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German, English Pages 324 [328] Year 2019
Kulturelle Integration und Personennamen im Mittelalter
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde
Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold
Band 108
Kulturelle Integration und Personennamen im Mittelalter Herausgegeben von Wolfgang Haubrichs und Christa Jochum-Godglück
ISBN 978-3-11-026873-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-026885-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039089-6 ISSN 1866-7678 Library of Congress Control Number: 2018958024 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany
Vorwort Dieser Band beruht im Kern auf dem gleichnamigen internationalen und interdisziplinären Kolloquium, das mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 20. bis 22. Februar 2009 an der Universität des Saarlandes zu Saarbrücken stattfand. Initiatoren der Tagung waren die beiden Herausgeber des Bandes und – maßgeblich beteiligt – Andreas Schorr M. A. (St. Ingbert), der inzwischen aus beruflichen Gründen auf die Mitarbeit an dieser Publikation verzichten musste. Nicht alle Vorträge der damaligen Tagung werden hier publiziert, doch kamen noch vier Beiträge (Walter Kettemann und Jens Lieven; Maria Giovanna Arcamone; Wolfgang Haubrichs; John Insley) nachträglich, aber in thematischer Übereinstimmung mit den Zielen der Tagung, hinzu. Alle Beiträge sind, wo notwendig, aktualisiert worden. Das Kolloquium verstand sich als Ergänzung und Weiterführung der 2006 in Saarbrücken abgehaltenen Forschungstagung zur noch jungen Disziplin der ,Interferenz-Onomastik‘, bei der es um ,Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart‘ ging (Haubrichs, Wolfgang/Tiefenbach/Heinrich (Hrsg.). Saarbrücken 2011), auch auf dem Gebiet der Anthroponymie, also um die Leistung der Personennamen für die kulturelle Integration benachbarter oder sich überlagernder und mischender Gruppen und Ethnien. Räumlich reichen die hier vereinigten Arbeiten von Historikern, Romanisten, Anglisten, Skandinavisten und Germanisten von Gallien und dem Frankenreich über Spanien, Britannien, Skandinavien, Churrätien bis ins langobardische und byzantinische Italien. Zeitlich umfassen sie die Spätantike, Merowinger- und Karolingerzeit bis ins Hohe Mittelalter. Zu danken ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die großzügige Förderung des initialen Kolloquiums, Herrn Peter Gluting (Saarbrücken) für die editionstechnische Unterstützung, den Herausgebern der RGA-Ergänzungsbände und dem Verlag für die Aufnahme in ihre Reihe und für ihre Liberalität und ihren steten Rat, schließlich aber den Beiträgern für ihre Geduld während der Zeit der Realisierung dieses Bandes. Mögen die Resultate der Erforschung des Miteinanders und des Zusammenwirkens von Sprachen, Namen und Personen Anregung und Impulse geben. Saarbrücken, im Oktober 2018 Wolfgang Haubrichs
https://doi.org/10.1515/9783110268850-202
Christa Jochum-Godglück
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Abkürzungsverzeichnis
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Wolfgang Haubrichs Chancen, Risiken und Methoden einer anthroponymischen Interferenz-Onomastik des Mittelalters. Eine Einführung in die Thematik des Kolloquiums 1 Christa Jochum-Godglück Germanische Personennamen in romanischen Familien Galliens
24
Steffen Patzold und Andreas Schorr Namen und kulturelle Integration zwischen Spätantike und Frühmittelalter: das Beispiel des Episkopats in Gallien 45 Rembert Eufe Die Personennamen auf den merowingischen Monetarmünzen als Spiegel der romanisch-germanischen Sprachsynthese im Frankenreich 78 Martin Hannes Graf Translinguale Aspekte der Personennamengebung im frühmittelalterlichen Churrätien 117 Walter Kettemann und Jens Lieven Der ‚Liber viventium Fabariensis‘ als Quelle zur politischen und kulturellen Integration Churrätiens in das Karolingerreich. Überlegungen anhand des ältesten Eintrags 140 Maria Giovanna Arcamone Hybridnamen in Italien im 8. Jahrhundert: die Morpheme lup- und magn-
171
Maria Vòllono Germanisch-romanische Hybridnamen mit dem romanischen Suffix -ulus im langobardischen Italien 180 Maria Rita Digilio Anmerkungen zu den sozio-kulturellen Aspekten der Onomastik germanischen Ursprungs im frühmittelalterlichen Italien (Dukat von Benevent) 188
VIII
Inhaltsverzeichnis
Wolfgang Haubrichs Die frühmittelalterliche Namenwelt von Ravenna, der östlichen Romagna und der Pentapolis (Marche) 214 John Insley Britons and Anglo-Saxons
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Lidia Becker Zur Integration der Juden über Personennamen im römischen Westen und im mittelalterlichen Spanien 277 Fjodor Uspenskij Die Entstehung eines Modells der Namenwahl. Magnús als Name für ein illegitimes Kind des Herrschers im mittelalterlichen Skandinavien
301
Abkürzungsverzeichnis A. Anfang a. anno acc. accusative Adj. Adjektiv ae. altenglisch afrk. altfränkisch afrz. altfranzösisch ahd. althochdeutsch aisl. altisländisch Akk. Akkusativ an. altnordisch Ann. Annalen, Annales App. Appendice, Appendix arr. arrondissement Bf. Bischof Br British Bret Breton Capit. Capitularium Cart. Cartulaire(s), Cartulario(s) CC Common Celtic CH Schweiz Chart. Chartularium, Chartae, Charter(s) CnC Continental Celtic Co Cornish Chron. Chronicon, Chronica, Chronicarum Col. Coleccíon Conc. Concilium, Concilia confrat. confraternitatum Corp. Corpus Dat. Dativ Dép. Département DD Diplomata Dipl. Diplom, Diplomatari, Diplomática dt. deutsch Doc., doc. Document(s), Documentacíon, documental E. Ende Ep. Epistula(e) episc. episcopus, episcoporum F Frankreich f. femininum Facs. Facsimile(s) fol. folio Franc. Francorum frk. fränkisch frz. französisch https://doi.org/10.1515/9783110268850-203
G Germanic gall. gallisch gallorom. galloromanisch Gde. Gemeinde Gen. Genitiv germ. germanisch got. gotisch griech. griechisch H. Hälfte hebr. hebräisch, hebraicas Hist. Historia idg. indogermanisch IE Indo-European imp. imperium, imperii Inschr. Inschrift(en) Inscr., inscr. Inscription(s), Inscripciones, inscriptionum ital. italienisch Jh. Jahrhundert Kap. Kapitel kelt. keltisch kop. kopial Lang. Langobardorum Lat, Lat., lat. Latin, Latein, lateinisch, Latinae, latinarum usw. LBr Late British lgb. langobardisch M. Mitte m. maskulinum Man. Manuscript(s) MBret Middle Breton MCo Middle Cornish ME Middle English Mem. Memoria Merov. Merovingicarum, Merovingici MGH Monumenta Germaniae Historiae mhd. mittelhochdeutsch Ms., ms. Manuskript, manuscript n. neutrum Necr. Necrologium not. noticia NWG Northwest Germanic OBret Old Breton OE Old English OHG Old High German OIr Old Irish
X ONo op. Or., or. OSax osk. OW pag. pers. pl. PN Polyp. PrW Reg. reg. röm. Rom. rom.
Abkürzungsverzeichnis Old Norse opus, opera (im) Original Old Saxon oskisch Old Welsh pagina person Plural Personenname(n) Polyptychon, Polyptique Primitive Welsh Regesta regni römisch Romanum romanisch
sg. Sax, Sax. Sp. Taf. tav. Trad. UB Urb. Urk. V. vlat. W westgerm. WG WSax wisigot.
Singular Saxon, Saxonium Spalte Tafel tavola Tradition(en), Traditiones Urkundenbuch Urbar Urkunde(n) Viertel vulgärlateinisch Welsh westgermanisch West Germanic West Saxon wisigotisch
Z.
Zeile
Wolfgang Haubrichs
Chancen, Risiken und Methoden einer anthroponymischen Interferenz-Onomastik des Mittelalters Eine Einführung in die Thematik des Kolloquiums Kulturelle Integration zeigt sich in Spätantike und Mittelalter bei Interferenz-Situationen, wie sie z. B. durch Einwanderung oder die Einführung administrativer und politischer Superstrukturen entstehen, auch im Spiegel der Entwicklung von Personennamen, ja ganzer anthroponymischer Systeme. Diese Strukturen und Entwicklungen erfordern eine anthroponymische Interferenz-Onomastik. Chancen, Risiken und Methoden einer solchen auf Personennamen gerichteten Interferenz-Onomastik sollen hier an Beispielen aus Spätantike, frühem und hohem Mittelalter skizziert werden. Obwohl in Zentral- und Norditalien, in der nördlichen Gallia und in den Rheinlanden vom 6. bis zum 8. Jahrhundert die Personennamen germanischer Provenienz die alten lateinisch-römischen Traditionsnamen (wie Gregorius, Constans) und die neuen lateinisch-christlichen Programmnamen (wie Benedictus, Deodatus) weitgehend verdrängten, ist eine solche Entwicklung keineswegs von Anfang an vorgezeichnet.1
1 Latinisation germanischer Familien Zunächst einmal sieht es ganz und gar nicht so aus, als ob die Germania im Namensystem die Oberhand gewänne. Als im 4. und 5. Jahrhundert Germanen verschiedenster gentiler Herkunft einflussreiche Positionen im römischen Heer und Staat, z. T. in Kaisernähe, gewannen, da haben sie sich auf unterschiedliche Weise der imperialen Kultur assimiliert, darunter auch onomastisch. Eine Methode war die völlige onomastische Assimilation, Verähnlichung durch die Annahme lateinischer und graecolateinischer Namen in der Generation der Kinder. Dies lässt sich ausgezeichnet an der Person des mächtigen magister utriusque militiae Stilico (a. 393–408) demonstrieren, der selbst Sohn eines Wandalen und einer Römerin war, aber mit germanischem Namen benannt worden war. Sein Vater war Kommandeur einer Reitertruppe des Kaisers Valens (a. 364–378), wobei es interessant ist, dass Stilico einen auf der Basis eines germanischen Wortstammes (*stel‚Stengel, Pfosten‘) nicht ostgermanisch, sondern westgermanisch oder lateinisch 1 Vgl. zum Folgenden Haubrichs 2008, S. 88–95. https://doi.org/10.1515/9783110268850-001
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Wolfgang Haubrichs
(n-Stamm) formierten Kurznamen auf -o trug.2 Stilico wurde der erste Reichsfeldherr und wichtigste Staatsmann unter Theodosius I. (a. 378–395) und war mit einer Nichte des Kaisers vermählt, der ihm bei seinem Tode die Sorge für die Kaisersöhne Honorius und Arcadius übertrug. Die Bindungen wurden noch verstärkt durch die Verheiratung seiner explizit christlich benannten Tochter Maria a. 397/98 (nach deren Tod a. 408 der Schwester Aemilia Materna Thermantia) mit dem Westkaiser Honorius (a. 395–423). Auch der Sohn Eucherius (aus Eucharios ,der Angenehme, Freigebige‘) trug einen ‚nom de bon augure‘, der christlich interpretierbar war. Es mag bei der Motivation mitgespielt haben, dass Stilicos Förderer Theodosius zu seinem theophoren Namen durch eine Vision der Eltern kam. Wie fragil trotz naher verwandtschaftlicher Bindung und trotz der onomastischen Akkulturation dennoch die Stellung eines solchen imperialen Germanen blieb, zeigt die schnelle Katastrophe des Jahres 408. Nach dem Einbruch von Wandalen, Alanen, Sueben nach Gallien a. 406/07 und den Drohungen des wisigotischen Königs Alarich mit einer neuen Invasion Italiens kam es zu einer antigermanischen Reaktion am Kaiserhof zu Ravenna. Stilico wurde abgesetzt, des Zusammenspiels mit dem Gegner verdächtigt und schließlich wie sein Sohn hingerichtet, die Familie also regelrecht vernichtet. Das integrative Streben des mächtigen Heermeisters lässt sich an einer kunstvollen onomastischen Komposition aus dem Besitz seiner Tochter demonstrieren. Das Objekt, eine goldene Schmuckkapsel, wurde a. 1544 in einem Porphyrsarkophag bei Sankt Peter im Vatikan gefunden, der die Gebeine der mit dem Kaiser verheirateten Maria barg. Die der Begrabenen beigegebene Schmuckkapsel muss aus den Tagen des noch guten Einverständnisses stammen, denn sie dokumentiert in zwei einander komplementären Schriftkunstwerken die Familien des Kaisers und des magister militum und zwar deutlich aus der Perspektive des Letzteren (Abb. 1).3
Abb. 1: Christogramme der goldenen Schmuckkapsel der Stilicho-Tochter Maria, Gattin des Kaisers Honorius (Quelle: Inscr. Lat. sel. [Dessau 1954], S. 177 f., Nr. 800)
2 Francovich Onesti 2002, S. 172 f. (angebotene Deutungen problematisch). Zu *stel- vgl. Kluge 2011, S. 875 (‚Stall‘); Orel 2003, S. 374 (*steluz/*stelōn; ae. stela). 3 Inscr. Lat. sel. (Dessau 1954), S. 177 f., Nr. 800. Vgl. von Nischer-Falkenhof 1947, S. 81 f.; Haubrichs 2006, S. 19 f.
Chancen, Risiken und Methoden einer anthroponymischen Interferenz-Onomastik
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Die beiden figuralen Kompositionen ergeben je ein komplexes Christogramm, ein aus einem Kreuz erwachsendes nomen sacrum XP, d. h. griechisch ΧΡ[ιστός] und enthalten zugleich im Zentrum das Kreuz als Staurogramm, das zweifellos ebenfalls als X plus P, als ChiRho, als nomen sacrum des Salvators, zu interpretieren ist.4 Es ist unverkennbar, dass die Komposition Kreuz und Christus sein will und ihren Mittelpunkt im Erlöser und im Symbol der Erlösung sucht. Die Querachse des Kreuzes enthält jeweils den Segenswunsch VIVATIS, der aus der Figur heraus sicherlich mit in Christo zu ergänzen ist. Die weiteren Achsen tragen Namen, die Längsachsen des Kreuzes dabei jeweils die Bezugsperson der onomastisch-genealogischen Figur. Dies ist zunächst (links) der im Vokativ angesprochene HONORI, der Name des Kaisers. Die zugehörigen X-Achsen werden von den Namen der Schwiegereltern STELICHO (hier mit vulgärlateinischer Senkung des [i] > [e]) und SERHNA (Serena) gebildet. Der Name der Gattin MARIA bildet die Schleife des P. Die zweite figura (rechts) ist ganz auf die Familie des STELICHO ausgerichtet, dessen Name die Längsachse des Kreuzes besetzt. Die zugehörigen S-Achsen werden dann von den Namen seiner Tochter THERMANTIA und seines im Vokativ aufgerufenen Sohnes EVCHERI gebildet. Der Name seiner Gattin SERENA formt die Schleife des christologischen P. Die beiden figurae sind also völlig analog gestaltet. Sie akzentuieren die Verwandtschaft des Stilico mit Kaiser Honorius und gründen sie, über die Gräben der verschiedenen Ethnien hinweg, in Christus. Zugleich bezeugen sie den entschiedenen onomastischen Akkulturationswillen der Heermeisterfamilie, der eigentlich einem Identitätswechsel gleichkommt. Ein zweiter Typus spätantiker onomastischer Akkulturation ergibt sich als Amalgamat von germanischer und lateinischer Namentradition. Dafür ebenfalls ein Beispiel: Um a. 470 regierte die civitas von Trier, vermutlich aber sogar die gesamte römische Provinz Belgica Prima (mit den Gebieten von Metz, Verdun, Toul) ein comes Arbogast, Arvagast.5 Er verfügte über eine gute klassische Bildung, wandte sich an den Bischof Sidonius Apollinaris von Clermont mit theologischen Fragen; dieser lobte ihn wegen seines von Barbarismen freien Lateins.6 Bischof Auspicius von Toul wiederum rühmte seine Bildung und hielt ihn sogar für geeignet, ein Bischofsamt zu übernehmen.7 Man hält es für wahrscheinlich, dass er mit dem Ende des 5. Jahrhunderts aufscheinenden Bischof Arbogast von Chartres identisch ist. Für die Beharrungskraft des Namens zeugt auch das Vorkommen eines Arbogast in der Straßburger Bischofsliste um a. 600.8 Die Bildung des Trierer Arbogast, seine Stellung in der römischen Provinzialverwaltung, auch der Name seines Vaters Arigius zeigen wohl die Roma-
4 Vgl. Wischmeyer 1979. 5 PLRE 2, S. 128 f.; Ewig 1954, S. 56 ff.; Zotz 1980; Heinzelmann 1982, S. 558; Anton 1987, S. 50–59; Heinen/Anton/Weber 2003, S. 109 ff. 6 Sidonius Apollinaris, Ep. (Lütjohann 1887), IV, 17, S. 68. Vgl. Ward-Perkins 2007, S. 91, 213, Anm. 33. 7 Auspicius von Toul, Ep. (Strecker 1923). 8 Zu Arbogast von Straßburg (ARBOASTIS EPS) vgl. Duchesne 1915, S. 171. Vgl. Haubrichs 2008a, S. 63 f., Nr. 11–15: dort auch zur ‚fränkischen‘ Qualität der Namen auf -gast.
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Wolfgang Haubrichs
nisierung seiner Familie an. Doch ist er zugleich verwandt mit dem den gleichen gut fränkischen Namen tragenden Arvagastes comes, einem heidnischen Franken, der a. 394 inschriftlich in Köln bezeugt ist und unter Kaiser Valentinian II. (a. 383–392) der erste Heermeister des Westens wurde, seinen Kaiser ermordete, den Rhetor Eugenius zum Westkaiser erhob und im Bunde mit Senatskreisen die heidnische Restauration betrieb, um schließlich in einer Art Glaubenskrieg zwischen Heidentum und Christentum Theodosius I. zu unterliegen und Selbstmord zu begehen.9 Doch wurde der bedeutsame germanisch-fränkische Name in der Familie beibehalten, das soziale Prestige des Eponymen war trotz seines Scheiterns nicht vergessen.
2 Hybride Latinisation Es gab eine zweite, raffiniertere Form der anthroponymischen Akkulturation, in der Germanen das komplexe lateinische System der tria nomina (z. B. Gaius Iulius Caesar) annahmen, aber zugleich ihre indigenen Namen einbrachten, was im Übrigen bereits weit vorher keltische Gruppen auf dem Boden Galliens bei der Übernahme römischer Namengewohnheiten taten.10 Nehmen wir als Beispiel Soldatennamen, im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass die römische Armee der wichtigste Schmelztiegel und die bedeutendste Integrationsinstitution des spätantiken Imperiums war. Nehmen wir etwa Soldatennamen aus dem Friedhof der bedeutenden norditalienischen Militärstadt Concordia (bei Aquileja). So trägt eine a. 394/95 zu datierende Grabinschrift den Namen des Toten:11
Die Inschrift gibt neben dem Rang des Bestatteten (centenarius) und der Einheit (numerus der Bracciati) einen Doppelnamen (im Dativ) an, nämlich den beliebten Gentilnamen der Flavier-Dynastie, der um diese Zeit überhaupt zum gewöhnlichen Bestandteil von Namen römischer Amtsträgerfamilien wurde,12 und zusätzlich ‒ gewissermaßen als Cognomen ‒ den germanischen Namen Andia13 zu germ. *andja-, got. andeis ‚Kopfende, Stirn, Ziel‘.14 Der Form nach ist der als n-Stamm zu klassifizierende und auf -a endende Kurzname ostgermanisch.
9 PLRE 1, S. 95–97; Stein 1928, S. 325 f.; Demougeot 1951, S. 129 ff., 139 ff.; Stroheker 1965, 21 ff.; Waas 1971, S. 70 ff.; Demandt 1980, S. 619, 629, 633; Demandt 1989, S. 134–136; Heinzelmann 1982, S. 570. 10 Vgl. Zeidler 2011 (mit Literatur). 11 CIL 5, Nr. 8740. Vgl. Hoffmann 1969–1970, 1, S. 76, 82; Demandt 1980; Demandt 2007; Reichert 1987–1990, 2, S. 2. 12 Vgl. Möcsy 1964; Keenan 1973, S. 33–43; Keenan 1983; Castritius 1997, S. 35. 13 Reichert 1987–1990, 2, S. 2. 14 Vgl. Schönfeld 1912, S. 20, 23; Kaufmann 1968, S. 34; Wagner 2011, S. 313; Orel 2003, S. 18.
Chancen, Risiken und Methoden einer anthroponymischen Interferenz-Onomastik
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Als Dedikanten (und damit Initiatoren) des Grabsteins nennen sich:
Der erste Name15 enthält eine oberflächliche Imitation der römischen tria nomina mit zwei Gentilicia Flavius und Servilius als Erstbestandteilen und dem germanischen Trausta-guta16 als Cognomen. Trausta-guta (mit gut erhaltenem ursprünglichem [u] im Zweitelement *-guta ,Gote‘) lässt sich ohne Probleme mit got. trausti ‚Vertrag, Bündnis‘, Ableitung zu germ. *trausta- ‚Trost, Zuversicht‘, an. traustr ‚zuverlässig, sicher, stark‘, ahd. trōst ‚Zuversicht‘ verbinden.17 Der Name ist klar ostgermanisch (wenn nicht gotisch) und kann u. a. mit dem hypokoristischen Namen Thraustila, der Ende des 5. bzw. Anfang des 6. Jahrhunderts für einen gotischen Gefolgsmann (und Schwager) des Aetius, einen Ostgermanen unter Kaiser Zeno († a. 491), aufscheint, und vielleicht mit einem Gepidenfürsten namens Trapstila verglichen werden,18 falls dieser nicht zu got. þrafstjan ‚trösten, ermahnen‘ zu stellen ist.19 Man könnte den indigenen Namen dieses durch die Annahme römischen Namenbrauchs, darunter des seit der Heraufkunft der konstantinischen Dynastie fast zum Beamtentitel werdenden alten Gentiliciums Flavius ausgezeichneten Soldaten als ‚Vertrags- oder Schutz-Gote‘, passend zum Militärort Concordia, wiedergeben. Ob auch der zweite Dedikant, Ilateuta F(lavius), einen germanischen Namen trägt, steht dahin.20 Dies ist kein Einzelfall:21 Allein in Concordia (bei Aquileja) finden sich im 4./5. Jahrhundert Flavius Hariso magister primus de numero Erulorum seniorum mit westgermanischem Namen; Anfang 5. Jh. Flavius Fandigilus (