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German Pages 211 [216] Year 1979
HENNIG BRINKMANN ZU WESEN UND FORM MITTELALTERLICHER DICHTUNG
HENNIG BRINKMANN
ZU WESEN UND FORM MITTELALTERLICHER DICHTUNG
ZWEITE, UNVERÄNDERTE AUFLAGE
1979
W I S S E N S C H A F T L I C H E BUCH GESELLSCHAFT DARM STADT
Mit Genehmigung des Max Niemeyer Verlags Tübingen veranstalteter unveränderter reprografischcr Nachdruck der Ausgabe Halle/Saale 1928 Die Nachdruckvorlage wurde uns freundlicherweise von der Württembergischen Landesbibliothek, Stuttgart, zur Verfügung gestellt
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Bestellnummer 4732-X
© 1979 by Max Niemeyer Verlag Tübingen Druck und Einband: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Printed in Germany 2345
Vorwort. Die folgende Schrift bedarf nicht vieler Begleitworte. Was sie will, gibt sie, wie ich denke, selbst deutlich genug zu verstehn. Nur einen Irrtum muß ich im voraus abwehren, der sich nach leidiger Erfahrung leicht einstellen könnte. Wenn diese Schrift sich bemüht, das Eigene mittelalterlicher Dichtung zu erkennen und die Geschichte des mittelalterlichen Dichtstils zu sehn, so beabsichtigt sie damit keineswegs die Bedeutung des Einzeldichters zu verleugnen. Die Erfassung der künstlerischen Einzelpersönlichkeit ist vielmehr eine besondere und, wie ich glaube, sehr hohe Aufgabe, auch für das Mittelalter trotz erhobenen Einspruchs durchaus zu lösen, nur hier nicht gestellt. In erster, kurzer Skizze wurden die Grundgedanken der Schrift im Kreise unserer Jenaer Dozentenvereinigung vorgetragen. Stilgeschichtliche Übungen im Winter 1926/27 förderten die Klärung. Den eifrigen Teilnehmern bin ich darob zu herzlichem Dank verpflichtet. Die Arbeit war ursprünglich als Aufsatz gedacht, und die ersten beiden Kapitel sind auch in der GRM. XV (1927) S. 183 ff. erschienen. Hier sind sie in etwas erweiterter Form wieder abgedruckt. Dem Verleger C. W i n t e r in Heidelberg und Herrn Professor Fr. R. Schröder, dem Herausgeber, die in liebenswürdiger Weise den Wiederabdruck gestatteten, sei dafür an dieser Stelle öffentlich Dank gesagt. Dank aber auch dem Verleger, der trotz bestehender Schwierigkeiten auch dieses Werkchen in seine Obhut nahm! J e n a , im März 1928.
Hennig Brinkmann.
Inhalt. Seite
Vorwort Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung: Einführung I. Die s c h o l a s t i s c h e K u n s t t h e o r i e Frage nach dem Wesen der Schönheit, ihre Behandlung bei Ulrich Engelbert von Strafiburg (2) — Objektive Schönheitsnormen (3) — Der rationale und subjektive Faktor (4) — Kunstbegriff (6) — Künstlerische Tätigkeit (8) — Zusammenfassung (10). II. Die t h e o r e t i s c h e n Ä u ß e r u n g e n der D i c h t e r . . . . Die Äußerungen Konrads von Würzburg im Zusammenhang mittelalterlicher Anschauung (11) — Dichtung als ars (13) — kunst als Inbegriff der sieben freien Künste (14) — Hinordnung des Dichters und Dichtens auf Gott (15) — Ausdehnung des Begriffs 'Dichtung' (16) — Gesellschaftliche Funktion der Dichtung: Unterhaltung und Belehrung (17) — Soziale Umschichtung und ihre Folgen: von der Form zur Sache (20) — Zusammenfassung (23) — Konrads von Würzburg Äußerungen nicht im Widerspruch zur gesellschaftlichen Bedingtheit mittelalterlicher Poesie (25) — Wahrheit des dichterischen Kunstwerks (26). III. Die P o e t i k e n Übersicht über Poetik und Rhetorik des Mittelalters (30) — Macht der Rhetorik (33) — Die drei Zweige der Beredsamkeit und ihre Bestimmung (34) — Aasdehnung des epideiktischen Zweiges (34) — Poesie und Rhetorik (35) — Entwicklung und Stellung des Briefes (37) — Arten des Prosastils (38) — Quellen der mittelalterlichen Rhetorik und Poetik (40) — Gliederung der Poetik (42) — Über Komposition (44) — Erweiterung und Verkürzung (47) — Mittel der Erweiterung (48): Variation des Ausdrucks (48), Umschreibung (48), Abschweifung (49), Vergleich (50), Apostrophe (50), Personifikation (52) — Bedeutung des Erweiterungsverfahrens (53), stilistischer Charakter (53), Zusammenhang mit der jüngeren Sophiatik
III 1—2 2—10
10—29
29—81
VI Seite
(54) — Humanismus und mittelalterliche Position bei Matthaeus von Vendôme (55) — Lehre der Beschreibung bei ihm (57) — Herkunft von Beschreibung und Beschreibungslehre aus der jüngeren Sophistik (61) — Stillehre: die drei Stilarten und ihre ständische Umdeutung im Mittelalter (68) — ornatus facilis und diffieüis (71) — determinatio (75) — Sidonius und Seneca (76) — Theorie der drei Stilarten und der zwei Schmuckarten (77) — Anweisung zu künstlichem Stil (78) — Gegensatz zwischen Matthaeus und Gaufredus (80) — Piatonismus (80). IV. Z u s a m m e n f a s s u n g Der mittelalterliche Wirklichkeitsbegriff (81) — Real die in Gott ruhende objektive Wirklichkeit (82) — Typische Darstellungsform (82) — Keine psychologische Motivierung (85) — Das symbolische Denken (86) — Gesellschaftliche Bedingtheit der Dichtung (90) — Objektivität der Form (92) — Das künstlerische Schaffen ein Ordnen (93) — Der 'mittelalterliche' Stil von der jüngeren Sophistik schulmäßig zuerst festgelegt (95) — Nähe zur bildenden Kunst (95) — Dichterischer und rhetorischer Stil dasselbe (97) — Scheidung nach der leichten und schweren Schmuckart (98) — trobar clus und geblümte Bede in Zusammenhang mit schwerem Schmuck (99) — Rudolf von Ems und Gottfried von Straßburg Vertreter des leichten (100), Wolfram Repräsentant des schweren Schmuckes (101) — Alanus vollendeter Verkörperer mittelalterlichen Stils (101) — Verhältnis zu anderen Stiltraditionen (102).
81—103
V. Zur G e s c h i c h t e des m i t t e l a l t e r l i c h e n S t i l e s . . . 103—184 Beschreibnng in antiker Dichtung (103), in der lateinischen Dichtung des Mittelalters (107) — Ausbreitung des mittelalterlichen Stils in der französischen Dichtung (109): höfische Lyrik (110), Epik (111) — Fortbildung in der Epik (112): Piramus (112), Thebenroman (112), Wace (113), Eneas (113), Benoit (113), Thomas (113), Gautier von Arras (114), Chrestien (114) — Beschreibungen (114): Natur (114), Kunstgegenstände (115), Personen (116) — Auffassung der Beschreibungen (117) — Ausbreitung des mittelalterlichen Stils in der deutschen Dichtung (118) — Vorhöfische Epik: Rother (118), Alexanderlied (118), Rolandslied (119), Eilhart (120) — Höfische Epik: Veldeke (120), Hartmann (122), Gottfried von Straßburg (125), Wolfram (126), Ulrich von Zatzikhoven (127), Fleck (128), Wirnts Wigalois (129), Pleier (130), Stricker, Rudolf von Ems, Heinrich von Freiberg, Herbort von Fritzlar (131), Heinrich von Türlin (132), Konrad von Würzburg (133),
VII Seite
Ulrichs von Eschenbach Alexander (138), Keinfried von Braunschweig (139) — Novelle (139) — Geschichte des deskriptiven Elements im höfischen Roman (140) — Beschreibungen in der allegorischen Dichtung: Der Jüngere Titurel (143), Heinzelin von Konstanz (145), Egen von Bamberg (146), Minneburg (147), Suchenwirt (147), Hadamar von Laber (147), Minneregel Everhards von Cersne (148), Hermann von Sachsenheim (148), Minnereden (149) — Der mittelalterliche Stil in der Lyrik (150) — Anfänge (150) — Walther (152) — Stil der nachwaltherschen Lyrik (154): Spruchdichtung (154), Lied (156) — Schenk Konrad von Landegg (156) — der Buwenburger (158) — Konrad von Würzburg (159) — Frauenlob (160) — Zwei Strömungen im 14. und 15. Jahrhundert (161) — Geschichte der Beschreibung in der Lyrik (161): Naturbeschreibung (161), Frauenschilderung (164) — Wachsmut von Mülnhausen (165) — Otto zum Turne (166) — Wernher von Honberg (167) — Konrad von Altstetten (167) — Tannhäuser (167) — Hugo von Montfort (169) — Muskatblüt (169) — Jörg Schiller (169) — Oswald von Wolkenstein (170) — Das Gedicht Von dem Mayen Krcmtz (175) — Naturalismus des 15. Jahrhunderts (176) — Das Heldenepos (177) — Stilistische Tradition (177) — Beschreibung im Heldenepos (178): Nibelungenlied (179), Herzog Ernst (180), Ortnit (180), Virginal (180), Laurin (181), Bosengarten (182), Eckenlied (182), Biterolf (182), Wolfdietrich (152) — Schilderung im Wigamur (184). YI. S c h l u ß 185-188 Frauenbeschreibung in der Benaissance (185), im 17. Jahrhundert (185) — Zusammenhang mit der jüngeren Sophistik (186) — Mittelalter und Benaissance (186) — Wandlungen des Schönheitsbegriffs (187). Verzeichnis I. Namen II. Sachen III. Griechisches Nachtrag
189—202 189-195 196—202 202 203
Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung. Bei allem Bemühen, Dichter und Dichtung des Mittelalters zu verstehen, ihre Leistung zu würdigen, echtes von unechtem Gut zu scheiden, spüren wir schmerzhaft unsere Unsicherheit. Unsere Wertung ist bedingt durch die große Wende, die sich im 18. Jahrhundert in der Auffassung der Poesie vollzog. Sie hat uns innerlich dem ferngerückt, was früherer Zeit Dichtung und Dichten bedeutete. Nicht alles, was uns heute lebendig scheinen will, war für den Menschen des Mittelalters höchste künstlerische Leistung, und viele, die früher an erster Stelle allgemeiner Schätzung standen, bleiben uns heute fremd. Es ist aber für wahres Verstehen mittelalterlicher Poesie unentbehrlich zu wissen, worin man damals das Wesentliche dichterischer Leistung sah, worin das spezifisch „Mittelalterliche" jener Dichtung besteht. Die Aufgabe ist bedeutsam und schwer und wohl auch niemals völlig zu lösen. Das nötigt uns nicht zu Verzicht, wohl aber zu größter Vorsicht. Von den verschiedensten Seiten her wollen wir versuchen uns Eingang in die ferne Geistes- und Formenwelt zu verschaffen. Dankbar kann ich dabei auf Arbeiten mich vielfach stützen, die selbst das Eigene mittelalterlicher Sehund Denkart erfassen wollen') oder doch unentbehrlichen Stoff für Deutung und geschichtliche Einordnung bereitet haben. ') Ich denke neben den zahlreichen Arbeiten Burdacha und Ehrismanns dabei vornehmlich an Fr. Neumann, Scholastik und mhd. Literatur (N. Jbb. 1922, S. 388 ff.), und G. Müller (Dtsch. Vierteljahrsschr. I [1923] S. 61 ff., II [1924] S. 681 ff.)- Sehr verdienstlich auch ist es, daß H. Schneider in seiner Literaturgeschichte (1925) S. 208ff. Uber die 'Formen des literarischen Lebens im Hochmittelalter' zusammenfassend geschrieben hat.
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Auf vier Wegen wollen wir uns dem Ziele nähern; sie führen über die Kunsttheorie der Scholastik, die theoretischen Äußerungen der Dichter selbst, über die Poetiken jener Zeit und die stilistische Erforschung mittelalterlicher Dichtung durch die moderne Philologie. Dabei müßten wir nicht allein erfahren, was damals Dichten heißt, wir müßten auch Möglichkeiten gewinnen, den mittelalterlichen Dichtstil geschichtlich einzuordnen. I.
Die scholastische Kunsttheorie. Grabmann hat gesagt, daß der theoretische Schönheitsbegriff der Scholastik „keine unmittelbare Beziehung zur Kunst (der Zeit) intendiert" (S. 73)1). Diese Auffassung liegt nahe genug, da die Scholastik in ästhetischer Erörterung nicht mit Beispielen zeitgenössischer Kunst arbeitet. Und es ist natürlich richtig, bei ihrer ganzen Einstellung aber auch selbstverständlich, daß sie ihren Schönheitsbegriff nicht aus der Betrachtung der künstlerischen Umgebung gewinnt. Es ist aber ebenso selbstverständlich, daß sie wie noch jede Philosophie Begriffe gestaltet, die vom lebendigen Empfinden der Zeit abgelöst sind. Und so werden uns diese Begriffe doch einiges aussagen dürfen von der Auffassungsweise der Zeit. Nnr darauf, nicht auf Herstellung fester, einzelner Beziehungen kommt es an. Mit dem allgemeinsten ästhetischen Problem, mit der Frage nach dem Wesen der Schönheit, beschäftigt sich verhältnismäßig ausführlich Ulrich Engelbert von Straßburg in der Summa de bono. Er bringt uns am besten die verschiedenen Begriffe nahe, die in dar ästhetischen Erörterung maßgebend sind. Schönheit ist nur da, wo Form ist; sie wird im Anschluß an den Areopagiten gefaßt als lux splendens super formatum (S. 74). Hier wirkt die neuplatonische Lichtmetaphysik ein, die nur da Form erkennt, wo die Materie von der absoluten Intelligenz durchstrahlt wird. Aber das Formlicht leuchtet ') M. Grabmaiiii, Des Ulrich Engelberti von Straßburg o. Pr. (f 1277) Abhandlung De pulchro (Sitz.-Ber. München phil. Kl. 1926, 5. Abh.)
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nur über Dingen, die zu ihm in Proportion stehen (lux formalis) splendet tantum super formatum sibi proportionatum). Damit kommt zu den metaphysischen Voraussetzungen ein formal objektives Gesetz: die Proportion. Und so ergibt sich die neue Bestimmung des Schönheitsbegriffs (S. 74): pulchritudo materialiter consistit in consonantia proportionis perfectionis ad perfectibile. Oder nach Dionysius Areopagita: pulchritudo est consonantia et claritas. Die claritas wird nicht weiter erläutert, wir haben in ihr einen Hinweis auf die Auffassung der Form als Licht zu sehen. Die consonantia enthält die Voraussetzung der Proportioniertheit des ästhetischen Gegenstandes, und diese Voraussetzung wird von Ulrich für das Körperschöne genau umgrenzt. Seine Definition des Körperschönen folgt Augustin (De civitate Dei 22. 18, 2): pulchritudo est partium congruentia cum quadam suavitate colorís'). Diese Definition, die schon bei Cicero begegnet, beherrscht in mannigfachen Abwandlungen das Mittelalter. Sie ist sogar in die Schulpoetiken eingedrungen; wir lesen in der ars versificatoria des Matthaeus von V e n d ó m e e s t autem forma elegans et idónea membrorum coaptatio (vel dispositio) cum suavitate colorís. Für das Körperschöne — das hier gegen 'Seelenschönheit' abgegrenzt ist — werden vier formale Gesetze aufgestellt, die notwendig erfüllt sein müssen. Da es sich hier um eine in ihrer Gesamtheit einzigartige Stelle handelt, gebe ich sie mit Ulrichs Worten (S.77): proportio in corporibus est in quadruplici consonantia quantitatis materie ad naturam forme ... et tertio in- consonantia numeri partium materie cum numero potentiarum forme quantum ad corpora inanimata et quarto in consonantia partium ínter se secundum jiroportionem quantitatis in relatione ad totum corpus. Ideo in talibus omnia hec requiruntur ad perfectam pulchritudinem essentialem. Das erste Gesetz erfordert entsprechende Disposition, um die lux formalis aufnehmen zu können, das zweite Übereinstimmung der Größe eines Gegenstands mit seiner Artung (was unterhalb der richtigen Größe liegt, ist zierlich, aber nicht schön), das dritte *j Über Augustins Ästhetik vgl. A. Berthaud, Sancti Augustini doctrina de pulchro. Pictavii 1891. a ) Bei Edm. Faral, Les arts poétiques du X I I « et du X f f l e sifecle, Paris 1923 (Bibl. de l'école des hautes études fase. 238), S. 134.
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Vollständigkeit (so darf beim menschlichen Körper kein Glied fehlen), das vierte richtiges Größen Verhältnis der Teile zueinander und zum ganzen Körper (so darf der Kopf nicht zu groß sein). Ich habe diese formalen Gesetze nicht aufgeführt, um materielle Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Es kommt mir nur darauf an zu zeigen, daß die Schönheit lediglich durch sachliche Merkmale, völlig unabhängig vom ästhetischen Eindruck, bestimmt wird. Dieser Haltung müßte im Bereiche künstlerischen Schaffens eine Poesie entsprechen, die Erfüllung transsubjektiver Normen ist, die weder Ausdruck noch Eindruck, sondern Gegenständlichkeit will. Und auch in ihr sollte etwas von der Forderung richtiger Proportion zu spüren sein. Wo Ulrich den ästhetischen Gegenstand in Beziehung zum Betrachter setzt, redet er von honestas, nicht von pulchritudo. Im Anschluß an Ciceros Schrift de inventione (II, 158), die im Mittelalter neben dem 'Auetor ad Herennium' dem Rhetorik Unterricht zugrunde lag, sagt er (S. 79): pulchritudo rei est decentia sue formalitatis, honestas autern convenit rei in comparatione ad aliud scilicet quia res ex sua perfectione et formalitate apta est, ut placeat et delectet intuentem intuitu intellectuali vel sensibili. Da ist schon vom Eindruck des ästhetischen Gegenstands die Rede und den Gefühlen, die er auslöst; die objektiven Schönheitsnormen aber bleiben unverrückbar, auch bei den anderen Philosophen, die in ihrer Theorie mehr Rücksicht auf den subjektiv psychologischen Faktor nehmen, wie bei Thomas und Bonaventura. Man ist überhaupt im Bestreben, scholastische Äußerungen im modernen Sinne zu interpretieren, etwas voreilig gewesen, man sah nicht recht, daß man sie damit aus ihrer Bedeutungswelt herausnahm. De Wulfs 1 ) Versuch, Thomas zu modernisieren, hat E. Lutz 2 ) mit Recht zurückgewiesen. Eine falsche subjektivistische Deutung Bonaventuras durch Erwin Rosenthal in seinem sonst so schönen Giotto-Buche 3 ) wird nachher zurück') Maurice de Wulf, Études historiques sur l'esthétique de St. Thomas d'Aquin. Louvain 1896. 2 ) E. Lutz, Die Ästhetik Bonaventuras (Beitr. z. Gesch. der Philosophie des MA.s, Suppl.-Bd. 1913, Festgabe für Cl. Baeumker, S. 195 ff), S. 202f. und S. 205 f. 8 ) Erwin Eosenthai, Giotto in der mittelalterlichen Geistesentwicklung. Augsburg 1924.
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zuweisen sein. Thomas 1 ) ist das Ästhetische vornehmlich eine intellektuelle Angelegenheit. Das zeigt seine Erklärung der claritas. J e mehr claritas ein Gegenstand besitzt, desto besser ist er zu erkennen. Und die ästhetische Betrachtung ist nach ihm überhaupt in hohem Grade ein rationaler Akt. E r sagt, daß im Anblick oder in der Erkenntnis des Schönen das Verlangen zur Ruhe kommt 2 ). Anblick und Erkenntnis gehen in der ästhetischen Betrachtung zusammen, aber so, daß die Erkenntnis übergeordnet ist. Und es wird vom schönen Gegenstand verlangt, daß er der Erkenntnisfähigkeit des anschauenden Subjekts angepaßt sei. Diese aristotelische Forderung lag auch dem zweiten Proportionsgesetze Ulrichs zugrunde. Am klarsten aber spricht sicli die Intellektualisierung des Schönen in dem Satze des hl. Thomas aus (Summa Theol. I qu. 5, a. 4, a d l ) : Pulchrum respicit vim cognoscitivam. Damit ist dann auch die richtige Auffassung der Worte gegeben, mit denen Thomas fortfährt: pulchra enim dicuntur quae visu placent; unde pulchrum in debita proportione consistit, quia sensus delectantur in rebus debite proportionatis, Das sinnliche Wahrnehmungsvermögen ist hier nur eingeschaltet als Vermittlungsglied zwischen dem proportionierten Gegenstand und dem Menschen, der die Schönheit des Gegenstands erkennt. Die durch sinnliche Wahrnehmung des einzelnen Menschen vermittelte ästhetische Betrachtung bleibt ein intellektueller Vorgang. Den subjektiven Faktor berücksichtigt Bonaventura noch stärker als Thomas, nur gibt er ihm nicht eine rationale, sondern mehr sinnliche F ä r b u n g seiner mystischen Haltung gemäß. Die Betätigung und Befriedigung der Sinne wird stärker betont. Aber auch hier folgt auf die apprehensio et oblectatio die diiudicatio (ed. Quaracchi V, S. 300f.), und die Gültigkeit der objektiven Schönheitsgesetze bleibt unangetastet. In ihnen dürfen wir das Wesentliche mittelalterlicher Schön') Über seine Kunstbetrachtung vgl. den reichhaltigen Aufsatz von Adolf Dyroff, Zur allgemeinen Kunstlehre des hl. Thomas (Beitr. z. Gesch. der Philosophie des MA.s, Suppl.-Bd. II 1923, Festgabe für Cl. Baeumker, S. 197 ff.). 2
) Summa theol. II, 1 qu. 27, a. 1, ad 3: ad rationem pulchri pertinet quod in eins aspectu seu cognitione quietetur apprehensio.
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heitsanschauung sehen, die sich weitgehend mit der Auffassung der Antike deckt. Es herrscht Norm- oder Maßästhetik. Sie ist besonders ausgeprägt bei dem hl. Augustin, der antike und eigene Gedankengestaltung dem Mittelalter weitergibt; der Begriff des numerus freilich, der in seinen ästhetischen Erörterungen unter pythagoräischem Einfluß führt, ist stark zurückgetreten. Über Kunst, Kunstwerk und Künstler hat sich Thomas von Aquin an zahlreichen Stellen geäußert, die von Dyroff a. a. 0. besprochen sind. Wo ars die engere Bedeutung 'Kunst' hat, denkt Thomas zunächst an die Architektur, die er in der Auswahl seiner Beispiele bevorzugt. Aber auch die Dichtung, die ars versißcandi, gehört dahin. Nur wird nicht alles, was von ars im allgemeinen ausgesagt wird, ohne weiteres auch auf Poesie übertragen werden dürfen. Mir ist bei Thomas keine Äußerung gegenwärtig, die sich über die Einordnung der Poesie in das System der artes ausspricht; wohl aber ließe sich auf eine Stelle in Hugo von St. Victors Eruditio didascalica (Mignel76, Sp.768f,) hinweisen 1 ), die bereits Taylor herausgehoben hat (The mediaeval mind II [London 1925] S. 137). Da wird das Schrifttum in artes und appendentia artium gegliedert: Artes sunt quae philosophiae supponuntur, id est quae àliquam certam et determinatavi philosophiae materiam habent, ut est ars grammatica, dialectica et cetera huiusmodi. Appendentia artium sunt, quae tantum ad philosophiam spectant, id est quae in aliqua extra, philosophiam materia versantur; aliquando tarnen auaedam ab artibus discerpta sparsim et confuse attingunt, vel si simplex narratio est, viam ad philosophiam praeparant. Huiusmodi sunt omnia poetarum carmina, ut sunt tragoediae, comoediae, satirae, heroica, quoque et lyrica et iambica et didascalica quaedam, fabulae quoque et historiae, illorum etiam scripta, quos nunc philosophos appelare solemus, qui et brevem materiam longis verborum ambagibus extendere consueverunt et facilem sensum perplexis sermonibus obscurare vel etiam diversa compilantes, quasi de ») Über das Verhältnis der Poesie zu den artes vgl. auch R Meißner, Dein Clage ist one reimen (Vom Geiste neuer Literaturforschung. Festschr. f, Wftlzell924, S.27f.).
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multis coloribus et formis unam picturam facere'). Artes im engeren Sinne sind die Septem artes liberales, die als strenge Wissenschaften lautere und ungetrübte Wahrheit vermitteln. Das dichterische, rhetorische und kompilatorische Schrifttum ist 'Anhängsel' dieser artes, sofern es Ergebnisse der Wissenschaft verwertet oder den Menschen zu ihr hinführt. Hugo, der sonst so tiefes Empfinden für die Schönheit der Natur verrät (Migne 176, Sp. 820f.), mißt hier die Literatur allein am wissenschaftlich gefaßten Wahrheitswert und kommt so zu ihrer niedrigen Schätzung. Ob diese Haltung der Literatur gegenüber auch auf Thomas übertragen werden darf, weiß ich nicht. Jedenfalls aber dürfen wir die allgemeinen Bestimmungen, die der Aquinate von Kunst, Kunstwerk und Künstler gibt, auch auf poetischen Bereich übertragen. D i e Berechtigung dazu entnehme ich der Feststellung, daß diese Bestimmungen sich in den P o e t i k e n 2 ) und selbst in der Dichtung 3 ) wirksam erweisen. D i e Kunst ahmt die Natur nach, soweit sie vermag (An. post. I, 1, 5). E s kommt hier nicht auf die Begründung des Satzes, sondern nur auf das richtige Verständnis an. E s liegt nahe, ihn im Sinne des Illusionismus zu erklären. Dazu aber haben wir kein Recht. W i r werden ihn am ehesten begreifen, ') Diese Stelle, die dichterische Gattungen mit den zeitfremden Bezeichnungen der Antike nennt, nimmt docli in ihrem letzten Teile zur zeitgenössischen Literatur kritisch Stellung: gegen die Dialektiker, den dunkeln Stil und die Kompilatoren. Erweist sich hier lebendige Beziehung zur Gegenwart, so wird anderwärts wieder Wissensstoff vermittelt, der in der eigenen Zeit ohne Entsprechung ist, z. B. in dem Kapitel De theatrica scienlia (Migne 17G, Sp. 762f.). Dies Verfahren ist ungemein kennzeichnend für theoretische Erörterung im Mittelalter. a ) Das gilt für die Auffassung des Schaffensprozesses in der Poetria des Gaufredus de Vinosalvo (v. 43ff. bei Faral a. a. 0. S. 198f.), über die sogleich zu reden sein wird. 3 ) So wird im Lohengrin Str. 765 (hrsg. von H. Rückert, 1858, S. 203) das Gedicht mit einem Bau verglichen: an dem Bau eines Hauses wurde von Aristoteles (Met. VII, 7—8), Plotin, Thomas und sonst in der Scholastik gern der künstlerische Schaffensprozeß erläutert. Conradus. de Mure vergleicht in seiner Summa de arte prosandi den Aufbau des Briefes mit dem Bau eines Hauses (vgl. Quellen z. bayer. u. dtsch. Gesch. IX, 1 [1863] S. 440). Aber auch sonst ist in den Vor- und Nachreden der mhd. Epen leicht die Beziehung zum scholastischen Denken zu finden.
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wenn wir wieder Hugo von St. Victors Eruditio didascalica zu Rate ziehen. Er scheidet 1.1 cap. 10 (Migne 176, Sp. 747) drei Arten von opus: opus dei est, quod non erat, creare; opus naturae, quod latuit, ad actum producere; opus artificis (sc. imitantis naturam), disgregata coniungere vel coniuncta segregare. Die zahlreichen Beispiele für die Art der N atur nach ahm ung durch den Künstler (z. B. qui statuam fudit, hominem intnitus est) zeigen, daß es sich nur um eine allgemeine gattungsmäßige Nachahmung, nicht um ein Nachbilden einzelner konkreter Züge handelt. Daß die Kunst nur eine ideelle, keineswegs aber eine materielle Übereinstimmung mit der Natur erstrebt, sagt mit erwünschter Deutlichkeit der Satz:1) Praeterea opera artificum, etsi natura non sint, imitantur tarnen naturam et sui exemplaris formam ratione exprimunt. Der Künstler schafft nach Analogie der Naturdinge, und die stofflichen Elemente seines Werkes sind der Natur entlehnt. Die Auffassung der Nachahmungstheorie ist also völlig ungeeignet, eine Art von Naturalismus zu begründen. Daß die ratio für die künstlerische Tätigkeit entscheidende Bedeutung hat, lehrt die Definition (An.post. I 1, 1): Nihil... aliud ars esse videtur, quam certa ordinatio rationis, quomodo per determinata media ad debitum finem actus humani perveniant. Das Schöne ist zwar mit dem Guten identisch, darum aber ist die künstlerische Tätigkeit noch keine sittliche Handlung, sie stellt vielmehr einen besonderen Akt dar. Wahr ist das Kunstwerk, wenn es mit seinem Urbild (exemplar) übereinstimmt, die Natur, wenn sie dem göttlichen Urbild ähnlich ist; mit den Worten des Thomas (Summa Theol.I qu. 16, a. 1): . . . res artificiales dicuntur verae per ordinem ad intellectum nostrum; dicitur enim domus vera, quae assequitur similitudinem formae, quae est in mente artificis. Das Kunstwerk ist auf die Form im Geist des Künstlers, die Form im Geiste des Künstlers auf das Urbild im Geiste Gottes hingeordnet. Den Vergleich zwischen Gott und dem Künstler und die Abhängigkeit des Kunstwerks vom Künstler hat Auf diese Stelle hatte K. Francke (Zur Gesch. der lat. Schulpoesie, München 1879, S. 21) hingewiesen nach Schlosser, Vincent v. Beauvais (II, 1819, S. 43), und sie offenbar in illusionistischem Sinne mißverstanden.
Thomas nach dem Vorgänge Augastins*) mehrfach ausgesprochen í ). Ebenso urteilt Bonaventura (V, 12): effeetus artificialis exit ab artífice, mediante similitudine3) existente in mente; per quam artifex excogitat, antequam producit, et inde producit, sicut disposuit. Producit autem artifex exterius opus assimilatum exemplari interiori eatenus, qua potest melius. Diese Stelle, die nur scholastisches Gemeingut widergibt, wird von Rosenthal (a. a. O., S. 54 ff.) zu weitgehend im Sinne stärkerer subjektiver Betätigungsmöglichkeit des Künstlers aysgelegt. Sie stimmt mit der Meinung des Aquinaten völlig überein. Vom inneren Bild zum fertigen äußeren Werk durchläuft der Schaffensvorgang die Stufen des excogitare, disponere und producere. Daß der Künstler nach einem inneren Bilde schafft, ist auch der Poetik geläufig. Gaufredus de Vinosalvo erläutert mit dem Beispiel vom Häuserbau (Poetria nova v. 43ff., bei Faral a. a. 0., S. 198): Eh' Hand ans Werk gelegt wird, muß das Bild des Hauses im Inneren klar überlegt sein. So gilt für die Dichtung (v. 58f., S. 199): Opus totum prudens in pectoris arcem contrahe, sitque prius in pectore quam sit in ore. Der Ausführung gehen Konzeption und Ordnung im Innern auch hier voran. Die vier Ordnungen, die Thomas von Aquin für das Zustandekommen des Kunstwerks aufstellt (bei Dyroff a. a. 0., S. 210f.), sind unter sich nicht gleichartig; 1. und 2. sind vom Geiste des Schaffenden aus gegeben, 3. und 4. beziehen sich lediglich auf den Vollzug der Ausführung und kommen daher hier kaum in Frage; für den Vorgang nach 1. ist die apprehensio, nach 2. die intentio maßgebend: entweder „der Künstler erfaßt die Form des Hauses zuerst {primo) 'absolut' und führt sie dann in die Materie ein", oder „er strebt das Haus als Ganzes zu vollenden und deshalb tut er alles, was er im Hinblick auf die Teile des Hauses l ) Vgl. Berthaud a. a. 0., S. 64 ff. ') Summa theol. I qu. 14, a. 8: scientia Bei se habet ad omnes res creatas sicut scientia artifids se habet ad artificiata; qu. 17, a. 1: dependent . . . ab intellectu divino res naturales sicut ab inteUectu humano res artificiales; qu. 14, a. 8: Scientia autem artifids est causa artificiatorum, eo quod artifex operatur per suum intellectum. Unde oportet, quod forma inteUectus sit principium operationis: sicut calor est principium calefactionis. *) Es wird noch betont, daß die simüitudo auf Gott zurückgeht.
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operiert" (Dyroff). Das Kunstwerk ist fehlerhaft, wenn die Übereinstimmung mit dem inneren Bilde oder die Hinordnung auf den besonderen vorgenommenen Zweck nicht erreicht wird. Wie sehr Thomas gewöhnt ist, mit Beispielen aus bildender Kunst zn arbeiten, erkennen wir, wenn er als Formen der Kunstdinge, die aus der conceptio des Künstlers hervorgehen, Komposition, Ordnung und Figur bezeichnet. Dabei wird bezeichnenderweise die Figur vor der Farbe bevorzugt. Eine kurze Zusammenfassung wird als wesentliche Ergebnisse festhalten: Das Schöne wie das Kunstwerk weisen auf Gott zurück; das Schöne ist Widerschein des göttlichen Lichts, das Kunstwerk ist auf die similitudo im Geiste des Künstlers und diese auf das Urbild im Geiste Gottes hingeordnet. Damit ist eine transzendente Einstellung der Kunst gefordert und begründet. Das Schöne wird durch die Form, diese durch die Proportion konstituiert. Man sieht wohl den subjektiven Reflex des Schönen, aber bestimmend ist allein das objektive unverrückbare Gesetz, nicht der Eindruck. Eine außerseelische Ordnung ist maßgebend. Das Kunstschaffen selbst ist ars (rtxvT]), ein Ordnen des Verstandes; solches Schaffen aber ist denkbar nur als Gestaltung von etwas Gegebenem. Wir sind durch die Erlebnistheorie für das Verständnis dieser Kunst verdorben. Und das darf jetzt schon gesagt werden, daß dem Mittelalter unmittelbar persönliche Aussprache nicht letzter Wert war. Darum bleibt natürlich das Werk persönliche Schöpfung des Künstlers, geschaffen nach dem inneren Bilde seines Geistes. Aber jede Willkür seiner schöpferischen Bewegung bändigt das objektive Schönheitsgesetz. 1 )
II.
Die theoretischen Äußerungen der Dichter. Wir ergänzen unsere Kenntnis mittelalterlicher Kunstanschauung durch die theoretischen Aussagen der Dichter, die sich namentlich in den Vor- und Nachreden der Dicht•) Bei Augustm verbindet sich in eigentümlicher Weise maäästhetische Auffassung (proportio und numerus) mit der höheren Bewertung des Gehalts (sententiae) vor der äußeren Gestalt (metra), des Bildes, das der Künstler im Innern trägt, vor dem fertigen Werk. Er geht soweit, zu sagen, daß
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werke, seltener in selbständiger Stellung finden. Hier ist soweit vorgearbeitet, daß ich mich mit Darstellung des Wesentlichen und gelegentlicher Ergänzung begnügen kann. Dankbar sind vor allem die Ausführungen von Borinski'), Ehrismann2) und Vietor3) benützt. Die Einleitungen der Epen sind von Kitter 4 ) und Haipersohn5), die Schlüsse von Käthe Iwand6) zusammengestellt und geordnet. Die Anschauung vom 'Dichterrausch' hat R. Meißner verfolgt (a. a. 0.). Es scheint mir zweckmäßig am Beispiel der Einzelaussage zu erläutern. Ich wähle dafür Konrad von Würzburg, dessen Äußerungen im Rahmen des Kunstbegriffs der Minne- und Meistersänger bereits von Burdach7), Roethe8) und Lempicki") besprochen sind. Diese Äußerungen gelten als einzigartig in mittelalterlicher Dichtung. Ich glaube zeigen zu können, daß sie doch völlig in mittelalterlicher Anschauung wurzeln, ohne darum ihre spezifische Färbung zu verkennen. Über die Stellung des Dichters und der Dichtung spricht sich Konrad in der Einleitung zum Trojanerkrieg1") und in einem Spruche11) aus, über Zweck und Nutzen der Poesie in der Einleitung zum ars überhaupt nur im Geiste (in animo) des Künstlers ist. Und doch vergleicht dann gerade er wie Honorius Augustodunensis und Bonaventura das Weltall mit einem herrlichen Gedicht. ') Karl Borinski, Die Antike in Poetik und Kunsttheorie I (Das Erbe der Alten IX), Leipzig 1914. 2 ) G. Ehrismann, Studien über Budolf von Ems (Sitz.-Ber. Heidelberg 1919, phil. Kl. Abh. 8). 3 ) K. Vietor, Die Kunstanschauung der höfischen Epigonen (PBB. 46 [1922] S. 85 ff.). Bei Ehrismann und Vietor auch weitere Literatur. *) Bichard Bitter, Die Einleitungen der altdeutschen Epen, Diss. Bonn 1908. *) Rubin Haipersohn, Über die Einleitungen im altfranzösischen Kunstepos, Diss. Heidelberg 1911. *) Käthe Iwand, Die Schlüsse der mittelhochdeutschen Epen (Germanische Studien, Heft 16), Berlin 1922. ») Konrad Burdach, Reinmar und Walther, Leipzig 1880, S. 30 ff. •) Gustav Roethe, Die Gedichte Reimars von Zweter, Leipzig 1887, S. 186 ff. •) Sigmund v.Lempicki, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunders, Güttingen 1920, S.26ff. l ") Bibliothek des literarischen Vereins XLIV, S. 2f., v. 68—211. ") Kleinere Dichtungen Konrads von Wttrzburg, herausgegeben von Edw. Schroeder, i n (Berlin 1926) S. 66.
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Partonopier 1 ). Es ist für Konrad selbstverständlich zu betonen, daß seine Dichtergabe Geschenk Gottes ist. Diese Anschauung teilen Walther (2(5, 3f.), Rûmzlant, der Meißner, Sonnenburg (vgl. Burdach a. a. 0., S. 31), Damen, Teichner, Mügeln (Roethe a. a. 0., S. 189) 2 ); in der französischen Dichtung vertritt sie z. B. Crestien im Erec (v. 47), Sie fügt sich der scholastischen Ansicht. Aber einen doppelten Vorrang (zwîvalt ère) hat der Dichter vor den übrigen Künstlern voraus: Dichtung ist nicht erlernbar (nieman gelernen han red und gedcene singen) und sie braucht kein Handwerkszeug (son darf der sanc niht helfe wan der zungen und der brüste). Voraussetzung des ersten Vorzugs ist der Glaube, daß man zum Dichter geboren sein muß. Und dieser Glaube ist gut mittelalterlich 3 ), wie für den Dichter (der Ineinssetzung des poetischen mit dem rhetorischen Stil gemäß) auch für den Redner gültig, von Boncompagno im Sinne schöpferischer Originalität betont 4 ). Die Notwendigkeit der Ausbildung wird durch ihn aber keineswegs bestritten. Gerade Werke, die aus dem Unterricht hervorgegangen, für den Unterricht bestimmt sind, fordern natürliche Begabung. 'Matthaeus von Vendôme' sagt (bei Faral a. a. 0., S. 188): Quamvis enim natura fundat ingenium, provehit tarnen usus, sive exercitium confirmât, perseverantia ') Hrsg. von Karl Bartsch, Wien 1871, bes. v. 8—67 (S. 3 f.). ) Vgl. auch J . Schwietering, Die Demutsformel mhd. Dichter 1921 (Abh. d. Ges. d. Wiss. Göttingen NF. X V I I , 3) S . 4 2 f . 3 ) Für die französische Literatur des 15. Jahrhunderts vgl. Ernst Langlois, De artibus rhetoricae rhythmicae, These, Paris 1890, S. 106f. An der besprochenen Stelle blitzt Erinnerung an die Äußerung Ciceros auf (pro Archia poeta 18; vgl. Meißner a. a. 0 . , S. 20f.), die in .der Renaissance eiue Rolle spielt (Meißner a. a. 0 . , S. 36): Atque sic a summis hominibus eruditissimisque accepimus, ceterarum rerum studia et doctrina et arte constare, poè'tam natura ipsa valere et mentis viribus excitari et quasi divino quodam spiritu influri. Qua re suo iure noster ille Ennius sanctos appellai poetas, quod quasi deorum aliquo dono atquo munere commendati nobis esse videantur. 2
l ) Vgl. Sutter, Boncompagno, 1894, S.64 (aus dem Tractatns virtutum): Ait enim Buchimenon in primo libro petitionum: Dimisit deus deam gratiarum inter mortales et hec eloquentie genus a sola natura procedere facit. Item in eodem libro: hoc est donum dei et secretum secretorum altissimum, in quo consuetudo non prodest, exercitium evanescit, quia est fatale munus divinitus collatum.
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coronat1). Ähnlich wird im Grunde auch Konrad von Würzburg gedacht haben; denn gerade er, der gelehrte Meister, konnte nicht den Wert der Bildung verkennen, der er in den Augen seiner Zeitgenossen einen großen Teil seines Erfolges verdankte2). Und Boncompagno, der so maßlos seine Originalität und Unabhängigkeit von aller Überlieferung verkündet, waltete doch des Amtes, in mündlichem Vortrag und immer neuer Form des schriftlichen Worts Schülern die ars dictandi beizubringen. Der zweite Vorrang der Poesie, der auf die Entbehrlichkeit irgendwelchen Handwerkszeugs sich gründet, versteht sich von selbst. Konrad dient er, Recht und Bedeutung der Dichtung herauszustreichen in einer Zeit, die sich von der Dichtung abzuwenden droht. Aber gerade die Partie aus der Vorrede zum Trojanerkrieg, die für den Dichter nur sinn und munt verlangt und ihn dadurch von den übrigen Künsten absondern will, ordnet die Poesie dem weitgespannten scholastischen Begriff der Kunst (ars) unter. Die Gegenüberstellung der handwerklichen Künste, die au sinnliches Material zur Gestaltung gebunden sind, nennt Bogenschützen, Schneider, Schuhmacher, Holzfäller, Turnierritter, Spielmann. Die Dichtung ist also ars wie die übrigen Künste, nur nimmt sie unter ihnen eine bevorzugte Stellung ein. Danach ist es nicht mehr verblüffend, wenn Frauenlob sein Dichten mit der Tätigkeit eines werlcelman vergleicht 3 ); und gerade Frauenlob, diese ungemein fesselnde Übergangsgestalt, ist es doch, der sonst seine Originalität betont, sein Dichten über ßeimar, *) Konrad de Mure verlangt in seiner Summa de arte prosandi vom Dictator ingenium, Studium, und exercitium (bei Kockinger a a. 0., S. 419). Hugo von St. Victor sagt in der Bruditio didascalica (M. 176, Sp. 770), 1.1, cap. 7: Tria sunt necessaria studentibus: Natura, exercitium, disciplina. 2 ) Dem Sinne nach verschieden ist von Konrads Äußerung das quando amor mi spira (Purg. 24, 52) Dantes, der doch auch die übliche Definition des Schönen bringt (Convivio 1. IV, cap. 25,12), die man später schroff ablehnt (Borinski a. a. 0., S. 225 f.) •) MSH. III, 125f.: J a tuon ich als ein werkelman, der sine winkelmâz / âne underlâz / ze sînen werken rilltet . . . ich forme, ich modele, ich mizze. Ich möchte nicht mit G. Müller, der auf diese Stelle verweist (Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, Lfg. 1, S. 8) und auf dessen Ausführungen ich im übrigen nachdrücklichst aufmerksam mache, die Äußerung als Beweis für Gebrauchscharakter der Dichtung jener Zeit verwerten. Weil Poesie ars ist, kann Frauenlob sich
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Wolfram, Walther stellt, stolz verkündet (MSH. II, 344 a): üz kezzels gründe gut min leunst. F ü r das Lied der Kolmarer Handschrift (hrsg. von Bartsch 1862, Bibl. d. litt. Ver. L X V I I I no. XXXVIII, S. 306 f.), das im vergessenen Tone Frauenlobs Gott als Künstler preist, vermute ich mit Burdach (R. u. W., S. 32) Frauenlobs Verfasserschaft. Dann wäre von ihm auch der scholastische Vergleich zwischen der Tätigkeit Gottes und des Künstlers (s. o. S. 8 f.) ausgesprochen, ars also wieder im weiten Sinne gebraucht. F ü r uns aber ergibt sich die Auffassung der Dichtung als ars, Tiyvrj, die Frauenlob mit dem von ihm so verehrten Meister Konrad von Würzburg teilt. Und wir werden festzustellen haben, daß dazu ausgezeichnet jene scholastische Theorie stimmt, die das Wesen der Form in Proportion setzt. In beidem gibt sich eine gemeinsame geistige Haltung kund. Kunst aber haben wir auch noch in einem engeren Sinne zu verstehen, als Inbegriff der sieben freien Künste (vgl. Roethe a. a. 0., S. 187 f.). Am deutlichsten spricht das aus ein fünfstrophiges Lied, das in der Weimarer Handschrift unter Regenbogens langem Tone steht (MSH. III, 468 k — m ) und mit drei Strophen sich berührt, die in der Manesseschen Handschrift unter Regenbogen überliefert werden (MSH. II, 309): sanc ist ein hört, der eren krön, gekrcenet mit den siben tohtern vrien, mit den'man alliu dinc bekrcenet. Vom Dichter aber heißt es: die siben künste muoz er haben: keine einzige von ihnen bleibt ihm erspart. J a , wer die sieben Künste beherrscht (MSH. II, 309b), der darf ze dirre weite höher scelden gern niht mere. Das ist die Anschauung, die uns bei den Meistersingern allerorten entgegentritt 1 ); es heißt da etwa (Kolmarer Handschrift hrsg. von Bartsch, Literar. Ver. 68, CLXXXVI1I, S. 595 ff.): wer kurze wilen wille, / singen sprechen hie und da, j der werbe nach den siben töhtern lobesam. Unter den sieben Künsten wird vornehmlich die Rhetorik gefeiert (MSH 11,309, III, 468 k). Die Wandlung, die sich in der Aufmit der Tätigkeit eines anderen artifex vergleichen. Vergleich der Dichtung mit anderen Künsten (Maler, Schmied, Schneider) s. Schwietering a. a. 0., S. 55 ff. ') Kolm. Hs. LXXXII, LXXXIII, XCII, CIX; vgl. W.Stammler, Die Wurzeln des Meistergesangs (Dtsch. Vieteljahrsschr. I [1923] S. 529 ff.).
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fassung der Dichtung vollzogen hat, spiegelt sich in der Veränderung, die Konrads von Wtirzburg bekannter Spruch (s. o. S. 11,11) in der Kolmarer Handschrift (Bartsch S.483f.) erfahren hat. Die sieben freien Künste zu besingen, wird Mode, und auch Muskatblüt huldigt ihr (hrsg. von Groote, Nr. 96, S. 249 ff.). Neu ist hier weniger der Gedanke, daß zur Dichtung Beherrschung der sieben Künste notwendig ist, als die völlige Gleichsetzung von Poesie und Wissenschaft'). Dies und anderwärts die theologische Färbung des Kunstbegriffs (vgl. Roethe a. a. 0., S. 189f.), wie sie der Unverzagte mit den W o r t e n ausspricht (MSH. III, 44 a) sanc leret vrouwen unde man, / sanc ist ze gotes tische guot, deutet auf den wichtigen
geistigen und gesellschaftlichen Vorgang, der sich in jener Zeit vollzieht: die Kunst bleibt soziologischer Faktor; aber sie dient nicht mehr der Unterhaltung eines höfischen Ritterkreises, der seine eigene Standesethik besaß, sie vermittelt dem aufsteigenden Bürger- und Städtetum das in Theologie und sieben freien Künsten verkörperte Wissen der Zeit. Selbstverständlich mußte sich der Zweck der Poesie damit verschieben. Wir aber haben uns zu hüten, dem neuen gelehrten Kunstbegriff rückwirkende Kratt für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zuzugestehen 2 ). Er interessiert uns hier vielmehr als äußerster Gegensatz zu Konrads stolzem Dichterselbstbewußtsein. Ingenium und Studium, dies im allgemeinen Sinne von Ausbildung genommen, gibt in Wahrheit die mittelalterliche Anschauung wieder. Die Hinordnung des Dichters und seines Dichtens auf Gott ist aber keineswegs erst Ergebnis der bildungsgeschichtlichen Verschiebung. Früh schon kommt sie in den Vor- und Nachreden der Epen zum Ausdruck, und gerade in den weltlichen Epen. Die Anrufung der Musen 3 ) wird durch die Anrufung ') Die 'Verwissenschaftlichung' der Poesie spiegelt sich in der Definition des 14. Jahrhunderts (Notices et Extraits XXII, 2, S. 418: nam poesis est scientia qve gravem et illustrem orationem claudit in metro. 2 ) Dem widerspricht nicht, daß der Gegensatz zwischen Betonung der natürlichen Begabung und der gelehrten Bildung, wie Schwietering a. a. 0., S. 42 hervorhebt, schon älter ist. ") Johannes Anglicus zählt acht Arten künstlichen Beginns eines Werkes auf, nennt dann als neunte Art die Anrufung der Musen, die in der Antike in Gebrauch gewesen sei (Romanische Forschungen XIII, S.905f.).
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Gottes ersetzt, für die Ritter (a. a. 0., S. 9 ff.) und Haipersohn (a. a. 0., S. 45 f. und Anm. 20, S. 55) Beispiele gesammelt haben. Am Ende des Werkes wendet sich der Dichter aufs neue mit Wunsch und Bitte an Gott (vgl. Iwand a.a.O., S. 15ff.). Es ist die Betätigung der Anschauung, daß der Dichter seine Gabe Gott verdankt. Der dichterische Betrieb deckt sich auch hier mit der Poetik, denn Matthaeus von Vendome empfiehlt, eine Dichtung mit Dank an die göttliche Inspiration zu schließen (Faral S. 192; s. u. S. 46) und beendet dann selbst in dieser Weise sein Werk. Anrufung des göttlichen Beistands ist im 14., 15. Jahrhundert selbstverständlich, sie wendet sich besonders an den Heiligen Geist. Der Teichner betont (Laßbergs Liedersaal I I I , S. 449ff.), daß keine Predigt ohne Anrufung des Heiligen Geistes beginnt. Suchenwirt bittet den Heiligen Geist 1 ) und Gott allgemein2) um Beistand; und es ist doch etwas Besonderes, wenn er das Glück 3 ) oder wenn später Hermann von Sachsenheim im Goldenen Tempel den Geist des Gedichtes'') um Inspiration anfleht. Auf einen eigentümlichen Vorgang, der sich im Spätmittelalter vollzieht, muß noch hingewiesen, weil er bisher, In Dantes Brief an Cangrande (Epistolae ed. Toynbee, Oxford 1920, S. 180) § 18 werden exordium der ühetoren und der Dichter in der Weise unterschieden, daß der ßhetor mit captatio benevolentie sich begnügt, während der Dichter darüber hinaus noch der invocatio bedarf. Über Dantes Kunstlehre vgl. jetzt Wolfgang Seiferth (Arch. f. Kulturgesch. X V I I [1927] S.194ff.); über die Anrufung der Musen vgl. Meißner a. a. 0., S. 30 ff. ') Peter Suchenwirts Werke, hrsg. von Alois Primisser, Wien 1827, S.24, Nr. VIII, v. 26ff.: Heiliger geist, so fleuzzet / aus dir gar aller weyshait pach. I Nu steure mich . . .; S. 40, Nr. XIII, v. 12ff.: Heyliger geist, du geist verrinnst, / was menschensin begreyffen mag: j So helf auch mir, daz ich beyag / tzu stewer deiner helffe chraft, / daz an mir icht werde sigehaft / unchunst nach iren willen. 2 ) Ebd. S. 15, Nr. V, v. 9 ff.: Got her, nu chum mir ze stewer / durich deines todes smertzen, / daz sich deins fron'n geistes fewer / entzünd in meinem hertzen, / daz ich di worhait tw bechant / von einem, fürsten werde; S. 30, Nr. X, v. 20ff.: 0 milter got, war mir beschert / daz hail von deiner gnaden gunst, / daz ich mit sinn rechter kunst / volenden mochte dise chlag • • •. s ) Ebd. S. 48, Nr. XV, v. lff.: Gelulces hört mein wälde, j daz ich mit witzen spalde / unchunst von rechter chunste • • •.