Das Bildungswesen. Heft 3 Deutsche Volkstumspädagogik: Die Notwendigkeit ihrer Begründung nebst Bausteinen und Richtlinien. Eine Anregung zur zeitgemäßen Neugestaltung der Erziehungskunde 9783111418841, 9783111054469


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German Pages 58 [64] Year 1920

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Table of contents :
Inhalt
1. Nationale Pädagogik und „Deutsche Volkstumspädagogik"
2. Hauptaufgaben einer deutschen volkstumspädagoglk
3. wie alte Bausteine zweckmäßig in den Neubau einzufügen sind
4. Inwiefern bedeutet die „Deutsche volkstumspadagogik" einen wirklichen Fortschritt?
5. Einige Grundzüge der deutschen volkscharakters
6. Mehr Pädagogik überhaupt!
7. Schlusswort
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Das Bildungswesen. Heft 3 Deutsche Volkstumspädagogik: Die Notwendigkeit ihrer Begründung nebst Bausteinen und Richtlinien. Eine Anregung zur zeitgemäßen Neugestaltung der Erziehungskunde
 9783111418841, 9783111054469

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Das VNbungswesen Beiträge zur Neugestaltung des gesamten Bildungswesens in Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von

Dr. Karl Koller Direktor der höh. INädchenschule und Privatdozent für Pädagogik in Gießen

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2. heft

.... ■...................

Deutsche volkstumzpädagogik Vie Notwendigkeit ihrer Begründung nebst Bausteinen und Nichtlinien

Line Anregung zur zeitgemätzen Neugestaltung der Lrziehungrkunde von

3. Zriedrich Lehrer

Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen 1920

pflüget ein Neuer, weil er Seil ist. (Hosea 10,12)

„Deutsch thiutisco

Name schon

ruft

heißt

ursprünglich

dem Deutschen

zu,

„volkstümlich",-

volkstümlich

sein

zu sein".

(Hug. 3uL Langbehn)

Inhalt: 1. Nationale Pädagogik und „Deutsche Volkstumspädagogik"

5. 5

2. Hauptaufgaben einer deutschen Volkslumspädagogik . . 5. wie alte Bausteine zweckmäßig in den Neubau einzufügen sind

S. 17

4. Inwiefern bedeutet

5.11

die „Deutsche Volkstumspädagogik"

einen wirklichen Fortschritt?.......................................................

5. Einige Grundzüge des deutschen Volkscharakters .

.

5. 45

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S. 47

6. Mehr Pädagogik überhaupt!......................................................

S. 55

7. Schlußwort......................................................................................

5. 58

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Nationale Pädagogik und „Deutsche Volkstums pädagogik". vie Pädagogik ist lies in dar deutsche Volkstum zu verankern. „Man hat dann als einheitliches Ziel den natio­ nalen Gedanken aufgestellt. Allein dieser Gedanke gibt überhaupt kein Ziel, sondern lediglich ein selbst­ verständliches und nach meiner Meinung von keiner Nation, die ihre Lrziehungsprobleme ernst nimmt, zu verfehlendes Prinzip." (Kerschensteiner.)

Wer sich mit der Fortbildung (teilweisen Neugestaltung) des Erziehungswesens befassen will, mutz von der Vergangenheit ausgehen. (Ein Rückblick auf die Geschichte der Pädagogik lehrt, daß diese Wissenschaft durch große Ereignisse, die sich zunächst auf einer ganz anderen Bühne abspielten, auf neue Wege und zu neuen Zielen gewiesen wurde. Nur drei besonders auf­ fällige weltgeschichtliche Ereignisse, die Einführung des Christentums, der Humanismus und die Reformation, seien genannt. Wie ruhig wäre die Pädagogik ohne sie auf alten, ausgetretenen Pfaden weiter­ gewandelt, und welch großen Einfluß übten diese äußeren An­ regungen auf die Entwicklung des Lrziehungswesens aus! Ruch die Not der Jahre 1806—1813 gebar einen Rufschwung der deutschen Erziehung, an dem von Gott begnadete Männer des Geistes und der Rede hervorragenden Anteil hatten. (Es war der Ruf nach einer „nationalen" Pädagogik, der auch nach den glorreichen Siegen 1870/71 immer lebhafter wurde. Dafür mögen ein paar Beispiele genügen. Rm 15. August 1881 hat Julius Falken st ein den auf die Erhaltung des Deutschtums im Auslande gerichteten „All­ gemeinen Deutschen Schulverein" gegründet, und die Lei­ stungen der von Hans Schwatlo in Konstantinopel geleiteten deut­ schen Schulen haben ein gut Teil zum Ansehen der Deutschen in der Stadt am Goldenen Horn beigetragen. Aus der Tatsache der Weltwirt­ schaft leitet Alexander Wernicke in glänzendem Vortrag die Notwendigkeit einer Nationalerziehung ab: ein Volk, das sich im internationalen wirtschaftlichen Wettkampf behaupten will, müsse zunächst zur geschlossenen, scharf ausgeprägten Nation gereift sein. —

1*

4 Ruch der Deutsche Lehrerverein und seine hervorragendsten Ver­ treter haben es an der Förderung der auf nationale Erziehung unserer Jugend gerichteten Bestrebungen nicht fehlen lassen. Der Deutsche Lehrerverein hat wiederholt und nachdrücklich, nicht zuletzt im nationalen Interesse, die Forderung der Ver­ einheitlichung des deutschen Schulwesens vertreten und begründet. Gbwohl auch Leuchten der Wissenschaft, wie Natorp, Rein, Ziegler und Leiter von Schulkörpern größerer Städte, z.B. Kerschen st einer- München, S i ck i n g e r - Mannheim, sich zu dem Ideal der nationalen Einheitsschule schon längst bekennen, sind erst in der jüngsten Zeit, wohl unter dem Eindruck der weltbewegen­ den Ereignisse des Krieges und der nach ihm eingetretenen politischen Umgestaltung, seitens mancher zuständigen Körperschaften und Schulbehörden dort kleine Anfänge und Zugeständnisse nach dieser Richtung gemacht worden, wo vor dem Kriege noch keinerlei Ent­ gegenkommen zur Verwirklichung dieser Idee zu finden war?) ’) Dgl. die Beschlüsse des Prerch. Abgeordnetenhauses vom 17. März 1916 in diesem Betreff, sowie die Bestrebungen der Städte Frankfurt a M. und Hamburg, die bestehenden Vorschulen aufzuheben. — Tews, Die deutsche Einheitsschule. — Auch in Hessen ist ein bemerkenswerter Fortschritt nach dieser Richtung zu verzeichnen. Am 28. Febr. 1917 erschien ein Anschreibeu der obersten Schulbehörde, betr.: Ausnahme von Volks- und Mittelschülern in die Sexta und Quinta der höheren Lehranstalten. Danach ist der Übertritt begabter Schüler einer Volks- oder Mittelschule in eine höhere Schule von Ostern 1917 ab bedeutend erleichtert. (Aufnahme ohne Prüfung, wenn das Zeugnis für Deutsch und Rechnen nicht geringer als „gut" lautet.) — Rach der staatlichen Umwälzung wurde der bedeutungsvollste Schritt zur (Einführung der Einheitsschule in Hessen getan. Unterm 4. März 1919 erschien ein Erlaß, durch den die unterste Vorschulklasse (1. Schuljahr) an allen höheren Lehranstalten und Mittelschulen Hessens aufgehoben wurde. „Die Direktionen haben keine neuen Dorschüler mehr aufzunehmen. Die für die bisherige unterste Vorschulklasse in Betracht kommenden Schüler sind in die öffentlichen Volks­ schulen einzureihen nach denselben Grundsätzen, die für die Dolksschüler der Gemeinde gelten . . . Der Staat wird sich darum bemühen und die Gemeinden sind mit aller Entschiedenheit dazu anzuhalten, dafür zu sorgen, daß die päda­ gogischen wie die hygienischen Bedingungen des Dolksschulunterrichts allen billigerweise zu stellenden Anforderungen genügen. Jur inneren Ausgestaltung und Hebung der Volksschule wird ferner dringend empfohlen, überall, wo mehrere Klaffen desselben Jahrgangs nebeneinander bestehen, Begabungs­ gruppen im Sinne des Mannheimer Systems zu bilden. Die weitere Aus­ gestaltung wird deshalb von uns in der Richtung erstrebt werden, daß von dem Stamm der gemeinsamen Grundschule aus in weitgehender Verzweigung der oberen Stufen der Besonderheit der Anlagen nach Möglichkeit Rechnung getragen werden kann. Die Rettung unseres so tief daniederliegenden Vater­ landes hängt davon ab, daß wir einerseits eine starke Gemeinschaftsgesinnung, andererseits Qualitätsmenschen und Qualitätsarbeit hervorbringen.......... " — In einer vom 1. April 1919 datierten Verfügung wandte sich der oberste Leiter des hessischen Schulwesens an die Kreisschulkommissionen und namentlich an die Lehrer und Lehrerinnen der Volksschule mit der Bitte, die neue Organi­ sation mit allen Mitteln zu fördern; denn „es mögen die in Betracht kommen-

5 Nach diesem gedrängten Rückblick auf die oft durch äußere An­ regungen veranlaßte Entwicklung der Pädagogik stellen wir folgen­ des fest: 1. Die äußeren Anregungen, welche die Pädagogik durch die Jahre 1813 und 1870/71 empfing, haben ihre Entwicklung ohne Zweifel be­ günstigt. (Nationale Pädagogik.) 2. Diese nationale Pädagogik selbst und die deutschen Schulen haben an dem kulturellen und wirtschaftlichen Auf­ schwung unseres im Frieden ausdauernd schaffenden Volkes berechtigten Anteil. Auch die im Weltkriege bewiesenen bei­ spiellosen Erfolge unserer opfer- und todesmutigen Streitkräfte, die zu etwa 90 v. H. durch die deutsche Volksschule gegangen sind, sind ein Beweis dafür, daß die von der nationalen Pädagogik verfolg­ ten Ziele richtig waren. 3. wo Licht ist, zeigt sich auch Schatten. So tat die nationale Pädagogik z. B. sehr wenig zur Weckung und Pflege des sozialen Sinnes. Wie viel auch bedeutende zeitgenössische deutsche Pädago­ gen (u. a. Kerzen ft einer, Förster, Natorp), die nämlichen, die auch auf Entwicklung der innersten Kräfte des Zöglings drangen, für eine Erziehung stritten, die das soziale Pflichtgefühl erwecke, stand die praktische soziale Erziehung vor dem Kriege noch in den allerer st en Anfangsgründe n.2) Auch der im verlaufe des Krieges und über ihn hinaus zutage getretene Wuchergeist ist zum großen Teil auf den Mangel einer prak­ tischen Sozialpädagogik zurückzuführen. — Daß es der na­ tionalen Pädagogik nicht gelungen ist, die organisch geglie­ derte nationale Einheitsschule zu schaffen, ist ein wei­ terer Beleg dafür, daß ihr bei allen Vorzügen doch auch große Mängel anhaften. Es fehlt der Maßstab, um festzustetlen, welcher Schaden schon für unser deutsches Volk dadurch entstanden ist, daß es ge­ rade des letzteren Umstandes wegen bisher nicht allen Tüchtigen mög­ lich war, in die Stellungen aufzurücken, wo sie ihre Kräfte zum heile der Nation hätten auswirken können. Daß der deutsche Neichskanzler v. Bethmann-hollweg nach den Erfah­ rungen des Krieges in der Neichstagssitzung vom 28. September 1916 den Lehrkräfte sich dessen bewußt sein: Bewährt sich auf Grund tüchtiger Leistungen die Einführung der Einheitsschule bei uns in Hessen, so wird ihr damit die Bahn für das ganze Deutsche Reich gebrochen sein." Vgl. hierzu auch Direktor Dr. Karl Roller, Die Einheitsschule. Ein Vorschlag zur Lösung des Problems. Verlag von Alfred Töpelmann. Gießen 1919. a) Vergleiche Ratorp, Sozialpädagogik und Kerschensteiner, Deutsche Schulerziehung in Krieg und Frieden, 1916, sowie auch des Verfassers Beitrag in der „Päd. Warte", 1917, 2. Heft: Jur sozialen Erziehung.

6 das Wort prägte: „Freie Lahn für die Tüchtigen! Das muß unsere Losung sein!" kann man als gewisses Zugeständnis der Tatsache be­ trachten, daß die nationale Pädagogik nicht alle Mittel anwandte, um die der deutschen Nation frommenden Ziele zu erreichen. von diesen Mängeln spricht auch Prof. Rein in der Einleitung der von ihm herausgegebenen „Deutschen Schulerziehung": „Unsere Staatspädagogik, die in den Aktenschränken der Schulbüros nieder­ gelegt ist, hat die einseitige Richtung unseres Schulwesens insofern begünstigt, als sie die Schulen nach den Ergebnissen des Unterrichts einzuschätzen pflegte, ohne zu fragen, was sie in der Entfaltung des Schullebens leisten, d. h. was sie für die Charakterbildung tun. Frei­ lich, darüber läßt sich nicht examinieren. So mag es gekommen sein, daß man das eigentlich Wertvolle unserer Schulerziehung, die innere Beeinflussung der Zöglinge und die Richtung ihres Willens auf hohe Ziele hin, nicht selten übersah." Wir werfen hier auch die Frage auf: hat die nationale Pädagogik genug getan, um das nötige Interesse für das Verständnis der poli­ tischen und staatlichen Fragen, von deren Lösung doch Wohl und Wehe des deutschen Volkes in hohem Grade abhängig ist, zu wecken? Der schreckliche Krieg hat deutlich gelehrt, daß sie in diesem wichtigen Punkte viel verabsäumte. Der Tatsache, daß unsere akademische Jugend (Studenten) sich um politisch-vaterländische Fragen früher allzuwenig kümmerte, bezw. für ihre politische Erziehung leider nicht ge­ nug Anregung empfing, konnte Vers, in den vor dem Kriege von ihm besuchten pädagogischen Vorlesungen an der Technischen Hochschule zu Darmstadt Ausdruck verleihen hören. (Dort las Privat­ dozent Prof. Dr. Roller im Sommerhalbjahr 1914 über „Neuere pädagogische Probleme"). Aus diesen Darlegungen gewinnen wir den Satz: Die natio­ nale Pädagogik hat zur Entwicklung der deutschen Nation sehr viel beigetragen- aber sie hat nicht alle Mittel zur Erreichung des Zieles angewandt, das der weltgeschichtlichen Bedeutung des deutschen Vol­ kes entspricht. Insbesondere hat sie zwei wichtige Zweige die im Interesse der gesunden inneren Entwicklung unseres Volkes liegende soziale Erziehung und die Weckung des Interesses für politisch-staatsbiirgerliche Fragen, deren Verständnis erst die nötige freudige Mitwirkung aller Schichten des Volkes an der politischen und staatlichen Arbeit bedingt, — fast ganz verkümmern lassen. Auch beschritt sie nicht alle Wege, die nötig sind, um allen be­ gabten Kindern des Volkes — nicht selten schlummern gerade in den

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mittellosen Schichten große Talente — Gelegenheit zur Entfaltung und Nutzbarmachung ihrer geistigen Kräfte zu bieten. Unsere Untersuchung läßt an verschiedenen Stellen — namentlich zuletzt wurde dies deutlich betont — die Hauptursache mancher Mängel der nationalen Pädagogik genug erkennen: Sie nahm nicht genügend Rücksicht auf den dem deutschen Volke innewohnenden Wert. Mit anderen Worten: Weil die natio­ nale Pädagogik nicht bewußt alle deutschen Eigentümlich­ keiten aufsuchte, sie zusammenfaßte und zur Grundlage eines ge­ schlossenen Systems der Pädagogik machte, konnte sie auch nicht alle im Interesse der deutschen Nation wünschens- und erstrebenswerten Ziele erreichen. Nicht allein im Blick auf das allgemeine Ziel der Er­ ziehung, sondern auch mit Rücksicht auf die großen, dem deutschen Volke beschiedenen Rufgaben erheben wir, gestützt auf die Vordersätze, die Forderung: Wir müssen die nationale Pädagogik tief in das deutsche Volkstum verankern. Was wir brauchen, ist eine „deutsche* Pädagogik, d. h. ein ganz und ausschließlich auf das deutsche Volkstum gegrün­ detes unwandelbares pädagogisches System.

„Deutsche volkstumsPädagogik".') Die Notwendigkeit einer deutschen Volkstums­ pädagogik wird uns erst dann recht klar und deutlich, wenn wir uns mit ihrem wesen und den Aufgaben, die sie zu lösen hat, näher befassen. 3u diesem Zwecke müssen wir zuvörderst den Begriff „Volkstum" bestimmen und die Frage: Was ist deutsch? zu beantworten versuchen. Das wort Volkstum hat Friedrich Ludwig Iahn gebildet. Er faßt in den Begriff „Volkstum" alles zusammen, was das Leben eines Volkes Eigenartiges erzeugt und enthält, sein innewohnendes wesen, seine Wiedererzeugungskraft, sein Denken und Fühlen, Lie­ ben und hassen, Leiden und handeln. „Volkstumskunde" ist ihm die Kunde von den geistigen Kräften und Schöpfungen, die der Geschichte eines Volkes innerlich und äußerlich ihre Besonderheit geben. Unter „Volk" versteht man die Gesamtheit eines durch gemeinsame Abstam­ mung, Sprache und Sitte verbundenen Teiles der Menschheit, oder nur den größeren Teil einer solchen Menschheitsgruppe, der, noch am tiefsten in dem natürlichen Boden wurzelnd, schon durch seine llber•) Vgl. Dr. Hans Zimmer, Die deutsche Erziehung und dir deutsche Wissenschaft. (12. Abschnitt des von Prof. Dr. Hans Meyer herausgegebenen Sammelwerkes „Das Deutsche Volkstum". 2. Aufl. 1903.)

8 zahl dem Ganzen sein Gepräge gibt und als „große Menge" der klei­ neren, von der Kultur reicher beeinflußten Gruppe der „Gebildeten" ergänzend gegenübersteht. Die geschlossene Summe seiner Eigenschaf­ ten, oder, bestimmter gesagt, das aus seinen geschichtlichen Schicksalen sich entwickelnde psychische Produkt hat jedes Volk für sich: das ist sein Volkstum, viele Eigenschaften und Erscheinungen gehören im einzelnen nicht ausschließlich dem deutschen Volke an, sondern finden sich auch bei anderen und namentlich den verwandten germanischen Völkern, aber „spezifisch deutsch ist das aus der organi­ schen Verbindung aller dieser Einzelheiten ent­ stehende Gesamtbild. Das deutsche Volkstum als Zu­ sammenfassung des deutschen Volkscharakters und seiner Erzeugnisse, als die organische Verbindung der psychi­ schen Eigenschaften des deutschen Volkes und ihrer Erscheinungen im Leben und in der Geschichte des deutschen Volkes gibt uns die bündigste Auskunft auf die Frage „Was ist deutsch?" — Innige Beziehungen bestehen zwischen den Begriffen „Volkstum" und „national". Es kann niemand vom Volkstum erfüllt sein, -er nicht zugleich national wäre, und „Volkstum ist etwas anderes als „Nationalität"/) Es ist ferner nötig, daß wir auch die Frage erörtern, warum die Pädagogik nicht schon bisher ganz und ausschließlich auf das deutsche Volkstum gegründet wurde, bezw. welche Umstände der Schaffung einer „Deutschen Volkstumspädagogik" im Wege standen. Das gehört zu einer allseitigen Beleuchtung dieses Gegenstandes und ist für die Lösung unserer Frage von grundlegender Be­ deutung. 3u diesem Behufe ist ein kleiner Streifzug in die deut­ sche Geschichte vonnöten. Wir stützen uns hierbei auf den von Dr. Helmolt verfaßten Abschnitt des in der Anmerkung angeführ­ ten Werkes, betitelt „Die deutsche Geschichte". Als Fichte seine Reden an die deutsche Nation hielt, da war unserem Volke das Bewußtsein von seinem Wesen und Werte ganz entschwunden, vor WO Jahren fehlte bei uns jener Gemeinsinn, der sich sonst bei Völkern äußert, die sich zu Nationen zusammengeschlossen haben. Ausländer konnten die Beobachtung machen, in Deutschland seien keine Deutschen zu finden, sondern nur Österreicher, Branden­ burger, Sachsen. Dies Urteil ist richtig, weil es dem Tharakter der deutschen Geschichte entspricht. Zwar bildet auch der Werdegang unseres Volkes ein Ganzes, weil keine Entwicklung von Gliedern der Mensch­ heit Lücken haben kann,- aber dieses Ganze faltet sich in dauerndem Wechsel in unendlich viele Teile und Teilchen auseinander. Freilich, *) Dgl. Prof. Dr. Hans Meyer, Das Deutsche Volkstum, fl. Ab­ schnitt 2.7 u. f., auch das Vorwort.) Desgl.Fichte, 2iebente u. achte Rede.

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ehe nicht ein Volk zur Nation im Sinne des 19. Jahrhunderts geworden ist, kann es nur ein Volkstum haben, in -em die allgemein mensch­ lichen Züge überwiegen müssen. Dennoch gibt es sicherlich Eigen­ schaften, die das deutsche Volk dauernd besessen hat und vor allen anderen aufweist, Eigentümlichkeiten, die dem ihm allein gehörigen Gesamtbilde deutschen Volkstums das besondere, persönliche Gepräge gegeben haben. Ebenso wie es richtig ist, an einem deutschen Grund­ charakter sestzuhalten, der sich in verschiedenen Formen während ver­ schiedener Entwicklungsalter und Beeinflussungen, die keinem Volk er­ spart werden, also zu allen Zeiten, geoffenbart und betätigt hat, ebenso sollte man sich daran gewöhnen, hinter dem allmählich Gewor­ denen das ursprüngliche Wesen, die Grundzüge unseres Volkes zu er­ kennen. Mag es auch schwer sein, sie herauszufinden, da man nach der einen Seite darin leicht zu viel, nach der anderen zu wenig tun kann: möglich muß es doch sein, das deutsche Volkstum an der Hand der Geschichte ans Licht zu stellen. 3n den zwei Jahrtausenden, da uns staatliche Bande vereinigt haben, ist die Uhr zu oft auseinander ge­ nommen worden, als daß der aufmerksame Beobachter ihre Zusam­ mensetzung und ihre Triebfeder nicht sollte erspähen können, An den einzelnen Bestandteilen liegt nichts: nur das Ineinandergreifen der Räder und Rädchen belebt die tote Masse. Das Gange der miteinander fortlebenden und sich aus sich selbst immerfort natürlich und geistig erzeugenden Deutschen ist das deutsche Volk. Aus diesen Sätzen erhellt, daß das deutsche Volkstum, wie es sich zur Zeit der staatlichen Zerrissenheit unseres Volkes äußerte, keine geeignete Grundlage für eine „deutsche" Pädagogik bilden konnte. Diese Behauptung erfährt durch einen Ausländer ihre tiefere Begründung und eine ergänzende Beleuchtung: weil die bunte Samm­ lung von Volksstämmen, die Goethes und Schillers Deutschland aus­ machten, noch nicht zu einem Volk zusammengeschweißt war, hatte es auch keinen gemeinsamen Volkscharakter. Erst da Bismarck mit dem Schwert in der Hand die beiden Ehegatten, den nord- und süd­ deutschen Charakterzug, getraut hatte, kann man so langsam an­ fangen, von einem deutschen Volkscharakter zu reden?) Das junge deutsche Volk ist zuletzt von allen größeren Nationen zu nationaler Selbständigkeit gelangt. Darum war es na­ türlich, daß mit der Wiederaufrichtung des Deutschen Kaiserreiches 1871 ein neuer Aufschwung des deutschen Erziehungswefens — die auf eine nationale Pädagogik gerichtete Bestrebung — einherging. Aber diese stand nur, um im Bilde zu bleiben, aus einem winzigen 6) Köln. Itg. 1915. Zusammenfassung des von dem norwegischen Philo­ logen Caspari im „Dagbladet" veröffentlichten Aussatzes „Der deutsche Dolkscharakter".

10 Stück „Volkstumsboden". — Ls kommt ferner der Umstand in Betracht, daß eine „deutsche" Pädagogik die deutsche Volkstumswissenschaft zur Voraussetzung haben mutz. Letztere ist aber erst -von Iahn angebahnt worden. Seit 100 Jahren hat jedoch diese Wissenschaft grotze Fort­ schritte gemacht. Vatz man in der pädagogischen Fachliteratur einer Anregung zur Begründung einer „Deutschen volkstumspädagogik" in gedachtem Sinne nirgends begegnet, steht ganz im Einklangs mit der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Vol­ kes, ddtz aber ein solches Gebäude zu errichten möglich und erfolg­ verheißend fein müsse, hat der Pädagog Dr. Hans Zimmer in dem erwähnten Sammelwerke „Vas deutsche Volkstum" dargelegt, wenn auch nur, wie er selber sagt, „als ein frühes Ahnen, als ein kurzes, in großen Zügen hingeworfenes Programm", wir können die letzten Ausführungen dahin zusammenfassen: Nur nach einer „nationalen", nicht nach einer „deutschen", einer „volkstumspädagogik" hat, wie die Vergangenheit, so auch die Gegenwart (wenn man darunter die Zeit vor dem Kriege versteht) gerufen. Vie Ursache hierfür liegt in der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Volkes. Erst der Krieg — „keine zweite Nation auf der ganzen Welt hätte an unserer Stelle das Gleiche geleistet" — mit seinen unvor­ hergesehenen Folgen hat unser aller Augenmerk auf die Notwen­ digkeit der Begründung einer deutschen VolkstumsPädagogik hingelenkt. Er hat nicht nur einen der mächtigsten Marksteine in der Geschichte des deutschen Volkes aufgerich­ tet, sondern auch dessen tiefste Wesens- und Eigenart in einer nie zuvor gekannten Stärke hervortreten lassen. wir stützen darum unsere einleitenden Erörterungen über die Notwendigkeit der Begründung einer deutschen Volkstumspädagogik noch mit folgenden Ausführungen: Mit Recht gilt Psychologie als Hilfswissenschaft der Pädagogik, wenn man nun die Behauptung gelten läßt, daß es eine Psychologie der Völker gibt, also die Psycho­ logie des einen Volkes mancherlei Verschiedenheiten von der des an­ deren aufweist6) und daß daher die Pädagogik jeweils die Psychologie des ganzen Volkes wie des ihm zugehörigen Einzelmenschen zu berück­ sichtigen hat, so folgt daraus, daß unsere deutsche Pädagogik fortan eine Hauptstütze in der Psychologie des deutschen Volkes und des deutschen Linzeimenschen suchen mutz. Ls kann kein sichereres Fundament für das neu aufzuführende Gebäude einer deutschen Pädagogik geben als eben das deutsche Volks­ tum. von diesem Boden aus kann sie sich neue und höhere, dem ’) „Jedes Volk hat seine Eigentümlichkeit, gleichsam seinen Naturtrieb, was sie Instinkt nennen, worin sich bestimmte, vorherrschende Neigungen und Anlagen offenbaren". (Ernst Moritz Arndt.)

11 deutschen Volke besser frommende Ziele stecken als unsere bisherige Staats- und nationale Pädagogik. Vie deutschen Pädagogen werden die Seichen der Seit erkennen und sie recht zu deuten wissen: sie werden das Gebäude einer deutschen Pädagogik, einer deutschen Volkstumspädagogik, dem zu steckenden Ziele entsprechend neu aufbauen. Der Begriff „Deutsche Volkstumspädagogik" aber — das geht aus den bisherigen Ausführungen zur Genüge hervor — schließt den der „nationalen" Pädagogik in sich ein.

2. Hauptaufgaben einer deutschen volkstumspSdagoglk. Bausteine und Richtlinien. „Leiste deinen Zeitgenossen, was sie bedürfen, nicht, was sie loben".

Nachdem wir die Notwendigkeit einer deutschen Volkstumspäda­ gogik aus verschiedenen Gesichtspunkten heraus beleuchtet und nach­ gewiesen haben, ist zu untersuchen, ob sich nicht an der Hand der ihr gestellten Aufgaben Bausteine und Richtlinien ergeben. In folgenden Punkten sollen die Hauptaufgaben einer zu schaffenden deutschen Volkstumspädagogik zusammengestellt werden. 1. Zählt die Zusammenfassung unseres augenblicklichen Wissens vom Wesen und Walten des deutschen Volkstums ungefähr hundert verschiedene, aber meist eng miteinander verbundene Eigenschaften auf, und ist das Ergebnis der Untersuchung von Dr. 3 immer7) richtig, daß sich in der deutschen Pädagogik zu allen Zeiten Züge und Äuße­ rungen deutschen Volkstums nachweisen lassen, wenn auch zu keiner Zeit alle auf einmal und zu den verschiedenen Zeiten bald mehr, bald weniger deutlich und zahlreich, so fordert unsere heutige Zeit von den deutschen Pädagogen: Studiert das deutsche Volkstum! Sucht bewußt alle deutschen Eigenschaften auf, st eilt sie zusammen und macht sie zur Grundlage eines geschlossenen pädagogischen Systems! 2. Die deutschen Züge, die sich in der Geschichte der deut­ schen Erziehung nachweisen lassen, sind als kostbares Vermächt­ nis der Vergangenheit dankbar in die Zukunft hinüberzuretten. So7) Dr. Hans Zimmer, Die deutsche Erziehung und die deutsche Wissenschaft. 5. 401 des oben erwähnten Werkes „Das Deutsche Volkstum", II. Teil.

12 fern es sich nötig erweist, ist dieses Gold umzuschmelzen und zu läutern, wobei auch aus die nationale Pädagogik besonderes Gewicht zu legen ist. Eine deutsche Volkstumspädagogik wird auch aus den Charakter­ eigenschaften und Erbfehlern des Deutschen, aus denen unserer Nation nachweislich schon ernster Schaden erwachsen ist, z. B. Rechthaberei und Uneinigkeit, Absonderlichkeit und Verschroben­ heit,geringesSelb st-undschwachesNationalbe wu ß tf ein, gern zu entnehmen wissen, auf welche gegenteiligen Eigen­ schaften im Zögling hinzuwirken ist. Denn „die deutschen Erzieher müssen sich immer dessen bewußt bleiben, daß die Lichtfülle deutschen Wesens auch manche dunkle Schatten in das deutsche Volkstum wirft." (Prof. Dr. Hans Meyer.) 3. Individualismus und Universalismus sind im „Deutschen" innig miteinander verbunden. Eine dankbare Aufgabe der „deutschen" Päda­ gogik wird also die sein: Die Individualpädagogik mit der Sozial­ pädagogik, die Erziehung zur Persönlichkeit und zur Mensch­ lichkeit harmonisch zu verquicken. 4. Die neue „Deutsche Volkstumspädagogik" wird auch die Er­ örterung von Fragen national-ökonomischer Natur in den Kreis ihrer Betrachtung zu ziehen nicht unterlassen. Insbesondere wird sie die Lehren des Weltkrieges unter dem Gesichtspunkt einer Prü­ fung zu unterziehen haben, welcher Zusammenhang zwischen Brot und Waffen, Ernährung und Volkskraft, Bodenverteilung und Landes­ verteidigung, Landbesiedelung und Großstadtelend usw. besteht, und welche volkserzieherischen Schwierigkeiten sich dort, wo ein Mißverhältnis in diesen Dingen zutage tritt, ergeben. Sie wird die berufenen Organe aus den Zusammenhang dieser Fragen mit der Volkserziehung aufmerksam machen, insbesondere wird sie auf die große Gefahr Hinweisen, die unserem Volksleben daraus erwächst, daß noch in vielen Gegenden unseres Vaterlandes die altherge­ brachten Gesetze der Vererbung gelten, wonach die jüngeren Glieder wohlhabender Bauernfamilien meistenteils vonderheimatscholle fast mittellos vertrieben und zur Gründung äußerst notdürftiger Existenzen in der Stadt gezwungen werben.8) Sie wird die nötigen Nutzanwendungen aus Ursache und Wirkung •) Unsere Landbevölkerung ist unser völkischer Krastquell; in dem Doden des Vaterlandes ruhen und wachsen die Wurzeln unserer Kraft. — „Seinen Stadtkindern hat es der Staat durch umfangreiche und peinliche Vorsorge er­ möglicht, die soziale Stufe ihrer Eltern zu ersteigen. Don mehreren Sauern« Iöhnen aber kann nur einer Bauer werden; die andern müssen meistens Hinab­ teigen zu den Kleinhandwerkern oder zu umelbständigen Dienstboten oder Arbeitern. Diese Ungerechtigkeit, von der die Städter keine Ahnung haben, die sie aber jetzt an Börse und Magen spüren, mutz unbedingt ab gestellt werden." (DerTürmer, 2. Iuniheft, 1917.) — Dgl. auch Adolf Damaschke, Die Bodenreform und dessen Geschichte der Nationalökonomie.

13 des Aufblühens und Niederganges der Völker für das deutsche Volk ziehen. Kurz, sie wird alles tun, um die Volksgesundheit und namentlich die Schulgesundheitspslege zu fördern. 5. Die Ursachen der Verwahrlosung mancher Kinber wer­ den gründlich zu erforschen und ebenso geeignete Mittel zu ihrer Verhütung anzuwenden, wie zweckentsprechende Vorkeh­ rungen zur Erziehung der gefährdeten Jugend zu treffen sein. (Schaffung von Jugendämtern.) — Wie sich diese Päda­ gogik zur Aufgabe stellt, die deutsche Volks- und Kindesfeele zu erforschen und das gewonnene Material nach erzieherischen Gesichtspunkten zu ordnen und zu ver­ werten, wird sie auch die Entwicklungsgeschichte bedeu­ tender deutscher Männer untersuchen und verglei­ chen. Sie wird nicht davor zurückschrecken, den inneren Entwicklungs­ gang von psychisch und ethisch minderwertigen Zög­ lingen zu beobachten und aufzuzeichnen. Man wird die Entwicklung all dieser Menschen durch ihr ganzes Leben feststellen und sie mit der beabsichtigten erziehlichen Beeinflussung in ihrer Ju­ gend vergleichen. Überhaupt wird die „deutsche" Pädagogik Anregung geben, mehr Zeit auf die eigentliche Erziehungs­ praxis zu verwenden. Die Lehrer werden Listen führen über die Erfahrungen und Beobachtungen an den Zöglingen aus allen Kreisen der Bevölkerung und nach neuen Methoden forschen. Darum wird namentlich älteren Praktikern die größtmöglichste Freiheit einzuräumen fein. Diese sind auch von einem Teile der Pflichtstunden zu befreien, damit sie die von ihnen- zu sammelnden Beobachtungen und Erfahrungen verarbeiten können. Gibt man Seminaroberlehrer Dr. Tögel recht, der in den „pädagogischen Studien" behauptet: „An der Lehrerschaft selbst liegt es, wenn das Feld der Erziehungslehre noch nicht wissenschaftlich ge­ nug angebaut worden ist", so darf doch auch wohl daran erinnert wer­ den, daß die hohe Zahl der Unterrichtsstunden (der Volks­ schullehrer hat meist 6—8 Stunden mehr als der Fachlehrer an den höheren Lehranstalten und dabei alle Fächer zu lehren)9) den *) 3m Interesse der besseren Förderung bezw. der Neugestaltung der Erziehungskunde wäre der Wunsch des Pädagogen W. Münch zu erfüllen: „Andrerseits mutz Ermäßigung der Pflichtstundenzahl der Lehrer int Interesse der rechten erzieherischen Disposition, einer freien Lebens­ bestimmung wie einer steten wissenschaftlichen Selbstverjüngung gewünscht werden." Auch die von ihm befürwortete periodische längere Beurlaubung (nach gutem amerikanischen Vorbilde), etwa für ein Semester in jedem 5. Jahre wäre «me treffliche Maßnahme, die um des gedachten Zieles willen hier angeführt zu werden verdient.

14 Männern der Volksschulpraxis nicht genug Zeit und Kraft übrig läßt, um sich der eingehenden Bearbeitung ihrer auf dem engeren Gebiet der Erziehung gewonnenen Erfahrungen zu wid­ men. Auch mag teilweise die Furcht vor der oft unberechtigten und voreiligen Kritik, die sich gerne aus das stürzt, was nicht von Theo­ retikern geschrieben ist, die Praktiker von der Darstellung ihrer Beobachtungen abhalten. Ebenso trägt der Umstand viel Schuld an der Rückständigkeit der engeren Erziehungskunde, daß man in den vergangenen Jahrzehnten fast das gesamte Interesse vorwiegend den Fragen des Unterrichts zuwandte, während man an der schwierigeren Aufgabe, der Hebung der Erziehungs­ praxis, meist achtlos oorbeiging.10) von dem Gesichtspunkte der Förderung der erzieherischen Praxis aus muß man die vor mehreren Jahren vom deutschen Lehrerverein erhobene Forderung der Errich­ tung von Versuchsschulen unterstützen und erfüllen. 6. Im Interesse des Ausbaues der deutschen Volkstumspädagogik wird schon in den Lehrerbildungsanstalten darauf hinzu­ wirken sein, daß die wurzeln der Erziehungslehre tief in das deutsche Volkstum hinabgesenkt werden. Die Zöglinge der Seminare werden angeleitet werden, durch Beobachtung der Schüler diedeutscheKinderpsychologie praktisch selb st zu erarbeiten. Durch Einführung in die psychologische Praxis werden sie angeregt werden, auch als Lehrer Buchzuführen über die einschlägigen Erfahrungen und zur Vervollkommnung der Erziehungskunde beizutragen. Auch die Schulverwaltungen und Aufsichtsbehörden werden ihr besonderes Inter­ esse der Entwicklung der auf dem Boden des deutschen Volkstums aufzubauenden Erziehungskunde zuwenden und darum insonderheit die erzieherische Praxis in gleichem Maße würdigen wie sie Unter­ richtspraxis. Denn das Erziehungsziel ist stets dem Lehr­ ziel überzuordnen, und der Ausbildung der seeli­ schen Kräfte sollte die gleiche Sorgfalt gewidmet werden wie der Schulung des Verstandes. 7. Zur besseren Lösung der Aufgaben, die die erstrebte deutsche Volkstumspädagogik gerade dem Volksschullehrer stellt („er muß auf dem Gebiete der Pädagogik noch tiefer eindringen wie der Lehrer an höheren Schulen"), sind für die beruflich tätige Lehrerschaft Fort­ bildungsstätten zu errichten. Zu fordern ist, daß der Volks­ schullehrer auf der Universität Pädagogik studiert. Auf Grund von Erfahrungen wäre dieses Studium nach einigen Jahren der Praxis am ersprießlichsten. Die Zukunft des deutschen Volkes hängt *°) Diese Ansicht wurde dem Berf. gegenüber von namhaften Pädagogen bestätigt, mit denen wegen Erziehungsfragen in schriftlichen Gedankenaustausch zu treten, ihm ein Bedürfnis war.

15 nicht von seiner fachwissenschaftlichen, sondern von seiner pädagogisch.praktischenundpädagogisch-wissensch östlichen Tüchtigkeit ab.11) Neben pädagogischen Vorlesungen werden die Lehrer auch deutsche Volks- und Seelenkunde wie auch deutsche Geschichte und Staatsbürger­ kunde hören.1?) 8. Die Männer der Praxis werden in Zukunft den Theore­ tikern in die Hände arbeiten, und diese werden sich die von ersteren gewonnenen Ergebnisse zur reichen (Quelle neuer Forschun­ gen dienen lassen. Denn „eine wissenschaftlich sein wollende Metho­ dik hat von bedeutenden Praktikern mehr zu lernen als diese von ihr*. So können;. B. Sammlungen der Praktiker über die ethischen Verfehlungen der Rinder und im weiteren Sinne die Entgleisungen des Willens überhaupt erst die notwendige Einsicht in die ethischpsychische Entwicklungsstufe des Rindes verschaffen und zur wissen­ schaftlichen Erarbeitung der wichtigsten Gesichtspunkte der ethischen Erziehung bienen.13)

9. Die „deutsche" Pädagogik wird auch den Unterricht segens­ reich beeinflussen und genug Anregungen bieten zur Lösung der Frage, wie neben dem gesinnungbildenden Unterricht das Schul- und Riassengemeinschaftsleben selbst mehr als früher der Ge­ müts- und Willensbildung und insbesondere der sozialen Erziehung dienstbar gemacht werden kann. Der Krbeitsschulidee wird sie nach jeder Seite gerecht werden. Die Grundsätze der Anschaulichkeit und Selbsttätigkeit wird man auch auf die Erziehung im engsten Sinne (Zucht, Regierung) anwenden. „Neben die Arbeitsgemeinschaft sollte mehr und mehr als erziehlicher Faktor von hohem Wert die Selbstregierung der Schule treten." Auf Grund langjähriger versuche mit der „Selbst- und Mitregierung der Schüler" auf der (Oberstufe der Volksschule müssen wir die Vorzüge dieser Methode nicht nur anerkennen, sondern im Interesse einer zu schaffenden deutschen Volkstumspädagogik ihre allgemeine Einführung in den deutschen Schulen befürworten. In ihr liegt die beste soziale Erziehung begründet, und ein hoher Gewinn ist die ans chaulich staatsbürgerliche Erziehung, die ihre zweckmäßige Anwen­ dung zeitigt. Diese Erziehungsmethode birgt die größte Entwicklungs“) Vgl. Dr. Tögel, Die Notwendigkeit einer pädagogischen Fakultät an unseren Hochschulen. Päd. Studien, 1910. *’) über die Notwendigkeit weiterer geeigneter Fortbildungs- u. Forschungs­ stätten und deren Einrichtungen verweisen wir auf die Abhandlungen im II. Teile des „Dritten Jahrbuches der Päd. Zentrale des D. L.-V." 1913. **) Dgl. Prof. Dr. Meßmer, Allgem. Pädagogik und moralische Erziehung. II. Teil.

16 fähigkeit in sich und bildet einen Haupthebel, um den Schüler für seine eigene pädagogische Aufgabe zu interessieren.

3um Wesen einer deutschen volkstumspädagogik gehört auch, daß alle deutschen Schulen auf der einheitlichen deutschen Kul = tut gründen, d. h. „in allen deutschen Schulen müssen Deutsch und Geschichte die beiden großen entscheidenden Hauptfächer sein." H)

10. In den pfichtfortbildungsschulen für Knaben und Mädchen wird auf eine harmonische, Körper und Geist gleich stark bildende Ertüchtigung Bedacht zu nehmen sein. Bei der pflichtmäßigen Jugendpflege ist durchaus nicht nötig, daß alle Pflegearbeit auf die Schulter des Lehrers und der Schule falle. Im Gegenteil, die MitarbeittüchtigerMännerundZrauenallerStände wird bei dem werk der Erziehung unserer Jünglinge und Jungfrauen nicht nur nötig, sondern auch von Segen sein. Die Ausbildung der weiblichen Jugend erheischt die gleiche Sorgfalt wie die des männlichen Nachwuchses. „Gerade die Gegen­ wart lehrt uns im Interesse der Sicherung unseres Nachwuchses, was für alle Mädchenbildung, niedere und höhere, allgemeine und fachlich spezialisierte, als obligatorischer Bestandteil unentbehrlich ist: ein hygie­ nischer, hauswirtschaftlicher, elementar-pädagogischer Unterricht, um in ihnen, auch wenn sie zunächst einem anderen Beruf zustreben oder auf einen Beruf gar nicht verzichten können, doch das Bewußtsein der Geschlechtsbestimmung mit dem Glanz und der Würde zu umgeben, die sie verdient,' um die Mädchen sich von dem Werte überzeugen zu lassen, den die Mutter im Dienste der Nation und ihrer Zukunft hat, um einige Dorkenntnisse zu vermitteln, durch die der Frauen- und Mutterberuf besser verstanden und erfüllt werden kann." 15) 11. Eng verwandt mit der bereits angebahnten einheitlichen deut­ schen Schulorganisation ist die noch ihrer Lösung harrende Aufgabe des Ausbaues der Schulverfassung auf Grundlage der Selb st Verwaltung, ähnlich anderen staatlichen und Berufsorga­ nisationen. „Nur eine grundsätzliche und allseitige Verselbständigung ihres Betriebes kann der Schule helfen. Sie allein ermöglicht eine wirkliche (Ökonomie der Kräfte, jener vielen, starken und arbeits­ willigen Kräfte, die ein so großer (Organismus umfaßt und heute nur zu oft brach liegen läßt oder durch falsche Verwendung ver­ schwendet. Sie allein gibt auch den Behörden, den Zentralorganen, eine Fülle von Mitteln an die Hand, jenen sozialen Geist in den

u) Dr. Kurt Kesseler, Das deutsche Bildungswesen nach dem Kriege. Päd. Warte. 1917, Heft 1 und 2. ") Prof. Dr. Fischer, Die Deutsche Schule. 1916. S. 336.

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Lehrerkollegien erwachsen zu lassen und auszuwerten zum Besten des Ganzen/ 16) 12. Endlich wird die deutsch« Volkstumspädagogik dazu beitragen, daß man dem Stande, dem die breite Masse des Volkes ihre Bildung verdankt, eine gerechte Würdigung nicht versagt, insbesondere seine Arbeit, die er im Interesse der Nation und des Staates leistet, so einschätzt, wie sie es verdient, und wofür schon der „Erzieher und Wegweiser der deutschen Lehrer", viesterweg, stritt: „Anerkennung der Rechte der Lehrer, als Bürger eine eigene Meinung zu haben ,unt> dieselbe in die gesetzlichen Schranken aller zu äußern und zu betätigen — kurz: gesetzliche Regelung aller ihrer Verhältnisse — und dadurch die Schöpfung der Möglichkeit der Charak­ terbildung des Standes, dem die große Aufgabe der Grundlegung der Erziehung einer großen Nation anvertraut ist, und dessen Stellung der würde dieser hohen Mission entspricht — ein Ziel, welches, solange die Welt steht, noch von keiner Nation weder anerkannt, noch weniger erreicht ist."

3. wie alte Bausteine zweckmäßig in den Neubau einzusügen sind. Nutzanwendungen aus der Geschichte der Pädagogik. „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!"

Fingerzeige und Richtlinien zum Aufbau einer deutschen Volks­ tumspädagogik erhalten wir auch, wenn wir die Fragen zu beant­ worten suchen: Welche Bausteine aus vergangenen Zeit­ läuften lassen sich verwenden, insbesondere, wie kön­ nen die von den Meistern der Pädagogik ererbten Schätze in den Neubau eingefügt werden, und welche Strömungen auf dem Gebiete der Erziehung aus der Zeit vor dem Kriege sind zu berücksichtigen? Wer tiefer in die Einzelheiten eindringt, dem gelingt es leicht, genug Eigenschaften und Besonderheiten des deutschen Volkes aus der Geschichte der Erziehung zu belegen. Indem wir zunächst an Beispielen zu zeigen versuchen, wie einzelne Pädagogen der Vergangenheit einer *’) Dr. Nüchter, Organisierung der Schulleitung auf Grund­ lage der Selbstverwaltung. ”) Adolf Diesterweg, „Prinzipien zur Gestaltung der gukunftsschule". Sriebrid), Deutsche volistumspädagogik.

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zu begründenden deutschen Volkstumspädagogik vorgearbeitet haben, fühlt niemand drückender als wir, daß die zur Verfügung stehende Seit und Kraft bei weitem nicht ausreichten, um die Darstellung er­ schöpfend zu gestalten. (Es werden sich bei diesem versuche zugleich Gelegenheiten bieten, einzelne der oben aufgestellten Hauptstücke mehr oder weniger zu berühren. Bet den großen pädagogischen Reformatoren des 17. Jahrhun­ derts, Ratichius und Lomenius, mag diese Untersuchung ein­ setzen. Wer Rat fee (1571—1635) als deutschen Pädagogen kenn­ zeichnen will, wird in erster Linie den kräftigen nationalen Ton hervorheben müssen, der seine Lehre durchklingt. (Er hat der deut­ schen Sprache ihr Recht im Unterrichte zu erkämpfen gesucht. Dies geht am deutlichsten aus dem von ihm streng durchgeführten Grund­ sätze hervor: aller Unterricht muß mit der Muttersprache be­ ginnen, aber auch dem fortgeschrittenen Schüler sind die einzelnen Wissenschaften deutsch, nicht lateinisch zu lehren. Rls 1612 der Kaiser Matthias in Frankfurt gekrönt wurde, legte Ratke dem Reichstage ein Memorial vor, worin er versprach, Anleitung zu geben „1. wie die Sprachen in kurzer Seit leicht zu erlernen und fortzu­ pflanzen seien, 2. wie eine Schule einzurichten sei, darin alle Künste und Fakultäten ausführlicher können gelehrt und propagiert werden, 3. wie im ganzen Reiche eine einträchtige Religion bequemlich einzu­ führen und zu erhalten sei." Schon hieraus geht hervor, daß wir Ratke als einen frühen Vorkämpfer für die (Einheitlichkeit der Erziehung der deutschen Jugend ansehen müssen, hat er nicht in manchen Punkten Grundsätze und Richtlinien aufgestellt, die wir gleichermaßen als „Deutsche Volkstumspädagogik" wie als „nationale Pädagogik" anzusprechen berechtigt sind? wird man bei seinen Bestrebungen, der deutschen Sprache in den Schulen aller Rrt mehr Geltung zu verschaffen, nicht nur an die unter dem Eindruck des Krieges neu erwachte Pflicht, deutscher Eigenart in unserem Bildungswesen größere Beachtung zu schenken, sondern auch an Lomenius und besonders an Fichte erinnert, der die großen Vorzüge „einer lebendigen Sprache" vor „einer toten" darlegt und in der „4. Rede" beweist, welchen Einfluß gerade die Muttersprache aus die Geistesbildung einer Ra­ tion hat? Wer dächte auch nicht an die Aufgabe der Errichtung eines Reichsschulamtes, das in Ratkeschem Sinne mehr Einheitlichkeit in dem Betriebe der deutschen Schule schaffte — eine Aufgabe, die die nationale Pädagogik bis jetzt nicht gelöst hat? JohannAmosLomenius (1592—1670) gebührt ein Ehren­ denkmal in der Geschichte der deutschen Pädagogik, wenn er auch von Geburt ein Mähre war. Denn er hat dieser nicht nur eine ganz neue Richtung gegeben, sondern er zeigt auch in seinem wesen und

19 in seiner Lehre eine Anzahl Züge, die uns Deutsche besonders ansprechen. Wie später Fichte und Stein in den Jahren franzö­ sischer Unechtschaft, so glaubte er in unerschütterlichem Idealismus, die Völker durch eine fromme und weife Erziehung den Un­ bilden der schlimmen Zeit entreißen zu können. Nach ihm ist die Schule ein Tempel der Humanität. Auch in den Fort­ schritten der Methode, die er bewirkte, entdecken wir Züge, die wir gern als deutsche in Anspruch nehmen. Schon die Forderung, eine „Mutterschule" müsse in jedem Hause, eine „Muttersprach­ schule" in jeder Gemeinde sein, heimelt uns deutsch an, und die Tätigkeit, die Tomenius zu gunsten des deutschen muttersprach­ lichen Unterrichts entfaltet hat, muß ihm unvergessen bleiben für alle Zeiten. — Wenn der große Lehrkünstler mit seinem „Orbis pictus“ den Anfang alles Unterrichts in die sinnliche Anschau­ ung setzte, so kam er damit einer stark ausgeprägten Neigung des deutschen Individualismus entgegen, der alles s e l b st sehen, s e l b st beobachten, selbst untersuchen will. Wir können in ihm mit Recht einen Vorkämpfer der „Arbeitspädagogik" erblicken.

Ist es nicht echte deutsche Volkstumspädagogik, wenn Tomenius in seiner „Mutterschule" das größte Gewicht auf die vernünftige leibliche und geistige Erziehung des Rindes in den ersten 6 Lebensjahren legt? Diese Schrift ist nach seinen eigenen Worten ein richtiger Bericht, wie fromme Eltern ihr allerteuerstes Rleinod, die Rinder, in den ersten Lebensjahren, teils selbst, teils durch Ammen und Rinderwärterinnen, recht vernünftig auserziehen und üben sollen. Schon im 1. Rap. spricht Tomenitts von den Rindern als von teueren und großen Kleinodien Gottes, vor denen die Eltern und Erzieher Achtung haben müssen. Das ist der Grundgedanke, von dem die ganze Schrift durchweht ist. „Die Rinder sind nicht als das zu betrachten, was sie jetzt sind, sondern was sie dermalein st werden sollen."18) Tomenius spricht das aus, was der Dichter Hebbel mit psychologischem Feingefühl fordert: „hab' Achtung vor dem Menschenbild! Und denke, daß, wie auch verborgen, Darin für irgend einen Morgen Der Reim zu allem höchsten schwillt!" l8) In diesem Punkte erinnert uns Tomenius an Fichte, der in der 10. Rede von dem „Trieb des Kindes, auch geachtet zu werden", spricht. „Der Maßstab der Selbstachtung ist auch der eigentümliche Grundzug der Kindheit und Unmündigkeit, auf dessen Vorhandensein ganz allein die Möglichkeit aller Belehrung und aller Erziehung der nachwachsenden Jugend zu vollendeten Menschen sich gründet."

20 weil Lomenius die Zukunft des Rindes im Auge be­ hält und nicht im Autoritätsgedanken völlig aufgeht, gibt er dem „Präzeptor Germaniae" Phil. Melanchthon recht, der auch in der Jugend das zukünftige Geschlecht sah und deshalb die Schüler, wenn er in die Schule kam, als ehrwürdige Herren Pastoren, Doktoren, als wohlweise Herren Bürgermeister, Sekretäre, Magister ehrerbietigst grüßte und diese Achtung vor den Schülern seinen Kollegen gegen­ über, die das nicht verstehen konnten, mit den Worten begründete: „3d) bin gewiß, daß aus diesem Haufen etliche solche Männer auf­ kommen werden, d. h. also Gelehrte, Beamte usw., ob es schon auch ohne Zweifel Spreu und Späne darunter geben wird." Wir halten es der Mühe wert, noch auf einige Stellen der „M utterschule" zu verweisen, die als wahre Goldkörner in der „deutschen" Pädagogik für alle Zukunft leuchten sollten. Lomenius gibt Ratschläge, wie sich die schwangere christliche Mutter verhalten soll, damit die Frucht ihres Leibes keinen Schaden leide. (Er spricht von der guten Diät, den vorsichtigen Bewegungen und der Selbstbeherrschung. „Denn wie sie in solcher Zeit selbst ist, so also wird hernach das Kind auch werden." (Er eifert in berechtigtem Zorne gegen die Mütter, die ihre Kinder nicht selber ernähren wollen, sondern sie fremden Weibern anvertrauen, was nur im äußersten Notfälle erlaubt sei. Seine Worte: „verkehret also Gotte dem Herrn die seine Ordnung nicht, welche ein Ding nicht dazu es verordnet, gebraucht!" muß man im Interesse des gesunden, charakt er starken deutschen Nachwuchses, der das im Kriege vergossene edle Blut, wie die mit dem lvpfertode so vieler deutscher Helden verlorenen Geistes­ und Lharakterkräfte wieder ersetzen soll, jeder deutschen Mut­ ter zurufen. „Die Kinder, die sich an der Mutterbrust nähren, werden ihrer Mutter viel ähnlicher, denn sie sonst sein, während im anderen Falle die mit fremder Milch erzogenen Kinder nicht der Eltern, son­ dern fremder Leute Art annehmen." wir fragen: 3st es nicht im Interesse einer zu begründenden deutschen Volkstumspädagogik ge­ boten, daß Lomenius' „Mutterfchule", in der mehr päda­ gogische Weisheit steckt als in manchem dicken Buch — schon um der beiden Kapitel willen, die von der leiblichen Erziehung des Säuglings und dem Spiel des Kindes handeln — künftig jedem neuver­ mählten deutschen Ehepaare auf den Hochzeitstisch gelegt werde? Sie ist würdig, religiösen Büchern (Bibel und Gesangbuch) angereiht zu werden! — wert legt der große Pädagog auf die gegenseitige Einwirkung der Kinder. „(Es zweifle niemand, daß ein Kind dem andern seinen verstand mehr schärfen kann als sonst jemand. Unter Kindern vermag viel das gleiche Alter, die gleiche Art und die gleichen Gedanken. Die Erfindung des einen ist den andern nicht zu hoch: (Es ist unter ihnen gleiche Liebe und Aufrichtigkeit und

21 freies Fragen von allem, was kommt, welches mangelt uns Alten, wenn wir mit Kinbern umgehen wollen." Diese Ansicht, die auch von Goethe mit den Worten bekräftigt wird: „Vie Menschen halten sich mit ihren Neigungen ans Lebendige. Die Jugend bildet sich wie­ der an der Jugend", gibt uns ein Recht, Tomenius als vollwich­ tigen Zeugen für die soziale ErIiehung wie für die Berech­ tigung der Selb st- und Mitregierung der deutschen Schüler anzuführen. — Auch in der Frage der religiösen Er­ ziehung kann (Tomentus’ „Mutterschule" wegweisend für eine deutsche Volkstumspädagogik sein: ohne Gottesfurcht find alle Rünste und Sitten mehr schädlich denn nütz­ lich; eben wie ein Messer, ein Schwert oder eine Axt in der Hand eines Wahnwitzigen; je schärfer es ist, je schädlicher ist es. Man kann den Rindern versprechen, wo sie werden gerne beten und den Eltern gehorchen, datz ihnen Gott ein schönes Räcklein oder Pelzlein be­ scheren wird. Und wenn man ihnen ein neues Kleib anzieht oder Frühstück gibt, daß es ihnen Gott beschere und mitteile ... — Für alle Zeiten giltig ist, was (Tomenius von der „mittleren Zucht" sagt. Er eifert wider die Affen- und Eselsliebe feiger Eltern, die alles übersehen und das ungebärdige Benehmen mit dem Unverstand des Rindes entschuldigen wollen. „Liehest du bei deinem Rinde Unver­ stand, warum hilfst du ihm nicht, daß es verständiger werden könne. Nicht in dem Rinde, sondern in dir, du unverständiger Mensch, steckt der Mangel, weil du nicht merkst, was deinem Rinde zum besten dienen könne, wenn gleich ein Rind ein Engel wäre, so bedarf es doch der Rute. Alles in allem: Ist das von dem Theologen von Triegern über domenius’ „MutterschuIe" gefällte Urteil: „Man wird wohl kaum in der pädagogischen Literatur ein Werk von so feinem Verständnis für die Rindesseele, von solcher Innigkeit und so aufrich­ tiger kindlicher Frömmigkeit finden", richtig, so ist es deutsche Volks­ tumspädagogik, wenn die Seminaristen vor der Einfüh­ rung in die systematische Psychologie dieses Büchlein von Anfang bis Ende durchzuarbeiten angehalten werden. wie viel ungeschürftes Gold der „Didactica magna“ harrt ebenso noch der Ausmünzung fürdiedeutscheSchulerziehung! wenn domentus schon für die Schulen seiner Zeit „Grund­ sätze der abkürzenden Schnelligkeit beim Lernen" angewandt wissen wollte, wie viel mehr dürfte sich das heute bei der Fülle der Lehraufgaben als notwendig erweisen. hat er nicht ein Muster für einen einheitlichen Schul­ organisationsplan aufgestellt, den in die Wirklichkeit um­ zusetzen, der nationalen Pädagogik auch nach dem Wiedererstehen des

22 Deutschen Reiches nicht gelang? Seine „Mutter- und Elementar- oder öffentliche Muttersprachschule", letztere das Knabenalter bis zum 12. Lebensjahre umfassend, bilden das gemeinsame Fundament des gesamten Lildungsbaues. — wir sollten in dem großen Lomenius immer mehr einen Volkstumspädagogen erkennen, der der „deutschen" Pädagogik richtige Wege zeigen kann! — Ein reicher Strom Volkstumspädagogik fließt aus dem Leben und Wirken Pestalozzis (1746—1827). Gleich Lomenius geht der edle Schweizer von dem Gedanken aus, daß die Erziehung des Kindes vom ersten Lebensaugenblicke an begonnen werden mutz. „Ich will die Bildung des Volkes in die Hand der Mut­ ter legen", das ist der Grundton, der durch sein Volksbuch „Lien­ hard und Gertrud" klingt. Eingegeben ist dieses Werk von einer Liebe zum Volke, wie es nur von wenigen geliebt ist. — „Es ist für die Erhebung des Weltteils und auch für deine Wiederherstellung, teures gesunkenes Va­ terland, kein Rettungsmittel wahrhaft wirksam, als eine psychologisch tief erfaßte Ausbildung der sittlichen, geistigen und Kun st anlagen unseres Ge­ schlechts", schrieb Pestalozzi in seiner Schrift „An die Unschuld, den Ernst und den Edelmut meines Zeitalters". hat nicht dieses Wort des großen Pestalozzi in unserer Zeit, da das deutsche Volk, dem Imperialismus seiner Feinde erlegen, nun durch Zwietracht im Innern sich immer mehr schwächt, anstatt zur Selbstbesinnung zu kommen, für die deutschen Pädagogen erhöhte Be­ deutung? Eine dankbare Aufgabe aller wahren VolkstumsPädagogen wäre es, durch Wort und Schrift in pestalozzischem Sinne die edlen, gesunden Kräfte des Volkes in Zeiten wie der unserigen zu wecken und die vielfach kranke Volksseele wie­ der aufzurichten. Dazu gehört auch, die vielfach auseinanderstrebenden Parteien wie die Individuen zu gemeinsamer Arbeit wieder zusammen­ zuführen. Daß wir in unsere deutsche Schulerziehung und Pädagogik über­ haupt mehr pestalozzischen Geist übernehmen müssen, hat kein Geringerer als Ratorp betont. „Wenn wir fragen: sind es in Wahrheit Pestalozzis Ideen, welche in unserer Schule den Sieg be­ halten haben? und vollends: sind seine noch viel weiter führenden Ideen zur Grundlegung und Durchführung einer wirklich das ganze Volk durchdringenden sozialen Erziehung zur Tat ge­ worden? so müssen wir traurig den Kopf schütteln. Nein, das ist nicht geschehen."19) von Pestalozzi wird vor allem die eigene

le) Prof. Dr. Paul Natorp, Dolkskultur und Persönlichkeits Kultur. Sechs Borträge. 1911.

23 Beteiligung des Volkes an den Aufgaben der Volkserziehung gefordert: „Es ist, wie wenn es nicht fein müsse, daß Menschen durch ihre Mitmenschen versorgt werden,- die ganze Natur und die ganze Geschichte ruft dem Menschengeschlecht zu: es solle ein jeder sich selbst versorgen, es versorge ihn niemand und könne ihn niemand ver­ sorgen, und das beste, was man an dem Menschen tun könne, sei, daß man ihn lehre, es selber zu tun." wenn Pestalozzi fürs erste eine gediegene Familienerziehung Norbert, so hat die „deutsche Volkstumspädagogik" nach dieser Richtung noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, von diesem Standpunkte aus kann man nur wünschen, daß zukünftig in den oberen Mädchenklassen einzelne Ab­ schnitte, in denen Gertrud als vorbildliche Mutter und Erzieherin auftritt, eingehend behandelt werden. Unmöglich ist es, alle die Nutzanwendungen, die für die n e u d e u t s ch e Schul-, und Volkserziehung aus „Lienhard und Gertrud" zu ziehen, hier auch nur anzudeuten, wir verweisen noch einmal auf Natorp, der in verschiedenen seiner Schriften für eine bessere Ver­ wertung der pädagogischen Ideen Pestalozzis in der deutschen Haus-, Schul- und Volkserziehung eintritt. Auch Robert Ritz mann, der langjährige Herausgeber der „Deutschen Schule" zieht beachtenswerte Folgerungen aus Pestalozzis Bestrebungen. „Pestalozzi erklärt es für einen Frevel gegen die Menschennatur, Art und Matz der Bildung abhängig zu machen von Stand und vermögen . . . wir wissen wohl, daß seine Forderungen auch heute, so lange nach seinem Tode, noch keine vollgültige Erfüllung gefundn haben"?») — Möchten pesta lozzis sozial-pädagogische Ideen mehr als bisher in der deutschen Jugend- und Volkserziehung Berück­ sichtigung und Verwirklichung finden, denn sie be­ deuten wahre Volkstumspädagogik! Sie bieten uns Hauptrichtlinien für eine zu schaffende deutsche Volkstumspädagogik, von deutscher Eigenart voll war Johann Gottlieb Fichte (1762—1814), der die „neue Nationalerziehung der Deut­ schen" auf die „deutschen Nationaleigentümlichkeiten" begründet wis­ sen wollte, jedoch mit der Einschränkung, daß „ohne Philosophie die Erziehungskunst niemals zu vollständiger Rlarheit in sich selbst ge­ langen wird." Im Vorwort der im Jahre 1859 erschienenen, „der deutschen Jugend gewidmeten Ausgabe der Reden an die deutsche Nation" bemerkt der Herausgeber (Immanuel herm. Fichte), daß er dieses Buch „aufs eigentlichste für ein politisches Andachts­ buch" erkennen müsse, „was Fichte damals Nationalerziehung nannte, und was er Erneuerndes von dieser hoffte, er würde jetzt es nennen: gründliche Fortbildung der öffentlichen Meinung, intensive und

ao) Dgl. Ritzmann, Deutsche Pädagogen des IS. Jahrhunderts.

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extensive Steigerung bes gemeinsamen politischen Bewußtseins in un­ serer Nation." Kus die Frage, ob die nationale Pädagogik dieses heilige Erbe Fichtes, die politische Erziehung des deutschen Volkes, angetreten und besonders in den letz­ ten Jahrzehnten vor dem Kriege treu gehütet und gepflegt hat, wird sie selbst die Antwort schuldig bleiben, wenn es auch an Theorien über die staatsbürgerliche Erziehung der Jugend vor dem Kriege nicht gefehlt hat. Gerade über den mangelhaften politischen Sinn weiter Kreise des deutschen Volkes ist unter der Not und den Folgeerscheinungen des Welt­ krieges mit Recht viel Klage geführt worden. Die neue „deutsche Volkstumspädagogik wird die Quellen, die aus dem „politischen Lrziehungsbuch" Fichtes so reichlich fließen, besser zu fassen und auszuschöpfen haben, als es die nationale Pädagogik getan hat, besonders auch in dem Sinne, wie ihn der oben genannte Herausgeber aus den „Reden" herausliest: Sie könnten das wirksamste poli­ tische Erziehungsbuch werden für jene Unentschlossenen, Zu­ rückhaltenden, an Halbheiten jeder Art Gewöhnten. Möchte die Ge­ sinnung, die aus ihnen uns anweht, auch in ihrer Seele Wurzel fassen und den Geist tüchtiger politischer Entschlüsse in ihnen entzünden . . . Die Zerflossenheit der Gesinnung aber, die Ghnmacht, sich nicht ent­ schließen, einmal für immer Partei nehmen zu können für oder gegen eine Sache auf jede Gefahr hin, — Fichte zeigt, daß es die eigent­ liche Undeutschheit sei, — möge sie auch für die höchste Unpolitik erkannt und streng abgewiesen roerbenl21) ei) Die Notwendigkeit der politischen Schulung von Jugend auf hat der Kaiser!. Gesandte und bevollmächtigte Minister a. D. von PilgrimPa ltazi in einem unter den Einwirkungen des Krieges geschriebenen Auf­ sätze, der von den „Mängeln unseres Auswärtigen Dienstes handelt (veröffent­ licht in den „Franks. Nachrichten und Intelligenz-Blatt", 1915), betont. Darin heißt es u. a. „Ium großen Teil haben die Mängel, die unserem diplomatischen Dienst anhaften, ihren Grund darin, daß leider bisher der politische Sinn in dem deutschen Volke überhaupt wenig ausgebildet ist und daß so gut wie gar nichts geschieht, um diesem Fehler abzuhelfen. Um eine Besserung herbeizu­ führen, schlägt dieser Diplomat vor, die politische Erziehung schon in der Schule anheben zu lassen: „Man müßte in systematischer Weise dahin wirken, den Sinn und das Verständnis für Politik in weilen Kreisen des Volkes, haupt­ sächlich in der Beamtenschaft, zu wecken. Dieses könnte meiner Meinung nach mit großem Vorteil in der Schule begonnen werden, indem schon im Geschichts­ unterricht mehr Gewicht auf die moderne Zeit gelegt würde. Cs könnte ganz gut, ohne daß man parteipolitische Gesichtspunkte in die Schule hineintrüge, wenigstens in großen Zügen eine Belehrung über die vorhandenen Strömungen im politischen Leben der Gegenwart stattfinden. Wenn dies aber in der Schule natürlich nur in der vorsichtigsten Weise geschehen kann, so müßte es allen Studenten der Hochschulen zur Pflicht gemacht werden, politische Vorlesungen zu besuchen. Cs müßten zu diesem Zweck auch eine größere Anzahl von poli­ tischen Lehrstühlen eingerichtet werden, um bei jedem Staatsexamen zum min-

25 wir dürfen Fichte mit Recht in die Reihe der Vorkämpfer für eine deutsche Volkstumspädagogik stellen. Er zeigte, daß „der germa­ nische Stamm den Vorzug habe, ein Urvolk zu sein und den ur­ sprünglichen Genius der Erfindsamkeit besitze". (3 .h. Fichte) Eigene Darstellungen erfordern die vielen anderen Nutzanwen­ dungen, die eine deutsche Volkstumspädagogik aus Fichtes Reden zu ziehen hat. hier sollen nur noch einige Andeutungen gegeben wer­ den. 3n der achten seiner „Reden" gibt Fichte die Voraussetzungen der Wiedererzeugungskraft und der Fortdauer unserer Nation an. „Der Glaube des edlen Rlenschen an die ewige Fortdauer seiner Wirk­ samkeit auch auf dieser Erde gründet sich auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, aus dem er sich selber entwickelt hat und der Eigentümlichkeit desselben, nach jenem verborgenen Gesetze." (Es ist das „Gesetz der Entwicklung des Ursprünglichen und Göttlichen".) „Das Leben, bloß als Leben, als Fortsetzung des wechselnden Daseins, hat für ihn ja ohnedies nie wert gehabt, er hat es nur gewollt, als (Quelle des dauernden- aber diese Dauer verspricht ihm allein die selbständige Fortdauer seiner Nation- um diese zu retten, mutz er sogar sterben wollen, damit diese lebe und er in ihr lebe, das einzige Leben, das er von je gewollt hat." Ist es nicht, als Habe Fichte diese Worte gerade in der schweren Zeit des großen Weltbrandes an unser Volk gerichtet? Gottlob! Sie haben sich an unserem Volke, von dessen Söhnen so viele Tausende ihre Deutschheit in dem beispiellosen Kampfe mit ihrem Blute und Leben bezahlten, über Erwarten erfüllt. Fichtes Worte können darum zur (Quelle des Trostes in der bangen Sorge um den Ersatz der deutschen Heldengröße werden. Dieser Trost mindert aber nichts an der Verantwortlichkeit der deutschen Pä­ dagogen und Schulbehörden. Deren Aufgabe ist es, den deutschen Gei st Fichtes für alle Zeiten lebendig zu erhalten in dem schwergeprüften deutschen Volke, vor allem ihn in die Herzen

besten für diejenigen, die sich dem Staatsdienst zu widmen beabsichtigen, eine Prüfung über politische Fragen zu ermöglichen. Die politische Schulung der Jugend könnte auch durch Debattier-Klubs gefördert werden. Durch dieses Mittel würde man schon früh auf politische Talente aufmerksam..." — Als geeignetes Mittel zum besseren Verständnis der politischen Zeitfragen dürfte sich auch die Besprechung der wichtigsten Verhandlungen des Reichs-und Landtags erweisen. Oder bieten diese anders keine Anknüpfungs- und Aus­ gangspunkte für die Einführung in die Politik der Gegenwart? (Rach des Derf. eigener Erfahrung bringen reifere Schüler gerade diesem Teil des Geschichtsunterrichts das größte Interesse entgegen. Ersuchte durch Benützung der Zeitung im Unterricht bei der reiferen Jugend, namentlich in der Fortbildungsschule, den bedeutsamsten Tagesfragen gerecht zu werden. Denn eine deutsche Volkslumspädagogik wird neben der Vergangen­ heit besonders auch die Gegenwart berücksichtigen. Aus der Gegenwart er­ wächst die Zukunft, wie aus dem „Gestern" das „Heute".)

26 der deutschen Jugend zu pflanzen. (Es fei deshalb daran erinnert, daß seine (Erziehungsgrundsätze heute noch nicht in allen deutschen Schulen praktische Gestalt gewonnen haben. Fichte will die Grundsätze der Anschaulichkeit und Selbsttätigkeit auch auf die Erziehung im eng st en Sinne (Selbst- und Mitregierung, staatsbürgerliche Erziehung) angewandt wis­ sen. (2. Rede.) — Er bekannte sich in seinen „Reden" „zum Plane der Heranbildung eines ganz neuen Geschlechtes, das sittlicher, willensstärker und körper­ kräftiger sein sollte als die vergangenen Generationen, und das damit erfüllen sollte, was Naturanlagen, Geschichte und Weltberuf des deut­ schen Volkes verhießen. 3n ethischer Beziehung die Erzeugung eines festen und unfehlbaren guten willens, in didaktischer die Anregung einer freien, selbständigen Geistestätigkeit des Zöglings, das waren für den deutschen Pädagogen Fichte die höchsten pädagogischen Ziele." wahr­ lich, zu diesem pädagogischen Ideal können sich die deutschen Volkstumspädagogen für alle Zeiten bekennen. Darum äst zu fordern, daß die „Reden an die deutsche Nation" auf der Dberstufe -er Lehrerseminare zum Gegenstand eingehender Besprechung gemacht werden. —

Gleichsam die Brücke zwischen den auf eine deutsch-natio­ nale und zugleich volkstümliche Pädagogik gerichteten Be­ strebungen eines Pestalozzi und Fichte einerseits und den von -en deutschen Pädagogen in den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege vertretenen Erziehungsideen andererseits kann der deutsche Pädagog Adolf Viesterweg bilden. Man hat ihn mit Recht auch den „deut­ schen Pestalozzi" genannt, denn er wollte nach seinen eigenen Worten „pestalozzisch wirken". Sein Schulideal, für das er tapfer stritt, harrt noch in vielen deutschen Landen der Verwirklichung: Simultan-, humanitäts- und deutsche Nationalschule mit gemeinsamem Religions­ unterricht aller Kinder einer Gemeinde, wodurch dem Absonderungs­ gelüste, dem hasse und der Zwietracht zwischen den einzelnen Volks­ stämmen, Kirchen und Konfessionen gewehrt werden soll. Viesterweg charakterisiert die deutsche Erziehung in zwölf Punkten, die wir als Ergänzung unserer Richtlinien für eine deutsche Volkstumspädagogik anführen: „1. Die deutsche Erziehung darf den Charakter allgemeiner Men­ schenbildung nicht verleugnen. — Der Deutsche ist Mensch, und er trägt vorzugsweise die Anlagen allgemein menschlicher, universaler Bildung in sich. 2. Die deutsche Erziehung hat die Ausprägung des allgemein Menschlichen in nationaler Form anzustreben und alles sremdnationale Gepräge, besonders in früher Jugend, fernzuhalten.

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3. Vie deutsche Erziehung begünstigt die individuelle Entwicklung, die Selbsttätigkeit, die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung des In­ dividuums. 4. Vie deutsche Erziehung respektiert nicht nur die Individualität des deutschen Kinbes, sondern auch die provinziellen Eigentümlich­ keiten und Stammverschiedenheiten, überordnet aber die Bezielung -er nationalen Einheit. 5. Die deutsche Erziehung weckt das nationale Bewußtsein,' das Gefühl für das Nationale führt zur Kenntnis der nationalen Schätze, weckt den Gedanken der nationalen Einheit, drängt aber die trennen­ den Unterschiede, die geschichtlichen, wie die religiösen zurück. 6. Die deutsche Erziehung arbeitet von innen heraus, nicht von außen hinein, sie folgt dem Prinzip der Evolution, d. h. Entwicklung (Bewegung). 7. Die deutsche Erziehung legt es im tiefsten Grunde auf die Entfaltung und Stärke des Gemütes, auf die Erweckung des leben­ digen Interesses an dem Wahren und Guten und an den Gegenständen -er Bildung an. 8. Die deutsche Erziehung legt den hauptwert nicht auf ein vielerlei von Kenntnissen, sondern auf die Bildung des Charak­ ters, welche die körperliche Bildung mit einschließt. 9. Vie deutsche Erziehung erfolgt in Zucht und Strenge, in Ge­ horsam und Pietät, in Anstrengung und Fleiß. 10. Die deutsche Erziehung ist eine Erziehung zur Einfachheit, Offenheit, Geradheit, Wahrhaftigkeit. 11. Die deutsche Erziehung ist eine Erziehung nach deutscher Art und Weise. 12. Die deutsche Erziehung legt es auf Anbahnung lebenslang fort­ schreitender Evolution des Jünglings an." Die Vertreter einer deutschen Volkstumspädagogik werden alles daransetzen, um die von Diesterweg schon vor vielen Jahrzehnten ausgestellten Grundsätze für die „deutsche Erziehung" durchzuführen?^) Aus dem letzten Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts ver­ dienen die auf eine bessere „deutsche" Erziehung der Schüler der höheren Lehranstalten gerichteten Bestrebungen des früheren deutschen Kaisers Wilhelm II. angeführt zu werden, obgleich sie den erhoff­ ten Erfolg nicht brachten. Durch die von ihm im Dezember 1890 nach Berlin berufene Konferenz wurde der preußische Lehrplan von 1882 dahin beeinflußt, daß die Pflege der Leibesübungen verstärkt und die Bildung der Ge21) Die „Schulartikel in der neuen Reichsverfassung" widersprechen z. B. diesen Grundsätzen so sehr, daß die Kultusminister der deutschen Bundesstaaten mit Fug und Recht Einspruch gegen sie erhoben.

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{Innung in den Vordergrund gerückt wurde, der besonders Religion, Deutsch und Geschichte dienen sollen. Einzelne Stellen aus der Schluß­ rede des Kaisers in jener Konferenz mögen beweisen, daß er vorhan­ dene Mängel in der deutschen Jugenderziehung erkannte und deut­ sches Wesen mehr berücksichtigt wissen wollte: Es handelt sich um technische und pädagogische Maßnahmen, die wir zu ergreifen haben, um unsere Heranwachsende Jugend den jetzigen Anforderungen, der Weltstellung unseres Vaterlandes und auch unseres Lebens ent­ sprechend heranzubilden ... Sch habe meinerseits einige Fragen auf­ gestellt, von denen ich hoffe, daß sie auch Berücksichtigung finden wer­ den. Zunächst „Schulhygiene außer Turnen" — sodann „Verminderung des Lehrstoffs" (Erwägung des Auszuscheidenden),' ferner die „Lehr­ pläne für die einzelnen Fächer". — Ist „der Hauptballast aus den Examina beseitigt?" und „die Uberbürdung in Zukunft vermieden?" usw. Es fehlt vor allem (in dem Gymnasium) an öer nationalen Basis. Wir müssen als Grundlage für das Gymnasium das Deutsche nehmen,' wir sollen nationale junge Deutsche erziehen, und nicht junge Griechen und Römer. Wir müssen das Deutsche zur Basis machen . . . Weg mit dem lateinischen Rufsatz, er stört uns und wir verlieren unsere Zeit für das Deutsche darüber. . . Ebenso mochte ich das Nationale bei uns weiter gefordert sehen in Fragen der Geschichte, Geographie und der Sage . . . vor allen Dingen müssen wir in der vaterländischen Geschichte Bescheid wissen. Die jungen Leute wissen nicht, wie unsere Zustände sich entwickelt haben, und daß die wurzeln in dem Zeitalter der französischen Revo­ lution liegen . . . Erwägt man, daß die Anregungen Wilhelms II. für eine mehr im deutschen Volkstum wurzelnde Erziehung nicht zündend genug wirken konnten, weil die beratende Kommission nur geringe Zugeständnisse machte, so gelangt man zu dem Schlüsse, daß die pädagogische Fachwissenschaft nicht immer die Schwächen der jeweiligen Erziehung erkennt, ©ft setzen auch gerade Berufspädagogen zeitgemäßen Bestrebungen ihrer Fachgenossen den größten widerstand entgegen, und die Schultradition erweist sich manchmal äußerst zähe. — Überblicken wir nun die jüngsten pädagogischen Be­ wegungen vor dem Kriege, so können wir auch aus ihnen wichtige Lehren für eine deutsche Volkstumspädagogik ziehen. Vor­ schläge im Sinne einer deutsch-volkstümlichen Pädagogik findet man u. a. in den Schriften von Lietz, Rein, ©aubig-, Bonus, Güßfeldt, Münch, Kerschen st einer, Sickinger, Sche­ rer, Linde, Gurlitt, Johs. Müller, Schwan er. Wenn viele der von diesen Pädagogen theoretisch begründeten Forderungen — manche von ihnen haben ja auch ihre Pläne vorbildlich verwirk­ licht — vor dem Kriege verhallten, so muß die „Deutsche Volkstums-

29 Pädagogik" sie von neuem gewissenhaft überprüfen und in zweck­ mäßiger Meise, der neuen Zeit entsprechend, zu erfüllen suchen, von den Bestrebungen mancher dieser Pädagogen erscheinen uns viele wichtig genug, um sie als deutsch-volkstümliche Pädagogik zu charakterisieren. — Die Notwendigkeit, neue Richtlinien bei der Erziehung der deutschen Jugend zu befolgen, hat Hermann Ließ, der Begründer der Landerziehungsheime, erkannt. Nach seiner Ansicht muß die im bisherigen Erziehungswesen herrschende Unterrichtsschule durch eine Erziehungsschule abgelöst werden. Früher konnte die Schule guten Gewissens dem Haus das Wesentliche der Erziehung über­ lassen. Uber heute kann das Haus die Erziehungsarbeit nicht mehr leisten. Die Erziehung ist an sich gegen früher sehr erschwelt. Fast alle Tendenzen der modernen Kultur sind den Vor­ bedingungen der Jugenderziehung feindlich entgegenarbeitend. Zumal für die großen Städte von heute muß die Frage aufgeworfen werden, ob in ihnen die Erziehung als richtige Ent­ wicklung der Natur der Zöglinge nach allen Seiten möglich sei. Und wo die guten, gesunden Naturtriebe der Jugend nicht zu richtiger Entwicklung kommen, werden die­ selben mit Naturnotwendigkeit unangenehm, verbittert, un­ artig, bösartig. Die Überzeugung, daß eine auf dem Lande belegene Erziehungs­ anstalt, in der die Stadtkinder körperlich und geistig gebildet werden, große Vorteile in sich vereinige, führte Ließ zur Errichtung des sogen. „Landerziehungsheims"?^) Die Vorzüge dieser Erziehungsanstalten sind bekannt: Die länd­ liche Lage, die Organisation der Schule als einer Art von klein­ staatlichem Gemeinwesen, die Bevorzugung der natürlichen Einwirkung der Lebenssphäre gegenüber bestimmten erzieherischen Nlaßnahmen, die Behandlung der erzieherischen Strafe ungefähr nach Art der bürgerlichen, die hohe Wertung der Tüchtigkeit auf dem Gebiete des Spiels, dem neben dem Unterricht ein breiter Raum eingeräumt ist. Auch durch den Anschluß von Hand­ werksstätten und regelmäßige Arbeit in denselben, die vielumfassende Handarbeit innerhalb des Gesamtlebens auf dem Schulgute und beson­ ders die fast allseitige gärtnerische landschaftliche Arbeit, unterscheiden sich die Landerziehungsheime vorteilhaft von den übrigen höheren Schulen. Daß bei all diesen Arbeiten sich das Gegenüber von Lehrern und Schülern in ein Miteinander verwandelt, daß überhaupt dem ver”) Verfasser hatte Gelegenheit, sich von den Einrichtungen eines Land­ erziehungsheims (Odenwaldschule Oberhambach bei Heppenheim a. d. Bergstr.) zu überzeugen, und er konnte die besten Eindrücke gewinnen.

30 hältnis Empfindlichkeit, Mißtrauen, Undurchsichtigkeit und dergleichen fernbleibt, daß die Lehrer in ihrem frischen Mitleben und Mitarbeiten wirklich nur die gereiften Vorbilder der Zöglinge werden, das alles versteht sich. Sehr wichtig ist, daß man von dieser ernstlichen, nicht etwa nur spielerischen Beschäftigung mit handwerksmäßiger Arbeit gerade bei der Jugend höherer Stände eine wertvolle soziale Wir­ kung erhofft. „Dumpfer Maschinensklave und Stubengelehrter wer­ den sich nie verstehen und lieben lernen. Es gilt die ungeheuren Übel« stände in friedlicher, sittlicher Kulturarbeit zu besiegen, die aus dem Kampf ums soziale Dasein erwachsen: Heuchelei, Unbarmherzigkeit, Materialismus, Sklavensinn usw." Der Jüngling, der neben dem Studium geschichtlicher und literarischer Werke, neben der Meßrute, dem Fernrohr, dem Mikroskop, dem Violinbogen und dem Rechenstift auch noch Heugabel, Axt und Spaten, Fußball und Faust zu brauchen versteht, der hygienisch richtig zu leben gewohnt ist, für den die staat liehen und bürgerlichen Verhältnisse seines Vaterlandes nicht böhmische Wälder sind, der dem Wind und Wetter ebenso wie der sittlichen Verführung zu trotzen weiß: dieser Jüngling gehört keineswegs in das Reich der Fabel, er ist das wohlerreichbare Ideal unserer Erziehung, das Lietz vorschwebte. Wer wollte leugnen, daß die Verwirklichung dieser Vorschläge dazu beitragen kann, nicht allein die großen wertvollen Kulturgüter unserem deutschen Volke zu eigen zu machen, sondern daß diese Art der Erziehung die Glieder der Nation so stark zu erhalten vermag, wie es sonst nur bei Naturvölkern der Fall ist? Man mag nun mit Recht einwenden: Diese Vorschläge sind aber doch nicht für die große Masse der Stadtjugend, welche die Volks­ schule besucht, durchführbar. Zweifellos sind jetzt schon gute Ansätze vorhanden, die Erziehung der Stadtkinder, namentlich was deren körperliche Entwicklung betrifft, in bessere Bahnen zu leiten. So hat man beispielsweise mit den sogenannten Waldschulen für körper­ lich Schwache die allerbesten Erfahrungen gemacht. 3n einem Bericht über die Erfolge der Nürnberger Waldschule heißt es: „Nach der Rückkehr in die Stadt ist das ungestörte, mühelose Weiterkommen in der Schule vollständig erreicht. Sämtliche größeren Schüler bestanden die Prüfungen ihrer Klasse. Draußen wurde der gesamte Unterricht erteilt, während die Kinder auf bequemen Liegestühlen ruhten. Be­ sonderes Augenmerk wurde natürlich auch auf Turn-, Gesangs- und Atemübungen gerichtet. Die Zunahme des Körpergewickts betrug im Durchschnitt 3 kg." Um die Kinder der Städte zum Naturgenutz zu erziehen und mehr Liebe zum Heimatland in ihnen zu erwecken, führe man die Kinder in die Berge und Täler. Vie „Schülerwanderungen" verdienen die eifrigste Unterstützung der Stadt- und Schulverwaltungen. „Mer die

31 Menschen zu Ewigem emporziehen will, muß mit der Liebe zur hei­ mischen Scholle beginnen. Wasser, wind, Wald und Sonne! Unser Reichtum liegt nicht an der Heerstraße, nein, tief drinnen in den Bergen" (Krapp). (Es ist wahr, die heimische Schulliteratur vermag nicht das zu ersetzen, was die Kinder der Dorfschule an ihre Heimat fesselt, den Erdsegen. Um so notwendiger ist es, durch geeignete (Organisation Sen Schuldrachen der Einöde gerade in den Stadtschulen zu bekämpfen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das Innenleben der Großstadtkinder zur größtmöglich st en Entfaltung zu bringen. Daß dieser Zweck auch durch die allerbesten Unterrichts­ methoden nicht ganz erreicht wird, ist einleuchtend. Die „Hilfs­ schulen" suchen der Individualität der Schwächeren und ihrer besseren Ausrüstung zum Kamps ums Leben Rechnung zu tragen. Eine vorbildliche Vervollkommnung in der (Organisation des städti­ schen Volksschulwesens muß in dem Schulsystem der Stadt Mannheim erblickt werden? Daß in den Volks- und Zortbildungsschulen Münchens die Ideen und Vorschläge des Stadtschulrates Kerschen st einer praktisch erprobt worden sind, bezw. durchge­ führt werden, ist bekannt. Aber warum, so müssen wir fragen, bleibt das Gros der Schulen, trotz der offensicht­ lichen Erfolge, die man bei vereinzelten Reformen in der (vrga* Verfasser wandte sich schon im Jahre 1914 wegen der Verbreitung bes Sickingerschen Schulsystems an den Schöpfer dieser Organisation und erhielt folgende Zuschrift: Mannheim, den 17. Juni 1914. „Sonderklassen im Sinne des Mannheimer Schulsystems für schwächer befähigte und unregelmäßig fortgeschrittene Schüler (Förderklassen, Abschluß­ klassen) sind an folgenden Orten eingerichtet bezw. sind im Entstehen begriffen, teils durch Einrichtung einzelner Dersuchsklassen, teils durch Einbeziehung mehrerer oder aller Volksschulen der betreffenden Gemeinde: I. Abschlußklassen: Berlin (in Aussicht genommen), Bremen, Coburg, Cöln (1913), Darmstadt, Erfurt, Frankfurt a. M. (1913), Gotha, Halle a. S. (Konfirmandinnenklaffen), Hamburg (Waisenhaus), Heilbronn, Karlsruhe i. B., Lauscha (Sachsen-Meiningen), Linden (bei Hannover), Ludwigshafen a. Rh., Malstatt-Burbach, München, St. Johann, St. Louis (Nordamerika), Stuttgart (Ostern 1912), Sulzbach, Ulm, Werdau (Sachsen), Wilhelmshaven, Worms, Zwickau, Zürich (Ostern 1912). II. Förderklassen (Nedenklaffen, 8-Klaffen als organischer Unterbau für die Abschlußklassen): Altona, Auerbach i. D., Basel, Bonn, Braunsdorf (Sachsen), Bruchsal, Brüssel, Charlotenburg, Chemnitz, Cincinnati, Crimmitschau, Eibenstock (Sachsen), Elberfeld, Eßlingen, Frankenberg i. Sa. (Ost. 1913), Frederiksberg (b. Kopenhagen), Freiberg i. Sa., Freiburg i. B., Fürth i B., Glauchau, Göttingen, Großröhrsdorf (Sachsen), Halle a. S. (in Aus­ sicht genommen), Hamborn (Rheinland), Harburg a. E., Hartha (bei Leipzig), Kamenz, Kopenhagen, Le Locle (Schweiz), Leipzig, Mainz, Mannheim, Meiningen, Moskau, Mülhausen i. E., Nürnberg, Oberbalm (Bern), Olsnitz i. V., Offenbach a. M., Osnabrück, Penig (Sachsen), Pforzheim,

32 mfation des höheren und Volksschulwesens erzielt hat, zurück? Sehen wir ein ähnliches, abwartendes fibseitsstehen auf irgend einem anderen Gebiete des modernen Kulturlebens? Wenn auch Dr. Paul Güßfeldt in seinem kleinen Buche „Die Erziehung der deutschen Jugend", nur die Schäden der Erziehung in den höheren Schulen im finge hatte, so gelten doch manche seiner selbständigen Betrachtungen auch für die übrigen Schulen. (Er fordert, daß die deutsche höhere Schule eins einer finstalt für Unterricht in eine solche für allgemeine Bildung sich verwandeln solle. Diese sollte sich erstrecken auf Intellekt, Gemüt, Charakter, leibliche Tüchtig­ keit, Sinnesorgane, Handfertigkeit und auch auf das allgemeine persön­ liche fiuftreten. Nach seiner finsicht ist der größte Ulißstand der, datz das Interesse am Unterricht dasjenige an der Erziehung zu sehr in den Hintergrund gedrängt hat. Vieser Fehler hat sich von Generation zu Generation befestigt, und hier einen fiusgleich zu finden, das macht den Kern der großen Bewegung aus, die durch unsere Zeit geht. Eine Anzahl von Werkstätten zum Buchbin­ dern, Schlossern, Drechseln usw. soll nach Güßfeldt bei keiner Schule fehlen. „Venn alles andere läßt sich nachholen. Vie zerstörte Kraft, die gebrochene Gesundheit kehrt nicht wieder. Körperliche Übungen von dem Typus der sogenannten Zimmergymnastik, d. h. an Plauen i. D., Schönefeld (b. Leipzig), Schwetzingen, Solothurn, St. Gallen, St. Georgen (Schwarzwald), Taucha (bei Leipzig), Treuen (Sachsen), Wien, Zittau. An den gesperrten Orten sind die Sonderklassen in größerem Umfang eingerichtet." Aus der Literatur zur Frage des Mannheimer Schulsystems sei angeführt: 1. H auptschrift: Dr. Sicking er: „Der Unterrichtsbetrieb in großen Dolksschulkörpern sei nicht schematisch-einheitlich, sondern differenziert-einheitlich. Zusammenfassende Darstellung der Mannheimer Dolksschulreform." Mannheim 1904. 3. Bensheimer. 2. Dr. Sickinger: „Organisation großer Volksschulkörper nach der natürlichen Leistungsfähigkeit der Kinder." 2. Auflage. Mannheim 1911. 3- Bensheimer. 3. Dr. Sickinger: „Mehr Licht und Wärme den Sorgenkindern unserer Volksschule!" Ein Vermächtnis Heinrich Pestalozzis. Zürich 1905. Orell Füßli. 4. Dr. rned. Moses: „Das Sonderklassensystem der Mannheimer Volks­ schule." Ein Beitrag zur Hygiene des Unterrichts. Mannheim 1904. 3- Bens­ heimer. 5. Dr. Sickinger: „Über naturgemäße Organisation des großstädtischen Volksschulwesens im allgemeinen und über das Mannheimer Dolksschulwesen im besonderen." Ein Beitrag zur Lösung des Problems der „Allgemeinen Volksschule". Selbstverlag des Lehrervereins zu Frankfurt a. M. 1913. 6. Dr. Paul Poppe, Stadtschulrat und Kreisschulinspektor in Kiel: Das Mannheimer Volksschulsystem. Derl. F. Hirt, Breslau. Diese Schrift stellt das Mannheimer Dolksschulsystem in Theorie und Praxis dar und gehört zum Besten, was das pädagogische Schrifttum bis jetzt über diese viel umstrittene Frage hervorgebracht hat.

33 sich wenig anstrengend, aber durch häufige Wiederholung es werdend, sind für die jungen Jahre die heilsamsten." Auch spricht dieser Pädagog von dem hohen erzieherischen Wert der Schülerselbstverwal­ tung, von der einseitigen Pflege des Intellekts, so daß darüber alle Harmonie zerreißt. „Kenntnisse, urteilslos verarbeitet, können der Bil­ dung geradezu schaden. Weniger Kenntnisse, mehr Bildung, das muß das Schlagwort sein. (Es mit weniger Kenntnissen zu größerer Bildung zu bringen, das ist die Hauptaufgabe. Durch die Zeit geht der Zug, daß die Gegenwart wichtiger ist als die Vergangenheit." w. Münch redet den deutschen Pädagogen ins Gewissen: „Bei uns in Deutschland ist die Vorsicht gegenüber neuen versuchen größer als der Mut zu irgendwie kühnerer Umgestaltung. „(Es muß doch auch grundsätzlich der Standpunkt angefochten werden, als ob jede tiefer greifende Änderung an vertrauten Einrichtungen abgewiesen werden dürfe, als ob man sogleich Ausgeburten menschlicher Tollheiten in -em zu sehen habe, was durch Unbefangenheit des Standpunktes über­ rascht. Vie Aufgabe der Erziehung ist an sich unendlich, ihre Bedin­ gungen unvergleichlich kompliziert und keineswegs stetig. Vas Denken darüber Kann nicht zu irgend einer Zeit zum Schweigen verurteilt werden .... So begreiflich der Wunsch nach Ruhe und Beharren bei den praktischen Fachleuten ist, man darf doch nicht vergessen, daß lange Zeiten hindurch auch zu viel Ruhe und Selbstzufrieden­ heit und Unbeweglichkeit geherrscht hat. (Es ist in pädago­ gischen Dingen immer viel mehr problematisch als die meisten glauben. Bleibt etwa die Menschheit die völlig gleiche nach ihren Lebens­ bedingungen und Bedürfnissen, vertretenden Eigenschaften und Kräf­ ten, Schichten und Zuständen, daß für die Erziehung der Heranwachsen­ den Jugend kein Wandel in Frage kommen könne?"21) Vie Bestrebungen des Pädagogen Rein verdienen bei der neuen Grundlegung der Erziehungskunde die größte Beachtung. In der Ein­ leitung zu dem von ihm in Verbindung mit anderen Schulmännern herausgegebenen Buche „Deutsche Schulerziehung" befürwortet er ein tieferes Eindringen der Erzieher in das deutsche Volkstum. Eltern und Erzieher sollen angeregt werden, „immer tiefer in die deutsche Vergangenheit und in deutsches wesen hineinzublicken, Volks­ kunde und Volkskunst, Heldentum und Dichtung, Philosophie und Religion in ihrer Bedeutung für unsere Erziehung und für die Auf­ gaben des Tages immer klarer erkennen und immer wärmer erfassen zu lernen." Rein will echte nationale Bildung zu dem Zwecke gefördert wissen, daß die deutsche Jugend zur Dankbarkeit und Ehr­ furcht vor dem geführt werde, „was unsere vorfahren unserem Volke und der Menschheit geleistet haben", wahrlich nach dem Kriege

’4) W. Münch, Iukunftspädagogik, Einleitung und im Text. 3

Friedrich, Deutsche volkslumspadagogik.

34 eine Aufgabe, der gewiß mehr Zeit als vor ihm gewidmet werden soll und muß. Ls gilt, unserem Volke „das Ideal einer beseelten Gesell­ schaft" für die fernsten Zeiten zu erhalten. Dazu gehört auch die Lösung der anderen von Hein gestellten Aufgabe, Jugend und Volk zur „Erkenntnis der nationalen Untugenden und Gebrechen zu führen und zum Entschluß, mit allen Kräften dagegen anzukämpfen." — Es bedeutete einen entschiedenen Fortschritt für die deutsche Ju­ gendbildung, als praktische deutsche Schulmänner und Theoretiker die Erziehung zur Persönlichkeit in den Mittelpunkt der Er­ ziehung gestellt wissen wollten. Daß mit der Erfüllung dieser Forde­ rung einem Grundzug deutschenwesens Rechnung getragen wird, bedarf keiner ausführlichen Varstellung. „Dem Franzosen erscheint alles sehr persönliche überspannt und egoistisch gegen den so ganz der Geselligkeit zugewendeten französischen Geist,' dem Deutschen ist die Entwicklung und Betätigung seiner persönlichen Eigenart das höchste Lebensbedürfnis". (Prof. Dr. h. Meyer.) Um die Förderung der „Persönlichkeits-Pädagogik" hat sich Lehrer Ernst Linde, der frühere langjährige Schriftleiter der „Allg. D. Lehrerzeitung", einen Hamen erworben. Auch von Dr. Johannes Müller werden die Bestrebungen „zur Pflege des persönlichen Lebens" in der Jugend­ erziehung aufs eifrigste unterstützt. Treffende Gedanken über diese Frage hat auch D. Fr. Naumann in einer kleinen Schrift ent­ wickelt. Die heutige Schule ist auf dem Wege, sich zu einem Großbe­ trieb auszuwachsen. Damit wird sie, je länger, desto mehr etwas Unpersönliches, sie verliert, je breiter das Schulsystem sich ge­ staltet, den Persönlichkeitscharakter. Die Leitung wird zentralisiert und die Methode der Arbeit bestimmter formuliert. Die persönlichen Kräfte und der Idealismus des Lehrers erleiden hierdurch eine bedeutende Einbuße, hierin, besonders in den genauen Vorschrif­ ten über zu erreichende Lehrziele, Stoffverteilung, Methode usw., liegt ein „herabsinken des Persönlichkeitsideals", wenn die Groß­ betriebe in Gewerbe, handel und Industrie die Menschen immer mehr entpersönlichen und entwürdigen, so darf die Schule diesem Raubbau, der die Menschenkraft ruinieren muß, nicht noch Vorschub leisten. Bilden aber schon die geräumigen Schulhäuser mit den Massen der Kinder, das große Wachstum der Lehrerkollegien, die Menge von Subordinationen und Abhängigkeitsverhältnissen der Lehrerschaft, eine große Gefahr der Schule, so wird der Persönlichkeitscharakter der Schule noch mehr zerstört durch eine monarchische, bürokratische Form der Schulverwaltung. Das Schulaufsichtswesen ist darum vom Persön­ lichkeitsprinzip aus zu gestalten. Dem persönlichkeitsrecht der ein­ zelnen Lehrkräfte muß durch Gewährung der Selbstverwal­ tung Hechnung getragen werden, wenn man die eine Körperschaft

35 bildenden Lehrer nicht für die Entwicklung des Schulorganismus inter­ essiert, so bleiben deren Kräfte gebunöen.25) Durch Verleihung einer auf dem Grundsatz der Selbstverwaltung beruhenden Verfassung für die innere Leitung und Verwaltung der Schule erhält auch das persönlichkeitsrecht des Schülers erhöhte Ledeutung. Der Lehrer und Erzieher darf nicht durch eine ungeeignete Aufsicht an der Auswirkung seiner Persönlichkeit gehindert werden. Er ist im Grunde auf die Dauer seines Lebens soviel wert, als er Persönlichkeit in sich zu erhalten versteht, denn nur soviel kann er weitergeben an die Kinder, die von ihm erzogen werden sollen. (Es kommt nicht auf die von ihm gesprochenen Worte allein an, sondern auf den Eindruck der in sich gefestigten, von Idealismus beseelten Person an sich. Damit der Lehrer Idealist sein und etwas in die Seelen seiner Kinder pflan­ zen kann, was ihnen Kraft gibt, daß sie innerlich und geistig nicht zu Taglähnern, nicht zu bloßen „Händen" und nicht selbst zu Arbeitsmaschinen werden, damit er, wie es Prof. Ziegler ausdrückt, den Kindern „als Bestes etwas Sonntagssonnenschein ins herz legen und weithinaus in den Arbeitsstaub und Arbeitslärm ihres Werktagslebens geben kann", ist es nötig, daß der Erzieher und Leh­ rer in seiner sozialen Stellung gehoben wird. Um charaktervolle Persönlichkeiten heranzubilden, muß man sich in erster Linie an den tiefsten Grund im Menschen, den Dillen, wenden. Auf den inneren Zusammenhang zwischen Wil­ lensbildung und Persönlichkeitserziehung hat Dr. Maier hingewie» Jen: „Man benutze jede Gelegenheit, nicht zu allgemeinen Moral­ predigten, die mit dem Wort verhallen, mit dem der Schüler nichts anzufangen weiß, sondern in Anwendung auf den einzelnen Fall die entsprechenden Willensregungen einzuüben. Dies Verfahren stimmt auch zur ganzen Natur des Kindes, dessen Aktivität man nicht n i e d er­ schlagen, sondern geschickt in das rechte Fahrwasser lenken soll, dessen Individualität nicht auszurotten, sondern zu veredeln ist." Die­ ser Psychologe fragt: „Woher kommt es, daß die deutschen Schüler bei mehrfach angestellter Statistik gegenüber den englischen und amerinischen so beschämend arm an persönlichen Idealen aus Welt- und Kulturgeschichte waren? Ist der Unterricht an deutschen Schulen etwa weniger gründlich?" Jeder erfahrene Schul­ mann wird die Gründe des Psychologen Maier, die er in der Ant­ wort auf diese Fragen anführt, anerkennen müssen: „vielleicht ist er (der Unterricht) zu gründlich. Ich wenigstens habe Hunderte von deutschen Lehrern an der Arbeit gesehen, wie sie heiß bemüht waren,

"°) Dgl. D. Friedrich Naumann, Erziehung zur Persönlichkeit im Zeitalter des Großbetriebs.

36 den Schülern konkrete Lebensbilder in breitester Anschaulichkeit zu geben und ihren Gedankenkreis aufs beste auszubauen, worin lag dann der Mangel? vielleicht gerade am Eifer der Gründlichkeit und Vollständigkeit, der gegenüber der Schüler in zu großer Passivität gehalten wurde, statt sein selbsttätiges Mitarbeiten, Sprechen, varstellen, handeln mehr in Anspruch zu nehmen. Auch wohl am Da­ moklesschwert der Prüfungen, das bis jetzt häufig keine freie Be­ wegung erlaubte. Der Stand der Schule wurde meist statistisch festge­ stellt nach der Zahl der Lese-, Schreib-, Rechen-, Memorier-, Vokabeln-, Zahlengedächtnisfehler usw. Also galt es auf die Prüfung zu dril­ len, um hier mit einer guten Ziffer abzuschneiden. Das ganze deutsche Prüfungs- und Berechtigungs wesen krankt an dem Grund­ übel, daß die wichtigsten Eigenschaften der Tatkraft und Initia­ tive, der ausgreifenden, selbständigen Energie, der hingebenden Pflichtreue nicht zur Geltung kommen können, wer glücklich durch die presse der Prüfungen gelangt ist, der hat seinen Berechti­ gungsschein und gehört zu den Bevorzugten, gleichviel welches seine persönlichen Eigenschaften seien, und je höher die Prüfungsnote lautet, umso besser für ihn. (D himmlisches Ehina, du Wunderland der Prüfungen und Privilegien, wie herrlich weit hast du es gebracht! . . . Die Erziehung muß also vor allem darauf abheben, durch unmittel­ baren Einfluß, durch Ermunterung den willen, die Selbständigkeit zu stärken. Es ist sicher, nicht die intellektuell Begabten oder Ge­ lehrten, nicht die Vielwisser, nicht die besten Schüler der Blasse kom­ men im Leben am meisten voran, sondern die das größte vertrauen in ihre Kraft haben. Vas ist im internationalen Wettbewerb bisher mit Frankreich, England und Amerika der Fall gewesen, und nun wird hoffentlich auch die Reihe an Deutschland kommen. . . . Daß der Gedankenkreis nicht immer das wollen beein­ flußt, dafür sind ein Beweis alle Erzieher, heißen sie nun Lehrer, Prediger oder Familienväter: sie bewegen sich doch meist in guten Gedanken und Riahnungen und sind doch nicht immer selbst Ideale von Vollkommenheit, der Schauspieler gar nicht zu gedenken, die die guten Charaktere vortrefflich sogar darzustellen wissen. Der Gedanken­ kreis muß eigentlich schon auf dem Wollen beruhen, wenn er dieses hinwiederum beeinflussen soll."26)

Dhne Zweifel ist die Heranbildung willens- und charakterstarker Persönlichkeiten eine der schwierigsten Aufgaben, die der Erzieher zu läsen hat. Die Stärkung des Glaubens an die eigene Kraft sowohl im einzelnen Schüler als auch bei der Gesamtheit der Klasse sollte die ganze Erziehungsarbeit mit Blut und Leben durchströmen.

M) Dr. Maier, Päd. Psychologie.

37 „Die schon vorhandene und ihrer Natur notwendige Kraft in eine solche Lage zu setzen, daß sie die Erhebung zu selbstbewußter Persönlichkeit zuverlässig vollziehen müsse, das ist es, was sich der Erzieher als möglich denken, was zu erreichen, zu treffen, zu ergründen, herbeizuführen, fortzuleiten er als die große Aufgabe seiner versuche ansehen muß". (Strümpell.) Die Übung des Willens ist etwas anderes als die Übung des Intellekts und des Gefühls. Der Erzieher hat sich vor der Gefahr zu hüten, in theore­ tischer Begeisterung für das Gute seine Kräfte zu verpuffen, anstatt die praktische Ausführung vor allem wirklich zu üben. Für die Förderung der persönlichen Kräfte des Zöglings sind elementar-pspchologische Betrachtungen sehr wertvoll. Durch sie kann der Schüler dahin geführt werden, daß er sein „Ich" notwendigerweise als Grund jeder Verpflichtung und jedes Verdienstes fühlt, dem Gesetz in sich selber gehorcht und der Gefahr der eigenen Person Trotz bietet. Denn „allen außerpersönlichen Faktoren kann man entfliehen, nur vor der Wachsamkeit der eigenen Person vermag sich niemand zu flüchten. Diese muß daher gepflegt werden. Darum darf die Begründung der Maßregeln nicht außerhalb der Person des Zöglings gesetzt roerben."27)

Für die Erziehung von Persönlichkeiten ist wichtig, daß man den Zögling mit seiner eigenen pädagogischen Aufgabe bekannt macht, hierzu bietet dem Erzieher erfahrungsgemäß die Selbst- und Mit­ regierung der Schüler eine gute handhabe. Die fugend wird durch sie vor Aufgaben gestellt, die einen ihr persönlichen eigenem Gewinn herbeiführen.

Wer Persönlichkeiten erziehen will, muß vor allem selbst eine „Persönlichkeit" sein, mit feinen Mitteln wirken und sowohl in der Masse als auch im Zögling wichtige Miterzieher zu gewinnen ver­ stehen. vom Standpunkte der Persönlichkeits-Pädagogik aus ist es nicht zu billigen, einem Kinde zu sagen, es sei ein unfähiger Kopf, da man ihm mit dieser Redensart den Glauben an sich selb st rauben kann. Eine Bemerkung des Lehrers kann in ihrer Wirkung auf den einzelnen Schüler, dadurch, daß sie in Gegenwart der Klasse gegeben wird, „gleichsam multipliziert" werden. Die Masse hat eine eigene Be­ deutung- von ihr gehen große Wirkungen auf den Einzelnen über. Die persönlichen Kräfte des Zöglings können durch Selbst­ erziehung und stete Übung — am Widerstände wächst die Kraft — ungeheuer gesteigert werden. Keine Errungenschaft ist Kraft, sondern nur das vermögen, das sie hervorbrachte. „Keine Weltbekanntschaft, keine Lebensweisheit, keine Menschenkenntnis ist Kraft. Aber die

27) Prof. Dr. Meßmer, 91IIg. Pädagogik und moralische Er­ ziehung.

38 lebendige Fühlung mit den Menschen, mit dem Leben, mit der Welt der Wirklichkeit, ist eine Kraftquelle ohnegleichen".29) Nicht unerwähnt darf bleiben, daß bei der Nuswahl und Behandlung der Unterrichtsstoffe darauf Bedacht zu neh­ men ist, daß nationale Persönlichkeiten, die sich ihres Volkstums bewußt sind, erzogen werden. Die vorbildlichen Ge­ stalten der deutschen Geschichte und Dichtung sind den Schü­ lern so anschaulich, so eingehend vor Augen zu stellen, daß das Gemüt ihre Größe nachfühlt und förmlich miterlebt, das Gute mit ihnen liebt, das Schlechte mit ihnen haßt und immer wieder mit dauernder leben­ diger Anteilnahme des vollen Herzens zu ihnen zurückkehrt. Die Schule wird alles daran setzen müssen, damit die Jünglinge und Jungfrauen sich durch Willensentscheidungen zu deutsch-volkstümlichen Persönlichkeiten gestalten. Dazu gehört, daß sie Volkstum und Nation vor allem als Inbegriffe von Gütern ansehen lernen, die sie als (Quellen des Glücks stets liebevoll zu pflegen haben. Sehr be­ achtenswerte Anregungen nach dieser Richtung gibt Dr. ® au big29): „Der Einzelne aber, der sich zur Persönlichkeit-";» freier Entscheidung gestaltet, muß sich entscheiden, ob er die Grundzüge des deutschen Wesens in seinem persönlichen Leben verwirklichen, ob er den Zug zur Innerlichkeit und Tiefe, zur Wahrheit und Geradheit, zur Gründ­ lichkeit und Sorgfalt, zur Treue und Beharrlichkeit usw. in sich mächtig werden lassen will. Das Volkstum ist so eine der vereinenden Mächte, deren Forderungen der Einzelne abwägen muß, wenn er seine Indi­ vidualität zur Persönlichkeit formt. Nicht daß man meine, der ein­ zelne Deutsche solle in sich das Bild des idealen Deutschen abkonter­ feien, das ist ein Unding,- er soll nur sein persönliches, durchaus in­ dividuelles Wesen in eben jenen Richtungen ausgestalten, in denen das Eigenartige des Deutschtums liegt, in deren Zeichen es seine weltge­ schichtlichen Siege gewonnen hat . . . Das Volkstum fordert hegung und Pflegung der Güter des Deutschtums, z. B. seiner Sprache, seines Schrifttums, des Gedankens an seine Vergangenheit,- fordert Eintreten für die Ehre des Deutschtums, für feine Ausbreitung und die Entwick­ lung seiner Kulturkraft. Und wie der Einzelne sein Verhältnis zum Volkstum persönlich gestalten muß, so auch sein Verhältnis zur Nation, zum Reich. Auch die Nation gibt und fordert- was sie gibt, mutz der Einzelne, sofern er vermag, innerlich seinem persönlichen Leben an­ eignen- so etwa zu der Wohlfahrtspflege des Reichs innerlich Stellung nehmen, was es aber fordert an gemütvoller und werktätiger Teil-

”) Dr. Johannes Müller, Blätter zur Pflege des persön­ lichen Lebens. 1908. 11. Bd. 1. Heft. ’9) W. Rein, Deutsche Schulerziehung. 2. Dd. ((Ein Beitrag von Dr. (Baubig)

39 nähme für seine Gesetze, das wird er in persönlicher Entscheidung ab­ lehnen oder in seinen Willen aufnehmen." Die neue Zeit bedingt, daß auch die werdenden Frauen für die persönliche Teilnahme an dem Leben der großen Lebensgemeinschaften des Volkstums und des Staates vorgebildet und als Mütter befähigt werden, in dem jungen Nachwüchse das persönliche Leben zu pflegen.

Daß es in der Gegenwart mehr denn je gilt, Persönlich­ keiten zu erziehen, lehren uns die schrecklichen Kriegsjahre mit ihren unheilvollen Folgen. Die Krankheit des vor dem Kriege in -en deutschen Schulen übermäßig in die höhe geschossenen ^.Intel­ lektualismus" hat gerade unser Völk ungeheuer arm gemacht an großen charaktervollen in führende Stellungen gelangenden Persönlichkeiten. „Er hat das gesunde Volksempfinden beiseite geschoben, er hat Leuten das Wort gegeben, die nichts Ernsthaftes zu vollbringen vermögen, die in auf­ geblasenem Stolze ihr erbärmliches wissen preisen, während doch das, was in aller Welt gewußt werden kann, so winzig klein ist im Ver­ hältnis zu dem, was gelebt und getan werden muß." wenn es den deutschen Erziehern fürder gelingt, Persönlichkeiten zu erziehen, so arbeiten sie gleichzeitig einer anderen Krankheit entgegen, die über unsere Weltanschauung gekommen ist, dem „Ma­ terialismus". Denn „dieser hat unsere Seele nicht nur vergiftet, wie dies der Intellektualismus" tat, sondern er hat sie geradezu aus­ gelöscht,' er hat die von ihm ergriffene Menschheit entseelt, wer heute den Tanz um das goldene Kalb mit ansehen, wer den furcht­ baren, tiefeingreifenden Wucher betrachten, wer wahrnehmen muß, wie in einer Zeit bitteren Todes der vom Kriege unbeteiligte Teil der Bevölkerung dem schnöden Mammon nachläuft, der möchte fast ableugnen, ein Deutscher zu sein, der schämt sich bis in den innersten Grund seines Herzens einer derartigen Gemeinschaft . . . Der Materia­ lismus tötet Scham und Innerlichkeit,' er erstickt das Gefühl der Ehr­ furcht, ohne das kein Volk wahrhaft sittlich sein kann . . . Der Mensch wird zum bloßen Erwerbs- und Beutetier."30) von der großen tragischen Schuld, daß wir keine Persönlichkeiten erzogen, spricht auch Richard May in einem nach der Annahme des Friedensvertrages durch die Deutsche Nationalversammlung ge­ schriebenen Aufsätze. „Unsere ganze Geistesrichtung, unser ganzes System war darauf eingestellt, sie, die Persönlichkeiten, niederzuhalten, statt sie zu fördern. Deshalb sind wir ja so arm gewesen, obwohl äußerer Glanz die Augen blendete, wollen wir wieder emporkommen, dann •°) Privatdozent Dr. Rüge in den Mitteilungen des „Bundes für deutsche Familie und Bolkskraft". Nr. 1. 1918.

40 muß -«»'Persönlichkeiten ihr Recht werden, in Politik, in Wissenschaft und Wirtschaft. Die Tragödie eines Volkes hat gestern ihren Abschluß gefunden. Sie vollendete sich, weil der herrschende Materialismus derletzten Jahrzehnte den Todeskeim in die deutsche Seele legte ... Als Deutschland vor mehr als 100 Jahren genau so am Loden lag wie jetzt, da waren es die Propheten des deutschen Idealismus, die uns den weg zur Freiheit gewiesen haben, und die zu Füßen der Fichte und Schleiermacher saßen, für die Schillers Dichtung sittliche Gsfenoarung war. Sie haben 1848 auf den Schanzen gestanden, sie haben das neue Deutsche Reich zwar nicht gegründet, aber vorbereitet. Kn sie gilt es jetzt anzuknüpfen. Ihr weg ist der unsere".?1)

wenn auch die Idee der „staatsbürgerlichen Erziehu n g" gewiß nicht neu ist — haben doch schon die antiken Völker die Erziechung der Jugend vor allem dem „Staatszwecke" angepaßt — so hat der Münchener Schulmann Rerschen st einer das unbestrittene Verdienst, diese Frage nach vielen Seiten beleuchtet zu haben. Aber die Anwendung dieser Erziehungsidee in der Praxis32) machte vor dem Kriege kaum nennenswerte Fortschritte, wenn man von der in den Landerziehungsheimen und privatschulen eingeführten Schüler­ selbstverwaltung absieht. In Volks- und staatlichen Schulen wurden nur vereinzelte, schüchterne versuche mit der „Selbst- und Mitregierung der Schüler" vorgenommen- man nahm schon an dem Wort „Selbstverwaltung" Anstoß. Mit der Anwendung dieser Erzieh­ ungsmethode trägt man jedoch einem kerndeutschen Tharkterz u g Rechnung, und groß ist der Gewinn, wenn in der Schule „die freie Tätigkeit des Geistes in der Absicht entwickelt wird, damit der Zög­ ling mit derselben frei das Bild einer sittlichen Ordnung des wirklich vorhandenen Lebens entwerfe, dieses Bild mit der in ihm gleichfalls schon entwickelten Liebe fasse, und durch diese Liebe getrieben werde, dasselbe in und durch sein Leben wirklich darzustellen." 33) Aus diesem Grunde liefern die nach dieser Richtung in den deutschen Schulen ge­ wonnenen Ergebnisse wichtiges Material zum Aufbau einer deutschen Volkstumspädagogik. Die Tatsache, daß die soziale Erziehung vor dem Kriege vorzugsweise nur theoretisch erörtert wurde, ist bereits in den ersten Abschnitten erwähnt worden,- ebenso, daß die Pflege dieses Erziehungszweiges zu den Hauptaufgaben einer deutschen volks-

“) Franks. General-Anzeiger vom 25. VI. 19. ”) Mit der Annahme der neuen Reichsverfassung, durch die auch di« Frauen die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung erhalten haben, gewinnt die Frage der staatsbürgerlichen Erziehung noch mehr an Bedeutung. “) Fichte, Reden au die deutsche Nation. — Über seine ersten Er­ fahrungen mit der Selbstregierung der Schüler konnte Vers, in der Allg. D. Lehrerztg. berichten. 1912. Nr. 44.

41 tumspädagogik gehört. Denn „Gesinnung ist mehr als Wissen, Gesin­ nung ist Dienstbereitschaft".^) 3m Zusammenhang mit den reformerzieherischen Bestrebungen vor dem Kriege stand auch die Bewegung, die der größeren Berück­ sichtigung „der Kunst im Leben des Kindes" gilt. Eine deutsche Volkstumspädagogik wird diese Bestrebung nicht aus den klugen verlieren und die Zeit, die früher in manchen Schulen oft allzu­ sehr durch Vermittlung formaler Bildung beansprucht wurde, der flus= bildung des Kunstsinnes, der Hand, des kluges, sowie der Förderung der Begabung in Phantasie widmen. Zwischen den Begriffen Kunst und Arbeit bestehen enge Wechselbeziehungen?s) Zu den pädagogischen Hauptströmungen in den dem Kriege voran­ gegangenen Jahren ist die Arbeitspädagogik zu rechnen. AIs Vertreter der Arbeitspädagogik, die einen wichtigen Zweig am Baume der „deutschen Volkstumspädagogik" bilden muß, seien Gberstudienrat Dr. Kerschen st einer und Schulrat Scherer angeführt. Daß in den Volks- und Fortbildungsschulen Münchens der Arbeitsidee in weit­ gehendster Weise Rechnung getragen wird, davon konnten sich schon im Jahre 1906 die Besucher der Allg. deutschen Lehrerversammlung über­ zeugen. — Um festzustellen, welche Form des Arbeitsunterrichts Schulrat Scherer für die beste hält, bzw. ob neben der Berücksichtigung des Arbeitsprinzips im Unterricht noch Werkunterricht als Fach eine Stelle im Stundenplan erhalten soll, richtete verf. an ihn eine dahingehende Anfrage, worauf folgende Antwort erfolgte: „Kleine Arbeitsschule ist auf dem Prinzip der Selbsttätigkeit und Arbeitsgenossenschaft aufgebaut und verlangt Werkunterricht als Fach und Prinzip." Wie heilsam und nützlich die Ausdehnung des Hand­ fertigkeitsunterrichts auf die höheren Lehranstal­ ten sein müsse, wurde schon vor dem Kriege nicht nur von Schul­ männern, sondern auch von ärztlicher Seite erkannt. Der Arzt Dr. Graßl - Lindau verlangt, daß die produktive Arbeitstätigkeit ein Arbeitspensum der Klittelschulen werde, um die jetzige neunjährige Absonderung des Schülers von aller Faustarbeit zu beseitigen, die heute nicht wie früher durch die Familie korrigiert werde und notwendig zur dünkelhaften Einschätzung der Jntellektarbeit führen müsse. Nach seiner Ansicht kann der von England nach Deutschland herübergekom­ mene unproduktive Sport um deswillen nicht anstelle der körperlichen Arbeit bei uns treten, weil wir Deutsche schon aus wirtschaft­ lichen Gründen auf die Verrichtung intensiver körperlicher Arbeit ") Kerschensteiner, Deutsche Schulerziehung in Krieg und Frieden. Als Zeitschrift für die praktische Ausgestaltung der Arbeitsschule und der Kunsterziehung sei „Schaffende Arbeit und Kunst in der Schule" (Schulwiffenschaftlicher Verlag A. Haase in Leipzig) empfohlen.

42 angewiesen sind. „Vie Volksschulpädagogen haben lange vor den Ärzten dieses Bedürfnis erkannt und suchen es durch Handfertigkeits­ unterricht zu befriedigen. Buch für die Mittelschule soll während der großen Ferien die körperliche Arbeit, deren Art sich die Schüler selber wählen können, Zwang sein." 36) Die Durchführung dieses Gedankens müßte — haben doch diese Schüler ihre in die Uriegszeit fallenden Ferien dem gleichen Zwecke gewidmet — eine wahrhaft soziale und biologische Tat sein, durch die wir gegen andere Völker auf Jahrzehnte, ja auf Jahrhunderte hin nun wieder von neuem den Vorrang bekommen können.

Erforderlich ist ferner, daß die Lehrer von Zeit zu Zeit mit ihren Schülern Besichtigungen der Stätten deutscher Arbeit und deutschen Fleißes veranstalten. (Werkstätten kleiner Handwerker und größere Betriebe der Industrie und des Handels.) Nach eigener Erfahrung lassen sich die Unternehmer oder Leiter solcher Betriebe gern bereit finden, eine Führung mit einem belehrenden gemeinverständlichen Vortrag zu übernehmen. Es sind gewiß auch Fachmänner dafür zu gewinnen, um reiferen, ins rauhe Leben hinaustretenden Schülern, na­ mentlich auch solchen höherer Lehranstalten, verständliche Vorträge über allgemein wichtige Fragen der deutschen Volkswirtschaft zu halten (3. B. über den neuzeitlichen Gold- und Wertpapierverkehr, sowie über die Rolle, die eine Bank heutigen Tages im Wirtschafts­ betrieb zu spielen berufen ist). Erfahrungsgemäß bringen die Schüler derartigen Veranstaltungen das größte Interesse entgegen. In der heutigen Zeit der Arbeitseinstellungen muß der Segen gewissenhafter Arbeit, sowie der fast unberechenbare Schaden, der aus der frevelhaften Niederlegung der Arbeit für unser Volk entsteht, der Jugend an vielen Beispielen im Unterricht veranschau­ licht werden. Es ist bitter nötig, die reifere Jugend durch ethische Belehrungen darüber aufzuklären, daß der Streik das schlechteste Mittel ist, um eine „gerechte" Verteilung von Lohn und Arbeit in allen Berufsständen zu erreichen, sondern daß nur sittliches Emp­ finden den Weg dahin bahnt. „Alle wirtschaftlichen Nachteile sind nichts gegen die sittliche Zerstörung, die der Streik verrichtet." (Prof. D u n k m a n n.) Das von dem Schotten Carlyle gepredigte Evan­ gelium der Arbeit muß tief in die Herzen der deutschen Jugend ge­ pflanzt werden. Die Zukunft eines Volkes verbürgt am sichersten die Summe seiner Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit in körperlicher und geistiger Hinsicht. „Arbeit! Welche unberechenbare Bildungs­ quelle !" (L a r l q l e). Die körperlich arbeitenden Stände des deutschen Volkes aber sollten nicht vergessen, daß ohne tüchtige Geistes-

•*) „Soziale Medizin und Hygiene." 1910.

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arbeit, die heute vielfach sehr unterschätzt wird, keine Nation be­ stehen kann. — Unser Rückblick auf die pädagogischen Bestrebungen, die bei der neuen Grundlegung der Lrziehungskunde als wertvolle Bausteine zu berücksichtigen sind, hat uns bis zur Schwelle der Gegenwart geführt. Zu den für den Pädagogen der Gegenwart erfreulichen Zeichen gehört das auch in Nichtfachkreisen wachsende Interesse für die Fragen der Jugend- und Volkserziehung. Vie veränderten Zeitver­ hältnisse haben insbesondere die auf die Fortbildung aller Volks­ schichten zielenden Bestrebungen gefördert und zur Gründung von Volkshochschulen geführt. Es ist keine Frage, daß die Ver­ mehrung dieser Fortbildungsstätten, deren Segnungen bekanntlich Dänemark seit mehr als sechs Jahrzehnten genießt, auch zu den Ruf­ gaben einer deutschen Volkstumspädagogik gehört. Der Volkswohl­ stand, die Volkssittlichkeit, die nationale Kraft des dänischen Insel­ volkes haben gerade durch die Volkshochschule eine ungeahnte höhe und Gediegenheit erlangt.37) Unseren kleinen Ausschnitt aus der Geschichte der Pädagogik, mit dem wir weitere Bausteine für eine zu schaffende „deutsche Volkstums­ pädagogik" beizutragen hoffen, wollen wir nicht schließen ohne die Anregung, die Rudolf Pannwitz in seinem 1909 erschienenen Buche „Das Werk der deutschen Erzieher" gibt, beachtet zu haben. Denn er kämpft für eine deutsche Volkspädagogik und weist an dem Beispiele der vom deutschen Kaiser Wilhelm II. angeregten Schulreform nach, daß eine der Zeit entsprechende Erziehung dann gegen den Willen des Volkes durchgesetzt werden muß, „wenn nicht das Volk selber aufsteht und sie schafft, anstatt danach greint . . . Denn dadurch werden immer wieder so und so viele betrogen, daß sie abwarten und sich gedulden. Alle Schuld fällt immer wieder auf das ganze Volk. Die Heeresreform galt ihrerzeit für unmöglich und ist gegen den willen des in den Parlamenten vertretenen Volkes durchgesetzt worden. Ebensowenig wie alles Antichambrieren der Diplomatie im Auslands ohne Heer hat helfen Können, ebenso wenig kann alle Verwaltung und soziale Gesetzgebung ohne Erziehung helfen." wenn es einen Ausweg und eine Rettung aus der großen Not, in die der waffenausgang und der Schmachfrieden das deutsche Volk gestürzt haben, gibt, so kann das heil nur von einer neuen Erziehung ”) Während in Dänemark die männliche und weibliche Jugend vom 15. Lebensjahre ab zum Besuche der Volkshochschule zugelassen wird, kann bei uns jeder, der vertiefte Bildung sucht und 18 Jahre alt ist, einen Kursus an einer Volkshochschule durchmachen. Die Volkshochschulbestrebungen sind be­ sonders in Thüringen im Zunehmen begriffen.

44 des künftigen Geschlechtes erwartet werden. Dem deutschen Volks­ empfinden kann jedoch nur dann in der Lrziehungsfrage mehr Rech­ nung getragen werden, wenn man dem Volke Gelegenheit bietet, sich unbefangen zu äußern. Wie viel verständige Urteile über Erziehung konnten wir in zwangloser Unterhaltung mit einsichtigen Männern des Volkes schon Horen, wobei beispielsweise über die Menge der biblischen Geschichten, die namentlich in der Volksschule zu behandeln sind, begründete Klage geführt wurde. Das deutsche Volk hatte bereits vor dem Kriege Sehnsucht danach, daß sein eigenes Volkstum in den deutschen Schulen mehr gewürdigt werde — wie viel mehr ist dies nach der gewaltigsten Erschütterung, die je ein Volk erlebte, nötig! „Des Volkes Stimme ist Gottes Stimme." Zur Erteilung eines Unterrichts, der zu den schon lange fließenden, unversieglichen (Quellen des deutschen Volkstums steigt, dort seine Nahrung schöpft und den bisher erteilten Unterricht in der Geschichte des jüdischen Volkes größtenteils ablösen sollte, ist nicht erst jetzt die Zeit gekommen: Man hat hier eine große Versäumnis nachzuholen. Allerdings wäre zur besseren Lösung der Aufgabe eine wichtige Voraussetzung zu er­ füllen- von pädagogischen Schriftstellern müßte eine für die deutsche Jugend bestimmte Germanenbibel geschrieben werden.3S) Auch können (Vrtschroniken, sowie Familiengeschichten zu diesem Zwecke hervorragende Dienste leisten. Die Vorzüge eines solchen Unterrichts, -- zu seiner Belebung tragen erfahrungsgemäß auch die Schüler selbst durch Erzählung eigener Erlebnisse und auf andere Weise bei — der das deutsche Volkstum in seinen Dienst zu stellen weiß, springen in die Augen. Der Lehrer hat nicht nötig, kostbare Zeit zu vergeuden, um das In­ teresse der Schüler erst anzuregen- denn der Stoff selbst entfacht ein vielfältiges Interesse. Aus ihm lassen sich die ethischen •8) Schon Friedrich Ludwig Jahn forderte ein ähnliches Werk für das deutsche Volk: „Welcher Deutsche sollte nicht ein vollendetes Werk über die Deutschheit wünschen?... Das gelesen würde, so weit die Deutsche Sprache reicht, und überall, wo Deutschland als kein vergessenes Unding gilt! Eins ist not! ein Aufruf zum Festhalten an dem, was noch unser geblieben;-----------eine Ermutigung, sich nicht entreißen zu lassen, was angefochten wird;-----------Erinnerung an das Verkannte und Mißkannte; ein Wecker aus der schlafsüch­ tigen Träumerei; ein Retter aus der Ohnmacht des Scheintodes. Allen, die noch für Deutschheit Lebensreste gerettet haben und sich erkühnen, für sie zu fühlen, träumen, denken, lehren und leben, sie zu hoffen, sehnen, ahnen und glauben, fehlt immer noch - ein volkstümlichesVekenntnisbuch."Es verdient an dieser Stelle hervorgehoben zu werden, daß die von Wilhelm Schwan er herausgegebene Germanen-Bibel (Volkserzieher-Verlag, Berlin) einen begrüßenswerten Versuch nach dieser Richtung darstellt. Auch die von Buchwald (E. Diederichs Verlag in Jena, 1914) veröffentlichte kleine Sammlung „Deutsches Volkstum - Bekenntnisse deutscher Helden und Denker" sei erwähnt.

45 Lehren in anschaulicherer Weise ableitep als aus den Geschichten eines in einer anderen Weltanschauung ausgewachsenen Volkes, das schon längst aufgehört hat, eine Nation zu sein, und d i e von den Schülern aus der Erfahrung gewonnenen Grundsätze sind Tatsachen der Selbsterziehung.

4. Inwiefern bedeutet die „Deutsche volkstumspadagogik" einen wirklichen Fortschritt? Daß eine auf unser Volkstum zu begründende „deutsche" Päda­ gogik nach der wissenschaftlichen Seite hin einen Fort­ schritt bedeuten wird, geht zum Teil schon aus den früheren Nus­ führungen, namentlich aus den im 2. Nb schnitt aufgestellten 12 Haupt­ stücken (Aufgaben) hervor. Doch soll hier noch eine eingehendere Be­ weisführung für diese Behauptung angetreten werden. Wir gehen dabei noch einmal von der „nationalen" Pädagogik aus. Sie begnügt sich damit, daß herbart das pädagogische Lehr­ gebäude auf philosophischem Boden erbaute, daß er Ethik und Psycho­ logie zu unentbehrlichen Grund- und Hilfswissenschaften der Erzieh­ ungstheorie erhob. Ghne Zweifel können weitere Forschungen auf dem Gebiete der deutschen Ethik und Psychologie keineswegs von einer „deutschen" Pädagogik vernachlässigt werden. Das deutsche ethische Pflichtgefühl erheischt in der Erziehung der deut­ schen Jugend eine hervorragende Berücksichtigung, und die Psychologie liefert dem Individualismus für die Beobachtung der verschiedenen Individualitäten in reichem Überfluß das wissen­ schaftliche Nlaterial. Nber philosophische Systeme sind etwas höchst Subjektives und daher ohne Dauer?») Die modernen Ver­ treter der Ethik und Psychologie sind über Herbarts Theorien auf diesen beiden Gebieten hinweggeschritten. Nlan hat dabei versucht, „hier die Eduard von hartmannsche, dort die Wundtsche Philo­ sophie zur Grundlage neuer pädagogischer Systeme zu machen — alles fließt! Nber die richtige Lehre aus diesen Pendelbewegungen haben heute nur wenige gezogen, die Lehre: die Philosophie hat zwar ihre Fähigkeiten erwiesen, in pädagogischen Dingen ein gewichtiges Wort mitzureden, zugleich aber ihr Unvermögen als maßgebendes wissen­ schaftliches Unterscheidungsmerkmal für ein pädagogisches System zu dienen." Dazu ist nur etwas allgemeingültig Objektives,

“) Dgl. hierzu: Kerschensteiner, Deutsche Schulerziehung in Krieg und Frieden. S. 7.

46 etwas Dauerndes geeignet. Nichts vereinigt diese beiden Eigen­ schaften besser in sich als das Volkstum. — Vie geschilderte „deut­ sche" Pädagogik wird sich gleichsam selbst schaffen, wird leicht und ungezwungen herauswachsen aus dem innersten Kern unserer Ligen­ art. Wer für eine ganz auf dem Volkstum aufgebaute Pädagogik noch einer Bestätigung aus der Geschichte bedarf, den brauchen wir nur auf die Erziehungsgeschichte des alten Griechenlands zu verweisen. Oie Durchführung des Gedankens war in grauer Vergangenheit ganz unbewußt möglich, warum sollte sie bei planmäßiger Arbeitsmethode den deutschen Pädagogen unmöglich sein? Die Volkstumspädagogik behält immer das Volkstum zum Grund­ satz. Dieses kann sich — durch Wandlungen in den äußeren Bedin­ gungen des Volkslebens, durch Kultureinflüsse von außen her — zwar ändern, aber es ändert sich nur unwesentlich und langsam: die Grundlage bleibt im großen und ganzen stets dieselbe, die „deutsche" Pädagogik wird infolgedessen immer die „herrschende" sein. Sie wird nie durch eine andere ersetzt, sondern höchstens in sich selbst mäßig abgewandelt werden. Ihr Fortschritt als Wissenschaft aber wird im allgemeinen darin bestehen, eben jene leisen und allmäh­ lichen Verschiebungen des Volkstums wachen Auges durch beständige Belauschung der Volksseele zu erkunden und zu verarbeiten, und das ist in erster Linie historische Aufgabe.40) Wie fruchtbringend eine „deutsche Volkstumspädagogik" wirken wird, wie sie insbesondere dem Historiker der Erziehungswissenschaft ganz neue Aufgaben stellen wird, dafür glauben wir oben bereits Belege erbracht zu haben. Indem sie die Erzieher und Theoretiker zu neuen Forschungs­ methoden veranlaßt, wird sie ihnen neue wirksame Erziehungs­ mittel an die Hand geben. Auch durch klare Zielsetzung, auf die wir in unseren Ausführungen verschiedentlich Hinwiesen, wird die neue Grundlegung der Erziehungskunde die Pädagogen zur besseren Erfüllung ihrer hohen Aufgabe befähigen. Eine besondere, verglei­ chende Aufgabe wird ihnen erwachsen- sie werden unsere Wesens­ eigentümlichkeiten mit denen anderer Völker vergleichen und aus dieser Arbeit die nötigen Folgerungen für die deutsche Erziehungswissenschaft ziehen müssen. Die fundamentale Bedeutung der zu lösenden Aufgabe stellen wir im Bilde nochmals dar: Der neu zu pflanzende Baum der „deutsche n" Pädagogik wird seine Wurzeln tief in den Born des deutschen Volks­ tums senden, wo er reichliche Nahrung zu kräftiger Entwicklung finden und aufnehmen wird. In der Krone dieses Baumes können

") Dergl: Dr. Zimmer, Die deutsche Erziehung und die deut­ sche Wissenschaft. S. 404 u. 406.

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die vor dem Kriege eingesetzten Strömungen, die auf eine Neugestal­ tung einzelner Zweige abzielten, nicht nur Platz finden, sondern in ihr werden sich auch weit ausladende äste mit reichlichen Zweigen bilden, genährt von der gesunden Kraft des Volkstums. Diese „deut­ sche" Pädagogik wird namentlich den von der nationalen Pädagogik nicht genug gepflegten Zweigen zur besseren Entfaltung verhelfen und aus der großen Schule des Krieges zu lernen wissen. Auch an seinen Früchten wird man den in unserem Volkstum wurzelnden Baum der „deutschen" Pädagogik als einen guten und gesunden erkennen: Hingabe des Einzelnen an Staat und Vaterland — verständnis­ volle Mitarbeit aller Schichten des Volkes an der Lösung der großen sozialen und politischen Aufgaben — Kräftigung des geistigen und sittlichen Lebens, insbesondere auch des Verantwortlichkeitsgefühls — Erhöhtes National- und Selbstbewußtsein, Einsatz aller Kräfte für die Ehre des deutschen Volkes, sei es Krieg oder Frieden. — Ein neuer Idealismus wird die materialistische Weltanschauung überwin­ den und dazu führen, daß ein neues geistiges Band um die verschie­ denen deutschen Volksstämme geschlungen wird. Dieses muß sie dauern­ der und fester zusammenschließen, als es die gemeinsam vollbrachten großen Taten früherer Seiten vermochten, obzwar diese selbst als ein haupterziehungsmittel für Jugend und Volk stets hoch geschätzt wer­ den müssen.

5. Einige Grundzüge der deutschen volkrcharakterr. „Umsonst bist du von Glut entbrannt, Hast du nicht sonnenklar dein Ziel erkannt." (Uhland.) Psychologie ist und bleibt eine der Grundwissenschaften der Päda­ gogik. Sur neuen Grundlegung und zum erstrebten Fortschritt einer deutschen Erziehungskunde gehört demnach zuvörderst die Erforschung der psychischen Eigenschaften des deutschen Volkes und des deutschen-Einzelmenschen in Vergangenheit und Ge­ genwart. von In st us Möser und Herder bis zu de La­ garde, von Iahn, Fichte, E. M. Arndt und w. v. Hum­ boldt bis zu F. G. Schultheiß und R i ch a r d w. Meyer ist die Frage „was ist deutsch? für viele Seiten des deutschen Wesens mit Gründlichkeit und Erfolg untersucht worden. Den deutschen Volks­ charakter zum erstenmale im Zusammenhang dargestellt zu haben, ist

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das Verdienst des in unseren Erörterungen mehrmals angeführten Professors Dr. H. INe y e r.") — Einige Ausführungen darüber, wie das dem deutschen Volke inne­ wohnende unveränderliche Volkstum sich in seinen Taten und Ge­ schicken wie im Linzelmenschen ausprägt, mögen zur weiteren Be­ leuchtung und Lösung der Aufgabe beitragen, wie die deutsche Lrziehungskunde auf das deutsche Volks­ tum zu begründen ist. Damit soll zugleich die Beweisführung für die Möglichkeit der Durchführung des planes weitere wichtige Stützen erhalten.. voran stellen wir »einige Grundzüge deutschen Wesens, die sich bei einem kurzen geschichtlichen Rückblick gewinnen lassen. Die ältesten Blätter der deutschen Geschichte erzählen von jener unge­ bändigten Naturkraft, mit der die alten Germanen ungestüm in die Schlacht wie zum Tanze sprangen, die auf dem Schilde über die Gletscher und Eisberge rutschten, Ströme ableiteten zum Grabe ihrer Könige und Flüsse mit ihren Schilden aufzuhalten suchten. Daß dieses stolze Kraft- und Naturgefühl unser Volk bis in die jüngste Vergangenheit auszeichnete, davon legen die heroischen Taten der ge­ samten deutschen Streitmacht in dem letzten großen Ringen das be­ redteste Zeugnis ab. Es unterliegt keinem Zweifel, daß, um dem An­ prall einer Welt von Feinden erfolgreich zu begegnen, der blinde, u m der Autorität willen betätigte Gehorsam allein nie und nimmer ausgereicht hätte, wenn auch schließlich die Anstrengungen nicht mit dem verdienten Erfolge gekrönt wurden, so kann sich unser Herz doch weiten in dem Gedanken, daß unser Volk noch an die v e r wirklichung von Idealen sein Leben zu setzen bereit ist. Offenbaren sich nicht in den Jahren 1813, 1870/71 und 1914 Züge des deutschen Volkscharakters, die es verdienen, zur Grundlage einer deutschen Pädagogik verwandt zu werden? (3. B. der im Kriegs­ jahre 1914 auch vom Heimatheere bewiesene Opfer sinn, den auch die deutsche Schuljugend in hervorragendem Nlaße an den Tag legte, ließen uns damals noch als das alte Volk von 18 13 erscheinen.) Oder lassen sich nicht die schon von T a c i t u s gerühmten alten deut­ schen Tugenden in ähnlicher weise nutzbringend von den deutschen Er­ ziehern verarbeiten? Daß hierbei an den an der Hand der Geschichte nachzuweisenden Schwächen und Fehlern der Deutschen nicht vorüber­ zugehen ist, sei wiederholt hervorgehoben. Schon diese wenigen Ge­ dankengänge deuten die Richtung an, nach der deutsche Eigenschaften

**) „Weder vom Ethnologen, noch vom Philosophen oder vom Historiker allein kann die Frage „Was ist deutsch?" beantwortet werden, denn sie gehört ihnen allen dreien und noch mehreren anderen Disziplinen an", belehrt uns dieser Forscher. Darum haben die Vertreter vieler Forschungsgebiete zu dem erstmals 1898 erschienenen Werke „Das Deutsche Volkstum" Beiträge geliefert.

49 zu einem geschlossenen pädagogischen System verarbeitet werden kön­ nen: weil Kämpfen und seine Kräfte messen das eigentliche Lebens­ element des Deutschen im friedlichen Wettstreit wie im Krieg ist, wird es gelten, die der deutschen Jugend angeborene Naturkraft durch entsprechende Übungen zu erhalten und zu fördern. In geistiger Hin­ sicht: die herzen der Jugend sind im Unterricht an den kraftvollen Naturen und gewaltigen Leistungen unseres Volkes zu erheben, und der ideale Sinn, für die Ehre der Nation alle Kräfte und selbst das Leben einzusetzen, zu pflegen. In eindringlicher Sprache reden Sichte und Arndt von diesen Grundzügen im deutschen Volkscharak­ ter, dem Idealismus und dem Glauben, an die die Jugenderziehung von neuem anknüpfen muß. „Uber doch am meisten, ihr Jünglinge, haltet das fest, was der Stolz des deutschen Lebens ist, die unvergäng­ liche Idee, welche ihre erhabensten Träume immer wahr macht denen, die mit voller, reiner Liebe an sie glauben und nicht ablassen zu glau­ ben ... Ts ist der Glaube der Edleren und Besseren, der die Erde in den Himmel erhebt und den Menschen und das Volk durch die all­ mächtige Idee zu jeder kühnsten Tat und tapferen Tugend kräftigt und ermutigt. Wenn ihr glaubet und bekennet, daß die Deutschen immer fromme, freie, tapfere und gerechte Männer sein sollen — so wird -er Glaube eine neue Zeit gebären, und unsere Enkel und Urenkel werden diejenigen segnen, welche auch in den dunkelsten Tagen nicht verzweifelt haben, daß eine neue deutsche Morgenröte wiederaufgehen würde." (E.M. Arndt.) Buch wenn der Pädagog den geheimsten Regungen der deutschen Volksseele im Linzelmenschen nachgeht, kann er zahlreiche Hilfs­ mittel zur besseren Lösung seiner Aufgabe finden. Ein Beispiel einer für den deutschen Erzieher vorbildlichen psychologischen Schilderung des Einzelmenschen soll deshalb hier eine Stelle finden. Der Haupt­ mann Dr. Hagemann gibt eine Eharakteristik „des deutschen Feld­ soldaten", deren Hauptstellen lauten: „Es soll nicht ohne weiteres gesagt werden, daß der Deutsche schlechterdings alle guten Eigenschaften des Soldaten in sich vereinigt und so etwas wie eine Auslese darstellt. Das gibt es wohl überhaupt nicht. Daß dem Deutschen aber eine besonders gute Mischung besonders guter, notwendiger und Erfolg versprechender Eigenschaften des moder­ nen Soldaten eignet, und daß eben diese Mischung innerhalb unserer Millionen-Heere gleichsam in der Norm vorhanden ist — daß also die Qualität durchschnittlich hoch und gleichmäßig auftritt, macht seinen bedeutenden Kampfwert aus. Wozu dann aber noch die Eigentümlich­ keit dieser Mischung kommt, die dem deutschen Soldaten, unter allen anderen, seine ganz besondere Note gibt. Der deutsche Soldat scheint einen Gegensatz in sich zur Lösung zu bringen, der im Widerstreit seiner Elemente gefährlich sein kann, Friedrich, Deutsche volkstumspadagogik. 4

50 in der Ausgleichung aber von höchster Bedeutung, geradezu von elemen­ tarster Wirkungskraft ist. (Es gibt nichts Eigenwilligeres als einen von irgendwelcher ihm gut und nützlich dünkenden Idee, von einer persönlichen Gewohnheit, einer allgemeinen Tradition oder durch sonst irgend einen höheren Gesichtspunkt beherrschten, man könnte oft ge­ radezu sagen besessenen Deutschen. (Es gibt aber auch kaum wieder einen Menschen, der sich so ganz und mit allen seinen Fibern dem hingibt, was er für recht und billig, für zweckvoll und gut befunden, und was ihm das Schicksal in dieser Form auf die Schultern gelegt hat. Ein fanatischer Hüter gewisser Eigenartigkeiten, Überlieferungen und Lebenstendenzen seines Stammes und innerhalb dieses Stammes wieder feines besonderen Ureises, seiner Familie und des eigenen Selbst ist er bereit, mit diesem Pfunde zu wuchern, soweit Kräfte und Möglichkeiten es einem gestatten . . . Der deutsche Mann bringt sich und sein soldatisches Können als notwendigen und deshalb selbstverständlichen Einsatz für ein Ganzes dar, das ihm und den Seinen die Existenz gab und das, jetzt bedroht, die Bereitschaft jedes Einzelnen fordert, zunächst einmal seine eigene Existenz zu lassen. Er bringt das tvpfer des Lebens, bringt es gern. Aber nicht etwa leichter als die Anderen, sondern schwerer, weil er es bewußt und ausdrücklich und nicht unter irgend welchen suggestiven Wirkungen bringt — weil er sich das Leben mit allen Neigungen in seiner weise dienstbar gemacht und die letzten, ihm möglichen werte herausgezogen hat und weiter herausziehen möchte — weil es ihm mehr bedeutet, als so manchem Anderen. (Es ist keine Frage: von allen Kämpfern des Weltkrieges leidet der deutsche Soldat seelisch am meisten. Der deutsche Soldat. Denn was hier gesagt wurde, gilt für alle, für hoch und Niedrig, für den gemeinen Mann, den Unteroffizier und Offizier. Für alles, was kämpft. Landesnot schuf die engste, reinste und schönste Gemeinschaft, die je Männer eingingen. Alles Kleinliche fiel von ihnen ab. Vorurteile sanken vor der Größe der gemeinsamen Aufgabe dahin, vor -er Reinheit der Gesinnung derer, die zu ihrer Lösung berufen waren. Man gab sich Mühe miteinander, lernte sich so gegenseitig erst kennen und stand oft verändert und beschämt vor der inneren Anständigkeit des Nächsten, wie man häufig erst den Menschen in sich selbst entdeckt hatte — von dem die Mitwelt ja in der letzten Seit gesellschaftlicher tvberflächen-Kultur auch keinen allzu ergiebigen Gebrauch zu machen pflegte — entdeckte man ihn jetzt auch bei den anderen. Eine wahrhaft verläßliche, herzergreifende Kameradschaft war die Folge. Der Befehl wurde zum Rat, zur freund­ schaftlichen Weisung. Das wesentliche tut man aus sich selber, aus der Forderung des Augenblicks. Der Einzelne kannte bald den Kreis seiner Pflichten und legte eine Ehre darein, ihn vollends zu erfüllen.

51 Dhne Zwang, ohne Mahnungen und gute Worte. Und alle zusammen unterstellten sich, jeder auf seinem Posten, der heiligen Sache. So war es, bei aller Tragik im ganzen und einzelnen, auch im Kriege eine Lust, Soldat zu sein." 42) Diese Charakteristik des deutschen Kriegers erscheint uns für unsere Zielsetzung, die deutschen Schulmänner für die Schaffung einer ausschließlich auf unser Volkstum sich aufbauenden Pädagogik zu interessieren, nicht minder wertvoll, als der von tj. Meyer gebotene Beitrag über „Deutsches Volkstum im Einzelmenschen", auf den wir uns im wesentlichen weiter stützen müssen. Die in erster Linie nach innen gewandte Richtung des Empfin­ dungsvermögens ist eine der wesentlichsten Eigenschaften der deutschen Naturanlage. Ihr entspricht eine ganz gleich gerichtete Weise des Wol­ lens und des Denkens, und in ihnen zusammen ist wohl der wichtigste Zug des deutschen Wesens ausgedrückt: die deutsche Innerlich­ keit. Nlle anderen Eigenschaften teilt im einzelnen der Deutsche mehr oder weniger mit andern Völkern, aber die Innerlichkeit, die seinem Fühlen, Wollen und Denken eignet, sein ganzes Sein beherrscht und in all sein Tun und Trachten ausstrahlt, die hat er in diesem Maße ganz allein für sich. Die meisten seiner ausgeprägten Eigen­ schaften lassen sich auf die Innerlichkeit als Urquell und Grundkraft zurückführen. Das Gefühlsleben der Deutschen ist es, das sich vor allem aus seiner Innerlichkeit bereichert. In der Gefühlssphäre setzt sich die Innerlichkeit in die Eigenschaft um, die niemand anders in jo hohem Grade besitzt wie der Deutsche, und für die keine andere Volks­ sprache einen entsprechenden Namen hat: das deutsche Gemüt. In allem Wollen und Denken des Deutschen spricht dieses mit. Es gibt dem gesamten deutschen Volkstum jene warme Tönung, die auch die anderen Völker als eine der wesentlichen Verschiedenheiten von ihrem eigenen Volkstum herausfühlen, ohne daß sie einen eigenen Begriff dafür geben könnten. Aber wohl wissen sie mit einem eigenen Namen jenes Übermaß von innerem Gefühl zu benennen, das die Fesseln des willens und des Intellektes abstreift und still in seiner eigenen Fülle schwelgt. Es ist die im deutschen Volkstum hervortretende Senti­ mentalität, die so oft als eine vermeintliche oder wirkliche Schwäche das Ziel des Spottes anderer Völker ist. Nach den Eigenschaften der deutschen Gefühlsinnerlichkeit erken­ nen wir, daß der Deutsche schon vermöge dieser Innerlichkeit des Ge­ fühls ein geborener Individualist sein muß. Den Franzosen macht sein nach außen gerichtetes, sich ausgebendes Empfinden zu einem sehr sozialen Wesen, zu einem Kollektivisten, dem Deutschen

*-) „Der deutsche Feldsoldat". Franks. Nachr. u. Intelligenz-Blatt. 1915. 4*

52 gibt sein gesammeltes starkes Innenleben einen Individualismus, wie er in gleich vielseitiger Verbreitung durch ein ganzes Volk nirgends in der Welt wieder vorkommt. Vie Gefühlsinnerlichkeit hat dem Deutschen von anderen Natio­ nen, deren Gefühl vielmehr nach außen gerichtet ist und vom Intellekt gelenkt wird, den Namen der Rindlichkeit eingebracht. Und doch ist diese Bezeichnung, in der nach Absicht der Fremden der Begriff der geistigen Unreife liegen soll, für den deutschen Nationalcharakter ein Ehrenname, denn das Rind steht den reinen (Quellen des ursprüng­ lichen Lebens näher als der Erwachsene.

Ein unmittelbarer Nusdruck der Rindlichkeit ist die Naivität, die Einfalt des Herzens und des Geistes, mit der der Deutsche die Außenwelt unverfälscht in sich aufnimmt, und die er seinerseits in der Welt zu vermuten geneigt ist. In der Rindlichkeit wurzelt die Wahrheit und Ehrlichkeit, die im Deutschen zunächst Eigen­ schaften des Gemütes sind und von da aus all sein Wollen und Denken durchdringen- sie ist der Ursprung der deutschen Gutmütigkeit, die dem Egoismus das kräftigste Gegengewicht hält und fremdem Leid gegenüber in der deutschen Innerlichkeit sich herrlicher als irgendwo anders zur schönsten menschlichen Tugend, dem Mitleid, entfaltet; und die Rindlichkeit ist einerseits der Hauptgrund des Ernstes, mit dem der Deutsche jede innerlich erfaßte oder ihm von außen übertragene Aufgabe aufnimmt und durchführt, und anderseits der sonnigen Hei­ terkeit, mit der sich der Deutsche harmlos der Schönheit des Lebens und seiner Gaben freut. Vie Schattenseiten dieser Eigenschaften liegen in ihrem Übermaß, wenn die naive Einfalt zur Torheit, die Wahrheit und Ehrlichkeit zur Grobheit und R ü d i g k e i t, die Gutmütig­ keit zur Schwachmütigkeit, der Ernst zu schwerfälligem Trüb­ sinn ausarten. Jedes Volk sieht, erkennt und anerkennt in seinem nationalen Selbstgefühl an anderen Nationen weniger die Licht- als die Schattenseiten. „Jede Nation spottet über die andere, und alle haben recht." (Schopenhauer.) Rein Wunder, daß von den Frem­ den jene Fehler im deutschen Volkstum als die wesentlichsten Züge hervorgehoben werden; kein wunder, auch wenn sie nicht so häufig und stark ausgeprägt wären, wie sie es in Wirklichkeit sind. von den beiden merklichsten Erscheinungsformen des Seelen­ lebens, vorstellen und wollen, ist der Wille das beständige, der In­ tellekt das bewegliche Element. Der Wille an sich ist inhaltslos,- er bekommt einen Inhalt erst durch das Gefühl und durch den Intellekt. Über die mehr oder minder große Energie des Willens ist bestimmend für die Betätigung des gewonnenen Inhalts: ist der Wille stark, so drängt er das Gefühl und den Intellekt in bestimmte Richtungen;

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st bas Gefühl ober der Intellekt stärker, so treiben sie ben Willen |ur Befolgung ihrer Vorschriften. In ber Innerlichkeit, im Individualismus des Deutschen entvickelt sich der Cinzelwille zu einer Kraft, die, geführt vom Intellekt mb vom Gefühl, unbezwinglich ist. Sein Entschluß, reift langsam, iber einen einmal gefaßten und als richtig erkannten oder gefühlten Vorsatz verfolgt er mit einer Zähigkeit und Ausdauer, die )en größten Hindernissen gewachsen ist und am wider st and nur roch mehr erstarkt. Dieses willensstarke Festhalten an dem gesteckten Ziel ist neben der aus dem Gemüt quellenden Liebe zur Sache einer )er wichtigsten Bestandteile der mit Recht gerühmten deutschen Treue, )ie auf den verschiedensten Lebensgebieten zu vielfältigem Ausdruck iommt. wenn aber das zähe Wollen des Deutschen ins Maßlose wächst, vird es die Ursache zu den Erbübeln des deutschen Nationalcharakters, )ie von alters her in der deutschen Geschichte als unbeugsame Starr­ köpfigkeit und Zwietracht der Nation wie den Einzelnen ver­ hängnisvoll geworden sind. Nur wenn die zahllosen starren indivi­ dualen Willenskräfte ein gemeinsames, aus einer Forderung des Gefühls oder des Intellekts erstandenes hohes Ziel finden, dann hält dieser Riesenkraft keine Gegengewalt stand, und die deutschen Per­ sönlichkeiten, Volksführer und Staatsmänner sind immer die größten gewesen, die durch Vermittelung des Intellekts and namentlich des Gemütes die kraftvollen Einzelwillen zu einem gemeinsamen Ziel zusammenzufassen gewußt haben- sie haben dann !)urch die Nlassenwirkung des entfesselten furor teutonicus das Größte für die Allgemeinheit erreicht. wir verweisen hier auf unsere Ausführungen über die Erzieh­ ung deutsch-volkstümlicher Persönlichkeiten im 3. Abschnitt. In der deutschen Geschichte findet sich nur eine geringe Anzahl Beispiele von Persönlichkeiten in dem eben geschilderten Sinne. Dieses Ideal war am vollkommensten verkörpert in dem Heros Bismarck. Freilich können sich solche Persönlichkeiten nur dann auswirken, wenn der Linzelwille, der stets in das volksganze einzureihen ist, nicht zu stark und schwerfällig ist. Langsam wie der Wille und wie die Erregbarkeit des Tempera­ mentes schreitet auch die Vorstellung, der Intellekt des Deutschen, von Stufe zu Stufe. Auch er geht langsam, aber sicher, wäh­ rend der leichtbewegliche Intellekt des Franzosen geradeaus auf das Ziel losstürmt und deshalb oft zu schnell und falsch urteilt, prüft die deutsche Bedächtigkeit erst alle Einzelheiten, ehe sie das Ganze erfaßt. Sie hat keine Eile, zum Ziel zu kommen, sondern erwägt ruhig alle Möglichkeiten und urteilt erst, wenn sie der Vollständigkeit ihrer Urteilsgründe sicher ist. So dringt der langsam und bedächtig vorgehende verstand des Deutschen tief in die Dinge ein und ergreift

54 sie in ihrem ganzen Umfang. Vieser deutschen Gründlichkeit, die mit der Zähigkeit des Willens gepaart ist und um so tiefer bohrt, je härtere Hindernisse sich ihr entgegenstellen, hat unser Geistesleben ungemein viel zu danken. Alles in allem haben die Deutschen ihr Größtes und Eigentümlichstes nicht in den Künsten, sondern in den Wissenschaften geleistet; ihnen verdanken sie auch zum guten Teil ihre bedeutenden friedlichen und kriegerischen Errungenschaften int 19. Jahr­ hundert. Die Natur des Temperamentes, des Gefühles und des Willens be­ stimmt aber nicht bloß die Form und den Verlauf der Vorstellungen, sondern auch großenteils den Inhalt des Gedankens. Soziale und all­ gemein menschliche Dinge ergreifen ihn wohl dann tief, wenn sie sich auf das Individuum und zwar nicht sowohl auf das eigene, als viel­ mehr auf das des Nächsten beziehen, doch rein auf das gesellschaftliche Zusammenleben gerichtete Ideenkreise, wie sie vor allem dem nicht individualistisch beanlagten Franzosen eigen sind, liegen ihm viel ferner. Darum aber dem Deutschen kalte Selbstsucht als nationale Lharaktereigenschaft zuzuschreiben, wie es wohl geschieht, geht durchaus nicht an; dazu ist sein Individualismus viel zu sehr vom Gemüt durchweht. Nus dem Gemütsgehalt des deutschen Individualismus entspringt im Gegen­ teil jenes hohe ethische Pflichtgefühl gegen sich und andere, vor dem der engherzige Egoismus, wie er namentlich den fast nur vom Lebenswillen getragenen englischen Individualismus kennzeichnet, zurückweichen muß. Vas deutsche Gemüt aber begnügt sich nicht mit dem reinen Idea­ lismus des Intellektes: es wandelt ihn in ethischen Idealis­ mus^^) um; in den Glauben an Ideale und in das Streben nach Idealen. Und hier, wo der Wille ganz in den Dienst einer wesentlich aus dem Gemüt geschöpften Idee tritt, leistet der Deutsche das Größte. In keinem anderen Volk ist das Ringen nach Idealen, nach der Wahr­ heit und Schönheit als solcher so unermüdlich rastlos wie im Deutschen, was die Deutschen in der politischen Geschichte Großes getan, was die deutsche Wissenschaft und Kunst Herrliches geleistet haben, verdanken sie in erster Linie diesem Idealismus. Und so hoch stellt der deutsche Idealismus die Wissenschaft, daß er es fast für erniedri­ gend ansieht, wenn ihre Jünger großen materiellen Gewinn aus ihr ziehen und Geschäfte mit ihr machen, wie anders im praktischen Eng­ land, wo der Wann der Wissenschaft um so höher geschätzt wird, je mehr Geld er verdient! Der Engländer und auch der Franzose würdi*•) Das „ethische Pflichtgefühl" und der „ethische Idealismus" sind, je länger der Krieg dauerte, je mehr im deutschen Volke geschwunden und seit dem mili­ tärischen Zusammenbruche fast erstorben. Diese geistigen Kräfte wieder neu zu pflanzen, ist darum die dankenswerteste Aufgabe der „Deutschen Volkstumspädagogik".

55 gen und verehren weit mehr den äußeren, namentlich materiellen Erfolg einer Sache als diese selbst- dem Deutschen ist jede geistige Arbeit, also am meisten die Mssenschaftspflege, eine sittlicheTat.dieihreVefriedigunginsichselb st trägt und wohl dem inneren, die Sache selb st fördernden und ihre Wahrheit und Wirkung offenbarenden Erfolgzustrebt, abernicht dem Gewinn. — Deutsch sein, heißt ernst sein- es heißt, fromm fein; es heißt, Gott und dem Göttlichen dienen und seine Kräfte dem irdischen Vaterlande weihen. Aus dieser gedrängten Darstellung einiger Hauptzüge im deut­ schen Volkscharakter läßt sich unschwer nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit der Neubegründung einer „deutschen* Pädagogik in der geforderten Richtung erkennen. AIs nächste Aufgabe hierzu, die von den deutschen Erziehern in Angriff genommen werden müßte, ergibt sich die schon betonte Notwendigkeit, die im Kinde er­ kennbaren inneren Kräfte planmäßig zu erforschen. Schon 1910 stellte Dr. Tögel die Forderung: „Man erfinde neue exakte Forschungs­ methoden. Denn wer sie findet, ist mit einem Schlag der bedeutendste wissenschaftliche Pädagog seiner Seit. Wenn geniale Pädagogen der Zukunft unter der Mitarbeit ganzer Lehrergenerationen die Erzieh» ungslehre zu einer exakten Wissenschaft gestalten werden, dann wird sie sich als die erhabenste, für das gesamte Menschengeschlecht segens­ reichste Wissenschaft darstellen, die sich denken läßt.* heute haben diese Worte erhöhte Bedeutung; für uns gilt es jedoch, alle Kraft für eine „deutsche* pädagogische Wissenschaft, eine „deutsch-volkstüm­ liche" Pädagogik einzusetzen.

6. Mehr Pädagogik überhaupt!

Die Lehre von der Erziehung der Menschen hat man bisher in Deutschland nicht für wert erachtet, gleichberechtigend neben die anderen Wissenschaften zu treten. Schon von dem Universitätslehrer h e r b a r t wird darüber Klage geführt, wenn er sagt: „Die arme Pädagogik kann nicht zu Wort kommen". Später machte der rheinische Schulmann Dörpfeld dar­ auf aufmerksam, welche Fortschritte die Pädagogik gemacht haben würde, wenn man die nötigen Lehrstühle an unseren Universitäten für sie errichtet hätte. 3n neuerer Zeit ist dieser Rus nach einer besse­ ren Würdigung der Erziehungswissenschaft auch von Univ.-Professor Rein und Seminaroberlehrer Dr. Tögel erhoben worden. „Was unter Pädagogik zu verstehen sei, war bisher nicht nur in weiteren

56 Kreisen, sondern vor allem innerhalb der Universitäten selbst eine dunkle Sache, der man am liebsten mit Achselzucken oder einem über­ legenen Lächeln aus dem Wege ging. Klar ist, daß in den Sphären der Pädagogik Arbeitsgebiete eröffnet sind, die keinem anderen an wert und Würde nach stehen dürften. Die Medizin, die die wissenschaftlichen Grundlagen für die körperliche Gesund­ heit des Volkes aufzusuchen hat, nimmt eine bedeutende Stellung innerhalb der Universitäten ein, die um so mehr wächst, je materieller das Zeitalter wird,- die Pädagogik aber, die die Grundlagen für diegeistigeGesundheit aufzudecken und auszubilden berufen ist, hält man für eine überflüssige Sache . . . Für die Universitäten immer mehr Spezial st ühle — so lautet der Ruf!"") Dr. Tö gel fordert Lehr st ühle für die verschiede­ nen Zweiggebiete der Pädagogik, indem er auf das Bei­ spiel Amerikas verweist: „Auf dem Gebiete der Pädagogik hat dieses Land den größten Vorsprung. Den Höhepunkt der pädagogischen Aus­ bildung bildet dort das „Lehrerkolleg", eine Universitätsfachschule. Dieses bietet außer Vorlesungen über Pädagogik und alle ihre Hilfs­ wissenschaften eine Einführung in die praktische Erziehungskunst für Volks- und höhere Schulen." Mit den an unseren Universitäten und Technischen Hochschulen zu errichtenden Professuren für Pädagogik sollten pädagogische Semi­ nare (Übungsschulen) in organische Verbindung gebracht werden. Wie verstanden es doch die Fachmänner auf anderen Gebieten, die Regie­ rungen von der Notwendigkeit der Errichtung von Übungs- und Ver­ suchsanstalten zu überzeugen! (Versuchsfelder, landwirtschaftliche, che­ mische, physikalische Laboratorien.) Sind nicht Herbart und Silier gerade mit der Errichtung von pädagogischen Universitätsseminaren mit gutem Beispiele vorange­ gangen? Die llbungsschulen der Seminare von Herbart, Stoy und Silier haben mit gutem Rechte darauf gehalten, daß die Praktikanten die Schüler nicht bloß in den Lehrstunden sahen, sondern auch mit ihnen spielen, sich unterhalten, spazieren gehen, reisen, essen, den Schulgottesdienst besuchen, nach der Trennung in Briefwechsel bleiben ") Univ.-Prof. W. Rein in der „Dolkskultur. — 3rt ähnlicher Weise äußerte sich der Präsident des Landesamtes für das Bildungswesen, Dr. Strecker-Darmstadt gelegentlich der Tagung des Hessischen Landeslehrervereins (August 1919). „Selbst an unseren Universitäten ist die Pädagogik noch Stiefkind. Wir haben da di« kostspieligsten Institute für die Pflege des menschlichen Körpers, haben solche Institute sogar für Tierarzneikunde, aber für Pädagogik, für die Lehre von der Behandlung der werdenden Menschen­ seele haben wir noch nicht einmal an jeder Universität einen Lehrstuhl Ja, vielfach streitet man sich in Unioersitätskreisen darüber, ob überhaupt die Päda­ gogik ernsthaft als Wissenschaft zu betrachten sei... 3n Zukunft wird da manches nachzuholen sein."

57 und sich besuchen konnten. Herbart spricht bei vielen Anlässen davon, der Praktikant müsse den Unterricht sehen und zwar „mit einer vollständigen Erziehung". Die Einrichtung des Seminars dürfe den Praktikanten nicht „der feinsten Beobachtungen" in erziehe­ rischer Hinsicht berauben. Denn sonst würden „die eigentlich pädago­ gischen Gefühle sich in ihm nicht entwickeln". Die Zucht würde in Re­ gierung, der erziehende Unterricht in bloßes Lehren übergehen. „Wo die in Übung begriffenen Lehrer keine Liebe fassen können, weder zuj dem Werke noch zu den Lehrlingen, da fehlt der rechte Antrieb, der die Arbeit steuern sollte." (Es ist schwer einzusehen, warum man bisher die Pädagogik Herbarts und 3iIlers nur nach der di­ daktischen Seite zu vervollkommnen suchte, aber das, was diese bedeutenden Pädagogen auf dem Gebiete der Psychologie und der Er­ ziehung im engeren Sinne angebahnt haben, nicht mit der gleichen Liebe ausbaute. Darum bleibt der deutschen Volkstumspädagogik ge­ rade nach der letzten Richtung ein weites Feld zur Bearbeitung, auf dem Theoretiker und praktische Schulmänner säen müssen, um ernten zu können. Wenn der früher verhallte Ruf „Mehr Pädagogik" für die Gegenwart und Zukunft noch lauter zu erheben ist, so soll dies auch in dem Sinne geschehen, daß die deutsche Schule von dem auf ihr bisweilenden stark lastenden Drucke des Stoffes befreit und mehr und mehr von dem Erziehungsgedanken durchweht wird. 3m Einklänge damit steht es, daß der künftige Lehrer seine Kraft aus dem pädagogifchen Gedanken heraus schöpft, von dem auch die unterrichtliche Tätigkeit getragen sein sollte. (Erziehender Unterricht.) Denn „alle noch so „kunstgerechte" Bearbeitung des Stoffes bietet keine Gewähr für feine erziehliche Kraft und Wirkung. Kein Unterrichtsstoff wird durch bloße Bearbeitung nach irgendwelchen Rezepten erziehungskräftig,- dazu ist vielmehr allein sein Lebendig­ werden im Geist des Erziehers imstande und dieses Wiedergebären des Unterrichtsstoffes im Gemüte des Erziehers macht nicht selten alle besondere methodische Bearbeitung überflüssig."45) Den Rus „Mehr Pädagogik überhaupt!" begründen wir noch mit dem Worte: „Es gibt viele Wunder in der Natur, doch der Wunder größtes ist der Mensch", auf dessen Studium auch Herder hinweist: „Lasset uns anfangen, den Menschen und menschliche Tugend recht kennen zu lernen ... Die menschliche Seele an sich und in ihrer Erscheinung auf dieser Erde, ihre sämtlichen Werkzeuge und Gewichte und Hoffnungen und Vergnügen und Charak­ tere und Pflichten und alles, was Menschen hier glücklich machen kann, sei meine erste Aussicht." 45) Ernst Linde, Persönlichkeits-Pädagogik.

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7. Schlichwort.