigen dahingehend, ob die Voraussetzungen für einen „Sexually Violent Predator“ im Sinne des Gesetzes gegeben sind. Als letzter Schritt wird schließlich eine Verhandlung vor dem zuständigen Gericht161 durchgeführt mit dem Ziel, festzustellen, „dass die Person ohne berechtigten Zweifel ein ,Sexually Violent Predator‘ ist.“162 158

„Sexuell motivierte Straftaten“ werden als solche Taten verstanden, die der Täter zumindest auch zu seiner sexuellen Befriedigung begeht.“ (Kansas Statutes § 59-29a02 [d]). 159 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 392 f.; Roberts, Minnesota Law Review 93, S. 706. Sechs der zwanzig Bundesstaaten mit „sexually violent predator“-Gesetzen haben auch andere Delikte in den Katalog jener Straftaten aufgenommen, die Anlass für die Anordnung einer zwangsweisen Unterbringung geben oder zumindest den Begriff des „Sexually Violent Predator“ derart ausweiten, dass er auch andere Straftaten als Sexualstraftaten beinhaltet (Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 393). 160 Kansas Statutes § 59-29a02(c), zitiert nach Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 391. 161 Auf Antrag vom Straftäter, vom Justizminister oder dem Richter kann die Verhandlung auch vor Geschworenen durchgeführt werden; Kansas Statutes § 59-29a06(c), (d). 162 Kansas Statutes § 59-29a07 (a).

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Sollte tatsächlich festgestellt worden sein, dass es sich bei der Person um einen „Sexually Violent Predator“ handelt, wird sie oder er solange eingesperrt werden, bis die „mentale Abnormalität“ im Sinne des Gesetzes sich insoweit geändert hat, dass die Person gefahrlos in die Freiheit entlassen werden kann.“163 Auch wenn damit die zwangsweise Unterbringung auf unbestimmte Zeit angeordnet wird, wird der untergebrachten Person eine Überprüfung der Anordnungsvoraussetzungen dieser Maßnahme auf drei verschiedenen Wegen gewährt: Zunächst muss das Gericht, das die zwangsweise Unterbringung angeordnet hat, jährlich überprüfen, ob die Voraussetzungen der Unterbringung noch gegeben sind.164 Zudem kann der Geschäftsführer des Amtes für soziale Dienste und Wiedereingliederungsmaßnahmen („department of social and rehabilitation services“) jederzeit feststellen lassen, dass sich der Zustand der untergebrachten Person insoweit geändert hat, dass eine Entlassung aus der Unterbringung angemessen ist und kann ihn zum Antrag auf Entlassung ermächtigen.165 Zuletzt kann die untergebrachte Person jederzeit, auch ohne Ermächtigung des Geschäftsführers, einen Antrag auf Entlassung stellen.166 Die Beaufsichtigung, Betreuung und Behandlung von untergebrachten Personen erfolgt in einer Einrichtung, die vom Amt für soziale Dienste und Wiedereingliederungsmaßnahmen betrieben wird, ein Dezernat, das von der Strafvollzugsbehörde in Kansas vollkommen separiert ist.167 Zudem werden sicherungsverwahrte Personen von üblichen Gefangenen getrennt untergebracht und sollen „außer der gelegentlichen zufälligen Begegnungen unter Aufsicht von Gefangenen isoliert“ werden.168

III. Frühe Rechtsprechung des US Supreme Court zu freiheitsentziehenden Sicherungsmaßnahmen gegen gefährliche Straftäter 1. Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court zur Unterscheidung von Freiheitsstrafe und zivilrechtlicher Unterbringung Im Rahmen der im Folgenden näher untersuchten Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ musste sich der 163

Kansas Statutes § 59-29a07 (a). Kansas Statutes § 59-29a08. 165 Kansas Statutes 59-29a10. 166 Kansas Statutes §59-29a11. 167 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 395 f.; Kansas Statutes § 59-29a07. 168 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 395 f. Kansas Statutes § 59-29a07(c). Es gibt allerdings auch Bundesstaaten, deren „sexually violent predator laws“ die Unterbringung in einer regulären Strafvollzugsanstalt und die Zuständigkeit der Strafvollzugsbehörde vorsehen (Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 396, Roberts, S. 708). 164

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

US Supreme Court ausführlich mit dem vermeintlichen Strafcharakter dieser Gesetze auseinandersetzen. Dabei nimmt das Gericht Bezug auf einige frühere Entscheidungen, in denen es Kriterien zur Bestimmung der Rechtsnatur einer Maßnahme und zur Unterscheidung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen aufgestellt hat. Diese Entscheidungen sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Im Jahre 1963 hat der US Supreme Court in der Entscheidung Kennedy v. Mendoza-Martinez, in der er zwei Bundesgesetze wegen ihres Strafcharakters für verfassungswidrig erklärte, sieben Kriterien aufgestellt, die bei der Beurteilung des Strafcharakters eines Gesetzes berücksichtigt werden sollen.169 Auch wenn die Liste der vom US Supreme Court aufgestellten Faktoren „nicht erschöpfend und entscheidend“, sondern allein „hilfreich“ sei, wurde der Test dennoch in späteren Entscheidungen herangezogen.170 Drei Jahre später bestätigte der US Supreme Court in Baxstrom v. Herold die Verfassungsmäßigkeit einer zivilrechtlichen Unterbringung, die im Anschluss an die Verbüßung einer Freiheitsstrafe angeordnet worden ist. Solange die Einhaltung der üblichen Verfahrensvoraussetzungen für die Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung beachtet werde, bestehe kein Grund, warum man Straftäter, die in naher Zukunft aus der Haft entlassen werden sollen, von gewöhnlichen zivilrechtlich untergebrachten Personen unterscheiden solle.171 Daher könne ein unter einer psychischen Krankheit leidender und gefährlicher Straftäter nach Verbüßung seiner

169 Ziel war es, durch Bejahung eines Strafcharakters die Anwendung des fünften und sechsten Zusatzartikels der US-amerikanischen Verfassung auszulösen. Ein Gesetz ist danach laut US Supreme Court Justice Goldberg als strafrechtlich zu qualifizieren, 1. wenn die Sanktion eine positive Behinderung oder Zurückhaltung beinhaltet, 2. wenn das Gesetz aus historischer Sicht als strafrechtlich betrachtet werden kann, 3. wenn das Gesetz den Nachweis einer wissentlich begangenen Handlung des Betroffenen („scienter“) erfordert 4. wenn seine Ausführung die traditionellen Ziele von Bestrafung (Vergeltung und Abschreckung) fördert, 5. wenn das Verhalten, auf das das Gesetz angewandt wird, bereits einen Straftatbestand erfüllt, 6. wenn ein nicht-punitiver, alternativer Zweck existiert und 7. wenn das Gesetz im Verhältnis zu dem alternativen Zweck als exzessiv angesehen werden muss (siehe auch Gaenslen, S. 164; Steiker, S. 819 f.). 170 So etwa auch in Kansas v. Hendricks, 521 U. S. 346, S. 394 im Rahmen des abweichenden Votums von US Supreme Court Justice Breyer. 171 In dem vorliegenden Fall war der Strafgefangene Johnnie Baxstrom nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht worden. Eine erneute Überprüfung des Falles durch die Geschworenen und eine gerichtliche Feststellung einer Geisteskrankheit fand jedoch nicht statt, da dieser Verfahrensablauf gemäß dem Unterbringungsgesetz des Staates New York nur für bereits inhaftierte Personen vorgesehen war. Zwar erklärte der US Supreme Court die Unterbringung Baxstroms aufgrund der nicht durchgeführten Gerichtsverhandlung für verfassungswidrig, erkannte damit aber auch implizit die Möglichkeit der Kumulation von Strafe und Unterbringung unter Beachtung gewisser Verfahrensregeln an (Baxstrom v. Herold, 383 U. S. 107 [1966]). Ausführlicher zu dem Urteil siehe Rollman, 88 Journal of Criminal Law and Criminology, S. 990 f.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Freiheitsstrafe zwangsweise untergebracht werden, ohne dass dadurch das Doppelbestrafungsverbot verletzt werde. 1986 hat der US Supreme Court in Allen v. Illinois die Verfassungsmäßigkeit eines „sexual psychopath law“ aus Illinois anerkannt. Dieses Gesetz regelt die zivilrechtliche Unterbringung von Sexualstraftätern anstelle einer strafrechtlichen Verurteilung.172 Das Gesetz habe keinen punitiven Charakter und löse deshalb nicht den im fünften Zusatzartikel verankerten Schutz vor dem Zwang zur Selbstbezichtigung aus. Die Tatsache, dass Bestimmungen zur zwangsweisen Unterbringung von Personen im Bürgerlichen Gesetzbuch eines Bundesstaates geregelt sind, sei kein maßgebendes Kriterium für die Einordnung dieser Bestimmungen als Straf- oder Zivilgesetze. Dennoch könne die Intention des Gesetzgebers, den Regelungen zur Unterbringung keinen Strafcharakter beizumessen, nur in den Fällen ignoriert werden, in denen „das Gesetz in seiner Absicht oder seinen Auswirkungen den gesetzgeberischen Willen zunichtemacht, eine zivilrechtliche Regelung zu erlassen (…).“173 Allein die Tatsache, dass sich ein Unterbringungsgesetz verfahrensrechtlicher Schutzvorschriften bediene, die typischerweise im Strafverfahren Anwendung finden, deute nicht auf den punitiven Charakter eines Gesetzes hin.174 Ein Jahr später entschied der US Supreme Court in United States v. Salerno, dass „die bloße Tatsache, dass eine Person inhaftiert wird, nicht zwingend darauf schließen lässt, dass der Staat eine Strafe verhängt hat.“175 In dieser Entscheidung bestätigte das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des Federal Bail Reform Acts von 1984, der die Anordnung der Untersuchungshaft gegen gefährliche Straftäter ermöglicht, sofern „die Entlassung aus der Haft nicht derart gestaltet werden kann, dass die Sicherheit einer anderen Person oder der Allgemeinheit hinreichend gewährleistet ist.“176 Nach einer Interessenabwägung könne unter Umständen das Freiheitsinteresse des Einzelnen hinter den gewichtigen Sicherheitsinteressen der All-

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Sog. Illinois Sexually Dangerous Persons Act (725 Illinois Compiled Statutes 205/1.01 [West 1996]); siehe Allen v. Illinois, 478 US 364 (1986); siehe Rollman, S. 991 f. 173 Allen v. Illinois, 478 US 364, S. 369. Das Gericht beruft sich dabei auf seine Entscheidung United States v. Ward (448 US 242, S. 248 – 49 [1980]). 174 Allen v. Illinois, 478 US 364, S. 372. 175 United States v. Salerno, 481 U. S. 739 (1987), S. 746. 176 Bail Reform Act (18 United States Code § 3142f [1994 & Supp. II 1996]), siehe United States v. Salerno, 481 US 739, S. 743 – 744. Nach den vom US Supreme Court im vorliegenden Fall untersuchten Regelungen des Federal Bail Reform Act entscheidet ein Justizbeamter über die Anordnung der Untersuchungshaft (18 United States Code § 3141 [1994]). Der Kongress hat dabei einige Kriterien festgesetzt, die bei der Entscheidung über die Anordnung der Untersuchungshaft in Betracht gezogen werden sollen: Die Schwere und Art des Schuldvorwurfs, der Umfang der gesicherten Beweise, die Familienverhältnisse des Straftäters sowie die vom Straftäter ausgehende Gefahr im Falle seiner Freilassung (§ 3142 United States Code).

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

gemeinheit zurücktreten, ohne dass damit gegen die due process clause verstoßen werde.177 2. Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Unterbringung Im Folgenden sollen Entscheidungen des US Supreme Court näher untersucht werden, die sich mit verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung bundesstaatlicher Zwangs-Unterbringungsgesetze beschäftigen. Diese hat der US Supreme Court ebenfalls als Entscheidungsgrundlage bei der Beurteilung der „sexually violent predator laws“ in Kansas v. Hendricks bzw. Kansas v. Crane herangezogen. a) Entscheidungen zur Unterbringung von strafrechtlich nicht verantwortlichen Tätern In der Entscheidung Minnesota ex rel. Pearson v. Probate Court von 1940 hatte sich der US Supreme Court erstmalig mit der Verfassungsmäßigkeit der zwangsweisen Unterbringung von Sexualstraftätern auseinanderzusetzen. Zur Prüfung stand ein „sexual psychopath law“ aus Minnesota, welches die zwangsweise Unterbringung von Personen ermöglichte, die einen Hang zu sexuellem Fehlverhalten aufweisen, ihre sexuellen Impulse nicht kontrollieren können und als gefährlich eingestuft werden.178 Das Gericht verwarf sowohl eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes („equal protection clause“) als auch des Bestimmtheitsgrundsatzes („due process clause“). Hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes bestimmte das Gericht, dass manche Personengruppen eine höhere Gefahr für die Allgemeinheit darstellen können und konsequenterweise auch unterschiedlich behandelt werden dürfen. Das Gesetz verstoße auch nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, da alle Tatbestandsvoraussetzungen für eine Zwangsunterbringung genau wie bei gewöhnlichen Straftatbeständen einer Beweispflicht unterliegen würden.179 Auch den wesentlichen Anforderungen an ein ordentliches Gerichtsverfahren („due process“) sei durch die im Gesetz normierten Verfahrensgarantien genügt, wie

177 So führt der US Supreme Court weiter aus: „Wenn der Staat den eindeutigen und überzeugenden Beweis erbringt, dass eine inhaftierte Person eine konkrete Gefahr für eine einzelne Person oder die Gemeinschaft darstellt, sind wir der Auffassung, dass das Gericht – im Einklang mit der due process clause – die inhaftierte Person daran hindern darf, zu einer Bedrohung zu werden.“ (United States v. Salerno, 481 US 739, S. 751, zitiert nach Rollman, S. 993). 178 Minnesota ex rel. Pearson v. Probate Court , 309 US 270 (1940), S. 274; Friedland, S. 87; Brooks, S. 728. 179 Minnesota ex rel. Pearson v. Probate Court , 309 US 270, S. 274; Friedland, S. 87 f.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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etwa dem Anspruch auf rechtliches Gehör, dem Anspruch auf Rechtsbeistand und dem Recht, die Vorladung von Zeugen zur Verteidigung zu veranlassen.180 In der Entscheidung O’Connor v. Donaldson hat der US Supreme Court 1975 einstimmig entschieden, dass die Zwangsunterbringung einer geisteskranken, aber ungefährlichen Person wegen Verletzung des Freiheitsgrundrechts verfassungswidrig sei.181 Nach Auffassung des Gerichts bestehe „keine verfassungsrechtliche Grundlage für die Zwangsunterbringung von [geistig kranken] Personen, wenn von ihnen keine Gefahr ausgeht (…).“182 In der vier Jahre später ergangenen Entscheidung Addington v. Texas183 hat der US Supreme Court die verfassungsrechtliche Ermächtigung der einzelnen Bundesstaaten zur zwangsweisen Unterbringung von Personen festgestellt, die geisteskrank und gefährlich sind. Auch wenn sich dieser Fall vordergründig mit Anforderungen an die Beweiserhebung beschäftigt184, wird er in späteren Urteilen des US Supreme Court häufig wegen der dort aufgestellten Prämisse, dass Geisteskrankheit und Gefährlichkeit kumulativ vorliegen müssen, zitiert.185 b) Von der Zwangseinweisung eines schuldunfähigen zur Sicherungsverwahrung eines schuldfähigen Straftäters: Foucha v. Louisiana In den beiden Kernentscheidungen zur zivilrechtlichen Unterbringung schuldfähiger Straftäter aufgrund der „sexually violent predator laws“ hat sich der US Supreme Court besonders eingehend mit seiner früheren Entscheidung Foucha v. Louisiana186 auseinandergesetzt.187 Eine nähere Befassung mit dieser Entscheidung 180

Minnesota ex rel. Pearson v. Probate Court , 309 US 270, S. 275 – 277. O’Connor v. Donaldson, 422 US 563 (1975). Der Kläger Kenneth Donaldson wurde über vierzehn Jahre im Florida State Hospital zwangsweise untergebracht, obwohl kein Gutachten eines Sachverständigen vorlag, dass von Donaldson tatsächlich eine Gefahr ausgeht (Rollman, S. 995). 182 O’Connor v. Donaldson, 422 US 563, S. 575. Das Gericht führte weiter aus, dass „der Befund einer Geisteskrankheit allein keine hinreichende Rechtfertigung für das Einsperren von Personen gegen ihren Willen auf unbestimmte Zeit“ bietet (S. 575). Ausführlicher Rollman, S. 995. 183 Addington v. Texas, 441 US 418 (1979). 184 Der US Supreme stellte in der Entscheidung einstimmig fest, dass die im Strafrecht erforderlichen, höheren Beweisanforderungen nicht erfüllt sein müssen. Zugleich sei aber das im Zivilverfahren erforderliche Beweismaß, das üblicherweise mit dem Kriterium „Überwiegen der Beweise“ („preponderance of the evidence“) zugrunde gelegt wird, nicht ausreichend (Addington v. Texas, 441 US 418, S. 427; Brinkmann, das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht, S. 11). Das Gericht entschied sich schließlich für das Erfordernis eines „eindeutigen und überzeugenden“ Beweises („clear and convincing“), Addington v. Texas, 441 US 418, S. 433; siehe auch Rollman, S. 996. 185 So etwa in Kansas v. Hendricks und Foucha v. Louisiana. 186 Foucha v. Louisiana, 504 US 71, 78 (1992). 181

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

ist auch deshalb unerlässlich, weil der US Supreme Court erstmals zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine zwangsweise Unterbringung von Straftätern Stellung beziehen musste, die zwar gefährlich, aber nicht geisteskrank sind. Der US Supreme Court beurteilte die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes aus Louisiana, das die zwangsweise Einweisung von für schuldunfähig erklärten Personen in Heilanstalten auf unbestimmte Zeit regelt. Die Verfassungsmäßigkeit der zwangsweisen Einweisung in eine Heilanstalt bei einem für schuldunfähig erklärten Täter ist vom US Supreme Court bereits in Jones v. United States bestätigt worden.188 Die Besonderheit des Gesetzes aus Louisiana bestand jedoch darin, dass es eine Entlassung von Personen nur in den Fällen ermöglichte, in denen die Ungefährlichkeit der Person festgestellt wurde.189 Somit konnten Personen in einer Heilanstalt gegen ihren Willen allein aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr festgehalten werden, die nachweislich an keiner Geisteskrankheit mehr leiden.190 Der Kläger Terry Foucha wurde vom Vorwurf zweier Straftaten freigesprochen, da er während der Begehung der Straftaten unter einer durch den Konsum von Drogen hervorgerufenen Psychose litt.191 Das Gericht beurteilte Foucha wegen seiner Geisteskrankheit als schuldunfähig und ordnete die Einweisung in eine Heilanstalt an. Nachdem Foucha in der Anstalt seine Psychose überwunden hatte, wurde ihm dennoch eine Entlassung verweigert, da bei Foucha eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde und er demnach weiterhin gefährlich sei. Sein Vorbringen, dass für eine fortdauernde Unterbringung auch das Vorliegen einer Geisteskrankheit („mental illness“) festgestellt werden müsse, überzeugte im 187

Gaenslen, S. 149; Smith, Dangerous Diagnoses, Risky Assumptions, and the Failed Experiment of „Sexually Violent Predator“ Commitment, S. 14. 188 Jones v. United States, 463 US 354 (1983). Der Kläger Michael Jones wurde wegen versuchten Diebstahls geringwertiger Sachen angeklagt, ist jedoch aufgrund des Übergewichts der dem Gericht zur Verfügung stehenden Beweise (sog. „preponderance of evidence“) für schuldunfähig erklärt worden. Jones forderte nach etwa einem Jahr die Entlassung aus der psychiatrischen Anstalt, da Addington v. Texas die Prämisse aufgestellt habe, dass für eine Unterbringung sowohl die Feststellung einer Geisteskrankheit als auch Gefährlichkeit vorliegen müsse. Die Feststellung der Schuldunfähigkeit sei jedoch nicht gleichbedeutend mit der Feststellung des Vorliegens einer Geisteskrankheit; zudem sei ein „eindeutiger und überzeugender Beweis“ erforderlich. Das Gericht hingegen war der Auffassung, dass mit der Feststellung der Schuldunfähigkeit zugleich das Vorliegen einer Geisteskrankheit nachgewiesen sei. Die hohen Beweisanforderungen in Addington v. Texas erklärt das Gericht durch die Besorgnis, dass ansonsten womöglich bei Personen mit eigenartigen, aber sozial akzeptablem Verhalten die Unterbringung angeordnet werden könnte. Diese Sorge sei jedoch in den Fällen unbegründet, in denen Personen sich vor der Anordnung der Unterbringung bereits strafbar gemacht haben und damit sozial inakzeptables Verhalten gezeigt haben (siehe dazu ausführlicher Rollman, S. 996 ff.). 189 Siehe Louisiana Code of Criminal Procedure Annotated, Art. 657 (West Supp. 1992). 190 Klein/Wittes, S. 163. 191 Foucha v. Louisiana, 504 U. S. 71, S. 75; Felthous, Psychopathischer Determinismus, S. 66.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Ergebnis den US Supreme Court192 : Er kam zu dem Ergebnis, dass das Gesetz aus Louisiana das im vierzehnten Zusatzartikel postulierte Recht Fouchas auf ein ordentliches Gerichtsverfahren („due process“) verletze, da es die zwangsweise Unterbringung ohne den Nachweis des Vorliegens einer Geisteskrankheit ermöglicht.193 Die Diagnose der antisozialen Persönlichkeitsstörung reiche nicht aus, um die Unterbringung eines Straftäters zu legitimieren, da die antisoziale Persönlichkeitsstörung „ein Zustand ist, der keine Geisteskrankheit darstellt und nicht behandelbar ist“.194 Folge man dieser Argumentation, könnten Straftäter auf unbestimmte Zeit allein aufgrund der Tatsache zwangsweise untergebracht werden, dass sie eine Persönlichkeitsstörung aufweisen, die sie zur Begehung von strafbarem Verhalten anleitet.195 Dann würde es einzelnen Bundesstaaten ermöglicht, jeden Straftäter nach Verbüßung der Freiheitsstrafe zwangsweise unterzubringen.196

IV. Die Rechtsprechung des US Supreme Court zur Verfassungsmäßigkeit der zivilrechtlichen Unterbringung aufgrund des „sexually violent predator laws“ Dass die Einführung der „sexually violent predator laws“ in den USA höchst umstritten war und erhebliche Kritik an der Einführung dieser Gesetzgebung erhoben wurde, verwundert in Anbetracht der Neuartigkeit dieser Sanktion nicht. So kam es im Rahmen der juristischen Auseinandersetzung mit den „sexually violent predator laws“ zu einer Reihe von Anfechtungen dieser Gesetze. Die Diskussion mündete schließlich in zwei Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court, die im Folgenden näher untersucht werden sollen. 1. Die Entscheidung des US Supreme Court Kansas v. Hendricks Der US Supreme Court befasste sich erstmals in der Entscheidung Kansas v. Hendricks von 1997 mit den „sexual predator laws“ und erklärte diese für verfassungsgemäß.197 192

Gaenslen, S. 149. Foucha v. Louisiana, 504 US 71, S. 78. 194 Foucha v. Louisiana, 504 US 71, S. 75. 195 Foucha v. Louisiana, 504 US 71, S. 82 – 83. 196 Fabian, S. 1377. 197 Kansas v. Hendricks, 521 US 346 (1997). Die Verfassungsmäßigkeit wurde in einer 5 zu 4-Entscheidung bestätigt. Die Stellungnahme der Mehrheit wurde von Richter Thomas verfasst, der sich Richter Rehnquist, Richterin O’Connor, Richter Scalia und Kennedy anschlossen. Kennedy verfasste eine zustimmende Stellungnahme. US Supreme Court Justice Breyer verfasste eine abweichende Stellungnahme, der sich Richter Stevens und Souter sowie Richterin Ginsburg in Teilen anschlossen. 193

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

a) Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt Leroy Hendricks war der erste Sexualstraftäter, der aufgrund der „sexually violent predator laws“ von Kansas zwangsweise untergebracht wurde, nachdem eigentlich seine Entlassung aus dem Gefängnis in eine Resozialisierungseinrichtung („halfway house“) unmittelbar bevorstand. Hendricks verbüßte zuletzt eine zehnjährige Haftstrafe wegen Sexualmissbrauchs zweier dreizehnjähriger Jungen aus dem Jahre 1984. Zuvor ist er bereits vier weitere Male wegen ähnlicher Sexualverbrechen an Minderjährigen verurteilt worden.198 Kurz vor der geplanten Entlassung stellte jedoch der Bundesstaat Kansas vor dem zuständigen Gericht einen Antrag auf zwangsweise Unterbringung nach den „sexually violent predator laws“ von Kansas.199 Hendricks beantragte sodann eine Gerichtsverhandlung vor Geschworenen. Im Rahmen dieser Verhandlung gaben zwei staatlich beauftragte Psychiater an, dass Hendricks pädophil sei.200 Bei seiner Anhörung sagte Hendricks aus, dass die Diagnose des staatlich beauftragten Psychiaters, er sei pädophil, korrekt sei und er weiterhin den Drang nach pädophilen Handlungen verspüre, wenn er unter Stress stehe. Allein sein Tod könne garantieren, dass er nie wieder Minderjährige sexuell missbrauchen werde.201 Die Geschworenen erklärten ihn daraufhin zu einem „Sexually Violent Predator“ im Sinne des Gesetzes. Das erstinstanzliche Gericht („trial court“) stellte fest, dass Pädophilie als „mentale Abnormalität“ im Sinne der „sexually violent predator laws“ zu qualifizieren sei und ordnete seine zwangsweise Unterbringung an. Hendricks ging in die Berufung und berief sich auf eine Verletzung des im 14. Zusatzartikel enthaltenen Rechts auf ein ordentliches Gerichtsverfahren („due process“) sowie einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung („double jeopardy“)202 und des Rückwirkungsverbots („ex post facto clause“)203 der USamerikanischen Verfassung durch die Anwendung der „sexually violent predator laws“ von Kansas auf seinen Fall.204

198

Pearman, S. 1974; Fabian, S. 1374. Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 354. 200 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 355. 201 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 355. 202 Die im fünften Zusatzartikel enthaltende „Double Jeopardy Clause“ lautet wie folgt: „Niemand darf wegen derselben Straftat zweimal durch ein Verfahren in Gefahr des Leibes oder des Lebens gebracht werden.“ 203 Das Verbot der rückwirkenden Gesetzgebung („ex post facto law“) gilt ausdrücklich für den Kongress (Artikel I, Sektion 9, Klausel 3) und für die Staaten (Artikel I, Sektion 10, Klausel 1). Der US Supreme Court hat das Verbot von ex post facto laws in Calder v. Bull auf Strafgesetze beschränkt (3 Dall 386, 1798), siehe Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 190; Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 501; Hammel, S. 101; Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 382. 204 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 356. 199

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Hendricks berief sich hinsichtlich der Verletzung seiner Verfahrensrechte insbesondere auf das Urteil des US Supreme Court in Foucha v. Louisiana.205 Darin hatte das Vorbringen Fouchas, das für eine Unterbringung der Nachweis des Vorliegens einer Geisteskrankheit erforderlich sei, den US Supreme Court überzeugt. Hendricks argumentierte ebenso, dass Pädophilie keine Geisteskrankheit sei und daher auch keine ausreichende Grundlage für seine zwangsweise Unterbringung sei.206 Da die Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator laws“ eine weitere Strafe für dieselbe Tat verhänge, liege zudem eine Doppelbestrafung vor. Zudem sei rückwirkend eine Strafe verhängt worden, da die Unterbringung erst nachträglich angeordnet worden war. Der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates Kansas („Kansas Supreme Court“) bestimmte, dass das Gesetz das Recht Hendricks’ auf ein ordentliches Gerichtsverfahren verletzte und erklärte das Gesetz für ungültig, da für die zwangsweise Unterbringung einer Person neben dem Nachweis der Gefährlichkeit einer Person auch der einer Geisteskrankheit erforderlich sei.207 Auch wenn die „sexually violent predator laws“ das Vorliegen einer „mentalen Abnormalität“ voraussetzen, sei dies „nicht gleichbedeutend mit dem Vorliegen von Geisteskrankheit“.208 b) Verletzung des Rechts auf ein ordentliches Gerichtsverfahren („due process clause“) Der US Supreme Court vertritt die Auffassung, dass der in den „sexually violent predator laws“ verwendete Terminus der „mentalen Abnormalität“ den Anforderungen an das im 14. Zusatzartikel enthaltene Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren genüge. Obwohl die Freiheit vor körperlichen Einschränkungen im Mittelpunkt der durch die „due process clause“ des 14. Zusatzartikels geschützten Freiheitsausübung stehe, sei „das Freiheitsinteresse nicht absolut.“209 Vielmehr könne das Freiheitsinteresse des Einzelnen durch das Interesse der Gemeinschaft am Schutz vor Personen, die ihr Handeln nicht kontrollieren können, im Einzelfall verdrängt werden. Deshalb habe der US Supreme Court auch in früheren Entscheidungen Unterbringungsgesetze verfassungsrechtlich nicht beanstandet, die ebenso wie die „sexually violent predator laws“ von Kansas die Einhaltung bestimmter Verfahrensgrundsätze gewährleisten und strenge Beweisanforderungen an die Voraussetzungen einer Unterbringung

205

Siehe ausführlich zu diesem Urteil 2. Teil, B., III., 2. b). Gaenslen, S. 149. 207 In re Hendricks, 912 P.2d 129, S. 133 – 34. 208 In re Hendricks, 912 P.2d 129, S. 137; Pearman, S. 1978. 209 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 356. Der US Supreme Court verweist dabei auf seine Rechtsprechung in Foucha v. Louisiana, 504 U. S. 71, 80 (1992). 206

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

stellen.210 Auch die gegenständlichen „sexually violent predator laws“ von Kansas erfüllen die Erfordernisse der „due process“-clause: Insbesondere widersprach der US Supreme Court der Auffassung Hendricks’, dass der US Supreme Court in seinen früheren Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit der zivilrechtlichen Unterbringung an die Bedingung des Vorliegens einer „Geisteskrankheit“ („mental illness“) geknüpft habe. Das Gericht habe vielmehr nur die Prämisse aufgestellt, dass der Nachweis einer Gefährlichkeit des Straftäters allein für eine Unterbringung nicht genüge, sondern von einem zusätzlichen Merkmal abhängen müsse, wie etwa „Geisteskrankheit“ oder „mentale Abnormalität“. Die „sexually violent predator laws“ des US-Bundesstaates Kansas seien mit den herkömmlichen Zwangsunterbringungsgesetzen vergleichbar, da sie „den Befund einer zukünftigen Gefährlichkeit erfordern, und dann diesen Befund mit dem Bestehen einer ,mentalen Abnormalität‘ oder ,Persönlichkeitsstörung‘ verknüpfen, welche es für die betroffene Person schwierig, wenn nicht unmöglich macht, ihr gefahrbegründendes Verhalten zu kontrollieren.“211 Damit erfüllen die Gesetze beide Grundvoraussetzungen für eine zwangsweise Unterbringung, nämlich das Vorliegen einer Geisteskrankheit sowie einer vom Täter ausgehenden zukünftigen Gefahr. Die Verwendung des Terminus „Geisteskrankheit“ sei also nicht ausschlaggebend; das Verfassungsgericht selbst habe in der Vergangenheit bereits „eine Vielzahl von Termini, die den geistigen Zustand von zwangsweise untergebrachten Personen beschreibt“, benutzt und „üblicherweise (dem) Gesetzgeber die Bestimmung medizinischer Fachbegriffe mit juristischer Bedeutung“ überlassen.212 Die bei Hendricks diagnostizierte Pädophilie unterscheide ihn zusammen mit der Prognose einer von ihm ausgehenden Gefahr genügend von anderen gefährlichen Personen, bei denen der Staat womöglich besser mit einer strafrechtlichen Maßnahme reagiert.213 Daher genüge sowohl der Terminus „mentale Abnormalität“ als auch die unter diesen Begriff fallende Pädophilie den Anforderungen der „due process clause“.

210

Der US Supreme Court verweist dabei auf die Entscheidungen Foucha v. Louisiana bzw. Addington v. Texas (Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 357). 211 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 358. 212 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 359. 213 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 360; Überblick über das Urteil in Pearman, S. 1981.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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c) Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot („double jeopardy clause“) sowie das Rückwirkungsverbot („prohibition on ex post facto legislation“) aa) Muss den „sexually violent predator laws“ Strafcharakter beigemessen werden? Hinsichtlich Hendricks’ Einwand, dass die „sexually violent predator laws“ das Verbot der Doppelbestrafung sowie das Rückwirkungsverbot verletzen, musste sich der US Supreme Court zunächst mit der Frage beschäftigen, ob die zivilrechtliche Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator laws“ tatsächlich eine strafrechtliche Maßnahme sei und damit die Unterbringung von Hendricks in eine Heil- und Besserungsanstalt eine zusätzliche Strafe für ein und dieselbe Straftat begründe.214 Ausgangspunkt der Analyse des US Supreme Court ist dabei, ob der Gesetzgeber in Kansas tatsächlich die Intention hatte, den „sexually violent predator laws“ den Charakter eines zivilrechtlichen Instruments zu verleihen. Die Intention eines zivilrechtlichen Charakters ergab sich für die Mehrheit des Verfassungsgerichts aus der Regelung der Normen im „Kansas Probate Code“ unter dem Abschnitt „Pflege und Behandlung von geisteskranken Personen“215 und der Tatsache, dass die mit den Gesetzen eingeführte Maßnahme explizit als „zivilrechtliche Unterbringung“ bezeichnet worden sei.216 Auch wenn die Kennzeichnung einer Maßnahme als strafrechtlich oder zivilrechtlich durch den Gesetzgeber „nicht immer entscheidend“ sei, könne die Vermutung des gesetzgeberischen Willens erst durchbrochen werden, wenn der „deutlichste Beweis“ dafür erbracht wird, dass der gesetzlichen Regelung entweder in ihrer Absicht oder zumindest in ihren Auswirkungen Strafcharakter zukomme.217 Diesen Beweis habe Hendricks jedoch nicht erbringen können, da er nicht dargelegt habe, dass das Gesetz den herkömmlichen Strafzwecken, nämlich Vergeltung und Abschreckung, dienen solle.218 Das Gesetz knüpfe an in der Vergangenheit liegendes strafbares Verhalten nur an, um den Beweis eines psychischen Defizits oder einer vom Straftäter ausgehenden 214

Gaenslen, S. 150. Kansas Statutes Annotated, Art. 29 (1994) („Care and Treatment for Mentally Ill Persons“), Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 361. 216 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 361. 217 Der US Supreme Court zitiert hierbei seine Rechtsprechung aus United States v. Ward, 448 US 242, 248 – 249 (1980), siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 361. 218 Siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 361 f. Auch in späteren Urteilen hat der US Supreme Court an seiner Argumentation festgehalten: So bestätigte er 2001 in Seling v. Young ein den „sexually violent predator laws“ von Kansas ähnelndes Sexualstraftäter-Gesetz aus Washington („Washington State’s Community Protection Act“ von 1990) und stellte fest, dass das Gesetz im Wesentlichen zivilrechtlichen und nicht punitiven Charakter habe; siehe Fabian, S. 1399; ausführlicher zu dieser Entscheidung siehe 3. Teil, C., II., 2. b). 215

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Gefahr zu erbringen.219 Die Tatsache, dass eine Unterbringung auch bei schuldlos handelnden Personen220 angeordnet werden kann, spräche ebenfalls gegen den vergeltenden Charakter dieser Gesetze.221 Auch einen abschreckenden Charakter konnte der US Supreme Court den „sexually violent predator laws“ nicht entnehmen. Die in den Anwendungsbereich der Gesetze fallenden Personen weisen allesamt ein psychisches Defizit auf, das sie an der Kontrolle über ihr Verhalten hindert. Gerade diese Personen würden wohl kaum wegen der drohenden Unterbringung von der weiteren Begehung von Straftaten abgeschreckt werden.222 Die im Wesentlichen mit den staatlichen Heilanstalten identischen Vollzugsbedingungen sprächen ebenso gegen einen punitiven Charakter des Gesetzes. „Die bloße Tatsache, dass eine Person in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht wird“, lasse nicht die Schlussfolgerung zu, dass „die staatliche Hand eine Strafe“ verhängt hat.223 Ansonsten würde jedwede zwangsweise zivilrechtliche Unterbringung zum Schutz der Gesellschaft zwangsläufig eine Strafe darstellen. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu früheren Entscheidungen des US Supreme Court, in denen der Sanktion der Unterbringung geisteskranker Personen der Strafcharakter abgesprochen wurde.224 Der US Supreme Court widersprach ferner dem Vorbringen Hendricks, ein punitiver Charakter ließe sich aus der unbestimmten Dauer der Unterbringung herleiten: Die Unterbringung sei schließlich nur unter Umständen unbefristet, da die jährliche Überprüfung durch das zuständige Gericht sicherstelle, dass eine Unterbringung nur bei weiterem Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes fortgesetzt wird.225 Das Vorliegen zahlreicher, typischerweise strafprozessualer Schutzvorrichtungen spräche nicht für den punitiven Charakter des Gesetzes, sondern beweise die Absicht des Gesetzgebers, nur eine kleine Gruppe von besonders gefährlichen Personen unter strenger Beachtung von Verfahrensregeln unterbringen zu wollen.226 Zuletzt leitete Hendricks aus der fehlenden Bereitstellung von Therapieangeboten die Verfassungswidrigkeit der Gesetze her. Auch dieses Argument verwarf der US Supreme Court: Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein zivilrechtliches Unterbringungsgesetz, das die Bereitstellung von Therapieangeboten lediglich als 219

Das Verfassungsgericht zitiert dabei seine Entscheidung Allen v. Illinois, 478 US 364 (1986), S. 371; siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 362. 220 Siehe Kansas Statutes Annotated, § 59-29a03(a) 1994. 221 Das Verfassungsgericht zitiert dabei seine Rechtsprechung aus United States v. Ursery, siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 362. 222 Siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 362 f. 223 Der US Supreme Court zitiert dabei seine Entscheidung United States v. Salerno, 481 US 739 (1987), S. 746, siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 363. 224 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 363. 225 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 363. 226 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 364.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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untergeordnetes Anliegen vorsieht, erkennt das Gericht nicht.227 Dass die Gesetze als Hauptzweck die Unschädlichmachung besonders gefährlicher Straftäter vorsehen, sei verfassungsrechtlich legitim. Dies gelte insbesondere bei nicht therapierbaren Personen.228 Solange die Behandlung von therapierfähigen Personen zumindest als Nebenzweck der Unterbringung reglementiert sei, müsse der Staat daher auch zur zivilrechtlichen Unterbringung von gefährlichen, aber nicht therapierbaren Personen berechtigt sein. Die Annahme der Verfolgung eines punitiven Zwecks bei der Unterbringung nicht therapierbarer Personen habe ansonsten die absurde Konsequenz, dass der Staat zur Entlassung dieser Personengruppe verpflichtet werden würde.229 bb) Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot Angesichts der Tatsache, dass der US Supreme Court den Strafcharakter der „sexually violent predator laws“ verneint, ist es nur folgerichtig, dass eine Verletzung des Doppelbestrafungsverbots („double jeopardy clause“) mit derselben Argumentation abgelehnt wurde. Die zivilrechtliche Unterbringung im direkten Anschluss an die Verbüßung einer Freiheitsstrafe stelle keinen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot dar, solange die strafgefangenen Personen derselben Überprüfung wie die üblichen untergebrachten Personen unterzogen werden, die zuvor keine Strafe verbüßt hatten.230 cc) Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot Zuletzt prüfte der US Supreme Court einen etwaigen Verstoß gegen die „ex post facto clause“, die „die Auferlegung jeglicher weiterer punitiven Maßnahmen wegen eines bereits begangenen Delikts“ verbiete.231 Da der US Supreme Court den „sexually violent predator laws“ keinen punitiven Charakter beimessen konnte, erkannte er auch keinen Verstoß gegen die „ex post facto clause“ durch die SexualstraftäterGesetzgebung aus Kansas. Das Gesetz habe ohnehin keinen rückwirkenden Effekt, da eine zivilrechtliche Unterbringung allein aufgrund der Überprüfung des gegenwärtigen psychischen Zustands der Person erfolgen dürfe.232 Auch hier sei zu berücksichtigen, dass eine Berücksichtigung von vergangenem Verhalten allein aus Beweisgründen erfolge.

227

Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 348. Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 365. 229 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 366. 230 Dies begründete das Verfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung aus Baxstrom v. Herold, (383 US 107 (1966), siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 369 f. 231 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 370. 232 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 371. 228

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

d) Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Breyer US Supreme Court Justice Breyer233 stimmte mit der Mehrheitsbegründung des US Supreme Court dahingehend überein, dass die „sexually violent predator laws“ die „due process clause“ nicht verletzen. Da er aber der zivilrechtlichen Unterbringung Strafcharakter beimisst, bejaht er anders als die Mehrheit eine Verletzung des Rückwirkungsverbots („ex post facto clause“). Zunächst führt Breyer die Ähnlichkeiten zwischen einer Strafe und der zivilrechtlichen Unterbringung auf: Beide Rechtsinstitute haben die Unschädlichmachung von Personen zum Schutze der Allgemeinheit zum Ziel.234 Zudem erfolge die Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung genau wie die Verhängung der Freiheitsstrafe bei bereits strafrechtlich in Erscheinung getretenen Personen. Weiterhin mache das Gesetz bei der Vollstreckung der Unterbringung von typisch strafrechtlichen Verfahrensregeln, wie etwa dem Schwurgerichtsverfahren und der Erstellung psychiatrischer Gutachten, Gebrauch. Der Gesetzgeber habe auch die im Strafverfahren geltenden Beweisanforderungen („ohne jeden vernünftigen Zweifel“) kodifiziert.235 Diese offenkundigen Gemeinsamkeiten allein können jedoch nicht den punitiven Charakter der „sexually violent predator“-Gesetze beweisen, genau wie die bloße Bezeichnung als „zivilrechtliche“ Unterbringung alleine nicht den zivilrechtlichen Charakter des Gesetzes begründen könne. Für US Supreme Court Justice Breyer ist entscheidender Indikator für die punitive Natur der Gesetze die Tatsache, dass der Bundesstaat Kansas von der Therapierbarkeit von Pädophilie ausgeht und dennoch eine Therapie für Straftäter erst nach Beendigung der Freiheitsstrafe vorsehe.236 Der Oberste Gerichtshof von Kansas („Kansas Supreme Court“) habe festgestellt, dass der Gesetzgeber die Bereitstellung von Therapieangeboten im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung als „allenfalls nebensächlich“ betrachtet hat. Der 233

Auch US Supreme Court Justice Stevens und Souter pflichten ihm bei; US Supreme Court Justice Ginsburg zumindest hinsichtlich Teil II und III seiner Gründe. 234 Siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 379. Breyer beruft sich hierbei insbesondere auf das US Supreme Court Urteil Foucha v. Louisiana. 235 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 380. 236 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 381 ff. Breyer beruft sich dabei auf das Urteil des US Supreme Court Allen v. Illinois in welchem das Gericht zur Unterscheidung von zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Natur eines Gesetzes aus Illinois die Bereitstellung von Therapiemöglichkeiten überprüfte. Breyer legte dar, dass bei Annahme der Therapiefähigkeit einer Geisteskrankheit von einem Gesetzgeber das Angebot von Therapieplätzen erwartet werden dürfe, wenn dieser gerade keine strafende Zielsetzung verfolge. Im Gegensatz dazu müsse einem Gesetz, das eine Unterbringung ohne Bereitstellung von Therapieangeboten vorsieht, ein punitiver Charakter entnommen werden (Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 381 – 383; dabei zitiert er Allen v. Illinois, 478 US 364, S. 366 und S. 370).

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Bundesstaat Kansas habe während der Unterbringung Hendricks’ keinerlei Therapieangebote unterstützt, habe keine Behandlungsverträge geschlossen und habe nur mangelhaft ausgebildetes Personal zur Umsetzung der Behandlung eingesetzt.237 Auch die „sexually violent predator laws“ aus Kansas sähen eine Behandlung von Straftätern erst nach nahezu vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe vor.238 Das Gesetz verlagere die Diagnose und Beurteilung von potentiell Unterzubringenden sowie den Beginn des Unterbringungsverfahrens bis auf einige Wochen vor der erwarteten Entlassung eines Sexualstraftäters; dieser „zeitbezogene Umstand“ scheine „absichtlich“ gewählt worden zu sein.239 Breyer kritisiert, dass mit einer Behandlung von „sexually violent predators“ nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich bereits im Rahmen des Strafvollzugs, begonnen werde.240 Es liege nahe, dass die „sexually violent predator laws“, obwohl sie die Behandlung der Personen als Vollzugsziel formulieren, tatsächlich allein den Freiheitsentzug gefährlicher Straftäter bezwecken.241 Auch die fehlende Berücksichtigung alternativer, weniger freiheitsbeschränkender Maßnahmen242, unterstütze die Beurteilung der Gesetze als strafrechtlich: Ein Gesetzgeber, der die Absicht habe, „sowohl dem einzelnen Straftäter zu helfen als auch die Allgemeinheit zu schützen, würde einen erheblich größeren Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, als die öffentliche Sicherheit erfordert, vermeiden.“243 Somit lege „der zeitliche Ablauf des Verfahrens der zivilrechtlichen Unterbringung und das Scheitern darin, weniger einschneidende Alternativen zu berücksichtigen“, (…) nahe, dass „die gesetzlichen Regelungen aus Kansas eher einen punitiven anstelle eines rein zivilrechtlichen Zwecks verfolgen“.244 Der Gesetzgeber 237 Kansas v Hendricks, 521 US 346, S. 384, das aus In re Hendricks, 912 P.2d 129, S. 131 und S. 136 zitiert; siehe auch Fabian, S. 1394. 238 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 385. Breyer zitiert dabei Kansas Statutes Annotated, § 59-2903 (a) (1) (1994). 239 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 385. 240 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 386 f. Breyer betont jedoch erneut, dass diese Schlussfolgerung nur dann gezogen werden könne, wenn der Staat tatsächlich von der Therapierbarkeit einer Störung (wie im Falle Hendricks’ seiner Pädophilie) ausginge (S. 388). 241 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 385 – 386. 242 Als Alternativen führt Breyer etwa die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung oder die Entlassung aus der Haftanstalt in eine Resozialisierungseinrichtung (sog. „halfway house“) an, siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 387. 243 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 388. Aber auch an dieser Stelle betont Breyer, dass diese Schlussfolgerung nur in dem Falle gezogen werden könne, in denen ein Bundesstaat – wie vorliegend der Bundesstaat Kansas – davon ausgeht, dass die psychische Erkrankung des einzelnen Straftäters therapierbar ist (im Falle Hendricks die Pädophilie). 244 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 389. Dieses Ergebnis unterstützt Breyer unter Berufung auf eine vergleichende Untersuchung: Danach regeln von den insgesamt 17 Bundesstaaten mit ähnlicher Gesetzgebung 10 Bundesstaaten den Beginn von Therapiemaßnahmen frühzeitig nach Beginn des Strafvollzugs; die übrigen sieben Bundesstaaten verschieben den Zeitpunkt des Beginns von Behandlungsmaßnahmen auf die vollständige Verbüßung der Freiheitsstrafe. Von diesen sieben Bundesstaaten erfordern jedoch sechs – anders als Kansas –

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

aus Kansas habe „das Gesetz nicht derart zugeschnitten, dass es mit der nicht-punitiven, zivilrechtlichen Zielsetzung der Behandlung von Sexualstraftätern (…) zusammenpasst“.245 Einer verfassungsrechtlichen Absegnung der „sexually violent predator laws“ stünde trotz ihrer rückwirkenden Anwendung nichts im Wege, solange die Gesetze derart ausgestaltet sind, dass „die angeordnete Unterbringung keine Strafe darstellt“.246 2. Die Entscheidung des US Supreme Court Kansas v. Crane Im Rahmen der Entscheidung des US Supreme Court in Kansas v. Crane247 von 2002 hatte sich der US Supreme Court erneut mit der Verfassungsmäßigkeit der „sexually violent predator laws“ vom Bundesstaat Kansas zu befassen.248 die Berücksichtigung alternativer, weniger freiheitsbeschränkender Maßnahmen. Der einzige Bundesstaat Iowa, der wie Kansas den Beginn der Therapiemaßnahmen verzögert und keine alternativen Methoden berücksichtigt, ist jedoch nicht rückwirkend anwendbar, so dass ein Verstoß gegen die „ex post facto clause“ ohnehin vermieden werden kann (S. 388 f.) 245 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 396; siehe ausführlich zu Breyers abweichender Stellungnahme Fabian, S. 1392 ff. 246 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 395. Anstelle der „sexually violent predator laws“ schlägt Breyer die Ausreizung des Strafmaßes, die Verhängung aufeinander folgenden Freiheitsstrafen anstelle der parallel verhängten Freiheitsstrafe (consecutive bzw. concurrent sentence) sowie die Einführung spezieller Rückfallvorschriften vor. Diese Maßnahmen würden den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern gewährleisten, ohne dass damit gegen die „ex post facto clause“ verstoßen würde. 247 Kansas v. Crane, 534 US 407 (2002). Die Verfassungsmäßigkeit wurde in einer 7 zu 2Entscheidung bestätigt. Die Stellungnahme der Mehrheit wurde von Richter Breyer verfasst, der sich Richter Stevens, Kennedy, Souter und Richterin Ginsburg anschlossen. US Supreme Court Justice Scalia verfasste eine abweichende Stellungnahme, der sich Richter Thomas (wohlgemerkt der Verfasser der Mehrheitsentscheidung in Kansas v. Hendricks) anschloss. 248 Bei der Entscheidung Kansas v. Crane handelt es sich um eines von insgesamt drei Urteilen des US Supreme Court, in denen sich das Gericht nach Hendricks erneut mit der Verfassungsmäßigkeit der „sexually violent predator laws“ befassen musste. In Seling v. Young (531 US 250 [2001]) wurde die Klage gegen ein „sexually violent predator law“ aus Washington in einer 8 zu 1-Entscheidung zurückgewiesen. Da der Oberste Gerichtshof vom USBundesstaat Washington als auch der US Supreme Court in Kansas v. Hendricks bzgl. eines ähnlichen „sexually violent predator laws“ bereits die zivilrechtliche Natur der Gesetze festgestellt habe, sei der Kläger mit dem Einwand präkludiert, dass es sich bei dem „sexually violent predator“-Gesetz aus Washington um ein Strafgesetz handele (siehe ausführlicher zu dem Urteil Terry, Sexual offenses and Offenders: Theory, Practice and Policy S. 288 f.; Parry/Drogin, Mental Disability Law, Evidence and Testimony, S. 266 f.). In der Entscheidung United States v. Comstock (560 US 126 (2010) prüfte der US Supreme Court keine individuellen verfassungsmäßigen Rechte, sondern beschäftigte sich allein mit der Frage, ob der Kongress formell für den Erlass eines Gesetzes zuständig gewesen ist, nach dem Bundesjustizbehörden die Befugnis zur Zwangsunterbringung gefährlicher Sexualstraftäter nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe in psychiatrischen Anstalten eingeräumt wurde. In einer 7 zu 9-Entscheidung urteilte das Gericht, dass keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen das Gesetz bestehen (siehe ausführlicher zu dem Urteil http://www.faz.net/aus-der-praxis-alle-

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Während sich das Gericht in Kansas v. Hendricks im Schwerpunkt mit der Frage auseinandersetzte, ob das Gesetz punitive Wirkung entfaltet oder im wesentlichen zivilrechtlicher Natur ist, ging es in dieser Entscheidung vor allen Dingen um die zu beweisenden Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Unterbringung und die Kriterien für die Bestimmung eines Sexualstraftäters („Sexually Violent Predator“) im Sinne dieser Gesetze.249 a) Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt Im vorliegenden Fall hatte sich der US Supreme Court mit der zivilrechtlichen Unterbringung des Straftäters Michael Crane zu befassen. Crane ist erstmals 1987 wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Zuletzt wurde er 1994 wegen Exhibitionismus in zwei Fällen und wegen sexueller Belästigung zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren bis lebenslänglich („35 years to life“) verurteilt.250 Beide Fälle ereigneten sich am selben Tag im Jahre 1993. Zunächst hatte Crane einer Angestellten in einem Solarium und knappe 30 Minuten später einer Mitarbeiterin einer Videothek seine Geschlechtsteile gezeigt. Die Mitarbeiterin der Videothek forderte er auf, ihn oral zu befriedigen und drohte ihr mit Vergewaltigung.251 Bei Crane wurden eine krankhaft exhibitionistische Neigung sowie eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Da er die Kriterien eines „Sexually Violent Predator“ im Sinne der „sexually violent predator laws“ erfüllte, wurde gegen ihn nach Verbüßung seiner Haftstrafe eine zwangsweise Unterbringung angeordnet. Da Hendricks eingestand, an Pädophilie erkrankt zu sein, einer mentalen Abnormalität („mental abnormality“), die ihm die Kontrolle über sein Verhalten unmöglich macht, musste sich der US Supreme Court im Rahmen von Kansas v. Hendricks nicht mit der Frage beschäftigen, ob eine zivilrechtliche Unterbringung allein aufgrund einer „emotionalen“ Störung („emotional impairment“) verfassungsrechtlicher Prüfung standhält. Diesen „Gefallen“ tat Crane dem Gericht in Kansas v. Crane jedoch nicht: Anders als Hendricks hat Crane nämlich nicht eingeräumt, eine Persönlichkeitsschwäche zu haben; weder das Gericht noch die Geschworenen konnten eine Einschränkung seiner Willenssteuerung feststellen.252 macht-dem-bund-1992608.html; Mahan, 5 Duke Journal of Constitutional Law & Public Policy Sidebar, S. 120 ff. Aufgrund der geringen Relevanz für die Aufgabenstellung dieser Arbeit soll im Folgenden auf eine ausführliche Darstellung verzichtet und auf die aufgeführten Quellen verwiesen werden. 249 Gaenslen, S. 151. 250 ( New York Times, 22. Juni 2003: http://www.nytimes.com/2003/06/22/us/sex-offenderin-predator-case-held-in-rape-after-his-release.html). 251 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 416. 252 Siehe dazu auch Gaenslen, S. 151.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Der Oberste Gerichtshof von Kansas erklärte die im Schwurgerichtsverfahren angeordnete zwangsweise Unterbringung Cranes für verfassungswidrig.253 Nach Auffassung des Gerichts verlange die Verfassung für die Anordnung einer zwangsweisen Unterbringung die Feststellung, dass der Beschuldigte sein gefährliches Verhalten nicht kontrollieren kann.254 Da der Bundesstaat Kansas die Unfähigkeit zur Willenssteuerung bei Crane nicht nachgewiesen habe, verletze die zwangsweise Unterbringung Cranes das in der Verfassung garantierte Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren („substantive due process rights“). Das Gericht befand, dass das Gesetz auf Sexualstraftäter mit allein emotionalen Defiziten keine Anwendung finde. Der Staat habe bei Straftätern mit der Fähigkeit zur Willenssteuerung kein gleichgelagertes Interesse an deren Sicherungsverwahrung, da diese im Zweifel nicht dieselbe Gefahr für die Allgemeinheit darstellen wie Straftäter ohne die Fähigkeit zur Willenssteuerung. Den von Straftätern mit der Fähigkeit zur Selbstkontrolle ausgehenden Gefahren solle besser durch die Verhängung einer Freiheitsstrafe begegnet werden.255 Der Staat Kansas klagte sodann vor dem US Supreme Court auf Feststellung, dass der Beweis einer absoluten Unfähigkeit der Selbstkontrolle nicht erforderlich sei, damit die zwangsweise Unterbringung im Einklang mit der Verfassung stehe. Crane wiederum entgegnete, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Unterbringung von dem Nachweis einer absoluten Unfähigkeit zur Selbstkontrolle abhänge.256 Der US Supreme Court habe in Kansas v. Hendricks die „sexually violent predator laws“ von Kansas um die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung der Beeinträchtigung der Willenssteuerung („volitional impairment“) als Bedingung für ihre Verfassungsmäßigkeit ergänzt.257 b) Die Mehrheitsentscheidung des US Supreme Court Der US Supreme Court entschied sich letztlich für einen Mittelweg zwischen den Auffassungen beider Beteiligten:258 Der US Supreme Court setzte sich zunächst mit dem Vorbringen des Bundesstaates Kansas auseinander, dass der Entscheidung Kansas v. Hendricks die Erforderlichkeit des Nachweises einer absoluten Unfähigkeit der Kontrolle über das eigene Verhalten entnommen werden müsse. Der US Supreme Court war sich in diesem Punkt mit dem Bundesstaat Kansas einig und begründete dieses Ergebnis mit seiner früheren Entscheidung Kansas v. Hendricks: Dort verweist das Gericht auf den 253

Siehe In re Crane, 7 P.3d 285 (Kann. 2000). In re Crane, 7 P.3d 285, S. 287. 255 In re Crane, 7 P.3d 285, S. 288. Ausführliche Zusammenfassung siehe Fabian, S. 1399 ff. 256 In re Crane, 7 P.3d 285, S. 287. 257 In re Crane, 7 P.3d 285, S. 290; Fabian, S. 1401. 258 So auch Hammel, S. 104; Gaenslen, S. 151. 254

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Wortlaut der „sexually violent predator laws“ von Kansas , wonach das Gesetz eine Gefahr mit einer „mentalen Abnormalität“ oder „Persönlichkeitsstörung“ verknüpfe, „welche es für die betroffene Person schwierig oder unmöglich macht, ihr gefahrbegründendes Verhalten zu kontrollieren“.259 Der Wortlaut „schwierig“ (difficult), auf den das Gericht sich in Kansas v. Hendricks bezogen hat, deute an, dass eine absolute Unfähigkeit gerade nicht verlangt werde.260 Ein Beharren auf die absolute Unfähigkeit der Selbstkontrolle hätte zur Folge, dass die zivilrechtliche Unterbringung von äußerst gefährlichen Straftätern nahezu unmöglich werde, da die meisten schwer kranken Personen – selbst die sogenannten „Psychopathen“ – sich ein gewisses Maß an Selbstkontrolle bewahren würden.261 Der US Supreme Court widerspricht dem Bundesstaat Kansas jedoch dahingehend, dass die Unterbringung auch ohne jedweden Nachweis des Unvermögens einer Willenssteuerung zulässig sei.262 Neben der Feststellung des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung oder mentalen Abnormalität und der vom Täter ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit sei sozusagen als dritte Voraussetzung der Nachweis „ernsthafter Schwierigkeiten mit der Beherrschung des eigenen Verhaltens“ erforderlich.263 Die Erbringung dieses Nachweises sei nötig, „um in genügendem Maße eine Abgrenzung zwischen gefährlichen Sexualstraftätern mit schwerwiegender Geisteskrankheit, Abnormalität oder sonstiger Störung von anderen gefährlichen und typischen Rückfalltätern, welche in einem gewöhnlichen Kriminalprozess abgeurteilt werden, vorzunehmen.“264 Ansonsten werde die zivilrechtliche Unterbringung „ein Instrument der Vergeltung und Abschreckung – Aufgaben, welche eigentlich mit Hilfe des Strafrechts und nicht mittels zivilrechtlicher Unterbringung erfüllt werden“.265 Der US Supreme Court unterließ es jedoch, die Anforderungen an den Begriff der „Willensschwäche“ („lack of control“) näher zu definieren. Dem Gericht sei die Tatsache bewusst, dass eine Unfähigkeit zur Beherrschung des eigenen Verhaltens „nicht mit mathematischer Präzision nachweisbar“ sei.266 Es genüge daher auch die Feststellung, dass der Nachweis ernsthafter Schwierigkeiten bei der Beherrschung des eigenen Verhaltens zwingend ist. Dabei müsse hingenommen werden, dass allgemeingültige Standards verfassungsmäßig weniger bestimmt seien, als von den 259

Das Gericht zitiert hierbei Kansas Statutes Annotated, § 59-29a02(b) (1994), siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 358. 260 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 410 – 411. 261 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 412; siehe auch Gaenslen, S. 152. 262 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 413. 263 Sog. „proof of serious difficulty in controlling behavior“ (Kansas v. Crane, 534 US 497, S. 413). 264 122 S.Ct. 870, 151 L.Ed.2d 862. 152 K, Übersetzung nach Gaenslen, S. 151. 265 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 412, bezugnehmend auf Kansas v. Hendricks, 421 US 346, S. 372 – 373. 266 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 413.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Beteiligten erwünscht sei. Aber die verfassungsmäßigen Freiheitsrechte ließen sich „auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten nicht immer am effektivsten durch klare und präzise Regeln durchsetzen“.267 Den Bundesstaaten müsse ein gewisser Spielraum bei der Bestimmung derjenigen mentalen Devianzen und Persönlichkeitsstörungen, wegen derer eine zivilrechtliche Unterbringung angeordnet werden kann, eingeräumt werden. Die Psychiatrie sei zudem eine sich rasch weiter entwickelnde Wissenschaft, die psychische Störungen mitunter aus einer anderen Perspektive als das Recht beleuchte.268 Auch wenn im Regelfall die festgestellte mentale Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung mit einer Willensschwäche einhergehe (so im Falle der bei Hendricks diagnostizierten Pädophilie), habe der US Supreme Court in Kansas v. Hendricks „keine strikte Unterscheidung zwischen der rein ,emotional‘ begründeten mentalen Abnormalität und der durch eine Willensschwäche begründeten mentalen Abnormalität“ getroffen; vielmehr komme es häufig zu Überschneidungen zwischen beiden Alternativen. Weder in Kansas v. Hendricks noch Kansas v. Crane sei dem Gericht Gelegenheit dazu gegeben worden, sich genauer mit der Frage zu befassen, „ob eine Unterbringung allein aufgrund von ,emotionaler Devianz‘ verfassungsmäßig wäre“.269 c) Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Scalia US Supreme Court Justice Scalia vertritt die Auffassung, dass für die Verfassungsmäßigkeit der zivilrechtlichen Unterbringung der Nachweis „schwerwiegender Probleme bei der Beherrschung des eigenen Verhaltens“ nicht erforderlich sei. Dabei nimmt er Bezug auf die in Kansas v. Hendricks vorzufindende Formulierung, dass der Gesetzgeber das Vorliegen einer „mentalen Abnormalität“ oder „Persönlichkeitsstörung“ voraussetze, „welche es für die betroffene Person schwierig oder unmöglich macht, ihr gefahrbegründendes Verhalten zu kontrollieren“. Scalia legt ein anderes Verständnis dieses Wortlauts als das Mehrheitsvotum an den Tag, die ihre Argumentation eines dritten Kriteriums einer Willensschwäche gerade auf diesen in Kansas v. Hendricks Verweis auf die „sexually violent predator laws“ stützt.270 Das Gericht habe in Kansas v. Hendricks mit dem Bezug auf den Wortlaut der „sexually violent predator laws“ keineswegs die im Gesetz formulierten Anordnungsvoraussetzungen einer Unterbringung um ein weiteres Kriterium einer „Willensschwäche“ ergänzen wollen.

267

Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 413. Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 413; siehe zum ganzen Gaenslen, S. 152. 269 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 415; siehe näher dazu auch Wilson, The Prison Journal 2004, S. 387. 270 Siehe Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 411 ff. US Supreme Court Justice Thomas schloss sich diesem Votum an. 268

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Die Mehrheit in Kansas v. Hendricks habe damit lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass „der von den ,sexually violent predator laws‘ geforderte Kausalzusammenhang zwischen der Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begehung von Sexualstraftaten und dem Vorliegen einer ,mentalen Abnormalität‘ oder ,Persönlichkeitsstörung‘ es zwangsläufig schwierig oder unmöglich macht, das eigene Verhalten zu kontrollieren“.271 Für das Gericht in Kansas v. Hendricks begründe somit das bloße Vorliegen einer mentalen Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung, welche eine beim Täter feststellbare Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung von Straftaten zur Folge habe, die Voraussetzung der „Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Beherrschung des eigenen Verhaltens“.272 Die verfassungsrechtlich notwendige Unterscheidung der unter den Anwendungsbereich der „sexually violent predator laws“ von Kansas fallenden Personen von gewöhnlichen Straftätern werde bereits durch den Wortlaut des Gesetzes getroffen. Das Gesetz erfordere nämlich nicht nur den Nachweis der Wahrscheinlichkeit der erneuten Straffälligkeit, sondern ebenso den Nachweis, dass diese Wahrscheinlichkeit durch eine mentale Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung begründet ist. Gewöhnliche Wiederholungstäter würden sich bewusst zur erneuten Begehung von Straftaten entscheiden und könnten daher durch strafrechtliche Instrumentarien abgeschreckt werden, während unter die „sexually violent predator laws“ fallende Personen durch ihre mentale Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung an der Kontrolle über ihr Verhalten gehindert werden. Im Falle Cranes bedürfe es also laut Scalia nur zweierlei Voraussetzungen, damit eine Unterbringung den Anforderungen der US-amerikanischen Verfassung und den „sexually violent predator laws“ genügt: Die zweifelsfreie Feststellung, dass Crane an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung und Exhibitionismus leidet, die eine mentale Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung im Sinne der „sexually violent predator laws“ darstellt sowie die Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung von Sexualstraftaten.273 Eine Unterscheidung zwischen Defiziten im emotionalen, kognitiven oder im Willensbereich mache keinen Sinn. „Es ist offensichtlich, dass eine Person zwar fähig sein kann, ihren Willen zu kontrollieren, aber dennoch ungeeignet wäre, in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Ein Mann, der einen Willen aus Stahl hat, aber wahnhaft daran glaubt, dass jede Frau, die er trifft, zu groben sexuellen Übergriffen einlädt, ist sicherlich ein Sexualstraftäter im Sinne der Gesetze („Sexually Violent Predator“).“274

271 272 273 274

Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 419. Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 419 f. Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 425. Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 422.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

3. Reaktionen auf die Rechtsprechung des US Supreme Court zu den „Sexually Violent Predator Acts“ Die Reaktionen auf die „sexually violent predator laws“ und deren Absegnung durch den US Supreme Court waren geteilt. Die Befürworter dieser neuartigen präventiven Sanktionsform sehen die „sexually violent predator laws“ als Spiegel des gesellschaftlichen Mentalitätswandels, nicht mehr nur den Täterschutz, sondern auch den Opferschutz zu betonen. Bisher habe die Gesellschaft vordergründig für einen angemessen Umgang mit Straftätern und weniger für den Schutz potentieller Opfer gekämpft. Diese Einstellung verkenne jedoch, dass Sexualstraftäter, die aufgrund einer falschen Gefahrenprognose zwangsweise untergebracht werden, gegenüber den potentiellen Opfern von Sexualstraftaten weitaus weniger schützenswert seien.275 Demnach seien die die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze bestätigenden Entscheidungen des US Supreme Court wegen der damit einhergehenden Stärkung des Opferschutzes zu begrüßen. Zahlreiche Stimmen äußern aber auch ihre Bedenken gegenüber den Entscheidungen, die im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. a) Kritik an der Aufhebung der vormals strikten Trennung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen Kritisch wurde in der Literatur bewertet, dass die Auflösung der strengen Trennung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen das Recht eines Angeklagten auf ein ordentliches Gerichtsverfahren („substantive due process“) beeinträchtige.276 Bisher war hinsichtlich der Anwendung von Strafrecht oder Zivilrecht allein die Frage der Schuld beim Straftäter entscheidend: Schuldfähige Straftäter konnten allein nach strafrechtlichen Regelungen in ihrer Freiheit beschränkt werden, während Straftäter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig sind, allein zivilrechtlich untergebracht werden konnten.277 Die zivilrechtliche Unterbringung war somit immer in den Fällen die geeignete staatliche Reaktion, in denen die Unschädlichmachung von Straftätern nicht mit Instrumenten des Strafrechts durchgesetzt werden konnte.278 Das eindeutige Abgrenzungskriterium der Schuldfähigkeit sei durch die Einführung der „sexually violent predator laws“ jedoch verwischt worden. „Sexually violent predator laws“ nehmen quasi eine Zwitterstellung zwischen Strafrecht und 275

Brooks, S. 753 f.; Gaenslen, S. 148. Pearman, S. 2004; ausführlicher zu der Problematik siehe Blakey, S. 228 ff., die aber die Entscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ im Ergebnis befürwortet. 277 Pearman, S. 2004. 278 Pearman, S. 2011. 276

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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Zivilrecht ein, da nach ihnen verurteilte Sexualstraftäter als voll schuldfähig eingestuft werden, obwohl sie an einer „mentalen Abnormalität“, wie etwa der Pädophilie, leiden.279 Während einige Bundesstaaten ihre „sexually violent predator laws“ derart geregelt haben, dass Straftäter mit psychischer Erkrankung anstelle einer Gefängnisstrafe zivilrechtlich untergebracht werden280, sehen die „sexually violent predator laws“ von Kansas eine Behandlung281 von Sexualstraftätern erst nach der Verbüßung der Freiheitsstrafe im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung vor. Dadurch könne-so sagen die Kritiker – die zwangsweise Unterbringung eines Straftäters und damit der Entzug seiner Freiheit unter Berufung auf seine Therapiebedürftigkeit künstlich in die Länge gezogen werden.282 Der US Supreme Court habe es versäumt, zu der dogmatischen Einordnung der „sexually violent predator laws“ in das bestehende Sanktionensystem Stellung zu beziehen und die Gesetze stattdessen fälschlicherweise wie traditionelle Unterbringungsgesetze behandelt.283 Eine zusätzliche Gefahr für die Freiheitsrechte des Sexualstraftäters ergebe sich auch aus der Tatsache, dass das erkennende Strafgericht keinen Einfluss auf die Entscheidung über eine spätere zivilrechtliche Unterbringung des Verurteilten hat.284 Der Strafrichter sei daher versucht, nicht etwa auf den unsicheren Ausgang eines späteren Zivilprozesses zu vertrauen, sondern sich bei der Bemessung der Freiheitsstrafe auch von Sicherheitserwägungen leiten zu lassen.285 Es sei daher sehr wahrscheinlich, dass Strafgerichte zum Schutze der Allgemeinheit unverhältnismäßig hohe Freiheitsstrafen286 verhängen, ohne dass dafür sogar ein ärztliches Gutachten oder der Befund einer mentalen Abnormalität erforderlich sei.287 Straftäter, die nach Verbüßen der Freiheitsstrafe zivilrechtlich untergebracht werden, würden somit doppelt bestraft – die von ihnen potentiell ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit werde nicht nur bei der Bemessung ihrer Freiheitsstrafe berück279

Blakey, S. 229 – 230; Pearman, S. 2004. Dazu gehört etwa das „Sexual Psychopathic Personality Statute“ des Bundesstaats Minnesota, Minn.Stat.Ann. § 253 B.18 – 185 (West 1994 & Supp. 1998), siehe Blakey, S. 231 f. 281 Siehe dazu auch Breyer in Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 381 ff. 282 Pearman, S. 2004. 283 Pearman, S. 2004. 284 Demleitner, S. 1639. 285 Group for the Advancement of Psychiatry, Psychiatry and sex psychopath legislation, S. 853 – 886; Demleitner, S. 1639. 286 La Fond, Washington’s Sexually Violent Predator Law: A Deliberate Misuse of the Therapeutic State for Social Control, 15. U. Puget Sound Law Review, S. 667, stellt etwa fest, dass die Rückfallquote bei entlassenen Sexualstraftätern zumindest ähnlich hoch ist wie bei anderen Straftaten, Sexualstraftäter aber dennoch weitaus höhere Freiheitsstrafen verbüßen müssen; zitiert nach Demleitner, S. 1639. 287 Group for the Advancement of Psychiatry, Psychiatry and sex psychopath legislation, S. 853 – 886; Demleitner, S. 1639. 280

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

sichtigt, sondern auch bei der Entscheidung über die zivilrechtliche Unterbringung.288 Auch im Rahmen der Entscheidung über die zivilrechtliche Unterbringung sei das jeweilige Gericht versucht, die Unterbringung als Instrument zur erneuten Bestrafung eines Straftäters zu missbrauchen. Unter Umgehung der strafrechtlichen Verfahrensvorschriften könne so ein Straftäter weiter seiner Freiheit beraubt werden, der zuvor zu milde bestraft worden ist.289 Die Unterbringung biete damit eine einfache Möglichkeit, die Entscheidung des Strafgerichts zu korrigieren und die Freiheitsstrafe künstlich zu verlängern.290 Die Entscheidung des US Supreme Court, das „sexually violent predator“-Gesetz des Bundesstaats Kansas im Wesentlichen als zivilrechtlich einzustufen, führe so zu einer krassen Beschränkung der Verfahrens- und Verfassungsrechte eines Straftäters.291 Die folgenschwere Einstufung der Gesetze als zivilrechtlich habe nämlich zur Folge, dass allein für den Strafprozess vorgesehene Verfassungsgarantien wie das Verbot der Doppelbestrafung oder das Rückwirkungsverbot keine Anwendung finden können.292 b) Grundsätze in Hendricks und Crane widersprechen der früheren Rechtsprechung des US Supreme Court aa) Kritik an der Aufgabe der Voraussetzung des Befundes einer „mental illness“ für eine zivilrechtliche Unterbringung Häufigster Kritikpunkt an der Rechtsprechung des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ ist der Verzicht auf das Erfordernis einer Geisteskrankheit („mental illness“) als Voraussetzung für die zivilrechtliche Unterbringung eines Straftäters. Die Unterbringung aufgrund des bloßen Nachweises eines Vorliegens einer mentalen Abnormalität („mental abnormality“) wird vom überwiegenden Teil des verfassungsrechtlichen Schrifttums als verfassungswidrig erachtet.293 Obwohl der US Supreme Court noch fünf Jahre vor Kansas v. Hendricks in Foucha v. Louisiana zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Feststellung einer Geisteskrankheit für die Anordnung einer Unterbringung erforderlich sei294, genügt 288 289 290 291 292 293 294

Demleitner, S. 1639. Gottlieb, S. 1049. Pearman, S. 2011 ff. Dorsett, S. 145. Dorsett, S. 146. So etwa Pearman, S. 2005 f. Foucha v. Louisiana, 505 US 71, S. 79.

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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nunmehr die bei Hendricks diagnostizierte Pädophilie als „mentale Abnormalität“ den Anforderungen der „due process clause“ an eine Unterbringung. Weiterhin hat der US Supreme Court in Crane die Unterbringung eines Straftäters mit antisozialer Persönlichkeitsstörung abgesegnet, wo er in Foucha die Diagnose einer antisozialen Persönlichkeit gerade als nicht ausreichend für eine Unterbringung erachtete.295 Der US Supreme Court setze sich damit zu seiner früheren Rechtsprechung in Addington und Foucha in Widerspruch, in der das Gericht zwei kumulativ vorzuliegende Voraussetzungen für eine zwangsweise Unterbringung bestimmt: Das Vorliegen einer Geisteskrankheit sowie eine vom Straftäter ausgehende Gefahr. Das Recht eines Staates zur zwangsweisen Unterbringung gefährlicher Straftäter leitet sich bei Vorliegen beider Voraussetzungen aus dem sog. „parens-patriae“Prinzip296 her, das die Zwangseinweisung und Behandlung derjenigen Straftäter rechtfertigt, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen.297 Die Zwangseinweisung eines Straftäters hingegen aus rein präventiven Gründen und ohne Vorliegen einer Geisteskrankheit kann alleine auf die „police power theory“298 gestützt werden, wonach ein Staat zur Abwehr von durch gefährliche Personen drohenden Gefahren berechtigt ist, unabhängig von der Diagnose einer psychischen Erkrankung. Der Staat erfüllt dabei allein die Interessen der Allgemeinheit an einem Schutz vor gefährlichen Straftätern und nicht die Interessen der zwangseingewiesenen Person.299 In Foucha und Addington konnte der US Supreme Court die Legitimität des Bundesstaates Kansas zur zwangsweisen Unterbringung sowohl aus dem „parens patriae“-Prinzip als auch der „police power theory“ ableiten, da die in Rede stehenden Straftäter gefährlich waren und infolge ihrer Geisteskrankheit zudem nicht für sich selbst sorgen konnten. Da Hendricks jedoch keineswegs an einer Geisteskrankheit leide, wegen derer er der Fürsorge bedürfe, könne einzige Legitimitätsquelle für die Unterbringung Hendricks wegen der von ihm ausgehenden Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten das Gefahrenabwehrrecht („police power theory“) sein. Die im Vergleich zur früheren Rechtsprechung unterschiedliche Sachlage verkenne der US Supreme Court jedoch, da er in Kansas v. Hendricks die Verfassungsmäßigkeit der „sexually violent predator laws“ von Kansas unter Zugrundelegung der Grundsätze aus Foucha und Addington prüfe und dabei übersehe, dass diese bei Kansas v. Hendricks gerade keine Anwendung finden können.300 295

Pearman, S. 2007. Siehe zu dem sog. „parens patriae-Prinzip“ ausführlich in Fußnote 439. 297 Rotman, Rechtliche Voraussetzungen der Behandlung geistesgestörter Straftäter in den Vereinigten Staaten, S. 561; Pearman, S. 2005. 298 Sog. „state’s police power theory“, näher dazu Gottlieb, S. 1035 f. 299 Gottlieb, S. 1036. 300 Pearman, S. 2005 f. 296

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Indem der US Supreme Court die „sexually violent predator laws“ in eine Reihe mit den traditionellen Unterbringungsgesetzen stellt, habe es mit der Absegnung des Tatbestandsmerkmals der „mentalen Abnormalität“ die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine solche Unterbringung auf ein verfassungsrechtlich nicht gebotenes Maß reduziert.301 bb) Untauglichkeit der Termini „mental abnormality“ und „personality disorder“ für die Bestimmung von besonders gefährlichen Sexualstraftätern Besonders die in den „sexually violent predator laws“ formulierten Tatbestandsvoraussetzungen waren in der juristischen und medizinischen Literatur starker Kritik ausgesetzt. Der Terminus „mentale Abnormalität“ sei weder ein international einheitlich anerkannter diagnostischer Begriff, noch werde er im „diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen“302 der American Psychiatric Association aufgenommen.303 Vielmehr handele es sich um einen rein strafrechtlichen Begriff304 und um ein gesellschaftliches Konstrukt.305 Der Begriff „mentale Abnormalität“ sei so allgemein formuliert, dass er nahezu jedes Krankheitsbild umfassen könne.306 So können zum Beispiel auch die Krankheitsbilder des Alkoholismus, der Schlafstörung und andere weit verbreitete Krankheiten unter diesen Begriff subsumiert werden.307 Der vom US Supreme Court verfolgte Ansatz, die Definition eines Terminus mit medizinischer Relevanz alleine dem Gesetzgeber zu überlassen, berge damit die große Gefahr einer Zweckentfremdung durch den Gesetzgeber.308 Unter den nebulösen Voraussetzungen einer „mentalen Abnormalität“ und Gefahr für andere könne so wegen nahezu jeden Verbrechens eine Unterbringung staatlich angeordnet werden.309 Da die Intention des Gesetzgebers, einem Unterbringungsgesetz zivilrechtlichen Charakter beizumessen, laut US Supreme Court nur durch Erbringung des 301

Pearman, S. 2006. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders („DSM-IV“). 303 Dorsett, S. 140; Gaenslen, S. 147. 304 Gaenslen, S. 147. 305 Smith, S. 4. 306 Gaenslen, S. 147; Dorsett, S. 140; Wettstein, 15 U. Puget Sound L. Rev., S. 602. Laut Morse könnte der Terminus „mental abnormality“ genauso gut als ein „Zustand, der eine Person zum Verfassen juristischer Fachartikel, zur Lektüre juristischer Fachartikel oder Ausübung jeglicher anderer Tätigkeit prädisponiert“, definiert werden (Morse, 76 Boston University Law Review, S. 137). 307 Gottlieb, S. 1040; Dorsett, S. 144. 308 Dorsett, S. 141. 309 Dorsett, S. 144. So könnten etwa Drogenabhängige oder Personen, die mehrfach alkoholbedingt im fahruntüchtigen Zustand ein Fahrzeug geführt haben, untergebracht werden. (Friedland, S. 78). 302

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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„deutlichsten Beweises“ des strafrechtlichen Charakters vereitelt werden darf310, könne die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nur im krassen Ausnahmefall beschränkt werden.311 Der Gesetzgeber könne so nur für das Strafrecht geltende Verfassungsgarantien sehr leicht umgehen.312 Der US Supreme Court habe demnach versäumt, den Gesetzgeber zu beauftragen, bei der Ausgestaltung der Tatbestandsmerkmale für die zivilrechtliche Unterbringung zumindest durch von Experten für psychische Krankheiten entwickelte Billigkeitsstandards zu beachten. So könne gewährleistet werden, dass für die Unterbringung Tatbestandsmerkmale herangezogen werden, die den sachverständigen Gutachtern eine Subsumtion unter den juristischen Begriff erleichtert und so eine möglichst genaue Diagnose ermöglicht.313 Ähnliche Kritikpunkte werden auch für den Terminus „Persönlichkeitsstörung“ angeführt. Auch die antisoziale Persönlichkeitsstörung wird vom Terminus der „Persönlichkeitsstörung“ umfasst – eine psychische Störung, die laut Urteilsfeststellungen in Crane zwischen 40 – 60 % aller verurteilten Straftäter aufweisen.314 Obwohl der US Supreme Court noch in Foucha die Diagnose einer antisozialen Persönlichkeitsstörung für eine Unterbringung als unzureichend erachtete, würden damit bei wörtlicher Anwendung des Begriffs die Mehrheit aller verurteilen Sexualstraftäter in den Anwendungsbereich der „sexually violent predator“-Gesetze fallen.315 Mit der verfassungsrechtlichen Legitimation dieser vagen Termini werde zudem der Einführung weiterer Unterbringungsgesetze für jede Art von verurteilten Straftätern, denen ein hohes Rückfallrisiko attestiert wird, Tür und Tor geöffnet.316 cc) Kritische Würdigung des Leistungspotenzials der Psychiatrie Auch aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht wurde die Rechtsprechung des US Supreme Court beanstandet: Der US Supreme Court habe fälschlicherweise darauf vertraut, dass die psychiatrischen Sachverständigen die Verfassungsmäßigkeit der „sexually violent predator laws“ durch Identifizierung besonders gefährlicher Sexualstraftäter bewahre könne. Dem jeweiligen begutachtenden Psychiater werde jedoch eine zu große Verantwortung bei der Bestimmung der in den Anwendungsbereich der „sexually violent predator laws“ fallenden Personen übertragen. Der Psychiatrie mangele es nämlich 310

Siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 361. Dorsett, S. 144. 312 Dorsett, S. 145; Gottlieb, S. 1046 f. 313 Dorsett, S. 142. 314 Kansas v. Crane, 534 US 407, S. 412. Das Gericht zitiert hier Moran, 34 Soc. Psychiatry & Psychiatric Epidemiology, S. 234. 315 Gottlieb, S. 1041. 316 Gottlieb, S. 1041. 311

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

an der erforderlichen Kompetenz zur eindeutigen Identifizierung von Straftätern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten begehen werden.317 Gerade die in Crane auf die Psychiatrie übertragene Aufgabe, Straftäter mit mangelnder Willenskontrolle von den gewöhnlichen Straftätern auszusondern, die nicht zur Willenskontrolle bereit sind, überfordere die Psychiatrie.318 Der US Supreme Court habe weder die genaue Bedeutung des Terminus der Schwierigkeit der Willenssteuerung konkretisiert noch Gerichten und begutachtenden Psychiatern Hinweise auf die Beweiserfordernisse an den Begriff an Hand gegeben.319 Auch wenn die Intention des US Supreme Court gewesen sei, durch Hinzufügung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der fehlenden Willenskontrolle den Anwendungsbereich einer Unterbringung weiter einzugrenzen, habe er dabei auf ein vages und unklares Kriterium vertraut. Diese Prämisse des US Supreme Court verkenne die bei objektiver Würdigung auch begrenzt gegebenen sicheren Erkenntnis- und Analysemöglichkeiten selbst hochqualifizierter Psychiater. Es gebe nicht genügend empirische Daten zur zweifelsfreien Feststellung einer Schwierigkeit bei der Willenssteuerung320, die ohnehin auf die meisten Straftäter in einem gewissen Umfang zutreffe.321 Eine zweifelsfreie Feststellung des Fehlens eines freien Willens sei gerade nicht möglich.322 Ein psychiatrisches Gutachten beruhe vielmehr stets auf subjektiven Werturteilen des begutachtenden Psychiaters und unterliege damit auch einer gewissen Fehleranfälligkeit.323 Die Verfassungsmäßigkeit der „sexually violent predator laws“ hänge damit allein von einem psychiatrischen Gutachten ab, das beim jeweiligen Straftäter eine die Willensfähigkeit beeinträchtigende psychische Erkrankung diagnostiziert, ohne dass eine solche Diagnose überhaupt möglich sei.324

317

Smith, S. 28 ff., S. 77. Wie ein Berufungsgericht später zusammenfasste, habe Kansas v. Crane letztlich die Prämisse aufgestellt, dass zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Unterbringung „die kranke Person von der bösen und amoralischen Person“ unterschieden werden müsse, siehe Varner v. Monohan, 460 F.3d 861, 864 (7th Cir. 2006), zitiert nach Smith, S. 19 f. 319 Pierson, 160 U.Pa.L. Rev, S. 1536. 320 Pierson, S. 1535 f. 321 Gaenslen, S. 151. 322 „Es existiert keine empirische Basis, aufgrund derer bestimmt werden kann, ob eine Handlung Ausdruck eines freien Willens war oder sein wird. Der freie Willen „ist ein normatives Konstrukt (…) und kann nicht untersucht werden.“ (Faigman, Making moral judgments through behavioural science, 2 Law, Prob. & Risk, S. 314, zitiert nach Smith, S. 20. 323 Smith, S. 44 f. 324 Smith, S. 20. 318

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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dd) Die Überbetonung der Gefährlichkeit eines Straftäters Die Mehrheit der Stimmen in der Literatur sieht die Rechtsprechung des US Supreme Court zur den „sexually violent predator laws“ auch als Ausdruck einer gefährlichen rechtspolitischen Entwicklung, die dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und dem Präventionsgedanken überragende Bedeutung beimessen will. Der in der Rechtsprechung des US Supreme Court zu beobachtende Wandel erkläre sich durch eine verringerte Beachtung des Freiheitsinteresses des Einzelnen. Bei dem nach den „sexual-predator-laws“ geforderten Befund einer „mentalen Abnormalität“ handele es sich um bloße „Schönfärberei“325, da die „sexually violent predator laws“ gerade ins Leben gerufen worden seien, um die Unterbringung allein aufgrund einer bloßen Gefahrenprognose zu ermöglichen.326 Der US Supreme Court habe in Kansas v. Hendricks und Kansas v. Crane den zuvor entwickelten zweistufigen Prüfungsmaßstab der „due process clause“ verworfen und missachtet.327 Während nach der früheren Rechtsprechung des US Supreme Court die Feststellung einer Geisteskrankheit und einer vom Täter ausgehenden Gefahr erforderlich waren, wolle der Gesetzgeber mit der nunmehr erforderlichen Feststellung der „mentalen Abnormalität“ verschleiern, dass der jeweilige Geisteszustand des Straftäters nahezu irrelevant sei.328 Die Absegnung dieser Rechtspolitik durch den US Supreme Court bewirke letztlich, dass Straftäter nunmehr allein aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr in ihrer Freiheit beschränkt werden können – ein Rechtszustand, den der US Supreme Court in Foucha gerade zu verhindern gesucht habe.329 c) Fehlen gerichtlicher Leitsätze hinsichtlich der Qualifizierung einer Regelung als strafrechtlich oder zivilrechtlich Die verfassungsrechtliche Bestätigung der „sexually violent predator laws“, die nach der traditionellen Kategorisierung einer Maßnahme als strafrechtlich oder zivilrechtlich genau zwischen diesen beiden Rechtsbereichen steht, habe dazu geführt, dass nunmehr Unklarheit darüber bestehe, in welchen Fällen einer staatlichen Maßnahme Straf- oder Zivilcharakter zukomme. Größtenteils wird die allmähliche Auflösung der strikten Trennung von Straf- und Zivilrecht in der Literatur begrüßt. Eine eindeutige Zuordnung eines Straftäters zur Gruppe des entweder geisteskranken („mad“) oder des bösen („bad“) Straftäters sei

325 326 327 328 329

So etwa Janus, Preventing sexual violence, S. 165. Pearman, S. 2007. Pearman, S. 2008. Pearman, S. 2008. Pearman, S. 2008.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

ohnehin oftmals nicht möglich330 ; die Einstufung einer Person als „sexually violent predator“ lege vielmehr die Tatsache offen, dass Straftäter häufig Anteile beider Personentypen aufweisen.331 Der US Supreme Court habe es dabei jedoch vernachlässigt, klare Parameter zur Bestimmung des Strafcharakters eines Gesetzes aufzustellen. In welchen Fällen genau können gegen einen Straftäter zugleich strafrechtliche und zivilrechtliche Maßnahmen verhängt werden? Wann genau ist „deutlichster Beweis“ („clearest proof“) dafür erbracht worden, dass einem zivilrechtlich normierten Gesetz tatsächlich Strafcharakter zukommt?332 Zwar habe der US Supreme auf in früheren Urteilen aufgestellte Faktoren zur Bemessung des Straf- oder Zivilcharakters einer Norm zurückgegriffen, diese aber für die Bemessung als nicht ausschlaggebend erachtet.333 Mangels verbindlicher Definition des Strafbegriffs und Benennung der maßgeblichen Faktoren habe der US Supreme Court die durch den Gesetzgeber verursachte „Verwirrung“ um die Begriffe von Strafe und Unterbringung nicht lösen können.334 Der Gesetzgeber könne damit ohne die Schaffung klarer Regeln durch den US Supreme Court mittels zivilrechtlicher Tarnung von Unterbringungsgesetzen das Doppelbestrafungsverbot und das Rückwirkungsverbot umgehen.335 d) Zweifel an der Therapiefähigkeit von „sexually violent predators“ und der Ausrichtung des Vollzugs der Unterbringung auf Therapie Einige Stimmen in der Literatur äußern Zweifel an der generellen Therapiefähigkeit von „sexually violent predators“ im Sinne der Unterbringungsgesetze.336 Die Effektivität von Therapien für „sexually violent predators“ sei ohnehin schwer überprüfbar, da nur sehr wenige untergebrachte Personen wieder aus der Unterbringung entlassen werden. Im August 2007 sind nur etwa zehn Prozent aller seit 1990 untergebrachten Personen inzwischen wieder in die Freiheit entlassen worden;

330

Blakey, S. 242. Blakey, S. 229. 332 Pearman, S. 2014. 333 So greift der US Supreme Court etwa auf den in Kennedy v. Mendoza-Martinez entwickelten siebenstufigen Test zur Bestimmung des Strafcharakters einer Norm zurück (372 US 144 [1963]), siehe Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 394. 334 Pearman spricht von einem „muddle of punishment“ (S. 2005); Steiker, S. 781; La Fond, Washington’s Sexually Violent Predators Statute: Law or Lottery?, 15 U. Puget L. Rev, S. 764; Dorsett, S. 138. 335 Gaenslen, S. 148. 336 Dorsett, S. 150 f. Ausführlicher zu den einzelnen Studien über die erneute Straffälligkeit von Sexualstraftätern siehe James/Thomas/Foley, CRS Report for Congress, S. 16 f. 331

B. Entscheidungen zu den „sexually violent predator laws“

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in manchen Bundesstaaten sogar nicht eine einzige Person.337 Die zivilrechtliche Unterbringung, auch wenn ihr Vollzug vom Gesetzgeber auf Therapie und Resozialisierung ausgerichtet sei, sei in Realität daher eine Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Dauer.338 Die Verlagerung des Therapiebeginns auf die Vollstreckung der Unterbringung und damit auf einen viele Jahre nach der Tatbegehung liegenden Zeitpunkt, führe beim Straftäter zu Gedächtnisverlust hinsichtlich der von ihm begangenen Straftaten.339 Durch die im Strafvollzug herrschende gewalttätige und bedrohliche Atmosphäre würden Straftäter dahingehend sozialisiert werden, nicht über ihre Gefühle zu sprechen und sich nicht verletzbar zu machen.340 Die Sozialisation im Strafvollzug stünde damit den intendierten Therapiezielen diametral entgegen, sollen die Straftäter im Rahmen der Therapie doch gerade über ihre Straftaten nachdenken und sprechen.341 Als weiteres Argument gegen die Therapiefähigkeit von „sexually violent predators“ wird angeführt, dass ohnehin nur diejenigen Sexualstraftäter in den Anwendungsbereich der Gesetze fallen, die sich bisher als weitgehend therapieresistent erwiesen haben.342 Da jedoch der Therapieerfolg in hohem Maße von der Änderungsbereitschaft des Patienten beeinflusst wird, würde sich wegen Ausbleiben dieses Therapieerfolgs die auf unbestimmte Zeit angelegte Unterbringung schnell als dauerhafte Unterbringung entpuppen.343 Die „sexually violent predator laws“ seien daher vom Gesetzgeber auch allein zum Zwecke der dauerhaften Unschädlichmachung und nicht zum Zwecke der Behandlung von Sexualstraftätern geschaffen worden.344 Zudem wird der Ansatz des US Supreme Court kritisiert, hinsichtlich der Einstufung eines Unterbringungsgesetzes als zivilrechtliches Instrument allein auf das formelle Kriterium der Bereitstellung von Therapieangeboten abzustellen. Damit stelle das Gericht die formelle Rechtslage über die tatsächliche Rechtslage und unterlasse fälschlicherweise eine Prüfung dahingehend vorzunehmen, ob eine Behandlung von Straftätern tatsächlich durchgeführt wurde.345 337 So ist etwa im Bundesstaat Minnesota, der die höchste Pro-Kopf-Rate an untergebrachten Personen aller Bundesstaaten aufweist, bis zum Jahre 2011 keine einzige Person jemals entlassen worden (Terry, S. 290). 338 Wettstein, S. 614; Dorsett, S. 150 f.; Cohen/Jeglic, Int J Offender Ther Comp Criminol 2007, S. 372. 339 Wettstein, S. 617. 340 Wettstein, S. 617. 341 Wettstein, S. 617. 342 Wettstein, S. 616. 343 Dorsett, S 150 f.; Wettstein, S. 614; Janus, Preventing Sexual Violence, S. 191; Demleitner, S. 1640. 344 Dorsett, S. 152. 345 Friedland, S. 112.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

e) Die zivilrechtliche Unterbringung als zusätzlicher Kostenfaktor für die Bundesstaaten Ein großer Kritikpunkt an der Absegnung der „sexually violent predator laws“ durch den US Supreme Court sind die enormen Kosten, die durch die Ausführung der Gesetze für die einzelnen Bundesstaaten verursacht werden. Im Jahre 2006 sind in den gesamten USA mehr als 454.7 Mio. US-Dollar für den Vollzug der zivilrechtlichen Unterbringung von „sexually violent predators“ im Haushalt eingeplant worden.346 Für die Unterbringung einer einzelnen Person entstehen jährliche Kosten von etwa 100.000 US-Dollar.347 Darin inbegriffen sind die Kosten für die eigentliche Unterbringung, die Administration, die klinische Behandlung, Transportkosten, Kosten für Rechtsberatung sowie die erhöhten Kosten für die medizinische Versorgung von lebensälteren Untergebrachten.348 Dagegen belaufen sich die Kosten für einen Gefängnisinsassen nur auf etwa 26.000 US-Dollar, so dass die Kosten für eine zivilrechtliche Unterbringung etwa viermal höher sind als für den regulären Strafvollzug.349 Viele Stimmen in der Literatur plädieren daher für alternative Lösungen zur zivilrechtlichen Unterbringung von Sexualstraftätern. Hierzu wurden von der Rechtslehre und Rechtspraxis eine Reihe von Vorschlägen entwickelt: Finanzielle Mittel sollten eher in Präventivmaßnahmen außerhalb des Vollzugs, etwa der Überwachung, Betreuung und Therapierung von Sexualstraftätern investiert werden.350 Auch eine Umschichtung finanzieller Mittel zugunsten der Ämter für Bewährungshilfe351 oder Bereitstellung von Therapieangeboten im Strafvollzug352 wird befürwortet.

346 Gookin, Comparison of state laws authorizing involuntary commitment of Sexually Violent Predators, S. 5, zitiert nach Miller, 98 California Law Review, S. 2099. 347 Terry, S. 290; Friedland, S. 130 f.; Davey/Goodnough, N.Y. Times vom 4. März 2007. Mit 16.000 US-Dollar pro untergebrachter Person sind die Kosten im Bundesstaat Kalifornien am höchsten (Presseerklärung des kalifornischen Department of Mental Health, Coalinga State Hospital Facts [2005], abrufbar unter http://www.dmh.ca.gov/News/PressReleases/docs/2005/ dedication/CSH%20Facts.pdf). 348 Miller, 98 California Law Review, S. 2099. Zu den Kosten für die alternden Insassen gehören etwa Kosten für Rollstühle, Gehhilfen, hohen Blutdruck und Altersschwäche (Davey/ Goodnough, N.Y. Times vom 04. März 2007). 349 Davey/Goodnough, N.Y. Times vom 04. März 2007. Diese Zahlen erklären sich durch die weitaus höheren Kosten für die im Vollzug der Unterbringung angebotenen Programme, die Therapierung von Insassen und die Freilassung unter Aufsicht. 350 Terry, S. 290; Janus, Failure to protect, S. 2 – 4. 351 Janus, Failure to protect, S. 2 – 4; zitiert nach Miller, 98 California Law Review, S. 2099. 352 Friedland, S. 131.

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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C. Die Rechtsprechung des US Supreme Court zu den „three strikes laws“ Wie bereits unter 2. Teil, A.,.II. eingehend erläutert, wird Sicherheit der Allgemeinheit vor schuldfähigen, gefährlichen Straftätern seit Einführung der „sexually violent predator laws“ in den USA nicht nur über die Verlängerung der Freiheitsstrafe gesucht, sondern auch über die Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung. Die damit einhergehende Aufgabe der strengen Einspurigkeit in den USA ändert jedoch nichts daran, dass auch weiterhin der Schwerpunkt der Sicherheitspolitik in den USA auf der Sicherungsstrafe liegt.353 Daher darf eine genaue Untersuchung der Rechtsprechung des US Supreme Court zu den „three strikes laws“, die verlängerte Strafen für Wiederholungstäter vorsehen, nicht ausbleiben. Zuvor soll ein kurzer Überblick über die „three strikes“-Gesetzgebung gegeben werden und auf frühere Rechtsprechung des US Supreme Court zu langen bzw. lebenslangen Freiheitsstrafen eingegangen werden.

I. Die „three strikes laws“ am Beispiel des kalifornischen „three strikes laws“ Die sog. „three strikes and you are out laws“ sind Strafschärfungsregelungen für Wiederholungstäter, die zwischen 1993 und 1995 in insgesamt 24 US-Bundesstaaten und auf US-amerikanischer Bundesebene354 eingeführt wurden.355 Nach den „three strikes laws“ (sinngemäß „Drei-Verstöße-Gesetz“) wird gegen einen Straftäter nach zwei rechtskräftigen Verurteilungen wegen eines Verbrechens („felony“) im Falle einer weiteren Straftat automatisch eine besonders schwere Strafe, üblicherweise – wie im Bundesstaat Kalifornien – eine Haftstrafe von 25 Jahren bis lebenslänglich („25 years to life“) verhängt. Der Begriff „three strikes and you are out“ kommt vom Baseball, wo ein Schlagmann nach dem dritten Fehlschlag („strike“) ausscheidet und erst in der nächsten Runde wieder am Spielgeschehen teilnehmen darf. Die „three strikes laws“ beruhen auf der Vorstellung, dass die meisten Verbrechen von einer kleinen Anzahl von Gewohnheitsverbrechern begangen werden. Indem

353 Dies liegt neben dem weiten Gebrauch der „three strikes“-Gesetzgebung an der vollzogenen Erhöhung von Mindeststrafandrohungen und weiten Anwendung der lebenslangen Freiheitsstrafe (Albrecht, in: Wegsperren?, S. 434). 354 Der im September 1994 verabschiedete „Violent Crime Control and Law Enforcement Act of 1994“ (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 59). 355 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384; Beale, S. 3; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 60.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

gerade dieser besonders gefährlichen Gruppe von Straftätern die Freiheit entzogen wird, soll die Sicherheit der Allgemeinheit erhöht werden.356 Trotz der Gemeinsamkeit aller „three strikes laws“, dass sie allesamt lange Freiheitsstrafen für Wiederholungstäter vorsehen, bestehen gravierende inhaltliche Unterschiede von Bundesstaat zu Bundesstaat.357 So gibt es Unterschiede hinsichtlich der Art und Anzahl der Straftaten, die die Anwendung der „three strikes laws“ auslösen; die in der Vergangenheit begangenen Straftaten, die als „Treffer“ („strike“) im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren sind sowie das für den zweiten und dritten „strike“ vorgesehene Strafmaß.358 Der Bundesstaat Kalifornien führte als zweiter Bundesstaat359 im März 1994 „three strikes“-Gesetze ein.360 Sie gelten allgemein als eines der strengsten Gesetze für Wiederholungstäter in den USA361 Daneben sind sie auch die in der Wissenschaft am kontroversesten diskutierten „three strikes“-Gesetze.362 Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der „three strikes laws“ des Bundesstaates Kalifornien durch den US Supreme Court in seiner Entscheidung Ewing v. California gebietet im Folgenden eine eingehendere Befassung mit dieser Gesetzgebung. 1. Entstehungsgeschichte der „three strikes laws“ des Bundesstaates Kalifornien Die kalifornischen „three strikes“-Gesetze verdeutlichen anschaulich den in den USA und im besonderen in Kalifornien vollzogenen Wechsel von einer am Resozialisierungsideal orientierten zu einer auf Abschreckung und Unschädlichmachung von Wiederholungstätern setzenden Kriminalpolitik.363 Die Gesetze reihen sich ein in eine Serie strafrechtlicher Reformen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in 356

Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384. Ewing v. California, 538 US 11, S. 15; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 61. 358 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384. 359 Das erste US-amerikanische „three strikes“-Gesetz ist im November 1993 im Bundesstaat Washington in Kraft getreten (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 58; Kelly, 39 Georgetown Journal of Internation Law, S. 552). 360 Die „three strikes“-Gesetzgebung ist in Kalifornien in § 667 sowie § 1170.12 des kalifornischen Strafgesetzbuches geregelt (California Penal Code). Die letztere Vorschrift hat aufgrund des bestätigenden Votums zu Proposition 184 Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden (siehe ausführlich hierzu 2. Teil, C., I., 1.); beide Vorschriften sind nahezu inhaltsgleich (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 58, 604; Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384). 361 Lewis, 81 Denv. U.L. Rev., S. 523; Beale, S. 2; Chen, 24 J. Contemp. Crim. Justice, S. 345. 362 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 367, S. 384. 363 Dies stellt auch der US Supreme Court in Ewing v. California fest (538 US 11 [2003], S. 14. Die kalifornische „three strikes“-Gesetzgebung eignet sich auch deshalb zur Darstellung, da 90 % aller bundesweiten Verurteilungen nach „three strikes“-Gesetzen in Kalifornien erfolgen (Reinbacher, NK 2012, S. 47). 357

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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den USA, die allesamt eine dauerhafte Abkehr vom vorher praktizierten Resozialisierungsgedanken beweisen.364 Auch wenn bereits zuvor die Mehrheit der bundesstaatlichen Strafgesetze verschärfte Strafen für Wiederholungstäter vorsahen, hat die Einführung der „three strikes laws“ zu einem grundlegenden Wandel in der Verurteilungspraxis in den USA geführt.365 Die Genese der kalifornischen „three strikes laws“ ist die Reaktion auf monatelange Reformbestrebungen seitens der Bevölkerung und Politik auf dem Gebiet des Strafrechts:366 Am 1. März 1993 brachten die kalifornischen Abgeordneten Bill Jones und Jim Costa eine Gesetzesvorlage (sog. „Assembly 971“) in das kalifornische Abgeordnetenhaus ein, die als Grundlage für das spätere sog. „three strikes and you are out law“-Gesetz dienen sollte.367 Geistiger Vater dieser Gesetzesvorlage war jedoch Mike Reynolds, dessen Tochter Kimber Reynolds von zwei polizeibekannten Mehrfach- bzw. Rückfalltätern ermordet worden ist. Reynolds setzte sich fortan für die Einführung schärferer Gesetze ein, die die dauerhafte Inhaftierung gefährlicher Wiederholungstäter sicherstellen sollte.368 Der Abgeordnetenausschuss für öffentliche Sicherheit („Assembly Committee on Public Safety“) sollte jedoch die Einführung dieses Gesetzes verhindern. Aus Entrüstung über das Scheitern der Gesetzesvorlage bildete sich eine Wählerinitiative, die die Zulassung der Vorlage „Proposition 184“ zur Volksabstimmung im Rahmen der Präsidentschaftswahlen im November 1994 forderte. Die „Proposition 184“ beinhaltete eine Gesetzesinitiative zur Einführung der „three strikes laws“ und baute im Groben auf der „Assembly Bill 971“ auf.369 Während die „Proposition 184“ weiter in Umlauf gebracht wurde, wurde im Oktober 1993 die zwölfjährige Polly Klaas von zu Hause entführt und ermordet.370 Der Täter Richard Allen Davis wies eine Vielzahl von Vorstrafen auf, zu denen u. a. zwei Verurteilungen wegen Kindesentführungen gehörten. Nach Verbüßung der 364

Siehe ausführlich hierzu unter 2. Teil, A., V., 3. Dies veranschaulicht sehr deutlich die von Richter Breyer in seiner abweichenden Stellungnahme in Ewing v. California aufgeführte Statistik, nach der eine Person wie Ewing vor Einführung der „three strikes laws“ zu höchstens 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden konnte (Ewing v. California, 538 US 11, S. 24 und S. 43). 366 Lewis, S. 521. 367 Der Gesetzesentwurf bezweckte die Einführung der heutigen Vorschrift § 1170.12 in den California Penal Code (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 430); Ewing v. California, 538 US 11, S. 14. 368 Lewis, S. 521; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 788 f. 369 Ewing v. California, 538 US 11, S. 14. 370 Ausführlich zum Fall Polly Klaas siehe Beale, S. 4; Vitiello, Journal of Criminal Law and Criminology, S. 411 ff. 365

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Hälfte seiner insgesamt sechzehnjährigen Haftstrafe wurde er auf Bewährung aus der Haft entlassen.371 Hätte Davis seine Haftstrafe komplett absitzen müssen, hätte er sich zum Tatzeitpunkt noch im Gefängnis befunden. Dieser Mordfall löste eine Welle der öffentlichen und medialen Empörung aus. Innerhalb weniger Wochen gelang es dem Initiator der „Proposition 184“, mehr als die doppelte Mindestanzahl der Unterschriften zu sammeln, die für eine Zulassung zur Volkabstimmung erforderlich sind. Die Befürworter der „Assembly Bill 971“ legten wiederum eine an die „Proposition 184“ angepasste Fassung der „three strikes laws“ vor, die der Senat mit einer Mehrheit von 29 Zustimmungen gegenüber 7 Ablehnungen verabschiedete.372 Im Rahmen der Abstimmung vom 08. November 1994 wurde die „Proposition 184“ schließlich mit einem Votum von 72 % zu 28 % angenommen.373 2. Regelungsinhalt der kalifornischen „three strikes laws“ Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über den Regelungsinhalt der kalifornischen „three strikes laws“ gegeben: Das Gesetz soll dem Zweck dienen, „längere Haftstrafen und härtere Strafen für Personen, die ein Verbrechen („felony“) begangen haben und bereits zuvor wegen eines schweren Verbrechens („serious felony“) und/oder Gewaltverbrechens („violent felony“) verurteilt worden sind“, zu ermöglichen.374 Dem Gesetz lassen sich zwei verschiedene Konstellationen entnehmen, wegen derer ein Straftäter nach den kalifornischen „three strikes laws“ verurteilt werden kann: In der ersten Variante findet das „three strikes“-Gesetz Anwendung, wenn der Straftäter in der Vergangenheit wegen eines „schweren“ Verbrechens oder „Gewaltverbrechens“ verurteilt wurde (sozusagen der erste „strike“) und nunmehr erneut wegen eines Verbrechens jedweder Art verurteilt wurde. In diesem Fall sieht die oftmals als „second strike provision“ bezeichnete Vorschrift vor, dass das für das zuletzt begangene Verbrechen geregelte Strafmaß zwingend verdoppelt wird.375 In der zweiten Variante wird ein Straftäter, der bereits zwei oder mehr als zwei Verurteilungen wegen eines schweren Verbrechens oder Gewaltverbrechens („strikes“) vorzuweisen hat und erneut wegen eines Verbrechens jedweder Art verurteilt wird, aufgrund der als „third strike provision“ bezeichneten Vorschrift 371

Ewing v. California, 538 US 11, S. 15. Ewing v. California, 538 US 11, S. 15. 373 Ewing v. California, 538 US 11, S. 15. 374 California Penal Code Ann. § 667 (b) (West 1999). 375 California Penal Code Ann. § 667 (1) (West 1999); § 1170.12 (c) 1 (West Supp. 2002); Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 14. 372

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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verurteilt. Danach erwartet den Straftäter zwingend eine „lebenslängliche Haftstrafe mit unbestimmter Dauer“376 von mindestens „25 Jahren bis lebenslänglich“ („25 years to life“).377 In Kalifornien können 21 Gewaltverbrechen und 42 schwere Verbrechen unter „strikes“ im Sinne der „three strikes laws“ subsumiert werden.378 Der wesentliche Unterschied zwischen den kalifornischen „three strikes laws“ und denen anderer Bundesstaaten besteht darin, dass das aktuell zu bestrafende Verbrechen kein schweres Verbrechen oder Gewaltverbrechen i.S.e. als „strike“ qualifizierendes Delikt“ sein muss, sondern vielmehr etwa 500 verschiedene Delikte die Anwendung der „second“ oder „three strikes“-Vorschriften auslösen können.379 Auch wenn im Falle einer Verurteilung aufgrund der „three strikes laws“ die zwingende Verhängung bestimmter Mindestfreiheitsstrafen vorgeschrieben ist, verbleiben für die Staatsanwaltschaft und das Gericht dennoch Spielräume, die strengen Rechtsfolgen der „three strikes laws“ im Einzelfall zu umgehen:380 Nach kalifornischem Strafrecht können manche Straftaten entweder als Verbrechen („felony“) oder Vergehen („misdemeanor“) behandelt werden. Diese Delikte werden als sog. „wobblers“ bezeichnet. Manche Delikte werden zu einem „wobbler“-Delikt, wenn der Straftäter bereits zuvor wegen eines ähnlichen Delikts verurteilt wurde381; manche Delikte hingegen gelten als „wobblers“ unabhängig von etwaigen Vorstrafen des Straftäters.382 Beide Arten von „wobblers“ lösen die Anwendung der „three strikes laws“ nur aus, wenn sie als Verbrechen behandelt werden. Der kalifornische Gesetzgeber stellt die Vermutung auf, dass es sich bei „wobblers“ um Verbrechen handelt. Diese Vermutung kann jedoch durch Ermessensausübung entkräftet werden und „wobblers“ im Einzelnen als Vergehen behandelt werden.383

376

2002).

California Penal Code, § 667 (e) (2) (A) (West 1999); § 1170.12 (c) (2) (A) (West. Supp.

377 California Penal Code, §§ 667 (e) (2) (A) (i)-(iii); Chen, S. 349; Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 14. 378 California Penal Code § 667.5 (c) (Gewaltverbrechen); California Penal Code § 1192.7 (c) (schwere Verbrechen). 379 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 384; Chen, S. 350. 380 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 389; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1124; Ewing v. California, 538 US 11, S. 17. 381 So wird etwa der Diebstahl geringwertiger Sachen – ein Vergehen nach kalifornischem Strafrecht – zu einem „wobbler“-Delikt, wenn der Straftäter zuvor eine Gefängnisstrafe wegen eines Diebstahlsdelikts jedweder Art abgesessen hat, siehe California Penal Code, § 490 (West 1999); § 666 (West Supp. 2002). 382 Ein solches Delikt ist zB. der schwere Diebstahl, siehe California Penal Code, § 489 (b) (West 1999). 383 Ewing v. California, 538 US 11, S. 17.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

In Kalifornien steht dieses Ermessen der Staatsanwaltschaft zu, die ein „wobbler“-Delikt entweder als Verbrechen oder Vergehen anklagen kann. Des Weiteren können die erstinstanzlichen Gerichte ein „wobbler“-Delikt auch nach seiner Anklage als Verbrechen auf ein Vergehen herabstufen, um eine Verurteilung nach den „three strikes laws“ zu umgehen.384 Im Rahmen seiner Ermessensausübung darf das Gericht Faktoren wie „die genauen Umstände der Straftat, die Einstellung des Angeklagten zur Straftat … (und) die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung“ berücksichtigen.385 Zudem kann das Gericht einen früheren „strike“ – also eine frühere Verurteilung wegen eines schweren Verbrechens oder Gewalt-Verbrechens „aus Erwägungen der Gerechtigkeit“ („in the furtherance of justice“)386 aus der Anklage streichen.387 Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung muss im Wege einer Gesamtschau über die Art und die Umstände des aktuellen sowie der in der Vergangenheit begangenen Verbrechen, das Vorleben und den Charakter des Angeklagten und die Aussichten auf seine Resozialisierung geprüft werden, ob der Angeklagte außerhalb des Anwendungsbereich der „three strikes laws“ fällt.388 Die Gerichte können somit auf zweierlei Wegen die Verurteilung eines Angeklagten nach den „three strikes laws“ vermeiden: Erstens im Wege der Herabstufung von „wobbler“-Straftatbeständen auf Vergehen, zweitens im Wege des Fallenlassens der Anklage wegen früherer „strikes“Verurteilungen.389 3. Statistische Angaben zu den kalifornischen „three strikes laws“ Die Einführung der „three strikes laws“ in Kalifornien hat weitreichende Folgen: Die Zahl der Insassen von Justizvollzugsanstalten verdreifachte sich im Jahrzehnt nach der Einführung der „three strikes laws“.390 In Kalifornien sind bis Oktober 2005 mehr als 87.500 Strafurteile unter Anwendung der „three strikes laws“ verhängt worden391, während es in allen anderen Bundesstaaten mit speziellen Gesetzen für 384

California Penal Code Ann. §§ 17 (b) (5), 17 (b) (1) (West 1999); siehe Ewing v. California, 538 US 11, 17. 385 People v. Superior Court (Alvarez), 14 Cal. 4th 968, 978, 928 P. 2d 1171, 1177 – 1178 (1997). Auf diese Entscheidung beruft sich das Gericht auch in Ewing v. California (538 US 11, S. 17). 386 § 1385a California Penal Code. 387 People v. Superior Court (Romero), 917 P.2d 628, 647 – 648 (1996). 388 People v. Williams, 948 P.2d 429, 437 (Cal. 1998); zitiert in Ewing v. California (538 US 11, S. 17). 389 Ewing v. California, 538 US 11, S. 17. 390 Welke, ZRP 2002, S. 207. 391 Von diesen Urteilen bekamen 7500 Straftäter die Strafe „25 Jahre bis lebenslänglich“, siehe Chen, S. 345.

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Wiederholungstäter weniger als 1.000 Verurteilungen gab.392 Bis heute sind weit mehr als 100.000 Straftäter nach den kalifornischen „three strikes laws“ verurteilt worden.393 Ungefähr 33 % der „second strikers“ und 44 % der „third strikers“ sind AfroAmerikaner, obwohl sie nur etwa 3 % der kalifornischen Bevölkerung ausmachen.394 4. Argumente der Befürworter der „three strikes“-Gesetzgebung Kriminalpolitisch wurde die Notwendigkeit der Einführung der „three strikes“Gesetzgebung mit den hohen Rückfallquoten von aus der Strafhaft entlassenen Personen begründet.395 Dieses hohe Maß an Rückfallkriminalität gehe darauf zurück, dass die meisten Straftäter unangemessen kurze Freiheitsstrafen verbüßen müssten. Durch die Einführung der „three strikes laws“ könne verhindert werden, dass eine kleine Gruppe besonders gefährlicher Straftäter, die für den Hauptanteil aller begangenen Delikte verantwortlich seien, erneut rückfällig werden.396

392 Chen, S. 345; Statistiken bis zum Jahre 1998 siehe Lewis, S. 522. Professor Chen hat im Jahre 2006 ermittelt, dass außer Kalifornien kein anderer Bundesstaat seit der Einführung der „three strikes“-Gesetzgebung mehr als 400 „second“ oder „three strikes“-Verurteilungen vorweisen kann. Siehe zum ganzen auch Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 400. Ausführlicher zu statistischen Angaben siehe Jones, Student pulse 2012, S. 1 – 3. 393 Chen, S. 351. Im Dezember 2004 verbüßten fast 43.000 Straftäter eine Strafe nach der „three strikes“-Gesetzgebung in Kalifornien und machten damit 26 % der gesamten Gefangenenpopulation aus. 394 California Department of Corrections and Rehabilitation, 2008; zitiert nach Chen, S. 365. Eine weitere Studie aus dem Jahre 1996 besagt, dass gegen Afro-Amerikaner insgesamt 13,3 mal so häufig wie gegen weiße Straftäter eine „three strikes“-Strafe verhängt worden ist (Davis/ Estes/Schiraldi, S. 4; Vitiello, Journal of Criminal Law and Criminology, S. 456. 395 Neben einigen in der Öffentlichkeit viel diskutierten Verbrechen, die von Sexualstraftätern begangen worden sind (z. B. Polly Klaas, siehe 2. Teil, C., I., 1.), berufen sich die Befürworter auf eine Studie des US Justizministeriums aus dem Jahre 1992. Diese besagt, dass von 79.000 Straftätern, die in 17 US-Jurisdiktionen wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, 43 % innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung aus der Haft wieder wegen eines erneuten Verbrechensverdachts (in 23 % dieser Verhaftungen wegen des Verdachts einer Gewaltstraftat) verhaftet wurden (Beck/Shipley, Recidivism of prisoners released in 1983, S. 1, 10; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 76 f.). 396 So führten Fürsprecher der „three strikes laws“ etwa Statistiken an, wonach nur 6 % aller Straftäter in den USA für 70 % der in den USA verübten Straftaten verantwortlich seien. Die Herkunft dieser Zahlen ist jedoch unbelegt (Raspberry, Crime and the 6 Percent Solution, The Washington Post v. 14. 03. 1994, S. A 19). Nach dieser sog. „6 Prozent-Lösung“ könne mithilfe der „three strikes laws“ die Unschädlichmachung dieser Tätergruppe gewährleistet werden und so die gesamte Kriminalitätsrate gesenkt werden. Auch andere Straftäter würden so von der Begehung weiterer Straftaten abgeschreckt werden, wodurch ebenfalls ein Rückgang der Kriminalitätsrate bewirkt werden könne (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 83 f.).

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Die in den Augen der „get tough on crime“-Bewegung397 zu liberale Strafvollzugspolitik wurde unter dem Schlagwort „revolving door justice“ bekannt. Sie gibt das Bild eines US-amerikanischen Strafjustizwesens wieder, indem die Gefängnisse mit Drehtüren versehen sind, in die gewalttätige Rückfalltäter zunächst hinein- und dann sofort wieder hinausgelangen.398 Im Zentrum der Kritik stand die vermeintliche Diskrepanz zwischen den hohen gesetzlichen Strafrahmen und den verhängten Freiheitsstrafen bzw. der tatsächlich vollzogenen Haftzeit.399 Mittels Einführung der „three strikes“-Gesetzgebung könne das der nachlässigen Richterschaft zukommende Ermessen bei der Strafzumessung, das bislang täterfreundlich und zu milde ausgeübt worden sei, nachhaltig eingeschränkt werden.400 Straftheoretisch wurde die „three strikes“-Gesetzgebung mit der Sicherungswirkung und der garantierten Unschädlichmachung von gefährlichen Rückfalltätern begründet. Zugleich wurde die generalpräventive Wirkung der Gesetzgebung betont. Potenzielle Rückfalltäter aber auch Ersttäter würden sich angesichts der simplen und unmissverständlichen Rechtsfolgen einer Verurteilung genau überlegen, ob sie das Risiko einer Verurteilung eingehen wollen oder nicht.401 5. Zweifel an der Effektivität der „three strikes laws“ Zahlreiche Studien haben sich nach den Entscheidungen des US Supreme Court mit den Auswirkungen der „three strikes laws“ auf die Anzahl der begangenen Gewaltstraftaten beschäftigt.

397 Die „get tough on crime“-Ära steht für die Ende des 20. Jahrhunderts in den gesamten USA bemerkbare Wandlung im Verständnis des richtigen Umgangs mit gefährlichen (Rückfall-)Tätern, in der sich der Fokus der Kriminalpolitik auf Abschreckung und Sicherung richtete (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 262 ff.). 398 Diese Methapher ist auf den gleichnamigen TV-Spot des damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten George Bush senior zurückzuführen, der damit den damaligen Gouverneur des Bundesstaats Massachusetts und demokratischen Kontrahenten Michael Dukakis wegen seiner angeblich zu liberalen Strafvollzugs- und Bewährungspolitik diskreditieren wollte. Der TV-Spot zeigte eine Menschenkette aus Straftätern, die einer nach dem anderem durch eine Drehtür hinter eine Gefängnismauer tritt und kurz darauf wieder herauskommt. Der TV-Spot sollte bei dem Zuschauer die Befürchtung erwecken, dass die vermeintlich zu lasche Strafvollzugspolitik des Gouverneurs im Falle seines Wahlsiegs in den gesamten Vereinigten Staaten umgesetzt werden könnte (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 78 f.). 399 Auch hier berief man sich auf Studien des US-Justizministeriums. Eine solche Untersuchung aus dem Jahre 1992 kam etwa zu dem Ergebnis, dass die durchschnittlich ausgeurteilte Freiheitsstrafe bei gewalttätigen Verbrechen 10,4 Jahre betrug, die tatsächliche Straferwartung jedoch nur bei 46 % des gerichtlich verhängten Strafmaßes lag (Köstler-Loewe, Strafrecht USStyle, S. 227). 400 Zeigler/Del Carmen, Constitutional issues arising from three strikes and you’re out legislation, S. 19; Kaminer, S. 7; zitiert nach Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 229. 401 Köstler-Loewe, Strafrecht US-Style, S. 230 f.

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Während von Seiten der Befürworter der Gesetze auf den dramatischen Rückgang der Kriminalität in Kalifornien hingewiesen wird402, bestreitet die herrschende Meinung in der Literatur die Effektivität der Gesetze. In den Jahren 1994 bis 1997 konnte tatsächlich ein Rückgang der Kriminalität in Kalifornien um 20,2 % sowie ein Rückgang von Gewaltstraftaten um 13,8 % verzeichnet werden.403 Gegner der Gesetze kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass der Rückgang der Kriminalitätsrate nicht auf die Einführung der „three strikes“-Gesetzgebung zurückzuführen sei und diese vielmehr als „gescheitert“ zu betrachten sei. Diese These wird dadurch untermauert, dass der Rückgang der Kriminalität weder in Bundesstaaten mit „three strikes“-Gesetzgebung, in kalifornischen Gebietskörperschaften („counties“) mit angeblich besonders strikter Anwendung der Gesetze noch bei der vermutlich am stärksten betroffenen Bevölkerungsschicht der über 30-jährigen Bevölkerung besonders ausgeprägt ist.404 Eine von Elsa Chen im Jahre 2008 durchgeführte umfassende Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der extreme Rückgang der Kriminalitätsrate in Kalifornien nicht aus der Einführung der „three strikes“-Gesetzgebung resultiert405, sondern vielmehr ein nationales Phänomen ist, das auch auf andere Maßnahmen der Kriminalprävention zurückzuführen sei.406 Das Argument des fehlenden Einflusses der „three strikes“-Gesetzgebung auf den Kriminalitätsrückgang wird auch damit untermauert, dass dieser These bereits die von den Gesetzen typischerweise erfasste Zielgruppe entgegenstehe.407 Da übli402

So etwa Ardaiz, 32 McGeorge L. Rev ., S. 32. Der kalifornische Generalstaatsanwalt Dan Lungren erklärte diesen Rückgang der Kriminalitätsrate in Kalifornien mit der Einführung der „three strikes laws“; zitiert nach Chen, S. 346. 404 Males/Macallai/Taqi-Eddin, Striking out: The failure of California’s „Three Strikes and You’re Out“ law, zitiert nach Chen, S. 346; siehe auch Kury, Führen härtere Strafen zu weniger Kriminalität? Über den zweifelhaften Wert eines kriminalpolitischen Konzepts, S. 236. Eine Studie der Kriminologen Marvell und Moody aus dem Jahre 2001 bestreitet ebenfalls einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Kriminalität und der Einführung der „three strikes laws“. Die Studie kommt sogar zu dem Ergebnis, dass in den Staaten mit „three strikes“Gesetzgebung ein Anstieg der begangenen Tötungsdelikte um 17 % zu verzeichnen ist. Straftäter hätten angesichts der extrem hohen Strafandrohungen der „three strikes laws“ ein gesteigertes Interesse an der Beseitigung etwaiger Tatzeugen (Marvell/Moody, 30 Journal of Legal Studies, S. 89 – 106; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1643). 405 Dies zeige sich allein dadurch, dass sich Kalifornien nicht auf eine effektivere Kriminalitätsbekämpfung als andere Bundesstaaten berufen kann, die eine mildere „three strikes“Gesetzgebung als in Kalifornien oder sogar gar keine „three strikes“-Gesetzgebung eingeführt haben (Chen, S. 362). 406 Als Beispiel nennt Chen etwa die Anwendung der „zero tolerance policy“, der „quality of life policy“ oder die Einführung von Gesetzen in vielen US-Bundesstaaten, nach denen Waffen versteckt mitgeführt werden dürfen (Chen, S. 363). 407 Köstler-Loewe, Dissertation, S. 237. 403

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

cherweise einige Jahre vergehen, bis ein Täter in den Anwendungsbereich der „three strikes“-Gesetzgebung fällt, sind solche Täter typischerweise fortgeschrittenen Alters und damit in einer Lebensphase, wo der Drang zur Begehung krimineller Taten ohnehin erheblich zurückgeht.408 Den Kriminalstatistiken zufolge werden die meisten schweren Delikte nämlich von Männern im Alter zwischen 15 und 24 Jahren begangen.409 Es bestehe somit die Gefahr, dass ein Täter weit über den Zeitpunkt hinaus weggesperrt werden würde, in dem er noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnte.410 Noch dazu ist die Umsetzung der „three strikes laws“ mit einem enormen finanziellen Aufwand verbunden. So werden die jährlichen Unterbringungskosten für einen Strafgefangenen in den US-Gefängnissen auf ca. 25.000 US-Dollar geschätzt und die Kosten für den Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe nach einer Verurteilung aufgrund der „three strikes“-Gesetzgebung auf insgesamt etwa eine Million US-Dollar.411 Der Vollzug der „three strikes laws“ in Kalifornien kostet Schätzungen zufolge etwa 500 Millionen US-Dollar jährlich, wobei infolge der steigenden Lebenserwartung der Gefängnisinsassen diese Kosten langfristig extrem ansteigen werden.412 Diese Kosten wären angesichts der mangelnden Effizienz der Gesetze besser in alternative Methoden der Kriminalitätsbekämpfung investiert, z. B. in Präventionsprogramme.413

II. Frühe Rechtsprechung des US Supreme Court zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Beurteilung von Freiheitsstrafen Die Entscheidung Ewing v. California zur Verfassungsmäßigkeit der „three strikes laws“ behandelt im Kern die Frage, ob dem Verbot grausamer und ungewöhnlicher Strafen des achten Zusatzartikels auch ein Verhältnismäßigkeitsgebot („proportionality doctrine“) für Freiheitsstrafen entnommen werden kann. 408

Simon, Criminology and the Recidivist, S. 44; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 237. Etwa zwei Drittel aller Personen, die in den USAwegen der Begehung von gewalttätigen Straftaten verhaftet werden, sind unter dreißig Jahre alt (Brown, 26 University of West Los Angeles Law Review, S. 277, zitiert nach Köstler-Loewe, Dissertation, S. 237). 410 Stolzenberg/D’Alessio, Crime and Delinquency 43 (1997), S. 466; Grasberger, ZStW 1998, S. 803. 411 National Association of Criminal Defense Lawyers, S. 2, zitiert nach Köstler-Loewe, Dissertation, S. 245 f. 412 Schätzungen des „California legislative analyst’s office“, einer unabhängigen Regierungsstelle, im Jahre 2005; zitiert nach Chen, S. 345. Zu den Kosten auch näher Welke, S. 211; Lewis, S. 543 f. 413 Welsh/Farrington, The Prison Journal, 91 (2011), S. 122. 409

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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Der US Supreme Court hat sich schon in früheren Urteilen mit der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Freiheitsstrafen mit dem achten Zusatzartikel auseinandergesetzt. Auch wenn Klagen vor dem US Supreme Court wegen Unverhältnismäßigkeit von langen Freiheitsstrafen selten von Erfolg gekrönt sind, stützt der US Supreme Court seine Argumentation in Ewing v. California im Wesentlichen auf vier Entscheidungen aus den Jahren 1980 bis 1991, die sich mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen den achten Zusatzartikel beschäftigen.414 Da sie dem US Supreme Court als maßgebliche Orientierung bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Ewings „three strikes“-Freiheitsstrafe dienen415, ist vor der eigentlichen Befassung mit Ewing v. California eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen unerlässlich. 1. Die erstmalige Herausbildung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Der 1791 in die US-amerikanische Verfassung eingefügte achte Zusatzartikel postuliert, dass „weder übermäßige Kautionen verlangt noch übermäßige Bußgelder verhängt noch grausame und ungewöhnliche Bestrafungen angewendet werden“ sollen.416 Das Verbot der Verhängung einer grausamen und ungewöhnlichen Strafe, das im Gedankengut der europäischen Aufklärung verwurzelt ist, sollte den Bürger vor einer exzessiven Ausübung staatlicher Gewalt schützen.417 Ursprünglich wurde der achte Zusatzartikel sehr eng ausgelegt und sollte allein die Auferlegung menschenunwürdiger und quälender Strafen, wie der Zuchtstrafe oder der ehrenrührigen Strafe (Auspeitschen und Anprangern), verbieten.418 Eine extensivere Auslegung des achten Zusatzartikels hat der US Supreme Court erstmals in der Entscheidung Weems v. United States aus dem Jahre 1910 vertreten.419 Darin leitet das Gericht das Gebot der Verhältnismäßigkeit aus dem Verbot der grausamen und ungewöhnlichen Strafe ab. Der US Supreme Court betont, dass es ein 414

Lewis, S. 524. Den Einfluss dieser früheren Entscheidungen auf die Urteilsfindung in Ewing v. California hat das Gericht auch ausdrücklich bestätigt, siehe Ewing v. California, 538 US 11, S. 23 f. 416 „Excessive bail shall not be required, nor excessive fines imposed, nor cruel and unusual punishments inflicted.“ Die Formulierung ist der englischen „bill of rights“ von 1689 entlehnt (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 700). 417 Köstler-Loewe, Dissertation, S. 700 f. 418 Köstler-Loewe, Dissertation, S. 701; Zeigler/Del Carmen, S. 5; Schmid, S. 160. 419 Weems v. United States, 217 US 349 (1910). In dieser Entscheidung hob der US Supreme Court ein Strafurteil wegen Unverhältnismäßigkeit auf, in der eine Person wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren inklusive dem Tragen von Ketten und Zwangsarbeit verurteilt wurde (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 701; Gershowitz, 86 Virginia Law Review [2000], S. 1256). 415

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

„Gebot der Gerechtigkeit“ sei, dass die „Bestrafung für ein Verbrechen je nach dem Schweregrad des Delikts abgestuft und verhältnismäßig sein sollte.“420 Neben der Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes postulierte der US Supreme Court in Weems v. United States auch wichtige Grundsätze zur Kompetenzabgrenzung von Exekutive und Judikative im Bereich Strafrecht, die noch heute relevant sind: Inwieweit kommt dem Gesetzgeber bei der Festlegung strafrechtlich relevanten Verhaltens und der Sanktionierung desselbigen ein Beurteilungsspielraum zu, der der Kontrolle durch die Rechtsprechung entzogen ist? Der US Supreme Court billigte dem Gesetzgeber zwar einen weiten Beurteilungsspielraum zu, stellte aber zugleich fest, dass dieser nicht absolut sei und der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliege.421 Dennoch steht die Entscheidung für die Anerkennung der dem Gesetzgeber zukommenden Einschätzungsprärogative unter gleichzeitiger Warnung vor einer Anmaßung des Verfassungsgerichts als übergeordnetem Gesetzgeber. Der US Supreme Court betont nämlich, dass die Prüfung von Strafgesetzen allein auf ihre mögliche Verletzung von Verfassungsrecht beschränkt werden müsse.422 Fanden diese Grundsätze zunächst nur Anwendung hinsichtlich der Überprüfung von Strafverfahren nach Bundesrecht, hat der US Supreme Court in Robinson v. California von 1962423 den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim achten Zusatzartikel auch hinsichtlich der Überprüfung einzelstaatlichen Strafrechts für anwendbar erklärt.424 2. Die Rechtsprechung des US Supreme Court zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwischen 1980 und 1991 Während der US Supreme Court noch in einigen Entscheidungen der 1970er Jahre den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Prüfung verschiedener strafrechtlicher Sanktionen herangezogen hat, sollte er in den vom US Supreme Court in Ewing v. California ausführlich besprochenen vier Entscheidungen eine ambivalente Position zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Prüfung der Vereinbarkeit strafrechtlicher Sanktionen mit dem achten Zusatzartikel einnehmen:425 420

Weems v. United States, 217 US 349, S. 367. Köstler-Loewe, Dissertation, S. 701 f. 422 Vgl. Weems v. United States, 217 US 349, S. 379. 423 Robinson v. California, 370 US 660 (1962). 424 Köstler-Loewe, Dissertation, S. 702. Darin verwarf der US Supreme Court ein Strafurteil des Bundesstaates Kalifornien, wonach eine Person ausschließlich wegen ihrer Drogensucht und nicht etwa wegen im Zusammenhang mit der Sucht stehenden Delikten zu einer 90-tägigen Haftstrafe verurteilt wurde, als unverhältnismäßig. Zugleich beschränkte er dabei das Recht der Einzelstaaten, den bestimmten Status einer Person, wie etwa der Armut oder Wohnungslosigkeit, zu pönalisieren (Zeigler/Del Carmen, S. 6; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 702). 425 So auch Köstler-Loewe, Dissertation, S. 703. 421

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a) Rummel v. Estelle 1980 musste sich der US Supreme Court in Rummel v. Estelle426 das erste Mal mit der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen befassen, die schärfere Strafen für Wiederholungstäter vorsehen (sog. „habitual offender laws“427). Der verurteilte Straftäter William Rummel war in den Jahren 1964 und 1969 wegen zwei Betrugsdelikten mit Schäden unter 100 US-Dollar verurteilt worden; zuletzt 1973 wegen der „Erschleichung von 120,75 US-Dollar unter Vorspiegelung falscher Tatsachen.“428 Da alle drei Delikte nach texanischem Strafrecht als Verbrechen eingestuft wurden, löste das von Rummel zuletzt begangene Delikt die Anwendung des damals geltenden Wiederholungstäter-Gesetzes aus Texas aus. Rummel wurde aufgrund dieses Gesetzes zu einer obligatorischen lebenslangen Freiheitsstrafe mit der Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung („parole“) verurteilt. Der US Supreme Court bestätigte dieses Urteil und kam zu dem Ergebnis, dass die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit der Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung für einen zum dritten Mal strafauffälligen Täter keinen Verstoß gegen das Verbot von grausamen und unüblichen Strafen nach dem achten Zusatzartikel begründe.429 Dieses Ergebnis stützte der US Supreme Court zunächst auf die Tatsache, dass sich das Gericht bisher fast ausschließlich mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zusammenhang mit der Todesstrafe auseinandersetzen musste. Eine Übertragung der hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit von Todesurteilen entwickelten Grundsätze sei aufgrund des „einzigartigen Charakters der Todesstrafe“ nicht hilfreich.430 Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsstrafe beruhe größtenteils auf der subjektiven Einschätzung der Richterschaft und gefährde damit auch die Rechtssicherheit.

426

Rummel v. Estelle, 445 US 263 (1980). In den USA sind zwischen 1920 und 1930 in mindestens 23 US-Bundesstaaten spezielle Strafschärfungsvorschriften für Rückfalltäter in Kraft getreten; bis 1949 waren es insgesamt 48 Bundesstaaten. Im Zuge der „get tough on crime“-Ära sollten bestehende Gesetze überarbeitet bzw. neue Gesetze erlassen werden, so dass bis zum Jahre 1982 47 US-Bundesstaaten, das USBundesrecht und der District of Columbia über obligatorische Strafschärfungsregelungen für Rückfalltäter verfügten. Diese Gesetze wiesen jedoch einen weitaus engeren Anwendungsbereich als die „three strikes“-Gesetzgebung auf, da die Tatbestände auf Schwerst- und Gewaltkriminalität beschränkt waren. Zudem belegen Untersuchungen, dass die in den Gesetzen zwingend vorgesehenen Strafschärfungen in der Praxis nur selten verhängt wurden (zur Geschichte der „habitual offender laws“ siehe Köstler-Loewe, Dissertation, S. 31 ff.; Shichor, The meaning and nature of punishment, S. 167 f.). 428 Rummel v. Estelle, 445 US 263 (1980), S. 265 – 266. 429 Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 284 – 285. 430 Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 273. 427

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Das Gericht stellte fest, dass „die Entscheidung über die Dauer der (Rummel) auferlegten Freiheitsstrafe (…) allein Angelegenheit des Gesetzgebers“ sei.431 Gerade weil die Grenzziehung zwischen verhältnismäßigen und unverhältnismäßigen Strafen subjektiver Natur sei und kriminalpolitischer Einschätzung bedürfe, falle sie „in den generellen Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers und nicht der Gerichte.“432 Auch wenn das Gericht gelegentlich zum Ausdruck gebracht habe, dass der achte Zusatzartikel die Verhängung einer Strafe verbietet, die in einem krassen Missverhältnis zur Schwere der Tat steht, seien „erfolgreiche Anfechtungen von Strafurteilen wegen Unverhältnismäßigkeit außer in Fällen der Verhängung von Todesstrafen ausgesprochen selten“.433 Dennoch lässt der US Supreme Court nicht unerwähnt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch bei der Prüfung von Freiheitsstrafen in „Extremfällen“ relevant werden könne. Hierfür sei jedoch das Vorliegen einer „eklatanten Unverhältnismäßigkeit“ („grossly disproportionate“) der Strafe erforderlich; die Bestimmung einer lebenslangen Haftstrafe als zwingender Rechtsfolge in Rummels Fall erfülle diese Voraussetzungen jedoch nicht.434 Der Staat Texas dürfe Rummel „die Beweislast darüber auferlegen, dass er schlechtweg nicht dazu in der Lage ist, sich entsprechend der sozialen Normen zu verhalten, die in den strafrechtlichen Bestimmungen des Staates (Texas) vorgesehen sind.“435 Die vergleichsweisen strengen Gesetze des Staates Texas seien zu respektieren, da „sich irgendein Bundesstaat immer von anderen Staaten durch die härtere Bestrafung von bestimmten Straftätern unterscheiden“ werde, wenn nicht „die bundeseinheitliche Rechtssetzung, die dem föderalistischen Gedanken traditionell widerspricht, zwingend verfassungsrechtlich vorgegeben“ sei.436 b) Hutto v. Davis Zwei Jahre nach Rummel v. Estelle wiederholte der US Supreme Court sein Vorbringen in Hutto v. Davis437: Darin hatte der US Supreme Court die Verurteilung eines Ersttäters im US-Bundesstaat Virginia zu beurteilen, der im Jahre 1976 wegen 431

Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 274. Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 276; siehe ausführlicher zur ganzen Entscheidung Köstler-Loewe, Dissertation, S. 703 f. 433 Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 272. 434 Als Beispiel für einen solchen Extremfall nennt der US Supreme Court die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe für das Überschreiten der erlaubten Höchstparkdauer (Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 274 [Fn. 11]). 435 Rummel v. Estelle, 445 US 263, S. 284. 436 Rummel v. Estelle, 445 US, S. 282. 437 Hutto v. Davis, 454 US 370 (1982). 432

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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des Besitzes von etwa 250 Gramm Marihuana in Handelsabsicht zu einer Freiheitsstrafe von 40 Jahren und einer Geldstrafe von 20.000 US-Dollar verurteilt worden war. Das Appellationsgericht des vierten US-Bundesbezirks in Richmond, Virginia, hob das Strafurteil unter Berufung auf die Rechtsprechung des US Supreme Courts in Rummel v. Estelle auf. Die gegen Edward Roy Hutto verhängte Strafe stelle tatsächlich einen der in Rummel erwähnten „Extremfälle“ dar, die einen Verstoß gegen den achten Zusatzartikel begründen würde. Der US Supreme Court widersprach dieser Auslegung seiner früheren Rechtsprechung und erklärte das erstinstanzliche Urteil für verfassungsgemäß. Abermals betonte der US Supreme Court, dass sich Bundesgerichte bei der Überprüfung der durch die Bundesstaaten bestimmten, als angemessen erachteten Sanktionierung von Straftaten, in Zurückhaltung üben müssen. „Kurzum, Rummel stellt die Prämisse auf, dass Bundesgerichte die Bestimmung der angemessenen Dauer einer Haftstrafe durch den bundesstaatlichen Gesetzgeber nur zurückhaltend überprüfen sollten, und dass erfolgreiche Anfechtungen von einzelnen Strafurteilen ausgesprochen selten vorkommen.“438 c) Solem v. Helm Der US Supreme Court vollzog im Jahre 1983 in der Entscheidung Solem v. Helm439 einen grundlegenden Wandel seiner bisherigen Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Im Rahmen dieser Entscheidung musste sich der US Supreme Court erneut mit einem Gewohnheitsverbrechergesetz („habitual offender law“) befassen, aufgrund dessen der Rückfalltäter Jerry Helm im US-Bundesstaat South Dakota zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung („life imprisonment without the possibility of parole“) verurteilt wurde. Helm war bereits sechsmal wegen gewaltloser Verbrechen verurteilt worden und hatte zuletzt einen nicht gedeckten Scheck über 100 US-Dollar ausgestellt. Der US Supreme Court erklärte das Strafurteil in der äußerst knappen Entscheidung mit 5:4 Richterstimmen wegen Verstoßes gegen den achten Zusatzartikel als verfassungswidrig.440 Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass der achte Zusatzartikel „Strafen (verbietet), die in einem unangemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat

438

S. 22. 439 440

Hutto v. Davis, 454 US 370 (1982), S. 374; zitiert nach Ewing v. California, 538 US 11, Solem v. Helm, 463 US 277 (1983). Solem v. Helm, 463 US 277, S. 281.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

stehen“ und dass „das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit schon seit fast einem Jahrhundert von diesem Gericht ausdrücklich anerkannt“ ist.441 Die Entscheidung Rummel „sollte also nicht derart verstanden werden, dass es eine Verhältnismäßigkeitsprüfung von Freiheitsstrafen ausschließe“.442 Die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch auf Freiheitsstrafen ergebe sich zwingend aus der Tatsache, dass sie hinsichtlich der Todesstrafen bereits richterlich anerkannt sei und der achte Zusatzartikel die Verhängung übermäßiger Geldstrafen explizit verbiete. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf eine härtere und eine mildere Strafform als die Freiheitsstrafe, aber nicht auf die Freiheitsstrafe selbst, sei sinnwidrig.443 Auch wenn also der gesetzgeberische Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Art und Höhe von strafrechtlichen Sanktionen und die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts respektiert werden müssen, sei deshalb keine Strafe per se verfassungsgemäß.444 Der US Supreme Court arbeitete nach der Bejahung der generellen Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Freiheitsstrafen drei Faktoren heraus, die den Gerichten bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Orientierungshilfe dienen sollen:445 (1) Der Vergleich der Schwere der verübten Straftat mit der Härte der hierfür verhängten Sanktion; (2) Der Vergleich der verhängten Sanktion mit den Sanktionen, die in derselben Jurisdiktion für andere Straftaten vorgesehen sind (sog. intrajurisdiktioneller Vergleich); und (3) der Vergleich der verhängten Sanktion mit den für die Begehung derselben Straftat vorgesehenen Sanktionen in anderen Jurisdiktionen. (sog. interjurisdiktioneller Vergleich).446 Solem v. Helm bedeutet in zweierlei Hinsicht eine Abschwächung der in Rummel v. Estelle aufgestellten strengen Kriterien zur Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Zum einen geht das Gericht nunmehr von einer generellen Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich der Freiheitsstrafe aus und beschränkt die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht mehr auf „Extremfälle“ wie in Rummel. Weiterhin fordert der US Supreme Court zur Annahme eines Verstoßes gegen den achten Zusatzartikel nur noch das Vorliegen einer „beachtlichen Unverhältnismäßigkeit“ („significantly disproportionate“),

441

Solem v. Helm, 463 US 277, S. 284, S. 286. Solem v. Helm, 463 US 277, S. 303 (Fußnote 32). 443 Solem v. Helm, 463 US 277, S. 287. 444 Solem v. Helm, 463 US 277, S. 290. 445 Diese drei Faktoren hatte das Gericht bereits in der Entscheidung Weems v. United States im Jahre 1910 entwickelt, wobei das erste Kriterium ein wenig abgeändert wurde (KöstlerLoewe, Dissertation, S. 706). 446 Solem v. Helm, 463 US 277, S. 292. 442

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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während in Rummel noch das Vorliegen einer „eklatanten Unverhältnismäßigkeit“ („grossly disproportionate“) erforderlich war.447 Zuletzt betonte der US Supreme Court, dass die Entscheidung Solem v. Helm auch nicht im Widerspruch zu der nur drei Jahre zuvor ergangenen Entscheidung in Rummel v. Estelle stehe, auch wenn der zugrundeliegende Sachverhalt nahezu identisch sei. Entscheidender Unterschied zwischen beiden Fällen sei die Tatsache, dass in Rummel die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung bestanden hat, während Jerry Helm zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung verurteilt worden war.448 d) Harmelin v. Michigan Acht Jahre nach Solem v. Helm musste sich der US Supreme Court in Harlem v. Michigan449 erneut mit der Verhältnismäßigkeit von Freiheitsstrafen befassen. Darin vollzieht der US Supreme Court eine Rückbesinnung auf den in Rummel v. Estelle propagierten, engeren Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der US Supreme Court wies im Rahmen dieses Urteils die Klage eines Ersttäters ab, der im US-Bundesstaat Michigan wegen des Besitzes von 672 Gramm Kokain zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung verurteilt wurde. Der US Supreme Court konnte in der Allen Harmelin auferlegten Strafe keinen Verstoß gegen den achten Zusatzartikel erkennen. Es bestand jedoch unter den Richtern keine Einigkeit darüber, aus welchen Gründen eine Berufung Harmelins auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genau scheitert:450 Richter Scalia (gefolgt von Richter Rehnquist) begründete die Klageabweisung damit, dass die „Entscheidung Solem schlichtweg falsch war; der achte Zusatzartikel 447 Solem v. Helm, 463 US 277, S. 305. Zustimmend Luna, 20 Thomas Jefferson Law Review, S. 62; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 707. 448 „Unser Ergebnis am heutigen Tag steht nicht im Widerspruch zu Rummel v. Estelle“ (Solem v. Helm, 463 US, S. 303, Fußnote 32); auch zitiert in Ewing v. California, 538 US 11, S. 22. Das Gericht misst diesem Unterschied eine große Bedeutung bei, da Helm aufgrund der fehlenden Möglichkeit einer Aussetzung seiner Haftstrafe zur Bewährung eine weitaus härtere Strafe als Rummel erhalten habe. Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung könne die überwiegende Mehrheit der Inhaftierten mit einer vorzeitigen Entlassung rechnen; die Voraussetzungen für eine solche Entlassung und der genaue Verfahrensablauf seien detailliert gesetzlich geregelt. Im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung könne der Inhaftierte hingegen nur auf die Ausübung des Begnadigungsrechts durch die Exekutive vertrauen („clemency“), dass ohne die Einhaltung gesetzlich festgelegter Standards erfolgen könne und damit für den Inhaftierten nicht vorsehbar sei (Solem v. Helm, 463 US 277, S. 303). 449 Harmelin v. Michigan, 501 US 957 (1991). 450 Siehe ausführlich zu dem Urteil Lewis, S. 528 f.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

beinhaltet keinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.“451 Das Gericht habe in Solem fälschlicherweise die vom US Supreme Court entwickelten Grundsätze zur Verhältnismäßigkeit im Bereich der Todesstrafe übertragen; diese seien aber keineswegs auf jede Prüfung des achten Zusatzartikels anwendbar.452 Richter Kennedy hingegen, gefolgt von Richterin O’Connor und Richter Souter, kam zu dem Ergebnis, dass eine Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch bei anderen Strafen als der Todesstrafe möglich sei.453 Der achte Zusatzartikel beinhalte tatsächlich einen „engen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ („narrow proportionality principle“), der „auch auf Gefängnisstrafen Anwendung findet.“454 Vor dem Hintergrund der „Vorrangstellung des Gesetzgebers bei der Auswahl angemessener Sanktionen, der Vielzahl an verfassungsrechtlich legitimen Strafzwecken, dem föderalen Charakter unseres politischen Systems und dem Erfordernis, dass die Verhältnismäßigkeit anhand objektiver Kriterien beurteilt werden muss“, folge letztlich, dass „der achte Zusatzartikel keine peinlich genaue Verhältnismäßigkeit von Strafe und Tat verlangt.“ Der achte Zusatzartikel verbiete somit „allein jene seltenen Extremfälle, die in einem ,eklatanten Missverhältnis‘ („grossly disproportionate“) zur Schwere der Tat stehen“.455 Angesichts der „enormen Gefahren, die von illegalen Drogen für die Gesellschaft ausgehen“, sei die Strafe daher als nicht eklatant unverhältnismäßig zu beurteilen.456

III. Die Entscheidung des US Supreme Court Ewing v. California In dem Verfahren „Ewing v. California“457 beschäftigte sich der US Supreme Court zum ersten Mal mit der Frage, ob die Verurteilung zu langen oder lebenslänglichen Freiheitsstrafen aufgrund der „three strikes laws“ auch bei relativ einfachen Vergehen möglich ist. Die Mehrheit des Gerichts hat darin keinen Verstoß gegen das im achten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten enthaltene Verbot grausamer und drastischer Bestrafung erkannt und erklärte die kalifornischen „three strikes“-Gesetze für verfassungsgemäß.458 Auf diese Entscheidung soll im Folgenden näher eingegangen werden. 451

Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 965. Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 994. US Supreme Court Justice Rehnquist schloss sich dieser Begründung an. 453 Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 997. 454 Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 996 – 997. 455 Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 1001. Damit seien gerade jene Fälle einer „beachtlichen Unverhältnismäßigkeit“ („significantly disproportionate“) – anders als in Solem judiziert – nicht vom Schutz des achten Zusatzartikels umfasst. 456 Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 960. 457 Ewing v. California, 538 US 11 (2003). 458 Die Verfassungsmäßigkeit wurde in einer 5 zu 4-Entscheidung bestätigt. Die Stellungnahme der Mehrheit wurde von US Supreme Court Justice O’Connor verfasst, der sich 452

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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1. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt Der Kläger Gary Albert Ewing wurde im Jahre 2000 dabei beobachtet, wie er drei Golfschläger im Wert von je 399 US-Dollar aus dem Shop eines Golfclubs im Los Angeles County im US-Bundesstaat Kalifornien entwendete. Ewing befand sich zum Tatzeitpunkt in Freiheit, weil die Vollstreckung einer gegen ihn verhängten neunjährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war.459 Ewing hat ein langes Strafregister vorzuweisen: Bereits im Alter von 22 wurde er wegen Diebstahls zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe, dreijährigen Bewährungszeit und einer Geldstrafe von 300 US-Dollar verurteilt. Vier Jahre später, im Jahre 1988, beging Ewing einen schweren Kraftfahrzeugdiebstahl und wurde zu einer einjährigen Freiheitsstrafe und dreijährigen Bewährungszeit verurteilt. Nachdem Ewing seine Bewährungszeit erfolgreich beendet hatte, wurde diese Strafe jedoch wieder aus dem Strafregister getilgt.460 In den darauf folgenden Jahren ist Ewing mehrfach wegen Bagatelldiebstahl, Körperverletzung, Drogenbesitz, Unterschlagung, Einbruchsdiebstahl, Schusswaffenbesitz und Hausfriedensbruch zu Gefängnisstrafen zwischen 10 Tagen und 6 Monaten verurteilt worden.461 Seine höchste Gefängnisstrafe von 9 Jahren und acht Monaten erhielt Ewing schließlich für drei im Jahre 1993 begangene Wohnungseinbruchsdiebstähle sowie einen Raub. Nur zehn Monate, nachdem Ewing im Jahre 1999 auf Bewährung entlassen worden war, beging er den in Ewing v. California in Rede stehenden Ladendiebstahl von drei Golfschlägern.

US Supreme Court Justice Kennedy und Rehnquist anschlossen. US Supreme Court Justice Scalia und Thomas verfassten jeweils eine zustimmende Stellungnahme. US Supreme Court Justice Stevens und Breyer verfassten jeweils eine abweichende Stellungnahme, der sich US Supreme Court Justice Souter sowie US Supreme Court Justice Ginsburg anschlossen. US Supreme Court Justice Scalia verfasste eine abweichende Stellungnahme, der sich US Supreme Court Justice Thomas anschloss. Am selben Tag wie Ewing v. California erging auch die Entscheidung Lockyer v. Andrade des US Supreme Court. Darin bestätigte der US Supreme Court die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsstrafe von zweimal 25 Jahre bis lebenslänglich gegen den Straftäter Leandro Andrade wegen Diebstahls von Videokassetten in zwei Fällen im Gesamtwert von ungefähr 150 USDollar. US Supreme Court Justice O’Connor führte aus, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Überprüfung von Freiheitstrafen mangels „präziser Konturen“ des Prinzips nur in „äußerst seltenen und extremen Fällen“ Anwendung finden könne. (538 U. S. 63 [2003], S. 73). Im Folgenden wird auf eine ausführliche Darstellung des Urteils verzichtet, da es sich im Schwerpunkt mit dem Habeus-Corpus-Verfahren beschäftigt (Ausführlich zum Habeas-Corpus-Verfahren siehe Meyer, Habeas Corpus und Suspension Clause, ZaöRV 69 (2009), S. 7 ff.). Hinsichtlich der Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verweist das Gericht auf die Urteilsbegründung in Ewing. Ausführlicher zu Lockyer v. Andrade siehe Peck, 32 Pepp. L. Rev. 1 (2005), S. 213 f. 459 Ewing v. California, 538 US 11, 18; vgl. auch Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1185 ff. 460 Ewing v. California, 538 US 11, 18; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1185. 461 Ewing v. California, 538 US 11, 17 f.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Die Staatsanwaltschaft klagte Ewing sodann aufgrund der „three strikes laws“ wegen aktuellen Diebstahls mit Verbrechenscharakter („felony grand theft“) an. Die Staatsanwaltschaft stellte im Rahmen ihrer Anklage förmlich die Behauptung auf, dass Ewings letzte Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahl in drei Fällen und Raub als vier Vorverurteilungen wegen schwerer Verbrechen oder Gewaltverbrechen i.S.d. „three strikes laws“ (also als vier „strikes“) zu qualifizieren seien.462 Das Gericht erster Instanz bestätigte die für eine Verurteilung nach den „three strikes laws“ erforderliche Feststellung und sprach Ewing wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls im Wert von über 400 US-Dollar schuldig.463 Im Rahmen der Anhörung zur Strafzumessung bat Ewing um die Herabstufung des von ihm begangenen schweren Diebstahls, einem „wobbler“-Straftatbestand464, auf ein Vergehen, um so eine Verurteilung nach den „three strikes laws“ umgehen zu können.465Aus demselben Grund bat Ewing das Gericht auch um die Streichung aller oder zumindest einiger der mitangeklagten früheren „strikes“-Verurteilungen.466 Das Gericht entschied jedoch, dass der in Rede stehende schwere Diebstahl weiterhin als Verbrechen behandelt werden sollte. Auch die früheren vier „strikes“Verurteilungen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in drei Fällen sowie Raubes hielt das Gericht aufrecht. Es verurteilte Ewing sodann zu einer Freiheitsstrafe aufgrund der „three strikes laws“ von „25 Jahren bis lebenslänglich“.467 Das kalifornische Berufungsgericht („California Court of Appeal“) bestätigte das Urteil und wies Ewings Klage zurück, dass die gegen ihn verhängte Strafe krass unverhältnismäßig sei und damit ein Verstoß gegen den achten Zusatzartikel vorliege.468 Der Oberste Gerichtshof von Kalifornien lehnte Ewings Antrag auf weitere Überprüfung ab, während der US Supreme Court die Sache zur Entscheidung annahm. Die Inhalte der Entscheidung Ewing v. California sollen im Folgenden dargelegt werden. 2. Die Urteilsbegründung der Mehrheit Richterin O’Connor beginnt die Urteilsbegründung zunächst mit einigen grundsätzlichen Überlegungen: So spricht sie sich im Rahmen ihrer Stellungnahme zunächst für die Legitimität der „three strikes“-Gesetzgebung aus. Dem Gesetzgeber komme von Verfassungs wegen eine Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Auswahl 462

Siehe § 667 (g) (West 1999); § 1170. 12 (e) (West. Supp. 2002). Sog. „felony grand theft of personal property in excess of $ 400“, siehe California Penal Code Annotated, § 484 (West. Supp. 2002); § 489 (West 1999) (Ewing v. California, 538 US 11, S. 19). 464 Siehe hierzu ausführlich unter 2. Teil, C., I., 2. 465 Ewing v. California, 538 US 11, S. 19. 466 Ewing v. California, 538 US 11, S. 19. 467 Ewing v. California, 538 US 11, S. 20. 468 Ewing v. California, 538 US 11, S. 20. 463

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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der legitimen Strafzwecke zu. Durch die Einführung der „three strikes“-Gesetzgebung hätten die jeweiligen Bundesstaaten die Entscheidung getroffen, dass der Schutz der Allgemeinheit die Unschädlichmachung („incapacitation“) von Wiederholungtätern erfordere; eine Entscheidung, die allein dem bundesstaatlichen Gesetzgeber und nicht den Bundesgerichten obliege.469 „Der achte Zusatzartikel verbietet dem Bundesstaat Kalifornien nicht, diese Entscheidung zu treffen. Unsere Rechtsprechung begründet vielmehr das berechtigte Interesse der einzelnen Bundesstaaten, Wiederholungstäter abzuschrecken und zu isolieren.470 (…) Rückfallkriminalität ist schon seit langem als Rechtfertigung für erhöhte Strafe anerkannt (…) und ein wichtiges Ziel der öffentlichen Sicherheit in Kalifornien und im ganzen Land.“471 Jedwede Kritik an den kalifonischen „three strikes“-Gesetzen müsse daher allein an den Gesetzgeber gerichtet werden. Der US Supreme Court dürfe nicht als übergeordnete Gesetzgebungsinstanz agieren und die politischen Weichenstellungen der Bundesstaaten in Frage stellen.472 Im Anschluss an diese allgemeinen Überlegungen setzte sich O’Connor nun mit der Verfassungsmäßigkeit der gegen Ewing verhängten Strafe auseinander. Dabei prüfte sie unter Zugrundelegung der in der früheren Rechtsprechung entwickelten Grundsätze das Vorbringen Ewings, dass die gegen ihn verhängte Strafe unverhältnismäßig hart ausgefallen sei. Zunächst stellte sie dafür einen Vergleich zwischen der Schwere der Tat und der Schwere der hierfür verhängten Sanktion an, um eventuelle Hinweise auf eine „eklatante Unverhältnismäßigkeit“ („grossly disproportionate“) entsprechend der von US Supreme Court Justice Kennedy verfassten Stellungnahme in Harmelin zu finden. Dabei kam das Gericht zu dem Entschluss, dass es sich bei dem von Ewing begangenen Delikt „nicht um einen bloßen Ladendiebstahl von drei Golfschlägern“ handele, sondern die Schwere der Straftat angesichts des Werts des Diebesguts von rund 1200 US-Dollar und den mindestens zwei Vorverurteilungen Ewings wegen schwerer Verbrechen oder Gewaltverbrechen „nicht unterschätzt werden sollte“.473 Der Tatsache, dass es sich beim schweren Diebstahl um ein „wobbler“-Delikt handelt, misst O’Connor keinerlei Bedeutung bei. Einer der mit der Ermessensregelung verfolgten Zwecke sei es schließlich, auf eine mögliche Resozialisierung eines Straftäters durch eine kürzere Haftstrafe hinzuwirken. Das Prozessgericht habe daher angesichts Ewings zahlreicher Vorstrafen berechtigterweise nicht von dem ihm zustehenden Ermessen Gebrauch gemacht, dieses Delikt auf ein Vergehen herabzustufen.474 469

Ewing v. California, 538 US 11, S. 25. Ewing v. California, 538 US 11, S. 25. 471 Ewing v. California, 538 US 11, S. 26. 472 Ewing v. California, 538 US 11, S. 28. 473 Ewing v. California, 538 US 11, S. 28. Ausführlich zu der Urteilsbegründung der Mehrheit Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1190 f. 474 Ewing v. California, 538 US 11, S. 29. 470

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Bei der Beurteilung der Schwere der von Ewing begangenen Straftat müsse nicht nur das die Anwendung der „three strikes laws“ auslösende Delikt, sondern auch früher begangene Straftaten berücksichtigt werden. Mit einer Verurteilung nach den „three strikes laws“ bezwecke der Staat schließlich nicht nur die Ahndung des aktuell begangenen Delikts. Vielmehr sollen diejenigen Straftäter härter zur Rechenschaft gezogen werden, die durch wiederholte Straffälligkeit bewiesen haben, dass sie zur Einhaltung der durch das Strafrecht begründeten gesellschaftlichen Verhaltensnormen offenbar nicht in der Lage sind.475 Nur durch die Einbeziehung früherer Straftaten in die Verhältnismäßigkeitsprüfung der „three strikes“-Strafe Ewings könne das öffentliche Sicherheitsinteresse eines Staates an der Unschädlichmachung und Abschreckung von Wiederholungstätern volle Wirksamkeit entfalten.476 Vor diesem Hintergrund sei auch die gegen Ewing verhängte Strafe durch die legitimen Strafzwecke des Bundesstaates Kalifornien gerechtfertigt. O’Connor räumt zwar ein, dass die „25 years to life“-Strafe zweifellos hart sei. Diese reflektiere aber die vernünftige und vom Gericht zu respektierende Entscheidung des Gesetzgebers, dass Straftäter, die bereits schwere Verbrechen oder Gewaltverbrechen begangen und erneut Verbrechen begehen, unschädlich gemacht werden müssen.477 Angesichts seiner schweren und zahlreichen Vorstrafen gehöre Ewing also gerade nicht zu den seltenen Extremfällen, wegen derer eine eklatante Unverhältnismäßigkeit und damit auch eine Verletzung des achten Zusatzartikels bejaht werden müsse.478 3. Zustimmende Stellungnahme von US Supreme Court Justice Scalia und Thomas US Supreme Court Justice Scalia wiederholt in seiner Stellungnahme sein Vorbringen in Harmelin v. Michigan. Das im achten Zusatzartikel vorgegebene Verbot einer grausamen und ungewöhnlichen Bestrafung solle nur bestimmte Formen der Bestrafung verbieten und enthalte „keine Garantie gegen unverhältnismäßige Strafen“.479

475

Ewing v. California, 538 US 11, S. 29. Ewing v. California, 538 US 11, S. 29 f. 477 Ewing v. California, 538 US 11, S. 30. 478 Ewing v. California, 538 US 11, S. 30. Da die Urteilsbegründung der Mehrheit die eklatante Unverhältnismäßigkeit der Strafe schon im Rahmen des Vergleichs zwischen der Schwere der Tat und der Schwere der Sanktion verneinte, blieb an dieser Stelle die Prüfung der Verhältnismäßigkeit anhand der anderen in Solem v. Helm und Harmelin v. Michigan aufgestellten Kriterien (sog. intra- und interjurisdiktioneller Vergleich) aus (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1192). 479 Ewing v. California, 538 US11, S. 31 (Scalia zitiert dabei seine Stellungnahme in Harmelin v. Michigan, 501 US, S. 984 – 85). 476

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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Selbst wenn er wegen der Präjudizwirkung früherer Entscheidungen (sog. „stare decisis“-Prinzip480) dem achten Zusatzartikel tatsächlich ein Verhältnismäßigkeitsgebot entnehme, sei er jedoch nicht dazu in der Lage, dieses auf intelligente Art anzuwenden.481 Die Mehrheit könne „bei aller Fairness nicht überzeugend begründen (…), dass eine ,25 years to life‘-Strafe eine verhältnismäßige Strafe für den Diebstahl von drei Golfschlägern ist.“ Die von der Mehrheit angeführte Begründung, Ewings Strafe sei durch die staatlichen Sicherheitsinteressen an der Abschreckung und Unschädlichmachung von Wiederholungstätern gerechtfertigt, überzeugt Scalia nicht. Dieses Interesse sei zwar tatsächlich gegeben, es bleibe jedoch ein Mysterium, was es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu tun habe. Daher solle die Mehrheit des Gerichts dem achten Zusatzartikel anstelle des Verhältnismäßigkeitsprinzips das Gebot entnehmen, dass „jedwede Form der Strafe die vielfältigen Strafzwecke verfolgen solle“. Diese Formulierung mache deutlich, dass das Gericht nicht etwa Recht anwende, sondern letztlich „Politik evaluiere“.482 Auch US Supreme Court Justice Thomas ist der Meinung, dass dem achten Zusatzartikel kein Verhältnismäßigkeitsprinzip entnommen werden kann. Anders als Richter Scalia sieht er sich jedoch auch wegen des „stare decisis“-Prinzips nicht zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips verpflichtet.483 4. Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Stevens In seinem abweichenden Votum geht Stevens zunächst auf die zustimmenden Stellungnahmen der US Supreme Court Justice Scalia und Thomas ein: Anders als die beiden Verfassungsrichter ist Stevens der Auffassung, dass der achte Zusatzartikel die gerichtliche Überprüfung der Verhältnismäßigkeit jedweder Form von Strafe verlange.484 Auch ohne festgeschriebene Regeln für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips können die durch den achten Zusatzartikel abgesteckten Grenzen staatlichen Strafens richterlich ausgelegt werden. Schließlich gehöre es zu den Aufgaben eines Richters, den in ihrer Formulierung allgemein gehaltenen Verfassungsprinzipien nach eigenem Ermessen Bedeutungsinhalte zuzuweisen.485 Die bisherige Strafzumessungspraxis der erstinstanzlichen Gerichte beweise, dass der Richterschaft die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprü-

480 481 482 483 484 485

Siehe zum „stare decisis“-Prinzip in Fußnote 324. Ewing v. California, 538 US 11, S. 31. Ewing v. California, 538 US 11, S. 32. Ewing v. California, 538 US 11, S. 32. Ewing v. California, 538 US 11, S. 33. Ewing v. California, 538 US 11, S. 33.

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fung unter Berücksichtigung sämtlicher legitimen Strafzwecke486 keine Probleme bereite. 5. Abweichendes Votum von US Supreme Court Justice Breyer Ähnlich wie Stevens ist Richter Breyer der Auffassung, dass Ewing einer der nach Solem beschriebenen „seltenen Extremfälle“ sei, bei denen die Strafe in einem eklatanten Missverhältnis zur Schwere der begangenen Tat steht.487 Dieses Ergebnis will er unter Anwendung der von der Mehrheit des Gerichts übernommenen Grundsätze aus Solem und Harmelin beweisen.488 Breyer beginnt seine Prüfung wie die Mehrheit unter O’Connor mit einem Vergleich zwischen der Schwere der begangenen Straftat und der Schwere der verhängten Strafe, wobei er eine Gegenüberstellung des Fall Ewing mit den beiden konträr entschiedenen Entscheidungen Rummel v. Estelle und Solem v. Helm vornimmt.489 Die vergleichende Untersuchung zwischen den in Ewing sowie Solem und Rummel verhängten Strafen führt Breyer anhand dreier Kriterien durch: (1) Der Dauer der Haftstrafe in Echtzeit490, (2) der Schwere der aktuellen Straftat, sowie (3) der Vorstrafen des Straftäters.491 Nach einer Untersuchung dieser Faktoren kommt Breyer zu dem Ergebnis, dass sich „Ewings Strafe in der Grauzone zwischen Solem und Rummel bewegt – einer Zone, in der dem Argument der Verfassungswidrigkeit eine substantielle Bedeutung zukommt und in der die Fälle selbst die verfassungsrechtliche Bewertung nicht bestimmen können“.492 Weiterhin bewertet Breyer die gegen Ewing verhängte Strafe als „einer der allerhärtesten verfügbaren Strafen, die gegen einen Wiederholungstäter, der zuletzt eine minderschwere Straftat begangen hat, verhängt werden kann.“493 Zwar betont Breyer, dass er den durch Ladendiebstahl für den Einzelhandel verursachten Schaden von jährlich 30 Milliarden US-Dollar nicht verharmlosen will. Dennoch bewege sich der die Anwendung der „three strikes 486 Stevens legt ein weites Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu Grunde, wonach im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung „jeder Zweck und Rechtfertigung von Strafe, nämlich Abschreckung, Unschädlichmachung, Vergeltung und Resozialisierung“ berücksichtigt werden solle (Ewing v. California, 538 US 11, S. 35). Dieses Verständnis steht im Gegensatz zu den Ausführungen der Mehrheit, die den in Harmelin niederlegten Grundsätzen folgt und von einem „engen Verhältnismäßigkeitsprinzip“ ausgeht (siehe dort: Harmelin v. Michigan, 501 U. 957, S. 996 – 997). 487 Ewing v. California, 538 US 11, S. 35. 488 Ewing v. California, 538 US 11, S. 36 f. 489 Ewing v. California, 538 US 11, S. 36. 490 Mit Echtzeit meint Breyer die Zeit, „die der Straftäter wahrscheinlich effektiv in Haft verbringt“, Ewing v. California, 538 US 11, S. 37. 491 Ewing v. California, 538 US 11, S. 37. 492 Ewing v. California, 538 US 11, S. 40. 493 Ewing v. California, 538 US 11, S. 40.

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laws“ auslösende Ladendiebstahl494 „im unteren Bereich der Skala strafrechtlich relevanten Verhaltens“.495 Als Bewertungskriterien zieht Breyer496 „das Leid, das dem Opfer oder der Gesellschaft angedroht oder zugefügt wird“, den „Unrechtsgehalt der Straftat“ sowie die „durch die Straftat aufgeladene Schuld des Täters“ heran.497 Dieses Ergebnis versucht Breyer weiter zu untermauern: So lägen objektive Beweise dahingehend vor, dass viele erfahrene Richter die gegen Ewing verhängte Strafe als unverhältnismäßig hart einschätzen würden. Auch die United States Sentencing Commission sähen keine Strafschärfungen für Wiederholungstäter bei Diebstahlsdelikten vor. Die United States Sentencing Commission ist verantwortlich für den Erlass der bundesrechtlichen Strafzumessungsrichtlinien („federal sentencing guidelines“), die wiederum auf Studien zu richterlicher Strafzumessungspraxis basieren würden.498 Aufgrund dieser drei Umstände kommt Breyer zu dem Ergebnis, dass Ewings Vorbringen einer Unverhältnismäßigkeit der gegen ihn verhängten Strafe „großes Gewicht“ zukomme.499 Wegen dieser gewichtigen Anzeichen für eine tatsächliche Unverhältnismäßigkeit prüfte Breyer die Verhältnismäßigkeit von Ewings Strafe unter Heranziehung der weiteren, nach Solem und Harmelin maßgeblichen Kriterien: Dafür führt Breyer zunächst einen Vergleich von Ewings Strafe mit Strafen, die gegen Täter anderer, insbesondere schwererer Straftaten in Kalifornien verhängt werden (sog. intrajurisdiktioneller Vergleich). Der Vergleich ergab, dass zwischen dem Ende des zweiten Weltkriegs und 1992 die faktische Straferwartung eines Täters wie Ewing nicht mehr als zehn Jahre betragen habe.500 „25 years to life“-Strafen seien in Kalifornien ansonsten nur wegen Mordes ersten Grades vorgesehen.501 Auch im Rahmen des interjurisdiktionellen Vergleichs, nämlich des Vergleichs von Ewings Strafe mit den in anderen US-Rechtsordnungen vorgesehenen Strafen für vergleichbare Täter, kommt Breyer zu dem Ergebnis, dass gegen Ewing eine unverhältnismäßige Strafe verhängt worden ist:502 Die Vereinigten Staaten würden aufgrund ihrer Bindung an die „Federal Sentencing Guidelines“ für einen Wieder494 Breyer ist der Auffassung, dass die Vorstrafen Ewings nicht im Rahmen der Prüfung der Schwere des Delikts einbezogen werden sollten, da die Untersuchung sich „auf das Delikt, das die lebenslängliche Haftstrafe auslöst, konzentrieren“ sollte. Die Tatsache, dass es sich um einen Wiederholungtäter handele, spiele zwar „eine relevante, aber nicht entscheidende Rolle“ (Ewing v. California, 538 US 11, S. 41). 495 Ewing v. California, 538 US 11, S. 40. 496 Diese Kriterien sind auch in Solem v. Helm herangezogen worden. 497 Ewing v. California, 538 US 11, S. 40. 498 Ewing v. California, 538 US 11, S. 41. 499 Ewing v. California, 538 US 11, S. 42. 500 Ewing v. California, 538 US 11, S. 44. 501 Ewing v. California, 538 US 11, S. 45. 502 Ewing v. California, 538 US 11, S. 45 – 47.

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holungstäter wie Ewing keine höhere Freiheitsstrafe als 18 Jahre aussprechen.503 In der gesamten US-amerikanischen Gefangenenpopulation von nahezu 2 Millionen Insassen sei nur ein einziger Fall aus dem US-Bundesstaat Nevada504 zu finden, wo – außerhalb des Kontextes der kalifornischen „three strikes laws“ – gegen einen Straftäter eine vergleichbar harte Strafe verhängt worden ist.505 Durch die rechtsvergleichende Untersuchung sah Breyer damit seine anfängliche Vermutung einer unverhältnismäßigen Strafe im Ergebnis bestätigt.506 Zuletzt prüft Breyer, ob die unverhältnismäßige Strafe Ewings nicht doch durch die vom Gesetzgeber mit der Einführung der „three strikes laws“ verfolgten Zwecke gerechtfertigt ist.507 Breyer räumte zwar ein, dass der Gesetzgeber eine bestimmte Schwelle bestimmen müsse, deren Überschreitung eine Verurteilung nach den „three strikes laws“ auslöse. Die vom Bundesstaat Kalifornien gewählte Unterscheidungslinie zwischen Verbrechen und Vergehen, die zudem durch die „wobbler“-Delikte durchbrochen werde, führe zu einer „Aneinanderreihung von Ungereimtheiten“ der kalifornischen „three strikes laws“.508 So rügte Breyer die Tatsache, dass je nach zeitlicher Reihenfolge der Verurteilungen unterschiedliche Strafen gegen einen Wiederholungstäter verhängt werden können: Ein Täter, der wegen der Begehung zweier schwerer Delikte verurteilt worden ist und sodann ein weniger schweres Delikt begeht, fällt in den Anwendungsbereich der „three strikes laws“. Ein Täter hingegen, der zunächst ein weniger schweres Delikt begeht und darauf folgend zwei schwere Delikte, kann nicht nach den „three strikes laws“ verurteilt werden.509 Eine weitere Ungereimtheit erkennt Breyer in der Tatsache, dass der Diebstahl geringwertiger Sachen nach den „three strikes laws“ nur als Verbrechen behandelt wird, wenn der Täter zuvor zumindest wegen eines Eigentumsdelikts verurteilt worden ist; nicht jedoch, wenn er zuvor zwei Gewaltverbrechen begangen hat.510 Diese Ungereimtheiten könnten auch nicht durch die Zwecke, die mit den kalifornischen „three strikes laws“ verfolgt werden, legitimiert werden.511 503

Ewing v. California, 538 US 11, S. 45. In diesem Fall hatte ein Gericht in Nevada einen Wiederholungstäter, der bereits drei Vorverurteilungen wegen Verbrechen und neun wegen Vergehen aufwies, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Bewährungsmöglichkeit wegen des Diebstahls einer Geldbörse mitsamt 476 US-Dollar Bargeld verurteilt. 505 Ewing v. California, 538 US 11, S. 46 f. 506 Ewing v. California, 538 US 11, S. 47. 507 Ewing v. California, 538 US 11, S. 47 – 52. 508 Ewing v. California, 538 US 11, S. 49; ausführlicher hierzu Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1198 f.; Brennan, 94 Journal of Criminal Law and Criminology, S. 567. 509 Ewing v. California, 538 US 11, S. 50. 510 Ewing v. California, 538 US 11, S. 50. 511 Ewing v. California, 538 US 11, S. 51. 504

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Breyer räumt zwar ein, dass „eine präzise definierte Regelung dem Gesetzgeber und rechtsanwendenden Richter eine bessere Hilfestellung bieten würde“, appelliert jedoch für eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Strafe von Fall zu Fall.512 Breyer hält mithin an dem Ergebnis fest, dass die gegen Ewing verhängte Strafe unverhältnismäßig ist und gegen den achten Zusatzartikel verstößt.

IV. Reaktionen auf Ewing v. California Es wurden in der verfassungsrechtlichen Literatur ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen die „three strikes“-Gesetzgebung und deren Absegnung in Ewing v. California geäußert. Diese sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden. 1. Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Verbot grausamer und ungewöhnlicher Sanktionen Zunächst wurde ein Verstoß gegen den im 14. Zusatzartikel der Verfassung niedergelegten Gleichheitsgrundsatz gesehen. Ein solcher Verstoß wurde damit begründet, dass Rückfalltäter, die im Laufe ihrer kriminellen Laufbahn identische Delikte begangen haben, nach den kalifornischen „three strikes“-Gesetzen dennoch völlig unterschiedliche Sanktionen auferlegt bekommen können, sollten sie die jeweiligen Delikte in einer abweichenden Reihenfolge begangen haben. Auch das nach den „three strikes laws“ mögliche Szenario, dass gegen einen Straftäter die harte „25 years to life“-Strafe verhängt wird, obwohl das von ihm zuletzt begangene Delikt gegenüber den Vortaten weniger schwer wiegt, sei durch keinen sachlichen Grund zu rechtfertigen und verstoße ebenfalls gegen den Gleichheitsgrundsatz.513 Der wohl häufigste Kritikpunkt an der „three strikes“-Gesetzgebung ist auch die in Ewing v. California im Schwerpunkt behandelte vermeintliche Verletzung des im achten Zusatzartikel postulierten Verbots grausamer und ungewöhnlicher Sanktionen. Besondere Kritik erregte die „any-felony“-Regelung, nach der ein wegen mindestens zwei „strikes“ verurteilter Rückfalltäter zwingend mit einer Mindestfreiheitsstrafe von „25 Jahren bis lebenslänglich“ sanktioniert werden muss, auch wenn er sich aktuell nur wegen einer Bagatelltat schuldig gemacht hat. Auch die mögliche

512 513

Ewing v. California, 538 US 11, S. 52 – 53. Köstler-Loewe, Dissertation, S. 695 f.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

Konstellation, dass Täter nach den „three strikes laws“ verurteilt werden, obwohl sie sich nie eines Gewaltdelikts schuldig gemacht haben, sei untragbar.514 2. Ewing v. California schafft unverhältnismäßig hohe Hürde für Verfassungsklagen gegen Strafurteile Häufigster Kritikpunkt an der Entscheidung Ewing v. California ist die angebliche Schaffung von unüberwindbaren Hürden für Verfassungsklagen gegen Strafurteile. Durch Übernahme des Prüfungsmaßstabs des US Supreme Court in Rummel v. Estelle, wonach Verfassungsklagen wegen Unverhältnismäßigkeit von Strafurteilen nur „ausgesprochen selten“ Aussicht auf Erfolg haben, sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu eng ausgelegt worden.515 Indem der US Supreme Court im Rahmen der Prüfung der Proportionalität zwischen der Schwere der Tat und der Härte der Bestrafung die gesamte kriminelle Laufbahn des Straftäters berücksichtige516, sei eine erfolgreiche Geltendmachung der Unverhältnismäßigkeit der Strafe für Wiederholungstäter nahezu unmöglich geworden.517 Zudem behandele das Gericht die gegen Ewing verhängte Strafe durch die Einbeziehung früherer Verurteilungen in die Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr als nachträgliche Bestrafung wegen vergangener Verurteilungen und nicht als härtere Bestrafung wegen des aktuellen Verbrechens.518 Somit umgehe der US Supreme Court letztlich auch das im fünften Zusatzartikel der Verfassung enthaltene Verbot der Doppelbestrafung.519 3. Fehlende Berücksichtigung der in der Gesellschaft vorherrschenden Wertevorstellungen innerhalb der Prüfung des achten Zusatzartikels Im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit von Ewings Strafe mit dem achten Zusatzartikel habe die Mehrheitsmeinung des US Supreme Court zu Unrecht die vorherrschenden Vorstellungen von Anstand und Sitte („evolving standards of decency“) nicht berücksichtigt. 514 So ist etwa die Konstellation denkbar, dass sich ein Rückfalltäter wegen zwei nichtgewalttätiger Wohnungseinbruchsdiebstähle strafbar gemacht und dann wegen eines Bagatelldelikts nach der „three strikes“-Gesetzgebung verurteilt wird (Sze, 28 Loyola of Los Angeles Law Review, S. 1068; Owens, 26 Pacific Law Journal, S. 903, zitiert nach Köstler-Loewe, Dissertation, S. 699 ff.). 515 Lewis, S. 539. 516 Siehe Ewing v. California, 538 US 11, S. 20. 517 Lewis, S. 539. 518 Pater, 27 Harv. J.L. & Pub. Pol’y, S. 415. 519 Pater, S. 416.

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Schon in der Entscheidung Trop v. Dulles von 1958 hat das Gericht betont, dass die Beurteilung, ob eine exzessive Strafe verhängt worden ist, von den jeweils herrschenden Normen und Werten einer Gesellschaft geprägt wird.520 Da sich zur Ermittlung der bestehenden Wertvorstellungen der Vergleich mit entsprechenden Gesetzen in anderen US-Bundesstaaten am besten eigne, hätte die Mehrheitsmeinung nach den Vorgaben in Solem eine rechtsvergleichende Analyse der „three strikes laws“ vornehmen müssen.521 Eine solche Analyse – wie sie Scalia in seiner abweichenden Stellungnahme durchgeführt hat – hätte offengelegt, dass Ewing nur in Kalifornien mit einer derart harten Strafe habe rechnen müssen.522 4. Fehlende Vorgabe von Grundsätzen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung von Strafurteilen In der Literatur wird ebenso beanstandet, dass der US Supreme Court die Ausarbeitung von Grundsätzen für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung von Strafurteilen unterlassen habe. Die überaus kurze Urteilbegründung der Mehrheit523 beinhalte kaum mehr als das Postulat des seltenen Erfolges von Klagen wegen Unverhältnismäßigkeit. Gerichten niederer Instanzen seien daher keinerlei Richtlinien an die Hand gegeben worden, anhand welcher Kriterien sie die Verhältnismäßigkeit einer verhängten Strafe überprüfen sollen. Wie das Gericht schon selbst einräume, ist die Rechtsprechung „in diesem Bereich kein Musterbeispiel an Präzision“.524 Völlig unklar bleibe daher, ob die Gerichte bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung Faktoren wie das Alter des Straftäters, das Ausmaß des Verschuldens des Straftäters oder die Möglichkeit, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, berücksichtigen sollten.525 Anstatt Klarheit über die Grundsätze der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu schaffen, habe Ewing v. California nur für neue Verwirrung gesorgt.526 520

Trop v. Dulles, 356 US 86 (1958), S. 100 – 101. Auch in der Entscheidung Atkins v. Virginia von 2002 (536 US, 311) hat das Gericht die Bedeutung der herrschenden Wertevorstellungen für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Strafe betont (Lewis, S. 540). 521 Lewis, S. 539. 522 Lewis, S. 541. 523 Die Urteilsbegründung umfasst weniger als vier Seiten. 524 Siehe Lockyer v. Andrade, 538 US 63 (2003), S. 72. Richterin O’Connor führte weiter aus: „Tatsächlich haben wir bezüglich der Entscheidung, ob eine bestimmte Freiheitsstrafe den achten Zusatzartikel verletzen kann, keinen eindeutigen und einheitlichen Maßstab für Gerichte entwickelt.“ (Lockyer v. Andrade, 538 US 63, S. 72). 525 Brennan, S. 570. Die größte Uneinigkeit unter Gerichten niederer Ordnung bestehe nach Brennan hinsichtlich der Frage, ob individuelle, strafmildernde Faktoren im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden sollen, so z. B. die Menge des sichergestellten Rauschgifts beim Straftatbestand des Besitzes von Rauschgift mit gewinnbringender Weiterveräußerungsabsicht (Henderson, 258 F.3d at 709-10 [8th Cir. 2001]); siehe zum Ganzen Brennan, S. 569 ff. 526 Brennan, S. 572.

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

5. Überbetonung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Neben der fehlenden Ausarbeitung von Grundsätzen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung wird der Ansatz der Mehrheitsmeinung des US Supreme Courts in Ewing kritisiert, dem parlamentarischen Gesetzgeber bei der Bestimmung des jeweils angemessenen Strafrahmens einen sehr weitgehenden Freiraum einzuräumen.527 Mit der Auffassung, der US Supreme Court könne nicht als „Super-Gesetzgeber“ agieren und politische Entscheidungen des Gesetzgebers im Nachhinein hinterfragen528, komme das Gericht seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe, die Wahrung der Verfassungsgrundsätze zu gewährleisten, nicht nach.529 In Ewing werde die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe ein berechtigtes Interesse am Erlass von Strafgesetzen mit dem Zweck der härteren Bestrafung für Wiederholungstäter, solange ein „vernünftiger Grund“ zu der Annahme bestehe, dass die Strafe das „Ziel der Strafrechtspflege des jeweiligen Bundesstaats wesentlich vorantreibe“.530 Dieser große Respekt vor dem demokratischen Gesetzgeber, den das Gericht dem Gesetzgeber schon zuvor in Harmelin531 erwiesen habe, kollidiere mit der Pflicht des US Supreme Court zur verfassungsrechtlichen Überprüfung von Strafgesetzen.532 Das Argument, der US Supreme Court dürfe nicht in die Sphäre des Gesetzgebers ausgreifen und als übergeordnete Gesetzgebungsinstanz agieren, könne schließlich für jedes noch so grausame und ungewöhnliche Strafurteil im Sinne des achten Zusatzartikels angeführt werden, das das Gericht aufrechterhalten möchte.533 Die Anerkennung eines weitreichenden gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums begründet das Gericht damit, dass der Gesetzgeber vom Großteil der Bevölkerung unterstützt wird.534 Damit verkenne der US Supreme Court jedoch, dass Aufgabe der Verfassung gerade sei, die Einschränkung bestimmter Grundrechte durch Mehrheitsentscheidungen zu verhindern. Gerade die Grundrechte von Straftätern seien besonders gefährdet, da ein großer Teil der Bevölkerung ihnen die Berufung auf Grundrechte verwehren will.535 527

Brennan, S. 577 ff. Siehe Ewing v. California, 538 US 11, S. 28. 529 Andrus, 19 BYU Journal of Public Law, S. 289. 530 Ewing v. California, 538 US 11, S. 28. 531 So heißt es in Harmelin v. Michigan etwa: „Die Bestimmung eines fixen Strafmaßes für bestimmte Delikte setzt ein gewisses strafrechtliches Urteilsvermögen voraus und fällt generell besser in den Aufgabenbereich des Gesetzgebers und nicht der Gerichte.“ (Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 998), zitiert nach Andrus, S. 290. 532 Brennan, S. 578. Als Beweis für die Falschheit dieser These nennt Brennan die hypothetische Einführung einer Pflicht zur Selbstbezichtigung von Angeklagten im Strafprozess, die ebenso nicht durch kriminalpolitische Erwägungen gerechtfertigt werden könnte. 533 Andrus, S. 289. 534 Siehe Harmelin v. Michigan, 501 US 957, S. 998 f., zitiert nach Brennan, S. 578. 535 Brennan, S. 578. 528

C. Rechtsprechung zu den „three strikes laws“

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Um die Verhältnismäßigkeit einer Strafe richtig beurteilen zu können, müsse das Gericht die mögliche Verletzung des achten Zusatzartikels nicht vom Standpunkt der staatlichen Sicherheitsinteressen, sondern des betroffenen Straftäters beurteilen. Da der achte Zusatzartikel gerade geschaffen worden sei, um das Individuum vor staatlichen Eingriffen zu schützen, müssen bei der Prüfung die genauen Umstände der in Rede stehenden Tat im Vordergrund stehen.536

V. Die Entwicklung nach Ewing v. California Auch wenn die mit der Einführung der „three strikes laws“ bezweckte Unschädlichmachung von Rückfalltätern eine breite Zustimmung in der Bevölkerung erfuhr, deuteten dennoch einige seit 2002 in Kalifornien durchgeführte Meinungsumfragen das ambivalente Verhältnis der kalifornischen Bevölkerung zu den „three strikes laws“ an. Trotz mehrheitlicher Begrüßung der Gesetzgebung wünschte sich ein hoher Anteil der Befragten eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf schwerstkriminelle und vordergründig gewalttätige Rückfalltäter.537 Insofern nimmt es auch kein Wunder, dass Ewing v. California in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert worden ist und zur Formierung von Gruppen führen sollte, die auf eine Reform der kalifornischen „three strikes laws“ drängten.538 Das Volksbegehren der Gruppierung „citizens against violence crime“539 sollte sich schließlich für einen Volksentscheid qualifizieren, der den kalifornischen Wählern anlässlich der Hauptwahlen im November 2004 zur Abstimmung vorgelegt wurde. Die „Proposition 66“ bezweckte die Einführung des „Three Strikes and Child Protection Act of 2004“, die neben einer einschränkenden Reform der aktuellen „three strikes laws“ eine Strafschärfung für die Begehung von Sexualdelikten vorsah, die gegenüber Kindern unter 14 Jahren verübt worden sind.540 Auch wenn der Volksentscheid abgelehnt wurde541, sollten die Bemühungen um eine Reform letztlich doch Erfolg 536

Brennan, S. 585. Ausführlich zu den einzelnen Meinungsumfragen Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1777 ff. 538 Siehe näher zu den Fürsprechern eines Reformpakets Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1904 ff. Reformbemühungen gingen dabei von verschiedenen privaten Aktivistengruppen aus, die sich vordergründig aus Freunden und Angehörigen von aufgrund der „three strikes laws“ inhaftierten Personen zusammensetzten (Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1870 ff.). 539 Vorsitzender dieser Gruppierung war Joe Klaas, der Großvater von Polly Klaas, deren Ermordung seinerzeit mitursächlich für die breite Zustimmung zum Gesetzesvorschlag „Proposition 184“ und der damit einhergehenden Einführung der „three strikes laws“ war. 540 Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1909. 541 Die Gesetzesvorlage wurde mit 52,7 % der Stimmen knapp abgelehnt („Nein“). Die Gegner des Gesetzesvorschlags befürchteten, dass eine Zustimmung zur „Proposition 66“ die vorzeitige Entlassung der 26.000 wegen „three strikes“-Strafen in Haft befindenden Rückfalltäter zur Folge haben werde (California Secretary of State, (2004a), S. 47, zitiert nach Köstler-Loewe, Dissertation, S. 1926); Beale, S. 23. 537

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2. Teil: Die Rechtsprechung des US Supreme Court

haben: Das erfolgreiche Volksbegehren „Proposition 36“542 im November 2012 brachte mit der Zustimmung zum „Three Strikes Reform Act of 2012“ eine umfassende Reform der „three strikes laws“ auf den Weg. Fortan kann eine „25 years to life“-Strafe nur bei Vorliegen eines schweren Verbrechens oder Gewaltverbrechens („serious“ oder „violent“ felony) verhängt werden; Verbrechen jedweder Art („any felony“) qualifizieren nicht mehr als dritter „strike“.543 Zugleich können Gefangene, gegen die eine „25 years to life“-Strafe verhängt worden ist, ohne dass sie sich eines „serious“ oder „violent“ Verbrechens schuldig gemacht haben, die Überprüfung der verhängten Strafe verlangen und so auf eine kürzere Haftstrafe hinwirken.544 Ein grundlegender Wandel der Haltung des US Supreme Court zu Strafschärfungsvorschriften, die die Unschädlichmachung gefährlicher Wiederholungstäter bezwecken, ist allerdings nicht zu beobachten. Johnson v. United States545 vom Juni 2015 ist die einzige Entscheidung seit Ewing v. California und Lockyer v. Andrade, in der sich der US Supreme Court mit „three strikes“-Gesetzen befassen musste. Das Gericht erklärte in dieser Entscheidung eine Bestimmung des Armed Career Criminal Act, einem „three strikes“-Gesetz des Bundes, für zu unbestimmt und erkannte darin einen Verstoß gegen die „due process“-Klausel des fünften Zusatzartikels der US-Verfassung. Das Gesetz sah schärfere Haftstrafen wegen illegalen Schusswaffenbesitzes vor, sollte der Angeklagte zuvor schon wegen mindestens drei Gewaltverbrechen („violent felonies“) verurteilt worden sein. Die Legaldefinition der als „violent felonies“ qualifizierenden Delikte546 sei letztlich so unbestimmt, dass es „für nicht rechtskundige Personen keinen Aufschluss darüber gibt, welches Verhalten nun konkret strafbar ist“.547 Auch wenn die tatsächliche Brisanz dieser Entscheidung nicht geleugnet werden soll548, kommt der Entscheidung verfassungsrechtliche Bedeutung wohl nur hin542 „Proposition 36“ wurde am 06. November 2012 mit 69,3 % zu 30,7 % der Stimmen angenommen. 543 Diese Regelung findet jedoch keine Anwendung auf Rückfalltäter, die zuvor wegen Mordes, Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch verurteilt worden sind (Mills/Romano, Federal Sentencing Reporter 2013 [Band 25], S. 267). 544 Bis Dezember 2014 sind etwa 2000 Häftlinge infolge der Überprüfung ihrer Strafe aus der Haft entlassen worden (siehe https://law.stanford.edu/2014/12/15/three-strikes-an-updateafter-propositions-reform-sentencing-for-nonviolent-offenders/). 545 Johnson v. United States, 576 US 2015. Die Entscheidung erging mit 8 zu 1 Stimme; die Mehrheitsbegründung verfasste US Supreme Court Justice Scalia. 546 Der US Supreme Court bezog sich dabei auf die Formulierung im Gesetzestext, wonach „violent felonies“ auch „anderweitiges Verhalten“ umfasst, „das eine ernsthafte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person darstellt“, siehe 18 United States Code § 924 (e)(2)(B)(ii). 547 Johnson v. United States, 576 US 2015, S. 3. 548 Laut Angaben der United States Sentencing Commission sind etwa 7000 inhaftierte Personen von den für verfassungswidrig erklärten Regelungen betroffen, siehe http://senten cing.typepad.com/sentencing_law_and_policy/2015/06/how-many-hundreds-or-thousands-ofacca-prisoners-could-be-impacted-by-a-big-ruling-in-johnson.html.

D. Zusammenfassung

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sichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes zu. Das Gericht verliert in der Entscheidung weder ein Wort zur Vereinbarkeit der „three strikes laws“ als solchen mit der Verfassung noch zur Verhältnismäßigkeit der zwingend vorgesehenen Strafschärfungen.549

D. Zusammenfassung Allen hier dargestellten Entscheidungen ist gemeinsam, dass der US Supreme Court die extensive Ausweitung des Instituts der Sicherungsverwahrung seit Ende des 20. Jahrhunderts absegnet. In Kansas v. Hendricks sowie Kansas v. Crane bestätigte der US Supreme Court die Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen Anordnung einer zwangsweisen Unterbringung aufgrund des Sexually Violent Predator Act des Bundesstaats Kansas. Dies begründete das Gericht vordergründig damit, dass die Sanktion keinen Strafcharakter habe, sondern allein zivilrechtlicher Natur sei. Zugleich bekundet der US Supreme Court seine grundsätzliche Zustimmung zu strafschärfenden Vorschriften zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Rückfalltätern: In Ewing v. California kam der US Supreme Court zu dem Ergebnis, dass die kalifornischen „three strikes laws“ keine grausame und ungewöhnliche Bestrafung im Sinne des achten Zusatzartikels sei, auch wenn dies mitunter die zwingende Auferlegung einer lebenslangen Freiheitsstrafe bei geringfügigen Delikten zur Folge habe. Bis dato gibt es keinerlei Ansätze des US Supreme Court, die Legitimität der bundesstaatlichen Gesetzgebung zur Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter in Frage zu stellen.

549 Das Gericht musste wegen der völlig unterschiedlichen Entscheidungsinhalte auch auf keine seiner früheren Entscheidungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder zur „three strikes“-Gesetzgebung eingehen.

3. Teil

Vergleich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des US Supreme Court Der letzte Teil dieser Arbeit enthält eine rechtsvergleichende Untersuchung der deutschen und US-amerikanischen Verfassungsrechtsprechung, in der verdeutlicht werden soll, ob und inwieweit ähnliche verfassungsrechtliche Problemlagen gegeben sind und ob auf diese jeweils unterschiedlich reagiert wurde bzw. warum sich welche Abweichungen ergeben.

A. Zur Zweckmäßigkeit rechtsvergleichender Betrachtungen des US-amerikanischen Rechts im Bereich der Schnittstellen zwischen Verfassungsrecht und Strafrecht Rechtordnungen sind immer ein Spiegelbild der in einem Land vorherrschenden Kultur sowie der Sozial- und Wirtschaftsordnung. Gerade das Strafrecht ist besonders empfänglich für gesellschaftliche Veränderungen.1 Der Druck auf den Gesetzgeber, das positive Recht den angeblich veränderten sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, ist in der Regel besonders im Bereich des materiellen Strafrechts und Strafverfahrensrechts besonders hoch.2 Insofern vermittelt gerade das Straf- und Strafprozessrecht einen erhellenden Einblick in die in dem jeweiligen Rechtssystem vorherrschende Rechtskultur. Besonders aufschlussreich ist dabei die Untersuchung der Reaktion von Verfassungsgerichten in westlichen Ländern auf gesellschaftliche Veränderungen: Dabei kann bei modellhafter Würdigung ein Verfassungsgericht einerseits als letzte Kontrollinstanz verstanden werden, die gesellschaftlichen Veränderungen entgegentreten soll, die zu einem verfassungswidrigen Zustand führen, und objektiv und wertneutral der Verfassung Ausdruck verschaffen soll – eine Kompetenz, die die Gesellschaft und auch der Gesetzgeber infolge ihrer politischen Zielrichtung nicht erfüllen kann.

1 2

So auch Schmid, S. 4. Schmid, S. 4.

B. US-amerikanische Verfassung und das Grundgesetz im Vergleich

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Andererseits kann ein Verfassungsgericht auch als politisches Organ verstanden werden, das nicht über gesellschaftliche Entwicklungen erhaben ist, sondern ebenfalls durch den Zeitgeist beeinflusst wird und letztlich auch die Aufgabe hat, dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung im Rahmen der vorgegebenen Verfassungsrealität Ausdruck zu verschaffen. Letztlich äußert sich in der jeweiligen Bereitschaft eines Verfassungsgerichts, ein durch einen demokratischen Gesetzgebungsprozess entstandenes Gesetz zu verwerfen, der jeweilige Respekt vor dem Gesetzgeber und das Vertrauen in die Legitimität von Mehrheitsentscheidungen. Gerade der Vergleich zwischen Deutschland und den USA bietet sich an: Da Deutschland und die USA beide dem westlichen Rechtskreis zuzuordnen sind, ist zunächst mit einem hohen Maß an inhaltlicher Übereinstimmung in der Bewertung gesellschaftlicher Phänomene zu rechnen.3 Angesichts der zunehmenden Globalisierung und des Zusammenwachsens gerade der westlichen Welt ist es interessant herauszufinden, ob aufgrund der ähnlichen kulturellen Ausgangsposition auf parallele gesellschaftliche Veränderungen tatsächlich analog reagiert wird oder sich dennoch genuine Unterschiede diagnostizieren lassen. Die Untersuchung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts einer verwandten, wenn auch nicht identischen Rechtsordnung, verspricht grundsätzlich großes Potential für eine neue Sichtweise auf die eigene Verfassung und Verfassungsrechtsprechung. Zudem können Folgerungen über die Qualität des Grundrechtsschutzes für Straftäter in den beiden Rechtssystemen gezogen werden. Womöglich bietet der Vergleich auch interessante Lösungsansätze für eine verfassungskonforme Gestaltung des vorliegend gegenständlichen Rechtsbereichs der Sicherungsverwahrung.

B. Die US-amerikanische Verfassung und das Grundgesetz im Vergleich I. Entstehungsgeschichte der Verfassungen Beiden Verfassungen ist gemeinsam, dass sie aus politischen Krisen entstanden sind.4 Bei der im Jahre 1787 entstandenen US-amerikanischen Verfassung handelt es sich um die älteste Verfassung des liberal-demokratischen Typs.5 Sie ist Ausdruck

3 4 5

Siehe auch Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 228. Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 22. Markwordt Skehan, S. 433.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

des Bestrebens nach Unabhängigkeit vom Mutterland und Dokument der Loslösung von Souveränitätsanmaßungen des Königs.6 Das Grundgesetz, das infolge seiner relativ späten Entstehung im Jahre 1949 von verschiedenen westlichen Verfassungen inspiriert werden konnte und auch von Erkenntnissen westlicher Verfassungsgeschichte profitieren konnte, wollte sich hingegen nicht von einer übergeordneten Macht befreien, sondern von den Gräueln des NS-Regimes. Die US-amerikanische Verfassung ist somit Zeugnis einer Lossagung von einer souveränen Gewalt und ist Frucht eines militärischen und politischen Sieges gegen die Obrigkeit, während dem Grundgesetz eine politische und militärische Niederlage vorausging und dem besiegten Volk zugleich ein moralischer Vorwurf gemacht werden konnte.7 Das Grundgesetz sollte eine Zäsur zur Unrechtsherrschaft des NS-Staates setzen und eine wiederholte Aushöhlung und Beseitigung der verfassungsrechtlichen Grundordnung verhindern. Zweck des im Jahre 1791 eingeführten Grundrechtskatalogs, der „bill of rights“, war es, die Möglichkeit eines Missbrauchs seiner Machtbefugnisse durch den Bund Einhalt zu gebieten. Deshalb sind die in der „bill of rights“ aufgeführten Grundrechte nur als Abwehrrechte gegen den Staat zu verstehen, während das Grundgesetz teilweise auch Schutzpflichten des Staates sowie Teilhabe- und Leistungsansprüche beinhaltet.8

II. Verfassungstext Der Text des Grundgesetzes ist lang, der der US-Verfassung ist kurz. Dies hängt einerseits mit dem Alter der US-amerikanischen Verfassung zusammen. Denn es ist allen jünger entstandenen Verfassungen gemein, dass sie weit ausführlicher und detaillierter ausgestaltet sind als ihre Vorbilder.9 Mit dem Umfang der beiden Verfassungen kommt jedoch auch der jeweilige Rechtskreis zum Ausdruck, dem die beiden Staaten angehören: Die USA vertraut auf die Konkretisierung der Verfassung durch die Rechtsprechung des US Supreme Court. Den Entscheidungen des US Supreme Court kommt damit eine wesentlich höhere Bedeutung als denen des Bundesverfassungsgerichts zu, machen sie doch den Großteil des geltenden Verfassungsrechts aus. Einen „Allgemeinen Teil der Grundrechte“, wie er typischerweise in deutschen Verfassungslehrbüchern vorzufinden ist, ist in den USA eher unüblich; stattdessen wird der Fokus auf die Besprechung wichtiger Urteile des US Supreme Court gelegt.10 Dem römisch-rechtlich geprägten Rechtsraum entsprechend ist die Bedeutung der geschriebenen Verfassung in der deutschen Ver6

Lehnig, Der verfassungsrechtliche Schutz der Würde des Menschen in Deutschland und in den USA, S. 253. 7 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 23. 8 Lehnig, S. 253 f.; Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 51 f. 9 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 24. 10 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 15 f.; Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 92.

B. US-amerikanische Verfassung und das Grundgesetz im Vergleich

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fassungsdogmatik viel höher als in den USA. Zwangsläufig minimiert dies auch den Grad an Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts bei der Entwicklung der Verfassungsdogmatik.

III. Grundrechtliche Gewährleistungen in der US-amerikanischen Verfassung und im Grundgesetz Auch die in den Verfassungen enthaltenen Grundrechte unterscheiden sich in dem durch sie gewährten Schutzniveau: In Deutschland wird durch das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ein umfassender Grundrechtsschutz gewährleistet. Das Grundgesetz definiert Schutzbereiche und teilweise auch Eingriffsvoraussetzungen. Zudem bestimmt es, dass in den Schutzbereich der Grundrechte nur unter bestimmten Rechtfertigungsvoraussetzungen eingegriffen werden kann. Zudem stellt die in Art. 1 GG verkörperte Menschenwürde eine absolute Grenze für jedes staatliche und hoheitliche Handeln dar. Die „bill of rights“ hingegen gewährt nur punktuell Schutz; absolute Grenzen staatlichen Handelns existieren nicht. Die US-amerikanische Verfassung sieht nicht etwa bestimmte Bereiche vor, die verfassungsrechtlich geschützt werden, sondern verbietet den staatlichen Eingriff in bestimmte Bereiche.11 Ein Auffanggrundrecht, das wie die allgemeine Handlungsfreiheit einen umfassenden Grundrechtsschutz sicherstellt, existiert nicht. Es werden also nur fundamentale Freiheitsinteressen durch die US-amerikanische Verfassung geschützt, die sodann einen „strict scrutiny test“ durchlaufen, also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, wonach zur Rechtfertigung eines Eingriffs ein zwingendes Staatsinteresse erforderlich ist.12 Bei nicht-fundamentalen Freiheitsinteressen wendet der US Supreme Court nur den „rational basis test“ an, nach dem zur Rechtfertigung eines Eingriffs bereits ein sinnvolles Interesse genügt.13 Ein lückenloser Grundrechtsschutz ist demnach nach US-amerikanischem Verfassungsrecht nicht gegeben.

IV. Die Rolle und Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem US Supreme Court und dem Bundesverfassungsgericht besteht in der unterschiedlichen Prüfungskompetenz beider Gerichte. 11 12 13

Lehnig, S. 254. Lehnig, S. 255; Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 45. Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 44; Lehnig, S. 255.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Der US Supreme Court ist die oberste Appellationsinstanz innerhalb des regulären Justizsystems des Bundes.14 Nach Art. III Sec. 2 der Bill of Rights kann der US Supreme Court sämtliche Entscheidungen der Gerichte der einzelnen Bundesstaaten am Maßstab der Verfassungsmäßigkeit überprüfen und besitzt damit umfassende Prüfungskompetenzen.15 Dies ist auch seine primäre Funktion; die Funktion einer Verfassungsgerichtsbarkeit im eigentlichen Sinn ist im relevanten Artikel III der Bill of Rights nicht ausdrücklich festgehalten worden. Das Recht auf eine Überprüfung sämtlicher Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung inklusive ihrer etwaigen Kassierung hat das Gericht selbst als implizierte Zuständigkeit aus den knappen Regelungen der Verfassung abgeleitet.16 Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich dagegen ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Fragen. Die verbindliche Auslegung einfachen Gesetzesrechts fällt in die Zuständigkeit der obersten Fachgerichte; das Bundesverfassungsgericht kann nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen.17 Auch die in den jeweiligen Verfassungen getroffenen Bestimmungen über die Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichts unterscheiden sich: Die Richter des US Supreme Court werden durch den US-Präsidenten auf Lebenszeit ernannt.18 Auch wenn der Senat der Ernennung durch den Präsidenten zustimmen muss, kann der Präsident auf das Ergebnis der Entscheidungen Einfluss nehmen, indem er ihm politisch gleichgesinnte Richter ernennt.19

14

Leyendecker, S. 242. Das US-amerikanische Gerichtssystem auf föderaler Ebene ist in drei Stufen aufgebaut: Die United States District Courts (föderale Verfahrensgerichte erster Instanz), die United States Courts of Appeal (föderale Berufungs- bzw. höheren Gerichte) sowie dem United States Supreme Court (das höchste US-Gericht). Insgesamt gibt es 94 US district courts; courts of appeals befinden sich in 12 regionalen Gerichtsbezirken. Daneben gibt es die Gerichte der einzelnen Bundesstaaten („state courts“), die ebenfalls in drei Instanzen gegliedert sind. So gibt es z. B. in Kalifornien die „Superior Courts of California“, die „California Courts of Appeal“ sowie den „California Supreme Court“ (Markwordt Skehan, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 100). 15 Leyendecker, S. 242 f.; Hermann, JZ 1985, S. 603; Weigend, ZStW 90 (1978), S. 1086. Diese Ausübung dieser Kompetenz zur Überprüfung von Gerichtsentscheidungen der Einzelstaaten kann der US Supreme Court jedoch beschränken und sogar gänzlich ablehnen (Leyendecker, S. 243). 16 Dies ist in der berühmten Entscheidung Marbury v. Madison (5 US 137) von 1803 geschehen, siehe Sigwart, ZfP 2010, S. 368; Markwordt Skehan, S. 110. 17 Vgl. BVerfGE 1, 418 (420), siehe auch Lehnig, S. 144, 255; Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 82. 18 Siehe Art. II, Sec. 2, § 2 US Const. 19 Lehnig, S. 256. Eine extreme Beeinflussung der Entscheidungsrichtung durch den Präsidenten ist aber wohl dadurch ausgeschlossen, dass die Richter auf Lebenszeit ernannt werden, solange „good behaviour“ (Art. III, Sec. 1 S. 2 US Const.) vorliegt (Lehnig, S. 256).

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Das Bundesverfassungsgericht wird hingegen durch den Bundestag und Bundesrat je zur Hälfte gewählt.20 Zwar ist auch bei dieser Art des Wahlvorgangs eine parteipolitische Beeinflussung des Wahlvorgangs möglich. Indem die Richter jedoch von einem durch Wahlen legitimierten Spruchkörper ernannt werden, ist eine demokratische und bundesstaatliche Legitimation der Wahl garantiert.21 Allen politischen Richtungen verbleibt die Möglichkeit der Einwirkung auf das Wahlergebnis, so dass eine so einseitige Beeinflussung wie in den USA nicht möglich ist.22 Zudem beschränkt sich die Amtszeit eines Richters am Bundesverfassungsgericht auf 12 Jahre.23 Anders als das Bundesverfassungsgericht nimmt der US Supreme Court infolge seiner umfassenden Prüfungskompetenzen und der Wahl seiner Richterschaft auch in der Verfassungswirklichkeit eine besondere politische Funktion ein.24

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von gefährlichen, strafrechtlich verantwortlichen (Rückfall-)Tätern Der letzte Teil dieser Arbeit beinhaltet schließlich nach dem allgemeinen Vergleich eine rechtsvergleichende Untersuchung der deutschen und US-amerikanischen Verfassungsrechtsprechung zu freiheitsentziehenden Sanktionen gegen gefährliche (Rückfall-)Täter.

I. Ausgangsbetrachtungen: Übereinstimmungen und Differenzen Am Beginn dieser rechtsvergleichenden Untersuchung fallen zunächst bedeutende Gemeinsamkeiten in der Kriminalpolitik und der Reaktion auf die selbige durch die Verfassungsgerichte beider Jurisdiktionen ins Auge. Wie sich aus den vorangegangenen Darstellungen zu den beiden Ländern ergibt, ist die kriminalpolitische Ausgangsposition in den USA und Deutschland weitestgehend identisch.25 In beiden Ländern ist seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Tendenz zu beobachten, der Sicherheit vor vermeintlich gefährlichen Straftätern 20

Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 94, Rn. 1. 22 Lehnig, S. 256. 23 Die persönliche Unabhängigkeit der Richter gem. Art. 97 Abs. 2 GG gebietet keine Anstellung auf Lebenszeit (BVerfGE 14, 56, 70 f). Gem. § 4 Abs. 1 ist eine Wiederwahl nach Ende der Amtszeit unzulässig, § 4 Abs. 2 BVerfGG (Lehnig, S. 256). 24 Vorländer, Forum Americanum, S. 478; Sigwart, We and the people, S. 369. 25 Kögler, S. 276. 21

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

einen hohen kriminalpolitischen Stellenwert einzuräumen. Sowohl in Deutschland als auch den USA ist die Entwicklung eines „Feindstrafrechts“ beobachtbar, in welchem die Sicherheit vor bestimmten „Unpersonen“ im Vordergrund steht.26 Dabei ist die veränderte Sicherheitspolitik beider Länder ausschließlich mit einer Veränderung des gesellschaftlichen Klimas und nicht durch eine verstärkte Bedrohung durch Gewalt- oder Sexualdelinquenz zu erklären.27 Diese Beobachtung trifft nicht nur auf die beiden vorliegend untersuchten Rechtssysteme zu. Vielmehr reihen sich die kriminalpolitischen Reformen in beiden Ländern in eine international feststellbare Tendenz ein, Sicherheit als Leitgedanke kriminalpolitischer Reformen, insbesondere strafrechtlicher Sanktionensysteme, zu wählen.28 Beide Länder erlassen im Zuge dieses „Angstklimas“29 neue Regelungen in der Strafgesetzgebung, nach denen besonders gefährliche Personen weggesperrt werden können, die einen Hang zur Begehung von Gewalt- oder Sexualstraftaten vorweisen. Die Zulässigkeit dieser freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ist nach den jeweiligen Strafgesetzen an die Einhaltung strikter Verfahrensabläufe, insbesondere der Einholung eines Sachverständigengutachtens vor der Entscheidung, geknüpft. In beiden Ländern werden hohe Beweisanforderungen im Hinblick auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen für eine freiheitsbeschränkende Maßnahme gestellt.30 Die Entscheidungen beider Verfassungsgerichte, die sich erstmals mit den neuen Regelungen zur Sicherungsverwahrung bzw. zivilrechtlichen Unterbringung befassen (Kansas v. Hendricks bzw. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Februar 2004), ergehen im kurzen zeitlichen Abstand von sieben Jahren und erklären die jeweiligen neuen Regelungen für verfassungsgemäß. In beiden Entscheidungen erkennen die Verfassungsgerichte keinen Verstoß gegen das in den jeweiligen Verfassungen verankerte Rückwirkungsverbot, da die Sicherungsverwahrung bzw. zivilrechtliche Unterbringung keine Strafe darstelle. Beide Verfassungsgerichte stellen in den Entscheidungen Grundsätze zur Unterscheidung von Strafe und Maßregel bzw. zivilrechtlicher Unterbringung auf. Da in Deutschland keine den „three strikes laws“ entsprechenden strafschärfenden Rückfallvorschriften erlassen worden sind, existiert auch keine Entscheidung 26

Siehe zum Begriff des „Bürgerstrafrechts“ und „Feindstrafrechts“ bei Jakobs, ZStW 97, S. 751 ff, 783 f.; Streng, Bürgerstrafrecht oder Feindstrafrecht? , S. 195 ff. 27 So auch Alex bzgl. des international erkennbaren Trends einer Überbetonung des Sicherheitsgedankens, S. 26. 28 Albrecht, in: Wegsperren?, S. 431. 29 Kunz, Die Sicherung als gefährlich eingestufter Rechtsbrecher, S. 71; so auch Kelly hinsichtlich beider Länder (S. 556, 566). 30 Hammel, S. 105. Dies betrifft in den USA die zwangsweise Unterbringung nach den „sexually violent predator laws“. Sie betrifft natürlich nicht das Wegsperren von gefährlichen Straftätern nach der „three strikes“-Gesetzgebung, da es sich dabei allein um Strafschärfungsregelungen und nicht um freiheitsentziehende Maßnahmen neben oder anstelle der gewöhnlichen Freiheitsstrafe handelt.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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des Bundesverfassungsgerichts, die der Entscheidung des US Supreme Court Ewing v. California gleichgelagert wäre. Dennoch reiht sich auch diese Entscheidung in die übrigen Entscheidungen beider Verfassungsgerichte ein, die sich erstmalig mit den neuen gesetzlichen Regelungen für gefährliche Straftäter befassen. Denn auch dieses Urteil ist Ausdruck der Billigung des „Sicherheitswahns“ des Gesetzgebers durch die Verfassungsgerichte. Aber auch innerhalb der anfänglich weitestgehend parallelen Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung zur Sicherungsverwahrung in beiden Ländern zeigen sich schon wesentliche Unterschiede: Diese resultieren bereits aus der grundsätzlichen Diskrepanz zweier Rechtssysteme, die völlig unterschiedlich strukturiert sind. So lagen den Verfassungsgerichten nicht nur völlig unterschiedlich ausgestaltete Gesetze zur Prüfung vor; die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze wurde aufgrund der unterschiedlichen Verfassungstexte auch anhand verschiedener Verfassungsnormen überprüft: Der US Supreme Court prüft in Kansas v. Hendricks und Kansas v. Crane die Vereinbarkeit der „sexually violent predator laws“ mit der „due process clause“ sowie dem Rückwirkungsverbot und Doppelbestrafungsverbot. Die Verfassungsmäßigkeit der „three strikes laws“ prüft der US Supreme Court anhand des Verbots grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung des achten Zusatzartikels. Das Bundesverfassungsgericht hingegen prüft in seiner Entscheidung vom 05. Februar 2004 die Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit dem Prinzip der Menschenwürde31 sowie dem Rückwirkungsverbot gem. Art. 103 Abs. 2 GG und Vertrauensschutzgebot gem. Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.32 Eine Verletzung dieser Verfassungsnormen wird in beiden Entscheidungen nicht angenommen. In seiner Entscheidung vom 04. Mai 2011 stützt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Sicherungsverwahrung auf eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts und des Vertrauensschutzgebots; ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot wird zwar thematisiert, aber im Ergebnis unter Verweis auf die Entscheidung vom 05. Februar 2004 abgelehnt.33 Dass die Verfassungsgerichte die verfassungsrechtlichen Diskurse teilweise in unterschiedlichen Verfassungsnormen abarbeiten, hat für den nun folgenden Vergleich der Rechtsprechung beider Verfassungsgerichte jedoch kaum Relevanz. Denn auch wenn die Verfassungsgerichte ihre Entscheidungen auf unterschiedliche Ver31

Es handelt sich hierbei um das einzige Urteil beider Verfassungsgerichte zu Unterbringungsgesetzen für gefährliche (Rückfall-)Täter, die die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Prinzip der Menschenwürde überhaupt problematisiert, siehe 3. Teil, C., II., 2. a). 32 Das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 10. Februar 2004 behandelt allein die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Unterbringung gefährlicher Straftäter; die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen im Falle des Erlasses durch den Bundesgesetzgeber ließ das Gericht offen (BVerfG 2 BvR 834/02, Rn. 166). 33 Zur Sinnhaftigkeit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung am Maßstab des Vertrauensschutzgebots anstelle des Rückwirkungsverbots siehe ausführlich 3. Teil, D., III.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

fassungsnormen stützen, sind die wesentlichen Auslegungsfragen identisch. Die nun folgende vergleichende Untersuchung gewinnt primär Substanz daraus, dass die von den Verfassungsgerichten innerhalb der Prüfung der jeweiligen Anknüpfungsnorm gelieferten Argumente analysiert werden und Erklärungsversuche für die gleichen bzw. unterschiedlichen Begründungsansätze und Ergebnisse unternommen werden. Seit der Verurteilung Deutschlands in „M. gegen Deutschland“ ist eine Abkehr des Bundesverfassungsgerichts von seiner früheren Position zu beobachten. Wo die Verfassungsgerichte zuvor – auch wenn sie ihre Rechtsauffassung dabei teilweise auf unterschiedliche Verfassungsnormen gestützt haben – zum gleichen Ergebnis kamen, weist die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr auch völlig gegensätzliche Ergebnisse im Verhältnis zur Rechtsprechung des US Supreme Court auf. An dieser Stelle sollte auch erwähnt werden, dass zwar alle vorliegend untersuchten Verfassungsurteile Grundsätze zur Unterscheidung von Freiheitsstrafe und freiheitsentziehender Maßnahme aufstellen, aber allein das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 05. Februar 2004 die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung als solcher adressiert hat.34 So stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Unterbringung von gefährlichen Straftätern in die Sicherungsverwahrung nicht gegen die in Art. 1 GG verankerte Menschenwürde verstoße und der staatlichen Gemeinschaft der Schutz vor solchen Personen durch Freiheitsentzug nicht verwehrt werden dürfe.35 Dabei handelt es sich auch um die einzige Entscheidung, die die Vereinbarkeit der zwangsweisen Unterbringung gefährlicher Straftäter aus präventiven Gründen mit der Menschenwürde behandelt. Die Urteile des US Supreme Court sowie die weiteren Urteile des Bundesverfassungsgerichts nehmen hingegen nur zur Verfassungsmäßigkeit der konkreten Ausgestaltung der freiheitsentziehenden Sanktion anhand der Prüfung einzelner, konkreter Verfassungsnormen wie dem Doppelbestrafungsverbot oder dem Rückwirkungsverbot Stellung.

II. Herausarbeitung der Unterschiede Trotz der oben herausgearbeiteten ähnlichen gesellschaftlichen, kriminalpolitischen und verfassungsrechtlichen Ausgangslage weist die Verfassungsrechtsprechung beider Länder erhebliche Unterschiede und spezifische Eigenheiten auf. Im Folgenden sollen markante Unterschiede dargelegt werden und mögliche Ursachen für die divergierenden Ansätze der deutschen und US-amerikanischen Verfassungsrechtsprechung ermittelt werden. 34

So auch Dubber/Hörnle, Criminal Law: A Comparative Approach, S. 69 f. Das Bundesverfassungsgericht zitiert hier seine Rechtsprechung zur lebenslangen Freiheitsstrafe in BVerfGE 45, 187, 242. 35

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Die Verfasserin vertritt die These, dass im Wesentlichen vier Unterschiede zwischen der deutschen und US-amerikanischen Verfassungsrechtsprechung festzustellen sind: Diese lassen sich unterteilen in strafrechtsdogmatisch, verfassungsrechtlich, kriminalpolitisch und historisch bedingte Unterschiede.36 1. Strafrechtsdogmatische Unterschiede a) Strafe und Maßregel: Ein- bzw. Zweispurigkeit der strafrechtlichen Reaktionsmittel Zunächst ist es wichtig, sich als Ausgangspunkt dieser rechtsvergleichenden Untersuchung der völlig unterschiedlichen Strafrechtssysteme und Konzepte für die Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter bewusst zu machen, die der Prüfung der jeweiligen Verfassungsgerichte unterlagen. Diese Gegenüberstellung der unterschiedlichen Konzepte des richtigen Umgangs mit gefährlichen Sexualstraftätern soll die vereinzelt bestehende Schwierigkeit einer rechtsvergleichenden Untersuchung der Verfassungsrechtsprechung zur Sicherungsverwahrung deutlich machen. In den USA wird Sicherheit vor gefährlichen Straftätern traditionell vor allem durch die Verlängerung der Freiheitsstrafe gesucht. Dies hat seine Ursache in dem in den USA implementierten einspurigen Sanktionensystem. Danach war bis Ende des 20. Jahrhunderts in den USA als einziges Reaktionsmittel auf von schuldfähigen Straftätern begangenem Unrecht die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorgesehen. Dagegen war die zivilrechtliche Unterbringung allein für schuldunfähige Straftäter bestimmt, die unter einer psychischen Störung leiden. Damit unterschied das USamerikanische Rechtssystem bisher streng zwischen der Gefängnisstrafe als Reaktion auf eine Straftat und der zivilrechtlichen Unterbringung, die in Fällen von psychisch kranken Personen mit therapeutischen Motiven begründet wird. Die „three strikes“-Gesetzgebung als eine Strafschärfungsregelung für Wiederholungstäter fügt sich daher gut in die bisherige US-amerikanische Kriminalpolitik ein. Vor diesem Hintergrund ist auch ein direkter Vergleich der Rechtsprechung des US Supreme Court mit den strafschärfenden „three strikes“-Gesetzen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres möglich. Da Sicherheit vor gefährlichen Straftätern in Deutschland nämlich vornehmlich durch die anstelle oder neben einer Freiheitsstrafe angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung gesucht wird37, existiert eine den „three strikes laws“ äquivalente 36

Hammel identifiziert allein verfassungsrechtliche und kulturelle Unterschiede im Recht der Sicherungsverwahrung beider Staaten (S. 105). 37 Zwar dürfen bei der Auferlegung einer Freiheitsstrafe auch Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit befriedigt werden, jedoch darf wegen des „Schuldprinzips“ kein Straftäter über

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Gesetzgebung in Deutschland nicht. Der Gesetzgeber hat die in § 48 StGB a.F. bestehende Regelung einer Strafschärfung wegen Rückfalls 1986 abgeschafft. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Norm zwar für verfassungsgemäß erklärt38; da sie aber ohnehin nur die Erhöhung der Mindesstrafe vorsah, ist sie wohl kaum mit der nach den „three strikes“-Gesetzen vorgesehenen Strafschärfung vergleichbar.39 Insofern hat sich auch das Bundesverfassungsgericht bisher nicht mit einer solchen Gesetzgebung beschäftigen müssen; die Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts zu einer solchen Gesetzgebung wäre aber ohnehin wegen einer Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, schlechterdings nicht vorstellbar. Dennoch hat auch in den USA eine starke Annäherung an die in Deutschland betriebene Kriminal- und Sicherheitspolitik durch Einführung der „sexually violent predator laws“ stattgefunden. Diese als zivilrechtliche und nicht strafrechtliche verstandenen Sanktionen ermöglichen die zwangsweise Unterbringung von als gefährlich eingestuften, schuldfähigen Sexualstraftätern nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe in psychiatrische Einrichtungen.40 Diese Gesetze gleichen der in Deutschland unternommenen Anstrengung des Schutzes vor hoch gefährlichen (Rückfall)-Tätern durch massiven Ausbau der präventiven Maßregel der Sicherungsverwahrung, da sie genau wie die deutschen Maßregeln eine „zweite Spur“ neben den Freiheitsstrafen begründen.41 Damit wird in den USA anders als in Deutschland Sicherheit vor gefährlichen Rückfalltätern über zwei Kanäle gesucht – vornehmlich mittels drastischer Erhöhung des Strafrahmens wie im Falle der neu eingeführten „three strikes“-Gesetzgebung, zum anderen durch die Schaffung der völlig neuen Sanktion der zivilrechtlichen Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator laws“. Diese sind als Maßnahmen mit rein präventiver Zweckrichtung am ehesten mit dem deutschen Institut der Sicherungsverwahrung vergleichbar. Aber auch die „three strikes laws“ stellen wegen ihrer mitunter präventiven Zweckrichtung eine Form der Sicherungsver-

das Maß seiner Schuld hinaus aus präventiven Gründen bestraft werden (Mushoff, S. 9). Ausführlich zum Schuldprinzip siehe 1. Teil, A., II. 38 BVerfGE 50, 125= NJW 1978, S. 128. 39 Koch, in: Wegsperren?, S. 504. 40 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 391; Albrecht, in: Wegsperren?, S. 436. 41 Dennoch bereitet die dogmatische Einordnung der „sexually violent predator laws“ Probleme, da sie zur Auflösung der bisher strikten Unterscheidung schuldfähiger Straftäter, denen eine Freiheitsstrafe auferlegt wird, von schuldunfähigen Straftätern, die zwangsweise untergebracht werden, führt. Das deutsche Modell der Sicherungsverwahrung fügt sich hingegen gut in das bestehende Strafrechtssystem ein. Es unterscheidet zwischen der Freiheitsstrafe, mit der der Täter für das ihm vorwerfbare Unrecht zur Verantwortung gezogen wird und den Maßregeln der Besserung und Sicherung, die allein präventive Interessen verfolgen (so auch Demleitner, S. 1623). Zur Zweispurigkeit des Sanktionensystems siehe BVerfG v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2365/09; Radtke, Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff., Rn. 69.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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wahrung dar, wenn sie auch in zweispurigen Sanktionensystemen wie in Deutschland nicht existieren. Hier vollzog sich der Wandel im gesellschaftlichen Verständnis des richtigen Umgangs mit Straftätern hingegen durch eine schrittweise Verschärfung der Regelungen zur Sicherungsverwahrung, also einer bereits im Strafrechtssystem vorhandenen Sanktion.42 b) Die rechtliche Ausgestaltung freiheitsentziehender Sicherungsmaßnahmen Es liegt in der Natur einer verfassungsvergleichenden Untersuchung, dass den Judikaten der jeweiligen Verfassungsgerichte womöglich Gesetze zugrunde liegen, die zwar eine ähnliche Grundtendenz aufweisen, aber dennoch rechtlich unterschiedlich ausgestaltet sind. Auf die Tatsache, dass sich ein Vergleich der Rechtsprechung des US Supreme Court zur „three strikes“-Gesetzgebung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angesichts des fehlenden Bestehens einer vergleichbaren Regelung in Deutschland nur bedingt eignet, ist bereits eingegangen worden. Aber auch gesetzliche Regelungen zu den präventiven Maßnahmen – die Sicherungsverwahrung gem. § 66 ff. StGB und die zivilrechtliche Unterbringung in den USA – weisen erhebliche Unterschiede auf, die im Folgenden in knapper Form dargelegt werden sollen. Dabei sollen die jeweiligen Gesetze in ihrer zur Zeit der Beurteilung durch das Verfassungsgericht bestehenden Fassung miteinander verglichen werden; spätere Gesetzesänderungen sollen unberücksichtigt bleiben. Ein wichtiger Unterschied besteht zunächst darin, dass die „sexually violent predator laws“ allein auf die zivilrechtliche Unterbringung von Sexualstraftätern43 Anwendung finden, während als taugliche Anlasstaten für die Sicherungsverwahrung in Deutschland gem. § 66 StGB a.F. jede vorsätzliche Straftat ausreicht.44 Zudem ist die Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator laws“ bereits nach einer Verurteilung möglich, während die Sicherungsverwahrung bei Sexualstraftätern eine vorherige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren voraussetzt sowie eine darauf folgende Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (§ 66 Abs. 3 StGB 42

So für Vergleich zwischen Deutschland und England, Sturm, S. 30. Zwar finden in einigen Bundesstaaten die Gesetze auch auf andere Delikte als Sexualstraftaten Anwendung [siehe ausführlicher hierzu 2. Teil, B., II., 3. b)]. Jedoch wird von der Möglichkeit der Anordnung der Unterbringung wegen anderer als Sexualdelikte kaum Gebrauch gemacht (Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 393). 44 Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 55. Durch das SichVNOG kommen inzwischen gem. § 66 n.F. StGB nicht mehr alle Vorsatzdelikte in Betracht. 43

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

a.F.).45 Ein Erfordernis einer Mindeststrafe zur Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung gibt es in den USA nicht.46 Auch die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erfordert das Vorliegen einer Anlasstat, wegen der der Täter nach den Voraussetzungen des § 66 StGB a.F. zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei bzw. drei Jahren verurteilt wurde; die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung nach einer Erstverurteilung ist gem. § 66b Abs. 2 StGB a.F. nur bei einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren möglich.47 Auffällig ist also, dass der deutsche Gesetzgeber der kriminellen Laufbahn eines Straftäters bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ein weitaus höheres Gewicht beimisst als der US-Gesetzgeber bei der zivilrechtlichen Unterbringung.48 Weiterhin ergeben sich Unterschiede hinsichtlich der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen für die Auferlegung einer freiheitsentziehenden Maßnahme gegen gefährliche Straftäter. So setzen die US-amerikanischen „sexually violent predator laws“ für die Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung neben dem Nachweis der Gefährlichkeit des Straftäters das Vorliegen einer mentalen Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung voraus. Dass die US-bundesstaatlichen Gesetzgeber das Erfordernis eines psychiatrischen Befundes als Tatbestandsmerkmal aufgenommen haben, geht wiederum auf 45 Unter strengen Voraussetzungen ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung jedoch auch ohne vorherige Verurteilung möglich, siehe §§ 66 Abs. 2 sowie Abs. 3 S. 2 StGB a.F.; ausführlicher hierzu 1. Teil, D., I., 2. b). Gem. dem gegenüber den Abs. 2 und 3 vorrangig zu prüfenden § 66 Abs. 1 StGB a.F. sind jedoch zwei Vorverurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr sowie eine aktuelle Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (Anlasstat) erforderlich. Mit der Reform durch das SichVNOG wurde der Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 StGB n.F. durch die Formulierung eines Katalogs tauglicher Anlasstaten beschränkt (Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, Münchener Kommentar, StGB, § 66, Rn. 56). 46 Da unter den Katalog der „Sexual-Gewaltstraftaten“, aufgrund derer eine zivilrechtliche Unterbringung erfolgen darf, in einigen US-Bundesstaaten, darunter Kansas, auch die Sodomie fällt, kann somit theoretisch aufgrund eines vergleichsweise leichten Delikts eine lebenslange Unterbringung erfolgen. In der Praxis werden jedoch fast ausschließlich Täter, die wegen Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauch von Kindern verurteilt sind, zivilrechtlich untergebracht. Durchschnittlich wiesen die untergebrachten Personen 2,6 Vorverurteilungen wegen Sexualstraftaten auf; weniger als ein Dritter aller untergebrachten Personen wiesen keine Vorverurteilung wegen Nicht-Sexualstraftaten auf (Schram/Milloy, Sexually Violent Predators and Civil Commitment, S. 5 f.). 47 Für Neufälle kommt die nachträgliche Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 1 StGB n.F. nur noch dann in Betracht, wenn der Täter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und diese Unterbringung für erledigt erklärt wurde (siehe ausführlich zur neuen Rechtslage 1. Teil, D., V., 3.). 48 So auch Gaenslen, S. 156.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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die Rechtsprechung des US Supreme Court zurück, der aus der „due-process“Klausel das verfassungsrechtliche Gebot der strengen Unterscheidung zwischen einer freiheitsentziehenden Maßnahme zum Zwecke der Bestrafung und einer Maßnahme zum Zwecke einer Heilbehandlung entwickelt hat.49 Der Befund einer „mentalen Abnormalität“ bei Kansas v. Hendricks und Kansas v. Crane war also nötig, um den therapeutischen Hintergrund der zivilrechtlichen Unterbringung zu belegen und so eine Verletzung der „due process“-Klausel zu vermeiden.50 Ein solches psychisches Kriterium sehen die Regelungen zur Sicherungsverwahrung in der dem Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen aus dem Jahre 2004 liegenden Fassung nicht vor. Für die Anordnung der Sicherungsverwahrung muss hingegen das Vorliegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten – namentlich solcher, durch welche Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werde – festgestellt werden.51 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 05. Februar 2004 keinen Anstoß daran genommen, dass die Regelungen zur Sicherungsverwahrung keinen Nachweis einer psychischen Erkrankung zur Anordnung der Maßnahme voraussetzen. 49

Das dualistische Rechtsfolgensystem des US-amerikanischen Strafrechts, das eine strikte Unterscheidung der Freiheitsstrafe als Rechtsfolge bei von schuldfähigen Tätern begangenem Unrecht und die zivilrechtliche Unterbringung als Rechtfolge bei schuldlos handelnden Tätern vorsieht, wird somit den durch den US Supreme Court entwickelten Anforderungen der „due process“-Klausel gerecht. Siehe ausführlicher zum Sanktionensytem der USA 2. Teil, A., III./IV. 50 Hammel, S. 111. Dass sich der US Supreme Court mit der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung schwer tut, zeigt sich durch die jeweils unterschiedlichen Kriterien, die in Foucha, Hendricks und Crane herangezogen werden: Forderte das Gericht neben der Gefährlichkeit eines Täters in Foucha das Vorliegen einer Geisteskrankheit („mental illness“), genügte in Hendricks bereits das Vorliegen einer geistigen Abnormalität („mental abnormality“). Zuletzt erweiterte der US Supreme Court in Crane die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung um das dritte Kriterium eines Nachweises schwerwiegender Probleme bei der Beherrschung des eigenen Verhaltens („proof of serious difficulty in controlling behaviour“). Die Auseinandersetzung mit dem Kriterium der Willensschwäche musste erst in Crane erfolgen, da Hendricks anders als Crane offen einräumte, seinen Willen nicht kontrollieren zu können [Gaenslen, S. 152; zur Sinnhaftigkeit dieses Kriteriums siehe 2. Teil, B., IV., 3. b), bb), bzw cc)]. 51 Zur Begründung eines solchen Hanges wird vornehmlich die bisherige kriminelle Karriere und die Anlasstat berücksichtigt (Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 66, Rn. 30). Es ist also nur folgerichtig, dass der deutsche Gesetzgeber in den §§ 66 ff. StGB das Vorliegen schwerer Vor- und Anlasstaten verlangt, während der US-bundesstaatliche Gesetzgeber nicht vordergründig auf etwaige Vorstrafen oder besonders schwere Anlasstaten als Beleg der Gefährlichkeit zurückgreifen muss. Die Gefährlichkeit eines Straftäters wird nach den „sexually violent predator laws“ vielmehr durch Sachverständigengutachten, die eine mentale Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung diagnostizieren, abgeleitet. Die nach beiden Rechtsordnungen erforderliche Prognoseentscheidung hinsichtlich der von einem Straftäter für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr beruht bei der Sicherungsverwahrung damit im Wesentlichen auf der kriminellen Laufbahn des Täters, während die Gefährlichkeit bei der zivilrechtlichen Unterbringung auf ein psychisches Kriterium gestützt wird (Gaenslen, S. 156).

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Bei dem in Rede stehenden Verfahren ist gegen den Beschwerdeführer eine Sicherungsverwahrung angeordnet worden, ohne dass bei diesem eine psychische Erkrankung nachgewiesen wurde. Vielmehr genügte die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gefährlich und von ihm infolge seines Hanges die Begehung weiterer Straftaten zu erwarten sei. Das Bundesverfassungsgericht musste sich – anders als der US Supreme Court – nicht der schwierigen Aufgabe stellen, ein passendes Abgrenzungskriterium zur Unterscheidung von gewöhnlichen gefährlichen Tätern und den für eine zivilrechtliche Unterbringung in Frage kommenden Tätern zu finden. Während der US Supreme Court den therapeutischen Hintergrund der zivilrechtlichen Unterbringung mit dem Vorliegen eines psychiatrischen Zustands begründen muss, leitet das Bundesverfassungsgericht den Einklang der Sicherungsverwahrung mit der Verfassung nämlich bereits aus der Natur dieser Maßnahme selbst ab.52 Denn die Sicherungsverwahrung ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bereits aufgrund ihres Charakters einer Maßregel der Besserung und Sicherung auf die individuelle Therapie und Resozialisierung der Sicherungsverwahrten ausgerichtet und nicht erst aufgrund eines therapiebedürftigen Befundes wie in Kansas und Crane. Auch den nicht-punitiven Charakter der Sicherungsverwahrung leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem zweispurigen Sanktionensystems des StGB und der damit einhergehenden Natur der Sicherungsverwahrung als einer präventiven Maßnahme ab.53 In seiner Entscheidung vom 04. Mai 2011 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der (weiteren) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in den Fällen, in denen die Maßregel rückwirkend entfristet wurde, die Anlasstaten aber vor dem Wegfall der Zehnjahresfrist begangen wurden, sowie in Fällen der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung an die zusätzliche Voraussetzung des Vorliegens einer „psychischen Störung“ geknüpft.54 Die Aufnahme des Merkmals einer „psychischen Störung“ ist jedoch vor dem Hintergrund der Verurteilung Deutschlands in „M. gegen Deutschland“ als taktisches Vorgehen zu deuten, die nachträgliche und rückwirkend verlängerte Sicherungs52

Siehe auch Hammel, S. 112 f. Hammel, S. 113. 54 Der Gesetzgeber hat dieses Tatbestandsmerkmal in der Übergangsvorschrift des § 316 f Abs. 2 S. 2 EGStGB aufgenommen, wonach die rückwirkende Verlängerung bzw. nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nur zulässig ist, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt. Es muss allerdings nur in den Fällen erfüllt seien, in denen das Bundesverfassungsgericht die Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgebots festgestellt hat. In den übrigen Fällen jedoch, in denen die Sicherungsverwahrung nicht rückwirkend entfristet oder nachträglich angeordnet wurde und die Entscheidung über die Anordnung durch das erkennende Gericht getroffen wurde, ist der Nachweis einer psychischen Störung nicht erforderlich. Auch die §§ 66 ff. StGB in ihrer aktuellen Fassung setzen den Nachweis einer psychischen Störung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht voraus. 53

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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verwahrung auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e) EMRK stützen und so einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK umgehen zu können.55 Immerhin kann so die Entlassung der gefährlichsten Straftäter unter den „Altfällen“ vermieden werden.56 Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht die Aufnahme dieses Merkmals für eine Neuregelung der Vorschriften zur Sicherungsverwahrung auch nicht für notwendig erachtet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der US Supreme Court ein Gesetz abgesegnet hat, das wegen seiner Begrenzung auf Sexualstraftaten zwar gegenüber den deutschen Regelungen zur Sicherungsverwahrung einen begrenzteren Anwendungsbereich aufweist, jedoch bezüglich der für eine zivilrechtliche Unterbringung erforderlichen Vortaten wesentlich geringere Anforderungen stellt als der deutsche Gesetzgeber. Für die nach beiden Gesetzen erforderliche Feststellung einer vom Täter ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit vertrauen die „sexually violent predator laws“ im Wesentlichen auf die gutachterliche Feststellung eines psychischen Defekts, während nach den deutschen Regelungen zur Sicherungsverwahrung eine Gefahr vordergründig aus der kriminellen Vorgeschichte des Täters hergeleitet wird.57 So hätte gegen den Straftäter Michael Crane, der Betroffener der Entscheidung Kansas v. Crane ist, in Deutschland wegen Nicht-Erfüllens der formellen Tatbestandsvoraussetzungen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung gar nicht erst ergehen dürfen.58 Demgegenüber ist davon auszugehen, dass alle Straftäter, die Betroffene der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung waren, auch nach den US-amerikanischen „sexually violent predator laws“ hätten untergebracht werden können. Denn auch wenn die Sicherungsverwahrung die Feststellung einer mentalen Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung nicht 55 Wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Ausführungen zur Konstruktion einer konventionskonformen Übergangslösung erläutert, ist eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a) und c) EMRK nicht begründbar (Schöch, NK 2/2012, S. 52; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 66b, Rn. 38). 56 Kinzig in http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Richter-weisen-Politik-in-Schranke n;art4306,949874; siehe auch BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 173. 57 So auch Gaenslen, S. 156. 58 Die von Crane begangenen Delikte gehören bereits nicht zu den in § 66b StGB a.F. aufgelisteten Katalogtaten. Aber auch die Anordnung einer primären Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a.F. wäre unzulässig: Für § 66 Abs. 1 StGB a.F. weist Crane nicht genügend Vorverurteilungen auf; für eine Anordnung gem. Abs. 2 StGB hat er nicht genügend Straftaten begangen. Einer Anordnung gem. § 66 Abs. 3 bzw. § 66b StGB steht ebenso entgegen, dass Crane keine der Katalogtaten begangen hat. Demgegenüber stünde der Anordnung einer Sicherungsverwahrung gegenüber Leroy Hendricks angesichts der Vielzahl gegen ihn ergangener Verurteilungen sowie der Schwere der von ihm begangenen Delikte nichts entgegen. Es ist davon auszugehen, dass bei Hendricks auch der für eine Sicherungsverwahrung erforderliche Hang zur Begehung erheblicher Straftaten festgestellt worden wäre.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

verlangt, liegen bei ausnahmslos allen Beschwerdeführern Hinweise auf eine psychische Störung vor.59 Die Vorgabe des US Supreme Court hinsichtlich des für eine präventive Unterbringung festzustellenden psychischen Zustands scheint damit offenbar gegenüber den deutschen Regelungen zu keiner unterschiedlichen Klassifizierung des in Frage kommenden Täterkreises zu führen. Vielmehr scheinen sicherungsverwahrte Personen in Deutschland (zumindest die allermeisten) den geringen Anforderungen des US Supreme Court an die Erfüllung dieses Kriteriums zu genügen.60 In den Ausnahmefällen, in denen das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 04. Mai 2011 das Vorliegen einer psychischen Störung tatsächlich für erforderlich hält, legt es ein ähnlich weites Verständnis des Begriffs wie der US Supreme Court an den Tag.61 2. Verfassungsrechtliche Unterschiede Im Folgenden wird der These nachgegangen, dass Divergenzen in der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung ebenso auf die unterschiedliche Ausgestaltung der Verfassung, vornehmlich den unterschiedlichen Grundrechtsgewährleistungen, zurückzuführen sind. Oberflächlich betrachtet könnte man vermuten, dass nach beiden Verfassungen inhaftierte Gefangene und Sicherungsverwahrte ein ähnliches Schutzniveau genießen. Eine nähere Betrachtung offenbart jedoch, dass beide 59 So liegt beispielweise beim Beschwerdeführer aus der Entscheidung vom 05. Februar 2004 zwar keine psychiatrische Erkrankung mehr vor. Die bei dem Straftäter festgestellten histrionischen Persönlichkeitszüge sowie eine narzisstische Problematik und hochgradiger Empathiemangel würden jedoch vermutlich unter den Begriff der „mentalen Abnormalität“ nach den „sexually violent predator laws“ subsumiert werden. 60 Auch die statistischen Angaben hinsichtlich des Vollzugs der Sicherungsverwahrung bestätigen diese Vermutung: So ergibt eine von Kinzig durchgeführte Studie, dass etwa 60 % Prozent aller Straftäter, gegen die die Sicherungsverwahrung angeordnet wird, an einer schweren psychischen Störung leiden (Demleitner, S. 1651, zitiert Kinzig, ZStW 1997, S. 149). 61 Damit stellen beide Verfassungsgerichte wesentlich geringere Anforderungen an die Erfüllung des psychischen Kriteriums als der EGMR. In einigen Entscheidungen über in nachträglicher oder rückwirkend verlängerter Sicherungsverwahrung einsitzende Straftäter hatte der EGMR nämlich die Rechtfertigung einer Freiheitsentziehung über Art. 5 Abs. 1 2 lit. e) EMRK abgelehnt (Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 66b, Rn. 38). Letztlich hat das Bundesverfassungsgericht jedoch mit seiner Intention, durch das Erfordernis einer psychischen Störung einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK zu umgehen, Erfolg gehabt: Der EGMR hat zuletzt im Verfahren „Bergmann gegen Deutschland“ (Urteil vom 07. 01. 2016, Az. 23279/14) die rückwirkend verlängerte Sicherungsverwahrung nach dem Therapieunterbringungsgesetz über Art. 5 Abs. 1 2 lit. e) EMRK für gerechtfertigt erachtet, wenn dies der „therapeutischen Behandlung“ des Täters dient. Der EGMR stimmte mit den deutschen Gerichten dahingehend überein, dass die bei dem Kläger diagnostizierte psychische Störung in Form einer sexuellen Devianz eine „psychische Störung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 2 lit. e) EMRK sei und die Freiheitsentziehung rechtfertige (siehe ausführlich hierzu unter 1. Teil, E., V.).

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Verfassungen für gefährliche Straftäter ein unterschiedliches Schutzniveau gewährleisten, auch wenn die Bundesrepublik Deutschland und die USA zur gleichen Verfassungsfamilie gehören.62 a) Der verfassungsrechtliche Schutz der Würde des Menschen in Deutschland und den USA Im Folgenden wird die These untermauert, dass sich Unterschiede in der Rechtsprechung zur freiheitsentziehenden Sicherungsmaßnahmen beider Länder auch aus der Verankerung der Menschenwürde im Grundgesetz bzw. der fehlenden Kodifizierung der Menschenwürde in der US-amerikanischen Verfassung ergeben. In der US-Verfassung ist die Menschenwürde textlich nicht verankert. Dies hindert den US Supreme Court jedoch nicht daran, die Menschenwürde als Auslegungshilfe u. a. bei der Beurteilung strafrechtlicher Maßnahmen heranzuziehen.63 So betont der US Supreme Court, dass jede Art von Bestrafung mit der Menschenwürde („dignity of man“) als ein „dem achten Zusatzartikel zugrundeliegendes Grundprinzip“ vereinbar sein müsse.64 Auch bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung berücksichtigt der US Supreme Court das Prinzip der Menschenwürde: Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Sanktionen erhebt der US Supreme Court nicht.65 Er prüft die Verfassungsmäßigkeit einer Strafe am Maßstab des achten Zusatzartikels. Der achte Zusatzartikel postuliert, dass keine grausamen und ungewöhnlichen Strafen auferlegt werden dürfen, was nach Auffassung des US Supreme Court das Verbot einer „exzessiven“ Strafe umfasst. Eine exzessive Strafe sieht der US Supreme Court zumindest in den Fällen als gegeben an, in denen gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen wurde.66 Das Prinzip der Menschenwürde wird somit als begrenzendes Element für staatliche Sanktionen herangezogen.67 Dennoch kann das Prinzip der Menschenwürde in der US-amerikanischen Verfassungsdogmatik nicht dasselbe Schutzniveau wie in Deutschland erreichen. Aufgrund der fehlenden verfassungsrechtlichen Verankerung des Prinzips der Men62

Ausdruck siehe Pieroth, NJW 1989, S. 1333. Brugger, Angloamerikanischer Einfluss auf die Grundrechtsentwicklung in Deutschland, § 186, Rn. 36; Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 123, 172 f., 226, 230; Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 42 ff., 47 f., 85, 121, 175, 205, 245. 64 Trop v. Dulles, 356 US 86, 100. 65 Harmelin v Michigan, 501 US 957, bzgl. der lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung; Gregg v. Georgia, 428 US 153, bzgl. der Todesstrafe. 66 Gregg v. Georgia, 428 US 153, S. 173; Furman v. Georgia, 408 US 238, S. 280 – 281. 67 Lehnig, S. 239; Brugger, Angloamerikanischer Einfluss auf die Grundrechtsentwicklung in Deutschland, § 186, Rn. 36. 63

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

schenwürde wird es nämlich in der US-amerikanischen Verfassungsdogmatik nicht als überpositives, fundamentales Rechtsprinzip verstanden, aus dem spezielle Grundrechte abgeleitet werden können.68 Dem Einzelnen wird kein vor staatlichen Eingriffen absolut geschützter Kernbereich gewährt, sondern der Eingriff in jedes beliebige Grundrecht kann mit entsprechendem Begründungsaufwand legitimiert werden.69 Den Grundsatz, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe nur dann verfassungsgemäß ist, wenn eine konkrete Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit bestehe, leitet der US Supreme Court weder aus dem Prinzip der Menschenwürde noch aus anderen Grundrechten ab. Wie sich schon aus der in Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes gewählten Formulierung einer „Unantastbarkeit“ der Menschenwürde ergibt, gilt der Schutz der Menschenwürde im deutschen Verfassungsrecht hingegen „absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleiches.“70 Anders als für den US Supreme Court, der knappe Überlegungen zur Menschenwürde innerhalb der Prüfung des achten Zusatzartikels anstellt, ist für das Bundesverfassungsgericht das Prinzip der Menschenwürde wesentlicher Bestimmungsfaktor bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Strafe.71 So prüft das Bundesverfassungsgericht auch die Vereinbarkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe direkt am Maßstab des in Art. 1 GG kodifizierten MenschenwürdeGrundsatzes.72 Zwar leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem Prinzip der Menschenwürde wie der US Supreme Court kein grundsätzliches Verbot der lebenslangen Freiheitsstrafe ab.73 An die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe stellt es aber besonders hohe Anforderungen: Aus dem Gebot der Menschenwürde resultiere das Verbot grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Strafen.74

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Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 66; Lehnig, S. 143. Lehnig, S. 142. 70 BVerfGE 75, 369 (380). 71 Miebach, in: Münchener Kommentar, StGB, § 46, Rn. 18; St. Rspr. des BVerfG; vgl. nur BVerfG v. 24. 10. 1996 – 2 BvR 1851 u. a./94, BVerfGE 95, 96 (140); BVerfG vom 9. 7. 1997 – 2 BvR 1371/96, BVerfGE 96, 245 (249), jeweils mwN; vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 GG Rn 98 f. 72 Lehnig, S. 288. 73 Eine Prüfung der Vereinbarkeit der Todesstrafe mit dem Grundgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht stand wegen Art. 102 GG nicht zur Diskussion. Allerdings steht nach Auffassung der herrschenden Meinung im verfassungsrechtlichen Schrifttum einer Wiedereinführung der Todesstrafe Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 GG entgegen, weil die Todesstrafe nicht mit dem Grundsatz der Menschenwürde vereinbar sei (Lehnig, S. 96 f.; Dubber/Hörnle, S. 51). 74 BVerfGE 1, 332 [348]; 6, 389 [439]. 69

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Der Täter dürfe nicht zu einem bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden.75 Auch wenn die lebenslange Vollstreckung im Einzelfall „verfassungsrechtlich unbedenklich“ sei, wäre „ein menschenwürdiger Vollzug dieser Strafe (…) indessen nicht mehr sichergestellt, wenn dem Verurteilten ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit von vornherein jegliche Hoffnung genommen würde, seine Freiheit – wenn auch erst nach langer Strafverbüßung – wiederzuerlangen. Deshalb muss auch der mit besonders schwerer Tatschuld beladene Gefangene die grundsätzlich realisierbare Chance erhalten, seine Freiheit wiederzugewinnen.“76 Die Möglichkeit der Begnadigung wird dabei als nicht ausreichend erachtet; vielmehr müssen die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe gesetzlich geregelt werden (sog. Aussetzungsgebot).77 In einer der Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung vom 05. Februar 2004 prüft das Bundesverfassungsgericht ebenfalls die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen mit dem Prinzip der Menschenwürde. Diese ist ohnehin die einzige der hier untersuchten Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung, die die Vereinbarkeit einer präventiven freiheitsentziehenden Maßnahme mit dem Prinzip der Menschenwürde problematisiert. Auch wenn das Gericht im Ergebnis unter Verweis auf seine Rechtsprechung zur lebenslangen Freiheitsstrafe eine Verletzung von Art. 1 GG verneint, betont es erneut, dass das Prinzip der Menschenwürde auch gegenüber Sicherungsverwahrten die Einräumung einer reellen Chance auf Wiedergewinnung der Freiheit erfordere.78 Ein Strafgesetz, welches wie die US-amerikanische „three strikes“-Gesetzgebung die zwingende Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung vorsieht, würde vom Bundesverfassungsgericht daher ohne Zweifel wegen Verstoßes gegen Art. 1 GG für verfassungswidrig erklärt werden. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Gesetzgeber den lebenslangen Freiheitsentzug mit Präventionsbedürfnissen legitimiert. Zusammenfassend kommt also zum Ausdruck, dass sich die Schutzintensität des Prinzips der Menschenwürde in beiden Verfassungen stark unterscheidet. Auch wenn der US Supreme Court im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung von freiheitsentziehenden Sanktionen auf das Prinzip der Menschenwürde rekurriert, zieht er dennoch nicht dieselben Grundsätze aus dem achten Zusatzartikel wie das Bundesverfassungsgericht aus Art. 1 GG.79 Dass ein lebenslanger Frei75

BVerfGE 45, 187; BVerfGE 28, 389 (391). BVerfGE 64, 261/272; das sich auf BVerfGE 45, 187/228 ff. beruft. 77 BVerfGE 45, 187; Radtke, in: Münchener Kommentar, StGB, Vorbem. § 38 ff., Rn. 70. In BVerfGE 86, 288/312; BVerfG (2. Kammer des zweiten Senats), NJW 1995, S. 3244 stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass § 57a StGB den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Verrechtlichung der Entlassungspraxis genüge (Wolff, AöR 1999, S. 63). 78 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 70 ff. 79 Lehnig, S. 289. 76

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

heitsentzug allein wegen der Gefährlichkeit eines Straftäters mit dem Prinzip der Menschenwürde kollidieren kann und daher gewisse Anforderungen an die Vollstreckung und den Vollzug von freiheitsentziehenden Sanktionen gestellt werden müssen, erkennt der US Supreme Court nicht. So verwundert es auch nicht, dass eine etwaige Verletzung des Prinzips der Menschenwürde weder in der Rechtsprechung zu der „three strikes“-Gesetzgebung noch zu den Unterbringungsgesetzen problematisiert wird. Die Menschenwürde findet in keinem dieser Urteile überhaupt Erwähnung. Gerade auch wegen der vergleichsweise geringen Bedeutung des Prinzips der Menschenwürde musste der US Supreme Court gegen Verhängung von lebenslangen Freiheitsstrafen aufgrund der „three strikes“-Gesetzgebung keine Einwände erheben. b) Die verfassungsrechtliche Stellung des Resozialisierungsgedankens in Deutschland und den USA Markante Unterschiede in der Rechtsprechung beider Verfassungsgerichte ergeben sich auch aus den in beiden Verfassungen anerkannten Strafzwecken. Im Grundgesetz wird das Recht auf Resozialisierung aus dem Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet.80 Danach begründet dieses Grundrecht eine staatliche Pflicht, den Straf- und Maßregelvollzug auf die Eingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft auszurichten.81 Gerade bezüglich der Sicherungsverwahrung hat das Bundesverfassungsgericht dieses Gebot häufig betont.82 Die verfassungsrechtliche Fundierung des Resozialisierungsgedankens im Grundgesetz ist nicht mit der verfassungsrechtlichen Ausgangslage in den USA vergleichbar: Der US Supreme Court hat keinem der die prozessualen Rechte eines Straftäters regelnden Zusatzartikel – insbesondere nicht dem achten Zusatzartikel – einen Anspruch auf Resozialisierung entnommen.83 Dies erklärt auch, wie der US Supreme Court die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung, die beide eine Resozialisierung gerade völlig

80 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2, Rn. 216. Grundlegend hierzu siehe BVerfGE 35, 202 (235 ff.); BVerfGE 45, 187 (238 f.); 64, 261 (276); 96, 100 (115); 98, 169 (199 ff.); BVerfG, Beschl. v. 25. 11. 1999, NJW 2000, S. 1859 (1860). 81 BVerfG 2 BvR 2129/11; BVerfGE 98, 169, 200)= NJW 2002, S. 2023 ff.; BVerfGE 109, 133, 151= NJW 2011, S. 1931 ff.; BVerfGE 35, 202, 235 ff. Zum Maßregelvollzug siehe BVerfG, 2 BvR 2258/09, Rn. 55, BVerfGE 98, 169 (200); 109, 133 (151); 116, 69 (85); 128, 326 (377). 82 Siehe zum Vollzug der Sicherungsverwahrung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. 02. 2004 und zum Strafvollzug die Entscheidung vom 21. 06. 1977. 83 Leyendecker, S. 242.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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unmöglich machen, als grundsätzlich vereinbar mit der US-amerikanischen Verfassung erklären kann.84 Die fehlende Verankerung des Resozialisierungsprinzips in der US-amerikanischen Verfassung wird auch in der Rechtsprechung des US Supreme Court zur Sicherungsverwahrung offenkundig: Der fehlende Zusammenhang zwischen Verfassungsrecht und Resozialisierung in den USA ermöglichte es dem US Supreme Court in Ewing v. California ein Gesetz abzusegnen, welches dem Auftrag der Resozialisierung gerade nicht gerecht werden möchte. Die „three strikes“-Gesetzgebung beruht nämlich auf der Vorstellung, dass die wiederholte Straffälligkeit bestimmter Personen dokumentiere, dass deren Resozialisierung gescheitert sei. Dem Staat bleibe daher auch keine andere Möglichkeit als die Unschädlichmachung dieser Personen zum Zwecke des Schutzes der Allgemeinheit.85 Auch die Entscheidungen des US Supreme Court zu den „sexually violent predator laws“ belegen die geringe Bedeutung des Resozialisierungsgedankens im USamerikanischen Verfassungsrecht: Dies verdeutlicht bereits der Stellenwert, den der US Supreme Court der Bereitstellung von Therapieangeboten für aufgrund der „sexually violent predator laws“ untergebrachte Straftäter beimisst. So sei ein zivilrechtliches Unterbringungsgesetz verfassungsgemäß, solange es in irgendeiner Form die Bereitstellung von Therapieangeboten vorsehe, auch wenn tatsächlich in einigen Fällen keine Therapie durchgeführt werde. Auch gegenüber therapieunfähigen Personen, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, sei die Anordnung der zwangsweisen Unterbringung verfassungsrechtlich legitim.86 Die entscheidende Frage bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze sei allein, ob ein Gesetz überhaupt Regelungen zur Behandlung der untergebrachten Straftäter beinhaltet und nicht etwa der Stellenwert der therapeutischen Behandlung und die praktische Umsetzung der gesetzlichen Regelungen. Die geringe Relevanz des Resozialisierungsgedankens ergibt sich auch aus der späteren Entscheidung Seling v. Young, in der der US Supreme Court das Vorbringen des Klägers zurückgewiesen hat, seine zivilrechtliche Unterbringung habe wegen der Vollzugsbedingungen und der unzureichenden Therapiemöglichkeiten punitiven Charakter.87 Der US Supreme Court wiederholt hier seine Argumentation aus Kansas v. Hendricks, dass Ausgangspunkt der Charakterisierung eines Gesetzes als strafrechtlich oder zivilrechtlich der Wortlaut und der Wille des Gesetzgebers sei und der 84

Gregg v. Georgia, 428 US, 153, 183 (1976) hinsichtlich der Todesstrafe, hinsichtlich der lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung siehe Solem v. Helm, 463 US 277 (1983), S. 278, wo das Gericht zwar die Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Freiheitsstrafe feststellt, zugleich aber betont, dass keine Strafe „per se verfassungswidrig“ sei. 85 Shichor/Sechrest, Three strikes as public policy, S. 267; Köstler-Loewe, Dissertation, S. 778. 86 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 366; siehe ausführlich dazu 2. Teil, B., IV., 1. c)., aa). 87 Seling v. Young, 531 US 250 (2001).

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Charakter eines Gesetzes nicht anhand der Auswirkungen auf den einzelnen Straftäter ausgemacht werden könne.88 Das Bundesverfassungsgericht könnte hingegen wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung des Resozialisierungsprinzips ein Gesetz nicht für verfassungsgemäß erklären, das etwa wie die „three strikes“-Gesetzgebung mit dem Resozialisierungsgrundsatz nicht in Einklang gebracht werden kann.89 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner frühen Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung ebenso wie der US Supreme Court die neuen Regelungen absegnet und deren punitiven Charakter verneint, fordert das Bundesverfassungsgericht dennoch eine regelmäßige Überprüfung dahingehend, ob die in Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen tatsächlich eine realistische Chance haben, die Freiheit wieder zu erlangen.90 Obgleich das Bundesverfassungsgericht nach Verurteilung Deutschlands durch den EGMR von seiner früheren Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung abweicht, ist die Betonung auf dem Resozialisierungsgedanken dennoch eine Konstante in dessen Rechtsprechung. c) Die verfassungsrechtliche Verankerung des Schuldprinzips im Grundgesetz und seine Auswirkungen auf die Verfassungsrechtsprechung zur Sicherungsverwahrung Im Folgenden soll eine weitere Ursache für die divergierende Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung in den USA und Deutschland aufgeführt werden. Es wurde bereits erläutert, dass den Entscheidungen beider Verfassungsgerichte zur Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter unterschiedlich ausgestaltete Sanktionensysteme zugrunde liegen. Die Entscheidung gegen ein einspurig konstruiertes Strafrechtssystem in Deutschland ist wiederum auf die unterschiedliche verfassungsrechtliche Ausgangslage in beiden Ländern zurückzuführen: So hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Verfassungsrang einnimmt und bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sowie bei der Entscheidung über die Anordnung oder

88

Seling v. Young, 531 US 250, S. 251. An dieser Stelle wird der große Einfluss einer Verfassung auf die Kriminalpolitik des Landes offenkundig: Eine vollständige Abkehr vom Resozialisierungsideal wäre in Deutschland wegen der verfassungsrechtlichen Fundierung desselben nicht möglich. Genauso konnten sich aber der US Supreme Court und die Regierung in ihrer Kriminalpolitik von der Resozialisierung als Vollzugsziel lösen, da diese weder in der US-amerikanischen Verfassung verankert ist noch je ausdrücklich als Gebot mit Verfassungsrang anerkannt worden ist (So im Ergebnis auch Leyendecker, S. 244 f.). 90 Dies beinhalte Erhebungen über die Bereitstellung von Resozialisierungsangeboten, insbesondere Behandlungs-, Therapie- oder Arbeitsmöglichkeiten, siehe BVerfG, 2 BvR 2029/ 01, Rn. 93. 89

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Fortdauer einer Maßregel91 zu berücksichtigen ist.92 Als strafrechtsspezifischer Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips93 hat es das „Schuldprinzip“94 entwickelt, wonach Strafe Schuld voraussetzt und in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen muss.95 Aufgabe des Richters bei der Strafzumessung ist es, im Rahmen des durch den Gesetzgeber bestimmten Strafrahmens die im Einzelfall schuldangemessene Strafe festzulegen.96 Verankert ist das Schuldprinzip nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenspiel von Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Grundsatz der Menschenwürde in Art. 1 GG.97 Ein Gesetz, welches das Strafmaß hauptsächlich an Erwägungen der Abschreckung von Straftätern bzw. an der Sicherheit der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern orientiert, würde einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht wegen Aufweichung des Schuldprinzips nicht standhalten.98 Absolute Strafandrohungen begründen nämlich die Gefahr eines Konflikts mit dem Schuldprinzip, weil sie das richterliche Ermessen einschränken und damit die am individuellen Unrechtsgehalt angepasste Strafzumessung verhindern.99 91 Für die Maßregeln der Besserung und Sicherung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zudem in § 62 StGB festgehalten worden, um ihm besonderen Nachdruck zu verleihen (Van Gemmeren, in: Münchener Kommentar, StGB, § 62, Rn. 1). 92 BVerfG v. 8. 10. 1985 – 2 BvR 1150/80 und 1504/82, BVerfGE 70, 297 (311) = NStZ 1986, S. 185 = NJW 1986, S. 767 (769). 93 Grzeszick,in: Maunz/Dürig, Art. 20, Rn. 124; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) Grundgesetz, Band II, 2. Auflage, 2006, Art. 20, Rn. 194 ff., jeweils m.w.N.; ablehnend zur Gleichsetzung von Verhältnismäßigkeits- und Schuldprinzip siehe Mushoff, S. 218 f. 94 Siehe ausführlich zum Schuldprinzip 1. Teil, A., II. 95 BVerfG, Beschluss vom 18. 01. 2008 – 2 BvR 313/07; BVerfGE 57, 250 (275); 80, 244 (255); 95, 96 (140); BVerfGE 50, 5 (12); 86, 288 (313); 96, 245 (249); vgl. BVerfGE 105, 135 [153] = StV 2002, S. 247; Miebach, in: Münchener Kommentar, StGB, § 46, Rn. 22 – 23. 96 Vgl. BVerfGE 73, 206, 254 = NJW 1987, S. 43; BVerfGE 20, 323, 329 f.; BVerfG NJW 1976, S. 413. Die strafgerichtliche Praxis der tatrichterlichen Strafzumessung wird von der sog. „Spielraumtheorie“ beherrscht, siehe ausführlich dazu unter 1. Teil, A., II. 97 BVerfG, Beschluss vom 18. 01. 2008 – 2 BvR 313/07; BVerfGE 25, 269 (285); BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn 139. 98 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor. § 38 ff., Rn. 23. 99 Siehe BVerfG in NJW 2002, S. 1779. Wegen Unvereinbarkeit mit dem Schuldprinzip hat der Gesetzgeber 1986 durch das 23. StrÄndG auch die allgemeine Rückfallschärfung des § 48 StGB a.F. beseitigt (Siehe ausführlich zu dieser Klausel Frosch, Die allgemeine Rückfallvorschrift des § 48 StGB, S. 184 f.; Chang, Rückfall und Strafzumessung, S. 62). Dennoch sind auch im deutschen Strafrechtssystem vereinzelt Strafschärfungen für Rückfalltäter oder eine feste Strafgröße für bestimmte Delikte vorgesehen: So ist die Rückfallklausel gem. § 176a Abs. 1 StGB nach ihrem Wortlaut wegen des dort vorgeschriebenen Automatismus der Strafverschärfung mit dem Schuldprinzip unvereinbar, ist jedoch nach der Rechtsprechung einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. So muss über den Wortlaut hinaus in jedem Einzelfall ein Nachweis darüber erbracht werden, dass der Täter sich die frühere Verurteilung nicht hat zur Warnung dienen lassen und dass ihm dies vorzuwerfen ist (Eisele, in: Schönke/

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Auch in Deutschland können im Rahmen der Festsetzung der schuldangemessenen Strafe die Vorstrafen eines Straftäters berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hält eine Strafschärfung bei einem Rückfall aber nur dann für vereinbar mit dem Schuldprinzip, wenn „den Täter im konkreten Fall im Blick auf die Warnfunktion der Vorverurteilung ein verstärkter Schuldvorwurf trifft.“100 Vorstrafen wirken sich also nur dann strafschärfend aus, wenn durch sie das verschuldete Unrecht der neuen Tat oder die Notwendigkeit, im Rahmen des Schuldangemessenen auf ihn einzuwirken, erhöht wird.101 Der automatische Ausspruch einer besonders schweren Strafe im Rahmen der „three strikes“-Gesetzgebung kann aber nicht allein darauf gestützt werden, dass sich das verschuldete Unrecht der neuen Tat in solch hohem Ausmaß erhöht hat. Eine derart hohe Strafe muss jenseits der Tatschuldvergeltung in erster Linie präventive und repressive Zwecke verfolgen. Innerhalb der durch die Tatschuld bestimmten Grenzen ist auch in Deutschland die Berücksichtigung von Präventionsaspekten zulässig.102 Das Schlagwort „Prävention im Rahmen der Repression“ beschreibt die Verfolgung präventiver Zwecke in der deutschen Praxis der Strafzumessung treffend.103 Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe jenseits der durch das Schuldprinzip gezogenen Grenzen allein aus Sicherheitsgründen ist in Deutschland jedoch nicht möglich.104 Der US Supreme Court erkennt hingegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit zwischen einer begangenen Straftat und der hierfür verhängten Sanktion nicht an: Zwar hat der US Supreme Court bereits 1910 festgestellt, dass eine Freiheitsstrafe eine grausame und ungewöhnliche Strafe i.S.d. achten Zusatzartikels darstellen

Schröder, StGB, § 176a, Rn. 3; Renzikowski, in: Münchener Kommentar, StGB, § 176a, Rn. 13 mit weiteren Nachweisen; Pollähne, Grenzen des Ungehorsamsstrafrechts, S. 43). Auch § 211 StGB setzt für den Mörder die zwingende Rechtsfolge der lebenslangen Freiheitsstrafe fest und räumt damit seinem Wortlaut nach dem Richter kein Ermessen ein. Der Bundesgerichtshof entschied jedoch nach Vorgabe durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 45, 187= NJW 1977, S. 1525) in einer Kernentscheidung zur lebenslangen Freiheitsstrafe, dass aufgrund des überragenden verfassungsrechtlichen Schuldprinzips der Richter alle Umstände der Tat und des Täters berücksichtigen müsse. Soweit das vom Täter begangene Unrecht die Auferlegung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gebiete, sei entgegen des Wortlauts des § 211 StGB die Strafe unter Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB zu mildern (BGHSt 30, 105 = NJW 1981, S. 1965; Welke, S. 212). 100 BVerfG v. 16. 1. 1979 – 2 BvL 4/77, BVerfGE 50, 134. 101 BGH v. 25. 9. 1991 – 5 StR 306/91, BGHSt 38, 71 (73); Miebach, in: Münchener Kommentar, StGB, § 46, Rn. 111; Streng, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 46, Rn. 66. 102 Streng, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 46, Rn. 97; Meine, NStZ 1994, S. 161 ff. 103 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 105. 104 So auch das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe, BVerfGE 45, 187 = NJW 1977, S. 1529.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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kann, wenn sie unverhältnismäßig ist.105 Noch 1983 judizierte der US Supreme Court in Solem v. Helm die generelle Anwendbarkeit der „proportionality doctrine“ und postulierte, dass für einen Verstoß gegen den achten Zusatzartikel bereits das Vorliegen einer „beachtlichen Unverhältnismäßigkeit“ ausreichend sei.106 In Harmelin v. Michigan vollzog das Gericht jedoch eine Abkehr seiner früheren Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und betonte, dass das im achten Zusatzartikel aufgestellte Verbot der grausamen und unüblichen Bestrafung keine strikte Verhältnismäßigkeit zwischen einer verübten Straftat und der hierfür verhängten Sanktion erfordere.107 Außerhalb des Bereichs der Todesstrafe sei allein die Auferlegung solcher Strafen verboten, die „eklatant unverhältnismäßig“ sind. Damit setzt der US Supreme Court hohe Hürden für eine Berufung auf den achten Zusatzartikel und verneint die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Strafe.108 Mangels Bindung an das Schuldprinzip ist in den USA anders als in Deutschland daher auch die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe aus Sicherheitszwecken verfassungsrechtlich begründbar. Insofern verwundert auch die Absegnung der „three strikes“-Gesetzgebung durch den US Supreme Court nicht. d) Unterschiede in der föderalistischen Struktur beider Jurisdiktionen Die unterschiedliche föderale Struktur in Deutschland und den USA hat ebenfalls Auswirkungen auf die Verfassungsrechtsprechung beider Länder: In den USA steht die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich Strafrecht den einzelnen Bundesstaaten zu, die alle ihre eigenen Strafgesetzbücher und Strafprozessordnungen haben.109 Folgerichtig fördert auch der US Supreme Court rechtliche Vielfalt in den einzelnen Bundesstaaten im Bereich der kriminalpolitischen Sanktionen:110 Für das Gericht „versteht es sich von selbst, dass die Prävention und Bekämpfung von Kriminalität weit mehr die Aufgabe der Bundesstaaten und nicht des Bundes (ist), (…) wir sollten die Verfassung nicht leichtfertig in der Weise interpretieren, dass sie in die Rechte der Justiz der einzelnen Bundesstaaten eingreift.“111 Der US Supreme Court kann daher das Strafrecht der Bundesstaaten nur dann regulieren, wenn seine Anwendung bestimmte Verfassungsgarantien des 105

Vgl. Weems v. United States, 217 US 349 (1910), ausführlich zu dem Urteil siehe 2. Teil, C., II., 1. 106 Solem v. Helm, 463 US 277, 303 (1983). 107 Allein bei der Verhängung einer Todesstrafe müsse im Einzelfall die Verhältnismäßigkeit der Sanktion zur Straftat geprüft werden (Harmelin v. Michigan, 501 US 957, 1001 [1991]); siehe ausführlich zu diesen Urteilen unter 2. Teil, C., II., 2. 108 So im Ergebnis auch Lehnig, S. 289. 109 Siehe ausführlich hierzu unter 2 Teil, A I 1. 110 Hammel, S. 106. 111 Patterson v. New York, 432 US 197, 201 (1977).

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

rechtsstaatlichen Verfahrens verletzt.112 Die einzelnen Bundesstaaten werden als Laboratorien113 verstanden, in denen verschiedene Lösungsansätze zu strafverfahrensrechtlichen Fragestellungen entwickelt und beurteilt werden können.114 Insofern nimmt es kein Wunder, dass der US Supreme Court in Kansas v. Hendricks nicht gewillt ist, die kriminalpolitische Entscheidung des Bundesstaates Kansas, die „sexually violent predator laws“ als eine zivilrechtliche Maßnahme zu klassifizieren, zu hinterfragen. So ist für den US Supreme Court Ausgangspunkt der Überlegungen zum Charakter der „sexually violent predator laws“ die Ermittlung, ob der Gesetzgeber tatsächlich den Erlass eines zivilrechtlichen Gesetzes beabsichtigt habe. In diesen Fällen müsse sich der US Supreme Court „üblicherweise dem Willen des Gesetzgebers beugen“; der zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers sei nur dann unerheblich, wenn der „deutlichste Beweis“ dafür erbracht wird, dass dem Gesetz tatsächlich absichtlich oder zumindest im Ergebnis Strafcharakter zukommt.115 Der deutsche Föderalismus ist hingegen derart gestaltet, dass der Hauptteil der gesetzgebenden Gewalt beim Bund liegt, auch wenn gem. Art. 70 GG das Recht der Gesetzgebung grundsätzlich bei den Ländern liegt und der Bund nur dann Gesetze erlassen darf, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich zulässt, liegen tatsächlich die meisten Gesetzgebungszuständigkeiten beim Bund. Auch auf dem Gebiet des Strafrechts hat der Bund gem. Art. 72 Abs. 2, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz inne. Diese Kompetenz hat er durch den Erlass des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und der Strafvollzugsordnung nahezu ausgeschöpft.116 Auch wenn seit der Föderalismusreform der Strafvollzug nicht mehr Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist und seitdem schrittweise durch Ländervollzugsgesetze ersetzt wird,117 verweisen die bereits in Kraft getretenen Ländervollzugsgesetze teilweise immer noch auf das 112 Siehe Medina v. California, 505 US 437 443 (1992): „Im Bereich des Strafrechts haben wir bereits anerkannt, dass die in der Bill of Rights niedergelegten besonderen Strafverfahrensgarantien jenseits der ,due process clause‘ nur eingeschränkt anwendbar sind.“ Das Urteil beruft sich hierbei auf Dowling v. United States, 493 US 342, S. 352 (1990) und Spencer v. Texas, 385 US 554, S. 564 (1967): „Die Verfassung wurde nie derart ausgelegt, dass sie eine Kompetenz des US Supreme Court als Rechtsetzungsorgan zum Erlass bundesstaatlicher Gesetze auf dem Gebiete des Strafverfahrens begründet.“ (zitiert nach Hammel, S. 106). 113 So hat US Supreme Court Justice Louis Brandeis einmal angemerkt, dass es „eine der erfreulichen Eigenarten des föderalen Systems ist, dass ein einzelner wagemutiger Bundesstaat, sofern seine Bürger dies entscheiden, als Laboratorium zur Durchführung neuartiger sozialer und ökonomischer Experimente dienen kann, ohne damit den Rest des Landes zu gefährden.“ New State Ice Co. v. Liebman, 285 US, 262, 311 (1932) (zitiert nach Hammel, S. 106). 114 Hammel, S. 106. 115 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 361. 116 Siehe zum Ganzen Maiwald, ZRP 2006, S. 19 ff. Außerdem ausführlich hierzu 1. Teil, A., I. 117 Aktuell gilt das Strafvollzugsgesetz des Bundes nur noch in Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein (Stand März 2016).

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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bundesrechtliche Strafvollzugsgesetz oder stimmen mit den Regelungen des Bundesgesetzes wortwörtlich überein. Insofern besteht für die Bundesländer auch weiterhin wenig gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit im Bereich des Strafrechts.118 Die geringe Möglichkeit der Bundesländer zur Einflussnahme auf die Ausgestaltung des strafrechtlichen Sanktionensystems und insbesondere auf dem Gebiet der Sicherungsverwahrung besiegelt letztlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004, in der das Gericht die Straftäterunterbringungsgesetze dem Strafrecht i.S.d. Art. 74 Nr. 1 GG zuordnet und wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Bei Regelungen des Bundesgesetzgebers verfolgt das Bundesverfassungsgericht dagegen grundsätzlich den Ansatz, gesetzgeberische Entscheidungen im Bereich Strafrecht nicht zu hinterfragen. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Februar 2004 steht in Kontinuität mit Vorgängerentscheidungen zu kriminalpolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers, in dem unter Berufung auf den kriminalpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eine nur zurückhaltende Kontrolle der Regelungen ausgeübt wurde.119 So betont das Bundesverfassungsgericht, dass es ihm nicht zustehe, zu hinterfragen, ob die kriminalpolitische Entscheidung der Aufhebung der Höchstfrist geboten war. Die Annahme, dass auf diese Weise potenzielle Opfer besser geschützt werden können, unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gehandelt habe.120 Trotz Absegnung der neuen Regelungen hebt das Bundesverfassungsgericht aber besonders hervor, dass aus dem Umstand, dass die Sicherungsverwahrung eine Maßregel und keine Strafe darstelle, eine besonders privilegierte Gestaltung ihres Vollzugs folgern muss.121 Zudem rügt es nach umfassender Beweiserhebung das vermeintlich mangelhafte statistische Material der Landesregierungen und betont die Notwendigkeit einer regelmäßigen Überprüfung der tatsächlichen Vollzugsbedingungen für Sicherungsverwahrte, um einen „reinen Verwahrvollzug gefährlicher Straftäter“ auszuschließen. Konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung eines mit der Verfassung im Einklang stehenden Vollzugs der Sicherungsverwahrung vermeidet das Bundesverfassungsgericht jedoch. 118

So im Ergebnis auch Hammel, S. 106. So gibt es neben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2011 zur Sicherungsverwahrung nur wenige Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu vom Gesetzgeber für notwendig erachteten kriminalrechtlichen Sanktionen, in denen das Gericht die kriminalpolitische Entscheidung des Gesetzgebers hinterfragt. Hervorzuheben sind dabei die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187), zur Unterbringung in einer Erziehungsanstalt (BVerfGE 91,1) und zur Vermögensstrafe (BVerfGE 105,135); so auch Dessecker, ZIS 2011, S. 711. 120 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 92. 121 BVerfG, 2 BvR 2029/01, Rn. 125; Mushoff, S. 309. 119

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Letztlich bleibt völlig unklar, wie die Besserstellungen im Vollzug der Sicherungsverwahrung genau aussehen sollen. Ebenso unbestimmt bleibt, wie das Abstandsgebot umgesetzt werden soll. Mit der Aufforderung an die Länder, umfassendes statistisches Material zu erheben und mit der Aufstellung des Abstandsgebots122 setzt das Gericht aber zumindest ein sehr deutliches Zeichen dahingehend, dass die Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber nicht uneingeschränkt gilt. Letztlich hat sich dies auch mit der Entscheidung vom 04. Mai 2011 – wenn sie auch größtenteils auf Druck seitens des EGMR zurückführen ist – bewahrheitet. Zusammenfassend wird damit deutlich, dass der US Supreme Court dem bundesstaatlichen Gesetzgeber eine weitaus größere Ehrerbietung als das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber erweist. e) Die Einbindung des Bundesverfassungsgerichts und des US Supreme Court in das supranationale Institutionengefüge Im Folgenden soll der These nachgegangen werden, dass Unterschiede in der Verfassungsrechtsprechung beider Länder auch auf die jeweilige Verflechtung mit der internationalen Staatengemeinschaft bzw. Anbindung an internationale und supranationale Organisationen zurückzuführen sind. So rührt die deutsche Zurückhaltung bzgl. der Sicherungsverwahrung auch von den besonderen Auswirkungen der Europäischen Union, des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte her. Zunächst bringt die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in internationale und supranationale Organisationen bzw. Bindung an supranationale Konventionen eine starke Betonung der Menschenrechte mit sich.123 Die Vielfalt an Grundrechtsgarantien in Europa belegt, wie umfassend die Notwendigkeit grundrechtlicher Einbindung und Begrenzung jeder 122 Die Aufstellung des Abstandsgebotes im Urteil vom 05. Februar 2004 bot dem Bundesverfassungsgericht deshalb auch die Gelegenheit, nach „M. gegen Deutschland“ unter Berufung auf die Nichteinhaltung des Abstandsgebotes die bisherigen Regelungen als verfassungswidrig zu beanstanden. 123 Neben den Grundrechten der Landesverfassungen und den Grundrechten des Grundgesetzes hat der Europäische Gerichtshof die Wahrung der Grundrechte als allgemeinen Grundsatz anerkannt und zahlreiche eigenständige Gemeinschaftsgrundrechte aus gemeinsamen Verfassungstraditionen oder aus gemeinsamen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hergeleitet und anerkannt. Die Achtung dieser Grundrechte durch die EU ist in Art. 6 Abs. 1 EUV festgehalten worden. Zugleich sind in Europa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 beschlossenen Fassung, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 12. Dezember 1966 und die Grundrechtsgewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten (Pache, EuR 2004, S. 393). Auch Albrecht stellt die These eines Zusammenhangs zwischen der in europäischen Ländern zu Tage tretenden Haltung zur Sicherungsverwahrung und deren Einbindung in die europäische Staatengemeinschaft auf (Albrecht, in: Wegsperren?, S. 455).

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Hoheitsausübung in Europa mittlerweile auf allen Ebenen nationalen, supranationalen und völkerrechtlichen Handelns anerkannt und als unentbehrlich angesehen wird.124 Insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention wird dabei von allen Mitgliedstaaten des Europarates als menschenrechtlicher Kernbestand der europäischen Verfassungsordnung anerkannt und soll einen übernationalen Schutz der Menschenrechte gewährleisten.125 Die Bundesrepublik Deutschland unterliegt somit einer starken menschenrechtlichen Kontrolle durch supranationale Schutzmechanismen. Die damit einhergehende schwindende Entscheidungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland in Menschenrechtsfragen bedeutet zugleich eine starke Einschränkung ihrer staatlichen Souveränität.126 Die USA sind im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland zwar Mitglied internationaler, aber kaum supranationaler Organisationen mit weit reichenden autonomen Befugnissen wie der Europäischen Union.127 Bisher sind die USA nicht bereit, eine supranationale Gerichtsbarkeit in Menschenrechtsfragen zu akzeptieren, sondern halten an der klassischen Konzeption eines souveränen Staates ohne überstaatliche Gerichtsbarkeit fest.128 Die USA sind damit in ihrer Verfassungsrechtsprechung weitaus autonomer als die Bundesrepublik Deutschland, die sich auch immer mit etwaigen politischen Konsequenzen auseinandersetzen muss.129 Die supranationale Überwachung der Verfassungsrechtsprechung in der Bundesrepublik bzw. das Fehlen eines ähnlichen Kontrollmechanismus in den USA hat womöglich auch Einfluss auf die Entscheidungsfindung beider Verfassungsgerichte gehabt: So führt die Einbindung der Bundesrepublik Deutschlands in diese internationalen und supranationalen Organisationen und der damit einhergehenden starken Betonung der Menschenrechte zunächst schon zu einer Scheu des Gesetzgebers vor allzu drastischen Vorkehrungen zum Schutz vor gefährlichen Straftätern, weil mit diesen Regelungen zwangsläufig auch erhebliche Grundrechtsbelastungen für Straftäter verbunden sind. Aber auch die Rechtsprechung, allen voran das Bundesverfassungsgericht, muss bei der Überprüfung der Kriminal- und Sicherheitspolitik die staats- und völkerrechtliche Stellung der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigen. Eindrucksvoll hat sich der Einfluss des EGMR auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Gebiet der Sicherungsverwahrung durch „M. gegen Deutschland“ gezeigt, in dessen Folge das Bundesverfassungsgericht sich gezwungen sah, seine bisherige Rechtsprechung zur Si-

124 125 126 127 128 129

Pache, EuR 2004, S. 394. Pache, EuR 2004, S. 395; Pernice, EuZW 2004, S. 705. Ress, ZaöRV 2004, S. 623. Rittberger/Kruck/Romund, Grundzüge der Weltpolitik, S. 174. Ress, ZaöRV 2004, S. 639. Bzgl. USA siehe auch Schmid, S. 5.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

cherungsverwahrung aufzugeben.130 Ohne Intervention durch den EGMR wäre ein solches Grundsatzurteil wohl kaum ergangen. Einer solchen Überprüfungsinstanz wie dem EGMR unterliegt der US Supreme Court hingegen nicht. Er muss keine Schelte für die Absegnung einer menschenrechtswidrigen Praxis von einem supranationalen Gericht befürchten. Das Widerstreben beider Verfassungsgerichte (oder im Falle Deutschlands zumindest das anfängliche Widerstreben), das normative Gerüst der vom Gesetzgeber für erforderlich erachteten Regelungen zur Sicherungsverwahrung aus der Sicht der Verfassung in Frage zu stellen, lässt sich an dieser Stelle auch gut mit Hilfe eines Vergleichs mit der Haltung des supranationalen Gerichts des EGMR aufzeigen. So ist besonders auffällig, wie wenig Ehrerbietung der EGMR dem deutschen Gesetzgeber und dem Bundesverfassungsgericht in „M. gegen Deutschland“ erweist. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Praxis der Sicherungsverwahrung in Deutschland wegen Verletzung von Art. 7 Abs. 1 EMRK für konventionswidrig hält. Worauf kann dieser mangelnde Respekt gegenüber den Entscheidungen des deutschen parlamentarischen Gesetzgebers, die zugleich den Willen des Volkes widerspiegeln, herrühren? Womöglich spielt dabei die geringe faktische Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR eine Rolle. Denn die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gilt in der Bundesrepublik Deutschland nur im Rang eines einfachen Bundesgesetzes.131 Deshalb kann das Bundesverfassungsgericht auch nicht im Wege einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der EMRK angerufen werden.132 Die Urteile des EGMR haben, abgesehen von den Entscheidungen über die Zubilligung einer Entschädigung (Art. 41 EMRK) im Wesentlichen feststellenden Charakter; sie binden unmittelbar nur die beteiligten Parteien.133

130 Die Reaktion des Bundesverfassungsgerichts auf die Rechtsprechung des EGMR zur Sicherungsverwahrung ist interessant. Auch wenn offensichtlich ist, dass das Gericht in seiner Entscheidung vom 04. Mai 2011 eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung vollzogen hat, versucht das Bundesverfassungsgericht die Korrektur seiner bisherigen Rechtsprechung zu verschleiern, indem es „M. gegen Deutschland“ nicht als Rüge, sondern vielmehr als Bestätigung des Urteils vom 05. Februar 2004 deutet. Die nunmehrige Beanstandung der Regelungen zur Sicherungsverwahrung begründet das Gericht nämlich mit der Nichteinhaltung des im Urteil vom 05. Februar 2004 aufgestellten Abstandsgebotes. So heißt es, der Gesetzgeber habe „die Sicherungsverwahrung immer mehr ausgeweitet, ohne jedoch (…) ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept für die Unterbringung zu entwickeln, das dem Abstandsgebot gerecht geworden wäre.“ (BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 120); Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, S. 62. 131 BVerfGE 74, 358 (370); BVerfG, NJW 2004, S. 3407 (3408); BVerfG, NJW 2012, S. 3357 (3360); Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Vorbemerkung, Rn. 366; Ekardt/Lessmann, Kritische Justiz 2006 S. 387 f. 132 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Vorbemerkung, Rn. 366. 133 Ekardt/Lessmann, Kritische Justiz 2006, S. 387 f.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Unabhängig davon, dass das Bundesverfassungsgericht zwar die Bestimmungen der EMRK als Auslegungshilfe heranzieht134 und den Behörden und Gerichten eine Berücksichtigungspflicht der EMRK in der Auslegung durch den EGMR in ihrer Entscheidungsfindung auferlegt,135 ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, inwieweit es seine Rechtsprechung der Rechtsprechung des EGMR anpassen will, vor allen Dingen politischer Natur.136 Die fehlende Durchsetzungsfähigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mag daher zur Folge haben, dass das Bestreben der Richterschaft, ihrer Rechtsaufassung Ausdruck zu verleihen, umso größer ist, um so wenigstens politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu können. Zudem muss sich ein Rechtsprechungsorgan, dessen Entscheidungen vornehmlich politische Bedeutung zukommt, nicht mit der möglichen Tragweite seiner Entscheidung auseinandersetzen.137 Stellt dagegen der US Supreme Court die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes fest, hat dies auch seine Nichtigkeit zur Folge. Selbiges gilt auch, zumindest entsprechend dem gesetzlichen Regelfall,138 bei einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht. Es nimmt daher wohl auch kein Wunder, dass beide Gerichte diese einschneidende Rechtsfolge zu vermeiden suchen und das Bundesverfassungsgericht erst nach Druck seitens des EGMR seine Rechtsprechung überdacht hat. 3. Kriminalpolitische Unterschiede Ferner sei hier die These aufgestellt, dass die Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von jeweiligen kriminalpolitischen Unterschieden in beiden Ländern geprägt ist.

134

BVerfGE 111, 307 (317); 120, 180 (200 f.). Siehe BVerfG, 2 BvR 1481/04. 136 So auch Dubber/Hörnle, S. 71. 137 Ähnlich siehe Dubber/Hörnle, S. 71. 138 Das Bundesverfassungsgericht kann als Rechtsfolge bei der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes neben der Nichtigkeit eines Gesetzes (§ 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG) auch die bloße Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (§ 31 Abs. 2 S. 3 BVerfGG) bestimmen. Im Regelfall ist die gesetzliche Regelung für nichtig zu erklären (BVerfGE 114, 316 (338). Die bloße Unvereinbarerklärung kommt dann in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (vgl. BVerfGE 33, 1, 13; 33, 303, 347 f.; 40, 276, 283; 41, 251, 266; 51, 268, 290 ff.). 135

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

a) Die Bedeutung des Resozialisierungsgedankens in der Kriminalpolitik Deutschlands und der USA Nachdem das Resozialisierungsprinzip bereits unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts beider Länder untersucht wurde, soll im Folgenden auch auf die kriminalpolitische Bedeutung des Resozialisierungsprinzips näher eingegangen werden. Es wird die These vertreten, dass die Entscheidungen beider Verfassungsgerichte auch Ausdruck des unterschiedlichen kriminalpolitischen Verständnisses eines angemessenen Umgangs mit gefährlichen Straftätern sind. Denn die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte beider Länder spiegelt auch die jeweiligen Entwicklungstendenzen in der Kriminalpolitik wider, die wiederum geprägt sind durch die in der Bevölkerung jeweils verbreitete Einstellung in Bezug auf staatliches Strafen und Resozialisierung. Es kommt eindrucksvoll zum Ausdruck, dass nicht nur eine Wechselwirkung des Strafrechts mit dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung besteht, sondern auch die Verfassungsrechtsprechung durch den ständigen gesellschaftlichen Wandel im Verständnis des richtigen Umgangs mit Straftätern beeinflusst wird. In den USA wird – korrespondierend zur fehlenden Verknüpfung von Verfassung und Resozialisierung – in der Kriminalpolitik der Schwerpunkt nicht auf die Resozialisierung von Straftätern gesetzt. Die geringe Bedeutung der Resozialisierung in der Strafpraxis ergibt sich bereits aus der traditionell strikten Trennung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen im US-amerikanischen Strafrecht. Diese Sanktionsstruktur bringt es nämlich mit sich, dass bereits die Art der verhängten Sanktion darüber entscheiden wird, ob einem Straftäter Behandlungsmaßnahmen gewährt werden oder nicht. Nach der bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts herrschenden strengen Strafrecht/Zivilrecht-Dichotomie kommt für den voll verantwortlichen Straftäter nur die Freiheitsstrafe und für den infolge einer psychischen Erkrankung schuldlos handelnden Straftäter nur die zivilrechtliche Unterbringung als staatliche Reaktion in Betracht kommt.139 Die Entscheidung darüber, ob das Gericht gegen einen Straftäter eine Freiheitsstrafe verhängt oder eine zivilrechtliche Unterbringung anordnet, wird anhand der Feststellung der Schuldunfähigkeit (sog. „insanity defense“) getroffen. Da der Anwendungsbereich dieses Verteidigungsmittels jedoch nach dem Freispruch des Reagan-Attentäters wegen Schuldunfähigkeit erheblich eingeschränkt wurde140, wird eine psychische Erkrankung als Schuldausschließungsgrund inzwischen nur in sehr seltenen Extremfällen anerkannt. Die hat was wiederum zur Folge, dass in den USA zahlreiche psychisch kranke Straftäter in gewöhnlichen Gefäng139 140

Siehe ausführlich unter 2. Teil, A., III. Siehe ausführlich hierzu 2. Teil, A., V., 2.

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

219

nissen untergebracht werden. Das Ausmaß individueller Betreuung und vorhandener Therapieplätze schwankt extrem von Bundesstaat zu Bundesstaat, kann aber tatsächlich nur minimal sein.141 Dies hat wiederum zur Folge, dass ein hoher Anteil der an einer ernsthaften psychischen Störung leidenden Gefängnispopulation nicht behandelt wird.142 Obwohl sich die Gefangenpopulation in den USA von 1980 bis 2003 vervierfacht hat143, sind die im Strafvollzug angebotenen Maßnahmen und Hilfen zur Resozialisierung weder an den gesteigerten Bedarf angepasst noch individuell abgestimmte Therapiekonzepte entwickelt worden.144 Auch die Einführung der „sexually violent predator laws“ und die damit einhergehende Auflösung der Strafrecht/Zivilrecht-Dichotomie konnte bisher nichts Grundlegendes daran ändern, dass den meisten behandlungsbedürftigen Straftätern Behandlungsangebote vorenthalten werden. Denn allein wegen des auf Sexualstraftäter begrenzten Anwendungsbereichs der „sexually violent predator laws“ setzen die USA weiterhin im Schwerpunkt auf die Sicherungsstrafe. Auch die wenigen tatsächlich aufgrund der „sexually violent predator laws“ untergebrachten Personen werden bisher nur unzureichend behandelt.145 Warum aber ist ein kriminalpolitisches Bedürfnis für die Ausweitung und Individualisierung von Behandlungsangeboten im Strafvollzug trotz extremen Anstiegs der Strafgefangenenraten nicht erkannt worden? Als Ursache für die fehlende Bereitstellung finanzieller Mittel zur Umgestaltung des US-amerikanischen Sanktionsvollzugs in ein Instrument der Resozialisierung ist der Rückgang der Bedeutung der Resozialisierungstheorie in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts anzuführen. Aus einer Krise des Resozialisierungsgedankens heraus entwickelte sich in der Mitte der 1970er Jahren die sog. „nothing works“-Doktrin, die die Ineffektivität von Resozialisierungsbemühungen des Strafvollzuges propagierte.146 Waren die herrschenden Straftheorien zuvor noch eindeutig dem Resozialisierungsprinzip verpflichtet, dominieren bis heute der Gedanke der Abschreckung und die vergeltende Straftheorie des „just deserts“.147 Seit 141

Kirchmeier, 83 OR. L. Rev. 2004, S. 690; Hammel, S. 107 f. Hammel, S. 108 f. 143 Siehe criminal fact sheet der National Association for the advancement of colored people (NAACP), abrufbar unter http://www.naacp.org/pages/criminal-justice-fact-sheet. 144 Hammel, S. 108. Hammel beruft sich auf die Studie von Lawrence, The Practice and Promise of Prison Programming, S 3. Lawrence erkennt ein Defizit insbesondere an Alphabetisierungsprogrammen sowie allgemeinen Schulungs- und Ausbildungsprogrammen in USamerikanischen Gefängnissen. 145 Siehe dazu 3. Teil, C., II., 3. b). 146 Martinson, See what works?, The Public Interest 1974, S. 22; siehe auch Blau, GA 1976, S. 33 ff.; Jescheck, ZStW 91 (1979), 1038 ff; (Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, StGB, Vorbem. § 1, Rn. 276). 147 Zum Ganzen siehe ausführlich 2. Teil, A., V., 2. 142

220

3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Ende des letzten Jahrhunderts sind die bisher anerkannten Strafzwecke noch um den der potentiellen Verhinderung von zukünftigen Straftaten erweitert worden. Wiedereingliederung und Resozialisierung als Strafzwecke sind hingegen auf dem Rückzug.148 Völlig gegensätzlich zum kriminalpolitischen Ansatz in den USA ist die Resozialisierung vordergründiges Anliegen der Kriminalpolitik in Deutschland. Anders als in den USA sieht das deutsche Strafrechtssystem die Verhängung von Maßregeln nicht nur gegen schuldlos oder vermindert schuldfähig handelnde Personen i.S.d. §§ 20, 21 StGB149 vor, sondern ermöglicht mit dem Instrument der Sicherungsverwahrung die Unterbringung von strafrechtlich voll verantwortlichen Personen zum Zwecke der präventiven Gefahrenabwehr.150 Unabhängig davon, ob eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen einen schuldfähigen oder schuldunfähigen Täter vollstreckt wird, ist für den Maßregelvollzug das verfassungsrechtliche Gebot der Resozialisierung zu beachten.151 Dem verfassungsrechtlich fundierten Resozialisierungsauftrag entsprechend ist aber gleichermaßen der Strafvollzug in Deutschland besonders stark daran orientiert, die Strafgefangenen auf ihr Leben in Freiheit vorzubereiten.152 Anders als in den USA hat die Bestimmung der für den einzelnen Straftäter angemessenen Sanktion somit keine Auswirkungen darauf, ob ein Straftäter Resozialisierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen kann oder nicht. Das Resozialisierungsgebot ist vielmehr von Verfassungs wegen sowohl für den Straf- als auch den Maßregelvollzug verbindlich.153

148

Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 365 f. Schuldlos handelt gem. § 20 StGB, wer „unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“ (siehe Gesetzeswortlaut § 20 StGB). Entsprechend ist ein Täter vermindert schuldfähig gem. § 21 StGB, dessen Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, „erheblich vermindert“ ist. 150 Wie oben bereits erläutert, sehen die „sexually violent predator laws“ zwar die zivilrechtliche Unterbringung schuldfähiger Straftäter nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe vor. Diese lassen sich aber dogmatisch schwer im US-amerikanischen Strafrechtssystem einordnen, welches traditionell die strikte Trennung von strafrechtlichen Maßnahmen für schuldfähige Täter einerseits und zivilrechtlichen Maßnahmen für schuldunfähige Täter andererseits anhand der „insanity defense“ vorsieht. Auch wenn damit in den USA gegenüber schuldfähigen Straftätern nunmehr ebenso die Möglichkeit der Anordnung einer Maßnahme gegeben ist, stellen die „sexual-predator“-Gesetze weiterhin eine Besonderheit im US-amerikanischen Strafrechtssystem dar. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die Gesetze – anders als die deutsche Sicherungsverwahrung – nur auf Sexualstraftäter Anwendung finden. 151 Dies lässt sich bereits der Formulierung in § 61 StGB, die von „Maßregeln der Besserung und Sicherung“ spricht, entnehmen. 152 Folgerichtig ist die Ausrichtung des Maßregel- und Strafvollzugs am Resozialisierungsgedanken auch in § 3 Abs. 3 StVollZG kodifiziert. 153 So heißt es, dass der Vollzug dem Gefangenen dabei helfen soll, „sich in das Leben in Freiheit einzugliedern“. 149

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

221

Die Entscheidungen beider Verfassungsgerichte bringen die zur Zeit ihres Erlasses jeweils herrschende kriminalpolitische Doktrin gut zum Ausdruck: Die Absegnung der mit dem Resozialisierungsprinzip nicht zu vereinbarenden „three strikes laws“ sowie der „sexually violent predator laws“ mit der Feststellung, dass die Besserung des Gefangenen Nebenzweck sein kann, spiegelt die in dieser Zeit zu beobachtende generelle Ernüchterung und Krise des Resozialisierungsgedankens in den USA wider.154 Selbiges lässt sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erkennen: Auch wenn eine völlige Ablösung vom Resozialisierungsgedanken wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung desselben nicht möglich ist, hat sich das Bundesverfassungsgericht im Gleichklang mit der allgemeinen Entwicklung in der Kriminalpolitik und der strafrechtlichen Literatur zeitweise von der Leitidee der Resozialisierung entfernt.155 So scheinen die frühen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung genau wie die Entscheidungen des US Supreme Court Ausdruck immensen politischen und gesellschaftlichen Drucks zu sein, die neuen Regelungen zur Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter abzusegnen. Erst nach der Verurteilung durch den EGMR setzte das Bundesverfassungsgericht wieder verstärkt auf den Grundsatz der Resozialisierung. b) Die Ausgestaltung des Sanktionenvollzugs in Deutschland und den USA Fraglich ist, ob die divergierende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des US Supreme Courts mit der unterschiedlichen Ausgestaltung des Vollzugs der Unterbringung besonders gefährlicher Straftäter zum Schutz der Allgemeinheit in beiden Ländern im Zusammenhang steht. Tatsächlich ist zu beachten, dass die zivilrechtliche Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator“-Gesetze in den meisten US-Bundesstaaten nicht in Strafvollzugsanstalten, sondern in separaten Einrichtungen (zumeist in Hochsicherheits-Krankenhäusern) vollzogen wird.156 Zudem sind in den meisten USBundesstaaten nicht die Gefängnisbehörden („department of corrections“), sondern

154

In dem Zeitrahmen, in dem die US-amerikanische Kriminalpolitik noch resozialisierungsfreundlich ausgerichtet war, finden sich hingegen auch einige Urteile des US Supreme Court, die die Auswirkungen einer freiheitsentziehenden Sanktion auf die mögliche Resozialisierung berücksichtigen, siehe 2. Teil, A., V., 4. Siehe ausführlich hierzu unter 2. Teil, A., V., 2. 155 Siehe ausführlich hierzu unter 1. Teil, A., IV. 156 Gaenslen, S. 146. Eine detaillierte Aufstellung zur Organisation des Vollzugs der „sexually violent predator laws“ in den einzelnen Bundesstaaten findet sich unter http://www.wsipp.wa.gov/ReportFile/ 899.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Behörden für Gesundheit und Soziales („department of Health and Human Services“) für den Betrieb der Einrichtungen zuständig.157 Auch das „sexual-predator“-Gesetz des Bundesstaates Kansas, das der Prüfung des US Supreme Court in Kansas v. Hendricks bzw. Kansas v. Crane unterlag, sieht den Vollzug der Unterbringung in einer staatlichen Anstalt vor, die vom „Amt für soziale Dienste und Wiedereingliederungsmaßnahmen“ („department of social and rehabilitation services“) betrieben wird.158 In Deutschland wird die Sicherungsverwahrung hingegen in separaten Abteilungen der allgemeinen Strafvollzugsanstalten vollzogen.159 Zudem ist auch die für den Strafvollzug und den Vollzug der Sicherungsverwahrung zuständige Behörde identisch.160 Insofern könnten die nunmehr unterschiedlichen Ergebnisse der Verfassungsgerichte hinsichtlich der Frage, ob den jeweils untersuchten Regelungen ein Strafcharakter zukommt, durch die differierenden Vollzugsbedingungen in beiden Ländern begründet sein. Dem ist jedoch zu entgegen, dass sich die praktische Ausgestaltung des Vollzugs der „sexually violent predator laws“ trotz des äußeren Anscheins nicht wesentlich von der deutschen Praxis der Sicherungsverwahrung im Zeitpunkt der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unterscheidet.

157

Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 396; Roberts, S. 708. Kansas Statutes § 59 – 29a07. Siehe ausführlich hierzu Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 395 f. 159 Dies ist explizit in § 140 Abs. 1 StVollzG geregelt, der zur Zeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bundesweit geltendes Recht war. Nach der Neuregelung der Art. 72 ff. GG durch das FöderalismusreformG vom 28. 08. 2006 fällt der Strafvollzug nunmehr gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 70 Abs. 1 GG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder, auch wenn das StVollzG gem. Art. 125a Abs. 1 GG als Bundesrecht fortgilt. Aber auch die bisher auf dem Gebiet des Strafvollzugs erlassenen Landesgesetze sehen im Regelfall die Unterbringung in getrennten Abteilungen der für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalten vor. Zur bisherigen Vollzugspraxis siehe umfassend Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, in der für eine komplette Neugestaltung oder Abschaffung des Instituts der Sicherungsverwahrung plädiert wird. Eine aktuellere Studie führte Bartsch im Jahre 2008 durch (Bartsch, ZIS 2008, S. 280 ff.), der insbesondere auf die geringe Anzahl an Sicherungsverwahrten hinwies, die an einer Therapie teilnehmen. (weitere Untersuchungen zur Vollzugspraxis siehe Böhm, Ausgewählte Fragen des Maßregelrechts, S. 766 ff. Kinzig, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2010, S. 48). 160 §§ 151 Abs. 1, 139 Abs. 1, 140 Abs. 1 StrVollZG; auch in den bisher erlassenen Ländergesetzen, die sich mit dem Vollzug der Sicherungsverwahrung befassen, gelten gleichgelagerte Regelungen. Überblick über die bisher erlassenen Regelungen der Länder zum Vollzug der Sicherungsverwahrung siehe StVollzG, Beck Gesetzessammlung, Stand 08. 03. 2016, Einleitung, Rn. 1. 158

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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Ein genauer Blick auf die realen Vollzugsbedingungen für „sexually violent predators“ offenbart nämlich, dass ihre zwangsweise Unterbringung ähnlich wie der reguläre Strafvollzug gestaltet wird. Die gesetzlich vorgesehene Behandlung von aufgrund der „sexually violent predator laws“ untergebrachten Personen variiert extrem von Bundesstaat zu Bundesstaat. So verlangen manche „sexually violent predator laws“ tatsächlich die Erstellung individueller Therapiepläne und die Dokumentation jedweder ärztlicher und therapeutischer Maßnahmen.161 Andere Gesetze hingegen regeln nicht, wie das Recht des Straftäters auf Behandlung umgesetzt werden soll.162 Tatsächlich werden jedoch in vielen Einrichtungen, in denen „sexually violent predator laws“ vollzogen werden, gar keine oder nur wenige Therapiemaßnahmen angeboten163, so dass der Betroffene die Unterbringung letztlich genau wie eine Inhaftierung wahrnimmt.164 Auch dem US Supreme Court lagen dringende Anhaltspunkte dafür vor, dass im Bereich der therapeutischen Behandlung von aufgrund der „sexually violent predator laws“ untergebrachten Personen im Bundesstaat Kansas Defizite bestehen. Selbst der Kläger Hendricks aus der gleichnamigen Entscheidung Kansas v. Hendricks ist keiner Behandlung unterzogen worden. Dennoch entschied sich der US Supreme Court dafür, den seiner Beurteilung der „sexually violent predator laws“ als zivilrechtliche Gesetze widerstreitenden Anhaltspunkten keine große Beachtung zu schenken. Die unzureichenden Therapieangebote wertet der US Supreme Court nicht als Umstände, die geeignet sind, die Verfassungsmäßigkeit der „sexually violent predator laws“ in Frage zu stellen.165 Die Tatsache, dass die Hendricks zuteil werdende Behandlung eher „dürftig“ ausfalle, wurde damit begründet, dass er die erste aufgrund der „sexually violent predator laws“ untergebrachte Person sei und der Bundesstaat Kansas demnach alle Verfahrensabläufe noch nicht vollumfänglich organisiert habe.166 Auch einen Appell 161

So etwa Washington Revised Code §§ 71.09.080; 71.09.080 (2). So heißt es etwa in Florida Statutes, §394.922 (2006), dass „die Behandlung einer nach diesem Gesetz untergebrachten Person mit verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar“ sein muss; siehe nahezu identischer Wortlaut in Iowa Code, § 229 A.9 (2005). Siehe zum ganzen Ra, The Civil Confinement of Sexual Predators, S. 364 f. 163 Demleitner, S. 1634; Roberts, S. 708 f.; Miller, 98 California Law Review, S. 2108 ff., La Fond, Washington’s Sexually Violent Predator Law: A Deliberate Misuse of the Therapeutic State for Social Control, S. 657 ff., über die Vollzugsbedingungen des Sexually Violent Predator Law des Bundesstaats Washington. Die American Psychiatric Association kam ebenso zu dem Ergebnis, dass die Unterbringung nach den „sexually violent predator laws“ „eher der Unschädlichmachung als der Behandlung der untergebrachten Personen“ diene (American Psychiatric Association, Dangerous Sex Offenders, S. 12; zitiert nach Demleitner, S. 1634). 164 Roberts, S. 708. 165 Anders dagegen Breyer in seiner abweichenden Stellungnahme in Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 377 ff., der der zivilrechtlichen Unterbringung von Hendricks aufgrund seiner fehlenden Behandlung Strafcharakter beimisst (näher dazu siehe 2. Teil, B., IV., 1. d)). 166 Kansas v. Hendricks, 521 US 346, S. 368. 162

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

dahingehend, dass die Ausgestaltung der Vollzugsbedingungen zu einem späteren Zeitpunkt erneut überprüft werden sollte, enthält die Entscheidung nicht. Entscheidendes Kriterium für die zivilrechtliche Natur der „sexually violent predator laws“ sei die Tatsache, dass „sexually violent predators“ in Kansas außerhalb regulärer Haftanstalten untergebracht werden und nicht dem Aufgabenbereich der Strafvollzugsbehörden, sondern dem „Kansas Department of Health and Social and Rehabilitative Services“ unterstehen. Seinem formalistischen Ansatz entsprechend stellte der US Supreme Court allein darauf ab, ob das Gesetz aus Kansas die Behandlung von Straftätern regelte und nicht, ob diese tatsächlich stattfand. Folgerichtig musste sich das Gericht dann auch nicht mehr mit der Qualität der Vollzugsbedingungen auseinandersetzen, sondern konnte bei der Auslegung des Gesetzes allein auf den Wortlaut abstellen.167 Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 05. Februar 2004 am Vollzug der Sicherungsverwahrung in regulären Strafvollzugsanstalten ebenfalls keinen Anstoß genommen. Vielmehr kam das Bundesverfassungsgericht trotz deutlicher gegenteiliger Hinweise zu dem Ergebnis, dass die Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung des Vollzugs tatsächlich auf die Resozialisierung der Sicherungsverwahrten ausgerichtet sei. Erst der EGMR stellte wegen der Unterbringung von Sicherungsverwahrten in regulären Strafvollzugsanstalten sowie den geringfügigen Änderungen in der Vollzugsgestaltung im Vergleich zum Strafvollzug den faktischen Strafcharakter des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Deutschland fest.168 Diesen Ansatz hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 04. Mai 2011 nicht vollständig übernommen. Vielmehr betonte das Bundesverfassungsgericht, dass eine vollständige räumliche Trennung vom Strafvollzug nicht notwendig sei.169 Den Bedenken des EGMR gegen die deutsche Vollzugspraxis ist jedoch durch die Formulierung des bereits in der Entscheidung vom 05. Februar 2004 geforderten „Abstandsgebots“ Rechnung getragen worden.

167

So verglich Friedland die Analyse der Vollzugsbedingungen des US Supreme Court treffend mit der hypothetischen Feststellung des US Supreme Court, dass ein Blick in das Menü eines Restaurants bereits genüge, um die Qualität des Restaurants zu bewerten (Friedland, S. 112). 168 EGMR, Urteil vom 17. 12. 2009 – 19359/04 M./Deutschland, EGMR HRRS 2010 Nr. 65, Rn. 139. 169 Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass eine Anbindung an eine Justizvollzugsanstalt den Vorteil mit sich bringe, dass deren Infrastruktur und Sicherheitsmanagement genutzt werden und ein breites Freizeit- und Arbeitsangebot gewährleisten werden könne (BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 115).

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

225

Auffällig ist also, dass die Vollzugsbedingungen in den USA für besonders gefährliche Straftäter ungeachtet des äußeren Anscheins gegenüber den Bedingungen für Sicherungsverwahrte in Deutschland nicht privilegiert sind. In den separaten Einrichtungen für „sexually violent predators“ finden sich vielmehr häufig Bedingungen vor, die auf einen bloßen Verwahrvollzug hindeuten, der sich vom herkömmlichen Strafvollzug kaum unterscheidet. Dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 04. Mai 2011 anders als der US Supreme Court die neuen Vorschriften zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt, lässt sich also nicht auf schlechtere Vollzugsbedingungen für Sicherungsverwahrte in Deutschland zurückführen. Vielmehr kommt neben der geringeren Bedeutung der Ausrichtung des Vollzugs am Resozialisierungsgedanken für den US Supreme Court170 erneut zum Ausdruck, dass er seine Einordnung der „sexually violent predator laws“ als zivilrechtliche Gesetze fast ausschließlich auf formelle Kriterien abstellt. Entscheidendes Gewicht misst der US Supreme Court der Kategorisierung der „sexually violent predator laws“ als zivilrechtlich durch den Gesetzgeber, der Unterbringung der „sexually violent predators“ in separaten Einrichtungen und der Zuständigkeit anderer Behörden bei. Die tatsächlichen Bedingungen des Vollzugs der zivilrechtlichen Unterbringung spielen jedoch nur eine untergeordnete Rolle bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt sich in seiner ersten Entscheidung der deutlichen Diskrepanz zwischen verfassungsrechtlichem Resozialisierungsanspruch und Vollzugwirklichkeit nicht.171 Erst nach der Schelte durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sah sich das Bundesverfassungsgericht gezwungen, die unzureichende Vollzugsgestaltung der Sicherungsverwahrung festzustellen. Indem das Bundesverfassungsgericht aber bereits in seiner Entscheidung vom 05. Februar 2004 das lückenhafte statistische Material zur Vollzugshandhabung der Sicherungsverwahrung gerügt und zugleich eine regelmäßige Überprüfung der Vollzugspraxis auf ihre Ausrichtung am Resozialisierungsgedanken gefordert hat, erkannte es damit zumindest die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vollzugspraxis und die Notwendigkeit der regelmäßigen Überprüfung der Vollzugswirklichkeit an.

170

Ausführlich hierzu siehe 3. Teil, C., II., 2. b). Therapiemaßnahmen müssen nur in Fällen bereitgestellt werden, in denen sie Aussicht auf Erfolg bieten; bei dauerhaft therapieunfähigen Personen dürfe der Staat die Bereitstellung von Therapiemaßnahmen verweigern. Auch sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Behandlung des „Sexually Violent Predator“ allein als Nebenzweck des Gesetzes einzuordnen sei (Kansas v. Hendricks, 521 US 346 [1997], S. 366). 171 Zur Auseinandersetzung des Bundesverfassungsgerichts mit der Vollzugswirklichkeit der Sicherungsverwahrung siehe ausführlich Bartsch, Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, S. 315 ff.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Insgesamt verfolgt das Bundesverfassungsgericht im Vergleich zum US Supreme Court eine weniger an formellen Kriterien orientierte Beurteilung, ob eine Maßnahme als Strafe zu qualifizieren ist. Auch wenn beide Gerichte die grundsätzliche Bereitstellung von Therapieangeboten und die Bedeutung der Unterscheidung des Sicherungsvollzugs vom regulären Strafvollzug erkennen, erscheint der Ton des Bundesverfassungsgerichts weitaus fordernder als der des US Supreme Courts.172 Spätestens nach der Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zieht das Bundesverfassungsgericht einen nuancierteren und substanzbewertenden Ansatz vor, in dem den Gegebenheiten der Vollzugswirklichkeit eine überragende Bedeutung bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung zukommt.173 4. Historische Unterschiede: Das sich in der Verfassungsrechtsprechung manifestierende Vertrauen in den Rechtsstaat Im Folgenden wird die These vertreten, dass die divergierende Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung teilweise auf die unterschiedliche Geschichte beider Länder zurückzuführen ist. Zunächst einmal mag die sich in Deutschland offenbarende deutliche Reserviertheit gegenüber dem Institut der Sicherungsverwahrung wohl auch von der Tatsache herrühren, dass die Vorschrift erstmals unter den Nationalsozialisten Eingang in das Strafgesetzbuch fand und das nationalsozialistische Regime die Idee des Gewohnheitsverbrechers befürwortete. Weil die Sicherungsverwahrung daher womöglich mit dem autoritären Regierungssystem der Nationalsozialisten assoziiert wird, resultiert daraus eine besondere Zurückhaltung gegenüber dem Institut der Sicherungsverwahrung als einer Art Distanzierung und Abgrenzung vom Nationalsozialismus.174 Deutschlands historische Last führt aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt zu Unterschieden in der Verfassungsrechtsprechung beider Staaten zur Sicherungsverwahrung: In ihr wird auch das unterschiedliche Ausmaß an Vertrauen offenkundig, das die beiden Rechtssysteme in ihre politischen Institutionen und Prozesse setzen. Bereits die unterschiedliche Ausgestaltung der Verfassungstexte belegt die Misstrauens- bzw. Vertrauenslage in Deutschland und den USA: Die dichtere schriftliche Fixierung des Verfassungstexts in Deutschland im Vergleich zur USVerfassung175 belegt das große Misstrauen gegenüber dem politischen Prozess und 172

So auch Slobogin, Preventive detention in Europe and the United States, S. 8. Ähnlich Slobogin, Preventive detention in Europe and the United States, S. 1. 174 Slobogin, Preventive detention in Europe and the United States, S. 15. 175 Ausführlich hierzu siehe 3. Teil, B., II. Auch ist das Grundgesetz weitaus häufiger geändert worden als die US-Verfassung. Während diese in über 200 Jahren erst 27 mal geändert wurde, ist das Grundgesetz in 64 Jahren nahezu 60 mal geändert worden (Brugger, Demokratie, 173

C. Vergleich der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung von Tätern

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die Angst vor einem Missbrauch politischer Macht. So soll die besonders detailreiche und präzise Fassung des Grundgesetzes mehr Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gewährleisten können.176 Diese Gegebenheiten beruhen wohl ebenso auf der NS-Vergangenheit in Deutschland.177 Mangels Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit des politischen Prozesses zur Legitimierung der Ergebnisse wird auf die Steuerung politischer Prozesse durch die Verfassung und die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht gesetzt.178 In Deutschland werden gesellschaftliche Fragestellungen zwar genau wie in den USA demokratisch entschieden. Zum Abbau des Argwohns gegen den politischen Prozess muss dieser aber von der materiellen Bindung der Politik durch die Verfassung und der umfassenden Kontrolle der Politik durch die Verfassungsgerichtsbarkeit begleitet werden.179 Darin kommt auch das deutsche Verständnis eines Gegensatzes zwischen Gesellschaft und Staat zum Ausdruck, nach der der Bereich privater Beliebigkeit dem gesellschaftlichen Bereich (grundrechtsdogmatisch formuliert: Den Schutzbereichen der Grundrechte) zugeordnet wird, während die öffentliche Tugend und Gerechtigkeit für die staatlichen Organe (grundrechtsdogmatisch formuliert: Für den die Grundrechtschranken realisierenden Gesetzgeber), oder zumindest dem Bundesverfassungsgericht als Lenker der Politik, reserviert ist.180 In den USA herrscht hingegen ein großes Vertrauen in den politischen Prozess. Für Entscheidungen, die im Rahmen eines demokratischen Politikprozesses entstanden sind, besteht grundsätzlich eine starke Vermutung der Legitimität.181 Die Lösung gesellschaftlicher Probleme wird in der politischen Auseinandersetzung und nicht in der letztlichen Ermittlung der richtigen Entscheidung durch das Verfassungsgericht gesucht.182 So sagt der Supreme Court 1908 in Twining v. New Jersey: „Es darf nicht vergessen werden, dass in einem freien repräsentativen Gemeinwesen nichts fundamentaler ist als das Recht des Volkes, sich durch seine ernannten Vertreter und in Übereinstimmung mit seinem eigenen Willen regieren zu lassen, soweit es sich nicht durch verfassungsrechtliche Begrenzungen spezifisch gebunden hat“.183

Freiheit, Gleichheit, S. 25; https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/46662599_ kw46_grundgesetz_23/213482. 176 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 24 f. 177 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 25. 178 Brugger, Verfassungen im Vergleich, S. 23. 179 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 87. 180 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 152. 181 Brugger, Verfassungen im Vergleich, S. 23. 182 Brugger, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 86 f. 183 Twining v New Jersey, 211 US 78 (1908).

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Auch in den USAwird der politische Prozess durch die Verfassung organisiert und durch das Verfassungsgericht kontrolliert bzw. im Ausnahmefall korrigiert. Dennoch überwiegt dort eine weitaus nüchternere und entmystifizierte Sichtweise auf die dem Verfassungsgericht mögliche Gestaltungskraft: Das Verfassungsgericht wird ebenfalls als politisches Organ verstanden, das eine Mehrheitsentscheidung trifft. Die Auslegung der Verfassung durch das Gericht erfolgt nach Einschätzung der USAmerikaner keineswegs objektiv und wertneutral und mit besserem Urteilsvermögen als durch den Bürger. Vielmehr ist nach Auffassung der US-Amerikaner die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts durch den Zeitgeist und die politische Überzeugungen der einzelnen Richter beeinflusst und damit letztlich genauso fehleranfällig wie eine legislative Entscheidung.184 Diese pragmatische Haltung gegenüber dem Verfassungsgericht hat zur Folge, dass Werteinschätzungen des Verfassungsgerichts nicht a priori einen höheren Stellenwert in der Bevölkerung einnehmen als die Staatsbürger selber für sich reklamieren.185 Aufgrund dieses „demokratischen Selbstbewusstseins“186 genügt auch nicht die bloße verfassungsgerichtliche Ersetzung einer Werteentscheidung des Gesetzgebers durch die eigene Auslegung der Verfassung, um von den US-Amerikanern gebührend respektiert zu werden. Es bedarf vielmehr einer besonders plausiblen Begründung für die Missachtung des gesetzgeberischen Willens; ein abweichendes Abwägungsergebnis allein genügt nicht.187 Das jeweilige Vertrauen in den demokratischen Entscheidungsfindungsprozess und die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Kompetenz des Verfassungsgerichts machen sich auch in der Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung in Deutschland und den USA bemerkbar: Beide Verfassungsgerichte haben in ihren ersten Urteilen zur Sicherungsverwahrung die neuen gesetzlichen Regelungen für verfassungskonform erklärt. Dennoch kommt in allen Entscheidungen des US Supreme Court ein gegenüber dem Bundesverfassungsgericht weitaus größerer Widerwille zum Ausdruck, die gesetzgeberischen Entscheidungen zu einem angemessenen Umgang mit gefährlichen Straftätern zu hinterfragen.188 Die Urteile des US Supreme Court dokumentieren den besonders großen Respekt, den der US Supreme Court dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber entgegenbringt. Auch das Bundesverfassungsgericht hinterfragt kriminalpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers nur in seltenen Ausnahmefällen.189 Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 05. Februar 2004 den Gesetzgeber zumindest aufgefordert, ein „freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept“ für die Sicherungsverwahrung zu entwickeln. Auch ist auffällig, wie die Schelte durch den Europäischen Gerichtshof 184 185 186 187 188 189

Brugger, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, S. 152. Brugger, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, S. 153. Brugger, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, S. 153. Brugger, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, S. 153 f. Siehe hierzu auch 3. Teil, C., II., 2. d) . So auch Dessecker, ZIS 2011, S. 711.

D. Schlussbetrachtungen

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für Menschenrechte offenbar zu einer solchen Verunsicherung führen konnte, dass das Bundesverfassungsgericht bereitwillig eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung vollzog. Darin kommt zum Ausdruck, wie ernst der Vorwurf einer menschenrechtswidrigen Praxis in Deutschland genommen wird und wie schwer die Angst vor einem parlamentarischen Missbrauch von Grundrechten wiegt. Es braucht offenbar nicht viel, um in Deutschland das Vertrauen in den politischen Prozess zu erschüttern.

D. Schlussbetrachtungen Im Zuge dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass die Verfassungsrechtsprechung beider Länder zur Unterbringung besonders gefährlicher Täter trotz oberflächlicher Gemeinsamkeiten erhebliche Unterschiede aufweist. Nicht nur wird die verfassungsrechtliche Legitimität der jeweiligen Regelungen auf unterschiedliche Argumente und teilweise sogar unterschiedliche Verfassungsnormen gestützt, die Verfassungsrechtsprechung offenbart auch grundsätzliche Unterschiede strafrechtsdogmatischer, verfassungsrechtlicher, kriminalpolitischer und historischer Art zwischen beiden Rechtssystemen. Im Folgenden sollen die Versuche beider Gerichte, das Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Freiheit eines gefährlichen Straftäters und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit zu regulieren, auf ihre Effektivität hinsichtlich des einem gefährlichen Straftäter gewährten Menschenrechtsschutzes bewertet werden.

I. Plädoyer für das zweispurige Sanktionensystem in Deutschland Die Ausführungen zu den Entscheidungen beider Verfassungsgerichte haben offen gelegt, dass die Entscheidungen beider Gerichte Unstimmigkeiten aufweisen. Wie es bei Kansas v. Hendricks keinen Sinn macht, den zivilrechtlichen Charakter der „sexually violent predator laws“ vordergründig mit der dogmatischen Einordnung derselben als Zivilrecht durch den bundesstaatlichen Gesetzgeber zu begründen, überzeugt die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 05. Februar 2004 nicht, die Sicherungsverwahrung habe im Wesentlichen bereits wegen ihres Charakters als Maßregel der Besserung und Sicherung einen präventiven Charakter. Anders als der US Supreme Court hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung vom 04. Mai 2011 von der vorrangig formellen Betrachtung des Charakters einer Maßnahme gelöst und wendet nunmehr einen substantiellen Strafbegriff an. Trotz der in dieser Entscheidung vollzogenen teilweisen Loslösung von bisherigen Grundsätzen hält das Bundesverfassungsgericht weiterhin am dua-

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

listischen Rechtsfolgensystem des deutschen Strafrechts fest. Im Folgenden soll dargelegt werden, warum die Entscheidung für die Zweispurigkeit des Strafrechts zu befürworten ist.190 Warum wird in den USA Sicherheit vor gefährlichen Straftätern weiterhin vordergründig unter dem Deckmantel einer Bestrafung gesucht? Die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses der Allgemeinheit durch Ausdehnung der Freiheitsstrafe bietet einige Vorteile gegenüber der Anordnung einer Maßnahme rein präventiver Natur wie der zivilrechtlichen Unterbringung: Beispielhaft soll dies im Folgenden anhand der vom US Supreme Court in Ewing v. California abgesegneten „three strikes laws“ dargelegt werden:191 Zum einen muss nicht wie im Falle der Sicherungsverwahrung die Gefährlichkeit eines Straftäters individuell durch Einholung psychiatrischer Gutachter geprüft werden, sondern kann aus dem Strafregister unwiderleglich vermutet werden. Eine Verurteilung aufgrund der „three strikes“-Gesetzgebung erfordert die bloße Feststellung der Begehung der die Anwendung des Gesetzes auslösenden Straftaten und ermöglicht so ein äußerst einfaches und effektives Vorgehen. Auch zu einem späteren Zeitpunkt muss bei einer Verurteilung aufgrund der „three strikes laws“ keine regelmäßige Prüfung dahingehend stattfinden, ob der inhaftierte Straftäter weiterhin als gefährlich einzustufen ist.192 Weiterhin müssen bei rein präventive Maßnahmen Vollzugsbedingungen gewährt werden, die den präventiven Charakter und die gegenüber dem regulären Strafvollzug privilegierte Vollzugsgestaltung deutlich machen. Die therapeutische Behandlung sollte im Vordergrund stehen, um so eine möglichst kurze Unterbringungsdauer gewährleisten zu können. Werden Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit hingegen durch die Verhängung einer Freiheitsstrafe befriedigt, muss der Staat keine Sorge dafür tragen, dass über die unvermeidbare Einschränkung der Freiheit hinaus keine weiteren Belastungen auferlegt werden.193 Die Befriedigung des Präventionsbedürfnisses unter dem Deckmantel der Strafe bietet also den Vorzug, dass ein privilegierter Vollzug, insbesondere durch Bereitstellung von Therapieangeboten, nicht erforderlich ist.194 Der Vollzug der „three strikes laws“ kann damit gegenüber dem Vollzug einer präventiven Maßnahme auch wesentlich kostengünstiger ausgestaltet werden. 190

So auch Frisch, S. 972. Die nun folgenden Anmerkungen lassen sich aber auch auf jede andere Form der Sicherungsstrafe übertragen. 192 Robinson, 114 Harvard Law Review, S. 1446; übereinstimmend zur Verwahrungsstrafe siehe Kunz, Die Sicherung als gefährlich eingestufter Rechtsbrecher, S. 83 f. 193 So auch Robinson, 114 Harvard Law Review, S. 1446 f. 194 Robinson, 114 Harvard Law Review, S. 1446 f. Dies gilt insbesondere für den USamerikanischen Strafvollzug, der anders als der deutsche Strafvollzug nicht auf Resozialisierung ausgerichtet ist, siehe 3. Teil C., II., 3. b) . 191

D. Schlussbetrachtungen

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Die Offenlegung des ausschließlich präventiven Zwecks einer Maßnahme zwingt zugleich zur Auseinandersetzung mit der Frage, ob nicht weniger einschneidende Maßnahmen – wie etwa eine ambulante Therapie oder ein elektronisch überwachter Hausarrest – das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit befriedigen können. Diese Überlegungen müssen im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nicht angestellt werden.195 Den Vorzügen dieser Strafpraxis stehen jedoch eine Reihe verfassungs- und menschenrechtlicher Bedenken gegenüber: Dass die Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen über die Freiheitsstrafe die Verhängung von das individuelle Maß der Schuld überschreitenden Freiheitsstrafen mit sich bringt, ist bereits an anderer Stelle ausführlich erläutert worden.196 Gerade die für einen Rückfalltäter im Falle der „three strikes laws“ vorgesehene vielfach erhöhte Strafe stimmt wohl nur im Ausnahmefall mit der zugleich erhöhten Schuld überein. Auch in dem der Entscheidung Ewing v. California zugrundeliegenden Strafurteil steht die Schwere der Schuld angesichts der Geringfügigkeit des von Ewing begangenen Delikts kaum im Verhältnis zu der gegen ihn verhängten Strafe. In Anbetracht der mit dem Konzept der Sicherungsstrafe zwangsläufig einhergehenden Verhängung hoher Strafen überrascht es nicht, dass die Gefangenenpopulation in den USA im internationalen Vergleich mit Abstand am größten ist.197 Zudem bleiben für den Richter bei einer Verurteilung aufgrund der „three strikes laws“ wegen ihrer zwingenden Rechtsfolge geringe Spielräume, den Strafrahmen an die vom jeweiligen Täter ausgehende Gefahr anzupassen.198 Auch kann eine falsche Prognose hinsichtlich der Gefährlichkeit eines Straftäters bei einer Verurteilung nach den „three strikes laws“ nicht korrigiert werden, während das Vorliegen der Voraussetzungen einer präventiven Maßnahme regelmäßig überprüft werden muss.199 Das Konzept der „Sicherungsstrafe“ birgt damit die große Gefahr, dass Straftäter nicht nur jenseits des gegen sie erhobenen Schuldvorwurfs, sondern auch jenseits einer von ihnen ausgehenden Gefahr verwahrt werden.200 Die „three strikes laws“ 195

Robinson, 114 Harvard Law Review, S. 1447. Siehe 3. Teil, C., II., 2. c). 197 Albrecht, in: Wegsperren?, S. 434; Albrecht, Strafrecht, Sicherheit und Sicherungsverwahrung, S. 186; statistische Angaben siehe Garland (Hrsg.), Mass imprisonment: Social causes and consequences. US-Amerikaner stellen nur rund 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber dennoch 25 Prozent aller Gefängnisinsassen. Nach der Organisation Prison Policy Initiative saßen Ende 2011 2,4 Millionen US-Amerikaner hinter Gittern (Graw, das absurd-drakonische Strafrechtssystem Amerikas, Die Welt vom 17.10.14). 198 Aber auch bei einer Berücksichtigung von Präventionsbedürfnissen im Rahmen der gewöhnlichen Freiheitsstrafe kann die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Straftäters angesichts des fehlenden Erfordernisses der Einholung psychiatrischer Gutachten kaum zutreffend sein. 199 Übereinstimmend Grasberger, ZStW 1998, S. 803. 200 Kunz, Die Sicherung als gefährlich eingestufter Rechtsbrecher, S. 85. 196

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

lassen außer Acht, dass eine hohe Vorstrafenbelastung zwar ein Indikator für die zukünftige Gefährlichkeit eines Straftäters sein kann, aber letztlich viele Straftäter doch nicht mehr rückfällig werden. Die bei den „three strikes laws“ erfolgende zwingende Vermutung einer vom Täter ausgehenden Gefahr ist also äußerst fehleranfällig.201 Auch an dem mit der Androhung hoher Freiheitsstrafen bzw. der drastischen Verlängerung der Freiheitsstrafe im Fall des Rückfalls bezweckten Abschreckungseffekt bestehen Zweifel. Kriminalpolitische Forschungen speziell zu Rückfallschärfungen in den USA haben nämlich ergeben, dass Strafschärfungen keinen generalpräventiven Effekt haben.202 Das dualistische Sanktionensystem hingegen kann dem Risiko, einen Täter jenseits des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs und der von ihm ausgehenden Gefahr die Freiheit zu entziehen, weitaus besser begegnen: Die strikte Unterscheidung von Strafen einerseits und Maßregeln andererseits ermöglicht die Verfolgung legitimer staatlicher Sicherheitsinteressen unter geringster Einschränkung der Grundrechte. Da nämlich präventive Zwecke bei der Bestimmung des angemessenen Strafmaßes nur innerhalb der durch das „Schuldprinzip“ vorgegebenen Grenzen berücksichtigt werden können, kann die inflationäre Verhängung hoher Strafen verhindert werden.203 So können die Strafen verglichen mit US-amerikanischen Verhältnissen relativ gering ausfallen.204 Zwar leidet eine an der individuellen Schuld des Täters bemessene Strafe gegenüber einer Verurteilung nach den „three strikes laws“ ein wenig an der Berechenbarkeit des Strafmaßes.205 Dafür bietet das dualistische Sanktionensystem für den einzelnen Straftäter nicht nur den Vorzug der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, sondern gewinnt gegenüber dem monistischen System auch an Transparenz. Denn für den Straftäter und die Allgemeinheit ist erkennbar, welcher Zweck jeweils durch welche Maßnahme erfüllt wird. Weiterhin wird durch zahlreiche verfahrensrechtliche Anforderungen – zum Beispiel dem Erfordernis der Vernehmung eines Sachverständigen vor der Anordnung der Sicherungsverwahrung206 bzw. der regelmäßigen Überprüfung von Aussetzungs- und Erledigungsreife der Sicherungsverwahrung207 – gewährleistet, dass von dem einzelnen Straftäter tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Anders als die vom Strafrichter bestimmte Höhe der Freiheitsstrafe, die nur einer 201

Robinson, 114 Harvard Law Review, S. 1450. Cohen/Jeglic, Int J Offender Ther Comp Criminol 2007; S. 371; Sturm, S. 36. 203 Streng, JZ 2011, S. 833. 204 So auch Frisch, S. 973. 205 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor. § 38 ff. StGB, Rn. 23 (grundsätzlich zum einspurigen Sanktionensystem). 206 Vgl. §80a, 246a StPO. 207 Vgl. 67e StGB. 202

D. Schlussbetrachtungen

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eingeschränkten obergerichtlichen Kontrolle unterliegt, ist das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung revisionsgerichtlich überprüfbar.208 Dem unlösbar scheinenden Problem, wie der von einem gefährlichen (Rückfall-) Täter ausgehenden Gefahr am effektivsten und unter gleichzeitiger Wahrung der Verfassungsgrundsätze begegnet werden kann, muss sich der Gesetzgeber durch Ausarbeitung tragfähiger Konzepte in jedem Fall stellen. Das dualistische Model kann dabei dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit weitaus besser genügen als das grundsätzliche einspurige System der USA und ist damit rechtsstaatlich vorzugswürdig.209

II. Befürwortung eines substantiellen Strafverständnisses So sehr die Bestätigung des zweispurigen Sanktionensystems zur Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes gutzuheißen ist, überzeugt an anderer Stelle der vom Bundesverfassungsgericht vollzogene Wandel seiner Rechtsprechung: Seine frühe Rechtsprechung, ebenso wie die mit ihr konform gehende Rechtsprechung des US Supreme Court, sind Beleg für die zunehmende Missachtung rechtsstaatlicher Maßstäbe durch die Verfassungsgerichte.210 Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte konnte der gefährlichen Entwicklung einer Überbetonung des Sicherheitsinteresses der Gesellschaft auf Kosten des Grundrechtsschutzes für Straftäter Einhalt gebieten. So sehr das Bundesverfassungsgericht mit der Bestätigung der Verfassungskonformität des zweispurigen Sanktionensystems versucht, die Entscheidung vom 04. Mai 2011 in die Kontinuität der bisherigen Rechtsprechung zu stellen, so hat es dennoch mit der Formulierung des „Abstandsgebots“ der Kritik des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an der fehlenden Unterscheidbarkeit von Strafe und Maßregel Rechnung getragen. Zwar ist der Begriff eines „Abstands“ zwischen dem Vollzug der Sicherungsverwahrung und Strafe unglücklich gewählt worden.211 Sicher können Sicherungsverwahrten gegenüber regulären Strafgefangenen einzelne Privilegien gewährt werden. Angesichts der Tatsache jedoch, dass beide Sanktionen im Wege der Freiheitsentziehung durchgeführt werden, können diese 208

Siehe BGH, 1 StR 263/00= NJW 2000, S. 3015; Heger, in: Lackner/Kühl, § 66 StGB, Rn. 17; Frisch, S. 974; Wolf, Vollzug der Maßregeln, S. 79. Siehe zur Überprüfung der materiellen Anordnungvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Revision Boetticher, Sicherungsverwahrung und Prognosegutachten aus revisionsrechtlicher Sicht, S. 97 ff. 209 Frisch, S. 974; Kunz, Die Sicherung als gefährlich eingestufter Rechtsbrecher, S. 84. 210 So auch Alex für das Bundesverfassungsgericht, S. 74. 211 Kritisch zum Begriff des „Abstandsgebots“ und dessen Erfüllbarkeit siehe Frisch, S. 975; Bartsch/Kreuzer, StV 2012, S. 675, Schöch, GA 2012, S. 18; Streng, JZ 2011, S. 831.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Privilegien keinen derart auffälligen Unterschied zwischen beiden Sanktionen ausmachen, dass von einem „deutlichen Abstand“ die Rede sein könnte. Neben den vereinzelt vorgesehenen Hafterleichterungen für Sicherungsverwahrte sind zudem die für Sicherungsverwahrte gegenüber regulären Strafgefangenen notwendigen erhöhten Sicherheitsvorkehrungen zu berücksichtigen. Untersucht man genauer, was sich hinter dem „Abstandsgebot“ und der Forderung einer Ausarbeitung eines „freiheitsorientierten Gesamtkonzepts mit klarer therapeutischer Ausrichtung“ verbirgt, fällt einem die weitgehende Übereinstimmung mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Ausgestaltung des Strafvollzugs auf. So wird das Bundesverfassungsgericht etwa nicht müde zu betonen, dass das Resozialisierungsgebot für den Vollzug der Sicherungsverwahrung und Strafe gleichermaßen gilt. Es wird also deutlich, dass es dem Bundesverfassungsgericht weniger um den „Abstand“ zwischen dem Vollzug der Sicherungsverwahrung vom Strafvollzug geht, sondern um die Einhaltung bestimmter substantieller Vollzugs- und Vollstreckungsstandards – unabhängig davon, ob diese auch im Rahmen des Strafvollzugs beachtet werden oder nicht.212 Eine wörtliche Auslegung des „Abstandsgebots“ könnte zudem zu absurden Ergebnissen führen: So müsste eine Verletzung des „Abstandsgebots“ dann angenommen werden, wenn der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgericht zur Ausgestaltung des Strafvollzugs vollumfänglich umgesetzt hat und der Strafvollzug fortan mustergültig am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet ist. Dann wäre nämlich zwangsläufig der Abstand zwischen Strafvollzug und Vollzug der Sicherungsverwahrung geringer und somit eine Verfassungswidrigkeit der Sicherungsverwahrung anzunehmen, ohne dass sich dabei die Vollzugsbedingungen der Sicherungsverwahrung geändert haben.213 Es geht dem Bundesverfassungsgericht im Kern also nicht um eine Privilegierung von Sicherungsverwahrten im Vergleich zu Strafgefangenen, sondern um die vollständige Ausschöpfung aller Möglichkeiten, den Sicherungsverwahrten Vergünstigungen zu gewähren ohne damit einhergehender Gefährdung des Sicherungszwecks der Maßnahme.214 Der sich hinter dem „Abstandsgebot“ verbergenden Forderung, dass bestimmte Qualitätsstandards für den Vollzug der Sicherungsverwahrung gewährleistet sein müssen und der Vollzug auf die Resozialisierung ausgerichtet werden muss, ist uneingeschränkt zuzustimmen. Weder die Einordnung der Sicherungsverwahrung als Maßregel noch die Einordnung der „sexually violent predator laws“ als zivilrechtliche Gesetze kann maßgeblicher Beleg für den fehlenden Strafcharakter dieser Sanktionen sein. Der Kategorisierung von Sanktionen durch den Gesetzgeber kann 212 213 214

So auch Streng, JZ 2011, S. 831; Bartsch/Kreuzer, StV 2012, S. 675. Streng, JZ 2011, S. 831. Bartsch/Kreuzer, StV 2012, S. 675.

D. Schlussbetrachtungen

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allenfalls Indizwirkung zukommen. Entscheidendes Kriterium für den allein präventiven Charakter dieser Sanktionen sollten vielmehr die tatsächlichen Vollzugsbedingungen sein, also Belege dafür, dass die Grundrechtsbeeinträchtigungen der untergebrachten Personen möglichst gering gehalten werden und der Vollzug am Resozialisierungsgedanken orientiert ist. Dass das Bundesverfassungsgericht die Vollzugspraxis der Sicherungsverwahrung mit den Vorgaben des Grundgesetzes für unvereinbar erklärt hat, ist daher überzeugend. Auch der US Supreme Court hätte angesichts der kritikwürdigen Vollzugsbedingungen zu diesem Ergebnis kommen müssen. Der US Supreme Court und das Bundesverfassungsgericht (in den frühen Urteilen) beweisen in ihren Entscheidungen zu den neuen Regelungen zur Unterbringung gefährlicher Straftäter einen Widerwillen, die Einschätzung der kriminalpolitischen Notwendigkeit dieser Regelungen durch den Gesetzgeber zu hinterfragen. Diese krasse Zurückhaltung hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland allein durch die Intervention des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgegeben. Mit der Entscheidung vom 04. Mai 2011, die einen vorläufigen Schlusspunkt unter die jahrelange Debatte um die Sicherungsverwahrung setzte, ist dem Bundesverfassungsgericht der Spagat zwischen Anpassung an und Abgrenzung von den Vorgaben des EGMR gut gelungen. Eine entsprechende Kurskorrektur des US Supreme Court ist angesichts der fehlenden Existenz eines supranationalen Gerichts nicht zu erwarten. Es bleibt natürlich abzuwarten, ob der US Supreme Court nicht doch in Zukunft einen resozialisierungsfreundlicheren Umgang mit gefährlichen Straftätern propagieren wird. Wegen der ohnehin sehr großen Ehrfurcht vor dem Gesetzgeber und der bereits erfolgten abschließenden Entscheidung aller grundlegenden verfassungsrechtlichen Fragen zum Umgang mit gefährlichen (Rückfall-)Tätern erscheint ein Richtungswechsel des US Supreme Court jedoch eher unwahrscheinlich.

III. Zustimmung zum Verbot der nachträglichen Anordnung oder Verlängerung einer sichernden Maßnahme Weiterhin ist dem Bundesverfassungsgericht darin beizupflichten, dass auch unter privilegierteren Vollzugsbedingungen ein Verbot einer nachträglichen Anordnung oder Verlängerung einer präventiven Maßnahme gelten muss. Es kann einem Straftäter nicht zum Nachteil gereichen, dass sich der Gesetzgeber zur Verfolgung präventiver Zwecke einer Maßnahme und nicht der Freiheitsstrafe bedient. Im Falle der ausschließlichen Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses durch die Freiheitsstrafe nämlich – wie es in einem einspurigen System der Fall ist – würde in der nachträglichen Verlängerung der Freiheitsstrafe wegen einer nach

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

Tatbegehung erfolgten Verschärfung der Strafdrohung in jedem Fall ein Verstoß gegen das Verbot der rückwirkenden Strafschärfung gesehen werden.215 Die in zweispurigen Sanktionensystemen vorgesehene strukturelle Trennung von Strafe, die dem Schuldausgleich dient und einer Maßnahme, die dem Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern dient, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Sanktionen an dieselbe Straftat anknüpfen – wenn doch ihre jeweilige Reaktion auf diese Straftat unterschiedliche Zielrichtungen verfolgt.216 Dass das zweispurige Sanktionensystem die Grundrechtbeschränkung des Straftäters möglichst gering halten soll217, darf nicht an anderer Stelle dazu führen, dass der Straftäter gegenüber einem einspurigen Strafrechtssytem benachteiligt wird.218 Die vom US Supreme Court und vom Bundesverfassungsgericht in den frühen Entscheidungen gebilligte nachträgliche Anordnung oder Verlängerung einer präventiven Maßnahme219 ist in Anbetracht des erheblichen Grundrechtseingriffs der betroffenen Personen also verfassungsrechtlich untragbar. Freilich ist es zunächst überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot einer Rückwirkung auf das Vertrauensschutzgebot gem. Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG stützt und nicht auf das Verbot der rückwirkenden Verschärfung der Strafe gem. Art. 103 Abs. 2 GG, obwohl es eine große sachliche Nähe zu Art. 7 EMRK aufweist, dessen Verletzung der EGMR in „M. gegen Deutschland“ angenommen hatte.220 Dass das Bundesverfassungsgericht die Adaption der Rechtsprechung des EGMR bzgl. des Strafbegriffs des Art. 103 Abs. 2 GG vermeiden wollte, leuchtet jedoch ein. 215

Frisch, S. 977. Frisch, S. 978; Appel, Sicherungsverwahrung und Sicherungsrecht, S. 106 f. 217 Siehe oben. 218 Frisch, S. 978. 219 Der US Supreme Court hat die Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung in Kansas v. Hendricks adressiert, während das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung vom 04. Mai 2011 zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung Stellung bezog (in der Entscheidung vom 05. Februar 2004 ging es nur um die nachträgliche Streichung der zehnjährigen Höchstfrist). 220 Für die Prüfung der Vereinbarkeit der Regelungen über die Sicherungsverwahrung am Maßstab des Vertrauensschutzgebots und nicht des Rückwirkungsverbots hat das Bundesverfassungsgericht in der Literatur bereits nach der Entscheidung vom 05. Februar 2004 viel Kritik geerntet. Auch hier wird als Argument für die Anwendung der Sicherungsverwahrung auf den Strafbegriff des Art. 103 Abs. 2 GG angeführt, dass die Sicherungsverwahrung ebenso wie die Freiheitsstrafe eine Reaktion auf eine Straftat darstelle, auch wenn sie nicht auf die sich in der Tat manifestierende Schuld, sondern auf die Gefährlichkeit des Täters reagiert. Da nach der herrschenden sog. „Spielraumtheorie“ die Freiheitsstrafe innerhalb des Schuldrahmens auch präventive Zwecke erfüllen darf, welche unweigerlich dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG unterfallen, sei es nicht stimmig, dass die Befriedigung präventiver Bedürfnisse innerhalb des Instituts der Sicherungsverwahrung nicht unter den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG falle (Frisch, S. 978 f.; ebenso zustimmend siehe Finger, S.149 ff., Streng, Das Legitimationsdilemma sichernden Freiheitsentzugs, S. 633 f.). 216

D. Schlussbetrachtungen

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Denn die Bejahung einer Verletzung des Art. 103 Abs. 2 GG käme angesichts der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in der eine Anwendung der Sicherungsverwahrung auf Art. 103 Abs. 2 GG gerade abgelehnt wurde, einer völligen Selbstaufgabe gleich. An dieser Stelle zeigt sich der „kluge Kompromiss“, den das Bundesverfassungsgericht zwischen seiner eigenen frühen Rechtsprechung und der strengen Anwendung des Rückwirkungsverbots durch den EGMR eingegangen ist.221 Denn das Festhalten an der Begrenzung des Schutzbereiches des Art. 103 Abs. 2 GG bietet den Vorteil, dass das Bundesverfassungsgericht – trotz teilweiser Umkehr seiner Rechtsprechung eine gewisse Kontinuität zu seiner früheren Rechtsprechung bewahren und zugleich seine Souveränität gegenüber dem EGMR demonstrieren kann.222 Zudem eröffnet diese Rechtsauffassung dem Bundesverfassungsgericht größere Spielräume, da die Anwendung der rückwirkenden Vorschriften weiterhin möglich und so die sofortige Freilassung hochgefährlicher Straftäter vermieden werden kann.223 Im Falle der Bejahung einer Verletzung des Rückwirkungsverbots hätte das Gericht hingegen eine generelle Unzulässigkeit der verlängerten und der nachträglichen Sicherungsverwahrung annehmen müssen.224 Auch wenn das allgemeine Vertrauensschutzgebot einer Abwägung zugänglich ist, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen wegen Verletzung des Abstandsgebots einem absoluten Vertrauensschutz annähert.225 Eine rückwirkende Anwendung ist daher nur unter äußerst strengen Voraussetzungen226 und in krassen Ausnahmefällen von hochgefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern denkbar. Die vordergründig aus taktisch-pragmatischen und weniger verfassungsrechtlichen Gründen erfolgte Anwendung des Vertrauensschutzgebotes227 hat daher im Ergebnis nur selten Auswirkungen auf das verfassungsrechtliche Schutzniveau für Sicherungsverwahrte und vordergründig verfassungsdogmatische Relevanz.

221 222 223 224 225 226 227

Schöch, NK 2012, S. 51. So auch Streng, JZ 2011, S. 832. Streng, JZ 2011, S. 832. Volkmann, JZ 2011, S. 838; Streng, JZ 2011, S. 832. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 139. BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rn. 140 ff. Diese Auffassung hat auch Streng, JZ 2011, S. 832.

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3. Teil: Vergleich der Rechtsprechung des BVerfG und des US Supreme Court

IV. Verbesserungsvorschläge für einen menschenrechtsorientierten Umgang mit gefährlichen Straftätern in den USA Trotz der bisher kritisch ausfallenden Bewertung des Umgangs mit gefährlichen (Rückfall-)Tätern in den USA und der Reaktion des US Supreme Court kann an dieser Stelle gleichwohl eine aus Sicht der Verfasserin positive Entwicklung festgehalten werden: Die allmähliche Aufweichung der strengen Einspurigkeit des US-amerikanischen Strafrechtssystems ist zu begrüßen. Die Einführung der „sexually violent predator laws“ bietet nämlich die Möglichkeit, auf gefährliche, aber strafrechtlich voll verantwortliche Täter jenseits der Freiheitsstrafe zu reagieren. Gegenüber einer Verurteilung nach der „three strikes“Gesetzgebung kann mittels dieser Sanktion wesentlich flexibler und verhältnismäßiger auf eine von einem Täter ausgehende Gefahr reagiert werden.228 Anders als bei einer Befriedigung des Sicherheitsinteresses der Gesellschaft durch die Freiheitsstrafe kann durch die regelmäßige Überprüfung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen einer Unterbringung verhindert werden, dass ein Täter verwahrt wird, ohne dass von ihm noch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Auch wenn die „sexually violent predator“-Gesetzgebung ein Schritt in die richtige Richtung darstellt, ist das staatliche Reaktionssystem auf gefährliche Straftäter jedoch noch nicht annährend ausgereift und deshalb verbesserungswürdig. Dreh- und Angelpunkt eines grundrechtsfreundlichen und freiheitsschonenden Umgangs mit gefährlichen (Rückfall-)Tätern ist dabei nach Ansicht der Verfasserin die Schaffung eines einheitlichen Sanktionensystems durch Integration einer präventiven Maßnahme der Unterbringung gefährlicher, strafrechtlich voll verantwortlicher Straftäter in das strafrechtliche Sanktionsprogramm. Die Anerkennung der präventiven Maßnahme der Unterbringung gefährlicher Straftäter als Teil des strafrechtlichen Sanktionsprogramms hat nicht zur Folge, dass dieser Maßnahme damit ein punitiver Charakter beigemessen werden muss. Sie würdigt aber die Tatsache, dass der Anknüpfungspunkt für beide Sanktionen (Freiheitsstrafe und präventive Unterbringung) dieselbe Straftat ist, wenn sie auch unterschiedliche Zwecke verfolgen. Der US Supreme Court könnte für eine solche Entwicklung einen Anstoß geben, indem es seine bisherigen Versuche aufgeben würde, die „sexually violent predator laws“ in das dichotomische Schema der Trennung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen einzufügen. Nötig hierfür wäre die Bekundung, dass die „sexually violent predator laws“ gerade keine typischen zivilrechtlichen Gesetze sind, sondern gewissermaßen einen Zwitter zwischen Freiheitstrafe und zivilrechtlicher Unterbringung darstellen. Wegen ihrer Anknüpfung an dieselbe schuldhaft begangene Straftat, für die gegen den Täter auch eine Frei228

So auch Gaenslen, S. 155.

D. Schlussbetrachtungen

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heitsstrafe verhängt wird, sollte der US Supreme Court eine Einordnung dieser Sanktion in das strafrechtliche Sanktionsprogramm propagieren.229 Die Verfasserin hat folgende Änderungsvorschläge für eine grundrechtsfreundliche Umgestaltung des US-amerikanischen Sanktionensystems vorzubringen: Zunächst sollte der US-amerikanische Bundesgesetzgeber den Anwendungsbereich der zwangsweisen Unterbringung gefährlicher Straftäter erweitern. So sollte die Unterbringung keine speziell auf Sexualstraftäter zugeschnittene präventive Maßnahme sein, sondern auch auf andere Deliktsarten, insbesondere Gewaltdelikte, anwendbar sein. Ansonsten kann der Staat Präventionsbedürfnisse gegen gefährliche, strafrechtlich voll verantwortliche Täter, die keine Sexualstraftäter sind, weiterhin nur über die Verlängerung der Freiheitsstrafe befriedigen, die ja nach obiger Analyse erheblichen menschenrechtlichen Bedenken unterliegt. Ein wichtiger Teilaspekt der Zusammenführung von Freiheitsstrafe und präventiver Maßnahme in ein Sanktionensystem ist nach Auffassung der Verfasserin, dass die Entscheidung über die Anordnung einer präventiven Maßnahme – zumindest in Form des Ausspruchs eines Vorbehalts einer Sicherungsverwahrung – zusammen mit der Anlassverurteilung durch das erkennende Gericht erfolgt. Die Entscheidung über eine zwangsweise Unterbringung im Rahmen des Strafprozesses und nicht erst nach Verbüßung der Freiheitsstrafe bietet eine Reihe von Vorteilen: Zunächst ist die voraussichtliche Dauer des Freiheitsentzugs für den Straftäter so weitaus berechenbarer. Der Straftäter kann schon vor Beginn des Strafvollzugs ungefähr absehen, ob er nach Verbüßung der Freiheitsstrafe aus präventiven Gründen zwangsweise untergebracht werden wird. Insbesondere kann der Straftäter durch Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug versuchen, die ursprüngliche Gefahrenprognose zu beeinflussen und kann so aktiv Einfluss auf die Dauer der Freiheitsentziehung nehmen.230 Nach der derzeitigen Rechtslage in den USA wird das Verfahren zur zivilrechtlichen Unterbringung erst kurz vor der Entlassung aus dem Gefängnis und damit unter Umständen erst Jahre nach dem Urteil im Strafprozess eingeleitet.231 Der derzeitigen Konstruktion der zivilrechtlichen Unterbringung ist es also geradezu immanent, dass die Unterbringung nachträglich angeordnet wird. Ein verurteilter Sexualstraftäter kann nur hoffen, nicht zu dem Personenkreis zu hören, gegen den eine zivilrechtliche Unterbringung nach den „sexually violent predator laws“ angeordnet wird. Mit der (zumindest vorbehaltenen) Anordnung einer präventiven Maßnahme im Rahmen des Strafprozesses kann der berechtigte Vorwurf, die nachträgliche Un229

Hassemer hat die deutsche Sicherungsverwahrung als einen Zwitter zwischen Strafe und Prävention bezeichnet (Müller, Wegsperren – für immer, FAZ vom 22. 10. 2003); siehe auch Mushoff, S. 279. 230 Siehe auch Demleitner, S. 1640 f. 231 Silverman, USA, in: Wegsperren?, S. 394; Demleitner, S. 1623.

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terbringung verstoße gegen das Rückwirkungsverbot, umgangen werden. Einem Systemwandel im US-amerikanischen Strafrecht käme damit auch eine enorme verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Zudem kann der Richter bei der gleichzeitigen Entscheidung über Freiheitsstrafe und präventive Maßnahme Präventionsbedürfnisse außerhalb der Freiheitsstrafe befriedigen: Nach dem derzeitigen US-amerikanischen Sanktionensytem hat das erkennende Gericht keinen Einfluss darauf, ob gegen den Straftäter nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe eine zwangsweise zivilrechtliche Unterbringung angeordnet wird. Ein Richter, der glaubt, ein dem Straftäter innewohnendes Gefahrenpotential zu erkennen, wird daher bei der Bemessung der Dauer der Freiheitsstrafe einen „Sicherheitszuschlag“ einkalkulieren. Gerade weil es sich dabei aber um eine nicht durch gutachterliche Bewertung abgesicherte Gefahrenprognose handelt, ist diese sehr fehleranfällig und kann daher außer Verhältnis zu der vom Täter ausgehenden Gefahr stehen. Im Falle einer nachträglichen zivilrechtlichen Unterbringung ist das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit also womöglich kumulativ berücksichtigt worden, was einer doppelten Bestrafung für dieselbe Tat gleichkäme.232 Diese Probleme können bei einer Verbindung von Schuldspruch und Anordnung der präventiven Maßnahme mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens233, wie sie das deutsche Sanktionensystem vorsieht234, umgangen werden. Teil dieser Umstrukturierung des US-amerikanischen Sanktionensystems im Wege einer Annäherung an das deutsche Modell muss folgerichtig auch der Beginn von Resozialisierungsmaßnahmen im Strafvollzug sein. Derzeit sind in den USA nicht nur die Resozialisierungsangebote im Rahmen des Vollzugs der zivilrechtlichen Unterbringung zu bemängeln. Da ohnehin nur die zivilrechtliche Unterbringung die Behandlung von Straftätern bezweckt, werden Resozialisierungsmaßnahmen für Strafhäftlinge nicht ausreichend bereitgestellt.235 Vor allen Dingen fehlt es an Resozialisierungsmaßnahmen im Strafvollzug, die speziell für von einer anschließenden Unterbringung betroffene Personen ausgerichtet sind. Die Zielsetzung, die von den betroffenen Personen ausgehende Gefahr zu verringern und damit die Dauer der Freiheitsentziehung zu 232 Im Ergebnis so auch Demleitner, S. 1639, S. 1641; La Fond, Washington’s Sexually Violent Predator Law: A Deliberate Misuse of the Therapeutic State for Social Control, S. 656 f. 233 Ein weiterer Vorteil einer Entscheidung über die Anordnung einer präventiven Maßnahme im Rahmen des Strafprozesses ist die Tatsache, dass das als Grundlage für die Unterbringungsanordnung dienende Gutachten wesentlich zuverlässiger ist, wenn es zeitnah an der Begehung der Straftat(en) erstellt worden ist. Da nach derzeitiger Rechtslage die Entscheidung über die Unterbringung erst kurz vor Entlassung aus der Strafhaft getroffen wird, können mitunter viele Jahre zwischen Tatbegehung und Gutachtenerstellung liegen (Demleitner, S. 1660; Janus, Preventing sexual violence, S. 200 f.). 234 Es sind dabei die seltenen Ausnahmefälle außer Acht gelassen worden, in denen gem. § 66b StGB die Sicherungsverwahrung weiterhin nachträglich angeordnet werden kann. 235 Siehe hierzu 3. Teil, C., II., 3. b).

D. Schlussbetrachtungen

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verkürzen, macht nur dann Sinn, wenn auf dieses Ziel bereits zu Beginn des Strafvollzugs hingewirkt wird.236 Ansonsten wird die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass Straftäter aus der präventiven Unterbringung entlassen werden müssen, sobald sie für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich sind, nie in die Realität umgesetzt.237 Die dogmatische Einordnung der präventiven Unterbringung als strafrechtliche Sanktion bietet weiterhin den Vorteil, dass eine Unterscheidung von zivilrechtlicher und strafrechtlicher Maßnahme anhand eines psychischen Kriteriums obsolet wird. Bisher sah sich der Gesetzgeber aufgrund der durch den US Supreme Court geforderten Dichotomie zwischen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Maßnahmen gezwungen, für die Unterbringung aufgrund der „sexually violent predator laws“ die Feststellung einer geistigen Abnormalität oder Persönlichkeitsstörung zu verlangen, um der Maßnahme so einen zivilrechtlichen Charakter beimessen zu können. Denn während der Strafvollzug vornehmlich der Vergeltung und Abschreckung dient, ist die zivilrechtliche Unterbringung auf Behandlung und Therapie ausgerichtet und setzt daher das Vorliegen einer psychischen Erkrankung voraus.238 Würde der US Supreme Court jedoch eine Loslösung von dieser Dichotomie hin zu einer strukturellen Zuordnung der präventiven Unterbringung gefährlicher Straftäter zum Strafrecht vollziehen, wäre dieses Abgrenzungskriterium nicht mehr notwendig.239 Eine Abkehr von der Forderung eines psychischen Kriteriums ist zu begrüßen, da eine eindeutig feststellbare Diagnose schwer möglich ist. Gerade die Tatbestandsmerkmale der geistigen Abnormalität und Persönlichkeitsstörung, die nach Auffassung des US Supreme Court den „substantive due process“-Anforderungen genügen, sind unbestimmt und schwammig und eignen sich daher nicht als eingrenzende Kriterien zur Ermittlung der für eine präventive Unterbringung in Frage kommenden Straftäter. So überzeugt nicht, dass bereits eine – wie etwa bei Kansas v. Crane diagnostizierte – antisoziale Persönlichkeitsstörung den gesetzlichen Anforderungen an das psychische Kriterium genügen kann und dieses Ergebnis vom US Supreme Court bestätigt wird. Eine Störung, die bei einem extrem hohen Anteil

236

Demleitner, S. 1656. So beweisen Studien, dass die Unterbringung nach den „sexually violent predator laws“ für die Betroffenen derzeit weniger eine temporäre Unterbringung, sondern vielmehr eine jahrelange, wenn nicht sogar lebenslange Freiheitsentziehung bedeuten (Treatment for sex offenders crunches state budgets; ,civil commitment‘ programs create political quandary. Washington Post. June 27, 2010: A2). So sagt eine Studie aus dem Jahre 2007, dass nur etwa 5 % aller seit 1990 untergebrachten Personen in allen US-Bundesstaaten aus der Unterbringung entlassen worden sind (http://hamptonroads.com/node/423911); siehe auch Demleitner, S. 1640; Janus, Preventing sexual violence, S. 191, die diese Einschätzung unter Berufung auf eine Studie aus dem US-Bundesstaat Minnesota teilen (weitere statistische Angaben siehe 2. Teil, B., II., 2. 238 Ausführlich hierzu siehe 2. Teil, A., III. 239 So auch Demleitner, S. 1657, 1666. 237

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aller Strafgefangenen nachweisbar ist240, eignet sich wohl kaum zur Identifizierung besonders gefährlicher Straftäter.241 Selbiges gilt für das vom US Supreme Court aufgestellte Kriterium einer Willensschwäche in Kansas v. Crane: Es ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit aller rückfälligen Straftäter Schwierigkeiten mit der Kontrolle ihres Willens haben, würden sie doch sonst allein aus Vernunftsgründen ein straffreies Leben führen wollen. Das Kriterium der Willensschwäche könnte also die zwangsweise Unterbringung nahezu jedes Rückfalltäters legitimieren. Auch unter rechtstreuen Bürgern befinden sich eine Vielzahl von Personen, bei denen eine Willensschwäche nachweisbar wäre, wie zum Beispiel bei suchtkranken Menschen. Aus einer Suchtproblematik können aber keineswegs Rückschlüsse auf eine potentielle Gefahr für die Allgemeinheit getroffen werden.242 In den USA ist die Verwendung dieser unbestimmten Begriffe vor dem Hintergrund, dass die finale Entscheidung, ob es sich bei dem Betroffenen um einen „sexually violent predator“ handelt, nicht von einem Team von Sachverständigen getroffen wird, sondern von den Geschworenen, also einer Reihe psychiatrischer Laien, besonders bedenklich.243 Aber auch unabhängig von der Ungeeignetheit dieser Kriterien zur Bestimmung besonders gefährlicher Straftäter erschließt sich nicht, warum ein Staat die präventive Unterbringung eines gefährlichen Straftäters mit psychischer Störung legitimiert, aber die Unterbringung eines ebenso gefährlichen Straftäters ohne psychische Störung für rechtswidrig erachtet.244 Entscheidender Grund für die Unterbringung eines Straftäters ist schließlich die Tatsache, dass die Allgemeinheit vor dieser Person geschützt werden muss. Die Notwendigkeit des Schutzes der Allgemeinheit kann aber bei einem psychisch gesunden Straftäter, der sich nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lässt, ebenso bestehen wie bei einem psychisch kranken Straftäter. Vorzuziehen wäre ein System, das für die Anordnung der präventiven Maßnahme allein auf die objektive Gefährlichkeit eines Straftäters abstellt.245 Hierfür ist zwar auch eine Prognosestellung erforderlich, sie ist aber gerade wegen der hierbei erfolgenden Berücksichtigung der kriminellen Vorgeschichte des Straftäters zuverlässiger als der in den USA gewählte psychiatrische Ansatz.

240 241 242 243 244 245

Siehe hierzu 2. Teil, B., IV., 3. b). bb). Demleitner, S. 1638; Gaenslen, S. 153. So auch Gaenslen, S. 153. Gaenslen, S. 153. Slobogin, Preventive detention in Europe and the United States, S. 13. Slobogin, 98 Nw. U.L.Rev., S. 42; Gaenslen, S. 153.

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Stichwortverzeichnis Addington v. Texas 125 f., 130, 145 Allen v. Illinois 123, 132, 134 Atiyeh v. Capps 112 Baxstrom v. Herold 122, 133 Bill of Rights 98, 163, 188 f., 190, 212 Civil commitment 99, 101, 114, 116, 119, 124 ff., 223 f., 195 f., 218 f., 221 ff., 239 ff. Common Law 97 f. Doppelbestrafungsverbot 20, 33, 100, 123, 128 f., 131, 133, 180, 193 f. Due Process-Klausel 114, 123 f., 127, 128 ff., 138, 142, 145, 149, 184, 193, 199, 212, 241 Einspurigkeit des Sanktionensystems 99, 101, 153, 195, 208, 232 f., 235 f., 238 Ewing v. California 154 ff., 162 f., 164, 170 ff., 193, 207, 230 f. Foucha v. Louisiana 125 ff., 129, 130, 134, 144 f., 147, 149, 199 Gewohnheitsverbrechergesetz 24 ff., 28 ff., 30, 51, 153, 167, 226 Hands off-Rechtsprechung 112 Harmelin v. Michigan 169 ff. 173 f., 182, 203, 211 Hutto v. Davis 166 In re Oakes 114 Insanity defense 104, 109, 110, 218, 220 Jones v. United States 126 Just deserts 105 f., 108, 219 Kansas vs. Crane 136 ff., 140 f., 144 ff., 147 f., 149, 185, 193, 199 f., 201 f., 222, 241 f.

Kansas vs. Hendricks 127 ff., 144 ff., 149, 185, 192 f., 199, 201, 207, 212, 222 f., 225, 229, 236 Kennedy vs. Mendoza-Martinez 122, 150 Kompetenzrechtliche Zuständigkeit der Länder zur Sicherungsverwahrung 39 ff. Lockyer v. Andrade

171, 181, 184

M. gegen Deutschland 41, 65 f., 84, 90, 93, 94, 194, 200, 214 ff., 236 Marburger Schule 27 f., 30 Maßregel der Besserung und Sicherung 25 f., 28, 33, 51 f., 72 f., 76, 81, 101, 195 f., 209, 213, 220, 229 ff. Menschenwürde 43 f., 112, 189, 193, 203 ff. Minnesota ex. rel. Pearson v. Probate Court 124 Model Penal Code 97, 104 f. Nachträgliche Sicherungsverwahrung 29, 39 ff., 48 ff., 57 ff., 75 f., 88 f., 127 ff., 201 f., 235 ff., 240 „Nothing works“-Doktrin 106, 113, 219 „Null-Toleranz“-Kriminalpolitik 113, 161 O’Connor v. Donaldson

125

„Parens patriae“-Doktrin 114, 145 Police power theory 145 Präjudizienrecht 97, 175 Rechtspolitische Erwägungen 56 ff., 110 f., 149 Renaissance der Sicherungsverwahrung 34 f. Resozialisierung 23 ff., 30, 43 ff., 102 ff., 113, 155, 206, 218 ff., 225, 235

Stichwortverzeichnis Rückwirkungsverbot 42, 47 ff., 60, 64 f., 67 f., 71 f., 76, 84, 91 ff., 100, 128, 131 ff., 193 f., 236 f., 240 Rummel v. Estelle 165 ff., 176, 180 Schuldprinzip 20 ff., 208 ff., 232 Schulenstreit 22 f., 28 Seling v. Young 131, 136, 207 f., 131, 136 Sexual psychopath laws 115, 123 f. Sexually violent predator laws 100 ff., 114 ff., 127 ff., 142 ff., 150 ff., 185 f., 193, 196 Sicherungsverwahrung und Nationalsozialismus 28 ff., 226 f. Solem v. Helm 167 f., 170, 176 f., 181, 207, 211 Stare decisis 97, 175, Straftäter-Unterbringungsgesetze 39 ff., 49 ff., 94, 213 Strafvollzugsgesetz 20, 23, 72, 83 Strafzwecke 22 f., 104 f., 110 f., 112 f., 170, 174, 206 f., 220 Therapieunterbringungsgesetz 76, 85, 89, 90 f., 202 Three strikes laws 153 ff., 192 ff., 196 f., 205 ff., 221, 230 ff., 238

261

Trendwende 34 ff., 62 f. Twining v. New Jersey 227 United States v. Salerno

123 f., 132

Vereinigungstheorie 22 ff. Vergeltung 22 f., 27 f., 46, 99, 104 f., 108 ff., 113, 131, 139, 176, 210, 241 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 20, 25, 30, 33, 45, 47, 61 f., 80 f., 86, 90, 162 f., 164, 167 ff., 171, 175 ff., 180, 211 Vertrauensschutzgebot 48 ff., 79, 84, 87, 90, 193, 200, 236 f. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 38 ff., 75 ff., 87 ff., 239 Weems v. United States 163 f., 168, 211 Weimarer Republik 26 ff., 51 f. Williams v. New York 104 Wobblers-Delikte 157 f., 172 f., 178 Zivilrechtliche Unterbringung 99, 101, 114, 116, 119, 124 ff., 223 f., 195 f., 218 f., 221 ff., 239 ff. Zweispurigkeit des Sanktionensystems 24 ff., 81, 101 f., 195 ff., 200, 229 ff.