Clownsmasken im Film: Wie Maskierungen kulturelle Ängste enthüllen 9783839444030

Clown characters have always played a decisive role when depicting social conflicts: Wearing their masks, they embody an

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German Pages 360 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
1.Einleitung
2. Theoretischer Teil
3. Analytischer Teil
4. Resultate Der Studie Und Diskussion Der Ergebnisse
5. Dank
6. Quellenverzeichnis
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Clownsmasken im Film: Wie Maskierungen kulturelle Ängste enthüllen
 9783839444030

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Yvonne Augustin Clownsmasken im Film

Film

Yvonne Augustin, geb. 1985, ist nach ihrem Doktoratsstudium in Filmwissenschaft an der Universität Zürich festes Mitglied des Organisationsteams des Zurich Film Festival. Erste praktische Erfahrung im Filmbusiness hat sie als Co-Produzentin und Regieassistentin des Dokumentarfilms Kinderspielstadt Deutschland gesammelt.

Yvonne Augustin

Clownsmasken im Film Wie Maskierungen kulturelle Ängste enthüllen

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2016 auf Antrag der Promotionskommission (Prof. Dr. Fabienne Liptay [hauptverantwortliche Betreuungsperson], Prof. Dr. Margrit Tröhler) als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Carlo Pedersoli / photocase.de (bearbeitet) Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4403-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4403-0 https://doi.org/10.14361/9783839444030 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt 1. Einleitung  | 9 1.1 Maskierung als Enthüllung | 9 1.2 Masken und Clowns – Reflexionen über ihre Aktualität | 11 1.3 Die Clownsmaske und ihr Verhältnis zum Clown – Vorhaben, Fragestellung und Thesen | 13 1.4 Methodik und filmtheoretische Positionierung | 17 1.5 Auf bau des Buches | 20

2. Theoretischer Teil  | 25 2.1 Forschungsstand | 25 2.1.1 Die Forschung zum Clown | 25 2.1.2 Die Forschung zur Maske, Identität und Rolle | 28 2.1.3 Die Forschung zur filmischen Figur | 31 2.2 Zur Figur des Clowns | 34 2.2.1 Eine kurze Geschichte des Clowns | 34 2.2.2 Zum Begriff des Clowns | 43 2.2.2.1 Etymologie | 43 2.2.2.2 Definition des Clowns | 44 2.2.3 Wesentliche Merkmale des Clowns | 48 2.2.3.1 Erscheinungsbild | 49 2.2.3.2 Die Funktionen des Clowns | 53 2.2.3.3 Der Clown und das Spiel | 55 2.2.3.4 Die spezifische Körperlichkeit des Clowns und seine Verbindung zum Kindlichen | 56 2.2.3.5 Die Sexualität des Clowns | 57 2.2.3.6 Ambivalenz, Transgression und die Vereinigung von Gegensätzen | 58 2.2.3.7 Die Assoziation des Clowns mit dem Teufel | 61 2.2.3.8 Die Marginalität des Clowns | 62 2.2.3.9 Die Einsamkeit des Clowns | 63 2.2.3.10 Das Scheitern und die Menschlichkeit des Clowns | 63 2.2.3.11 Das Verhältnis des Clowns zur Ordnung | 66

2.3 Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle | 73 2.3.1 Maske | 73 2.3.1.1 Begrifflichkeit und Bedeutung | 73 2.3.1.2 Eine kurze Geschichte der Maske | 77 2.3.1.3 Maskentypen | 82 2.3.1.4 Merkmale und Funktionen | 83 2.3.2 Identität | 94 2.3.3 Rolle | 98 2.3.3.1 Die Rolle im Theater | 99 2.3.3.2 Soziologische Rollentheorie | 102 2.3.4 Figur und Maske im Film | 106 2.3.4.1 Die filmische Figur | 106 2.3.4.2 Die filmische Maske | 113 2.3.4.3 Kostüm | 115 2.3.4.4 Identität | 116 2.3.4.5 Rolle | 119 2.3.4.6 Verwandlung | 120

3. Analytischer Teil  | 123 3.1 Die Clownsmaske als Ausdruck der Beurteilung anderer | 123 3.1.1 Von melodramatischen Opfern und traurigen Clowns | 123 3.1.1.1 Die Missachtung und Geringschätzung des Clowns | 123 3.1.1.2 Das Stereotyp des traurigen Clowns | 128 3.1.1.3 Der Clown als Opfer | 132 3.1.1.4 Der Umgang der Clownsfigur mit der Verachtung | 133 3.1.1.5 Resümee | 138 3.1.2 Der Untergang der Clownsfigur in Der blaue Engel als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen | 139 3.1.2.1 Vom Buch zum Film – Fokus der Analyse | 140 3.1.2.2 »Üb immer Treu und Redlichkeit« – die Ausgangssituation des Prof. Dr. Immanuel Rath | 142 3.1.2.3 »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich« – ironische Brechungen der Ausgangssituation | 144 3.1.2.4 Epochenwechsel – der gesellschaftliche Bezug der Figur | 149 3.1.2.5 Der Anfang vom Ende – Warnelemente und Vorausdeutungen von Raths Untergang | 153 3.1.2.6 »Solange ich noch einen Pfennig besitze« – Entblößung und beginnender Untergang Raths | 155 3.1.2.7 »August, mein Zauberlehrling« – die Verwandlung des Professors in den Clown | 160 3.1.2.8 Professor Rath als Clown – Resümee | 165 3.2 Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung | 166 3.2.1 Von Jägern und Gejagten | 166

3.2.2

Die Clownsmaske in Sleuth als Markierung der Unterlegenheit im Spiel der Klassen | 176 3.2.2.1 »Make sure you don’t forget to tell them it was all just a bloody game« – das Spiel als zentrales Thema in Sleuth | 177 3.2.2.2 Analyse der Figuren | 181 3.2.2.3 Homophobie und homoerotisches Begehren – die Figurenkonstellation in Sleuth | 203 3.2.2.4 Resümee | 207 3.3 Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit | 210 3.3.1 Narben der Vergangenheit – die Maske als kritische Spur der Geschichte | 210 3.3.1.1 Der Teufelskreis der Rache | 211 3.3.1.2 Ein kurzer Blick auf die Filmgeschichte | 211 3.3.1.3 Der Evil-Killer-Clown als Grenzgänger | 214 3.3.1.4 Evil-Killer-Clowns und Coulrophobie | 221 3.3.1.5 Faszination für den Evil-Killer-Clown und Spiegel des Zeitgeistes | 225 3.3.2 Die Clownsfiguren in Balada triste de trompeta als politische Allegorie der dos Españas | 227 3.3.2.1 Die Inszenierung Javiers als Opfer – eine Referenz an die Geschichte der Filmclowns | 229 3.3.2.2 Die Verwandlung(-en) Javiers | 233 3.3.2.3 Die Spiegelung der filmgeschichtlichen Entwicklung der Clownsfigur in Javier | 244 3.3.2.4 Der clowneske Charakter Javiers | 244 3.3.2.5 Die Figur des Sergio und ihre Verbindung zum Stereotyp des Clowns | 246 3.3.2.6 Álex de la Iglesias Selbstinszenierung als Clown | 251 3.3.2.7 Das Clownduo als Verkörperung der dos Españas | 252 3.3.2.8 Die Clownsmaske als Ausdruck des Widerstands | 254 3.3.2.9 Kommentar der Geschichte und Filmgeschichte in der Schlusssequenz | 256 3.4 Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung | 261 3.4.1 Der Clown als Störer der Ordnung | 261 3.4.1.1 Die Entstehung von Ordnungen und deren konstitutives Außen | 262 3.4.1.2 Subversion und Störung von Ordnungssystemen | 265 3.4.1.3 Der Clown und die Ordnung | 268 3.4.1.4 Clowns im Film als Ordnungsstörer | 273 3.4.2 Die Clownsfiguren in Paljas als Hoffnungsträger für ein neues Südafrika | 288 3.4.2.1 »Remember one morning in May« – die Ausgangssituation | 288

3.4.2.2 Here come the clowns – der Umbruch durch die Ankunft des Zirkus | 293 3.4.2.3 Die Clownsmaske als Ausdruck der Erlösung – Manuel als Helfer und Heiler | 295 3.4.2.4 Die Verwandlung Willems und sein Wirken als Clown | 303 3.4.2.5 Der Wille zur Veränderung | 311

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse  | 315 4.1 Zu den verschiedenen Ebenen der Figur und dem Einfluss der Maske auf die Identität der Clownsfigur | 316 4.2 Die explizite Inszenierung der Maskierung | 320 4.3 Der spezifisch filmische Fokus auf die Clownsfigur | 324 4.4 Besonderheiten der filmischen Clownsmaske | 327 4.5 Der Widerstand gegen die Ordnung und der Tod des Clowns | 329

5. Dank  | 333 6. Quellenverzeichnis  | 339 6.1 Zitierte Literatur | 339 6.2 Filmverzeichnis | 355

1. Einleitung Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren. G ünter Wallraff, G anz unten

1.1 M askierung als E nthüllung Als der deutsche Journalist Günter Wallraff 1985 sein Buch Ganz unten veröffentlicht, prangert er damit nicht nur die unmenschlichen und ausländerfeindlichen Konditionen an, denen er, verkleidet als türkischer Gastarbeiter Ali, unter anderem beim Stahlkonzern Thyssen begegnete. Wallraffs Deckidentität als Ali und sein Erfahrungsbericht nach zwei Jahren in diversen Firmen zeigen zugleich, dass eine Kritik bestehender Verhältnisse sehr wirkungsvoll sein kann, wenn sie jemand äußert, der aus seiner ursprünglichen Rolle heraustritt. Eine Maske verschafft somit Einblick und Zutritt in Bereiche, die ohne sie nur schwer zugänglich sind. Daran anschließend ermöglicht sie es, Kritik auszusprechen, ohne dass ihr Träger1 Schaden nimmt, da sie ihn durch Verschleierung der Identität schützt (vgl. von dem Borne 1993: 72). Auch die Clownsmaske ermöglicht diese ungestrafte Äußerung von Kritik, was als eine der Kernfunktionen der sie tragenden Figur gelten kann. Seit jeher entlarvt der Clown Missstände und beanstandet diese auf ungewöhnliche und humorvolle Weise. Ähnlich wie der Narr bleibt er jedoch trotz dieser Kritik ungestraft, da seine lächerliche Maskierung und Kostümierung keine ernsthafte Bedrohung suggerieren. Dieser Umstand eröffnet ihm einen Möglichkeitsspielraum, die Erwartungshaltung seines Publikums bewusst für seine Zwecke einzusetzen und zu enttäuschen. Dieses Potenzial wird durch die Besonderheit verstärkt, dass der Clown – bzw. die dahinterstehende Person, die die Figur entwickelt, verkörpert und hervorbringt – keine Angst hat. Dies verleiht ihr zusätzliche Stärke und kann Furcht auf der Seite derer erzeugen, die der Clown kritisiert.

1 | Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

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Clownsmasken im Film

Der beschriebene Möglichkeitsraum und das Potenzial zur Kritik des Clowns werden jedoch in den meisten Fällen nicht ausgeschöpft. Die scheinbare Mächtigkeit des Clowns wird gerade dadurch begrenzt, dass seine Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Ordnungen und Systemen genau das ist, was von ihm erwartet wird. Sein die Ordnung störendes Verhalten ist institutionalisiert, wodurch keine vollständige Umkehrung der Verhältnisse möglich ist. Die Kritik wird in die Bahnen der klar abgegrenzten clownesken Performance gelenkt und dadurch einer potenziell subversiven Kraft beraubt. Deshalb möchte ich das Wirken des Clowns nicht als subversiv, sondern als die Ordnung störend bezeichnen. Die Maske führt also dazu, dass der Clown nicht ernstgenommen wird und dadurch unbemerkt in geschützte Bereiche vordringen kann, welche die Stabilität von Systemen gewährleisten und deshalb gewöhnlich verschlossen bleiben. Dadurch kann er selbst zum Störer eben dieser (gesellschaftlichen) Systeme werden. Doch die Maske erfüllt noch weitere Funktionen, die ebenfalls mit der Ordnung und ihrer Störung zusammenhängen: Sie verbirgt das hinter ihr befindliche Individuum und schützt es dadurch vor Verfolgung und Strafe. Zudem markiert sie den Clown als ›Anderen‹. Dies führt zu seiner Ausgrenzung aus der Gesellschaft und seiner Positionierung an deren Rand. Er ist zwar Teil genug, um die sozialen und politischen Verhältnisse der Gemeinschaft zu kennen und an ihnen Kritik zu üben, aber gleichzeitig zu wenig in sie eingegliedert und von ihr nicht als vollwertiges Mitglied anerkannt, als dass ihn eine ernsthafte Strafe ereilen könnte. Als Außenstehender und Ausgegrenzter trägt er dabei gleichzeitig zur Stabilisierung der ihn marginalisierenden Gesellschaft bei, anstatt dass seine Kritik tatsächliche Veränderungen zur Folge hat. Denn eine mehr oder weniger stabile Ordnung ist in der Regel in der Lage, störende Elemente abzufangen, zu integrieren oder zu eliminieren. Gleichzeitig beruht ein komplexes System wie eine Gesellschaft auf der Marginalisierung einzelner seiner Elemente. Um eine eigene Identität formen zu können, grenzt es sich von diesen Ausgeschlossenen ab und definiert sich im Gegensatz zu ihnen. Trotz seiner Ausgrenzung wird der Clown also zu einem unverzichtbaren, da konstitutiven Bestandteil der Gemeinschaft. Eben diese Rolle nimmt er auch im Film immer wieder ein, wie in den Filmanalysen dieses Buches ersichtlich wird. Dieser enge Zusammenhang der Figur mit Themen der Ordnung und Gesellschaft mag auf den ersten Blick überraschen, ist das traditionelle Bild des ›Clowns‹ doch eher das eines lustigen und harmlosen Zirkusclowns, dessen primäre Funktion in der Erheiterung seines Publikums besteht. Die Geschichte dieser jahrtausendealten Figur zeigt jedoch, dass ihr das kritisierende Element von Anbeginn an eigen war. Auch in den klassischen Clownsnummern ist diese Kritik im Kern enthalten: Das unentwegte Stolpern, Straucheln und Fallen des Clowns zeigt sein Scheitern an alltäglichen Verhaltens- und Denkweisen der jeweiligen Gesellschaft. Clowns »sind nichts anderes als Menschen in der Übertreibung« (Seitler 1981: 29) und halten den Menschen ihr Verhalten dadurch wie einen Spiegel vor Augen. Die Nichtanpassung des Clowns, der mit alltäglichen

1. Einleitung

Handlungen überfordert ist, deckt Sinn und Unsinn solch festgefahrener und oft unreflektierter Verhaltensweisen, Denk- und Ordnungsmuster auf. Auch wenn er sie durch eine einzelne Performance vielleicht nicht abrupt ändern kann, werden sie Gegenstand der Auseinandersetzung und damit angreif bar für Kritik und Veränderung.

1.2 M asken und C lowns – R efle xionen über ihre A k tualität Der Clown als Sinnbild für den Kritiker bestehender Werte- und Ordnungsvorstellungen ist aktuell wieder von gesellschaftspolitischem Interesse. Ein Beispiel hierfür ist die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA), die, ausgehend von Großbritannien, mittlerweile Gruppen in vielen Ländern hat. Diese als Clowns verkleideten politischen Aktivisten leisten mit gewaltfreien Demonstrationen und Aktionen Widerstand gegen Globalisierung, Militarismus oder Atomkraft und bringen dadurch ihre systemkritische Haltung zum Ausdruck. Eine solche rebellische Haltung ist auch vielen filmischen Clownsfiguren eigen. Eine der interessantesten ist der Joker aus The Dark Knight (USA, GBR 2008, R: Christopher Nolan), welcher im Laufe dieser Studie mehrmals Erwähnung finden wird. Er zeichnet sich durch sein anarchisches, gewalttätiges und scheinbar jeden Sinn entbehrendes Verhalten aus. Dieses lässt sich allein dadurch auf einen gemeinsamen Nenner bringen, dass seine Handlungen geltende Wert- und Moralvorstellungen konsequent verletzen und so in Frage oder auf die Probe stellen. Unvergessen bleibt in dem Zusammenhang der Amoklauf eines als Joker verkleideten jungen Mannes während der Premiere von The Dark Knight Rises (USA, GBR 2012, R: Christopher Nolan) in Aurora, Colorado. Die kritische Seite des Clowns zeigt sich also in den Filmen selbst sowie in medial beeinflussten lebensweltlichen Situationen. Dabei ist von einer wechselseitigen Beeinflussung auszugehen. Das Kino liefert Bilder und Vorstellungen, kann mit diesen jedoch nur Erfolg haben, wenn eine Bereitschaft in der Gesellschaft existiert, diese auf- und anzunehmen. Umgekehrt lassen sich solche Bilder nur in bestimmten sozialen Handlungs- und Diskursumfeldern generieren. Die im Laufe meiner Arbeit festgestellten Funktionen der Clownsmaske, die als Ausdruck der Demütigung, als Tarnung, als Spur der Vergangenheit oder als Ausdruck eines Willens zur Veränderung in Erscheinung treten kann, können immer auch Reflexionen über den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext ihrer Produktion zum Ausdruck bringen. Es verwundert also nicht, dass die verschiedenen Verwendungsweisen der Clownsmaske in unterschiedlichen Momenten der Filmgeschichte häufiger als in anderen zu beobachten sind. Wie stark das Bild des von Heath Ledger verkörperten Jokers aus The Dark Knight das kulturelle Gedächtnis (vgl. Assmann 1992) durchdrungen hat, zeigt nicht nur die auffällige Häufigkeit dieser Maske im Karneval, sondern auch ihre

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Verwendung in revolutionären und subversiven Kontexten. Auf der Facebook-Seite von ›Anonymous‹2 findet sich ein Bild des russischen Staatsoberhauptes Vladimir Putin als Gefangener mit einer Jokermaske. Ohne hier auf die politischen Hintergründe einzugehen, möchte ich mit diesem Beispiel darauf hinweisen, wie präsent der Joker als Sinnbild des Auf begehrens und des Andersdenkens ist und somit die traditionelle Rolle des Clowns einnimmt. Das Thema der Maske ist zudem in einem Alltag relevant, der immer mehr von einer parallelen virtuellen Welt dominiert wird. Die Identität der Kommunikationspartner kann nicht mehr oder nicht mehr ausschließlich anhand der üblichen Parameter – wie etwa anhand eines Namens in Kombination mit bestimmten Gesichtszügen – bestimmt werden. In Verbindung mit den unüberschaubaren Möglichkeiten des Internets, vor allem des Deep Web3, kann dies zu Unsicherheit und Orientierungslosigkeit führen. Nora Moschuering begründet die veränderte Situation in ihrer Filmkritik zu Who Am I – Kein System ist sicher (DEU 2014, R: Baran bo Odar) mit den folgenden Worten: »[…] weil wir zwar alle im Netz leben, aber eigentlich nicht wissen, was es ist« (o.J.: o.S.). Nicht zufällig spielt die Maske und insbesondere die Clownsmaske in diesem Film eine wichtige Rolle. Sie scheint prädestiniert, gerade in Kontexten, in denen traditionelle Konzepte von Identität in Frage gestellt werden, als Sinnbild von Tarnung und Kritik Verwendung zu finden. Doch nicht nur »Identität«, sondern auch Kommunikationsstrukturen, Prozesse und Interaktionen von Individuen oder von Mensch und Technik – kurz: viele verschiedene akzeptierte Denk- und Handlungsmuster – müssen angesichts des Internets überdacht und gegebenenfalls neu definiert werden. Kollektive wie Anonymous greifen durch ihre Aktivitäten IT-Systeme etablierter Organisationen an und tragen zu solchen Umdenkprozessen bei. Dabei fällt auf, dass in den erwähnten Kontexten die Maske immer wieder auftaucht, wie beispielsweise die Guy-Fawkes-Maske als Logo des erwähnten Kollektivs. Eine theoretische Reflexion über die Maske erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll und wichtig. Der Film Who Am I, welcher die Frage nach der Identität bereits im Titel aufwirft, verwendet Clownsmasken, um die Mitglieder einer Hackergruppe im Deep Web zu inszenieren. Die Gruppe trägt den vielsagenden Namen »Clowns laughing at you«. Masken spielen jedoch nicht nur bei der Verhandlung von Identität eine Rolle, sondern bieten ihren Trägern auch Schutz. Daher steht die Maske in Who Am I ebenso für die Tarnung, die das Deep Web bietet. Denn Handlungen in diesem System können nur sehr schwer rekonstruiert und verfolgt werden. Dies führt dazu, dass es verstärkt für Aktivitäten genutzt wird, 2 | Das gleichnamige Kollektiv Anonymous, welches mit Hackerangriffen politische Ziele verfolgt, hat sich von dieser Seite distanziert. 3 | Das Deep Web bezeichnet die zahlreiche Menge an Internetseiten, welche nicht von herkömmlichen Suchmaschinen gefunden werden. Dadurch können Betreiber dieser Webseiten nur sehr schwer ausfindig gemacht werden.

1. Einleitung

welche geltenden Ordnungs- und Wertesystemen sowie nicht zuletzt dem Gesetz zuwiderlaufen. So fungieren die Clownsmasken auch in Who Am I als Zeichen des Schutzes ihrer Träger und des Widerstandes gegen autoritäre Systeme.

1.3 D ie C lownsmaske und ihr V erhältnis zum C lown – V orhaben , F r agestellung und Thesen Wie das Beispiel von Who Am I erahnen lässt, kommt die filmische Clownsmaske in vielfältigen thematischen Kontexten zum Einsatz. Ihre unterschiedlichen Erscheinungsweisen und Funktionen im Film sind jedoch noch nicht Gegenstand umfassender wissenschaftlicher Auseinandersetzung gewesen. Auch die Figur des Clowns selbst wurde von der Filmwissenschaft bisher wenig beachtet. Eine Ausnahme bilden die berühmten »Filmclowns« wie Charlie Chaplin, Buster Keaton, Laurel & Hardy, Jerry Lewis oder Woody Allen und die von ihnen erschaffenen Charaktere. Figuren, die eine klassische Clownsmaskierung tragen – was auf die genannten Komiker meist nicht zutrifft – haben nur in vereinzelten Studien oder Einzelfilmanalysen Aufmerksamkeit erfahren. Eine systematische Untersuchung steht also noch aus. Auch die Maske als filmisches Gestaltungsmittel hat bisher, außer im Zusammenhang mit den Themen von Make-up und SpecialEffects, kaum monografisches Interesse geweckt. Dies verwundert, da der Film als primär visuelles Medium dem Einsatz sowie der Darstellung von Maske und Kostüm eine Vielfalt an Gestaltungsräumen und ein breites Deutungsspektrum eröffnet. Dieses Buch möchte einen Beitrag zur Aufarbeitung dieser Forschungslücken leisten, indem es Inszenierung und Ästhetik, Rolle und narrative Funktion der Clownsmaske im Film untersucht. Der Fokus der Untersuchung liegt dabei auf dem Potenzial der filmischen Clownsmaske, soziokulturelle Konflikte und gesellschaftspolitische Spannungsfelder aufzurufen und zu verhandeln. Ein weiterer Ausgangspunkt für diese Studie war nämlich gerade die Feststellung, dass im Kino der Schwerpunkt von filmischen Clownsfiguren weniger auf ihrer erheiternden Funktion liegt, welche in der Forschungsliteratur immer wieder als eine der prinzipiellen genannt wird, als auf ihrer archaischen Rolle als kritische Instanz am Rand der Gesellschaft. Bereits die Art und Gestaltung der Maskierung kann Hinweise auf den sozialen Charakter der Figur und die Öffentlichkeit, auf die sie bezogen ist, geben. Denn die physische Erscheinung ist, wie Erika Fischer-Lichte anschaulich darlegt, nicht nur biologisch, sondern auch soziokulturell determiniert: Gesicht und Gestalt fungieren vielmehr als Elemente in Kommunikationsprozessen, weswegen sie nur adäquat erfaßt werden können, wenn sie im Hinblick auf soziale Verhältnisse gedeutet werden. Denn Gesicht und Gestalt vermögen sowohl die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste, Klasse, Schicht oder gesellschaftlichen Gruppe anzuzeigen als auch die Einstellung eines Individuums zu der in dieser Kultur herrschenden Werthierarchie. (1988: 105)

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Clownsmasken im Film

Obwohl sich die filmischen Clownsfiguren somit keineswegs auf die Funktion des Spaßmachers reduzieren lassen und diese oftmals gar nicht erfüllen, verweist die Clownsmaske im Film gerade durch die soziale Komponente der Figur auf eines der wesentlichen Merkmale des Clowns: sich einfachen Zuschreibungen und eindeutigen Klassifizierungen zu entziehen und dadurch zu zeigen, dass solche arbiträr und von Menschen erschaffen sind. Im Hinblick auf gesellschaftliche Konflikte und Spannungsfelder erfüllt die filmische Clownsmaske demnach vielfältige und differenzierte Funktionen. Diese hängen in erster Linie mit der Verhandlung von bestehenden Ordnungssystemen zusammen, welche der Clown zu stören sucht und damit ihre Kontingenz, Künstlichkeit und daraus folgende Instabilität offenlegt. Die interessante Verschiebung von Rollenschwerpunkten – vom lustigen Entertainer zum Sozialkritiker – wird durch ein Spezifikum des Films besonders gefördert. Im Gegensatz zu theatralen Situationen mit einer – für die Zuschauer meist nicht offengelegten – Dopplung von Darsteller und Clownsfigur spielt der Film gleich mit mehrfachen Erscheinungsweisen und mitunter Rollen: Der Schauspieler verkörpert eine Figur, welche wiederum – in bestimmten Momenten im Film – in das Kostüm und teilweise in die Rolle des Clowns schlüpft. Diese Dopplung wird durch die Einbettung der Figur in ein soziales Handlungsumfeld ermöglicht, da der Film so die Geschicke der Figur außerhalb ihres Auftritts als Clown erzählen kann. Das Anlegen des Kostüms ist in den meisten Fällen zwar handlungslogisch begründet, von größerer Bedeutung ist jedoch, dass bereits diese, für den Zuschauer inszenierte, Maskierung zu einer Aussage über verschiedene (soziale) Strukturen führt, zu welchen die Figur durch ihre ›Clownwerdung‹ Stellung bezieht. Damit die Clownsmaske in der Lage ist, die angesprochenen Konflikte zu verhandeln, müssen der Clown und die ihn verkörpernde filmische Figur in einen narrativen Kontext sowie in ein soziales Gefüge eingebettet sein. Eine weitere, grundlegende Voraussetzung für ihre Wirkung ist, dass die Clownsmaske über einen hohen Wiedererkennungswert verfügt. Man kann davon ausgehen, dass sie von den meisten Filmzuschauern sowie von Figuren aus der innerfilmischen Welt augenblicklich als solche erkannt und mit bestimmten Assoziationen verknüpft wird. Es handelt sich bei der filmischen Clownsmaske jedoch keineswegs um ein Zeichen, welches auf eine einzige Bedeutung hinweist, sondern um ein funktionales Artefakt. Es kann trotz seiner Unverwechselbarkeit in vielfältigen Situationen zum Einsatz kommen und ein weites Bedeutungsspektrum aufweisen, je nachdem in welchen dramaturgischen, sozialen, historischen oder gesellschaftspolitischen Kontexten von Produktion respektive Rezeption das Artefakt eingebunden ist. Diesen kausalen und funktionellen Bezug der Maske zum jeweiligen gesellschaftlichen Kontext gilt es in der Arbeit zu bestimmen und näher zu beleuchten. Ebenso im Fokus stehen gewisse historische Häufungen im Laufe der Filmgeschichte hinsichtlich des Vorkommens bestimmter Funktionen. Aus dieser Sichtbarmachung gesellschaftlichen Konfliktpotenzials, welches die Figur durch das Anlegen der Clownsmaske bewirkt, ergibt sich die leiten-

1. Einleitung

de These der Arbeit: Das in der einschlägigen Literatur immer wieder betonte Changieren der Maske zwischen Verhüllung und Entblößung neigt bei filmischen Clownsfiguren zur Seite der Entblößung. Die Maske dient hier nicht zur Verhüllung bestimmter Gesichtszüge, sondern bringt etwas zum Vorschein, was bis zu diesem Moment hinter der ›Maske des Gesichts‹ verborgen war. Das Anlegen der Clownsmaske führt zum Ablegen der bis zu diesem Moment als authentisch empfundenen, jedoch oft auf einer sozialen Konvention beruhenden oder durch gesellschaftliche Zwänge angelegten ›Maske des Gesichts‹. So gibt erst die offensichtliche Clownsmaske Aufschluss über die soziale Einbettung der Figur. Im Moment der Maskierung werden die gesellschaftlichen Konflikte offengelegt, in welche die Figur ohne sichtbare Maske verstrickt ist. In diesem Moment der Aufhebung der Grenze zwischen ›es ist‹ und ›es ist als ob‹ entbirgt die Figur demnach nicht nur etwas über sich selbst, sondern über gesellschaftliche Verfahren wie das von Eingrenzung und Ausschließung. Über das Maskenspiel setzt sie etwas in Gang, was weit darüber hinausgeht. In diesem Sinne kann man von einer Maskierung als Demaskierung sprechen. Die Hauptthese dieser Arbeit ist demnach, dass eine Demaskierung stattfindet, sobald sich eine Figur im Film als Clown maskiert oder als Clown maskiert wird. Dass die Dichotomie von Maske versus Gesicht sowie die damit in Verbindung stehende Polarität von Schein versus Sein eine Illusion ist und sich das Verhältnis zwischen beiden weitaus komplexer darstellt, wird im theoretischen Kapitel zur Maske ausführlich erläutert und in den Filmanalysen herausgearbeitet. Ein Teilaspekt dieser Fragestellungen betrifft das Moment des Anlegens der Maske. Die physische Veränderung wird in einer auffällig hohen Zahl an Filmen in einer entsprechenden Maskierungsszene explizit inszeniert. Da der Moment der Verwandlung von Figuren in Filmen normalerweise selten gezeigt wird (vgl. Becker 2006: 282, McDonald 2010: 42), liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesen Maskierungsszenen um Schlüsselszenen handelt. Ich gehe davon aus, dass das raffinierte Spiel von Verhüllen und Entblößen und damit die zwei Seiten der Maske in diesem Moment verhandelt werden. Durch die Offenbarung von Konflikten erhält die Maskierungsszene nicht zuletzt dramaturgische Bedeutung und lenkt die Handlung in eine andere, oft unerwartete Richtung. Eine solche Maskierung ostentativ in Szene zu setzen, ist nicht nur im Film unüblich, sondern unterscheidet die Filme auch von Clownperformances in theatralen Situationen. Auf der Bühne oder in der Manege trägt der Clown sein Kostüm und seine Maske gewöhnlich von Anfang bis zum Ende. Der Rahmen der clownesken Performance wird durchgängig beibehalten und die Person hinter der Maske kommt nicht zum Vorschein.4 Eine Inszenierung 4 | Paul Bouissac (2015: 47/8) berichtet von einem Auftritt David Laribles, den er durch das Anlegen der Maske in der Manege einleitet und durch das Abschminken beendet. Doch selbst in dieser postmodernen Abwandlung der klassischen Clowndarbietung tritt die Figur hinter der Maske nur kurz in Erscheinung – es wird kein Einblick in ihr Leben gewährt.

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der Maskierung würde in diesen Fällen den Rahmen der Fiktion sprengen.5 Im Film hingegen wird die einzigartige Dualität der Clownsfigur, welche zwei unterschiedliche, jedoch an denselben Körper gebundene Gestalten zeigt, bewusst genutzt und in Szene gesetzt. Ich sehe im Zeigen des Wechsels zwischen Figur und Clownsfigur den spezifischen Unterschied zwischen der filmischen Aneignung der jahrtausendealten Figur und theatralen Situationen. Diese Auffälligkeit betrachte ich aus theoretischer Sicht im Kapitel zum Clown. Außerdem analysiere ich die konkrete Nutzung dieser filmischen Besonderheit zum Aufzeigen sozialer Spannungsfelder. Aufgrund der Eigenheit des Films, die beiden verschiedenen Ebenen sichtbar machen zu können, stellt sich die Frage, ob die Figur in ihren unterschiedlichen Maskierungen vom Zuschauer tendenziell als eine Figur wahrgenommen wird oder ob die Figur ohne Clownskostüm und der von ihr verkörperte Clown als zwei verschiedene Entitäten verstanden werden. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit man von ein und derselben Figur sprechen kann? Eine erste Vermutung ist, dass die Inszenierung der Verwandlung eine solche Wahrnehmung begünstigt. Die visuelle Erzählweise des Films kann den prozessualen Charakter der Verwandlung ideal veranschaulichen. Ich nehme zudem an, dass die Variante, beide Erscheinungsformen der Figur nur einer einzigen Identität zuzuschreiben, dadurch gefördert wird, dass während des Tragens der Clownsmaske die vorherige Maske der Figur weiterhin teilweise sichtbar ist, also gewissermaßen durch die Clownsmaskierung hindurchscheint. Dadurch bleibt die Kontinuität der Figur für die Zuschauer gewährleistet. Gibt es Filme, in denen die Figur trotz der Existenz einer Maskierungsszene nicht als ein und dieselbe wahrgenommen wird und falls ja, welches sind die Umstände, die dazu führen? Welches ist die narrative Funktion der Maskierungsszene? Diese Vermutungen und Fragestellungen gilt es, an den einzelnen Beispielen zu überprüfen. Eine zentrale Fragestellung betrifft, wie bereits erwähnt, das Verhältnis des Clowns zu geltenden Ordnungs- und Wertesystemen. Durch seine Kritik an unhinterfragten Denk- und Handlungsweisen und als unumstößlich wahrgenommenen Glaubenssätzen kann er zugrunde liegende Ordnungssysteme bewusst machen. Wie jedoch äußert sich dies konkret in den Filmen? Stört der Clown bestehende Ordnungen oder kann er sie sogar verändern? Welches sind die Alternativen, die sich aus seinem Handeln ableiten lassen und was geschieht mit ihm selbst? Wird er in die von ihm kritisierte Ordnung integriert, von ihr ausgestoßen oder gar vernichtet? Anhand von 120 Langspielfilmen aus verschiedenen Epochen der Filmgeschichte möchte ich diesen Fragestellungen nachgehen. Der Fokus liegt dabei auf Filmen aus dem westlichen Kulturkreis, um kulturelle Spezifika erkennen und 5 | Eine interessante Ausnahme bildet auch das Theaterstück Lampenfieber (1998) des Schweizer Regisseurs Hannes Leo Meier, welches die Szene der Maskierung vor dem Auftritt zum Inhalt hat.

1. Einleitung

einordnen zu können. Grundsätzliche Bedingung für die Auswahl eines Filmes ist, dass eine Figur zu einem Zeitpunkt im Film in einer Clownsverkleidung oder -maskierung auftritt. Ausführlicher analysiert werden einige Filme mit einer expliziten Darstellung des Moments der Verkleidung oder Maskierung, in denen die Inszenierung dieser Maskierungsszene zudem besonders raffiniert ist und eine Abweichung der Gestaltung von der üblichen Bedeutungsdimension aufweist.

1.4 M e thodik und filmtheore tische P ositionierung Die Ausgangsbasis für die Untersuchung ist die in den Filmen beobachtete Vielfalt an Clownsfiguren und die seit jeher vorhandene Weigerung des Clowns, sich kategorisieren und einordnen zu lassen. Sein Potenzial, soziale Kategorien zu durchbrechen, in Frage zu stellen und Definitionen – inklusive seiner eigenen – unmöglich zu machen, trifft auch auf seine Darstellung in Filmen zu. Die Filmbeispiele zeigen eine solch vielseitige, anregende und differenzierte Inszenierung der Figur des Clowns sowie insbesondere der Clownsmaske, dass dies entsprechend gewürdigt werden soll. Durch die kreative Behandlung der Clownsmaske im Film wird ihr Bedeutungsspektrum gegenüber den gängigen Theorien zu Maske und Clown merklich erweitert. Diesen Reichtum an Interpretationen aufzuzeigen und zugänglich zu machen, ist neben der rein wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas ein Anliegen dieses Buches. Daher scheint mir ein induktives Vorgehen sinnvoll, welches eng an den Filmen arbeitet und der spezifischen Ausgestaltung der Figur und ihrer Maske sowie den Kontexten, auf die sie sich bezieht, Raum lässt. Die Einzelfilmanalysen werden durch Erkenntnisse aus anderen Filmen des behandelten Korpus gestützt, um signifikante Tendenzen ausmachen zu können und so einer Antwort auf die Frage näherzukommen, was den Clown als Filmfigur auszeichnet. So können filmspezifische Erkenntnisse gewonnen werden, welche über die Grundlagen der theoretischen Texte zum Clown, zur Maske und zur filmischen Figur hinausgehen. Eines der entscheidenden Spezifika der Clownsfigur im Film ist – im Gegensatz zu ihrem Auftritt im Zirkus oder auf der Straße – ihre Einbettung in eine größere Erzählung und Figurenkonstellation. Daher steht die Frage nach den Funktionen der Clownsmaske im Film stets in Zusammenhang mit deren diegetischer Ausgestaltung. Die Narratologie und insbesondere die nachfolgend genannten Untersuchungsgebiete der Disziplin bilden wichtige Referenzpunkte für die Analysen. Zum einen ist durch die hier im Vordergrund stehende Frage nach Maskierung und Demaskierung das Verhältnis von histoire und discours von Bedeutung. In Sleuth (Mord mit kleinen Fehlern, GBR, USA, 1972, R: Joseph L. Mankiewicz) beispielsweise spielt die Verteilung der Informationsvergabe (vgl. Eder 2008: 363-366, Jannidis 2004: 220/1) eine entscheidende Rolle für das Verständnis der Figur und des durch sie verhandelten sozialhistorischen Konflikts. Da die Prozesse von Verhüllen und Entbergen in der Arbeit immer anhand der

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Clownsmasken im Film

Figur betrachtet werden, sind die in der Filmnarratologie intensiv diskutierten Fragen nach der Perspektive ebenso von Belang. Hier werde ich mich größtenteils an der vorgeschlagenen Terminologie von Jens Eder (2008) orientieren, die ich in einigen Fällen mit den von Murray Smith in seinem Standardwerk (1995) entwickelten Begriffen kombiniere.6 In Zusammenhang mit der Perspektive steht auch das erzähltheoretische Konzept der Diegese mit seiner Unterscheidung zwischen verschiedenen diegetischen Ebenen, zwischen diegetischen Rezipienten und Filmzuschauern sowie Erkenntnissen zum Spiel im Spiel. Vor allem für die Beurteilung des Clowns als komische Figur und der Maske als Marker des Rahmens einer clownesken Performance ist es ein wertvolles analytisches Werkzeug. Die im Zentrum der Untersuchung stehende Clownsmaske und die Prozesse von Maskierung und Demaskierung sind untrennbar mit der filmischen Figur verbunden. Deshalb steht eine detaillierte Analyse derjenigen Figur, welche die Maske trägt, im Zentrum der Untersuchung. Dabei war der integrative Ansatz von Jens Eder eine wichtige Referenz. Sein Instrumentarium berücksichtigt die vielseitigen Aspekte der filmischen Figur und betrachtet diese in den in sie einfließenden Aspekten von Psychologie, Ästhetik, Dramaturgie, Sozialität sowie Gegebenheiten der Filmindustrie. Diese Breite führt gleichzeitig zu einem gewissen Schematismus, welcher durch das Einbeziehen vielseitiger Literatur zu den konkreten Kontexten der Filme abgefangen wird. Aus den umfangreichen Fragestellungen, die Eder für ein Nachdenken über die filmische Figur erarbeitet, waren für meine Analysen in erster Linie diejenigen zur äußeren Erscheinung der Figur sowie insbesondere zur sinnlich-konkreten Gestalt ihrer Maske und ihres Kostüms hilfreich. Diese sind in jedem Film ganz unterschiedlich gestaltet und nur einzelne Details wie beispielsweise die weiße Farbe oder die rote bzw. schwarze Nase bleiben konstant und ermöglichen so die Identifikation der Maske als Clownsmaske. Ob dieser individuellen Gestaltung von Maske und Kostüm arbeite ich eng an den jeweiligen Filmen, analysiere die konkrete Gestaltung der Maske, ihr Verhältnis zum Gesicht und die physischen Aspekte des Maskierungsvorgangs sowie die Themen, welche die Clownsfigur durch ihre Maskierung offenlegt. Denn schon die Erkenntnisse zur ästhetischen Gestaltung der Maske lassen Rückschlüsse auf Wahrnehmung und Wirkung der Figur zu, etwa wenn die Maske, wie Paul Bouissac schreibt, das Gesicht der Figur dahingehend verändert, dass es sich dem Kindchenschema annähert – eine typische Eigenschaft der Maske des »Dummen August« (vgl. Bouissac 2015: 30/1) – oder wenn die Clownsmaske, wie in den im dritten Analyseblock besprochenen Filmen, mittels physischer Gewalt in das Gesicht der Figur eingeschnitten oder -geätzt wird. Die bereits angesprochene soziale Dimension der filmischen Clownsfigur macht diese besonders interessant. Von jeher übt der Clown eine wichtige Funktion in einer Gemeinschaft aus. Auch die filmischen Figuren, welche sich als 6 | Eine kurze Diskussion der verschiedenen Vorschläge findet sich im Kapitel zum Forschungsstand.

1. Einleitung

Clown kostümieren, nehmen auf inner- und außerdiegetische gesellschaftliche Prozesse und Strukturen Bezug. Jens Eder subsumiert diese wichtige Facette der Figur unter deren symbolischem Gehalt. Er meint damit das, wofür Figuren ›stehen‹, da sie »und ihre Konstellationen als Thementräger fungieren« (2008: 535). So können sie menschliche Probleme oder Tugenden repräsentieren sowie Ideen, soziale Rollen oder mythische und religiöse Figuren (vgl. ebd.: 540). Auch wenn ich den sehr weiten und immer wieder unterschiedlich definierten Begriff des ›Symbols‹ nicht übernehmen, sondern das Verhältnis zwischen Figur und dem Kontext, auf den sie verweist, jeweils konkret bestimmen werde, erscheint mir die Untersuchung dieser Beziehung bedeutsam, da die Clownsfigur oft als Stellvertreterfigur für eine soziale Instanz oder als politische Allegorie verstanden werden kann. In engem Zusammenhang mit der Beziehung zwischen der Figur und der durch sie verkörperten Idee steht die Frage, ob das Auftreten bestimmter Figuren symptomatisch für gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche oder (film-)industrielle Prozesse ist. Jens Eder ordnet die Untersuchung dieses Themenkomplexes der »Figur als Symptom« zu. Der Begriff des Symptoms erscheint mir treffend, da der Clown nicht die ›Krankheit‹ selbst darstellt, sondern sich diese anhand seines Auftritts und Agierens manifestiert. Die Filmanalysen zeigen, dass es sich bei dem kranken ›Körper‹ meist um einen sozialen Körper handelt, dessen Gebrechen der Clown in seinem Wirken als Heiler und Erlöser aufzuzeigen und zu mildern versucht. Im Zusammenhang mit diesen sozialen Konflikten erweist sich die Analyse der jeweiligen Figurenkonstellationen als besonders interessant, da es stets die Beziehungen zu anderen Figuren sind, anhand derer die dargestellten Konflikte zu Tage treten. Trotz ihrer durch den Symbol- und Symptomgehalt zu Tage tretenden metaphorischen Verwendungsweise gehe ich davon aus, dass filmische Figuren von den Zuschauern generell als menschenähnlich aufgefasst werden. Denn »Menschen [begegnen] fiktiven Figuren ähnlich wie realen Wesen; […] [suchen] ihre Persönlichkeiten und Handlungen zu verstehen und [reagieren] auf sie mit Gefühlen und Verhalten – bis hin zu Zuschauerbriefen an Fernsehcharaktere.« (Eder 2008: 27) Dies ist eine notwendige Prämisse, um Figuren in den hier vorgestellten Aspekten untersuchen und ihnen (menschliche) Merkmale wie nationale Zugehörigkeit, Motivation oder soziales Handeln attestieren zu können. In dem integrativen Ansatz von Jens Eder fließen unterschiedliche methodische Ansätze zusammen. Er greift jedoch insbesondere auf Konzepte der Semiotik und des Kognitivismus zurück. Eder stellt die Rezeption der Figuren an den Anfang seiner Überlegungen und fokussiert vor allem kognitivistische Abläufe im Rezeptionsprozess. Dies ist gerade für die Untersuchung der Clownsmaske ein hilfreicher Ansatz, da deren Verständnis stark vom Wissen der Rezipienten um die Situation abhängig ist. Die Bedeutung dieses Kontextwissens zeigt aber zugleich, dass die Arbeit den Bezugsrahmen der kognitivistisch ausgerichteten Figurenanalyse und Narratologie teilweise verlassen muss, um den Clownsfigu-

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Clownsmasken im Film

ren und ihrem sozialen Kontext in ihrer Komplexität gerecht zu werden. Daher werden zwar in einem ersten Schritt die Figur und die narrativen Situationen, in die sie eingebettet ist, erfasst. In einem zweiten Schritt werden diese Ergebnisse indes genutzt, um induktiv die sozialen Kontexte, welche die Figur aufruft und verhandelt, herauszupräparieren und zu analysieren. Für die Analyse dieser Kontexte greife ich auf eine breite Materialbasis zurück, welche je nach Film ethnologische oder gesellschaftspolitische Schwerpunkte aufweist.

1.5 A ufbau des B uches Die Studie gliedert sich in einen theoretischen, einen analytischen sowie einen Ergebnisteil. Der Theorieteil umfasst neben dem Forschungsstand zwei Hauptkapitel, von denen eines der Figur des Clowns und das andere der Maske mit ihren Aspekten von Identität, Rolle und Verwandlung gewidmet ist. Die Filmanalysen sind in vier Kapitel unterteilt, von denen jedes eine zentrale Verwendungsweise der Clownsmaske im Film untersucht. Im Ergebnisteil werden die induktiv gewonnenen Erkenntnisse aus den Analysen präsentiert, mit der Theorie enggeführt und die Forschungsfragen zusammenfassend beantwortet. Der theoretische Teil wird durch die Erörterung des Forschungstandes eingeleitet. Die wichtigsten Forschungsgebiete, auf die sich die Arbeit stützt – die Maske und die ihr verwandten Themen, der Clown sowie die Studien zur filmischen Figur –, werden vorgestellt und ihre Relevanz für die Untersuchung verdeutlicht. Aus den vorgestellten Arbeiten zum Clown lassen sich die wichtigsten, teilweise bereits angesprochenen, Aspekte dieser komplexen Figur herauslesen. Besonders auffällig sind ihre Maskierung und Kostümierung. Ebenso bedeutend sind ihr Verhältnis zu Recht und Ordnung, dasjenige zu ähnlichen Figuren wie dem Narren sowie auf Seiten der Zuschauer die Angst vor Clowns, die sogenannte Coulrophobie. Für die hier untersuchte filmische Aneignung der Figur sind zudem die Studien relevant, die sich mit dem Clown in der Kunst und seiner Einbettung in fiktionale Handlungskontexte beschäftigen. Eine solche Einbindung unterscheidet den Clown in den erzählenden Künsten von seinem Auftritt im Zirkus und stellt ihn als Teil einer Figurenkonstellation dar. Die so hervorgehobene soziale Komponente der Figur wird von den Filmen – und deshalb auch in meinen Analysen – immer wieder herausgestellt. Eine kurze Skizzierung der bewegten und spannenden Geschichte des Clowns zeigt, dass sich ›der Clown‹ als solcher einer genauen Bestimmung entzieht und viele ihm ähnliche Figuren existierten und existieren. Eine geradlinige Genealogie ist daher nicht auszumachen. Deshalb schließt sich an den historischen Abriss eine kurze Diskussion der verschiedenen Begriffe an, welche zur Bezeichnung clownesker Figuren Verwendung finden. Davon ausgehend schlage ich eine eigene Arbeitsdefinition vor, um die Basis für die Filmanalysen abzurunden.

1. Einleitung

Eines der hervorstechendsten Merkmale des Clowns ist seine Maske, die über einen hohen Wiedererkennungswert verfügt. Wie eingangs erwähnt, ist ihre Bedeutung für den Film besonders hervorzuheben, da in den meisten Filmen mit Clownsfiguren ein Changieren zwischen der Figur mit und ohne Kostüm festgestellt werden kann und die Maske zur Unterscheidung dieser beiden Ebenen dient. Daher bietet ein theoretisches Kapitel zur Maske einen Überblick über dieses seit Jahrtausenden existierende Artefakt. Die Betrachtung beginnt mit einer terminologischen Bestimmung, da bereits die Begriffsgeschichte erhellende Erkenntnisse zu verschiedenen Aspekten der Maske liefert, wie beispielsweise zu ihrem Verhältnis zum Gesicht und zur Identität. Zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wort für Maske besteht ein grundlegender Unterschied. Das griechische prosopon bezeichnet sowohl die Maske als auch das Gesicht, während das Lateinische zwischen facies und persona unterscheidet. Die Begriffsgeschichte von persona und prosopon zeigt die allmähliche Bedeutungserweiterung der Termini, welche zunehmend das umfassten, was wir heute als Rolle bezeichnen. Der enge Zusammenhang zwischen Maske und Rolle, der ebenfalls in dem Kapitel diskutiert wird, zeigt sich also schon in der Etymologie. Dieser begriffsgeschichtliche Abriss lässt einige wichtige Charakteristika der Maske erahnen. Ihr Einsatz in Ritualen, ihre Funktion als Grenze zwischen außen und innen, die Dialektik von Zeigen und Verhüllen sowie ihre Fähigkeit, Schutz zu bieten und gleichzeitig bedrohend zu sein – und zwar sowohl für den Träger als auch für den Betrachter –, wären hier zu nennen. Da das Moment der Maskierung in der Untersuchung im Mittelpunkt des Interesses steht, ist die Fähigkeit der Maske, ihren Träger verwandeln zu können, für meine Untersuchung ein besonders relevantes Merkmal. Diese Eigenschaft der Maske erklärt ihr enges Verhältnis zur Identität. Bei diesem Aspekt geht es zunächst darum, die oft bemühte Metapher der Maske als Ausdruck des Scheins und der Verstellung sowie die jahrhundertealte Dichotomie von Sein und Schein kritisch in den Blick zu nehmen und zu dekonstruieren. Judith Butlers Konzept der performativen Geschlechterparodie hilft hier, komplexere Identitätskonstruktionen zugänglich zu machen. Butler begreift Identität als einen Prozess. Dies ist für das Verständnis des Clowns wesentlich, entzieht er sich doch schematischen Kategorisierungen und leichten Zuordnungen. Als ›Anderer‹ und ›Ausgeschlossener‹ ist er jedoch immer auf die ihn ausschließende Ordnung bezogen und steht zu ihr in einem Abhängigkeitsverhältnis. Aufgrund dieses Verhältnisses von Ordnung und dem aus ihr Ausgeschlossenen sieht Butler die einzige Möglichkeit, die Ordnung zu ändern, in einer parodierenden Wiederholung ihrer Strukturen. Die Ähnlichkeit zum Handeln des Clowns ist offensichtlich. Zum Verhältnis von Ein- und Ausschluss aus sozialen Gruppen wiederum finden sich wichtige Erkenntnisse in René Girards Sündenbocktheorie (1988). Dieser auf mythologische Kontexte bezogene Ansatz kann teilweise auf die Figur des Clowns übertragen werden und so für das Verständnis dieser Figur aufschlussreich sein. Denn die Rolle, die der Clown einnimmt, ist immer auf gesellschaftliche Konstellationen bezogen. Daher liefert auch die soziologische

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Clownsmasken im Film

Rollentheorie relevante Einsichten in die hier besprochene Thematik. Sie fokussiert den handlungsbezogenen Aspekt der Rolle und versteht diese als Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. Die soziale Rolle und diejenige im Theater können als zwei Seiten einer Medaille verstanden werden, da sie sich gegenseitig beeinflussen. Da die Rolle im Film an diejenige im Theater angelehnt ist, wird auf beide sowie auf das in Bezug zu Maske und Identität stehende Thema der Hosenrolle eingegangen. Um die theoretische Besprechung der Maske abzurunden, ist ein Blick auf die spezifischen Eigenheiten der Maske im Film unerlässlich. Doch nicht nur die Maske, welche als Schminkmaske im Film allgegenwärtig ist, jedoch selten bewusst als solche erkannt wird, sondern auch das Kostüm ist für den angesprochenen Zusammenhang mit der Identität von entscheidender Bedeutung für die Figur im Film. Denn diese kann im Kino nur über ihre Körperlichkeit wahrgenommen werden, weshalb die Kostümierung ein wichtiger Indikator für ihr Innenleben ist. Dass diese Beziehung zwischen Kostüm und Charakter der Figur weitaus komplexer ist, wird sich in den entsprechenden Analysen zeigen. Ebenso wie das Verhältnis von Kostümierung bzw. Maskierung und Figur ist dasjenige von Schauspieler und Figur von Bedeutung, an dessen Schnittstelle die Rolle steht. An extremen Entwürfen, die einen Schauspieler in einer Vielzahl an Rollen besetzen oder mehrere Schauspieler für eine Figur einsetzen, können theoretische Fragestellungen veranschaulicht werden. Da die Maske die Fähigkeit hat, ihren Träger zu verwandeln und das Moment der Maskierung im Zentrum der Analysen steht, gilt es, das Motiv der Verwandlung im Film in den Blick zu nehmen. Im Gegensatz zur Literaturwissenschaft, in welcher eine umfangreiche Forschung zur Metamorphose existiert, hat die Verwandlung von filmischen Figuren noch wenig Beachtung erfahren. Einige filmwissenschaftliche Studien liefern jedoch Hinweise auf Konstanten in der Inszenierung von Verwandlungsprozessen im Kino, welche durch Erkenntnisse aus der literarischen Metamorphosen-Forschung ergänzt und für die Filmanalysen herangezogen werden. Interessant ist hierbei die Frage, ob sich bei der Verwandlung nur das Aussehen der Figur verändert oder welche weiteren Implikationen die Maskierung hat. Diese theoretischen Grundlagen bilden die Basis für den analytischen Teil, in dem ich die konkrete Ausprägung der hier vorgestellten Aspekte des Clowns und der Maske im Film untersuche. Jedes Unterkapitel behandelt anhand paradigmatischer Filmbeispiele eine ihrer narrativen Funktionen: (1) die Meinung anderer Figuren zum Ausdruck zu bringen, (2) als Versteck und Tarnung zu fungieren, (3) in der Gegenwart der Diegese eine Spur der Vergangenheit zu sein, (4) den Willen zu einer Veränderung der Umstände anzuzeigen. Diese Funktionen habe ich für die Detailanalysen ausgewählt, da sie in den Filmen des Korpus besonders häufig vorkommen und sich als essenziell erwiesen haben. Ein der Hauptanalyse vorangestelltes, einführendes Kapitel zeigt die jeweilige Verwendungsweise der Clownsmaske überblicksartig anhand mehrerer Szenen unterschiedlicher Filme.

1. Einleitung

Nach diesem Einstieg folgt die ausführliche Analyse eines ausgewählten Films, welcher eine dieser Funktionen besonders anschaulich zeigt. Der Auf bau dieser Filmanalyse richtet sich einerseits nach den Forschungsfragen, andererseits nach den spezifischen Themenkomplexen, die durch den Film selbst aufgerufen werden. Im Zentrum steht die Figur, welche sich als Clown maskiert oder als solcher geschminkt wird sowie ihre soziale Konstellation. Diese wird zusammen mit der Szene, in der das Anlegen der Maske erfolgt, detailliert analysiert, wobei die dadurch aufgerufenen Themen und Konflikte besondere Beachtung erfahren. Hierbei handelt es sich meist um gesellschaftlich relevante Problemfelder, wobei vor allem der Bezug der Clownsfigur zu einem geltenden Ordnungssystem verhandelt wird. Im abschließenden Ergebnisteil werden die Forschungsfragen zusammenfassend beantwortet, wobei ich mich auf diejenigen Beobachtungen konzentriere, welche in mehreren Filmen nachweisbar sind. Die aufgestellten Thesen sowie die zur Analyse herangezogene Theorie werden im Gesamtzusammenhang betrachtet, überprüft, diskutiert und gegebenenfalls neu adaptiert. Zudem werden Besonderheiten aufgezeigt, die erst im Laufe der Analysen deutlich geworden sind. Für sämtliche Beobachtungen, Bestätigungen sowie Abweichungen von den erwarteten Ergebnissen werden Erklärungsansätze erarbeitet und es werden Querverbindungen zwischen den einzelnen Beobachtungen geknüpft. Auf diese Weise sollten sich, schlaglichtartig und nie mit dem Anspruch auf Vollständigkeit, einige wichtige Facetten der Clownsfigur im Film erkennen lassen.

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2. Theoretischer Teil 2.1 F orschungsstand Da die Clownsmaske im Film noch nicht Gegenstand monografischer Forschung gewesen ist, sind es vor allem drei eng verwandte Forschungsfelder, die der Studie zugrunde liegen und auf deren Ergebnissen sie auf baut: erstens die Forschung zum Clown, zweitens diejenige zur Maske und den mit ihr zusammenhängenden Themen der Rolle und Identität und drittens die Forschung zur filmischen und literarischen Figur. Dabei werden Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen relevant, allen voran der Anthropologie, Ethnologie, Theaterwissenschaft und Psychologie. Diese werden auf die filmischen Fragestellungen bezogen und so für die filmwissenschaftliche Diskussion fruchtbar gemacht. Die Arbeiten, welche die Forschung entscheidend beeinflusst und vorangebracht haben sowie diejenigen, welche für die Fragestellungen am aufschlussreichsten waren, werden im Folgenden kurz vorgestellt.

2.1.1 Die Forschung zum Clown Der Fokus der Forschung zum Clown liegt auf dessen Geschichte, seinen Merkmalen sowie auf der spezifisch clownesken Komik. Als Standardwerk hierzu gilt der ausführliche Band von Tristan Rémy (1945), der in einer detaillierten Beschreibung die großen Meister dieser Kunst und ihre Nummern darstellt und würdigt. Als bedeutende Überblickswerke können die Monografien von Constantin von Barloewen (2010), Annette Fried und Joachim Keller (1996), Lowell Swortzell (1978), Jean Starobinski (1985) und diejenige von Roswitha von dem Borne mit einem Geleitwort von Oleg Popov (1993) genannt werden. Aus der Sicht praktizierender Clowninnen sind das Interview mit der Schweizerin Gardi Hutter (in: Lanfranchi 1997) sowie die Ausführungen von Annie Fratellini (1989) sehr aufschlussreich. Beide verknüpfen Anekdoten aus ihrem Leben mit theoretischen Reflexionen. Auch der von Jorge Grandoni (2006) herausgegebene Band, welcher auf einer Vortragsreihe am Centro Cultural Rector Ricardo Rojas in Buenos Aires basiert und Transkriptionen mehrerer Interviews und Konferenzen enthält, nähert sich der Figur aus dem Blickwinkel der Künstler. Deren Erzählungen bieten

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2. Theoretischer Teil

einen intimen Einblick in die praktische Arbeit sowie reflektierte theoretische Erkenntnisse. Eine ebenfalls südamerikanische Perspektive nimmt Bolognesi (2003) ein, der die Clownerie in Brasilien beleuchtet. Diese internationale Perspektive weitet Lucile Hoerr Charles (1945) mit Daten über das Vorkommen von Clowns in verschiedenen Kulturkreisen aus. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit dem Zirkusclown, wozu vor allem die Monografien von Beryl Hugill (1980), dem Zirkushistoriker Heino Seitler (1981) sowie der Sammelband von Jacques Fabbri und André Sallée (1982) zu erwähnen sind. Letzterer bietet eine anschauliche Einführung in verschiedene mit der Figur zusammenhängende Themen, wobei für meine eigene Forschung vor allem die Ideen von Pierre Étaix zum Gesicht der Figur und ihrer Rolle im Kino, die Ausführungen des Mimen Dario Fo zur Frage, was ein Clown sei, sowie die Gedanken von Hugues Hotier zu Kostüm und Make-up relevant sind. Die bemerkenswerte filmwissenschaftliche Studie von Matthias Christen zum Zirkusfilm (2010) behandelt die Clowns zwar nur am Rande, liefert dennoch einige interessante Hinweise zur filmischen Gestaltung dieses Typus. Für das Verständnis der Ursprünge sowie der Geschichte der Figur waren neben den genannten Überblickswerken die Ausführungen zur Commedia dell’arte bei Angie Weihs (1981) und Henning Mehnert (2003) sowie Götz Arnolds Studie zum Clowntheater von F.J. Bogner (1991) hilfreiche Referenzwerke. Mit dem Pierrot hat sich Robert Storey (1978, 1985) eingehend beschäftigt. In seinen Arbeiten beschreibt er die historische Figur in ihren verschiedenen Etappen und widmet sich ihrer Darstellung in Kunst und Theater. Anhand dieser Werke deutet sich die Vielfalt der clownesken Charaktere an, die in naher Verwandtschaft mit der hier untersuchten Figur stehen. Besonders eng ist die Verbindung zum Narren, mit dem sich Enid Welsford (1935) und William Willeford (1969) beschäftigt haben. Willeford bietet eine umfassende Darstellung der verschiedenen Facetten der Figur, vor allem ihrer wichtigsten Charakteristika, ihres Verhältnisses zu gesellschaftlichen Systemen, zum König und den Helden, zu Chaos und Ordnung. Er beschließt seine Studie mit Besprechungen von Hamlet, The Tragedy of King Lear und Buster Keatons The General. Da sich die Figuren des Narren und des Clowns in funktioneller Hinsicht sehr nahe sind, lässt sich vieles des bei Willeford Gesagten auf den Clown übertragen. Welsford behandelt neben einigen wesentlichen Aspekten des Narren seine Geschichte im Theater. Die theatrale Verarbeitung der Clownsfigur steht auch bei Elizabeth Hale Winkler (1977) und Donald Cameron McManus (2003) im Zentrum, wobei letzterer vor allem auf das Verhältnis des Clowns zu den Regeln der Fiktion eingeht. Auf dieses nimmt auch John Wright (2006) mit seinem Ausdruck des OK signal Bezug. Damit bezeichnet er den Umstand, dass Marker wie Maske oder Kostüm als Signale für das Publikum funktionieren, die es darüber in Kenntnis setzen, dass es sich um eine theatrale Situation handelt. Dies ist für das Verständnis der Komik des Clowns von besonderer Bedeutung.

2.1 Forschungsstand

Mit der Aneignung der Figur durch politische Aktivisten beschäftigt sich Joachim Kapuy (2008), der die in den letzten Jahren aktive CIRCA-Gruppe innerhalb einer urbanen Protestkultur verortet und einen detaillierten Einblick in ihre Funktionsweise liefert. Neben den Monografien beschäftigt sich auch ein von David Robb (2007) herausgegebener Tagungsband mit der Figur, wobei ein weites Themenfeld abgedeckt wird: von den Narren bis zu aktuellen Erscheinungsformen des Clowns (in den Aufsätzen von Faye Ran, Ashley Tobias und Robert Cheesmond), von Klassifizierungen und Definitionen bis zur clownesken Grenzüberschreitung und Fusion ungleicher Elemente (Tobias, Cheesmond) sowie von Reflexionen zur Maske und über den Clown als Opfer (Texte von Maxim Leonid Weintraub, Faye Ran und Barbara Lewis). Unter den verschiedenen Aufsätzen über Clowns sind die Arbeiten von Laura Makarius (1970) über die Ritual Clowns sowie der Text von Samuel H. Miller (1969) über den Clown in der zeitgenössischen Kunst hervorzuheben. Hernán Gené (2004) nimmt besonders den Aspekt des Lächerlichen und dessen Verbindung mit der Menschlichkeit in den Blick – ein Aspekt, der sich schon bei Wolfgang Zucker findet (1954). In seinem Aufsatz »The Clown as the Lord of Disorder« (1969) analysiert der Autor das Verhältnis dieser Figur zu Ordnungssystemen und verdeutlicht, warum der Clown trotz seiner antagonistischen Rolle in diesen Systemen nie ganz aus ihnen verstoßen werden kann. Um das Verhältnis von Ordnung und Unordnung geht es auch in den Arbeiten von Barbara BabcockAbrahams (1975), Robert Brightman (1999) und William E. Mitchell (1992), die jeweils den mythischen Trickster, die Maidu-Clowns im heutigen Kalifornien respektive das clowning im Südpazifik untersuchen. Die Angst vor Clowns, die sogenannte Coulrophobie, hat noch kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. Der Artikel von Durwin (2004) bietet jedoch nachvollziehbare Erklärungen für das Phänomen. Eng mit der Angst vor Clowns verbunden ist das Subgenre des Horrorfilms, in welchem der Antagonist ein Evil-Killer-Clown ist. Dieser sich nicht nur im Film immer größerer Beliebtheit erfreuenden Ausprägung der Figur widmen sich die Studien von Liezel Spratley (2004) und Lena Sharma (2011). Spratley orientiert sich dafür an Noël Carolls Philosophy of Horror (1990), während Sharma von der »Karnevalisierung« der nordamerikanischen Literatur ausgeht, wie sie vom Kulturkritiker Mark Dery (1999) beschrieben wurde. Kulturgeschichtliche Studien, die zwar nicht den Clown direkt untersuchen, aber dennoch von äußerster Relevanz für das Thema sind, stammen von Michail Bachtin ([1940] 2006), Peter Burke (1981) und Johan Huizinga ([1938] 1971). Bachtin untersucht den mittelalterlichen Karneval und beschreibt ihn als eine »verkehrte Welt« (2006: 60), in der die üblichen Hierarchien für eine kurze Zeit umgekehrt werden. Burke widmet einen Teil seiner Studie zur Populärkultur der frühen Neuzeit dem Karneval und fokussiert dabei besonders die Themen der Maske und der Subversion. Zudem reflektiert er über die Ventiltheorie und den

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2. Theoretischer Teil

Erfolg oder Misserfolg der dem Karneval inhärenten Rebellion. Huizingas bekannte Studie zum Spiel ist aufgrund der oft behaupteten Assoziation des Clowns mit dem Spielprinzip von Bedeutung.

2.1.2 Die Forschung zur Maske, Identität und Rolle Als Standardwerk zur Forschung über die Maske gilt die exzellente Monografie von Richard Weihe (2004). Ausgehend von der historischen Gleichsetzung von »Maske« und »Gesicht« bei den Griechen sowie der Trennung beider Termini im alten Rom, gelangt er zu bemerkenswerten Erkenntnissen zur Natur der Maske und Rolle. Zudem bietet er in einzelnen Kapiteln zu wichtigen Epochen und Formen der Theatergeschichte einen anschaulichen und gut recherchierten Überblick über die Masken beispielsweise der Commedia dell’arte, des japanischen Nô-Theaters oder des antiken Theaters. Hans Belting (2013) widmet in seiner Geschichte des Gesichts ein Kapitel der Maske im Theater. Hierin vollzieht er den bedeutsamen Wandel nach, den der Begriff persona seit der Antike vollzogen hat. Außerdem beschreibt er die Übernahme der Funktion der Maske durch das Gesicht des Schauspielers in der Neuzeit. Ein bemerkenswerter Sammelband ist der von Sylvia Ferino-Pagden herausgegebene Ausstellungskatalog Wir sind Maske (2009). Kurze Aufsätze zu Veränderung und Verwandlung (Claudia Augustat), zu Masken im antiken Theater (Manuela Laubenberger), zur Totenmaske (Ferino-Pagden), zu Masken der Commedia dell’arte (Stefan Körner), in der Kultur- und Sozialanthropologie (Gabriele Weiss) und im Museum (Franz Grieshofer), zum Wandel der Maske im 20. Jahrhundert (Vana Greisenegger-Georgila) oder dem Verhältnis von Identität und Maske (Elisabeth von Samsonow) bieten einen vielseitigen Einblick in die verschiedenen Funktionsweisen und Besonderheiten der Maske. Nicht weniger bedeutsam ist der von Kurt Röttgers und Monika SchmitzEmans (2009) herausgegebene Band. Die Reflexionen von Röttgers zur Demaskierung sind dabei für das hier behandelte Thema ebenso relevant wie diejenigen der Herausgeberin zur Semantik der Maske, welche vor allem die Frage nach »Verhüllung und Offenbarung« fokussieren. Auch der Beitrag von Martina Dö­ scher, welcher sich dem Verhältnis zwischen Maske, Gesicht und Identität widmet, ist äußerst aufschlussreich. Einen weiteren unverzichtbaren Sammelband hat Tilo Schabert (2002) herausgegeben. Seine Einleitung liefert wertvolle Einsichten zum Verhältnis von Maske und Gesicht sowie zur Macht, die in der »Maskenwelt«, in der wir leben, mit Masken und ihrem Verständnis verbunden ist. Bei Jan Assmann, der die Masken im ägyptischen Kult untersucht, geht es ebenfalls um die Beziehung von Maske und Gesicht, um die Wahrhaftigkeit der Maske sowie um die Verwandlung durch sie. Ebenso verhandelt Assmann das eng mit diesen Fragen verbundene Thema der Identität. Durch diese Fokussierungen wird der Aufsatz für die Studie besonders relevant. Der Beitrag von Remo Bodei setzt den Schwerpunkt auf einen

2.1 Forschungsstand

Aspekt, den auch Hans Belting betont, nämlich die Funktion des Gesichts als Maske während der Neuzeit. Der von Gerd-Klaus Kaltenbrunner herausgegebene Sammelband über die Macht der Masken (1992) nimmt vor allem das Thema der Verwandlung in den Blick. So behandelt der Herausgeber in seiner Einleitung nicht nur die Veränderung des Maskenträgers, sondern auch diejenige des Publikums. Hans F. Geyer widmet sich in seinem Beitrag dem Verhältnis von Maske und Gesicht bzw. demjenigen von ›Wahrheit‹ und Verstellung, und Heinrich Dietz bespricht das Thema der Verwandlung in einem ganz konkreten gesellschaftspolitisch-historischen Kontext – dem nationalsozialistischen Deutschland. Der sorgfältig auf bereitete Bildband von John Mack (1994) erläutert anhand von erhellenden Texten und Bildern aus der Sammlung des Britischen Museums den Gebrauch der Maske in Mexiko, Afrika, dem alten Ägypten, Japan und dem antiken Griechenland. Für die hier gestellten Fragen ist vor allem die Einleitung des Herausgebers hilfreich. Der Bildband von John Nunley und Cara McCarty (1999) behandelt den Ursprung und die Geschichte der Maske, ihre Verwendung in Ritualen, ihre Funktion der Erneuerung, ihre Fähigkeit einen Geschlechtertausch zu markieren sowie die Schutzfunktion der Maske in bestimmten Sportarten oder Berufen. Zu Masken im antiken Griechenland und Rom wiederum bietet der Ausstellungskatalog zur Maske im antiken Theater (Max Kunze 2006) sehr gut aufgearbeitetes Anschauungsmaterial. Eine weitere interessante Reflexion zur Maske ist diejenige des Religionswissenschaftlers und Philosophen Mircea Eliade (1962), der insbesondere auf die Verwandlung eingeht. Die Frage nach der Identität wird berührt, wenn er die Maske im Spannungsfeld zwischen »Entfremdung« und »Erhaltung der Persönlichkeit« sieht. Mit dem Verhältnis von Maske und Gesicht beschäftigen sich auch Ernst Gombrich (1997), B.L. Ogibenin (1975) und Wendy Doninger (2006). Nicht unerwähnt bleiben darf hier auch die Forschung von Paul Ekman und Wallace V. Friesen (1975) zum Verhältnis von Gesichtsausdruck und Emotionen. Thomas Fuchs (2002) betrachtet die Maske aus psychiatrischer Perspektive. Im Fokus steht ihre Funktion als Grenze zwischen außen und innen und demnach das Verhältnis des Menschen als Maskenträger zu sich selbst. Dadurch befasst sich der Autor mit dem schwierigen Thema der Identität und nimmt erhellend Bezug auf den Begriff, der die Maske bei den Römern bezeichnete: persona. Diesem Terminus widmet auch Manfred Fuhrmann seinen Beitrag im umfangreichen Tagungsband zur Identität (1979), in dem er einen ausführlichen und anschaulichen Überblick über die Begriffsgeschichte bietet und das Verhältnis der Maske zu Rolle und Identität herausarbeitet. Diese Arbeiten zeigen die enge Verbindung zwischen Identität und Maske. Die Forschung der unterschiedlichen Disziplinen hierzu ist allerdings zu umfangreich, um den aktuellen Stand an dieser Stelle ausführlich zu besprechen. Deshalb stütze ich mich für die Fragen der Identität vor allem auf das Standardwerk der Genderstudies von Judith Butler (1991) und das von ihr entwickelte Kon-

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2. Theoretischer Teil

zept der performativen Geschlechterparodie, in dem sie die einzige Möglichkeit sieht, bestehende Strukturen zu verändern. Da ein wesentlicher Aspekt des Clownesken seine Beziehung zur geltenden Ordnung ist, welche er über die Konstruktion seiner eigenen Identität verhandelt, lässt die Übertragung von Butlers Konzept auf die clowneske Performance interessante Rückschlüsse zu. Ein weiteres Forschungsgebiet, welches eng mit der Maske zusammenhängt, ist das zum Kostüm im Film. Eines der Standardwerke zur Kostümforschung in der Filmwissenschaft ist der Sammelband von Gaines und Herzog (1990), der einen Schwerpunkt auf das Verhältnis von Kostüm und Narration legt. Viele der Beiträge positionieren sich im Bereich der feministischen Filmtheorie. Da die vorliegende Studie einen anderen theoretischen Standpunkt einnimmt, bieten nur vereinzelte Aufsätze Bezugspunkte für mein Forschungsinteresse. So werde ich vor allem an einige von Gaines aufgestellte Thesen zum Kostüm anknüpfen. Wichtige Monografien in der Forschung zum filmischen Kostüm wurden von Pam Cook (2001), Sarah Berry (2000) und Sarah Street (2001) erarbeitet. Relevanter für meine Studie waren jedoch einige nicht aus der Filmwissenschaft stammenden Werke zur Kleidung im Allgemeinen, wie dasjenige von Pia Reinacher (2010) und der sehr interessante Aufsatz von John C. Flügel (1930) zur »Psychologie der Kleidung«. Von Bedeutung ist auch die Kleidung in einer Sonderform der Rolle auf dem Theater – der Hosenrolle. Einen breiten und sorgfältig recherchierten Überblick über die Geschichte dieses cross dressing im Theater bietet Susanne de Ponte (2013). Dass dieses Phänomen seinen Ursprung gar nicht auf der Bühne hat, zeigen Rudolf Dekker und Lotte van de Pol (2012) in ihrer Geschichte des weiblichen Transvestismus. Das Konzept der Rolle im Theater selbst – obgleich immer wieder erwähnt und angesprochen – hat bisher kaum monografische Beachtung erfahren. Jedoch bieten Ulrike Haß und Uri Rapp (2005, 1993) sowie der Band von Bernhard Asmuth (2016) über das Drama im Allgemeinen einen guten Überblick über die wichtigsten Aspekte. Bedeutend ausgebauter ist der Forschungsstand zur soziologischen Rollentheorie, welche im deutschsprachigen Raum mit Ralf Dahrendorf eine Art Gründungsvater hat. Sein Homo sociologicus (1958) kann bis heute als Standardwerk gelten, obschon einige seiner Gedanken mittlerweile angefochten worden sind – nicht zuletzt von Dahrendorf selbst. Viele seiner Grundthesen können dennoch weiterhin Gültigkeit beanspruchen, was die 2010 erschienene 17. Auflage des Buches bestätigt. Der eher deterministische Blick Dahrendorfs wird in Helmut Plessners Aufsatz (1966) abgeschwächt, welcher als weiterer Meilenstein in der Entwicklung der soziologischen Rollentheorie gelten kann. Anhand der Rolle bestimmt Plessner das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Diesem widmet sich auch Erving Goffman (2000), indem er die Terminologie des Rollenspiels im Theater auf den Menschen und die soziale Lebenswelt überträgt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigt. Die Forschung, welche die Thesen Dahrendorfs weiterentwickelt, ist umfangreich. Da das soziologische Verständnis der Rolle für das vorliegende Thema nicht zentral ist, wird die Literatur hier

2.1 Forschungsstand

nur gestreift. Einige Überblickswerke wie die von Hans Joas (1975) oder Günter Wiswede (1977) helfen, einen Eindruck der wichtigsten Positionen und Thesen zu erhalten. Die Ausführungen von Hans Dieter Seibel (1975) sind aufgrund der Verknüpfung von soziologischer und psychologischer Rollentheorie aufschlussreich. Eine der wichtigsten Eigenschaften der Maske ist es, wie bereits erwähnt, ihren Träger und in gewisser Weise auch das Publikum zu verändern und (teilweise) zu verwandeln. Daher ist die Forschung zum Thema der Verwandlung und Metamorphose ebenfalls für meine Untersuchung relevant. Hervorzuheben ist die Studie Otto Höflers (1973), der erhellende Erkenntnisse zum Status des Maskenträgers und der Wahrnehmung durch dessen Publikum bietet. In der Literaturwissenschaft geben die Forschungen von Ingo Gildenhard und Andrew Zissos (2013) sowie Pascal Nicklas (2002) Aufschluss über das Thema, wenngleich die literarische Metamorphose relativ weit von der hier untersuchten Verwandlungsszene abweicht und die Ergebnisse aus den erwähnten Studien daher eher als Kontrastfolie dienen. Aus filmwissenschaftlicher Sicht widmen sich Thomas Koebner (2004) sowie Tamara McDonald (2010) Verwandlungsprozessen im Film und liefern wertvolle Erkenntnisse zu deren Inszenierung.

2.1.3 Die Forschung zur filmischen Figur Ein Forschungsgebiet, welches von äußerster Relevanz für diese Arbeit ist, beschäftigt sich mit der filmischen Figur. Es umfasst teils auch die Figur in der Literatur, da einige dort gültige Erkenntnisse auf den Film übertragbar sind. Ein ausführlicher und aktueller Überblick über die literatur- sowie filmwissenschaftliche Literatur findet sich bei Eder (2008: 39-60), der zwischen den unterschiedlichen methodischen Ausrichtungen differenziert. Ich möchte die wichtigsten dieser Werke kurz erwähnen, bevor ich die für dieses Buch wesentlichen filmwissenschaftlichen Werke kurz vorstelle. Die Forschung wird bis zum 19. Jahrhundert von einer stark präskriptiven Herangehensweise dominiert, die auf die ästhetischen Gestaltungsmittel fokussiert ist (vgl. Tröhler/Taylor 1997: 40/1, Eder 2008: 56). Die beiden wichtigsten Werke der Antike sind die Poetik von Aristoteles, in der er zwischen der Handlungsfunktion der Figur (pratton) und ihrem Charakter (ethos) unterscheidet sowie die Ars poetica von Horaz. Beide bleiben noch »bis ins 18. Jahrhundert […] feste Bezugspunkte fast jeder Theorie der Figur« (Eder 2008: 43). Im späten 18. sowie 19. Jahrhundert steht die Funktion der Figuren für die Handlung im Vordergrund, und es lässt sich eine Fokussierung auf Charakteristika der Figuren erkennen, die sich in zahlreichen Einzelanalysen niederschlägt (vgl. ebd.: 44). Im 20. Jahrhundert wird die Forschung zunehmend von deskriptiven und analytischen Theorien dominiert. Breit rezipierte Werke sind dabei das von E.M. Forster (1932) mit seiner Unterscheidung von ›flachen‹ und ›runden‹ Charakteren und Brechts Theorie der ›Verfremdung‹, mittels der er sich gegen das Einfühlen in die Figuren bzw. gegen eine kathartische Identifzierung mit ihnen ausspricht. Georg Lukács forderte

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2. Theoretischer Teil

die Verknüpfung der »individuellen Züge seiner [des Schriftstellers] Figuren mit den allgemeinen Problemen seiner Zeit« (Eder 2008: 46) und Fryes (1957) unterschied zwischen ›tragischen‹ und ›komischen Helden‹ und setzte auf die von ihm postulierte historische Entwicklung von göttlichen Helden zu heroischen, epischen, modernen und Antihelden (vgl. Eder 2008: 46/7). Während die genannten Theorien überwiegend hermeneutischer Natur sind, gibt es im 20. Jahrhundert Forschungen aller dominanten theoretischen Schulen wie der Semiotik, der Psychoanalyse sowie des Kognitivismus. Ein sehr guter Überblick über die Forschung, insbesondere von Seiten des Strukturalismus, Poststrukturalismus und Kognitivismus, findet sich bei Jannidis (2004: 151-185). Werke, die aufgrund ihrer breiten Wirksamkeit erwähnt werden müssen, sind die frühen strukturalistischen Forschungen von Propp (1975), der die Figur vor allem im Hinblick auf ihre Handlungsfunktion untersucht sowie das Aktantenmodell von A.J. Greimas, das insbesondere von Gardies (1993) sowie Casetti und di Chio (2004) weiterentwickelt worden ist. Weitere bedeutende Werke sind Richard Dyers Arbeit zu Stars ([1979] 1998) sowie Dario Tomasis Studie (1988) zur Figur im Film (vgl. Eder 2008: 50/1). Der Schwerpunkt psychoanalytischer Figurentheorie liegt vor allem auf dem Verhältnis der Zuschauer zu den Figuren und dem durch diese ausgelösten Begehren. Neben Mulveys breit rezipiertem Aufsatz (1975) ist hier Thomas Dochertys Beschäftigung mit der Figur (1983) zu nennen. Nach ihm sollen Figuren »nicht mehr als auktorial vorgeschriebene Sinn- und Identifikationszentren dienen, sondern aufgebrochen und dezentriert werden, damit sich der Rezipient leichter von seiner Leserrolle befreien und den Textsinn kreativ selbst gestalten kann« (Eder 2008: 53). Einen starken Einfluss auf die psychoanalytisch geprägte Beschäftigung mit der Figur hatte C.G. Jungs Archetypentheorie, etwa auf die Dramaturgen Linda Seger (1990) und Christopher Vogler (1992) (vgl. Eder 2008: 54). Der Schwerpunkt kognitivistisch ausgerichteter Forschung zur filmischen Figur liegt auf den Fragen nach Identifikation und Empathie mit Figuren. Diese sind mittlerweile Gegenstand einer regen Diskussion in der Filmwissenschaft geworden.1 Als Standardwerk, welches zugleich die Diskussion initiiert hat, gilt die Monografie von Murray Smith (1995), die für einige meiner Fragestellungen die Grundlage bilden wird. Sie widmet sich vor allem der Rezeption der filmischen Figur und nimmt die affektiven Prozesse, die bis dahin unter dem Begriff der Identifikation zusammengefasst wurden, genauer in den Blick. Smith ersetzt diesen Begriff durch den Ausdruck structure of sympathy und unterscheidet zwischen verschiedenen Niveaus der Anteilnahme wie der recognition, dem alignment und der allegiance. Dies steht in enger Verbindung mit der narratologischen Untersuchung der Perspektive oder des point of view, Konzepte, welche Gegenstand einer regen li1 | Für einen Überblick über die wichtigsten Werke siehe Eder 2008: 55, Fußnote 40.

2.1 Forschungsstand

teratur- und filmwissenschaftlichen Diskussion sind. Die wichtigsten Forschungen und terminologischen Vorschläge stammen von Gérard Genette (1972, 1983), welcher den Terminus point of view (POV) durch den der focalisation ersetzt. Dadurch unterscheidet er zwischen dem, der sieht, und dem, der spricht. Dieses Konzept wurde von Mieke Bal (1985) weiterentwickelt und von François Jost und André Gaudreault (1990) um die Begriffe der ocularisation und auricularisation erweitert, womit die Kommunikations- und Filmwissenschaftler die Inszenierung einer subjektiven Wahrnehmungsperspektive charakterisieren. Kritik kam vor allem von Seiten Seymour Chatmans (1986), welcher das Problem darin sieht, dass mit nur einem Terminus (POV) zu viele verschiedene Konstellationen zu beschreiben versucht werden. Der Narratologe schlägt stattdessen die Begriffe center, filter, slant und interest-focus vor. Murray Smith wiederum ersetzt den Terminus der focalisation durch sein Konzept des alignment, welches er in spatio-temporal attachment und subjective access untergliedert. Ein weiterer wichtiger Beitrag stammt von Edward Branigan (1984), der vor allem die verschiedenen Ebenen der Erzählung und der ›Erzähler‹ untersucht. Die Subjektivität besteht laut ihm in einer Gleichsetzung von Ursprung und Figur (1984: 76) und er schlägt eine Differenzierung des POV shots vor (1984: 112). Auch mit dem Konzept der focalisation beschäftigt sich Branigan (1992) und legt differenziert dar, wie sich dieses im Film ausgestalten kann. Dabei geht er vor allem auf das Verhältnis von Erzählung und Narration ein und schlägt einige Anpassungen des Ansatzes von Genette für den Film vor. Eine sehr nachvollziehbare und hilfreiche Differenzierung des Konzepts der focalisation liefert Jörg Schweinitz (2007). Einerseits adaptiert er die literaturwissenschaftlichen Begriffe Genettes für das Kino, indem er den Ausdruck »Wer spricht?« in »Wer ist die Quelle des Erzählens?/Wer teilt mit?« und »Wer sieht?« in »Wer erlebt?« umformuliert. Andererseits schlägt er vor, für das Kino von einer doppelten focalisation zu sprechen und unterscheidet zwischen bild- bzw. ton- und handlungslogischer focalisation, wobei er sich eng an Jost (1984, 1987) anlehnt. Jens Eder trägt mit einem äußerst detaillierten Vorschlag zur begrifflichen und inhaltlichen Differenzierung zu dieser Diskussion bei. Für meine eigene Arbeit werde ich mich an den Konzepten von Smith orientieren, die ich durch Vorschläge von Jens Eder ergänzen werde, wo sie genauer und aussagekräftiger sind als die von Smith. Die gegenwärtige Lage der Forschung zur filmischen Figur ist weitaus differenzierter als der oben genannte Abriss und zeichnet sich durch eine Vielzahl und teilweise eine Kombination der unterschiedlichen genannten Ansätze aus.2 Neben Werken, die sich mit spezifischen Aspekten der Figur auseinandersetzen wie beispielsweise Noll Brinckmann (1999) mit der somatischen Empathie, Dyer mit dem Phänomen des Stars (1998), Ramírez Berg (2002) und Schweinitz (2006) mit dem Stereotyp oder Tröhler (2004) mit pluralen Figurenkonstellationen, waren für meine Studie vor allem die Forschungen von Tröhler und Taylor 2 | Für einen ausführlichen Überblick siehe Eder 2008: 57.

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(1997), Smith (1995) sowie Eder (2008) relevant. Tröhler und Taylor bieten einen hilfreichen Überblick über verschiedene Aspekte und Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit der Figur. Die ausführlichste filmwissenschaftliche Darstellung der Figur hat 2008 Jens Eder vorgelegt. Er bemüht sich um ein integratives Modell, welches die Gemeinsamkeiten der aus verschiedenen theoretischen Ansätzen stammenden Forschungen herausarbeitet und die Vielfältigkeit der filmischen Figur zu berücksichtigen sucht. Dabei finden semiotische sowie kognitivistische Ansätze besonders stark Eingang in sein Modell. So verdankt seine Arbeit viel den literaturwissenschaftlichen Forschungen von Jannidis (2004) und Schneider (2000), welche aus einer kognitivistischen Perspektive aufschlussreiche Erkenntnisse zum Verstehen der Figur dargelegt haben. Eders Modell der »Uhr der Figur« unterteilt die für Theorie und Analyse relevanten Aspekte der Figur in vier Bereiche: die Figur als fiktives Wesen, Artefakt, Symbol und Symptom. Diese setzt er in Beziehung zu seinem kognitivistischen Modell der Rezeption, in welchem er perzeptive, kognitive und affektive Rezeptionsprozesse unterscheidet (vgl. Kap. 2.3). In den folgenden Kapiteln werden wichtige Erkenntnisse der erwähnten Arbeiten diskutiert und in Bezug zum Themenschwerpunkt der Clownsmaske und -figur gestellt.

2.2 Z ur F igur des C lowns 2.2.1 Eine kurze Geschichte des Clowns Beginnen möchte ich den Überblick über die jahrtausendealte Figur des Clowns mit einem historischen Abriss. Er soll einen Eindruck der bewegten Geschichte der Figur und ihrer nahen Verwandten vermitteln, sodass Unterschiede, Gemeinsamkeiten und die verschiedenen historischen Kontexte verständlich werden und die Entwicklung hin zur Darstellung im Film nachvollzogen werden kann. Statt um eine chronologische Nachzeichnung einer linearen Geschichte geht es hier darum, verschiedene genealogische Stränge aufzuzeigen, die sich zu verschiedenen Zeiten herausgebildet haben. Diese verlaufen zum Teil parallel, überschneiden sich oder entfernen sich voneinander, versiegen manchmal komplett oder überdauern bis heute. Alle zusammen haben entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung derjenigen Figur(-en) gehabt, die wir heute als Clown bezeichnen, ohne dass einer der Stränge als die Geschichte des Clowns gelten könnte. Es geht somit um ein Aufzeigen von Typen, die im Laufe der Geschichte und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten ähnliche Merkmale und Funktionen aufweisen. Als Ursprung der clownesken Tradition werden in der Forschungsliteratur die Saturnalien Roms angeführt. Die Feststellung Constantin von Barloewens, dass der Clown eine »anthropologische Konstante« mit »transkulturelle[r] Gültigkeit«

2.2  Zur Figur des Clowns

(2010: 44) sei, lässt jedoch vermuten, dass es sich bei den Saturnalien und den unten erwähnten antiken Figuren lediglich um erste dokumentierte Auftritte handelt, Vorfahren des Clowns dagegen schon früher existiert haben. Die Saturnalien waren ein ursprünglich ein- bis später siebentägiges Fest im Dezember, eine verkehrte Welt, in der Herren und Sklaven die Rollen tauschten und ein Narrenkönig (Saturnalicius princeps) gewählt wurde (vgl. von dem Borne 1993: 19). Auch die Satyrn und Bakchen der griechischen Dionysosriten gelten als Vorläufer des Clowns (vgl. Fried/Keller 1996: 23). Das Satyrspiel war ein heiteres Nachspiel zu den drei Tragödien, die während des Festes aufgeführt wurden und das mit diesen zusammen eine Tetralogie bildete. Die Hauptakteure, die Satyrn, waren in der griechischen Mythologie zusammen mit ihrem weiblichen Gegenpart, den Bakchen, Halbgötter im Gefolge des Dionysos (vgl. z.B. Ovid 2005: 119, 349). Das Satyrspiel zeichnet sich durch seine die Tragik kontrastierende Komik aus, »so daß eine seltsame Mischung entsteht, die als Ganzes fast wie eine Parodie auf die Institution der Tragödie wirkt« (Seek in Euripides 1981: 609). Die griechische Komödie, die aus den Komödien der Dionysosriten hervorgegangen ist, war ebenso durch eine »Respektlosigkeit gegen Menschen und Götter« geprägt (von dem Borne 1993: 15). Als weiteres frühes Zeugnis einer Figur, die Ähnlichkeiten mit der hier behandelten aufweist, wird der Maccus oder Mimus albus der Antike gesehen (vgl. Fried/Keller 1996: 23, von dem Borne 1993: 18/9), ein tölpelhafter Ahne unseres heutigen Pantomimen und Weißclowns. Er war Teil des Figurenrepertoires der Atellanen, den »nach der unteritalienischen Stadt Atella benannten Possenspiele[n]« (von dem Borne 1993: 19). Die dort entwickelten grotesken Typen werden als Vorfahren einzelner Masken der Commedia dell’arte genannt (von dem Borne 1993: 19) und stehen so ebenfalls in enger Verbindung zum heutigen Clown. Ein Fest des Mittelalters, welches Ähnlichkeit mit den Saturnalien aufweist, war das Festum fatuorum oder stultorum. Das »Fest der Dummen« wurde am 28. Dezember gefeiert, am Tag der »Unschuldigen Kinder«. Organisiert wurden die Feierlichkeiten von jungen Klerikern, während die Laien wie an einer Messe daran teilnahmen. Es wurde ein fatuorum papam gewählt, ein ›Papst‹, der häufig ein Bettler war. Die Messe, die an diesem Tag gefeiert wurde, war eine Parodie eines gewöhnlichen Gottesdienstes sowie biblischer Szenen. Der Klerus trug Masken, Frauenkleider oder legte das Messgewand falsch herum an. Es wurden Würste gegessen, und am Ende der Messe wurden die Gläubigen verflucht statt gesegnet. In der Kirche wurde getanzt, und es gab einen Umzug auf der Straße (vgl. Burke 1981: 206, von dem Borne 1993: 44-47, Hugill 1980: 66, Fried/Keller 1996: 24). Damit wurden die kirchliche Hierarchie und Würde subvertiert, was als Ergebnis eine wahrhaftig ›verkehrte Welt‹ zur Folge hatte (vgl. von Barloewen 2010: 27-29, Burke 1981: 206, Welsford 1935: 199-203). Roland Auguet weist auf die Ähnlichkeit zwischen diesem vor allem in Frankreich und Belgien verbreiteten Fest und den Saturnalien Roms hin, bei denen »pendant quelques jours, les esclaves commandaient […] à leur maître. Elle [cette fête] représente donc une parenthèse, une

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parodie totalement coupée du réel.« (1982: 153) Dieser »Einschub«, von dem Auguet spricht, kommt im Deutschen durch die Bezeichnung des Karnevals als ›Fünfte Jahreszeit‹ zum Ausdruck. Durch Konzilbeschlüsse von 1581 und 1585 wurde das Fest dann schließlich vom Klerus aus den Kirchen verdrängt (vgl. Fried/Keller 1996: 24). Die sociétés joyeuses in Frankreich übernahmen jedoch viele Merkmale des Festes, wodurch es in säkularisierter Form fortlebte (vgl. Welsford 1935: 203211, von Barloewen 2010: 29). Unser heutiger Karneval kann trotz der Datumsverschiebung als Relikt dieser Festlichkeiten gesehen werden – die Parallelen sind offensichtlich (vgl. Fried/Keller 1996: 24). Die im Karneval so wichtige politische Komponente war bereits in den sociétés joyeuses von Bedeutung, wie von Barloewen betont: Die sociétés joyeuses wuchsen rasch zu mächtigen, korrigierenden Kräften, die der Korruption entgegentraten und sich um politische Balance bemühten. Die Furcht vor öffentlichem Spott diente als scharfe Zensur, die als disziplinierende Waffe gezielt eingesetzt wurde. Diese Tradition setzten später die Narrenorden fort, die im Mittelalter große Bedeutung hatten, zwischendurch an Macht verloren und gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder erstarkten. (2010: 31)

Die Narren, die der Kulturanthropologe erwähnt, weisen eindeutige Parallelen zum Clown auf und waren im Mittelalter und in der Renaissance Teil des alltäglichen städtischen und höfischen Lebens. Dabei muss unterschieden werden zwischen den natural fools und den artificial fools. Die natural fools waren Personen, die aufgrund ihres meist durch eine Deformation bestimmten Aussehens oder einen außergewöhnlichen Charakterzug vom konventionellen Auftreten abwichen und dadurch ungewollt Lachen auslösten. Man lachte über sie, nicht mit ihnen. Ihr Elend und ihre Andersartigkeit wurden zum Grund der Belustigung für ihre Mitmenschen (vgl. von dem Borne 1993: 34). Roswitha von dem Borne betont, dass die Schadenfreude zu allen Zeiten existiert hat, da man sich durch die Erniedrigung des anderen insgeheim überlegen fühlt (vgl. 1993: 32). Solche freaks wurden oft von reichen Herren engagiert und dienten der Belustigung der höheren Gesellschaft. Im Gegenzug ermöglichte ihnen diese Übereinkunft ein einigermaßen geachtetes und erträgliches Leben, da sie durch die Kennzeichnung mit einem speziellen Gewand geschützt waren (vgl. von dem Borne 1993: 33). Fried und Keller machen deshalb darauf aufmerksam, dass dieser Brauch eine bedeutende soziale Institution darstellte (vgl. 1996: 28). Ausgehend von den natural fools entwickelten sich die artificial fools, die nicht mehr mit Missbildungen geboren wurden oder charakterliche Eigenheiten aufwiesen, sondern solche bewusst imitierten. Sie waren also Nachahmer der natural fools, mit dem Ziel, Lachen hervorzurufen (vgl. Arnold 1991: 200). Dieses Lachen basierte einerseits auf dem Wiedererkennungseffekt, andererseits auf der Kritik, die an den Herrschenden geübt wurde. Die Hofnarren waren ein »unverzichtbare[r] Teil am Hof« (vgl. von dem Borne 1993: 36). Durch ihre ständige Präsenz

2.2  Zur Figur des Clowns

und ihr Miterleben des gesamten Tagesablaufs der Herrschenden sahen, hörten und kannten sie beinahe alle Details des Hoflebens. Dies versetzte sie in die privilegierte Position, zu Mitwissern von Gegebenheiten zu werden, die eigentlich nicht in die Öffentlichkeit dringen sollten. Diese Kenntnisse nutzten sie in zweierlei Hinsicht: Aufgrund ihres Wissens und scharfen Verstandes wurden sie oft zu einflussreichen Ratgebern des Königs oder der Adeligen. Neben seiner Ratgeberfunktion konnte der Narr durch sein weitreichendes Wissen auch harsche Kritik an den Herrschaftsverhältnissen üben. Er hielt den Herrschenden einen Spiegel vor (vgl. Fried/Keller 1996: 27), was durch den Narrenspiegel zum Ausdruck gebracht wird. Von dem Borne macht darauf aufmerksam, dass die Insignien des Narren (wie die Narrenkappe, die Schellen oder eben der Narrenspiegel) an Attribute des Königs angelehnt waren und diese parodierten, weshalb die Narren teilweise auch als scheinbare Doppelgänger des Königs beschrieben werden (vgl. 1993: 34/5, 52/3). Annette Fried und Joachim Keller geben in ihrem Band zum Clown einen anschaulichen Überblick über die ›Aufgaben‹ des Narren am Hof. Er brachte […] mit seinen Schlüpfrigkeiten die Damen ans Kreischen, deckte Ränke auf oder schmiedete voller Tücke selber welche, gab höfische Prahlhänse der Lächerlichkeit preis, spottete fürstlicher Normen und Werte, zog argwöhnisch gehütete Geheimnisse ans Licht, verwaltete mit Indiskretion die Intimitäten, deckte voller Witz und Ironie politische Mißstände auf und vor allem: verbreitete Spaß und gute Laune. (1996: 27)

Die Tatsache, dass der Narr dafür nicht belangt wurde, ist durch verschiedene Umstände zu erklären. Er war zwar Teil des Hofes, galt aber nicht als voll- und gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft: Er »verkehrt[e] mit Adligen und [war] selbst von niedrigem Stand« (ebd.). Seine soziale Marginalität und der Schutz der Herrscher hielten den Narren straffrei. Roswitha von dem Borne zieht den indirekten und symbolischen Charakter der Kritik als weiteren Grund dafür heran: »Jeder konnte über seine Späße lachen und damit verbergen, daß er sich durchschaut fühlte« (1993: 53), denn »wer den Hofnarren auslachte, der lachte sich selber aus« (Fried/Keller 1996: 28). Der Zirkushistoriker Beryl Hugill liefert ein weiteres überzeugendes Argument für diese heute sprichwörtliche ›Narrenfreiheit‹: [T]he tradition of tolerating plain speaking from the jester may have originated in the primitive belief that fools and madmen were touched by divinity and that any indiscretion was either caused by ignorance or inspired by God. In a despotically-ruled society, those who dared to speak out against authority must surely, it was thought, be ›mad‹. (1980: 37)

Zusammenfassend kann mit Fried und Keller festgehalten werden, dass der Hofnarr »als wichtiges Korrektiv an den nach absolutistischen Regeln organisierten Fürstenhöfen und Königshäusern« fungierte (1996: 28). Wenn es sich ein Machthaber leisten konnte, einen Narren – also Kritik – zu halten, so musste er besonders souverän und unanfechtbar sein (vgl. ebd.). Diese Überlegenheit

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2. Theoretischer Teil

wurde durch den Narren eher gestärkt, denn durch ihn konnten Aggressionen gegenüber den Herrschenden abgeleitet und umgelenkt werden (ebd.: 29). Durch dieses System institutionalisierten die Machthabenden die Kritik an ihrer Herrschaft, was ihnen eine gewisse Kontrolle darüber garantierte. Sie konnten die Kritik zumindest teilweise kontrollieren, dadurch entschärfen und so die Erhaltung ihrer Macht sichern. Der weitreichende Einfluss des Narren ist in der Kunst der Renaissance und des Barock überliefert. Man denke beispielsweise an Erasmus von Rotterdams Lob der Torheit (1511), Sebastian Brants Narrenschiff (1494), die Geschichten um Till Eulenspiegel, die Shakespear’schen Dramen mit ihren charakteristischen Narrenfiguren oder das spanische Theater des siglo de oro, in dem der gracioso eine unabdingbare Figur war. In der Malerei hat etwa Diego Velázquez des Öfteren Narren porträtiert, unter anderem in seinem bekanntesten Werk Las Meninas (1656), das eine Hofszene mit Zwergwüchsigen darstellt. Es gibt jedoch auch Soloporträts, die am Königshof in Madrid entstanden, etwa vom ebenfalls kleinwüchsigen Sebastián de Morra. Meist sind es also natural fools in ihrer Funktion als Hofnarren. Parallel zur Existenz der Hofnarren bildete sich ein weiterer bedeutender Vorläufer der modernen Clownerie heraus: die Commedia dell’arte. Noch heute denkt man bei dem Wort Clown oft an den Harlekin. Der Arlecchino ist eine Dienerfigur der Commedia dell’arte, die im 16. Jahrhundert in Italien entstand. Eines ihrer Kennzeichen ist die Verwendung feststehender ›Masken‹. Dabei bezeichnet der Begriff der Maske sowohl die Halbmasken, die als Gesichtsmaske von den Darstellern getragen wurden, als auch den Rollentyp, der mit jeder dieser Masken verbunden war. Denn die Aufführung folgte keinem festgeschriebenen Stück oder Plot, sondern wurde den Maskenrollen entsprechend improvisiert. Drei der Masken sind für das hier zu verhandelnde Thema besonders interessant: Pulcinella, Pedrolino und Arlecchino. Alle stammen aus der Gruppe der Zanni, der Diener. Pulcinella zeichnet sich durch seine Faulheit, Listigkeit und ständigen Hunger aus. Charakteristisch ist sein weißes Gewand, das auch den Pedrolino kennzeichnete. Der aus ihm hervorgegangene Pierrot wird noch heute direkt mit dem Terminus »Clown« in Verbindung gebracht. Berühmtheit erlangte dieser Typus vor allem aufgrund seiner Weiterentwicklung und Veränderung durch Jean-Gaspard Deburau, der diese Figur ab 1816 im Pariser Théâtre des Funambules spielte (vgl. von dem Borne: 82). Während der frühere Charakter der Figur von »laziness, sexlessness and gluttony« sowie von Gewalttätigkeit und Feigheit geprägt war (Storey 1985: 13), weichen diese Eigenschaften bei Deburaus Neuinterpretation einer sanfteren und schüchternen Art (vgl. ebd.: 31-34). Er ist der melancholische Clown par excellence. Seine Traurigkeit ist seiner unerwiderten Liebe zu Columbine ge­ schuldet, die ihn zugunsten Arlecchinos zurückweist (vgl. Crowther 1978: 44). Dieser ist durch sein buntes Flickenkostüm leicht wiedererkennbar. Er denkt immer ans Essen, ist »ungebildet, aber bauernschlau« und »ein Akrobat und Meister der gesprochenen und gespielten Lazzi« (Mehnert 2003: 105, vgl. von dem Borne 1993: 38). Er ist der »Tölpel auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierar-

2.2  Zur Figur des Clowns

chie, der Antiheld«, dennoch ist er es, der »heldenhaft menschliche Größe [zeigt] im Gegensatz zu ›typischen‹ egoistischen Bürgern der Stadt, wie Pantalone, der geizige, geile Kaufmann oder Dottore, dessen Bücherweisheiten sich als vertrockneter Unsinn an der Realität reiben« (Weihs 1981: 66). Arlecchino war eine der wichtigsten Masken der Commedia und ist dem heutigen Clown am nächsten: But perhaps the most famous, the most beloved and at the same time the most complex of the simpleton clown types is Arlecchino of the Commedia dell’Arte. […] At the height of his fame he was the impersonation of charming naivety and foolishness, coupled with a love of fun and light-hearted mischief. He was always getting into scapes, but possessed an uncanny agility and an ability to get out of tight corners again. His was the mentality of the child, he seldom thought far enough in advance to plan intrigues, he was unable to foresee the consequences of his own actions, and he never learned anything from all the trouble he got into. Like a child, he had no concept of responsability. (Winkler 1977: 36/7) Bedeutsam für die Entwicklung des Clownesken als Performance sind die lazzi, Atempausen in der Haupthandlung, in denen sich die Truppe über den weiteren Handlungsverlauf verständigen konnte und die aus kurzen, komischen Einschüben bestanden (vgl. Weihs 1981: 67). Aus diesen haben sich später viele der zum Teil noch heute aufgeführten Clownsnummern entwickelt, wie z.B. der Kampf mit der Fliege, die klassischen Tortenschlachten oder der Gag des übertriebenen Einschäumens vor dem Rasieren (vgl. von dem Borne 1993: 38). Diese Charaktere der Commedia dell’arte bildeten dann auch die Basis der Christmas Pantomime, einem theatralen Schauspiel, das sich im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in England entwickelte und in den Nationaltheatern Covent Garden und Drury Lane aufgeführt wurde (vgl. Seitler 1981: 9). Eine märchenhafte Geschichte war Hauptbestandteil der Aufführung. Während dieser wurden die handelnden Figuren in die Typen des Harlekins, Pantalone und Columbine sowie in eine neu dazugekommene – die des Clowns – verwandelt. Der abschließende Teil wird als Harlekinade bezeichnet und bestand aus Verfolgungsjagden und märchenhaften Verwandlungen (vgl. ebd.: 8). Historisch betrachtet ist dies das erste Mal, dass der Begriff des »Clowns« für eine komische Figur verwendet wird. Der bekannteste Interpret der Figur des Clowns in der Christmas Pantomime war Joey Grimaldi (1778-1837). Er gilt als Vorläufer dieser Figur in ihrer aktuellen Erscheinungsweise. »Grimaldi was – and has remained – the ›king of clowns‹. In his honour circus people still call a clown a ›Joey‹ and ›Grimaldi acts‹ are still part of the modern clown repertoire.« (Hugill 1980: 125) Den durchschlagenden Erfolg erzielte er mit seiner Darbietung des Clowns in der Christmas Pantomime Harlequin and Mother Goose: or, The Golden Egg, die am 29. Dezember 1806 im Nationaltheater an der Drury Lane uraufgeführt und viele Male wiederholt wurde: »Mit fast hundert ausverkauften Vorstellungen bis zum Ende einer Spielsaison wurde Mother Goose zur erfolgreichsten Pantomime des Jahrhunderts.« (Dessauer 1982: 42) Beryl Hugill verdeutlicht den Unterschied zwischen Grimaldis Performance und früheren Clowndarstellungen:

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2. Theoretischer Teil His was a clown which, for the first time, did not rely simply on the slow wit of the rustic yokel outsmarted by a shrewder partner; he was a smart urban satirist, poking fun at the vices of the age, getting his laughs out of transforming everyday objects and gilding every situation with his inimitable and immortal comic gift. (1980: 125)

Wenngleich Grimaldi einer der direktesten Vorläufer unseres heutigen Verständnisses von Clowns war, so ist dieses ebenso wenig vom Zirkus zu trennen. Der moderne Zirkus entwickelte sich um 1750 aus Vereinigungen von Kunstreitern (vgl. von dem Borne 1993: 81). Der erste Zirkus, der als solcher bezeichnet werden kann, wurde 1770 unter dem Vorstand des Reiters und Unternehmers Philip Astley eröffnet (vgl. Noel 2008: 83). Astley hat sich seinen Platz in der Zirkusgeschichte gesichert, da er seine »Riding School« 1779 (vgl. ebd.: 89) winterfest machte; so hatte London zum ersten Mal ein festes Gebäude mit einer Bühne sowie einer Manege (vgl. von dem Borne 1993: 81). Dieses war als ›Amphitheater‹ bekannt (vgl. Crowther 1978: 25). Die dort einem ausschließlich aristokratischen Publikum vorgeführten Darbietungen beschränkten sich anfangs auf die Kunstreiterei. Diesem Umstand ist auch die Kreisform der Manege geschuldet, die sich aufgrund der bei Kreisbewegungen entstehenden Zentrifugal- und Zentripetalkraft besonders für die Reitnummern eignet. Das ›Amphitheater‹ Astleys wurde später von Antoine (Antonio) Franconi übernommen, der zum Begründer einer der bedeutendsten Zirkusdynastien in Frankreich wurde. Beryl Hugill bemerkt hierzu jedoch, dass »not all circus historians accept Astley’s riding exhibition as the first circus« (1980: 128). Ob die Ehre des Pioniers des Zirkusses nun Astley oder jemand anderem gebührt, ist für meine Studie nicht weiter von Belang, denn »[i]f equestrian displays were not an invention of Astley’s, the introduction of a clown into the same arena probably was« (ebd.). Als erster Zirkusclown in der Manege gilt Billie Button (Swortzell 1978: 104) und die früheste öffentliche Ankündigung eines Clowns im Zirkus lässt sich auf den 21. September 1786 datieren (ebd.). Die damaligen Zirkusclowns agierten als Pausenfüller zwischen den Reitdarbietungen, welche sie imitierten und parodierten. Auf diese Weise boten sie dem Publikum eine willkommene Abwechslung von der hohen Spannung, die von den teils gewagten Reitkunststücken und später von anderen akrobatischen Nummern ausging (vgl. Weihs 1981: 77). Dies bestätigt der brasilianische Zirkushistoriker Mario Bolognesi, wenn er schreibt: »Inicialmente, no circo, o clown era uma caricatura do cavaleiro. Em contrapartida, ele veio a quebrar a monotonia do espetáculo eqüestre.« (2003: 64) Bolognesi macht außerdem auf den starken Kontrast aufmerksam, der zwischen den Körpern der verschiedenen Zirkusdarsteller herrscht: Riso e fracasso, descontração e possibilidade de queda são os componentes extremos que embasam o espectáculo de circo. A possibilidade do fracasso é evidente, para ser superada, em seguida, com o riso descontraído dos palhaços. Em um pólo, o corpo sublime dos ginastas; no outro, o grotesco dos clowns. Em forma de espetáculo, o corpo acrobático

2.2  Zur Figur des Clowns […] explora o sublime e desafia as leis naturais. No extremo oposto, como sátira do própio circo, o corpo grotesco dos palhaços enfatiza o ridículo das situações sublimes, ou, então, presta-se ao jogo cômico improvisado cujo objetivo último é a gargalhada descontraída da platéia. (Ebd.: 45)

Anzumerken ist hierzu, dass die unterschiedliche Körperlichkeit dabei vorwiegend ein Effekt der Kostüme ist. Denn Clowns haben eine ähnlich vielseitige Ausbildung wie Akrobaten, sodass sie diesen, was physische Stärke, Gewandtheit und Geschicklichkeit betrifft, in nichts nachstehen. Nicht nur parodieren sie deren Akte, sondern sie müssen dabei oft noch Fälle und Stürze in die Nummern einbauen, was sie überdies in einer nicht adäquaten Kleidung ausführen. Dies erfordert eine absolute Körperbeherrschung, die nur durch jahrelanges Training erreicht werden kann.3 Diese ist vor allem im Fall des Dummen August oft wenig offensichtlich, da er – im Gegensatz zum Weißclown – besonders tollpatschig wirkt. Allerdings ist gerade dafür besondere Körperspannung nötig. Als ›Erfinder‹ dieser Figur ist der Amerikaner Tom Belling (1834-1900) in die Geschichte des Zirkusses und des Clowns eingegangen. Er soll 1869 (vgl. Fried/Keller 1996: 181) im Wiener Zirkus Renz hinter der Manege in nicht ganz nüchternem Zustand Schabernack getrieben haben und daraufhin vom Zirkusdirektor als Strafe unvorbereitet in die Manege geschickt worden sein. Vor Überraschung stolperte und fiel er hinaus in die Manege, sodass ihm das Publikum begeistert mit den Rufen »August, August« zujubelte (vgl. Berryl 1980: 138, Weihs 1981: 78, Seitler 1981: 26, Auguet 1982: 153, Bolognesi 2003: 74/5). Es ist evident, dass der Suche nach den Ursprüngen immer etwas Mythisches anhaftet und von einer zur anderen Erzählung einiges dazugedichtet, weggelassen oder verändert wird. So finden sich auch von dieser Geschichte so viele Versionen wie Autoren, die über die Geschehnisse im Zirkus Renz geschrieben haben. In diesem Sinne stimme ich Roland Auguet zu, wenn er schreibt: Et la vraie question est de savoir non qui a inventé le genre et quel jour, mais bien pourquoi ce type s’est imposé, a supplanté le clown dans l’imaginaire collectif. [….] Le contraire du clown, sans doute, mais surtout une stylisation de la misère. Or, l’auguste s’impose à partir de 1880, dans une société où, justement, le spectre de la misère commence à s’éloigner, du moins statistiquement. […] Et l’auguste, c’est justement le marginal type, non seulement par son aspect extérieur mais surtout par une inaptitude généralisée à accomplir les choses les plus simples – échec symbolisé déjà par le trébuchement de son entrée en piste. (1982: 153/4)

3 | Dass es im eigentlichen Sinne nicht der Clown ist, der diese Körperbeherrschung besitzt, sondern der ihn verkörpernde Darsteller, soll hier bereits angemerkt werden. Die Unterscheidung wird im nächsten Unterkapitel erläutert.

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2. Theoretischer Teil

Der Auftritt Bellings fand noch in einem Zirkus statt, der zu der von Astley erschaffenen, sesshaften Art zählte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese feste Form des Zirkusses immer öfter durch den Wanderzirkus abgelöst (vgl. von dem Borne 1993: 87/8). Fried und Keller bemerken, dass der Clown zu diesem Zeitpunkt bereits untrennbar mit dem Zirkus verbunden war (1996: 52). Noch heute ist der klassische Zirkus sicher der erste Ort, den man mit dem Clown assoziiert. An der Wende zum 20. Jahrhundert erobert sich der Clown jedoch noch weitere ›Orte‹: Music-Halls, Vaudevilles und Varieté-Bühnen und nicht zuletzt das junge Kino. Die großen Stummfilmkomiker begannen ihre Karrieren nicht selten im Vaudeville, sind jedoch seit ihren Erfolgen auf der Leinwand so untrennbar mit dem Kino verbunden wie der klassische Clown mit dem Zirkus. Das Aussehen und die Form, in der sie ihre kritischen Späße anbrachten, unterschieden sich voneinander, ihre Funktion blieb jedoch die gleiche. Während sich der Zirkusclown bis ins 21. Jahrhundert vielfach durch zu große Kleidung, seine rote Nase sowie sein kontinuierliches Stolpern auszeichnet, ist dies für den Filmclown nicht zwingend erforderlich. Aktuelle Ereignisse zeigen, dass sich noch ein weiterer Handlungsort des Clowns zu etablieren beginnt. Mit der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army ist vor kurzem eine Gruppe von Clowns in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, die auf der Straße agiert und durch ihre Proteste bei wichtigen politischen Großereignissen wie dem G20-Gipfel in Toronto 2010 oder dem G8-Gipfel in Rostock 2007 von sich reden machte. Auch im Theater, dem Kino und den sogenannten neuen Medien hat der Clown in unterschiedlichster Gestalt nach wie vor seinen festen Platz. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Figur eine lange und bewegte Geschichte aufweist. Entscheidend ist, dass es eine Konstante hinsichtlich der Eigenschaften und Funktionen der verschiedenen hier genannten Figuren gibt. Constantin von Barloewen bringt es auf den Punkt: »Aus archaischer Vorzeit kommend, wandelt sich die Figur im jeweiligen historischen Rahmen, wobei die grundsätzliche Deutungsbreite beibehalten wird.« (2010: 39) Es scheint sich also um eine fundamentale und notwendige Rolle in der Gesellschaft zu handeln, die ihre (verzerrten) Spiegelbilder braucht, um festgefahrene Perspektiven und Verhältnisse, wenn auch vorerst nur im Rahmen der Performance, aufzubrechen. William Mitchell bestätigt dies in seiner sehr aufschlussreichen Einleitung zum Band über Clowns in Ozeanien4: As a human archteype, the fool is a universal character that jigs and stumbles through place and time, weaving her or his nuttiness firmly into the cultural warp. Wherever humans have wandered, the fool, a perennial transcultural type, is found performing, an entertaining oddity to her audience. The fool’s appearance sets up a social tension of ambivalence; 4 | Mitchell verwendet in seinem Buch durchgängig die weibliche Form für beide Geschlechter.

2.2  Zur Figur des Clowns the boundaries of propriety blur, fantasy and reality oscillate, and one’s cognitive control over the environment recedes. (1992: 15)

2.2.2 Zum Begriff des Clowns 2.2.2.1 Etymologie Die meisten Quellen verorten den Ursprung des Wortes Clown im lateinischen colonus, welches verschiedene Bedeutungen haben kann. Im Wörterbuch findet sich zunächst als Übersetzung ›Bauer‹, ›Siedler‹, ›Pächter‹ oder ›Bewohner‹. Fried und Keller weisen darauf hin, dass das Besiedeln neuer Gegenden mit dem »Durchbrechen anerkannter Regeln und Normen, dem Infragestellen traditioneller Werte [und] dem Abweichen von der Normalität« (1996: 10) verbunden ist, wie es für den Clown charakteristisch ist. Dieselben Autoren betonen den Zusammenhang mit dem aus der Landwirtschaft stammenden Verb colere. Dieses hat dieselbe Wurzel wie das Substantiv und bedeutet, etwas umdrehen (ursprünglich die Erde). Genauso verdreht der Clown immer wieder Dinge, Situationen und Normen, oft die einfachsten und alltäglichsten (vgl. ebd.: 12/3). Des Weiteren verweisen die beiden Clownforscher auf eine Bedeutung des Wortes colonus in Frankreich unter Napoleon. Damals wurde ›colon‹ »antikisierend als Bezeichnung des von feudaler Herrschaft bedrückten Bauern verwendet« (ebd.: 13). Damit ist dem Wort, welches die hier zu verhandelnde Figur benennt, bereits die »minder privilegierte Stellung in der Sozietät« (ebd.) eingeschrieben. Fried und Keller argumentieren überdies, dass sich die Bezeichnung »Clown« nicht nur aus colonus, sondern auch aus der Verbindung von Claude, dem Namen der Figur einer klassischen Manegenszene, und der französischen Form colon entwickelt habe, also von Claude und colon zu claune (vgl. ebd.: 9): »Hieraus entwickelte sich im Englischen das Wort ›clown‹, das sich um 1850 als Bezeichnung für die Manegenkomiker auch in anderen Sprachräumen einbürgerte.« (Ebd.) Ein weiterer Hinweis hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs führt ins Spätmittelalter in England, wo ›clown‹ in der Umgangssprache als »abfällige Bezeichnung für Personen niederer Abstammung […], deren Verhalten nicht der Konvention entsprach« (ebd.: 10), gebraucht wurde, in etwa dem deutschen ›Bauerntrampel‹ oder ›Dorftrottel‹ entsprechend. Wie schon bei der Entwicklung von den natural zu den artificial fools gesehen, habe sich dann der Begriff zur Benennung derjenigen Schausteller durchgesetzt, die die ›Dorftrottel‹ imitierten (vgl. ebd.). Der zweite Begriff, mit dem unsere Figur bezeichnet werden kann, ist das in den romanischen Sprachen übliche Wort payaso/pagliaccio/paillasse/pallasso. Der Zirkushistoriker Heino Seitler erklärt dessen Ursprung in einer dem italienischen Theater entlehnten lustigen Figur, dem sogenannten Pagliasso, […] aus dem später der Name Bajazzo, beziehungsweise in Deutschland die Bezeichnung Pojatz oder Pojatzl wurde. Der Name wird von dem italienischen Wort pagliacco [sic!] abgeleitet, wel-

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2. Theoretischer Teil ches ›Strohsack‹ bedeutet, und stammt daher, weil die Bekleidung dieses Spaßmachers ursprünglich aus dem weiß- und blaugewürfelten Bettzeug hergestellt war, das die Italiener seinerzeit für ihre Strohsäcke benutzten. (1981: 9)

Dieser Begriff wird im romanischsprachigen Raum nicht gleichbedeutend mit clown verwendet, sondern unterscheidet verschiedene Clownstypen. So hebt Federico Fellini hervor, dass im Italienischen der clown gegenüber dem pagliaccio ein höheres Ansehen genießt (vgl. 1993: 116). Im Spanischen und Katalanischen dagegen wird der Terminus clown für den Weißclown benutzt, wohingegen payaso dem Dummen August und vergleichbaren Typen vorbehalten ist.

2.2.2.2 Definition des Clowns Seine komplexe Geschichte und Gegenwart, die stets im Wandel ist, und die differenzierte Etymologie seines Namens haben es bereits angedeutet: Es ist schwer möglich, eine umfassend gültige Definition des Clowns zu liefern. So schreibt etwa Ashley Tobias in ihrer Studie über The Postmodern Theatre Clown, es sei »impossible to provide a succinct definition of the clown« (2007: 37). Fried und Keller scheinen sich dieser Meinung anzuschließen, wenn sie von einem »Verständnisvakuum« sprechen (1996: 178). Swortzell geht noch weiter, wenn er seine Studie zum Clown mit folgenden Worten schließt: »Our attempt to answer the original question, ›What is a clown?‹, has shown us that there can really be no final answer.« (1978: 231) Götz Arnold fasst das Problem offener und positiver, wenn er von einem »Phänomenbereich Clown« (1991: 198) spricht, ein Begriff, der mir sehr angemessen erscheint, weil er die Vielfalt der Figur berücksichtigt, ohne sie negativ als undefinierbar zu stigmatisieren. Constantin von Barloewen sieht die Gründe für die Schwierigkeit einer definitiven Festsetzung in den Eigenschaften der Figur selbst begründet: Der Clown entzieht sich aller starren Rubrizierung, er windet sich aus jeder Festlegung, indem er immer wieder einen Wesenszug preisgibt, der bisher unbekannt war, der sich nicht einfügt in das gewohnte Bild, der Selbstverständliches unselbstverständlich umstößt, verblüfft, der Traditionen sprengt und die Bruchstücke wieder neu zusammenfügt, der sich nicht einfangen lässt in die Enge einer rein ästhetischen Deutung. (2010: 45)

Winkler spezifiziert das Problem und bietet einen Lösungsansatz: »A definition of the clown is at once deceptively simple and confusingly complex. In the most general sense he is the low comic entertainer par excellence.« (1977: 12) Die Fokussierung auf den Spaßmacher hängt mit der Tatsache zusammen, dass Figuren und Personen oft auch abseits von Bühne oder Zirkus als Clown bezeichnet werden, wenn sie durch Späße ihre Umgebung zum Lachen bringen. Diese weite Definition entspricht auch der Einschätzung von Ashley Tobias. Sie beschreibt die reichhaltige Fülle von Figuren, welche mit dem Begriff des Clowns bezeichnet werden. Damit wird verständlich, warum eine Definition des Clowns so schwierig ist:

2.2  Zur Figur des Clowns The term »clown,« when used generically, refers to a very extensive group of figures going back in time to the most primitive of tribal existence but equally at home in contemporary, technologically advanced societies. A fond figure of imaginative fiction, a pivotal participant in social ritual, or a very real person in the realm of historical fact, clowns reside in many worlds, often straddling the boundaries of fact, fiction, ritual, art and reality. This group is comprised of many and varied types known as: fool, court-jester, buffoon, theatre clown, mime-clown, silent film clown, alazon, eiron, bomolochos, commedia dell’arte clown, street clown, circus clown and ritual clown. In addition to these terms used to label the specific types, clowns are also referred to as: comedians, comics, drolls, farceurs, humorists, Harlequins, jokers, mimes, mummers, pranksters, tricksters, wags and wits. Often there is neither absolute consensus on the exact referents of the various terms nor full agreement on their precise usage. They are, therefore, frequently used loosely or freely interchanged. (Tobias 2007: 37, vgl. Mitchell 1992: 18/9, 32)

Versuche, die Essenz des Clowns trotz der genannten Schwierigkeiten zu erfassen, heben vor allem zwei Aspekte hervor: den des Spaßmachers oder Entertainers einerseits und den der antagonistischen Position des Clowns in Bezug auf soziale Normen andererseits (vgl. Winkler 1977: 15, Cheesmond 2007: 9). Winkler bringt beide Aspekte zusammen, wenn sie den Clown als einen »man whose deviations from accepted social standards are exploited for the purpose of comedy« (1977: 19) beschreibt. Problematisch erscheint ihre Verwendung des Wortes man, wie ich noch ausführen werde. Eine hervorragende Erfassung des Wesens des Clowns bietet Wolfgang Zucker: The clown is a grotesquely comical figure appearing in the folklore, customs, plays, and artistic expressions of all civilizations and all ages. In spite of wide local and temporal variations this figure has some universally characteristic features. He evokes laughter and gives some strange psychological satisfaction by an appearance and a behavior that elsewhere in society are repudiated, ahorred, and despised. He is not only allowed but even expected to act and to speak in a way which his audience, while being amused, considers entirely improper, inadequate, and out of order. Whether he is a court jester or the harlequin of the popular comedy, the Fool of the Elizabethan stage, or merely a pathetic hunchback and cripple in the town tavern or at the village fair, he always is separated from the audience that laughs at him by his queer and contrary behavior, attire, and speech. His very universality seems to indicate that we have to do with an archetype, preceding and transcending the field of aesthetic expression. (1954: 310)

Obgleich ich diesen Ausführungen im Wesentlichen zustimmen würde, erscheint es mir unablässig, einen weiteren Punkt in die Diskussion aufzunehmen. Um die Schwierigkeit, welche ich sehe, zu verdeutlichen, möchte ich mit einer kurzen Anekdote beginnen, die Annie Fratellini in ihrem Buch referiert:

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2. Theoretischer Teil ›Ça mange quoi, un clown?‹ Cette question posée par une petite fille m’a fait percevoir le mystère, vertu essentielle du clown. Je rêve d’anonymat. Être clown, seulement clown. On ne doit pas savoir qui il est, d’où il vient, l’âge qu’il a. Il est mythique, poésie de l’absurde. L’enfant accepte cette logique. Comme celui qui garde en lui la fraîcheur de l’enfance. […] [C]ette question: ça mange quoi, un clown? doit rester sans réponse. (1989: 161)

Die unschuldige Frage des Kindes nach den natürlichen Bedürfnissen des Clowns und die Schwierigkeit, hierauf eine Antwort zu finden, machen darauf aufmerksam, dass sich im Körper des Clowns, der notwendigerweise immer gleichzeitig der des Darstellers ist, zwei voneinander unterscheidbare Entitäten befinden. Einerseits der ›Clown‹, der all diejenigen Eigenschaften besitzt, die man traditionellerweise mit diesem verbindet, also der extravagant Gekleidete, Naive, Kindliche, zum Scheitern Verurteilte, der immer einen Schritt zurück liegt. Andererseits der diese Figur verkörpernde Darsteller, der sich gerade dadurch auszeichnet, diese Eigenschaften nicht zu besitzen. Er ist nicht nur seiner Figur, sondern auch uns, den Zuschauern, einen Schritt voraus. Wenngleich dies für beinahe alle von Schauspielern verkörperten Figuren in den darstellenden Künsten zutrifft, möchte ich dies hier besonders herausstellen, da es bei den hier untersuchten Filmen eine dritte Ebene gibt, auf die ich gleich eingehen werde. Auf diese spezifische Dopplung im Falle des Clowns geht Peter Bu in seiner Definition der Figur ein: »Peut être considéré comme clown tout acteur possédant parfaitement ses moyens de perception et d’expression, mais jouant comme si ce n’était pas le cas (donc, comme s’il était naїf ou diminué d’esprit et/ou incapable de parler, de bouger, de jongler etc.).« (1982: 31) Die Unterscheidung zwischen der Bühnenfigur und dem diese erzeugenden Künstler, welche beide denselben Körper teilen, wird bei Definitionsversuchen oft übersehen, was sicherlich zu den scheinbar widersprüchlichen Aussagen über die Charakteristika des Clowns beiträgt. Selbst der unfreiwillige Clown schlüpft in seine Rolle und wieder heraus. Nur vor Publikum ›ist‹ er Clown. Es ist demnach stets der hinter der Maske verborgene Mensch, der einen Schritt voraus ist, den Überblick hat, versteckte Verbindungen erkennt und so Kritik an herrschenden Verhältnissen üben kann. Durch das Verhalten des von ihm dargestellten Clowns, der an der vermeintlichen Logik des Systems scheitert, wird diese als unlogisch entlarvt. So macht er zugleich darauf aufmerksam, dass sowohl das System, in dem wir uns bewegen, als auch die Regeln und Verhaltensweisen, die ihm zugrunde liegen, äußerst fragil sind und einer eingehenderen Prüfung nicht standhalten. Durch seine Unfähigkeit, sich dem Funktionieren der Dinge anzupassen und unterzuordnen, stellt er das jeweils gültige Wertesystem in Frage. Der Clown – also die naive Bühnenfigur – hat nicht die Intention, uns zum Nachdenken über die Strukturen, in denen wir uns bewegen, anzuregen, sondern tut dies automatisch durch sein Verhalten. Dem Darsteller, der den Clown verkörpert, also dem Künstler auf der Bühne oder der filmischen Figur kann man dagegen die Absicht unterstellen, diese Reflexion erzeugen zu wol-

2.2  Zur Figur des Clowns

len. Mário Fernando Bolognesi bringt das Beobachtete auf den Punkt, wenn er schreibt, dass der Clown »autor e actor« gleichzeitig sei (2003: 70). Die Unterscheidbarkeit beider wird jedoch durch die Tatsache erschwert, dass die Kreation eines Clowns ein sehr persönlicher Akt ist und der Darsteller seiner Figur nicht nur den Körper leiht, sondern eigene Persönlichkeitsmerkmale auf den Clown überträgt. Martínez Bell schreibt hierzu: Hay clowns actores que sí lo hacen bien y uno no se da cuenta de eso. Pero no dejan de ser actores. Para mí un payaso es un payaso, un ser único. Es su personaje. Lo va recreando y lo va cambiando como vamos cambiando nosotros durante la vida. Yo no soy el mismo payaso que cuando tenía veinte años. Porque era una persona y ahora que tengo cuarenta y cinco soy otra. (In: Grandoni 2006: 48, Hervorhebung Y.A.)

Martínez’ Kollege Chacovachi teilt diese Ansicht: »Hay tres formas de actuar, creo yo. Está la representación, la interpretación y ser. Yo creo que al payaso le cabe esa: la de ser.« (In: Grandoni 2006: 52) Doch selbst wenn diese Aussagen für die konkrete Kunst des Clowns zutreffend sein mögen und eine sonderbare Durchdringung von Figur und Darsteller stattfindet, muss auf theoretischer Ebene dennoch zwischen beiden unterschieden werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass man zwar sagen kann, wie der Clown ist, welche Eigenschaften er besitzt, aber nicht wer er ist, da er einer eigenen Körperlichkeit entbehrt, auf den Körper seines ›Schöpfers‹ angewiesen ist und sowohl körperliche als auch Eigenschaften des Verhaltens mit diesem teilt. Maxim Weintraub nimmt auf diese Unterscheidung Bezug und führt die Bedeutung von Maske und Kostüm in die Diskussion ein: Indeed, the very ›essence‹ of the clown hinges on a clichéd idiom of signs embalmed in its cosmetics and woven into its costume that signal different stock character types (a happy or sad clown) and traits (clumsiness or naiveté). As ultimately nothing but a surface of signs, the clown is a figure inscribed in and prescribed by representation, one whose effect hinges on an acknowledgement from its audience of its own status as a sign. In short, a clown is only what its excessive makeup and costume signifies – there is nothing behind the mask. (2007: 76)

Während ich der besonderen Bedeutung der Clownsmaske als Zeichen zustimme, erscheint mir wichtig, zu betonen, was in diesem Zitat nur angedeutet wird: Der Clown ist nur, was seine Maske bedeutet. Dass dies, vor allem im Film, ein ungeahntes Bedeutungsspektrum nach sich zieht, wird an den analysierten Filmen gezeigt. In den hier untersuchten Filmen ist die Situation komplexer als in theatralen Situationen, da zu dem beschriebenen Sachverhalt noch eine dritte Ebene hinzukommt. Auf der ersten Ebene befindet sich der Schauspieler, welcher eine Figur interpretiert bzw. verkörpert. Diese wäre auf einer zweiten Ebene anzusiedeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass »Zuschauer […] in Spielfilmen stets

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2. Theoretischer Teil

Darsteller als Figuren und damit beide Ebenen simultan [sehen].« (Kirsten 2013: 151) In Filmen, in denen Clowns vorkommen, ist es meist nicht der Schauspieler direkt, der den Clown spielt, sondern eine Figur, die innerdiegetisch in die Rolle eines Clowns schlüpft. Das bedeutet, dass zwischen Schauspieler und Clown eine zusätzliche, dritte Ebene eingeschoben ist. Dies gilt jedoch nur für Filme, in denen eine Figur zeitweise als Clown kostümiert bzw. maskiert auftritt und in anderen Momenten nicht. In solchen, in denen die Figur einzig und allein im Clownskostüm zu sehen ist, ähnelt die Situation derjenigen im Zirkus oder Theater. Ein entscheidender Unterschied besteht jedoch darin, dass die Figur im Film Teil einer Figurenkonstellation und eines weiteren Handlungszusammenhanges ist, die der Bühnensituation einer Clownperformance oft fehlt. Kurz gefasst muss zwischen dem Künstler als Clown und dem Clown in der Kunst unterschieden werden. Zum Abschluss dieser Ausführungen möchte ich eine eigene Arbeitsdefinition des Clowns vorschlagen: Der Clown ist eine Figur, die sich durch ihr ungewöhnliches, der bestehenden gesellschaftlichen Norm zuwiderlaufendes Aussehen und Verhalten auszeichnet und dadurch die Ordnung in Frage stellt oder zumindest anzweifelt. Dieses Verhalten zeichnet sich meist durch Unvermögen, Tollpatschigkeit, Lächerlichkeit und Scheitern aus. Durch sein Aussehen und Verhalten bewirkt der Clown eine entlastende Erheiterung des Zuschauers und übt dabei gleichzeitig eine Kritik an herrschenden Verhältnissen. In der Regel wird ein Clown auf den ersten Blick durch Tragen eines charakteristischen Kostüms und einer Clownsmaske als solcher identifiziert; dies ist aber keine notwendige Voraussetzung, um als Clown erkannt und als solcher bezeichnet zu werden. Des Weiteren ist der Clown an denselben Körper wie der ihn zum Leben erweckende Künstler gebunden, unterscheidet sich jedoch grundlegend in seinen Eigenschaften von diesem.

2.2.3 Wesentliche Merkmale des Clowns Wenn es um die Charakteristika eines Clowns geht, sehen sich Forschende mit dem Problem konfrontiert, dass in der einschlägigen Literatur oft nicht spezifiziert wird, von welchem Clownstyp die Rede ist. Gerade der Weißclown und der August unterscheiden sich in ihren Merkmalen so stark voneinander, dass es kaum Übereinstimmungen gibt. In den meisten Fällen scheinen sich die Ausführungen eher auf den Dummen August oder dessen historische Vorfahren zu beziehen als auf den Weißclown, den Pierrot, den Tramp oder den Joker. Götz Arnold bestätigt diese Vermutung, wenn er über das Verhältnis von August zu Weißclown schreibt: In der weiteren Entwicklung des Clowns verliert der ›Weiß-Clown‹, der zunächst mit dem August (oder auch Rot-Clown) zusammenarbeitet, zunehmend an Bedeutung und verschwindet fast ganz. Der August übernimmt seinen Namen, er ist es nun, der mit der Bezeichnung

2.2  Zur Figur des Clowns ›Clown‹ assoziiert wird. Von dieser Clownfigur aus gehen denn auch die wesentlichen Entwicklungslinien in andere Unterhaltungsbereiche jenseits des Zirkus‹. (1991: 203)

Annie Fratellini erklärt den Ursprung dieser Entwicklung: »L’arrivée de l’auguste modifie le rôle du clown classique et permet un contraste nécessaire, une opposition. A partir d’une tradition, le clown réinvente.« (1989: 66) Die Identifizierung des Terminus Clown mit dem Typ des Dummen August scheint so weit zu gehen, dass »le langage courant rempli souvent ›clown‹ pour ›l’auguste‹« (Auguet 1982: 153). Aus diesen Gründen werden sich die folgenden Charakteristika zunächst auf diesen Typus beziehen, weshalb sie auf den Weißclown nicht oder nur in Ausnahmefällen zutreffen. Auf diese Figur werde ich vereinzelt sowie am Ende des Kapitels etwas ausführlicher eingehen.

2.2.3.1 Erscheinungsbild Das wohl offensichtlichste Merkmal des Clowns ist sein ungewöhnliches und extravagantes Aussehen. Faye Ran spricht von »idiosyncratic appearance and behaviour« (2007: 27). Dabei ist festzuhalten, dass das Clownskostüm als solches nicht existiert. Nicht nur ist zwischen den äußerst verschiedenen Kostümen von Dummem August, Weißclown oder Tramp zu unterscheiden; selbst innerhalb dieser Kategorien sind die Kostüme höchst individuell und auf den verkörperten Typ und die entsprechende Situation zugeschnitten. Für die Bekleidung des August ist ein Verschnitt des klassischen Herrenanzugs typisch, mit viel zu großen, meist schwarzen Schuhen, einer langen Hose und einem riesigen Sakko oder Mantel. Darunter trägt er ein Hemd, oft in Kombination mit einer überdimensionierten, bunt gepunkteten Fliege. Ein Hut mit einer daran befestigten Blume rundet das Kostüm ab. Die bunten Farben dienen dabei ebenso der Karikatur des traditionell meist in gedeckten, dunklen Tönen gehaltenen klassischen Anzugs. Begonnen hat diese Tradition der Parodie der Herrenkleidung mit Joey Grimaldi: As a secondary source of inspiration for a clown’s costume we may mention the exaggerated parody of any fashionable or excentric style. Thus the costume of the Pantomime clown created by Joey Grimaldi included elements which parodied or satirized the dress of the dandy of his day. (Winkler 1977: 24, vgl. auch Hugill 1980: 95)

Der Weißclown unterscheidet sich in seiner Kostümierung grundlegend von dem soeben beschriebenen Bild. Nicht mehr die Parodie steht im Vordergrund, sondern die Eleganz, welche in Zusammenhang mit seiner dem August überlegenen Position zu sehen ist.5 Gewöhnlich dominiert die weiße Farbe sein einteiliges, elegantes, aus seidenen und schillernden Stoffen gefertigtes Kostüm, 5 | Auf das Verhältnis von Weißclown und August werde ich am Ende dieses Kapitels zurückkommen.

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2. Theoretischer Teil

das mit Pailletten besetzt ist und die Beine bis über die Knie bedeckt. Weiße Kniestrümpfe und feine, flache Schuhe sowie der charakteristische kegelförmige Hut runden das Kostüm ab. Constantin von Barloewen erklärt den Ursprung von August- und Weißclownkostümen mit deren Abstammung von den Typen der Commedia dell’arte: Die weiß geschminkte Maske des Weißclowns geht zurück auf den Pierrot der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der damals als einzige clowneske Figur weiß geschminkt war und keine Maske trug. Die eigentliche Kopfbedeckung des weißen Clowns, die bis in den heutigen Tag sein signifikantes Merkmal ist, erinnert an Pulcinella. Das bunte, teils zu weite, teils zu enge Lumpengewand des August erinnert an das aus Flicken zusammengesetzte trikotähnliche Kostüm des Arlecchino des 16. Jahrhunderts. (2010: 56/7)

Im Gegensatz zur namensgebenden Farbe des Weißclowns dominieren dunkle Töne das Kostüm des Tramps. Es ist meist abgetragen sowie zu groß, zu klein oder beides, was auf Armut und eine niedrige soziale Stellung hinweist (vgl. Hotier 1982: 128). Ihre Vorbilder waren nicht zuletzt die hobos, eine Wortschöpfung aus hoe (Hacke) und boy, die heimatlosen Wanderarbeiter in den USA. Diese schwierige gesellschaftliche Position und der Konflikt mit anerkannten Normen und Verhaltensweisen bilden den Kern des Werks von Charlie Chaplin, welcher neben Emmett Kellys bekanntem Clown »Weary Willie« die wohl berühmteste Trampfigur geschaffen und verkörpert hat. Auch auf die Clowns trifft also die Volksweisheit zu, dass Kleider Leute machen: Das Kostüm des August »échappe aux critères de la mode et, par conséquent, à la norme social« (Hotier 1982: 127) und vermittelt die niedrige soziale Stellung seines Trägers; der Weißclown hingegen bringt durch seine eleganten Kleider seine Machtposition zum Ausdruck. Hugues Hotier betont die Ähnlichkeit des kegelförmigen Hutes des Weißclowns mit dem Zylinder. Dieser fungierte in den frühen Zirkussen als Statussymbol, da er von den ob ihrer Kunstfertigkeit hoch angesehenen Reitern getragen wurde. »[L]e feutre écrasé« des August entspricht dagegen eher der Kopf bedeckung von Arbeitern oder Seeleuten (vgl. Hotier 1982: 128), was teils auch für den Hut des Tramps zutrifft. Alle diese Varianten haben einen gemeinsamen Nenner: den der Übertreibung. Alles ist dem Clown viel zu groß oder viel zu klein, wenn ihm etwas weh tut oder ihn traurig macht, tut es ihm sehr weh oder er ist sehr traurig. »Na Augusto, tudo é hipérbole« (Bolognesi 2003: 77), was auch für die anderen Typen gilt. Mehr noch als sein auffälliges und charakteristisches Kostüm ist es die Maske, welche den Clown sofort als solchen erkennbar werden lässt. Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass sogar linguistisch ein Zusammenhang zwischen dem Begriff und dem Clownesken besteht, da das Wort ›Maske‹ vom arabischen mas-chara kommt, was mit »Scherz, Maskerade, Spaßmacher, maskierte Person« (Littmann 1924: 100, vgl. Ran 2007: 29, Winkler 1977: 25) oder »Verspottung, Possenreißer, drollig« (Duden 1993-5: 2209) übersetzt werden kann. Von dem

2.2  Zur Figur des Clowns

Borne geht detaillierter auf diese Verbindung ein: »Das Wort Maske kommt aus dem Arabischen, wo mas-chara so viel wie Gegenstand des Spottes bedeutet; muscha (ägypt.-arab.), das ebenfalls damit zusammenhängt, bedeutet Witzbold, Hanswurst, Clown; und masacha meint ›verwandeln‹.« (1993: 72) Die ›Maske‹ des Clowns ist selten eine Tragmaske, fast immer wird die Verwandlung durch Schminke erzeugt. Dies ist besonders wichtig, um dem Darsteller uneingeschränkte Bewegungsfreiheit des Gesichtes zu gewährleisten, durch die er einen bedeutsamen Teil der Komik erzeugt, wie Annie Fratellini erklärt: »Le principe même du maquillage est d’être vu de loin, d’accentuer les effets, la mobilité du visage, et non de le cacher, comme le fait le masque.« (1989: 162) Die stark überzeichneten Gesichtszüge haben dabei zweierlei Bedeutung. Zum einen dienen sie dazu, die Maske (im Zirkus oder Theater) auch in den hinteren Reihen sichtbar zu machen, zum anderen sind sie im Zusammenhang mit der charakteristischen Übertreibung zu sehen, die das Clowneske durchzieht. So ist die Karikatur, die durch die Schminke entsteht, ein erstes Mittel, um Komik zu erzeugen. Gerade für den Dummen August ist diese kennzeichnend: »En Europe, […] le principe du maquillage de l’auguste est la caricature.« (Hotier 1982: 124) Über den Ursprung des mit dem Clown assoziierten überdimensionierten Mundes schreibt Heino Seitler: »Die Gewohnheit des Clowns, sich den Mund unwahrscheinlich groß zu schminken, soll auf die ›lachenden Männer‹ zurückgehen, jene armen Geschöpfe, die von gewissenlosen Menschen seinerzeit auf künstliche Weise entstellt wurden, um so ein Schauobjekt abzugeben.« (1981: 25) Die furchtbare Gewohnheit, Menschen zu verstümmeln oder zu entstellen, um aus dem Mitleid, das sie dadurch erzeugen, Kapital zu schlagen, wird auch in mehreren Filmen thematisiert. So in dem von Paul Leni in den USA realisierten, auf einem Roman von Victor Hugo basierenden Stummfilm The Man Who Laughs (Der Mann, der lacht, 1928), in der Neuverfilmung L’homme qui rit (The Man Who Laughs, FRA, CZE 2012, R: Jean-Pierre Améris) oder bei der Figur des Jokers aus The Dark Knight, welcher The Man Who Laughs als Einfluss anerkennt. Die geschminkte Maske des Clowns ist eine sehr individuelle und personalisierte: »There are hundred of clowns, but no two make-ups are alike.« (Crowther 1978: 30) Annie Fratellini gibt eine mögliche Erklärung dafür: »Je ne connais pas un seul clown dont le maquillage ne corresponde à son être profond.« (1989: 164) Dies stimmt mit zahlreichen Anleitungen zum Clownsberuf überein, in denen immer wieder dazu geraten wird, die eigene Persönlichkeit in die entstehende Figur einfließen zu lassen. In Noviembre (Das Novembermanifest, ESP 2003, R: Achero Mañas) wird diese Forderung parodiert: Der Protagonist Alfredo (Óscar Jaenada) bietet in der Theaterausbildung eine überragende Leistung, die er scheinbar durch die Erinnerung an den frühen Verlust seiner Eltern, welche er in sein Spiel einbringt, erzielt. Später stellt sich der Tod der Eltern als freie Erfindung heraus. Dadurch widerlegt Alfredo die Theorie der Ausbilder, nach der das Einbringen eigener Erfahrungen eine bessere Performance erlaubt. Damit ist der Figur des Alfredo die Rebellion eingeschrieben, die dem Clown eigen und für

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das hier verhandelte Thema von besonderer Bedeutung ist (vgl. Kap. 3.4). Doch nicht nur innerhalb der Diegese von Noviembre ist die Forderung nach dem Verschmelzen von Darsteller und Figur zu relativieren. Im Kino ist sie im Allgemeinen schwerer umsetzbar als im Theater, da hier der Darsteller der Clownsfigur nicht unabhängig auftritt, da auch der Clowndarsteller meist eine gespielte Figur in der Diegese ist. Zudem wird die Figur nicht nur durch Maske, Kostümierung und das Schauspiel des Darstellers gestaltet, sondern ebenso durch andere künstlerisch-technische Mittel wie Kadrierung, Schnitt, Tonmischung uvm. Nicht zuletzt steht die Handlungsfunktion oft gegenüber der ›Persönlichkeit‹ der Figur im Vordergrund – eine Tatsache, welcher Maske und Kostüm Rechnung tragen. In diesem Zusammenhang scheint es bedeutsam, dass wir durch mediale Stereotype dazu neigen, filmischen Figuren bestimmte Eigenschaften je nach ihren physischen Merkmalen zuzuschreiben (vgl. hierzu auch Kap. 2.3.4.1). Ein wesentliches Element der Clownsmaske, und das einzige, für welches selbst bei Schminkmasken meist eine Aufsatzmaske verwendet wird, ist die berühmte rote Nase. Diese wird »als kleinste Maske der Welt apostrophiert« (Weihe 2004: 17). Sie ist ausreichend, um einen Clown als solchen zu kennzeichnen, was auch in vielen Filmen der Fall ist. Hugues Hotier erhellt die Bedeutung derselben: »On sait qu’un nez plus gros que la norme définie par les formes les plus courantes est source de comique, voire de ridicule […]. Et que dire du nez rouge qui, dans la tradition populaire, est l’apanage de l’ivrogne.« (1982: 124) Durch diese Verbindung kommt die Karikatur als wesentliches Merkmal des Clownesken erneut zum Tragen. Ebenso ist in diesem Zusammenhang die Frisur des Clowns hervorzuheben. In Religion und Mythologie haben die Haare einen sehr hohen Stellenwert; sie gelten als Sinnbild, vereinzelt gar als Sitz von Kraft und Leben. Die Halbglatze, die dem August eigen ist, symbolisiert deshalb eine tendenzielle Schwäche. Die Karikatur ist jedoch vor allem in der Haarfarbe zu sehen. Das charakteristische orange-rot ist als selten vorkommende Haarfarbe leicht dem Spott erlegen: Le rôle de la chevelure est bien connu dans notre société. […] C’est pourquoi le clown soignera particulièrement cet élément, alors que l’auguste adoptera une perruque hirsute, généralement rousse, car cette couleur est connotée péjorativement dans la tradition et le vocabulaire populaires (qu’on se reporte à des mots en forme de quolibets comme ›rouquin‹ ou ›poil-de-carotte‹). Cette connotation s’explique par la place statistiquement minoritaire du roux dans la palette des couleurs de cheveux de la société européenne. […] Les cheveux de l’auguste doivent être mal coiffés et mal coupés, cette négligence participant encore à l’incompréhension des modes et des signes socioculturels par l’auguste. Le crâne chauve est aussi l’objet de risées et de moqueries dans notre société. (Hotier 1982: 124)

Da Clowns und ihre Maskierung und Kostümierung höchst individuell sind, erscheint mir die Funktion des Kostüms weitaus bedeutender als eine detaillierte Beschreibung desselben. Peter Burke nennt als naheliegende, dennoch umso wichtigere Funktion, dass man unter der Maske nicht erkannt wurde und somit

2.2  Zur Figur des Clowns

nicht für sein Verhalten belangt werden konnte: »Die Menschen durften sich unter ihren Masken von ihrer alltäglichen Persönlichkeit befreien, denn die Verkleidung vermittelte ihnen ein Gefühl der Straflosigkeit, wie bei den Märchenfiguren, die eine Tarnkappe trugen.« (1981: 216) Das Zitat richtet die Aufmerksamkeit auf die Befindlichkeit des Kostüm- oder Maskenträgers. Dieser wird durch die Verkleidung unkenntlich und kann so ungenierter auftreten. Dies gilt auch für den Clown, da alle der hier genannten Kostüme die sich dahinter befindende Person soweit verändern, dass sie nicht mehr zu erkennen ist. Die Maske erlaubt es daher, Dinge zu sagen, die man ohne sie nicht aussprechen dürfte und würde (vgl. von dem Borne 1993: 72), was wiederum damit zusammenhängt, dass die Maske ihren Träger verwandeln kann (vgl. Kap. 2.3.1.5). Richard Weihe zeigt dies am Beispiel ritueller Tänzer: Durch seine Präsenz [des Maskenträgers] wird die maskierte Figur als eigenständiges ›Maskenwesen‹ begriffen; die Maskierung ist mehr als eine bloß äußerliche Verwandlung des Tänzers, die Maske ergreift quasi auch von seinem Körper Besitz. Sie assimiliert den Träger mit demjenigen, was sie versinnbildlicht, und verleiht ihm aus der Sicht der Teilnehmer am Ritual auch dessen Wirkungskraft. (2004: 22)

Die Veränderung betrifft also sowohl den Träger der Maske als auch dessen Publikum. Den Aspekt der Verwandlung erwähnt auch Johan Huizinga in seiner Studie zum Spiel. Als Beispiel dient ihm die Perücke der englischen Juristen, die ihren Träger zu einem anderen mache (vgl. 1971: 80). Diese Verwandlung und der Umstand, dass sie, wie im Zitat von Weihe anklingt, auch von Seiten der Rezipienten als solche wahrgenommen wird, ist meiner Meinung nach der Hauptgrund dafür, dass der Maskenträger unbestraft aus einer kritischen Situation hervorgehen kann. Die berühmte Narrenfreiheit, die noch heute dem Clown eignet, ist vor diesem Hintergrund zu betrachten. Die Verwandlung – von Mensch/ Schauspieler zur Bühnenfigur, also das Eintreten in eine Rolle – ist zudem Voraussetzung für das Entstehen von Komik. Wir müssen den Clown in seiner Rolle wahrnehmen, um sicher zu sein, dass das, was passiert, ihm und nicht dem Darsteller geschieht. Eine zentrale Funktion von Maske und Kostüm ist demnach, als »OK signal« zu dienen (Wright 2006: 7).

2.2.3.2 Die Funktionen des Clowns Trotz dieser vielfältigen Erscheinungsweisen des Clowns sind sich die Forscher hinsichtlich seiner Hauptfunktion einig: seine Rolle als Spaßmacher. So findet beispielsweise Constantin von Barloewen: »Bei aller Vielfalt der Erscheinungsformen bleibt den Clowns die gemeinsame Funktion der ›delightmakers‹, gleichgültig, ob sie gefürchtet, verlacht oder als ans Übernatürliche grenzende Figuren verehrt werden.« (2010: 21) Der vor kurzem dank der Restaurierung seiner Filme wiederentdeckte Clown Pierre Étaix teilt diese Meinung: »Évidemment, dans l’art clownesque, le plus précieux, le plus important, c’est le rire.« (1982: 40) Eine For-

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2. Theoretischer Teil

mulierung, die einen entscheidenden Aspekt ergänzt, stammt von Faye Ran. Sie schreibt, dass der Clown »target and source of humour and laughter« sei (2007: 27; Hervorhebung Y.A.). Dies scheint mir eine der wesentlichen Eigenheiten des Clowns und gleichzeitig ein Unterscheidungsmerkmal zu vielen anderen Komikern zu sein. Der Clown erzeugt Lachen, indem er sich selbst zum Objekt desselben macht. Seine missliche Lage und die Bedrängnis werden zur Zielscheibe des Spotts: »[He] turn[s] something serious into fun.« (Cheesmond 2007: 17) Die unangenehme Situation, in die sich der Clown selbst immer wieder bringt, »is seen as amusing, even though he or she symbolises what is sad« (Lewis 2007: 95). Eine wichtige Eigenschaft des clownesken Humors ist also, dass er »dem Zuschauer das Trauerspiel als Komödie erscheinen lässt« (von Barloewen 2010: 86). Durch seine Clownereien werden die Zuschauer zum Lachen angeregt und dadurch von der Anspannung, die sich im Alltag aufstaut, zeitweise befreit: »People have always needed laughter to take their minds off their problems. The clown’s first job must be to make his audience laugh. But a good clown can do much more than that.« (Crowther 1978: 5) Das Lachen erfüllt also, wie schon Bergson (2011: 17) schreibt, auch im Falle des Clowns eine bedeutende soziale Funktion. Das Lachen, das der Clown hervorruft, kann dabei von zweierlei Natur sein. Entweder lachen wir, weil wir in der Vorführung des Clowns unser eigenes Scheitern erkennen, oder wir lachen über ihn, über seine Missgeschicke (vgl. Arnold 1991: 137) und tun damit genau das, was dem Clown selbst verwehrt oder verboten ist: Der Clown, so Oleg Popov, »darf […] niemals auf Kosten anderer Lachen erwecken« (1993: 8). Auch Winkler erwähnt die soziale Funktion des Lachens und macht darauf aufmerksam, dass es im Fall des Clowns über sich hinausweist: »Laughter, after all, has a social function, and according to the degree to which the clown makes this social function transparent he is moving imperceptibly towards a more complicated role in entertainment« (1977: 47). Es lässt sich festhalten, dass die charakteristische »silliness« (Cheesmond 2007: 16) des Clowns sowie das Lachen, das durch sie hervorgerufen wird, nicht selbstgenügsam, sondern stets auch selbstreflexiv sind und »in the service of serious ends« (Mitchell 1992: 3) stehen. An dieser Stelle möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass die so offensichtliche Hauptfunktion des Clowns als lustigem Spaßmacher im Kino nur selten nachgewiesen werden kann. Während es selbstverständlich Fälle gibt, in denen der Clown als solcher in Erscheinung tritt, allen voran in Filmen der berühmten Filmclowns wie Keaton, Tati oder Lewis, ist doch auffällig, dass eine Vielzahl von Clowns, oder vielmehr Figuren, die im Laufe des Films als solche maskiert auftreten, nicht erheiternd auf ihr Publikum wirken. Der Grund, warum ich die erwähnten Komiker als Film-Clowns bezeichne, obgleich die von ihnen geschaffenen Figuren keine Clownsmaske im eigentlichen Sinne tragen, ist, dass sie beinahe alle hier diskutierten Merkmale aufweisen und nach der oben aufgestellten Arbeitsdefinition als Clown gelten können.

2.2  Zur Figur des Clowns

2.2.3.3 Der Clown und das Spiel Neben seiner Funktion als Spaßmacher wird der Clown – insbesondere der Dumme August – oft mit Begriffen wie kindlich, naiv oder verspielt umschrieben. Johan Huizinga spricht dem Clown allerdings nur eine lose Verbindung zum Spiel zu: »Die komische und zum Lachen reizende Mimik eines Clowns kann man nur in einem weiteren Sinne Spiel nennen.« (1971: 13) Constantin von Barloewen hingegen affirmiert den Spielcharakter der clownesken Kunst (vgl. von Barloewen 2010: 129). Im Folgenden geht es also darum, die Verbindung des Clowns zum Spiel genauer zu untersuchen, um diese Aussagen beurteilen zu können. Huizingas Definition des Spiels findet sich vor allem in dem folgenden Zitat: Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel also zusammenfassend eine freie Handlung nennen, die als ›nicht so gemeint‹ und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders als die gewöhnliche Welt herausheben. (1971: 20)

Geht man von dieser sehr detaillierten und einleuchtenden Charakterisierung aus, ist es sicher richtig, dass nicht alle diese Merkmale auf die clowneske Darbietung zutreffen. Andere dagegen sehr wohl, wie die Abgrenzung durch Zeit und Raum sowie die Verortung ›außerhalb des gewöhnlichen Lebens‹. Auch die vollkommene Hingabe an die Sache kann dem Clown attestiert werden. Ebenfalls ist die Befolgung von Regeln dem Clownspiel eigen, selbst wenn es sich auf den ersten Blick gerade durch die Brechung derselben auszeichnet – wobei auch dies als Regel betrachtet werden kann. Das Publikum ist sich durch bestimmte Signale stets des Spielcharakters der Vorführung bewusst und weiß, dass keine Gefahr besteht. Denn »innerhalb des Spielplatzes herrscht eine eigene und unbedingte Ordnung« (ebd.: 17), in der »die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung« haben (ebd.: 20). Das clowneske Spiel hat seine eigenen Regeln und seine eigene Logik, welche strikt befolgt werden. McManus spricht in diesem Zusammenhang von der »Clownslogik«, die der eigentlichen Ordnung entgegengesetzt ist (McManus 2003: 12). Sobald die Regeln und Konventionen durchbrochen werden, löst sich die Welt des Spiels auf (vgl. Huizinga 1971: 19). Dies geschieht beispielsweise in sogenannten Killer-Clown-Filmen (vgl. Kap. 3.3). Wenn man noch andere Ausführungen zum Spiel heranzieht, wird die Nähe des Clowns zu diesem noch deutlicher. Nach dem Anthropologen David F. Lancy sind »repetition«, »exaggeration«, »reversal or inversion«, »reordering« sowie »transformation« und »play signals« (Lancy 1980: 472/3) wesentliche Eigenschaften des Spiels, die allesamt auch auf die Performance eines Clowns zutreffen. Die Komik, die dieser erzeugt, ist geprägt von einer häufigen Wiederholung derselben

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2. Theoretischer Teil

Aktion, oft verknüpft mit einem Scheitern an der vorgenommenen Aufgabe. Hier fällt die Verbindung zum Kindlichen auf, da Kinder unablässig Bewegungen und Handlungsabläufe zum Zwecke des Lernens wiederholen müssen. Die Übertreibung, die Lancy als zweites Merkmal nennt, wurde schon zu Beginn des Kapitels als konstitutiv für den Clown festgestellt. Auch die Umkehrung und Verkehrung ins Gegenteil sowie die damit oft einhergehende Neuordnung sind bedeutende Eigenheiten des Clownesken. Die Verwandlung kommt beispielsweise bei Zaubertricks zum Tragen, kann aber im weiteren Sinne auch für die Verwandlung von Einstellungen des Publikums geltend gemacht werden. Schließlich ist der Einsatz von ›Spielsignalen‹, die Wright unter dem Begriff des ›OK signals‹ (2006: 7) fasst, fundamental für das Zustandekommen des clownesken Spiels bzw. für seine Rezeption als solche. Denn erst der Einsatz dieser Signale gibt dem Publikum die Gewissheit, dass es sich um ein Spiel handelt und weder dem Clown noch seinen Zuschauern eine ernsthafte Gefahr droht. Ein weiterer Aspekt scheint mir wichtig: Während das Spiel auf den ersten Blick lustig, unterhaltsam und damit wenig seriös bzw. von geringer Bedeutung erscheinen mag, handelt es sich dabei um eine Fehleinschätzung, wie Huizinga schreibt: Denn das Spiel »kann sehr wohl ernsthaft sein« (1971: 13) und schafft eine Verbindung von zwei normalerweise voneinander getrennt und miteinander unvereinbar wahrgenommenen Polen: »Im Spiel wird die Untrennbarkeit und Einheit von Glauben und Nichtglauben, die Verbindung von Spaß und heiligem Ernst in eine Form gefasst.« (von Barloewen 2010: 131) Diese Vereinigung von scheinbaren Gegensätzen ist nicht nur dem Spiel, sondern auch dem Clown eigen.

2.2.3.4 Die spezifische Körperlichkeit des Clowns und seine Verbindung zum Kindlichen Zur Kindlichkeit, die ich hier im Zusammenhang mit dem Spiel bereits angesprochen habe, ist außerdem festzuhalten, dass der Clown eine ganz zentrale Eigenschaft mit Kindern teilt. Er fasst Dinge und Situationen ganz direkt auf, d.h. nur in ihrem unmittelbaren und offensichtlichen Sinn. Kulturelle Konnotationen, Nebenbedeutungen oder Ironie entziehen sich seinem Verständnis. Er ist in dieser Hinsicht wie ein kleines Kind, das noch nicht mit der Erwachsenenwelt vertraut ist, mit dem Unterschied, dass er aus seiner Erfahrung nicht dazu lernt. Immer wieder scheitert er an den gleichen Situationen, welche stellvertretend für gesellschaftliche Abläufe stehen. Mit dieser Kindlichkeit stimmt überein, was Fried und Keller für den August behaupten, nämlich dass er einen »vermehrte[n] Bewegungsaufwand bei herabgesetztem Denkaufwand« zeige (vgl. 1996: 207). Damit ähnelt er dem Kind, das über körperliches Ausprobieren seinen Erfahrungsschatz erst auf bauen muss. Ein weiteres Charakteristikum, welches den Dummen August dem Kindlichen annähert, hat Paul Bouissac herausgearbeitet. Er beschreibt die typischen Züge des Kindchenschemas in der klassischen Maske des August:

2.2  Zur Figur des Clowns The roundness of the face and the location of the eyes and nose approximately in the midline across its center are typical features of the heads of human babies. This effect is created by the addition of the wig, which increases the volume of the upper part of the face. Moreover, the erasing of eyebrows and the replacement of the long, vertical nasal appendage with a smaller, roundish artificial nose complete the transformation of the artists’s adult face into a stereotypical infantile pattern that has thus been magnified. (2015: 30/1)

Allgemein birgt die Wichtigkeit des Körpers für das kindliche Lernen Ähnlichkeit mit der »physical orientation of the clown« (Winkler 1977: 21). Sowohl bei Kindern als auch bei Clowns scheint der Körper des Öfteren eine Art Eigenleben zu führen. Beim Clown ist dies jedoch einer gekonnten Akrobatik zu verdanken. Constantin von Barloewen erklärt die besondere Bedeutung, die der Körper des Clowns hat: »Der Genius des Clowns liegt in seiner Fähigkeit, durch Beherrschung seiner Körpermechanik psychische Zustände auszudrücken.« (2010: 88) Der Körper ist somit ein Mittel zum Zweck; seine vollkommene Beherrschung eine unabdingbare Voraussetzung für den Clown, um sein Spiel und seine Kritik unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. Die ›Offenheit‹ seines Körpers (vgl. Bachtin 2006: 76) zeugt von seiner charakteristischen »vitality« (Tobias 2007: 38). Durch sie bringt er ein »animalisches Element« (von Barloewen 2010: 39) in seine Darbietung ein und rüttelt durch das Zurschaustellen von körperlichen Prozessen wie der Verdauung oder dem Sexualakt an Tabus und damit an gängigen Moralvorstellungen. Seine zur Schau gestellte Sexualität, so schreibt Ashley Tobias, »is often excessive, uninhibited and licentious« (2007: 38). Diese animalische Körperbezogenheit, die dem Menschen eigen ist, jedoch in der Gesellschaft oft durch Tabus verdrängt wird, betont Winkler: »[M]an in his lowest form, as represented by the clown, is a physical, animalic being.« (1977: 47) Durch die Offenbarung seiner Körperlichkeit zielt der Clown auf die Bewusstwerdung und Anerkennung auch unserer eigenen physischen Präsenz.

2.2.3.5 Die Sexualität des Clowns Die genannten Tabubrüche lassen ein weiteres Merkmal des Clowns auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen: seine Asexualität: »Le clown est asexué, pour aller au bout de son mystère.« (Fratellini 1989: 164) Dies bestätigt Federico Fellini, ein Regisseur, der in seinen Filmen immer wieder Clowns inszenierte: »Il clown no ha sesso.« (1993: 124) Es ist jedoch zu spezifizieren, dass »clowns are asexual but not ungendered« (Bouissac 2015: 147). Eine komplexe Geschlechtlichkeit ist schon der Figur des Narren aus dem Tarot eigen: »Der Narr selbst wird als zweigeschlechtlich interpretiert. Er vereint in sich die männlichen wie die weiblichen Aspekte und hat die Mann/Frau-Dualität überwunden – oder ist noch nicht in dieser befangen.« (Fried/Keller 1996: 229) Viele typische Clownskostüme machen diese Ununterscheidbarkeit des Geschlechts sichtbar, indem sie sekundäre Geschlechtsmerkmale verschleiern – beispielsweise durch den weiten Schnitt an den Hüften im Fall des Weißclowns oder die zu weite Kleidung im Falle des

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Augusts und Tramps. Ähnlich argumentieren Ann und Barry Ulanov, wenn sie schreiben: »[H]e depicts the dissociated or rejected female element in a man’s personality that is really part of his masculinity.« (1987: 8) Eine Anekdote über Anna Belling, die Frau des berühmten Tom Belling (vgl. oben), bestätigt diese Feststellung: »Das Augustkostüm verbarg Anna Bellings Geschlechtsidentität so perfekt, daß diese über die gesamte Zeit ihrer Zirkuskarriere hinweg ihr und ihres Mannes Geheimnis blieb.« (Fried/Keller 1996: 182) Die Tatsache, dass die Mehrheit der Clowns Männer waren und sind, ist aufgrund dieser der eher irrelevanten Geschlechtlichkeit verwunderlich. Die Erklärung, welche Winkler für das Paradox findet, scheint einleuchtend: »The fact that there have been far fewer female than male clowns in the history of western civilization probably tells us more about the position of women than about the nature of the clown.« (1977: 43/4) Gardi Hutter, eine berühmte Schweizer Clownin, spezifiziert, was das über die Rolle der Frau sagen kann: Komiker haben oft etwas Fratzenhaftes, Teuflisches, Unzivilisiertes; sie sind häufig aufmüpfig, frech, anarchisch, achten weder Autorität noch Moral und sind meist voll physischer Mängel. Sie sind lustig, aber nicht schön. Die Tugendforderungen an die Frau sehen aber ganz anderes vor: Sanftheit, Weichheit, Harmonie – und natürlich hat eine Frau schön zu sein. Daß es kaum komische Frauenrollen gibt, hängt aber auch mit dem Aspekt der Macht zusammen. Komik ist immer die Umkehrung der Machtverhältnisse. Die Komiker erlauben sich Frechheiten gegen die Obrigkeit. Die Frauen hatten nie oder nur wenig Macht. Ihrer Rolle und ihrem moralischen Druck entsprechend, konnten sie nur im Verborgenen über die Männer tratschen und kichern. Hätten sie dies öffentlich getan, wären sie bestraft worden. Sie hatten keine clowneske Freiheit. Dabei gibt es keinen ›inneren‹ Grund, warum Frauen nicht ebenso komisch sein könnten wie die Männer. (In: Lanfranchi 1997: 85/6)

2.2.3.6 Ambivalenz, Transgression und die Vereinigung von Gegensätzen Die sexuelle Uneindeutigkeit geht Hand in Hand mit einem weiteren zentralen Merkmal des Clowns: seiner Ambivalenz (vgl. z.B. Ran 2007: 27). Oft scheint der Clown eine gespaltene Persönlichkeit oder zwei Gesichter zu haben, die sich jedoch gegenseitig vervollständigen. Dies führt dazu, dass wir ihn als ambivalente Gestalt wahrnehmen, die sich einer Klassifizierung immer wieder entzieht. Diese Gespaltenheit hat weiterhin zur Folge, dass »[t]he contradictory sides of the clown image often separate and incarnate themselves into two distinct but complementary characters« (Zucker 1954: 311). Diese Figuren, von denen Wolfgang Zucker spricht, sind im klassischen Zirkusclown-Duo der Dumme August und der Weißclown. Darüber herrscht bei den Forschern zum Clown Einigkeit: »Keine anderen zwei Figuren der Bühne wurden je so einstimmig als komplementäre Aspekte ein und derselben Person interpretiert wie Dummer August und Weißclown« (Fried/ Keller 1996: 205). Die Autoren dieses Zitats, Annette Fried und Joachim Keller, bezeichnen den Clown folglich »als frühes Symbol für Vollständigkeit ebenso wie

2.2  Zur Figur des Clowns

für die Widersprüchlichkeit der Existenz« (ebd.: 17). Dies zeigt sich anhand der Sprache, in der sich die jeweiligen Welt- und Ordnungsvorstellungen – für die Sprecher oft unbewusst – spiegeln. So schreiben die zitierten Autoren in ihrem höchst interessanten Buch über die Clowns: »Die indianischen wie übrigens die meisten Ursprachen waren aus gegensatzfreien oder gegensatzvereinigenden, also unitären Begriffen aufgebaut.« (Ebd.: 26) Heute dagegen können wir vormalige Einheiten, wie z.B. die des Clowns, nur noch in Gegensatzpaaren begreifen (vgl. ebd.). Der Clown ist also einer, der scheinbar Gegensätzliches und Unvereinbares, aber ursprünglich Verbundenes zusammenbringt und in sich vereint. Wolfgang Zucker bietet eine ausführliche Übersicht clownischer Dialektik: He cannot be identified with any of the known roles of his contemporary social order, but he is immediately recognized; he is deliberately outlandish and yet undoubtedly familiar. His costume is grotesquely out of fashion and yet not without glamor and elegance. He certainly cannot boast wealth, yet his poverty is not pathetic. He has neither office nor recognizable vocation, but he can do practically everything and may therefore often appear in the role of a resourceful servant. Without question his presence is accepted, although he actually does not belong anywhere; either he does not know or he disregards all conventions, but at the same time he is able to extricate himself with hundreds of tricks from the most unpleasant situations. Neither family nor home is his own, frequently he gets whipped, and unheroically he complains about it, but we do not feel too much pity for him. His part in the general game is to receive the warboxings from and for everyone; yet, like those bulgy toy figures with heavy round bottoms, he stands up after every blow. Sometimes we may doubt whether the clown is human. (1954: 311)

Die Verbindung von scheinbar Unvereinbarem wird als inkongruent wahrgenommen, da wir es gewohnt sind, in Gegensatzpaaren wie ›gut/böse‹, ›hell/dunkel‹, ›dumm/intelligent‹ usw. zu denken. Eine solche clowneske »confusion of all customary categories« (Babcock-Abrahams 1975: 161) bedeutet eine Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung, da bestimmte Grenzen missachtet und übertreten werden. Eine solche Transgression lässt sich ganz konkret auch beim Zirkusclown beobachten, wenn er die Grenze, die der Manegenring bildet, nach Belieben überschreitet: Only the clown is allowed to remain in the ring while the other artists are performing; he comes and goes as he pleases, freely interrupting the other acts or wandering into the audience to watch the show from the lap of a pretty female spectator. (Swortzell 1978: 212)

Eine wichtige Funktion dieser Grenzüberschreitungen, die oft in Verbindung mit dem Brechen von Tabus steht, erkennt Liezel Spratley: »Ritual Clowns took on the roles of ›violator of taboos‹ and transgressor of civil and social laws in order to exempt the community from these transgression.« (2007: 49) Die Tatsache, dass

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der Clown mit seiner Übertretung die Gemeinschaft vor ähnlichen Grenzüberschreitungen bewahrt, sichert die Stabilität derselben: [T]he violation of taboo is an individual act, singular and exceptional. The stability of the social order, resting as it does on the observance of taboos, would be jeopardized should the act of transgression be committed by the group as a whole, or with their approval. (Makarius 1970: 54)

Der Clown repräsentiert demnach »what is to be incorporated or excommunicated to ensure communal survival« (Lewis 2007: 95). Es ergeben sich zwei Möglichkeiten, mit einer Bedrohung, wie sie der Bruch eines Tabus darstellt, umzugehen: Entweder man beseitigt das störende Element oder man lacht es aus (vgl. ebd.). Interessant scheint mir daher zu fragen, wie in Filmen mit der Figur des Clowns umgegangen wird. Wird er nur verlacht oder als Sündenbock ›beseitigt‹? Ashley Tobias zeigt die Verbindung zwischen der Grenzüberschreitung des Clowns, seiner Vereinigung von scheinbaren Gegensätzen und der damit verbundenen Infragestellung von »grundlegenden Annahmen, Hierarchien und Werten der etablierten Ordnung« auf: The clown’s unrestrained vitality and his inability, or unwillingness, to behave in accordance with the normal order of things, results in him transgressing all manner of clearly defined boundaries. In doing so he invariably brings into incongruous fusion disparate elements, which are conventionally kept apart by such boundaries. The clown’s crossing of boundary implies both transgression and hybrid fusion, and as such is an expression not only of his anarchic spirit but of his association with the principles of order-chaos-reorder. By irreverently crossing boundaries, the clown destabilises those boundaries and reduces to chaos the order they establish and maintain. Through his transgressive actions, the basic assumptions, hierarchies and values of the established order that are upheld by the various boundaries are questioned, reassessed and subverted. (Tobias 2007: 38, vgl. Willeford 1969: 108)

Joseph Durwin fügt diesem Punkt in seinem Artikel »Coulrophobia and the Trickster« einen wichtigen Aspekt hinzu. Er macht deutlich, warum die Marginalisierung des Tricksters, welcher wesentliche Eigenschaften mit dem Clown teilt, mit der aufgeklärten Moderne zusammenhängt, die uns Rationalität statt Verzauberung als erstrebenswert verheißt: As Hansen points out, the importance of Trickster tales is downgraded in more formal, bureaucratic state-level societies such as ours, as are shamans and anyone who directly engages the »supernatural.« This is part of an ongoing sociological process, first pointed out by the pioneer of sociology Max Webber [sic!] (and largely ignored by modern sociologists), the rationalization of the world, the tendency to push all things mysterious to the margins as far as they will go. The rationalization – or disenchantment – of the world depends heavily

2.2  Zur Figur des Clowns on demystification of the unknown; it clings frantically to Aristotelian logic, which excludes the ambiguous middle, separating categorically into either/or absolute states, and creating strong binary oppositions. And so the awe-inspiring, magically-charged holy obscenity which is the Fool or Contrary is reduced to the everyday novelty entertainer, with his squirting flower and balloon animals. (Durwin 2004: o.S.)

Auf die von Durwin erwähnten unvereinbaren Gegensätze, die in der aristotelischen Logik strikt getrennt, vom Clown aber vereint werden, nimmt auch der Schweizer Schriftsteller Max Frisch Bezug. Dabei verdeutlicht er, wie dieses scheinbare Paradox der Verbindung von Getrenntem, ja Unvereinbarem, mit Blick auf die Rezeption verständlich wird: Das Einmaleins des Clowns: daß er im Augenblick, wie er sich heldisch und würdig vorkommt, über die eigenen Füße stolpert. – Zum Wesen der Komik, habe ich einmal gelesen, gehöre das Unverhältnismäßige, das Unstimmige, das Unvereinbare. Im Falle des Clowns: Das Unvereinbare liegt nicht innerhalb seiner Rede, sondern zwischen seiner Rede und unserer Wahrnehmung. Selbstvertrauen ist nicht komisch, Stolpern ist nicht komisch; nur beides zusammen […]. (In: Lanfranchi 1997: 37/8)

2.2.3.7 Die Assoziation des Clowns mit dem Teufel Bedenkt man die Gefährdung der Grundsätze unseres Ordnungs- und Vorstellungssystems, die durch die clowneske Transgression entsteht, ist es kaum verwunderlich, dass in vielen Quellen eine Verbindung des Clowns mit dem Teufel erwähnt wird. So sieht z.B. Constantin von Barloewen eine »Affinität zwischen der Teufelsfigur und dem Narren« (2010: 40). Er begründet diese mit dessen Eigenschaft als Gottesleugner (vgl. ebd.: 41). Die Assoziation ist bereits in der Figur des Harlekins zu finden, der sich vom normannischen »Hellekin« ableitet: laut mittelalterlichen Quellen ein »Dämon […], der die Grenzen der Hölle überquert hat, um bei uns sein Unwesen zu treiben« (vgl. Starobinski 1978: 110). Diese auch für den Clown charakteristische Grenzüberschreitung nähert die Figuren einander an. Auch Wolfgang Zucker erwähnt ihre Verbindung: The connection between the clown and the devil thus is obvious and probably always was. In the passion plays of Valenciennes the role of the devil was always given to the funniest of the comedians […]. The devil, and with him our clown, has to be understood as the Germans sometimes call him, as the ›Widersacher,‹ the attorney of the other side, the counterpart […]. The devil as clown is the antagonist of the whole cosmic order, but he is not a power in his own right. He himself is part of this order. (1954: 312)

Zucker erwähnt hier einen Aspekt, der mir interessant erscheint: die Eingeschlossenheit des antagonistischen Clowns in gerade das System, als dessen Widersa-

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2. Theoretischer Teil

cher er handelt.6 Er ist also eine marginale Figur, gleichzeitig Teil des Systems und doch von diesem ausgegrenzt. Durwin erklärt die Verbindung zwischen der Marginalisierung des Clowns und seiner typischen, Grenzen missachtenden Attitüde: »It is likely because of this ancient tendency of clowns to fail to recognize established boundaries which leads to the marginalization of clowning in our society.« (Durwin 2004: o.S.)

2.2.3.8 Die Marginalität des Clowns Seine marginale Stellung in der Gesellschaft wird von beinahe allen Autoren, die sich mit der Figur des Clowns beschäftigt haben, erwähnt und kann so als fundamentale Eigenschaft derselben gelten. Bei den Clowns handelt es sich um Außenseiter, um »Wesen, die nirgendwo hingehören« (von Barloewen 2010: 25). Diese Tendenz lässt sich schon für die ritual clowns bestätigen. Brightman berichtet in diesem Zusammenhang von der »recurrent association of subversive ritual clowns with foreigners« (1999: 284). Die besondere Position, die Ausländern in einer Gesellschaft oft zukommt, nämlich als Teil der Gesellschaft in ihr aufgenommen zu sein und dennoch als etwas Fremdes und Nicht-Dazugehöriges wahrgenommen zu werden, ist auch für den Clown charakteristisch. Er ist Teil und gleichzeitig kein Teil der Gesellschaft (vgl. Fried/Keller 1996: 17). McManus attestiert dies auch für die Figur innerhalb der Fiktion: »[C]lown can be defined as a character with a peculiar status both inside and outside of the dramatic fiction.« (2003: 12) Barbara Babcock-Abrahams macht eine interessante Feststellung hin­ sichtlich der Orte, an denen solche marginalen Figuren zu finden sind: »Marginal figures also tend to be associated with marketplaces, crossroads and other open spaces which are ›betwixt and between‹ clearly defined social statuses and spaces […] – with places of transition, movement, and license.« (1975: 155) Es wird interessant sein zu untersuchen, ob sich diese Aussage an den gewählten Filmbeispielen nachweisen lässt. Ist der Clown auch im Kino an den Orten zu finden, von denen die Autorin spricht? Gründe für dieses Außenseitertum des Clowns lassen sich in den bereits erwähnten Eigenschaften der Figur finden. So schreibt Annie Fratellini hinsichtlich der außergewöhnlichen Erscheinungsweise des Clowns: »Ainsi, par le maquillage, le costume, la parole même, le clown est un être qui se situe ailleurs, hors du temps.« (1989: 185) Er kann oder will sich nicht anpassen, seine »maladaptation« (Ran 2007: 27) betrifft dabei nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild, sondern ebenso sein Verhalten. Winkler erklärt, warum der Clown sich nicht in moralische Kategorien einfügen kann: »[E]ither his simplicity or self-conceit makes him oblivious to them, or his knavery makes him indifferent to them.« (1977: 22) Diese Gleichgültigkeit gegenüber konventionellen Verhaltensweisen, die kennzeichnend für den Clown ist, hat jedoch erhebliche persönliche und soziale Folgen für ihn, nämlich den Verlust der Würde, also der Vorausset6 | Diesen Aspekt werde ich ausführlich in Kapitel 3.4.1 beleuchten.

2.2  Zur Figur des Clowns

zung für Anerkennung in der Gesellschaft: »Clowning around means behaving without dignity, without regard for what a specific status demands; eventually it will make the undignified person marginal.« (Zucker 1969: 83) Eben dieses Anderssein ist es, das ihn für zwei seiner Hauptwirkungen prädestiniert: Lachen oder Horror zu erzeugen. Auguet beleuchtet noch ein weiteres Merkmal, welches den August von seinem Umfeld abhebt und wodurch er Lachen erzeugt, nämlich seine konsequente Ineffizienz: »Prodige d’inefficacité qui, naturallement, suscite le rire dans un univers ultra-rationnel voué à l’efficacité.« (1982: 154) Das Außenseitertum des Clowns ist andererseits, wie schon erwähnt, genau die notwendige Position, um seine die Ordnung störende und in Frage stellende Kraft entfalten zu können. »[The clown] fragments, subverts and inverts, but can only do so from a position of marginality.« (Tobias 2007: 3)

2.2.3.9 Die Einsamkeit des Clowns In enger Verbindung zur Marginalität des Clowns steht seine Einsamkeit. Er ist ein Einzelgänger, der keinen Anschluss in der Gesellschaft findet. So verwundert es nicht, dass fahrende Künstler und Zirkusleute seit dem Mittelalter »geächtet und ehrlos« waren (von Barloewen 2010: 120/1). Von Barloewen spezifiziert dieses Ausgeschlossensein, welches meist ein selbstgewähltes ist: Die Clowns »sind aus der Welt der besitzbaren Werte verstoßen. Sie kehren der schützenden Geborgenheit der bürgerlichen Welt absichtlich den Rücken und demonstrieren Einsamkeit im öffentlichen Trubel.« (Ebd.: 121) Auf die Clowns im Kino trifft diese Einsamkeit ebenfalls zu. Selten kommt mehr als ein Clown in einem Film vor, es sei denn, es handelt sich um Statisten in einem Zirkusfilm. Doch selbst wenn es mehrere Clowns gibt, lässt sich die von Constantin von Barloewen für die Zirkusclowns getroffene Aussage auch für die kinematografische Fiktion nachweisen: »Der Clown bleibt ein Einzelner, auch wenn er in Gruppen, wie die Fratellinis, auftritt.« (Ebd.: 114) Die Einsamkeit des Clowns spiegle seit der Moderne, so von Barloewen, die Erfahrung des modernen Menschen wider. Der Clown demonstriert öffentliche Einsamkeit, der Mensch der Moderne hingegen Verlassenheit. […] Das Wesen ihrer clownesken Einsamkeit scheint etwas wie die Gegenwart des Ewigen inmitten der Unruhe des Vergänglichen zu sein. Der Clown vermittelt das Erlebnis, trotz des Alleinseins nicht verlassen zu sein. (Ebd.: 136)

2.2.3.10 Das Scheitern und die Menschlichkeit des Clowns Trotz seiner Einsamkeit mangelt es dem Clown nicht an Mut und Selbstüberschätzung: »No está preparado para nada, se atreve a todo.« (Zappalá in Grandoni 2006: 73) Diese Courage führt gleichzeitig zu zwei weiteren wichtigen Merkmalen des Clowns: seiner Lächerlichkeit und seinem konstanten Scheitern, welches sich in dem charakteristischen Stolpern manifestiert. Hernán Gené beschreibt das Scheitern des Clowns treffend: »Es la persona más indicada para estar en el lugar equivocado en el momento menos oportuno.« (2004: o.S.) Der Clown ist

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stets zur falschen Zeit am falschen Ort, er versucht, versagt, aber gibt dennoch niemals auf. Faye Rans diesbezügliche Aussage über den Narren kann auch für den Clown geltend gemacht werden und zeigt, woran genau dieser scheitert: Er sei »both ridiculous and inferior, one who represents the failure, and consequences of failure, of the individual who does not internalise or function according to given social values and standards« (Ran 2007: 26). Es sind also die institutionalisierten Werte und Normen, an denen der Clown sich abmüht und die er so der Lächerlichkeit preisgibt. Sie werden als unnatürlich, fremdartig und unbewältigbar charakterisiert und indirekt kritisiert. Interessant ist, dass die Clowns genau »an der Logik [scheitern], die sie versuchen, aufzuheben« (von Barloewen 2010: 87). Je deutlicher der Clown dabei von den gängigen Wertvorstellungen abweicht, desto größer scheint sein Potenzial zu sein, Komik zu erzeugen. Der argentinische Clown Chacovachi verdeutlicht dies anhand einer Anekdote: »Hay una [payasa] que se llama Ángela de Castro que es una brasilera negra, gorda, gay. Tiene todo para que le vaya mal. Y esa es su mayor virtud y fuerza. Es una payasa de puta madre.« (In: Grandoni 2006: 60) Es sind also gerade die Attribute der Clownin, die den gängigen Schönheitsidealen zuwiderlaufen, welche dieser zu einem erfolgreichen Auftritt verhelfen. Wesentlich am Scheitern des Clowns ist der Bezug zum Zuschauer, denn der Clown scheitert stellvertretend für uns: Clowns sind nichts anderes als Menschen in der Übertreibung. Die Geschehnisse des Alltags kann man abends verzerrt zur Groteske im Circus oder Varieté wieder sehen. Denn die Clowns spielen nur die Narreteien des menschlichen Lebens. […] Alle müssen wir tagsüber unzählige ›Ohrfeigen‹ und Rohheiten von unseren Vorgesetzten, von ›Höherstehenden‹ und Kollegen einstecken. Wir sind die, die man ohrfeigt! […] Die Clownerie ist nichts anderes als eine Kopie der menschlichen Schwächen und Gebrechen. (Seitler 1981: 29)

Der Clown zeigt uns, dass wir nicht allein in unserem Leiden und unsere Probleme überwindbar sind (vgl. Crowther 1978: 5). Dadurch hat das Scheitern des Clowns eine erlösende Wirkung: »Durch seine Niederlagen feiert er seine Siege in den Herzen der Zuschauer. Sein Opfer ist für sie Erlösung und Befreiung. In seinem ständigen Suchen und Stolpern, ewigen Wollen und Nicht-Können ist er uns nahe.« (Von dem Borne 1993: 12) Ganz direkt ausgedrückt bedeutet das: »Clowns, who personify failure, make non-clowns feel good.« (Lewis 2007: 95) Constantin von Barloewen spitzt diese Aussagen zu: »Ihr Versagen hat kathartische Wirkung« (2010: 112), eine Behauptung, die auch bei Zucker und Miranda zu finden ist (Zucker 1969: 82, Miranda in Grandoni 2006: 145)7. Der Clown fungiert 7 | »El público se ríe de reconocer en otros sus propios errores, se libera de la presión social que todos los días nos pide ser mejores, y al ver por un rato a alguien que asume esos defectos, proyecta en él su propio miedo al ridículo y se siente aliviado. Eso produce placer y risa.« (Miranda in Grandoni 2006: 147)

2.2  Zur Figur des Clowns

also als Substitut in der Erfahrung des Scheiterns. Die Clownin Gardi Hutter unterstreicht diese Meinung und beschreibt aus ihrer praktischen Erfahrung, wie genau die Befreiung abläuft: Der Clown verkörpert für mich die Schwierigkeit, überhaupt leben zu können. Ich empfand den Clown auch schon als Kreuzträger; er trägt für das ganze Publikum das Kreuz. Denn er ist einer, dem es noch viel schlechter geht als uns. Indem man über ihn lacht, befreit man sich von der eigenen Not. Man lacht sich frei. (In: Lanfranchi 1997: 88)

Wolfgang Zucker, der durch viele treffende Einsichten wesentlich zur Erforschung des Clowns beigetragen hat, argumentiert in eine ähnliche Richtung: [T]he comical effect of the clown is founded on the distance between him and his audience. He is a counter image of the sublime from which the audience is separated by an equally large distance. The spectator is the man in the middle, participating neither in the world of the angels nor that of the devil. The clown, in spite of his monstrosity, is still human enough to serve as an object of comparison; but the gods and the mythological masters also have human features. Man feels painfully his separation from the unattainable heights of those above him, but his pain is alleviated by the discovery that there still exists somebody as far removed from man as man is from God. (1954: 314)

Der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu kritisiert die üblicherweise negative Konnotation des Scheiterns und verdeutlicht dessen positive Seiten: El fracaso está muy devaluado. Me lo decía Paul Laverty [guionista de Ken Loach], platicamos de eso hace poco: del fracaso se aprende mucho más que de nada, te hace más sabio, más terreno, más profundo… Y ahora todo es girar y girar en torno al éxito, a la fama; la fama como objetivo en sí, no como reconocimiento. Un mundo al revés. (In: Huete Machado 2006: o.S.)

Nicht nur das potenzielle Scheitern macht uns der Clown erträglich, sondern auch die Schwäche, die er verkörpert und die wir alle kennen, obgleich sie in unserer Leistungsgesellschaft verachtet wird. Hernán Gené verdeutlicht den Zusammenhang von Verletzlichkeit, Schwäche und Lächerlichkeit: [U]n clown es un ser indefenso, desprotegido, vulnerable. En suma, todo lo que en la vida uno no quiere ser pero es. Es un ser transparente, todo se le ve, todo se le nota y él no puede disimular nada: quiere pero no puede y se ve que quiere disimular y qué es lo que quiere disimular y cómo lo intenta; y allí está el ridículo, en lo humano. Esto no quiere decir de ninguna manera que el tipo sea tonto, no. Puede ser muy inteligente; es su vulnerabilidad la que lo vuelve ridiculo [sic!], la que lo hace clown. (2004: o.S.)

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Gené lenkt so den Blick auf ein zentrales Merkmal, das Ursache und Konsequenz der Lächerlichkeit, der Schwäche und des Scheiterns ist: die Menschlichkeit des Clowns. Darauf nimmt Miller Bezug, wenn er schreibt: The clown recovers for us the nature of our humanity. In him, in his ludicrous contradictions of dignity and embarrassment, of pomp and rags, of assurance and collapse, of sentiment and sadness, of innocence and guile, we learn to see ourselves (1969: 100).

Von anderen Forschern wird diese Menschlichkeit eher angezweifelt bzw. differenzierter gesehen: »[S]ince he really is not human, that which is funny and ridiculous is, at the same time, frightening and obscene.« (Zucker 1969: 81) Auch Liezel Spratley spricht in ihrer Arbeit über die Killer-Clowns von der »doubtful humanity« derselben (2009: 28). Diese widersprüchlichen Einschätzungen lassen sich auf verschiedene der hier diskutierten Eigenschaften zurückführen. So können z.B. das nicht eindeutig bestimmbare Geschlecht des Clowns, sein stetes Wiederaufstehen trotz eigentlich kaum zu überlebender Schläge und Stürze oder die Assoziation mit dem Teufel seine Menschlichkeit in Frage stellen. Letztendlich zeigt diese Uneinigkeit über die Menschlichkeit des Clowns eines seiner charakteristischsten Merkmale: seine Ambivalenz und Uneindeutigkeit sowie die Vereinigung von Gegensätzen, die wir nur als solche begreifen können, welche aber im Clown in dekonstruktivistischer Manier aufgehoben sind.

2.2.3.11 Das Verhältnis des Clowns zur Ordnung Ein besonders bedeutendes Charakteristikum des Clowns, welches in den vorangegangenen Ausführungen bereits mehrmals erwähnt wurde, ist seine Haltung, die sich gegen jegliche Ordnungssysteme richtet. Bereits Bachtin macht in seinen bekannten Abhandlungen zum mittelalterlichen Karneval deutlich, dass es sich bei diesem um ein Ritual handelt, welches die üblichen Hierarchieverhältnisse umkehrt (Bachtin 2006: 58) und eine nicht offizielle Sicht der Welt (vgl. ebd.: 53), eine »zweite Welt« (ebd.) oder eine »verkehrte Welt« (ebd.: 60) präsentiert. Angeführt wird die Rebellion gegen die Verhältnisse vom eigens für diesen Anlass gewählten Karnevalskönig. Die Narren und Possenreißer beschreibt Bachtin als charakteristische Figuren der komischen Kultur des Mittelalters und als »ständige, ins normale (d.h. nichtkarnevaleske) Leben integrierte Träger des Karnevalsprinzips« (ebd.: 56). Diese waren laut Bachtin »keineswegs Schauspieler, die auf der Bühne ihre Rollen spielten (wie später die Darsteller von Harlekin, Hanswurst usw.). Sie blieben Narren und Possenreißer, wo immer sie sich zeigten.« (Ebd.) Die clownesken Akteure stehen demnach auch im alltäglichen Leben außerhalb der Ordnung, die sie parodieren (vgl. von Barloewen 2010: 118) und können deshalb zum Kritiker und Widersacher des Systems werden. Wolfgang Zucker sieht in diesem Widerstand gegen die Ordnung den Grund für den Vergleich zwischen Clown und Teufel:

2.2  Zur Figur des Clowns His disorderliness is […] the expression of a contempt for, and a principal opposition to, all order. It is as though the clown stands in the service of a power that is the declared enemy of organized society. […] His lord is the ›Lord of Disorder‹, as the devil was called in medieval literature. (1969: 83)

Brightman bestätigt die Problematisierung der (kulturellen) Ordnung von Seiten des Clowns, indem er im Sinne von Freuds Das Unbehagen in der Kultur (1930) argumentiert: »[T]he clown’s comedy takes as its object the incongruity between individual desire and cultural constraint.« (Brightman 1999: 282) In seinem Band zu den ritual clowns in Ozeanien verbindet Mitchell zwei wesentliche Attribute des Clownesken: die kritische Haltung im Hinblick auf die Ordnung und die daraus folgende Grenzüberschreitung: »By breaking or challenging frames of sensible conduct and thought, the clown deconstructs order. With her tricks of inversion, contradiction, and exaggeration, she creates mayhem by dismantling cognitive coherence and continuity. In doing so, she takes a critical stance.« (1992: 19) David Robb argumentiert, dass es gerade dieses In-Frage-Stellen von Machtverhältnissen ist, das den Clown so interessant macht: »[T]he attraction of the clown for many continues to lie in its comedy and the challenge to authority which it personifies.« (2007: 6) Um eine geltende Ordnung offen anzweifeln zu können, bedarf es einiger Voraussetzungen. Eine davon ist die Markierung durch Maske und Kostüm, welche den Clown als anders und außenstehend kennzeichnet und ihm so in jeder Hinsicht eine Sonderstellung zukommen lässt. Durch sein auffälliges Aussehen und Verhalten befindet er sich in einer marginalen Position, welche die zweite Voraussetzung für seine Kritikfähigkeit und den Angriff auf bestehende Normen bildet. Denn einerseits hat der Clown durch seine Ansiedlung am Rande (aber nicht außerhalb) der Gesellschaft genügend Kenntnis derselben, um ihr Funktionieren zu verstehen, andererseits blickt er mit ausreichender Distanz auf sie, um Ungereimtheiten, Schwachstellen und Ungerechtigkeiten zu erkennen. Zugleich bewahrt ihn seine unvollständige Teilhabe in Kombination mit der tarnenden Maske vor etwaigen Strafen. Constantin von Barloewen betont die Begrenzungen und Einengungen (vgl. 2010: 122), die jedes System mit sich bringt und die nur von einem abgesonderten Standpunkt aus erkannt werden können. Auch Wolfgang Zucker erwähnt diesen Aspekt: »Only the one who stands outside of all order can make the symbols of order ridiculous.« (1969: 78) Ein solches Verlachen von anerkannten Wahrheiten, welches in den meisten Gesellschaften mit einem Tabu belegt ist, hat zur Folge, dass diejenigen, die es dennoch tun, in vielen Völkern als heilig angesehen wurden (vgl. von dem Borne 1993: 28) und auch deshalb ungestraft blieben. Wichtig erscheint mir, hier nochmals in Erinnerung zu rufen, dass die Kritik vom Darsteller hinter der Clownsmaske ausgeht und nicht von der naiven und tollpatschigen Figur selbst. Mit seinem Angriff auf die Ordnung geht eine Neubewertung der traditionellen Opferrolle des Clowns einher. Ist auf den ersten Blick dieser selbst die Zielscheibe des Spotts, wird nun verständlich, dass das eigentliche Objekt der Kritik

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das anerkannte Ordnungssystem ist, welches der Clown durch seine Performance zum Gegenstand der Auseinandersetzung macht: About whom do they laugh? About the clown or about themselves? About the failure of the clown to live up to the nomos, or about the nomos itself? About the ruling order’s arrogant claim to be the only possible one, or about the person who defies this claim? (Zucker 1969: 87)

Diesen wichtigen Aspekt hebt auch der Anthropologe Brightman hervor: In the very act of performing, subversive clowns objectify culture, focusing awareness of the antipodes of conventional practice. And if they cultivate a naturalized consciousness of the received order, they exhibit also the potential to cultivate a relativized consciousness of this received order as artificial, as neither the only possible design nor the best of all possible ones. (1999: 284)

Der Clown macht uns »aware of the ambivalence of order. […] Thus the clown makes manifest the ontological paradox of order itself.« (Zucker 1969: 85) Durch dieses Bewusstmachen der Willkürlichkeit und Paradoxie der verschiedenen Systeme, die im Alltag meist unhinterfragt bleiben, kann der Clown eine »social regulation« (Cheesmond 2007: 13) bewirken, denn »by showing the ›wrong way‹ the clown suggests the ›right way‹« (Walsh Jenkins/Wapp 1976: 6). So erinnert uns der Clown daran, dass kein Ordnungs- und Wertesystem so vollständig oder kongruent ist, dass es nicht ins Lächerliche gezogen und dadurch hinterfragt werden könnte. Mitchell fasst das Problem präzise zusammen: Throughout human history, the clown has symbolized nonsense in a more or less culturally cognized, orderly world. As a universal phenomenon, the clown’s power for revealing the quirky nature of the human imagination is her play with sense and order. But her nonsense […] is politically focused. Violating the conventions of polite behavior, she attracts attention with antics that instruct, criticize, and transform. These Oceanic clowns remind us that in all societies reason and order are not constants but fluctuating attributes of thinking. However, and wherever folly is manifested, it testifies to the durability, even necessity, of the artificial fool – the clown – whose critical capers celebrate the ambiguities within our actually constructed worlds. (1992: 37)

Die politische Dimension der clownesken Unordnung bestätigt Dario Fo: »He [Dario Fo] has always maintained that clown is first and foremost a political performer, a performer who reacts to the power structure of whatever culture he lives in.« (McManus 2003: 116) Der berühmte Clown räumt gleichzeitig ein, dass die Vertreter seines Berufes diese Funktion heute oft eingebüßt haben:

2.2  Zur Figur des Clowns Aujourd’hui, le clown est devenu un personnage destiné a amuser les enfants. Il est synonyme d’enfantillages naïfs, de candeur un peu niaise, de sentimentalisme. Le clown a perdu sa capacité de provocation, son engagement politique. Il a en effet autrefois exprimé la violence, la cruauté, le besoin de justice. (Fo 1982: 83)

Diese Feststellung schließt an die oben zitierte Aussage Durwins an, nach welcher der Clown heutzutage auf einen Luftballon-Entertainer reduziert ist, weil seine Verbindung von Gegensätzen, die »ambiguous middle« (2004: o.S.), in einer rationalisierten Welt als zu gefährlich empfunden wird. Doch noch ein anderer Grund, vorgebracht von Fried und Keller, erscheint mir als Erklärung für die Verniedlichung des Clowns einleuchtend: »Die Systemimperative der Konsumkultur haben auch die Clownerie vom praktizierten Anarchismus zum Gewerbe gemacht.« (1996: 90) Dadurch wird die unkontrollierbare, subversive Kraft in Bahnen gelenkt, nämlich in den kontrollierten und überschaubaren Rahmen der Performance, und dadurch ihrer Radikalität und Wirksamkeit beraubt. Eine bedeutende Rolle dafür, dass Clowns des Öfteren in institutionell geordnete Formate zurückgedrängt werden und die meist damit einhergehende Reduktion auf das Unterhaltsame spielt unser aller Angst, die jedes Auf brechen und Infragestellen einer scheinbar gegebenen Ordnung hervorruft. Die Clowns »mock the holes in our conception of the universe, our notions of safety and security, and all the other frail certainties of our time« (Durwin 2004: o.S.). Denn »[a]s members of society, most of us see only what we expect to see, and what we expect to see is what we are conditioned to see when we have learned the definitions and classifications of our culture« (Turner 1989: 95). Der Clown kann uns helfen, genau das zu sehen, was in unserem Weltbild nicht vorkommt. Durch seinen Auftritt deckt er die Widersprüche und Ungereimtheiten auf und macht dadurch die Instabilität des Ordnungssystems sichtbar, welches letztendlich nichts anderes ist als eine menschliche Konstruktion, ein Ausdruck unseres Bedürfnisses nach Sinn und Ordnung. Jean Starobinski bringt diesen Gedanken auf schöne Weise zum Ausdruck: Der Unsinn, dessen Bote der Clown ist, […] ist eine Herausforderung an die Unerschütterlichkeit unserer Gewißheiten. Dieser Anflug von Sinnlosigkeit zwingt uns, alles, was als notwendig galt, neu zu erwägen. So kommt der Clown gerade dadurch, daß er zunächst die Bedeutungslosigkeit selbst ist, zu der sehr hohen Bedeutung eines Widersprechers: Er zieht alle verabredeten Bejahungssysteme in Zweifel, er führt in die undurchdringlich scheinende Kohärenz der etablierten Ordnung die Leere ein. (1978: 122)

Gerade dieser Zustand der Leere ist nicht leicht zu ertragen, beraubt er doch den Menschen des Halts, den ihm der Glaube an Unhinterfragtes gibt. Dass bei näherer Betrachtung kein von Menschen kreiertes System Bestand hat, ist jedoch kaum zu leugnen. Darin sieht Wolfgang Zucker den Grund »why a suppression of the clown will be attempted again and again. But it will never succeed.« (1969: 87)

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Wichtig zu erwähnen ist, dass die meisten der vorangegangenen Ausführungen zum Clown sowie insbesondere sein Verhalten als Ordnungsstörer nicht auf den Weißclown zutreffen. Denn dieser unterscheidet sich vom Dummen August und anderen Clownstypen auf vielfältige Art und Weise. Zunächst durch die markante Verwendung der weißen Farbe bei Maske und Kostüm, für die Annette Fried und Joachim Keller zwei Erklärungsansätze finden. Zum einen spiegele sich [i]m Weiß seines Gesichtes, aus dem nur Augen und Lippen betont hervortreten, […] die Blässe des Todes. Die weiße Schminke seines Gesichts geht zurück auf die Verkörperung der Seelen von Verstorbenen durch den Clown sowohl im indianischen Ahnenkult wie auch in den mittelalterlichen Mysterienspielen. (1996: 189/90)

Diese Idee ist von Ingmar Bergman in seinem Fernsehfilm Larmar och gör sig till (Dabei: Ein Clown, SWE, DNK, NOR et al. 1997) aufgegriffen worden, in dem der Weißclown, gespielt von Agneta Ekmanner, eine Allegorie des Todes ist. Zum anderen sehen Fried und Keller die weiße Farbe des Kostüms als Komplement bzw. Kontrast zur schwarzen Robe von Priestern und Richtern, als maximalen Repräsentanten der religiösen und weltlichen Ordnung (vgl. 1996: 189). Diese Idee erscheint jedoch problematisch. Denn der Weißclown wird nicht wie der Dumme August mit einem die Ordnung missachtenden Verhalten in Verbindung gebracht. Die These würde eher auf den Dummen August und sein buntes Kostüm zutreffen, welches mit seiner Farbenvielfalt im Gegensatz zum neutralen und strikten Schwarz der Gewänder von Priestern und Richtern den Protest gegen die Ordnung ausdrückt. Der Weißclown hingegen zeichnet sich gerade durch seine traditionelle Rolle als Repräsentant der Ordnung aus: »Le clown blanc, c’est l’autorité.« (Fratellini 1989: 169) Im klassischen Zirkusduo steht »[d] er weiße Clown […] für die Norm der Gesellschaft, der Stupidus für den Protest« (von Barloewen 2010: 52). Diese Aufteilung geht mit einer bestimmten Verteilung der Macht einher: »Augustes represent[ing] anti-authoritarian, class-conscious values, and White clown represent[ing] pawns of the existing power structure« (McManus 2003: 16). Die Macht liegt demnach eindeutig auf Seiten des Weißclowns, wie Dario Fo anschaulich beschreibt: Les clowns parlent toujours de la même chose, ils parlent de la faim: faim de nourriture, faim de sexe, mais aussi faim de dignité, faim d’identité, faim de pouvoir. En fait, ils posent le problème de savoir qui commande, qui crie. Dans le monde clownesque, il y a deux possibilités: soit être dominé, et al.ors nous avons celui qui est complètement soumis, le souffre-doleur, comme dans la commedia dell’arte; soit dominer, et al.ors nous avons le patron, le clown blanc, celui qui donne les ordres, celui qui insulte, celui qui fait et qui défait. Dans un cas comme dans l’autre, il s’agit de survivre. (1982: 83)

Demnach ist der Weißclown gerade nicht das, was man vom Dummen August sagt. Er ist nicht kindlich oder naiv, nicht verspielt und nicht tollpatschig: »[T]he

2.2  Zur Figur des Clowns

Whiteface is hardly if ever slow-witted and his or her actions are premeditated.« (Spratley 2009: 69) Diese Verortung auf Seiten der Macht und Ordnung lässt sich damit erklären, dass der Weißclown im Zirkus aus dem Stallmeister hervorgegangen ist, der die Manege und die geordneten Abläufe in ihr gegenüber dem Dummen August verteidigte (vgl. Seitler 1981). Vor diesem Hintergrund erscheint eine Feststellung von Hugues Hotier hinsichtlich der Maske von August und Weißclown besonders aufschlussreich: »Il y a mille et une variantes dans le maquillage de l’auguste, du moins dans la tradition dite européenne, mais il n’y a qu’un masque de clown. Comme si intelligence et platitude, intelligence et monotonie allaient de concert.« (1982: 126) Was die Maskierung des Dummen August angeht, spricht Hotier deshalb von einer »maquillage outrancier, en réaction contre la sobre neutralité du blanc« (ebd.: 123). Diese Neutralität, die als ein Stück fehlende Individualität betrachtet werden kann, liefert meines Erachtens eine überzeugende Erklärung für die Verwendung der weißen Farbe. Wenngleich anzumerken bleibt, dass die Masken der Weißclowns ebenso individuell und vielfältig sind wie die der Dummen Auguste, so ist es doch richtig, dass sich diese nicht so sehr voneinander unterscheiden wie die von Augusten. Die Idee von der dem Weißclown als Repräsentant der Ordnung inhärenten Monotonie scheint demnach einleuchtend. Paul Bouissac erkennt noch eine weitere Verbindung zwischen der Maske des Weißclowns und dessen autoritärer Stellung: When raised eyebrows are combined with a frown, a vertical ridge appears in the central part of the forehead above the bridge of the nose. It often forms a dissymmetrical pattern, with one of the eyebrows being raised higher than the other. This is an authoritarian, repressive facial gesture that accompanies hostile feelings. It is aimed at the other member of the interacting dyad to convey intimidation and domination. (2015: 37)

Die Maske des Clowns – und das gilt auch, wie wir gesehen haben, für die der Dummen Auguste – ist demnach alles andere als arbiträr und zufällig. Ihre Züge sind genau darauf abgestimmt, bestimmte Eindrücke bei den Zuschauern hervorzurufen, die mit den hier beschriebenen Eigenschaften des Clowns korrelieren. Beenden möchte ich diesen kurzen Überblick über das Verhältnis des Clowns zu herrschenden Ordnungssystemen, welchen ich in Kapitel 3.4.1 vertiefen werde, mit drei Zitaten, die das Diskutierte auf eindringliche Art verdichten. Das erste stammt von dem argentinischen Clown José Pellucchi, welches die Verbindung zwischen dem Clown und dem System hervorhebt und gleichzeitig eine Hommage an die Figur darstellt: »Me llama la atención cómo todas las respuestas a todas las cosas que pasan en el mundo y que el sistema no puede resolver, las estamos dando los payasos.« (Pellucchi in Grandoni 2006: 97) Auch das zweite Zitat stammt von einem Clown selbst, Hernán Gené. Es stellt eine poetische Anerkennung seines Berufes dar:

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2. Theoretischer Teil Este mundo tecnificado que algunos quieren que vivamos, liderado por el afán de hacer dinero y por los medios masivos de comunicación, en el que la apatía parece ser un modo de vivir, no es para ellos. No lo entienden. No saben vivir en él, no querrían hacerlo si supieran cómo. A este mundo en el que no hay tiempo para la contemplación y la sorpresa, en el que el amor parece ser algo tan confuso que hasta es mejor evitarlo, en el que un grandote con ametralladora se transforma en un modelo y en el que la gente prefiere ver videos a conversar y mirarse a los ojos, ellos, los clowns, anteponen su corazón, su sinceridad y su amor por la vida y las cosas bellas y nobles, enaltecen la amistad como un valor inquebrantable e intraicionable y lleva la verdad, esa verdad íntima y honesta, como una forma de vida. (2004: o.S.)

Ein Auszug aus dem Manifest der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army beschließt das Kapitel, da es eine sehr anschauliche und zugleich bewegende Zusammenfassung des bisher Gesagten und in gewisser Weise die Grundessenz des Clownseins wiedergibt: We are rebels because we love life and happiness more than ›revolution‹. Because no revolution is ever complete and rebellions continues [sic!] forever. Because we will dismantle the ghost-machine of abstraction with means that are indistinguishable from ends. Because we don’t want to change ›the‹ world, but ›our‹ world. Because we will always desert and disobey those who abuse and accumulate power. Because rebels transform everything – the way they live, create, love, eat, laugh, play, learn, trade, listen, think and most of all the way they rebel. We are clowns because what else can one be in such a stupid world. Because inside everyone is a lawless clown trying to escape. Because nothing undermines authority like holding it up to ridicule. Because since the beginning of time tricksters have embraced life’s contradictions, creating coherence through confusion. Because fools are both fearsome and innocent, wise and stupid, entertainers and dissenters, healers and laughing stocks, scapegoats and subversives. Because buffoons always succeed in failing, always say yes, always hope and always feel things deeply. Because a clown can survive everything and get away with anything. (o.J.: o.S.)

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

2.3 D ie M aske und ihre V erbindung zu I dentität und R olle Wenn ich mich schminke, ist das fast so etwas wie ein Ritual. Das klingt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es braucht Zeit, bis diese Verwandlung geschehen ist. P ierino in von dem B orne 1993: 128

2.3.1 Maske 2.3.1.1 Begrifflichkeit und Bedeutung Die Definition der Maske scheint auf den ersten Blick keine besonderen Schwierigkeiten zu bergen. So klingt die Beschreibung von McCarty und Nunley nachvollziehbar und einleuchtend: »an object placed over the face or covering the entire head so that the face is more or less concealed« (1999: 15). Diese Annäherung wird jedoch problematisch, wenn man die vielfältigen Verwendungsweisen des Begriffes näher betrachtet. ›Die Maske ablegen‹, ›die Masken fallen lassen‹, ›das wahre Gesicht zeigen‹, ›die Maske des Unschuldigen tragen‹ oder die ›Maske‹ im Theater oder Film als der Ort, wo die Schauspieler geschminkt werden, sind Ausdrucksweisen, die verdeutlichen, dass die Bedeutung des Wortes ›Maske‹ weitaus mehr umfasst als den oben beschriebenen Gegenstand. Aufschlussreich ist eine Betrachtung derjenigen Begriffe, die vor der Übernahme des arabischen Wortes mas-chara in die europäischen Sprachen zur Bezeichnung des hier behandelten Objektes bzw. Konzeptes verwendet wurden. Diese sind prosopon im Altgriechischen und persona im Lateinischen. Die etymologische Ableitung von per-sonare = durchtönen ist zwar nicht haltbar, aber, wie Monika Schmitz-Emans bemerkt, allein aufgrund ihres langjährigen Einflusses auf die Forschung von Bedeutung (vgl. 2009 b: 10). Prosopeia meint zunächst »buchstäblich ›das, was gegenüber den Augen/dem Blick (eines anderen) ist‹« (Weihe 2009: 22). Dieser Bedeutung entsprechend verwundert es nicht, dass das Gesicht mit dem verwandten Begriff prosopon bezeichnet wurde (vgl. Belting 2013: 65). Im Lateinischen dagegen finden sich gleich drei Begriffe für Gesicht und Maske: facies für das natürliche Gesicht, vultus für das durch Mimik gezeichnete Gesicht und persona für das Objekt, welches das Gesicht bedeckte und veränderte, also die Maske (vgl. ebd.: 68). Für die Totenmaske (ein Abdruck des Gesichts eines Verstorbenen) etablierte sich im Lateinischen der Begriff imago (vgl. Fuhrmann 1979: 86). Der im heutigen Sprachgebrauch bestehende Zusammenhang zwischen Maske und Rolle kann auch für das Lateinische attestiert werden. Persona erfuhr bald eine Bedeutungserweiterung und bezog sich dann auf die Rolle, Figur oder den Charakter, vor allem im Bereich des Theaters (vgl. ebd.). Von dieser Verwendung war es nur noch ein kleiner Schritt, den Begriff für einen Charakter oder eine Rolle abseits des Theaters, also in der alltäglichen Lebenswelt zu verwenden. Fuhrmann führt aus, dass persona im Römischen Reich für Rollen im Gerichts-

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2. Theoretischer Teil

wesen, im Staat, in der »Gesellschaft mit ihren Ständen, Berufen und Charaktertypen« sowie in der Familie verwendet wurde (ebd.: 88). »[P]ersona deutet [also] immer auf etwas Typisches, auf einen typischen Standort innerhalb eines vorgegebenen Systems« hin (ebd.: 91). Auch im Griechischen wurde der Begriff von der ursprünglichen Bedeutung des Gesichts auf die Maske und später auf die Rolle ausgedehnt (vgl. ebd.: 98). Diese für das Lateinische sowie das Griechische belegte Begriffserweiterung unterstreicht die Unzulänglichkeit einer Einengung des Begriffes der Maske auf ein lebloses Objekt. Denn selbst wenn man von dem Objekt, also der Gesichts-Maske ausgeht, hat diese ihren Ursprung in Ritualen und ist damit nur in ihrer konkreten Verwendung verständlich. Grieshofer betont, dass es durch die »museale Sammeltätigkeit« zur Loslösung des Objekts aus seinem ursprünglichen, rituellen Zusammenhang gekommen ist und Masken »nun isoliert von ihrer Funktion und ihren Trägern als Produkt der Volkskunst betrachtet werden« (2009: 268). Eine wichtige Bemerkung Grieshofers ist auch, dass der große Bereich der Schminkmasken von Ausstellungen in Museen aus selbsterklärenden Gründen ausgeschlossen ist (vgl. ebd.: 268). Die Fokussierung auf die Maske als Objekt lässt somit eine wesentliche Menge an Masken sowie die vielfältige Bedeutung des Begriffes unberücksichtigt. Anhand der Commedia dell’arte kann die changierende Bedeutung des Begriffs ›Maske‹ aufgezeigt werden. In der Commedia trugen die meisten Schauspieler (mit Ausnahme der amorosi und der Frauen, vgl. Körner 2009: 159) hölzerne Halbmasken, die, wie bereits in der Einleitung erwähnt, zusammen mit dem entsprechenden Kostüm die jeweilige Rolle anzeigten. In der Forschungsliteratur zur Commedia wird der Terminus ›Maske‹ sowohl für den Gegenstand (die das Gesicht bedeckende Halbmaske) als auch für die standardisierten Rollen verwendet. Dies zeigt die gegenseitige Durchdringung der Konnotationen von Maske und Rolle bis heute. Denn ein in der einschlägigen Literatur immer wieder erwähntes Charakteristikum des Maskenspiels und der Maskenrituale ist, dass der Maskenträger in rituellen Zeremonien durch das Anlegen der Maske in die mit ihr verbundene Rolle schlüpft, diese als seine annimmt und in sie hineinwächst. Dadurch verändert sich sein Verhalten und im Extremfall er selbst. Hierauf werde ich im Abschnitt zur Verwandlung näher eingehen. Ein weiterer Blick auf die Begriffsgeschichte von persona erhellt die Entwicklung zu unserem heutigen Wort ›Person‹, das ja gerade nicht mehr das Äußere, sondern das Innere und Individuelle betont. Dabei löste sich persona »als Rollenbegriff in der Spätantike vom Theater« (Belting 2013: 69) und wurde von der Theologie übernommen, um das Problem der Trinität begrifflich zu lösen. Dieses wurde auf dem Ersten Konzil von Nicäa (325) verhandelt. Dabei ging es um die Frage, ob die drei Erscheinungsformen des Göttlichen wesensgleich (homoousios) oder wesensähnlich (homoiousios) seien. Nach einem jahrzehntelangen Streit einigte man sich auf dem Konzil von Konstantinopel (381) darauf, dass es nur einen Gott gibt, der sich in drei ousia (Seinszuständen) oder in der lateinischen Übersetzung personae zeige. Fuhrmann erläutert die Vorteile dieser Einigung:

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle Dieses Wort [persona] vermeidet einerseits den Tritheismus, d.h. es behauptet nicht, daß Vater, Sohn und heiliger Geist je für sich ein Gott seien; es hebt andererseits die Gleichrangigkeit der drei göttlichen ›Personen‹ hervor und schließt so monarchianistische (die göttliche ›Monarchie‹, die Priorität Gottvaters) lehrende Irrtümer aus. (1979: 103)

Derselbe Autor findet eine Erklärung, warum das Wort persona von dem aus dem Arabischen stammenden Maske/masque/máscare/maschera abgelöst wurde: [F]ür die Bedeutung ›Maske‹ gab es keine Verwendung mehr, weil die Sache selbst verschwunden war (wo sie sich wieder hervortat, bezeichnete man sie mit einem arabischen Wort, eben als ›Maske‹); für die Bedeutung ›Rolle‹ erfand man ein Derivat von persona: personaticum/personagium – personnage – personaggio. Zu Beginn der Neuzeit, seit dem 16. Jahrhundert, bürgerte sich außerdem das Wort (rotulus) – rôle – Rolle ein: von Hause aus der Papierstreifen, auf dem der Anteil des einzelnen Schauspielers, seine ›Rolle‹ niedergeschrieben war. (Ebd.: 105)

Das theologische Verständnis des Begriffes persona hilft, die Entwicklung zum heutigen, an den Charakter eines Menschen gebundenen, Personenbegriff zu verstehen. Dieser versteht »seit Kant […] [den] Mensch als Person, d.h. als seiner selbst bewußtes und freies Wesen« (ebd.: 106). Thomas Fuchs sieht die Fähigkeit des Menschen, sich seiner Existenz bewusst zu sein und sich zu sich selbst verhalten zu können, als Kern des Personseins. Er erklärt, dass die pathologische Erscheinung des Sich-fremd-Werdens, oder in psychiatrischer Fachterminologie die Depersonalisation, in Grundzügen in allen Menschen angelegt sei (vgl. 2002: 135/6). Die Verwendung des persona-Begriffs als Ausdruck verschiedener Seinszustände erklärt, dass »persona als Maske bereits auf das Entscheidende am späteren Personbegriff [vorausdeutet]: Personen sind Wesen, die nicht einfach sind, was sie sind, sondern die sich zu sich selbst verhalten können.« (Ebd.: 136) Diese Fähigkeit ist nichts Geringeres als die Grundlage jeden Masken- und Schauspiels, da sie eine Voraussetzung für das Hinein- und Herausschlüpfen aus Rollen bildet. Insbesondere für das Verständnis des Clowns ist der Aspekt essenziell. Wenngleich auch hier zwischen Darsteller und Bühnenfigur zu differenzieren ist, erhält der Einfluss der eigenen Persönlichkeit auf die Clowns-Persona im Gegensatz zu anderen Rollen eine höhere Bedeutung. Der Künstler bringt beim clownesken Spiel stets sehr viel Persönliches in seine Clownsfigur mit ein. So rückt er beispielsweise eigene, etwa körperliche, Schwachstellen in den Fokus der Aufmerksamkeit, die dann automatisch auch zu jenen der Clownsfigur werden, und macht sich über sie lustig. Dazu bedarf er der Fähigkeit, sich, wie Fuchs schreibt, zu sich selbst in Beziehung zu setzen und dieses Verhältnis zu reflektieren. Zudem scheint bei einem Clown stets die Intention des Darstellers bzw. Autors der Rolle durch die Maske des lustigen Spaßmachers hindurch, während der Schauspieler einem Stück oder Drehbuch und seinen Figurenentwürfen in der Regel strenger zu folgen hat. Stolpert der Clown tollpatschig und stößt sich an

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2. Theoretischer Teil

Konventionen und Normen, lenkt der Darsteller hinter der Maske den Blick auf diese, um zur Reflexion über sie anzuregen. Es findet also ein stetiger Austausch zwischen Person (Darsteller) und persona (Clownsfigur) statt. Nach der vielseitigen Begriffsgeschichte von prosopon und persona hat sich heute längst der Begriff ›Maske‹ zur Bezeichnung der hier untersuchten Gegenstände und Praktiken durchgesetzt. Der arabische Ursprung mas-chara meint »Verspottung, Possenreißer, drollig« (»Maske« 1993: 2209) und birgt dadurch bereits eine enge Beziehung zum Clown (vgl. Kap. 2.2). Richard Weihe bemerkt in seiner bekannten Schrift zur Paradoxie der Maske: Zunächst in der Bedeutung von Gegenstand des Spotts verwendet, dann im Sinne von Spaßmacher, wurde es später auch zur Bezeichnung einer maskierten Person oder Maskerade gebraucht, die die Identität des Narren verschleierte. Man nimmt an, dass das Wort über die sizilianischen Araber ins Italienische getragen wurde, von wo aus es seinen Gang durch die europäischen Sprachen antrat. (Weihe 2004: 26, vgl. auch Littmann 1924: 100)

In diesem Buch verwende ich den Begriff der Maske einerseits für das das Gesicht oder den Kopf bedeckende Objekt, andererseits für die Schminkmaske sowie im weiteren Sinne als Pars pro Toto für die Verkleidung bzw. Kostümierung im Allgemeinen. Denn »[d]ie Kennzeichnung eines Schauspielers durch seine Kleidung kann so weit konventionalisiert werden, daß sie erstarrt und als ›Maske‹ tradiert wird, wie beispielsweise die Kleidung des Harlekins« (Eschbach 1979: 164). In bestimmten Fällen wird auch das Gesicht als Maske verstanden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der vorliegenden Untersuchung diejenigen Elemente als Maske bezeichnet werden, die eine Veränderung des Aussehens einer Person oder Figur bewirken und gleichzeitig eine Rolle markieren. In den behandelten Filmen stehen dabei diejenigen Masken im Vordergrund, die – im Laufe des Films und für den Zuschauer im Bild sichtbar – auf das Gesicht der Figur aufgetragen oder angelegt werden. Ein solches Anlegen ist nicht automatisch gleichbedeutend mit einer Maskerade, weshalb dieser Begriff hier kurz erläutert werden soll. Die Maskerade bezieht sich auf die konkrete, rituelle Verwendung der Maske: The expression ›masquerade‹ refers to the ritual performance of maskers as well as theatrical productions with masked and costumed players. As a public event, the social phenomenon of a masquerade might include music, food, drama, narration, a stage, or other performance props. (McCarty/Nunley 1999: 15)

Im weiteren Sinne wird mit dem Begriff der Prozess des Maskierens beschrieben sowie im übertragenen Sinne ein Zustand, der etwas verdeckt und verheimlicht. So ist die Maskerade »eins der Stichworte, mit denen in den Gender Studies der letzten Jahre die Diskussion um die kulturelle Konstruiertheit der Geschlechter geführt wurde« (ebd.: 8). Einer der Gründungstexte dieser Auseinandersetzung

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

ist Joan Riviers Womanliness as a Masquerade (1929). Da diese Debatte sehr stark psychoanalytisch ausgerichtet ist, und sich damit schlecht in das hier entworfene Forschungsdesign (vgl. Einleitung) einfügt sowie meist auf die Geschlechterdifferenz bezogen ist, was für mein Thema nur am Rande von Belang ist, werde ich nicht ausführlich darauf eingehen.8 Das Hauptargument der Diskussion ist, wie Tilo Schabert treffend zusammenfasst, dass die Weiblichkeit ein bewusst von der männlichen Hegemonie geschaffenes und eingesetztes Instrument der Unterdrückung ist: Als Maskenwelt ist die menschliche Welt eine Welt der Macht. Sie wird von denen geschaffen, die die Masken darin schaffen. ›Weiblichkeit‹ beispielsweise kann sodenn, wie Ina Schabert zeigt, als eine den Frauen ›von Männern aufgetragene Maske‹ erkannt werden, die dazu dient, ein männliches Monopol kultureller Bedeutungsstiftung aufzurichten und zu erhalten. (2002: 12)

Vor diesem Hintergrund der aufoktroyierten Maske bzw. Rolle lohnt ein intensiverer Blick auf ihre Geschichte und ihre Funktionen in unterschiedlichen Zeiten und Zusammenhängen.

2.3.1.2 Eine kurze Geschichte der Maske Die Universalität und ungeheure Vielfalt der Masken und Maskenbräuche weltweit ist beeindruckend; im Rahmen dieser Untersuchung soll jedoch keine ausführliche Geschichte der Maske erzählt werden. Da für meine Analysen vorwiegend die europäische Maskenhistorie relevant ist, gilt ihr der Fokus des folgenden kurzen Überblicks, für den ich mich auf folgende Literatur beziehe: McCarty/ Nunley 1999, Mack 1994, Weihe 2004, Fuhrmann 1979, Belting 2013. Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass »es sich bei der Maske um ein universelles Phänomen handelt, ein seit der Frühzeit der Menschheit bezeugtes Kulturprodukt, dem man in den unterschiedlichsten Lebensbereichen begegnet« (Weihe 2004: 16, vgl. z.B. auch Kaltenbrunner 1992: 16, McCarty/Nunley 1999: 15). So begründet Nunley die Bedeutung der Maske mit ihrer langen Geschichte: »Humans have danced in masquerades for at least 30,000 years. Masks have been used throughout the evolution of human society and culture, an indication of how important they are to being human.« (1999a: 21) Diese Eigenschaft teilt die Maske mit dem Clown, der ebenfalls als »anthropologische Konstante« bezeichnet werden kann (von Barloewen 2010: 44). Ein Blick auf die Ursprünge der Maske kann Gründe für die Universalität dieser kulturellen Erscheinung enthüllen. Jan Assmann sieht diese in dem menschlichen Streben nach der Transzendenz der sinnlich wahrnehmbaren Welt begründet: »Eine der Wurzeln, vielleicht des Theaters und in jedem Fall der Maske ist die Geisterbeschwörung.« (2002: 168) Dies er8 | Einen guten Überblick über die Forschung zu diesem Thema sowie eine eingehende Diskussion derselben bietet Butler (1991: 78-90).

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2. Theoretischer Teil

klärt er mit dem Konzept der Besessenheit: »Indem A die Maske B aufsetzt, wird er von C besessen, als dessen Maske B gilt.« (Ebd.: 168) Das Erwecken eines anderen Wesens im Maskenträger sieht Eliade als entscheidende Funktion der Maske: »Die Maske wie das Gewand spielen also die gleiche Rolle: sie zeigen die Menschwerdung eines mythischen Wesens an, eines Gottes, Ahnen oder Fabeltieres.« (1962: 398) Dieser religiöse Bezug ist aufs Engste mit dem gemeinschaftlichen Charakter von Maskenbräuchen verbunden. So beschreibt Sylvia Ferino-Pagden in ihrem Geleitwort zum Ausstellungskatalog Wir sind Maske die gesellschaftliche Motivation der Maskerade: Der Gebrauch von Masken über weltweite Kulturen und Jahrtausende hinweg verrät über den spezifischen Anlaß hinaus […] immer den Wunsch des Trägers, durch die Veränderung seines natürlichen Äußeren den Ansprüchen anderer, fremder oder höherer Ordnungen gesellschaftlicher, politischer oder religiöser Natur Folge zu leisten. (2009: 12)

Diese Aussage betont den auch für den Clown gültigen Bezug der Maske zur Gesellschaft, außerdem schlägt sie die Brücke zum Konzept der Rolle. Denn die Veränderung des Äußeren durch Masken, von der die Autorin spricht, zieht meist ein bestimmtes Handeln nach sich, welches oft von außen determiniert wird. Hier zeigt sich die Nähe zum Schlüpfen in eine Rolle, welche sich durch ein dem Rollenbild entsprechendes Äußeres sowie vorgegebenes Verhalten auszeichnet. Diese Übernahme eines bestimmten Verhaltensmusters ist jedoch, wie das Zitat nahelegt, meist durch äußere Zwänge bedingt. Die Ausführungen zur Rolle werden zeigen, dass die Übernahme einer Rolle selten eine rein freiwillige Entscheidung ist, sondern stark von gesellschaftlichen Gegebenheiten beeinflusst, wenn nicht sogar initiiert wird. Weitere Beweggründe für das Erstellen von Masken können im Bewahren und Erinnern sowie im menschlichen Drang nach Unsterblichkeit gesehen werden, wie sich vor allem anhand der Totenmasken zeigt (vgl. 2.3.1.3). Wenn sich das Theater aus kultisch-religiösen Handlungen entwickelt hat, übernahm es höchstwahrscheinlich auch die Maskierung aus den Ritualen. So sind Masken bereits im antiken Theater Roms und Griechenlands nachweisbar, wenn auch im römischen Theater erst ab dem 1. Jahrhundert vor Christus (vgl. Fuhrmann 1979: 85, Laubenberger 2009: 154). Die griechischen Masken waren lebensnahe Vollmasken aus vergänglichen Materialien (Weihe 2004: 132), welche erst im 4. Jahrhundert vor Christus expressiver und überzeichneter wurden und sich seit ca. 300 vor Christus durch einen weit »aufgerissene[n] Maskenmund« auszeichneten (ebd.: 133). Die Masken waren Kopfmasken (vgl. Seiterle 2006: 43), standardisiert (vgl. Weihe 2004: 137) und veranschaulichten in erster Linie Typen, konnten jedoch ebenso Gefühlszustände darstellen (vgl. ebd.: 137/8). Das hier interessierende Verhältnis von Verbergung und Enthüllung stellt Hans Belting für das griechische Theater dar: »Generell gilt für die griechische Maske, dass sie nicht etwa verhüllt, sondern dasjenige Gesicht zeigt, das eine Figur im

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Theater erst erschafft.« (2013: 66) Um die verschiedenen Typen für die Zuschauer identifizierbar zu machen, »[entwickelten] [d]ie Maskenbildner […] ein optisches Kodierungssystem« (Weihe 2004: 136). So markierten unterschiedliche Farbtöne Geschlecht und Alter der durch die Maske dargestellten Figur (vgl. ebd.). Eine Auffälligkeit in der Verwendungsweise der Masken ist, dass ein Schauspieler im Verlauf des Stückes mehrere Masken trug und so mehrere Typen darstellte (vgl. McCarty 2007: 255). Dies hängt nicht zuletzt mit der Weltvorstellung der Griechen zusammen, in der die Götter die Geschicke lenkten und den Menschen ihre Rollen zuwiesen: The ancient Greeks did not see tragedy principally as an outcome of individual choice or action. They were more inclined to give pre-eminence to circumstance as the cause of a happy or a disastrous life. And the Gods determined circumstance arbitrarily. If disaster struck, the greeks did not go looking for psychological causes. They knew that it was in the hands of the gods whether an individual played victor or victim, Electra or her murdered mother, Deinira or her slaughtered husband, Pentheus or his mother/murderer Agave. The masked performer in tragedy embodied this existential dilemma. (Ebd.: 257)

Hatte das antike Theater einst mit einem Chor begonnen, dem ein einzelner Schauspieler (protagonistes) gegenüberstand, waren es seit Sophokles drei Schauspieler; der zweite und der dritte hatten üblicherweise mehrere Parts zu übernehmen (vgl. Rapp 1993: 71). Das römische Theater hat viele Elemente des griechischen adaptiert und imitiert und im Bereich der Masken vor allem diejenigen mit einem weit geöffneten Mund übernommen (vgl. ebd.: 262). Wie Rosie Wyles jedoch zu Recht bemerkt, bedeutet die Übernahme von Masken und Kostümen nicht, dass das Publikum dasselbe darunter verstand (vgl. 2011: 110-112). Denn nicht nur die materiellen Objekte mussten in eine neue Kultur ›übersetzt‹ werden, sondern auch die damit in Verbindung stehenden Bedeutungen (ebd.: 112). Eine eigene Maske wurde für die Pantomimen entwickelt, die sich durch einen geschlossenen Mund auszeichnete. Der Stellenwert der Maske im antiken Rom wird durch die Aufzeichnungen von Pollux deutlich, der 44 verschiedene Typen von Theatermasken registriert (vgl. McCarty 2007: 265). Die Neuzeit zeichnet sich durch zwei gegenläufige Tendenzen in Bezug auf die Maske aus: In der Commedia dell’arte kam der Maske in Form einer hölzernen Halbmaske eine besondere Bedeutung zu, da sie den verschiedenen Rollen einen groben Umriss gab. Dieser bot den Darstellern den Rahmen für ihre improvisierte Ausgestaltung der Rolle. Andererseits wurde im Theater, wie Hans Belting ausführt, das Gesicht selbst zur Maske und löste die Maske als Objekt ab. Die Maske »schrieb […] sich nun dem lebendigen Gesicht ein […], auf dem sie sich nach Belieben oder Notwendigkeit wechseln ließ« (Belting 2013: 70). Diese »Vergesichtung des Theaters« (ebd.: 63) war eine Folge der negativen Bewertung von Masken. Diese »galten nun als falsch und trügerisch, denn sie waren ein Verrat

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am Gesicht« (ebd.: 70). Die ablehnende Haltung gegenüber Masken, die sich bis heute in der Dichotomie von Sein und Schein spiegelt, wobei die Maske mit dem trügerischen Schein assoziiert wird, ist sicherlich zu einem nicht unwesentlichen Teil dem biblischen Verbot der Abbildung Gottes geschuldet. Moshe Barasch sieht in diesem ein generelles Maskenverbot (vgl. 2002: 131), dem sich allerdings immer wieder entzogen wird (ebd.: 133); so interpretierten die christlichen Kirchen mit Ausnahme von Teilen des Protestantismus, der assyrischen und zeitweise orthodoxen Kirche das Bilderverbot eher lax, während es sich im Judentum (und im Islam) durchgesetzt hat. Eine bemerkenswerte Feststellung des Autors ist zudem, dass die lateinische Übersetzung des Hebräischen die negative Einstellung gegenüber der Maske fördert und damit das Verbot des Gottesabbildes durch die Formulierung stützt. Das verdeutlicht auch, wie sehr Worte eine bereits existierende ›Realität‹ nicht einfach widerspiegeln, sondern eine eigene Wirklichkeit durch sich selbst erschaffen: In Levitikus 26,1 stößt man im Hebräischen auf massekha, ein Wort, das mit den Begriffen ›veil – Schleier‹ oder ›curtain – Vorhang‹ verwandt ist. Es etablierte sich zur Standardbezeichnung für Maske. Nun, interessanterweise übersetzt die Vulgata massekha mit ›idol – Götze‹. ›Du sollst dir keine Masken machen‹ wird zu Non faciete vobis idolum… Den christlichen Lesern des Mittelalters wurde damit suggeriert, die Maske sei ein Götze. (Ebd.: 132)

Die Feststellung Beltings, dass die Maske in der Neuzeit eine Rolle sei, »die mit dem ganzen Körper gespielt [werde]« (Belting 2013: 63), schließt an den barocken Topos des theatrum mundi an. Die Vorstellung, dass die Menschen Spieler von Rollen und die Welt ein Theater sei, erlebte in der frühen Neuzeit eine Blütezeit. Shakespeare (As You Like It) oder Calderón (El gran teatro del mundo) stellen diesen Vergleich in das Zentrum ihrer Werke. Belting nimmt auf diese Metapher vom Menschen als Darsteller seines Lebens Bezug: »Erasmus hatte in der höfischen Gesellschaft ein Spiel mit der Maske erkannt, das den Träger zum Schauspieler seiner selbst machte.« (Ebd.: 71) Diesen Gedanken greift Remo Bodei auf und stellt fest, dass er auch für die Epoche des Barock gilt. Er versteht diese Zeit als eine, »in der die absolute Macht des Souveräns (vor allem in den Gesellschaften bei Hofe) zur Vortäuschung und Verschleierung nötigte« (Bodei 2002: 43). Dementsprechend betrachtet er »das Gesicht als Maske […] in einer historischen Phase, in der das Gesicht aufhört das zu sein, was man den Spiegel der Seele oder auch das Fenster zur Seele nannte« (ebd.). Dies greift die Idee Beltings des Gesichts als Maske auf und veranschaulicht sie am Beispiel der höfischen Gesellschaft, in der die Akteure ihre Gedanken und ihre Persönlichkeit hinter der ›Maske ihres Gesichts‹ verbergen mussten. Dadurch lässt sich die negative Konnotation der Maske erklären, da sie eng mit dem Vorwurf der Verstellung und Täuschung in Verbindung stand. So verwundert es nicht, wenn, wie Belting schreibt, die Schauspieler der Commedia dell’arte zwar durch die Halbmasken charakterisiert waren, jedoch »in Konkurrenz zur Maske« agierten. »Der Triumph über die Maske

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

bestand darin, einen Typus in eine Person zu verwandeln.« (Belting 2013: 75) In diesem Gedanken schwingt das Verständnis mit, dass Masken durch ihre Starrheit und Unveränderbarkeit der Individualität entgegengesetzt seien. Die Improvisation der Darsteller der Commedia, welche die starren Typen in individuelle Interpretationen der Rolle verwandelten, zeugen vom Gegenteil. Dass die oft mit Masken assoziierte Starrheit nicht immer zutrifft, bekräftigt Richard Weihe für die Masken des japanischen Nô-Theaters. Diese sind so gefertigt, dass es »möglich [sei], der Maske durch bestimmte Haltungen und die damit verbundenen Lichtwechsel einen anderen Ausdruck zu geben« (Weihe 2004: 256). Die Maske muss also keineswegs eine individuelle Äußerung verhindern. Dennoch lässt sich die ablehnende Haltung gegenüber der Maske aufgrund ihrer scheinbaren Verhinderung des individuellen und realistischen, d.h. vermeintlich authentischen Ausdrucks weiterhin attestieren und erreicht im 19. Jahrhundert mit der Dominanz des Realismus einen Höhepunkt. Dazu trug sicherlich auch die Tendenz zur Individualisierung bei, die sich um 1800 durchzusetzen begann (vgl. z.B. Fuchs 2002: 140), jedoch in der Aufklärung bereits ihre philosophisch-kulturhistorischen Grundlagen findet. An der Wende zum 20. Jahrhundert sind ein allmähliches Umdenken und eine Abkehr von dieser negativen Konnotation der Maske festzustellen. So konstatiert Vana Greisenegger-Georgila eine »Wiederentdeckung der Maske […] als Mittel zur Entpsychologisierung des Schauspiels, […] zur Verfremdung und Irritation, oder im Rahmen einer Rückbesinnung auf den Ritus« (2009: 162). Sie schreibt, dass die Wiederbelebung der Maske sich nicht auf die Theaterpraxis beschränkt, sondern auch in der theoretischen Auseinandersetzung an Bedeutung gewonnen, ja »obsessiven Charakter« angenommen habe (ebd.: 163). Davon zeugt beispielsweise die seit 1908 erschienene Theaterzeitschrift The Mask, herausgegeben vom einflussreichen Theatermacher und -reformer Edward Gordon Craig, für den die Maske zur »Metapher künstlerischer Schöpfung schlechthin« (ebd.: 164) wurde. Auch im epischen Theater Brechts spielen Masken eine bedeutende Rolle, hier allerdings zur Verstärkung des Verfremdungseffekts (vgl. ebd.: 167). Elisabeth von Samsonow sieht den Bedeutungszuwachs der Maske zur vorletzten Jahrhundertwende als Folge der »Krise des ›Ich‹«, welche sich in »Ichverlust, Ichvervielfältigung und Fremdsteuerung« der literarischen Helden dieser Zeit ausdrücke (2009: 353). Die bis dato auf den Karneval und ähnliche Zwischenzeiten beschränkte Umkehrung der Hierarchien gewann in diesem Zusammenhang neue Bedeutung: »Die exakt definierten Intervalle, die der verkehrten Welt reserviert waren, dehnten sich in dem Maße aus, wie die Rückkehr zu einem klar umrissenen Bild von Identität sich zusehends als unmöglich erwies.« (Ebd.: 354) Im beginnenden 21. Jahrhundert wird ein Aspekt aus einer ganz anderen Sphäre als der des Theaters bedeutsam, wenn es um Maske und vor allem das Verhältnis von Maske und Gesicht geht. Die Welle der Schönheitsoperationen hebt die Differenz von Maske und Gesicht endgültig auf. »Die Maske kann nicht mehr als Zeichen der Differenz operieren, wenn sie durch Techniken wie Face-Lifting

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und Genom-Arrangements unsichtbar wird.« (Weihe 2004: 40) Allerdings ist zu bedenken, dass der aktuelle Trend zur Veränderung des Aussehens keineswegs eine neue Erfindung ist: »Die heute in der westlichen Welt so aktuellen Tätowierungen und Piercings haben […] eine ebenso lange Tradition wie der plastischchirurgische Eingriff.« (Ebd.: 11) Die Entscheidung, die das Tragen einer Maske, sei sie anoperiert, geschminkt oder aufgesetzt, bedeutet, bringt nicht zuletzt die Identifikation mit einer bestimmten Gruppe zum Ausdruck. Die Maske funktio­ niert dabei als Marker der Zugehörigkeit: »[T]he mask has no mobility; it puts forth a single image or idea; it indicates a choice.« (Poirion und Weber 1999: 13) Die gegenwärtig zu beobachtende Tendenz zur Individualität und Selbstdarstellung, die sich in Subkulturen und Social Media-Profilen ausdrückt und durch diese gefördert wird, lässt die Maske allgegenwärtig werden. Daher schreibt Sylvia Ferino-Pagden in ihrem Geleitwort zum erwähnten Ausstellungskatalog: »[I] n einer Zeit wie unserer, in der die Medien über die Erscheinungsbilder regieren, entkommen wir dem Phänomen Maske nicht. Daher der Titel unserer Ausstellung ›Wir sind Maske‹.« (2009: 11)

2.3.1.3 Maskentypen Wenn es um die Frage geht, wie die große Anzahl an unterschiedlichen Masken klassifiziert werden kann, muss hinsichtlich ihrer Gestaltung einerseits und ihrer Funktion und Verwendung andererseits differenziert werden. Im ersten Fall geht es vor allem darum, wie die Maske getragen wird und wieviel des menschlichen Gesichts oder Körpers dabei von ihr bedeckt wird. Gabriele Weiss liefert eine umfassende Auflistung der verschiedenen Arten. So unterscheidet sie zwischen »Vorhalte-, Helm-, Stülp-, Kopf-, Aufsatz- und Schultermasken, Schminkmasken und Maskenkleider[n]« (Weiss 2009b: 40). In funktioneller Hinsicht können prinzipiell alle diese Maskenarten zu Kultzwecken eingesetzt werden. Im Theater oder Film finden sämtliche Maskentypen Verwendung. Schutzmasken sind oft Helm- oder Schultermasken. Mircea Eliade trifft eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen »Masken, die von den Lebenden bei gewissen Zeremonien getragen werden, und den Totenmasken« (Eliade 1962: 397), die meist Kopfmasken sind. Interessant sind die von Eliade den verschiedenen Maskentypen zugeschriebenen Funktionen. Während die Kult- und Theatermaske zur »Entfremdung der Persönlichkeit« (ebd.: 404) eingesetzt wird, dient die Totenmaske der »Erhaltung der Persönlichkeit« (ebd.). Für Moshe Barasch ist sie ein Zeichen für »das Begehren, unsere eigene Existenz oder die eines einzelnen menschlichen Wesens vor Verlust und Vergessen zu bewahren« (2002: 126). Diese Totenmasken hatten z.B. im Ahnenkult des antiken Rom eine herausragende Bedeutung. Dort wurden sie bei Begräbniszügen von anderen getragen und erinnerten so an den Verstorbenen. »Diese Masken der Ahnen propagierten gleichsam als exempla virtutis der Familie ihre genealogische Anciennität; damit wurden sie wichtiges Erbe und als spezifisches Recht, ius imaginum, fast Voraussetzung für die Erlangung bedeutender politischer Ämter.« (Ferino-Pagden 2009: 59)

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

2.3.1.4 Merkmale und Funktionen Die Verwendung der Maske in Ritualen ist ein traditionell mit der Maske assoziierter Aspekt. In ihnen fungiert sie weltweit als »Medium der Kommunikation« (Schmitz-Emans 2009: 20). Dabei dient »[d]as Tragen von Masken […] der Kommunikation mit einer spirituellen Sphäre. […] Insofern ist Maskierung ein Akt der Grenzüberschreitung.« (Ebd.: 18) Daher verwundert es nicht, dass gerade in Initiationsriten oder Begräbnisfeiern, die ja Übergänge begleiten, Maskierte eine wichtige Rolle spielen. Solche Übergänge sind oft mit der Erfahrung der Grenzüberschreitung verbunden, welche mit Gefühlen von »Angst und Bedrohung« einhergeht und deshalb bereits in der Antike durch Mischwesen verkörpert wurde (Rath 2010: 138). Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, wie der Einsatz von Masken in solchen Situationen die Unsicherheit mindern kann und Halt gibt, bietet Nunley: Life transitions are destabilizing, for both the person and society are faced with a situation in which the past has lost its grip on the present and the future is uncertain. At this juncture, the masquerade serves as a guide through the passage of life. Its face, dance, and narrative create the certainty, and the masquerade creates order so that life and social living continue in a meaningful and purposeful way. Rituals provide fixed markers against the lack of fixation. The unchanging face of the mask provides a further sense of permanence during unsettling times of transition. The transformation of man to masked dancer symbolizes the states of transformation people experience in life cycles. (1999b: 66)

Demnach kann man »Masken als Ausdruck ritueller Verwandlungen in kollektiv definierte Identitäten« verstehen (Fuchs 2002: 136). Da Rituale besonders in Krisenzeiten und Grenzsituationen vollzogen werden, verwundert es nicht, dass die Kommunikation mit und die dadurch erhoffte Präsenz und der Schutz durch übernatürliche Geister gerade während dieser Zeit besonders ersehnt werden. Dies erklärt ihre Verwendung zur »Dämonenabwehr und [bei] Heilungszeremonien« (vgl. Weiss 2009a: 66, McCarty/Nunley 1999: 16). Masken dienen demnach »to make use of supernatural power in life’s most pressing challenges« (Nunley 1999a: 30). Die Maske mit ihren zwei Seiten, der äußeren für den Betrachter sichtbaren und der inneren, die dem Träger zugewandt ist und sich an dessen Gesicht schmiegt, bildet eine Grenze zwischen dem Träger und der Außenwelt. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass Masken vornehmlich Kopf und Gesicht bedecken, da in diesem vier der fünf Organe, die für die Sinneswahrnehmung zuständig sind, angesiedelt sind (vgl. Ferino-Pagden 2009: 11). Damit ist das Gesicht der Körperteil, über den wir die Welt überwiegend wahrnehmen. Bedeckt nun etwas dieses Gesicht, wird der Träger von seiner Umgebung abgesondert und isoliert (vgl. Ogibenin 1975: 1/2, 5). Dadurch ergibt sich eine Differenz zwischen dem Inneren und dem wahrgenommenen Äußeren:

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2. Theoretischer Teil [M]it der Maske [entwickelt sich] auch das Bewusstsein des Trägers, ein anderer zu sein, als er für die anderen ist. Sie trennt das Äußere vom Inneren; ihr starrer Anblick verbirgt ein Geheimnis. Die Maske ist so auch Ausdruck der zunehmenden Fähigkeit des Menschen, seine Gefühle für sich zu behalten, gegenüber dem Blick der Anderen ein autonomes Ich abzugrenzen. (Fuchs 2002: 136-138)

Insbesondere der für das gegenseitige Verständnis und die menschliche Interaktion so zentrale Augenkontakt ist für diesen Gedanken zentral, da er durch das Tragen einer Maske eingeschränkt, wenn nicht unterbunden wird. Die verbreitete Vorstellung der Augen als Spiegel der Seele erklärt, warum es die Maske dem Träger ermöglicht, sein ›autonomes Ich abzugrenzen‹, also seine intimen Gefühle für sich zu behalten und vor den anderen zu verbergen. Versteht man auch das Gesicht als Maske, wie Hans Belting beschreibt, wird folgendes Zitat von Tilo Schabert aus seinem Sammelband zur Sprache der Masken verständlich: »Menschen sehen sich nie anders als durch ihr ›Gesicht‹, über das ›Zwischen‹, das dieses bildet. Uns begegnen in Wahrheit nie Menschen, uns begegnen Gesichter: Andere, wie sie sich zeigen. […] Menschenkenntnis ist Maskenerfahrung.« (2002: 12) Mit der Isolierung des Maskenträgers geht – scheinbar paradoxerweise – die Angliederung an die Umgebung einher, von der er sich absondert. Denn die Maske verweist immer auf die »räumlichen, zeitlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten«, zu denen sie in Beziehung steht (vgl. Eschbach 1979: 161). Dies wird verständlich, führt man sich die Bedeutung der Maske im Ritual vor Augen, in dem der Maskenträger oft die Funktion des Vermittlers der Geister- und Dämonenwelt ausübt und seine Gestalt als Inkarnation transzendentaler Wesen verstanden wird. Dieses Verständnis, nach welchem die Maske den Träger im Verhältnis zu seiner Umgebung gleichzeitig isoliert und angliedert, kann mit einem Gedanken von Koschorke zu dem Konzept des Dritten enggeführt werden: [D]ifferenztheoretisch entstehen ›Effekte des Dritten‹ immer dann, wenn intellektuelle Operationen nicht mehr bloß zwischen den beiden Seiten einer Unterscheidung oszillieren, sondern die Unterscheidung [hier: die Maske] als solche zum Gegenstand und Problem wird. Zu den jeweils unterschiedenen Größen tritt die Tatsache der Unterscheidung wie ein Drittes hinzu, das keine eigene Position innehat, aber die Positionen auf beiden Seiten der Unterscheidung ins Verhältnis setzt, indem sie sie zugleich verbindet und trennt: ein Drittes, das binäre Kodierungen allererst möglich macht, während es selbst als konstituierender Mechanismus gewöhnlich im Verborgenen bleibt. (2010: 10)

In dieser Hinsicht wäre die Maske das Dritte, welches »die Positionen […] ins Verhältnis setzt, indem sie sie zugleich verbindet und trennt«. Ein Gedanke aus demselben Aufsatz, welcher das Dritte als »Figuration [begreift], die immer auch ein defigurierendes, feste Bedeutungsbehauptungen auflösendes Element in sich trägt« (ebd.: 19), wird uns im Zusammenhang mit der Identität erneut beschäfti-

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

gen. Denn die beiden durch die Maske gleichzeitig getrennten und verbundenen Entitäten sind genauso wenig eindeutig wie diese selbst. So betrachtet wird der Maskenträger zu einer Art Grenzgänger. Er benötigt sowohl den Blick von innen als auch den von außen. Um seine Rolle überzeugend darstellen zu können, muss er stets zu diesem Perspektivenwechsel fähig sein (vgl. Fuchs 2002: 144). Nicht unerwähnt lassen möchte ich an dieser Stelle ein Ritual des Nô-Theaters, das äußerst präzise auf diese Fähigkeit abzielt. Es wird vom Hauptdarsteller, dem shite, vor Beginn der Vorstellung vollzogen und findet in dem eigens dafür eingerichteten Spiegelzimmer (kagami-no-ma) statt (vgl. Weihe 2004: 264). Der erste Schritt ist die intensive Betrachtung der Maske von vorne, d.h. so, wie das Publikum sie später sieht. Der nächste Schritt beschreibt dasjenige Moment der Maskierung, welches uns in den Filmanalysen beschäftigen wird: Dann setzt er sie, vor einem großen Spiegel sitzend, sorgfältig auf und betrachtet nun sein maskiertes Gesicht. Er konzentriert sich so lange auf sein Spiegelbild als maskierte Figur, bis er sich gleichsam darin verliert. Er verinnerlicht dieses Spiegelbild, das ja die Zuschauerperspektive darstellt, und tritt mit diesem Bild in der Vorstellung vor das reale Publikum. (Ebd.: 264)

Richard Weihe bemerkt eine interessante Analogie zur Identifikation im »Spiegelstadium«, wie es Lacan beschrieben hat9: In beiden Fällen geschieht die Verwandlung, ein identifikatorisches Erkennen, durch die Aufnahme eines (Spiegel-) Bildes (vgl. ebd.: 265). Der Schauspieler befindet sich innerhalb und außerhalb der Rolle zugleich. Er muss sich von sich selbst distanzieren, »paradoxerweise gleichzeitig durch und auf die Maske blicken« (ebd.: 266), um sich so zu sehen, wie ihn das Publikum sieht (vgl. ebd.: 265/6). Das Ritual im Spiegelzimmer dient also gewissermaßen der Dissoziation des Ich, es ist, wie bei Lacan, ein Oszillieren zwischen Identifikation (moi) und Differenz/Distanz ( je). Auf diesen für die Themen der Maske und der Identität zentralen Gedanken werde ich noch zurückkommen. In den europäischen Sprachen liegt der Schwerpunkt auf dem bedeckenden und verbergenden Charakter der Maske (vgl. Mack 1994: 12) und lässt das, was durch das Anlegen der Maske neu entsteht, in den Hintergrund rücken. So bemerkt Claudia Augustat: »Der Wunsch hinter die Maske zu schauen verstellt den Blick auf die Maske selber und ihren darstellenden Charakter.« (2009a: 264) Dass diese Konnotation des Terminus den Kern der Maske nicht zu erfassen mag, wird im Folgenden gezeigt. Denn ein Aspekt, der in beinahe jeder Abhandlung zur Maske hervorgehoben wird, ist »die für die Maske charakteristische Dialektik des Zeigens und Verhüllens« (Weihe 2004: 13, vgl. auch Assmann 2002: 157, Belting 2013: 65, Fried/Keller 1996: 179). Auf den ersten Blick scheint dies ein Paradox 9 | Lacan, Jacques. »Le stade du miroir comme formateur de la fonction du Je« (1949). Écrits. Lacan. Paris: Éditions du Seuil, 1966. 93-100. Collection Le champ freudien.

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2. Theoretischer Teil

zu sein. Näher betrachtet ist verständlich, dass erst etwas verdeckt werden muss, damit etwas Neues sichtbar werden kann. »[Die Maske] zeigt, indem sie verbirgt. Das Gesicht trägt die Maske; erst, wenn sie dieses verdeckt, kann sie sich zeigen.« (Weihe 2004: 14) Armin Eschbach findet eine weitere Erklärung für das scheinbare Paradox, indem er auf einem Gedanken Ogibenins auf baut: Die Deformation natürlicher Gesichtszüge begründet die Ambivalenz von Maskenzeichen: Einerseits werden in der Maske die Züge des deformierten Gesichts in gewisser Hinsicht reproduziert – Ogibenin spricht davon, daß die Gesichtszüge in der Maske ›zitiert‹ werden – obgleich die Maske darauf hinweist, daß sie gleichzeitig mit dem Verweis auf das ursprüngliche Gesicht als ein anderes aufzufassen ist, d.h. sowohl Gesicht als auch Anti-Gesicht ist. (Eschbach 1979: 161)

Er macht also das Zitieren der natürlichen Gesichtszüge für den Aspekt der Verhüllung verantwortlich. Dies scheint jedoch nicht auf alle Masken zuzutreffen, vor allem nicht auf jene, die das Gesicht komplett verdecken und eine gänzliche andere Physiognomie erkennbar werden lassen. Kurt Röttgers bringt ein weiteres Detail dieser Dialektik zur Sprache, indem er den Faktor der Zeit berücksichtigt: »[Es gibt] eine Simultaneität von Verhüllung und Enthüllung, sie sind zwei Seiten ein und desselben Prozesses.« (2009: 88) Dieser Aspekt der simultanen Wechselwirkung zwischen Zeigen und Verbergen ist für die Untersuchung besonders relevant, da die Hauptthese für die filmischen Analysen lautet, dass die Maskierungsszene einen Umschlag zur Seite des Entblößens und Zeigens bewirkt und nicht etwa, wie leicht vermutet werden kann, in Richtung einer Verhüllung. Auch Tilo Schabert sieht in seiner Einleitung zu dem beachtenswerten Sammelband Die Sprache der Masken das Pendel zwischen Verhüllung und Entblößung stets in Richtung der Enthüllung ausschlagen: »Masken halten keineswegs zurück, was hinter ihnen liegt, wie man vielleicht dächte, sondern sind vielmehr für die hinter ihnen befindlichen Umstände, Motive und Prozesse durchlässig, weitergebend, übermittelnd, darstellend, eben: ›sprechend‹.« (2002: 11) Dies lässt sich in Einklang mit Jan Assmanns Darstellung der Maske als »Interface« bringen. Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler versteht die Maske als eine Leerstelle, auf die sich etwas projizieren lässt (vgl. Assmann 2002: 151). Ich werde auf diesen interessanten Gedanken beim Thema der Identität zurückkommen. Das Changieren der Maske zwischen Entbergen und Verhüllen wird ebenso von McCarty und Nunley thematisiert: In addition to disguise and transformation, revealing identity is another reason for masking. Masks empower us to divulge our hidden, true selves or secret thoughts, exposing inhibitions or personality traits that we ordinarily contain or feel unable to express. We even wear masks to become anonymous, enjoying the pleasure of not being recognized. The power of anonymity gives us the protection to behave in ways we otherwise might not, to act aggressively or to break rules. (1999: 17)

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Die Autoren sprechen hier noch eine weitere wichtige Funktion an, welche die Maske haben kann: die des Schutzes. Die Anonymität, die die Maske gewährt, eröffnet einen Schutz- und Möglichkeitsraum für das Ausleben von – nicht immer legalen – Wünschen und Begierden. Die schützende Funktion steht bei Gasmasken, Feuerwehrhelmen oder Masken in verschiedenen Sportarten wie Fechten oder Eishockey eindeutig im Vordergrund. Der Gedanke McCartys, dass solche Masken die Fähigkeiten des Körpers erweitern (vgl. 1999: 289), lässt einen unmittelbar an den Prothesengott Freuds (1974) oder die Extensions of Man (1964) von Marshall McLuhan denken. Doch auch bei Masken, die nicht in erster Linie zum physischen Schutz des Gesichts entwickelt und verwendet werden, ist die Funktion der (psychologischen) Abschirmung ein wichtiges Element, da Schwächen hinter ihr verborgen werden können: »Secrecy masks weaknesses, and people feel safer behind a barrier. Donning a mask can give one courage and strength: with inhibitions reduced, the wearer is empowered with greater feelings of security.« (McCarty 1999: 290) Diese Erkenntnis zeigt auch der Film Rize (Rize – Uns hält nichts auf!, USA, GBR 2005, R: David LaChapelle), der das Phänomen clowning und des daraus entstanden krumping beleuchtet. Gemeint sind hier die in Southern Central L.A. entwickelten Hip-Hop-Tanzstile, die in Clownsschminke und zum Teil Clownskostümierung praktiziert werden. Einer der Protagonisten der Bewegung, Dragon, erklärt im Film: If I know somebody’s looking at me, it’s gonna be hard, for some people can’t dance if they have someone looking at them, but if you know there’s a mask sort of covering your face you feel that it’s just you by yourself, that your identity is hidden so you can dance, as freely as you want to.

Ein kaum von der Hand zu weisender Effekt der Maske ist also die »Abwehr der Scham« (Döscher 2009: 171). Im Volksmund spiegelt sich diese Funktion in der Formulierung des Gesichtsverlustes wider. Dementsprechend schreibt Martina Döscher: »Eine Maske (als Gesicht) setzt man auf, um das Gesicht nicht zu verlieren.« (Ebd.: 166) Ein kurzer Vorgriff auf die Clowns verdeutlicht den konkret physisch schützenden Effekt, den die Maske in ihrer Verwendung im Ritual haben kann: »The Cayuga clowns […] plunge their fingers into the fire, rub the sick with the burning cinders, and declare that their masks give them the capacity to act in that way without feeling pain.« (Makarius 1970: 63) Diese von Laura Makarius beschriebene Unverwundbarkeit der ritual clowns stimmt mit den Beobachtungen anderer Ethnologen überein. Eine Erklärung hierfür kann in der von Mircea Eliade beschriebenen Ekstase (vgl. Abschnitt zur Verwandlung) vermutet werden, welche in diesem Fall durch das Mittel der Maske erreicht wird. In ekstatischem Zustand ist die Schmerzempfindlichkeit deutlich herabgesetzt, was den dargestellten Effekt teilweise erklären kann.

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2. Theoretischer Teil

Die Kehrseite des Schutzes, welchen die Maske ihrem Träger gewährt, ist oftmals der Schrecken, den sie beim Betrachter auslöst. In manchen Fällen kann sie bzw. die gesamte Erscheinung des maskierten Wesens, das sich dem Betrachter präsentiert, sogar als bedrohlich empfunden werden. Dies ist in bestimmten Initiationsritualen beabsichtigt und soll der Abschreckung und dem Gehorsam der Initianden dienen. Die Hauptgründe für die empfundene Bedrohung liegen in der Abweichung von der gewohnten Erscheinung sowie der Starrheit und Unveränderlichkeit der Maske. »Denn in Wirklichkeit sind wir ursprünglich nicht für die Wahrnehmung des Ähnlichen, sondern für die Wahrnehmung des Unähnlichen programmiert«, bemerkt der Kunsthistoriker Ernst Gombrich (1997: 22). Dies verweist auf die Notwendigkeit des Menschen, aus dem sich ständig verändernden Gesichtsausdruck Hinweise auf Verfasstheit und Absichten des Gegenübers zu lesen. Bedeutsam dafür ist die »extreme Empfindlichkeit unserer physiognomischen Wahrnehmung für geringfügige Veränderungen« (ebd.: 35). Eine wiederholt geäußerte Vermutung ist, dass es gerade die Unlesbarkeit und damit die Verweigerung der von Gombrich genannten feinen Unterschiede in der Mimik sind, die als Auslöser für die Angst vor der Maske gelten können. So schreibt beispielsweise Richard Weihe: »Weltweit finden sich Belege für den Zusammenhang zwischen Masken und Tod, den schon die Starrheit der Maske nahelegt.« (2004: 20) Die fehlende Mimik wirkt unnatürlich und wird mit dem Tod assoziiert. Die Fähigkeit, die Gesichtsausdrücke der Mitmenschen lesen zu können, ist unabdingbar für die soziale Interaktion und wird von Geburt an erlernt. Forschungen zeigen, dass »Kinder von depressiven und angstgestörten Müttern, die in der Lebendigkeit ihrer Mimik eingeschränkt sind, kognitive Entwicklungsdefizite aufweisen« (Reck 2012). Besonders spannend ist die enge Verwobenheit vom Schutz des Maskenträgers und der Bedrohung für den Betrachter. Es scheint gerade die durch das Versteck gewonnene Sicherheit zu sein, welche die Gewaltbereitschaft und die von dieser ausgehende Gefährdung für andere steigern kann: The frightening link between anonymity and aggression has led to some of our most egregious acts as humans. In societies where men prepare for war by putting on masks or painting their bodies, the incidence of killing, torturing, or mutilating the enemy is considerably higher than if appearances were left unchanged. (McCarty 1999: 290)

So wie außen und innen der Maske untrennbar miteinander verbunden sind, können auch die Funktionen von Schutz und Bedrohung als zwei Seiten der Medaille betrachtet werden. In den bisherigen Ausführungen war der Schutz mit dem Träger assoziiert, die Bedrohung mit dem Betrachter. Es handelt sich dabei jedoch keineswegs um eine festgelegte Zuordnung. Die empfundene Bedrohung auf Seiten des Betrachters kann einerseits zu einer Schutzfunktion werden; andererseits kann der scheinbare Schutz durch die Maske für den Träger selbst zur Bedrohung werden.

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Den ersten Fall beschreibt Mircea Eliade anschaulich anhand einer Erkenntnis zum fernöstlichen Maskenbrauchtum: »In Tibet stellen die Masken gewisse Teufelswesen dar, denen die Seele nach dem Tode begegnet. Die Zuschauer lernen durch ihre Anwesenheit bei den Tänzen die Furcht überwinden; sie sind gewappnet für die Begegnungen im Jenseits.« (1962: 401) Ein ähnlicher Bericht findet sich über das Initiationsritual der Selknam in Chile, in dem Maskierte die Initianden zunächst erschrecken und sie später zu den Orten geleiten, an die sie sich während der Dauer des Rituals zurückziehen. Nach dem erfolgreichen Bestehen des Rituals demaskieren die Initiierten die Maskenträger und rauben ihnen auf diese Weise ihren Schrecken. Als letzten Schritt legen sie die Maske selbst an, womit sie wiederum zur Bedrohung für die nächsten Initianden werden (vgl. Augustat 2009b: 293). Für den zweiten Fall liefert der Film Onibaba (Onibaba – Die Töterinnen, JAP 1965, R: Kaneto Shindō) eine erschütternde Veranschaulichung. Die Maske, die einen Dämon darstellt, wird zunächst am Gesicht eines Samurais gezeigt. Dieser sagt, dass er sie trage, um die Schönheit seines Gesichtes zu verbergen und dadurch zu schützen. Nachdem die ältere der beiden weiblichen Protagonistinnen ihn umgebracht und entlarvt hat, stellt sich die angebliche Schönheit als schreckliche Entstellung dar, welche von der Maske bedeckt wird. Die weitere Entwicklung der Handlung zeigt, dass diese Entstellung erst durch das Anlegen der Maske ausgelöst wurde. Der gleiche Prozess wiederholt sich, als die ältere Frau die Maske anlegt. Sie nutzt ihre Verkleidung als Dämon, um die jüngere Frau zu erschrecken und sie glauben zu lassen, dass es die Fegefeuer wirklich gäbe. Später löst sie die Situation jedoch auf und sagt der Jüngeren, dass es sie selbst und kein echter Dämon gewesen sei. Als sie die Maske nach diesem Geständnis ablegen möchte, ist ihr dies nicht möglich. Wie die jüngere Frau sagt, ist sie zum Dämon geworden, was die ältere vehement verneint. Die Maske ist hier folglich – entgegen dem zunächst Vermuteten – weniger ein schützendes, als vielmehr ein zerstörerisches und eine Verwandlung bewirkendes Element. Die Fähigkeit der Maske, eine Verwandlung des Trägers zu bewirken, ist eines der Merkmale, aufgrund dessen sie in vielen Kulturen als heiliges Objekt gilt. Da der Aspekt der Verwandlung für meine Fragestellungen und Thesen grundlegend ist, wird er im Folgenden näher betrachtet. Masken sind laut McCarty und Nunley eines der »most ancient means of changing identity and assuming a new persona« (1999: 15). Beinahe alle Forscher heben diesen Aspekt hervor: »Sie sind das Angebot, sich zu verändern.« (Weihe 2004: 16) Auch Kaltenbrunner schreibt: »Das Anlegen der Maske bewirkt eine magische Metamorphose; sie verhüllt nicht nur, sondern verwandelt.« (1992: 16) An dieser Schnittstelle von Maske und Verwandlung lässt sich erneut die Brücke zum Clown schlagen. So hebt der eingangs zitierte Clown des Zirkus Krone, Pierino, die Zeitspanne hervor, die verstreicht, bis die Verwandlung in die Clownsfigur erfolgt ist (vgl. Pierino in von dem Borne 1993: 128). Seine Aussage betont den prozessualen Charakter der Verwandlung, die generell »aufs engste mit Zeit-

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lichkeit verbunden« (Nicklas 2002: 11) ist. Dies ist meines Erachtens der Faktor, der die (Ver-)Änderung von der Verwandlung (change vs. transformation) trennt. Diese von den meisten Experten betonte Unterscheidung (z.B. Gildenhard/Zissos 2013: 2) ist für die Filmanalysen grundlegend, da zu untersuchen sein wird, ob die Maskierungsszene nun change oder transformation bei der Clownsfigur bewirkt. Mit der Zeit hängt auch die Feststellung zusammen, dass die »transformation […] only temporary« ist (Mack 1994: 17). Die zeitliche Begrenzung ist eine Besonderheit der Verwandlung durch Maske und Verkleidung im Vergleich zu permanentem Körperschmuck wie beispielsweise Tattoos. Diese zeitliche Gebundenheit wirft die Frage auf, ob sich die im Analyseteil untersuchten filmischen Figuren nur vorübergehend verändern oder ob die durch die Maskierungssequenz stattfindende Veränderung fortbestehende Effekte auf die Figur hat. Claudia Augustat beschreibt zwei unterschiedliche Arten der Verwandlung. Während im ersten Fall das Wesen, das die Maske darstellt, vom Maskenträger regelrecht Besitz ergreift und dadurch »dessen Identität [überlagert]«, kommt es im zweiten Fall »zu einer Verschmelzung mit seiner eigenen Identität […]. Beiden Fällen ist jedoch eins gemeinsam: die Unterscheidung zwischen Geistwesen, Maske und Maskenträger wird aufgehoben.« (2009a: 264) Diese Veränderung, die sich durch die Vermischung mit dem durch die Maske Repräsentierten ereignet, hebt auch Richard Weihe hervor, der über den »Maskentänzer[…] im Rahmen des Rituals« schreibt: Durch seine Präsenz wird die maskierte Figur als eigenständiges ›Maskenwesen‹ begriffen; die Maskierung ist mehr als eine bloß äußerliche Verwandlung des Tänzers, die Maske ergreift quasi auch von seinem Körper Besitz. Sie assimiliert den Träger mit demjenigen, was sie versinnbildlicht, und verleiht ihm aus der Sicht der Teilnehmer am Ritual auch dessen Wirkungskraft. (2004: 22)

Diese wichtige Unterscheidung zwischen Maskenträger und seinem Publikum wirft erneut die Frage auf, ob die Maskierung einzig eine Veränderung oder tiefgreifende Verwandlung bewirkt: Will die Person, die eine Maske anlegt, überhaupt eine vollkommene Verwandlung erreichen? Will sie alle, die sie sehen, irreführen und die Betrachter glauben machen, daß das, was sie sehen, nicht die wirkliche Person hinter der Maske ist, sondern eine durch sie dargestellte oder angedeutete Phantasiegestalt? Um es durch ein einfaches, wenn auch etwas drastisches Beispiel zu erläutern: Beabsichtigt ein Mann, der eine Tigermaske aufsetzt, für einen wirklichen Tiger gehalten zu werden, oder will er vielmehr als ein Mann verstanden werden, der wie ein Tiger aussehen will? (Barasch 2002: 124)

Der Autor dieses Zitats, Moshe Barasch, kommt zu dem Schluss, dass »[k]ein menschliches Wesen, das eine Maske aufsetzt, […] damit eine vollständige Verwandlung erreichen [will]. [….]. [K]ein Publikum, das eine maskierte Person dabei

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

beobachtet, wie sie auftritt oder etwas vorspielt, ist wirklich und vollständig irregeleitet.« (Ebd.: 125) Jan Assmann betont, indem er sich auf Barasch bezieht, den Unterschied zwischen einer zeitlich begrenzten und reversiblen Maskierung und einer vollständigen Verwandlung: Die Maske ist, wie Moshe Barasch betont hat, Ausdruck einer unvollständigen Verwandlung (incomplete transformation). Eine Maske muß man abnehmen können, und es muß anderes zum Vorschein kommen. Wenn die Verwandlung vollständig ist und die Maske nicht mehr abgenommen werden kann, können wir nicht mehr von Maske sprechen. (Assmann: 167)

Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Verwandlung aus Sicht des Rezipienten sehr wohl vollständig sein kann, ohne für den Träger oder übrige Rezipienten ihren Status als Maske einzubüßen. Die Klärung dieses Problems hängt allerdings nicht nur von den jeweiligen Rezipienten ab, sondern auch davon, ob es um Masken im Zusammenhang mit einem Ritual, Masken im Theater oder im Film geht. Diesbezüglich ist der Vorschlag Otto Höflers von großem Interesse, der eine Abstufung verschiedener Grade vorschlägt, da ihm eine Differenzierung der »in der wissenschaftlichen Literatur häufig gebrauchte[n] Formel ›Einswerden mit der Maske‹« notwendig erscheint. »Denn es lassen sich bezüglich des psychischen Verhaltens zur Maske verschiedene Stufen der Apperzeption unterscheiden, und zwar sowohl bei den Masken-Trägern als auch bei den ›Zuschauern‹, die bei dem Erscheinen der Maskierten anwesend sind.« (1973: 44) Diese letzte Bemerkung erscheint mir zentral. Denn eine Sache ist, dass sich der Maskenträger durch das Anlegen der Maske anders fühlt, anders agiert, sich also verwandelt, eine andere, ob dies auch von den ihn Betrachtenden so wahrgenommen wird. Auf der Seite der Wahrnehmung unterscheidet Höfler vier Arten, die auf der Skala von der »Voll-Naivität« (ebd.: 44) bis zur »restlose[n] Ungläubigkeit und Unberührbarkeit durch die Maske« (ebd.: 45) reichen. Den ersten Modus der Reaktion auf Masken beschreibt er als »vorbehaltlos ›naives‹ Ernstnehmen des Maskierten als realer Wirklichkeit des durch die Maske ›Dargestellten‹« (ebd.: 44). Dies ist die typische Wahrnehmungsweise von Kindern, beispielsweise bei der Betrachtung des Nikolaus (ebd.). Ein weiteres Beispiel für das Verschmelzen des Maskenträgers mit der von ihm dargestellten Rolle – aus der Perspektive des Betrachtenden – sieht Höfler in jenen »faszinierende[n] Augenblicke[n], in denen ein großer Schauspieler mit seiner Rolle ›eins wird‹« (ebd.: 43). Die nächste Stufe ist bei Höfler diejenige, in der man zwar um die Maskierung weiß, aber dennoch an die Wirkungen des mit der Maskierung verbundenen Rituals glaubt (ebd.: 45). Dieser Glaube ist es, der nach Höfler die »Lebendigkeit des Brauches« begründet (ebd. 46): »Diese Doppelheit des Aspektes solcher Kultformen […] ist es, was dem modernen Leser und Beobachter, aber auch vielen Fachgelehrten besondere Schwierigkeiten beim Versuch eines psychologischen Begreifens zu bereiten pflegt.« (Ebd.: 45) Bei dieser Betrachtungsweise wird »den Maskenträgern zwar zunächst eine rein menschliche Natur und Verhaltensweise zugeschrieben […],

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2. Theoretischer Teil

aber dann ›plötzlich‹, wie viele Sagentypen dies bekunden, das Auf brechen oder Hereinbrechen dämonischer Mächte geglaubt« (ebd.: 53). Dies entspricht der gängigen Formulierung der suspension of disbelief, da die Situation von Rezipienten eines fiktionalen Werkes, z.B. eines Films, eine sehr ähnliche ist: Obwohl sich der Zuschauer bewusst ist, dass er ›nur‹ einen Film sieht und die dargestellten Figuren eine Rolle spielen, fühlt, lacht und weint er mit ihnen. Höfler bringt genau dieses Phänomen mit dem Aspekt der Verwandlung in Verbindung: »Wo ein solcher Glaube die Maskenbräuche begleitet, dort wird der Maskierung offenbar eine Wesensverwandlung der maskierten Menschen zugeschrieben, auch wenn man genau weiß und auch früher wußte, daß diese Masken von Dorfgenossen getragen werden.« (Ebd.: 47) Die Maske vermittelt also zwischen dem Irdischen und dem Übernatürlichen und kann in dieser Funktion zum Kultgegenstand werden (vgl. ebd.). Auf der dritten von Otto Höfler ausgemachten Stufe werden die Maskenträger als verkleidete Menschen angesehen, wobei aber der Glaube herrscht, dass eine »als übermenschlich gedeutete Kraft« erscheinen, in die Maskenträger »fahren« und diese dadurch verwandeln könne (ebd.: 61/2). Die vierte und letzte Stufe schließlich beschreibt das durch und durch rationalistische Verständnis, das in den Maskierten lediglich Menschen erkennt, die durch eine Maske und/ oder Kostüm verkleidet sind (vgl. ebd.: 62). Doch selbst wenn das Wissen, dass es sich ›nur‹ um eine Maskierung handelt, besteht, kann diese eine tiefgreifende Verhaltensänderung beim Träger bewirken – zum Teil mit gravierenden Folgen: In the United States the robes and pointed white hoods of the Ku-Klux-Klan symbolize one of the most violent secret societies in the country’s history. The simplicity of their hood is a chilling reminder of how little it can take to transform oneself, to even abandon one’s humanity. (McCarty 1999: 290)

Die Maske kann also äußerst einfach oder sogar für den Betrachter unsichtbar sein und dennoch eine wesentliche Verhaltensänderung hervorrufen. Heinrich Dietz beschreibt den zweiten Fall für die Zeit des Nationalsozialismus: Wie Masken den Menschen verändern können, habe ich in der nationalsozialistischen Umwelt beobachtet. Die Maske des Mitläufers hat nicht selten die Substanz des Menschen angegriffen. Was zunächst wie eine Emigration nach innen ausgesehen hat (Maskierung), ging in Fleisch über, griff das Wesen an, veränderte den Menschen oft total. (1992: 109)

Dies sind zugleich zwei extreme Beispiele für die bereits angesprochene Dialektik der Maske als Schutz und Bedrohung. Die Feststellung, dass die Maske ihren Träger verändert, wirft die Frage auf: Wie kann die Maske, bei der es sich augenscheinlich um ein lebloses Objekt, um Schminke oder gar um (assimilierende) Verhaltensweisen handelt, eine solche Macht auf ihre Träger ausüben? Einer der Gründe dafür ist sicherlich in ihrer

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

schützenden Funktion zu suchen. Diese kann die Hemmschwelle zu Handlungen, die man sich ohne Maske nicht trauen würde, herabsetzen. Diese Erklärung erscheint mir allerdings nicht in jedem Fall ausreichend. Wie Otto Höfler feststellt, besteht eine Schwierigkeit des Verständnisses darin, dass zur »Psychologie der Maskenträger« selbst Berichte fehlen (vgl. 1973: 58). Der ethnologischen Forschungsliteratur ist zu entnehmen, dass Maskierungen oft im Zusammenhang mit Ritualen stattfinden und dass sich die Maskierten in vielen Fällen durch Gesang und Tanz in Trance versetzen. Mircea Eliade hat die Maske deshalb, wie bereits erwähnt, als »Instrument der Ekstase« bezeichnet. »Wer eine Maske trägt, ist nicht mehr er selbst, da er aus seiner persönlichen Zeitlichkeit herausgerissen wird. Er wird ein anderer.« (1962: 404) Diese Ekstase kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden: durch Drogen wie Alkohol, durch Krankheit, verschiedene Tanzformen oder Geräusche (vgl. Höfler 1973: 58, 66). Diese Veränderung des Bewusstseinszustandes erklärt jedoch noch nicht, warum der Träger einzelne Eigenschaften des durch die Maske dargestellten Wesens übernimmt. Ein in der Psychologie und Kognitionswissenschaft diskutiertes Problem bietet Aufschluss über dieses Phänomen. Carl Plantinga und Greg M. Smith gehen auf das Verhältnis von körperlichen Veränderungen und Emotionen ein und resümieren die vier verschiedenen Ansätze, welche Forscher diesbezüglich entwickelt haben. So können Emotionen (1) als im peripheren Nervensystem lokalisiert und damit als Wahrnehmung von körperlichen Veränderungen verstanden werden: »We are sad […] because we cry« (1999: 7; Hervorhebung Y.A.), wobei den Informationen, die durch Gesichtsmuskeln und -nerven übertragen werden, besondere Bedeutung zuzukommen scheint (vgl. ebd.: 8); (2) im zentralen Nervensystem verortet werden. Dieser Ansatz ist nach seinem Urheber als James-Lange-Theory bekannt und wird damit begründet, dass sich Emotionen schneller verändern können als körperliche Muster (vgl. ebd.); (3) als Ergebnis kognitiver Beurteilung gesehen werden (vgl. ebd.); (4) als auf bestimmten Regeln basierend verstanden werden, welche durch Sozialisierung erlernt werden (vgl. ebd.: 9). Unter der Annahme, dass die körperlichen Bewegungen Einfluss auf Emotionen und Gefühle nehmen können, kann die Bemerkung von Gabriele Weiss, dass »[i]m Maskenauftritt […] auch die Körperbewegungen transformiert [werden]« (2009b: 40), einen Grund für unser Problem andeuten. Ihre Aussage entspricht der lebensweltlichen Erfahrung, dass man durch das Anlegen einer Maske oder einer Verkleidung umgehend und beinahe automatisch die mit dem Dargestellten assoziierten Bewegungen nachahmt. Dies wiederum scheint mit der angeborenen »Fähigkeit zur Nachahmung« zu tun zu haben, welche »die Grundlage aller späteren Rollenübernahme [ist]. ›Mimik‹, ›Mimesis‹ und ›Mime‹, also der Schauspieler – diese Begriffe sind nicht zufällig wortverwandt.« (Fuchs 2002: 145) Wenn man also davon ausgeht, dass körperliche Veränderungen wie bspw. Maskierung und entsprechendes Bewegungsverhalten Einfluss auf mentale Pro-

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zesse wie Emotionen haben können, erklärt dieser Ansatz, warum das Tragen der Maske von einem veränderten Erleben und Fühlen begleitet wird. Diese Verwandlung steht in enger Beziehung zur Identität und zur Rolle, um die es in den folgenden Unterkapiteln gehen soll.

2.3.2 Identität In der immer wieder aufgezeigten Dialektik der Maske von Verhüllen und Entblößen spiegelt sich der traditionelle Gegensatz von Sein und Schein. Dieser suggeriert, dass es ein ›eigentliches Selbst‹ hinter der Maske gibt, welches verdeckt oder enthüllt werden kann. Diese Sichtweise ist jedoch überholt, da es sich um eine dichotomische Vereinfachung handelt. Dennoch wird diese Vorstellung immer wieder in Texten aufgerufen. So schreibt etwa Dahrendorf: »Hinter allen Rollen, Personen und Masken bleibt der Schauspieler als Eigentliches, von diesen letztlich nicht Affiziertes.« (2006: 26) In Philosophie und Literatur ist der angenommene Gegensatz von Sein und Schein ein universelles Thema aller Epochen (vgl. Röttgers 2009: 71). Die Bestandteile dieses Gegensatzpaares sind dabei eindeutig konnotiert; so wird das Sein gewöhnlich mit positiven Attributen besetzt, während der Schein als trügerisch, falsch und irreführend gilt. Röttgers spricht deshalb von einem mit der Suche nach dem Sein verbundenen »Demaskierungswille[n]« (ebd.: 71, Fußnote 18). Das Begehren nach totaler Transparenz hat schließlich zum »pornographic turn« geführt, der »Selbstdarstellung und Kontrolle durch Kreditkarten, Social Media, Internet etc.« (ebd.: 78/9). Der aktuelle Selfie-Wahn ist nur die letzte Manifestation dieser Tendenz. Verständlich wird dieses Verhalten vor allem vor dem Hintergrund der Folgen seiner Verweigerung, wie Röttgers ausführt: »Wer sich dieser totalen Transparenz entzieht, erscheint unvertrauenswürdig und potenziell gefährlich.« (Ebd.: 84) Gegenüber der Haltung von ›wahrem Sein‹ und ›falschem Schein‹, den es zu demaskieren gilt, positionieren sich neuere differenziertere Ansätze wie beispielsweise der von Doninger: [W]e censor our language in one way when we talk with children, in another when we speak with more formal, older people, and so forth. But all of these really are our own ways of speaking; we simply choose the mask that matches the mask of the person we’re trying to please. We need an audience to play out the self and a mask to give us that refreshed, vivid sense of self that is inspired by actively playing a role, the frisson of the masquerade. (2006: 67)

Die Maske bzw. die durch sie angenommene Rolle als Mittel zur Selbstdarstellung scheint demnach eine wichtige Funktion innezuhaben. Der Ansatz, von dem die Autorin in ihrem Aufsatz implizit ausgeht, ist dem Dekonstruktivismus geschuldet, mit dem sie die Ablehnung eines binären Klassifizierungssystems teilt: »In either case, the stories that assume a mere duality of selves – self versus

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

mask – imagine pairs that are mutual referents of one another, such as two genders or nature/art, nature/culture, yin and yang.« (Ebd.: 68) Stattdessen erkennt sie eine »infinite possibility of variations« (ebd.) und fordert, »the equal authenticity of each version of the text« (ebd.) anzuerkennen. Die radikale Konsequenz daraus findet sich in einem Zitat Merleau-Pontys: »Hinter den Masken gibt es gar keine Gesichter.« (2007: 48) So erkennt auch Röttgers, dass »[e]ine der wirkungsvollsten Masken […] die Maske der authentischen Hüllenlosigkeit und Maskenfreiheit [ist]« (2009: 89). Jan Assmann nimmt ebenfalls auf diesen Punkt Bezug und wendet ihn positiv: »Ihre Wahrheit liegt in der Anerkennung ihrer Uneigentlichkeit, und der Tatsache, daß es keine Eigentlichkeit gibt. Die Maske lügt nicht, sondern gibt zu verstehen, daß es die nackte, unmaskierte Wahrheit nicht gibt.« (2002: 169) Selbst wenn es etwas Eigentliches oder Unmittelbares gäbe, wäre dies, um darstellbar zu werden, immer »auf die Remaskierungen der Performanz angewiesen« (Röttgers 2009: 90). So ist »[d]ie Rhetorik der Antirhetorik […] ein seit der Antike her datierendes philosophisches Spiel der Selbsttäuschung« (ebd.). Eine Konsequenz dieser Erkenntnis besteht darin, dass »kompensatorische Bilder eines heilen Selbst hinter allen Verstellungen an Attraktivität und Verführungskraft [gewinnen]« (ebd.: 94). Auch Adolphi schreibt, dass sich »ein Verlangen nach Authentischem herausgebildet [habe], anfällig für kursierende Signale des ›Echten‹« (2009: 98). Marcus Stiglegger untersucht dieses Begehren nach dem Echten und Authentischen im Film und kommt zu aufschlussreichen Ergebnissen. So beobachtet der Filmwissenschaftler, dass es bestimmte Techniken wie z.B. der Einsatz von Schwarz-Weiß-Fotografie sind, die durch die wiederholte Verwendung von den Zuschauern schließlich als Zeichen und Ausdruck des Realen wahrgenommen werden. Bemerkenswert ist vor allem seine Feststellung, dass eine Abweichung von diesen stereotypisierten Verwendungsweisen Empörung und Ablehnung seitens der Zuschauer hervorruft (vgl. 2013: 183/4). Wenn es also hinter der Maske kein ›wahres Inneres‹ gibt, das es zu entblößen/demaskieren gilt, und jede Maske immer schon sozial bedingt ist (Röttgers 2009: 89-94), besteht eine Analogie zu Julia Kristevas radikalem Intertextualitätskonzept, das jegliche Originalität negiert. Ebenso ist Judith Butlers (1991) dekonstruktivistischer Ansatz hilfreich, die hier vorliegende Problematik der binären Systeme (Maske versus ›wahres Selbst‹) zu erhellen. Zentral ist Butlers Gedanke der performativen Geschlechterparodie, den ich für die Fragestellung der clownesken Performance adaptieren möchte. Butlers Konzept lehnt die Binarität der Geschlechter ab und begreift Identität als einen Prozess. Dieser setzt der von der normativen »Zwangsheterosexualität« (compulsory heterosexuality, 2008: 26) forcierten Identität eine offene, im performativen Akt der parodistischen Wiederholung der Norm erst entstehende und sich laufend verändernde Identität entgegen. In ihrem bahnbrechenden Buch Gender Trouble spricht Butler Kategorien wie männlich und weiblich, sex und gender oder Natur und Kultur eine vorsprachliche Existenz ab. Laut Butler, die sich dabei vor allem auf Foucault und Wittig stützt, gibt es ›den Körper‹, ›das Geschlecht‹ (sex) oder ›das Begehren‹ nicht als

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solches. Auch diese Konzepte entstehen – wie die sozialen Rollen (gender) – erst durch den Diskurs. Allerdings ist anzumerken, dass sie den Begriffen und Kategorien in ihrem Schreiben des Öfteren selbst verfällt. Das durch diese (oft binären) Kategorien ausgeschlossene Andere ist nie vor oder außerhalb des Gesetzes gelegen, sondern ein Teil von ihm, da es durch das Verbot umfasst wird. Denn jede Ordnung bedarf des aus ihr Ausgeschlossenen, um sich zu definieren und zu festigen. Dabei wird das Ausgeschlossene als Teil der Ordnung von dieser instauriert, bestimmt und definiert.10 Der Clown als marginales Geschöpf erfüllt eben diese Funktion. Die Sündenbocktheorie René Girards (1988) nimmt ebenfalls auf die Verbindung von Ordnung und den aus dieser ausgeschlossenen Elementen Bezug. Girard argumentiert, dass Gesellschaften besonders in Krisenzeiten eine randständige Gesellschaftsgruppe oder -schicht benötigen, der sie die Schuld für die Krise anhängen können, um selbst als unschuldig aus ihr hervorzugehen. Mit einer solchen Identitätsformation, für die Girard die Abgrenzung nach außen als konstitutiv ansieht, hat sich Judith Butler eingehend in ihrem bereits erwähnten Buch beschäfigt. Sie begreift Identität nicht als etwas Statisches, Festgefügtes, sondern als einen fortwährenden Prozess: »Wenn die Geschlechtsidentität etwas ist, was man wird – aber nie sein kann –, ist die Geschlechtsidentität selbst eine Art Werden oder Tätigkeit.« (1991: 167) Geschlechtsidentität kann demnach nicht durch das Verb sein ausgedrückt werden, sondern einzig durch das prozessuale Verb werden. An diesem Punkt lässt sich gut beobachten, wie die Sprache diese ›Realität‹ der binären Geschlechtsidentität erst erschafft: Sowohl gender als auch sex werden mit dem Verb (to) be verwendet (ebd.: 44), ebenso im Deutschen: Er/ Sie ist männlich/ein Mann/weiblich/eine Frau. Butler macht deutlich, warum die hegemoniale Ordnung Interesse daran hat, an diesen binären Gegensätzen männlich/weiblich festzuhalten. Sie sieht den Grund im Interesse an der Fortpflanzung und der damit assoziierten Heterosexualität. »Die heterosexuelle Fixierung des Begehrens erfordert und instituiert die Produktion von diskreten, asymmetrischen Gegensätzen zwischen ›weiblich‹ und ›männlich‹.« (Ebd.: 38) Für Butler ist jedoch nicht nur die Geschlechtsidentität (gender), sondern schon das Geschlecht (sex) eine Konstruktion und keineswegs natürlich gegeben. Dementsprechend spricht sie von einer »scheinbare[n] Binarität der Geschlechter (binary of sex)« (ebd.: 167). Weiter schreibt sie: »Wenn diese jedoch keine Tatsache ist, und auch die Geschlechtsidentität weder ursächlich noch als Ausdruck an das anatomische Geschlecht gebunden […], dann ist die Geschlechtsidentität eine Art Tätigkeit, die sich potenziell jenseits der binären Schranken, die sie setzt, vervielfältigen kann.« (Ebd.) Die einzige Möglichkeit, diese Vervielfältigung abseits der vorgegebenen Wege zu erreichen, sieht Butler in der performativen Zurschaustellung der von der Zwangsheterosexualität erzeugten binären Geschlechtsidentitäten. Durch eine leicht veränderte Wiederholung können diese subvertiert und verschoben werden. 10 | Vgl. hierzu insbesondere Kapitel 3.4.1.

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Da das andere immer schon durch Ausschluss Teil des Gesetzes ist, kann keine Subversion bzw. subversive Konstitution einer anderen Geschlechtsidentität außerhalb des Gesetzes stattfinden. Demnach ist die parodisierende Wiederholung der Strukturen seiner Genese die einzige Möglichkeit, das Gesetz zu verschieben: »Diese fortwährende Verschiebung ruft eine fließende Ungewißheit der Identitäten hervor […]. Die parodistische Vervielfältigung der Identitäten nimmt der hegemonialen Kultur und ihren Kritiken den Anspruch auf naturalisierte oder wesenhafte geschlechtlich bestimmte Identitäten.« (Ebd.: 203) Das von der hegemonialen Ordnung bevorzugt eingesetzte Mittel, um die Vorstellung natürlich gegebener Geschlechter sowie Geschlechtsidentitäten zu forcieren, sieht Butler in der Sprache, die die verschiedenen Entitäten wie Körper, Geschlecht oder Geschlechtsidentität erst konstituiert. Deshalb fordert sie, die Sprache als Mittel der Repräsentation und der Produktion zu erfassen und als Instrument zu behandeln, das ständig dabei ist, das Feld der Körper zu konstruieren. Dieses Instrument gilt es nun zu verwenden, um die Körper außerhalb der repressiven Matrix der Geschlechtskategorien zu de- und rekonstruieren. (Ebd.: 186)

Martina Döscher bietet eine anschauliche Beschreibung, wie dieser Prozess funktionieren kann: »Die parodistische Übertreibung und Verfremdung vorgegebener Rollenzuschreibungen stellt diese bloß. Die Performance zeigt die Schwäche und Unerfüllbarkeit der Norm, und sie enthüllt die Mechanismen der Macht.« (2009: 172) Schließen möchte ich diesen kurzen Abriss der Theorie Butlers mit einem der letzten Sätze ihrer Studie, der ihre Thesen verdichtet zusammenfasst: Die fundamentalistische Identitätspolitik tendiert zu der Annahme, daß zuerst eine Identität da sein muß, damit die politischen Interessen ausgearbeitet werden können und dann das politische Handeln einsetzen kann. Meine These ist dagegen, daß es keinen Täter hinter der Tat gibt, sondern daß der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird. (1991: 209)

Die Grundthese Judith Butlers, dass Geschlechtsidentitäten nicht vordiskursiv sind, sondern durch den Diskurs und die hegemoniale Zwangsheterosexualität erst entstehen, und zwar performativ, lässt sich auf die vorliegende Problematik übertragen. Wie Döscher schreibt, ist nicht nur die Geschlechtsidentität, sondern die gesamte Identität als bruchstückhaft anzusehen. Sie argumentiert mit dem Spiegelstadium Lacans, dass die »Einheit der Selbstwahrnehmung eine Illusion« sei (2009: 161/2), weil wir »ständig wiederholend gegebene Rollen, die durch normierende Ideale vorgeschrieben sind, [spielen]« (ebd.). Folgt man diesem Ansatz, gelangt man zu einem Grundgedanken der Auseinandersetzung, der an der Schnittstelle von Maske, Rolle und Identität ansetzt: Das Ich ist nicht statisch und unveränderbar – und kann somit nicht als binärer Gegensatz einer es bedecken-

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den bzw. verbergenden Maske verstanden werden. Vielmehr ist es ein stetig im Wandel begriffenes Wesen, das gerade durch das Tragen verschiedener Masken in unterschiedliche Rollen schlüpft, sich selbst dadurch prozessual erschafft und ständig im Wandel und im Werden begriffen ist. Ich möchte hier auf den Gedanken Jan Assmanns zurückkommen, der die Maske als »Interface« sieht (2002: 151). Wenn er diese als Leerstelle, auf die etwas projiziert werden kann, versteht, lässt sich dies mit dem hier besprochenen Gedanken verbinden. Die verschiedenen Masken fungieren als Projektionsflächen für unterschiedliche Zuschreibungen, die, zusammengenommen, erst so etwas wie die Identität entstehen lassen. In dem gleichen Essay nimmt Assmann auf das Thema der Identität Bezug. Er kommt zu dem Schluss, dass wir in zwei Zeiten leben (Lope de Vega), der fließenden Zeit unserer inneren Selbstwahrnehmung und der sozialen Zeit, die uns auferlegt, morgen derselbe wie gestern und heute zu sein. Diese personale Identität ist ein soziales Konstrukt, dessen Fixiertheit, ja Starrheit im Gegensatz steht zu dem Fluß, in dem wir selbst uns erfahren. Wo sich dieser Gegensatz verschärft, kommt es zur Erfahrung der Maske, zur Starrheit der Maske. (2002: 167/8)

Nach diesen Gedanken zur Identitätsbildung kann auch die Frage von Thomas Fuchs, ob »die Identität der Person also in der Totalität ihrer Rollen und Beziehungen oder doch in einem Kern des Menschen, der übrigbleibt, wenn alle Rollen abgelegt sind, [bestehe]« eindeutig beantwortet werden: Identität ist nicht einfach vorgegeben, sondern sie entwickelt sich in den Rollen, durch die wir uns selbst formen. Der Mensch verwirklicht sein Wesen nur als Doppelgänger, als Rollenspieler in einem interpersonalen Raum. Denn die Rolle ermöglicht ihm die Konkretisierung seiner Individualität, die ohne Rollenübernahme nur abstrakt bliebe. Nicht die Befreiung von allen Rollen kann sein Ziel sein, sondern eher die Souveränität, sie aktiv zu gestalten und zu formen. (Fuchs 2002: 144/5)

2.3.3 Rolle Die vorangehenden Ausführungen haben bereits gezeigt, wie eng verwoben die Themen von Maske, Rolle und Identität sind. So kennzeichnet sich der Prozess der Identitätsbildung durch einen Wechsel vielfältiger Rollen, die durch verschiedene Masken angezeigt werden. Die Maske dient demnach als Mittel, in eine bestimmte Rolle zu schlüpfen. So schreibt Belting: »Die Wahl einer Maske, die man kannte, war die Wahl einer Rolle.« (2013: 63) Ein kurzer Blick auf die Rolle scheint deshalb angebracht.

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

2.3.3.1 Die Rolle im Theater Der Begriff der Rolle, wie er im Theater (und im Film) verstanden wird, ist seit dem 15. Jahrhundert gebräuchlich und stammt von der Papierrolle, auf der der Dialogtext der Schauspieler aufgezeichnet war. Dieser Gebrauch ist seit 1598 belegt (vgl. Haß 2005: 278). Das Verständnis der Rolle bis etwa zur Moderne ist das einer »Form, die der Schauspieler stereotyp oder improvisierend ausfüllen kann« (ebd.: 280). Erst im modernen Literaturtheater entwickelt sich die Auffassung des Schauspielers als dem ›Verkörperer‹ einer vorgegebenen, erfundenen Figur. Er soll »einer vom Autor entworfenen, fiktiven Figur Körper, Stimme und Gesicht […] verleihen und zu lebendiger, szenischer Anwesenheit […] verhelfen« (ebd.). Es geht folglich um eine »mimetische Verwandlung in eine fiktive individualisierte Kunstfigur« (ebd., Hervorhebung Y.A.), in deren »hermeneutischem Dienst« der »Körper und [die] Gesten des Schauspielers« stehen (ebd.). Die Maske ist dabei von entscheidender Bedeutung, da sie wesentliche Charakteristika der Rolle zum Ausdruck bringt. In den meisten Fällen sind Rolle, Maske und physische Eigenschaften des Schauspielers kongruent und unterstützen bzw. verstärken sich gegenseitig. Der heute übliche Standard, dass ein/e Schauspieler/in eine Rolle spielt, war indes in der Antike noch nicht üblich. Dort übernahmen zwei bis drei Schauspieler sämtliche Rollen (vgl. Rapp 1993: 71). Auch im 18. Jahrhundert war dieses System noch häufig, was vor allem auf ökonomische Gründe zurückzuführen ist (vgl. Asmuth 2016: 46). Eine Besonderheit ist die sogenannte Hosenrolle, welche sich auch im Film findet. Susanne de Ponte erkennt in ihrer historischen Übersicht über die Entwicklung besagter Rolle drei Spielarten. Zum einen gibt es die Rolle einer Frau, die zwar durch eine weibliche Schauspielerin besetzt ist, welche sich jedoch männlich verhält (vgl. 2013: 15/6). Die zweite Form ist die »verkleidete Hosenrolle«, bei der eine Figur (und mit dieser der Schauspieler/die Schauspielerin) während des Stückes aus dramaturgischen Gründen Kleidung des jeweils anderen Geschlechts anlegt (2013: 16). Diese Situation ähnelt derjenigen, wenn eine Figur im Film ein bestimmtes Kostüm – hier das des (geschlechtsambivalenten) Clowns – anlegt. Als dritten Fall schließlich beschreibt die Autorin die »echte Hosenrolle«, unter der sie die Gegenbesetzung versteht (vgl. ebd.), also die Besetzung einer weiblichen Schauspielerin für eine männliche Figur oder umgekehrt. Dieser letzte Fall war bis in die Renaissance gang und gäbe, da Frauen nicht im Theater auftreten durften und weibliche Rollen damit zwangsläufig von Männern verkörpert werden mussten (vgl. ebd.: 14). Der umgekehrte Fall ist seit der Commedia dell’arte üblich (vgl. ebd.: 15). In der echten Hosenrolle stehen die physischen Eigenschaften des Schauspielers demnach nicht mehr in Einklang mit der Rolle, sondern in einem kontrapunktischen Verhältnis. Einzig die Maske bzw. das Kostüm vermitteln das Geschlecht der Figur. Einer der Hauptgründe für diese Gegenbesetzung scheint sexueller Natur gewesen zu sein. So war die Besetzung einer männlichen Rolle durch eine Frau eine »willkommene Möglichkeit […], den Körper der Schauspielerin als Objekt sexueller Begierde ausgestellt sehen zu kön-

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nen« (ebd.: 66), da durch die Hosen die sonst durch weite Kleider verdeckten Körperteile betont wurden. Beim Clown ist, wie bereits angemerkt, das Gegenteil der Fall: Das weite Kostüm des August oder des Tramps verbirgt sekundäre Geschlechtsmerkmale eher, als dass es sie ausstellt; das Kostüm des Weißclowns hingegen verleiht den meist männlichen Darstellern durch seinen charakteristischen Schnitt weibliche Züge. So wird die Grenze zwischen den Geschlechtern durch die Clownskostümierung ebenso verwischt wie bei der Hosenrolle. Ulrike Haß erklärt, warum die Hosenrolle trotz der meist deutlich sichtbaren Gegenbesetzung vom Publikum akzeptiert wurde: Die individuelle Identität ist von so geringem Belang, dass es für die Komödienwelt, in deren Zentrum die Aufmerksamkeit für das Schema der Geschlechter steht, unbedeutend ist, welchem Geschlecht der Darsteller zugehört. Bis ins späte 17. Jh. hinein werden Frauen durch männliche Schauspieler dargestellt. Die Körperlichkeit des Typus wird nicht durch die Körperlichkeit des Schauspielers mimetisch hervorgebracht, sondern durch die austauschbare, das Geschlecht bezeichnete Kleidung behauptet. (2005: 280)

Ähnlich argumentiert Susanne de Ponte, die den ›Vertrag‹ mit dem Zuschauer als ausschlaggebend dafür ansieht, dass Frauen erfolgreich in Männerrollen schlüpften: »Interessanterweise verdeutlicht sich im Phänomen der Hosenrolle, dass durch die Vereinbarung während des Spiels nie eine überzeugende Nachahmung des Männlichen erforderlich ist. Das Als-ob-Spiel macht es möglich.« (2013: 16) Der von de Ponte angesprochene Vertrag ist in der Filmtheorie vor allem von Francesco Casetti diskutiert worden. Der Filmwissenschaftler geht vom Begriff der Verständigung aus, wobei: »participants ›converge‹ in communication« (1994: 21). Das Ziel der Verständigung sieht er in der »Bestimmung einer gemeinsamen Grundlage des gegenseitigen Verstehens, egal ob die Gesprächsteilnehmer nun miteinander einverstanden sind oder nicht« (2001: 161). Denn die Übereinkunft ist meistens eher »angenommen« als »explizit«, »total« oder »definitiv« (1994: 249). Daher schreibt Casetti, dass »Verständigung […] darauf ab[zielt], einen kommunikativen Vertrag zu schaffen (oder auszuarbeiten), auf den sich das Handeln der Kommunikationsteilnehmer stützen kann und der auch die Möglichkeitsbedingungen und die Funktionen der Kommunikation abdeckt« (2001: 161). Der Vertrag gibt also den Rahmen vor, bestimmt gewissermaßen die Spielregeln, nach denen die Verständigung abläuft. Anhand der Komik und Aufführungspraxis des Clowns kann diese Theorie veranschaulicht werden. Im Rahmen der Performance eines Clowns in theatralen Situationen ist es neben der Bühnensituation die Maske als Zeichen einer Rolle, welche den kommunikativen Vertrag etabliert. Sie fungiert als das bereits zitierte »OK signal« (Wright 2006: 7), welches die Grundlage für die Entstehung von Lachen bildet. Denn, wie Goffman schreibt, gehören »[z]u jedem Rahmen […] normative Erwartungen bezüglich der Tiefe und Vollständigkeit, mit der die Menschen in die durch den Rahmen organisierten Vorgänge eingebunden sein soll-

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ten« (1980: 376). Interessant wird es, wenn solch ein Rahmen oder Vertrag gebrochen wird. Denn dadurch wird der Handlungsspielraum derjenigen Figur, die als Clown erscheint, erweitert. So stellt Liezel Spratley für den Fall der Killer-Clowns fest, dass diese »abuse the signals of comedy to lure their audiences into a false sense of security« (Spratley 2007: 15). Sobald die Zuschauer sicher sein können, dass keine akute Gefährdung besteht, haben die Killer-Clowns die Möglichkeit, zum Überraschungsangriff zu starten. In diesen Fällen sind es die Clowns, die lachen, während ihrem ›Publikum‹ das Lachen im Halse stecken bleibt. Doch nicht nur in der Fiktion kann dieser Vertrag gebrochen werden. Auf der 2014 ausgerichteten interdisziplinären Konferenz zur Kulturellen Genealogie und Theorie des Clowns ereignete sich eine Situation, die dies auf drastische Art und Weise veranschaulicht. Da sie mir für das Verständnis des Clowns sowie des Rahmens, in welchem er agiert, wesentliche Erkenntnisse geliefert hat, möchte ich sie hier kurz referieren. Am 27. Mai 2014 stand auf dem Abendprogramm der Konferenz, an der Wissenschaftler sowie professionelle Clowns teilnahmen, die Vorstellung des amerikanischen Clowns Jef Johnson mit seinem Programm AZAR. Die zweistündige Performance im Teatro Dimitri schien für viele langwierig, wenn nicht langweilig zu sein, immer wieder hörte man ein missbilligendes Murmeln, eine Zuschauerin verließ gar das Theater. Einige wenige Zuschauer dagegen waren begeistert und forderten so lange Zugabe, dass Jef noch eine ganze Stunde für diese weiterspielte. Am nächsten Morgen ging die Konferenz wie geplant mit einem Vortrag des hauptverantwortlichen Organisators Richard Weihe mit dem Titel »The Five Paradoxes of the Clown« weiter. Dieser wurde jedoch plötzlich durch einen Teilnehmer unterbrochen. Er machte den Referenten darauf aufmerksam, dass er einen soeben referierten Sachverhalt nicht ganz richtig dargestellt habe. Die scheinbar unnötig in die Länge gezogene Erklärung des Teilnehmers, während der er mehrere Seiten eines auf der Bühne stehenden Flipcharts beschrieb und sich durch nichts und niemanden unterbrechen ließ, begann einige Zuhörer nervös werden zu lassen und schließlich zu verärgern. Umso mehr, als erkannt wurde, dass es sich bei dem Störenfried um den schon am Vorabend mit seiner Performance unangenehm aufgefallenen Clown Jef Johnson handelte – allerdings hier als in Zivil gekleideten Konferenzteilnehmer. Der Missmut der Zuhörer wurde von Minute zu Minute deutlicher spürbar. Spontane Ausrufe wie »You had your stage yesterday« oder »Go on Richard« verliehen der steigenden Verärgerung der Konferenzteilnehmer Ausdruck. Doch erst nachdem ein Teilnehmer – ein professioneller Clown – den Raum mit der Bemerkung verlassen hatte »That’s what we all should do«, begann ein anderer Zuhörer lautstark zu rufen »We want Richard«. Einige andere stimmten ein und innerhalb weniger Sekunden hatte sich ein Sprechchor gebildet, der den Störer mit »Richard, Richard«-Rufen und rhythmischem Klatschen zurück auf seinen Sitz zwang. Erst in der anschließenden Mittagspause wurde mir die Tragweite des gerade Erlebten dank mehrerer Gespräche mit Jef Johnson sowie Richard Weihe be-

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wusst: Die Störung war vorab geplant und abgesprochen, allerdings wusste der Referent nicht, was genau passieren würde. Der Großteil des Publikums hat die Clownperformance – denn um nichts anderes handelte es sich dabei – nicht als solche interpretiert, war doch der Rahmen weder durch eine Theaterbühne noch durch eine entsprechende Maskierung gekennzeichnet. Die ausdrückliche Intention des Clown-Künstlers war, das Publikum an seine Grenzen zu führen und seine Stimme hörbar zu machen. Die große Ähnlichkeit der erlebten Situation mit solchen, wie man sie aus faschistischen Diktaturen und nicht zuletzt aus dem berühmten Film Die Welle (USA 1981, R: Alexander Grasshoff/DEU 2008, R: Dennis Gansel) kennt, der ein 1967 durchgeführtes soziales Experiment an einer kalifornischen High School verfilmt, wurde uns Teilnehmenden erst einige Tage später wirklich bewusst. Diese grenzüberschreitende Situation hervorzurufen, war nur durch eine Missachtung des Rahmens möglich. Auch die pragmatische Situation war von enormer Bedeutung, da der sich entwickelnde Missmut noch dadurch geschürt wurde, dass der Künstler Jef Johnson bereits am Abend zuvor als unangepasstes und störendes Element etabliert worden war. Ein Zitat des Zirkussemiotikers Paul Bouissac wird vor dieser Geschichte verständlich: »Toying with the relation between appearance and identity can jeopardize the very foundation of the social contract, mainly if the encounter with clowns occurs outside expected contexts such as the circus ring or the stage, which include safeguards for their containment.« (2015: 19) Die Maske des Clowns fungiert üblicherweise als zentraler Indikator des Rahmens einer theatralen Situation. In einem Fall wie dem oben beschriebenen wird das Publikum durch die fehlende Maskierung fehlgeleitet und versteht die Geschehnisse nicht als Performance. Es erkennt den Künstler nicht als Ausübenden einer Rolle, sondern sieht einzig den Menschen hinter der – nicht vorhandenen – Maske. Der Clown agiert hier gerade nicht in den institutionell für ihn vorgesehenen und erwarteten Bahnen und kann so den Möglichkeitsspielraum der fehlenden Kennzeichnung durch Maske und Bühne geschickt für seine Zwecke nutzen. Eine solche Situation ist damit eine der wenigen, in der die störende Kraft des Clowns subversive Züge anzunehmen vermag.

2.3.3.2 Soziologische Rollentheorie Eine solche Situation lässt sich mit dem soziologischen Verständnis der Rolle in Zusammenhang bringen, nach dem der Begriff weniger auf die Maske, denn auf das Handeln bezogen wird. Die soziologische Forschung geht dabei vom Verständnis des Menschen als Spieler verschiedener Rollen aus – auch im Alltag. Erving Goffman versteht die Rolle als Schema, welches menschliches Handeln lenkt. Er definiert Rolle als »vorherbestimmte[s] Handlungsmuster, das sich während einer Darstellung entfaltet und auch bei anderen Gelegenheiten vorgeführt oder durchgespielt werden kann« (2000: 18). Auch Hans Joas legt den Schwerpunkt auf die Vorgaben, die sich aus der Übernahme einer Rolle ergeben und bezieht die Handlungspartner des Rollenspiels in seine Überlegungen mit ein: »Rollen sind intersubjektiv gültige Handlungsregeln, die sich in der Interaktion

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

als reziproke Erwartungen ausdrücken (und aus diesen entstehen).« (Joas 1975: 66) Es sind also vor allem die Mitmenschen, welche ein rollenkonformes Handeln erwarten bzw. fordern, da dies die Vorhersehbarkeit von Handlungen erhöht. Dieser soziale Bezug steht in Helmut Plessners wegweisendem Artikel zur Rolle im Vordergrund. Er hält seine Definition allgemeiner als Goffman und lässt den in anderen Definitionen oft implizit enthaltenen normierenden Charakter der Rolle außen vor. Stattdessen lenkt Plessner den Blick auf das Verhältnis des Rollenspielers zur Gesellschaft und definiert die Rolle metaphorisch als »Gelenk, mit welchem ein Individuum gesellschaftlich relevante Bewegungen ausführt« (1966: 23). Die Rolle ist demnach die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. Dies scheint er von Ralf Dahrendorf und dessen Gründungstext der deutschsprachigen Rollentheorie Homo sociologicus zu entlehnen. Denn dort schreibt Dahrendorf: »Am Schnittpunkt des Einzelnen und der Gesellschaft steht homo sociologicus, der Mensch als Träger sozial vorgeformter Rollen. Der Einzelne ist seine sozialen Rollen.« (2006: 24) Diese Sicht des Individuums als von der Rolle determiniertem Wesen wird von Plessner jedoch abgeschwächt. Er sieht den Menschen zwar als auf seine »soziale Rolle […] verwiesenes, aber nicht durch eine bestimmte Rolle definierte[s] Wesen« (1966: 30). Eng damit verbunden ist der Gedanke Dahrendorfs, dass auch im Schauspiel »keine Rolle, keine persona dramatis erschöpfend [ist]; er [der Schauspieler] kann eine Vielzahl von Rollen lernen und spielen« (Dahrendorf 2006: 26). Dies trifft auch auf den Spieler sozialer Rollen zu: »Der Einzelne kann nicht nur, sondern muß in der Regel eine Mehrzahl von Positionen einnehmen, und es läßt sich vermuten, daß die Zahl der auf Einzelne entfallenden Positionen mit der Komplexität von Gesellschaften wächst.« (Ebd.: 35) Dieses Zitat betont die enge Korrelation zwischen den verschiedenen Rollen, die ein Mensch im Leben spielt, und der Gesellschaft, in der er sich bewegt. Die einflussreiche Arbeit Goffmans geht auf eben dieses Verhältnis des einzelnen Rollenspielers zur Gesellschaft ein. Sie besteht aus Ensemble und Publikum, wobei zu betonen ist, dass das Individuum stets Teil beider Mengen ist. Dabei versteht Goffman »die Struktur unseres Selbst unter dem Gesichtspunkt der Darstellung« (2000: 230) und die Gesellschaft, ähnlich wie bei Dahrendorfs Homo sociologicus, als ein Ensemble aus Darstellern, die voreinander und miteinander verschiedene Rollen spielen, »um vor einem Publikum eine gegebene Situation darzustellen« (ebd.: 217). Die Aufrechterhaltung der Illusion scheint dabei fundamental, da auf Störungen stets mit dem Versuch reagiert wird, das Schauspiel zu retten, und zwar sowohl von Seiten des Ensembles als auch von Seiten des Publikums (vgl. ebd.: 218). Dies macht sich beispielsweise in peinlichen Situationen bemerkbar, in welchen die Zuschauer versuchen, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie einen kurzen Blick hinter die Fassade erlangt haben. Diese Fassade oder Maske führt uns erneut zum Thema Sein und Schein, welches beim Rollenspiel stets virulent ist:

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2. Theoretischer Teil In ihrer Eigenschaft als Darsteller ist den Einzelnen daran gelegen, den Eindruck aufrechtzuerhalten, sie erfüllten die zahlreichen Maßstäbe, nach denen man sie und ihre Produkte beurteilt. Weil diese Maßstäbe so zahlreich und allgegenwärtig sind, leben die einzelnen Darsteller mehr als wir glauben in einer moralischen Welt. Aber als Darsteller sind die Einzelnen nicht mit der moralischen Aufgabe der Erfüllung dieser Maßstäbe beschäftigt, sondern mit der amoralischen Aufgabe, einen überzeugenden Eindruck zu vermitteln, daß die Maßstäbe erfüllt werden. (Goffman 2000: 230)

Nach Goffman handelt es sich beim gesellschaftlichen wie künstlerischen Rollenspiel also um eine fortwährende »Eindrucksmanipulation« (ebd.: 217). Gleichzeitig ist das Interesse an dem Blick hinter die Kulissen, der Wunsch nach Demaskierung, enorm: »[D]ie Zuschauer [sind] so sehr an den Geheimnissen der Gesellschaft interessiert […], daß sie die Orte erforschen wollen, die für sie aufgeräumt wurden. Bezahlte Teilnahme an den Proben eines Symphonieorchesters ist nur eines der jüngsten Beispiele.« (Ebd.: 226) In Bezug auf die Rolle ist das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft auch deshalb von entscheidender Bedeutung, da das Nichterfüllen von Rollenerwartungen stets mit Sanktionen belegt ist (vgl. Dahrendorf 2006: 39). Wiswede mutmaßt darum, dass »[d]ie Verinnerlichung von Erwartungen oder ganzer Rollen […] das Ergebnis ›erfolgreicher‹ Sozialisationsprozesse [ist]« (1977: 40). Joas bezeichnet Dahrendorfs Entwurf des homo sociologicus folglich als »reaktiv-konformistisch« (1975: 20). Mit seiner Interpretation des Rollenspiels des Menschen scheint Dahrendorf die Gestaltungsfreiheit des Individuums im Hinblick auf die von ihm gespielten Rollen als gering anzusehen. Damit bewegt er sich hinsichtlich der in der soziologischen Rollentheorie oft getroffenen Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Rollen, die den Grad der Gestaltungsfreiheit beschreibt, in Richtung der geschlossenen Rolle. Genau wie die auf Linton zurückgehende Unterscheidung zwischen einem adscribed und einem achieved status, welche die Zuschreibung von Rollen nach angeborenen bzw. erworbenen Fähigkeiten meint (vgl. ebd.: 30), handelt es sich in beiden Fällen stets um die äußeren Pole eines Kontinuums (vgl. Seibel 1975: 418). Was die Frage nach der Offenheit oder Geschlossenheit anbelangt, ist Dahrendorf in seiner Haltung wegweisend für die generelle Ausrichtung der soziologischen Rollentheorie. Während diese die Rolle als gesellschaftliche Tatsache ansieht, die von Individuen ausgefüllt wird, die Rolle also als eher geschlossen ansieht, wird die Rolle in der psychologischen Theorie als vom Individuum weitestgehend frei gestaltbar interpretiert (vgl. ebd.: 414). Dass diese verschiedenen Einschätzungen mit zwei unterschiedlichen Menschenbildern einhergehen, betont Seibel: »Dahinter verbergen sich zwei verschiedene sozial-philosophische Vorstellungen: von der Fremdbestimmtheit des Menschen durch sozioökonomische Faktoren und von der Möglichkeit einer freiheitlichen Selbstbestimmung und -gestaltung.« (Ebd.: 417) Es ist zu berücksichtigen, dass die hier skizzierte Rollenan- oder -übernahme eines Individuums nicht immer, vielleicht sogar eher selten, freiwillig ist.

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Oft wird man von außen in eine Rolle gedrängt. Ein experimentelles Rollenspiel stützt diese Aussage: Eine Gruppe bekommt eine Aufgabenstellung, beispielsweise einen gemeinsamen Firmen-Event zu organisieren. Alle sind Mitarbeiter des Unternehmens, wissen jedoch selbst nicht, welche Position sie darin besetzen. Dafür kennen sie die Rollen aller anderen Teilnehmer. Erstaunlich ist, wie sich schon nach kurzer Zeit alle in ihre jeweilige Rolle einfügen, ohne von dieser im Vorhinein Kenntnis zu haben (vgl. Warwitz/Rudolf 2014). Das berühmte Stanford Prison Experiment zeigte auf drastische Art und Weise, wie schnell und unweigerlich diese Rollenübernahme geschieht. In dem 1971 an der Stanford University durchgeführten Experiment wurde eine Gefängnissituation imitiert und die Versuchsteilnehmer entweder der Gruppe der Wärter oder der der Gefangenen zugewiesen. Das Experiment eskalierte nach nur wenigen Tagen, da die Teilnehmer nicht mehr fähig waren, ihre Rolle zu verlassen. Deshalb ist im Theater oder in Gruppenspielen/-experimenten die Entlassung aus der Rolle von fundamentaler Wichtigkeit. Der deutsche Spielfilm Das Experiment von Oliver Hirschbiegel (2001) inszeniert dieses Experiment in klassischer Spielfilmdramaturgie und eindrücklichen Bildern, allerdings mit einer drastischen Übersteigerung am Ende, die den realen Geschehnissen von 1971 nicht entspricht. Ernst Gombrich bringt die Erkenntnis des Experimentes – ohne konkret auf dieses Bezug zu nehmen – auf den Punkt: Wir formen uns selber so sehr nach den Erwartungen anderer, daß wir die Maske oder, wie die Jungianer sagen, die persona annehmen, die das Leben uns zuweist, und wir verwachsen so sehr mit unserem Typus, bis er unser ganzes Verhalten, einschließlich der Gangart und des Gesichtsausdrucks, geprägt hat. (1997: 20)

Nicht nur bringt also eine Identität eine bestimmte äußerliche Maske hervor, sondern die wechselseitige Beeinflussung findet auch umgekehrt statt, sodass die Maske das Verhalten bis hin zur Formung der Identität beeinflusst. Nicht erst seit Gottfried Kellers Novelle Kleider machen Leute ist die performative Macht von Kleidung bekannt. Vielmehr ist »[d]ie Vorstellung vom Kleid, das die Person repräsentiert, […] bei allen Völkern uralt. […] Gleichzeitig mit dem Kleid wird eine bestimmte Haltung ›angezogen‹. Kleidung kann also Ausdruck des freiwillig oder unbewusst angenommenen Parts sein […], Signal einer selbst gewählten Identität.« (Reinacher 2010: 24) So findet bereits Georg Simmel, dass »die Mode einerseits den Anschluß an die Gleichgestellten, die Einheit eines durch sie charakterisierten Kreises, und eben damit den Abschluß dieser Gruppe gegen die tiefer Stehenden, die Charakterisierung dieser als nicht zu jener gehörig [bedeutet]« (Simmel 1986: 182). Somit funktioniert Kleidung – und damit die Maske in ihrem weiteren Bedeutungszusammenhang – als dasjenige Element, welches die Zugehörigkeit visuell markiert und eine Gemeinschaft gegenüber denjenigen abgrenzt, die von ihr marginalisiert oder ausgestoßen werden. Hier wird die Verbindung zur Sündenbocktheorie Girards ersichtlich, nach der sich als Sün-

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2. Theoretischer Teil

denbock qualifiziert, wer sich – wie der Clown – durch sein Aussehen von der Gemeinschaft abhebt (vgl. 1988: 31). Die Maske ist nicht nur ein Kennzeichen für Dazugehörigkeit oder Ausgeschlossensein, sondern sie wird auch genutzt, um Individuen die Rollenübernahme zu erleichtern und ihnen ihren Platz in der Gesellschaft zu verdeutlichen: Mask performances could serve to stabilize societies by organizing and assigning activities to specific persons and groups. The assignment of duties for masked festivals, such as food preparation, mask making, and organizing the performance, helped individuals and groups understand their roles in the economy. (Nunley 1999a: 31)

Hier wird der enge Zusammenhang zwischen Ritualen, dem daraus entwickelten Theater und dem Lebensalltag evident. So wird verständlich, warum »die Vorstellung interagierender ›Personen‹ als Spieler von ›Rollen‹ auf den Bereich sämtlicher sozialer Interaktion übertragen« (Schmitz-Emans 2009b: 25) werden konnte.

2.3.4 Figur und Maske im Film Im Folgenden werden die allgemeinen theoretischen Erkenntnisse zur Maske, Rolle und Identität auf den Film übertragen, filmspezifische Besonderheiten von Maske und Kostüm in den Blick genommen und die Bedeutung dieser Erkenntnisse für die vorliegende Studie und ihre Fragestellungen herausgearbeitet. Da diese Konzepte im Film nicht auf Personen, sondern auf filmische Figuren bezogen werden, beginne ich diese Darstellungen mit einer kurzen theoretischen Diskussion der filmischen Figur, welche hauptsächlich auf den drei Texten auf baut, welche die primären Referenzen für meine Studie bilden: Smith 1995, Tröhler/ Taylor 1997 und Eder 2008.

2.3.4.1 Die filmische Figur Die genannten Autoren sind sich in einem wichtigen Punkt einig: der großen Bedeutung der Figur für die Anteilnahme der Zuschauer an der Geschichte und für ihre Immersion in die Diegese (Smith 1995: 17, Tröhler/Taylor 1997: 33, Eder 2008: 561). Smith ist der Ansicht, dass »our ›entry into‹ narrative structure is mediated by character« (1995: 18). Eder erklärt dies mit der Tatsache, dass »Sozialverhalten […] für Menschen überlebenswichtig [ist]« (2008: 185). Diese Aussage basiert auf einer Grundannahme, die ebenfalls in allen drei Texten präsent ist: auf dem Verständnis von Figuren als »fiktive Analoga zu Personen« (ebd.: 62), welche sich in einer »anthropomorphisation« (Tröhler/Taylor 1997: 33) äußert, die eine Konstante der Rezeption ist (Smith 1995: 17, Tröhler/Taylor 1997: 33, Eder 2008: 27, 62): »I argue that in comprehending such representations we must employ, at least initially, the same schemata through which we understand reality.« (Smith 1995: 53) Jens Eder argumentiert in eine ähnliche Richtung: »Das Selbst wird als

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Modell zum Verständnis der anderen, der Mensch als Modell zur Erklärung des Nicht-Menschlichen verwendet.« (2008: 197) Dies verdeutlicht gleichzeitig, dass Figuren in der Regel nicht mit Menschen gleichgesetzt oder verwechselt werden – wobei Zuschauerbriefe an Fernsehfiguren zeigen, dass dies durchaus vorkommen kann (vgl. ebd.: 27). Es sind vielmehr menschliche – d.h. soziale, psychologische, moralische oder gesellschaftliche – Kategorien, die auf Figuren angewandt und anhand derer diese beurteilt werden. Smith beruft sich bei seinen Betrachtungen vor allem auf die analytische Philosophie sowie die kognitive Anthropologie, die Ausführungen von Tröhler und Taylor stehen der Semiopragmatik nahe und Eder versucht ein integratives Modell zu zeichnen, welches sich von der Semiotik und insbesondere dem Kognitivismus beeinflusst zeigt. Die Frage nach der Definition der filmischen Figur wird entsprechend unterschiedlich beantwortet. Tröhler und Taylor enthalten sich zwar explizit einer exakten Begriffsbestimmung, allerdings enthält ihr Text einige Beschreibungen, die aufschlussreich für ihr Verständnis der (menschlichen) Figur sind. So sprechen sie von der Figur als einem »centre d’implication et d’empathie« und einem »noeud de références multiples« (1997: 33), was den Stellenwert der Rezeption sowie die Einbettung in einen soziokulturellen Kontext verdeutlicht. Die Aussage, dass die Figur eine »construction du texte filmique« (ebd.) sei, bringt die bedeutende Rolle des Textes als Ausgangspunkt ins Spiel und positioniert die Autoren im weiten Feld der Semiotik. Der soziokulturelle Kontext, in welchem diese Figur entsteht, ist für sie jedoch von enormer Bedeutung: »Le personnage est un signe interprété dans sa référence au monde« und »traversé par ces discours qui s’inscrivent en lui et dans lequels il s’inscrit« (1997: 34). Diese Verbindung von textueller Verankerung, diskursiver Einbettung und rezeptivem Rahmen beschreibt die filmische Figur aus einer semiopragmatischen Perspektive. Den Bezug zum Text streicht auch Smith heraus, wenn er Figuren als »integral, discrete textual constructs« (1995: 82) bezeichnet. In seinen weiteren Ausführungen wird jedoch der Stellenwert der Rezeption gegenüber dieser rein textimmanenten Aussage immer wieder deutlich. Eder legt eine klare Definition vor, wenn er die Figur als »wiedererkennbares fiktives Wesen mit einem Innenleben – genauer: mit der Fähigkeit zu mentaler Intentionalität« (2008: 64) sieht. Er präzisiert seine Verwendung des Ausdrucks ›fiktive Wesen‹, welche er in Anlehnung an Thomasson (2003) als »kommunikative Artefakte« definiert, »die durch die intersubjektive Konstruktion von Figurenvorstellungen auf der Grundlage fiktionaler Texte entstehen« (2008: 68). Eine weitere Präzision, die er macht, bietet eine für die Filmanalysen sehr nützliche und relevante Unterscheidungsmöglichkeit. Gegenüber der häufigen Beschreibung von Figuren als Zeichen oder Textstrukturen erhebt er den Einwand, dass diese vom konkreten Text ablösbar seien, wenn sie z.B. neben dem Film auch in Computerspielen vorkommen (ebd.: 66). So sieht er sie eher als »komplexe Bedeutung von Zeichenkomplexen«, nicht als Zeichen selbst (ebd.).

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2. Theoretischer Teil

Das kognitivistische Verständnis der Figur als »mentales Modell […], das inkremental im Fortgang des Textes gebildet wird« (Jannidis 2004: 240), übernimmt Eder von Jannidis (2004), dessen Ansatz sich auf Johnson-Laird stützt (1989). Eder spezifiziert jedoch, dass die Figur selbst trotz des mentalen Modells, welches der Zuschauer von ihr erstellt, immer gleichbleibe, auch wenn die unterschiedlichen mentalen Modelle verschiedener Zuschauer voneinander abweichen (vgl. 2008: 66/7). Er schlägt deshalb vor, dass Figuren zu unterscheiden seien von »Figurenvorstellungen« und »Figurendarstellungen« (ebd.: 67). Diese Unterscheidung werde ich übernehmen, da sie wertvolle Differenzierungen bei der Beantwortung meiner Forschungsfragen ermöglicht. Eine weitere Annäherung an eine Definition der Figur, ebenfalls von Jens Eder, finde ich aufgrund der durch sie eröffneten Möglichkeitsräume bemerkenswert: »Figuren sind also nicht nur, was sie sind, sondern auch, was sie waren, sein werden, sein könnten oder hätten sein können.« (Ebd.: 304) Diese Ansicht teilt Murray Smith, der den dabei ablaufenden Rezeptionsprozess anhand der Schematheorie erklärt: [O]n the basis of the very first attributes of the character made available to us, we will appeal to schemata of person-types, drawn from our store of cultural conceptions, which enable us to produce hypothetically fuller versions of the character than the text, taken as an object, actually puts before us: […] These character models are then tested against further information we receive about the character. (Smith 1995: 120/1)

Eder und Smith verdeutlichen, dass nicht nur die im Text gegebenen Informationen, sondern auch daraus abgeleitete Überlegungen eine Rolle beim Erschließen einer Figur spielen – sowohl bei der konkreten Filmvisionierung als auch bei der Analyse. Die Rezeption spielt deshalb in allen drei hier besprochenen Ansätzen eine zentrale Rolle. Eder erklärt dies mit der erwähnten Unterscheidung zwischen der hauptsächlich auf den Text bezogenen Figurendarstellung, der durch kognitive Prozesse erzeugten Figurenvorstellung sowie der Figur selbst (vgl. 2008: 67, 81). Die Wahrnehmung von Figurendarstellungen führe zur Bildung von Figurenvorstellungen, woraus die Figur abgeleitet werden könne (vgl. ebd.: 81): »Die Vorstellung, die wir uns von einem fiktiven Wesen machen, ist das Ergebnis von Rezeptionsprozessen, die sich in einer Wechselwirkung zwischen den Filminformationen und unseren mentalen Voraussetzungen entwickeln.« (Ebd.: 169) Daraus wird das mentale Modell der Figur gebildet. Fotis Jannidis, der die literarische Figur aus kognitivistischer Perspektive untersucht hat, stellt die Verbindung des mentalen Modells mit der Theorie fiktionaler Welten her: »Auch sie ging davon aus, daß aus den Textangaben ein Gebilde erzeugt wird, das nicht mit dem Text identisch und doch weitgehend von ihm abhängig ist.« (2004: 179) Das Figurenmodell, welches dabei entsteht, ist ein dynamisches und entwickelt sich mit der Filmhandlung: »So verbindet man beim Film-Sehen eine zeitliche Folge aktueller Modelle zu einem übergreifenden integrierten Modell der Figur, etwa indem man aus ihren verschiedenen Zuständen auf allgemeinere

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

Charakterzüge schließt.« (Eder 2008: 171) Letzteres ist möglich, da Figuren, wie oben angesprochen, in den allermeisten Fällen als menschenähnlich erlebt und verstanden werden. Dementsprechend werden Konzepte der Alltagspsychologie auf sie angewandt, was zu Schlussfolgerungen über nicht explizit im Text vorhandene Merkmale führen kann: »Weil für Figuren der Erklärungsrahmen der folk psychology gegeben ist, können aufgrund von gegebenen Informationen weitere Informationen ergänzt werden.« (Jannidis 2004: 194) Umgekehrt gelangen [n]icht alle figurenbezogenen Informationen, die in einem Filmausschnitt prinzipiell enthalten sind, […] in das Modell. Sehr deutlich wird das an Phänomenen wie der […] inattentional blindness, oder wenn uns in einem Krimi Hinweise auf Tatmotive entgehen, die wir im Nachhinein durchaus erkennen können. (Eder 2008: 171)

Diese Erkenntnis ist im Zusammenhang mit meiner in der Einleitung aufgestellten These relevant, dass gerade im Moment der Maskierung das Augenmerk auf diejenigen Informationen gelenkt wird, welche zwar bereits vorher vorhanden bzw. in der Figur angelegt waren, jedoch erst in diesem Moment in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Damit geben sie nicht nur Aufschluss über die Figur, sondern vor allem über das, für was diese Figur steht, wie beispielsweise die Problematik der gesellschaftlichen Hierarchien in Sleuth. Aufgrund dieser Unterscheidung zwischen Figurendarstellung, Figurenvorstellung oder -modell und der Figur selbst argumentiert Eder, dass »jede systematische Figurenanalyse als Grundlage ein Rezeptionsmodell voraus[setzt]« (2008: 81). Wie Gerhard Lüdeker in seiner Rezension zu Eders Buch schreibt, ist dies eine zwingende Folge aus dessen Definition von Figuren als kommunikativen Artefakten. Denn diese können »erst in der Rezeption vollständig vorhanden sein […]. Zum anderen ist jede Form der Figurenanalyse immer zuerst eine Figurenrezeption, egal ob text- oder kontextorientiert.« (Lüdeker 2009: o.S.) Das von Eder vorgestellte Rezeptionsmodell basiert auf Bordwell (1989) und Persson (2003). Er unterscheidet perzeptive, kognitive und affektive Prozesse der Rezeption, wobei er zu letzteren auch die viszeralen und körperlichen sowie konative Prozesse zählt (2008: 82). Außerdem differenziert Eder – in Einklang mit einschlägigen kognitivistischen Theorien (vgl. Lüdeker 2009: o.S.) – zwischen vier Ebenen der Rezeption. Auf der ersten Stufe steht die Wahrnehmung von Farben und Formen – wir befinden uns im Bereich der Figurendarstellung. Selbstverständlich gehören auch die auditiv rezipierten Informationen zum Gebiet der Figurendarstellung. Auf der zweiten Ebene sieht Eder die Konstruktion eines mentalen Figurenmodells. Auf der dritten können im Modell erzeugte fiktive Wesen mit metaphorischen Bedeutungen versehen und übergeordnete Themen mit ihnen verknüpft werden (vgl. 2008: 98). Die vierte Stufe ist von den individuellen Dispositionen des Rezipienten geprägt und beschreibt die pragmatische Dimension der Rezeption (vgl. ebd.: 100). Obwohl angeborene und soziokulturelle Dispositionen innerhalb eines Kulturkreises bzw. einer gesellschaftlichen Gruppe

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oft große Ähnlichkeiten aufweisen (vgl. Persson 2003: 13), ist es wahrscheinlich, dass der Analysierende die eigenen individuellen und situationsabhängigen Dispositionen nicht ganz aus der Analyse herausfiltern kann. Dass die Ergebnisse dennoch nicht willkürlich sind, ist dank der erstgenannten Dispositionen sowie »durch die Regeln und mentalen Voraussetzungen der Kommunikation gegeben« (Eder 2008: 107). Diese unterschiedlichen Ebenen bilden die Grundlage für das von Eder entwickelte Analysemodell der Uhr der Figur. Dieses umfasst vier gänzlich unterschiedliche, jedoch allesamt wichtige Aspekte der filmischen Figur. So kann der Fokus erstens auf der Figur als fiktivem Wesen liegen. Dabei stehen Merkmale im Vordergrund, welche auch für Personen gelten, also ihre äußere Erscheinung, psychischen Merkmale sowie ihr Verhalten. Dies entspricht der im Rezeptionsmodell angesprochenen zweiten Ebene – derjenigen der fiktiven Welten. Auch wenn die Physiognomie, also der Schluss von äußeren Merkmalen auf Charaktereigenschaften, wissenschaftlich nicht länger als haltbar angesehen wird, gibt es kulturelle und mediale Stereotype, welche unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden müssen (vgl. auch Smith 1995: 192/3). So deuten »Untersuchungen […] darauf hin, dass reale Personen und Filmfiguren in ihrer Persönlichkeit günstiger eingeschätzt werden, wenn man sie als gut aussehend empfindet« (vgl. Hoffner/ Cantor 1991: 66; zit.n. Eder 2008: 255). Zweitens kann die Figur als Artefakt betrachtet werden, wobei diejenigen Merkmale zu Tage treten, die auf ihre Gestaltung durch filmstilistische Mittel zurückzuführen sind. Hier kommt die in Eders Rezeptionsmodell an erster Stelle stehende Ebene zum Tragen – die der textuellen Strukturen. Zur Betrachtung der Figur als Artefakt gehören die Verkörperung durch einen gewissen Schauspieler bzw. Star, die Sprache der Figur, Maske und Kostümierung und die Möglichkeiten, eine Figur besonders komplex oder schematisch, typisiert oder individualisiert sowie mehr oder weniger konsistent zu inszenieren. Auch die Gestaltung der Informationsvermittlung gehört zu diesem Bereich. Der primacy effect bezieht sich beispielsweise darauf, dass die Informationen, welche man zuerst über eine Figur erhält, das Figurenmodell entscheidend prägen (vgl. Eder 2008: 364-66). Eine dritte Betrachtungsweise – in Analogie zur dritten Ebene im Rezeptionsmodell – stellt den symbolischen Gehalt der Figur in den Mittelpunkt der Analyse. Hier geht es vor allem um metaphorische Bezüge sowie eine etwaige Verkörperung der Figur von allgemeinen Themen, Lastern, Tugenden o.Ä. Der vierte Aspekt der Figur als Symptom fragt nach Kontexten von Produktion und Rezeption. Diese Dimension ist mit den in Eders Modell der Rezeption erwähnten Dispositionen und Kommunikationskontexten parallel zu setzen. Auf der Seite der Produktion fallen unter diesen Punkt biografische, psychologische, historische, soziologische, ökonomische oder intertextuelle Faktoren (vgl. ebd.: 542-47), die die Entstehung der jeweiligen Figur zu einem spezifischen Zeitpunkt begünstigen konnten. Auf Seite der Rezeption bezieht sich dieser Teil auf die Wirkungen der Figuren auf die Filmzuschauer. Diese umfassen beispiels-

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

weise das Lernen am Modell, Prozesse der Identitätsbildung oder Ersatzbefriedigungen (vgl. ebd.: 549-552). Die Korrelation zwischen Eders Modell der Figur und dem der Rezeption hebt der Autor selbst hervor: »Damit verweisen die Dimensionen der Figur auf verschiedene Elemente der Kommunikation: auf den Medientext, unterschiedliche Ebenen seiner Bedeutung (fiktive Welten, übergeordnete Sinne) sowie die kommunikative Situation.« (Ebd.: 125/6) Wenngleich alle diese Aspekte sowohl für die Figur als auch für die Rezeption bzw. Kommunikation im Allgemeinen von Bedeutung sind, scheint diese Analogie an manchen Stellen doch etwas erzwungen, gerade, weil Eder selbst einige für die Betrachtung der Figur äußerst relevante Aspekte nennt, welche in seinem Modell der Uhr der Figur nicht oder nicht zur Gänze integriert sind. Dies ist zwar damit zu erklären, dass sie nicht die Figur alleine betreffen, dennoch stehen sie – auch in seiner grafischen Darstellung des Modells – wie ein Block neben der Uhr der Figur. Diese Dimensionen betreffen die Beziehung der filmischen Figur zu anderen Figuren und ihre (Handlungs-)Motivation. Auch die Aufmerksamkeitshierarchien zwischen den Figuren und Fragen nach der Perspektivierung sowie die Einbettung der Figur in einen dramaturgischen Handlungskontext sind hier relevant. Vor allem bei der Betrachtung der filmischen Clownsfigur in Abgrenzung zur Erscheinung dieses Typus im Zirkus oder auf der Straße ist diese Einbindung in den Handlungskontext wichtig. Denn es ist gerade ihre Funktion in einer Erzählung, welche das Zeigen der zwei verschiedenen Ebenen der Figur – mit und ohne Maske – erst sinnvoll macht. Die Frage nach dem Verhältnis von Figur und Rolle, welches sich bei der Betrachtung der Figurenkonstellation stellt, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Interesse. Ein weiteres Feld, welches Eder behandelt, das jedoch auch keinen direkten Eingang in sein Modell findet, ist das der Reaktion auf Figuren, was Murray Smith mit dem Begriff des character engagement fasst. Eines der großen Verdienste von Smith ist es, das recht vage Konzept der ›Identifikation‹ durch die von ihm sogenannte structure of sympathy zu ersetzen, innerhalb der er verschiedene Ebenen des engagement mit den Figuren unterscheidet (vgl. Smith 1995: 5). Des Weiteren argumentiert er gegen den oft behaupteten Zusammenhang von Identifikation und automatischer Übernahme der durch die Figur repräsentierten Ideologie: »I suggest that ›identification‹ may function in a variety of ways with respect to ideology, having the potential both to reinforce and to question norms. ›Identification‹ does not, therefore, always accommodate the spectator to prevailing ideological norms.« (Ebd.: 10) Innerhalb seiner structure of sympathy ist die grundlegende Unterscheidung bei Smith diejenige zwischen »azentraler« und »zentraler« Imagination, wobei erstere eine Außenperspektive und letztere eine von innen stattfindende Imagination meint. Die zentrale Imagination gliedert Smith in Identifikation und Empathie, wobei der erste Begriff das ›Sich-Aufgeben‹ des Zuschauers in der Figur meint und der zweite die etwas schwächere Variante des Fühlens für die Figur beschreibt (vgl.

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ebd.: 79). Wie genau diese Prozesse ablaufen, beschreibt Smith anschaulich auf Basis kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse: [F]irst, the sympathetic phenomena require comprehension of the narrative situation and characters, unlike the empathic phenomena. Secondly, in the case of sympathetic responses, we cognitively recognize an emotion and then respond with a different but appropriate emotion based on our evaluation of the character, while in the case of the empathic responses, we simulate or experience the same affect or emotion experienced by the character. (Ebd.: 102)

Eder fügt zu dieser Unterscheidung an, dass »wir es nicht mit einem EntwederOder zu tun haben, sondern mit einem Mehr-oder-weniger, mit einem Kontinuum zwischen den Polen der Subjektivität und Objektivität« (2008: 588). Die azentrale Imagination unterteilt Smith in recognition – das Wiedererkennen einer Figur –, alignment, worunter er die Verfügbarkeit visueller und auditiver Information über die Figur versteht (vgl. Smith 1995: 75), und allegiance, womit er »the moral evaluation of characters by the spectator« meint (ebd.: 84). Alignment ist untergliedert in die rein raumzeitliche Begleitung der Figur (spatio-temporal attachment) und den subjektiven Zugang zu ihrem Innenleben (subjective access) (vgl. ebd.: 83). Den entscheidenden Unterschied zwischen alignment und allegiance sieht der Autor darin, dass bei letzterer eine Kombination aus kognitiver Bewertung und emotionaler Reaktion festzustellen ist (vgl. ebd.: 188). Außerdem hält er fest, dass beide Reaktionen nicht zusammenfallen müssen. Vielmehr exis­ tiert »the possibility of perceptional and cognitive ›empathy‹ being combined with emotional ›alienation‹« (ebd.: 231). In jedem Fall ist das Konzept der recognition die Voraussetzung, emotional auf Figuren reagieren zu können (vgl. ebd.: 138). Vor allem aber ist es für das Thema der Maskierung interessant, stellt sich doch ob einer die Figur so deutlich verändernden Maskierung die Frage nach der Kontinuität des Figurenmodells der Zuschauer. Mit seiner Studie leistet Smith einen wichtigen Beitrag zu der intensiv geführten Diskussion um Perspektivierung bzw. Fokussierung in erzählerischen Texten (vgl. Kap. 2.1.3). Eder legt ein noch ausdifferenzierteres und feingliedrigeres Modell vor – und zwar sowohl für die Perspektivierung, welche er unter der imaginativen Nähe zu Figuren fasst, als auch für die emotionale Anteilnahme an Figuren. Dabei sind wesentliche Verdienste die äußerst detaillierte Unterscheidung und Berücksichtigung sämtlicher vorstellbarer Perspektivierungsmöglichkeiten des Films sowie hinsichtlich der emotionalen Anteilnahme die Einbeziehung von Emotionen, welche von anderen Aspekten der Figur als dem des fiktiven Wesens ausgelöst werden (also etwa von ihrem Artefakt- oder Symbolcharakter). Da die Fragen nach Perspektivierung und emotionalen Reaktionen von Zuschauern nicht im Mittelpunkt der hier durchgeführten Figurenanalysen stehen, verzichte ich auf die ausführliche Darstellung von Eders Konzept. Die sehr anschaulichen, von Smith vorgeschlagenen Termini werde ich zur Beschreibung und Nachvoll-

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

ziehbarkeit der Situation verwenden, vor allem wo die sehr feingliedrige Aufteilung von Eder zu verschiedenen Perspektivverhältnissen zu differenziert ist, um für den Leser anschaulich zu bleiben. Als hilfreich erachte ich jedoch vor allem Eders Unterscheidung zwischen den Perspektiven des »Wahrnehmens/Imaginierens, Denkens, Bewertens, Wünschens und Fühlens« (2008: 593) sowie die Grundannahme seiner Überlegungen, dass »es mindestens fünf verschiedene Arten gibt, Figuren in der Imagination nahe zu sein: raumzeitliche Nähe; kognitive Nähe durch Verstehen und Perspektivenübernahme; soziale Nähe durch Vertrautheit, Ähnlichkeit und Gruppenzuordnung; parasoziale Interaktion und emotionale Nähe« (ebd.: 642). Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Figuren- und Zuschauerperspektive spielt für die untersuchten Filme eine Rolle, vor allem im Zusammenhang mit dem Auf brechen und Infragestellen von Ordnungs- und Wertvorstellungen, an denen der Clown immer wieder beteiligt ist. Daher werde ich diese Überlegungen ergänzend einbeziehen, wenn eine detailliertere Beschreibung der Perspektivverhältnisse bzw. Reaktion auf Figuren vonnöten erscheint. Zusätzlich zu diesen Fragen nach den Perspektivverhältnissen wird das von Smith ausführlich und anschaulich erklärte und diskutierte Konzept der affective mimicry für die Filmanalysen von Interesse sein. Der Text von Tröhler und Taylor wiederum bietet einen hervorragenden Überblick über die verschiedenen mit der Figur in Verbindung stehenden Begriffe wie Rolle, Part, Typ oder Held und trägt zu einer exakten Verwendungsweise der Termini bei. Eders Werk hingegen ist dasjenige, welches die Figur in ihrer gesamten Breite zu erfassen sucht. Der für jede seiner heuristischen Kategorien des Modells erarbeitete detaillierte Fragenkatalog zur konkreten Analyse von Filmfiguren ist außerordentlich hilfreich. Dieser schärft den Blick für die Komplexität der Figur und verhindert die Vernachlässigung von nicht auf den ersten Blick ersichtlichen Bedeutungsdimensionen.

2.3.4.2 Die filmische Maske Dasjenige Merkmal der Figur, welches für meine Fragestellung die größte Bedeutung hat, ist ihre Maske. Im Film muss unterschieden werden zwischen der Maske als Objekt und der Schminkmaske, die alle Schauspieler tragen, selbst wenn diese in den wenigsten Fällen bewusst vom Zuschauer wahrgenommen wird. Als Objekt ist die Maske vor allem in Märchen-, Science-Fiction- oder Horror-Filmen präsent. Bezeichnend ist, dass es fast ausschließlich Filme dieser Genres sind, die in der Kategorie des besten Make-ups mit einem Oscar ausgezeichnet werden. In anderen Genres tritt die Maske vor allem dann in den Fokus der Aufmerksamkeit, wenn sie als Versteck oder zur Täuschung benutzt wird. Beispiele hierfür finden sich vor allem in Kriminalfilmen sowie in Verwandlungs-und Verwechslungskomödien wie z.B. in Spione (DEU 1928, R: Fritz Lang), Hold-Up (Der Boss, FRA, CAN 1985, R: Alexandre Arcady) oder The Clown at Midnight (CAN 1999, R: Jean Pellerin). Anhand solcher Filme lässt sich die enge Verbindung der Maske mit der Identität zeigen, dient sie doch in den genannten Beispielen meist dazu,

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diese zu verbergen. Dadurch ist die Figur hinter der Maske nicht identifizierbar. Andererseits ist die Clownsmaske so auffällig, dass eine Figur gerade durch sie wiedererkannt werden kann. Doch diese Annahme kann täuschen, da sich im Laufe eines Filmes verschiedene Figuren hinter ihr verbergen können. Es geht also in solchen Filmen um das Spiel mit der Identität, oftmals um einen Rollentausch oder gar einen Tausch der Identitäten. All diese Spielarten werden im Kapitel 3.2.1 eingehend untersucht. Ein Film, in dem eine Figur in eine außergewöhnlich hohe Anzahl an verschiedenen Rollen schlüpft – allerdings ausschließlich auf innerdiegetischer Ebene – ist Man of a Thousand Faces (Der Mann mit den 1000 Gesichtern, USA 1957, R: Joseph Pevney). Die Handlung basiert auf der Lebensgeschichte Lon Chaneys, der hier von James Cagney verkörpert wird. Chaney wurde durch seine erstaunliche Wandlungsfähigkeit zu einer Legende des Films, da er sich dank ausgefeiltem Make-up und durch Kostüme mit vielen Sonderanfertigungen in beinahe jede denkbare menschliche Gestalt zu verwandeln vermochte. Auf seine zwei berühmten Clownsrollen werde ich zu Beginn des analytischen Teils näher eingehen. Berücksichtigt man die starke Dominanz von Schminkmasken in Verbindung mit prosthetics (Gesichts- oder Körperteilergänzungen, meist aus Latex) im Gegensatz zu Aufsatz- oder Stülpmasken im Film, und die Tatsache, dass Schminkmasken seltener bewusst als Masken wahrgenommen werden, stellt sich die Frage, welche der oben herausgearbeiteten, grundlegenden Funktionen und Eigenschaften der Maske auch im Film relevant sind und wo die filmische Maske davon abweicht. Die Macht der Maske, ihren Träger zu verwandeln, spielt im Kino eine wichtige Rolle. Einerseits geht es dabei um die im Bild nicht sichtbare Veränderung des Schauspielers, um dem Aussehen der Figur zu entsprechen, andererseits um die diegetische Verwandlung von Figuren. In diesem Fall wird vor allem durch die so ausgelöste Verkennung und Verwechslung von Figuren Spannung erzeugt und komisches Potenzial geschöpft. Wird die Verwandlung sichtbar gemacht wie in den hier untersuchten Maskierungsszenen, nimmt sie dadurch metafilmisch Bezug auf die Illusionsbildung durch die Maske im Film, indem sie den Prozess zeigt, der gewöhnlich hinter den Kulissen stattfindet: die Veränderung des Aussehens durch die (Schmink-)Maske. Die Schutzfunktion ist ebenfalls präsent, allerdings weniger für den Schauspieler als für die Figur. Sie besteht vor allem in der Tarnung, wodurch eine Figur ihre Identität vor anderen Figuren verbergen kann. Jedoch können selbstverständlich auch Helme und andere Schutzmasken zum Einsatz kommen und die Figur in konkretem physischen Sinne schützen. Der Einsatz bei Ritualen ist für die hier untersuchten Filme weniger von Belang. Vielmehr kann man den Film selbst als Ritual sehen, für welchen der Einsatz von (Schmink-)Masken unabdingbar ist. Selbstverständlich können Rituale auch Gegenstand der erzählten Welt sein. So können auch manche Maskierungs-

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

szenen eines Clowns als (Verwandlungs-)Ritual bezeichnet werden. Allein durch die Maske kann der Ritualcharakter einer Handlung ausgedrückt werden. Als primär visuelles Medium ist es eine gängige Praxis des Films, das Innenleben von Figuren durch äußere Gestaltungsmerkmale auszudrücken. So erscheint es naheliegend, die Maske gewissermaßen als ›Botschafterin‹ des Innenlebens einer Figur einzusetzen und eine Kongruenz zwischen innen und außen zu erzeugen. Dass sich dieses Verhältnis jedoch weitaus komplexer gestaltet, werden die Filmanalysen zeigen. Es ist anzunehmen, dass die filmische Maske – ebenso wie Masken in rituellen oder theatralen Kontexten – im Spannungsverhältnis von Verhüllen und Zeigen steht. Wie genau dieses aussieht, ist neben der spezifischen Funktion der jeweiligen Maske Hauptuntersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Es wird vermutet, dass die Maskierung meist mit einer Demaskierung einhergeht. Dabei wird auch die Feststellung von Kurt Röttgers überprüft, dass Verbergen und Entblößen »zwei Seiten ein und desselben Prozesses« (2009: 88) sind und gleichzeitig stattfinden. Für die vorliegende Untersuchung sind solche Filme relevant, in welchen Clownsmasken explizit thematisiert werden und in denen deren bewusste Wahrnehmung durch filmische Gestaltungsmittel wie Kameraführung, Kadrierung und Dialoge gefördert wird.

2.3.4.3 Kostüm Die oft beklagte Forschungslücke im Bereich des filmischen Kostüms (z.B. Cook 1996: 41) ist zwar mittlerweile etwas kleiner geworden, dennoch hat das Kostüm als Gegenstand filmwissenschaftlicher Forschung noch immer eine Randposition inne. Die Themenkomplexe, die im Zusammenhang mit dem Kostüm am ehesten untersucht wurden, betreffen sein Verhältnis zur Narration (Gaines/Herzog 1990), zur nationalen Identität (Cook 1996), der Mode als Aufstiegschance (Berry 2000), der gegenseitigen Beeinflussung von Mode und (Hollywood-)Kino (Street 2001) oder sie behandeln einzelne Costume Designer, wie z.B. Edith Head (Jorgensen 2010). Außerdem ist auffällig, dass die Studien überdurchschnittlich häufig die weibliche Kostümierung in den Blick nehmen und aus einer feministischen Perspektive durchgeführt werden. Des Weiteren wird verhältnismäßig oft das Kostüm in Historienfilmen – im Deutschen bezeichnenderweise Kostümfilme genannt – zum Gegenstand der Untersuchung gemacht. Einen guten und aktuellen Überblick über den Forschungsstand bietet McDonald (2010). Die große Mehrheit der Kostüme, nämlich diejenigen, die ob ihrer scheinbaren Alltäglichkeit meist gar nicht als solche wahrgenommen werden, scheint von der Forschung vernachlässigt. Jane Gaines verwendet hierfür den Begriff der naturalization und verdeutlicht die ideologischen Implikationen dieser Praxis: »It is this ›type‹ costuming which best exemplifies the ideological dimension of naturalization as I have referred to it, that is, costuming which tends to disappear as it confirms commonsense notions.« (1990: 204) Wie bereits dargelegt, trifft diese unbewusste Wahrnehmung durch die Angepasstheit an alltägliche Konventionen auch auf

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2. Theoretischer Teil

die Schminkmaske zu. Dass das Kostüm jedoch für die Analyse und Bewertung von filmischen Figuren entscheidend ist, liegt auf der Hand – werden diese doch in den allermeisten Fällen zunächst und in erster Linie über ihren Körper registriert. Dieser wiederum wird »durch den Filter von Kleidung und Mode wahrgenommen. Das Spiel von Kostüm und Körper bildet eine unauflösbare Symbiose.« (Reinacher 2010: 36) Wenngleich dieses Zitat auf die Literatur bezogen ist, gilt das gleiche – sogar in noch stärkerem Maße – für den Film. So ist es kein Zufall, dass die bedeutenden Studiobosse des Classical Hollywood fast ausschließlich aus der Kleidungsbranche kamen und damit ein Gespür für die Wirkung von Kostümen mitbrachten: Adolph Zukor began his career as a furier, Marcus Loew was a fur and cape salesman, Samuel Goldwyn was a glove salesman, Carl Laemmle ran a clothing store, William Fox inspected fabric for garment makers, Louis B. Mayer sold used clothes, and Harry Warner repaired shoes. (Berry 2000: xvii)

Der Verwandlungsprozess, der mich hier interessiert, wird in den genannten Werken nicht näher betrachtet. Interessant für meine Untersuchung ist allerdings die Feststellung von Jane Gaines, dass eine »antithetical relation between costume and narrative« (1990: 181) bestehen kann. Dies bedeute, dass das Kostüm in der Lage sei, der Narration entgegenzuwirken. Gaines geht sogar so weit zu behaupten, dass durch die Kostümierung narrative Entwicklungen antizipiert werden können (ebd.: 205), allerdings nur bis zu einem gewissen Grad: »Costuming, however, cannot anticipate narrative developments so closely that it gives away the plot.« (Ebd.) Ihre These von der Vorwegnahme narrativer Ereignisse birgt eine gewisse Korrelation mit der Hauptthese meiner Studie, dass in der Maskierungsszene etwas entlarvt wird und dies gerade durch die Maskierung und Kostümierung erfolgt. Dementsprechend wird in den Filmanalysen überprüft, inwieweit diese These für die konkreten filmischen Beispiele Gültigkeit beanspruchen kann. Welche Implikationen das jeweilige Kostüm dabei suggeriert, wie das Verhältnis von Narration und Kostüm zu charakterisieren ist und inwiefern sich durch Maske und Kostüm wirklich eine Verwandlung der Figur vollzieht, wird an den jeweiligen Filmbeispielen herausgearbeitet.

2.3.4.4 Identität Es ist eine grundlegende philosophisch-psychologische Frage, ob die Identität an das Bewusstsein oder den Körper gekoppelt ist. In der alltäglichen Wirklichkeitserfahrung wird diese Frage vor allem in solchen Momenten virulent, in denen eine psychische Störung vorliegt oder eine einschneidende Veränderung geschieht, wie z.B. ein deutlicher Wandel des Aussehens, eine Geschlechtsumwandlung oder der Gedächtnisverlust durch einen Unfall. Gemeinhin gilt jedoch »[d]as Gesicht […] als Garant der Identität und Individualität« (Döscher 2009: 162/3). Der Bezug zur Maske ist evident: Die Maske verdeckt oder verändert das Gesicht und

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

macht eine eindeutige Identifikation schwierig, wenn nicht unmöglich. Doch die Identifikation durch das Gesicht und die damit verbundene Kopplung der Identität an das Äußere ist nur eine Möglichkeit und betrifft vor allem die Außenperspektive, also die Wahrnehmung durch eine außenstehende Person. Im Film ist diese Außenperspektive besonders wichtig, da sie für die Zuschauenden die dominante Zugangsmöglichkeit zu den Figuren ist. Besonders verstörend ist es daher, wenn Erzählexperimente die eindeutige Verbindung zwischen einem äußeren Erscheinungsbild und einer Identität in Frage stellen. Dies kann durch die Maske, die Kostümierung oder durch ein unorthodoxes Casting erfolgen. So kann sich der Protagonist aus The Man Who Laughs nicht mit seinem Äußeren identifizieren, da ihm der lachende Mund als Kind gewaltsam in das Gesicht geschnitten wurde und er innerlich – dem äußeren Lachen widersprechend – zutiefst traurig und verletzt ist. Besonders auffällige Möglichkeiten, die Identität im Film zu problematisieren, sind, eine Rolle mit zwei verschiedenen Schauspielern zu besetzen, eine filmische Identität durch zwei verschiedene Figuren darzustellen oder einen Schauspieler mehrere Rollen spielen zu lassen. Der erste dieser Fälle, dass eine Rolle mit mehreren Schauspielern besetzt ist, ist äußerst selten, jedoch durch Klassiker wie Cet obscur objet du désir (FRA, ESP 1977, R: Luis Buñuel) bekannt. Dieses obskure Objekt der Begierde spielt hier auch gleich in die zweite Variante hinein, in der eine dissoziative Identitätsstörung durch den Einsatz zweier Schauspieler dargestellt wird, welche die Existenz von zwei unterschiedlichen Figuren suggerieren. Dieser Fall ist deutlich häufiger in der Filmgeschichte zu finden. So z.B. in Dr. Jekyll and Mr. Hide (Dr. Jekyll und Mr. Hyde, USA 1941, R: Victor Fleming) oder Fight Club (USA, DEU 1999, R: David Fincher). Ein möglicher Grund dafür, dass im Korpus an Clownsfilmen diese beiden Sonderfälle nicht vertreten sind, könnte die bereits beschriebene Aufspaltung des Clowns in die verschiedenen Ebenen (Schauspieler – Figur – Clownsfigur) sein. Eine dieser Ebenen weiter aufzusplitten könnte als zu verwirrend für die Zuschauer empfunden werden. Der Fall, dass ein Schauspieler mehrere Rollen verkörpert, hat dagegen mit Chaplins Klassiker The Great Dictator (Der grosse Diktator, USA 1940) und Jerry Lewis’ The Family Jewels (Das Familienjuwel, USA 1965) prominente clowneske Vertreter. Im Film von und mit Jerry Lewis verkörpert dieser sämtliche männlichen Hauptrollen – unter anderem einen Clown. Da dieser Film für die Maske des Clowns äußerst aufschlussreich ist, werde ich ihn in Kapitel 3.2.1 genauer analysieren. Weitere interessante Verhandlungen der Identitätsproblematik im Kino finden sich in Filmen, in denen mehrere Figuren in dasselbe Kostüm schlüpfen. Damit wird in erster Linie Verwechslung, Verwirrung und komisches Chaos verursacht, da nicht offensichtlich ist, wer sich gerade hinter der Maske verbirgt. Entsprechenden Szenarien liegen Fragen nach der Identität zugrunde, die an solchen Entwürfen exemplarisch durchgespielt werden. Steht dabei für die innerdiegetischen Figuren der Körper als Repräsentant der Identität im Vordergrund, durchschauen die Zuschauer das Spiel mit der Maske und verstehen das Bewusstsein als konstitutiv für diese. Clowneske

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2. Theoretischer Teil

Beispiele hierfür sind Hold-Up, der ebenfalls in Kapitel 3.2.1 besprochen wird, dessen Remake Quick Change (Ein verrückt genialer Coup, USA 1990) von Howard Franklin und Bill Murray oder The Clown at Midnight. In diesem letzten Fall bedeckt das Clownskostüm abwechselnd den Protagonisten George und den Antagonisten, der die gesamte Gruppe Studenten nach und nach ermordet. Die Unkenntnis darüber, wer sich gerade hinter der Maske verbirgt, trifft sowohl die Figuren als auch die Filmzuschauer. Vordergründig erzeugt diese Unsicherheit Spannung und ist für die Schockeffekte verantwortlich. Gleichzeitig werden dadurch Fragen der Identität aufgeworfen. Die für meine Untersuchung interessanteste Frage im Zusammenhang mit dem Thema der Identität ist, ob sich Filmbeispiele finden lassen, in denen eine Figur durch eine veränderte Maskierung auch eine andere Identität darstellt bzw. annimmt oder ob die wechselnden Masken ausschließlich zur Anzeige der verschiedenen Rollen genutzt werden, die die Figur im Verlauf der Filmhandlung spielt. Bereits eine der ersten Großproduktionen der Filmgeschichte, die eine Clownsfigur als Protagonist zeigt, He Who Gets Slapped (Der Mann, der die Ohrfeigen bekam, USA 1924, R: Victor Sjöström), ruft diese Frage auf. Zwei Einstellungen der Hauptfigur in verschiedenen Maskierungen werden mittels einer Überblendung verbunden. Dadurch wird schon visuell die Frage nach der Überlagerung und womöglichen Vermischung der beiden Identitäten, die die jeweiligen Masken anzeigen, (des renommierten Wissenschaftlers einerseits und des verspotteten Clowns andererseits), gestellt. In Vulgar (USA 2000, R: Bryan Johnson) gibt es ebenfalls eine Figur, die teilweise mit und teilweise ohne Clownskostümierung auftritt. Der Unterschied zu He Who Gets Slapped besteht unter anderem darin, dass der Protagonist im Laufe des Films zwei verschiedene Clownskostüme trägt. Der Frage, ob mit jeder Kostümierung eine andere Identität verbunden ist, werde ich in Kapitel 3.1.1 nachgehen. Diese Beispiele zeigen, auf welch vielfältige Art das Medium des Films genutzt wird, um Szenarien schwieriger und komplexer Identität beispielhaft durchzuspielen. Der Film übernimmt damit die Funktion des »innere[n] Probehandeln[s]« (Schwab/Schwender 2007: 63). Denn [d]ie Kunst und das Spiel, beides Medien des ›Als-ob‹, stellen besondere Möglichkeiten dar, diese personale Freiheit zu realisieren. Es ist die Fähigkeit zur Fiktionalität, die es uns erlaubt, zwischen Fremd- und Selbstbild, zwischen der Rolle und dem eigenen Selbstempfinden hin- und her zu wechseln. Indem wir ›so tun als ob‹ und versuchsweise Rollen übernehmen, entfalten wir Seiten an uns selbst, deren wir vorher gar nicht innewaren: ›Lass mich scheinen, bis ich werde‹. (Fuchs 2002: 144/5)

Außergewöhnliche Szenarien über Identitätsverlust, -tausch oder -veränderung sind daher beliebte Themen der filmischen Inszenierung. Die Eigenschaft des »Probehandelns« teilt der Film mit den Masken, die ebenfalls die Möglichkeit

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

bieten, eine neue Identität spielerisch auszuprobieren und die normalerweise vorgegebenen Grenzen zu sprengen: »As part of our human quest to transform ourselves and create a fictional persona, theater masks help transcend some of the limitations of the human condition and play out our deepest images of ourselves.« (McCarty/Nunley 1999: 16)

2.3.4.5 Rolle Eng verknüpft mit der Identität und dem eben beschriebenen Probehandeln ist das Spielen verschiedener Rollen, welche alle zusammen die Identität begründen. Im Film lässt sich diese aus zwei Blickwinkeln betrachten. Zum einen gibt es den Schauspieler, der die Rolle einer bestimmten Figur spielt. Darüber hinaus kann es Situationen geben, in denen diese Figur innerhalb der Diegese eine andere Rolle spielt, es sich also um ein Spiel im Spiel handelt. Im ersten Fall können Schauspieler und Figur als zwei verschiedene Entitäten verstanden werden, die durch eine unterschiedliche Maske angezeigt werden, mit welcher ein verändertes Verhalten und eine andere Ausdrucksweise einhergehen. Nicht immer jedoch ist dieses Verhältnis so eindeutig. Gewisse Techniken oder Schauspielstile, die auf höchstmögliche Authentizität zielen, wie das Method-Acting, können die Grenze zwischen Schauspieler und Figur durchlässig werden lassen. Ein beeindruckendes Beispiel ist Heath Ledger in seiner Darstellung des Jokers in The Dark Knight. Hier hat er, wie im Interview auf der DVD zu hören, eigene Verhaltensmerkmale wie das Befeuchten der Lippe mit der Zunge in seine Interpretation der Figur einfließen lassen. In einer solchen Grenzüberschreitung zwischen Schauspieler und Figur sieht Laurence Senelick sogar den Grund für die frühere traditionelle Marginalisierung und das geringe Ansehen von Schauspielern: A youth pretending to be a woman is equated with a commoner pretending to be a nobleman: to pass oneself off as something other than what one is socially defined to be is worse than presumption. It is damnable deceit. It disrupts the divinely appointed order of things. (2000: 9)

Im zweiten der oben erwähnten Fälle wird der innerdiegetische Rollenwechsel meist durch eine Veränderung der Maskierung angezeigt. Der Zuschauer weiß gewöhnlich, dass es sich um die gleiche Figur handelt, die anderen Figuren hingegen werden durch Verkleidung und Maskierung getäuscht. Dies ist ein beliebtes Verfahren in Verwechslungskomödien, wie z.B. in Klassikern des Hollywood-Kinos sowie in den Clownsfilmen The Family Jewels, Hold-up oder Quick Change. Nicht immer jedoch ist das Verhältnis von Rolle und Figur so eindeutig und offensichtlich. Wie im Kapitel zur Clownsmaske erwähnt, ruft Alfredo im Mockumentary Noviembre den Eindruck hervor, dass er seine Persönlichkeit in die von ihm verkörperte Clownsfigur einbringt und so eine Vermischung der beiden Entitäten existiert. Dies stellt sich jedoch als Täuschung heraus. Auch in

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späteren Performances der von ihm geleiteten Theatergruppe wissen die übrigen Figuren oft nicht, was Spiel und was Ernst ist. Besonders deutlich wird dies in einer Szene, in der Alfredo so weit geht, einen Herzinfarkt vorzutäuschen. Passanten lassen einen Krankenwagen rufen, und erst als die Rettungssanitäter Alfredo eine Spritze geben wollen, enthüllt er alles als Performance. Es handelt sich sowohl um eine Ununterscheidbarkeit zwischen Figur und der von dieser gespielten Kunstfigur als auch um eine bewusste Negation des Rahmens, der eine Performance üblicherweise als solche kennzeichnet. Diese Subversion führt in letzter Konsequenz zum Tod Alfredos, da auch die Autoritäten nicht mehr zwischen Spiel und Ernst unterscheiden können: In der Schlusssequenz des Films sabotiert die Gruppe Noviembre eine Theateraufführung. Die herbeigerufene Polizei sieht die Pistole, die der von Alfredo gespielte Clown zieht, als echte an. Deshalb erschießt sie ihn ›vorbeugend‹ in genau dem Moment, als der Clown abdrückt und ein Fähnchen statt einer Kugel im Pistolenlauf erscheint, wodurch der Spielcharakter der Darbietung offenbart wird. Durch das Genre des Mockumentary wird die Ununterscheidbarkeit bzw. Durchlässigkeit der verschiedenen Ebenen (Schauspieler – Figur – Clown) zusätzlich auf die Spitze getrieben. Denn durch die Inszenierungsweise, die deutliche »dokumentarische Anweisung[en]« (Odin 1990: 139) enthält, wird suggeriert, dass Schauspieler und Figur deckungsgleich sind, was jedoch nicht der Fall ist. Dieses komplexe Verhältnis zwischen Maske und Ebene der Figuren wird in den Detailanalysen weiter vertieft. Auch das soziologische Verständnis des Begriffs der Rolle ist auf den Film übertragbar – vorausgesetzt, man versteht Figuren als menschenähnlich. Denn in der Filmhandlung agieren Figuren meist in einem sozialen Bezugsrahmen und übernehmen Rollen wie die der Mutter, des Arztes usw. Dementsprechend können die Figuren als Spieler von Rollen angesehen werden, auch wenn diese Rolle nicht so eindeutig von der Charakterisierung der Figur abweicht wie in den oben besprochenen Filmen. Selbstverständlich gibt es auch Filme, vorwiegend aus dem Experimentalfilm-Bereich, die eine solch eindeutige Rollenzuweisung zu verhindern suchen. Ob diese von den Zuschauern trotzdem vorgenommen wird, hängt von der individuellen Rezeption ab. Zu unterscheiden von diesem Verständnis der Rolle sind die narrativen Funktionen, die Figuren haben können, wie beispielsweise Protagonist oder Antagonist, Helfer oder Erzähler, die Tröhler und Taylor als ›Part‹ bezeichnen (1997: 47).

2.3.4.6 Ver wandlung Zum Verwandlungsprozess im Kino ist der Forschungsstand noch weniger ausgereift als zum Kostüm. Das Thema findet zwar immer wieder Erwähnung, hat jedoch noch kaum monografische Beachtung erfahren. Allerdings gibt es eine Studie, welche sich aus einer explizit filmwissenschaftlichen Perspektive mit einer Transformationsszene im Film beschäftigt. Tamar Jeffers McDonald (2010) untersucht die Verwandlung des ›hässlichen Entleins‹ in die schöne Prinzessin

2.3  Die Maske und ihre Verbindung zu Identität und Rolle

in sogenannten makeover films. Diese sehr gut recherchierte und nahe an den Filmen arbeitende Untersuchung bietet neben dem erwähnten Überblick über den Forschungsstand zu Studien zum Kostüm im Film und einigen ausführlichen Fallstudien eine Herausarbeitung verschiedener Tropen und Motive, die sich in den von ihr untersuchten Szenen häufen. Auffällig ist vor allem ihre Beobachtung, dass die Verwandlung selbst so gut wie nie gezeigt werde (ebd.: 42), was oft eine anfängliche »misrecognition« (ebd.: 71) und Überraschung von Seiten der anderen Figuren zur Folge habe (ebd.: 46, 48). Des Weiteren nennt sie die Shopping-Sequenz (ebd. 58) sowie die Aufdeckung des wahren, bislang unter dem ›hässlichen‹ Äußeren verborgenen Selbst (ebd.: 82) als charakteristische Merkmale der von ihr analysierten Filme. Auch verschiedene visuelle Motive sind häufig zu finden, so beispielsweise das Herabsteigen einer Treppe (ebd.: 98) oder der »catwalk moment« (ebd.: 103). Ebenso kommen nach Abschluss der Transformation bestimmte filmische Techniken vermehrt zum Einsatz wie die Zeitlupe (ebd.: 105) oder ein Schwenk, der den Körper von unten nach oben abtastet (ebd.). Es wird zu untersuchen sein, ob diese Auffälligkeiten in den von mir analysierten Szenen ebenfalls zu beobachten sind, inwiefern sie davon abweichen und welche anderen sich als konstitutiv für die Clownsverwandlung herausstellen. Ein in der einschlägigen Forschungsliteratur immer wieder erwähnter Grundzug des literarischen Motivs der Metamorphose ist für die vorliegende Problemstellung interessant: »Bereits in Ovids Metamorphosen fällt auf, dass bei vielen Verwandlungen gleichsam das Ich-Bewusstein, der Geist der alte bleibt, als berühre die äußere Verformung nicht das Innere der Figuren (mens antiqua manet).« (Koebner 2004: 30) So schreibt auch Nicklas, der das Motiv der Metamorphose in der Literatur untersucht: Nicht ganz allgemein die Mutabilität ist Kern des Motives, sondern eine Veränderung der Form, die in ihrer neuen Erscheinung wieder zur Ruhe kommt und die Erinnerung an ihre frühere Gestalt in sich trägt. Dabei steht immer die Identität auf dem Spiel, denn von Metamorphose wird nicht gesprochen, wenn aus einer Sache etwas ganz anderes geworden ist, das nichts von seiner früheren Gestalt in die neue Erscheinung mitgenommen hat. (2002: 12)

Dies wirft eine Frage auf, die in den folgenden Analysen explizit untersucht wird: Kann man in Fällen, wo eine filmische Figur zeitweise ohne, zeitweise in einem Clownskostüm (welches ja das Aussehen der Figur in den meisten Filmen sehr stark verändert) auftritt, von ein und derselben Figur sprechen? Hierbei werden die oben angesprochenen Fragen wichtig: Bewirkt die Maske einer diegetischen Figur eine Wandlung oder eine Verwandlung derselben? Was geschieht mit der Identität der Figur, ist diese an den Körper gebunden und damit bei einer äußerlichen Veränderung bereits im Begriff sich zu verändern? Oder ist sie an charakterliche Merkmale geknüpft und bleibt trotz der äußerlichen Veränderung stabil? Und findet in letzterem Fall nicht trotzdem eine Veränderung der Figur bzw. des

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2. Theoretischer Teil

Figurenmodells der Zuschauer statt, wenn, wie oben beschrieben, die Maske eine Verwandlung des Maskenträgers bewirkt? Die bei der Verwandlung bedeutsame Frage, wie tiefgreifend eine Veränderung ist, lässt sich ebenfalls von Rezipientenseite aus betrachten. So lässt sich ein Vorschlag von Nicklas für die filmische Analyse fruchtbar machen: »Denkbar ist aber auch eine sozusagen rezipientenorientierte Konstanz, in der der Gegenstand nicht essenziell gleichbleibt, sondern nur im Auge des Betrachters.« (Ebd.: 55/6) Dieser Gedanke lässt sich mit dem Modell der Figur von Jens Eder in Einklang bringen, das ebenfalls vom Rezipienten ausgeht. Wie beschrieben, ist das mentale Figurenmodell dynamisch und verändert sich im Laufe der Filmrezeption durch die Integration neuer Informationen. Diese Idee lässt sich mit der besprochenen These verbinden, nach der die Identität nicht starr und fixiert ist, sondern sich mit dem Tragen verschiedener Masken und dem Ausleben unterschiedlicher Rollen immer neu erfindet und definiert. Dadurch, dass in den hier untersuchten Filmen eine Verwandlungsszene existiert, d.h. der Prozess für den Zuschauer sichtbar gemacht wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Zuschauer die unterschiedlichen Gestalten einer einzigen Figur zuordnen, diese als ein und dieselbe Figur wahrnehmen soll. Durch die Maskierung werden neue, bis dahin unbekannte Seiten dieser Figur für den Zuschauer sichtbar gemacht. Ob diese These zutrifft, wird an den entsprechenden Filmbeispielen überprüft.

3. Analytischer Teil 3.1 D ie C lownsmaske als A usdruck der B eurteilung anderer Besonders in der Frühzeit des Kinos fällt die Vielzahl an Filmen auf, in denen die Clownsmaske als Veranschaulichung der gesellschaftlichen Stellung dient, welche der Figur von ihrem Umfeld zugewiesen wird. Kostümierung und Maskierung des Clowns bringen in diesen Filmbeispielen die erfahrene Erniedrigung der Figur zum Ausdruck. Oftmals hat diese einen sozialen Abstieg erlitten oder wird von anderen Figuren gedemütigt. Dabei kommt die abwertende Konnotation des Begriffes ›Clown‹ zum Tragen, als dem Dummen, Verlachten, Gedemütigten und Unangepassten, dem ›Anderen‹.

3.1.1 Von melodramatischen Opfern und traurigen Clowns 3.1.1.1 Die Missachtung und Geringschätzung des Clowns Ein solcher Verstoß aus der Gesellschaft kann verschiedenen Gründen geschuldet sein. So kann er als Bestrafung für Aufstiegsbestrebungen einer Figur in höhere Gesellschaftsschichten erfolgen, wie z.B. in He Who Gets Slapped (1924), der ersten Produktion der neu gegründeten MGM. Dort ist der von Lon Chaney gespielte Protagonist Paul Beaumont ein erfolgreicher Wissenschaftler, der kurz vor dem entscheidenden Durchbruch steht. Als er den letzten Beweis für seine Thesen erbracht hat, zeigt er die Ergebnisse Baron Regnard (Marc McDermott), welcher Pauls Forschungen finanziert hat. Paul will seine bahnbrechenden Ergebnisse der Akademie der Wissenschaften vorstellen, doch am Tag der Präsentation gibt der Baron die Forschungen als seine eigenen aus und erniedrigt ihn vor dem versammelten akademischen Publikum. So wird der als Genie inszenierte Paul von der aristokratischen Gesellschaftsschicht, von der er finanziell abhängig ist, in seinen Ambitionen unterdrückt. Zugleich verhindern die Mitglieder der Akademie so seine Aufnahme in ihre Gemeinschaft. Als er seiner Frau Marie (Ruth King) von der erfahrenen Demütigung berichtet, ruft er aus: »He slapped me, Marie. I would have killed him, but they laughed – laughed as if I were a clown.« Die Erniedrigung erreicht ihren Höhepunkt, als Paul erfährt, dass Marie

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den Baron unterstützt und Paul sogar mit ihm betrogen hat. Die Worte, die sie ihm entgegenschleudert, »Yes, I love him! Why shouldn’t I, you fool? What have you given me – that I should love you? You with your silly face and stupid books!« gipfeln in dem Ausruf: »Fool! Clown!« Die nachfolgende Verwandlung Pauls in den Clown HE wird somit performativ durch den Dialog vorweggenommen. Seine Maskierung und äußerliche Verwandlung in einen Clown können demnach als Konsequenz der Meinung anderer Figuren über ihn gesehen werden. Das Clownskostüm visualisiert, dass Paul von den Mitgliedern der Akademie durch ihren Hohn und Spott zum Clown – in der abfälligen Bedeutung des Wortes – gemacht wird. Dass er zu diesem gemacht wird, inszenierte Regisseur Sjöström eindrücklich, indem Paul von seinem Vorgesetzten geschminkt wird, statt, wie für Clowns üblich, diese Verwandlung selbst zu vollziehen. An dieser »Bewegung vom Erhabenen zum Lächerlichen«, die Thomas Elsaesser in seinem wegweisenden Aufsatz über das Melodram (1994: 105) als bestimmend für dieses Genre ansieht – und die in He Who Gets Slapped durch die genialen wissenschaftlichen Leistungen einerseits und Pauls Auftritt als Clown andererseits ausgedrückt wird –, zeigt sich eine wichtige Konstante der in diesem Kapitel besprochenen Filme: Die meisten weisen eine melodramatische Grundstruktur auf. Dazu passt auch das häufig zu findende Schema des rise and fall, des Auf- und Abstiegs einer Figur, welches häufig in diesem Genre zu finden ist. Die melodramatischen Elemente der besprochenen Filme werde ich in den folgenden Kurzanalysen anhand einzelner Szenen aufzeigen. Eine Ablehnung wie die Pauls trifft auch den Protagonisten des Animationsfilms Dumbo (Dumbo, der fliegende Elefant, USA 1941, R: Samuel Armstrong, Norman Ferguson u.a.) aus den Walt-Disney-Studios. In diesem Fall liegt der Grund für den Ausschluss aus der Gemeinschaft in einer physischen Abweichung begründet. So sind es die außerordentlich großen Ohren des Elefantenkindes, welche zu seiner Verspottung führen. Diese gipfelt darin, dass er zum Clown gemacht wird und im Zirkus mit der Gruppe der Clowns auftreten muss: »They made him a clown. […] From now on he is no longer an elephant.« Die Wortwahl »they made him« deutet darauf hin, dass Dumbos ›Clownwerdung‹ – wie schon bei HE – keine freiwillige und bewusste ist, sondern dass er von seinem sozialen Umfeld dazu verdammt wird. Die abwertende Haltung ihm gegenüber macht sich von Anfang an bemerkbar – schon der dem englischen dumb (dumm) entlehnte Name der Figur deutet darauf hin und erfährt in Dumbos Maskierung als Clown ihren Höhepunkt. Die performative Aussage, dass er von nun an kein Elefant mehr sei, bedeutet den faktischen Ausschluss aus der Gemeinschaft. Dumbos Inszenierung als Clown bringt somit die Meinung der anderen Figuren visuell zum Ausdruck. Ein späterer Kommentar der Maus, die als Helfer und Ratgeber Dumbos fungiert, bringt das Verhältnis von Clown und Gesellschaft auf den Punkt: »They made him a clown. Socially he’s washed up.« Die Maskierung als Clown fungiert hier als Demaskierung der Ansicht der anderen Elefantendamen, die ihn von Beginn an verspottet haben.

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

Zum Clown gemacht wird auch Gelsomina (Giulietta Masina) aus La Strada (Das Lied der Strasse, ITA 1954, R: Federico Fellini). Der Regisseur, Federico Fellini, darf in einer Arbeit über Clowns im Film nicht fehlen, da er neben Álex de la Iglesia einer der beiden Filmemacher ist, welche dieser Figur in sämtlichen ihrer Werke einen Platz einräumen.1 Während der Clown in den meisten von Fellinis Filmen nur eine Nebenrolle spielt, macht der Regisseur diese Figur in La Strada zur Protagonistin und widmet ihr mit seinem Mockumentary I clowns (Die Clowns, ITA, FRA, BRD 1970) sogar einen ganzen Film. In La Strada wird die in armen Verhältnissen aufgewachsene Gelsomina von ihrer Mutter an den Witwer ihrer Schwester, Zampanò (Anthony Quinn), verkauft. Obwohl die Mutter offensichtlich aus wirtschaftlicher Not heraus handelt, kann der Verkauf der eigenen Tochter dennoch als Zeichen der Geringschätzung ihr gegenüber verstanden werden. Diese spiegelt sich in der Maske wieder, die Gelsomina von nun an tragen muss – die einer Clownin, einer von der Gemeinschaft verlachten und deshalb aus ihr ausgegliederten, verstoßenen und dem Spott preisgegebenen Figur. Diese Position wird auch raumsemantisch zum Ausdruck gebracht und spiegelt sich in der filmischen Form, dem »Road-Movie, noch bevor es den Begriff dafür gab« (Koebner 1999: 215). Gelsomina zieht mit ihrem Mann von Dorf zu Dorf und übernachtet meist in dessen einfachem Wagen abseits des Dorfes. Die Feststellung von Barbara Babcock-Abrahams, dass der dem Clown ähnliche Trickster gewöhnlich an Orten des Übergangs zu finden sei (vgl. 1975: 155), trifft somit auch auf die Clownin Gelsomina zu. Sie hat kein Zuhause und kann sich nirgends niederlassen, da sie nicht dazu- und nirgendwo hingehört. Als sie dann schließlich doch an einem Ort bleibt, stirbt sie nach kurzer Zeit. Sesshaftigkeit, Sicherheit und Konstanz sind ihr – wie dem Clown generell – verwehrt. Die ihr entgegengebrachte Geringschätzung äußerst sich auch im Verhältnis zu ihrer einzigen Bezugsperson Zampanò. Für diesen ist sie – zumindest zu Beginn – in erster Linie ein funktionelles ›Objekt‹ mit einem bestimmten Wert, welches der eigenen Bereicherung durch die Belustigung anderer dient. Diese Missachtung verdeutlicht sich an den unmenschlichen Methoden, mit denen Zampanò Gelsomina auf ihr zukünftiges Leben als fahrende Gauklerin vorbereitet. Besonders deutlich zeigt sich seine Verachtung ihr gegenüber in einer Szene, in der er sie die ganze Nacht alleine auf der Straße zurücklässt, um die Nacht mit einer anderen Frau zu verbringen. Die Entscheidung, die Rolle des Clowns von einer weiblichen Figur spielen zu lassen, ist daher nicht nur ob ihrer Seltenheit interessant (von 120 gesichteten Filmen ist es nur in fünf Filmen eine weibliche Figur, die in das Kostüm des Clowns schlüpft), sondern unterstreicht die den Frauen traditionell zugewiesene Position der Erniedrigten und Unterworfenen, die auch der Clown in den in diesem Kapitel behandelten Filmen innehat.

1 | Álex de la Iglesias Film B alada triste de trompeta werde ich im dritten Analyseteil genauer betrachten.

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3. Analytischer Teil

Die in Dumbo beobachtete Abweichung als Grund für die Ausgrenzung kann auch im Beruf des Clowns selbst gesehen werden, welcher in einer Vielzahl von Filmen als unwürdig und minderwertig beurteilt wird. Dies kann als Konsequenz einer Sozialmoral verstanden werden, welche das ›Andere‹ und Ungewöhnliche von vorneherein und unreflektiert ablehnt.2 In Vulgar beispielsweise tritt Will Carlson als Clown Flappy auf Kindergeburtstagen auf und verdient sich damit mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt. Die abwertende Meinung seines sozialen Umfeldes ihm gegenüber kommt in diesem Film nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten wie das Bewerfen mit Abfall und Flaschen zum Ausdruck. Seine eigene Mutter nennt ihn einen »half-wit«. Sowohl sie als auch sein bester Freund Syd kritisieren Wills Lebensentwurf und erkennen seinen Beruf nicht als vollwertig an. Syd wirft ihm überdies vor, dass sein Plan, mit clowning jemals genügend Geld zu verdienen, unrealistisch sei. Dadurch wird der in diesem Film wichtigste, nämlich der ökonomische Grund für die Ablehnung des Clownberufes deutlich. Auffällig ist, dass Will selbst dann gedemütigt wird, wenn er Maske und Kostüm nicht trägt. Das bedeutet, dass die Geringschätzung, die seiner Kunstfigur Flappy zuteil wird und die im Rahmen der clownesken Performance eine erwartete und ›vereinbarte‹ Reaktion ist, auf die Figur Will Carlson ausgeweitet wird. Die übrigen Figuren können oder wollen nicht zwischen dem maskierten Clown und dem Menschen hinter der Maske unterscheiden. Die Maske funktioniert hier nicht mehr als Marker des Rahmens und dieser sowie die in ihm geltenden Regeln werden ignoriert. Diese Übertragung von der maskierten auf die Figur ›hinter der Maske‹ findet sich in ähnlicher Weise in He Who Gets Slapped, Laugh, Clown, Laugh (Lach, Clown, lach!, USA 1928, R: Herbert Brenon), O Palhaço (The Clown, BRA 2011, R: Selton Mello) und El fantasma y doña Juanita (ESP 1945, R: Rafael Gil). In diesen Beispielen ist es ebenfalls der Beruf des Clowns, welcher auf der Ebene der Diegese als Grund für die Geringschätzung oder sogar Ablehnung durch die anderen Figuren angeführt wird. So wird sie in Laugh, Clown, Laugh durch die Aussage eines reichen Verehrers der begehrten Frau zum Ausdruck gebracht: »Would you sacrifice these [die Perlen, die er ihr geschenkt hat] … for a clown?« In O Palhaço wird das Thema anhand des Personalausweises erzählt, welchen der Protagonist und Zirkusclown Benjamin (Selton Mello) nicht besitzt. Dadurch kommt die Verweigerung der gesellschaftlichen Teilhabe zum Ausdruck, und, in letzter Konsequenz, seine legale Existenz. Ein ähnlicher gesellschaftlicher Konflikt wird in dem kürzlich erschienenen Film Chocolat (Monsieur Chocolat, FRA 2016, R: Roschdy Zem) verhandelt, der die Geschichte eines der berühmtesten Clownduos der Belle Époque »Footit und Chocolat« erzählt. Dort ist es in erster Linie die schwarze Hautfarbe des Pro2 | Das Verhältnis von Ausgrenzung und Einschließung, deren Bedeutung bei der Herausbildung von Ordnungen sowie die Rolle des Clowns darin werde ich im Kapitel 3.4 ausführlich untersuchen.

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

tagonisten, welche zu seiner Ablehnung durch die Gesellschaft führt. Zunächst zeigt sich diese nur innerhalb des Rahmens der Manege: Chocolat (Omar Sy) – dessen Name bereits als rassistisch zu bewerten ist – und nicht der weiße Footit (James Thiérrée) ist es, der die Schläge kassiert. Der tief verankerte Rassismus greift bald auf die soziale Wirklichkeit der Diegese über, was sich in Beleidigungen, Hindernissen und schließlich Misshandlungen äußert. So manifestiert sich auch in diesem Film das in dieser Arbeit oft beobachtete Prinzip, dass anhand der Clownsfigur ein höchst aktuelles und brisantes soziales Problem aufgezeigt wird. Interessant ist, wie durch den Titel, die eindeutige Fokussierung auf Chocolat statt auf Footit sowie durch den Star Omar Sy der Figur der Respekt gezollt wird, der ihr in der Diegese und der Gesellschaft verweigert wird. In El fantasma y doña Juanita ist es die Clownsfigur selbst, welche ob des geringen gesellschaftlichen Status ihres Berufes nicht zu diesem steht und sich außerhalb des Zirkus hinter der ›Maske‹ des Buchhalters versteckt. Selbst vor seiner Geliebten Juanita (Mary Delgado) hält Antonio (Antonio Casal) seinen wahren Beruf geheim, da er sich dafür schämt. In vielen Filmen wird diese der Clownsfigur entgegengebrachte, immer sozial bedingte Geringschätzung durch die Ablehnung der angebeteten Frau zum Ausdruck gebracht. So auch in den beiden Filmen mit Lon Chaney He Who Gets Slapped (1924) und Laugh, Clown, Laugh (1928). Darin spiegelt sich ein »Merkmal des Melodrams, nämlich [das] Begehren, das sich auf ein unerreichbares Objekt richtet« (Elsaesser 1994: 119). Eine Szene aus dem früheren Film veranschaulicht den Konflikt, der in vielen Filmen ähnlich inszeniert wird: Als der Protagonist Paul – bereits in seiner Rolle als Clown HE – der Reiterin Consuelo seine Liebe gesteht, antwortet diese auf sein Liebesgeständnis mit Lachen, Schlägen auf seinen Mund und der Aussage: »You dear, funny HE – for a moment I thought you were serious«. Darauf erwidert er: »I’m never serious. You forget I am He Who Gets Slapped. I say serious things and people laugh at me.« HE spielt seine selbst gewählte Rolle ununterbrochen – mit allen Konsequenzen. Einzig die Filmzuschauer sind sich der bitteren Ironie in seinen Worten bewusst. Ihr Wissen um die Figur ›hinter der Maske‹ und ihre Geschichte macht es ihnen unmöglich, an dem Lachen des diegetischen Zirkuspublikums teilzuhaben. Das selbstdestruktive Verhalten HEs entspricht dem des Protagonisten des Melodrams, zeichnet diesen doch aus, »Handlungen zu begehen, die ihn immer weiter in eine Richtung treiben und ihm immer weniger Spielraum offenlassen« (ebd.: 110). Ein solches Verhalten führt im Melodram in letzter Konsequenz zum Fall und Abstieg der Figur, der umso dramatischer wirkt, da ihm ein oft sensationeller Aufstieg vorangeht. Im Falle HEs wird dieser Aufstieg durch seine bahnbrechenden Leistungen als Forscher beschrieben. Charakteristisch für das Genre ist ebenfalls, »daß das Verhalten der Figuren oft in erbarmungswürdigem Widerspruch zu ihren eigentlichen Absichten steht. Eine Kette von Ersatzhandlungen schafft eine Art Teufelskreis, in

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3. Analytischer Teil dem der enge Zusammenhang von Ursache und Wirkung auf gewisse Weise durchbrochen und – in einem oft offen freudschen Sinn – verschoben wird.« (Ebd.: 111)

Auch diese Erkenntnis lässt sich auf He Who Gets Slapped anwenden. Die ursprüngliche Absicht der Figur kann mit Anerkennung beschrieben werden, als Ersatzhandlung fungieren die Schläge, welche die statt der Anerkennung erfahrene Erniedrigung stetig wiederholen.

3.1.1.2 Das Stereotyp des traurigen Clowns Die ablehnende Haltung dem Clown gegenüber hat oft eine tiefe Traurigkeit der betroffenen Figur zur Folge. Das Stereotyp des traurigen Clowns hat eine lange Tradition in der Kunst und ist vor allem durch die Oper Pagliacci (Ruggero Leoncavallo, 1892) bekannt geworden. Auffällig ist, dass es im Film am häufigsten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu finden ist. Eine interessante Ausnahme stellt der brasilianische Film O Palhaço von 2011 dar, in welchem dieser Typus eine aktuelle Neubearbeitung erfährt. Das Schicksal dieses traurigen Clowns unterscheidet sich jedoch deutlich von dem seiner früheren Kollegen, wie ich später ausführen werde. Das Stereotyp des traurigen Clowns wird durch eine häufig zu findende Anekdote treffend beschrieben. Ich zitiere hier einen durch Zwischentitel wiedergegebenen Dialog aus dem Film Laugh, Clown, Laugh, der sich in ähnlicher Weise in anderen Filmen findet: Psychiater: My friend, you must have diversion. You must find something to make you laugh. (Während er ein Poster betrachtet, das den großen Clown Flik ankündigt): There’s the fellow who will make you laugh! He’s making all Rome laugh! He’s a tonic for a tired world. He’ll make you laugh, too! Flik: Flik can never make me laugh! Because I am…Flik!

An diesem Dialog lässt sich anschaulich verdeutlichen, was im theoretischen Kapitel zum Clown als konstitutiv für filmische Clownsfiguren erarbeitet wurde: Es muss zwischen der als Clown maskierten, lustigen Gestalt und der sich ›dahinter‹ verbergenden Figur unterschieden werden. So lässt sich die Diskrepanz zwischen der inneren Traurigkeit und der Freude, die der Clown öffentlich ausstrahlt, erklären. Die Figur des Psychiaters verkennt – wie viele andere filmische Figuren – diesen Unterschied. Dass die Clownsfigur nur anhand ihrer fröhlichen Maske beurteilt wird und ihre dadurch verborgenen Gefühle nicht wahrgenommen werden, verleiht der Figur Tragik und prädestiniert sie als Protagonisten des Melodrams. Die »Themen von emotionaler und moralischer Identität«, die Thomas Elsaesser (1994: 110) als konstitutiv für das Genre des Melodrams nennt, lassen sich anhand der Maske gut in Bilder übersetzen. Dies ist auch ein Erklärungs-

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

ansatz für die Auffälligkeit, dass die filmische Figur des traurigen Clowns am häufigsten in diesem Genre zu finden ist. Matthias Christen sieht die »Figur des unglücklich Verliebten« in seiner Monografie über den Zirkusfilm sogar als Protagonisten eines eigenen Subgenres, dem des »Clown-Melodramas« (2010: 189). Ebenso betont der Filmwissenschaftler die Kontextabhängigkeit, die nicht nur für die Interpretation und Wahrnehmung von Clowns entscheidend ist, sondern eine generelle Konstante menschlicher Erfahrung bildet: »Der Kernbestand der für den Clown typischen Elemente wird beibehalten, die Figur als ganze jedoch in einen anderen Bezugskontext gestellt. Losgelöst vom Rahmen des Manegenprogramms und seinen festen Routinen wird der von Haus aus komische Clown zu einer tragischen Erscheinung.« (Ebd.: 198) Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Traurigkeit des Clowns kein fest zu ihm gehörendes Merkmal, sondern ein Einfall der Künste ist, welche diese Figur außerhalb des Zirkusses porträtieren. Denn der Artist, der im Zirkus oder dem Theater einen Clown darstellt, ist selten so melancholisch und leidend, wie er im Film, der Malerei oder der Literatur oft dargestellt wird. Der berühmte (Film-) Clown Pierre Étaix meinte hierzu: »Je n’ai jamais connu de ›clown triste‹« (1982: 42), was der Zirkushistoriker Heino Seitler bestätigt: »Ich kenne viele Clowns, aber ich kenne keinen einzigen, der so wäre, wie die Clowns gewöhnlich in Romanen, Erzählungen und zum Teil auch im Film geschildert werden.« (1981: 30) Bei solchen Aussagen muss geklärt werden, über welche Ebene der Figur man spricht. In den Filmen ist die Traurigkeit meist auf der Ebene der Figur angesiedelt, welche die lustige Bühnenfigur hervorbringt und verkörpert, nicht in dieser selbst. Dies bedeutet, dass die Figur, die als Clown geschminkt und verkleidet vor ihrem (diegetischen) Publikum auftritt, als fröhlich, albern und gutgelaunt charakterisiert werden kann, wie man es von einem Clown erwartet. Die hier besprochene Traurigkeit hingegen betrifft stets die Figur ›hinter der Maske‹, d.h. im Falle des Films die Figur, nicht jedoch den Schauspieler! Die Gründe für die Traurigkeit der den Clown spielenden Figur müssen folglich in der gesellschaftlichen Situation der Diegese gesucht werden und nicht beim Schauspieler oder dem Clown. Wie in den vorangegangenen Ausführungen bereits dargestellt wurde, liegt die Ursache oft in einer sozialen Ausgrenzung oder einer unerfüllten Liebe. Im zweiten Fall sieht die von der Figur Angebetete nur die lustige Maske des Clowns und missversteht die Liebesbekundungen der Figur, die den Clown (nur) verkörpert, als Scherz. Sie ist folglich nicht in der Lage, zwischen den beiden Ebenen zu unterscheiden. Neben dieser Zurückweisung von der Gesellschaft oder der Geliebten kann ein weiterer Grund für die Schwermut des Clowns das Alter sein, aufgrund dessen er seinen Witz und seine Fähigkeit, andere zum Lachen zu bringen, verloren hat. Chaplins Limelight (Rampenlicht, USA 1952) ist eine gute Veranschaulichung hierfür. In diesem Film verkörpert er nicht den legendären Tramp, sondern den alternden Clown Calvero, dessen Aufführungen nicht mehr zeitgemäß

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sind. »They walked out on me« ist sein nüchternes Resümee nach einem erfolglos versuchten Comeback. Ob der großen Anzahl an Filmen, die den traurigen Clown porträtieren, drängt sich die Frage nach den Gründen dafür auf. Natalija Rumjanzeva findet ein nachvollziehbares Argument: »Die Arbeit der Clowns ist rein äußerlich nicht lebensgefährlich, und so suchte man Drama und Schmerz des Clowns in seinem persönlichen Schmerz.« (1989: 76) Liezel Spratley liefert in ihrer Arbeit zu den Killer-Clowns eine ebenfalls interessante Erklärung des Phänomens: The clown as entertainer now takes precedence over the clown as violating, transgressive and paradoxical allegorical figure. What was once regarded as a constructive approach that prioritizes abundance and merriment above the seriousness of ›official reason‹ through subversion is now seen as a form of delirium that hides a deeply troubled spirit. This partly explains the phenomenon of the concept of the ›sad clown‹ or ›crazy clown‹ who hides his or her traumatised upbringing or dark motives behind a ›friendly‹ face. (2009: 91)

Ich denke, dass es zudem einen dramaturgischen Grund für die Medienpräsenz des traurigen Clowns gibt. Der Konflikt zwischen Sein und Schein ist seit Jahrhunderten ein beliebtes Thema in Literatur und Kunst, wobei die Maske meist den Schein symbolisiert. Dieses Thema lässt sich an der Figur des Clowns geradezu paradigmatisch durchspielen, auch wenn die folgenden Filmanalysen immer wieder zeigen werden, dass diese beiden Pole nur scheinbar eine Dichotomie bilden und das Verhältnis zwischen beiden deutlich komplexer ist. In den in diesem Kapitel erwähnten, meist aus den ersten 30 bis 40 Jahren des Kinos stammenden Filmen wird dieser Gegensatz allerdings oft als binärer inszeniert. So zeigt sich dort die innere Tragik der Figur meist als Gegenstück zur obligatorischen Heiterkeit des Clowns, welche durch die Maske zum Ausdruck kommt. Daraus lässt sich dramaturgisches Potenzial schöpfen. So beispielsweise in Doña Juanita, wo das scheinbare Paradox durch die Clownsfigur selbst benannt wird: »El circo es una cosa triste dentro de la aparente alegría.« Als Inbegriff des traurigen Clowns darf an dieser Stelle die clowneske Figur des Pierrots nicht unerwähnt bleiben. Der melancholische und liebeskranke Pantomime, mit dem man den Pierrot seit dem 19. Jahrhundert in Verbindung bringt, dominiert erst seit seiner Verkörperung durch Jean-Gaspard Deburau, Baptiste genannt, die Vorstellung dieser Figur. Deburau »eclipsed all previous interpreters of the zanni and hung, like a white shade, over most of his pantomimic successors« (Storey 1978: 94). Mit Les enfants du paradis (Kinder des Olymp, FRA 1945, R: Marcel Carné) hat er ein filmisches Vermächtnis erhalten. Vor Deburau ist der aus der Dienerfigur Pedrolino der Commedia dell’arte hervorgegangene Pierrot ein fauler, aber gewitzter Charakter »of quick and volatile wit« (ebd.: 16), der »represents a force […] of uncertainty, of misrule« (ebd.: 14). Der Ausdruck seiner Cleverness durch Pantomime ersetzte seine wortgewandte Intelligenz erst 1680, als das exklusive Recht der Comédie-Française, in Paris Stücke auf Franzö-

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sisch aufzuführen, das faktische Sprechverbot für andere Gruppen am Theater bedeutete (vgl. ebd.: 37, 59). »But since Pierrot has never had the slippery agility of his black-masked companion, his pantomimic roguery is always tinged with a little of the ridiculous, the pathetic.« (Ebd.: 59) Als lächerlich und minderwertig wird auch der Pierrot/Baptiste (Jean-Louis Barrault) aus Les enfants du paradis von seinem eigenen Vater dargestellt. Die dominierenden Merkmale der in diesem Kapitel behandelten Clownsfiguren, die Traurigkeit und Erniedrigung, fallen hier zusammen. So sagt der Vater (Étienne Decroux) bei einer Aufführung vor dem Théâtre des Funambules, dass sein Sohn es nicht wert sei, auf denselben Brettern aufzutreten wie er, und stellt ihn als zurückgeblieben dar. Diese Zurückweisung setzt sich in der Liebe fort, wo Baptistes Zuneigung zu Garance (Arletty) – zumindest zu Beginn – unerwidert zu bleiben und sie Frédérick (Pierre Brasseur) den Vorzug zu geben scheint. Dieses trianguläre Begehren (Girard 1999) zwischen Garance, Frédérick und Baptiste spiegelt sich als mise en abyme auf der Bühne der Funambules. Dort verkörpern die genannten Figuren Columbine, Harlekin und Pierrot, zwischen denen seit der Commedia dell’arte ein ähnliches Dreiecksverhältnis besteht. Warum sich gerade der Clown eignet, diese gesellschaftliche Ablehnung zu erfahren, wird anhand des von Baptistes Vater ausgerufenen Sprichwortes ersichtlich: »Un coup de pied au cul bien donné peut faire rire le monde entier«. Durch das Erleiden dieses erniedrigenden, symbolischen und faktischen Tritts in den Hintern opfert sich der Clown zur Erheiterung anderer und wird so seiner jahrhundertealten Funktion des lustigen Spaßmachers gerecht. Diese dem Clown eigene Opferrolle wird auf poetische Weise in der preghiera del clown aus dem Film Il più comico spettacolo del mondo (Funniest Show on Earth, ITA 1953, R: Mario Mattoli) deutlich, welche die Verbindung der Traurigkeit des Clowns und seinem Opfer für seine Mitmenschen auf den Punkt bringt: Noi ti ringraziamo nostro buon Protettore per averci dato anche oggi la forza di fare il più bello spettacolo del mondo. […] Guardaci dalle unghie delle nostre donne, ché da quelle delle tigri ci guardiamo noi, dacci ancora la forza di far ridere gli uomini, di sopportare serenamante le loro assordanti risate e lascia pure che essi ci credano felici. Più ho voglia di piangere e più gli uomini si divertono, ma non importa, io li perdono, un pò perchè essi non sanno, un pò per amor Tuo, e un pò perchè hanno pagato il biglietto. Se le mie buffonate servono ad alleviare le loro pene, rendi pure questa mia faccia ancora più ridicola, ma aiutami a portarla in giro con disinvoltura. C’è tanta gente che si diverte a far piangere l’umanità, noi dobbiamo soffrire per divertirla; manda, se puoi, qualcuno su questo mondo capace di far ridere me come io faccio ridere gli altri.

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3.1.1.3 Der Clown als Opfer Dieses vom Clown dargebrachte Opfer verstärkt den in den Filmen inszenierten Eindruck des verletzten Inneren. Der Bruch zwischen fröhlichem Äußeren und traurigem Inneren erscheint so noch drastischer und verweist gleichzeitig auf die in vielen Fällen zugrundeliegende melodramatische Struktur. Denn die »Logik der ausgeschlossenen Mitte« (Brooks 1994: 52) kann als charakteristisch für dieses Genre gelten und zeigt sich an dieser Kluft besonders deutlich. Dass der sich opfernde Clown Protagonist und Perspektivträger der Filme ist, stimmt ebenfalls mit der Verortung der Filme in diesem Genre überein, da »das Melodram im allgemeinen den Standpunkt des Opfers ein[nimmt]« (Elsaesser 1994: 122). Üblicherweise wird die Opferrolle im Melodram von einer weiblichen Figur eingenommen. Im Clown-Melodrama – mit der erwähnten Ausnahme von La Strada – ist es hingegen eine männliche Figur, welche in die Clowns- und damit die Opferrolle schlüpft. Dadurch, dass der Clown oft als androgynes Wesen inszeniert wird, wird dieser Unterschied jedoch abgeschwächt. Die Inszenierung des Leidens und der Verletzlichkeit des Clowns wird durch die für den Film charakteristische Unterscheidung der Ebenen der Figur und der von ihr dargestellten Clownsfigur erst ermöglicht. Besonders deutlich wird dies in Laugh, Clown, Laugh, in welchem Tito (Lon Chaney) von seinem Umfeld als lustiger und sorgenfreier Clown Flik wahrgenommen wird. In seinem Privatleben hingegen ist er zutiefst traurig, da er an der hoffnungslosen Liebe zu Simonetta (Loretta Young) leidet. Die Momente größten Schmerzes fallen dabei mit denen der größten Erheiterung seines Publikums zusammen. Die Aussage »You belong to them! They must have their fun! […] Laugh, clown, laugh… even though your heart is breaking!« verdeutlicht das Opfer, das der Clown erbringt. Dieses wird von seinem Publikum jedoch nicht (an-)erkannt. Stattdessen wird er verachtet: Obgleich er ganz Rom zum Lachen bringt, begegnen ihm die übrigen Figuren mit Geringschätzung. Die Opferrolle des Clowns wird in He Who Gets Slapped bereits durch den Titel zum Ausdruck gebracht und in der Filmerzählung auf die Spitze getrieben. HE lässt sich vor dem Zirkuspublikum verprügeln und steckt so die ihm vom Baron verbal entgegengebrachten Schläge Abend für Abend erneut ein. Dadurch wiederholt sich die Szene der Erniedrigung ununterbrochen. Der von Paul für seine Figur gewählte Name ist treffend, da er eine Beschreibung des Clowns par excellence ist. Denn er ist es, der für uns die Schläge einsteckt, die wir in unserem alltäglichen Leben erdulden müssen. Dadurch wird eine wichtige Konsequenz aus dem Opfer des Clowns ersichtlich. Denn diesen hier kurz umrissenen Figuren ist gemein, dass sie durch ihre Clownsmaske, welche als Ausdruck der gesellschaftlichen Geringschätzung fungiert, das Leiden von aus der Gemeinschaft Ausgestoßenen und Verspotteten verkörpern. Dadurch können sie eine Katharsis bei den Zuschauern bewirken, indem diese ihre eigenen Probleme und Sorgen, z.B. nicht anschlussfähig zu sein oder geringgeschätzt zu werden, in der jeweiligen Figur gespiegelt sehen und stellvertretend imaginär ausleben. Durch sein

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Nachahmen dessen, was wir täglich erfahren, macht der Clown unsere eigenen Erniedrigungen und Probleme erträglicher. Während er leidet, fühlen sich seine Zuschauer durch das Lachen erleichtert.

3.1.1.4 Der Umgang der Clownsfigur mit der Verachtung Die Konsequenz des clownesken Leidens für die Zuschauer kann demnach mit dessen kathartischer Wirkung beschrieben werden. Wie aber geht der Clown selbst mit der ihm entgegengebrachten Ablehnung um, wie entwickelt sich seine Situation? Ich möchte mich dieser Frage anhand der Analyse nähern, ob sich die Inszenierung der Figur als Clown durch den gesamten Film zieht oder vorübergehend ist. Wenn diese nur vorübergehend ist und die Clownsmaske, die ja als Visualisierung dieser Geringschätzung erkannt wurde, abgelegt wird, stellt sich weiter die Frage, ob dies mit einer veränderten Meinung der Gemeinschaft über die Figur einhergeht. Im Falle Dumbos kann seine Verwandlung in einen Clown eindeutig als temporär bezeichnet werden. Er scheint sich in seiner Rolle als Clown sichtlich unwohl zu fühlen und versucht, seinem Schicksal zu entkommen. Dem klassischen Happy End entsprechend, entdeckt er, dass er dank seiner übergroßen Ohren fliegen kann. So wird er gerade durch die ursprüngliche Ursache seiner Ablehnung zur Berühmtheit und das in diesem Film negativ konnotierte Clownsimage ist vergessen. Damit stellt der Film eine interessante Ausnahme der Beobachtung dar, dass die Verwandlung zum Clown in den meisten Fällen bleibend ist. Ähnlich wie Dumbo möchte auch Chocolat aus der ihm zugewiesenen Clowns- und Opferrolle ausbrechen und stattdessen am Theater spielen. Die Rolle des Othello scheint ihm aufgrund seiner Hautfarbe der ideale Einstieg dafür, da er sie so authentisch wie niemand zuvor spielen könne. Doch trotz seiner gelungenen Vorstellung wird er am Ende ausgepfiffen. Während der Rassismus bei seinen Auftritten als Clown noch maskiert, d.h. unerkannt abgeleitet werden konnte, ist dieses Ventil bei der Shakespeare-Aufführung am Ende des Films nicht mehr vorhanden. Die Ablehnung äußert sich daher direkt und gilt nicht mehr (nur) der Bühnenfigur, sondern zeigt sich als auf die Figur selbst bezogen. Ähnlich ändert sich auch in El fantasma y doña Juanita die Situation der betroffenen Figur Antonio kaum. Bis zum Ende traut er sich nicht, seine Identität bzw. Tätigkeit als Clown preiszugeben, da er sich der Missbilligung seiner Umwelt gewiss ist. Dass dies unweigerlich zu seinem Tod führt, kann als Konsequenz aus dem für das Melodram typischen »Versagen der Protagonisten« verstanden werden, ihrem Unvermögen, durch ihr Handeln die Ereignisse und die emotionale Umgebung zu beeinflussen oder gar das erstickende soziale Milieu zu verändern. Die Welt ist geschlossen, und auf die Figuren wird eingewirkt. Das Melodram erlaubt ihnen nur eine negative Identität, eine, die sich durch Leiden bildet, und die fortschreitende Selbstaufopferung und Desillusionierung führen im allgemeinen zur Resignation. (Elsaesser 1994: 110)

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Nach einem verheerenden Feuer im Zirkus sucht Juanita ihren Geliebten unter den Lebenden und den Toten, allerdings ohne Erfolg. Auf ihre Nachfrage hin erfährt sie, dass »sólo han muerto un niño y el payaso aquel«. Schon in dem Demonstrativum ›aquel‹, welches im Spanischen in dieser, dem Substantiv nachgestellten, Position abwertenden Charakter hat, spiegelt sich die geringe Wertschätzung, die dem Clown nach wie vor entgegengebracht wird. Da niemand den von Juanita geliebten Buchhalter gesehen hat, wird die Figur zum titelgebenden »fantasma«. Der Clown als Phantasma zeugt von dessen sozialer Nichtbeachtung und seiner faktischen Unsichtbarkeit im öffentlichen gesellschaftlichen Leben. Gleichzeitig eignet sich dieser Vergleich gut, um die spezifische Körperlichkeit des Clowns darzustellen. Denn dieser entbehrt eines eigenen Körpers bzw. ist an den seines Schöpfers gebunden (der wiederum andere Eigenschaften hat als ›der Clown‹). Sobald die Figur die Clownsmaske abnimmt, ›verschwindet‹ auch der Clown wie ein Geist und ist nicht wieder auffindbar, da er nicht wiedererkannt werden kann. In Bezug auf das von Elsaesser beschriebene moralische Universum des Films muss die Rahmenhandlung von Doña Juanita berücksichtigt werden. Denn Juanita erzählt die Geschichte ihrer Nichte, welche kurz vor einer Vernunftheirat steht und ihre wahren Gefühle aufgrund sozialer Konventionen verdrängt. Durch die Erlebnisse Juanitas ändert sie ihre Meinung und heiratet den Mann, den sie liebt – trotz der sozialen Hindernisse. Insofern kann der Clown auch hier wieder als Opfer verstanden werden, da er durch seinen Tod ein Umdenken bewirkt. Der Tod ist ein Schicksal, welches die Clownsfiguren in den hier besprochenen Filmen außergewöhnlich häufig ereilt und auch auf viele andere Filme des Korpus zutrifft. Dies mag zunächst verwundern, wird der Clown doch des Öfteren als unsterblich beschrieben und steht auch nach schlimmsten Schlägen im Zirkus immer wieder auf. Eine Erklärung liefert der im Film so häufig inszenierte Unterschied zwischen Figur und Clownsfigur. Bei den hier beschriebenen traurigen Clowns ist es, wie gerade festgestellt, immer die Ebene der Figur – ohne Clownsmaskierung – welche die Traurigkeit und Ablehnung betrifft. Da diese nicht wie der Clown, den sie verkörpert, unsterblich ist, kann sie als Konsequenz aus der erfahrenen Demütigung sterben. Der Clown kann die Schläge bzw. die zugrunde liegende Erniedrigung aushalten, die Figur hinter der Maske nicht. Das trifft auch auf La Strada zu. Als letzte Konsequenz der Ablehnung wird Gelsomina schließlich sogar von Zampanò verlassen, obwohl sie die einzige Figur ist, welche unter der rauen und harten Maske ihres Mannes ein tiefer liegendes, sanftes Geschöpf erkennt und anerkennt. Zampanò ist jedoch nicht fähig, dieses Entgegenkommen zu erwidern. Seine Gefühle zeigt er erst, als er Gelsomina für immer verloren hat. Es ist folglich ihr Verlust, der Zampanòs Gefühle zum Ausdruck bringt. Die Clownsfigur wirkt auch in diesem Fall über ihr Ableben hinaus, indem sie durch ihren Tod eine emotionale Verwandlung Zampanòs bewirkt. Ihr Sterben ist nicht umsonst. Durch die Einbettung der Figur in ein soziales Gefüge nimmt sie mit ihrem Tod Einfluss auf dieses. Sie opfert sich für andere, wodurch

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erneut die soziale Bedeutung des Clowns ersichtlich wird. In dieser Hinsicht zeigt sich mittels der Figur der Gelsomina ein Grundprinzip des Melodrams, welches Peter Brooks beschreibt: Es ringt um die Entdeckung, die Artikulation und den ›Beweis‹ eines moralischen Universums, das zwar in Frage gestellt wird, von Schurkerei und getrübtem Urteilsvermögen verstellt ist, das aber dennoch existiert und dazu gebracht werden kann, seine Präsenz und seine kategorische Macht über die Menschen zu behaupten. (1994: 59)

Durch das unbeirrbare Engagement der Clownsfigur, die trotz ihres wiederholten Scheiterns nicht aufgibt in ihrem Kampf für eine moralische Welt, wird ihr Erfolg am Ende spürbar und dauert über ihr Sterben hinaus an. In dieser Hinsicht kann der Clownsfigur im Film trotz ihres Todes in der Diegese eine gewisse Unsterblichkeit attestiert werden. Diese kann auch dem Protagonisten aus Vulgar bescheinigt werden. Hier ist die Unsterblichkeit des Clowns Flappy ganz konkret auf die erlernte Geschicklichkeit seines Verköperers und Protagonisten des Films Will (Brian O’Halloran) zurückzuführen. In einer gefährlichen Geiselsituation riskiert dieser sein eigenes Leben, um ein kleines Mädchen vor dessen gewalttätigem Vater zu retten. Er überlebt dank seiner akrobatischen Fähigkeiten. Den Mut, in dieser Situation den Helden zu spielen, gewinnt er aus dem neu erhaltenen Selbstbewusstsein, welches er dank der Anerkennung seiner Identität als Clown zieht. Diese Annahme der Rolle des Clowns ermöglicht es ihm, das Risiko, sich selbst zu opfern, einzugehen und damit für andere zum Retter zu werden.3 Diese Kehrtwende, durch die Will von der anfänglichen, durch die Meinung der anderen Figuren ausgelösten Ablehnung zur Anerkennung seines Berufes gelangt, wird in der Inszenierung anhand der Maske zum Ausdruck gebracht. Vulgar ist der einzige mir bekannte Film, der eine Clownsfigur porträtiert, welche zwei verschiedene Clownsmasken trägt. Narrativ wird dies damit begründet, dass seine Auftritte bei Kindergeburtstagen nicht sonderlich angesehen und deshalb auch nicht sehr lukrativ sind. Daher beginnt Will, sich nach einer besser bezahlten Arbeit umzusehen. Durch eine Zeitungsannonce kommt er auf die Idee, bei Junggesellenabschieden als Clown Vulgar aufzutreten, welcher eine gänzlich andere Verkleidung und Maskierung trägt als Flappy. Die Änderung seiner Maske und seines Namens von Flappy in Vulgar wird ganz bewusst von Will herbeigeführt, um so die Erniedrigung und Unterdrückung, die Flappy/Will erfahren hat, durch die Verwandlung in Vulgar in ihr Gegenteil zu verkehren. Dass diese Veränderung sehr bewusst geschieht, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass es einer der wenigen Filme mit Clownsfiguren ist, in dem es eine Abschminkszene gibt. Darin ist deutlich zu sehen, wie Will die Maske Flappys ablegt und in der Folge seiner Bühnenfigur eine neue 3 | Auf die wichtige Funktion des Clowns als Erlöser werde ich in den folgenden Kapiteln näher eingehen.

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Identität, die Vulgars, verleiht. Die erhoffte Beseitigung seiner gesellschaftlichen Ablehnung bleibt jedoch aus. Statt leichtes Geld zu verdienen, wird Vulgar bei seinem ersten Auftrag grausam misshandelt und gefoltert. Die Demütigung erfährt so einen neuen Höhepunkt. Doch Will kämpft sich zurück und beginnt, wieder als Flappy zu arbeiten. Es ist in seiner ursprünglichen Maskierung als Flappy, dass er das Mädchen rettet und so zum nationalen Helden wird. In der Folge erhält er das Angebot einer eigenen Fernsehsendung, welche ihm beachtlichen Reichtum einbringt. Durch diese positiv inszenierte Rückkehr Wills zu seiner ursprünglichen Berufung wird das zu Beginn negativ dargestellte Bild des ewig erniedrigten Dummen August aufgewertet. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass der Beruf des Clowns nicht nur aufgrund seiner sozialen und aufopfernden Komponente am Ende bestehen kann. Der Gewinn, den Will für sich selbst dank seiner Bekanntheit und dank seines Erfolges erzielt, wird ebenso betont. Gegen die gesellschaftlichen Imperative des Kapitalismus kommt selbst der Clown mit seinem altruistischen Handeln nicht an. Vulgar ist somit ein weiteres Beispiel für die bereits erwähnte These, dass Clowns in den seltensten Fällen eine bestehende Ordnung umfassend ändern oder sich ihr gänzlich entziehen können. So auch Will, der die finanziellen Annehmlichkeiten dankend annimmt, obgleich er durch das Streben nach ihnen erst in seine missliche Lage gelangt ist. Dennoch ist das am Ende zurückbleibende Bild des Clowns hier eindeutig positiv und die Treue zu seiner Berufung wird als richtige Entscheidung inszeniert. Eine solche Rückkehr zu der ›eigentlichen‹ Bestimmung findet auch in O Palhaço statt. Nach einer kurzen Zeit in einem gewöhnlichen Bürojob kehrt Benjamin zum Zirkus und seinem Beruf als Clown zurück. In Bezug auf die Maske ist interessant, wie diese Entscheidung erzählt wird. Nachdem Benjamin sich den Anforderungen seiner neuen Stelle entsprechend frisiert und einen Anzug angezogen hat, betrachtet er sich im Spiegel – dem klassischen Sinnbild der Verhandlung von Identität. Plötzlich fährt er sich mit der Hand durchs Haar und ruiniert so die makellos gekämmte Frisur. Die sozial erwünschte Maske wird zerstört und teilweise durch die ursprüngliche, welche sich durch lockige Haare auszeichnete, ersetzt. Die Anerkennung und das Stehen zu der eigenen Identität werden somit durch die Maske zum Ausdruck gebracht. Das Verhältnis zwischen ursprünglicher Identität und darüber liegender, von der Gesellschaft aufgezwungener Maske, wird auch in He Who Gets Slapped thematisiert und auf bildlicher Ebene erzählt. Dadurch, dass die Filmzuschauer die Vorgeschichte HEs kennen, ist die sich hinter der Maske verbergende Identität Pauls den Zuschauern stets bewusst und die Verwandlung nie vollständig. So wird ein Changieren in der Wahrnehmung der Figur von Seiten der Zuschauer ermöglicht, welches durch das Stilmittel der Überblendung visualisiert wird.

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Abbildungen 1-3: Überblendung von Lon Chaney als HE und als Paul. Screenshots aus He Who Gets Slapped.

Die visuelle Gestaltung von HEs Maske ist noch in einer weiteren Hinsicht interessant, da sie etwas über den Umgang der Figur mit der erfahrenen Verachtung erzählt. Es handelt sich um eine Schminkmaske in Kombination mit einer Kopf bedeckung. Die Maske wird von einer weißen Gesichtsbemalung mit zwei farbigen Kreuzen über den Augen dominiert. Auf dem Kopf trägt HE eine Kappe, aus der drei Haarbüschel hervorstehen. Als er gegen Ende des Films den Baron angreift, zeigt ihn die Kamera von der Seite. Dadurch sind nur zwei der drei Haarbüschel sichtbar, welche aus dieser Perspektive wie kleine Hörner aussehen. Dadurch erinnert er, wohl kaum zufällig, an das Bild des Teufels. Abbildung 4: Die beiden Haarbüschel HEs erinnern an Teufelshörner. Screenshot aus He Who Gets Slapped.

In der einschlägigen Literatur zum Clown wird wiederholt auf die enge Verbindung zwischen Teufel und Clown hingewiesen (vgl. Kap. 2.2.3.7). Das diabolische Lachen HEs in der beschriebenen Szene stützt die durch die Maske hervorgerufene Assoziation. Wie die abgebildete Überblendung zeigt, nimmt er seine Rolle nicht vollständig an, sondern wehrt sich bis zum Schluss gegen die erfahrene Verachtung. Aus Rache am Baron und dem Vater Consuelos, der seine Tochter und Angebetete Pauls des Geldes wegen mit dem Baron verheiraten wollte, lässt er den

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Löwen in dem Raum frei, in dem sich die beiden (und er selbst) befinden, und riskiert damit deren grauenvollen Tod. Durch das von Rache geleitete Handeln wird die Maske HEs porös und die Pauls scheint durch.4 Der Racheakt demonstriert, dass das durch den Ausschluss aus der Gesellschaft hervorgerufene Leiden der Figur unerträglich geworden ist. Denn der in seiner Nummer als dramatische Ironie5 vorweggenommene Tod HEs trifft am Ende auch Paul. Die Schläge, die HE erduldet, spiegeln nur die soziale Ablehnung Pauls. Das Leid Pauls scheint durch dasjenige HEs noch verstärkt zu werden und in letzter Konsequenz zum Tod zu führen.

3.1.1.5 Resümee Das in diesen Filmanalysen immer wieder beobachtete soziale Moment des Clowns, sein Opfer und die dadurch ausgelöste kathartische Wirkung bei den Zuschauern können als solch zentrale Funktionen des Clowns gesehen werden, dass sie durch die Epochen und Genres hindurch zu beobachten sind. Dass die Figur selbst dabei an dieser Ausgrenzung zerbricht, was sich nicht zuletzt in ihrem häufigen Tod manifestiert, hängt damit zusammen, dass sie – ungleich dem Clown – nicht immun ist gegen die soziale Ablehnung. Als menschlich inszeniertes Wesen ist ihr Überleben von der sozialen Gemeinschaft abhängig. Wie ich zu zeigen versucht habe, zerbricht sie dabei nicht nur als Figur, sondern auch als gesellschaftlicher Vertreter, steht sie doch repräsentativ für alle, die aufgrund einer Abweichung, einer Abstammung aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht, wegen ihres Berufes oder ihrer Hautfarbe ausgegrenzt, verachtet und dem Spott preisgegeben sind. Dies erklärt zugleich, warum viele dieser Filme im Modus des Melodramatischen funktionieren: Ihre Kritik – die Frage nach dem ›Bösen‹, der Verantwortung – wird unmißverständlich auf einer gesellschaftlichen und existentiellen Ebene vorgetragen, abseits der willkürlichen und letztlich beschränkten Logik privater Motive und individualisierter Psychologie. Deshalb scheint das Melodram in seiner vollendeten Form besser als andere Genres imstande zu sein, die Muster von Herrschaft und Ausbeutung, wie sie in einer gegebenen Gesellschaft existieren, wiederzugeben, besonders die Beziehung zwischen Psychologie, Moral und Klassenbewußtsein. (Elsaesser 1994: 123)

Die typisch melodramatische Sehnsucht nach gesellschaftlicher Anerkennung und Eingliederung klingt in den Filmen mit, wird jedoch selten erfüllt. Die in allen hier vorgestellten Beispielen offenkundige Ablehnung der Clownsfigur durch 4 | Die Verbindung zwischen Clownsmaske und Rache werde ich in Kapitel 3.3.1.1 näher untersuchen. 5 | Unter dem Begriff der dramatischen Ironie verstehe ich das Verfahren, Elemente in die Handlung zu integrieren, die auf das Ende vorausdeuten, ohne dass sich die Figuren dessen bewusst sind.

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ihr gesellschaftliches Umfeld weicht in aktuelleren Filmen am Ende einer Neubewertung. Es ist auffällig, dass es gerade die neueren Filme sind, in denen der Clownsberuf nach der anfänglichen Ablehnung – sei es durch die Gesellschaft oder sogar durch die Figur selbst – am Ende eine solche Aufwertung erfährt. Dies wird in O Palhaço beispielsweise auch auf ästhetischer Ebene deutlich. Sämtliche Szenen, die den Zirkus und seine Mitglieder porträtieren, zeichnen sich durch eine lichtdurchflutete und traumähnliche Atmosphäre aus. Die so geschaffene märchenhafte Stimmung wird durch eine unrealistisch warme Farbtemperatur unterstützt. Die Szenen, in denen Benjamin den Ausflug in die bürgerliche Welt wagt, fallen dagegen durch ihr deutlich kälteres Licht und die karge Ausstattung auf. Neben dieser positiven Gestaltung der Welt des Clowns im 21. Jahrhundert unterscheiden sich die Filme Vulgar und O Palhaço auch dadurch von früheren Produktionen, dass die Clownsfiguren nicht sterben. Diese anerkennende Bewertung der Figur spiegelt meines Erachtens eine generelle, neue Aufwertung des Clowns, welche sich auch in aktuellen Ereignissen in Medien und Politik bemerkbar macht. Dort erfährt die Figur des Clowns als Sinnbild für alternative politische Wege, umgesetzt etwa durch die CIRCA-Gruppen, gerade eine Renaissance.

3.1.2 Der Untergang der Clownsfigur in D er bl aue E ngel als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen Der blaue Engel (DEU 1930, R: Josef von Sternberg) erzählt die Geschichte von Professor Immanuel Rath (Emil Jannings), der als strenger Lehrer am Gymnasium arbeitet und Moral und Tugend groß schreibt. Von seinen Schülern »Unrat« genannt, erfährt er eines Tages, dass sich einige von ihnen des Öfteren in der Hafenspelunke Blauer Engel aufhalten, einem Varieté, in welcher die Sängerin Lola Lola (Marlene Dietrich) auftritt. Schon bei seinem ersten Besuch, welcher noch unter dem Vorwand der Rettung seiner Schüler erfolgt, erliegt Rath den Reizen Lola Lolas. Seine Besuche häufen sich und nachdem er eine Nacht mit ihr verbracht hat, macht er ihr einen Heiratsantrag. Dieser führt zu seiner Entlassung aus der Schule, wodurch seine finanzielle Absicherung nicht mehr gewährleistet ist. Daher sieht er sich gezwungen, die Unterhaltungstruppe zu begleiten, um sein Auskommen zu sichern. Sein sozialer Abstieg wird immer drastischer, bis er am Ende des Films – zurück in seiner Heimatstadt – als Clown August öffentlich zum Gespött gemacht wird. Als er während dieses Auftritts zusehen muss, wie Lola Lola den Gewichtheber Mazeppa (Hans Albers) küsst, versucht er, sie zu erwürgen, wird aber davon abgehalten und in eine Zwangsjacke gesteckt. Davon befreit schleppt er sich alleine und gedemütigt in sein früheres Klassenzimmer, wo er an seinem ehemaligen Katheder sitzend stirbt.

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3.1.2.1 Vom Buch zum Film – Fokus der Analyse Die Analyse der Figur des Professor Rath, die hier mit besonderem Augenmerk auf seinen späteren Auftritt im Kostüm des Dummen August erfolgt, birgt auf den ersten Blick kaum Schwierigkeiten, handelt es sich doch scheinbar um einen sittenstrengen, altmodischen Professor, der ganz nach dem Stereotyp des despotischen Erziehers geformt ist. Der Film scheint seinen stetigen Fall nachzuzeichnen, den Verlust seiner äußerlich gepflegten Erscheinung, der Würde und der Selbstachtung. Dieser Plot von rise and fall ist auch im Kino nicht ungewöhnlich und vor allem für das im vorherigen Kapitel angesprochene Melodram sowie das Subgenre des Gangsterfilms typisch. Es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade der Regisseur von Der blaue Engel, Josef von Sternberg, mehrere bekannte Melodramen sowie Underworld (Unterwelt, USA 1927) gedreht hat, der bis heute als erster Gangsterfilm gilt und das Genre geprägt hat. Im Folgenden möchte ich zeigen, dass der strenge, moralisch verpflichtete und altmodische Charakter Raths eine Illusion ist, die mittels einer äußerst geschickten Inszenierung erzeugt und gleichzeitig ironisch gebrochen wird. Es handelt sich bei Rath von Beginn an um ›Unrat(h)‹, was in seiner Verkleidung und Degradierung zum Dummen August gipfelt. Dieses Ende unterscheidet den Film ebenso deutlich von seiner Romanvorlage wie die Ansiedlung in einer anderen Zeit: der Weimarer Republik statt dem Wilhelminischen Kaiserreich. Eine weitere bedeutsame Veränderung durch die Filmemacher besteht darin, dass die Hauptfigur im Roman zum Tyrann und Anarchisten wird und im Gefängnis endet, während Rath in der kinematografischen Version zum Clown (gemacht) wird und an seinem alten Schulkatheder stirbt. Die eher negativ gezeichnete Figur des Romans weicht im Film einem mitleidserregenden Mann – was im Hinblick auf die hier zu untersuchende Figur des Clowns entscheidend ist. Zeitgenössische Rezensenten übten dagegen harsche Kritik an diesen Abweichungen, da dadurch angeblich die sozialkritische Komponente des Romans verlorengegangen sei (vgl. Grisko). Im Anschluss an die hervorragende Analyse Barbara Kostas möchte ich darlegen, dass es gerade diese beiden Veränderungen sind, durch welche im Film ein zeitaktueller, gesellschaftspolitischer Kommentar erfolgt. Die Clownsmaske Raths verdeutlicht den Blick der Gesellschaft auf ihn als verlachten Repräsentanten der alten Ordnung. Rath als Vertreter des Wilhelminischen Kaiserreiches ist in der neuen Zeit der Weimarer Republik mit veränderten Werten und Befindlichkeiten nicht mehr überlebensfähig. So wird er zu einer tragischen Figur, deren soziale Hinrichtung als Clown auf der Bühne später durch ihren Tod in der Diegese zum Abschluss kommt. Die ironische Brechung des scheinbar als geschätzter Professor dargestellten Rath wird durch eine subtile Inszenierung erreicht, die sich visueller Vorausdeutungen sowie Doppeldeutigkeiten auf akustischer Ebene bedient – nicht zu Unrecht betonen beinahe alle Kritiker von Sternbergs meisterhafte Beherrschung des Tons. Dies ist umso bemerkenswerter, als es sich um einen der ersten in

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

Deutschland produzierten Tonfilme handelt und deshalb die technische Erfahrung noch nicht besonders ausgereift war. Da Synchronisationsverfahren noch nicht möglich waren, entstand der Film zur breiteren Vermarktung in zwei unterschiedlichen Sprachfassungen, Der blaue Engel und The Blue Angel (DEU 1930, R: Josef von Sternberg). Eine zeitgenössische Quelle sieht einen der Gründe dafür darin, dass eine Untertitelung zu sehr an den Stummfilm erinnerte, indem sie die darin üblichen Zwischentitel scheinbar vermehrte, statt sie durch den Ton zu ersetzen (vgl. Cinémagazine n°48, 29.11.29; zit.n. Icart 1988: 109/10). Zudem wurde das simultane Lesen und Schauen als überfordernd bewertet: Outre que cela est fort désagréable, il est matériellement impossible à un spectateur de suivre à la fois le jeu parlé des acteurs et de lire les sous-titres inscrits dans le bas de l’image. Et puis n’est-il pas paradoxal que le film parlant, au lieu de supprimer les sous-titres comme on était en droit de l’attendre de lui, les multiplie, au contraire, à l’infini? (Ebd.)

Meine Analyse wird sich auf die deutschsprachige Version beziehen, da diese als erste und Originalfassung gelten kann. Viele Dialoge blieben im Englischen unübersetzt oder wurden gekürzt (vgl. Hostettler 2014: 45/6). Das für das soziale Drama des Professor Rath bedeutsame Wortspiel mit seinem Namen Rath/Unrat ist in der englischsprachigen Fassung weggefallen (ebd.: 55), ebenso wie seine gehobene Sprechweise (ebd.: 54). Beide Merkmale sind jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, wesentlich für das Verständnis der Figur. Da die Geschichte auch in der englischen Fassung in Deutschland spielt, wird darin nur dann Englisch gesprochen, wenn es narrativ begründbar ist (ebd.: 50), was erklärt, warum viele Dialoge oder Dialogteile weiterhin auf Deutsch sind. Hostettler mutmaßt, dass von Sternberg mit dem teilweise ähnlichen Klang einiger Wörter im Deutschen und Englischen rechnete (vgl. ebd.: 52). So ist beispielsweise ein »Hinein!« Raths in der deutschen Fassung durch ein »Vorwärts« in der englischen ersetzt worden, »was näher am englischen Wort ›forwards‹ ist« (ebd.). Der Hauptgrund für meinen Entschluss, die deutsche Fassung zu untersuchen, liegt darin, dass durch den spezifischen Umgang mit der Übersetzung eine unterschiedliche Charakterisierung der beiden Protagonisten erfolgt: Obwohl der Schnitt und die Inszenierung fast identisch bleiben, wurden in den Dialogen und Liedtexten zahlreiche Änderungen vorgenommen, die schließlich für eine sehr unterschiedliche Wirkung beim Zuschauer sorgen. Die Übersetzung bestimmt die Identifikation des Zuschauers, indem sie die Persönlichkeit der zwei Hauptfiguren ändert und mal Professor Rath (in der deutschen Fassung), mal Lola (in der englischen) ins Zentrum setzt. (Ebd.: 47)

Gerade weil es hier um die Figur des Immanuel Rath geht, scheint die deutsche Fassung geeigneter. Zudem ist diese die einzige, die der vollen Kontrolle von

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Sternbergs unterlag und selbst in den USA auf mehr Zuspruch stieß (vgl. Noack 2012: 237).

3.1.2.2 »Üb immer Treu und Redlichkeit« – die Ausgangssituation des Prof. Dr. Immanuel Rath Wie in einer klassischen Erzählung üblich, beginnt Der blaue Engel mit einer Einführung in die Situation und die Figuren. Doch präsentiert diese meines Erachtens nicht nur eine Ausgangssituation, sondern bricht diese schon im Moment ihrer Darstellung ironisch. Lola Lola wird zunächst medial vermittelt präsentiert – auf Plakaten und Ansichtskarten –, bevor die sie verkörpernde Schauspielerin Marlene Dietrich in Erscheinung tritt. Sie wird dadurch von Anfang an mit dem Bildlichen und Plakativen in Verbindung gebracht (vgl. Bronfen 1999). Außerdem wird sie als Objekt der Begierde inszeniert. Dies wird nicht erst durch die lüsternen Blicke der Gymnasiasten ersichtlich, sondern gleich in der dritten Einstellung des Films. Eine junge Frau öffnet den Rollladen eines Geschäftes, wodurch ein Plakat der leicht bekleideten Lola Lola in aufreizender Pose sichtbar wird. Durch das Wasser, welches sie an die Fensterscheibe gießt, bekommt das Bild eine leicht verschwommene, halluzinatorische Qualität, was Lola Lola von Beginn an in den Bereich des Unwirklichen, des (Wunsch-)Traumes, des ›Imaginären‹ (vgl. ebd.) rückt. Das Nachahmen von Lolas Pose durch die junge Frau zeigt, dass die Sängerin nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen bewundert wird. Während Männer sie besitzen wollen, möchten Frauen so begehrt sein wie sie. Ganz anders die Einführung von Professor Rath. Von ihm erfahren die Zuschauer erstmals durch einen Schriftzug an seiner Tür. Dies verdeutlicht zweierlei: Zum einen wird das Augenmerk auf seine Titel – Prof. Dr. – gelenkt. Sein Beruf ist von besonderer Bedeutung, da sich Rath über diesen, die damit verbundenen Wert- und Moralvorstellungen sowie vor allem den sozialen Status definiert. Zum anderen fällt auf, dass wir von der Figur nicht als erstes durch ein (Ab-) Bild Kenntnis erlangen, sondern durch die Schrift. Diese verweist auf Literatur, Bildung und Wissenstradierung. Der unter den Titeln zu lesende Name »Rath« fügt sich in dieses Bild ein, indem er auf die einem Wissenschaftler und Lehrer traditionell zugeschriebene Rolle des Anleiters, Lenkers und Ratgebers hinweist. Bereits in diesen ersten Einstellungen wird also der deutliche Gegensatz zwischen beiden Figuren eingeführt. Dies hat Elisabeth Bronfen zu ihrer psychoanalytisch geprägten Interpretation geführt, dass Rath dem Symbolischen, Lola Lola hingegen dem Imaginären zugehörig inszeniert wird: [S]o wie die Heldin durch ein gemaltes Bild eingeführt wird, das sie ihrer historischen Wirklichkeit beraubt und zum Mythos erhebt, wird der Held durch ein entleertes Zeichen eingeführt, das ihn seiner Persönlichkeit beraubt und ihn auf seine symbolische Funktion reduziert. Von Anfang an sind die Protagonisten der Tragödie nicht primär als Individuen zu sehen, sondern als allegorisierte Stellvertreter zweier Bereiche. Über ihre Gestalten wird

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer im Verlauf des Films ein Wechselspiel zwischen Sadismus und Masochismus ausgetragen, das eine Parabel von der Entmachtung des Symbolischen durch das Imaginäre erzählt. (1999: 117)

Die durch die Schrift suggerierte Vorstellung der Figur wird kurz darauf durch deren Körperbild komplettiert. Dieses entspricht auf den ersten Blick dem Stereotyp des Professors. So wird Rath von einem der bekanntesten deutschen Schauspieler der 1910er bis 30er Jahre, Emil Jannings, dem »erste[n] deutsche[n] Weltstar« (Noack 2012: 15), gespielt. Er ist als älterer Mann von weißer Hautfarbe und kräftiger Statur zu beschreiben und trägt zu Beginn des Films, seinem Stand entsprechend, einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd, schwarzer Halsbinde und schwarzer Weste, die sich über seinen umfangreichen Bauch spannt. Frisur und Bart sind perfekt frisiert, auch wenn sich die Haare bereits deutlich lichten. Die Brille als klassisches Kennzeichen des Gelehrten unterstreicht seinen Beruf des Professors, der gewöhnlich mit einem sehr hohen sozialen Status und entgegengebrachtem Respekt einhergeht. Er wohnt alleine über der Schule und ist nicht verheiratet, eine Haushälterin kümmert sich um die anfallenden Aufgaben. Weitere Objekte, welche Rath zugeordnet sind, sind sein Mantel, Hut und Stock sowie ein kleines schwarzes Notizbuch – Dinge, ohne welche der Professor nie das Haus verlässt. Zunächst scheinen dieses Erscheinungsbild sowie alle erwähnten Objekte typisch für einen Professor zu sein. Wie noch zu zeigen sein wird, ist ihre Verwendung im Film weitaus komplexer und sie werden auf ironische Art und Weise zu Raths Charakterisierung eingesetzt. Auf den ersten Blick wirkt Raths Verhalten für einen Mann seines Status angemessen. So versinnbildlicht die Turmuhr, die acht Uhr schlägt, während er in der nächsten Einstellung um ›punkt Acht‹ das Klassenzimmer betritt, dass er ›pünktlich wie die Uhr‹ ist. In all seinem Handeln ist er stets extrem genau und akkurat, seine Bewegungen und Handlungen sind perfekt geordnet, geplant und wirken mechanisch und strengen, einstudierten Regeln folgend, welche zu einem stets gleich ablaufenden Tag mit strikten Ritualen führen (Frühstück, lautstarkes Schnäuzen nach Ankunft im Klassenzimmer, Studieren des Klassenbuchs, obsessives Putzen der Brille). Dazu passt der durch die Berliner Reinhardt-Bühnen geprägte Schauspielstil von Emil Jannings, der als auffällig extrovertiert, getragen und teils übertrieben beschrieben werden kann. Rath sieht sich selbst als gewissenhafter, rechtschaffener Bürger: »Ich habe die Obrigkeit nicht zu fürchten!« Allerdings scheint der Nachdruck, mit dem er diesen Satz mehrmals hintereinander ausspricht, darauf hinzuweisen, dass er sich selbst davon zu überzeugen versucht. Dies korreliert mit anderen Charakteristika des Professors wie seiner Unsicherheit und Angst, welche als Ursache eines starken Kontrollzwangs interpretiert werden können. So ist beispielsweise die Aufsicht über seine Schüler für ihn von äußerster Wichtigkeit, wie die Inszenierung durch eine Fokussierung auf Raths Blicke und seine Brille betont. Die Jungen scheinen – zumindest zu Beginn – Angst vor ihm zu haben und seine von Anfang an vorhandene Unsicherheit

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nicht zu bemerken. Dies zeigt eine Standardsituation, in der die Schüler sofort verstummen und sich auf ihre Plätze begeben, sobald sich Rath dem Klassenzimmer nähert. Raths Psyche wird auch durch seine expressive Mimik zugänglich gemacht. Sein Begehren drückt sich durch scheue Blicke auf Lola Lola und ein verlegenes Lächeln bei ihrem Anblick aus, seine Eifersucht durch eine subjektive Kameraeinstellung von Mazeppa und Lola Lola, verbunden mit einem Gegenschuss seines beinahe ausdruckslosen, starren und leeren Blicks. Die Erschließung von Raths Innenleben wird durch seine stetige Präsenz im Film wesentlich erleichtert. So ist er in beinahe allen Szenen zugegen, wodurch der Zuschauer seine Körpersprache leicht deuten kann und zugleich zu großen Teilen seine Erlebnisperspektive einnimmt. Raths soziale Beziehungen beschränken sich zu Beginn des Films auf die zu seinen Schülern und zu seiner Haushälterin. Beide sind rein professioneller Natur und entbehren jeglicher zwischenmenschlicher Nähe. So deuten die Räume, die Professor Rath zugeordnet sind, auf einen gefühllosen, nicht an emotionalen Beziehungen interessierten Menschen hin. Seine Studierstube ist eindeutig darauf ausgelegt, dass nur eine Person in ihr wohnt und erlaubt keine sozialen Interaktionen. Sie ist klein und eng, ein Eindruck, der durch die Inszenierung verstärkt wird. So verläuft ein Ofenrohr knapp unter der Decke quer durch den ganzen Raum, wodurch er optisch verkleinert wird. Zudem ist die Stube vollgestellt mit ungeordnet übereinander gestapelten Büchern, einem Globus – beides typische Attribute des Gelehrten – aber auch, wie die Haushälterin abfällig bemerkt, voller Zigarettenstummel und dem dazugehörigen Qualm. Der zweite Raum, in welchem Rath inszeniert wird, ist das Klassenzimmer. Dessen Ausstattung ist derjenigen in seiner Wohnung entgegengesetzt. Es ist spartanisch und kalt und nur mit dem Nötigsten möbliert. Im Gegensatz zu der vor Objekten überbordenden Dachstube herrscht hier strenge Ordnung. In der Öffentlichkeit wird Rath folglich in einer Umgebung gezeigt, die genau die Werte demonstriert, die er – scheinbar – vertritt: Ordnung, Disziplin und Enthaltsamkeit. Inszeniert wird eine »strikte Trennung von Privat- und Arbeitssphäre« (Eckardt 2008: 320). Entspricht das Klassenzimmer Raths äußerlicher Akkuratesse, so hinterlässt die Studierstube als Spiegelbild von Raths Innenleben einen eher bedrückenden, chaotischen Eindruck und entlarvt die nach außen getragene Ordnung als aufgesetzt – ebenso wie die im Folgenden analysierten, ironischen Brechungen.

3.1.2.3 »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich« – ironische Brechungen der Ausgangssituation Es wird demnach schnell klar, dass der geordnete und moralisch rechtschaffene Lebenswandel Raths als Maske verstanden werden kann, durch welche der Professor versucht, dem hohen gesellschaftlichen Status seines Berufsstands zu entsprechen. Seine abschließende Maskierung als Clown, soviel vorweggenommen, kann daher als Demaskierung dieser künstlichen und zwanghaften Maske des

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rechtschaffenen Bürgers und Professors interpretiert werden. Dass die eben skizzierte Charakterisierung Raths bereits von Anfang an ironisch gebrochen wird, lässt sich an vielen Momenten des Films zeigen. Ein erster Hinweis darauf ist der Vogel, dem Rath jeden Morgen zuzwitschert. Dieser ist zu Filmbeginn jedoch bereits tot. Wenngleich Raths Verhalten den Zuschauern suggeriert, dass der Vogel bis zu diesem Moment gelebt hat, ist es signifikant, dass ihn die Inszenierung nie lebendig zeigt. Der Vogel steht als Motiv, das sich durch den gesamten Film zieht, für Leben, Sexualität und Begehren: »[W] ith the death of the caged bird, the absence of life (potency) in his surroundings is symbolically underscored.« (Kosta 2009: 39) Die Formulierung Kostas »the caged bird« lenkt den Blick auf das Eingeschlossensein des Vogels und damit die ›Einkerkerung‹ des Begehrens, welche Rath zu Beginn zu kennzeichnen scheint: Er ist unverheiratet und pflegt außer zu seiner Haushälterin keinen Kontakt zu Frauen. Betrachten wir den (toten) Vogel im Käfig als dramatische Ironie, ergibt sich eine weitere Interpretation: Rath selbst verfängt sich im Käfig des Begehrens und der Doppelmoral und geht schließlich daran zugrunde. Eine weitere ironische Brechung kommt durch die Tonspur zum Ausdruck. Die Anfangscredits sind von einer intelligent angelegten Komposition untermalt. Diese vereint die beiden Titelmelodien des Films, von denen die eine Lola Lola, die andere Rath zugewiesen ist. Das scheinbar eindeutig auf den Charakter Raths hindeutende »Üb immer Treu und Redlichkeit« wird somit von der ersten Minute des Films an vom Thema Lola Lolas (»Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«) durchdrungen und antizipiert damit die spätere Vereinigung der beiden Protagonisten. Diese subtile Inszenierungsweise dürfte von den meisten Zuschauern beim ersten Sehen des Films unbemerkt bleiben, da die Verknüpfung der Melodien mit den jeweiligen Figuren erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Die Verbindung des Liedes »Üb immer Treu und Redlichkeit«, welches auf einem Gedicht von Ludwig Hölty beruht, scheint den auf Sittsamkeit und Anstand pochenden Professor anfangs widerspruchsfrei zu charakterisieren. Erst bei genauerem Hinsehen bzw. Hinhören wird die Raffinesse der musikalischen Gestaltung deutlich. Denn Mozart nutzte ebendiese Melodie, um Papagenos Arie in Die Zauberflöte zu komponieren (vgl. Dirscherl/Nickel 2000: 37/8, Kosta 2009: 125), in welcher der ›Vogelfänger‹ seinen Wunsch nach einer Frau zum Ausdruck bringt: »Ein Mädchen oder Weibchen/wünscht Papageno sich!/Ja, so ein holdes Täubchen/wär Seligkeit für mich.« Der indirekte, sublime Vergleich der begehrten Frau mit einem Vogel wird im Film durch das Vorbeiflattern einer Taube an der Uhr, die die Titelmelodie spielt, visualisiert. Möchte man den Vogel und die begehrte Frau zusammendenken, wenn nicht sogar gleichsetzen, gewinnt der Vogel in Raths Studierstube zu Beginn des Films eine weitere Bedeutung: Der Käfig, welcher die vorgetäuschte moralische Tugend versinnbildlicht, macht die Zusammenkunft von Liebendem und Begehrter unmöglich. Nur konsequent ist es daher, dass der Vogel tot ist. Denn das Begehren Raths ist durch scheinheiliges moralisches Betragen abgetötet,

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eigentlich und ursprünglich jedoch ein Merkmal seiner Figur. Die Haushälterin stützt diese Interpretation mit ihrer Bemerkung, mit der sie den Vogel emotionslos in den Ofen wirft: »Na, gesungen hat er sowieso nicht mehr.« Erst der Anblick Lola Lolas lässt das Begehren wieder aufleben – symbolisiert durch einen fröhlich zwitschernden Vogel in ihrer Garderobe am Morgen nach der gemeinsam verbrachten Nacht. Zu Raths musikalischem Leitmotiv im Film »Üb immer Treu und Redlichkeit« ist folglich festzustellen, dass der Moral und Tugend propagierende Text durch die Engführung mit Papagenos Arie einen ironischen Unterton erhält (vgl. Dirscherl/Nickel 2000: 37/8) und den weiteren Verlauf des Films quasi musikalisch vorwegnimmt. Dies ist nur eines der vielen Beispiele, welches den immer wieder gelobten meisterhaften Umgang von Sternbergs mit den neuen Möglichkeiten des Tonfilms zu erklären vermag. Ähnliches lässt sich in der ersten Szene in der Schule feststellen. Auch dort spielt ein Lied eine bedeutende Rolle: das von einem Mädchenchor gesungene »Ännchen von Tharau«, das durch das geöffnete Fenster schallt. Dieses Liebeslied bringt einerseits über die weiblichen Stimmen, andererseits durch die Thematik des Liedes das von Rath zu Beginn so tyrannisch abgewehrte Begehren in das Klassenzimmer. Dass er selbst das Fenster öffnet, kann als ironischer Kontrapunkt zu seinem Versuch der Aufrechterhaltung von Strenge und Ordnung im Unterricht gelesen werden. Die erotische Stimmung verstärkt sich noch, als sie mit der Ansichtskarte von Lola Lola in leichter Bekleidung verknüpft wird: »[W] hat appears to be the simple pleasure of the disembodied female voice singing grows more threatening when matched with an eroticized body.« (Kosta 2009: 58) Diesen Überschuss an Weiblichkeit und erotischem Begehren in Raths streng kontrolliertem ›Herrschaftsgebiet‹ dämmt er denn auch sogleich ein: Er schließt das Fenster, wodurch die Musik abrupt verstummt. Die Plötzlichkeit des Übergangs von Musik zu Stille ist auf die technischen Limitationen des frühen Tonfilms zurückzuführen (vgl. Hoffgen 2009: 36), betont jedoch auch die Vehemenz, mit der Rath um die Kontrolle der Instinkte bemüht ist. Diese subtile Unterwanderung der scheinbar so eindeutigen Charakteristika Raths wird durch die Inszenierung des Raums verstärkt. So ist seine Dachstube, die am Anfang des Films noch ein rein privater Raum ist, wie bereits erwähnt, keineswegs von der peniblen Ordnung und Sauberkeit geprägt, die er im öffentlichen Bereich an den Tag legt. Der Status des privaten, streng gehüteten Raumes wird vollends gebrochen, als er den Klassenprimus dort zur Herkunft der LolaLola-Karte befragt. Dadurch weitet er nicht nur seine Lehrtätigkeit auf seinen privaten Wohnraum aus, sondern gewährt auch dem erotischen Begehren Einzug. Offensichtliche Phallussymbole wie Raths Spazierstock und der Stift, den er im Klassenzimmer benutzt und wie einen Dirigentenstab hält, lassen zunächst auf eine sehr männliche und potente Figur schließen. Schnell jedoch wird klar, dass dies ein Teil der Maskerade ist, durch welche er sich Autorität zu verschaffen sucht. Denn sein immer wieder gezeigtes unkontrolliertes Schwenken des Stockes, verrät seine Nervosität. So findet auch Thomas Koebner, dass »er mehr einer,

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Hänseleien herausfordernden, behäbigen Spottfigur [ähnelt] als einem drakonischen Lehrer« (1997: 93). Dadurch wird sein Ende als Clown bereits angedeutet. Seine Kontrolle und Sicherheit sind nur vordergründig vorhanden und verdecken einen ängstlichen und unsicheren Charakter. Signifikanterweise ist ein zentrales Erlebnis, die Erfüllung seines größten Zieles, nicht im Bild zu sehen. Gemeint ist die mit Lola Lola verbrachte Nacht, von der wir nur durch Andeutungen erfahren, wie z.B. dass Rath mit zerzausten Haaren in Lola Lolas Bett aufwacht. Zwei Gründe lassen sich für diese Auslassung ausmachen. Einerseits ist dies auf die damalige Zensur (»Reichslichtspielgesetz«) zurückzuführen. Andererseits fällt auf, dass nicht nur Szenen ausbleiben, die nach damaligen Vorschriften zu zensieren waren, wie explizite Sexszenen, sondern auch keine harmloseren Hinweise auf eine Liebesbeziehung inszeniert werden, welche die Zensur passiert hätten, wie etwa ein Kuss. Dies lässt die Interpretation zu, dass die gemeinsame Liebesnacht nicht nur nicht gezeigt, sondern auch in der Diegese nicht stattgefunden hat. Diese Vermutung wird durch mehrere Anspielungen auf eine mögliche Impotenz Raths gestützt. So wird der Professor im weiteren Verlauf des Films des Öfteren mit einem Hahn assoziiert. Dieser steht gemeinhin für Männlichkeit und Potenz. Im Falle Raths jedoch ist er, zumindest am Ende des Films, unfähig zu krähen. Auch der Ausspruch von Guste, die Rath in der Garderobe im Weg steht (»Mensch, Sie sind ja die reinste Verkehrsstörung!«), könnte dahingehend verstanden werden. Diese doppeldeutige Lesart erhält dadurch Nachdruck, dass der Ausruf von der Tingeltangel-Sängerin Guste kommt, welche von der damals bekannten Kabarettgröße Rosa Valetti (vgl. Prawer 2002: 54) dargestellt wird. Valetti war bekannt dafür, selten ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Tatsache, dass Rath bei seinem Erwachen statt Lola Lola eine Afrikanerpuppe im Arm hält, stützt die These der Impotenz, da sie ihn in den Bereich des Kindlichen rückt und die Puppe in die Nähe von Freuds Fetisch. Zudem wurde diese Puppe zum Maskottchen Dietrichs (vgl. Kosta 2009: 14). Somit fungiert sie als Ersatz für Lola Lola, die schon nach der ersten Nacht nicht mehr neben ihm liegt: Er hat nicht sie, sondern eine Puppe in den Armen: »[R] ather than a scene of male conquest, Rath appears infantilized; the substitute love object is in his arms« (ebd.: 68). Zuletzt ist die selbst nach der Eheschließung ausbleibende Schwangerschaft Lola Lolas ein zusätzliches Indiz. Ein weiteres durch den Namen und Beruf zunächst suggeriertes Attribut Raths – seine Intelligenz – wird durch die Themenbekanntgabe für einen Schulaufsatz unterwandert: »Was wäre geschehen, wenn…äääh…Marc Anton die Grabrede nicht gehalten hätte?« Während das »äääh« auf eine die Unsicherheit des Professors hinweist, zeugt die Sinnlosigkeit der Aufgabenstellung davon, dass er bei Weitem nicht so intelligent ist, wie es der Professorentitel suggerieren mag. Ähnliches deutet die Szene an, in der er mit seinen Schülern die berühmteste Stelle aus Hamlet durchnimmt. Professor Rath geht mit keinem Wort auf den philosophischen Inhalt der Zeilen ein, sondern fokussiert einzig und allein die Unfähigkeit des Schülers, das ›th‹ [ð] richtig auszusprechen. Die Slapstick-In-

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szenierung wird dadurch zugespitzt, dass Rath bei seiner Verbesserung das ›th‹ selbst nicht korrekt ausspricht. Gleichzeitig verweist die Textstelle als dramatische Ironie auf Raths Ende. Das Notizbuch, das auf den ersten Blick als klassisches Attribut eines Gelehrten und als Symbol der Schriftkultur erscheint sowie auf Ordnung und Struktur verweist, trägt ebenfalls dazu bei, den Eindruck eines ordentlichen und strukturierten Gelehrten zu brechen. Während die Bewegungen, mit denen er es im Unterricht herausnimmt, mechanisch und einstudiert wirken und einem strengen Ritual folgen, muss er das Büchlein zu Hause erst lange suchen. Sobald Rath alleine ist, nimmt er es mit der Ordnung nicht mehr so genau. Ebenso geht es ihm mit seinem Hut, den er mehrmals verlegt. Zu Beginn des Films trägt Rath einen klassischen Herrenhut. Nachdem er diesen bei Lola Lola in der Garderobe vergessen hat, ersetzt er ihn durch einen Zylinderhut – ein Kleidungsstück der vornehmen Herren aus gehobenen Gesellschaftsschichten. Einen solchen trägt auch Kiepert, der Direktor des Tingeltangels, welcher Rath am Schluss des Films aufs Tiefste demütigen wird. Diese Figur, eindrücklich verkörpert von Kurt Gerron, funktioniert als Spiegel Raths. Bei ihrer ersten Begegnung ruft Kiepert aus: »Dann passen wir ja beide zusammen!« Rath fragt daraufhin verständnislos: »Wieso?« und Kiepert antwortet: »Kunst und Wissenschaft.« Die Ironie dieser Aussage tritt offen zu Tage, da die »Kunst« in einem Varieté-Theater gemeinhin nicht den Stellenwert genießt, den Kiepert sich durch seine Aussage zuschreibt. Gleichzeitig deutet die in dem Ausruf hergestellte Gleichstellung mit Rath an, dass dessen gesellschaftliche Position niedriger ist, als man aufgrund seiner akademischen Titel vermuten könnte. Auch der Zylinder Kieperts wird durch diese im Zitat mitklingende Ironie als leeres Symbol entlarvt, welches keinen hohen Status widerspiegelt, sondern als gehaltloses Zeichen fungiert, das nur mehr auf sich selbst verweist. Durch die im Zitat hergestellte Verbindung mit Rath wird diese Konnotation des Zylinders auch auf diesen übertragen. Die Abwertung des Statussymbols schreitet im Verlauf des Filmes weiter fort: »Bei dem letzten Auftritt im ›Blauen Engel‹ […] ist der Zylinder Unraths nur noch Anlaß für Spott und Hohn; er wird durchstochen, ist Ziel eines Pistolenschusses und sein Träger Opfer von billigen Witzen.« (Sudendorf 1996: 111-113) Die im ersten Abschnitt der Analyse beschriebenen (Charakter-)Eigenschaften Raths werden also fortwährend gebrochen und als Farce entlarvt. Dass die filmischen Figuren diese Maskerade von Beginn an durchschaut haben, zeigt der Name, mit dem sie hinter dessen Rücken von Professor Rath sprechen: »Unrath« nennen ihn seine Schüler. Weist ›Rath‹ auf einen gebildeten weisen Menschen hin, der anderen mit Rat und Tat zur Seite stehen kann, ist die Figur stattdessen in ihr unbekannten Situationen völlig ratlos, überfordert und handlungsunfähig. Ihre Gefühle sind ihr dabei ein außerordentlich schlechter Ratgeber, vor allem, da sie sich ihrer nicht bewusst ist und nicht mit ihnen umgehen kann. Um seine Unsicherheit zu überspielen, legt Rath sein aufgesetztes, erlerntes Verhalten weiterhin an den Tag, selbst noch in der ihm fremden Welt des Varietés. Dies ist

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der Situation völlig unangemessen, was ihn zu einem von den anderen Figuren Verspotteten macht und ihn aus der Gemeinschaft ausschließt. Somit ist der ihm von den anderen gegebene Name Unrath sprechend und charakterisiert seinen Platz in der Gesellschaft. Unrat verweist auf Abfall, etwas Weggeworfenes; dementsprechend kann der Name als Metapher sowie als dramatische Ironie verstanden werden, da er gleichfalls auf das Ende Raths hinweist. Von der Gesellschaft getreten und verachtet kann er seiner Funktion des Lehrers am Ende nicht mehr nachgehen. Daher wird er von der Gesellschaft nicht mehr ›benötigt‹ und von ihr ›entsorgt‹. Für diesen Umschwung sind die Erkenntnisse von Mary Douglas zum Verhältnis von Schmutz und Sauberkeit aufschlussreich. Sie zeigt, dass die Bewertung eines Objektes kontextabhängig ist und findet dafür die auch auf Rath so passende Formulierung des »dirt as matter out of place«: If we can abstracte pathogenicity and hygiene from our notion of dirt, we are left with the old definition of dirt as matter out of place. […] Dirt then, is never a unique, isolated event. Where there is dirt there is a system. […] It is a relative idea. Shoes are not dirty in themselves, but it is dirty to place them on the dining-table; food is not dirty in itself, but it is dirty to leave cooking utensils in the bedroom, or food besprattered on clothing. (1996: 44/5)

3.1.2.4 Epochenwechsel – der gesellschaftliche Bezug der Figur Der Professor ist somit nicht per se ein unreines, unerwünschtes Element, sondern wird zu einem solchen, da sich die Ordnung, in der er sich bewegt, verändert (hat). In dieses neue Ordnungsgefüge kann er sich mit seinen Wertvorstellungen nicht mehr eingliedern und wird zu Unrat. Denn Rath steht stellvertretend für eine vergangene Zeit, die von der Moderne abgelöst wird. Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts sind paradigmatisch für diesen Wandel und läuten eine neue Ära ein, die sich unter anderem durch ein verändertes Frauenbild auszeichnet. Lola Lola verkörpert dabei »the quintessential ›New Woman‹ of the Weimar Republic« (Brockmann 2010: 104). Rath hingegen vertritt die alte Ordnung »steht […] als gealterter Beamter stellvertretend für jenen Teil der ehemals gutsituierten bürgerlichen Bevölkerungsschicht, die durch die verordneten Gehaltskürzungen der Regierung Brüning direkt betroffen war« (vgl. Winkler 2000: 484, zit.n. Eckardt 2008: 315). Der Zylinderhut ist eine gute Veranschaulichung für diese Aussage, da er sein Versprechen nicht mehr erfüllt und nur noch als leeres Zeichen operiert. Besonders interessant ist, dass auch Lola Lola einen Zylinderhut trägt. Dessen Bedeutung ist derjenigen der Kopf bedeckung Raths jedoch diametral entgegengesetzt: Backstage in Lola’s dressing room, her top hat hangs next to Rath’s marking a potential egalitarian distribution of power, except that ›his‹ signifies tradition and his place in bourgeois culture, while ›her‹ represents an upheaval of traditionally gendered space and roles and deposes the familiar fixtures of culture, wreaking havoc. (Kosta 2009: 91)

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Rath hängt seinen Zylinder bei Betreten der Graderobe Lola Lolas an die Wand, wo er ihn später vergessen wird. Es handelt sich somit um ein definitives Ablegen, sodass der Zylinder nicht mehr die ihm entsprechende Stellung in der Gesellschaft zum Ausdruck bringt, sondern gerade deren Verlust. Die Tragik des Professors, die durch die Symbolik des Hutes ausgedrückt wird, liegt nicht nur im Verlust seines sozialen Status, sondern ebenso in der Tatsache begründet, dass ihm dieser durch eine Frau genommen wird. Noch dazu stammt diese aus einer nach seinem Verständnis niedrigeren Gesellschaftsschicht: A feeling that the professor of The Blue Angel shares with many who lost their fortunes in the great German inflation is that he has been flung out of his own class and made economically dependent on people he feels to be beneath him. (Prawer 2002: 63)

Lola Lola bemächtigt sich nicht nur seines gesellschaftlichen Status, sondern auch seiner Männlichkeit. Das Bild, welches man von ihr gewinnt, trägt sämtliche Züge, die traditionellerweise dem Männlichen zugeschrieben werden: das Tragen des Zylinders, das breitbeinige Sitzen auf dem Stuhl, die selbstsichere und herrische Pose. Rath hingegen wirkt, wie bereits beschrieben, nur noch als Abziehbild seiner selbst – die Symbole seiner Männlichkeit und seines Standes wie Hut und Stock werden ironisch untergraben und in ihr Gegenteil verkehrt. Schon die Raumsemantik trägt zum Eindruck einer vergangenen Ära bei, indem sie Rath in einer wenig prestigeträchtigen Arbeitergegend verortet: »Despite the prestige of his professional standing, the state of his living quarters suggests that the terms of his identity and the culture he represents are already distressed.« (Kosta 2009: 39) Lola Lola hingegen ist ein Kind der neu anbrechenden Epoche: »It is no wonder that Lola later warns him […] to watch out for the Elektrische, the streetcar, one of the motors and symbols of modernity and urban culture.« (Ebd.: 65) In ihrer außerordentlich detaillierten und aufschlussreichen Analyse des Films stellt Barbara Kosta des Weiteren fest, dass Rath durch die Musik und seine Werte der Romantik nahe steht, »whose guiding principles are based on discourses of authenticity, essence, interiority, individualism and, above all, notions of idealized love« (ebd.: 122). Diese romantische Liebe, nach der Rath strebt, ist jedoch »an ideal that belongs to a previous stage of capitalist development, one that favored the creation of strong, altruistic family units; contemporary capitalism, in contrast, is based on selfishness rather than love.« (Brockmann 2010: 108) Für diese neue Form des Kapitalismus steht Lola Lola. »[Her] performance thus resonates with the ›intention‹ of the liberal cabaret during the Weimar Republic to criticize and mock middle-class lifestyles. Cabaret songs were famous as anti-bourgeois parodies of romantic love.« (Kosta 2009: 131) Das nicht nur in ökonomischer Hinsicht unterschiedliche Weltbild der beiden Protagonisten arbeitet Werner Sudendorf anschaulich heraus:

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer Unraths Welt ist eine behauptete, aber im Grunde morsche Moral, Lola Lolas Welt dagegen ist die einer Tauschgesellschaft mit klaren Gesetzen: Erotik und Gesang gegen Unterkunft und Verpflegung, Extras gehen auf eigene Rechnung. Lola Lolas Vitalität und unverblümte Direktheit bringen die falsche Welt zum Einsturz, die sich nicht aus Lebenserfahrung, sondern nur noch aus Spruchweisheiten legitimiert. So verwandelt sich das Klassenzimmer zum chaotischen Schlachtfeld, der Professor zum Clown, der Moralsheriff zum Liebhaber und das Frauenzimmer zur Ehefrau. Es ist Unrath selbst, der die eigenen Moralbegriffe angesichts der Realitäten nicht halten kann. Lola Lola ist ein Spiegel, angesichts dessen sich Unrath zu all dem verändert, aus dessen Verachtung er bislang seine Identität gewonnen hat. Gleich nach Betreten der Garderobe wird er von Lola Lola zum Schüler degradiert: ›Ich kann unmöglich hierbleiben, ich kompromittiere Sie‹ – ›Wenn Sie schön artig sind, dürfen Sie hier bleiben.‹ Sternberg setzt Unraths Behauptungen gegen die wirklichen Verhältnisse, aber er konterkariert nicht nur Spruchweisheiten und Prinzipienreitereien, sondern verstrickt ihn in ein System belebter Requisiten. Nach dem ersten Abend im ›Blauen Engel‹ will sich Unrath erschöpft den Schweiß von der Stirne wischen, doch statt seines Schnupftuches, in das er vor dem morgendlichen Unterricht mit imponierendem Gestus hineintrompetet, hält er Lola Lolas Höschen in der Hand – der Fetisch kleinbürgerlichen Prestiges hat sich unter der Hand in den Fetisch eines alten Lüstlings verwandelt. (1996: 111)

Die von zahlreichen Kritikern analysierte drastische Veränderung der Figur des Immanuel Rath gegenüber ihrer Romanvorlage wird vor diesem Hintergrund verständlich. Konnte eine Figur wie Professor Unrath in der Wilhelminischen Kaiserzeit, in der der Roman handelt und erschien, noch überleben, ist er dazu in der veränderten Situation der Weimarer Republik nicht mehr fähig. Nicht nur die Figur, sondern auch der Schauspieler Emil Jannings gehört einer anderen Epoche an – der Zeit des Stummfilms. Jannings ist während dieser Zeit mit Produktionen wie Der letzte Mann (DEU 1924, R: Friedrich Wilhelm Murnau) oder The Last Command (Sein letzter Befehl, USA 1928, R: Josef von Sternberg) zum Weltstar geworden – beides Produktionen, die die Geschichte eines älteren Mannes erzählen, dessen – persönliche und historische – Zeit abgelaufen ist. Diesem Rollentypus ist der beleibte Körper von Jannings besonders zuträglich, wie Thomas Koebner anschaulich dargestellt hat. Koebner beschäftigt sich in seinem Aufsatz »Von der Schwäche der starken Männer« mit einem Rollentypus […], bei dem die Asymmetrie, die ›Dissonanz‹ zwischen Leib und Seele hervorsticht, bei dem der Anschein äußerer Stärke trügt, weil er einhergeht mit innerer Schwäche, als sei die Schwere dieser großen Körper auch mit einer gewissen Schwerfälligkeit des Wahrnehmens und des Reagierens verbunden. Als schütze die fleischliche Panzerung ein besonders empfindliches und gar nicht so kräftig entwickeltes Ich, wie die harte Schale den weichen Kern. (1997: 86)

Die »Schwerfälligkeit des Wahrnehmens und Reagierens«, von der Koebner spricht, die durch den Körper anschaulich wird, ist im Falle von Rath auch ein

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Nicht-Reagieren-Können, da er die in der Weimarer Republik neu entstehenden Konzepte, Kategorien, Objekte und das gesamte lockere Lebensgefühl nicht in sein Weltbild einordnen kann und daher nicht mit ihnen umzugehen weiß. Die Zugehörigkeit Raths zu einer anderen Zeit wird durch den Schauspielstil von Jannings, der dem Theater und dem sich dem Ende zuneigenden Stummfilm verpflichtet ist, ideal zum Ausdruck gebracht. Die für diese Epoche typische expressive Mimik und Gestik und die Tendenz zum Überspielen sind in Der blaue Engel noch präsent. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Rath, obwohl eindeutig als Protagonist zu bezeichnen, auffällig wenig spricht, besonders im Vergleich mit den beiden Figuren, mit denen er am meisten in Interaktion tritt. Wenn er spricht, dann Jannings Schauspielstil entsprechend in einer extrem künstlichen und übertriebenen Weise, die einem deutlich formalen Register entstammt. Seine perfekte hochdeutsche Aussprache fällt besonders im Gegensatz zu Lola Lolas ›Berliner Schnauze‹ auf. Kann diese gekünstelte und von hochtrabenden Worten durchzogene Sprechweise in der Schule noch als angemessen erscheinen, ist sie im Milieu des Blauen Engels ganz und gar unpassend und fehl am Platz. Sie charakterisiert Rath als Eindringling und Fremdkörper. Nicht nur fehlen dem Professor die passenden Worte für neue, seiner Weltvorstellung fremde Situationen, sondern er kann auch die akustischen und visuellen Zeichen im Umfeld des Blauen Engels nicht richtig deuten: Rath’s ability to see and therefore know are impeded by the information (or lack thereof) he brings to the ›text‹. Instructive here is Bourdieu’s claim that the ›capacity to see »voir« is a function of the knowledge »savoir»›, or concept, that is, the words, that are available to name visible things, and which are, as it were, programmes for perception. (Kosta 2009: 75)

Da das Berufsbild Lola Lolas in Raths Welt mit einem Tabu belegt ist, bezeichnet er sie einmal als Dame und einmal als Künstlerin. Somit wirken seine Worte oft unangemessen oder leer und bedeutungslos. Besonders sein Ausspruch: »Wir sprechen uns noch!«, den er immer dann benutzt, wenn er mit einer Situation überfordert ist, weist ironisch darauf hin, dass Rath buchstäblich die Worte fehlen. Diese frappante Sprachlosigkeit des angeblich gebildeten Menschen erreicht ihren Höhepunkt am Ende des Films, wenn er als Dummer August auf der Bühne steht und Kiepert ihm befiehlt, sein berühmtes Kikeriki zu machen, Rath jedoch stumm bleibt. Diese Szene ist ein exaktes Spiegelbild zu dem Moment, in dem Rath auf tyrannische Weise seinem Schüler die Aussprache des ›th‹ beizubringen versucht, mit dem Unterschied, dass dieses Mal er selbst der Erniedrigte ist. Lola Lola hingegen redet frei drauflos und ist fast nie stumm im Bild zu sehen. Oft wird sie singend inszeniert. Die Figur sowie insbesondere Marlene Dietrich repräsentieren die neue Zeit des Tonfilms, der, wie die Roaring Twenties in der sozialen Welt, eine neue Ära in der Welt der Medien bedeutet. Interessant ist, dass der in der Diegese erzählte und an den Figuren festzumachende Epochen-

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wechsel auch extradiegetisch stattfindet. Besonders augenscheinlich wird dies bei der Analyse der Filmplakate, die Frank Noack durchgeführt hat. So zeigt das erste Werbeplakat für die Produktion noch ausschließlich den Star Emil Jannings (vgl. Noack 2012: 8/9). Dies verwundert aus damaliger Sicht nicht, war doch »Jannings […] 1930 […] der Größte, größer vermochte er nicht mehr zu werden« (ebd.: 12). Im Jahr vor der Uraufführung des blauen Engels gewann er für The Last Command und einen Film Victor Flemings den ersten Oscar für die beste schauspielerische Leistung überhaupt. Sein ungefragter Protagonismus hielt sich allerdings nur bis zur Uraufführung des blauen Engels. Denn schon am Tag danach erschien ein neues Werbeplakat mit Jannings und Dietrich (vgl. ebd.: 9/10). Am 5. April, d.h. nur drei Tage später, gab es noch einmal ein neues Plakat, auf dem beide Schauspieler zu sehen sind – Marlene Dietrich bereits in ihrer berühmt gewordenen, freizügigen Pose auf einem Fass sitzend (vgl. ebd.: 11, 13). Die Moderne hat damit den Platz in der ersten Reihe übernommen. Ein weiteres Merkmal dieser neuen Epoche ist die Konkurrenz, in die die Bilder zur Schrift treten. Wie gezeigt wurde, wird Lola Lola mit der Bildlichkeit, Rath hingegen mit der Schriftkultur in Verbindung gesetzt. Die Bedeutung der Bilder drückt sich in der Inszenierung »des Verhältnis[ses] der Personen als das von Sehen und Gesehenwerden« (Koch 1989: 92) aus. So fokussiert die Kamera immer wieder Blicke von und zwischen Figuren. Dabei fungieren Lola Lola und vor allem ihre Beine als Schauobjekte und Objekte der Begierde, auf welche sich die Blicke der Männer richten. Auch Raths Brille, die der Film durch die Inszenierung des ausführlichen Putzens betont, lenkt das Augenmerk auf das Sehen und den Blick. Rath wird dadurch als annähernd ›blind‹ inszeniert. Besonders schön zeigt sich dies in der Szene, in welcher er durch den stäubenden Puder Lola Lolas seiner Sicht beraubt wird (vgl. Kosta 2009: 57) und die gleichzeitig eine Vorausdeutung auf die weiße Gesichtsschminke des Clowns darstellt. Seine Blindheit bezieht sich auch auf die neuen Bilderwelten der Moderne, zu deren Entschlüsselung ihm als Vertreter der Schriftkultur das Werkzeug fehlt. Wie nötig die Lesbarkeit dieser Bilder für das Überleben in der neuen Ära allerdings ist, zeigt sein tragisches Schicksal am Ende des Films: »Perhaps Professor Rath serves as an example of the grave consequences of misreading what the image means, and more provocatively, what it wants.« (Ebd.: 19)

3.1.2.5 Der Anfang vom Ende – Warnelemente und Vorausdeutungen von Raths Untergang Dieses Ende und Raths schrittweise stattfindender Niedergang werden durch eine Vielzahl von Warnelementen angedeutet und vorweggenommen. Der Name Unrath als dramatische Ironie wurde bereits ausführlich besprochen, ebenso wurde auf den toten Vogel im Käfig verwiesen. Eine wichtige Figur, welche als Omen fungiert, ist ein Clown, der des Öfteren in der Garderobe Lola Lolas zu sehen ist. Signifikant ist, dass dieser immer gerade dann zu sehen oder besonders präsent ist, wenn Rath – ohne es zu ahnen – einen entscheidenden Schritt in Richtung

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seines Untergangs geht. So erscheint der Clown zum ersten Mal dann im Bild, als Rath auf seiner Suche nach den Schülern in Lola Lolas Garderobe platzt. Bedeutsam ist, dass der Clown die Tür hinter Rath schließt und ihn damit gewissermaßen in dem Ort, der zu seinem Verderben führen wird, einschließt. Das nächste Mal ist der Clown in genau dem Moment zu sehen, als die Sängerin zu Rath sagt: »Deswegen können Se ruhig in meiner Garderobe ’n Hut abnehmen.« (Vgl. Bronfen 1999: 126, Klein 2004: 64) Rath nimmt seinen Hut ab und gibt ihn Lola Lola, die ihn achtlos auf den Tisch schleudert. Dadurch entledigt der Professor sich symbolisch der Würde und des Respektes, für die der Hut als Statussymbol steht. Mit dem Abnehmen des Hutes vor einer anderen Person ist Ehrerbietung und Respekt verbunden. Diesen zollt er auch Lola Lola, wie er es vor Damen gewohnt ist. Sein Verkennen der Situation wird dadurch offensichtlich. Auch bei seinem zweiten Besuch im Blauen Engel läuft genau dann der Clown vorbei, als Lola Lola ihm Hut, Mantel und Stock abnimmt. Das Warnzeichen, als welches der Clown somit zu verstehen ist, wird durch die Wiederholung verstärkt. Ebenso steht der Clown in einem weiteren entscheidenden Moment von Raths Untergang direkt neben diesem, nämlich als Rath zum ersten Mal eine größere Menge Alkohol trinkt. Während der Szene seines Heiratsantrags nimmt ein Plakat mit einem Clownsgesicht einen großen Teil des Bildkaders ein, wodurch der Clown als Vorbote genauso präsent ist wie die Unternehmung Hochzeit der (clownesken) Lächerlichkeit nahe gerückt wird. Nicht nur der Clown dient als Warnung vor Raths Schicksal, auch die Figuren Guste und Kiepert fungieren als Spiegelbild für das, was Rath und Lola Lola erwartet: Guste ist Lolas alter ego; die besseren Zeiten, die Guste einmal gesehen hat, sind für Lola jetzt Gegenwart. Kiepert, der Impresario und schmierige Zauberkünstler, ist ebenso wie Unrath in Frack und Zylinder gekleidet. In Statur und Gehabe stellt er die Karikatur Unraths dar. Guste und Kiepert sind warnende Boten des vagabundierenden Schicksals, denen Unrath keine Deutung geben kann. (Sudendorf 1996: 111)

Denn genau vor der Szene des Heiratsantrags stellen Guste und Kiepert sich die rhetorische Frage, warum sie eigentlich geheiratet haben. Dass ihre Ehe gescheitert ist, ist nicht zu übersehen und dass es bei Rath und Lola Lola ebenso sein wird, ist kaum zu bezweifeln. Als er bei seinem zweiten Besuch im Blauen Engel ankommt, wird Rath von Kiepert begrüßt. Im Hintergrund sind zwei Clowns zu sehen. Durch die Verdopplung der Clownsfigur im Bild sowie die Verbindung zweier Vorboten (Clown und Kiepert) wird das Warnsignal drastisch verstärkt – von Rath jedoch weiterhin nicht wahrgenommen bzw. nicht dechiffriert. Auch Kieperts Frage an Lola Lola »Was hast’n dir da für ’n Bräutigam angelacht?« funktioniert als dramatische Ironie, indem sie spätere Entwicklungen vorwegnimmt. Als weiteres Omen fungiert eine schwarze Katze, die Raths Weg in den Blauen Engel kreuzt. Auch das mehrmals zu hörende Nebelhorn wird zu einem war-

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nenden Vorboten: Vom Begehren benebelt sind die Sinne des Protagonisten, der durch eine moderne Sirene vom Weg abkommen wird. Ähnlich lässt ihn das Fischernetz, in dem er sich verheddert, sobald er den Blauen Engel betritt, als ins Netz gegangenen und zappelnden Fisch erscheinen, der einzig den Tod zu erwarten hat. Gleich als mehrfache Vorausdeutung funktioniert das Lied »O du lieber Augustin«, welches während einem der ersten Besuche Raths in Lola Lolas Garderobe zu hören ist. Durch seine Thematik des Verlustes spielt es auf das tragische Ende Raths an (vgl. Prawer 2002: 46, Kosta 2009: 121/2): »O, du lieber Augustin, Augustin, Augustin, o du lieber Augustin, alles ist hin. Geld ist weg, Mäd’l ist weg, Augustin liegt im Dreck. O du lieber Augustin, alles ist hin.« Die phonetische Ähnlichkeit von Augustin und August – der Name, mit dem Kiepert Rath später bezeichnen wird – ist dabei keineswegs Zufall. Ein weiteres Lied, welches als Warnzeichen fungiert, erklingt nach seiner ersten Nacht bei Lola Lola aus der Spieluhr in der Puppe: Es ist Schuberts »Ich hört ein Bächlein rauschen« (vgl. Schmid 1977, zit.n. Dirscherl/Nickel 2000: 39). Die Attraktion durch das vermeintliche Rauschen des Baches, welches sich als Gesang der Nixen herausstellt und das lyrische Ich in die Tiefe zieht, lässt sich auf Raths Anziehung durch Lola übertragen, der er blind und durch ihren Gesang betört in sein eigenes Verderben nachläuft. Es lassen sich somit einige Warnelemente ausmachen, die allerdings von Rath selbst nicht als solche erkannt werden. »Neither the policeman standing in front of Lola’s poster the first time, nor the foghorns, the second warning against shipwreck, can forestall him on his way to the nightclub. […] He cannot decipher the signs at the gates of this ›terra incognita‹.« (Kosta 2009: 41) Raths Verkennung der Welt des Nachtclubs und des Tingeltangels, in der sich seine überkommenen Regeln und Konventionen als unhaltbar erweisen, mündet in einen Realitätsverlust, den er durch das Festhalten an eben diesen Regeln und Konventionen zu kompensieren versucht (vgl. Jaeggi 2008: 300). So flüchtet er sich in Floskeln wie »Ich kompromittiere Sie« oder verteidigt Lola Lola gar gegen einen ihrer Freier.

3.1.2.6 »Solange ich noch einen Pfennig besitze« – Entblößung und beginnender Untergang Raths Wie die analysierten Warnelemente sowie die ironische Brechung der anfangs eingeführten Charaktereigenschaften von Rath zeigen, beginnt seine Veränderung und sein damit einhergehender Untergang bereits zu Beginn der Filmhandlung. Die subtil inszenierte Verwandlung lässt sich gut an der Szene veranschaulichen, in der Lola Lola dem Professor Puderstaub ins Gesicht bläst. Einerseits beraubt sie ihn dadurch für einige Sekunden seiner Sicht, wodurch seine metaphorische Blindheit bildlich inszeniert wird. Andererseits erinnert die weiße Farbe an die Gesichtsschminke des Clowns und kann als erster Schritt der äußerlichen Veränderung zu dieser Figur angesehen werden. Lola Lola bürstet ihn daraufhin sauber, streichelt ihn am Kopf und krault ihn – wie einen Hund – am Kinn. Durch

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diese Assoziation wird Rath zu einem nicht-menschlichen und unselbstständigen Wesen degradiert und als Mensch abgewertet. Dies beschreibt das Bild, das die übrigen Figuren im Film von Rath haben. Die spätere Maskierung als Clown ist schließlich nur letzter visueller Ausdruck der abwertenden Konnotation, die dem Clown und dadurch der Figur des Professor Rath anhaftet. Eingeleitet wird sein Untergang in dem Moment, als er sich zum ersten Mal auf den Weg in den Blauen Engel macht. Dort kommt er sprichwörtlich vom Wege ab, wie Michael Eckardt anschaulich herausgearbeitet hat: In beiden Einstellungen [des Weges zum Blauen Engel] kommt Rath stets von rechts vorne ins Bild und geht auf die Mitte, also nach links, zu. Ein derartiger Kamerastandpunkt wird gewöhnlich dazu benutzt, um zu zeigen, daß eine Figur von etwas ›weg‹ geht. Der Weg Raths zum Blauen Engel wird demnach als eine Art Wegführen dargestellt. Die dunklen Gassen, die Schatten, die Prostituierten und die Geräuschkulisse einer Hafengegend machen deutlich, in welcher zwielichtigen und schlecht beleumundeten Gegend sich der Professor aufhält und er dort – er blickt sich suchend nach dem Weg um – nicht zu Hause ist und auch nichts zu suchen hat. (2008: 325)

Es handelt sich folglich um eine Grenzüberschreitung. Eine solche Transgression ist in beinahe allen Gesellschaften mit einem Tabu belegt, dessen Missachtung mit Sanktionen einhergeht – in Raths Falle ist die Übertretung von solchem Ausmaß, dass sie sogar zum Tode führt. In der beschriebenen Szene wird Rath zum ersten Mal im Außenraum inszeniert, welcher traditionell mit einer gewissen Schutzlosigkeit assoziiert wird. Das Freudenmädchen, das rauchend im Hauseingang steht, verwirrt ihn sichtlich, da er diesen Anblick mit den Konzepten seines Weltbildes nicht in Einklang bringen und entziffern kann. Er befindet sich bereits in einer fremden und für ihn unpassenden Umgebung. Dies manifestiert sich durch eine Zäsur in der Bildgestaltung des Professors. Während der ersten Szenen, in denen er noch ›Herr im Hause‹ ist, zeigt ihn die Kamera vorwiegend alleine im Bild und vor einer meist einfarbigen Kulisse, wodurch er stark vom Bildhintergrund abgehoben ist. Die Räume, in denen er sich befindet, sind – mit Ausnahme der Studierstube als Einblick in ein latent verworrenes Inneres – geordnet, strukturiert und nicht überfrachtet. So erweckt er einen dominanten und die Situation kontrollierenden Eindruck. Sein Weg zum Blauen Engel läutet eine Veränderung ein. Auf diesem wird er zum ersten Mal in einem eher unübersichtlichen Bildausschnitt gezeigt, in dem er nicht mehr das hervorstechende Element ist. Dies setzt sich im Inneren der Spelunke fort. Als Rath Lola Lolas Garderobe betritt, schaut er suchend umher und ist dabei drei Mal im Bild zu sehen – einmal direkt von der Kamera fokussiert und zweimal in Spiegeln hinter einer spanischen Wand.

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Abbildung 5: Rath im Spiegel in Lola Lolas Garderobe. Screenshot aus Der blaue Engel.

Dadurch dominiert er nicht mehr das Bild wie zuvor und ist zudem in Bewegung, kein ruhender Fels in der Brandung mehr. Zugleich deutet der Spiegel als beliebtes Stilmittel zur Verbildlichung multipler Identitäten oder der generellen Suche nach der Identität darauf hin, dass der bis dahin suggerierte Schein trügt und die strenge Maske des Professors nur eine unter vielen ist, welche nun nach und nach zum Vorschein kommen. In Lola Lolas Garderobe wird er dann in einem derart unübersichtlichen Bildausschnitt gezeigt, dass er sich kaum mehr von der überladenen Szenerie abhebt und beinahe mit ihr verschwimmt. Nicht nur bildsprachlich hat der Professor seine herausragende Stellung bereits eingebüßt. Abbildungen 6-7: Rath vor einem klar strukturierten und einem unübersichtlichen Hintergrund. Screenshots aus Der blaue Engel.

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Raumsemantisch ist sein Eintritt in die Welt des Blauen Engels noch in einer weiteren Hinsicht interessant. Bis zu diesem Moment herrschte in seinem Leben eine »strikte Trennung von Privat- und Arbeitssphäre« (Eckardt 2008: 320). Im Blauen Engel angekommen, ist er bemüht, sein Gesicht nicht zu verlieren, und betont deshalb wiederholt, dass er in amtlicher Eigenschaft dort sei und Lola Lola seine Schüler verführe. Dies erklärt er mit erhobener Nase – für einen kurzen Moment fühlt sich der Professor wieder als solcher und ganz in seinem erzieherischen Element, was ihm ein Stück Selbstsicherheit verleiht. Dass diese Taktik statt seine Ehre zu retten ihn gänzlich ins Verderben stürzt, zeigt die Tatsache, dass dies die definitive Aufhebung der Trennung von privatem und dienstlichem Raum bedeutet, denn sein Ausflug wird schnell zu einem privaten Unternehmen. So begrüßt ihn Lola Lola schon bei seinem zweiten Besuch mit den Worten: »Na, heute sind Se wohl nich in amtlicher Eigenschaft hier?« Und auch ein kurzer Dialog mit seinen Schülern legt seine Absichten offen. Rath: »Was suchen Sie hier?« – Schüler: »Dasselbe was Sie hier suchen, Herr Professor.« Diese Verbindung zweier unterschiedlicher Räume, die mit je verschiedenen Lebensbereichen einhergehen, wird durch den Zwischenraum, den die Garderobe bildet, perfekt dargestellt, wie Thomas Klein erkannt hat: »So wie die Garderobe ein Zwischen-Raum ist, der Bühne und Alltag miteinander verbindet, so nimmt Rath noch eine Zwischenposition ein zwischen seiner bürgerlichen Existenz und jener, der er sich wird verschreiben müssen: der des Varietés.« (2004: 61) Dieser Status der Garderobe als Zwischenraum wird auf der Tonspur unterstrichen. Jedes Mal, wenn sich die Tür zur Bühne öffnet, dringt die dort gesungene Musik in die Garderobe. Das Schließen der Tür bewirkt plötzliche Stille. Wie im Zusammenhang mit dem Lied »Ännchen von Tharau« angemerkt, ist diese Plötzlichkeit auf die sich noch in den Anfängen befindliche Tontechnik zurückzuführen. Gleichzeitig ist sie dramaturgisch perfekt integriert: In der Garderobe oszilliert seinerseits Rath zwischen zwei Polen: dem Versuch, das hehre Bild, welches andere seiner Meinung nach von ihm haben, zu bewahren, und dem Hingezogensein zur Musik und der verführerischen Frau. Die akustische und die visuelle Gestaltung der Figur verlaufen ab dem ersten Betreten des Blauen Engels konträr zueinander. Raths seriöses und auf einen gestandenen Mann hinweisendes Erscheinungsbild steht in einem komischen Widerspruch zu seiner hohen und säuselnden Stimme, die auf ein völliges Eingenommensein von Lola Lola bzw. seiner eigenen Gefühlswelt deutet. Er scheint von neuen und unbekannten Gefühlen überwältigt und verunsichert zu sein. Der Professor ist verwirrt und desorientiert und hebt immer wieder seinen Stock im Bemühen, sich Autorität zu verschaffen. Dass er damit kläglich scheitert, zeigt seine Körperhaltung. Er neigt sich abwehrend nach hinten, wird oft in die Ecke gedrängt und wendet scheu den Blick ab. Zur Beruhigung möchte er unwillkürlich auf seine Gepflogenheit des obsessiven Brilleputzens zurückgreifen, da ein solches Ritual gewöhnlich Halt, Orientierung und dadurch Sicherheit verspricht. Dazu kommt er aber nicht, da in der Garderobe ständig etwas oder jemand in Be-

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wegung ist und ihn von seinem Vorhaben abbringt. Dass Rath in diesem Moment die Brille nicht aufhat, ist ebenfalls bezeichnend, unterstreicht es doch seine metaphorische Blindheit, die ihn nicht erkennen lässt, ›was Sache ist‹. Erst als die Klingel Lola Lola auf die Bühne ruft, setzt sich der Professor seine Brille wieder auf. Lola Lolas Verschwinden geht mit der – vorübergehenden – Wiedergewinnung seiner Souveränität einher. Unsicherheit, Verwirrung und vor allem das klägliche Scheitern beim Versuch, seine Autorität zu behaupten, sind auch typische Eigenschaften des Clowns. Mit dieser Figur teilt Rath von Beginn des Films an noch weitere Merkmale. Die Szene, in der er seinem Schüler die richtige Aussprache des englischen ›th‹ beizubringen versucht, ist slapstickhaft und Rath wirkt wie ein Clown. Seine übertriebene Pedanterie und seine mechanischen und rituell ablaufenden Bewegungen und Gesten wirken lächerlich und unangepasst. Generell ist ihm ein für den Clown typisches Wollen-aber-nicht-Können zu attestieren. Zudem sind die ihm entgegengebrachte Verachtung und die daraus resultierende Marginalisierung wesentliche Charaktermerkmale des Clowns, welche auch auf (Un-)Rath zutreffen. Die Szene, welche uns vermuten lässt, dass er die vergangene Nacht mit Lola Lola verbracht hat, ist in dieser Hinsicht ebenfalls aufschlussreich. Er erwacht mit zerzausten Haaren, die an die Perücke des Dummen August erinnern, sowie der besagten Afrikanerpuppe in der Hand. Er beginnt mit dieser zu spielen, bevor er sie achtlos weglegt, weil etwas anderes seine Aufmerksamkeit fesselt. Dieser Umgang erinnert an das typische Spiel eines Kindes. Sowohl das Spiel an sich als auch die dadurch hervorgerufene Assoziation mit dem Infantilen sind charakteristisch für den Clown. Zum Kind wird er bereits in einer früheren Szene von Lola Lola degradiert: »Wenn Sie hübsch artig sind, können Se dableiben.« Die angedeutete Impotenz Raths rückt ihn ebenfalls in die Nähe des Clowns. Eine mögliche Erklärung für dessen häufige Beschreibung als asexuelles Geschöpf ist, dass er weniger als menschliches denn als rein funktionelles Wesen agiert, welches einen Auftrag in der Gesellschaft ausführt. Durch all diese Konnotationen ist Rath beinahe von Beginn an ein clownesker Charakter zu attestieren. Nach der einleitenden Grenzüberschreitung auf dem Weg zum Blauen Engel geht er den definitiven Schritt zu seiner Verwandlung bei seiner Hochzeitsfeier. Zur Erheiterung der Anwesenden – der Truppe des Tingeltangels – zaubert ihm der Direktor Kiepert Eier aus der Nase. Belustigt ›gackert‹ Lola Lola wie ein Huhn, worauf Rath mit einem schmetternden »Kikeriki!« antwortet. Das schallende Lachen seines Publikums ermuntert ihn, weiterzumachen und er kräht immer lauter und immer schneller hintereinander. Er selbst macht sich lächerlich, um andere zum Lachen zu bringen – genauso wie ein Clown. Der in der Figur des Professor Rath angelegte clowneske und lächerliche Charakter wird im weiteren Verlauf des Films allerdings keineswegs verstärkt und weiter ausgebaut. Stattdessen wird diese Eigenschaft immer mehr zurückgedrängt, und Rath zu einer passiven Marionette, die nur noch ausführt, was Lola Lola und Kiepert von ihm verlangen. Da er aufgrund der Beziehung zu Lola Lola vom Schul-

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dienst suspendiert ist, kann er sich nicht mehr selbst versorgen und wird von den beiden abhängig. So muss Rath beispielsweise der erniedrigenden Aufgabe nachgehen, Pin-up-Bildchen von Lola Lola zu verkaufen, über die er sich noch in der vorherigen Szene entrüstet hat: »Solange ich noch einen Pfennig besitze, werden diese Postkarten nicht verkauft.« Besonders spannend im Hinblick auf Maske und Kostüm ist deren kaum bewusst auffallende, da schleichende Veränderung. So wirkt der Anzug Raths ab der Szene, in der er die Postkarten verkauft und sein Niedergang damit schon sehr weit fortgeschritten ist, nicht mehr leuchtend schwarz, sondern grau. Auch das vormals weiße Hemd erscheint gräulich und ist kaum noch unter seiner abgetragenen Anzugsjacke zu erkennen. Dies bestätigt die im theoretischen Kapitel beschriebene These Jane Gaines’, nach welcher die Kostümierung narrative Entwicklungen bis zu einem gewissen Grade antizipieren kann. Denn der deutlich herabgesetzte Kontrast kann auf die Konturlosigkeit der Figur übertragen werden, die immer passiver wird und ihre eigene Identität und Integrität nicht länger gegen das sie ereilende Schicksal zu verteidigen im Stande ist. Rath hat jegliche Gegenwehr aufgegeben und lässt sich immer mehr gehen, was zu seinem desolaten Äußeren beiträgt, wie Kiepert abwertend bemerkt: »Lassen Sie sich lieber rasieren, wie seh’n Sie denn aus? So kann man kein Geschäft machen.« Zu diesem verwahrlosten Eindruck tragen die ungepflegten Haare Raths bei, die zerzaust zu beiden Seiten abstehen und damit bereits die klassische Perücke des Clowns vorwegnehmen, die er sich nur wenige Minuten Erzählzeit später aufsetzen wird. In dieser Hinsicht kann Thomas Koebners Interpretation des Protagonisten aus Der letzte Mann, ein alter Hotelportier, der mit seiner Livree seine Würde verliert, auch für Rath geltend gemacht werden: »Die scheinbare Kraft dieses Körpers war offenbar durch die Uniform vorgetäuscht worden; nun, da sie weggerissen ist, tritt ein schockierender entmenschlichender Verfall ein.« (1997: 90) Dieser wird immer weiter fortschreiten, bis er am dramatischen Höhepunkt des Films seine Kulmination erfährt.

3.1.2.7 »August, mein Zauberlehrling« – die Ver wandlung des Professors in den Clown Dieses Moment wird durch zwei Szenen eingeleitet, in denen Rath sich als Dummer August schminkt bzw. geschminkt wird. Einen ersten Hinweis für ihre Interpretation liefert die Platzierung. Die erste ›Schminkszene‹ folgt auf eine außerordentlich demütigende Szene, in der Rath Lola Lola beim Anziehen ihrer Seidenstrümpfe helfen muss. Dabei müht er sich ungeschickt ab und scheitert kläglich – eine typisch clowneske Eigenschaft. Für die Wahrnehmung des Films als phänomenales Erlebnis sind gerade diese Strümpfe von immenser Bedeutung. Durch sie werden die Beine Marlene Dietrichs, welche Gegenstand unzähliger Kommentare zu dem Film waren und sind und die Bedeutung der Figur als Schauobjekt unterstreichen, prominent im Bild inszeniert und zur Schau gestellt. Sie weisen jedoch noch auf etwas Anderes hin: Wie erwähnt lassen sich die

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

beiden Figuren je einer Epoche der deutschen Geschichte zuordnen. Verkörpert Rath – wenngleich nur vordergründig – die Werte des Wilhelminischen Kaiserreichs, in dem es als Frau tabu war, überhaupt nur ein Stück Bein zu zeigen, steht Lola Lola für den freizügigen und lockeren Lebenswandel der Roaring Twenties. Die nun folgende Schminkszene mit Raths Verwandlung in einen Dummen August lese ich als visuellen Ausdruck des bis dahin immer auswegloser werdenden Scheiterns und Raths Demütigung. Immanuel Rath sitzt, wie in beinahe allen gesichteten Filmen bei der entsprechenden Maskierungsszene, vor einem Spiegel. Die Bedeutung der Szene wird dadurch unterstrichen, dass sie als Großaufnahme inszeniert ist, wodurch Rath stark fokussiert wird. Michael Eckardt zählt bei 508 Einstellungen nur zwölf Großaufnahmen (2008: 309), was die Einstellung weiter heraushebt. Raths Blick ist gesenkt, sein Gesichtsausdruck wirkt traurig und abgekämpft. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass nicht etwa die Figur selbst im Bildkader zu sehen ist, sondern einzig ihr Spiegelbild. Der ehemalige Professor ist nicht mehr er selbst, sondern nur noch ein Abbild seiner früheren persona. Wie für einen Clown üblich schminkt er sich selbst – zumindest in dieser ersten Szene. Er zeichnet mit großer Sorgfalt einen Strich über das Auge, greift jedoch nach nur wenigen Sekunden zur Zigarette. Sein darauffolgender Husten zeigt, dass der stetige Verfall seinen Körper ergriffen hat und es nicht allzu gut um seine Gesundheit steht. Auch seine fettig und ungekämmt wirkenden Haare zeigen die fortschreitende Verwahrlosung des ehemaligen Professors. Als nächstes nimmt er eine Gumminase, die bezeichnenderweise auf einer Schnapsflasche steckt, und setzt sie sich auf. Bei der Maske Raths handelt es sich somit, wie bei vielen Clowns, um eine Schminkmaske in Kombination mit einer Aufsatzmaske und einer Perücke. Auffällig ist, mit welcher Sorgfalt er sich schminkt und seine Nase und Perücke aufsetzt und in Position bringt. In einem kurzen Moment blickt er beinahe eitel in den Spiegel und streicht sich über den Bart – durch den Rückgriff auf diese eingespielte, rituelle Geste scheint er eine gewisse Stabilität und Sicherheit erreichen zu wollen, um seine Erniedrigung zu verdrängen. Diese holt ihn jedoch sofort wieder ein. So betritt der Direktor der Truppe die Garderobe mit dem Kommentar: »Na Professorchen, wie geht’s denn heute?«, wobei der abwertende Diminutiv zeigt, dass er den Status, der mit seinem früheren Beruf verbunden war, längst eingebüßt hat. Die abwertende Haltung wird überdies daran sichtbar, dass er Rath duzt, während dieser ihn siezt. Lola Lola unternimmt zwar noch einen Versuch zu seiner Verteidigung, die Tatsache, dass sie sich mit Kiepert vor Rath über diesen unterhält, macht die Respektlosigkeit beider jedoch evident. Die zweite Schminkszene ist in vielerlei Hinsicht noch erniedrigender für Rath. Zum einen findet sie in seiner Heimatstadt im Blauen Engel statt – eine schmerzliche Erinnerung an den Ort, der seinen Abstieg eingeleitet hat. Zum zweiten trägt Kiepert selbst ihm die weiße Farbe auf, allerdings wesentlich gröber und mit deutlich weniger Sorgfalt. Wird er zunächst noch durch sein eigenes Zutun zum Clown, hat er am Ende nicht einmal mehr darüber die Macht. Da-

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mit nicht genug, hält Kiepert nach getaner Arbeit die Hände von sich, als habe er eine abstoßende Substanz an den Fingern, und wischt sich schließlich völlig respektlos die Hände an Raths Kleidung sauber. Sein Kommentar: »Der heutige Abend ist entscheidend für deine ganze Karriere. Wenn jetzt alles klappt, bist du ein gemachter Mann.« Dies kann ob des jämmerlichen Anblicks Raths nur als böser Witz verstanden werden. Die Demütigung nimmt kein Ende: Während Kiepert Rath unsanft die Gumminase aufsetzt, betritt der Wirt die Garderobe und verkündet, dass der zweite Bürgermeister da sei. Wenn dies auf den ersten Blick als Ehre erscheint, zeugt die Tatsache, dass es sich nur um den zweiten Bürgermeister handelt, von dem Stellenwert, welcher Rath von offizieller Seite aus beigemessen wird. Noch stärker kommt die Verachtung in der darauffolgenden Szene zum Ausdruck. Kiepert kündigt den Zuschauern »Professor Immanuel Rath« an, doch muss er zunächst alleine auftreten, da Rath sich weiterhin standhaft weigert, vor einem Publikum zu erscheinen, in dem Stadtgranden, ehemalige Kollegen und Schüler sitzen. Der Direktor entschuldigt sich für die Pause, die er mit einer »technischen Störung« begründet – Rath wird von Kiepert kaum mehr als Mensch wahrgenommen. Für ihn ist er auf seine Funktion reduziert, durch seine Bekanntheit in der Stadt als ›gefallener‹ Professor für ein volles Haus zu sorgen. Als er es schließlich doch noch schafft, Rath zum Auftreten zu bewegen, stellt Kiepert ihn mit »August, mein Zauberlehrling« vor. Dieser Begriff erinnert unweigerlich an das berühmte Gedicht Goethes. In diesem verwandelt der Protagonist einen Besen in seinen Knecht, um ihn Wasser für ein Bad holen zu lassen. Er möchte genießen, ohne sich selbst dafür anstrengen zu müssen. Dies endet beinahe in einer Katastrophe, da er nicht mehr in der Lage ist, den Knecht zurückzuverwandeln und dieser so lange weiter schöpft, bis das ganze Haus unter Wasser steht und das lyrische Ich zu ertrinken droht. Erst im letzten Moment kann ihn der Zaubermeister retten. Auch Rath möchte die schöne Lola Lola genießen. Hier gibt es jedoch keinen Meister mehr, der ihn erlösen könnte oder wollte, weshalb er dem Untergang geweiht ist. Das erste, was Kiepert macht, nachdem er Rath als seinen Zauberlehrling vorgestellt hat, ist, ihm seinen Zylinderhut abzunehmen. Tut er dies vordergründig, um den anwesenden Zuschauern zu beweisen, dass es sich um einen ganz gewöhnlichen und nicht manipulierten Zylinder handelt, dient diese Handlung gleichzeitig dazu, den Fokus der Aufmerksamkeit auf dieses Statussymbol zu lenken. Kurz danach zersticht der Direktor den Hut – eine eindeutige Metapher für das nun ebenfalls endgültig zerstörte Ansehen Raths. Auf dessen ehemaligen Beruf und damit verbundenen und jetzt verlorenen sozialen Status spielt der Direktor an, wenn er ausruft: »Warn’s doch schließlich mal Professor!« Nachdem Kiepert eine Taube unter dem Zylinder Augusts ›hervorgezaubert‹ hat, bemerkt er: »Und schon hat mein August keinen Vogel mehr!«, was schallendes Gelächter beim Publikum hervorruft. Ruft man sich die zu Beginn des Films erfolgte Gleichsetzung des Vogels mit der Geliebten in Erinnerung, bedeutet dies neben der offensichtlichen Kränkung, dass Rath Lola Lola in diesem Moment

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

endgültig verliert. Für Rath wird der Auftritt zur sozialen wie emotionalen Hinrichtung. Das Publikum des Varietétheaters, welches die neu angebrochene Zeit der Roaring Twenties verkörpert, entledigt sich seiner durch Rath dargestellten Vergangenheit, um seine eigene, neue und moderne Identität zu festigen. Dieser symbolischen Hinrichtung auf der Bühne wird sein tatsächlicher Tod am Ende der Erzählung folgen. Eine Figur wie Rath als Repräsentant des alten Wertesystems ist in der neuen Gesellschaftsordnung nicht überlebensfähig. So schreibt Thomas Koebner über das Figurenmuster als »in Szene gesetzte Angstvorstellung: ein ›standesbewusster‹ Bürger muß die Bindung an eine ›Sozialform‹ aufgeben, die ihm (fragwürdige) Autorität, Selbstachtung und körperlich-moralische Haltung verleiht« (1997: 94). Rath selbst zeigt kaum eine Reaktion auf diese Demütigungen, sein zwischen entrückt und entsetzt changierender Blick fällt ins Leere: »Ihn überfällt Schwindel vor einer plötzlich fremd gewordenen Welt, in der nichts mehr für ihn Bestand hat. Er droht zu versinken, zu verkommen – auch körperlich.« (Ebd.) Erst als sein durch subjektive Kameraeinstellungen eingefangener Blick hinter die Bühne fällt, wo er Lola Lola beim Kuss mit dem Schwergewichtskünstler Mazeppa ertappt, beginnt er zu reagieren. Nachdem er zu Anfang in seiner schockartigen Entrückung das berühmt gewordene und von Kiepert und dem Publikum sehnlichst erwartete Kikeriki verweigert hat, holt ihn der Anblick von Lola Lola und Mazeppa in die Realität zurück und lässt ihn das Kikeriki ausstoßen – allerdings in schmerzverzerrter Form. Die Assoziation mit dem »Hahn-rei«, dem betrogenen Ehemann (vgl. Hoffgen 2009: 39), ist unweigerlich. Der offene Ehebruch Lola Lolas ist die Kulmination der bis dahin von Rath erfahrenen Demütigungen. Er wird vor allen Augen entblößt und lächerlich gemacht, was primär anhand von Bildern erzählt wird. Das Bild des Dummen August ist dafür vortrefflich geeignet, steht diese Figur doch, allein durch den Namen, wie wenige andere für den Naiven, Lächerlichen, Dummen und Gedemütigten. Daher kann die Maskierung Raths als visueller Ausdruck dieser Entblößung – als Demaskierung gelesen werden. Sie legt offen, was er eigentlich von Anfang an ist – jemand, den die übrigen Figuren verlachen: zunächst heimlich, am Ende im Blauen Engel schließlich offen und unverhohlen. Das Bild wird somit aufgerufen, um bei den Zuschauern die entsprechenden Assoziationen zu wecken und auf die Figur des Immanuel Rath zu projizieren. Dadurch wird die bereits vorher einsetzende Veränderung des zu Beginn etablierten Figurenmodells endgültig bestätigt. Dadurch, dass sie am Ende des Films erfolgt, wird sie durch kein späteres Ereignis mehr verändert oder angepasst. Interessant ist eine Analyse, ab welchem Moment Rath für die unterschiedlichen Rezipienten als »August« wahrgenommen wird: Für die Figuren, die zu Beginn des Films mit ihm zu tun haben, ist er von Anfang an ein lächerlicher Clown – die aus vergangenen Zeiten herrührende eiserne Disziplin und aufgesetzte Moral sind nicht mehr zeitgemäß. Dies wird durch die ironischen Brechungen bei seiner Charakterisierung nach und nach auch für die Filmzuschauer deutlich. Spätestens in der Schminkszene wird diese Ansicht auch im Bild offensichtlich.

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Dem diegetischen Publikum, welches der Vorstellung im Blauen Engel beiwohnt, wird von Kiepert zunächst gesagt, dass es sich bei der Hauptattraktion des Abends um Professor Immanuel Rath handle. Erst als dieser die Bühne betritt, stellt er ihn als »August, mein Zauberlehrling« vor. Demnach verwandelt er sich für das (diegetische) Publikum, welches zwar seinen unrühmlichen Abschied aus dem Schuldienst, nicht aber die Tragweite seines Falls miterlebt hat, in genau dem Moment, in dem er als Clown verkleidet die Bühne betritt, in August, den Clown. Der Film eignet sich daher gut, um die Bedeutung des Publikums für die Bewertung von (Clowns-)Figuren zu verdeutlichen. Während der Vorstellung wird wiederholt auf das Lachen des diegetischen Publikums geschnitten. Dadurch wird betont, dass Professor Rath als Dummer August innerhalb der Diegese die klassische clowneske Funktion des lustigen Spaßmachers erfüllt. Das Lachen bleibt nur in den Momenten aus, in denen er sein lange erwartetes Kikeriki verweigert sowie als er dieses dann schließlich schmerzverzerrt hervorbringt. Die Kinozuschauer hingegen können über diese demütigende Vorstellung kaum lachen. Eine Begründung hierfür liefert das von Murray Smith in seiner Arbeit zu der filmischen Figur als zentrales Konzept herausgearbeitete spatio-temporal attachment, mit dem die Begleitung einer Figur über den Filmverlauf hinweg gemeint ist. Diese führt zu einer Annäherung der Wissens- und Erlebnisperspektive von Zuschauer und Protagonist, weshalb die Filmzuschauer den dramatischen Abstieg der Figur verstehen und mitfühlen können. Im Falle von Rath ist dies in besonderem Maße gegeben, ist er doch in beinahe allen Szenen zugegen. Während die filmischen Figuren den tragischen Abstieg von einer ehemals hoch angesehenen Position nicht mitverfolgt haben, verfügen die Filmzuschauer über genau diese Information. Dadurch sehen sie den Gescheiterten und Lächerlichen, ebenfalls Eigenschaften des Clowns, für welche die Maske als Zeichen steht. Jedoch sind sie sich bewusst, dass die Maskierung hier nicht nur, wie üblich, einen komischen Rahmen markiert, sondern dies nur vom diegetischen Publikum so verstanden wird. Für die Filmzuschauer hingegen ergibt sich die Situation einer Vermischung von Figur und Bühnenfigur. Dadurch können sie keine Erheiterung aus der Vorstellung gewinnen. Die meisten Figuren im diegetischen Publikum teilen dieses Vorwissen nicht – sie sehen und interpretieren die clowneske Erscheinung innerhalb eines komischen Rahmens. Die Wahrnehmung einer kostümierten Figur als Clown hängt somit einerseits vom Vorwissen der Zuschauer ab, andererseits vom Rahmen, in welchem die Figur auftritt sowie von dessen Einordnung und Bewertung von Seiten des Publikums. Ein Filmbeispiel, welches ebenfalls die unterschiedliche Bewertung einer Figur abhängig von der Zuschauersituation verdeutlicht, ist Jump (USA 1999, R: Justin McCarthy). Eine der Hauptfiguren steht als Clown verkleidet vor einem Restaurant. Im Rahmen einer Marketingaktion verteilt dieser Luftballons an Kinder. Er raucht vor dem Restaurant, als sich ein kleiner Junge nähert. Dieser bittet ihn um einen Ballon und fragt, warum er rauche, denn »clowns don’t smoke«. Die Reaktion des Clowns ist, den Jungen fortzuschicken und ihn sogar zu be-

3.1  Die Clownsmaske als Ausdruck der Beur teilung anderer

schimpfen. Das Kostüm steht demnach auch hier im Widerspruch zu der mit ihm in der Diegese verbundenen Erwartungshaltung. Statt des typisch clownesken Verhaltens zeigt die Figur ein davon stark abweichendes Benehmen. Dennoch erzeugt er damit Lachen – zwar nicht für den kleinen Jungen, aber für uns, das Kinopublikum. Damit ergibt sich in diesem Film eine Situation, die zwar derjenigen im Blauen Engel entgegengesetzt ist, jedoch ebenfalls die Abhängigkeit der Beurteilung der Clownsfigur vom Zuschauerwissen thematisiert.

3.1.2.8 Professor Rath als Clown – Resümee Abschließend möchte ich der Frage nachgehen, inwiefern der Figur des Immanuel Rath ein clownesker Charakter attestiert werden kann. Wie die Analyse gezeigt hat, fällt die Bewertung von Rath als Clown unterschiedlich aus, je nachdem von welchen Rezipienten – dem diegetischen Publikum oder den Filmzuschauern – ausgegangen wird. Außerdem besteht ein Unterschied zwischen den Szenen mit und denjenigen ohne Clownskostümierung bzw. -maskierung. Es fällt auf, dass die Figur bereits zu Beginn des Films, als sie noch konsequent im Anzug zu sehen ist, wesentliche clowneske Merkmale aufweist. Ihre Clownsmaskierung am Ende geht dagegen mit einem Ablegen der meisten dieser Merkmale einher. Für das diegetische Publikum ist Rath als August zwar noch für kurze Zeit komisch und funktioniert als Entertainer, am Ende begreifen jedoch selbst diese Zuschauer sein unfassbares Leid, wodurch er zu einer zutiefst tragischen Figur wird. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass ›Rath‹ und der ›Dumme August‹ nicht als zwei unterschiedliche Figuren wahrgenommen werden, sondern als eine, die sich verändert hat, und deren Beurteilung von der Film-Öffentlichkeit schließlich auch für die Zuschauer gerade durch die Maske des Clowns ersichtlich geworden ist. Die für den Clown typische Marginalisierung und dadurch hervorgerufene Einsamkeit fallen bereits zu Beginn des Films auf. Ebenfalls ist Raths Lächerlichkeit in seinem Bemühen um Würde und Respekt als clowneskes Merkmal zu bezeichnen. Spätestens ab Raths erstem Besuch im Blauen Engel kann ihm zudem eine gewisse Naivität attestiert werden und die Szene, in welcher er in Lola Lolas Bett erwacht, ruft Assoziationen mit einem Kind wach. Des Weiteren nähert ihn seine Unfähigkeit, die im Blauen Engel herrschenden Regeln zu befolgen und sich den Gegebenheiten anzupassen, dem Clown an, zeichnet sich diese Figur doch dadurch aus, Normen, Regeln und Verhaltensweisen der sie umgebenden Gesellschaft nicht verstehen und ihnen darum keine Folge leisten zu können. Übt der Clown traditionell gerade dadurch Kritik an eben diesen Regeln und Normen, wird das Unvermögen Raths, sich an die (neue) Zeit und die damit einhergehenden veränderten Werte anzupassen, eher als bemitleidenswert und als menschliche Tragödie inszeniert. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die finale Verwandlung Raths in einen Clown ein Einfall der Filmemacher ist, da der Protagonist der Romanvorlage keinesfalls als Clown, sondern als Anarchist endet.

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Am Ende des Films hat sich Rath verändert – die vorgetäuschten ritualisierten und fremdbestimmten Gewohnheiten hat er abgelegt. Ausgerechnet vom Moment der Maskierung an sind »August« die typischen Merkmale des Clowns wie das Kindliche, Naive, Verspielte, die Fokussierung auf und das Spiel mit der eigenen Körperlichkeit, das Teuflische, die subversive Kritik, das Unverständnis gegenüber den Regeln und Konventionen seiner Umgebung sowie seine Lächerlichkeit nicht mehr zu attestieren, während viele dieser Eigenschaften auf Rath zutrafen. Sein Charakter ist am Ende weniger lächerlich-komisch als tragisch. Einzig die Marginalität sowie das Scheitern sind ihm weiterhin eigen. Die Maskierung als Clown lässt seine soziale Maske endgültig zerbrechen und enthüllt seinen gesellschaftlichen Status in der Zeit der Weimarer Republik, die nicht die seine ist. Gerade das Bürgertum, so Thomas Koebner, habe damals mehr als jede andere Klasse in den Krisen des Krieges und der Nachkriegszeit an Standfestigkeit verloren […]: Wie die Erkenntnis der Niederlage hat die Inflation dazu beigetragen, daß sich die Zuversicht des Bürgertums in gesellschaftliche Regulierungsmechanismen auflöste, daß es manifest – durch die Einbuße von Besitz und Einkommen – auf der gesellschaftlichen Skala herabsank. (1997: 94)

So ist Rath zum Clown im pejorativen Sinn des Wortes geworden – zum Unzeitgemäßen und deshalb Verlachten und aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen. Anhand dieser Figur erfolgt somit eine Abrechnung mit einer Art von Bürgerlichkeit, deren aufgesetzte und heuchlerische Maske gerade durch das Anlegen einer anderen Maske enttarnt wird. Raths Maskierung als Clown wird zu einer Demaskierung. Diese wird sichtbar als Zerbrechen eines sozialen Rollengefüges, als ein Aufdecken und eine Zurschaustellung der sozialen Tragödie der Figur, anhand derer die gesellschaftlichen Veränderungen des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland verhandelt und erfahrbar gemacht werden.

3.2 D ie C lownsmaske als Tarnung und R e t tung 3.2.1 Von Jägern und Gejagten Wie im theoretischen Teil ausgeführt, besteht eine der bedeutendsten Funktionen der Maske in ihrem tarnenden Charakter. Durch diesen gewährt sie ihrem Träger in vielen Fällen Schutz. Nicht nur bewahrt sie physisch vor Verletzungen – wie im Falle der Sport- oder Berufsmasken –, sondern sie verbirgt auch das Gesicht, welches bei der Identifizierung einer Person eine Schlüsselrolle spielt. Die so gewährte Anonymität kann einerseits vor Verfolgung schützen, andererseits Hemmschwellen herabsetzen und die Maskenträger freier agieren lassen. So erlaubt sie es, Wahrheiten auszusprechen, die man ohne sie nicht sagen dürfte, sowie Taten auszuführen, die man sich aus Angst vor Strafe ohne Maske nicht

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

trauen würde. Denn »der Maskenträger handelt […] nicht als er selber, sondern im Namen jenes anderen, für den die Maske ein Zeichen ist; seine Taten sind daher nicht von ihm selbst, sondern von demjenigen, den die Maske bedeutet, zu verantworten« (Fischer-Lichte 1994: 108). Der Clown ist das perfekte Beispiel für ein solches Verhalten. Diese Wirkungen der Maske machen den Usus, beim Begehen eines Verbrechens eine solche zur Tarnung zu benutzen, leicht nachvollziehbar, auch wenn es im Falle einer Festnahme letzten Endes natürlich nicht die Maske ist, welche verurteilt wird. So findet sich auch eine Reihe filmischer Beispiele, in welchen Figuren die Clownsmaske zur Tarnung bei kriminellen Aktivitäten einsetzen. Es verwundert nicht, dass viele der Filme, in denen die Maske zu diesem Zweck genutzt wird, dem Genre des Kriminalfilms angehören. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist der James-Bond-Film Octopussy (James Bond 007 – Octopussy, GBR 1983, R: John Glen). In diesem verkleidet sich der von Roger Moore gespielte Geheimagent 007 in der Schlusssequenz als Clown, um eine in einer Zirkusmanege platzierte russische Atombombe zu entschärfen und damit Abertausende von Menschen vor dem Tod zu retten. Dieses Beispiel zeigt eine Auffälligkeit, welche in den meisten der Filme, in denen die Clownsmaske als Tarnung eingesetzt wird, zu beobachten ist: Immer wieder wird eine Konstellation von Jägern und Gejagten inszeniert. In den meisten Fällen wird die Figur, welche die Clownsmaske anlegt, genau im Moment der Maskierung oder Demaskierung zum Gejagten oder Jäger. James Bond ist im erwähnten Filmbeispiel kurz vor der entsprechenden Szene auf der Flucht vor seinen Verfolgern – er ist also der Gejagte. Als er im Zirkus ankommt, in welchem er die Bombe vermutet, flüchtet sich Bond hinter die heitere Maske des Clowns. Durch diese Tarnung erkennen ihn seine Verfolger nicht mehr und er kann zur Bombe vordringen, um sie zu entschärfen. Dadurch entlarvt er die Täter und löst die Jagd auf sie aus. Hier zeigt sich demnach eine ähnliche Situation wie in dem diese Arbeit einleitenden Zitat: Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren. Auch Bond muss sich verkleiden, um in bestimmte – geschützte – Bereiche vordringen und so die Missstände entlarven und ändern zu können. Gegenüber den im letzten Kapitel betrachteten traurigen Clowns, die oft ihr eigenes Glück dem Wohl der anderen opfern und nicht selten dabei sterben, hat das Anlegen der Clownsmaske in den hier besprochenen Filmen weitaus positivere Konsequenzen für die Figur selbst. Die Tarnung durch die Maske funktioniert und schützt den Clown vor Verfolgung. Teilweise agiert er zwar auch hier zum Wohl der anderen, wie im Falle von Bond oder des Clowns Buttons (James Stewart) in Cecil B. DeMilles Großproduktion The Greatest Show on Earth (Die grösste Schau der Welt, USA 1952), oft jedoch dient die durch die Clownsmaske gewährleistete Anonymität eigenen Interessen. Dies ist vor allem in den Heist-Filmen der Fall, wie beispielsweise im bereits erwähnten Hold-Up. Der von Jean-Paul Belmondo gespielte Protagonist Grimm begeht im Clownskostüm einen Banküberfall. Die Tarnung funktioniert, und zwar ebenso, während

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Grimm das Kostüm trägt sowie wenn er es nicht trägt, da er gerade durch das Ablegen des Kostüms die Bank nach dem erfolgreichen Raub unbemerkt verlassen kann. Neben diesem eindeutigen Erfolg der Clownsfigur wird auch das in der Anfangszeit des Kinos dominante traurige Image des Clowns angesprochen, bei welchem die Clownsmaske eher Zeichen des Ausgestoßenen, Verlachten und Geopferten ist. Grimm fordert: »Ich verlange Respekt. Ich will, dass man mich liebt. Ich will, dass mich alle lieben. Denn ich bin ein trauriger Clown.« Um diese Aussage zu untermalen, zwingt Grimm den Polizeichef, ihm vor Hunderten von Menschen eine Liebeserklärung zu machen. Dieses Image der Traurigkeit des Clowns wird durch Grimms Listigkeit und Erfolg konterkariert. Der Topos des traurigen Clowns wird also aufgerufen, aber ironisch unterlaufen. Ist es in Filmen mit traurigen Clowns normalerweise der Clown, der sich lächerlich macht, bringt in Hold-Up der Protagonist im Clownskostüm sein diegetisches ›Publikum‹ in lächerliche Situationen – so z.B. einen Polizisten, der ihm in Unterwäsche eine Pizza bringen muss. Im Beispiel von Octopussy findet sich eine Kombination der beiden oben beschriebenen Fälle: die Clownsmaske als Markierung der Opferrolle und gleichzeitig als Tarnung vor Verfolgung in Eigen- sowie Fremdinteresse. Denn neben James Bond bevölkert noch eine weitere als Clown verkleidete Figur das Bond’sche Universum. Der Geheimagent 009 bringt im Kostüm des Dummen August einen wertvollen Kunstgegenstand in die Residenz des Britischen Botschafters in Deutschland und löst so das Abenteuer Bonds aus. Es handelt sich um eines der bekannten Fabergé-Eier, welches im weiteren Handlungsverlauf als MacGuffin fungieren wird. 009 erreicht sein Ziel zwar, stirbt jedoch bei seinem Eintreffen in der Residenz am zuvor erlittenen Stich eines zirzensischen Messerwerfers, der für den russischen General Orlov, den Hauptgegner Bonds, arbeitet. Bei der Figur des 009 kommt demnach neben der Funktion der Clownsmaske als Tarnung und Schutz der Identität die Opferrolle des Clowns zum Tragen. Erwähnenswert ist noch, dass der Agent 009 – den Bond sodann ersetzen wird – genau das gleiche Clownskostüm als Deckung wählt wie später Bond. Die Zuschauer sehen somit zweimal die gleiche Gestalt, jedoch in dem Wissen, dass sich dahinter zwei unterschiedliche Figuren verbergen. Rechnet man den für die Filmzuschauer unbekannt bleibenden Zirkusclown hinzu, von welchem dieses Kostüm stammt, treten in Octopussy sogar drei verschiedene Figuren im gleichen Clownskostüm auf.

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

Abbildungen 8-10: Special Agent 007, Special Agent 009 sowie ein Zirkuskünstler im identischen Clownskostüm. Screenshots aus Octopussy.

In den ersten beiden Fällen handelt es sich also um einen Rollentausch, wie er beispielsweise in den Screwballkomödien des Classical Hollywood oft zur Erzeugung von komischen Situationen inszeniert wurde. Im letzten Fall (Abb. 10) kommt es zu einer Verdopplung der Clownsfigur. Diese dient zur Flucht vor den Polizisten,

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da sie nicht mehr unterscheiden können, hinter welcher der beiden Clownsmasken sich die von ihnen gesuchte Person verbirgt. In The Greatest Show on Earth wird die Figur im Clownskostüm durch das Ablegen der Maske nicht zum Jäger, wie bei Bond, sondern zum Gejagten. Der von James Stewart gespielte frühere Arzt hat – vor Beginn der Filmhandlung – einer schwerkranken Frau, die er liebte, Sterbehilfe geleistet. Seitdem wird er von der Polizei gesucht und versteckt sich als Clown Buttons in einem Zirkus. Auch hier dient die Clownsmaske also zur Tarnung. Gegen Ende des Films kommt es zur Demaskierung. Die Identität Buttons wird von einigen Zirkusmitgliedern erkannt und er vor eine schwierige Entscheidung gestellt: Entweder trägt er die Maske weiter und bewahrt sich damit vor dem Gefängnis – oder er rettet ein Menschenleben, was das Ablegen der Maske und Rolle bedingt und seine Entblößung zur Folge hat. Seine Wahl fällt auf letzteres, wodurch er gezwungen ist, die Clownsmaske abzulegen, seine alte Identität als Arzt wieder anzunehmen und sich dadurch der Polizei zu erkennen zu geben. Hier geschieht die Entlarvung also, umgekehrt wie in den meisten anderen Filmbeispielen, im Moment des Ablegens der Maske. Entscheidend ist jedoch, dass es in diesem Moment nicht nur auf diegetischer Ebene zur Aufdeckung der Identität der Figur kommt, sondern gleichzeitig der durch die Figur verkörperte moralische Konflikt zur Diskussion gestellt wird. Das ethisch prekäre Thema der Sterbehilfe wird im Film nicht eindeutig gutgeheißen oder verurteilt. Allerdings wirkt Buttons Entscheidung, sich zur Rettung eines Menschen zu opfern, wie eine Sühne für den durch ihn ›verschuldeten‹ Tod. Selbst wenn seine anschließende Festnahme als unvermeidbare und richtige Konsequenz aus seinem Handeln dargestellt wird, ist Buttons den gesamten Film über ein eindeutiger Sympathieträger und wird als freundliche, liebenswerte und hilfsbereite Figur porträtiert. Sogar der Polizist, der ihn festnimmt, schüttelt ihm die Hand, bevor er ihm die Handschellen anlegt, da er in ihm einen respektablen Mann sieht. Interessant ist an diesem Filmbeispiel noch ein weiterer Aspekt, der direkt mit der Clownsmaske zu tun hat. Trägt Buttons während der meisten Zeit eine rote Gumminase zu seiner Schminkmaske, sitzt diese in der Schlusssequenz bei seinem Agieren als Arzt und der damit einhergehenden Preisgabe seines Geheimnisses nicht mehr auf seiner Nase. Dieser Umstand legt die These nahe, dass es hier – wie auch in vielen anderen Filmbeispielen – die rote Nase ist, welche das Hinein- bzw. Herausschlüpfen aus der Rolle des Clowns markiert. Dies lässt sich auch am Beispiel von Octopussy bestätigen. Hier ist eine entsprechende Verwendung der roten Nase besonders auffällig. Sobald James Bond in der Manege angekommen ist, versucht er die Juwelenschmugglerin Octopussy (Maud Adams) sowie einen neben ihr sitzenden General von der Gefahr zu überzeugen, in der sich die Zirkusbesucher befinden. Doch aufgrund von Bonds Maskierung hält der Uniformierte dies für einen clownesken Scherz. Daraufhin nimmt 007 die typischsten Attribute eines Clowns – die rote Nase sowie die Perücke – ab, um den General von seiner ›wahren‹ Identität zu überzeugen.

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

Abbildungen 11-12: Roger Moore als James Bond einmal in kompletter Maskierung und einmal nur mit Schminkmaske. Screenshots aus Octopussy.

Richard Weihes Feststellung, dass die rote Nase die kleinste Maske der Welt sei (2004: 17), wird somit im filmischen Universum von Octopussy bestätigt, markiert sie doch genau den Wechsel von der Figur hinter der Maske zum Clown und umgekehrt. An dieser Szene lässt sich die bereits für andere Filme festgestellte Beobachtung bestätigen: Filmzuschauer und Filmfiguren bewerten die Figur im Clownskostüm aufgrund eines unterschiedlichen Wissens verschieden. Während das Chaos in der Manege von den diegetischen Zuschauern für eine einstudierte komische Nummer gehalten und mit lautem Lachen quittiert wird, fiebern die Filmzuschauer durch die von der Zeitbombe ausgelöste Spannung mit dem Pro-

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tagonisten mit und sehen statt eines lustigen Clowns den unter enormem Zeitdruck stehenden Geheimagenten ›hinter der Maske‹. Diese in vielen Filmen beobachtete divergierende Sicht auf den Clown lässt sich für das früheste mir bekannte Beispiel bestätigen, in welchem eine Figur die Clownsmaske als Tarnung verwendet: den Film Spione von Fritz Lang. Dort führt der kriminelle Bankdirektor Haghi (Rudolf Klein-Rogge) ein Doppelleben als Clown Nemo. Der Protagonist, Agent No. 326 (Willy Fritsch), und mit ihm die extradiegetischen Zuschauer werden sich dieses Rollenspiels jedoch erst zum Schluss des Films gewahr. Der Moment der Maskierung Nemos gewährt den Blick hinter die Maske. Durch diese Demaskierung wird Haghi vom Jäger zum Gejagten und die Diskrepanz zwischen dem Lachen des diegetischen Publikums und dem Verständnis der Filmzuschauer offensichtlich. Die Situation von Jäger und Gejagtem gipfelt im Selbstmord Haghis auf der Bühne, wodurch in der Diegese das unmoralische Element beseitigt und die Ordnung wiederhergestellt wird. Der Name der Clownsfigur, Nemo (Lateinisch für: niemand), verweist dabei auf die den Antagonisten meist verwehrte eigene Identität, da der sprechende Name auf die Neutralisierung jeglicher Identität durch die Maske verweist. Der starke Kontrast zwischen einem Bankdirektor, einem skrupellosen Kriminellen und der Kostümierung des Clowns macht die Maskierung so effektiv: Sowohl für die übrigen Figuren als auch für die Filmzuschauer ist es völlig unerwartet, dass sich hinter den so unterschiedlichen Masken ein und dieselbe Figur verbirgt. Die Idee eines Bankdirektors in Clownsmaskerade – und die damit einhergehende Aussage über das Bankenwesen – scheinen so effektiv zu sein, dass sie auch in Hold-Up Verwendung finden, hier auf noch raffiniertere Art. Um bei einem Banküberfall unerkannt zu bleiben, wirkt die Tarnung mit Hilfe der Clownsmaske zunächst nicht außergewöhnlich. Denn diese Verhüllung scheint auf den ersten Blick so gut wie jede andere geeignet zu sein, die Identität hinter ihr zu verbergen. Der weitere Einsatz der Maskerade in diesem Film ist jedoch äußerst raffiniert und zeigt, dass die leichte Wiedererkennbarkeit dieser Maske geschickt genutzt werden kann. Um nach dem erfolgreichen Überfall unbemerkt aus der von einem Großaufgebot der Polizei umzingelten Bank zu entkommen, tauscht der Protagonist Grimm Kostüm und Maske mit dem Direktor der Bank. Diese Information wird dem Zuschauer zunächst vorenthalten. Er sieht lediglich, wie ein alter Mann – scheinbar eine entlassene Geisel – das Bankgebäude verlässt. Erst später wird der ausgeklügelte Trick ersichtlich, wenn der gefesselte Bankdirektor im Clownskostüm gezeigt wird. Dadurch wird er als Clown gekennzeichnet und die mit diesem Begriff verbundenen negativen Assoziationen des Veräppelten werden aufgerufen. Die Maske dient also in dramaturgischer Hinsicht der Tarnung des Protagonisten, gleichzeitig wird durch den Kostümwechsel eine Aussage über wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Verhältnisse gemacht. Ist es zunächst der Bankräuber, der aufgrund der Clownsmaske nicht als ernsthaft gefährlich eingestuft wird, ist es danach der Bankdirektor, welcher seiner Seriosität beraubt wird. Mit diesem Rollentausch geht ein weiterer einher, der be-

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

reits als typisch für diesen Einsatz der Maske genannt wurde: Sobald der Kostümwechsel von der Polizei bemerkt wird, ist es nicht mehr Grimm, der das Geschehen dirigiert, sondern er wird zum von der Polizei Gesuchten und Verfolgten. Auch dieses Filmbeispiel zeigt die oben beschriebene auffällige Inszenierung der roten Nase. Grimm trägt das Clownskostüm bis zu seiner Flucht aus der Bank ununterbrochen, die rote Nase hingegen nicht. Auffällig ist, dass das Auf- oder Absetzen mit einer Verhaltensänderung einhergeht und damit das Hinein- bzw. Herausschlüpfen aus der Rolle anzeigt. Es bestätigt also die Nase als zentrales Element der Clownsmaske und ihre Funktion als Marker der Rollenübernahme. Dies lässt sich anschaulich an einer Szene beobachten, welche zugleich zeigt, dass – wie im theoretischen Kapitel ausgeführt – die Erwartungen an eine Rolle meist sehr konkret sind und sich in der filmischen Diegese beobachten lassen. In der betreffenden Szene befindet sich Grimm auf dem Weg in die Bank, wobei er von einigen Kindern beobachtet wird. Sie fordern ihn indirekt zum Spielen auf, er jedoch reagiert unwirsch und schickt sie weg. Daraufhin sagt einer der Jungen: »Hey, der redet aber nicht wie’n Clown. Ich glaube, das ist gar kein Clown.« Die Schlussfolgerung des Jungen, dass es sich bei Grimm nicht um einen ›echten‹ Clown handle, da er nicht wie ein solcher spreche, zeigt, dass eine spezifische Ausdrucksweise ebenso zum Rollenbild des Clowns gehört wie Maske und Kostüm. Grimm lässt sich ob dieser Demaskierung zunächst nicht beeindrucken und sagt den Kindern, dass sie ihn »nerven«. In genau diesem Moment nimmt er die Nase ab, womit er aus der Rolle schlüpft und indirekt eingesteht, dass er kein ›echter‹ Clown ist. Erst als er ein nahendes Polizeiauto sieht, setzt er die Nase erneut auf und schlüpft genau dann und dadurch wieder in die Rolle des Clowns. Auch in anderen Szenen, in denen er alleine und unbeobachtet von den anderen Figuren ist und damit für einen Moment aus seiner Rolle treten kann, trägt er die rote Nase nicht. Diese scheint folglich die erwähnten verschiedenen Ebenen, Figur und Clownsfigur, leichter voneinander unterscheidbar zu machen. Eine besonders raffinierte Variante dieses Changierens zwischen den verschiedenen Ebenen der Figur sowie zwischen Opfer und Täter bzw. Gejagtem und Jäger, welches allein durch das An- und Ablegen von Masken zum Ausdruck gebracht wird, findet sich in der Anfangssequenz von The Dark Knight. Die effektvolle Inszenierung eines groß angelegten Banküberfalls lässt die klassische Verwendungsweise der Clownsmaske zur Tarnung der Identität vermuten. Doch werden nicht nur die Zuschauer, sondern sogar die handelnden Figuren eines Besseren belehrt. Zu Beginn des Films sieht man eine Gruppe von Männern, welche mit Clownsmasken getarnt mit den Vorbereitungen für einen groß angelegten Bankraub beschäftigt sind. Die Zuschauer werden durch die Dialoge der Männer zu der Annahme geleitet, dass alle Täter an einem Strang ziehen und bei Gelingen des Plans eine entsprechende Beteiligung an der Beute erhalten. Bald jedoch wird klar, dass der Drahtzieher der Aktion einigen Männern den Auftrag gegeben hat, andere nach Ausführung ihrer Aufgabe zu töten. Diese werden dadurch von Tätern zu Opfern, was meist mit einem Abnehmen der Maske ein-

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hergeht. Die Clownsmaske bedeckt hier also Figuren, die Jäger und Gejagte zugleich sind, wodurch die klassische Täter-Opfer-Dichotomie dekonstruiert wird. Im Moment der Demaskierung wird auch hier wieder ein moralischer Aspekt zur Diskussion gestellt. Die Bankräuber müssen ihre Geldgier mit dem Leben bezahlen. Einen noch raffinierteren Umgang mit der Clownsmaske weist die Figur des Jokers auf, welcher der Urheber der gesamten Aktion ist. Er ist der Einzige, der die Tat überlebt. Nachdem alle anderen sich gegenseitig und er den letzten verbleibenden Mann getötet hat, fragt ihn der am Boden liegende Bankmanager nach seinen Motiven und Idealen: »Criminals in this town used to believe in things: honor, respect. Look at you. What do you believe in?« Der Joker antwortet auf diese Frage, ohne sie jedoch zu beantworten, und zwar genau in dem Moment, in dem er die Plastikmaske, die alle Männer getragen haben, abnimmt und eine andere, weitaus unheimlichere, Schminkmaske bzw. durch Narben entstandene (vgl. Kap. 3.3) darunter enthüllt: »I believe that, whatever doesn’t kill you, simply makes you … stranger.« Mit dieser Aussage spielt er auf seine Geschichte und vor allem die Genese seiner Narben an. Der Ursprung seiner den Mund zu einem Lachen verformenden Narben wird im Verlauf des Films des Öfteren thematisiert, jedoch mit sich widersprechenden Aussagen bedacht. Dadurch wird eine alltagspsychologisch nachvollziehbare Erklärung des Charakters und Verhaltens des Jokers verhindert. Die Unmöglichkeit, eine kohärente Identität der Figur zu konstruieren, betrifft nicht nur die Filmzuschauer, sondern wird auch in der Diegese postuliert. So stellt der Polizeichef Gordon (Gary Oldman) resigniert fest, dass die polizeilichen Methoden zur Ermittlung der Identität im Falle des Jokers allesamt versagen: »No matches on prints, DNA, dental. Clothing is customs, no labels. Nothing in his pockets but knives and lint. No name. No other alias.« Die Maske tarnt hier also nicht nur die Identität einer Figur, sondern lässt die Rekonstruktion einer solchen Identität aufgrund der Tarnung ihres eigenen Ursprungs als utopische Wunschvorstellung erscheinen. Mit Judith Butler könnte man demnach sagen, dass der Joker in einer parodierenden Wiederholung von Maskierung und Demaskierung, die wie in einer Möbiusschleife wieder zur Maske führt, den Begriff Identität gründlich dekonstruiert. Das Thema der Identität spielt auch in The Family Jewels eine bedeutende Rolle, wo das Spiel mit Maske, Tarnung, Identität und Rolle zu humoristischen Zwecken genutzt wird. Es geht um ein Mädchen, Donna (Donna Butterworth), deren Vater unerwartet stirbt. Da auch ihre Mutter bereits tot ist, soll einer ihrer sechs Onkel die Verantwortung für das Kind übernehmen. Donna hat bis dahin keinen Kontakt zu ihren Verwandten gehabt und soll nun mit jedem Onkel zwei Wochen verbringen, um ihn besser kennenzulernen und am Ende zu entscheiden, wer das Sorgerecht für sie erhalten soll. Das Besondere an dem Film ist, dass alle sechs Onkel sowie die engste Bezugsperson Donnas – der Chauffeur der Familie, Willard, – von Jerry Lewis gespielt werden. Somit stellt der Film eine Ausnahme der im Spielfilm meist gültigen Regel dar, wonach ein Schauspieler eine Figur verkörpert. Doch damit nicht genug. Auch in The Familiy Jewels schlüpft

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

eine der Figuren, Willard, in einem ganz bestimmten Moment des Films in ein Clownskostüm. Um die Komplexität noch zu erhöhen, begibt sich Darsteller Jerry Lewis damit in das Kostüm und die Rolle einer der anderen von ihm verkörperten Figuren, des Onkels Everett. Dieser arbeitet als Clown in einem Zirkus, ist seines Berufes jedoch überdrüssig und möchte sich daher ins Ausland absetzen. Schon in der Szene, in welcher dieser Umstand erzählt wird, fungiert die Maske als Tarnung und Versteck, da Everett seine Steuerhinterziehung und unlauteren Aktivitäten hinter der Maske des lustigen Zirkusclowns versteckt. Weitaus interessanter ist jedoch die Schlussszene des Films, in welcher sich Willard als Everett (in Zivil) verkleidet. Dies führt nur deshalb zu keiner Verdopplung und Verwirrung, weil der ›echte‹ Onkel Everett der Gerichtsverhandlung nicht beiwohnt. Dramaturgisch ist Willards Verkleidung für die Auflösung der Situation nötig: Da keiner der Onkel geeignet scheint, sich um Donna zu kümmern, und Willard das Sorgerecht aus rechtlichen Gründen nicht übernehmen darf, ist die Täuschung der Richter die einzige Möglichkeit, das Sorgerecht zu erhalten. Die Maske fungiert also auch hier als Tarnung der Identität. Einzig Donna und die Filmzuschauer lassen sich nicht durch die Maske täuschen, sondern erkennen, dass es sich bei diesem ›Onkel Everett‹ um den maskierten Willard handelt. Die Demaskierung kann erfolgen, da Willard die Angewohnheit hat, seine Schuhe falsch herum anzuziehen – was auch im Moment seiner Verkleidung der Fall ist. Da sowohl die Zuschauer wie auch Donna davon wissen, können sie Willard hinter der Maske Everetts entlarven. Der Moment der Maskierung fällt also auch hier mit einer Demaskierung zusammen. Wie diese Kurzanalysen gezeigt haben, liegt die Hauptfunktion der Maske in diesen Filmbeispielen im Verbergen der Identität und darin, ihren Trägern durch die Unmöglichkeit der Identifizierung Schutz vor Strafverfolgung zu bieten. Fragen nach Recht und Ordnung sowie zum Ein- und Ausschluss der Clownsfigur aus derselben werden dabei immer wieder verhandelt, was zu der Beobachtung passt, dass die meisten der Filme dem Genre des Kriminalfilms zuzuordnen sind. In keinem der gesehenen Beispiele bleibt es jedoch bei der bloßen Verhüllung, sondern Maskierung, Tarnung und Demaskierung werden in der filmischen Inszenierung in allen Fällen raffiniert weiterentwickelt zu einem dramaturgischen Vehikel, das den Plot antreibt, lenkt oder zumindest beeinflusst. Besonders vor dem Hintergrund der die Arbeit leitenden These, dass durch das Aufsetzen der Maske etwas entlarvt wird, stellt sich die Frage, was sich hinter der vordergründigen Funktion der Tarnung verbirgt. Eng damit verbunden ist die Frage, warum zur Tarnung gerade die Clownsmaske zum Einsatz kommt. Eine erste mögliche Erklärung liegt in der Auffälligkeit und leichten Wiedererkennbarkeit der Clownsmaske und der roten Nase als »kleinste[r] Maske der Welt« (Weihe 2004: 17). Dadurch, dass diese so unverkennbar und eindeutig mit dem Clown verbunden ist, eignet sie sich hervorragend für die Markierung des beschriebenen Ebenenwechsels zwischen Figur und Clownsrolle sowie zur Modellierung von Überraschungseffekten durch einen geschickt inszenierten Rollentausch. Dient dieser

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Wechsel zwischen verschiedenen Rollen sowie Ebenen der Figur also einerseits der Spannungsdramaturgie, werden andererseits durch die oft damit einhergehende Täuschung der Zuschauererwartungen Fragen der Moral und Ordnung verhandelt; etwa die Sterbehilfe in The Greatest Show on Earth oder eine Ethik des Finanzwesens, hinter dessen Fassade sich in Spione das große Verbrechen verbirgt. Daher ist es naheliegend, dass die Clownsmaske ausgerechnet in Kriminalfilmen so häufig zur Tarnung eingesetzt wird, ist dies doch ein prädestiniertes Genre für Fragen nach Moral, Ordnung und Brechung derselben – ein auch für den Clown relevantes Thema. Die Detailanalyse von Sleuth wird die hier angerissenen Aspekte weiter vertiefen und die eingangs formulierten Forschungsfragen ausführlich beantworten. Da das Spiel mit der Maske in Sleuth außerordentlich raffiniert ist, eignet sich dieser Film gut, um entscheidende Aspekte der Maske an ihm zu verdeutlichen.

3.2.2 Die Clownsmaske in S leut h als Markierung der Unterlegenheit im Spiel der Klassen All the world’s a stage. And all the men and women merely players. W illiam S hakespeare , A s You L ike I t

Stärker noch als in dem Sleuth zugrundeliegenden Theaterstück von Anthony Shaffer (1970) geht es in der Verfilmung von Joseph L. Mankiewicz um Spiel, Rollenspiel, Täuschung und Verwandlung. Zudem steht das auf den Film so zutreffende Shakespeare-Zitat vom Welttheater in Zusammenhang mit der Rollengeschichte Laurence Oliviers, der neben Michael Caine der einzige Schauspieler in dem Film ist (auch wenn die irreführenden Credits anderes verkünden). Oliviers Rollenbiografie ist durch das klassische Theater sowie mehrere ShakespeareVerfilmungen geprägt. So spielt er auch in As You Like It (Wie es Euch gefällt, GBR 1936, R: Paul Czinner) die Rolle des Helden Orlando. Noch dazu zeichnet für die Neuverfilmung dieses Shakespeare-Stückes Kenneth Branagh verantwortlich, der auch Sleuth 2007 neu inszenierte (1 Mord für 2, GBR, USA 2007). In dieser Fassung findet sich ein weiterer sehr interessanter Rollentausch, da Michael Caine hier die Rolle des Andrew Wyke übernimmt, nachdem er in der früheren Version Milo Tindle spielte. In der Analyse werde ich mich primär auf die Verfilmung von Mankiewicz aus dem Jahre 1972 beziehen, da nur dieser Film mit der Kostümierung des Clowns spielt. Branaghs Film wird jedoch nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, sondern als eine – unter vielen möglichen – Rezeptionen von Mankiewicz’ Bearbeitung verstanden, die teilweise aufschlussreiche Hinweise für das hier verhandelte Thema bieten kann.

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

Die beiden Figuren, um die es in Sleuth geht, sind einerseits der wohlsituierte, etwas ältere Kriminalschriftsteller Andrew Wyke, gespielt von Laurence Olivier und andererseits der deutlich jüngere Frisör Milo Tindle, Sohn eines italienischen Einwanderers, der von Michael Caine dargestellt wird. Vordergründig hat Wyke den überraschten Tindle auf seinen Landsitz eingeladen, um mit ihm über Marguerite, seine Noch-Ehefrau und Tindles Geliebte, zu sprechen. Damit Tindle sich ein Leben mit ihr leisten kann, schlägt Wyke diesem einen lukrativen Versicherungsbetrug vor. Dabei möchte er alles minutiös inszenieren, damit die Polizei keinen Verdacht schöpfen kann. Nach einer Zeit – meines Erachtens in genau dem Moment der Maskierung zum Clown – wird jedoch deutlich, dass der Versicherungsbetrug nur ein Vorwand war. Andrew Wyke hat erfahren, dass Milo Tindle ihn mit seiner Frau betrügt und hat ihn eingeladen, um ihn kaltblütig umzubringen. Wie genau die beiden Figuren gegenseitig und die Filmzuschauer Kenntnis von den vorgetäuschten und tatsächlichen Absichten der Figuren erlangen, wird durch eine ausgeklügelte und raffinierte Erzählweise gelenkt, welche ich im Folgenden genauer analysieren möchte.

3.2.2.1 »Make sure you don’t forget to tell them it was all just a bloody game« – das Spiel als zentrales Thema in S leu t h Wie Johan Huizinga in seiner Studie zum Ursprung der Kultur im Spiel ausführt, wird der Begriff ›Spiel‹ in den meisten Sprachen vor allem für zwei unterschiedliche, doch eng miteinander verwandte Tätigkeiten verwendet: »Das Spiel ist ein Kampf um etwas oder eine Darstellung von etwas.« (1971: 20) Das Spiel als bedeutungstragendes Element findet jedoch nicht nur im Film Sleuth statt, sondern es kann hier auch von einem Spielen des Films gesprochen werden. Durch seine unzuverlässige Erzählweise6 spielt der Film mit der Erwartungshaltung der Zuschauer sowie mit dem Spielbegriff selbst. Zu Beginn wird das Verständnis des Spiels als Darstellung, also der theaterhafte Aspekt des Spiels nahegelegt. Die These, welche diese Analyse leitet, ist, dass eben dieses Verständnis genau im Moment der ersten Verkleidungsszene in die Lesart des Spiels als Kampf umschlägt. Diese Konnotation wird bis zur Verwandlungsszene blockiert. Eine frühere Dialogzeile Wykes markiert allerdings einen ersten entscheidenden Wendepunkt noch vor der Maskierungsszene; sie arbeitet bereits in Richtung des Spiels als Darstellung. Sie lässt Wykes Plan des Versicherungsbetrugs durch die Engführung mit den fiktionalen Kriminalromanen, die er schreibt, als Fiktion erscheinen, welche keinen Bezug zur diegetischen Realität hat: »Well, it’s to solve this little problem that I’ve invited you around here tonight and this, as they say, is where the plot thickens.« Durch die Verwendung des Wortes ›Plot‹ wird auf die Inszeniertheit, Konstruiertheit und Theaterhaftigkeit seines Vorhabens angespielt. Zu dem 6 | Auf das erzähltheoretische Konzept und Problem des unzuverlässigen Erzählens werde ich in Kapitel 3.2.2.3 genauer eingehen und klären, welche Form dieser Erzählweise in S leuth meines Erachtens vorliegt.

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Zeitpunkt wird also noch nicht auf den dem Begriff des Spiels inhärenten Gehalt des agon, des Wettkampfes, hingewiesen. Bei dem darauffolgenden Billardspiel wird dieser Aspekt erstmals eingeführt – obgleich es als doppeltes Spiel zu verstehen ist. Denn das Gegeneinander-Spielen, das das Billardspiel wie so viele andere Sportspiele kennzeichnet, wird hier bewusst unterschlagen. Der Wettkampf als solcher findet nicht statt, da Wyke Tindle gar nicht erst spielen lässt und seine von Anfang an angenommene und später bestätigte Überlegenheit sarkastisch zum Ausdruck bringt. Wyke: »Whatever are you doing with that cue in your hand?« – Tindle: »I was waiting for you to miss.« – Wyke: »Foolish boy.« Während das in der Diegese dargestellte Spiel seines intrinsischen Wettstreitcharakters entbehren muss, wird das Spiel als Wettkampf auf verbaler Ebene erstmals angedeutet. Der Wettstreit wird von dem Billardspiel auf die zwischenmenschliche Ebene verlagert. Der Sieg Wykes, der seinem Gegner keine noch so geringe Chance zu gewinnen einräumt, verweist als dramatische Ironie auf den Ausgang der Handlung. Eine solche mise en abyme zieht sich als Strukturprinzip durch den ganzen Film, wie ich wiederholt aufzeigen werde. Diese Lesart des Billardspiels ist jedoch stark von der Apperzeption des Zuschauers abhängig, dem sich die Andeutungen und Mehrdeutigkeiten, die Ränke und Spielzüge der Protagonisten im Film nur nach und nach enthüllen. Die Szene kann also nur durch paratextuell erworbenes Vorwissen über den Film oder eine Kenntnis des Theaterstückes als definitiv vorausdeutend in den Text integriert werden. Zu diesem Zeitpunkt im Film ist die beschriebene Andeutung die einzige, die eine entsprechende Lesart hervorzurufen geeignet scheint. Deswegen kann davon ausgegangen werden, dass die Rivalität zwischen den beiden Männern erst an späterer Stelle gänzlich als solche gedeutet wird. Damit wird hier das Spiel mit dem Zuschauer ersichtlich: Diesem werden, wie anfangs Milo Tindle, wichtige Informationen über die tatsächliche Beziehung zwischen Wyke und Tindle sowie über die eigentliche Motivation für ihr Zusammentreffen vorenthalten. Weitere Elemente unterstützen den Eindruck der Bedeutung des Spiels in Sleuth. Schon der Name von Wykes Anwesen, Cloak Manor (cloak=Deckmantel), deutet auf das Versteckspiel hin. Die Ausstattung, für die der durch die JamesBond-Filme berühmt gewordene Production Designer Ken Adam verantwortlich zeichnet, ist insofern bemerkenswert, als dem filmischen Raum das Spiel und die Maskerade regelrecht eingeschrieben sind. So ist das gesamte Anwesen mit Spielen bestückt; von klassischen wie dem Schach-, Billard- oder Dartspiel bis zu ungewöhnlicheren wie einem altägyptischen Brettspiel. Wyke erklärt, dass das Spiel den Namen Simera trage, allerdings legt eine Bildersuche im Internet nahe, dass es sich um das Spiel Senet handelt, was auch durch die Bezeichnung in Shaffers Theaterstück belegt wird. Dies ist von Bedeutung, da es Hinweise auf die Figur des Andrew Wyke enthält. Senet war eines der beliebtesten Brettspiele im alten Ägypten und weist eine gewisse Ähnlichkeit mit Backgammon und Menschärgere-Dich-nicht auf. Von entscheidendem Interesse scheinen mir hierbei vier Punkte zu sein. Zum einen wurde das Spiel mit großer Wahrscheinlichkeit zu

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zweit gespielt (Piccione 1980: o.S.), was durch die verschiedenfarbigen Spielfiguren in Sleuth nahegelegt wird. Wyke spielt es jedoch offensichtlich alleine. Die von ihm praktizierte solitäre Spielform deutet auf eine fundamentale Einsamkeit hin – ein Eindruck, der durch weitere Indizien gestützt wird. Zum anderen suggeriert die Beschreibung des Spiels, die er Tindle auf dessen Nachfrage hin gibt, eine äußerste Komplexität, was sich bei Kenntnis der Spielregeln als übertrieben darstellt. Drittens funktioniert Senet erneut als mise en abyme, da es sich um ein Spiel »of position and strategy« (ebd.: o.S.) handelt. Somit spiegelt es Wykes Spiel, der ebenfalls strategisch vorgeht, um sein Ziel – die Erniedrigung Tindles – zu erreichen. Der letzte erwähnenswerte Aspekt ist der Bezug Senets zum Jenseits (ebd.: o.S.), wodurch eine Vorausdeutung auf das Ende der Geschichte stattfindet. Diese Interpretation wird durch den Zeitpunkt in der Filmhandlung, an dem der Dialog über das Spiel stattfindet, gestützt: Er ereignet sich relativ am Anfang, just in dem Moment, bevor Wyke Tindle offenbart, weshalb er ihn wirklich eingeladen hat: »Well, I understand you want to marry my wife.« Dadurch wird das mit dem Tod in Verbindung stehende Spiel Senet mit Milos Grenzüberschreitung enggeführt. Diese wird gewissermaßen als Grund für seinen späteren Tod inszeniert. So kann auch diese Szene als dramatische Ironie verstanden werden. Ein weiteres mit dem Spiel in Verbindung stehendes Ausstattungselement sind die vielen Automaten, die das Raumbild von Cloak Manor prägen und erneut als Hinweis auf die zuvor erwähnte Einsamkeit Wykes fungieren. Zum einen haben sie die Funktion, als visuelle Szenentrenner zu dienen: Nach jedem handlungslogischen Abschnitt fokussiert die Kamera in Nah- oder Großaufnahme einen der Automaten und verharrt für einige Sekunden auf ihm. Dadurch wird gleichzeitig hervorgehoben, dass sie mehr als nur Dekor sind. Denn bei den roboterhaften Puppen handelt es sich um eine Art lebende Tote, um etwas Bewegtes, aber doch nicht Menschliches. Dies entspricht der Situation Wykes. Er lebt in einer von ihm selbst konstruierten Welt, die der seiner Romane entspricht und mit den Grenzen Cloak Manors zusammenzufallen scheint. Er scheint sein Anwesen nicht zu verlassen, was auch durch die Tatsache gestützt wird, dass zu keinem Zeitpunkt ein Auto Wykes zu sehen ist, während Milo Tindle den Landsitz anscheinend nur mit dem Auto erreichen konnte. Wie die Detektivfiktionen und die Automaten ahmt auch Wyke durch seine Spiele die Realität nach. Eine treffende Bemerkung in dieser Hinsicht macht Alain Garsault, wenn er die Funktionsweise des Wechselspiels zwischen Menschen und Automaten in Sleuth charakterisiert: »Beings devoid of life by nature come to life while living beings become mechanical.« (2002: 140) Neben der Mechanisierung der Menschen spielt der Automatismus auch auf die Eigendynamik an, die das von Wyke ursprünglich bis ins kleinste Detail geplante Spiel annimmt. Dass auch die Filmzuschauer Teil dieser (unsichtbaren) Dynamik und des Spiels sind, darauf lassen die an sie adressierten Großaufnahmen der Automaten schließen. Das prominent am Filmanfang platzierte Symbol des Labyrinthes, ein Irrgarten im Park von Cloak Manor, in dem Tindle bei seiner Ankunft nach Wyke

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suchen muss, stellt ebenfalls einen Bezug zum Spiel her. Zudem verweist es, wie das Spiel Senet, auf das zweite zentrale Element des Films: den Tod. Rose-Marie Godier zeigt den Bezug des Labyrinthes zu diesen beiden Elementen auf: Le mythique labyrinthe de Crète provient vraisemblablement de ceux que construisaient les Egyptiens pour protéger leurs morts: le même signe hiéroglyphique désigne en effet le labyrinthe et la tombe. Ainsi, dès l’origine, le labyrinthe a partie liée avec les morts; il est un lieu de mort. […] Pour une autre part, la terminaison – inthos, élément linguistique égéen, inscrit le labyrinthe dans la sphère du jeu. (2005: 125/6)

Auch innerhalb des Labyrinthes trifft die von Michael Caine dargestellte Figur Milo Tindle auf Vorboten des Todes. Auf seinem Weg durch den Irrgarten passiert er mehrere prominent im Bild platzierte Steinfiguren, die alle symbolisch aufgeladen sind, so etwa eine Schlange, die in der christlichen Mythologie für den Sündenfall steht. Dadurch wird klar, dass Tindle in dem Moment verdammt ist, wo er das Labyrinth, Metapher für die Ränke Wykes, betritt. Im Zentrum des Labyrinthes befinden sich zwei steinerne Sarkophage, die in der Diegese als Bar dienen, gleichzeitig jedoch eindeutig auf den Tod verweisen. Solche Vorausdeutungen wiederholen sich in späteren Szenen in ähnlicher Weise. Das Zentrum des Labyrinthes wird von Wyke selbst als sein »outdoor inner sanctum« bezeichnet. Zu Beginn des Films diktiert der Autor von Kriminalromanen dort einem Automaten sein fiktives Buch Murder by Double Fault. Dieser Titel spielt auf die weiteren Geschehnisse des Films an, in dem ein geplanter Mordanschlag nicht gelingt, ein anderer Mord vorgetäuscht wird und schließlich einer geschieht, weil an Täuschung geglaubt wird. Wie schon angedeutet, ist auch das Spiel mit dem Zuschauer ein Teil von Sleuth. Dies beginnt bereits bei der Titelsequenz. Dort werden neben den Protagonisten Eve Channing in der Rolle der Marguerite und Alec Cawthorne als Inspektor Doppler genannt. Der erste erfundene Schauspielername ist eine Kombination aus den Namen der beiden Hauptfiguren Eve Harrington und Margot Channing aus Mankiewicz’ Film All About Eve (Alles über Eva, USA 1950) – ein Film, der dem Zuschauer ebenfalls eine wichtige Information bis zum Filmende vorenthält. Während Eve/Marguerite gar keinen Auftritt im Film hat, bekommt der Inspektor sehr wohl einen. Allerdings ist dieser – wofür der Name Doppler eine schöne Wahl ist – keine eigenständige Figur, sondern Milo in disguise und wird folglich auch nicht von einem gewissen Alec Cawthorne, sondern von Michael Caine selbst gespielt. Auch solche Vorspiegelungen gehören zum unzuverlässigen Erzählen, welches übrigens ein im Werk von Mankiewicz rekurrentes Thema darstellt. Es bleibt also festzuhalten, dass der Spielbegriff in seinen mannigfaltigen Bedeutungstraditionen eine zentrale Rolle in Sleuth spielt. Hierbei ist ausschlaggebend, dass der Text eine Verschiebung des Verständnisses vom ›Als-ob‹-Aspekt hin zu dem des Wettstreits fördert. Ein weiterer Aspekt des Spiels, nämlich sein

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Zusammenhang mit Maske und Verkleidung (Huizinga 1971: 20), ist in Sleuth ebenfalls von Bedeutung und gleichzeitig Auslöser bzw. Mittäter in puncto unzuverlässiger Erzählweise: Das Hinein- und Herausschlüpfen aus Rollen, die Verkleidungen sowie Maskeraden haben eine prominente Funktion während der gesamten Handlung und sind damit dem Spiel in seinem Aspekt des Darstellens verbunden. Die unterschiedlichen Kostümierungen entsprechen dabei den drei Spielen, die während der Filmhandlung gespielt werden und auf zwei Akte verteilt sind. Im ersten Akt hat Andrew die Spielleitung inne und spielt ein Spiel der Erniedrigung mit Milo. Dieser ist während der zweiten Hälfte des Aktes als Clown verkleidet. Der Gewinn des Spiels ist eindeutig auf Andrews Seite zu verorten. Der zweite Akt könnte mit ›Milos Rache‹ betitelt werden und besteht aus zwei Spielen, die beide von Tindle inszeniert werden und auf die Erniedrigung Wykes abzielen. Dabei hilft Milo seine Verkleidung als Inspektor Doppler. Eine Art Coda bilden die letzten Minuten des Films, in denen sich Andrew an Milo rächt und ihn erschießt. Doch noch der Sterbende besteht auf der Spielhaftigkeit, wenn er mit Glauben und Wissen des Zuschauers spielt: »Andrew … remember … be sure and tell them … it was only a bloody game.«

3.2.2.2 Analyse der Figuren Der Status von Figuren ist im Zusammenhang mit Transformationsprozessen und unzuverlässigem Erzählen problematisch. In Sleuth findet sich eine Kombination dieser beiden Sonderfälle. Die Frage, wie eine Figur ist, bzw. was sie auszeichnet, muss der Frage, was eine Figur ist, nachgestellt sein, um logische Widersprüche zu vermeiden. Dementsprechend muss zunächst geklärt werden, ob – nach Eder – die Figurendarstellung, die Figurenvorstellung oder die Figur selbst analysiert werden soll oder wie man diese unterschiedlichen Konzepte für die Analyse fruchtbar zusammenführen kann. Denn die Aussage Eders, dass sich das Modell, das sich der Zuschauer im Laufe des Films von der Figur macht, verändert (2008: 136), trifft hier in besonderem Maße zu, ebenso wie die Konsequenz daraus: »Die hier nur angedeutete Fülle und Veränderlichkeit der Figuren-Eigenschaften führt bei der Analyse oft zu einer Komplexität, die der Vereinfachung und Gewichtung bedarf.« (Ebd.: 308) Aufgrund des unzuverlässigen Erzählens und der vielen plot twists in Sleuth kann konstatiert werden, dass die Figurenvorstellung im Laufe des Filmes einer substanziellen Transformation unterliegt. Die Figur an sich verändert sich jedoch nicht. Sie hatte all die Eigenschaften, die der Zuschauer nach und nach erfährt, schon vorher, deren Aufdeckung wurde jedoch aus dramaturgischen Gründen zurückgehalten. Das Figurenmodell, das der Zuschauer entwickelt, ist ein dynamisches, das sich am Ende der Filmrezeption synthetisch zu einer – meist konsistenten – Vorstellung der Figur zusammenfügt. Dieses Modell umfasst sämtliche rezipierten Informationen aus dem Film, gefiltert durch individuelle Dispositionen (vgl. Eder 2008: 169-172, 236). Gerade in unzuverlässig erzählten Filmen würde eine auf die (Ausgangs-) Figur beschränkte Analyse den Verstehensprozess der Zuschauer deshalb ver-

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nachlässigen. Dies gilt in besonderem Maße für Filme, in denen sich ein Transformationsprozess durch Rollenspiel, Kostümierung oder Maskerade ereignet. Dementsprechend muss Eders durchaus berechtigte und oft vernachlässigte Aussage, dass sich Figuren verändern und diese Entwicklung in der Analyse berücksichtigt werden muss (2008: 136), Rechnung getragen werden. Dies ist der Grund, warum ich bei der Analyse von Milo Tindle chronologisch vorgehe, um so die einzelnen Schritte der Rezeption nachzuvollziehen. Um die Rezeption der Figur für Fälle wie diesen, in denen ein ›Spiel im Spiel‹ oder besser: ›Spiele im Spiel‹ stattfinden, adäquat zu erfassen, erscheint mir jedoch eine noch exaktere theoretische Beschreibung der Verhältnisse notwendig als nur die, dass sich das Figurenmodell im Laufe des Films verändert. Denn das Spiel im Spiel in Sleuth ist nicht einfach mit einer metadiegetischen Ebene gleichzusetzen, wie beispielsweise in Filmen mit Rahmen- und Binnenhandlung. Die Handlung, um die es hier geht, ereignet sich im selben chronotopischen Zusammenhang. Mit dem Terminus der Diegese als »alles, was sich laut der vom Film präsentierten Fiktion ereignet und was sie implizierte, wenn man sie als wahr ansähe« (Souriau 1997: 156) lässt sich nicht zwischen zwei – für die Fragestellung jedoch entscheidenden – Zuständen der Figur unterscheiden (etwa Caine als Milo Tindle oder als Inspektor Doppler). Um den Sachverhalt weiter zu komplizieren, bewirkt die Unzuverlässigkeit der Erzählung, dass das Spiel im Spiel als Inspektor erst später – durch das im Bild gezeigte Abnehmen der Maske – als solches entlarvt wird. Eine entscheidende Frage scheint mir also zu sein, ob und inwiefern die zwei unterschiedlich kostümierten Gestalten als zwei voneinander verschiedene oder aber als eine einzige Figur zu definieren sind und auf welcher diegetischen Ebene sich beide verorten lassen. Denn obgleich Doppel- und Mehrfachrollen in der Filmgeschichte keine Seltenheit sind, ist der Fall, der sich in Sleuth präsentiert, nicht mit demjenigen in The Family Jewels – um nur ein Beispiel herauszugreifen – zu vergleichen. Jeder der von Jerry Lewis dargestellten Männer ist eindeutig als von den anderen unterscheidbare Figur zu verstehen, während es sich in Sleuth stets um Milo Tindle handelt, der – innerdiegetisch – eine andere Figur zu sein vorgibt. Es steht also zur Debatte, ob Milo Tindle während er in den verschiedenen Maskierungen bzw. Kostümierungen auftritt, von den Zuschauern weiterhin als Milo Tindle wahrgenommen wird, der den Clown Joey bzw. Inspektor Doppler spielt oder als Clown Joey bzw. als Inspektor Doppler. Die Frage nach der Rezeption wird auch innerhalb der Diegese explizit gestellt. Dies zeigt sich vor allem an einer der letzten Szenen des Films, in welcher die Überführung und Festnahme Wykes vermeintlich immanent bevorstehen. Olivier legt ein relativ auffälliges, von schnellen Bewegungen und einer lauten, fast schreienden Stimme geprägtes Schauspiel an den Tag. Die von ihm gespielte Figur Andrew Wyke scheint demnach wirklich beunruhigt zu sein. Nach der Auflösung des Tricks und der Demaskierung Tindles gibt er jedoch vor, die Täuschung durch Milos Verkleidung nur gespielt zu haben.

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung Andrew: Milo: Andrew: Milo: Andrew: Milo:

I must say, I must congratulate you, Milo. You sure had me going there, for a while. For a while? […] What did you think of my performance? […] It wasn’t a performance. Of course it was. I had to be convincing. Apparently I succeeded. You just don’t know how to lose at all, do you, Andrew?

Damit wird auch der Zuschauer vor die Frage gestellt, ob Wyke nun, wie er vorgibt, nur gespielt hat oder wirklich einer Täuschung unterlag und es nicht zugibt. Die Wahrnehmung des Zuschauers in Bezug auf die Täuschung wird damit ebenfalls debattiert und in Frage gestellt. Da diese Fragen theoretisch nur schwer zu beantworten sind bzw. am ehesten durch kognitionswissenschaftliche Forschungen zu beleuchten wären, werde ich induktiv vorgehen und mich der Frage am konkreten Beispiel von Sleuth nähern. Das Leben als gespielte Fiktion – Andrew Wyke Da die Figur des Andrew Wyke zumindest äußerlich die Rolle nicht wechselt, ist die eben angesprochene Problematik hier weniger virulent. Die Merkmale der Figur in ihrer Dimension als fiktives Wesen bleiben über den gesamten Filmverlauf relativ konstant. Daher bietet es sich an, hauptsächlich die Figur, wie sie sich am Ende des Films als Modell beim Zuschauer niederschlägt, zu betrachten und die zwischenzeitlichen Figurenvorstellungen, wie sie die spezifische Gestaltung des syuzhet nach und nach auf baut, nur am Rande – im Zusammenhang mit dem unzuverlässigen Erzählen – zu erwähnen. Bei Wyke handelt es sich um einen älteren Mann etwa Ende 50, der schick und klassisch mit Stoff hose, Hemd, Halstuch und Jackett gekleidet ist. Die Jacke trägt er in ganz bestimmten Momenten des Films nicht. Wyke hat graues Haar, das sich an Stirn und Hinterkopf bereits merklich lichtet sowie einen Schnurrbart, dessen kurze Unterbrechung in der Mitte der Oberlippe auf eine akkurate und detailgenaue Rasur schließen lässt. Dies steht in Übereinstimmung mit einem generell sehr gepflegten Äußeren. Zudem kommt als auffälliges Merkmal eine schwarz umrandete Brille, die er jedoch nur in wenigen Szenen trägt, vor allem in solchen, die höchste Konzentration und Präzision erfordern, wie z.B. das Billardspiel oder das Vorbereiten des Sprengsatzes. Sowohl die Brille als auch das Schriftstellertum dienen im Spielfilm traditionell als Marker von Intelligenz, Belesenheit und Bildung, wobei im Falle von Sleuth anzumerken ist, dass mit diesem Stereotyp ironisch umgegangen wird. Bei der Literatur, die Wyke liest und schreibt, handelt es sich um Kriminalromane. Seine Aussage, diese seien »the normal recreation of noble minds«, wird jedoch nicht nur von den Zuschauern, sondern selbst von Tindle in Frage gestellt, da dieses Genre doch eher selten ein hohes literarisches Prestige genießt. Andrew Wyke ist von stattlicher Statur, jedoch keinesfalls dick, scheint gesund, agil und leistungsfähig zu sein. Erst ganz

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gegen Ende erfährt der Zuschauer durch Milo von Andrews Impotenz. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Filmhandlung hat Tindle Anspielungen in eine ähnliche Richtung gemacht, die von Andrew jedoch (etwas zu) vehement zurückgewiesen wurden. Andrew: »It’s a good thing I am pretty much of an Olympic sexual athlete.« – Milo: »Yes, I suppose these days you are concentrating more on the sprints than on the long distance stuff.« – Andrew: »Not so, dear boy, I’m in the pink of condition. I could copulate for England at any distance.« Neben diesen äußerlichen und körperlichen Merkmalen ist eines der hervorstechendsten Charakteristika Wykes dessen Stimme. Die laute, deklamierende (Bühnen-)Stimme Laurence Oliviers, die diesen als Shakespeare-Darsteller berühmt gemacht hat, überträgt Olivier auf die von ihm dargestellte Figur. Er spricht sehr deutlich, artikuliert in reinstem Englisch und sein Sprechtempo ist meist gemäßigt. Dies ändert sich erst im letzten Drittel des Films, als er von Tindle in die Enge getrieben wird und sich zur Rechtfertigung genötigt sieht. In Momenten der Anspannung verfällt er in schnelles, hektisches und fast schreiendes Sprechen. Auch Flüche kennzeichnen in solchen Momenten seine Sprache. Die meiste Zeit überwiegt jedoch eine bewusste Verwendung von Sprache in einem äußerst gepflegten und metaphernreichen Stil. Das Register, dessen er sich bedient, ist als literarisch-kultiviert zu bezeichnen und charakterisiert sich durch die vermehrte Verwendung von Fremdwörtern, nicht alltagssprachlichen Vokabeln und solchen aus anderen europäischen Sprachen sowie sehr verschachtelten Satzkonstruktionen. Diese Sprechweise wird handlungslogisch durch Andrews Beruf des Schriftstellers erklärt, wenn auch nicht unbedingt motiviert. Die Kriminalliteratur ist sein Lieblingsthema, auf das er immer wieder zurückkommt und das als Obsession bezeichnet werden kann, da es sein gesamtes Denken und Handeln bestimmt. Die Rolle des Autors legt Wyke auch für die Filmhandlung nicht ab, sodass er zu einer Art Erzähler wird, der über Geschehenes berichtet, das aktuell Geschehende kommentiert oder Anweisungen für zukünftige Geschehnisse gibt. Dass die gesamte Filmhandlung dadurch sogar als Fiktion Wykes interpretiert werden kann, beschreibt der Regisseur anschaulich: I opened this film with a proscenium and with cardboard figures – which anticipates a scene later in the cave in which Wyke shows the tableaux with these figures as if they were recreations of his books – and then I closed the film with a freeze-frame in which the characters become cardboard silhouettes as the camera pulls back. Andrew Wyke and Milo Tindle, as well as the events they live, become part of the oeuvre of Wyke: the game they play is transformed into one of his novels which almost gives a metaphysical dimension to the story. Yet to my knowledge, no one in this country has ever taken note of that, no one has noticed that they become silhouettes, that the camera, which is to say the director, withdraws while laughing and declaring: ›What you’ve just seen was my game. It was one of the works of Andrew Wyke.‹ The life of this man has become his work. (Mankiewicz in Ciment 2008: 128)

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

Möchte man Wyke als Erzähler der Handlung von Sleuth betrachten, ist anzumerken, dass er nicht immer zuverlässig und zum Teil ironisch ist. Hierauf werde ich im Zusammenhang mit der Figurenkonstellation näher eingehen. Aus filmtheoretischer Sicht ist die Interpretation Wykes als (intra-homodiegetischer) Erzähler des Films Sleuth jedoch äußerst problematisch. Einerseits ist umstritten, inwiefern dem Film eine – anthropomorphe – Erzählinstanz überhaupt zugesprochen werden kann. Andererseits liegt die bild- bzw. ton- und handlungslogische Fokalisierung (Schweinitz 2006) oder das alignment bzw. die allegiance (Smith 1995) nicht eindeutig bei Wyke, sondern changiert zwischen beiden Figuren, wie im Laufe der Analyse deutlich werden wird. Die intensiv geführte Diskussion um die Frage, inwiefern im Film ein Erzähler existiert und falls ja, ob dieser anthropomorphen Charakter haben kann, ist hinreichend bekannt, weshalb ich sie nicht im Detail wiedergeben möchte. Für die hier formulierten Fragestellungen ist vielmehr entscheidend, dass Wyke auf einer rein diegetischen Ebene als Spielleiter und Konstrukteur der Wirklichkeit des Spiels im Spiel auftritt. Dadurch beeinflusst er bis zu dem Zeitpunkt, an dem deutlich wird, dass er eine unzuverlässige Informationsquelle darstellt – nämlich genau in der Maskierungsszene –, die Rezeption der Figuren, die Situation und die durch die Figur verhandelten, gesellschaftlichen Konflikte entscheidend. Die bis hierher beschriebene Charakterisierung Wykes spiegelt seine gehobene soziale Stellung wider. Andrew Wyke ist Engländer, worauf er sehr viel Wert legt. Diese ethnische Zugehörigkeit ist ein Detail, das für den zentralen Konflikt des Films von entscheidender Bedeutung ist, ebenso wie Wykes hohe gesellschaftliche Position, die durch Raumdramaturgie und Dialoge immer wieder betont wird. So ist eines der beiden Kostüme, die Wyke in der Verkleidungsszene wählt und anlegt, das eines Aristokraten aus dem 18. Jahrhundert. Als Angehöriger der Oberschicht ist er sehr reich und hat sein Geld in Juwelen angelegt, um Steuern zu sparen. Eben diese Juwelen sind es, die Tindle stehlen soll, um mit deren Erlös sein Leben mit Marguerite zu finanzieren, während Wyke die Versicherungssumme erhält. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Charakterisierung liegt auf seiner Männlichkeit sowie den damit verbundenen Stereotypen von Macht und Anerkennung. Wie dieses Bild im Laufe des Films dekonstruiert wird, werde ich später ausführlich darlegen. Über seine sozialen Beziehungen erfährt man aus den Dialogen lediglich, dass er mit Marguerite verheiratet ist und aktuell eine Affäre mit Tea hat. Diese Charakterisierungen geschehen alle ausschließlich durch die Dialoge. Beide Frauen sind jedoch bezeichnenderweise abwesend und die räumliche Ausstattung von Cloak Manor mit den vielen Spielen und ›untoten‹ Automatenpuppen lässt auf eine essenzielle Einsamkeit Wykes schließen, der er mit diesen scheinbar lebendigen Ersatzfreunden entgegenzuwirken sucht. Seine Beziehung zu Marguerite ist von einer eventuell früher vorhandenen Liebe scheinbar in tiefen Hass und Verachtung umgeschlagen, wie an mehreren Stellen im Film gezeigt werden kann. Folgende Aussage Wykes bringt seine Gefühle für sie auf den Punkt: »I’ll wager that in one year’s time it’ll be you who’ll be being

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rude about Marguerite and I will be being rhapsodic and have quite forgotten how intolerably tiresome, vain, spendthrift, self-indulgent and generally bloody crafty she really is.« Ebenso erhellend ist die Szene in Marguerites Schlafzimmer, als er Milo geradezu befiehlt, erst ihre Unterwäsche und danach ihren Spiegel zu zerstören, was er mit den Worten kommentiert: »What better safe deposit for deceit? How often has it reflected the bright eyes that betray? The mouth that lied and kissed and lied again.« Während Andrew diese Worte sagt, spricht aus seiner Stimme lange aufgestauter und angesammelter Hass. Mit den letzten Worten fegt er mit Hilfe des Spiegels demonstrativ sämtliche Gegenstände vom Toilettentisch Marguerites. Die von Objekten überbordende Einrichtung lässt auf weitere Charaktereigenschaften Wykes schließen, vor allem auf seine psychischen Besonderheiten. Wie bereits erwähnt, ist das Spiel von überragender Bedeutung in Sleuth und insbesondere ist es das für Wyke, der das Spielen und die Kriminalromane zu seinem Lebensinhalt gemacht hat. Das Problem daran wird durch folgenden Schlagabtausch deutlich. Milo: Andrew: Milo: Andrew: Milo:

Playing the game is very important to you, is it, sir? […] Playing the game is what every gentleman does. Playing of particular games is my special passion. In a way, my whole life. That sounds a bit sad to me. Like a child, not growing up. [Dieser Kommentar wird von melancholischer Musik untermalt.] What’s so sad about a child playing? Oh nothing, sir – if you’re a child.

Wykes beinahe pathologische Fixierung auf das Spiel geht mit einer Negation der Außenwelt und der Realität einher: »He refuses all direct contact with reality. The game is a filter and a screen that allows him to control his contact with reality, where he plays the role of master, executioner and spectator.« (Garsault 2002: 137) Zu dieser Verleugnung der Realität gehört auch, dass er in der Vergangenheit statt der Gegenwart zu leben scheint und der »guten alten Zeit« nachtrauert: »In the good old days, before television, that is…«. Den Stillstand der Zeit in Cloak Manor, der durch das Anhalten der Uhr durch Wyke ganz am Ende des Films deutlich visualisiert wird, beschreibt Rose-Marie Godier äußerst treffend und stellt gleichzeitig die Verbindung zu Tindle als Sohn eines Uhrmachers her: [C]’est bien le fils de l’horloger qui est puni, à cause précisément de ses origines sociales. De plus, au voisinage de cette machine, l’exécution semble inéluctable puisque l’horloge prend fréquemment le masque du destin – comme dans La Mort Rouge d’Edgar Poe. Dans la deuxième partie, on retrouve cette horloge lors de la reconstitution de Doppler et, dans tous les plans suivants, Wyke est systématiquement cadre avec elle: vengeance des petites gens! Retour de balancier! s’écrie le spectateur qui n’a rien oublié. […] Wyke dérègle et arrête le temps: c’est un balancier immobile qui sera témoin du dernier jeu de

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung Wyke. Alors que les autres automates s’animent bruyamment, le balancier du temps, par contraste, est figé: Wyke a tué le temps, pour lui substituer une fiction et une mécanique – comme avant lui Macbeth avait tué le sommeil. (2005: 123)

Wykes Umgang mit der Zeit, welche er durch eine fiktive Zeit ersetzt, zeigt sich auch in der Gestaltung seiner Freizeit. Sein überragender Gewinn bei der Billardpartie (»What did you lift that cue for?«) ist nur durch ein zeitintensives Training möglich und verdeutlicht daher, dass er seine freie Zeit überwiegend mit Spielen verbringt. Wyke scheint zudem sehr viel Freizeit zu haben, was wiederum in engem Zusammenhang mit seiner finanziellen Absicherung steht, die ihm diese Freiheit erlaubt. Die Überlegenheit im Billardspiel lässt zudem die Vermutung zu, dass er die Zeit allein mit Spielen verbracht hat, statt sie Marguerite zu widmen. Darauf deutet eine Aussage hin, die Wyke zu Beginn macht. Als sich Milo nach einer lebensgroßen Automatenpuppe erkundigt, antwortet Andrew, dass es sich um »Jolly Jack Tar, the jovial sailor« handele. Allein die Tatsache, dass Wyke ihm, wie einem Kind, einen Namen gegeben hat, deutet auf die anthropomorphe Funktion hin, die die Automaten für Wyke innehaben. Dies bestätigt auch Wykes Erklärung von Jacks Funktion: »He and I have a really splendid relationship. I make the jokes, and he laughs at them.« Die Einsamkeit Wykes geht jedoch mit einer absoluten Selbstverliebtheit einher, wie Tindle treffend bemerkt: »Who, besides yourself, is the closest to being someone you care about?« Eine weitere psychologische Auffälligkeit ist Wykes Ordnungswahn. Das erste, was Andrew tut, nachdem er Milo am Ende des ersten Aktes ›erschossen‹ hat, ist, aufzuräumen. Gleich zu Beginn des zweiten Aktes führt uns eine lange Kamerafahrt durch das gesamte Haus und fokussiert die penibel wiederhergestellte Ordnung nach der Verwüstung und Zerstörung, die Wyke und Tindle verursacht haben. Dass er viel Wert auf Genauigkeit legt, erschließt sich auch aufgrund seines bis ins letzte Detail durchdachten Plans sowie durch sein akkurates Auftreten, seine stilisierte Sprache und sein makelloses Erscheinungsbild. Gegen Ende des ersten Aktes wird deutlich, dass Andrew trotz seines Spielwahns keineswegs mit einem unschuldigen, spielenden Kind verglichen werden darf. Seine Spiele sind bitterer Ernst und die Aufdeckung seines Plans lässt ihn als gewieften Manipulator und unmoralischen Egoisten erscheinen. Betrachtet man Wykes Bedürfnisse mit Hilfe der Maslow’schen Bedürfnispyramide, lässt sich leicht feststellen, dass die unteren Schichten (physiologische und Sicherheitsbedürfnisse) komplett abgedeckt sind. Die Szene, in der Wyke nach seinem vermeintlichen Sieg über Milo mit größter Sorgfalt sein Abendessen mit Kaviar vorbereitet, bestätigt dies. Daher strebt er nach Erfüllung der höheren Bedürfnisse wie Erfolg, Wertschätzung und Erhaltung seines Status’. Dies lässt sich erneut mit der Sphäre des Spiels verknüpfen, wozu Ziele wie die Erlangung von Ehre und Anerkennung gehören (Huizinga 1971: 54/5). Ebenso lässt sich hier an die von Eder betonte Kategorie der Figur als Symptom anknüpfen. Die zunehmende Porosität der Klassengrenzen in Großbritannien seit dem Zweiten

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Weltkrieg (Marwick 2005: 82/3, 89) sowie vor allem der Aufstieg und die zunehmende Dominanz der Arbeiterklasse (Shail 2004: 68) bedrohen die Bedeutung und den singulären Status der Oberschicht. Wyke scheint sich dieser Entwicklung bewusst zu sein, wenn er bereits zu Beginn des Films einen etwas abwertenden und ironischen Kommentar über »our classless society« abgibt. Somit kann Wyke aufgrund seines Verhaltens das Bedürfnis unterstellt werden, seinen durch den Arbeitersohn Tindle und dessen Verhältnis zu Marguerite verletzten Status und die damit verbundene Macht bewahren oder zurückerobern zu wollen. Diese Interpretation wird von der Tatsache unterstützt, dass weder im Theaterstück noch in der Neuverfilmung des Stoffes von 2007 ein so deutlicher Akzent auf die Klassenunterschiede zwischen den beiden Protagonisten gelegt wird wie in der hier analysierten Version von 1972. Marguerite funktioniert hier als (abwesende) Verkörperung dieser Macht, wie ich im Abschnitt über die Figurenkonstellation näher ausführen werde. Wie Wyke mehrfach andeutet, liebt er Marguerite nicht. Aber um Liebe geht es auch nicht: »Whether I love her or not, I found her, I’ve kept her. She represents me.« Diese Aussage unterstreicht die in Sleuth vorrangige Funktionsweise der Frau als ein mit Wert aufgeladenes ›Objekt‹. Wykes Motivation ist also von seinem Wunsch nach Machterhalt und der Wiederherstellung seiner Ehre – die nur durch Erniedrigung oder Tod seines Kontrahenten zu erreichen ist – geprägt. Dies wird jedoch erst am Ende des ersten Aktes deutlich. Bis zu diesem Zeitpunkt scheint Wykes Verhalten dem jüngeren Rivalen gegenüber pragmatisch und beinahe altruistisch zu sein und die Bereicherung beider zum Ziel zu haben. Ob Wyke sein Ziel erreicht und seine Bedürfnisse am Ende des Films befriedigt hat, ist nicht leicht zu beurteilen. Er hat zwar eine bedeutende Demütigung Tindles erreicht, diese wurde ihm jedoch von seinem Kontrahenten zurückgezahlt. Der Film endet mit Tindles Tod. Dadurch ist Andrews primärer want – die Beseitigung des Nebenbuhlers – zwar erreicht. Sein eigentlicher need – die Wiederherstellung seiner Ehre – wird jedoch durch das im Fenster erscheinende Blaulicht, welches seine Verhaftung nahelegt, kompromittiert. Die Figurendarstellung lässt sich als sehr konsistent beschreiben. Zunächst fällt auf, dass die körperliche Erscheinung Wykes dessen Einführung über seine Stimme nachgestellt ist. Zunächst hört man nur, wie Wyke unsichtbar hinter den Hecken des Irrgartens einen Teil aus seinem neuesten Roman rezitiert. Somit werden diese Elemente seiner Persönlichkeit gleich zu Beginn hervorgehoben. Besonders offenkundig ist das overplay, welches sich hier vor allem durch eine ausgeprägte Mimik auszeichnet. Diese ist noch ausgeprägter, wenn er, einem Bauchredner nicht unähnlich, imaginäre Dialogpartner intoniert. Dies trägt dazu bei, dass die Figur stilisiert und exzentrisch wirkt, zeichnet sie sich doch durch ihre extreme Künstlichkeit und das Leben in einer fiktionalen und daher artifiziellen (Spiel-)Welt aus. Der mit der Figur konforme Schauspielstil ist in besonderem Maße für diesen Eindruck verantwortlich. Die Darstellung insgesamt ist kohärent, es gibt außer der bereits beschriebenen Entwicklung, die das Figuren-

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modell im Kopf des Zuschauers im Filmverlauf unterläuft, keine Brüche oder tiefgreifenden Veränderungen oder nicht zueinander passende Gestaltungsmittel. Die Gestaltung durch Kamera und Beleuchtung ist eher unauffällig und lenkt durch eine klassische Auflösung im Wechselspiel aus Annäherung und Entfernung die Aufmerksamkeit auf die Figur Andrew Wyke als fiktives Wesen. Sowohl Wyke als auch Tindle werden vor allem durch Ausstattung und Dialoge charakterisiert. Dies erfolgt schrittweise, beinahe wie in den von Wyke so geschätzten Kriminalromanen. Vor allem an entscheidenden Wendepunkten werden in Schlüsselszenen bis dahin unbekannte Merkmale, Gedanken, Intentionen und Motivationen offengelegt. Diese Szenen befinden sich meist am Ende eines der bereits angesprochenen Spiele, welche die Handlung strukturieren. So kann davon ausgegangen werden, dass sich das Figurenmodell an diesen Wendepunkten jeweils deutlich verändert. Wykes Einschätzung von Seiten der Zuschauer verschiebt sich an dieser Stelle hinsichtlich seiner moralischen Bewertung sowie der Beurteilung seiner Position im Wettkampf mit seinem Rivalen. Während er bis zum Ende des ersten, von ihm geleiteten Spiels noch als deutlich überlegen erscheint, was nicht zuletzt durch den vermeintlichen Tod Tindles bestätigt wird, verblasst seine Souveränität während des zweiten Spiels zunehmend, um im dritten Spiel einem hysterischen und verängstigten Andrew Platz zu machen. Die umgehende Zurückgewinnung seiner Fassung nach jeder Erniedrigung lässt jedoch darauf schließen, dass sich das Bild der Figur beim Zuschauer zwischen diesen beiden Polen bewegen wird. Das Casting unterstützt in besonderem Maße die dargestellte Rolle. Als »[t]he English theater’s greatest reigning star« (Geist 1978: 378) ist Laurence Olivier im Film vor allem als Held in Shakespeare-Adaptionen bekannt geworden. Attribute wie jung, stark und attraktiv, der oberen Gesellschaftsschicht angehörig und dementsprechend mächtig, dominant und überlegen, zeichnen die von Olivier verkörperten Figuren aus. Selbst der vermutlich niedrige soziale Ursprung des Findelkinds Heathcliff aus Wuthering Heights (Stürmische Höhen, USA 1939, R: William Wyler), eine von Oliviers bekanntesten Rollen, wird durch die Fiktion aufgewertet. Nicht nur steigt Heathcliff im Laufe der Filmhandlung durch ehrliche Arbeit, starken Willen sowie Aufrichtigkeit seiner Liebe sozial auf, sondern der Witz, den Cathy macht, muss durchaus auch in seiner fiktionalen Logik ernst genommen werden: »I said your father was emperor of China and your mother an Indian Queen. It’s true, Heathcliff.« In all denjenigen Filmen, die für die Konstituierung seines Rollenbildes ausschlaggebend waren – vor allem Richard III (GBR 1955, R: Laurence Olivier), Wuthering Heights, Rebecca (USA 1940, R: Alfred Hitchcock) und Spartacus (USA 1960, R: Stanley Kubrick) – verkörperte er stets den nach Macht und Anerkennung Strebenden, der bei der Erreichung seines Ziels zwar meist erfolgreich ist, dafür jedoch solch große Opfer bringen muss, dass dieser Erfolg deutlich in Frage gestellt wird. Der der Oberschicht angehörige Andrew ähnelt damit den früheren von Olivier verkörperten Charakteren

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in beträchtlichem Maße, was die hier vorgeschlagene Lesart der Figur bei entsprechendem und wahrscheinlichem Vorwissen der Zuschauer begünstigen dürfte. Der Weg auf der sozialen Leiter – Milo Tindle Für die Analyse der Figur Milo Tindle werde ich, ob der angesprochenen verschiedenen Verkleidungsszenen, den Rezeptionsprozess chronologisch nachvollziehen und die verschiedenen Erscheinungen der Figur getrennt betrachten. Zur Unterscheidung werde ich dabei den Namen Joey bzw. Doppler für die Figur verwenden, während sie sich in dem jeweiligen Kostüm befindet. Besondere Aufmerksamkeit wird der Szene zuteil, in der die Verwandlung Milos in den Clown Joey stattfindet. Die Reflektion darüber, ob und wie die verschiedenen Gestalten als unterschiedliche Figuren rezipiert werden und welche Wechselwirkungen zwischen den Erscheinungsformen bestehen, wird im abschließenden Teil dieses Kapitels erfolgen. Milo Tindle ist ein Mann um die 30 Jahre, von großer und schlanker Statur, mit blonden, etwas längeren und ordentlich frisierten Haaren. Während des Filmanfangs sowie zu Ende des Films trägt er eine elegante Kombination, bestehend aus grauer Hose, hellblauem Hemd und dunkelblauem Jackett. Andrew kommentiert Tindles Kleidung ironisch mit den Worten »neatly dressed in brand-new country gentleman’s clothing«. Der Kommentar ist deshalb ironisch, weil Milo eigentlich von niedriger sozialer Abstammung ist, wie er zuvor selbst erzählt hat, und diese durch elegante Kleidung zu kaschieren sucht. Seine Mutter war Bauerstochter und sein Vater kam in den 1930ern aus Genua nach England. Während Milo dies sagt, schaut er beinahe verschämt nach unten. Wie wir bereits feststellen konnten, spielt die soziale Herkunft eine enorme Rolle in Sleuth. Andrew Wyke spielt immer wieder abwertend auf Tindles Herkunft aus der Arbeiterklasse an, so z.B. nachdem Milo klug das Versteck des Safes hinter der Dartscheibe erkannt und mit einem treffsicheren Wurf ins Schwarze geöffnet hat: »There are certain skills best acquired in public bars, I suppose.« Auf seine anschließende Frage, wie er das Versteck erraten habe, kontert Milo: »You and your games. That is the only game in this room«, was zu erkennen gibt, dass Milo Wyke in Sachen Intelligenz ebenbürtig ist. Wyke zeigt als Reaktion nur einen konsternierten Gesichtsausdruck. Solche und ähnliche Anspielungen auf Herkunft und gesellschaftlichen Status ziehen sich durch den gesamten Film. Wie sehr die Besetzung der Rolle durch Michael Caine solche Andeutungen unterstützt, werde ich bei der Analyse der Figurendarstellung erläutern. Die zitierte Szene eignet sich gleichzeitig vortrefflich, um weitere zentrale Eigenschaften Tindles zu verdeutlichen. Er ist sehr aufmerksam, clever und schlagfertig und hat eine schnelle Auffassungsgabe; so entdeckt er auch immer wieder verschiedene plot holes in der von Andrew gesponnenen Geschichte. Dank dieser Eigenschaften konnte er sich trotz der benachteiligten Ausgangslage relativ weit auf der sozialen Leiter nach oben kämpfen. Dies zeigt sich z.B. daran, dass sein Frisörsalon in South Kensington, einem noblen Stadtteil im Westen Londons, gut läuft. Solche Erfolge werden jedoch immer wieder durch

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kleine Anspielungen relativiert. Neben der genannten zynischen Bemerkung ist auch der Name des Anwesens, auf dem Milo sich mit Wykes Ehefrau Marguerite trifft, Laundry Cottage, eine eindeutige Anspielung auf seine Herkunft aus der Arbeiterklasse. Seine Aussage »I’m afraid I don’t know much about noble minds« bestätigt dies. Sie weist gleichzeitig darauf hin, dass er seine unvorteilhafte Abstammung nicht verleugnet. Seinem eigentlichen Namen, Tindolini ist durch das italienische Diminutivaffix ›-ino/a‹ eine verniedlichende und abwertende Konnotation eingeschrieben. Milo selbst sagt, diesen Namen abgelegt zu haben, um seine italienischen Wurzeln und die damit verbundene Diskriminierung zu kaschieren. Sein neuer, anglifizierter Name ist ebenfalls ein sprechender Name. »Tinder« bedeutet auf Englisch Zunder und spielt damit auf das Konfliktpotenzial an, welches den Aufstiegsambitionen Milos innewohnt. Denn von Wyke werden Milos Versuche, sich einen Platz in der upper-class of society zu erkämpfen, als anmaßend empfunden. Das folgende Zitat beschreibt den Konflikt treffend: In Sleuth, the commoner invades the aristocrat’s world and takes up residence there (in the deliciously named Laundry Cottage). Milo is more than an adulterer sleeping with Andrew’s wife. He is an emissary from the nouveau riche who, along with others of his class, is challenging aristocratic privilege as defined and defended by the British class system. Milo’s class aspirations and impertinence are a much greater danger to Andrew than the seducing of his wife. (Dauth 2005: o.S.)

Milo entspricht in vielerlei Hinsicht dem Stereotyp des nouveau riche und wird in dieser Rolle als Eindringling empfunden, was durch die Inszenierung auch raumsemantisch veranschaulicht wird. Die gesamte Filmhandlung spielt einzig auf dem Anwesen Wykes, Tindle bewegt sich also die ganze Zeit im Raum des gesellschaftlich höher Stehenden. Zudem können wertbesetzte Eigenschaften Tindles wie Attraktivität, junges Alter, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Virilität von Wyke als Bedrohung aufgefasst werden, da diese für ihn als deutlich älteren Mann schwieriger aufrechtzuerhalten sind. Milos Motivation ist damit umrissen: Ihm geht es, Wyke nicht unähnlich, um sozialen Aufstieg, Ansehen und Anerkennung, Macht und Status. Seine Vorgeschichte ist deshalb von zentraler Bedeutung. Der Zuschauer erfährt von diesem Hintergrund durch Milo selbst, was bedeutet, dass sich dieser der Problematik bewusst ist. Wie vehement sein Wunsch, seiner Herkunftsklasse zu entkommen, in ihm brennt, wird zwischen dem zweiten und dem dritten Spiel offenbart: »Losers! As far back as you can go. Well, it stops with me! With me, the Tindles start winning!« Bezeichnenderweise benutzt Milo hier Vokabular aus dem semantischen Feld des Spiels. Er hat die Welt Andrews also bereits assimiliert. Ebenso bedeutsam ist, dass dies erst im zweiten Akt nach Ende des zweiten Spiels gesagt wird, welches Milo gewonnen hat. D.h. ebenso, dass dieser Ausspruch nach der entscheidenden Szene der Maskierung zum Clown stattfindet, in welcher, so die These, der gesellschaftliche Konflikt, der all den Spielen eigentlich zugrunde

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liegt, auch visuell offenbart wird. Im ersten Akt, um den es im Moment gehen soll, ist Milo Wyke unterlegen, was z.B. durch das Billardspiel angedeutet wird, bei dem er nicht einmal den Ansatz einer Chance erhält. Neben diesen needs hat Milo auch noch ein ganz konkretes Ziel, nämlich die nötigen finanziellen Mittel zu erlangen, um seine Affäre mit Marguerite in eine dauerhafte Beziehung verwandeln zu können. Betrachtet man die Situierung der Bedürfnisse und Wünsche Tindles auf der Maslow’schen Bedürfnispyramide, fällt auf, dass ihm im Basisbereich die finanzielle Sicherheit fehlt und seine Bedürfnisse daher auf der Pyramide in einem niedrigeren Bereich liegen als diejenigen von Wyke. Die Motivation Tindles verändert sich jedoch im Laufe der Filmhandlung. Zu den beschriebenen Beweggründen gesellen sich nach dem ersten Akt die Rache hinzu und der damit einhergehende Wunsch, Wyke ebenso zu demütigen, wie dieser es mit ihm getan hat. Auf der Darstellungsebene wird Tindles Fixierung auf Marguerite wiederholt durch eine ganz bestimmte Inszenierung dargestellt. Im Eingangsbereich von Cloak Manor ist ein leuchtend roter Regenmantel zentral im Bild platziert, der allein schon durch die sehr gesättigte Farbe die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Als Milo das Haus erstmalig betritt, bleibt er kurz vor der Garderobe stehen, da er den Mantel von Marguerite wiederzuerkennen scheint. Genau in dem Augenblick setzt extradiegetische, melancholische Musik ein – die mit seinem Abwenden von dem Kleidungsstück wieder verstummt. Somit wird einerseits seine Gefühlswelt akustisch inszeniert, andererseits die Verwendung des Mantels als Zeichen für Marguerite eingeführt. In allen Fällen ist sich die Figur ihrer Motivation bewusst und versucht, überwiegend rational, teilweise jedoch auch impulsiv handelnd, diese egoistischen Ziele durch geschickte Manipulation zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs oder besser gesagt die Einschätzung des Zuschauers hierüber verändert sich von Spiel zu Spiel. Während es zu Beginn noch ganz so aussieht, als könne Milo seine Ziele leicht erreichen, ändert sich diese Einschätzung mit seinem vermeintlichen Tod schlagartig. Am Ende des zweiten Aktes wendet sich das Blatt erneut und die Möglichkeit der Wunscherfüllung scheint wieder gegeben. Sie steigert sich zum Ende des Aktes hin, als Milo sein neues Bedürfnis, das der Erniedrigung Wykes, erreicht. Die Hoffnung, dass Milo sein Gesamtziel erreichen könne, wird durch Andrews Mord an ihm schließlich gänzlich zunichte gemacht. Bei der Figurendarstellung muss zwischen den verschiedenen Phasen der Charakterisierung unterschieden werden. Bei Milo Tindle handelt es sich um eine dynamische Figur, deren Modell im Kopf des Zuschauers sich im Filmverlauf mehrmals ändert. Die Informationsvergabe erfolgt schrittweise und in engem Zusammenhang mit den jeweiligen Verwandlungsszenen. Es handelt sich um eine komplexe und mehrdimensionale Figur, die am Ende der Filmrezeption dennoch ein geschlossenes und kohärentes Figurenmodell ermöglicht. Besonders anhand der stark emotional aufgeladenen Szenen während seines Auftrittes als Joey wird das Innenleben der Figur ersichtlich.

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Zu Beginn ist die Darstellung sehr natürlich und realistisch; Caines Schauspielstil ist von einem underplay geprägt, welches sich durch eine kontrollierte und natürliche Mimik und Gestik auszeichnet. Seine aufrechte Körperhaltung steht in Einklang mit der generell an den Tag gelegten Kontrolle, ebenso wie die eher kurz angebundene, klare und überlegte Sprache im Standardregister und Standardaussprache des Englischen. Die filmstilistischen Gestaltungsmittel wie Kostüm, Maske, Beleuchtung oder Musik sind ebenfalls eher unauffällig und lenken die Aufmerksamkeit auf die erzählte Geschichte. Charakterisiert wird die Figur vor allem durch ihr Verhalten sowie durch die Dialoge, welche in Bezug auf die Informationen über Milo Tindle als zuverlässig einzustufen sind. Besonders in den Szenen, in denen die Figur verkleidet auftritt, tragen auch Maske und Kostüm maßgeblich zu ihrer Charakterisierung bei. Tindles Handeln kann als rational charakterisiert werden. Der erste Eindruck ist der eines attraktiven, aufstrebenden und selbstsicheren jungen Mannes. Dass diese Einschätzung nur bedingt zuverlässig ist, enthüllen die weiteren Entwicklungen. Während seines Auftritts als Joey verändert sich die Figurendarstellung schlagartig. Der Schauspielstil zeichnet sich durch ein deutliches overplay aus, Mimik (soweit nicht durch die Maske überdeckt) und Gestik sind ausholend und übertrieben. Vor allem werden bestimmte, mit dem Clown assoziierte Verhaltensweisen wie das klassische Stolpern in die Darstellung eingeflochten. Während Tindle in der Gestalt Joeys auftritt, ist sein Handeln nur noch bedingt rational. Vor allem in Momenten höchster Anspannung verliert er die bis dahin an den Tag gelegte Beherrschung und verfällt zudem sprachlich in den Cockney-Akzent. Was jedoch für alle Etappen gilt, ist die Verkörperung der Figur durch Michael Caine, dessen Rollenbiografie in außerordentlichem Maße seiner Rolle in Sleuth zuträglich ist. Die 1960er Jahre können als entscheidend für die Prägung seines Rollenimages gesehen werden. Durch Filme wie The Ipcress File (Ipcress – streng geheim, GBR 1965, R: Sidney J. Furie), The Italian Job (Charlie staubt Millionen ab, GBR 1969, R: Peter Collinson) und allen voran Alfie (Der Verführer lässt schön grüssen, GBR 1966, R: Lewis Gilbert) schuf Caine eine persona, die sich durch ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse und ihre Identifizierung damit auszeichnete. Shail spricht etwa von »his identification with the values of the newly ascendant, young, urban working classes« (2004: 69). Bray geht besonders auf den sozialökonomischen Aspekt von Caines Figuren ein: »In pictures like The Ipcress File (1965) and Gambit (1966) Caine made a name for himself playing the poor but savvy nobody out to take whatever he could from the needlessly rich.« (2005: 13) Er hatte eine »reputation as a ladykiller« (ebd.: 28) und der von Caine gespielte Spion Harry Palmer verkörperte – als Gegenentwurf zu James Bond – einen kühlen und introvertierten »new kind of British sexual hero« (ebd.: 75). Obwohl er in seinen Rollen oft unmoralischen Beschäftigungen nachgeht oder sich als Gangster verdingt, und mit Adjektiven wie draufgängerisch, verbrecherisch, talentiert und unbekümmert beschrieben werden kann, bot die Alltäglichkeit seines Rollenspiels scheinbar einen Anknüpfungspunkt für einen

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Großteil des Publikums: »Caine’s persona brought together a sense of ordinariness, which made it easy for audiences to identify with him, with a feeling that his rough-edged, quick-wittedness was the essential ingredient in his success, a quality that any working-class lad might equally possess.« (Shail 2004: 70) Unter Berücksichtigung von Caines eigener Biografie ist es nicht verwunderlich, wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu einer – durch das Marketing für seine Filme unterstützte – Vermischung von Schauspieler und Rolle kam: Such was the impact of his performance in the title role [of Alfie] that he became synonymous with the part. This personal affinity between Caine and the character he played was central to the way the film was promoted. Its promotional posters proclaimed that ›Michael Caine is Alfie, is Wicked, is Crafty, is Irresistible‹. (Ebd.: 71)

Von besonderer Bedeutung ist dabei Caines Akzent. Mehrmals in seiner Karriere wurde er aufgrund seines »Cockney origin« (Geist 1978: 393) gecastet. Der Cockney-Dialekt wird im Süden Londons gesprochen und hatte zur Produktionszeit des Films noch ein niedriges soziales Prestige. Vor dem Zweiten Weltkrieg hieß es dazu gar: »Of all the non-standard forms of English, Cockney is the most generally despised and downtrodden.« (Matthews 1938: ix). In den letzten Jahren scheint sich diese Bewertung zunehmend zu verändern (Mott 2012). Die auffälligsten Merkmale des Dialekts sind die Diphthongierung von langen Vokalen, die im Standard-Englisch, in der received pronunciation (RP), als Monophthong realisiert werden (Matthews 1938: 78, Mott 2012: 75/6), sowie die Monophthongierung von Diphthongen wie z.B. in der Aussprache »me« statt »my« (Mott 2012: 78).7 Selbstverständlich ist das Erkennen des Akzents sowie seiner Konnotationen rezeptionsabhängig und wird höchstwahrscheinlich nur Muttersprachlern oder Sprachwissenschaftlern auffallen. Dennoch bleibt die stress- und emotionsbedingte Änderung des Sprachstils von Milo Tindle für alle Zuschauer unüberhörbar. Zudem unterstützt das Changieren des Akzents eine Lesart, die der Film auch durch andere clues suggeriert. Bei der Betrachtung von Joey werde ich näher auf diese Auffälligkeit eingehen. Geht man von der Rezeption aus, ist entscheidend, zwischen der Rezeption zur Entstehungszeit des Filmes und einer heutigen zu unterscheiden, da sich die Rollengeschichte Caines deutlich gewandelt hat. Vor allem durch seine Rolle als Alfred in der äußerst populären Batman-Trilogie von Christopher Nolan (Batman Begins [USA, GBR 2005], The Dark Knight und The Dark Knight Rises) dürfte sich das Bild, das Zuschauer mit Caine verbinden, verändert haben. Wenngleich das Attribut »working-class hero« auch auf die Rolle des Alfred zutrifft, 7 | Weitere charakterisierende Eigenschaften des Dialektes sind die Vokalisierung des [l] nach Vokalen (Matthews 1938: 80), der Wegfall des [h] in initialer Position in der Aussprache (ebd.), das Zusammenfallen der Phoneme [f] und [θ] (Mott 2012: 84) sowie die Glottalisierung (Matthews 1938: 80, Mott 2012: 82, 85/6).

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so sind Lebenserfahrung, Besonnenheit und Zurückhaltung zu seinen (Rollen-) Eigenschaften dazugekommen. Verwunderlich für mich war, dass die Clownsmaskierung in keiner Publikation über den Film besondere Beachtung erfährt. Die maximale Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird, ist eine kurze Erwähnung. Als Erklärung dafür drängen sich einige zentrale Eigenschaften des Clowns auf: seine Lächerlichkeit und Assoziation mit dem Kindlichen sowie seine Funktion als netter Entertainer, die allesamt dazu führen, dass dem Clown keine ernste Bedeutung zugemessen wird. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des Entstehungsdatums des Filmes und seiner Kritiken zu sehen. Der Beginn des populären Killer-Clown-Subgenres ist chronologisch nach der Produktion von Sleuth anzusiedeln. Somit kann davon ausgegangen werden, dass im zeitgenössischen kulturellen Gedächtnis (Assmann 1992) das harmlose Image des Clowns noch vorherrschend war. Was die aktuelleren Auseinandersetzungen mit dem Film angeht, lässt sich nur spekulieren, dass die Verkleidung als Symbol für die Lächerlichkeit, der Milo Tindle ausgesetzt wird, als so offensichtlich erkannt wird, dass es nicht explizit erwähnt wird. Dass dies bei Weitem nicht die einzige Implikation der Clownskostümierung ist, zeigt die folgende Analyse. Die Szene, in der die Verwandlung von Milo in den Clown »Joey« stattfindet, ist für das hier zu verhandelnde Thema äußerst aufschlussreich. Sie dauert drei Minuten und fünfzig Sekunden und findet auffälligerweise im Keller von Cloak Manor statt – wobei der Name des Anwesens in seiner Bedeutung als Deckmantel diesmal weniger metaphorisch als wörtlich auf das Verschleiern bzw. Aufdecken durch Verkleidung verweist. Auch wenn ich keinem psychoanalytischen Ansatz folge, so lässt sich die Freud’sche Dreiteilung der menschlichen Psyche in Es, Ich und Über-Ich geradezu paradigmatisch auf die Raumsemantik in Sleuth übertragen. Das Es ist in Freuds Modell Sitz der verdrängten Triebe und die unterste Schicht, weswegen sich der Keller geradezu als Symbolisierung anbietet – ähnlich wie etwa auch in Psycho (USA 1960, R: Alfred Hitchcock), dessen Raumsemantik ebenfalls auf das Freud’sche Modell bezogen worden ist. Die im Folgenden analysierte Verwandlungsszene wird von der These geleitet, dass die Clownsmaskierung als Entblößung der den Zuschauenden anfangs verborgenen Merkmale und Implikationen der Figur Milo Tindles gelesen werden kann. Die entsprechende Szene wird durch ein extradiegetisches Klarinettensolo eingeleitet. Zuvor betrachten Milo und Andrew verschiedene Kostüme. Nachdem sie nichts finden, was beiden zusagt, bemerkt Wyke: »We’ll just have to settle for Joey.« Bemerkenswert ist Milos Reaktion beim Erblicken des Clownskostüms: Sein Gesicht erhellt sich und seine neutrale Mimik verwandelt sich in ein Lachen, begleitet von dem Ausruf: »Joey! Now you’re talking!«, und während er das Kostüm an sich nimmt: »A clown!« Dieser plötzliche emotionale Ausdruck ist der erste dieser Art von Milo; bis zu diesem Zeitpunkt im Film hat sich die Figur stets äußerst beherrscht verhalten und ihre Meinung höchstens durch ironische oder Andrews verbale Attacken konternde Aussagen kundgetan. Tindle mag das

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Kostüm auf Anhieb und entscheidet sich umgehend dafür. Es handelt sich in diesem Fall also um eine freiwillig und äußerst gerne vollzogene Verkleidung – im Unterschied zu einigen anderen bedeutenden Filmen mit Clownsfiguren. Dies kann in zweierlei Hinsicht interpretiert werden. Einerseits kann eine Verbindung mit dem asexuellen Charakter des Clowns gesehen werden. Auf die ambivalente sexuelle Charakterisierung der Figuren werde ich im letzten Abschnitt dieses Kapitels näher eingehen. Andererseits lässt diese kindliche Freude am Verkleiden und Hineinschlüpfen in die Rolle des Clowns auf Milos Kindlichkeit, Unschuld und Naivität schließen – allesamt Konnotationen des Clowns. Die nächsten Dialogzeilen, bei denen sich sowohl Milo als auch Andrew richtiggehend in Rage reden und spielen, was auch in einer Dynamisierung der Bewegungen und Gesten resultiert, rufen klassische Zirkusattribute auf. Andrew: »Can’t you see it all? The sawdust ring, the tinsel, the glitter, the lights!« Milo: »The elephants, the high wire, the roar of the crowds.« Mit dieser Anspielung auf den Zirkus wird das Clownskostüm, das Milo Stück für Stück von Andrew zugeworfen bekommt, mit dem gängigen Image des Zirkusclowns enggeführt. Zudem stammt der Name Joey, der im angelsächsischen Sprachraum als allgemeine Bezeichnung für den Clown Verwendung findet, von dem ersten Clown, der in Erscheinung und Funktion dem heute bekannten traditionellen Zirkusclown entsprach: Joey Grimaldi (vgl. hierzu Kap. 2.2). Wie zur Bekräftigung geht das mit Beginn der Sequenz einsetzende Klarinettensolo in Zirkusmusik über. Die nun folgende Verwandlung beginnt mit einer Entblößung Milos im wahrsten Sinne des Wortes, welche durch Andrews Worte kommentiert wird: »Off with your jacket […]. That’s right, your shirt and your trousers. […] Down to your smalls. Don’t be shy.« Den lüsternen Blick, den Andrew dabei hat, werde ich im Zusammenhang mit der Figurenkonstellation interpretieren. Weitaus bedeutender als der Dialog erscheint mir in dieser Szene die Bildinszenierung zu sein. Die in Abbildung 13 zu sehende Einstellung ist semantisch dicht aufgeladen und kondensiert visuell beinahe alle zentralen Themen des Films: die Maskerade, die Entblößung und Demütigung sowie den Tod – symbolisiert durch das Skelett –, der bereits über die Figuren wacht, ohne dass sie sich dessen bewusst wären.

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

Abbildung 13: Die Verbindung von Clownsmaske und Tod. Michael Caine als Milo Tindle. Screenshot aus Sleuth.

Interessant ist auch, dass die Kostümierung Milos, welche ich hier als Entblößung lese und das Ablegen des (Aristokraten-)Kostüms von Andrew parallel geführt werden. Maskierung und Demaskierung gehen also Hand in Hand. Im weiteren Verlauf der Szene singt und tanzt Milo albern herum, wobei er die von Andrew in Aussicht gestellten 170.000 Pfund (der Gegenwert der Juwelen) erwähnt. Dabei verfällt er teils in einen Cockney-Akzent, teils imitiert er einen italienischen Akzent. Dies ist eine Komponente der Entblößung durch die Clownsmaskerade, da sie Milos soziale Maske brüchig werden und seine ursprüngliche Herkunft durchscheinen lässt. Selbst Milos bis zu diesem Zeitpunkt makellose Frisur ist nun deutlich zerzauster als in der als Screenshot festgehaltenen Einstellung, obwohl die beiden Momente nur wenige Filmsekunden voneinander trennen. Die perfekt frisierten Haare sind Teil der ›Maske‹ des nouveau riche, die Milo durch das Anlegen der Clownskostümierung abzulegen gezwungen ist. Dass diese gesellschaftliche Rolle der Beschäftigung im Showbusiness diametral gegenübersteht, ist offensichtlich. Die traditionell schlecht angesehene soziale Position dieses Gewerbes rührt nicht zuletzt daher, dass Ausstellung, Entblößung und Maskierung Teil dieser Berufe sind. Milos Interesse an dem Bereich wird signifikanterweise erst erzählt, als er das Clownskostüm trägt. Milo: Hey, slap shoes. Do you know I’ve always wanted a pair of these? Andrew: Yes, my boy. Milo: My father took me to the palladium when I was a kid. I might have caught on in show business, you know. You never know. A lot of my friends did. They got to the top. You know how? They danced their way through.

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Während dieser Worte gesellt sich Milo indirekt zu den erwähnten Freunden, indem er ebenfalls eine Tanzeinlage zum Besten gibt – konsequenterweise zu Zirkusmusik. Diese Musik begleitet die beiden Protagonisten auch auf ihrem Weg zurück nach oben. Während Andrew eine Trompete blasend vorneweg stolziert, stolpert ihm Milo tanzend nach. Andrew kommentiert diese Imitation einer klassischen Zirkusparade und stellt gleichzeitig, die Funktion eines Zirkusdirektors einnehmend, Milo dem imaginären Publikum vor: »Ladies and Gentlemen, your attention please. The grand parade! Make way for Tindolini! The kiddies favourite. Crazier than Kelly, greater than Grock. And now, Ladies and Gentlemen, in the centre ring, the king of the clowns, Milo Tindolini!« Auffällig ist an diesen Zeilen, dass er Milo wiederholt mit Tindolini anspricht. Wie wir aus einem früheren Dialog wissen, hat Milo diesen Namen gerade wegen der Assoziation mit seiner italienischen – gesellschaftlich eher negativ angesehenen – Herkunft abgelegt. Denn, »if you had a name like this in those days you had to ›make-a the ice-a cream-a‹«. Andrew ruft mit dieser Bezeichnung Milos bewusst verdeckte Herkunft erneut auf und stellt sie in direkten Zusammenhang mit Milos aktueller Identität als Clown. Die Transformation Tindles ist erst dann wirklich komplett, als er die Maske – eine vollständige Kopfmaske mit roten Haaren – aufsetzt, was von Andrew performativ kommentiert wird: »Milo, you are maudlin. You are the complete clown.« Damit geht eine Veränderung der Stimmqualität Tindles einher. Sie ist ab dem Moment deutlich höher und wirkt kindlich und feminin. Dass Tindle die Maske niemals zufällig trägt, sondern immer eine bewusste Absicht dahintersteht – wobei diese Intention von Milo selbst wie auch von Andrew ausgehen kann –, wird durch den Dialog an mehreren Stellen hervorgehoben. Die Maske funktioniert von diesem Moment an eindeutig als Marker für das Hinein- bzw. Herausschlüpfen aus der Rolle des Clowns. Da Joey das Clownskostüm bis zu seinem scheinbaren Tod nicht mehr ablegen wird, ist es die Maske, die den jeweiligen Status der Figur (Joey oder Milo) visuell anzeigt. Die eindeutigste Szene, um diese These zu belegen, ist die erste nach Abschluss der Verwandlung, als die Höhenangst Milos die Maske Joeys durchbricht. Dies wird durch Milos Abnehmen der Clownsmaske visualisiert. Auch im Moment der Verwüstung von Marguerites Schlafzimmer (bezeichnenderweise haben Andrew und Marguerite getrennte Schlafzimmer) kommt es zu einem ähnlichen Wechsel zwischen Joey und Milo, der an der Maske festzumachen ist, jedoch einzig durch Kameraeinstellung und Mimik erzielt wird. Während Joey/Milo das Schlafzimmer auf Geheiß von Andrew hin in Unordnung bringt, ist sein Gesicht unmaskiert und sehr selbstbeherrscht. Seine Überlegenheit wird durch die Aufnahme in einer leichten Untersicht gestützt. Die Kamera zeigt ihn in Nahaufnahme, sodass das Clownskostüm kaum sichtbar ist. Dadurch wird visuell wie auch inhaltlich ein momentanes Herausschlüpfen aus der Rolle von Joey erreicht, was mit der kurzfristigen Überlegenheit Milos konform geht. Am deutlichsten wird die Interpretation der Maske als Marker der Rolle am Ende des Aktes, als Wyke darauf besteht, dass Tindle die Maske an-

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zieht, bevor er ihn ›erschießt‹. Nur im Moment des Clownseins Tindles ist Wyke fähig, auf den Auslöser zu drücken und die Erniedrigung seines Rivalen ihrem Höhepunkt zuzuführen. Eine interessante Interpretation diesbezüglich und der Clownsmaske in Sleuth generell liefert Alain Garsault – einer der wenigen Autoren, die die Clownskostümierung überhaupt erwähnt haben: During this first match, Wyke treats Tindle as a mechanical puppet and carefully strips him of any human feature; he has him dress up in a clown costume that conceals any facial or bodily features. Neither Wyke nor the audience can see Tindle’s fright behind the grinning mask. Wyke wards off any intrusion of reality into the game. (2002: 138)

Die Maske hat demnach neben dem Anzeigen der Rolle von Joey auch die Funktion, die Sphäre des Spiels anzuzeigen und aufrechtzuerhalten. Was die Funktionen von Schutz und Bedrohung anbelangt, bietet sie ihrem Träger Milo hier keinen Schutz, sondern liefert ihn seinem Mörder in spe und seiner Fiktion vielmehr aus. Wie bereits erwähnt, haben Professionelle des Showbusiness, welches beinahe untrennbar mit Kostümierung und Maskerade verbunden ist, in ihrem sozialen Umfeld traditionell ein eher negatives Image. Dadurch wird Milos untergeordnete Stellung – im Spiel mit Wyke sowie in der Gesellschaft, über welche durch dieses eine Aussage gemacht wird – visuell durch die Clownsmaske zum Ausdruck gebracht. »The complete clown« – Joey Joey ist ein durch die Maske hinsichtlich des Alters und des Geschlechts nicht näher bestimmbares (menschliches) Wesen. Die fast schon feminin langen roten Haare der hölzernen Maske verwischen die Geschlechtsunterschiede mehr noch als die viel zu großen schwarz-weiß karierten Hosen, die überdimensionierten Schuhe sowie das beinahe bodenlange schwarze Sakko. Ein weißes Hemd, eine hellblaue Fliege sowie eine rote Blume am Revers runden das Kostüm ab. Die Maske ist als klassische Clownsmaske zu beschreiben, wenngleich es sich hier nicht um eine Schminkmaske handelt, wie sie Clowns meist kennzeichnet, sondern um eine aufsetzbare Stülpmaske, die Gesicht und Kopf komplett bedeckt. Die Grundfarbe ist weiß, wovon sich der breite, lachende Mund, die typische rote Nase sowie schwarz aufgemalte Augenbrauen absetzen. Mit der beschriebenen Charakterisierung entspricht die Figur äußerlich dem Typ des Dummen August. Die Lächerlichkeit, die mit diesem traditionell assoziiert wird, überträgt sich durch das Kostüm auf das Figurenmodell. Gestik und Mimik verstärken diesen Eindruck nachdrücklich. Durch die viel zu großen Schuhe, die die Bewegungsfreiheit einschränken und den natürlichen Bewegungsablauf behindern, stolpert er tollpatschig und fällt wiederholt über seine eigenen Füße. Oberflächlich wird dies als direkte Konsequenz aus den zu großen Schuhen und Hosen erscheinen, gleichzeitig kann das Stolpern auf Milos Ungeschicklichkeit und Tollpatschigkeit übertragen werden. Zudem nimmt das Stolpern seinen fi-

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nalen Fall bereits vorweg. Die Gestik Joeys ist – teils auch bedingt durch das ausladende Kostüm – ausholender und expressiver als die Milos. Dasselbe gilt für die affektive Mimik – zumindest in den Momenten, wo diese erkennbar und nicht durch die Maske verdeckt ist. Milos bis zu dieser Stelle im Film an den Tag gelegte Cleverness weicht in seinem Auftritt als Joey einer gewissen mentalen Beschränktheit, was durch die klassische Tücke des Objekts, so bedeutsam für die berühmten filmischen Clowns wie Charlie Chaplin, inszeniert wird. Sobald seine Verwandlung durch das Aufsetzen der Maske komplett ist, wird dies von Andrew wie erwähnt kommentiert: »Milo, you are maudlin. You are the complete clown.« Joey verkennt die Situation, nimmt Wykes ›Kompliment‹ ernst und verneigt sich, wodurch er seinen Hut verliert und gerade dadurch die Aussage Wykes bestätigt. Dies wird von Andrew mit einem hämischen Lachen quittiert. Auch die charakteristische Assoziation des Clowns mit dem Kindlichen wird deutlich inszeniert. Nachdem Joey in Andrews Büro die Schatulle mit den Schmuckstücken aufgebrochen hat, und, wie Andrew ironisch bemerkt, wie Moses auf das verheißene Land blickt, läuft er zum Sofa, setzt sich vor dieses auf den Boden und leert mit weit geöffnetem Mund die Schatulle. Man fühlt sich stark an ein spielendes Kind erinnert, welches fasziniert und gefesselt sein neues Spielzeug begutachtet. Nur während der halben Stunde Erzählzeit, in der Milo als Joey auftritt, dringen Innenleben und Emotionen der Figur nach außen. In den übrigen Sequenzen dominieren die Beherrschung und die ›gesellschaftliche Maske‹, die sich Milo so hart erkämpft hat. In seiner Maskierung als Joey, die sein Gesicht eigentlich zu verbergen scheint, aber in Sleuth mehr zeigt, als dass sie verhüllt, dringen wesentliche Details seiner Vergangenheit, seiner diesbezüglichen Gefühle und seines Innenlebens an die Oberfläche. Dadurch erfährt der Zuschauer nicht nur etwas über die Figur, sondern vor allem etwas darüber, für was diese Figur steht – nämlich die Klassenproblematik in der englischen Gesellschaft der 1970er Jahre. Gefühle und Innenleben Joeys stimmen mit denen Milos überein; die Diskrepanz liegt zwischen Milo und Milos ›Maske des Gesichts‹, mit der er dieses Innenleben in der Öffentlichkeit verbirgt. Eine Szene veranschaulicht den Emotionsausbruch Joeys sehr gut. Nachdem Joey die Schatulle mit den wertvollen Juwelen geöffnet hat, reißt er förmlich die Augen auf, und haucht, begleitet von sentimentaler Streichermusik: »Dear God.« Wie diese Szene verdeutlicht, sind Joeys Handeln und Sprache unmittelbar, emotional und impulsiv und heben sich damit vom streng rationalen Agieren Milos ab. Joeys Motivation stimmt weitestgehend mit der von Milo Tindle überein. Jedoch ist die eindeutige Fixierung auf die Juwelen auffällig. Selbst ihre Höhenangst kann die Figur überwinden, als Wyke sie an die enorme Geldsumme, die als Belohnung winkt, erinnert. Es sind also vorwiegend die niedrigeren Aspekte der Bedürfnispyramide, die für die Figur als Joey im Vordergrund stehen. Damit wird das ökonomische Interesse Milos, der aus der minderbemittelten Arbeiterklasse aufsteigen will, offenkundig. Dabei ist paradigmatisch, dass der Wunsch nach

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Reichtum in genau dem Moment als unerfüllbar entlarvt wird, als Milo am Ende des ersten Aktes in der vollständigen Kostümierung und Maskierung auftritt, als »complete clown«, wie Andrew hervorhebt. Die Clownsmaske demon­striert durch ihre Assoziation mit dem Lächerlichen und dem ständigen Scheitern, dass die Aufstiegsbestrebungen Milos lächerlich und unerreichbar sind – zumindest aus der Sicht der Mitglieder der gehobenen Gesellschaftsschichten. Die Charakterisierung Joeys erfolgt im Gegensatz zu der Milos viel stärker auf visueller Ebene. Waren bis dahin Dialoge und Handlungen die primären Darstellungsmittel, rücken nun das Visuelle und die mit dem aufgerufenen Stereotyp verbundenen Eigenschaften in den Fokus. Doch auch die Charakterisierung auf der Tonebene bedarf der Erwähnung. Sie wird besonders in einer Parallelmontage auffällig, die Milos ›Einbruch‹ und Andrews Vorbereitungen für die Sprengung des Safes gegeneinander schneidet. So ist Zirkusmusik zu hören, als Joey im Bild zu sehen ist, während Einstellungen, die Andrew zeigen, durch klassische Orchestermusik untermalt werden. Auch durch sprachliche Akzente wird Joey/Milo charakterisiert. In den Momenten, in denen die Figur in feiner Kleidung auftritt, hat sie, wie erwähnt, alle Aspekte ihres Auftretens unter strenger Kontrolle, so auch ihre Sprache. In den Momenten im Clownskostüm fällt diese ›Maske‹ ab und Joey spricht mit deutlichem Cockney-Akzent. Der Regisseur Mankiewicz beschreibt, wie er diese Unterschiede bewusst eingesetzt hat: One of the most brilliant aspects of Michael Caine is his accent. I tried to get him to use his accent like a violinist uses his violin. He puts on the accent of a proper gentleman and then drops it. Michael, who enters the labyrinth at the beginning with a proper accent, is, at the moment of his alleged murder, nothing more than a hysterical Cockney who cries and sobs, and who has abandoned every pretense of being a proper gentleman and of trying to sound like one. (Mankiewicz in Ciment 2008: 129)

Auch Kenneth Geist erkennt dieses Stilmittel, wenn er von »Michael Caine’s revealing lapses from his scrupulously adopted upper-class speech in significant moments of greed or terror« (1978: 394) spricht. Was jedoch keines der beiden Zitate berücksichtigt, ist, dass sich eben diese Momente der Angst und der Panik beinahe ausschließlich dann ereignen, wenn Milo die Clownsmaske Joeys trägt. Nicht nur der Akzent unterscheidet die Sprache Joeys von der Milos. Joey redet auch lauter, emotionaler und ist des Öfteren auf brausend. Die Clownsmaske erhält eine besondere Bedeutung, indem sie durch die Kameraarbeit betont wird. Während die Auflösung in Einstellungen über den gesamten Filmverlauf relativ klassisch ist, mit einem typischen Wechsel von Annäherung und Entfernung von den Figuren, ist auffällig, dass es kaum Großaufnahmen und so gut wie gar keine Detaileinstellungen gibt. Das abgebildete Close-up der Maske kurz vor dem vermeintlich tödlichen Schuss ist eine Ausnahme dieses Prinzips.

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Abbildung 14: Die Clownsmaske Joeys wirkt eher bedrohlich als lustig. Screenshot aus Sleuth.

Dadurch, dass der lachende Mund im Bild nur angeschnitten wird, wirkt die Maske keinesfalls mehr lustig und fröhlich, sondern geradezu bedrohlich. Die von Joey/Milo empfundene Gefahr wird so mittels visueller Inszenierung auf den Zuschauer übertragen. Denn wie mehrere Forscher, die sich mit dem Thema des point of view beschäftigt haben, feststellen, ist es oft weniger der Blick vom Standpunkt der Figur aus als der Blick auf die Figur, welcher Empathie ermöglicht (vgl. Gaut 1999: 204, Eder 2008: 601, Smith 1995: 160/1, Truffaut in Collet et al. 1999: 172). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Figurenmodell des Zuschauers durch die Maskierung Milo Tindles als Clown eine deutliche Anpassung erfährt. Die alltägliche Maske Milos, welche gesellschaftlich erwünschten Normen entspricht – wie etwa elegante Kleidung, gut frisierte Haare, höfliche Ausdrucksweise in der received pronunciation – wird brüchig und von der Clownsmaske Joeys überlagert, welche diese soziale Maske Milos als solche entlarvt. Dadurch kommen clowneske Merkmale der Figur zum Vorschein, welche diese bis zu dem Zeitpunkt unter der Maske des nouveau riche zu verbergen versucht hat. Die Ungeschicktheit, Naivität und Vorliebe für das Showbusiness als in unteren gesellschaftlichen Schichten angesiedeltem geben Aufschluss über die soziale Positionierung der Figur, deren Aufstiegsambitionen und dadurch begangene Grenzüberschreitung in einer von Klassenschranken bestimmten Gesellschaft nicht toleriert werden können, wie der zunächst vermeintliche und später tatsächliche Tod der Figur nahelegt.

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

3.2.2.3 Homophobie und homoerotisches Begehren – die Figurenkonstellation in S leut h Zum Schluss dieser Analyse möchte ich die Figurenkonstellation beleuchten, die schon deshalb speziell ist, da sie nur zwei Figuren8 umfasst. Deren Beziehung ist auf eine Opposition hin ausgerichtet. Diese wird auffällig inszeniert und anhand vieler einzelner Hinweise und Gestaltungsmittel ersichtlich. Im Zentrum steht der bereits erwähnte Klassenunterschied, der durch die sprachlichen Unterschiede (Cockney-Akzent versus stilisierte, künstliche Sprache), die Herkunft (englisch versus italienisch), Vorlieben (Vodka versus Gin) und die sehr disparaten Vermögensverhältnisse verdeutlicht wird. Die Gegenüberstellung betrifft auch den Schauspielstil, der sich im Falle Oliviers durch eine sehr auffällige Mimik im Bereich des overplay verorten lässt, wohingegen Caine eher einen Realismus evozierenden, unaufdringlichen Stil einsetzt (ein Unterschied, der während seines Auftritts als Clown allerdings nicht mehr zu verzeichnen ist). Ebenso unterscheidet beide, dass Andrew in einer von ihm konstruierten Fiktion lebt, während Milo bodenständig und in der Realität verankert ist. Auch die sprechenden Namen der Anwesen Cloak Manor und Laundry Cottage rufen gegensätzliche Assoziationen auf und spielen erneut auf die Klassenunterschiede an. In der filmischen Gestaltung spiegeln sich diese Unterschiede wider. So werden die Figuren, entsprechend ihrer jeweiligen Positionierung im Spiel, oft sitzend versus stehend inszeniert, wobei die Raumsemantik als visueller Ausdruck des momentanen Machtverhältnisses gelten kann. Auch der Dialog nimmt immer wieder Bezug auf diesen Unterschied, am auffälligsten wohl in folgendem Ausruf Tindles: »We are from different worlds, you and I, Andrew. In mine, there was no time for bright fancies and happy inventions. No stopping for tea. The only game we played was to survive.« Was die Nähe zu den Figuren betrifft, lässt sich feststellen, dass beide fast immer im Bild zu sehen sind und die Kamera eine ähnliche Distanz zu beiden wahrt. Damit ist das spatio-temporal attachment (Smith 1995) sowohl für Andrew als auch für Milo gegeben und zudem für beide – im Hinblick auf die Erzählzeit – gleich. Es handelt sich also um ein multiple attachment (ebd.). Dies ist bedeutsam für die Analyse der Perspektivverhältnisse, ohne die wiederum das unzuverlässige Erzählen in Sleuth nicht erklärt werden kann. Durch die fortwährende Begleitung beider Figuren wird suggeriert, dass bei der Wissensverteilung Perspektivengleichheit mit beiden Figuren besteht, da auch kein filmstilistisches Gestaltungsmittel, wie etwa POV-shots, auf Gegenteiliges hindeutet. Dies ist allerdings nur bedingt richtig. Während das spatio-temporal attachment bis auf eine entscheidende Ausnahme – die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Akt (es vergehen etwa zwei Tage) – immer für beide gegeben ist, ist die Wissensperspektive der Figuren stets auf das beschränkt, was die jeweils andere sagt. Der Informationsstand der Zuschauenden ähnelt dem, unterscheidet sich jedoch maßgeblich 8 | Vgl. auch die Überlegungen zu Beginn des Kapitels 2.

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dadurch, dass sie stets beide Figuren beobachten (können) sowie weitere Hinweise durch spezifische Einstellungen und extradiegetische Musik (Eder 2008: 597) erhalten. Dadurch können bestimmte Hinweise, Stimmungen sowie ironische Kommentare vermittelt werden, wodurch der Zuschauer einen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren erhält. Dies zeigt sich besonders auffällig an der Stelle des Films, als die Kamera auffällig auf Milos unter einem Busch verstecktes Auto zoomt. Dadurch wird für die Filmzuschauer verständlich, dass Inspektor Doppler niemand anderer ist als Milo in disguise, lange bevor Andrew durch dessen Demaskierung davon erfährt. Der folgende Schlagabtausch zwischen beiden Figuren ist dadurch durch eine starke Suspense geprägt. Trotz der beschriebenen Informationsvorteile der Zuschauer gegenüber der Figuren ist die Wissensperspektive der Zuschauer nur bedingt mit der von beiden Figuren identisch. Im ersten Akt ähnelt sie derjenigen von Milo, während die Zuschauer sie im zweiten Akt eher mit Andrew teilen. Diese Perspektivstruktur steht im Zusammenhang mit der Spannungsdramaturgie und dem sie fördernden unzuverlässigen Erzählen. Denn Ziel und Zweck desselben bestehen einerseits in seinem Überraschungseffekt, andererseits in der Entlarvung des erbitterten Klassenkampfs, den die beiden Figuren austragen, ohne dass Milo und die Zuschauer bis zum Moment der Maskierungsszene klar davon wüssten. Möchte man die unzuverlässige Erzählweise näher charakterisieren, so handelt es sich hier nicht, wie bei Martínez und Scheffel (1999) beschrieben, um den häufigen Fall der Ironie, die durch einen doppelten Sender bewirkt wird (eine explizite, unzuverlässige Botschaft des Erzählers und eine implizite, zuverlässige durch den implizierten Autor). In Sleuth haben wir es stattdessen mit einem Vorenthalten von Informationen zu tun. Nach der Terminologie, die Phelan und Martin vorschlagen und die mir hier sehr passend erscheint, wäre diese Art des unzuverlässigen Erzählens als underreporting zu bezeichnen (vgl. Phelan/Martin 1999: 95). Nach Meinung der Autoren ist unzuverlässiges Erzählen auf drei verschiedenen Ebenen möglich: »event/fact, understanding/perception, and ethics/evaluation« (ebd.). In Sleuth betrifft das underreporting die Ebene der Fakten. In pragmatischer Hinsicht ist anzumerken, dass das Spiel mit dem Zuschauer von demselben unterlaufen werden kann, wenn er beispielsweise über paratextuell gewonnene Informationen verfügt oder das Theaterstück Shaffers kennt. In diesem Fall nimmt man die Figuren anders wahr, da man fehlende Puzzleteile von Anfang an in das Gesamtbild einfügen kann. Zurück zu der Figurenkonstellation: Hier lässt sich feststellen, dass sich die beiden Rivalen in einer Hinsicht mehr ähneln, als es die oppositionelle Inszenierung vermuten lässt. Denn beide streben nach demselben: einem hohen sozialen Status sowie derselben Frau, Marguerite. Sie ist dabei weniger als Liebesobjekt für die Männer interessant, denn als Mittel, um andere Ziele zu erreichen. This rivalry between the old ›England‹ and new ›United Kingdom‹ is not just a matter of class and ethnic affiliation. It engages the most elemental of male feelings: the desire to

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung possess a beautiful and refined woman. As soon becomes clear, both men consider such possession the ultimate index of self-worth. (Lower/Palmer 2001: 167)

Damit ist der Hauptkonflikt des Films umrissen, der gesellschaftliche Kampf um Status, Anerkennung und – im Falle Milos – Aufstieg. Ihr Ziel versuchen beide Figuren durch Entblößung und Täuschung ihres Gegners zu erreichen, die durch die unzuverlässige Erzählweise auch zu einer Täuschung des Zuschauers wird. Die oppositionelle Beziehung zwischen den beiden Männern lässt sich noch auf andere Weise theoretisch fassen und erklären. Nach René Girard (1999) funktioniert Begehren in den allermeisten Fällen mimetisch, d.h. in diesem Fall vermittelt. In Sleuth begehren beide Männer dieselbe Frau, Marguerite, die bezeichnenderweise abwesend ist und einzig durch den roten Regenmantel metonymisch und durch die Juwelen metaphorisch aufgerufen wird. Die auffällige, rote Farbe, die nicht nur die kulturell mit ihr assoziierten Stereotype wie Liebe, Blut und Leidenschaft wachruft, sondern auch als aufmerksamkeitszentrierendes Objekt den Blick fesselt, lässt Marguerites bedeutsame strukturelle Funktion erkennen. Folgt man der Theorie Girards (1988, 1999), so wird Begehren weniger durch das Objekt (Marguerite) selbst ausgelöst, als vielmehr durch die Tatsache, dass es eine andere Person bereits besitzt. In diesem Fall kann man die Theorie sowohl auf die suggerierte Vorgeschichte des Films beziehen, als Tindle Marguerite, Wykes Ehefrau, zu begehren beginnt, sowie auf die aktuelle, in der Wykes Begehren durch Milos Verhältnis mit ihr ausgelöst wird. Andrew: »Once, she was in love with me.« – Milo: »And now she’s in love with me. And that’s what you can’t forgive, isn’t it? And after me, there’ll be others.« Das begehrte Objekt an sich ist dabei von weitaus geringerer Bedeutung als die Beziehung zwischen den beiden Begehrenden, welche durch das Objekt zustande kommt, wie auch schon LéviStrauss bei seinen Forschungen für andere ethnische Gruppen konstatiert hat: Die globale Tauschbeziehung, welche die Heirat bildet, stellt sich nicht zwischen einem Mann und einer Frau her, die beide etwas schulden und etwas erhalten, sondern zwischen zwei Gruppen von Männern, und die Frau spielt dabei die Rolle eines der Tauschobjekte und nicht die eines der Partner, zwischen denen der Tausch stattfindet. (1984: 189)

Der Wert des Objekts liegt demnach im Begehren des ›Anderen‹: »[E]s ist gerade dieses reale oder vermeintliche Begehren, welches das Objekt in den Augen des Subjekts so unendlich begehrenswert macht.« (Girard 1999: 16) Sleuth scheint diese Aussage geradezu exemplarisch zu demonstrieren. Marguerite verleiht dem sie ›Besitzenden‹ Macht und Status (vgl. auch Pietrzak-Franger 2013: 181), also genau das, wonach sowohl Andrew als auch Milo streben: »Women become a kind of currency that men use to improve their ranking on the masculine social scale.« (Kimmel 1994: 129) Marguerite repräsentiert für Andrew Wyke nichts Geringeres als seinen Stand und Besitz (»She represents me«), den er unbedingt zu bewahren trachtet. Ein Satz Wykes verleiht diesem Umstand auf beinahe furchterregende

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Weise Ausdruck, wenn er über eines von Marguerites Schmuckstücken, eine rubinrote Halskette, sagt: »Never cared for it much myself. Always thought it made Marguerite look like a blood sacrifice.« Wyke bringt so die Rolle der Frau als Opfer für die Erreichung der Ziele der Männer ungeschönt auf den Punkt. Auch aus Milo Tindles Perspektive ist Marguerite ein mit Wert besetztes ›Objekt‹, da sie seine Eintrittskarte in die obere Klasse der Gesellschaft bedeutet. Der ›Besitz‹ einer Frau ist für Ansehen und Macht auch deshalb so bedeutsam, weil er Männern dazu dient, sich des latenten Vorwurfs der Impotenz und/oder Homosexualität zu erwehren. Wie Eve Kosofsky schreibt, ist die Homophobie den meisten patriarchalisch organisierten Gesellschaften inhärent (1985: 4, 25), da die männlichen Beziehungen zwischen homosozial und homosexuell potenziell ein Kontinuum darstellen (ebd.: 1/2). Gerade deren starke Negation in patriarchalischen Gesellschaften scheint ihre Existenz zu bestätigen. Homophobia is a central organizing principle of our cultural definition of manhood. […] Homophobia is the fear that other men will unmask us, emasculate us, reveal to us and the world that we do not measure up, that we are not real men. We are afraid to let other men see that fear. […] Our fear is the fear of humiliation. We are ashamed to be afraid. (Kimmel 1994: 131)

Diese Erniedrigung steht auch im Zentrum von Sleuth, da das eigentliche Ziel der Spiele die Demütigung des jeweiligen Spielpartners ist. Ein wichtiger Aspekt, der Girards und Kosofskys Theorie zusammenführt, ist das Verhältnis zwischen den beiden Männern Wyke und Tindle. Wie bereits gezeigt, ist es von größter Rivalität geprägt, die typisch für das trianguläre Begehren ist. Es gibt jedoch noch ein weiteres Element in der Beziehung zwischen Wyke und Tindle, welches sich im Filmverlauf offenbart. Girard spricht von einer »erotische[n] Verschiebung auf den faszinierenden Rivalen hin« (1999: 55) und erklärt, dass »wahre Eifersucht […] stets […] ein Element der Faszination für den dreisten Rivalen [enthält]« (ebd.: 21). An anderer Stelle schreibt er gar von der »Göttlichkeit des Mittlers« (ebd.: 86). Diese »haßerfüllte Faszination« (ebd.: 49), die Girard für die Romane Dostojewskijs konstatiert, kann auch für Sleuth an mehreren Schlüsselszenen belegt werde. Festzuhalten bleibt jedoch, dass diese homoerotisch anmutende Verehrung in der Version von 1972 stets heimlich und in Andeutungen stattfindet – erst in der Verfilmung von 2007 werden diese explizit gemacht. Bezeichnenderweise findet eine der Szenen, die ein erstes Anzeichen für die aufgestellte Behauptung liefert, im Keller als klassischem Ort für das Verborgene und zu Versteckende statt. Bei der Auswahl einer Verkleidung als Deckmantel für das zu begehende Verbrechen probieren Wyke und Tindle eine Reihe verschiedener Kostüme an. Eines davon ist ein schwarzes, glitzerndes Kleid. Die Reaktion Milos ist aufschlussreich. Während er das Kleid über sein Jackett zieht, ruft er aus: »Groovy. Look, I might even do the whole thing in drag.« Danach hält er kurz inne und sein Gesichtsausdruck wird seriös, während sanfte Streichermusik einsetzt, die nach diesem kurzen Mo-

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

ment wieder verstummt. Milo geht einige Schritte auf Andrew zu. Dabei überschreitet er eindeutig eine Grenze, was durch Andrews Zurückweichen deutlich wird, und artikuliert betont dramatisch die Worte: »Kiss me, you fool! I can’t fight it no longer, darling. If you must go, don’t look back. Andrew …« Auffällig sind an diesen wenigen Sekunden mehrere Aspekte. Milo spricht Andrew ganz betont mit dessen Vornamen an statt mit dem der Verkleidung, die Andrew in diesem Moment trägt (»Monsieur Beaucaire«). Dies lässt darauf schließen, dass der (diegetische) Adressat dieser Aufforderung tatsächlich die Figur ist, die sich hinter der Verkleidung verbirgt. Vice versa wurde bereits der lüsterne Blick des älteren Mannes angesprochen, als Milo sich entkleidet, um in Joeys Kostüm zu schlüpfen. Verstärkt wird diese Suggestion der Homoerotik durch das Clownskostüm, welches eine Verwischung jeglicher Geschlechtsunterschiede bewirkt und durch die bereits erwähnten langen Haare der Perücke Joeys die Vermutung eines latent homosexuellen Begehrens stützt. Tindle kann somit nicht mehr eindeutig einem Gender zugeordnet werden. Diese in-betweenness macht ihn ebenfalls als homosexuell interpretierbar, was durch die beschriebene Verkleidungsszene unterstützt wird. Wichtig ist auch, dass all diese Andeutungen ausgerechnet in der Maskierungsszene zum Clown hervorgerufen werden. Die Demaskierung der Figuren und der durch sie verkörperten Konflikte erfolgt also auch in Sleuth in erster Linie in dieser Szene. In der beschriebenen Verkleidungsszene begeht Milo eine doppelte Grenzüberschreitung. Einerseits zeigt er ein gesellschaftlich nicht toleriertes Verhalten, andererseits übertritt er die Schwelle zum Intimbereich Andrews. Die Konsequenzen werden umgehend ersichtlich. Andrew betätigt einen kaum sichtbaren Mechanismus auf dem Boden, wodurch ein Skelett aus einer Kiste springt. Diese Engführung einer trans- und homosexuell konnotierten Szene mit einem klassischen Symbol des Todes legt die Interpretation nahe, dass solche Neigungen in einer patriarchalischen und homophoben Gesellschaft nur den Tod zur Folge haben können. Somit fungiert dieses Moment auch als dramatische Ironie. Im Gegensatz dazu ist das homosoziale Bündnis zur gegenseitigen Bereicherung und Steigerung der Macht, das Wyke im Sinn zu haben vorgibt, gesellschaftlich tolerierbar. Sobald dieses jedoch in Richtung der Homosexualität ausschlägt, wird eine solche Übertretung umgehend sanktioniert.

3.2.2.4 Resümee Zusammenfassend kann die Betrachtung des Clownscharakters in Sleuth dahingehend bewertet werden, dass sich Maskierung und Kostümierung im dichotomischen Spannungsfeld der Maske zwischen Ver- und Enthüllung auf das Extrem der Entblößung zubewegen und es im Moment der Maskierung zu einer Demaskierung des gesellschaftlichen Konfliktpotenzials kommt, welches die Figur verhandelt. Eigenschaften des Clowns, die durch die charakteristische und leicht wiedererkennbare Maske aufgerufen werden, finden Eingang in das Figurenmodell und zeugen so von der Naivität und Lächerlichkeit, mit der soziale Auf-

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stiegsambitionen von den höheren gesellschaftlichen Schichten gesehen werden. Anhand des Images des Clowns werden dessen charakteristische Merkmale wie die Naivität, Ungeschicktheit, die Unterlegenheit und seine Rolle als Opfer auf das Figurenmodell Milos übertragen. Das Clownskostüm eignet sich nicht nur aufgrund der mit dem Clown verknüpften Assoziationen zur Darstellung dieser Charakterzüge, sondern auch dadurch, dass es eine Eigenschaft dieses unpraktischen Kostüms ist, weniger zu schützen als zu behindern, aus- und bloßzustellen. Das Bild Milos als Clown entspricht damit demjenigen, welches Wyke als Erzähler von ihm zu haben scheint, wenn er zu dem als Joey verkleideten Milo sagt: »Finally, at your moment of dying, you are yourself – a sniveling, dago clown.« Dieser Ausspruch fasst die soziale und emotionale Demaskierung, welche durch das Anlegen der Clownsmaske stattfindet, treffend zusammen; dago bedeutet übersetzt ›Spaghettifresser‹. Es findet also eine nachträgliche Revision des Figurenmodells statt, da die unzuverlässige Erzählweise in dem Moment als solche entlarvt wird, in dem Andrew seine wahren Intentionen und Beweggründe offenlegt – nämlich genau im Moment der Maskierung. Damit kann die These Jane Gaines’ für Sleuth bestätigt werden, die besagt, dass das filmische Kostüm den weiteren Verlauf der Handlung antizipieren kann. Durch die im Moment der Verkleidung stattfindende Demaskierung wird verständlich, dass nicht erst Joey, sondern bereits Milo so naiv war zu glauben, »that I’d give up my wife and jewellery to you? That I’d make myself that ridiculous?« Das Clownskostüm kann als visueller Ausdruck dieses naiven Glaubens gelesen werden. Seiner niedrigen sozialen Stellung kann Milo trotz all seiner Anstrengungen nicht entfliehen. Als nouveau riche versucht er, sich als Aufsteiger in die obere Schicht einer konservativen Gesellschaft zu drängen, wie sie von Andrew repräsentiert wird. Damit rüttelt er an den etablierten Hierarchien und festen Strukturen des Systems und agiert somit als Widersacher der Ordnung – ein zentrales Merkmal des Clowns. Das bei dem von Andrew minutiös inszenierten Raubüberfall von Milo gezeigte grenzüberschreitende Verhalten – Joey verschafft sich faktisch Zutritt zu Wykes Haus, sowie sich Milo Zugang zu den Sphären der oberen Gesellschaftsschichten verschaffen will – führt zu einer Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Denn Milo wird als Ausländer, als ›Anderer‹ wahrgenommen und passt dadurch – wie der Clown – in das von Girard beschriebene Sündenbockschema. Diese Interpretation wird durch eine Reaktion Wykes kurz vor Joeys ›Tod‹ unterstützt: »I hate you, that’s why. […] Above all, I hate you because you’re a cowing, blue-eyed wop. And not one of me.« (Hervorhebung Y.A.) Angesichts dieser Demaskierung lässt also auch Andrew Wyke die Maske seines falschen Spiels und seines aufgesetzten Egalitarismus (»our classless society«) fallen. Die Aussage vieler Forscher zur literarischen Metamorphose, dass eine Verwandlung stets vorübergehend sei, kann für Sleuth nur bedingt attestiert werden. Es trifft zwar zu, dass die äußere Verwandlung durch die Kostümierung nur temporär ist, allerdings ändert sich das Verständnis der Figur und damit des

3.2  Die Clownsmaske als Tarnung und Rettung

gesamten Konflikts durch die jeweiligen Kostümierungen grundlegend. Daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Joey als von Milo komplett separate und eigenständige Figur wahrgenommen wird. Dazu trägt bei, dass die Maskierung explizit und ausführlich gezeigt wird und so die Kontinuität des Figurenkörpers gewährleistet und die recognition (Smith 1995) ermöglicht wird. Denn wie Smith feststellt, ist für die Wiedererkennung »the continuity, not the unity of the character« (ebd.: 113) entscheidend. Außerdem ist das Schauspiel Michael Caines während des Tragens der Clownsmaske durch ein eindeutiges overplay markiert, welches der Schauspieler in der Maske des Milo nicht an den Tag legt. Dies macht ein Erkennen des gespielten Eintauchens in eine andere Rolle wahrscheinlich. Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang scheint mir die nach der Zuschauerwahrnehmung von Maskenträgern zu sein, die ich im theoretischen Teil mit Otto Höflers vier Stufen dargestellt habe. Wie die Analyse gezeigt hat, herrschen zwei verschiedene Formen der Wahrnehmung vor: einerseits die gänzlich naive, bei der die maskierte Figur als eins mit dem, was durch die Maske dargestellt wird, aufgefasst wird. Diese herrscht in den Momenten vor, in denen die Verkleidung nicht als solche erkannt wird, also besonders zu Beginn von Milos Auftritt als Inspektor Doppler. Andererseits trifft hier auch die Vorstellung zu, dass es sich bei dem Maskenträger zwar um einen verkleideten Menschen bzw. in diesem Fall um eine maskierte filmische Figur handelt, dass jedoch die mit der Maske in Verbindung gebrachten Kräfte und Eigenschaften auf die Figur übergehen und sie dadurch verändern können. Diese Einschätzung überwiegt vor allem in der langen Sequenz mit Joey. Ich hoffe, mit meiner Analyse gezeigt zu haben, inwiefern es sich bei der Maskierung Milos zum Clown Joey um eine zentrale Szene des Films handelt, welche mit einer Demaskierung und Entblößung wesentlicher Motivationen und Handlungsdetails einhergeht. Nicht nur muss sich Milo zu Beginn der Szene im wahrsten Sinne des Wortes entblößen, sondern es ist genau in diesem Moment, in welchem der eigentliche Konflikt, welcher anhand der Maske des Clowns offenbart wird, zum Vorschein kommt. Das Versteck, welches die Maske vordergründig bietet, wird im Falle dieser Clownsmaskierung in sein Gegenteil verkehrt. Die Maskierung führt zur Demaskierung beider Protagonisten und stellt ihre sozialen und finanziellen Ambitionen, ihre erotischen Neigungen, ethnischen Vorurteile und Standesdünkel aus statt sie zu tarnen. Nachdem das Spiel, welches Andrew mit Milo spielt, zu Beginn so dargestellt wird, als seien beide Spielpartner gleichberechtigt, wird im Moment der Maskierung deutlich, dass die gesellschaftlichen Hierarchien auch in der »classless society« weiterhin eine bedeutende Rolle spielen.

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3.3 D ie C lownsmaske als S pur der V ergangenheit 3.3.1 Narben der Vergangenheit – die Maske als kritische Spur der Geschichte Aus der Fülle der verschiedenen Clownsmasken im Film lässt sich eine weitere Gruppe von Filmen ausmachen, in denen die Maske gemeinsame Charakteristika aufweist. In den meisten der in diesem Kapitel besprochenen Beispiele, die in ihrer Mehrzahl seit den 1970er Jahren produziert wurden, bedeckt die Maske einen gewalttätigen oder mordenden Clown – den Evil-Killer-Clown. Doch die Gewalt nimmt ihren Ursprung nicht in der Clownsfigur selbst, sondern kann als Konsequenz der dem Träger der Maske zugefügten Gewalt verstanden werden. Diese manifestiert sich über Narben in der Maske und ist der Figur dadurch auf ewig eingeschrieben. In vielen dieser Fälle handelt es sich nicht mehr um reine Schminkmasken (zumindest der diegetischen Logik nach), sondern um durch die Vernarbung einer Verletzung entstandene ›Masken des Gesichts‹. In Analogie zu Beltings Feststellung, dass die Maske im Theater in der Neuzeit ins Gesicht ›wandert‹ (vgl. 2013: 63, 70), finden sich in jüngeren Filmen regelmäßig Beispiele, in denen die Clownsmaske in der Diegese nicht mehr ausschließlich durch Schminke erzeugt, sondern in das Gesicht gebrannt, geschnitten, gestochen oder geätzt wird. Die so entstandenen Narben sind untrennbar mit der Gewalt, welche sie erzeugt hat, verbunden und verweisen auf die Geschichte der Figur sowie der Gesellschaft, mit welcher die Figur symptomatisch in Verbindung steht. Da Narben bleibende Veränderungen der Haut sind, können sie als Mahnmal gesehen werden. Die Maske stellt so einen Bezug zur Vergangenheit her, welche sich der Maske einschreibt und in ihr fortwirkt. Eines der frühesten filmischen Beispiele, in welchen die Clownsmaske durch plastische Veränderungen des Gesichts entsteht, ist Paul Lenis Verfilmung von Victor Hugos L’homme qui rit, die 1928 in den USA entstand. Der Protagonist Gwynplaine (Conrad Veidt) wird als Kind von der Menschenhändlerbande Comprachicos entführt, welche ihm die Mundwinkel aufschneidet. Durch die Narbenbildung entsteht der Eindruck eines stets lachenden Gesichts. Zusammen mit der kleinen Dea, die er halb erfroren aus den Armen ihrer toten Mutter rettet, findet Gwynplaine Unterschlupf bei Ursus (Cesare Gravina). Dieser macht sich das Aussehen des Jungen zunutze und führt ihn mit enormem Erfolg als »The Man Who Laughs«, so auch der Titel des Films, vor. Von Ursus sowie seinem Publikum wird Gwynplaine auf seine Maske reduziert und ausschließlich danach beurteilt. Er wird zum Clown gemacht, sein Leid wird verharmlost und er nicht ernst genommen. Die Gewalt, die seine Narben gespeichert haben und widerspiegeln, scheint sich in der Gegenwart fortzusetzen und stets neue Gewalt zu erzeugen. Die ursprüngliche Verstümmelung Gwynplaines provoziert jedoch nicht nur die andauernde Gewalt anderer Figuren gegen ihn, sondern auch Gwynplaine ver-

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

hält sich fortan gewalttätig gegenüber sich selbst. Er verweigert sich wegen seines Aussehens seine Liebe zu Dea (Mary Philbin), die aufgrund ihrer Blindheit nichts von seiner Verunstaltung weiß.

3.3.1.1 Der Teufelskreis der Rache Der ursprüngliche Auslöser der Gewalt gibt Aufschluss über eine weitere Konstante der vorgestellten Filme, welche – wie die Gewalt selbst – ebenfalls als undurchdringlicher, Generationen überdauernder Kreislauf inszeniert wird: die Rache. Die Gewalt gegenüber Gwynplaine war die Rache des Königs an Gwynplaines königsuntreuem Vater.9 Die Narben als permanente Veränderung des Gesichts zeugen von den langfristigen und kaum zu kontrollierenden Folgen der Gewalt, die sich meist in einem Teufelskreis von Rache manifestieren. Dadurch, dass die betroffenen Figuren als leidende inszeniert werden, werden Gewalt und Rache kritisiert. Dieser Kreislauf der Rache findet sich auch in Stitches (Stitches – Böser Clown, IRL 2012, R: Conor McMahon). Dort kommt die titelgebende Hauptfigur (gespielt von Ross Noble) bei ihrem Auftritt auf einem Kindergeburtstag durch einen Unfall zu Tode. Ausgelöst wird dieser dadurch, dass sein junges Publikum die spürbare Unlust des Geburtstagsclowns und das davon hervorgerufene, nicht normative Verhalten Stitches bestraft. Sie binden ihm beispielsweise seine Schnürsenkel zusammen und erzwingen so das von einem Clown erwartete Stolpern. Durch dieses stürzt Stitches in ein aus der Spülmaschine ragendes Küchenmesser, welches sein Auge durchsticht. Er stirbt schließlich am Blutverlust, wird jedoch von Vertretern seines Berufes mit einem Ritual wieder zum Leben erweckt. Der Junge Tom (Tommy Knight) wird Zeuge des Rituals und von einem der Clowns vor den kommenden Ereignissen gewarnt: »A clown that doesn’t finish a party can never rest at peace and a joke is never as funny the second time ´round.« Damit wird der nun folgende klassische Horrorfilm-Plot angedeutet, in dem Stitches die mittlerweile zu Teenagern gewordenen Partygäste einen nach dem anderen ermordet. Die Art des Todes richtet sich jeweils nach dem Trick, mit dem die Kinder ihn damals in seine Rolle gezwungen haben. Dadurch wird die Ermordung der Teenager zum Racheakt, welcher die Schikanen der Kinder spiegelt.

3.3.1.2 Ein kurzer Blick auf die Filmgeschichte Das Thema der Rache ist auch aus filmhistorischer Sicht interessant. Wie in Kapitel 3.1.1 dargestellt, lässt sich eine auffällige Dominanz von Filmen mit traurigen Clowns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beobachten. Die Figuren, wel9 | Interessant ist hierbei, dass der Ursprung der ›Clownwerdung‹ Gwynplaines vom König ausgeht: »A King made me a clown.« Wie die Geschichte der Hofnarren, die als Vorfahren der Figur gelten können, zeigt, ist der Clown für den König unabdingbar. Er stellt ein Ventil für die Kritik an der Regierung dar und trägt so zur Bewahrung, wenn nicht sogar Stärkung der Macht des Königs bei.

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che die hier beschriebene Auffälligkeit der gewaltvollen Maskierung aufweisen, finden sich hingegen hauptsächlich in Filmen, die seit den 1970er Jahren produziert wurden. In den meisten Fällen nähern sie sich dem Stereotyp des EvilKiller-Clowns an und sind im Horrorgenre zu finden, welches seit den 1970ern vielfältiger wurde und in dem sich unter anderem das Subgenre der Slasher-Filme und des Teenager-Horrorfilms herausbildete. Doch selbst für diese mordenden Clowns gilt, was bereits für ihre Vorläufer festgestellt wurde – auch sie sind Opfer: »The evil clown is a victim who seeks revenge«, notierte Jean-Bruno Renard (2009: 3). Entschließt sich der im Laufe der Filmgeschichte geplagte und leidende Clown, die Rollen zu tauschen, Rache zu nehmen und so zum Killer zu werden? Ein Film, der die These des Clowns als Rächer aufgreift, wenngleich die Rache innerhalb der Filmhandlung und nicht auf Ebene der Filmgeschichte zu verorten ist, ist Balada triste de trompeta (Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod, ESP, FRA 2010, R: Álex de la Iglesia), der im nächsten Kapitel detailliert besprochen wird. Ein anderes, im Zusammenhang mit der Entwicklung vom traurigen zum bösen Clown interessantes Beispiel ist der eben erwähnte Film The Man Who Laughs im Vergleich zur Neuverfilmung von 2012, L’homme qui rit. Während im Stummfilm das Leiden des unfreiwillig lachenden Mannes im Vordergrund steht, welcher als trauriger Clown inszeniert und ausschließlich als Opfer behandelt wird, ist die Figur im französischen Film ambivalenter. Die Lust am Erfolg und der daraus resultierende Ehrgeiz erhalten weit mehr Gewicht als das Leiden der Figur. Diese Entwicklung steht in Einklang mit der Feststellung, dass das Stereotyp des traurigen Clowns in den 1920er und 1930er Jahren eine Blütezeit erlebte und danach eher vereinzelt auftritt. Der unterschiedliche Fokus auf die Clownsfigur in den genannten Filmen manifestiert sich auch in der jeweiligen Maske. Obschon sich diese in beiden Fällen durch die zu einem Lachen nach oben gezogenen Mundwinkel auszeichnet, lassen sich bedeutsame Unterschiede ausmachen. Im Film von 1928 scheint der ungewöhnlich große Mund, der den lachenden Mann als solchen charakterisiert, nicht durch eine Verletzung bewirkt zu sein. Dies wird zwar von der Erzählung behauptet, ist allerdings in der Maske nicht ersichtlich. Stattdessen ist der Mund Gwynplaines unnatürlich weit geöffnet und vergrößert, sodass ein riesiges Lachen über das ganze Gesicht permanent sichtbar ist. Dies lässt sich in Analogie zu der beschriebenen filmgeschichtlichen Entwicklung sehen, welche eine gewaltvoll erzeugte Maske erst ab den 1970er Jahren dominant werden lässt. Bei der Figur im Film von 2012 sind die vernarbten Schnitte dagegen deutlich zu erkennen. Die übrigen natürlichen Gesichtszüge bleiben erhalten und werden durch den ›lachenden‹ Mund nicht im Detail, aber natürlich in der Gesamtwirkung verändert. Die vernarbten Schnitte setzen zwar direkt an den Mundwinkeln an, scheinen aber nicht mit dem Mund verbunden. Anhand der Maskenbildung lässt sich somit die filmgeschichtliche Entwicklung nachvollziehen.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Abbildungen 15-16: Conrad Veidt bzw. Marc-André Grondin als Gwynplaine. Screenshots aus The Man Who Laughs und L’homme qui rit.

Steht in der Anfangszeit des Films die Funktion der Clownsmaske als Veranschaulichung der Meinung anderer im Vordergrund, zeigt sich seit den 1970er Jahren eine vermehrte Verwendung der Maske als Erinnerung an die Vergangenheit und der in dieser erlebten Gewalt. Dies lässt sich an einer weiteren Figur beobachten: dem Joker, dessen Maske von Paul Lenis Film inspiriert wurde (Sharma 2011: 60). Eine Gegenüberstellung der Figur des Jokers aus der Batman-Verfilmung Tim Burtons aus dem Jahre 1989 und der von Christopher Nolan von 2008 zeigt eine ähnliche Auffälligkeit wie die Gestaltung der beiden Masken Gwynplaines und deutet darauf hin, dass die eingangs beschriebenen Verfahren der Maskenbildung zur Gegenwart hin zunehmen. Ist der Mund von Jack Nicholsons Figur nur mit Schminke und einer Mundprothese als Clownsmund gestaltet und erinnert eher an das traditionelle Clowns-Make-up sowie an die zugrunde liegende Comicfigur, so betont die Maske des Jokers von Heath Ledger die Narben der Mundwinkel deutlich.

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Abbildungen 17-18: Die unterschiedliche Gestaltung der Jokermaske in Batman und The Dark Knight. Screenshots.

3.3.1.3 Der Evil-Killer-Clown als Grenzgänger Im Vergleich der beiden Masken stechen zudem die dunkel umrandeten Augen Heath Ledgers hervor. Ein solch verstärkter Einsatz der schwarzen Farbe in der Clownsmaske lässt sich in vielen Filmen beobachten, welche Evil-Killer-Clowns porträtieren. Besonders häufig wird das Schwarz verwendet, um das Rot der klassischen Clownsnase zu ersetzen, z.B. in 100 Tears (USA 2007, R: Marcus Koch), All Hallows’ Eve (All Hallows’ Eve – Komm raus und spiel!, USA 2013, R: Damien Leone), The Clown at Midnight oder Amusement (USA 2008, R: John Simpson). In anderen Filmen findet Schwarz zur Hervorhebung der Mundpartie Verwendung, wie z.B. in It (Stephen Kings Es, USA, CAN 1990, R: Tommy Lee Wallace), Amusement oder House of 1000 Corpses (Das Haus der 1000 Leichen, USA 2003; R: Rob Zombie). Wie an den Abbildungen ersichtlich, vermag die schwarze Farbe durch ihre unebene und organische Struktur sowie ihrer Lokalisierung an offenen Stellen

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des Körpers an geronnenes Blut und alte Verletzungen bzw. Gewalteinwirkungen zu erinnern. So schreibt sich neben den Narben ein weiteres Relikt aus der Vergangenheit der Maske und dem Gesicht ein. Dadurch wird der durch die Narben etablierte Bezug zur gewalttätigen Geschichte unterstrichen. Die schwarze Farbe lässt darüber hinaus Assoziationen mit dem Tod zu. Diese Verknüpfung wird durch weitere Elemente der Maske verstärkt. So wird in vielen der hier erwähnten Filme die weiße Grundierung der Maske so gestaltet, dass sie das Gesicht nicht komplett verdeckt, sondern es bleich, krank und totenähnlich aussehen lässt. Die Maske lässt die Figur zum Grenzgänger werden, indem sie sie nicht nur auf der Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch auf der zwischen Leben und Tod verortet. Diese Verbindung der Figur mit Untoten sowie ihre Verortung in einem Zwischen- und Schattenreich wird mit besonderer Deutlichkeit in Zombieland (USA 2009, R: Ruben Fleischer) oder Stitches hervorgehoben, wo die jeweilige Clownsfigur als Untoter inszeniert wird. Eine gewisse Ähnlichkeit der Evil-Killer-Clowns mit Zombies und Vampiren ist auch in anderen Filmen auffällig. Die Parallelen werden in den entsprechenden Filmen vor allem durch eine Fokussierung auf das Gebiss sowie die auffällig großen und spitzen Zähne herausgearbeitet. In Zombieland sind es der starke Einsatz schwarzer Schminke als Umrandung der Augen, kaum erkennbare, da dunkel verfärbte Zähne sowie ausgeprägte Narben an den Wangen und der Stirn, welche die Maske der Figur in die hier beschriebene Gruppe eingliedern. Nicht zufällig erwehrt sich der Protagonist Columbus (Jesse Eisenberg) des Zombie-Clowns (Derek Graf) ausgerechnet mit einem zerstörerischen Schlag auf dessen Gesicht, ist es doch die Maske, welcher die Verwandlung in einen Zombie eingeschrieben ist. Abbildung 19: Narben und der Einsatz schwarzer Farbe in der Maske des Clowns aus Zombieland. Screenshot.

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Abbildungen 20-21: Der Ursprung von Stitches’ Verwandlung und die daraus entstandenen Narben. Screenshots aus Stitches.

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Abbildung 22: Narben und eine schwarze Nase in der Clownsmaske in Amusement. Screenshot.

Wie an diesen Filmbeispielen ersichtlich geworden ist, werden die Grenzen zwischen Leben und Tod sowie Vergangenheit und Gegenwart porös. Dies wird nur schon durch die Maske zum Ausdruck gebracht. Die charakteristisch clowneske Vereinigung von Gegensätzen und die damit demonstrierte Willkürlichkeit, Dehnbarkeit und Unzuverlässigkeit von menschlich erschaffenen Kategorien spiegelt sich in der Maske. Der lange Zeit vermutete etymologische Ursprung des lateinischen Wortes für Maske, per-sonare (durchtönen), ist zwar wissenschaftlich nicht haltbar, die Durchlässigkeit der Maske und die dadurch geschaffene Verbindung von außen und innen ist dennoch eines ihrer bedeutendsten Charakteristika. Wie bereits festgestellt, verbirgt sie dabei weniger etwas unter ihr Liegendes, sondern stellt durch die Verbindung von außen und innen etwas aus und macht es sichtbar. Insbesondere die Narben der hier beschriebenen Clownsmasken bewirken als Ausstülpungen physisch und anschaulich die Aufhebung der Grenze von innen und außen und lassen sich mit Bachtins Konzept des offenen Körpers beschreiben. Dieser zeichnet sich nach Bachtin dadurch aus, seine eigenen Grenzen zu überschreiten und die Verbindung mit der Umwelt manifest werden zu lassen: Der groteske Körper [ist nicht] von der umgebenden Welt […] abgegrenzt, in sich geschlossen und vollendet, sondern er wächst über sich hinaus und überschreitet seine Grenzen. Er betont diejenigen Körperteile, die entweder für die äußere Welt geöffnet sind, d.h. durch die die Welt in den Körper eindringen oder aus ihm heraustreten kann, oder mit denen er selbst in die Welt vordringt, also die Öffnungen, die Wölbungen, die Verzweigungen und Auswüchse: der aufgesperrte Mund, die Scheide, die Brüste, der Phallus, der dicke Bauch, die Nase. […] Er ist das ewig Unfertige, ewig Entstehende und Erschaffende. (2006: 76)

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Der Wulst der Narbe ist ein solches Element, durch welches ›die Welt aus dem Körper heraustreten kann‹ und so die von der Figur erlebte und in ihr enthaltene Geschichte äußerlich sichtbar macht. Ein solch offener und durchlässiger Körper, in welchem die Grenze zwischen Maske und Gesicht nicht mehr auszumachen ist, findet sich in einem aktuellen Filmbeispiel. Im vom Meister des Horrors, Eli Roth, mitproduzierten Film Clown (USA, CAN 2014, R: Jon Watts) muss der Familienvater Kent (Andy Powers) am Geburtstag seines Sohnes für den kurzfristig ausgefallenen Clown einspringen. Am nächsten Morgen stellt er fest, dass er weder die Perücke noch das Kostüm ausziehen kann und auch die Schminke sowie die rote Nase nicht mehr abzunehmen sind. Nachdem mehrere Versuche selbst unter Zuhilfenahme einer elektrischen Säge und roher Gewalt erfolglos bleiben, wendet er sich an seine Frau (Laura Allen). Sie kann zumindest die Nase mit einer Zange entfernen, wobei sie Kent jedoch schwer verletzt. Denn Maske und Gesicht sind bereits miteinander verschmolzen. Dass die rote Gumminase zu organischem Material mutiert ist, wird dadurch bestätigt, dass sie beim Herabfallen vom Hund der Familie gefressen wird. Dieses Verschmelzen von Maske und Kostüm mit der Haut der Figur nimmt im Verlauf des Films immer stärker zu. Die Figur nähert sich dadurch dem Dämon an, welcher sich des Trägers, laut der Erzählung, beim Anlegen des Kostüms bemächtigt. Kent weist immer mehr Merkmale des Dämons auf, was vor allem visuell zum Ausdruck gebracht wird. Abbildungen 23-26: Die fortschreitende Verwandlung Kents. Screenshots aus Clown.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

So fällt auf, dass schon in der zweiten Szene, in der man Kent im Clownskostüm sieht, die Farben desselben an Leuchtkraft eingebüßt haben. Das Blau und Rot des Kostüms sind einem fahlen, an Tod und Verwesung erinnernden Grau gewichen, was vor allem durch eine kältere Lichtsetzung erreicht wird. Die dadurch hervorgerufene ambivalente Position zwischen Lebendem und Totem nähert ihn weiter dem Dämon an – seinerseits ein Zwischenwesen zwischen Leben und Tod. Gleichzeitig weist die mit Beginn der Verwandlung einsetzende Veränderung der Gesichtszüge deutliche Narben auf. Dies kann ebenso mit dem Dämon in Verbindung gebracht werden, ist er doch als seit Urzeiten agierendes und sich in jedem

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3. Analytischer Teil

Maskenträger neu manifestierendes Wesen ein Botschafter der Vergangenheit und ist so nicht nur zwischen Leben und Tod, sondern auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu verorten. Interessant an diesem Filmbeispiel ist, dass die Charakterisierung als Grenzgänger nicht nur durch die auffälligen Narben der Maske zum Ausdruck gebracht, sondern durch die Maske erst hervorgerufen wird, indem sie ihren Träger verändert. Die Metamorphose setzt sich im Verlauf des Films fort. Dies lässt sich vor allem an einem zunehmend gebückteren Gang der Figur, welcher sich einem Laufen auf allen Vieren annähert, sowie an einer immer stärkeren Deformierung und Vernarbung der Gesichtszüge erkennen. Die starke Verwandlung der Figur ist nicht nur äußerlicher Natur, sondern ihr Verhalten und Bewusstsein verändern sich ebenso. Betont Kent zu Beginn des Films noch, »I’m not a clown«, sagt er bereits nach etwa der Hälfte der Erzählzeit: »Whatever I do, don’t let me out« und ist sich damit seiner gefährlichen – auch inneren – Verwandlung voll bewusst. Am Ende zeigt die Reaktion seiner Frau, die ihn mit einem entschlossenen Schlag auf den Kopf tötet, dass die Figur nicht mehr ihr Mann ist, sondern zu jemand oder etwas anderem mutiert ist. Clown ist der einzige im Rahmen dieser Studie gesichtete Film, in dem die Figur am Ende, als die Verwandlung vollständig abgeschlossen ist, als gänzlich andere Figur dargestellt wird. Nicht nur ist sie physisch soweit verändert, ja geradezu deformiert, dass sie eine neue Gestalt angenommen hat, auch ihr Verhalten, ihre Sprechweise, Stimme und Absichten sind denen zu Beginn des Films diametral entgegengesetzt. Für Suspense sorgt, dass die Frau Kents und mit ihr die Zuschauer bis zum Ende unsicher sind, ob die ›Persönlichkeit‹ Kents weiterhin hinter der Maske existiert und am Ende den Kampf gegen den Dämon gewinnen kann oder ob der Dämon die Persönlichkeit Kents vollständig ausgelöscht hat. Erst ganz zum Schluss wird klar, dass die Maske die Kontrolle über Kent gewonnen hat. Die Feststellung Jan Assmanns, dass »[d]ie Maske [aufhört], Maske zu sein, wenn die Verwandlung vollständig abgeschlossen ist« (2002: 151), wird geradezu beispielhaft von diesem Film veranschaulicht. Eine Tatsache scheint dabei von besonderer Bedeutung zu sein: Der Moment, in dem Kent in das Clownskostüm schlüpft, wird nicht inszeniert, sondern dem Zuschauer vorenthalten. Gezeigt wird einzig der gescheiterte Versuch, sich mittels eines Wischmopps als Perücke in einen Clown zu verwandeln. Die geglückte äußerliche Verwandlung durch das Auffinden und Anlegen des Kostüms wird ausgelassen, sondern direkt Kents Auftritt als Clown in der darauffolgenden Szene gezeigt. Die Existenz einer Maskierungsszene scheint demnach für die Wiedererkennbarkeit der Figur und die Zuschreibung einer einzigen Identität von entscheidender Bedeutung zu sein. Das Fehlen der Verwandlungsszene erzeugt hier bereits eine latente Unsicherheit bezüglich der Identität von Figur und Clown.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

3.3.1.4 Evil-Killer-Clowns und Coulrophobie Die oben angeführten Filmbeispiele und Screenshots zeigen, dass in diesen Filmen die klassische Clownsmaske mehr zitiert als imitiert wird: Stets finden sich Gestaltungsmerkmale, die nicht Bestandteil der traditionellen Clownsmaske sind, wie Narben, Blutspuren oder verstümmelte Gesichtspartien. Der Unterschied beschränkt sich jedoch nicht auf diese äußere Veränderung, sondern ist vor allem in funktioneller Hinsicht interessant. Die Clownskostümierung bzw. -maskierung fungiert normalerweise als »OK signal« (Wright 2006: 7), indem sie ein ungefährliches Verhalten der Figur für sie selbst sowie für ihr Publikum suggeriert. Dadurch markiert sie eine Performance als solche und steckt den Rahmen derselben ab, der für das Zustandekommen von clownesker Komik unerlässlich ist. Denn eine Situation ist nur dann komisch, wenn der Zuschauer sicher sein kann, dass kein wirklicher Schaden aus ihr hervorgeht. Durch solche Signale gehen Künstler und Zuschauer einen ›kommunikativen Vertrag‹ ein (Casetti). Dieser wird von den Evil-Killer-Clowns gebrochen. Sie sprengen den Rahmen der diegetischen Performance und greifen in das außerhalb desselben stattfindende Leben ein. Wenn der Clown es schafft, seine Performance außerhalb des ihm zugestandenen Rahmens zu platzieren, eröffnet er sich Freiräume, die ihm eigentlich nicht zustehen, und trifft den Zuschauer unvorbereitet. Dieser Raum zur Manipulation und Intervention verleiht ihm eine außergewöhnliche Macht, wie das im Kapitel zur Maske erwähnte Erlebnis auf der Konferenz anschaulich gezeigt hat. Der bereits erwähnte Film Stitches zeigt eine solche Missachtung des Rahmens, während er gleichzeitig den Bezug zur Rache herstellt. In diesem Film ist es zunächst das diegetische Publikum des Kindergeburtstags, welches die durch den Rahmen gesetzte Grenze zwischen Künstler- und Zuschauerraum überschreitet und in die Performance eingreift. Erst als Konsequenz daraus verlässt auch der Clown seinen angestammten Wirkungsbereich. In beiden Fällen handelt es sich um eine Regelverletzung, welche bestraft werden muss, damit die Ordnung wiederhergestellt werden kann.10 Im ersten Fall, dem der Grenzüberschreitung durch die Kinder, erfolgt die Bestrafung durch den Killer-Clown, im zweiten, als der Clown zum Rächer wird, durch die Jugendlichen, die den Clown am Ende umbringen. Beide fungieren so als soziale Kontrollinstanzen, welche die jeweiligen Ordnungsverletzungen ahnden. Diese durch die Evil-Killer-Clowns drastisch vorgeführte Möglichkeit, die traditionelle Sphäre des Clowns zu verlassen und den stillen Vertrag mit dem Zuschauer zu brechen, bietet einen Erklärungsansatz für die weit verbreitete Angst vor Clowns, die Coulrophobie: It is likely because of this ancient tendency of clowns to fail to recognize established boundaries which leads to the marginalization of clowning in our society, and the reason 10 | Auf das Thema der Ordnung, ihrer Störung und Wiederherstellung gehe ich in Kapitel 3.4 näher ein.

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3. Analytischer Teil why the fear of clowns – especially clowns with associations to the supernatural – persists for many […]. [T]hey mock the holes in our conception of the universe, our notions of safety and security, and all the other frail certainties of our time. (Durwin 2004: o.S.)

Durch diese Grenzüberschreitung taucht der Clown oft an außergewöhnlichen Orten und in unerwarteten Momenten auf. Dies lässt sich auch für das Kino bestätigen: In zahlreichen Beispielen des dieser Studie zugrundeliegenden Korpus tritt der Clown – und zwar nicht nur der Evil-Killer-Clown – plötzlich und gänzlich unerwartet ins Bild.11 Damit vermag er sein Publikum nicht nur zu erschrecken, sondern vor allem durch die fehlende Kontextbezogenheit eine Einordnung zu erschweren und dadurch Angst und Verunsicherung auszulösen. Eines der bekanntesten Beispiele ist It, wo Pennywise, der Clown (Tim Curry) – den übrigens viele der unter Coulrophobie Leidenden als Ursprung ihrer Angst nennen (vgl. Spratley 2009: 9) –, unerwartet und plötzlich, z.B. aus einem Gully auftaucht. Diese schwierige oder unmögliche Einordnung des Clowns wird durch seine ungewöhnliche Gestalt weiter forciert, da er durch diese befremdlich und ›anders‹ wirkt. Das macht die Figur zum Angstauslöser, denn »[n]ichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes« (Canetti 1994: 13). Dieses Anderssein und die Unbestimmtheit kommen nicht zuletzt durch die spezifische Maske des Clowns und ihren Bezug zur Identität zum Ausdruck. Wie Paul Bouis­sac verdeutlicht, wird Identität meist dadurch hergestellt, dass ein Name mit einem Gesicht sowie mit Fingerabdrücken oder DNA-Profilen in Verbindung gebracht wird (2015: 20). Ist diese Beziehung, vor allem natürlich jene zum Gesicht, gestört, entsteht Misstrauen: »Any mismatch indicates deviance and possibly criminal intentions.« (Ebd.) Die Clownsmaske weist die Diskrepanz, von der Bouissac spricht, auf, da sie die eindeutige Zuordnung einer Identität verhindert: »[T]he face of a clown is an anomalous case, […] because it is an artifact that creates a split identity that escapes social control to some extent.« (Ebd.) Die so hervorgerufene Verunsicherung hinsichtlich der erblickten Gestalt kann ein potenzieller Angstauslöser sein. Dieser Grund wurde auch in einer Studie zum Einsatz von Clowns auf Kinderstationen in Krankenhäusern genannt, welche zu dem Ergebnis kam, dass die Angst vor Clowns bei Kindern überwiegt: »We found that clowns are universally disliked by children. Some found them quite frightening and unknowable.« (Penny Curtis in »Hospital clown images ›too scary‹« 2015: o.S.) Die durch die Maske hervorgerufene Unsicherheit hinsichtlich der Identität kann ausgezeichnet am Beispiel des Jokers aus The Dark Knight veranschaulicht werden. Batman versucht wiederholt, ›hinter die Maske‹ des Jokers zu blicken, um etwas über dessen Identität und Absichten zu erfahren. Dies ist jedoch erfolglos, denn er ist »a man fully identified with his mask, a man who IS his mask – there is nothing, no ›ordinary guy‹ beneath his mask« (Žižek 2009: o.S.). Die Verweigerung der Rekonstruktion einer konsistenten Geschichte, d.h. 11 | Diese Anregung verdanke ich Anna-Sophie Jürgens.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Vergangenheit des Jokers, aus der sich so etwas wie Identität ableiten ließe, hat zur Folge, dass die Verwandlung von einer etwaigen vorherigen Erscheinungsweise in die charakteristische Joker-Gestalt und -Figur nicht gezeigt wird. Dieses Filmbeispiel stellt so eine Ausnahme der beobachteten Auffälligkeit dar, nach der die Verwandlung in die Clownsfigur meist von der Inszenierung betont wird. Keines der Kriterien, anhand derer eine Person normalerweise identifiziert wird (Gesicht, Name, DNA etc.), ist beim Joker feststellbar. Er lässt sich keinen Kategorien zuordnen, wodurch diese in Frage gestellt und als artifiziell entlarvt werden. Durch die Verweigerung einer konsistenten Geschichte seiner markanten Narben verschließt sich die Figur einer einfachen psychologischen Erklärung: »He resolutely refuses to engage in the therapeutic language others might use to explain how his actions have been determined by his facial disfigurement.« (Taylor 2010: 163) Diese Unerklärbarkeit macht die Figur schwer fassbar, was zugleich ihre Faszination zu steigern vermag. Fehlende rationale Erklärungen und die performativen Grenzüberschreitungen der Clownsfigur werden im Genre des Horrorfilms oft durch ein weiteres Merkmal der Evil-Killer-Clowns gesteigert: ihre bereits im Zitat von Durwin anklingende Assoziation mit dem Übernatürlichen. Die paranormalen Eigenschaften des Clowns resultieren in vielen Fällen daher, dass die Figur als Allegorie für bestimmte verdrängte Ängste interpretiert werden kann. Diese Ängste werden meist durch Glaubenssätze in Schach gehalten, welche Ordnung und Sicherheit versprechen. So wird beispielsweise einer der tiefsten menschlichen Ängste, der vor dem eigenen Tod, in fast allen Religionen mit Wiederauferstehungs- oder Wiedergeburtsnarrativen begegnet. Die traditionelle Rolle des Clowns, solche Muster durch seine misslingende Imitation zu dekonstruieren, prädestiniert ihn, diese dadurch wieder hervorgerufenen Ängste zu symbolisieren. Ein gutes filmisches Beispiel hierfür ist It. In dem TV-Zweiteiler verkörpert der Clown Pennywise die tiefsten Ängste der von ihm heimgesuchten Kinder, weshalb er für die erwachsenen Bewohner der Stadt unsichtbar bleibt. Durch diese Verkörperung von bis dahin verdrängten Ängsten stellt der Clown Glaubenssätze in Frage, die diese Ängste adressieren, in Schach halten und so Halt und Sicherheit suggerieren. Auch hier zeigt sich also das Potenzial der Clownsmaske zur Demaskierung. Der Sinnverlust und das Vakuum, welches diese fehlenden Sicherheiten hinterlassen, können Angst auslösen. Die Coulrophobie ist so gesehen eine verschobene Angst, die tiefer sitzende existenzielle Ängste ableitet. Passend zu solchen verdrängten Ängsten wird in den Filmen immer wieder mit der Vermutung gespielt, dass der getötete Killer-Clown noch leben oder wiederauferstehen könnte. Das lässt sich beispielsweise in Stitches beobachten, wo diese Möglichkeit in der letzten Einstellung angedeutet wird. Einerseits ist dies ein genretypischer Schockeffekt, der auch im Hinblick auf mögliche Sequels des Films gesetzt wird. Andererseits denke ich, dass eine tiefgreifendere Interpretation der unausrottbaren Ängste mit Hilfe des von René Girard beschriebenen Mechanismus des Sündenbocks (1988) möglich ist. Dieser greift vor allem in Kri-

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3. Analytischer Teil

senzeiten, in denen eine Gesellschaft nach Begründungen und Schuldigen für erfahrenes Leid sucht. Da man gegen die Ursachen der Krise oft nicht aktiv vorgehen kann, braucht es einen greif baren Grund bzw. Schuldigen (1988: 28). Dabei richten sich Anschuldigung und Verfolgung stets auf die schwächsten Glieder am Rand der Gesellschaft, meist auf Minderheiten, die sich durch Aussehen, Verhalten, Kultur oder Religion scheinbar von der Mehrheit unterscheiden (ebd.: 3032) und durch ihre Randstellung weniger Macht zu ihrer Verteidigung haben. Die Vergehen, derer sie beschuldigt werden, sind solche, die die Fundamente der kulturellen Ordnung selbst angreifen (ebd.: 27). Da genau dies ein Grundpfeiler des clownesken Wirkens ist, eignet sich der Clown vortrefflich als Sündenbock. Von Bedeutung ist auch, dass »die Verfolger […] nicht an den endgültigen Tod des sie vereinigenden Opfers glauben [können]. Auferstehung und Sakralisierung der Opfer sind in erster Linie Verfolgungsphänomene, die Gewaltperspektive der Verfolger, die selbst an der Gewalt beteiligt waren.« (Ebd.: 212) Somit wird die mögliche Wiederauferstehung von Stitches im Kontext des Sündenbock-Mechanismus zum Ausdruck der Angst der Verfolger und die Clownsfigur auch in diesem Beispiel zu einer Verkörperung unterdrückter Ängste. Paradigmatisch ist am Sündenbock ebenfalls, dass er sich »in einen Erneuerer, ja Gründer der von ihm quasi vorwegnehmend übertretenen Ordnung [verwandelt]. Der oberste Delinquent verwandelt sich in eine Stütze der Gesellschaft.« (Ebd.: 66) So kann die Andeutung der Wiederauferstehung auch als Anbetung oder Verherrlichung der Figur gelesen werden, da Stitches die die Spielregeln verletzenden Kinder, welche der Ausgang der Ordnungsstörung waren, beseitigt und so die Ordnung wiederhergestellt hat. Diese Erlösung von den störenden Elementen sowie die Wiederauferstehung erlauben eine Assoziation mit dem Messias – eine Auffälligkeit, die auch in anderen Filmen zu beobachten ist und auf die ich zurückkommen werde. Noch größer als die Angst vor dem unmöglichen Tod des Antagonisten ist diejenige vor dem eigenen Tod. An diesen gemahnt die Maske einerseits durch ihre Starrheit, andererseits durch das dem Totenschädel ebenso wie der Clownsmaske eingeschriebene unveränderbare Grinsen, wie Michel Foucault beschreibt: Was der Tod demaskiert, ist nur Maske und nichts anderes. Um das Grinsen des Skeletts zu entdecken, genügt es zu entfernen, was weder Wahrheit noch Schönheit ist, sondern lediglich wie Schminke und Flitter. Dasselbe Lächeln geht von der leeren Maske auf den Kadaver über, doch lacht der Wahnsinnige im voraus das Lachen des Todes, und der Geisteskranke entwaffnet, indem er es vorwegnimmt, das Makabre. (1973: 34)

Der amerikanische Kulturkritiker Mark Dery äußert eine sehr ähnliche Idee in seinem Buch The Pyrotechnic Insanitarium (1999), in welchem er die These einer Karnevalisierung der amerikanischen Gesellschaft vertritt: »Clown ›mouths carved into artificial smiles‹ horrify because they embalm a spontaneous expression of happiness; the only other time a human smile freezes is when the mortician fixes it in place, for display in an open casket.« (1999: 75)

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Diese zutiefst menschliche Angst vor dem eigenen Tod scheint indes für den Clown selbst nicht zu gelten. Dies lässt ihn fremd und unmenschlich wirken und kann Angst bei seinen Rezipienten auslösen. Ein gutes Beispiel hierfür ist erneut der Joker aus The Dark Knight. Seine Überwindung der Angst wird insbesondere anhand der Szene des Verhörs erzählt. Dabei wird er mit Methoden gefoltert, die so brutal sind, dass sie Frances Pheasant-Kelly in ihrer Lektüre des Films als Spiegel der Ereignisse von 9/11 dazu veranlasst haben, in dieser Szene eine Anspielung auf Abu Ghraib zu sehen (2013: 134). Die einzige Reaktion des Jokers auf Batmans Folterungen ist ein hysterisches Lachen, obwohl die Methoden, die Batman anwendet, einen Menschen gewöhnlich zu Tode bringen würden. Aus der Überwindung der Angst, vor allem aus der vor dem eigenen Tod, rührt die Stärke des Clowns. Durch das Durchbrechen von Erwartungshaltungen, gerade in Bezug auf die Angst vor dem Tod, wird er unberechenbar und nimmt seinen Gegnern die Möglichkeit, seine Handlungen zu antizipieren und ihre Reaktionen entsprechend anzupassen. Seine Unverletzlichkeit führt dazu, dass sich der Clown nicht vor Strafe zu fürchten hat, wodurch diese ihrer einschüchternden Wirkung beraubt wird. Damit kann sie ihre Funktion der Abschreckung vor dem Verbrechen nicht mehr erfüllen. Dies eröffnet dem Clown einen noch breiteren Möglichkeitsraum und macht ihn potenziell bedrohlich, was wiederum ein weiterer Auslöser für Coulrophobie sein kann.

3.3.1.5 Faszination für den Evil-Killer-Clown und Spiegel des Zeitgeistes Trotz dieser Angst vor den Clowns, welche sich in der Figur des Evil-Killer-Clowns manifestiert, lässt sich eine enorme Beliebtheit derselben verzeichnen. Obwohl es sich bei den meisten dieser Filme um Low-Budget-Produktionen handelt, in denen der Splatter- und Slasher-Horror überwiegt, haben einige dieser Filme eine solch große Fangemeinde gewonnen, dass es eine Reihe von Fortsetzungen gibt, wie z.B. die Camp Blood- oder die Killjoy-Filme. Doch nicht nur im Kino, sondern auch in anderen Medien erfreut sich diese Figur größter Beliebtheit. Man denke etwa an die Clowns aus der Killer Clown Scare Prank!-Serie auf YouTube, die mittlerweile mehrere Folgen hat und bis zu 53 Millionen Klicks pro Folge vorweisen kann. Durch die enorme Verbreitung und den gewaltigen Einfluss, den audiovisuelle Medien haben, scheint die Vorstellung des klassischen Spaßmachers immer mehr durch die des bösen, seine Absichten hinter einer mehr oder weniger fröhlichen Maske versteckenden Clowns überlagert zu werden (vgl. Dery 1999: 66). Durch dieses neue Bild des Clowns verändert sich auch die Erwartungshaltung ihm gegenüber. Die Wahrnehmung von Clowns als furchterregende oder zumindest unheimliche Geschöpfe bestätigen zahlreiche Reaktionen, die ich auf die Nennung meines Forschungsthemas erhalten habe. Sie waren fast ausschließlich von einer Abneigung gegenüber Clowns geprägt, wenngleich sie von einer gewissen Faszination für die Unverständlichkeit und Ambivalenz dieser Figur zeugten.

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Die clowntypische Ambivalenz macht sich also auch auf der Ebene der Rezeption bemerkbar. So ist der Evil-Killer-Clown »kollektiv gefürchtete[s] Monster und Verbrecher [sowie] medial gefeierte[r] Popstar« zugleich (Sharma 2011: 78). Durch diesen Wandel sowohl in der Ästhetik und im Handeln der Clowns, vor allem jedoch in der veränderten Erwartungshaltung kann den Evil-Killer-Clowns ein Morden in zweifacher Hinsicht attestiert werden. Nicht nur töten sie auf diegetischer Ebene andere Figuren, sondern rezeptionsästhetisch auch das Bild (im Sinne von Vorstellung) des traditionellen Clowns12 und tragen dazu bei, die neue Erwartungshaltung gegenüber Clowns zu festigen. So wird dieser wieder einmal zum Opfer, diesmal seiner sich emanzipierenden Epigonen. Der bereits zitierte Kulturkritiker Dery argumentiert, dass dieses Bild des Clowns ausgezeichnet ge­ eignet ist, den Zeitgeist der Jahrtausendwende zum Ausdruck zu bringen: »On the brink of the millenium, the symbolic sacrifice of a pie-facing, pratfalling agent of chaos is a means of appeasing the turbulent forces that seem to be pulling our world off its axis.« (1999: 66) In dieser Hinsicht fungiert die uns hier beschäftigende Figur auch als Allegorie, die sich nach dem einschlägigen Aufsatz von Xavier Ismail dadurch auszeichne, dass sie »visible stories and actions as figures for concepts« benutzt (1999: 338). Gleichzeitig kann die Figur einmal mehr als Sündenbock für eine sich in der Krise befindende Gesellschaft gesehen werden. Der Grund für diese Krise, so Dery, bestehe darin, dass »our Coneyesque consumer culture is founded on a desperate repression of the real, what Ralph Rugoff calls the denial of ›our capacity to take on the full spectrum of emotional life which exists beyond the confines of ›fun‹« (Rugoff 1995: 147, Dery 1999: 82/3). Durch diesen Fokus auf Spaß und Entertainment, der als Re-Infantilisierung beschrieben und als Abwehrmechanismus eines immer größer werdenden Drucks in der Leistungsgesellschaft gesehen werden kann, wird das normale emotionale Gleichgewicht gestört, welches einer Vielzahl an unterschiedlichen Emotionen bedarf. Diese »compulsive infantilization« führe, so Rugoff, zu »a sly and pernicious form of violence« (1995: 147). Der böse Clown kann somit auch als Kritiker der Spaßgesellschaft gesehen werden. Die Negation der überwiegenden Bandbreite des menschlichen Gefühlsspektrums kann krank machen und in letzter Instanz zum Tod führen, der in diesen Filmen in der Maske der Evil-Killer-Clowns auftritt. Die von Rugoff beschriebene Gewalt fällt in den analysierten Filmbeispielen immer wieder auf. Es ist folglich kein Zufall, dass ausgerechnet der Clown, der paradigmatisch für Spaß und Unterhaltung steht, als Verkörperer und Allegorie für diese Gewalt gewählt wird. Denn die Verbindung von Spaß und Tod, die sich in der Clownsfigur manifestiert, sehen Kulturwissenschaftler wie Twitchell und Dery als symptomatisch für die amerikanische Gesellschaft:

12 | Diese Idee verdanke ich Richard Weihe.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit All over the world, America stands for fun and death: Disneyland and the death penalty, Big Macs and murder (the highest rate in the industrialized world). It’s surely significant that, as of 1992, America’s two export items were military hardware and ›entertainment products,‹ in that order. (Twitchell 1992: 6; Dery 1999: 79)

Somit verwundert es auch nicht, dass die meisten Evil-Killer-Clown-Filme amerikanische Produktionen sind. Doch auch in anderen Gesellschaften scheint der Clown mit seinem ambivalenten Charakter und seiner Fähigkeit, scheinbar Widersprüchliches in sich zu vereinen, ein willkommenes Sinnbild zu sein, wie die folgende Analyse der spanischen Produktion Balada triste de trompeta erhellen möchte.

3.3.2 Die Clownsfiguren in B al ada tris t e de trompe ta als politische Allegorie der dos Españas In Álex de la Iglesias international erfolgreichstem Film Balada triste de trompeta arbeitet der Protagonist Javier (Carlos Areces) 1973, zwei Jahre vor Ende der 36-jährigen Franco-Diktatur, in einem Zirkus als trauriger Weißclown. Dort verliebt er sich in die schöne Vertikaltuchakrobatin Natalia (Carolina Bang). Diese ist an Sergio (Antonio de la Torre) vergeben, der im gleichen Zirkus den Dummen August mimt und damit Javiers Gegenpart im klassischen Zirkusclown-Duo ist. Die Rollen von Weißclown und August sind hier allerdings verdreht, denn Sergio ist Javiers Chef. Die Opposition in der Manege setzt sich außerhalb fort und wird des Öfteren auch bildlich durch die räumliche Anordnung der Figuren zum Ausdruck gebracht. Es entwickelt sich ein erbitterter Kampf um Natalia, der von Rache, Gewalt und körperlicher Schändung geprägt ist. Ein Ende findet dieser Rachefeldzug in der finalen Konfrontation im Valle de los Caídos, bei der Natalia den Tod findet und Sergio und Javier von der Polizei festgenommen werden. Diese kurze Handlungsübersicht wird dem überbordenden, in jeder Hinsicht ausufernden und extremen Film nicht gerecht. Er fordert die perzeptiven, kognitiven und affektiven Fähigkeiten seiner Rezipienten aufs Äußerste, wobei er sämtliche Genres zitiert, selbst jedoch keinem zuzuordnen ist, eine Fülle an filmgeschichtlichen Referenzen bereithält und dadurch deutlich postmoderne Züge aufweist. Der Film gewann bei den Filmfestspielen von Venedig 2010 den Silbernen Löwen, der vom Präsidenten der Jury, Quentin Tarantino, verliehen wurde – selbst ein Meister des Pastiche. Die in Balada triste zitierten Filme umfassen Das Cabinet des Dr. Caligari (DEU 1920, R: Robert Wiene), He Who Gets Slapped, Frankenstein (USA 1931, R: James Whale), Octopussy, The Lion King (Der König der Löwen, USA 1994, R: Roger Allers, Rob Minkoff), North by Northwest (Der unsichtbare Dritte, USA 1959, R: Alfred Hitchcock), The Dark Knight und viele andere. Zudem sind stilistische Anlehnungen an Pedro Almodóvar, Tim Burton sowie Quentin Tarantino selbst unverkennbar.

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Die sehr stilisierte Inszenierungsweise, die sich deutlich vom MainstreamKino abhebt und dem verfremdenden Stil anderer Filme de la Iglesias entspricht, gilt in vielerlei Hinsicht auch für die Figuren. Während Körper, Sprache und Motivation weitgehend realistisch sind, fallen Abweichungen vor allem im Bereich der Kostüme und der Maske sowie ihrer Handlungen auf. Sämtliche Figuren sind Mitglieder einer Zirkustruppe, was die ungewöhnlichen Kostüme zu Beginn noch handlungslogisch rechtfertigt. Die Kostüme der drei Hauptfiguren Javier, Sergio und Natalia verändern sich im Filmverlauf jedoch mehrmals und ufern ins Groteske aus. Die Mutationen von Maske und Kostüm sind teils eine handlungslogische Konsequenz des deutlichen Antagonismus zwischen Javier und Sergio und der daraus folgenden Gewalt, welche ebenso ins Extreme kippt. Beide Clownsmasken sind schon bald von den Narben der Verletzungen geprägt, die sich die beiden Protagonisten gegenseitig beibringen. Da sowohl Sergio als auch Javier stellenweise in Clownsmaskierung auftreten, sind beide Figuren für die Untersuchung relevant. Daher werden im Folgenden wesentliche Charakterzüge sowie vor allem die Veränderung bzw. Verwandlung beider herausgearbeitet. Der Fokus liegt dabei auf Javier. Einerseits, weil diese Figur als Protagonist bezeichnet werden kann und weitaus detaillierter inszeniert wird; andererseits, weil sie die tiefgreifendere Veränderung von beiden erlebt und die beeindruckendste und ungewöhnlichste Maskierungsszene aufweist, während jene Sergios nur ein flüchtiger Moment ist. Eine entscheidende Rolle bei der Charakterisierung der Figuren spielen also, neben ihrem Handeln und ihren Äußerungen, Maskierung und Kostümierung – vor allem, weil sie sehr oft wechseln und durch die Situierung der Figuren im Ambiente des Zirkus auffällig, vielseitig und nicht alltäglich sind. Die durch Narben gekennzeichneten Clownsmasken von Javier und Sergio möchte ich in der folgenden Analyse als Mahnmal der Vergangenheit lesen, durch das die Geschichte den Figuren eingeschrieben ist. Dadurch werden sie gleichzeitig lesbar als politische Allegorien für die beiden Spanien spaltenden Lager der rojos und fachas. Diese Opposition ist ein Relikt aus der Zeit des spanischen Bürgerkrieges (1936-39), während der die Titelsequenz des Films spielt. Sie kondensiert und kommentiert quasi als Extrakt, um was es in den nächsten eineinhalb Stunden in der (Meta-)Diegese gehen wird: um die für die FrancoDiktatur charakteristische Allianz von Katholizismus und Faschismus und um die Unterdrückung der ›Anderen‹. Bilder einer Marienstatue, des gekreuzigten Jesus, von Franco, Hitler und Erschießungen sind gegen Clowns und Monster der Filmgeschichte geschnitten (HE, Cesare oder Frankensteins Monster). Sie treffen durch ihre Juxtaposition eine eindeutige Aussage, die im weiteren Filmverlauf des Öfteren wiederholt wird: Die Verbindung von Religion und Faschismus führt zu Gewalt und Tod. Besonders anschaulich bringt dies eine Aufnahme zum Ausdruck, in welcher eine Flugzeugformation am Himmel zu sehen ist, die das Wort Franco bildet. Danach schwenkt die Kamera nach unten, um eine lange Reihe Soldaten ins Bild zu nehmen, die Särge davontragen. Mehrere Einstellungen von

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Monstern legen hingegen Assoziation zu einem sehr bekannten Gemälde Goyas nahe: El sueño de la razón produce monstruos, »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer« (ca. 1797). Dass damit der andauernde Kampf zwischen den politisch links und rechts ausgerichteten Teilen der spanischen Gesellschaft aufgerufen wird, ist eine sehr naheliegende Interpretation. »Hell, de la Iglesia begins the film with shots of political leaders interspersed with classic monsters. It doesn’t get clearer than that. Seen in that light, The Last Circus transforms from a teeth-gritting story about tragic love into a teeth-gritting story about a country loved violently by multiple parties.« (Beggs 2016: o.S.) Die politische Allegorie ist tatsächlich unübersehbar und plakativ inszeniert. Sie entspricht der Feststellung Xavier Ismails, der sich intensiv mit dieser »Diskursform« (1999: 336) beschäftigt hat, dass »[m]any national allegories are based on personifications, as when a single character is taken as standing for the nation« (ebd.: 340). Auch einer der Kritiker des Films teilt diese Interpretation des Films: »It doesn’t take a PhD to figure out that Natalia represents Spain, masochistically allowing herself to be brutalized by the fascists (Sergio) while gentle cowards (Javier) stand by slowly waiting for their revenge.« (Weissberg 2010: o.S.) Somit wäre oben genanntes Zitat Ismails auszubauen, da in Balada triste nicht ausschließlich eine Personifizierung einer Nation inszeniert wird, sondern es werden zugleich disparate Ideologien bzw. politische Richtungen durch Figuren zum Ausdruck gebracht, wie bei Sergio und Javier. Daher werde ich bei der Analyse der genannten Figuren auch nicht von nationalen, sondern politischen Allegorien sprechen. Der Regisseur von Balada triste, Álex de la Iglesia, bestätigt diese auf die politsche Vergangenheit bezogene Interpretation des Films und seiner Figuren: Growing up in Bilbao, in the early years after dictator Francisco Franco’s death in 1975, life was surreal, De la Iglesia remembered. ›Spain was a circus. Near to my home, there were bombs going off. There was constant violence. It seemed that anything could happen, but no one wanted to talk about the subterranean violence. It was terrifying. It felt like there were monsters everywhere – like a living nightmare.‹ (de la Iglesia in Dale 2014: o.S.)

Ich möchte nun zunächst die beiden Figuren, welche als Clowns dargestellt werden, genauer analysieren und ihre Verbindung zum Clownesken aufzeigen, um dann in einem nächsten Schritt den Bezug der Figur und ihrer (Clowns-)Maske zur spanischen Geschichte und Gegenwart herzustellen.

3.3.2.1 Die Inszenierung Javiers als Opfer – eine Referenz an die Geschichte der Filmclowns Javier ist eine Figur, welche von drei verschiedenen Darstellern gespielt wird, da wir ihn zu verschiedenen Zeiten seines Lebens kennenlernen. Während des Prologs ist er etwa acht Jahre alt, in der kurzen Zwischenszene im Gefängnis sechs Jahre älter und während der Haupthandlung theoretisch nochmals 30 Jahre älter, also etwa Mitte vierzig, wobei er deutlich jünger wirkt (der Schauspieler

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Carlos Areces war zur Drehzeit Mitte dreißig). Javier stammt aus Madrid, worauf sein für Zeit und Ort typischer Name sowie seine Sprache hindeuten. Diese wirkt realistisch und ist dem standardsprachlichen Register zuzuordnen, tendiert allerdings eher in Richtung einer gewählten Ausdrucksweise. Auffällig ist die weitgehende Abwesenheit von im Spanischen sehr häufigen palabrotas, also Flüchen oder Schimpfwörtern, sowie eine eher hohe, leise und unsichere, teils sogar weinerliche Stimmlage. Diese ist nur dann etwas tiefer und bestimmter, wenn er als selbstsicher inszeniert wird, was zu Beginn des Films kaum der Fall ist. Die Weinerlichkeit seiner Stimme steht in Einklang mit einem Merkmal, welches von der Inszenierung verschiedentlich hervorgehoben wird: seine von den anderen Figuren wiederholt in Frage gestellte Geschlechtszugehörigkeit. So sagt der Dompteur Ramiro (Manuel Tallafé) zu Javier über seine Elefantendame: »Es muy celosa, sabes? No le gusta verme con mujeres. Y así vestido, ha debido pensar que…« Eine andere Stelle ist noch expliziter. Ein Mädchen ruft beim Anblick Javiers aus: »Papá, parece una señora!« Die Frau des Zirkusdirektors unterstreicht diese Auffassung, indem sie zu Natalia sagt, dass sie sich zwischen Javier und Sergio entscheiden müsse. Dabei nennt sie die beiden aber nicht beim Namen, sondern stellt Natalia vor die Entscheidung zwischen »la muñeca o el balón«, der Puppe oder dem Ball – den beiden typischen Geschenken für Mädchen bzw. Jungen. Solche Zuschreibungen von Weiblichkeit stehen im Einklang mit weiteren Charakteristika der Figur, die auch ohne Maske viel vom Weißclown Pierrot, wie ihn Deburau prägte, verinnerlicht zu haben scheint. So wirkt Javier verletzlich, ängstlich und unsicher. Dieser Eindruck wird in erster Linie durch seine Sprache, seinen nicht sehr aufrechten Gang und seine etwas langsamen und zähen Bewegungen erzeugt. Auch seine Mimik bringt die Unsicherheit und zuweilen seine Enttäuschung und Traurigkeit zum Ausdruck. Ein leichtes Überspielen kann ihm attestiert werden, welches in Kombination mit den vorhergehenden Merkmalen den Eindruck des Lächerlichen zu erzeugen vermag. Dies verweist auf die Rollenbiografie von Areces, der zum Zeitpunkt der Premiere von Balada triste vor allem durch komische Rollen in Fernsehserien bekannt war. In allen drei gezeigten Lebensabschnitten trägt Javier eine Brille, die ihn als Kind intellektuell und erwachsener aussehen lässt als die anderen Kinder und ihn dadurch von der Gruppe absondert. Als Erwachsener ist er leicht übergewichtig, was mit plumpen und etwas unbeholfenen Bewegungen einhergeht. Diese Charakteristika lassen die Figur kaum dem üblichen Schönheitsideal oder einem coolen und männlichen Typus entsprechen, was sie für die Rolle des Außenseiters prädestiniert. Diese Rolle sowie Javiers fehlende Sozialkontakte werden in einer Szene in der Bar betont, als er zu spät kommt und nicht richtig in die Gruppe integriert wird. Er wirkt wie ein Eindringling und scheint sich nicht sonderlich wohl zu fühlen. Nicht nur in der Manege, sondern auch im ›richtigen Leben‹ der Diegese wird er als Prügelknabe genutzt und von Sergio misshandelt. Sowohl Javier als auch der von ihm gespielte Clown unterlassen es, sich zu wehren. Ist dies in der Bühnensituation Teil der Show, so ist er auch außerhalb seiner Bühnenrolle – zumindest zu

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Beginn des Films – zu ängstlich, um sich gegen seine Erniedrigung zu wehren. Mehrere Auffälligkeiten sind an dieser Konstellation hervorzuheben. Zunächst fällt die Umkehrung der Funktionen der beiden Clowns im klassischen Zirkusduo auf, denn üblicherweise ist es der Dumme August, der die Schläge kassiert. In Balada triste ist es jedoch eindeutig Javier, wie die folgende Abbildung zeigt. Abbildung 27: Javier muss nach der Vorstellung aus der Manege getragen werden. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Dieses Bild offenbart noch eine weitere Besonderheit hinsichtlich des Kostüms, welche mit der Umkehrung der Rollen zusammenhängt. Die Tasten des Klaviers, welches ihm Sergio als Dummer August über den Kopf zieht, legen sich fast wie die typische Halskrause einiger Clownskostüme um Javiers Hals und erscheinen so als Teil des Kostüms. Dies lässt sich als Integration bzw. Akzeptanz der Demütigung und Gewalt lesen. Die Geschehnisse in der Manege können als mise en abyme für Javiers Leben in der sozialen Wirklichkeit der Diegese verstanden werden. Auch Sergio scheint kaum einen Unterschied zwischen Manege und Alltag zu machen, was seinen Hass auf Javier angeht. Die Tatsache, dass Javier nach der Nummer weggetragen werden muss, zeugt davon, dass Sergio wohl tatsächlich zuschlägt, statt dies nur vorzutäuschen. Ramiro kommentiert Javiers Erdulden der Gewalt und sagt, dass ihn diese »einstudierte Passivität« an Buster Keaton erinnere. Die für den Clown typische Eigenschaft, durch sein eigenes Leiden Heiterkeit zu erzeugen, wird dadurch unterstrichen. Noch eine weitere Clownsfigur der Filmgeschichte wird aufgerufen – nicht zuletzt durch die Ähnlichkeit des Kostüms und des erduldenden Verhaltens: HE aus He Who Gets Slapped, dem wir in Kapitel 3.1.1 begegnet sind. Auch er steckt Tag für Tag Schläge ein, wobei dies ebenfalls als Konsequenz aus von außen zugeführter Demütigung herrührt. Javier wird also direkt mit dem Clown, dessen filmischer Geschichte und der darin wichtigen Annahme der Opferrolle in Verbindung gebracht (vgl. 3.1.1). Dieses Image wird auf die Figur projiziert und in das Figurenmodell integriert. Zu betonen bleibt, dass Javier in funktioneller Hinsicht die Rolle des Dummen August annimmt. Dieser scheinbare Widerspruch – unterscheiden sich doch die beiden

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Clownstypen deutlich voneinander – kann damit begründet werden, dass das klassische Clownsduo eigentlich eine Aufspaltung eines ursprünglich einzigen Wesens in zwei Figuren mit seinen konträr zueinander stehenden Eigenschaften ist – eine Vermutung, bei der sich die Clownforscher einig sind (vgl. Fried/Keller 1996: 205). Auch der Bezug zum gespaltenen Land, zu den »zwei Spanien«, liegt nahe. Da wir durch unser dichotomisches Denken (vgl. Kap. 2.2) Mühe mit einer solchen, paradoxalen Vereinigung von Gegensätzen haben, wurden sie auf zwei Figuren verteilt: »Jede Ausdifferenzierung unseres Denksystems hat zum Preis, daß vordem gegebene Einheiten nur noch in Gegensatzpaaren begriffen werden können.« (Ebd.: 26) Dadurch, dass die Zuschauenden Javier bereits als Kind sehen, kennen sie einen deutlich größeren Teil seiner Vorgeschichte als jener Sergios oder der anderen Figuren. So werden beispielsweise die Ängstlichkeit und seine Fixierung auf den Vater in den ersten Minuten des Films erzählt. Von Javiers Innenleben erfahren die Zuschauenden im Gegensatz zu dem der anderen Figuren ebenfalls relativ viel. Es gibt vier Szenen, welche Imaginationen bzw. Träume Javiers darstellen. In zwei dieser Szenen erscheint ihm sein Vater. Diese werden weiter unten besprochen. In den anderen beiden steht Natalia im Vordergrund. So z.B. als Javier Natalia zum ersten Mal sieht. Da dieser Moment mit der Einführung Natalias in die Filmhandlung zusammenfällt, lernen wir sie als erstes aus Javiers Wahrnehmungsperspektive kennen. Auch hinsichtlich der emotionalen und evaluativen Perspektive wird durch den perception shot eine Annäherung zwischen Figuren- und Zuschauerperspektive ermöglicht. Die subjektive Einstellung zeigt Natalia verklärt und anmutig schön. Die Aufnahmen sind vom leuchtendem Rot des Kostüms sowie der Tücher geprägt, an denen Natalia ihre akrobatischen Fähigkeiten trainiert. Auffällig ist die extreme High-key-Beleuchtung, die teilweise zur Überbelichtung tendiert und den Moment optisch deutlich von anderen Szenen abhebt. Durch diese äußerst ästhetisierte Darstellung wird Javiers extreme Faszination für Natalia für die Zuschauer nachvollziehbar gemacht. Die beiden Figuren, welche wir aus Javiers Wahrnehmungsperspektive sehen – seinen Vater und Natalia – bestimmen Javiers Denken, Fühlen und Imaginieren sowie seine Handlungsziele. Natalia löst das Verlangen in Javier aus, sie für sich zu gewinnen und vor der Gewalt Sergios zu schützen. Von Seiten des Vaters wird ihm das Ziel der Rache mitgegeben, da er durch die Schrecken des Bürgerkrieges nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Kindheit verloren hat. Diese Verluste bzw. Traumata werden von der Inszenierung als Gründe für seine Traurigkeit und seine daraus folgende Annahme der Rolle des traurigen Clowns nahegelegt. Javiers Bedürfnisse, welche diese Ziele hervorrufen, sind die Überwindung seiner charakteristischen Traurigkeit, die durch eine dicke schwarze Träne als Bestandteil seiner Schminkmaske betont wird, sowie Liebe und Anerkennung. Doch Javiers key flaw, die Ängstlichkeit, steht ihm im Weg. Um seine Ziele zu erreichen, handelt er überwiegend impulsiv, obwohl er sich seiner Motivation durchaus bewusst ist. Sein Bild der Liebe ist als klassisch, romantisch und idealisiert zu bezeichnen,

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

was zu seinem generell eher konservativen Wertesystem passt. Dennoch kann der Figur von Beginn an ein rebellisches Verhalten zugeschrieben werden. Schon als Jugendlicher sucht er seinen Vater, Zwangsarbeiter beim Bau des faschistischen Monuments im Valle de los Caídos, auf und zündet eine Bombe, um ihn zu rächen. Dass dabei ein Oberst ein Auge verliert, wird für die spätere Handlung von entscheidender Bedeutung sein.

3.3.2.2 Die Ver wandlung(-en) Javiers Während der rebellische Charakter der Figur über die gesamte Handlung hinweg eigen ist, sind viele der bis hierher besprochenen Merkmale vor allem bis zum Moment der Verwandlung Javiers dominant. Die Figur durchläuft verschiedene Etappen, welche am deutlichsten durch die Kostümierung, aber ebenso durch weitere Eigenheiten des Schauspiels wie Gestik, Mimik und Sprache zum Ausdruck gebracht werden. Als Kind ist Javier ausschließlich in Zivil zu sehen. Als Erwachsener wird er zunächst als Weißclown eingeführt, tritt aber in der Folge auch in normaler Straßenkleidung auf. Ein weiteres Entwicklungsstadium ist ein als animalisch zu bezeichnender Zustand, in welchem Javier als Hund inszeniert wird. Diesem Höhepunkt der Demütigungen folgt seine Verwandlung in den sadistischen Racheclown. Abbildung 28: Javier trägt das typische Make-up des Weißclowns auf und macht sich damit selbst zum Clown. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Die Einführung des erwachsenen Javier erfolgt über diese Maskierungsszene: Der Bezug zum Clown wird somit von Anfang an prominent inszeniert. Hervorzuheben ist, dass er sich selbst schminkt und damit für seine Verwandlung in den traurigen Weißclown verantwortlich ist. In ähnlichen Filmszenen wurde oft beobachtet, dass die Figur von anderen zum Clown gemacht wird. Das lässt darauf schließen, dass Javier die von seinen Vorfahren vorgelebte Rolle des Clowns bewusst und freiwillig annimmt. Allerdings wird bald klar, dass er dies mehr aus einer fehlenden Alternative denn aus persönlicher Motivation und Überzeugung heraus tut. Auf die Kritik, die der Film an solch unreflektierter Akzeptanz übt,

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werde ich im Zusammenhang mit der politischen Geschichte eingehen. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass der Fokus in der erwähnten Einstellung ganz auf der Maske und weniger auf dem Kostüm liegt. Ist das vordergründig mit der generellen Inszenierungsstrategie der relativ großen Nähe zu den Figuren zu begründen, welche sich bildästhetisch in einem verstärkten Einsatz der Großaufnahme ausdrückt, spielt auf einer tieferen Ebene der enge Bezug des Gesichtes zur Identität eine zentrale Rolle. Denn die tiefgreifendsten Veränderungen der Figuren werden in erster Linie im Gesicht visualisiert und haben die schwerwiegendsten Konsequenzen für sie selbst und dadurch auch für die Handlung. Die Veränderung Javiers beginnt, als seine Demütigung durch die anderen Figuren unerträglich wird. Die entsprechende Szene beginnt signifikanterweise erneut vor dem Spiegel und zeigt Javier, wie er sich abschminkt. Der Wandel wird also von ihm eingeleitet und er entlässt sich selbst aus seiner Rolle des Traurigen und Gedemütigten. In dem Moment betritt Natalia seinen Wohnwagen, um ihn zu verführen. Dass dies ihre Absicht ist, wird schon durch die Perücke verdeutlicht. Diese ist ein filmhistorisches Zitat aus Pulp Fiction (USA 1994, R: Quentin Tarantino). Abbildungen 29-30: Natalia flirtet mit Javier und Mia mit Vincent Vega. Screenshots aus Balada triste de trompeta und Pulp Fiction.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Natalia erzählt Javier, dass Sergio so betrunken sei, dass er bis zum nächsten Morgen nicht mehr aufwachen werde. Deshalb schlägt sie Javier vor, zusammen in den Vergnügungspark zu gehen. Als dieser zögert, provoziert sie ihn und spielt mit seiner Angst: »Ui, que tiene miedo.« Darauf hin wird er wütend, wirft den Stuhl um und zeigt zum ersten Mal im Film einen echten Gefühlsausbruch. Er schafft es, seine Ängstlichkeit für einen Moment zu überwinden und konfrontiert Natalia direkt: »Por qué haces esto Natalia, por qué conmigo? ¡Te estás riendo de mi!« Sie antwortet sanft, dass sie sich bei ihm sicher fühle und betont seinen Mut, als sie über Javiers Verhältnis zu Sergio sagt: »Eres el único que le has plantado cara, no te has reído de sus chistes.« Ihre Anerkennung vermag es, die soeben begonnene Veränderung tatsächlich zu vollziehen. Bildlich wird dies dadurch ausgedrückt, dass Natalia ihm die schwarze Träne, das Zeichen seiner Traurigkeit, wegwischt, welche er signifikanterweise noch nicht abgeschminkt hatte. Nicht er selbst kann sich seine Traurigkeit nehmen, einzig Natalias Liebe ist dazu fähig. Abbildungen 31-32: Natalia wischt Javiers Traurigkeit weg. Screenshots aus Balada triste de trompeta.

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Wie schon als Kind die äußeren Umstände seinen Charakter geformt haben, ist es nun erneut ein Einfluss von außen, welcher seine Veränderung einleitet. Den neu gefassten Mut muss Javier in der nächsten Szene sogleich unter Beweis stellen, als der wütende Sergio im Vergnügungspark auftaucht und Javier mit seiner Freundin Natalia zusammen sieht. Javier versucht, sich und Natalia zu verteidigen, ist Sergio kräftemäßig aber unterlegen. Dieser zerrt ihn auf den ›Hau-den-Lukas‹ und schlägt ihn mit brutalen Schlägen auf den Bauch fast zu Tode. Die darauffolgende Szene spielt im Krankenhaus, wo Natalia Javier besucht. Sie nimmt die Schuld für das Vorgefallene auf sich, deutet jedoch auch an, dass sie zu Sergio zurückkehren werde. Auf die Fassungslosigkeit Javiers reagiert sie mit der Ausrede, dass sie ihn vor der Wut Sergios schützen wolle, da dieser ihn umbringen werde, sollte Natalia nicht zu ihm zurückkehren. Der folgende Schlagabtausch ist für das Verständnis der Motivation der Figuren relevant. Javier fragt sie, ob sie somit nur wegen ihm zu Sergio zurückkehre. Als sie der Antwort ausweicht, steht er trotz seiner Schwäche und des Verbots des Arztes vehement auf und verlangt eine Antwort. Als diese ausbleibt und Natalia dadurch indirekt eingesteht, dass sie ebenso aus egoistischen Motiven zu Sergio zurückkehrt, den sie demnach noch immer liebt, verkündet Javier sein Vorhaben, Sergio umzubringen. Daraufhin stellt Natalia ihm die rhetorische Frage: »Y eso, ¿lo haces por mi o por ti?« Die Tatsache, dass auch er ihr eine Antwort schuldig bleibt, zeigt die egoistische Grundhaltung beider Figuren. Die Zurückweisung seiner Liebe und Natalias Präferenz für seinen Konkurrenten fungieren als Auslöser, dass Javier sein Vorhaben in die Tat umsetzt, womit die nächste Etappe in Javiers Verwandlung beginnt. Er schleicht sich, nur mit dem OP-Hemd bekleidet, aus dem Krankenhaus und zum Zirkus. Dort wird sein Entschluss durch den Anblick Sergios mit Natalia beim Sex noch bestärkt und er schlägt wie besessen mit einer Trompete auf Sergio ein, wodurch er ihn fast umbringt. Danach flieht er, von der Polizei verfolgt, in den Wald und nähert sich mehr und mehr einem tierähnlichen Zustand an. So ist er nackt, über und über mit Morast bedeckt, kriecht mehr, als dass er aufrecht läuft, und endet schließlich in einer Grube, in der er einen zu ihm herabgestürzten Hirschen mit den Händen zerreißt und roh verspeist. Die Verwandlung zum Tier scheint damit vollkommen. Die Tierwerdung Javiers ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Zunächst scheint sie anzudeuten, dass die Grenze zwischen Tier und Mensch nicht so eindeutig verläuft, wie in unserer Gesellschaft meist direkt oder indirekt angenommen und postuliert wird. Diese Ansicht stellt eine Art Leitthese der sich in den letzten 20 Jahren rapide entwickelnden Human-Animal Studies dar: Die Unterscheidung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren ist eine vom Menschen gemachte, wodurch der Mensch bestimmte, für ihn günstige Machtverhältnisse schafft: »[T]he human-animal distinction constitutes an arena in which relations of power operate in their exemplary purity (that is, operate with the fewest moral or material obstacles).« (Pick 2011: 1) Die These ist jedoch keineswegs neu, ist doch die Frage nach der Grenze zwischen Menschlichem und

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Animalischem eine nicht erst seit Darwin immer wieder aufgeworfene und diskutierte, die sich nicht zuletzt in einer Vielzahl von hybriden Figuren in Kunst und Literatur widerspiegelt. Für das Verständnis des animalischen Elementes in Balada triste und dessen Zusammenhang mit dem Clownesken ist allerdings zu bedenken, dass die Figur, welche als animalisch inszeniert wird, zuvor als Clown eingeführt wurde. Der Clown zeichnet sich seit jeher dadurch aus, dass er die Unhaltbarkeit von vom Menschen geschaffenen, oft auf eine binäre Opposition hin ausgerichteten Kategorien aufzeigt, indem er Gegensätze in sich vereint. Dies trifft umso mehr auf die Figur des Javier zu, welcher in einer ersten Auflösung der Dichotomie bereits mit beiden Teilen des klassischen Clownduos – Dummer August und Weißclown – assoziiert wird. Obgleich der Unterschied zwischen Mensch und Tier mehr diskursiver denn biologischer Natur ist, sind die Konsequenzen ähnlich: Aus menschlicher Perspektive ist das Tier das ›Andere‹, das Ausgeschlossene und so dem Clown nicht unähnlich. Damit unterstreicht die spezifische Inszenierung Javiers als Tier dessen – schon durch die Clownsmaske angedeutete – marginale Stellung in der Gesellschaft. Die Natur, der Wald, fungiert dabei als Steigerung des selbst schon am gesellschaftlichen Rand verorteten Zirkus. Im Wald ist Javier nun gänzlich aus der kulturellen Gemeinschaft ausgeschlossen. Anhand der Inszenierung als Tier werden seine gesellschaftliche Stellung sowie der Konflikt, der anhand der Figur erzählt wird, verdeutlicht. Der Film reiht sich mit diesem Umgang mit dem Tier in eine lange Erzähltradition ein, welche anhand des Tieres Fragen des Menschlichen verhandelt: Die Fabeln Aesops, die Metamorphosen Ovids, verschiedene Märchen und Novellen sind nur einige der zahlreichen literarischen Beispiele, welche Tiere als Allegorien für vom Menschen geschaffene Kategorien und Konzepte einsetzen und anhand der Erzählung von Verwandlungen vom Mensch zum Tier oder umgekehrt die Schwierigkeit der Grenzziehung aufzeigen. Selten wird das Tier dabei naturalistisch und als reales Lebewesen dargestellt, sondern es erhält seine Berechtigung dadurch, dass anhand von ihm Fragen des Menschlichen verhandelt werden. So funktioniert das literarische wie das filmische Tier als »Sehnsuchtsträger, Projektionsfläche und Medium der Verständigung des Menschen über sich selbst« (Strigl 2013: 97). Die lange kulturelle Verwurzelung, welche fast immer mit einer Anthropomorphisierung der Tiere einhergeht, hat zur Folge, dass bestimmte Tiere mit konkreten – oft menschlichen – Eigenschaften assoziiert werden, welche von Rezipienten mühelos erkannt werden. Die Listigkeit des Fuchses, die Dummheit des Esels oder die Treue des Hundes sind Stereotype, derer sich de la Iglesia bedient, wenn er Javier in der Szene, welche auf die oben beschriebene folgt, nicht nur als animalisch, sondern konkret als Hund inszeniert: Als ein Wildschwein Javier verfolgt, wird er von zwei Jägern ›gerettet‹. Einer von ihnen stellt sich als der Oberst Salcedo (Sancho Gracia) heraus, welcher vor vielen Jahren durch Javiers Bombenanschlag im Valle de los Caídos ein Auge verloren hat. Nun sieht er die Möglichkeit der Rache gekommen und missbraucht Javier als Jagdhund. Der zu Beginn des Kapitels angesprochene Rachezirkel wird somit auch hier wieder

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manifest. Signifikant ist, dass Javier von diesem Moment an nicht mehr spricht, wodurch seine Annahme der Rolle des Tieres unterstrichen wird. Der Jagdhund als ein für den Menschen zweckdienliches Nutztier zeigt, dass die Tiere trotz ihres Ausschlusses und meist minderwertigen Ansehens eine wichtige Funktion für den Menschen erfüllen. Dies gilt ebenso für den Clown, dessen Funktion für die Gesellschaft nicht nur in der Erheiterung seiner Zuschauer besteht, sondern welcher zudem Inkohärenzen unserer Weltanschauungen bloßstellt und dadurch zum Nachdenken anregt. Javier erduldet seine Erniedrigung zum Hund nicht, sondern rächt sich seinerseits wieder, indem er Salcedos Gast, General Franco (Juan Viadas), kräftig in die Hand beißt. Gleichzeitig bedeutet dieser Biss jedoch auch die vollständige Annahme der Degradierung zum Tier. Abbildung 33: Javier nimmt seine Rolle als Hund an und beißt General Franco in die Hand. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Die Situierung der soeben beschriebenen Sequenz im Wald ist aussagekräftig, stellt sie doch mit Javier als beißendem Hund das Gegenstück zur durch den Zirkus repräsentierten Kultur bzw. Zähmung der Natur dar. Diese schlägt zurück und klagt die ihr zugefügte Ungerechtigkeit ein, wodurch die Rache zugleich als animalisches und instinktives Verhalten inszeniert wird. Das animalische Element kommt dabei nicht zufällig zum Vorschein, sondern wird durch die (politische) Geschichte ausgelöst und als Teufelskreis der Rache dargestellt. Durch die in der folgenden Szene stattfindende Vernarbung schreiben sich Gewalt und Hass nicht nur ins Individuelle ein, sondern dadurch, dass der Clownskörper ein allegorischer ist, auch dem gesellschaftlichen Körper. Der Rachezyklus kann nur durchbrochen werden, wenn der Rachegedanke und die damit in Verbindung stehende Gewalt ausgelöscht werden. Durch die Verwendung der Narben scheint die Hoffnung, dass dies möglich ist, gering, da Narben eine bleibende Veränderung darstellen. Die Maskierungsszene, in welcher Javier zum Racheclown wird, schließt sich an seine Degradation zum Hund an. Die Verwandlung Javiers in den Racheclown

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

ist also bereits in der Szene zuvor angelegt. Nach dem Biss in Francos Hand wird er wie ein Krimineller in einem Lieferwagen weggefahren. Sein Blick lässt ihn wie einen Besessenen wirken – ein Eindruck, der sich in der folgenden Szene bestätigen wird. Zurück in der Residenz wird Javier in ein Zimmer gesperrt. Dort hat er eine Eingebung, die vom Anblick der Marienstatue ausgelöst wird und die sich für die Zuschauer durch langsame und geheimnisvolle Musik andeutet. Ein von der Statue ausgehendes, gleißendes Licht fällt auf Javier, der mit geöffneten Augen und Mund vor ihr kniet. Im Gegenschuss sehen wir die Marienstatue aus seiner Wahrnehmungsperspektive. Natalia erscheint ihm als Maria und schwört ihn auf Rache ein: »El día de la ira ha llegado. Tú serás mi ángel de la muerte. Sálvame del mal y cumple tu destino, amado mío.« Daraufhin wird Javier ohnmächtig. Als er wieder erwacht, fällt sein Blick auf eine gekreuzigte Christus-Figur, woraufhin er den vermeintlichen Auftrag von Natalia auszuführen beginnt. Die Inszenierung suggeriert folglich, dass seine Verwandlung in den Racheclown von der Liebe zu Natalia und dem von außen ausgelösten Verlangen nach Rache motiviert wird. Wie schon in der anfangs beschriebenen Titelsequenz wird dabei die Verbindung zur Religion hergestellt und so die für den Franquismus charakteristische Allianz von Katholizismus und Gewalt betont. Auch der Soundtrack verbindet die Szenen, da die gleiche Musik sowohl die Titelsequenz als auch die Verwandlungsszene begleitet und so eine thematische Verbindung nahelegt. Dazu passt der erste Teil des Kostüms, welchen Javier in einer Kleiderkiste findet: eine Mitra. Für das dazugehörige Gewand nimmt er bunte Glaskugeln und näht sie mit schnellen Stichen daran fest. Wie schon bei seiner Einführung als Weißclown liegt jedoch auch hier der Fokus mehr auf der Maske als auf dem Kostüm. So wird im Folgenden die Herstellung seiner Maske inszeniert. Dabei handelt es sich weder um eine für Clowns übliche Schminkmaske noch um eine Stülpmaske, sondern um eine, die im wahrsten Sinne des Wortes als ›Gesichtsmaske‹ bezeichnet werden kann. Denn Javier führt durch äußerst schmerzvolle Eingriffe eine Veränderung seiner Gesichtshaut herbei. Dazu ›wäscht‹ er sich als erstes das Gesicht mit Natronlauge, was ihn sich für einige Sekunden vor Schmerzen am Boden winden lässt. Nachdem so die für die Clownsmaske typische weiße Grundierung ›aufgetragen‹ ist, beginnt er mit den üblicherweise durch rote Schminke erzeugten Hervorhebungen an Wangen und Mund. Diese erzeugt er mit Hilfe eines heißen Bügeleisens, welches er sich unter schmerzverzerrten Schreien solange an die Wangen hält, bis Dampf aufsteigt und die Haut am Eisen zu kleben beginnt.

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Abbildung 34: Javier erzeugt die rote Farbe seiner Wangen durch Verbrennung. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Danach ritzt er sich mit einem Messer die Stirn auf, um die Augenbrauen zu ›malen‹. Für den roten Clownsmund ›küsst‹ er das Bügeleisen, was in einer Detailaufnahme mehrere Sekunden lang gezeigt wird und eine affektive Simulation beim Zuschauer wahrscheinlich macht. Abbildung 35: Der rote Mund ist ebenfalls Resultat einer Verletzung durch das heiße Bügeleisen. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Die beschriebene Maskierung stellt eine Parodie der traditionellen Clownsmaskierung dar, da sie alle Elemente der Clownsmaske enthält, diese aber mit unüblichen Mitteln und auf gewaltvolle Art und Weise herbeigeführt werden. Gleichzeitig nimmt sie Bezug auf die vielen Maskierungsszenen von Clowns in anderen Filmen, da das Kino meist der einzige Ort ist, an welchem man einer solchen Verwandlung beiwohnen kann. Im Zirkus oder bei anderen Clownsauftritten findet sie gewöhnlich hinter den Kulissen statt. An Javiers neuem Kostüm fällt auf, dass es der Form nach noch immer dem klassischen Weißclown-Kostüm entspricht, allerdings nun bunt und mit An-

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leihen bei klerikalen Prunkgewändern. Somit wird einerseits angedeutet, dass der bestimmende Charakterzug von Javiers Rolle, nämlich die Traurigkeit, selbst durch die radikale äußere Verwandlung nicht wirklich verändert werden kann. Andererseits trägt seine Kleidung zu einer Grenzüberschreitung hinsichtlich des Genders bei und lässt dieses uneindeutig erscheinen. So fragt ein Angestellter Javier, ob er sich als Priester oder als Frau verkleidet habe. Am auffälligsten ist jedoch der Bezug des Kostüms zur katholischen Kirche. Diese wird durch die Kombination der Bischofsinsignien mit der Clownsmaske der Lächerlichkeit preisgegeben. Durch die Gewalt, die Javier verübt, sobald er das Kostüm trägt, wird die Gewalt, von der die Franco-Diktatur gekennzeichnet war, als Konsequenz aus der Allianz von Katholizismus und Faschismus dargestellt und die Clownsfigur und ihr Kostüm zum Symptom für gesellschaftliche Prozesse. Die Wirkung der Kritik wird durch die angesprochene affektive Simulation verstärkt, da die Zuschauenden die Gewalt am eigenen Leibe zu spüren scheinen. Eine weitere Grenzüberschreitung ist religiöser Natur, da in der katholischen Kirche die Würde, das Bischofsgewand und die Mitra tragen zu dürfen, hohen Geistlichen vorbehalten ist. Eine solche Anmaßung und Missachtung von Hierarchien ist sehr typisch für den Clown, dessen Aufgabe es schon immer war, Tabus zu brechen und damit die durch diese geschützten, feststehenden Meinungen und Ordnungen zur Diskussion zu stellen. Ogibenin erkennt die wichtige soziale Funktion dieses Tabubruches: »[T]he successful functioning of the community presupposes that breaking of the tabu by the ritual clown.« (1975: 6) Liezel Spratley erklärt, warum dieser Tabubruch so wichtig für die Stabilität der Gemeinschaft ist: »Ritual Clowns took on the roles of ›violator of taboos‹ and transgressor of civil and social laws in order to exempt the community from these transgression.« (2009: 49; Hervorhebung Y.A.) Die Tatsache, dass der Clown mit seiner Übertretung die Gemeinschaft vor eben dieser bewahrt, sichert die Stabilität der Gruppe: »[T]he violation of taboo is an individual act, singular and exceptional. The stability of the social order, resting as it does on the observance of taboos, would be jeopardized should the act of transgression be committed by the group as a whole, or with their approval.« (Makarius 1970: 54) Der Glaube an bestimmte ›Wahrheiten‹ ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren und Fortbestehen eines Systems. Ist er nicht mehr vorhanden, was eine Bedingung für die von Makarius beschriebene kollektive Grenzüberschreitung wäre, geriete die Ordnung durch das ihr unterliegende, veränderte Weltbild in Gefahr. Der Clown stellt also einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Zusammenlebens dar. Gleichzeitig kann es Momente geben, in denen Grenzüberschreitung und Tabubruch die Grenzen nicht nur in Frage stellen, sondern aufzuheben vermögen. Dass das Clowneske dies erreichen kann, zeigt Tobias: By irreverently crossing boundaries, the clown destabilises those boundaries and reduces to chaos the order they establish and maintain. Through his transgressive actions, the basic assumptions, hierarchies and values of the established order that are upheld by the var-

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3. Analytischer Teil ious boundaries are questioned, reassessed and subverted. (2007: vgl. Willeford 1969: 108)

Für Javier gelten beide der aufgezeigten Varianten. Innerhalb der Diegese ist der Clown nicht fähig, eine Neuordnung hervorzurufen, wie seine letztliche Festnahme durch die Polizei – dem Repräsentanten der Ordnung schlechthin – zeigt. Der Grund hierfür ist, dass er selbst die beiden vom Film kritisierten ›Ordnungen‹ symptomatisch repräsentiert: die Allianz von Katholizismus und Faschismus auf der einen Seite sowie den erbitterten Kampf zwischen den dos Españas – den Republikanern und den Faschisten – auf der anderen Seite. Für die Filmzuschauer hingegen ergibt sich eine andere Situation. Die besonders explizite Inszenierung der Maskierungsszene lässt sie die Konsequenzen aus einem Festhalten an einer Vergangenheit, die durch die Verbindung von Gewalt und Religion gekennzeichnet ist, fast physisch spüren und regt sie an, sie zu hinterfragen. Nachdem die soeben analysierte äußere Verwandlung abgeschlossen ist, lassen die entsprechenden Handlungen nicht lange auf sich warten. Statt wie bisher zurückhaltend, still und vorsichtig geht Javier fest entschlossenen Schrittes auf seine Opfer zu und ermordet sie, ohne mit der Wimper zu zucken. So fallen seinem Rachedurst zuerst der Angestellte des Obersts und dann dieser selbst zum Opfer. Auch findet er seine Sprache wieder, welche als viel lauter und hektischer zu beschreiben ist als zu Beginn der Handlung. Während die Figur auf den ersten Blick eine radikale Veränderung durchlaufen hat, fällt bei genauerem Hinsehen auf, dass sie viele ihrer Charakteristika beibehält. Dies kann an der Szene verdeutlicht werden, in welcher das titelgebende Lied Balada triste de trompeta des spanischen Sängers Raphael zum ersten Mal zu hören ist. Javier betritt eine Bar und betrachtet eine Postkarte, auf der ein Clown abgebildet ist. Als das Lied erklingt, schreitet er beinahe andächtig und mit ehrfürchtigem Gesichtsausdruck durch die Bar, verfolgt von den misstrauischen Blicken einer fünfköpfigen Familie. Javier schiebt das Mädchen, welches ihm im Weg steht, einfach mit der Hand beiseite und fragt den Mann, der das Lied in der Jukebox ausgewählt hat, wer Raphael sei. Dieser antwortet: »Es un gran cantante y una gran persona.« Dadurch wird die Figur Raphael, welche in einer späteren Szene von Bedeutung sein wird, als tendenziell positiv eingeführt. Das unsanft zur Seite gedrängte Mädchen wendet sich daraufhin an seinen Vater und unterstreicht mit seiner auf Javier bezogenen Feststellung »Papá, parece una señora« die Ambivalenz hinsichtlich des Geschlechts der Clownsfigur. Die Verweiblichung ist der Figur also trotz ihrer Verwandlung in den Killer-Clown nicht abzusprechen. Dieser Eindruck wird durch einen weiteren signifikanten Moment gestützt. Der Familienvater fragt Javier, ob es nicht auch seine Intention – wie diejenige aller Clowns – sei, Kinder zum Lachen zu bringen. Als Antwort schießt Javier mit zwei Maschinengewehren um sich.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Abbildung 36: Javier als amoklaufender Racheclown. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Genau in dem Moment kommt der jüngste Sohn der Familie von der Toilette zurück und sieht sich dem bewaffneten Javier gegenüber. Trotz des Anblicks der skurrilen und schwerbewaffneten Gestalt verzieht der Junge keine Miene. Abbildung 37: Der kleine Junge zeigt sich dem amoklaufenden Racheclown Javier gegenüber unbeeindruckt. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Als Javier das Kind entdeckt, kniet er sich zu ihm nieder und flüstert: »No te tengo miedo«, wobei sein Gesichtsausdruck diese Aussage zu widerlegen scheint. Die komische Umkehrung – ist es doch der Junge, der nach einer realistischen lebensweltlichen Einschätzung ob der grotesken Erscheinung mit zwei Maschinengewehren in der Hand Angst haben müsste – zeugt von zweierlei: einmal von Javiers Assoziation mit dem Clownesken, da er die gewohnten Verhältnisse in ihr Gegenteil verkehrt und dadurch hinterfragt; andererseits von seiner scheinbar noch immer vorhandenen Ängstlichkeit. Das die Szene untermalende Lied Balada triste de trompeta ist eine Ode an die – verlorene – Vergangenheit. Da die

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kaum als positiv zu bewertende Racheaktion Javiers eine Konsequenz aus seiner Geschichte ist, wird durch das Lied die konstante Rückbesinnung und Glorifizierung der Vergangenheit auf ironische Art und Weise kritisiert, da eine solche Einstellung dazu führt, dass die Gegenwart von Narben durchzogen ist.

3.3.2.3 Die Spiegelung der filmgeschichtlichen Entwicklung der Clownsfigur in Javier Eine weitere Rekurrenz des Films auf die Geschichte, genauer gesagt auf die Filmgeschichte, findet durch die Fokusverlagerung von der Traurigkeit Javiers auf die Rachelust der Figur statt – ein Wechsel, der durch die veränderte Maskierung augenfällig wird. Liegt der Schwerpunkt zu Beginn der 1973 spielenden Handlung eindeutig auf seiner Traurigkeit, welche teils aus Javiers Vergangenheit erklärbar ist und teils von der Abweisung Natalias herrührt, wird nach seiner Maskierung der Aspekt der Rache stärker betont. So vollzieht die Figur Javier die filmgeschichtliche Entwicklung der Clownsfigur nach: von einer Häufung von traurigen Clowns zu Beginn der Filmgeschichte zu einer Dominanz von EvilKiller-Clowns seit den 1970er Jahren. Die These von Renard »The evil clown is a victim who seeks revenge« (2009: 3) kann durch diesen Film zwar nicht filmhistorisch verifiziert werden, auf Javier trifft sie jedoch voll und ganz zu. Somit nimmt die Figur metafilmisch auf ihre eigene Geschichte Bezug. Die Veränderung der Figur hat einen weiteren Effekt: Die in klassischen Erzählungen oft zu beobachtende Täter-Opfer-Dichotomie wird aufgehoben und umgekehrt, indem das Opfer zum Täter wird und Rache nimmt. Dass eine solche Verweigerung von binären Oppositionspaaren ein charakteristischer Wesenszug des Clowns ist, wurde bereits mehrfach betont.

3.3.2.4 Der clowneske Charakter Javiers Eine Antwort auf die eingangs formulierte Forschungsfrage, ob filmische Figuren durch das Anlegen des Clownskostüms eine Verwandlung durchlaufen oder sich nur teils oder zeitweise wandeln, wird bereits von Javiers Kostüm nahegelegt. Da dieses nicht nur eine Parodie des Bischofsgewandes, sondern durch den ähnlichen Schnitt von Gewand und Hut auch eine des Weißclownkostüms ist, wird insinuiert, dass keine vollständige Verwandlung Javiers stattfindet. Er bleibt in seiner Rolle des traurigen Clowns und zieht nur die letzte Konsequenz aus seiner steten Abweisung und Demütigung. Dies bestätigt erneut die These von Jane​ Gaines, nach welcher die Kostümierung im Film gewisse narrative Entwicklungen vorausdeuten könne. Zu der Einschätzung einer unvollständigen Verwandlung der Figur passt, dass sie während des gesamten Films mit Javier angesprochen wird, d.h. zu keinem Zeitpunkt von den übrigen Figuren als andere Person wahrgenommen wird. Dass Javiers Körper, seine Gefühle und Motivation sowie gewisse Grundeigenschaften wie seine nie ganz überwundene Ängstlichkeit bestehen bleiben – all das spricht für eine Figur mit einer Identität. Es handelt sich also weniger um eine grundlegende Veränderung als um ein durch die Maske ermög-

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lichtes und den Zuschauern angezeigtes ›Nach-außen-Kehren‹ einer Seite, welche die ganze Zeit in ihm geschlummert hat, seit sie ihm vom Vater und durch die Geschehnisse in seiner Kindheit ›eingeimpft‹ wurde. Die Maske, in welcher sich die Geschichte der Figur – und des ganzen Landes – materialisiert und manifestiert, zeigt, wie stark sich Geschichte in die Identität einschreibt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die stattfindenden Veränderungen in der Kostümierung der Figur, wie in den Analysen hervorgehoben, deutliche Auswirkungen auf das sich dynamisch entwickelnde Figurenmodell haben. Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, wie die Inszenierung immer wieder die Assoziation Javiers mit dem Clownesken – selbst in Momenten ohne Clownsmaskierung – nahelegt und dadurch dessen Stellung und Funktion in der Gesellschaft charakterisiert. Die dem Clown eigene und schon für das Kind Javier geltende Außenseiterrolle wird durch seine Unsicherheit und Lächerlichkeit als Erwachsener verstärkt. Selbst in seiner Rolle als Racheclown wirkt er nicht ausschließlich bedrohlich, sondern noch immer lächerlich, wie Sergio ihm in einer der letzten Szenen herablassend bestätigt: »Estás haciendo el ridículo.« Hinzu kommt sein unbestimmtes Gender, da er, obgleich vom biologischen Geschlecht her eindeutig als Mann zu definieren, durch zahlreiche Anspielungen immer wieder in den Bereich des Weiblichen gedrängt wird. Schon sein Vater wird als Dummer August im Prolog in Frauenkleidern gezeigt. Zudem wird Javier – im Gegensatz zu Sergio – nie beim Geschlechtsverkehr gezeigt und Natalia stellt fest, dass er sich nicht einmal mehr traue, sie zu berühren. Dies lässt sich im Zusammenhang mit der Asexualität des Clowns sehen. Diese Uneindeutigkeit und Ambivalenz ziehen sich als Konstante durch die Figurenzeichnung, durch die Vereinigung von Gegensätzen wie dem Humanen und Animalischen, die sich in der ›Tierwerdung‹ Javiers manifestiert, oder von sich mischenden Merkmalen des Dummen August und des Weißclowns. So ist etwa seine Naivität typisch für den August sowie dessen Unfähigkeit, sich an gesellschaftliche Vorgaben anzupassen: »Erzählt wird von einem Mann, der von den gesellschaftlichen Umständen zermalmt wird.« (Claus 2011: o.S.) Dieses schwierige Verhältnis zur Gesellschaft und seine marginale Position in ihr werden durch die Situierung der Clownsfiguren im Zirkus unterstrichen. Als einem umherreisenden Ensemble zugehörig, welches nicht an einen festen Ort und damit in eine Gemeinschaft außerhalb des Mikrokosmos des Zirkusses selbst eingebunden ist, lässt sich für die Clownsfiguren aus Balada triste bestätigen, was Barbara Babcock-Abrahams (1975: 155) für den Trickster konstatiert hat, nämlich, dass er überwiegend an Orten des Übergangs zu finden ist. Eine der bedeutendsten clownesken Eigenschaften der Figur ist ihr rebellisches Verhalten. So zündet Javier schon als Kind eine Bombe, setzt sich gegen Sergio und damit in der politisch-allegorischen Lesart des Films, den Franquismus, zur Wehr und tut dies noch expliziter, als er den Generalísimo höchstpersönlich in die Hand beißt. Auffällig ist, dass er selbst in Momenten, in denen er nicht in einem der beiden Clownskostüme auftritt, durch die Maske Assoziationen an den Clown wach-

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ruft. So z.B. in der Szene des Traumes, in der das Blut wie eine rote Clownsnase wirkt. Javier wird also durch und durch mit dem Clownesken in Verbindung gebracht – selbst in Momenten, in denen er nicht in einem der beiden Clownskostüme auftritt wie in der Szene des Traumes, in der das Blut wie eine rote Clownsnase wirkt. Eine ganz wesentliche Eigenschaft des Clowns trifft auf Javier jedoch nur bedingt zu. Er erfüllt, wie so viele andere filmische Clownsfiguren, nicht die mit dem Clown assoziierte Funktion des lustigen Spaßmachers. Allerdings ist die Figur so grotesk, absurd und bemitleidenswert gezeichnet, dass die Möglichkeit, den Zuschauer zum Lachen zu bringen, dennoch gegeben ist. So gehört Javier, mit seinen historischen Implikationen und Verflechtungen sowie seiner Zeichnung als mehrfacher, sich stets leicht wandelnder Grenzgänger, zu den komplexesten Clownfiguren, die ich in diesem Buch analysiere.

3.3.2.5 Die Figur des Sergio und ihre Verbindung zum Stereotyp des Clowns Sergio ist in etwa dem gleichen Alter wie Javier, von mittlerer Größe und schlank, muskulös und durchtrainiert. Dies macht sich in einer im Gegensatz zu Javier deutlich strafferen, aufrechteren Körperhaltung bemerkbar. Dadurch wirkt er sofort männlicher, selbstsicherer und dominanter als sein Gegenspieler. Sergio hat mittellange, hellbraune Haare, die leicht gelockt sind, trägt keine Brille und hat eher kantige Gesichtszüge. Generell ist er als attraktiv zu bezeichnen, was durch körperbetonte und zur Zeit der Handlung moderne Kostüme unterstrichen wird. Dies trifft selbstverständlich nicht auf das Kostüm des Dummen August zu, in welchem die Figur eingeführt wird und des Öfteren zu sehen ist. Obwohl Sergio nicht der Leiter des Ensembles ist, führt er sich so auf, was der eigentliche Zirkusdirektor relativ widerstandslos hinnimmt. Sergios dominante Stellung im Mikrokosmos der Zirkusfamilie resultiert aus seinem Erfolg als Clown. Das Machtverhältnis gegenüber Javier ist ungleich und von einer deutlich stärkeren Position Sergios bestimmt. Das liegt zum einen an seinen hervorragenden Leistungen in der Manege, welche ihn zum Vorgesetzten Javiers machen, zum anderen an seiner größeren körperlichen Kraft. Seine Autorität steht in Einklang mit einer generell sehr machohaften Inszenierung der Figur. Sergio zeichnet sich – allerdings nur in den Momenten, in denen er nicht als Clown auftritt, – durch seine Gewalt gegenüber Natalia aus. Diese äußert sich, wenn er betrunken ist, was, wie Natalia zugibt, jeden Abend der Fall ist. Durch diese Seite der Figur wird das in Spanien sehr medienwirksame Thema der häuslichen Gewalt aufgerufen und vor allem durch Javier kritisiert. Vor allem beim spanischen Filmpublikum dürfte deshalb eine negative Bewertung der Figur oder zumindest dieses Charakterzuges beinahe unwillkürlich erfolgen. Die Rollenbiografie von Antonio de la Torre ist dem zuträglich, spielt er doch generell harte, oft gewalttätige und machohafte, jedoch gleichzeitig attraktive Typen. So etwa in Volver (Volver – Zurückkehren, ESP 2006, R: Pedro Almodóvar), wo er den handgreiflichen Alkoholiker

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Paco verkörpert, der schließlich von seiner Stieftochter ermordet wird. Die Figur des Sergio entspricht diesem Rollentypus und ist generell relativ stereotyp gezeichnet. Dazu gehört auch die Sprache Sergios. Vor allem im Unterschied zu Javier fällt auf, dass er sich umgangssprachlicher und politisch unkorrekt ausdrückt sowie häufig Schimpfwörter und Flüche gebraucht. Damit geht eine sehr direkte und ungeschminkte Ausdrucksweise einher. Er ist eher kurz angebunden und wird leicht laut. Inhaltlich sind seine Aussagen handlungsbezogen. Werte scheinen ihm weniger wichtig zu sein, seine Grundhaltung kann als deutlich weniger konservativ wie die Javiers beurteilt und eher als hedonistisch beschrieben werden. Allerdings scheint er sich seines moralisch des Öfteren verwerflichen Verhaltens bewusst zu sein, da er einige Zeit damit verbringt, sich für dieses zu entschuldigen. Der Zugang zu seinem Innenleben ist den Zuschauern nur sehr eingeschränkt möglich. Seine Charakterisierung erfolgt hauptsächlich über seine Handlungen, einige wenige, dafür umso aussagekräftigere Dialoge sowie über Kostümierung und Maskierung. Die Clownsmaske erfüllt dabei eine Vielfalt an Funktionen. Unterschieden werden kann zwischen denjenigen, die sie für die Figur selbst, für ihr diegetisches Publikum und für die Filmzuschauer hat. Die wichtigste Funktion der Maske für die Figur benennt Sergio im Dialog mit Javier: »Si no fuera payaso sería asesino.« Die Maske des lustigen Clowns erlaubt es Sergio, eine Seite an ihm zum Vorschein zu bringen und auszuleben, die ein wesentlicher Teil seiner Persönlichkeit, jedoch nicht mit seiner Maske des starken Machos kompatibel ist. Dadurch schafft er es gleichzeitig, einen Ausgleich zu seiner Neigung zur Gewalt zu schaffen, der ihn davon abhält, wirklich zum Mörder zu werden. Gefühle und Emotionen, wie die Liebe zu Natalia sowie zu den Kindern, für die er spielt, passen nicht zu seinem harten Macho-Image, weshalb er sie unter dieser ›Maske des Gesichts‹ nicht zeigen kann. So ist es kein Zufall, dass er seine ehrliche und ernstgemeinte Liebe zu Natalia Javier gegenüber im Kostüm des Dummen August gesteht. Die Clownsmaske erlaubt es Sergio, diese weichere doch ebenfalls zu ihm gehörende Identität nach außen zu kehren. Für die Figuren, welche Sergio in der Maske des Dummen August erleben, d.h. vor allem die Kinder im Zirkus, steht der unterhaltende und erheiternde Effekt der Maske im Vordergrund. Hier ist Sergio voll und ganz Clown. Die Bewertung der Figur im Clownskostüm unterscheidet sich deutlich von derjenigen, welche die Figuren dem Macho Sergio zuteilwerden lassen. Ist diese ob seines unkontrollierten Alkoholkonsums und der damit zusammenhängenden Gewaltbereitschaft eher negativ und wird nur durch seine Qualität als Spaßmacher etwas relativiert, wird Sergio der Clown von allen geliebt und geschätzt, wie an folgender Aussage des Direktors ersichtlich wird: »Es el mejor payaso que tengo en años. […]. Los niños le adoran.« Dies liegt nicht zuletzt an der Maske selbst, die eine sehr charakteristische August-Maske ist. Sie weist, wie Paul Bouissac zeigt, Züge des Kindchenschemas auf. Im Falle Sergios vermitteln vor allem die optische Vergrößerung der Stirnpartie, die dazugehörige Unkenntlichkeit der Augenbrauen

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sowie die runde Nase diesen Eindruck. Das nimmt dem Gesicht der Figur seine eher harten und männlichen Züge und lässt es sanfter wirken. Doch nicht nur den Figuren in der Diegese entlockt Sergio ein Lachen. Durch der Situation unangemessene Reaktionen vermag er auch die Filmzuschauer zum Lachen zu bringen. So beispielsweise in einer der finalen Konfrontationen zwischen den drei Hauptfiguren, in welcher Javier Sergio und Natalia mit einem Maschinengewehr bedroht. Sergios gelassener und der Situation jegliche Dramatik absprechender Kommentar »Vaya tela, vaya tela« kann ob seiner Unwahrscheinlichkeit und Unangemessenheit einen komischen Effekt auf die Zuschauer haben. Diese Art Komik ist zugleich typisch für den Clown, welcher eine ernsthafte Situation oft verkennt und auf eine sorgenfreie und naive Art darauf reagiert. Für die Filmzuschauer besteht eine Hauptfunktion der Clownsmaske Sergios darin, die gänzlich unterschiedlichen Seiten der Figur anzuzeigen: die lustige, gutgelaunte und attraktive Seite einerseits, die sinistre, gewalttätige und sadistische andererseits. Die These dieser Arbeit, nach der die Clownsmaske im Film eher zur Enthüllung als zum Verdecken neigt, lässt sich durch ihre spezifische Gestaltung in Balada triste bestätigen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Figur – dies gilt im Übrigen auch für Javier – nicht ein einzelnes, ›wahres‹ Wesen zugeschrieben werden kann, welches durch die Maske entblößt werden könnte, sondern ihr mehrere Facetten eigen sind, die durch verschiedene Masken ausgelebt werden. Die Figuren in Balada triste bestätigen damit indirekt die Aussage Wendy Doningers: »There’s a natural human tendency to search for a real self, a center, but I think that’s the coward’s way out. As we go deeper and deeper through the alternating layers of masks and faces, we never reach a monolithic core.« (2006: 70) Eine Aussage, die übrigens auch wunderbar auf den Joker zutrifft. Auch Natalia unterstreicht diese Ansicht, wenn sie in einem Moment, in dem Sergio voll positiver Energie als Dummer August auf einer Bühne vor dem Zirkus steht, sagt: »Cuando las cosas van bien, se le cambia el caracter.« Sergio vereint also scheinbar gegensätzliche und unvereinbare Charakteristika in sich, er ist lustig und positiv einerseits, sinister, gewalttätig und mordlustig andererseits. Diese für den Clown typische Ambivalenz wird durch dessen Maske ideal zum Ausdruck gebracht. Sie verdeutlicht, dass eine Kategorisierung der Figur in »gut« oder »böse« nicht möglich ist. Selbst die sadistische Ader Sergios, welche zur Gewalt gegenüber Natalia führt, wird nicht, wie in den Medien üblich, eindeutig verurteilt. Vielmehr wird angedeutet, beispielsweise durch den Direktor und seine Frau, dass diese Seite Sergios Natalia durchaus anzieht und sogar eine Bedingung für ihre Liebe ist. Natalia selbst bestätigt dies: »A veces le quiero más de lo que me gustaría«, worauf der Direktor antwortet: »Le tienes que querer muchísimo porque cualquiera en tu situación saldría corriendo.« Die auf den ersten Blick unverständliche Liebe Natalias wird für die Zuschauer nachvollziehbar gemacht. So wird in einem der kurzen Dialoge mit Javier deutlich, dass Sergio sich seines Alkoholproblems und des damit verbundenen Kontrollverlusts durchaus bewusst ist und er darunter leidet,

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

dass er Natalia aber dennoch »de verdad« liebe. Diese Ehrlichkeit und das Zeigen von Gefühlen können die meist in Filmen vorherrschende Sympathie im Sinne Smiths für die Figuren lenken und verstärken. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei eher um eine azentrale Imagination handelt, also um ein Fühlen für die Figur und nicht mit ihr. Durch die Ehrlichkeit und die physische Attraktivität der Figur wird der Konflikt Natalias, sich zwischen beiden Männern entscheiden zu müssen, zumindest teilweise nachvollziehbar. Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass die Clownsmaskierung im Falle Sergios in funktioneller Hinsicht vor allem als Ausdruck der Ambivalenz der Figur steht. Die Maske des Dummen August, mit der die Zuschauer Sergio zu Beginn kennenlernen, verändert sich nach etwa der Hälfte der Erzählzeit drastisch. Nachdem Sergio Javier fast zu Tode geprügelt hat, geht eine deutliche Veränderung in Javier vor, die seinen Rachedurst zum Vorschein kommen lässt. Dieser kulminiert in der erwähnten Szene, in welcher er wie besessen mit einer Trompete auf Sergios Gesicht einschlägt, wodurch er es komplett verunstaltet. Dadurch sind letzten Endes beide Clownsfiguren physisch entstellt. Die Transformation des Gesichtes wird auch im Falle Sergios deutlich inszeniert. Da der Weg ins Krankenhaus zu weit ist, bringen die Mitglieder der Zirkustruppe Sergio zum Tierarzt, welcher ihn notdürftig »zusammennäht«. Sein malträtiertes Gesicht wird den Zuschauern lange vorenthalten, was den schockierenden Effekt durch die vorher aufgebaute Suspense verstärkt. Erst nach ca. zwölf Minuten weiterer Erzählzeit wird der Blick auf Sergios grotesk entstelltes und von riesigen Narben gezeichnetes Antlitz freigegeben. Die Stiche der Nähte sind zu Beginn noch deutlich sichtbar, sodass die manuelle Einwirkung und die Materialität der Wunden hervorstechen. Das betont den menschlichen Ursprung der Verstümmelung und inszeniert Sergios vernarbtes Gesicht als direkte Konsequenz aus der Vergangenheit, da seine Verletzungen eine direkte Folge der Rache Javiers sind. Die vergangene Gewalt materialisiert sich in den Narben, welche als Mahnmal gelesen werden können, da sich die Geschichte in der Maske spiegelt. Nach Sergios Entstellung legt er noch einmal die Maske des Dummen August über sein vernarbtes Gesicht, um auf einem Kindergeburtstag als Clown die jungen Gäste zu erheitern. Die Maske wird ihm jedoch von den Kindern heruntergerissen und sein abstoßendes Gesicht kommt zum Vorschein. Daraufhin sagt Natalia zu ihm: »Se acabó lo de ser payaso.« Er kann seine Narben und damit die Geschichte nicht länger verleugnen. Dadurch, dass seine Maske nun keine Schminkmaske mehr ist, sondern ihm in das Gesicht eingeschnitten, ist sie Teil seines Körpers und damit seiner selbst geworden. Laut Assmann (2002: 151) handelt es sich deshalb nicht länger um eine Maske. Durch die Narben sind der Clown Sergio und der Macho Sergio gleichermaßen beschädigt. In der historisch-politischen Lesart, welche ich hier zugrunde lege, hieße das, dass die Geschichte durch ihre unendliche Wiederholung von Gewalt und Rache beiden Spanien eingeschrieben ist und ihr deshalb keines von beiden entfliehen kann. Dass die Narben den clownesken Teil von Sergios Identität dennoch nicht ganz verdecken können, zeigt

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ein kurzer Moment in der Schlusssequenz des Films. Als er aus dem Polizeiwagen aussteigt, schminkt er sich erneut als Clown, wobei die angelegte Schminkmaske eine Reproduktion der Maske des berühmten Tramp-Clowns Emmett Kelly darstellt. Dieser imitierte, abgerissene »Weary Willie«, ein ewiger Verlierer, verkörpert das ganze soziale Drama der Figur – mit allem, wofür sie im Film steht. Abbildungen 38-3913: Sergio mit einer Maske, die diejenige Emmett Kellys imitiert. Screenshot aus Balada triste de trompeta und Werbeanzeige des Pan American Coffee Bureau. Life 49. 06. April 1953. Google Books. Google Inc. Web. 12. Juni 2016.

Die Clownsfigur aus Balada triste hat jede Heiterkeit und Leichtigkeit verloren. Sergio ist, wie seine bereits zitierte Aussage zu Beginn des Films andeutet, tat13 | Die Autorin konnte die Rechteinhaber der Abbildung 39 bis zur Drucklegung leider nicht ausfindig machen. Die Abbildung fällt i.d.R. unter das Zitatrecht. Sollte dennoch der Verdacht bestehen, dass Rechte verletzt wurden, bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Autorin.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

sächlich zum Mörder geworden. Die Gewalt, die in Form der Narben nun unwiederbringlich und andauernd Teil seines Gesichtes und damit seiner Identität ist, hat sich auf seine Persönlichkeit und seine Handlungen übertragen. Die äußere Veränderung bewirkt, dass die in ihm angelegten gewalttätigen Seiten die Oberhand gewinnen. Wie bereits für Javier festgestellt, kann man aufgrund der Inszenierung der Verwandlung und der Kontinuität wesentlicher Charakteristika, deren Gleichgewicht sich mehr und mehr verschiebt, davon ausgehen, dass die unterschiedlichen Gestalten der Figur einer Identität zugeordnet werden, welche sich aus mehreren Masken zusammensetzt.

3.3.2.6 Álex de la Iglesias Selbstinszenierung als Clown In Zusammenhang mit der Ambivalenz und Vielschichtigkeit, mit der Javier und Sergio als Clowns inszeniert werden, ist die außerfilmische Selbstdarstellung Álex de la Iglesias als Clown zu erwähnen. So findet sich auf der Website baladatristedetrompeta.blogspot.com ein Porträt des Regisseurs, welches ihn mit einer roten Clownsnase zeigt. Auch gegenüber Variety sagte er: »I’m a sad clown. I’m fairly pessimistic, closed in on my own world […]. I don’t listen to others. I try to make other people laugh, but I’m not funny.« (Dale 2014: o.S.) Dies eröffnet einerseits einen weiteren Bedeutungshorizont der Figur Javiers als Alter Ego des Regisseurs, andererseits spiegelt es de la Iglesias tiefe Identifikation mit dieser Figur. Er erfüllt als Regisseur eine ähnliche Funktion wie der Clown, wie einer seiner Kommentare zu Balada triste zeigt: »Quiero aniquilar la rabia y el dolor con una broma grotesca que a los demás los haga reír y llorar al mismo tiempo.« (Pressekit zu Balada triste: o.S.) Die Ambivalenz des Clowns spiegelt sich in diesem Bekenntnis ebenso wie die kathartische Funktion des Entertainers, der mit nur vordergründig harmlosen, eigentlich jedoch zutiefst ernsten, grotesken und tabubrechenden Scherzen seinem Publikum einen Spiegel vorhält. Die ästhetische und thematische Radikalität seiner Filme kommt einer clownesken Grenzüberschreitung gleich, was der Regisseur wie folgt begründet: »I think people are obscene, perverse and provocative. We’re all very strange. Hollywood cinema focuses on entertainment. I try to transgress boundaries.« (Dale 2014: o.S.) Ob dieser Zuneigung zum Clownesken ist es nicht verwunderlich, dass in vielen der Filme de la Iglesias Clowns eine bedeutende Rolle spielen. Bereits in einem seiner ersten Werke, Acción mutante (Aktion Mutante, ESP, FRA 1993), welches entscheidend zu seinem Erfolg und seiner Bekanntheit beigetragen hat, können sämtliche Hauptfiguren nach der hier vorgeschlagenen Definition als Clowns bezeichnet werden. In Crimen ferpecto (Ein ferpektes Verbrechen – Crimen ferpecto, ESP, ITA 2004), welcher die Verweigerung jeglicher Perfektion und damit der gesellschaftlich vorgegebenen Normen bereits durch den Titel zum Programm macht, inszeniert der Baske am Ende eine regelrechte Clowninvasion. Wie in Acción mutante werden die Clowns als auf den ersten Blick lustiger, aber dennoch ernst zu nehmender Gegenentwurf zu den herrschenden Normen und Schönheitsidealen inszeniert.

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3.3.2.7 Das Clownduo als Verkörperung der dos Españas Wie bereits angedeutet, können die drei Hauptfiguren in Balada triste als politische Allegorien und der gesamte Film als Kommentar zur gesellschaftspolitischen Situation Spaniens unter, aber auch nach Franco verstanden werden. Somit fungieren auch diese Clownsfiguren im Sinne Eders als Symptom für außerfilmische Kontexte. Schon die Titelsequenz zeigt die wichtigsten Themen des Films und kritisiert vor allem die für die Franco-Diktatur charakteristische Allianz von Katholizismus und Faschismus. Diese wird als Ursprung der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation Spaniens inszeniert und an den Pranger gestellt. Der Verweis auf politische Zusammenhänge tritt an mehreren Stellen im Film deutlich hervor. So darf beispielsweise nur der dumme Clown Sergio Witze machen bzw. erzählen. In der Szene, die Sergios Alkoholismus und Gewaltbereitschaft sowie seine sadomasochistische Beziehung zu Natalia einführt, wird dies besonders auffällig. Der namenlose Sidekick, welcher im Zirkus als menschliche Kanonenkugel auftritt, möchte ebenfalls einen Witz erzählen, was Sergio jedoch nicht zulässt. Obwohl dessen eigener Scherz keineswegs komisch und überaus brutal ist, wird eine negative Bewertung desselben, wie sie Javier abgibt, von Sergio nicht geduldet. Der Mikrokosmos des Zirkus mit Sergio als Chef spiegelt so die politische Situation der Franco-Diktatur wider. Versteht man Sergio als Repräsentant des Faschismus, wird anhand dieser Szene die Einschränkung der Meinungsfreiheit unter Franco erzählt. Der ›Witz‹, der von einem totgeborenen Kind erzählt, greift das Thema der Gewalt erneut auf und zeigt, dass in einem solchen Ambiente kein neues Leben möglich ist. Das Erzählen des Witzes kann auch dahingehend interpretiert werden, dass die Gewalt(-bereitschaft) durch die lustige Maske des Witzes kaschiert wird. Dies lässt sich, wie bereits gezeigt, auf die Figur Sergios im Allgemeinen übertragen. Javier dagegen bleibt die Rolle des traurigen Clowns vorbehalten, welche er bewusst annimmt. Dies ist kein Zufall; vielmehr wird er bereits als Kind von seinem Vater zum traurigen Clown ›gemacht‹. Der Vater sitzt im Gefängnis, da er auf Seiten der unterlegenen Republikaner kämpfte. Dort fragt er seinen Sohn nach dessen Berufswunsch. Javier antwortet, wie zuvor schon angedeutet, mit wenig Überzeugung und aus falsch verstandenem, da völlig unreflektiertem Traditionsbewusstsein, dass er genau wie sein Vater und Großvater Clown werden wolle. Sein Vater antwortet daraufhin: »Tú no tienes gracia.« Javier könne nie jemanden zum Lachen bringen, da er aufgrund der Schreckenserfahrung des Bürgerkrieges keine Kindheit gehabt habe. Somit könne er nur den traurigen Clown spielen. Es ist von Bedeutung, dass es ausgerechnet der Vater Javiers ist, der ihm diese Richtungsweisung mit auf den Weg gibt und ihn zudem auf Rache einschwört. Damit werden die ›Väter‹ und somit die Vergangenheit von Beginn an zu Mitschuldigen am Schicksal Javiers und an den hier verhandelten Geschicken der Nation. Solange man sich ihr nicht mit einem eigenen Willen und einer eigenen Identität widersetzt, ist die Vergangenheit nicht auszumerzen – genau wie eine Narbe nicht entfernt werden kann. So weist die Inszenierung den Grund für die Träne, welche

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die Maske Javiers kennzeichnet, seiner verlorenen Kindheit zu. Die Narben, die sich Javier später im Gesicht durch Natronlauge und mit Hilfe eines Bügeleisens zufügt und mit denen er zum Racheclown wird, sind als letzte Konsequenz dieser Aufforderung zur Rache zu verstehen. Die durch Gewalt geprägte Vergangenheit materialisiert sich in der Maske, die durch ebendiese Gewalteinwirkung erst entstehen kann. Gleichzeitig lebt die Gewalt in und durch die Narben der Maske weiter, wie an den Figuren Sergio und Javier zu beobachten ist. In dem Zusammenhang fällt auf, dass schon eine der ersten Einstellungen des Films das Augenmerk auf das Thema der Narbe richtet. Das Gesicht des republikanischen Obersts, der die Clowns im Prolog des Films zwangsrekrutieren möchte, ist von zwei großen Narben überzogen, welche durch eine Großaufnahme hervorgehoben werden. Dadurch wird die Kritik auf die vorhergehende Generation ausgeweitet, welche ebenfalls von vergangenen Zeiten gezeichnet ist. Abbildung 40: Oberst Enrique Líster mit zwei langen Narben im Gesicht. Screenshot aus Balada triste de trompeta.

Dass die Vergangenheit die Gegenwart in Balada triste entscheidend bestimmt, wird durch ein weiteres visuelles Stilmittel zum Ausdruck gebracht. Dunkle und gedeckte Farben dominieren den kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges spielenden Prolog und einige Schlüsselszenen, in welchen der Bezug zur Vergangenheit besonders explizit ist, wie beispielsweise die Schlussszene im Valle de los Caídos. Auch in Szenen äußerster Gewalt lässt sich diese Auffälligkeit beobachten. Diese Szenen sind zudem farblich so stark entsättigt, dass die Bildgestaltung beinahe monochromatisch ist und die Szenen dadurch wie aus einem Schwarz-Weiß-Film wirken. Dies ist ein zum Stereotyp gewordenes Stilmittel, um Vergangenheit im Film darzustellen (vgl. hierzu Stiglegger 2013). Dadurch wird gleichzeitig der Bezug zur Filmgeschichte hergestellt. Die auffällige Farbdramaturgie lässt den Rückschluss zu, dass die Vergangenheit das aktuelle Leben unwiederbringlich ›untermalt‹ oder ›unterlegt‹ und es damit unbemerkt bestimmt.

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Der im Film beschriebene Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart spiegelt die aktuelle Situation in Spanien wider, in der im alltäglichen gesellschaftlichen und politischen Leben allzu deutlich spürbar ist, dass die Narben des Bürgerkrieges und der Diktatur noch lange nicht verheilt sind. Der politische sowie akademische Diskurs zeugt geradezu von einer Obsession mit dem Thema der Guerra Civil. Schuldzuweisungen und Gegenüberstellungen von ›rojos‹ und ›fachas‹ sind bis heute allgegenwärtig. Ein Grund hierfür kann in dem Ley de Amnistía gesehen werden, welches während der Transición (1975 – 1982) erlassen wurde. Durch diese breite Amnestie während des Auf baus der monarchistischen Demokratie wird eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit und die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen deutlich erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Nur durch den Dialog und die Beschäftigung mit dem Schrecken der Geschichte können eine Überwindung der erlebten Historie, eine Versöhnung und ein Neubeginn erreicht werden. Hierzu leistet Balada triste einen eindrücklichen Beitrag.

3.3.2.8 Die Clownsmaske als Ausdruck des Widerstands Die Entscheidung Álex de la Iglesias, mehrere seiner Figuren als Clowns zu inszenieren, ist höchst passend – steht doch der Clown paradigmatisch für Ambivalenz, Lächerlichkeit und den Widerstand gegen eine herrschende Ordnung. Diese Eigenschaften lassen sich an mehreren Szenen des Films beobachten. Die Ambivalenz wurde bereits anhand der Figurenanalysen herausgearbeitet. Die Lächerlichkeit wird vor allem mit Javier assoziiert, der sich wiederholt in die Opferrolle begibt, bevor er zum Racheclown mutiert und gegen seine Unterdrücker aufbegehrt. Die Rebellion der Clowns beginnt jedoch schon am Filmanfang, als sich der Weißclown Manuel (Santiago Segura) gegen den Oberst stellt, der ohne jede Genehmigung Soldaten rekrutiert. Manuel stuft seine eigene Arbeit als wichtiger als den Krieg ein und entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung, welche für den Clown so charakteristisch ist: »Yo no estoy con nadie, estoy trabajando.« Er wagt es sogar, den Befehlshaber mit dem Ausdruck »gilipollas« zu beschimpfen, einem der heftigsten spanischen Schimpfwörter. Die Kritik am Oberst als Vertreter des Militärs steht dabei stellvertretend für eine Kritik am Bürgerkrieg generell und damit an der damals geltenden ›Ordnung‹, wie die direkte Aussage Manuels verdeutlicht: »Yo te voy a decir que es una broma. Esta puta guerra que no tiene ninguna gracia.« Diese Rebellion ist deshalb typisch für den Clown, weil er sich dank seiner Randposition und seiner schützenden Maske trauen kann, nein zu sagen, das System zu kritisieren und sich ihm zu widersetzen. Er bleibt trotz seiner Kühnheit ungestraft. In diesem Zusammenhang muss auch der Name des Clowns, Manuel, verstanden werden. Wie schon Professor Immanuel Rath und ein Protagonist der nächsten Filmanalyse trägt er den Namen, der im Buch Jesaja für den kommenden Messias und damit den Erlöser verwendet wurde. Die eingangs geäußerte These, dass Clownsfiguren im Film oft als Erlöser fungieren, lässt sich auch an vielen anderen, hier nicht im Detail analysierten, Filmen bestätigen, wie z.B. Painted Faces (USA 1929, R: Albert S. Rogell), Akrobat Schööön! (DEU 1943, R: Wolfgang

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Staudte), Berlin Express (USA 1948, R: Jacques Tourneur), Limelight, Merry Andrew (König der Spassmacher, USA 1958, R: Michael Kidd), Yoyo (Yoyo, der Millionär, FRA 1965, R: Pierre Étaix), Zampo y yo (ESP 1966, R: Luis Lucia), Shakes the Clown (Clowns – Ihr Lachen bringt den Tod, USA 1991, R: Bobcat Goldthwait), Vulgar oder Pa-ra-da (ITA, FRA, ROU 2008, R: Marco Pontecorvo). In Balada triste ist die Rebellion des Clowns Manuel zwar teilweise erfolgreich, da der Oberst seinen Mut bewundert (»me gustas, tienes cojones«) und die Rekrutierung von nun an freiwillig erfolgt, die große Umwälzung der Verhältnisse kann er dennoch nicht bewirken. Der Krieg dauert an und fordert weiterhin seine Opfer.14 Nicht nur der Clown Manuel im Prolog des Films, sondern auch Javier begehrt gegen Sergio und damit, in der Lesart der politischen Allegorie, gegen das franquistische System auf: »Er will das Mädchen, rebelliert gegen den lustigen Clown, gegen das Regime und wird somit zu einem Sinnbild des Widerstandes.« (David 2011: o.S.) Interessant dabei ist die schon erwähnte Abweichung gegenüber der traditionellen Hierarchie im Zirkusclownduo. Repräsentiert der Weißclown klassischerweise die Ordnung, Macht und Autorität, steht Javier als Weißclown zwar auch für die ›Ordnung‹ der Rache, ist in der Hierarchie dem Dummen August Sergio jedoch zunächst unterlegen. Das Machtspiel findet einen vorläufigen Höhepunkt in der Szene im Vergnügungspark, in welcher Sergio Javier aus Eifersucht krankenhausreif prügelt. Bis zu diesem Moment wird Javier also als Opfer inszeniert. Seine Kindheit fällt dem Bürgerkrieg zum Opfer und aufgrund seiner Resignation wird dieser Verlust sein gesamtes weiteres Leben prägen. Zudem steht er als Sohn eines Republikaners durch den Sieg Frankos auf der Seite der Verlierer. Im Zirkus wird er zum Opfer der Gewalt Sergios und damit erneut auch zum Opfer des Faschismus. Den einzigen Ausweg sieht er in der Rache, vor der ihn seine Ängstlichkeit jedoch bis zu dem Moment zurückhält, in dem das Leid und die Demütigung so groß sind, dass er nichts mehr zu verlieren zu haben scheint. Durch die Entscheidung, Rache zu üben, gewinnt er an Macht, rächt sich an Sergio und erhält in der dramatischen Schlusssequenz sogar das Liebesgeständnis von Natalia. Die letzte Einstellung des Films zeigt beide Clowns auf einer Ebene, wenn sie im Polizeiwagen abtransportiert werden. Ihr dem Wahnsinn nahes Lachen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Ende beide als Verlierer dastehen. Der in seinem Kern noch immer andauernde Bürgerkrieg der dos Españas kann nur Verlierer hervorbringen. Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit dem Widerstand des Clowns ist seine Maskierung. Sie erst eröffnet ihm die Möglichkeit zur Rebellion, was an der Eingangssequenz von Balada triste verdeutlicht werden kann: Der Vater Javiers wird von einem republikanischen Oberst zwangsrekrutiert. Da dies während einem seiner Auftritte als Clown geschieht, trägt er ein entsprechendes Kostüm, 14 | Die im Clownesken angelegte Subversion, die dennoch nie zur Vollendung kommen kann, wird im letzten Analyseblock eingehend untersucht.

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welches noch dazu aus Frauenkleidern besteht. Daher fragt er den Oberst: »¿Me cambio de ropa?« Der mustert ihn kurz und antwortet dann mit einem entschiedenen Nein. Zur Bekräftigung setzt er ihm eine rote Nase auf, um seine Charakterisierung als Clown zu besiegeln. Damit kann dieser Moment als erste der zahlreichen Maskierungs- und Demaskierungsszenen gelten, die der Film zeigt. Die Begründung für sein Verhalten liefert der Oberst zugleich: »Un payaso con un machete – vas a acojonar a esos cabrones.« Tatsächlich wird sich diese Theorie sogleich bewahrheiten, ist doch der Anblick eines Clowns auf dem Schlachtfeld höchst unerwartet. Das Kostüm ist dem Kriegsschauplatz nicht angemessen und kann daher von den Gegnern nicht eingeordnet werden. Das wird durch die Frauenkleidung noch verstärkt, in welchen Santiago Segura als Dummer August auftritt – ein blassrosafarbenes Kleid in Kombination mit einer Perücke mit blonden langen Locken und den für den Dummen August typischen, viel zu großen Schuhen. Der Widerspruch, der zwischen dem biologischen Geschlecht der Figur und ihrem Kostüm sowie zwischen diesem und dem nicht dazu passenden Rahmen (Kriegsschauplatz statt Zirkus) besteht, löst Unsicherheit, wenn nicht sogar Angst beim Gegner aus. Dies kann im in dieser Szene stattfindenden Nahkampf fatale Folgen haben. So kommentiert denn auch ein faschistischer General ungläubig die Tatsache, dass es ein Clown war, der unzählige seiner Männer getötet hat: »¿Esto es lo que ha aniquilado todo mi regimento?« Hier greift der gleiche Mechanismus wie bei den Evil-Killer-Clowns. Gewöhnlich geht man beim Anblick eines Clowns nicht von einer Gefahr und einer Konfrontation aus, was dem Clown einen großen Möglichkeitsraum eröffnet. Genau diesen nutzt der ›Dumme‹ August in dem Moment, als er den über ihm stehenden General – dessen Machtposition durch die Froschperspektive der Einstellung unterstrichen wird – mit Wasser bespritzt. Dieser typisch clowneske Gag scheint in dieser Situation zunächst völlig unangemessen. Genau dadurch aber löst die Figur erneut Überraschung bei ihrem Gegner aus und kann diese kurze Zeit der Perplexität zum Angriff nutzen. Das Beispiel verdeutlicht, wie der Clown gerade durch die Maske und die Missachtung von Konventionen bzw. durch das Unterlaufen des von ihm als Clown Erwarteten von einer ohnmächtigen und unterlegenen zu einer relativ mächtigen Position gelangen kann. Diese ist allerdings oft nur von kurzer Dauer, sodass dem Clown eine nachhaltige Umkehrung der Verhältnisse meist verwehrt bleibt. Das Scheitern des Clowns bleibt jedoch auch in Balada triste nicht aus, wie im Folgenden analysiert wird.

3.3.2.9 Kommentar der Geschichte und Filmgeschichte in der Schlusssequenz In der dramatischen Schlusssequenz im Valle de los Caídos wird kurz vor dem tragischen Finale die berühmte Szene aus The Lion King parodiert, als der tote Mufasa seinem Sohn Simba erscheint. Der weise Affe Rafiki, dessen Name auf Swahili ›Freund‹ bedeutet, fungiert im Film als Ratgeber Simbas. Seine Worte »He lives in you« vermitteln diesem, dass Mufasa trotz seines physischen Todes

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

in Simba weiterlebt. Der verstorbene Vater Mufasa fordert seinen Sohn auf, sich an seine Herkunft und damit an ihn zu erinnern und sein Handeln in der Gegenwart fortzuführen: »You have forgotten me. You have forgotten who you are. […] Remember who you are. You are my son and the one true king. Remember who you are.« Durch dieses filmische Zitat wird zum einen der Ursprung von Javiers aktuellem Handeln in der Vergangenheit verankert, zum anderen genau diese Abhängigkeit und Einflussnahme kritisiert. Dies geschieht durch die Parodie der im Disney-Klassiker höchst erhabenen Szene. Während die Rückbesinnung auf die Ahnen in The Lion King als ernstzunehmende und positiv konnotierte Aufforderung mit Lernpotenzial (»you can either run from it or learn from it«) inszeniert wird, zeigt Balada triste die negativen Konsequenzen eines unreflektierten und rachegeleiteten Festhaltens an der Vergangenheit. Die Ernsthaftigkeit der Aussage von Javiers Vater wird nicht nur dadurch unterwandert, dass dieser neben einem Clown im Bild positioniert ist (dem bekannten Sänger Raphael im Clownskostüm, der mit seinem Lied Balada de la trompeta titelgebend für den Film war), sondern vor allem durch die Besetzung durch Santiago Segura. Er ist einer der bekanntesten spanischen Schauspieler, was er vor allem seiner Figur des Torrente aus der gleichnamigen Filmserie zu verdanken hat. Dort verkörpert er den dicken, glatzköpfigen, rassistischen, sexistischen, alkoholabhängigen, faschistischen, korrupten, politisch unkorrekten und jeglicher Moral entbehrenden Polizisten José Luis Torrente, der all das ist und tut, was der gute Ton verbietet. Seine Bekanntheit in Spanien geht soweit, dass »hoy en día hay casi más personas que lo llaman Torrente en lugar de Santiago Segura« (Vil 2007: o.S.). Es handelt sich um zutiefst selbstironische Filme, die viele Eigenarten der spanischen Bevölkerung aufgreifen und in clownesker Zuspitzung und Übertreibung an den Pranger stellen. Die Tagline bestätigt diese Auffassung: »Ahora que pensabas que el cine español empezaba a mejorar…« Das Clowneske am Charakter Torrentes ist an vielen Merkmalen abzulesen, unter anderem an seiner Unangepasstheit, der Verweigerung gesellschaftlicher Regeln und der dadurch ausgedrückten Kritik. Ein besonders wichtiger Punkt, der essenziell für den Clown ist, ist Torrentes charakteristische Abwesenheit von Angst: »It took me a while to figure out just what is was with this cucaracha that appealed to me. I realized that while I and just about anyone would despise most of what Torrente does, I was in envy of the fact that he had no fear.« (»Torrente, The Stupid Arm Of The Law«: o.S.) Die folgende Kurzkritik eines Users des spanischen Filmportals Filmaffinity bringt die Essenz des Films und die Wahrnehmung von Torrente in der spanischen Öffentlichkeit verdichtet zum Ausdruck, weshalb ich sie in ihrer Gänze zitieren möchte. He nacido en España, soy español, he vivido en muchas ciudades de nuestra geografía y llevo viendo toda mi vida tipos como torrente [sic!], y cuando vi la película me percaté, sin dejar de reír ni siquiera por un segundo, de que Santiago Segura había dado en el clavo.

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3. Analytischer Teil Si es cierto, desde el año ochenta y seis estamos en la Unión Europea, somos muy modernos, educados y un montón de cosas más. Pero cuando salgo a la calle y escucho al sesentón fascistilla hablar con nostalgia de gloriosas épocas pasadas, o al cani de turno cargado de oro y hablando a voz en grito; al ciudadano bien, que después de emborracharse en un bar, pega a su mujer, pero no duda en criticar a los drogadictos. O simplemente entro en un restaurante chino, y he de llevarme un bollo de pan, ya que después de residir más de treinta años entre nosotros, siguen poniendo ese grasiento pan chino, pues mira, he de reconocer que la mayoría de la imagen que se da, sólo es de cara a la galería, y que a la mugrienta fachada, tan solo le han dado una delgada capa de pintura. ¿Qué ocurre?, ¿Qué con Torrente se ha rascado un poco en la pintura, y nos hemos visto a nosotros mismos?, a que viene el escándalo, si así es como somos. Dejemos de alborotarnos, y a divertirse, que como alguien dijo alguna vez, para reírte de los demás, empieza por hacerlo de ti mismo. (gran_duque_6: o.S.)

Die Rollenbiografie Seguras ist für die beschriebene Szene aus Balada triste entscheidend und verleiht ihr einen ironischen und lächerlichen Beigeschmack. Die Fixierung auf die Vergangenheit und das Erbe der Väter wird somit deutlich kritisiert. Die Figur erscheint umso ambivalenter, da Torrente eindeutig als faschistischer Charakter bekannt ist, während die namenlose Figur in Balada triste auf Seiten der Republikaner kämpft. Dadurch ist ihr in ihrer Verkörperung durch den bekannten Schauspieler und dessen Rollenimage bereits die dem Clown typische Ambivalenz und Uneindeutigkeit eingeschrieben. Die Aufforderung zur Rache, an die Javier durch häufige Wiederholung erinnert wird (»Si no se ríen, ¡acojónalos!«), rückt im Wissen um die fatalen Konsequenzen ihrer Ausführung in ein düsteres und negatives Licht. Der Schauplatz der Szene, das Valle de los Caídos, bedeutet ebenfalls eine Rückkehr in die Vergangenheit. Dass dies ein todgeweihter Ort ist, an dem kein neues Leben oder keine neue Liebe entstehen kann, wird durch Berge von Totenköpfen zum Ausdruck gebracht. Das gewaltige Monument in der Nähe von Madrid, dessen Errichtung zwei Jahrzehnte dauerte, trägt das größte Kreuz der Welt – gestützt von vier steinernen Evangelisten (vgl. Robledo 2010: o.S.). Die Parallele zu den vier amerikanischen Präsidenten am Mount Rushmore sowie zum dort spielenden Finale aus North by Northwest ist augenfällig und wird von den meisten Kritikern des Films erwähnt. Die Ähnlichkeit mit zwei weiteren wichtigen Filmen der älteren und jüngeren Filmgeschichte, in denen ebenfalls eine Clownsfigur vorkommt, wurde dagegen noch in keiner der mir bekannten Kritiken des Films diskutiert. Die Flucht Natalias mittels eines langen, sich vom Monument herab ausrollenden Tuches ist ein Zitat aus Octopussy. Dort entkommt die Helfershelferin von Bonds Gegner dank des Tuches mit dem wertvollen Fabergé-Ei. Auch die finale Auseinandersetzung zwischen Batman und Joker in The Dark Knight findet in schwindelerregender Höhe statt und weist nicht nur deutliche Parallelen zu derjenigen in Balada triste auf, sondern wird sogar bildlich zitiert.

3.3  Die Clownsmaske als Spur der Vergangenheit

Abbildungen 41-42: Der Joker und Sergio hängen beide während des finalen Kampfes kopfüber an einem Seil, welches von ihren jeweiligen Gegnern kontrolliert wird. Screenshots aus The Dark Knight und Balada triste de trompeta.

Möchte man die Figuren als Allegorie für die Faschisten (Sergio), die Republikaner (Javier) und Spanien (Natalia) lesen, wie dies viele Kritiker getan haben, ist es eine durchaus bittere Aussage, dass Natalia im dramatischen Finale beim Sprung mit dem Tuch stirbt, obwohl sie durch ihre artistischen Fähigkeiten eigentlich Spezialistin auf diesem Gebiet ist. Der Kampf der dos Españas hat ihr – Spanien – buchstäblich das Genick gebrochen. Darauf deutet auch die Aussage des Zirkusdirektors kurz vor Schluss hin, der meint: »Es este país que no tiene remedio.« Spanien, so die eindeutige Aussage nach dieser Lesart, kann nicht überleben, wenn der andauernde Kampf nicht aufhört. Vor diesem Hintergrund ist auch bedeutsam, dass es in diesem Film nicht die Clownsfiguren sind, die sterben und sich damit für eine bessere Zukunft opfern. Das, was diese in Balada triste repräsentieren, nämlich den Faschismus bzw. Republikanismus, ist im heutigen

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Spanien eben gerade (noch) nicht tot, sondern lebt im Verborgenen weiter und schürt den gegenseitigen Hass. Diese Interpretation macht verständlich, warum das Ziel Javiers so schwierig zu erreichen ist und warum Natalia sich mit ihrer Entscheidung zwischen den beiden Männern schwer tut. Spanien kann nicht nur einem Teil seiner Bürger gehören. Die Frage, die Natalia Javier stellt, nämlich ob er Sergio einzig aus Liebe zu ihr umbringen wolle, oder um sein Ego zu befriedigen, kann ebenfalls in dieser Hinsicht verstanden werden, nämlich als (rhetorische) Frage, ob ein Bürgerkrieg und das gegenseitige Ermorden der eigenen Landsleute dem Land dient oder nur aus Rache und Stolz geschieht. Aus der Perspektive des Films ist die Antwort eindeutig und gerade am Ende plakativ in Szene gesetzt. Daher ist es kein Zufall, dass das aus der Zirkuswelt stammende Figurenensemble an eine Freakshow erinnert. Kaum eine der Figuren ist als eindeutig positiv oder ›normal‹ zu bezeichnen. Die einzigen Figuren außerhalb dieses Milieus, die kurz auftreten, sind die Polizisten und das Militär, die zwar äußerlich keine ungewöhnlichen Merkmale aufweisen, jedoch allesamt als unfähig inszeniert werden. Da auch der Clown nicht gewöhnlich, sondern ›anders‹ ist, verwundert es nicht, dass die beiden Hauptfiguren einer solchen Gemeinschaft als Clowns inszeniert werden. Einzig die den Clowns zuschauenden und (noch) unschuldigen Kinder bleiben von der harschen Kritik des Films verschont. Die Rebellion der Clowns (der Figuren sowie des Regisseurs Álex de la Iglesia als Clown) bleibt jedoch auch in Balada triste unvollendet. Allerdings macht der Erfolg des Films – ähnlich wie bei der Figur des Jokers aus The Dark Knight – eine anhaltende und über die Filmrezeption hinausgehende Auseinandersetzung mit und Reflexion über die Figur und ihre Symptomatik wahrscheinlich. So ist der Clown – eine entsprechende Rezeptionssituation vorausgesetzt – in der Lage, einen Anstoß zum Umdenken zu geben. Wenn die Clowns in Balada triste am Ende scheitern, so nicht nur an den Herausforderungen und Aufgaben der Gegenwart, sondern vor allem an der Vergangenheit, die sie als innere und äußere Narben mit sich tragen. Das Thema des Erfolgs oder Misserfolgs einer solchen clownesken Rebellion wird im nächsten Analyseblock genauer unter die Lupe genommen.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

3.4 D ie C lownsmaske als A usdruck des W illens zur V er änderung 3.4.1 Der Clown als Störer der Ordnung A given culture is only as strong as its power to convince its least dedicated members that its fictions are truth. H ayden W hite 1972: 6

Der Clown als Gegenspieler etablierter Ordnungssysteme trägt dazu bei, die Macht der von White erwähnten symbiotischen Allianz von Kultur und Fiktion zu schmälern. Er deckt Inkonsistenzen und Widersprüche geltender Ordnungen auf und macht so die Konstruiertheit gesellschaftlicher Ordnung erfahrbar. Dennoch wird ihm die faktische Macht zur Subversion, welche »eine Umkehr oder einen Umsturz der Ganzheit einer bestimmten Ordnung vorantreibt« (Doll 2008: 48), von sämtlichen Autoren, die sich mit der Figur des Clowns beschäftigt haben, abgesprochen. Wie lässt sich dies erklären und wie wird das rebellische, aber scheinbar wenig ausrichtende Handeln dieser Figur im Film inszeniert? Dieses Kapitel nimmt filmische Clownsfiguren in den Blick, bei welchen der Drang nach Veränderung im Fokus steht. Es stellt sich die Frage, wie sich die von ihnen bewirkte Störung manifestiert und welche Konsequenzen sie für die in der filmischen Diegese etablierte Ordnung hat. Diese Fragen anhand des Films zu betrachten ist deshalb spannend, weil das Kino im Hinblick auf die von White erwähnten Fiktionen und deren Verhältnis zur kulturellen Ordnung einer Gesellschaft eine zentrale Stellung einnimmt. Denn mit anderen Medien teilt das Kino die beträchtliche Macht und Verantwortung, die Gesellschaft mittels der Fiktion in ihrem Glauben an Gründungs- und Legitimationsmythen zu festigen. Die Narration ist seit jeher eines der wirksamsten Mittel, Meinung zu bilden, Mythen zu vermitteln und diese als wahr gelten zu lassen. Durch solche gemeinsamen Mythen werden Gemeinschaften gestärkt, wie beispielsweise Hans Jürgen Wulff in seinem Artikel zum homo narrans hervorhebt: »Geschichten binden. Sie sind der Kitt, der Familien, Nachbarschaften und Freundeskreise zusammenhält. Darum nehmen Geschichtenerzähler – auch in den Medien – gemeinschaftsbildende Rollen ein. Sie markieren zentrale Funktionen der Sinngebung in allen Kollektiven der Welt.« (2012: o.S.) Die sinngebende und ordnungsstiftende Funktion wird durch eine weitere Eigenschaft von Geschichten verstärkt: »Hinzu kommt, dass Mythen Kontingenz ›wegerzählen‹ und so zur Reduzierung alltagsweltlicher Komplexität beitragen.« (Heer 2013: 113) Das Bedürfnis des Menschen nach solchen Narrativen, welche der Welt und dem Leben Struktur und Stabilität verleihen, ist offensichtlich: »It is part of our human condition to long for hard lines and clear concepts. When we have them we have to either face the fact that some realities elude them, or else blind ourselves to the inadequacy of the concepts.« (Douglas 1966: 200) Die Existenz verschiedener

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paralleler und sich teils widersprechender Ordnungssysteme in der Geschichte der Menschheit bestätigt diese Annahme. Magie, Religion und Wissenschaft sind nur einige der Versuche, die Welt zu ordnen und ihr Telos und Sinn zu verleihen (vgl. Mitchell 1992: 36/7). Indem sie systematisieren, kategorisieren und ordnen, bieten sie Erklärungsansätze für eine undurchschaubare und kontingente Welt. Gleichzeitig lenken sie die Aufmerksamkeit von den Ungereimtheiten bzw. Realitäten ab, die Douglas erwähnt, und die solche Erklärungen in Frage stellen würden. Die vollständige Erklärbarkeit der Welt muss eine Utopie bleiben, da eine Ordnung, unter der man einen »nachhaltig verfestigten Aggregatzustand sozialer Wirklichkeit« (Patzelt 2013: 43) verstehen kann, immer ein artifiziell hergestellter Zustand ist. Eine stabile und kongruente Ordnung ist, wie Derrida darlegt, unnatürlich: Alles, was man von einem dekonstruktivistischen Standpunkt versucht zu zeigen, ist, daß Konventionen, Institutionen und der Konsens Stabilisierungen sind […], das heißt, daß sie Stabilisierungen von etwas grundsätzlich Instabilem und Chaotischem sind. Folglich wird es genau aus dem Grund notwendig zu stabilisieren, weil die Stabilität nichts Natürliches ist; weil es eine Instabilität gibt, wird die Stabilisierung notwendig; weil es das Chaos gibt, gibt es die Notwendigkeit der Stabilität. Nun sind dieses Chaos und diese Instabilität, die fundamental, grundlegend und irreduzibel sind, zugleich das Schlimmste, wogegen wir uns mit Gesetzen, Regeln, Konventionen, Politik und provisorischer Hegemonie wehren, ebenso aber auch eine Chance, eine Chance eines Wandels, eine Chance zu destabilisieren. (1999: 185/6)

3.4.1.1 Die Entstehung von Ordnungen und deren konstitutives Außen Interessant an Versuchen der Stabilisierung ist im Hinblick auf die uns hier beschäftigende Figur des Clowns die von Derrida erwähnte Möglichkeit der Destabilisierung. Sie erfolgt meist durch Elemente, die aus der Ordnung ausgeschlossen sind. Diese sind gleichzeitig eine Bedingung für deren Konstitution, da sie dasjenige darstellen, gegen das sich eine Ordnung abgrenzt und so eine eigene Identität formiert. Sowohl bei Butler als auch bei Derrida findet sich dieser Gedanke, welchen beide mit dem Begriff des konstitutiven Außens fassen. Damit ist gemeint, dass jeder Diskurs, jeder Kontext, jede Vergesellschaftung oder jede Verknüpfung von Elementen sich von einem unverfügbaren Außen abgrenzt, das jedoch notwendig für die Herstellung einer partiellen Geschlossenheit des Kontextes ist. Damit die ›innere Reinheit‹ des Diskurses oder der Verknüpfung der Elemente nicht gestört wird, wird das Außen ausgeschlossen. Streng genommen befindet sich dieses Außen, das hier zuweilen synonym zu ›dem Anderen‹ oder ›Alterität‹ verwendet wird, schon im Diskurs (vgl. Bennington und Derrida 1994, 227ff); es ist demnach kein absolut jenseitiges Außen. (Moebius 2003: o.S.)

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Bedeutsam ist, dass das Außen gerade durch seine Bezeichnung durch und Einbettung in den Diskurs der Exklusion die Grenze zum Inneren überwindet und dieses so mitbestimmt. Nach Derrida ergibt sich dieses Konzept des konstitutiven Außens aus der Logik der Supplementarität, in der das Draußen drinnen ist, das andere und der Mangel sich wie ein Mehr einem zu vervollständigenden Weniger hinzufügen, das, was an eine Sache sich anfügt, für den Fehler dieser Sache einspringt, der Fehler als das Draußen des Drinnen bereits innerhalb des Drinnen ist usw. (1983: 371)

Judith Butler bezieht dieses Konzept auf die Identitätsbildung und argumentiert, dass sich ein Subjekt nur als solches bilden könne, indem es sich gegen das andere, was in der Folge als »Abjekt« verworfen wird, abgrenzt: Diese Matrix mit Ausschlußcharakter, durch die Subjekte gebildet werden, verlangt somit gleichzeitig, einen Bereich verworfener Wesen hervorzubringen, die noch nicht ›Subjekte‹ sind, sondern das konstitutive Außen zum Bereich des Subjekts abgeben. Das Verworfene (the abject) bezeichnet hier genau jene ›nicht lebbaren‹ und ›unbewohnbaren‹ Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind von denjenigen, die nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben im Zeichen des ›Nicht-Lebbaren‹ jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen. Diese Zone der Unbewohnbarkeit wird die definitorische Grenze für den Bereich des Subjekts abgeben; sie wird jenen Ort gefürchteter Identifizierung bilden, gegen den – und kraft dessen – der Bereich des Subjekts seinen eigenen Anspruch auf Autonomie und Leben eingrenzen wird. In diesem Sinne ist also das Subjekt durch die Kraft des Ausschlusses und Verwerflichmachens konstituiert, durch etwas, was dem Subjekt ein konstitutives Außen verschafft, ein verwerfliches Außen, das im Grunde genommen ›innerhalb‹ des Subjekts liegt, als dessen eigene fundierende Zurückweisung. (1997: 23)

Eine Gesellschaft sowie jede Form politischer und gesellschaftlicher Ordnung können sich folglich nur durch das, was aus ihnen ausgeschlossen ist, formieren und definieren. Dies hebt auch die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe in Anlehnung an Carl Schmitt hervor: Da »die Identität einer demokratischen politischen Gemeinschaft auf der Möglichkeit einer Grenzziehung zwischen ›uns‹ und ›ihnen‹ basiert, hebt Schmitt die Tatsache hervor, daß die Demokratie stets Inklusions-/Exklusionsverhältnisse umfaßt« (Mouffe 1997: 81). Diese Grenzziehung, von der Mouffe spricht, verdeutlicht die Wichtigkeit der Abgrenzung eines Innen von einem Außen für die Bildung von Ordnungssystemen: »Politik zielt auf die Stiftung von Einheit in einem Kontext des Konflikts und der Diversität; sie ist immer auf die Schaffung eines ›wir‹ durch die Bestimmung eines ›sie‹ aus.« (Ebd.: 87) Die so geschaffenen Grenzen tragen zur Kategorienbildung bei. Diese Kategorien wiederum werden, wie Mary Douglas verdeutlicht, durch Tabus geschützt. Sie sieht »taboo as a spontaneous device for protecting the distinctive

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categories of the universe« (1966: xi). Douglas klassifiziert das, was außerhalb der Grenzen liegt und dadurch unerwünscht ist, als Schmutz und hebt dessen Bezogenheit auf die Ordnung hervor. Dadurch wird die Ähnlichkeit zu dem Konzept des konstitutiven Außens deutlich: »Dirt is the by-product of a systematic ordering and classification of matter, in so far as ordering involves rejecting inappropriate elements.« (Ebd.: 44) Die Bezogenheit auf die Ordnung begründet die Relativität des Konzeptes: »Dirt is essentially disorder. There is no such thing as absolute dirt: it exists in the eye of the beholder.« (Ebd.: 2) Durch das aus ihr Ausgeschlossene kann sich die Ordnung erst definieren: »Dirt offends against order. Eliminating it is not a negative movement, but a positive effort of organizing the environment.« (Ebd.) Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Foucault, welcher mit seinem Konzept der Heterotopie die räumliche Komponente des konstitutiven Außens in den Blick nimmt. So sind die »Gegenorte«, von denen er spricht, solche, die eine Gesellschaft zwar benötigt, welche jedoch ihrer Identität widersprechen und deshalb an ihre Ränder verlagert werden. Es sind »tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden« (Foucault 2006: 321). Als Beispiele nennt Foucault Gefängnisse, Altersheime oder psychiatrische Anstalten. Auf den Clown bezogen kann seine seit dem 19. Jahrhundert typische Lokalisierung in den fahrenden Truppen des Zirkus als ein von Foucault beschriebener »außerhalb aller Orte liegen[der Ort]« (ebd.) gesehen werden. Anhand unseres Umgangs mit solchen Orten sowie mit dem Schmutz, nämlich seiner Ausgrenzung bzw. Eliminierung, lässt sich ein weiteres Merkmal der Konstitution von Gesellschaften erkennen: das Moment der Gewalt, welches sich gegen das konstitutive Außen, das ›Andere‹ richtet. Diese Gewalt wird von René Girard (1988) in Bezug auf rituelle Praktiken als entscheidende Komponente von Gründungsmythen beschrieben. Archaische Gemeinschaften benötigen, so der Religionswissenschaftler, einen aus ihr ausgeschlossenen oder sich an ihren Rändern befindlichen Sündenbock, um die Gewalt nach außen abzuleiten und »die Gemeinschaft als Insel der Friedfertigkeit, wo Gewalt verboten ist, zu erhalten« (Baumann 2003: 227). Der im Ritual von der Masse getötete Sündenbock trägt durch sein Opfer zur Stärkung der Gemeinschaft bei. Wie dies genau geschieht, verdeutlicht Zygmunt Baumann in seiner Lektüre Girards: Es geht auch darum, daß die Morde sichtbar, offen und bei Tageslicht begangen werden, daß es Zeugen des Verbrechens gibt, die die Täter beim Namen kennen – so daß Rückzug und Versteck vor der Rache unmöglich wird [sic!] und den Tätern nur mehr die Flucht in die aus dem ursprünglichen Verbrechen geborene Gemeinschaft bleibt. […] Eine solche Gemeinschaft kann nur dann (wenn auch oft fälschlicherweise) auf eine dauerhafte Existenz hoffen, wenn das ursprüngliche Verbrechen unvergessen bleibt, so daß ihre Angehörigen im Bewußtsein, daß es ausreichend Beweise für ihre Verbrechen gibt, solidarisch zusammenstehen, verbunden durch das gemeinsame Interesse, die Reihen geschlossen

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung zu halten, um so die kriminelle Energie und Strafbarkeit ihres Verbrechens zu leugnen. Die sicherste Methode, diesen Zusammenhalt zu gewährleisten und die Erinnerung wachzuhalten, ist die periodische Wiederholung, die Begehung neuer Verbrechen. (Ebd.: 230/1)

Durch diese Verbrechen »stellen sich […] immer wieder [Schließungen] her«. Diese »sind aber stets unsicher und prekär, da sie von diesem Ausschluss konstitutiv abhängig sind« (Gertenbach/Moebius 2006: 4133). Die moralische Dimension dieser Abhängigkeit zeigt Girard, wenn er von dem »erschreckende[n] Paradox der menschlichen Wünsche« spricht: »Sie können sich nie über die Bewahrung ihres Objektes einigen, immer aber über dessen Zerstörung; sie werden sich immer nur auf Kosten des Opfers einig.« (1988: 211) Bei der Anklage, die gegen den Sündenbock erhoben wird und das Verbrechen gegen diesen ursprünglich auslöst, handelt es sich meist um einen Tabubruch. Wie oben dargestellt, dienen Tabus zur Aufrechterhaltung von Kategorien, die wiederum zur Stabilität der Ordnung beitragen. So beschreibt Girard die Verbrechen, derer der Sündenbock beschuldigt wird, als »fundamentale Verbrechen […]. Sie greifen die Fundamente der kulturellen Ordnung an, ja selbst Unterschiede in Familie und sozialer Hierarchie, ohne die es keine Gesellschaftsordnung geben könnte.« (Ebd.: 27) Dadurch steht der Tabubruch des Sündenbocks in engem Zusammenhang mit der Destabilisierung der Ordnung, seine Bestrafung mit der Wiederherstellung derselben. Er befindet sich folglich in der paradoxen Situation, sogleich stabilisierend als auch destabilisierend zu wirken, weshalb mir die Theorie Girards als aufschlussreich für die uns hier interessierende Figur des Clowns erscheint. Auch dieser findet sich immer wieder zwischen dem Moment der Destabilisierung, zu der er durch sein Infragestellen geltender Ordnungsmechanismen beiträgt und dem der Stabilisierung, welche sich durch seinen Ausschluss einstellt. Dies ist einer der Gründe, warum er so schwierig einzuordnen und zu klassifizieren ist. Auch wenn Girard seine Theorie aus der Analyse einer Vielzahl von mythischen Erzählungen und auf archaische Gesellschaften bezogen herleitet und seine Ergebnisse somit nicht unreflektiert übertragbar sind, so sind die Parallelen in Bezug auf das aus der Ordnung Ausgeschlossene doch auffällig. Vor allem liefern sie wichtige Erklärungsmuster für den Clown, der ja sowohl in mythischen Erzählungen, rituellen Praktiken als auch in aktuellen Gesellschaften seinen – marginalen – Platz hat.

3.4.1.2 Subversion und Störung von Ordnungssystemen Der hier ausführlich geschilderte Bezug der Ordnung zu dem aus ihr Ausgeschlossenen kann erklären, warum eine Subversion, verstanden als »Eingriff in geregelte Funktionsweisen machtvoller Strukturen – mit dem Ziel, diese zu stören, umzuleiten oder ad absurdum zu führen« (Wagels 2008: 204), schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Denn auch für diese gilt: »Wenn von Sub/Versionen die Rede ist, so verweist das Sub als Präfix auf etwas Nicht-Hegemoniales, auf etwas darunter Liegendes, auf Nischen oder Ränder – und bleibt über diesen Verweiszusammenhang dem Hegemonialen verbunden.« (Ebd.: 209) Die enge Ver-

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netzung von Ordnung und dem – bereits diskursiv – aus dieser Ausgeschlossenen verdeutlicht einerseits die Schwierigkeit, etwas der Ordnung vollständig NichtIdentisches überhaupt zu ersinnen, geschweige denn zu verwirklichen; andererseits offenbart sie die Notwendigkeit des Kritikers innerhalb der Grenzen des Systems zu bleiben, um ›gehört‹ zu werden15 sowie auf dieses einwirken zu können. Diese Umstände erschweren die Durchführbarkeit und Wirksamkeit subversiver Taktiken immens. Da der Clown als marginales Wesen stets Teil der Ordnung ist, scheint mir der Begriff der Subversion zur Beschreibung seines Handelns nur in Ausnahmefällen angemessen. Stattdessen möchte ich den Clown als Störer der Ordnung bezeichnen, welche im Gegensatz zur Subversion »eine Unterbrechung des transzendental, geschichtlich oder normativ stabilisierten Kontinuums empirischer Regelmäßigkeiten« ist (Koch/Petersen 2011: 9). Es handelt sich nicht um eine Veränderung, sondern um einen zeitweiligen Unterbruch der geregelten Verhältnisse. Die Störung ist dabei stets auf die Ordnung angewiesen, da diese »die Ausbreitungsbedingung der Störung ist« (Engell 2011: 120). Eine genaue Kenntnis derselben ist dazu nötig, die nur durch eine – zumindest partielle – Teilhabe an ihr erreicht werden kann. Das ist eine Voraussetzung dafür, ihre Mechanismen der Wirklichkeitsproduktion – ihre Fiktionen – zu kennen und zu verstehen und in der Folge stören zu können. Gleichzeitig bedarf es eines ausreichenden Abstandes, um Schwachstellen und Inkongruenzen erkennen zu können. Ebenso wie mit dem Außen als Notwendigkeitsbedingung der Ordnung verhält es sich demnach mit Störungen. So ist »[d]ie Störung des Normalverlaufs […] ein Erfordernis der Reproduzierbarkeit und Lebendigkeit des Normalverlaufs« (ebd.: 118). Dies erklärt, dass die Störung im Gegensatz zur Subversion eine gesellschaftliche Ordnung nicht nachhaltig zu erschüttern und zu verändern mag. Denn eine solche Ordnung kann Störfaktoren integrieren, im Gegensatz zu mechanischen Ordnungen: Das lebendige System – und darunter versteht [Henri] Bergson sowohl das biologische System des individuellen Körpers als auch das soziale System im Ganzen – sei, so Bergson, dadurch gekennzeichnet, dass es auf Störungen reagieren könne durch aufmerksames, ausweichendes, innovatives, die Störung schließlich integrierendes Verhalten. Das mechanische System dagegen reproduziere seine Routinen auch bei einer initialen Störung munter weiter. Genau dadurch reproduziere es die Störung, genau wie das im Slapstick der Fall ist, steigere sie und komme schließlich aus dem Tritt; nicht eigentlich aufgrund der Störung, sondern aufgrund seiner mangelnden Fähigkeit zur Flexibilität im Umgang mit ihr. (Ebd.: 115)

Obwohl Störungen durch »lebendige Systeme« neutralisiert werden, haben sie, wie schon mehrfach angemerkt, das Potenzial, auf Schwächen des Systems aufmerksam zu machen, wodurch »Hintergrunderwartungen durch einen situativ 15 | Diesen Hinweis verdanke ich Jochen Dubiel.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

unangemessenen Gebrauch von szenischen Praktiken oder Darstellungstechniken diskreditiert werden und deshalb das ›reality work‹ nicht länger entlang der bisher fraglosen Regeln abläuft« (Patzelt 2013: 59). Hier zeigt sich die Nähe zum Handeln des Clowns, welches sich durch einen solchen »situativ unangemessenen« Umgang mit alltäglichen Dingen, Praktiken und Verhaltensweisen auszeichnet. Dass solche »Störungsdiskurse« dabei weit mehr als ein folgenloses Intermezzo in Ordnung und Routine sind, sondern (wie schon von Derrida vermerkt) Grundlage für Umdenken und Reformen sein können, betonen Habscheid und Koch: Die Störung verweist in ihrem ambivalenten Changieren zwischen Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn paradigmatisch auf eine selbstinduzierte Vulnerabilität von komplexen Gesellschaften, sie problematisiert und produziert Norm-Erwartungen und ist – als Befragung des Status quo – ein wichtiger Motor von Veränderung und (technischer, politischer, kultureller) Innovation: Indem in der Beobachtung von Störungen Erfahrung und Erwartung auseinanderfallen und Diskontinuitäten sichtbar werden, ermöglichen Störungsdiskurse einen reflexiven Blick auf kulturelle Verarbeitungsroutinen und basale gesellschaftliche Muster. […] [Die Störung] eröffnet […] qua ihrer Fähigkeit zur Irritation genau jene Spielräume, in denen sich Weltbezüge erneuern und gesellschaftliche Selbstbeschreibungen kritisieren und reformulieren lassen (Koch/Petersen/Vogl 2011). Eine solche Konzeptualisierung von Störung ist offen für vielgestaltige ästhetische Anschlüsse, wie sie derzeit etwa unter dem Schlagwort »partizipative Kunst« (Feldhoff 2013) verhandelt werden. (Habscheid/Koch 2014: o.S.)

Auf die Möglichkeiten der Veränderung sowie der von den Autoren erwähnten partizipativen Kunst werde ich gleich im Zusammenhang mit The Dark Knight näher eingehen. Durch Störungen werden zu einem bestimmten Zeitpunkt geltende Ordnungs- und Wertesysteme Gegenstand der Aufmerksamkeit. Diese bleiben normalerweise unbemerkt und unhinterfragt, da sie als natürlich gegeben angenommen werden: Es ist charakteristisch für Ordnungssysteme, dass Menschen zu übersehen pflegen, dass niemand Anderes als sie selbst jene soziale bzw. politische Wirklichkeit hervorbringt, die – einmal routinemäßig hervorgebracht – so ›fremdbestimmt‹ und unzerstörbar wirkt. Ursache für solches Übersehen ist einesteils eine Erziehung, welche die umgebende Wirklichkeit als ›ganz natürlich so, wie sie ist‹ darstellt. Andernteils ist es schon auch die Inanspruchnahme durch die Bewältigung des Lebens selbst, was einem gar nicht die Muße zur Einnahme einer letztlich ›praktisch unnötigen‹ Beobachterperspektive lässt. Aus beiden Gründen ist die resultierende ›sozialoptische Täuschung‹ hinsichtlich des eigenen Mittuns an der Wirklichkeitskonstruktion typisch für jene ›natürliche Einstellung des Alltagsdenkens‹, die Edmund Husserl und Alfred Schütz so trefflich analysiert haben. (Patzelt 2013: 55)

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Aus der »sozialoptische[n] Täuschung« über die Selbstbeteiligung an der Konstruktion von Wirklichkeit und am bestehenden Ordnungssystem wird also zwangsläufig ein Glaube an dasselbe. Aus diesem Grund ist der als Wahrheit wahrgenommene Glaube an eine bestimmte Ordnung nicht als solcher erkennbar. Der Schriftsteller Carlos Ruiz Zafón zeigt durch die als diabolisch gezeichnete Figur des Andreas Corelli in El juego del ángel (2008), dass selbst die Überzeugung, an nichts zu glauben, eine Illusion ist: »Es posible creer en cualquier cosa, Martín, en el libre mercado o en el ratoncito Pérez. Incluso creer que no creemos en nada, como hace usted, que es la mayor de las credulidades.« (2008: 375) Eine Abkehr von Glaubensvorstellungen gefährdet die beruhigende Sicherheit, welche der Glaube an Systeme und Strukturen bietet. Das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit scheint indes so stark zu sein, dass dieser Glaube ebenso stark ist, was zur Aufrechterhaltung von Ordnungen beiträgt. Erst Störungen lassen negative Konsequenzen fehlender Hinterfragung spürbar werden. Störungen machen Strukturen als solche erkennbar und plötzlich fragwürdig und voller Widersprüche.

3.4.1.3 Der Clown und die Ordnung Die Kehrseite des Gefühls von Sicherheit, das Ordnungen bieten, ist die Rigidität, aufgrund derer für Abweichungen von den vorgegebenen Glaubenssätzen nur wenig Raum ist. Eben dieser Starrheit entgegenzuwirken, sieht Constantin von Barloewen als die Aufgabe des Clowns an: »Eine Kultur, die Phantasien und Utopien nicht mehr unmittelbar integrieren kann, braucht Clowns, die verbotene Passagen vermitteln, die an der Schwelle stehen und zu einer neuen Ordnung führen wollen.« (2010: 122) Die Schweizer Clownin Gardi Hutter zeigt, warum der Clown für dieses Auf brechen von Strukturen geeignet ist und positioniert sich gleichzeitig zu der seit dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015 so aktuellen Frage, was Satire dürfe und was nicht: Dort, wo die stärksten Tabus und Ängste sind, dort liegt auch das größte Potential an Humor, das größte Bedürfnis nach Befreiung. Der Humor hilft im Umgang mit Tabus, verkleinert das Schreckliche. Darum sind Clowns so geliebte Wesen: Sie lassen sich über Dinge aus, über die man oft schweigt. Sie verkleinern das Leid und machen es dadurch erträglicher. Und solange sie lustig sind, dürfen sie auch alles tun. (Hutter in Lanfranchi 1997: 88)

Geht man mit Douglas davon aus, dass die von Hutter angesprochenen Tabus die die Ordnung konstituierenden Kategorien aufrecht erhalten (vgl. Douglas 1966: xi) und der individuelle Körper deshalb so stark mit Tabus belegt ist, da er als Stellvertreter des sozialen Körpers fungiert (vgl. ebd.: 150-156), kann eine Verbindung zu Bachtins Konzept des offenen Körpers gezogen werden, welches in Kapitel 3.3.1 als konstitutiv für die Clownsfigur beschrieben wurde. Die Körperstellen, welche durch ihre Öffnung eine Vermischung von innen und außen ermöglichen, sind besonders stark mit Tabus belegt. Die Analogie zu gesellschaftlichen Ordnungen

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

liegt auf der Hand: Geht man, wie oben dargelegt, davon aus, dass sich eine Gesellschaft gerade durch die Abgrenzung zu dem sie konstituierenden Außen eine Identität erschafft, stellt die Durchdringung des Innen durch das Außen eine Bedrohung dar. Auch Zygmunt Baumann stellt in seinem Standardwerk Flüchtige Moderne (2003) eine Verbindung zwischen dem individuellen und dem sozialen Körper her: Sie [Gemeinschaften] erscheinen als homogene, nach innen harmonische Einheiten, sorgfältig gereinigt von allen unverdaulichen Substanzen, schwer bewacht an allen Eingängen und nach außen hin in waffenstarrender Rüstung gepanzert. Die Grenzen der postulierten Gemeinschaft trennen, wie die Außengrenze des Körpers, das Reich vertrauensvoll liebender Fürsorge von der Wildnis, in der Risiko und Mißtrauen herrschen und wo man dauernd auf der Hut sein muß. Der Körper wie die postulierte Gemeinschaft sind innen samtig weich und außen stachelig. (Baumann 2003: 216)

Die Missachtung solcher Grenzen macht den Clown zu einem Störfaktor. Dies wird ihm nicht zuletzt durch die Maske ermöglicht, da diese eine gefahr- und straflose Grenzüberschreitung ermöglicht. Monika Schmitz-Emans zeigt noch eine weitere Verbindung der Maske mit der Transgression auf: Das Tragen von Masken ist seit seinen Ursprüngen mit »der Kommunikation mit einer spirituellen Sphäre« und dadurch mit einer Grenzüberschreitung verbunden (2009: 18). Das Infragestellen der vom Clown übertretenen Grenzen und der durch sie geschaffenen Kategorien ist dennoch nicht einfach, da der aus dem Bedürfnis der Menschen nach Sinn und Struktur gespeiste Glaube sehr mächtig ist. Besonders, wenn er aus der Angst resultiert, eben diesen Sinn zu verlieren, wie der bereits zitierte Autor Ruiz Zafón schreibt: »Nada nos hace creer más que el miedo […]. El miedo a perder nuestra identidad, nuestra vida, nuestra condición o nuestras creencias.« (2008: 374) Ob dieser Stärke des (angstproduzierten) Glaubens verwundert es nicht, dass der argentinische Regisseur und Schauspieler Claudio Martínez Bell die kulturellen Gegebenheiten mit dem semantischen Feld der Waffen in Verbindung bringt und die Clownerie als Befreiung aus diesen Zwängen ansieht: »[L]a técnica de clown rápidamente te libera de un montón de condicionamientos culturales que te arman para vivir en una sociedad. Te deja desnudo.« (Martínez Bell in Grandoni 2006: 47; Hervorhebung Y.A.) Die Assoziation mit Waffen, welche nötig zu sein scheinen, um in der Gesellschaft zu überleben, liefert einen Hinweis darauf, warum es so schwierig ist, die herrschenden Muster zu brechen. Einerseits müssen sie mit Waffengewalt aufrecht erhalten werden, da sie aufgrund ihrer Inkongruenz und Widersprüchlichkeit zu labil sind, um von selbst Bestand zu haben. Andererseits wird der Mensch, welcher sich in diesen Mustern bewegt, schutzlos, sobald er diese Waffen ablegt. Diese Macht der kulturellen Ordnung kann erklären, warum auch der Clown sie nur bedingt und zeitweise außer Kraft setzen bzw. in Frage stellen kann. Wenngleich der Künstler, der den Clown verkörpert, für den Moment des Clownsspiels von den Verpflich-

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tungen der Ordnung befreit ist, wie Martínez Bell beschreibt, so ist der längerfristige Effekt des Clownesken oft gegenteilig. Denn die erheiternde Wirkung, die der Clown traditionell auf sein Publikum hat, befreit dieses zwar für den Moment von den Zwängen des Systems. Allerdings erfolgt dies auf eine von diesem System institutionalisierte Art und Weise, was die vom Clown vorgebrachte Kritik berechenbar und dadurch kontrollierbar macht: »[T]he use of the clown figure for purpose of contrast often serves the goal of fostering limited, controlled relief within the bounds of an accepted social or religious system.« (Winkler 1977: 49) Dieses Zitat nimmt Bezug auf die Ventiltheorie, deren Grundthese erstmals von Max Gluckman geäußert wurde: »Socially, the lifting of the normal taboos and restraints obviously serves to emphasize them.« (1991: 115) Brightman führt diesen Gedanken aus und verknüpft ihn mit einem Argument des Anthropologen Victor Turner, auf den bedeutende Erkenntnisse über Rituale zurückgehen: If the liminal metaphysic conceives antistructure as regenerative of structure, sociological functionalism offers the parallel doctrine that ritual licence reproduces structure by exemplifying the non-viability of alternatives and by catharting residual entropic egoism: ›Through mimesis there is an acting out – rather than the acting – of an impulse that is biologically motivated but socially and morally reprehended.‹ (Turner 1968: 577, Brightman 1999: 277/8)

Anstelle einer wirklichen Revolution handelt es sich beim clownesken Störertum also um ein Ventil, durch welches Unzufriedenheit und Aggressionen gegen das System abgelassen werden können, wodurch die Ordnung selbst gefestigt wird. Auch das clowneske Aufzeigen einer – nicht viablen – Gegenordnung trägt zu dieser Festigung des Glaubens an die Ordnung bei. Deshalb können selbst Rituale wie der Karneval in den seltensten Fällen eine wirkliche Neuordnung bewirken, da ihre Abläufe fest in vorgegebene Strukturen eingebettet sind. Dies liegt vor allem daran, dass jedes System Abweichungen im Sinne des konstitutiven Außens sowie Störungen von Anfang an umfasst. Barbara Babcock-Abrahams greift dieses Argument auf und stellt die Verbindung zum Narren her: [D]efinition and differentiation, in short, the very essence of ›structure‹, imply and of necessity involve negation. Things ›are‹ by virtue of and in relation to what they ›are not‹; structure implies antistructure and cannot exist without it; the king creates and needs the fool, for one who actually reigns and holds power has little capacity for irony or self-caricature. (1975: 186)

Auch Wolfgang Zucker bezieht die scheinbar untrennbare Koalition von Ordnung und deren Negation auf den Clown, von welchem er schreibt, dass er »rather confirms than undermines the mythological order« (1954: 314). Seine Clownereien können nie eine wirkliche Subversion bewirken, da es genau diese ist, die von ihm

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

erwartet wird. Um eben jene Ordnung, die er kritisieren will, nicht zu stärken, hat der Clown nach Robert Brightman nur eine radikale Möglichkeit: »[T]he most subversive thing the […] clown could do [… is] to abstain from clowning.« (1999: 284) Manchmal, wie am Kongress zu den Clowns gezeigt, nützt es auch, die Erwartungshaltungen zu unterlaufen, indem der Rahmen der Performance nicht eingehalten wird. Denn anderenfalls ist der Clown meist nicht in der Lage, eine Gegenordnung aufzubauen oder die hegemoniale Ordnung nachhaltig zu verändern. Paul Bouissac hat herausgearbeitet, dass dies auch für klassische Clownsnummern im Zirkus gilt, wo am Ende stets eine Wiederherstellung der Ordnung erfolgt: [C]lowns disclose the conventionality of the laws and the taboos that sustain them. But the virtual chaos they unleash during a performance is quickly brought under control. This outcome is generally symbolized by the performers playing music while marching together, thus restoring the harmony that they disrupted at the inception of their act. (Bouissac 2015: 174)

Doch nicht immer ist das Auf begehren dazu verdammt, folgenlos zu bleiben. Brigthman nennt explizit den Karneval als grenzüberschreitende Veranstaltung mit Folgen: »And indeed, official attempts to limit, reform, or proscribe inversionary ritual were among the catalysts for resistance in European contexts.« (1999: 283) Peter Burke bestätigt diese Sichtweise in seiner Untersuchung zur Volkskultur der Neuzeit: »Aufstände und Rebellionen entwickelten sich häufig aus größeren Festanlässen« (1981: 218), welche ja temporäre Aufhebungen regulärer Abläufe sind. Trotz der oben erwähnten Einschränkungen kann das Wirken des Clowns folglich unter gewissen Umständen von einer störenden zu einer subversiven Kraft werden und so eine Umkehrung oder zumindest Veränderung der Verhältnisse hervorrufen. Joseph Durwin sieht eine Möglichkeit in der Kraft der Scham bei ethnischen Riten: [T]he role of ridicule and comedy in maintaining social order should not be overlooked. Often, the lewd and over-exaggerated portrayal of unwanted behavior among the tribepeople causes sufficient embarrassment on the part of the offender that they will discontinue the negative behavior – thus eliminating the need for legal sanctions or other types of formal censure seen in some societies. (2004: 4)

Mitchell verdeutlicht, dass dies genauso für die Clowns und ihre Parodien gilt: »While subversive clowning alone cannot transform a society, it does have the power to transform or modify the actions of an authority figure who may, for example, embarrassed by a mocking performance of his oppressive demeanor, alter his parodied behavior.« (1992: 25) Obgleich das Verhalten von Clowns somit in gewissen Fällen kleinere Veränderungen bewirken kann, ist die Wirkungsweise des Clowns in der überwie-

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genden Mehrheit der Fälle als störend, jedoch nicht als subversiv zu bezeichnen, was von der Forschungsliteratur immer wieder unterstrichen wird. Zu untersuchen bleibt, welche Reaktionen auf das Wirken des Clowns in Filmen zu finden sind, kann eine Ordnungsstörung doch stets mehrere Verhaltensweisen, mit ihr umzugehen, auslösen. Prinzipiell lässt sich dabei zwischen zwei Möglichkeiten unterscheiden: Entweder wird die Undurchführbarkeit der dargestellten Alternative (scheinbar) bewiesen, das störende Element beseitigt oder angeglichen und es kommt zu einer Wiederherstellung der Ordnung – die häufigste Variante im Mainstream-Kino. Oder aber die umgebende Ordnung passt sich an das störende Element an und verändert sich – es kommt zu einer Neu- oder Gegenordnung. Für den ersten Fall hat Lévi-Strauss zwei verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die er mit dem anthropophagischen und dem anthropoemischen Prinzip bezeichnet. Ersteres meint das Einverleiben des ›Anderen‹ in das System, sodass es angeglichen wird und sein ›Anderssein‹ aufzugeben gezwungen ist. Dadurch werden die »furchterregenden Kräfte« des Störenden – nämlich das System selbst zu hinterfragen – neutralisiert (1978: 382). Bei der anthropoemischen Variante hingegen werden die »gefährlichen Individuen aus dem sozialen Körper aus[ge] stoßen« (ebd.: 383). In beiden Fällen handelt es sich um Gewalt gegen das störende Element, wodurch die vorige und die folgende Aussage Girards, bezogen auf den Mord am Sündenbock, verständlich werden: »Zur Beseitigung der in diesem System auftauchenden Risse und Lücken greift man – mehr oder weniger unbewußt – immer auf den eben dieses System hervorbringenden und erneuernden Mechanismus zurück.« (1988: 82) Die Konsequenz ist in beiden Fällen, dass das störende Element neutralisiert wird, indem es entweder assimiliert oder verstoßen wird. Dass ein solcher Umgang mit Störelementen sowohl in lebensweltlichen Gesellschaften als auch in den fiktionalen Welten der Filme gegenüber der Angleichung der Ordnung an das störende Element überwiegt, erklärt sich dadurch, dass »[d]ie systemexterne Differenz [Schrecken verbreitet], weil sie die Wahrheit des Systems, seine Bedingtheit, seine Zerbrechlichkeit und seine Sterblichkeit nahelegt« (ebd.: 36). Um dieser Unsicherheit und Ängste hervorrufenden Wahrheit zu begegnen, besteht, laut Patzelt, [d]as letzte Mittel, um unter Anfechtung geratene soziale oder politische Wirklichkeit zu sichern, […] in der Ausgrenzung jener (nicht-konvertierten) Personen, welche die Selbstverständlichkeiten einer Ethnie gefährden oder immerhin gefährden könnten. Anders gewendet: Mit den Ausgrenzungsmethoden verhindert man einesteils durch vorauswirkende Abschreckung das Transzendieren des Bestehenden, andernteils durch tatsächlich vollzogene Ausgrenzung ein unbestrittenes Wirksamwerden konkurrierender oder negierender Transzendenzrekurse. (2013: 67)

Der Politikwissenschaftler führt weiter aus, dass die durch die Störung verletzten Regeln »nicht zur Disposition gestellt werden [dürfen], weil eben dies den konstitutiven Akzent veränderte, unter dessen Wirkung sogar verletzte Regeln durch

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

die Vorfeld-, Entproblematisierungs- und Ausgrenzungsmethoden der ›politics of reality‹ als dennoch geltend ausgewiesen und gesichert werden können« (ebd.: 83). Aus diesen Gründen ist die Option, dass die geltenden Regeln und Systeme verändert werden und es zu einer Neuordnung kommt, also ein störendes zu einem subversiven Verhalten wird, äußerst selten.

3.4.1.4 Clowns im Film als Ordnungsstörer In Anbetracht dieser Vorüberlegungen zum Verhältnis von Ordnung, Subversion, Störung und dem Clown, verwundert es nicht, dass diese Figur auch im Film zum Sinnbild für den Auf bruch in eine neue Ordnung gewählt wird. So ist es z.B. in The Game (The Game – Das Geschenk seines Lebens, USA 1997, R: David Fincher) eine Clownspuppe, welche das titelgebende Spiel einläutet. Dieses führt letztendlich zu einem Umdenken und einer Verhaltensänderung des Protagonisten Nicholas van Orton (Michael Douglas). Diesen und andere hier vorgestellte Filme vereint, dass die beschriebene Funktion des Clowns, eine Neuordnung der Dinge bewirken zu wollen, besonders auffällig ist. Daher verstehe ich die Maske als Ausdruck dieses Willens zur Veränderung, was im Folgenden anhand verschiedener Filmbeispiele herausgearbeitet wird. Bei der Betrachtung der Filme vor dem Hintergrund des ordnungsstörenden Verhaltens des Clowns stellen sich mehrere Fragen: Durch welche Merkmale wird die zu Filmbeginn herrschende Ordnung charakterisiert und welche Alternativen bietet die Clownsfigur hierzu an? Mit Hilfe welcher Mittel versucht sie diese umzusetzen? Welche Bewertung dieser Alternative wird von der Inszenierung suggeriert? Ist es der Clown, der die Ordnung stört oder die Figur, die ihn verkörpert? Welche kurz- oder langfristigen Folgen hat die Störung auf die Ordnung? Was geschieht mit dem störenden Element, der Clownsfigur? Wird sie aufgenommen, passt sich die (neue) Ordnung ihren Charakteristika an, oder wird sie assimiliert, ausgestoßen oder gar vernichtet? Anhand der folgenden Beispiele werde ich vor allem die diegetische Ordnung und das Verhältnis der Clownsfigur zu dieser betrachten. Zum Schluss möchte ich den Blick auf die außerfilmische Wirklichkeit ausweiten und auf die Wirkung, welche die Clownsfigur über den Film hinaus haben kann. Ausgangssituation und Alternativen In vielen der Filme, in welchen die Clownsmaske einen Willen zur Veränderung der Ordnung anzeigt, ist diese Ordnung zu Beginn von traditionellen und konservativen Wertvorstellungen geprägt. Oft ist es daher eine patriarchalische Herrschaft, gegen welche sich die Clownsfigur zur Wehr setzt. In L’aile ou la cuisse (Brust oder Keule, FRA 1976, R: Claude Zidi) wird der Patriarch Duchemin von dem Komiker Louis de Funès verkörpert. Er ist Chef des »Guide Duchemin« – eine eindeutige Anspielung auf die wichtigsten Reise- und Gastronomie-Führer Frankreichs, Dumont und Michelin. Er kann als äußerst erfolgreich und egozentrisch charakterisiert werden und möchte, dass sein Sohn Gérard (Coluche) sein Nachfolger wird. Dieser arbeitet jedoch heimlich als Clown in einem Zirkus und

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zeigt sich bei den vom Vater aufgezwungenen Geschäftsterminen äußerst ungeschickt und für den für ihn vorgesehenen Beruf ungeeignet. In diesem wie in vielen anderen Filmen haben Leistung und das damit verbundene Einkommen in der diegetischen Ordnung einen hohen Stellenwert. Die Geschäftswelt mit ihrer Fokussierung auf Materielles geht dabei in den genannten Filmen stets mit Empathie-, Lieb- und Phantasielosigkeit einher. So z.B. in Zampo y yo, Noviembre, Pa-ra-da und The Dark Knight. Wie in L’aile ou la cuisse ist es in Zampo y yo der Vater, welcher der Protagonistin Ana (Ana Bélen) das Leben schwer macht. Obwohl sie keine materielle Not leidet, fehlen ihr Anerkennung und Aufmerksamkeit des Vaters. In Noviembre ist es weniger eine patriarchalische Situation, die am Beginn steht; das in diesem Film kritisierte System ist jedoch mit seinen festgefahrenen Regeln und Hierarchien ebenfalls als konservativ und traditionell zu bezeichnen: das klassische Theater und die entsprechende Theaterausbildung. Diese wird aufgrund ihrer Inflexibilität und fehlenden Innovation von den Protagonisten kritisiert und schließlich boykottiert. In Pa-ra-da ist die diegetische Ordnung zu Beginn vom ›professionellen‹, kalten und empathielosen Auftreten der Sozialarbeiter bestimmt. Diese kümmern sich nur oberflächlich und mit notdürftiger materieller Unterstützung um die in den Abwasserkanälen Bukarests lebenden Straßenkinder statt auf sie einzugehen, sie als Menschen zu sehen und ihre Fragen, Ängste und Bedürfnisse ernst zu nehmen. In The Dark Knight stehen am Anfang sowohl die Businesswelt als auch die Gegenordnung der Mafia, die beide nach ähnlichen Motiven und Methoden handeln. Das bürgerliche Leben und die traditionelle Familie bestimmen die Ausgangssituation von Hardly Working (Alles in Handarbeit, USA 1980, R: Jerry Lewis) und Feuerwerk (BRD, CHE 1954, R: Kurt Hoffmann). In letzterem ist es die Figur des Regierungsrates Gustav (Rudolf Vogel) – zu Beginn Teil der angesehenen bürgerlichen Gesellschaft –, welcher sich am Schluss des Films als Clown dem Zirkus anschließt. Yoyo zeigt Pierre Étaix als Millionär, welcher ein streng nach Ritualen ablaufendes Leben führt. Sämtliche Abläufe und Bewegungen sind einstudiert, stets exakt gleich und wirken dadurch mechanisch. Diese Strenge wird auch bildkompositorisch vermittelt. Eine sich bis ins Detail durchziehende Symmetrie, ein hoher Kontrast und die luxuriöse, aber kalte Ausstattung vermitteln das Bild eines gefühls- und emotionslosen Lebens, das sich an einem strikten äußerlichen Raster festhalten muss. Die vom Clown favorisierte Alternative zu den soeben beschriebenen Ordnungen ist in allen hier vorgestellten Filmen außer in Zampo y yo und Noviembre der Zirkus und/oder der Beruf des Clowns. Diese Gegenwelt wird mit Attributen wie Freiheit, Kreativität, Natürlichkeit und Authentizität sowie Liebe in Verbindung gebracht. Die bürgerliche und auf materielle Werte ausgerichtete Welt hingegen wird als einengend dargestellt, die Verhaltensmuster und -vorschriften in ihr als unnatürlich und kontraintuitiv. Die Parallelen zu den Filmen Chaplins oder Jacques Tatis sind offenkundig.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

In Zampo y yo ist die Figur, welche sich um eine Änderung der Verhältnisse bemüht, ein Zirkusclown. Die Alternative, welche der Clown Zampo (Fernando Rey) für die Protagonistin Ana anstrebt, ist jedoch nicht der Zirkus, sondern die Verbesserung des Verhältnisses zu ihrem Vater. Der Zirkus und die Clownerie sind dabei das Mittel zum Zweck, da Zampo so die Sympathie und das Zutrauen von Ana gewinnt. Ähnlich verhält es sich in Noviembre. Auch in diesem Film ist der Protagonist des Films derjenige, der als Clown verkleidet auftritt, jedoch sind Ausgangssituation wie Gegenvorschlag in erster Linie auf das Theater bezogen. Alfredo und seine Gruppe verurteilen das traditionelle Theatersystem aufgrund seiner Kommerzialität, Routine und Bequemlichkeit. Die Alternative, welche sie vorschlagen, zeichnet sich dadurch aus, unabhängig zu sein, wozu auch gehört, dass das Schauspiel gratis ist und die Zuschauer in ihrem Alltag abgeholt werden. D.h. die tägliche Lebenswelt wird als Bühne benutzt, sämtliche gesellschaftliche Gruppen sind dabei zu repräsentieren, und dieses Theater scheint die Macht zu besitzen, die Menschen zum Besseren zu verändern. Diese Werte, für welche die Gruppe Noviembre eintritt, sind durchaus auf andere Lebensbereiche ausweitbar. So kann die Alternative, welche sie zum Ist-Zustand anstrebt, als Plädoyer für eine liberalere, demokratischere und sozialere Welt verstanden werden. Das Credo der Gruppe wird in der Schlussszene von Alfredo rezitiert – bezeichnenderweise in der Maske des Clowns. Dabei zieht auch er den Begriff der Waffe als Metapher heran. Allerdings fungiert er hier als Metapher für die Kunst, welche er als Waffe gegen festgefahrene Vorstellungen ansieht und ihr dadurch eine positive Konnotation verleiht: Creemos en un arte capaz de cambiar los corazones de la gente, que les alegre, que les dé fuerza, un arte que les haga sentir seguros; un arte que llegue directamente al espíritu de todos los hombres y también a todas las mujeres, un arte que nos haga conscientes, que nos mejore como personas. Un arte universal, un arte sin fronteras, sin religiones, sin razas. Creemos en él como un arma. Pero no un arma de fuego. Un arma de verdad. Un arma que sí tiene que hacer ruido. Y que tiene que dar en el blanco.

Ein Sonderfall der hier vorgestellten Filme bildet The Dark Knight. Hier ist die Alternative zwar ebenfalls in der Figur des Clowns – in diesem Fall des Jokers – zu lokalisieren, dessen Alternative besteht jedoch nicht in einer Gegenordnung, sondern in der Verweigerung jeglicher Ordnung. Während Bruce Wayne alias Batman (Christian Bale) starr an seiner Regel, niemanden zu töten, festhält, was ihn immer wieder daran hindert, dem Treiben des Jokers ein Ende zu setzen, hält sich der Joker weder an Regeln noch an Pläne: Do I really look like a guy with a plan? […] You know, I just do things. The mob has plans. The cops have plans. Gordon’s got plans. They’re schemers. Schemers trying to control their little worlds. I’m not a schemer. I try to show the schemers how pathetic their attempts to control things really are. […] You had a plan. Look where that got you. […] You know what I

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3. Analytischer Teil noticed? Nobody panics when things go ›according to plan‹. Even if the plan is horrifying. […] Introduce a little anarchy. Upset the established order and everything becomes chaos. I’m an agent of chaos. Oh, and you know the thing about chaos? It’s fair.

Die Störung der Ordnung besteht beim Joker in einer Umkehrung gewohnter Verhältnisse und Ausdrucksweisen sowie im unüblichen Gebrauch von Objekten. Er bricht nicht nur das Gesetz, sondern selbst Merkmale seiner eigenen Figur, der Clownsfigur. Sein Anzug hat zwar noch eine gemeinsame Schnittmenge mit dem klassischen Clownskostüm, da er sich durch das lilafarbene Sakko, das sich zudem mit dem Grün seiner Haare beißt, den gedeckten Farben der Geschäftswelt widersetzt und das ordentliche Outfit der Geschäftsmänner persifliert. Das Grün seiner Haare als Komplementärfarbe zum klassischen Rot der August-Perücke bringt jedoch seinen Bruch mit der Figur zum Ausdruck. Zu dieser Umkehrung trägt bei, dass es stets der Joker ist, der lacht, und nicht sein inner- oder außerdiegetisches Publikum. Somit verkehrt er die klassische Funktion des Clowns in ihr Gegenteil. In Batman (USA 1989, R: Tim Burton), in welchem die Figur von Jack Nicholson verkörpert wird, zitiert der Joker an einer Stelle des Films das Stereotyp des traurigen Clowns. Damit nimmt er Bezug auf die (Film-)Geschichte des Clowns und dadurch auf die seiner eigenen Figur: »I’m only laughing on the outside/My smile is just skin deep/If you could see inside I’m really crying/You might join me for a weep.« Durch die Ironie seiner Aussage – die Figur wird keineswegs als traurig inszeniert – wird dieser Ursprung ins Lächerliche gezogen. Damit macht er sich über das filmgeschichtliche und im weiteren Sinne kulturelle Wissen lustig, welches in einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung als erstrebenswert gilt. In der Schlusssequenz, die den in diesem Film letzten Kampf zwischen Batman (Michael Keaton) und dem Joker zeigt, setzt sich der Joker eine Brille auf und fragt schelmisch: »You wouldn’t hit a guy with glasses, would you?« Damit zielt er nicht nur auf die Wohlerzogenheit und die guten Sitten, die Batman im Kampf immer wieder im Weg stehen. Zur Zielscheibe werden zugleich Bildung, Gelehrtheit und die Unantastbarkeit, die Menschen mit einem bestimmten gesellschaftlichen Status – wie Gelehrten – oft zuteil wird. Auch weitere ›heilige Kühe‹ der bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaft, die Batman durch seinen Kampf gegen die Kriminalität zu verteidigen sucht, werden durch den Joker ›geschlachtet‹ und dadurch in Frage gestellt. In Batman sind dies vor allem die klassische Kunst, der Konsum sowie der Schönheitswahn. In The Dark Knight wird dieser Angriff auf den Kapitalismus durch das eindrucksvolle Verbrennen von Geld deutlich, wie der folgende Filmstill zeigt.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Abbildung 43: Heath Ledger als Joker vor einem Haufen Geld, das er angezündet hat. Screenshot aus The Dark Knight.

Auch in Batman spielt das Geld eine zentrale Rolle. In der Szene zur 200-JahrFeier von Gotham City verteilt der Joker Unmengen an Geldscheinen zu Partymusik. Die durch diesen Anreiz in Scharen gekommenen Menschen tötet er mit giftigem Gas, welches er aus einem Ballon in Clownform entweichen lässt. Dabei erinnert die Inszenierung an einen Karnevalsumzug. Bachtin hat den Karneval treffend als ›verkehrte Welt‹ beschrieben, die mit einer temporären Außerkraftsetzung von gültigen Regeln und Hierarchien einhergeht. Dadurch, dass die Inszenierung eine karnevaleske Situation mit dem Joker als Karnevalskönig suggeriert, wird die umgestülpte Welt aufgerufen, die sein Handeln hervorbringt. Auch des Jokers Ge- bzw. Missbrauch von eigentlich harmlosen und typisch clownesken Utensilien, wie einer Blume am Kragen oder Luftballons als tödliche Waffen, steht in Einklang mit der Umfunktionalisierung von Objekten und Bedeutungen. So auch in The Dark Knight, als der Joker mit seinen Helfern schwer bewaffnet die Wohltätigkeitsveranstaltung von Bruce stört und ausruft: »We’re tonight’s entertainment.« Nicht nur den Zweck bestimmter Utensilien verkehrt der Joker in sein Gegenteil, sondern auch Informationen. So kommt Rachel (Maggie Gyllenhaal) zu Tode, weil der Joker die Angaben über ihren und Dents Aufenthaltsort absichtlich umgedreht hat. Die Umkehrung assoziierter Bedeutungen gilt ebenso für bekannte Sprichwörter und Redewendungen, die der Joker durchaus mal wörtlich nimmt und so in die Tat umsetzt. Nachdem er in Batman den Bürgermeister Gothams mit einer Feder ermordet hat, ruft er erfreut aus: »The pen is truly mightier than the sword.« Durch den Kontext wird diesem Sprichwort sein eigentlicher Sinn genommen. Bezieht es sich normalerweise darauf, dass man mit Literatur und dem dadurch vermittelten Wissen mehr erreichen kann als mit roher Gewalt, benutzt der Joker die Feder – das Symbol der Literatur schlechthin – als tödliche Waffe. Die andere (Volks-)Weisheit, die sowohl in Batman als auch in The Dark Knight aufgegriffen und subvertiert wird, ist die, dass Lachen die beste Medizin

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sei. Die von Jack Nicholson verkörperte Figur benutzt die Redewendung, nachdem sie eines ihrer Opfer getötet und mit einem Joker-Grinsen im Gesicht hinterlassen hat. In Nolans Film wird der Spruch visuell verändert und durch das Hinzufügen eines Buchstabens in sein Gegenteil verkehrt. Auf dem vom Joker entführten Lastwagen ist zu lesen: »(S)Laughter is the best medicine.« Vor diesem Hintergrund ist der Maske des Jokers mit ihrem hervortretenden Merkmal des stetigen Lachens, welches nicht ausgelöscht werden kann, die Umkehrung bereits eingeschrieben. Greift man die Semantik der Medizin als Heilmittel auf, kann man seine Aussagen nicht nur als Parodie und Kritik an ihrem eigentlichen Sinn verstehen, sondern im Hinblick auf das gesamte Verhalten der Figur als ernst gemeint lesen. Wenn auch mit moralisch nicht zu vertretenden Mitteln, so wirkt das Handeln des Jokers letztendlich doch auf eine ›Heilung‹ der Welt von den Übeln des Kapitalismus bzw. in The Dark Knight jedes Systems hin. So trifft auf die Figur des Jokers insbesondere das zu, was Wolfgang Zucker für den Clown allgemein formuliert hat: Therefore it is erroneous to interpret the clown as the protagonist of a lower class protest against rulers and their arrogance. He is not a revolutionary, but a rebel; not a reformer and promoter of a new and better social order, but a despiser and destroyer of any nomos. (1954: 79)

Die Ordnungsstörung und die verschiedenen Ebenen der Figur Auf die Frage, ob die Intention zur Veränderung von der Figur mit oder ohne Maskierung ausgeht, lässt sich nicht in allen Fällen eine eindeutige Antwort finden. Dies hängt damit zusammen, dass für viele der hier untersuchten Beispiele anzunehmen ist, dass beiden Gestalten von den Zuschauern eine einzige Identität zugeschrieben wird. Eindeutig lässt sich die Frage nur für Zampo y yo und The Dark Knight beantworten, da die Clownsfiguren dieser Filme ausschließlich in entsprechender Maskierung zu sehen sind. In L’aile ou la cuisse bringt Gérard seine Absicht, sich dem Patriarchat zu entziehen, überwiegend in den Momenten im Clownskostüm zum Ausdruck. Diese Intention kann ihm zwar auch in Szenen attestiert werden, in welchen er das Kostüm nicht trägt. In diesen wird er allerdings durch verschiedene Hindernisse davon abgehalten, seine Absicht zu artikulieren. In Pa-ra-da lässt sich die Intention des Protagonisten Miloud (Jalil Lespert) schon in den Szenen vor der ersten Clownsmaskierung erkennen. Den entscheidenden Durchbruch zur Veränderung erreicht Miloud jedoch in genau dem Moment und dadurch, dass er sich die rote Clownsnase aufsetzt. Damit geht eine Veränderung der Figur einher, was von dem Straßenjungen Cristi (Robert Valeanu) sofort intuitiv erkannt wird. Cristi scheint Miloud nun nicht mehr als Sozialarbeiter, sondern als Clown zu sehen und ihm genau deshalb zu vertrauen. In Noviembre ist das Verhalten der Figur als subversiv zu bezeichnen und in der als Clown maskierten Figur anzusiedeln, die Intention hierzu jedoch in der Figur Alfredo. Somit spiegelt dieser

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Film das klassische Verhältnis zwischen dem Künstler und der von ihm erschaffenen Clownsfigur. Feuerwerk zeigt die betreffende Figur Gustav den ganzen Film über im klassischen Anzug – ein Kleidungsstück, welches seinen Status als Regierungsrat zum Ausdruck bringt. Nur ganz zum Schluss wird seine Absicht entlarvt, seine Frau und sein bürgerliches Leben zu verlassen und dem Zirkus als Clown beizutreten. Diese beiden Entscheidungen werden nacheinander gezeigt – die erste noch in ziviler Kleidung, die zweite im Clownskostüm. Die Intention ist also bereits vor der Verwandlung in den Clown ersichtlich. Die Maske übt damit eher die Funktion aus, den clownesken Charakter der Figur visuell darzustellen. In Hardly Working wird der in Pa-ra-da oder Noviembre beobachtete Wechsel verschiedener Ebenen in der Erzählung selbst thematisiert. So sagt im ersten der Filme der Chef von Bo (Jerry Lewis), nachdem dieser die Post im Clownskostüm verteilt hat: »Do you mean do I know this clown? No. What’s under there, yes.« Bo selbst bezieht sich kurz zuvor auf diesen Unterschied, wenn er auf das Lob seines Kollegen »Today you were no clown« antwortet: »Don’t call me that, understand? I’m not a clown, not any more, ok?« Die Figur ist nur in der Anfangs- sowie in der vorletzten Szene im Clownskostüm zu sehen. Zu Beginn wird sie dadurch als professioneller Zirkusclown eingeführt, welcher seinen Job verliert, da der Zirkus geschlossen werden muss. Ihre Kostümierung am Schluss, welche wie ein Rahmen der dazwischenliegenden Figurencharakterisierung funktioniert, zeigt, dass sie von Anfang bis Ende ein Clown war und ist. Denn Bo weist auch ohne Kostüm eindeutig clowneske Merkmale auf, wie sein Unvermögen, bestimmte gesellschaftliche Prozesse zu verstehen und richtig einzuordnen. Zusammen mit der Unfähigkeit, vorgegebene Abläufe zu befolgen, führt dies zu einem tollpatschigen, lächerlichen und naiven Verhalten, verstärkt durch die Tücke des Objekts, welche immer wieder dazu führt, dass ihm gravierende Missgeschicke geschehen. Die Clownsmaske visualisiert daher in diesem Film – wie auch in Feuerwerk – den ohnehin sehr clownesken Charakter der Figur und ihren damit verbundenen Willen zur Veränderung. Interessant ist dabei, dass sie gerade in den Szenen im Clownskostüm nur bei den diegetischen Zirkuszuschauern Lachen hervorruft. Bei den Filmzuschauern ist dieser Effekt eher unwahrscheinlich, da sie den Gag nicht in seiner Gänze verfolgen können. In den Szenen, in welchen die Figur das Clownskostüm nicht trägt, ist es genau umgekehrt. In Yoyo ist dieses paradoxe Verhältnis der Maske und ihrer Eigenschaften noch ausgeprägter. Der Millionär und Vater von Yoyo trägt zwar zu keinem Zeitpunkt ein Clownskostüm, sein Charakter kann dennoch als durch und durch clownesk beschrieben werden. Durch sein steifes, unnatürliches und mechanisches Verhalten kann ihm die Funktion des lustigen Spaßmachers attestiert werden. Sein Sohn hingegen, welcher in seiner Kindheit (fast) nur im Clownskostüm zu sehen ist, erzeugt kein Lachen, sondern regt zum Nachdenken an. Er ist es, welcher auf eine Veränderung der Lage der kleinen Familie hinwirkt. Diese Beobachtung ist ein überraschendes Ergebnis hinsichtlich des Clownskostüms, die sich mit Erkenntnissen aus einer Reihe weiterer Filme deckt: Gerade während des Tragens

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des Clownskostüms wirken viele Figuren gar nicht oder zumindest weniger clownesk (im Sinne des erheiternden Spaßmachers) als in ziviler Kleidung. Eine mögliche Erklärung hierfür bietet die Hauptthese dieser Arbeit, nach der durch die Maskierung Konflikte, meist sozialpolitischer Art, aufgedeckt werden und so der erheiternde Aspekt der Figur gegenüber tragischen Tönen in den Hintergrund rückt. Dies korrespondiert mit einem weiteren Ergebnis der Filmanalysen: In den meisten Fällen lässt sich die Intention zur Veränderung der Ordnung in der Figur ohne Maske erkennen; die Figur agiert allerdings genau dann störend, wenn sie das Clownskostüm trägt. Dies lässt sich mit Ergebnissen aus dem Kapitel über Jäger und Gejagte in Verbindung setzen, in welchem die tarnende Funktion der Maske genauer untersucht wurde. Sie schützt die unter ihr verborgene Figur vor Erkennung und Verfolgung, was die Äußerung von Kritik sowie die Störung bestehender Verhältnisse erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. Der Erfolg oder Misserfolg der Figur und ihr weiteres Schicksal Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die durch den Clown herbeigeführte Störung der Ordnung auf diese hat. Zudem bleibt die angebrachte Kritik auch für die Clownsfigur selbst nicht folgenlos – wie also reagiert die Ordnung ihrerseits auf das sie störende Element? Gérard in L’aile ou la cuisse scheitert an seinem Versuch, sich nicht von dem Diktat und der Welt seines Vaters einnehmen zu lassen. Allerdings entscheidet er sich bewusst für die Option, bei seinem Vater zu bleiben. Diese Entscheidung wird durch mehrere Wendungen eingeleitet. Zum einen wird ersichtlich, dass Gérard über ein deutlich besseres gastronomisches Feingespür verfügt, als die Zuschauer zunächst vermuten konnten, und daher doch nicht so ungeeignet für den vom Vater vorgesehenen Beruf ist wie angenommen. Zum anderen lässt die Vertretung der Sekretärin des Vaters – die junge und hübsche Marguerite – diese Option attraktiver erscheinen als zuvor. Dennoch entscheidet sich Gérard am Ende des Films zunächst für seine Berufung als Clown. Erst als ihm bewusst wird, dass Marguerite (Ann Zacharias) über ihre Vertretungszeit hinaus für seinen Vater arbeiten wird, entschließt er sich, doch bei diesem zu bleiben. Gérard entscheidet sich damit zwar letzten Endes für die Liebe zu seinem Vater und der hübschen Frau, gibt dafür jedoch seine wahre Leidenschaft – den Beruf des Clowns – auf. Der als Happy End inszenierte Schluss des Films stellt diese Entscheidung kaum in Frage. Auch Alfredo aus Noviembre ist in seinem Bestreben nach Veränderung kein anhaltender Erfolg beschieden. Eine der Figuren, Lucía (Ingrid Rubio), gibt mit ihrer Aussage eine Antwort auf die hier gestellte Frage nach dem Erfolg oder Misserfolg der Figur: »Nosotros queríamos cambiar el mundo y desde luego no lo conseguimos. Ahora lo que intento, es que el mundo no me cambie a mí.« Dieser Ausgang beruht nicht wie in L’aile ou la cuisse auf einer bewussten Entscheidung Alfredos, sondern sein Schicksal ist weitaus tragischer: Er wird von der Polizei erschossen. Im Hinblick auf die Maske ist von Bedeutung, dass sich der

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Konflikt mit der Polizei erst dann zuspitzt, als die Polizei die Masken als Masken erkennt und damit die Performance als solche enttarnt. Dies ist deshalb schwierig, da die Gruppe in ihrem »dokumentarischen Theater« Szenen des Alltags in entsprechenden Kostümen, also in Alltagskleidung, spielt, ohne dass ein thea­ traler Rahmen erkennbar wäre, der ihren Auftritt als Performance kennzeichnet. Erst nachdem Alfredo sich als Schauspieler zu erkennen gibt und die Maske ablegt, kann die Gruppe verurteilt werden. Solange er in seiner Rolle bleibt, ist der Clown unantastbar. So lässt sich für diese filmische Clownsfigur bestätigen, was im theoretischen Kapitel für den Clown im Allgemeinen dargelegt wurde. Dass er dank seiner Maske als Störer der Ordnung Kritik äussern kann, ohne dafür belangt zu werden. Abbildung 44: Der Protagonist Alfredo bei seiner letzten Performance als teuflischer Clown. Screenshot aus Noviembre.

Das extreme Agieren der Gruppe führt zu mehreren Szenen der Demaskierung: die eben beschriebene sowie eine andere zum Schluss, als Alfredo merkt, dass er den Kampf verloren hat. Das Abnehmen der Maske markiert den Austritt aus der Rolle und die Akzeptanz des Scheiterns. Dieses Scheitern steht in direkter Beziehung zu einem der Hauptthemen des Films: dem Verhältnis von Realität und Fiktion und der Auflösung der Grenze zwischen beiden. Die Verwischung der Grenze wird durch die filmische Form des Mockumentary zum Programm gemacht. Die Form des Films imitiert dabei die Vorgehensweise der Gruppe Noviembre, welche dieses Thema durch ihr »dokumentarisches Theater« auf Ebene der Diegese verhandelt. Die dadurch beinahe unmögliche Unterscheidbarkeit von Realität und Fiktion spiegelt zugleich den ordnungsstörenden Charakter des Clowns, welcher Gegensätze vereinigt und dabei klassische Dichotomien als Konstrukte entlarvt. Daher ist die im Film von Alfredo und anderen Mitgliedern der Gruppe verwendete Maske des Clowns ein treffendes und demonstrativ eingesetztes Sinnbild für ihren Wunsch nach einer Herausforderung und einem Gegenkonzept zum klassischen Theater. Zu dieser herausfordernden Haltung passt die

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Clownsmaske, welche Alfredo am Ende des Films trägt. Sie ist eine Mischung aus Clowns- und Teufelsmaske und ähnelt in ihrer Symbolik damit jener des ebenso ›ordnungswidrigen‹ Clowns HE aus He Who Gets Slapped: Der Ausgang der clownesken Bemühungen wird deutlich als negativ und unerwünscht inszeniert – nicht allein durch den bereits zitierten Kommentar Lucías, sondern auch durch Details wie die Beleuchtung. Diese sticht in Szenen der Performances durch High-key-Aufnahmen hervor und taucht die Auftritte so in ein verklärendes und helles Licht, während in den übrigen Szenen eine realistische Lichtgestaltung mit klaren Licht- und Schattenflächen überwiegt. Auch in Feuerwerk und Hardly Working scheitert die Clownsfigur immer wieder an den Regeln und Abläufen des hegemonialen Systems. Daher wählt sie am Ende den Weg aus dieser sie einengenden Ordnung. Die übrigen Figuren kann sie nicht von ihrer Alternative überzeugen, d.h. sie kann deren Verhalten nicht verändern. In beiden Fällen entscheidet sie sich jedoch für den hier positiv bewerteten Beruf des Clowns und bleibt so sich selbst und ihren Ansichten treu. Dass der Clown in Feuerwerk positiv konnotiert ist, wird durch den Dialog explizit gemacht. So fragen die Tanten die nicht deutschstämmige Frau des Zirkusclowns, Iduna (Lilli Palmer), nach ihrer Familie. Ihre Antwort kann als Ode an den Clown verstanden werden: »Ich komme aus einer königliche [sic!] Familie« – »Wenn das so ist, dann war ihr Vater also …« – »…ein Clown.« – »Ein Clown! Ein Clown ist doch kein König!« – »Oh doch, Madame. Meine [sic!] Papa war ein König. Ein König in der Manege! Die ganze Welt hat gelacht und geweint über mein [sic!] Papa.« Diese anerkennende Bewertung des Clowns und seiner Einstellung zeigt sich besonders auffällig in einer der letzten Einstellungen des Films. Sie zeigt Gustav auf den Eisenbahnschienen, auf welchen die oberflächlichen und auf Anstand bedachten Frauen nach der Familienfeier nach Hause zurückfahren. Als der Zug den Bildkader verlässt, gibt er den Blick auf eine grüne und weite Landschaft frei. Damit wird die klassische Dichotomie zwischen Natur und Kultur aufgerufen und in diesem Fall mit den stereotypen Konnotationen von Freiheit versus Einengung in Verbindung gebracht. Der Weg des Clowns wird dadurch vorteilhaft bewertet im Gegensatz zu der als Zwang dargestellten gesellschaftlichen Ordnung. Allerdings ist die ›Haltung‹ des Films nicht ganz eindeutig. Denn die Protagonistin Anna, gespielt von Romy Schneider, entscheidet sich mit ihrem Verlobten Robert und gegen Sascha, zu dem sie sich hingezogen fühlt, nicht nur für die gesellschaftlich angesehene Treue, sondern auch für ein bürgerliches Leben. Die vorletzte Einstellung von Hardly Working ähnelt der in Feuerwerk. Auch hier wählt Bo das Leben als Zirkusclown. Er wartet als Anhalter an einer von grüner Natur gerahmten Landstraße. Auf seinem Schild ist »Ringling Bros. Clown College, Fantasota« zu lesen. Sein Entschluss, das als eindeutig nicht für ihn bestimmte bürgerliche Leben zu beenden und sein Glück erneut beim Zirkus zu versuchen, beruht auf einer bewussten Entscheidung. Denn gerade als er es geschafft hat, sich an die gesellschaftlichen Abläufe anzupassen, er sogar von seinem Chef im Postamt gelobt wird und von diesem die Erlaubnis erhält, seine Tochter

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

auszuführen, entschließt er sich, »this crazy idea of yours« in die Tat umzusetzen – die Post im Clownskostüm zu verteilen. Laut den die Szene beobachtenden Polizisten tut er damit zwar kein Unrecht: »He isn’t breaking any laws, as far as I can tell. He’s just delivering«, Bos Vorgesetzter im Postamt erkennt jedoch das subversive Potenzial des Verhaltens und bringt den Verstoß gegen die Ordnung auf den Punkt: »You’re committing a crime making fun of the postal services. […] You violated the sanctity of the mail.« Diese respektlose Profanisierung von etwas von der Ordnung Anerkanntem ist für ihn der Grund, Bo zu kündigen. Der clowneske Widerstand gegen die Autorität macht sich erneut bemerkbar, wenn der als Tramp stumme Bo seinem Chef ausrichten lässt, dass er ihm nicht kündigen könne, da er aus freien Stücken aufhöre. Die clowneske Alternative wird auch hier durch eine helle und fröhliche Inszenierung als positiv vermittelt. Während Bos Auftritt als Clown ertönt heitere Blaskapellenmusik und er verteilt die Post unter blauem Himmel, gefolgt von einer immer größer werdenden Kinderschar. Konfetti und Luftschlangen und die lächelnden Gesichter der Briefempfänger runden das idyllische Bild ab. Ob Bo tatsächlich im berühmten Ringling College ankommt, bleibt offen. Denn im Wagen, der anhält, um ihn mitzunehmen, sitzt niemand anderes als seine Freundin und Tochter seines ehemaligen Chefs. Eine ähnlich positive Schlussszene, welche von der allerletzten Einstellung in Frage gestellt wird, findet sich in Pa-ra-da. Hier schafft es der Clown Miloud, mit den Straßenkindern eine funktionierende Alternative in Form eines kleinen Zirkusses aufzubauen. Die abschließende Pyramide fungiert als Sinnbild für die so erschaffene Gegenordnung und weckt Hoffnung auf eine vielversprechendere Zukunft für die Kinder. Getrübt wird der Hoffnungsschimmer durch den Abspann. Dieser zeigt dokumentarische Fotos der Straßenkinder in Rumänien, die als Inspiration für den Film dienten.16 Sie sind in der Situation abgebildet, in welcher sich die boskettari aus Pa-ra-da zu Beginn der Handlung befanden. So wird den Zuschauern die Möglichkeit geboten, den langanhaltenden Erfolg des Zirkusprojektes anzuzweifeln. Der Erfolg von Zampo in Zampo y yo ist zwar vollkommen – er erreicht sein Ziel, Ana Belén glücklich zu machen und das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Vater zu verbessern – er selbst stirbt jedoch, nachdem er diese Wandlung eingeleitet hat. Der Clown opfert sich – wie in vielen anderen Filmen auch –, um sein Ziel einer Verbesserung der Umstände zu erreichen. Das Aufzeigen der Alternative wird gegenüber seinem Tod in den Vordergrund gerückt, was durch die letzten Zeilen des Films deutlich wird. Ana Belén singt im »Lied Zampos«: »Ahora Zampo soy feliz, porque tu mundo conocí, te recordare para siempre.« (Hervorhebung Y.A.) Zampo hat sein Erbe weitergegeben. Er hat sowohl Ana als auch Manolo 16 | Der Film ist von der Geschichte des Franko-Algeriers Miloud Oukili inspiriert, der in Paris an Annie Fratellinis Zirkusschule lernte und in den 1990er Jahren als Straßenkünstler begann, die boskettari, die Straßenkinder, in Bukarest zu betreuen. Den Rahmen dafür schuf und schafft die Parada Foundation.

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(Humberto Sempere) mit der Clownerie angesteckt und ihnen so eine Perspektive und Alternative zu ihrer aktuellen Situation aufgezeigt. Auch in Yoyo ist der Intention der als Clown kostümierten Figur nachhaltiger Erfolg beschieden. Yoyo als kleines Kind schafft es, dass sein Vater, der Millionär, sein gefühlloses und mechanisches Leben aufgibt und zum Zirkus zurückkehrt. Die Wiedervereinigung der kleinen Familie wird als Idylle inszeniert. Doch als Erwachsener verfällt er denselben Mechanismen wie einst sein Vater. Dies wird durch die Besetzung der Rollen unterstrichen, da beide Figuren im Erwachsenenalter von Pierre Étaix gespielt werden. Der Einzug in das Schloss seines Vaters scheint das letztendliche Scheitern der clownesken Intention zu bedeuten. Der überraschende Besuch aus dem Zirkus während eines pompösen gesellschaftlichen Anlasses lässt ihn jedoch zweifeln und das plötzliche Auftauchen des Elefanten, welchem er in seiner Kindheit eng verbunden war, führt seine Entscheidung herbei: Auf seinem Rücken reitet er davon in eine Zukunft beim Zirkus. Anhand dieser Ergebnisse kann hinsichtlich der Handlungsfähigkeit des Clowns im 20. und 21. Jahrhundert generell bestätigt werden, was die ethnologischen und anthropologischen Untersuchungen gezeigt haben. Er tendiert zwar dazu, die Ordnung zu stören und aufzubrechen, in den allermeisten Fällen wird er jedoch von dieser letztendlich assimiliert, ausgestoßen oder vernichtet. Ausnahmen finden sich in Zampo y yo, Yoyo und Pa-ra-da, in welchen zumindest die Hoffnung eines Erfolgs der Figur bestehen bleibt. In Pa-ra-da ist das, wie zuvor erwähnt, sogar eine Perspektive mit lebensweltlichem Bezug. Der Joker in The Dark Knight ist ein Sonderfall, bleibt er doch als Comic- und Serienfigur der wenig wandelbare, paradigmatische Störer der Ordnung schlechthin, der nach einer Niederlage immer wieder aufstehen wird, spätestens in der nächsten (Film-)Fortsetzung. Am Beispiel von The Dark Knight möchte ich auf die Handlungsmöglichkeiten des Clowns im 21. Jahrhundert eingehen, welche die Grenzen der Diegese überschreiten. Die Möglichkeiten zur Partizipation, welche das Internet und die Social Media über die klassische Filmrezeption hinaus bieten, lassen sich besonders gut am Beispiel der Marketingkampagne des zweiten Teils der Batman-Trilogie von Christopher Nolan erhellen. Das alternate reality game »Why so serious«, produziert von der Firma 42 Entertainment, hat als Leitfigur nicht Batman, wie ob seiner Protagonistenrolle zu erwarten gewesen wäre, sondern den Joker. Die elf Millionen Spielteilnehmer in 75 Ländern zeugen vom Erfolg dieser Figur, unabhängig von dem tatsächlichen Ende der Filmhandlung: As it turns out, the Caped Crusader wasn’t around to stop the mob from taking over the streets of San Diego, moving effortlessly from location to location, […], in an audition to fill one of the coveted slots in the Joker’s army. (Waite 2007: o.S.; Hervorhebung Y.A.)

Die Vorrangstellung des Jokers gegenüber Batman wird auch dadurch deutlich, dass die Teilnehmer aufgefordert waren, Joker-Make-up aufzutragen – ein Aufruf, dem viele nachkamen (vgl. 42 Entertainment). Greift man auf die theoretischen

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Vorüberlegungen zur Maske zurück, nach denen diese das Potenzial hat, ihre Träger zu verändern (vgl. Kap. 2.3.1.4), erscheint die oben zitierte »Armee des Jokers« plötzlich in einem neuen Licht. Im Film selbst wird diese Bedeutung des Jokers weiter unterstrichen. Wenngleich am Ende der Handlung seine – zwar suggerierte, aber nie im Bild sichtbare – Festnahme steht, wird seine Überlegenheit gegenüber anderen Figuren durch mehrere inszenatorische Besonderheiten deutlich. Zunächst fällt – vor allem im Vergleich mit der Kadrierung Batmans – auf, dass der Joker oft alleine im Bildkader positioniert ist. Während in Szenen, die beide zusammen zeigen, Einstellungen von Batman stets einen Anschnitt des Jokers enthalten, gehört der von Heath Ledger gespielten Figur der Bildraum meist alleine. Ihr wird somit bereits auf bildkompositorischer Ebene eine Sonderstellung eingeräumt. Zudem wird in bestimmten Momenten die Perspektive der Zuschauer mit derjenigen des Jokers parallel geführt, sodass diese seine Wahrnehmungsperspektive einnehmen. Es finden sich mehrere subjektive Kameraeinstellungen, beispielsweise in der Szene des finalen Kampfes, als der Joker von Batman vom Dach gestoßen wird. Zunächst wird er vom (visuellen) Standpunkt Batmans aus gezeigt. Wir sehen ihn kopfüber vom Hochhaus hängen, wodurch die klassische Darstellungsweise, nach der Figuren mit dem Kopf nach oben gezeigt werden, gebrochen wird. In den Gegenschuss-Einstellungen ist die Kamera stark verwackelt und imitiert so die Wahrnehmung des an dem Seil baumelnden Jokers. Abbildung 45: Der Joker aus der Perspektive Batmans. Screenshot aus The Dark Knight.

Dann beginnt die Kamera eine Drehung um 180 Grad zu vollziehen. Die Bewegung setzt ein, nachdem der Joker gesagt hat: »You just couldn’t let me go, could you? This is what happens when an unstoppable force meets an immovable ob-

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ject.« Damit spielt er auf den endlos währenden Kampf zwischen ihnen beiden an. Das auf den Kameraschwenk folgende Bild stellt in zweierlei Hinsicht eine (Bild-)Störung dar. Einerseits scheint die Schwerkraft aufgehoben, da der herabhängende lange Mantel des Jokers nach oben ›hängt‹. Andererseits bricht die weitere bildliche Inszenierung mit der filmischen Konvention des Schuss-Gegenschuss-Verfahrens. Wird dieses bis zu dem gerade beschriebenen Moment angewandt, entspricht das gedrehte Bild nicht der visuellen Perspektive Batmans, was bei dem Verfahren normalerweise der Fall ist. Somit wird uns die Figur des Jokers aus einer Position gezeigt, die seiner eigenen Wahrnehmung – mit dem Kopf nach oben – nahe kommt, wodurch eine Perspektivübernahme der Zuschauer nahe gelegt wird. Abbildung 46: Die gleiche Einstellung um 180 Grad gedreht, sodass eine Perspektivübernahme des Jokers nahegelegt wird. Screenshot aus The Dark Knight.

Christopher Nolan treibt die soeben beschriebene Sichtweise auf die Spitze. Noch vor der ersten Sequenz des Films gibt es eine dreisekündige Einstellung, die aus der eben analysierten Szene stammt. Auf der DVD ist es sogar ein eigenes Kapitel, welches nicht anwählbar und folglich auch nicht steuer- oder kontrollierbar ist. Die Unkontrollierbarkeit dieser Figur ob der Verweigerung des Wissens über sie wird dadurch performativ wiederholt. Wir sehen den Joker in Großaufnahme, er schwenkt die Hand wie ein Dirigent und sagt: »And here we go.« Durch diese Handbewegung und den ›Startschuss‹, den er gibt, wird eine Gleichsetzung mit dem Regisseur suggeriert. In Verbindung mit der soeben beschriebenen Perspektivstruktur des Films scheint diese Interpretation durchaus schlüssig. Gestützt wird sie durch die Tatsache, dass »Heath Ledger directed both homemade videos that the Joker sends to GCN« (www.imdb.com/title/tt0468569/trivia). Es kommt zu einer engen Verflechtung zwischen Schauspieler, Figur und Funktion des Re-

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

gisseurs, die durch weitere Details verstärkt wird. So hat Heath Ledger beispielsweise das charakteristische Rollen der Zunge von einer eigenen Angewohnheit übernommen. Die Macht, die der Joker über die Grenzen der diegetischen Welt hinaus hat, scheint beträchtlich. Um es mit dem Schlusssatz des Promotionvideos des oben erwähnten alternate reality games auf den Punkt zu bringen: »From websites, to videos, to submissions: the Joker left his mark.« (42 Entertainment 2009) Auffällige Gemeinsamkeiten der analysierten Filme Die theoretischen Vorüberlegungen zur Maske haben gezeigt, dass diese nicht nur ihren Träger, sondern auch diejenigen verändern kann, die den Maskenträger sehen. In Zampo y yo, Feuerwerk sowie Pa-ra-da und weiteren Filmen lässt sich eine Auffälligkeit beobachten, die dies bestätigt: Andere Figuren werden von der Maske des Clowns ›angesteckt‹17 und beginnen, sich selbst als Clown zu verkleiden. Im spanischen Filmbeispiel sind dies sowohl die Protagonistin Ana als auch ihr Freund Manolo, in Feuerwerk der Onkel der Protagonistin, Gustav, und in Pa-ra-da das Straßenmädchen Tea (Cristina Nita). Auch im anschließend detailliert analysierten Film Paljas (ZAF 1998, R: Katinka Heyns) ist dies zu beobachten. Dort wird der Protagonist Willem vom Clown Manuel ›infiziert‹ und gibt seinen clownesken Auftrag mittels der Schminke an seinen Vater weiter. Die beschriebene – stets positiv konnotierte – Ansteckung findet sich insbesondere in Filmen, in welchen die Clownsmaske als Ausdruck der Veränderung fungiert. Diese Funktion ist vor allem in Filmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominant – ein weiteres nicht vorhersehbares Ergebnis der Studie. Es reflektiert zugleich eine aktuelle Sehnsucht nach dem, was der Clown repräsentiert: Humor und Leichtigkeit genauso wie sein Rebellentum und ständiger Widerstand gegen das scheinbar unerschütterliche Establishment. In diesem Zusammenhang ist ein Fokuswechsel feststellbar: In den ersten ca. 40 Jahren des 20. Jahrhunderts steht in den meisten Filmen die Verwendung der Maske als Ausdruck der Demütigung im Vordergrund. Die Tragik der Figur wird durch die herablassende Konnotation des Begriffs Clown zum Ausdruck gebracht und der Clown als der Verlachte und Gedemütigte inszeniert. Ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts lässt sich eine Wendung zu einer deutlich positiveren und anerkennenden Bewertung der Figur feststellen, welche den potenziell erneuernden Charakter des Clowns in den Vordergrund rückt. Dies kann sich in seiner Listigkeit äußern, wie in Filmen, in welchen die Maske als Versteck dient, oder in den hier besprochenen, in welchen das Auf begehren gegen die Ordnung dem Wunsch nach einer neuen und besseren Welt geschuldet ist.

17 | Diese Idee verdanke ich Anna-Sophie Jürgens.

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3.4.2 Die Clownsfiguren in P al jas als Hoffnungsträger für ein neues Südafrika Katrien: Du hast paljas in ihn gebracht. In alle von uns. Willem: Was ist paljas? Hendrik: Magie, mein Kind. Es macht, dass die Dinge wieder gut werden.

3.4.2.1 »Remember one morning in May« – die Ausgangssituation Der dritte Spielfilm der Regisseurin Katinka Heyns erzählt die Geschichte einer Afrikaaner-Familie, die in der fiktiven kleinen Ortschaft Toorwater in der südafrikanischen Halbwüste Karoo lebt. Der Vater Hendrik (Marius Weyers) ist Bahnhofsvorsteher des kleinen Bahnhofs und wohnt mit seiner Frau Katrien (Aletta Bezuidenhout) und seinen beiden Kindern Emma und Willem (Liezel van der Merwe, Larry Leyden) neben den Gleisen in einem spartanisch eingerichteten Haus. Die Familie führt ein vom alltäglichen Trott und der Entfremdung untereinander geprägtes Leben. Dies wird anhand verschiedener Szenen erzählt. So lebt der Vater ganz in der Vergangenheit und hängt Erinnerungen an alte Zeiten nach, in denen er und Katrien glücklich verliebt waren. Dargestellt wird dies durch seine Vorliebe für alte Musicalschlager, die er wieder und wieder auf Schallplatte hört und deren Liedtexte unmissverständlich die Vergangenheit und die Erinnerungen thematisieren: »Remember that morning in May. Remember, you loved me, when we were young one day.« Zum Liedende hin beginnt die Kamera eine Rückwärtsfahrt und entfernt sich langsam von den Figuren. Diese Liebe, so scheint das tableauartige Bild zu erzählen, liegt so weit entfernt wie die Figuren im Bild. Die Distanziertheit ruft Assoziationen mit einer Fotografie wach – dem Sinnbild der Erinnerung und des Vergangenen schlechthin. Hendrik schenkt dem Aufruf zur Erinnerung in dem Lied etwas zu viel Beachtung, worüber er nicht bemerkt, wie unglücklich seine Familie in der Gegenwart ist. Hendriks Glauben an traditionelle und veraltet wirkende Erziehungsmethoden wird in einer Szene beim Arzt deutlich, den er aufgrund von Willems Schweigen aufsucht. Der Arzt bittet Hendrik um Geduld mit seinem Sohn, woraufhin dieser erwidert: »Es sind jetzt schon zwei Jahre. Das einzige, was er braucht, ist eine gehörige Tracht Prügel.« Auch Aussagen wie »Wenn es Samstag wäre, würden wir etwas trinken« zeugen von einer Bestimmtheit durch traditionelle Verhaltensweisen und extern vorgegebene Regeln. Dem Schwelgen und Verhaftetsein in der Vergangenheit trägt auch die Bildgestaltung Rechnung. Diese erinnert vor allem in den Momenten, in denen Hendrik seinen Erinnerungen nachhängt, an die Super-8-Ästhetik. Die von den warmen Farben einer untergehenden Abendsonne geprägte Lichtgestaltung reiht sich in diese Symbolik ein. Sie verweist auf etwas zu Ende Gehendes, im Abschiednehmen Begriffenes, hier auf das Ende der Liebe, der Zuneigung und des Vertrauens der Ehepartner zueinander.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Katrien wird von dem stämmigen und großgewachsenen Frans (Ian Roberts) umworben und scheint ob dieser ungewohnten, ihr durch Hendrik nicht zu Teil werdenden Aufmerksamkeit hin- und hergerissen. Über den Teenager Emma erfahren die Zuschauer nicht besonders viel, außer dass sie sich von den Avancen ihres Verehrers Nollie (Jan Ellis) belästigt fühlt und sich dieser mit Händen und Füßen zu erwehren sucht. Ihr Vater, der kaum mit ihr spricht und daher nichts über ihre Gefühle und Bedürfnisse weiß, drängt Nollie unentwegt weiter in Emmas Richtung, statt sich selbst für sie zu interessieren. In einer kurzen Dialogszene mit ihrer Mutter, die Emma mit den Worten einleitet »Mama, mach mir nichts vor. […] Ich bin nicht blind«, wird deutlich, dass sie als vorerst einzige von der Liebschaft ihrer Mutter weiß. Der etwa neunjährige Willem hat ebenfalls ein besonderes Gespür für die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander. Zu Beginn wird er vor allem dadurch charakterisiert, dass er seit zwei Jahren nicht spricht, obwohl er des Sprechens mächtig ist. Dadurch ist sein Dialoganteil zwar im Vergleich zu den anderen Figuren der geringste, dennoch kann Willem als Protagonist bezeichnet werden. Dazu passend begleitet ihn die Kamera des Öfteren, wodurch eine raumzeitliche Nähe zu ihm hergestellt wird und seine perzeptuelle und kognitive Perspektive mit der Zuschauerperspektive parallel geführt werden. Mit seiner ostentativen Stummheit verkörpert dieser kindliche Protagonist das Hauptthema des Films, welches in der Verhandlung der Inkommunikation besteht. Diese wird für die Entfremdung innerhalb der Familie und der daraus resultierenden Einsamkeit aller Figuren verantwortlich gemacht. Die gestörte Kommunikation wird gleich zu Beginn des Films eingeführt und von den Figuren selbst kommentiert. Ein Dialog zwischen Katrien und ihrem Mann Hendrik verdeutlicht diesen Sachverhalt anschaulich: Katrien: Hendrik: Katrien: Hendrik: Katrien: Hendrik: Katrien:

Du redest nicht viel, Hendrik. Danke für den Tee. Wohl bekomms. Was soll ich denn sagen? Du weißt genauso viel wie ich. Manchmal denke ich, du weißt mehr. Das ist das Problem der MacDonalds. Was meinst du? Dass sie den Mund nicht aufmachen.

Die Schweigsamkeit Willems wird spätestens in diesem Moment als sinnlich erfahrbare Metapher des eigentlichen Problems der Familie entlarvt. Der Arzt, den Hendrik deswegen konsultiert, ist sich sicher, dass es sich um eine Angststörung handelt und Willem sich geradezu danach sehnt, zu sprechen. Willems Schweigen hindere ihn daran, seine Probleme, Ängste, Sorgen und Gefühle zu teilen, wobei das Bedürfnis danach durchaus vorhanden sei. Dies wird in einem der ersten Bilder des Films visuell zum Ausdruck gebracht. Auf das Drängen seines

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Vaters, sich mit Worten von ihm zu verabschieden, ergreift Willem die Flucht. Die Kamera beobachtet und folgt ihm dabei durch einen Maschendrahtzaun. Willem – so die Kamera – ist in seinem Schweigen gefangen. Doch das zu Beginn negativ dargestellte Schweigen Willems, welches zunächst ein reiner Störfaktor im normalen Kommunikationsablauf zu sein scheint, erfährt durch die Assoziation mit der Pantomime und dem Clownesken bald eine gänzlich neue Wendung. Die übrigen Familienmitglieder – vor allem sein Vater Hendrik – sind ebenso wenig fähig, ihre Probleme und Gefühle konstruktiv zur Sprache zu bringen. Hendrik versteckt diese Unfähigkeit indes hinter einer übertriebenen Redseligkeit. So sagt er treffend gegen Ende des Films, als ihm das Problem bewusst geworden ist: »Lasst uns reden. Ich rede immer. Über was willst du reden? […] Wir können reden. Lasst uns heute Abend reden. Ich liebe es, zu reden.« Diese Selbstcharakterisierung beschreibt die Geschwätzigkeit Hendriks genau, ist er doch die Figur, die im Film mit großem Abstand die meiste Redezeit einnimmt. Selbst seine Frau Katrien bezeichnet ihn im Affekt als Schwätzer und seine Worte drehen sich immer wieder um Begriffe des Redens. Hendrik spricht unentwegt – jedoch ohne viel zu sagen. Zwischen einer solch übertriebenen, jedoch hohlen Gesprächigkeit und dem kompletten Schweigen besteht – so der Film – kaum ein Unterschied. In beiden Fällen bleibt das Entscheidende unausgesprochen. Dieser Sachverhalt kann leicht auf die heutige Gesellschaft übertragen werden, in der die Kommunikation durch Social Media so schnell und umfangreich wie noch nie ist. Über die Qualität der Verständigung sagt diese Quantität indes nichts aus. Vielmehr legen Studien nahe, dass die Einsamkeit – gerade bei jungen Menschen – trotz Dauerkommunikation so hoch ist wie nie zuvor.18 Doch auch auf den konkreten gesellschafspolitischen Kontext in Südafrika kann dieser Mangel an Kommunikation bezogen werden. Paljas wurde 1998 gedreht und somit in der Zeit, in der das Land vor der schwierigen Aufgabe stand, die Transition von der Apartheid zu einem liberalen und demokratischen Land zu gestalten. Die Handlung spielt in den 1960er Jahren, mitten in der Zeit der Apartheid. Durch diesen engen gesellschaftspolitischen Bezug kann die Entzweiung der Familie als Sinnbild für die fehlende Verständigung und die Unversöhnlichkeit zwischen den verschiedenen in Südafrika lebenden Ethnien gesehen werden und der Film Paljas als Aufruf und Beitrag zur Überwindung dieser Konflikte. In Paljas wird die Entfremdung der Ehepartner untereinander auch visuell zum Ausdruck gebracht. Die erste Szene, welche als Standardsituation des morgendlichen Erwachens (Thomas Koebner) zu beschreiben ist, offenbart, dass Katrien statt mit ihrem Mann Hendrik mit ihrem Sohn Willem das Bett teilt. Dies 18 | »These results may indicate that loneliness is especially a problem for younger generations, and that changes in the way we live and work that affect our relationships are having more of an impact on this age group. More young people (31%) say they spend too much time communicating with family and friends online when they should see them in person, for example.« (Griffin 2016: 22)

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

wird an mehreren Stellen im Film aufgegriffen. So beendet Katrien an einer Stelle ein Gespräch mit ihrem Mann, welches bis zu dem Moment ein gewisses Potenzial zur Annäherung versprochen hatte, mit den nur mehr als Floskel erscheinenden Worten: »Gute Nacht, Hendrik.« – Hendrik erwidert, einen letzten Versuch startend: »Willst du dich nicht zu mir legen?«, was von Katrien mit der Ausrede abgewiesen wird: »Willem würde aufwachen.« Einen Grund der Unstimmigkeiten in der Familie verortet der Film in Hendriks Eifersucht. Diese hat dazu geführt, dass er sich immer wieder hat versetzen lassen, sobald er das Gefühl hatte, dass Katrien am aktuellen Wohnort Verehrer hatte. Dadurch hat die Familie an verschiedenen »railway stations across the scrub­land of the Karoo« (Marx 2003: 339) gelebt, »each one poorer and more isolated than the last, marking the downward spiral of Hendrik’s career« (ebd.). Die Namen der Ortschaften sind sprechend und spiegeln die Verfasstheit der Familie und jene der Nation: »Touwsrivier (›rope river‹), Lydenburg (›town of suffering‹), Soekmekaar (›seeking each other‹), Twyfelfontein (›fountain of doubt‹)« (ebd.). Die Bewohner der nahe gelegenen Stadt – calvinistische Afrikaaner (ebd.: 340) – blicken argwöhnisch auf die ungewöhnlichen Geschehnisse innerhalb der Familie. Ihr (Aber-)Glaube hält sie fest im Griff, wie eine Szene, welche eine Unterhaltung der arbeitenden Städter zeigt, verdeutlicht. Die kurzen Kommentare der Männer wirken wie eine Auflistung verschiedener abergläubischer Vorstellungen aus den finstersten Zeiten der Hexenverfolgung: »Man sagt, dass der Junge verhext ist. Und launisch.« – »Der Vater hat ihm die Zunge abgeschnitten.« – »Es wird ein Opfer gewesen sein.« – »Ich habe gesehen, wie er Opferhandlungen gemacht hat.« – »Ja?« – »Ja, ich zeig euch den Altar. Ein Werk des Teufels.« – »Man erzählt sich, dass er den Göttern Brot opfert.« – »Er malt die Launen seines Geistes an die Wände der Scheune.« – »Und das ist noch nichts, als wir dort waren, ist er komplett durchgedreht.« – »Früher haben sie solche Leute auf dem Scheiterhaufen verbrannt.« – »Wir sind zu zivilisiert.« Der einzige, der sich der Meinung der Masse nicht beugen will, ist Katriens Verehrer Frans: »Was ein Blödsinn. Ich habe dort nie etwas Seltsames gesehen.« Wobei gleich von Jan Mol gekontert wird, dass er nur »Augen für die Frau ha[be]«. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Frans tatsächlich kein einziges Mal mit einer anderen Figur außer Katrien im Bildkader zu sehen. Auffällig an dieser kurzen Szene ist weiter, dass die Unterhaltung und damit die Meinungsbildung ausschließlich von Männern geführt wird, was die traditionelle, d.h. patriarchalische Ordnung zusätzlich unterstreicht. Selbst die Polizei ist vom Aberglauben eingenommen. Als ein Beamter Hendrik aufsucht, um sich nach dem Verbleib seines als vermisst gemeldeten Sohnes zu erkundigen, spielt er auf mögliche heidnische Praktiken an: Polizist: Hendrik: Polizist: Hendrik:

Sicher, dass es sich nicht um Hexerei handelt? Das sieht aus wie ein Altar. Blödsinn! Was soll Willem denn davon verstehen? Warum hat er so geschrien? Wer weiß.

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3. Analytischer Teil Polizist: Es geschehen seltsame Dinge. Hendrik: Aber wirklich.

Dass selbst der Pfarrer diesem Aberglauben anhängt und für die wahren Gründe und Konflikte blind ist, wird anhand mehrerer Szenen erzählt. In seiner Predigt betet er »für die von uns, die Augen haben, aber nicht sehen«. Dass er selbst zu den Menschen zu zählen ist, die den Dorn im eigenen Auge nicht sehen, macht seine folgende Geste deutlich: Er nimmt seine Brille ab, wodurch seine ›Blindheit‹ in Bezug auf seine Mitmenschen veranschaulicht wird. In einer anderen Szene besucht er die Familie Willems und beschuldigt sie direkt des Teufelskultes: Pfarrer: Hendrik: Pfarrer:

Die Teufelsverehrung ist heutzutage üblich. Die Leute bringen Opfer, kritzeln an Wände und schminken sich das Gesicht, um das Reich des Teufels zu glorifizieren. Was hat das mit uns zu tun? Alles. Mit Ihnen und mit Ihrem stummen Sohn.

Auf die Verbindung zwischen dem Schminken des Gesichts und der Beschuldigung des Teufelskultes werde ich bei der Besprechung der Maske zurückkommen. Die hier beschriebenen Szenen zeugen von der Ablehnung durch die Gemeinschaft und der daraus resultierenden marginalisierten Stellung der Familie. Diese Marginalität wird durch das einsame Haus an dem kleinen, abgeschiedenen Bahnhof in der Halbwüste verdeutlicht. Die Abgeschiedenheit als symbolische Entfernung von der Gemeinschaft äußert sich auch in den »undesirable Anglo tendencies« (Tomaselli 2006: 51) von Hendrik, wenn er auf Englisch singt. Schon der Familienname McDonald lässt auf einen britischen Hintergrund schließen, und das mitten im so traditionsbewussten Burenland. Ebenso kann diese Isolierung der Familie als Ausdruck der gesellschaftlichen Situation der Afrikaaner während der Apartheid verstanden werden: »The father’s social and professional marginalisation represents the kind of constrained and isolated world whites encountered as apartheid drove them simultaneously deeper into each other’s presence, and further from the wider world.« (Ebd.: 52) Dieser Ausgrenzung der Familie und der Selbstisolation ihrer Mitglieder, welche durch fehlende Kommunikation, unterschiedliche Wertvorstellungen und durch ein unreflektiertes Festhalten an der Vergangenheit hervorgerufen werden, setzt sich Willem entgegen. Seine Stummheit ist nämlich mehr als die bereits erwähnte Metapher für diese fehlende Verständigung der Familienmitglieder sowie der Ethnien. Vielmehr bringt sie seinen Protest dagegen deutlich zum Ausdruck. Die Figur des Willem funktioniert folglich als Symptom, wie es Eder beschrieben hat. Durch die Verbindung der Stummheit mit der dem Clown eigenen Pantomime wird Willems Schweigen ins Positive gewendet und zeigt Handlungsmöglichkeit und Potenzial zur Erneuerung auf. Der in Willem angesiedelte Wunsch nach Veränderung der Situation kommt erst in und durch die Clownsmaske richtig

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

zum Ausdruck. Durch ihr Anlegen werden für die Familie Momente der Zusammenkunft und Gemeinschaft möglich und eine Wende setzt ein.

3.4.2.2 Here come the clowns – der Umbruch durch die Ankunft des Zirkus Das erste Moment dieses Neuanfangs ereignet sich nach nur wenigen Minuten Erzählzeit und wird durch einen Clown ausgelöst: Das ungeplante Stranden eines Zirkusses auf dem kleinen Bahnhof bringt die eben beschriebene Ausgangssituation der Familie in Bewegung. Mitten in der Nacht reißt sie das Gebrüll eines Löwen aus dem Schlaf, was als ein Wachrütteln aus eingefahrenen Strukturen gelesen werden kann. Gemeinsam schleicht die Familie um den Wagen herum und betrachtet ängstlich die wilden Tiere. Bereits dieser Umstand bedeutet eine substanzielle Veränderung der Familiendynamik – bis zu diesem Moment war die Familie nie zusammen in einem Bildkader zu sehen. Eine Annäherung wird somit auf bildkompositorischer Ebene eingeläutet. Der Vater Hendrik begegnet der ungewohnten Situation mit einem empörten Redeschwall, in welchem er seiner Erzürnung darüber, dass er nicht informiert wurde, Luft macht. Die anderen Familienmitglieder, vor allem die beiden Kinder, reagieren stattdessen neugierig und nähern sich vorsichtig dem unbekannten Zirkuswagen. Dass der Zirkus – und mit ihm der Clown – an einem Bahnhof mitten im Nirgendwo stranden, bestätigt erneut die These von Barbara Babcock-Abrahams, dass der Trickster häufig an Orten des Übergangs sowie an Kreuzungen zu finden ist, also in solchen Räumen, die sich »zwischen klar sozial definierten Orten befinden« und mit »Bewegung und Freiheit« assoziiert sind (1975: 155). Der Bahnhof als Ort der An-, Durch- und Abreise, der sich im Dazwischen befindet, weil er nie der endgültige Endpunkt einer Reise zu sein pflegt und Bewegung generiert, unterstützt raumsemantisch die Erzählung. Dazu passt eine auffällig häufige Situierung der Szenen in der Dämmerung, welche ebenfalls einen Übergang markiert. Das Potenzial der Erneuerung, welches dem – bis zum Eintreffen des Clowns eher verlassenen – Bahnhof innewohnt, ist dem Namen der kleinen Station bereits eingeschrieben: Toorwater bedeutet »magic water« (Marx 2003: 339) und greift damit die im Eingangszitat erwähnte Magie, paljas, auf, welcher ein erneuerndes Potenzial zugeschrieben wird. Die Ankunft des Clowns ist inszenatorisch derjenigen des Zirkusses entgegengesetzt. Statt in der Gruppe und lärmend tritt er alleine, still und unbemerkt hinter einem Hügel hervor, einen Elefanten an der Leine führend. Seine Verortung abseits der anderen entspricht der typischen Außenseiterposition des Clowns, der zwar der Gemeinschaft – in diesem Fall dem Zirkus – angehört, jedoch nie ganz Teil von ihr sein kann. Dies befähigt ihn, die Rolle des Sündenbocks einzunehmen, worauf ich später zurückkommen werde. Wie die Ankunft des Zirkuszuges wird der Clown zunächst auf der Tonspur angekündigt. Die akustische Gestaltung der Szene unterstreicht den Unterschied des Clowns zu den anderen Mitgliedern des Zirkusses, indem sie sich deutlich von derjenigen

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3. Analytischer Teil

der vorherigen Szene abhebt. Willem sitzt im Schatten eines Kaktus und spielt mit der Erde. Plötzlich lässt ihn der leise Klang einer Celesta (eines »Glockenspiel-Klavieres«) aufhorchen und den Blick heben. Der darauf folgende Gläsersound wirkt schwebend, träumerisch und transzendental, womit die Assoziation an etwas Heiliges, nicht von dieser Welt Stammendes geweckt wird. Die Kamera zentriert Willem, durch Gegenlicht von einem Lichtkranz umgeben, was die entrückte, unwirkliche Stimmung der Szene verstärkt. Die Bedeutung, welche die Ankunft Manuels (Ellis Pearson) und die Begegnung mit Willem haben, wird somit durch die Inszenierung hervorgehoben. Die sanfte und spielerische Musik der von Streichern begleiteten Klarinette im Wechselspiel mit der Flöte hat einen kindlichen Charakter und stellt so auf musikalischer Ebene die Verbindung zu Willem her.19 Raumsemantisch ist auffällig, dass sich die beiden Figuren inmitten der Natur befinden, ohne dass der Bahnhof oder Behausungen im Bildkader sichtbar wären. Dies unterstreicht die marginale Stellung des Clowns. Die im Bild sichtbare Natur kann zwar als Teil der Halbwüste Karoo erkannt werden, ist jedoch im Gegensatz zu den bisher gezeigten gelb-braun-grünen Arealen saftig grün. Die Farbsymbolik, Grün als Farbe der Vegetation, des Lebens und der Hoffnung, ist nicht zu übersehen. Ein weiteres Merkmal der Szene ist, dass der Clown ganz plötzlich, wie aus dem Nichts oder aus einer anderen Welt, auftaucht. Dieser Eindruck wird durch die transzendentale Musik gestützt. Auch in einer späteren Szene schaut Manuel plötzlich hinter einem Busch hervor, nachdem Willem schon davon ausgegangen war, dass er abgereist ist. Ein solch unvermitteltes Auftreten des Clowns lässt sich auch in vielen anderen Filmen beobachten; es kann daher als generelles Merkmal von als Clown kostümierten Figuren im Film gelten. Im Kapitel zu den Evil-Killer-Clowns wurde dieses Merkmal als einer der Gründe für die Angst vor Clowns ausgemacht. In Paljas dagegen steht das Moment der (positiven) Überraschung im Vordergrund. Die sanfte, leise und idyllische Inszenierung wird durch ein weiteres Merkmal gestärkt. Manuels Kommunikation mit Willem verläuft beinahe vollständig nonverbal. Seine Annäherung erfolgt wortlos – er begegnet Willem auf gleicher Ebene, indem er seine Sprache spricht, welche ohne Worte auskommt. Diese Form der Kontaktaufnahme wird von Willem sogleich akzeptiert, was sich im darauffolgenden fröhlichen Spiel mit dem Elefanten ausdrückt. Auch die Musik verändert sich leicht von der irreal-transzendentalen zu einer bodenständigen, fröhlichen und verspielten Tanzmusik. Dieser bewusste Verzicht auf sprachliche Kommunikation in Verbindung mit der ausgesprochenen Poetik der Szene und der positiven Stimmung, die sie vermittelt, macht sie als Hommage an den Stummfilm interpretierbar. Dazu passt die erste Einstellung des Films, welche einen einfahrenden Zug, in ähnlicher Einstellung wie der berühmte Lumière-Film, zeigt.

19 | Für die Hilfe bei der Analyse der Musik bin ich Juliane Nolden zu großem Dank verpflichtet.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

3.4.2.3 Die Clownsmaske als Ausdruck der Erlösung – Manuel als Helfer und Heiler Die soeben analysierte Szene kann eine Ahnung von der Bedeutung vermitteln, die der Clown für den jungen Protagonisten und den weiteren Fortgang der Handlung haben wird. Eines der hervorstechendsten Merkmale des etwa 30 Jahre alten Manuel, der schlank, groß, athletisch und von weißer Hautfarbe ist, ist, dass er bis fast zum Ende des Films stets mit einer Schminkmaske sowie meist im entsprechenden Clownskostüm mit einem kegelförmigen, schwarzen Hut zu sehen ist. Es erinnert durch sein Karomuster an das Kostüm des Harlekins und fällt durch die Verwendung eines breiten Farbspektrums auf. Wenn Manuel nicht in seinem Clownskostüm zu sehen ist, trägt er ein einfaches Baumwollhemd, eine schwarze Weste und schwarze, kurze Hosen. In diesen Fällen fehlt der charakteristische Hut. Dadurch fällt ein rot gefärbtes Haarbüschel über der Stirn auf, das ihn auch ohne die Kostümierung als Clown kennzeichnet, ist doch die rote Haarfarbe ein klassisches Merkmal des Dummen August. Wie im theoretischen Kapitel zum Clown erwähnt, ist es gerade das statistisch seltene Vorkommen der roten Haarfarbe, welches sie für die Verwendung durch den Clown prädestiniert (Hotier 1982: 124), da sie ihn so als den ›Anderen‹ kennzeichnet. Die Schminkmaske Manuels zeichnet sich durch eine weiße Grundierung aus, welche nur von wenigen roten Details an Nase und Mund sowie feinen schwarzen Linien um die Augen unterbrochen wird. Einen Gesamteindruck des Körperbildes erhalten die Zuschauer erst gegen Ende des Films. Dort wird er von Willems Familie aufgenommen und gepflegt, nachdem er von den Bewohnern Toorwaters beinahe umgebracht worden wäre. In dieser Szene ist er zum ersten und einzigen Mal ohne Maske und im Pyjama zu sehen. Doch sobald es ihm etwas besser geht, wird er umgehend wieder mit clownesken Merkmalen bedacht. So spielt er noch unter großer Anstrengung und Schmerzen bereits wieder mit Willem Bandoneon, wobei ihm eine bunte Decke über den Schultern liegt, die an das bunte Clownskostüm erinnert. Allein durch Kostüm, Frisur und Maske werden die verschiedenen Ebenen der Figur – die Figur hinter der Maske im Gegensatz zu der Clownsfigur mit Maske – zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich folglich um eine relativ gleichbleibende Figur, deren clownesker Charakter von Anfang bis Ende bestimmend ist. Dies kann damit begründet werden, dass in diesem Film weniger die Persönlichkeit und die eigenen Probleme der Figur im Vordergrund stehen, als ihre Funktion. Sie übernimmt die Rolle des Helfers des Protagonisten, sodass ihre eigene Motivation und Bedürfnisse hinter ihrer Funktion für die Handlung zurücktreten. Dies erklärt, dass die Charakterisierung der Figur auf wenige, aber signifikante und stabile Persönlichkeitsmerkmale beschränkt bleibt. Dazu passt die relativ neutral gehaltene Maske, welche dadurch als Projektionsfläche fungieren kann. Die gegenüber der Menschlichkeit oder gar Individualität stets im Vordergrund stehende Funktionalität ist charakteristisch für den Clown. Die menschlichen Bedürfnisse, ja die gesamte Person bzw. Figur hinter der Maske sind für deren Agieren als Clown irrelevant. Daher

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muss die von Annie Fratellini (1989: 1981) referierte Frage des kleinen Mädchens, was ein Clown esse, unbeantwortet bleiben, da Körperlichkeit und Befinden des Menschen seiner Mission als Clown nachgestellt sind. In Einklang dazu wird den Zuschauern jegliches Wissens um Manuels Innenleben verweigert. Sie erfahren beinahe nichts über seine Gefühle, Gedanken, Wünsche, Sorgen, Ängste oder den Grund für seine Motivation, Willem zu helfen. Einige Andeutungen legen die Vermutung nahe, dass er selbst wenig Zuneigung und stattdessen Ablehnung und Leid erfahren hat und dies nun anderen ersparen möchte. Sein altruistisches Handeln zur Erheiterung und Verbesserung der Situation anderer steht dabei ganz im Zeichen des Clowns. Selbst die Kamera respektiert und festigt so die Distanz zu Manuels Innenleben: Die Inszenierung zeigt ihn in entsprechend weiter entfernten Einstellungen als beispielsweise Willem. Im Gegensatz zu diesem folgt die Kamera Manuel nur selten. Dafür scheint er ein tiefes Verständnis des Innenlebens der ihn umgebenden Figuren zu besitzen, was auf die Fähigkeit, sich auf andere einzulassen, auf eine geschärfte Beobachtungsgabe sowie eine große Empathiefähigkeit schließen lässt. Die Betonung des funktionellen Aspekts der Figur stimmt mit einer Assoziation überein, die durch seine angenehm leise und helle Stimme und deren beruhigenden und wohltuenden Tonfall hervorgerufen wird: die des Heilers. Nicht nur Willem vermag er von seiner Stummheit zu heilen, sondern durch ihn indirekt auch die anderen Familienmitglieder, die wiederum – im Sinne von Eders Interpretation der filmischen Figur als Symptom für gesellschaftliche Kontexte der Produktion – als stellvertretend für die verfeindeten südafrikanischen Ethnien gelesen werden können. Um die Heilung Willems und danach die der weiteren Familienmitglieder einleiten zu können, muss Manuel zuerst Willems Vertrauen gewinnen. Dies erreicht er, indem er sich, wie beschrieben, auf dessen pantomimische Kommunikation einlässt, welche klar clowneske Züge trägt. Durch die Aneignung durch den Clown erfährt die Verständigung anhand von Mimik, Gestik und Lauten, welche bis zu diesem Moment als Stummheit negativ konnotiert war, eine neue Wendung ins Positive. Bei einer solchen, wortlosen Kommunikation spielt die Musik eine wichtige Rolle. Manuel musiziert von seinem ersten bis zum letzten Erscheinen im Film auf verschiedenen Instrumenten, beispielsweise dem clowntypischen Bandoneon, der Maultrommel oder der Posaune. Dadurch gewinnt er Züge des »Musikalclowns«, einer beliebten Spielart des Clowns. Die »Brücke zwischen Entrücktem und Profanem«, die Fried und Keller als typisch für diese Clowns ansehen (1996: 152), ist auch bei Manuel auffällig. Eine ebenfalls wichtige Rolle in der Kommunikation Manuels spielt die Imitation von Tieren. Die Nachahmung beschränkt sich dabei nicht auf die Tonebene. Er ahmt Tiere und ihr Verhalten mit seinem ganzen Körper nach, und Willem wird es ihm wenig später gleichtun. Die für den Clown so wichtige Pantomime wird hier als Verständigungsmöglichkeit in einem von Misstrauen, Sprachbarrieren und mangelndem Kommunikationswillen geprägten familiären und sozialen Umfeld präsentiert.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Gleichzeitig dient sie Willem dazu, seiner Familie einen Spiegel vorzuhalten, wenn er beispielsweise durch das Nachahmen eines Huhnes die Geschwätzigkeit seines Vaters als »Hühnergackern« entlarvt. Auch hier gilt wieder, dass gerade durch die Maskierung als Clown gesellschaftliche bzw. hier familiäre Probleme aufgedeckt, entlarvt und durch die Bewusstmachung teilweise behoben werden. Eine weitere Konsequenz der Tierimitationen ist, dass Manuel durch diese Inszenierung in ein enges Verhältnis zur Natur gerückt wird. Dieses wird in der Folge weiter intensiviert, da ihn die Kamera fast ausschließlich in weiten und natürlichen Räumen zeigt. Die Natur verbindet Manuel ebenso mit Willem wie die Pantomime und grenzt die beiden gegen die anderen Familienmitglieder ab. Diese sind viel öfter in häuslicher Umgebung zu sehen. Gerade die beiden Frauen werden meist in Innenräumen gezeigt, was die traditionelle Rollenverteilung erneut bestätigt und den verlorenen Bezug zum veld verdeutlicht. Ein Verlassen des häuslichen Bereichs hat in Paljas stets die Avancen des jeweiligen Verehrers zur Folge, dessen sich Mutter und Tochter nur schwerlich erwehren können. Die Behausung in Paljas hat dementsprechend weniger positive Konnotationen als Rückzugsort als vielmehr die negativen eines Gefängnisses. So verweisen die Innenräume – vor allem im Kontrast zu den offenen Landschaften, in denen sich Willem und Manuel bewegen – auf Einengung und Isolation. Der einzige geschlossene Ort, an dem sich Manuel aufhält, ist die ungenutzte Scheune. Allerdings befinden sich die beiden Protagonisten selbst dort oft im Freien, beispielsweise auf der Veranda oder vor dem Fenster. Zudem wirkt die Scheune durch die stets geöffneten Fenster und Türen nie abgeschlossen, sondern groß und lichtdurchflutet. Da sie verlassen ist, erscheint sie relativ leer und neutral. Dies lässt Raum für eigene Gestaltung und Kreativität, die ein wichtiges Element von Manuels Charakter bildet. Es zeugt von einer ausgeklügelten Bildsprache, dass genau der gleiche Raum gänzlich anders inszeniert wird, sobald ihn Hendrik mit den Polizisten betritt: Nun ist er so dunkel, dass sie sich mit einer Taschenlampe behelfen müssen, um überhaupt etwas zu sehen. Zudem wird er durch eine Kameraführung, die die Figuren meist in Nahaufnahmen und maximal in Halbtotalen zeigt und sie so das Bild zur Gänze ausfüllen lässt, als beengend wahrgenommen. Wie diese kurze Analyse gezeigt hat, wird Manuel durch die filmische Inszenierung in ein enges Verhältnis zur Musik, zur Natur, zu Tieren, deren Imitation sowie allgemein zu einem kreativen Umgang mit den Dingen gesetzt. All dies ist sehr typisch für den Clown, vor allem für den sogenannten »Tierclown«, der sich dadurch auszeichnet, dass er »in die Rolle eines Tieres schlüpf[t]«, wobei »körperlicher Ausdruck, Haltungen und Bewegungen […] dem Tier […] möglichst authentisch nachempfunden [sind]« (Fried/Keller 1996: 124). Ein bekanntes Beispiel für einen Tierclown aus dem deutschsprachigen Raum ist der Clown Pierino aus dem Zirkus Krone. Die Tierimitation Manuels kann als einer der Gründe für sein Vordringen zu Willem gesehen werden, denn: »Kinder aller Kulturen und Epochen besitzen das Potenzial einer unmittelbaren Ansprechbarkeit durch Tiere und sind deshalb leicht durch das Spiel von Tierclowns zu faszinieren. Die Welt

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aus den Augen von Tieren zu sehen, erschließt neue, über die Alltagswirklichkeit hinausreichende Blickwinkel.« (Ebd.: 126) Sein schnell vertraut werdendes Verhältnis zu Willem kann zudem mit seinem dynamischen und verspielten Charakter begründet werden, welcher der Statik und Steifheit, die Willem zu Hause erlebt, diametral entgegengesetzt ist. Manuel scheint – zumindest vordergründig – stets gut gelaunt und heiter zu sein. Durch sein permanentes Tragen der Maske kann jedoch nicht abschließend bestimmt werden, ob seine an den Tag gelegte Fröhlichkeit nur durch diese hervorgerufen bzw. eben vorgespielt wird. Die Vermutung liegt jedoch nahe, denn gegen Ende des Films, als er die Maske abnimmt, zeigt sich kurz die traurige Seite hinter der Maske. Die angedeuteten Verletzungen Manuels lassen vermuten, dass diese die heitere Maske zum Schutz vor weiterer Verletzung des sensiblen Inneren erst hervorgebracht haben. Trotz seines altruistischen Handelns pflegt Manuel keine sozialen Beziehungen außer zu Willem. Für diesen wird er zu einer Art Vater- und Leitfigur. Ansonsten klinkt er sich bewusst aus gesellschaftlichen Strukturen aus. Seine Welt wird vordergründig mit Objekten (wie beispielsweise Musikinstrumenten) sowie Tieren und nicht mit Menschen assoziiert. Manuel wirkt nicht ungebildet, wenngleich seine Bildung eher aus seiner Lebenserfahrung als aus geschlossenen Klassenräumen zu kommen scheint. Sein sozialer Status wird nicht explizit gemacht, allerdings wird den Angehörigen eines Zirkus traditionell eher ein geringes soziales Ansehen zugestanden, eine Einstellung, die auch Manuel von den Bewohnern entgegengebracht wird. Seine eigene, generelle Abgrenzung vom sozialen Zusammenleben lässt auf einen Außenseitertypus schließen, was in Einklang mit der archetypischen Marginalität des Clowns steht. Manuels Aussage, dass er des Zirkusses – immerhin eine fahrende Heimat – überdrüssig sei und deshalb bei Willem bleibe, ist wohl die definitive Bestätigung seiner Außenposition. Seine provisorische Behausung, die Scheune, befindet sich abseits der Siedlungen. Er hält sich nicht nur räumlich und sozial am Rande der Gesellschaft auf, sondern verhält sich auch bewusst gegen gewisse soziale Normen, was durch sein außergewöhnliches Erscheinungsbild geschieht sowie dadurch zum Ausdruck gebracht wird. Des Weiteren begehrt er gegen die (kirchliche) Autorität auf und verhilft durch sein Handeln Willem zu dem Mut, sich seinerseits den eingefahrenen gesellschaftlichen und familiären Strukturen zu widersetzen. Manuell ist ein Rebell und ein Störer der Ordnung. Die einzige soziale Interaktion findet am Ende des Films statt, als die Familie ihn pflegt. Bezeichnenderweise trägt er zu diesem Zeitpunkt keine Maske und zeigt in der entsprechenden Szene ein dankbares, höfliches Verhalten gegenüber der Familie. Es handelt sich bei dieser sozial interagierenden Figur um diejenige hinter der Maske, die, wie in den theoretischen Vorüberlegungen ausgeführt, von der Clownsfigur unterschieden werden muss. In diesem Moment ohne Maske passt er sich der traditionellen familiären, bürgerlichen Ordnung an und scheint sich für einen kurzen Moment einzugliedern – bis es ihm sein Zustand erlaubt, Stück für Stück wieder zum Clown zu werden.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Unmittelbar nach seiner Genesung verlässt Manuel die familiäre Behausung und fährt mit dem Zug in eine ungewisse Zukunft davon. Dieser Topos des fast mythisch umrankten Einzelgängers, der fremden Menschen aus ihrer Not hilft, dabei selbst fast getötet wird und gepflegt werden muss, um danach wieder in die karge und menschenleere Landschaft zu entschwinden, erinnert doch sehr an den klassischen Westernhelden. Dieser kommt – besonders in Western mit dem Sujet der Befriedung einer Stadt – in eine Kleinstadt, hilft den dort lebenden Menschen, indem er die Outlaws besiegt und vertreibt, und zieht danach wieder seines Weges. So handelt auch Manuel: Er nimmt sich Willems an und zieht nach getaner Arbeit – d.h. in dem Fall der Verwandlung Willems in einen Clown – wieder von dannen. Die Situierung der Erzählung in der Halbwüste Karoo passt sehr gut zu dieser Interpretation, erinnert sie doch mitsamt der einsamen Bahnstrecke in ihrer Kargheit und Weite an den ›Wilden Westen‹ in seiner kinematografischen Darstellung. Dass es sich beim Western um den amerikanischen Gründungsmythos schlechthin handelt, verweist auf eine weitere Bedeutung der Inszenierung Manuels als Westerner. Zur Produktionszeit des Films befindet sich Südafrika nach den ersten allgemeinen freien Wahlen 1994 noch immer in der Transition von der Apartheid zu einer demokratischeren Gesellschaft und zudem in einer ökonomischen Krise. In einer solch schwierigen gesellschaftspolitischen Situation sind (Gründungs-)Mythen besonders gefragt, um Wege aufzuzeigen und Halt zu bieten. Somit kann nicht nur die Clownsfigur des Willem mit ihrem charakteristischen Schweigen als Symptom für die soziopolitische Realität Südafrikas während der Drehzeit gelesen werden, sondern auch die Figur des Manuel als Erlösermodell, indem sie Handlungsmöglichkeiten aufzeigt und Alternativen verkörpert: Altruismus statt Egoismus, Bescheidenheit statt Gier, Friedfertigkeit statt Gewalt. Manuel handelt also prosozial und opfert dafür seine Aufnahme in die Gemeinschaft. Dies prädestiniert ihn für die Rolle des Sündenbocks, wie im diese Analyse einführenden Kapitel beschrieben wurde. Zu einem solchen wird er gegen Ende des Films von den Bewohnern Toorwaters gemacht. Bezeichnenderweise liegt diese Ablehnung in seiner Schminkmaske begründet, da sie ihn als ›Anderen‹ kennzeichnet und er deshalb für die Bewohner nicht einzuordnen, zu klassifizieren ist. Die für die Maske so charakteristische Verwendungsweise in Ritualen kann zwar für die Clownsmasken in Paljas nicht nachgewiesen werden, allerdings wird ihnen genau dieser Verwendungszweck von den anderen Figuren unterstellt, wenn sie das Handeln der Clownsfiguren Willem und Manuel als Hexerei und Teufelskult bezeichnen. Dies lässt sich mit Hilfe der von Otto Höfler vorgeschlagenen Unterscheidung der vier Ebenen des Verständnisses von Maskenträgern theoretisch fassen. Die Figuren sind sich zwar bewusst, dass es sich um eine Maskierung handelt, glauben »aber dennoch an die Wirkungen des mit der Maskierung verbundenen Rituals« (1973: 45). Die Filmzuschauer hingegen werden die beiden Clownsfiguren eher aus der von Höfler als rational bezeichneten Perspektive wahrnehmen, da sie über deutlich mehr Hintergrundwissen –

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und weniger Aberglauben – verfügen. Dementsprechend liegt die allegiance eher bei Willem und Manuel als bei den Bewohnern, da man deren Beweggründe besser nachvollziehen kann. Die eifernde und verblendete Legitimation, welche sich die Gemeinde selbst für ihre Verfolgung von Manuel gibt, ist in folgender Aussage des Pfarrers zu erkennen: Die Bibel warnt uns explizit vor den Kräften des Bösen, welche uns in attraktivem Aussehen versuchen zu verführen. Sie zeigen sich nie als Satan. Sie sind nie hässlich oder abstoßend, sondern immer verführerisch. Brüder, wir leben in der Zeit des Jüngsten Gerichts. Wir leben in der Zeit des Antichrist. In einer Zeit, in der der Zerstörer der Seelen sich der Welt in einem solch positiven Licht präsentiert, dass die Menschen ihn verehren. Die Teufelsverehrung ist heutzutage üblich. Die Leute bringen Opfer, kritzeln an Wände und schminken sich das Gesicht, um das Reich des Teufels zu glorifizieren.

Wohl nicht zufällig erinnern diese Worte an die Hexenverfolgungen und -prozesse seit dem Mittelalter und ähnliche, politisch motivierte Verleumdungen in der jüngeren Weltgeschichte. Manuel wird im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt, d.h. mit dem Bösen und ›Anderen‹ in Verbindung gebracht, um so der Gemeinde ein »Rechtfertigungsnarrativ« (Fahrmeier 2003) für seine Tötung zu liefern. Die enge Verbindung von Clown und Teufel wurde im Laufe der Studie mehrfach beobachtet und erörtert. Die Verteufelung Manuels rechtfertigt aus der Perspektive der Gemeinde seine Opferung als Sündenbock. Zu einem solchen kann er gemacht werden, da er durch seine Maske und Kostüm sowie seine Eigentümlichkeit, kaum zu sprechen, sondern mittels Pantomime zu kommunizieren, die von Girard erwähnten Kriterien der Abweichung hinsichtlich des Aussehens und des Verhaltens erfüllt (vgl. 1988: 27/8). Verglichen mit den Verunglimpfungen, die im wortreichen öffentlichen Diskurs gegen ihn konstruiert werden, ist auch sein Schweigen eine Brüskierung seiner Ankläger bzw. der Macht. Sein Eindringen in den heiligen Raum der Kirche stellt die letzte Grenzüberschreitung und damit den Höhepunkt seines die Ordnung herausfordernden Verhaltens dar und lässt den Konflikt zwischen den Mitgliedern der Gemeinde und der Familie MacDonald eskalieren. Um die Störung, die Manuel darstellt, zu beseitigen, wendet die Gemeinschaft den sie ursprünglich generierenden Mechanismus an (vgl. ebd.: 82). Durch sein Opfer wird Manuel vom Störer zum Erneuerer der Gesellschaft (vgl. ebd.: 66) und der Familienbande, nicht zuletzt, indem er sein Erbe an Willem weitergegeben hat. Dieses Opfer scheint zunächst in Manuels Tod zu bestehen, da er – vom Schuss Jan Mols getroffen – reglos auf eben den Schienen liegt, die ihn zu Beginn des Films nach Toorwater geführt haben. Die mit Bewegung und Erneuerung assoziierten Gleise scheinen ihr Versprechen nicht einlösen zu können. Die gewählte Inszenierung stützt diese Lesart, indem sie bildlich auf einen konkreten Vorfall während des Soweto-Aufstands Bezug nimmt (Abb. 47-48):

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung This shot is eerily reminiscent of the 16 June 1976 news photograph in which the adolescent body of Soweto’s Hector Peterson is carried towards the camera. Peterson’s picture came to represent the Soweto uprising. The shot in Paljas is a stark reminder of previous casualties of resistance against intolerance, fear and fascism. (Tomaselli 2006: 52)

Abbildungen 47-48: Fotografie des Soweto-Aufstandes am 16. Juni 1976 (Nzima, Sam. 1976. Hector Pieterson Museum, Orlando West, Soweto. Flickr. Web. 13. Juni 2016.) und Screenshot aus Paljas.

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Durch die Verbindung mit dem Aufstand wird Manuels Assoziation mit einem Hoffnungsträger verstärkt, da auch er für eine bessere Zukunft gegen die geltende Ordnung rebelliert. Die Hoffnung scheint jedoch im Moment seines vermeintlichen Todes mit ihm zu sterben. Doch ähnlich wie bei den Evil-Killer-Clowns, ist der Tod des Clowns kein endgültiger. Manuels ›Auferstehung von den Toten‹ sowie seine erneuernde Funktion für die Gemeinschaft legen eine Assoziation mit dem Messias nahe. Sein Name stützt diese These, wie bereits in Kapitel 3.3 erwähnt. In der Bibel wird der Name Immanuel vom Propheten Jesaja für den Messias, den Erlöser und Heilsbringer, verwendet: Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben. Er wird Butter und Honig essen bis zu der Zeit, in der er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen. (Jes 7, 14-15)

Die Funktion des Erlösers sieht Jean Starobinski als typisch für Narren und Clowns an: [D]ie großen Narren [haben] vielfach […] den Narren und den Clown zum Mittelsmann des Heils gemacht […], zum guten Geist, der trotz seiner Ungeschicklichkeit und trotz seiner beißenden Bemerkungen das Rad des Schicksals dreht und Eintracht stiftet, auf daß sich,

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung in einer Welt, die böse Kräfte durcheinandergebracht haben, alles wieder zueinander füge. (1985: 99)

Aufgrund dieser Ergebnisse kann Manuel ein heilender oder sogar heiliger Charakter zugesprochen werden. Ein Rückgriff auf Clowns in Stammesgesellschaften zeigt eine weitere Besonderheit des Clowns, die ihn für diese Funktion prädestiniert und die auf Manuel – in seiner Rolle als Clown – zutrifft: »In vielen Stämmen gilt der Clown als besserer Heiler gegenüber dem Medizinmann, da er keine Traurigkeit kennt. Die Hopi sehen die Hauptursache für Krankheit und Tod im Kummer.« (Fried/Keller 1996: 18) Der Clown steckt den Kranken mit seiner Sorglosigkeit an und trägt dadurch zu seiner besseren Genesung bei (vgl. ebd.). Mitchell weist auf die »transformative nature of the ritual clown’s performance« (1992: 30) hin, durch die z.B. Trauer in Lachen gewandelt werde. Interessant ist, dass Fried und Keller bei ihren Recherchen auf eine Verbindung von Tierimitationen und heiligen Ritualen gestoßen sind: »In früher Menschheitsgeschichte kam die Übernahme der Tiernatur einem religiösen Akt gleich und stand in enger Beziehung zu Beschwörungsritualen.« (Fried/Keller 1996: 125) Die Tierimitationen Manuels erlangen durch die Wiederholung und die verklärende, heilige Aura, die sie umgibt, rituellen Charakter. Durch dieses Einlassen auf Willems Verständigungsart wird eine besondere Verbindung zwischen den beiden Figuren hergestellt und Manuel gewinnt das Vertrauen des Jungen – und dieser neues Selbstvertrauen.

3.4.2.4 Die Ver wandlung Willems und sein Wirken als Clown Willems bestimmendes Merkmal ist seine Stummheit, die er erst nach seiner Verwandlung in einen Clown langsam aufgibt. Die große Nähe der Kamera zu Willem rückt seine Mimik und Gestik in den Vordergrund, welche besondere Aufmerksamkeit verdienen und erhalten. Denn da Willem nicht spricht, ist seine nonverbale Kommunikation besonders ausgeprägt und sein prinzipielles Verständigungsmittel. So verweist er beispielsweise auf andere Figuren, indem er sie nicht mit ihrem Namen anspricht, sondern stattdessen eines ihrer hervorstechenden Merkmale pantomimisch imitiert: auf seinen Vater, indem er mit den Fingern dessen Schnurrbart nachzeichnet, auf Nollie durch die Imitation von dessen typischem Knacksen der Fingerknöchel und auf Emma durch ihr Davonlaufen vor Nollie. Das bringt ihn lange vor Beginn der Verwandlung in die Nähe zum Clown, da dieser etwa 50% seiner Botschaft durch seine (meist übertriebene) Körpersprache zum Ausdruck bringt.20 Diese Art zu kommunizieren hat automatisch einen vermehrten körperlichen Kontakt Willems zu anderen Figuren zur Folge. So macht er andere darauf aufmerksam, dass er ihnen etwas mitteilen möchte, indem er sie leicht antippt. Zu seinen Eltern sucht er immer wieder die Nähe. Er schläft eng umschlungen mit seiner Mutter und setzt sich des Öfteren zu seinem 20 | Diese Angabe verdanke ich Christian Seiler.

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3. Analytischer Teil

Vater auf den Schoß. Dies lässt auf sein Bedürfnis nach Zuneigung und Liebe schließen. Die wortlose Kommunikation führt jedoch dazu, dass generell eher wenig über seine Wünsche, Ängste oder Gefühle und nichts über die Vergangenheit oder Zukunft der Figur verbal bekannt wird. Doch aus seiner intensiven Körpersprache, aus seinem Handeln sowie aus Dialogen anderer Figuren können Hinweise über Willems Befinden abgeleitet werden. Der Arzt, den Hendrik wegen Willems ›Stummheit‹ konsultiert, meint etwa, dass der Junge körperlich gesund und seine Weigerung zu sprechen eine Konsequenz der strengen ›Herrschaft‹ des Vaters sei. Diese äußert sich auch handgreiflich, wenn Hendrik Willem am Arm packt und ihn in eine bestimmte Richtung lenkt. Dass das nicht nur auf die momentane räumliche Richtungsangabe bezogen, sondern Ausdruck seiner autoritären Erziehung ist, scheint offensichtlich. Der kalte und lieblose Umgang der Familienmitglieder ist für den sensiblen, introvertierten Willem kein tragbarer Zustand und motiviert ihn, die Familie zu versöhnen und (wieder-)zuvereinen. Möchte man die Wünsche nach ihrer Position auf der Maslow’schen Bedürfnispyramide bewerten, fällt auf, dass sie auf höheren Schichten angesiedelt sind. Es sind Bedürfnisse nach Liebe, sozialer Bindung und Anerkennung. Dies ist interessant, wenn man berücksichtigt, dass in den 1960er Jahren, in denen die Handlung spielt, »poverty amongst Afrikaners was a serious problem and the South African Railways was a key mechanism in Afrikaner affirmative action« (Tomaselli 2006: 51). Trotz der recht bescheidenen materiellen Verhältnisse, in denen Willem lebt, sind seine Ziele und Wünsche zwischenmenschlicher Natur. Dies zeugt von der großen Bedeutung des sozialen Aspekts des clownesken Wirkens. Seine Anliegen zu verwirklichen, wird Willem zunächst durch seinen key flaw verwehrt, welcher in dem Unvermögen liegt, seine Gefühle auszudrücken. Er spürt zwar Dinge, die mit keinem der fünf Sinne direkt wahrgenommen werden können, sondern die eines besonderen Einfühlungsvermögens bedürfen. Zu Beginn des Films hat er jedoch kein Rüstzeug, um die aus dieser Wahrnehmung (der Entzweiung seiner Familie) gewonnenen Wünsche nach Veränderung zu verwirklichen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verleumdungen und Ablehnung der Clowns durch die Bewohner Toorwaters die Wiedervereinigung der Familie erschwert. Durch sein Handeln und seine Freundschaft mit Manuel riskiert Willem, ebenfalls und endgültig aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden bzw. zu bleiben. Willems Situation verändert sich erst durch das Wirken Manuels. Er lernt von Manuel, sich auszudrücken, zwar zunächst noch stumm, aber doch verständlich und emotional. So ermöglicht die Maske des Clowns Willem durch ihr Merkmal, zwischen innen und außen zu vermitteln, sein Inneres zum Ausdruck zu bringen und etwas zu äußern bzw. durch Handlungen zu suggerieren, was er sich vorher nicht traute. Dies wird in besonderem Maße durch die Schutzfunktion der Maske gefördert. Im Falle Willems entsteht diese einerseits durch die innere Verwandlung, welche durch die Maske hervorgerufen wird und ihn selbstsicherer macht.

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

Andererseits wird durch die Maske eine neue persona geschaffen, welche sich wie eine zweite Haut, eine Schutzschicht, behütend über die Figur legt. Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich, ist die Verwandlung Willems ein allmählicher Prozess, da er bereits vor der im Folgenden analysierten Schminkszene einige clowneske Merkmale aufweist. Darunter fällt an erster Stelle seine nonverbale Kommunikation. Außerdem sind Willems Außenseiterposition und seine soziale Motivation, die Situation der (Familien-)Gemeinschaft zu verbessern, typisch für die Figur des Clowns. Das vollständige Annehmen der Rolle, welches sich durch die im Folgenden beschriebenen Szenen der Verwandlung ereignet, entspricht somit der Identität der Figur und ist daher keine grundlegende Verwandlung, sondern ein weiterer Schritt ihrer Identitätsfindung. Die eigentliche Wandlung vollzieht sich in drei Schritten. Im ersten wird Willem von Manuel das Gesicht geschminkt. Im zweiten Schritt vollzieht sich eine innere Verwandlung. So spricht Willem sein erstes Wort nach zwei Jahren, was eine wesentliche Veränderung darstellt und auch seine Familie aufhorchen lässt. Erst eine halbe Stunde Erzählzeit später erhält er im dritten Schritt ein zu seiner Maske passendes Kostüm, das dem Manuels gleicht und seine Wandlung komplettiert. Das Schminken von Willems Gesicht beansprucht nur etwa 80 Sekunden Erzählzeit (wobei ein Teil dieser Zeit einer Parallelmontage gewidmet ist, welche die Familie Willems auf der Suche nach ihrem verschwundenen Sohn zeigt). Umso ausgeklügelter sind ihre Gestaltung und Bedeutung für den Handlungsverlauf. Eingeleitet wird die Szene mit Manuels Versuch, den weinenden Willem zu trösten, der gerade einen heftigen Streit seiner Eltern mit angehört hat. Er legt eine Hand auf den vornüber gebeugten Willem und beruhigt ihn mit den Worten: »Weinen tut gut. Aber das Leben ist zu kurz für Tränen. Geh lieber spielen. Spielen ist viel besser. Spielen ist immer besser als weinen. Komm. Lass uns etwas malen. Wir löschen die Tränen und diesen Willem. Und malen einen neuen.« Die Verwandlung wird somit explizit durch den Dialog angekündigt. Zudem wird sie mit der positiven Tätigkeit des Spielens sowie dem Neuen generell in Verbindung gebracht und impliziert das Zurücklassen der Tränen als Sinnbild des Leids. Manuel beendet seine Worte mit einem Stups auf Willems Nase – eine Geste der Aufmunterung und die Hervorhebung dieses für den Clown so entscheidenden Körperteils. Die folgenden Einstellungen kommen ohne gesprochene Worte aus und sind nur von Orchestermusik untermalt. Die bildkompositorische Auflösung der Szene ist für die Betrachtung der Verwandlung äußerst erkenntnisreich. Die Szene besteht aus elf Einstellungen (ohne die Einstellungen der Suchaktion), die ich hier zum besseren Verständnis abbilde:

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Abbildungen 49-59: Einstellungsabfolge der Schminkszene in Paljas. Screenshots.

Löst man die Szene in ihre Einstellungen auf und analysiert dabei die Position der Kamera, fällt auf, dass es keinen Achsensprung gibt. Dies verwundert, da Manuel und Willem in zwei aufeinanderfolgenden Einstellungen an der gleichen Stelle im Bild zu sehen sind (Abb. 54 und 55), obwohl sie sich gegenübersitzen (Abb. 56, 57 und 59). Das scheinbare Paradox lässt sich mit dem Spiegel erklären, durch welchen Willem fotografiert wird (Abb. 56). Bedeutsamer als diese technische Realisierung scheint mir jedoch der Effekt dieser Einstellungsabfolge zu sein. Dadurch, dass beide Figuren direkt hintereinander an der gleichen Stelle im Bild zu sehen sind, jeweils mit weißer Schminkmaske, werden sie einander gleichgestellt, vielleicht sogar der eine durch den anderen ersetzbar. Dies deutet bereits spätere Entwicklungen an, wenn Manuel abreisen und Willem seinen Platz einnehmen wird. Diese Substitution wird durch die beschriebene Nähe und Ähnlichkeit der Figuren möglich. Die geringe Distanz zwischen Manuel und Willem und ihre vertraute Beziehung zueinander werden schon früh auf

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

bildkompositorischer Ebene zum Ausdruck gebracht. Beide Figuren werden oft einander gegenüber oder nebeneinander gezeigt, wodurch sie als gleichwertige Gesprächspartner charakterisiert werden. Dies steht im Gegensatz zur Inszenierung Willems mit seinen Eltern, vor allem mit seinem Vater. Mit diesem befindet er sich meist in einem eher hierarchischen und antagonistischen Verhältnis in der Bildkomposition. Manuel indes sieht ihn nicht als naives Kind, dem man von oben herab Befehle erteilen muss, sondern als ebenbürtig und gleichberechtigt. Dieses Zutrauen, welches er Willem entgegenbringt, erklärt, dass Willem nach der Schminkszene nicht nach Hause zurückkehren möchte. Manuel ›erpresst‹ ihn damit, dass er ihn nicht wiedersehen werde, wenn er nicht heimgehe. Damit zwingt er Willem, der äußeren Verwandlung durch die Maske die seines Verhaltens folgen zu lassen und sich seinen Problemen zu stellen. Willem folgt der Aufforderung seines Mentors schließlich und rennt nach Hause. Allein seine lange Abwesenheit hat dort etwas ausgelöst: Hendrik und Katrien reden miteinander, sie teilen die Sorge über den verschwundenen Sohn. In der nächsten Szene findet Emma Willem im Morgengrauen schlafend auf der Veranda und alarmiert umgehend die Mutter. Hendrik kommt gerade in diesem Moment von der Polizeiwache zurück, auf der er seinen Sohn als vermisst gemeldet hat. Zu dritt überfallen sie ihn mit Freude, Ärger und vielen Fragen darüber, wo er gewesen und warum sein Gesicht geschminkt sei. Interessant hierbei ist, dass die Szene erneut in der Dämmerung spielt. Zum ersten Mal im Film wird jedoch nicht die Abend-, sondern die Morgendämmerung inszeniert. Das Anbrechen eines neuen Tages weckt Hoffnung auf die Möglichkeit zur Veränderung. Dass eine solche bereits im Gange ist, zeigt die Tatsache, dass alle Familienmitglieder zum ersten Mal seit der Ankunft des Zirkus wieder in einem Bildkader vereint sind und gemeinsam agieren. Die Schminkszene ist somit auf verschiedenen Ebenen wegweisend und handlungsbestimmend. Dass das Schminken Willems nicht auf eine äußere Veränderung beschränkt ist, zeigt sich daran, dass er auf der Veranda statt im Haus schläft. Da diese zwar dem Haus angeschlossen ist, sich jedoch an dessen Rand und von ihm abgetrennt befindet, ist die Veranda als Grenzort zu sehen. Somit situiert sich Willem an einem für den Clown typischen, marginalen Ort. Dass seine Verwandlung in den Clown eine Veränderung Willems und durch ihn der Situation der Familie bewirkt, wird auch dadurch deutlich, dass er nicht mehr der Umarmung seiner Mutter (und umgekehrt) bedarf, um schlafen zu können. Er hat den ersten Schritt zu einem eigenständigen und selbstbestimmten Jungen gemacht. Am deutlichsten zeigt sich Willems Veränderung daran, dass er wieder zu sprechen beginnt. So hört ihn seine Familie zum ersten Mal in einer Szene nach einer Stunde und acht Minuten Erzählzeit, als er verzweifelt immer wieder Manuels Namen ruft, nachdem er ihn nicht an seinem gewohnten Platz in der Scheune angetroffen hat. Am Abendbrottisch ist die Situation angespannt. Es ist schließlich Emma, die Willem bittet, zu erzählen, was los sei. Willem nähert sich ihr und

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schaut sie an, geht zum Klavier, öffnet es, geht danach erneut zu Emma zurück und sagt: »Spiel.« Als diese kaum reagiert, nimmt er sie an der Hand, führt sie zum Klavier und sagt, als sie noch immer zögert: »Spiel!« Emma versucht sich aus der ungewohnten Situation herauszuwinden, indem sie vorgibt: »Ich kann nicht. Ich kann es nicht mehr.« Willem reagiert mit Taten statt Worten und drückt langsam eine Taste des Klaviers, wodurch der Bann gebrochen scheint. Daraufhin beginnt Emma langsam und noch etwas unbeholfen zu spielen. Die Veränderungen lassen sich an den gerührten Gesichtern der Eltern ablesen. Willem hat seine Sprache und Emma ihre Musik, ebenfalls ein Medium der Expression von Emotionen, wiedergefunden. Dies führt dazu, dass die Stimmung in der Familie zunehmend herzlicher und intimer wird. Raumsemantisch kommt das dadurch zum Ausdruck, dass sich Hendrik, Katrien und Willem langsam auf das Klavier zubewegen, um das sie sich schließlich versammeln. Dabei werden alle Familienmitglieder von der Kamera zusammen im Bild eingefangen. Unmittelbar nach der Szene findet der Übergang zum letzten Schritt der Verwandlung, der Kostümierung, statt. Zunächst ist Willem in einem bunt gestreiften Pullunder statt seiner bis dahin üblichen hellen, unifarbenen Kleidung zu sehen, wodurch die Farben des Clownskostüms vorweggenommen werden. Für das Nähen des Kostüms, um welches Willem seine Mutter ausdrücklich – und zwar verbal – gebeten hat, ist die Zusammenarbeit der beiden Ehepartner notwendig. Zwei aufeinanderfolgende Einstellungen zeigen zunächst Hendrik, wie er die Nähmaschine repariert und daraufhin Katrien, die sie benutzt, um das Kostüm zu nähen. Wenngleich dies die traditionelle Rollenverteilung unterstreicht, steht hier der Aspekt der Zusammenarbeit im Vordergrund. Die Verwandlung Willems in einen Clown steht somit erneut in direktem Zusammenhang mit der Wiedervereinigung seiner Familie, ja fordert und bewirkt diese geradezu. Die These von Jane Gaines, dass das Kostüm im Film den Fortgang der Handlung antizipieren könne, trifft somit auf Paljas nicht zu. Vielmehr vervollständigt es hier auf visueller Ebene einen Verwandlungsprozess, der bereits vorher auf dramaturgischer Ebene und danach auf visueller durch die Schminkszene eingesetzt hat. Dieser Prozess der Verwandlung der Figur ist nach ca. einer Stunde und zwanzig Minuten Erzählzeit abgeschlossen. Eine weitere wichtige Funktion des Kostüms in Paljas ist, die jeweilige Figur als anders und damit außenstehend zu markieren. Für den Außenseiter Willem macht dieser Umstand den Clown Manuel interessant, für die anderen Figuren werden Willem und Manuel dadurch suspekt und bedrohlich. Der Moment, in dem die Verwandlung abgeschlossen ist, ist an einem bestimmten Sachverhalt abzulesen. Während des gesamten Films gibt es immer wieder Momente, in denen Willem in Panik und Angst verfällt, wenn er denkt, dass Manuel nicht mehr da sein könnte. Er braucht ihn. Am Ende jedoch ist er selbst zu dem geworden, was Manuel repräsentiert und bedarf der schützenden Figur, des Mentors und Anleiters nicht mehr. Deshalb ist der Abschied Manuels am Bahnhof nicht als verzweifelte oder traurige Situation inszeniert, sondern von

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

großer Herzlichkeit und Freundschaft geprägt und von heiteren Bandoneonklängen untermalt, welche die beiden vorher zusammen gespielt haben. Manuels Geschenk des entsprechenden Instruments ist mit den Wünschen verbunden, Willem solle jeden Tag spielen und lachen – der Ausdruck der Hoffnung, er möge die positiven Veränderungen, die sie im Ansatz zusammen erreicht haben, weiterführen. Die Frage danach, ob die Verwandlung vorübergehend ist, wie es für die Literatur der Metamorphose typisch ist (vgl. Kap. 2.3), muss für Paljas verneint werden. Der Clown Manuel erreicht sein Ziel der Ansteckung und erschafft mit Willem seinen Nachfolger. Dies vermag die Ausnahme zu erklären, die Paljas im Hinblick auf das typische Einzelgängertum des Clowns scheinbar einnimmt. Denn es handelt sich um einen der wenigen Filme, in denen es zwei Clowns gibt, die zusammen auftreten. Doch der Schein in Paljas trügt. Manuel und Willem sind nur so lange zusammen, bis die Verwandlung Willems abgeschlossen ist – zum Ausdruck gebracht durch die komplette Kostümierung. Nur für einen kurzen Moment sehen wir danach beide Figuren zusammen im Clownskostüm, d.h. als vollständige Clowns. In einem poetischen Moment im warmen Licht der Abendsonne musizieren sie gemeinsam auf dem Bandoneon. Zu diesem Zeitpunkt ist die Abendstimmung jedoch bereits als Sinnbild für ein Zu-Ende-Gehen von einem Zustand im Film etabliert. So kennzeichnet sie auch in diesem Fall das Ende der idyllischen Gemeinschaft der beiden Freunde. Denn nur wenige Sekunden später wird Manuel vom Schuss Jan Mols getroffen, was zum ersten Ablegen der Maske Manuels führt. Sobald dieser wieder etwas zu Kräften gekommen ist, wird die Rückverwandlung in seine persona durch eine bunte Decke, die ihm über den Schultern liegt, sowie das Musizieren auf dem Bandoneon angedeutet. Wenig später gibt es eine spiegelbildliche Szene zu der oben analysierten Schminkszene. Willem schminkt Manuel ein fröhliches Gesicht, als dieser in einer Mischung aus Freude und Traurigkeit weint, weil die Familie sich so herzlich um ihn kümmert. Nach seiner Genesung wird Manuel – dem Westerner gleich – weiterziehen und in Willem seinen Nachfolger hinterlassen. Er hat Willem mit seinem Esprit gleichsam angesteckt und wurde von ihm abgelöst. Das Motiv der Ansteckung kann wiederholt im Film beobachtet werden. Zu der bereits beschriebenen Schminkszene kommt eine weitere hinzu. Am Morgen nach seiner Rückkehr sitzt Willem bei seinem weinenden Vater auf dem Schoß. Willem wischt ihm sanft die Tränen aus dem Gesicht, genauso wie Manuel es vorher mit ihm gemacht hat. Danach reibt er sich ein bisschen Schminke vom Gesicht und malt damit dem Vater eine rote Nase und zwei rote Punkte auf die Wangen.

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Abbildungen 60-64: Die Ansteckung durch den Clown. Bei der Maskierungsszene ist zunächst nur ein Clown im Bildkader zu sehen. Danach sehen wir zwei und später durch die Spiegelung sogar drei Clowns. Durch die ›Ansteckung‹ Hendriks gesellt sich noch ein vierter Clown hinzu. Screenshots aus Paljas.

Die Frage Katriens, warum Hendrik weine, beantwortet dieser mit den Worten: »Ich weine wegen allem.« Dabei lacht und weint er gleichzeitig wie wenig später auch Manuel. Dies kann als clowneskes Merkmal verstanden werden, da der Clown Gegensätze zusammenbringt, die nur nach unserem Verständnis getrennt sind, aber eigentlich – auch physiologisch – eng beisammen liegen (vgl. Weihe 2016: 271). Somit wird auch Hendrik verwandelt, was sich daran zeigt, dass er in der nächsten Szene das Verhalten seines Sohnes gegen die Polizisten verteidigt, statt wie sonst der Konfrontation auszuweichen. So kann die einleitende These dahingehend erweitert werden, dass der Wunsch zur Versöhnung der Gemeinschaft, welcher durch die Maske zum Ausdruck kommt und dessen Realisierung durch die Verwandlung Willems begonnen wird, durch das Motiv der Ansteckung weitergetragen wird. Dies zeugt erneut von der großen Bedeutung des sozialen Aspekts des clownesken Wirkens. Im Sinne der These der Maskierung als Demaskierung kann die Clownsmaskierung Willems in mehrfacher Hinsicht als Befreiung gelesen werden. Da sein Schweigen durch den Arzt als Symptom eines Angstzustandes beschrieben wird, kann die Wiedererlangung seiner Sprache als Befreiung von der Angst gedeutet werden. Erst dank der Maske traut er sich, zu sprechen und damit seinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu verleihen. Die Angstfreiheit wurde in Kapitel 3.3.1 als bedeutendes Merkmal des Clowns erkannt, in welchem ein Teil seiner Macht begründet liegt. Die neu erlangte Freiheit wird auf bildlicher Ebene durch

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

das Schlussbild zum Ausdruck gebracht, in welchem Willem auf einem Windrad sitzend zu sehen ist. Durch den ihn umgebenden Himmel werden Weite und Freiheit betont, was in deutlichem Gegensatz zu dem ihn am Anfang charakterisierenden Bild steht, in welchem er hinter dem Maschendrahtzaun gefangen schien. Von Befreiung im Sinne einer Enthüllung kann gesprochen werden, da bis dahin als Krankheit oder Abweichung gewertete Merkmale seines Charakters nun in die neue Clownsidentität eingewoben sind und sich frei entfalten dürfen. So können etwa die Tierimitationen, die er mit Manuel gemeinsam macht, als Fortführung seiner Imitation der Familienmitglieder verstanden werden. Auch die Tricks, die Willem präsentiert, sowie seine trotz des Wiedererlangens seiner Sprache weiterhin vorwiegend nonverbale Kommunikation sind zentrale Elemente des Clowns. Vor allem aber kann die Befreiung auf die Familie bezogen werden. Sie wird durch Willem (und indirekt durch Manuel) aus ihrer Isolation und fehlenden Verständigung erlöst.

3.4.2.5 Der Wille zur Veränderung Wie im einleitenden Kapitel beschrieben, ist der Clown durch sein die Ordnung aufbrechendes und störendes Verhalten gekennzeichnet. Dieses führt jedoch selten zu einer umfassenden oder grundlegenden Veränderung der Zustände, da sich jede Ordnung erst durch das aus ihr Ausgeschlossene definieren kann und das störende Element damit Teil der Ordnung wird. So haben auch die beiden Clowns Manuel und Willem nicht die Macht, die gesamte Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Hier steht die als rückständig, abergläubisch und fremdenfeindlich gezeichnete diegetische Bevölkerung von Toorwater für den weißen Teil der südafrikanischen Gesellschaft, die jahrzehntelang den Rückhalt für das System der Apartheid bildete. Ihr Denken und ihre Einstellungen würden sich nicht so leicht verändern. Dennoch lassen sich auf Ebene der Familie MacDonald am Ende eindeutige Unterschiede zur Ausgangssituation feststellen, sodass Hoffnung bestehen bleibt. Manuels Ziel, Willem seine Stimme als Ausdruck seines Willens zurückzugeben und ihn zu verwandeln, wird erreicht. Dadurch ermächtigt er Willem, durch eben diese Verwandlung dem eigentlichen Ziel näherzukommen, nämlich der Überwindung der Sprachlosigkeit und Einsamkeit der Familienmitglieder. Die wichtigsten durch den Clown Willem hervorgerufenen Veränderungen sind zunächst, dass die MacDonald-Männer in Paljas ›ihren Mann stehen‹. So traut sich Hendrik, nachdem er bei einer Tanzveranstaltung vor der versammelten Gemeinde erniedrigt und geschlagen wurde, zum ersten Mal auf diese ungerechte Behandlung mit mehr als nur mit leeren Worten zu reagieren. Er schlägt kräftig zu und verleiht seinem Zorn handgreiflich Ausdruck. Die zweite wichtige Veränderung ist die Annäherung Hendriks und Katriens, die am Ende des Films zusammen flirten, tanzen und lachen sowie diejenige zwischen Emma und Nollie. Willem ist für die Familie zum Erlöser aus der Isolation geworden. Dies ist dank seiner Begabungen und Fähigkeiten möglich gewesen, die in der Figur Willems bereits angelegt, durch seine Stummheit jedoch zunächst zu-

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3. Analytischer Teil

rückgedrängt waren. Durch die Befreiung des Maskierungs- bzw. Verwandlungsvorgangs sind sie zum Vorschein gekommen. Sie sind entscheidend für die Erreichung von Willems Zielen, da sie das Potenzial haben »to reverse entrenched habits of isolation. This communication seeks to inculcate new habits of family renewal, of coming to consciousness at the personal, cultural and political level.« (Tomaselli 2006: 52) Bedeutsam an diesem Zitat ist die gesellschaftspolitische Übertragbarkeit der Geschichte: Willem is symbolic of the new generation: he regains his voice as he responds positively to the magic weaved by the paljas. The paljas is possibly symbolic of ›the Madiba Magic‹ – Nelson Mandela – whose policy of non-racialism and reconciliation has been and still is healing South Africa’s past. (Ebd.)

Der Zug, das Sinnbild für die Reise schlechthin, der die Magie in Form des Clowns Manuel zuerst nach Toorwater gebracht hat, kann daher als »metaphor for the family’s turbulent emotional, cultural, and ideological journey from the darkness of apartheid back into the light of a post-apartheid reconciliation (familial, cultural and political)« gelesen werden (ebd.: 51). Dennoch kann das Ende ambivalent interpretiert werden. Aufgrund des ›Einbruchs‹ der Gesellschaft in die häusliche Sphäre, als Hendrik und Katrien die Bewohner Toorwaters zur Versöhnung zu sich nach Hause einladen, kommt es nicht zu der dringend nötigen Aussprache. Die Schallplatte, die Nollie auflegt, weist ebenfalls darauf hin, dass sich nicht viel ändern wird, ertönt doch das zu Beginn zitierte Lied, welches zur Erinnerung aufruft und damit in die Vergangenheit weist. Getrübt wird die positive Stimmung zudem durch die Ausgrenzung Willems. Das Schlussbild zeigt ihn, wie er alleine auf dem Windrad im Hof sitzt und sein Bandoneon hochzieht. Kurz davor wurde er von Nollie und Emma weggeschickt, weil er sie mit seinen Tricks beim Kuss gestört hatte. Während die anderen Mitglieder der Familie glücklich tanzen und endlich vereint sind, bleibt Willem ausgeschlossen und allein. Sein Blick ist auf die von ihm geschaffene, wiedervereinte Gemeinschaft gerichtet, die im Haus fröhlich lacht und tanzt. Seine marginale Position – er befindet sich zwar auf dem Grundstück der Familie, jedoch nicht bei den anderen im Haus – ist charakteristisch für den Clown. Wie Manuel zuvor übernimmt auch er die Rolle des Opfers, durch welche er für die anderen zum Erlöser wird. Die Vereinigung der Familie ist zwar nicht zur Gänze erreicht, da Willem – seiner neuen Clownsidentität entsprechend – außen vor bleiben muss. Dennoch zeugt das Schlussbild, in dem er vor der farblich das Bild dominierenden Morgenröte Bandoneon spielt, durch die Symbolik des Anbruchs des neuen Tages von einem Neubeginn und Hoffnung. Dieser Neuanfang, welcher durch die mit Mandela in Verbindung gebrachte titelgebende Magie (paljas) möglich geworden ist, kann in direkten Bezug zur gesellschaftspolitischen Situation Südafrikas gebracht werden, da das Land zur Entstehungszeit des Films mit

3.4  Die Clownsmaske als Ausdruck des Willens zur Veränderung

der schwierigen Transition von der Apartheid zu einem neuen Südafrika befasst war. Den Clownsfiguren in Paljas ist ein verhältnismäßig großer Erfolg im Hinblick auf ihren Wunsch nach Veränderung beschieden. Doch die in der theoretischen Einleitung bemerkten Widerstände, eine Ordnung nachhaltig zu verändern, sind auch hier sichtbar. So bleiben die beiden Ordnungsstörer als konstitutives Außen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und müssen sich für das Wohl der anderen opfern. Dennoch bleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, welche auf das 1998 in der Erneuerung begriffene Südafrika zu übertragen ist, bestehen: »[T]he despised Afrikaner family comes to consciousness in Paljas, and spreads the value of reconciliation.« (Ebd.: 52)

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4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

Die vorliegende Dissertation hat sich die Aufgabe gestellt, auf Basis einer intensiven Literatur- und Filmsichtung ausgewählten Fragestellungen zur filmischen Clownsfigur und ihrer Maske nachzugehen. Anhand eines kurzen geschichtlichen Abrisses habe ich bedeutsame Entwicklungen diverser Clownstypen aufgezeigt und daraus relevante Problemfelder festgelegt und bearbeitet. Dazu zählen insbesondere die folgenden Themenkomplexe und Fragestellungen: Wie lässt sich die jahrtausendealte Figur des Clowns fassen, beschreiben und definieren und welche Probleme ergeben sich dabei? Lassen sich die Ergebnisse dieser Überlegungen auf filmische Clownsfiguren übertragen oder inwiefern weichen diese davon ab? Wodurch sind solche Abweichungen bedingt? Schon bei der Auseinandersetzung mit der Historie wurde deutlich, dass der Clown ein Paradigma ist, das in unterschiedlichen Sozietäten in verschiedenen Masken auftritt, um eben dieser Gesellschaft in seinem Auftritt etwas widerzuspiegeln. Diesen Themen bin ich anhand detaillierter Figurenanalysen nachgegangen, um zu verstehen, was den Clown als Filmfigur charakterisiert. Aus den Antworten auf diese Fragen haben sich spezifische Besonderheiten ergeben. So hat sich in den Filmanalysen das soziale Moment des Clowns, welcher als Stellvertreterfigur für gesellschaftliche Konflikte fungiert, als besonders zentral herausgestellt. Diese Erkenntnis wiederum führte zu einer der verschiedenen Antworten auf die Frage, warum in so vielen Filmen die Maskierung zum Clown explizit gezeigt wird. Die Bedeutung, die diese Standardszene in Clownsfilmen hat, setzte eine eingehende Beschäftigung mit der Maske voraus. Diese ist interessant als kulturelles Artefakt, in ihrer konkreten Verwendung im Spielfilm (hier sowohl als Element in der Diegese als auch als Maske des Schauspielers) sowie durch ihren Bezug zu Verwandlung, Rolle und Identität. Diese letztgenannten Verbindungen rufen die folgenden Fragen auf. Im Zusammenhang mit dem ersten Aspekt: Ist eine durch die Maske bewirkte Veränderung von Dauer oder nur temporär? In der Forschung zur literarischen Metamorphose wird des Öfteren betont, dass solche Verwandlungen meist nur vorübergehend sind. Die Leitthese der Arbeit, nach

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Clownsmasken im Film

welcher Maskierungen in den untersuchten Filmen etwas enthüllen, steht dazu jedoch im Widerspruch, da ein für die Filmzuschauer offenbartes Wissen sich nicht mehr zurücknehmen lässt. In Bezug auf die Maske: Geht das Anlegen der Maske auch mit einer Annahme der Rolle des Clowns einher und falls nicht, wie lassen sich solche Abweichungen erklären? Eng mit dieser Thematik verbunden ist die Frage nach der Identität der Figur. Wenn eine Figur mit Überstülpen oder Auftragen einer Clownsmaske auch in die entsprechende Rolle schlüpft, hat dies auch Auswirkungen auf die ihr vom Zuschauer zugeschriebene Identität? Und was geschieht im umgekehrten Fall? In beiden Fällen war es interessant zu untersuchen, was anhand solcher Rollenwechsel und Identitätsfragen über weitere, gesellschaftliche Zusammenhänge erzählt bzw. verhandelt wird. Die Ergebnisse der beschriebenen Analysen geben Antworten auf die Frage, welche spezifischen Funktionen die filmische Clownsmaske erkennen lässt, ob eine Abhängigkeit von Maskentyp und -funktion besteht und ob sich historische Häufungen und Auffälligkeiten abzeichnen. Im Folgenden sollen diese Erkenntnisse kurz zusammengefasst und diskutiert werden.

4.1 Z u den verschiedenen E benen der F igur und dem E influss der M aske auf die I dentität der C lownsfigur Ein erstes Ergebnis in Sachen Identität wurde im Theorieteil erarbeitet. Es hat sich gezeigt, dass ein Unterschied besteht zwischen der Instanz des Künstlers und der des naiven Spaßmachers, der, an den selben Körper gebunden, für das Publikum erkennbar wird. Damit lässt sich die Schwierigkeit einer Definition des Clowns erklären. Denn oft wird diese Unterscheidung nicht berücksichtigt, wodurch scheinbare Paradoxe bei der Beschreibung der Figur auftreten. Dies lässt sich anhand der charakteristisch marginalen Position des Clowns veranschaulichen: Er ist zwar Teil der Gesellschaft, weshalb er sie verstehen und kritisieren kann, steht jedoch zu sehr an ihrem Rand, als dass ihn ihre Strafe ereilen könnte. Vor dem Hintergrund der beiden Ebenen der Figur wird dieser scheinbare Widerspruch verständlich. Denn das erste Merkmal trifft auf den Künstler zu, der den Clown verkörpert, das zweite auf die Clownsfigur. Da beide denselben Körper teilen, wird alltagssprachlich – und bisweilen selbst in der Fachliteratur – keine Unterscheidung zwischen beiden getroffen. Die dem Clown geltende Degradierung und Ausstoßung sowie die damit zusammenhängende Immunität werden in diesen Fällen auf den Künstler ausgeweitet. Umgekehrt wird in der Vorstellung des ›weisen Narren‹ die Intelligenz des Künstlers auf die Bühnenfigur des Clowns übertragen. Außer bei den natural fools, bei denen diese wichtige Unterscheidung zwischen Künstler und Figur tatsächlich nicht gegeben war, ist dieser Unterschied für beinahe alle Clowns gültig. Im Film muss eine weitere Ebene berücksichtigt werden. Denn dort wird die den Clown verkörpernde Figur ihrerseits von einem Schauspieler dargestellt.

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

Es sind demnach drei Entitäten, die bei der Betrachtung von Clownsfiguren im Film eine Rolle spielen und bei der Analyse getrennt voneinander berücksichtigt werden müssen. Während in den meisten analysierten Filmen gerade der Unterschied zwischen Figur und Clown von der Inszenierung hervorgehoben wird, gibt es ebenso Beispiele, in denen mit der Unmöglichkeit dieser Unterscheidung gespielt wird. Als in dieser Hinsicht besonders interessant hat sich der Joker aus The Dark Knight erwiesen. Durch die widersprüchlichen Aussagen über den Ursprung seiner charakteristischen Narben können die Zuschauer keine kohärente und stabile Figurenbiografie oder Identität des Jokers rekonstruieren. Dadurch erfolgt mittels der Maske eine Entlarvung von gesellschaftlich akzeptierten und als unverrückbar geltenden Kategorien, wie beispielsweise eine eindeutig zuweisbare Identität. Es verwundert nicht, dass sich der Joker gerade im 21. Jahrhundert so großer Beliebtheit erfreut, in dem sich durch virtuelle Parallelwelten im Netz die Frage nach der Identität neu stellt. Ein weiterer Grund für seine Omnipräsenz kann in der in den letzten Jahrzehnten wieder verstärkten Verbreitung der Figur des Clowns als Sinnbild für ein Auf begehren gegen herrschende Ordnungen gesehen werden, wie ihn etwa die CIRCA-Gruppe vorführt. Der Joker mit seiner anarchistischen Haltung eignet sich hervorragend als Zeichen der Unzufriedenheit mit politischen oder merkantilen Systemen, als Sinnbild für Rebellion, politischen Ungehorsam und Aktivismus. Hilfreich für solche Aktionen ist die Eigenheit der Maske, Zutritt zu bestimmten, gewöhnlich unzugänglichen, Bereichen zu verschaffen. An Figuren wie dem Joker und einigen anderen Evil-Killer-Clowns wird dieser Mechanismus besonders deutlich erkennbar, und es zeigt sich, wie die Clownsfigur aufgrund des Zutritts zu normalerweise verschlossenen Orten ihre Rolle als Entblößer und Kritiker ausüben kann. So gesehen ähnelt das untrennbar verfeindete Paar Batman-Joker einer älteren heiklen Symbiose: dem König und seinem einflussreichen Hofnarren. Die Figur wird aufgrund ihrer Maske als lustiger Spaßmacher missverstanden und nicht ernst genommen. So kann sie sich einen Spielraum zur Manipulation eröffnen. Ähnliches trifft auf die Figuren zu, bei welchen die Tarnung durch die Maske im Vordergrund steht, wie bei Grimm in Hold-Up. Die Maskierung als scheinbar lustiger und harmloser Dummer August lässt ihn die Bank, die er sodann ausrauben wird, unbehelligt betreten. Die Gesellschaftskritik, die in diesem Film mittels der Clownsfigur geübt wird, wird erst durch das Moment der Maskierung ersichtlich (welches selbst um des Überraschungseffekts willen nicht im Bild zu sehen ist). Grimm tauscht Clownsmaske und -kostüm anschließend mit dem Anzug des Bankdirektors, sodass nun diesem die Konnotation des Clownesken zugeschrieben wird. Zudem werden durch den Rollentausch die Identitäten der Figuren instabil und neu zur Diskussion gestellt. Denn der Direktor verhält sich von dem Moment an tatsächlich unautoritär und lächerlich, während Grimm im Direktorenanzug die Fäden zieht und das Geschehen bestimmt. An dem Beispiel lässt sich zeigen, wie Judith Butlers im Theorieteil vorgestelltes Konzept der performativen Geschlechterparodie auf das Wirken des Clowns anwendbar ist. Die

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parodistische und dadurch leicht verschobene Wiederholung der Norm, welche Butler als Bedingung für das Entstehen von immer im Werden begriffenen Identitäten ansieht, lässt sich in Hold-Up beobachten. Dadurch, dass die Maskierung wiederholt wird, die Maske jedoch nicht den Täter – den Bankräuber Grimm –, sondern das Opfer – den Bankdirektor – bedeckt, wird die Täter-Opfer-Dichotomie in Frage gestellt. Die beiden Ebenen der Figur, welche durch die Maskierung einer vorher nicht als Clown maskierten Figur unterscheidbar werden, ermöglichen es, die Figur ›hinter der Clownsmaske‹ in den Blick zu nehmen. Ihre Verortung in einem sozialen Kontext kann als Besonderheit des Films gelten, da sie auf der Bühne, der Straße oder in der Manege kaum umsetzbar und nicht üblich ist. Genauso wenig wie dort – im Gegensatz zu den meisten hier verhandelten Filmen – die Maskierung zum Clown offenbart wird. Gleichzeitig prädestiniert diese Auffälligkeit die Clownsfiguren zur Verkörperung des Konfliktes von Sein und Schein. Die Maske, welche den Clown als solchen identifiziert, sieht fröhlich aus und suggeriert Heiterkeit. Hinter dieser können sich jedoch andere Befindlichkeiten verbergen. Eine solche kontrastierende Darstellung von Figur mit und ohne Clownsmaske vermag das Stereotyp des traurigen Clowns zu erklären. ›Der Clown‹, vor allem der Dumme August, ist selten traurig – auch im Film nicht. Einzig die Person oder Figur ›hinter der Maske‹ kann traurig sein. Sie ist zwar aufgrund des geteilten Körpers und ihrer persönlichen Erfahrungen und Charakteristika, die sie in die Gestaltung der Figur einfließen lässt, mit dieser aufs engste verbunden, nicht jedoch mit ihr identisch. Das Syntagma ›trauriger Clown‹ vernachlässigt die Trennung der beiden unterschiedlichen Ebenen. Da beide Gestalten im Film, wie die Analysen gezeigt haben, zum größten Teil als ein und dieselbe Figur wahrgenommen werden, kann dieses Paradox dennoch bestehen und die Verwendung des Oxymorons ›trauriger Clown‹ sogar sinnvoll erscheinen. Das Syntagma ›Figur hinter der Maske‹ habe ich bewusst in Anführungszeichen gesetzt, da diese Formulierung eine Dichotomie und eindeutige Trennung von Maske und Gesicht suggeriert. Wie in den theoretischen Überlegungen zur Maske diskutiert, handelt es sich dabei um eine vereinfachende, wenn nicht gar naive Sicht. Die Filmanalysen haben gezeigt, dass die Trennlinie zwischen Figur und Clown auch im Film meist nicht eindeutig zu bestimmen ist und sich Eigenschaften und Verhaltensweisen von Clown und Figur überlagern und überschneiden. Ein extremes Beispiel hierfür ist wiederum der Joker, bei dem nichts mehr unter der Maske zu erkennen ist. Weil den Zuschauern die Konstruktion einer eindeutigen Identität verweigert wird, wird die scheinbare Dichotomie von Sein und Schein dekonstruiert und als unhaltbar entlarvt. Durch die Maskierung wird das Ausleben verschiedener Facetten der Identität möglich und für die Zuschauer anhand der Masken veranschaulicht. Auch Sergio aus Balada triste de trompeta ist hierfür ein gutes Beispiel. Seine gefühlvolle und ehrliche Seite wird durch die heitere und freundliche Maske des August dargestellt. Sie gehört ebenso zu seiner Identität wie die des gewalttätigen Machos, die sich in der Maske des star-

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

ken, durchtrainierten und modisch gekleideten Mannes zeigt. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei den meisten Filmen am Ende des Rezeptionsprozesses das Modell einer Figur steht und nicht eines der Figur und eines des von ihr gespielten Clowns. Dazu trägt bei, dass einige entscheidende, die Identität bzw. Entität wesentlich mitbestimmende Charakteristika wie die Motivation, das Alter sowie allen voran die Verkörperung durch denselben Schauspieler oder dieselbe Schauspielerin – was in allen analysierten Filmen der Fall ist – auch während und nach der Maskierung beibehalten werden. Diese Kontinuität lässt wesentliche Merkmale des Figurenkörpers unverändert und durch die Clownsmaske hindurch sichtbar bleiben. Diese Wiedererkennbarkeit wird dadurch gefördert, dass die meisten Clownsmasken im Film Schminkmasken sind, durch die das Gesicht nicht so stark unkenntlich gemacht wird wie durch eine Aufsatzmaske. Ebenso leistet das explizite Zeigen der Maskierung einen wesentlichen Beitrag zur Wiedererkennung und Kontinuität der Figur. Die Figur durchläuft zwar eine äußerliche und innerliche Veränderung – wie es für filmische Hauptfiguren von dramaturgischer Notwendigkeit ist –, diese ist jedoch nicht so stark, dass die Identität der Figur untergraben und sie zu einer gänzlich neuen Figur wird. Folglich gibt es kein vorheriges ›wahres Selbst‹ der Figur und ein neues, durch die Maske hervorgerufenes, sondern beide ›Masken‹ sind gleichberechtigt und tragen zur Identität der Figur bei. Diese oder, genauer gesagt, das Figurenmodell des Zuschauers ist kein festes und statisches, sondern Merkmale des Clowns übertragen sich durch das auffällige Bild der Maske und die mit dieser assoziierten Charakteristika nach und nach auf das komplexe Bild der Figur, welches sich die Zuschauenden formen. Gerade diese Prozesshaftigkeit der Figurenentwicklung durch die Maskierung macht sie für den Film so spannend und kann erklären, warum die analysierte Szene im Kino eine solche Präsenz besitzt. Zudem markiert die Maskierungsszene nicht selten einen Wendepunkt der Handlung. Es ist auffällig, dass die beiden unterschiedlichen Gestalten vor und nach der Clownmaskierung in sehr vielen Filmen verschiedene Merkmale aufweisen. Teilweise ändert sich sogar der Name, was den Unterschied zwischen den Ebenen der Figur und des Clowns verdeutlicht. Dennoch kann in den meisten Fällen von einer Kontinuität der Identität gesprochen werden. Ein einziges Beispiel – Clown – wurde gefunden, in welchem sich die Identität des Maskenträgers so tiefgreifend verändert, dass die als Clown maskierte Figur letztendlich nicht mehr als dieselbe erscheint wie die unmaskierte. Hier hört die Maske auf, Maske zu sein (vgl. Assmann 2002: 151) und verschmilzt mit dem Gesicht der Figur. Von besonderer Bedeutung ist, dass dies zugleich einer der wenigen Filme ist, in welchem der Moment der Maskierung – als Bestätigung der Kontinuität – nicht gezeigt wird. In Clown ist die physische Veränderung des Protagonisten so stark, dass die ursprünglichen Gesichtszüge der Figur nicht mehr zu erkennen sind. In Übereinstimmung damit ändert sich auch ihr Verhalten so drastisch, dass deutlich wird, dass die Figur eine neue Identität angenommen hat. Dieser Film inszeniert so drastisch die in der Forschungsliteratur immer wieder

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hervorgehobene Beobachtung, dass die Maske ihren Träger verändern kann. An diesem Beispiel kann zudem die im Theorieteil vorgestellte und auf den ersten Blick vielleicht befremdlich erscheinende These erläutert werden, nach der die Maske für ihren Träger sowohl Schutz als auch Bedrohung bedeuten kann. Ist der Schutz durch die Tarnung, welche die Maske gewährt, leicht verständlich, scheint eine von der Maske ausgehende Bedrohung für den Träger selbst zunächst schwieriger nachvollziehbar. Sie kann jedoch in eben dieser Veränderung und dem damit einhergehenden Verlust der Identität bestehen. Hinsichtlich der Identität kann sich die filmische Clownsmaske folglich im breiten Spektrum zwischen Tarnung der Identität, ihrem Ausdruck (in der Offenbarung von Charaktereigenschaften) und dem Verlust derselben ansiedeln. Der in vielen Filmen explizit inszenierte Unterschied zwischen der Figur und der Clownsfigur wird meistens durch die Maske und weniger durch das Kostüm verdeutlicht. Die rote Nase, die Richard Weihe zu Recht als »kleinste Maske der Welt« bezeichnet (2004: 17), spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie erfüllt auch im Film den Zweck, einen Clown als solchen zu markieren und kann daher als entscheidender Teil der filmischen Clownsmaske gesehen werden. Besonders prägnante Beispiele haben wir in Octopussy, Hold-Up oder Sleuth gesehen (vgl. Kap. 3.2), wo es jeweils die Maske ist, mit deren Auf- oder Absetzen ein Wechsel zwischen den beiden Ebenen sowie ein Hinein- bzw. Herausschlüpfen in die bzw. aus der Rolle des Clowns angezeigt wird. Diese Rollenannahme wird in vielen Fällen anhand der Reaktionen eines diegetischen Publikums auf die Figur erzählt. So führen die misstrauischen Blicke der Kinder in Hold-Up dazu, dass sich Grimm die rote Nase aufsetzt und sein Verhalten ändert. Im und durch dieses Moment der Maskierung wird er vom angespannten Bankräuber zum lustigen Dummen August, was die Kinder sogleich mit Lachen und Applaus quittieren. Gerade wegen ihrer scheinbaren Eindeutigkeit eröffnet die rote Nase einen Raum, mit dieser Eindeutigkeit zu spielen. Ein Beispiel hierfür findet sich in Aberdeen (NOR, GBR, SWE 2000, R: Hans Petter Moland), wo die sie tragende Figur zeigt, dass eine rote Nase meist automatisch als Clownsnase identifiziert wird: »I bought her a nose, a red nose. She thinks it’s a clownnose. But … erm … it’s not. It’s a nose helmet; for protection.« Dieses Zitat nimmt zugleich auf die Schutzfunktion der Maske Bezug, die in der Sekundärliteratur wiederholt hervorgehoben wird und auch in den Analysen festgestellt wurde. So ist die Clownsnase durch die tarnende Wirkung der Maske ein »nose helmet for protection« (Aberdeen).

4.2 D ie e xplizite I nszenierung der M askierung Diese ersten Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Ausgangsfrage zu, warum der durch die Maske markierte Unterschied zwischen der Figur und dem von ihr gespielten Clown so deutlich anhand einer Maskierungsszene inszeniert wird.

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

Diese Beobachtung, welche meine Studie mit initiiert hat, bestätigte sich in einer auffällig hohen Zahl der für diese Studie gesichteten Spielfilme, in denen dieser Moment explizit hervorgehoben wird und folglich als Standardszene in Filmen mit Clownsfiguren bezeichnet werden kann. Die Verwandlung der Figur kann jedoch nur aufgrund der spezifisch filmischen Trennung von Figur und Clownsfigur überhaupt dargestellt werden. Diese Trennung zeigt sich, wie beschrieben, meist anhand einer unterschiedlichen Inszenierung der Figur mit und ohne Maske. Gerade durch die Maskierung kommt es zu einer Demaskierung einer neuen Seite der Figur, welche dem Zuschauer bis dahin verborgen war. Anhand dieser wird nicht zuletzt der zugrunde liegende gesellschaftspolitische Konflikt im Moment der Maskierung demaskiert, wodurch die Figur oft einen allegorischen Charakter erhält und im Sinne Eders als Symptom fungiert. So wird in Der blaue Engel die Maske des seriösen Professors, welche für die übrigen Figuren von Beginn an eine solche war – eine ›falsche‹ Maske – durch die des Clowns ersetzt. Dadurch werden seine eigentlich von Anfang an gegebene Lächerlichkeit und Demütigung den Zuschauern enthüllt und vermittelt. Dass diese Erniedrigung Professor Raths Zugehörigkeit zu einer Bürgerlichkeit geschuldet ist, welche in der neuen Epoche der Weimarer Zeit nicht mehr überlebensfähig ist, erzählt der Film anhand verschiedener Hinweise. Vor allem die von Marlene Dietrich verkörperte Lola Lola steht paradigmatisch für die neu angebrochene Zeit, in der sich Rath nicht mehr orientieren kann. In Sleuth erfahren die Zuschauer genau im Moment des Aufsetzens der Maske, dass die bis dahin inszenierte Rollenverteilung zwischen Andrew und Milo eine Täuschung Andrews war. Milo ist kein Verbündeter Andrews, sondern dessen Opfer. Dass Andrew einer höheren Gesellschaftsschicht entstammt als Milo, welcher als nouveau riche in clownesk grenzüberschreitender Manier gesellschaftlich aufsteigen möchte, ist daher kein Zufall, sondern zeigt, dass die zur Entstehungszeit des Films in Großbritannien diskutierte Durchlässigkeit der Klassengrenzen auf heftigen Widerstand stieß und weit davon entfernt war, umgesetzt zu werden. Die Maske des Dummen August als Veranschaulichung der Position Milos ist daher äußerst passend, steht dieser doch wie kein anderer für den Verlachten und Naiven sowie den, der aus den sozialen Gefügen ausgeschlossen bzw. von der Gesellschaft marginalisiert wird. In Balada triste de trompeta ist Javiers durch Verätzung und Verbrennung entstandener Maske die Gewalt eingeschrieben. Er selbst hat durch Gewalt auch Sergios Maske mitgestaltet. So verweisen die Figuren über ihre Maskierung auf die andauernde Feindschaft zwischen den dos Españas. Dadurch, dass der Maskierte nach seiner Verkleidung zum Mörder mutiert, wird der in der Guerra Civil erfolgte Brudermord direkt aufgerufen und kritisiert. Zudem wird er als Ursache von Javiers Verwandlung dargestellt, welcher sich als Rächer an dem nicht enden wollenden Teufelskreis der Gewalt beteiligt und ihn so fortschreibt. Der Maske des traurigen Clowns Javier ist die von Gewalt geprägte Vergangenheit eingeschrieben und wirkt durch die Maske fort. Anhand dieser geschickten In-

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szenierung zeigt sich, dass die Gesellschaft in den Filmen von etwas – hier dem mordenden Clown – heimgesucht wird, was sie selbst erst hervorgebracht hat. In Paljas schließlich bietet die Maske als Kommunikationsmedium dem Protagonisten die Möglichkeit, der Sprachlosigkeit der entzweiten Familie entgegenzuwirken und ein neues und von gegenseitigem Verständnis geprägtes Miteinander aufzubauen. Willem führt den Familienmitgliedern gerade durch seine Maskierung und seine Stummheit den Konflikt vor Augen und bringt gleichzeitig seinen Willen, die Situation zu verändern, zum Ausdruck. Diese Konfliktkonstellation zeigt, dass die Figur des Willem symptomatisch gelesen werden kann: Der Film wurde zu einer Zeit gedreht, als sich Südafrika in der schwierigen Transition von einer von der Apartheid geprägten zu einer neuen und demokratischeren Gesellschaft befand. In sämtlichen der hier besprochenen Filme haben die Maskierungsszenen eine Enthüllung oder Offenbarung, eine Demaskierung zur Folge. Es kommen Merkmale zum Vorschein, die bereits in der Anlage der Figur enthalten waren. Dadurch gewinnen die Zuschauer Erkenntnisse über die Situation und den Konflikt, welche ihnen bis zu diesem Zeitpunkt vorenthalten waren. Die Clownsmaske im Film funktioniert so gesehen, wie von Assmann beschrieben, als ›Interface‹, als Verständigungsmedium nach außen. Sie ist Träger der Kommunikationsfunktion mit den Zuschauern – auch mit den innerdiegetischen. Was die Clownsmaske dabei kommuniziert, unterscheidet sich je nach Publikum. Für die Figuren im Film steht häufig die Lächerlichkeit der Figur im Vordergrund, die ihnen Anlass zum Lachen über sie bietet. Dadurch werden – für die Filmzuschauer – soziale Verhältnisse und Beziehungen erkenntlich, durch die der Figur eine gesellschaftliche Position zugewiesen wird. Dass dies meist eine marginale Stellung ist, zeigt sich an der clownesken Unfähigkeit (wie in Der blaue Engel oder Sleuth) oder dem Unwillen (wie in Paljas), sich in vorgegebene Strukturen einzufügen. Das Auf begehren gegen Ordnungen und Normen legt gesellschaftliche Konflikte offen, die anhand der Maske ersichtlich und verhandelt werden. Das Moment der Maskierung, welches mit solcher Präsenz in den gesichteten Filmen inszeniert wird, kann daher zu Recht als Schlüsselszene bezeichnet werden. Auch in dramaturgischer Hinsicht ist die Maskierungsszene von Bedeutung, da sich die Dynamik der Erzählung in diesem Moment oft entscheidend verändert und die Handlung eine neue Richtung einschlägt. Immer wenn der Clown auftaucht, geschieht etwas: Die zuvor feststehende Ordnung bewegt sich, bricht auf, bröckelt, wird fragwürdig. Im Moment der Maskierung werden Inkonsistenzen und Widersprüche sichtbar, soziale Kategorien werden in ihrer Fragilität und Verletzlichkeit demaskiert und dadurch als menschliche Konstrukte entlarvt. Dies bestätigt die von Jane Gaines aufgestellte These, nach der das Kostüm im Film narrative Entwicklungen antizipieren könne. Das Spiel im Spiel, also die Tatsache, dass es in den hier untersuchten Filmen – mit Ausnahme des Jokers aus The Dark Knight – stets eine zuvor nicht als Clown inszenierte Figur ist, welche sich als Clown maskiert oder als solcher maskiert wird, macht dieses Brüchigwer-

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

den von Grenzen möglich. Diese Maskierung bedeutet in den meisten Fällen ein Ablegen aller Masken und stellt die Figur aus sowie nicht selten bloß. Für die Inszenierung dieses Moments der (De-)Maskierung eignet sich das Bild des Clowns vortrefflich. Denn einerseits hebt das Clownskostüm Schwächen hervor, statt diese, wie es Kleidung üblicherweise tut, zu kaschieren. Auch die Maske der Figur ist durch die ihr eigene Karikatur eine Zurschaustellung individueller Merkmale – meistens der eher unerwünschten. Andererseits ist die Figur des Clowns bestens geeignet, durch Aussehen und Verhalten Grenzen in Frage zu stellen. Das Aufbrechen der Ordnung sowie die Vereinigung von scheinbar Gegensätzlichem sind schließlich zwei seiner wichtigsten Charakteristika. Diese Auffälligkeit lässt sich erstaunlicherweise selbst dann beobachten, wenn das Auftreten eines Clowns und der Richtungswechsel in der Filmhandlung in keinem kausalen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. So erscheint am Anfang von Der blaue Engel der stumme Clown immer dann im Bild, wenn Rath einen entscheidenden Schritt in Richtung seiner eigenen Degradierung zum Clown geht. Diese Funktion der Maskierungsszene, etwas zu entlarven, bietet zugleich eine Erklärung für die Feststellung, dass in beinahe allen gesichteten Filmen eine Maskierungs-, selten jedoch eine Demaskierungsszene zu finden ist. Dies lässt sich wie folgt erklären. Wie die Analysen gezeigt haben, ist die entscheidende Funktion der Maskierung weniger die Veränderung der Figur, sondern, dass in diesem Moment etwas über die sozialen Konstellationen und Konflikte erzählt und preisgegeben wird. Die Maskierung könnte theoretisch zwar mit einer Demaskierung umgekehrt werden. Die Erkenntnisse, zu denen Zuschauer im Verwandlungsprozess kommen, können jedoch nicht zurückgenommen werden. Die eingangs gestellte Frage, ob die Verwandlung, wie oft in Maskierungssituationen üblich, nur temporär ist, lässt sich deshalb für die meisten Filme verneinen. Die Transformation ist definitiv und aus den genannten Gründen nicht rückgängig zu machen. Diese Gleichzeitigkeit von Maskierung und Demaskierung lässt sich in allen analysierten Filmen nachweisen und macht das scheinbare Paradox der Maske, zugleich zu zeigen und zu verbergen, verständlich. Dass die Prozesse des Verund des Enthüllens simultan ablaufen, hat Kurt Röttgers (2009: 88) als allgemeines Merkmal der Wirkungsweise der Maske erkannt. Seine These wird von den hier untersuchten filmischen Verwandlungsprozessen bestätigt. Die Gründe für die explizite Inszenierung der Maskierungsszene lassen sich wie folgt zusammenfassen: Voraussetzung ist die Unterscheidung zwischen Figur mit und ohne Maske. Durch dieses Spiel im Spiel, welches durch die Maskierung in Gang gesetzt wird, werden scheinbar feste Grenzen sowie durch diese Grenzen geschaffene Kategorien und Ordnungssysteme als arbiträr entlarvt. Auf der Ebene der Figur und deren Verständnis ist die Darstellung dieses Moments von Bedeutung, um die Kontinuität in der Wahrnehmung der Figur zu gewährleisten und die Maskierung als Rollenwechsel, nicht jedoch als Änderung der Identität kenntlich zu machen. Denn diese bleibt in den meisten Fällen in ihren

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Grundzügen erhalten, auch wenn sich die Figur in bestimmten Merkmalen in den Szenen mit und ohne Clownsmaske unterscheidet. Dadurch und durch die Betonung des Moments der Maskierung wird die Prozesshaftigkeit der Identitätsformung offensichtlich. So wird das Konzept der Identität selbst als fragil ausgestellt und neu zur Diskussion gebracht. Nicht nur die Identität, sondern auch andere Konzepte und Kategorien werden vom Clown ins Wanken gebracht.

4.3 D er spezifisch filmische F okus auf die C lownsfigur Solche Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen aufzuzeigen, ist seit jeher eine wesentliche Aufgabe des Clowns. Daher ist es äußerst passend, dass es gerade das Aufsetzen einer Clownsmaske ist, welches Grenzen instabil werden lässt und Ordnungen auf bricht. Bei filmischen Clownsfiguren tritt der Aspekt des ulkigen Spaßmachers, der in seiner Erscheinung im Zirkus meist im Vordergrund steht, zurück und die Clownsmaske wird ihrer ursprünglichen Bestimmung der sozialen Kritik angenähert. Mit dieser Fokusverschiebung lassen sich einige Auffälligkeiten aus den Analysen erklären. Klassische Clownsnummern werden, wenn sie überhaupt – etwa als Bestandteil einer Zirkusdarbietung oder einer Geburtstagsfeier – inszeniert werden, selten in ihrer Gänze gezeigt, sondern häufig nur kurz angeschnitten. Dadurch wird zwar ersichtlich, dass es sich um einen Clown bei der Aufführung handelt, die Filmzuschauer können den Gag jedoch nicht nachempfinden. So werden ihnen die Pointe und der Auslöser des Lachens verweigert. Eine mögliche Erklärung hierfür sehen Fried und Keller in der medialen Vermittlung: Die neuen Medien […] haben eine psychische Distanz geschaffen zwischen Beobachter und dem Gegenstand der Beobachtung. Dieses Prinzip ist dem des Clownsspiels, welchem es um Unmittelbarkeit der Erfahrung und Stiften von Nähe geht, entgegengerichtet. In den neuen Medien kann deshalb kein wirklicher Clown einen Platz finden. (1996: 81)

Die von Fried und Keller angesprochene, essenzielle Interaktion des Clowns mit dem Publikum kann auch im Film nicht in derselben Form reproduziert werden wie bei einer Live-Performance. Der Hauptgrund dafür, dass in den Filmbeispielen kaum Clownsnummern gezeigt werden, liegt meines Erachtens jedoch in einer Neuverortung der filmischen Clownsfigur, deren sozialer Auftrag häufiger im Vordergrund steht als ihre unterhaltende Betätigung. Mit dieser veränderten Sichtweise lassen sich weitere Beobachtungen der Studie erklären. Diese hat gezeigt, dass filmische Clownsfiguren weniger in Zirkusfilmen oder Komödien zu finden sind als in Dramen, welche nicht den Zirkus als primären Handlungsort haben. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass die untersuchten Filme nicht einem einzigen Genre zuzuordnen sind. Sie sind so unterschiedlich und bunt wie die Clownsmasken und -kostüme in

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ihnen. Es lässt sich jedoch eine Häufung bestimmter Genres in Abhängigkeit von der Wirkungsweise der Clownsmaske feststellen. Die Maske als Ausdruck der Demütigung durch andere Figuren und zur Verdeutlichung des Konfliktes zwischen Sein und Schein findet sich überwiegend in Melodramen. Die Maske als Tarnung, Versteck und Schutz wird besonders häufig in Kriminalfilmen eingesetzt. Beinahe ausschließlich in Horrorfilmen, insbesondere im Subgenre der Evil-Killer-Clown-Filme, wird die Maske gewalttätig auf das Gesicht aufgetragen und fungiert so als (Über-)Träger dieser Gewalt und als Mahnmal. Die Maske als Weg und Möglichkeit, eine Veränderung der Verhältnisse in Angriff zu nehmen, kommt überdurchschnittlich häufig in Dramen vor. Bei dieser kurz skizzierten Darstellung handelt es sich selbstredend um die Feststellung einer Tendenz, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Die Ausführungen verdeutlichen, dass die im theoretischen Kapitel zur Maske formulierte Frage, ob die Art der Maske einen Einfluss auf deren Funktion ausüben kann, nach den Analysen bejaht werden muss. Die in Kapitel 3.3 untersuchten Masken sind häufig keine reinen Schmink- oder Stülpmasken mehr, sondern werden – der diegetischen Logik zufolge, denn auf der Ebene des Schauspielers handelt es sich selbstverständlich stets um eine Schminkmaske – gewaltsam in das Gesicht geschnitten, gebrannt, geritzt oder geätzt. Durch die Vernarbung solcher Verletzungen wird eine Verbindung mit der Vergangenheit hergestellt. Der Bezug äußert sich, wie gerade erwähnt, in einer Übertragung der Gewalt, welche die Figur erfahren hat und die sie durch die Maske selbst weiterträgt. Interessant ist, dass diese Verwendungsweise der Maske erst ab dem 21. Jahrhundert im Film vorkommt. Obwohl in The Man Who Laughs und Batman die Masken Gwynplaines und des Jokers laut der Erzählung ebenfalls gewaltsam in das Gesicht geschnitten wurden, sind in der Maske selbst keine Narben oder Schnitte erkennbar. Erst in den jüngeren Neuverfilmungen werden sie durch Make-up sichtbar gemacht und von der Inszenierung hervorgehoben. Die hier angesprochenen, unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen der filmischen Clownsmaske, welche zugleich den analytischen Teil strukturieren, überschneiden und ergänzen sich in vielen Fällen. So kann für Sleuth die Maske als Ausdruck der Meinung Andrews gelesen werden, der Milo von Beginn an geringschätzt, während Milo zunächst glaubt, dass ihm die Maske zur Tarnung diene. Dass es sich hierbei um eine Fehleinschätzung handelt, da die Maske letztendlich Milos soziale Aufstiegsambitionen als naiv und lächerlich entlarvt und dadurch eine Demaskierung seiner sozialen Maske stattfindet, wird im und durch das Moment der Maskierung erzählt. Auch in Balada triste steht die erfahrene Demütigung Javiers durch sein soziales Umfeld in enger Verbindung zur Maske des traurigen Clowns, die er für die durch Gewalt entstandene Maske des Racheclowns ablegt und in der diese Gewalt weiterlebt. Die Beispiele mögen in Erinnerung rufen, dass in vielen Filmen die prekäre Existenz der Clownsfigur und ihre von der Gesellschaft erfahrene Ächtung im Mittelpunkt stehen. Dies zeigt sich an einer häufigen Lokalisierung derjenigen

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Figuren, welche als Clowns maskiert werden, in sozial schwächeren Milieus, was der charakteristischen Marginalität der Figur entspricht. Ihre Rand- und Außenseiterposition wird im Film meist dadurch dargestellt, dass sich die Clownsfigur an Orten des Transits und Übergangs aufhält. Paljas spielt an einem Bahnhof und bei Sleuth findet die entscheidende Szene des ›Mordes‹ auf der Treppe zum Schlafgemach des begehrten ›Objektes‹ Marguerite statt. Die Handlung in Der blaue Engel entwickelt sich im Ambiente eines Tingeltangels. Es ist bezeichnend, dass dieses Ensemble erst dann seine Weiterreise zum nächsten Ort antritt, als Rath als Clown maskiert ist. So lässt sich für filmische Clownsfiguren tendenziell bestätigen, was Barbara Babcock-Abrahams für den Trickster festgestellt hat (1975: 155), nämlich dass er meist an Orten des Übergangs zu finden ist. Wichtig scheint mir zu betonen, dass der soeben beschriebene Fokuswechsel in der Ausrichtung der Clownsfigur – von einer aus dem Zirkus und als Spaßmacher bekannten Figur zu einem Sozialkritiker – nur für die Filmzuschauer erfolgt. Denn wie die Analysen gezeigt haben, wird die entsprechende Figur von den sie innerhalb der Diegese wahrnehmenden Figuren meist sehr wohl als klassischer Clown und lustiger Entertainer angesehen. Für die Zuschauer des Films ergibt sich eine gänzlich andere Situation. Durch die beschriebene Inszenierung mehrerer Ebenen können die Zuschauer ›hinter die Maske‹ der Figur schauen und kennen ihre Geschichte. In den melodramatischen Filmen mit traurigen Clowns beispielsweise wissen die Zuschauer um die von der Gesellschaft erfahrene Verachtung der jeweiligen Figur, welche in der Clownwerdung gipfelt, und können daher kaum über deren demonstrative Demütigung in der Manege lachen. Dieses Leid erscheint durch den Spott, der dem Clown durch die übrigen Figuren zuteil wird, umso größer. Da die Filmzuschauer, wie bereits festgestellt, beiden Gestalten meist nur eine Identität zuschreiben, ist es wahrscheinlich, dass sie das Leid der Figur ›hinter der Maske‹ auf den Clown übertragen. Interessant ist, dass die Tragik und der soziale Konflikt, den die Figur ausagiert, meist erst ab dem Moment der Maskierung ersichtlich werden. Oft geht dies damit einher, dass die Figur bis zu diesem Moment als tollpatschig, naiv oder lächerlich – also typisch clownesk – inszeniert wird, während dieser Aspekt ab ihrem Auftritt in Clownsmaskierung der Inszenierung des Verderbens der Figur weicht. Ab diesem Zeitpunkt stehen andere, ebenfalls dem Clown eigene Merkmale im Vordergrund, wie seine Marginalität oder der Angriff auf die Ordnung. Gute Beispiele hierfür finden sich in Der blaue Engel, Yoyo, L’aile ou la cuisse oder Hardly Working. Ein weiterer Fokuswechsel, der vor allem die Wahrnehmung und Bewertung des Clowns betrifft, findet ab den 1970er Jahren statt. Ab da lässt sich ein vermehrtes Aufkommen des Evil-Killer-Clowns beobachten – eine Figur, die sich solcher Beliebtheit erfreut, dass mittlerweile von einem eigenen Subgenre des Horrorfilms gesprochen werden kann, in welchem sie als Antagonist im Mittelpunkt steht. Wenn der Clown die ursprünglich mit seinem Bild assoziierten Erwartungen – nämlich zu unterhalten, ohne dass jemand Schaden nimmt –

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hervorruft, aber nicht erfüllt, kann er gefährlich werden. Da die Clownsmaske aufgrund ihrer universellen Bekanntheit leicht wiedererkennbar ist, kann man davon ausgehen, dass sie mit dem traditionellen Clownsimage verknüpfte Erwartungen weckt. Diese können in der Folge bewusst enttäuscht werden, indem der Clown den abgesteckten Rahmen der clownesken Performance verlässt und sich Raum zur Manipulation verschafft. Von dieser können sowohl Figuren im Film, wie in vielen Heist- und Horrorfilmen, als auch die Filmzuschauer betroffen sein. Die Häufung der Evil-Killer-Clown-Filme seit den 1970er Jahren hat, zusammen mit der vermehrten Präsenz dieser Figur in den sogenannten Neuen Medien, zu einer Änderung der Erwartungshaltung in Bezug auf den Clown geführt. Das Bild des lustigen Spaßmachers scheint dem des Clowns als gefährlicher Mörder immer mehr zu weichen (vgl. Dery 1999: 66). Dies erklärt die mittlerweile weit verbreitete Angst vor Clowns, die Coulrophobie, welche bei vielen Menschen durch den Film It ausgelöst wurde (vgl. Spratley 2009: 9). Der Clown erzeugt allein dadurch Angst, dass er in einer Umgebung auftritt, die nicht diejenige ist, in der man ihn erwartet. Dies erschwert es, die Maske zu interpretieren und einzuordnen. Weitere Gründe für die Coulrophobie liegen in der Schwierigkeit, der Maske eine eindeutige Identität zuzuordnen sowie in der durch den rictus des Totenschädels hergestellten Verbindung zum Tod. Dass der Clown selbst keine Angst zu haben scheint und dadurch einer zutiefst menschlichen Eigenschaft entbehrt, lässt ihn fremd und unberechenbar erscheinen, was wiederum Angst auf der Seite seiner Zuschauer auslösen kann. Die Assoziation der Clowns mit dem Übernatürlichen sowie, damit zusammenhängend, ihr Einsatz als Sinnbild für verdrängte Ängste können ebenfalls Auslöser der Coulrophobie sein. Diese Ängste werden meist deshalb verdrängt, da sie die Fundamente von Ordnungssystemen und den Glauben an sie betreffen. Der Clown macht die Fragilität jeglicher Systeme ersichtlich und erschüttert das Vertrauen in sie.

4.4 B esonderheiten der filmischen C lownsmaske Diese Zurschaustellung von Inkonsistenzen und Widersprüchen ist nicht nur eine der wichtigsten Aufgaben des Clowns, sondern auch der Maske, die sich zwischen den Polen von Verhüllung und Entblößung bewegt. Im Vergleich mit den im theoretischen Kapitel herausgearbeiteten Merkmalen der Maske lassen sich aufgrund der hier gewonnenen Ergebnisse zur filmischen Clownsmaske viele Übereinstimmungen zwischen beiden feststellen. Neben der Simultanität von Zeigen und Verbergen ist besonders die Schutzfunktion relevant, welche in erster Linie durch die Tarnung der Identität erzeugt wird. Diese Funktion wurde hauptsächlich in Filmen gefunden, in denen die Maske als Versteck angesichts einer kriminellen Handlung dient. Doch auch in L’aile ou la cuisse schützt sie die Figur durch das Verbergen ihrer Identität. So kann der Protagonist Gérard als Zirkusclown seinen Vater in der Manege zum Narren halten, ohne von ihm

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erkannt zu werden. In Balada triste bewahrt die Maske Sergio vor dem Überhandnehmen seiner gewalttätigen Ader – zumindest gilt dies für die Maske des Dummen August, welche er zu Beginn des Films trägt. Durch sie kann er eine andere, gefühlvollere Facette ausleben, welche nicht zu seinem Image als starker Macho passt. Deshalb würde er den Spott der Gemeinschaft riskieren, wenn er seine Gefühle nicht unter der Maske des Clowns verstecken würde. Die Kehrseite des Schutzes ist die Bedrohung, welche die Maske simultan zum Schutz auslösen kann. Die Gefährdung kann sowohl den Maskenträger selbst betreffen (z.B. in den Filmen, in denen die Maske gewaltvoll in das Gesicht geschnitten wird oder sogar mit ihm verschmilzt wie in Clown) als auch die Figuren, welche dem Maskenträger begegnen (z.B. in den Evil-Killer-ClownFilmen). Auch dafür ist Sergio ein gutes Beispiel, trägt er doch nach seiner Verstümmelung durch Javier einen vernarbten Verschnitt der Maske Emmett Kellys (des traurigen Tramps Weary Willie) und wird durch die Gewalt, die in der Maske fortlebt, selbst zum Mörder. Einige charakteristische Merkmale der Maske kommen im Film weniger zum Tragen. Anstatt eine undurchlässige Grenze von außen und innen darzustellen, stülpt die Clownsmaske im Film eher das Innere einer Figur nach außen und macht es sichtbar. Dadurch kann der scheinbare Schutz der Maske in sein Gegenteil umschlagen und zur Bedrohung für die Figur werden, wenn sie diese ausstellt und sie dadurch angreif bar macht. Professor Rath in Der blaue Engel ist hierfür ein gutes Beispiel. Dementsprechend tendiert die filmische Clownsmaske auf dem Spektrum von Verhüllen und Zeigen zur Seite des Zeigens. Sie fungiert als ›Interface‹, da sie die Kommunikation mit den Zuschauern ermöglicht. Eine weitere Besonderheit lässt sich anhand der Maske erklären. Während der Filmanalysen wurde festgestellt, dass filmische Clownsfiguren in den seltensten Fällen in einer Liebesbeziehung gezeigt werden. Dabei fällt vor allem die Abwesenheit der Darstellung körperlicher Liebe auf. Wenn überhaupt, ist der Figur die Liebe nur in den Momenten möglich, in denen sie die Clownsmaske nicht trägt. Mehrere Erklärungsansätze lassen sich aus den Filmen ableiten. Der blaue Engel scheint vordergründig die Andeutung von Raths möglicher Impotenz verantwortlich zu machen, welche als Symptom auf seine Machtlosigkeit in der veränderten Gesellschaft hinweist. In El fantasma y doña Juanita ist die (Selbst-) Verweigerung der Liebe ein Spiegel der abwertenden Meinung, die dem Clown entgegengebracht wird. Der Clown wird in der Diegese als der Liebe der schönen Heldin nicht würdig erachtet. Ein besonders wichtiger Grund scheint in der spezifischen Macht der Maske zu liegen, wie Slavoj Žižek anhand derjenigen von Superhelden verdeutlicht: [I]t is the Mask [sic!] which changes the ordinary guy into a superhero. The link between the Mask and sexuality is rendered clear in the second Superman movie: sex (making love to a woman) is incompatible with the power of the Mask, i.e., the price Superman has to pay for his consummated love is to become a normal mortal human. (Žižek o.J.: o.S.)

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

Ich denke, dass diese Annahme auf die Clownsmaske übertragbar ist. Die filmische Clownsfigur erfüllt eine dramaturgische und soziale Rolle, wodurch ihre Körperlichkeit und Geschlechtszugehörigkeit in den Hintergrund treten. Bereits das Clownskostüm, welches die sekundären Geschlechtsmerkmale verbirgt, fördert eine gewisse Asexualität der Figur. Dies steht der Inszenierung eines so körperbezogenen Aktes wie der Sexualität entgegen. Besonders gut wurde diese Auffälligkeit am Beispiel Manuels aus Paljas ersichtlich. Dessen Innenleben bleibt dem Zuschauer beinahe komplett verborgen, da er eine im Hinblick auf die Gemeinschaft funktionelle Rolle einnimmt und seine ›persönlichen‹ Bedürfnisse und Emotionen für die Erzählung keine Rolle spielen. Ein weiteres Beispiel ist der Film L’aile ou la cuisse. Der Protagonist Gérard entscheidet sich am Ende des Films für die Frau und gegen seine Passion der Clownerie. Dieses Ja zur Liebe stellt gleichzeitig die Anerkennung des und seine (Wieder-)Eingliederung in das patriarchalische (Werte-)System – verkörpert durch den Vater – dar. Beides ist nur durch den Verzicht auf sein ›Clownsein‹ möglich. Nicht nur kann der Clown selbst keine Liebe erfahren, sondern er verwehrt diese des Öfteren auch anderen. So reißt der Joker in The Dark Knight durch den von ihm provozierten Tod Rachels das Liebespaar auseinander, in Paljas stört Willem als Clown mit seiner Vorführung die Intimitäten seiner Schwester und ihres Freundes und in Killer Klowns from Outer Space (Space Invaders, USA 1988, R: Stephen Chiodo) unterbrechen die mordenden Clowns gleich mehrere Liebesszenen. Eine eindeutige Erklärung hierfür ist aus den Analysen nicht ableitbar. Allerdings kann man die Verbindung zum Clown als Störer der Ordnung damit in Zusammenhang bringen. Die Liebe ist im klassischen Erzählkino stets ein wichtiger und positiv konnotierter Bestandteil der diegetischen Norm- und Wertvorstellungen, sodass deren Verhinderung einen beachtlichen Angriff auf die Ordnung darstellt. Gleichzeitig geht diese Störung mit einem Ausschluss des störenden Elements – hier der Clownsfigur – einher. Die oft beobachtete Wiederauferstehung des Clowns nach seiner Eliminierung und sein erneuter Angriff lassen seine Interpretation als Rachefigur zu. Er sucht eine Gesellschaft heim, die ihn durch seinen Ausschluss erst zum Rächer gemacht hat. So lassen sich die hier beobachteten Szenarien auch als kulturelle Bestrafungsphantasien verstehen. Durch das Verhindern des Liebesbegehrens der Protagonisten kann diese Heimsuchung am wirkungsvollsten erfolgen.

4.5 D er W iderstand gegen die O rdnung und der Tod des C lowns Eine solche Störung geregelter Abläufe wurde als charakteristisch für den Clown festgestellt und lässt sich in den Filmen immer wieder finden. Dabei ist aufgefallen, dass weitaus öfter die Maske des Dummen August als die des Weißclowns zum Einsatz kommt. Eine mögliche Erklärung ist, dass der Weißclown im Büh-

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Clownsmasken im Film

nen- und Zirkuskontext traditionell Ordnung, Macht und Autorität repräsentiert und deshalb weniger geeignet ist, eine Störung eben dieser zu verkörpern. Dafür eignen sich der Dumme August oder Clownstypen wie der Joker weitaus besser – zeichnen sie sich doch gerade durch ihren Widerstand gegen die herrschende Ordnung aus. Diese Auffälligkeit erklärt die Beobachtung, dass es eine Reihe von Filmen gibt, in welchen die Clownsmaske eben diesen Widerstand zum Ausdruck bringt. In den meisten Fällen ist es gerade die Maske, welche eine Grenzüberschreitung von Seiten der Clownsfigur möglich macht. Das zeigt sich daran, dass die Transgression im oder ab dem Moment der Maskierung stattfindet. Wie in Kapitel 2.2 beschrieben, weisen kulturanthropologische und ethnologische Untersuchungen wiederholt darauf hin, dass dem Clown eine wirkliche Subversion im Sinne der Umkehrung der Verhältnisse verwehrt bleibt und sein rebellisches Verhalten unterdrückt wird. Dies lässt sich für die analysierten Filme bestätigen. Eine nachhaltige Veränderung ist nur ansatzweise in Paljas sowie in Pa-ra-da erkennbar. Allerdings werden in beiden Filmen die Hoffnungsschimmer am Ende durch bestimmte Inszenierungsstrategien in Frage gestellt und getrübt. In Pa-ra-da durch Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Straßenkinder Rumäniens am realen Handlungsort; in Paljas durch den Ausschluss des Clowns Willem aus der Gemeinschaft, was die kurz zuvor erreichte Annäherung der Familienmitglieder untereinander erneut brüchig werden lässt. Der Clown kann trotz seiner Bemühungen die Verhältnisse nicht grundlegend ändern. Er selbst wird nicht Teil der Gesellschaft, für deren Verbesserung er sich einsetzt. Er ist und bleibt eine marginale Figur und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die drastischste Form des Ausschlusses ist der Tod selbst. Diesen erleiden Clownsfiguren im Film überdurchschnittlich häufig – auch das ist ein auffallendes Ergebnis der Untersuchung. So stirbt die Clownsfigur in zwei der vier detailliert untersuchten Filme. In Balada triste überleben die Clowns zwar, werden jedoch von der Polizei abgeführt. Auch in Paljas bleiben Willem und Manuel am Leben. Allerdings suggeriert die Schlusseinstellung Willems Ausschluss aus der Gemeinschaft. Und auch Manuel nimmt eine endgültige Außenseiterposition ein, wenn er selbst dem Zirkus den Rücken kehrt. Wenngleich der Tod einer Figur im Film per se nichts Ungewöhnliches ist, so ist doch bemerkenswert, dass es sich jeweils um die Protagonisten der Filme handelt. Eine Erklärung für diese Auffälligkeit muss im Zusammenhang mit der jeweiligen Funktion der Clownsmaske gesucht werden. In den Filmen, in denen die Maske als Spiegel der herablassenden Meinung anderer Figuren fungiert, erscheint der Tod als Kulmination der Demütigung der Figur. Der Clown kann eine solche Demütigung aushalten, weshalb er im Zirkus die brutalen Schläge überlebt und unsterblich zu sein scheint. Die Fokussierung der Filme auf die Figur ›hinter der Maske‹ zeigt jedoch, dass dieser – als Repräsentant sozial benachteiligter Gruppen – eine solche Erniedrigung schwer zusetzt. So sehr, dass sie sie in vielen Fällen nicht überleben kann.

4. Resultate der Studie und Diskussion der Ergebnisse

Auch die des Öfteren beobachtete Rolle des Sündenbocks kann den Tod des Clowns bedingen. In solchen Fällen wird er zum Wohl der Gemeinschaft geopfert. Dies konnte in Paljas, The Greatest Show on Earth, Zampo y yo, Octopussy oder Shakes the Clown beobachtet werden. Durch sein Opfer erlöst er die übrigen Figuren und kann bei den Filmzuschauern eine kathartische Wirkung auslösen, indem er die Leiden des Alltags stellvertretend für sie ausagiert. Zu sehen, dass es jemandem noch schlechter geht als einem selbst und darüber zu lachen, kann erleichtern und befreien. Die Rollen des Erlösers und Opfers, welche dem Clown des Öfteren zugeschrieben werden, lassen auch eine Assoziation bestimmter Clownsfiguren mit dem Messias zu, was durch spezifische Gestaltungsmerkmale gestützt wird. In drei der vier untersuchten Filme (Der blaue Engel, Balada triste und Paljas) wird diese Verbindung direkt über den Namen hergestellt, da die jeweiligen Clownsfiguren den Namen (Im-)Manuel tragen, der in der Bibel vom Propheten Jesaja für den Messias verwendet wird. Diese Namengebung kann eine weitere Erklärung für den Tod der Clownsfigur liefern und bestätigt zudem die große Bedeutung der Erlöserfunktion filmischer Clowns. In engem Zusammenhang mit dieser Idee steht das Verständnis der Maske als Ausdruck des Willens zur Veränderung. Setzt sich der Clown gegen die zu Beginn in der Diegese herrschende Ordnung zur Wehr, ist seine Tötung eine Konsequenz dieses störenden Verhaltens. Denn die ›Beseitigung‹ des Störfaktors durch Assimilierung oder Eliminierung kann die Ordnung wiederherstellen. So z.B. in Sleuth: Milo unterwandert durch die Beziehung mit Wykes Frau traditionelle Klassengrenzen und Moralvorstellungen. Zudem bemüht er sich, sozial aufzusteigen, womit er die geltende Gesellschaftsordnung zu durchbrechen versucht. Dies führt dazu, dass er von Andrew, dem Repräsentanten der höheren Gesellschaftsschicht, ›ausgelöscht‹ wird. Dadurch, dass das Clowneske marginalisiert oder gänzlich vernichtet und aus der Gemeinschaft verbannt wird, wird die ›Normalität‹ restauriert. Mit diesen Ausführungen zum Tod des Clowns lässt sich der Bogen zum in der Einleitung erwähnten Film Who Am I schlagen, welcher durch seine titelgebende Frage auf die Fragilität der Identität hinweist. Bei vielen der hier analysierten filmischen Clownsfiguren muss diese Frage ohne Antwort bleiben. Sie haben keine eigene ›Persönlichkeit‹, da sie funktional auf die Gesellschaft bezogen sind. Clowns verkörpern das Unverstandene, nicht Rationalisierbare und somit nicht Integrierbare, weshalb sie als Figur vernichtet oder assimiliert werden müssen. In der Auslöschung der eigenen Identität besteht aber gerade ihre Kraft, da sie sich als Frage »Who am I?« dem Publikum als (Zerr-)Spiegel vorhält. Sieht man nicht nur die Clownsfigur im Film, sondern auch den Film als Produkt der Gesellschaft, lässt diese Beobachtung interessante Rückschlüsse zu. Die Vernichtung des Clowns zeugt von einem Unverständnis dieser Figur, welches zu Angst vor ihr und daraus folgender Ablehnung führen kann. Mit der Angst vor dem Clown geht auch diejenige davor einher, was er repräsentiert – das ›Ande-

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re‹, Unbekannte und Unverständliche, das eigene Scheitern, das Chaos oder die mögliche Alternative zu bestehenden Ordnungen. Welch großes, aber weitgehend unrealisiertes Potenzial dieser Figur innewohnt, haben viele (Film-)Künstler seit Beginn der Filmgeschichte erkannt. Ich hoffe, dass diese Untersuchung ein differenziertes Bild davon vermitteln konnte.

5. Dank

Das Scheitern des Clowns ist eines seiner auffälligsten und konstantesten Merkmale – genauso wie sein Einzelgängertum. Dass diese Kombination kein Zufall sein kann, hat mich das Verfassen dieser Arbeit immer wieder spüren lassen. Doch der Clown steht auch immer wieder auf, was ihm nur dank der großzügigen Hilfe von vielen Seiten gelingen kann.

Here come the clowns – Akt I: Themenfindung und wissenschaftliches Fundament Um überhaupt einen ersten Zugang zum Clownesken zu finden, war der Austausch mit professionellen Clowns, die mir uneigennützig intimen Einblick in ihre Arbeit und ihre Persönlichkeit gewährten, von grundlegender Bedeutung. Bedanken möchte ich mich daher bei Patrícia Pardo, Rafael Graullera und Jef Johnson – Clowns aus Überzeugung und mit Leidenschaft, die das Scheitern nicht als Ende akzeptieren und immer wieder aufstehen gegen die Missstände im menschlichen Zusammenleben. Ein Bild der filmischen Clowns zu gewinnen, war nicht ohne eine umfassende filmgeschichtliche Recherche möglich. Dass Daniel Gascó vom Videoclub Stromboli sowie Santi Barrachina und Mar Baztán vom IVAC in Valencia ihr geradezu unerschöpfliches Filmwissen unermüdlich und uneigennützig mit mir geteilt und mir immer wieder seltene Filmperlen zugänglich gemacht haben, empfinde ich als wertvolles Geschenk und Bereicherung für die Arbeit. Besonders erwähnen möchte ich hier die sehr wenig bekannten und kaum vertriebenen Filme Paljas und Pa-ra-da, die ich nur dank Daniel entdecken durfte und die letztendlich zu einem wesentlichen Bestandteil der Arbeit wurden. Das Fundament meiner Ausbildung, ohne welches eine Dissertation gar nicht erst denkbar geworden wäre, entstand an dem sehr persönlichen filmwissenschaftlichen Seminar sowie an dem der Romanistik der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Deren Professoren haben mir zum Teil auch bei der Dissertation zur Seite gestanden und mit Gutachten für verschiedene Anträge geholfen. Mein großer Dank gilt Prof. Dr. Thomas Koebner, PD Dr. Bernd Kiefer, Prof. Dr.

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Marcus Stiglegger, Prof. Dr. Susanne Marschall, Prof. Dr. Stephan Leopold sowie Prof. Dr. Volker Wolff. Trotz dieser uneigennützigen Hilfestellungen war die Konkretisierung des Themas und der Fragestellungen eine der schwierigsten Herausforderungen. Mehr als einmal schien der Moment gekommen, mein Scheitern eingestehen und aufgeben zu müssen. Dank der konstruktiven Anregungen und konkreten Vorschläge der Forschenden des Seminars für Filmwissenschaft an der Universität Zürich sowie insbesondere meiner Betreuerinnen, Prof. Dr. Fabienne Liptay und Prof. Dr. Margrit Tröhler haben sich mir neue Horizonte und Perspektiven eröffnet und Verschiebungen des Fokus sind denkbar geworden. Als unabhängig von einer Anstellung oder Lehrtätigkeit Promovierende war die institutionelle Eingebundenheit nicht automatisch gegeben. Umso außergewöhnlicher empfand ich die herzliche Aufnahme in das Seminar.

Manege frei – Akt II: Die Rahmenbedingungen Der Clown ist ein Rastloser, ein Wanderer, der an Orten des Übergangs und in Zwischenräumen zu finden ist. Eine solche instabile Bleibe wäre dem Verfassen einer Doktorarbeit indes sehr abträglich. Daher bin ich sehr froh, dank meiner Mitbewohnerin und guten Freundin Marey Weingart ein so entspanntes Zuhause und einen so inspirierenden Arbeitsplatz gehabt zu haben, welche die perfekten Bedingungen für ein konzentriertes, motiviertes und kreatives Arbeiten geboten haben. Auch die Finanzierung ist ein zu berücksichtigender Aspekt bei einem Projekt, welches sich über so viele Jahre zieht. Mein Dank gilt daher der Festivalleitung des Zurich Film Festival, Nadja Schildknecht und Karl Spörri. Ihre Flexibilität hinsichtlich der Aufteilung meines, beinahe clownesk anmutenden, Arbeitspensums haben mir eine ideale Integration von Forschung und der Ausübung einer spannenden und herausfordernden Tätigkeit ermöglicht. Die Abwechslung zu dem auf sich selbst gestellten Arbeiten hat zudem dazu beigetragen, die Motivation stets aufrecht zu erhalten. Ein ganz besonders herzlicher Dank geht auch an meinen Vater, Prof. Dr. Dieter Augustin, der den fehlenden Anteil der Finanzierung genauso uneingeschränkt übernommen hat wie meine moralische Unterstützung.

Clownesker Wahnsinn – Akt III: Der Alltag Da die unzähligen spannenden Erkenntnisse, auf die man trifft, immer wieder zum Abschweifen und Ausufern einladen, sind ein umständliches »Verzetteln« sowie nur in clownesker Logik verständliche Umwege und Argumente, welche diese Umwege zu legitimieren versuchen, wohl den meisten Doktoranden keine Neuheit. Die langjährige wissenschaftliche Erfahrung, auch und gerade aus ganz anderen Fachgebieten, hilft ungemein, den Rahmen, die Tragweite und Bedeu-

5. Dank

tung der eigenen Arbeit realistisch einzuschätzen und sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Hierbei waren die Universitätsprofessoren der Sportwissenschaft Prof. Dr. Helga und Prof. Dr. Manfred Letzelter, Prof. Dr. Manfred Messing sowie Prof. Dr. Norbert Müller von großer Hilfe, da sie meine Herangehensweise stets auf den methodischen Prüfstand gestellt und mir eine weiterführende Außenperspektive aufgezeigt haben. Auch aus der Medizin durfte ich diesbezüglich wertvolle Empfehlungen entgegennehmen, so von Prof. Dr. José Vicente Castell Ripoll sowie insbesondere von meinem Patenonkel Prof. Dr. Bernhard J. Hering. Durch seine stets ganzheitlich ausgerichteten und von einem unermesslichen Wissensund Erfahrungsschatz geprägten Ratschläge hat er nicht zuletzt zu einer stabilen Gesundheit während der letzten Jahre beigetragen und wurde zu einem weisen Mentor, ohne den einige Wege vielleicht andere Wendungen genommen hätten. Das Clowneske ist ein komplexes Phänomen, das auch wissenschaftlich betrachtet viele Richtungen tangiert. Eine fachlich einseitige Sichtweise würde daher unweigerlich zu Verzweiflung und clownesker Realitätsferne führen. Doch Erkenntnisse entfernter Forschungsrichtungen in ihrem Kontext zu verstehen, ist ein Unterfangen, welches alleine nur unzureichend oder in wochenlanger Anstrengung erarbeitet werden kann. Unterstützung von Spezialisten ist daher sehr dankenswert. Mit fachkundigem Rat und seinem ungemeinen Wissen in Theologie und Germanistik half mir mein sehr guter und langjähriger Freund Michael Lenhard stets ohne Zögern weiter. Musikalischen Elementen im Film, die ich nicht alleine interpretieren konnte, hat sich Juliane Nolden mit umfangreichen und detaillierten Analysen angenommen. Ein ganz unerwarteter und nicht gesuchter Input aus dem Clownstheater kam von Hannes Leo Meier, der mir mit der Zusendung einer Aufnahme seines Stückes über eine Clownstransformation eine ganz neue und interessante Perspektive auf mein Thema nahe gebracht hat. Selbstverständlich ist auch der Austausch mit Wissenschaftlern ähnlicher Forschungsrichtungen unabdingbar. Hierfür hat mir die Möglichkeit, am von Prof. Dr. Richard Weihe organisierten Kongress zum Thema Kulturelle Genealogie und Theorie des Clowns teilnehmen zu können, wertvolle Einblicke und Erkenntnisse sowie wunderbare Austauschmöglichkeiten und Kontakte eröffnet. Die angeregten Diskussionen mit Prof. Dr. Constantin von Barloewen, Prof. Dr. Matthias Christen, Lena Sharma und Dr. Anna-Sophie Jürgens haben mehr als eine Frage beantworten können und viele Zweifel ausgeräumt. Für die zahlreichen Anregungen, Ideen und Hilfestellungen, auch über den Kongress hinaus, möchte ich insbesondere Prof. Dr. Richard Weihe, Lena Sharma und Dr. Anna-Sophie Jürgens ganz herzlich danken.

Vom clownesken Stolpern und Wiederaufstehen – Akt IV: Krisen Doch auch die besten Rahmenbedingungen, eine gute Portion Motivation und fachliche Unterstützung sind manchmal nicht ausreichend, um in den langen Jahren des Recherchierens, Analysierens und Schreibens nicht dem Scheitern

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nahe zu kommen. Damit eine solche Krise nicht in ein endgültiges Scheitern mündet, ist der distanzierte Blick von Wissenschaftlern verwandter Disziplinen von unschätzbarem Wert. Der andere Background eröffnet gänzlich neue Perspektiven auf Probleme, die im gemeinsamen Dialog konstruktiv zu etwas Neuem werden können. Wenn diese Menschen zugleich langjährige und sehr gute Freunde sind, die eine solche Krise mit emotionaler Motivation begleiten, werden sie zu Wegbegleitern, ohne die der Abschluss der Arbeit wohl ein clowneskes, immer wieder misslingendes, Unterfangen bleiben würde. Ganz herzlich dafür bedanken möchte ich mich bei Dr. Jasmin Rezai Dubiel, die während der gesamten sechs Jahre immer ein offenes Ohr für mich hatte und mich mit ihrem scharfen Verstand und ihrer außergewöhnlichen Analysefähigkeit aus mehr als nur einer Krise herausbegleitet hat. Auch Dr. Jochen Dubiel hat mit wichtigen Thesen und Ideen zu einer Präzisierung bzw. Neufindung meiner Gedanken beigetragen. Ebenso treu hat mich Dr. Marlies Klamt während der gemeinsamen Promotionszeit fachlich und persönlich unterstützt. Die stundenlangen Austausche über Methoden, Forschungsansätze und Theorien waren ungemein bereichernd und entscheidend dafür, meine eigenen Vorannahmen stets kritisch zu hinterfragen. Auch Dr. Raphael Rauch und Dr. Sebastian Meixner wurde meine Obsession mit den Clowns nie langweilig und sie haben auf eine stets messerscharfe Weise meine Ideen hinterfragt und geformt. Mit ihrer Freundschaft haben sie dazu beigetragen, manche Dinge auch einfach pragmatisch anzugehen und bei einem feinen Essen den Kopf wieder frei zu bekommen. Ähnlich motiviert hat mich stets meine gute Freundin Vivien Hofmann. Gerade in Momenten, in denen ich nur noch schwarzgesehen habe, hat sie stets an mich geglaubt und mit ihrem unerschütterlichen Optimismus meine Zweifel zum Verschwinden gebracht. Bei der wohl größten Krise, die letztendlich zu meinem Wechsel von der Universitat de València an die Universität Zürich geführt hat, hat mich meine gute Freundin Isabelle Berger in jeder Hinsicht unterstützt und mich in ihrer Heimat Schweiz willkommen geheißen. Dank ihrer umfassenden Kenntnis der Textil- und Modegeschichte hat sie auch inhaltlich wertvolle Ideen beigesteuert, vor allem im Zusammenhang mit der Kostümierung des Clowns. Nicht nur eine Krise wäre sicher anders verlaufen, hätte ich nicht auf die unermüdliche Unterstützung in fachlicher, vor allem aber persönlicher Hinsicht meiner langjährigen Freundin und Filmwissenschaftlerin Vera Behringer zählen dürfen. Egal zu welcher Tagesund Nachtzeit und wo auf der Welt wir uns gerade befanden, ihre Telefonnummer konnte und kann ich immer wählen. Ebenso hat meine langjährige und enge Freundin Vera Meyer stets ein offenes Ohr für meine Sorgen und Probleme gehabt und mir mit ihren sensiblen und reflektierten Anregungen nicht nur für die Dissertation des Öfteren entscheidend weitergeholfen. Eines der charakteristischsten Merkmale des Clowns ist sein spezifischer Umgang mit und sein Unverständnis für alltägliche Instrumente und Werkzeuge. In Zeiten von Bits und Bytes, WWW und Datensicherung in der Cloud habe ich mich nicht selten wie eine Clownin gefühlt. Einen Spezialisten wie meinen

5. Dank

Bruder Christian Augustin an der Seite zu haben, der auch bei panischen Anrufen wie »Hilfe, meine ganze Arbeit ist weg« stets die Ruhe behielt und verloren Geglaubtes wieder aus den Tiefen der Festplatte hervorgezaubert hat, war von unermesslichem Wert.

Grande finale – Akt V: Abgabe, Verteidigung und Publikation In wenigen Momenten merkt man so gut, wie unmöglich eine Doktorarbeit im Alleingang ist, wie wenn sie endlich fertig ist – oder zumindest fertig scheint. Ohne meine großartigen Korrekturleser Dr. Jasmin Rezai Dubiel, Vera Behringer, Lena Sharma, Dennis Vetter und meine Eltern Karin und Dieter Augustin wäre die Arbeit um viele wertvolle und kritische Korrekturen und Ratschläge ärmer. Die in solchen Situationen klassische last minute rescue vor der Deadline der Druckerei hätte ich ohne die vielen Tipps zum Druck von Dr. Marlies Klamt unmöglich einhalten können. Ihre Erfahrung den Abschluss der Dissertation betreffend hat sie uneigennützig weitergegeben, sogar in Form einer »Probeverteidigung«. Auch Dr. Raphael Rauch hat sich die Zeit für eine solche genommen, was meine Nervosität doch deutlich gesenkt hat und sicherlich zu einer Reduktion der clownesken Unsicherheit beim Kolloquium geführt hat. Nach dem Stein, der einem nach offiziellem Abschluss vom Herzen fällt, ist die Motivation, sich erneut mit dem Thema zu beschäftigen, in etwa bei null. Um diese Energie doch nochmal aufzubringen, war die hervorragende Betreuung von Seiten des transcript Verlages entscheidend. Bedanken möchte ich mich vor allem bei Daniel Bonanati, welcher die Auswahl zur Publikation verantwortet hat, bei Kai Reinhardt, der mein clowneskes Ringen betreffend Titel und Umschlagbild geduldig mitgetragen hat, sowie bei meiner Projektbetreuerin Julia Wieczorek, welche mich während des gesamten Publikationsprozesses kompetent begleitet und jederzeit hilfsbereit und freundlich meine vielen Fragen beantwortet hat. Einen kaum zu überschätzenden Teil der Korrekturarbeit hat mir Christina Walker mit ihrem hervorragenden und kompetenten Lektorat abgenommen, was eine ungemeine Erleichterung und Bereicherung für die Arbeit dargestellt hat. Ein ganz großes Dankeschön gilt auch Andreas Hochuli, der mit bis ins Detail durchdachten Anregungen und Einschätzungen nicht nur entscheidend zur Titelfindung beigetragen hat, sondern vor allem meine Launen während der stressigen Publikationsphase geduldig ertragen und mich während der ganzen Zeit uneingeschränkt unterstützt hat.

Coda Von Themenfindung bis Verteidigung, von Krise bis Veröffentlichung haben mich einige Menschen die ganze Zeit besonders intensiv begleitet. Prof. Dr. Fabienne Liptay war von allem Anfang an nicht nur eine exzellente fachliche, sondern auch sensible persönliche Betreuerin. Ihre stets gerechtfertigten Anmer-

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kungen und Ratschläge hat sie immer so angebracht, dass sie nicht unmöglich erschienen und zur Prokrastination eingeladen haben, sondern so konkret, dass sie gewinnbringend umgesetzt werden konnten. Mit ihrem breiten Fachwissen auch aus verwandten Gebieten hat sie mir viele neue Ansätze, Theorien und Thesen vermittelt und die Arbeit damit bereichert. Doch nicht nur mit fachlichem, sondern auch mit menschlichem Rat war sie sehr großzügig und hat die persönliche Entwicklung, die man während eines solchen Projektes als sehr wertvolle »Begleiterscheinung« durchläuft, unterstützt. Ebenso offen, herzlich und zugleich fachlich äußerst stringent hat mir Prof. Dr. Margrit Tröhler als Zweitkorrektorin zur Seite gestanden. Die detaillierten und kritisch hinterfragenden Anmerkungen der eingereichten Version waren für die Überarbeitung zur vorliegenden Publikation von unschätzbarem Wert. Herzlichen Dank für die vielen Stunden, die Ihr statt in die eigene Forschung in meine Arbeit investiert habt. Dass ich diese Danksagung jetzt überhaupt schreiben darf, habe ich zuallererst meiner Familie, besonders meinen Eltern, Karin und Prof. Dr. Dieter Augustin zu verdanken. Ihr Vorbild und gleichzeitig der Freiraum zur Entfaltung meiner eigenen Interessen haben eine Promotion erst in den Bereich des Denkund schließlich Machbaren gerückt. Die unermüdliche persönliche Bestätigung während der Umsetzung, ihre uneingeschränkte finanzielle Unterstützung sowie die fortwährende Motivation, kreative Lösungsfindung, das Einschalten von Freunden und Bekannten während Zweifeln und Krisen zeugen von ihrer unermesslichen Wertschätzung und Liebe. Ein großes Danke von Herzen an Euch alle! Yvonne Augustin

Zürich, Juni 2018

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Medienwissenschaft Susan Leigh Star

Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und Nadine Taha) 2017, 536 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3126-5 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3126-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-3126-5

Geert Lovink

Im Bann der Plattformen Die nächste Runde der Netzkritik (übersetzt aus dem Englischen von Andreas Kallfelz) 2017, 268 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3368-9 E-Book PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3368-3 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3368-9

Gundolf S. Freyermuth

Games | Game Design | Game Studies Eine Einführung 2015, 280 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-2982-8 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2982-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Medienwissenschaft Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, Julia Elena Goldmann (Hg.)

Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse April 2018, 308 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3837-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3837-4

Ramón Reichert, Annika Richterich, Pablo Abend, Mathias Fuchs, Karin Wenz (eds.)

Digital Culture & Society (DCS) Vol. 3, Issue 2/2017 – Mobile Digital Practices January 2018, 272 p., pb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3821-9 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3821-3

Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)

Zeitschrift für Medienwissenschaft 17 Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate 2017, 216 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4083-0 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4083-4 EPUB: ISBN 978-3-7328-4083-0

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