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German Pages 208 [209] Year 2014
WEGE ZUR G ESCHICHTSWISSENSCHAFT Herausgegeben von Hans-Henning Kortüm, Wolfram Pyta, Manfred Rudersdorf und Christoph Schäfer
Silke-Petra Bergjan und Beat Näf
.ÊSUZSFSWFSFISVOH JN GSàIFO $ISJTUFOUVN Zeugnisse und kulturelle Wirkungsweisen
Verlag W. Kohlhammer GmbH
Verlag W. Kohlhammer AlleRechte vorbehalten Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH +Co. KG, Stuttgart Umschlaggestaltung: Peter Horlacher Printed in Germany ,6%1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 9
Lektüre und Zeiterfahrungen 1 2
Martyrien –Wirkungen von fundamentalistischem Fanatismus? 1 3 Martyrien – Heldentum – Opfer: Umstrittene Beurteilungen 14 Selbstverschuldeter Tod? 1 5 Irrglauben und Wahnsinn 1 6 Rechtfertigungen von Töten und Tod in der reformatorischen Kritik – Ablehnung von Heiligen- und Reliquienkult –Wiederbelebungen 1 6
Martyriums- und Opfervorstellungen in der modernen Welt 1 7
1 Märtyrerverehrung in antiken und modernen Gesellschaften: Grundstrukturen – Ausprägungen – Deutungen 23
Märtyrerverehrung und Totenkult 24 Sinn- und Protestpotential 26 Wirkungen des Märtyrerkultes 28 Die Frage nach der Weiterwirkung alter Opfer-Rituale und die Konstantinische Wende 31 Moderne Sichtweisen – moderne Widerprüche 36
2 Die freie Rede vom Wahren – Verchristlichung traditioneller Modelle? 41
Christen und Heiden – der Streit über die wahre Einsicht in Tugenden der Lebensführung 41 Jüdisch-hellenistische Wurzeln von Martyriumsvorstellungen 46
3 Behauptungskampf religiöser Minderheiten 55 Philon zur Eskalation der religiösen Konflikte zwischen Juden und Römern unter Kaiser Caligula 57
Flavius Josephus und die Widerstandsund Überlebenskraft jüdischen Glaubens 60 Römische Historiker zum Unruhe- und Widerstandspotential der Christen im ersten Jahrhundert 62 Plinius und der „wüste Aberglauben“ der Christen 64 Verschärfung der Konflikte – Hartnäckigkeit von Heiden und Christen 67 Apologeten 71 Verfolgungen und Berichte von Martyrien: Märtyrerakten und Passionen 73 Martyrien – Einzel- oder Massenschicksale? Die Kanonisierung der Erinnerung 76 4 Stä d te u n d i h re M ä rtyrer 85
Ein Blick auf das Land 85 Veränderungen der Vorstellungen vom Martyrium und von der Märtyrerverehrung 87 Wirkungen der Christianisierung 91 Jerusalem 97 Märtyrerverehrung in Städten des Ostens: Smyrna und Antiochia 101 Vom Osten in den Westen: Lyon 106 Karthago 108 Rom 112 Mailand und Bischof Ambrosius 120 Justinian und der Kirchenbau 12 6 Rezeption und Entwicklung der Märtyrer- und Heiligenkulte in den frühmittelalterlichen Städten des Westens 128 5 M a rtyri en , H ei l i g kei t u n d d i e Fra g e n a ch i h rer I n terpreta ti on 1 3 3
Patrocinium – Schutz und Hilfe der Heiligen? 133 Gemeinden, Volk und Eliten – Rezeptionen römischer Ordnungskonzepte 134 Christusnachfolge und Martyriumssehnsucht als soziale Kraft 135 Konkurrenz der Martyriumsinterpretationen 140 Umdeutung von Geschichte im Ringen um die „rechtgläubige“ Märtyrerverehrung 144 Macht der Ohnmacht – Theologie und Siegesbewusstsein 146
Öffentliche Inszenierungen von Gewalt und ihre Infragestellung – Martyrien als Ersatz und neue Spektakel? 152 Einfluss und Unvermögen der Heiligen – Kritik des Märtyrerkultes 154
6 Märtyrerkult und christliche Lebensweisen 1 59 Zur Anziehungskraft christlicher Kultur 159 Die Leiden der Zeit aushalten 160 Askese und caritas – neue Werte als Zeugnis des Glaubens leben 163 Leben in der Erinnerung an die Märtyrer 167 Märtyrerverehrung und Rechtsbegründung 172 7 Frühchristliche Märtyrer und Martyrien: ein Ausblick auf die Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte 1 77 Bibliographie 1 85 1 Quellen und Abkürzungen 185 2 Literatur 203 Abbildungsnachweise 208
Einleitung
Der Toten zu gedenken gehört zur Kultur. Es ist ein Gedenken, das so zeitlich ist wie die Menschen und ihr Tun. So ist auch die Kultur selbst der Vergänglichkeit unterworfen; Tod und Untergang gehören notwendigerweise zur ihr. Wenn wir uns kulturellen Erscheinungen zuwenden, interessieren wir uns freilich stärker für das, was sie sind, und noch in ihrem Erlöschen sehen wir ihr Sein. Wichtig sind uns ihre sichtbaren Eigenschaften und Ausformungen sowie ihr lebendiger Reichtum. Eher nehmen wir „die“ Kultur als etwas Festes und Beständiges wahr, das „blühend“ und anschaulich gegenwärtig ist, als wäre es für immer so. Und fasziniert schauen wir auf ihre Vielfalt, ihre pralle Fülle, ihre Größe, ihre Schönheit, ihr Wachstum und ihre Veränderungen. Was Kultur ist, verdankt sich ihrer Lebensfähigkeit, ihrer Kraft des innovativen Bewahrens, Weitergebens und Transformierens. Dabei gründet Kultur zu einem erheblichen Teil aufdem, was Menschen geschaffen haben, die nicht mehr leben. Gerade ihre Fundamente verdankt sie Verstorbenen. Ein Chor von Toten ruft den Lebenden zu: „Wir Toten, wir Toten sind größere Heere / Als ihr auf Erden, als ihr auf dem Meere!“ So hat es der Dichter Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898) formuliert. 1 Mit den Geheimnissen von Macht und Ohnmacht der Toten hat man sich immer wieder beschäftigt. Ihre Wichtigkeit steht außer Frage. Zuweilen wird sogar vermutet, sie hätten mit der Begründung von Kultur schlechthin zu tun. Sind hier ihre Wurzeln? Entsteht sie im Kult der Toten? Ist Kultur gar Totenkult? Oder werden die Toten zumindest als Zeugen von Kultur wahrgenommen? Als Giambattista Vico (1668–1744) über die Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker nachdachte, führte er einleitend zur Idee seines Werkes unter anderem aus, die menschliche Einrichtung des Beerdigens (humare) sei eigentümlich für die Menschheit (humanitas). 2 Eine solche Interpretation versteht die Bestattung der Verstorbenen und die Erinnerung an die Toten als eine Form von Menschlichkeit. Dank und Respekt würden so im Ritus erwiesen. Über das Ende des Lebens hinaus werde den Verstorbenen Fürsorge geleistet. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen verbinde die Generationen. Grablegung
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Einleitung
oder Gedenken an die Verstorbenen – wie überhaupt jede Form des Totenkultes – seien ein Dienst: Sie würden den Toten zugutekommen. Solche Aussagen gibt es in unzähligen Varianten und Formulierungen. Sie sind nichts Ungewöhnliches für Vorstellungen, die zum Totenkult gehören. Die Erinnerung an die Toten folgt vielfältigen Bahnen. Zum Teil treten neben Motive der Respekterweisung, der Erfüllung einer pietätvollen menschlichen Pflicht und des Dankens gleichzeitig Ängste vor Strafe oder magische Vorstellungen. Totengedenken ist auch nicht hinreichend zu verstehen, wenn man in ihm allein die Erinnerung sieht. Zum Totenkult gehört gerade auch das Vergessen: manchmal unfreiwillig und passiv, manchmal aber auch aktiv, ja sogar mit dem Ziele des Zerstörens der Erinnerung, so etwa bei der damnatio memoriae oder bei der Verbrennung Verstorbener und dem Verstreuen ihrer Asche. Und umgekehrt gehören zu den Ausprägungen des Totenkults Techniken der Auszeichnung besonderer Toten und besonderer Formen des Sterbens und des Todes. Tod ist nicht gleich Tod. So wird Menschen, die einen gewaltsamen Tod erlitten haben und zu „Opfern“ beziehungsweise „Heldinnen“ und „Helden“ geworden sind, wie es heißt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt als „gewöhnlichen“ Toten. Ob polytheistisch, monotheistisch, deistisch, pantheistisch oder atheistisch fundiert, solche Toten und ihr Tod provozieren charakteristische Reaktionen mit einem im Grundsätzlichen relativ stabilen Ausdrucksrepertoire, das hilft, die Opfer zum Unterpfand für das Weiterleben von Handlungseinheiten zu machen. Dies gilt auch für die Märtyrerinnen und Märtyrer. Im antiken Christentum wurde der Titel Märtyrer zu einer geläufigen Bezeichnung für Menschen, die während einer Verfolgung ihren christlichen Glauben bekannt hatten und dabei gefoltert und getötet worden waren. Doch eine solche Erklärung des Wortes greift sofort auch zu kurz. So wurden Fragen gestellt wie: Welchen Glauben haben die Hingerichteten bekannt? In welchem Verhältnis zueinander sind Leben und Sterben von Märtyrern zu sehen? Kommt es allein aufdie Bewährung am Ende eines Lebens an? Sind die Berichte von Martyrien korrekt? Gibt es eine oder mehrere Formen von Martyrien? Sind Martyrien etwas Vorbildliches? Sollen sie nachgeahmt werden? Die Vorstellung des Martyriums besitzt in jedem Falle eine erstaunliche Macht. So haben sich Menschen – zumindest sagten dies die Zeitgenossen – zum Martyrium gedrängt; und Märtyrer sind seither intensiv verehrt worden. Bereits im Imperium Romanum lernte man, dass im Hinblick auf den Erfolg des Staates darauf zu achten war, keine Märtyrer zu schaffen. Immer wieder hat man überdies versucht, die Verkehrtheit der Ideen des Martyriums und des Opfers ins Licht zu rücken. Doch für die Glaubenden erweisen Märtyrer mit Wort und Tat die Richtigkeit und Wahrheit der gemeinsamen Überzeugung. Ihr Zeugnis war und ist ihnen Hilfe für das Leben in der Gegenwart. Es lindert qualvolle und schmerzliche Erfahrungen, ob es nun um Torturen, Verfolgungen oder Leiden im Alltag und die eigene
Märtyrervereh ru n g
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Todesangst geht. Solche schrecklichen Erfahrungen scheinen in etwas Höherem aufgehoben zu sein. Kritiker martyrologischer Vorstellungen sehen in solchen Interpretationen nicht selten Lebenslügen, Mechanismen der Verblendung und unheilvolle, in magischen Praktiken verankerte Irrlehren am Werk. Doch ähnlich wie sich Entdeckungen im Bereiche der Technik nicht mehr rückgängig machen lassen, vermag Kritik geistige Konzepte nicht zum Verschwinden zu bringen. Was einmal in die Welt gekommen ist, wird benutzt. Dies gilt auch für Ideen. Die Idee des Martyriums ist immer wieder aufgegriffen worden. Man hat sie neu interpretiert, umgeformt und übertragen. Sogar Formen der Gewaltanwendung sind damit gerechtfertigt worden. Damit sind wir bei ihrer Geschichte, einer Geschichte, die sich bis hinein in moderne säkulare Lebenswelten erstreckt. Im akademischen Betrieb werden Wahrnehmungen geschichtlicher Vorgänge durch Lektüren und Gespräche beeinflusst, durch das Wirkungsvermögen vielfach wiederholter und immer wieder aufgenommener Worte und Gedanken, wie sie sich in als bedeutsam beurteilten und von vielen regelmäßig gelesenen Texten finden. Diese werden unter anderen in sogenannten Seminarien benutzt. Das vorliegende Buch hat seinen Ausgangspunkt in einem Seminar. Im Frühlingssemester 2011 haben wir – die Theologin und Kirchenhistorikerin Silke-Petra Bergjan sowie der Historiker Beat Näf – an der Universität Zürich eine gemeinsame Lehrveranstaltung durchgeführt, die der Geschichte der Christenverfolgungen und der frühchristlichen Märtyrerverehrung gegolten hat. Geleitet hat uns der Gedanke der Begegnungen mit Quellen und Geschichte. Vorrangig haben wir Zeugnisse aus dem frühen Christentum gelesen, dabei aber auch nach ihrem eventuellen Fortwirken bis in die jüngste Vergangenheit gefragt. Über unsere Erfahrung der eigenen Gegenwart wollten wir zumindest stichwortartig Rechenschaft ablegen. Was wir für dieses Seminar vorbereitet und in der Veranstaltung diskutiert haben, haben wir danach nochmals aufgegriffen, zu Worte kommen lassen und wiederum in Worte gefasst. Unabhängig von den Vorgaben der auch in der Schweiz ohne nennenswerten Widerspruch umgesetzten Bologna-Reform mit ihren Einschränkungen von Lehr- und Lernfreiheit wollten wir die Ziele geduldigen Lesens und Arbeitens über einen längeren Zeitraum hinweg nicht aus den Augen verlieren. So legen wir im Nachgang zu unserem Seminar einen knappen Überblick über die Geschichte der Märtyrerverehrung im antiken Christentum vor. Der in diesem Buch vorgelegte und im Frühling 2013 im Wesentlichen abgeschlossene Text wird von uns in seiner Gesamtheit gemeinsam verantwortet, obschon wir bei manchen Passagen unterschiedliche Meinungen vertreten und wir uns auch bei den Gewichtungen nicht immer einig werden konnten. Wir sind uns der Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens bewusst, denn Forschung und Literatur zur Thematik sind unermesslich breit. Doch die Grundfragen sind so wichtig, dass wir uns ihnen stellen möchten. Bei einer Beschäftigung mit der Religionsgeschichte des Altertums und ihrer
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Ein l eitu n g
Wirkungen ist es so gut wie unmöglich, die Thematik der Märtyrerverehrung zu umgehen. Wir wissen, dass das, was wir vorlegen, nur unvollständig und exemplarisch sein kann, doch hoffen wir Anregungen für die Beschäftigung mit diesem Thema geben zu können. Unser Anliegen ist es, die frühchristliche Verehrung von Märtyrern und ihre Erforschung im Hinblick aufeinige von uns gewählte Leitthemen zu verstehen und zu skizzieren. Wir studieren die ersten Jahrhunderte sowie die spätrömische Zeit bis ungefähr 600 n. Chr. Aufmerksamkeit geben wir sodann immer wieder Phänomenen der Rezeption. Unsere Fragen lauten: • In welchen kulturgeschichtlichen Zusammenhängen steht die frühchristliche Märtyrerverehrung? • Wie wirkt sich die für das Christentum spezifische Geschichte aus: der Weg von einer verfolgten religiösen Minderheit zur erfolgreichen Etablierung in Gesellschaft und politischem System? • Wie setzt sich die Märtyrerverehrung in der römischen Städtewelt fest? • Welche Folgen zeitigten überlieferte Interpretationen von dem, was als Martyrium verstanden wurde, in der damaligen Gesellschaft? • Wie nehmen wir die Zeugnisse aus der Römerzeit unter dem Einfluss unserer Erfahrungen und der Auseinandersetzung mit einer langen Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte wahr? Martyrien sind seit frühchristlicher Zeit in Texten dargestellt und überliefert worden. Diesen wenden wir uns im Folgenden immer wieder zu, aus ihnen zitieren wir. Bei Quellenangaben verwenden wir die geläufigen Abkürzungen. Diese werden in der Bibliographie zusammen mit den benutzten Ausgaben und Übersetzungen aufgeführt. Für Hinweise, Lektüre des Manuskripts und / oder Gespräche danken wir unseren Studierenden sowie Ulrike Babusiaux (die an einer Sitzung unseres Seminars teilgenommen hat), Reinhard Bodenmann, Stefanie Duttweiler, Suzanne Frey-Kupper, Verena Füllemann, Daniel Kuhn vom Kohlhammer-Verlag, Nikolas Hächler, Stephan Näf, Christoph Riedweg, Marius Roth, Sebastian Scholz und Otto Wermelinger; nicht zuletzt geht unser Dank auch an die Herausgeber der Reihe „Wege zur Geschichtswissenschaft“. Lektüre und Zeiterfahrungen
Unsere Lektüren gehören in eine Zeit, in der man nicht gerne von Martyrien und Märtyrern hört und diese Bezeichnungen lieber verdrängen möchte. Wenn darauf hingewiesen wird, dass auch heute, ja sogar gerade heute, viele Christen wegen ihres
Lektüre und Zeiterfahrungen
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Glaubens ihr Leben verlieren, so sprechen deswegen längst nicht alle von Verfolgungen oder Martyrien. Solche Begriffe wecken negative Assoziationen, erinnern an das Beharren auf Rechtgläubigkeit, Kreuzzugsrhetorik und Intoleranz. Man befürchtet, die Verwendung der alten Bezeichnungen könnte den Streit zwischen den Religionen und Kulturen schüren. Die Rede von Opfern sei immer einseitig; und die Rede von Martyrien instrumentalisiere die Opfer für religionspolitische Zwecke. Worte würden in diesem Zusammenhang zu Waffen. Martyrien – Wirkungen von fundamentalistischem Fanatismus?
Den Begriffdes Martyriums sehen einige in einem dunklen, zerstörerisch wirkenden Bereich der Kultur angesiedelt: Zahlreiche unheimliche Beispiele von verblendetem religiösem Fanatismus würden dies illustrieren. Richard Dawkins, Atheist, Wissenschaftler und Autor populärer Bestseller, sieht beispielsweise in der Erweckung der Bereitschaft zum Martyrium eine furchtbare Eigenschaft jeder Religion. Er zeigt dies unter anderem am Fall von Selbstmordattentätern, wie sie besonders nach den
Abb. 1 : 9/1 1 – die Zerstörung der New Yorker Twin Towers 3
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Einleitung
Anschlägen am 11. September 2001 berühmt wurden. Als verantwortlich erachtet er nicht unbedingt extremistische Fanatiker, sondern durchaus anständige, sanftmütige, zur Mehrheit gehörende Religionslehrer, die mit ihren pseudoklugen Worten andere zum Gotteskriegertum verführen. Religion, so der Atheist Dawkins (dem freilich umgekehrt auch Fundamentalismus vorgeworfen wurde), könne sehr gefährlich sein. 3 Martyrien – Heldentum – Opfer: Umstrittene Beurteilungen
2011, zehn Jahre nach den Ereignissen von 9/11 erlebten wir, wie Martyrien in Aufständen in Tunesien, Ägypten und Syrien ihren Einfluss ausübten und wie eine Special Force der US-Navy Osama bin Laden in Pakistan tötete. Hier und in weiteren Fällen wird freilich auch deutlich, dass wir es jeweils mit ganz unterschiedlichen menschlichen und geschichtlichen Tragödien zu tun haben. In den Berichten über sie wird die Redeweise von Märtyrerinnen und Märtyrern oft ergänzt mit weiteren Begriffen und Vorstellungen. So wurde von Kämpfen, ja Kriegen für Gerechtigkeit gesprochen oder das heroische Handeln der Getöteten bewundert. In Tunesien wurde im Frühling 2011 Mohamed Bouazizi zum Volkshelden. Nach langen Jahren der Diktatur wehrten sich Menschen auf einmal gegen ihre Regierung und wurden zu Wegbereitern des „Arabischen Frühlings“. 4 Der junge Mohamed Bouazizi hatte sich aus Verzweiflung über seine Lebensumstände mit Benzin übergossen und angezündet, nachdem er durch die Polizei daran gehindert worden war, auf der Straße Obst und Gemüse zu verkaufen. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima leisteten Feuerwehrleute und Ingenieure ihren Dienst trotz erhöhter Strahlenwerte. Frei werdende Radioaktivität richtete beängstigende Schäden an. Wie sollte man von den Opfern und den weitgehend namenlosen Helferinnen und Helfern sprechen? Manche erinnerten sich an die Worte, welche eine Zeitung einmal Tschernobyl gewidmet hatte: „Ehre sei den Heroen des Atoms. Der Reaktor ist besiegt. Tschernoybl, Stätte großer Heldentaten.“ 5 Man habe es mit Heldinnen und Helden zu tun. Nicht in jedem Falle wird von Martyrien gesprochen. Es gibt völlig unterschiedliche Interpretationen des Einsatzes, Opfermutes und der Leiden von Menschen. Auch Abscheu und Abqualifizierung können in der Beurteilung eine Rolle spielen. Der 74-jährige Anna Hazare, ein Bauer aus dem westindischen Gliedstaat Maharashtra, trat im Frühling und Sommer 2011 aus Protest gegen Korruption in einen Hungerstreik. Er wurde als „Gandhi des modernen Indien“ bezeichnet und sein Protest gleichzeitig als Gefährdung der Demokratie betrachtet, da er versucht habe, ohne überprüfbares Mandat dem Parlament den Willen einer Minderheit aufzuzwingen. 6
Lektü re u n d Zeiterfah ru n g en
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Waren die Toten des ägyptischen Aufstandes auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die dem Regime Mubarak zum Opfer fielen, Märtyrer? Viele sahen es so. Die Martyrien bewiesen ihrer Meinung nach die Macht des Protestes und machten himmelschreiende Zustände des Unrechts auf brutalste Art und Weise anschaulich. Gewalt gab es freilich aufbeiden Seiten. Und beide Seiten beanspruchten im Recht zu sein. Bereits im Juni 2010 hatten zwei Polizisten den Blogger Khaled Said zu Tode gefoltert. In Reaktion darauf wurde nach Sühne für das vergossene Blut aufgerufen. Dies mobilisierte Tausende von Internetnutzern gegen die Polizei und den vermuteten Unrechtsstaat. Die Regierung selbst sah im Widerstand hingegen allein Verbrechen und Gefahr. In Tibet übergoss sich am 14. Januar 2012 in der Stadt Ngaba der 22-jährige Lobsang Jamyang mit Benzin und zündete sich an. Auf einem Video ist zu sehen, wie er lichterloh brennend über einen Platz vor dem Kirti-Kloster rennt, auf dem ein Polizeiauto und eine schreiende Menge zu sehen sind. Die Organisation Free Tibet bezeichnete ihn auf ihrer Website kurz danach als 16. Opfer seit März 2011, das sich selbst verbrannt habe, um der Forderung nach Freiheit Ausdruck zu verleihen. Dutzende junger Tibeterinnen und Tibeter haben offenbar in der Verzweiflung und Frustration über den Druck Chinas auf die tibetische Minderheit diesen Weg gewählt. Wie Andrea Spalinger in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. Mai 2012 aus dem Bergstädtchen Dharamsala berichtete, sind dort die jungen Tibeter, welche diesen grauenvollen Weg gegangen sind, mit Postern verehrt worden. Dabei ist es bemerkenswert, dass der Buddhismus Gewalt gegen andere und sich selbst verbietet. Die „Märtyrer“ werden indes als Menschen gesehen, die sich aus Liebe für ihr Volk und für eine höhere Sache geopfert haben und damit der Tradition des Buddhismus folgen würden. Es gibt sodann auch vergessene Märtyrer. Manchmal ist nur von Opfern die Rede. Zuweilen spricht man von „Helden des Alltags“ und versucht nicht einmal, diese namhaft zu machen und auszuzeichnen. Sel bstversch u l d eter Tod ?
Andere Menschen wiederum sterben selbst bestimmt oder als Folge einer suizidalen Lebensführung. Doch waren sie allein Opfer ihrer selbst? Trug zu ihrem Tod vielleicht nicht bei, dass Überschreitungen von Grenzen in der Unterhaltung, den Medien und im Freizeitgebaren weitherum gutgeheißen, ja gefordert werden und kreative Menschen gerade im Bekenntnis zu ihrer Kreativität daran zerbrechen, ja gewissermaßen unter den Blicken ihrer Bewunderer zugrunde gehen, und diese somit im Grunde genommen als ihre Henker betrachtet werden müssten? 27-jährig starb am 25. Juli 2011 die britische Popsängerin Amy Winehouse an den Folgen
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ihrer Alkohol- und Drogensucht. Die Popwelt hatte ihren herben, suggestiven Gesang gefeiert. Ihr Tod erinnerte an denjenigen von Jimi Hendrix (27), Janis Joplin (27), Jim Morrison (27), Brian Jones (27), Kurt Cobain (27) und Michael Jackson (50). Sie alle machte der Tod erst recht berühmt. Es war abzusehen: Die an ihrem rebellischen, rauschhaften, selbstzerstörerischen und skandalösen Leben zu Grunde gegangene große Sängerin würde wohl auch bald im Kult einer Heldin ihren Nachruhm finden. War sie dabei eine Art echte oder falsche Märtyrerin? Oder starb sie vielmehr an einem Unglücksfall, den weder sie noch jemand sonst gewollt und provoziert hatte? Irrglauben und Wahnsinn
Am 22. Juli 2011 tötete in Norwegen Anders Behring Breivik 86 Menschen. Er ließ im Regierungsviertel von Oslo eine Bombe detonieren und machte das Sommercamp von RegierungschefStoltenbergs Arbeiterpartei aufder Insel Utöya zum Ort des Grauens. Der Massenmörder versteht sich als Angehöriger eines Tempelritterordens und versuchte sich mit Vorstellungen zu stilisieren, welche die für das Verständnis von Martyrien so wichtige Idee der militia Christi pervertiert: Tempelritter stünden im Dienste Christi. Sein Verbrechen sei Heldentat. Sein Tun werde die suizidale und korrupte Kultur des Westens, wie sie insbesondere Marxismus und Multikulturalismus hervorgebracht hätten, in einem zu neuem Selbstbewusstsein erwachenden Kampfe gegen den Islam stärken. Auch im deutschsprachigen Raum werden das von Behring propagierte Gedankengut und seine Grauen erweckende Rezeption und Deutung westlicher Kultur im Internet verbreitet. Der Missbrauch christlicher Traditionen ist nichts Neues, wenn er auch selten so weit gegangen ist wie in den von Breivik kompilierten Texten. Rechtfertigungen von Töten und Tod in der reformatorischen Kritik – Ablehnung von Heiligen- und Reliquienkult – Wiederbelebungen
Gegen Verzerrungen und Missbräuche christlicher Traditionen wandte sich einst die Reformation. Kirchliche Rechtfertigungen von Gewaltanwendung wurden in Frage gestellt. Militärisches Vorgehen sei nicht verantwortbar und Solddienst verwerflich. Die Tötung von Persönlichkeiten, die es wagten, die Kirche zu kritisieren, verstoße gegen das Recht: Johannes Hus beispielsweise hätte nicht als Ketzer zum Feuertod verurteilt werden dürfen. Auswüchse des Heiligen- und Reliquienkultes wurden gleichfalls bekämpft. In Zürich bereiteten Zwingli und Bullinger damals der kultischen Verehrung der Märtyrer und Stadtpatrone Felix und Regula ein Ende.
Lektü re u n d Zeiterfah ru n g en
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Die von ihnen durchaus geschätzten Heiligen, welche – wie es eine auf die Karolingerzeit zurückgehende Legende berichtet – während der letzten großen Christenverfolgungen ihr Leben gelassen hatten, sind bis heute unvergessen geblieben. Am 11. September findet seit einigen Jahren wieder eine Prozession zu ihren Ehren statt. Sie endet mit der Verehrung von Reliquien im Großmünster, der Kirche, die sich über dem in der Reformation beseitigten Grab erhebt. Belebt haben die Tradition insbesondere koptische und orthodoxe Christen. 7 Die Reformation vermochte traditionellen Formen von Kulten kein Ende zu setzen. Dies belegen unter anderem auch der von einem Hieb getroffene Helm sowie das Schwert von Ulrich Zwingli: Sie sind in einer Vitrine im Zürcher Landesmuseum ausgestellt. Zwingli war 1531 in der Schlacht bei Kappel umgekommen. Ein Kriegsgericht erklärte ihn zum Ketzer. Man vierteilte und verbrannte seinen Leichnam. Nur wenige Wochen nach dem Tode des Reformators schrieb sein Freund Oswald Myconius in einer in Briefform verfassten Biographie Zwinglis, mitten unter der Asche habe sich aber unversehrt sein Herz gefunden. Dieses wurde zur Reliquie. Ein eng vertrauter Mann sei zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er einen Teil des Herzens sehen wolle, das er in einer Kapsel mit bei sich trage: „Da mir bei diesen unerwarteten Worten ein Schauer durch den ganzen Körper lief, lehnte ich ab – sonst könnte ich auch hiefür Augenzeuge sein.“ 8 Später tauchte die militärische Ausrüstung des Reformators wieder auf. Die Gegenstände wurden im 19. Jahrhundert von den Zürchern zurückerbeten und feierlich in der Stadt empfangen. Zwar wurden wiederholt Zweifel an ihrer Authentizität erhoben, und manche Stücke – so ein Säbel und eine Armbrust – wagte man nicht mehr zu zeigen. Doch das Bedürfnis nach Objekten, welche die Erinnerung an den heldenhaften Reformator lebendig erhielten, verschwand nicht; die Reliquien des Reformators faszinieren das Publikum noch immer.
Martyriums- und Opfervorstellungen in der modernen Welt Die säkulare Stadt pflegt die Erinnerung an Märtyrer aus den verschiedensten Epochen indes in vielfältiger Weise. Gedenktafeln, Friedhöfe, Monumente, Kunstwerke und Schriften erinnern an Martyrien, wobei der Begriff vielfach nicht explizit erscheint, ja vermieden wird oder durch andere Bezeichnungen ersetzt ist. Vor dem Zürcher Kunsthaus steht „Das Höllentor“ von Auguste Rodin, in dem kunstvoll dargestelltes Leiden von Menschen den Weg zu Interpretationen eröffnet, die dem Leben und dem Nachdenken über das Leben gewidmet sind. Rodin selbst beschäftigte sich beinahe 40 Jahre mit seinem kolossalen Werk, einer Art Antwort auf die „Paradiestür“ von Lorenzo Ghiberti in Florenz. Unordnung
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Einleitung
und Chaos sind da. Die Tragik des Daseins sowie Schmerz und Tod sind spürbar; noch stärker aber die Leidenschaften der Menschen und Körper in all ihrer packenden und übersteigerten, vitalen Ausdruckskraft. Auch eine Märtyrerin hat Rodin geformt. Und auch bei ihr sind Sinnlichkeit und Erotik spürbar. Seit den 1960er Jahren spielen Aktionskunst, Body-Art und Performances eine Rolle. Aufseheneregende Aktionen, in denen Künstlerinnen wie Gina Pane (1939–1990) oder Marina Abramović sich Schmerz und Verletzungen zugefügt haben, als fordere die Kunst auch die Hingabe des eigenen Körpers als Opfer, um eine anästhesierte Gesellschaft aus ihrer Kommunikationslosigkeit aufzuwecken und das, was das Leben zu bieten hat, in einer wahreren Form wieder zugänglich zu machen, nehmen vielfach auf, was aus Martyriumsdarstellungen bekannt ist.
Abb. 2: Auguste Rodins Höllentor vor dem Kunsthaus Zürich
Martyriums- und Opfervorstellungen in der modernen Welt
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Die Erinnerung an die Bedeutung des Begriffes „Märtyrer“ spielt auch für Pascal Laugiers Horrorfilm Martyrs (2008) eine Rolle. Er wird am Schluss explizit erklärt. Zuvor schauen die Kinobesucher qualvoll zu, wie Menschen brutal foltern und töten. In neuen religiösen Räumen wie beispielsweise einer Bahnhofskirche sind Erinnerungen an Martyrien hingegen nicht präsent. Besucherinnen und Besucher können Kerzen anzünden und sehen die Symbole der Religionen. Es steht ihnen offen, Verstorbener oder Märtyrer zu gedenken – oder nicht. Doch möglicherweise Anstößiges fehlt. Nicht wenige Menschen besuchen solche Orte; oft und zumeist, wenn sie Sorgen haben. Man kann sich indes fragen, ob es eine Hilfe für sie beim Umgang mit ihren Problemen wäre, wenn dort auch an vorbildliche Menschen erinnert würde. Doch was ist vorbildlich? Welcher Helden bedarf es? Welche Leistungen sollen sie auszeichnen? Geht es vielmehr um die Bewährung im Alltäglichen? Und was ist das Alltägliche? Als vier mit uns zum Teil befreundete Pilgerinnen und Pilger 2011 während eines halben Jahres zu Fuß nach Jerusalem unterwegs waren und täglich in ihrem Blog Zu Fuss nach Jerusalem berichteten, wollten sie auch auf die Wichtigkeit des Alltäglichen aufmerksam machen, des Alltäglichen, das alle Menschen aller Religionen verbindet, obschon sie durchaus unterschiedlich leben. Ziele des Unternehmens waren das Aufsichnehmen des täglichen Wegs in der Hoffnung auf Jerusalem, Begegnungen im Zeichen verschiedener Religionen sowie das Bezeugen des Willens zum Frieden. Die Mühe des Weges galt ihnen als ein Mittel der „Spiritualität“, einer mystischen Vertiefung und Annäherung an das, was sich in Jerusalem durch das Indie-Welt-Kommen Gottes vollzogen hat. Pilgerfahrten wurzeln dabei in einer Tradition, die in frühchristlicher Zeit neue Ausprägungen erfahren hat und wesentlich mit dem Phänomen der Verehrung heiliger Stätten, darunter des Grabes Jesu und der Gräber von Märtyrern, verknüpft ist. 9 Pilgern ist indes nicht wirklich Alltag, sondern eine außergewöhnliche und in hohem Maße symbolträchtige Unternehmung, die auf den Alltag neu vorbereitet. Die Bewährung beim gewöhnlichen Tun und Handeln an den Orten, wo wir eben die meiste Zeit verbringen, ist denn wohl eigentlich das vorrangige Zeugnis für ein vorbildliches Leben und so gesehen eine Art Martyrium. Zu den Denkmustern martyrologischer Deutungen gehört elementar die vorbildliche Behauptung im Leben bis hin zum Tode. Die Deutungen des Alltäglichen üben eine spezifische Macht aus. Sie animieren zur Nachahmung und beeinflussen Lebensweisen und Formen kultischer Verehrung. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, Leid, Opfer und Tote unbeachtet zu lassen. Wenn Schmerz geleugnet wird oder wenn gar von Gequälten schamvolles Verschweigen und Stillsein verlangt wird, so schafft dies zusätzliches Leid. Vielmehr
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gehört es zu den fundamentalen Aufgaben aller – als Einzelne wie im Kollektiv –, den Schmerz so zu beeinflussen, dass damit besser gelebt werden kann. Bis zur Empörung können solche Versuche gehen. Zorn und Wut begleiten sie. Doch gleichfalls eine Rolle spielen das Hinnehmen, das Mitleid mit denjenigen, die Schmerz verursachen oder verursacht haben, die Hoffnung auf eine transzendente Ordnung sowie das Wissen um die Vorläufigkeit der weltlichen Qualen. Die Konditionierung von Empfindungen und Wahrnehmungen mit Hilfe der im Frühchristentum entwickelten Kultur der Märtyrerverehrung übt zweifellos ihren Einfluss in der nachantiken Zivilisation nachhaltig aus. Freilich ist nicht zu übersehen, wie umstritten dieses Thema ist. So stellt sich immer wieder die Frage: Wäre eine Welt nicht besser, in der die Vorstellung von Martyrien keine Rolle spielen würde? Könnte man beispielsweise mit Hilfe von Recht und Rechtsverfahren mehr erreichen? Doch auch hier gibt es Probleme. Besonders schwierig zu beantworten ist etwa die Frage, ob und wie Opfer abgegolten werden können. Damit setzten sich immer wieder auch Gerichte auseinander. So sind bei der Produktion und Verwendung von Asbest Tausende von Menschen gestorben, ja sterben noch immer. Die Opfer aus norditalienischen Eternit-Fabriken fanden in einem Prozess anfangs 2012 in Turin insofern Gehör, als der verantwortliche Unternehmer, paradoxerweise der bekannte Philanthrop Stephan Schmidheiny, zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, einer der ersten, welcher die Erkenntnisse von der Gefährlichkeit des Asbestes ernst genommen und mit der Umsetzung von Maßnahmen begonnen hatte. Gerichte sprechen Recht, die Gerechtigkeit selbst ist nach religiöser Auffassung ein Geschenk Gottes und allein mit und in ihm möglich. Als in Tibhirine in Algerien 1996 sieben Trappistenmönche ermordet wurden und Xavier Beauvois ihr Leben in einem Film darstellte, der 2010 am Filmfestival in Cannes mehrfach ausgezeichnet wurde, Abb. 3: Filmplakat erhielt dieser den Titel Des hommes et des dieux – Des hommes et des dieux ein Zitat aus Psalm 82, in dem um Gottes Eingreifen als Richter gebeten wird: „Wohl aber habe ich gesagt: Ihr seid Götter, ihr alle seid Söhne des Höchsten, doch nun sollt ihr sterben wie Menschen“. Nicht das Martyrium, sondern das Leben der Mönche bildet das Hauptthema. Dafür stehen etwa die Worte von Christian de Chergé: „Wenn es mir eines Tages widerführte – und das könnte heute sein –, OpferdesTerrorismus zu werden, der jetzt anscheinend alle in Algerien lebenden Fremden mit-betreffen will, so möchte ich, dass meine
Martyriums- und Opfervorstellungen in der modernen Welt
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Gemeinschaft, meine Kirche, meine Familie sich daran erinnern, dass mein Leben Gott und diesem Lande hingegeben war.“10
Viele der hier diskutierten Fragen sind ähnlich in den schriftlichen paganen oder christlichen Zeugnissen aus den ersten Jahrhunderten zu finden. In den folgenden Kapiteln wird versucht, die Märtyrerverehrung im Frühchristentum überblicksmäßig zu skizzieren und mit Hilfe kurzer Quellenzitate Einblick in die vielfältige damalige Gedanken- und Lebenswelt zu geben. Die Behandlung nach Fragestellungen und Themen ist unser Hauptanliegen. Aufeinen Index wurde deshalb verzichtet. Das Inhaltsverzeichnis gibt Aufschluss über die Anordnung des Materials. Manche Autoren sind für mehrere Kapitel und Abschnitte von Bedeutung und werden wiederholt zitiert. Eine erschöpfende Zusammenstellung von Stellen ist nicht beansprucht. Quellenausgaben und Übersetzungen sind – wie bereits erwähnt – in der Bibliographie am Ende des Buches dokumentiert. 1 C. F. Meyer: Sämtliche Gedichte, Stuttgart 2008, 230 f. (mit dem Text der Historisch-kritischen Ausgabe von H. Zeller und A. Zäch, Bd. 1, 1963). Vgl. Harrison 2006. 2 G. Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, übersetzt von V. Hösle und Ch. Jermann und mit Textverweisen von Ch. Jermann, Hamburg, 2009, 11. 3 R. Dawkins: Der Gotteswahn, 8. Aufl., Berlin 2010, 389, 429 f. 4 T. Ben Jelloun: Arabischer Frühling. Vom Wiedererlangen der arabischen Würde. Aus dem Französischen von Ch. Kayser, Berlin 2011. 5 D. de Roulet: Fukushima mon amour. Brief an eine japanische Freundin, aus dem Französischen von M. Hoffmann-Dartevelle, Hamburg 2011, 10. 6 Vgl. Pradeep Thakur, Pooja Rana (eds.): A. Hazare: The Face of Indias Fight against Corruption, New Delhi 2011. 7 Siehe dazu im Internet-Videoportal YouTube: kirchenschauen. 8 Oswald Myconius: Vom Leben und Sterben Huldrych Zwinglis. Das älteste Lebensbild Zwinglis. Lateinischer Text mit Übersetzung, Einführung und Kommentar, hrsg. von E. G. Rüsch, St. Gallen 1979, 72 f. 9 Vgl. auch Ch. Rutishauser: Zu Fuß nach Jerusalem. Mein Pilgerweg für Dialog und Frieden, Stuttgart 2013. 10 I. Baumer: Die Mönche von Tibhirine. Die algerischen Glaubenszeugen – Hintergründe und Hoffnungen, München, Zürich, Wien 2010, 100.
1 Märtyrerverehrung in antiken und modernen Gesellschaften: Grundstrukturen – Ausprägungen – Deutungen Vergangenheit und Gegenwart sind miteinander verknüpft. Das Band, das uns und unsere Erfahrungen in der Gegenwart mit der historischen Kultur der frühchristlichen Märtyrerinnen- und Märtyrerverehrung verbindet, besteht unter anderem darin, dass wir diese aus dem Konglomerat unserer heutigen mentalen Dispositionen und Deutungsmuster heraus wahrnehmen. Dabei möchten wir das Andere und die Besonderheiten der vergangenen Epoche herausarbeiten, um von daher wiederum Auffassungen besser zu verstehen, die in der Gegenwart anzutreffen sind. Grundstrukturen und zeitspezifische Interpretationen, mit denen wir es in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder zu tun haben, betreffen fünf mit einander verbundene Bereiche, die wir im Folgenden kurz skizzieren. Für den eiligen Leser seien sie zunächst in Stichworten aufgeführt, danach gehen wir etwas ausführlicher auf sie ein. Für die späteren Kapitel haben die hier skizzierten Überlegungen einen Ausgangspunkt gebildet, von dem her wir Leitfragen für die Darstellung der Verhältnisse im frühen Christentum entworfen haben. Diese Leitfragen waren bei der Auswahl der Themen der Kapitel dieses Buches bestimmend. 1) Wir haben es mit Phänomenen des Totenkultes zu tun. Wir fragen nach den sozialen und geschichtlichen Gruppierungen, welche prägend gewesen sind; ebenso nach dabei verwendeten Kulturtechniken und Mustern ihrer Anwendung. 2) Die spezifische Sprache, mit welcher die Phänomene des Totenkultes seit der Antike gedeutet worden sind, umfasst Chiffren, die auf etwas verweisen, das als stärker als der Tod und das Scheitern im Tode verstanden worden ist; so zum Beispiel auf „Wahrheit“, die Unzerstörbarkeit freier und wahrer Rede, Gerechtigkeit, ein Jenseits, ewiges Leben und Gott. Martyrien haben zur Zustimmung und zur Nachahmung aufgerufen; sie wurden erzählt, um bis ins Innerste zu erschüttern und für alle Zeiten erinnert zu werden. Sie sollten eine Gemeinsamkeit schaffen, die als eine radikale Abgrenzung gegenüber
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den Kräften des Todes verstanden wurde. Der Sinn, den sie stifteten, kann unter anderem charakterisiert werden als ein zwar paradoxer – nämlich den Tod in Kauf nehmender –, aber kompromissloser und bis zum Letzten gehender Protest gegen jegliche Todesdrohung. Er stand und steht im Dienste des Lebens und Überlebens sozialer Gemeinschaften. 3) Martyrien zeitigten Wirkungen: So entstanden Gedenkstätten, Rituale und Kulte. Traditionen und Kulturen der Erinnerung wurden gebildet. 4) Ein fundamentales Wirkungselement des Märtyrerkultes ist die Interpretation der Leistung der Märtyrerinnen und der Märtyrer: Was diese in ihrem Leben und Sterben getan haben, wird unter anderem als Opfer beschrieben. Hier stellen sich schwierige Fragen nach der Entwicklung solcher Opfervorstellungen, bei denen wir uns aufdie Darstellung der Auswirkungen der Konstantinischen Wende beschränken. Diese führte zu einer breiteren Wertschätzung christlicher Lebens-weisen, die zugleich als Dienst (militia) im Sinne des politischen Systems Anerkennung fanden. 5) Die mit der Märtyrerverehrung verknüpften Kulte und Rituale wurzeln in den jeweiligen gesellschaftlichen Praktiken und sind mit Lebensweisen verschränkt.
Märtyrerverehrung und Totenkult Märtyrerverehrung ist eine Form des Totenkults, ein Totenkult, der besonderen Menschen gilt, Menschen, die in der Einschätzung der Lebenden durch ihr Leben und erst recht ihren Tod eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft über die Zeiten hinweg besitzen. Die kultische Erinnerung an sie gilt als wertvoll und verschafft einen Nutzen, der nicht einfach zu beschreiben ist. Für den Historiker Numa Fustel de Coulanges (1830–1889), der unter anderem wegen seiner aufschlussreichen Beobachtungen zur Funktion der Religion in der Gesellschaft noch immer Interesse auf sich zu ziehen vermag, liegt im Totenkult eine Wurzel von Religion überhaupt. In seinem 1864 erschienenen Werk La cité antique schreibt er: „Bevor der Mensch für den Glauben an Indra oder Zeus reifwar, verehrte er die Toten; er fürchtete sie und richtete seine Gebete an sie. Hier hat das religiöse Gefühl seinen Ursprung. Der Mensch hat zweifellos angesichts des Todes zum erstenmal eine Vorstellung des Übernatürlichen entwickeltundüberdas Sichtbarehinaus zu hoffen begonnen. DerTodwardas erste Mysterium; er wies den Menschen den Weg zu anderen Mysterien. Er hob sein Denken vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Vergänglichen zum Ewigen, vom Menschlichen zum Göttlichen.“1
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Für die Gesellschaften des Altertums war der Kult der Toten zentral. Fustel stellte sich vor, die Familien – besonders des Adels – hätten sich um die Verehrung der Ahnen gekümmert. Die Sorge für die Toten habe von hier aus auch auf das Volk ausgestrahlt und seine Wirkungen auf die Religion entfaltet, so in der eben zitierten Unterscheidung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Vergänglichem und Ewigen sowie Menschlichem und Göttlichen. Gewiss könnte man hier kritisch anmerken, dass Fustel keine historischen Belege für solche Entwicklungen anzuführen vermag. Vielleicht überschätzte er den Totenkult und den Einfluss der Aristokratie. Zumindest hat Fustel jedoch unbestritten darin Recht, dass sich die antiken Eliten offenkundig in der Verehrung ihrer Ahnen hervortaten und dabei die Verbindungen zur Religion nicht zu leugnen sind. Man mag ergänzen, dass magische und mythische Vorstellungen auch außerhalb der Aristokratien gepflegt worden sind, und man kann auch daraufhinweisen, dass die Herrscher aller Zeiten einen wichtigen Einfluss aufdie Entwicklung von Totenkult und Religion genommen haben, man denke insbesondere an den römischen Kaiserkult. Bereits der Genius des Julius Caesar wurde vom Senat und vom römischen Volk unter die Zahl der Götter erhoben (in deorum numerum retulit – CIL IX, 2628). Als Caesar ermordet worden war, stellte ihm das Volk eine massive Säule aus numidischem Marmor auf. Dort opferte man, legte Gelübde ab und schlichtete Streitigkeiten: „Das Volk hieltlange an der Gewohnheitfest, hier Opfer darzubringen, Gelübde zu tun und mancherlei Streitigkeiten durch bei Caesars Namen geschworene Eide beizulegen.“ (Suet. Caes. 85)
Wie Gregor von Nazianz berichtet, verlangten die Herrscher nicht nur Macht, Verehrung ihres Abbildes, Würdigung durch Zeremoniell, der Kleidung und besondere Attribute wie Kränze und Diademe: „Um würdiger zu erscheinen, verlangen sie auch Anbetung.“ (Greg. Naz. or. 4, 80) Bereits Alexander und hellenistische Herrscher waren zu Göttern erhoben worden. Ihre Apotheose kann man durch mythische Vorstellungen vorbereitet sehen. Schon Homer berichtet von Menschen, welche als Apotheosierte göttliche Ehren empfingen (Odyssee 5, 333–335). 2 Eine wichtige Form des Totenkultes war die Verehrung von Heroen und Heroinen. Diese hatten zwar das typisch menschliche Schicksal des Todes erfahren, besaßen aber in der Vorstellung der Menschen weit darüber hinaus Macht. Zentrum ihres Kultes war oft ihr Grab. Einige von ihnen, wie Herakles oder Asklepios, erhielten göttlichen Status. Hie und da ist angenommen worden, der Kult der Märtyrer setze denjenigen der Heroen fort, zumindest gebe es Anklänge an ihn. 3
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Ähnliche Verbindungen hat man hinsichtlich der Verehrung von Menschen gesehen, welche ein vorbildliches Leben mit einem „edlen Tod“ selbstverantwortlich vollendeten. 4 Zu nennen ist insbesondere das berühmte Beispiel des Sokrates. Sokrates verzichtete auf eine durchaus mögliche Fluchthilfe aus dem Gefängnis, akzeptierte ein ungerechtes Todesurteil und trank ruhig den ihm gereichten Schierlingsbecher. Der Märtyrerkult, der im Spannungsfeld der vielfältigen und zumeist polytheistischen antiken Kulte, der jüdischen und christlichen Minderheiten sowie des zur Mehrheitsreligion werdenden Christentums erwuchs, bekam in den christlichen Gemeinschaften seit dem 2. Jahrhundert einen festen Platz. Diese Gemeinschaften sind neu; von daher ist auch im Märtyrerkult ein Phänomen zu sehen, das sich als Ganzes von früheren Formen des Totenkultes unterscheidet. Menschen, die insbesondere während der Christenverfolgungen für ihr Leben im Geiste des Christentums sowie ihr Bekennen des christlichen Glaubens angesichts des drohenden Todes umgekommen waren, wurden zu Vorbildern bei der Nachfolge Christi, wie sie die Glaubenden selbst allgemein anstrebten. Die Frage, wer im Einzelnen Märtyrer sei, ist nicht immer gleich beantwortet worden. Meist stellten Christen sich indes vor, die Nähe zu den Märtyrern und die Pflege der Erinnerungen an sie seien wichtig, und zwar sowohl für die Gemeinschaft als auch die Einzelnen. Man zählte auf die Hilfe der Heiligen im Diesseits wie im Jenseits, wie auch immer nun definiert war, was Märtyrer und Heilige waren. Unsicherheiten, die aufkamen, und sie kamen häufig auf, ja waren geradezu allgegenwärtig, versuchte man mit eindrucksvollen Wundergeschichten auszuräumen. Sie unterstrichen, dass die Heiligen tatsächlich Christus nachgefolgt waren und ihm unter anderem darin glichen, dass sich Wunder ereigneten. Wunder waren eine Gottesgabe, ähnlich wie auch der Glaube und überhaupt jede Kraft zum Leben. Berichte über Wunder zeugen von den Ritualen der Selbstvergewisserung und der gesellschaftlichen Vergewisserung, in denen es darum ging, die Hoffnungen auf die Erlangung göttlicher Gnade und eine gelingende Ausrichtung menschlichen Lebens auf Gott zu bestärken. Sin n - un d Protestpotential
Zum Totengedenken und Totenkult gehören Vorstellungen, rituelle Handlungen und Worte, die durch ihr Verweisen auf etwas, von dem angenommen wird, es sei stärker als der Tod und das durch ihn bewirkte Ende, Macht entfalten. Diese Macht kommt der Gesellschaft, der Religion wie auch dem politischen System in einer grundsätzlichen Weise zugute, denn die Strukturen dieser Bereiche gründen auf Aktivitäten, Äußerungen und Selbstorganisation ihrer Mitglieder. Wenn
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es diesen gelingt, mit Todesfällen angemessen umzugehen, stärkt dies die Gemeinschaften. Gerade der Märtyrerkult besitzt aber nicht nur ein großes Sinn-, sondern auch ein starkes Protestpotential. Im Kern ist er Protest, nämlich ein Aufschrei der Lebenden gegen den Tod und jene Menschen, welche die Macht zu töten unrechtmäßig ausgeübt haben. Hier nimmt er seinen Anfang, hier ist sein Ausgangspunkt. In den Berichten über die frühchristlichen Martyrien zeigt sich zudem eine weitere Dimension; nämlich die Weigerung, Vorgaben des politischen Systems in Bereichen zu folgen, in denen es mehr verlangt, als ihm zusteht. So erscheint in diesen Texten die Gewalt, die den Tod verursacht, als Ausfluss von Tyrannis, als Schuld schlechter Herrscher und falscher Regentschaft, die sich der Einsicht, dem Wort und der Wahrheit verschließen. Ein zentraler Aspekt der christlichen Martyriumsidee ist der Akt des Zeugnisablegens. Märtyrer und Märtyrerinnen wagen es, die Wahrheit unbeirrt und frei zu sagen und den christlichen Glauben zu bekennen. Der Märtyrer tritt für die gute Sache ein, während die tyrannischen Herrscher sich anmaßen, das Richtige abzulehnen und sich in augenscheinlicher Übersteigerung ihrer selbst zu brutalen Herren über Leben und Tod aufschwingen. Indem Märtyrer den Tod hinnehmen, erweisen sie die ganze Machtlosigkeit der Tyrannen. Der Tod entzieht sie dem weltlichen Befehl und dessen Unrecht; er tritt ein und bewirkt nicht, was die Tyrannen eigentlich gewollt haben. Die Todesstrafe wird zum Sieg von Gerechtigkeit und Wahrheit. Beide entfalten sich fortan in der gewonnenen Freiheit. Das Anliegen der Märtyrer wird nun wirkungsreich verbreitet. Der Tod bestärkt im Leben; jedenfalls alle diejenigen, welche für das einstehen, wofür die Märtyrer gestorben sind. Damit stiftet das Martyrium in einer Situation der Verzweiflung und des Leidens, in der alles unerträglich scheint, Sinn. Die Komplexität und Absurdität des Geschehens und der Verhältnisse werden aufein Etwas reduziert, das eine Gemeinsamkeit der Menschen schafft, die Gewalt erleiden. Dies ist der Samen, dessen Früchte alles zum Bessern bringen werden – hier ist der Anfang des „künftigen Sieges“. Martyrien geben Hoffnung, Trost, Halt und verpflichten zu einem besseren Leben. Das Protestpotential des Märtyrerkultes wird keineswegs allein von Minderheiten ausgenutzt. Jedes politische System braucht Formen des Totenkultes und seiner Ideologie. Der römische Staat hatte sich so einst der Herrscherapotheose bedient. Im Zuge der Konstantinischen Wende wurde der Märtyrerkult ein zentrales Element der Sinnstiftung und Herrschaftslegitimierung des christlichen Imperium Romanum. Von seiner fruchtbaren Ausgestaltung wird denn auch im übernächsten Abschnitt zu reden sein. Doch zunächst ist auf strukturelle Parallelen in der Moderne hinzuweisen. Obschon der politische Totenkult in der Neuzeit im Vergleich zur Antike ganz andere Ausprägungen erhalten hat, so lassen sich doch immer wieder ähnliche
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Beobachtungen anstellen. So dient der gewaltsame Tod für eine Überzeugung als eine Tathandlung, die den Anhängern Hoffnung in den Problemen der Gegenwart verschafft und auf ein besseres Leben hoffen lässt. Die Erinnerung an den Revolutionär Che Guevaras ist denn auch derjenigen an Märtyrer sowie an Christus, in dessen Namen sie gestorben sind, zur Seite gestellt worden. So dichtete Wolf Biermann in der Nachfolge von Carlos Puebla: „Der rote Stern an der Jacke, im schwarzen Bart die Zigarre, Jesus Christus mit der Knarre – so führt dein Bild uns zur Attacke. Uns bleibt, was gut war und klar war. Dass man bei dir immer durchsah und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah comandante Ché Guevara.“
Ein Beispiel, in dem die Hoffnung aufkünftiges und besseres Leben formuliert wird, bietet eine Formulierung, die bei einer staatlichen Gedenkfeier für gefallene deutscher Soldaten in Afghanistan verwendet wurde: „Euer Opfer – unser Leben.“ Auf einer Inschrift im Friedhof des einstigen Stalag X-B (Stammlager B des Wehrkreises X) in der Gemeinde Sandbostel nordöstlich von Bremen stehen in Erinnerung an die in NS-Kriegsgefangenschaft umgekommenen Kriegsgefangenen die Worte: „Euer Opfer – Unsere Verpflichtung – Frieden.“ 5
Wirkungen des Märtyrerkultes Die Stiftung von Sinn wie der Ausdruck von Protest zählen zu grundsätzlichen Wirkungen der Märtyrerverehrung, die dabei im Verständnis der Christen wiederholt, was die Evangelien vom Tod und von der Auferstehung Christi berichten. Alle diese Berichte geben den Menschen Hoffnung aufewiges Leben und Überwindung diesseitigen Leidens. Die bedeutungsschweren und symbolträchtigen Beschreibungen und Bilder für diese Vorgänge haben ihre Parallelen in einer reichen kulturellen Überlieferung, die Jahrtausende zurückreicht. In der Epoche der griechisch-römischen Antike lassen sich dafür beispielsweise die Aussagen der Grabepigramme oder der Literatur anführen. Hier finden sich immer wieder Umschreibungen und Interpretationen, die den Tod, die Toten, ihren Zustand und den Ort nach dem Tode bezeichnen. Zitiert seien als Beispiel dafür aus einem bekannten Gedicht des Horaz, die Worte:
Wirkungen des Märtyrerkults
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„Baldschon wirddich Nacht umfangen, das Sagenreich der Manen /unddas dürftige Haus Plutos [...].“ (Hor. carm. 1, 4, 16f.)
Nacht, Totengeister und Pluto als Gott der Unterwelt, wo die Seelen der Verstorbenen aus dem Strom Lethe das Wasser des Vergessens trinken – solche Vorstellungen finden sich gleichfalls bei Homer und Vergil ausgeführt. Beide Dichter schilderten Jenseitsreisen und malten aus, wie Odysseus und Aeneas in der Unterwelt den Schatten begegnet waren. Die Vorstellung einer tiefen mythischen Verbindung der Sphären des Lebens und des Todes nützte bei der Aufrechterhaltung des Kontinuums zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die so wichtig ist, um gesellschaftliches Handeln zu koordinieren und zu erhalten. Sie linderte auch den menschlichen Schmerz, der die Erfahrung des Todes immer wieder erzeugt. Die Wirkungen des Totenkultes zeigen sich gleichfalls in einer viel konkreteren Art und Weise. Zur Märtyrerverehrung gehören eine reiche Alltagskultur und eine Fülle von Bildern, Geschichten und Objekten. In Erinnerung an die Märtyrer wird gebaut, gefeiert, gepilgert und erinnert. Märtyrerkulte bieten Erlebniswelten. Sie entfachen Gefühle. Reflexion und Kritik haben zunächst kaum Platz. Magische Praktiken und Irrationalität scheinen zu dominieren. Doch Märtyrerkulte und Magie können nicht ineinsgesetzt werden. Märtyrerverehrung war Gegenstand theologischer Reflexion und Interpretation. Immer wieder aufs Neue wandte man sich ihr prüfend zu, gestaltete ihre Formen und Rituale um, theoretisierte, veränderte Deutungen, interpretierte und kritisierte. So paradox es klingen mag: Distanzierende und aufVeränderung bedachte Überlegungen zählen durchaus auch zu den Phänomenen der Martyrologie und sind regelmäßig zum Zuge gekommen. Zum Teil haben sie Umgestaltungen zu bewirken vermocht. Allerdings wird man trotz Veränderungen im Einzelnen den Kult der Märtyrer als eine Erscheinung auffassen wollen, für die es möglich ist, charakteristische Grundstrukturen zu benennen, die sogar über die Epochen hinweg einigermaßen stabil geblieben sind. In jüngster Zeit hat es unter anderem Sigrid Weigel unternommen, in einem von ihr herausgegebenen Buch mit Märtyrer-Porträts von der Antike bis in die Gegenwart Muster, Mechanismen und Medien der Märtyrerverehrung darzustellen. Einleitend schreibt sie, das „Flugzeugattentat auf die Twin Towers am 11. September 2001“ sei nichts Neues: „In derGestaltdesjenigen, dersich selbstals Märtyrerbegreift, begegnetden westlichen, jedenfalls den säkularisiert-christlichen Kulturen ein Wiedergängerihrereigenen Geschichte. Diese
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kenntEpisoden einergeradezu epidemischen Märtyrerbegeisterungebenso wie eine lange und stabile Tradition von Märtyrerverehrungen und -darstellungen. “6
Vergleichende Perspektiven, wenn auch viel stärker begrenzt, hatte viel früher und in ganz anderen Zusammenhängen auch der Straßburger Theologieprofessor Ernst Lucius in seinem religionswissenschaftlichen Buch über Die Anfänge des Heiligenkultes in der christlichen Kirche (1904) entwickelt. In seinem Werk benennt er charakteristische Erscheinungen der Märtyrerverehrung, so etwa die Gestalten der „großen Wundertäter“ und der „kriegerischen Märtyrer“. 7 Lucius arbeitet auch Verbindungen zwischen dem Brauchtum der christlichen Märtyrerverehrung und früheren paganen Gepflogenheiten heraus. Dabei zeichnet er ein recht negatives Bild der heidnischen Traditionen. Sie sind für ihn weitgehend Aberglauben, aufwelchen das Christentum seinerseits wiederum mit Praktiken reagierte, die magischen und mythischen Präferenzen entsprachen. Man habe die Heiden gewissermaßen mit deren eigenen Mitteln besiegen wollen. So seien die Märtyrer etwa den Engeln zur Seite gestellt worden. Mit solchen Vorgehensweisen sollten volkstümlichen Phantasien entsprochen werden. Man habe über die Antike hinaus den populären Wunsch nach Wundern zu erfüllen versucht. 8 Dieser Argumentation ist allerdings entgegen zu halten, dass sich die Ausgestaltung der Kulte im Altertum keineswegs ausschließlich populärer Frömmigkeit verdankt. Symbole und Legenden sind nicht von selbst naturwüchsig aufdem Boden eines unverwüstlichen Volksglaubens entstanden, von dem Lucius und andere gerne annehmen, er sei später in Wellen unheilvoller Atavismen bis in die Gegenwart hinein immer wieder kraftvoll erblüht. 9 Vielmehr stoßen wir regelmäßig auf Angehörige der kulturellen Eliten, welche Einfluss auf die Ausgestaltung der Märtyrerverehrung genommen haben. Immerhin ist Lucius Recht zu geben, dass wir die Einzelnen nicht überschätzen sollten. Tertullian, Cyprian, Johannes Chrysostomos oder Augustin waren nicht alleine und standen in Konkurrenz mit anderen wortmächtigen Interpreten und oft auch mit Personen, von denen wir heute nicht mehr viel wissen. Sie haben vielfach nicht erreicht, was sie wollten. Und sie griffen gerne Elemente der Tradition auf; freilich sind diese aber auch häufig aufneue Art und Weise eingesetzt und gedeutet worden. Märtyrerkulte entwickelten und veränderten sich unaufhörlich und sind keineswegs in allen Regionen gleich. Die Verbindungen zu paganen Traditionen lösen sich beim näheren Zusehen auf. Anregungen und Anleihen spielen eine Rolle, aber doch sind die Ausprägungen im christlichen Märtyrerkult anders. Die großen römischen Totenfeste beispielsweise verschwanden. Die Riten und Symbole wurden verändert oder neu interpretiert. Herausgegriffen sei der Brauch, die Toten mit Kränzen zu schmücken. Bis in die Neuzeit hinein spielen Kränze im Totenkult eine Rolle. Dennoch kann man in
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diesem Element nichts wirklich Konstantes sehen. Sein Verständnis ändert, seine Verwendung passt sich den Zeiten und Konstellationen an. Tertullian, der den Brauch um 200 bezeugt, selbst aber wie in so vielen Dingen auf rigorose Abgrenzung drängte, lehnte die Verwendung von Kränzen als Schmuck von Verstorbenen ab. Das Vorgehen erinnerte ihn an die Apotheose und Götterverehrung (Tert. coron. 10). Doch der Kranz bekam dann doch eine wichtige Bedeutung bei der Auszeichnung christlicher Märtyrer. Bei frühchristlichen Märtyrerdarstellungen erscheint er als Symbol für den Nachvollzug des Sieges Christi über den Tod. Die Frage n ach der Weiterwirkun g al ter Opfer-Ritual e und die Konstantinisch e Wen de
Ein modernes Deutungsmuster, das große Aufmerksamkeit bekommen hat, sieht den Märtyrerkult als eine Art Fortsetzung früherer Opferkulte, von denen hie und da gerne auch angenommen wird, sie seien in der Grundstruktur sehr alt, ja es gebe im Vorgange des Opferns einen geschichtlich unveränderlich bleibenden Kernbestand. 10 In einer gewissen Weise kann man zwar sagen, dass in Martyrien zweifellos immer wieder Opfer gesehen worden sind. Durch ein Martyrium enthält der Tod einen Sinn und eine Rechtfertigung, er wird zu etwas, was auf einmal für den Einzelnen wie die Gemeinschaft eine positive Bedeutung gewinnt. So „nützt“ die Erbringung des „Opfers“ eines Martyriums. Opfervorstellungen spielen sodann wiederum beim Märtyrergedenken eine Rolle. Die Opfer für die Toten verbinden die Lebenden und die Gemeinschaft mit dem, was die Märtyrer als Opferleistung erbracht haben. Dennoch wäre es zu kurz gedacht, christlichen Märtyrerkult mit den Ritualen vorchristlicher Opferkulte gleichzusetzen. Opfern ist zum einen eine vieldimensionale Praxis, die sich nicht aufeinen Aspekt reduzieren lässt. Überdies verändert sich ihr Verständnis. Um zu rekonstruieren, wie als Opfer gesehene Handlungen interpretiert wurden, bedürfen wir historischer Zeugnisse. Christliche Deutungen aus dem Altertum sind dafür fundamental. Hier werden nun immer wieder die Differenzen zu den früheren Opferkulten herausgehoben (z. B. Aug. civ. 8, 27). Allerdings gab es auch Kritiker wie den Manichäer Faustus, die dem Märtyrerkult vorwarfen, heidnische Götterkulte fortzusetzen (Aug. c. Faustum 20, 21). Zu fundamentalen Unterschieden im Umgang mit Opfern führte die Konstantinische Wende. Christen wurden nicht mehr verfolgt, es gab keine „klassischen“ Martyrien mehr, wenn man von der Zeit der Verfolgungen unter Kaiser Julian (360–363 n. Chr.) absieht. Der Weg des Christentums zur Staatsreligion begann.
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Zwar läuft Heidnisches und Christliches noch lange nebeneinander, klare Trennlinien aber fehlen. Und doch wird unter Kaiser Konstantin und durch ihn selbst der Gedanke deutlich formuliert, die alten Opferkulte müssten aufhören. Nur dem einen, wahren Gott der Christen dürfe man dienen. Dieser Dienst war das neue und wichtigste Opfer. Er konnte im Dienst der Soldaten liegen, ebenso aber auch des Kaisers selbst. Vorstellungen eines christlichen Dienstes entwickelten sich gleichfalls im Mönchtum und in der Kirche. Militia wurde als Zeugnis, Opfer und Martyrium interpretiert. Für Konstantin und überhaupt das Kaisertum besonders wichtig waren der Dienst und die Loyalität der Soldaten sowie der richtige Glaube des Herrschers. Ihnen würden sich der Sieg und die Beständigkeit des römischen Imperiums verdanken. Solche Vorstellungen machen einen wichtigen Bestandteil der damaligen politischen Theologie und Geschichtsphilosophie aus, wie sie zunächst bei Euseb und später bei Ambrosius von Mailand ausgeprägt wurden. Die markanten Formulierungen des Euseb (wie später auch des Ambrosius) sind in der Moderne sehr unterschiedlich beurteilt worden. Aus der Sicht des Staatskirchentums waren sie etwas Gutes, für Anhänger der Trennung von Staat und Kirche etwas Schlechtes. Die kritische Position, welche zugleich das hohe Ansehen des Bischofs, Kirchenvaters und Begründers der Kirchengeschichtsschreibung kritisiert hat und zunächst von Außenseitern formuliert wurde, findet sich etwa beim Historiker Edward Gibbon (1737–1794) oder beim Theologen Erik Peterson (1890–1960), der den Begriff„politische Theologie“ (eine Prägung Carl Schmitts) auf die Antike übertragen hat. Beide wollten die bedrohlichen Verbindungen zwischen Macht, Politik und Religion auftrennen. Der wohl um 273 geborene Konstantin wurde als Soldat groß und war ein begabter Militär. Er kannte die traditionellen Opferkulte und beobachtete sie mit Interesse – in seinem Umfeld wie bei seinen Konkurrenten und Gegnern. Seine Hinwendung zum Christentum schildert Euseb folgendermaßen: „Er wusste genau, dass er einen stärkeren Beistand als nur seine militärische Stärke brauchte, da bei dem Tyrannen [Maxentius] magische Zauberpraktiken der schlimmsten Art geübt wurden. Deshalb suchte er einen Gott als Helfer. Denn einerseits hielt er die Frage der Heeresmassen aus schwerbewaffneten und einfachen Truppenteilen für nachrangig (ohne die Hilfe eines Gottes hätten sie seiner Meinung nach nichts ausrichten können). Andererseits betonte er immer wieder, dass sie durch die Hilfe eines Gottes unschlagbar und unbesiegbar seien. Er überlegte also [...], und während er noch auf der Suche war, kam ihm der Gedanke, dass von den meisten, die zuvor die Herrschaft innehatten, die einen, die ihre Hoffnungen mit einer Vielzahl von Göttern verknüpften, und diese mit Weihespenden, Opfern und Standbildern verehrten, zunächst durch günstige Weissagungen und Orakelsprüche, die ihnen jeweils einen glücklichen Ausgang verkündeten, getäuscht wurden, und schließlich ein unglückliches Ende fanden. .[...] Allein sein
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Vater [Constantius] hatte einen jenen entgegengesetzten Weg eingeschlagen [...].“ (Eus. vita Const. 1, 27, 1–2)
Als Konstantin 306 in einem Militärputsch die Macht an sich gerissen hatte, glaubte er zwar offenbar noch an den Schutz des Gottes Mars wie auch des Herkules. Sol oder Apollon blieben für ihn noch lange wichtig. Bemerkenswerterweise hob Konstantin jedoch sofort das Kultverbot gegen die Christen auf (Lact. mort. pers. 24, 9). Man kann sagen, dass sein paganer Vater Constantius dieses Verhalten insofern vorbereitet hatte, als in seinem Herrschaftsbereich während der großen Christenverfolgungen der diokletianischen Zeit nur wenige Christen das Leben verloren, lediglich das Kultverbot vollstreckt wurde und man christliche Versammlungsstätten zerstörte (Lact. mort. pers. 15, 7). 311 entschied sich Konstantin, wie manche bereits damals sagten, für den Gott der Christen als seinen alleinigen göttlichen Helfer. Im Jahre 312, vor der Entscheidungsschlacht vor den Toren Roms gegen Maxentius, ließ Konstantin nach dem Bericht des Laktanz das Christusmonogramm aufden Schilden anbringen, das Zeichen für das Opfer und den Sieg Christi: „Aufgeforden wurde da im Schlafe Konstantin, das himmlische Zeichen Gottes auf die Schilde setzen zu lassen und so in den Kampf zu ziehen.“ (Lact. mort. pers. 44, 9) Sein Gegner, der entgegen der Verunglimpfungen kein Feind der Christen und schon gar kein Verfolger war, sei von der Masse der Flüchtenden in den Tiber gedrängt worden. Dabei – so Laktanz – „war die Hand Gottes über dem Schlachtfeld“ (manus dei supererat aciei), ein biblisches Symbol für die Macht seines Gerichts wie seiner Hilfe, nicht aber der Opferung. Maxentius ging zugrunde. Sein Haupt wurde auf einer Lanze in der Stadt herumgetragen (Zos. 2, 17, 1). Man verhängte eine damnatio memoriae, über ihn, das heißt demonstrativ wurde eine Tilgung seines Andenkens verlangt. Zahlreiche Anhänger Konstantins erhielten ein in Ticinum geprägtes Silbermedaillon, auf dem Konstantin auf der Vorderseite einen Helm mit einem stilisierten Siegeskranz mit Christogramm trägt und auf der Rückseite einer Standarte zugewandt zu seinen Truppen spricht. Die Rückseitenlegende lautet SA-LUS REI PUPLIC-AE. Die Standarten trugen das Christogramm (Abb. 4). 11 Euseb überliefert, Konstantin habe dem Perserkönig Schapur geschrieben: „Diesen Gott halte ich in Ehren, dessen Zeichen mein Heer, das dem Gott geweiht ist, auf den Schultern trägt [...].“ (Eus. vita Const. 4, 9) Konstantin förderte Tendenzen, von denerer offenbar annahm, sie würden der durch ihn betriebenen Politik zugutekommen. Darin kann man die Bündelung durchaus disparater Kräfte und Vorstellungen sehen. Vielleicht lernte Konstantin indirekt sogar von Gruppierungen, die nicht auf seiner Seite standen, so von Christen Afrikas, den von ihren Feinden so bezeichneten Donatisten, die, zunehmend in die Minderheitsposition gedrängt, dort großen Einfluss besaßen. In der
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Auseinandersetzung mit ihnen wurde Konstantin mit einer hohen Martyriumsbereitschaft konfrontiert. Eine völlig andere Entwicklung, die ihm vielleicht auffiel, war die wichtiger werdende Verehrung der Apostel in Rom als Märtyrer. In Afrika, Gallien oder im griechischen Osten gab es sodann zahlreiche Christengemeinden, für welche die Märtyrer der jüngsten Christenverfolgungen zu Schlüsselgestalten geworden waren. Wie mehrere Schreiben Konstantins deutlich machen, hat er sich als Kaiser um die Märtyrerverehrung gekümmert. Märtyrer schätzte er – wie seine Soldaten – als unüberwindliche Kämpfer, welche Auszeichung verdienten. Dabei konnte er an die Vorstellung des Martyriums als militia Christi anknüpfen, wie sie etwa bereits Cyprian verwendet hatte. 12 In der einzigen erhaltenen Rede des Kaisers, einem – freilich umstrittenen und zuweilen auch in der Echtheit angezweifelten – Zeugnis, legte Konstantin am Karfreitag des Jahres 31413 in Trier seine Überzeugungen vor, die er wohl zusammen mit seinen bischöflichen Beratern ausformuliert hatte. In der christlichen Lehre der Apostel seien Wirkungen beschlossen, die Furchtlosigkeit vor dem Tode entstehen lasse. Gott würdige diejenigen, welche großmütig zum Martyrium bereit gewesen seien, mit dem Siegeskranz (Const. or. s.c. 12, 3). Dem Martyrium folge ewiger Ruhm, so dass aus der Niederlage ein endgültiger Sieg werde. Die Verehrung der Märtyrer wird von Konstantin als ein Kult beschrieben, in dem ganz andere Opfer als bisher – Gesänge und Gebete sowie Gastmähler für Arme – dargebracht würden: „Deshalb erklingen danach Hymnen undPsalmen, Preisgesänge unddas Lob Gottes, des allschauenden Herrschers. Undein solchesDankopferwirddiesen Helden zu Ehren dargebracht, rein von Blut, rein von jeder Gewalttätigkeit; nicht verlangt man da nach dem Duft des
Abb. 4: Silbermedaillon 31 5 n. Chr.
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Weihrauches noch nach Feuerbrand; es findet sich nur ein reines Licht, genügend, denen zu leuchten, die ihre Gebete verrichten; voll der Mäßigkeit sind aber auch die Gastmähler, die viele halten, um mitleidigdie Dürftigen zu erquicken oder den Verarmten Hilfe zu bringen.“ (Const. or. s. c. 12, 4–5)
Konstantin stattete die Städte mit Märtyrerkirchen aus, besonders eindrucksvoll und großzügig Rom. 14 Ob diese Anstrengungen unter anderem vielleicht auch dadurch motiviert waren, die Blutopfer der eigenen Zeit zu verdrängen? Sogar Konstantins Lobredner Euseb konnte nicht verschweigen, dass die Regierung Konstantins durch Krieg und Gewalt durchzogen waren und der als Usurpator zur Macht gekommene Herrscher gar vor Blutvergießen in der eigenen Familie nicht zurückscheute. 15 Unbestreitbar ist, dass offiziell die Sorge für eine lobende Darstellung des Gottgefälligen als Anliegen Konstantins überliefert ist. In diesem Rahmen stehen denn auch die Zurückweisung und Unterdrückung traditioneller, heidnischer Opfer. Weil der Kaiser im Gott der Christen den wirklichen Gott und Helfer sah und von seiner Sieghaftigkeit das Wohl aller abhing, kümmerte er sich mit zahlreichen Gesetzen und Vorschriften darum, dass als pflichtgemäße Gegenleistung gegenüber dem alleinigen Gott dessen Kult so fest wie nur möglich verankert wurde. Die alten Opferrituale verschwanden freilich nur langsam, gerade auch unter den Soldaten hielten sie sich. Euseb berichtet von Konstantins Anordnungen gegen die alten Kulte: „Den Tag des Erlösers, der zufällig auch den Namen des Lichts undder Sonne trägt, lehrte er alle Soldaten ernsthaftzu ehren. Den einen, die des göttlichen Glaubens teilhaftigwaren, gab erZeit, sich ungehindertderKirche Gottes widmen zu können, damitsie ihre Gebete verrichten konnten, ohne dass sie jemand gestört hätte. Den anderen aber, die noch nicht am göttlichen Wortteilhatten, befahlerin einem zweiten Gesetz, an den Tagen des Herrn in den Vorstadtbereichen aufein freies Feldherauszutreten. Dortsollten alle das nach einereinheitlichen Vereinbarung eingeübte Gebet gemeinsam zu Gott emporsenden. Denn sie sollten ihre Hoffnungen nicht (mit dem Gebrauch) von Waffen verknüpfen, nicht mit der Rüstung und auch nichtmitder körperlichen Stärke. Vielmehr sollten sie den Gottüber allem kennen, den Spender eines jeden Gutes und so denn auch des Sieges.“ (Eus. vita Const. 4, 18, 3 – 4, 19)
Jede Form heidnischer Opfer sei verboten worden, fährt Euseb etwas später fort (Eus. vita Const. 4, 23). Die Realität ist freilich vielfältiger. Heidnische Opfer sollten sich weiter halten, und selbst für Christen und in christlicher Perspektive blieben manche alten Vorstellungen wichtig. 16
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Märtyrerverehrung in antiken und modernen Gesellschaften
Moderne Sichtweisen – moderne Widerprüche Das Bild, das wir von Phänomenen der spätrömischen Epoche entwerfen, soll eine Rekonstruktion damaliger gesellschaftlicher Praktiken und Sichtweisen bieten. Es ist indes auch von der Art und Weise beeinflusst, wie in der heutigen Zeit Totenkult, Märtyrerverehrung und Opfervorstellungen gesehen werden. Wenn wir im vorangegangen Abschnitt und überhaupt in diesem Buch Differenzen innerhalb des Christentums herausstreichen, so hat dies viel mit Interpretationen gemeinsam, welche den Anspruch auf geschlossene Einheitlichkeit, Wahrheit und universelle Gültigkeit, wie er in der römisch-katholischen Kirche gestellt wird, zurückweisen. Wenn wir bei der historischen Argumentation indes annehmen, in der Zeit Konstantins habe eine Entwicklung eingesetzt, die auf ein Zusammengehen von politischem System und Religion sowie auf eine Vereinheitlichung des Christentums und dessen Ausbreitung hinauslief, so könnte man darin eine Übereinstimmung mit Darstellungen erkennen, welche konservative Auffassungen der römisch-katholischen Kirche teilen, obschon wir dabei keineswegs die Auffassung vertreten, man solle von einem „Sieg“ des Christentums und erst noch des einen und wahren Christentums schlechthin sprechen. Die zunehmende Bedeutung der Märtyrerverehrung und der Vorstellungen einer militia Christi, welche in der asketischen Bewegung so wichtig geworden ist, sehen wir als einen Prozess mit Auf- und Abschwüngen, positiven Fortschritten, traurigen Fehlentwicklungen und offenkundigen Niederlagen (man denke nur an die religiösen Konflikte oder die Gewalt gegen heidnische Heiligtümer), eingebettet in eine Geschichte, in der mannigfache Anstöße eine Rolle gespielt haben und keineswegs allein christliche oder kirchliche Kräfte maßgebend gewesen sind. Eine besondere Schwierigkeitentstehtim Weiteren durch die zwiespältige Haltung der Moderne gegenüber der Rede von Opfern. Wenn Opfer als einem vormodernen Denken entsprungen abgelehnt werden, erschwert dies das Eingehen aufdie antiken Kulturen, in denen Opfervorstellungen geläufig waren, aber auch auf gesellschaftliche Zustände der Moderne. Denn auch in der Welt von heute, in der wir soziale Beziehungen häufig auch ökonomisch regeln möchten, stellen wir immer wieder fest, dass sich manche Leistungen in Wahrheit nicht abgelten lassen und das System und die Logik der Ökonomie bei weitem nicht ausreichen, um zu verstehen, wie Menschen handeln. So gibt es nach wie vor Opfer, die im Alltag für die Gemeinschaft erbracht werden; beispielsweise freiwillige und ehrenamtliche Arbeit in Kirche, Kultur, Politik und Sport oder schlecht entlohnte oder unentgeltlich geleistete Dienste bei der Pflege von Kindern, Kranken und Alten. Ein modernes Leben ohne dieses verdienstvolle Engagement zahlreicher Menschen ist kaum vorstellbar. Die offizielle Gesellschaft delegiert manche Aufgaben zum Beispiel an die Familie oder neu entstehende soziale Einheiten sowie an den Staat, soziale Einrichtungen
Moderne Sichtweisen – moderne Widersprüche
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und die Kirchen. Diese erhalten dann dafür zwar auch Geld, häufig aber nicht Geld zu den Konditionen des Marktes, und erst recht nicht zu Bedingungen, wie sie beispielsweise für Luxusprodukte zustande gekommen sind; nicht selten fehlt es sogar an der emotionalen Anerkennung und am Dank für die erbrachten Leistungen. Wären Menschen nicht von sich aus bereit, die vergleichsweise schlecht vergütete Arbeit im Dienste der Gemeinschaft trotzdem zu leisten, so würden der Gesellschaft große Probleme entstehen. Wenn solche Menschen sterben, bekommen sie in der Regel keine aufwändigen und großartigen Denkmäler. Sogar das Grab, das sie sich wählen, bleibt nur kurze Zeit erhalten. Friedhofreglemente legen die Fristen fest. Ist die vorgesehene Zeit abgelaufen, so werden die Grabsteine entfernt. Indes ist das Bedürfnis nach Menschen, die in ihrem Leben Leistungen für die Gemeinschaft erbringen, stark. Und vermutlich motiviert das Spüren dieses Bedürfnisses, in einem solchen Sinne zu leben. Die katholische Kirche hat immer wieder die Bedeutung der Martyrien unterstrichen. Im Zentrum steht nach ihrer Auffassung nicht das Opfer des Märtyrers, sondern das Zeugnis seines Glaubens. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium ist dies so formuliert worden: „Da Jesus, derSohn Gottes, seine Liebe durch die Hingabe seines Lebens füruns bekundethat, hat keiner eine größere Liebe, als wer sein Leben für ihn unddie Brüder hingibt (vgl. 1 Jo 3, 16; Jo 15, 13). Dieses höchste Zeugnis der Liebe vor allen, besonders den Verfolgern, zu geben war die Berufung einiger Christen schon in den ersten Zeiten und wird es immer sein. Das Martyrium, dasden Jüngerdem Meisterin derfreien AnnahmedesTodesfürdasHeilderWelt ähnlich macht und im Vergießen des Blutes gleichgestaltet, wertet die Kirche als hervorragendes Geschenk und als höchsten Erweis der Liebe. Wenn es auch wenigen gegeben wird, so müssen doch alle bereitsein, Christus vor den Menschen zu bekennen undihm in den Verfolgungen, die der Kirche nie fehlen, aufdem Weg des Kreuzes zu folgen.“17
Im Katechismus heißt es: „Das Martyrium ist das erhabenste Zeugnis, das man für dieWahrheit des Glaubens ablegen kann; es istein Zeugnis bis zum Tod. DerMärtyrerlegtZeugnis ab fürChristus, dergestorben undauferstanden istundmitdem erdurch die Liebe verbunden ist. ErlegtZeugnis ab fürdie WahrheitdesGlaubensunddiechristlicheGlaubenslehre. Ernimmtin christlicherStärkeden Todaufsich. ‚Lasst mich ein Fraßder wilden Tiere sein, durch die es möglich ist, zu Gott zu gelangen!’(Ignatiusv. Antiochia, Rom. 4, 1) MitgrößterSorgfalthatdieKircheErinnerungen an jene, die in ihrer Glaubensbezeugung bis zum Äußersten gegangen sind, in den Akten der Märtyrer gesammelt. Sie bilden die mit Blut geschriebenen Archive der Wahrheit.“18
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Märtyrerverehrung in antiken und modernen Gesellschaften
Unter den Reformatoren hat unter anderem Martin Luther die Bedeutung der Martyrien als Zeichen der wahren Kirche Christi hervorgehoben. Darauf nimmt schließlich die evangelische Theologie und Kirchengeschichte wieder Bezug. 19 Der pietistische Theologe Gottfried Arnold beispielsweise sah in der Martyriumsbereitschaft der frühen Christen ein wichtiges Merkmal dieser seiner Meinung nach noch „reinen“, vom Heiligen Geist begabten und vom Dogma unverdorbenen Gemeinden. 20 Allerdings hat es gegen eine solche Idealisierung der frühchristlichen Gemeinden und ihrer Märtyrer auch Einspruch gegeben, so durch Johann Salomo Semler. 21 Gerade in letzter Zeit sind mehrere Werke über das Gedenken an Märtyrer der Gegenwart entstanden; erwähnt sei hier das von Harald Schultze und Andreas Kurschat herausgegebene Werk (Leipzig 2006). Besondere Aufmerksamkeit bekommen hier Menschen als Opfer des NS-Systems oder von Menschenrechtsverletzungen in modernen Staaten. Dabei geht es freilich nicht um die Herausarbeitung des Opfercharakters ihres Todes, sondern vielmehr um die Würdigung von dessen lebendigem und nachwirkendem Zeugnis. Besondere Bekanntheit erlangte das Martyrium Dietrich Bonhoeffers (1906–1945), der selbst schon früh vor dem Nationalsozialismus gewarnt hatte und meinte, dieser werde Märtyrerblut fordern, aber freilich auf eine ganz andere Weise als bei den frühen Christen. 22 Die Unterschiede zwischen religiösen und säkularen Deutungen sind beträchtlich. Ähnlich wie in früheren Epochen stehen die Ausprägungen und Interpretationen der Märtyrerverehrung indes im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Praktiken und Lebensweisen. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist dabei freilich nur einer von vielen Faktoren. „ Ihr Ende schaut an
20.
. . . “.
Evangelische Märtyrer des
J ahrhunderts
1 N. D. Fustel de Coulanges: Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms, Stuttgart 1981, 41. 2 Vgl. dazu und zum Folgenden: ThesCRA II 3 d (Heroisierung und Apotheose). 3 Siehe dazu jüngst etwa Hartmann 2010, 634 ff. 4 Siehe dazu etwa die Quellensammlung von J. W. van Henten / F. Avemarie 2002 oder Droge / Tabor 1992. 5 Alle Belege stammen aus Internetpublikationen, die 2011 via Google abgerufen worden sind. – In mancherlei Hinsicht übernimmt das Internet Funktionen, welche im traditionellen Totenkult Monumente und Inschriften ausgeübt haben. Ephemer sind alle diese Hilfen der Erinnerung, auch wenn manche die Meinung vertreten, Monumente und Inschriften würden über eine vergleichsweise längere Zeitdauer hinweg stabil bleiben. – Vgl. auch M. Hettling, J. Echternkamp(Hrsg.): Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2012; Cultures of Commemoration. War Memorials, Ancient and Modern, ed. by P. Low, G. Oliver and P. J. Rhodes, Oxford 2012 (Proceedings of the British Academy 160). 6 Weigel 2007, 11. Vgl. etwa auch: Kraß / Frank (Hrsg.) 2008.
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7 Lucius 1904, 199–251. 8 Lucius 1904, 120–126. 9 Siehe zur Problematik z. B. Grieser / Merkt (Hrsg.) 2009. 10 Zur Thematik u. a. Young 1979; ThesCRAI 2 a; Stroumsa 2005; Heyman 2007; Angenendt 2011; D. C. Ullucci: The Christian Rejection of Animal Sacrifice, Oxford, NewYork 2012. Zu den Vorstellungen von militia, die in diesem Abschnitt als eine Form der Umdeutung von Opferleistungen, eine wichtige Rolle spielen, siehe u. a. die klassische Studie von Harnack 1905. 11 Roman Imperial Coinage VII, 364 Nr. 36 (München); J. P. C. Kent, B. Overbeck, A. U. Stylow: Die römische Münze, Aufnahmen von M. und A. Hirmer, München 1973, Nr. 63 Tafel 136; H. Brandt: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Epoche (284–363), 135–137 (M 23); B. Overbeck: Das Silbermedaillon aus der Münzstätte Ticinum: ein erstes numismatisches Zeugnis zum Christentum Constantins I., Mailand 2000; K. M. Girardet: Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken der Religionspolitik Konstantins des Großen, Berlin 2010, 80–82. (Millenium-Studien 27), 80–82; K. Ehling: Konstantin 312, München 2012. 12 So Cypr. laps. 2. Vgl. Harnack 1905. 13 Allerdings könnte man auch dafür argumentieren, die Rede dem Ende der Regierungszeit Konstantins zuzuordnen. 14 Vgl. Th. Baumeister: „Konstantin der Große und die Märtyrer“, in: Baumeister 2009, 113–137. 15 Eus. vita Const. 1, 11, 1. 16 Siehe nun etwa A. Cameron: The Last Pagans of Rome, Oxford u. a. 2011. 17 Lumen gentium 42. K. Rahner, H. Vorgrimler: Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg i. Br. 101975, 174. 18 Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993, S. 621 (2473–2574). Insbesondere unter Johannes Paul II. haben Martyrien große Aufmerksamkeit gewonnen, vor allem Martyrien des 20. Jahrhunderts. 19 W.-D. Hauschild: „Märtyrergedenken in der evangelischen Kirche“, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 120 (2009) 323–339, 331. 20 G. Arnold: Erstes Marterthum oder merckwürdigste Geschichte der ersten Märtyrer ..., Lüneburg 1695; Gottfried Arnolds Erstes Marterthum, nebst Barnabae und Clementis von demselben ins Teutscheübersetzten Send-Schreiben von neuem abgedruckt, Halle 1738. 21 Siehe zu ihm M. Schröter: Aufklärung durch Historisierung. Johann Salomo Semlers Hermeneutik des Christentums, Berlin 2012. 22 D. Bonhoeffer: Ökumene, Universität, Pfarramt 1931–1932, hrsg. von E. Amelung und Ch. Strohm, Gütersloh 1994 (Dietrich Bonhoeffer Werke, hrsg. von E. Baethge u. a., Bd. 11), S. 446 (Predigt zu Kol 3, 1–4, Berlin 19.6.1932).
2 Die freie Rede vom Wahren – Verchristlichung traditioneller Modelle?
Die frühchristliche Märtyrerverehrung mit ihrem Anspruch aufdie Bezeugung einer absoluten Wahrheit steht inmitten einer traditionsreichen Kultur, in der die Bereitschaft, für die freie Rede über Wahrheit – wenn nötig – gar standhaft in den Tod zu gehen, vielfache Ausformungen besaß. Die Christen bezogen sich immer wieder darauf, insbesondere auf den Kanon klassischer, antiker Vorbilder, der exempla virtutis der Römer und Griechen sowie aufdie jüdischen Modelle, wie sie die biblischen Texte enthielten. Allerdings ging es den Christen darum, die Tradition zu übertreffen. Das Christentum verstand sich als dem Heidentum und dem Judentum überlegen: Allein durch den neuen Glauben – so wurde es gesehen – war zu erreichen, was als Inbegriff der Tugend galt. Das Bekenntnis dieses Glaubens, die confessio, ist denn auch das wichtigste Element eines Martyriumsberichtes.
Christen und Heiden – der Streit über die wahre Einsicht in Tugenden der Lebensführung Die christliche Lehre hat einen hohen Anspruch. Wo es keine wahre Religion gebe, da seien auch wahre Tugenden unmöglich; da gebe es nur das Ausleben letztlich falscher Leidenschaften. Augustin hat eine solch harte und selbstsichere Zurückweisung heidnischer Tradition zusammen mit dem christlichen Anspruch auf die richtige Lehre unter anderem in seinem Werk De civitate Dei folgendermaßen formuliert: „wenn GeistundVernunftselbstnichtGottdienen, so wie es Gottselbstbefohlen hat, dass ihm zu dienen sei, gibtes aufkeineWeise ein richtiges Gebieten überLeib undLeidenschaft. Denn was kann das für eine Vernunft sein, wenn sie Herrin über Leib und Leidenschaft sein will, ohne den wahren Gottzu kennen, sich einem Gebotnichtbeugt, sondern preisgegeben istden schlechtesten verführerischen Dämonen? Deshalb sind ihre Tugenden, die sie zu haben glauben, mitdenen sie über Leib undLeidenschaftherrscht, sie magerlangen oder festhalten,
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Die freie Rede vom Wahren – Verchristlichung traditioneller Modelle?
was sie will: da es nicht Gott ist, woraufsie es anlegt, sind ihre Tugenden selbst eher Leidenschaften als Tugenden.“ (Aug. civ. 19, 25)
Man muss berücksichtigen, dass diese Formulierungen in eine apologetische Schrift gehören. Augustin ging es darum, Vorwürfe der Heiden gegen die Christen zu entkräften. Die Christen, so die Heiden, seien schuld an der Einnahme Roms durch die Westgoten im Jahre 410. Die Vernachlässigung der traditionellen Kulte habe die Katastrophe bewirkt. Augustin widerlegt dies. Der Fall Roms – nicht der erste in der Geschichte Roms – sei eine von vielen Strafen für Sünden und keineswegs eine Folge der Annahme des Christentums. Augustin bediente sich in seiner Argumentation der Macht der antiken Bildung und der wissenschaftlichen Tradition der Altgläubigen. Gleichzeitig grenzte er sich davon rhetorisch ab. Entschieden hob er das Neue des Christentums hervor. Dieses Neue bestehe im Anspruch, das Wort Gottes aufzunehmen und wirkliches, wahres Verstehen zu bieten. In der Folge entstand eine spezifische christliche Rhetorik, welche zwar die traditionellen Vorgehensweisen weitgehend übernahm und insbesondere auch den Schatz der für die Argumentation verwendeten vorbildlichen Beispiele der Tugend ausbeutete, aber sich eben doch von Früherem fundamental unterscheidet. Die Texte wurden einfacher, erreichten aber nun ein Publikum, das weniger geschult war als die traditionellen Bildungseliten. Diese neue Rhetorik bot sich zur Verwendung in neuen Vermittlungszusammenhängen an – wie etwa der Predigt oder den Lesungen von Heiligenviten, den in der Kirche gesungenen Hymnen oder den Erklärungen und Kommentaren zu den biblischen Texten. Wie gesagt verzichtete man nicht aufdie älteren Tugendbeispiele, deutete sie aber um. Unter diesen sind für unser Thema insbesondere eine Reihe bekannter Berichte vom gewaltsamen Tod berühmter Philosophen und Weisen zu nennen, welche für ihre Überzeugungen unerschrocken eintraten, insbesondere gegenüber Tyrannen, sodann auch die ebenso häufig zitierten Beispiele heroischer Aufopferung für Wahrheit und Vaterland. Gerade in der freien und standfesten Haltung des Sokrates1 konnte man Ähnlichkeiten mit dem Verhalten der Märtyrer sehen. Dies aufzuzeigen musste umso attraktiver sein, als die Haltung des Sokrates in der Kaiserzeit unter den Heiden bewundert wurde. Immer wieder wurden diese Beispiele verwendet. Augustin nennt sie ebenso wie seine Vorgänger. Freilich sprechen die christlichen Autoren nun eben den heidnischen Beispielen Tugend nur noch begrenzt zu, ja verneinen gar deren Vorhandensein. Lucretia, die nach ihrer Schändung durch den Sohn des Königs Tarquinius Superbus, den Dolch ergriffen, sich umgebracht haben soll und damit den Anstoß zur Vertreibung des tyrannischen Königs und seiner Familie gab, war für Augustin eine Selbstmörderin, der man überdies den Vorwurf des Ehebruchs
Christen und Heiden
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machen konnte – christliche Frauen würden seines Erachtens nicht so gehandelt haben (Aug. civ. 1, 19). Tertullian repräsentiert wiederum die unter Christen sicher auch vorhandene abgrenzende Position. Das Bild des Sokrates und der Philosophen bei Tertullian ist trotz seiner anerkennenden Worte für den mutigen Tod dieser Intellektuellen mit Vorbehalten verknüpft: Sokrates habe noch unmittelbar vor dem Tod den Göttern beziehungsweise Dämonen geopfert, er sei Repräsentant einer Philosophie, welche die Wahrheit, nämlich den rechten Glauben, verkenne. Origenes auf der anderen Seite würdigt die Leistungen tapferer paganer Persönlichkeiten in seiner Schrift Aufforderung zum Martyrium aus dem Jahre 235 positiver: „Denn um die Selbstbeherrschung haben – wie sie zeigen wird– auch viele andere, die nicht zu Gottes Anteil gehören, gekämpft; manche bewahrten durch ihren Tod in Tapferkeit die Treue gegenüber dem gemeinsamen Herrn; um Einsichthaben sich diejenigen bemüht, die in
Abb. 5: Marcantonio Raimondi, nach Raffael: Lucretia (ca. 1 508–1 51 1 ) (Bibliothèque Nationale Paris)
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Die freie Rede vom Wahren – Verchristlichung traditioneller Modelle?
Abb. 6: Jacques-Louis David: Der Tod des Sokrates (1 787) (Metropolitan Museum of Art)
wissenschaftlichen Untersuchungen Besonderes geleistet haben, und der Gerechtigkeit haben die gedient, die sich vorgenommen hatten, ein gerechtes Leben zu führen.“ (Orig. mart. 5)
Etwas früher hatte Clemens von Alexandria (um 140/50–um 220) in seinen Stromata voller Bewunderung von Platons Einsicht in das Wesen von Wahrheit und Gerechtigkeit geschrieben – eine Einsicht, welche Zweifel, Kritik und weltliche Zwänge unbeirrt aushielt. Der christliche Gnostiker, so Clemens, entspreche diesem Vorbild: „Das gleiche ist es, wenn Platon im ‚Staat’ von dem Gerechten sagt, er werde glücklich sein, auch wenn er gefoltert wird und wenn ihm die beiden Augen ausgestochen werden [vgl. 361a ff.]. Für den Gnostiker wird also die letzte Entscheidung nicht durch das äußere Schicksal begründet sein, sondern von ihm selbst hängt es ab, ob er glücklich und selig und ein königlicher Freund Gottes ist. Und wenn man ihn auch seiner bürgerlichen Rechte beraubt, ihn verbannt, seine Güter einzieht und ihn zuletzt zum Tode verurteilt, so wird er sich doch nie von einer inneren Freiheit und von dem Entscheidendsten, seiner Liebe zu Gott abbringen lassen, das ‚alles trägt und alles duldet’ [1 Kor 13, 7].“ (Clem. Al. strom. 4, 52, 1–3)
Das Beispiel des Sokrates wird wiederholt in Märtyrerakten zitiert, so in den Akten des Apollonius (M. Apollon. 14), der unter Commodus vor Gericht stand, oder
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denjenigen des heiligen Pionius und seiner Genossen, die während der Verfolgungen unter Decius in Smyrna vor Gericht standen: „Nach diesen Worten sagte ein gewisser Rufinus, ein durch Beredsamkeit ausgezeichneter Mann: Sei ruhig Pionius! Was suchst du leeren Ruhm in eitler Prahlerei? Ihm antwortete Pionius: Hastdu das aus deinen Geschichtsbüchern gelernt, zeigen dir das deine Handschriften? Solches hat der weise Sokrates von den Athenern nicht erlitten. Waren etwa Sokrates, Aristides undAnacharchusToren [… ]?Als Rufinus diese Rede des Märtyrers gehörthatte, verstummte er, wie von einem Blitze getroffen.“ (M. Pion. 17)
Obschon die Christen mit paganen Vorbildern argumentierten, konnten sie beispielsweise die Gelehrten aus der Stoa mit ihrem Verhalten nicht überzeugen. Der Stoiker Epiktet, der unter Domitian Rom hatte verlassen müssen, beurteilte die Bereitschaft der Christen, in ihrem Widerstand gegen Tyrannen das Leben zu lassen, als Folge verfehlter Gewohnheit, ja eines Wahnsinns. Vernünftiger Argumentation seien sie nicht zugänglich (Epikt. 4, 7, 6). Einzig eine durch die Philosophie begründete Haltung, die furchtlos vor Tyrannen auch den Tod hinnahm, erachtete er als vertretbar. Ähnlich argumentierte Kaiser Marc Aurel. In der Entscheidung von Christen, ihr Leben aufzugeben, fehlten ihm Überlegung, Einsicht und Verstehen. Er sah in ihr eine Folge inszenierten Protestes um des reinen Widerstandes willen: „Was fürein Gebilde istdie Seele, die bereitist, sich vom Körperloszulösen oderweiterzu existieren, wenn es sein muss. Doch istes notwendig, dass diese Bereitschaftaus einer eigenen Entscheidunghervorgehtundnichtaus reinem Widerspruchsgeisterfolgt, wie es bei den Christen der Fallist, sondern wohlüberlegt, würdevollundnicht theatralisch, so dass man auch einem anderen gegenüber überzeugend wirkt.“ (M. Aur. 11, 3)
Der Schriftsteller Lukian schildert in seinem in Briefform verfassten Werk Der Tod des Peregrinos den Werdegang eines Mannes aus Parium am Hellespont, der nach
einer schlimmen Jugend und dem Mord an seinem Vater die Heimat verlassen musste, sich in Palästina den Christen anschloss, wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen ins Gefängnis kam, dann Kyniker wurde und als wandernder Philosoph, Redner und Scharlatan weit herum reiste und alles tat, um berühmt zu werden. Anlässlich der Olympischen Spiele im Jahre 165 kündigte er als Demonstration kynischer Verachtung von Tod und Schmerz die Selbstverbrennung an und inszenierte diese – als wahnsinniges Opfer seiner selbst. Im Zuge seiner satirischen Biographie des Peregrinos schildert Lukian auch, wie einst der Statthalter Syriens dem Manne begegnet war und die Falschheit und Ruhmsucht des Peregrinos durchschaut hatte. Der Statthalter sorgte damals dafür, dass es nicht zu einem Martyrium kam:
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„Nun wurde Peregrinos aber von dem damaligen Statthalter Syriens freigelassen, einem Freund der Philosophie, der seinen Wahnsinn durchschaute. Dieser wusste, dass er den Tod gern in Kaufnehmen würde, um damit ein ruhmvolles Andenken zu hinterlassen, und begnadigte ihn, weil er ihn nicht einmal der Strafe für wert hielt.“ (Lukian. Peregr. 14)
Jüdisch-hellenistische Wurzeln von Martyriumsvorstellungen Die Überzeugung der Christen, sich in ihrer Lebenführung korrekt zu verhalten, stützte sich aufTexte der jüdisch-hellenistischen Kultur. Hier fanden sie das Wort Gottes, das in allen Konflikten als Grundlage jeden Rechts galt. Die Christen ebenso wie die Juden waren dabei auf das Alter der jüdischen Kultur besonders stolz. Es gab ihnen eine besondere Autorität. Immer wieder strichen sie auch heraus, dass sie diese frühe Geschichte besser kannten als Römer und Griechen. Die Idee des Martyriums hätte an dieser Geschichte anknüpfen können und tat es auch, aber erst nachdem die Christen selbst Verfolgungen erlebt hatten und dabei die Idee des Martyriums entstanden war. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Christen und Juden zeigt sich dabei immer wieder. So zieht der Protomärtyrer Stephanus vor seiner Steinigung eine Linie von Jesus Christus und ihm selbst zurück zu den verfolgten Propheten und wirft dem Hohen Rat vor: „Ihr Halsstarrigen, die ihr unbeschnitten seid an Herz und Ohren, stets von neuem wiedersetztihr euch dem heiligen Geist, wie schon eureVäter, so auch ihr. Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Getötet haben sie alle, die vom Kommen der Gerechten kündeten. Und an ihm seid ihr jetzt zu Verrätern und Mördern geworden [...]. “ (Apg 7, 51–52)
Ähnlich spannungsgeladen sind die Anknüpfungen an die Texte aus der Zeit der religiösen Wirren unter dem syrischen König Antiochos IV. Epiphanes (175–164 v. Chr.). Damals verloren Juden für ihren Glauben das Leben, und von der Sache her könnte tatsächlich von Martyrien gesprochen werden, obschon der Begriff selbst noch nicht vorhanden war. Später wurde die jüdische Tradition durch christliche Berichte ergänzt und korrigiert, nicht selten vermischt mit judenfeindlichen Zusätzen. Den historischen Hintergrund muss man zweifellos im Prozess der Hellenisierung sehen. Dazu zählen die Ausbreitung griechischer Poliseinrichtungen sowie der hellenistischen Monarchie. Im Rahmen der geschichtlichen Strukturveränderungen entstanden Konflikte zwischen der jüdischen Minderheit und den Ansprüchen einer griechisch geprägten städtischen Zivilisation. Nach dem Verständnis des deutschen
Jüdisch-hellenistische Wurzeln von Martyriumsvorstellungen
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Historikers Johann Gustav Droysen (1808–1884), durch den die Epochenbezeichnung „Hellenismus“ berühmt geworden ist, zählte auch die Entstehung einer neuen einheitlichen christlichen Weltkultur zu den dazu gehörigen prägenden Entwicklungen der Zeit. Im Buch Daniel, das in der uns überlieferten Form in die Zeit des Antiochos IV. gehört, wird eine Interpretation des gewaltsamen Todes standhafter Weiser geboten, die – ohne den Begriff zu gebrauchen – die Idee von Martyrien entwickelt. Die Gestalt des Propheten Daniel übte damals und auch später eine starke Faszination aus. Daniel war eine bekannte Autorität. Man bewunderte die Art und Weise, wie der nach Babylon deportierte junge Daniel sich dort zu behaupten wusste. Er wurde den Löwen vorgeworfen und sagte doch unerschrocken die Zukunft des Herrschers voraus: dessen Reich werde bald untergehen. Eine parallele, gleichfalls damals und später beliebte Geschichte berichtet von der Standhaftigkeit dreier Jünglinge, die sich weigerten, ein Standbild des Königs anzubeten und deshalb in einen Feuerofen geworfen wurden, wo sie indes wunderbarerweise überlebten. Das Buch Daniel enthält sodann Enthüllungen über die Endzeit. Dort müssen sogar die Weisen mit schweren Prüfungen rechnen: „[...] für eine gewisse Zeit aber werden sie zu Fall
Abb. 7: Daniel in der Löwengrube – Fresko in der Katakombe „Anonima di Via Anapo“, Rom 3
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Abb. 8: Münze des Antiochos IV. Epiphanes (1 75–1 64 v. Chr.), des „erschienenen Gottes, des Siegreichen“ – auf der Rückseite der Gott Apollon
Abb. 9: Die drei Jünglinge im Feuerofen – Fresko aus der Priscilla-Katakombe, cubiculum der„Velata“, Rom
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gebracht durch Schwert und durch Flamme, durch Gefangenschaft und durch Raub“ (Dan 11, 33), ein Geschehen, das als Läuterung verstanden wird und gleichfalls in der Apokalyptik eine wichtige Rolle spielt. 2 In der Apokalyptik – einer weiteren wichtigen Textgattung für die Geschichte der Martyriumsvorstellungen – findet sich nicht nur der Gedanke einer Läuterung und Bewährung der Gerechten, sondern auch der Bestrafung der Verfolger. Die historische Protestbewegung gegen den als Tyrannen gezeichneten Antiochos IV. wird in den Makkabäerbüchern geschildert. In der Septuaginta finden sich vier Makkabäerbücher, nur die ersten zwei gehören in die vorchristliche, hellenistische Zeit. Der Name „Makkabäer“ bezeichnet ursprünglich eine priesterliche Familie. Aus ihr kamen die Anführer des Widerstandes, so der als Stammvater geltende Priester Mattathias sowie Judas Makkabaios (der Hammer), einer seiner Söhne. Von den Makkabäern leitet sich auch die spätere Herrscherdynastie der Hasmonäer ab, die etwa für 70 Jahre einen unabhängigen jüdischen Staat regierte, bis Pompejus diesem 63 v. Chr. ein Ende setzte und die Herrschaft an die Herodianer überging, wobei Angehörige der Hasmonäer/Makkabäer weiterhin für einige Jahrzehnte den Hohepriester stellten. Die Makkabäer scheuten die Gewalt nicht, doch ebenso spielte für sie der gewaltfreie erduldende Widerstand eine Rolle. Im 2. Buch der Makkabäer, das sich als Zusammenfassung eines Werkes des Jason von Kyrene bezeichnet und wohl im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist, werden die Leiden der Israeliten in eine Konzeption des Martyriums gestellt: Die Qualen des Volkes dienen der Erziehung und sind ein Zeichen der Gnade; so das Sterben des Eleasar, eines führenden Schriftgelehrten (2 Makk 6), sowie von sieben Brüdern mit ihrer Mutter (2 Makk 7). Die Märtyrer leiden unschuldig für das jüdische Volk und tragen das Ungemach, welches Gott als gerechter Richter diesem als Strafe für seine Schuld zuerteilt hat. Ihr Martyrium führt tatsächlich zu einer Verbesserung. Ihre Gebete werden erhört. Gottes Zorn wandelt sich in Erbarmen. Die Makkabäer siegen. Antiochos wird grauenhaft bestraft, Jerusalem wiederhergestellt, der Tempel erneut eingeweiht. Der Überzeugung, dass die siegreichen Märtyrer weiterleben, gibt der Autor gleichfalls Ausdruck. Im 4. Makkabäerbuch, das auch unter dem Titel „Die Selbstherrschaft der Urteilskraft“ im Corpus des Flavius Josephus überliefert ist, und wohl im syrischen Antiochia entstanden ist, wo der Kult der Makkabäer später so wichtig wurde, sind die Berichte von den Martyrien des Eleasar und der sieben Brüder mit ihrer Mutter Beleg für die Ausgangsthese: Die gottesfürchtige Denkkraft sei Alleinherrscherin über die Leidenschaften (4 Makk 1). Das heroische Sterben unter Verachtung des Todes wird als ein moralischer Sieg dargestellt, der die Schuld des jüdischen Volkes sühne.
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Die freie Rede vom Wahren – Verchristlichung traditioneller Modelle?
Das Opfer wird zwar ausführlichst in aller Brutalität geschildert, so dass starke Emotionen geweckt werden – aber was vom Bericht bleiben soll, ist gerade in umgekehrter Zielsetzung eine Kontrolle und Disziplinierung von Affekten. Überdies vermittelt der Autor das Bewusstsein des Sieges: „Ah, was für ein Tag! Bitter und doch nicht bitter [...] Dafür hat die göttliche Gerechtigkeit den verruchten Tyrannen heimgesucht und wird ihn weiter heimsuchen. Die Knaben aus Abrahams Stamm, zusammen mit ihrer Mutter, die den Siegespreis davontrug, werden dem Chor der Väter zugesellt, nachdem sie heilige und unsterbliche Seelen empfangen haben von Gott. Ihm sei die Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ (4 Makk 18, 20–24)
Das Schema solcher Martyriumsdarstellungen mit einem feindlichen König, Verfolgungsdekret und Drohungen sowie der brutalen Folter findet sich auch in den Berichten über die Martyrien des Rabbi Akiba oder des Rabbi Jehuda ben Baba. Ebenso geht es um moralische Erhebung sowie eine Konditionierung der Gefühle, die Vermittlung eines Bewusstseins des Stärkerseins, der Sieghaftigkeit und der Zugehörigkeit zu Gott. Das Neue Testament setzt eigene Schwerpunkte. Nun steht Jesus im Mittelpunkt; erst in zweiter Linie geht es – so bei Paulus – um Leistungen im mutigen Bestehen. Das, was später als Martyrium bezeichnet werden sollte, wird dabei in der Hauptsache als konsequente Zugehörigkeit zu Jesus Christus verstanden. In den Evangelien ist die Treue zu Jesus unter schwierigen Bedingungen gleichfalls ein zentrales Thema. Wenn zwischen Jesus und den damaligen gesellschaftlichen und politischen Autoritäten Konflikte aufbrechen, geht es um die Bewährung und das Bestehen. Jesus hat diese Schwierigkeiten und sein Leiden nach den Evangelien selbst angekündigt und aufdies alles vorbereitet. Im Evangelium nach Markus, dem frühesten Evangelium, lehrt er: „Der Menschensohn muss vieles erleiden undvon den Ältesten undden Hohen Priestern und den Schriftgelehrten verworfen und getötet werden [...].“ (Mk 8, 31)
Jesus weiß sich bei Matthäus in der Tradition der Propheten, und ähnlich wie in den apokalyptischen Texten wird das Leiden zur Freude umgedeutet: „Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen – ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen unddabei lügen. Freuteuch undfrohlockt, denn euerLohn im Himmelistgroß. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.“ (Mt 5, 11–12)
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Jesus weicht selbst den Konflikten nicht aus. Er lässt den Tempel reinigen, widerspricht falscher Lehre oder befasst sich mit der Frage, ob Steuern zu zahlen seien. In seinem Umkreis gab es auch Menschen, die bereit waren, in solchen Konflikten Gewalt anzuwenden. Jesus empfiehlt zwar durchaus Kompromisslosigkeit und die Erfüllung der Aufgaben in dieser Welt, wie etwa seine Formulierung deutlich macht: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10, 34). Doch Waffengewalt will Jesus gerade nicht zulassen. Der Apostel Paulus macht deutlich, dass ein Bekenntnis zu dieser Auffassung und zu Jesus und damit auch die Teilnahme am Todesgeschick Jesu einen Gewinn bedeute, der mit dem Leben gleichgesetzt werden könne. Im ersten Brief an die Philipper schreibt Paulus: „Denn für mich gilt: Leben heißt Christus, undsterben ist für mich Gewinn. Wenn ich aber am Leben bleiben sollte, dann bedeutet das, dass meine Arbeit Frucht bringen wird, und so weißich denn nicht, was ich wählen soll. Nach zwei Seiten werdeich gezogen. Eigentlich hätte ich Lust, aufzubrechen und bei Christus zu sein; das wäre ja auch weit besser. Am Leben zu bleiben, ist aber nötiger – um euretwillen.“ (Phil 1, 21–23)
In der Apokalypse ist der Märtyrertod ein Sieg, zunächst zwar der widergöttlichen Macht, doch dann im Tod Jesu und im Tod der Märtyrer, deren Sieg im Sieg Christi wurzelt, ein wirklich vollkommener, absoluter Sieg. In Visionsberichten erscheinen weiß gekleidete Märtyrer (Offb 6, 9) und Märtyrer, die nach einer ersten Auferstehung noch vor dem Weltgericht zusammen mit Christus für tausend Jahre herrschen (Offb 20, 4) und danach ins ewige Leben gelangen. Parallelen zur Martyriumsbereitschaft, die in den frühesten christlichen Texten so wichtig ist, bieten jüdische Autoren wie Flavius Josephus oder Philon. Philon charakterisierte die Juden, ihre Tradition, ihre Identität und ihren Ruf folgendermaßen: „Ein einziges Volk herausragend, das der Juden, stand im Verdacht, es werde Widerstand leisten, gewohnt, den Todaufsich zu nehmen, ebenso willig, alsbedeuteerdieUnsterblichkeit, um nie gleichgültig zuzusehen, dass ein Stück uralter Tradition, und sei es auch noch so geringfügig, beseitigt werde.“ (Phil. leg. 117)
Bei Flavius Josephus und Philon finden sich viele Bezüge auf Daniel, Hiob, Jesaja oder die Makkabäerbücher. Im Christentum sind Verweise auf die Makkabäerbücher früh belegt, etwa im Danielkommentar des Hippolyt. Die Gemeinsamkeiten zwischen Vertretern des Juden- und Christentums sind groß. Der Gedanke des Martyriums, der für die frühen Christen so wichtig wurde, hat Wurzeln im Judentum und ist in beiden Religionen wirksam geblieben.
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Im Christentum hat jedoch der Märtyrergedanke zum Teil eine deutlich antijüdische Zuspitzung erhalten. In der Konkurrenz zum zeitgenössischen Judentum ist früh das Motiv vom „Gottesmord der Juden“ gefallen, etwa in der PessahHomilie des Melito von Sardes. Es ist zu lesen, dass die ersten Verfolgungen gegen Christen von Juden durchgeführt worden seien (Just. Mart. dial. 17,1–4; Tert. apol. 21, 18. 25; scorp. 10, 10). Hier führen Linien aus dem Altertum über mittelalterliche Judenpogrome hin zum modernen Antisemitismus. Die Leiden des jüdischen Volkes als Folge religiöser Intoleranz sind im antiken Christentum nicht oder zu wenig wahrgenommen worden. Tertullian beispielsweise, der seinen Ausführungen zum Martyrium so viel der jüdischen Tradition verdankt, vermochte sich angesichts des Unterganges Jerusalems und der Zerstreuung der Juden offenkundig nicht vorzustellen, hier von Martyrien zu reden (Tert. adv. Jud. 10, 19; 11, 11; 13, 26–29; adv. Marc. 3, 23, 3 ff.; apol. 26, 3): Märtyrer gab es in seinem Verständnis bei den Christen, nicht aber bei den Juden. Das Martyrium wird zu etwas spezifisch Christlichem. Nachdem im 2. Jahrhundert die ersten Christen für ihren Glauben hingerichtet worden waren und der Begriff des Martyriums wichtig wurde, begann man, auch die Apostel Petrus und Paulus4 als Märtyrer darzustellen. Dass die beiden Juden gewesen waren und es jüdische Wurzeln der Vorstellungen vom Martyrium gab, die für das Christentum wichtig waren, verdrängte man. In ähnlicher Weise betonte man immer wieder den Bruch mit der heidnischen Tradition. Dabei wurde auch hier das Frühere nicht unwirksam. Die neuen christlichen Ideen von dem, was ein herausragender und bedeutender Tod sei, rückten zwar die Bezeugung des christlichen Glaubens und die Christusnachfolge ins Zentrum. Doch die antike Vorstellung, die herausragenden Meistern und Heroen des freien Redens über Wahrheit eine Standhaftigkeit bis in den Tod zugeschrieben hatte, verschwand keineswegs. So enthalten die Legenden vom Martyrium der Apostel auch Ausführungen zu ihren mutigen Worten Auge in Auge mit dem Tode. Die
Abb. 1 0: Luther-Bibel 1 545: Die Märtyrer unter dem Altar (Offb 6, 9–1 1 )
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Abb. 1 1 : Graffiti aus der Kultstätte für Petrus und Paulus unter der konstantinischen Basilica Apostolorum : Anrufungen der Apostel unter anderem für Victor – entstanden wohl im Zusammenhang einer Totengedächtnisfeier6
frühesten Belege, die von einem Martyrium von Petrus und Paulus sprechen und es in Rom ansiedeln, gehören ins ausgehende 2. Jahrhundert. 5 Paulus sei dort enthauptet, Petrus gekreuzigt worden. An der Via Appia gab es im 3. Jahrhundert eine kleine Kultstätte für Petrus und Paulus ad catacumbas. An diesem Ort entstand wenig später die konstantinische Basilica Apostolorum entstand (heute: S. Sebastiano). Seit dem 4. Jahrhundert wurden die beiden Apostel dann in den mächtigen Basiliken S. Paolo fuori le mura beziehungsweise Sankt Peter verehrt. Auch diese Bauten ließ Kaiser Konstantin errichten. Nun war man definitiv in einer neuen Epoche, der Zeit „nach den Christenverfolgungen“. 1 Vgl. K. Döring: Exemplum Socratis. Studien zur Sokratesnachwirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit und im frühen Christentum, Wiesbaden 1979 (Hermes Einzelschriften 42), 143–161. 2 Zu den Darstellungen vgl. Dresken-Weiland 2010, 233–247, 302–311. 3 Die Katakombe „Anonima di Via Anapo“. Repertorium der Malereien, von J. G. Deckers, G. Mietke, A. Wieland mit einem Beitrag zur Topographie von V. Fiocchi Nicolai, Città del Vaticano 1991 (Roma sotterranea cristiana 9), RC Anp 8, Wand 4, S. 59. 61 f. (Textband) mit Tafel 21 und Farbtafel 3 (Tafelband). 4 Zu Paulus: Eastman 2011. 5 Zwierlein 2009; Zwierlein 2013. 6 Nieddu 2009, 9–13; ICUR V, 12907–13096.
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Das Imperium Romanum war ein Großreich. In seinen Weiten gab es Platz für viele. Weshalb nicht auch für die wenigen Juden und Christen? Es ist schwer verständlich, weshalb es dazu kam, dass der Römische Staat mit Gewalt gegen Juden und Christen vorging. Und vielleicht noch schwieriger zu erklären ist die Entwicklung nach dem Ende dieser Verfolgungen: Nun wurde das Christentum zur Mehrheitsreligion. Juden wie Christen bildeten zunächst religiöse Minderheiten, wie es viele von ihnen gab. Rom ließ diese meistens gewähren. Den Bürgerinnen und Bürgern war es nie untersagt, privat Gottheiten zu verehren, die keine offizielle Anerkennung bekommen hatten. Rom ließ sich auch immer wieder durch fremde Kulte beeinflussen und nahm fremde Gottheiten auf. Allerdings sollten die Ausübung und Aufnahme fremder Kulte nicht gegen die allgemeine staatliche und gesellschaftliche Ordnung verstoßen. Und die Pflichten gegenüber dem Staatskult durften nicht vernachlässigt werden. Allein diese Loyalität wurde verlangt, man verstand sie als einen Beitrag zur Menschlichkeit und deren Erhaltung. Verstöße gegen diese Prinzipien durch Anhänger fremder Religionen wurden indes geahndet. Bereits zur Zeit der Römischen Republik hatten zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. die neuen Riten der Bacchanalia, die aus Kampanien und Etrurien nach Rom kamen, Unruhen ausgelöst. Auf Grund einer Anzeige beim Prätor ordnete der römische Senat eine Untersuchung an. Es kam zu Verhaftungen, Verfahren gegen in den Kult Eingeweihte und Verbote der Kultpraxis. Die nächtlichen Feste zu Ehren des Dionysos, in denen Musik und Tanz offenbar ekstatische Zustände erzeugten, galten als gefährlich für die Moral. Im Senatus consultum De Bacchanalibus wurde unter anderem festgelegt, dass Rituale nur in ganz kleinen Kreisen durchgeführt werden durften (CIL I2, 581). Von Caesar, Augustus und den römischen Herrschern nach ihnen erwartete man, dass sie Religionszerfall verhindern sollten. Wie es Cicero einmal formuliert hatte, übertrafen die Römer an Religiosität alle Völker und Stämme (Cic. har. resp. 19; vgl. nat. deor. 2, 8). Und von dieser Leistung, der kultischen Verehrung der Götter,
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die für Moral, Sitten, Gesellschaft und Staat fundamental waren, hing nach römischem Selbstverständnis das Wohlergehen Roms ab. Sie war der Garant aller Ordnung, die Basis der Größe Roms. Jupiter in Vergils Aeneis prophezeit nicht nur den Erfolg Roms, sondern auch die Macht seiner pietas: „Dieses Geschlecht [...] siehst du Menschen und Götter an Frömmigkeit (pietas) einst überragen.“ (Verg. Aen. 12, 838 f.) Sogar gewissermaßen aufklärerische Gedanken, welche Bereiche der römischen Religion als Aberglauben und Verirrungen ablehnten und sowohl von Cicero wie auch von Lukrez geäußert wurden, blieben dieser pietas verpflichtet. Die pietas ist eine Grundlage der Religion, der kultischen Verehrung der Götter mit Riten und Gebeten. So erwartete man auch von den Kaisern, dass sie – wie einst in der Republik der Senat und die Magistraten – die Religion pflegten. Tatsächlich haben die principes dies immer wieder getan. Augustus kümmerte sich beispielsweise um die Belebung traditioneller Priestertümer; die folgenreichste Änderung aber war die Ergänzung des Götterpantheons durch die Kaiser selbst. Der Kaiserkult1 war ein Mittel der Loyalitätsbekundung und wurde in den beiden ersten Jahrhunderten in den Provinzen bereitwillig aufgegriffen. Man weiß allein in Kleinasien von 34 Städten, die einen Kult für Augustus stifteten. Tiberius wurde an ähnlich vielen Orten verehrt. Wenig später ging man dazu über, nicht dem jeweils herrschenden Kaiser, sondern dem Kaiserhaus als solchem einen Kult zu widmen. Der Kaiserkult war sehr verbreitet und wurde zu einem prägenden Element römischer Religiosität. Diese ließ freilich ein breites Spektrum von Auslegungen zu; sogar Kritik an schlechten Kaisern, sofern diese keinen Einfluss mehr hatten beziehungsweise verstorben waren, wie etwa die satirische Darstellung der Kaiserapotheose in Senecas Apokolokyntosis (Verkürbissung) veranschaulicht. Ein Statthalter hat die römische Religiosität kurz und treffend einem Christen während eines Prozesses erklärt: „Auch wir sind ein religiöses Volk und unsere Religion ist einfach. Wir schwören bei dem Schutzgott unseres Herrn, des Kaisers, und opfern für sein Wohlergehen.“ (Scill. 17) Als Jesus seine Lehre verkündete, wandte er sich nicht gegen den Kaiser. Die Steuern sollten bezahlt werden. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist [...]!“, lehrte er (Mk 12, 17; Mt 22, 21; Lk 20, 25). Die Christen bezogen dieses Wort nicht nur auf die zu zahlenden Steuern. Schon früh sind Gebete der Christen für die Kaiser belegt. Die Apologeten verteidigten die Christen als treue Untertanen, und in den soeben zitierten Märtyrerakten hält der angeklagte Christ dem Statthalter seine eigene Loyalität gegenüber dem Staat entgegen. Aber stand die Autorität Roms zur Disposition, wenn der römische Staat Auflagen bei der Gottesverehrung machte und Juden wie Christen dadurch ihre eigene
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Religiosität als gefährdet oder verletzt verstanden? In der Tat entwickelten sich hier Konflikte. Sie betrafen zunächst die Juden. Dem jüdischen Aufstand der Makkabäer gegen die Seleukiden hatte Rom noch mit Wohlwollen zugesehen. Doch bald entstand Misstrauen. Die Römer lernten vermutlich in Kleinasien negative Urteile über die Juden kennen. Dieses reiche Gebiet war ihnen bereits im ausgehenden 2. Jahrhundert v. Chr. aus dem Erbe Attalos’ III. von Pergamon zugefallen. Schmähungen gegen die im ptolemäischen Ägypten angefeindete Minderheit der Juden waren in den kleinasiatischen Städten bekannt und zirkulierten unter den griechischen Philosophen und Redelehrern. Der in Alabanda in Karien geborene berühmte Rhetor Molon, der in Rhodos eine Schule unterhielt und als berühmtesten Schüler Cicero gewann, hatte eine – heute nicht mehr erhaltene – Jüdische Geschichte geschrieben, in der er, wie Flavius Josephus empört schreibt, ähnlich wie Lysimachos und andere Autoren den Propheten und Boten Gottes Moses als Gaukler und Betrüger verleumdete und die Juden als die schlimmsten unter den Barbaren bezeichnete (Ios. c. Ap. 2, 16. 208 = FGrHist 728 F 2. 3). Molon selbst war nicht von Konflikten mit Juden betroffen, man darf ihn wohl auch nicht als Judenhetzer bezeichnen, aber doch hielt er übelste Beschimpfungen der Juden schriftlich fest. Es war Cicero, der 59 v. Chr. mit einer Rede den bereits abgesetzten Statthalter von Asien, L. Flaccus, verteidigte, dessen Name mit dem Pogrom und Massaker an den Juden von Alexandria verbunden ist. Cicero kommt in seiner Verteidigung auf die Juden zu sprechen, und es ist anzunehmen, dass er hierbei die negativen Urteile seines Lehrers weiterführt. Cicero deutete die Erfahrungen mit den Konflikten in der Folge der Eroberungen des Pompejus. Das Verhältnis zwischen Römern und Juden schilderte er mit den Worten: „JedesVolk hatseine Religion [...], wie wirdie unsere. Schon vorderEinnahme Jerusalems, als die Juden noch mit uns im Frieden lebten, vertrug sich die Ausübung ihrer Religion schlecht mitdem Glanz dieses Reiches, mitderGröße unseres Namens, mitunseren altüberkommenen Einrichtungen; jetzt aber ist das um so weniger der Fall, als dieses Volk durch Waffengewalt kundgetan hat, was es von unserer Herrschaft hält; dabei hat es auch vorgeführt, was es den unsterblichen Göttern wert ist: es ist besiegt, ist zinsbar, ist versklavt.“ (Phil. Flacc. 69)
Philon zur Eskalation der religiösen Konflikte zwischen Juden und Römern unter Kaiser Caligula Die Spannungen zwischen Juden und Römern verschwanden nicht. Zwar ließ beispielsweise Augustus König Herodes in bestimmten Grenzen gewähren, doch Konflikte zeichneten sich mehr und mehr ab, nicht nur in Palästina, sondern auch
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in der Diaspora, so in Rom und Alexandria. Zur Zeit des Kaisers Tiberius wurden mehrere Tausend Juden aus Rom vertrieben. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es gleichfalls in Alexandria unter Kaiser Caligula (37–41 n. Chr.). Vorstellungen, welche dann auch für die christliche Märtyrerverehrung eine Rolle spielen, sind damals wichtig geworden. Sie finden sich beispielsweise in Philons eindringlichen Schilderungen des brutalen Vorgehens von Seiten der Römer gegen die Juden. Philon hatte ein Judenpogrom in Alexandria erleben müssen. Als Leiter einer Gesandtschaft nach Rom versuchte er zusammen mit 4 Begleitern – und in Konkurrenz mit einer gleichzeitig abgegangenen Gesandtschaft griechischer Alexandriner – die Hilfe des Kaisers zu erhalten. Doch Verständnis beim Kaiser fanden die Juden nicht. Philon berichtet über die Erfahrungen in seiner Schrift Die Gesandtschaft an Caligula. In einer weiteren Schrift Gegen Flaccus schildert er die Ausschreitungen gegen die Juden, die in die Amtszeit des römischen Statthalters Aulus Avillus Flaccus (32–38 n. Chr.) gehören. Der Judenpogrom begann im August 38 v. Chr. in Alexandria. Das Volk von Alexandria habe sich auf die Juden gestürzt: „im Wahn, jetztsei dergeeignetste Augenblick da. Erentfachte den schon lange Zeitschwelenden Hass undverwandelte alles in AufruhrundVerwirrung. Als wären wirvom Kaiserihnen mitseiner Billigungzu Untaten schlimmster Artausgeliefertoder im Kampfbesiegt, stürzten sie sich in rasender und tierischer Wut aufuns. (Phil. leg. 120 f.)
Flaccus ordnete in dieser Situation an, die jüdischen Einwohner in nur einem Stadtviertel zu konzentrieren, was indes die Not der Juden nur noch vergrößerte und die Ausschreitungen gegen sie keineswegs stoppte. Es kam vielmehr noch schlimmer. Philon schildert eine Steigerung der Attacken vom Wegnehmen jüdischen Besitzes zum Vorgehen gegen Leib und Leben bis hin zum Angriff auf die Synagogen und die Entweihung des Tempels in Jerusalem durch den Kaiser selbst. So etwas sei weder unter den ptolemäischen Herrschern noch unter den Vorgängern Caligulas vorgekommen. Philon ordnet das Geschehen in die Geschichte der römischen Judenverfolgung ein. Nach der Unterdrückung unter Kaiser Tiberius und dem römischen Prätorianerpräfekten Seianus habe Präfekt von Ägypten Flaccus „die bösen Absichten gegen die Juden (he katá ton Ioudaíon epiboulé)“ übernommen (Phil. Flacc. 1). Zwar sei es Flaccus nicht wie Seianus gelungen, das ganze jüdische Volk von Alexandria zu erfassen, doch habe er alle, die er erreichen konnte, vernichtet. Stärker denn je traten nun die grundsätzlichen religionspolitischen Dimensionen des Konfliktes zutage, wie sie in ähnlicher Weise dann auch bei den Christenverfolgungen zu beobachten sind. So, wie es Philon in der Schrift Die Gesandtschaft an Caligula darstellt, lag der tiefere Grund des Konfliktes darin,
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dass Caligula als Gott verehrt sein wollte. So habe der Kaiser eine Statue im Tempel in Jerusalem aufstellen lassen. Caligula setzte zwar Flaccus als Präfekt ab, ja er verbannte ihn und ließ ihn gar hinrichten. Doch dahinter standen andere Gründe. Caligula misstraute Flaccus, ja hasste ihn. Und so wurde Flaccus zum Opfer der damals üblichen Brutalität einer tyrannischen Kaiserherrschaft. Philon erlebte mit seiner Romreise nur Schlimmes. In der Hauptstadt musste er einfach ein weiteres Mal Schmähungen gegen jüdische Religion und Kultur erdulden. Philon schildert eindringlich die Qual der Emotionen. Vor dem Herrscher fühlt sich Philon, wie er schreibt: in „einer Szenerie, die statt einem Gerichtshof mehr einer Mischung von Theater und
Gefängnis glich. Denn wie im Theater gab es den Lärm der zischenden, pfeifenden, johlenden und unflätig spottenden Menge, wie im Gefängnis Schläge, aufunser Innerstes gerichtet, peinliche Verhöre, Folterungen der ganzen Seele durch die Gotteslästerungen und Drohungen, die ein Kaiser in solcher Machtfülle ausstieß, wutgeladen [...].“ (Phil. leg. 368)
Die Situation war so schwer zu ertragen, dass Philon und seine Begleiter mit dem Gedanken spielten, den Tod zu wählen: „Das soll nicht bedeuten, wir hätten, am Leben hängend, uns vor dem Tod verkrochen, den wir gern empfangen hätten, als bedeute er Unsterblichkeit, wenn er die Wiederherstellung eines unserer Gesetze bewirkt hätte, sondern weil wir wussten, dass unser Opfer umsonst zu großer Schande und keinem Nutzen gebracht würde.“ (Phil. leg. 369)
Wie Philon an einer anderen Stelle ausführte, hätte eine solche als typisch jüdisch interpretierte standhafte Todesbereitschaft auch dem alten römischen Freiheitsideal entsprochen (leg. 117). Die Entscheidung für das Leben orientierte sich am Einsatz für das Leben in der Gegenwart: „Denn wozu immer Gesandte sich entschließen, das fällt in jedem Fallaufihre Auftraggeber zurück [...] Denn falls Gaius [Caligula] unseren Feinden Recht gab, welche andere Stadt würderuhigbleiben?Welchewirdihrejüdischen Mitbürgernichtangreifen?WelcheSynagoge wird unbehelligt bleiben?“ (Phil. leg. 369– 371)
Dennoch war die Spannung schwierig auszuhalten: „Solche Gedanken überschwemmten uns, zogen uns in die Tiefe und ertränkten uns.“ (Phil. leg. 372) Der als gottloser Tyrann dargestellte Kaiser mag freilich ein vergleichbares, aber aus der Sicht von Juden und Christen pervertiertes Martyrium erlitten haben. Auch
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er litt unter seinen Emotionen, auch er empfand Wut und blieb doch mit fester Überzeugung und bei vollem Bewusssein bei seinem Standpunkt. Er wusste, wie Philon schreibt, was in den Gesandten vorging: „[...] er verstand es, aus dem Gesichtsausdruck eines Menschen dessen verborgene Absicht und Stimmung abzulesen [...]. “ (Phil. leg. 263) Auch er suchte Zuflucht bei der Göttlichkeit, seiner eigenen, deren Opfer er denn auch wurde. Ostentativ gab er sich der seiner Herrschaft angemessenen Zerstreuung hin. Während er die Gesandtschaften aus Alexandria empfing, sprach er zugleich mit Architekten und Ingenieuren und gab Anordnungen für die Renovation des Palastes. Kein Wunder zog Caligula die Wut der römischen Aristokratie aufsich. Man verschwor sich gegen den als wahnsinnig betrachteten Tyrannen. Schließlich wurde er gar ermordet. Philon, der seine Schrift Die Gesandtschaft an Caligula nach dessen Tode veröffentlichte, sah, wie auf einmal paradoxe Parallelen zwischen den traurigen Schicksalen des Kaisers und der Juden anklangen. Nur in einer prinzipiellen Widerlegung sinniert er, wären die tragischen Ähnlichkeiten im richtigen Lichte darzustellen gewesen. Einer „Palinodie“, eines dichterischen Widerrufs, so Philon am Ende seiner Schrift, hätte es nun bedurft. Caligula, der ein Gott sein wollte und dafür sein Leben ließ, war weder ein Märtyrer noch ein Vorbild im Leben. Er hatte nur für sich selbst geschaut. Kaum war Caligula tot, schlugen die Juden Alexandrias los: ein weiterer Aufstand, neue Opfer. Auch diese Vorgänge hätten eigentlich in einem literarischen Werk beklagt und gewürdigt werden müssen. Wieder wurde gekämpft. Der wahren und falschen Martyrien war kein Ende, die Teufelspirale der Gewalt setzte sich fort. Fl avius J osephus und die Widerstan ds- und Ü berlebenskraft jüdischen Glauben s
Die Bereitschaft der Juden zum Widerstand galt auch Flavius Josephus als eine ihrer elementaren Charaktereigenschaften. Den Begriff des Martyriums verwendet er nicht. Und doch geht es ihm darum zu zeigen, wie fundamental das konsequente Eintreten für die Riten sowie das Bezeugen der Zugehörigkeit zu Gott für die jüdische Religiosität waren. Dabei steht in allen Prüfungen das Leben im Vordergrund. Die Bereitschaft zum Tode ist ihr untergeordnet. In seiner Schrift Gegen Apion hebt er hervor, dass die Juden alles für ihre Gesetze und Schriften tun würden: „Es sind schon oft viele Kriegsgefangene gesehen worden, wie sie Foltern und mancherlei Todesarten in den Theatern ertrugen, nur um kein Wort gegen die Gesetze unddie zu ihnen
Fl aviu s J oseph u s u n d d er jü d isch e Gl au ben
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gehörenden Schriften zu sagen. WelcherGriechewürdedas fürsein Gesetzaufsich nehmen?Er nähme selbst um der Vernichtung der gesamten schriftlichen Aufzeichnungen willen keinen noch so geringen Nachteil aufsich.“ (Ios. c. Ap. 1, 43)
Diese Charakterisierung der Juden wurde in Rom um das Jahr 96 geschrieben. So treffend sie erscheinen mag, aus jüdischer Sicht mochte sie doch fragwürdig wirken, denn vielen Juden galt Josephus als Überläufer, ja Verräter und Romgünstling. Nun stimmt es zwar, dass Josephus sich nach der Einnahme von Jotapata während des Jüdischen Krieges den Römern ergeben hat und aufdie Seite des siegreichen Roms gewechselt ist. Doch sollte man berücksichtigen, dass es für ihn eigentlich keine Alternative gab. Zumindest schien ihm seine Entscheidung die einzige Möglichkeit für ein weiteres Leben zu sein; ein Leben, in dem er auch weiterhin seine jüdischen religiösen und kulturellen Überzeugungen darlegen wollte. Nach wie vor ging es ihm, dem Sohn aus einer angesehenen priesterlich-königlichen Familie, denn um die Verteidigung der jüdischen Religion und Kultur. Dies unternahm er auch in seiner Geschichte des Jüdischen Krieges, des Kampfes der Juden gegen die Fremdherrschaft seit dem 2. Jahrhundert vor Christus bis in die Gegenwart des Josephus. Auch seinen Übergang zu den Römern schildert Josephus hier. Nach der Einnahme Jotapatas suchten ihn die Römer. Seine Gefangennahme war für sie offenbar sehr wichtig: Sie hätten diese, so Josephus, als entscheidend für den Ausgang des Krieges erachtet. Es gelang Josephus indes, sich in einer Zisterne zu verstecken, wo auch vierzig weitere angesehene Flüchtlinge Zuflucht suchten. Die Frage war nun, ob man sich durch Suizid der Gefangennahme entziehen wolle, oder nicht. Eine Mehrheit tat dies, trotz des Einspruches des Josephus. Josephus schildert das Ende der grauenhaften Auseinandersetzung mit seinen Gefährten folgendermaßen: „[...] viele [… ] Überlegungen brachte Josephus vor, um seine Gefährten vom Selbstmordabzubringen. Aber in ihrer Verzweiflung blieben sie ihm gegenüber taub, denn sie hatten sich schon längst dem Tode geweiht; darum waren sie über ihn erbittert und von allen Seiten stürmten sie mitgezücktem Schwertaufihn ein, beschimpften ihn als feige, undoffensichtlich warjederbereit, ihn aufderStelle niederzustoßen. [...] Auch in dieserschwierigen Lage fehlte es ihm nicht an einem Einfall; er setzte im Vertrauen zu Gottes Führung sogar seine Rettung aufs Spielundsagte: ‚Da derTodfest beschlossen ist, gut, so wollen wir es dem Los überlassen, wie wir einander den Todesstoßgeben sollen. Aufwen das Los trifft, der falle durch die Hand des Nächsten [...]’[...]Wen das Los traf, der botsich freiwilligdem Schwertdes Nächsten dar, da ja sofortauch derFeldherrsterben sollte; sie glaubten nämlich, dergemeinsameTodmitJosephus sei noch süßer als das Leben. Da geschah es, dass Josephus übrig blieb, zusammen mit einem anderen; man mag dabei von Zufall oder von Gottes Vorsehung reden. Und da ihm daran lag, wedervom Los getroffen zu werden noch auch als bis zuletztÜbriggebliebenerseine
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Hand mit dem Blut eines Volksgenossen zu beflecken, überredete er auch ihn, aufTreu und Glauben am Leben zu bleiben. Nachdem er so dem Krieg mit den Römern unddem mit den eigenen Leuten entronnen war, wurdeervon Nikanorzu Vespasian geführt.“(Ios. bell. Iud. 3, 383–392)
Josephus überlebte. Man kann ihm zwar vorwerfen, dass er seine Gefährten im Stich ließ, ja sie durch sein Überleben verraten habe. Doch gerade auch diesen Vorwürfen stellt sich Josephus. Er beharrt auf dem Leben und versucht, die ihn beinahe zerreißende Prüfung zu bestehen. Eine solche Situation, in welcher ein Mensch bis aufs Letzte herausgefordert wird, kann mit einem Martyrium verglichen werden. Es geht um das Bestehen eines entscheidenden Momentes, um die Bewährung im Hinblick aufeine Zukunft, und zwar eine lebendige Zukunft. Vergleichbare Gedanken findet man gleichfalls in den Texten des Talmud. Was das Verhältnis zu den Römern angeht, so werden dort die Leistungen der Römer anerkannt, zugleich aber auch wieder grundsätzlich abgewertet, weil wie bei Josephus die eigene Religion von derjenigen der Römer als verschieden und richtig aufgefasst wird.
Römische Historiker zum Unruhe- und Widerstandspotential der Christen im ersten Jahrhundert Wir haben über das Verhältnis der Christen zu den Römern erst vergleichsweise späte Quellen, die uns zeigen, wie die Christen im Imperium Romanum wahrgenommen wurden. Einen solchen Hinweis gibt die Claudius-Biographie Suetons. Die Stelle gehört zu einem Abschnitt, in welchem Sueton den Umgang des Kaisers mit Angehörigen fremder Völker behandelt. Dazu gehören gerade auch Angelegenheiten der Religion. Claudius habe unter anderem den „schrecklichen und unmenschlichen Kult der Druiden“ ganz und gar abgeschafft. Konflikte in der jüdischen Diaspora in Rom sowie in Palästina werden in diesem Abschnitt mit einem gewissen „Chrestus“ in Zusammenhang gebracht: Kaiser Claudius habe die Juden, „die auf Betreiben des Chrestus ständig Unruhen stifteten“, aus Rom vertrieben (Suet. Claudius 25, 4). Wer dieser Chrestus war, ist oft diskutiert worden. Vielfach wird angenommen, es sei Jesus gemeint. Da die Unruhen an den Anfang der Regierungszeit des Claudius gehören, aber mit einem an die Juden gerichteten Versammlungsverbot des Kaisers im Jahre 41 gleichgesetzt werden können, wäre es unsinnig, direkt Jesus als Anstifter zu bezeichnen, vielmehr muss es sich um einen anderen Chrestus handeln, der freilich trotz zahlreicher inschriftlicher Belege des Namens nicht genauer identifiziert werden kann, aber doch wohl Christ war. Man kann sich vorstellen, dass auch der Historiker Tacitus die Ähnlichkeiten zwischen Juden und Christen im Auge hatte. Beide Gruppen fielen auf. Wie über
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manche andere Vereinigungen gab es über sie missliebige Gerüchte. Man traute ihnen Untaten zu. Alle diese Gruppen stifteten wegen ihren Besonderheiten unfreiwillig Unruhen. Von den Juden berichtet Tacitus, bei ihnen sei alles unheilig, was die Römer schätzen würden, dafür tue man bei ihnen alles, was in Rom als Gräuel gelte (Tac. hist. 5, 4, 2). Die Juden seien echter Religion abhold (hist. 5, 13, 1). Unter sich hätten sie zwar festen Zusammenhalt, gegenüber anderen würden sie feindseligen Hass zeigen (hist. 5, 5, 2). Der Eigensinn dieses störrischen Volkes habe Kaiser Vespasian mit Sorge und Groll erfüllt: „Nach Herstellung des Friedens in Italien aber kehrten auch die Sorgen um die auswärtigen Angelegenheiten wieder. Der Gedanke, dass einzigdie Juden im Widerstandverharrten, vermehrte die Erbitterung gegen sie.“ (Tac. hist. 5, 10, 2)
Von den Christen berichtet Tacitus im Rahmen seiner Ausführungen über Kaiser Nero. Nero gab den beim Volk verhassten Christen die Schuld am Brande Roms im Jahre 64. Anscheinend gab es Römer, die ihnen Derartiges zutrauten. Tacitus schreibt, sie hätten sich einer „hasserfüllten Einstellung gegenüber dem Menschengeschlecht“ schuldig gemacht. Offenbar stieß die Lebensweise der Christen ähnlich wie diejenige der Juden bei der paganen Bevölkerung aufUnverständnis. Genaueres erfahren wir nicht. Ob Christen vielleicht aufgefallen waren, weil sie staatlich angeordnete Sühneopfer verweigert hatten? Oder war es die Fremdheit der Religion, welche störte, wie es ein Prozess aus der Zeit Neros bezeugt, in dem eine römische Aristokratin wegen „ausländischen Aberglaubens“ angeklagt war (Tac. ann. 13, 32)? Jedenfalls nutzte Nero die Ablehnung der Christen unter der Bevölkerung für sich aus und ließ Christen als Verbrecher in öffentlichen Schauspielen foltern und ermorden. Seine Grausamkeit stieß sogar bei Heiden auf Kritik. Der Bericht des Tacitus lautet: „Der Mann von dem sich dieser Name herleitet, Christus, war unter der Herrschaftdes Tiberius aufVeranlassung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden; undfür den Augenblick unterdrückt, brach der unheilvolle Aberglaube wieder hervor, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland dieses Übels, sondern auch in Rom, wo aus der ganzen Welt alle Gräuel und Scheußlichkeiten zusammenströmen und gefeiert werden. So verhaftete man zunächst diejenigen, die ein Geständnis ablegten, dann wurde aufihre Anzeige hin eine ungeheuere Menge nicht so sehr des Verbrechens der Brandstiftung als einer hasserfüllten Einstellung gegenüber dem Menschengeschlecht schuldig gesprochen. Und als sie in den Tod gingen, trieb man noch seinen Spott mit ihnen in derWeise, dass sie, in die Felle wilder Tiere gehüllt, von Hunden zerfleischtumkamen oder, ans Kreuzgeschlagen undzum Feuertodbestimmt, sobald sich derTagneigte, als nächtliche Beleuchtungverbranntwurden. Seinen Park hatte Nero für dieses SchauspielzurVerfügunggestelltundgab zugleich ein Zirkusspiel, bei dem ersich in der
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TrachteinesWagenlenkers unters Volk mischte oder sich aufeinen Rennwagen stellte. Daraus entwickelte sich ein Mitgefühl, wenngleich gegenüber Schuldigen, die die härtesten Strafen verdient hätten: denn man glaubte, nicht dem öffentlichen Interesse, sondern der Grausamkeit eines einzelnen würden sie geopfert.“ (Tac. ann. 15, 44)
Angaben zu weiteren vergleichbaren Folterungen und Verfolgungen bleiben in den Quellen dünn. Was beispielsweise Christenverfolgungen in Rom unter Domitian angeht, so gibt es dazu einzig die kargen Informationen im 1. Clemensbrief. Die Rede ist von Drangsalen und Leiden, von Kampfund Märtyrertod. Was die betroffenen Christen zu den Vorwürfen und Vorgängen sagten, wissen wir nicht. Prozessakten fehlen. Die Ereignisse selbst bleiben weitgehend im Dunkeln. Vieles, was man von ihnen zu wissen meinte und meint, gründet auf späteren Ausschmückungen.
Plinius und der„wüste Aberglauben“ der Christen Erst für die Zeit nach 100 erfahren wir mehr. Ein wichtiges Zeugnis ist ein Brief des jüngeren Plinius. 2 Die glänzende Karriere des Plinius hatte unter Domitian begonnen und erreichte unter Trajan ihren Gipfel. Im Jahre 100 wurde er Suffektkonsul; ab ca. 109 amtierte er als Statthalter (legatus Augusti) in der Provinz Pontus et Bithynia. Hier wurde er, freilich etwas indirekt, mit Christen bekannt. Genauer gesagt hatte er auf sich häufende Anzeigen aus der Bevölkerung gegen Christen zu reagieren. Plinius stand dem Kaiser sehr nahe. Wie in anderen Fragen auch, erkundigte er sich deshalb bei Trajan, ob sein Vorgehen richtig sei. Dieses Schreiben ist zusammen mit weiteren Briefen an den Kaiser und seine Kanzlei sowie den kaiserlichen Antworten als zehntes Buch des Briefwerkes des Plinius zusammen mit den in neun Büchern gesammelten Privatbriefen überliefert. Die Sammlung ist allmählich entstanden und nach seinem Tode herausgegeben worden. Man hat gesagt, die Publikation sei gegen die Intentionen des Autors erfolgt. Der Autor habe allein die Privatbriefe publiziert haben wollen. Doch die Briefe des zehnten Buches bilden ein schönes Monument für einen wichtigen Teil seines Lebens, seine Tätigkeit als Magistrat und sein Verhältnis zum Kaiser. Sie passen zu den ersten neun Büchern und der Kultur aristokratischer Selbstdarstellung, die für Plinius so wichtig war. Dazu gehört die Darstellung intellektueller Betätigung, vielseitiger Tätigkeiten und, einer würdigen Lebensgestaltung und der Tugendbewährung, von otium (Muße, Ruhe, freie Zeit) und negotium (Geschäft, Aufgabe, Tätigkeit, Arbeit) sowie der Pflege von Freundschaften: Mit anderen Worten handelt es sich um die Schilderung römisch-aristokratischer Lebenweise, die möglich war dank Besitz, Ämterausübung, Bildung und dem politischen System des Principats, das dann gut
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funktionierte, wenn es einen „guten“ Kaiser gab, der den „Tüchtigen“ Einfluss verschaffte und die Sicherheit des Reiches zu bewahren wusste. Wie der erste Brief des Werkes festhält, sammelte und veröffentlichte Plinius auf Zureden des Septicius seine Korrespondenz soweit die Briefe „einigermaßen sorgfältig stilisiert“ waren, und zwar ohne Rücksicht auf die zeitliche Reihenfolge, also nicht als Geschichtswerk, wie er sagt. Doch zeigte sich Plinius sehr wohl daran interessiert, in einem Geschichtswerk verewigt zu werden, wie etwa aus einem Brief an Titinius Capito hervorgeht: „Mich aberreiztnichts so sehrwie die SehnsuchtunddasVerlangen nach Unsterblichkeit, ein Verlangen, das dem Menschen sehr angemessen ist, zumal für den, der sich keiner Schuld bewusst ist unddas Andenken der Nachwelt nicht zu fürchten braucht.“(Plin. epist. 5, 8, 1)
Dieses Ziel, die Darstellung aristokratischer Werte und vornehmer Lebensführung sowie eines optimalen Verhältnisses zu einem guten Kaiser als Grundlage einer Bewertung durch die Nachwelt und des Gewinnes ruhmvoller Unsterblichkeit hat in den christlichen Zielsetzungen eigenartige Parallelen. In den laufenden Konflikten zwischen Heiden und Christen, in die Plinius ungewollt als Statthalter verwickelt wurde, prallen unter anderem diese Ansprüche aufeinander. Auch die Christen wollten das „Gute“, auch ihnen war an einem optimalen Verhältnis zum Kaiser gelegen, auch für sie war die Lebensführung entscheidend. In der Tugend wollten sie sich bewähren und ewiges Heil gewinnen. Und doch war all das etwas anderes, eine Provokation für die römische Welt. Unter den Christen galten überlieferte Prinzipien nicht mehr als vorrangig bei der Darlegung ethischer Richtlinien. Die Kriterien weltlichen Adels und einen absoluten Vorrang des Kaisers, zumal als weiterer zu verehrender Gott, lehnten christliche Autoren als maßgebende Grundlage gesellschaftlicher Ordnung ab. Allein an der Wahrheit, nämlich am Wort Gottes, wollten sie sich orientieren. Plinius wurde sehr bald mit Ansprüchen und Aussagen der Christen konfrontiert. Er lernte sie kennen, weil er Prozesse gegen sie führen musste. Bei ihm häuften sich Anzeigen gegen Christen. Die Anklagen, zum Teil anonym eingereicht, unterstellten, Christsein sei mit verbrecherischen Handlungen verknüpft. Dies zwang den Statthalter zum Handeln. Was Plinius fand, war – wie er es formuliert – freilich allein „wüster maßloser Aberglaube“, aber – sogar bei Anwendung von Folter – nichts Verbrecherisches (Plin. epist. 10, 96, 8). Plinius wandte bei seinen Untersuchungen ein Verfahren an, das hier erstmals bezeugt ist und später in den Quellen immer wieder beschrieben wird. Er fragte die Angezeigten, ob sie Christen seien. Wer nicht widerrief, Christ zu sein, wurde zur HinrichtungabgeführtbeziehungsweisenachRomüberwiesen. Wer leugnete, wurde aufgefordert, vor dem Bild des Kaisers und Götterbildern zu opfern und Christus
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zu verfluchen. Tat dies jemand, so wurde er oder sie freigelassen. Zunächst spricht Plinius in seinem Brief von Verhören mit Christen, die gestanden, Christen zu sein: „Wer gestand, den habe ich unter Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal gefragt; blieb er dabei, ließich ihn abführen. Denn mochten sie vorbringen, was sie wollten – Eigensinn und unbeugsame Halsstarrigkeit glaubte ich aufjeden Fall bestrafen zu müssen. Andere in dem gleichen Wahn Befangene habe ich, weilsie römische Bürgerwaren, zurÜberführung nach Rom vorgemerkt.“ (Plin. epist. 10, 96, 3–4)
Danach berichtet er von Fällen, in denen Christen leugneten, Christen zu sein oder gewesen zu sein. Dabei reagierte er, wie er festhält, auf eine anonyme Klageschrift: „Diejenigen, die leugneten, Christen zu sein oder gewesen zu sein, glaubte ich freilassen zu müssen, da sie nach einer von mir vorgesprochenen Formel unsere Götter anriefen und vor Deinem Bilde, das ich zu diesem Zwecke zusammen mitden Statuen derGötterhatte bringen lassen, mit Weihrauch und Wein opferten, außerdem Christus fluchten, lauter Dinge, zu denen wirkliche Christen sich angeblich nicht zwingen lassen. Andere, die der Denunziant genannthatte, gaben zunächstzu, Christen zu sein, widerriefen es dann aber; sieseien es zwar gewesen, hätten es dann aber aufgegeben [...] Auch diese alle bezeugten Deinem Bilde und den Götterstatuen ihre Verehrung und fluchten Christus. Sie versicherten jedoch, ihre ganze Schuldoder ihr ganzer Irrtum habe darin bestanden, dass sie sich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zu versammeln pflegten, Christus als ihrem Gott einen Wechselgesang zu singen undsich durch Eidnicht etwa zu irgendwelchen Verbrechen zu verpflichten, sondern keinen Diebstahl, Raubüberfall oder Ehebruch zu begehen, ein gegebenes Wort nicht zu brechen, eine angemahnte Schuld nicht abzuleugnen. Hernach seien sie auseinander gegangen unddann wieder zusammengekommen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch gewöhnliche, harmlose Speise, aberdas hätten sie nach meinem Edikt, durch das ich gemäßDeinen Instruktionen Hetärien verboten hatte, unterlassen.“ (Plin. epist. 10, 96, 5–7)
Offenbar gab es in der Provinz des Plinius starke Animositäten gegen die Christen. Sollte man also gegen die Christen vorgehen? War das Christsein selbst (nomen ipsum) ein Straftatbestand? In Kleinasien hatte es unter Domitian schon Christenverfolgungen gegeben, obschon wir nichts Konkretes wissen (Anspielungen in Offb 2, 10 und 13, 5 f.). Plinius spricht von bereits geführten Prozessen, teilt aber auch mit, er wisse nicht über sie Bescheid (Plin. epist. 10, 96, 2). Im Land breitete sich das Christentum jedenfalls rasch aus. Plinius fühlte sich zum Handeln verpflichtet und meinte, er müsse die Frage beantworten, was zu tun sei, damit die verödeten Tempel wieder besucht würden und man die Opfer wieder aufnehme. Und er glaubte, mit seinen Massnahmen ein effektives Mittel und Korrektiv gefunden zu
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haben (Plin. epist. 96, 10). Es ging nur noch darum, sich beim Kaiser selbst zu vergewissern und ihm zugleich Bericht abzustatten. Trajan antwortete, man solle die Christen nicht aufspüren, anonyme Anzeigen nicht berücksichtigen, doch im Übrigen bei Angeklagten feststellen, ob sie zu bestrafen seien: Wer leugne, Christ zu sein und das durch die Tat, das heißt: durch Anrufung der Götter beweise, der solle Verzeihung erhalten (Plin. epist. 10, 97). Für Plinius bedeutete dieses Schreiben Anerkennung. Es legitimierte sein Handeln, in der Sache gegenüber den Christen wie den Anklägern, im Hinblick auf die Fragen von Standesgenossen, aber auch bezogen auf seinen Erfolg als „guter“ Statthalter und sein Ansehen als „guter“ – in Einklang mit dem „guten“ Kaiser regierender – Aristokrat – letzteres ein typisches Anliegen des Senators Plinius, das er penetrant in seinem Panegyrikus aufTrajan anlässlich der Übertragung des Konsulats im Jahre 100 in Worte gefasst hat: „Nun bringtGutsein den Leuten Vorteil[...]. Solchen guten Männern trägstdu Ämter, PriestertümerundProvinzen an, siestehen hoch in deinerFreundschaftunddeinem Urteil.“(Plin. paneg. 44, 7)
Aus christlicher Perspektive hat man die Entscheidung des Statthalters wie des Kaisers hingegen als widersprüchlich abqualifiziert. Die Vorwürfe der fehlenden Einsicht, des Aberglaubens und der Verbrechen wies man scharf zurück. So hebt Tertullian – voller Stolz auf den von den Christen beanspruchten Vorsprung im Verständnis von Wahrheit und Recht – heraus, wie konfus Plinius und Trajan vorgegangen seien und spottet: „O welch unentrinnbar wirres Votum! Es spricht sich dagegen aus, nach den Christen zu fahnden, wie wenn sie Unschuldige wären, und befiehlt, sie zu bestrafen wie Schuldige.“ (Tert. apol. 2, 8)
Verschärfung der Konflikte – Hartnäckigkeit von Heiden und Christen Die Konflikte zwischen Heiden und Christen verbreiteten sich allmählich fast im ganzen Reich. Die unterschiedliche Auffassungen, welches die höchste Autorität sei, nach der die Menschen sich ausrichten sollten, führte in einigen sensiblen Bereichen öffentlich sichtbarer Lebensführung, nämlich der kollektiven Ausübung religiöser Kulte, insbesondere des Kaiserkultes, zu tiefem Misstrauen und gravierenden Spannungen. Wenn die Christen die Teilnahme am Kult verweigerten, so
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konnte das als asozial, als verbrecherisch, als sacrilegium, ja als Hochverrat ausgelegt werden, weil in der Ablehnung des Kultes für den Kaiser geradezu ein Angriff auf den Staat und die menschliche Gemeinschaft gesehen wurde. Tatsächlich erscheint eine solche Begrifflichkeit denn auch in den Prozessen gegen Christen. Vieles lag jeweils an den lokalen Konstellationen, das heißt es hing von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ab, ihren Interessen, Empfindlichkeiten und Einflussmöglichkeiten. Je nach den Persönlichkeiten, welche die Magistraturen innehatten, konnten sich Konflikte anders entwickeln. Kam es zu Gerichtsfällen, so lag die Prozessführung in der Hand der Statthalter. Die Behörden in Rom schritten selten ein. Die Kaiser selbst haben erst spät Dekrete erlassen, die zu groß angelegten Maßnahmen gegen die Christen und intensiven Verfolgungen führten. Die Juristen, die sich mit den rechtlichen Aspekten solcher Konflikte befassten, haben keine einheitlichen Regelungen für die Christen generell entworfen. Ulpian und Iulius Paulus befassten sich in Kommentaren in der Zeit des Septimius Severus (193–211) mit der Frage. Laktanz schreibt, dass im siebten Buch Ulpians über die Aufgaben des Statthalters Reskripte der Kaiser gesammelt waren, die Strafen wegen Religionsfrevel gegenüber Christen enthielten (Lact. inst. 5, 11, 19). Christliche Zeugnisse mit Aussagen über das, was Christen bei den Konflikten erlebten, sind zunächst nicht sehr konkret. Die apokalyptischen Darstellungen der Johannesoffenbarung entwerfen grauenvolle Bilder, doch es ist im Einzelnen schwierig zu sagen, welche konkreten Vorgänge gemeint waren. Wären solche Berichte von den Römern verstanden worden, und vielleicht wurden sie dies auch, so hätte die Darstellung Roms als Hure Babylon das Verhältnis zwischen den Religionen jedenfalls kaum entspannt – sie hätte als Affront empfunden werden müssen. Eher gehört worden sein dürfte die scharfe Kritik der Christen an den Schauspielen (spectacula) im Theater, den Gladiatorenkämpfen im Amphitheater, den Wagenrennen im Zirkus, den Agonen, ludi, und Festen, die im Leben der Städte und für den Kaiserkult so wichtig waren. Diese Anlässe waren beliebt. Das Volk rief nach „Brot und Spielen“, das Imperium bot sie ihnen. Natürlich machte sich kaum Freunde, wer diese Einrichtungen in Frage stellte. Dies gilt zum Teil bereits für die heidnischen Intellektuellen, die dies riskiert haben. Doch christliche Autoren gingen weiter: Sie lehnten die religiösen Funktionen der Aufführungen und Feste ab. Tatian beispielsweise schrieb: „Von welcherArtsinddenn eureTheateraufführungen?Werverspottetwohlnichteure öffentlichen Volksfeste, welche äußerlich zur Ehre böser Dämonen gefeiert werden und dabei die Menschen der Schande undVerachtung preisgeben?“ (Tat. orat. 22, 1)
Tertullian stellte den weltlichen Schauspielen das Schauspiel des Jüngsten Gerichtes gegenüber. Die Ehre der Kaiser und Euergeten, welche solche Schändlichkeiten
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finanziert hatten, wurde nun bestraft und vernichtet: „Welches Schauspiel für uns ist demnächst die Wiederkunft des Herrn, an den man dann glauben wird, der dann erhöht ist und triumphiert!“ (Tert. spect. 30) Aufdieses Ziel hin sollten die Christen ihr Leben ausrichten und dabei auch zum Martyrium streben (Tert. spect. 29). Gewiss haben viele Christen trotzdem solche Veranstaltungen besucht – die Sünde war unausrottbar, die Strafen dafür kaum abzuwenden. Davon berichten noch Johannes Chrysostomos, Augustin oder Salvian von Marseille an zahlreichen Stellen. Die profanen Schauspiele waren und blieben wichtig. So sollte man es nicht als Paradox bezeichnen, wenn die Wettkampfsymbolik von den Christen für eigene Anliegen aufgenommen wurde: Es war eben eine allen vertraute Bilderwelt. Die virtus der Wettkämpfer bei den Spielen wurde mit der virtus der Märtyrer, der Asketen, ja mit der Passion Christi verglichen. Damit tritt die Ablehnung der paganen Rituale und der kultischen Bedeutung von Schauspielen und Festen noch deutlicher vor Augen. Und daraus wiederum konnten sich Konflikte zwischen Christen und Heiden ergeben. Die mangelnde Kultteilnahme und erst recht deren Verweigerung beunruhigten die Mehrheitsgesellschaft. Zuerst wurde vielleicht nur einfach Unverständnis geweckt, allmählich verfestigten sich stereotype Vorurteile, Misstrauen wuchs, es kam zu Anklagen, nicht selten zu Ausbrüchen von Wut und Hass. Christen wurden verurteilt, hingerichtet und während Ausschreitungen umgebracht. Im folgenden Kapitel werden solche Vorgänge in einzelnen Städten des Reiches beschrieben. Der 1. Clemensbrief bietet das früheste Zeugnis von solchen Vorgängen. Der Verfasser berichtet in Worten, die von der Sprache der Agonistik und Athletik geprägt sind, von Verfolgungen, von Wettkämpfern und Kampf der jüngsten Zeit. „Schlag auf Schlag“ seien Unglücke und Misshelligkeiten „über uns“ gekommen (1 Clem 1, 1), und mit dem „über uns“ ist offenbar die römische Christengemeinde gemeint, die unter den Verfolgungen in der Zeit Neros und Domitians zu leiden hatte. Doch gleichzeitig plagen den Verfasser des Briefes, der sich an die Christengemeinde von Korinth richtet, die internen Streitigkeiten. Jedenfalls geht es ihm um die Darstellung der Bewährung und Behauptung auf dem Kampfplatz der Gegenwart. Dabei sind die Passion Christi und die in der Geschichte erfahrene Fürsorge Gottes der feste Kanon, auf den hin sich alles auszurichten hat. Er bietet die Sicherheit, dass die Auseinandersetzung bestanden werden kann: „Dies, Geliebte, schreiben wir nicht nur, um euch zu ermahnen, sondern auch, um uns selbst zu erinnern; wir befinden uns nämlich auf demselben Kampfplatz, und derselbe Kampf ist uns auferlegt. Verlassen wir deshalb die leeren und nichtigen Gedanken und kommen wir zu der ruhmvollen und ehrwürdigen Regel (kánon) unserer Überlieferung, und sehen wir zu, was schön und wohlgefällig und was angenehm ist vor dem, der uns
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gemacht hat. Blicken wir hin auf das Blut Christi und erkennen wir, wie kostbar es seinem Vater ist, denn um unseres Heils willen vergossen hat es der ganzen Welt die Gnade der Buße geschenkt. Gehen wir alle Generationen durch [...]!“ (1 Clem 7, 1–5)
Abb. 1 2 und 1 3: Fjodor Andrejewitsch Bronnikow (1 827–1 902): Zwei Bilder aus dem Jahre 1 869 – Einzug in die Arena; Märtyrer in der Arena (Heimatmuseum Schadrinsk) 3
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Apologeten Die Anklagen und Vorwürfe gegen die Christen zeitigten Wirkungen in zahlreichen Hinrichtungen. Zweifellos sind nicht so viele Menschen zu Tode gekommen, wie es in den späteren christlichen Legenden dargestellt wird, aber die Geschichtlichkeit der Verfolgungen ist nicht zu leugnen. In Reaktion auf die Angriffe und Anfeindungen entstand eine eigene Literatur, welche die Sache der Christen entschieden und scharf verteidigte. Bekannte Autoren dieser Richtung sind Justin der Märtyrer, Athenagoras, Theophilos von Antiochia oder Tertullian. Sie werden als Apologeten bezeichnet. Ob ihre Schutzschriften die Altgläubigen milder zu stimmen vermochten, ist ungewiss. Von erheblicher Bedeutung ist indes ihr Beitrag auf die Ausbildung christlicher Auffassungen. Im Folgenden seien einige wichtige Argumente aus dem Apologeticum Tertullians herausgegriffen. Tertullian wurde um 150 in Karthago geboren. Um 190 nahm er das Christentum an. Er verfasste in der Folge eine stattliche Zahl von Traktaten, die sich hauptsächlich mit Fragen der christlichen Lebensführung und der Bekämpfung von Irrlehren befassen. Ein frühes Werk bildet eine Verteidigungsschrift für das Christentum. Sie gehört ins Jahr 197, in das 4. Regierungsjahr des aus Afrika stammenden Kaisers Septimius Severus. Dieser Herrscher war zwar kein Feind der Christen, zeigte ihnen aber auch keine besondere Gunst. 202 soll er Christen und Juden bei strenger Strafe verboten haben, neue Anhänger zu gewinnen (SHA Septimius Severus 17, 1). In Karthago kam es in seiner Regierungszeit zu verschärften Verfolgungen. 197 scheint sich eine Bedrohungssituation abgezeichnet zu haben. Tertullian kritisiert die römische Rechtssprechung: Sie richte sich gegen Menschen, die eigentlich hätten freigesprochen werden sollen; sie sei inkonsequent und konfus (Tert. apol. 2, 8). Tertullian appelliert an die römischen Magistraten, die für die Rechtssprechung zuständig waren. Er stellt es so dar, als habe er deshalb schreiben müssen, weil ihm als Christen eine mündliche Verteidigung verwehrt gewesen sei. Immer wieder evoziert der Text das Bild einer Gerichtsverhandlung. Tertullian gibt vor, er argumentiere während eines Prozesses. Dieser, so fordert er, müsse korrekt ablaufen: Endlich einmal sollen die römische Behörden sorgfältig auf die gegen die Christen erhobenen ungerechten Vorwürfe eingehen. Tertullian bietet ein glänzendes Plädoyer. Alles beansprucht er vorzulegen, offen und wahr. Gleichzeitig inszeniert er einen Prozess, der an Spannung übertreffen soll, was gemeinhin üblich war. Tertullian bietet Ironie und beißenden Spott; vor allem aber sollen die Leser durch die Brillanz der Rhetorik und die Macht der Argumente überzeugt werden Das Zeugnis der Worte – Tertullian lebt es aus in einer Leidenschaftlichkeit, die ihresgleichen sucht. Vergleichbar mit dem Zeugnis von Christen, die mit ihrem Blut
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den Glauben bezeugten, investiert er alle Energie in die Darlegung der Argumente. Seine Worte sollen Wirkungen zeitigen wie die Martyrien, von denen er sagt: „Wir werden noch zahlreicher, sooft wir von euch niedergemäht werden: Ein Same ist das Blut der Christen (semen est sanguis Christianorum)!“ (Tert. apol. 50, 13; vgl. Iust. Mart. dial. 110, 4) Tertullian ist der Auffassung, die Martyrien und seine Schrift würden von einem entschiedenen Willen zeugen, das Christentum im Anschluss an Christus zu leben. Dies muss Auswirkungen auf die Beurteilung der Christen haben. Das Ergebnis einer weltlichen gerichtlichen Untersuchung dieses Lebens in der Gegenwart mag negativ sein, dann ist es falsch. Gott hingegen spricht Tertullians Überzeugung nach die Christen frei (apol. 50, 16). Dies allein ist für Tertullian das richtige, wahre Urteil. Diese radikale Sicherheit, im Recht zu sein, geht einher mit der Darlegung der Vorwürfe gegen die Christen sowie der Konfliktfelder, welche das Auftreten der neuen Religion verursachte. Obschon hinsichtlich des Prinzipiellen, nämlich des Glaubens an den christlichen Gott, kein Konsens mit den heidnischen Gegnern zu erzielen war, hätte es eigentlich doch möglich sein müssen, im Alltag in friedlicher Übereinkunft zu leben: Die Christen akzeptierten die weltliche Autorität des Kaisers. Ihre Ablehnung der heidnischen Kulte sowie der spectacula ging nicht so weit, dass sie den gemeinsamen Boden der griechisch-römischen Kultur verlassen hätten. So erinnert Tertullian an die klassischen Beispiele heidnischer Standhaftigkeit, wenn er die Hartnäckigkeit der Christen erklärt, die nun freilich weit breitere Nachfolge finden werde: „VieleaufeurerSeitefordern zum standhaften Ertragen von SchmerzundTodauf, wieCicero in den Tuskulanen, wie Seneca in der Schriftüber die Zufälle, wie Diogenes, wie Pyrrho, wie Callinicus; unddoch finden ihreWorte nicht so viele Schüler wie die Christen, die mitTaten lehren.“ (Tert. apol. 50, 14)
Das ApologeticumTertullians führt im Hauptteil aus, wie die Christen sich verhalten, wie sie leben, was sie tun. Mit dieser Darlegung werden die Anschuldigungen, die Christen seien Verbrecher, zurückgewiesen. Die Behauptung, die Christen würden sich der Majestätsverletzung schuldig machen, wenn sie keine Opfer für die Kaiser darbrächten, wird mit dem Argument zurückgewiesen, die Christen würden vielmehr für das Wohl der Kaiser und den Frieden des Reiches beten (apol. 28, 3 – 36, 2). Das Leben der Christen widme sich nicht dem Verbrechen, sondern sei ehrbar (apol. 36, 2 – 45, 7). Bei den Zusammenkünften würde gebetet, man lese die heiligen Texte, man ermahne zur guten Lebensführung und esse bescheiden. Alles sei den Christen gemeinsam, aber nicht die Ehefrauen. Auch gegen Außenstehende seien Christen freundlich. Sie würden nicht betrügen und wie die Heiden auch zum Nutzen der Gesellschaft arbeiten.
Verfolgungen und Berichte von Martyrien
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Die Apologetik wie die Martyrien waren ganz wesentlich Formen der Verteidigung und Propagierung christlicher Lebensführung. Den Tod und das Leiden suchte man nicht, im Gegenteil: Man wollte aufzeigen, wie das Leben besser gestaltet werden könne. Allerdings gab es das Problem, dass die Vorstellung entstehen konnte, es gehe um einen Wettbewerb in der Erreichung von Martyrien. Mehr zu bewundern sei, wer Leiden und Tod auf sich nehme, als wer lebe. Tertullian war sich dieser Schwierigkeit wie viele andere Christen sehr wohl bewusst, und er gab eine Antwort darauf: Die Christen seien Soldaten vergleichbar. Im Dienste für Gott nehme man zwar den Krieg aufsich, aber kein Soldat suche das Leiden und den Untergang. Vielmehr kämpfe er für das Leben (apol. 50, 1–2). Wenn solches Leben im Prinzip mit dem Leben in der römischen Gesellschaft vereinbar war, so ist freilich zu bedenken, dass christliche Lebensweise ein breites Formenspektrum umfasste. Es gab Christen, die sich so verhielten, dass Konflikte unausweichlich waren. Bereits einige Formulierungen im Apologeticum sind so kompromisslos, dass sie für die römische Gesellschaft und das politische System untragbar sein mussten, so etwa der Satz: „Nichts ist uns fremder als die res publica.“ (apol. 46, 13). Zunehmend radikaler nach seiner Wende zur Sekte des Montanismus, wo sich besonders strenge Christen fanden, erklärte Tertullian beispielsweise den Militärdienst in seiner Abhandlung De corona als mit dem Christentum unvereinbar. Auch die Toga der Bürger wollte er nicht mehr anziehen: Er war ja ein Untertan Gottes, nicht des Kaisers. Das weltliche, römische Bürgerrecht dünkte ihn unwichtig (Tert. pall. 5, 4). Ver fol g u n g en u n d Beri ch te von M a rtyri en : M ä rtyrera kten u n d Pa ssi on en
Die Verfolgungen der Christen nahmen ab der Mitte des 2. Jahrhunderts zu, wobei die Konflikte einmal größer, einmal kleiner waren. Später hat man das Geschehen in eine Liste von zehn Verfolgungen von Nero bis Diokletian eingefügt und dahinter einen Plan Gottes gesehen. Dies alles habe der Allmächtige für die Zeit vor dem Erscheinen des Antichrists vorgesehen. Doch solche Schemata, von denen her man auch falsche Prophezeiungen wagte, vereinfachen die Komplexität der historischen Wirklichkeit (vgl. Aug. civ. 18, 52). Zunächst trafdie römische Staatsgewalt am stärksten die Juden. Bereits der erste Jüdische Krieg 66–73 sowie ein Aufstand in den Jahren 115–117 forderten einen hohen Blutzoll. Im Jahre 130 wurde in Jerusalem neben dem Legionslager für hellenisierte Siedler die Kolonie Aelia Capitolina gegründet. Auf dem Tempelplatz errichteten die Römer ein Heiligtum für Jupiter. Dies und ein Verbot der
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Beschneidung, die der Kastration gleichgesetzt wurde, erbitterten die Juden. Geleitet durch eine tiefe religiöser Überzeugung führte dann Simon Bar Kochba einen Aufstand der Juden 132–135 an. Er war ein begabter militärischer Führer, der überdies ein ungewöhnliches Charisma besaß. Überzeugend gab er sich als Messias aus, dessen Beiname „Sternensohn“ mit der Voraussage des Alten Testamentes zusammen gebracht wurde: „Ein Stern wird aufgehen aus Jakob und ein Szepter erstehen aus Israel, und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter.“ (Num 24, 17). Rabbi Akiba identifizierte sich nach anfänglichem Widerstand ganz mit der Sache Bar Kochbas. Der Glaubenskampf der Juden löste einen römischen Krieg zur Unterwerfung der Aufständischen aus, der besonders grausam geführt wurde. Unzählige Juden verloren ihr Leben. Die letzten Reste eines größeren, geschlossenen jüdischen Gebietes wurden aufgelöst. Die Römer verboten den Juden, weiterhin in Jerusalem zu leben. Die römische Provinz Judäa wurde in Syria Palaestina umbenannt (Cass. Dio 69, 12–14; Eus. HE 4, 6). Immerhin blieben jüdische Privilegien im Römischen Reich bestehen. Juden konnten ihr Leben weiterhin nach ihren eigenen Sitten und Gebräuchen führen. Während des Aufstandes kam es auch zu Verfolgungen von Christen durch Juden, weil Christen sich nicht Juden im Kampf gegen Römer anschließen wollten (Iust. Mart. 1 apol. 31; Eus. chronicon ad a. Abr. 2149; Oros. hist. 7, 13, 4). Berichte über Hinrichtungen von Christen haben wir ab der Mitte des 2. Jahrhunderts. Zuerst finden wir sie im griechischen Osten, dann früh in den Gemeinden der Africa Proconsularis. Nordafrika blieb für die lateinische Literatur bei der Produktion von Märtyrerakten führend. Die Berichte von Martyrien werden als Briefe von Gemeinden oder als Prozessprotokolle geboten. Die Briefform macht deutlich, wie wichtig es war, die Nachrichten über die Martyrien bekannt zu machen. Ein missionarischer Impetus ist spürbar. Die Form des Prozessprotokolles verleiht den Berichten einen offiziellen, ernsten Charakter und bietet gleichzeitig die Gelegenheit, eindrucksvolle, geradezu apokalyptische Szenen zu malen. Obschon bei der Lektüre solcher Textes die sich wiederholenden und einfachen literarischen Muster auffallen und misstrauisch machen, so wenn topisch immer wieder die „Wahrheit“ der Vorgänge und die „Standhaftigkeit im Glauben“ unterstrichen werden, so wäre es falsch zu sagen, dass wir es einfach mit fiktiven Berichten zu tun hätten. Zum einen ist das Ausgangsmaterial historisch: Akten und Berichte über Prozesse und Ereignisse. Zum andern nehmen wir auch etwas Historisches wahr, wenn wir sehen, wie die Verfasser ihren Stoff gestaltet haben. Die Texte enthalten Wertungen, wie sie in den damaligen christlichen Gemeinden wichtig waren. Märtyerakten sind weder rein fiktiv, noch können sie mit den authentischen Dokumenten, wie sie während der Prozesse entstanden sind, gleichgesetzt werden, sie bleiben zur Unterrichtung der Nachwelt geschaffene Se-
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kundärquellen, die im Kern auf Primärquellen oder mündliche Überlieferung zurückgehen. In Nordafrika dominiert der zweite Typus solcher Märtyrerakten: Prozessprotokolle. Schlicht bieten sie zunächst Angaben über Zeitpunkt, Ort und beteiligte Personen und dann in Dialogform das Verhör. Zur rhetorisch-literarischen Gestaltung gehören die eindrucksvollen Höhepunkte der confessio, des Bekenntnisses des Glaubens, der Verweigerung des befohlenen Kultaktes und des Martyriums. Man kann sich gut vorstellen, dass sie bei den Lesungen in den Gemeinden Bewunderung für die Glaubensstärke der Märtyrer zu wecken vermochten und so Frömmigkeit und Zugehörigkeitsgefühl zum Christentum förderten. Solchen Zielen dienten auch Traum- und Visionsberichte. Besonders wirkungsvoll bietet sie die nordafrikanische Passio Perpetuae et Felicitatis. Die Passio erzählt von der Taufe, Gefangennahme, dem Aufenthalt im Gefängnis, dem Verhör vor Gericht, der confessio und dem Tod junger Katechumenen (Taufbewerberinnen und Taufbewerber) aus Karthago im Jahre 202 oder 203, des einen im Kerker, der anderen durch den Tod ad bestias („zu den wilden Tieren“) im Amphitheater der Stadt anlässlich der Geburtstagsfestspiele für den Caesar Geta (Perp. 7, 9), den Mitregenten seines älteren Bruders Caracallas. Felicitas und Perpetua gehörten zu einer Gruppe junger Christen: „Verhaftet wurden junge Katechumenen: Revocatus und Felicitas, seine [schwangere] Mitsklavin, Saturninus und Secundulus, und zusammen mit ihnen auch Vibia Perpetua, aus vornehmem Hause, klassisch gebildetundstandesgemäßverheiratet. Sie hatte noch Vaterund Mutter undzwei Brüder, der eine gleichfalls Katechumene, undeinen Sohn, einen Säugling an der Brust, den sie noch stillte." (Perp. 2, 1–2)
Ihr Schicksal teilte Saturus, ihr Katechet, der sich freiwillig der Verhaftung stellte. Drei prophetische Visionen der Perpetua sowie eine weitere des Saturus zeugen von der Kraft (virtus) des Heiligen Geistes (Perp. 1, 3). Im Aufnehmen biblischer Stellen (v. a. Apg 2, 17) deutet der Redaktor der Passio dies so: „Denn in den letzten Tagen, sprichtderHerr, werdeich ausgießen von meinem Geistüberalles Fleisch, undweissagen werden ihre Söhne undTöchter [… ] unddie Jungen werden Gesichte schauen und die Alten werden Träume träumen.“ (Perp. 1, 4)
Die Traumgesichte der Perpetua (Perp. 4–10) und des Saturus (Perp. 11–13) berichten vom Kampfund der Bewährung im Diesseits, wie sie im Martyrium vollzogen wird, sowie von der Schau des Jenseits und der Gewissheit, im Himmel mit allen vorangegangenen Märtyrerinnen und Märtyrern vereint zu sein. Sie nehmen
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Erinnerungen an biblische und frühchristliche Texte aufund verknüpfen diese mit dem autobiograpischen Zeugnis. Alle diese Texte fanden früh Verwendung in den liturgischen Lesungen an den jeweiligen Gedächtnistagen der Heiligen. Sie zeugten nicht nur vom konsequenten Leben der Märtyrer, sie waren weiterhin in den Gemeinden selbst Bestandteil des Lebens im christlichen Glauben. Immer wieder wurden sie herangezogen und überarbeitet. Oft lassen sich die verschiedenen Fassungen nicht mehr ihrer Entstehungszeit zuordnen. Der älteste Martyriumsbericht – ein Gemeindebrief – ist dem Tod des Polykarp in Smyrna 154/55 gewidmet. Hinzugekommen sind wohl im 4. Jahrhundert unter anderem Anhänge, welche die Überlieferungsgeschichte andeuten. Immer wieder wurden die Texte abgeschrieben; immer wieder ging es darum, herauszufinden, woher sie kamen und was ursprünglich und echt war und wer was aufgezeichnet und abgeschrieben hatte – ein Tun, das von großen Hoffnungen geleitet wurde, wie gerade auch beim Umgang mit diesem ältesten Dokument konstatiert werden kann: „Dies hat Gaius abgeschrieben aus den Aufzeichnungen des Irenäus, eines Schülers des Polykarp; erhatauch mitIrenäuszusammen gelebt. Ich Sokrates, habein Korinth ausderAbschrift des Gaius abgeschrieben. Gnade sei mit allen! Ich wiederum, Pionius, habe nach dem eben Beschriebenen die Abschrift gefertigt, als ich es aufgespürt hatte. Ich fandes aufGrundeiner Offenbarung des seligen Polykarp, der es mir zeigte, wie ich im Folgenden dartun werde. Ich habedieSchriftstücke, dievom Zahn derZeitfastvernichtetwaren, zusammengetragen, damit auch mich derHerrJesus Christus mitseinen Auserwählten zusammenführtin seinem himmlischen Reich. Ihm sei Ruhm mit dem Vater unddem heiligen Geist in alle Ewigkeit. Amen.“ (MartPol 22, 2–3)
Martyrien – Einzel - oder Massensch icksal e? Die Kan on i si erun g d er Erin n erun g
Martyrien waren zentral für die Schaffung christlicher Identität. 4 Die Behauptungsund Widerstandskraft, von welcher sie zeugten und die sie weiterhin in der Erinnerung repräsentierten, 5 sind zugleich ein wichtiges Element eines Prozesses, der eine Minderheits- zu einer Mehrheitsreligion machte. Bemerkenswert ist die Aufmerksamkeit, welche einzelne Märtyrer seit der Mitte des 2. Jahrhunderts erhalten haben. Mit dem Martyrium Polykarps und der Passio Perpetuae et Felicitatis haben wir die Anfänge einer Art biographischer Würdigung von Märtyrern vor uns. Als die Christenverfolgungen im Zuge der Reichskrise des
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Jahrhunderts zunahmen und gewissermaßen in Parallele zu den Kriegen gegen Germanen und Sassaniden die bedrängten und nur kurz regierenden Kaiser Decius (249–251) und Valerian (253–260) mit Edikten den Weg zu allgemeinen Christenverfolgungen eröffneten, verlor in Karthago auch Bischof Cyprian sein Leben. Zu dieser Zeit wurde intensiv um den Aufbau der Christengemeinden gerungen. Wie sollten sie organisiert sein? Wer hatte in ihnen welche Stellung, wer die höchste Autorität? Bei solchen höchst umstrittenen Fragen spielten das Verständnis und die Interpretation von Martyrien eine zentrale Rolle. Sie wurden als Mittel zur Sanktionierung von Positionen unter den Christen benutzt. Beim einflußreichen Autor und Kirchenpolitiker Cyprian wird dies besonders deutlich. Sein Martyrium ist in den Acta Cypriani (Passio Cypriani) in protokollarischem Stil aufgezeichnet. Überdies erhielt Cyprian eine Biographie, eine hervorragende Schrift, wie Hieronymus sagt und dabei den Namen des Autors, des Diakons Pontius, mitteilt (Hier. vir. ill. 68), von dem wir sonst nichts wissen. Pontius leitet sein Werk folgendermaßen ein: „Der fromme Vorsteher und ruhmvolle Zeuge Gottes Cyprian hat zwar viele Werke verfasst, durch die das Gedächtnis seines würdigen Namens fortzuleben vermag, und die Fruchtbarkeitseiner gottbegnadeten Beredsamkeithatsich in einer solchen Menge undFülle von Reden ergossen, dass er bis ans Ende derWelt gehört werden wird. Da auch seinen Werken undVerdiensten der Vorzug zukommt [, dass sie verewigt werden], schien es mir angebracht, einen kurzen Abriss davon zu geben [… ]. Nachdem unsere Vorfahren in ihrer Verehrung für das Martyrium überhauptsogar Plebejern undKatechumenen gegenüber, die das Martyrium erlangten, eine so große Ehre erwiesen haben, dass sie vieles oder, ich möchte fastsagen, so ziemlich alles über ihre Leiden (passiones) niederschrieben undso auch uns damals noch nichtGeborenen zur Kenntnis brachten, wäre es sicherlich eine Härte, das Leiden (passio) eines solch bedeutenden Bischofs undgroßen Märtyrers, wie Cyprian es ist, mitStillschweigen zu übergehen, der auch ohne das Martyrium unser Lehrer sein konnte.“(Pont. vita Cypr. 1 – deutsch Berschin 1986, 59)
Für Pontius ergibt sich die besondere Bedeutung des Blutzeugen Cyprian nicht allein durch seine passio und sein Martyrium (vgl. auch unten: Kapitel 4, im Abschnitt: Karthago). Die Schriften, Predigten, die Lehre und das Handeln Cyprians als Bischof allein würden dafür ausreichen. Sogar ohne Martyrium, so Pontius, wäre Cyprian ein lehrreiches Vorbild für die Christen. Pontius relativiert das Martyrium, ohne ihm seinen Wert abzusprechen. Denn Cyprian hatte sich nämlich während der Verfolgungen zunächst dem Martyrium entzogen. Die Gegner des Bischofs machten ihm dies zum Vorwurf: Cyprian sei schändlich „geflohen“. Die Rede von einer „Flucht“ Cyprians bedeutete einen massiven Angriff auf die von diesem einflussreichen Kirchenlehrer so fundamental beanspruchte Autorität
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des Bischofs und der Kirche. Zu Cyprians Anspruch auf die Macht der durch den Bischof geleiteten Kirche gehörte zentral die Vorstellung des richtigen Verhaltens angesichts der Verfolgungen. Vor „falscher“ Sehnsucht nach Martyrien und „falschen“ Martyrien hatte er immer wieder gewarnt. Martyrien von Häretikern außerhalb der Kirche seien nicht möglich. Zugleich hatte er mit allem Nachdruck zum Martyrium aufgerufen. Die Abtrünnigen (lapsi), die dem Druck der Verfolger nachgegeben und den heidnischen Göttern geopfert hatten, waren von ihm schärfstens kritisiert worden. Geschickt hob Pontius in seiner Biographie Cyprians als erstes die Leistungen des Bischofs heraus und stellte dann das Martyrium als eine Krönung seines Priestertums und Lebens dar, die dem heiligen Bischof und seiner Kirche ein herausragendes Ansehen verleihen würden. Aus dem Bericht des Pontius wird ansatzweise auch deutlich, wie unter den frühen Christen mit dem Verhältnis zwischen dem Schicksal Einzelner und der Vielen umgegangen wurde. Die Zahl der Opfer der Verfolgungen wurde als groß empfunden. Man strich heraus, dass sehr viele Menschen umgekommen waren. Die Zahlen lassen sich freilich nicht rekonstruieren, und man hat in der Forschung immer wieder über sie gestritten. Die frühen Christen sprachen, wie Pontius, von zahlreichen Opfern aus allen Schichten, aus allen Altersstufen und allen kirchlichen Rängen. Märtyrer würden Verehrung verdienen. Zugleich hat man indes differenziert und im Hinblick auf die soziale Hierarchisierung der christlichen Gemeinden manche Märtyrer ausgezeichnet. Bestimmte Martyrien erhielten höhere Wertschätzung, so das Martyrium des bedeutenden Bischofs Cyprian. Immer wieder sind das Vorbild solcher Märtyrer und die Berichte von ihrer Standhaftigkeit als beeindruckend bezeichnet worden. Vor allem herausgehoben worden sind der unerschütterliche Glaube, die mutigen Worte, die Leidensfähigkeit, die Gewaltlosigkeit und die Nachsicht gegenüber denjenigen, die verurteilten und folterten. Justin berichtet in der Mitte des 2. Jahrhunderts davon, wie sehr er Märtyrer bewunderte. Sie fürchteten sich vor nichts. Ihr Beispiel überzeugte Justin, Christ zu werden (Iust. Mart. 2 apol. 12; dial. 8–12). Justin erlitt dann selbst etwa 165 n. Chr. in Rom das Martyrium. 6 Aus der Zeit der Konstantinischen Wende gibt es bemerkenswerte Belege für einen starken Stolz auf die Märtyrer und die Behauptungskraft des Christentums. Das Schicksal der Opfer wurde als Sieg und Triumph der Einzelnen wie der Kirche interpretiert. Durch die Märtyrer sei ein Stück des Reiches Gottes in die Welt gekommen. In diesem Sinne behandelt Euseb in seiner Kirchengeschichte die Märtyrer in großer Ausführlichkeit. Dennoch bedürfen die Verfolgungen für Euseb einer Erklärung. Euseb sucht sie bei den Christen selbst und verweist prominent am Anfang seiner Kirchengeschichte auf Uneinigkeit unter den Christen und auf Vertreter falscher Lehren,
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die sich „wie wütende Wölfe“ „auf die Herde Christi“ gestürzt hätten (Eus. HE 1, 1, vgl. zur diokletianischen Verfolgung Eus. HE 8, 1, 6–7). Eine Generation nach Euseb gibt es in den Städten verschiedene christliche Gruppen, die jeweils ihre eigenen Märtyrer verehrten, unterschiedliche Orte der Verehrung hatten oder sich auch Märtyrer anderer Gruppen aneigneten. In der Spätantike gewannen überdies Formen des Martyriums ohne Blutvergießen an Einfluss. Die Asketen in der Wüste, die sich in einer neuen, konsequenten Form des Lebens in Glaube und Tugend behaupteten, wurden wichtiger und wichtiger. Unzählige Menschen eiferten ihnen nach. Das Martyrium erweist sich auch hier als ein Modell, das sich keineswegs nur auf die Behauptung im Tode bezieht, sondern vielmehr mit der Gestaltung des Lebens zu tun hat, und zwar individuellen Lebens wie des Lebens in der Gesellschaft. Auch Konflikte unter den Christen selbst führten manchmal zu blutigen Martyrien. Krasse Schilderungen solcher Ausschreitungen durch die arianischen Vandalen unter der Herrschaft Geiserichs (429–477) und seines Sohnes Hunerich (477–484) schildert Bischof Victor von Vita in seinem Werk Geschichte der Verfolgung in der Provinz Africa. Die Vandalen wussten zwar sehr wohl um die Ausstrahlungskraft von Martyrien (Vict. Vit. 1, 44. 47). Sie wollten keine Märtyrer auf der katholischen Seite schaffen. Selbst nahmen sie bekannte Märtyrerkirchen für ihren Gottesdienst in Beschlag, so die Basilica Maiorum in Karthago, in der die Gräber von Perpetua und Felicitas verehrt wurden (1, 9). Dennoch führten die Vandalenkönige, wie es Victor darstellt, eine eigentliche Verfolgung durch, die fortsetzte, was sich von Saulus bis Diokletian so oft wiederholt hatte. Victor betont die große Zahl der Opfer (1, 30; 2, 34; 3, 26) und hebt prominente Märtyrer hervor. So schreibt er unter anderem: „WiebedeutendeundwiezahlreicheBischöfedamals von ihnen gefoltertwurden, wervermag das anzugeben? Damals wurde ja auch der ehrwürdige bischöfliche Vorsteher unserer Stadt Panpinianus am ganzen Leibe mitglühendem Eisenblech gebrannt. Ebenso erlittauch Mansuetus von Uruc an der Porta Furnitana den Feuertod.“ (Vict. Vit. 1, 10)
Arianern und Donatisten war es zuvor nicht besser ergangen. Unter ihnen gaben viele ihre Leben für ihren Glauben hin und wurden zu Märtyrern. Nur hat die Kanonisierung der Überlieferung die Erinnerung an sie zurückgedrängt. Mit dem Begriff der „Kanonisierung“ sind hier nicht die erst viel später in Mittelalter und Neuzeit entwickelten kirchenrechtlichen Heiligsprechungsverfahren der römisch-katholischen Kirche gemeint. Vielmehr wollen wir damit Prozesse charakterisieren, die wir in den Einzelheiten nicht wirklich klar zu rekonstruieren vermögen. Ausgangspunkt war jedenfalls die Verehrung Verstorbener, und bei der Einrichtung von Kulten und der Einführung eines regelmäßigen liturgischem
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Gedenkens sind zweifellos immer wieder Ortsbischöfe maßgebend gewesen. Aber die tatsächlichen Akteure sind uns vielfach nicht bekannt. Zum Prozess der Kanonisierung gehören die Ausrichtung der Berichte von Martyrien auf kanonische, „richtige“ und „große“ Martyrien sowie eine allge-meine, breite Tradition von Martyrien überhaupt. Beide Vorgehensweisen ermöglichen es,
Abb.: 1 4: Märtyrerliste auf einem Mosaik des 6. Jahrhunderts aus der nordafrikanischen Bischofsstadt Uppenna im heutigen Tunesien 7
Abb. 1 5: Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna, Mosaikausschnitte von den Mittelschiffswänden: die spanische Märtyrerin Eulalia und die beiden römischen Märtyrerinnen Agnes und Agatha – der heilige Martin von Tours und die Päpste Clemens und Xystus
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die Probleme und Unklarheiten vergangener Vorgänge beiseite zu lassen. Vergangenheit und Erinnerung werden darstellbar und lassen sich dadurch für die Verwendung in der Gegenwart einsetzen. Das Potential der Martyrien kann so wiederum Wirkungen entfalten und der Bestärkung christlicher Gemeinschaften zugutekommen. Schaut man aufdie zahlreichen materiellen Zeugnisse, welche für das Dokumentieren von Martyrien eingesetzt worden sind, zeigen sich Vielfalt und Uniformität zugleich. Eine Märtyrerliste aus der Basilika von Uppenna ist ein Beispiel dafür. Sie befand sich im Innern des Martyriums der Kirche auf einem Mosaikboden mit einem zentralen Gemmenkreuz und zwei flankierenden Lämmern. Sie enthält Namen von Märtyrerinnen und Märtyrern, die in der Region wichtig waren und setzt ein mit den Worten: „Dies sind die Namen der Märtyrer“. Die Erinnerung gerade an diesen Kreis von Heiligen ist eine Besonderheit. Und doch hat sie etwas Allgemeines. Sie fügt sie sich in die Formen eines im gesamten Mittelmeerraum verbreiteten Kultes der Märtyerverehrung ein. Als der Ostgotenherrscher Theoderich in Ravenna Ende des 5. Jahrhunderts die heute Sant’Apollinare Nuovo genannte Kirche erbauen ließ, wurde sie dem Erlöser geweiht. Doch in der Kirche spielten auch der Märtyrerkult und die Erinnerung an eine spezifische Auswahl von Märtyrerinnen und Märtyrern eine wichtige Rolle. Wir wissen freilich erst für das ausgehende 6. Jahrhundert, welcher Heiligen in dieser Kirche gedacht wurden. In dieser Zeit entstanden unter Bischof Agnellus (556/57–569/70) im unteren Teil der Mittelschiffswände Mosaike, welche Prozessionen heiliger Frauen und Männer, zumeist Märtyrerinnen und Märtyrer, in Richtung Altar zeigen. 8 Zweifellos nahmen diese Kunstwerke viel von dem auf, was bereits in der Zeit des arianischen Gotenkönigs vorhanden und wichtig gewesen war. Man verwendete bestehende Mosaike, bezog sich auf in Ravenna gehütete Texte und bezog die Darstellungen zweifellos auf die vorhandenen Reliquien, die sich zum Teil eingebettet im Altar, zum Teil wohl in Reliquiaren befanden. Und doch wurde alles in eine neue Ordnung gebracht, die zugleich zur Hauptsache Ausdruck einer Märtyrerverehrung als etwas Prinzipiellem und Allgemeinem ist. Die einzelnen Heiligen sind zwar mit Namen angeschrieben. Wir haben es auch mit einer zu Ravenna durchaus passenden Zusammenstellung zu tun. Man hat versucht, die Heiligen als Individuen auszuzeichnen. Und doch wirken sie vor allem in ihrer Uniformität, so durch die einheitliche Kleidung: die Frauen mit Schleier, die Männer mit Tunika und Pallium. Alle tragen Kronen in den Händen. Ihre große Zahl und ihre Gemeinsamkeit durch ihre eindrucksvolle Ausrichtung aufden Glauben sind das Entscheidende. Das Einzelschicksal ist letzlich darin aufgehoben. Eingefügt in diese Zusammenhänge des Aufgehobenseins und der Einordnung sind auch die Stifter und Mächtigen der Zeit sowie die Hoffnungen aufderen „ewiges
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Leben“ beziehungsweise die Angst vor der „Hölle“. Zur Kirche Sant’Apollinare Nuovo gehört so die Erinnerung an den Ostgotenherrscher Theoderich, an Bischof Agnellus und an Kaiser Justinian. Dass Bischof Agnellus die Erinnerung an Theoderich tilgen wollte, wäre zu einfach gesehen: Zum einen gab es zwar die Auffassung, Theoderich sei ein Gewaltherrscher und Ketzer gewesen, der die Höllenstrafe verdiene (Greg. M. dial. 4, 30); aber man erinnerte sich zum andern auch an die Erfolge seiner Regierung. Gewiss gestaltete Agnellus die Kirche neu. Es sollte eine andere Kirche sein, nicht mehr die Palastkirche des arianischen Gotenkönigs. Eine Darstellung des Ostgotenkönigs an der Westwand der Kirche wurde zu einem Bild des Kaisers Justinian umgearbeitet. Doch aufTheoderich war nicht zu verzichten, die Erhaltung der Tradition der Märtyrer- und Heiligenverehrung ohne ihn war unmöglich. Der Liber pontificalis des Klerikers Agnellus aus dem 9. Jahrhundert berichtet von der Rekatholisierung der Kirche in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Die Kirche wurde nun unter das Patrozinium des Heiligen Martin gestellt. Agnellus allerdings erklärt dies als Entscheidung Theoderichs, vielleicht weil zum Gotenherrscher ein Militärheiliger gut passen würde. Details zu weiteren Heiligen fehlen in seinem Bericht. Die Erinnerung an Theoderich und vor allem BischofAgnellus ist in der zitierten Textstelle durchaus anschaulich: „Innerhalb der Stadt Ravenna rekatholisierte der allerseligste Bischof Agnellus auch die Kirche des heiligen Confessors Martin, die Theoderich gegründet hatte und die Caelum aureum [Goldhimmel] heißt. Die Apsis und die beiden Seitenwände stattete Agnellus mit Bildern in Mosaik von schreitenden Märtyrern undJungfrauen aus.“(Agnell. lib. pont. 86)
Die Präsenz des Schicksals der Heiligen wie auch derjenigen, die sich um dieses Schicksal kümmerten, hat nicht allein eine Funktion in der Strukturierung eines geistigen, spirituellen Raumes, nämlich der Erinnerung und des Umgehens mit Erinnerung. Die Darstellungen der Märtyrerinnen und Märtyrer sowie die an sie erinnernden Objekte machen gleichfalls den Kirchenraum zu einem Raum, der auf eine charakteristische Art und Weise gestaltet ist und in dieser Gestaltung wiederum zahlreiche Wirkungen ausübt, so für die liturgischen Abläufe, das Verhalten von Besucherinnen und Besuchern sowie deren Erleben, das offenbar bereits im 6. Jahrhundert – so jedenfalls Agnellus drei Jahrhunderte später – als Erfahrung eines „Goldhimmels“ verstanden wurde, eine Erfahrung, die noch über Jahrhunderte hinweg ähnlich wieder zu machen ist. In diesem „Goldhimmel“ schreiten denn Besucherinnen und Besucher wie die Märtyrerinnen und Märtyrer Richtung Altar. Emotionen und Erinnerungen begleiten sie. Was sich historisch ereignet hat, bleibt dabei indes weitgehend vergessen.
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1 Aus der breiten Literatur sei – ein freilich umstrittenes Werk – genannt: M. Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, Stuttgart 1999, Darmstadt bzw. München, Leipzig 2001 und 2002. Clauss betont, der römische Kaiser sei „bereits als Mensch Gottheit“. Damit verkörpere er ein „typisches Merkmal antiker Göttlichkeit in herausragender Weise“, „nämlich die Mittlerstellung zwischen Mensch und Gottheit“ (13). 2 Freudenberger 1969. Vgl. aus der reichen Literatur etwa auch Cook 2010. 3 Die Rezeption der Thematik der Christenverfolgungen in Literatur und Kunst möge durch diese beiden Bilder wenigstens ganz kurz berührt sein. Traditionelle Hilfsmittel wie das Lexikon der christlichen Ikonographie bieten eine wertvolle Ausgangsbasis. 4 Siehe dazu Diefenbach 2007; Jensen 2010; Moss 2010. 5 Siehe dazu Castelli 2003. 6 Vgl. K. Wojciech: Die Stadtpräfektur im Prinzipat, Bonn 2010 (Antiquitas. Abhandlungen zur Alten Geschichte 57), 292–301. 7 Duval 1982, 63–67 [Nr. 29]; Yasin 2009, 71–73; 176–179. 8 Zuletzt (grundlegend nach wie vor F. M. Deichmann): D. M. Deliyannis: Ravenna in Late Antiquity, Cambridge u. a. 2010, 164–172.
4 Städte und ihre Märtyrer
Das Christentum erfasste das Land wie die Städte, doch die stärkere Ausstrahlung erlangte es in den Städten. Bei ihnen liegt denn in diesem Kapitel der Schwerpunkt, wobei wir uns auf eine Auswahl beschränken mussten und auch innerhalb des Behandelten Schwerpunkte setzten. Zumindest sollten verschiedene Reichsgebiete berücksichtigt werden. Hauptstädten haben wir den Vorzug gegeben. Die Bedeutung des Christentums in den Städten war so groß, dass die Heiden folgerichtig seit der Spätantike polemisch abwertend als pagani bezeichnet worden sind, als diejenigen, die in den Dörfern und auf dem Lande lebten und rückwärtsgewandt weiterhin dem Aberglauben frönten, ein Bild, das freilich mit der Realität wenig zu tun hat, denn auch die alten Kulte hatten ihre stärkste Ausprägung in den Städten. Und umgekehrt gab es gerade auf dem Lande christliche Zentren. Ein Blick auf das Land
Dort wo die spätrömische Zivilisation auf dem Land wirkte, so in Kerngebieten römischer Macht, gab es prominent sichtbar die großen Domänen und die Villen der aristokratischen Gesellschaft, auf denen im Ausgleich zur aufreibenden dienstlichen Tätigkeit in den Städten die Muße gepflegt wurde. Manche Großgrundbesitzer wandten sich dabei dem Studium christlicher Texte, der Meditation und Askese zu. Ihre Sitze konnten zu Keimzellen des Christentums werden. 1 Der reiche Aquitanier Paulinus und seine ähnlich begüterte spanische Frau Therasia zählen zu jenen Landbesitzern, welche sich dem Christentum und der Askese zuwandten. Eindrucksvoll zeugt das Leben des Paares im Pilgerzentrum bei Cimitile / Nola von dem tiefen Wertewandel, der die Gesellschaft damals erfasste und gerade in den senatorischen Oberschichten ein starkes Echo fand. Kein Wunder finden wir unter den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern Cimitiles manche klangvollen Namen der spätrömischen Aristokratie. Ein weiteres Beispiel bietet die ältere Makrina. Sie zog sich zusammen mit ihrem Mann während der Christenverfolgungen unter Maximinus Daia während sieben Jahren auf ihre
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Städte und ihre Märtyrer
Besitzungen im Pontos zurück. Für Gregor von Nazianz waren die beiden „lebende Märtyrer“ (Greg. Naz. or. 43, 5). Auf den Gütern der Familie gab es eine Kirche der 40 Märtyrer von Sebaste: Dort waren die Eltern (der ältere Basileios und Emmelia) bestattet. Als Makrina starb, setzte man sie im elterlichen Grabe bei. Gregor von Nyssa berichtet in der Biographie Makrinas von der Beisetzung seiner Schwester (Greg. Nyss. v. Macr. 33–35). Aufdem Land, aber doch in der Nähe von Städten, befanden sich sodann etliche Pilgerheiligtümer in Syrien. Im Gebiet der sogenannten „Toten Städte“, rund 700 Ortschaften zumeist dörflichen Charakters im nördlichen syrischen Kalksteinmassiv, die im 8. Jahrhundert verlassen wurden, liegt das berühmte Symeonskloster von Qalޏat Simޏān. Um die Säule herum, auf der der Asket Symeon gelebt hatte, entstand mit kaiserlicher Unterstützung eine gewaltige Wallfahrtsanlage. Sie entwickelte sich bis ins 6. Jahrhundert. Viele Pilger besuchten den Ort. Im 7. Jahrhundert gingen die Besucherzahlen schließlich zurück. Der Kult des Symeon blieb freilich weit herum bekannt. BischofTheodoret von Kyrrhos berichtet von der Anziehungskraft des Säulenheiligen und „Märtyrers zwischen Himmel und Erde“ – wie er später genannt worden ist – ungefähr 15 Jahre vor dessen Tod (Symeon starb 459): „Als nun sein Rufnach allen Seiten drang, liefalles zusammen, undnichtnur die Nachbarn, sondern auch Leute, welche mehrere Tagesreisen entfernt waren. Die einen brachten Lahme herbei, dieanderen baten fürKrankeum Gesundheit, anderewünschten Väterzu werden [… ] Undwenn sie ihre Bitten erfülltsahen, kehrten sie freudigzurück, verkündeten die empfangenen Wohltaten undentsandten weitereScharen mitgleichen Anliegen dorthin. So kommen sie von allen Seiten, undjeglicherWeg gleicht einem Flusse, undum seine Stätte glaubt man ein brandendesMenschenmeerzuschauen, dasdieStrömevon überallherin sichaufnimmt. Nicht nur die Bewohner des Landes drängen sich dort zusammen, sondern auch Ismaeliten, Perser und die von ihnen unterjochten Armenier, Iberer, Homeriten undVölkerschaften, die noch weiter im Innern wohnen. Es kommen auch viele vom äußersten Westen, Spanier undBriten undGallier[… ]Von Italien brauchen wirnichtzu sprechen. Denn so berühmtsollderMann in dem großen Rom geworden sein, dassman in allenVorräumen vonWerkstätten kleineBilder von ihm aufstellt, die Schutz undSicherheit verschaffen sollen. Da die Zahl der Pilger stetig wuchs undalle ihn berühren undvon seinem PelzmantelSegen holen wollten, war er aufden Gedanken gekommen, sich aufeine Säule zu stellen [… ] Undman kann kommen sehen, wie ich sagte, Iberer, Armenier, Perser, diedortdiegöttlicheTaufeempfangen. Ismaeliten kommen in Haufen, zuHunderten, zuZweihunderten, jazuTausenden, schwören lautdem heimischen Betrugab, zertrümmern [… ]die von ihnen verehrten Götzenbilder, entsagen den Ausschweifungen derAphrodite[… ]IchwarAugen-undOhrenzeuge[...].“(Theod. h. relig. 26, 11–13)
Vor Alexandria erhielt die Verehrung für den ägyptischen Soldaten Menas im ausgehenden 4. Jahrhundert eine wichtige Kultstätte. Menas war zusammen mit
Veränderung der Vorstellung vom Martyrium
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seiner Kohorte unter Diokletian nach Kotiaion bzw. Cotyaeum in Phrygien gekommen. In dieser Stadt – die Überlieferungen bieten freilich verschiedene Varianten seiner Geschichte – habe er das Martyrium erlitten. Seine Reliquien seien nach Ägypten übertragen worden. Dort entstand ein Wallfahrtsort. Das kultische Zentrum war wohl die Kirche über der Märtyrergruft. Zahlreiche Bauten und Einrichtungen fügten sich an, so eine Basilika, ein Baptisterium, Friedhöfe, Klosteranlagen und Pilgerherbergen. Eine große Anziehungskraft übte der Wallfahrtsort durch sein Heilzentrum aus, in dem Kranke durch den Schlaf in unmittelbarer Nähe zum heiligen Ort gesund werden konnten. 2
Veränderungen der Vorstellungen vom Martyrium und von der Märtyrerverehrung Die Vorstellungen vom Martyrium und von der Märtyrerverehrung wurden in der Zeit nach Konstantin erweitert. So kamen in die Nähe des Begriffes des Martyriums auch die conversio (Bekehrung), die confessio (Bekenntnis) und die heiligmäßige Lebensführung, primär die asketische Lebensführung. Die Märtyrerverehrung erhielt neue Ausrichtungen und Ausformungen: Das Christentum war nun keine religiöse Minderheit mehr, die Grabstätten der Märtyrer wurden ausgebaut und von immer mehr Menschen aufgesucht. Wenn man beim Eintritt in ein Heiligtum die Schwelle küsste, man vor dem Grabe oder den Reliquien der Märtyrer niederkniete oder sich auf den Boden oder das Grab legte, ja das Grab und die Reliquien mit den Lippen berührte, weinte, Lampen und Kerzen brennen ließ und Gaben darbrachte, so war man unter vielen, und zwar unter Christen – was einem kritischen Beobachter deswegen als bemerkenswert hätte vorkommen können, weil in heidnischen Heiligtümern eigentlich ganz ähnliche Bräuche gepflegt worden waren und zum Teil immer noch wurden. Die Kirchenlehrer haben immer wieder voller Misstrauen über solche und weitere Sitten geschrieben, mit wenig Erfolg. Es war nicht zu verhindern, dass an den beliebten Festen für die Märtyrer an den Gräbern gegessen und getrunken wurde und sich manche dort gar dem Tanz und der körperlichen Passion hingaben. Die für das Christentum charakteristische Vorstellung, es gebe eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, die beide in ihrem Dienst und Kampfaufihre Weise von der Wahrheit und der Hoffnung zeugen und das ewige Leben gewinnen würden, wurde noch stärker und noch augenscheinlicher öffentlich gemacht. Spöttisch wurden die Christen von Seiten mancher Heiden gar als Gräberbesucher abqualifiziert, was wiederum Entgegnungen von christlicher Seite hervorrief (so: Theod. Graec. affect. cur. 8, 11 ff.). Der Wandel der Werte, der Kultur und der Religion kamen einer Revolution
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Städte und ihre Märtyrer
gleich. Die Vorstellungen der Bekehrung und Umkehr, wie sie beim Eintritt in Philosophenschulen von Bedeutung waren oder bei der Einweihung in die Mysterienkulte eine Rolle spielten, wurden mit neuen Inhalten gefüllt. Conversio bezeichnete den Übertritt zum Christentum und oft die Hinwendung zum asketischen Leben. Ein Konversionsbericht findet sich in Augustins Confessiones. Augustin fasst dort in Worte, wie sehr ihn der Vorgang aufwühlte und wie umfassend er dabei verändert wurde. Die Asketen, die im Sinne der Tradition der militia Christi ein blutloses Martyrium lebten, wie man es in der Lebensbeschreibung des Antonius kennenlernte, beeindruckten Augustin und seine Freunde so stark, dass Augustin die zu einem neuen Leben führende Erschütterungen mit einer Geburt und Geburtswehen vergleicht (conf. 8, 6, 15). Solche Wenden im Leben haben Vorbildcharakter. Augustin schildert in den Confessiones seine eigene conversio wie auch weitere Bekehrungen. Eine faszinierende Geschichte verdankte er einem afrikanischen Landsmann Ponticianus, der am kaiserlichen Hofe diente und dadurch in die Reichshauptstädte Trier und Mailand kam. Wie auch für Augustin selbst, waren ursprünglich für diesen Mann Ziele des Lebens „Ehre, Reichtum und Ehe“ gewesen – Augustin meint, er selbst habe geradezu danach gegiert (conf. 1, 6, 9). Doch auf einmal hörte Ponticianus zusammen mit Kameraden vom asketischen Leben – und orientierte sich zumindest halbwegs neu. Ponticianus besuchte Augustin in Mailand im Sommer 386 – nicht ganz ein Jahr vor der Taufe Augustins in der Osternacht 387. Er erzählte Augustin und dessen Freund Alypius, wie er einige Jahre zuvor in Trier die Lebensbeschreibung des Mönchsvaters Antonius kennengelernt hatte. Auf einem Spaziergang in den Gärten vor den Stadtmauern der Kaiserresidenz Trier sei er mit drei Kameraden zu einem kleinen Haus gelangt, wo Mönche gewohnt hätten. Der Kaiser selbst (wohl Gratian), dem sie ihren Dienst leisteten, habe eben den Zirkusspielen zugeschaut. Zwei der vier Kameraden hätten im Haus der Mönche die Lebensbeschreibung des Antonius gelesen. Die Lektüre fesselte und erregte sie; sie schenkte ihnen jene ersehnte Aussichten, die ihnen in ihren alltäglichen Anstrengungen immer wieder weggenommen wurden: Weder im Zirkus noch in der Liebe – so empfanden sie es – kamen sie je zum Ziel. Immer wieder blieb die erstrebte Gunst unerreichbar. Der Kaiser blieb unzugänglich, die Geliebten versagten sich. Ständig neue Unsicherheiten und Gefahren öffneten sich. Der Kampf und die Suche bei der Askese indes richtete sich auf Wahrheit, Gott und gutes Leben. Dies schien den Männern in ihrer Frustration und auch darüber hinaus etwas Lohnendes zu sein: Die Worte der Lebensbeschreibung und das Vorbild des Antonius packten Ponticianus und seine Freunde. Das Gespräch und die Auseinandersetzung mit der enttäuschenden sozialen Wirklichkeit lösten
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bei ihnen eine innere Umwandlung aus; sie verwarfen das frühere Leben und entschlossen sich, ihre Liebe und ihr Leben Gott zu widmen und auf Beamtenlaufbahn und eine sexuelle Gemeinschaft zu verzichten. Die mit ihnen verbundenen Frauen, beide verlobt, hätten sich ebenfalls der Jungfräulichkeit gewidmet, so Ponticianus. Über das, was in ihnen vorging, erfahren wir nichts. Ponticianus selbst sowie der dritte der ihn begleitenden Kameraden vom Hofe konnten sich jedenfalls nicht zu einer solch konsequenten conversio entschließen. Vielleicht interpretierten sie ihre Gefühle unterschiedlich, vielleicht empfanden sie sie auch anders, als es Ponticianus beschrieben hat. Augustin, der die hier wiedergegebene und auf seinen Angaben beruhende Geschichte von Ponticianus gehört hatte, war auch erst auf dem Weg zur Umkehr. Noch hoffte er auf Erfolg am Hof, noch las er Cicero, obschon ihn das von Ponticianus Gehörte ebenso in seinen Bann zog wie die Predigten und die Ausstrahlung des Bischofs Ambrosius. Der Zwiespalt des Willens zerriss ihn damals. Der innere Kampf wurde immer heftiger, zur Folter, zur Krankheit – positiv gesehen zu einem Martyrium, wie es ähnlich bei Antonius und Christus zu sehen ist: „So war ich krank und quälte mich mit Selbstanklagen [...].“ (conf. 8, 11, 25) Von Antonius hatte Augustin auch vernommen, dass für ihn ein Bibelwort bei der conversio wichtig war, und dies wiederholte sich auch bei ihm selbst, wie er an einer berühmten Stelle seines Konversionsberichtes ausführt, die er damit einleitet, dass ihm ein Kind zuruft: „Nimm und lies – tolle lege!“ (conf. 8, 12, 29–30). Obschon das Geschehen noch komplexer ist und ebenso die Wünsche seiner Mutter oder die Auseinandersetzung mit dem Neuplatonismus hinzugetreten sind, sieht Augustin hier jedenfalls eine Wende. Einen weiteren Faktor, der zugleich für dieses Kapitel wichtig ist, bilden die Kirche und die Kirchenbauten. In einem gewissen Sinne kann man sagen, dass es bei der Annahme des Christentums zur Hauptsache darauf ankomme, christlich zu leben. Die allerersten Christen waren nicht in Kirchen zusammengekommen. Als die Feier des Mahls zum Mittelpunkt der liturgischen Feiern bei den Zusammenkünften geworden war und ein christlicher Kult gepflegt wurde, nannte sich die Kultgemeinschaft ekklesía. Sie verstand sich als auserwählte Gemeinschaft, und diese Gemeinschaft war das Zentrale, nicht die Kirche als Bau. Wie es in der Apostelgeschichte heißt, „wohnt der Höchste nicht in Wohnungen, die von Menschenhand gemacht sind“ (Apg 7, 48). Paulus habe in Athen gesagt: „Der Gott, der dieWeltgeschaffen hatundalles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.“ (Apg 17, 24)
Doch es war ebenso klar, dass die Christen regelmäßig zusammen kamen. Justin zum Beispiel schreibt Mitte des 2. Jahrhunderts darüber:
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„An dem Tage, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder aufdem Lande wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen [...].“ (Iust. Mart. 1 apol. 67, 3)
Ob es nun um Zusammenkünfte oder privates Beten und Meditieren ging: Man bedurfte passender Räume. Zuerst ging man in private Gebäude. Erst später, in der Zeit Konstantins, begann man Sakralbauten zu errichten, die den Gemeinden gehörten. Zugleich entwickelte sich die charakteristische Kirchenarchitekur. 3 Kirchenbauten sollen bis heute repräsentieren, was in den christlichen Gemeinden lebendig ist. Sie bezeugen die erfolgreiche und ständig erneuerte conversio. Sie bieten Raum für die Performanz christlichen Lebens in christlichen Gemeinschaften, die als Nachfolge Christi, der Apostel und der Märtyrer gedeutet wird. Die Liturgie gibt der Architektur die grundlegenden Vorgaben. Dies geschieht in einem – spirituell zu verstehenden – Netzwerk von Orten und Bauten, für das immer wieder Jerusalem zentral ist, die Stadt des Todes und der Auferstehung Christi, Chiffre der Hoffnungen im christlichen Glauben schlechthin. Ausgerichtet auf Christus sind gleichfalls die Märtyrer, deren Verehrungsstätten ähnlich wie die Grabeskirche in Jerusalem Bezugspunkte des Glaubens sind. Augustin in Mailand erlebte das Engagement des von ihm bewunderten Bischofs Ambrosius nicht nur für die Ausbreitung asketischen Lebens, die theologische Fundierung der christlichen Lehre, die Exegese der biblischen Texte und die sozialen und politischen Aufgaben der Kirchen, sondern gleichfalls für den Kirchenbau, den Märtyrerkult, und die liturgischen Feiern. Dabei setzte sich Augustin durchaus auch mit der Frage auseinander, wie wichtig die Kirche sei. So berichtet er von der spöttischen Frage des greisen Marius Victorinus, des großen neuplatonischen, urspünglich heidnischen und dann zum Christentum konvertierten Gelehrten, ob denn die Kirchenwände einen zum Christen machen würden (Ergo parietes faciunt christianos? – conf. 8, 8, 24). Victorinus habe Angst gehabt, sich zur Kirche zu bekennen. Dabei war gerade dies zentral. Das Christentum verlangte das Bekenntnis zur Kirche. Für Halbheiten sollte es keinen Platz mehr geben. Man forderte Unterweisung und Taufe für alle. Und Victorinus, der bedeutende und von Augustin bewunderte Philosoph, Redner und Autor, der sich in seinen Schriften mit heidnischen wie christlichen Texten auseinandersetzte, hatte dies denn auch getan, sich taufen lassen und öffentlich das Glaubenbekenntnis abgelegt. Hätte dies seine Ehrung durch ein Standbild auf dem Trajansforum hinfällig gemacht? In seinem letzten Lebensjahr zwang es ihn jedenfalls, auf seine Lehrtätigkeit zu verzichten: Kaiser Julians Edikt von 362 untersagte Christen Grammatik- und Rhetorikunterricht. Der Gesang von Hymnen und Psalmen, den Ambrosius nach dem Brauche im Osten in Mailand eingeführt hatte, bestärkte die Menschen, wenn sie durch innere
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oder äußere Konflikte geschwächt waren: Er rührte Augustin zu Tränen. Die Leiber der Märtyrer Gervasius und Protasius, die Ambrosius aus einem „geheimen Schatzhaus“ in der Erde unversehrt ans Licht zu bringen vermochte und in seiner Basilika unter dem Altar beisetzte, um den Glauben zu fördern, bewirkten Wunder (Aug. conf. 9, 7, 15–16). Bei der Taufe konnte Augustin nicht satt werden an dem „wunderbaren süßen Genuss“ der Betrachtung der Pläne Gottes – er weinte bei Hymnen und Gesängen und war bewegt vom Widerhall der Stimmen der Gläubigen in der Kirche: „Jene Klänge flossen in meine Ohren, Wahrheitträufelte in mein Herz, fromme Empfindungen wallten auf, die Tränen liefen, undwie wohlwar mir bei ihnen zumute!“(Aug. conf. 9, 6, 14)
Die Resonanzen, welche Kirchenräume und liturgische Feiern auslösen, schildert Augustin aufeine Art und Weise, die sie offenbar emotional nachvollziehbar machen sollen.
Wirkungen der Christianisierung Die beschriebenen Veränderungen der religiösen Mentalität gehören in eine Welt, die politisch immer wieder erschüttert wurde. Zu den starken Elementen der Kontinuität und der Sicherheit zählen die materiellen Strukturen des rund um das Mittelmeer angelegten Reiches: Das Imperium Romanum war und blieb zur Hauptsache ein Verband blühender Städte und Gemeinden, und in vielen Gemeinden gab es zumindest eine doch wenigstens elementare städtische Struktur. Städte und Gemeinden bildeten das Rückgrat der Macht und der Wirtschaft. Die beginnende Völkerwanderung führte zwar zu massiven Gefährdungen der römischen Lebenswelt. Obschon die Migrationen in der Folge zweifellos viel Schaden anrichteten, ja mit einem Sturm der Verwüstung gleichgesetzt werden können, so überdauerten dennoch wichtige Elemente der römischen Zivilisation. Es passt zu diesem Sachverhalt, dass das Gefühl gesellschaftlicher, kultureller und politischer Zusammengehörigkeit ganz wesentlich auch mit einem immer wieder geäußerten Stolz auf den Wohlstand und die bauliche Ausgestaltung von Städten verknüpft war. Herrscher und reiche Wohltäter kümmerten sich seit jeher darum und stifteten Foren, Nymphäen, Statuen, Theater, Thermen und oft auch Tempel. Der Redner Libanios schildert in seiner Lobrede auf die Stadt Antiochia, die er 356 gehalten hat, solche Tätigkeiten mit den Worten:
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„Da errichtete der eine ein Heiligtum des Minos, der andere eines der Demeter, ein anderer eines des Herakles [… ] Dieser schufein Theater und jener ein Rathaus, einer ebnete die Straßen, und andere leiteten das Wasser der Nymphen in Aquädukten [… ] Tempel um Tempel wurde errichtet, bis der größere Teil der Stadt von Heiligtümern beschützt wurde. Denn der Sitz eines Gottes ist für die Stadt beides zugleich: Schmuck und Schutz.“ (Lib. or. 11, 125)
Rom war voller gestifteter Bauten, Tempel nahmen darunter offenkundig einen wichtigen Platz ein. Ausonius schreibt in seinem Gedicht Ordo urbium nobilium vom „goldenen“ Rom, es sei ein „Haus der Götter“ (Auson. urb. 1). Doch zeitgenössische Betrachter hoben unterschiedliche Aspekte hervor. Wie der Historiker Ammianus Marcellinus es schildert, war Kaiser Constantius II. bei seinem Rombesuch im Jahre 357 besonders durch die Bauten auf dem Forum und das Trajansforum beeindruckt. Bei den übrigen Sehenswürdigkeiten fiel ihm auf, dass alles, was er sah, höher und größer war, als er es kannte, so auch der Tempel des Jupiter auf dem Kapitol und das Pantheon (Amm. 16, 10, 13–17). In der Folge entschied er sich, sich selbst in Rom durch die Aufstellung eines Obelisken im Circus Maximus zu verewigen. Mit Konstantin wurde es üblich, in Städten auch Kirchen zu bauen. Konstantin kümmerte sich indes bei weitem nicht allein um das Neue, das heißt christliche Sakralbauten. Die von ihm neu gegründete und am 11. Mai 330 feierlich eingeweihte Hauptstadt Konstantinopel, deren Neubau unter anderem mit konfisziertem Tempelgut finanziert worden war, kopierte in vielem das alte Rom und seine traditionellen Einrichtungen. Der heidnische Historiker Zosimos schreibt, Konstantin habe dabei auch Tempel für die Tychen von Rom und Konstantinopel errichten lassen (Zos. 2, 31, 2–3), und zwar im Stadtzentrum an der Marktbasilika. Doch wird dann sofort klar, dass die Bauten nicht notwendig als Beleg für das Weiterwirken heidnischer Gesinnung bei Konstantin verstanden werden müssen. Vielmehr ging es hier offenbar darum, das neue Konzept der zwei Reichszentren, wie es auch in der Prägung von Münzen und Gedenkmedaillons sichtbar wird, mit zwei Personifikationen anschaulich zu machen: Für den ersten Tempel verwendete man eine Statue aus Rom, für den zweiten arbeitete man eine Darstellung der kleinasiatischen Göttermutter Rhea um: Man entfernte die Löwen zu beiden Seiten und veränderte die Haltung ihrer Hände, so dass sie zu beten schien. Auch der Bau eines Kapitols in Konstantinopel, der möglicherweise auf die Zeit Konstantins zurückgeht (aber allerdings dem römischen Kapitol nicht entspricht) kann zeigen, dass die Christianisierung mit einer Art religiösem Nebeneinander einhergeht. Man darfhier vielleicht auch noch anfügen, dass Konstantin nach seinem Sieg über Maxentius im Jahre 312 den Triumph bis auf das Kapitol geführt hatte,
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aber es sollte nicht übersehen werden, dass die Quellen über ein Opfer dort schweigen und der heidnische Historiker Zosimos berichtet, Konstantin habe sich feige vor einem Gang auf das Kapitol abschrecken lassen, eine Geschichte, die er mit den Vorgängen um das blutige Familiendrama in der Familie Konstantins im Jahre 326 verknüpft (Zos. 2, 29, 5) – damals wurden auf Anordnung des Kaisers hin sein Sohn Crispus und seine zweite Gemahlin Fausta getötet. Euseb von Caesarea hingegen, der in seiner Lebensbeschreibung des Kaisers „allein das, was sich aufdas Gott wohlgefällige Leben bezieht“ zu erzählen und aufzuschreiben für angemessen erachtet (Eus. vita Const. 1, 11, 1), lässt diese grauenvollen Ereignisse beiseite. Die Distanzierung Konstantins von Opfern und heidnischen Kulten streicht er viel stärker heraus als Zosimos. Wenn Konstantin in der neuen Reichshauptstadt beispielsweise Götterstatuen auf Marktplätzen aufstellen ließ, so habe er damit den Triumph des Christentums deutlich machen wollen (Eus. vita Const. 3, 54, 2). Mehrfach berichtet Euseb auch von Zerstörungen heidnischer Tempel und dem Bau von Kirchen an den Stellen der vernichteten Heiligtümer. Solch rücksichtsloses Vorgehen gegen die alten Kulte sollte sich noch wiederholen. Dabei kam es nicht selten zu Gewaltausbrüchen mit vielen Toten. Aufchristlicher Seite sah man in den bei Ausschrittungen umgekommenen Christen nicht selten Märtyrer. Doch die unter den Altgläubigen Gefallenen haben manchmal zu Recht ein höheres Ansehen zugesprochen erhalten, erinnert sei beispielsweise an die brutal ermordete Philosophin Hypatia in Alexandria. Auch Christen, so der Kirchenhistoriker Sokrates von Konstantinopel um 440, rechneten es Kyrill und der Kirche von Alexandria als Schande an, dass man die Philosophin im März 415 auf bestialische Art und Weise ermordet hatte: Auf der Rückkehr in ihr Haus habe man sie gepackt, in die Kaisarionkirche gezerrt (die sich dort erhob, wo einst ein Tempel zu Ehren Caesars gestanden hatte und den offiziellen Titel „Große Kirche“ oder Kyriakón trug), der Kleidung beraubt und mit Hilfe von Scherben (óstraka) getötet (Sokr. 7, 15, 5). In Alexandria hatte man zuvor das Sarapeion mit seinen zwei Bibliotheken, dem Stolz der Stadt, zerstört (Amm. 22, 16, 7). Der Kirchenhistoriker Rufin schreibt, es sei in eine Kirche umgewandelt worden (hist. 11, 27; vgl. Soz. h.e. 7, 15, 10). Bischof Theophilos aus Alexandria war überzeugt, dass dies alles als höchst positiv und ehrenwert zu betrachten sei. Voller Abscheu und Zorn berichtete hingegen Eunapios von Sardis von den Vorgängen. Er konnte kaum fassen, was die Mönche, die dort einzogen, angeblich taten: „Sie sammelten die Knochen undSchädelvon Leuten, die bei mannigfaltigen Verbrechen zur Hinrichtung geführt worden waren [… ], erklärten sie zu Göttern, trieben sich bei den Knochen herum unddachten besserzu werden, wenn sie sich bei den Gräbern verunreinigten.
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‚Märtyrer’ wurden sie nun genannt und ‚Diakone’ und ‚Botschafter der Gebete zu den Göttern’ [...].“ (Eun. vit. soph. 472)4
In Menouthis ließ BischofKyrill ein Pilgerheiligtum einrichten, das den Märtyrern Johannes und Kyros gewidmet war. 5 Wo einst Sarapis und Isis geheilt hatten, wirkten fortan die beiden Heiligen Wunder. Sophronios von Jerusalem, der selbst dorthin gereist war, um sich von einem Augenleiden zu kurieren, hielt Berichte von Wundern und Heilungen anfangs des 7. Jahrhunderts fest. Nicht nur im Osten, auch im Westen entstanden dort, wo einst pagane Heiligtümer gestanden hatten, vielfach – aber nicht immer – Kirchen und Pilgerzentren. Kontinuitäten lassen sich auch an Plätzen beobachten, die für den Totenkult wichtig waren. In Nola erhob sich das christliche Pilgerzentrum auf einer einstigen heidnischen Nekropole. Paulinus von Nola, der sich um die bauliche Ausstattung der Wallfahrtsstätte für den Heiligen Felix in Nola kümmerte und die Kirchenbauten dort anschaulich beschrieben hat, hat in einem seiner Gedichte zum jährlichen Festtage des Felix dem Gedanken dichterischen Ausdruck verliehen, dass Gott überall hin Heilige geschickt habe, um den Menschen das Heil zu bringen. Aufdem Lande wie in den Städten wirkten sie. In Nola war dies der Bekenner (confessor) Felix. Die bedeutendsten Heiligen waren in den großen Städten nötig, denn dort drängten die Leiden und Probleme der Menschen am stärksten und zahlreichsten: „[...] gewiss halten auch kleine Orte einige umschlossen der Märtyrer, doch die bedeutendsten selbst hat Gott in die weiten Mauern geführt und sie nach ihrem Tode verteilt aufwenige Plätze [...]“ (Paul. Nol. carm. 19, 48–52)6
Mit dem Christentum hielten weitherum Kirchenbau und Heiligenkult Einzug. In der Legende der sieben Schläfer von Ephesos sind Staunen und Stolz über die Christianisierung der Großstadt an der kleinasiatischen Küste anschaulich festgehalten. Während der Verfolgungen unter Kaiser Decius hätten sich sieben Christen in eine Höhle nahe bei Ephesos geflüchtet. Gott habe sie in einen „süßen Schlummer“ versetzt, aus dem sie 100 Jahre später – nun unter der Regierung des christlichen Kaisers Theodosius II. – erwacht seien. Mittlerweile hatte sich das Christentum im Reich durchgesetzt. Die Heiligen hätten es kaum zu fassen vermocht: Über dem Stadttor prangte das Kreuz; die Stadt war voller Kirchen. Der Eindruck, den die Veränderungen der Stadt auslösten, durchzieht alle Fassungen der Legende, die auch im Westen sehr bekannt war. 7 Die urbane Kultur veränderte sich, und wenn nun von den Städten gesprochen wurde, so dachte man auch an die neuen christlichen Sakralbauten und die Heiligen der Städte. Ihre Präsentation erfolgt freilich auf eine neue Art und Weise. Kirchenbauten erscheinen beispielsweise nicht auf Münzen, obschon Tempel in
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früheren Zeiten doch so geläufig waren. Dafür entwickelte sich eine Kunst der literarischen Beschreibung von Kirchen. Auf Mosaiken aus der Mitte des 6. Jahrhunderts werden Kirchen abgebildet, und möglicherweise zeigt bereits das Yakto-Mosaik (Megalopsychia-Mosaik) im 5. Jahrhundert eine Kirche neben dem Kaiserpalast in Antiochia, überdies die Werkstatt zur Herstellung von Pilgerandenken neben dem Babylas-Martyrium in Daphne. Stolz mit der von ihm erbauten Kirche in den Armen erscheint aufdem Triumphbogenmosaik seiner Basilika BischofEuphrasius in Poreč. Auf der Mosaikkarte in Madaba ist Jerusalem so genau dargestellt, dass sich die Grabeskirche erkennen lässt. 8 In manchen Predigten wird vom Schutz der Heiligen für die die Städte gesprochen, so bei Johannes Chrysostomos in seinem Lob auf die ägyptischen Märtyrer (PG 50, 694) oder Avitus von Vienne bei der Einweihung einer Kirche in Genf, Grenoble oder Vienne (Avit. homil. 24 [MGH AA 6, 2, p. 145, l. 5 ff.]). 9 Der Vergleich von Städten mit Jerusalem erhielt in der Spätantike neue Nahrung. Nicht zuletzt gilt dies für Rom, das die Christen allerdings auch immer wieder als sündiges Babylon gebrandmarkt haben. In jeder Stadt gab es wie in Jerusalem heilige Stätten, nirgends waren sie freilich so zahlreich wie in Rom. Sinnfällig hatte Kaiser Honorius (395–423) bei der Ausbesserung der einst von Aurelian im 3. Jahrhundert neu erbauten Stadtbefestigung Kreuze auf den Mauern anbringen lassen. Vor der Einnahme Roms durch die Westgoten vermochte dies zwar nicht zu schützen, zu sündhaft sei die Stadt gewesen (vgl. Oros. 7, 38, 7). Doch die heiligen Stätten wurden von den Barbaren respektiert (Oros. 7, 39): Die Westgoten waren ja Christen, wenn auch arianische. Von Rom aus hätten sie danach das Christentum weiter hinaus in die Welt getragen (Oros. 7, 41, 8).
Abb. 1 6: Mosaik aus Tabarka (römisch: Tabraca; heute im Bardo-Museum in Tunis): Mosaik für die Grabstele der Valentia mit Darstellung einer Kirche (ECCLESIA MATER)
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Im Vergleich mit Rom blieb Jerusalem ein Ort mit einer besonderen, höheren Heiligkeit. Unter den Briefen des Hieronymus findet sich ein vermutlich durch ihn selbst redigiertes Schreiben der beiden vornehmen römischen Asketinnen Paula und Eustochium an ihre Kommilitonin Marcella. Beide waren zu Hieronymus nach Palästina gereist und wollten nun gegen 393 ihre aufdem Aventin wohnende Freundin und Lehrerin einladen, ins Heilige Land zu reisen und sich ihnen anzuschließen. Rom und Jerusalem werden miteinander verglichen; beide – letztlich auch weitere Orte – sind durch die Verehrung des Grabes Christ und der Gräber der Märtyrer miteinander verbunden: „Einige nennen dieses Land ein verfluchtes, weil es das Blut des Herrn getrunken hat. Wie können aber dann die Stätten gesegnet sein, an denen Petrus und Paulus, die Führer des christlichen Heeres, ihr Blut für Christus vergossen haben?Wenn das Bekenntnis [confessio] der Diener, die nur Menschen waren, etwas Herrliches ist, warum soll dann das Bekenntnis [confessio] des Herrn und Gottes nicht herrlich sein? Überall verehren wir die Gräber der Märtyrer, legen heilige Asche aufdie Augen undberühren sie, wenn es erlaubtistgar mitdem Mund. Da glauben einige, das Grab, in dem der Herr begraben ist, könne man vernachlässigen?Wenn wir uns selbstnichtglauben, so wollen wir doch wenigstens dem Teufelundseinen Engeln glauben. Wenn sie nämlich am Grabe Christi aus den Leibern der Besessenen ausgetrieben werden, dann fangen siean zu zittern [… ]Wenn nach dem Leiden Christi dieseStätte zu verabscheuen ist, wie eine verbrecherische Stimme geifert, warum sollte dann Paulus nach Jerusalem eilen, um dort Pfingsten zu feiern?“ (Hier. epist. 46, 8)
Der Brief gibt zugleich dem Bewusstsein Ausdruck, dass das Reich Gottes überall ist, in allen Menschen, und dass es auch in anderen Gegenden heilige Männer gebe (epist. 46, 10). Und doch stehen diese Gebiete dann hinter dem heiligen Lande zurück, insbesondere Rom, das nun wieder mit Babylon gleichgesetzt wird, obschon in Rom so viel Heiliges zu finden sei: die heilige Kirche, die Siegesstätten der Apostel und Märtyrer, das wahre Bekenntnis Christi sowie der von den Aposteln verkündete Glaube (epist. 46, 12). Denn Rom ist Hieronymus zu mondän, zu sehr Weltstadt und Inbegriff der Weltlichkeit: „Aber der Ehrgeiz, die Macht, die Größe der Stadt, das Sehen undGesehenwerden, das Besuchemachen undBesucheempfangen, das Loben undVerleumden, das Zuhören undMitreden, der Zulaufvon Menschen, den man oft gegen seinen Wille über sich ergehen lassen muss, passen nicht zum monastischen Leben und zur Ruhe.“ (Hier. epist. 46, 12)
Ähnliche Einschätzungen wie bei Hieronymus finden wir bei Bischof Fulgentius von Ruspe. Im Jahre 500 reiste er nach Rom. Sein Besuch kreuzte sich mit demjenigen König Theoderichs. Der Ostgote wurde von Volk und Senat der alten
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Hauptstadt wie ein Kaiser empfangen. Fulgentius soll seine Eindrücke und Gefühle mit den Worten zusammengefasst haben: „Wie herrlich muss das himmlische Jerusalem sein, wenn schon das irdische Rom in solchem Glanz erstrahlt.“ (Vita Fulg. Rusp. 9, 27) Die eigentliche Begeisterung verschaffte Fulgentius offenbar nicht das Schauspiel der feierlichen, zeremoniellen Ankunft des Herrschers (adventus). Fulgentius wurde zwar vom Glanz des Zeremoniells auf dem Forum beeindruckt. Doch wichtig erschienen ihm allein seine Begegnungen mit den Gläubigen und die Verehrung der Märtyrergräber. Rom nahm er in seiner eschatologischen Verbindung mit Jerusalem wahr.
Jerusalem Ein fundamentaler Bezugspunkt der zahlreichen Kirchen und der Gläubigen der kirchlichen Gemeinschaften war das Heilige Land. Man interessierte sich dafür, wie es aussah, wo die berühmten Orte der Geschichte Israels lagen und wo vor allem Jesus gelebt und gewirkt hatte. Schon Euseb verfasste ein Verzeichnis, in dem die biblischen Orte aufgeführt waren. Hieronymus übersetzte es ins Lateinische. Als die Nonne Egeria um 381 während vier Jahren von Gallien über Konstantinopel nach Jerusalem pilgerte und einen recht ausführlichen – leider aber nicht vollständig erhaltenen – Bericht über dieses Unternehmen verfasste, half ihre zweifellos das Werk des Euseb. Egeria interessierte sich wie Euseb nicht allein für Jerusalem. Sie besuchte viele weiteren biblischen Stätten sowie zahlreiche Märtyrergräber, Kirchen und Klöster. Sie reiste durch Galiläa und Samaria, nach Ägypten und in den Sinai oder besuchte auf der Rückreise nach Konstantinopel die syrischen Mönche: Von ihrer großen Zahl und ihrem außerordentlichen Leben gab es ja so viele faszinierenden Berichte (Peregr. Aeth. 17, 1). Vor Ort ließ sie sich dann erklären, was der Geist der Bibel konkret bedeutete. Hier ist noch einmal an die Gedanken des Hieronymus zu Jerusalem zu erinnern. Wie Hieronymus zum Beispiel auch an Paulinus von Nola geschrieben hat, durfte man keine zu enge Vorstellung von der Bedeutung Jerusalems haben. Jerusalem war vielmehr Ort der Erinnerung an die Wichtigkeit eines Lebens im Geiste Christi: „Nicht das ist lobenswert, in Jerusalem gewesen zu sein, sondern in Jerusalem gut gelebt zu haben. Jene Stadt allein soll man erstreben: nicht nach der, die die Propheten getötet und Christi Blut vergossen hat, sondern nach der [… ], die der Apostel die Mutter der Heiligen nennt, in derermitden Gerechten das Bürgerrechtzu besitzen sich freut[… ]DerGeistweht, wo er will[… ] Sowohlvon Jerusalem wie von Britannien aus steht der Himmelgleichermaßen offen; denn das Reich Gottes istinwendigin euch. Antonius undalle Scharen derMönche
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aus Ägypten, Mesopotamien, Pontus, Kappadokien und Armenien haben Jerusalem nicht gesehen, unddennoch stehen ihnen auch fern von dieser Stadt die Tore des Paradieses offen.“ (Hier. epist. 58, 2–3)
Die Kirchen selbst in Jerusalem beschreibt Egeria vor allem als Teilnehmerin liturgischer Feiern. Eine dieser Kirchen Jerusalems hat für die Märtyrerverehrung besondere Bedeutung: die Grabeskirche. Die Martyrien der Heiligen und der Tod Christi wurden als miteinander verbunden wahrgenommen. Im Gedenken an diesen Zusammenhang fügte man Kreuzesund Märtyrerreliquien unter den Altären der Kirchen zusammen, so auch in Nola, wo die römische Senatorin Melania die Ältere Kreuzesreliquien hingebracht hatte, ein höchstes Gut (summum bonum), wie Paulinus von Nola vermerkt. „Hier ist die Liebe, hier der nährende Glaube, hier die Herrlichkeit Christi, hier ist das Kreuz, vereint mit den Märtyrern“, dichtete er enthusiastisch (Paul. Nol. epist. 32, 11). Ein winziges Fragment schickte er für einen Neubau der Basilika in Primuliacum an seinen Freund Sulpicius Severus weiter. Zu den Versen, die er beifügte, gehören die Worte: „Der heilige Altar bedeckt ein göttliches Bündnis, da hier die Märtyrer zusammen mit dem weihevollen Kreuz beigesetzt sind.“ (Paul. Nol. epist. 32, 7) Die Grabeskirche bildete das mystische Zentrum des ausstrahlenden Glaubens, der sich mit der Märtyrerverehrung verknüpfte. Vielfach wurde dieses Jerusalem abgebildet. Auf Jerusalem richteten sich die Hoffnungen und werden gerade in der Grabeskirche von vielen seit jeher intensiv erlebt. Und dies, obschon das himmlische Jerusalem der Verkündigung in recht deprimierender Weise mit dem irdischen Jerusalem verknüpft war. Die weltlichen Verhältnisse von der Antike über die Kreuzzugszeit bis zu den heutigen Streitigkeiten wirken häufig bedrückend, ja könnten einen geradezu niederschlagen. Konstantin kümmerte sich als Herrscher schon früh um Jerusalem. Den jüdischen Tempelbezirk ließ er als Ruine fortbestehen. Der hadrianische Aphroditetempel wurde abgerissen: Man errichtete dort eine neue Kirche. Euseb schildert die Unternehmungen des Kaisers in der Vita Constantini recht ausführlich. Der Bau bezog das vermutete Grab Jesu mit ein. Euseb bezeichnet die Grabesgrotte als Martyrion: „Als aber Scholle um Scholle der Platz in der Tiefe der Erde freigelegt wurde, da zeigte sich schließlich das verehrungswürdige und allerheiligste Zeugnis (martýrion) der Auferstehung des Erlösers wider alle Hoffnung, und die allerheiligste Grotte wurde zum Gleichnis für das Wiederaufleben des Erlösers. Deshalb trat sie nach dem Verschwinden im Dunkelwieder ans Licht hervor und ermöglichte denen, die zur Besichtigung kamen, klar die Geschichte der Wunder, die sich dort ereignet hatten, zu sehen undbezeugte durch Werke, die lauter als jede Stimme waren, die Auferstehung des Erlösers.“ (Eus. vita Const. 3, 28)
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Er verdeutlicht dies weiter: „und in dem Martyrion des Erlösers selbst wurde das Neue Jerusalem gegründet, gegenüber dem altberühmten, das nach der Befleckung durch die Ermordung des Herrn in die äußerste Verwüstung gestürzt worden war und so die Strafe für seine gottlosen Einwohner büsste. Diesem gegenüber nun ließder Kaiser den Sieg des Erlösers über den Tod durch reiche und prachtvolle Ehrenbezeugungen verherrlichen, der doch wohlderjenige war, den die prophetischen Weissagungen als das Neue undUnerhörte Jerusalem [vgl. Offb 3, 12. 21]verkündeten, über das lange Lobeshymnen, inspiriertdurch den göttlichen Geist, unzählige Male Offenbarungen mitteilten. Undgleichsam wieeineArtHauptdes Ganzen schmückteerzuallererstdie heilige Grotte. Es war ein Denkmal, voll ewigen Gedenkens, das die Zeichen des Sieges des großen Erlösers über den Todenthielt, ein göttliches Denkmal [...].“(Eus. vita Const. 3, 33, 1–3)
Den Begriffdes Martyriums, das die Menschen mit Christus verband, gab es in der christlichen Urgemeinde noch nicht; er war indes als Idee durchaus vorhanden. Für den Glauben bis hin zum Letzten einzustehen und Gott ganz zu folgen bedeutete eine Nachahmung der Passion Jesu. In der Apostelgeschichte stellt Lukas den Lynchmord an Stephanus in diesem Sinne dar. Um 400 sah man Stephanus als ersten Märtyrer, als Protomärtyrer. Seine Gebeine wurden in Afrika wiedergefunden. Rasch breitete sich sein Kult aus. Stephanus war von Juden und bemerkenswerterweise auch Saulus, dem späteren Apostel Paulus, umgebracht worden. Stephanus hatte den Zorn der traditionellen jüdischen Kreise insbesondere deshalb erregt, weil er die Überlieferung des Alten Testamentes daraufhin ausdeutete, dass der Tempel nicht die Wohnung Gottes sei und Gott nicht in Wohnungen wohne, die von Menschenhand gemacht seien. Seine freie Rede, die nur dem folgte, was er als Wahrheit erkannt hatte, bezahlte er mit dem Tode: „Als sie dies hörten, wurden sie rasend vor Zorn und knirschten mit den Zähnen. Er aber, erfülltvon heiligem Geist, blickte zum Himmelaufundsah die HerrlichkeitGottes undJesus zur Rechten Gottes stehen. [...] Sie aber überschrien ihn, hielten sich die Ohren zu undstürzten sich vereint aufihn. Sie stießen ihn aus der Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ihre Kleider ab, zu Füßen eines jungen Mannes namens Saulus. Sie steinigten den Stephanus, er aber riefden Herrn an undsprach: Herr Jesus, nimm meinen Geistauf. Er fielaufdie Knie undriefmitlauterStimme: Herrrechne ihnen diese Sünde nichtan!Undals er dies gesagt hatte, verschied er.“ (Apg 7, 54–60)
Die Rezeption der Stephanuspassion in der Spätantike, als sich der Kult der Märtyrer breit entfaltete, fällt zusammen mit der Wirkung Jerusalems als spirituellem
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Bezugspunkt. Angelegt sind diese Verbindungen in der Gestaltung des Berichtes durch Lukas. Das Martyrium des Stephanus ist von der Passion Jesu her verstanden. Das Geschehen ist fest mit Jerusalem verknüpft und findet in der Biographie des bekehrten Paulus, der sich an der Hinrichtung wie auch an weiteren Christenverfolgungen beteiligt hatte, ein weiteres Zeugnis für die Wirkung der Erlösung. Stephanus wie Paulus folgten dem Leiden Jesu. Der Apostel Paulus verkündete intensiv das Evangelium, stieß dabei aber immer wieder auf Ablehnung und hatte Gefangenschaften, Steinigungsversuche und Geißelungen zu ertragen. Eine Anklage von Juden, er habe einen Nichtjuden in den Tempel mitgenommen, brachte ihn vor Gericht. Da er bei diesem Verfahren mit der Todesstrafe rechnen musste, appellierte Paulus schließlich an den Kaiser. Er wurde nach Rom überführt. In Rom lebte Paulus während zwei Jahren, wie Lukas schreibt (Apg 28, 29), in einer Mietwohnung. Er traf auch viele Juden, vermochte sie aber nicht zu überzeugen. Erfolgreicher war er bei anderen Menschen. Die Apostelgeschichte endet mit der Formulierung: Er „verkündigte das Reich Gottes und lehrte über Jesus Christus, den Herrn, in aller Offenheit und ungehindert.“ (Apg 28, 30) Was heißt das? Schimmert hier ein Wissen vom Martyrium in Rom (im Jahre 64 unter Nero) durch? Vollendet sich damit die Parallele zu Christus und Stephanus, die beide das Wort Gottes frei und ohne sich einschränken zu lassen unter die Menschen gebracht haben? Erfüllt sich eine von Lukas bereits früher festgehaltene Prophezeiung: „In der folgenden Nacht trat der Herr zu ihm und sagte: Fasse Mut! Denn wie du in Jerusalem Zeugnis abgelegt hast, so sollst du auch in Rom mein Zeuge sein.“ (Apg 23, 11) Als „Lukas“ (?) die Apostelgeschichte geschrieben hat, war der Begriff des Martyriums noch geweitet, so dass nicht allein der Tod für den Glauben darunter zu verstehen gewesen wäre. Jedenfalls gehört es indes auch zur Vorstellung des Lukas wie jener späteren Autoren, die den Begriffdes Martyriums dann aufdas Blutzeugnis einengten, dass die Märtyrer noch im Tod frei sprechen würden. Zum lebendigen Vollzug der Verkündigung im freien Sprechen gehöre der Gewinn eines höheren Lebens, des sogenannten Lebens nach dem Tod. Die Nachfolge Christi und die Wiederholung des Geschehens in Jerusalem in Rom war zur Zeit, in der Lukas das Werk abfasste – vermutlich zwischen 80 und 100 – eine Sache, die man besser mit einem Schluss darstellte, der die Verkündigung in den Vordergrund rückte. Die Verkündigung – verknüpft mit einer Nachfolge Christi zugleich in der ganzen Lebensführung – war das Zentrale, aber nicht der Tod. Allerdings bleiben solche Ausführungen Hypothesen. Zu viele Fragen sind offen, zu vielfältig sind die Anspielungen des Textes. Das Werk des „Lukas“ lässt sich überdies nicht sicher und präzise genug datieren. Wäre es vor
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dem Tode des Paulus entstanden, so hätte man eine sehr einfache Erklärung dafür, weshalb in ihm nichts vom Ende des Lebens des Apostels zu erfahren ist.
Märtyrerverehrung in Städten des Ostens: Smyrna und Antiochia Der Weg des Christentums nach Rom führte über Kleinasien. In der reichen römischen Provinz Asia setzte sich das Christentum früh fest. Eine christliche Ge- meinde etablierte sich auch in Smyrna, wo einst Homer gewirkt hatte. Die prachtvolle und reiche Handelsstadt, die mit Ephesos und Milet konkurrierte, ist in der christlichen Überlieferung bereits in der Johannesoffenbarung prominent präsent (Offb 2, 8–11). Dort wird aufdie Bedrängnis der Gemeinde während der Christenverfolgungen unter Domitian angespielt, die auch Kleinasien erfassten. Der Apostel Johannes soll Polykarp noch persönlich unterricht haben. Dieser wurde dann in Smyrna zum Bischof eingesetzt (Iren. 3, 3, 4; Eus. HE 5, 20, 6) und vertrat seine Gemeinde gegen 154 n. Chr. in Rom. Aus seiner Korrespondenz ist ein – freilich schlecht überlieferter – Brief an die Philipper erhalten. Trotz oder gerade wegen seines Ansehens geriet Polykarp in einen Strudel von Anschuldigungen gegen Christen. Dies führte nach der Rückkehr von seiner Romreise zu seiner Hinrichtung. Der Bericht über die Vorgänge ist unter anderem in der Kirchengeschichte Eusebs überliefert. Er bildet unsere früheste Darstellung eines Martyriums. Festgehalten ist er in einem kurz nach dem Tode Polykarps verfassten Schreiben der christlichen Gemeinde Smyrnas. Als erster Adressat wird die Kirche Philomeliums an der Südostgrenze Phrygiens genannt, wo der Montanismus stark war und zum Martyrium drängte. Allerdings distanziert sich der Bericht von dieser lebendigen und einflussreichen Bewegung: Man dürfe sein Leben nicht durch eigenen Willen zu Gunsten des Märtyrertodes hingeben (MartPol 4, 1–3). Der Brief richtet sich überdies an „alle in der Fremde wohnenden Gemeinden der heiligen und katholischen Kirche“. Die Diasporasituation der christlichen Gemeinden verbindet, die Gemeinden sollen vom vorbildhaften Verhalten Polykarps und seiner Nachfolge Christi erfahren. Dargestellt wird eine Lebensweise, die aus dem Glauben und den Evangelien schöpft. Das Drama um Polykarp nahm seinen Ausgangspunkt mit Anklagen, die aus heidnischen und jüdischen Ressentiments gegen die Christen hervorgingen. Polykarp entzog sich den feindseligen Betreibungen vorübergehend, indem er auf das Land flüchtete. Doch Polykarp und weitere Christen wurden gefasst und vor die römischen Magistraten gebracht. Der Aufforderung zu opfern, widersetzten sie sich. Schließlich richtete man Polykarp auf dem Scheiterhaufen hin.
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Seine Gebeine wurden von den Angehörigen der Christengemeinde sorgfältig aufgesammelt: „Aufdiese Weise sammelten wir später seine Gebeine auf, die wertvoller als Edelsteine und kostbarerals Goldsind, undbestatteten sie, wo es angemessen war. Dortwirduns, die wiruns nach Möglichkeit in JubelundFreude dort versammeln, der Herr die Feier des Geburtstages seines Martyriums ermöglichen zum Gedächtnis derer, die zuvor den Kampf bestanden haben, undzur ÜbungundVorbereitungfür die, denen dies bevorsteht.“(MartPol18, 2–3)
Das Vorbild des Polykarp in seinem Leben wie in seinem Tode wurde zum Bezugspunkt einer kultischen Verehrung, deren Funktion darin bestand, ein Leben gemäß den Evangelien zu fördern. Dies sollte die christlichen Gemeinden stärken und entwickeln. Die Erinnerung an Polykarp blieb lebendig. Am Gedenktag Polykarps im Jahre 250 – während der Christenverfolgungen unter Decius – feierten der Smyrnäer Pionius und weitere Christen den Geburtstag des Heiligen. Dabei wurden sie festgenommen und vor Gericht gestellt. Die Akten rühmen Pionius, sein Martyrium und sein Leben: „Das istdas Ende des seligen Pionius, das Leiden des Mannes, dessen Leben immer unbefleckt undfrei von jederSchuldwar, dereine reine Einfalt, einen festen Glauben undeine beständige Unschuldbesaß, dessen Brust den Lastern verschlossen war, weilsie Gott offen stand.“(M. Pion. 22)
Martyrien wurden bewundert und galten als wichtig. Sie beeindruckten so sehr, dass sie in der Kirchengeschichtsschreibung als Massenbewegung verstanden worden sind, eine Vorstellung, die zwar fundamental für das Selbstverständnis bereits der frühen Christen ist, aber nicht im Sinne einer statistischen Aussage genommen werden darf. Die Sehnsucht nach dem Martyrium hat besonders deutlich Ignatius gezeigt. Wir kennen seine Biographie nicht sehr gut. Er war Bischof von Antiochia – angeblich als Nachfolger des Apostels Petrus – und wurde im Zirkus in Rom vermutlich am Ende der Regierungszeit Kaiser Trajans (89–117) von den Löwen zerrissen (Hier. vir. ill. 16; Ioh. Chrys. PG 50, 587–596). Fest mit seinem Namen verknüpft sind sieben Briefe, von denen vier in Smyrna verfasst wurden. Im Brief an die Römer erfahren wir viel über seine Ziele und die Intensität seines Wollens: „Ich schreibe an alle Kirchen und schärfe allen ein, dass ich freiwillig für Gott sterbe, wenn anders ihrmich nichthindert. Ich ermahne euch, mirkein unzeitigesWohlwollen zu werden. Lasst mich der wilden Tiere Fraßsein, durch die es möglich ist, zu Gott zu gelangen. Gottes
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Weizen bin ich und durch der wilden Tiere Zähne werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot des Christus erfunden werde.“ (IgnRom 4, 1)
Er wollte nach einer neuen Art leben. Dabei war es ihm wichtig, die Gemeinden zu stärken und in ihnen einen einheitlichen Glauben ohne konkurrierende Lehren, Spaltungen und Streit zu haben. Dies sollte durch das Vertrauen auf den Bischof und dessen Autorität zustande kommen. Die kultische Verehrung des Bischofs Ignatius wie auch weiterer Bischöfe als Märtyrer bildet ein Charakteristikum der antiochenischen Märtyrerverehrung. Wahrscheinlich wirkte sie auch auf andere Orte: Antiochia war eine der bedeutendsten Städte im Osten und eine Schaltstelle im Austausch zwischen Ost und West. 10 Eine wichtige Heiligengestalt in der frühen Märtyrerverehrung der Stadt ist ein Bischof des 3. Jahrhunderts, Babylas, über den wir so gut wie nichts aus seiner eigenen Zeit wissen. Er war während der Decischen Christenverfolgungen umgebracht worden. Ein Jahrhundert nach seinem Tode ordnete der Caesar Gallus (351–354), der unter seinem Onkel Constantius II. für den Orient zuständig war, die Umbettung der Gebeine des Märtyrers nach Daphne, einem Vorort Antiochias, an. Der Kirchenhistoriker Sozomenos schildert den Vorgang folgendermaßen: „Als aberJulians BruderGallus, von Constantius zum Caesarernannt, in Antiochia residierte, ein Christ und eifriger Verehrer der für den Glauben gestorbenen Märtyrer, entschloss er sich, diesen Platz vom hellenistischen Aberglauben undvon derSchändungdurch unzüchtige Menschen zu reinigen. In derMeinung, dies leichtbewerkstelligen zu können, wenn eran Ort undStelle ein Gebetshaus entgegenstellte, ließerden Sargdes Märtyrers Babylas nach Daphne überführen [...]. Seitdem aber, heißt es, habe der Dämon nicht in gewohnter Weise Orakel erteilt. Zunächst scheint das daran zu liegen, dass er aufOpfer und die ihm zuvor zuteilgewordeneVerehrungverzichten musste, später stellte sich heraus, dass der in der Nähe bestattete Märtyrer ihm dies zu tun verwehrte.“ (Soz. h.e. 5, 19, 12–14)
Kaiser Julians (361–363) Aufenthalt in der Stadt Antiochia fiel in die Zeit einer schweren Hungerkrise, die dazu beitrug, dass seine Bemühungen, die alten Kulte wiederzubeleben, vergeblich blieben. Julian ordnete damals die Entfernung der Gebeine des Babylas und die rituelle Reinigung des Haines von Daphne mit dem Apollonheiligtum an (Amm. 22, 12, 8). Er hoffte, dadurch das verstummte Apollon-Orakel wieder zum Sprechen bringen zu können. Doch er hatte keinen Erfolg. Die Christen brachten in einer eindrucksvollen Prozession die Märtyrerreliquien des Babylas, der sich so offensichtlich als stärker erwiesen hatte als die heidnischen Kulte, aus Daphne zurück auf einen Friedhof vor der Stadt. Als wenig später im Apollon-Tempel ein Feuer ausbrach, bezichtigte Julian die Christen der Brandstiftung. Die Christen wollten in dem in den Tempel einge-
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schlagenen Blitz hingegen ein Zeichen Gottes erkennen. Julian der vor seiner Zuwendung zur alten Religion christlich aufgewachsen war, musste wissen, wie nachteilig es für einen Herrscher sein konnte, Märtyrer zu schaffen. So achtete er vermutlich auf ein Vorgehen ohne Blutvergießen. Im Gegenzug zur Zerstörung des Haupttempels und seiner Götterstatue ließ er die Große Kirche schließen und die Gerätschaften einziehen. Die strafrechtliche Verfolgung legte er in die Hände einer unabhängigen Kommission aus Ratsmitgliedern, die dann den Hauptverdächtigen zum Ärger des Kaisers freisprach. Dennoch entstand eine christliche, anti-julianische Überlieferung von einer Verfolgung der Christen durch Julian. Eine Verehrung der angeblichen Märtyrer setzte sehr bald ein. Zu ihnen zählen die Soldaten Juventinus und Maximus. Die beiden Angehörigen der Leibwache wurden wegen Majestätsverbrechen vielleicht im Zusammenhang einer Verschwörung hingerichtet. Auf christlicher Seite sagte man, der Grund sei gewesen, dass die beiden freimütig die exzessive Opferpraxis Julians kritisiert hätten. Die freie und offene Sprache der beiden Soldaten bilden eine bemerkenswerte Parallele zum Handeln des berühmten Bischofs Babylas. Babylas hatte es einst mutig gewagt, dem Kaiser zu widersprechen und ihm die Kirche zu verschließen. Die erste Verehrung der Soldatenmärtyrer ebenso wie die Umbettung des Babylas ist den Homöern zuzuschreiben, die damals die Große Kirche in Besitz hatten und nach dem von Constantius II. veröffentlichten Edikt von 360 die führende, staatlich legitimierte Form des Christentums, wir sprechen von homöischer Reichskirche, vertraten. In dieser Zeit wurde um die Trinitätslehre gestritten. Seit den späteren 50er Jahren spricht man von verschiedenen Gruppen, die sich entlang den verschiedenen Positionen in der Trinitätslehre etablierten. In der Regel besaßen sie in Antiochia Kirchen. In den 60er Jahren dominierten die Homöer, und der homöische Bischof hatte die Innenstadtkirchen unter seiner Verwaltung, nicht aber die Martyrien ausserhalb der Stadt, wo zum Teil andere Gruppen, es geht vor allem um die Nizäner, Gottesdienst feiern konnten. Homöer werden nach dem sie identifizierenden theologischem Schlagwort homoios (ݼȝȠȚȠȢ – ähnlich) benannt. Gott Vater und Gott Sohn sind „ähnlich“, so die homöische Position. Die Bezeichnung „ähnlich“ ließ Raum für Differenz und Eigenständigkeit der Personen von Vater und Sohn und war für Constantius II. ein Kompromiss, der aufKonsens hoffen ließ. Die Gegner sahen in dem Wort „ähnlich“ die göttliche Einheit gefährdet, es sagte ihnen zu wenig aus, und sie sprachen von den Homöern als Arianern, die seit dem Konzil von Nizäa als die Haupthäretiker des 4. Jahrhunderts galten. Wenn in diesen Jahren von „Arianern“ die Rede ist, sind meist Homöer gemeint, die aber alles andere als Arianer sein wollten, sondern sich gerade mit den Anhomöern auseinandersetzten, die das „ähnlich / homoios“ bestritten und den arianischen Ansatz wieder aufnahmen.
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Für die Frage nach den Märtyrern ist nun interessant, was passierte, als das Blatt sich wendete, Kaiser Theodosius 380 per Edikt die Orthodoxie der Nizäner erklärte und die nizänische Reichskirche die homöische ablöste. Babylas war ursprünglich ein homöischer Märtyrer gewesen, das heisst, er wurde von Homöern verehrt. 380 bettete man ihn ein weiteres Mal um. Bischof Meletius, in diesen Jahren ein führender Vertreter der Nizäner, erbaute Babylas eine Kirche und fügte ihn damit in den Kreis der von den Nizänern verehrten Märtyrer ein. Babylas erhielt eine große, kreuzförmig angelegte Grabkirche am Campus Martius, dem Exerzierfeld des Militärs, 11 zwar außerhalb der Stadtmauern, wie es nicht anders sein konnte, aber doch nahe bei der Stadt, in der Gegend, in der die Nizäner bereits zusammengekommen waren, solange ihnen der Gottesdienst in der Stadt noch verboten gewesen war. Damit lag die Babylas Kirche aber auch in der Nähe des Palastes und wurde neben der Alten Kirche und der Großen Kirche zur dritten Hauptkirche von Antiochia. Wie im Fall des Babylas kam es auch im Martyrium am Romanesia-Tor zu einer Aneignung oder Überlagerung der homöischen Märtyrerverehrung durch die Nizäner. Bischof Flavian (381–404) besorgte den Umbau, und ein neuer Fußboden schob die Grablege der homöischen Märtyrer in den Hinter- beziehungsweise Untergrund. 12 Wendy Mayer und Pauline Allen haben in ihrer Arbeit über die Kirchen in Antiochia die Zusammenhänge aufgezeigt. Die Anfänge der Kulte wurden bald der Vergessenheit anheimgegeben. So wohl auch im Fall von Juventinus und Maximus. Als Johannes Chrysostomos eine Predigt an der Grabstätte der beiden hielt, gab er keinen Hinweis auf ein Homöertum der beiden. Johannes selbst stammte aus Antiochia und war dort von Bischof Meletius getauft worden. Nachdem er für Meletius gearbeitet hatte, lebte er mehrere Jahre als Mönch in den syrischen Bergen und kehrte dann gesundheitlich angeschlagen nach Antiochia zurück. 381 wurde er Diakon, 386 Presbyter. 397 verließ er Antiochia und übernahm das Amt des Bischofs von Konstantinopel. Ein besonderer Fall der Aneignung einer Märtyrertradition liegt in der Verehrung der Makkabäermärtyrer durch die Christen in Antiochia vor. Von Johannes Chrysostomos ist eine Predigt zum Gedenktag der Makkabäer überliefert. Unter Theodosius I. (378–395) wurde eine Kirche der Makkabäer in der Stadt errichtet. Es ist heute klar, dass diese Kirche nicht an der Stelle einer Synagoge stand. Sie sollte eine Alternative zu einer anderen Kultstätte bieten, nämlich zum jüdischen Makkabäer-Schrein in Daphne, der oft auch von Christen aufgesucht wurde. Der jüdische Schrein wurde jedoch noch vor dem Ende des 6. Jahrhunderts durch eine Kirche überbaut. 13 In der Zeit des Johannes Chrysostomos beziehungsweise des Bischofs Flavian von Antiochia hatte die Märtyrerverehrung erhebliche Bedeutung. Sie war ähnlich wie im Westen für Ambrosius von Mailand ein Mittel zur Stärkung der Autorität des
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Bischofs. Zahlreiche Predigten des Johannes zeugen von der intensiven Märtyrerverehrung in Antiochia. In seiner Lobrede auf die ägyptischen Märtyrer bezeichnete Johannes die Kirchen rings um Antiochia als einen Schutz, der mehr nütze als militärische Befestigungen (Ioh. Chrys. PG 50, 694). Die Märtyrer würden eine eigentliche Armee von Kämpfern gegen alle Tyrannen bilden, sagt Johannes in der Lobrede auf alle Märtyrer der ganzen Erde (PG 50, 645 ff.). Im Himmel würden die Engel sie als Schlachtensieger empfangen und zum Thron des Himmelskönigs führen: Aufgenommen als Freunde (Joh 14,15) komme ihnen Anteil an den Herrlichkeiten des Himmels zu. Die wichtigsten antiochenischen Märtyrer waren Lucian (7. Januar); die beiden unter Julian hingerichteten Soldaten Juventinus und Maximinus (anfangs Januar); der antiochenische Märtyrerbischof Babylas (24. Januar); Berenike, Prosdoke und Domnina (20. April); Barlaam (31. Mai); die Makkabäerbrüder (1. August); Bischof Ignatius (17. Oktober); Pelagia (8. Oktober), Romanus (18. November); Julian (am Tag nach Weihnachten) sowie die ägyptischen Märtyrer (Festtag unbekannt).
Vom Osten in den Westen: Lyon Der früheste Märtyrerbericht aus Gallien stammt aus Lyon, dem antiken Lugdunum, einer Stadt, die über das Rhonetal und Marseille traditionell stark mit dem griechischen Osten verbunden war. 14 Zusammen mit dem gut gleichfalls an der Rhone gut 30 km südlich gelegenen Vienne zeichne sie sich, so Euseb in seiner Kirchengeschichte, „durch ihren Glanz vor allen übrigen Städten“ Galliens aus (Eus. HE 5, 1, 1). In Lyon gab es ein vielfältiges und intensives religiöses Leben. Auch orientalische Kulte waren häufig vertreten. Eine besondere Stellung nahm der Kaiserkult ein. Die christliche Gemeinde bekam freilich Schwierigkeiten. Ressentiments gegen die Christen breiteten sich aus. Man versperrte Christen den Zugang zu den Bädern, zum Markt, ja zu ihren Wohnungen. Christen durften sich nicht mehr öffentlich blicken lassen. Es kam zu Anklagen und Ausschreitungen. Der Statthalter und der Kaiser intervenierten. Was wir über das Geschehen wissen, verdanken wir der Kirchengeschichte des Euseb. Dort ist in wörtlichem und wohl fast vollumfänglichem Zitat ein Schreiben der Christen von Vienne und Lyon an die „Brüder in Asien und Phrygien“ über- liefert, „welche mit uns den Glauben und die Hoffnung teilen“ (Eus. HE 5, 1, 3; vgl. 5, 3, 4). Die Formulierung macht deutlich, dass nicht alle Menschen dort gemeint waren. Insbesondere die Distanzierung vom Montanismus in Phrygien, gegen den auch der damalige Bischof von Rom, Eleutherus, kämpfte, lag den Lyoner Christen am Herzen. Der Radikalismus dieser Bewegung, welche auf
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Grund der Offenbarungen ihres Gründers das nahe Weltende prophezeite und zu strenger Askese und Martyrium aufrief, ging ihnen vermutlich zu weit. Recht ungünstig wird die Rolle des Kaisers Mark Aurel dargestellt. Der Kaiser habe nämlich weitgehend freie Bahn für die Hinrichtungen gegeben: „Da der Kaiser in seinem Reskripte verordnete, die einen hinzurichten, die aber, welche den Glauben verleugneten, freizugeben, ließ der Statthalter zu Beginn des hiesigen Festes (am Altar der Roma unddes Augustus), zu welchem Scharen von Menschen aus allen Völkern zusammenströmen, die Heiligen zu Ehren der Masse in theatralischem Pomp vor seinen Richterstuhl führen. Nach einem abermaligen Verhöre ließ er die, welche sich als römische Bürger erwiesen, enthaupten, die übrigen aber den wilden Tieren vorwerfen.“(Eus. HE5, 1, 47)
Das Schreiben der Gemeinden von Vienne und Lyon lässt sich als ein Zeugnis der Selbstrepräsentation in der Welt der frühen christlichen Gemeinden lesen, in welcher der Stolz auf Glaubensstärke wichtig war. Es zeigt die Verbindungen zwischen Gallien und Kleinasien. So wird in ihm auch von einem Phryger namens Alexander berichtet, der sich in der Medizin auskannte und die Christen vor dem Richter ermunterte, ihren Glauben zu bekennen (5, 1, 49). Dieser Mann wurde zum Tod durch wilde Tieren verurteilt (5, 1, 50). Der angesehene Attalus (5, 1, 17. 43–44; 3, 2) stammte aus Pergamon. Vielleicht ist der Brief von Irenäus geschrieben worden, der ein Schüler des Polykarp von Smyrna gewesen sein soll. Der Brief bietet Einsicht in die Organisation der ausgebildeten Christengemeinde. Zu den Opfern zählen der 90-jährige BischofPothinus von Lyon (5, 1, 29–31) sowie der Vienner Diakon Sanktus (5, 1, 17. 20–24. 37–39). Die Märtyrer rekrutieren sich aus verschiedenen Schichten. Die meisten waren Männer, nur zwei Frauen: die Sklavin Blandina (5, 1, 18. 37. 41–42. 53–56) und Biblis (5, 1, 25–26). Am jüngstes Opfer genannt wird der 15-jährige Pontikus (5, 1, 53–55), wohl der Bruder der Blandina. Bischof Gregor von Tours (Greg. Tur. liber vitae patrum 6, 1; Franc. 1, 31), war stolz darauf, von Vettius Epagathus abzustammen, einem jungen, aber bereits angesehenen Mann und römischem Bürger, der konsequent nach den Regeln des Christentums gelebt hatte (Eus. HE 5, 1, 9–10). Augustin zitiert die Märtyrer von Lyon in seiner an Paulinus von Nola gerichteten Schrift Die Sorge für die Toten (Aug. cur. mort. 6, 8). Diese sind auch im Martyrologium Hieronymianum verzeichnet. Indes schweigen sich mehrere gallische Autoren über sie aus, obschon ihnen die Kirchengeschichte ebenso am Herzen lag wie der Heiligenkult und der Patriotismus. Sidonius Apollinaris nennt die Märtyrer von Lyon nicht. Auch bei Victricius von Rouen fehlt ein Hinweis auf sie.
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Abb. 1 7: Situationsplan des spätantiken Lyon
Sidonius (epist. 5, 17, 3) wusste aber um das Grab des Bischofs Justus von Lyon († um 390 in derThebais), über welchem sich die Basilika Saint-Just erhob, eine Kirche, die einmal den Makkabäern gewidmet war. 15 Vielleicht war es Justus selbst, der den Kult der Makkabäer gefördert hatte, ähnlich wie es einer seiner Amtskollegen für den Kult der Thebäischen Legion getan hat, BischofTheodor, wie Justus ein Freund des Mönchtums, wie Justus ein Teilnehmer des von Ambrosius von Mailand einberufenen Konzils von Aquileia 381. Die Vielzahl der Martyrien und die Bedeutung der Martyrien waren das Entscheidende. Sie im Einzelnen historisch korrekt wiederzugeben war ebenso sekundär wie die immer wieder gescheiterten Versuche, sie angemessen in Erinnerung zu behalten.
Karthago Der Name Karthagos geht zurück auf eine phönizische Bezeichnung mit der Bedeutung „Neustadt“. Unter Caesar wurde die Stadt neu gegründet. Bereits C. Sempronius Gracchus hatte den Antrag gestellt, auf dem verfluchten Grund der einstigen Rivalin Roms eine neue Kolonie zu gründen. Rom hatte sie besiegt und zerstört. Den Tempel des ’šmn (mit Asklepios gleichgesetzt) auf der Byrsa steckten 146 v. Chr. die Belagerten selbst in Brand. Viele suchten im Feuer den Tod. Auch die Frau Hasdrubals stürzte sich ins Feuer, nachdem sie ihre beiden Söhne getötet hatte: Sie habe sich den gleichen Tod bereitet wie Dido, die erste Königin Karthagos, schreibt der christliche Historiker Orosius um 417/18 in Afrika in seiner im
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Auftrage Augustins verfassen Weltgeschichte (Oros. 4, 23, 4; vgl. Florus 1, 31, 16–17). Nun setzte sich im Zentrum des ehemaligen Punischen Reiches das Christentum fest, das seinerseits Rom dauerhaft verändern sollte. Was Standhaftigkeit bis in den Tod war, wurde nun vorrangig mit den Beispielen christlicher Martyrien illustriert. Wenn sich Orosius aufdie ferne Vergangenheit besann und die römische Grausamkeit gegenüber den Puniern als rechtlos kritisierte, dachte er zweifellos gleichzeitig an die Christen, welche Opfer der Brutalität des römischen Staates geworden waren. 16 Die frühesten Nachrichten über die afrikanischen Christen bieten die Akten der Scillitanischen Märtyrer (180 n. Chr.). Sie berichten vom Martyrium von sieben Männern und fünfFrauen aus einem Flecken unweit Karthagos. Man kann vermuten, es sei das Vorbild solcher Christen gewesen, welche Tertullian zum Übertritt zum Christentum bewegt hat (Tert. apol. 18, 4; 50, 13 ff.; ad Scap. 5, 5). In der Gemeinde Karthagos sorgte der Stolz aufsolche Menschen für den Zusammenhalt. Die Notwendigkeit der neuen Vorbilder wird besonders stark durch die Passio Perpetuae et Felicitatis herausgestrichen. Die Schrift beginnt denn mit den Worten: „Wenn die alten Beispiele des Glaubens, die Gottes Gnade bezeugen und die Erbauung des Menschen wirken, darum schriftlich niedergelegt worden sind, damit durch ihre Lesung als einer Vergegenwärtigung gleichsam der Geschehnisse Gott geehrt als auch der Mensch aufgerichtetwerde, warum werden dann nichtauch neue Zeugnisse niedergelegt, die diesen beiden Zielen ebenso gerecht werden? Dereinst zumindest werden nämlich auch diese in gleicher Weise alt sein und späteren Generationen unentbehrlich, genießen sie auch in ihrer eigenen GegenwartundZeitein geringeres Ansehen dank derwie selbstverständlichen Verehrungalles Alten.“ (Perp. 1, 1–2)
Auch der Schluss der Schrift kommt nochmals auf solche Gedanken zurück. Die Erinnerung an die vorbildhaften Martyrien ist für die Gemeinde fundamental. Was eben in der Gegenwart geschehen ist, soll immer wieder gelesen werden und lebendig bleiben: „Ihr tapfersten und seligsten Märtyrer, wahrlich berufen und auserwählt zur Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus!Wer diese [Herrlichkeit] erhebt, preist undanbetet, muss unabdingbarauch diese Beispiele, die den alten in nichts nachstehen, zurErbauungderGemeinde lesen, damitsie als neue Zeichen Zeugnis davon ablegen, dass dereine undimmerselbe heilige Geist fortwirkt bis zu dieser Stunde, undmit ihm der allmächtige GottVater undsein Sohn Jesus Christus, unser Herr, dem Herrlichkeit ist und unermessliche Macht in alle Ewigkeit. Amen.“ (Perp. 21, 11)
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Das Vorbild der Märtyrer in seiner Wichtigkeit für die Gemeinde und ihre Zukunft ergibt sich durch das Lesen und Zuhören, und besonders stark durch das Sehen. Visions- und Traumberichte spielen eine wichtige Rolle. Tertullian hat diesen Phänomenen große Aufmerksamkeit gezollt, wie etwa seine Ausführungen in der Schrift Die Seele bezeugen. Die Passio Perpetuae et Felicitatis enthält eindrückliche Traumberichte. Die Märtyrer Perpetua und Saturus selbst hatten sie noch niedergeschrieben (2, 3; 11,1; 14, 1). Diese neuen Visionen werden den alten Prophezeiungen zur Seite gestellt: „Darum legen auch wir, die wir ganz wie die Prophezeiungen auch die neuen Gesichte anerkennen undehren, die gleichermaßen verheißen sind, undauch die übrigen Zeichen des Heiligen Geistes als UnterweisungderGemeinde begreifen [...] sie notwendigniederundverkündigen sie durch die Lesung zur Ehre Gottes, auf dass nicht irgendeine Ermattung oder Verzagtheitdes Glaubens meine, allein bei den Alten sei die göttliche Gnade eingekehrt[...].“ (Perp. 1, 5)
Es scheint so, als würden die neuen Visionen den packenden und farbigen Bildern entgegengestellt, welche Theater und Zirkus boten. Noch in der Zeit Augustins übten diese traditionellen Formen der Unterhaltung ihre Faszination weiterhin aus. Die christlichen Texte hatten überdies den Vergleich mit einer blühenden unterhaltenden Literatur auszuhalten, man denke etwa an die Werke des Wanderredners und Sophisten Apuleius, der wie Augustin aus dem Gebiete des heutigen Algeriens stammte und gegen 140 in Karthago lehrte. In seinen Metamorphosen – Augustin (civ. 18, 18) bezeichnet das Werk mit dem heute noch geläufigen Titel Der goldene Esel – spielen Träume bei der Einführung in die erlösenden Mysterien der Isis eine wichtige Rolle. Die Mittel zur Beeinflussung der Emotionen konnten nicht stark genug sein, zumal auch unter den Christen eine starke Konkurrenz der religiösen Gruppierungen bestand. Man suchte sich in der Bestätigung des Glaubens und der Stärke der Martyrien zu überbieten. In der Zeit der Decischen und dann auch der Valerianischen Christenverfolgung hatte Bischof Cyprian (gest. 258) dafür zu sorgen, dass die Vorbilder der Märtyrer seiner Gemeinde zugute kamen. 17 Er hatte mit mehreren Problemen zu kämpfen. Den Gemeinden drohten staatliche Verfolgungen und Unterdrückung. Dagegen suchte und fand Cyprian in den Märtyrern Soldaten Christi (milites Christi), die er immer wieder zum unerschütterlichen Kampfe der Behauptung in einer Zeit des Niederganges, der Verheerungen und der Prüfungen aufrief und in ihren Erfolgen feierte. So ermahnt er beispielsweise in einem Schreiben alle, dem Vorbild des Märtyrers Mappalicus und seiner Gefährten zu folgen:
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„So gehörtes sich auch fürdie Soldaten Christi im göttlichen Heerlager, dass die unerschütterliche Glaubensfestigkeit durch keine Lockungen sich täuschen, durch keine Drohungen sich schrecken, durch keine Qualen undFoltern sich bezwingen lässt, denn (der Geist), der in uns ist, ist größer als der, der in der Welt ist (1 Joh 4, 4) [...].“ (Cypr. epist. 10, 1, 2)
Wenn ein Bekenner im Gefängnis stirbt, soll sein Todestag präzis festgehalten werden. Die Leistungen der Bekenner sind gerade so vorbildlich wie diejenigen der Blutzeugen, die den Tod unter der Folter erlitten haben. Obschon die Bekenner nicht gefoltert und hingerichtet wurden, sind auch sie auf eine Art und Weise für den Glauben eingetreten, wie sie konsequenter Menschen nicht möglich ist. Die Erinnerung an die Bekenner gehört in den Kalender. Sie soll die Gemeinschaft der Christen begleiten. Die Gedenktage zur Erinnerung an die Todestage der Bekenner sollen ebenso regelmäßig gefeiert werden wie die Feste für die Märtyrer: „Zeichnet endlich auch die Tage auf, an denen sie ihr Leben verlieren, damit wir ihr Gedächtnis wie das der Märtyrer feierlich begehen.“ (Cypr. epist. 12, 2) Das Ansehen der Bekenner und Märtyrer führte einerseits zur inneren Bestärkung der Gemeinden, andererseits entstanden Spannungen und pastorale Probleme. Nach der Valerianischen Verfolgung drängten die Abgefallenen (lapsi), die den Forderungen des Staates nachgegeben und das angeordnete Bittopfer erbracht oder sich Opferbescheinigungen besorgt hatten, um ihr Leben zu retten, zurück in die Kirche. Zuvor lag es in der Autorität des Bischofs, einen Einzelnen nach einer großen Sünde durch das Bußverfahren wieder in die Kirche zurückzuführen. Wer aber durfte in dieser neuen Situation die Abgefallenen wieder in die Kirche aufnehmen, und unter welchen Bedingungen? Waren Bußleistungen zu fordern, und wenn ja, welche? Die Bekenner begannen, die Betroffenen kraft der Autorität ihrer bewiesenen Standhaftigkeit wieder aufzunehmen, während gleichzeitig Cyprian als Bischof von Karthago darauf bestand, über Ausschluss und Aufnahme in die Gemeinde zu entscheiden. Wie konnte und sollte die Kirche nun gestaltet und geordnet werden? Manche Menschen waren während der Verfolgungen geflohen. Cyprian selbst entzog sich der Verfolgung durch Flucht. War das richtig? Oder eine Verfehlung? Und wenn der Bischofselbst zu den Abgefallenen gehört hatte: Behielten in einem solchen Fall die von ihm gespendeten Sakramente ihre Gültigkeit? Wo Verfehlungen seien, worin sie im Einzelnen bestanden und wie das Urteil über sie auszufallen habe, darüber wurde intensiv diskutiert. Hatten Christen das ganze Opfer vollzogen (die sacrificati), Weihrauch dargebracht (die thurificati), waren sie gefoltert worden und hatten sie erst dann nachgegeben oder waren sie mittels Bestechung der staatlichen Opferkommissionen einem Verfahren gegen sie ausgewichen: hatten sie gegen Geld eine Opferbestätigung in Form eines libellus erhalten (die libellificati)?
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Städ te u n d ih re Märtyrer
Diese Fragen bewegten Gemeinden in Karthago, aber auch in anderen Orten, insbesondere in Rom. Dabei kam es durch unterschiedliche Auffassungen immer wieder zu Abspaltungen. Cyprian setzte sich mit den Argumenten in Karthago wie in Rom auseinander, ordnete die Fragen und fand Regelungen, welche die Zugehörigkeit zur Kirche – er spricht von der „Einheit“ der Kirche – klärten und die Autorität des Bischofs stärkten. Während der Valerianischen Christenverfolgung kam Cyprian am 14. September 258 um. Die durch den Diakon Pontius verfasste – bereits oben (vgl. S. 77) behandelte – Vita des Bischofs sah in diesem Martyrium sein folgerichtig zu Ende geführtes Leben als Bischof. Cyprian habe über Jahre geduldig ausgeharrt, intensiv für die Gemeinde gesorgt und erfolgreich mit Wort und Schrift gekämpft und gelehrt. Bei Cyprian und in seinem Umkreis wurden die Vorstellungen vom Martyrium erweitert. Auch der Dienst für die Kirche wurde als Martyrium erachtet. In Karthago bekam die kultische Verehrung Cyprians als Märtyrer einen festen Platz. Dies zeigt sich beispielsweise an der Passio sancti Maximiliani. Sie berichtet, wie ein junger Karthager, der Sohn eines Steuereinnehmers von Militärabgaben, allein Christus dienen wollte: Als er sich am 12. März 295 zur Rekrutierung stellen musste, verweigerte er den Militärdienst, wurde verhört, verurteilt und hingerichtet. Eine Frau bestattete ihn in der Nähe des Grabes Cyprians. Sie selbst hatte diesen Ort gleichfalls für ihr Grab ausgewählt: „Eine Frau namens Pompeiana erhielt seinen [Maximilianus] Leichnam von dem Gerichtsbeamten, und nachdem sie ihn in ihrem Schlafzimmer aufgebahrt hatte, überführte sie ihn nach Karthago undbestattete ihn am Fußeines Hügels neben dem Märtyrer Cyprian in der Nähe des Palastes des Statthalters. Nach 13 Tagen starb diese Frau und wurde an derselben Stellebegraben. Victoraber, derVaterdes Maximilianus, kehrtein großerFreudein sein Haus zurück unddankte Gott, dass er ein solches Geschenk dem Herrn vorausgeschickthatte, denn er selbst sollte bald darauffolgen.“ (Maximil. 3, 4–5)
Cyprians Wirkung als Märtyrer geht weit über Karthago hinaus. Zu den Texten, welche diese Wirkung bezeugen und beeinflussen, gehören mehrere Predigten Augustins, die in Karthago gehalten worden sind (in psalm. 32; 72; 85; 88; serm. 308/A–313/F). 18
Rom Cyprian schaute immer wieder nach Rom und wurde von Rom aus gleichzeitig kritisch beobachtet. Die römische Kirche erhielt von ihm wichtige Impulse für die Entwicklung der Vorstellungen über Martyrien, sowie, so schreibt der Historiker Erich
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Caspar 1930, „den wichtigsten Anstoß für die Ausbildung ihrer eigensten und für die Geschichte des Papsttums grundlegenden Theorie“: Cyprian habe ihr „die von ihm selbst geprägten Begriffe der cathedra Petri und des primatus Petri“ geschenkt. 19 Cyprians Werke sind für Caspar selbstverständlich gleichfalls eine Quelle zur Geschichte der Märtyrerverehrung in Karthago wie in Rom. Einer der Briefe Cyprians gratuliert dem Klerus von Rom zum ruhmvollen Tode des Bischofs Fabian. Cyprian hatte davon durch ein Schreiben aus Rom erfahren. Den Tod Fabians, den spätere Quellen als Martyrium bezeichnen, sah Cyprian als Vollendung einer redlichen Amtsführung an: Die Würdigung Fabians biete ein Muster des Glaubens und der Tugend (epist. 9, 1). Im zweitletzten Briefe Cyprians, verfasst kurz vor dem eigenen Martyrium am 14. August 258, lesen wir, dass der römische Bischof Xystus II. am 6. August zusammen mit vier Diakonen auf einem Coemeterium, einer „Ruhe-“ beziehungsweise Begräbnisstätte, hingerichtet worden sei (Cypr. epist. 80, 1,5). Caspar schaute als evangelischer Historiker jüdischer Herkunft aus Deutschland nach Rom. Sein zweibändiges monumentales Werk lag im Juli 1933, abgeschlossen vor, im Jahre der „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus, zwei Jahre vor seinem eigenen selbstgewählten Tod. Die Schlusspassage im zweiten Band malt ein mystisches und assoziationsreiches Bild geschichtlicher Vorgänge an einer Epochenwende, nämlich der Verhältnisse gegen die Mitte des 8. Jahrhunderts, als „die bleierne und beängstigende Ruhe eines Gewitterhimmels kurz vor dem Losbrechen eines Sturms, der die letzten Notbauten der ersten germanischen Staatengründungsepoche um das Mittelmeer hinwegfegen sollte“ und das „neue Europa der mittelalterlichen Jahrhunderte“ Gestalt anzunehmen begann. Der letzte Satz lautet: „An seiner [sc. Europas]Wiege aber standen wachen Geistes die Lenker der römischen Kirche und schufen dem Stuhle Petri beim Aufbau der neuen Welt eine Grundlage, aufwelcher er schließlich zum Thron der Weltherrschaft erhöht wurde.“20
Von der Macht der Kirche war freilich 1933 wenig zu spüren. Vielmehr zog damals der Faschismus immer mehr Anhänger in seinen Bann. Formen des Totenkults und der christlichen Märtyrerverehrung wurden schamlos pervertiert und ausgebeutet. Hitler widmete sein Buch Mein Kampf den 16 Opfern des Hitler-Ludendorff-Putsches, die 1923 in München ihr Leben verloren hatten. Er bezeichnete sie als „Blutzeugen“. Auch die im Ersten Weltkrieg Gefallenen zählten Hitler und die Nationalsozialisten zum Kreis dieser „politischen Märtyrer“. 21 Nach der „Machtergreifung“ 1933 brachte man beispielsweise an der Feldherrenhalle in München eine Tafel an, welche die Vorübergehenden grüßen mussten; und auf dem Königsplatz baute man 1935 zwei Ehrentempel zu ihrem Gedenken.
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Zurück zur spätrömischen Zeit: Einen starken Aufschwung gewann der Märtyrerkult seit Konstantin. In Rom22 nahmen unter diesem Herrscher neue politische und kirchliche Verhältnisse deutlich Gestalt an. Unter Konstantin und dann vor allem unter Bischof Damasus wurde die Märtyrerverehrung zu einem prägenden Element der Kultur der urbs und strahlte von daher wiederum in die ganze Welt aus. Unter den Päpsten Leo dem Großen und Gregor dem Großen wurde in den beiden darauffolgenden Jahrhunderten dieser Prozess so weitergeführt, dass die Märtyrerverehrung in der römischen Form die weltweit bedeutendste Wirkung gewonnen hat. Auch die neuen spätantiken Hauptstädte des Reiches, die vom Anspruch her als secundae Romae in Erscheinung traten, insbesondere Konstantinopel und Mailand in der Zeit des Bischofs Ambrosius, haben die Märtyrerverehrung aufgenommen und verbreitet. Bereits im frühesten Zeugnis der Christengemeinde Roms, im Ersten Clemensbrief, wird indes aufMartyrien hingewiesen. Der Briefwar geschrieben worden, um einen Streit in Korinth zu schlichten und könnte noch im Jahre 96 entstanden sein. 23 In Korinth waren während eines Aufruhrs Presbyter abgesetzt worden. Der Brief ruft auf, sie wieder einzusetzen und sich ihnen erneut gehorsam zu unterstellen. Er empfiehlt Umkehr und Bereuen sowie das Befolgen einer „unserer Religion angemessenen“ (1 Clem. 62, 1) Lebensweise. Neid und Eifersucht, die Ursache von Gewalt und Störung friedlicher Ordnung, könnten so überwunden werden. Diese Ausrichtung aufeine christliche Lebensweise wird mit einem Kampfverglichen. Er sei allen Christen auferlegt. Vorbildlich geführt hätten ihn biblische Vorbilder sowie in jüngster Zeit die als Athleten oder Auserwählte bezeichneten Märtyrerinnen und Märtyrer. Letztere seien das Opfer der Eifersucht und des Neides während den Christenverfolgungen geworden. Petrus und Paulus zählen zu diesen „Wettkämpfern der jüngsten Zeit“, beide hätten als beeindruckende Muster größter Geduld „Zeugnis“ abgelegt (1 Clem 5). Sie seien nicht alleine geblieben: „Diesen Männern [sc. den Aposteln], die heilig ihr Leben führten, wurde eine große Menge von Erwählten zugesellt, die wegen Eifersucht unter vielen Martern und Qualen gelitten haben und zum schönsten Beispiel bei uns geworden sind.“ (1 Clem 6, 1)
Das Vorbild der Märtyrer und die Märtyrerverehrung dient in der Argumentation des Clemensbriefes nicht zuletzt der Bestärkung und dem Aufbau einer römischen Gemeindeordnung. In ihr ist die Stellung des römischen Bischofs immer wichtiger geworden und hat dann in Konkurrenz mit anderen Städten ihre Ausstrahlung in der Oikumene entwickelt. Dabei spielen die Herleitung des römischen Bischofsamtes von den Aposteln und die mit ihnen einsetzende Abfolge der Bischöfe eine wichtige Rolle. Irenäus von Lyon, der zweite Bischof von Lyon, der sich zur Zeit des Martyriums seines Vorgängers in Rom befand, sieht Clemens in seinem Werk Gegen
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die Häresien etwas nach 180 als Nachfolger der Apostel Petrus und Paulus (Iren. 3,
3, 3). Irenäus ging es um den Beweis der Tradition des Glaubens in der Kirche. Zum Kern des Glaubens gehört die Nachfolge Christi. Die Apostel und die römischen Bischöfe leisteten hier unter anderem durch ihr Martyrium einen Beitrag. Um 200 sind Gräber der Apostel am Vatikan und an der Via Ostiensis als trópaia (Siegesdenkmäler, Siegeszeichen) durch den römischen Autor Gaius bezeugt. Die Worte des Gaius überliefert Euseb in seiner Kirchengeschichte folgendermaßen: „Ich kann die Siegeszeichen der Apostelzeigen. Du magst aufden Vatikan gehen oder aufdie Straße nach Ostia, du findest die Siegeszeichen der Apostel, welche diese Kirchen gegründet haben.“ (Eus. HE 2, 25, 7)
Die kulturellen Techniken der Märtyrerverehrung sind geschichtlich weit wirkungsvoller als eine objektiv sein wollende historische Erinnerung, die Emotionen und Religon nüchtern behandeln, ja ausblenden möchte und so weitgehend abgeschlossen und wenig lebendig im Bereiche der Gelehrsamkeit ihren Platz findet. Bei der Märtyrerverehrung ist der Blick zurück von geringerer Bedeutung als die Ausrichtung auf Gegenwart und Zukunft. So zentral das Gedächtnis an die Märtyrer ist: Es soll zu Hauptsache wiederum der Christusnachfolge dienen und den Glauben bestärken. Die Dokumentation im Hinblick auf eine mögliche Wiederholung der geschichtlichen Rekonstruktion des Geschehenen dient diesem Ziel. Sie ist von den Interessen der Gegenwart bestimmt und zeugt von den geschichtlichen Verhältnissen der jeweiligen Glaubensgemeinschaften. So gehören zur Märtyrerverehrung das Vergessen, das Missverständnis und die Fiktion: Die Fiktion vermag immerhin ein Gefühl einer Kompensation von Verlusten zu erzeugen, wie sie Vergehen, Vergessen und Missverständnis unweigerlich heraufbringen, sofern man sich ihr hingibt und sie hinnimmt. Giovanni Battista de Rossi hat die sogenannte Papstkrypta in der Calixtus-Katakombe erst 1854 wieder entdeckt. Man hatte sie so gut wie vergessen, sie war unzugänglich geworden, eine unter tausenden anderer Gedenkstätten, denen es nicht besser ergangen war. Sie befand sich in jenem Coemeterium, das die depositio martyrum des Chronographen von 354 als Katakomben des Callistus bezeichnet. Die depositio martyrum ist Bestandteil eines Werkes, das Filocalus, der Freund und Bewunderer des bedeutenden Förderers der Märtyrerverehrung, des Bischofs Damasus (366–384), für den christlichen Aristokraten Valentinus geschaffen hatte. Wenn der Adlige den Codex aufschlug und durchblätterte, so konnte er an kunstvollen Illustrationen der Monate des Jahres erfreuen, Listen der Konsuln und der römischen Bischöfe konsultieren und sich über viel Erinnerungswürdiges informieren, darunter eben auch über die Stätten der Märtyrer und ihre Feste in Rom.
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Papst Xystus III. ließ in der Papstkrypta im 5. Jahrhundert eine – heute verlorene – Marmorplatte anbringen, aufwelcher die bestatteten Bischöfe verzeichnet waren, als erste die Märtyrerbischöfe – beginnend mit Xystus II. (Lib. pontif. 1, 234 mit 236 Anm. 16). Vor dem Grab von Xystus II. befand sich eine Inschrift mit dem folgenden Gedicht des Damasus: „Hierruhtvereint, wenn du fragst, eine Scharvon Frommen: die verehrungwürdigen Gräber bewahren Leiber von Heiligen, die erhabenen Seelen nahm sich das himmlische Reich. Hier ruhen die Gefährten des Xystus, die den Siegüber den Feinddavontrugen, hier die Menge der Vornehmsten, die die Altäre Christi bewahren. Hier ist der Priester bestattet, der in langem Frieden lebte, hier die heiligen Bekenner, die Griechenland sandte, hier die Jünglinge und Knaben, die Greise undkeuschen Enkel, denen es bessergefiel, die jungfräuliche Scham zu bewahren. Hier wollte ich, Damasus, ich gestehe es, meine Glieder bestatten, aber ich fürchte, die heilige Asche der Frommen zu stören.“ (Damas. carm. 16)
Obschon die römischen Märtyrerbischöfe für Damasus wichtig waren: Noch stärker hervorgehoben wird in diesem Epigramm die große Zahl der Märtyrer, die eine Schar (turba) von Heiligen bilden. Ihre Namen sind längst nicht alle bekannt. Sie bilden einen neuen Adel (proceres), der Dienst am Altare Christi leistet und offenbar auch dort seinen Platz im Paradies hat (vgl. Offb 6, 9).
Abb. 1 8: G. B. de Rossi, Rekonstruktion der Papstkrypta im Werk Roma sotterranea cristiana (Bd. II, Tav. I A) von 1 867
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Damasus trug viel dazu bei, die Stätten der Märtyrerverehrung auszubauen und zu verschönern. Zur topographischen Ordnung Roms zählten diese Orte genauso wie die Feste der Heiligen. Der kostbare Codex, den sich Valentinus schenken ließ, zeigt, wie viel Aufmerksamkeit diesen neuen Einrichtungen geschenkt wurde und als wie kostbar man sie betrachtete. Damasus konzentrierte sich keinesfalls allein auf die Verehrung seiner Vorgänger. Gewiss waren sie ihm wichtig. Mehrere tituli sind ihnen gewidmet. Wohl am meisten am Herzen lag ihm die Verehrung der Apostel Petrus und Paulus. So verfasste Damasus für die dem Gedächtnis der beiden gewidmeten konstantinischen Basilica Apostolorum, die an der Via Appia bei einem Ort mit der Bezeichnung ad catacumbas errichtet worden war und später S. Sebastiano genannt wurde und heute noch immer so heißt, ein Gedicht, in dem er sagt, Rom komme es zu, die Apostel als seine Bürger zu beanspruchen (Damas. carm. 20). An der Gedenkstätte an der Via Appia pflegte man bereits im 3. Jahrhundert Gedächtnisfeiern für die beiden Apostel abzuhalten. Nicht nur einfache Leute haben daran teilgenommen, der Ort war auch unter dem römischen Adel beliebt, für Besuche wie auch für Bestattungen. 24 Papst Damasus ehrte aber nicht nur die beiden Apostelfürsten, sondern viele Märtyrer mit ganz unterschiedlichem Profil. Ihre Kultstätten sind über das Gebiet der Stadt hinweg verteilt. Damasus zeigt sich in den Epigrammen mit seiner persönlichen Geschichte. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Ursinus bei seiner Wahl schimmern durch (carm. 42, 3–5; 59, 5–7), klar schildert er seine Begegnung als Knabe mit dem Henker der Diakone Marcellinus und Petrus (carm. 28, 3). Besonders am Herzen lag ihm auch der 258 hingerichtete Laurentius:
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„Schläge, Henkersknechte, Flammen, Folter und Ketten konnte allein der Glaube des Laurentius besiegen. Diesen Altar überhäuft Damasus demütig bittend mit Gaben und schaut aufzum Verdienst des auserlesenen Märtyrers. (Damas. carm. 33)
Laurentius wurde in Rom zu einem der beliebtesten Heiligen, unter anderem wegen seiner Freigebigkeit gegenüber den Armen. Der Familie des Damasus war er eng verbunden. Die für ihn wohl unter Konstantin gebaute Umgangsbasilika erhob sich aufeinem Grundstück, aufdem die Familie des Damasus gewohnt hatte. Der Vater des Damasus, der Presbyter Antonius, der aus dem Gebiet des heutigen Portugal stammte, hatte dort eine Grabinschrift (carm. 57), in der seine kirchliche Laufbahn beschrieben war. Damasus lag auch die Verehrung der Märtyrerin Agnes am Herzen. Agnes diente als Vorbild bei der Förderung asketischer Lebensformen unter den Frauen (carm. 37). Die Stätte der Agnesverehrung lag inmitten eines großen Coemeteriums. Konstantina, die verwitwete Tochter Konstantins, hatte dort eine Kirche gestiftet, wie eine handschriftlich überlieferte Weihinschrift besagt ([Ps.-]Damas. carm. 71 = ILCV 1768 = ICUR VIII, 20752). Neben der Umgangsbasilika erhob sich ihr Mausoleum. Die Asketin und Märtyrerin Agnes war also bereits für die Familie Konstantins wichtig gewesen. Damasus knüpfte an Entwicklungen an, die unter diesem Kaiser eingesetzt hatten. Seit dem militärischen Sieg des Herrschers entfalteten sich die Märtyrerkulte auf breiter Front. Anregend dabei waren zweifellos die Aktivitäten Konstantins, seiner Familie und des Hofes. Zu ihren Ergebnissen zählen – wie im Falle von Sant’Agnese – Sakral- und Grabbauten für die kaiserliche Familie. Nicht alle Baumaßnahmen und Initiativen zugunsten der Märtyrerkulte gingen aber von Herrscher, Hof und Zentrale aus. Konstantin gab Aktivitäten der einzelnen Gemeinden ebenfalls Raum. So legte der Kaiser fest, dass die Stätten, an denen Märtyrer bestattet worden waren, den Kirchen gehören sollten (Eus. vita Const. 2, 40). Mit starker Hand wurde die Entfaltung der Märtyrerverehrung gefördert. Die Hoffnungen auf Wachstum der Gemeinden, die Dauerhaftigkeit des politischen Systems und das Wohl aller scheinen in den neuen Kulten zusammengekommen zu sein. Zugleich machten sie anschaulich, was in den Evangelien stand: Wunderglaube und Hoffnung auf Auferstehung werden durch den Märtyrerkult illustriert. So formuliert Damasus für sein eigenes Grab folgende Inschrift: „Der schreitend den heftigen Wogen des Meeres Einhalt geboten hat, der dem sterbenden Samen derErdeLeben gewährt, derdieverhängnisvollen Fesseln desTodes lösen, unddernach drei Tagen den Bruder aus dem Schattenreich wieder ans Tageslicht und der Schwester Martha zurückgeben konnte, der, glaube ich, wirdauch den Damasus aus dem Staube auferwecken.“ (Damas. carm. 12)
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Die Märtyrerverehrung erhielt eine weitere Ausgestaltung in der Zeit des Kaisers Theodosius. Damals wurde unter anderem die Basilika des Paulus (heute: San Paolo fuori le mura) neu errichtet. Der Dichter Prudentius feierte die römischen Märtyrer. Er hatte die Welt am Hofdes Theodosius erlebt, aber noch wichtiger wurden ihm Rückzug, Askese und ein frommes Leben für seine Berufung. Seine christliche Dichtung vermittelte über Jahrhunderte hinweg Liebe zum Gebet, zur Kirche und zu den Märtyrern. Während eines Romjahres erlebte Prudentius die ewige Stadt mit den alten heidnischen Tempeln, den neuen christlichen Kultstätten, den Gladiatorenspielen und den Festen zu Ehren der Heiligen, allen voran am 29. Juni für Peter und Paul. Sein Gedicht zu Ehren des Märtyrers Hippolytus, dessen Basilika er am Gedenktag des Heiligen am 13. August besuchte, hält an BischofValerianus von Calahorra gerichtet fest: „In des Romulus Stadt sah ich zahllose Gräber von Heiligen [...].“ (Prud. perist. 11, 1) Prudentius zeigt auch wiederholt, dass der Adel der Stadt christlich geworden war. So schreibt er im Hymnus auf Laurentius: „Und selbst die Leuchten des Senats, ein Flamen und Lupercus einst, sie küssten jetzt der Märtyrer und der Apostel Schwellen ab.“ (Prud. perist. 2, 517–520) Doch wahren Adel, so lässt Prudentius es den Märtyrer Romanus formulieren, machte allein der Dienst für Christus (perist. 10, 129). Das Apostelfest zog Pilger von weither an. Unter ihnen befand sich auch regelmäßig Paulinus von Nola, der sein kleineres Pilgerzentrum am Grab des Bekenners Felix verließ, um nach Rom zu reisen. Für ihn war es klar, dass die Heiligen Fürbitter für das Wohl Roms und Garanten römischer Ordnung in einer schwierigen Zeit waren, nämlich als Stilicho 406 Radagais bei Faesulae besiegte (vgl. carm. 21, 4–13. 25–47). Doch ähnlich wichtig erscheinen in seinen Texten auch Angehörige des christlichen Senatsadels wie Pammachius, der die Armen Roms in der Peterskirche versammelte und bewirtete (epist. 13, 11). Die Eroberung Roms 410 durch die Westgoten weckte zwar die Vorwürfe der Heiden, die alten Götter hätten Rom schützen können, wenn die Christen nicht von ihnen abgefallen wären, aber die Christen in Rom wandten sich nur noch stärker den neuen Kulten zu, und die Westgoten, die Rom erobert hatten, folgten ihnen darin. Zu den Förderern der Märtyrerverehrung gehörte in den Jahrzehnten nach 410 Papst Leo der Große (440–461). In seine Zeit fällt ein weiterer Sacco di Roma. Leo gelang es zwar, Attila und seine Hunnen von einem Sturm auf Rom abzuhalten, aber 455 plünderten die Vandalen die Hauptstadt. Wie eine Predigt Leos zeigt, erwiesen sich die Römer danach als zu wenig dankbar für die Hilfe der Heiligen in der Not, ja zogen die alten Götter oder die Unterhaltung bei den Spielen dem Gottesdienst vor. Nur wenige seien in die Kirche gekommen. Leo schimpfte:
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„Ich schäme mich, es zu sagen, aberich darfnichtschweigen: Die heidnischen Götzen werden mehrgeehrtals die Apostel. Wahnwitzige Schauspiele werden fleißigerbesuchtals die Kirchen der heiligen Märtyrer.“ (Leo M. serm. 84, 1)
Mailand und Bischof Ambrosius In Mailand vereinbarten Kaiser Konstantin und Licinius Kultfreiheit für alle Religionen. Eine christliche Gemeinde gab es bereits zuvor. Dass der damalige Mailänder Bischof sich um Märtyrerverehrung und Kirchenbau kümmerte, darf man als sicher annehmen. 25 Ebenso gilt dies für die Zeit des Kaisers Constantius II. Damals wurde der aus Kappadokien stammende Auxentius, der homöische Vorgänger des Ambrosius, als Bischofeingesetzt. Diese umfangreiche Vorgeschichte ist freilich durch das energische Wirken des Bischofs Ambrosius und seinen historisch letztlich erfolgreichen Kampfgegen die als Häretiker geltenden Homöer in Vergessenheit geraten. Märtyrerverehrung und der früheste Mailänder Kirchenbau sind mit der Erinnerung an Ambrosius verknüpft. Für den aus Bordeaux stammenden Dichter Ausonius um 385 waren die kirchlichen Bauten in seiner Beschreibung Mailands noch nicht erwähnenswert. Ausonius schildert die Stadt in seiner Reihenfolge bekannter Städte nach Rom, Konstantinopel, Karthago, Antiochia, Alexandria und Trier an siebter Stelle: „Auch in Mailandist alles wunderbar: die Menge der Dinge, die unzähligen undgepflegten Häuser, der Männer redegewandter Esprit und fröhliche Gesittung, dann, mit doppelter Mauer erweitert, das Aussehen des Platzes unddesVolkesVergnügen: der Zirkus unddie keilförmig angelegte Masse des eingeschlossenen Theaters; die Tempel und Palatinischen Burgen unddie bemittelte Münze [...] Unddies alles ragt, gleichsam in großen Gestalten von Werken rivalisierend, heraus und nicht drückt, verbunden, die Nachbarschaft Roms.“ (Auson. ord. urb. nob. 7)
Was Ausonius nicht erwähnte, stand für Ambrosius26 gerade im Mittelpunkt des Interesses: Ambrosius brauchte die Kirchen, um in ihnen mit seinen Predigten zu wirken. Als Augustin mit seiner Redekunst den heidnischen Stadtpräfekten Symmachus so sehr beeindruckte, dass er ihn 384 als Lehrer für Rhetorik an den Hof nach Mailand schickte, reihte sich Augustin unter die Zuhörer des Ambrosius ein: „Eifrighörte ich ihm zu, wenn er zum Volk sprach, [...] um seine Beredsamkeitzu prüfen, ob sie ihrem Rufentspräche oder größer oder geringer sei, als man rühmte. Gespannt und auf-
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merksam lauschteich seinen Worten, abergleichgültigundgeringschätzigblickteich aufihren Inhalt.“ (Aug. conf. 5, 13, 23)
Faustus, ein Anhänger der zur Weltreligion aufsteigenden Bewegung des Manichäismus, schien ihm zwar zunächst noch angenehmer zu reden, doch die Wirkung des Ambrosius siegte. Vor allem die Inhalte der Ausführungen des Mailänder Bischofs packten Augustin mehr und mehr. Ambrosius war ein Meister der Bibelauslegung und der theologischen Deutung. Seine Methode der allegorischen Exegese der Heiligen Schrift formte er zu einem fruchtbaren und mächtigen Instrument der Interpretation. Ambrosius beschränkte sich nicht auf Wort, Gebet und Meditation. Tatkräftig förderte er das Mönchtum, die Märtyrerverehrung und die karitativen Tätigkeiten. Erfolgreich behauptete er sich in politischen und kirchenpolitischen Vorgängen und organisierte seine Gemeinde mit kräftiger Hand. Ambrosius stammte aus einer senatorischen Familie. Sein Vater war Prätorianerpräfekt Galliens in Trier gewesen. Nach seinem Tode lebte die Familie in Rom. Bischof Liberius weihte die Schwester des Ambrosius, Marcellina, zur Jungfrau (Ambr. virg. 3, 1, 2–4). Vor seiner Wahl zum Bischofamtierte Ambrosius als Statthalter der Aemilia et Liguria. Die konfessionellen Streitigkeiten zwischen Homöern und Nicänern in Mailand hatten dazu geführt, ihn als Bischof zu gewinnen: Er wehrte sich dagegen, um für diese Wahl erst recht Zustimmung zu bekommen (Paul. Med. vita Ambr. 6–9). Er sei geradezu vom Tribunal weggerissen worden (raptus de tribunalibus) schreibt er wiederholt (so: Ambr. off. 1, 4): Der erhöhte Amtssitz der Magistraten galt als ein symbolischer Inbegriff von dessen Amtsgewalt. Unmittelbar nach seiner Wahl soll Ambrosius noch einmal ein Tribunal bestiegen haben. Entgegen seiner Gewohnheit habe er gar foltern lassen. Doch das Volk sei nur noch sicherer geworden. Fast wie einst bei Pilatus (Mt 27, 25) sei gerufen worden: „Deine Sünde komme über uns!“ (Paul. Med. vita Ambr. 7) Ambrosius bestieg 374 die cathedra des Bischofs und kümmerte sich sofort intensiv um die Lehre. 377 erschien sein Werk Über die Jungfrauen. Es argumentiert immer wieder mit Vorbildern. Das erste große Vorbild ist die römische Märtyrern Agnes. Mit ihr beginnt Ambrosius sein Werk; mit einer Predigt, die er an ihrem Gedenktag, dem 21. Januar 377 gehalten hat. Sexuelle Enthaltsamkeit, Frömmigkeit und Martyrium gehören zusammen. Das Martyrium ist ein neuer Dienst, ein fruchtbares Opfer, das in einer Gemeinschaft ausgeübt wird, die nicht den biologischen Gesetzen des Todes unterworfen ist. Wir wissen insgesamt wenig über die Frauen, welche in Mailand der asketischen Lebensführung dienten. Es ist nicht einmal recht klar, wie viele es waren, woher sie kamen und wer von ihnen dann in Mailand in klösterliche Gemeinschaften eintrat beziehungsweise ein Leben für sich allein führte. Ambrosius schreibt, dass nicht nur
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aus Städten Italiens, sondern sogar aus Mauretanien Jungfrauen gekommen seien, um sich weihen zu lassen (virg. 1, 10, 57). Wichtiger als monastische Frauengemeinschaften waren jedenfalls Jungfrauen und Witwen, welche Aufgaben für die Kirche übernahmen und ihr finanzielle Mittel zur Verfügung stellten. Von daher betrifft die im Werk Über die Jungfrauen wie auch in weiteren Schriften propagierte Verpflichtung zur sexuellen Enthaltsamkeit einleuchtenderweise sowohl Frauen wie Männer. Auch der Bruder des Ambrosius, Satyrus, ließ sich von den Auffassungen seines Bruders und seiner Schwester überzeugen. Er kam jedoch allzu jung vermutlich bereits im Jahre 378 ums Leben. Das Martyrologium Hieronymianum verzeichnet den 18. September als Todesdatum. Nachdem Satyrus sich in Afrika offenbar um die Güter der Familie gekümmert hatte, erlitt er aufder Rückreise Schiffbruch. Zwar gelangte er lebend an Land und ließ sich in der Folge taufen, aber in Mailand wurde er krank und verstarb. Unmittelbar vor seinem Tode erinnerte er an sein eheloses Leben und gab seinem älteren Bruder freie Hand bei der Verwendung des Familienvermögens für die Armenfürsorge (exc. Sat. 1, 59). Ambrosius bestattete ihn zur Linken eines Märtyrers (ILCV 2165). Am 9. August 378 hatte Kaiser Valens in der Schlacht von Adrianopel sein Leben verloren. Valens war Homöer. Dies wurde ihm von Ambrosius und anderen zum Vorwurfgemacht, ja als Ursache des militärischen Misserfolges ausgelegt. In der Totenrede aufSatyrus ist aber noch stärker die Kriegsangst nach der Niederlage spürbar. Satyrus sei dieses Grauen erspart geblieben, „der Untergang des ganzen Erdkreises, das Ende der Welt, der Tod der Mitbürger [...] die Befleckung der heiligen Jungfrauen und Witwen“ (exc. Sat. 1, 30), Schrecken, von denen man befürchtete, sie könnten sich vielleicht noch schlimmer gleich auch in Italien wiederholen. Einen Schutz sah Ambrosius im rechten Glauben. In der Schrift Überden Glauben legte Ambrosius dem – orthodoxen – Westkaiser Gratian dar, wie wichtig der richtige Glaube des Feldherrn in einer Schlacht war, noch wichtiger als die virtus der Soldaten: „Du weißt, einen Sieg pflegt man mehr durch den Glauben des Feldherrn als die Mannhaftigkeit der Soldaten zu erreichen.“ (Ambr. fid. 1, pr. 3) Diesen Gedanken führte Ambrosius noch oft aus. Das Bekenntnis des richtigen Glaubens, das Bekenntnis zu Christus, dem Führer des himmlischen Heeres (fid. 2, 16, 143), verbindet den Kaiser mit Gott, seinem Herrn. Ambrosius dachte nicht allein an den Kaiser, sondern arbeitete eine Ethik für alle Menschen aus. Alle sollten den christlichen Glauben teilen und an ihm ihre Verhaltensweisen ausrichten. Jeder und jede also, so Ambrosius, hätten mutig zu kämpfen und sich durch den Glauben leiten zu lassen: So würden die Aufgaben im Dienste Christi erfüllt. Differenzierungen ergeben sich dadurch, dass Ambrosius in den Kategorien der römischen Sozialordnung denkt. So wendet er sich in
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höherem Maße an die Eliten. Die drei Bücher De officiis (Die Pflichten) sind an seine Kleriker gerichtet. Doch was er von diesen darlegt, gilt für alle. Von besonderer Wichtigkeit im Glaubenskampf ist der Mut. Dieser Mut zeichnet nun gerade Menschen aus, die ihren Glaubenskampf ohne Soldaten und Waffen allein mit ihrem Glauben und Bekenntnis führen (off. 1, 178). Zu solchem Mut ruft Ambrosius denn auf. Im Glaubenskampf hilfreich seien das Vorbild und die Unterstützung der früheren Märtyrerinnen und Märtyrer. Diese hätten vorgelebt, was die Gläubigen wiederholen sollten. Ambrosius suchte deshalb immer wieder nach Zeugnissen früherer Martyrien. Er studierte die Texte und befragte die Menschen. Auch die Friedhöfe untersuchte er und grub dort nach Reliquien von Märtyrern. Ambrosius wusste dabei um den Erfolg der Kaiserin Helena. Erfüllt von der Eingabe des Heiligen Geistes und unterstützt durch ihre gute Kenntnis der Evangelien habe Helena in Jerusalem den Boden aufgraben lassen und das Heilige Kreuz gefunden (Ambr. obit. Theod. 45). Ambrosius tat es ihr nach. Unmittelbar nach einem schlimmen Streit mit den Anhängern der homöischen Richtung um den Zugang zu den Mailänder Basiliken wollte Ambrosius eine neue Kirche, die Basilica Ambrosiana, einweihen. Sie lag im Westen der Stadt, in einem Gebiet mit Friedhöfen. Ambrosius hatte kurz zuvor im
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Süden Mailands an der Straße nach Rom eine neue Kirche eingeweiht: Sie hatte er mit Reliquien der Apostel ausstatten können. Auch für die Basilica Ambrosiana brauchte Ambrosius Reliquien. Diese sollten von Märtyrern stammen, Persönlichkeiten, welche wie die Apostel den Glauben bekannt und dafür sogar gestorben waren. Man wusste sich in Mailand an einige Glaubenszeugen aus der Bewährungszeit der Christenverfolgungen zu erinnern. Victor zählte zu ihnen, gleichfalls Nabor und Felix. Vor der Abschrankung der Memorialbaus für Nabor und Felix fand Ambrosius im Juni 386 die Körper der Märtyrer Gervasius und Protasius. Er übertrug sie in die neue Kirche. Seiner Schwester Marcellina berichtete er von diesen Vorgängen und den Wundern, die sie begleiteten: „Da fanden wir zwei Männer von wunderbarer Größe, wie es sie in der alten Zeit gab. Alle Knochen waren erhalten, viel Blut war da. Zwei Tage war ein enormer Zusammenlaufvon Leuten. Wir legten die Gebeine zuerst in ihre natürliche Lage und dann in das Behältnis; übertrugen sie bei kommender Abenddämmerung in die Kirche der Fausta; da hielten wir die Nachtwache bis in den Morgen und legten vielen die Hände auf. Den folgenden Tag überführten wir die Gebeine in die neue Kirche, die sie die Ambrosianische nennen. Indem wir die Gebeine übertrugen, ward ein Blinder geheilt.“ (Ambr. epist. 77 [Maur. 22], 2)
Ambrosius predigte danach in der Kirche und erklärte die Vorgänge, nicht zuletzt mit Hilfe der Psalmentexte, die man eben gelesen hatte. So wie der Himmel von der Herrlichkeit Gottes erzähle (Ps 18), so auch die Märtyrer. Die Märtyrer seien Fürsten des Volkes. Mit Gervasius und Protasius hätten die Mailänder, so Ambrosius, nicht nur Zeugen des richtigen Glaubens, sondern starke Patrone: Sie würden der neuen Kirche Schutz geben, sie böten Heil und Gesundheit. Sie seien Beschützer, die nur verteidigen, nicht verfolgen würden, keine Soldaten dieser Welt, sondern milites Christi (vgl. auch Ambr. hymn. 14, 5–8). Ambrosius als Bischofsieht sich in einer Reihe mit ihnen. Er sei im Streit um die Basiliken, welche die Hömöer für sich beanspruchen wollten, zum Martyrium bereit gewesen. Sein Leben sei gefährdet gewesen; diese Gefährdung habe er hingenommen. Nun kamen ihm tatsächliche Märtyrer zu Hilfe. Der Platz, den er für sie bestimmte, war zugleich der Platz, wo er als Priester die Liturgie feierte: Die Reliquien wurden unter dem Altar beigesetzt. Diesen Ort bestimmte Ambrosius nun auch noch zum Platz für sein künftiges Grab. Der Altar war der Ort der mystischen Verbindung mit Christus. Hier, wo der Priester die Liturgie feierte, verbanden sich das Opfer Christi mit den Opfern der Märtyrer, dem Opfer in der Liturgie und den Opfern, welche der Priester und die kirchliche Gemeinschaft in der Gegenwart in ihrem Leben vollbrachten:
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„Christus istüber dem Altar, weiler für alle gelitten hat, diese unter dem Altar, weilsie durch sein Leiden erlöst wurden. Diese Grabstätte habe ich mir ausgesucht [...]. (Ambr. epist. 77 [Maur. 22], 13). 27
Paulinus von Mailand, der die Vita des Ambrosius verfasste, berichtet noch von anderen Auffindungen von Märtyrern. Ambrosius selbst kam es offenbar nicht darauf an, die Details dieser Auffindungen zu schildern. Vielleicht war ihm auch bewusst, wie schwierig es war, angemessen zu schreiben, wer die Glaubenszeugen gewesen waren und wie sie gelebt hatten. Aus einem Brief Augustins an Paulinus werden die Probleme der Unzugänglichkeit oder unzureichenden Qualität schriftlicher Quellen ebenso deutlich wie das Bedürfnis nach ihrer Auswertung und Überarbeitung (Aug. epist. 29*). Die Hagiographie entwickelte sich in Mailand in späteren Zeiten jedenfalls zu einem breiten Strom. Weit mehr wurde mit dem Namen des Ambrosius verknüpft, als wir wirklich gesichert von ihm selbst haben. Hervorzuheben sind nebst den zitierten Stellen insbesondere die Hymnen. Im Umkreis des Ambrosius hat das Anliegen der Märtyrerverehrung jedenfalls starken Zuspruch gefunden. 28 Nördlich der Alpen fand Bischof Theodor von Martigny, der 381 am von Ambrosius geleiteten Konzil von Aquileia teilnahm, die Körper einer ganzen Legion von Soldaten, die während der letzten großen Christenverfolgungen für ihre christliche Überzeugung das Leben verloren hatten. Theodor brauchte die Märtyrer ähnlich wie Ambrosius zur Förderung der Orthodoxie, des Mönchtums und des Kirchenbaus sowie zur Stärkung der christlichen Gemeinden. Vielleicht verfasste er eine Passio zu Ehren des Mauritius und seiner Gefährten, der Thebäischen Legion. Dieser jedenfalls noch im ausgehenden 4. Jahrhundert entstandene Text wurde immer wieder abgeschrieben und unter anderem von Eucherius von Lyon überarbeitet. Die breite Handschriftentradition (gut 200 Manuskripte) kann materiell bis ins 6. Jahrhundert zurückverfolgt werden. In Turin kümmerte sich BischofMaximus um die Märtyrerverehrung. In der Stadt gab es eine Erinnerungskultur für die Märtyrer Solutor, Adventor und Octavius, die später zu Angehörigen der Thebäischen Legion erklärt wurden. In Trento wirkte Bischof Vigilius. In seinem Bistum missionierten die drei aus Kappadokien stammenden Sisinnius, Martirius und Alexander. 397 gerieten sie in Streit mit „Heiden“, wurden umgebracht und sofort als Märtyrer verehrt. Vigilius richtete für die Märtyrer im Nontal sowie in Trento einen Kult ein. Von Vigilius besitzen wir unter anderem einen Briefan den Nachfolger des Ambrosius in Mailand. Reliquien der Heiligen aus dem Val di Non wurden nach Mailand übertragen und dort verehrt. Ein weiteres und längeres Schreiben ging an den Bischof von Kon-stantinopel, Johannes Chrysostomos. Auch er erhielt Reliquien.
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Justinian und der Kirchenbau
In Konstantinopel nahm die Verehrung der Märtyrer noch einmal größere Dimensionen an. Besonders energisch wirkte Justinian. Die Verbindung von Politik und Religion im Kirchenbau des Monarchen und seine Umsetzung in Kunst, Prozessionen, und Heil- und Reliquienkult sind besonders eindrücklich. Die byzantinische Stadt steht am Ende der Entwicklung, die wir im Folgenden in ihren Anfängen zu schildern versuchen. Der Historiker Prokop würdigt die Bautätigkeit des großen Kaiser in einem eigenen Werk: den Bauten. Dem Charakter nach ist es eine prunkvolle Lobrede für die kunstvollen Bauten des Kaisers wie auch den Kaiser selbst. Prokop bezeichnet seine Schrift als Geschichtswerk, dessen Abfassung, wie er schreibt, keinen besonderen Mut und keine besondere Redefreiheit (parrhesía) beanspruche. Anders als in seinen Werken zu den Kriegen Justinians und vor allem in den Anekdota entwirft Prokop ein unkritisches Bild von Leistungen des Herrschers: „Über die meistens seiner übrigen Taten habe ich schon in anderen Büchern geschrieben; nun soll im vorliegenden Bandalles behandelt werden, was er als Bauherr an guten Werken vollbracht hat.“ (Prok. aed. 1, 1, 2)
Angesichts der Zahl und Größe der Bauten des Kaisers, müssten später Geborene ohne ein solches Geschichtswerk bezweifeln, dass ein Einziger all das zustande gebracht habe (aed. 1, 1, 17). Das prunkvollste Werk war die Hagia Sophia. Sie überragte die Stadt, stieg „fast zu himmlischer Höhe“ empor und bot den „herrlichsten Anblick“ (aed. 1, 1, 27–28). Für deren Neubau vermochte Justinian Anthemios von Tralles, „den mit Abstand glänzendsten Ingenieur“ aller Zeiten und weitere herausragende Fachleute zu gewinnen, „ein Zeichen der Gnade Gottes“ für den Kaiser (aed. 1, 1, 24–26). Wenn jemand die Hagia Sophia betrete, so werde ihm sofort bewusst: „[...], dass nichtmenschliche Kraftoder Kunst, sondern Gottes Hilfe diesesWerk gestaltethat; sein Sinn aber erhebt sich zu Gott undwandelt in der Höhe undglaubt daran, dass der Herr nicht ferne ist, sondern am liebsten in den Räumen weilt, die er sich selbst ausgewählt hat.“ (Prok. aed. 1, 1, 61)
In zahlreichen Städten kümmerte Justinian sich um die Kirchen: „[...] unter seiner Regierung durfte keine Kirche neu errichtet oder bei Baufälligkeit wieder instandgesetztwerden außer mitkaiserlichen Mitteln. Diese Bestimmunggaltnichtallein in Byzanz, sondern auch im ganzen Römerreich.“ (Prok. aed. 1, 8, 5)
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Ähnlich wie die massiven Festungen prägten die Kirchenbauten das Aussehen der Städte. Von den in den Kirchen verehrten Märtyrern erwartete man Heil. Justinian selbst war überzeugt, Kosmas und Damian hätten ihn, als er schwer krank gewesen sei, vor dem sicheren Tod gerettet. Zum Dank dafür erneuerte er die Kirche der Heiligen am Goldenen Horn (aed. 1, 6, 5–8). In seiner Zeit will man die Körper der Apostel Andreas, Lukas und Timotheos in der von Justinian erneuerten Apostelkirche gefunden haben, wo einst Constantius II. seinen Vater Konstantin hatte bestatten lassen. Prokop interpretiert dies als ein deutliches Zeichen der Apostel, welche so die Frömmigkeit und den christlichen Glauben Justinians anerkennend gewürdigt hätten (aed. 1, 4, 18. 23–24). Eine ähnliche Auszeichnung wurde Justinian beim Bau der prunkvollen Kirche der Märtyrerin Eirene am Goldenen Horn zuteil. Es wurden nämlich angebliche Überreste von 40 Soldaten der 12. Legion gefunden, die früher ihren Standort in Melitene in Armenien hatte (der 40 Märtyrer von Sebaste): „Diesen so lange verborgenen Schatz brachte Gott absichtlich ans Tageslicht; wollte er doch allen Menschen versichern, dass erdes Kaisers Gaben mitbesonderem Wohlgefallen angenommen habeundsein verdienstvollesWirken mitnoch größerem Dankevergelten würde.“(Prok. aed. 1, 7, 4–5)
Justinian wurde denn auch von einem starken Rheuma geheilt, das er sich durch übermäßiges Fasten und Wachen zugezogen hatte: „[...] die Priester hatten kaum das Reliquiar aufdas Knie des Kaisers gelegt, da verschwand auch sogleich unter dem Zwangder gottgeweihten Körper jeglicher Schmerz. Gottaber wollte keinen Zweifel auftreten lassen, sondern bekräftigte noch durch ein deutliches Zeichen das wunderbare Geschehen. Ölentströmte nämlich plötzlich diesen heiligen Reliquien, ergoss sich über die Lade undbefeuchtete beide Füße unddas ganze purpurfarbene Gewanddes Kaisers. Deshalb wird auch heute das so benetzte Gewand im Kaiserpalast aufbewahrt, ein Beweisstück für das damalige Ereignis undein Heilmittelfür die Menschen, die später einmalhoffnungslosen Krankheiten verfallen.“ (Prok. aed. 1, 8, 14–16)
Die Bedeutung der Märtyrerverehrung nahm also zu und wurde zu einem wichtigen Element der byzantinischen Kultur. Man kann sich fragen, ob eine Funktion der Kulte nicht auch darin bestand, über die beharrlich zu erbringenden Opfer in der Gegenwart zu schweigen oder über sie hinwegzutrösten. Von Martyrien sprach dabei niemand. Der Historiker Prokop nahm indes manche Leiden der Zeit wahr. Die Machtfülle und Entscheidungen des Monarchen hatten eine ausgesprochen schlechte Seite. In den Anekdota berichtet Prokop beispielsweise von den negativen Auswirkungen kaiserlicher Bautätigkeit. Die Städte hätten
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Schaden erlitten, die Steuerlast sei ins Unermessliche gestiegen, man habe nicht mehr gut gelebt, die urbane Infrastruktur sei ebenso vernachlässigt worden wie Theater, Hippodrom und Zirkus. Auf dem Markt und in den alten Tempeln habe man nur noch über Unglück, Leid und Schicksalsschläge zu stöhnen vermögen (Prok. HA 26, 5–11). Das Loblied kaiserlicher Frömmigkeit und Architektur in den Bauten wird in den Anekdota zur polemischen Klage über das Ende der freiheitlichen antiken Verhältnisse und des traditionellen Euergetismus. Wiederholt berichtet Prokop auch von Menschen, die zu Tode gebracht wurden oder sich den Maßnahmen des tyrannischen und teuflischen Herrscherpaares Justinian und Theodora durch Suizid entzogen. Doch solche Opfer sind nicht in Kirchen erinnert worden.
Rezeption und Entwicklung der Märtyrer- und Heiligenkulte in den frühmittelalterlichen Städten des Westens Die Schilderungen Prokops von den eindrucksvollen Bauten Justinians besitzen kein Pendant im Westen. Der Westen war ärmer, von der Völkerwanderung stärker betroffen, und niemand dort hätte sich mit der Macht Justinians messen können. Zunächst hatten vor allem Bischöfe Einfluss auf den Bau von Kirchen und Klöstern. Die germanischen Könige ließen sich in vielen Fällen von ihnen inspirieren, handelten aber nicht selten auch im Gegensatz zu dem, was diese wollten, ja beseitigten manche von ihnen rücksichtslos. Unter den „Heiligen der Merowinger“ (Carl Albrecht Bernoulli) findet sich denn auch beispielsweise BischofLeodegar als Märtyrer: Childerich II. und sein Hausmeister Ebroin ließen ihn mit einem Bohrer blenden, ihm die Zunge herausreißen – am Ende wurde er enthauptet. Die Märtyrerverehrung und der Kult der Reliquien wurden im Frühmittelalter noch intensiver. Der für uns so befremdliche Wunderglaube, der freilich schon in der Spätantike förmlich explodierte, gehörte zur Alltagsmentalität. Bereits Augustin hatte ihn akzeptiert (Aug. civ. 22, 8), obschon er die Auswüchse der Märtyrerkultes wahrnahm und kritisierte. Doch er trug mit dazu bei, dass der Glaube Gestalt in der „Kirche“ annahm. Diese wurde dabei vom großen Theologen weniger als Bau und Organisation, sondern vor allem als Gemeinschaft und „Leib Christi“ verstanden. Man hat sich hie und da gefragt, ob der doch so rational wirkende Papst Gregor der Große wirklich ein Werk wie die Dialogi verfasst haben könnte, in denen Heiligen- und Wundergeschichten geboten werden. 29 Natürlich hat er es. Alle sollten glauben, alle es den Märtyrern nachtun. Ein neues Leben entstand: Alle konnten an ihm teilhaben, alle waren Märtyrer und Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi und damit Bestandteil des Tempels der Gemeinde und des Leibes Christi:
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„Es gibt [...] zwei Arten von Martyrium, ein verborgenes und ein öffentliches. Denn wenn auch äußerlich keine Verfolgung vorhanden ist, so ist doch das Verdienst des Martyriums im Verborgenen da, wenn die kraftvolle Bereitschaftzum Martyrium in der Seele lodert.“(Greg. M. dial. 3, 26, 7)
Obschon Augustin vor der Überschätzung von Märtyrerstätten gewarnt hatte, scheint die Praxis des Kultes immer stärker auf Materielles fixiert worden zu sein. Dies war eine Sprache, die man am verstand: Kirchenbauten, Gräber und Reliquien. In ihnen nahmen die Worte Gestalt an. Dies war die neue Bildung. Die Resonanzen, die in den Räumen der Kirchen empfunden werden konnten, die Atmosphären, die man dort atmete, die Eindrücke der liturgischen Feiern, das Erschauern vor den Geheimnissen der Reliquien, Gräber, Wunder und Exorzismen – dies alles packte die Menschen und vermittelte ihnen Gemeinsamkeit. Die größte Zahl von Beschreibungen von Kirchenbauten in den Städten bietet Gregor von Tours. 30 Sie sind weit prosaischer als diejenigen Prokops, und doch leuchtet aus ihnen heraus, welchen Wert die Menschen den Kirchen als Stätten der Heiligenverehrung zumaßen. Viele Menschen besuchten sie, und die Bischöfe banden sie in den Zyklus der Feste ein. Die Aussicht auf Wunder am Grabe der Heiligen zog an. Ihr Besuch verschaffte den Schutz des Patrons. Bischof Perpetuus von Tours (460–490) kümmerte sich um die Kirche des Heiligen Martin. Gregor berichtet von ihm: „Undda er sah, dass unabläßig am Grabe des Heiligen Wundertaten geschahen, die Kapelle aber, die über seiner Leiche gebaut war, nur klein war, meinte er, sie sei solcherWundertaten nicht würdig. Er ließ sie deshalb abbrechen und baute eine große Kirche, die noch bis auf den heutigen Tag steht, undsie liegt 550 Schritte von der Stadt entfernt. Sie hat 160 Fußin der Länge, 60 Fußin der Breite; ihre Höhe beträgt bis zur Decke 45 Fuß; im Altarraum hat sie 32 Fenster, im Schiff20 und41 Säulen; im ganzen Gebäude sind52 Fenster, 120 Säulen und 8 Türen, 3 im Altarraum und 5 im Schiff. Das große Fest aber, das in dieser Kirche gefeiert wird, hat eine dreifache Bedeutung, es ist zugleich das Fest der Kirchweihe, der Beisetzung des heiligen Leichnams undder Bischofsweihe des heiligen Martinus. Man feiert es am 4. Juli, derTodestagdes Heiligen aber ist, wie du wissen sollst, am 11. November. Undwenn du diese Feste im Glauben feierst, so wirst du in diesem undjenem Leben dir den Schutz des heiligen Bischofs gewinnen.“ (Greg. Tur. Franc. 2, 14)
1 Dazu u. a. Bowes 2008, v. a. 125–188; A. Oepen: Villa und christlicher Kult aufder Iberischen Halbinsel in Spätantike und Westgotenzeit, Wiesbaden 2012 (Spätantike – frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend, Reihe B: Studien und Perspektiven 35). 2 P. Grossmann: „The Pilgrimage Center of Abu Mina“, in: D. Frankfurter (Hrsg.), Pilgrimage
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and Holy Space in Late Antique Egypt, Leiden 1998, 281–302. P. Grossmann: Abu Mina I. Die Gruftkirche und die Gruft, Mainz a. Rhein 1987 (Archäologische Veröffentlichungen 44). 3 Vgl. Deichmann 1983; Brandenburg 2005; Bowes 2008; Yasin 2009. 4 Siehe nun M. Becker: Eunapios von Sardes. Biographien über Philosophen und Sophisten. Einleitung, Übersetzung, Kommentar, Stuttgart 2013 (Roma Aeterna 1). 5 Vgl. Hahn 2004, 78–105. 6 Vgl. Heim 1992, 301–316. Zum Pilgerheiligtum in Nola: Lehmann 2004. 7 Acta Sanctorum Julii (27. Juli), t. VI, 387–389 (lateinische Übersetzung). Der syrische Hymnendichter und spätere BischofJakob von Sarug dürfte um 500 den Legendenstofferstmals in eine literarische Form gebracht haben. 8 Für eine erste Orientierung (die freilich leicht auch mit Hilfe des Internets via Google möglich ist): Sörries 2011, so zu den hier und in Abb. 16 zitierten Beispielen 243 f., 346–348, 302 f., 389. 9 Siehe auch A. Elin von Törne: Stadtbelagerung in der Spätantike – das Berliner Holzrelief, Wiesbaden 2010 (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend, Reihe B: Studien und Perspektiven 29), 110–121: Ambrosius, Gervasius und Protasius als Hilfe bringende Heilige über einer Schlachtdarstellung vor den Toren Ravennas anlässlich der Niederschlagung der Usurpation des Johannes im Jahre 425? 10 Zum Folgenden siehe – obschon als veraltet geltend – Baur 1929 (Johannes Chrysostomos) sowie vor allem Brennecke 1988, 114 ff. (homöische Märtyrer); Hahn 2004, 121–190 (ihm folgt die hier gegebene Darstellung weitgehend); Soler 2006; Mayer / Allen 2012. 11 J. Lassus: Sanctuaires chrétiens de Syrie. Essai sur la genèse, la forme et l’usage liturgique des édifices du culte chrétien, en Syrie, du IIIe siècle à la conquête musulmane, Paris 1947 (Institut Français d’archéologie de Beyrouth. Bibliothèque archéologique et historique 42), 123–128; Mayer / Allen 2012, 32–49;138–140. 12 Mayer / Allen 2012, 141 f., 207. 13 Wir folgen hier Mayer / Allen 2012, 90–94. 14 Vgl. Les martyrs de Lyon (177). Lyon 20–23 Septembre 1977, hrsg. von M. J. Rougé und M. R. Turcan, Paris 1978 (Colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 575); vgl. auch – mit Hinweisen auf zahlreiche Ungereimtheiten des Berichtes –: W. A. Löhr: „Der Brief der Gemeinde von Lyon und Vienne (Eusebius, h.e. V, 1–2(4))“, in: Oecumenica et Patristica. Festschrift für W. Schneemelcher zum 75. Geburtstag, hrsg. von D. Papandreou, W. A. Bienert, K. Schäferdiek, Chambésy-Genf 1989, 135–149. 15 J.-F. Reynaud: Lugdunum christianum. Lyon du IVe au VIIIe s.: topographie, nécropoles et édifices religieux, Paris 1998 (Documents d’archéologie française 69), v. a. 89–91. 16 Zu Märtyrerstätten und -verehrung in Karthago und Afrika: Saxer 1980; Duval 1982. 17 Zu Cyprian u. a.: Brent 2010. 18 Vgl. G. D. Dunn: „The Reception of the Martyrdom of Cyprian of Carthage in Early Christian Literature“, in: Leemans (Hrsg.) 2010, 65–86. 19 Caspar 1930, 72 f. Vgl. Ch. Gnilka, in: Heid (Hrsg.) 2011, 247 f. 20 Caspar 1933, 740. 21 C. Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin, New York 2000, 124 f. 22 Siehe etwa Brandenburg 2004; Curran 2000; Diefenbach 2007; M. Fr. P. Jost: Die Patrozinien der Kirchen der Stadt Rom vom Anfang bis in das 10. Jahrhundert, 2 Bde., Neuried 2000 (Horrea 2–3); Krautheimer 1987; Pietri 1976. 23 Vgl. die intensiven Debatten über Einordnung und Interpretation des Ersten Clemensbriefes: Zwierlein 2009, v. a. 13–30; Heid (Hrsg.) 2011, dort v. a. R. Riesner 166–171; H. E. Lona 221–246; Zwierlein 453–458. 24 Nieddu 2009.
25 Zu den Kirchenbauten in Mailand: Milano Capitale dell’Impero Romano 286–402 d. C., Milano 1990 (Ausstellungskatalog); La città e la sua memoria. Milano e la tradizione di Sant’Ambrogio, Milano 1997 (Ausstellungskatalog) (beide jeweils mit weiterer Literatur und zahlreichen Abbildungen, Plänen und Grundrissen). Eine rasche Übersicht gibt Krautheimer 1982. Eine Zusammenstellung mit Verweisen auf die Literatur auch bei L. Chrzanovski: L’urbanisme des villes romaines de Transpadane (Lombardie, Piémont, Vallée d’Aoste), Montagnac 2006 (Archéologie et Histoire Romaine 16), 197 ff. Besonders hervorzuheben sodann die jüngste Übersicht: D. Caporusso, M. T. Donati, S. Masseroli, Th. Tibiletti: Immagini di Mediolanum. Archeologia e storia di Milano dal V secolo a.C. al V secolo d.C., Milano 2012 (Civico Museo Archeologico di Milano), 199–300. 26 Zu Ambrosius und der Märtyrerverehrung: Dassmann 1975; 2004; Lanéry 2008. 27 Vgl. dazu Picard 1988, 45 f. 28 Zum Folgenden: Näf 2011. 29 Vgl. nun Dal Santo 2012. 30 M. Vieillard-Troïekouroff: Les monuments religieux de la Gaule d’après les oeuvres de Grégoire de Tours, Paris 1976; M. Weidemann: Kulturgeschichte der Merowingerzeit nach den Werken Gregors von Tours, Main 1982 (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Monographien 3.1 und 2). Vgl. zum Folgenden R. van Dam: Saints and Their Miracles in Late Antique Gaul, Princeton N. J. 1993 sowie zu den größeren Zusammenhängen z. B. Beaujard 2000; Crook 2000.
5 Martyrien, Heiligkeit und die Frage nach ihrer Interpretation
Der Kult der Märtyrer ist seit dem 2. Jahrhundert immer breiter bezeugt. Die Formen der Verehrung waren allerdings nicht unumstößlich. Immer wieder diskutierte man über sie und suchte nach besseren oder angemesseneren Wegen. So oft wurde gefragt, wer als heilig bezeichnet werden dürfe, was ein Martyrium ausmache und wie dessen Bedeutung zu erklären sei: Ein breites Feld der Interpretationen, eine Kampfstätte der Interpreten. Dokumentation und Auslegung dieser Vorgänge sind anspruchsvoll und ihrerseits wieder umstritten.
Patrocinium – Schutz und Hilfe der Heiligen? In den Städten erhielten die Märtyrer ihre Kirchen, im Kalender ihre Festtage. Ihre Namen wurden gewählt, um von der Wirkung der Heiligen in den Familien zu profitieren. Theodoret etwa schreibt: „Die Namen der Märtyrer wissen alle besser als die ihrer Verwandten. Und ihren Kindern geben sie deren Namen voller Eifer, um ihnen dadurch Sicherheit undSchutz zu erwirken.“ (Theod. Graec. affect. cur. 8, 67)
In der Tat war beispielsweise der Name des Laurentius einer der am häufigsten bezeugen Männernamen im Rom des 3./4. Jahrhunderts. Und zahlreiche Römerinnen erhielten den Namen Felicitas. Die Zuversicht auf die Hilfe der Märtyrerinnen und Märtyer gehen parallel mit Erwartungen, die sich direkt an Gott richten. So ist bei der Namengebung der Anschluss an Gott durchaus von Bedeutung. Dafür stehen beispielsweise die damals geläufigen Namen Cyriacus (vom griechischen kyrios, Herr) oder Adeodatus (der Gottgegebene). Vielfach orientieren sich Namen sodann an Familientraditionen und weltlichen Patronen. Von ihnen erhoffte man sich gleichfalls Schutz, Sicherheit und Glück.
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Bei der Interpretation der Beziehungen zu den Märtyrern, ihrer Heiligkeit und Verehrung spielen alle Formen des damaligen gesellschaftlichen Umganges und der geläufigen Hoffnungen auf Hilfe und Unterstützung eine Rolle. Nicht selten bekamen diese in der Folge indes neue Bedeutungen, ja veränderten sich fundamental. Rückwirkungen des Heiligenkultes aufGesellschaft, Kultur und Politik wurden zunehmend stärker und zeigen sich etwa in der mittelalterlichen Vorstellung der wundertätigen Könige – der rois thaumaturges, wie sie der Historiker Marc Bloch genannt hat. Was man von den Heiligen im Himmel erwartete, wünschte man sich gleichfalls von den Mächtigen und Mächten im Diesseits. Die zentrale Vorstellung von den Heiligen als Patrone1 gehört in diesen Schnittbereich zwischen Religion und säkularen gesellschaftlichen Mentalitäten: Als Bischof Ambrosius von Mailand die Körper der Märtyrer Gervasius und Protasius aufgefunden hatte und davon berichtete, bezeichnete er sie als vergessene patroni (Ambr. epist. 77 [22], 11). Patroni übten in der römischen Gesellschaft eine geläufige und zentrale Funktion aus. Die Bezeichnung leitet sich vom Begriff pater (Vater) ab: So wie in der römischen Familie der Vater Besitz-, Verwaltungs- und Schutzrechte ausübte, so der Patron gegenüber seinen Klienten, der spätrömische Grundherr gegenüber den an den Boden gebundenen Kolonen oder ein Herr von Sklaven gegenüber seinen Freigelassenen. Auch Städte und Berufskörperschaften besaßen patroni. Von den Heiligen als Patrone erwartete man ähnlich wie von einflussreichen Persönlichkeiten aus den spätrömischen Eliten machtvolle Hilfe im Alltag. Man hoffte auf ihren Schutz. Ihre Fürbitten sollten überdies zur Vergebung der Sünden und der Erlangung des ewigen Heils beitragen – war doch damit zu rechnen, dass sie wie andere im Glauben an Christus Verstorbene bei Gott für die Hinterbliebenen dafür ihr Wort einzulegen vermochten.
Gemeinden, Volk und Eliten – Rezeptionen römischer Ordnungskonzepte Überall im Raum des alten Imperium Romanum entstanden christliche Gemeinden, in denen solche neuen Vorstellungen Einfluss erhielten. Zu einem Kernbestand der in den Kirchen verbreiteten Auffassungen gehört auch die Überzeugung, dass der Bericht vom In-die-Welt-kommen des Logos, wie ihn die Evangelien bieten, durch die Weiterverbreitung und Auslegung von Menschen in den christlichen Gemeinschaften eine so reale Gestalt annehme, dass das VolkGottes als Leib Christi verstanden werden könne. Die römisch geprägte Welt löste sich trotz der Völkerwanderung und allen Erschütterungen keineswegs ins Nichts auf. Alte römische Vorstellungen wurden umgeprägt und nahmen neue Gestalt an. Dem Presbyter Orosius, der im Auftrage
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Augustins eine Weltgeschichte verfasste, schien sich die folgende Interpretation des Zeitgeschehens aufzudrängen: „[...] wenn allein deswegen die Barbaren in das römische Gebiet hereingelassen worden wären, damit in Ost undWest überall die Kirchen Christi von Hunnen, Sueben, Vandalen, Burgundern und verschiedenen unzähligen Scharen von Gläubigen angefüllt werden, dann wäre die BarmherzigkeitGottes zu loben undhervorzuheben, da nun einmal, wenn auch mit Erschütterungfür uns, so vieleVölkerschaften die Erkenntnis derWahrheitempfingen, die sie nur aufgrunddieses Ereignisses [sc. derVölkerwanderung] finden konnten.“(Oros. 7, 41, 8)
Die neuen christlichen Gemeinschaften benutzten traditionelle römische Ordnungs- und Organisationstechniken. Die Gemeinden waren hierarchisch aufgebaut und sorgten für Konformität, für verbindliche, allgemein gültige Interpretationen ihrer Lehre; in vergleichbarer Art und Weise hatte die alte römische Gesellschaft mit Hilfe ihrer Eliten Fragen der Sprache, der Ethik oder des Rechts reguliert und eine sofort als „römisch“ erkennbare Kultur geschaffen. Auch was unter der Autorität eines Martyriums und der Heiligkeit anerkannt wurde, und was nicht, wurde Sache der Hierarchie und der Definitionsmacht von Eliten. Freilich bildeten diese Eliten keine Einheit, und die unterschiedlichen lokalen Bedingungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie Erwartungen und Gepflogenheiten des Volkes. Ein gemeinsames Interesse von Volksglauben und elitärer Deutung bestand allemal. Es ging um den Aufbau und die Sicherung von Gemeinschaften, deren Leistungen in einer Epoche, in der das römische politische System schwer erschüttert wurde, immer wichtiger wurden, ja sogar an dessen Stelle traten. Auf ein Grundproblem der Epoche, nämlich die Unsicherheit, boten christliche Interpreten Antworten, die eine beruhigende Gewissheit verschaffen sollten: Das alles würde in der Hand Gottes liegen. Wohl sei es so, dass die Sünden der Menschen verdiente Strafe erhalten würden: Die Gnade Gottes biete indes allen, die bereit seien, sich ihm zuzuwenden, festen Halt und ewiges Heil. Schmerz werde aufgehoben, Tod zu Leben: dies seien die Botschaft und die Erlösung des in die Welt gekommenen Gotteswortes.
Christusnachfolge und Martyriumssehnsucht als soziale Kraft Christliche Gemeinschaften lebten aus der Orientierung an den Berichten der Evangelien und der Christusnachfolge. Eine Grundfrage die sich rasch stellte und bis heute immer wieder neu stellt, lautet: Sollen dabei auch spätere Texte und spätere Beispiele solcher Nachfolge berücksichtigt werden?
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Eine prominente Stimme, welche diese Frage mit „Ja“ beantwortet, gehört dem katholischen Theologen Hans-Urs von Balthasar. Er wird hier zum einen einmal mehr als Beispiel eines bedeutenden Rezipienten frühchristlicher Vorstellungen zitiert. Zum andern gehört er zum Kreis von Persönlichkeiten, die sich intensiv mit frühchristlichen Texten und Autoren auseinandergesetzt haben. Dabei hat er auf wichtige Charakteristika dieser Zeugnisse aufmerksam gemacht. Für Balthasar ist die Vorstellung zentral, dass Leben in einer postulierten beziehungsweise als geradezu selbstverständlich genommenen Einheit mit dem Wissen um die Wahrheit sich auf das wahre Leben in Gott ausrichtet, wie dies durch die Nachfolge Christi möglich werde. Eine solche Nachfolge Christi finde sich bei den großen Kirchenlehrern, die zugleich auch ihre Gemeinden in diesem Sinne geleitet hätten. Balthasar formuliert dies so: „Denn Christus, das UrbildderWahrheit, der sich selbst als die Wahrheit bezeichnet, ist nur darum für uns der Kanon der Wahrheit, weil er in seiner Existenz seine Essenz darlebt: nämlich ‚Ebenbild Gottes’ zu sein [...]. Durch diese Einheit des Wissens und des Lebens werden die großen Kirchenlehrer fähig, ihrem besonderen Amt entsprechend zu echten Leuchten undHirten der Kirche zu werden. [...] Wir wundern uns daher nicht, dass in den ersten Jahrhunderten die Personalunion von LehreramtundHirtentum (im Sinn von Eph. 4 und 1 Kor. 12) das Normale ist.“2
Bei einer solchen Sicht ist weder der Tod Christi noch – bei einer konsequenten Nachfolge Christi bis hin zum Tode – der Tod von Gläubigen das Vorrangige. Zentral ist das Leben, das durch die Hingabe an ein Leben in der Nachfolge Christi gewonnen wird. Ein solches Verständnis sei bei mehreren Bischöfen und Kirchenlehrern verwirklicht zu finden. Wie Balthasar es formuliert hat, hätten sie die „Personalunion“ der beiden Funktionen der Kirchenleitung und der Unterweisung ausgeübt. Im Angesicht der Bedrängnis bekannten sie anknüpfend an die biblischen Texte ihre Überzeugung und setzten aufdie Macht der Christusnachfolge. Balthasar legt dies in seinem Werk wiederholt besonders intensiv an Beobachtungen zu Irenäus von Lyon dar, dem bedeutendsten Theologen des 2. Jahrhunderts, der ebenso als Märtyrer verehrt wird (Greg. Tur. Franc. 1, 29). Den stärksten Ausdruck einer geradezu enthusiastischen Bereitschaft zum Martyrium würden wir bei Ignatius finden. Balthasar charakterisiert ihn in der Schrift Cordula oder der Ernstfall: Er beschäftigt sich darin zum Teil polemisch mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, vom dem er ausgeschlossen war und an dem Richtungen der Interpretation stärker wurden, die er ablehnte. Einer der einflussreichen Persönlichkeiten des Konzils war Karl Rahner. Mit einer auf Kant aufbauenden Transzendentaltheologie leistete Rahner einen wichtigen Beitrag zur Öffnung und Erneuerung der römisch-katholischen Kirche,
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in der überdies zugleich viele alten Legenden einer aufklärerischen Entmythologisierung geopfert wurden. Wirkungen zeitigte dabei nicht zuletzt das Gedankengut protestantischer Theologie, insbesondere der Dialektischen Theologie, mit einem starken Interesse an den existentiellen Gehalten der Überlieferung, die wichtiger seien als das „Mythische“. Dies alles ging Balthasar zu weit. Man dürfe nicht „wie im ‚Freihandzeichnen’“ neue Christentümer entwerfen. Sinnfälligerweise trägt seine Schrift im Titel den Namen der Heiligen Cordula, einer der 11 000 Jungfrauen und damit einer der zahlreichen unhistorischen Märtyrerinnen. Aber die Legende von ihrem Martyrium halte das Wesentliche des Christseins fest, den Ernstfall für alle Christen, nämlich die Anknüpfung an das Kreuzesgeschehen. Wer an Jesus Christus glaube, der seine menschliche Existenz Gott zum Opfer gebracht habe, der müsse seinerseits in der Entschiedenheit des Kreuzes den Weg der liebenden Hingabe gehen: „Was soll der Christ sein? Einer, der sein Leben einsetzt für seine Brüder, weil er selbst sein Leben dem Gekreuzigten verdankt.“3
Und dies werde an Ignatius besonders deutlich: „Nicht vor allem aufdas physische Sterben kommt es an, sondern darauf, täglich sein Leben für den Herrn unddie Brüder hinzugeben. Unddabei in der Gewöhnlichkeitunterzugehen, so ganz, dass Worte schon viel zu laut tönen. [...] Martyrium heißt Zeugnis. [...] Aber in welchem christlichen Standder Glaubende leben mag, immer lebt er von seinem GestorbenundAuferstandensein her, weilsein ganzes Dasein der Versuch einer Dankesantwort ist, ‚im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingeopfert hat’(Gal 2, 20).“ 4
Die Martyrien würden Gemeinschaften konstituieren, deren Leben als Dankesantwort an Gott verstanden werden könne. In ihnen habe man an das Leben und Sterben Christi angeknüpft. Der Glaube an Leben und Sterben Christi bleibe dabei das Zentrale. Diese Interpretation schärft den Blick für die Wichtigkeit des Lebens in den Gemeinschaften, seine Gestaltung, seine Qualität. In der Tat läuft im 2. Jahrhundert das Aufkommen des Begriffes des Martyriums als einer das Zeugnis des Glaubens positiv heraushebenden Bezeichnung parallel mit Appellen, welche die Stärkung der jungen christlichen Gemeinden bezweckten. Eindrucksvoll zum Ausdruck kommt dies bei Ignatius. Als Bischofvon Antiochia wurde er gefangen genommen und nach Rom geschickt. Dort sollte er in der Arena sterben. Unterwegs verfasste er sieben Briefe. Im Brief an die Römer sieht er sein Schicksal voraus und versteht dieses als eine Form der Christusnachfolge. Ihm auszuweichen wäre seines Erachtens
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unsinnig, vielmehr gibt Ignatius sich ihm vorbehaltlos hin und „freut“ sich aufdas, was kommen wird. Die christlichen Gemeinden sollen dies hinnehmen und ihn mit diesem Hinnehmen unterstützen. Die vielzitierte und aufschlussreiche Stelle muss hier noch einmal (vgl. oben S. 102 f.) in Erinnerung gerufen werden: „Ich schreibe allen Kirchen undschärfe allen ein, dass ich freiwillig für Gott sterbe, wenn ihr mich nichthindert. Ich ermahne euch, mirkein unzeitigesWohlwollen zu werden!Lasstmich ein Fraßfürdie wilden Tiere sein, durch die es möglich ist, zu Gottzu gelangen!Weizen Gottes bin ich unddurch die Zähne von wilden Tieren werde ich gemahlen, damitich als reines Brot Christi erfunden werde.“ (IgnRom 4, 1)
Das heißt nicht, dass Ignatius den Tod suchte, obschon die Doppeldeutigkeiten der von ihm verwendeten Metaphern auch eine solche Interpretation zulassen. Immerhin: Aufdem Weg nach Rom sprach er mit den Soldaten, die ihn abgeführt hatten: Er wollte mit ihnen zurechtzukommen, nicht sie provozieren. Zugleich gibt der Brief zu erkennen, dass es Ignatius in der Hauptsache darum ging, sein Leben in einer Berufung zu leben, die über das Weltliche hinausführte, hin zu Christus, so dass das Sterben in der Nachahmung des Leidens Christi eine Geburt darstellte und ihn zum Menschen machte: „Haltetmich nichtab vom Leben, wolltnichtmeinen Tod[...]!Dortangekommen werde ich Mensch sein. Gestattet mir, ein Nachahmer des Leidens meines Gottes zu sein!“ (IgnRom 6, 2–3)
Ähnlich wie es im 4. Makkabäerbuchgeschieht, 5 bekannte Ignatius seine Bereitschaft und seinen Willen zum Martyrium. Allerdings fällt ihm das nicht leicht: die Kraft kommt durch die Gemeinde und das richtige Verständnis der Überlieferung vom Leben und Sterben Christi. Dies war wirkliches Leben und wirkliches Leiden, und seiner Meinung nach auf keinen Fall – wie es offenbar manche seiner Gegner annahmen – ein Geschehen, das sich nur dem Schein nach ereignet hatte. In dieser Einsicht und in diesem Glauben erbittet Ignatius die Unterstützung der Gemeinde: „NurKraft, äußerlich wieinnerlich, erbittetfürmich, damitich nichtnurrede, sondern auch den Willen habe, damit ich nicht nur Christ genannt, sondern auch [als solcher] erfunden werde.“ (IgnRom 3, 2)
Die Ausrichtung des Lebens auf das Martyrium und die Interpretation des Martyriums als Nachfolge eines seiner Meinung nach richtig verstandenen Christus ist verknüpft mit Appellen zur Stärkung und Ausgestaltung der christlichen Gemeinden. Diese sollen den Frieden wahren, die richtige Lehre pflegen,
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regelmäßig liturgische Feiern durchführen, anständig leben und loyal zu ihren Bischöfen stehen. So mahnt Ignatius unter anderem die Magnesier: „[...]in derEintrachtGottes bemühteuch, alles zu tun, wobei derBischofden Vorsitzführtan Gottes Stelle und die Presbyter an Stelle der Versammlung der Apostel [...]. Alle nun, die ihr eine göttliche Übereinstimmung der Gesinnung empfangen habt, achtet einander; und niemand soll in fleischlicher Weise aufden Nächsten blicken, sondern in Jesus Christus liebt einander fort und fort. Nichts sei unter euch, was euch trennen könnte, vielmehr bildet eine Einheitmitdem Bischofundden Vorgesetzten zu VorbildundLehre der Unvergänglichkeit.“ (IgnMagn 6, 1–2)
In Smyrna amtierte Polykarp als Bischof. Auch er gilt wie Ignatius von Antiochia als einer der Apostolischen Väter, welche noch die Apostel erlebt hatten. In einem Brief der Gemeinde von Smyrna wird sein Martyrium dargestellt. Dieser früheste Bericht eines Martyriums verdeutlicht weiter, welche soziale Macht der Gedanke der Christusnachfolge bis hin zum Martyrium auszuüben vermochte. Der Bischof selbst ist Märtyrer, wiederholt, was Christus getan hat und ist damit wiederum Vorbild für alle Christen: „Wirhaben Euch aufgeschrieben, Brüder[undSchwestern], das, was sich mitden Märtyrern und dem seligen Polykarp zugetragen hat, der, indem er durch sein Zeugnis gleichsam ein Siegel aufgedrückt hat, der Verfolgung ein Ende gesetzt hat. Denn fast alles, was vorging, geschah, damit der Herr uns von oben das dem Evangelium gemäße Martyrium zeige. Denn er wartete ab, um ausgeliefert zu werden, wie auch der Herr, damit auch wir seine Nachahmer würden, indem wir nichtnur unser eigenes Geschick, sondern auch das der Nächsten im Auge haben. Denn es ist das Wesen wahrer und starker Liebe, nicht nur sich selbst retten zu wollen, sondern auch alle Brüder.“ (MartPol 1, 1–2)
Polykarp, der ein untadligesLeben führte, suchte das Martyrium nicht. Sein Leben war ihm kostbar, er wollte es nicht wegwerfen. Doch wie bei Ignatius erscheint dieses Martyrium als etwas Unvermeidliches, von dem Polykarp im Voraus weiß. Dieser früheste Text, in dem das Martyrium Gegenstand einer eigenen Schrift geworden ist, zeigt, wie sich die Vorstellungen über das Martyrium entfalteten und verstärkten und der Gestaltung des Lebens in den christlichen Gemeinden dienten. Der Gedanke, mit einem christlichen Leben bis hin zum Martyrium Christusnachfolge zu leisten und für sich und andere das Leben zu gewinnen, wird fortan immer wieder aufgegriffen. Er löste eine Art Kettenreaktion aus, die im Hinblick auf die Märtyrer von Lyon folgendermaßen beschrieben wird:
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„Durch die Lebendigen wurden nämlich die Toten wieder zum Leben erweckt; die Glaubenszeugen wurden zur Gnade für die, welche den Glauben nicht bekannt hatten. [...] Durch jene Märtyrer kehrten die meisten derer, die den Glauben verleugnet hatten, zurück und wurden in den Schoßder Kirche aufgenommen und noch einmal zum Leben erweckt. Durch jene lernten sie bekennen und traten sie nunmehr voll lebendiger Kraft [...] vor den Richterstuhl (des römischen Statthalters).“ (Eus. HE 5, 1, 45–46).
Die aus Syrien stammende Didaskalie formuliert das Ansehen, das ein Christ, der die Verfolgung seines Glaubens und die Inhaftierung aushielt, mit den Worten: „[...] als ein heiliger Märtyrer, als ein Engel Gottes oder Gott aufErden soll er von euch angesehen werden.“ (Didasc. 19)
Die Zahl der Märtyrer wurde rasch größer. Mehr und mehr verstanden sich christliche Gemeinden als Gemeinschaften, zu denen Blutzeugen zählten. Immer wichtiger wurden daher auch die Märtyrerkulte.
Konkurrenz der Martyriumsinterpretationen Die zunehmende Bedeutung der Martyrien zog es nach sich, dass die Martyrien selbst und die Haltung einem Martyrium gegenüber schon früh einer Kritik unterzogen wurden. Das Ende des 2. Jahrhunderts ist eine Zeit, in der sehr verschiedene Gruppen nebeneinander existierten, in Konkurrenz zueinander standen und sich alle in unterschiedlicher Form aufdie Märtyrer bezogen. Es wurde gekämpft. Nicht selten verwendete man in den Debatten genau die gleichen Argumente einfach in umgekehrter Richtung und stellte die Märtyrer und Martyrien der nächsten Gruppe in Frage. Es begegnen vor allem zwei Vorbehalte. Einmal äußerte man sich ablehnend gegenüber der Haltung bestimmter – meist gnostischer – Gruppen zum Martyrium. Zum anderen zweifelte man an der Legitimität bestimmter Martyrien: Handelte es sich um wirkliche Märtyrer? Verdienten sie diese Bezeichnung? Wurden sie zu Recht verehrt? Beliebt war der Vorwurf, dass bestimmte Martyrien es nicht verdienen würden, so benannt zu werden, weil es sich in Wahrheit um Suizide handle. So kritisiert Clemens von Alexandria: „Wir tadeln Menschen, die sich selbst in den Tod stürzen. Es gibt nämlich manche Leute, die nicht zu uns gehören, sondern nur den gleichen Namen wie wir tragen, die aus Hass gegen den Weltschöpfer sich auszuliefern beeilen, die Unseligen, die den Tod nicht erwarten könnten. Von ihnen behaupten wir, dass sie sich mit ihrem freiwilligen
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Abschied aus dem Leben nicht den Ruhm eines Märtyrers erwerben [...].“ (Clem. Al. strom 4, 17, 1–2)
Die Martyriumssituation dürfe nicht gesucht werden. Sonst komme man in die Nähe des Selbstmordes. Das Martyrium müsse unausweichlich sein. Polykarp träumte, so der Bericht von seinem Martyrium, von einem brennenden Kissen und wusste, dass ihm der Tod durch das Feuer bevorstehen würde (MartPol 5, 2). Der Verfasser möchte offenbar mit diesem Traum die Legitimität des Martyriums erweisen. Auch in den Auseinandersetzungen mit gnostischen Gruppen wird das SuizidArgument tangiert. Für die „falschen“ Gnostiker, so deren Kritiker, bestehe das Martyrium in der Gnosis, der Erkenntnis, dem rein geistigen Akt, der nicht im Stadium vor einer beliebigen Menschenmenge vollzogen werde, sondern vor den „himmlischen Autoritäten“ selbst. Das sogenannte Blutzeugnis werde von ihnen als sinnlos erachtet, ja als Suizid. 6 Clemens von Alexandria schreibt dazu gegen die „falschen“ Gnostiker gerichtet: „Einige von den Irrlehrern aber haben den Herrn falsch verstanden, hängen gottlos zugleich undfeige am Leben undbehaupten, das wahre Märtyrertum sei die Erkenntnis des wahrhaft seienden Gottes, was auch wir zugeben, wer aber sein Bekenntnis mit dem Tod besiegle, der töte sich selbst und sei ein Selbstmörder [...].“ (Clem. Al. strom. 4, 16, 3)
In dem Für und Wider von rechten und potentiell falschen Märtyrern teilten indes alle die Wertschätzung der Märtyrer an und für sich. Dass Martyrien einen tiefen Eindruck hinterließen, gilt auch für die Gruppen, deren Rechtgläubigkeit bestritten wurde. Es hat eine Auseinandersetzung um das Martyrium zwischen Gnostikern und Christen gegeben, die der Gnosis näher oder ferner standen. Clemens von Alexandrien beteiligte sich an dieser Diskussion und hat uns Zitate und Argumente in seinen Teppichen (Stromata) überliefert. Von der Person des Clemens wissen wir fast nichts, nur dass er sich am Ende des 2. Jahrhunderts eine Zeitlang in Alexandrien aufhielt und nicht Bischof, sondern Lehrer und Gelehrter war. Clemens war hochgebildet. Zahlreiche Fragmente der antiken Philosophen, der Stoiker oder der Epikureer sind nur durch Clemens überliefert. Clemens las und zitierte, was damals an christlichen Schriften aufdem Buchmarkt zu finden war, aber auch das Werk des Philon zog er intensiv zu Rate. Er arbeitete Biblisches, Philosophischen und Literarisches zusammen. In der Ethik empfahl er eine Haltung der Mäßigung. Der Christ dürfe sich zum Essen einladen lassen, solle aber zurückhaltend und maßvoll genießen. Die Abschnitte seines Werkes sind durchzogen von Bibelzitaten. Zugleich sind sie ein Zeugnis der
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Luxuskritik, wie sie in der altgläubigen Literatur gut vertreten ist. Diese Mittelposition ist typisch für Clemens. Den idealen Christen nennt er einen „Gnostiker“ und distanziert sich dabei von den Kirchenchristen und ihrer mangelnden intellektuellen „Durchdringung“ des Glaubens ebenso wie von „Gnostikern“, die wiederum zu viel fragen. Um den idealen Christen, den Gnostiker, geht es auch, wenn Clemens über den Märtyrer schreibt. Was macht einen Menschen zum Märtyrer? Die Frage nach dem Märtyrer ist die Frage nach dem vollkommenen Menschen, der vollkommen nur genannt werden kann, wenn er sein Leben vollendet hat. Es ist nicht nur das richtige Leben, der richtige Lebenswandel, sondern das in Liebe gelebte Leben, zu dem das Martyrium hinzutritt. Clemens würde nicht sagen, dass das Ende und das Sterben als Märtyrer nicht hinreichen würden, aber er wirft den Blick auf das ganze Leben und den Bogen, der Leben und Tod verbindet. Clemens schreibt die Worte des Paulus weiter: „‚Denn ich bin überzeugt, dass wederTod’, den die Verfolger über uns bringen, ‚noch Leben’, das Leben aufdieser Welt, [...] ‚weder Höhe noch Tiefe [...]’ ‚uns von der Liebe Gottes wird trennen können, die in Christus Jesus, unserem Herrn ist.’[Röm 8, 38 f.] Damit hast du die zusammenfassende Schilderung (den Inbegriff) eines gnostischen Märtyrers.“ (Clem. Al. strom. 4, 14, 96)
Hierin unterscheidet sich Clemens wenig von den Gnostikern. Die Auseinandersetzung, die in seinem Werk belegt ist, behandelt indes weniger das Leben des Märtyrers, als vielmehr die Frage nach dem Gott der Märtyrer. Wenn die Märtyrer in Liebe zu Gott sterben, wer ist der Gott, der es zu den Martyrien kommen lässt. Wie kann Gott es zu den Martyrien kommen lassen? Die Martyrien wurden als eine Anfrage an den Gott und die Gottesvorstellung der Christen verstanden. Wenn Heiden dies fragten, so begründeten sie damit ihre Zweifel am Christengott. Wenn die Christen die Frage stellten, so entwickelten sie ihren Glauben in vielfältigen Ausformungen. Die Antworten des Clemens oder eines Gnostikers wie Basilides fallen denn sehr unterschiedlich aus. Eine besonders prominente Stimme in diesem Streit der Interpreten gehört Cyprian von Karthago, von dem bereits die Rede war (vgl. S. 77 f. und 110 ff.). In der Mitte des 3. Jahrhunderts wurden im Zuge der Christenverfolgungen unter Kaiser Decius Märtyrer mehr und mehr zu charismatischen Gestalten, welche in Konkurrenz zum Bischofsamt traten und damit, so die Sicht Cyprians, die Einheit der christlichen Gemeinden gefährdeten. Wenn Angehörige der Gemeinde bei den Verfolgungen nachgegeben hatten, um ihr Leben zu retten und wieder in die christlichen Gemeinden zurückwollten, hatten sie Buße zu leisten. Bei ihrer Reintegration spielten Märtyrer und Bekenner eine Rolle: Diese gewährten die
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Wiederaufnahme, indem sie sich aufeine eigene Autorität beriefen, etwa die ordinatio per confessionem, die in der (offenbar von BischofHippolyt von Rom verfassten und ursprünglich griechischen) Traditio Apostolica erwähnt ist: „Dem Bekenner, der des Namens des Herrn wegen verhaftet worden ist, soll nicht mehr die Handzum Diakonat oder Presbyterat aufgelegt werden. Denn er hat den Rang eines Presbyters aufGrund seines Bekenntnisses.“ (Traditio Apostolica 9)
Manchmal versuchten häretische Geistliche sich der Hilfe der Märtyrer und Bekenner zu bedienen. Die Gemeinden konnten daraufhin auseinanderbrechen. Cyprian beanspruchte demgegenüber die Bußvollmacht des Bischofs, fixierte Bußzeiten und band die Vergebung an das Handauflegen des Bischofs. Das Ansehen der Martyrien wollte er nicht einschränken. Allerdings wünschte er eine Erweiterung des Begriffes: Das Bezeugen des Glaubens im Tode war wichtig; noch bedeutender dünkte ihn jedoch die Lebensführung im Sinne des Christentums. Cyprian ging deshalb davon aus, dass es auch verborgene Märtyrerinnen und Märtyrer gab, welche konsequent, aber ohne spektakulär hingerichtet worden zu sein, an ihrem Glauben festgehalten hatten. Als Bischof verstand er sich selbst als Märtyrer, der so viel wie möglich für das Leben tat. So rettete sich Cyprian durch Flucht vor der Christenverfolgung. Mit erheblichem Aufwand versuchten Cyprian wie auch Pontius in seiner Vita des Bischofs dieses Verhalten zu rechtfertigen. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen die Standhaftigkeit wird mit dem Argument zurückgewiesen, der Bischof sei gerade durch die Verzögerung des Martyriums seiner Verantwortung nachgekommen. Nach dem Ende der Christenverfolgungen wurde der erweiterte Martyriumsbegriffeinflussreicher. Gleichzeitig nahm das Ansehen der frühen Märtyrer zu. Ihre Leistung galt als Inbegriffund Gipfel von Heiligkeit. Sulpicius Severus schreibt beispielsweise unmittelbar nach dem Tode des Heiligen Martin Ende 397: „Denn obschon die Zeitumstände ihm die Auszeichnung durch ein Martyrium nicht gewähren konnte, so wirder doch den Ruhm eines Märtyrers verdienen, denn durch sein Verlangen undseine Tugendhätte er Märtyrer sein können undwollen.“(Sulp. Sev. epist. 2, 9)
Severus war überzeugt: Hätte Martin zur Zeit der Christenverfolgungen gelebt, er hätte sich auch im blutigen Martyrium bewährt, doch nun habe er ein unblutiges Martyrium (martyrium sine cruore) erbracht (epist. 2, 10): „Denn welche Bitterkeitmenschlicher Schmerzen hater nichtin der Hoffnungaufdas ewige Leben ertragen, Hunger, Nachtwachen, Blöße, Fasten, neidisches Übelwollen, böswillige Verfolgung, Pflege von Kranken, Kummer um Gefährdete?Wer hätte Leidempfunden, ohne
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dass ermitgelitten hätte?[...] Dazu kommen seine mannigfachen täglichen Kämpfe gegen die gewalttätige Bosheit von Menschen und Geistern.“ (Sulp. Sev. epist. 2, 12–14)
Die Anbindung Martins an die Märtyrer der Christenverfolgungen sollte nicht zuletzt die Korrektheit und Richtigkeit seiner Heiligkeit belegen. Bei den alten Märtyern kamen Zweifel an der Rechtgläubigkeit nicht so schnell auf. Das gewaltige Werk Augustins zeugt immer wieder von diesen Problemen und den ständigen Auseinandersetzungen mit zahlreichen Gruppierungen und Richtungen. Letztlich ist das Martyrium eine Gnade Gottes. Als Gnade kann es im Grunde genommen jede Form annehmen. Ein Martyrium kann im Bett erfolgen (Aug. serm. 286, 8, 7), obschon zu allem, was mit Menschen und der Welt zu tun hat, Unvollkommenheit, Qual und Schmerz gehören. Gerade diese Prüfungen indes stärken die Märtyrer. So sei beispielsweise die Macht der Dämonen für die civitas Dei heilvoll: „Die den Dämonen zugebilligte Macht ist an vorher festgesetzte und begrenzte Zeiten gebunden. Sie stachelt die Menschen, die sie in ihrer Gewalt hat, zur tätigen Feindschaft gegen den Gottesstaat auf[...] Das wirkt sich jedoch keineswegs verderbenbringend aus, sondern erweist sich für die Kirche sogar als nützlich, aufdass sich die Zahl der Märtyrer erfülle. In ihnen besitztder Gottesstaatumso angesehenere undwürdigere Bürger, je mutiger, ja bis aufs Blut, sie gegen die Sünde der Gottlosigkeit kämpfen.“ (Aug. civ. 10, 21)
Die richtige Verehrung der Märtyrer gelte freilich nicht den Märtyrern. Sie seien menschlich, nicht göttlich. Verehrung komme allein Gott zu. Von daher ist die Verehrung von Märtyrerreliquien im Altar so sinnfällig (serm. 273, 7). Am Altar zelebriert der Priester die liturgischen Feiern, in welchen die Erinnerungen aktualisiert werden, zur Hauptsache das letzte Abendmahl sowie vor allem Tod und Auferstehung Christi. Augustin sieht dabei die Funktion der Märtyrer so: Die Märtyrer sterben allein, „damit Christus wiederum sterbe, aber nicht im Haupt, sondern im Leib.“ (En. in psalm. 40, 1)
Umdeutung von Geschichte im Ringen um die „rechtgläubige“ Märtyrerverehrung Bei den Interpretationen der Martyrien besitzen die im zweiten Kapitel besprochene Anknüpfung an Traditionen und deren Umdeutung eine wichtige Rolle, so blieb etwa Sokrates ein immer wieder genanntes Vorbild. Und zugleich nahmen die Christen Abgrenzungen und Neuinterpretationen vor. Als während der Einnahme Roms durch die Westgoten Jungfrauen und Nonnen vergewaltigt
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worden waren und man einmal mehr die berühmten Tugendbeispiele (wie Lucretia, die sich selbst tötete) in die Debatte einbrachte, hielt Augustin dem scharf entgegen: Wer sich umbringe, sei ein Mörder beziehungsweise eine Mörderin (Aug. civ. 1, 17). Ganz ähnliche Argumente wurden vorgebracht, wenn christlichen Gruppen sich im Wettbewerb um Legitimität auf Märtyrer und Kultorte abstützten. Legitimieren konnte man sich nur in einer Tradition, die auf einen rechten Märtyrer zurückging. Die Traditionen wurden deshalb der Kritik unterzogen. Der Verdacht, dass es sich um „falsche“ Märtyrer handeln könne, passt zu den Verhältnissen der Epoche. In den Städten existierten häufig verschiedene Gemeinden mit jeweils eigenem Bischof nebeneinander. Sie feierten in verschiedenen Kirchen Gottesdienst und besaßen eigene Martyrien. Der Häresieverdacht wurde nicht nur gegen die jeweils andere Gruppe, sondern auch gegen deren Märtyrer erhoben. Hierzu gehörten auch die neuen Märtyrer des 4. Jahrhunderts. Zu neuen Martyrien kam es, weil die Auseinandersetzung zum Teil mit Waffengewalt geführt wurde. Dies gilt insbesondere für Afrika. Zahlreiche Martyrien unter den Donatisten sind bekannt. Deren Martyriumsbereitschaft wurden von Optatus von Mileve und dann von Augustin als suizidales Fehlverhalten kritisiert. Wir wissen, dass die Donatisten in zahlreichen Städten, so in Augustins Hippo, zeitweise die Mehrheitskirche darstellten. Sie waren in einer spezifisch afrikanischen Tradition verwurzelt. In den Auseinandersetzungen ging es um verschiedene Konzepte von Kirche. Die Donatisten wollten eine Kirche von Märtyrern oder Heiligen sein. In der Kirche Augustins hatten Sünder und Heilige Platz, und es war nach Augustin nicht Aufgabe der Kirche, festzustellen, wer Sünder sei, und wer nicht. Heiligkeit ist nach Augustin ein Geschenk Gottes und dem Menschen entzogen. Augustins geschenkte Heiligkeit und die Heiligkeit der Märtyrer auf Seiten der Donatisten standen sich gegenüber, und zwar in Afrika, wo es eine ganz ausgeprägte Märtyrerfrömmigkeit gab. Das Auseinanderbrechen der afrikanischen Kirche in zwei Kirchen begann mit der Einsetzung eines Gegenbischofs. Dazu kam es, weil man dem rechtmäßigen Bischof vorwarf, von jemandem geweiht zu sein, der während der Verfolgungen zu nachgiebig gewesen sei und unter anderem Heilige Geräte, wie zum Beispiel einen Abendmahlskelch, an die staatlichen Behörden ausgeliefert habe. Der erste „Gegenbischof“ starb bald, und sein Nachfolger wurde Donatus, nach dem ihre Gegner diese Christen nun benannten und damit als Sonderkirche abstempelten. In Verbindung gebracht werden die Donatisten häufig mit den sogenannten Circumcellionen. Das waren zumeist arme Landarbeiter und Tagelöhner, die für eine angeblich höhere Gerechtigkeit raubten, und plünderten. Oft wendeten sie Gewalt an. Dabei verstanden sie sich als Kämpfer und „Soldaten Christi“, die bereit waren für ihren Herrn zu sterben. Für
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Augustin waren sie verbrecherische Vaganten, die sich um sakrale Stätten (circum cellas) herumtrieben. Die Circumcellionen, hätten pagane Kultfeste gestört, um ihre Tötung zu provozieren. Vom Ende des donatistischen Märtyrerbischofs Marculus, von dem es hieß, Soldaten des Kaisers hätten ihn von einem Felsen gestürzt, hält Augustin fest, er habe vielmehr gehört, dieser sei selbst in den Tod gesprungen. 7 Die in der Zeit des Kaisers Julian wegen ihres Glaubens umgekommenen homöischen Märtyrer sind zum Teil in die orthodoxe Verehrung einbezogen worden. Dieser Prozess ist in Mailand wie in Antiochia zu verfolgen (vgl. oben: Kapitel 4). Unter den alttestamentlichen Beispielen für Martyrien kommt den Makkabäern eine zentrale Rolle zu. Bei der Argumentation mit diesem Vorbild sind nicht selten antjüdische Ressentiments von Bedeutung. Auf die Makkabäischen Märtyrer beziehen sich christliche Texte seit dem 2. Jahrhundert. Ignatius, der erste Märtyrer, der Leiden und Tod freiwillig auf sich nahm und seine Bereitschaft zum Martyrium in einer Art Abschiedsbrief als Gefangener auf dem Weg nach Rom bekundet hat, knüpft an charakteristischen Begriffen des 4. Makkabäerbuches an. 8 Origenes in seiner Schrift Aufforderungzum Martyrium sah in den sieben Brüdern, „die Antiochos mit Geißeln und Riemen misshandeln ließ, weil sie in der Gottesfurcht verharrten“, ein herausragendes Beispiel heldenmütigen Martyriums. Es sei eine zweite Beschneidung und eine Erneuerung des Bundes mit Gott. Ähnlich bedeute für die Christen ein Martyrium eine zweite Taufe. In der Spätantike wird die Rezeption der jüdischen Märtyrer zu einem breiten Strom. Ps.-Hilarius verfasste ein Gedicht aufdie Märtyrer; Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomos widmeten ihnen Homilien. 9 Ambrosius von Mailand zitierte das Beispiel der Makkabäer wiederholt und ausführlich. Er sah sich selbst gar als einen zweiten Eleasar. Doch eine Annäherung christlicher und jüdischer Gemeinschaften brachte dies nicht. Vielmehr scheinen die Makkabäer als kriegerische Märtyrer deshalb attraktiv zu werden, weil sie in den Dienst einer mehr und mehr militärisch-missionarischen politischen Theologie des Sieges des Christentums passen.
Macht der Ohnmacht – Theologie und Siegesbewusstsein Bereits in den Zeiten der Verfolgungen entwickelte sich ein starkes christliches Selbstbewusstsein. Man beschäftigte sich mit sich selbst, schaute auf die eigene Tradition, interpretierte diese intensiv und fühlte sich dabei immer einflussreicher. Zu der emphatischen Übersteigerung eines Gefühles der Stärke zählen Vorstellungen, die Martyrium mit Gewalt- und Vergeltungsphantasien verbinden, obschon theologisch gesehen das Leiden christlicher Märtyrer allein die Gewaltlosigkeit Jesu
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nachahmen sollte. Wenn allein in der Ohnmacht der Zeugen eine Macht gesehen wird, in der die Macht Gottes am Werke ist, so wie es etwa Tertullian in dem berühmten Wort „Ein Same ist das Blut der Christen“ (Tert. apol. 50, 14) formuliert hat, ist dies gewiss noch nicht der Fall. Doch auch Tertullian malt sich aus, welche Leiden die Verfolger der Christen treffen würden. Von Claudius Lucius Herminianus in Kappadokien, der die Christen grausam behandelte, weil seine Frau selbst Christin wurde, berichtet Tertullian, er sei durch eine schlimme Krankheit bestraft worden. Dabei habe der Heide, so Tertullian, auch dem Gedanken Ausdruck gegeben, dass Christen sich darüber freuen würden: „Als er nun, ganz allein in seinem Prätorium liegend, von der Pestergriffen, noch lebendvon Würmern wimmelte, sagte er: ‚Niemandsolles erfahren, damitnichtdie Christen sich freuen oder die Christinnen Hoffnung schöpfen.’“ (Tert. Scap. 3)
Und wen im Diesseits die Strafe nicht treffe, den ereile sie am Tage des Jüngsten Gerichtes. Zwar gibtTertullian immerhin nach der zitierten Stelle auch dem Wunsch Ausdruck, die Verfolger durch Ermahnung zu erretten. Doch ein Vergeltungsdenken hat gleichfalls seinen Platz. So stellt sich Tertullian anknüpfend an die Johannesapokalypse (Offb 6, 9–10) vor, die Märtyrer seien die einzigen, die direkt ins Paradies eingehen könnten: Dort hätten sie einen ganz besonderen Ort, der unter dem Altar liege. Voller Empörung würden sie dort zum Herrn schreien: „Wie lange noch wirst du, Herr, unser Blut nicht an den Bewohnern der Erde rächen?“ (Tert. anim. 55, 4–5; orat. 5; resurr. 25. 38; scorp. 12). Bei Tertullian gewinnt überdies die Vorstellung an Einfluss, dass die Märtyrer Soldaten Gottes seien. Durch den Einsatz ihres Blutes werden sie zu Siegern und warten auf ihren Triumph am Ende aller Zeiten: „Wersinddenn diese glücklichen Sieger, wenn nichtrechteigentlich die Märtyrer?DerSiegist dessen, der kämpft, wer aber kämpft, der vergießt auch sein Blut. Vorläufig ruhen die Seelen der Märtyrer ruhig unter dem Altare, durch das Vertrauen, gerächtzu werden geben sie ihrer Geduld Nahrung [...].“ (Scorp. 12)
Vorstellungen von Märtyrern als Gotteskriegern wie auch von einer göttlichen Vergeltung an den Verfolgern wurden immer wichtiger und erhielten unterschiedlichste Ausgestaltungen. Der Enthusiasmus, der in solchen Phantasien und Gedanken wirkte, teilte gewiss auch Origenes, der bedeutendste Vertreter der alexandrinischen Theologie. Dennoch entspricht seine Position nicht derjenigen Tertullians. Sein Leben kennen wir hauptsächlich aus der Kirchengeschichte seines Schülers Euseb, die nach dem Sieg Konstantins und dem Ende der großen Christenverfolgungen entstanden ist.
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Von Euseb wird gleich zu sprechen sein – bei ihm tritt uns die Darstellung von Martyrien als Kaskade eines triumphierenden Christentums entgegen, das endlich unter Kaiser Konstantin volle Anerkennung gefunden habe. Für Euseb war in der Folge die Macht des Kaisertums ebenso fundamental wie die Märtyrerverehrung – beides fand Platz in einer Theologie, die man zu Recht als „politische Theologie“ bezeichnet hat und die christliche Version, Konstantins Alleinherrschaft zu rechtfertigten, darstellte und jede Distanz zur weltlichen Macht aufgab. Die Militanz des Origenes bewahrt einen Abstand zur spätantiken Entwicklung hin zu einem Märtyrerkult im Dienste eines christlichen Kaisertums. Origenes war, wie Euseb berichtet, von der Wichtigkeit des Glaubens überzeugt. Als in Alexandria unter Kaiser Septimius Severus Christen verfolgt wurden, begeisterte der jugendliche Origenes sich für das Vorbild der Märtyrer so sehr, dass seine Mutter ihn nur mit Mühe zu schützen vermochte. Sie versteckte seine Kleider und brachte Origenes so dazu, zu Hause zu bleiben. Dort schrieb er indes seinem Vater einen Brief, in welchem er ihn „wörtlich mahnte: ‚Hab acht, dass du nicht unsertwegen deine Gesinnung änderst!’“ (Eus. HE 6, 2, 5–6) Der Vater des Origenes wurde in der Tat Märtyrer. Wir haben von Origenes eine Schrift Aufforderung zum Martyrium, aus der deutlich wird, wie er die Bedeutung der Martyrien begründet. Dies geschieht in die Sprache der Philosophie, der Bibelinterpretation und der Theologie. Hingegen fehlen der politische Triumphalismus und die politische Theologie. Die Schrift des Origenes setzt nicht nur fort, was als Aufforderung zum Martyrium bei Tertullian angefangen hat, sie gehört gleichfalls zur Protreptik, zu einer Literaturgattung, in der Aufforderung zur Philosophie betrieben wurde. Martyrium als Tatzeugnis, wie es seit Polykarp als Begriff und Vorstellung greifbar ist, wurde verstanden als die Annahme eines göttlichen Geschenkes: Voller Liebe folgt der Märtyrer der durch Gott den Menschen gegebenen Sehnsucht sowie der Offenbarung des Logos: „Mit ganzer Seele aber wirdGott, wie ich meine, von denen geliebt, die wegen ihres heftigen Verlangens nach Gemeinschaft mit Gott ihre Seele nicht nur vom irdischen Körper, sondern von jeglichem Körper losreißen und trennen.“ (Orig. mart. 3)
Origenes richtet sich in seiner Schrift an zwei Freunde, seinen Gönner Ambrosius und den Presbyter Protoktetus. Sie werden ermutigt, weder den Glauben zu verleugnen noch sich dem Götzendienst hinzugeben. Vielmehr sollen sie Christus und seinem Wort folgen und dadurch Heil, Gotteserkenntnis und Gemeinschaft mit Gott gewinnen, wie dies bereits die alttestamentlichen Märtyrer – der Hohepriester Eleasar und die Makkabäer – vorgelebt haben. Dabei haben sie gegen den Teufel, die dämonischen Mächte und deren Einflüsse zu kämpfen. Diese zeigen sich in den
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Versuchungen des Götzendienstes und der Welt, den Verfolgungen und noch in den letzten Ängsten und Zweifeln während des Sterbens. Das Martyrium ist Vollendung eines christlichen Lebens (mart. 11) und Bluttaufe, durch die die Märtyrer in Anknüpfung an die Aussage von Offb 6, 9, wonach die Seelen der Märtyrer sich am himmlischen Altar befinden, mit der Typologie des alttestamentlichen Opferdienstes (Hebr 9, 1–14) Priester werden. Christus ist ihr Oberhaupt. Ihr Platz ist der himmlische Altar. Dort haben sie Anteil an der Herrschaft Christi. Sie vermögen für die Sünden der Menschen Fürsprache einzulegen (mart. 30). Ambrosius und Protoktetus werden dies gewinnen. Ambrosius wird ermahnt, sich nicht zu schämen, wenn er, der als einflussreiche und angesehene Persönlichkeit von zahllosen Städten geehrt und aufgenommen worden war, nun das Kreuz Christi trägt, Christus nachfolgt und dabei „gleichsam wie im Triumphzug“ einhergeht (mart. 36). Nicht jedes Martyrium wird der Öffentlichkeit bekannt. Es gibt auch das nur Gott bekannte Martyrium im Verborgenen, das Zeugnis eines konsequent christlichen Alltagslebens. Ähnlich wie die Philosophie den Aufstieg zur Wahrheit und zum Göttlichen ermöglicht, bedeutet für Origenes das Martyrium das Gewinnen des Heils durch Erkenntnis und Erfüllung des Lebens zugleich. Dies hat in der Auffassung des Origenes nicht nur für die Märtyrer Bedeutung, sondern auch für diejenigen, welche sie sich zum Vorbild nehmen, zu ihnen beten und sie verehren. Diese machtvolle Uminterpretation des Scheiterns im Tode zu einem Geschehen, das im Kosmos durch die Gnade und das Wirken des göttlichen Logos Heil schafft, überlässt den Triumph einer möglichen Theologie des Sieges der Zukunft und Gott: „DieseMahnungen habeich soweitich dazu in derLagewar, an euch gerichtet. Mein Wunsch ist, sie mögen euch für den gegenwärtigen Kampfvon Nutzen sein. Wenn ihr aber besonders jetzt für würdig befunden seid, mehr von den Geheimnissen Gottes zu sehen und größere, reichere und für den bevorstehenden Anlass nützlichere Einsichten zu gewinnen, und ihr deshalb meine Darlegungen als kindisch und wertlos verachtet, so möchte ich auch euch das wünschen. Denn die Aufgabe besteht darin, dass eure Angelegenheit wie auch immer durch euch undnicht durch uns zu Ende geführt wird. Möge dies durch die Worte Gottes, die göttlicher und verständiger sind und jede menschliche Natur überschreiten, und durch seine Weisheit vollendet werden!“ (Orig. mart. 51)
Origenes kam den Bedürfnissen der Zeit insofern entgegen, als er bestimmte Verhaltensweisen unter den Christen fördern wollte. Die Ausrichtung auf die biblischen Texte und das Leben im Glauben sollten konsequent gestärkt werden. Die Ausgestaltung der christlichen Gemeinschaften, wie sie in der nachkonstantinischen Zeit erfolgte, ging indes weit über das hinaus, was sich bei Origenes findet. Die Märtyrervorstellung erhielt einen deutlichen Diesseitsbezug. Gott hatte dafür
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gesorgt, dass es die Kirche gab und dass ein Kaiser regierte, ein christlicher Kaiser, Konstantin. Euseb stellte in seiner Kirchengeschichte dar, wie der Logos die Welt gestaltete. Insbesondere in den Martyrien wurde sein Triumph besonders deutlich. Von Origenes übernahm Euseb indes die Vorstellung des Kampfes zwischen dem göttlichen Logos und seinen dämonischen Gegnern, der die Geschichte überall durchzog. Der Triumph der Märtyrer war deshalb im Hinblick auf die Zeit – den Ablauf der Christenverfolgungen – wie auch auf die Regionen des Imperium Romanum darzustellen. Eine eigene kleine Schrift widmete Euseb so den Märtyrern in Palästina. Euseb sammelte Akten und Dokumente und zitierte daraus wörtlich. Ein besonderes Anliegen war es ihm, die Zahl der Märtyrer herauszustreichen. Von Gallien berichtet er, es habe dort „Zehntausende von Märtyrern“ gegeben: „wie sich aus der Geschichte eines einzigen Volkes erschließen lässt, die der Nachwelt überliefert wurde, unddie es auch tatsächlich verdient, unvergessen zu bleiben. Den ausführlichsten Berichthierüber habe ich vollständigmeiner Aktensammlungüber die Märtyrer einverleibt. Die Darlegung ist nicht nur historisch, sondern auch belehrend. [...] Während andere Geschichtsschreiber aufjeden Fall über militärische Siege, über Erfolge im Felde, über große Taten derFeldherren undüberdieTapferkeitderSoldaten schrieben, welche sich aus Liebe zu ihren Kindern, ihrem Vaterland und ihren sonstigen Gütern mit Blut und tausenderlei Mordtaten befleckt haben, will meine Geschichte über den Staat Gottes den friedlichen Kampffür den Seelenfrieden und mehr die Kämpfer für Wahrheit und Glauben als die Kämpfer für Vaterland und Freunde in ewigen Lettern aufschreiben, indem sie die Standhaftigkeit und die große männliche Ausdauer der Glaubensstreiter, ihre Triumphe über die Dämonen, ihre Erfolge überdie unsichtbaren Widersacherundendlich ihre Siegeskronen zur ewigen Erinnerung verkündet.“ (Eus. HE 5, praef.)
Die Wertschätzung der Märtyrer, Bekenner und Verfolgten wurde während der Regierungszeit Konstantins dauerhaft etabliert. Der Ruhm der Märtyer wurde fortan gefeiert, ihr Kult eroberte das Imperium. Viel dazu beigetragen haben die Bischöfe der großen Reichsstädte (siehe dazu oben: Kapitel 4). Der Dichter Prudentius jubelte angesichts des Ruhmes des Märtyrers Laurentius: Antiqua fanorum parens iam Roma Christo dedita, Laurentio victrix duce ritum triumfas barbarum. Rom, du einstige Stifterin der Heidentempel, endlich hast du dich Christus ergeben und feierst unter der Führung des Laurentius Triumphe über den Kult der Barbaren. (Prud. perist. 2, 1–4)
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Abb. 21 : Mausoleum der Galla Placidia, Mosaik mit dem heiligen Laurentius
Laurentius gewann dann auch im Kaiserhause des Theodosius Anerkennung. Wir finden seine Verehrung bald in auch in der Hauptstadt Mailand und sodann in Ravenna, das ab 402 Mailand als Kapitale ablöste. Wie Agnellus im 9. Jahrhundert in seinem Liber pontificalis berichtet, soll der cubicularius Lauricius des Kaisers Honorius (395–423) zur Zeit des 20. Bischofs von Ravenna, Johannes, eine Laurentius-Kirche erbaut haben, wobei Honorius freilich zunächst an den Bau eines Palastes gedacht habe und erst durch eine Vision des Laurentius von der Richtigkeit des Handelns des Lauricius überzeugt worden sei (Agnell. lib. pont. 34–35). Wir wissen durch eine Osterpredigt Augustins aus dem Jahre 425 (Aug. serm. 322; vgl. civ. 22, 8, 22), dass eine Familie von zehn Kindern aus Caesarea in Kappadokien weit herumreiste, um an Märtyrerstätten Heilung von einem krankhaften Zittern zu erlangen. Ein Sohn dieser Familie wurde in Ravenna durch Laurentius gesund. Im sogenannten Mausoleum der Galla Placidia, einer kreuzförmigen Kapelle, die an den Narthex der von Galla Placidia erbauten Kirche S. Croce angebaut war, findet sich denn gegenüber dem Eingang im südlichen Arm in einer Lünette über einem leeren Sarkophag eine prächtige Mosaikdarstellung mit dem heiligen Laurentius. Der gleich den Aposteln weiß gekleidete heilige Diakon trägt ein Kreuz, nimmt gewissermaßen sein Kreuz und Martyrium aufsich, folgt Christus (Mt 16, 24) und scheint zugleich den von Prudentius besungenen Sieg des Christentums und des Evangeliums über Tod und Unglauben zu feiern. Galla Placidia, die energische Halbschwester des Kaisers Honorius, starb 450 in Rom, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass auch ihr der römische Heilige wichtig war.
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M a r t yri e n , H e i l i g ke i t u n d d i e Fra g e n a ch i h re r I n te rp re ta ti o n
Öffentliche Inszenierungen von Gewalt und ihre Infragestellung – Martyrien als Ersatz und neue Spektakel?
Parallel zur Inszenierung der Märtyrer und ihrer Kulte erhielten die traditionellen Spiele und Aufführungen eine fundamentale Neuinterpretation. Die Kirchenväter lehnten den Besuch von Theater, Amphitheater, Zirkus und Stadion ab. Bei ihrer Kritik konnten sie zum Teil an die altgläubige philosophische Kritik anknüpfen. Bereits Seneca hatte gewarnt: „Nichts aber ist so schädlich für einen guten Charakter, als sich bei irgendeinem Schauspiel nieder zu setzen [...].“ (Sen. epist. 7, 2) Hinzu kam, dass Schauspiele mit den heidnischen Kulten und dann auch mit dem Kaiserkult verknüpft waren. Die Auswirkungen für Sitten und Charakter erachteten die christlichen Autoren als verheerend. Die Lust der Schauspiele, der Wahnsinn des Zirkus und die Grausamkeit der Gladiatorenkämpfer wurden von ihnen immer wieder gebrandmarkt. 10 Und doch übten die Spiele eine kaum zu brechende Faszination aus. Augustins Landsmann, Schüler und Freund Alypius war zwar vorübergehend von der Leidenschaft für die Spiele geheilt worden, doch in Rom packte sie ihn aufs Neue. Gladiatorenspiele zu sehen erregte ihn aufs Höchste: „Hier nun ließer sich unverständlicherweise von geradezu unbegreiflicher Leidenschaft für die Gladiatorenspiele hinreißen. Denn obwohl er gegen derlei Widerwillen und Abscheu empfand, ließer sich doch von einigen Freunden undMitschülern, denen er zufälligaufdem Heimweg von der Mahlzeit begegnete, trotz heftigen Widerstrebens und Sträubens mit freundlicher Gewalt ins Amphitheater führen. [...] Als man angekommen war und sich, wo Plätzefrei waren, niedergesetzthatte, flackerteüberallbereits diewildesteLust. Eraberschloss die Pforten seiner Augen unduntersagte seinem Geist, an diesen Gräueln Anteilzu nehmen. [...] Als bei einem Zwischenfalldie Kampfes das ganzeVolk in ungeheures Geschrei ausbrach, wurde er so erschüttert, dass er, von Neugier überwunden und vielleicht sich einredend, er werde, was er auch erblicken möge, es verachten und Herr drüber werden, die Augen aufschlug. Da ward seiner Seele eine schwerere Wunde geschlagen als dem Leib dessen, den zu sehen ihn gelüstete, kam er jämmerlicher zu Fallals jener, dessen Falldas Geschrei verursacht hatte. [...] Denn sobalderdas Blutsah, durchdrangihn wilde Gier, konnte ersich nichtmehr abwenden, sondern war von dem Anblick wie gebannt, schlürfteWutein undwusste es selbst nicht, hatte seine Wonne an dem frevlen Kampfund berauschte sich an grausamer Wollust. Nun war er nichtmehr, der er gekommen war, sondern nur noch einer aus der Masse [...]. Er schaute, schrie, glühte und nahm seinen Wahnsinn mit nach Hause [...].“ (Aug. conf. 6, 8)
Gerade die rohe Gewalt und das Blutvergießen übten eine enorme Anziehungskraft aus. Die Teilhabe an der Macht über Leben und Tod, das Verschmelzen von Angst, Wut und Lust, das Aufgehen in der Masse, das Vergessen des Alltags und das Sichhingeben – all dies packte die Menschen, riss sie mit, begeisterte sie, ließ sie im
Öffentliche Inszenierungen von Gewalt
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Abb. 22: Ausschnitt aus einem Mosaik aus der Domus Sollertiana in Thysdrus (Museum El Jem): Ein wildes Tier zerreißt einen Menschen – Beispiel einer damnatio ad bestias1 1
Rausch der Erlebnisse ihr Dasein in einer scheinbar sonst nicht empfundenen Intensität spüren. Die bei den spectacula erlebten Emotionen, die dort gesehenen starken Bilder und die eigene Sprache und Begrifflichkeit dieser Welt beeinflussten letztlich auch die blutrünstigen Schilderungen von Martyrien, obschon nun die Gewalt für andere Zwecke dargestellt wurde. Auch das politische System benutzte die Macht brutalster Gewaltinszenierung ja für sich. Zwar gab es eine christliche Kritik daran, doch zu einem Verzicht kam es nie. In der (pseudo-)pelagianischen Diatribe De divitiis wird ein auf seine Ehre stolzer Angehöriger der Oberschicht eindringlich gefragt, wie ein christlicher Magistrat es denn nur fertigbringen könne, brutale Foltern anzuordnen: „Unter deinen Augen wirdder Körper eines Menschen, der dir von Natur aus gleich ist, mit der Bleipeitsche geschlagen, mitStockschlägen gebrochen, mitHaken zerrissen oder mitFeuer zu Asche verwandelt. Und fromme Augen er- tragen diesen Anblick und christliches Empfinden hält es aus, dabei zuzuschauen und nicht nur zuzuschauen, sondern, kraft seiner mächtigen Stellung, die Foltern des Scharfrichters zu verhängen. Vor einem Zuschauer bei einer Folterung graut es mir schon genug, was soll ich über den noch sagen, der solches befiehlt?“ (Pelag. div. 6)
Solche Brutalität und Grausamkeit gehörten zur römischen Welt. Kaiser ordneten sie gar mit dem Anspruch auf Menschlichkeit in ihren Gesetzen an. So finden sie sich denn auch in den Märtyrerviten. Als Beispiel sei eine Stelle aus dem Gedicht des Prudentiusfür den Märtyrer Laurentius zitiert. Der Literaturwissenschaftler Ernst Robert Curtius versuchte zwar, den abstoßenden Charakter der bei Prudentiusdargestellten qualvollen Szene zu relativieren. Man dürfe diese nicht zum Nennwert nehmen, man habe es mit „hagiographischer Komik“ und „groteskem Humor“ zu tun.12 Dennoch werden sich Leserinnen und Leser dem Quälenden der Darstellung nicht entziehen können. Das Grauenvolle der geschichtlichen Zustände, auf die sich die Legende bezieht, greift einen zu stark an:
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Martyrien, Heiligkeit und die Frage nach ihrer Interpretation
„Nachdem die Hitze lange die verbrannte Seite gar gekocht hatte, redet er den Richter mit knappen Worten wider Erwarten vom Rost aus an. ‚Wende den Teil des Körpers, gleich ist er lang genug geröstet, und mache die Probe, was dein glühender Feuergott bewirkt hat.’ Der Präfekt lässt ihn umdrehen, da sagt jener: ‚Es ist gar, friss aufund koste, ob er roh oder gebraten besser schmeckt.’“ (Prud. perist. 2, 397–409)
Abb. 23: Auf der in den Vatikanischen Museen aufbewahrten Zeichnung des nicht mehr erhaltenen Medaillons der Successa, der zugerufen wird, sie möge leben ( VIVAS) ist auf der Vorderseite das Martyrium des Laurentius dargestellt, auf der Rückseite die Confessio der Basilika von St. Peter
Einfluss und Unvermögen der Heiligen – Kritik des Märtyrerkultes Ähnlich zwiespältige Gefühle löst die weitere Etablierung des Heiligkultes aus. Sie erscheint zum einen als eine grandiose Leistung, die an allen Orten zu allen Zeiten die Erinnerung an die Märtyrer und Heiligen zu einer verbindenden Erfahrung gemacht hat. Eine Art gemeinsame Sprache war entstanden. Das half bei der Darstellung von Alltagsproblemen. Es wurde möglich, dabei den Eindruck zu erwecken, diese seien leichter. Sogar dem Unglück, dem Leiden und Sterben sei eine charakteristische Schönheit eigen. Alle trafen Schwierigkeiten. Und doch gab es Hoffnung. Zugleich wirkt die Kultur der Heiligenverehrung als Innovation, welche in der für sie charakteristischen Interpretation von Ohnmacht als Macht in der Welt des Sozialen und Politischen Menschen nicht nur hilft, sondern diese belastet. Der Anspruch der Interpretationsleistung auf Gültigkeit konnte Energien freisetzen, aber
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auch blockieren. Die Ängste vor der eigenen Sündhaftigkeit, des Angewiesenseins auf die doch nicht sichtbaren Patrone und Patroninnen und eine Hilfe, die auch wieder allein nur dann spürbar wurde, wenn man sie wahrzunehmen und richtig zu interpretieren wusste, konnten in schwere Gewissensnöte führen. Die Hoffnungen aufWunder, die Wirkung von Gaben und Gebeten, das Anzünden von Kerzen, das Aufsuchen heiliger Orte und das Berühren von Reliquien – all das vermochte beim Erleben menschlicher Schwäche zu trösten. Das Resultat konnte aber auch eine Verfestigung quälender Verzweiflung und dumpfer Ohnmachtserfahrungen sein. Statt aus dem Unglück zukunftsgerichtet zu lernen und aktiv zu werden, verharrten Menschen in falschen Hoffnungen auf spirituelle Hilfe. Wege zu erfolgreichen Umgangsweisen mit Problemen wurden versperrt. Man nahm hin, was nicht hingenommen werden dürfte. Die Erinnerung an die Märtyrer ist fest mit dem Jahresablaufund derTopographie verknüpft worden. Die Literatur über Märtyrer wurde breiter und vielfältiger. 13 In einigen Gemeinden Afrikas kam gegen 400 der Brauch auf, Texte zu lesen, in denen das Leben und die Wunder der Heiligen beschrieben wurden. Am Konzil von Karthago 397 beispielsweise wurde ausdrücklich festgelegt, dass neben den kanonischen biblischen Texten am Gedenktag der Heiligen während der liturgischen Feiern die passiones martyrum vorgelesen werden durften. 14 Man hat in der Forschung häufig gefragt, ob die Verankerung des Heiligen- und Märtyrerkultes von der Kirche ausging, gewissermaßen gesteuert wurde, oder man in ihm ein populäres Anliegen, ja geradezu ein Bedürfnis der Massen sehen müsse. Wahrscheinlich gehört beides zusammen. Sicher ist, dass die neuen Kulte an Boden gewannen. Der Glaube an die Macht der Heiligen kommt unter anderem bei Gregor von Tours zu einem Höhepunkt. Hoffnungslos krank hatte Gregor 563 sich an das Grab des Heiligen Martin aufgemacht, wo er aufwunderbare Weise geheilt wurde. Kerzen und Reliquien, die Gregor und seine Reisegefähren mitnahmen, bewiesen ähnliche Wunderkraft. Victricius von Rouen hatte in seinem Werk De laude sanctorum die Theologie der Reliquien rund eineinhalb Jahrhunderte vorher erklärt. Auch im kleinsten Partikel einer Reliquie wohne die volle Gnade Gottes. Eine Reliquie mochte noch so oft zerteilt worden sein, sie behielt dennoch die volle virtus. Diese verlieh den Reliquien Wunderkraft. So konnten Kranke durch die Berührung mit Reliquien geheilt werden. Am wundergläubigen Kult der Märtyrer und Reliquien wurde indes recht früh auch Kritik geübt. Aufgrund einer polemischen Abrechnung des Hieronymus bekannt geworden ist Vigilantius, der aus der Provinz Aquitania Secunda stammte und Presbyter in Barcelona wurde. Vigilantius kritisierte es, dass die Heiligengedenktage geradezu die Bedeutung von Ostern verringerten (Hier. c. Vigil. 9). Die
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Martyrien, Heiligkeit und die Frage nach ihrer Interpretation
Abb. 24: Reliquienprozession – Elfenbeintafel aus dem Trierer Domschatz: Die beiden Bischöfe auf dem Gespann links im Bild tragen ein hausförmiges Reliquiar. Die Kaiserin empfängt die vom Kaiser angeführte Prozession rechts im Bild beim Kirchenportal.1 5
Kerzen störten ihn, die nächtlichen Feiern, ebenso der übertriebene Reliquienkult. Hieronymus hebt unter anderem hervor: „Er nimmt auch Stellung gegen die Zeichen und Wunder, die in den Basiliken der Märtyrer geschehen, indem er meint, sie nützen nur den Ungläubigen [...].“ (Hier. c. Vigil. 10)
Hieronymus stellt es so dar, als sei Vigilantius ein Dummkopf, Säufer und Träumer. Doch die Kritik des Vigilantius steht nicht allein. Augustin setzte sich beispielsweise mit dem Manichäer Faustus auseinander, der in den Festen für die Heiligen eine Fortsetzung heidnischer Opferkulte sehen wollte. Die Einwände des Vigilantius finden nicht zuletzt eine gewisse Bestätigung in Vorschriften von staatlicher Seite und einschränkenden Empfehlungen durch Kirchenversammlungen. Manche Christen scheinen den Handel von Reliquien übertrieben zu haben. Dagegen richtet sich ein im Codex Theodosianus erhaltenes Gesetz des Jahres 386, das es verbietet, Tote umzubetten, Körper von Märtyrern aufzuteilen und mit Reliquien zu handeln. Dabei erlaubte das Gesetz aber die Einrichtung von Kultstätten auf den Gräbern von Heiligen. 16 An die Position des Vigilantius erinnern gleichfalls die recht häufig geäußerten Ermahnungen, bei den Festen für Märtyrer solle nicht im Übermaß gegessen und getrunken werden, die Unterhaltung habe sittsam zu sein und sexuell motivierte, sündhafte Begegnungen seien unangemessen. In mancher Predigt aus der Zeit ist die Angst spürbar, bei der Märtyrerverehrung könnten Menschen aufAbwege geraten (vgl. S. 87 und 167 f.). 17
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Mit der Ausbreitung der auf Askese gerichteten Ideale nahm die Kritik an Ausschweifungen im Zusammenhang der Märtyrerverehrung zu. Die Wiederholung der Ermahnungen belegt, dass die Erinnerung an die Märtyrer im Alltag Wirkungen zeitigte, welche stärker als asketische Leitbilder und kirchliche Lehrmeinungen und Ermahnungen waren. Niemand wäre deswegen auf den Gedanken gekommen, am Einfluss der Heiligen zu zweifeln oder gar zu vermuten, Märtyrer seien vielleicht gar keine Heiligen, und ihr Einfluss könne etwas anderes sein als positive Ausstrahlung von Heiligkeit. Immerhin ging man davon aus, es komme vor, dass die Macht des Teufels die Verehrung falscher Heiliger bewirken könne. Ohnmacht und Sünde gehörten per definitionem nicht zur Wirkung echter Heiliger. Deshalb war der Prozess der Kanonisierung „richtiger“ Heiliger und „wahrer“ Heiligkeit so wichtig. Die Märtyrerverehrung sowie die Autorität der Heiligen und der Heiligkeit gewannen geradezu unaufhaltsam an Bedeutung. Ein neues kulturelles Leitbild war entstanden. Über Jahrhunderte hinweg sollte es seinen Zauber und seine Faszination auf Intellektuelle, Angehörige der kirchlichen Hierarchie, die asketische Bewegung, weltliche Eliten und vor allem das Volk ausüben. Seine inneren Widersprüche und Ungereimtheiten gehören zu seiner Lebendigkeit. 1 Eine grundlegende Studie zum Aufkommen der Begrifflichkeit des Heiligenpatroziniums und der Vorstellung von Heiligen als patroniim Westen bietet Orselli 1965. 2 H. U. von Balthasar: Verbum caro. Skizzen zur Theologie I, Einsiedeln 21960, 196. 3 H. U. von Balthasar: Cordula oder der Ernstfall, mit einem Nachwort zur zweiten Auflage, Einsiedeln 1966 (Kriterien 2), 114. 4 A. a. O. 119 f. 5 O. Perler: „Das vierte Makkabäerbuch, Ignatius von Antiochien und die ältesten Märtyrerberichte“, in: RivAC 25 (1949) 47–72 = Perler 1990, 141–166. 6 Vgl. K. Koschorke: Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchliche Christentum. Unter besonderer Berücksichtigung der Nag-Hammadi-Traktate „Apokalypse des Petrus“ (NHC VII, 3) und „Testimonium Veritatis“ (NHC IX, 3) Leiden 1978 (Nag Hammadi Studies 12), 135–137. 7 Zu den donatistischen Märtyrern und der Kritik an ihnen: Hofmann 1997, 136–150. Zu den hier besprochenen Stellen (Aug. epist. 185, 12; Aug. Cresc. 3, 49, 54): 137–139. Siehe auch Shaw 2011, 587 ff. Zur Bezeichnung „Circumcellionen“ siehe Aug. in psalm. 132, 6: „Circumcelliones dicti sunt, quia circum cellas vagantur [...].“ 8 O. Perler: „Das vierte Makkabäerbuch, Ignatius von Antiochien und die ältesten Märtyrerberichte“, in: RivAC 25 (1949) 47–72, 51 f. 55 = Perler 1990, 141–166, 145 f. 149. 9 Ziadé 2006. 10 Vgl. Wiedemann 2001, 131–162. 11 Zum Thema siehe u. a. H. Ménard: „Du ‚prédateur’ à la proie: criminels livrés aux bêtes dans la Rome antique“, in: Prédateurs dans tous leurs états. Évolution, biodiversité, interactions, mythes, symboles. XXXIe rencontres internationales d’archéologie et d’histoire d’Antibes, sous la direction de J.-P. Brugal, A. Gardeisen, A. Zucker, Antibes 2011, 503–515. 12 E. R. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Aufl., Bern 1954, 425 f. 13 Siehe dazu etwa Kirsch 2004.
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14 Concilia Africae a. 345–525, cura et studio Ch. Munier, Turnhout 1974 (Corpus Christianorum, Series Latina 259 i. e. 149), 43. 15 W. F. Volbach: Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Mittelalters, Mainz 1976, 95 f. Nr. 143; K. G. Holumn, G. Vikan: „The Trier Ivory, Adventus Ceremonial and the Relics ofSt. Stephen“, in: Dumbarton Oaks Papers 33 (1979) 115–133; W. Weber: „Die Reliquienprozession auf der Elfenbeintafel des Trierer Domschatzes und das kaiserliche Hofzeremoniell“, in: Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete 42 (1979) 135–151. 16 Cod. Theod. 9, 17. 7 (26. Februar 386). Vgl. N. Laubry: „Le transfert des corps dans l’empire romain. Problèmes d’épigraphie, de religion et de droit romain“, in: Mélanges de l’École Française de Rome (Antiquité) 119 (2007) 149–188, 169 f. Zu den größeren Zusammenhängen vgl. Volp 2002 und Rebillard 2003. 17 Siehe etwa Lucius 1904, 271–336.
6 Märtyrerkult und christliche Lebensweisen
Im vorangegangenen Kapitel ist das Ringen um die richtige Auslegung der Martyrien skizziert worden. In den Berichten über Martyrien schuf man in Fortsetzung zu den Evangelien kulturelle Bezugspunkte, von denen her der Inbegriffeines christlichen Lebens entworfen werden konnte, das alle Dimensionen umfasste und konsequent bis hin zum Tode gelebt wurde, und dadurch – als Belohnung und Gewinn – über den Tod hinaus Leben versprach. Berichte über Martyrien sind immer wieder neu aufgenommen worden. Wir haben es mit einem fortlaufenden Prozess des Abschreibens, Umschreibens und der Auslegung zu tun. Dazu gehören die lebhafte Auseinandersetzung mit der Überlieferung und vor allem die kreative Ausrichtung des Tradierten aufdie Gegenwart. Es ist charakteristisch für die Intensität des Engagements, dass die Vorgehensweisen sich keineswegs aufgeduldige Arbeit in den Skriptorien beschränkt haben. Sie umfassen gleichfalls phantasievolle Ausgestaltungen, ja Verzerrungen und frommen Betrug wie auch Zweifel und Streitigkeiten, so insbesondere um angemessene, vertretbare und richtige Interpretationen. Zum kontinuierlichen Wiederholen und Wiederaufnehmen von Texten zählt die Erneuerung der Bezüge auf den Alltag. Im Alltag gewannen sie ihre Wirkung und Präsenz, hier beeinflussten und veränderten sie Lebensweisen. Sie vermochten viele für sich zu gewinnen und versprachen mannigfache Vorteile.
Zur Anziehungskraft christlicher Kultur Bei der Katechese mussten die Vorteile des Christentums dargelegt werden. Augustins Buch De catechizandis rudibus, bietet Einblick, wie um Christen geworben wurde. Wer vom Christentum sprach, hatte wie Augustin eine intensive Auseinandersetzung nicht nur mit der christlichen Lehre, sondern auch mit sich selbst hinter sich. Diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben erfolgte über die Auseinandersetzung mit Büchern. Texte waren die Bezugspunkte, auf welche das eigene Leben bezogen wurde. An ihnen arbeitete man sich ab und gewann Einsichten und Erkenntnisse. Augustin lernte so, wie mit den inneren Stimmungen
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Märtyrerkult und christliche Lebensweisen
und den persönlichen Schwächen umzugehen war. Deshalb zog die christliche Kultur ihn und andere an. Das Interesse für das Christentum, der Zulauf zu ihm, sein Erfolg und die Überzeugung von der Gewissheit der Macht des Glaubens sind ebenso wie die Erkenntnis der eigenen Schwäche und Unsicherheit Ausgangspunkt der Katechese: „So musstauch du aus derTatsache, dass immerwiederLeute zu dirgeführtwerden, die einen Einblick in den Glauben bekommen möchten, erkennen, dass anderen deine Vortragsweise nicht so missfällt, wie sie dir selber missfällt. Du darfst dich auch nicht als Versager betrachten, weiles dir nicht nach Wunsch gelingt, dein geistiges Sehen in Worte zu fassen. Schon dein geistiges Sehen dürfte ja nichtso vollkommen sein, wie du es dir wünschst.“(Aug. cat. rud. 4)
Bei der Katechese war zu berücksichtigen, mit was für Menschen man es zu tun hatte, wer sie waren, welche Wünsche, Träume, Stärken und Schwächen sie besaßen und welche Ziele sie verfolgten. Bei Ungebildeten aus der Stadt, wie sie häufig aus Karthago kamen, bestand vielfach das hauptsächlichste Anliegen ihres Kommens darin, „eine echte und beständige Sicherheit“ zu finden (Aug. cat. rud. 24). Besonders günstig erschien Augustin eine Motivation, die sich darauf gründete, „wegen der ewigen Glückseligkeit und der immerwährenden Ruhe, die den Heiligen in Aussicht gestellt ist“, Christ zu werden, „damit er nicht mit dem Teufel ins ewige Feuer, sondern mit Christus ins ewige Reich eintritt“ (cat. rud. 27). Hoffnung, Sicherheit, Ruhe, Frieden, Glückseligkeit, ewiges Leben, in der Liebe und bei Gott sein – solche Werte machten die Attraktion des Christentums aus. Eine reiche Fülle von Texten sorgte für die Darlegung der Inhalte, Versprechungen und Wirkungen des Christentums. Paulus hatte es so formuliert: „Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch erkanntworden bin. Nun aberbleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die größte unter ihnen aber ist die Liebe.“ (1 Kor 13, 12–13)
In den Gemeinden suchte man dies zu leben, auch im regelmäßigen Zusammenkommen und in der Pflege liturgischer Feiern. Damit sollte Realität werden, was an Vorstellungen in den Schriften festgehalten war. Hier wurden die Texte vorgelesen, interpretiert und immer wieder aufs Neue auf die Gegenwart bezogen.
Die Leiden der Zeit aushalten Das Zeitbewusstsein hat entscheidende Einflüsse auf jede Religion. Religion kann als eine Praxis der Kompensation von Kontingenzen, die Menschen bedrängen, ver-
Die Leid en d er Zeit au sh al ten
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standen werden – als „Kontingenzbewältigungspraxis“ (Hermann Lübbe). Ihr Ausgangspunkt ist das Bestehen der Leiden, das Martyrium im allgemeinsten Sinne. Gewiss war die politische und militärische Unsicherheit der Spätantike ein Grundproblem und schwer zu ertragen. Heiden wie Christen haben diese Zustände scharf kritisiert. Ammianus Marcellinus meinte, der Glanz des Senats von Rom werde durch die Bereitschaft zu Lastern und zur Zügellosigkeit getrübt, das Volk sei nicht besser (Amm. 14, 6; 28, 4), und Salvian von Marseille kritisierte das Versagen der Römer schärfstens, indem er schrieb, die Barbaren besäßen mehr Tugend als diese (Salv. gub.). Er geißelte römische Sitten. Arroganz und Egoismus ihrer Oberschichten hätten zu einer rücksichtslosen wirtschaftlichen Ausbeutung des Volkes geführt. Die allgemeine fanatische Begeisterung für Theater, Spiele und des Auslebens freizügiger Sexualität würden Strafe verdienen. Diese werde unter anderem durch die Erfolge der fremden Völker offenkundig vollzogen. Angesichts der deprimierenden Realitäten gewannen die Versuche an Bedeutung und Aufmerksamkeit, im Leben und der Lebensführung selbst Kraft zu finden. Dies sollte zugleich mit einer Erweiterung der sozialen Basis, die solche Anstrengungen unterstützte, einhergehen. Nicht nur wenige Angehörige der gesellschaftlichen Spitze, sondern alle Menschen sollten durch ihr Verhalten etwas zur Besserung der Zustände beitragen. Die traditionellen Empfehlungen beispielsweise der Philosophenschulen waren in einer von vielen kaum verstandenen Sprache für wenige Privilegierte geschrieben worden. Die christlichen Lehrer schrieben einfacher und richteten sich an ein größeres Publikum. Gewiss kam es auch ihnen auf Eliten an, gewiss gab es unter ihnen den Wettbewerb in der Meisterschaft der Worte und der Interpretation, und doch waren sie stärker auf die Durchdringung der gesamten Gesellschaft bedacht. So gehen die Texte christlicher Autoren denn auch immer wieder von dem aus, was alle betrafen: den Zeitumständen. Als sich Hieronymus im Sommer 396 an den alten Bischof Heliodor von Altinum wandte, um ihn über den Tod seines Neffen Nepotian zu trösten, schilderte er die Zeitsituation ebenso drastisch wie realistisch: „Es sind jetzt 20 und mehr Jahre, dass zwischen Konstantinopel und den Julischen Alpen täglich Römerblut fließt; Goten und Sarmaten, Quaden und Alanen, Hunnen, Vandalen undMarkomannen durchziehen Skythien, Thrakien, Makedonien, Thessalien, Dardanien, Dakien, Epirus, Dalmatien und ganz Pannonien und verwüsten und verheeren diese Gebiete. [...] Die römische Welt stürzt zusammen [...]. Welcher Druck lastet heute nicht [...] aufganz Griechenland, das von Barbaren beherrscht wird? Unddamit habe ich nur wenige Städte genannt, die einst der Sitz mächtiger Reiche waren. Von alldiesem Unheilschien sich der Orient freizuhalten [...] Da wurden plötzlich vorigen Jahres aus den entlegenen Felsgrüften des Kaukasus nicht Arabiens, wohl aber des Nordens Wölfe gegen uns losgelassen, die in kurzer Frist gewaltige Gebiete verheerend durchzogen.“ (Hier. epist. 60, 16)
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Märtyrerku l t u n d ch ristl ich e Leben sweisen
Zuvor hatte Hieronymus unter anderem auch an das traurige Schicksal der römischen Kaiser in den letzten Jahrzehnten erinnert. Alles in allem möchten, wie Hieronymus schreibt, „einem Thukydides und einem Sallust die Worte fehlen“, um die Vorgänge angemessen zu beschreiben (epist. 60, 16). Das Sterben, wie Hieronymus und Heliodor es eben bei Nepotian erlebt haben, wird durch den Tod der vielen vermehrt. Es ist offensichtlich: Auch das eigene Ende könnte angesichts der Ereignisse gleichfalls rasch kommen. Sicher ist, dass es näher rückt. Sogar das, was man schreibe, jeder Punkt, gehe aufKosten des Seins, schreibt Hieronymus. Deshalb müsse allen daran gelegen sein, die Vielfalt und den Reichtum des Lebens zu suchen und zu gewinnen. Wie war dies zu erreichen? Allein, so Hieronymus, durch die Liebe Christi, die im Alltag den Weg zum Leben eröffne, und dessen Mangelhaftigkeit zur Fülle mache. Leben entstehe aus dem täglichen Sterben; sein fortwährender Gewinn, das wahre Leben, würde in der Liebe Christi und in der Verbindung dieser Liebe zu den Menschen liegen, so auch zu Hieronymus und Heliodor und Nepotian, der vorbildhaft gelebt habe und in der Liebe weiter lebe. Leben gründe, so Hieronymus, in der Liebe christlicher Verbundenheit, im Austausch und der Erinnerung an die Botschaft der Evangelien und die dort verkündete angemessene Lebensführung. Nepotian sei ein vorbildhafter Priester gewesen, an dessen Leben diese Prinzipien deutlich hervortreten würden: „Er setzte sich die Aufgabe, den Armen zu helfen, die Kranken zu besuchen, die Fremden zu beherbergen, mit freundlichen Worten Trost zu spenden, sich mit den Fröhlichen zu freuen und mit den Weinenden zu weinen. Er wurde zum Stab für die Blinden, zur Speise für die Hungernden, zur Hoffnung für die Armen, ein Trost für die Trauernden. [... ]Unter den Priestern undAltersgenossen war er in der Arbeitder erste, ohne mehr als den letzten Platz zu beanspruchen. [...] In der Öffentlichkeit verehrte er seinen (Onkel Heliodor) als Bischof, zu Hause als Vater. Den Ernst der Lebensauffassung milderte ein heiteres Wesen. Nicht lautes Lachen, sondern stille Freude war seine Art. Die Christus geweihten Jungfrauen undWitwen ehrte er in aller Keuschheit wie Mütter und mahnte sie wie Schwestern. Sobald er zu Hause war[...], lebteerstrengwiedieMönche. Fleißigbeteteer, undwährenderdabei wachte, zeigte erseineTränen allein Gott, abernichtden Menschen. Das Fasten zügelte er, einem Wagenlenker gleichend, je nachdem, ob sein Körper matt oder stark war. [...] Seine Unterhaltung bei Tisch behandelte mit Vorliebe Fragen aus der Heiligen Schrift.“ (Hier. epist. 60, 10)
Auch um die Kirchen kümmerte er sich. Hieronymus erwähnt, dass er dabei auch die Versammlungsorte zur Märtyerverehrung (martyrum conciliabula) mit Blumen, Baumgrün und Weinlaub geschmückt habe (epist. 60, 12). Märtyrer und ihre auf Christus ausgerichteten Lebensweisen wurden zu wichtigen Vorbildern der Kirche. Bei ihrer Vermittlung waren Texte zentral. Im
Askese und caritas – neue Werte als Zeugnis des Glaubens leben
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6. Jahrhundert empfahl Cassiodor seinen Mönchen ihre Lektüre mit Nachdruck. Lesen hagiographischer Literatur gehörte zur Lebensführung im Kloster: „Somit denn, eingedenk künftiger Herrlichkeit, lest beständig die Viten der Väter, die Bekenntnisse der Gläubigen und die Leidensberichte der Märtyrer, die ihr zweifellos unter anderem in den Briefen des heiligen Hieronymus an Chromatius undHeliodorfindetunddie sich überall aufdem Erdenrund hoher Wertschätzung erfreuen. Die heilige Nachfolge soll Ansporn geben und zum Himmelreich führen – im Wissen darum, dass nicht allein im Blutzeugentum und in fleischlicher Unberührtheit die Siegeskrone liegt, sondern dass auch alle, die mit Gottes Hilfe ihre körperlichen Laster besiegen und rechtgläubig sind, die Palme des heiligen Lohnes empfangen. (Cassiod. inst. 1, 32, 4)
Askese und DBSJUBT – neue Werte als Zeugnis des Glaubens leben Zug um Zug und in Parallele zur Ausbreitung der Verehrung der Märtyrer im 4. Jahrhundert entwickelten sich Modelle asketischer Lebensführung. Man verehrte die christlichen Asketinnen und Asketen. Kraftvoll würden sie sich in ihrem Leben bewähren und ein blutloses Martyrium erbringen. Noch vor dem Ende der Verfolgungszeit wählten Christen die Wüste als neue Heimat. Dem Vorwort der Vita des Mönchs Pachomius zufolge geschah dies, weil die Kämpfe der Märtyrer vorbildhaft wirkten und die Gläubigen gestärkt durch die Gnade des Herrn begannen, das Leben der Propheten nachzuahmen (V. Pach. 1), von denen es im Hebräerbrief heißt: „[...] sie sind in Fellen von Schafen und Ziegen umhergegangen, haben Mangel, Not und Qual erfahren, sie [...] sind umhergeirrt in Wüsten und Gebirgen, in Höhlen und Klüften.“ (Hbr 11, 37–38).
Der 251 geborene Antonius ist der wohl berühmteste Asket. Die von Athanasius von Alexandria verfasste Lebensbeschreibung machte ihn bekannt. Sie bietet eine ebenso eigenartige wie packende Lektüre. Für das heutige Verständnis wirkt sie geradezu drastisch fremd und stößt einen modernen Leser vermutlich nicht selten ab. Emotionen erreichen das Maximum an Ausdruck und sind als Kampf mit den Dämonen dargestellt. Der Verfasser, Athanasius, war selbst aufs Tiefste durchwühlt von den Emotionen, welche die Frage nach der richtigen christlichen Lehre auslöste. In erbittertem Streit mit Kaiser und Arianern war er auf der Flucht und verfasste in der nitrischen Wüste aufBitten von Mönchen die Lebensbeschreibung seines Helden. Für Athanasius gehörte zur christlichen Überzeugung die Bereit-
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schaft zum Martyrium. Dies gilt gleichfalls für Antonius. Als unter Maximinus eine Christenverfolgung ausbrach, verließ Antonius das Kloster und folgte den Festgenommenen nach Alexandria. „Er hatte Sehnsucht danach, Blutzeuge zu werden. Da er sich aber nicht ausliefern wollte, diente er den Bekennern in den Bergwerken und Gefängnissen. Vor Gericht zeigte er großen Eifer, die vorgeladenen Glaubensstreiter mit Zuversicht zu stärken undsie, wenn sie Zeugnis ablegten, in Empfangzu nehmen undzu geleiten, bis sie vollendethatten.“(Athan. v. Anton. 46)
Obschon der Richter ihm verbot, zu erscheinen, trat er wieder vor. „DerHerraberbewahrte ihn zu unserem undandererHeil, aufdass erauch in derAskese, die er aus der Schrift gelernt hatte, ein Lehrer für viele werde.“ (Athan. v. Anton. 46)
Diese Askese ist das Martyrium des Antonius. Es stellt sich dar als eine Kette von Kämpfen gegen die Dämonen, in denen die Waffen das rechte Leben und der Glaube an Gott sind (Athan. v. Anton. 30). Dabei lebte Antonius nicht nur ein einfaches Leben, sondern sorgte auch großzügig für andere. Er kümmerte sich um Mönche, Kranke und Besucher. Für das Leben der Asketinnen und Asketen sind in der Folge immer wieder Vorschriften ausgearbeitet worden. Die Emotionen während des Lebens erhielten dabei höchste Aufmerksamkeit, so auch beim herausragenden Mönchsvater Cassian. Dieser erläuterte, wie erfolgreich gegen die acht Hauptlaster Unmäßigkeit, Unkeuschheit, Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Überdruss, Ruhmsucht und Hochmut anzukämpfen war. „Den zweiten Kampfhaben wir nach der ÜberlieferungderVäter gegen den Geistder sexuellen Zügellosigkeitzu bestehen. DieserKampfdauertlängerals die übrigen Kämpfe, entbrennt täglich von neuem undwirdnurvon wenigen gewonnen. Es istein überaus harterKampfvon der ersten Zeitder Pubertätan, der nichteher aufhörtals bis die übrigen Laster überwunden sind. Eine zweifache Schlachtreihe ist aufzubauen: körperliches Fasten aufder einen Seite, Zerknirschungdes Herzens, beharrliches Gebet gegen diesen unreinen Geist, ständige Meditation der Heiligen Schrift, Eintauchen in geistige Erkenntnis und Handarbeit auf der anderen Seite.“ (Cassian. inst. 6, 1)
Asketische Lebenweise strebt eine Öffnung hin auf das Vollkommene an. Die Übungen und Disziplinierungen sollen im Hinblick auf diese Erweiterung, Entgrenzung und Erhöhung des Begehrens auf das Wesentliche hin verstanden werden.
Askese und caritas – neue Werte als Zeugnis des Glaubens leben
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Die verwendeten Techniken haben ihren Sitz im Alltag. Die Vorschriften Cassians – wie auch zahlreiche weitere Texte aus dem frühen Mönchtum – zeigen dies deutlich. Sie helfen beim Essen und Trinken, Schlafen, Wachen, bei der Regulierung der Gefühle und bei vielem mehr. Sie beziehen sich auf ganz gewöhnliche Vorgänge. Die für die Askese fundamentalen Umgangsweisen führen indes über die Grenzen des alltäglichen Lebens hinaus. Sie weiten Dimensionen und öffnen Horizonte. Sie können verstanden werden als die Umsetzung einer wahren Philosophie und vor allem als Ausrichtung des Lebens auf die Erkenntnis und Nachfolge Jesu Christi. So gesehen bilden sie Ablegung eines konsequenten Zeugnisses des Glaubens – sie sind Martyrium. Sie belegen die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die über alle weltlichen Unzulänglichkeiten hinaus Bestand haben soll. Wie schon bei Antonius angemerkt worden ist, kümmerten sich die Asketinnen und Asketen immer auch um das körperliche und materielle Wohl anderer Menschen. Von den vielen – in ihren Lebenweisen ganz unterschiedlichen – Asketen sei das Beispiel des vornehmen Römers Pammachius herausgegriffen. Nach dem Tode seiner Frau Paulina lebte Pammachius seine Askese in der alten Hauptstadt des Reiches und besuchte sogar noch immer den Senat; nur trug er dabei eine schwarze Tunika, nicht die senatorische Toga mit ihren breiten Purpurstreifen. Er konnte offenbar darüber lachen, wenn er dabei verspottet wurde (Hier. epist. 66, 6; vgl. Paul. Nol. epist. 13, 15). Für die Armen sorgten er und seine Frau Paulina in beeindruckendem Ausmaß – beide versuchten sich dabei zu übertreffen. Paulina starb früher, Pammachius hinterließ am Ende seines Lebens sein Vermögen den Armen (Hier. epist. 66, 4. 5; 77, 10; 118, 5; Pall. Laus. 62). Seine caritas war spektakulär. Als Paulina gestorben war, verzichtete er aufden üblichen prunkvollen Leichenzug. Dafür speiste er die Armen in der Basilika von St. Peter und schenkte ihnen Geld und Kleider (Paul. Nol. epist. 13, 11–15). Für die Fremden, die in Rom zuweilen, wie Ammianus Marcellinus klagt, schlecht empfangen und behandelt wurden, ließ er in Portus ein xenodochium erbauen, ein Plan, den Paulina gleichermaßen mit ihm geteilt hatte (Amm. 14, 6, 12–15. 19. Hier. epist. 66, 11; 77, 10). Caritas kam in der Gesellschaft zur Wirkung, weil sie zum Wert wurde, man sie einübte, ja einschliff, und die Menschen dabei das Gefühl erhielten, etwas Gutes zu tun, das wiederum ihnen oder ihrem Seelenheil zugute kommen würde. Im Grunde genommen ahmte man dabei nach, was die adligen Euergeten oder mit noch größerer Geste Herrscher vorgeführt hatten. Doch bekamen Ehre und Ansehen, die man sich mit der Freigebigkeit verdiente, nun einen anderen Charakter: Man erfüllte damit den Dienst in der christlichen Gemeinschaft, konnte mit dem Lohn des Himmels rechnen und fügte sich ein in einen Kreis, dem auch die Märtyrer angehörten. 1
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Immer wieder haben christliche Autoren zur Freigebigkeit aufgefordert. Ein Vorbild lieferte der bereits erwähnte Diakon und Märtyrer Laurentius, den der Dichter Prudentius eindrucksvoll dargestellt hat (Prud. perist. 2). Laurentius weigerte sich, dem heidnischen Stadtpräfekten die Schätze der Kirche auszuliefern. Dafür versammelte er die Armen und Kranken vor seiner Kirchen und bezeichnete diese als den wahren Schatz. Der wutentbrannte Magistrat ließ den Diakon daraufhin aufeinem Rost zu Tode foltern, doch Laurentius bewahrte seinen Mut bis zum Ende. Sein Martyrium galt als Sieg seiner Überzeugung, welche unbeirrbar die Fürsorge für Arme und Kranke einschloss. Ambrosius von Mailand in seiner Schrift De officiis zieht das Beispiel des Laurentius heran, um die Notwendigkeit der Barmherzigkeit zu erläutern. Dafür seien auch die Kirchenschätze einzusetzen. So sei es gerechtfertigt, Kriegsgefangene mit solchen Mitteln freizukaufen (Ambr. off. 2, 28, 140). Ambrosius forderte auch anknüpfend an Stellen im Alten Testament, insbesondere die Geschichte von Achab und Naboth, sowie in der Aufnahme von Predigten des Basileios in seiner Schrift De Nabuthae zur Freigebigkeit auf. In der Habsucht indes sah er ein Grundübel. Kirchlichen Würdenträgern empfahl er – in seiner Schrift De officiis –, großzügig zu sein. Sie hätten mehr Erfolg, wenn sie den Armen gäben, denn dann würden sie wiederum mehr bekommen: „Ich weißvon den meisten Priestern: je mehrsie gaben, um so mehrhatten sie. Denn jeder, der jemanden sieht, der gut arbeitet, gibt ihm, damit dieser in seinem Dienst verteile, unddabei ist er sicher, dass sein Almosen dem Armen zukommt (Ambr. off. 2, 16, 78).
Die Wirkungen der christlichen Verhaltensweisen zeigten sich rasch. Auch die Altgläubigen waren beeindruckt. Kaiser Julian versuchte deswegen, die Christen und Juden mit einem Programm zu übertreffen, das die philanthropía in den Mittelpunkt stellte. Wie Sozomenos stolz aufdie christlichen Erfolge in seiner Kirchengeschichte überliefert, schrieb er an den Oberpriester Arsakion von Galatien: „Die hellenische Sache gedeiht noch nicht so, wie man es erwarten dürfte, – durch unser, ihrer Anhänger Verschulden. [...] Errichte in jeder Stadt zahlreiche Herbergen, damit die Fremden – nicht nur die zu den Unsrigen zählenden, sondern auch von den anderen jeder Bedürftige – in den Genuss der von uns geübten Menschenfreundlichkeit kommen. [...] Jedes Jahr, so habe ich verfügt, sollen für ganz Galatien 30 000 Scheffel Getreide und 33 000 Liter Wein bereitgestellt werden. Ein Fünftel davon, so ordne ich an, soll für die bei den Priestern bediensteten Armen verwendet, der Rest als unsere Gabe an die Fremden und die Bettler verteilt werden. Denn es ist eine Schmach, wenn von den Juden nicht ein einziger um Unterstützung nachsuchen muss, während die gottlosen Galiläer neben den ihren auch noch die unsrigen ernähren, die unsrigen aber der Hilfe von unserer Seite
Leben in d er Erin n eru n g an d ie Märtyrer
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offenbar entbehren müssen.“ (Soz. h.e. 5, 16, 5–15 = Iul. epist. 38 Weis (84a Bidez / Cumont)2
Leben in der Erinnerung an die Märtyrer
Die auf die Märtyrer bezogene Frömmigkeit und die von ihrem Vorbild her entworfenen Verhaltensmodelle besaßen vielfältigen Ausdruck. Zum Kult der Märtyrer und Heiligen gehörten beispielsweise ausschweifende Feste. 3 Regelmäßig erzählen Kirchenväter von ihnen, und es wird deutlich, wie stolz sie auf sie waren und mit welchen Anstrengungen sie versuchten, sie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Veranstaltungen boten ihnen Gelegenheit, von Mäßigung und dem Leben der Märtyrer zu sprechen, doch das Volk hielt sich kaum an diese Mahnungen. Vergleichbare Vorbehalte sind damals immer wieder gegenüber dem Totenmahl geäußert worden. Dieses folgte zum Teil den Traditionen. Seine Motive und Ausformungen sind indes vielfältig. Wichtig ist der Kontext von Festen, welche die Toten würdigten. Totenmahle fanden bereits nach dem Begräbnis und derTrauerzeit statt. Einerseits ging es um die Ehrung der Toten, ebenso darfman in diesem Ritus indes eine Einrichtung sehen, welche der Erhaltung der Familie diente und die Trauernden stärkte und miteinander verband. Bestattungskollegien führten gleichfalls Mahlfeiern durch. Offenbar kamen in manchen Gebieten Menschen häufig zum Essen, Trinken und Feiern bei den Gräbern zusammen und hielten dies für etwas, was den Toten nütze. Augustin kritisierte diese Sitte wiederholt als Missbrauch; so in einem Briefim Jahre 392, wo er folgendes Vorgehen dagegen empfahl: „Da aber dieseTrinkgelage undverschwenderischen Gastmähler aufden Friedhöfen von dem fleischlich gesinnten undunwissenden Volke nicht bloßfür Verehrung der Märtyrer, sondern auch für einen Trost derVerstorbenen gehalten werden, so können die Leute wie mir scheint, auffolgende Weise eher von dem schändlichen Unfug abgebracht werden. Man verbietet ihnen zwardiesen gemäßderHeiligen Schrift; die Opfergaben fürdie Seelen derEntschlafenen jedoch, die, wie wir fest glauben, etwas helfen, lässt man an ihren Gräbern bestehen, allerdings nicht zu reichlich, und reicht sie ohne Schaustellung und mit aller Bereitwilligkeit denen dar, die darum bitten, verkauft sie jedoch nicht.“ (Aug. epist. 22, 6)
Auch Augustins Mutter hing freilich diesem Brauch an, bis sie erfuhr, dass Bischof Ambrosius von Mailand ihn verboten habe: „Als siezu den Gedächtnisstätten derHeiligen, wiesiein Afrika zu tun pflegte, Mehlbrei, Brot undWein hintrug, wurde sie vom Türhüterzurückgewiesen. Sie erfuhr, es sei vom Bischofver-
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Märtyrerkult und christliche Lebensweisen
boten undfügte sich so fromm undgehorsam drein, dass ich mich selbst wundern muss [...].“ (Aug. conf. 6, 2, 2)
Die Christianisierung traditioneller Formen des Totenmahls nahm selbst wiederum verschiedene Ausprägungen an. Mensae (Tische) in Katakomben dienten noch realen Totenspenden; cathedrae (Sitze), Brotmodelle und bei Gräbern eingemauerte Glasgefässböden mit aus Goldblatt gefertigten Darstellungen – so unter anderem der Märtyrerin Agnes – hatten wesentlich eine symbolische Funktion. Die Bankettszenen in den Katakomben oder die inschriftlichen Belege für das refrigerium (Erfrischung) deuten gleichfalls auf den Reichtum von Bedeutungen und Begriffsverwendungen hin, die sich vom Mahl im wörtlichen Sinne bis hin zu Jenseitsvorstellungen und zur Eucharistie erstrecken. 4 Die Bedeutungen sind abhängig von den neuen Interpretationen des Totenkults: Die kultische Verehrung der Heiligen mit Wort, Predigt, Lesungen und Dichtung zeitigte ihre Wirkungen. Man kann darin eine neue Form der Bildung sehen. Zu ihr gehört die Polemik. Prudentius, der für das dichterische Lob der Märtyrer so viel Aufwand betrieb, charakterisiert seine Rolle als christlicher Dichter folgendermaßen: „Meine Seele möge die Tage durch Hymnen ineinsfügen, und keine Nacht soll müßig dahingehen, ohne dass sie den Herr sänge; bekämpfen soll sie die Häresien, den katholischen
Abb. 25: Agnes auf einem Goldglas aus der Pamphilus-Katakombe
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Glauben ausbreiten; zertreten möge sie die Heiligtümer der Heiden, Verderben, Rom, deinen Götzenbildern bringen, Gesang den Märtyrern weihen, preisen die Apostel.“ (Prud. praef. 37–42)
Die von Prudentius behandelten Märtyrer bieten eine Fülle von Anregungen für christliche Lebensweisen. Zu ihnen zählen die Soldaten Emeterius und Chelidonius, die den Militärdienst quittiert hatten, um ein christliches Leben zu führen, die römische Jungfrau Agnes, die 12-jährige Eulalia aus Mérida, der Stenographielehrer Cassian, Diakone und Bischöfe, ein ehemaliger Schismatiker sowie die Apostel Petrus und Paulus. Die Lebensdarstellungen der Apostel würden lehren, wie die Verkündigung Christi weitergegeben werden solle. Die Aufforderung zur Lektüre und zur Beschäftigung mit den Heiligen Schriften bildete auf alle Fälle einen zentralen Bestandteil der Märtyrerverehrung. Doch ebenso interessierten die phantasievollen Geschichten der Heiligen, und hier vorrangig die Wunder. Eine besondere Wirkung der Märtyrer sah man in Heilungswundern; einem Bereich, der hier herausgegriffen und wenigstens in einem seiner Teilgebiete im Folgenden skizziert sein soll. Die Forschung hat in christlichen Wunderheilungspraktiken gerne eine Fortsetzung älterer Traditionen gesehen, insbesondere von Techniken, die in den Heiligtümern des Asklepios gepflegt wurden. Zentral ist dabei die
Abb. 26: Mensa des Avianus und der Bavaria aus der Nekropole der heiligen Salsa in Tipasa (im Museum von Tipasa) – ein Grabmonument5
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Märtyrerkult und christliche Lebensweisen
Praxis der Inkubation (beziehungsweise griechisch: Enkoímesis –Tempelschlaf), bei der Menschen im Traumschlafbei Heiligtümern Gesundung von Krankheiten oder Ratschläge für Therapien und die Zukunft suchten. Man hat oft vermutet, die Christen hätten diese Verfahren einfach angepasst und integriert. 6 So ließe sich erklären, dass sich einige der berühmten Tempelschlafstätten lange auch noch in der christlichen Zeit halten konnten. Die Heiligtümer der Isis und des Sarapis in Kanobos und Menouthis vor den Toren Alexandrias oder des Bes in Abydos sind Beispiele dafür. Beeinflusst von altgläubigen Vorbildern könnte sich eine christliche Inkubation entwickelt haben. Sie gründete auf der Annahme, bei Heiligen wie Kosmas und Damian, Kyros und Johannes, Michael, Thekla oderTherapon sei im SchlafHeilung zu gewinnen. Man sollte aber nicht übersehen, wie fundamental das Verständnis des Traums wie auch dessen Bedeutung für Heilungswunder durch die Christianisierung verändert worden ist. Das betrifft einmal die Traumtheorie. Das Potential des Traums wurde ganz in den Dienst des Christentums gestellt. So wurden bedeutsame Träume als Auszeichnung von Menschen verstanden. Heilige Männer – so Gregor der Große –, die durch die Gnade Gottes ausgezeichnet und vor allem unter den Asketen zu finden seien, traut es Gregor zu, zwischen Offenbarungen und wertlosen Träumen zu unterscheiden (Greg. M. dial. 4, 50; moral. 8, 42 f.). Die zentrale Rolle der neuen Traumdeutungseliten lässt sich zum Beispiel an Bischof Redemptus von Ferento veranschaulichen. Redemptus, ein alter Freund Gregors, mit dem er zusammen im gleichen Kloster Mönch gewesen war, ist für Gregor ein Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel: „Er kam einst [… ] zur Kirche des heiligen Eutychius. Als es Abend wurde, ließer sich sein Lager neben dem Grabe des Märtyrer bereitrichten [...].“ (Greg. M. dial. 3, 38)
Zur Mitternachtszeit erschien ihm in einer Wachvision der Märtyrer Eutychius und sagte ihm die Zukunft voraus, nämlich das Ankommen der Lombarden. Dieser in der Forschung durchaus als Beispiel für Inkubation zitierte Fall unterscheidet sich dennoch von der Inkubationspraxis im Asklepioskult. Es gibt keine Schläfer in Inkubationshallen, keine Betreuer, keine Priester, kein Hilfspersonal, sondern allein eine ausgezeichnete Persönlichkeit am Grabe eines Märtyrers, die sich zwar niederlegt, aber während des Wachens ein bedeutungsvolles Bild sieht. Die Interpretation hängt von der Gewissheit ab, dass heiligmäßigen Menschen durch die Gnade Gottes Offenbarungen zuteilwerden. In diesem Falle geht es um eine Voraussage für die Zukunft, nicht um einen Heilungsprozess. Letztlich erzählt Gregor die Geschichte als Beleg für das, was die Auserwählten mit Hilfe Gottes vermögen. Träume und
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Visionen gehören zu den Erzählelementen, welche die Heiligmäßigkeit bestimmter Persönlichkeiten unterstreichen und im Glauben bestärken. Sie sind indes nicht Ausdruck einer Inkubationspraxis, die an einem bestimmten Ort für zahlreiche Menschen wichtig gewesen wäre. Ein weiterer Unterschied zwischen den Heilungen durch Asklepios und denjenigen durch christliche Heilige betrifft das Spektrum der Heilriten. Dies lässt sich etwa beim Kult für Kosmas und Damian zeigen. Viele Kranke wurden durch Inkubation an Kultstätten dieser Heiligen gesund, insbesondere in Konstantinopel. Doch es gab weitere Riten: So überliefert uns Gregor von Tours, dass Kranke am Grabe von Kosmas und Damian gesund werden konnten, wenn sie beteten: „Denn wenn ein Kranker erfüllt im Glauben bei ihrem Grab gebetet hat, erhält er sofort ein Heilmittel, Es berichten auch viele, dass Kosmas und Damian Kranken im Traum [per visum] erscheinen undangeben, was sie machen sollen, undwenn diese es getan haben, gehen sie gesund wieder weg.“ (Greg. Tur. glor. mart. 97)
Traum und Inkubation sind also nicht zwingend notwendig, um in Krankheitsfällen Hilfe durch Heilige zu erlangen. Augustin hat erklärt, worauf es bei solchen Wundern ankomme, nämlich nicht aufden Glauben an alte Wundermittel, sondern aufeinen wahren Glauben an Gott. Heilungen durch Träume sollten deshalb gemäß Augustin gelassen betrachtet werden. Es kam vor, dass Menschen mit Hilfe von Träumen oder während des Träumens geheilt wurden. Entscheidend daran war allein, dass die Heilung durch die Gnade Gottes zustande kam. In seinem Werk Der Gottesstaat gibt Augustin etliche Berichte von Wundern: Träume und Besuche von Kranken an Stätten der Märtyrer kommen wiederholt vor. Im Einzelnen erinnert vieles durchaus an Vorkommnisse in der paganen Kultur, so etwa wenn Kranke medizinische Vorschriften und Ratschläge erhalten. Im Asklepioskult war dies auch so gewesen. Als Ganzes gesehen tragen die Berichte aber einen völlig anderen Charakter, denn Augustin deutet sie im Hinblick aufein neues Ziel: Die Berichte sollen die Überlegenheit des christlichen Glaubens vorführen, den Glauben stärken und damit das Heil der civitas Dei. Dies ist der größere Zusammenhang. Augustin schreibt: „Wofürlegen dieseWunderZeugnis ab, wenn nichtfürden Glauben, in dem verkündetwird, dass Christus im Fleische auferstanden und mit dem Fleische zum Himmel aufgefahren ist? Denn die Märtyrer waren Märtyrer dieses Glaubens, das heißt Zeugen dieses Glaubens.“ (Aug. civ. 22, 9)
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und: „Mit dem Heildes Gottesstaates aber verhält es sich so, dass es nur mit dem Glauben festgehalten oder erworben werden kann.“ (Aug. civ. 22, 6)
Der in den Ritus von Inkubationstechniken eingebundene und konditionierte Traum im Dienste von Heilverfahren verlor seine Bedeutung. Gewiss kam es vor, dass an Wallfahrtsorten Träume bei wunderbaren Gesundungen eine Rolle spielen konnten, aber die großen Inkubationshallen oder die Inschriften mit Heilwundern während des Schlafes sind verschwunden. Die Hoffnungen richteten sich auf die Heiligen als Vermittler diesseitigen wie jenseitigen Heils, aufneue Kultorte und die mit ihnen verknüpften liturgischen Feiern, und dabei folgte man den neuen Eliten, die mit charismatischer Autorität und überzeugenden Worten für Traumdeutung und Genesungsprozesse neue interpretatorische Regeln schufen.
Märtyrerverehrung und Rechtsbegründung Christliche Lebensweisen, wie sie sich aus dem Willen zur Christusnachfolge und deren Zeugnis ergeben, stützten sich auf die Mündlichkeit, noch stärker aber auf die Schriftlichkeit und das Zitieren von Texten. Schon recht früh ist auch zu erkennen, dass rechtliche Ordnungen schriftlich fixiert wurden. Kanonisch wurden insbesondere die Ermahnungen der Apostel. Sie deuteten auf Grundlage der Evangelien und in Auseinandersetzung mit Tradition und Gegenwart aus, wie christliches Leben zu führen sei. Die Gemeinschaft der Christen bedurfte der Regelungen. Die älteste erhaltene Kirchenordnung stammt aus Syrien. Sie gehört wohl ins 2. Jahrhundert und ist unter dem Titel Didache oder Apostellehre bekannt geworden. Behandelt werden die Versammlungen der Christen, die Rituale, Lebensweisen, das Gemeindeleben, die Leitung der Gemeinden und den Glauben. Die Didache betont: „Ihr sollt zahlreich zusammenkommen, das suchend, was für eure Seelen nötig ist.“ (Did 16, 2) Rechtsordnung und Lehre liegen in der Hand der Leitung. Diese ist deshalb besonders wichtig. Die Didache schreibt vor: „Wählt euch also Bischöfe und Diakone, würdig des Herrn, Männer, mild, nicht geldgierig, aufrichtig und bewährt. Sie leisten euch nämlich ja auch den Dienst von Propheten und Lehrern. Verachtet sie also nicht. Denn sie sinddie ehrenvollAusgezeichneten unter euch, gemeinsam mit den Propheten und Lehrern.“ (Did. 15, 1–2)
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Entscheidend sei die Bewährung. Diese Bewährung zeigt sich besonders deutlich in den letzten Tagen vor dem Weltgericht: „In den letzten Tagen nämlich werden die Lügenpropheten und die Verderber zahlreich werden, und die Schafe werden sich in Wölfe verwandeln und die Liebe in Hass. Wenn nämlich die Gesetzlosigkeit zunimmt, wird man einander hassen, verfolgen und verraten [… ] die aber durchhalten in ihrem Glauben, werden gerettet werden [...]. (Did. 16, 3–5)
Die Bewährung im christlichen Glauben und dessen Bekenntnis während Verfolgungen wie auch im Leben überhaupt sind oft mit der Bewährung in den Kämpfen vor dem Weltgericht verglichen worden. Sie haben ihre Parallele indes auch in der Beteiligung an der Eucharistie. Man nimmt an ihr teil mit dem Anspruch, dadurch christlich zu leben und sein Leben christlich zu gestalten. Von selbst ergibt sich dies nicht. Auch hier bedarf es der Behauptung, des Bekennens und der Überwindung. Die Didache versteht die Eucharistie als ein Opfer, das rein erbracht wird, indem die Sünden bekannt werden, Streit beigelegt und gebetet wird. Der Begriffdes Martyriums fehlt in der Didache. Wohl aber findet er sich in den Apostolischen Konstitutionen, einer um 380 wohl in Antiochia verfassten Kirchenordnung, in welcher – nebst anderen Texten – die Didache Aufnahme gefunden hat. Den Glaubenden wird die Verehrung der Märtyrer ausdrücklich empfohlen. Als erste Märtyrer werden der „Bischof“ Jakobus sowie Stephanus genannt (ConstAp 5, 8, 1). Gewarnt wird indes vor „falschen“ Märtyrern (ConstAp 5, 8, 2). Die Heraushebung des „Bischofs“ Jakobus gehört in eine Zeit, in welcher in Antiochia der BischofBabylas (vgl. S. 103 f.) als Märtyrer kultisch verehrt wurde. Eine herausragende Gestalt eines Märtyrerbischofs war gleichfalls Cyprian von Karthago. Unter Cyprian hat die Ausprägung eines kirchlichen Rechtes die stärks-ten und wirkungsreichsten Anstöße empfangen. 7 Fundamental bei diesem Vorgang war die Festlegung eines angemessenen Umganges der christlichen Gemeinden mit der Autorität, welche das Martyrium, das Bischofsamt und die Zugehörigkeit zur Kirche verliehen (vgl. S. 77 f. und 100–112). Cyprian war dabei ein scharfer Kritiker der römischen Rechtsverhältnisse. Das Recht, so polemisierte er, habe im römischen Staat mit dem Verbrechen einen Bund geschlossen (Ad Donat. 10). Ausgehend von einem solch schwarzen Bild, das sich ähnlich bereits bei Tertullian findet (apol. 2. 4, 3–13), wird der Gedanke entwickelt, es gebe ein höheres, wahres, göttliches Recht, das anders als das weltliche Recht Gerechtigkeit zu schaffen vermöge. Weil die Gerechtigkeit aufder Welt leidet, sollen die Christen sich die göttlichen Weisungen und die himmlischen Gebote (divina praecepta et mandata caelestia) vergegenwärtigen (epist. 6, 2). Sie entsprechen dem neuen Gesetz (lex nova), welches das Gesetz Moses ersetzt hat (Ad Quirinum 1, 10). Die Ungerechtigkeit der Verfolgung sei nichts anderes als Strafe für Sünden (so epist.
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11). Innerhalb des notwendig ungerechten römischen Staates, dem die Christen sich indes keineswegs widersetzen sollen, wollte Cyprian in der Kirche ein besseres Recht verwirklichen. Er entwarfin Auseinandersetzung mit der Frage, wie mit den während der Verfolgungen abgefallenen Christen zu verfahren sei, Normen für die Amtsführung des Bischofs und dessen Bestellung. Die Ansprüche der Bischofsherrschaft begründete er in einem Schreiben mit dem Wort Jesu an Petrus: „Du bist Petrus, und über diesem Felsen will ich meine Kirchen bauen.“ (Mt 16, 18) Er folgert danach: „Nach diesem Wortverläuftim Wechselder Zeiten undder Nachfolge im Amtdie Einsetzung der Bischöfe und die Ordnung der Kirche, in der Weise, dass die Kirche aufdie Bischöfe gegründet undjede kirchliche Handlung durch eben diese Vorgesetzten geleitet wird.“(Cypr. epist. 33, 1)
Die Gedanken und Begründungen Cyprians, die in der Zeit der Christenverfolgungen unter Decius und Valerian entstanden sind, haben unter anderem in den afrikanischen Konzilien Folgen gezeitigt. Im 4. und 5. Jahrhundert wurden sie für bei der Normgebung durch die römischen Bischöfe maßgebend und haben von hier aus weitergewirkt. Zur Macht der Kirche gehört die Festlegung von Bußen. Die Strafgewalt der Kirche sollte human sein. Diese Absicht verfolgten freilich auch römische Juristen und Kaiser. Humanitas, clementia und caritas sind Wertvorstellungen, die in den römischen Rechtstexten insbesondere der severischen Zeit gut vertreten sind. Man kann sich fragen, ob seit der Konstantinischen Wende die Gesetze unter dem Einfluss des Christentums humaner geworden sind beziehungsweise die Rhetorik der humanitas-Idee eher der paganen oder einer einer sich neu bildenden christlichen Rechtstradtion verpflichtet war. Für Konstantin – wie auch für spätere Herrscher sind die Vorstellungen der Verpflichtung gegenüber Gott bei der Setzung von Normen und einer humanen Erneuerung der Gesetze jedenfalls wichtig geblieben. 8 Freilich ist es weder der Kirche noch dem Staat gelungen, Gewalt und Ungerechtigkeit aus ihren Gemeinschaften zu verbannen; die Verfolgungen beispielsweise der Donatisten mögen als eines von vielen niederschmetternden Beispielen erwähnt sein. Die Idee des Martyriums ist sodann später in übelster Weise für die Rechtfertigung heiliger Kriege missbraucht worden. Die Stärkung der kirchlichen und bischöflichen Autorität, wie sie als Ergebnis der Behauptung des Christentums während der Verfolgungen einsetzt, ist historisch betrachtet ein Vorgang mit zwiespältigen Wirkungen.
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1 Dazu Veyne 1988; Brown 2012. 2 Vgl. Finn 2006, 216 f. 3 Lucius 1904, 306–324. 4 Siehe etwa Dresken-Weiland 2010, 181–213. 5 S. Lancel: „Modalités de l’inhumation privilégiée dans la nécropole de Sainte-Salsa à Tipasa (Algérie)“, in: Comptes-rendus des séances de l’Académie des Incriptions et des Belles-Lettres 141 N. 3 (1997), 791–814; MacMullen 2009, 55–57, 64 f., 131 f. 6 Ein Ausgangspunkt dieser Auffassung ist die klassische Arbeit von L. Deubner: De incubatione capita quattuor, Leipzig 1900. 7 A. Hoffmann: Kirchliche Strukturen und Römisches Recht bei Cyprian von Karthago, Paderborn u. a. 2000 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der GörresGesellschaft, Neue Folge, 92); A. Thier: Hierarchie und Autonomie. Regelungstraditionen der Bischofsbestellung in der Geschichte des kirchlichen Wahlrechts, Frankfurt am Main 2011 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 257, Recht im ersten Jahrtausend 1), 31–62. 8 R. M. Honig: Humanitas und Rhetorik in spätrömischen Kaisergesetzen (Studien zur Gesinnungsgrundlage des Dominats), Göttingen 1960 (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 30).
7 Frühchristliche Märtyrer und Martyrien: ein Ausblick auf die Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte Wir kehren zum Ausgangspunkt zurück, zur Beobachtung, dass Totenkult in der Kulturgeschichte eine zentrale Rolle bis heute einnimmt und im Christentum unter anderem in der Märtyrerverehrung spezifische wirkungsvolle Ausprägungen erhalten hat, die freilich nicht einfach zu verstehen sind. Es fehlt nicht an Beschreibungen und Erklärungen des Phänomens des Märtyrerkultes. Doch ist es schwierig, sich in ihnen zu orientieren. Wie bei fast allen Themen, die bereits im Altertum behandelt worden sind, und von da an immer wieder und wieder, ist die Literatur zum Thema so reich, dass es unmöglich ist, sie in ihrer Gesamtheit zu rezipieren. Wenigstens einige Linien der Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte sollen im Folgenden skizziert werden. Bildung, Gelehrsamkeit und christliche Kultur gehören untrennbar zusammen. Dabei wirken in ihnen antike Errungenschaften nach, so die Techniken im Umgang mit Sprache, Verstehen und Darlegung wissenschaftlicher Forschung. Bedeutende und diese Bereiche disziplinierende und strukturierende Gestalten antiker Bildungskultur waren Grammatiker und Redner. Von ihnen lernten die Christen. So entstanden in den Klöstern Einrichtungen, die über Jahrhunderte hinweg ihre geistigen Wirkungen ausübten: Schulen, Skriptorien und Bibliotheken. Der Umgang mit Texten und deren geregelte Interpretation schufen Voraussetzungen für eine Kultur der Erinnerung an die Märtyrer. Er verband sich mit einer Fülle von Gepflogenheiten, an denen das Gedenken gleichfalls anknüpfte. Immer wieder hat man in der modernen Forschung versucht, die Bereiche dieser Gepflogenheiten systematisch darzustellen, so auch in der hagiographischen Forschung. Ein Beispiel bietet die von Dom Jacques Dubois und JeanLoup Lemaitre herausgegebene Bibliographie Sources & méthodes de l’hagiographie médiévale. Zu erwähnen sind: der Reliquienkult, die Liturgie, die Feste der Heiligen im jahreszeitlichen zyklischen Vollzug, die Patrozinien, Sakralbauten und ihre Einbettung in Städten und Landschaften, Wallfahrtsorte und Wallfahrt, Kunst und Literatur, Brauchtum, Namengebung sowie eine reiche materielle Kultur, welche zumindest mit ein paar Stichworten ein wenig anschaulicher werden soll:
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Ausblick: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte
Kirchenschätze gehören zu ihr, unter anderem mit Reliquiaren in Arm-, Büsten-, Kopf- oder Kastenform, Monstranzen und Ziborien, ebenso aber beispielsweise Pilgerzeichen, Souvenirs, Münzen und Siegel. Besonders wichtige Bezugspunkte der Märtyrerverehrung und ihrer geschichtlichen Darstellung bietet die hagiographische Überlieferung. Eine besondere Bedeutung in ihr haben Martyrologien. Sie werden unter anderem hinzugezogen, wenn man versucht zu rekonstruieren, wie sich der Heiligenkult entwickelt hat. Für eine zeitliche Zuordnung der Berichte über das Leben von Heiligen geben sie wichtige Anhaltspunkte, wobei der Umgang mit ihnen freilich schwierig ist. Fruchtbar wird die Auswertung jedenfalls nur, wenn auch die weiteren historischen Quellen umfassend einbezogen werden. Bereits in der Spätantike stellte sich die Frage, welche Autorität Berichte von Martyrien besaßen. Was wusste man von ihnen? Gründeten sie auf Akten? Euseb zitierte in seiner Kirchengeschichte immer wieder die Dokumente. Ein BriefAugustins zeigt, dass man sich bewusst war, wie wichtig der Wortlaut der Originalquellen war (Aug. epist. 29*). Dennoch wurden die Berichte vom Leben und Sterben Heiliger verändert und ausgeschmückt, nicht selten wurden ganze Viten einfach erfunden, weil die Lebendigkeit der Kulte als das geschichtlich Wesentliche erachet wurden. Bereits in der Spätantike erachtete man es als wichtig, auch die Wunder der Heiligen festzuhalten. So wie es die biblischen Texten mit den frühen Wundern zur Zeit Christi und der Apostel bzw. des Alten Testaments taten, so sollten auch die Wunder der Heiligen schriftlich fixiert und zugänglich gemacht werden: Die Wunder zeugen wie die Heiligen von der Offenbarung. Augustin beklagt, dass nur wenige von Wundern erführen und zuweilen Zweifel an den Berichten darüber auftauchen würden: Im 22. Buch seines Werkes De civitate Dei fügte er denn eine ganze Sammlung solcher Zeugnisse ein, so die Wunder anläßlich der Auffindung der Körper des Gervasius und Protasius durch Ambrosius sowie die zahlreichen Heilungen, welche der Heilige Stephanus bewirkt hatte. Doch gerade in diesem Bereich lässt sich kaum mehr herausfinden, durch wen und in welcher Zeit Wundererzählungen in die hagiographische Überlieferung eingebracht worden sind. Die bekannteste spätmittelalterliche Sammlung von Heiligenleben ist die Legenda Aurea des Dominikanes und späteres Erzbischofs von Genua, Jacobus de Voragine (†1298), in der über 180 Einzelviten mit einer Masse von Wundern in der Abfolge des Heiligenkalenders im liturgischen Kirchenjahr zusammengestellt sind. Solche Sammlungen sowie der blühende Reliquien- und Heiligenkult weckten die Kritik. Sie führt zusammen mit weiteren Triebkräften zur Reformation. Erasmus von Rotterdam beschrieb im Lob der Torheit die Situation als ein „Meer von Aberglauben“. Es sei nicht zu fassen, dass Menschen nicht genug von verrückten Geschichten bekommen könnten und dabei meinte würden, die Heiligen könnten ihnen helfen:
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„Und so törichtes Zeug, darob ich fast selbst erröte, findet Gläubige nicht nur beim Volk, sondern auch unter den Lehrern der Religion. Hieher gehört es wohl auch, wenn jeder Ort einen eigenen Heiligen in Beschlagnimmt, wenn sie jedem seine Aufgabe anweisen undjedem seinen Kult zuteilen: bei Zahnweh eilt dieser herbei, Gebärenden steht jener zur Seite, ein andererschafftgestohlenes Gutwiederher, diesererscheintals Retterin Seenot, jenerbeschützt die Herden, und so weiter [...].“1
Heiligmäßiges Leben und Wertschätzung der Heiligen an und für sich galten indes weiterhin als etwas Positives. Zurückgewiesen wurden die Auswüchse des Kultes, in denen man einen eigentlichen Götzendienst sah. Im Bildersturm leerte man die Kirchen von den Objekten einer als verfehlt verurteilten Frömmigkeit. Zwingli und Bullinger in Zürich griffen die Argumente des Vigilantius auf, welche dieser gegen den Reliquienkult angeführt hatte: Nicht Hieronymus, sondern der von diesem so übel beschimpfte Vigilantius sei im Recht. Vigilantius erschien als eine Art Reformator vor der Reformation. 2 Die Verfahren der katholischen Kirche, zu definieren, wer und was heilig sei und wer den Heiligen zugerechnet werden dürfe, wurden abgelehnt. Gewisse Überschneidungen in der Beurteilung von Heiligkeit durch Reformierte und Katholiken gab es immerhin beim Frühchristentum: In den frühchristlichen Märtyrern sahen die Reformierten heiligmäßige Menschen, die in einer Epoche gelebt hatten, als die „Fehlentwicklungen“ des Katholizismus noch nicht vorhanden waren. Sie galten als Zeugen des Glaubens. Ihnen fügte man die neuen reformatorischen Blutzeugen an, die in mehreren berühmten Märtyrerbüchern – zu nennen sind die Werke von Jean Crespin, John Foxe und Adrian van Haemstede – zeigten, wie Menschen in der Gegenwart für ihren Glauben an Christus gestorben waren und wie die Katharer, Hus oder Savonarola durch Katholiken zu Tode gebracht worden waren. Auf der katholischen Seite wuchsen im 16. Jahrhundert die Anstrengungen die Verehrung der Märtyrer aufeine wissenschaftlich festere Grundlage zu stellen. Die Erforschung der Überlieferung wurde vorangetrieben. Noch im ausgehenden 15. Jahrhundert hatte der italienische Humanist und Hagiograph Boninus Mombritius eine wichtige Sammlung von Heiligenviten vorgelegt. Der Kölner Karthäusermönch Laurentius Surius setzte solche Arbeiten im 16. Jahrhundert fort. 1583 erschien das Martyrologium Romanum, zu dem auch der große Kirchenhistoriker Caesar Baronius viel beigetragen hat. Die Arbeit an den Viten der Heiligen hatte vielfältige Ansprüche zu erfüllen: Die Heiligen mussten von der Kirche anerkannt sein; es galt, alles zu sammeln, was man von ihnen wusste; die Quellen waren zudem zuverläßig aufzubereiten, so dass eine sichere Grundlage für eine Rekonstruktion des Geschichtlichen möglich war. Die Unerfüllbarkeit dieser Ansprüche läge eigentlich auf der Hand, und doch wurde immer mehr Gelehrsamkeit aufgewendet.
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Der niederländische Jesuit Heribert Rosweyde gab der systematischen Sammlung, Prüfung und Publikation von Berichten über Heilige zu Beginn des 17. Jahrhunderts weitere Impulse und Grundlagen. Seine wegweisenden Arbeiten führten Jean Bolland und die nach ihm genannten Bollandisten fort. 3 Bolland veröffentlichte in Verbindung mit Gottfried Henschen und Daniel Papebroekvon 1643 an fünfBände mit den Heiligen der Monate Januar und Februar unter dem Titel Acta Sanctorum. Die Acta Sanctorum, von denen 1786 53 Bände vorlagen und die bis ins 20. Jahrhundert weiter geführt wurden – ohne freilich zum Abschluss zu kommen –, gliedern die Überlieferung nach dem Kalender, einem fundamentalen Prinzip christlicher Erinnerungskultur, das freilich bei einer historisch ausgerichteten Arbeit unüberwindliche Probleme zeitigt. In gleichem Sinne wie die Bollandisten kümmerten sich die Mauriner um die Edition von Heiligenviten. Eine meisterhafte und bis ins 19. Jahrhundert vielfach wieder aufgelegte Sammlung von Heiligenviten legte der Benediktiner Thierry Ruinart 1689 vor. Ruinart arbeitete für Jean Mabillon, einen der bedeutendsten Gelehrten der Kongregation von Saint Maur in Paris. Obschon sein Werk durch die Acta Sanctorum wissenschaftlich übertroffen wird, hatte es sich in den wissenschaftlichen Debatten mit den gleichen Grundproblemen auseinanderzusetzen: WiesinddieTextezuedieren? Wielassensiesichzeitlichundgeschichtlicheinordnen? Eine fundamentale Kritik bestand im Vorwurf, viele der Berichte würden von erfundenen Märtyrern handeln. Diese Kritik hatte besonders prominent Henry Dodwell in einer seiner Abhandlungen zu einer Edition der Briefe Cyprians formuliert, und Ruinart antwortete ausführlich auf sie. Sein letztes Argument ist der Verweis aufeine Debatte Augustins mit Faustus, der den Märtyrerkult kritisiert und die Auffassungvertritt, die Christen hätten die Märtyrer an die Stelle der heidnischen Götter gestellt (Aug. c. Faust. 20, 21). Augustin führt dort aus, dass der Kult der Märtyrer ganz im Dienste Gottes stehe. Hier liegt auch ein zentraler historischer Aspekt des Märtyrerkultes: Er zeugt vom Kult und Glauben christlicher Gemeinschaften zu einer bestimmten Zeit. Besonders erfolgreich herausgearbeitet hat dies Hippolyte Delehaye (1859–1941) in Auseinandersetzung mit den positivistischen Geschichtsauffassungen des 19. Jahrhunderts. 4 Damals befanden sich die historischen Wissenschaften auf einem eigentlichen Siegeszug. Man traute ihnen zu, die Vergangenheit real erkennen zu können. Die „Verfälschungen“ und „Verzerrungen“ durch den christlichen Umgang mit der Überlieferung wollte man rückgängig machen zu. Dabei übersah man, dass der Kult der Märtyer seinen Sitz in christlichen Gemeinschaften hat, deren Vorhandensein und deren Mentalitäten und Kultur genauso ernst zu nehmen sind wie andere geschichtliche Faktoren und Vorgänge. Es geht deshalb nicht an, hagiographisches Material – so wie es etwa Bruno Krusch (1857–1940) als Editor in den Monumenta Germaniae Historica getan hat – zu
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säubern, bestimmte Quellen und Zeiten auf unhistorische Art und Weise zu privilegieren und die Rekonstruktion geschichtlicher Prozesse zugunsten einer Fixierung auf „den Kern der Geschichte“ zurückzustellen. Ein besonders krasser Fall der Reinigung des hagiographischen Materials bietet gleichfalls die Auseinandersetzung mit Martin von Tours: Hier meinte Ernest-Charles Batut (1875–1916), die Überlieferung verstelle, dass Martin ein Anhänger der Gnosis und Priscillianist gewesen sei. Erst nachträglich sei er zu einem Rechtgläubigen gemacht worden. Die Kritik an den Einebnungen und Reduktionen der Geschichte durch Kräfte im Dienste „richtigen“ Glaubens, wie sie bei Batut und Krusch spürbar ist, hat zwar schon respektable Gründe. Man kann verstehen, dass Wissenschaftler sich gegenüber den Ansprüchen und Vorschriften konservativer Kräfte wehren mussten. Weshalb hätten aus den Quellen nicht Vorgänge aufgedeckt werden dürfen, die aus konfessionellen oder nationalen Gründen als störend erachtet wurden? Von rechtskatholischer Seite wurde beispielsweise Hippolyte Delehayeund seine Forschung wegen Relativierung des Glaubens und Modernismus erbittert zurückgewiesen und mit der Zensur bedroht. Für die Erforschung der Überlieferung hat jedoch Delehaye Maßgebliches erarbeitet. Die christliche Kultur, der solche Arbeit letztlich zugutekommt, ist zweifellos ein schwieriges Erbe. Zu viel von ihm ist mit Machtmissbrauch und dessen negativen Folgen verknüpft. Dunkle Spuren von Fanatismus, Zerstörung und Selbstzerstörung sind in ihr zu finden. Das Leiden an der christlichen Kultur und deren Zurückweisung sind deshalb verbreitet. Die christliche Kultur wird seit der Aufklärung als Ursache für nachteilige Einschränkungen von Freiheiten sowie auch der Erkenntnis gesehen. Davon wollte und will man sich frei machen. Mit der Distanz insbesondere gegenüber dem römisch-katholischen Christentum ging nicht selten eine Aufwertung der polytheistischen paganen Kultur parallel einher. Die geschichtliche Betrachtung öffnete auf eine befreiende Art und Weise den Blick aufdie heidnische Welt. Auch Phänomene des Christentums suchte man als eigentlich heidnisch zu erklären. Die Beschäftigung mit der Hagiographie hat insofern von diesem Ansatz profitiert, als sie sich stärker auf die Verbindungen zwischen dem Christentum und der Antike eingelassen hat. Die wird etwa in den wichtigen Büchern von Friedrich Pfister (publiziert 1909–1912) zum Reliquienkult (vgl. nun Hartmann 2010) und Ernst Lucius (publiziert 1902) zu den Anfängen des Heiligenkultes deutlich. Fruchtbar wurde ebenso das Lernen aus Religionswissenschaft, Anthropologie und Soziologie. Meisterhaft ist es Peter Brown in seinen zahlreichen und erfolgreichen Büchern gelungen, die Lehren aus diesen Disziplinen sowie aus seinen eigenen Erfahrungen aufden Kult der Heiligen in der Spätantike anzuwenden. Wie kam er dazu? Welche eigenen geschichtlichen Erfahrungen bewegten ihn? Wenigstens ein kurzer Ausschnitt aus seinem Vortrag A Life ofLearning sei hier zitiert:
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„To be a member ofthe Protestant minority ofsouthern Ireland was to grow up in a world where religion penetratedevery aspectofthe sociallife ofone’s own community quite as fully as it penetratedthe life ofthe Catholic majority. Religion andidentity went handin hand. Iremember that, at the age ofsix, Iwas, predictably, greatly interestedin cowboys. But one thing heldme back from identification with these new heroes. Where cowboys Catholics orwere they Protestants? Up to this day, thestudy ofreligious experiencedivorcedfrom a precisesocialcontexthas always struck me as a singularly weightless exercise.“5
Der 1963 zum katholischen Priester geweihte Kirchenhistoriker Arnold Angenendt schreibt in seinem nach wie vor bedeutenden Buch Heilige und Reliquien (1994) von einer „bestürzenden Erfahrung“, die es notwendig machte, neue Einsichten aufzunehmen. 6 Er tat dies selbst und zeigte, wie die in den frühchristlichen Texten beschriebenen Phänomene bis in die Gegenwart hinein geradezu allgegenwärtig sind, natürlich auch in säkularen Formen, und wie das Überlieferte im Licht der heutigen Zeit besser verstanden werden kann. Große und bedeutende wissenschaftliche Erfolge haben die archäologischen Wissenschaften erzielt. Die unzähligen Grabungen auszuwerten und die Auswertungen dann auch wahrzunehmen, ist freilich eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Einen Meilenstein bildet das Werk Martyrion des Kunsthistorikers und Byzantinisten André Grabar(1896–1996). Hervorzuheben sind beispielsweise auch die Ergebnisse des 11. und 12. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie von 1986 und 1991. Eine anregende knappe Synthese eines bekannten Althistorikers stammt von Ramsay MacMullen (2009). 7 Wissenschaftliche Fortschritte zeitigen sich im Bereiche der Textausgaben wie auch zahlreicher Objekte und Objektgruppen – herausgegriffen seien die Reliquiare. 8 Zahlreiche neue Interpretationsansätze werden ausgetestet, so etwa aus dem Bereiche der Religionswissenschaften, der Körperstudien und Gender Studies. 9 Bemerkenswerte Interpretationen bietet das Buch des Mediävisten Philippe Buc The Dangers ofRitual. Between Early MedievalTexts andSocialScientificTheory (2001). 10 Nicht selten behandeln Studien zur Märtyrer- und Heiligenverehrung im Mittelalter die spätantiken Wurzeln in aufschlussreicher Weise und verbinden so Forschungen zu unterschiedlichen Epochen. Anregungen, welche zum Einbezug der Spätantike geführt haben, verdanken sich unter anderem Eugen Ewig (1913–2006), dem Gründer des Deutschen Historischen Instituts in Paris. 11 In einer stattlichen Reihe von Publikationen ist in den letzten Jahren sodann versucht worden, die frühchristlichen Vorstellungen des Martyriums klarer darzustellen. Wirkungen solcher Arbeit zeigen sich in unterschiedlicher Weise denn auch in einer Reihe von Publikationen zum Phänomen „Märtyrer“ in Geschichte und Kultur überhaupt. 12
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Wie wir einleitend ausgeführt haben, spielt die Wahrnehmung der Gegenwart dabei gleichfalls eine wichtige Rolle. Obschon es nicht möglich ist, diesen Vorgang und die dabei zum Tragen kommenden Intentionen ausreichend zu beschreiben und zu verstehen, zumal nicht im Rahmen des vorliegenden Büchleins, so hat er doch eine grundlegende Bedeutung, die zu jeder wissenschaftlichen Tätigkeit gehört und deshalb auch nicht unerwähnt bleiben darf. Hier mag es denn vielleicht erlaubt sein, einen Aspekt dieser Verknüpfung zwischen der Analyse von Vergangenheit mit der Gegenwart herauszugreifen und mit der Feststellung zu enden, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit geschichtlichen Zeugnissen im Vollzug vergleichenden Verstehens von Vergangenem in seiner Fremdheit und Besonderheit sowie in ihrer Rezeption und Wirkung einen Beitrag für die moderne Kultur und die Wertschätzung des Lebens leistet. 1 ΜωρίαΕγκώμιον id est: Stultitiae Laus Desiderii Erasmi Roterodami declamatio 40, in: Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften, Bd. 2, hrsg. von W. Welzig, Darmstadt 1975, 96. f. (deutsche Übersetzung von A. Hartmann). 2 W. Rordorf: „Kritik an Hieronymus. Die Schrift Contra Vigilantiumim Urteil Zwinglis und Bullingers“, in: Heinrich Bullinger 1504–1575. Gesammelte Aufsätze zum 400. Todestag, im Auftrag des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte hrsg. von U. Gäbler und E. Herkenrath, Bd. 1, Leben und Werk, Zürich 1975 (Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte), 49–63 wieder abgedruckt in: W. Rordorf: Lex orandi– lex credendi. Gesammelte Aufsätze zum 60. Geburtstag, Fribourg 1993 (Paradosis 36), 177–191 (Nr. XI). 3 Siehe zu ihnen u. a. Sawilla 2009. 4 Siehe zu ihm Joassart 2000. 5 Peter Brown: A Life of Learning. Charles Homer Haskins Lecture for 2003, 2003 (American Council of Learned Societies. Occasional Paper 55) (Internet 2011). 6 Angenendt 1994, 345. Vgl. auch: Arnold Angenendt: Die Gegenwart von Heiligen und Reliquien, eingeleitet und hrsg. von H. Lutterbach, Münster 2010. 7 Weiter genannt seien Beaujard 2000; Bowes 2008; Brandenburg 2005; Brenk 2003; Duval 1982; Yasin 2009, Mayer / Allen 2012; Gümgüm 2012. Siehe für einen Einstieg Sörries2011. 8 Siehe etwa Lanéry 2008; A. Kalinowski: Frühchristliche Reliquiare im Kontext von Kultstrategien, Heilserwartung und sozialer Selbstdarstellung, Wiesbaden 2011 (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend, Reihe B: Studien und Perspektiven 32); M. C. Comte: Les reliquaires du Proche-Orient et de Chypre à la période protobyzantine (IVe–VIIIe siècles). Formes, emplacements, fonctionset cultes, Turnhout 2012 (Bibliothèque de l’Antiquité Tardive 20). 9 Siehe etwa Burrus 2004; Cook 2007; Streete 2009; Stroumsa 2005. 10 Buc 2001, 123–157. 11 E. Ewig: „Die Kathedralpatrozinien im römischen und im fränkischen Gallien“: in: Spätantikes undfränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952–1973), hrsg. von H. Atsma, Bd. 2, München 1979 (Beihefte der Francia 3/2), 260–317; A. Krüger: Südfranzösische Lokalheilige zwischen Kirche, Dynastie und Stadt vom 5. bis zum 16. Jahrhundert, Stuttgart 2002 (Beiträge zur Hagiographie 2); S. Meyer: Der heilige Vinzenz von Zaragoza. Studien zur Präsenz eines Märtyrers
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zwischen Spätantike und Hochmittelalter, Stuttgart 2012 (Beiträge zur Hagiographie 10). 12 Siehe die Abschnitte in Die Geschichte des Christentums. Hervorgehoben seien Rordorf1978; Perkins 1995; Baumeister 2009; Gemeinhardt 2009; Seeliger 2009; Leemans (Hrsg.) 2010; Gemeinhardt / Leemans (Hrsg.) 2012; Moss 2012. Einordnung in größere Zusammenhänge: Weigel (Hrsg.) 2007; Kraß / Frank (Hrsg.) 2008; Jensen 2010; Niewiadomski/ Siebenrock (Hrsg.) 2011.
Bibliographie
1 Quellen und Abküzrungen a) Verwendete Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen (Auswahl) – Abkürzungssystem Abkürzungen für die antiken Autoren folgen soweit möglich vorrangig dem Neuen Pauly (DNP 3 [1997] XXXVI–XLIV), sodann dem Index des Thesaurus linguae Latinae (Leipzig 5 1990), dem Greek-English Lexicon (compiled by H. G. Liddell – R. Scott, revised and augmented by H. S. Jones with the assistance of R. McKenzie and with the cooperation of many scholars. With a revised supplement, Oxford 1996), bei patristischen griechischen Autoren dem Werk: A Patristic Greek Lexicon, edited by G. W. H. Lampe (Oxford 1961). Hinzugezogen wurde auch: L. Berkowitz – K. A. Squitier, with technical assistance from W. A. Johnson, Thesaurus linguae Graecae. Canon ofGreek Authors, Oxford 31990. Die Abkürzungen der biblischen Bücher folgen dem Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien, Stuttgart 21981. Konsultiert wurde S. M. Schwertner: IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin, New York 21992. Nach diesem Werk zitiert werden auch die Außerkanonischen Schriften. In vielen Fällen ist hilfreich: S. Döpp, W. Geerlings unter Mitarbeit von P. Bruns u. a. (Hrsg.): Lexikon der antiken christlichen Literatur, 3. vollständig neu bearbeitete Auflage, Freiburg im Breisgau, Basel, Wien 2002.
b) Sammlungen von Quellen: Th. Baumeister: Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums, Bern u. a. 1991 (Traditio christiana 8)
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Sammlungen von Märtyrerakten:
Acta martyrum, Theodorici Ruinart opera ac studio collecta, selecta atque illustrata ...., Regensburg 1859 (zuerst 1689; eine deutsche Übersetzung erschien in Wien 1833) Actas latinas de mártires africanos, introducción, traducción y notas de J. Leal, Madrid 2009 (Fuentes patrísticas 22) Actes et passions des martyrs chrétiens des premiers siècles. Introduction, traduction et note de P. Maraval, Paris 2010 (Sagesses chrétiennes) Atti e passioni dei martiri, introduzione di A. A. R. Bastiaensen, testo critico e commento a cura di A. A. R. Bastiaensen, A. Hilhorst, G. A. A. Kortekaas, A. P. Orbán, M. M. van Assendelft, traduzioni di G. Chiarini, G. A. A. Kortekaas, G. Lanata, S. Ronchey, 3. Aufl., Verona 1995 (Scrittori greci e latini) (1. Aufl. 1987) Ausgewählte Märtyrerakten. Neubearbeitung der Knopfschen Ausgabe von G. Krüger, 4. Aufl., mit einem Nachtrag von G. Ruhbach, Tübingen 1965 (Sammlung ausgewählter kirchenund dogmengeschichtlicher Quellenschriften, neue Folge, 3) (1. Aufl. durch R. Knopf 1901; 3. von G. Krüger neu bearb. Aufl. 1929) H. Musurillo: The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972
Weitere Quellensammlungen:
Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen. Eine Dokumentation, 2 Bde., Übersetzung der Texte von P. Guyot, Auswahl und Kommentar von R. Klein, Darmstadt 1993–94 (Texte zur Forschung 60. 62) J. W. van Henten, F. Avemarie: Martyrdom and Noble Death. Selected Texts from GraecoRoman, Jewish and Christian Antiquity, London, New York 2002 (The Context of Early Christianity)
c) Einzelne Quellen (mit den verwendeten Abkürzungen): Die alphabetische Ordnung richtet sich nach den Abkürzungen! Acta Cypriani: Atti e passioni dei martiri, introduzione di A. A. R. Bastiaensen, testo critico e commento a cura di A. A. R. Bastiaensen, A. Hilhorst, G. A. A. Kortekaas, A. P. Orbán, M. M. van Assendelft, traduzioni di G. Chiarini, G. A. A. Kortekaas, G. Lanata, S. Ronchey, 3. Aufl., Verona 1995 (Scrittori greci e latini), 193–231 (Bastiaensen, Canali) (sowie in den weiteren Sammlungen von Märtyrerakten – siehe oben; vgl. A. Wlosok, HLL 4 [1997] § 472.4) Agnellus (Agnell. ): Liber pontificalis (lib. pont. ): Agnellus von Ravenna. Liber pontificalis. Bischofsbuch, 2 Teilbände, übersetzt und eingeleitet von C. Nauerth, Freiburg i. Br. u. a. 1996 (Fontes Christiani 21/1–2) Ambrosius von Mailand (Ambr. ): Die Werke des Ambrosius finden sich in der lateinisch-italienischen Reihe Sancti Ambrosii episcopi Mediolanensis opera (SAEMO).
Quellen und Abkürzungen
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Epistulae 72 (Maur. 17), 73 (Maur. 18) und Extra coll. 11 (Maur. 10) (epist. ): Der Streit um den Victoriaaltar. Die dritte Relatio des Symmachus und die Briefe 17, 18 und 57 des Mailänder Bischofs Ambrosius, Einführung, Text, Übersetzung und Erläuterungen von R. Klein, Darmstadt 1972 (Texte zur Forschung) De excessu fratris (exc. Sat. ): SAEMO 18, 23–159 (G. Banterle) De fide (fid. ): Ambrosius von Mailand: De Fide [Ad Gratianum]. Über den Glauben [An Gratian], übersetzt und eingeleitet von Ch. Markschies, 3 Bde., Turnhout 2005 (Fontes Christiani 47/1–3) Hymni (hymn.): Ambroise de Milan: Hymnes, texte établi, traduit et annoté sous la direction de J. Fontaine par J.-L. Charlet, S. Déléani, Y.-M. Duval, J. Fontaine, A. Goulon, M.-H. Jullien, J. de Montgolfier, G. Nauroy, M. Perrin, H. Savon, Paris 1992, repr. 2008 De obitu Theodosii (obit. Theod. ): SAEMO 18, 161–251 (G. Banterle) De officiis ministrorum (off.): Saint Ambroise: Les devoirs, 2 Bde., texte établi, traduit et annoté par M. Testard, Paris 1984–1992 (Collection des universités de France publié sous le patronage de l’Association Guillaume Budé) Des Heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausgewählte kleinere Schriften, übersetzt und eingeleitet von H. Niederhuber, Kempten, München 1917 (Bibliothek der Kirchenväter. Des Heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailnad ausgewählte Schriften aus dem Lateinischen übersetzt 3), 1–269 De virginibus (virg. ): Ambrosius: De virginibus. Über die Jungfrauen, übersetzt und eingeleitet von P. Dückers, Turnhout 2009 (Fontes Christiani 81) Ammianus Marcellinus (Amm. ): Ammianus Marcellinus. Römische Geschichte, lateinisch und deutsch und mit einem Kommentar versehen von W. Seyfarth, 4 Bde., Berlin 1968–1971 (Schriften und Quellen der Alten Welt 21, 1–4) Athanasios (Athan. ): Vita Antonii (v. Anton. ): Athanase d’Alexandrie: Vie d’Antoine, introduction, texte critique, traduction, notes et index par G. J. M. Bartelink, Paris 1994 (Sources Chrétiennes 400) Des Heiligen Athanasius Schriften. Gegen die Heiden. Über die Menschwerdung. Leben des Heiligen Antonius, Kempten, München 1917 (Bibliothek der Kirchenväter, Des Heiligen Athanasius Ausgewählte Schriften aus dem Griechischen übersetzt 2) (v. Anton. übersetzt von H. Mertel) Augustinus (Aug. ): Die Werke des Augustinus sind zu einem großen Teil gut erschlossen und übersetzt in der Bibliothèque Augustinienne (BA) oder der Nuova Biblioteca Agostiniana erhältlich. Standardeditionen: CSEL, CCL. Contra Faustum (c. Faust. ): CSEL 25/1, 251–797
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De catechizandis rudibus (cat. rud. ): BA 11/1 Vom ersten katechetischen Unterricht, neu übersetzt von W. Steinmann, bearbeitet von O. Wermelinger, München 1985 (Schriften der Kirchenväter 7) De civitate Dei (civ. ): BA 33–37 Der Gottesstaat. De civitate Dei, in deutscher Sprache von C. J. Perl, 2 Bde., Paderborn u. a. 1979 (Aurelius Augustinus’ Werke) Confessiones (conf. ): Aurelius Augustinus. Confessiones. Bekenntnisse, lateinisch-deutsch, übersetzt von W. Thimme, mit einer Einführung von N. Fischer, Düsseldorf, Zürich 2004 (Tusculum) De cura pro mortuis gerenda (cur. mort. ): CSEL 41, 621–660 Die Sorge für die Toten, übertragen von G. Schlachter, eingeleitet und erläutert von R. Arbesmann, 2. Aufl., Würzburg 1994 (Sankt Augustinus – Der Seelsorger. Deutsche Gesamtausgabe seiner moraltheologischen Schriften) epist. 22: CCL 31, 52–57 Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Ausgewählte Briefe, aus dem Lateinischen mit Benutzung der Übersetzung von Kranzfelder übersetzt von A. Hoffmann, 1. Band, Kempten, München 1917 (Bibliothek der Kirchenväter, Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Au. 29*nus Ausgewählte Schriften aus dem Lateinischen übersetzt 9) epist. 29*: Oeuvres de Saint Augustin 46 B. Lettres 1*–29*, nouvelle édition du texte critique et introduction par J. Divjak, traduction et commentaire par divers auteurs, Paris 1987 (Bibliothèque Augustinienne 46B) Enarrationes in psalmos (in psalm. ): Sancti Aurelii Augustini Enarrationes in psalmos, post Maurinos textum edendum curaverunt E. Dekkers et I. Fraipont, 3 Bde., Turnhout 1956 (CCL 38–40, Aurelii Augustini opera 10, 1–3) Sermones (serm. ): Sant’Agostino: Discorsi. V (273–340/A). Su i Santi, testo latino dell’edizione maurina e delle edizione postmaurine, introduzione di A. Quacquarelli, tradizione, note e indici di M. Recchia, Roma 1986 (Nuova Biblioteca Agostiniana 3, 33) Ausonius (Auson. ): The Works of Ausonius, ed. with introduction and commentary by R. P. H. Green, Oxford 1991 Ordo urbium nobilium (urb. ): Green XXIV Decimus Magnus Ausonius. Sämtliche Werke, Bd. 2: Trierer Werke, hrsg. übersetzt und kommentiert von P. Dräger, Trier 2011, 224–235 Avitus von Vienne (Avit. ): Alcimi Aviti Viennensi episcopi Opera quae supersunt, hrsg. v. R. Peiper, Berlin 1883 (Monumenta Germaniae Historica, Auctores antiquissimi 6, 2)
Quellen und Abkürzungen
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Basileios ( ): Die verschiedenen Predigten auf Märtyrer finden sich in der Patrologia Graeca, Bd. 31. Basilio di Cesarea: I martiri. Panegirici per Giulitta, Gordio, 40 soldati di Sebaste, Mamante, introduzione, traduzione e note a cura di M. Girardi, Roma 1999 (Collana di testi patristici 147) Die Predigten auf Gordius (PG 31, 489–508) sowie auf die vierzig Märtyrer von Sebaste (PG 31, 508–526) liegen auch in deutscher und englischer Übersetzung vor: Des hl. Kirchenlehrers Basilius des Großen ... ausgewählte Homilien und Predigten, aus dem griechischen Urtext übersetzt und mit Anmerkungen versehen von A. Stegmann, München 1925 (Bibliothek der Kirchenväter, Basilius des Großen Ausgewählte Schriften 2), 419–444; J. Leemans u. a. (Hrsg.): „Let Us Die That We May Live“. Greek Homilies on Christian Martyrs from Asia Minor, Palestine and Syria (c. AD 350 – c. 450 AD), London, New York 2003, 55–77 (P. Allen). Basil.
Bibel: Zürcher Bibel, Zürich 2007 (Abkürzungen: siehe Bemerkungen zu Beginn der Bibliographie) Cassius Dio ( ): Cassii Dionis Cocceiani Historiarum Romanarum quae supersunt, ed. U. Ph. Boissevain, 3 Bde., Berlin 1895–1901 Cass. Dio
Cassian ( ): De institutis coenobiorum ( ): Jean Cassien: Institutions cénobitiques, texte latin revu, introduction, traduction et notes par J.-C. Guy, réimpression de la première édition revue et corrigé, Paris 2001 (Sources Chrétiennes 109) Cassian.
inst.
Cassiodor ( ): Institutiones ( ): Cassiodor: Institutiones divinarum et saecularium litterarium. Einführung in die geistlichen und weltlichen Wissenschaften, 2 Bde., übersetzt und eingeleitet von W. Bürsgens, Freiburg u. a. 2003 (Fontes Christiani 39/1–2) Cassiod. inst.
Corpus Christianorum, Series Latina (
)
CCL
Cicero ( ): De haruspicum responso ( ): Marcus Tullius Cicero: Die politischen Reden, Bd. 2, lateinisch-deutsch, hrsg., übersetzt und erläutert von M. Fuhrmann, München 1993 (Sammlung Tusculum), 286–365 Rede für Flaccus (Flacc.): Marcus Tullius Cicero. Die Prozessreden, Bd. 1, lateinisch-deutsch, hrsg., übersetzt und erläutert von M. Fuhrmann, Zürich 1997 (Sammlung Tusculum), 682–811 De natura deorum (nat. deor.): Marcus Tullius Cicero: Vom Wesen der Götter, lateinisch-deutsch, hrsg., übersetzt und erläutert von O. Gigon und L. Straume-Zimmermann, Zürich 1996 (Sammlung Tusculum) Cic.
har. resp.
Corpus Inscriptionum Latinarum, consilio et auctoritate Academiae litterarum regiae Borussicae editum, Berlin 1863 ff. ( ) CIL
1 90
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1. Clemensbrief (1 Clem): Clemens von Rom: Epistola ad Corinthios. Brief an die Korinther, übersetzt und eingeleitet von G. Schneider, Freiburg u. a. 1994 Clemens von Alexandria (Clem. Al.): Protrepticus sive cohortatio ad Graecos (prot. ) Clementis Alexandrini Protrepticus, ed. M. Marcovich, Leiden 1995 (Supplements to Vigiliae Christianae. Texts and Studies of Early Christian Life and Language 34) Paidagogos (paid. ): Clément d’Alexandrie: Le pédagogue, introduction et notes par H. I. Marrou, traduction par M. Harl, C. Montdésert et Ch. Matray, 3 Bde.,Paris 1960–1970 (Sources Chrétiennes 70. 108. 158) Stromata (strom. ): Clemens Alexandrinus: Stromata lib. I–VI, hrsg. von O. Stählin, neu hrsg. von L. Früchtel, 4. Aufl. mit Nachträgen von U. Treu, Berlin 1985 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte 52, Clemens Alexandrinus 2) Clemens von Alexandreia: Teppiche. Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis), aus dem Griechischen übersetzt von O. Stählin, München 1936–1938 (Bibliothek der Kirchenväter, Zweite Reihe, 17–19) Codex Theodosianus (Cod. Theod. ): Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et Leges novellae ad Theodosianum pertinentes, edidit adsumpto apparatu P. Kruegeri Th. Mommsen; et P. M. Meyer, 2 Teile in 3 Bden., Berlin 1904–1905 Konstantin der Große (Const. ): Oratio ad sanctorum coetum (or. s.c. ): Eusebius Werke, Bd. 1, Über das Leben Constantins. Constantins Rede an die heilige Versammlung. Tricennatsrede an Constantin, hrsg. von I. A. Heikel, Leipzig 1902 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 7), 154–192 Des Eusebius Pamphili Bischofs von Cäsarea. Ausgewählte Schriften, Bd. 1, Vier Bücher über das Leben des Kaisers Konstantin u. des Kaisers Konstantin Rede an die Versammlung der Heiligen, aus dem Griechischen übersetzt von J. M. Pfättisch, Kempten, München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter), 191–272 Constitutiones apostolorum (ConstAp) Les constitutions apostoliques, introduction, texte critique, traduction et notes par M. Metzger, Strasbourg 1985–1987 (Sources chrétiennes 320. 329. 336) Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (CSEL) Cyprian von Karthago (Cypr.): Sancti Cypriani episcopi opera I, Ad Quirinum. Ad Fortunatum.De lapsis. De ecclesiae catholicae unitate, ed. R. Weber, M. Bévenot, Turnhout 1972 (CCL 3) Des Heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus Traktate. Des Diakons Pontius Leben des Hl. Cyprianus, aus dem Lateinischen übersetzt von J. Baer, Kempten, München 1918 (Bibliothek der Kirchenväter, Des Heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus sämtliche Schriften aus dem Lateinischen übersetzt 1)
Quellen und Abkürzungen
1 91
Ad Donatum (ad Donat. ): Cyprien de Carthage: À Donat et La Vertu de patience, introduction, traduction et notes par J. Molager, Paris 1982 (Sources Chrétiennes 291) Briefe (epist. ): Sancti Cypriani episcopi opera III, Epistularium, ed. G. F. Diercks, Turnhout 1994–1996 (CCL 3B–C) Des Heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus Briefe, aus dem Lateinischen übersetzt von J. Baer, München 1928 (Bibliothek der Kirchenväter, Des Heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus sämtliche Schriften aus dem Lateinischen übersetzt 2) Ad Fortunatum (Fort. ): CCL 3, 183–216 Eine deutsche Übersetzung der Kapitel 1–5 von Ad Fortunatum bei Baumeister 1991 (siehe oben: Sammlungen von Quellen), 152–161 Cyprianus Traktate (Bibliothek der Kirchenväter), 33–55 De lapsis (laps. ): CCL 3, 221–242 Cyprianus Traktate (Bibliothek der Kirchenväter), 83–124 Damasus (Damas. ): Epigrammata (carm. ): A. Ferrua: Epigrammata Damasiana, Vatikan 1942 (Sussidi allo studio dell antichità cristiane 2), 79–215; Reutter 2009 (mit deutscher Übersetzung) Depositio martyrum (Feriale Ecclesiae Romanae; Teil des Chronographus anni CCCLIIII): Th. Mommsen, Monumenta Germaniae Historica, Auctores antiquissimae 9, 1892, Neudruck München 1981, 71 f. Didache (Did): Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von F. X. Funk, K. Bihlmeyer und M. Whittaker, mit Übersetzungen von M. Dibelius und D.-A. Koch neu übersetzt und hrsg. von A. Lindemann und H. Paulsen, Tübingen 1992, 1–21 Didascalia (Didasc. ): Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts, Bd. 2, Die syrische Didaskalia, übersetzt und erklärt von H. Achelis und J. (P. G.) Flemming, Leipzig 1904 (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 25/2) A. Vööbus: The Didascalia Apostolorum in Syriac, Louvain 1979 (Corpus scriptorum christianorum orientalium 175–176, 179–180) Epiktet (Epikt. ): Epicteti dissertationes ab Arriano digestae ad fidem codicis Bodleiani recensuit H. Schenkl, Leipzig 1916 (Bibliotheca scriptorum Graecorum etRomanorum Teubneriana) Eunapios (Eun. ): Vitae sophistarum (vit. soph): Philostratus and Eunapius: The Lives of the Sophists, with an English translation by W. C. Wright, Cambridge, London 1921 (Loeb Classical Library 134)
1 92
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Eusebius von Caesarea (Eus. ): Chronicon: Eusebi chronicorum canonum quae supersunt, ed. A. Schoene, 2 Bde.,Berlin 1866–1875 Historia ecclesiastica (HE): Die Kirchengeschichte 1–3, hrsg. von E. Schwartz, T. Mommsen, 2. Aufl. von F. Winkelmann, Berlin 1999 (Die Griechischen Christlichen Schriftsteller, Neue Folge 6/1–3, Eusebius Werke 2/1–3) Eusebius von Caesarea: Kirchengeschichte, hrsg. von H. Kraft mit der von H. A. Gärtner durchgesehenen Übersetzung von Ph. Haeuser (Kempten 1932), 3. unv. Aufl., Darmstadt 1989 (1. Aufl. München 1981) De martyribus Palaestinae (m.P. ): Eusèbe de Césarée: Histoire ecclésiastique et les Martyrs de Palestine, éd. et trad. G. Bardy, Paris 1955, 1984 revu (Sources Chrétiennes 55), 121–174 Des Eusebius Pamphili Bischofs von Cäsarea. Ausgewählte Schriften, Bd. 1, Kempten, München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter), Ende (A. Bigelmair) Onomastikon: Eusebius Werke, Band 3, 1: Das Onomastikon, hrsg. von E. Klostermann, Leipzig 1904 (Die griechischen christlichen Schriftsteller 11, 1), 2–176 De vita Constantini (vita Const. ): Eusebius von Caesarea: De vita Constantini. Über das Leben Konstantins, eingeleitet von B. Bleckmann, übersetzt und kommentiert von H. Schneider, Turnhout 2007 (Fontes Christiani 83) F. Jacoby: Die Fragmente der griechischen Historiker. 3 Teile in 14 Bänden, 1923–1958 (FGrHist) Gregor der Große (Greg. M.): Dialogi (de miraculis patrum Italicorum) (dial. ): Grégoire Le Grand: Dialogues, Bd. 1, introduction, bibliographie et cartes par A. de Vogüé, Bd. 2–3, texte critique et notes par A. de Vogüé, traduction par P. Antin, Paris 1978–1980 (Sources Chrétiennes 251. 260. 265) Des Heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge, aus dem Lateinischen übersetzt von J. Funk, München 1933 (Bibliothek der Kirchenväter) Moralia (moral. ): S. Gregorii Magni Moralia in Iob, cura et studio M. Adriaen, 3 Bde.,Turnhout 1979–1985 (S. Gregorii Magni opera. CCL 143. 143A. 143B) Gregor von Nazianz (Greg. Naz. ): Oratio 4. 43 (or.): Grégoire de Nazianze: Discours 4–5, introduction, texte critique, traduction et note par J. Bernardi, Paris 1983 (Sources Chrétiennes 309) Grégoire de Nazianze: Discours 42–43, introduction, texte critique, traduction et note par J. Bernardi, Paris 1992 (Sources Chrétiennes 384) Gregor von Nyssa (Greg. Nyss.): Vita Macrinae (v. Macr.): Grégoire de Nysse: Vie de Sainte Macrine, introduction, texte critique, traduction, notes et index par P. Maraval, Paris 1971 (Sources Chrétiennes 178)
Quellen und Abkürzungen
1 93
Gregor von Tours (Greg. Tur. ): Die Werke sind in den Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum 1 (ed. B. Krusch, W. Levinson) und 2 (ed. B. Krusch) ediert. Eine neue französische Übersetzung bieten die Oeuvres complètes (Sources de l’Histoire de France). Historia Francorum (Franc. ): Zehn Bücher Geschichte, auf Grund der Übersetzung W. Giesebrechts neubearbeitet von R. Buchner, 2 Bde., Berlin 1955–1956 Liber in gloria martyrum (glor. mart. ): Gregory ofTours: Glory ofthe Martyrs, translated with an introduction by R. Van Dam, Liverpool 1988 (Translated Texts for Historians, Latin Series 3) Hieronymus (Hier. ): Epistulae (epist. ): Sancti Eusebii Hieronymi epistulae, ed. I. Hilberg, Wien 1912–1919 (CSEL 54–56) Eine Auswahl der Briefe in deutscher Übersetzung: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe, aus dem Lateinischen übersetzt von L. Schade, 2 Bde. München 1936–1937 (Bibliothek der Kirchenväter. Des heiligen Hieronymus ausgewählte Schriften ... 2–3) Contra Vigilantium (c. Vigil. ): S. Hieronymi presbyteri opera, Pars 3, Opera polemica 5, Contra Vigilantium, ed. J.-L. Feyertag, Turnhout 2005 (CCL 79C) Patrologia Latina 23, 339–352 Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte historische, homiletische und dogmatische Schriften, aus dem Lateinischen übersetzt von L. Schade, München 1914 (Bibliothek der Kirchenväter. Des heiligen Hieronymus ausgewählte Schriften ... 1), 303–323 De viris illustribus (vir. ill. ): Gerolamo. Gli uomini illustri, ed. A. Ceresa-Gastaldo, Florenz 1988 (Biblioteca Patristica 12) Hippolyt von Rom: Kommentar zu Daniel: Hyppolyt Werke, Band 1, Teil 1, Kommentar zu Daniel, hrsg. von G. N. Bonwetsch, 2. vollständig veränderte Aufl. von M. Richard, Berlin 2000 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, Neue Folge 7) Horaz (Hor. ): Carmina (carm. ): Horaz. Sämtliche Werke, Lateinisch und deutsch, Teil I: Carmina ... nach Kayser, Nordenflycht und Burger hrsg. von H. Färber, Teil II: Sermones ... übersetzt und zusammen mit H. Färber bearbeitet von W. Schöne, München 1993 (Sammlung Tusculum) Inscriptiones christianae urbis Romae septimo saeculo antiquiores, colligere coepit J. B. de Rossi, nova series, ed. A. Silvagni, A. Ferrua und andere, Rom 1922 ff. (ICUR) Ignatius: Brief an die Magnesier (IgnMagn), Brief an die Römer (IgnRom): Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe aufder Grundlage der Ausgaben von F. X. Funk, K. Bihlmeyer und M. Whittaker, mit Übersetzungen von M. Dibelius und D.A. Koch neu übersetzt und hrsg. von A. Lindemann und H. Paulsen, Tübingen 1992, 176–241
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E. Diehl: Inscriptiones Latinae Christianae Veteres, 4 Bde., Berlin, dann Dublin, Zürich 1925–1967 (ILCV) Johannes Chrysostomos (Ioh. Chrys. ): Die Predigten auf die verschiedenen Märtyrer finden sich in Bd. 50 der Patrologia Graeca. Eine neue Ausgabe gibt es für die Homilie aufBabylas: A. Schatkin, C. Blanc, B. Grillet, J.-N. Guinot, Paris 1990 (Sources Chrétiennes 362). Für die Homilien auf die Makkabäer siehe Ziadé 2007 (Analyse, französische Übersetzung). Englische Übersetzungen bieten: J. Leemans u. a. (Hrsg.): „Let Us Die That We May Live“. Greek Homilies on Christian Martyrs from Asia Minor, Palestine and Syria (c. AD 350 – c. 450 AD), London, New York 2003, 111–161 (W. Mayer) (Hom. 115. 126. 140. 148); John Chrysostom: The Cult of the Saints. Select Homilies and Letters, introduced, translated, and annotated by W. Mayer with B. Neil, Crestwood, NY 2006 (St. Vladimir’s Seminary Press „popular patristic“ series). Josephus Flavius (Ios. ): Flavii Iosephi opera edidit et apparatu critico instruxit B. Niese, J. von Destinon, 7 Bde., Berlin 21955 Bellum Iudaicum (bell. Iud. ): Flavius Josophus: De Bello Judaico. Der Jüdische Krieg, Griechisch und Deutsch, hrsg. und mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von O. Michel und O. Bauernfeind, Darmstadt 1959–1969 Contra Apionem (c. Ap. ): Flavius Josephus: Über die Ursprünglichkeit des Judentums. (Contra Apionem), hrsg. von F. Siegert, 2 Bde., Göttingen 2008 (Schriften des Institutum Judaicum Delitzschianum 6.1 und 2) Irenäus von Lyon (Iren. ): Irenäus von Lyon: Adversus haereses. Gegen die Häresien, 5 Bde. (Bd 1 enthält zudem: Epideixis. Darlegung der apostolischen Verkündigung.), hrsg. und übersetzt von N. Brox, Freiburg u. a. 1993–2001 (Fontes Christiani 8/1–5) Julian (Iul. ): Briefe (epist. ): Julian: Briefe, griechisch-deutsch ed. B. K. Weis, München 1973 (Sammlung Tusculum) Justin der Märtyrer (Iust. Mart. ) Apologiae (1 apol.; 2 apol.): Justin: Apologie pour les chrétiens, introduction, texte critique, traduction et notes par Ch. Munier, Paris 2006 (Sources Chrétiennes 507) Dialogus cum Tryphone (dial. ): Iustini Martyris Dialogus cum Tryphone, ed. M. Marcovich, Berlin, New York 1997 (Patristische Texte und Studien 47) Des Heiligen Philosophen und Martyrers Justinus Dialog mit dem Juden Tryphon, aus dem Griechischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Ph. Haeusler, Kempten, München 1917 (Bibliothek der Kirchenväter)
Quellen und Abkürzungen
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Laktanz (Lact. ): Divinae institutiones (inst. ): L. Caeli Firmiani Lactanti Divinae institutiones etepitome divinarum institutionum, ed. S. Brandt, Prag, Wien, Leipzig 1890 (CSEL 19) De mortibus persecutorum (mort. pers.): Laktanz: De mortibus persecutorum. Die Todesarten der Verfolger, übersetzt und eingeleitet von A. Städele, Turnhout 2003 (Fontes Christiani 43) Leo der Große (Leo M. ): Sermones (serm.): Sancti Leonis Magni Romani pontificis tractatus XCVII, rec. A. Chavasse, 2 Bde., Turnhout 1973 (CCL 138–138A) Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Leo des Großen sämtliche Sermonen, aus dem Lateinischen übersetzt und mit Einleitung und Inhaltsangaben versehen von Th. Steeger, 2 Bde., München 1927 (Bibliothek der Kirchenväter) Libanios (Lib. ): Oratio (or.) 11: Libanii Opera, rec. R. Foerster, Bd. I 2, Leipzig 1903 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), 437–535 Libanios. Antiochikos (or. XI). Zur heidnischen Renaissance in der Spätantike, übersetzt und kommentiert von G. Fatouros und T. Krischer, Wien, Berlin 1992 Liber Pontificalis (Lib. pontif. ): Le Liber Pontificalis, texte, introduction et commentaire par L. Duchesne, C. Vogel, 3 Bde. Paris 31981 (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome) Lukian (Lukian. ): Tod des Peregrinos (Peregr. ): Lukian. Der Tod des Peregrinos. Ein Scharlatan aufdem Scheiterhaufen, hrsg., übersetzt und mit Beiträgen versehen von P. Pilhofer, M. Baumbach, J. Gerlach und D. U. Hansen, Darmstadt 2005 (Sapere 9) Mark Aurel (M. Aur. ): Marc Aurel. Wege zu sich selbst. Griechisch-deutsch, hrsg. und übersetzt von R. Nickel, München, Zürich 1990 (Sammlung Tusculum) Martyrium Apollonii (M. Apollon. ): E. Th. Klette: Der Prozess und die Acta S. Apollonii, Leipzig 1897 (Texte und Untersuchungen 15, 2) (jeweils auch in den durch Maraval, Knopf/ Krüger / Ruhbach und Musurillo hrsg. Sammlungen von Märtyrerakten – siehe oben) Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten II. Aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt, Kempten, München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter) 319–328 (übersetzt von G. Rauschen)
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Martyrium Polycarpi (MartPol): Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von F. X. Funk, K. Bihlmeyer und M. Whittaker, mit Übersetzungen von M. Dibelius und D.-A. Koch neu übersetzt und hrsg. von A. Lindemann und H. Paulsen, Tübingen 1992, 258–285 G. Buschmann: Das Martyrium des Polykarp, übersetzt und erklärt von G. Buschmann, Göttingen 1998 (Kommentar zu den Apostolischen Vätern 6) (jeweils auch in den diversen Sammlungen von Märtyrerakten [außer Leal] – siehe oben) Acta Maximiliani (Maximil.) : Atti e passioni dei martiri. Introduzione di A. A. R. Bastiaensen, testo critico e commento a cura di A. A. R. Bastiaensen, A. Hilhorst, G. A. A. Kortekaas, A. P. Orbán, M. M. van Assendelft, traduzioni di G. Chiarini, G. A. A. Kortekaas, G. Lanata, S. Ronchey, 3. Aufl., Verona 1995 (Scrittori greci e latini), 233–245 (Bastiaensen, Chiarini) (sowie in den weiteren Sammlungen von Märtyrerakten – siehe oben) Melito von Sardes: Méliton de Sardes. Sur la Pâque et fragments, introduction, texte critique, traduction et notes par O. Perler, Paris 1966 (Sources chrétiennes 123) Martyrium Pionii (M. Pion. ): L. Robert: Le martyre de Pionios prêtre de Smyrne, édité, traduit et commenté par L. R., mis au point et complété par G. W. Bowersock et C. P. Jones, avec une préface de J. Robert et une traduction du texte vieux-slave préparée par A. Vaillant, Washington 1994 Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten II. Aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt, Kempten, München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter) 345–366 (übersetzt von G. Rauschen, folgt dem lateinischen Text Ruinarts) (jeweils auch in den diversen Sammlungen von Märtyrerakten [außer Leal] – siehe oben) Origenes (Orig. ): Aufforderung zum Martyrium (mart. ): Origenes. Aufforderung zum Martyrium, eingeleitet und übersetzt von M.-B. von Stritzky, Berlin u. a. 2010 (Origenes. Werke mit deutscher Übersetzung 22) Orosius (Oros. ): Orose: Histoire (Contre les Païens), texte établi et traduit par M.-P. Arnaud-Lindet, 3 Bde., Paris 1990–1991 (Collection des Université de France publiée sous le patronage de l’Association Guillaume Budé) Paulus Orosius: Die antike Weltgeschichte in christlicher Sicht, übersetzt und erläutert von A. Lippold, eingeleitet von C. Andresen, 2 Bde., Zürich, München 1985–1986 (Bibliothek der Alten Welt) Palladius (Pall. ): Historia Lausiaca (Laus. ): The Lausiac History ofPalladius, ed. C. Buter, vol. 2, The Greek text edited with introduction and notes, Cambridge 1904 (Texts and Studies 6, 2)
Quellen und Abkürzungen
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Panegyrici latini (Paneg. ): Panégyriques latins, texte établi et traduit par É. Galletier, 3 Bde.,Paris 1949–1955 (Collection des Universités de France publiée sous le patronage de l’Association Guillaume Budé) Passio Acaunensium martyrum (Pass. Acaun. ): Passio Acaunensium martyrum auctore Eucherio episcopo Lugdunensi, in: B. Krusch, (ed.): Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum 3, Hannover 1896, repr. 1977, 20–41 (sowie die Ergänzung in Bd. 7, 1896, 799 f.). Die anonyme Passio Sanctorum qui passi sunt in Acauno X kl. Octobris wurde ediert und übersetzt von E. Chevalley: „La Passion anonyme de saint Maurice d'Agaune. Édition critique“, in: Vallesia 45 (1990) 37–120 Paulinus von Mailand (Paul. Med. ): Vita Ambrosii (vita Ambr. ): Paulini Vita Ambrosii, testo critico a cura di A. A. R. Bastiaensen, traduzione di Canali, Luca, in: Ch. Mohrmann (Hrsg.): Vite dei Santi, vol. III, Vita di Cipriano. Vita di Ambrogio. Vita di Agostino, Milano 1975 (Scrittori Greci e Latini), 50–125 Paulinus von Nola (Paul. Nol. ): Die Werke des Paulinus finden sich im CSEL. Carmina (carm. ): Paolino di Nola. I carmi, introduzione, traduzione, note i indici a cura di A. Ruggiero, Roma 1990 (Collana di Testi Patristici 85) Epistulae (epist.): Übersetzt und eingeleitet von M. Skeb, 3 Bde., Freiburg 1998 (Fontes Christiani 25/1–3) (Pseudo-)Pelagius (Pelag. ): De divitiis (div. ): A. Kessler: Reichtumskritik und Pelagianismus. Die pelagianische Diatribe de divitiis: Situierung, Lesetext, Übersetzung, Kommentar, Fribourg 1999 (Paradosis 43) Peregrinatio Aetheriae (Peregr. Aeth. ): Égérie: Journal de Voyage (Itinéraire), introduction, texte critique, traduction, notes, index et cartes par P. Maraval. Valérius du Bierzo: Lettre sur la Bse Égérie, introduction, texte et traduction par M. C. Díaz y Díaz, Paris 1982 (Sources Chrétiennes 296) Passio Perpetuae et Felicitatis (Perp. ): Passion de Perpétue et de Félicité suivi des Actes, introduction, texte critique, traduction, commentaire et index par J. Amat, Paris 1996 (Sources Chrétiennes 417) Th. J. Heffernan: The Passion of Perpetua and Felicity, Oxford u. a. 2012 (Einleitung, Text, Kommentar) P. Habermehl, Perpetua und der Ägypter oder Bilder des Bösen im frühen afrikanischen Christentum, 2. Aufl., Berlin 2004 (mit Text und Übersetzung) J. N. Bremmer, M. Formisano (eds.): Perpetua’s Passions: Multidisciplinary Approaches to the Passio Perpetuae et Felicitatis. (With text and translation by J. Farrell and C. Williams, Oxford, New York 2012 (jeweils auch in den diversen Sammlungen von Märtyrerakten – siehe oben)
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Patrologia Graeca (PG): J. P. Migne (Hrsg.): Patrologiae cursus completus, series Graeca, 161 Bde., 1857–1866 Philon (Phil. ): L. Cohn, P. Wendland, sowie I. Leisegang (Index), S. Reiter: Philonis Alexandrini opera quae supersunt, 7 Bde., Berlin 1896–1930 In Flaccum (Flacc. ): Opera 6 (Cohn, Reiter), 120–154 Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, hrsg. von L. Cohn, I. Heinemann, M. Adler und W. Theiler, Bd. VII, Berlin 1964, 122–165 (K.-H. Gerschmann) Legatio ad Gaium (leg.): Opera 6 (Cohn, Reiter), 155–223 Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, hrsg. von L. Cohn, I. Heinemann, M. Adler und W. Theiler, Bd. VII, Berlin 1964, 166–266 (F. W. Kohnke) Plinius (minor) (Plin. ): Epistulae (epist. ): Gaius Plinius Caecilius Secundus: Briefe. Epistularum libri decem, Lateinisch-deutsch ed. H. Kasten, Zürich 1995 (Sammlung Tusculum) Panegyricus (paneg. ): Plinius der Jüngere: Panegyrikus. Lobrede auf den Kaiser Trajan, hrsg., übersetzt und mit Erläuterungen versehenvon W. Kühn, Darmstadt 1985 (Texte zur Forschung 51) Pontius (Pont. ): Vita Cypriani (vit. Cypr. ): Vita di Cipriano. Vita di Ambrogio. Vita di Agostino, introduzione di Ch. Mohrmann, testo critico e commento a cura di A. A. R. Bastiaensen, traduzioni di L. Canali e C. Carena, Milano 1975 (Vite dei Santi 3; Scrittori greci e latini), 1–49 (Bastiaensen, Canali) Des Heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus Traktate. Des Diakons Pontius Leben des Hl. Cyprianus, aus dem Lateinischen übersetzt von J. Baer, Kempten, München 1918 (Bibliothek der Kirchenväter, Des Heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus sämtliche Schriften aus dem Lateinischen übersetzt 1), 1–32 Prokop (Prok. ): De aedificiis (aed. ): Prokop: Bauten. Paulos Silentiarios. Beschreibung der Hagia Sophia, Griechisch-deutsch ed. O. Veh, archäologischer Kommentar von W. Pülhorn, München 1977 (Prokop: Werke 5; Sammlung Tusculum) Procopio di Cesarea: Santa Sofia di Costantinopoli. Un tempio di luce (De aedificiis I 1, 1–78), a cura di P. Cesaretti e M. L. Fobelli, Milano 2011 (Guardando ad Oriente, Di fronte e attraverso 844, Storia dell’arte 45) Historia arcana (HA): Prokop: Anekdota, Griechisch-deutsch ed. O. Veh, München 31981 (Prokop Werke 1; Sammlung Tusculum)
Quellen und Abkürzungen
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Prudentius (Prud. ): Aurelii Prudentii Clementis Carmina, cura et studio M. P. Cunningham, Turnhout 1966 (CCL 126) Prudentius. Das Gesamtwerk, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von W. Fels, Stuttgart 2011 (Bibliothek der Mittellateinischen Literatur 9) Peristephanon (perist. ): P.-Y. Fux: Les sept passions de Prudence (Peristephanon 2. 5. 9. 11–14). Introduction générale et commentaire, Fribourg 2003 (Paradosis 46) Fels 218–332 Rufinus von Aquileia (Rufin. ): Historia ecclesiastica (hist. ): Rufino di Concordia. Scritte vari, a cura di M. Simonetti, Aquileia 2000 (Corpus scriptorum ecclesiae Aquileiensis. Scrittori della Chiesa di Aquileia V/2) Salvian von Marseille (Salv. ): De gubernatione Dei (gub. ): Salvien de Marseille. Oeuvres, Bd. 2, Du gouvernement de Dieu, texte critique, traduction et notes par G. Lagarrigue, Paris 1975 (Sources Chrétiennes 220) Passio Sci(l)litanorum martyrum (Scill. ): J. A. Robinson: The Acts of the Scillitan Martyrs, Cambridge 1891 (Texts and Studies 1, 2) Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten II. Aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt, Kempten, München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter) 317–319 (übersetzt von G. Rauschen) (jeweils auch in den diversen Sammlungen von Märtyrerakten – siehe oben) Seneca (Sen. ): Briefe (epist. ): L. Annaeus Seneca. Philosophische Schriften, lateinisch und deutsch, Bd. 3, lateinischer Text von F. Préchac, hrsg. von M. Rosenbach, Darmstadt 41995 Septuaginta: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, in Zusammenarbeit mit E. Bons u. a. hrsg. von W. Kraus und M. Karrer, Stuttgart 2009 Scriptores historiae Augustae (SHA): The scriptores historiae Augustae, with an English translation byD. Magie, Cambridge, London 1921–1932 (Loeb Classcial Library) Sidonius Apollinaris (Sidon. ): Epistulae (epist. ): Sidoine Apollinaire, Bd. 2–3, lettres, Paris 1960–1970 (Collection des Universités de France publiée sous le patronage de l’Association Guillaume Budé)
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Sokrates ( ): Historia Ecclesiastica: Sokrates: Kirchengeschichte, hrsg. von G. Ch. Hansen, mit Beiträgen von M. Širinjan, Berlin 1995 (Griechische Christliche Schriftsteller, Neue Folge 1) Sokr.
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Abbildungsnachweise Titelbild: Märtyrer bzw. Heilige in einem Mosaikausschnitt auf der Südwand der Kirche Sant'Apollinare Nuovo in Ravenna. Sofern nicht angegeben: Wikimedia Commons. In den übrigen Fällen: zitierte Literatur bzw. angegebene Institutionen. Die Planskizzen zeichneten Reinhold Briegel und Sarah Steinbacher (MELS, Universität Zürich) unter Anleitung von Guido Faccani.