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German Pages [247] Year 1992
Horst Blanck
Das Buch in der Antike C. H. Beck
Beck's Archäologische Bibliothek Bereits erschienen:
Peter C. Boi: Antike Bronzetechnik Wolfgang Decker: Sport und Spiel im Alten Ägypten
Volkmar Fritz: Die Stadt im alten Israel Olaf Höckmann: Antike Seefahrt
Herbert Hunger: Schreiben und Lesen in Byzanz
Antje Krug: Heilkunst und Heilkult Ernst Künzl: Der römische Triumph
Harald Mielsch: Die römische Villa Wolfgang Müller-Wiener: Griechisches Bauwesen in der Antike Annegret Nippa: Haus und Familie in arabischen Ländern
Anastasia Pekridou-Gorecki: Mode im antiken Griechenland Carola Reinsberg: Ehe, Hetärcntum und Knabenliebe im antiken Griechenland Ingeborg Scheibler: Griechische Töpferkunst
Adelheid Schlott: Schrift und Schreiber im Alten Ägypten Renate Tölle-Kastenbein: Antike Wasserkultur
IVc/'/erc Bände in Vorbereitung
Horst Blanch
Das Buch in der Antike
Verlag C. H. Beck München
Mit 121 Abbildungen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Blanck, Horst: Das Buch in der Antike / Horst Blanck. München : Beck, 1992 (Beck's Archäologische Bibliothek) ISBN 3 406 36686 4
ISBN 3406 366864
Einbandentwurf: Bruno Schachtner, Dachau Umschlagmotiv: Griechisches Grabrelief (5. Jh. v. Chr.) Grottaferrata © C.H.Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1992 Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Printed in Germany
Inhalt Vorwort..........................................................................................................
7
I. Die griechische und lateinische Buchstabenschrift........................
9
Die griechische Schrift............................................................................... Die etruskische Schrift............................................................................... Die lateinische Schrift.................................................................................. Die Zahlzeichen...........................................................................................
10 14 20
II. Die Kenntnis des Schreibens und Lesens ......................................
22
1. Die Griechen.............................................................................................. 2. Die Römer.................................................................................................... 3. Schule und Unterricht..................................................................................
22 30 32
III. Die antiken Beschreibstoffe ...........................................................
40
/. Anorganische Beschreibstoffe................................................................. 2. Organische Beschreibstoffe.......................................................................
a. Holz, Leinen u.a............................................................................ b. Papyrus......................................................................................... c. Leder und Pergament...................................................................
40 46 46 56 62
IV. Wie man schrieb und wie man las...................................................
64
1. Das Schreiben............................................................................................. 2. Das Lesen....................................................................................................
64 71
V. Die Hauptformen des antiken Buches: Rolle und Kodex...........
75
/. Die Buchrolle............................................................................................. 2. Der Kodex.................................................................................................... 3. Buchrolle und Kodex im Wettstreit..........................................................
75 86 97
1. 2. 3. 4.
\7
VI. Illustrierte Bücher.................................................................................. 102
VII.
Bücherverbreitung, Buchhandel....................................................... 113 /. Bücherbesitz und -Verbreitung im vorrömischen Griechenland. Bücher verbreitung außerhalb des Buchhandels....................................................... 113
6
Inhalt
2. Der Buchhandel in römischer Zeit............................................................. 120 3. Buchgeschenke, Buchdiebstähle, Büchervernichtung............................... 129
Die Bibliotheken...........................................................................
VIII. 1. 2. 3. 4.
133
Definition: Bibliotheken und Archive....................................................... 133 Bibliotheken im alten Griechenland..............................................................134 Die Privatbibliotheken der Römer................................................................. 152 Die öffentlichen Bibliotheken in Rom...........................................................160
5. Die Bibliotheken im Römischen Imperium................................................. 168 IX. Die Architektur und räumliche Einrichtung der Bibliotheken . . 179 X. Betrieb und Verwaltung der Bibliotheken......................................... 215
Anmerkungen.................................................................................................. 223
Abkürzungsverzeichnis..................................................................................239
Abbildungsnachweis....................................................................................... 240 Register............................................................................................................ 242
Vorwort Der vorliegende Band ist die erste neue deutschsprachige Zusammenfas sung zum Thema Bücher und Bibliotheken in der griechisch-römischen Antike. „Im Kulturleben der Menschheit ist das Buch eine der bedeutungsvoll sten Erscheinungen . . . Soziologisch gesehen bildet das Buch ein Medium, das allen (oder doch den meisten) Gesellschaftsgruppen erst den Zugang zur Wirklichkeit im vollen Sinne verschafft. In Schrift und Bild bietet es symbolische Vergegenwärtigung der Erscheinungen in aller Welt. Es erwei tert die persönliche Existenz in die Breite: vermittelt Informationen aus allen Räumen und Bereichen, die dem einzelnen Menschen praktisch unzu gänglich sind. Zugleich greift es in die Tiefe der geschichtlichen Überliefe rung, konturiert geschichtliche und kulturelle Erscheinungen und gibt dem Leser die Möglichkeit, die geschichtliche Wirklichkeit zu deuten oder in ihr verantwortlich zu leben.“ Etwas einfacher aber nicht weniger treffend als diese der Brockhaus Enzyklopädie entnommenen Sätze sagte man im Mit telalter: „Libri culina gloriae, vitae piper“, die Bücher sind die Küche des Ruhmes, der Pfeffer des Lebens. Wie im Mittelalter und in der Neuzeit haben auch in der Antike viele Menschen ein enges und oft ganz persönliches Verhältnis zum Buch gehabt, sei es nur als Besitzer, sei es als Verfasser eigener Werke. Cicero (Ad. fam. 9, 1) vermenschlicht seine Bücher und nennt sie seine alten Freunde, denen er Rechenschaft schuldig ist. Der spätantike Redner Libanios (Orat. 1, 53) erinnert sich seiner Jahre in der Stadt Nikomedia mit einem besonderen Glücksgefühl, nicht zuletzt weil ihm dort ein Freund ganze Wagenladungen von Büchern brachte, ein Reichtum, den er sich wünschte. Der gleiche Libanios (Orat. 1, 148-150) fiel auch einmal in tiefe Betrübnis und verlor alle Lust, „seinen Thukydides“ zu lesen, als ihm ein besonders geliebtes Buch mit dem Werk des Historikers gestohlen worden war; zu seiner über großen Freude bekam er es zurück. Alexander der Große hatte immer zwei Dinge unter seinem Kopfkissen, einen Dolch und eine Ilias des Homer, die Aristoteles für ihn durchgesehen hatte (Plutarchos, Alexander 8). Ein selbst verfaßtes Buch kann (früher wie heute), einen Menschen mit Stolz oder Dankbarkeit erfüllen. So brachte der Philosoph Heraklit seine Schrift „Über die Natur“ der Artemis von Ephesos in ihrem Tempel dar (Diogenes Laertios 9, 1.6). Vergil, ein Mann ganz anderer Mentalität, wollte in seiner Sterbestunde die Äneis verbrennen; denn er schämte sich, daß sein, wie er meinte, noch nicht genügend ausgefeiltes Werk in die Hände der Leute
8
Vorwort
käme. Zum Glück für die Nachwelt hat Lucius Varius Rufus dem letzten Willen seines Freundes nicht nachgegeben und später das größte Epos der Römer ediert (Suetonius, Vita Verg. 39ff.). Mit seinen eigenen Schriften konnte man auch großen Ruhm erwerben wie etwa jener dichtende Arzt Marcellus von Side, dessen Werk auf kaiserlichen Befehl in die öffentlichen Bibliotheken Roms aufgenommen werden mußte (Anthol. Gr. 7, 158), oder wie sein Fachgenosse Herakleitos von Rhodiapolis, den eine Ehrenin schrift als „Homer der medizinischen Dichtung“ pries (TAM 2, 1944, 910). Man konnte aber auch durch sein Buch sein Leben verwirken wie im Falle des Aulus Cremutius Cordus. Dieser hatte Brutus und Cassius „die letzten Römer“ genannt, worüber Kaiser Tiberius so erbost war, daß er den Ge schichtsschreiber hinrichten und seine Bücher öffentlich verbrennen ließ (Suetonius, Tiberius 61, 3). Ein Buch konnte sogar die Ursache für einen Unfall mit tödlichem Ausgang sein, wie es dem Verginius Rufus erging. Der hochbetagte Konsul wollte dem Kaiser eine Dankrede halten. Da fiel ihm die Rolle, aus der er ablas, zu Boden; beim Aufheben stürzte er, brach sich das Hüftgelenk und starb darauf (Plinius, Epist. 2, 1). Es gab aber auch Männer, die dem Buch als dauerhaftem Träger der Gedanken so sehr miß trauten wie der Epikureer Diogenes von Oinoanda, der seine umfangreiche philosophische Lehrschrift auf der Wand eines Bauwerkes seiner Heimat stadt eingravieren ließ statt sie einer Papyrusrolle anzuvertrauen. Wie nun die Bücher der Griechen und Römer aussahen, wie man sie herstellte und verbreitete, wann und wie man zu ihrer Sammlung und Be wahrung Bibliotheken gründete, wer überhaupt lesen und schreiben konnte - mit diesen Fragen wollen wir uns auf den folgenden Seiten befassen. Rom, September 1991
Horst Blanck
I. Die griechische und lateinische Buchstabenschrift Der moderne Tourist, der zum Beispiel das Forum Romanum in Rom besucht, kann hier ohne weiteres die in großen Lettern auf dem Titusbogen verzeichnete lateinische Ehreninschrift (Abb. 1) lesen und verstehen, ob wohl das Monument vor über eintausendneunhundert Jahren errichtet wor den ist. Der Grund dafür ist einfach: Wir benutzen in unserer heutigen Schrift für die Großbuchstaben noch immer genau die gleichen Formen wie die „alten Römer“. Aber auch unsere Kleinbuchstaben, die sich aus mittel alterlichen und humanistischen Handschriften entwickelt haben, gehen letztlich auf die lateinischen Großbuchstaben zurück. Die Römer und die italischen Völker, und zwar zunächst die Etrusker, haben die Schrift von den Griechen übernommen, die ihrerseits ein Alphabet der Phöniker adap tiert haben. Diesem bis in unsere Gegenwart wirksamen Ereignis, das die Annahme und Verbreitung der Buchstabenschrift durch die klassischen Völker des Altertums darstellt, wollen wir, da es auch eine Voraussetzung für das antike Buchwesen darstellt, in den wichtigsten Etappen nachgehen.
1.
Titusbogen, Rom. Inschrift.
10
Die griechische und lateinische Buchstabenschrift
1. Die griechische Schrift Die Griechen haben alle großen Errungenschaften ihrer Kultur in ein my thisches Gewand gekleidet und sie als Erfindungen einem ihrer Götter oder Heroen zugeschrieben. Auch die Schrift, das Mittel, die Gedanken zu fixie ren und sie über Raum und Zeit weiterzugeben, konnte nicht von einem einfachen Menschen erdacht worden sein. Man glaubte hier vielmehr an den Gott Hermes, an die sagenhaften Erfinder Prometheus und Palamedes, an die Musen und noch viele andere (Aischylos, Prometheus 460; Diodoros 5, 74.1; Tacitus, Ann. 11, 14). Was speziell die Buchstabenschrift1 betrifft - die Schriften der kretisch-mykenischen Kultur, das sogenannte Linear A und Linear B, sowie die kyprische Silbenschrift lassen wir hier außer Be tracht so kommt eine zuerst durch den griechischen Historiker Herodot (5, 58) überlieferte Sage dem geschichtlichen Sachverhalt erstaunlich nahe. Kadmos, der König der Phöniker, war auf der Suche nach seiner durch Zeus entführten Schwester Europa mit seinen Getreuen auch nach Grie chenland gekommen. Nun sagt Herodot: „Diese mit Kadmos nach Grie chenland eingewanderten Phöniker .. . haben durch ihre dortige Ansied lung viele Wissenschaften und Künste zu den Griechen gebracht, unter anderem auch die Schrift, die die Griechen, wie ich glaube, bis dahin nicht kannten. Anfangs benutzten die Kadmeier die gleichen Buchstaben wie alle anderen Phöniker. Später aber veränderten sie im Laufe der Zeit mit der Sprache auch die Form der Buchstaben. Nachbarn der Kadmeier in den meisten Gegenden waren damals die Ionier. Diese übernahmen durch Un terweisung die Buchstaben von den Phönikern, bildeten sie im Gebrauch ein wenig um und nannten sie phönikische Buchstaben, was recht und billig war; denn die Phöniker hatten sie ja in Griechenland eingeführt. ... Solche Buchstaben aus der Zeit des Kadmos habe ich im Tempel des Apollon Ismenios im boiotischen Theben selbst gesehen ...“ (Übers.: H. Färber und M. Faltner). Aufgrund von Inschriftenfunden wissen wir heute, daß sich im semitischen Sprachgebiet Syriens und Palästinas, namentlich im Machtbereich der Handelsmetropole Ugarit (heute Ras Shamra, gegenüber der zyprischen Ostküste), im zweiten vorchristlichen Jahrtausend ein Buch stabenalphabet entwickelt hatte, bei dem im Unterschied zu den älteren Silbenschriften jedem einzelnen Zeichen, also Buchstaben, ein bestimmter Lautwert der Sprache entsprach. Die ugaritischen Buchstaben, die in ihrer Form noch auf mesopotamische Keilschriften zurückgingen, wurden dann im gleichen geographischen Raum nach dem Ende des ugaritischen Reiches (etwa um 1200 v.Chr.) von den Phönikern äußerlich abgewandelt, wobei sie aber ihre Lautwerte beibehielten. Das phönikische Alphabet besteht aus 22 Zeichen, die aber alle nur Konsonanten wiedergeben; die Vokale drück te man in der Schrift nicht aus.2
Die griechische Schrift
//
Als die Griechen dieses phönikische Alphabet übernahmen - die Tatsa che der Übernahme ist wegen der fast identischen Form der Buchstaben in den ältesten griechischen Inschriften, aber auch wegen der gleichen Reihen folge in erhaltenen Musteralphabeten nicht anzuzweifeln haben sie die Anwendbarkeit für ihre, eigene Sprache dadurch grundlegend verbessert, daß sie fünf phönikische Buchstaben (älef, he3, yöd, äyin, wäw), die im Griechischen nicht vorkommende Konsonantenwerte haben, zur Bezeich nung der Vokale a, e, i, o, u bestimmten. Das Zeichen für den vokalischen u-Laut wurde ans Ende des Alphabets gesetzt, während an die sechste Stelle das sogenannte Digamma (F) zur Bezeichnung des w-Lautes trat. Das phönikische Alphabet verfügt über vier verschiedene Zischlaute (zayin, sämek, säde, Sin), während die Griechen nur den stimmhaften z-Laut und den s-Laut auszudrücken brauchten. Für ersteren wählten sie fast allgemein das zayin (I = griech. zeta); für den letzteren wurden in einigen Gebieten (z.B. Kreta, Thera und seine Kolonie Kyrene, Melos, Argos, Korinth mit Kolonien, Sikyon, Achaia, Phokis) das säde (M, griech. wahrscheinlich san genannt), in anderen Gebieten (kleinasiatisches Ionien, ionische Inseln, Euböa mit Kolonien, Lakonien, Messenien, Elis, Arkadien) das Sin (X, i = griech. sigma) benutzt. Die griechische Sprache verfügt über drei konso nantische Hauchlaute, das interdentale th, das gutturale kh und das labiale ph, für die folgende Lösung gefunden wurde: Das th (theta) wurde durch das phönikische tet (©) ausgedrückt, die beiden anderen aber durch eine Kombination der einfachen Tenues, also der stimmlosen Verschlußlaute, mit dem phönikischen het (0), das wiederum für die Griechen den Lautwert des h (entsprechend dem späteren Spiritus asper in der Schrift) und für die Ostgriechen den des langen e (eta) hatte. Demnach bedeutete K0(oder 90) den Lautwert kh, TB den Lautwert ph. Auch die Laute ks und ps wurden von den Griechen zunächst durch zwei Buchstaben ausgedrückt, und zwar schrieb man das ks als KI (oder KM) bzw. als 9Z(oder ?M). Anstelle dieser Buchstabenkombinationen traten aber alsbald neue, eigens erfundene Zeichen auf, die sogenannten Zusatzzeichen, die dann hinter dem u-Laut (Y oder V) das Ende der alphabetischen Reihe bildeten. Für den phLaut wurde nun allgemein das
tr • t V'.
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79.
Demosthenes, De falsa legatione (1.12. Jh. n.Chr.). Kairo, Museum.
Die Buchrolle
79
RjueNirrjss ONGYt CAFAKCQUTAU ecérioNTo 4Ff? UO M € CAA NAW ' ■PANOIHCAM cb M ÓXA P1 croc eH N rerro 1 Aenapapuac 1 Nöle i mgk act• 50.
Homer, Ilias II (2.Jh. n. Chr.). Oxford, Bodleian Library.
51.
Homer, ¡lias V (3.Jh. n.Chr.). Oxford, Bodleian Library.
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Die Hauptformen des antiken Buches: Rolle und Kodex
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