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German Pages 153 [166] Year 1960
THEODORA
J Ü T T N E R • E R N S T
WERNER
CIRCUMCELLIONEN UND ADAMITEN Zwei Formen mittelalterlicher Haeresie
F O R S C H U N G E N ZUR MITTELALTERLICHEN
GESCHICHTE
Herausgegeben von H. Sproemberg, H. Kretzschmar und E. Werner
BAND 2
A K A D E M I E - V E R L A G 19 5 9
-
B E R L I N
THEODORA BÜTTNER • ERNST WERNER
CIRCUMCELLIONEN UND ADAMITEN Zwei Formen mittelalterlicher Haeresie
A K A D E M I E - V E R L A G - B E R L I N 19
5 9
Alle Rechte vorbehalten Copyright 1959 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Mohrenstraße 39 Lizenz-Nr. 202 • 100/522/58 Gesamtherstellung IV/2/14 • VEB Werkdruck Gräfenhainichen • 987 Bestell- und Verlagsnummer 2090/2 Printed in Germany ES 14 F
INHALT Vorwort VII Abkürzungen IX A. Theodora Büttner: Die Circumcellionen — eine sozial-religiöse Bewegung 1 I. Einleitung
1
II. Quellen- und Literaturübersieht 1. Quellen 2. Literatur
2 2 5
III. Bemerkungen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der weströmischen Provinzen im 3. und 4. Jahrhundert unter besonrer Berücksichtigung Nordafrikas 1. Die Verschärfung der sozialökonomischen Krise seit dem 3. Jh. n. Chr
8
2. Die verschiedenen Formen der Klassenkämpfe im 3. Jh.
18
.
8
IV. Die zwei „Kirchen" des 3. Jahrhunderts in Nordafrika . . .
21
V. Exkurs zum frühen Mönchtum VI. Die Circumcellionen und ihr Protest gegen die bestehende gesellschaftliche Ordnung 1. Die asketische Lebensweise 2. Soziale Zusammensetzung 3. Der Selbstmord 4. Das Eingreifen in die sozialen Kämpfe
35
VII. Die Koalition des Donatismus mit dem Circumcellionentum . 1. Das Wesen der donatistischen Bewegung 2. Die Epoche des Firmus und Gildo 3. Die gemeinsamen Aktionen gegen die katholische Kirche . 4. Der katholisch-staatliche „Gegenstoß" und der hartnäckige Widerstand der Circumcellionen und unteren donatistischen Schichten
41 41 44 46 49 52 52 59 63 65 V
VIII. Ausblick auf die vandalische und byzantinische Epoche . . . Nachtrag
68 71
B. Ernst Werner: Die Nachrichten über die böhmischen „Adamiten" in religionshistorischer Sicht I. Problemstellung II. Chiliasmus und antinomistischer Spiritualismus I I I . Phänomenologische Skizze der Ketzerei des „freien Geistes" . IV. Adamitische Spekulationen und Praktiken in einigen spätmittelalterlichen Sekten V. Ergebnis
73 73 79 93 117 129
VI. Anhang
135
Nachtrag
140
VORWORT Die hier in einem Band vereinigten Studien behandeln volkstümliche Ketzereien, die räumlich und zeitlich weit auseinanderliegen und unabhängig voneinander entstanden sind. Wenn sie trotzdem von den Verfassern unter einem Titel zusammengefaßt wurden, so geschah dies, weil beide zu dem großen Strom sozialreligiöser Bewegungen gehören, der die mittelalterliche Welt mit wechselnder Intensität durchpulste und zeitweilig an den Fundamenten der gesamten Gesellschaftsordnung rüttelte. Es lag, wie F R I E D B I C H E N G E L S schrieb, im Wesen des Feudalismus, daß jeder Kampf gegen ihn eine religiöse Verkleidung annehmen, sich in erster Linie gegen die Kirche richten mußte 1 . „Das Mittelalter hatte alle übrigen Formen der Ideologie: Philosophie, Politik, Jurisprudenz an die Theologie annektiert, zu Unterabteilungen der Theologie gemacht. Es zwang damit j ede gesellchaftliche und politische Bewegung, eine theologische Form anzunehmen; den ausschließlich mit Religion gefütterten Gemütern der Massen mußten ihre eigenen Interessen in religiöser Verkleidung vorgeführt werden, um einen großen Sturm zu erzeugen.".2 Nicht jede Ketzerei führte ihre Anhänger jenem Strom entgegen, stellte revolutionäre Forderungen auf und zeigte einen, wenn auch nur verschwommenen Weg zur Verwirklichung sozialer Ideen. F R I E D R I C H E N G E L S teilt deshalb die Ketzerei in eine „bürgerlich-gemäßigte und plebejisch-revolutionäre".3 K. K A U T S K Y versuchte auf diesen theoretischen Erkenntnissen eine Geschichte des mittelalterlichen Sektenwesens aufzubauen und unter dem Begriff „Vorläufer des neueren Sozialismus" zusammenzufassen. Bei einem derartigen Versuch, der teilweise mit unzulänglichen Mitteln durchgeführt wurde, konnte eine Schematisierung und mechanistische Ableitung überlieferter Lehren aus ökonomischen Gegebenheiten nicht ausbleiben, was nicht heißt, daß es in den beiden Bänden nicht recht gelungene Partien gibt4. Das Bekanntwerden neuer Quellen und die Verfeinerung der Methodologie gestatten uns heute ein tieferes Eindringen in den Stoff. Es zeigte sich dabei, daß die gesamte Materie neu durchzuarbeiten ist, 1
2 3 4
MARX, ENGELS, LENIN, 1953, Bd 1, S . 180.
STALIN,
Zur deutschen Geschichte Dietz-Verlag, Berlin
Ebenda, S. 183. Ebenda, S. 183. ENGELS, F., nennt die Taboriten, Müntzer und die Wiedertäufer. A. a. O., S. 625
VII
da genauere Analysen einen soziologischen und ideologischen Dualismus vieler häretischer Gruppen aufzeigten, so daß subjektives Wollen und objektives Wirken nicht immer zusammenfielen und daher für die Bewertung derartiger Phänomene neue Probleme entstanden.6 Gelöst werden können sie nur durch Einzelstudien, denn die konkreten Erscheinungen sind zumeist zu komplex, als daß eine allgemein gültige Formel auf sie anzuwenden wäre. Erst wenn Einzelanalysen genügend Material geliefert haben, werden sich Gesetzmäßigkeiten herauskristallisieren und eine Geschichte sozial-religiöser Bewegungen im Mittelalter ermöglichen. Um aber auf diesem Wege nicht irre zu gehen, ist es notwendig, stets nach den treibenden Ursachen zu fragen, „die sich hier in den Köpfen der handelnden Massen und ihrer Führer . . . als bewußte Beweggründe klar oder unklar, unmittelbar oder in ideologischer, selbst in verhimmelter Form widerspiegeln."6 Reine Ideengeschichte führt letztlich immer in die Irre, denn sie sucht die Ursachen in der Wirkung, sie bewegt sich in einer Sphäre von Reflexen, deren Quellen sie nicht kennt und auch nicht sucht. Zwar muß alles, „was die Menschen in Bewegung setzt, . . . durch ihren Kopf hindurch ; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab." 7 Unter diesem Aspekt entstanden die vorliegenden Studien, die zwei Phasen volkstümlicher Ketzerei beleuchten, die zugleich Anfangs- und Endpunkt der im Institut kollektiv zu erforschenden Sektenströmungen sind. Sie sollen in nächster Zeit durch Untersuchungen über das Waldensertum und die Brüder und Schwestern vom freien Geist ergänzt werden. Wir hoffen, in Zukunft in gemeinsamer Arbeit mit den Nachbardisziplinen Inhalt und Form einiger Ketzerherde in der von Engels geforderten Weise allseitiger und umfassender als bisher"zu beleuchten und so zur Erforschung der objektiven Gesetze der Feudalgesellschaft einen kleinen Beitrag zu leisten. Die
Verfasser
Zu diesen Fragen ist vor allem aufschlußreich: D . ANGELOV: „BoroMHjibCTBCi B BojirapHH" Moskau 1954, S. 69ff. • ENGELS, F., Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie. Dietz-Verlag, Berlin 1955, S. 45.
6
7
Ebenda, S. 46.
ABKÜRZUNGEN CIL Cod. Theod. CSEL
= Corpus Inscriptionum Latinarum, ed. Mommsen, Th., Berlin 1863ff. = Codex Theodosianus, ed. Mommsen-Meyer, Berlin 1905. = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866ff.
= Cursus completus patrologiae accur. I. P. Migne. Series latina, Paris 1844 ff. = Cursus completus patrologiae . . . ser. graeca Migne, PG = Monumenta Germaniae Histórica, Auetores AntiquisMGH, AA simi = Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores MGH, SS Pauly-Wissowa, R E = Pauly-Wissowa, Real-Encyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbeitung, Stuttgart 1894 ff. VDI = Vestnik Drevnej Istorii (Die hierin veröffentlichten Aufsätze sowjetischer Autoren werden bei Wiederholung ausnahmsweise nicht durch Angabe eines Stichwortes aus dem Titel, sondern durch Zitieren des jeweiligen Jahrganges und Heftes der Zeitschrift kenntlich gemacht). Migne, PL
A. Die Circumcellionen — eine sozial-religiöse Bewegung I. E I N L E I T U N G Es scheint zunächst ein bedenkliches Unterfangen zu sein, eine Bewegung nochmals näher untersuchen zu wollen, die von der bürgerlichen Forschung als ein Teil der donatistischen Kirchenspaltung unzählige Male gestreift wurde und auch von sowjetischer Seite bereits eine kurze marxistische Interpretation fand. Trotz allem soll in dieser Arbeit versucht werden, unter Hinzuziehung einiger neuer Gesichtspunkte und Zusammenhänge eine bessere Durchdringung des Stoffes zu erreichen. So gilt es insbesondere zunächst herauszuarbeiten, daß auch die Circumcellionen (Agonisten) ein Glied der Klassenkämpfe der letzten Jahrhunderte des Römischen Imperiums, allerdings unter ganz besonderen äußeren Vorzeichen, sind. So reihen sich die Agonisten in Nordafrika in den gleichen breiten Strom sozialer Erhebungen der untergehenden Gesellschaftsformation der Sklaverei ein, wie z. B. die Bagauden in Gallien, die Volksaufstände in Thrazien, ja selbst die Mazdakiten im Iran im 5. Jahrhundert u. a. Trotz aller Unterschiede in den Formen des Kampfes haben auch die Circumcellionen mit allen anderen unterdrückten Aufständischen vor allem die gleiche soziale Zusammensetzung und den gemeinsamen Willen, gegen die bestehenden Ausbeutungsformen in dieser oder jener Form zu kämpfen, gemeinsam. Jedoch spiegelt sich der Klassenkampf der unterdrückten Bevölkerung nicht nur in offenen, bewaffneten Aufständen wider, sondern verbirgt sich oftmals hinter den verschiedensten, bei den Circumcellionen ausschließlich extrem-religiösen Formen. Dieser Richtung folgend geraten wir auf Spuren der christlich-asketischen Strömungen im 3. Jahrhundert sowie des frühen Mönchtums. Die hieraus gewonnenen Anhaltspunkte eröffnen ein besonders interessantes Kapitel spätantiker Kirchengeschichte. Der nunmehr hierarchisch-katholischen Kirche drohte zu dieser Zeit nicht nur von den auch dogmatisch von der katholischen Lehre abweichenden Sekten eine gewisse Gefahr, sondern auch von den sich aus den eigenen Gemeinden herauskristallisierenden extrem-asketischen Richtungen, die in ihrer erneuten Betonung urchristlicher Forderungen jetzt leicht aus dem kontrollierbaren Rahmen der hierarchischen Kirche ausbrechen und sich mit einem stark sozial-revolutionären Inhalt erfüllen konnten. In dem 1
Moment, wo sich die herrschende Kirche immer mehr an den römischen Staat anlehnte und damit auch die bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse sanktionierte, mußte sich im Protest dazu die streng asketische, vorwiegend von den unteren einheimischen Schichten der Provinzialbevölkerung getragene Front formieren. Dieser Frage des Bestehens von zwei „Kirchen" in Nordafrika im 3. Jahrhundert wird somit in einem besonderen Kapitel nachgegangen werden. Die Circumcellionen haben dann im 4. Jahrhundert im Rahmen der donatistischen Kirchenspaltung die Traditionen der asketischen Märtyrerkreise des 3. Jahrhunderts fortgesetzt und oftmals extrem gesteigert. Auch die aktive Beteiligung der Circumcellionen an den sozialen Kämpfen der Sklaven und Kolonen kann nur aus der sich unter den verschärften Bedingungen des 4. Jahrhunderts vollziehenden Weiterentwicklung der asketischen Protestformen des 3. Jahrhunderts ihre Erklärung finden. Bei einer Analyse der Lebensweise der Circumcellionen fällt die enge Verbindung mit dem aufkommenden Mönchtum auf. In einem Exkurs über das Mönchtum wird insbesondere den Spuren der mannigfaltigen extremen Richtungen des sich formierenden Mönchtums gefolgt, bis die mönchische Bewegung in Gestalt des Koinobitentums in feste Regeln und vor allem in eindeutig hierarchisch-kirchliche Bahnen gelenkt wurde. Methodisch vermag also das Wesen der Bewegung der Circumcellionen nur durch eine gute Verknüpfung von sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Problemen mit einer neuen religions- und kirchengeschichtlichen Interpretation aufgehellt zu werden 11 . So ermöglichen es erst die vorausgehenden vergleichenden kirchengeschichtlichen Betrachtungen, die Sozialrevolutionären Handlungen der Circumcellionen voll und ganz zu verstehen. II. Q U E L L E N - U N D
LITERATURÜBERSICHT 1. Quellen
Die erste Erwähnung findet die Bewegung der Circumcellionen bei dem katholischen Bischof O P T A T T J S von M I L E V E , der Ende der 60er Jahre des 4. Jh. seine gegen den Donatismus gerichteten 7 Bücher „De schismate Donatistarum adversus Parmenianum" 1 verfaßte. Dabei gibt Liber III, cap. 4 2 sogleich wesentliche Aufschlüsse über die sozial-revolutionären Maßnahmen 1a
1 8
2
Diese Forderung der neuen Durchdringung des gesamten frühchristlichen Materials auf der Grundlage der Anwendung der marxistischen Erkenntnisse wurde neuerdings auch von protestantischer kirchlicher Seite erhoben, „weil keine religiöse Erscheinungsform losgelöst von ihren ökonomischen, politischen und kulturellen Grundlagen untersucht werden kann", s. K E H N S C H E R P E R , G., in einem interessanten Versuch: Die Stellung der Bibel und der alten christlichen Kirche zur Sklaverei, Halle 1957, S. 135. CSEL, 26, ed. Ziwsa, Prag, Wien, Leipzig 1893. CSEL, 26, S. 81 ff.
Moment, wo sich die herrschende Kirche immer mehr an den römischen Staat anlehnte und damit auch die bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse sanktionierte, mußte sich im Protest dazu die streng asketische, vorwiegend von den unteren einheimischen Schichten der Provinzialbevölkerung getragene Front formieren. Dieser Frage des Bestehens von zwei „Kirchen" in Nordafrika im 3. Jahrhundert wird somit in einem besonderen Kapitel nachgegangen werden. Die Circumcellionen haben dann im 4. Jahrhundert im Rahmen der donatistischen Kirchenspaltung die Traditionen der asketischen Märtyrerkreise des 3. Jahrhunderts fortgesetzt und oftmals extrem gesteigert. Auch die aktive Beteiligung der Circumcellionen an den sozialen Kämpfen der Sklaven und Kolonen kann nur aus der sich unter den verschärften Bedingungen des 4. Jahrhunderts vollziehenden Weiterentwicklung der asketischen Protestformen des 3. Jahrhunderts ihre Erklärung finden. Bei einer Analyse der Lebensweise der Circumcellionen fällt die enge Verbindung mit dem aufkommenden Mönchtum auf. In einem Exkurs über das Mönchtum wird insbesondere den Spuren der mannigfaltigen extremen Richtungen des sich formierenden Mönchtums gefolgt, bis die mönchische Bewegung in Gestalt des Koinobitentums in feste Regeln und vor allem in eindeutig hierarchisch-kirchliche Bahnen gelenkt wurde. Methodisch vermag also das Wesen der Bewegung der Circumcellionen nur durch eine gute Verknüpfung von sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Problemen mit einer neuen religions- und kirchengeschichtlichen Interpretation aufgehellt zu werden 11 . So ermöglichen es erst die vorausgehenden vergleichenden kirchengeschichtlichen Betrachtungen, die Sozialrevolutionären Handlungen der Circumcellionen voll und ganz zu verstehen. II. Q U E L L E N - U N D
LITERATURÜBERSICHT 1. Quellen
Die erste Erwähnung findet die Bewegung der Circumcellionen bei dem katholischen Bischof O P T A T T J S von M I L E V E , der Ende der 60er Jahre des 4. Jh. seine gegen den Donatismus gerichteten 7 Bücher „De schismate Donatistarum adversus Parmenianum" 1 verfaßte. Dabei gibt Liber III, cap. 4 2 sogleich wesentliche Aufschlüsse über die sozial-revolutionären Maßnahmen 1a
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Diese Forderung der neuen Durchdringung des gesamten frühchristlichen Materials auf der Grundlage der Anwendung der marxistischen Erkenntnisse wurde neuerdings auch von protestantischer kirchlicher Seite erhoben, „weil keine religiöse Erscheinungsform losgelöst von ihren ökonomischen, politischen und kulturellen Grundlagen untersucht werden kann", s. K E H N S C H E R P E R , G., in einem interessanten Versuch: Die Stellung der Bibel und der alten christlichen Kirche zur Sklaverei, Halle 1957, S. 135. CSEL, 26, ed. Ziwsa, Prag, Wien, Leipzig 1893. CSEL, 26, S. 81 ff.
unserer Bewegung. In diesem Falle kann O P T A T U S ohne Einschränkung gefolgt werden, da seine Angaben einige Zeit später von A U G U S T I N , der die klassenmäßige Empörung der bedrohten Grundbesitzer — wenn auch vielfach unbewußt — teilte, ihre Bestätigung fanden. Auskunft über das Eingreifen der Circumcellionen in die sozialen Kämpfe der Zeit vermögen bis A U G U S T I N vor allem die Epistulae 108, VI, 183 und 185, IV, 154 zu geben. Seinen antidonatistischen Schriften, sowie weiteren Briefen und Predigten, denen im Laufe unserer Ausführungen noch kritisch begegnet werden wird, sind dann die asketisch-mönchische Lebensweise und die Züge des extremen Martyriums der Circumcellionen zu entnehmen. O P T A T U S von M E L E V E und A U G U S T I N stellen quellenmäßig die Hauptstützen zu ihrer Charakterisierung dar, deren Aussagen zwar vom Haß und von den Übertreibungen des Gegners gezeichnet sind, aus denen sich jedoch die richtigen Elemente herauskristallisieren lassen. Die wenigen Ergänzungsäußerungen anderer Kirchenschriftsteller fußen fast ausschließlich auf A U G U S T I N und bringen keine neuen Richtlinien. Nicht unwesentlich mag es erscheinen, daß die sozialen Züge der Bewegung in anderen Berichten völlig fehlen bzw. bewußt vertuscht werden und die Schilderungen an dem Asketentum „umherschweifender Strolche", die den koinobotischen „fratres" konfrontiert werden, hängen bleiben. Zweifelsohne jedoch barg die Bewegung der Circumcellionen beide Züge, zusammengeschmiedet als ein einheitliches Ganzes, in sich. Die Erwartungen, die man allerdings in die einzige Äußerung donatistischerseits — wenn auch einer abweichenden theoretischen Richtung entspringend — setzt, vermag T Y C O N I U S 5 nicht zu erfüllen. Er sieht in den Circumcellionen nicht den kämpferischen Bundesgenossen, sondern gliedert sie als „superstitio" in eine Reihe mit allen Häretikern als Machwerke des Satans ein, die sich in ihren überflüssigen ekstatischen Übungen außerhalb der geordneten Form bewegen6; so muß T Y C O N I U S die nicht dem Gebahren der „fratres" entsprechende Lebensweise der Circumcellionen schärfstens ablehnen und weist somit in seiner Berichterstattung keine Unterschiede gegenüber den katholischen Bischöfen auf. In der Frage des asketischen Wanderdaseins, der bäuerlichen Herkunft und des übertriebenen Martyriums der Circumcellionen bilden die wenigen Hinweise des T Y C O N I U S in dieser Beziehung eine Kontrolle für die Ausführungen von O P T A T U S von M I L E V E und A U G U S T I N . In den Spuren der offiziellen katholischen Tradition bewegt sich auch der gleichzeitig mit T Y C O N I U S und A U G U S T I N lebende Bischof F I L A S T R I U S von 3 4 5
CSEL, 34, 2, S. 632. CSEL, 57, S. 14. Darüber auch der Biograph AUGUSTINS : POSSIDIÜS, Vita Augustini, c. 10, Migne, PI 3 2 , c. 4 1 / 4 2 .
TYCONIUS, Summa dicendorum, 1. Teil des Kommentars zur Apokalypse vom Presb y t e r BEATUS v o n LIBANA, H . F l o r e z 1770, p . 2 6 , zit. b e i HAHN, TB., T y c o n i u s -
6
Studien. Ein Beitrag zur Kirchen- und Dogmengeschichte des 4. Jh., Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche. 6, 2, 1900, S. 67-69. „Superstitio dicta est, eo quod sit superflua aut super instituta religionis observatio", v g l . HAHN, TR., a. a. O., S. 68.
3
BRESCIA (um 381 Bischof). Er stellt insbesondere die Selbstmordziele heraus, um das Verwerfliche der ganzen Bewegung schon aus diesen Handlungen zu erklären 7 . Auf die gleiche Weise sucht der Anonymus Auetor Praedestinati, liber I, die Circumcellionen ob ihrer Bestrebungen nach einem freiwilligen Tod recht tief vor den „monachos" zu diffamieren 8 . Damit aber brechen die wenigen Berichte, die mit der Bewegung zeitlich in Berührung stehen, ab. In einem gewissen unmittelbaren K o n t a k t zu der Bewegung steht noch die Erwähnung der Circumcellionen in der von T H E O D O R E T von K Y R R H O S (gestorben um 457) verfaßten Ketzergeschichte. I n einem Kapitel über die Donatisten 9 , deren Charakterisierung jedoch der der Circumcellionen entspricht, wird einzig und allein der f ü r die katholische institutionelle Kirche unvorstellbare übersteigerte Märtyrer- und Selbstmorddrang herausgestellt. Bei I S I D O R von S E V I L L A , der ja über zwei J a h r h u n d e r t e später lebte, setzt bereits eine neue Entwicklung ein. Zunächst gestaltet auch er die bekannten Züge aus ,, . . . quod agrestes sunt . . . Hi amore martyrii semetipsos perimunt u t de hac vita discedentes martyres nominentur" 1 0 . Als 5. Art des Mönchtums sucht er die Circumcellionen als diejenigen, die nirgends bleiben und immer auf Wanderschaft sind, einzuordnen 1 1 . Aber I S I D O R setzt in seinen Schilderungen die Circumcellionen mit ähnlichen Erscheinungen seiner Tage gleich. So können wohl die Ausschmückungen, daß die Circumcellionen Amulette trugen, sich Reliquien versorgen und in schrecklicher Manier wie Samuel und Elias die Haare lang wachsen ließen 12 , nur der Lebensweise der auch zu seiner Zeit noch existierenden, von der koinobitischen Regel abweichenden Wandermönche entnommen sein. Überhaupt wird nun die Bezeichnung „Circumcellionen" auf jegliche Art von Wandermönchen übertragen. Diese aber haben jetzt mit der ursprünglichen Bewegung nichts mehr zu tun. I n diesem Sinne t a u c h t unser Name auch noch zur Zeit Karls d. Gr. auf; „cum autem itinerando venisset Carolus ad quandam grandem basilicam et quidam clericus de circumcellionibus ignarus disciplinae Caroli in chorum ultro intraret . . . " 1 3 ). 7
8 9 10 11
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4
Filastrius, Divcrsarum Hereseon Liber, c. 85, CS EL, 38, S. 36 heißt es: „ H i cireumeunt terram, et quos inveniunt in via, cogunt eos, ut interfieiantur ab illis, dicentes se desiderare pati martyrium, et sub causa hac multi latrocinantur interdum. Quidam autem es bis veluti biothanati moriunter sese dantes ad praeeipitium, diversumque subeunt ealamitatis interitum . . ." Migne PI 53, eol 611. THEODORET, Compendium haereticarum fabularum, IV, e. 6, Migne, P G 83, col 423. Originum sive etymologiarium, V I I I , 5, 53, Migne P L 82, col. 302/303. De Ecclesiast-icis Offieiis, II, 16, Migne, P L 83, eol. 796/97. ,,qui suo habitu monaehorum usquequaque vagantur, venalem eircumferentes hypoerisin, circumeuntes provincias, nusquam missi, nusquam fixi, nusquam stantes, nusquam sedentes" Migne, P L 83, col. 797 ff. DU CANGE, Glossarium mediae et infimae Latinitatis. 1883, I I , col. 340f. Monacbus Sangalens. über I de Carolo Magno, e. 8.
2. Literatur Unter Verzicht auf die zahlreiche Behandlung der Circumcellionen im Rahmen der donatistischen Literatur14, mögen hier nur einige Spezialstudien Erwähnung und Würdigung finden. Zunächst überrascht die Tatsache, daß eine um die Jahrhundertwende veröffentlichte Greifswalder Dissertation15, die einige Hauptzüge der Bewegung vor allem unter Zusammenstellung der Quellen über den mönchisch-asketischen Charakter richtig skizzierte, von der späteren Forschung nur in ungenügender Weise verwertet wurde. Die nächsten beiden Studien fallen in den Bereich der französischen Forschung. 1926 veröffentlichte O. VANNIER16 einen Aufsatz über die Circumcellionen und ihre Beziehungen zur donatistischen Kirche auf der Grundlage des Textes von OPTATUS von MTLEVE. Der Verfasser trennt scharf zwischen der sozialen Bewegung der Circumcellionen und der „religiösen" donatistischen Kirche und beschränkt ihr Zusammengehen — ähnlich wie später CH. A . J U L I E N 1 7 — auf kurze Zeitabschnitte, wo die Circumcellionen zu religiösen Fanatikern werden. So sehr die Betonung der sozial-revolutionären Maßnahmen und Zielsetzungen zu begrüßen ist18, so kennzeichnet dies jedoch nur eine Seite der Bewegung. Auch die unserer Meinung nach gleichzeitig ausgeübten extrem asketischen und fanatisch-religiösen Handlungen sind nicht nur aus einer zeitweisen Verbindung mit dem Donatismus abzuleiten, sondern ursprünglicher Wesensausdruck der Circumcellionen. Bei einer näheren Beleuchtung ihrer Verbindung zum Donatismus ist ein Fehlurteil unabänderlich, wenn man die donatistische Bewegung nur als eine rein „religiöse" Bewegung auffaßt. Hinter dem Donatismus verbergen sich ebenfalls die Interessen und Kämpfe gewisser sozialer Klassen und Schichten, die sich in diesem Falle gegen den bedrückenden römischen Staat und die herrschende Staatskirche richten, was andererseits auf Grund des Vorhandenseins von klassen- und zielmäßigen Gemeinsam14
Eine Auseinandersetzung mit ihr "wird in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit erfolgen.
15
von NATHUSIUS, D. M., Zur Charakteristik der Zirkumzellionen des 4. und 5. Jhs. in Afrika. Wissenschaftliche Beilage zu dem Vorlesungsverzeichnis der Universität Greifswald für das Wintersemester 1900/01.
16
VANNIER, O., Les Circoncellions et leurs Rapports avec l'Eglise Donatiste d'après le Texte d'Optate. „Revue Africaine", Algier 1926.
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18
J U L I E N , CH. A., Histoire de l'Afrique du Nord. 2. Aufl., Paris 1951, Bd. I , S . 2 4 4 u. 246 ; „Parallèlement au donatisme, et d'abord sans contact officiel avec lui, se develloppa un mouvement purement social, celui des Circoncellions . . . La collaboration entre Circoncellions et donatistes ne put jamais être que locale et fortuite."
Obwohl O. V A N N I E R stets den starken sozialen Charakter der Circumcellionen herausstellt, sind sie doch auch für ihn häufig nichts anderes als „brigands" und „voleurs" (S. 24f.).
5
keiten das Zusammengehen beider Strömungen unter neuen Blickwinkeln erscheinen läßt. Ohne den donatistischen Hintergrund hätten sich die Circumcellionen nie zu solchen schlagkräftigen Scharen formieren können, auch hätten sie nie derartige Ergebnisse erreicht. Großes Aufsehen erregte 1934 eine Studie von CH. SAUMAGNE19. Die Circumcellionen sind für ihn eine besondere Bevölkerungsschicht, eine ordo, die keine klassenmäßige Bindung aufweist. Der Verfasser charakterisiert die Circumcellionen als nomadisierende Wanderarbeiter, die kein Land besitzen, von Ort zu Ort ziehen und vielfach plündernd die Dörfer heimsuchen, Scharen — so meint Ch. S A U M A G N E —, die man heute noch in Tunesien und Algerien auf der Landstraße antrifft. Bot man ihnen Arbeit an, so waren sie auf den großen Latifundien dem „conductor" unterstellt und bezogen von ihm ihren Lohn. Aufschlußreich für die unzulänglichen Methoden von S A U M A G N E ist jedoch die Tatsache, daß er mit keiner Silbe den erbitterten sozialen Kampf der Circumcellionen erwähnt. Entsprechende Angaben sind seiner Ansicht nach lediglich als ein polemisches Verfahren der Kirchenschriftsteller zu werten. Damit aber leugnet SAUMAGNE den hinter der religiösen Bewegung der Circumcellionen steckenden erbitterten Klassenkampf der ausgebeuteten Sklaven und Kolonen. Gegen diese bürgerliche Verfälschung des sozial-revolutionären Charakters dieser Bewegung hat die sowjetische Forschung20 entschieden Stellung genommen, indem sie die Circumcellionen eindeutig in die große Kette der sozialen Erhebungen der zerfallenden Sklavenhaltergesellschaft eingliedert21. Versuche jedoch, den Gesamtcharakter der Bewegung ausschließlich von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte her umreißen zu wollen, bedürfen methodologisch einiger Ergänzungen. Eine Untersuchung über soziale Bewegungen der damaligen Zeit, die uns im Gewand des religiösen Fanatismus entgegentreten, muß ohne eine kirchengeschichtliche Beleuchtung nur einseitig sein und bedenkt oftmals soziale Züge willkürlich mit modernen Kategorien. Termini wie „religiöse Verbrämung" sind zu allgemein und erklären zum Beispiel nicht, daß auch in den nicht offen mit sozial-revolutionären Forderungen und Maßnahmen auftretenden asketischen Kreisen insbesondere des 3. Jh. ein sozialer Protest gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zum Ausdruck gebracht 19
SAUMAGNE, CH., „Ouvriers agricoles ou rôdeurs de celliers? Les Circoncellions d ' A f r i que", Annales d'histoire éeonom. et sociale, 27, 1934, S. 351—364. Seine Ansichten werden auch in der neueren Forschung noch vertreten, vgl. COURTOIS, CH., Les Vandales et l'Afrique. Paris 1955, S. 144; LATOUCHE, R., Les origines de l'économie occidentale ( I V . - X I . siècle), Paris 1956, S. 36.
20
MASKIN, N . A., ArOHHCTHKH, HJIH I|npKyMUejIJIHOHbI I) KofleKCe Oe0fl03HH. V D I , 1 (2), 1938, S. 83ff. Die grundlegende Arbeit von 1935 in „Istorik marxist", 1 (41), 1935, S. 28—52 war mir leider bisher noch nicht zugänglich.
21
MASKIN, N . A . , K Bonpocy o PEBOJNOUHOHHOMFLBH>KENNNpaöoB H KOJIOHOB B PHMCKOÜ A$pHKe. V D I , 4, 1949, S. ölfif.
6
werden kann. Unter diesem Aspekt kann das aktive Eingreifen der Circumcellionen in die sozialen Kämpfe nur eine systematische Steigerung der Protestformen der asketischen Kreise des 3. Jh. bedeuten. In der Problemstellung richtungsweisender ist der Artikel des sowjetischen Historikers A. D. DMITBEV22, der die Bewegung der Agonisten aus den demokratischen, asketischen „Sekten" des 3. J h . in Nordafrika herzuleiten sucht. Dabei verfängt sich jedoch der Verfasser in einigen unbegründeten Hypothesen. Die doch verschiedene Merkmale tragende, in ihrem Wesen jedoch einheitliche Bewegung der Circumcellionen oder — wie sie sich selbst nannten — Agonisten spaltet A. D . D M I T B E V in zwei völlig voneinander isolierte historische Erscheinungen auf: einmal in die asketischen und sozial-revolutionären Agonisten, zum anderen in die Circumcellionen, die als vagierende, gegen eine feste Mönchsregel opponierende Mönchsgestalten von ihm eine abfällige Beurteilung erfahren. Aber auch die noch nicht einer festen koinobitischen Regel angehörenden „Mönche" sind nur der Ausdruck einer bestimmten Entwicklungsetappe der asketisch-mönchischen Bewegung und können leicht unter verschärften sozial-ökonomischen Bedingungen die extrem-asketischen und vor allem sozialen Züge der Agonisten annehmen. Wenn A. D. D M I T B E V sich bemüht, die Agonisten weder organisatorisch noch ideologisch mit dem Donatismus in Verbindung zu bringen, ist ihm jedoch der enge ideologische und soziale Zusammenhang beider Strömungen entgangen. Zweifelsohne gab es in der Frage der Hauptzielsetzung vielfach einen Unterschied, der in gewissen Situationen zu einer Trennung beider führte. Der Donatismus jedoch hat in gleicher Weise vor allem die einheimische unterdrückte Bevölkerung unter sein Banner gebracht und schöpfte ideologisch ebenfalls aus der antihierarchischen Argumentation der asketischen Bichtung des 3. Jh. Auch die donatistische Bewegung heftete die starke Märtyrerbewegung an ihre Fahnen. Indem die Circumcellionen diese asketisch-religiösen Protestformen extrem steigerten, verkörperten sie in dieser Beziehung nichts anderes als den linken radikalsten Flügel des Donatismus 23 . 22
DMITREV, A . D . , K B o n p o c y 0 6 AroHHCTHKax H E(npKyMi;EJIJIHOHAX. V D I , 3 , 1 9 4 8 ,
S. 66 ff. 23
Kurz vor Abschluß dieser Arbeit erreichte die Verfasserin ein kleiner Beitrag v o n DIESNER, H. J. ZU diesem Thema, Spätantike Widerstandsbewegungen: Das Circumcellionentum. Aus derbyzantinistischen Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik. I, Berlin 1957, S. 106—112. Da DIESTER hierin — mit Ausnahme einer etwas stärkeren, wenn auch weiterhin ungenügenden Betonung der Verbindung der Circumcellionen mit den Mätryrerkreisen des 3. Jh. — nicht über die in seiner Arbeit: Studien zur Gesellschaftslehre und sozialen Haltung AUGUSTINS. Halle 1954, gegebene kurze Charakterisierung hinausgeht, erübrigt sich eine Spezialbehandlung an dieser Stelle und ermöglicht es, sich mit seinen Ansichten — wie es bisher mit denen seines Buches geschah — in den entsprechenden Kapiteln selbst auseinanderzusetzen.
2
Büttner/Werner, Circumcellionen und Adamiten
7
III. B E M E R K U N G E N Z U R W I R T S C H A F T L I C H E N UND SOZIALEN LAGE DER WESTRÖMISCHEN PROVINZEN IM 3. U N D 4. J A H R H U N D E R T U N T E R B E S O N D E R E R BERÜCKSICHTIGUNG NORDAFRIKAS 1. Die Verschärfung
der sozial-ökonomischen
Krise seit dem 3. Jh. nach
Chr.2*
Die ökonomische und politische Krise, in der sich das gesamte römische Imperium im 3. und 4. Jh. befand, blieb auch auf Nordafrika und die anderen weströmischen Provinzen nicht ohne Auswirkungen. Die sozial-ökonomischen Veränderungen in dieser Periode spiegeln ein Anwachsen der naturalwirtschaftlichen Beziehungen wider. Dabei geriet die Basis der römischen Verwaltung und fiskalischen Ausbeutung, die „civitas", in eine gewisse Erstarrung und schließlich in einen offenen Verfall. Seit der Mitte des 3. Jh. hört die Bildung neuer Kolonien und Munizipien fast vollständig auf, ja, ein großer Teil der ehemals munizipalen Ländereien der Decurionen wurde großen, territorial eximierten, privaten und kaiserlichen Domänen angeschlossen25. Die einmal ehrenvolle Verpflichtung der Kurialen war jetzt zu einer oftmals drückenden Last 26 geworden, die die munizipale Oberschicht häufig an den Rand des Ruins brachte. Die Kurialen wurden wie alle anderen Berufskategorien zur erblichen Zwangskorporation, der sie sich teilweise nur durch die Flucht zu entziehen vermochten27. In gleicher Weise unterlagen auch das gesamte städtische Gewerbe und der Handel 28 einem derartigen hemmenden Zwangssystem. Jedoch vollzog sich dieser Prozeß des Zerfalls der Munizipien nicht in allen Provinzen in gleicher Weise und führte in Nordafrika zu keiner so gewaltigen Einbuße munizipalen Grundbesitzes wie z. B. in Gallien. 24
Da dieses Kapitel die sozial-ökonomischen Voraussetzungen der Bewegung der Circumcellionen und des Donatismus geben soll, wird die munizipiale Organisation nur in ihren Entwicklungstendenzen kurz angedeutet, dagegen werden die Agrarverhältnisse etwas eingehender behandelt werden.
26
W A L B A N C , F. W., The Décliné of the Roman Empire, London 1946, S. 40 gibt genaue Auskunft über die Schrumpfung des Grundbesitzes gallorömischer Städte.
26
STEIN,
27
Aus einer Inschrift ist dies auch für das Gebiet von Thamugadi bezeugt, CIL, VIII, 2403.
28
Der Handel in Nordafrika scheint sich auf den Export agrarischer Produkte bezogen zu haben. Dahingehend spielen die Küstenstädte, insbesondere Karthago, als Ausfuhrhäfen von Getreide und ö l eine bedeutende Rolle. Dagegen sind von einer gewerblichen Produktion in den nordafrikanischen Städten nur Spuren überliefert. TOUTAIN, S . J., Les cités Romaines de la Tunisie. Paris 1902, c. 8; SCHULTEN, A., Das römische Afrika. Leipzig 1899, S. 110; The Cambridge Economic History. Cambridge 1952, Bd. II, Kap. 2, S. 48ff.
8
E., Geschichte des spätrömischen Reiches, Wien 1928, Bd. I,
S.
74.
Neben der munizipalen Organisation kam für Nordafrika die des eximierten Großgrundbesitzes ganz besonders in Betracht 29 . Bereits PLINITJS stellte als die bedeutendste Erscheinung im Agrarleben Afrikas die großen, sich über riesige Gebiete erstreckenden Latifundien heraus30. Wenn er angibt, daß sich die Hälfte des gesamten Grund und Bodens in der Hand von sechs Senatorenfamilien befindet, so hat er ohne Zweifel maßlos übertrieben, kennzeichnet aber im wesentlichen richtig die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungstendenzen der nordafrikanischen Provinzen. Trotz kaiserlicher Konfiskationen konnten die riesigen privaten Besitzungen keineswegs vernichtet werden, sondern spielten auch im 4. und 5. Jh. n. Chr. noch eine nicht zu unterschätzende Rolle 31 . Bedeutsam ist, daß diese privaten Latifundien schon früh die Geschlossenheit städtischer Territorien annahmen und aus der Munizipalverwaltung ausschieden. Diese eximierten Gebiete vermochten die privaten Großgrundbesitzer ebenso wie die staatlichen „saltus" auf Kosten der Munizipien vor allem seit der Krise der römischen Verwaltung beträchtlich zu erweitern. So eiferte im 3. Jh. A B N O B I U S gegen die rastlose Geschäftigkeit, mit der die Leute „die Grenzen ihrer Besitzungen immer mehr verschöben und ganze Provinzen zu einem Landgut machten." 32 Kein Staatsbeamter durfte diese völlig souveränen Besitzungen betreten, und die Grundherren verfügten über das Recht der eigenen Steuererhebung und der Abfindung des kaiserlichen Fiskus durch eine jeweilige Pauschalsumme. Diese rechtlichen Zugeständnisse ermöglichten es den Mächtigsten, eine recht willkürliche Steuerpolitik zu treiben, eine der wesentlichsten Ursachen für das gespannte Verhältnis, das seit dem 3. Jh. oft zwischen den großen Grundbesitzern und der zentralen kaiserlichen Gewalt 29
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2*
Die großen privaten und kaiserlichen Latifundien begannen sich vor allem im Gefolge der Einverleibung von Numidien und großer Teile Mauretaniens unter Cäsar und seinen Nachfolgern herauszubilden; vgl. MOMMSEN, TH., Römische Geschichte. Berlin 1894, Bd. V, S. 624f., S. 648f., ROSTOVTZEFF, M. I., Gesellschaft und Wirtschaft der römischen Kaiserzeit. Leipzig 1938, Bd. II, S. 47. Sie waren in den fruchtbarsten Gebieten Nordafrikas, insbesondere in dem Flußtal des Bagradas (Medscherda), Prokonsularis, im Nordwesten der Byzacena und in großen Teilen Numidiens konzentriert. In Numidien wurde die Ebene am Fuße des Auresgebirges von einer Kette wichtiger römischer Verwaltungs- und Militärstützpunkte wie Tebessa, Bagai, Mascula, Thamugadi, Lambaesis usw. umsäumt und bildete gleichzeitig ein Hauptzentrum der großen Latifundienausbeutung. Vgl. SCHMITTHENITER, H., Tunesien und Algerien. Stuttgart 1924, S. 77, der besonders Hinweise auf die günstigen klimatischen und geographischen Bedingungen dieser Gebiete gibt. PLINIUS, Naturalis Historiae, XVIII, 7, ed. Myhofif, Leipzig 1892, Bd. III. Zu Beginn des 5. Jb. galt die später als Heilige verehrte MELANIA als die größte Grundbesitzerin Nordafrikas. Sie hatte Besitzungen in der Prokonsularis, Numidien und Mauretanien, die oftmals die Größe eines Munizipalgebietes weit überschritten (Vita S. Melan., Analect. Boll, VIII, 1 8 9 9 , S. 16FF.). Zit. bei WABMINGTON, B. H., The North African Provinces from Diocletian to the Vandal Conquest. Cambridge 1 9 5 4 , S. 6 4 . ARNOBIÜS, adversus nationes 2 , 4 0 , C S E L , 4 , Wien 1 8 7 5 , S . 8 1 . 9
bestand, und nicht zuletzt ein Moment, was den Anschluß von Grundbesitzern an den Donatismus im 4. Jh. nicht unbegründet erscheinen läßt. In den Händen der großen Grundbesitzer des spätrömischen Reiches konzentrierte sich eine Fülle von weiteren Befugnissen33. Neben der niederen Gerichtsbarkeit 34 erlangten sie u. a. auch das Recht auf Ernennung der Geistlichen35 in ihrem Herrschaftsbereich. So vermag ein donatistischer Grundbesitzer in den Augen A U O T J S T I N S wie folgt dazustehen: „Tu possessor — ille imperator, tu in fundo — ille in regno" 36 . Außer den städtischen Territorien und den privaten eximierten Großgrundbesitzungen blieb ein beträchtlicher Teil des Landes den kaiserlichen „saltus" 37 vorbehalten, die gleichfalls nicht in die munizipale Verwaltung einbezogen und kaiserlichen Beamten, den „procuratores", unterstellt waren. Im Vergleich zu anderen römischen Provinzen hatte dieser kaiserliche Domänenbesitz in Nordafrika eine ebenfalls nicht unbedeutende Ausdehnung38. Über die Organisation der Grundherrschaften in Nordafrika verfügen wir über genaue Kenntnisse. Der Latifundienbesitz zerfiel schon früh in zwei Teile: in die villa mit dem eigentlichen Herrenhof und in das von Kolonen bestellte Pachtland. F B O N T I N , der bekannte römische Agrimensor, berichtete, wie befestigte Dörfer der Kolonen die „villa" wie einen Festungsgürtel umgaben 39 . Mehrere Inschriften aus dem 2. Jh. vermitteln einen Einblick in die kaiserlichen und privaten DomänenVerordnungen. Dabei fallen vor allem neben den Abgaben, den partes agrariae, die die Kolonen zu leisten haben, die geforderten Frondienste ins Auge. So berufen sich die Kolonen eines kaiserlichen saltus im Bagradastal, Burunitanus 40 , in einer Beschwerdeschrift an den Kaiser C O M M O 33
Uber die großen Grundherrschaften vgl. ferner MICKWITZ, G., Geld und Wirtschaft im römischen Reich des 4. Jh. n. Chr., Helsingfors 1942, S. 134, 139ff., 157ff., 1793., KÖTZSCHKE, R., Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Jena 1924, S. 51 ff. ROSTOVTZEFF, M. I., a. a. O., Bd. II, Kap. X I I ; FRANK, T., Economic Survey of Ancient Rome, 1936, Bd. III, S. 83fi., 363ff.; HEICHELHEIM, F. M., Wirtschaftsgeschichte des Altertums, Leiden 1938, Bd. I, S. 830f.; SÜNDWALL, J., „Weströmische Studien", Berlin 1915, S. 115. 34 MITTEIS, H., Der Staat des hohen Mittelalters. Weinar 1955 6 , S. 15; BRENTANO, L., Das Wirtschaftsleben der antiken Welt. Jena 1929, S. 159. 35 Vgl. AUGUSTIN, Gesta collat. Carthag., Migne, PL 11, eol. 1326. 36 Aug. Ep. 66,1 CSEL, 34, 2, S. 235. Die Betrachtungen der spätantiken Grundherrschaften als „Vorstufen des Mittelalters" — wie es z. B. WEBER, M., Agrarverhältnisse im Altertum. Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Tübingen 1924, S. 278 zu entwickeln sucht — führen leicht zu einer Übertragung äußerlich ähnlicher Formen einer Erscheinung auf einen anderen gesellschaftlichen Inhalt. 37 „saltus" ist die technische Bezeichnung des eximierten Gutsbezirkes; s. SCHULTEN, A., Die römischen Grundherrschaften. Weimar 1896, S. 17. 38 Nordafrika wird allgemein als die Provinz der großen Domänen, sowohl kaiserlichen als auch privaten Eigentums, bezeichnet; s. LATOUCHE, R., a. a. O., S. 25; BEAUDOIN, E., Les grandes domaines dans l'Empire romain d'apres des travaux recents, „Nouv. revue hist. de Droit", 1897, S. 554. 38
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FRONTIN, de c o n t r o v e r s . agrorum I , S. 53, ed. LACHMANN.
DUS auf die V e r f ü g u n g der „lex Hadriana", w o n a c h sie jährlich sechs T a g e „operae" auf d e m L a n d g u t s h o f z u entrichten h ä t t e n , u n d zwar z w e i T a g e beim Pflügen, z w e i T a g e zur B e a r b e i t u n g der S a a t u n d z w e i T a g e zur Erntezeit. D i e i n einer gleichzeitig a n C O M M O D U S gerichteten Beschwerdeschrift der K o l o n e n eines anderen kaiserlichen saltus erwähnten jährlichen 12 Tagewerke zeigen nur, d a ß die die P a c h t n o r m e n a u f den kaiserlichen D o m ä n e n in Nordafrika regelnde „lex H a d r i a n a " wohl eine gewisse A n z a h l operae forderte, die g e n a u e F e s t l e g u n g der F r o n t a g e aber der Verfügung der einzelnen Prokuratoren überließ. W i e a u s der B i t t s c h r i f t der K o l o n e n d e s saltus B u r u n i t a n u s hervorgeht, waren die K o l o n e n n e b e n d e n „operae" n o c h z u „iuga", Gespanndiensten, verpflichtet, die wahrscheinlich vor allem bei d e n v o n A . SCHULTEN41 i m R a h m e n der D i e n s t l e i s t u n g e n b e t o n t e n B a u f r o n d e n A n w e n d u n g f a n d e n . D i e K o l o n e n wurden „iussu imperatoris" oder „procuratoris" z u B a u t e n auf d e m H o f l a n d e angewiesen u n d errichteten in Fronarbeiten zahlreiche K a s t e l l e sowie die a u f d e n Gütern e r b a u t e n Kirchen. Weitere I n s c h r i f t e n f u n d e a u s dieser Zeit w e i s e n darauf hin, d a ß a u c h a u f d e n p r i v a t e n D o m ä n e n ähnliche A u s b e u t u n g s v e r h ä l t nisse herrschten 4 2 . 40
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CIL V I I I , 10570: ,,. . . non amplius annuas quam binas aratorias, binas sartorias, binas messorias opéras debeamus . . ." und CIL V I I I , 14464. Die Auswertung dieser kaiserlichen Domänenordnungen aus dem 2. J h . f ü r die nordafrikanischen Latifundien ist bereits um die Jahrhundertwende in mehreren deutschen Arbeiten ausführlich vorgenommen worden. Vgl. S C H U L T E N , A., Grundherrschaften . . ., a. a. O., ders., Das römische Afrika, a. a. O., bes. S. 43fL; WEBER, M., Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung f ü r das Staats- und Privatrecht. Stuttgart 1891, S. 247; GUMMERUS, H., Die Fronden der Kolonen = översigt af Finska — Vetenskaps — societetens Förhandlinger, 3., L. 1906—1907 ; R O S T O V T Z E F F , M. I., Studien zur Geschichte des römischen Kolonats. Archiv f ü r Papyrusforschung. 1. Beiheft, Leipzig, Berlin 1910, bes. S. 3200.; R O S T O V T Z E F F , M. I., Gesellschaft und Wirtschaft, a. a. O., S. 53. S C H U L T E N , A . , Grundherrschaften, a. a. 0 . , S . 49f. Aufschluß gibt die ebenfalls aus dem 2. J h . stammende Inschrift von H E N C H I R M E T TICH. Die hier enthaltenen Bestimmungen sind „ad exemplum legis Mancianae" ausgeführt. Aus der zahlreichen, in ihrer Ansicht über den Charakter dieser „lex Manciana" widersprechenden Literatur möchte ich nur auf die ausgezeichneten Ergebnisse der französischen Forschung hinweisen. TOTJTAIN, J . M., h a t in einer Zusammenfassemden Studie: Culturae Mancianae, Mélangés Fr. Matroye, Paris 1940, dieses wahrscheinlich in der Zeit Trajans entstandene S t a t u t als eine f ü r eine private Grundherrschaft erlassene Regelung, eine lex locationis, charakterisiert (S. 97£E.), die in der „culturae Mancianae" bis in die Vandalenzeit ihre Nachwirkung h a t (Tablettes Albertini). Die letzte Edition der Inschrift von H E N C H I R M E T T I C H erfolgte durch J . M. T O U T A I N in „Nouv. revue histoire de Droit", 1947, S. 373—415 (mir leider noch nicht zugänglich). Weitere Untersuchungen über die „Culturae Mancianae" s. SAUMAGNE, C H . , Tablettes Albertini. Actes privés de l'Epoque Vandale, Paris 1952, S. 97ff.; CARCOPINO, J., La législation sociale d'Hadrien interpretée a la lumière des tablettes latines de l'epoque Vandales dites Tablettes Albertini. Wiss. Zeitschr. der Karl-Marx-Universität Leipzig, 5. Jg., 1955/56, gesellsch. und sprachwissenschaftliche Reihe, S. 403-405. 11
Veranlaßt zunächst die niedrige Zahl der zu leistenden Frontage auf eine nur geringe wirtschaftliche Exploitierung der Kolonen zu schließen, so bedeutet doch allein die Tatsache der Verpflichtung freier Pächter zu Dienstleistungen eine weitere Abhängigmachung und soziale Unterdrückung. Interessant ist hierbei, daß diese Forderungen auf Fronleistungen der Kolonen fast ausschließlich in Nordafrika nachweisbar sind43, eine Tatsache, die hier über den frühzeitigen Rückgang und die völlige Unrentabilität der von Sklaven bewirtschafteten Latifundien Aufschlüsse zu geben vermag. Ein weiteres bedrohliches Element enthielten die Fronleistungen für die Kolonen in dem Maße, daß — wie uns ja die Beschwerdeschriften zeigen 44 — die Generalpächter, die conductores45, trotz Domänenverfügungen willkürlich die Abgaben steigerten und sich persönlich bereicherten. Dabei handelten die Generalpächter völlig im Einverständnis mit den kaiserlichen Beamten, den Prokuratoren, die gegen die Forderungen der Kolonen mit militärischer Exekution vorgingen46. Die Zwischenschaltung großer Konduktoren in den Ausbeutungsprozeß der eigentlichen Grundherren und der Pächter öffnete ohne Zweifel einer größeren Willkür in der Ausbeutung der Sklaven und Kolonen Tür und Tor und führte zu einer weiteren Verschlechterung der Lage der Pächter. Daß die Kolonen diese Willkür nicht bedingungslos hinnahmen, offenbaren die Beschwerdeschriften der Kolonen an den Kaiser COMMODTJS, ja, diese lassen bereits ein organisiertes gemeinsames Vorgehen aller Pächter der Domäne erkennen. Einer Analyse der Ursachen für das Entstehen des Kolonats müssen die Engelsschen Definitionen zugrunde gelegt werden. Die antike Sklaverei hatte sich überlebt47), weder auf dem Lande noch in den städtischen Manufakturen gab sie einen Ertrag mehr, der der Mühe wert war. Die niedrige Arbeitsproduktivität 48 ) der Sklaverei im allgemeinen, der schwächer werdende Zufluß un48
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Vgl. GUMMEBUS, H., ä. a. O., der für die gleiche Zeit in anderen Provinzen des Römischen Reiches keine Belege bringen kann und nur erst um 500 n. Chr. auf ravennatischen Kirchengütern das Fronsystem in ausgeprägter Form findet (S. 62). In den juristischen Denkmälern fehlen ebenfalls fast jegliche Hinweise, s. RANOWITSCH, A . : „KOJIOHAT B PHMCKOÖ 3AK0H0AATEJIICTBE" II—V bb, VDI, 1, 1951, S. 103. CIL, VIII, 10570, col. III „Ademptum sit ius etiam pro (curatoribus), nedum conductori adversus colonos ampliandi partes agrarias aut operarum praebitionem iugorumve." Während die Possessoren und teilweise auch die Prokuratoren bereits seit den Zeiten Varros und Columellas in den Städten ihren Vergnügungen nachgingen, wurden die großen Besitzungen Generalpächtern zur Nutzung und Ausbeutung übergeben. SCHULTEN, A . , Grundherrschaften . . ., a. a. O . , S . 75FF. E N G E L S , FB., Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. Berlin 1952, S. 148. W A L B A N C , F. W . , a. a. O., S. 67 weist richtig darauf hin, daß die Ursachen des Verfalls in der Struktur der alten Gesellschaftsordnung zu suchen sind. Die Sklavenarbeit war zu dieser Zeit von einer Stagnation der Technik begleitet.
freier Arbeitskräfte aus den Kolonien, die Furcht vor Aufständen der Sklaven führten zum teilweisen Umbau des Systems der Sklavenwirtschaft 49 ). Als Ausweg griff man zu der einzig möglichen Form der Landwirtschaft, zu der Kleinpacht. „Eine villa nach der anderen wurde in kleine Parzellen zerschlagen und ausgegeben an Erbpächter . . ,"60). Auch die Lage der Sklaven erfuhr einige Veränderungen. Die Sklaven erhielten ökonomisch größere Freizügigkeiten und wurden mit einem „peculium" ausgestattet. War auch ihre rechtliche Lage noch weitaus schlechter als die der freien Pächter, so fand doch im Laufe dieser Jahrhunderte mit der weiteren Abhängigmachung der Kolonen eine Angleichung, sowohl ökonomisch als auch rechtlich, statt. Durften Sklaven Ende des 4. Jhs Eigentum haben und es ihren Kindern vererben, so wurden die ehemals freien Pächter mit ihren Familien an den Boden gefesselt, weiterer den Freien zukommenden Rechte beraubt51), z. B. des Rechts, als Zeuge gegen den Grundherrn aufzutreten, und oftmals den rechtlichen Normen der Sklaverei unterstellt. Andererseits konnten Sklaven jetzt ebenfalls nicht mehr ohne den von ihnen bebauten Grund und Boden veräußert werden52). Die Sklaverei hatte allerdings auch im spätrömischen Reich — wenn auch jetzt unter veränderten Bedingungen — keineswegs zu existieren aufgehört53). Belege aus dem 3. Jh. dokumentieren, daß der 49
Auch in der bürgerlichen Forschung werden f ü r den Rückgang der Sklaverei vielfach vorwiegend ökonomische Faktoren in einer bewußten Abgrenzung von jeglicher philosophisch-christlichen Begründung verantwortlich gemacht, siehe LOT, F., La fin du monde antique et le début de Moyen Age. Paris 1952, S. 73ff; W E S T E R M A N N , W. L., The Slave Systems of Greek and R o m a n Antiquity. Philadelphia 1955, S. 128 fï.
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E N G E L S , F R . , a. a. O., S. 148. Die Frage nach dem Ursprung des Kolonats h a t in der bürgerlichen historischen und rechtshistorischen Literatur starke Beachtung gefunden. Herausragend sind dabei die Zusammenfassung von H E I S T E R B E R G , D., Die Entstehung des Kolonats. Leipzig 1876 und die grundlegende Arbeit von R O S T O V T ZEFF, M. I., Studien zur Geschichte des römischen Kolonats, a. a. O. Jedoch h a t es die bürgerliche Wissenschaft nicht verstanden, die wahren Ursachen aufzuzeigen und ist a n äußeren begleitenden Erscheinungsformen der allgemeinen Krise hängengeblieben. J O H N E S , A. H . M., Slavery in the Ancient World. „The Economic History Review", vol. I X , 2, 1956, S. 198. Dieses Gesetz Valentinians (Cod. J u s t . X I , 48,7) ist interessanterweise in Italien durch Theoderich (Edict. 142) wiederholt. Über die ökonomische und rechtliche Lage der Landbevölkerung unter den Ostgoten s. U D A L ' C O V A , S. W., Ce.ibCKoe 3aBHCHMoe HacejieHHe HTajimi 6 Beita, „ V D I " , 3, 1955, S. 85fi. Z. B. waren auf den Gütern der Melania d. J ü n g . im 5. J h . noch Tausende von Sklaven beschäftigt; s. K A S D A N , A . , O HeKOTopux cnopHbix Bonpocax ncTopnn CTAHOBJIEHHH eoflajibHbix oTHomeHUtt B PHMCKOÖ HMnepmi „ V D I " , 3,1953, S. 85, der dabei scharf gegen die Meinung von S T A E R M A N , E . M., in P a ö c T B O B 3 — 4 BB n. C . B aana^Hbix PHMCKOÜ HMnepmi, „ V D I " , 2,1951 opponiert, daß die Sklaven in dieser Epoche nur noch als Haussklaven verwendet wurden. Vgl. ferner V E R L I N D E N , C H . , L'Esclavage dans l'Europe Mediévale. Brügge 1955, S. 51 fl.
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Sklavenexport aus den Povinzen nicht völlig verschwunden war 54 ). Aber dieser Sklavenhandel diente nicht mehr der Massenbelieferung von Latifundien mit billigen Arbeitskräften, sondern versorgte fast ausschließlich nur noch einige Staatsmanufakturen 5 5 ) und -bergwerke mit den jetzt teuer und rar gewordenen Sklaven 56 ). Zu den immer rechtloser werdenden Kolonen sanken auch viele freie Kleinbauern, oftmals sogar römischer Herkunft, herab. Die Ausbeutung der produzierenden Massen wuchs in der Krise der römischen Sklavenhalterordnung ins Unermeßliche, und der römische Staat wurde selbst zu einer „riesigen komplizierten Maschine, ausschließlich zur Aussaugung der Untertanen bereit 5 7 )". Vor allem die seit der Diokletianischen Steuerreform erhöhten Abgaben brachten viele kleine Bauern an den R a n d des Ruins. Sie gerieten in Schulden und durch Anleihen bei den Wucherern in eine oft auswegslose Lage. Ein Entkommen daraus schien zunächst noch möglich, indem man sich unter das ,,patrocinium" eines großen Possessors begab und somit von den unmittelbaren, kaiserlichen, fiskalischen Verpflichtungen befreit wurde 58 ). Diese Bewegung wurde selbstverständlich von den großen Grundbesitzern, teilweise sogar mit Gewalt, gefördert, gab sie ihnen doch die Möglichkeit, ihre Besitzungen und Machtbefugnisse auf Kosten der Kleineren zu erweitern. Denn jeder Patron gewährte diesen „Schutz" nicht uneigennützig, sondern forderte bald neben dem Eigentumsrecht an Grund und Boden von dem nunmehr abhängigen Pächter steigende Abgaben und Dienste. Trotz zahlreicher kaiserlicher Verbote 59 ) nahm die Patroziniumsbewegung breitere Formen an. Ausführliche Kenntnis davon übermittelt uns S A L V I A N , 64
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E i n Zolltarif aus dem Jahre 202 (CIL VIII, 4508) zeichnet ein deutliches Bild des mauretanischen Exports. Neben Wein und Früchten werden vor allem Sklaven und Vieh genannt, vgl. MOMMSEN, TH., Römische Geschichte, a. a. O . , Bd. V, c. VIII, S. 653. HEICHELHEIM, F. M., a. a. O., Bd. I, S. 804. Lediglich in den Staatsmanufakturen arbeitete man noch mit Staatssklaven, s. JOHNES, A. H. M., a. a. O., S. 197. Die sowjetische Forschung hat in den letzten Jahren in mehreren größeren Artikeln die Frage des Charakters der spätantiken Gesellschaftsformation zu klären gesucht, siehe Protokoll der Abschlußdiskussion: IIpoöJieMa naflenpm paöoBJiajjejibiecKOro CTpoH. „VDI", 1, 1956.
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F B . ENGELS, a . a . O., S . 1 4 7 .
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Obwohl die Lage des Pächters durchaus nicht verlockend schien, mußte doch der Schutz eines Patrons zunächst einige Vorteile, zumindest einen Ausweg bieten, vgl.
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D a die Verbreitung der Patroziniumsbewegung zu einer spürbaren Verringerung der fiskalischen Einnahmen führen mußte, sind aus dem 4. Jh. zahlreiche kaiserliche Verbotsedikte erhalten ( V A L E N T I N I A N , V A L E N S , GRATIAN). Auf Grund eines Edikts von 399 mußte der Patron bei Annahme eines Patroziniumsgutes 40 Pfund Gold Strafe zahlen (Cod. Theod. X I , 24, 4.). I n einem späteren Edikt wurde eine Konfiskation des gesamten Vermögens des schuldigen Patrons angeordnet (Cod. Theod. X I , 24, 5). Eine Wendung in der kaiserlichen Politik erfolgte im Jahre 415, wo die Kaiser H O N O R I U S und THEODOSIUS die bis 3 9 7 eingegangenen Patrozinien sanktio-
WARMINGTON, B . H . , a . a . O . , S . 6 8 .
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De gubernatione Dei, V, 8, 39—4460). In das Patrozinium begaben sich neben den kleineren freien Bauern, die von den fiskalischen Leistungen erdrückt worden waren61), auch vielfach Kolonen kleinerer Grundbesitzer, die um des Fiskus willen von ihren Herren bis aufs äußerste ausgesaugt wurden. Im Wesen etwas verschieden sind allerdings Fälle, wo Dekurionen, nur um von ihren munizipalen Verpflichtungen loszukommen, ihr Vermögen einem mächtigen Magnaten unterstellten62). Hier handelt es sich offensichtlich zunächst nur um eine Scheinabhängigmachung und um eine Täuschung des Fiskus. Die gesteigerte Patroziniumsbewegung im 4. und 5. Jh. ist somit ein Symptom der weiteren Verschärfung der Krise des spätrömischen Reiches, sie führte in ihrer Konsequenz zur Ausbildung einer allerdings bereits neue gesellschaftliche Züge tragenden, abhängigen Bevölkerung, den Kolonen. Ein weiteres unerschöpfliches Reservoir billiger Arbeitskräfte bot sich den Grundbesitzern in den einheimischen Stammesgemeinden dar. Nach der römischen Erorberung waren räumlich ausgedehnte Gebiete an die bereits seßhaften einheimischen Stämme gefallen63). Es erscheint als ein recht schwieriges Problem, den jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungsstand der einzelnen Stämme festzustellen64). Zum Verständnis — vor allem für die Aufstände und Einfälle von Stämmen in die römische Provinz Nordafrika im 3. Jh. — muß zwischen den einfallenden Nomadenstämmen und den seßhaften, auf römischem Provinzterritorium wohnenden Berberstämmen eine scharfer Trennungsstrich gezogen werden. Letztere wiesen bereits eine andere Sozialstruktur auf und standen zum Römischen Reich in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis65).
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nierten (Cod. Theod. XI, 24, 6). Die kaiserliche Regierung mußte sich somit mit einer in der Praxis vollzogenen Entwicklung abfinden und versuchte nunmehr, die Patrone zu Abgaben für die neugewonnenen Pächter zu verpflichten; vgl. D I L I GENSKIJ, G . G . : „ K Bonpocy 06 arpapHbix näTpoijHHHHx B N03HHEFT PHMCKOM HMnepim", VDI, 1, 1955, S. 136. MGH, A. A I, 1, S. 62 f. S T A E R M A N N , E. M., a. a. O., „VDI", 2, 1951, S . 99. Hier auch weitere Beispiele (S. 663.). Ebd.; viele suchten zwecks Steuerhinterziehung unter den Schatten eines Mächtigen unterzutauchen (sub umbra potentium) Cod. Theod. XI, 1, 146. R A N O W I T S C H , A., a. a. O. VDI, 1, 1951, S. 100. Das beste und fruchtbarste Land geriet dabei in die Hände des Kaisers und privater Possessoren. Den Rest, vielfach schlechter und für den Ackerbau unergiebiger Boden oder die unzugänglichen Steppen und Gebirgsgegenden, überließ man den Stämmen; vgl. ROSTOVTZEFF, M. I., Gesellschaft und Wirtschaft, a. a. O., Bd. II, S. 49. Lediglich vor der römischen Unterwerfung sind uns unter M A S S I N I S S A in Numidien die ersten Ansätze eines größeren Stammesverbandes und die Versuche einer staatlichen Organisation etwas genauer bekannt. M O M M S E N , TH., a. a. O . , Bd. V, S. 6 2 2 . Als Abgaben leisteten diese peregrinen Gemeinden eine allen stipendiären Gemeinden auferlegte Steuer, s. S C H U L T E N , A., Die peregrinen Gaugemeinden des römischen Reiches. Rheinisches Museum, 50, S. 551.
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Diese Stämme behielten zunächst auch nach der Anerkennung der römischen Oberherrschaft 66 ) ihre alte, autonome Stammesverfassung bei. Jedoch waren diese Stämme schon bald nach der Unterwerfung durch eine weitgehende Auflösungstendenz der alten SippenVerfassung gekennzeichnet. Die Übernahme lateinischer Termini ist Ausdruck einer allmählichen Anpassung an die römische Munizipalverwaltung und damit auch an andere gesellschaftliche Normen. Neben dem Fürsten, princeps 67 ), fungierte ein Kollegium von „undecim primi" und ein in den Quellen auftauchender R a t von „Seniores" 68 ). Obwohl bereits in den J h . vorher viele peregrine Gaugemeinden in die römische Munizipialverwaltung eingegliedert und die einheimische Bevölkerung, von den letzten Stammesbindungen losgerissen, zum größten Teil in das Kolonat gedrückt wurde, setzte dieser Prozeß vor allem im 3. u. 4. J h . n. Chr. verstärkt ein. Neben den Munizipien bereicherten sich auch viele private Possessoren wie auch die kaiserlichen Prokuratoren — vor allem in den Zeiten gesteigerter Wirren — an dem Raub von Ländereien der peregrinen Gaugemeinden und der Abhängigmachung von deren Bevölkerung 69 ). Daneben versuchten die kaiserliche Regierung wie auch die privaten Possessoren dem vorherrschenden Arbeitskräftemangel durch die seit M A B K A U R E L bekannte Ansiedlung noch nomadisierender einheimischer Stämme zu Kolonatsrecht zu begegnen. Diese Momente der verschärften Herabdrückung freier einheimischer Bauern zu abhängigen Kolonen spiegelt sich in der sozialen Zusammensetzung der Klassenkämpfe in der Krise des Römischen Reiches wider. Besonders in Nordafrika sind die Gebiete Brennpunkte der sozialen Kämpfe, wo die aufständischen Sklaven und Kolonen in den zäh an ihrer Freiheit hängenden, noch freien Stammesangehörigen einen Rückhalt fanden. War das dauernde Verbleiben der Kolonen auf einer Pachtung sowie das Recht der Nachfolge ihrer Familie eine ihnen zunächst günstige Gewohnheit, so sollte dies in der Periode der Krise des Römischen Reiches unter dem Aspekt des drohenden gesetzlichen Zwanges bald ein anderes Gesicht bekommen. Wie aus der seit Konstantin 70 ) gesetzlich verankerten Bindung der Kolonen an den Boden hervorgeht, war der Kolone im 4. J h . aus einem freien Pächter 40
17 88
89 70
Sie unterstanden direkt dem Statthalter oder einem besonders eingesetzten „praefeotus", vgl. MOMMSEN, TH., Römische Geschichte. Bd V, Kap.8, S.649; SCHULTEN, A., Die peregrinen Gaugemeinden . . ., a. a. O., S. 490, 513. CIL VIII, 8826, 8828, 4836, 4884, 7041. MOMMSEN, T H . , a . a . O . , B d V , S . 6 4 9 f .
Auf dieses Problem hat vor allem auch die sowjetische Forschung hingewiesen, vgl. STAERMAN, E. M., A(J)pnKaHCKne BOCTawie 3 Beita. „VDI", 2, 1948. Vgl. darüber die ausgezeichnete Arbeit von RANOWITSOH, A., a. a. 0 . , bes. S. 84—89; f e r n e r WARMINGTON, B . H . , a . a . O . , S . 6 6 ; WALBANC, F . W . , a . a . 0 . , S . 5 5 ; R o STOVTZEIT, M . I . , G e s e l l s c h a f t . . , a . a . O . , B d I I , S . 2 3 3 ; KÖTZSCHKE, R . , a . a . 0 . ,
S. 64; The Cambridge Medieval History, Cambridge 1911, vol. I, S. 558. Der erste gesetzgebende Akt ist ein Erlaß KONSTANTINS aus dem Jahre 332 (Cod. Theodos. V, 17,1): der Besitzer, bei dem ein fremder Kolone gefunden wird, muß
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zu einem abhängigen, des Rechts auf freien Ortswechsel verlustig gegangenen Hörigen degradiert worden. In dieser gesetzlichen Verankerung fand ein langer, in der Praxis bereits vollzogener Prozeß seinen Abschluß. Diese staatliche gesetzliche Sanktionierung der Fesselung der Kolonen an den Boden entsprach voll und ganz den Interessen der Grundbesitzer. Die willkürlichen Abgabenerhöhungen der Konduktoren und Prokuratoren zeigten in einer zunehmenden Verschuldung71) der Kolonen ihre verheerenden Auswirkungen. Die Frage, wer die, vor allem durch die Diokletianische Steuerreform gesteigerten, staatlichen Abgaben der haftenden Grundbesitzer oder Prokuratoren an den Fiskus zu tragen hatte, ist wohl offensichtlich mit der Tatsache der Verschlechterung der ökonomischen und schließlich auch rechtlichen Lage der Kolonen beantwortet72). Diese wachsende Verschuldung der Pächter an den Grundherrn ermöglichten es diesen, gesteigerte Druckmaßnahmen und rechtliche Sanskriptionen anzuwenden. Wurde der Kolone von den sich immer vergrößernden Schulden erdrückt, so suchte er oft in der Flucht bzw. in einem Wechsel der Grundherrschaften seinen Ausweg. Dahingehend verstärkte sich das Interesse der Grundbesitzer an einer Bindung der Kolonen an den Boden, was ja auch in der Konstantinischen Gesetzgebung von 332 vollste Beachtung fand. Zum anderen förderte die Steuerpolitik des Reiches die Unterwerfung der Kolonen. Mit der capitatio und iugatio wurden die Kolonen endgültig dem Zensus der Grundbesitzer zugeschrieben und damit auch deren Willkür preisgegeben. Damit war auch das letzte Band zwischen dem Staat und den kleinen Pächtern zerrissen. Die für die Abgaben ihrer Kolonen bei dem Fiskus haftenden Grundbesitzer forderten selbstverständlich gesetzlich reale Sicherungen. Die kaiserliche Regierung versuchte, die von den Grundbesitzern bzw. deren Vertretern vollzogene Unterordnung der freien Pächter und ehemals freien Bauern73 unter die gesteigerten Abhängigkeitsnormen zur Regelung der kaiser-
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73
diesen nicht nur an den Ort seiner Herkunft zurückgeben, sondern muß darüber hinaus die Zahlung der Steuern für die vergangene Zeit übernehmen. Die Kolonen selbst, die die Flucht planen, kann man wie Sklaven in Eisen legen . . . Darauf wiesen die in den Digesten häufig erwähnten reliquiae colonorum hin; vgl. RANOWITSCH, A., „VDI", 1, 1951, S. 97/98. Neben der Steigerung der Abgaben sind in diesem Zusammenhange auch vor allem die Nachteile einer jetzt wieder fast ausschließlichen Naturalpacht zu sehen; dazu MICKWITZ, G., a. a. O., S. 182f. (Das Buch von MICKWITZ ist allerdings in seinen sonstigen Schlußfolgerungen auf den auch im 4. Jh. vorherrschenden rein geldwirtschaftlichen Charakter der gesamten Wirtschaft des römischen Reiches mit Vorsicht zu genießen.) Über die Verwandlung der bisher lediglich eine Staatsabgabe zahlenden freien „tributarii" zu „coloni adscripticii" s. SEGRÍ:, A., The Byzantine Colonate. Traditio, V, New York 1947, S. 107 ff. Vgl. ferner über die Auswirkungen der Diokletianischen iugatio und capitatio ders.: Studies in Byzantine Economy. Iugatio and Capitatio. Traditio, III, 1945. Vgl. weiterhin Jones, A. H. M, The Roman colonate, „Past & Present", Apr. 1958, Nr. 13, S. 7 ff.
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liehen Steuereinnahmen auszunutzen und erließ unter K O N S T A N T I N schließlich auch vor allem aus eigenen fiskalischen Interessen die Kolonengesetze. Ein weiteres Motiv der Gesetzgebung lag in der Sorge der kaiserlichen Regierung, große, teilweise unbebaute und verödete Ländereien an private Grundbesitzer bzw. Konduktoren zu vergeben und diese somit ebenfalls fiskalisch wieder nutzbar zu machen. Für die hierfür schwierig zu gewinnenden Arbeitskräfte — oftmals handelte es sich um zu Kolonatsrecht angesiedelte Stämme oder noch freiere Staatspächter — forderten die Grundherren ebenfalls eine feste Bindung an den Boden. So fand also auf dieser Basis eine rechtliche Annäherung der Kolonen an die Sklaven mit peculium statt. Somit wird verständlich, daß in den sozialen Erhebungen des 3. und 4. Jh. n. Chr. neben den Sklaven vor allem auch die aus verschiedenen bäuerlichen Schichten zu einem einheitlichen abhängigen Stand verschmelzenden Kolonen führend beteiligt waren. Die daraus resultierende Frage nach der führenden Kraft in den sozialen Erhebungen der Spätantike ist nicht leicht zu beantworten. Dabei wird man sich wohl den in der sowjetischen Forschung in der letzten Zeit hervorgetretenen Stimmen74 anschließen können, die in diesen sozialen Erhebungen der ausgehenden Sklavenhalterordnung eine unmittelbare Vorherrschaft in der Führung unter den beteiligten Schichten der ausgebeuteten Landbevölkerung ablehnen. Festzuhalten bleibt nochmals, daß für die Bewegung der Circumcellionen in Nordafrika wie auch der Bagauden in Gallien die Gebiete ausschlaggebend sind, wo die geflüchteten Sklaven und Kolonen in den ihrer Freiheit verlustig gehenden, einheimischen Stammes- und Dorfgemeinden ständig Hilfe finden.
2. Die
verschiedenen
Formen
der Klassenkämpfe
im 3. Jh.
Die in dem vergangenen Abschnitt herausgestellte Veränderung und Verschlechterung der sozial-ökonomischen Lage breiter Schichten der Landbevölkerung fand in den gesteigerten Sozialrevolutionären Erhebungen in der Spätantike ihren effektiven Ausdruck. Allein die ökonomische und politische Krise des spätrömischen Reiches vermag einiges Licht auf die Ursachen der zahlreichen Aufstände und Einfälle von Stämmen in Nordafrika im 3. Jh zu werfen. Haben auch der zeitweise Abzug der 3. Legion und die Verfallserscheinungen des römischen Verwaltungs- und Befestigungsgürtels die Einfälle von Barbaren74
18
KOVALJEW, S. I . , K Bonpocy o KapaKTepe 30unajibH0r0 nepeBopoTa 3 — 5 BB B 3ana^HOFI PHMCKOÜ HMnepHH. „ V D I " , 3, 1954, S. 42; SJTRSJUMOV, M . S., K Bonpocy o npoiieccax EOFLAJIH3AIIHH B PHMCKOÜ HMnepHH. „ V D I " , 1, 1955, übersetzt in: „Sowjetwissenschaft", ges. wiss. A b t . 3, 1956, S. 373 ff.
stammen ohne Zweifel erleichtert, so finden damit allein jedoch die große Ausbreitung und Hartnäckigkeit der Stammesaufstände noch keine Erklärung. Seit der Herrschaft des S E V E R U S A L E X A N D E B brachen zahlreiche Aufstände nordafrikanischer Stämme aus, die sich das gesamte 3. J h . n. Chr. kontinuierlich fortsetzten und steigerten. In einer Grabinschrift von AUZIA75 in Mauretanien wird für das J a h r 247 ein Zusammenstoß mit Stämmen, die in römisches Gebiet eingedrungen waren, bezeugt, ohne Zweifel ein Prolog für die großen Aufstände der Jahre 254 und 260 n. Chr. Die von außerhalb der römischen Grenzen einfallenden Stämme der Bavares fanden in den bereits seßhaften, auf römischen Territorien (Mauretanien Caesariensis)76 angesiedelten Quinquegentani und den „Gentiles Fraxinenses" Unterstützung und konnten 253/54 große Gebiete Mauretaniens einnehmen57. Aus den Inschriften, die sich auf die Revolten der Bavares und Quinquegentani im Jahre 260 beziehen, geht hervor, daß diese nicht nur auf Mauretanien 78 beschränkt blieben, sondern auch Teile Numidiens (Mileve)79 und anderer Provinzen erfaßten. Das Jahr 289 leitete weitere heftige Kämpfe der römischen Truppen mit aufständischen Stämmen in Mauretanien ein; die 296 von dem Imperator M A X I M I A N in großen militärischen Operationen zunächst einmal unterworfen wurden. Aber all diese Aufstände konnten stets nur für kurze Zeit eingedämmt werden, um dann mit neuer Wucht erneut auszubrechen. Besonders die Ereignisse von 260 ermöglichten jedoch die Schlußfolgerung, daß die einfallenden Stämme der Bavares niemals in der Lage gewesen wären, bis ins Innere von Numidien vorzustoßen, wenn sie nicht die Unterstützung der unterdrückten Sklaven und Kolonen gefunden hätten. Die afrikanischen Stammesaufstände sind nur im Zusammenhang mit den Erhebungen der Sklaven und Kolonen auf den Latifundien sowie den Aufständen der verzweifelt um ihre Freiheit ringenden, bereits auf römischem Boden wohnenden Stämme zu betrachten 80 . Die äußerlich in Gestalt von Selbständigkeitsbewegungen sich vollziehenden Stammesrevolten bilden ihrem Wesen nach einen Teil der sozial-revolutionären 76
CIL, VIII, 9158; CAGNAT, R., L'armee Romaine de l'Afrique du Nord. 1894, S. 55; f e r n e r J U L I E N , C H . - A . , a . a . O . , S. 1 9 7 .
76
Zwei Inschriften aus dem Gebiet von Auzia (CIL, VIII, 9045 und 20827) bezeugen harte Kämpfe um diese Stadt.
"
Abermals Auzia, CIL, VIII, 9047.
78
CIL, VIII, 2615.
79
Die Bavares und Quinquegentani konnten die Stadt Rapidum in Mauretanien einnehmen sowie zerstören, und Auzia und Saldae vermochten sich nur mit Mühe gegen ihre Angriffe zu halten. J U L I E N , C H . - A . , a. a. O., S. 198; ferner WARMINGTON, B. H., a. a. O., S. 8f., S. 30.
80
Siehe STAERMAN, I I I veka . . ., „VDI" 2, 1948, S. 70.
19
Bewegungen der unterdrückten Landbevölkerung in der Epoche der Krise des spätrömischen Reiches81. Dabei sind diese Klassenkämpfe nicht nur in offenen, aktiven Aufständen für uns sichtbar, sondern verbergen sich hinter den verschiedensten, oftmals in ganz andere Richtung weisenden Formen. Für das 2. und 3. Jh. n. Chr. können die in den Quellen sehr häufig auftretenden „latrones" in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Bei aller Einschränkung, daß sich innerhalb dieser „Räuberbewegung" auch verbrecherische Elemente und Banden befanden, die jedoch oftmals auch nur Begleiterscheinung einer elementaren Bewegung gewesen sind, wird man das verbreitete Räuberwesen im 2. und 3. Jh. nur als einen besonderen Ausdruck des Protestes82, des Klassenkampfes der bis an den Rand des Ruins gebrachten, entwurzelten und entrechteten unteren Schichten der Landbevölkerung gegen ihre Ausbeuter83 sehen müssen. Die Flucht ins Vagabunden- und Räubertum schien für viele Sklaven, Kolonen, freie ruinierte Bauern und Angehörige anderer Stände der letzte Ausweg. Auch in Nordafrika hat das ,,Räuber"wesen im 2. und 3. Jh. n. Chr. eine nicht zu unterschätzende und vor allem für den römischen Staat und die Grundbesitzer nicht ungefährliche Rolle gespielt. Zu seiner Bekämpfung mußten vielfach sogar Einheiten der römischen Armee eingesetzt werden84. Schon unter A N T O N I U S P I U S hatten in den 40er und 50er Jahren des 2. Jh. n. Chr. die Römer harte Kämpfe gegen „Räuber" in Numidien und Mauretanien85 zu bestehen, Unruhen, die sich auch unter COMMODTJS fortsetzten. Die hier offensichtlich vor allem beteiligten Kolonen scheinen gegen den Druck ihrer Grundherren, der im Laufe der Zeit immer stärker wurde, revoltiert zu haben. Ein gewisses Interesse in dieser Beziehung verlangt ohne Zweifel die lokale Begrenzung dieses Räuberwesens vorwiegend auf Grenz- und Gebirgsgegenden, wo die noch freie, wenig abhängige Stammesbevölkerung den Geflüchteten Zuflucht und oft auch Rückhalt zu geben vermochte. Können wir in den ganze Städte verwüstenden, nord81
82
83
84
85
20
Dabei hat bereits JTJLIEN, C H . - A . , die Ursachen aufgezeigt, indem er diese Aufstände nicht so sehr dem nationalen als vor allem dem Klassengegensatz unterstellt. „Les révoltés spontanées qui surgirent alors, sans liaison entre elles, lurent moins le character d'une haine de race que d'une lutte de classe. Les paysans berbères ne s'attaquèrent pas spécialement aux Romains, mais a tous leurs oppresseurs quels qu'ils fussent, surtout aux Berberes romanisés, dont ils pillerent les terres" (a. a. O., S. 197). Diese Einschätzung der Bewegung wurde vor allem in der sowjetischen Forschung durch D M I T B E V , A. D., ¿JBHJKEIME latrones KAU ocoöan $OPMA K j i a c c o B O f t öopböti B PHMCKOÖ HMnepHH. „VDI", 4 , 1 9 5 1 , S . 6 5 herausgearbeitet. Die Angriffe richteten sich vorwiegend gegen die Reichen und die Vertreter der römischen Staatsgewalt. Dig. I, 18,13, zit. bei OLIVA, P., Sbornik historicky. 1955, III, S. 48; s. ebenfalls D M I T B E V , A., „VDI", 4, 1951, S. 164. TERTULLIANUS, Apologeticum, II, 8, CSEL, 69, S. 6. „latronibus vestigandis per universas provincias militaris statio sortitur". DMITKEV, V D I , 4 , 1 9 5 1 , S . 6 9 .
afrikanischen Räuberbanden des 3. Jh. 8 6 nur schwer soziale Züge entdecken, so hat der in der Form von Räubern geführte Klassenkampf in Gallien in den Bagauden87 seine systematische Fortsetzung und Steigerung gefunden und ist somit zu einer große Gebiete umfassenden allgemeinen sozial-revolutionären Bewegung geworden. Die Circumcellionen des 4. Jh. treten allerdings unter anderem äußeren Vorzeichen, nämlich der extremen Askese und im Rahmen der sozial-religiösen Bewegungen auf, jedoch verknüpft sie zweifelsohne mit den „Räuberbanden" des 2. und 3. Jh. sowie auch den Bagauden in Gallien vor allem die gleiche soziale Zusammensetzung und der gemeinsame soziale Protest gegen die bestehenden Ausbeuter Verhältnisse. Zum besseren Verständnis der Bewegung der Circumcellionen erscheint es jedoch zunächst unumgänglich, etwas näher auf die Organisation der Kirche Nordafrikas im 3. Jh. und die ihr innewohnenden Widersprüche einzugehen.
IV. D I E Z W E I „ K I R C H E N " D E S 3. J A H R H U N D E R T S IN N O R D A F R I K A Einer Einschätzung T H . M O M M S E N S 8 8 zufolge stand die nordafrikanische Kirche schon früh an der Spitze aller Kirchen des Westens. Nicht Rom, sondern Karthago ist im Westen zunächst die eigentliche „Heimaterde des lateinischen Christentums"89 gewesen. Den großen Kirchenschriftstellern T E R T U L X J A N , C Y P R I A N , L A C T A N T I U S , ATTGTJSTIN U. a. verdankte Nordafrika sein Prestige in der lateinisch christlichen Bildung und der lateinischen Kirche. Den Anfängen des Christentums in Nordafrika auf die Spur zu kommen, erweist sich, wie üblich, als sehr schwierig. Die erste Erwähnung finden Christen in den Mär86
87
Nach CIL, VIII, 15 881 drangen eine größere Anzahl von Räubern in die Stadt Venera ein, richteten große Verwüstungen an und plünderten u. a. den Tempel der Stadt. Die Bewegung der Bagauden als konsequnte Fortsetzung der Räuberbanden unter MATERNUS vor allem ebenfalls von DMITREV, A. D., untersucht, in einer Studie: „flBHJKeHHe BarayflOß", VDI, 3—4,1940, S. 101 ff. Über die Bagauden ferner THOMPSON, E. A., Peasant Revolts in Late Roman Gaul and Spain. „Past and Present" II, 1952. Über weitere Literatur vgl. ENGELMANN, E., Zur Bewegung der Bagauden im Römischen Gallien. Vom Mittelalter zur Neuzeit, Festschrift H. Sproemberg, B e r l i n 1 9 5 6 , S . 3 7 3 f i . V g l . f e r n e r K O B S U N S K I J , A . P . , fl,BHWEHHE B a r a y ^ O B ,
„VDI",
4, 1957, S. 71—87. 88 MOMMSEN, TH., a. a. O., Bd V, Schluß: „In der Entwicklung des Christentums spielt Afrika gerade die erste Rolle. Wenn dasselbe in Syrien entstanden ist, so ist es in und durch Afrika Weltreligion geworden. In Afrika fand die werdende Kirche die eifrigsten Bekenner, die begabtesten Vertreter . . . Ein AUGUSTIN hat seines Gleichen nicht im übrigen Altertum . . . " •• HEILER, FB., Altkirchliche Autonomie und päpstlicher Zentralismus. München 1941, S.4.
21
afrikanischen Räuberbanden des 3. Jh. 8 6 nur schwer soziale Züge entdecken, so hat der in der Form von Räubern geführte Klassenkampf in Gallien in den Bagauden87 seine systematische Fortsetzung und Steigerung gefunden und ist somit zu einer große Gebiete umfassenden allgemeinen sozial-revolutionären Bewegung geworden. Die Circumcellionen des 4. Jh. treten allerdings unter anderem äußeren Vorzeichen, nämlich der extremen Askese und im Rahmen der sozial-religiösen Bewegungen auf, jedoch verknüpft sie zweifelsohne mit den „Räuberbanden" des 2. und 3. Jh. sowie auch den Bagauden in Gallien vor allem die gleiche soziale Zusammensetzung und der gemeinsame soziale Protest gegen die bestehenden Ausbeuter Verhältnisse. Zum besseren Verständnis der Bewegung der Circumcellionen erscheint es jedoch zunächst unumgänglich, etwas näher auf die Organisation der Kirche Nordafrikas im 3. Jh. und die ihr innewohnenden Widersprüche einzugehen.
IV. D I E Z W E I „ K I R C H E N " D E S 3. J A H R H U N D E R T S IN N O R D A F R I K A Einer Einschätzung T H . M O M M S E N S 8 8 zufolge stand die nordafrikanische Kirche schon früh an der Spitze aller Kirchen des Westens. Nicht Rom, sondern Karthago ist im Westen zunächst die eigentliche „Heimaterde des lateinischen Christentums"89 gewesen. Den großen Kirchenschriftstellern T E R T U L X J A N , C Y P R I A N , L A C T A N T I U S , ATTGTJSTIN U. a. verdankte Nordafrika sein Prestige in der lateinisch christlichen Bildung und der lateinischen Kirche. Den Anfängen des Christentums in Nordafrika auf die Spur zu kommen, erweist sich, wie üblich, als sehr schwierig. Die erste Erwähnung finden Christen in den Mär86
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Nach CIL, VIII, 15 881 drangen eine größere Anzahl von Räubern in die Stadt Venera ein, richteten große Verwüstungen an und plünderten u. a. den Tempel der Stadt. Die Bewegung der Bagauden als konsequnte Fortsetzung der Räuberbanden unter MATERNUS vor allem ebenfalls von DMITREV, A. D., untersucht, in einer Studie: „flBHJKeHHe BarayflOß", VDI, 3—4,1940, S. 101 ff. Über die Bagauden ferner THOMPSON, E. A., Peasant Revolts in Late Roman Gaul and Spain. „Past and Present" II, 1952. Über weitere Literatur vgl. ENGELMANN, E., Zur Bewegung der Bagauden im Römischen Gallien. Vom Mittelalter zur Neuzeit, Festschrift H. Sproemberg, B e r l i n 1 9 5 6 , S . 3 7 3 f i . V g l . f e r n e r K O B S U N S K I J , A . P . , fl,BHWEHHE B a r a y ^ O B ,
„VDI",
4, 1957, S. 71—87. 88 MOMMSEN, TH., a. a. O., Bd V, Schluß: „In der Entwicklung des Christentums spielt Afrika gerade die erste Rolle. Wenn dasselbe in Syrien entstanden ist, so ist es in und durch Afrika Weltreligion geworden. In Afrika fand die werdende Kirche die eifrigsten Bekenner, die begabtesten Vertreter . . . Ein AUGUSTIN hat seines Gleichen nicht im übrigen Altertum . . . " •• HEILER, FB., Altkirchliche Autonomie und päpstlicher Zentralismus. München 1941, S.4.
21
tyrerakten von 180 n. Chr.90, und wahrscheinlich war Rom der erste Vermittler christlichen Gedankenguts nach Afrika 91 . Stammten die ersten Mätryrer-Christen aus Numidien, so nennt T E R T U L L I A N um die Wende vom 2. zum 3. Jh. einige weitere Städte, in denen das Christentum Fuß gefaßt hat; Karthago, Hadrumetum, Utica, Lambaesis und Thysdrus, alles bedeutende römische Handels- und Verwaltungszentren92. Zur Zeit CYPBIANS, also ca. 5 0 Jahre später, stellte die christliche Kirche Nordafrikas schon eine nicht mehr zu unterschätzende Macht dar 93 und sollte jetzt im 3. Jh. entscheidend ihre Basis nunmehr in der einheimischen Landbevölkerung verbreitern können. Auf die Frage nach den Ursachen des Übertritts breiter Massen der einheimischen Bevölkerung zum Christentum vermögen nur sozial-ökonomische Faktoren eine begründete Antwort zu geben 94 . Wurden die früheren nordafrikanischen Christen noch vorwiegend von jüdischen Kaufleuten, Angehörigen der gebildeten römischen Oberschicht sowie auch den plebejischen Schichten in den wichtigsten Handelsstädten gebildet, so brachte das 3. Jh. darin eine bedeutsame Wandlung. Gerade dieses Jahrhundert war erfüllt von einem direkten und indirekten Kampf der einheimischen Bevölkerung gegen eine weiter fortschreitende Romanisierung95, in deren Gefolge viele ehemals freie Stammesangehörige in das abhängige Kolonat auf den großen Domänen sanken. Mit der Annahme des Christentums — das zu dieser Zeit vom römischen Staat noch offen verfolgt 90
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93 91
95
Die Annahme von S C H W A R Z E , A., Untersuchungen über die äußere Entwicklung der afrikanischen Kirche. Göttingen 1892, S. 31, daß die Gebiete bereits in der 2. Hälfte des 1. Jh. mit dem Christentum in Berührung kamen, ist nicht bewiesen. Über die Frage der Anfänge und Ausbreitung des Christentums in Nordafrika s. H A R N A C K , A. v., Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten 3 . Jahrhunderten. Leipzig 1924, Bd II, S. 891 ff; L I E T Z M A N N , H., Geschichte der Alten Kirche. 2. Aufl. Berlin 1953, Bd II, S. 220. Dagegen sieht L A T O U R E T T E , K. S., A History of the Expansion of Christianity. London 1938, vol. I, S. 92 das Christentum eventuell vom Osten durch Handelsbeziehungen mit den Juden vermittelt. H A B N A C K , A. v., Mission, a. a. O., S . 892f. S C H W A R Z E , A., Reallexikon für Protestantische Theologie. XIV, 160. v. H A R N A C K , A., Mission. S . 894ff. Der wirklich beste Kenner nordafrikanischer Kirchengeschichte, F R E N D , W. H. C., hat in seinem Buch: The Donatist Church. A Movement of Protest in Roman North Africa. Oxford 1952, die Wurzeln des Donatismus in den christlichen Gemeinden des 3. J h . nachgewiesen und dabei auch in einem Kapitel die sozial-ökonomischen Voraussetzungen der „Bekehrung" der einheimischen Bevölkerung untersucht. (Kap. VIII, S. 94ff.) Den begründeten Ansichten Frends zu dieser Frage wird, wenn auch mit kleinen Einschränkungen — wie wir noch sehen werden —, gefolgt werden können. Über die religiösen Voraussetzungen, vor allem den Charakter des synkretistischen Saturnkults und Caelestiskults vgl. neben TOTJTAIN, J., Les cultes paiens dans l'Empire romaine. Paris 1920,1, 3, S. 96—113 die neueste Arbeit von Charles-Picard, G., Les religions de l'Afrique antique. Paris 1954, Kap. V, S. lOOff. F R E N D , W. H. C., The Donatist Church, a. a. O., S. 104f.
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wurde — dokumentierte die einheimische Landbevölkerung ihre Antipathie und ihren Unabhängigkeitswillen gegenüber dem römischen Staat und seiner Unterdrückung. Der Sieg des Christentums erklärt sich nicht zuletzt durch die Volksmission und die Gewinnung der unteren Schichten der Provinzialbevölkerung. Jedoch bereits im 3. Jh. stellte die christliche Kirche keine Einheit mehr dar. Getragen von klassenmäßigen Divergenzen sowie dem verstärkten Widerstand der unterdrückten Provinzialbevölkerung gegen die römische Herrschaft erfuhr das Christentum in dem Moment, wo sich die entstehende hierarchische Kirche an den römischen Staat und damit auch an die lateinisch-griechische Kulturform anschloß, konträre Auslegungen, die vor allem in der Praxis einen tiefen Spalt aufrissen96. Dies mußte bald zu einem großen Konflikt der herrschenden Kreise der hierarchischen, römisch beeinflußten katholischen Kirche mit den sich formierenden, vorwiegend von den unteren Schichten der Provinzialbevölkerung getragenen „Volkskirchen" führen. Auf dieser Basis sind also schließlich religiöse Bewegungen in Kleinasien, Syrien, Ägypten und auch in Nordafrika zu erklären, die mit der erneuten Betonung der Volkssprache und anderer alter Kultureinrichtungen ihren „nationalen" Widerstand gegen die römische Unterdrückung bekunden. So versuchten also einmal die hierarchisch wohlhabenden Kreise, die immer mehr eine Anlehnung an den römischen Staat erstrebten und daher den Verfolgungen mit einer opportunistischen Haltung begegneten, das Christentum ihren Interessen gemäß umzugestalten. Die Anerkennung des Christentums durch K O N S T A N T I N und der Aufstieg zur römischen Staatskirche erfolgte in dieser Beziehung nicht unvorbereitet. Im scharfen Protest dazu stand die Kirche des Heiligen Geistes, die unter ständiger Anlehnung an das Urchristentum offene Feindschaft gegen Rom und damit auch gegen die bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse hegte. Die einheimische unterdrückte berberische Bevölkerung bekannte sich auf Grund ihrer ökonomischen und sozialen Unzufriedenheit mit der bestehenden römischen Herrschaft zu der asketischen, eschatologischen Auslegung des Christentums, die sich gegen die eingetretene hierarchische Entwicklung innerhalb der Kirche im 3. Jh. wandte und das prophetische Wort Christi zu neuem Leben zu erwecken suchte 9V. Mag auch die Frage, inwieweit dem 96
97
3
Das Wesen des Donatismus. insbesondere aber der Bewegung der Circumcellionen kann nur aus dieser ideologischen und praktischen Spaltung der Kirche Nordafrikas abgeleitet werden. „The final breach over the question of Caecilian's election to the see of Carthago must be judged not as an isolated event but as the outcome of divisions in the African Church inherent since its foundation" (ebd., S. 112). Fremd standen diese asketischen, oft mystisch ausgerichteten Kreise allem philosophischen Gedankengut gegenüber, wie es von den gebildeten Schichten der christlichen Kirche aufgesaugt wurde, und sie suchten sich ausschließlich auf die Bibel zu stützen. B ü t t n e r / W e r n e r , Circumcellionen und A d a m i t e r
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Urchristentum bei aller nahen Verbindung mit den untersten Schichten eine sozialreformerische oder gar Sozialrevolutionäre Tendenz eigen war, zu Recht weiterhin umstritten sein98), so sind die seit dem 3. Jh. erneut betonten urchristlichen Vorstellungen jetzt von einem starken sozialen Inhalt erfüllt und zielen auf oftmals revolutionäre Maßnahmen in der Praxis hin. Der in den Verfolgungen des 3. Jh. offen zutagetretende Verrat der wohlhabenden, hierarchischen, christlichen Schichten half die asketische, besonders kämpferische Front innerhalb der Gemeinden formieren. Die somit den Kern der Gemeinden bildenden Asketen trugen hinsichtlich ihrer ganzen Lebenshaltung bereits ein auf das Mönchstum hinweisendes Gepräge: „Vielfältige Enthaltsamkeit in geschlechtlicher Hinsicht, viel Fasten, Beschränkung auf das Notwendigste an Speise und Trank, Kleidung und vermutlich auch Wohnung, stete Richtung des Geistes auf himmlische Dinge in Gebet und Betrachtung, dazu stete Bereitschaft zum Martyrium . . ."". Die asketische Richtung innerhalb der nordafrikanischen Kirche wird schon früh besonders durch ein außerordentlich starkes Martyrium gekennzeichnet. Die Märtyrergeschichte beginnt mit dem sagenhaften von A U G U S T I N erwähnten ,,archimartyr NAMPHAMO100 und seinen Leidensgenossen. Zur gleichen Zeit, etwa im Jahre 180 n. Chr., erlitten Christen von Scilium den Tod. Das hierüber Auskunft erteilende Protokoll berichtet von den Versuchen des Prokonsuls S A T U R I N U S , die Christen namens S P E R A T U S , N A R T Z A L U S , C I T T I N U S , 98
J e s u s v e r k ü n d e t e z u m i n d e s t keinen P l a n , n a c h d e m die Gesellschaft neu u n d besser geordnet werden könne, u n d die f r ü h e katholische K i r c h e vertröstetse b a l d i m m e r m e h r auf die Belohnung im Jenseits, s. LEIPOLBT, J . , Der soziale G e d a n k e in d e r altchristlichen K i r c h e . Leipzig 1952, S. 98. 192; BULTMANH, R-, D a s U r c h r i s t e n t u m i m R a h m e n d e r a n t i k e n Religionen. Z ü r i c h - S t u t t g a r t 1949, S. 225. K E H N S C H E B P E R , G., b e t o n t allerdings richtig in b e w u ß t e r T r e n n u n g von jenen Kreisen, die a u c h h e u t e noch das C h r i s t e n t u m als ein wichtiges Mittel zu Sicherung ihrer H e r r s c h a f t m i ß b r a u c h e n , d a ß m a n der f r ü h e r e n F o r s c h u n g nicht die B e h a u p t u n g a b n e h m e n k a n n , J e s u s h ä t t e die sozialen N ö t e seiner Zeit nicht gesehen (a. a. O., S. 58). A u c h wird m a n seiner R e i c h - G o t t e s - B o t s c h a f t einen gewissen sozial-revolutionären C h a r a k t e r n i c h t absprechen k ö n n e n (S. 77).
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HEUSSI, K . , D e r U r s p r u n g des M ö n c h t u m s . T ü b i n g e n 1936, S. 39. Vergleichend dazu ü b e r E U S E B I U S v o n E M E S A u n d das M a r t y r i u m u n d die J u n g f r ä u l i c h k e i t in d e r ersten H ä l f t e des 4. J h . DE MENDIETA, D. A., „ R e v u e d'histoire ecclesiastique", 50, 4, 1955, S. 7 7 7 S .
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Aug. E p . 16, 2, C S E L , 34, 1, S. 38. W e n n BAXTER, J . H . , T h e M a r t y r s of M a d a u r a . „ J o u r n a l of Theological S t u d i e s " , Oct. 1924 schlußfolgert, d a ß „ t h e close simil a r i t y b e t w e e n M a x i m u s ' language a n d t h a t of O P T A T U S a n d A U G U S T I N leaves i t almost indisputable, t h a t M I G G I N , S A N A M E , N A M P H A M O a n d L U C I T A S were circumcelliöns" (S. 31), so ist dies wohl n u r h y p o t h e t i s c h zu werten, v e r m a g a b e r ü b e r eine gewisse I d e n t i t ä t d e r Z e n t r e n d e r gesteigerten M ä r t y r e r b e w e g u n g im 2. u n d 3. J h . u n d des Wirkungsbereiches d e r Circumcellionen i m 4. J h . Aufschluß zu geben.
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und V E S T I A 1 0 1 zum Abschwören zu bringen. Bei aller Wahrscheinlichkeit, daß auch in Nordafrika, insbesondere in den Küstenstädten, die frühen Märtyrer vor allem aus jüdischen, von messianischen Hoffnungen erfüllten Gemeinschaften 102 hervorgingen, weisen doch die Namen der ersten Märtyrer aus Madaura und Scilium auf die eigentlichen Träger der gesteigerten Märtyrerbewegung im 3. Jh. hin: die einheimischen unteren Klassen in Stadt und Land. Davon legen Gräberfunde aus Thamugadi und Hadrumetum, wo viele Tausende von Märtyrern aus dem 3. Jh. begraben sind, Zeugnis ab, die wie die Gräber der Ärmsten in heidnischer Zeit keine Namen tragen 103 . Eine wahrscheinlich von T E R T U L L I A N selbst verfaßte Märtyrerakte 104 berichtet, wie die Herrin P E R P E T U A und ihre Sklavin F E L I C I T A S sowie weitere Mitkatechumenen von wilden Tieren zerrissen wurden. Lassen die uns überlieferten Beispiele fanatischen Martyriums aus der Zeit T E R T U L L I A N S wie auch C Y P R I A N S allerdings nur bedingt Rückschlüsse auf die vorwiegende Beteiligung ärmerer Schichten zu, so liegt dies allerdings bei den Märtyrern von Abitina 105 während der Diokletianischen Verfolgung offen zutage. Im Gegensatz zu ihrem Bischof, der rasch ein „traditor" wurde, verharrte ein großer Teil der Gemeinde unter Führung des Presbyters S A T U R N I N U S bei dem christlichen Glauben. Unter den bald darauf Verhafteten, die dem Prokonsul A N U L I N U S in Karthago vorgeführt wurden, befand sich nur ein Kurialer und eine Frau aus höheren Kreisen, wogegen sich alle übrigen aus niederen Klassen 106 , z. B. Handwerkern und anderen, rekrutierten. Ergänzt wird die Tatsache, daß die unteren Schichten vorwiegend das Martyrium als eine Gelegenheit gegen die Mächte des Teufels, d. h. gegen den römischen Staat 1 0 7 zu kämpfen betrachteten, durch Äußerungen 108 A U G U S T I N S , der in „Breviculus collationis", I I I , 13, 25 auf Beispiele freiDONATA, SECUNDA
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KNOPF, R.-KRÜGER, G., Ausgewählte Märtyrerakten. Tübingen 1929, 3. Aufl. S. 28f. Übersetzungen: „Die Märtyrerakten des 2. Jh. eingeleitet und übersetzt v o n R A H N E R , H . , Z e u g e n d e s W o r t e s . 3 2 , F r e i b u r g 1 9 4 1 , S . 1 2 . PRETJSS, H . , A U S
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den Märtyrerakten der alten Kirche. Gladbeck 1951. S. 19/20. FREUD, W. H. C., The Gnostic Sects and the Roman Empire. „Journal of Ecclesiastical History", V, 1, 1954, S. 27. Art. „Hadrumetum" v. LECLERCQ, D. H., Dictionnaire d'arch. ehret., VI, 2, e. 1981-2010. KNOPF, R.-KRÜGER,
G . , a. a. O.,
S. 35—44, e i n e u m f a s s e n d e
Literaturzusammen-
stellung bis 1939 geben VILLER, M.-RAHNBR, H., Aszese und Mystik in der Väterzeit, ein Abriß. Freiburg/Br. 1939. Acta Saturnini, Migne, P L 8, col. 690fl. Ebd. col. 7 0 5 - 7 0 7 . So lehnten die Märtyrer von Abitina jegliche Einmischung der politischen Gewalt in das religiöse Leben ab, s. BTJONAIUTI, E , Geschichte des Christentums. I , ü b e r s , v . MARCUS, H . , B e r n 1 9 4 8 , S . 2 1 4 .
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CSEL, 53, S. 74. Das Wesen des gesteigerten Martyriums dabei gut v o n DMITREV, A. D., „VDI", 3, 1948, erkannt, der folgende Einschätzung gibt: I n der Zeit, als die Bischöfe und die reichen Christen sich v o m Glauben lossagten, war die Masse der Christen religiös gereizt. Neue Führer traten auf, die aus dem Volke kamen. Unter der Losung des Märtyrertums zogen diese die Massen mit sich.
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willigen Märtyriums hinweist und uns gleichzeitig auch die Herkunft einiger Märtyrer andeutet: Es waren oftmals fiskalisch Notleidende und Schuldner. Den Vorstellungen der Märtyrer lag hierbei eine sich innerhalb der Gemeinden des 3. Jh. ausbildenden „Lohn"skala 109 zugrunde. Distanzierten sich bereits die Asketen von den übrigen Bekennern und standen über den Klerikern 110 , so nahmen die Märtyrer den höchsten Ehrenplatz unter den Asketen ein und empfingen somit auch im Jenseits die „prima merces". Den Märtyrern öffnen sich durch ihr Blut sofort die Tore zum Himmel und Paradies, wo sie herrlichen Zeiten entgegengehen111. Der übertriebene Märtyrerdrang kann jedoch nur unter dem Blickpunkt starker eschatologischer Vorstellungen, die in der nordafrikanischen Kirche auf besonders fruchtbaren Boden fielen, voll und ganz verständlich werden. Es entsprang keineswegs dem Zufall, daß der Montanismus auch in Nordafrika Fuß fassen konnte und daß T E B T U L L I A N und L A C T A N T I X J S hier ihre Werke verfaßten. Auf dem Boden der schon früh ausgebildeten streng asketischen Front, getragen von den einheimischen unteren Schichten, konnte eine starke antiimperiale Eschatologie gut gedeihen. Eng verbunden mit dem Gedanken des baldigen Untergangs des römischen Reiches ist vor allem die Erwartung auf das Gericht Gottes, das die Märtyrer als Lohn für ihre Leiden und Mühen an der Seite Christi abhalten werden112. Diese Konzeption des Teilhabens der Märtyrer am Weltgericht ließ allen Hoffnungen auf Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten, ja sozialrevolutionärer Umgestaltung der bisherigen BesitzVerhältnisse113 freien Spielraum und wurde von der unterdrückten Bevölkerung begierig aufgesogen114. 109
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Dies geht aus einer von REITZENSTEIN, R., bearbeiteten Predigt hervor: Eine frühchristliche Schrift von den dreierlei Früchten des christlichen Lebens. „Zeitschr. f. neutestamentl. Wissensch.," 15, 1914, S. 60ff. Danach gebührt dem Märtyrer die „prima merces", dem Asketen die „secunda merces" usw., eine Anschauung, die auch CYPRIAN ,,De habitu virginum" 21, CSEL 3, 1, S. 201 f. teilt: „primus cum centeno martyrum fructus est, secundus sexagenarius vester est, ut apud martyras non est carnis et saeculi cogitatio nec parva et levis et delicata congressio, sie et in vobis, quarum ad gratiam merces secunda est, sit et virtus ad tolerantiam proxima". Die Asketen und Märtyrer bilden bald innerhalb der Gemeinden einen eigenen antihierarchischen Stand und nennen sich „agonistae" = Krieger Gottes. Nicht ohne Grund knüpfen dann im 4. Jh. unsere vom Gegner so verächtlich bezeichneten Circumcellionen durch die eigene Wahl des Namens „Agonisten" an die asketischen Traditionen des 3. Jh. an. Der Lehrer der PERPETUA, SATURUS, wünscht, allen Tieren vorgeworfen zu werden, damit er eine um so herrlichere Krone erlange, s. PREUSS, H., a. a. O., S. 24. Siehe HOLL, K., Die Vorstellung vom Märtyrer und die Martyrerakte in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1928, II, 86. Vor allem LACTANTIUS, Divinae Institutiones, VII, 24, CSEL, 19, 1, S. 659f. verkündet das Ende der Welt und das Kommen des Reiches des Messias. Allerdings sah für ihn der Ausgleich der bisherigen sozialen Ungerechtigkeiten so aus, daß er in völlig utopischer Weise das messianische Reich als ein Land, wo der „Honig von dem Felsen triefen" und wo in den „Bächen Wein und in den Flüssen Milch fließen
In diesem Zusammenhang kann nicht die Frage umgangen werden, in wieweit dieses gesteigerte Märtyrertum in Nordafrika, einschließlich der Selbstmordbewegung der Circumcellionen, nur Ausdruck der Verschmelzung mit alten, heidnischen Kulten, insbesondere aber Ausdruck des Wiederauflebens der alten Opferkulte ist. Ohne Zweifel haben sich heidnische Bräuche vor allem im Märtyrerkult breitgemacht. Die Gedächtnistage der Märtyrer nahmen den Charakter großer Volksfeste an 115 , bei denen man die alten liebgewordenen heidnischen Tänze und Gesänge pflegte. Begleitet wurden diese Feste von heidnischen Totenopfern und -gelagen116. Der Märtyrer trat mit seiner, ihm nun zugeschriebenen Wunderkraft in der Vorstellung der einheimischen Bevölkerung vielfach an die Stelle alter Gottheiten117, und der ganze Märtyrerkult unterlag bald einer Barbari sierung118. So fand z. B. der alte Totenkult bei der Märtyrerverehrung vollste Resonanz. Auch in der bäuerlichen koptischen Kirche lassen sich ähnliche Er-
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wird", schildert. Alles ist dort in üppiger Fülle vorhanden, und zwar — und das ist bedeutsam — ohne menschliche Arbeit. Auch in den Circumcellionen wirkt die chiliastische E n d e r w a r t u n g weiter fort, allerdings greifen diese zur Vorbereitung der umwälzenden Ereignisse bereits aktiv in die sozialen K ä m p f e der Zeit ein u n d dürften wohl auch von den Sozialrevolutionären Maßnahmen im R a h m e n des Weltgerichts klarere Vorstellungen gehabt haben, wobei sie wahrscheinlich auf die ursprüngliche Botschaft Jesu zurückgingen. Der Ruf Jesu 'Wehe'euch Reichen' wurde sehr bald der sich herausbildenden besitzenden Kirche anstößig, u n d die „kirchliche" Milleniumserwartung ergoß sich schließlich in sinnesfreudigen paradiesischen Schilderungen bzw. wurde endgültig n u r noch ins Jenseits verlagert; vgl. K E H N SCHERPER, G., a. a. O., S. 138f. Die hierarchische Kirche h a t die Eschatologie in den folgenden J a h r h u n d e r t e n nicht preisgegeben, jedoch wurde das erwartete E n d e der Welt in unbestimmte Zeit hinausgeschoben, s. neuerdings BULTMANN, R., Geschichte und Eschatologie, Tübingen 1958, S. 58/59. Die Arbeit von PETRY, R . C., Christian eschatology and social thought. A historical essay on t h e social implications of some selected aspects in Christian eschatology t o A. D. 1500. Nashville 1956, konnte noch nicht eingesehen werden. Vgl. hierzu die Besprechung von MCNEILL, J . T., „American History Review", 1956/57, 62, 1, S. 115/116.
IIS VGL. ZELLINGER, J., Augustin und die Volksfrömmigkeit. München 1933, S. 50ff., S . 7 0 ; ferner J U L I E N , C H . A., a. a. O . , S. 1 2 4 . Zu den heidnischen Gebräuchen KÖTTING, B., Peregrinatio Religiosa, Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche. Münster 1950, S. 264; METZGER, G., Die Kirche Afrikas u m die Wende des 4. und 5. J h . nach dem augustinischen Briefkorpus. Tübingen 1934, S. 61 ff. 116 A U G U S T I N versuchte ja bekanntlich durch eine R e f o r m diese Bewegung zu stoppen, Q U A S T E N , J . , Die Reform des Märtyrerkults durch Augustinus, „Theologie und Glaube. Zeitschrift f ü r den katholischen Klerus", 25, 3, 1933, S. 325ff. 117
HOLL, K . , a . a . O . , S. 92.
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DORNSEIFF, F., Der Märtyrer, N a m e und Bewertung. Archiv f ü r Religionswissenschaft, X X I I , 1923/24, S. 151; vgl. auch L I E T Z M A N N , H . , a . a . O . , I I , S. 114f; D E L E H A Y E , H . , Les origines du culte des martyrs. 2 . Aufl., Brüssel 1933, S. LOOFF.
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scheinungen beobachten, wo Züge der alten ägyptischen Todesvorstellung 119 eindrangen. Die starke Neigung breiter christlicher Kreise zum Martyrium, zur Askese und Eschatologie aber allein aus der Weiterführung heidnischer Kultsitten oder aus dem Volkscharakter 120 zu erklären, heißt den starken sozialen Inhalt der Bewegung vollständig vernachlässigen. Hinter all diesen Formen asketisch-fanatischen Christentums verbarg sich dagegen eine starke Anklage der unteren christlichen Schichten gegen die hierarchische Kirche und damit gegen die bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die theoretische Widerspiegelung dieser Gespaltenheit der christlichen Gemeinden kann uns eine kleine Abschweifung zu den Schriften T E R T U L L I A N S und C Y P R I A N S bieten. T E R T U L L I A N und seine Lehren standen in einem gewissen Zusammenhang mit dem Donatismus und dessen strengster ideologischer Observanz, dem Circumcellionentum. Er verkörperte bereits um 200 n. Chr. 121 die asketische, enthusiastische und auf urchristlichen Vorstellungen beruhende Richtung innerhalb der nordafrikanischen Kirche und geriet in einen scharfen Gegenastz zu der sich formierenden hierarchischen Kirche. Dabei wird T E R T T J L L I A N S „katholischer" sowie „montanistischer" Kirchenbegriff durch keine bedeutsamen Abweichungen geprägt 122 , entsprang er doch einer Wurzel. Im Gegensatz zu der Kennzeichnung der Kirche als einer hierarchischen Heilanstalt wird sie in den Augen Tertullians allein von der Gemeinschaft der Heiligen 123 , Pneumatiker, getragen, die sich durch einen besonders asketischen Lebenswandel auszeichnen. Zwar vermag T E R T U L L I A N sich einer Anerkennung der einmal vorhandenen Bischöfe, Presbyter und Diakone nicht zu entziehen, aber sie sind für ihn weder Mittler des Heils noch mit richterlicher, pneumatischer Vollmacht 124 ausgestattete Stellvertreter Gottes. Eine Vergebung der Sünden ob-
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Auch die Mumifizierung wird wieder ausgeübt, s. SCHNEIDER, C., Geistesgeschiehta des antiken Christentums. München 1954, Bd. I, S. 625ff. Siehe SCHNEIDER, C., Afrika. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Stuttgart 1950, Bd I, Sp. 178: „Die unleugbare Disposition zu visionären und ekstatischen Zuständen mag im Volkscharakter begründet sein". Diese unzulängliche Methode zeigt auch noch — wie wir sehen werden — in der neueren TERTULLIAN-Forschung ihre Auswirkungen. Siehe ADAM, K., Der Kirchenbegriff Tertullians. Forschungen zur christlichen Lit.- und Dogmengeschichte, VI, 4, Paderborn 1907, S. 133. Das hat ADAM, K., a. a. 0 . , nachzuweisen versucht. Diese These ist allerdings von ALTENDORF., E. Einheit und Heiligkeit der Kirche. Berlin, Leipzig 1932, S. 11 ff. angegriffen worden. FREND, W. H. C., The Donatist Church . . ., a. a. O., S. 119. TERTULLIAN, De pudicitia, c. 21, „Opera omnia", ed F. Oehler, Leipzig 1854, S. 489 f.
liegt gleichfalls nicht der Kirche, sondern allein Gott, und die Kirche kann lediglich Fürbitte leisten125. Die vor allem in seiner Epoche gesteigerte Betonung der wahren Kirche als eine Gemeinde der Heiligen, der Reinen, führte konsequent zu der Forderung des Ausschlusses schwerer Sünder aus der Kirche126 und der völligen Reinheit der Sakramente. Hierin, sowie in der bereits bei Tertullian auftauchenden Forderung der Wiedertaufe von Ketzern und nicht zuletzt in der gesteigerten Hochschätzung des Martyriums lagen wichtige Ansatzpunkte für die donatistische Bewegung. Grundbedingung für die Teilnahme an der Gemeinschaft der Reinen war ein asketischer Lebenswandel, der vor allem in der Ehelosigkeit127, zumindest aber in einer Ablehnung der 2. Ehe 128 offenbar wird. Die höchste Form der Askese stellt das Martyrium dar. Dazu muß ein wahrer Christ zu jeder Zeit bereit sein129. Bereits anläßlich der 203 in den Kerkern von Karthago schmachtenden Märtyrer verfaßte T E R T U L L I A N eine Trostschrift „Ad martyras". Indem er im Kapitel 4 130 eine Reihe von Selbstmorden antiker Philosophen und Persönlichkeiten, die nur um der menschlichen Ehre und des Ruhmes willen getan wurden, anführt, knüpft er die Ermahnung an, sein Leben auf jeden Fall dem Martyrium zu weihen und, wenn nötig, dieses selbst zu 125 126 127
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Ebd. TERTULLIAN, De pudicitia, o. 18, ed. Oehler, S. 482f. Bereits in frühen Schriften „ D e cultu f e m i n a r u m " , I I , c. 9 (CSEL, 70, S. 86f.) und im „Apologeticum", 9 , 1 9 (CSEL, 6 9 , S. 2 7 ) r ü h m t T E R T U L L I A N Christen, d i j bis ans Grab keusch geblieben sind und sich oft einer Einschränkung der N a h r u n g unterwarfen. Innerhalb der Gemeinden bildete sich ein eigener privilegierter S t a n d der J u n g f r a u e n heraus. I n „De exhortatione castitatis", c. X I , CSEL, 70, S. 146f. erwähnt der montanistische T E R T U L L I A N löblich einen Priester, der von eingattigen Witwen umgeben ist; ebd., c. V I I I , CSEL, 70, S. 140 wird die 2. E h e zwar f ü r erlaubt, aber nicht f ü r nützlich erklärt. Die Grundtendenz erfährt jedoch keine Änderung. Auch die erste E h e ist faktisch eine Hurerei, und das Beste ist es f ü r jeden Christen, kein Weib zu berühren (c. I X , X, CSEL, 70, S. 142ff.). Diese Ansichten werden in „ D e monogamia", (s. ALTANER, B., Patrologie, 5. völlig neu bearbeitete Auflage, Freiburg 1958, S. 139), noch schärfer herausgearbeitet. I n „Scorpiace", einer Schrift, die in den Zyklus der antignostischen Arbeiten gehört und die wahrscheinlich 213 entstanden ist (s. ALTANER, . . . , a. a. O., S. 128), verteidigt T E R T U L L I A N den sittlichen Wert des Martyriums, c. I X , CSEL, 2 0 , 1 , S. 163ff. Auch in der noch aus seiner katholischen Zeit stammenden polemischen Schrift „De spectaculis" vor allem c. I, CSEL, 20, S. 1 f. versucht er als das höchste Ideal eines Christen das Martyrium zu kennzeichnen; vgl. auch „ D e fuga in persecutione", c. I X , ed. Oehler, S. 258, wo die Flucht vor der Verfolgung als gotteswidrig angesehen wird und allein der Tod einen Lohn bringt. Oehler, S. 4ff. (Die bei Altaner zitierte Ausgabe 'Euchiridion asceticum', coli. R o u e t de Journel et Dutilleul, 2. Aufl. 1947, S. 40f. stand mir leider nicht zur Verfügung). Zur Chronologie der Schriften T E R T U L L I A N S ist zu betonen, daß „ A d m a r t y r a s " zeitlich noch vor das Apologeticum gesetzt wird; s. BECKER, C., Tertullians Apologeticum, Werden und Leistung. München 1954, S. 350.
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suchen131, ein Moment, das in den Selbstmordaktionen der Circumcellionen nicht zufällig wieder auftaucht. Die schon frühzeitige Ausrichtung T E R T U L L I A N S auf das enthusiastische Christentum ließ ihn auch die montanistische Lehre mit besonderem Eifer ergreifen132. Der in Phrygien entstandene Montanismus und dessen Ausbreitung vor allem in Nordafrika133 weisen eine innere Beziehung zueinander auf. Der Montanismus kann gleichsam nur — allerdings als eine extreme Steigerung der bekannten asketisch-enthusiastischen Richtung des Christentums — aus der gesteigerten asketischen Grundstimmung gegenüber der weiteren Verweltlichung der sich ausbildenden hierarchischen Kirche verstanden werden und barg den starken antiimperialen Protest der einheimischen Bevölkerung in sich134. Genauso wie in Nordafrika nahmen die einheimischen unterdrückten Schichten Kleinasiens die besonders rigoristische Form des Christentums an 135 . 131
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T E R T U L L I A N war hierbei schon von starken chiliastischen Hoffnungen erfüllt, vgl. auch B U O N A I U T I . . ., a. a. 0 . , S. 1 4 7 . EHRHARD, A., Die Kirche der Märtyrer. München 1932 stellt S. 247 heraus, d a ß T E R T U L L I A N sich wohl zunächst der Hoffnung hingegeben habe, die neue Prophetie in der Kirchgemeinde zur Anerkennung zu bringen. Daher erklärt sich wohl sein erst 207 n. Chr. vollzogener Übertritt. Vgl. BONWETSCH, N., Geschichte des Montanismus. Erlangen 1881, S. 139, 17711; BERTON, J . , Tertullien le Schismatique. Paris 1928; DE LABRIOLLE, T., La crise montaniste. Paris 1913; S C H E P E L E R N , W . , Der Montanismus und die Phrygischen Kulte. Tübingen 1929; ALAND, K., Der Montanismus und die kleinasiatische Theologie „Zeitschrift f ü r Neutestamentliche Wissenschaft u n d die K u n d e der älteren Geschichte", 46, H . 1 - 2 , 1955, S. 111; E H R H A R D , A . , a . a . O . , S. 249 ff.; A D A M , K., a. a. 0 . , S. 138ff. KRAFT, H., Die altkirchliche Prophetie und die Entstehung des Montanismus „Theol. Lit.-Zeitung", 11, 4, Basel 1955, Schluß S. 268ff. Diesen asketisch-rigoristischen Strömungen lag jedoch trotz vieler äußerer Gemeinsamkeiten im praktischen Handeln keine von der orthodoxen Kirche abweichende theoretische Grundhaltung zugrunde, im Gegenteil waren ihre Prinzipien im K a m p f gegen die Gnosis f ü r die katholische Kirche eine wertvolle Waffe. (So m u ß JONAS, H., Hinweis in „Gnosis und spätantiker Geist", T. I, „Die mythologische Gnosis", Göttingen 1954, 2. Aufl., S. 8, daß auch der Montanismus in die mythologische, orientalische Gnosisgruppe fällt, ohne Anhaltspunkt bleiben.) Eine Verbindung der asketischen Richtungen, einschließlich unserer Circumcellionen, m i t gnostischen und später manichäischen Sekten in Nordafrika erscheint auch v o n der unterschiedlichen sozialen Basis aus betrachtet ohne realen historischen Hintergrund, da die gnostische Konzeption in diesen J a h r h u n d e r t e n in Nordafrika wohl vorwiegend nur auf die gebildeten, wohlhabenden Kreise beschränkt blieb (vgl. FREND, W . ' H . , The Gnostic-Manichaean Tradition in R o m a n N o r t h Afrika. „ J o u r nal of Eccles. History", 4,1953, S. 18) und keine Massenbasis bei den unteren Schichten, wie wir es z. B. bei den Bogomilen und mittelalterlichen neumanichäischen Sekten haben, und dementsprechend auch keine andere Ausprägung fand.
136 j n p h r y g i e n werden die Zentren des heidnischen Gottes „Men" jetzt vorwiegend vom Montanismus ergriffen, s. SCHEPELERN, W., a. a. O., S. 101 ff. Die Einschätzung des Montanismus und Donatismus v o n K N O X , R . A., Enthusiasm. A Chapter in t h e History of Religion. Oxford 1930 muß zwar einer gewissen Kritik unterzogen werden,
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Das Vorhandensein der gleichen sozialen Basis und Zielsetzung bedingte auch das leichte Eindringen montanistischen und schließlich novatianischen Gedankengutes in Nordafrika. Daher können alle Versuche, z. B. T E R T U L L I A N oder den montanistischen Rigorismus aus dem religiösen heidnischen Enthusiasmus oder dem einheimischen Blüterbe 136 zu erklären, zu keinem Verständnis der starken sozialen Hintergründe führen. Allerdings geben die Quellen über den Montanismus in Nordafrika nach TERnur spärlich Auskunft. Wahrscheinlich führt die in Phrygien ausgebildete Bewegung in Nordafrika direkt in den Novatianismus zur Zeit Cyprians — wie wir sehen werden — und den Chiliasmus eines LACTANTIUS hinüber, um dann in der donatistischen Kirche und nicht zuletzt in den Circumcellionen die höchste Entwicklung zu finden. TULLIAN
Trotz oftmals anderer Grundkonzeption verbindet doch auch C Y P R I A N mit eine gewisse auf urchristlichen Forderungen beruhende enthusiastische Auffassung des Christentums 137 . TERTULLIAN
Für Cyprian bilden die Asketen und der Stand der Jungfrauen 1 3 8 ebenfalls den erlauchten Teil der Gemeinde, die unter den vielen Sündern und Gefallenen als Büßer in den christlichen Gemeinden weilen und unerschütterlich die wahre Kirche aufrechterhalten 139 . Hart und steil ist allerdings der Weg, der zur Herrlichkeit leitet — mahnt C Y P R I A N die Asketen — und meidet die bequemen Straßen 140 , aber Gottes Lohn und Gnade 141 ist euch im Himmel gewiß. Als Verfechter der unbedingten Reinheit des asketischen Standes gibt es für ihn bei sittlichen Verfehlungen 142 von Jungfrauen und Asketen nur den sofortigen Ausschluß aus der Kirche, sofern diese in ihren Sünden verharren und nicht Buße tun 1 4 3 .
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138 139 140 141 142 14s
ist aber im Hinblick auf die Herausarbeitung der das Wesen beider Bewegungen betrefienden^gemeinsamen Züge ohne Zweifel sehr anregend (vor allem S. 34ff, und S. 50ff.) RÖLLI, A., Des Quintus Septimius Florens TERTULLIANUS' Stellung zum Römischen Staat. Diss. Tübingen, 1944 sucht die Ursachen für Tertullians Einstellung in dem berberischen Bluterbe, und auch für JULIEN, CH. a. a. O., S. 188 bleibt TERTULLIAN der bekehrte Berber, der den ganzen Radikalismus und die Disziplinlosigkeit eines Berbers beibehält; s. ferner die unbefriedigenden Ergebniss ein einer neueren psychologischen Einschätzung von NISTEBS, B., Tertullian, seine Persönlichkeit und sein Schicksal. Münster 1950. Vgl. KOCH, H., Tertullian und Cyprian als religiöse Persönlichkeiten. „Internationale kirchliche Zeitschrift", N. F. 10, 1, 1920, S. 51. In „De habitu virginum" wird der Stand der Jungfrauen verherrlicht. Cyp. Ep. 55, 20, CSEL, 3, 2, S. 638. Cyp. De habitu virginum, c. 21, CSEL, 3, 1, S. 201 f. Ebd., c. 23, CSEL, 3, 1, S. 203f. Cyp. Ep. 13, CSEL, 3, 2, S. 504ff., Ep. 14, 3, CSEL, 3, 2, S. 512. Cyp. Ep. 4, CSEL 3, 2, S. 472fi.
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Gleichsam noch von starken chiliastischen Vorstellungen 144 erfüllt kann für ihn allein der Märtyrer 145 die höchste Seligkeit erlangen. C Y P R I A N S Ruf an die wahren Gläubigen wendet sich gegen die Furcht vor dem zu erwartenden Antichrist. Jedoch die Tage der Herrschaft des Antichrists werden gezählt sein 146 , und das kommende Reich Christi wird dem vergangenen kaum gleichen 147 . Wie revolutionierend mußte C Y P R I A N S Verkündung des rächenden Weltgerichts 148 auf die Bestrebungen der asketischen unteren Schichten nach sozialer Umgestaltung der bisherigen Welt wirken! C Y P R I A N scheut sich auch nicht, den eigentlichen „Verrätern" des wahren Christentums die Maske vom Gesicht zu reißen. Denn wer verrät in den Verfolgungen das Christentum und opfert häufig freiwillig den römischen Göttern ? Allein die wohlhabenden Kreise, die um ihren Besitz bangen 149 , verleugnen ihren christlichen Glauben. So opferte in Saturnuca Bischof REPOSTUS150 den römischen Göttern und verleitete dazu noch einen Teil der Gemeinde. Als während der decischen Verfolgung in Assuras der Bischof F O R T U N A T I A N U S 1 5 1 abgefallen war und später bat, in sein Amt wieder aufgenommen zu werden, wandte sich C Y P R I A N mit scharfen Worten an diese verräterischen „Christen": Nicht um das Christentum, sondern um Opfergaben und Gewinn ist es euch zu tun 152 . Viele Bischöfe pflegten mehr der weltlichen Geschäfte 153 , als sich um ihre Aufgaben in der Gemeinde zu kümmern. Die bei T E R T U L L I A N erst in den Anfängen ausgebildete Trennung zwischen hierarchischen, wohlhabenden Kreisen und den asketischen Schichten liegt zur Zeit C Y P R I A N S offen auf der Hand. Und doch ist C Y P R I A N fest auf dem Boden der Bischofskirche stehengeblieben, und all seine Versuche richteten sich darauf, die gefährlichen, oft aus dem Rahmen der orthotoxen Kirche ausbrechenden asketischen Strömungen ab111
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Cyp. De catholicae ecclesiae unitate, c. 16, CSEL, 3, 1, S. 224f.; vgl. auch LUDWIG, J., Der Heilige Märtyrerbischof Cyprian von Karthago. München 1951, S. 31. CYPRIAN, der ja 258 (Acta proconsularia Cypriani, CSEL, 3, 3, CX) selbst den Märtyrertod erlitt, hat immer wieder seine Stimme für das Martyrium erhoben, neben 'Ad Fortunatum', 'De lapsis' vor allem in den Briefen 6, 10, 28, 37, 58, 60, 76, 81, CSEL 3, 2. Bei CYPRIAN wird der Begriff 'Märtyrer' auch oft noch für Lebende gebraucht, d. h. für diejenigen Konfessoren, die unter schweren Folterungen und Leiden im Gefängnis das Bekenntnis Christi bewahrten und dem Tode nochmals knapp entronnen waren; vgl. ERNST, J., Der Begriff v o m Martyrium bei Cyprian. Hist. Jahrbuch, 34, 4, München 1913, S. 329ff. Cyp. Ep. 58,7, CSEL, 3, 2, S. 662; Ep. 58, 1, CSEL. 3, 2, S. 656f. Ebd. S. 657. Cyp. Ep. 58, 3, CSEL, 3, 2, S. 659. Der Märtyrer werde mit Christus diese Welt des Teufels richten, s. Ep., 6, 2, CSEL, 3, 1, S. 481f. Cyp. De lapsis, c. 11 und 12, CSEL 3, 1, S. 2 4 4 - 4 6 . Cyp. Ep. 59, 10, CSEL 3, 2, S. 677f. Cyp. Ep. 65, 1 CSEL, 3, 2, S. 721 f. Ebd. 65, 3, CSEL, 3, 2, S. 724. Cyp. D e lapsis, c. 6, CSEL, 3, 1, S. 240f.
zufangen und fest in die Bahnen der katholischen Kirche und ihrer Organisation zu lenken 154 . Außerhalb der einheitlichen Kirche kann es somit auch niemals ein Martyrium geben 185 . C Y P R I A N nahm eine etwas eigenartige Mittelstellung zwischen beiden Richtungen ein, und dies bietet ohne Zweifel auch die Erklärung dafür, daß sich sowohl die Donatisten als auch die Katholiken in ihren theoretischen Disputen auf ihn beriefen. A T J G U S T I N schätzt ihn als den konsequenten Verfechter der Einheit der Kirche, der sich gegen jegliche Abspaltung wendet. C Y P R I A N S Kirchen begriff findet in der pneumatischen einheitlichen Bischofskirche, in deren Mittelpunkt die Bischöfe als die legitimen Nachfolger der Apostel und die Erben der apostolischen Gewalt stehen 156 , seine Begründung. Die wahre Kirche wird nicht mehr in der Gemeinde der Heiligen verkörpert, sondern beinhaltet eine hierarchische Heilsanstalt 157 , die auch den schwersten Sündern vergeben und sie in die Gemeinschaft wiederaufnehmen kann. Das bedeutet, daß es sowohl „Spreu" als auch „Weizen" in einer Gemeinde gibt, eine von der katholischen Kirche ebenfalls aufgegriffene Argumentation. Dagegen bot C Y P R I A N mit seiner strengen Forderung auf Reinheit 158 der Sakramente, die jedem unreinen Vertreter Gottes verbot, die Sakramente zu spenden, sowie den Lehren der Wiedertaufe für alle Schismatiker und Häretiker und nicht zuletzt mit der starken Betonung des Martyriums auch für die donatistische Kirche genügend Anhaltspunkte, ihn als den geistigen Vater ihrer Bewegung anzusehen. Seinen Anschauungen entgegengesetzt bleiben jedoch alle extrem-asketischen Richtungen, deren Eingliederung in die katholische Bischofskirche sich als un131
155
„Cyprian took the leadership of the rigorist tradition in North Africa out of the hands of the ignorant oonfessors, where it would have perished and made it the official policy of the Church"; FREUD, W. H . C., The Donatist Church . . ., a. a. O., S. 140; über die Eingliederung der Märtyrer in die straffe Ordnung der katholischen Kirche s. v. CAMPENHAUSEN, H., Die Idee des Martyriums in der alten Kirche. Göttingen 1936, S. 134. Das kommt deutlich in seinen Auseinandersetzungen mit den Novatianisten zum Ausdruck. Selbst wenn einer der Novatianisten von den römischen Behörden ergriffen wird und sich als Bekenner christlichen Namens fühlt, so kann ihm niemals die Krone des Glaubens zufallen, da er außerhalb der Kirche den Tod erleidet, Ep. 60, 4, CSEL, 3, 2, S. 694. Die Arbeit von HUMMEL, E. L., The concept of Martyrdom according to St. Cyprian. Studies in Christian antiquity 9, Washington 1946 konnte leider nicht eingesehen werden.
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ALTENDORP, E , a . a . O . , S . 5 3 f f .
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Ebd., S. 92f., S. 101. CYPRIAN versuchte, die beiden großen frühchristlichen Kräfte zu vereinigen: „die Gewalt des 'Amtes' und die des 'Geistes'. HARNACK, A., Cyprian als Enthusiast. „Zeitschrift für Neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde des Urchristentums", 3, 1902, S. 785. ALTENDORP, E., a . a . O . , S. 105fif.; FREND, W. H. C., The Donatist C h u r c h . . . , a. a. O., S. 136f.
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möglich erweisen mußte und die somit wie die Häresien und Schismen leicht ins Unkontrollierbare abgleiten konnten 159 . So erfuhr die extreme Form des Martyriums, der freiwillig gesuchte Märtyrertod, seine schärfste Ablehnung160. In diesem Zusammenhang wurde auch der auf den alten streng asketischen, enthusiastischen Traditionen aufbauende novatianische Rigorismus161 trotz vieler gemeinsamer Wurzeln von C Y P K I A N als eine außerhalb der Kirche stehende stehende Bewegung schärfstens verurteilt. N O V A T I A N dagegen nahm gegenüber allen Gefallenen und später auch gegenüber allen Todsündern den rigoristischen Standpunkt T E R T U L L I A N S 1 6 2 ein und fordert deren Ausschluß aus der Gemeinschaft der „Reinen". Die novatianische Gemeinde bezeichnete sich als die einzige, wahre, reine Kirche und fußte somit fest auf der tertullianischen und montanistischen Konzeption und führte in direkter Linie zum Donatismus 163 . C Y P B I A N S Versuch jedoch, beide Fronten miteinander zu vereinigen, mußte sich bald unter bestimmten verschärften Bedingungen als nichtig erweisen und konnte den Ausbruch des großen donatistischen Schismas nicht verhindern.
Auch die extrem-asketische Bewegung der Circumcellionen ist aus den Märtyrergemeinschaften der christlichen Gemeinden des 3. Jh. erwachsen und hat die Tradition dieser Kreise unter neuen, verschärften sozialen Bedingungen im 4. Jh. zu wahren gesucht. Kaum aber haben die Agonisten bereits im 3. Jh. als eine der demokratischen Sekten existiert. Sie haben ihre Wurzeln in ihnen, dürften sich aber doch erst im Rahmen der donatistischen Auseinandersetzungen formiert haben. Zunächst jedoch ist die Wende vom 3. zum 4. Jh. durch das Entstehen eines neuen historischen Phänomens gekennzeichnet: dem Mönch tum, das gleichsam i5» Für Cyprian ist jede Trennung von der Kirche gleichbedeutend mit einer Auflehnung gegen die Bischofskirche, gegen das Priestertum, s. E. ALTANER, a. a. O. S. 94. 160 Cyp. Acta proconsularia, I, CSEL, 3, 3, CX. 161 Der Novatianismus erlangte zur Zeit C Y P R I A N S in Nordafrika eine gewisse Bedeutung. Ep. 44, 3, CSEL, 3, 2, S. 598 berichtet CYPRIAN, daß die Novatianer von Ort zu Ort und Tür zu Tür gehen, um Anhänger zu sammeln. Und sie haben ohne Zweifel Anhänger bekommen. Jedenfalls hören wir von einer Gemeinde in Karthago, die Novatian ehrte und von diesem einen Bischof bekam (Maximus), vgl. auch L I E T Z MANN, H . , a . a . O . , I I , S . 2 3 7 . 162
Die beiden fälschlicherweise unter C Y P R I A N S Namen laufenden Schriften N O V A „De spectaculis" und „De bona pudicitia" lehnen sich beide thematisch sehr
TIANS
s t a r k a n TERTULLIAN a n . S i e h e ALTANER, a. a. O., S. 152. 168
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FREND, W. H. C., The Donatist Church, a. a. O., S. 129. So wurden auch die novatianische und donatistische Bewegung katholischerseits stets nur als Schismen, keineswegs aber als Häresien angesehen. Vgl. BUTLER, C., Schism and Unity. „Downside Review". Nr. 226, 1953, S. 353ff.: ZEILLER, J. M., Lea Heresies en Afrique entre la paix Constantinienne et l'invasion Vandale. Melanges Fr. Matroye, Paris 1941, S. lOlf.
aus dem Asketentum innerhalb der Gemeinden seine Kräfte zieht 164 . Inwieweit eine Eingliederung der Circumcellionen in die verschiedenen Strömungen des sich formierenden Mönchtums eine Berechtigung hat, soll ein kleiner Exkurs zum frühen Mönchtum erbringen. V. E X K U R S ZUM F R Ü H E N MÖNCHTUM Das die asketische Konzeption noch steigernde frühe Mönchtum barg für die hierarchische, katholische Kirche zunächst neue große Gefahren in sich. Die endgültige Loslösung von den christlichen Gemeinschaften und damit ihren kirchlichen Normen konnte leicht zu einer völligen Negierung der Welt und ihren bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen führen. Für das Entstehen des Mönchtums sind ohne Zweifel verschiedene Faktoren ausschlaggebend, jedoch wird den wirtschaftlich-sozialen Ursachen die entscheidende Rolle eingeräumt werden müssen165. Die besonders von der dioketianischen Steuerreform hart betroffenen Bauern ließen Haus und Hof im Stich und flohen in die Einöden und Wälder, um sich in strengster Askese von dem bisherigen Leben abzuschließen166. Das 164
Die ersten, die von Mönchen sprachen, verglichen sie mit den Märtyrern. Mit dem Aufhören der Christenverfolgungen wird der gesteigerte asketische Heilsweg geradezu zum Ersatz f ü r das fehlende Martyrium. Der Mönch t r i t t also den Märtyrern z u r S e i t e , HOLL, S. K . , a . a. O., S. 8 8 ; VON CAMPENHAUSEN, S. K . , D i e I d e e d e s
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Martyriums . . ., a. a. O., S. 140f. Ü b e r h a u p t erfährt der Begriff „ M a r t y r i u m " eine bedeutsame Erweiterung. So stellt in einem Brief D I O N Y S I U S V. A L E X A N D R I E N ( E U S E B I U S , Hist. eccles. V I I , 2 2 , 7ff., zit. bei V I L L E R , M . - B A H N E R , K., a. a. O., S. 39) den Tod jener Christen, die bei der Pflege von Pestkranken verschieden, fast dem Martyrium gleich. HEUSSI, K., versucht die wirtschaftlich-sozialen Hintergründe — wenn er ihnen auch keineswegs eine Vorrangstellung einräumt — f ü r die frühen koinobitischen Klöster wie folgt anzudeuten: „Man könnte sich wundern, d a ß den Klöstern des P A C H O MIUS so viele Menschen zuströmten, obwohl ihrer dort ein kärgliches Leben, eine strenge Zucht, ja, f ü r Vergehen die Peitsche harrte. Waren sie alle von der Hoffnung auf himmlischen Lohn so erfüllt, daß sie diese h a r t e Lebensweise „freiwillig" auf sich nahmen? Gewiß gingen zahlreiche Menschen damals ebenso „freiwillig" ins Kloster, wie in den modernen Industrieländern in die F a b r i k e n ; es war die wirtschaftliche Not, die dahinter s t a n d " (a. a. O., S. 114f.); ferner auch LIETZMANN, H . , a. a. O., Bd IV, S. 140. Die von F R I E D R I C H E N G E L S f ü r den mittelalterlichen Asketismus herausgearbeitete Charakterisierung trifft auch f ü r das frühe Mönchtum voll und ganz z u : „Diese asketische Sittenstrenge, diese Forderung der Lossagung von allen Lebensgenüssen stellt einerseits gegenüber den herrschenden Klassen das Prinzip der spartanischen Gleichheit auf und ist andererseits eine notwendige Durchgangsstufe, ohne die die unterste Schicht der Gesellschaft sich nie in Bewegung setzen kann. U m ihre revolutionäre Energie zu entfalten, um über ihre feindselige Stellung gegenüber allen anderen Elementen der Gesellschaft sich selbst klar zu werden, u m sich als Klasse zu konzentrieren, m u ß sie damit anfangen, alles das von sich abzustreifen, was sie noch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung versöhnen könnte, m u ß sie den wenigen Genüssen entsagen, die ihr die unterdrückte Existenz noch m o m e n t a n erträglich machen und die selbst der härteste Druck ihr nicht entreißen k a n n " , i n : Der Deutsche Bauernkrieg. Berlin 1949, S. 85.
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aus dem Asketentum innerhalb der Gemeinden seine Kräfte zieht 164 . Inwieweit eine Eingliederung der Circumcellionen in die verschiedenen Strömungen des sich formierenden Mönchtums eine Berechtigung hat, soll ein kleiner Exkurs zum frühen Mönchtum erbringen. V. E X K U R S ZUM F R Ü H E N MÖNCHTUM Das die asketische Konzeption noch steigernde frühe Mönchtum barg für die hierarchische, katholische Kirche zunächst neue große Gefahren in sich. Die endgültige Loslösung von den christlichen Gemeinschaften und damit ihren kirchlichen Normen konnte leicht zu einer völligen Negierung der Welt und ihren bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen führen. Für das Entstehen des Mönchtums sind ohne Zweifel verschiedene Faktoren ausschlaggebend, jedoch wird den wirtschaftlich-sozialen Ursachen die entscheidende Rolle eingeräumt werden müssen165. Die besonders von der dioketianischen Steuerreform hart betroffenen Bauern ließen Haus und Hof im Stich und flohen in die Einöden und Wälder, um sich in strengster Askese von dem bisherigen Leben abzuschließen166. Das 164
Die ersten, die von Mönchen sprachen, verglichen sie mit den Märtyrern. Mit dem Aufhören der Christenverfolgungen wird der gesteigerte asketische Heilsweg geradezu zum Ersatz f ü r das fehlende Martyrium. Der Mönch t r i t t also den Märtyrern z u r S e i t e , HOLL, S. K . , a . a. O., S. 8 8 ; VON CAMPENHAUSEN, S. K . , D i e I d e e d e s
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Martyriums . . ., a. a. O., S. 140f. Ü b e r h a u p t erfährt der Begriff „ M a r t y r i u m " eine bedeutsame Erweiterung. So stellt in einem Brief D I O N Y S I U S V. A L E X A N D R I E N ( E U S E B I U S , Hist. eccles. V I I , 2 2 , 7ff., zit. bei V I L L E R , M . - B A H N E R , K., a. a. O., S. 39) den Tod jener Christen, die bei der Pflege von Pestkranken verschieden, fast dem Martyrium gleich. HEUSSI, K., versucht die wirtschaftlich-sozialen Hintergründe — wenn er ihnen auch keineswegs eine Vorrangstellung einräumt — f ü r die frühen koinobitischen Klöster wie folgt anzudeuten: „Man könnte sich wundern, d a ß den Klöstern des P A C H O MIUS so viele Menschen zuströmten, obwohl ihrer dort ein kärgliches Leben, eine strenge Zucht, ja, f ü r Vergehen die Peitsche harrte. Waren sie alle von der Hoffnung auf himmlischen Lohn so erfüllt, daß sie diese h a r t e Lebensweise „freiwillig" auf sich nahmen? Gewiß gingen zahlreiche Menschen damals ebenso „freiwillig" ins Kloster, wie in den modernen Industrieländern in die F a b r i k e n ; es war die wirtschaftliche Not, die dahinter s t a n d " (a. a. O., S. 114f.); ferner auch LIETZMANN, H . , a. a. O., Bd IV, S. 140. Die von F R I E D R I C H E N G E L S f ü r den mittelalterlichen Asketismus herausgearbeitete Charakterisierung trifft auch f ü r das frühe Mönchtum voll und ganz z u : „Diese asketische Sittenstrenge, diese Forderung der Lossagung von allen Lebensgenüssen stellt einerseits gegenüber den herrschenden Klassen das Prinzip der spartanischen Gleichheit auf und ist andererseits eine notwendige Durchgangsstufe, ohne die die unterste Schicht der Gesellschaft sich nie in Bewegung setzen kann. U m ihre revolutionäre Energie zu entfalten, um über ihre feindselige Stellung gegenüber allen anderen Elementen der Gesellschaft sich selbst klar zu werden, u m sich als Klasse zu konzentrieren, m u ß sie damit anfangen, alles das von sich abzustreifen, was sie noch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung versöhnen könnte, m u ß sie den wenigen Genüssen entsagen, die ihr die unterdrückte Existenz noch m o m e n t a n erträglich machen und die selbst der härteste Druck ihr nicht entreißen k a n n " , i n : Der Deutsche Bauernkrieg. Berlin 1949, S. 85.
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Ideal der apostolischen Armut erschien als der einzige Aus weg und das Mönchtum ist in dem Moment entstanden, wo sich „das soziale Elend mit der asketischen Stimmung der Zeit verband" 1 6 7 . Bis zur endgültigen Konstituierung im voll ausgebildeten Koinobitentum hat die frühe mönchische Bewegung mannigfaltige Formen angenommen, deren extremste Richtungen im Osten meist gnostischer Beeinflussung unterlagen. Diesen von der späteren koinobitischen Ausbildung völlig abweichenden, asketischen Bewegungen, die ihrem Wesen nach aber auch nur eine bestimmte Entwicklungsstufe 168 des Mönchtums verkörpern, soll zunächst unsere Aufmerksamkeit gelten. Von den Eremiten der sketischen Wüste 169 zu Beginn des 4. Jh. unterschieden sich — so ist den Apophthegmata Patrum zu entnehmen — einmal das sich formierende koinobitische Mönchtum, das in den Augen der Eremiten zunächst als ein unliebsames Zwangsinstitut erscheinen mußte, zum anderen aber vor allem die übertriebenen Formen des Wandermönchtums und der Zellenanachorese. Das bereits im 3. Jh. von einigen Asketen in Anlehnung an die alte Tradition der charismatischen Lehrer und Propheten gepflegte Wandern von Ort zu Ort hat in einem Zweig des Mönchtums seine volle Entfaltung gefunden. Allerdings war das Ideal des Wandern s unter den veränderten Bedingungen einer Wandlung unterworfen 170 ; es diente jetzt nicht mehr der Mission, sondern in erster Linie der Erringung der eigenen Vollkommenheit im asketischen Leben. „Das Wandern wurde eine eigentümliche Form der Isolierung, d. h. der Loslösung von der Welt" 171 . 172 E U S E B I U S verdanken wir in seiner Kirchengeschichte die ersten Hinweise auf wandernde Asketen in Palästina, die als Pneumatiker vorwiegend Orte stärkerer Christenverfolgungen aufsuchten, um das Martyrium zu erleiden. 167 168
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VOELTER, D., Der Ursprung des Mönchtums. Leipzig/Tübingen 1900, S. 50. Vgl. REITZENSTEIN, R., Historia Monachorum und Historia Lausiaca. Eine Studie zur Geschichte des Mönchtums und der frühchristlichen Begriffe Gnostiker und Pneumatiker. Forschungen z. Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, Göttingen 1916, S. 191. BOUSSET, W., Das Mönchtum der sketischen Wüste. „Zeitschrift für Kirchengeschichte", 42, 1923, S. l f f . Vgl. FBH. v. CAMPENHAUSEN, H., Die asketische Heimatlosigkeit im altkirchlichen und frühmittelalterlichen Mönchtum. Sammlung gemeinverst. Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte, Tübingen 1930, S. 5f. ferner HARNACK, A., Die pseudoklementinischen Briefe de virginitate und die Entstehung des Mönchtums. Sitz.ber. d. Preuß. Akad. d. Wissenschaften, X X I , 1891, S. 382. HARNACK, A . , e b d .
Cap. 5; EUSEBIUS, Kirchengeschichte, hrsg. von SCHWARTZ, E., 5. Aufl. Berlin 1952, S. 70ff.; siehe auch REITZENSTEIN, R., Des Athanasius Werk des hlg. Antonius. Ein philologischer Beitrag zur Geschichte des Mönchtums, Sitz.ber. der Heidelberger Akad. d. Wissenschaften, phil.-hist. 1914, S. 56fl.
Die eigentliche Heimat der Wandermönche war jedoch Syrien. Ausführungen von E P H E S U S zufolge 173 war die Schar der wandernden Asketen, die keinen festen Wohnsitz hatten und sich durch Betteln ernährten, gar nicht unbedeutend. Die sich als Pneumatiker betrachtenden Asketen 174 nahmen alle Unbill des Nächtigens im Freien auf sich und suchten höchstens bei strengster Kälte in Ställen und Gehöften Zuflucht. Die zwar auf gnostisch-messalianischen Einfluß hinweisende Geschichte des THEOPHILUS 1 7 5 gehört jedoch gleichsam in die Reihe der extremsten Abweichungen der frühen mönchischen Bewegung. Der von J O H A N N E S von A M I D A hierin gesuchte Jüngling sowie ein ihn begleitendes Mädchen trugen die Tracht des Mimen und einer Dirne und erduldeten überall Spott und Anschuldigungen der Bevölkerung. Beide sind unaufhörlich im Gebet versunken und bekunden gegenüber allen weltlichen Angelegenheiten ihre größte Verachtung, um das Höchstmaß an Vollkommenheit zu erlangen. JOHANNES
Dem Motiv des wandernden Pneumatikers begegnen wir ebenfalls in der Erzählung des SEBAPION176 der Historia Lausiaca. Wenn auch ein großer Teil der Berichte über besonders asketische Leistungen und Heiligkeit, z. B. über die besessene Magd in einem Kloster von Tabennisi, die dann als eine Heilige entdeckt wurde, nur als tendenziöse Erbauungsgeschichten zu werten sind 177 , so spielen sie doch ein bestimmtes Idealbild eines Zweiges des Mönchtums wider und entbehren sicher auch nicht einiger Körnchen Wahrheit. Das immer wieder mit Syrien verknüpfte extrem-pneumatische Mönchtum wies dabei interessante Gestaltungen auf. Die bei S O Z O M E N O S h. e. VI, 33 erwähnten Boöxoi178 sollen, in philosophischen Betrachtungen und Gebeten versunken, ständig in den Bergen umherirren und nur Grasnahrung zu sich nehmen. In gleicher Weise berichtete E U A G R I O S Hist. I, 2 1 1 7 9 von Männern und Frauen, die 173
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Johannis Episoopi Ephesi, Commentarii de Beatis Orientalibus, lat. Übersetzung von van DOUWEN und LAND, J. P. N., Verh. d. Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Letterkunde, X V I I I , Amsterdam 1889; engl. Übers. John of Ephesus, Lives of the Eastern Saints, v. BROOKS, E. W . , Patrologia Orientalis, t. 17—19. Die peregrinatio besonders in den Kapiteln: c. 12 (Patrol. orientalis, t. 17, S. 166fif.), c. 17 (t. 17, S. 248fi.), c. 22 (t. 17, S. 299£f.). c. 39 (t. 18, S. 645f.), c. 51 (t. 19, S. 159ff.), c. 52 (t. 19, S. 164fl.), c. 53 (t. 19, S. 179ff.) nachweisbar. REITZENSTEIN, R., Historia Monachorum . . ., a. a. 0 . , S. 58. Joh. Episcopi Ephesi, e. 52, lat. Übers, v. DOUWEN, a . a . O . , S. 167—171; engl. Übers., Patrologia orientalis. t. 19, S. 165—178. Historia Lausiaea, c. 37, ed. BUTLER, C., The Lausiac History of Palladius, Texts and Studies, VI, 2, Cambridge 1904, S. 109£f. Vgl. BOTTSSET, W., Der verborgene Heilige. Archiv für Religionswissenschaft, X X I , 1922, S. l f f . , auch REITZENSTEIN, R . , Historia Manochorum . . a . a . O . , S. 61, will in der Serapionerzählung der Historia Lausiaca nur eine Erbauungsgeschichte sehen. BOTJSSET, W., Das Mönchtum der sket. Wüste, a. a. O., S. 39. Ebd., S. 39/40. Hier wird man wohl ebenfalls gnostische Züge erkennen müssen. Bereits BOUSSET, W., versucht auf neue Bahnen zu weisen, indem er neben philo-
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sich nackt der Hitze und Kälte aussetzten und bei gänzlicher Verschmähung menschlicher Nahrung den Boden abweideten. Konträr zu den unstet umherwandernden Mönchen stand die Gewohnheit einiger Eremiten, jahrzehntelang in einer Zelle zu verharren. So schloß sich der Eremit P H I L O R O M U S — wie Historia Lausiaca, c. 45 180 erwähnt — sechs Jahre in ein Grabmal ein, und S I S I N N I U S 1 8 1 soll darin drei Jahre bei ständigem Gebet verbracht haben. Die Gestalt des Reklusus fand dann in S Y M E O N d. S T Y 182 L I T E N ihre höchste Steigerung . In der westlichen Hälfte des römischen Reiches tauchten ebenfalls vagierende, jeglicher Regel entsagende Mönchsgestalten auf, hier bereits von dem nunmehr organisierten Koinobitentum schärfstens bekämpft. Jedoch noch bei A M B R O S I U S scheint das wirkliche ,,Mönchs"bild noch keineswegs fest geformt. So gibt er noch eine ziemlich anerkennende Schilderung von wandernden Eremiten, die „angetan mit Pelzröcken und Ziegenfell, arm und entbehrend, von Not und Schmerzen gequält zwischen unzugänglichen Felsen und in grausigen Gruben und Höhlen einsam umherirrten" 183 , wenn er auch das monastische Ideal mehr in den Vordergrund zu schieben versucht. Eindeutiger nimmt dagegen A U G U S T I N gegen derartige abweichende asketisch-mönchische Richtungen Stellung. In „De opere monachorum" werden unnachsichtig „faule Mönche" angeprangert, die die Handarbeit verweigern, auf die Verpflichtung der Gläubigen zu ihrem Unterhalt hinweisen und sich nur dem Gebet widmen. Der von den „faulen Mönchen" aufgestellten Regel: Nur beten und lesen! stellt A U G U S T I N sein paulinisches „Ora et labora!" 184 entgegen. Im gleichen Zuge weist A U G U S T I N auf „Heuchler im Mönchsgewande", die ohne festen Wohnsitz die Länder durchziehen, hin. Und nicht nur, daß ihnen sophischen Einflüssen das „Einströmen wilder orientalischer Askese" in die christliche Religion in Betracht zieht (ebd. S. 41). Auch die zahlreichen Beispiele der völligen Preigabe des eigenen Ichs, indem man sich selbst zum Toren stempelte, um einzig in Christo zu leben (s. HILPISCH, ST., Die Torheit um Christi willen. „Zeitschrift für Aszese und Mystik", 6, 1931, H. 2), sind wohl im Osten ohne die Heranziehung gnostischer Verbindungslinien nie voll und ganz verständlich. 180
C a p . 4 5 , e d . BUTLER, C., a . a. O . , S . 1 3 2 f .
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Cap. 49, ebd. S. 143f.
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L i t e r a t u r b e i LIETZMANN, H . , a . a . O . , B d I V , S . 1 6 0 .
183 y - g j 184
38
f
R H
. v . CAMPENHAUSEN, H . ,
Die
asketische
H e i m a t l o s i g k e i t . . .,
a. a. O.,
S. 10. Vor allem c. 1 - 3 , 1 7 - 1 8 , 2 5 , 2 9 , CSEL, 4 1 , S. 5 3 I F F . , vgl. ZUMKELLER, A . , Das Mönchtum des hlg. AUGUSTINUS. Würzburg 1950, S. lOOf. In einer neueren Arbeit von FOLLIET, G., Des moines euchites ä Charthage en 400-401. Studia Patristica. Vol. II, part. II, Berlin 1957, S. 386 ff. erfahren diese „faulen Mönche" vor allem auch auf Grund der Erkenntisse AUQUSTINS im Liber de haeresibus, 57 (Migne, PL 42, c. 40ff.) eine eindeutige Eingliederung in die euchitisch (messalianisch) beeinflußte Richtung. Es gab also neben den augustinischen Klöstern noch ein Mönchtum, das — nach Meinung Folliets — orientalischen Ursprungs war (S. 399).
die Arbeit fremd ist und sie Märtyrerreliquien feilbieten, sondern vor allem, daß sie — so rief er erbittert aus — noch eine „Bezahlung für ihre gewinnsüchtige Arbeit oder einen Lohn für ihre vorgetäuschte Heiligkeit" 185 fordern. Der Kirchenvater war sich also der Bedeutung der „stabilitas" für ein geregeltes klösterliches Leben voll bewußt. B E N E D I K T V O N N U R S I A hat schließlich dem koinobitischen Mönchtum endgültig zum Siege verholfen. So nimmt es nicht wunder, daß in seiner Mönchskala 186 die so verachteten Wandermönche erst an 4. Stelle hinter den Zönobiten und den durch eine lange Prüfung im Kloster geformten Anachoreten und Einsiedlern stehen. „Die vierte Art von Mönchen ist jene der Gyrovagen. Sie verbringen ihr ganzes Leben damit, von Land zu Land zu ziehen und sich für drei oder vier Tage in den Zellen dieser oder jener Mönche als Gäste aufzuhalten. Immer unterwegs, niemals beständig, Sklaven ihres Eigenwillens und ihrer Gaumenlust, sind sie in allen Stücken noch schlechter als die Sarabaiten." 187 Eine etwas mildere Beurteilung erfahren die eben genannten Sarabaiten, die 188 B E N E D I K T den Cassianischen Schilderungen entnommen hat. Diese „falschen'' Einsiedler lebten zu zweien oder dreien, aber ohne einer festen Regel zu folgen. Dem Koinobiten- und kirchlichen Einsiedlertum näher brachte sie jedoch der Umstand, daß sie arbeiteten und nicht bettelten. Ihre Bedeutung ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich handelte es sich um noch in der Stadt lebende Anachoreten, die ihre weltlichen Beziehungen nicht vollständig abbrachen 189 .
Die Frage nach der historischen Einschätzung dieser, die frühe mönchische Bewegung vor allem kennzeichnenden extrem asketischen Richtungen kann wohl keineswegs mit den gefühlsbetonten Urteilen katholischer Ordensforschung, die z. B. die Handlungsweise der Sarabaiten „aus einer asozialen Selbstsucht" und das Wandern der Gyrovagen aus einem „Verlangen nach Gesellschaft", einer „Unruhe, die sich im Herumwandern äußert" 1 9 0 zu erklären sucht, beantwortet werden. All diese Bewegungen verkörperten verschiedene Seiten, verschiedene Entwicklungsstufen des sich formierenden Mönchtums, das dann in Gestalt des Koinobitentums in feste Regeln 1 9 1 und vor allem in eindeutig 186 186
187 188
189 190
191
4
De opere monach., 28, 36, CSEL, 41, S. 585. Cap. I., BUTLER, C., Sancti Benedicti Regula Monasteriorum, 3. Aufl. Freiburg 1935, c. I., Übersetzt b. BALTHASAR, H.-U., Die großen Ordensregeln. Einsiedeln, Zürich, Köln 1948, S. 152f. und STEIDLE, B. B., Die Regel St. Benedikts. Beuron 1952, S . 61 ff. BALTASAR, H . - U . , a . a . O . , S . 1 5 3 . CASSIAN, C o l l a t i o n e s , 1 8 , 4 - 8 , C S E L 1 3 , S . 5 0 9 . B e r e i t s HIERONYMUS, E p . 2 2 ,
34
weist auf ähnliche Asketen hin, die er als „Remoboth" oder „Remnuoth" bezeichnet. Vgl. STEIDLE, B. P., a. a. O., S. 62/63, Anmerkung zu „Sarabait". Vgl. BLAZOVICH, A., Soziologie des Mönchtums in der Benediktinerregel. Wien 1954, S. 59. Der Kampf gegen die unorganisierten Formen asketischer Bewegungen spiegelt sich seit PAKHÖME in den klösterlichen Satzungen wider. Dabei fallen vor allem drei Büttner/Werner, Circumcellionen und Adamiten
39
kirchliche Bahnen gelenkt wurde. In dem koinobitischen Mönchtum, das selbst bald größeren Grundbesitz erlangte192 und im Benediktinertum der folgenden Jahrhunderte eine veränderte soziale Zusammensetzung der Mönche193 aufwies, fand die nunmehr wohlhabende hierarchische Kirche die Form, in der die asketische Bewegung in den Rahmen der katholischen Kirche fest eingefügt werden konnte. Das Koinobitentum hat somit all diese für die katholische Kirche schwer faßbaren asketischen Bewegungen aufgesaugt und damit weitere Gefahren zu bannen gesucht. Denn hinter den unkontrollierbaren Formen der Askese, der bewußten, oft äußerlich demonstrativ zur Schau getragenen Anlehnung an die urchristliche Armut und Vollkommenheit konnte sich leicht eine Kritik an der hierarchischen Kirche verbergen, die von den sozialen Schichten aufgegriffen wurde, die damit ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zum Ausdruck bringen wollten. In den Circumcellionen, die gleichsam nur auf dem Boden dieser unorganisierten, oftmals extrem-asketischen frühmönchischen Strömungen verstanden werden können194, hat dann die Sozialrevolutionäre Komponente 195 ihre vollste Entfaltung und Zuspitzung erfahren.
192
193
194
40
Merkmale ins Auge: einmal die grundlegende Bedeutung der Arbeit, dann das Gebot der Fügung unter eine Regel, damit verbunden der strenge Gehorsam gegenüber dem Oberen und zum anderen die immer mehr geforderte stabilitas loci, die in der Benediktinerregel bereits mit in das Eintrittsgelübde eingeschlossen ist. Die großen Klöster p a ß t e n sich wunderbar in die bestehende gesellschaftliche Ordnung ein, indem sie schon f r ü h über umfangreichen Grundbesitz nebst dazugehörenden P ä c h t e r n verfügten. Ganz besonders deutlich wird das bei den Benediktinerklöstern. Die benediktinische Klosterwirtschaft weist in ihrer Organisation eine deutliche Anlehnung an die römischen Grundherrschaften auf, s. LIBBLASTG, A., Die WirtschaftsverfaSsung der Benediktinischen Mönchsregel, im bes. die Behandlung der Besitz- und Arbeitsverhältnisse. Studien und Mitteilungen aus der Geschichte des Benediktinerrodens. 1931, H . 4, S. 439ff. I m f r ü h e n Mittelalter war das ursprünglich „demokratische" Zeitalter des f r ü h e n Mönchtums, das noch allen Schichten Aufstiegsmöglichkeiten bot, endgültig vorüber. BLAZOVICH, A., a. a. O. . ., S. 104 deutet diese innere Wandlung a n : „ E s bereitet sich die Einteilung Klerikermönche und Laienbrüder vor, was ohne Zweifel auch auf die ständische Gesellschaftsauffassung des Mittelalters zurückgeht." Die H a n d a r b e i t im alten Sinne von körperlicher Arbeit wurde seit dem 9. J h . f ü r die nunmehr meist aus der feudalen Oberschicht stammenden Klerikermönche untragbar und blieb im Mittelalter den Laienbrüdern und Hörigen vorbehalten. Bereits VOELTER, D. h a t die Circumcellionen in kurzen Hinweisen in Parallele zu dem Mönchtum in Ägypten gebracht (a. a. O., S. 40f.), ferner KEHNSCHERPER, G., a. a. O., S. 151. Allerdings k a n n ein Vergleich mit den ägyptischen Anachoreten in dieser Beziehung nicht voll befriedigen, u n d man wird mehr auf die abweichenden Formen des Wandermönchtums — wie aufgezeigt wurde — zurückgreifen müssen. I n gleicher Weise h a t R E I T Z E N S T E I N , R . — wenn auch völlig einseitig und ohne Berücksichtigung der sozialen Faktoren — die Circumcellionen in Nordafrika in die frühe, unorganisierte mönchische Bewegung einzugliedern versucht. Ausgehend von den verschiedenen Entwicklungsstufen sah er in ihnen die Wahrer der alten Empfindungsweise, „ u n d als das kirchlich organisierte Mönchtum etwa z. Zt. AUGITSTINS
VI. D I E C I R C U M C E L L I O N E N U N D I H R P R O T E S T G E G E N DIE B E S T E H E N D E GESELLSCHAFTLICHE ORDNUNG196 1. Die asketische
Lebensweise
Während ihre Gegner sie mit dem Spottnamen „circumcelliones" 1 9 4 bedachten, nannten sich die Angehörigen dieser sozial-religiösen Bewegung selbst ganz im Sinne der kämpferischen asketischen Tradition des 3. Jh. „agonistici" 198 oder „milites Christi". Die Herleitung des Wortes „circumcelliones" bietet allerdings einige Schwierigkeiten, wenn wir den widerspruchsvollen Äußerungen A U G U S T I N S folgen. In Contra Gaud. I, 28,32 definierte er die Circumcellionen als „genus hominum . . . victus sui causa cellas circumiens rusticanas . . ," 1 9 9 , während sie in Enarrationes in Psalmum 132,3 den wahren Mönchen mit den Worten: „nam circumcelliones dicti sunt, qua circum cellas vagantur" 2 0 0 kontrastiert werden. D e m Wesen der Bewegung entsprechend wird man beiden Definierungen im ursprünglichen Sinne folgen können. Die Circumcellionen sind diejenigen, die, um sich Nahrungsmittel zu erbetteln bzw. gewaltsam zu verschaffen, auf dem seinen Einzug hielt, fand es seine erbittertsten Gegner in den Kreisen, die eigentlich eine seiner Entwicklungsstufen vertreten". („Des Athanasius Werk", a. a. O., S. 56 und 62f.) Ferner REITZENSTEIN, R., Historia Monachorum . . ., a . a . O . , S. 50; «JÜLICHER, PAULY-WISSOWA, Real-Enzyklopädie der classischen Altertumswissenschaft. Stuttgart 1899, 6. Halbbd, 2570. 195 Trotz ihres aktiven Eingreifens in die sozialen und kirchlichen Kämpfe der Zeit bleiben die Circumcellionen ein Glied der asketisch-mönchischen Bewegung, die unter den verschärften sozialen Bedingungen in Nordafrika und unter der Flagge des Donatismus diese oftmals gewalttätige und extremasketische Ausprägung erhalten hat. DIESNERS, H.-J., Ansicht, daß die Circumcellionen zu gewalttätig und diesseitig seien, als daß man hier von aktiven Wandermönchen oder Asketen sprechen könne (Studien, a. a. O., S. 63), fußt auf einer völlig ungenügenden Kenntnis der Kirchengeschichte und bedeutet faktisch nur die Übernahme der T H ü M M E L s c h e n Konzeption, der in den „Rotten" der Circumcellionen noch Heiden sieht, die dann durch den Donatismus ein christliches Gewand umgelegt bekamen. Vgl. THÜMMEL, W., Zur Beurteilung des Donatismus. Eine kirchengeschichtliche Untersuchung. Halle 1893, S. 87ff. 196 Den Ausführungen dieses Kapitels liegt bereits ein kleiner Beitrag der Verfasserin mit dem Titel: Die Sozial-Religiöse Bewegung der Circumcellionen (Agonisten) in Nordafrika. Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift HEINRICH SPROEMBERG, Berlin 1956, S. 388-396 zugrunde. 197 Aug. De haeres. 69, Migne, PL 42, col 43; OPTATUS, III, 4, CSEL, 26, S. 81. Die jedoch in der Literatur fest eingebürgerte Bezeichnung 'Circumcellionen' wird auch in dieser Arbeit beibehalten, ohne damit den diffamierenden Inhalt übertragen zu wollen. 198 OPTATÜS, III, 4, CSEL, 26, S. 81; Aug. Ep. 108, VI, 18, CSEL, 34, 2, S. 632; Enarr. in psalm. 132, 6, Migne, PL 37, col. 1732. 199 CSEL, 53, S. 231. 200 Migne, PL 37, col. 1730. 4»
41
L a n d e die D ö r f e r u n d Speicher der g r o ß e n G r u n d b e s i t z u n g e n
umschwärmt
h a b e n 2 0 1 und d i e sich andererseits v o n d e n k o i n o b i t i s c h e n M ö n c h e n dahing e h e n d unterschieden, d a ß sie sich b a l d hier b a l d d o r t , in der N ä h e f e s t e r W o h n sitze ( g e m e i n t k ö n n e n auch die M ö n c h s z e l l e n s e i n ! ) a u f g e h a l t e n haben. D i e Scharen der Circumcellionen t r a t e n e r s t m a l i g in d e n v o n O P T A T U S geschilderten Ereignissen der 40er J a h r e des 4. J h . in E r s c h e i n u n g 2 0 2 . Sie standen d a b e i in einer E n t w i c k l u n g s l i n i e zu F a n a t i k e r n a m E n d e der V e r f o l g u n g s z e i t , d i e schon „ a n t e ipsas l e g e s " in Scharen zu heidnischen F e s t e n g e s t r ö m t sind, n i c h t u m G ö t z e n b i l d e r zu zerstören, sondern u m sich selbst v o n d e n H e i d e n t ö t e n zu lassen 2 0 3 . O h n e Z w e i f e l aber h a b e n diese asketischen G e m e i n s c h a f t e n der V e r f o l g u n g s z e i t bis zu d e n organisierten, k ä m p f e r i s c h e n Circumcellionen eine in j e d e r B e z i e h u n g a m p l i f i z i e r e n d e E n t w i c k l u n g durchlaufen. D a s I d e a l der v ö l l i g besitzlosen 2 0 4 W a n d e r a s k e t e n , d i e sich i h r e n L e b e n s u n t e r h a l t durch B e t t e l n und A l m o s e n e r w e r b e n , 2 0 5 e r s c h e i n t in allen H a n d l u n g e n der
Circumcellionen
deutlich
erkennbar.
Übereinstimmend
berichten
die
Quellen, d a ß die Circumcellionen k e i n e n f e s t e n W o h n s i t z h a t t e n und v o n O r t
201
Versuche von FREND, W . H . C., auf Grund archäologischer und epigraphischer Materialien die „cellae" als die den Charakter von Warenspeichern tragenden Märtyrerkirchen anzusehen, liegen zwar im Bereich der Möglichkeit, entfernen sich andererseits von der Einschätzung des Grundcharakters der Bewegung. ( = The Cellae of the African Circumcellions. „Journal of Theological Studies", New. Ser. I I I , 1, 1952, S. 88). Bedenken gegen diese Auslegung meldete bereits H.-J. DIESNER, Studien . . ., a. a. O., S. 59, sowie in der Besprechung des Werkes von FREND in der „Theologischen Literaturzeitung", 9, 1956, Sp. 550 und in „Spätantike Widerstandbewegungen", a. a. O., S. 107/108 an.
202
Die auf TYCONIUS beruhende Schilderung der Cotopices als eine A r t Ordensgründung von Asketen und deren Auftreten noch in der Verfolgungszeit entspricht doch wohl mehr der Charakterisierung der Circumcellionen 50 Jahre später und kann nicht zum Nachweis einer früheren Datierung der Circumcellionen benutzt werden. Das ist vor allem gegen SEECK, O., Geschichte des Untergangs der antiken Welt. Berlin 1895fi., Bd 3, S. 316 einzuwenden.
Aug. Ep. 185, I I I , 12, CSEL, 57, S. 11. Der FRENDschen Konzeption, daß es sich hierbei um ein Wiederaufleben der alten Opferkulte handelt, worin sich die enge Verbindung zwischen alten Kulten und Christentum zeigt (The Donatist Church, a. a. O., S. 100), müssen zwei Gesichtspunkte einschränkend bzw. präzisierend entgegengestellt werden. Einmal sind die Asketen und Märtyrer bei der Wahl der äußeren Formen, den Tod zu erleiden, ohne Zweifel alten Kultvorstellungen stark verhaftet. Zum anderen werden diese Handlungen jedoch von einem neuen Inhalt der bewußten Opposition gegen die römische Unterdrückung, was wiederum einen gewissen Bruch mit den früheren Kulten bedeutet, erfüllt. 204 Aug. Contra Gaud I , 28, 32, CSEL, 53, 231 erwähnt, daß sie „ a b agris vacans" sind. 206 y g j ¿ig Analyse des Namens „circumcelliones". Die Arbeit ist ihnen als in dieser Beziehung echten Wandermönchen fremd. 208
42
zu Ort zogen 206 . Sie tauchten teilweise auf Märkten und Markttagen 2 0 7 auf, wo sich ihnen sicherlich auch die unteren städtischen Schichten angeschlossen haben. Nicht mehr einzeln oder in kleinen Gruppen, wie uns bisher die Wandermönche begegneten, sondern nunmehr in größeren organisierten Vereinigungen 208 suchten die Circumcellionen ihre Ziele zu verwirklichen. Gerade dieses Moment läßt die Bewegung aus dem Rahmen des übrigen Wandermönchtums herausragen, vermag es doch auch gewisse Aufschlüsse über die Möglichkeiten des Eingreifens in die sozialen Kämpfe zu geben. An der Spitze dieser Scharen standen die „principes", die O P T A T T T S V O N M I L E V E anläßlich der sozialen Kämpfe vor den Ereignissen von Bagai 347 sogar namentlich zu nennen weiß: „Cum Axido et Fasir ab ipsis insanientibus sanctorum duces apellarentur" 2 0 9 und die wahrscheinlich dem armen niederen Klerus entstammten. In echt asketisch-mönchischer Auffassung handelten die Circumcellionen in der Frage der Ehelosigkeit. Die mit den geweihten Jungfrauen des 3. J h . viele gemeinsamen Züge tragenden „sanctimoniales" bekundeten durch ihre Beteiteiligung an der Bewegung ihren Wunsch, aus der bisher unterdrückten gesellschaftlichen Stellung der Frau auszubrechen und als Asketin oder Märtyrerin gleichsam zu höchsten Ehren zu gelangen 210 . Die bei A U G U S T I N an mehreren Stellen enthaltenen Berichte über die Ausschweifungen und Zügellosigkeiten des Zusammenlebens beider Geschlechter müssen wohl als Verleumdungen des Kirchenvaters gewertet werden, ein häufig gebrauchtes Mittel der katholischen Kirche gegen alle Abweichungen und Sekten. So bezichtigt er in Ep. 35,2 211 208 OPTATUS, III, 4, CSEL, 26, S. 81 f.; Aug. Contra ep. Pannen. II, 3, 6, CSEL, 51, S. 50: „quorum et catervae gregum furiosorum huc atque illuc armatae ferro ac fustibus volitant"; Contra ep. Parmen. I, 11, 17, CSEL, 51, S. 39; J; qui circumcellionum notissimo nomine per totam Africam vagantur et saeviunt". P O S S I D I U S , Vita, c. 10, Migne, P L 32, col. 4 1 / 4 2 TYCONIUS, e d HAHN, TR., a. a. O., S. 6 8 / 6 9 ;
De Eccles. Officiis, I I , c. 16, Migne, P L 83, col. 797: „ . . . circumeuntes provincias, nusquam missi, nusquam fixi, nusquam stantes, nusquam sedentes. . ." 207 OPTATUS, III, 4, CSEL, 26, S. 82: ,, . . . per nundinas, ubi circumcellionum furor vagari consueverat". 208 Contra ep. Parmen. I, 11, 17, CSEL, 51, S. 39; II, 3, 6, CSEL, 51, S. 50. POSSIDIUS, Vita, c. 10, Migne. PL, 32, col. 42. ISIDOR VON SEVILLA,
209 OPTATUS, I I I , 4 , C S E L , 2 6 , S . 8 2 . 210
211
Die starke Beteiligung von Frauen an den streng asketischen Richtungen wie auch vielen Sekten kann nur darin, „daß die Askese dazu hilft, die Frau aus den Fesseln der Sitte und Gewohnheit zu lösen" (LEIPOLDT, J., Der soziale Gedanke . . ., a. a. O., S. 165, ferner von dem gleichen Verfasser: Die Frau in der antiken Welt und im Urchristentum. 2. Aufl. Leipzig 1955, vor allem S. 211 ff.) und in der ihnen hierin gebotenen Möglichkeit, die völlige Gleichberechtigung zu erreichen, ihre Erklärung finden. Die gleichen Ursachen treffen auch noch für die feudalen Produktionsverhältnisse zu. Vgl. dazu WERNER, E., Pauperes Christi. Leipzig 1956, vor allem S. 68ff. CSEL, 34, 2, S. 28.
43
einen ehemals katholischen Priester P B I M I U S abscheulicher Ausschweifungen bei den Circumcellionen, und zwar unter „umherirrenden Haufen von Weibern, die deshalb keinen Namen haben, damit sie zuchtlos sein können." Nächtliche gemeinsame Orgien sollen an den Gräbern der Märtyrer 212 gefeiert worden sein. Mit besonders abscheulichen Worten wird der Selbstmord der 'sanctimoniales' gegeißelt: „unde etiam quaedam sanctimonales vestrae gravidae per saxa se miserunt et dissilientibus uteris homocidiorum scelere etiam stuprorum scelera prodiderunt'' 213 . 2. Soziale
Zusammensetzung
Wie teilweise ungenügend bisher diesem Problem nachgegangen wurde, zeigt ein kurzer Blick auf die neueste Literatur der donatistischen Forschung. Dabei vermag die Auffassung von C H . S A U M A G N E , daß die Circumcellionen vagabundierende Wanderarbeiter sind, noch heute großen Anklang zu finden. Für B. H. W A R M I N G T O N sind die Circumcellionen „agricultural workers, who went from estate to estate offering their labour" 214 . Die Heftigkeit ihres Auftretens erklärt er aus den Versuchen der Landeigentümer, diese „Landarbeiter" an den Boden zu fesseln. Eine gewisse Überschätzung der Beteiligung freier Landarbeiter kennzeichnet auch die Ausführungen H . - J . D I E S N E R S , der schlußfolgert, daß, durch Absatzkrisen bedingt, der Überfluß an Arbeitskräften zu Entlassungen von Arbeitern führte, die völlig entwurzelt sich zu Banden zusammenschlössen und bei ständigem Zustrom weiterer Unterdrückter und Entrechteter (Sklaven, Kolonen, städtischer Proletarier, Nomaden) zur Gefahr für die bestehende Ordnung wurden. 215 212
213
214
215
44
Aug. Ep. ad catholicos de secta Donatistarum, 19, 50, CSEL 52, S. 297: „ . . . aut quod ad eorum sepulcra ebriosi greges vagorum et vagarum permixta nequitia die noctuque se vino sepeliant flagitiisque corrumpant". Vgl. ebenfalls Contra ep. Parmen., II, 3, 6, CSEL, 51, S. 50, Contra ep. Parmen, II, 9, 19, CSEL, 51, S. 65; Contra litt. Pet., II, 88, 195, CSEL, 52, S. 120. Aug. Contra Gaud. I, 36, 46, CSEL, 53, S. 246; ferner I, 31, 36, CSEL, 53, S. 235. Die Schilderungen erinnern an die libertinistischer Gnostiker, denen trotzaller Übertreibungen von seiten der katholischen Kirchenschriftsteller doch einige Körnchen Wahrheit innewohnen. Diese Momente scheiden jedoch für unsere Bewegung aus und die Darstellungen dieser angeblichen Scheußlichkeiten entbehren völlig des realen Hintergrundes. WABMINGTON, B . H . , a . a . O . , S . 8 7 .
DIESNER, H.-J., Studien zur Gesellschaftslehre . . ., a. a. O., S. 12. Auch in „Spätantike Widerstandsbewegungen" a. a. O., S. 109 sieht der Verfasser neben der unterdrückten Landbevölkerung, die sich gegen ihre Grundherren erhebt, vor allem freie Wanderarbeiter und nicht zuletzt Angehörige „barbarischer Wüstenstämme" beteiligt. Die vor allem gegen katholische Kleriker usw. begangenen Ausschreitungen der Circumcellionen allein als einen Ausbruch der „schlimmsten Triebe des unkultivierten und barbarischen Elements, das stark in ihnen vertreten war" (ebd., S. 110), zu werten, dürfte wohl kaum den wahren Motiven dieser Handlungen auf die Spur verhelfen.
Daneben gibt es sogar noch. Stimmen, die den sozialen Charakter dieser Bewegung völlig zu leugnen suchen. Für G. G. W I L L I S sind die Circumcellionen nichts anderes als „lawless rebels, who lived on their depredation in the country districts of Africa, wandering around the farm houses . . , " 2 1 6 Bemüht sich dagegen auch W . H . C. F R E N D vor allem die starke soziale Komponente der Circumcellionen hervorzuheben, so bleiben seine Ausführungen über die soziale Zusammensetzung jedoch zu allgemein: „They were peasants from Upper Numidia and Mauretania . . . 2 1 7 . Die sowjetische Forschung sucht das Hauptaugenmerk auf die Eingliederung der Bewegung in die Klassenkämpfe der Sklaven und Kolonen 218 der zerfallenden Sklavenhaltergesellschaft zu richten. A. D . D M I T K E V 2 1 9 bezeichnet so die soziale Zusammensetzung der Agonisten als relativ einheitlich, als eine Bewegung, getragen von der unterdrückten Masse der untersten Schichten, eine ebenfalls zu ungenaue Definierung. Das soziale Rückgrat der Bewegung bildet ohne Zweifel die unterdrückte und an den Rand des Ruins gebrachte Landbevölkerung. In mehreren Quellen werden die Circumcellionen allgemein als „agrestes" 220 charakterisiert. Daß es sich hier vor allem um geflüchtete Sklaven und Kolonen handelt, können wir den Worten A U G U S T T N S entnehmen. Aus Ep. 185, IV, 15 2 2 1 ergibt sich der Anhaltspunkt, daß die Reihen der Circumcellionen ständig von flüchtenden Sklaven aufgefüllt wurden. Ep. 108,VI, 18 2 2 2 deutet Aug. die Herkunft dieser „rebelles" wie folgt an: „Contra possessores suos rusticana erigatur audacia et fugitivi (gesp. v. T. B.) servi contra apostolicam disciplinam non solum a dominis alienentur . . . verum etiam dominis comminentur . . . et in ipso scelere princibus agonisticis confessoribus vestris." Jedoch wurde der Kern der Circumcellionen nicht nur von geflüchteten Sklaven, wobei es sich auch weniger um die unmittelbaren Haussklaven als um die hinsichtlich ihrer ökonomischen und rechtlichen Stellung den Kolonen 16
WILLIS, G. G., Saint Augustine and the Donatist Controversy. London 1950, S. 11 Willis vermag somit nicht über Ansichten, die bereits Mitte des 19. J h . formuliert wurden, hinauszukommen. 1858 schrieb z. B. RIBBECK, F., Donatus und Augustinus. Elberfeld, S. 125 über die Circumcellionen: „Müßiggang war ihr Tagewerk, Betteln ihre Lebensweise, Morden ihre Beschäftigung". Vgl. ferner LECLERCQ, D. H., L'Afrique chretienne. Paris 1904, S. 345 f.
217
FREND, W . H . C., T h e D o n a t i s t C h u r c h .
218
MASKIN, N . A . , „ V D I " , 1 ( 2 ) , 1 9 3 8 , S . 9 1 u n d „ V D I " , 4 , 1 9 4 9 , S . 5 4 .
2la
220
DMITREV, A . D . , „ V D I " , 3 , 1 9 4 8 , S . 6 7 .
Aug. De haeres. 69, Migne, P L 42, col. 4 3 ; Anonymus auctor Praedestinati, über I , Migne, P L 5 3 , col. 611: „quos circumcelliones vocamus, agrestes . . . " ; ISIDOR VON SEVILLA,
221
222
a . a. O., S. 1 7 2 .
O r i g i n u m . . ., V I I I ,
5,53,
Migne,
PL
82,
col.
302f.:
„Circumcelliones
dicti, eo quod agrestes sunt". CSEL, 57, S. 14: „quis non dominus servum suum timere compulsus est, si ad illorum patrocinium confugisset?" CSEL, 34, 2, S. 632.
45
nahekommenden „servi" handelte 223 , sondern auch von entflohenen verschuldeten kleinen Pächtern, Kolonen 224 gebildet. Keineswegs soll auch die Beteiligung einer Anzahl von Wanderarbeitern von der Art der bei B Ü C H B L E E , Carmina epigraphica, N. 1238225 erwähnten turmae, der Schnitter, völlig negiert werden. Nur wird man deren Einflußnahme durchaus im Rahmen der Möglichkeiten der damaligen Sozialstruktur sehen müssen und sie nicht mit modernen Kategorien der freien Lohnarbeiter des Kapitalismus messen können. Sozial gesehen entstammen die Wanderarbeiter in der zerfallenden Sklavenhalterordnung den gleichen expropriierten Schichten wie die abhängigen Pächter und Kolonen, dem ruinierten Kleinbauerntum und den ihres Landes beraubten freien Stammesangehörigen. Abgesehen von ihrer zahlenmäßigen Beschränkung mußten auch sie in ihren Handlungen durchaus auf seiten der unterdrückten Landbevölkerung stehen. Wertvolle Hilfe fanden die Circumcellionen auch bei den kleinen Landpriestern, die sich ja hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft nach wenig von den unteren Schichten unterschieden. Als nach dem Verrat der donatistischen Bischöfe in den 40er Jahren des 4. J h . zahlreiche Agonisten unter den Schlägen der Truppen des Comes T A U B I N U S umgekommen waren, da waren es die kleinen Priester und Presbyter, die trotz Verbot der Bischöfe 226 die Leichname der verstümmelten Circumcellionen in die Gotteshäuser aufnahmen und wie Märtyrer verehren ließen 227 . Eine Anzahl niederer Kleriker hat außerdem sicher selbst mit an den fanatischen Scharen teilgenommen 228 . 3. Der
Selbstmord
Etwas befremdend und unverständlich erscheint die starke Neigung der Circumcellionen, ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu bereiten, um dann als Märtyrer verehrt zu werden. 229 Jedoch bietet das gesteigerte Märtyrertum des 3. Jh. für eine Erklärung gute Ansatzpunkte und läßt die in verschiedenen 223
224 225 226
227
228 229
46
MASKIN, N. A., „VDI", 1 (2), 1938, S. 91 kommt zu den gleichen Ergebnissen, indem er den Sklaven, die Land zur Pacht erhalten hatten, in den sozialen Erhebungen eine größere Rolle als den am Hofe des Herrn bleibenden Sklaven zuschreibt. Aug. Ep. 35,2 und 35,4, CSEL, 34,2, S. 28 und 30. Zit. bei SCHULTEN, A., Das römische Afrika . . ., a. a. O., S. 53. Der Text des OPTATUS bleibt an dieser Stelle unklar, ob das Verbot von katholischen oder donatistischen Bischöfen ausgesprochen wurde. Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird man jedoch auf ein donatistisches Veto schließen können, vgl. MONCEAUX, P., Histoire littéraire de l'Afrique chrétienne depuis les origenes jusqu'à l'invasion des Vandales 429. Paris 1912, Bd IV, S. 491. Unabhängig davon bleibt eines sicher, daß die kleinen Landpriester — gleichgültig ob noch Katholik oder Donatist — die Volksbewegung unterstützten, s. VANNIER, O., a. a. O., S. 21. OPTATUS, I I I , 4 , C S E L , 2 6 , S . 8 3 .
Aug. Ep. 35, 2, CSEL 34, 2, S. 28 f. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod, ja die Liebe zum Selbstmord bezeugt vor allem Aug. Contra Gaud I, 28, 32, CSEL 53, S. 231, Contra Cresc. III, 49, 54, CSEL, 52, 461 f.; Contra litt. Pet. I, 24, 26, CSEL. 52, 20; Ep. 88, 8, CSEL, 34, 2, 415;
Formen ausgeprägten Selbstmordbestrebungen der Circumcellionen als eine logische Steigerung dieser Tendenzen erkennen. Die starken sozialen Züge der ganzen Bewegung, die unter dem Banner des Donatismus offen hervortreten konnten, bestimmten auch die extrem gesteigerten asketischen Empfindungen. Das offene Eingreifen der Circumcellionen in die sozialen Kämpfe mußte — wie wir sehen werden — zeitlich begrenzt 230 bleiben, da es auf einen geschlossenen Widerstand des Staates und der katholischen, hierarchischen Kirche sowie auch der Grundbesitzer stieß. Der, der extrem asketischen Lebensweise, insbesondere auch dem übertriebenen Märtyrerdrang der Circumcellionen innewohnende Protest gegen die bestehenden kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse konnte von seiten der hierarchischen Kirche nicht so einfach entkräftet werden 231 , verlief doch z. B. die gesteigerte Betonung des Martyriums zunächst fest in den Bahnen der alten Martyrertradition, die ja seit C Y P R I A N ein Bestandteil der nordafrikanischen katholischen Kirche war. Trotzdem wurden die Circumcellionen gerade deshalb scharf bekämpft, bargen doch derartige ekstatische Agonien Züge in sich, die der organisierten katholischen Kirche leicht aus den Händen zu gleiten drohten und die — wie das die Bewegung der Circumcellionen wohl am besten verkörpert — einen sozialen Protest unterer Schichten gegen die hierarchische Kirche und herrschende Gesellschaftsordnung aufsaugen konnten. Die Selbstmordbestrebungen nahmen mannigfaltige Gestalt an. Teilweise stürzten sich die Circumcellionen von den Gipfeln hoher Berge 232 in die Tiefe, um am Boden zerschmettert liegen zu bleiben. Andere wiederum suchten in den Flammen oder im Wasser den Tod 233 . Eine weit verbreitete Art war es auch,
830
131
232
Ep. 204, 1, 2, 5, CSEL 57, 317 ff.; s. ferner TICONNIUS, zit. bei T. HAHN, a. a. O., S. 68; ISIDOR VON SEVILLA, Originum . . ., VIII, 5, 53, Migne, PL., 82, col. 302f.; „Hi amore martyrii semetipsos perimunt . . ." Daß die sozialen Aktionen im wesentlichen auf die Zeit um 340 und die Epoche der Herrschaft GILDOS beschränkt sind, hat MA§KIN, N. A., „VDI", 1938, 1 (2), S. 92 betont. AUGUSTIN vermag den Übertreibungen des Märtyrertodes auch nur damit zu begegnen, daß er sie als Machwerke des Teufels hinstellt (Contra Gaud. I, 27, 30, CSEL 53, 228) und die Circumcellionen wilder Orgien vor ihrem freiwilligen Tod und an den Märtyrergräbern bezichtigt. Aug., Contra Gaud. I, 31, 36, CSEL, 53, S. 236; ebd. I, 36, 46, CSEL, 53, 246; Contra litt. Pet. I, 24, 26, CSEL, 52, S. 20; Contra Pannen. II, 3, 6, CSEL, 51, 50 „ . . . sed etiam se ipsos praecipitandi concipiant". Ep. 43, VII, 24, CSEL, 34, 2, S. 106: ,, . . . veneratores praecipitatorum ultro cadaverum"; Contra litt. Pet. II, 2 0 , 4 6 , CSEL, 52, S. 46; OPTATUS III, 4; FILASTRIÜS, D e Haeresibus, c. 85, CSEL
233
38, S. 46; THEODORET, Migne PG, t. 83, col. 423: Se ipsos ergo Corybantum instar furentes ex alto deorsum praecipitant". Aug. Ep. 204, 2, CSEL 57, S. 318; Ep. 185, III, 12, CSEL 57, S. 11; Ep. 185, IV, 15, CSEL, 57, S. 14/15: ,, . . .alii per aquas, alii per ignes se in mortes voluntarias usquequaque mittebant"; De haeres. 69, Migne, PL 42, col. 43; Contra Gaud I, 22, 26, CSEL, 53, S. 224. 47
und hier knüpft man an die alten Märtyrertraditionen an, sich bewaffneten Passanten auf der Landstraße entgegenzustellen und unter der Drohung, sie selbst töten zu wollen, von diesen zu verlangen, ihnen das Schwert ins Herz zu bohren234. Auch von vorübergehenden Richtern erzwangen sie oftmals ihre Festnahme und Verurteilung235. Nur in der gesteigerten Feindschaft gegenüber dieser Welt und ihren gesellschaftlichen Normen kann also dieses interessante Phänomen seine Begründung finden. Der enthusiastische Selbstmord bildete aber keineswegs, wie H. FRH. VON CAMPENHAUSEN236 herauszuarbeiten suchte, nur eine „Verrohung" der ursprünglichen Idee des Märtyrertums, sondern drückt unter den Bedingungen der verschärften Auseinandersetzung mit der sozialen und kirchlichen Ordnung die äußerste Abkehr von dieser Welt und damit eine bewußte Ablehnung ihrer Ausbeutungsverhältnisse aus. Verknüpft sind diese Bestrebungen, freiwillig in den Tod zu gehen237, gleichzeitig mit den von einer Sozialrevolutionären Fata Morgana erfüllten, eschatologischen Enderwartungen und der Hoffnung auf das Anrecht der Märtyrer am Gericht Gottes. « 4 Aug. De haeres., c. 69, Migne, P L 42, col. 43; E p . 185, I I I , 12, C S E L , 57, S. 11; E p . 185, I V , 15, C S E L 57, S. 14; E p . a d Catholioos de secta Donatist. 19, 50, C S E L 52, S. 297; FILASTRIUS, De Haeres. c. 85, C S E L , 38, S. 46: „ e t eos inveniunt in via, cogunt eos u t interficiantur ab illis, dicentes se desiderare p a t i m a r t y r i u m . . . " ; dicentes se desiderare p a t i m a r t y r i u m . . . " ; THEODORET, Compend. haeret., Migne, P G 83, col. 423. i3s Aug. E p . 185, I I I , 12, C S E L , 57, 11: „ e t a iudicibus t r a n s e u n t i b u s e x t o r q u e b a n t violenter, u t a earnificibus vel ab officio f e r i r e n t u r " . 23 ' P R H . VON C A M P E N H A U S E N , H . , Die Idee des M a r t y r i u m s . . ., a. a. O . , S . 170. aa7 E i n Vergleich m i t ähnlichen Erscheinungen in der Gnosis (FREND, W. H . C., setzt z. B. T h e D o n a t i s t Church . . ., a. a. O., S. 121 u n d 175 die C. zu den Messalianem u n d Patriciani in Parallele) erscheint n u r möglich, wenn dabei der andere Grundgehalt der Gnosis berücksichtigt wird. Der gnostischen Bewegung, insbesondere der libertinistischen R i c h t u n g , liegt das ü b e r t r i e b e n e M a r t y r e r t u m völlig fern. Aus ihrer dualistischen K o n z e p t i o n der Ablehnung des weltlichen S t a a t e s heraus stehen sie dessen Verfolgungen u n d Maßn a h m e n gleichgültig gegenüber. Die H a l t u n g des Gnostikers gegenüber d e m S t a a t war allein b e s t i m m t von d e m Schutze des Mysteriums, der Gnosis. D a s Geheimnis des göttlichen Wissens galt es auf alle Fälle zu wahren, vgl. FREND, W . H . C., T h e Gnostic Sects a n d t h e R o m a n Empire, a. a. 0 . , S. 30f. B A S I L I D E S selbst noch sah das M a r t y r i u m als eine B e s t r a f u n g f ü r die Sünden an, als ein grausames Machwerk des Demiurgen (Clemens, S t r o m a t a , IV, 81, zit. bei v. CAMPENHAUSEN, H . , Die Idee des M a r t y r i u m s . . ., a. a. O., S. 94.) Eine A u s n a h m e bildeten allerdings die Marcioniten, die den gewaltsamen T o d schätzten. Vgl. v . HARNACK, A., Marcion. Das E v a n g e l i u m v o m f r e m d e n G o t t , Leipzig 1924, S. 150; FREND, W . H . C., The Gnostic Sects, a. a. O., S. 36. Von den in R o m lebenden Patriciani sind sogar Selbstmordbestrebungen b e k a n n t : „ u t e t i a m ultro q u i d a m de eis sibi m o r t e m inferre n o n d u b i t a v e r i n t " , FILASTRIUS, Liber de haeres., c. 6 2 , C S E L , 3 8 , S. 3 2 / 3 3 . J e d o c h waren in der Gnosis u n d im Manichäismus derartige Ansätze, sich selbst zu t ö t e n bzw. sich freiwillig von a n d e r e n t ö t e n zu lassen, v e r b u n d e n m i t der end-
48
4. Das Eingreifen
der Circumcellionen
in die sozialen
Kämpfe
D a s Neue an der Bewegung der Circumcellionen wird dadurch gekennzeichnet, daß die stark sozial betonte eschatologische Konzeption v o n dem K o m m e n des Reiches Gottes nunmehr bereits in der diesseitigen W e l t vorbereitet wurde 2 3 8 . Die Agonisten ließen sich nicht länger vertrösten, sondern versuchten, aktiv den Bedrängten als Rächer für alle sozialen Ungerechtigkeiten zu helfen, u m damit den Sieg der „Sancti" auf Erden vorzubereiten. Die Initiative der Befreiung wurde dabei den aufständischen Sklaven u n d Kolonen selbst überlassen, die aber in den schnell herbeieilenden Scharen der Circumcellionen Hilfe und Unterstützung fanden 2 3 9 . Die Agonisten griffen in besonderen Härtefällen ein und gaben den aufständischen Sklaven und Kolonen einen starken Rückhalt. So vermochten sie immerhin — wie OPTATUS voll Abscheu schildert 2 4 0 — durch Drohbriefe wucherische Gläubiger zur Aufhebung der Schuldverschreibungen zu zwingen und dazu zu bringen, daß diese einen gültigen Erringung der Perfectiwürde und damit einem Teilhaben an der Gnosis. Diese Versuche bedeuten die extreme Steigerung des manichäischen Leistungsprinzips. In dieser Form begegnet uns der freiwillige Tod auch noch in der gnostischneumanichäischen Sektenbewegung des Mittelalters. Neben den Bogomilen tauchen bei den Ketzern von Monteforte 1028 Züge eines gewaltsamen Todes, allerdings nur im vorgerückten Alter, auf (LANDTJLF, Historia Mediolanensis, MGH, SS, VIII, 66). Den Katharern ist die „Endura" nicht unbekannt, die einen freiwilligen Tod durch Verhungern herbeiführte (vgl. BORST, A., Die Katharer. Stuttgart 1953, S. 197). Diese Ausführungen dienten dazu, einen Unterschied zwischen beiden Bewegungen herauszuarbeiten. Tritt bei den Gnostikern das Moment der Erringung der Perfectiwürde und damit des Aufstiegs der Seele in den Vordergrund, so ist der freiwillige Tod der Circumcellionen nicht von einer dualistischen völligen Absage der materiellen Welt bestimmt, sondern im Gegenteil auf eine aktive soziale Umgestaltung der diesseitigen Welt im Rahmen des baldigen Gerichts Gottes gerichtet. 238 G. KEHNSCHERPER sieht in dem Donatismus, insbesondere in der breiten Volksbewegung, wobei er allerdings die Kompliziertheit der donatistischen Bewegung keineswegs voll beachtete und die Zielsetzung der Circumcellionen mit denen der Donatisten allgemein gleichsetzte, den letzten grandiosen Versuch, „den Anbruch der Gottesherrschaft auf Erden zum Heile der Sklaven und Unterjochten, besonders der gequälten Landarbeiter und verelendeten Pächter herbeizuführen", (a. a. O., S. 154). Eindeutig ableiten kann man diesen Versuch nur aus den Maßnahmen der Circumcellionen. 239 Aug. Ep. 108, VI, 18, CSEL 34, 2, S. 632: „ . . . ut contra possessores sous rusticana erigatur audacia et fugitivi servi. . . auctoribus et ducibus et in ipso scelere princibus agonisticis confessoribus vestris . . ." Gerade in der Mitte des 4. J h . muß es auch in Nordafrika einen breiten Strom von sozialen Erhebungen der Sklaven und Kolonen gegeben haben, in die sich die Circumcellionen einschalten konnten. In den Jahren 353 und 361 sind offene Revolten von Sklaven und Kolonen bezeugt (Cod. Theod. X, 8, 4; I, 36, 14). Die wohlhabenden Bürger werden aufgefordert, die Stadtmauern auszubessern und zu reparieren, s. FREND, W. H. C., The Donatist Church . . ., a. a. O., S. 191. 240 OPTATUS III, 4, CSEL, 26, S. 82: „ . . . debitorum chirographa amiserant vires, nullus creditor illo tempore exigendi habuit libertatem, terrebantur omnes litteris eorum, qui se sanctorum duces fuisse iactabant. 49
großen Teil der Schuldtafeln der Sklaven und Kolonen zerbrachen. Ein Widerstand von Seiten der Grundherren schien unmöglich, da die drohenden Scharen der Circumcellionen in diesem Falle nicht zögerten, sofort gewaltsam einzugreifen. So „advolebat subito multitudo insana" 241 , brannten ihnen die Häuser nieder, schlugen die Herren halbtot oder töteten sie sogar. Viele Grundbesitzer, die ihre Sklaven und Kolonen durch besondere Repressalien gequält hatten, wurden von ihren Gutsuntertanen mit Hilfe der Circumcellionen auf der Straße überfallen, wurden vom Wagen gezerrt und gezwungen, an Stelle der Sklaven den Wagen zu ziehen. Und O P T A T U S macht dazu seiner Empörung mit den Worten L u f t : „illorum iudicio et imperio inter dominos et servos condicio mutabatur!" 242. Oder die Aufständischen banden ihre Peiniger an die Mühlen und trieben sie durch Peitschenhiebe an, diese im Kreise zu ziehen 243 , denn welche Gesetze, Beamten usw. konnten diesem Vergehen entgegentreten? Aus dem entschiedenen Vorgehen gegen die wucherischen Gläubiger ist erkennbar, daß die Schuldenfrage 244 auch für die nordafrikanischen Pächter von großer Wichtigkeit war, bedeutete doch eine Verschuldung steigende wirtschaftliche und damit auch weitere rechtliche Abhängigkeit vom Grundherrn. Andererseits zeigen auch die nach sozialem Ausgleich drängenden Aktionen, indem man jetzt die Herren die Wagen und Mühlen ziehen läßt, daß die 'servi' durchaus nicht mehr gewillt waren, sich den alten Abhängigkeitsnormen und Verpflichtungen zu unterwerfen. Bei einer Charakterisierung der Sozialrevolutionären Maßnahmen der Circumcellionen gilt es folgendes festzustellen: Es handelt sich bei diesen Aktionen um kein geplantes Eingreifen in die sozialen Kämpfe der Sklaven und Kolonen, um keine breite Befreiungsbewegung, sondern lediglich um spontane Einzelaktionen. Die Circumcellionen traten vor241 242
243
244
50
Ebd. Ebd. Auch A U G U S T I N greift die Circumcellionen ob ihres „Terrors auf den Äckern", d. h. ob ihres revolutionären Vorgehens gegen die Grundherren zur Unterstützung aufständischer Sklaven und Kolonen wütend an. Contra Gaud. I, 28, 32, CSEL, 53, S. 231: „ . . . maxime in agris territans, ab agris vacans"; vgl. ferner Contra litt. Pet. II, 83, 184, CSEL, 52, S. 114f. Aug. Ep. 185, IV, 15, CSEL, 57, S. 14. „quidam patres familias honesto loco nati et generoso cultu educat vix vivi post eorum caedes ablati sunt vel iuncti ad molam et eam in gyrum ducere tamquam iumenta contemptibilia verbere adacti sunt. Bei den Sozialrevolutionären Maßnahmen zur Vernichtung der erdrückenden Schuldsumme (Schuldscheine und Schuldtafeln) lassen sich leicht Vergleiche mit den Forderungen und Maßnahmen des koptischen Mönchtums anstellen. S C H E N U T E V O N A T R I P E versuchte die soziale Not zu lindern und stellte z. B. in einem sozialen Programm an die Reichen vor allem auch die Forderung der Einschränkung, ja Aufhebung des wucherischen Zinsnehmens auf, um damit der wachsenden Verschuldung und Knechtschaft der koptischen Bauern Einhalt zu gebieten. Vgl. L E I P O L D T , J . , Schenute von Atripe und die Entstehung des national-ägyptischen Christentums. Leipzig 1903, S. 168f.
wiegend anläßlich besonderer Härtefälle 245 auf, und zwar nur dort, wo seßhafte Sklaven und Kolonen sich bereits gegen ihre Herren auflehnten. Darin findet auch die Erklärung ihre Begründung, daß es den aufständischen Kolonen und Sklaven und den Agonisten nur örtlich und zeitlich begrenzt gelingen konnte, die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse zu beseitigen, bis die herrschende Klasse sich zu energischen Gegenmaßnahmen rüstete. Das Eingreifen der Agonisten in die sozialen Erhebungen im 4. Jh. in Nordafrika wurde in dem Moment völlig aussichtslos, als sie in dem Donatismus nicht mehr den nötigen „Deckmantel" für die sozialen Ziele finden konnten. Keineswegs leicht ist die Frage nach der Zielsetzung der Bewegung zu lösen, zumindest können D M I T B E V S Schlußfolgerungen 246 , daß die Agonisten klar umrissene Ziele verfolgt hätten, nämlich die Aufteilung des Landes, die Befreiung aus der Sklaverei und von den Schuldenlasten, quellenmäßig nicht belegt werden. Bekannt ist lediglich ein Auflehnen gegen die übermäßige Ausbeutung und Unterdrückung sowie der Versuch, die Lasten und Schulden seßhafter Sklaven und Kolonen in Härtefällen abzuschütteln. Zudem tritt uns dieses Auflehnen der Agonisten gegen die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse oftmals nur in extrem religiös-asketischen Formen entgegen, keineswegs in einem offenen sozialen Programm. Letzteres würde auch den Grundinteressen der Bewegung widersprechen. Die Betonung liegt bei den sozialen Aktionen der Circumcellionen lediglich auf der Vorbereitung des Gerichts Gottes, nicht aber auf den von den Circumcellionen bereits zu vollziehenden sozialen Umgestaltungen 247 . In diesem Zusammenhang wäre es illusorisch, ein sozialreformatorisches Programm überhaupt zu vermuten 248 . Lassen die sozialen Erhebungen der Sklaven und Kolonen in Nordafrika, einschließlich des sozial-religiösen Protests der Circumcellionen, keine unmittelbaren, weitgespannten revolutionären Zielsetzungen erkennen, so sind jedoch auch sie ein Glied der, den langwierigen Zersetzungsprozeß der Sklavenwirtschaft begleitenden und außerordentlich verschärfenden Klassenkämpfe und reihen sich somit in die allgemeinen gesellschaftlichen Umwälzungen ein. Bei einer Analyse der allgemeinen Zielsetzungen der sozialen Erhebungen in dieser Epoche bieten sich dagegen die Bagauden und die Erhebung der Mazda245 246
247
248
Dies betont auch
DIESNER, H . - J . ,
Studien . . ., a. a.
O.,
S.
65.
DMITREV, A. D., „ V D I " , 3, 1948, S. 67.
Die von v. PÖHLMANN, R . , Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt. München 1925, Bd I, S. 506 ausgesprochene Hypothese von der Schaffung eines auf Gütergemeinschaft beruhenden Gemeineigentums ist im Hinblick auf das Wesen der Bewegung der Circumcellionen nicht zu akzeptieren. Auch die donatistische Bewegung ist bar jeglicher politischer Zielsetzungen, s. F R E N D , W . H. C., The Donatist Church..., a. a. O . , S. 2 2 6 im Zusammenhang mit der Bedeutung der Niederlage GILDOS und O P T A T U s ' v o n THAMTTOADI. Hierbei muß ebenfalls der Meinung M A § K I N S , N. A., daß es uns 'die Kirchenväter zwar nicht ermöglichen, ein soziales System der Agonisten zu rekonstruieren, daß es aber ohne Zweifel ein solches gab, mit; Einschränkung begegnet werden, „VDI" 1 (2), 1938, S. 92.
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kiten mehr an. Neben Handlungen der unmittelbaren, planlosen Reaktion auf die gesteigerte Ausbeutung scheinen den Bagauden noch weitere Ziele vor Augen geschwebt zu haben, die in der Wiederherstellung freier, noch weitaus gentile Züge tragender Dorfgenossenschaften 249 gipfelten, ein Zeichen, wie sehr sich diese Aufständischen noch im Schlepptau der freien alten Stammes- und Dorfgemeinden befanden. Noch deutlicher spiegeln sich diese Ambitionen in der Bewegung des M A Z D A K im Iran im 5 . J h . wider, wo neben den Idealen der Aufteilung des gesamten Vermögens unter alle besitzlosen Gläubigen sogar wieder Forderungen nach der offenbar stammes- und si^penmäßig begründeten Güter- und Weibergemeinschaft auftauchen 2 5 0 . Die Einsetzungen dieser sozialen Erhebungen zeigen also zunächst — rein äußerlich betrachtet — keine progressiven Tendenzen, sondern weisen im Gegenteil auf gesellschaftlich zurückliegende Verhältnisse hin. Eine gewisse zukunfttragende Komponente vermag man jedoch allen sozialen Erhebungen in dieser Epoche, einschließlich der sozialreligiösen Bewegungen, dahingehend abzugewinnen, daß sie beschleunigend zur Zersetzung der Sklavenhalterordnung beitrugen und damit den Barbaren und schließlich neuen gesellschaftlichen Normen den Weg 251 ebneten.
VII. D I E K O A L I T I O N D E S D O N A T I S M U S M I T D E M CIRCUMCELLIONENTUM 1. Das Wesen der donatistischen
Bewegung252
Der Donatismus repräsentierte trotz aller Verbote über mehr als ein Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Macht, und dies verdankt er nicht 219
Darauf deutet die Komödie des QUEROLUS hin, vgl. ENGELMANN, E., a. a. O., S. 385. Allerdings wird man in der Frage der Zielsetzungen dieser sozialen Erhebungen im Westen des römischen Reiches wohl vorwiegend an freien Kleinbesitz auf der Basis der Dorfgenossenschaft denken müssen, während dagegen die Rückkehr zum Gemeinbesitz und der reinen Gentilverfassung höchstens noch als ein fernliegendes Ideal betrachtet werden darf. 260 Vgl. PIGULEWSTCAJA, N. W., Die Problematik des Zerfalls der Sklavenhaltergesellschaft und der Entstehung der Feudalordnung im Nahen Osten. „Sowjetwissenschaft", 5/6, 1953, S. 890; Vgl. ferner Klima, O., MAZDAK. Geschieht:; einer sozialen Bewegung im sassanidischen Persien, Praha 1957, S. 241. Im Gegensatz zu ALTHEIM, F. und STIEHL, R., Ein asiatischer Staat. Feudalismus unter den Sasaniden und ihren Nachbarn, Wiesbaden 1954, S. 192 ff, die erneut vorwiegend den frühen Neuplatonismus als bestimmend für die Lehre MAZDAKS ansehen, betont Klima vor allem wieder neben neuplatonischen Einflüssen (S. 214) den manichäischen Grundgehalt der Lehre (S. 183 ff.). 251 SJTJSJTJMOV, „Sowjetwissenschaft", 1956, 3, S. 371. KASTJAN, A., „VDI" 3, 1953, S. 105 geht in seiner Einschätzung wohl etwas zu weit, wenn er den Aufständischen das bewußte Streben, sich den Weg durch neue Produktionsverhältnisse säubern zu wollen, unterstellt. 262 Es kann im Rahmen dieser Arbeit nicht der Ablauf des donatistischen Schismas behandelt werden. Die kurzen Ausführungen zum Donatismus müssen sich auf die
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kiten mehr an. Neben Handlungen der unmittelbaren, planlosen Reaktion auf die gesteigerte Ausbeutung scheinen den Bagauden noch weitere Ziele vor Augen geschwebt zu haben, die in der Wiederherstellung freier, noch weitaus gentile Züge tragender Dorfgenossenschaften 249 gipfelten, ein Zeichen, wie sehr sich diese Aufständischen noch im Schlepptau der freien alten Stammes- und Dorfgemeinden befanden. Noch deutlicher spiegeln sich diese Ambitionen in der Bewegung des M A Z D A K im Iran im 5 . J h . wider, wo neben den Idealen der Aufteilung des gesamten Vermögens unter alle besitzlosen Gläubigen sogar wieder Forderungen nach der offenbar stammes- und si^penmäßig begründeten Güter- und Weibergemeinschaft auftauchen 2 5 0 . Die Einsetzungen dieser sozialen Erhebungen zeigen also zunächst — rein äußerlich betrachtet — keine progressiven Tendenzen, sondern weisen im Gegenteil auf gesellschaftlich zurückliegende Verhältnisse hin. Eine gewisse zukunfttragende Komponente vermag man jedoch allen sozialen Erhebungen in dieser Epoche, einschließlich der sozialreligiösen Bewegungen, dahingehend abzugewinnen, daß sie beschleunigend zur Zersetzung der Sklavenhalterordnung beitrugen und damit den Barbaren und schließlich neuen gesellschaftlichen Normen den Weg 251 ebneten.
VII. D I E K O A L I T I O N D E S D O N A T I S M U S M I T D E M CIRCUMCELLIONENTUM 1. Das Wesen der donatistischen
Bewegung252
Der Donatismus repräsentierte trotz aller Verbote über mehr als ein Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Macht, und dies verdankt er nicht 219
Darauf deutet die Komödie des QUEROLUS hin, vgl. ENGELMANN, E., a. a. O., S. 385. Allerdings wird man in der Frage der Zielsetzungen dieser sozialen Erhebungen im Westen des römischen Reiches wohl vorwiegend an freien Kleinbesitz auf der Basis der Dorfgenossenschaft denken müssen, während dagegen die Rückkehr zum Gemeinbesitz und der reinen Gentilverfassung höchstens noch als ein fernliegendes Ideal betrachtet werden darf. 260 Vgl. PIGULEWSTCAJA, N. W., Die Problematik des Zerfalls der Sklavenhaltergesellschaft und der Entstehung der Feudalordnung im Nahen Osten. „Sowjetwissenschaft", 5/6, 1953, S. 890; Vgl. ferner Klima, O., MAZDAK. Geschieht:; einer sozialen Bewegung im sassanidischen Persien, Praha 1957, S. 241. Im Gegensatz zu ALTHEIM, F. und STIEHL, R., Ein asiatischer Staat. Feudalismus unter den Sasaniden und ihren Nachbarn, Wiesbaden 1954, S. 192 ff, die erneut vorwiegend den frühen Neuplatonismus als bestimmend für die Lehre MAZDAKS ansehen, betont Klima vor allem wieder neben neuplatonischen Einflüssen (S. 214) den manichäischen Grundgehalt der Lehre (S. 183 ff.). 251 SJTJSJTJMOV, „Sowjetwissenschaft", 1956, 3, S. 371. KASTJAN, A., „VDI" 3, 1953, S. 105 geht in seiner Einschätzung wohl etwas zu weit, wenn er den Aufständischen das bewußte Streben, sich den Weg durch neue Produktionsverhältnisse säubern zu wollen, unterstellt. 262 Es kann im Rahmen dieser Arbeit nicht der Ablauf des donatistischen Schismas behandelt werden. Die kurzen Ausführungen zum Donatismus müssen sich auf die
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zuletzt dem Anschluß der Circumcellionen, wie sich diese umgekehrt ohne den donatistischen Hintergrund und Deckmantel niemals hätten zu derartig schlagkräftigen und gefürchteten Scharen formieren können. Einer näheren Behandlung der Formen und aber auch der Grenzen dieser Liaison muß jedoch ein kurzer Blick auf das Wesen der donatistischen Bewegung vorausgehen. Die donatistische Forschung ist bereits verschiedene Wege gegangen. Untersuchungen katholischerseits suchten zunächst den Donatismus als eine subjektivistische Schwärmerei, die sich aus rein religiös-kirchlichen Motiven 253 gegen die Einheit der Kirche wandte, in das Schema der katholischen Kirchengeschichte einzuordnen — nicht ohne ständig auf die Parallelen im Protestantismus hinzuweisen. Noch weitaus unproblematischer stand eine zweite Richtung der Einschätzung der donatistischen Bewegung gegenüber. Die Reihe der Ursachen für das Schisma wird hierbei auschließlich auf einige persönliche Zwistigkeiten reduziert. So konnte wohl O. SEECK kaum zur Klärung beitragen, wenn er schreibt: „So bildete sich eine Spaltung in der afrikanischen Kirche, die noch Jahrhunderte lang wilde Feindschaft und blutige Kämpfe hervorrufen sollte. Kein prinzipieller Gegensatz, sondern eine erbärmliche Personenfrage hat ihn hervorgerufen" 254. Diese Auffassung gipfelte schon in der Meinung von M. DEUTSCH, ,,. . . daß er überhaupt nicht wisse, welcher Gegensatz prinzipieller Natur sich als Ursache der Spaltung nachweisen ließe, daß die Gründe vielmehr in zufälligen und persönlichen Verhältnissen zu suchen seien"255. Offensichtlich völlig ungenügend wurde hier die Wechselwirkung zwischen Ursachen und Anlaß der Bewegung beachtet, ein Fehler, der auch noch für weitere Untersuchungen256 symptomatisch ist. M i t den A r b e i t e n I . VON DÖLLINGEKS 257 , v o r a l l e m a b e r W . THÜMMELS 258
geriet die donatistische Forschung in neue Bahnen. Bei aller Einschränkung gegenüber einigen Fehlbeweisen THÜMMELS bildeten die Ergebnisse seiner Arbeit im wesentlichen den Ausgangspunkt für die folgenden Abhandlungen zu diesem Thema. THÜMMEL sah nunmehr in dem Donatismus eine einheimifür die Verbindung Circumcellionentum — Donatismus wesentlichen Merkmale und Tatsachen beschränken. 263 Z. B. RIBBECK:, F., a. a. O., Untertitel; REUTER, H., Augustin-Studien. Gotha 1887, S. 236: „ . . . religiös-kirchliche Motive sind es gewesen, welche die donatistische Stimmung begründet haben". 254 SEECK, O., a. a. O., Bd 3, S. 320. 265 DEUTSCH, M., Drei Aktenstücke zur Geschichte des Donatismus. Berlin 1875, S. 41. 256 VGL. ferner VÖLTER, D., Der Ursprung des Donatismus. Freiburg/Br. 1883, S. 118; teilweise FERRERE, F., La Situation religieuse de l'Afrique romaine. Paris 1897, S. 138, und andere. 257 vosr DÖLLINGER, 1.1., Kirche und Kirchen. München 1861, S. 4. 268 THÜMMEL, W . , a. a. O.
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sehe nationalistische Bewegung, verbunden mit einem heftigen sozialen Protest der unterdrückten Bevölkerung 259 . Hatte T H Ü M M E L die „nationalen" Züge keineswegs überbetont und ihnen als Begleiterscheinungen der sozialen Aufstände den richtigen Platz zugewiesen, so erfuhren diese im folgenden oft eine unzulängliche Überspitzung. Neben persönlichen Zwistigkeiten ist so für F. F E R R È R E der „Traum des alten punischen Geistes, das römische Joch abzuschütteln" 260 , mitbestimmend. Selbst in dem großen zusammenfassenden Werk über die nordafrikanische Kirche von P. MONCEAUX261 erfahren diese Tendenzen oft eine unzutreffende Steigerung. I n der neueren Forschung hat z. B. G. G. W I L L I S die THÜMMELsche Konzeption dahingehend erweitert und verallgemeinert, daß er von einem Kampf „between African nationalism and Roman imperialism" 262 spricht. Dagegen hält sich J . P. BRISSON263 allen nationalistischen Überschätzungen fern, indem er die donatistische Bewegung als ein willkommenes Instrument der unterdrückten Bevölkerung, die sich nach Unabhängigkeit von Rom und nach sozialer Gerechtigkeit sehnt, charakterisiert. Der Donatismus ist die größte Manifestation des Separatismus in der afrikanischen Bevölkerung. Die das Thema an und für sich abschließende bedeutende Arbeit des englischen Krichenhistorikers W. H. C. F R E N D über den Donatismus fußt bewußt wieder auf den ursprünglichen Ausführungen T H Ü M M E L S und verdankt ihm, wie der Verfasser selbst in der Einleitung betont, insbesondere seinen Hinweisen über die Verbindung der Bewegung mit der einheimischen Sprache sowie der einheimischen Form des Christentums, sehr viel. F R E N D hat die methodologisch noch unbefriedigenden Ergebnisse T H Ü M M E L S jetzt vor allem unter Hinzuziehung neuerer archäologischer Materialien besser fundieren können. Der Donatismus wird von F R E N D als eine agrarische Bewegung der unterdrückten, einheimischen Bevölkerung gekennzeichnet, die sich im sozialen Protest gegen die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung wendet 264 . Jedoch wird man bei der Untersuchung der sozialen Zusammensetzung der donatistischen Bewegung die Basis doch über den Rahmen der einheimischen unterdrückten Bevölkerung hinausführen müssen. 269
Ebd. S. 27 f.
" O FERRERE, F . , a . a . O . , S . 1 3 8 . 261 MONCEAUX, P., a. a. O., Bd. IV,
262 263
264
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S. 168; ebenso WOODWARD, E.L.,Christianity and Nationalism in the Later Roman Empire. London 1916, S. 33 fi. Ausgeglichener erscheint die Einschätzung von MATROYE, F . , Une tentative revolution sociale en Afrique, Donatistes et Circoncellions. „Revue des questions historiques", Oct. 1904, S. 409,416. WILLIS, G . G . , a. a. O . , Preface. BRISSON, J . P., Les origenes du danger social dans l'Afrique chrétienne du I l l e siècle. „Recherches de Science Religieuse", XXXIII, 1946, S. 315. Die folgenden Arbeiten des Verfassers: Gloire et misère de l'Afrique chrétienne. Paris 1949 sowie die Studie in „La Pensée". Revue du rationalisme moderne, Nr. 67, 1956 konnte ich bisher noch nicht einsehen. F R E N D , W . H . C . , The Donatisi Church . . ., a. a. O . , vor allem S . 5 0 , S . 1 0 8 .
Der Donatismus hat in seinem Bett die zahlreichen Ströme der politischen und sozialen Opposition aufgefangen. Das eigentliche Rückgrat der Bewegung ist allerdings die einheimische unterdrückte Bevölkerung, die mit ihrem unversöhnlichen sozialen Kampf gegen die herrschende Kirche und die römische Herrschaft auch wesentlich zur Beeinflussung der Doktrin des Donatismus beitrug, und insofern hat nunmehr der „nationale" Hintergrund eine gewisse Berechtigung. Durch den Anschluß der unterdrückten einheimischen Bevölkerung erfährt auch das alte einheimische Selbständigkeitsgefühl eine neue Betonung und eine gewisse Wiederbelebung 265 . Neben dem Rückhalt, ja, Wesensgehalt der donatistischen Kirche in den einheimischen unteren Schichten hatte die Bewegung auch in wohlhabenden Kreisen, Kurialen und römischen Grundbesitzern, ihre Stütze, so daß der Donatismus eine breitere provinzielle Basis erhält 266 . Die Ursachen für den Anschluß dieser Schichten sind bisher sozial-ökonomisch ungenügend begründet 2 6 7 und oftmals durch die scharfe Trennung zwischen katholischen Grundbesitzern einerseits sowie einheimischer, donatistischer Bevölkerung andererseits einseitig behandelt worden. Diese heterogene soziale Zusammensetzung der donatistischen Bewegung erscheint vor allem im Hinblick auf die gemeinsamen Aktionen mit den Circumcellionen einer erneuten Beleuchtung wert. I n mehreren Briefen 268 — vor allem aus der Zeit des energischen katholischen Gegenstoßes nach 4 0 0 n. Chr. stammend — wandte sich AUGUSTIN an einige Grundbesitzer mit der Aufgabe, ihre donatistischen Kolonen dem Katholizismus zurückzuführen. Damit gewinnen wir zunächst Anhaltspunkte dafür, daß der donatistische Glaube unter den Kolonen verbreitet war. Gleichfalls ist Briefen AUGUSTINS ZU entnehmen, daß sich auch Grundbesitzer an der Bewegung beteiligten und häufig noch ihre Sklaven und Kolonen zum Übertritt veranlaßten 269 . 266
266
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268
269
5
In diesen Zusammenhang fällt auch das bewußte Anknüpfen an die alte berberische Kunst, die besonders bei der Ausgestaltung zahlreicher donatistischer Kirchen ihre Anwendung fand. Vgl. FREND, W. H. C., The Revival of Berber Art. Antiquity, a quarterly Review of Archaeology, X V I , 1942, S. 347 fl. Insbesondere die sowjetische Forschung hat bereits auf die bunte soziale Zusammensetzung des Donatismus hingewiesen. Vgl. MASKIN, N . A., „VDI", 1 (2), 1938, S. 83. Auch FREND, W. H. C., betont, daß sich seit der Mitte des 4. Jh. philosophisch gebildete Kreise anschlössen, die dem Donatismus oft eine andere Richtung gaben: The Donatist Church . . ., a. a. O., S. 170f. Ungenügend aber werden v o n ihm die sozial-ökonomischen Ursachen für eine breitere Basis der donatistischen Bewegung beleuchtet, die keineswegs nur reinen Zufälligkeiten entspringen. Aug. Ep. 57,2, CSEL 34, 2, S. 215f; Ep. 58, 3, CSEL. 34, 2. S. 217f.; Ep. 89, 8, ebd. S. 424f.; Ep. 112, 3, ebd. S. 658f.; Ep. 139, CSEL, 44, S. 126ff. Aug. Ep. 66, CSEL, 34, 2, S. 235: CRISPINÜS, Bischof von Calama, unterzieht auf seinen Besitzungen die Kolonen der Wiedertaufe. Büttner/Werner, Circumcellionen und Adamiten
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Kaum wird dieser Abfall einer Reihe von Grundbesitzern von der katholischen hierarchischen Kirche allein mit zufälligen, persönlichen Faktoren zu lösen sein, sondern kann nur aus der Sozialstruktur des spätrömischen Reiches heraus eine Klärung finden. Eine Reihe römischer Grundbesitzer in den Provinzen verfolgte im Zuge des Protestes gegen den römischen Fiskus und Zentralismus Tendenzen der Loslösung und Unabhängigkeit von Rom. Ausdruck dieser Absichten war bereits der 70 Jahre vor dem donatistischen Schisma ausgebrochene Gordianische Aufstand von 238270, in dem sich die Landbesitzer von Thysdrus, unterstützt von der übrigen Landbevölkerung, gegen die fiskalischen Ausschreitungen der kaiserlichen Verwaltung wandten und separatistische Ziele verfochten, eine Stimmung, die leicht provinziellen Usurpatoren als Rückhalt dienen konnte. Diese separatistischen Ambitionen fanden jedoch nicht nur in den Kreisen der nach eximierter Herrschaft strebenden privaten Großgrundbesitzer einen aufnahmebereiten Boden vor, sondern wurden auch in den ebenfalls vorwiegend agrarischen Charakter tragenden Städten Nordafrikas von den Kurialen als Protest gegen das Schicksal ihrer Klasse aufgegriffen. Die Führung der donatistischen Bewegung lag ausschließlich in den Händen philosophisch gebildeter Priester, die aus den städtischen Oberschichten stammten. So werden die donatistischen Führer D O N A T U S 2 7 1 , P E T I L I A N 2 7 2 , C R E S C O N I U S 2 7 3 , E M E R I T U S von 275 CÄSABEA274, MAKROBIUS und die interessante Gestalt des T Y C O N I U S ob ihrer großen Kenntnisse in weltlicher Literatur katholischerseits herausgestellt. Sie hatten durchweg in den traditionellen Studien ihre Ausbildung erhalten. Die zeitweise breite städtische Grundlage, wie wir sie ebenfalls den Klagen über die Proskription donatistischer Reicher in „Donatistae cuiusdam sermo de vexatione temporibus Leontii et Ursatii" 276 und dem Edikt von 412 277 entnehmen können, kommt also nicht nur in der Beteiligung unterer städtischer Schichten 278 und der Kolonen der Munizipalgüter, sondern auch in dem Anschluß wohlhabender Kreise, einschließlich einiger Kaufleute, zum Ausdruck. 2,0
H E R O D I A N , V I I , 9 - 1 1 ; v g l . WARMINGTON, B . H . , a . a . O . , S . 2 8 ; f e r n e r J U N G , J . ,
Roman. Landschaften . . ., a. a. O., S. 102ff.; FERWER, R., Die politischen Wirren im römischen Reich von Maximin bis Decius. Jahrbuch des Kgl. Kathol. Gymnasiums zu Neisse, 1874/75. 271
OPTATTJS I I I , 3 , C S E L , 2 6 , S . 7 3 f .
272 PETILIAN hatte vorher als Advokat in Constantine großes Ansehen. Aug. Contra litt. Pet. I, 1, CSEL 52, S. 3. 273 Aug. Contra Cresc. I, 2, 3, CSEL, 52, S. 326. 274 Aug. Ep. 87, 1, 3, CSEL 34, 2, S. 397f. 276 Aug. Ep. 108, II, 6, CSEL 34, 2, S. 617 f. 276
277
VOELTER, D . , U r s p r u n g d e s D o n a t i s m u s , a. a. O . , S. 103.
Cod. Theod. 5, 52. 278 Wenn zur Zeit der Unterdrückung der donatistischen Bewegung beim Nahen der kaiserlichen Truppen die ganze Gemeinde von Thamugadi droht, sich zu verbrennen, so dürften darin die unteren städtischen Schichten ausschlaggebend beteiligt gewesen sein (Aug. Ep. 204, CSEL, 57, S. 317fi.).
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Selbst hohe kaiserliche Staatsbeamten 279 sympathisierten mit der donatistischen Bewegung, wobei hierbei persönliche Vorteile und usurpatorische Interessen nicht ohne Bedeutung waren. Allerdings barg diese abweichende soziale Zusammensetzung auch große Gefahren für den Donatismus in sich. Neben der Schwächung der Bewegung durch philosophische Sonderrichtungen und Abspaltungen stellten die beteiligten Grundbesitzer für die unteren Schichten oftmals nur einen bedingten und unzuverlässigen Bundesgenossen dar. In dem Moment, wo durch den Anschluß der Circumcellionen die Bewegung aus den traditionellen Bahnen des Kampfes gegen Rom und die katholische Kirche zu gleiten schien, suchten viele Grundbesitzer erschreckt und um ihre eigenen Besitzungen bangend die Unterstützung der staatlichen Gewalt und wandten sich gegen ihre ehemaligen Verbündeten. 280 Diese Faktoren sind also gleichsam bestimmend für alle gemeinsamen Aktionen zwischen Donatisten und Circumcellionen. Die Bewegung der Circumcellionen ist ideologisch aus dem Donatismus hervorgekommen, ist aber in der konsequenten Weiterführung der Sozialrevolutionären Forderungen gegen die bestehenden Besitzverhältnisse über die donatistische Bewegung hinausgegangen. Und in diesem Punkte mußten beide Bewegungen getrennte Wege beschreiten. Das sollte sich schon früh in dem gemeinsamen Vorgehen von Circumcellionen und donatistischen Bischöfen zeigen. A U G U S T I N kennt die Scharen der Circumcellionen vorwiegend unter Führung und Protektion donatistischer Kleriker. Die Ausschreitungen gegen katholische Kleriker vor allem zu Beginn des 5. J h . — wie wir noch sehen werden — werden mit Unterstützung donatistischer Bischöfe und Kleriker begangen 281 , bzw. waren donatistische Bischöfe sogar in der Mehrzahl selbst die Anführer, principes282, bei diesen Aktionen. A U G U S T I N verfolgte dabei die Absicht, die Hand2,9
280
281 282
5*
Aug. wandte sich ep. 34 und 35, CSEL, 34, 2, an EUSEBIUS, einen Staatsbeamten, der offen die Donatisten begünstigt hatte. S. 23ff., 27ff. Daraus erklären sich die erfolgreichen Mahnungen Au GÜSTINS in Ep. 57, 89, 112 an die vielleicht eben erst wieder zum Katholizismus übergetretenen Grundbesitzer, standhaft zu bleiben und die Bekehrung ihrer Kolonen zu veranlassen. Gleichzeitig ist es verständlich, daß mit der Anwendung der Ketzergesetze die wohlhabenden donatistischen Schichten um ihren Besitz bangten und als erste das donatistische Banner verließen. Die katholisch-hierarchische Kirche, insbesondere AUGUSTIN, operierten hierbei mit einem geschickten strategischen Schachzug. In richtiger Erkenntnis der propagandistisch besten Angriffspunkte suchten sie die klassenmäßige Heterogenität der donatistischen Bewegung zu ihren Gunsten auszunutzen. Aug. Ep. 44, 4, 9 CSEL 36, S. 116. Aug. Contra litt. Pet. II, 83, 184, CSEL, 52, S. 114: „qui sub vestro principatu furiosis agminibus militant"; Ep. ad cath. de secta Donat. 19, 50, CSEL, 52, S. 297; Ep. 105, 2, 3, CSEL 34, S. 597; Enarr. in psalm. X, 5, Migne, PL 36, col. 134; Ep. 108, 14, CSEL, 34, 2, S. 628; Contra Ep. Parin. I, 11, 17, CSEL 51, S. 39; Contra Gaud. I, 31, 36, CSEL, 53, S. 235.
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lungen der Donatisten, insbesondere der donatistischen Bischöfe, mit denen der Circumcellionen zu identifizieren. Dieses Zusammengehen zwischen donatistischen Bischöfen und Circumcellionen kannte jedoch in Wirklichkeit seine Grenzen. Regte sich in wohlhabenden gebildeten donatistischen Schichten selbts gegen den extremen Fanatismus und die gewaltsamen Ausschreitungen der Circumcellionen gegen ihren gemeinsamen Feind, den katholischen Klerus, bereits oft ein Widerspruch 283 , so mußten ihnen die sozial-revolutionären Angriffe auf die bestehenden Ausbeutungs- und Besitzverhältnisse als weit über ihre eigenen Interessen hinausgehend erscheinen. Hierin kommt deutlich die soziale Begrenztheit eines gemeinsamen Vorgehens führender sowie bestimmender Teile der donatistischen Bewegung und der Circumcellionen zum Ausdruck. Nur in den ihnen sozial gleichgestellten, unteren donatistischen Schichten konnten die Circumcellionen auch bei diesen Handlungen Sympathie finden. Auf die zögernde Haltung einiger donatistischer Kleriker gegenüber den sozialen Aktionen der Sklaven, Kolonen und Circumcellionen werfen Hinweise A U G U S T I N S in Ep. 1 0 8 , VI, 1 8 2 8 4 ein besonderes Licht. Indem sie dieses Vorgehen der Unterdrückten und Entrechteten unter Führung der Circumcellionen nicht billigten, suchten sich die donatistischen Kleriker durch Versprechungen, den Beraubten ihr Vermögen durch Sammlungen in der Kirche und in Häusern ersetzen zu wollen, von den sozial-revolutionären Maßnahmen ihrer sonstigen Verbündeten zu distanzieren. Auch in Contra litt. Pet. I, 24, 26 läßt A U G U S T I N anklingen, daß es einige Donatisten gibt, „qui haec sibi displicere ac Semper displicuisse proclament.'' 285 Dabei richtet sich die Unzufriedenheit einiger donatistischer Führer nicht nur gegen die übertriebenen Selbstmordaktionen der Circumcellionen, sondern vor allem auch gegen die Herrschaft in „fundis alienis". Bereits O P T A T U S hat zur Zeit des Wirkens von A X I D O und F A S I R das Zusammengehen von Donatisten und Circumcellionen einer Einschränkung unterworfen. Er berichtet, daß einige donatistische Bischöfe — sichtlich erschreckt durch das Vorgehen der Circumcellionen gegen die Grundbesitzer und aus Furcht vor einem völligen Umsturz aller Besitz- und Ausbeutungsverhältnisse, einschließlich der donatistischen Herren — den Comes T A U R I N U S gebeten haben, mit Waffengewalt die „disciplinam" wiederherzustellen. T A U R I N U S zögerte 283
284 286
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Dies wird deutlich in dem Brief AUGUSTINS an MAKROBIUS im Jahre 409 (Ep. 108, 14, CSEL 34, 2, S. 628). Hieraus geht hervor, wie der donatistische Bischof M A K R O BIUS über die bei seinem Einzug in Hippo ihn begleitenden und stützenden Scharen der Circumcellionen mehr Mißfallen als Freude empfand und schließlich sogar gegen sie predigte. Über die zwiespältige Haltung von donatistischen Klerikern gegenüber dem Fanatismus der Circumcellionen vgl. ferner Aug. De haeres. 69, Migne, PL. XLII, col. 43; Contra litt. Pet. I, 24, 26, CSEL, 52, S. 20 und II, 47, 110, CSEL 52, S. 84. CSEL, 34, 2, S. 632. CSEL, 52, S. 20.
nicht, diesem willkommenen Ruf mit aller Konsequenz Folge zu leisten und ,,tunc Taurinus ad eorum litteras ire militem iussit armatum per nundinas, ubi circumcellionum furor vagari consueverat."286 In einem Ort namens Octavensis sind viele Circumcellionen getötet bzw. zum Krüppel geschlagen worden. Zunächst aber schienen unter der Herrschaft der Stammesfürsten F I K M U S und GILDO die Circumcellionen und donatistischen Führungskreise zu einer mächtigen Einheitsfront verschmolzen zu sein. Wie sehr jedoch auch hier die jeweilig verschiedenen Klassenpositionen mit in Betracht gezogen werden müssen, soll uns der nächste Abschnitt zeigen. 2. Die Epoche des FIRMUS und GILDO
In ihren separatistischen, gegen den römischen Staat gerichteten Bestrebungen gingen die Donatisten mit den Interessen der aufständischen Stämme und den usurpatorischen Zielen von deren Führern konform, was in den 70er und 80er Jahren des 4. Jh. ein für den römischen Staat nicht ungefährliches Bündnis hervorrief. Die Ursachen für die Erhebungen und Kämpfe der in Mauretanien bereits seßhaften und im Föderativverhältnis stehenden Stämme in dieser Epoche führen auf die gleichen Faktoren, die die Aufstände des 3. Jh schon kennzeichneten, zurück: Die steigenden Steuerlasten und Abgaben an den römischen Fiskus sowie die hinzukommenden Ausschreitungen und Willkürakte von römischen Beamten. Im Jahre 372 brach unter Führung von FLRMUS28' eine Revolte mauretanischer Stämme aus. FIEMTJS selbst, der unter V A L E N T I N IAN I. zum ,,dux Mauretaniae" ernannt worden war und somit über die militärische Verfügungsgewalt der dort stationierten Truppen und der unter römischen Waffen stehenden Förderaten verfügte, nutzte die gegen den Comes Africae, Romanus, bestehende Mißstimmung zur Einigung der Stämme aus288. Durch eine List fiel selbst die Hauptstadt Mauretaniens, Cäsarea289, in seine Hände. Auch in Mauretanien Sitisfensis, Numidien und in der Prokonsularis scheint FIEMTJS teilweise Einfluß gewonnen zu haben. Erst nach dreijährigen harten Kämpfen gelang es dem Magister militum, THEODOSITJS, unter Ausnutzung der Rivalität der Stammesfürsten, des Gegners Herr zu werden290. Die große Ausbreitung und Bedeutung der Erhebung findet ihre Erklärung nur darin, daß sich vielfach ein beträchtlicher Teil der römischen Truppen dem Usurpator anschloß. AMMIANUS M A E C E L L I N U S 2 9 1 erwähnt in diesem Zusammenhang den Abfall der 286
Optatus, III, 4, CSEL, 26, S. 82.
287
Ü b e r FLRMUS S. A r t i k e l PAULY-WISSOWA, R E , V I , 2 3 8 3 f.
288
Wahrscheinlich 372 n. Chr. ließ sich FIRMUS durch seine Truppen zum AUGUSTÜS ausrufen. Über Augustustitel vgl. CIL VIII, 5338.
288
JULIEN, CH. A . , a. a. O., S. 2 2 0 . FEKRÄBB, F . , a. a. O., S. 182. AMMIANUS MARCELLINUS, X X I V , 5, 20.
290 291
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4. Kohorte der Bogenschützen und eines Teils der pedites Constantiniani. Vor allem aber fand F I R M U S die Unterstützung der gesamten einheimischen unterdrückten Bevölkerung sowie aller mit Rom unzufriedenen Schichten. In Rusicade öffnete ihm der donatistische Bischof freiwillig die Tore der Stadt und überließ F I R M U S das Eigentum der Anhänger der katholischen Kirche zur Plünderung 2 9 2 . Die Verbindung der Donatisten mit F I R M U S brachte diesen den Spottnamen „Firmiani" 2 9 3 ein. Noch augenscheinlicher ist das Bündnis der Donatisten mit dem nach einer völlig selbständigen und usurpatorisch unabhängigen Stellung in ganz Nordafrika strebenden Bruder des F I R M U S , G I L D O 2 9 4 . G I L D O war auf Grund der Waffenhilfe gegen seinen Bruder im römischen Heer zu hohen Würden, 385 zum „comes Africae" und schließlich zum ,,comes et magister utriusque militiae per Africam" aufgestiegen und verfügte über große Machtmittel. Auf Grund seiner durch die Unterstützung der Stämme und der Donatisten gewonnenen sicheren Position erschien die Loslösung von der Unterordnung unter Rom nur noch eine Frage der Zeit. 3 9 4 verweigerte G I L D O dem Kaiser T H E O D O S I U S die Waffenhilfe. Die Beziehungen G I L D O S zur römischen Metropole lockerten sich unter H O N O R I U S noch mehr und führten schließlich 3 9 7 zum endgültigen Bruch und der formalen Unterstellung unter das weiter entfernter liegende oströmische Reich 295 . Diese Separation barg für das damalige weströmische Reich große Gefahren in sich, denn G I L D O hielt durch die Abschneidung der Getreidezufuhren nach Rom große Trümpfe in seinen Händen. Damit drohten Italien Hungersnot und nicht zuletzt soziale Unruhen. S T I L I C H O erkannte sofort die Gefahr und entsandte 398 ein Heer nach Nordafrika. Wie sein Bruder F I R M U S sah sich auch G I L D O bald von seinen rivalisierenden Stammesverbündeten im Stich gelassen 296 und erlitt eine Niederlage, die auch für die Bewegung des Donatismus nicht unbedeutend war. Besonders haßerfüllt stellt A U G U S T I N in seinen Streitschriften „Contra litteras Petiliani" und „Contra Epistolam Parmeniani" die Gestalt des donatistischen Bischofs O P T A T U S von T H A M U G A D I heraus, der zeitweise eng mit G I L D O zusammenarbeitete und aus diesem Bündnis für die Vorherrschaft der donatistischen Kirche großen Nutzen zog. Die Herrschaft des O P T A T U S wird von katholischer Seite mit einem „. . . decennalem totius Africae gemitum" 2 9 7 verglichen. 292 293 294 £ 5
'
3!>ii 297
M Tpyaa, qacTHaTa coScTBeHOOT H nipmaBaTa. (Das Verhältnis der Bogomilen und ihrer westl. Nachfolger zur Arbeit, zum Privateigentum und zum Staate) HcTop. nperjiefl X I I , 1956, S. 36-58, bes. S. 45. ANGELOV, D., EorOMHJIBCTBO . . ., S. 148. GASS-MEYEB, Hesychasten. Herzog-Hauek R E V I I I , Leipzig 1900, S. 14-18.
125
pantheisierenden Spekulationen aufzunehmen, weil, wie bereits bei der Frage zum Verhältnis zwischen Katharem und freien Geistern ausgeführt, ein echtes Verwandtschaftsverhältnis besteht: das Vergottungsstreben. Dualismus und Pantheismus, Askese und Libertinismus sind nur seine verschiedenen Ausdrucksformen, nicht verschiedene Prinzipien. S T E P H A N und K Y B I L L waren Exponenten des neuen Bogomilentums, das in Griechenland mystisch-pantheistische Elemente aufgenommen und verarbeitet hatte. L A Z A B vertrat in dieser passiv-kontemplativen Lehrenentwicklung eine praktische Richtung, die eine drastische Demonstration religiöser und sozialer Maximen nach außen war. Er zog sich nackt aus, weil er gegen die Unterschiede, die zwischen Armen und Reichen bestanden, protestieren wollte. Da alle Menschen von Adam abstammen, sind sie auch alle gleich. Sie haben das vergessen, da sie sich Kleider anlegten und sich damit differenzierten. Soll die alte Gleichheit wieder hergestellt werden, dann müssen zunächst die Kleider verschwinden. Originell war der Einfall, einen Kürbis als „Lendenschurz" zu verwenden. Er stand zweifellos mit dem bogomilischen Glauben im Zusammenhang, nach dem Kürbis, Melone und Gurke die meisten Lichtteile in sich vereinigten und daher von den Perfecti als Nahrung genommen wurden, bei den Bogomilen genau wieso bei den Katharern und Manichäern. Im Volksglauben der Bulgaren dienten Äpfel, Orangen, Melonen und Kürbisse zur symbolischen Darstellung der Gestifne. Man brachte sie mit dem großen Weltenbaum in Verbindung, an dem die Lichterscheinungen des Tages und der Nacht hingen und die man als Blätter, Blüten oder Früchte deutete. In den Rätseln sah man besonders Sonne und Mond unter dem Bilde großer Früchte 2 5 2 . Wahrscheinlich flössen bei L A Z A B beide Vorstellungen zusammen, da ja auch für die Bogomilen Sonne und Mond religiöse Symbole waren, wie die Verwendung der beiden Gestirnzeichen auf ihren Grabsteinen zeigt. Die Sonne versinnbildlichte ihnen, vor allem in der Spätzeit, Christus, der Halbmond die himmlische Barke, in der sich die Seelen der Gerechten, der wahren Christen, versammelten 253 . L A Z A B bedeckte demnach seine Scham mit Lichtteilen, mit einem Sonnensymbol, um das Glied, das eine satanische Funktion erfüllte, auszuschalten, zu neutralisieren. A N G E LOV meint nun, daß das Auftreten dieses Mönches in keiner Weise dem Volksempfinden und der -tradition entsprach und nicht viele Menschen zu begeistern vermochte 254 . Tatsache ist jedoch, daß gerade derartig drastische Demonstrationen gegen die herrschende Ordnung und für die eigene Doktrin die Aufmerksamkeit volkstümlicher Kreise auf sich ziehen, die manchmal durch Predigten allein nicht ansprechbar sind. Zumindestens machte das Beispiel L A Z A B S Schule. Ein Mönch namens T H E O D O S I U S , „unwissend und roh (NEE-KÄN H 262 ISS
SADNIK, L., Südosteuropäische Rätselstudien. Wiener slavistisches Jb. Ergänzungsbd. 1, Graz-Köln 1953, S. 49f. SOLOVEEV, A., Le symbolisme de monuments funéraires bogomiles. Cah. d'études cathares 18, 1954, S. 9 2 - 1 1 4 , bes. S. 100.
184
126
ANGELOV, D . , BOROMHJIBCTBO . . . , S . 1 5 1 .
in Taten und Worten wie in der mönchischen Lebensweise (BL HNOYbCKU ÖKpiCih)" nahm sich ihm zum Vorbild. „Niemals brauchte er einen Lehrer, sondern führte eigensinnig in Eitelkeit (BI> coyeT-fc) sein Leben. Die Enthaltsamkeit und das Fasten liebte er ganz besonders und streifte in den Bergen u n d auf Hügeln umher, um sich zu kasteien 2 5 5 . Bald genügte ihm diese Askese nicht mehr, sein Mut und seine Lust, noch weiter zu gehen, stiegen. „Mit falsch verstandener evangelischer Stimme sprach der Verruchte: Wenn einer mein Nachfolger sein will so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich u n d folge mir (Matth. 16,24). E r näherte sich (npHGiiHAHTHce) Städten und Dörfern und begann als Lehrer zu predigen. E r belehrte die Frauen, sich von ihren Männern zu trennen und ebenso brachte er die Männer mit ihren Frauen auseinander. So zerstörte der Elende die gesetzlichen Einrichtungen. Daraus entsprang viel Böses, da er eine Schar von Frauen um sich sammelte, die mit ihm zog. Aber auch Jünglinge und einige wenige Männer strömten zusammen und trugen ein Gewand nach mönchischem Vorbild (ii Bic-fcjsb IIMOYKCKUMI. oft-taBb ÖBftüscoMb). Mit ihnen ging er an einen verlassenen, höhlenreichen Ort, den Gott nicht aufsucht. U n d hier bot sich ein Schauspiel schrecklicher Schmach, schlimmer als jede Schande (ßfccÄKoro c r o y p r o p u i m ) . E r entledigte sich der Kleidung 2 5 6 und zog sich ganz nackt aus (cLBKÜYmuie EO c e e e SS pH3h BicÜYbCKU HÜrb), t r a t vor sie hin und befahl ihnen, bar jeder Kleidung nackt zu gehen . . . Er lehrte sie hinter ihm herzugehen, einer hinter dem anderen, wie die J ü n g e r Christi gefolgt waren . . . . Brach der Abend herein, dann, ach, erreichte sie die Schande (noCTÜruiB C r o y a s ) . War der Haufen in einem Stall zusammengepfercht (cLTHquä^oyce bi ejHHOH ^s-kEHH-k) dann fürchteten sie weder Gott noch machte sie das natürliche Schamgefühl schüchtern, so daß sie schließlich . . . zu einem viehischen Zustand (CKUCKU np-FCGH'iBiiNie) gelangten''. Da sich dieser „schlechte und schändliche Samen auf viele ausbreitete", kam auch zum hl. T H E O D O S I U S davon Kunde. Er ließ die Schar vor sich führen und es gelang ihm, daß alle, die,, unvernünftig und auf viehische Weise dem Mönch gefolgt waren", ihre Häresie abschworen 2 5 7 . Ich glaube nicht, daß es sich bei diesen bulgarischen „Adamiten" nur um einige fanatische Männer und Frauen gehandelt h a t , wie A N G E L O V meint 2 5 8 , sondern daß wir es mit einer klassen- und zeitbedingten Bewegung zu t u n haben, die einen sozialen Protest gegen das Unheil des Privateigentums mit untauglichen Mitteln ausdrückte und versuchte, durch vollrpoyßh)
„ f f l H T i e " ed. ZLADARSKI, cap. 17, S. 23, 15-19. 256 p H 3 a (riza) hat hier die alte Bedeutung Kleid, Gewand vgl. SANDIK, L.-R. AITZMÜLLER, Handwörterbuch zu den altkirchenslavischen Texten. S'Gravenhage 1955, S. 115. So wird es auch im bogomilischen Pa3yMHHKT> (der Vernünftige) gebraucht: Pn3a HeTKaHan a cTyfleHeij HeiicHepnaeMHä? (Das nicht gewebte Kleid und der nicht auszuschöpfende Brunnen?) SADNIK, L., Rätselstudien . . ., a. a. O., S. 76. S. 24, 9-19. cap. 17, S. 23, 21—33; S. 24, 1—7. 268 ANOELOV, D., EoroMMbCTBO . . . , a. a. O. S. 151. 255
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Büttner/Werner, Circumcellionen und Adamiten
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kommene Nacktheit paradiesische Einfachheit mit christlicher Nachfolge zu verbinden. Adam und Christus wurden ja auch in der orthodoxen Lehre miteinander in Beziehung gebracht. Christus galt als zweiter Adam, frei von Sünde: „Adam ist ein Bild des, der zukünftig war" (Rom. 5,14). Er gab den Menschen die Freiheit zurück und vermittelte ihnen die göttliche Gnade259. Der erste Adam verkörperte dem Volke menschliche Gleichheit und Urtümlichkeit, die durch die bogomilische Mission mit Urmenschen- und Engelspekulationen angereichert wurden und die Sehnsucht nach einem Idealzustand, eine Idealgesellschaft ausdrückten. Nicht umsonst sind uns aus Bulgarien so viele volkstümliche Legenden und Erzählungen über Adam und Eva überliefert260. Daß in der 2. Hälfte des 14. Jh. Männer und Frauen ihre gewohnten Lebensformen und -normen aufgaben und „Adamiten" wurden, ist m. E. ein Zeichen für die soziale und politische Krisenstimmung, die in Bulgarien damals herrschte. Wir sind bereits auf die innere Lage der Balkangebiete kurz eingegangen. Verschärft wurde sie in unerträglichem Maße durch die Türkeneinfälle. 1346 plünderten 6000 Seldschuken aus dem Emirat Saruchan das bulgarische Zarenreich, vernichtete Weinberge und Obstkulturen und trieben Viehherden und Menschen zu Tausenden vor sich her261. Man kann sagen, daß bereits seit 1329 diese Einfälle auf dem Balkan zu einer regelmäßigen, immer unerträglicherer Erscheinung geworden waren. Sie verwandelten das reiche und fruchtbare Thrakien in eine menschenleere Wüste. Nachdem das byzantinische Gebiet gründlich ausgeraubt worden war, wandten sich die türkischen Horden gegen Südbulgarien. 1349 verheerten es 20000 Krieger unter dem Kommando Suleimans, des Sohnes Orchans, fürchterlich. Riesige Viehherden und zahllose Gefangene wurden nach Kleinasien getrieben. 1350 und 1351 folgten weitere Plünderungszüge. Am schwersten litten die Gebiete zwischen Konstantinopel, dem Ägäischen Meer und dem Balkangebirge. Stundenlang traf man hier keine menschliche Seele, keine Ansiedlung. Pausenlos durchstreiften türkische Banden das Land und belegten die noch verbliebenen Städte und Dörfer mit schweren Abgaben. Konstantinopel, Trnovo u. a. Städte waren mit unglücklichen Flüchtlingen aus Thrakien überfüllt, die um ein Stück Brot baten, da sie völlig mittellos dastanden. Unter dem Eindruck dieser Katastrophe wurden die Zaren Vasallen der Türken, vermochten aber trotzdem die Einfälle und Übergriffe gegen ihr Gebiet nicht abzuwenden oder einzudämmen262. Die 269
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So etwa ALVARUS PELAGIUS, Secundus adam christus a peccato liber dignitatem ncbis tribuit et restituit libertati, u t . . . vivamus in gratia et tandem in gloria passione, peocati liberi, a. a. O., lib. I I , art. 52, fol. 172. Neben den von IVANOV edierten Beispielen ist auch sein Buch: CTapoStJirapcKH pa3Ka3H (Altbulgarische Erzählungen), Sofia 1935 heranzuziehen. DRINOV, M. S., CiiHHeHHH (Schriften) I I , Sofia 1911, S. 91 f. u. OSTROGORSKY, G., Geschichte des byzantinischen Staates. München 19522 (Byzant. Handb. 1,2) S. 414.
262 N I K O V , P . , TypcKOTO 3aBoeBaiine Ha B u i r a p a n H cböflaTa Ha nocjienHHTe HlmiiMa-
HOBI;H (Die türk. Eroberung Bulgariens und das Schicksal der letzten Sismanen). BtJirapcKa
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