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German Pages 198 Year 2015
vidc/kulturen in bewegung (Hg.) Blickwechsel
Diese Publikation wurde unterstützt von:
Partner des Symposiums »onda latina en las Artes Visuales – Blickwechsel: Symposium zu Positionen in der zeitgenössischen Bildenden Kunst«, das am 5. und 6. Mai 2006 in Wien, im Rahmen des Festivals »onda latina«, stattfand, waren:
Das Festival »onda latina« war eine Initiative von:
kulturen in bewegung ist die Kunst- und Kulturinitiative im vidc (Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit) und ein Lobby- und Kompetenzzentrum für Kunst und Kultur aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Ziel ist es, einen Dialog in Gleichberechtigung und Vielfalt der Kulturen zu ermöglichen.
vidc (Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit)/ kulturen in bewegung (Hg.) Blickwechsel. Lateinamerika in der zeitgenössischen Kunst
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Gustavo Mendez-Liska: »Bosque claro 2«, Mischtechnik, Leinwand auf Holz, 170 x 100 x 8 cm, © Gustavo Mendez-Liska, Wien 2006 Redaktion, Lektorat & Satz: Erwin Uhrmann, Wien Übersetzungen: Anya Antonius, Magdalena Weiglhofer, Wolfgang Ratz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-660-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
I N H AL T
Einleitung JENS KASTNER 9
ACESSO. ZUGANG VON KÜNSTLERINNEN AUS LATEINAMERIKA ZUM INTERNATIONALEN KUNSTMARKT
PERSPEKTIVE: THEORIE Zur Dekolonisierung der globalen Kunstwelt. Eine Kritik europäisch-amerikanischer Hegemonieansprüche THOMAS FILLITZ 23
„Und wen interessiert eigentlich der Kunstmarkt?“ Künstlerische Praktiken in Lateinamerika, Identitätspolitik und der Raum der Möglichkeiten JENS KASTNER 39
PERSPEKTIVE: KUNST Re-Contextualización CARLA BOBADILLA 61
Die Erfindung von Chile und anderer Länder MARIO NAVARRO 71
PERSPEKTIVE: AUSSTELLUNGSORGANISATION Wir sind gleichzeitig Schwarze, Indios, Weiße oder: A Pureza e um Mito (Hélio Oiticica) HEMMA SCHMUTZ 77
Entre Pindorama. Die Adaption antropophager Ideen und Strategien ELKE AUS DEM MOORE 87
MACHT – HERRSCHAFT – WIDERSTAND. FEMINISTISCHE POSITIONEN IN DER KUNST LATEINAMERIKAS
PERSPEKTIVE: THEORIE Chomos und Molas. Indianische Künstlerinnen und ihr Handwerk in Zeiten der Globalisierung ELKE MADER 107
PERSPEKTIVE: KUNST Weder Erklärung noch Übereinstimmung, aber Bewusstseinsschärfung TANIA BRUGUERA 131
PERSPEKTIVE: PRAXIS UND ORGANISATION Kulturarbeit als Migrantinnen und Lateinamerika im Rucksack RÚBIA SALGADO 149
Viva o Bastardismo! Strategien zur Entwicklung kultureller Individualität in der Populärmusik am Beispiel Célia Mara SILVIA SANTANGELO JURA 155
Rück- und Ausblick I MONIKA WAGNER 175
Ausblick II Macht – Herrschaft – Widerstand. Kunst als politisches (feministisches) Mittel der Kommunikation PATRICIA ZUCKERHUT 181
AutorInnen 193
E I N LE I T U N G JENS KASTNER Gerald Matt: Politische Themen sind der Ausgangspunkt vieler Ihrer Arbeiten. Lassen sich ihrer Meinung nach über Kunst soziale Veränderungsprozesse auslösen? Tania Bruguera: Das klingt vielleicht dumm, aber ich glaube fest daran, dass das möglich ist. Es gibt in der Kunstgeschichte zahlreiche Beispiele dafür. (Matt/Bruguera 2006: 39)
Unter dem Titel onda latina fand vom 20. April bis 04. Juni 2006 in ganz Österreich ein Festival mit rund 200 Veranstaltungen statt, die von politischer Information über Popmusik bis zu zeitgenössischer Kunst reichten. onda latina fand anlässlich des vierten EU-Lateinamerikagipfels statt, des Treffens der Staatschefs der Europäischen Union und Lateinamerika sowie der Karibik, das wiederum im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs am 12./13. Mai 2006 in Wien ausgerichtet wurde. onda latina wurde von verschiedenen Institutionen aus der so genannten Entwicklungszusammenarbeit organisiert und mitgetragen, u. a. vom österreichischen Lateinamerika-Institut (LAI), dem Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit (vidc) sowie von der Südwind Agentur. Der vorliegende Band ist das Ergebnis eines Symposiums, das im Mai 2006 im Kontext dieses Festivals in Wien stattgefunden hat. An zwei Tagen wurde dabei zunächst über den Zugang lateinamerikanischer KünstlerInnen zum westeuropäischen Kunstmarkt und dann über feministische Positionen in der Kunst Lateinamerikas diskutiert. Scheint der Zusammenhang zwischen beiden Thematiken zunächst nicht zwingend, ergeben sich in den und damit auch durch die Beiträge doch eine Reihe inhaltlicher Überschneidungen. Diese Verbindungslinien und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Texten sind auch insofern interessant, als sie nicht unbedingt dem Bild entsprechen, welches im künstlerischen Feld bis heute über es selbst häufig vermittelt wird, nämlich jenem eines relativ freien Zugangs, arm an Herrschaftsstrukturen und dementspre9
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chend reich an individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes widerlegen dieses Bild auf unterschiedlichen Ebenen und auf verschiedene Arten und Wiesen. So wie es eine wie auch immer geartete, „lateinamerikanische“ Perspektive mit einer westlichen (nordamerikanisch-westeuropäischen) Hegemonie zu tun hat, so sind auch feministische Ansätze in der Kunst mit hegemonialen Strukturen konfrontiert: männlichen und heterosexuellen. Dieses zeitdiagnostische Moment der Hegemonie(n) oder Dominanzkultur(en) – die Terminologie variiert gemäß der theoretischen und/oder künstlerischen ‚Herkunft‘ – ist das erste verbindende aller Aufsätze. Als eines der viel erprobten und ebenso viel gescholtenen Mittel, um gegen solche Dominanzverhältnisse vorzugehen, wird an vielen Stellen das Thema der Identitätspolitik diskutiert1 (vgl. Bobadilla, Kastner, Jura und Salgado). Die verschiedenen politischen, künstlerischen und/oder theoretischen Ausgangspunkte sowie die verschiedenen Migrationserfahrungen führen bei dieser zweiten Überlappung zu unterschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich der Frage, was Identität sein könnte und wofür sie sich eigentlich als Waffe oder Mittel anböte. Als selbstverständlich erweist sich jedenfalls dabei, was der Soziologe Zygmunt Bauman in seiner Auseinandersetzung mit postmodernen Lebensformen geschildert hat: Dass Identität „überhaupt nur als Problem existieren [kann]“ (Bauman 1997: 134).2 Diese Form des Antiessenzialismus lässt sich als dritter gemeinsamer Nenner der Beiträge ausmachen. So wie keine den gesellschaftlichen Verhältnissen vorgängige Identität vorausgesetzt wird, so steht auch die gemeinsame Klammer „Lateinamerika“ immer wieder in Frage bzw. in Anführungszeichen (vgl. Navarro). Was sich aus der Ferne anscheinend leicht als ein gemeinsamer Hintergrund projizieren lässt, erweist sich bei genauerem Hinsehen erstens als fundamental abhängig von einem differenten Gegenüber, so dass man die Rede von „lateinamerikanischer Kunst“ kaum anstimmen mag, da sie die Unterschiede zu einer vermeintlich
1 Auch Roger M. Buergel (2005), Leiter der documenta 12, hält „Identitätspolitik für eine Katastrophe“, räumt aber ein: „Gleichzeitig ist mir klar, dass Identitätspolitik von politisch unterdrückten Minderheiten eine Notwendigkeit ist. Es hat keinen Sinn, von diesen Gruppen Konsensualismus einzufordern, weil sie dabei nur verlieren können.“ 2 Zum Identitätskonzept bei Bauman vgl. auch Kastner 2000. 10
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rein „nordamerikanisch-europäischen“ nur zu vertiefen scheint. Und zweitens ist „Lateinamerika“ als Begriff ein dermaßen homogenisierender, da er vielfältigste soziale, kulturelle, politische etc. Realitäten umfasst, dass eine sinnvolle Anwendung kaum möglich erscheint. Außer, er wird strategisch eingesetzt. Die Herangehenswiesen, die Kunst im Kontext von politischen oder künstlerischen, individuellen oder kollektiven Strategien, manchmal sogar Kunst als Strategie diskutieren, ist die vierte Gemeinsamkeit der hier versammelten Texte. Damit wird ein Zugang zur künstlerischen Produktion gewählt, der eigentlich eher entweder ökonomischen oder politischen Kriterien entspricht als jenen, die im künstlerischen Feld gern gesehen sind. Diese Fragen der Strategie handeln schließlich weniger von Vermarktung und Verkauf, als von politischer Wirksamkeit oder zumindest von sozialen Effekten. Das gilt in eingeschränktem Maße selbst noch für die Arbeiten und Situationen, in denen eine gemeinsame Klammer – wie beispielsweise „kubanische Kunst“ in den frühen 1990er Jahren – als verkaufsförderndes Element ironisch bedient wird (vgl. Bruguera). Die – zumindest theoretischen – Überschreitungen des künstlerischen Feldes in Richtung politischem Aktivismus und sozialer Bewegungen werden hier erneut und anhand historischer wie aktueller Fragestellungen diskutiert (vgl. aus dem Moore). Parallel zum Treffen der Staatschefs aus Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union fand von 10. bis 13. Mai 2006 der Gegengipfel „Enlazando Alternativas 2“ statt. Auch wenn dies eine von der Kunstwelt weitgehend ignorierte Veranstaltung war, von der aus andererseits ebenfalls kaum Gemeinsamkeiten mit dem onda latina-Festival gesucht wurden, fanden beide Events nicht nur gleichzeitig und im selben Rahmen statt, sondern verhandelten auch ähnliche inhaltliche Probleme.3 Die Thematiken des Ausschlusses auf der einen und feministischer Positionen und Strategien auf der anderen Seite, bündelten sich geradezu in der Intervention feministischer Gruppen beim Alternativas-Treffen. In dessen Abschlusserklärung richteten sich die sozialen Bewegungen gegen die Pläne eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union 3 Es zeigt sich daran auch, dass die Solidarität von KünstlerInnen und Intellektuellen mit ökonomisch und kulturell Dominierten entgegen Pierre Bourdieus (2001: 398) Andeutung keinesfalls immer von jener „Art struktureller Unaufrichtigkeit“ geprägt ist, die aus den unterschiedlichen Positionen im sozialen Raum resultiert. 11
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und Lateinamerika sowie gegen die Vertiefung der bestehenden Abkommen mit einzelnen Ländern, kritisierten die Rolle der europäischen transnationalen Unternehmen und die Privatisierungen von Kommunikation und Information, forderten den freien Zugang zu Wasser und Landbesitz und den Respekt der „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte“. Eine frauenspezifische bzw. gender-sensible Perspektive aber fehlte. Diese wurde von feministischen Gruppen erarbeitet und musste beim Kongress sogar gegen die OrganisatorInnen durchgesetzt werden. „Frauenbewegungen und ihre Organisationen sind ein essentieller Bestandteil sozialer Bewegungen“, heißt es in der Feministischen Intervention zur Schlusserklärung von Enlazando Alternativas 2. „Dennoch waren sie in diesem Alternativgipfel ‚Enlazando Alternativas 2‘ […] nicht ausreichend sichtbar und repräsentiert. Dies widerspiegelt das System struktureller Gewalt gegen Frauen. Einmal mehr wurde die Bedeutung des Beitrags von Frauenbewegungen für die politische Entwicklung sozialer Bewegungen in Lateinamerika, in der Karibik und in Europa – in seiner Größe – nicht wahrgenommen.“4
Das Einklagen frauenspezifischer Anliegen wie die paritätische Besetzung der Foren, die Forderung nach genereller Gendergerechtigkeit, das Einfordern der Rechte von Frauen in und außerhalb von sozialen Bewegungen und von Frauen als Migrantinnen ist den Themen recht ähnlich, die feministische Künstlerinnen in den letzten vierzig Jahren eingeklagt haben. Hierin äußert sich nicht nur die Homologie zwischen künstlerischem Feld und dem Feld der Macht, die Pierre Bourdieu (2001) beschrieben hat. Auch die generelle Möglichkeit von gegenseitigen Bezugnahmen, Allianzen und gemeinsamen Strategien als Reaktionen auf diese strukturelle Ähnlichkeit kann dabei wieder in den Blick geraten. Mehr als in Westeuropa und den USA gibt es in Lateinamerika eine Reihe von Beispielen für das Zusammengehen von künstlerischer Produktion und sozialen Bewegungen, an die u. a. die in den letzten Jahren relativ geballte Rezeption der Ausstellung „Tucumán Arde“ von 1968
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Die Feministische Intervention sowie die eigentliche Schlusserklärung von Enlazando Alternativas 2, dem Treffen der sozialen Bewegungen aus Lateinamerika, Karibik und Europa in Wien 2006 findet sich auf http://www.alternativas.at/indexdeutsch.htm (29.09.2006). 12
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erinnert hat.5 Aber bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren diese Verbindungen keine Seltenheit. „[…] viele Kultur- und Kunstbewegungen dieser Epoche können den sozialen Bewegungen zugerechnet werden. Beispiele dafür sind die mexikanischen Muralisten, die sich als Teil der revolutionären Bewegungen verstanden, oder die Gruppen, die im Zuge der brasilianischen Modernisierungsrevolution von 1922 eine Annäherung der Kunst an die breite Bevölkerung forderten. In den 1930er und 1940er Jahren entwickelten diese Kulturbewegungen eine Art Regionalismus, der die traditionellen Kunstarbeiten verschiedener Regionen aufnahm und mit einer universellen Deutung versah“ (Bruckmann/Dos Santos 2006: 10)6.
Einer der im Titel dieses Bandes angekündigten Blickwechsel, also durchaus im Plural zu verstehen, kann sich folglich auf den genannten Zusammenhang richten, der in unterschiedlicher Intensität und mit verschiedenen Schwerpunkten die einzelnen Beiträge durchzieht. Dass die inhaltlichen Überschneidungen während der Wiener Treffen andererseits weitgehend ohne eine – um es in den an Gilles Deleuze geschulten Worten Gerald Raunigs (2005) zu formulieren – Verkettung der Kunstmaschine und der revolutionären Maschine geschah, deutet schließlich wieder auf die von Bourdieu betonten, strukturellen Hürden zwischen beiden Bereichen hin. Auch wenn gerade in feministischen Positionen als Reaktion auf geschlechtsspezifische Ausschlüsse große Parallelen zwischen Kunstfeld und sozialen Bewegungen auszumachen sind, sind die relativ dürftigen gegenseitigen Bezugnahmen insgesamt doch auch nicht dem Zufall geschuldet. Gerade das Symposium, dem dieser Band seine Texte verdankt, kann als Indiz für diese Spannung zwischen den Frage5
„Tucumán Arde“ wurde 2004 in der von Alice Creischer und Andreas Siekmann kuratierten und in Köln, Barcelona und Rotterdam zu sehenden Ausstellung „Ex Argentina. Schritte zur Flucht von der Arbeit zum Tun“ rezipiert sowie in der von Roger M. Buergel und Ruth Noack kuratierten Ausstellungsreihe „Die Regierung“, die 2004/2005 in Lüneburg, Barcelona, Miami, Wien und Rotterdam zu sehen war und in der Wiener Generali Foundation im Kontext der Schau „…und so hat Konzept noch nie Pferd bedeutet“ (2006). (vgl. auch Arbeitsgruppe Tucumán Arde 2004) 6 Zu sozialen Bewegungen in Lateinamerika vgl. außerdem Kaltmeier/ Kastner/Tuider 2004 und Kaller-Dietrich/Mayer 2005. 13
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stellungen in sozialen Bewegungen und künstlerischen Zusammenhängen gesehen werden. Schließlich wurde hier nach Möglichkeiten gefragt, auf den europäischen Markt zu gelangen, der dort, beim Alternativgipfel, in Frage gestellt wurde. Sicherlich ist der Handel mit Kunstwerken, nach dem das Symposium gefragt hat, nicht identisch mit dem Handel von Information oder Wasser, der auf dem Gegengipfel kritisiert wurde. Am Bedeutungsgewinn marktorientierter Institutionen innerhalb des Kunstfeldes seit den 1960er Jahren kann jedoch kaum ein Zweifel bestehen.7 Und dass das künst lerische Feld selbstverständlich fetischisierbare Waren und das Interesse an diesen hervorbringt, ist zumindest eine Erklärung dafür, dass antikapitalistische Bewegungen und künstlerische Avantgarden so selten dauerhaft zusammengefunden haben. Und es erklärt den Mangel an dem nach Bourdieu (2001: 399) ohnehin relativ unwahrscheinlichen Fall jener Art „gleichzeitig sozialer, sexueller und künstlerischer Globalrevolution“. Mögen sich einige der künstlerischen Projekte mit der Figur des Widerstands noch anfreunden, sind die bei onda latina präsentierten Gruppen, Arbeiten, Workshops oder Bands vom Aufstand und der Involvierung in eine konstituierende Macht doch relativ weit entfernt. Widerstand, Insurrektion, konstituierende Macht, das sind nach Raunig aber die drei, an Antonio Negris Begrifflichkeiten angelehnten Komponenten, die für eine wirkliche bzw. wirksame Verbindung von Kunst und Revolution nötig sind (vgl. Raunig 2005: 40ff.). Andere Blickwechsel, die dieser Band nahe legt, werden durch die hier angestellte Verknüpfung der unterschiedlichen Bereiche – Theorie, Kunstproduktion und (Ausstellungs-)Organisation – ermöglicht. Sie verdeutlichen eine viel gelobte, selten praktizierte Inter- oder Transdisziplinärität, die auch über das Thema „Lateinamerika“ hinaus wertvolle Ein- und Überblicke zu vermitteln im Stande ist. So finden sich die in der Theorie beschriebenen „Grenzüberschreitungen“ (vgl. Mader) und die angemahnten Paradigmenwechsel (vgl. Fillitz) in Form der strategischen Überlegungen sowohl in der Kunstproduktion als auch in der Ausstellungsorganisation wieder. Die von den KünstlerInnen (vgl. Bobadilla,
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Zum Bedeutungszuwachs des Marktes und der damit zusammen hängenden Herausbildung eines Subfeldes der erweiterten Produktion vgl. Zahner 2005. 14
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Bruguera, Navarro)8 formulierten Fragestellungen beziehen sich auf theoretische Modelle, wobei die sozialkonstruktivistischen Sozialtheorien zum bedeutendsten Bezugspunkt avanciert sind.9 Sie wirken damit wiederum auf Ausstellungsorganisation (vgl. Schmutz und aus dem Moore), Aktivismus (vgl. Salgado) und Popkultur (vgl. Jura) zurück. Und da Sich-In-Einem-Feld-Befinden immer schon bedeutet, „dort Effekte hervorzurufen, sei es auch nur Reaktionen wie Widerstand oder Ausgrenzung“ (Bourdieu 2001: 357), finden sich auch die komplexen Effekte von Kauf, Sammlung und Ausstellung von künstlerischen Arbeiten in verschiedenen Beiträgen wieder (vgl. Bobadilla, Mader, Navarro, Schmutz). Mit dem Hinweis auf die allgemeinen, jenseits des Themas „Lateinamerika“ gültigen inter-/transdisziplinaritären Momente dieser Kompilation soll keinesfalls die Bedeutung für den spezifischen Fokus auf lateinamerikanische Kunst abgeschwächt werden. Hinsichtlich dieser ist das hier versammelte Textkonvolut, was Intensität, Vielfalt und Aktualität der Debatten zu diesem Thema betrifft – meines Wissens – für den deutschsprachigen Raum einmalig. Thomas Fillitz wendet sich gegen die ungebrochen universalistischen Ansprüche des westeuropäisch-nordamerikanischen Kunstbetriebes. Diese seien zum einen das Produkt kapitalistischer Marktstrategien und fußten zum anderen auf einer „kolonialen Denkmatrix“. Fillitz diskutiert dabei verschiedene große Ausstellungen der letzten 15 Jahre und entwickelt auf der Grundlage des Konzepts der „Multiplizität“ (Doreen Massey) zwei Kriterien für eine 8 Zur künstlerischen Arbeit von Bruguera vgl. Matt/Bruguera 2006, zu jener von Navarro vgl. Kastner 2006. 9 Unter die sozialkonstruktivistischen fallen alle möglichen Sozialtheorien, die von der „sozialen Konstruktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 1972) ausgehen. Dabei verschränken sich sogar Theoriestränge, wie sonst als unvereinbar gehandelte marxistische und postmoderne Ansätze. Mit „The Making of the English Working Class“ legte Edward P. Thompson 1963 eine Studie vor, die auf die (Selbst-)Erschaffung der Arbeiterklasse (statt ihrer automatischen Entstehung aus den Produktionsverhältnissen) abhob und die für die soziale Bewegungsforschung zentral wurde: So rekurrieren auch Arturo Escobar und Sonia Alvarez in ihrem Buch „The Making of Social Movements in Latin America“ (1992) auf Thompson. Mit dem Ansatz von Escobar und Alvarez wiederum wurden kulturwissenschaftliche Ansätze in die sozialwissenschaftliche Bewegungsforschung integriert (vgl. Kaltmeier/Kastner/Tuider 2004). 15
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künftige, antihegemoniale Praxis von Kunstinstitutionen. Sie müssten die „multidirektionalen Diskurse“ interkontinentaler Vernetzung wie auch die Auflehnung gegen den dominanten Kanon in ihre Praxen mit einbinden. Ausgehend von der Frage des Symposiums nach dem Zugang lateinamerikanischer KünstlerInnen zum europäischen Kunstmarkt, diskutiert Jens Kastner identitätspolitische Interventionen als eine Strategie gegen kulturelle und politische Ausschlüsse. Der Blick auf konzeptuelle und performative künstlerische Praktiken in Lateinamerika von den 1960er Jahren bis heute, die Kastner bespricht, zeige aber, dass der internationale Kunstmarkt gar nicht unbedingt ausschlaggebend für deren Agieren sein muss. Demgegenüber werde bereits in der Wahl der künstlerischen Mittel deutlich, dass es bei vielen Positionen „mehr um die Produktion von – in vielen Fällen antihegemonialer – Bedeutung als um die von Warenwert“ ginge. Statt die bloße Steigerung ihres Marktwertes sieht Kastner darin, in Anlehnung an die Kunstfeldtheorie Pierre Bourdieus, eine Erweiterung des „Raums der Möglichkeiten“. Um alternative Sichtweisen geht es auch bei Carla Bobadilla. Sie diskutiert ihre eigene künstlerische Praxis im Kontext der Ausstellung „Latin Lobby“, die sie als ein „kontra-hegemoniales Projekt“ beschreibt. Das offizielle Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter aus Lateinamerika, der Karibik und der EU und das damit verbundene Öffentlichkeits- und Medieninteresse nutzend, fanden sich einige in Österreich lebende KünstlerInnen mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund im Mai 2006 zu dieser Schau zusammen. Vor dem Hintergrund relativ geringen Interesses an lateinamerikanischen KünstlerInnen und angesichts relativ großer Zugangshürden zum westlichen Kunstbetrieb für sie, skizziert Bobadilla verschiedene Probleme einer identitären Verortung. Mario Navarro betrachtet lateinamerikanische Identität vornehmlich als Effekt einer Spiegelung. Der Erfolg lateinamerikanischer KünstlerInnen auf dem internationalen Kunstmarkt, so Navarro, sei abhängig von der jeweiligen Form des Gespiegelten, den Ansprüchen an „den Anderen“ und die damit einher gehenden, Norm bildenden Erwartungen. Diese seien von vielen KünstlerInnen reflektiert worden, aber dennoch Grundlage der verschiedensten Modelle von KunstsammlerInnen. Da sie eine homogenisierende Identität voraussetze (und immer wieder schaffe), fragt Navarro dagegen nach einer wünschenswerten Art von Spiegeleffekt. Er plä16
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diert schließlich dafür, das Gespiegelte als Unfertiges zu fassen, in dem „das Andere“ „im natürlichen Zickzack des Abdriftens vom Markt“ und vom Wissen überhaupt gezeigt wird. Hemma Schmutz reflektiert ihre Mitarbeit an der Ausstellung „vivencias/Lebenserfahrung“, die 2000 in der Generali Foundation Wien stattfand und erstmals einem österreichischen Publikum einen großen Überblick über die wichtigsten Positionen der konzeptuellen Kunst im Lateinamerika der 1960er und 1970er Jahre bot. Dabei gibt sie zu bedenken, dass die Frage des Zugangs zum europäischen Markt und die Fragen von Ausschlüssen im künstlerischen Feld überhaupt bereits vierzig Jahre früher von KünstlerInnen wie Lygia Clark oder Hélio Oiticica gestellt worden sind. Schmutz leistet damit zum einen eine quasi kunstfeldimmanente, historische Einbettung der Symposiumsfrage. Zum anderen macht sie aber auch deutlich, dass es bei der von ihr mit kuratierten Ausstellung nicht nur um die Tradierung inhaltlicher Positionen ging. Auch die eigene Erfahrungswelt wird dabei verändert, erweitert, bleibt jedenfalls nicht unangetastet. Auch Elke aus dem Moore beschäftigt sich mit einer von ihr selbst kuratierten Ausstellung, „Entre Pindorama“, die 2004/05 im Künstlerhaus Stuttgart stattgefunden hat. Das Ausstellungsprojekt liefert einerseits einen Einblick in die zeitgenössische Kunstproduktion Brasiliens, der anhand der Arbeiten der teilnehmenden KünstlerInnen ausführlich ermöglicht wird. Zum anderen betreibt sie aber auch die Auseinandersetzung mit einer der historischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts, der Bewegung der „Antropofagia“. Ähnlich wie sich die kulturellen Avantgarden Europas gegen ihren hegemonialen kulturellen Kontext wandten, formierten brasilianische KünstlerInnen und Intellektuelle in den 1920er Jahren die Idee der Antropophagie (Menschenfresserei) als antikoloniale Strategie, als Metapher, „sich die kulturellen Einflüsse eines übermächtigen Feindes anzueignen, sie zu fressen, um etwas Neues daraus zu gestalten.“ Elke Mader widmet sich den Verschränkungen von „Handwerk, Kunst, Mythos und Kommerz“ bei der Produktion von Kunsthandwerk in indigenen Gemeinschaften. An den Beispielen von Töpferinnen aus dem Amazonasgebiet (Peru und Ecuador) und von Textilkünstlerinnen in Panama zeigt sie den Zusammenhang weiblicher Identität mit lokalen Mythen und sozialem Status auf. Diese komplexen Gefüge, so die These, sind durch verschiedene 17
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globale Ströme konstanten Veränderungsprozessen ausgesetzt. Medien, Markt und internationale Entwicklungszusammenarbeit schlagen sich dabei bis in die Formen des Designs nieder. Mader stellt die in vielen indigen geprägten Gegenden Lateinamerikas gegründeten Frauenkooperativen als besondere Form der Organisierung heraus, die sowohl mit indigenen Institutionen als auch mit der Dynamik der internationalen Frauenbewegungen verflochten sind. In ihnen bündeln sich „vielfältige Prozesse des Widerstands, der sozioökonomischen Transformation, der Hybridisierung und der politischen Ermächtigung“. Die Künstlerin Tania Bruguera präsentiert einige ihrer eigenen Arbeiten und reflektiert anhand dieser die Kontextabhängigkeit kritischer Gegenwartskunst. Ausgehend von ihrer Bezugnahme auf die Konzept- und Performancekünstlerin Ana Mendieta (19481985) beschreibt auch Bruguera ihre Installationen und Performances ausdrücklich als politische Kunst. Das Ephemere politischer Situationen spiegelt sich dabei in den von ihr eingesetzten Materialen. Bruguera zufolge besteht das Politische der Kunst nicht in erster Linie darin, Repräsentationen abzubilden, darzustellen und zu hinterfragen, sondern Diskussionen auszulösen und damit „soziale Energien“ freizusetzen. Rúbia Salgado beschreibt die verschiedenen inhaltlichen Ebenen ihrer Arbeit in dem autonomen Zentrum von und für Migrantinnen (maiz) in Linz. Die Kulturarbeit entstand in diesem Kontext nicht zufällig, sondern als Strategie, „im symbolischen Feld zu intervenieren“ und an „der Produktion von symbolischen Gütern mitzuwirken“. Diese Mitwirkung wiederum basiert zum einen auf dem aus Lateinamerika Mitgebrachten. Sie beharrt aber gerade nicht auf dadurch festgesetzte Identitäten, sondern legt ihren Schwerpunkt auf die Möglichkeit des Entwurfs von Perspektiven. Eine mögliche – und die von maiz präferierte – Methode der Begegnung mit der (österreichischen) Dominanzkultur ist die der Antropofagie. Auch Silvia S. Jura geht es um Strategien gegen kulturelle Hegemonie. Im Kontext der Popkultur-Debatten schildert sie am Beispiel der Musikerin Célia Mara mögliche Emanzipationsstrategien „vom fremddefinierten Objekt zum eigenständigen Subjekt“. Das Feld der Popularmusik als Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse betrachtend, richtet sich ihre Argumentation sowohl gegen die männliche, weiße, heterosexuelle Dominanz als auch gegen die Exotisierung der/des Anderen im Genre der „Weltmusik“. Unter 18
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Rückgriff auf VertreterInnen der postcolonial studies wie Trinh T. Minh-Ha und Stuart Hall entwickelt sie aus dieser Kritik das Konzept des „Bastardismo“ als Strategie „kultureller Individualität“. Im postkolonialen Diskurs spielt die Frage der Identitätspolitiken, die hier zwischen künstlerischen Praktiken und sozialen Bewegungen erörtert wird, eine zentrale Rolle. Diskriminierende Identitätseffekte, so der Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha müssten durch Wiederholung umgewertet und dabei „in Strategien der Subversion“ (Bhabha 2000: 165) erneuert werden. Das von Salman Rushdie in „Die Satanischen Verse“ angestimmte „Liebeslied für Bastarde“, die Frage nach den Potenzialen von Hybridisierungen zwischen marktförmiger Zurichtung und kultureller Subversion (vgl. Ha 2005), ist vielleicht der die hier versammelten Texte verbindende Sound.
L i t er a t ur Arbeitsgruppe „Tucumán Arde“ (Hg.) (2004): Tucumán Arde. Eine Erfahrung. Aus dem Archiv von Graciela Carnevale, Berlin: b_books. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1972): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, 3.Aufl., Frankfurt/M. Bhabha, Homi K. (2000): „Zeichen als Wunder. Fragen der Ambivalenz und Autorität unter einem Baum bei Delhi im Mai 1817“. In: Die Verortung der Kultur, Tübingen: Stauffenburg Verlag, S. 150-180. Buergel, Roger M. (2005): „Identitätspolitik ist eine Katastrophe“. Interview von Aram Lintzel. In: Die Tageszeitung (taz), Berlin, 10.9.2005, S. 10. Bauman, Zygmunt (1997): Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg: Hamburger Edition. Bourdieu, Pierre (2001): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag. Bruckmann, Mónica/Dos Santos, Theotonio (2006): Soziale Bewegungen in Lateinamerika. Eine historische Bilanz. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 142, 36. Jg., Nr. 1/2006, S. 7-22.
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Ha, Kien Nghi (2005): Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus, Bielefeld: transcript Verlag. Kaller-Dietrich, Martina/Mayer, David (2005): Geschichte Lateinamerikas im 19. und 20. Jahrhundert. Ein historischer Überblick, http://www.lateinamerikastudien.at/content/geschich tepolitik/geschichte/geschichte-titel.html (15.10.2006). Kaltmeier, Olaf/Kastner, Jens et al. (Hg.) (2004): Neoliberalismus – Autonomie – Widerstand. Soziale Bewegungen in Lateinamerika, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot. Kastner, Jens (2000): Politik und Postmoderne. Libertäre Aspekte in der Soziologie Zygmunt Baumans, Münster: Unrast Verlag. Kastner, Jens (2006): „Die Katze malt. Der Kunstraum Lakeside in Klagenfurt zeigt die Arbeit des Konzeptkünstlers Mario Navarro“. In: Jungle World, Berlin, Nr. 21, S. 23. Matt, Gerald/Bruguera, Tania (2006): „Gerald Matt im Gespräch mit Tania Bruguera“. In: Kunsthalle Wien (Hg.), Tania Bruguera. Portraits. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Wien, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, S. 14-40. Raunig, Gerald (2005): Kunst und Revolution. Künstlerischer Aktivismus im langen 20. Jahrhundert, Wien: Turia + Kant. Zahner, Nina Tessa (2006): Die neuen Regeln der Kunst. Andy Warhol und der Umbau des Kunstbetriebs im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag. http://www.alternativas.at/indexdeutsch.htm (29.09.2006).
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A CESSO . Z UGANG VON K ÜNSTLER I NNEN AUS L ATEINAMERIKA ZUM INTERNATIONALEN K UNSTMARKT
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Z U R D E K OL O N I S IE R U N G D E R G L OB A L E N K U N ST W E L T . K R I TI K E U RO P Ä I S CH – A M ER I K A N IS C H E R H E G EM O N I E AN S P R Ü CH E THOMAS FILLITZ
La escasa atención que se presta al arte contemporáneo de América Latina o de África, por ejemplo, se debe a los intereses mercantiles del capitalismo global, por lo que no es procedente exigirla anteponiendo argumentos humanistas. Mi tesis plantea que el arte contemporáneo en Europa y América del Norte pretende ser el espacio de un arte universalista, y por tanto el mundo del arte global es una construcción ideológica basada en un modelo de pensamiento colonial. Por tanto, la exigencia de que se tome en cuenta las obras de artistas de las más diversas regiones del mundo implica revelar esas estructuras de poder y la manera como se constituye esa pretensión universalista, al tiempo que se descoloniza el mundo del arte global. De lo que se trata es de concebir posibilidades que tengan presente la simultaneidad del arte contemporáneo, su relacionalidad y diversidad cultural. Mein Zugang zur Frage der Nicht-Beachtung von KünstlerInnen aus Lateinamerika in Wien und dem weiteren Österreich, war zunächst, dass ich nachdachte, an welche Ausstellungen mit KünstlerInnen von diesem Kontinent ich mich entsinne, und dass ich Kataloge verschiedener Biennalen beziehungsweise jene der Documenta 10 und 11 nach Künstlernamen durchstöberte. Selbstverständlich gab es diese Ausstellungen – in Wien vornehmlich in der Kunsthalle oder in der Generali Foundation, kaum in den anderen Zentren für zeitgenössische Kunst. Auch bei den Großausstellungen, Biennalen und Documentas, waren KünstlerInnen aus Ländern Lateinamerikas ausgestellt worden.
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Allerdings erinnerte mich diese Spurensuche an jene, die ich in den 1990er Jahren zu zeitgenössischen KünstlerInnen aus Afrika begonnen hatte (vgl. Fillitz 2002). Die Recherchen zur deren Präsenz in der europäisch-amerikanischen Kunstwelt1 führten mich damals nach London (1996), Paris (1997) und New York (1998). Das Bild ist ähnlich: Selbstverständlich gibt es einige Ausstellungen, immer wieder dieselben Namen. Es lässt sich leicht erkennen, dass KuratorInnen ihre gegenseitigen Großereignisse auf der Welt besuchen. Man erkennt ihre selektiven Blicke, einmal nach Afrika, auf Kunstformen von Aborigines Australiens, derzeit scheint in Wien China fokussiert zu werden, und bisweilen werden einige wenige KünstlerInnen aus anderen Kontinenten, die hier leben und arbeiten, einbezogen – „Living and Working in“-Ausstellungen gab es vor einigen Jahren in Wien (Kunsthalle Wien), in Paris und anderen Städten. Es gilt aber zu fragen, ob von Rezeption in gleichem Maße wie bei jener von KünstlerInnen aus der europäisch-amerikanischen zeitgenössischen Kunstwelt gesprochen werden könne? In welchem Ausmaß werden diese KünstlerInnen aus anderen regionalen Zentren hier von Galerien vertreten und gesammelt? In ihrem Beitrag zur Plattform 5 der Documenta 11 erinnert uns Jean Fisher daran, dass die bildenden Künste im Kontext global-kapitalistischer Marktstrategien erfasst werden müssten (vgl. Fisher 2002). Die heutigen globalen Flüsse von Kunst, so meint Fisher, stellen im Kontext der europäisch-amerikanischen Kunstwelt nur zum Teil ein humanistisches Anliegen dar. Die Kunstinstitutionen in Europa und Nordamerika dokumentieren demzufolge in ihren Ausstellungen nicht egalitär und reziprok moderne Kunst aus den verschiedenen Regionen dieser Welt. Was, wann und wie gezeigt wird, ist Resultat eines Selektionsprozesses von KuratorInnen, und entspricht den vorhandenen, lokalen Marktinteressen. Insofern ist die Frage nach der größeren Beachtung von Kunst aus Afrika oder Asien und der geringeren für zeitgenössische Kunst aus Lateinamerika dahingehend zu revidieren, als vielmehr danach gefragt werden sollte, was, wo und wie gezeigt wird, im Spezifischen in Wien – beziehungsweise welche Kunstformen und -werke nur geringfügig, peripher, kaum oder gar nicht gezeigt werden. In diesem Zusammenhang ist nach den Kunstinstitutionen zu fragen, 1
Ich verwende den Begriff Kunstwelt im Sinne von Howard Beckers soziologischer Deutung (1984). 24
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Museen, Kunsthallen, Stiftungen oder Galerien, aber auch nach dem interessierten Publikum und den möglichen SammlerInnen. Ich möchte es einmal (sehr) zynisch ausdrücken: Wozu sollten hier Kunstinstitutionen Werke von KünstlerInnen aus Lateinamerika, Afrika usw. ausstellen, Galerien die Vertretung dieser KünstlerInnen übernehmen, wenn es offensichtlich nur ein höchst geringes Interesse von Seiten des lokalen Kunstpublikums gibt oder wenn man bedenkt, dass viele, sehr viele, lokal lebende zeitgenössische KünstlerInnen auch die Frustration des Nicht-Gezeigt-Werdens erleiden müssen. Die These, der ich meine weiteren Ausführungen unterlege, möchte ich wie folgt formulieren: Die europäisch-amerikanische zeitgenössische Kunstwelt beansprucht heute, der Raum einer universalistischen Weltkunst zu sein. Allerdings ist dieser Anspruch erstens Produkt global kapitalistischer Marktstrategien, und zweitens ein ideologisches Konstrukt, das auf einer kolonialen Denkmatrix beruht. Das Einfordern des Sehens von Arbeiten von KünstlerInnen aus den verschiedensten Regionen der Welt verlangt daher sowohl das Aufzeigen dieser Machtstrukturen, wie der universalistische Anspruch konstituiert wird, nämlich durch Vereinnahmung, Abgrenzung beziehungsweise durch bestimmte Zirkulationsformen, welche die europäisch-amerikanische Kunstwelt für bestimmte Werke von Weltkunst zulässt.2 Im ersten Teil meines Beitrags werde ich analysieren, wie sich die europäisch-amerikanische Kunstwelt als universeller Ort der Bilder3 visualisiert. Im zweiten Teil werde ich Überlegungen einbringen, welche Gestaltungsmöglichkeiten es im Gegensatz zu den bestehenden Hegemonialansprüchen geben kann. Dabei sind ebenso die Ordnungsschemata zu überlegen, ob eine Repräsentation etwa nach Kontinenten (Kunst aus Lateinamerika, Afrika, Ozeanien oder Asien) oder nach Staaten (Kunst aus Kuba, Chile, etc.) heute noch sinnvoll sein kann.
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Siehe Myers 1995. Ich übernehme den Begriff der Orte der Bilder Hans Belting (1998). 25
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Zu m A n s p r u c h d es u ni v e r s el l en O r t e s d e r B i l d er Heute, in der Periode der Prozesse der Globalisierung, scheint es, als hätte sich eine globale Kunstwelt etabliert. In den lokalen, regionalen und nationalen Räumen agieren vornehmlich Museen moderner Kunst, Kunsthallen und Galerien. Diese sind zwar durchaus transnational vernetzt. Doch andere institutionelle Typen haben sich in den letzten Jahrzehnten als globale Kategorien konstituiert: Biennalen, Documenta Kassel (als Sonderform), andere transnationale Großausstellungen oder Kunstmessen wie die Art Basel. René Block, der mehrere Biennalen mitgestaltet hat, meint, dass gerade diese Großereignisse das gegenwärtige Kunstgeschehen entscheidend prägen (Block in Glaser 2000: 4). Aus der langen Liste der mittlerweile existierenden Biennalen möchte ich folgende Aspekte hervorheben: In Venedig wird 1895 erstmals eine Kunstbiennale veranstaltet, die sich in den 1950er Jahren aufgrund ihres nationalistischen Ansatzes mit den Länderpavillons als ziemlich versteinert erweist, und nicht mehr den neueren Kunstflüssen entspricht. 1951 folgt jene von São Paulo, wo das Modell Venedigs übernommen wird. Als besondere Form folgt 1955 die Documenta Kassel, wo mit dem Nationenkonzept gebrochen wird. Die Documenta wird von Anfang an auf das neueste zeitgenössische Kunstgeschehen ausgerichtet. In der langen Liste möchte ich noch Sidney erwähnen, 1973 gegründet. In den 1980er und 1990er Jahren kommt es zur großen, weltweiten Vermehrung solcher neuen Institutionen, wobei ich insbesondere zwei von ihnen hervorheben möchte: 1984 wird die „Bienal de La Habana“ erstmals durchgeführt, und 1992 „Dak’Art“, die Biennale von Dakar. Ferner möchte ich für Lateinamerika noch die folgenden Biennalen nennen: Caracas (1989), Porto Alegre (1997), Lima (1997), Buenos Aires (2000) und Guadalajara (2003). Mit dem Bruch des Nationenkonzeptes anlässlich der ersten Documenta kommt es zu einer neuen, bestimmenden Kategorie innerhalb des Rahmens von Weltkunst: der/die internationale KuratorIn. Erstmals erscheinen KuratorInnen im Rahmen der Documenta 1955 als bestimmende GestalterInnen. Mit Harald Szeemann als Kurator der Documenta 5 (1973) erfährt diese Kategorie ihren ersten Höhepunkt (vgl. Kimpel 2002). Ich möchte nicht unerwähnt
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lassen, dass das Prinzip der/des Einzelkurators/ Kuratorin in Sidney von Anfang an gewählt wurde (vgl. Latos-Valier 2000). Sicher wäre es vermessen zu behaupten, alle heute existierenden Biennalen würden gleichermaßen global agieren. Trotz einer relativ weit verzweigten internationalen Teilnahme von KünstlerInnen, haben manche eher in regionalen Teilen der globalen Kunstwelt ihre Einflussräume. Die Biennale von Kairo beispielsweise, 1984 gegründet, strahlt vermehrt auf die arabische, regionale Kunstwelt. „Dak’Art“ sollte nach dem Willen der regionalen und lokalen KünstlerInnen eine Biennale der Weltkunst werden. Tatsächlich wurde sie ab der zweiten Durchführung 1996 eindeutig als Biennale der afrikanischen Kunst bestimmt. So führt sie den regional determinierenden Untertitel „Biennale de l’Art Africain Contemporain.“ Allerdings umfasst die Kunstrepräsentation von „Dak’Art“ auch Mode und Design. Die „Bienal de La Habana“ konzentrierte sich in ihrer ersten Durchführung (1984) ausschließlich auf KünstlerInnen aus Lateinamerika und der Karibik. Mit ihrer zweiten Auflage, 1986, schaffte sie eine Neupositionierung, indem sie ihr Blickfeld ausweitete und umorientierte. Um allerdings das Wissen um die verschiedenen Formen der visuellen Repräsentation zu erschließen, mussten sich die KuratorInnen zuerst in den verschiedenen Kontinenten informieren, für die 1986er Biennale in Lateinamerika, Afrika und Mittelasien. Fortan sollte sie global KünstlerInnen einbeziehen, die nicht aus der europäisch-amerikanischen Kunstwelt kamen. „Die HavannaBiennale ist Pionier in der Zusammenführung von Kunst aus allen möglichen Ländern der ‚Dritten Welt‘“ (Nelson Herrera Isla in Boecker 2002: 430). All diesen KünstlerInnen war gemeinsam, dass sie Themen aus ihrem Blickpunkt visualisierten, aus verschiedenen Regionen des Südens. Lilian Llanes zufolge, frühere Direktorin des Centro de Arte Contemporáneo Wilfredo Lam in Havanna, wurden diese anfänglichen Ansätze weiter entwickelt. Sie führten… „[…] zu der Erschließung einer eher universalistischen Sichtweise unserer selbst und zur Aufmerksamkeit gegenüber zahlreichen Problemen, welche die Menschheit in ihrer Gesamtheit bedrängen. Damit war jedoch keineswegs der Verzicht auf unser Recht verbunden, aus der Perspektive der Dritten Welt zu eben diesen Problemen Stellung zu beziehen“ (Llanes 2000: 13).
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Als weiteres Charakteristikum möchte ich die Einbeziehung von Architektur, Graphik, Design sowie anderer Formen des visuellen Ausdrucks nennen (Nelson Herrera Isla in Boecker 2002: 431). Indem es den KuratorInnen aus und in Kuba um den Gedankenaustausch zwischen den Kunstschaffenden ging, wurde unter Llanes die Vergabe von Preisen abgeschafft, da diese den offenen Auseinandersetzungen nicht zweckdienlich gewesen wären. Schließlich erfolgt die Suche und Auswahl der KünstlerInnen nicht nach dem Blick der europäisch-amerikanischen Kunstwelt, sondern wird entsprechend den jeweiligen Problemstellungen getroffen. „Unsere Künstlerauswahl ist also streng themengebunden und versucht nicht, alle möglichen wunderbaren Leute aus allen Teilen der Welt vorzustellen. Namen interessieren uns dabei auch nicht“ (Nelson Herrera Isla in Boecker 2002: 431). Die „Bienal de São Paulo“ war von Anfang am Konzept von Venedig angelehnt. Sie sollte Kunst aus der europäisch-amerikanischen zeitgenössischen Kunstwelt nach Brasilien bringen und zugleich die dortige Kunstwelt besser in das globale Kunstgeschehen einbinden. Genauso wie in Venedig gab es die national kuratierten Pavillons und daneben eine thematisch übergreifende Ausstellung. Für die 27. Auflage entschied die Chefkuratorin Lisette Lagnado, dass erstmals dieses System der vielen nationalen RepräsentantInnen aufgehoben werden sollte, um das Gewicht auf die heutigen transnationalen Vernetzungen zu verschieben. Im Gegensatz zu „Dak’Art“ oder der „Bienal de La Habana“ hat sich die „Bienal de São Paulo“ als Gegenpol oder komplementär zur dominanten Achse Nordamerika (New York) und Europa positioniert, und wird von internationalen KuratorInnen wie Alfons Hug4 nach der „Biennale di Venezia“ als zweitwichtigstes Kunstereignis der globalen Kunstwelt gesehen. „Was zunächst als Dialog zwischen Europa und den beiden Amerikas begann, hat sich in den letzten Jahren zu einer Unternehmung globaler Reichweite entwickelt. Die 25. Biennale hat deshalb großen Wert darauf gelegt, auch solche Länder einzuladen, die bislang als peripher galten.“5
4 Chefkurator der 25. und der 26. Biennale. Er war der erste nichtbrasilianische Kurator. 5 https://www.goethe.de/prs/int/de27347.htm (05.09.2006).
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Hatten schon die KuratorInnen der Documenta 9, Jan Hoet (1992), und Documenta 10, Catherine David (1997), eine stärkere Einbeziehung weltweiten Kunstschaffens angestrebt, so beschritt Okwui Enwezor mit seinem Team für die Documenta 11 neue Wege. Sie kreierten das Konzept von fünf Plattformen mit verschiedenen Themenstellungen. Die ersten vier Plattformen waren Symposien: Plattform 1 „Democracy Unrealized“ fand in Wien und Berlin statt (2001), Plattform 2 „Experiment with Truth: Transitional Justice and the Processes of Truth and Reconciliation“ in New Delhi (2001), Plattform 3 „Créolité and Creolization“ in San Lucia (2002), Plattform 4 „Under Siege: Four African Cities, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos“ in Lagos (2002). Von Juni bis September 2002 fand Plattform 5 in Kassel statt, „Exhibition Documenta.“ Das war auch die eigentliche Kunstausstellung. Die These, die europäisch-amerikanische Kunstwelt behaupte sich als Ort der Bilder der globalen Kunstwelt, bedeutet nicht, dass das Kunstschaffen ausschließlich auf sie hin fließe. Es gibt große Kunstereignisse auch an anderen Orten der globalen Kunstwelt, die aber scheinbar eigenen, von den globalen abgetrennten Bilderflüssen entspringen. Betrachtet man beispielsweise das Konzept der zweiten „Bienal de La Habana“ (1986), so weist Lucy Lippard darauf hin, dass mit dieser Biennale ein Kunstschaffen gezeigt wurde, dass in der europäisch-amerikanischen Kunstwelt in ähnlicher Form erstmals anlässlich der Ausstellung „Magiciens de la terre“ in Paris (1989) gezeigt wurde (Lippard 1992: 163). Auch die Technik, in die Länder zu reisen und mit den KünstlerInnen die lokalen Kunstwelten zu ergründen, hatte Jean-Hubert Martins Pariser KuratorInnenteam übernommen. Freilich war die internationale Resonanz, ob positiv oder negativ, ungleich bedeutender in Bezug auf die Ausstellung in Paris. Die „Bienal de La Habana“ kam damals in den einschlägigen Medien der europäisch-amerikanischen Kunstwelt noch nicht vor. Die Bienal de São Paulo sollte zeitgenössische Kunst – vornehmlich aus Westeuropa und den USA – in Brasilien bekannt machen. Die ersten Veranstaltungen prägen das Bild der Anknüpfung an die dominante Achse im Weltsystem: Indem insbesondere Werke namhafter KünstlerInnen der europäischen Moderne gezeigt wurden – unter anderem Picasso, van Gogh oder Giacometti – wurde bewusst auch die Möglichkeit geschaffen, „die Begegnung mit der Kunstgeschichte [zu] ermöglichen“ (Bärthel 29
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2000: 41). Erst mit der 25. Durchführung (2002) intensiviert die Bienal de São Paulo die Verknüpfung mit dem weltweiten Kunstschaffen. Die Documenta 11 erschließt und visualisiert zwar ein weltweites Netzwerk, mit den vier Plattformen, aber das eigentliche Kunstereignis findet dann doch im Zentrum in Kassel statt. Dagegen bleibt trotz steigenden transkontinentalen Interesses „Dak’Art“ ein Afrika zentriertes Kunstereignis. Für dieses Bild ist nur charakteristisch, dass bei der diesjährigen „Art Basel“, der weltgrößten Kunstmesse, keine KünstlerInnen vertreten waren, die bei der letzten „Dak’Art“ beziehungsweise der letzten „Bienal de La Habana“ ausgestellt worden waren. Die besondere, regionale Orientierung der beiden Veranstaltungen mag ein Grund dafür gewesen sein. Freilich gilt es weitere Umstände zu erkennen. Die Kategorie Biennale (oder Documenta) ist global insofern, als sie bislang scheinbar getrenntes Kunstschaffen in neuen Netzwerken verbindet (Enwezor 2003: 74). Dabei entsteht der Eindruck, dass es sich um eine kohärente globale Kunstwelt handelt, in der gleichförmige Bildflüsse stattfinden. Hans Belting zeigt in diesem Zusammenhang allerdings ein Problem auf: Das Kunstschaffen und der Kunstdiskurs werden im Wesentlichen auf der Grundlage einer Geschichte der Kunst geführt – der abendländischen Kunstgeschichte (1995; 1998). Wie aber, so ist dem zufolge zu fragen, kann das weltweite Kunstschaffen unter diesem einen Diskurs subsumiert werden? Wo sich die europäisch-amerikanische Kunstwelt als universeller Ort der Bilder geriert, bei der Art Basel, bei der Documenta usw., dort wird er zur Bewertung des Kunstschaffens angewandt, d.h. zur Bestimmung ob und in welcher Form dieses einbezogen oder gar ausgegrenzt werden soll. Die vielfältigen, heterogenen Formen gegenwärtigen Kunstschaffens in Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien haben oft nichts oder nur wenig mit dem abendländischen Grunddiskurs zu tun. „Weltkunst“ passt nicht in diesen europäisch-amerikanisch determinierten Diskurs (Belting 1995: 68). Damit beansprucht die europäisch-amerikanische Kunstwelt die Stellung des Souveräns über die globale Kunstwelt. In Anlehnung an den Historiker Dipesh Chakrabarty (2001), Mitglied der subaltern studies Gruppe, der den Widerspruch für das Feld der Geschichtsforschung formuliert, müssen sich KünstlerInnen aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien diesem europäisch-amerikanischen Konzept der globalen Kunstwelt beugen, ohne dass umgekehrt die europäisch-amerikani30
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schen Diskurse die reziproken Auseinandersetzungen mit den anderen zeitgenössischen Kunstformen führen müssten. Folgen aber KünstlerInnen aus den verschiedenen regionalen Kunstwelten der Auseinandersetzung mit der europäisch-amerikanischen Kunstgeschichte, werden ihre Auseinandersetzungen nur zu Varianten des Hauptthemas. Für Okwui Enwezor artikuliert sich hierin ein Paradoxon, indem es gerade die Globalisierung ist, „that has laid open the myth of a consolidated art world“ (Enwezor 2003: 76).
F ü r r e l a t i o na l e V e r net z ung en Im Kontext der so konstituierten globalen Kunstwelt wird der Umstand gern übersehen, dass die abgetrennten, regionalen Netzwerke gar nicht so abgetrennt sind. Übersehen wird zum Beispiel, dass während und nach Europas Kolonialherrschaft verschiedene Kunstflüsse stattfanden. In der europäisch-amerika-nischen Kunstwelt wird immer wieder der Primitivismus in der modernen Kunst zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwähnt6. Doch es gab auch Bewegungen in die andere Richtung. Im Zuge derselben wurde einerseits das europäisch-abendländische Konzept des Kunstsystems exportiert, inklusive dem althergebrachten Ausbildungssystem. In Afrika erfolgte es ab den 1920er Jahren, in Lateinamerika schon früher. Bezeichnend dafür ist, dass nicht die in Europa damals avantgardistischen Strömungen exportiert wurden, sondern der alte, überholte Akademismus. Andererseits kamen KünstlerInnen aus den kolonisierten Gebieten an europäische und amerikanische Kunstakademien, weil sie an einer modernen Auseinandersetzung mit den ebenda stattfindenden künstlerischen Recherchen interessiert waren. Ferner hat auch das genuin lokale oder regionale Kunstschaffen Veränderungen aufgrund der kolonialen und postkolonialen Beziehungen erfahren. Techniken wurden weiterentwickelt, neue Formen, Materialien und Motive wurden inkorporiert. Man muss hier die Komplexität der kolonialen Regimes und die damit verbundenen Bedürfnisse und Interessen sehen. Koloniale Regime waren nicht 5 Ich gehe hier nicht weiter auf das Phänomen des Primitivismus ein. Ich möchte nur erwähnen, dass es im Zuge dieser künstlerischen Aktivitäten zum Bruch mit dem bislang gültigen Formenkanon gekommen ist. 31
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nur Armeen, Gouverneure, Beamten, Sklavenhändler und Handelsunternehmen. Missionare, Handwerker, ForscherInnen und KünstlerInnen waren ebenso dabei. Auch durch sie kamen Impulse für die lokalen KünstlerInnen, auch im Raum des so genannten genuinen Kunstschaffens gab es Austausch, obschon nicht ein jeder in der Übernahme der abendländischen Kunstformen mündete. Die Begriffe der modernen beziehungsweise der zeitgenössischen Kunst im Sinne der europäisch-amerikanischen Geschichte der Kunst vernachlässigen völlig diese Perspektiven. Im Kontext von Weltkunst kann „zeitgenössisch“ nicht mehr so sehr die Ordnungskategorie dieser einen, linearen Geschichte sein. Vielmehr muss die Kategorie auf ein Kunstschaffen bezogen werden, das im Geiste künstlerischer Auseinandersetzungen mit regional unterschiedlichen Moderne(n) entsteht und eben nicht mehr aus der europäisch-amerikanischen Moderne als universelles Modell, wie es die verschiedenen Formen von Kolonialismus intendierten. Dekolonisierung der europäisch-amerikanischen Hegemonie über die globale Kunstwelt heißt zu allererst die Konstruktion der universellen Ordnung künstlerischen Schaffens in unilinearer, historisch-evolutionärer Form, und von einem Zentrum aus, zu brechen. Benötigt wird ein Konzept, das Gleichzeitigkeit, kulturelle Diversität und Relationalität beinhaltet. Angesichts des überaus heterogenen und komplexen Kunstschaffens auf der Welt, kann nicht mehr zwischen westliche Moderne hier und regionale Tradition dort differenziert werden. Diese einfache, binäre Opposition sollte einer relationalen, komplexen Sichtweise weichen. Damit ist nicht gemeint, dass die abendländische Kunstgeschichte mit ihrer spezifischen Narrationsform obsolet würde. Allein, sie kann nur eine unter vielen sein. Doreen Massey (2005) schlägt hierzu das Konzept der Multiplizität von historischen Verläufen vor, durch deren Interaktionen zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort spezifische Konfigurationen entstehen. Diese Konfigurationen gilt es dann aus der Sicht der verschiedenen Verläufe zu verstehen, die, und das ist entscheidend, jeweils eigenen Perspektiven (Logiken) entspringen. Vernetzung und Interaktion bedeuten nicht, dass das gemeinsam erfahrene Ereignis nur durch den einen Blick erklärt werden soll. Hingegen gewinnen die regionalen und lokalen Netzwerke im Kontext der globalen Flüsse an Bedeutung. Solch eine Relationalität beruht zum einen ebenso auf der Artikulation von Differenz, wenn 32
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auch nicht von jener, die durch die europäisch-amerikanische Kunstgeschichte postuliert wird. Diese Differenz entspringt aus einer regional bestimmten Vernetzung, aus der eigenen Sicht des gewählten historischen Verlaufs. Mit anderen Worten, die zeitgenössische Dimension von Kunstschaffen erlaubt zwar die Anerkennung der Gleichzeitigkeit verschiedenen Schaffens wie auch deren Verknüpfungen zu gänzlich verschiedenen Kunstformen und -traditionen. Zum anderen ist die so postulierte Relationalität nicht notwendigerweise eine reziprok egalitäre. Die Differenz artikuliert sich allerdings in der Beziehung und ist keine unilaterale, essentialistische oder ausgrenzende. So ist die abendländische Kunstgeschichte nicht nur eine unter vielen, sie ist derzeit dominant. „Magiciens de la terre“ (Centre Pompidou und La Villette, Paris 1989) war ein Versuch in eine solche Richtung, die Vernetzung von unterschiedlichsten zeitgenössischen Ausdrucksformen zu realisieren. Freilich, der Begriff magiciens (MagierInnen) zeigt die Problematik, die bei einer solchen Konfiguration entsteht. Bei der Selektion der KünstlerInnen und ihrer Arbeiten wurde der Akzent noch auf die vielfältigen modernen Ausdrucksformen gelegt, die nicht nur in der einen Tradition der europäisch-amerikanischen Kunstwelt stehen mussten. Die Frage stellte sich aber in Bezug auf das verbindende Element zwischen diesen vielfältigen Formen – und es entstand die Frage, ob die GestalterInnen der verschiedenen Werke alle mit gleichem Recht KünstlerInnen genannt werden können. Sind die KünstlerInnen aus der europäisch-amerikanischen Kunstwelt auch MagierInnen, sind jene aus anderen Kontexten MagierInnen und nicht KünstlerInnen? Ist dieser Begriff im Titel nicht Ausdruck des Blicks aus der abendländischen Kunstgeschichte auf das weltweite, differentielle Kunstschaffen? In gewisser Weise signalisiert der Begriff „Magiciens“ den Willen zum Bruch, alles aus der einen Sicht zu betrachten, zugleich verdeutlicht er die feste Bindung an das damit verbundene Erfahren. Die „Bienal de La Habana“ entgeht diesem Betrachtungsansatz, indem die Themenstellung als für die Selektion der Arbeiten bestimmend gesetzt wird. So wird der Raum der Biennale als Schnittpunkt der vielfältigen künstlerischen Reflexionen zum Hauptthema, und von da weg erschließen sich die vielen Verläufe der KünstlerInnen. Mit anderen Worten, die Verantwortlichen dieser Biennale berücksichtigten von Anfang an die verschiedenen Kunsttraditionen
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und neuen Kunstformen, die nicht unter die abendländische Kunstgeschichte zu subsumieren sind. Als neue, globale Kategorie werden Biennalen als das Format gesehen, wo international agierende KuratorInnen solche neuen Netzwerke visualisieren können. Das birgt selbstverständlich die Gefahr in sich, dass das bloße Ausstellen von verschiedensten, zeitgenössischen Kunstformen zum Lusterlebnis führt. Okwui Enwezor spricht in diesem Zusammenhang von einer „spectacle culture“ (Enwezor 2003: 67). Ich möchte weitere, damit verbundene Aspekte anführen. Das Kombinieren von diversesten Kunstformen, um einen Raum der Weltkunst zu schaffen, führt nicht automatisch dazu, dass die Formen der Selektion und der Repräsentation nicht dennoch aufgrund der Matrix der europäisch-amerikanischen Kunstwelt artikuliert werden. In diesem Sinne würde die Diversität der Kunstformen nur das Spektrum der Vielfalt belegen, und dieser Kunstwelt ihre Qualität des Sammelns von Kunstformen bestätigen. Ihre Dominanz in der globalen Kunstwelt würde bloß verfestigt und nicht in Frage gestellt. Ausstellungen, die umfassende Sichtweisen insinuieren – etwa „Kunst aus Lateinamerika“ oder „Kunst aus Kuba“ sind besonders gefährdet, solche Aspekte zu transportieren. Eine solche Ausstellungspraxis könnte des Weiteren allzu leicht dahin führen, dass die Konstruktion der Vormachtstellung der europäisch-amerikanischen Kunstwelt, also die Prozesse der Einbindungen, Aus- und Abgrenzungen von Kunst und zu Kunst aus Lateinamerika, Afrika, etc. nicht offen gelegt oder verwischt werden. Gerade das scheint mir jedoch eine Bedingung zu sein, damit der Kanon der europäisch-amerikanischen Kunstwelt herausgefordert und einem Disput unterzogen wird. Ferner muss gefragt werden, inwieweit der Blick auf die unterschiedlichen Verläufe, auf die verschiedenen Verständniskontexte eröffnet wird. Objekte von KünstlerInnen aus Lateinamerika, Afrika, Asien oder Ozeanien sollten als eigenständige Belege verstanden werden, wie die KünstlerInnen ihre Blicke einbringen, d.h. auf der Basis welcher gesellschaftlichen und kulturellen Vernetzungen sie ihre Werke positionieren. Wenn die Einbindung des komplexen, heterogenen zeitgenössischen Kunstschaffens der Welt erfolgen soll, so ergeben sich infolge dessen zwei Aufgaben für die Kunstinstitution. Erstens, sie müssen die multidirektionalen Diskurse einbinden, und das muss, zweitens, unter dem Gesichtspunkt der Auflehnung gegen den dominanten europäisch-amerikanischen Kanon geschehen. In diesem 34
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Kontext erscheint die Dekolonisierung der globalen Kunstwelt als möglich. Eine Kunstinstitution, die diesen Weg zu bestreiten intendiert, bewegt sich auf ein stets diskutiertes Terrain zu, weil die Orientierung an der zeitgenössischen, europäisch-amerikanischen Kunstgeschichte abhanden gekommen ist. Das scheint insbesondere für Museen moderner Kunst zumindest schwierig, denn allein mit der Einbeziehung von Kunst aus verschiedenen Regionen der Welt ist es nicht getan. Sie haben historisch gewachsene Sammlungsschwerpunkte, die unter den neuen Rahmenbedingungen neu auszurichten sind. Davon ist auch die Informationsbeschaffung betroffen. Ihre KuratorInnen müssten sich weltweit in jene kulturellen Räume bewegen, wo zeitgenössische Kunst stattfindet. Ihre Ordnungskategorien sind umzustrukturieren, ihre Einbindung in die lokale Kunstwelt ist neu zu positionieren, und ihre transnationalen Vernetzungen sind dem Ansinnen entsprechend neu zu knüpfen. Allein, sich solchen Schnittpunkten zeitgenössischer Kunst anzunähern, entspricht auch, sich mit zeitgenössischen, kulturellen Komplexitäten auseinander zu setzen.
F ü r ei ne p o s t k o l o n ia l e , g l o b a l e K u n s t w el t Mit den Kunstbiennalen, die nicht mehr nationalistischen Anliegen dienen, was lange Zeit für die Biennale di Venezia charakteristisch war, hat sich in den späten 1980er Jahren eine neue globale Kategorie von Großausstellungen weltweit etabliert. Dennoch bilden sie keine einheitliche Kategorie: ihre Vernetzungen und Orientierungen sind unterschiedlich gelagert. Dieses System darf auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die globale Kunstwelt noch heute von der Matrix der europäisch-amerikanischen Kunstwelt strukturiert wird und insofern von ihr diktierte Mechanismen der Exklusion und Inklusion wirksam sind. In diesem Kontext bleibt die Forderung nach Ausstellungen mit Kunst aus Lateinamerika, aus Kuba, Chile oder Afrika de facto ein Sammeln von künstlerischer Vielfalt auf der Welt, ähnlich wie das Sammeln von Kulturen in den ethnographischen Arbeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Um von einer postkolonialen, globalen Kunstwelt reden zu können, bedarf es der Dekolonisierung dieser Hegemonie. Konkrete Ansätze sind gegeben, wie etwa die „Bienal de La Habana“ und andere Großereignisse erahnen lassen. Sie setzt bei mehreren As35
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pekten an. Erstens, die Anerkennung, dass KünstlerInnen aus Lateinamerika, Afrika und anderen Gebieten schon früh in Kontakt mit der europäisch-amerikanischen Kunstwelt kamen. Es gibt folglich sehr enge Anknüpfungen in den verschiedenen historischen Verläufen. Zweitens geht es darum, das Prinzip der Relationalität anzuwenden, d.h., ausgehend von den Beziehungen die verschiedenen Konstruktionen von Differenzen zu betrachten. Das führt dazu, zeitgenössisches Kunstgeschehen nicht nur von dem einen Blickpunkt der abendländischen Kunstgeschichte zu wahrzunehmen. Die vielen heterogenen Kunstwerke sind somit eigenständige Belege für unterschiedliche historische Verläufe von zeitgenössischer Kunst.
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„U N D
W E N I NT E R E S S I E R T EI G E N T LI C H
K U N S T M A R K T ?“ 1 K Ü N S T L E R I S C H E P R A KT I K E N I N L A T EI N A M E RI K A , I D E NT I T Ä T S P O L I T IK U N D D E R R A U M D E R M Ö G LI C H K E IT E N DER
JENS KASTNER Partiendo del tema del simposio que plantea la cuestión del acceso de los artistas latinoamericanos al mercado europeo de arte, se analiza el papel que cumplen las intervenciones en el plano de una política de identidades como estrategia contra exclusiones de carácter cultural y político. Sin embargo, una mirada a las prácticas del arte conceptual y performativo en América Latina desde los años sesenta hasta nuestros días, muestra que su accionar no está necesariamente determinado por el mercado internacional de arte. En sí ya la selección de los medios artísticos utilizados pone de manifiesto el hecho de que muchas posiciones priorizan „la producción de significado – a menudo antihegemónico – a la producción de valor mercantil“. En lugar de incrementar el valor comercial, se podría interpretar esta idea, recordando la teoría del campo artístico de Pierre Bourdieu, como una ampliación del „espacio de posibilidades“. Auf der Liste der 100 Top-KünstlerInnen, welche die Zeitschrift „Capital“ seit 1970 auf der Basis der Quantität von Einzelausstellungen, Ausstellungsbeteiligungen und der Rezeption in Fachzeitschriften veröffentlicht, finden sich 2004 nur drei Künstler (keine Künstlerin) aus Lateinamerika: Gabriel Orozco (Mexiko) auf 1 Hemma Schmutz in dem unveröffentlichten Vortragsskript vom 05.05.2006 zu der Veranstaltung „acceso: Zugang von KünstlerInnen aus dem Süden zum westlichen Kunstmarkt“ im Rahmen von „Blickwechsel. Symposium zu Positionen in der zeitgenössischen bildenden Kunst“. 39
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Rang 52, Jorge Pardo (Kuba) auf Rang 68 und auf Platz 99 Ernesto Neto (Brasilien). Unter den 73 KünstlerInnen, KünstlerInnenPaaren- oder -gruppen, deren insgesamt über 200 Werke das Wiener MUMOK (Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig) in der großen Sammlungsausstellung „Why Pictures Now“ 2006 präsentiert, findet sich kein/e einzige/r aus Lateinamerika. Und das, obwohl das größte Museum für zeitgenössische Kunst in Österreich mit Christian Kravagna extra für diese Schau einen „Kritiker der eurozentrischen Praxis des Museums“ (Kravagna 2006: 2) als KoKurator eingestellt hat, der dafür Sorge trug, dass hier nicht nur nordamerikanisch-westeuropäische Kunst als die moderne Kunst ausgestellt wurde.2 Sind lateinamerikanische KünstlerInnen auf dem westlichen Kunstmarkt unterrepräsentiert? Werden lateinamerikanische Positionen aus dem westlichen Kunstgeschehen ausgeblendet oder gar unterdrückt? Auch wenn eine Zeitschrift nicht für den Kunstmarkt steht und ein Museum erst recht nicht für die europäische Kunstwelt, so zeigen die beiden Beispiele doch deutliche Tendenzen eines Ausschlusses an, der auf unterschiedlichen Zugängen beruht. Wie jeder Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen und Positionen beruht auch derjenige lateinamerikanischer KünstlerInnen zum Kunstgeschehen des Westens nicht allein auf individuellen Voraussetzungen (wie Talent o. ä.), sondern auf sozialen Strukturen. Auch und gerade in einem mehr und mehr sich internationalisierenden Feld wie dem der Kunst bleibt es nicht aus, dass unterschiedliche soziale, kulturelle und politische Ausgangslagen den Eintritt in die Sphären der Anerkennung erschweren oder erleichtern. Diese Ausgangslagen können auch nationale Zugehörigkeiten bilden – und sie tun dies im Kunstfeld auf besondere Weise. So stellt beispielsweise Ulf Wuggenig (2003: 61) anhand eines empirischen Vergleiches der besagten „Capital-Listen“ von 1970 und 2001 fest, dass der Anteil von KünstlerInnen, die nicht aus Westeuropa oder Nordamerika stammen, 2001 lediglich bei 10 Prozent (gegenüber 8 Prozent 1970) lag 2 Das ist ansonsten durch das besondere kuratorische Vorgehen auch gelungen: „Anstatt also bloß additiv vorzugehen und Werke aus afrikanischen, asiatischen oder arabischen Kunstlandschaften den euro-amerikanischen zur Seite zu stellen, wurde […] an einer Perspektive auf die Kunstproduktionen der verschiedenen Regionen gearbeitet, die wechselseitige Bezugnahmen und unterschiedliche Interpretationen geteilter Wirklichkeiten in den Blick nimmt“ (Kravagna 2006: 2). 40
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und spricht daher von einem „Mythos der Globalisierung des Kunstfeldes“ (Wuggenig 2003: 62).
I d ent i t ä t s p o l i t ik a l s Wa ff e Es gibt ganz verschiedene Reaktionen auf diesen Ausschluss bzw. auf die postkoloniale Beschaffenheit des anerkannten künstlerischen Feldes. Eine mögliche Form der Reaktion auf Exklusionen ist immer Identitätspolitik. Es kann also als sinnvoll erachtet werden, sich auf eine immer auch vorkonstruierte Identität zu beziehen, um gegen Repräsentationsdefizite anzugehen. Die Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen ist voll von solchen Strategien (vgl. Kastner 2000). Strategien also, die in sozialen Kämpfen eingesetzt werden und die keineswegs nur dazu erschaffen wurden oder ausschließlich dazu dienen, kulturelle Identitäten auf den „internationalen Medienund Touristikmärkten zu verkaufen, zur Ware zu machen“ (Groys 2003: 235).3 Der britische Cultural Studies-Theoretiker Stuart Hall (Hall 1994) unterscheidet zwei Formen von Identitätspolitik. Die Identitätspolitik ersten Grades beruht auf einem Verständnis von kultureller Identität als Einheit – im doppelten Wortsinn von Größe/ Maßstab und Zusammenhalt – die hinter allen oberflächlichen Unterschieden einen festen, überhistorischen, dauerhaft stabilen Referenzpunkt ausmacht. Ein Bedeutungsrahmen, der durch den Kolonialismus verschüttet wurde, aber in einer „leidenschaftlichen Suche“ (Frantz Fanon) ausgegraben und repräsentiert werden kann. Hall hält diese Form der Identitätsstiftung in bestimmten politischen Kontexten auch heute noch nicht nur für machtvoll, sondern auch für richtig. Und zwar als „kreative Kraft für die sich entwickelnden Repräsentationsformen“ (Hall 1994: 27) der Marginalisierten, wie 3
Von der zutreffenden Beobachtung ausgehend, dass „der Diskurs wie auch die Politik der kulturellen Heterogenität und Differenz nicht richtig gesehen und interpretiert werden können, ohne mit der marktgesteuerten Praxis der kulturellen Diversifizierung und Differenzierung der letzten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts in Beziehung gesetzt zu werden“ (Groys 2003: 235), vollzieht Boris Groys (2003: 236) den affirmativen Kurzschluss, die postmoderne kulturelle Heterogenität sei nur ein „Pseudonym für Universalität des kapitalistischen Marktes“ und die Neuformierung kultureller Identitäten sei allein dieser geschuldet. 41
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auch als Ressource des Widerstands. Das zweite, antiessenzialistische Konzept bezieht neben dem Ursprung auch den Eingriff der Geschichte mit ein, womit das Ursprüngliche seine Bedeutung verliert. Kulturelle Identität wird dabei nicht nur als gemeinsame Erfahrung konzipiert, sondern neben der Kontinuität und Ähnlichkeit werden auch Brüche und Differenzen kollektiver Narrationen, Geschichte(n), Erfahrungen miteinbezogen. Kulturelle Identitäten sind demnach… „[…] die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung. Daher gibt es immer eine Identitätspolitik, eine Politik der Positionierung, für die es keine absolute Garantie eines unproblematischen, transzendentalen ‚Gesetzes des Ursprungs‘ gibt“ (Hall 1994: 30).
Identitätspolitik war in verschiedenen Phasen der lateinamerikanischen Geschichte gerade an der Schnittstelle von Kunst und Politik eine wichtige Waffe. Dabei ist beispielsweise die im Kreis um den Schriftsteller und ersten postrevolutionären Bildungsminister Mexikos, José Vasconcelos, entwickelte Idee der mexicanidad ein gutes Beispiel für die erste Form der Identitätspolitik nach Stuart Hall.4 Die mexicanidad als spirituelle Einheit aller MexikanerInnen bildete einerseits „die entscheidende kulturelle Klammer zwischen Nationalismus und sozialer Revolution“ (Kaller-Dietrich 2005: 91). Als solche beflügelte sie auch die enormen kulturpolitischen Anstrengungen der ersten Jahre nach 1920: Angestoßen durch die Aufstände unter Emiliano Zapata und Pancho Villa, die die sozialen Missstände in das Bewusstsein der intellektuellen Klasse in Mexiko gerufen hatten, wurden Kultur und Bildung als Instrumente zur 4 Wie jede „Identitätspolitik 1“ basiert auch die mexicanidad auf einem, wie Martina Kaller-Dietrich (2005: 92) es nennt, methodischen Fehler: „Sie versuchen den Typus mexicano nicht als jemanden, sondern als etwas – lo mexicano – zu definieren. Als Essenz begriffen, klingen die Elaborate dieser Spielart des philosophischen Nationalismus wie Fakten. Essenz und Existenz geben vor dasselbe zu sein. Die Apriori-Aussage, dass lo mexicano in dieser Welt existiere und damit auffindbar wäre, verschleiert den Blick auf die konkreten, sprich ökonomisch, politisch, sozial und kulturell extrem unterschiedlichen Existenzbedingungen der Mexikanerinnen und Mexikaner.“ 42
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Lösung sozialer, nationaler Probleme verstanden. Andererseits ist die mexicanidad bei Vasconcelos aber – wie Martina KallerDietrich deutlich macht – immer auch eingebettet in die Idee einer lateinamerikanischen (also nicht nur mexikanischen) Kultur, die als Horizont einer geschichtlichen Bewegung fungiert. Ihre Verwirklichung – „(ver)ankert in einem konservativen Antiimperialismus“ (Kaller-Dietrich 2005: 95) – galt als Utopie für die Realisierung der Hoffnung auf eine friedliche Welt. Auch in den 1980er Jahren spielte das Interesse „an der Suche nach den kulturell-nationalen oder kontinentalen Wurzeln“ (Camnitzer 1995) in der lateinamerikanischen Kunst wieder eine große Rolle. Dies ging nach Einschätzung des Künstlers Luis Camnitzer (Camnitzer 1995) u. a. auf ein erstarkendes Bewusstsein des Verhältnisses von Zentrum und Peripherie zurück, war aber auch dem Versuch geschuldet, die verlorenen politischen Kämpfe im künstlerischen Feld fortzusetzen. Im Zuge dieser Strategie kam es laut Camnitzer, ebenfalls im Einklang mit Halls Beschreibung der ersten Form der Identitätspolitik, zu einem forcierten formalen Rückgriff auf das lokale Kunsthandwerk. Aus der Sicht Camnitzers eine Falle: Was als „kollektive Suche nach Identität“ gedacht war, wurde demnach vom internationalen Markt gleich fixiert und als verwirklichte Identität aufgegriffen und zum Stereotyp gemacht.5 Die prozesshafte Offenheit wurde somit von den Marktmechanismen konterkariert. Zwar kann eine solche Festlegung und Profilierung im Sinne zeitgenössischer Branding-Strategien für die Steigerung der Erfolgschancen auf dem Markt durchaus erforderlich – und damit für die marktorientierten KünstlerInnen sinnvoll – sein. Das bedeutet aber nicht, dass die Marktmechanismen überhaupt als homogenisierend und kreativitätsfeindlich aufgefasst werden sollten. Denn erstens unterliegt selbst die formale wie inhaltliche Ausgestaltung eines Markenimages extremen Konjunkturen: Mit Kunsthandwerk ist heute bestenfalls noch ein Blumentopf, aber keine wertsteigernde Anerkennung auf dem internationalen Kunstmarkt mehr zu 5 „Die identifikatorischen Elemente, die einmal vom Markt als ein formales Element verdaut wurden, kehren an die Peripherie als ein Reflex zurück, der von einem richtungsweisenden und autoritären Spiegel ausgesandt wird. Auf kollektiver Ebene verhindert die Aufnahme gewisser, durch diesen Spiegel ‚zurückgestrahlter‘ Mittel, daß dabei erkannt wird, ob es sich um einen Stereotyp mit einem kommerziellen Potential handelt oder ob sich eine Identität konsolidiert“ (Camnitzer 1995). 43
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gewinnen. Und zweitens läuft die von Camnitzer geschilderte Verstetigung und Vereinheitlichung der künstlerischen Produktion prinzipiell eher zuwider, die selbst bei der Verwendung serieller Techniken auf potenzielle Mehrdeutigkeiten in der Rezeption angewiesen ist. Selbst der hegemoniale, internationale Markt für zeitgenössische Kunst ist also weder per se mit Homogenisierung noch mit Differenzierung/Diversifizierung gleichzusetzen, er produziert beide Mechanismen. Künstlerische Arbeiten funktionieren zudem im Hinblick auf die durch sie vermittelten Botschaften deutlich anders als die Politik sozialer Bewegungen: Legen diese es nicht selten auf die Klarheit und Eindeutigkeit ihrer Inhalte an, wird die künstlerische Arbeit erst durch eine gewisse Ambivalenz und Deutungsoffenheit interessant. Wenn auch hier sehr dichotom und grob formuliert, war es doch u.a. dieser strukturelle „Widerspruch zwischen ästhetischem Raffinement und politischer Progressivität“ (Bourdieu 2001: 399), der den Traum vom Zusammengehen künstlerischer und politischer Avantgarden immer wieder hat platzen lassen. Identitätspolitik erweist sich so als einer der Bereiche, in denen die strukturellen Hürden zwischen dem Agieren auf dem kulturellen und auf dem politischen Feld offenbar noch am ehesten überwunden werden können. Vor dem Hintergrund dieser prinzipiellen Differenz zwischen sozialen und kulturellen Bewegungen lässt sich aber noch einmal zwischen Identitätspolitiken unterscheiden, die von KünstlerInnen als Personen betrieben werden, ohne dass sich in ihren Werken eine wie auch immer geartete ‚Lateinamerikanität‘ spiegeln würde, und solchen, die sich auch in den Arbeiten selbst wieder finden. Ein Beispiel für die personelle Variante der Identitätspolitik ist der temporäre Zusammenschluss von fünf in Österreich lebenden KünstlerInnen mit lateinamerikanischem Hintergrund unter dem Titel „Latin Lobby“. In ironischer Anspielung sowohl auf das Klischee des Latin Lovers als auch auf den politischen Lobbyismus fanden sie sich in Wien unter diesem Titel für eine Ausstellung zusammen, wohl kalkulierend, dass ihnen im Kontext dieser Kooperation größere Aufmerksamkeit zukommt, zumal sie zeitlich in das Rahmenprogramm des Gipfeltreffens der Staatschefs der Europäischen Union und Lateinamerika/Karibik im Mai 2006 fiel.6 Eine 6 „Latin Lobby“, Freiraum, Quartier 21, Museumsquartier Wien, 3.11.Mai 2006. Beteiligte KünstlerInnen: Carla Bobadilla, Carla 44
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werkimmanente Variante lateinamerikanischer Identitätspolitik ist beispielsweise das „Instituto de la Telenovela“ (Institut für Seifenopern), das der in Mexiko-Stadt geborene und in New York lebende Künstler Pablo Helguera auf der Biennale von Havanna 2003 realisierte. Das interdisziplinäre Ausstellungs- und Forschungsprojekt analysiert und dokumentiert das Phänomen „der globalen Ausbreitung des Marktes für lateinamerikanische Fernsehkultur sowie der Rückwirkungen auf die Schaffung einer fiktiven Latino-Realität innerhalb und außerhalb der Lebensbereiche von Lateinamerikanern.“7 Ganz im Sinne von Stuart Halls zweiter Form von Identitätspolitik wird hier das Verhältnis von Repräsentation und Positionierung thematisiert (vgl. Supik 2005: 89). Dass Repräsentation nicht nur Ausdruck von etwas angeblich zuvor Konstituiertem ist, sondern produktiv und (identitäts-) gestaltend wirkt, ist gleichsam Gegenstand und – hinsichtlich ‚Lateinamerika‘ – Botschaft des Projektes. Identitätspolitik als Strategie bezieht sich hier also keineswegs unbedingt auf (so vorgestellte) überhistorische, homogene Einheiten, sondern auf temporär und zu einem bestimmten Zweck gebündelte Realitäten. Einer dieser Zwecke besteht eben darin, sich über ein bestimmtes Label größere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Damit kann sie durchaus marktkonform sein und durch diese Konformität in ihrer rein strategischen, nicht auf wesentliche Ursprünge abzielenden Ausrichtung konterkariert werden. Es kann aber auch – weniger individualistisch ausgerichtet – Zweck der Identitätspolitik sein, die zweifelsohne hegemoniale (nordamerikanisch-westeuropäische) Struktur des Kunstfeldes aufzubrechen bzw. langfristige Verschiebungen des Kanons zu erreichen. In Anlehnung an eine der Degenhardt, Carlos Perez, Oscar Sanchez, Hansel Sato. Auf dem Folder der Ausstellung wird die Problematik der Identitätspolitik durchaus reflektiert. So schreibt Hansel Sato: „Wie kann man das Konzept ‚Lateinamerika‘ neu erfinden? Wie kann man die Klischees dekonstruieren? Ist es noch möglich, von einer ‚lateinamerikanischen Identität‘ zu sprechen? Wie können LateinamerikanerInnen, die im Ausland leben, zu einem neuen Verständnis dieses Begriffs beitragen? Oder fehlt womöglich der so praktischen Einteilung der Welt in Einheiten wie ‚Lateinamerika‘, ‚Osteuropa‘, ‚Asien‘ etc. in einer immer kleiner und fragmentierter werdenden Welt jegliche Grundlage? Braucht die Kunstwelt solche Konzepte? Diese und ähnliche Fragen gaben den Ausschlag zum Projekt ‚Latin Lobby‘.“ 7 http://universes-in-universe.de/car/habana/bien8/centro-lam/d-tour03.htm (26.06.2006) 45
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auf Inklusion zielenden Parolen der zapatistischen Befreiungsbewegung im Süden Mexikos würde die Forderung dann also lauten: „Nie mehr eine (Post-)Moderne ohne uns!“8 Die zapatistische Inklusionsforderung bietet sich auch deshalb als Bezugspunkt an, da sie nicht nur einfach die Beteiligung der ausgeschlossenen Indigenen an den bestehenden politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen einklagt. Durch ihren starken Bezug auf Begriffe wie Demokratie, Freiheit, Würde etc. verknüpfen die Zapatistas den Anspruch auf Inklusion zugleich mit dem auf Transformation: Die Gesamtgesellschaft ist kein statischer Behälter, in den ein weiterer homogener Wir-Klumpen geworfen werden soll, sondern sowohl das eigene „Wir“ als auch das große soziale und politische Ganze sollen einer grundsätzlichen Umgestaltung unterzogen werden.
K o n z ep t e j ens e i t s d es M a r k t es Die Ausbildung des künstlerischen Feldes basiert auf der Ausdifferenzierung der bürgerlichen Gesellschaft, der Etablierung intellektueller und ökonomischer Strukturen, die dem in diesem Feld akkumulierten symbolischen Kapital die Möglichkeit eröffnen, in ökonomisches Kapital verwandelt zu werden. In den Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen und hohem Anteil indigener Bevölkerung wie Bolivien oder Guatemala sind diese Strukturen nur rudimentär ausgebildet. Zudem erinnert Bourdieu daran, dass „die kulturelle Praxis, und mehr noch der Kunstverstand und die Haltung gegenüber Kunstwerken sehr eng an das nationale kulturelle Kapital gebunden ist“ (Bourdieu/Darbel 2006: 63). Dies wiederum ist in 8 Die zapatistische Bewegung um die Guerilla EZLN (Ejercito Zapatista de Liberación Nacional, Zapatistische Armee der nationalen Befreiung) begann am 01.01.1994 im südlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas einen knapp zweiwöchigen, bewaffneten Aufstand gegen rassistische Ausgrenzung und die neoliberale Doktrin, der seitdem durch den Aufbau autonomer Strukturen in Chiapas und verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen fortgesetzt wird. Eine der wichtigen Losungen der Zapatistas ist „Nunca más un México sin nosotros!“ („Nie mehr ein Mexiko ohne uns!“). Andere Parolen der so genannten „Diskursguerilla“ sind in den Wortschatz der globalisierungskritischen Bewegungen eingegangen („Para todos todo“/„Für alle alles“ u. a.). Allgemein zum Zapatismus vgl. Kerkeling 2005. 46
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Ländern mit niedrigem Bildungsniveau – trotz reichem kulturellen Erbe – besonders gering. Vor diesem Hintergrund müsste es also verwundern, wenn plötzlich KünstlerInnen aus diesen Ländern in der internationalen Kunstszene ebenso gut repräsentiert wären wie solche aus Mitteleuropa. Abgesehen von diesen strukturellen Gründen und dem zweifelsohne nach wie vor evidenten Ethnozentrismus westlicher Kunstinstitutionen gibt es aber noch einen weiteren wichtigen Grund dafür, dass lateinamerikanische Kunst auf dem Markt und in den Institutionen unterrepräsentiert ist. Wichtige Impulse, die auch noch die heutige künstlerische Produktion beeinflussen, gingen in den 1960er und 1970er Jahren in Lateinamerika von konzeptuell arbeitenden KünstlerInnen aus. Und die ephemeren Arbeiten vieler konzeptuell orientierter KünstlerInnen in Lateinamerika waren von Anfang an gar nicht auf den hegemonialen, internationalen Kunstmarkt für zeitgenössische Kunst ausgerichtet. Es kam ihnen vielmehr darauf an, Effekte im gesellschaftlichen Bereich zu erzielen. Mari Carmen Ramírez (2000) beschreibt die Motivationen der lateinamerikanischen Konzeptkunst als äußerst politische und setzt sie der eher selbstreferenziellen, auf die Institutionen der Kunst bezogenen in Großbritannien und den USA entgegen.9 Insofern ist also die Eingangsfrage nach dem Zugang zum europäischen Kunstmarkt zumindest einseitig gestellt. Erstens vernachlässigt sie die relativ autonomen Mechanismen innerhalb des künstlerischen Feldes, in dem die Orientierung auf den Markt sich immer schon als eine zwiespältige dargestellt hat. Sie betrifft, wie Pierre Bourdieu (2001) aufgezeigt hat, nur bestimmte Fraktionen innerhalb des Feldes und ist keineswegs dominanter Antrieb allge-
9 Dieser, auch in der westlichen Kunstgeschichtsschreibung verbreiteten Ansicht ist allerdings entgegen zu halten, dass auch die Entwicklung der westlichen Konzeptkunst kaum ohne den Hintergrund des Vietnam-Krieges und des studentischen Aktivismus in den 1960er Jahren zu verstehen ist. Darauf verweist u. a. Tony Godfrey (2005) in seiner ausführlichen Geschichte der konzeptuellen Kunst und trägt dem Rechnung, indem er jedes Kapitel mit Ausführungen zum Vietnam-Krieg einleitet. Allerdings wundert er sich angesichts der vehementen politischen Unruhen zugleich darüber, „wie wenig Kunst die politische Situation direkt ansprach“ (Godfrey 2005: 190). Glaubt man Ramírez, hätte wohl eine größere Gewichtung der lateinamerikanischen Konzeptkunst diese Verwunderung zumindest zum Teil abmildern können. 47
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meiner künstlerischer Produktion. Der Gegensatz zwischen Kunst und Geld/Geschäft, der den sozialen Raum strukturiert, reproduziert sich auch innerhalb des künstlerischen Feldes als jener zwischen „reiner“ und „kommerzieller Kunst“, wobei die „reine Kunst“ zwar symbolisch wertvoller, die „kommerzielle“ dies aber in ökonomischer Hinsicht ist. Als dritter Pol innerhalb dieses Schemas hat sich die sozial engagierte Kunst entwickelt, die sich vom „Egoismus“ und der (vorgeblichen) Funktionslosigkeit des l’art pour l’artStandpunktes ebenso abgrenzt wie von der sozial konservierenden und stabilisierenden Ausrichtung der „bürgerlichen Kunst“. (vgl. Bourdieu 2001: 118ff.)10 Zweitens klammert die Fragestellung auch die Einflüsse aus, die von künstlerischen Praxen aus Lateinamerika auch ohne Zugang zum europäischen Markt auf die Kunst in Europa ausgegangen sind. Ramírez hebt die Errungenschaften hervor, die lateinamerikanische KonzeptkünstlerInnen schon vor jenen aus Großbritannien und den USA in die Kunst einbrachten. Neben einer Reihe formaler Neuerungen wurde demnach insbesondere durch das „markante ideologische und ethische Profil der Arbeiten“ (Ramírez 2000: 69) in 10 Nina Tessa Zahner arbeitet in Erweiterung der Bourdieuschen Theorie des Kunstfeldes heraus, dass es mit dem Aufkommen der Pop Art und mit der Durchsetzung Andy Warhols als etablierter Künstler zu einer grundlegenden Transformation des künstlerischen Feldes kam: Die beiden von Bourdieu beschriebenen, dominanten Subfelder, das der reinen Produktion und das der Massenproduktion, wurden demnach im Laufe der 1960er durch ein drittes, das der erweiterten Produktion, ergänzt. Dieses neue Subfeld nimmt Mechanismen aus den beiden sich antagonistisch gegenüber stehenden auf. Es hat zum einen wesentliche Aspekte des Feldes der reinen Produktion übernommen (Innovationsorientierung der künstlerischen Produktion, die Einzigartigkeit des Werkes und die Originalität der Künstler) und zum anderen Elemente des Subfeldes der Massenproduktion integriert (Rezeption der Werke unabhängig von einer Verfügung über ästhetisches Kapital), „wodurch schneller Erfolg in der Kunstwelt möglich wird und die offene Orientierung an der Akkumulation ökonomischen Kapitals“ (Zahner 2006: 283) als legitim gilt. Die von Bourdieu als dritter Pol beschriebene und hier thematisierte „sozial engagierte Kunst“ wäre tendenziell zwischen reiner und erweiterter Produktion anzusiedeln, da in ihr der Abbau kapitalbedingter Zugangshürden zur Kunst begrüßt, ihre ökonomische Ausrichtung allerdings abgelehnt wird. Allerdings sind die Feldgrenzen auch hier fließend, wie die sozialkritische Interpretation der Arbeiten Warhols durch die Gegenkultur der 1960er Jahre zeigt. 48
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Lateinamerika das selbstreferenzielle Prinzip der nordamerikanischen Praktiken schon früh erweitert. „Während also die nordamerikanischen KünstlerInnen vorwiegend Kritik an der institutionalisierten Kunstszene übten […] machten die lateinamerikanischen KünstlerInnen in den meisten Fällen die allgemeine Öffentlichkeit zu ihrer Zielscheibe“ (Ramírez 2000: 69).
Nicht nur die Untersuchung der eigenen Eingebundenheit in die Kunstinstitutionen stand im Vordergrund, sondern es ging vielmehr darum, „die Welt durch das Besondere der Kunst aktiv zu verändern“ (Ramírez 2000: 71). Ramírez betont die repressiven Bedingungen der Militärdiktaturen bzw. der Einparteienherrschaft (im Falle Mexikos) sehr stark, unter denen die lateinamerikanische Konzeptkunst sich entwickelt hat. Und sie stellt schließlich die (letztlich müßige) Frage, ob es die Konzeptkunst in Lateinamerika ohne die autoritären Regime, gegen die sie sich formierte, überhaupt gegeben hätte (Ramírez 2000: 97). Ohne auf die von Ramírez diskutierten Beispiele näher einzugehen, kann zumindest festgehalten werden, dass, da es sie nun mal gegeben hat, an sie angeknüpft wird. Und zwar auf ganz verschiedene Arten und Weisen und in so unterschiedlichen nationalen Kontexten wie denen Mexikos oder Guatemalas. Es geht dabei auch heute um Kunst, die ausdrücklich nicht auf den internationalen Kunstmarkt ausgerichtet ist. Anstatt verkäufliche Produkte herzustellen, liegt entsprechend der oftmals gesellschaftspolitischen Fragestellungen der Schwerpunkt auf Performances oder Wandmalereien als Interventionen im öffentlichen Raum.
Wa nd sc ha tt en u nd K ö r p e r ein sä tz e in Mex ik o un d G ua t em a l a Die Künstlerin Anna Santos malt ihren eigenen oder die Schatten zufälliger PassantInnen auf Hauswände im historischen Zentrum der Stadt Oaxaca, Hauptstadt des gleichnamigen mexikanischen Bundesstaates. Eine dieser Interventionen in die touristische Zone heißt „Obra inconclusa por la ignorancia del arte de la policia“ („Wegen der Ignoranz der Polizei gegenüber der Kunst unvollendetes Werk“). Der Titel spielt überdeutlich auf die schwierigen Bedin49
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gungen an, unter denen unabhängige Kunst im öffentlichen Raum – trotz einer langen Tradition von staatlich geförderter Wandmalerei – produziert werden muss. Auf die Produktionsbedingungen von Wandmalereien bezieht sich auch die ironische Arbeit des Kollektivs Tercerunquinto, das eine Wand in Mexiko-Stadt wieder in ihren ‚ursprünglichen‘ Zustand versetzt, Graffitis weiß übertüncht und die Wahlpropaganda der ehemaligen Regierungspartei PRI11 ‚freigelegt‘ hat („Restauración“, 2004). Sie stellen damit den Zustand der Wände im öffentlichen Raum wieder her, den KünstlerInnen-Gruppen wie die „Grupo Suma“ in den späten 1970er Jahren vorfanden und bespielten. Die neben vielen anderen künstlerischen Kollektiven in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre aktive „Grupo Suma“ präsentierte ihre Bilder an Hauswänden, Bauzäunen oder Mauern und machte den städtischen Raum nach der Niederschlagung der sozialen Bewegungen durch das Militär 1968 und 1971 überhaupt erst wieder als öffentlichen kenntlich (vgl. Kastner 2004). Formal knüpft auch Anna Santos mit ihrer Arbeit an Suma an, die mit den mehrfach an Wänden angebrachten Schatten eines Bürokraten mit Aktenkoffer die bürokratische Verkrustung der „institutionalisierten Revolution“ angeprangert hatten („El burócrata“, 1979).12 Der Kunsthistoriker Oliver Debroise (Debroise 2005) weist im Hinblick auf den mexikanischen Kontext schon im Titel seines Aufsatzes „De regreso“ („Zurück“) über aktuelle Tendenzen von Kunst im öffentlichen Raum im Allgemeinen und Wandmalerei im Speziellen den starken Bezug zu ihren historischen VorläuferInnen aus den 1970er Jahren aus. Anders als jene Arbeiten seien die gegenwärtigen Praktiken allerdings nicht nur der repressiven Situation geschuldet, sondern einerseits dem Misstrauen gegenüber dem Verfall des Biennale-Systems und gegenüber der verstärkten Hinwendung der Gegenwartskunst in Richtung Kunstmessen zu verdanken. Andererseits führt er sie aber auch auf eine neue Aufmerksamkeit gegenüber der aktuellen politischen Lage unter der Herrschaft der konservativen Regierungspartei PAN13 zurück (vgl. Debroise 2005: 114). Während in Mexiko die sozialen 11 Partido Revolucionario Institucional, Revolutionär Institutionelle Partei. 12 Abbildungen der Arbeiten von Anna Santos und Tercerunquinto finden sich im Sonderheft der Zeitschrift „Exit“ zum Thema „Gegenwartskunst aus Mexiko“ (Exit 2005: 133-132 bzw. 136-137). 13 Partido de Acción Nacional, Partei der Nationalen Aktion. 50
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Bewegungen mit Beginn des zapatistischen Aufstandes an Mobilisierungskraft gewonnen haben und im Jahr 2000 nicht wenig zu der Abwahl der 70 Jahre lang regierenden PRI beigetragen haben, stellt sich die Situation in Guatemala – im Gegensatz zum ‚Schwellenland‘ Mexiko eines der ärmsten Lateinamerikas, mit der neben Brasilien ungerechtesten Verteilung des Landbesitzes und dem nach Bolivien höchsten Anteil indigener Bevölkerungsgruppen – ganz anders dar. Soziale Bewegungen existieren kaum, weder im Widerstand gegen die neoliberale Politik der rechten Regierungen, noch für die Aufarbeitung der Geschichte des Bürgerkrieges. Aber auch in Guatemala arbeiten gegenwärtig einige KünstlerInnen im öffentlichen Raum, um diesen als politischen Raum kenntlich zu machen. In der Nacht vor einer großen Militärparade in der Hauptstadt Guatemala-Stadt schüttete der Künstler Aníbal Asdrubal López Juarez mit einigen HelferInnen zehn Säcke Kohle auf die Hauptallee („30. Junio“, 2000). Die rechtzeitig zur Parade wieder entfernte Kohle hinterließ doch überall auf der Straße pulvrige Spuren, über die die Soldaten marschieren mussten. Die während des 36jährigen Bürgerkrieges (1960-1996) an zahlreichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung beteiligte Armee wurde auf diese Weise mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Denn die verkohlten Leichen und Hütten waren oft das einzige, das in den Massengräbern aus dem Bürgerkrieg noch gefunden wurde. Der Künstler und Kurator José Osorio (Osorio 2006: 27) schildert weitere Aktionen zeitgenössischer KünstlerInnen, die weniger auf den Markt als auf die Intervention in politische Debatten in Guatemala abzielen: „Regina José Galindo las ihre Texte, während sie in der Luft über einer der meist befahrenen Straßen des Zentrums aufgehängt war (‚Le voy a gritar al viento‘, 1999). Sie beklagte dabei öffentlich den Missbrauch und die Misshandlung von Frauen, was am nächsten Tag auf sämtlichen Titelseiten erschien, nachdem sie ein Verkehrschaos verursacht und viele der Arterien des Stadtzentrums verstopft hatte. Im Jahr danach wickelte sie sich in einen transparenten Plastiksack, um von der Müllabfuhr abtransportiert zu werden und dann vier Stunden an dem Ort im Müll liegen zu bleiben, an dem normalerweise Föten und die Körper lebloser, anonymer Kinder liegen (‚No perdemos nada con nacer‘, 2000). […] Alejandro Paz machte einen Teppich von 50 Quadratmetern aus für die Maya-Kulturen repräsentativen Puppen, nachdem er sie vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofes auseinander genommen und zerstückelt hatte (‚Aqui no 51
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hubo Genocidio‘, 2000). […] Sandra Manoterroso kaute gekochten Mais und spuckte ihn, nachdem sie in der Maya-Sprache Kekchí gesprochen hatte, in einem poetischen Ritual in eine Lehmgrube, bis sie genug hatte, um daraus Tortillas zu machen – ein enorm symbolbeladenes Element in der guatemaltekischen Kultur. Anschließend dekorierte sie jede Tortilla mit einem Herz, gemalt mit ihrem eigenen Blut (‚Tus tortillas, mi amor‘, 2003).“
Neben dem Anknüpfen an verschiedene Performances der „klassischen“ Body Art, die Osorio herausstellt, ist hier sicherlich auch die Funktion der „Kunst als Information“ (Ramírez 2000: 91) hervorzuheben, die Ramírez als eine der optimalen Strategien der frühen lateinamerikanischen Konzeptkunst nennt. Denn in den Worten Osorios (Osorio 2006: 27) ist die Kunst in Guatemala zehn Jahre nach Ende des Bürgerkrieges „das einzige Feld, das der Subversion bleibt, auf dem – in einem dieser Dritte-Welt-Länder ohne Bilder und mit sehr wenig Raum für kritisches Denken – neue Anknüpfungspunkte geschaffen werden.“
Wa r en und B ed e ut un gen Wenn auch diese aktuellen Arbeiten nicht gänzlich ohne verwertbare Waren auskommen und hier keinesfalls ein marktfreier Raum proklamiert sein soll – Performances müssen dokumentiert werden, um einem größeren Publikum zugänglich zu sein, und es bedarf ausstellbarer Materialien, um im Kunstfeld bestehen und so u. a. auch die Aufmerksamkeit von Leuten wie dem Autor dieses Textes erlangen zu können –, ist doch die prinzipielle Missachtung des Kunstmarktes in den genannten Arbeiten zu betonen.14 Diese schließt einen pragmatischen Umgang – der die Arbeit vor späterer Vereinnahmung selbstverständlich nicht schützt – mit ein. Aníbal Asdrubal López beispielsweise betont: „Die Dokumentation der Aktion dient nur dazu, die Fotos im Ausland zu verkaufen, um weitere solche Aktionen zu finanzieren“ (López Juarez 2003: 60). 14 Alle Strategien künstlerischer Produktion bewegen sich laut Bourdieu (2001: 228) „zwischen zwei Grenzen […], die faktisch nie erreicht werden: der totalen und zynischen Unterordnung unter die Nachfrage und der absoluten Unabhängigkeit vom Markt und seinen Ansprüchen.“ 52
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Dass sie zudem bei der 49. Biennale in Venedig (2001) und in einer Sammelausstellung der Wiener Kunsthalle (2003)15 gezeigt wurden, vermehrt natürlich das symbolische Kapital des Künstlers. Je größer dieses ist, desto teurer kann er die Bilder verkaufen, was ihn wie alle anderen auch der Abhängigkeitsschleife des Kunstmarktes aussetzt. Sicherlich funktioniert der Kunstmarkt nach den üblichen Gesetzen der Warenökonomie, das künstlerische Feld besteht aber nicht nur aus dem Kunstmarkt. Deshalb ist auch die Feststellung, dass das „Kunstwerk eine Ware wie jede andere“ (Groys 2003: 9) sei, nicht zuletzt angesichts der genannten Beispiele, kaum haltbar – auch wenn Boris Groys meint, dass Behauptungen wie diese in „unserer Zeit unbestreitbar gelten“ (ebd.). Abgesehen davon, dass ephemere, performative, situative künstlerische Arbeiten in Groys’ Werk-Begriff nicht vorkommen, kann seine Formel die einfache Frage nicht beantworten, warum die teuersten Werke nicht unbedingt die bedeutendsten sind oder warum, umgekehrt, die wichtigsten nicht auch die am höchsten dotierten sind. Bourdieu (2001: 227ff.) hat es als ein Merkmal der relativen Autonomie des künstlerischen Feldes beschrieben, dass sie ambivalente Realitäten, Waren und Bedeutungen, hervorbringt: Der symbolische Wert und der Warenwert einer künstlerischen Arbeit sind demnach relativ unabhängig voneinander.16 Zwar gehören die institutionen- und marktkritischen KonzeptkünstlerInnen der 1960er Jahre längst selbst zu den Arrivierten, deren Werke die weltweit höchsten Preise erzielen – Lawrence 15 „Attack. Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien“, Ausstellung in der Kunsthalle Wien, 23. Mai – 21. September 2003. 16 An der relativen Autonomie ändert auch die Existenz von ausschließlich verkaufsorientierten Kunstmessen nichts, was die Kunstkritikerin Isabelle Graw (2004: 15) angesichts ihres Besuches der New Yorker Armory Show aber nahe legt: „Wer also immer noch glaubt, Kunst müsse zu denken geben oder gar Probleme machen, der wurde hier eines Besseren belehrt. Man hätte sich ebenso gut auf einer Boots-, Champagner- oder Schmuckmesse befinden können. Die traditionelle Vorstellung von Kunst als einer relativ autonomen Sondersphäre lässt sich jedenfalls unter diesen Umständen nicht länger aufrechterhalten.“ Wenn sich auch die beiden Pole „Massengeschmack“ und „reine Produktion“, nach denen künstlerische Produktion sich – laut Bourdieu – ausrichtet, diversifiziert hat, so ist doch gerade diese Ambi- bis Polyvalenz ein Spezifikum des künstlerischen Feldes, das die Rede von einer gesonderten „Ökonomie der symbolischen Güter“ nach wie vor rechtfertigt. 53
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Weiner beispielsweise rangiert auf Platz 25 der „Capital-Liste“ (2004). Allerdings sind weder ihre ursprünglichen Motivationen aus Marktmechanismen heraus erklärbar, noch sind die Wirkungen bzw. Effekte ihrer Arbeiten auf diese zu reduzieren. Reduziert man das künstlerische Feld auf den Kunstmarkt, ignoriert man die Ebene der Bedeutung, also die, die einer künstlerischen Arbeit außerdem noch Wert verleiht. Dieser eingeschränkte Blickwinkel, der ja nicht selten ein normativer ist, also davon ausgeht, dass Kunst auch nichts anderes sein sollte als eine Ware, nimmt außerdem die künstlerische Beteiligung an der Produktion gesellschaftlicher Werte (im traditionellen Sinne von Handlungsbegründungen) nicht wahr oder verleugnet sie. Gerade auf diese setzten aber die genannten Beispiele aus Guatemala und Mexiko, die mit ihren Interventionen in den öffentlichen Raum zugleich an die lateinamerikanische konzeptuelle und performative Kunst früherer Jahre anknüpfen. Die politische Intervention kann also durchaus auch zu den künstlerischen Strategien gehören, die sich aus dem Feld heraus, d. h. in Abgrenzung zu und Weiterentwicklung von anderen, älteren Positionen, entwickeln. Auf einer Meta-Ebene verteidigen die beschriebenen KünstlerInnen damit auch den Status des/der Künstlers/der Künstlerin als potenzielle/n SozialkritikerIn gegenüber einer Position, die ihn/sie als bloßen Warenproduzenten/Warenproduzentin festschreiben will – wie beispielsweise die von Boris Groys (2003: 21), der die von KünstlerInnen in ihren Arbeiten formulierte Kritik an sozialen Verhältnissen als Angst davor beschreibt, die „volle Verantwortung für ihre souveränen Entscheidungen zu übernehmen“ (Groys 2003: 21) und so versucht, diese Praktiken zu delegitimieren.17 17 Groys’ Aussage gründet zudem auf einem wieder eingeführten Verständnis des Autors bzw. der Autorin als „jemand, der sich selbst autorisiert“ (Groys 2003: 16). Demgegenüber ist jedoch an Bourdieus Insistieren darauf zu erinnern, dass man sich nicht ausreichend klar gemacht habe, welche Konsequenzen es hat, dass ein/e AutorIn für ein Publikum schreibt: „Nur wenige soziale Individuen hängen so sehr wie der Künstler und, allgemeiner, die Intellektuellen in dem, was sie sind, und in ihrem Bild von sich selbst von der Vorstellung ab, die sich andere von ihnen machen“ (Bourdieu 1997: 86). Die Gesellschaft interveniere daher „noch im Herzen des künstlerischen Projekts“ (ebd). Und zwar deshalb, weil sich in der Konzeption des Werkes die immanente Notwendigkeit des Künstlers, es zu Schaffen, zu Verbessern, zu Vollenden, mit sozialen Zwängen, die das Werk von außen her durch die Beziehungen und Bezugnahmen zwischen 54
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De r Ra um d er M ö g li c hk e it en und sei ne E r wei t er u n g Indem sie außerkünstlerische „Anknüpfungspunkte“ schaffen, wie Osorio es nennt, erweitern die KünstlerInnen den „Raum der Möglichkeiten“, den sie im künstlerischen Feld vorfinden. Eine der wichtigsten Eigenschaften der kulturellen Produktionsfelder ist nach Bourdieu (2003: 130), dass sie allen, die sich in ihm bewegen, einen „Raum der Möglichkeiten“ vorgeben. Dieser Raum der Möglichkeiten ist als Produkt der Geschichte des Feldes zu verstehen. Er tendiert dazu, das Streben der AkteurInnen auch ohne ihr Wissen zu leiten, indem das Universum möglicher Fragen von ihm bestimmt wird. Der Raum der Möglichkeiten bewirkt aber auch die relative Autonomie der AkteurInnen gegenüber Determinierungen durch das ökonomische und soziale Umfeld.18 Der Raum des Möglichen besteht aus der Geschichte des Feldes, aus dem angehäuften Erbe der kollektiven Arbeit darin. Er bietet sich jedem Akteur und jeder Akteurin als einerseits Menge wahrscheinlicher Zwänge und andererseits Menge möglicher Nutzungen dar. In diesem Raum spielen sich letztlich auch die Neuerungen, Brüche etc. ab: „Künstlerische Kühnheiten, Neues oder Revolutionäres sind überhaupt nur denkbar, wenn sie innerhalb des bestehenden Systems des Möglichen in Form „struktureller Lücken“ virtuell bereits existieren“ (Bourdieu 2001: 372). Diese wiederum müssen nicht nur erkannt, sondern auch noch anerkannt werden, d. h. ohne Aussicht auf Akzeptanz bleiben sie sinnlos. Der Raum des Möglichen ist also extrem begrenzt, quasi umzäunt von den historischen und sozialen Grenzen KünstlerIn, VerlegerInnen, Publikum und anderen KünstlerInnen etc. verbinden. Die öffentliche Bedeutung eines Werkes ist deshalb notwendigerweise eine kollektive. „Daher ist das Verhältnis eines Schaffenden zu seinem Werk stets durch die Beziehung vermittelt, die er aufgrund seiner Stellung im intellektuellen Kräftefeld zum System der objektiven Beziehungen unterhält, welche das intellektuelle Kräftefeld bilden, und die den öffentlichen Sinn seines Werkes definiert; […]“ (Bourdieu 1997: 101). 18 „Dieser Raum der Möglichkeiten, der den einzelnen Akteuren transzendent ist, funktioniert wie eine Art gemeinsames Bezugssystem, welches bewirkt, dass, selbst wenn sie sich nicht bewusst zueinander in Beziehung setzen, die zeitgenössischen Schöpfer in dem Maße aufeinander bezogen sind, wie sie allesamt zu demselben System intellektueller Koordination, intellektueller Orientierungspunkte in Beziehung gesetzt sind“ (Bourdieu 2003: 131). 55
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des Feldes.19 Die tautologisch erscheinende Formulierung, dass die Grenzen des Feldes dort liegen, „wo die Feldeffekte aufhören“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 131) bedeutet für den hier besprochenen Zusammenhang zweierlei: Einerseits sind auch die Arbeiten der so genannten sozial engagierten Kunst Effekte des künstlerischen Feldes, andererseits trachtet diese danach, auch Effekte außerhalb des Feldes zu produzieren. Indem sie an Praktiken anknüpfen, die in Lateinamerika bereits in den 1960er und 1970er Jahren an den Grenzen des Feldes entwickelt worden sind, nutzen zeitgenössische KünstlerInnen in Mexiko und Guatemala den Raum der Möglichkeiten, um ihn zugleich zu erweitern. Die künstlerische Bedeutungsproduktion geht mit dem Aufwerfen politischer und sozialer Fragestellungen einher. Damit beteiligen sich die KünstlerInnen direkt am gesellschaftlichen Kampf um Bedeutung. Der Beitrag ästhetischer Bewegungen zur sozialen Bedeutungsproduktion ist, gemäß einer an Bourdieus Theorie der Praxis orientierten, dekonstruktivistischen Kulturtheorie, enorm. Kulturelle Bewegungen sind demnach neben den humanwissenschaftlichen Diskursen und der materiellen Kultur der Artefakte (Technologie etc.) einer von drei „Orten der primären Bedeutungsproduktion neuer Subjektcodes und -formen“ (Reckwitz 2006: 89).20 Da auch Identitätspolitiken sozialer Bewegungen sich genau diesem Kampf um Bedeutung verschrieben haben, kommt es entlang dieser Kämpfe zu den ansonsten strukturell eher unwahrscheinlichen Überschneidungen zwischen
19 „Dieser Raum des Möglichen nötigt all denen, die Logik und Notwendigkeit des Feldes als eine Art historisches Transzendentale verinnerlicht, ein System (sozialer) Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien auf, gesellschaftlicher Bedingungen der Möglichkeit und Legitimität, das (wie Gattungen, Schulen, Techniken, Formen) das Universum des Denkbaren wie des Undenkbaren definiert und begrenzt“ (Bourdieu 2001: 373). 20 Die besondere Bedeutung der ästhetischen Bewegungen liegt laut Reckwitz darin, dass sie gerade nicht nur auf die Kunst zielen, sondern in ihrem Versuch, „dem Subjekt als radikal modernem die Struktur ästhetischer Subjektivität anzutrainieren“ (Reckwitz 2006: 93). Sie reagieren auf Brüche in der dominanten Subjektkultur und formieren sich als „anti-hegemoniale Bewegungen“ (Reckwitz 2006: 94). Trotz des Hinweises auf hegemoniale Auseinandersetzungen klammert Reckwitz (2006: 51) allerdings die bei Bourdieu so zentrale Bedeutung des Kampfes innerhalb des Feldes und um seine Grenzen bewusst aus. 56
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diesen und den Techniken und Taktiken der künstlerischen Produktion. Wie gezeigt, können identitätspolitische Interventionen eine Strategie gegen Ausschlüsse vom Kunstmarkt sein. Wie aber identitätspolitische Ansätze nicht allein auf Inklusion zielen (müssen), sondern es auch auf gesamtgesellschaftliche Transformation abgesehen haben (können), so sind auch andere, in Lateinamerika verhältnismäßig wichtige künstlerische Strategien nicht auf den internationalen Markt für zeitgenössische Kunst ausgerichtet. Schon in der Wahl ihrer künstlerischen Mittel wird deutlich, dass es den besprochenen Positionen mehr um die Produktion von – in vielen Fällen antihegemonialer – Bedeutung als um die von Warenwert geht. Indem sie damit an starke konzeptuelle, ephemere und performative Traditionen anknüpfen, sind sie weniger im Zusammenhang mit Fragen der Vermarktung als im Kontext einer potenziellen Erweiterung des Raumes der (künstlerischen) Möglichkeiten zu interpretieren.
L i t er a t ur Bourdieu, Pierre/Waquant, Loic (1996): Reflexive Anthropologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag. Bourdieu, Pierre (1997): Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag. Bourdieu, Pierre (2001): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag. Bourdieu, Pierre (2003): „Einführung in die Soziologie des Kunstwerks“. In: Jurt, Joseph (Hg.): Pierre Bourdieu, Freiburg: orange press, S. 130-146. Bourdieu, Pierre/Darbel, Alain (2006): Die Liebe zur Kunst, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft. Camnitzer, Luis (1995): Das Marco Polo Syndrom. Die Korruption in der Kunst/Die Kunst der Korruption, http://universes-inuniverse.de/magazin/marco-polo/d-camnitzer.htm (29.06.2006). Debroise, Olivier (2005): „De regreso. In: Exit. México, (Sonderheft der Zeitschrift „Exit“), Madrid, S. 108-116. Godfrey, Tony (2005): Konzeptuelle Kunst, Berlin: Phaidon Verlag).
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Graw, Isabelle (2004): „Im Griff des Kunstmarkts. Von Künstlern und Intellektuellen möchte der heutige Sammler und Trustee nicht mehr behelligt werden. Der Kunstmarkt hat sich von seiner Produktionssphäre abgespalten, wie man etwa auf der New Yorker Armory Show beobachten konnte“. In: die tageszeitung (taz), 14.04.2004, S. 15. Groys, Boris (2003): Topologie der Kunst, München: Carl Hanser Verlag. Hall, Stuart (1994): Kulturelle Identität und Diaspora. In: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg : Argument Verlag, S. 26-43. Kaller-Dietrich, Martina (2005): „Por mi raza hablará el espíritu“. Antipositivistisches Denken in Mexiko (1867-1968). In: Rodrigues-Moura, Enrique (Hg.): Von Wäldern, Städten und Grenzen. Narrationen und kulturelle Identitätsbildungsprozesse in Lateinamerika, Frankfurt/M.: Verlag Brandes & Apsel, S. 82103. Kastner, Jens (2000): „Kein Wesen, sondern Positionierung“. Zur Geschichte der Identitätspolitik. In: Arranca!, Nr.19, Berlin: Frühling, S. 6-11. Kastner, Jens (2004): Grupo Suma – „Suma Gráfica“. Instituto de Artes Gráficas de Oaxaca, Mexiko. In: Springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Band X, Heft 4/04, Wien, S.70-71. Kerling, Luz (2005): ¡La lucha sigue! Der Kampf geht weiter. EZLN. Ursachen und Entwicklungen des zapatistischen Aufstandes, Münster: Unrast Verlag, 2. Aufl. Kravagna, Christian (2006): „Das Museum und der Rest der Welt“. In: Insights. Magazin des Museums Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Heft Nr.02, Juni-September 2006, Wien, S. 2. López Juarez, Aníbal Asdrubal (2003): „30. Juni 2000“. In: Mackert, Gabriele/Matt, Gerald/ Mießgang (Hg.): Attack. Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien, Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Wien, 23. Mai - 21. September 2003, S. 60-63. Osorio, José (2006): Die Erinnerung an eine Subversion weiterspinnen. Performance in Guatemala. In: Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Sommer 2006, Wien, S. 26-27. Ramírez, Mari Carmen (2000): „Taktiken, um in Widrigkeiten zu gedeihen: Konzeptkunst in Lateinamerika, 1960-1980“. In: Breitwieser, Sabine/Generali Fioundation (Hg.): vivencias/
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Lebenserfahrung/life experience, Wien: Generali Foundation, S. 61-104. Reckwitz, Andreas (2006): Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist: Verlag Velbrück Wissenschaft. Supik, Linda (2005): Dezentrierte Positionierung. Stuart Halls Konzept der Identitätspolitiken, Bielefeld: transcript Verlag. Zahner, Nina Tessa (2006): Die neuen Regeln der Kunst. Andy Warhol und der Umbau des Kunstbetriebs im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M., New York: Campus Verlag. http://universes-in-universe.de/car/habana/bien8/centro-lam/d-tour03.htm (26.06.2006)
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R E -C O N TE X T U A LI Z A C I ÓN CARLA BOBADILLA Existen tres motivos del por qué he sido invitada a participar en el simposio accesos. Motivos que al analizarlos y estructurarlos me permiten construir un discurso inicial acerca del problema arte latinoaméricano creado en el exilio. Soy artista visual chilena, estudié arte en Chile e intento llevar adelante mi carrera artística en Europa bajo la condición de ser inmigrante. Tiene algún significado en la producción de arte contemporáneo el lugar de origen, la ciudad en donde nacimos y el barrio que nos vió crecer? Tiene alguna influencia en la producción en arte la escuela o formación artística en Latinoamérica, aprendimos allí a hacer arte auténtico, o más bien nuestros viajados profesores siempre esperaron de nosotros una producción en la linea de la vanguardia europea? Desde mi llegada a Viena ha sido relevante para el medio cultural austríaco mi procedencia. Ha jugado ésto a favor o en contra? Ha habido interés por parte de galerias, museos, instituciones en exponer mi trabajo por sus ingredientes latinoamericanistas? Existe público interesado en el lenguaje agudo y muchas veces político que implica el arte contemporáneo latinoaméricano? Se puede hablar del país de origen desde la distancia? Luego de las nuevas experiencias de vida en el extranjero, no se vuelve la obra de arte neutral, global y por lo mismo menos representativa? Puede una Chilena hacer arte vienés? Está el gobierno austríaco dispuesto a hacerse cargo de sus nuevos inmigrantes? Existen subvenciones para ellos? Espero estas preguntas sean suficientes para poder crear una plataforma de discusión acerca del arte, el artista, sus origenes y la importancia de esto en la producción de arte actual.
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W i e l ä s s t es s ic h er k l ä r en , d a s s h eu t e i n E u r o p a d a s I nt er es s e a n l a t ein a m er ik a ni sc he r K u nst im V er gl eic h z u a nd e r er ni c ht- west l ic h er K unst ehe r ge r ing ist ? Zuerst einmal müsste man die Orte, die in der Frage angesprochen sind, definieren. Europa ist genauso wie Lateinamerika zusammengesetzt aus verschiedenen Ländern, die unterschiedliche Geschichten und Realitäten haben. Natürlich sind der Zugang, das Interesse und die Konditionen für die Rezeption von lateinamerikanischer Kunst geschichtlich bedingt in Spanien anders als in Frankreich, Italien oder Deutschland. Die Gründe dafür sind: das vermeintliche „Heimatland“, die Muttersprache, die konstante und wachsende Arbeitsmigration aus Lateinamerika und ihre sichtbare Präsenz in den großen spanischen Städten. Die Anzahl der StudentInnen, die spanische Universitäten besuchen, ist unzählbar. Ebenfalls groß ist die Anzahl der Stipendien, die StudentInnen aus Lateinamerika von ihren Ursprungsländern, wie etwa von der spanischen Regierung, gewährt bekommen. Im Fall von Frankreich erscheint mir das selbe Phänomen zu existieren mit der Kunst, die aus den ehemaligen Kolonien Frankreichs in Afrika oder Südostasien stammt. Es existieren allerdings auch andere Beispiele, die eher wirtschaftliche Interessen aufzeigen als alte Kolonialverbindungen, wie zum Beispiel die Präsenz von lateinamerikanischen KünstlerInnen in den Vereinigten Staaten. In dem Moment und in dem Ausmaß, wie die Menge der dort lebenden LateinamerikanerInnen sich selbst als große Minderheit verstand, begannen Projekte – teilweise vom Staat finanziert – welche die Intention hatten, die lateinamerikanische Identität der ImmigrantInnen zu definieren. Von diesem Moment an war die lateinamerikanische Kunst sichtbarer und hatte mehr Gewicht und Raum in der Kunstszene der Vereinigten Staaten. Eine Mischung aus diesen beiden Gründen kann man in Österreich beobachten, aus Gründen der Grenzen (Ökonomie) und der Geschichte (Kolonialmacht beziehungsweise Hegemonialmacht bis zum frühen 20. Jahrhundert). Durch die Kunst und ihre Ausdrucksmöglichkeiten kann man eine subjektive, aber klärende Einschätzung von Realitäten außerhalb der europäischen Grenzen finden. Man möchte diese Realitäten
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wie durch ein Schlüsselloch betrachten, möchte aber nicht Teil von Ihnen sein. Man könnte dies den Voyeurismus der Kunst nennen. Auf der anderen Seite sind aus der Gruppe der sozialen Minderheiten schon seit Jahren Initiativen entstanden, die die Präsenz von MigrantInnen in der Öffentlichkeit und den Diskurs dieser Themen auch im künstlerischen Umfeld einfordern und ermöglichen. Außer diesen Institutionen der Zivilgesellschaft existieren andere Organisationen, geschaffen und finanziert von der Regierung, die als Ziel ebenfalls den Austausch zwischen den Ländern haben. Zum Terminus „Interessen“ Im österreichischen Kontext scheint es ein spezifisches Interesse zu geben, Kunst aus dem Osten Europas auszustellen. Mir scheint das verständlich aus verschiedenen Gründen, unter anderem auch wegen der noch nicht lange zurückliegenden Kriege (ganz in der Nähe) und der politischen Konflikte, die der Beitritt dieser Länder zur Europäischen Union bedeutet. Was das generelle Interesse an der Präsentation von (– ich nenne das jetzt einmal –) ‚Kunst aus der Peripherie‘ angeht, kommt es mir (im Vergleich zur Kunst aus den Nachbarländern) nicht weniger oder begrenzter vor, man muss nur definieren, was man sehen will und was man zeigt. Dank oder wegen der Globalisierung ist es immer notwendiger geworden, Grenzen zu definieren. Kulturaustausch existiert, dieser muß gut definiert werden und unterschieden nach Regionen und Ländern. Sein Land zu repräsentieren ist eine wichtige Rolle geworden, vor allem in Ausstellungen (oder Biennalen), in denen man über das „Anderssein“ der anderen reden will.
Wi e is t d a s V e r hä l t n is v o n wes t l ic her K un s t z u nic ht -w es t l ic he r K u ns t z u b eur t eile n? Ich würde die Differenzierung zwischen ‚westlicher‘ Kunst und „nicht-westlicher“ Kunst nicht vornehmen. Ich würde lieber über verschiedene Strategien der (Re-)Präsentation und ihre Kontexte sprechen. Wir können traditionelle lateinamerikanische Kunst nicht mit moderner europäischer Kunst vergleichen, Vergleiche bedürfen immer der selben Parameter.
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Wenn wir zeitgenössische lateinamerikanische Kunst und zeitgenössische europäische Kunst vergleichen, dann sind Unterschiede in den Kontexten zu finden, in denen diese jeweils produziert wird. Damit meine ich, dass der geographische, soziale und politische Kontext die Kunstproduktion determiniert. Es wäre auch interessant, die Unterschiede in der Kunstproduktion in verschiedenen Regionen (von Lateinamerika) zu analysieren. Wir können die Kunstproduktion in Bolivien, Nicaragua oder El Salvador, also Ländern, in denen die minimalen Anforderungen an Alphabetisierung und Bekämpfung der Armut nicht erreicht werden, nicht mit den Produktionsbedingungen für Kunst im Süden dieses Kontinents vergleichen, wo die politischen und ökonomischen Bedingungen in den letzten Jahren auf vergleichsweise hohem Niveau geblieben sind oder sich konstant verbessert haben. Die dortige soziale Stabilität hat eine Konsolidierung einer gesellschaftlichen Umwelt erlaubt, die ideal für die Rezeption von Kunst ist, in der also Universitäten existieren, an denen Professoren unterrichten, die im Ausland studiert haben, wo es Galerien gibt, die auf Gegenwartskunst spezialisiert sind, oder Museen, wo ökonomischer Support der Regierungen vorhanden ist und ein Publikum, das zu der (in Lateinamerika so genannten) Mittelklasse gehört, die die intellektuelle Kapazität besitzt, künstlerische Prozesse aufzunehmen und zu verstehen.
In wiew eit unt e r s c h eid e n s i c h d ie B e wegg r ünd e v o n Mu seen Mo d er ne r K u nst un d a n t hr o p o lo gis c her Mus e en, „nic ht we s t l i c he“ K u n s t a us z u s t el l en? Sowohl Museen moderner Kunst also auch anthropologische Museen haben spezifische Rollen zu erfüllen. Das anthropologische Museum sollte sich darauf beschränken, Ausstellungen zu zeigen, die mit dem menschlichen Sein und Verhalten zu tun haben oder mit der Kunst alter Kulturen. In einem anthropologischen Museum sollten auch Arbeiten von KünstlerInnen gezeigt werden, welche als Kristallisationspunkt in ihrer Arbeit die Anthropologie haben, wie zum Beispiel das Werk des bereits verstorbenen chilenischen Künstlers Juan Downey.
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Ein Museum moderner Kunst auf der anderen Seite sollte seine Rolle in der Verbreitung von Informationen über die neuen Tendenzen in der Kunst verstehen. In einem Museum zeitgenössischer Kunst erwarte ich zeitgenössische Kunst aus der sogenannten „Dritten Welt“, welche in ihrer Haltung und in der Wahl ihrer Materialien nicht nur den Kontext ihrer Entstehung hinterfragt, sondern den künstlerischen Prozess als solchen reflektiert. In diesem Sinne glaube ich, dass beide Typen von Museen sich auf das jeweils Ihre beschränken sollten, mit der Ausnahme von Ausstellungen, in denen sich diese beiden Themen kreuzen oder ergänzen. Mit Rücksicht auf das eben Gesagte würde ich vielleicht den speziellen Rahmen der Sammlung Essl für eine Ausstellung der Kunst der australischen Aborigines in Frage stellen oder eine Ausstellung mit Dokumentar-Fotografie in der Kunsthalle Wien. Klischees Vieles hängt mit der Menge der Ausstellungen und mit der Angemessenheit des Einsatzes der dafür zur Verfügung stehenden Mittel zusammen. Wenn die Menge der Ausstellungen und die Werbung in einem angemessenen Verhältnis stehen, sollte es keine Probleme geben. In diesem Zusammenhang möchte ich den gegenwärtigen österreichischen Botschafter in Chile, Mag. Walter Howadt, zitieren, der im Rahmen einer Ausstellung in Chile namens „Sieben Interventionen im öffentlichen Raum“, die ich kuratiert habe, gesagt hat: „Es ist sehr schön, ein Projekt mit dieser Charakteristik zu erleben. Die Menschen sind gewohnt, unter österreichischer Kultur Mozart und Oper zu verstehen. Aber es gibt keine Reflexion über die Probleme, die gegenwärtig im Alltagsleben des Landes vorkommen.“
Wenn wir über Klischees sprechen, dann können wir nicht die Präsenz von Bildern über Lateinamerika, die hier in Wien im öffentlichen Raum vorkommen, außer Acht lassen: seien es plakatierte Einladungen zu Diashows über Reisen nach Peru, Bolivien oder in die Karibik, oder Ankündigungen für ‚Fiestas‘, Konzerte mit Musik aus Lateinamerika und Tanzveranstaltungen.
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Wi es o b l ei b t d er Z uga n g ni c ht - wes t l ic h er , in E ur o p a l eb e nd er K ün s t l e r I nn en, z u A us t ell ungs hä us er n o d er G a l er ie n d e r a r t er s c hwe r t ? Das Problem ist meistens die Definition: Bist du LateinamerikanerIn? Ja. Lebst du in Lateinamerika? Nein. Hat dein Werk mit deinem Heimatland zu tun? Ja. Produzierst du österreichische Kunst? Nein. Produzierst du Kunst, deren Fokus die Situation der Immigration ist? Nein. Hast du Zugang zu finanzieller Unterstützung in deinem Heimatland? Nein. Hast du Zugang zu österreichischer Finanzhilfe? Ja.
Nach dieser ersten Klärung kommen weitere Fragen, nämlich: Wer interessiert sich für Deine Arbeiten? Was ist dein spezifisches Publikum? Wo sind die Orte, an denen du deine Arbeiten ausstellen könntest? Und umgekehrt: Warum hat mich ein Kurator am Anfang dieses Jahres eingeladen, an der „Bienal de arte joven“ im Museo Nacional de Bellas Artes in Santiago de Chile teilzunehmen? Er wollte eine distanzierte Sicht dessen, was in Chile alltäglich passiert. Noch ein Zitat zur Unterstützung auf eine Frage von Carlos Jimenez an Santiago Sierra. Jimenez fragt: „Sind Sie letztlich mexikanischer als die aktuellen mexikanischen Künstler?“ Sierra antwortet: „Nein. Aber ich komme von Außen. Ich kann mich distanzieren und ich kann viel besser erzählen, was um den Mexikaner herum eigentlich gerade passiert, welcher selber oft vergessen möchte, was ihm Angst macht oder was ihm nicht zufriedenstellend gelingt.“
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Phänomen Biennale Menschenfresserei: „Diese Idee, ausländische Einflüsse zu verschlucken, vor allem in den visuellen Künsten, beeinflußt in irgendeiner Form die Kulturgeschichte Lateinamerikas.“ In diesem Sinne glaube ich, dass die lateinamerikanische Kunst immer äußeren Einflüssen ausgesetzt war, sei es durch die Reisen der KünstlerInnen selbst, die später wieder zurückkamen und an den Kunstuniversitäten unterrichtet haben, sei es durch das Studium von Dokumenten oder durch Ausstellungen ausländischer KünstlerInnen. Man muß auch bedenken, dass diejenigen, die in Chile Kunst studieren, meist Kinder von Wohlhabenden sind oder von Eltern, die mit ihrem enormen Arbeitseinsatz die Studien ihrer Kinder finanziert haben. Die sogenannte ‚obere Mittelklasse‘ hatte immer die Möglichkeit zu reisen. Man kann feststellen, dass die KünstlerInnen, die innerhalb meines Heimatlandes Chile und außerhalb Erfolg hatten, für eine Zeit im Ausland gelebt haben. Die Präsenz ausländischer KünstlerInnen im jeweiligen Land hat nicht allein die lateinamerikanische Kunstproduktion bestimmt. Hier komme ich zurück zum Thema des Kannibalismus und des Sich-Von-Anderen-Kulturen-Ernährens. Ich möchte die chilenische Kunsthistorikerin Paulina Varas zitieren, die dem Künstlerkollektiv „tristes trópicos“ angehört: „Der kannibalische Künstler verschluckt etwas, um ein neues Produkt zu produzieren.“ Diese neue poiesis, ein Akt der Wiedererschaffung auf lateinamerikanische Art, hat die Kreation einer autonomen Identität ermöglicht durch die zeitweise Ernährung von anderen Kulturen.
G i b t e s A n s ä t z e o d er M o d el le h ins i c ht l ic h v o n A u s t el l u n g s p r a x i s , d i e ei n em gl eic h wer t igen Zug a ng m it K üns t ler I nne n a u s d e m S ü d en g er e c ht wer d en? Hier würde ich gerne einen kleinen Sprung machen und als Antwort ein Beispiel beschreiben. Ich möchte die Ausstellung Latin Lobby, an der ich im Mai 2006 teilnahm, als Schimäre, als Fahne im Kampf, als eine Antwort auf diese Frage präsentieren.
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Latin Lobby – Der Kontext Zuerst gab es die Notwendigkeit, einen autonomen Kontext herzustellen für Kunst aus Lateinamerika. Wir benutzten dazu die Konjunktur der politischen Kongresse und die Teilnahme der PräsidentInnen Lateinamerikas und der Karibik am Lateinamerika-EU-Gipfel in Wien. Die KuratorInnen und die Ideen Die Kuratorinnen waren KünstlerInnen mit einer künstlerischen Ausbildung in Lateinamerika und Europa. Wir kennen beide Sprachen. Diejenigen, die ein Exil gelebt haben, kennen die nostalgischen Momente, haben die Entwurzelung gespürt, kennen die Schwierigkeit, sich einer anderen Kultur anzupassen, ohne die eigenen Wurzeln zu verlieren. Es war genau dieser Prozess, uns zu fragen, wer wir sind, wer uns von unserer Umwelt unterscheidet und uns letztendlich das große Kapital, LateinamerikanerInnen zu sein, nutzen lässt. Die KünstlerInnen Mit unseren Kunstprojekten beabsichtigten wir nicht, die Probleme der Armut und sozialen Ungerechtigkeit, die Lateinamerika erleidet, zu lösen, aber wir wollten eine alternative Einschätzung der Situation bewirken, die dort herrscht. Dies gilt exemplarisch für die der Arbeit von Carla Degenhardt. Mit ihrer Arbeit konnte sie den 192 Jugendlichen, die 2005 beim Brand einer Diskothek in Buenos Aires umgekommen sind, nicht das Leben zurückgeben, aber sie beschrieb die besondere Poetik der Reaktion der Eltern, die die Turnschuhe ihrer verschwundenen Kinder in die Luft warfen und den Himmel um Gerechtigkeit anriefen. Wir präsentierten diese Arbeit in Wien als Erinnerung an das schreckliche Verbrechen, das zu dieser Tragödie geführt hat. Man könnte sagen, dies ist außerhalb des Kontextes. Aber für mich war klar, dass ich diese spezielle Arbeit präsentieren wollte, als ich die emotionale Last dieser Turnschuhe gespürt habe, die die Künstlerin hier in Wien mehrere Monate lang samstags auf Flohmärkten gesammelt hatte. Diejenigen, die diese Turnschuhe, für einen Euro oder für 50 Cent verkaufen, sind keine ÖsterreicherInnen, sondern haben Gesichter ohne Namen und eine Geschichte ohne Ort. Die Turnschuhe sind möglicherweise hunderte von Kilo68
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metern gefahren worden, um in Österreich für einen besseren Preis verkauft zu werden. Genau das ist die Mischung von verschiedenen Realitäten, die wir beschreiben wollten. Der Ort Als wir den Ort für eine Ausstellung dieser Charakteristik gesucht haben, tauchten Fragen danach auf, wie wir unsere Arbeiten öffentlich präsentieren sollten. Die Möglichkeiten in Wien waren nicht übermäßig groß, aber auch nicht verschwindend gering, und die Auswahl des Ortes war ein wichtiger Faktor für die Unabhängigkeit unserer Arbeit. Eine Galerie oder ein Museum, ein privater oder ein öffentlicher Ort, ein Ort im Zentrum oder an der Peripherie – damit beziehe ich mich auf die unmittelbare oder die unterschwellige Präsenz des Projektes, also auch, ob man sich innerhalb oder außerhalb der offiziellen Kunstszene befindet. Nachdem wir eine Reihe von Orten angeschaut hatten, tauchte als Alternative der Freiraum im „Quartier 21“ im Wiener Museumsquartier auf. Wie ihn schon der Name als freien Raum beschreibt, ist er frei von Konnotationen, frei von kuratorischen Vorschriften und auch frei von einem zur Verfügung stehenden Budget. Er kam uns wie ein weißes Blatt Papier vor, auf das wir schreiben konnten. Zusätzlich hat er den Vorteil in einem der größten europäischen Kunstzentren zu liegen. Die Finanzierung Latin Lobby definierte sich als ein ‚kontra-hegemoniales‘ Projekt, weil die DarstellerInnen selbst die Regeln des Spiels definierten. Trotzdem hat dieses Projekt von der Stadt Wien wie von den Botschaften der vertretenen Länder finanzielle Hilfe erbeten und erhalten, ohne dadurch seine ideologische Unabhängigkeit zu verlieren. Um dies zu erreichen, war es für uns wichtig, die Möglichkeit zu erhalten, mit verschiedenen Einrichtungen und Institutionen zu verhandeln. Diejenigen, die uns unterstützt haben, haben unsere Arbeitsbedingungen akzeptiert.
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D I E E R F IN D U N G U N D A N D E RE R
VON
C H I LE
L Ä N DE R N
MARIO NAVARRO Hace algunos años llegó a mis manos un libro titulado „La invención de Chile“. Los autores Armando Roa y Jorge Teillier hacen una antología de cuentos, relatos, poemas, fragmentos novelas y notas que muestran una extensa variedad de referencias sobre Chile a partir de grandes autores de la literatura universal que nunca visitaron Chile. Sin embargo el fenómeno inventivo no ha sido generado únicamente por Defoe, Verne, Salgari, Baudelaire, Wilde oBretón por nombrar a algunos europeos, sino que también la balanza se inclina en la otra dirección, creada simplemente a través de la idealización estereotipada del espacio europeo como un territorio desprovisto (supuestamente) de las imperfecciones del tercer mundo. Tanto europeos, americanos, asiáticos y africanos han desarrollado sistemáticamente lo especular para hablar sobre las expectativas que se tienen del otro. Sin embargo, el acceso de los artistas no europeos a los terrenos de circulación de las artes visuales en Europa se han modificado levemente. Desde mi perspectiva, y tratando de reorientar la identificación personal a partir de las vinculaciones nacionales, los artistas de Sudamérica han inventado puentes de comunicación basados en polos de desarrollo cultural claramente identificables. Principalmente Brasil y México son los grandes referentes para Sudamérica y los puntos de conexión con Europa, a diferencia de lo que ocurre con otros continentes, donde claramente hay intereses particulares sobre un reducido número de países, me refiero especialmente al fenómeno chino. Por lo tanto, en lo que a mi respecta, „la invención de Chile y otras tierras“ debe ser leída críticamente a partir de cómo se entiende con más amplitud esta relación „diplomática“, o mejor dicho, cómo es posible crear nuevos puntos nacionales de vinculación, porque el territorio 71
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de circulación de las artes visuales en Sudamérica es un lugar habitado por múltiples idiosincracias, donde los niveles de vinculación entre ellas son tan heterogéneos y complejos como en cualquier otra parte del mundo, por lo tanto, propongo que lo especular sea una noción incompleta que actualment muestra al „otro“ simplemente en una dimensión rectilínea y no considera el zig-zag natural de la deriva del conocimiento. Vor einigen Jahren bekam ich ein Buch mit dem Titel „Die Erfindung von Chile und anderer Länder“ in die Hände. Die Autoren Armando Roa und Jorge Teillier stellen darin eine Sammlung von Erzählungen, Kurzgeschichten, Gedichten, Romanfragmenten und Aufzeichnungen vor, die auf den Seiten großer AutorInnen der Weltliteratur, die Chile niemals besucht hatten, eine umfangreiche Vielfalt von Bezugnahmen auf Chile aufweisen. Trotzdem wurde das Phänomen des Erfindens nicht allein von Schriftstellern wie Defoe, Verne, Salgari, Baudelaire, Wilde oder Bretón – um ein paar Europäer zu nennen – generiert, die Waage neigt sich auch in die andere Richtung, indem der europäische Raum als stereotyper Ort ohne die Probleme und Unzulänglichkeiten der „Dritten Welt“ gesehen wird. So viele EuropäerInnen, AmerikanerInnen, AsiatInnen, OzeanierInnen und AfrikanerInnen haben systematisch den Begriff des Gespiegelten geprägt, wenn sie über ihre Erwartungen, die sie vom Anderen haben, sprechen. Trotzdem hat sich der Zugang der nichteuropäischen KünstlerInnen zum Zirkulationskreis der bildenden Kunst in Europa und den USA leicht verändert. Meiner Meinung nach haben die KünstlerInnen aus Südamerika Kommunikationsbrücken ‚erfunden‘. Diese Kommunikations-brücken basieren auf Polen der kulturellen Entwicklung, die klar durch ihre öffentliche und private Politik für die Internationalisierung ihres kulturellen Kapitals identifizierbar sind. Das heißt, prinzipiell sind Länder wie Brasilien oder Mexiko die großen Referenzen für Südamerika und die Verbindungspunkte mit Europa und den USA, ganz im Gegensatz zu dem, was auf anderen Kontinenten geschieht, wo es natürlich ein besonderes Interesse für eine andere kleine Anzahl von Ländern gibt. Ich beziehe mich hier besonders auf das Phänomen Chinas, das man im Moment generell auf den Kunstmessen beobachten kann. Mexiko und Brasilien haben ihre eigenen Aktivitäten zur Einfügung in eine manchmal schwer zugängliche Funktion für das, 72
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was wir Identität nennen würden, entwickelt. Denn trotz der Engstirnigkeit, der Geradlinigkeit des Diskurses oder der Formelhaftigkeit des Vorschlags haben es beide Länder geschafft, eine gewisse Art und Weise zu definieren, in der die Kunst Lateinamerikas (und ich möchte mich hier auf Südamerika beschränken, da ich glaube, dass eine Reduktion in diesem Fall konstruktiver ist) von den Anderen gesehen wird. Alles was der tropische Exotismus des ‚feiernden‘ Habanas von Fulgencio Batista aus der Sicht Nordamerikas ausstrahlt; oder sämtliche Arbeiten der „populären“ Kunst, die Roberto Matta in Chile während der Regierung Salvador Allendes in den frühen 1970er Jahren schuf; oder mehr noch, alles was eine Reihe europäischer und nordamerikanischer KuratorInnen und KulturmanagerInnen begünstigte, die ‚geblendet‘ waren vom Glanz des neuen Goldes der lateinamerikanischen Kunst zu Ende der 1980er und Beginn der 1990er Jahre, löste sich schnell in eine Hinterlassenschaft auf, derer sich fast niemand mehr mit Wertschätzung erinnert oder der man mit der Romantik des Profits von einigen wenigen gedenkt. Generell sprechen wir hier vom Markt der „Latin American Masters“ zu dem wiederum Roberto Matta, Wifredo Lam und Frida Kahlo gehörten oder von einigen, die nicht weiter kamen und die Realität der Zeit, in der sie lebten, nicht beachteten. Ich fasse das Phänomen Mexikos und Brasiliens so auf, dass selbst die Wandmalerei der 1930er Jahre, der abgeschüttelte Surrealismus der 1940er Jahre oder der brasilianische Neokonkretismus zu Ende der 1950er Jahre den KünstlerInnen, die diese historischen Bezugnahmen geerbt hatten, erlaubte, sich nicht nur in der Gruppe, sondern auch allein weiter zu entwickeln. Die kritische Annäherung an eine Verknüpfung mit den internationalen Kunstzentren bedurfte einer immer wieder erneuerten Definition des Begriffs das Gespiegelte in der Kunst. Künstler wie Hélio Oiticica in Brasilien, Juan Downey aus Chile und Luis Camnitzer aus Uruguay haben die Spiegelung erarbeitet, indem sie immerzu die Erwägungen des anderen als ein ungleiches Wesen suchten und sogar die Begriffe eines anderen Inneren oder Angrenzenden definiert haben. Sie alle nähern sich einander in der Begegnung der Besonderheit und der Unterscheidung des einen Modells vom anderen. Noch klarer kann man in verschiedenen okzidentalen Städten beobachten – und auf eine gewisse Art und Weise die verschiedenen Schichten, die die zeitgenössische Kunst verlangt, verstehend – dass die erwähnten Künstler sich an individuelle Ansätze annäherten, die 73
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man bis jetzt schlafwandlerisch und unscharf als das Andere benannt hat. Im Übrigen, Städte wie London, New York und Berlin, die wir heutzutage als allgegenwärtig kennen, stellen systematisch andere, ähnlich interessante und komplexe Städte wie Paris, Rom, Madrid, Stockholm und Wien, um nur einige zu nennen, in den Schatten, die am Weg des großen Kreislaufs der zeitgenössischen Kunst bleiben, um das Andere zu bilden. Trotzdem, und obwohl die Hierarchie der Metropolen zur Begegnung und zur Miteinbeziehung vorherbestimmt ist, ist es paradox zu sehen, dass auch die großen nicht-europäischen Metropolen Homogenität und Stabilität in kulturellen und vor allem ökonomischen Begriffen suchen. Aus diesem Grund hängt der Zugang zum europäischen und nordamerikanischen Markt von der Definition ab, welche Art von Zirkulation man für die von einer/m LateinamerikanerIn geschaffenen Werke möchte. Denn die Betrachtung Europas als eine ökonomische Einheit versteht sich nicht mit der nationalen oder ethnischen Vielfalt, die Lateinamerika für sich beansprucht. Was eine/n KünstlerIn also tun sollte, ist, darüber nachzudenken, ob die Akquisition einer seiner/ihrer Werke durch die Sammlung lateinamerikanischer Kunst der Daros Foundation in Zürich, durch eine/n einzelne/n KunstsammlerIn oder eine Institution wie das „MACBA“ in Barcelona erfolgen sollte, oder ob es besser ist, dass das Geld ‚zuhause‘ in Sammlungen wie Constantini in Argentinien, Jumex in Mexiko oder Cisneros in Miami bleibt. Ich denke, dass jedes dieser „Sammlungsmodelle“ immer die Notwendigkeit beinhaltet, die Homogenität der Identität beizubehalten, weswegen die Möglichkeiten und der Zugang zum Markt für das Verschiedene und Vielfältige, in Bezug auf künstlerische Vorschläge, die dieser Vision zugegen laufen, in der Geschichte immer beschränkt waren und gleichzeitig die Arbeiten, die im internationalen Umlauf schon vor ihrem triumphalen Eintritt in den Kreis der Sammlungen erprobt waren, bevorzugt wurden. Nun also, und da sich meine eigene künstlerische Praxis im Moment nicht auf einem Weg befindet, der direkt zum ökonomischen Erfolg führt (selbst wenn ich das wollte), muss ich dennoch anerkennen, dass das Phänomen des Gespiegelten auch mein Interesse an dem Versuch, zu enthüllen, wie die Arbeit der ChilenInnen in Europa konzipiert ist, entfacht hat. Wir alle wissen wie schmerzhaft die Zeit der Pinochet-Diktatur für diejenigen von uns war, die in Chile lebten, für diejenigen, die 74
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gezwungen wurden, das Land zu verlassen oder auch einfach für jene, die sie nicht mehr ertrugen. Das Erbe der Diktatur definierte während vieler Jahre die Art der Beziehung, die Europa mit den ChilenInnen und nicht mit dem chilenischen Staat hatte. Europa trug auch dazu bei, dass man Chile immer aus der Perspektive der humanitären Hilfe und der Solidarität für die Menschenrechte wahrnahm und in diesem Bezugsrahmen auch alles, was die Kunst in diesen Diskurs einbringen konnte. Als sich aber das politische Modell änderte, und vor allem als der Einbruch des freien Marktes ab 1990 die Hoffnungen auslöschte, die der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie aufgebracht hatte, musste sich auch die Kunst in ihrer Arbeit neu orientieren. In dieser Zeit nämlich gingen die KünstlerInnen, hauptsächlich aus meiner Generation, in die Welt hinaus, um ihre Werke, dank der Selbstverwaltung und der Hilfe von staatlichen Zuschüssen, in Umlauf zu bringen. Gleichzeitig hat diese Verknüpfung geholfen, das künstlerische Panorama Chiles regelmäßig mit ähnlichen Erfahrungen aus Europa zu bereichern, die erst kürzlich Projekte in Chile entstehen ließen. Aber was die Entwicklung des Marktes und besonders die des Kunstsammelns betrifft, mussten auch die KünstlerInnen ihre Arbeit individuell organisieren, da sie weder mit der Präsenz noch mit dem förderlichen Einfluss dieses Teiles des künstlerischen Kreises (dem europäischen) auf ihre Karrieren im Ausland rechnen konnten. Ich möchte erwähnen, dass die Bemühungen, chilenische KünstlerInnen auch in andere Felder der Diskussion und des Austauschs zu integrieren sich erst kürzlich in Erfahrungen wie der „ARCO Messe“, zu der Chile zur Sektion „Cityscapes“ durch das Kulturzentrum Matucana 100 aus Santiago eingeladen worden war, manifestiert haben. Der zuständige Kurator lud vier chilenische KünstlerInnen ein, an dem Projekt teilzunehmen. Die Verkäufe aller KünstlerInnen erzielten insgesamt ca. fünftausend US-Dollar, so die unveröffentlichte Summe für Transaktionen von jungen chilenischen KünstlerInnen. Aber das Interessante daran ist, dass die Verknüpfung mit Chile und was den Verkauf der Werke aller KünstlerInnen in gewisser Weise ‚vorantrieb‘, die Arbeit von Iván Navarro (meines Bruders), der bereits in den nordamerikanischen Markt sowie in einige europäische Sammelhäuser wie Saatchi oder die „ARCO Foundation“ integriert ist, ausmachte. Aus diesem Grund bemerke ich, dass die Verknüpfungspunkte, selbst wenn man seinen Blick ausweiten möchte und die Einzigartigkeit und Qualität 75
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der künstlerischen Produktion wertschätzt, immerzu präsent sind, um zu helfen, neue Vorschläge vor den Augen anderer – in diesem Falle wären das die europäischen Sammelhäuser – anzuerkennen. Das Gleiche trat bei anderen KünstlerInnen ein, bei Eugenio Dittborn aus Chile, Gabriel Orozco im Falle Mexicos, Cildo Meireles aus Brasilien oder Guillermo Kuitca aus Argentinien. Damit möchte ich keinesfalls andeuten, dass der Rest der KünstlerInnen zweitrangig oder einfach weniger interessant sei; was hier zum Tragen kam war die Tatsache, dass die oben Genannten früher am internationalen Kunstmarkt etabliert waren, und in gewisser Weise auch zur Entmythologisierung der tropischen und exotischen Vorstellung vom luxuriösen Latino beigetragen hatten. Sie alle traten ihren GesprächspartnerInnen durch die ständige Betonung der Notwendigkeit, die lateinamerikanische Landkarte unter einer hochgradig fragmentierten Optik zu verstehen, härter und fordernder gegenüber und verlangten auch vom (Kunst-)Markt, dieses Phänomen zu berücksichtigen. Abschließend möchte ich die Überlegung in den Raum stellen, ob es möglich ist, zu definieren, welche Art von Spiegeleffekt wir wollen. Klar ist nämlich, dass, wenn wir in den Spiegel schauen, es gerade Differenz und Heterogenität sind, die uns vergleichbar machen. Aus diesem Grund sollte „Die Erfindung von Chile und anderer Länder“ meines Erachtens ständig gelesen und jedes Mal kritisch hinterfragt werden, wie man diese ‚diplomatische‘ Beziehung im größeren Zusammenhang verstehen kann, oder besser gesagt, wie man neue nationale Verknüpfungspunkte schaffen kann, da das Zirkulationsfeld der bildenden Künste in Lateinamerika weiterhin so heterogen und komplex sein wird wie in allen anderen Teilen der Welt. Deswegen schlage ich vor, dass das Gespiegelte als unfertiger Begriff gesehen wird, der das Andere im natürlichen Zickzack des Abdriftens vom Markt und, breiter gefasst, vom Wissen, zeigt.
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WIR
S C H WA R Z E , I N D IO S , W E I S S E O D ER : A P U R EZ A E UM M I T O (H É L IO O I T IC I C A ) S I N D GL E I C H ZE I T I G
HEMMA SCHMUTZ La autora hace una reflexión sobre su propia participación en la exposición “vivências/Lebenserfahrung“, que la Generali Foundation de Viena realizó en el año 2000, siendo la primera vez que se presentaba al público austríaco un amplio panorama de las principales posiciones del arte conceptual en la Latinoamérica de los años sesenta y setenta. Schmutz señala que el problema del acceso al mercado europeo y sobre todo la cuestión de las exclusiones en el campo artístico ya habían sido planteadas hace cuarenta años por artistas como Lygia Clark o Hélio Oiticica. De este manera, la autora consigue insertar el tema del simposio en un contexto, por así decirlo, histórico e inmanente al campo artístico, subrayando que la exposición de la que fue co-curadora no sólo tenía el objetivo de trasmitir posiciones de contenido, sino que pretendía también que el propio universo vivencial experimentara una transformación o que se ampliara, en todo caso, de conmoverlo. Mit einem kurzen Zitat aus dem Katalog der Ausstellung „Out of Actions“1, lässt sich die ganze Problematik, die hier zur Debatte steht, aufrollen. In der Einleitung schreibt Guy Brett: „Ist es möglich, einen Text sowohl über Europa als auch über Lateinamerika zu schreiben?“ (Brett 1998: 198). Darin äußert sich die Herausforderung, vor der wir als KuratorInnen oder TheoretikerInnen stehen. Ohne die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe zu verwischen, spricht Guy Brett sich dafür aus, dass sich ein komplexeres Bild der 1 „Out of Actions – Aktionismus, Body Art & Performance, 19491979“, 17. Juni - 06. September 1998, Museum Angewandter Kunst, Wien. 77
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Beziehung des Westens zu Lateinamerika nur entfalten könne, wenn wir aufhören, die beiden Wirklichkeiten als monolithisch und undurchdringlich zu betrachten. Jean Luc Nancy fasst diese Fragestellung in seinem Artikel „Lob der Vermischung“ abstrakt: „Mischung und Identität lassen sich nicht fixieren, weder die eine, noch die andere, sie haben sich immer schon ereignet, sie sind immer schon vergangen, oder stehen immer noch aus, und zwar immer in und als Gemeinschaft, eine an der anderen partizipierend, und wir alle an beiden“ (Nancy 2005: 58).
Der Text gliedert sich in zwei Abschnitte. Erstens möchte ich gern ein wenig genauer auf die Biografien zweier exemplarischer KünstlerInnenpersönlichkeiten eingehen, und zwar auf Lygia Clark und Hélio Oiticica. Damit möchte ich betonen, wie eng sich der Austausch und die Beziehungen zwischen dem so genannten Westen und dem Süden gestaltet haben und ausgeprägt waren. Dies gilt konkret für die jeweilige Ausbildung, die Reisen und Kollaborationen und führt zu dem Punkt, an dem die Kritik an einer westlichen Praxis der Vereinnahmung und der Kolonialisierung – besonders bei Oiticica – bereits formuliert wurde. Zweitens möchte ich die Ausstellung „vivências“ und deren Produktionsbedingungen thematisieren, an der ich als kuratorische Assistenz und Produzentin mitgewirkt habe. Diese Ausstellung hat, wie jede nachträgliche Historisierung, ja wieder ein eigenes Bild einer künstlerischen Szene in Lateinamerika in den 1960er und 1970er Jahren generiert. Dem möchte ich eine Reflexion darüber folgen lassen, was die Voraussetzungen waren, die diese Ausstellung gerade zu diesem Zeitpunkt und gerade in Wien haben stattfinden lassen, welches die Auswahlkriterien waren, wie ich die Zusammenarbeit beurteile und welche Rolle in diesem Zusammenhang sicher auch die Regeln und Vorgaben des Kunstmarkts gespielt haben.
I . Der H a n d s c h uh Im Zusammenhang mit den Fragestellungen des Symposiums scheint mir die Konzentration auf zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten wie Lygia Clark und Hélio Oiticica angemessen, weil sich an der Auseinandersetzung um beide paradigmatisch Fragen 78
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abhandeln lassen, die für unser Thema zentral sind: Wie lässt sich das Verhältnis von KünstlerInnen aus den lateinamerikanischen Staaten zu jenen des Westens auch historisch begreifen? Wie gestaltete sich eine eigenständige künstlerische Entwicklung in diesen Ländern? Wie schaut es aus mit einer Einbindung in das internationale Kunstgeschehen? Und wann wäre diese anzusetzen? Vorausschicken möchte ich, dass ich der Meinung bin, dass es zeitgleich in Lateinamerika eine Vielzahl von interessanten KünstlerInnen gegeben hat und dass es sicher auch eine besondere Qualität der Ausstellung „vivências“ war, auch unbekanntere Positionen, wie z. B. jene von Alberto Greco, Lea Lublin oder Marta Minujín einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Clark und Oiticica eignen sich aber deshalb besonders gut, da sie am besten aufgearbeitet sind und ihre Arbeiten durch Präsentationen wie auf der documenta 10 einem breiteren Publikum bekannt sind. Guy Brett weist darauf hin, dass Clark des Öfteren den Gegensatz „zwischen dem nach innen gewendeten, psychologischen Ansatz und der nach außen gewendeten gesellschaftlichen Perspektive Oiticicas“ (betonte). Ihr schlagendes Beispiel dafür war ein Handschuh, wobei Oiticica die Außenseite, sie selbst die Innenseite repräsentierte. Entscheidend ist aber auch, „dass wir zwei erst existieren, sobald eine Hand den Handschuh überstreift“ (Brett 2000: 47). Der partizipatorische Ansatz von Clark und Oiticica steht im Zentrum ihrer Arbeit. Dieser hat sich aber erst langsam aus einer durchaus klassisch zu bezeichnenden Kunstauffassung herausgelöst.
Herkunft, Ausbildung, Kritik Im Folgenden skizziere ich kurz Familie, Herkunft, Ausbildung und Institutionen vor Ort in Rio de Janeiro. Beide KünstlerInnen entstammen einem bürgerlich-intellektuellen Umfeld und hatten die Möglichkeit, sich ihren künstlerischen Interessen zu widmen. Oiticicas Vater hatte ein Fellowship in Washington, und so verbrachte Oiticica im Alter von 10 bis 12 Jahren zwei Jahre in den USA. Es ist leicht, anhand der künstlerischen Entwicklung von Clark und Oiticica fast lehrbuchartig die einzelnen Stufen der fortschreitenden Ablösung der künstlerischen Arbeitsweise vom Tafelbild und der Zweidimensionalität in den Raum und den Einsatz partizipatorischer Strategien zu benennen. Von einer klassischen Ausbildung kommend – bei Clark teilweise in Paris bei Fernand 79
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Leger absolviert – gelangen beide sukzessive zu eigenständigeren Lösungen. Aber dies geschah ohne Bruch, in einer Schritt um Schritt nachvollziehbaren Bewegung. Oiticica studierte bei dem abstrakten Maler Ivan Serpa. Ab 1955 stellte er mit der Gruppe „Grupo Frente“ gemeinsam mit Lygia Clark aus. Im Zuge und als Teil einer landesweiten Modernisierungswelle war 1951 die Biennale in São Paulo etabliert worden. Gleich der erste große Preis der Biennale wurde Max Bill zugesprochen, der die „Grupo Frente“ entscheidend beeinflusst hatte. Eine vergleichbare Institution in Buenos Aires stellte beispielsweise das Instituto Torcuato Di Tella dar, im Rahmen dessen u. a. David Lamelas und Marta Minujín ihre ersten bahnbrechenden Installationen präsentierten. Minujín verwirklichte in Zusammenarbeit mit Allan Kaprow und Wolf Vostell in den 1960er Jahren ihre ersten Happenings. Neben den bereits erwähnten Reisen nahmen Clark und Oiticica an internationalen Ausstellungen teil. Clark war beispielsweise an der Biennale in Venedig 1968 mit der Arbeit „Das Haus ist der Körper“ beteiligt und Oiticica hatte 1969 eine große Ausstellung in der White Chapel Gallery in London, in deren Zentrum die erstmals 1967 im Museo de Arte Moderna in Rio gezeigte Installation „Tropicalia“ stand. Beide Werke wurden für die Ausstellung in der Generali Foundation rekonstruiert. Die bist jetzt erwähnten Bemerkungen dienen dazu, zu zeigen, dass es nur sehr schwer möglich ist, den Einfluss des Westens und des Südens bei der Entstehung der künstlerischen Arbeit der beiden KünstlerInnen auseinander zu halten. Entscheidend ist dann aber, auch hinsichtlich der Fragestellung des Symposiums, der Punkt, an dem neben Aufnahme und Weiterentwicklung der Abstraktion im Neokonkretismus in Rio, beide KünstlerInnen zu Positionen gelangten, mit denen sie in ihrer Kunst eine Kritik am Westen formulierten. Das zeigt sich insbesondere bei Oiticica. Einer seiner Leitsprüche zielte auf die „Rückgewinnung des Vertrauens in die eigene Intuition und seine am leidenschaftlichsten verfolgten Ambitionen“ ab. Oiticica holte sich seine Inspirationen in den Favelas von Morro da Mangueira in Rio de Janeiro, eine Inspiration, die, um mit Guy Brett (2000: 47) zu sprechen… „[…] sich eben nicht an einem traditionalistischen, essentialistischen oder primitivistischen Kulturverständnis entzündete, sondern an einer extrem
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„WIR SIND GLEICHZEITIG SCHWARZE, INDIOS, WEISSE“
gebrochenen Situation mit Zufälligkeiten, Improvisation von Überlebenskämpfen und Verzweiflungsakten.“
„Die Reinheit“, sagt Oiticica, „ist ein Mythos“. Oiticica hat in seinem programmatischen Text von 1968 zu „Tropicalia“ das Problem aus seiner Perspektive wie folgend skizziert: „Wir sind gleichzeitig Schwarze, Indios, Weiße. Unsere Kultur hat nichts mit der europäischen zu tun. Obgleich sie bis heute stark von dieser unterdrückt wird. […] Zur Schaffung einer wahren brasilianischen Kultur, die charakteristisch und kraftvoll oder zumindest ausdrucksstark ist, muss dieses verfluchte europäische und amerikanische Erbe in antropophager Weise vom schwarzen und indianischen Erbe unseres Landes absorbiert werden“ (Oiticica 2000: 264).
Diese Aussagen sind im Zusammenhang mit der „Tropicalia-Bewegung“ und der heute hinreichend aufgearbeiteten Auseinandersetzung mit dem antropofagischen Manifest von Oswald de Andrade von 1928 zu sehen (vgl. aus dem Moore). Wenn man sich vor Augen führt, dass Oiticicas Manifest nun bereits fast 40 Jahre alt ist, sollte man meinen, dass die Diskussion heute an einem anderen Punkt angelangt sein könnte. Angesichts dessen erscheint es nun sinnvoll, sich die Bewegung vom Westen zurück und die Formen und Präsentationsmodi der Ausstellungen anzuschauen, die dieses Erbe zu historisieren versuchen oder lebendig zu erhalten.
II . Le b ens er fa hr un g Als wir 1999 begonnen haben, die Ausstellung „vivências“ vorzubereiten, war das Feld schon relativ gut aufbereitet. Es gab bereits eine Reihe von Monographien und Gruppenausstellungen, die in den 1990er Jahren versucht haben, die lateinamerikanische Konzeptkunst aufzuarbeiten. So wurde Oiticica beispielsweise 1992 im Witte de With Center for Contemporary Art in Rotterdam in einer großen Ausstellung gezeigt oder Lygia Clark 1997 in der Fundació Tápies in Barcelona. Die wichtigste Ausstellung war in diesem Kontext sicherlich die documenta 10, bei der Kuratorin Catherine David Clark und Oiticica sehr großzügig ausgestellt hat. An Grup-
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penausstellungen wären zu erwähnen die bereits genannte Ausstellung „Out of Action“, aber auch „Global Conceptualism“ im Queens Museum of Art, New York, 1999. 2 Bei dieser Ausstellung ging es darum, konzeptuelle Tendenzen auch außerhalb der USA und Westeuropa aufzuarbeiten u. a. auch lateinamerikanische Konzeptkunst. In der Generali Foundation war die Arbeit mit den KünstlerInnen aus Lateinamerika dennoch keine andere als jene, die wir zum Beispiel im Zusammenhang mit der Ausstellung „Re-Play“ (2000) oder einer Ausstellung mit und zu Mary Kelly (1998) geleistet haben: Forschungsarbeit und die Erstellung eines Archivs, was sich mit einer Kunst beschäftigt hat, die nicht Mainstream war. Das ist nicht kein Widerspruch. Denn es gab zwar ein aufbereitetes Feld, aber es handelte sich sicherlich nicht um den Mainstream. Unter diesen Voraussetzungen war es kein großer Unterschied, ob es sich um konzeptuelle Kunst aus Nord- oder Südamerika oder aus Österreich handelte. Diese Strömungen waren in der Zeit, in der diese Ausstellung stattfand, marginalisiert und sie standen nicht im Zentrum des Diskurses. Das hat sich mittlerweile entscheidend verändert. Für uns war von Anfang an klar, dass es sich hier nicht um Positionen handelt, die in irgend einer Nachträglichkeit westliche Kunst„-ismen“ annehmen, sondern dass sich die einzelnen künstlerischen Strategien zu einem Punkt entwickelt hatten, an dem sie durchaus, wie Mari Carmen Ramírez (2000) in ihrem Text „Taktiken, um in Widrigkeiten zu gedeihen“ im Katalog von „Global Conceptualism“, aber auch in einer veränderten Form in „vivências“ ausführt, auch als vorgängig zu bezeichnen sind. Sie betont dabei besonders den gesellschaftskritischen Aspekt vieler Arbeiten. Als Beispiel führt sie die Gruppe „Tucumán Arde“ an, die sich besonders mit Formen der politischen Agitation beschäftigte.3 Wenn ich vorher betont habe, dass diese Positionen nicht Mainstream waren, dann stimmt das insofern, als dass sie erst wieder ins kollektive Gedächtnis zurückgebracht werden mussten. Und an dieser Rückkehr hat eine Reihe engagierter, internationaler KuratorInnen – u. a. Catherine David, Guy Brett, Chris Dercon und eben auch Sabine Breitwieser – über viele Jahre gearbeitet. 2 „Global Conceptualism. Points of Origin, 1950s–1980s”, Queens Museum of Art, New York 1999. 3 Zu „Tucumán Arde“ vgl. auch den gleichnamigen Textband, Arbeitsgruppe Tucumán Arde 2004. 82
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Beratung, Auswahl Wie sind wir also an diese Ausstellung heran gegangen? Wir waren uns – denke ich – von Anbeginn an der Gefahren bewusst, die eine retrospektive Auseinandersetzung mit Kunstszenen aus anderen Ländern mit sich bringen könnte. Die Einbindung von Kuratoren wie Guy Brett als Berater, der schon in den 1960er Jahren eine Ausstellung mit Oiticica in der White Chapel Gallery in London gemacht hatte, und Chris Dercon im künstlerischen Beirat, der 1992 die erwähnte Oiticica-Ausstellung in Rotterdam organisiert hatte, hat hier unterstützend gewirkt. Waren die Werke von Oiticica und Clark schon umfassend aufgearbeitet, so hatten wir bei anderen KünstlerInnen, wie zum Beispiel bei Alberto Greco, Lea Lublin und Marta Minujín und auch Luis Camnitzer selbst intensivere Vorarbeit zu leisten. Im Zuge der Recherche sind wir auf eine Menge interessantes Material gestoßen, von dem wir leider nur einen Bruchteil präsentieren konnten. Alle KünstlerInnen wären es Wert gewesen, eine monografische Ausstellung gewidmet zu bekommen. Die Auswahl – und das scheint nicht verwunderlich – hat sich letztlich durch die Identität und den Schwerpunkt der Generali Foundation wie von selbst ergeben. Wir haben sicher nicht vollkommen unbekannte KünstlerInnen ausgegraben, sondern solche, die sich im Umfeld von Happening, medialen Elementen, partizipatorischen Projekten, Feminismus und sozialkritischem Ansatz einen Namen gemacht haben. Im Laufe der Arbeit wurde natürlich auch klar, dass wir ein riesiges geografisches Gebiet mit unterschiedlichen Zentren und künstlerischen Szenen bearbeiten. Es waren im Konkreten Brasilien und Argentinien mit Rio und Buenos Aires als Zentren und hinzu kamen auch mit Camnitzer und Mendieta noch Uruguay und Kuba. Zudem verbrachten und verbringen viele KünstlerInnen einen Teil ihres Lebens im Westen, in New York, Los Angeles, Paris oder auch Italien. Ich denke, die Lösung für dieses Dilemma war die Fokusierung auf einzelne herausragende künstlerische Arbeiten in der Ausstellung. Die Konfrontation mit dem jeweiligen Kontext und die vertiefte Auseinandersetzung konnten, wenn erwünscht, von den BesucherInnnen mit Hilfe des Katalogs geleistet werden. Diese Vermittlungsarbeit wurde durch die Publikation einer Reihe von KünstlerInnentexten im Katalog unterstützt, die – um es salopp zu formulieren – genau so behandelt wurden, wie wir es mit westlichen 83
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KünstlerInnen getan hätten. Das heißt: Das Werk und die KünstlerInnen standen im Vordergrund und nicht das geografische Umfeld. Man kann sagen, dass das auch etwas mit Respekt zu tun hat. Ein Respekt, den man selbstverständlich herausragenden KünstlerInnen und Arbeiten zollt. Mir fällt dazu das Bild eines fotografischen Zooms ein. Wenn man den ganzen Kontinent fokusiert, dann war unsere Auswahl sicher eine, die mit einer guten Trefferquote ausgezeichnet war. Natürlich hätte man sich die einzelnen Zentren wie Rio und Buenos Aires auch genauer anschauen können, also näher mit dem Fokus herangehen können. Im Nachhinein finde ich es aber sehr schön, dass sich im Laufe der Entwicklung einer Ausstellung viele Ideen für noch nicht gemachte monografische oder Gruppenausstellungen auftun. Ich habe das Gefühl, dass im Hinblick darauf noch sehr viel passieren könnte.
E r i n n e r un g s a r b e i t , E s t a t e s Die Arbeiten, die in der Ausstellung präsentiert wurden, sind natürlich in einem bestimmten geografischen, politischen und gesellschaftlichen Umfeld entstanden. Die Frage, wie weit man dabei zum Schmetterlingsfänger wird, ist eine, der man sich stellen muss. Die Arbeiten dieser KünstlerInnen sind von einem extrem ephemeren, aber auch körperlichen Ansatz geprägt. Aus meiner Sicht ist die Auseinandersetzung mit bildender Kunst aus dieser Zeit immer eine Form der Erinnerungsarbeit, bei der man sich bewusst sein muss, dass der eigentliche Moment der Realisation der Arbeit unwiederbringlich vorüber ist. Jegliche Form der Wiederaufführung, auch mit dem originalen Material, ist mit dem Stigma der Nachträglichkeit behaftet. In diesem Sinne bleibt aber auch der immaterielle Charakter der Arbeiten bestehen, der sich einer letzten materiellen Aneignung verwehrt. Die Texte, die Fotos, die Videos, die neu hergestellten Rekonstruktionen haben eher Verweischarakter, als dass sie für das eigentliche Kunstwerk stehen. Somit bleibt diese Kunst auch in irgendeiner Form demokratisch und die Aneignung läuft nicht über die Ebene des Besitzes, sondern eher über die Ebene der Beschäftigung und des Interesses, die jedem und jeder offen steht, der oder die die entsprechende Zeit investiert. Erschwerend hinsichtlich der Frage, wie eine optimale historische Rekonstruktion von künstlerischen Arbeiten hergestellt werden könnte, war die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Künst84
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lerInnen bereits tot waren. Die mühevolle Arbeit, ihr künstlerisches Werk zu verwalten, kommt dann meist nahen Verwandten zu. Wenn das Interesse an einer künstlerischen Arbeit ausreichend ist, werden auch professionelle Estates gegründet, die kunsthistorische Arbeit leisten können. Verständlicherweise versuchen diese Estates die Präsentation und die Vermittlung auch so weit zu steuern, dass die Kontrolle über eine authentische Wiederaufführung immer vorhanden bleibt, und dass, besonders im Fall der ephemeren Arbeiten, auch für das alleinige Zeigen der Arbeiten ein entsprechendes Honorar zu zahlen ist. Diese Methode hat natürlich auch ihre Schattenseiten und kann, wenn man den Bogen überreizt, mitunter dazu führen, dass man besser die Finger von langwierigen juristischen Verhandlungen lässt – die Summierung der Leihgebühren, Transportkosten, Reise- und Aufenthaltskosten, der begleitenden Kuriere übersteigt dann doch oft die für Ausstellungen zur Verfügung stehenden Budgets. Wir hatten es bei „vivências“ sowohl mit professionellen Estates als auch mit FreundInnen und Verwandten der KünstlerInnen, die sich engagiert um deren Erbe bemüht haben, aber aus eigener beruflicher Beanspruchung oder mangelnder kunsthistorischer Ausbildung nur beschränkt diese fordernde Tätigkeit übernehmen konnten, zu tun. Andererseits hatte man bei den etablierten Estates oft das Gefühl, dass es – im Nachhinein und im Kontrast zur Überzeugung der KünstlerInnen – doch vorwiegend um eine Ökonomisierung der heroischen Figuren der lateinamerikanischen Avantgarde ging. Grundsätzlich ist dies aber auch ein Zeichen für einen entwickelten und professionellen Kunstmarkt, der eben nach bestimmten Regeln funktioniert, die man selber als Museum oder als Institution auch von anderen LeihnehmerInnen als selbstverständlich erwartet. Viele der KünstlerInnen wurden auch von Galerien vertreten, zum Beispiel Ana Mendieta und Cildo Meireles, deren Zugang unterstützender ist, da sie sich der Tatsache bewusst sind, dass jede Präsentation den Marktwert des Künstlers bzw. der Künstlerin weiter erhöht und es im Zuge großer Ausstellungen auch immer wieder zu Ankäufen kommen kann. Im Vergleich zu den lateinamerikanischen KünstlerInnen haben es meiner Ansicht nach aber, und das ist mir wichtig zu betonen, die KünstlerInnen aus den ehemaligen kommunistischen Staaten des Ostens viel schwerer. Denn dort ist ein professioneller Kunstmarkt noch in weiter Ferne und viele sind mit der eigentlich erfreulichen 85
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Tatsache eines verstärkten Interesses an ihrer Arbeit auf sich allein gestellt und gezwungen, sich mit Fragen des Verkaufs und der Vermarktung der eigenen Arbeit zu beschäftigen. onda latina – die Welle scheint mir mittlerweile etwas gebremst zu sein, zumindest im Hinblick auf die Generation der KünstlerInnen, mit denen ich mich beschäftigt habe. Die Welle ist weiter gezogen und fokusiert nun andere Regionen, die aus politischen Gründen im Moment stärker im Zentrum stehen, eben die CEEStaaten oder auch den arabischen Raum.
L i t er a t ur Arbeitsgruppe „Tucumán Arde“ (2004): Tucumán Arde. Eine Erfahrung. Aus dem Archiv von Graciela Carnevale, Berlin: b_books. Brett, Guy (1998): „Lebensstrategien: Überblick und Auswahl. Buenos Aires – London – Rio de Janeiro – Santiago de Chile 1960-1980”. In: Noever, Peter (Hg.): Out of actions. Aktionismus, Body Art & Performance 1949-1979, Katalog zur Ausstellung im MAK, Wien, S 197-225. Brett, Guy (2000): „Situationen, die man erleben sollte“. In: Breitwieser, Sabine (Hg.): vivências/Lebenserfahrung/life experience. Katalog zur Ausstellung in der Generali Foundation Wien, Wien: Generali Foundation, S. 35-60. Nancy, Jean-Luc (2005): „Lob der Vermischung. Für Sarajewo, März 1993“. In: Babias, Marius (Hg.): Das Neue Europa. Kultur des Vermischens und Politik der Repräsentation, Wien/Köln: Generali Foundation/Verlag der Buchhandlung Walther König, S. 55-64. Oiticica, Hélio (2000): „Tropicália“. In: Breitwieser, Sabine (Hg.): vivências/Lebenserfahrung/life experience. Katalog zur Ausstellung in der Generali Foundation Wien, Wien: Generali Foundation, S. 252-265. Ramírez, Mari Carmen (2000): „Taktiken, um in Widrigkeiten zu gedeihen: Konzeptkunst in Lateinamerika, 1960-1980“. In: Breitwieser, Sabine (Hg.): vivências/Lebenserfahrung/life experience. Katalog zur Ausstellung in der Generali Foundation, Wien , Wien: Generali Foundation, S. 61-104.
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E N T RE P I N DO R A M A . D I E A D A PT I O N UND
AN T R O P OP H A G E R I D E EN
S T R AT E G I E N
ELKE AUS DEM MOORE La praxis de exposición aquí descrita, apunta a romper con el enfoque eurocentrista sobre la producción artística en Latinoamérica y a dirigir – gracias a un cambio radical de perspectiva – una mirada sin exoticismos hacia los países latinoamericanos. El proyecto de exposición Entre Pindorama, concebido en cooperación con el artista brasileño Giorgio Ronna, presenta producciones artísticas contemporáneas del Brasil y sus vínculos referenciales con una corriente del modernismo brasileño, el movimento antropófago. En un simposio se coligaron las posiciones de los creadores de cultura brasileños y europeos que han generado formas innovadoras de apropiación de estrategias antropófagas, tanto en proyectos académicos y artísticos como político-activistas. Se logró traspasar la Antropofagia de su dimensión histórica a un contexto actual, que, también en Europa, podrá ejercer un influjo positivo en los procesos sociales. El proyecto Entre Pindorama no debe leerse únicamente como ejemplo de traspaso cultural, sino también como un aporte a las investigaciones en torno a la influencia del arte latinoamericano (o „no-occidental“) en la recepción y producción artística en un contexto „no no-occidental“. Ich schreibe über ein Ausstellungsprojekt mit dem Titel „Entre Pindorama“, das ich mit dem brasilianischen Künstler Giorgio Ronna am Künstlerhaus Stuttgart realisiert habe. Das Projekt gab Einblick in die zeitgenössische Kunst Brasiliens und thematisierte den Einfluss der Antropofagia – einer kulturellen Strömung des brasilianischen Modernismo – auf die aktuelle Kunstproduktion. Das Ausstellungsprojekt wurde von der Deutschen Kulturstiftung des Bundes gefördert und fand von Oktober 2004 bis Januar 2005 statt. Es umfasste eine Ausstellung mit den Arbeiten von sechs Künstler87
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Innen, die Filmreihe „Invention & Subversion“, das Symposium „Antropofagia – Gestern und Heute“, mehrere Rahmenveranstaltungen, die einen möglichen Transfer anthropophager Ideen in ein westliches Denksystem diskutierten und Videoveranstaltungen zu und ein Konzert mit brasilianischem Hiphop. Eine Publikation gleichen Titels ist im Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg, erschienen. Entre bedeutet im brasilianischen Portugiesisch Tritt ein, gleichzeitig auch zwischen/dazwischen. Pindorama ist das Wort der indigenen Bevölkerung Brasiliens für ihr Land, das Land der Palmen. Wir wählten diesen Titel, um sich der Existenz einer indigenen Kultur vor der Zeit der Kolonisierung zu erinnern und somit der kolonialen Definitionsmacht etwas entgegenzuhalten.1 Das Ausstellungsprojekt behauptet keinen Überblick über zeitgenössische Kunst in Brasilien geben zu wollen, sondern ist als Einblick in die aktuelle Kunstproduktion eines Landes zu verstehen. Die Motivation dieser Zusammenstellung entstand aus einer massiven Unzufriedenheit über die Unterrepräsentation lateinamerikanischer Kunst im westlichen Kunstkontext. Darüber hinaus ist es das Ergebnis einer langjährigen Freundschaft und der Auseinandersetzung mit brasilianischer Kunst.
Zu r A n t r o p o fa g ia Wenn man sich mit brasilianischer Kunst auseinandersetzt, stößt man schnell auf die Antropofagia. Diese kulturelle Bewegung der brasilianischen Moderne ist Teil einer Praxis, die in ihrer Verortung im kulturellen Gedächtnis der Bevölkerung vergleichbar ist mit der Dada-Bewegung in Deutschland und der Schweiz, sowohl in der Radikalität und Aggressivität wie auch in der lebensbejahenden Herzlichkeit. Gemeinsam ist der radikale Bruch mit Traditionen, der sich aus der massiven Kritik am bestehenden Herrschaftssystem speist. Während sich Dada gegen den Krieg, Nationalismus und den 1
Der Name Brasilien stammt von der Pflanze „Pau Brasil“, ein Baum, dessen Holz einen kostbaren purpurnen Farbstoff enthält. Pau Brasil wurde in der Kolonialzeit im ganzen Land abgeholzt und nahezu ausgerottet, um die europäischen Textilmärkte zu beliefern. So ist der Name des Landes Brasilien stark mit dem wirtschaftlichen Interesse seiner Kolonialmacht verbunden. 88
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aufkommenden Faschismus wandte, ist die Antropofagia ein Teil der kulturellen Identitätsfindung Brasiliens, die der reinen Übernahme kolonialer Kultur eine Absage erteilt. DichterInnen, MalerInnen, PhilosophInnen wählten die Metapher der Antropophagie, der Menschenfresserei, eine Metapher für eine Strategie, die es ermöglicht, sich die kulturellen Einflüsse eines übermächtigen Feindes anzueignen, sie zu fressen, um etwas Neues daraus zu gestalten. Unverdauliches ist wieder auszuspeien. Zu Beginn der 1920er Jahre schrieb Oswald de Andrade zwei poetische Manifeste2, in denen er eine freie, klassenlose, an matriarchalische Strukturen angelehnte Gesellschaft fordert. Er schlägt eine „Strategie zur kulturellen Emanzipation einer peripheren Nation“ (Sandführ) vor. Gemeinsam mit seiner Gefährtin, der Malerin Tarsila do Amaral, Mário de Andrade, Anita Malfatti und Menotti del Picchia gründete er die Grupo dos Cinco (Gruppe der Fünf) und so formierte sich eine kulturrevolutionäre Bewegung, die entscheidend war im kulturellen Ausdruck der Identitätsfindung eines unabhängigen Brasiliens. 1922 fand die Semana de Arte Moderna (Woche der modernen Künste) statt, die diesen ästhetischen Wandel deutlich machte mit ihrer Bezugnahme auf Natur, Irrationalismus und Primitivismus. Der Wissenschaftlichkeit und dem Rationalismus des europäischen Denkens wurde „das tropische Wuchern, Aneignung, Naivität, Wildheit und Poesie“ entgegengehalten. Die Künstlerin Tarsila do Amaral gab mit ihrem Gemälde „Abaporú“ von 1928 der Bewegung ihren Namen. In der Sprache der Tupi bedeutet es Anthropophage (vgl. Schwartz in Caixeta 2004 und Sandführ 2005).
A n tr o p o f ag i a – Met a p he r , D ia g n o s e, Th er a p ie „Tupi or not tupi“ ist ein prägnanter Satz aus dem Manifesto Antropofago, das Oswald de Andrade 1928 verfasste. Er bezieht sich auf den Indianerstamm der Tupi, die ihre Feinde verschlangen, doch nur die mutigsten und kräftigsten, um sich ihre hervorragenden Eigenschaften einzuverleiben. Das Fremde fressen anstatt es wegzuschieben!
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Manifesto Pau Brasil, 1924 und das Manifesto Antropófago, 1928. 89
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„In dieser Metapher liegt nicht nur ein äußerst kompromissloses politisches Statement, es ist als Paradigma zu lesen, das die Revolte des Kolonisierten gegenüber den Kolonisatoren ausdrückt in dem äußerst machtvollen Bild des Verschlingens einer sonst so übermächtigen Kultur. […] Antropofagia ist eine poetische Vision kultureller Begegnungen, die durch den maximal positiven, herzlichen Umgang mit dem Anderen eine Erneuerung und pulsierende Lebensfreude und Herzlichkeit mit einschließt, die Tendenz sich selbst im anderen zu sehen und so Glück im Körper zu erfahren. Oswald de Andrade verstand seine Idee auch als soziale Therapie für die zeitgenössische Welt“ (aus dem Moore/Ronna 2005).
Der Literaturwissenschaftler Thomas Sandführ, der eine Dissertation über die Figur des Antropophagen schrieb und beide Manifeste de Andrades erstmals ins Deutsche übersetzte, schreibt: „Oswald de Andrade geht weit über die Vorstellung einer kulturellen Polyphonie hinaus. Er will die bestehenden Asymmetrien nicht lediglich verdunkeln, sondern die Wechselseitigkeit der Einflüsse betonen und die etablierte Hierarchie in aggressiver Manier in Frage stellen: Europa wäre nichts ohne Amerika, wie er in seinem Manifesto Antropofago erklärt. […] Es war eine Haltung, welche die Fähigkeiten und die Möglichkeiten einer Assimilierung äußerer Einflüsse betonte. Eine Geisteshaltung, welche die Verflechtung der Kulturen als Faktum anerkannte und ihr kreatives Potential positiv wertete“ (Sandführ in aus dem Moore/ Ronna 2005: 47).
In den gegenwärtigen postkolonialen Diskursen wird die Antropofagia in ihrem emanzipatorischen Gehalt neu entdeckt. Die gesellschaftlich konstruierten Binaritäten von Innen und Aussen, von Eigenem und Fremdem, vom Selbst und dem Anderen, vom Ich und Du werden in keiner Metapher so radikal aufgehoben wie in der der Inkorporation, der Einverleibung. Die absolute Vermischung und Durchdringung! Radikale Hybridisierung! Reinheit und Originalität existieren nicht. Sie werden als Illusion entlarvt.
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A k tuel le P r o d u k t io nen – d i e A u sste llun g Die Einflüsse der Antropofagia auf die heutige Kulturproduktion Brasiliens sind weitreichend. Künstlerische Produktionen zeichnen sich aus durch das Infragestellen und Ignorieren kultureller Hierarchien, durch das Zeichnen eigener Territorien und die Verbindung von Kunst und Leben. Experiment und Beteiligung stehen nahezu in allen Produktionen im Zentrum. Die Ausstellung „Entre Pindorama“ zeigt die Arbeiten von sechs KünstlerInnen. Die Ausstellungsbeiträge sind Beispiele dafür, wie sich Ideen und Einflüsse der Antropofagia in die aktuelle künstlerische Praxis einschreiben und wie sie sich weiterentwickelt haben. Dabei spielen Intervention, Partizipation und das Einschreiben des Körpers eine zentrale Rolle.
I n t er v ent i o n & P a r t iz i p a t i o n Das wohl am stärksten partizipativ agierende Projekt ist die Arbeit von João Modé. Ein Netz, das er zuvor an vielen Orten, Galerien und Kunstmuseen realisierte, das auf der Mitarbeit vieler Hände basiert. Modé ließ einen Nukleus aus zusammengeknüpften und -geknoteten Woll- und Bindfäden entstehen. Der Netzembryo wurde auf einem öffentlichen Platz in Stuttgart, dem Marienplatz, ausgebreitet und an Steelen befestigt. Durch Ankündigungszettel wurden AnwohnerInnen eingeladen, am Ausbreiten des Netzes teilzuhaben. Kritische Vorbehalte wurden schnell in aktive Mitarbeit umgewandelt, die AnwohnerInnen dieses kulturell sehr durchmischten Stadtteils nahmen dieses Angebot an und knüpften täglich mit. So entstand nach zehn Tagen ein buntes Netz mit ca. 50 Quadratmetern Ausbreitung. Das Projekt ist zusammengefasst als ein einbindendes Geschenk an die Öffentlichkeit zu lesen, an einem Platz voll zumeist ignorierter sozialer Spannungen. (vgl. Sircar in aus dem Moore/Ronna 2005).
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Abb. 1: João Modé, „Rede“ (Netz), 2004, Banner, Woll- und Acrylfäden.
Abb. 2: Das Netz wird dichter.
We a r e a l w a y s t he o t he r Lucia Koch sagt in einem im Künstlerhaus geführten Interview: „I am eaten by the Künstlerhaus and I quite like it. But we are always the Other and have no choice and will be always the ones who will be eaten.“ Koch thematisiert anhand der Metapher des Verschlingens ihre Position als nicht-europäische Künstlerin, die im westlichen Restriktiv der Kunstgeschichtsschreibung immer als ‚das
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Andere‘, Exotische wahrgenommen wird. Dem hält sie in ihrer Installation, die sie eigens für das Künstlerhaus konzipierte, etwas entgegen. Koch verbindet in ihren Arbeiten die harten Ausformungen der Architektur mit dem weichen Fließen und Wandeln des Lichts. Sie eignet sich den Raum an, verändert ihn und gibt ihm eine neue Bedeutung. Das Treppenhaus des Künstlerhauses, durch das man zum Ausstellungsraum gelangt, wurde von ihr durch das Bekleben der Fenster mit farbiger Folie in verschiedene Lichttöne getaucht. Schon vom Treppenhaus aus sah man durch die Glastür das gleißende, blaue Licht eines Himmels, des Himmels von São Paulo. „Degradé“, der Titel der zweiten Arbeit, zeigt einen Farbverlauf von Hellblau zu Graublau, per Inkjet-Druck von der Künstlerin auf eine 15 Meter lange Folie gedruckt. Sie bringt so einen Teil ihres Lebensumfelds in den Ausstellungsraum.
Abb. 3: Lucia Koch, „Degradé SP“, 2004, Inkjetprint auf transluzenter Leinwand.
Da s Ei nsc h r eib en d es K ö r p e r s In der Kunst Brasiliens spielt der Körper eine zentrale Rolle. Die Erfahrbarkeit einer Installation mit dem eigenen Körper des Betrachtenden steht bei zahlreichen Kunstwerken im Zentrum. In der Ausstellung „Entre Pindorama“ liegt in drei der Installationen
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(Flores, Basbaum und Modé) die körperliche Erfahrbarkeit schon in der Konzeptionierung. Das Publikum traf in der Installation der Künstlerin Livia Flores auf eine zunächst bekannte Situation. Zwei farbige Stoffdecken waren auf dem Boden ausgebreitet, auf ihnen lagen – zufällig angeordnet – Artikel aus dem Straßenverkauf. Flores hatte dafür zwei Koffer aus Rio de Janeiro mitgebracht, gefüllt mit jeweils zwei Sets von Straßenverkäufern ihres Viertels. Bei genauerer Betrachtung stellte man fest, dass die Installation von angelehnten Glas- und Spiegelscheiben umrahmt wurde, in denen sich die Körper der Anwesenden spiegelten. So wurden die BetrachterInnen zum Teil der Installation und damit zum Teil einer Nahrungsmittelkette des Handels. Auch das Publikum ist AkteurIn in ökonomischen Abläufen und somit Teil des internationalen Welthandels. Flores beschäftigt sich in ihren Installationen mit den Themen Reflexion und Projektion. So spielt auch der Titel „Move“ auf das englische Wort movie (Film) an. Arbeitet Flores in früheren Installationen mit gefundenem oder produziertem Filmmaterial, werden die BetrachterInnen in der besprochenen Installation selbst AkteurIn (vgl. Scholtes in aus dem Moore/Ronna 2005).
Abb. 4: Lívia Flores, „Move“, 2004, Glas und Spiegelscheiben, zwei Kollektionen von gefundenen Objekten.
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G e leb t e H y b r id isie r ung Die aktive Betrachtung und Verwandlung der BetrachterInnen spielt auch in der Installation Ricardo Basbaums eine zentrale Rolle. Was bei Livia Flores mittels Glasscheiben und Spiegel dezent eingesetzt wurde, funktionierte bei Ricardo Basbaum über sichtbare kleine Kameras. Die Kameras dienten in dieser Installation nicht der Überwachung, da keine Person die Situation überwachte. Die Videobilder der BetrachterInnen wurden mittels einer closed-circuit Installation direkt auf einen kleinen Monitor übertragen. So schrieben sich die Körper der BetrachterInnen direkt in die Installation ein. Basbaums zweiteilige Installation trägt den Titel „Superpronom/Sistema-Cinema“. Mit dem Sistema-Cinema bezieht er sich auf seine multiple Identität als „ECT. ARTIST“, ein Künstler, der auch als Autor, Kurator und Lehrender tätig ist. Er verweist mit Texten, die in deutscher Übersetzung an der Wand angebracht wurden, auf eine verändernde Wahrnehmung nach Durchschreiten seiner Installation. Seine Installationen „Superpronom“ und „Sistema-Cinema“ gehen in der Weiterführung und aktuellen Auseinandersetzung mit antropophagen Ideen sehr weit. Basbaum entwirft in einer zweiten Wandarbeit eine Choreographie, in der die vielzitierte Hybridität nicht gedacht, sondern praktiziert wird. Erst durch die Erfahrbarkeit in der Performanz seiner Ideen, werden Ideen real oder auf ihre Realisierbarkeit abgestimmt. Basbaum ist Konzeptkünstler und Theoretiker, dem es immer auch um die Anwendung seiner Theorie geht. In seinem Workshop „Eu – Voce, me – you, ich – du“ wurden Choreografien zu Ich und Du getanzt, das Einssein dieser sonst gegenüberstehenden Subjekte wurde erprobt und im öffentlichen Raum durchgeführt, Ergebnisse auf Video festgehalten und in die Installation zurückgeführt. Das zyklische Arbeiten Basbaums wird hier deutlich, auf Videomonitoren wurden Ausschnitte aus vorangegangenen Workshops und Installationen gezeigt.
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Abb. 5: Ricardo Basbaum, „Superpronome/Sistema-Cinema“, 2-Kanal DVD, Soundsystem, 4 x closed circuit Kameras, 12-inchMonitore, VHS-Recorder, zwei Wandzeichnungen (Text & Diagramm), Bodenzeichnungen (Tape), Pflanzen.
Abb. 6: Ricardo Basbaum, „Superpronom/Sistema-Cinema“.
Zu m V e r hä l t n is v o n Tr o p ik a l is m us u nd Ur b a ni s m us Die jüngste Künstlerin der Ausstellung kommt aus São Paulo und verbindet in ihren Arbeiten Umstände ihres urbanen Lebens in einer der größten Städte der Welt mit dem Wissen der indigenen Bevöl96
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kerung Brasiliens. Lia Chaia war mit zwei Arbeiten in der Ausstellung vertreten. Eine Wandmalerei, die sie eigens für das Künstlerhaus entworfen hat, trug den Titel „Verdejar“, ein Neologismus, der mit dem Verb ‚grünen‘ zu übersetzen ist. In fast naiver Malerei setzte sie großflächige, in unterschiedlichen Grüntönen gemalte Pflanzen auf die Wand, die zuvor mit weißen Leinwänden bespannt wurde. Diese nahm sie nach dem Bemalen von der Wand und befestigte sie auf der gegenüberliegenden Seite. So entstanden weiße Flächen. Diese sind als Leerstellen in der Geschichte zu lesen, aber auch als Anspielung ökonomischer Interessen der Kolonisatoren, bzw. der globalen Wirtschaft an dem Gut der indigenen Bevölkerung Brasiliens, dem tropischen Regenwald. Auch in ihrer zweiten Arbeit, der dreiteiligen Fotoarbeit mit dem Titel „Folíngua“ (Blattzunge) nimmt Chaia Bezug auf das indigene Wissen. Als Autoporträt ist sie selbst nackt mit ausgestreckter Zunge in Form eines Blattes zu sehen. Mit ihrer Nacktheit verweist sie auf einen kulturellen Zustand vor der Ankunft der Kolonisatoren, auf welchen sich die Modernisten für die Konstruktion einer neuen brasilianischen Identität beriefen: „Was der Wahrheit Gewalt antat, war die Kleidung, das Undurchlässige zwischen innerer und äußerer Welt“ formuliert Oswald de Andrade 1928 im Manifesto antropófago. Die ausgestreckte Zunge lässt sich als ein Gestus lesen, der die Bereitschaft zur Nahrungsaufnahme signalisiert – zum Verschlingen und Fressen des Anderen, wie es die Antropofagia-Bewegung des brasilianischen Modernismus symbolisch als kulturelle Strategie propagierte (vgl. Gera in aus dem Moore/Ronna 2005).
Abb. 7: Lia Chaia, „Folingua“, 3 x C-Prints
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Abb. 8: Lia Chaia, „Verdejar“, Wandgemälde, Leinwand.
A u t hen t iz i t ä t Efrain Almeida ist der einzige Künstler der Ausstellung, der nicht aus einer der Metropolen Brasiliens stammt. Er kommt aus dem Nordosten des Landes und nimmt in seinen Arbeiten Bezug auf seine Herkunft. In detaillierten Schnitzereien und Intarsien benutzt er das Zedernholz seiner Heimat. Seine Arbeiten referieren auf heilige und populäre Statuen von Festivitäten im Nordosten des Landes und werden mit traditionellen und persönlichen Ikonographien kombiniert. Almeida löst in seiner Arbeit die Stereotype einer authentischen mit Volkskultur verbundenen Tradition auf. Auf sieben Votivtafeln sehen wir die Szenen eines zum Fluge ansetzenden Vogels. In dieser Arbeit mit dem Titel „Tarcea“ steht die Leichtigkeit des fliegenden Vogels der Schwere des Materials gegenüber, ohne durch sie beeinträchtigt zu werden. Die Arbeit fasziniert in ihrer Detailgenauigkeit und dem goldenen Schimmern des Materials in verschiedenen Schattierungen. In dieser und der zweiten gezeigten Arbeit „160 Lagrimas“ spricht Almeida von Sehnsucht und Begehren, still, zurückhaltend und eindringlich. Zwei aus Holz geschnittene Hände halten eine Kette von großen, aus weißem Samt gefertigten, Tränen.
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Abb. 9: Efrain Almeida, „160 Lagrimas“ (160 Tränen), 2004 Holz, Samt, 28 x 146 x 18 cm.
Abb. 10: „Vôo“ (Flug), 2003, 8-teilig, Zedernholz, 40 x 29 cm.
P a lm en und P a p a g ei en Mit diesem Projekt stießen wir seitens der brasilianischen KünstlerInnen nicht nur auf große Freude und Begeisterung, sondern auch auf eine enorme Skepsis. Sollte diese Ausstellung ein weiterer exotistischer Blick auf die Kunstproduktion eines lateinamerikanischen Landes darstellen? „They use papagaios and palmtrees, we will
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see.“ Als wir für die Illustration der Einladungen Papageien und Palmen wählten, war das Misstrauen groß. Die Antropofagia-Bewegung arbeitete mit dem Aspekt des Exotischen in der eigenen und fremden Wahrnehmung. Das Projekt „Entre Pindorama“ greift Stereotypen auf, wie die der Palmen und Papageien, und stellt sie in einen neuen Zusammenhang. Wir wählten das Motiv der Papageien in Anlehnung an eine historische Vorlage, das Cover des Romans „Vamos cacar papagaios“ von Cassiano Ricardo, der 1926 erschien. Der Papagei spielt außerdem in der Literatur der Antropofagia eine wichtige Rolle. In einem der wichtigsten Romane „Macunaima“ von Mario de Andrade, geht der Held in den Papageienwald, der Papagei steht als Vermittler, er wird später nach Portugal fliegen und dort die Geschichte des Helden Macunaima erzählen.
Abb. 11: Plakat „Entre Pindorama“, Künstlerhaus Stuttgart, Entwurf: Maren von Stockhausen
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G e s t er n un d Mo r g en – Z ur A d a p t io n a n t r o p o p ha g er S t r a t eg i en Kunstgeschichtskanon und Kunstmarkt sind zwei sehr exklusive Angelegenheiten. Noch immer lehrt uns die hiesige Kunstgeschichte die Grundpfeiler einer eurozentrischen Sichtweise auf Kunst und Kultur. Kulturelle Entwicklungen außerhalb dieses Sichtfeldes werden verschwiegen und finden keinen Zugang zum Kanon und damit auch nicht zum Interessenfeld des Kunstmarktes. Frauen kommen als bildende Künstlerinnen im Vergleich zu ihren künstlerischen Produktionen unverhältnismäßig selten vor. Die europäische Kunstgeschichte lehrt uns wenig über die Entwicklungen in der Kunst und Kultur anderer Kontinente, hier existiert einzig die europäische Moderne. Der Einfluss, den beispielsweise die Reisen verschiedener Kunstschaffender aus beiden Kontinenten auf die jeweilige Moderne hatten, wird selten thematisiert. Das Symposium „Antropofagia – Gestern und Morgen“, das im Rahmen von „Entre Pindorama“ stattfand, widmete sich den historischen Ideen der Antropofagia und den aktuellen Beispielen einer kulturellen Praxis, die diese Ideen aufgreift. Erstmals finden hier Projekte Aufmerksamkeit, die den Transfer dieser Ideen nach Europa praktizieren und ihre Anwendung diskutieren. Die Manifeste und weitere Originaltexte werden in ihrer historischen Dimension und aktuellen Bedeutung für zeitgenössische Diskurse in den Beiträgen von Thomas Sandführ, Ruda Andrade und Ricardo Basbaum diskutiert. In ihrer kunsthistorischen Untersuchung betont Sabeth Buchmann das avantgardistische Potenzial des brasilianischen Künstlers Hélio Oiticica für die Moderne. Sie macht zugleich die erschwerten Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens deutlich, die die fehlende Repräsentanz lateinamerikanischer Kunst in den westlichen Kunstwissenschaften mit sich bringt. Den Transfer indigenen Wissens von Brasilien nach Europa und zurück thematisiert Hans-Christian Dany in seinem Beitrag. Anwendung und Weiterentwicklung anthropophager Ideen und Strategien finden sich in den künstlerischen Projekten von Wendelien van Oldenborgh und Maria Moreira und der feministischen politischen Praxis von Rubia Salgado (maiz). Der Bogen vom historischen „movimiento antropofago“ über Positionen zeitgenössischer künstlerischer und kultureller Praxis
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schließt sich bei einem sehr brisanten Beispiel gegenwärtiger anthropophager Strategie, dem HipHop in Brasilien. HipHop in seiner weltweit verbreiteten US-amerikanischen Variante wird in Brasilien regelrecht gefressen. Durch die eigenen Stoffwechselvorgänge, wie beispielsweise dem Hinzufügen der traditionellen Sambamusik, entsteht etwas völlig Neues wie der populäre Rio Funk.
Zu r A k t ua l it ä t Das Ausstellungsprojekt ist in seiner Gesamtheit ein Versuch, die Antropofagia im europäischen Kontext verstehbar zu machen. In erster Linie kann man dieses Projekt sicherlich als Übersetzungsarbeit lesen. Die Arbeiten lateinamerikanischer KünstlerInnen sind oft stärker mit der Geschichte des Landes verwoben, sie arbeiten längst nicht so subjektiv wie europäische KünstlerInnen. Diese Unterschiede sind wahrzunehmen. Alle Kunstschaffenden bewegen sich in einem sozio-historischen Kontext, diesen zu verstehen es die Voraussetzungen des Sich-Einlassens und des Zugangs zu Wissen und Begegnung braucht. Die Antropofagia und zeitgenössische künstlerische Positionen aus Brasilien zu zeigen, heißt in erster Linie Vermittlungsarbeit zu leisten. In „Entre Pindorama“ standen neben der Ausstellung vermittelnde Formate wie das Symposium, Workshops, Seminare, Filmprogramme und Konzerte im Zentrum. Dabei ging es nicht darum, das/den/die Andere/n zu finden oder zu definieren, sondern die Antropofagia als starting point einer veränderten Denkweise im Umgang mit der/dem Anderen zu nutzen. Der/die/das Andere ist immer auch Teil unseres Selbst, das die Metapher der Antropophagie deutlich macht. Die Diskussion über Transfertauglichkeit antropophager Ideen und Strategien ist fast unumgänglich angesichts der enormen Verdauungsprobleme der westlichen Kultur in ihrer Angst vor dem Anderen/Fremden. Die Aktualität des Projektes liegt auf der Hand. Vielerorts wird die sogenannte Krise des Multikulturalismus in Europa herbeigeredet: eine politische Strategie, die sich aus Xenophobie und Rassismus speist. Dem etwas entgegen zu halten, neu über kulturelle Festschreibungen und daraus folgende politische Konsequenzen nachzudenken, war ein Anliegen des Projektes. „Entre Pindorama“ ver102
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steht sich als ein Angebot, einen einfühlenden, gleichberechtigten und unmittelbaren Umgang mit Kulturen zu erproben. Diese Form der Auseinandersetzung hat im europäischen Kontext – besonders, wenn man die anhaltende problematische öffentliche Diskussion um Migration und Globalisierung bedenkt – eine wichtige Funktion. Sie entwickelt einen Gegenentwurf zu den gängigen und festgefahrenen Positionen in den Cultural Studies oder in der kunsttheoretischen Debatte. Ein akademisches Interesse an der künstlerischen und symbolischen Produktion Lateinamerikas wächst. Das hängt möglicherweise mit der Situation Brasiliens zusammen, dem Land der gelebten Multitude, der permanent veränderbaren Hybridisierung verschiedener Kulturen, Ethnien, Religionen – variable Mixturen. Ich möchte diesen Beitrag also mit der Aufforderung schliessen: „Tritt ein in das Land der Palmen – Entre Pindorama!“
L i t er a t ur de Andrade, Oswald (1928): „Manifesto Pau Brasil“. In: Correio da Manhã, Brasilien, 18.3.1924 de Andrade, Oswald (1928): „Manifesto Antropófago“. In: Revista de Antropfagia, Jg.1, H.1. Anm.: Beide Manifeste erschienen auch in deutscher Übersetzung von Thomas Sandführ in: Entre Pindorama (2005). Caixeta, Luzenir (2004): Anthropophagie als Antwort auf die eurozentrische Kulturhegemonie Oder: „Wie die Mehrheitsgesellschaft feministische Migrantinnen schlucken ‚muss‘“. In: Hito Steyerl, Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg.), Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, Münster: Unrast Verlag. aus dem Moore, Elke/Ronna, Giorgio (2005): Entre Pindorama – Zeitgenössische brasilianische Kunst und die Antropofagia, (Deutsch/ Englisch/Portugiesisch), Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst. Sandführ, Thomas: „Só a Antropofagia nós une: Assimilation und Differenz in der Figur des Anthropophagen“. In: aus dem Moore, Elke/Ronna, Giorgio (Hg.): Entre Pindorama – Zeitgenössische brasilianische Kunst und die Antropofagia, (Deutsch/ Englisch/Portugiesisch), Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst. 103
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Schwartz, Jorge (2002): Da Antropofagia a Brasilia: Brasil 19201950, Cosac & Naify. Sandführ, Thomas (2001): Só a Antropofagia nós une: Assimilation und Differenz in der Figur des Anthropophagen, Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Philosophische Fakultät, http://diss.ub.uni-duesseldorf.de/home/etexte/diss/show? dissid=302
Zu d en A b b il d u ng en Abb. 1-10: Copyright Künstlerhaus Stuttgart, Fotograf: Marjan Murat. Abb. 11: Copyright Künstlerhaus Stuttgart, Entwurf: Maren von Stockhausen.
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M ACHT – H ERRSCHAFT – W IDERSTAND . F EMINISTISCHE P OSITIONEN IN DER K UNST L ATEINAMERIKAS
C H O MO S U N D M O L AS . I N D IA N I S C HE K Ü N ST L E R I NN E N U ND I H R H A N DW E R K IN Z E I TE N D E R G L O BA L I S I ER U N G ELKE MADER Las artistas indígenas y su artesanía forman parte de las diversas formas de expresión del arte femenino en América Latina y representan múltiples límites y transgresiones entre creación artística individual y tradiciones colectivas, así como entre artesanía, arte, mito y comercio. El artículo analiza a modo de ejemplo dos escenarios de arte/artesanía, en los que las mujeres de las comunidades indígenas desarrollan su trabajo: en primer lugar, las alfareras de la Amazonía y luego las artistas textileras en Panamá. El punto principal consiste en situar el contexto regional, social y mítico de su quehacer y su relación con la construcción de identidades y estatus femeninos. Por otro parte, el artículo aborda los procesos de transformación que experimenta este obrar debido a los diferentes tipos de influencias globales, haciendo referencia a las ONGs, el mercado y los medios de comunicación. Wie der Webervogel Chuim der sein Nest baut. nehme ich den schwankenden Ton. Ich forme den schwankenden Ton. Ich forme und baue. Der Topf steht hoch. Ich bin die Webervogel-Frau.1
Die Kunst- und Kulturszene Lateinamerikas reflektiert multiple Verbindungen zu Gender-Konstruktionen, zu weiblichen Identitäten 1
Aus einem Beschwörungsgesang (anent), der von Töpferinnen der Shuar und Achuar gesungen wird, um das Gelingen der Arbeit zu gewährleisten. María Jamánch Utitiaj Sunur, aufgenommen von der Autorin 1994 in Sucúa, Ecuador. Übersetzung ins Spanische: Carlos Utitiaj. 107
ELKE MADER
und Frauen-Bewegungen. Diese wurzeln teilweise in der Imago bekannter Künstlerinnen, die Sinnbilder von weiblichem Selbstverständnis und seinen Repräsentationen darstellen. Zu diesen ‚Müttern‘ zählen Frida Kahlo oder Graciela Iturbide: Kahlo gilt durch ihr Werk, aber auch durch ihre Lebensgeschichte und deren Zirkulation in den globalen Medien als Bahnbrecherin einer weiblichen Ästhetik und als Kultfigur des Feminismus. Iturbides Photographien wiederum reflektieren einen weiblichen künstlerischen Blick, den sie auch immer wieder auf die Lebenswelten von Frauen lenkt. Die beiden KünstlerInnen verkörpern Grenzen und Grenzüberschreitungen zwischen individuellen Lebensgeschichten und globalen Repräsentationen sowie zwischen Kunst, Feminismus, Politik und kulturellen Identitäten (etwa im Sinne einer mexicanidad). Letztere konstruieren sie durch Zugriff auf lokale und oft indianische Traditionen von Kunst und Handwerk. Beide Künstlerinnen beziehen sich in verschiedenen Dimensionen ihres Werks sowie in ihren Selbstdarstellungen immer wieder auf Frauen aus indianischen Gemeinschaften: Frida Kahlo kleidet und malt sich gerne im Stile der Zapotekinnen von Oaxaca, Graciela Iturbides Photographien zeigen oft die Zapotecas in ihrer kunstvollen Kleidung und Haartracht (vgl. Iturbide und Poniatowska 1989). Die materielle Kultur indinianischer Gemeinschaften erscheint nicht nur im Spiegel des Schaffens bekannter hispanoamerikanischer KünstlerInnen, sondern bildet einen eigenen Raum im Rahmen der vielfältigen Szenarien (weiblicher) Kunst in Lateinamerika. Indianische und/oder populäre KünstlerInnen und ihr Handwerk verkörpern ebenfalls multiple Grenzen und Grenzüberschreitungen zwischen individuellem Kunstschaffen und kollektiven Traditionen sowie zwischen Handwerk, Kunst, Mythos und Kommerz.2 In der Gegenwart, einer Zeit der Ausdehnung, Besch2
Die viel diskutierte Unterscheidung von Kunst und Handwerk soll in diesem Rahmen nicht genauer erörtert werden, ich möchte nur auf einen Kommentar von Bruno Illius zur Keramikkunst der Shipibo verweisen: Er ordnet die chomos (Töpfe) der Kunst zu, weil ihre Bemalung ein ideelles Gefüge zum Ausdruck bringt, das weit über einen Gebrauchsgegenstand hinausreicht (2005: A 38). Generell möchte ich noch festhalten: Im Rahmen der indianischen materiellen Kultur verschwimmen oft die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk, ferner reflektiert die Zuordnung eines Objekts zu einer der beiden Kategorien häufig einen „westlichen“ Blick auf die materielle Kultur und ihre Ästhetik. 108
CHOMOS UND MOLAS
leunigung und Verdichtung von Räumen und Prozessen, schlagen sie außerdem Brücken zwischen verschieden Typen von Orten im Sinne von Mark Augé (1995): zwischen „anthropologischen Orten“ bzw. Verortungen, die lokale Identitäten zum Ausdruck bringen, und „Nicht-Orten“ (non lieux), gekennzeichnet durch globale Zirkulation bzw. Transit. Oder, im Sinne von Arjun Appadurai (1996), bewegen sich indianische KünstlerInnen und ihr Handwerk im Rahmen verschiedener „flows“: Bewegungen, die Ideen, Menschen und Waren in einem globalen Kontext verbinden. Viele Menschen und ihre materielle Kultur in Lateinamerika sind in solche Prozesse verwoben: Das gilt u.a. für Weber aus Otavalo (Ecuador) und ihre Produkte, die im Rahmen weit reichender Migrationsnetzwerke in Nordamerika, Europa und Ostasien vermarktet werden, oder für Töpfer in den Dörfern der peruanischen Küste, die Keramik im altamerikanischen Stil für den touristischen Markt und für den Export produzieren. Auf den nachfolgenden Seiten wende ich mich exemplarisch zwei Kunst/Handwerk-Szenarien zu: zuerst Töpferinnen aus dem Amazonasgebiet und dann Textilkünstlerinnen aus Panama. Dabei bewegen mich einerseits Fragen nach der lokalen gesellschaftlichen und mythischen Verortung ihres Werkens und dessen Zusammenhang mit der Konstruktion von weiblichen Identitäten und weiblichem Status. Andererseits bewegen sich meine Fragen um Veränderungsprozesse, die dieses Werken durch globale Ströme verschiedener Art erfährt, und beziehen sich auf NGOs, Markt und Medien.
Ch o m o s und a nd er e Tö p f e K u ns t und weib l ic h e L e b ens wel t en im A m a z o n a s g eb iet Wer sind die vielen Tänzer? Wer hat diesen chomo gemacht? Er hat einen weiten Mund, einen weiten Duft-Mund. Aus dieser großen Öffnung über den Gefäßrand vom Rand seiner Zunge schäumt das Maniokbier.3 3
Aus einem Trinklied der Shipibo (Illius 2005: A 42). 109
ELKE MADER
In indianischen Gesellschaften im Amazonasgebiet ist die Produktion und künstlerische Gestaltung der materiellen Kultur in ein komplexes System der Konstruktion von Gender eingebunden. Männer und Frauen sind häufig in unterschiedlichen, teilweise jedoch überlappenden Handlungsräumen tätig, die gemeinsam das Wohlergehen der Gemeinschaft, das gute Leben, bewerkstelligen. Die Töpferei ist bei vielen Gruppen den Frauen zugeordnet, sie bildet eine Facette der vielfältigen weiblichen Handlungsräume und ist eng mit dem sozialen Gefüge, Mythologie und Weltbild verknüpft. Ich möchte diese Verflechtungen an Hand von zwei Beispielen skizzieren: den Shipibo in Ostperu4, sowie den Shuar, Achuar, Shiwiar und Canelos-Quichua5 in Ecuador und Peru. In diesen Gemeinschaften erzählen mythische Geschichten vom Naheverhältnis von Töpfen und Frauen: „Eine Frau weinte stets, wenn es regnete, dann fürchtete sie sich. Ihr Mann sorgte gut für sie und bedeckte sie bei jedem Regen mit Blättern, damit sie nicht nass wurde. Aber eines Tags wurde er dessen überdrüssig und ließ sie ohne Schutz im Regen sitzen. Am nächsten Tag war die Frau verschwunden. Als er von der Pflanzung heimkehrte sah er nur einen Haufen Ton. Er jammerte: ‚Was ist passiert? Was einst meine Frau war, hat mich verlassen. Wann werde ich sie je wieder finden?‘ Niemals. Ich werde allein bleiben“ (Gebhart-Sayer 1987: 360 zit. nach Suhrbier 2005a: A 20).
In der Mythe der Shipibo wird der weibliche Körper mit Ton gleichgesetzt, die Frau, die sich im Regen auflöst, ist wie ein ungebrannter Menschen-Topf (juni chomo), der wieder mit der Erde (ebenfalls eine weibliche Dimension der Welt) verschmilzt. Ähnliche Beziehungen kommen auch in Mythen der Shuar zum Ausdruck: dort entstanden Tonlagerstätten an jenen Orten, wo eine Frau der mythischen Zeit, von ihrem Ehemann Sonne verstoßen, vom Himmel
4 5
Die Shipibo (ca. 30.000 Personen) leben in etwa 100 Dörfern am Rio Ucayali und seinen Nebenflüssen. Diese benachbarten sozio-linguistischen Gruppen (ca. 80.000 Personen) sprechen zum Großteil Jivaro-Sprachen und verfügen über weit reichende kulturelle Gemeinsamkeiten. Sie leben im ecuadorianischen und peruanischen Amazonasgebiet, teilweise in verstreuten Siedlungen im Regenwald, teilweise in Zonen intensiver Kolonisation. 110
CHOMOS UND MOLAS
fiel und auf der Erde aufprallte.6 Ton ist also eng an den weiblichen Körper gebunden, Frauen bestehen aus Ton oder lassen ihn entstehen. Die Beziehung zu diesem Material steht in Verbindung mit dem Verständnis von Mensch, Natur und Spiritualität und ihren engen Verflechtungen, die das Weltbild indianischer Kulturen (im Amazonasgebiet) kennzeichnet. Philippe Descola spricht in diesem Zusammenhang von einer „symbolischen Ökologie“, Eduardo Viveiros de Castro von „Perspektivismus“ und „Multinaturalismus“ – Begriffe, die verschiedene Dimensionen dieser Verflechtungen zum Ausdruck bringen.7 Mythen zur Genese der Keramik-Kunst bringen dieses Weltund Menschenbild zum Ausdruck: Die Frauen erlangten und erlernten die Kunst der Töpferei von göttlichen Wesen, die oft ihrerseits Erde und Ton verkörpern. Mythen der Shipibo erzählen von drei Königinnen, die den Frauen einst das Spinnen, Weben und Töpfern lehrten. Die Töpferin unter ihnen war auch aus Ton gemacht. Auch sie fiel dem Regen zum Opfer und von ihr blieb nur der Ton zurück (vgl. Suhrbier 2005a: A 20). Im Weltbild der Shuar, Achuar und Shiwiar fallen die Töpferei und andere Dimensionen des weiblichen Handlungsraums in die Domäne der Göttin Núnkui.8 Eine Mythe erzählt von einer jungen Frau, die nicht Töpfern konnte und von allen verachtet wurde. Die anderen Frauen des Hauses geizten mit ihrem Wissen, sie verheimlichten ihr den Ort der Tonlagerstätten und unterwiesen sie nicht in der Töpferkunst. Eines Tages jedoch folgte sie ihnen heimlich: „Als sie zur Tongrube kam, sah sie eine schöne Frau, die den Ton säuberte und zornig fluchte:‚Unwissende! Idiotinnen! Sie haben Ton genommen und lauter Mist zurücklassen! Diese Unwissenden sind im Ton herum getrappelt, Unglück soll über diese Idiotinnen kommen!‘ Die junge Frau näherte sich schüchtern und fragte: ‚Wer bist du?‘ ‚Ich bin keine Shuar‘, bekam sie zur Antwort, ‚Ich bin Núnkui‘. Da klagte die junge Shuar Núnkui ihr Leid: ‚Ich lebe schlecht und leide, niemand zeigt mir wie man töpfert und alle machen sich über mich lustig. Sie geben mir Ton, der mit Erde vermischt ist, damit meine Schlüsseln nicht halten!‘ Da sprach Núnkui: ‚Ich sehe, dass du leidest. Ich habe Macht, ich werde dich 6 7 8
Zu Mythos und weiblicher Identität bei den Shuar vgl. Mader 2001. Vgl. Descola 1986, 1992; Viveiros de Castro 1998; vgl. Mader 2002. Zur materiellen Kultur und Technologie der Shuar vgl. Bianchi 1982, Wierhake 1985. 111
ELKE MADER
lehren. Gib mir deine Hand! Diese elenden Frauen sind missgünstig, aber du wirst sehen, sie werden ins Unglück stürzen. Gib mir deine Hand!‘ Núnkui nahm Hand der jungen Frau und begann sie im Töpfern zu unterweisen. Nachdem sie ihr alles vorgezeigt hatte, sagte sie: ‚Jetzt versuche es allein!‘ Sie nahm ihre Hände, hauchte über sie und gab ihr damit Macht. Da konnte die Frau ausgezeichnet töpfern. Dann sprach Núnkui: ‚Nimm diesen Ton, du wirst sehen, dass du viele Töpfe haben wirst. Du wirst eine glückliche Frau sein, du wirst eine Spezialistin im 9 Töpfern sein‘.“
Besondere Kunstfertigkeit im Töpfern erhöht das Ansehen einer Frau und ihrer Hausgemeinschaft. Jede Frau produziert und gestaltet ihr eigenes Geschirr, dessen Schönheit (oder Mangelhaftigkeit) vor allem bei Festen sichtbar wird, wo die Frauen eines Hauses oder Dorfes große Gruppen von BesucherInnen von nah und fern mit Maniokbier bewirten. Bierbrauen und Bier-Ausschenken stellen eine zentrale Achse weiblicher sozialer Identität dar und sind aufs Engste mit der Töpferei verbunden. So ist die Größe eines Biertopfes ausschlaggebend dafür, wie viel Maniokbier eine Frau zubereiten kann, seine kunstvolle Gestaltung ist Ausdruck der Ästhetik des Alltags, die indianische Lebenswelten im Amazonasraum prägt.10 Fragen der Ästhetik sind wiederum eng mit Status und Ruhm verbunden: So steht etwa bei den Achuar die Schönheit von Trinkschalen in Zusammenhang mit dem Ansehen der Töpferin sowie mit jenem der Gäste, die sie mit ihnen bewirtet: Ältere, einflussreiche Männer erhalten das Bier in möglichst fein geformten und bemalten Schalen, während junge Männer oft aus groben alten Schalen oder Kalebassen trinken müssen (an Frauen wird nicht formal ausgeschenkt, sie haben direkten Zugang zu den Biertöpfen). Berühmte Töpferinnen sind weit über ihre Wohnorte hinaus bekannt, ihre Produkte werden teilweise nachgeahmt und prägen verschiedene Stile (der Bemalung), die von einer Frau auf eine andere tradiert werden. Bei schwierigen Tätigkeiten (z.B. dem Herstellen von besonders großen Gefäßen für Rituale) werden Expertinnen aus einer Entfernung von mehreren Tagesreisen geholt, um anspruchsvolle Aufgaben zu erfüllen.
9 Ausschnitt aus einer Mythe der Shuar. Erzählt von Alejandro Tsakimp, aufgenommen 1991 von der Autorin in Utunkus, Ecuador. 10 Zur Ästhetik des Alltags siehe Overing und Passes 2000. 112
CHOMOS UND MOLAS
Die Keramik-Kunst ist in indianischen Gemeinschaften auch auf anderen Ebenen eng mit Ritual und Weltbild verbunden, insbesondere in Zusammenhang mit der Konstruktion und Inszenierung von Weiblichkeit. Mona Suhrbier schreibt dazu: „[…] die KeramikKunst ist als symbolische Produktion wesentlicher Bestandteil dramatischer Inszenierungen ritueller Art. Öffentlich präsentiert bildet sie Kristallisationspunkte für religiöse Vorstellungen und gesellschaftliche Erwartungen“ (Suhrbier 2005a: A 23). So repräsentieren die chomos, die Töpfe der Shipibo, generelle Prinzipien des Weltund Menschenbilds in diesem kulturellen Gefüge. Die Dreiteilung der Fläche der Gefäßwand, die Farbgebung und die komplexen geometrischen Muster der Bemalung repräsentieren verschiedene Ebenen des Kosmos. Die Zeichnungen stehen auch in Zusammenhang mit Vorstellungen über ‚Körpermuster‘, die allen Personen auf den Leib geschrieben sind und die von Schamanen in einem erweiterten Bewusstseinszustand wahrgenommen werden können. Solche Körpermuster sind verschiedenen Wesen und kosmischen Ebenen zugeordnet und werden in der Keramik-Kunst repräsentiert: Die Unterwelt und ihre Geister gelten als kulturlos, sie haben keine Muster und bilden den unteren einfärbigen Teil eines chomoTopfes. Der mittlere Bereich repräsentiert die Menschenwelt und ist mit Mustern verziert, welche den Shipibo als zivilisierten Menschen zu Eigen sind (im Gegensatz zu manchen Geistern und anderen Menschen). Das oberste Drittel, der Hals des Gefäßes, steht für die Welt der ‚guten‘ Geister, die alle erwünschten Eigenschaften der Shipibo in besonders hohem Maß besitzen. Ihr kosmischer und keramischer Raum ist mit den allerfeinsten Mustern ausgestattet. Die Symbolik der Keramik-Kunst verweist also auf eine metaphysische Parallel-Welt, die nur bestimmten Personen zugänglich ist. Im Rahmen der Repräsentation dieser Welt tragen die Keramik-Künstlerinnen eine ähnliche Verantwortung wie MythenerzählerInnen: Es ist ihre Aufgabe, die mythische Zeit in der Gegenwart zu verankern und dadurch die Welt in Ordnung zu halten (Illius 1991, 2005: A 34-35). Ein Naheverhältnis von Töpferkunst und Schamanismus beschreibt Norman Whitten bei den Canelos-Quichua in Ecuador, hier agieren die Meister-Töpferinnen parallel zu den männlichen Schamanen; beide Tätigkeiten beruhen auf kulturellem Wissen, das eine Synthese aus Vision und Erfahrung darstellt. Die Besonderheiten dieses Wissensgefüges zeigen sich auch bei seiner Weitergabe: 113
ELKE MADER
Schamanische Macht und die „Macht zu Töpfern“ werden auf vergleichbare Weise rituell tradiert, die Basis für die Weitergabe von Wissen bilden enge Beziehungen zwischen MeisterInnen und SchülerInnen. So entstehen im männlichen (schamanischen) und im weiblichen (keramischen) Raum soziale und spirituelle Netzwerke und Machtkonstellationen. In ihrer Kunst kombinieren die Töpferinnen spirituelle und technische Fähigkeiten sowie individuelle Kreativität bei der Darstellung der mythischen Ordnung des sozialen Lebens (Whitten 1985: 114-133). Auch bei den Shuar ist die Töpferei eng in das Ritual und in weibliche Netzwerke von Wissen und Macht eingebunden. Bis ca. 1970 waren diese Bezüge besonders stark ausgeprägt und wurden in den Initiationszeremonien für junge Frauen inszeniert, im Mittelpunkt der mehrtägigen Zeremonie stand die rituelle Einweihung eines Mädchens in ihre Tätigkeiten als erwachsene, verheiratete Frau. Die verschiedenen Abschnitte des Rituals beinhalten die Übergabe von Ahnen-Gesängen11 und spirituellen Kräften für die einzelnen Tätigkeitsbereiche (Geburt, Feldarbeit, Viehzucht, Töpferei, Bierzubereitung etc.), und zwar von einer älteren Verwandten, die über möglichst viel Wissen und Macht verfügt, auf die Initiandin. Auch hier ist der Transfer von Wissen mit Visionserfahrungen verbunden, so befindet sich die Initiandin während der ganzen Zeremonie in einem durch Fasten und die Einnahme von Tabaksaft verändertem Bewusstseinszustand.12 Chomos und andere Töpfe stehen demnach auf verschiedenen Ebenen mit Frauen in Verbindung, die sie nicht nur produzieren und verwenden, sondern mit ihnen aufs Engste verwoben sind: Die Keramik-Kunst ist in ihrem Körper, ihrem Geist und in ihrer sozialen Praxis verortet. Töpfe konstruieren zum einen Weiblichkeit, zum anderen produzieren Frauen mit Töpfen kulturelle Identität und bilden einen integralen Bestandteil komplexer Gefüge von Weltbild und Ritual.
11 Ein Ausschnitt aus einem solchen Gesang findet sich am Beginn des Artikels. 12 Im Rahmen der weiblichen Initiation bei den Shipibo markiert eine Reihe in der Erde eingegrabene Bier-Töpfe den Übergang des Mädchens zur Frau (Illius 1991). 114
CHOMOS UND MOLAS
Tö p fe, Ä s t het i k un d Zi r k ul a t io n „[…] so sind ihre Weiber in aller Hafnerarbeit sehr geschickt, und machen verschiedene Gattungen von Schüsselchen, der Wasserkrüge, kleine und große Töpfe von allerley Gestalt zum Hausgebrauche, mit manchen Farben weit artiger bemalet, als es von solchen Leuten zu erwarten wäre. Man möchte sie wohl für Werke von einer europäischen Fabrike halten“ (Veigl 1785 zit. in Illius 2005: A 28).
Der Kommentar des jesuitischen Missionars Franz Xaver Feigl aus dem 18. Jahrhundert repräsentiert eine Einschätzung der KeramikKunst der Shipibos durch Europäer lange vor ihrer translokalen Vermarktung. Zarte, dünnwandige Formen und komplexe Ornamentik der Bemalung faszinieren seit dem 19. Jahrhundert ein immer breiteres Spektrum von SammlerInnen und BetrachterInnen. Die Ornamente der Gefäße werden zwar von den meisten Nicht-Shipibo nicht in ihrer spezifischen mythischen Semantik gelesen, aber es wurde und wird ihnen eine besondere Ästhetik zugeschrieben. Um 1970 entwickelt sich in den USA und Europa ein breites Interesse an Ethno-Kunst (ethnic art) und chomos kommen verstärkt in Zirkulation, dies geht Hand in Hand mit dem Beginn des Tourismus in der Region um Pucallpa, der größten Stadt im Siedlungsgebiet der Shipibo und Endpunkt der Straßenverbindungen aus dem Hochland und von der Küste. Bei den TouristInnen handelt es sich zu dieser Zeit oft um Individualreisende und AussteigerInnen im Spannungsfeld von Hippiebewegung, Travellers und Kokainhandel, die oft mehrere Wochen (oder Jahre) im Raum Pucallpa bleiben und auch Shipibo-Dörfer besuchen; darüber hinaus kommen auch organisierte Reisegruppen, die Dschungelerlebnisse in Peru buchen, und – meist mit einem Boot der „Dschungel-Lodge“ – Tagesausflüge mit einem Kurzbesuch bei Shipibos unternehmen. Tourismus-UnternehmerInnen, die langsam eine entsprechende Infrastruktur aufbauen, kommen aus Peru, den USA und Europa. In den 1980er Jahren wird das Angebot um den spirituellen Tourismus erweitert, der Individuen und Gruppen zu bekannten Schamanen der Region führt. Weiters engagieren sich verstärkt NGOs in der Region: Sie kommen teilweise aus dem Umfeld protestantischer FundamentalistInnen des ILV (Summer Institute of Linguistics), das seinen Hauptsitz in Pucallpa hat, vertreten aber auch diverse andere kirchliche und soziale Organisationen, in erster Linie aus den USA und Europa. 115
ELKE MADER
Dieses bunte Gemisch von Menschen aus dem Norden bildet in den 1980er Jahren eine kleine fluktuierende internationale Gemeinschaft in Pucallpa und hat eines gemeinsam: Ein Interesse an der Kunst der Shipibo, insbesondere an der Keramik. Die Shipibo-Künstlerinnen, deren Dörfer in der Nähe von Pucallpa und den entsprechenden Reiserouten liegen, werden zunehmend in einen differenzierten Markt eingegliedert. Die KäuferInnen stammen aus allen oben genannten Gruppen: Einige Personen fungieren als SammlerInnen und/oder ZwischenhändlerInnen, die Keramik-Kunst an Galerien und Museen im Norden verkaufen, dieser Markt betrifft in erster Linie große anspruchsvoll dekorierte chomos, am besten mit ‚Gesichtern‘, mit anthropomorphen Zügen. Die Biographien von Shipibo-Künstlerinnen reflektieren diese Dynamik: So war etwa Ende der 1980er Jahre Anastasia Fernandez Maynas aus der Shipibo Gemeinde San Francisco in der Nähe von Pucallpa im Kreis der Shipibo für ihre besondere Kunstfertigkeit bekannt und genoss hohes Ansehen, ihre chomos wurden darüber hinaus weltweit von Galerien und Museen nachgefragt. Sie erwirtschaftete den Hauptteil des Familieneinkommens und finanzierte für ihre Kinder eine höhere Schulbildung (Suhrbier 2005b: A 48-49). Andere Personen, primär TouristInnen, kaufen gerne schöne Souvenirs, am liebsten kleine Schalen und Töpfe, die man ohne größere Probleme im Reisegepäck transportieren kann. Für diesen wachsenden Markt produzieren viele Frauen „billige Ware“, die zwar nicht den höchsten Ansprüchen der Shipibo und der internationalen (Ethno) Kunstszene entspricht, aber den Frauen Einkommen bringt. Im Zuge der zunehmenden Vermarktung der Töpferkunst entstanden auch neue Formen und Designs, die Bedürfnisse der KäuferInnen kreativ umsetzen: Dazu zählen die vielen juni-chomos (Menschen-Töpfe), deren anthropomorphe Gestaltung besonderes Interesse erweckte. Solche Gefäße wurden zwar auch vor dem Exportboom produziert, aber viel weniger häufig. Auf der Ebene der Souvenirs entstanden viele „Miniaturen“, etwa Biertöpfe im Kleinformat sowie neue Formgebungen. Während bestimmte Typen von Gefäßen im Zuge der breiten Vermarktung verstärkt hergestellt werden, kam die Produktion anderer Töpfe fast vollständig zum erliegen: Das betrifft alle Arten von Kochtöpfen und Tellern, die auch im Haus von Meister-Töpferinnen heute aus Aluminium- und Emailwaren bestehen, die meist aus China importiert werden.
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CHOMOS UND MOLAS
Die erhöhte Nachfrage für verschiedene Typen von Keramik-Kunst und Keramik-Souvenirs erfolgte gleichzeitig mit einer verstärkten Integration der an diversen Flüssen verstreuten Shipibo-Dörfer im Rahmen neuer indigener Organisationsprozesse, die auch von nationalen und internationalen NGOs begleitet wurden. Im Rahmen dieser Initiativen kam es auch zur Gründung diverser Kooperativen, welche eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse bewirken sollten. Solche Projekte waren und sind keineswegs auf die Shipibo beschränkt, sondern kennzeichnen den Großteil der indianischen Gemeinschaften in Lateinamerika. Sie bilden einen Teil der indigenen und/oder indianistischen Bewegung, die vielfältige Prozesse des Widerstands, der sozioökonomischen Transformation, der Hybridisierung und der politischen Ermächtigung umfasst. Einen zentralen Stellenwert in diesen Prozessen nahmen und nehmen bei den Shipibo Frauenkooperativen und Frauenorganisationen ein, die sich der Vermarktung von Keramik (und in geringerem Umfang Textilkunst) widmen. Diese stehen wiederum in Zusammenhang mit Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit: So wird die von einer NGO begründete Kooperative Maroti Shobo (Handels-Haus) zum größten Zwischenhändler für den boomenden Export in den 1980er Jahren. In diesem Zusammenhang etablierten sich auch neue weibliche Organisationsformen, die – trotz einiger Schwierigkeiten und Konflikte – eine ökonomische und sozio-politische Ermächtigung für Shipibo-Frauen darstellen. Die 1990er Jahre sind in Peru von politischer Gewalt geprägt: Cendero Luminoso („Der Leuchtende Pfad“) und andere GuerillaBewegungen bekämpfen Staat und Militär und umgekehrt, diese Auseinandersetzungen betreffen auch die Region Ucayali. Pucallpa liegt darüber hinaus in der Nähe einer zentralen Zone der wachsenden Kokain-Produktion, die ebenfalls ein mit den anderen Konflikten vernetztes Gewaltszenario darstellt. Der Handel mit Keramik-Kunst wird von dieser politischen Dynamik beeinträchtigt: TouristInnen und HändlerInnen bleiben aus, NGOs verlassen den Ort; erst Ende der 1990er Jahre werden die betroffenen ökonomischen Sektoren wieder aktiv und die chomos zirkulieren wieder. Andere Töpferinnen erlangen keinen internationalen Ruhm. Die Keramik-Kunst der Shuar-Frauen, größtenteils unbemalt und nicht im gleichen Ausmaß wie die chomos der Shipibo der Ästhetik bzw. dem Geschmack von potentiellen KundInnen entsprechend, bleibt lokal. In einigen Regionen kommt die Töpferei im Zuge von Ver117
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änderungen der materiellen Kultur und der Lebenswelt fast vollständig zum Erliegen. Dieser Prozess geht Hand in Hand mit großen Einbrüchen in der rituellen Kultur, so werden die oben beschriebenen Initiationsfeste nur mehr sehr bruchstückhaft gefeiert. Insgesamt kommt es zu einer verstärkten „Hausfrauisierung“ in der Shuar Gesellschaft, eine balancierte Gender-Komplementarität und/oder Gender-Parallelität wird durch neue ökonomische und soziale Gegebenheiten zu Ungunsten der Frauen durchbrochen.13 Während kirchliche Institutionen und EZA die indigenen Organisationen vor Ort in den 1970er und 1980er Jahren stark fördern, bleiben weibliche Handlungsräume dabei meist unberücksichtigt; so sind Frauen in der Föderation der Shuar und Achuar noch immer unterrepräsentiert. Die benachbarten Canelos-Quichua hingegen können sich mit ihrem Stil der Keramik-Kunst, der sich durch sorgfältige Bemalung und figurative Gestaltung auszeichnet, am nationalen und internationalen Markt platzieren. Die Stadt Puyo, ein wirtschaftliches Zentrum des ecuadorianischen Amazonasgebiets, ist auch ein Umschlagplatz für indianische Kunst und Souvenirs, teilweise betrieben durch indigene Organisationen. Die Objekte werden nicht nur in den umliegenden Dörfern der Canelos produziert, sondern bilden in Puyo auch einen Erwerbszweig für indianische Migrantinnen aus anderen Regionen. So betreibt Rosa, eine Frau aus einem entlegenen Shiwiar-Dorf, eine kleine Werkstatt am Stadtrand. Ihre Kenntnisse der Keramik-Kunst lernte sie von ihrer Großmutter, sie bilden die Basis für ihre Arbeiten, die sich stark am Stil der Canelos orientieren und dadurch bessere Verkaufschancen haben als Töpfe aus ihrer eigenen lokalen Tradition.
13 Gender-Komplementarität kann balancierte bzw. egalitäre Beziehungen zum Ausdruck bringen und ist oft mit lokalen Vorstellungen vom Guten Leben und dem Konzept der conviviality – der Kunst des Zusammenlebens – verbunden (Overing und Passes 2000). Komplementarität impliziert jedoch nicht automatisch eine Geschlechter-Egalität oder eine ausgewogene Bewertung von männlichen bzw. weiblichen Tätigkeitsbereichen; sie kann auch mit Hierarchie und asymmetrischen Geschlechter-Beziehungen einhergehen. Der – teilweise überlappende – Begriff der Gender-Parallelität bezeichnet getrennte, parallele Handlungsfelder (zu diesen Begriffen in der Gender-Anthropologie Lateinamerikas vgl. Grubner et.al. 2003). 118
CHOMOS UND MOLAS
Molas und Frauen in Kuna Yala: I d en t i t ä t e n un d H y b r id is ie r un g Die molas kommen aus kalú Tuipis. Nach kalú Tuipis konnten keine Männer gelangen, sie konnten dort nicht eindringen, es ist ein sehr gefährlicher Ort. Dort leben die Meisterinnen der Scheren. Es sind sehr schöne Frauen, sie ließen es nicht zu, dass ein Mann ihr Haus betrat, nicht einmal ein Schamane.14
Eine weitere Zone weiblicher indianischer Kunst zwischen „anthropologischen Orten“ der Produktion und „Nicht-Orten“ des globalen Markts verkörpern molas – bunte, durch Applikationstechnik verzierte Baumwollstoffe mit einem breiten Spektrum von Motiven und Formen, die von Kuna-Frauen gestaltet werden.15 Sie gehören zur Tracht der Frauen, werden aber seit den 1970er Jahren auch unabhängig von diesem Verwendungskontext gearbeitet und zirkulieren weltweit in unterschiedlichen künstlerischen und kommerziellen Konfigurationen. Molas reflektieren Prozesse der Hybridisierung im kulturellen Gefüge Lateinamerikas16: So zeigen die Kleidungsstile der Kuna im Laufe der vergangenen 400 Jahre ein breites Spektrum an verschiedenen Formen und Moden. Quellen aus dem 17. Jahrhundert beschreiben die Kuna als wenig bekleidet: Hervorgehoben wird ihre Kunst der Körperbemalung, etwa von Lionel Wafer, Arzt auf einem englischen Piratenschiff, der sich 1691 einige Zeit in Panama aufhält, um sich von einem Unfall zu erholen. Er berichtet begeistert: „They make Figures of Birds, Beasts, Men, Trees, or the like, up down every part of the Body, more especially the Face. […] The Women are the Painters and take great delight in
14 Aus einer Mythe der Kuna über die Entstehung der mola-Kunst (Perrin 1997: 178-179). 15 Die Mehrzahl der ca. 20.000 Kuna leben auf den San Blas-Inseln vor der karibischen Küste Panamas, ein kleinerer Teil in Panama Stadt (in kuna negas – Kuna Siedlungen vgl. Tiefenbacher 2006) und an der karibischen Küste Kolumbiens. Zur mola-Kunst vgl. u.a. Perrin 1997, 1999; Tice 1995, 2002. 16 Zu hybriden Kulturen in Lateinamerika vgl. Garcia Canclini 1995. 119
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it.“17 Die Körperbemalung und ihre Motive werden oft als Vorläufer der mola-Kunst betrachtet. Textil-Kleidung wurde später von Missionaren eingeführt, die spezifischen Trachten der Kuna entwickeln sich im 19. Jahrhundert; dabei spielt der Zugang zu europäischer Handelsware (Baumwollstoffe, Nähnadeln, Zwirn, Scheren etc.) eine wichtige Rolle. Die mola-Kunst sowie die rezenten Trachten der Kuna-Frauen sind relativ jungen Datums, sie gehen in ihrer heutigen Form etwa auf die Zeit zwischen 1940 und 1960 zurück. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Frauen-Kleidung zwar schon ähnlich geschnitten, aber keineswegs so bunt und aufwendig dekoriert als heute. Ab 1950 nimmt die Applikationstechnik immer größeren Stellenwert ein, beschränkt sich jedoch im Wesentlichen auf einen Teil der Blusen (vgl. Tice 1995, 2002). Heute gelten molas zum einen als indianische Frauenkunst, zum anderen als Ausdruck der kulturellen Identität der Kuna. Sie stehen in enger Verbindung mit Gender-Identitäten und weiblichen Lebenswelten, markieren aber auch den Unterschied zwischen Kuna und anderen Bevölkerungsgruppen. Die Gestaltung von molas ist ein ausschließlich weiblicher Tätigkeitsbereich und ist in das soziale Gefüge sowie die geschlechtsspezifische Zuordnung sozialer, symbolischer, spiritueller und ökonomischer Aufgaben eingebunden, die sich oft komplementär ergänzen und/oder einen Geschlechterparallelismus zum Ausdruck bringen. Generell kann gesagt werden, dass Männer vor allem jene Positionen einnehmen, die besondere Redegewandtheit und verbalen Ausdruck erfordern, während Frauen stärker Handlungsund objektorientierte Aufgaben zukommen. Im Rahmen dieser Gender-Ordnung liegt die Produktion von molas klarerweise in weiblichen Händen (Perrin 1997). Die unterschiedlichen Handlungsfelder stehen in Zusammenhang mit einem Konzept von multifokaler Macht: Es existiert keine zentrale Machtinstanz in der Gemeinschaft, sondern verschiedene Machtfelder, in denen Männer und Frauen unterschiedliche Positionen einnehmen (Lenz und Luig 1990). Bei den Kuna waren die Machtfelder der Gender-Beziehungen vor dem mola-Boom durch eine partielle Asymmetrie zugunsten der Männer gekennzeichnet. Männer nahmen alle formalen Führungspositionen ein: Dazu zählen politische Funktionen wie jene
17 http://www.ucc.uconn.edu/~ wwwwbma/mola.htlm (12.2.2002) 120
CHOMOS UND MOLAS
des Dorfvorstehers oder die Teilnahme an überregionalen Ratsversammlungen, im ideellen und spirituellen Bereich ist Männern das Wissen über Mythen und Gesänge vorbehalten. Frauen nahmen auch Einfluss auf politische Prozesse, aber auf informeller Ebene, weiters sind sie als Heilerinnen und Hebammen im medizinischen und spirituellen Bereich tätig. Die enge Verbindung von molas und Frauen kommt auch in einer Mythe zum Ausdruck. Sie handelt vom Besuch einer Frau in einem kalú, einem mythischen Ort in entlegenen und gefährlichen Zonen der Landschaft, etwa auf Berggipfeln, am Meeresgrund oder in einer schwer zugänglichen Schicht des Kosmos. Dort wohnen spirituelle Wesen in mehrstöckigen Gebäuden: Sie können den Menschen ihr Wissen und ihre Kräfte zur Verfügung stellen, ihnen aber auch großen Schaden zufügen. In einem kalú wohnen die Herren der Tiere, die Fische und Jagdwild in großen Gehegen halten und immer wieder einen Teil der Tiere den Menschen als Nahrung überlassen. Ein anderer kalú, der kalú Tuipis, beherrscht die Lebenswelt der Frauen und ist ausschließlich weiblichen Wesen zugänglich, dort wurden auch die molas ‚geboren‘. Die relativ junge Entstehungsgeschichte dieser Textilkunst wird also kreativ in den flexiblen Korpus der Mythen integriert. Damit werden die Stoffe zu einem zeitlosen Element des kulturellen Bedeutungsgefüges: Sie repräsentieren weibliche Kunstfertigkeit und können darüber hinaus als „traditionelles“ Symbol für die Identität der Kuna gelten. […] Schließlich schickten die Leute Olonaguedili aus, sie war die Tochter eines Schamanen. Sie durfte kalú Tuipis betreten. Sie trat ein und sah alles, was es drinnen gab. Sie war die erste, die die Baumfrauen sah, Bäume, die wie Frauen aussahen. Sie war die erste, die die Muster der molas sah, sie sah wie einige Frauen die Stoffe zuschnitten und wie andere Frauen nähten. Es gab einen riesigen Tisch mit großen Werkstücken. Als sie zurückgekehrt war unterwies Olonaguedili ihre Töchter: solche Muster gibt es, das macht man so, und so näht man. 121
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Die Frauen kamen und fragten sie. Und deshalb nennen sie Olonaguedili heute ihre Mutter. Die molas wurden in kalú Tuipis geboren.18
Die Bedeutung der molas für die Kuna-Frauen ist eng mit nationalen und transnationalen ökonomischen Prozessen verbunden. Zwischen 1950 und 1960 wurde ca. 80 Prozent des Bestands an Kokospalmen in Panama durch eine Krankheit vernichtet, dieses Ereignis bedeutete auch für die Kuna einen Einbruch in ihre Ökonomie.19 Den Verlusten wurde auf zwei Ebenen begegnet: Die Männer nahmen verstärkt Lohnarbeit in anderen Regionen des Landes an und es kam zu einer intensiven temporären Arbeitsmigration. Die Frauen blieben in den indianischen Gemeinschaften und versuchten die Subsistenz mit dem Verkauf verschiedener handwerklicher Produkte zu ergänzen, darunter auch selbstgefertigte, applizierte Blusen. Diese wurden zunächst vereinzelt von lokalen Kuna-Händlern in die Hauptstadt gebracht und dort an Souvenir-Läden verkauft. Der beginnende Tourismus in Panama führte bald zu einer gesteigerten Nachfrage an der Textilkunst der Kuna, die verstärkte Vermarktung prägte wiederum ihre Formen. So wurde bald klar, dass nicht ganze Kuna-Blusen gefragt waren, sondern nur die kleinen mit Applikationen verzierten Stoffstücke, die heute als molas bezeichnet werden. Die Dynamik der erweiterten Zirkulation der Textilien und deren Implikationen für die Künstlerinnen verläuft in großen Zügen parallel zu den Shipibo: Neben TouristInnen beginnen nun auch Museen, Galerien, Mode-DesignerInnen und Einrichtungshäuser molas zu kaufen, wobei Nachfrage nach verschiedenen Stilen, Größen und Qualitäten besteht. Die Herstellung der molas transformiert sich von jener eines Gebrauchsgegenstands, der vereinzelt auch verkauft wird, zu einer reinen Warenproduktion für einen globalisierten Markt, die immer neuen Käuferwünschen gerecht werden will. Produktion und Vermarktung werden teilweise auch in Zusammenarbeit mit internationalen NGOs in neuen Formen or18 Aus einer Mythe der Kuna über die Entstehung der mola-Kunst (Perrin 1997: 178-179). 19 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert bildete die kommerzielle Nutzung der Kokospalmen einen wichtigen Faktor der Ökonomie der Region, in die auch die Kuna-Gemeinschaften eingebunden waren. Kokosnüsse waren wichtige Handelswaren, die gegen industriell gefertigte Gebrauchsgegenstände eingetauscht wurden. 122
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ganisiert, es entstehen Frauen-Kooperativen mit gemeinsamen Geldanlagen, die teilweise den einzelnen Künstlerinnen zu Gute kommen, aus denen aber auch gemeinschaftliche und gemeinnützige Projekte in den Dörfern finanziert werden. Es kommt auch zu einer stärkeren Spezialisierung unter den Produzentinnen, so erlangen besonders begabte Künstlerinnen internationalen Ruhm und können für ihre Arbeiten entsprechend hohe Preise erzielen. Andere hingegen stellen „Alltagshandwerk“ her, das in einigen Fällen als Massenware in die USA exportiert oder im Kreuzfahrt-Tourismus verkauft wird. Ob Künstlerinnen oder Handwerkerinnen, die große wirtschaftliche Bedeutung der molas in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt den sozialen und politischen Einfluss der Frauen in den Kuna-Gemeinschaften und ihren Organisationen (vgl. Tice 1995, 2002). Die massive Vermarktung der molas geht Hand in Hand mit ihrer neuen Eigenschaft als Ausdrucksmedium für kulturelle Identität. So betonen viele Kuna, dass dem Tragen von molas große Bedeutung für das Aufrechterhalten und die Wertschätzung ihrer Traditionen zukommt. Dabei sind die Motive keineswegs auf ein Set von traditionellen Mustern beschränkt, sondern werden ständig neu gestaltet und kreativ erweitert. Kuna-Frauen haben seit den 1970er Jahren immer wieder Design-Elemente von Objekten aus der Industriegesellschaft in die Gestaltung der molas integriert; dazu zählen Ornamente von Elektrogeräten, Muster von anderen Textilien oder Applikationen im Stil internationaler Labels und Logos. Die Motive beziehen sich auch auf soziale oder politische Ereignisse und verarbeiten Themen wie die Probleme der Kanalzone, der US-Militärintervention, aber auch Sportveranstaltungen oder lokale Parteipolitik. Frauen produzieren und tragen manchmal molas mit den KandidatInnen ihrer Wahl für ein politisches Amt, andere Motive sind „Warnschilder“ vor besonderen Gefahren: So soll etwa die Darstellung eines Szenarios, in dem ein Kind von einem Kaiman gefressen wird, andere Kinder auf diese Gefahr aufmerksam zu machen. Molas werden auf diese Weise zu einem Ausdrucks- und Kommunikationsmedium, das ein breites Spektrum von Inhalten vermittelt. Die Textilkunst der Kuna wurden lange Zeit von den anderen Bevölkerungsgruppen in Panama wenig geschätzt und schon gar nicht getragen, sie galt als Element einer „rückständigen indianischen Kultur“, während sich die Kleidung der Mittel- und Oberschicht der Städte an den gängigen Moden in den USA und Europa 123
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orientiert. Erst durch das internationale Interesse wurden molas auch von anderen Bevölkerungsgruppen in Panama rezipiert und entwickelten sich langsam zu einem nationalen Symbol. Besondere Bedeutung erlangte das Tragen von molas durch Nicht-Kuna während des Konflikts mit den USA in den 1990er Jahren, es war Ausdruck des Protests und der nationalen Identität des Landes.20
Ch o m o s , Mo l a s und d er Ma r k t Indianische Künstlerinnen und ihr Handwerk erfahren in Zeiten der Globalisierung multiple Veränderungen und sind auf verschiedenen Ebenen in Frauen-Bewegungen eingebunden. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass keineswegs alle AkteurInnen und ihre Produkte direkt von diesen Prozessen bewegt werden. In vielen Fällen prägen „traditionelle Verhältnisse“ das künstlerische Schaffen und Werken, sowohl in Hinblick auf die sozialen und ideellen Kontexte, als auch in Bezug auf das Verhältnis von Eigenbedarf und Vermarktung. Letztere findet oft nur in sehr kleinem Umfang statt und/oder ist durch quasi-koloniale Handelsbeziehungen gekennzeichnet. Extrem asymmetrische Gewinnspannen bei Kauf und Wiederverkauf von Kunst und Handwerk durch nationale und internationale AkteurInnen prägen generell viele Geschäftsbeziehungen in diesem ökonomischen Feld. Diese werden in einzelnen Szenarien durch zwei Konstellationen durchbrochen: Auf der individuellen Ebene durch hohe Preise, die einzelne Künstlerinnen für Objekte erzielen können, die den ästhetischen Kriterien eines globalen (Ethno) Kunstmarkts in besonders hohem Maß entsprechen. Die Künstlerinnen bewegen sich immer wieder auch persönlich in dieser globalen Arena, sie reisen zu Vernissagen und anderen Präsentationen ihrer Arbeiten. Ihre Werke finden sich in den letzten Jahren auch verstärkt im Internet, das zu einem wichtigen Medium der Vermarktung geworden ist. Viele HändlerInnen annoncieren chomos und andere Töpfe bzw. verschiedene Objekte indianischer materieller Kultur auf elaborierten Webpages, die in erster Linie die ästhetischen und spirituellen Aspekte der Objekte und/oder ihren Raritäts-
20 Zu diesen Abschnitt siehe Tice 1995, 2002, http://www.ucc.uconn. edu/~ wwwwbma/mola.htlm (12.2.2002) 124
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wert in den Vordergrund stellen.21 Andere Webseiten werden von Museen, indianischen Organisationen und/oder anderen NGOs betrieben und bieten ein breites Hintergrundwissen zur jeweiligen Kunstform und ihrem kulturellen Kontext. 22 Die zweite Konstellation betrifft die gemeinschaftliche Ebene und ist im Spannungsfeld von Kooperativismus, indigenen Organisationen und Frauen-Bewegungen verortet. Er betrifft in erster Linie indianische Gemeinschaften, in denen in den vergangenen Jahrzehnten die gesteigerte Produktion von Kunst und Handwerk neue ökonomische und soziale Funktionen und Implikationen erlangt hat. Dabei geht es zum einen um Maßnahmen für eine relativ gleichmäßige Verteilung von ökonomischen und sozialen Ressourcen, die den gesellschaftlichen Werten in vielen indianischen Gemeinschaften entspricht. So gewährleisten Kooperativen Frauen aus allen (auch sehr entlegenen) Siedlungen Zugang zum Markt bzw. zu dem entsprechenden Einkommen und balancieren auch die Preise, die für bestimmte Produkte (in einer Qualitätskategorie) an die Produzentinnen gezahlt werden. Ausgenommen von diesen egalisierenden Maßnahmen sind berühmte Künstlerinnen, die meist direkt mit ihren HändlerInnen Geschäfte abwickeln. Die Kooperativen werden vor allem bei größeren Mengen der Produktion und der Produzentinnen in Kombination mit einem regelmäßigen lokalen und translokalen Absatz aktiv, wobei Preis- und Qualitätskontrollen nicht nur der ökonomischen, sondern auch der künstlerischen Dimension Rechnung tragen. In Zeiten der (globalen) Marktwirtschaft sind Cash-Einkommen zur Ergänzung der Subsistenzwirtschaft in indianischen Gemeinschaften meist unerlässlich. Neben Lohnarbeit und dem Anbau von Cash-Crops stellen Kunst und Handwerk wichtige Einkunftsquellen dar und sind häufig mit dem Tourismus als weitere ökonomische Ressource verbunden. Wenn Frauen in diesem Bereich besonders 21 Zum Internet-Verkauf von Shipibo Kunst vgl. z.B. http://www.bio park.org/peru/crafts/shipibo/shipibocraft.html, http://www.thinplace. com/, http://www.ccimports.com/ 22 Besonders umfangreich ist die Repräsentation von molas im Internet, vgl. z.B.: http://dulenega.nativeweb.org/ (10.10.2004), http://dobboy ala.org/ (10.10.2004), http://www.conexus.si.edu/kuna/index.htm/ (10.10.2004), http://www.conexus.si.edu/kuna.html (10.10.2004).
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reüssieren, gewinnen sie (zusätzlichen) sozialen und politischen Einfluss in ihren Gemeinschaften und Organisationen, da dort hohe Produktivität einen zentralen Wert bei der Konstruktion von Ansehen und Status darstellt. Darüber hinaus werden FrauenKooperativen von Seiten der EZA im Sinne eines female empowerment oft besonders gefördert. Dieses Szenario motiviert wiederum Frauen in verschiedenen indianischen Gemeinschaften eine Unzahl von Kooperativen zur gemeinschaftlichen Vermarktung von Kunst und Handwerk ins Leben zu rufen, deren ökonomischer Erfolg (vor allem im Hinblick auf limitierte Möglichkeiten der Vermarktung) oft zu wünschen übrig lässt. Dabei spielen auch Unterschiede des Tauschwerts verschiedener Objekte indianischer materieller Kultur am globalen Markt eine große Rolle. So gibt es eine Reihe von Produkten, die aus diesen Feldern der Zirkulation weitgehend ausgeschlossen sind: Dazu zählen Objekte, die über keinen oder wenig dekorativen Wert im Verständnis der potentiellen KäuferInnen verfügen oder solche, die – trotz einem großen Produktionsaufwand – keine nennenswerten Preise erzielen können. Weiters werden am Markt bestimmte kulturelle Traditionen und ihre Stile mehr nachgefragt als andere bzw. sind solche Tendenzen periodischen Moden unterworfen. Frauen im kooperativen Szenario bewegen sich in neuen gemeinschaftlichen Organisationsformen, die zum einen auf lokalen Netzwerken von Frauen aufbauen, zum anderen mit der Dynamik der (inter)nationalen Frauen-Bewegung, aber auch mit jener der indigenen Organisationen verflochten sind. Auch hier agieren Frauen in globalen Arenen, auch hier eröffnen neue Strategien der globalen Vermarktung neue Handlungsräume, in denen indigene Frauen oft gemeinsam mit AkteurInnen aus dem (fairen) Handel und/oder aus der Entwicklungszusammenarbeit agieren. Chomos, molas und anderes Kunst/Handwerk wird natürlich nicht nur im Rahmen der Kooperativen vermarktet, sondern bildet einen (kleinen) Faktor am freien Markt der entsprechenden Regionen in Lateinamerika. Das Internet als Medium zur Werbung und Vermarktung spielt auch im Bereich der ‚Massenproduktion‘ eine zunehmende Rolle: Webpages verschiedener ImporteurInnen und/ oder des Einzelhandels (vor allem größere Ketten und Einrichtungshäuser) bewerben – meist im Rahmen einer breiten Palette von multi-kulturellem Dekor und/oder Kleidung – auch die Produkte indianischer Frauen. 126
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Die vielfältigen Verbindungen von chomos, molas und Markt stehen auch in Zusammenhang mit (neuen) Ausdrucksformen von kultureller Identität und ihren Repräsentationen an verschiedenen Orten. Die neuen Bewegungen ihrer Produkte setzen Frauen in indianischen Gemeinschaften verstärkt in Beziehung zu globalen Prozessen und bewirken Veränderungen in ihrer Lebenswelt und ihren Handlungsräumen. Sie agieren in transkulturellen Räumen in einem Spannungsfeld von Gender, Identitätskonstruktionen und globalisierter Zirkulation von Dekor und Kunst.
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W E D ER E R K LÄ R U N G N O C H Ü B E R E I NS T I M M UN G , A B ER B E W US S T S E IN S S C H ÄR F U N G TANIA BRUGUERA A base del propio trabajo se hace una reflexión sobre cómo el arte contemporáneo crítico depende de su contexto. Tomando como punto de partida a la artista performática y conceptual Ana Mendieta (1948-1985), interpreto sus instalaciones y performances como arte político. Lo efímero de las coyunturas políticas se refleja en los materiales empleados. El aspecto político del arte no consiste, en primer término, en reproducir, mostrar y cuestionar representaciones, sino en promover debates liberando de esta manera „energías sociales“. Da ich von Kuba bin – und so wäre es auch mit jedem anderen Land, das in der politischen Vorstellung der anderen mit einer sehr spezifischen Symbolik behaftet ist – wird alles was ich mache entweder als politisch oder zumindest als in einer Beziehung zu aktuellen politischen Ereignissen im Land stehend gesehen; sowohl von denen, die auf der Insel leben, als auch von Fremden; beinahe wie eine unabweichbare Folge. In diesem Kontext sind Gesten sehr wichtig, beinah wie eine parallele „Zeichensprache“, die durch ihren Kontext symbolisch aufgeladen wird. Gesten und ihre Bedeutung waren die hauptsächliche künstlerische Ressource, derer ich mich in meinen Arbeiten bedient habe. In diesem Kontext kann man fühlen – oder zumindest konnte ich das – dass man seine Arbeiten nicht vom Sozialprogramm ablösen kann, erst recht nicht, wenn man diese Sinn und Bedeutung haben sollen. Selbst zu den Gelegenheiten, als ich Kunst als einen Weg gesehen habe, über mich selbst oder ein anderes nicht im Kontext inbegriffenes Thema nachzudenken, wurden meine Arbeiten nach ichren möglichen politischen Konnotationen umgedeutet. Aus diesem Grund fühle ich, dass ich auf eine gewisse Art und Weise gezwungen wurde, eine politische Künstlerin zu sein. 131
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Ein anderes wichtiges Element war die Tatsache, dass meine Generation, möglicherweise die letzte auf Kuba, mit dem ideologischen Gerüst des Denkens für das Kollektiv anstatt des Denkens für das Individuum erzogen wurde. Wir wuchsen mit der Idee auf, dass Kunst eine Bedeutung und einen Nutzwert haben sollte; dass sie der Gesellschaft von Nutzen sein sollte. Das ist der Ort, von dem ich komme, und da meine Arbeiten zu Anfang eine Antwort auf ein sehr spezifisches soziales und politisches Umfeld waren, werde ich heute einige davon erklären. Diese örtlich spezifische Qualität – und nicht nur die Materialien und Medien, die ich benutzt habe – ließen mich meine Arbeit als kurzlebige Kunst sehen, insbesondere, weil sie sich mit politischen Themen befasste, die ja nur eine temporäre Durchführung implizieren – was heute Recht ist und wofür man bestraft werden kann; morgen wird es akzeptiert und vielleicht sogar angekurbelt. Obwohl politische Strategien, Ziele, Erklärungswege von größerer Dauer sein können, sind politische Situationen ephemer. Ich habe mit dem Begriff des Ephemeren gearbeitet, ich habe rechtzeitig auf spezifische politische Situationen geantwortet, im Bewusstsein, dass meine künstlerische Arbeit nach einer Weile weder akkurat sein noch irgendeine ‚aktuelle‘ Realität reflektieren würde, dass sie nicht einmal mehr eine gewisse ‚Dringlichkeit‘ beinhalten würde, was ein wichtiges Element meiner Arbeiten darstellt. Es ist fast so, als ob meine Arbeit eine vorbestimmte Obsoleszenz mit einschließen würde, eine vorher bestimmte Lebensdauer, so als ob sie nur im ‚Hier‘ und ‚Jetzt‘, von wo und für das sie kreiert worden war, wichtig sein könnte.
„H o m m a g e a n A n a M e n d ie t a “ Wenn ich nun beginne, meine Arbeiten zu besprechen, würde ich gerne mit einer Serie anfangen, die ich „Homenaje a Ana Mendieta“ (Hommage an Ana Mendieta) genannt habe, zu der ich nun den Kontext erzählen werde. Der Beginn dieses Projekts war eine Hommage an eine Künstlerin, deren Arbeiten ich wirklich mochte, mit der jedoch jedes mögliche Treffen durch ihren Tod vereitelt wurde.1 Mit einer Art 1
Gerardo Mosquera, der uns Mendietas Arbeit vorstellte, eröffnete uns (einer Gruppe junger Studierender, die ihn des Öfteren besuchte), dass 132
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poetischer (um nicht zu sagen naiver) Geste wollte ich die Tatsache ihres Todes entschärfen, indem ich die Produktion ihrer Arbeit fortsetzte und so die Begegnung mit ihr ‚durch‘ und ‚in‘ ihrer Arbeit spürte. In diesem Prozess des Kennenlernens ihrer Arbeit, durch Interviews, Lektüre etc. begann ich, in Verbindung mit ihrer Art, über Kunst, Politik, Kuba und noch wichtiger: über Performance-Kunst nachzudenken. Beim Arbeiten mit ihrer Kunst lernte ich alles über sie, lernte, indem ich sie übte und erlebte. Ich begann mit dieser Art von „kultureller Archäologie“, wie ich es damals nannte, indem ich nicht nur Teile ihrer Arbeit herauspickte und sie in die kulturelle Landschaft Kubas wieder einfügte, sondern begann als eine Art Werbung für ihre Arbeit auch, sie zu wiederholen, indem ich „das Original“ zur Verfügung stellte, so dass das Publikum eine direktere Beziehung zu ‚ihrer‘ Arbeit aufbauen, ‚ihre‘ Arbeit erleben konnte und nicht nur ein Foto oder eine Reproduktion in einem Magazin sah. Ein wichtiger Faktor ist, dass sie 1985 (als ich die Serie einige Monate nach ihrem Tod begann) bei der jüngeren Generation in Kuba nicht so bekannt war. Ich aber schätzte ihre Arbeit so sehr, dass ich einen Weg finden wollte, sie mit anderen zu teilen. Also benutzte ich ihre Kunst, um dies zu tun. Ich fühlte, dass dies der beste Weg war, ihrer zu gedenken, ihre Kunst Teil der kubanischen Geschichte, Teil einer Bezug nehmenden Welt werden zu lassen, zumindest für die KünstlerInnen. Ana Mendieta war eine Künstlerin, die Kuba verließ, sie war eine Emigrantin. Zur Zeit als ich ihre Arbeit kennen lernte, verließen viele kubanische KünstlerInnen die Insel und wurden EmigrantInnen (dazu später mehr, wenn ich mich auf eine andere Arbeit beziehe). Ich war mit der Realität und dem Gefühl jener Leute, die ich kannte und welche die Insel verließen, vertraut. Dieser Prozess generierte eine Art „ausradierter“ Geschichte, eine, die schon zum Zeitpunkt, als sie sich ereignete, ausgelöscht wurde. In dieser Zeit wurden Leute, die die Insel verließen, auf gewisse Weise ihres Rechts, präsent zu sein, beraubt, und mehr noch, man erinnerte sich weder an sie noch wurde auf sie Bezug genommen. Wenn man also wir Ana, da sie Kuba immer wieder besuchte, beim nächsten Mal treffen könnten und dass er ein Treffen arrangieren würde, so dass auch wir ihr unsere Arbeiten zeigen könnten. Und dann – natürlich kam sie nie wieder – starb sie. Ich war 17 Jahre alt. 133
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MusikerIn oder SchriftstellerIn war und das Land verließ, wurde man „ausgelöscht“, indem alle Tonträger oder Bücher dem öffentlichen Zugriff entzogen wurden. Wegzugehen war kein politisch akzeptiertes Verhalten. Man konnte nicht einfach ‚im‘ sozialen Prozess sein, man musste in ihn ‚involviert‘ sein. Allgemein gesprochen war dieser Prozess die Konstruktion einer neuen (Art von) Gesellschaft. Wenn das nicht deine eigene Entscheidung war, warst du nicht mehr mit einbezogen, du wurdest „ausgelöscht“. Dies war der Kontext, in dem ich beschloss, eine Hommage an die Emigrantin Ana Mendieta zu beginnen. Obwohl sie das Land verlassen hatte, lange bevor dies alles sich so entwickelte und sie eine Art Brückenbau für einen Dialog zwischen denen, die die Insel verlassen hatten und denen, die dort verblieben, schaffen wollte. Das hatte bis zu einem Punkt mit der kubanischen Politik harmoniert und galt für jene, die das Land vor langer Zeit verlassen hatten, aber nicht für jene, die erst kürzlich EmigrantInnen geworden waren. Da Politik etwas Kurzlebiges ist, wird heute klarerweise eine andere Strategie gegenüber jenen, die das Land verlassen haben, verfolgt, da die regierenden PolitikerInnen Emigration (meistens) als eine ökonomische anstatt einer politischen sehen. Ein anderes Element, das mich anzog, war, dass Ana Mendieta mit einem Thema arbeitete, das mich interessierte: wie man eine künstlerische Arbeit herstellt, die kubanisch, gleichzeitig aber international ist. Überdies war Ana Mendieta eine starke Persönlichkeit, die durch ihren Kontakt zu einer Gruppe junger KünstlerInnen, die später als „die Generation der 1980er“ bekannt wurde und meine ProfessorInnen mit einschloss, großen Einfluss auf die kubanische Kunst hatte. Als ich von ihrem Tod erfuhr, empfand ich eine Leere, durch den Umstand, dass ich sie nicht mehr treffen konnte (was ja einmal eine greifbare Möglichkeit gewesen war). Später wurde diese Leere durch den Weggang meiner Freunde und ProfessorInnen in mir ausgelöst. Was als persönliche Hommage an eine Künstlerin, die ich bewunderte, begann, wurde durch die Positionierung dieses Projekts innerhalb der politischen Realität der Zeit zu einer „politischen Geste“, indem ich jemanden zu retten und in mein Projekt mit einzubeziehen versuchte, die das Land verlassen hatte. Während der 10 Jahre seiner Realisierung entwickelte sich das Projekt weiter; was als eine auf Emotionen gebaute Begegnung be-
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gann, wurde ein Lernprozess, eine „kulturelle Archäologie“, ein Sozialdienst und schließlich eine „politische Geste“. Ein wichtiger Bestandteil des Projekts war, dass ich, als ich die Serie beendet hatte, alle Arbeiten zerstörte. Das war der Versuch, zu zeigen, dass nicht das Objekt das Wichtige war; dass es nicht darum ging, Kopien von Ana Mendietas Arbeit zu ‚produzieren‘, sondern einen kulturellen Bezug auf und eine andere Erfahrung mit ihrer Arbeit herzustellen; auf eine Kubanerin (innerhalb der Insel) hinzuweisen, die sich mit einer anderen Kubanerin (außerhalb der Insel) verbündete. Ich beschloss außerdem, die Dokumentation dieser Werke nicht zu forcieren, da ich keinen Sinn darin sah, ein exakt gleiches Bild zu reproduzieren, während ich aber weder den Kontext, für den es geschaffen worden war, noch die Erfahrung, noch die Ziele meiner Arbeit, die durch ein reproduziertes Bild nicht verstanden werden konnten, mitlieferte. Ich sah keinen Sinn darin, jemandem das gleiche Bild wie in einem Katalog von Ana Mendieta zu zeigen. Ich tat das Gleiche mit Arbeiten, die ich hergestellt hatte, die sich aber von jenen, die sie hergestellt hatte, unterschieden. Ich tat es, um zu betonen, dass sie ‚lebendig‘ war, immer noch arbeitete. Obwohl ich später der Meinung war, dass es gut gewesen wäre, diese Arbeiten in Anas Katalog gewissermaßen einzufügen, aber das war lange nachdem ich das Projekt abgeschlossen hatte und die Stücke zerstört waren. Ich denke, dass die Tatsache, dass das Dokument die Existenz dieses Projekts bezeugt und der Beweis derer ist, die ein Teil davon waren. Absolut ‚ephemer‘, nur eine mündliche – und begrenzte – Angelegenheit. Ein bisschen so wie die/der KünstlerIn in einer bequemen Funktion: eine mediales, ein leitendes Motto und die Arbeit als Geste, als Moment, als temporärer Zustand, eine Konversation. Ich berichte zuerst immer zuerst über diese Serie von Arbeiten, weil sie meinen Arbeitsprozess zeigt: etwas, das als emotionale Reaktion beginnen kann, wird auf gewisse Weise zu einer „kulturellen Geste“ und schlussendlich zu einer ‚politischen‘ Arbeit. Ich denke, dass dies die Art und Weise, wie ich arbeit, veranschaulicht: ein System, in dem ich Gesten (und ihre kontextuelle Bedeutung) als Metapher und Sprache benutze; das Konzept des „Ephemeren“ als Ressource; und Politik als ein unvermeidbares ‚Verhängnis‘; Autorenschaft als etwas Fragwürdiges, wenn sie sich auf die Produktion von Objekten bezieht. Das Wichtigste ist jedoch die Tatsache, dass ich mit meiner Arbeit eine offene Diskussion über 135
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(künstlerische, politische, etc.) Themen hervorrufen möchte. Es ist eine Arbeit, die ich begriffen und als verwirklicht erachtet wissen möchte wenn derartige Diskussionen sich entwickeln und von den Leuten geführt werden; die Diskussion über ein Thema, das, hoffentlich, zugleich aktuell ist, während meine Arbeit beschrieben oder darüber gesprochen wird. Die Tatsache, dass ich meine Arbeit nicht lediglich als Geste sehe, sondern als eine, die versucht, neue Räume zu öffnen, Räume für Diskussion: soziale, emotionale, politische Räume; eine Offenheit, die temporär ist, flüchtig, wie eine Geste, die aber hoffentlich neue Offenheit entstehen lässt. Und Kunst als etwas, das Teil einer kulturellen Entwicklung ist, Kultur als aktueller Dialog, nicht nur als Produkt. Und ich denke, dass diese Serie ein Beispiel für all das ist.
A r t e d e Co n d uc t a Später benannte ich eine Reihe von Arbeiten mit den oben genannten Intentionen Arte de Conducta (Verhaltenskunst), eine Kunst, die den Prozess darstellt, wo die Geste die Arbeit ausführt, nicht das Objekt. Wo das Ergebnis nicht ‚materiell‘ ist, sondern die symbolhaften Qualitäten einer Geste aufweist. Mit dieser Taktik arbeiten auch gute PolitikerInnen, weswegen ich denke, dass sich auch KünstlerInnen, die sich mit politischen Themen beschäftigen, damit auseinander setzen sollten. Sie sollten ein Problem nicht nur darstellen, nicht nur das Aussehen von Dingen veranschaulichen, sondern auch deutlich machen, was sie bedeuten, was sie repräsentieren. Ein bisschen so als würde man den politischen Raum übernehmen, nicht abseits bleiben, parallel zu ihm, aber nicht ‚in‘ ihm sein. Zurück zum Verlauf meiner Arbeit: Als ich die Hommage-Arbeiten zeigte, wollte ich so anonym wie möglich bleiben. Also versuchte ich, die Leute nicht wissen zu lassen, dass ich hinter den Mendieta-Arbeiten steckte. Ich beschloss, gleichzeitig ‚meine eigene‘ Arbeit zu machen. Natürlich war diese utopische Idee nur sehr begrenzt durchführbar, und schon bald wussten Leute aus der kubanischen Kunstszene darüber Bescheid. Ich musste mich anpassen und unter den neuen Umständen arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt wurden mir die Grenzen der Kunst bewusst, die Tatsache, dass Kunst schlussendlich immer als ein ästhetisches Angebot gesehen 136
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wird, als eine Methode, als eine Herstellungsform, mehr noch als eine Art, etwas zu bauen. Meine ‚eigene‘ Arbeit war also beeinflusst durch diejenigen, die als die „Generation der 1980er“ bekannt waren und die sich hauptsächlich zwischen Mitte der 1980er Jahre und ca. 1992 entwickelten. Das war ein unglaublicher Moment für die Kunstwelt Kubas, weil sich die Revolution zu dieser Zeit in einem Moment der ‚Korrektur‘ von Fehlern befand und damit mit der Krise des Sozialismus im Osten, mit der Perestroika, koinzidierte. Damals wollte das Kunstministerium, und insbesondere dessen Vizeministerin Marcia Leiseca, die Künstler und Künstlerinnen in den Prozess der Strategienfindung für Kulturpolitik einbinden. Es war eine Zeit großer Popularität, es gab Projekte wie „Arte en la carretera“ (Kunst auf der Autobahn), „Arte en la fábrica“ (Kunst in der Fabrik), telarte (Fabrikdesigns durch KünstlerInnen), um nur einige der erfolgreichsten zu nennen. Ich habe dies als eine sehr aufregende Zeit in Erinnerung, da die Verbindung zwischen Kunst und Macht beinah kollaborativ war. Außerdem wurden viele neue Räume und Projekte geboren, einige davon auch von großer Bedeutung wie die „Havana Biennale“ und die „Fototeca de Cuba“. Andere, wie das „Centro de Arte y Diseño y Oficios“ oder das „Centro de Desarollo de las Artes Visuales“ wurden reaktiviert. Wieder andere wurden von historischen Museen in Zentren für zeitgenössische Kunst umgewandelt, wie das „Castillo de la Real Fuerza“. Die KünstlerInnen standen im Dialog mit dem Kulturministerium, sie wurden zu Treffen eingeladen, um die Gehrichtung der Kultur zu definieren, sie wurden zu Ausstellungsprogrammen befragt und formten das Konzept von Kultur. Viele Diskussionen fanden statt, alles sprühte vor Energie. Die KünstlerInnen machten Gemeinschaftsarbeiten und experimentierten mit der Schwelle zwischen Kunst und Leben; sie stießen und dehnten die Grenzen, die künstlerischen wie die politischen.
‚ B l a s s r o s a ‘ p o l i t i s c he K u n s t Der Raum für Experimente und Zusammenarbeit mit der Macht war bald wieder verschwunden, es begann ein Debakel, das sich in fortwährender Zensur und Schließungen von Ausstellungen äußerte. Es war eine erdrückende Atmosphäre, in der alles nicht nur als politisch sondern auch als subversiv angesehen wurde. Schließlich 137
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führte dies zu einer Massenemigration der Meisten dieser KünstlerInnengeneration nach Mexiko zuerst, dann nach Miami. Es war eine sehr tiefgehende Niederlage; ich glaube, die meisten der KünstlerInnen erlagen dem ‚Zauber‘, der Verführung des Gedankens, dass sie tatsächlich die Gesellschaft verändern könnten. Ich komme immer wieder zu diesem Moment zurück, weil ich fühlte, dass die Kunst mehr Wirkungskraft besaß als nur innerhalb der Kunstwelt, mehr war als die Fläche einiger Ausstellungsräume in der Innenstadt Havannas. KünstlerInnen waren eine Art Avantgarde. Nach der Emigration geschah etwas sehr Interessantes: das zurück gebliebene große Vakuum musste schnellstens mit einer ‚neuen‘ Generation von KünstlerInnen ‚aufgefüllt‘ werden, die auch beworben werden sollte. In diesem Prozess entwickelte sich eine „zynischere“, „metaphorischere“ Kunst. Es kam zu einer Art Negierung der vorhergehenden Generation und zu Taktiken, mit politischer Kunst und Macht umzugehen. Einige behaupteten sogar, die frühere Kunst sei ein ‚Fehler‘ gewesen. Ich stimmte dem nicht zu und wollte (vielleicht, weil ich nur eine Beobachterin und keine Akteurin dieser vorherigen KünstlerInnengeneration war) die Energie dieser Tage und das Konzept von Kunst als Raum für Diskussion, Dialog und Teilen zurückholen, als Agentin für soziale Veränderung. Ich fühlte mich unbehaglich mit der Tatsache, dass den Leuten, besonders der jungen Generation, in Schulklassen, auf Konferenzen, etc. eingeimpft wurde, dass die „Generation der 1980er“ ein Fehler war. Zur gleichen Zeit begann der Kunstmarkt in Kuba an Ansehen zu gewinnen und Diskussionsstoff zu liefern, am entscheidensten mit der Anwesenheit von Peter Ludwig, der eine bedeutende Menge von zeitgenössischer kubanischer Kunst kaufte, Aufenthaltsmöglichkeiten für KünstlerInnen bereitstellte und die erworbenen Werke in seinem Museum in Deutschland ausstellte. Der ‚Zauber‘, die Verführung, war an den Kunstmarkt übergeben worden. Das war der Kontext, in dem man arbeitete, das Thema, über das man diskutierte. Was einmal Kunst war – öffentlich, sich in den Straßen veräußernd (nicht nur aufgrund ihres performativen Aspekts, sondern weil sie die Leute, das Leben in den Straßen, beinhaltete) – wurde zu einer Kunst ‚aus dem Atelier‘. Es war immer noch politische Kunst, aber ich denke, sie war anders, weil sie nicht vom Drang, die Gesellschaft zu verändern, genährt wurde, sondern diesen Drang einfach nur darstellte. Sie war, so wie alles in Kuba, 138
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politisch, aber sie wurde nicht für die kubanische Bevölkerung gemacht, denn die Leute würden nicht die EmpfängerInnen dieser Kunst sein. Sie war ‚blassrosa‘ politische Kunst, um es, in Ermangelung eines anderen Begriffs, so zu nennen.
K u ns t und Rea l it ä t Da meine Arbeit alles war, was ich hatte (ich hatte keine andere Plattform, wo ich meine Ideen ausdrücken oder zeigen konnte), (be)nutzte ich sie. Meine Arbeit zu jener Zeit war eine Reaktion auf mein Umfeld. Ich beschloss, eine Zeitung zu kreieren, die, von KünstlerInnen gestaltet, den Raum bieten sollte, diese Themen zu präsentieren und zu diskutieren. Ich entschied, eine Zeitung zu machen, und nicht etwa ein Magazin oder ein Buch, aufgrund der dringlichen und flüchtigen Qualitäten dieses Mediums, seiner flüchtigen Dringlichkeit. Damals war der wichtigste Aspekt dieser Zeitung für mich, dass ich durch sie all diese KünstlerInnen wieder vereinte und erneut das Konzept von Kultur als Dialog präsentierte. Da die Generation der 1980er sich nicht besonders um die Dokumentation ihrer Events und Performances kümmerte, wollte ich zudem etwas entwerfen, das gleichzeitig auch ein Dokument sein konnte. Ich muss sagen, dass dies mein Lieblingswerk ist, weil ich spürte, dass ich etwas ‚Reales‘ machte; sogar die Art und Weise wie ich alles zusammenfügte, fühlte sich nicht so an als würde ich ‚Kunst‘ produzieren. Ich verwendete eine Art Guerilla-Taktik. Die Arbeit zielte darauf ab, die Energie der 1980er wieder zu beleben, sie brachte sogar die gleichen Konsequenzen mit sich, mit denen auch die Arbeiten in den 1980ern belegt worden waren: Zensur. Nach dem ersten Thema rief mich ein ‚guter Freund‘ an und sagte: „Tania, weißt du, du bist ein gutes Mädchen, du solltest dieses Projekt stoppen, es tut dir nicht gut.“ Nach diesem Gespräch rannte ich zur Druckerei und sagte zu den DruckerInnen, dass wir so schnell wie möglich aufhören sollten. Der Rat meines ‚Freundes‘ war nur ein Zeichen, dass etwas im Gange war. Ich wusste, dass er vom ersten Thema redete, ich arbeitete aber bereits am zweiten. Für das zweite Thema lud ich zum ersten Mal kubanische KünstlerInnen, die innerhalb und außerhalb der Insel lebten, ein, an einem Ort zusammen zu kommen, nämlich in dieser Zeitung. 139
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Nachdem der Direktor des „Rates für Bildende Kunst“ mich angerufen hatte und wir diese eine verbindliche ästhetische Diskussion führten, die ich gewann, und – nachdem wir eine Stunde über formale Strategien der zeitgenössischen Kunst geredet hatten (ich verteidigte die Erscheinung einer Zeitung als eine Form, die ich gewählt hatte, um meine künstlerischen Ideen auszudrücken und nicht als gedrucktes Forum für politische Verleumdung als die er sie bezeichnete) – reagierte er ein wenig verzweifelt und sagte: „Hör zu, du kannst das nicht machen, du hast drei Gesetze gebrochen und kannst das nicht machen. Das ist das Ende dieser Unterhaltung; du kannst das nicht machen“. Ich sagte: „Gut, das ist jetzt sehr klar.“ Also fragte ich, welches Gesetz ich gebrochen, weil ich ein drittes Thema beginnen und sehen wollte, ob ich es verwirklichen konnte, ohne ein Gesetz zu brechen. Aber dazu kam es nie, da mich diese Vorgänge mehr beeinflussten als ich gedacht hätte. Einer meiner Freunde, der mir geholfen hatte, war zum Zeitpunkt dieses Gesprächs im Gefängnis und wurde verhört. Ich nannte diese Arbeit hyper-realistisch. Hyper-realistisch nicht, weil ich versuchte, Elemente der Realität so wirklichkeitsgetreu wie möglich darzustellen, sondern weil ich mich bemühte, meine Arbeit in die Realität einzufügen, und zwar so, dass sie real wirkte, nicht wie Kunst. Im Verlaufe meiner späteren Arbeiten kam ich auf diese Idee zurück. Zum Beispiel arbeite ich gerade jetzt an einem solchen Projekt, einer Kunstschule. Das ganze ist ein hyper-realistisches Werk, da es wie eine Kunstschule funktioniert, gleichzeitig aber mein Kunstprojekt ist, eine politische Geste, ein politisches Kunstprojekt. Das Konzept der hyper-realistischen Kunst zog ‚reale‘ Konsequenzen nach sich, was ich interessant finde in Verbindung mit anderen Wegen, Kunst zu produzieren, bei denen der ethische Teil eine Art formaler Ausdruck sein kann. Diese Kunstwerke bergen Ethik jedoch schon in sich. Die Tatsache, dass es Konsequenzen gibt, verändert alles wesentlich. All die hyper-realistischen Arbeiten haben unterschiedliche Dynamiken, da sie durch die Wirklichkeit geformt sind. Die Kunst (und ihre Regeln) zwingt sich der Wirklichkeit nicht auf, im Gegenteil, es ist die Wirklichkeit, die diktieren sollte, was das Kunstwerk braucht, wie es am besten wirken könnte. Diese Art von Arbeiten haben außerdem ihr eigenes Leben im Raum außerhalb der Kunstwelt. 140
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Meine Zeitung ging von Hand zu Hand, es gab keinen organisierten Vertrieb, die Leute übernahmen dies spontan selbst. Zudem wurde dieses Zeitungsprojekt bei Treffen der Kommunistischen Partei, die nichts mit Kunst zu tun hatten, diskutiert. Ich hatte eine Tante, die Mitglied der Kommunistischen Partei war, die mich verzweifelt anrief und sagte: „Was hast du getan? Beim Parteitreffen haben wir über deine Arbeit geredet, dieses Verleumdungsblatt, das du gedruckt hast. Was tust du?“ Um ehrlich zu sein, haben mich all diese Erfahrungen sehr beeinflusst. Sie haben sogar den Weg, den meine Arbeit zu nehmen, verändert, da ich diese Art der politisch-konzeptuellen Arbeit aufgab und begann, Performances zu machen, was ich heute aber als falschen Umweg ansehe. Lange danach erst wurde mir bewusst, dass all das großartig gewesen war und ich wirklich wertschätzen konnte, was passiert war, weil ich glaube, dass politische Arbeit vor allem soziale Energie werden muss und nicht nur eine Darstellung sein darf, die man sehen und über die man nachdenken kann, sondern auch etwas, das Soziales in Gang bringen kann, eine Art Struktur ist. Ich weiß, dass das sehr schwer zu erreichen ist, aber das ist die Herausforderung, der ich mich stelle. Es ist außerdem auch schwer, weil, wie bereits erwähnt, diese Art von Arbeit immer auch ‚tatsächliche‘ Konsequenzen mit sich bringt. Eine beispielsweise, die sehr unmittelbar ist, ist die Zensur. Wenn politische KünstlerInnen zensiert werden, könnte das bedeuten, dass sie das Richtige tun, dass sie die Grenzen aufs Äußerste dehnen, doch es ist sehr gefährlich ein/e „zensierte/r KünstlerIn“ zu sein. Zu allererst, weil es jemanden in eine Skandalposition verweist, in eine Art Spektakel, das die Arbeit von ihrer Möglichkeit, zum Denken anzuregen, Gespräche über die Themen der Arbeit in Gang zu bringen, ablenkt, und zwar hin zu der Sensation, zensiert zu sein, zur/m KünstlerIn als kontroversielle Figur, was für mich den falschen Inhalt solcher Konversationen bedeutet.
Die Darstellung politischer Ideen Nach all dem begann ich, politische Ideen, die wie immer von meinen eigenen Erfahrungen gespeist wurden, ‚darzustellen‘, aber in einem anderen Umfeld und mit unterschiedlicher Präsenz der Institution, mit anderer Verbindung zu ihr. Vielleicht kann man sagen, 141
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dass die Institution nach all dem etwas war, das ich berücksichtigen musste, und zwar die konkrete Institution in der Stadt, nicht die „Institution Kunst“. Sie wurden von sozialen Strukturen zu Performances transformiert. Und die Institution Kunst wurde die Einkerkerung der Arbeit und nicht die der Sprache, nicht die der Ressourcen. Die Werke entstammten nicht Konversationen sondern einem white cube. Ihre Referenz war mehr die der Repräsentation als die der Politik. Aber an das habe ich erst viel später gedacht. Ich dachte damals, dass Performances (etwas das ich sehr mochte als ich mich mit Mendietas Arbeit beschäftigte) ein guter Weg wären, um sich auszudrücken und den Zuschauern zu ermöglichen, zwischen ihren und meinen Erfahrungen eine Verbindung herzustellen. Ich fühlte dass mein Interesse an Erfahrungen und Beziehungen zur Realität, die sehr wichtig für den Fortbestand meiner Arbeit waren, auf diese Weise erforscht werden konnte. Meine erste Performance war „Estudio de Taller“ (Studio Study), es ging um Selbstzensur im kreativen Prozess. Was ich sehr interessant gefunden habe, war, wie sich meine Dilemmata änderten als ich mit der Performance anfing; Ich machte mir keine Sorgen mehr ob das Projekt das Leben eines anderen negativ beeinflussen könne. Ich machte mir keine Sorgen mehr darüber, wie diese Arbeit in der Welt existieren würde, wie sie zirkulieren würde und wie das die Bedeutung der Arbeit sein könnte. Nein, die Performance war hier und jetzt, der soziale Raum war klar definiert. Der Rest würde zu Erinnerungen werden. Außerdem änderten sich meine Sorgen. Wie kann ich das Projekt dokumentieren? Etwas das ich wichtig fand, aber jetzt als zu begrenzt und als zu sehr aus der ‚Kunstwelt‘ erkenne. Ich muss sagen, selbst wenn es zu der Zeit als etwas schien, dass mich das Ausüben von Kunst auf neuen Wegen entdecken ließ, und obwohl ich wirklich Freude daran habe, denke ich, dass es eine größere Herausforderung für mich gewesen wäre, Arbeiten wie meine ersten zu machen. Ich wurde der Performances ziemlich schnell überdrüssig und habe auch nicht sehr viele gemacht. 1997 veranstaltete ich eine Performance mit einem historischen Ansatz. Es war eine Nachstellung eines historischen Ereignisses, das nicht wirklich dokumentiert, aber dennoch sehr bekannt ist. Die kubanischen Ureinwohner, Pazifisten, hatten bei der Ankunft der Spanier nicht die Fertigkeiten gehabt mit diesen zu kämpfen. Da sie 142
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sich nicht unterwerfen wollten – so geht die Legende – entschied sich ein Teil des Volkes kollektiven Selbstmord zu begehen (etwas, das in mehr als einer Kultur gefunden werden kann). Die bekannte Legende erzählt, dass einige von ihnen Schmutz aßen, bis sie verhungerten. Bis heute gibt es die Redewendung „Comer tierra“ (Erde essen), als Ausdruck der schlechtest möglichen Zeiten für eine oder mehrere Personen. Die Idee, den Feind mit Selbstmord, mit Massenselbstmord zu konfrontieren, war ein attraktives und signifikantes Element für mich. Ich bediente mich der sprachlichen Übersetzung, die diese Legende in der Redewendung gefunden hatte um meine Arbeit zu vollenden. Ich wollte diese Art der direkten Übersetzung der Handlung in Wörter für meine Arbeit verwenden. Etwas für mich sehr wichtiges ist bei dieser Performance passiert. Da sie bei den Biennale von Havanna stattfand und ich die Türen meines Hauses, in dem sie zum ersten Mal präsentiert wurde, ohne Einschränkungen für das Publikum öffnete, war dieses sehr gemischt: Nachbarn, PassantInnen, hochgebildete Leute aus der internationalen Kunstbranche. Ich fand sehr interessant, dass die KubanerInnen die politische Botschaft sehr gut verstanden, die AusländerInnen jedoch, obwohl sie sich dessen bewusst waren, etwas nicht mitzubekommen, versuchten, diese Erfahrung mit ihrem visuellen Vokabular aus der Kunstwelt zu verbinden, indem sie die Performance hauptsächlich unter ihrem ästhetischen Aspekt betrachteten. Ich erinnere mich noch, dass einer von ihnen zu mir kam und mich nach der Verbindung dieser Arbeit mit der von „Nitsch“ fragte. Ich antwortete, dass, obwohl ich „Nietzsches Philosophie“ wirklich nahe stand, es dennoch nichts miteinander zu tun hatte. Wir hatten Kommunikationsprobleme, er sprach über Hermann Nitsch und ich von Nietzsche, der, wie ich finde, mehr mit meiner Arbeit zu tun hatte als der Künstler. Leute, die aus einem anderen Kontext kamen, ersetzten ihren Mangel an lokalem politischen Wissen mit ihrer ikonographischen Erinnerung, sie redeten über Kunstgeschichte und ich über die Geschichte der Unterwerfung in Kuba, den Mangel an Wissen über Verteidigung während man angegriffen wird. Das war sehr wichtig und ist der Grund, warum ich immer großen Wert darauf lege nicht nur meine Arbeit zu kommunizieren, sondern auch ihren Kontext und die Welt der sie entstammt, um Missverständnissen so gut es geht entgegenzuwirken. Auf jeden Fall habe ich mich bald nach diesem „Typ, der dieselbe Arbeit wie ich“ gemacht hat, umgesehen, und ihn 1998 in 143
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Wien, wo ich in der Kunsthalle die Performance erneut aufführte, getroffen. Als ich seine Arbeit fand, erkannte ich, dass, außer dass wir beide mit toten Tieren arbeiten, unsere Kunst nichts miteinander zu tun hat. Da ich zur Dokumentation kein Photo zeigen wollte, schuf ich zu diesen Zwecken eine Installation, die, wie ich glaube, das wichtigste Element dieser Arbeit ist: das tote und geköpfte Lamm. 1998 machte ich „Destierro“ (Displacement), ein Werk, das von einem Gespräch mit einem Straßenverkäufer in Südafrika inspiriert ist. Er verkaufte einen „Nkisi Nkonde“, ein Fetisch aus dem Kongo, von dem man sagt, dass der Geist einer verstorbenen Person in ihm ist durch einen Teil des Körpers der verstorbenen Person. Dies ist ein sehr respektiertes religiöses Objekt und wird sogar manchmal als Zeuge bei einem Vertragsabschluss zweier Menschen herangezogen. Man schwört der Ikone und nicht dem Vertragspartner, dass man sich an die Abmachungen halten wird. Wenn diese Abmachungen nicht eingehalten werden, dann sagt man sich, dass der Geist im Fetisch „erwacht“ und den Vertragsbrüchigen verfolgt um ihn grausam zu bestrafen. Ich mochte die Vorstellung von unerfüllten Versprechen, sozialen Versprechen. Ich mochte die Vorstellung von sozialem Self-Empowerment. Da ich zu der Zeit mit Symbolik arbeitete, beschloss ich den Fetisch mit einzubeziehen und verkleidete mich als einer. Nach mehreren Stunden in einer Galerie, ging ich auf die Straße um nach diesen „unerfüllten Versprechen“ zu suchen. Wegen der Ankunft eines anderen Künstlers wurde die Eröffnung vom 11. auf den 13. August verlegt. An diesem Tag sind jedoch die Straßen voll von Polizisten, da es der Geburtstag Fidel Castros ist. Eine Anekdote dieses Tages finde ich besonders wichtig: Ein Polizist näherte sich der Prozession, die langsam immer mehr Leute anzog und folgte mir, um zu sehen, was los war. Als er jemanden fragte, wurde ihm geantwortet, dass das Kunst sei. Nach einigen Sekunde meinte er: „Ah, ok. Machen Sie weiter.“ Das war etwas, das ich nie vergessen werde, weil ich als politische Künstlerin feststellte, dass ich auf einem ganz falschen Weg war. Dass es auf diese Art und Weise nicht klappen würde. Obwohl diese Arbeit eine Kritik darstellte, war sie am falschen Ort, sie war zu sehr in der ‚Kunstwelt‘ verankert und ich sprach auf diese Weise nicht über Repräsentation sondern über politische Ideen.
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Im Jahr 2000 entschloss ich mich eine Arbeit zu machen, als ich auf die Havana Biennale eingeladen wurde (was ich sehr merkwürdig fand). Das Thema der Show war „Communication, one closer to the other“. Da ich mich in meiner Arbeit oft auf das Thema „Macht“ bezog, beschloss ich ein Werk über die Kommunikation von Macht zu gestalten. Der Ort, der mir zugeteilt wurde, war ein langer korridorartiger Raum in einer alten spanischen Festung, die zu der Zeit als Ausstellungsraum genutzt wurde. Außerdem wurde dieser Raum seit der Erbauung der Festung von allen Regimes als Gefängnis für politische Häftlinge der kubanischen Geschichte verwendet. Ich verdunkelte den 50 Meter langen und 12 Meter breiten Tunnel und bedeckte den Boden einen halben Fuß hoch mit gemahlenem Zuckerrohr. Das bewirkte einen starken süßlichen und übel riechenden Gestank und ein vorsichtiges, aufmerksames Gehen auf diesem weichen Untergrund. Die Tatsache, dass die Leute entscheiden konnten ob sie hineingehen oder nicht, war für diese Arbeit nicht wichtig. Genauso wie bei politischen Geschehnissen konnten die Leute entscheiden nicht teilzunehmen, nichts zu sehen. Man war also in einem gänzlich dunklen Raum, nur drei bis fünf Personen konnten zur selben Zeit hinein, und in der Entfernung sah man ein kleines Licht. Wenn man nahe genug war, konnte man einen kleinen Monitor mit Schwarz/Weiß-Bildern von Fidel Castro bei unterschiedlichen Gelegenheiten erkennen – beim Schwimmen, beim Halten einer Rede, in seinem Wohnzimmer. Jede Minute wiederholte sich jedoch ein Bild von ihm, in dem er sein Militärhemd aufknöpft um zu zeigen, dass er darunter keine kugelsichere Weste trägt, das er verletzbar ist. Die Zuschauer, die hinauf blicken mussten, um die Bilder auf dem hoch montierten Bildschirm zu sehen, entschieden sich nach ungefähr einer Minute zu gehen. Weil ihre Augen nun an die Dunkelheit gewöhnt waren, und weil von Außen Licht herein strömte konnten sie nun vier nackte Männer erkennen, welche die ganze Zeit dagestanden hatten, die sie aber die ganze Zeit nicht gesehen hatten. Diese Arbeit setzt sich mit Verletzlichkeit in Verbindung mit Sichtbarkeit auseinander. Eine Sichtbarkeit, die nicht nur mit dem offensichtlich ‚Sichtbaren‘ zusammenhing, sondern auch mit dem, was die Menschen wirklich sehen wollten. In einer anderen Serie, „Untitled (the place/the year)“, arbeite ich ich mit dem Tastsinn, mit der Idee des Blicks, des „historischen
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Blicks“, der eine kollektive Erinnerung der politischen Signifikanz eines Ortes schafft. In den ersten beiden Arbeiten verwendete ich Licht in seiner symbolischen Bedeutung, als Symbol für Wissen, entweder in seinem Fehlen (Dunkelheit) oder in einem Überschuss (Helligkeit). In beiden Fällen kann man nichts sehen, beides ruft vorübergehende Blindheit hervor. In beiden Werken trägt die Erfahrung und Reaktion der Zuschauer die Bedeutung der Arbeit. Inhalt dieser Arbeit ist ein Platz, der mit hellem Licht (50 Lampen mit je 750 Watt) überflutet wird. Normalerweise bedeckten sich die Leute die Augen, um sich vor dem Licht zu schützen, suchten aber gleichzeitig einen Rückzug – dies ist die erste Reaktion der meisten, sie wollen so schnell wie möglich hinaus. Außerdem gibt es noch ein akustisches Element: ein Gewehr wird geladen während jemand oberhalb der Zuschauer auf und ab geht. Mit dieser Arbeit wollte ich einen speziellen Moment darstellen: die Sekunde bevor etwas geschieht, fast als ob die Zeit vor dieser Handlung angehalten wurde. Es war sehr wichtig, dass das Geräusch vom Laden eines Gewehrs kam, nicht von einem Schuss. Dann wurden Licht und Soundeffekt plötzlich abgedreht. Die Finsternis zwang die Zuschauer anzuhalten, physisch und geistig und zugleich hoffnungsvoll nachzudenken. Dann wurde das Licht, nach wenigen Sekunden, wieder aufgedreht. Wenn man am richtigen Platz stand, konnte man sehen, dass das Geräusch der Gewehre und der Schritte nicht aufgenommen war, sondern von Menschen kam, die in die Menge blickten, während sie ein Gewehr luden und einen „Catwalk“, der wie ein Überwachungsgang in einem Gefängnis aussah, auf und ab gingen. Das konnte nicht von allen gesehen werden – was gut für mich war, da die Tatsache, dass Menschen nicht immer die selbe Erfahrung machen oder alle Elemente der Arbeit erkennen können, für mich ein zentrales Element meiner Installationen ist.
Di e Ze ns o r en z ens i er en s ic h 2003 arbeitete ich an „Autobiografia“. Damit stellte ich den Prozess der Zensur und des Zugangs zu Demokratie und historischem Wissen dar. Für mich war der interessanteste Teil der Arbeit, der Moment in dem die Arbeit für mich ‚realisiert‘ war, als die Zen146
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soren mich um die Liste der Parolen baten, die ich für diese Arbeit verwenden wollte. Dann entschieden sie, dass einige Slogans (ich arbeitete mit einem Historiker und fand rund 183 Parolen), die mit und wegen dem Enthusiasmus der Revolution entstanden waren, aufgrund möglicher Missverständnisse besser nicht verwendet werden sollten. In diesem Moment haben sie sich in meinen Augen in einer Weise selbst zensiert. Leider konnte das nicht dokumentiert werden. Ich habe diese Arbeit „Autobiografia“ genannt, weil es eine Arbeit über die Art und Weise ist, in der unsere eigene Geschichte durch die kollektive Geschichte überschrieben und geschaffen wird. Die Arbeit bestand aus einer leeren Fläche – ich habe die MuseumsmitarbeiterInnen darum gebeten, die Wand nach der letzten Ausstellung nicht neu zu streichen um so ein nicht ganz reines Weiß zu erhalten. Man kam in den Raum und fand vor sich die Wand, die den Zugang zum Raum verkleinerte. Auf jeder Seite war ein alter, großer Sowjet-Lautsprecher am Boden montiert, der Lärm war sehr laut. Man ging an beiden Seiten der Wand entlang und sah auf der einen Seite eine Museumsaufsicht (eine Person, die als Museumsaufsicht angezogen war), die an einem Tisch mit SoundEquipment saß. Von diesem Equipment führte ein Kabel über den Boden bis zur Wand. Man ging weiter und sah ein U-förmiges Objekt aus drei Rigipsplattenwänden, die nicht fertig gestellt waren und bei denen man die Struktur noch gut erkennen konnte. Zu diesem Objekt gehörte noch eine hölzerne Plattform mit einem Mikrophon und darüber eine Glühbirne, die von der Decke hing. Die Zuschauer konnten sich entscheiden, ob sie dieser Plattform fernbleiben oder sich darauf stellen wollten. Man konnte also wieder den Grad seiner Involvierung selbst bestimmen: Wenn man sich entschied nur aus der Entfernung zuzusehen, hörte man das laute und unangenehme, fast schon unerträgliche Geräusch von Menschen, die sehr laut Parolen riefen. Das Ganze war sehr beunruhigend und irritierend. Wenn man sich dazu entschloss, sich auf die Plattform zu stellen, konnte man das Geräusch als Vibration fühlen, die von den Füßen bis zum Kopf durchströmte (unter der Plattform waren Subwoofer angebracht). Wenn man das Mikrophon näher betrachtete, erkannte man, dass, obwohl es an einem Kabel befestigt war, nicht funktionierte. Die einzigen ‚Stimmen‘, die man hören konnte, waren die kollektiven Schreie der Parolen. Für die Stimmen der Zuschauer gab es keinen Platz. 147
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Als Ausstellungskatalog produzierte ich die dritte Ausgabe meiner Zeitung (10 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen), diesmal ohne Titel, Datum, Ort oder Nachrichten. Der einzige Inhalt waren die Transkriptionen einiger Slogans und Parolen und einige Abbildungen der Designs für die Originalposter, auf denen diese Parolen zu sehen waren – fast so als gebe es keinen Platz für Nachrichten. Diese Arbeit hatte noch einen zweiten Teil, eine Version welche außerhalb Kubas gezeigt wurde. Es handelt sich dabei um einen langen, weißen und völlig stillen Korridor. Ging man diesen entlang, gelangte man über eine Biegung zu einer Rampe mit vier Meter hohen Veloursvorhängen, alles weiß. Um die Rampe zu betreten, muss man die Vorhänge erst beiseite schieben, nur um zu sehen, dass dahinter noch ein weißer Vorhang war. Insgesamt waren es vier Vorhänge. Mit jedem Vorhang, der geöffnet wurde, waren die Geräusche besser zu hören. Erst ein Murmeln, dann ein Schreien und dann konnte man es klar erkennen: Parolen, kubanische Revolutionsparolen, die von einer Menschenmenge gerufen werden. Je besser man hören konnte, desto dunkler wurde der Raum, da er in Abstufungen weiß-schwarz gestrichen war – auf diese Weise sah es fast wie ein natürlicher Schatten aus. Die dritte Version dieser Arbeit ist nach der marxistischen Redewendung gestaltet, die besagt, dass sich Geschichte immer zuerst als Tragödie und dann als Komödie wiederholt. Ich würde das dem Kontext anpassen und sagen, dass sich Geschichte in Kuba beim zweiten Mal als „pachanga“ (Party) ereignet. Diese Arbeit besteht aus einer CD, auf die der Geräuschmix der Installation als Disco-Remix adaptiert wurde und die bei Parties oder in Clubs zum tanzen verwendet werden kann. Die letzte Arbeit, die ich erwähnte, ist ein direktes Resultat eines Aufenthalts in Kanada. Die Idee dahinter ist, Performances in Flugzeugen zu veranstalten, die in die USA aus- und einreisen. Ich arbeite mit der Idee, einen Platz zu nutzen, der begrenzt ist, und dabei kaum etwas in dieser Performance beeinflussen zu können: die Dauer wird durch die Zeit zischen Take-Off und Landung definiert, Zuschauer ist die Person, die neben mir sitzt. Ich fand besonderen Gefallen an der Tatsache, dass die Zuschauer nicht wussten, dass gleich eine Performance stattfinden würde und dass sie den Raum auch nicht verlassen konnten. Außerdem bediente ich mich der Anspannung, die zum Reisen nach „9/11“ dazugehört, und all der Vorteile, die sie mit sich bringt. 148
K U L TU R A R B EI T A L S M I G RA N T I N NE N 1 U N D L A T EI N A M E RI K A I M R U C KS A C K RÚBIA SALGADO En el Centro autónomo de y para mujeres migrantes (maiz) existen diferentes niveles y estrategias de contenido. En este contexto, el trabajo cultural no surgió por casualidad, sino como una estrategia de „intervenir en el campo simbólico“ y de „cooperar en la producción de bienes simbólicos“. Esta cooperación, a su vez, se basa en el acervo traído de Latinoamérica, pero no es que persiga por ello precisamente afianzar las identidades; más bien priorizar la posibilidad de esbozar nuevas perspectivas. Un método posible de acercarse a la cultura predominante (austríaca) – al que maiz da preferencia – es el de la antropofagia. Ich bin Mitarbeiterin und Mitbegründerin von maiz, einem autonomen Zentrum von und für Migrantinnen2 in Linz. maiz gibt es nun schon seit 12 Jahren. Mein Arbeitsbereich ist ein Zwischenraum zwischen politischer Bildungsarbeit, politischer Kulturarbeit und Öffentlichkeitsarbeit. Eine Verbindung zu Lateinamerika war von Anfang an gegeben, da alle drei Gründerinnen von maiz aus Brasilien kommen. Ich lebe schon seit 19 Jahren in Österreich und es bedeutet für mich jedes Mal ein Unbehagen, wenn ich als Lateinamerikanerin für Vorträge eingeladen werde. Ich empfinde es als extrem kompliziert und gleichzeitig als unzulänglich, wenn ich dazu gebracht werde, mich auf die Schiene der kulturellen Identität einzulassen. Im 1
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Der Text beruht auf dem mündlichen Vortrag von Rubia Salgado im Rahmen des Symposiums onda latina En Las Artes Visuales im project space der Kunsthalle Wien am 6. Mai 2006 und auf einem Artikel der Autorin in der Publikation aus dem Moore, Elke/Ronna, Giorgio (2005): Entre Pindorama, Nürnberg: Verlag für moderne Kunst. http://www.maiz.at 149
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Rahmen dessen gibt es sehr viele Implikationen, deren Erwähnung zu weit führen würde. Was ich erwähnen möchte, ist, dass maiz eine der wenigen Organisationen von Migrantinnen in Österreich ist, die sich nicht ethnisch organisiert. Am Anfang waren wir zwar hauptsächlich Lateinamerikanerinnen, was sich innerhalb von zwei bis drei Jahren geändert hat. Mittlerweile sind Frauen aus Afrika, Asien und Osteuropa an unseren Aktivitäten beteiligt. Am Anfang hat sich die Arbeit von maiz hauptsächlich auf den Sozial- und Bildungsbereich konzentriert. Bald ist uns bewusst geworden, dass wir uns auch im Feld der Kultur bewegen, denn wir haben im Rahmen unserer Bildungsarbeit begonnen, auf fiktionalen Ebenen zu arbeiten. Ein Beispiel für ein derartiges Experiment war der Versuch, die deutsche Sprache beim Theaterspielen nach der Methode des Forum Theaters zu vermitteln. Anschließend wurden die erarbeiteten Stücke öffentlich präsentiert. Es entstanden weitere Projekte und Experimente. Wir begannen infolge dessen, KulturProjekte zu entwickeln und sie als solche zu benennen. Und damti betraten wir auch den Bereich der Kulturpolitik. Die Arbeit, die wir machen, ist auf der einen Seite die Realisierung von Projekt-Ideen, andererseits wird die Partizipation auf der Ebene der Kulturpolitik angestrebt, strategisch verfolgt und umgesetzt. Wir sind rasch Mitglied der Kulturplattform Oberösterreich (KUPF) und einige Zeit später auch Mitglied der IG Kultur Österreich geworden. Über diese Bereiche hinaus gibt es bei maiz noch die Ebene der Theorieproduktion von Migrantinnen, und das Ziel, als organische Intellektuelle in der politischen Arbeit zu agieren. Diese Vorgehensweise steht in klarem Zusammenhang mit unserer Erfahrung. In Lateinamerika gibt es feministische Gruppierungen, die zwar aus dem akademischen Feld kommen, denen es aber gelungen ist, die Verbindung zwischen Praxis und Theorieproduktion zu erhalten. Ein Beispiel dafür sind die „Mujeres Creando“ aus Bolivien, eine Gruppe von Feministinnen, die sowohl auf der Diskursebene als auch in der Praxis, in Zusammenarbeit mit Analphabetinnen, Arbeiterinnenen, Künstlerinnen u.a aktiv sind. Solche Gruppen und deren Erfahrungen haben unsere Arbeit in Österreich stark beeinflusst. „Mujeres Creando“ sind eine sehr wichtige Referenz für uns, weil sie künstlerisch-aktionistisch und politisch arbeiten, poetisch 150
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und offensiv sind. In deren Arbeit spielt auch der Humor eine entscheidende Rolle, was ich als besonderes Merkmal für Bewegungen in Lateinamerika benennen würde. All diese Erfahrungen haben wir in unseren „Rucksäcken“ aus Lateinamerika mitgebracht. In Europa angekommen, waren wir dann als Frauen und Migrantinnen mit Rassismus und mit den perversen Zusammenspielen dessen mit Sexismus konfrontiert. Die Verarbeitung all dieser Erfahrungen, Kenntnisse, Zugänge, Zusammenhänge, die wir in Lateinamerika, mit Lateinamerika und in der Migration machten, versuchen wir in Handlungen und Reflexionen zu transformieren. Hinzugefügt muss noch werden, dass unsere Entscheidung, im Kulturbereich zu arbeiten, kein Zufall ist. Sie leitet sich ab von der Strategie, im symbolischen Feld zu intervenieren, in der Produktion von symbolischen Gütern mitzuwirken. Die Frage nach der Wirksamkeit dieser Vorgangsweise ist extrem schwierig. Was dadurch kurzfristig oder sogar mittelfristig zu erreichen ist, bleibt oft unklar. Aber wir wissen, dass wir hier die Möglichkeit haben, mit Migrantinnen eine politisierende Arbeit durchzuführen. Im Rahmen unserer Kultur- und Kunstprojekte sind zahlreiche Frauen involviert, welche die Möglichkeit zu Reflexion, zu Auseinandersetzung, zum gemeinsamen Tun, zum gemeinsamen Entwerfen haben. ‚Entwerfen‘ ist dabei ein wesentlicher Begriff für uns: Er steht in Zusammenhang mit der Okkasion für die Arbeit im fiktionalen Bereich. Wir sehen diese als Möglichkeit des Entwurfs von Perspektiven, wir imaginieren das Revolutionäre und Utopien, die sich entwerfen lassen. Wir reden über ‚Entwürfe‘, über Schritte in Richtung eines begehrten Zustands, wir reden über begehrte Entwicklungen, über Begehren an sich. Dies ist im Feld der Fiktion eher möglich als im Feld der Dokumentation. Wir fragten uns, inwieweit die Arbeit im Dokumentarbereich interessant für uns wäre, haben auch schon einige Erfahrungen damit gemacht. Es stellt allerdings eine enorme Herausforderung dar, innerhalb von dokumentarischen Arbeiten diesen Schritt zum Entwurf von Perspektiven und zur Utopie zu machen. Im Dokumentarbereich bleibt man zumeist auf der Ebene der Feststellung von Zuständen, was uns nicht genügt. In bestimmten Momenten ist es strategisch wichtig, solche Arbeiten zu realisieren, aber nicht immer. 151
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Um das Verhältnis zwischen der Arbeit von maiz und den lateinamerikanischen Erfahrungen und kulturellen Zusammenhängen einiger der Mitwirkenden wieder ins Bild zu bringen, muss der Begriff der Anthropophagie genannt werden, der bedeutet: das Fressen von Menschen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist in Brasilien unter dem Begriff der Antropophagie eine Bewegung in Kunst und Literatur entstanden. Dabei ging es um eine Strategie der KünstlerInnen und AutorInnen gegenüber den Kolonisatoren, gegenüber Modellen von künstlerischer Produktion, die in Europa entstanden und als Zwang, als enge Vorschriften zur Produktion, in die Kolonien exportiert worden sind. Diese Gruppen von KünstlerInnen und AutorInnen haben begonnen, den Umgang mit dem Kolonisator, mit Europa, zu verändern, indem sie die Idee des Kannibalismus umgedeutet haben. Sie arbeiteten mit der Metapher, dass die BrasilianerInnen die EuropäerInnen fressen würden und begannen einen Prozess der Verdauung, der Manipulation, der Verwertung und der Dekonstruktion von Informationen, Kontexten, Theorien, Praxen und Modellen. Die Menge an Vorschriften und Modellen wurde geschluckt und mit anderen Positionen und Traditionen vermischt. Heute sehen wir die Anthropophagie als ein mögliches strategisches Vorgehen gegenüber der Dominanzkultur – insbesondere im Hinblick auf die Prozesse der kulturellen Produktion im Zusammenhang mit unserer Öffentlichkeitsarbeit. Denn die Anthropophagie bietet uns eine Möglichkeit, unter der Herrschaft einer Dominanzkultur etwas zu produzieren, das keine nach den von den Machthabern vorgeschriebenen herrschenden Regeln ‚erlaubte‘ Wiedergabe ist; aber zuerst (und immer wieder) muss der Andere wie eine Beute assimiliert werden. Das Verb ‚assimilieren‘ wird hier absichtlich benutzt, um es im Einklang mit der dargestellten Strategie zugleich als Beispiel einzusetzen. Die Assimilation ist eine bekannte Aufforderung der breiten Öffentlichkeit an MigrantInnen. Wir nehmen dieses Wort und benutzen es in unserem Sinn, aus unserer Perspektive, und erinnern die LeserInnen gleichzeitig an die Perspektive der Angehörigen der Dominanzkultur. Diesmal haben wir jedoch die Rolle der Protagonistinnen übernommen: „wir assimilieren euch, wir drohen euch, wir fressen euch“. Die Machtgefälle werden wieder an die Oberfläche gerückt, aber die frühere Ordnung und die Zuteilungen sind gestört. Das Verhältnis ist verkehrt. 152
KULTURARBEIT ALS MIGRANTINNEN UND LATEINAMERIKA IM RUCKSACK
„Anderseits und gleichzeitig fressen wir euch. Auch eure Sprache fressen wir. Wir verzehren Diskurse, die uns untersagt werden, wie den des Austro-Patriotismus: ‚Austria we love you. Wir werden dich nie verlassen.‘“3 Ein wichtiges Anliegen in diesem Zusammenhang bildet die Unterscheidung und Abgrenzung unserer anthropophagischen Haltung von einer multikulturalistischen Position. Wie gewährleisten wir diese Abgrenzung? Einerseits geschieht dies durch die Selbstdefinition des Begriffes „Migrantin“ als eine strategisch konstruierte Identität andererseits durch das beabsichtigte Ablösen von herkömmlichen Klischees. Das heißt, wir versuchen, ein anthropophages Handeln zu realisieren, das sich von einem Paradigmenwechsel ausgehend entfaltet: Migrantinnen als Protagonistinnen, die sich bewusst eine Identität konstruieren, um innerhalb einer strategischen Handlung bestimmte Ziele zu verfolgen. Weiters positionieren wir uns gegen die Idee der kulturellen Verschmelzung, die für den Multikulturalismus typisch ist. Wir weigern uns, als Fremde und Unbekannte für die Beobachtung und Untersuchung zur Verfügung zu stehen. Wir liefern keine Kulturfragmente an KünstlerInnen, KulturarbeiterInnen, MedienarbeiterInnen und WissenschafterInnen. Wir kritisieren und positionieren uns gegen die „Vereinheitlichung der Welten“. Und wir versuchen, den Denkansatz „Wir und die Anderen“, der letztendlich eine Weiterführung des vorherrschenden rassistischen Diskurses bedeutet, in Frage zu stellen.
3 Anlass für die Formulierung und ‚Veröffentlichung‘ dieses Satzes war die Verleihung des Interkulturpreises durch die SPÖ Oberösterreich an maiz im Jahr 1999. Zur Preisverleihung gingen wir als Gruppe (über 20 Migrantinnen) trotz Aufregung und Ablehnung seitens der OrganisatorInnen auf die Bühne. Als ‚Dankeschön‘ wurden ausgeschnittene Herzen mit dem obigen Satz verteilt: zuerst an die anwesenden PolitikerInnen und BeamtInnen, dann auch an das Publikum. Seitdem werden unsere Herzen zu verschiedenen Anlässen in der Öffentlichkeit verteilt. 153
VIVA
O
B A S TA R D I S MO !
S T R AT E G I E N Z U R E N T WI C K L U NG K U L TU R E L L ER I N D IV I D U A LI T Ä T IN D E R P O P U L Ä R M U S I K A M B E I S P I E L C É L IA M A R A SILVIA SANTANGELO JURA Ser una migrante latinoamericana y tomar la música con dedicación artística ... suena más romántico de lo que realmente es. „Viva o bastardismo“ hace visibles los muros invisibles contra los que chocan las artistas no blancas en el negocio pop europeo sexista y anglosajón, critica las categorizaciones musicales de tipo racista y que parten de posiciones burguesas, surfea por el mundo del pop desde una perspectiva de género, y analiza el concepto de world music con sus respectivas propuestas y los mercados que implica. Basándose en la obra de la migrante brasileña Célia Mara, residente en Austria, „Viva o bastardismo“ se propone hallar estrategias creadoras de identidad (y necesarias para la supervivencia) en el marco de las exclusiones esbozadas. A pesar de todos los obstáculos, la world music se percibe como una oportunidad de superar el etnoeurocentrismo y de contribuir a una „cultura mundial“ de carácter global.
G e d a nk en z ur k ultu r ell en H egem o nie „Bastardista: internationalistisch, von Latein bastardus, bastardar, durchbricht Geschlechts-, Klassen- und Rassenstrukturen, hybrid; historisch: Produkt weiblicher Kompromisslosigkeit; aktuell: nu brazilian flavour“ (Lexikon des guten Tons, Universalausgabe 2005).
Das ist die Essenz und werbetechnische Formulierung unserer Überlegungen zu Célia Maras aktueller Produktion „bastardista“. Der Name entstand in langen Diskussionen, wir überlegten, wie wir die155
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se schwierige Brücke zwischen Célia Maras stilistischer Vielfalt, ihren musikalischen Intentionen, den Botschaften, die in den Songs vermittelt werden, unseren politischen Grundsätzen und Überlegungen, einer allgemeinen Positionierung im Rahmen des Musikmarktes und einem leicht verständlichen, werbetechnisch funktionierendem Albumtitel schaffen könnten. Gleichzeitig war uns die Signalisierung einer brasilianischen, musikalischen Basis – bzw. eines eindeutig zuordenbaren Ursprungs – wichtig. Aber ebenso grundlegend war die Kommunikation des Überschreitens der dadurch vorgegebenen stilistischen, sprachlichen und inhaltlichen Grenzen. Auch sollte der Widerstand gegen die kulturelle Hegemonie (insbesondere auch die Hegemonie der Geschlechterverhältnisse) hervorgehoben werden und eine eigenständige Identitätsbestimmung erfolgen. Wie wir zur Formulierung und Definition von „bastardista“ gekommen sind, möchte ich zum Gegenstand des vorliegenden Artikels machen. Die Reise wird uns durch die Welt der Populärmusik führen, die Grenzen zwischen Pop, Worldmusic, Jazz und Electronic ausloten, dabei soziale und klassenbezogene Zugänge zu Musik betrachten, dem Themenkreis Migration/ kulturelle Identität besonderes Augenmerk schenkend – und das Ganze auf unserer Gender- und Ethnizitäts- Skala auf- und abspielen. Ich werde daher versuchen, Célia Mara über ihre musikalischberufliche und künstlerische Identität zu definieren, um anhand ihrer Arbeit ihre Position als „Latina-Migrantin“ in Österreich festzuhalten. Ein Ausflug in die Welt des Pop und der Worldmusic ermöglicht einen exzellenten Zugang zu globalen Zusammenhängen, Kunstverständnis und -definitionen, Ethno- und Eurozentrismus, Patriarchat und Widerstand. Lokal und Global verschmelzen, Markt und Kunst treffen aufeinander, die Rezeption in den Medien ist Spiegel der Machtverhältnisse. Angelehnt an Stuart Hall... „[…] daß die Kultur eher im Hinblick auf ihre Beziehung zwischen einer sozialen Gruppe und den Dingen, die deren Lebensweise ausdrücken, betrachtet werden muß, als im Hinblick auf die Dinge selbst - also nicht das Bild, der Roman, das Gedicht, die Oper, sondern die Beziehung zu der sozialen Gruppe, deren Leben sich in diesen Objekten widerspiegelt“ (Hall 1977: 55).
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…werde ich Célia Maras „bastardista“ beispielhaft für das musikalische Schaffen einer in Wien lebenden, nicht weißen Migrantin aus Brasilien werten und ihren Weg der Identitätsfindung damit unterstreichen. Es geht darum... „[…] die Negativität der Verhältnisse, deren Widersprüche und die Einschränkungen der menschlichen Freiheit in ihrem umfassendsten Sinne [zu] reflektieren. Und in dieser Negation könne die Utopie eines richtigen Lebens allenfalls durchscheinen“ (Müller: o.a: IZ3W: 1).
In Anlehnung an Trinh T. Minh-has Konzept „inappropriate/d other“ (die un/an/geeigneten Anderen), geht es darum, Werkzeuge anzubieten und Perspektiven zu eröffnen, die... „[…] von allen, die von dem gesellschaftlichen Standard der ‚Normalität‘ marginalisiert worden sind, aufgegriffen und eigenständig benutzt werden [können]. Man kann nicht alles explizit berücksichtigen, man kann nur über bestimmte spezifische Themen sprechen, aber man kann mit den Ohren anderer marginalisierter Gruppen hören“ (Minh-ha 2001: 50).
Célia Mara gelang es 2005, sich mit ihrem aktuellen Album „bastardista“ unter den besten Alben des Jahres in den europäischen Worldmusic-Charts zu platzieren, in Griechenland wurde sie sogar in den LP-Verkaufs-Charts zwischen Namen wie Madonna, Shakira oder Robbie Williams gelistet. Sie erlangte internationale Aufmerksamkeit, wurde in Europa, den USA, Russland in der Fachpresse besprochen, wird auf große, internationale Festivals eingeladen, wo sie die Bühne mit den Superstars des globalen Musikmarkts teilt. Und das, obwohl die „Standardvorgaben für Erfolg“ auf sie überhaupt nicht zutreffen. Célia Mara ist weiblich. 100 Prozent Brasilianerin. Nicht mehr jung. Eindeutig afro-euro-indigenen Ursprungs. Kommt aus einer Kleinstadt im Landesinneren. Ist Migrantin in Europa. Sie singt und spielt Gitarre. Vor allem aber komponiert sie alle ihre Songs, textet, bearbeitet und arrangiert sie am Computer selbst, leitet die Produktion und – auch – ihre Band. Sie ist ‚strictly independent‘ unterwegs, ihr Musikstil trägt unverkennbare brasilianische Charakteristika, ist jedoch sonst nicht nur einer bestimmten Kategorie zuordenbar – im weitesten Sinne handelt es sich jedenfalls um aktuelle, qualitativ hochwertige Populärmusik. 157
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P o p k ul t ur – we r is t „p o p ul a r “ ? Sobald wir uns in die Welt der Populärmusik begeben, stoßen wir sofort auf die weiße, männliche und heterosexuelle Normativität, wie sie Rosa Reitsamer so treffend in ihrem Artikel „Walk on the white side“ (Reitsamer/Weinzierl 2006: 169-179) beschreibt. In Anlehnung an Ruth Frankenberg hebt sie den Themenkreis Rassenprivilegierung hervor, welcher sich in der Normativität und der strukturellen Bevorzugung des Weiß-Seins in der Populärmusik ausdrückt. Ein Beispiel ist in der Tatsache zu finden, dass alle Arten von Musik eine eigene Bezeichnung haben, es gibt bloß keinen Begriff für „weiße Musik“. In der Musikwissenschaft, so analysiert Wicke (1992: 6), sei der Werte- und Werkekanon „großer Musik“ ausschließlich auf die europäische Tradition der letzten 300 Jahre beschränkt. „So gilt eben alles, was dem vereinbarten Kanon entspricht, schlechthin als Musik, wogegen alles andere schon terminologisch diesem ebenso unreflektiert wie unzulässig generalisierten Musikbegriff durch Voranstellen eines qualifizierenden Adjektivs subordiniert ist“ (Wicke 1992: 6).
Dieses Konzept beinhaltet eine Wertung und Klassifizierung, welche auf die Populärmusik im breiteren Sinne ebenso anzuwenden ist wie auf die Worldmusic im Speziellen, worauf ich jedoch weiter unten zurückkommen werde. Im Feld der Populärmusik zeichnet Reitsamer im o.a. Artikel die historische Entwicklung der verschiedenen Musikstile, ihrer Protagonisten (und wenigen Protagonistinnen), ihrer Zielgruppen auf. Treffend definiert sie, dass von den 1960er bis zu den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts die Bühne, v.a. in der Rockmusik, entweder als Schauplatz für dominantes, aggressives, männliches Sexualgehabe – (der Phallus steht im Zentrum/Cock Rock), oder für SoftiePhantasien des romantisch verklärten Heroes (Teenypop) oder als Alternative im Genderspiel (David Bowies Glamrock) genützt wurde. Die Rolle der Frauen war im Allgemeinen auf das romantische Singer-Songwriterin-Image oder die sexy Rocksängerin beschränkt. Selbst im Punk war die Männlichkeit zentrale Inszenierung, das Publikum vorwiegend aus der weißen Mittelschicht. Durchgängig lässt sich die Inszenierung und dadurch die Festigung
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der, die kulturelle Hegemonie beanspruchende, heterosexuellen Männlichkeit beobachten. Erst in den 1980er Jahren untergraben afroamerikanische ProduzentInnen und DJ’s (Hip Hop, House, Techno) sowie queere Bewegungen und „Riot Grrrls“ die weiße und männliche Hegemonie in der internationalen Musikindustrie. Feministische Kritik greift die unhinterfragten Männlichkeitsbilder an – gleichgültig ob in der angelsächsischen oder afroamerikanischen Musikszene. So kritisiert z.B. Angela Davis die Nicht-Sichtbarkeit der schwarzen Frauen in den Dokumentationen afroamerikanischer kultureller Entwicklungen (vgl. Fichna 2006: 46). HipHop zeigt sich als treibende Kraft der Beanstandung weißer Hegemonie, wobei jedoch auch hier die Hautfarben- und Klassenmarkierung der Protagonisten eine Essentielle bleibt; die Rolle der Frau ist darin noch weiter reduziert – ihre Geschlechter- und Hautfarbenmarkierung steht im Vordergrund: festzuhalten ist… „[…] dass sich die Subjektpositionen Schwarzer Hip-Hop-Musikerinnen gegen mehrere, ineinander verwobene postkoloniale Diskursstränge behaupten müssen: Patriarchale Machtverhältnisse und Sexismus innerhalb der Black Community, dazu Rassismus und die Exotik des ‚Anderen‘ nach außen hin. […] Die ‚Hip-Hop-Bitch‘, […] ist jedenfalls eine von nur sehr wenigen Subjektpositionen, die die Lebensverhältnisse vieler Schwarzer Musikerinnen zulassen“ (Fichna 2006: 53).
Dies bestätigt wiederum die Verbindlichkeit der männlichen weißen Popidentität, welche als einzige eine Vielzahl von unterschiedlichen Repräsentationsformen ermöglicht. In den 1990er Jahren erweitert sich die weiße maskuline Identitätskonstruktion um die Komponenten „BritPop“ und „Hamburger Schule“, welche als „zwei popkulturelle Phänomene, die bereits etablierte Stereotype weißer, männlicher Popidentität einer Rekonfiguration unterziehen und sie an die veränderten Gegebenheiten der Musikindustrie anpassen“ (Reitsamer 2006: 177) verstanden werden können.
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G l o b a l e „M ehr h eit s -“ K u lt ur Diese angelsächsisch, männlich dominierten Repräsentationsformen kennzeichnen auch den österreichischen Musikmarkt, der für die Migrantin Célia Mara den aktuellen Lebensmittelpunkt darstellt. Die verschiedenen Populärmusikszenen – zwischen Jazz, Electronic, Alternative, Rock – sind klar zugeordnet. Für die Brasilianerin bieten sich wenige Alternativen – Jazz scheint eine Nische zu sein, die Kategorien „Latin-Jazz“ oder „Brazil-Jazz“ versprechen allerdings Lebensfreude und Exotik auf gepflegtem Niveau. In der Elektronik dominiert hingegen die „Nova Bossa“-Welle, in den Clubs wird mit Dancefloor und Sambafedern geworben: „Sängerinnen immer willkommen!“ Eine eigenständige Repräsentationsform als Künstlerin, die sich zwischen „Nu-Jazz“ und „BrasilPopular“ präsentiert, und ihre musikalischen Identitäten frei wählen kann, ist ein Privileg, welches ihr als ‚Latina‘ und Frau eigentlich nicht zusteht. Die Frage der Eigenständigkeit ist zentrales Thema – Musikjournalist Thomas Venker (Spex) schätzt den Frauenanteil in Führungspositionen (z.B. als Bandleaderin, Produzentin) in der Welt der aktuellen, auch alternativen Populärmusik, ganz konkret in der Elektronik auf fünf Prozent; besonders in der Produktion – wie bei den Labels – werden die Fäden größtenteils von Männern gezogen: werfen wir einen Blick in die Berufsverbände der Plattenindustrie – ob Independent oder Major: es gelingt beim bestem Willen nicht, Venker zu widerlegen. Venker meint: „In der Regel kommt Musikerinnen auch in der elektronischen Musik das dekorierende Moment zu: Sie veredeln zumeist mit ihrer Stimme die Musik von Typen“ (Venker 2003: 133). Frauen in der aktuellen Populärmusik – ob in Pop, Jazz oder Electronic sind nach wie vor größtenteils Sängerinnen – und repräsentieren die Ideale der gewünschten Weiblichkeit – ob sanft oder aufreizend, erotisch oder kumpelhaft – Popkultur kann definiert werden als… „[…] eine patriarchal organisierte, männlich dominierte und sexistische Kulturpraxis, gekennzeichnet dadurch, dass sie zwischen Mann und Nicht-Mann trennt und Weiblichkeit als eine Projektionsfläche für männliche Projektionen begreift“ (Klein 2001:23).
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Die Medien reflektieren das hier Angeführte, es reicht, einschlägige Publikationen durchzublättern und den Anteil an Stories über Musikerinnen mit jenem über Musiker zu vergleichen, es reicht, die Playlists nach weiblichen Produzentinnen zu durchforsten, die Nominierungen und dann auch die PreisträgerInnen zu „Musiker/in, Album, KomponistIn des Jahres“ nach ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft zu analysieren. „Ähnlich wie die Gender-Markierungen durchziehen auch rassistische Markierungen unausgesprochen die Popkultur. Diese Markierungen werden als vermeintlich positiver Exotismus inszeniert, lassen den solcherart markierten Akteurinnen aber kaum Spielraum. Ein positiver Bezug auf eine spezifische kulturelle Identitätskonstruktion oszilliert zwischen Affirmation und Ambivalenz, zwischen politischem Empowerment qua Sichtbarmachung und der Reduktion auf den sexualisierten rassisierten Körper“ (Kiessling/Stastny in Reitsamer/Weinzierl 2006: 36).
Das Rotlicht auf unser Gender- und Ethnizitäts-Skala leuchtet im Dauerbetrieb – die Popkultur bietet keine Poleposition für „nicht weiße Weiblichkeit“. Die „imperialistische Weltordnung“ wird im Mainstream wie auch in der Subkultur erfolgreich fortgeführt. Popkultur – im Sinne eines weit verbreiteten kulturellen Phänomens mit identitätsstiftendem Charakter – kann „als ein Geflecht von Verhältnissen verstanden werden, deren Struktur durch soziale Konflikte, Machtverhältnisse, ökonomische, politische und ideologische Prozesse geprägt und bewegt wird“ (Wicke 1992: 10). Die Analyse der Populärmusik entspricht somit spiegelgetreu einer Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse – für Célia Maras Musikproduktion bedeutet das, dass entweder ‚Unterwerfung‘ und Anpassung an die bestehenden Normen brasilianischer Gefälligkeit verlangt wird – oder ein Weg des Widerstandes – ein Ausschluss von den Normen – gewählt wird. „Über diesen Ausschluss werden Frauen auch als Subjekte konstituiert. Sie werden über den Ausschluss aus dem Feld in die Machtbeziehungen des Feldes einbezogen, sie sind ‚im Grunde genommen, von den Machtbeziehungen befähigt zu sein‘, was aber auch heißt, dass sie ‚nicht auf deren existierende Formen reduzierbar sind‘“ (Butler 1995 zit. in Baier 2006: 3).
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Judith Butler öffnet mit ihrem Konzept von Doing-Undoing Gender die Möglichkeit, aktiv identitätsbildend zu wirken. Dieses Konzept ist für die Positionierung am Musikmarkt extrem hilfreich. Das Infragestellen und Lösen von biologistischen (Gender- und ethnischen) Normen und die aktive Thematisierung des Ausschlusses ermöglicht das Entwickeln von gegensteuernden Strategien. Wie Angelika Baier (2006) dazu treffend bemerkt: „Es stellt sich also die Frage, wenn Frauen erst in der und durch die heterosexuelle(n) Matrix als Subjekte konstituiert werden, welche Wege sie ergreifen, um aus dem hierarchischen bipolaren Modell auszubrechen, demgemäß der weibliche Teil immer das Supplement darstellt“ (Baier 2006: 3).
Weiblicher Widerstand gegen hegemoniale weiße Männlichkeit – der findet sich im Begriff „Bastard“ wieder, der Negierung der Reinheits- und Ausschliesslichkeitsgebote, der Wahl eines unabhängigen, jenseits der Normen liegenden Weges. „Bastard“ spiegelt gleichzeitig auch die prinzipielle brasilianische Identitätsfrage wider. Trotz großer afro-brasilianischer Mehrheit in der Bevölkerung und entsprechender kultureller Prägung, baut die brasilianische Dominanzkultur auf einem jüdischchristlichen Weltbild und dessen Werten auf; Kunst, Kultur und Wissenschaft unterliegen einem patriarchalen, eurozentristischweißen Wertesystem, welches auch den Markt dominiert.1 Geht es um kulturelle Ausdrucksformen – und im Speziellen um den Zugang zu Musik und Tanz und deren medialer Vermittlung (Medien, Video, Tonträger) – führt der Weg zu Emanzipation und Sichtbarkeit über die Dekonstruktion dieses herrschenden Wertesystems. Ich nenne sie Strategien kultureller Individualität – der „Bastard“ wird vom fremddefinierten Objekt zum eigenständigen Subjekt – und verändert seinen Namen in „bastardista“. Eine Verweiblichung und Generalisierung findet statt. „Indem der Zusammenhang einer Anzahl von dominanten Werten und Symbolen abgelehnt wird und die strenge Ordnung des vorherrschenden, Konsens-Systems in eine widerspenstige Collage, in eine Bricolage von 1 Für eine ausführliche Diskussion hinsichtlich institutionellem Rassismus in der Kultur in Brasilien siehe meine Arbeit: Nika Jaina: die Göttin, die für die Frauen kämpft (Santangelo Jura 2002). 162
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differenten Enblemen dekonstruiert wird, unterlaufen diese Stile die hegemoniale Ordnung“ (Erlmann 1995: 13).
Damit schließt Célia Mara an die brasilianische Musiktradition der „MPB“ (música popular brasileira) und des „Tropicalismo“ an – musikalische Ausdrucksformen mit explizit politischen Inhalten, narrative Konzepte, welche jenseits von Purismus und Einheitsbrei Alternativen gesucht und geschaffen haben. Die „MPB“ war ja eine der Trägerinnen des Widerstandes gegen die brasilianische Militärdiktatur und ist bekannt für das Aufgreifen von brisanten, sozialpolitischen Themen – wozu der Rassismus sicherlich zählt „A música é, talvez, o campo da sociedade brasileira que mais incorporou, não só a presença do negro, mas a tematização aberta da problematica racial.“ („Wahrscheinlich ist Musik der Platz innerhalb der brasilianischen Gesellschaft, der am meisten, nicht nur die Präsenz der Schwarzen, sondern auch die öffentliche Thematisierung der rassistischen Problematik übernommen hat“, Übers. d. Autorin aus Ramos 2002: 86). Auch die Sambista Lecie Brandão führt aus, dass die brasilianische Musik Rassismus und „Negritude“ sehr stark thematisiert, eine Tradition, die sich aus dem Samba herleitet und jetzt im HipHop mündet. Allerdings ist der Zugang zu den Medien beschränkt: „[…] os criticos não falam das músicas que tocam nas questões sociais. Quem toca na ferida tem que ser marginalizado. Sambista que se apresenta com um recado pesado, dizendo verdades, não interessa para o sistema; porque esiste o samba que nos interessa, é o samba que interessa para a mídia“ (Brandão 2002: 91).
Es ist kein Platz für Kritik im System vorgesehen. Musik wird als kreativer Weg verstanden, die Rassentrennung zu überwinden und die Afro-Deszendenz aufzuwerten. In der aktuellen brasilianischen Populärmusik bleibt jedoch der politische, gesellschaftsverändernde Zugang vorwiegend in den musikalischen Bewegungen aus den Favelas zu finden – allerdings ist die Genderfrage in Rap, HipHop und Favela-Funk mit jener in den afroamerikanischen Bewegungen zu vergleichen. Lecie Brandão sieht in der vulgären Sprache des „Favela-Funks“ jedoch die Spiegelung der aktuellen sozialen Problematik – den Zusammenbruch des Schulsystems in den Favelas. Sie kritisiert 163
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auch die ‚Großen‘ der „MPB“ wie Caetano Veloso, Chico Buarque, die während der Diktatur das System kritisierten, jedoch die aktuellen Missstände nicht mehr in ihrer Musik erwähnen – und sich für ‚weiße Mittelschichtskultur‘ entschieden haben. Die spezifisch brasilianische Situation hat Célia Mara geprägt – ihre soziale Verantwortung wurzelt in den angeführten Missständen; durch ihre Migration hat sich allerdings ihre Zielgruppe verändert; sie singt für ein Publikum, welches kaum Portugiesisch versteht und keinen Zugang zur brasilianischen Rassen- und Klassenproblematik hat. Die Reproduktion des Gelernten, bzw. die Übernahme und Weiterführung einer ‚authentisch brasilanischen‘ Musiktradition erwiese sich somit als sinnentleertes Handeln.
Mi r a c u lix’ Mel t ing p o t Aber wie gestaltet sich nun Célia Maras Zugang zu Medien und Musikmarkt? Die Frage nach einer eindeutigen Kategorisierung ist in der Positionierung essentiell, spiegelt aber gleichzeitig die normative Kraft der Mehrheitsgesellschaft und ihrer Kulturkonzepte. Wie des Druiden Miraculix’ Zaubertrank, der unglaubliche Kräfte verleiht, bietet sich die „Wunderkiste Worldmusic“ als Lösung aller Probleme für widerspenstige Migrantinnen an. Gemischt, geschüttelt, gekocht…wir verlassen die „normale“ Popkultur und begeben uns in eine andere Dimension: Worldmusic wird im allgemeinen nicht unter Populärmusik subsumiert, wo eben nur westliche Musikstile – wie Rock, Punk, Alternative, Indie etc. – zu finden sind. Pop aus dem Kongo, „MPB“, Indischer Pop – Musikstile, die wirkliche Massen bewegt haben – werden weder in den Medien noch in der Öffentlichkeit als Pop wahrgenommen, sondern exotisiert als musikalisches Minderheitenprogramm dargestellt.2 Worldmusic ist ein Politikum – die Projektionen blühen – und der Markt ist entsprechend aufgeteilt: vom „authentisch-folkloristisch-exotischen Klischee“ über das „revolutionär-subversiv-lokale Empowerment“ bis hin zur „neuen globalen Weltkultur“ teilen sich lokale, nationale und multinationale Labels, Vertriebe und VeranstalterInnen proportional den Kuchen – von den handgefertigten
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Selbstverständlich ist diese Anmerkung auf den europäischen Markt bezogen. 164
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Musikkassetten bis hin zum Platin-gekrönten CD- und LP-Verkauf, von der Non-Profit-Party bis zu den Mega-Festivals. Im konservativen Sektor werden die verlorene Authentizität, die einfache Abgrenzung von den dominanten anglo-amerikanischen Produktionen, das Ethnische, das Fremde, das Exotische – und, „Gott sei dank – es ist traditionell“ verkauft; die UniversalistInnen und HumanististInnen finden, wie Erlmann (1995: 1) es bezeichnet „ein zuversichtliches Hirngespinst von einer globalen Ökumene“, es ist eine Form von „auditivem Tourismus“, welcher von der Gegenüberstellung und Differenzierung vom Anderen lebt und den westlichen Ethnozentrismus und damit auch die angebliche kulturelle Überlegenheit verstärkt (vgl. Goodwin & Gore 1990: 76). Das Beharren auf statischen Traditionen und Werten ist charakteristisch für die westliche Gesellschaft, welche in einer Wertekrise steckt und dabei keinen Platz für Veränderung schaffen möchte. „Symptomatisch für die Industrieländer ist doch, daß die Radioprogramme auf massenmedialem Level die strengen kolonialen Kategorien auch im postmodernen Zeitalter beibehalten“ (Guilbault 1995: 35). Dies bedeutet natürlich auch, dass der Zugang zum Musikmarkt – ob zu den Medien oder zur Industrie – den gleichen Regeln unterliegt, wie wir sie im Verhältnis Nord-Süd, ZentrumPeripherie, Dominanz- und Subkultur, etc. finden. Worldmusic beruht auf dem, in einem eurozentristisch geprägten Verständnis, geschaffenen Terminus „Welt“, welcher sich durch Ausschluss definiert: Welt ist das ‚Andere‘, das, was nicht unserem westlichen (und im speziellen Musikkontext: dem angelsächsischen) Kulturverständnis bzw. dem Kulturverständnis einer ökonomisch relevanten Gruppe entspringt.3 Jazz z.B., auf dessen „afroamerikanischen Ursprung/ Nachkommen der SklavInnen“ immer wieder hingewiesen wird, wird nicht als Worldmusic verstanden. Der Jazz hat sich bereits eine elitäre Extra-Vorsilbenposition in der Musikanalyse erarbeitet – meistens wird von Jazz/Populärmusik gesprochen. Jazz ist ‚weiß‘ geworden: er spricht ein weißes, mittelständisches Publikum an. In den USA wird z.B. auch brasilianische Musik einfach unter ‚Jazz‘ kategorisiert. Dabei wird einfach der elitäre Bossa Nova der ‚weißen‘ 3
Salsa wird in den USA, aufgrund der Pressure- und Consumers Group, als eigene Musikrichtung angesehen. Auch hier gilt das Diktat der Ökonomie.
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Mittelschicht als Mainstream dargestellt, während andere, populärere Musikformen ignoriert werden können. Andererseits wird, aus einem kulturimperialistischen Verständnis heraus, oft auch ernste Musik aus nicht westlichen Kulturen unter einem folkloristischem Ansatz der Worldmusic subsumiert. Kultur und ihre Ausdrucksformen, wie eben die Popkultur, können nicht statisch verstanden werden. Das Feld der Worldmusic ist daher als Austragungsort für die aktuellen Konflikte zu begreifen und die Themen, die die derzeitige politische Diskussion betreffen, können in abgewandelter Form darin wieder gefunden werden. „Der Begriff ‚populäre Kultur‘ beschreibt das Verhältnis zweier Variablen, die sich wechselseitig konstituieren – die gegenständlichen Symbolwelt, Kunst- und Musikformen eingeschlossen, auf der einen Seite, das soziale Subjekt dieser Kultur andererseits“ (Wicke 1992: 11).
Mein Blick richtet sich auf das neu geschaffene soziale Subjekt – „bastardista“, ein hybrides Wesen, welches sich erfolgreich gegen Gender- und ethnische Markierungen widersetzt, seine vermeintliche Authentizität hinter sich gelassen hat und nach einem eigenen Gesicht in der musikalischen Masse strebt.
Wo r l d m usic – a usge s p r o c hen exk l usi v ! Wie wir gesehen haben, ist der Begriff Worldmusic per se Ausdruck einer mehrfachen Exklusion – jenseits der ‚wahren‘ Musik, jenseits der dominanten Kulturnorm, jenseits weißer, heterosexueller Männlichkeit. Gleichzeitig bietet er damit auch eine Chance – ein Markt der ‚Ausgeschlossenen‘ bildet sich heraus. Doch gerade in der Worldmusic ist es wieder die Frage der Markierung, die zentral ist: „Dies steht weiterhin im Zusammenhang mit besonderen Menschengruppen, die mehr über ihre ethnische Zugehörigkeit, ihre Stellung als Gruppe im Weltwirtschaftssystem, ihre kulturellen Werte und ihren traditionellen geographischen Raum […] als über ihr Geschlecht, ihre Generation oder ihre Klasse definiert werden. Diese Begriffsreduzierung scheint sowohl für World-Music-Journalisten und Radiomoderatoren, als auch für Hörer fortzubestehen“ (Guilbault 1995: 33).
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Jocelyne Guibault geht dabei von einem ‚lokal‘ geprägten Worldmusic-Konzept aus, welches die verschiedenen, von Minderheiten oder ethnischen Gruppen geprägten Musikstile, unabhängig davon ob sie im Bereich der Folklore oder moderner Populärmusik angesiedelt sind, in der Kategorie Worldmusic zusammenfasst. In ihrer Analyse definiert sie die Vermarktung und Verbreitung lokaler Musikformen als die Konstruktion von Differenz, als das Behaupten einer eigenen Identität; sie versteht es als Empowerment in der Teilnahme am internationalen Markt und in der Auflösung der BiPolarität Zentrum-Peripherie. Weiters sieht sie ein Übergreifen des Lokalen auf das Globale, was sie als „die Ethnifizierung der Musikformen des Mainstreams“ (Guilbault 1995: 31) bezeichnet. Die weltweite Anti-Globalisierungsbewegung trägt diese „Empowerment-Träger des Südens“ mit – wodurch die Produktionen wiederum Teil der globalen neuen Weltkultur und somit auch des neuen „globalen Marktes“ werden, der wiederum nach der gängigen kapitalistischen Logik funktioniert (siehe Manu Chao, der von Virgin oder WEA/Warner herausgeben wird). Veit Erlmann präsentiert einen anderen Ansatz, der wohl auch in Richtung der Aufhebung der Differenzen geht: „World Music ist Ausdruck einer Umformung räumlicher, historischer und kultureller Identitäten, die die Gesellschaften weltweit charakterisieren. Die zentrale Kategorie dieser globalen Ästhetik, so marginal sie auch gegenwärtig noch erscheinen mag, ist die Synthese. […] Globale Musikkultur und das populäre Klischee von der ‚Musik als universaler Sprache‘ symbolisieren den Sieg der Gegenwart über eine babylonische Vergangenheit“ (Erlmann 1995: 6).
Die Wirkung des Marktes ist jedoch in seinem Ansatz zentral; er verweist auf die Kreation des Terminus durch die Musikindustrie in den späten 1970er/frühen 1980er Jahren und versteht „Worldmusic, Ethno-Pop, World-beat etc.“ als Markenzeichen, welches für einen neuen, verlockenden Markt entwickelt wurde. Für ihn ist die Suche nach und die Einbeziehung von Differenzen integrativer Bestandteil des kapitalistischen Systems: „Differenziertheit vergrößert einfach die Bandbreite für Heteronomie und Chaos, die die historischen Attribute und die Originalität dieser Gesellschaft ausmachen. Die allgegenwärtige Warenproduktion ist das Dach,
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unter dem Differenzierung und Homogenisierung jetzt ihren komfortablen Platz gefunden haben, und zwar als Mitglieder derselben Familie“ (Erlmann:1995: 9).
Die „globale Kultur“ kennzeichnet sich für ihn durch die Universalität des Warenaustausches und des Rechtes auf Konsum, wo wir uns alle im Grunde raum- und zeitlos, vernetzt und verkabelt bewegen. Ian Chambers argumentiert ähnlich, kommt jedoch zu einer anderen Konklusio: „[…] die Klänge aus der Peripherie oder der ‚Dritten Welt‘, das sogenannte ‚world music‘-Phänomen, [können] nicht einfach als kommerzielle Masche, die vom Zentrum aus regiert wird, verstanden werden, sondern auch als ein kultureller, ökonomischer und historischer Wandel, der die wirkliche Natur des Unterschieds von Zentrum und Peripherie umstritten macht“ (Chambers 1995: 45).
Chambers Ansatz beinhaltet die Auflösung der Gegenüberstellung von „Wir und die Anderen“, er sucht Synthesen, Verschmelzungen, entwickelt das Konzept der „Ethik der Differenz“, löst die Grenzen auf. Für ihn geht es nicht mehr um die Suche nach Authentizität, nach Unvermischtem denn: „diese Perspektive beschwört eine hausgemachte, verstohlene Form des Rassismus durch die Identifikation mit dem privilegierten abendländischen Betrachter herauf, und es entstehen ein weiterer ethnozentristischer Wunsch und ein Imperativ dahingehend, was die einheimisch gewachsene Kultur und Authentizität konstituieren sollte“ (Chambers 1995: 47).
Chambers greift den Gedanken von Richard Keamey (vgl. Keamey 1990: 20) auf: „Vielleicht können wir die Inspiration den Musikern und Künstlern der sogenannten ‚Dritten Welt‘ entlocken, die gestärkt sind von der beständigen Konstruktion ihrer Identitäten durch ihren Wandel zwischen verschiedenen Welten und uns mit dem Gedanken der ‚Heimatlosigkeit‘ und Migration als ‚die unumstößliche Bedingung der […] Weltkultur‘ anfreunden“ (Chambers 1995: 47).
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VIVA O BASTARDISMO!
So könne Musik als wirkungsvolles Mittel gegen Eurozentrismus und Vereinheitlichung verstanden werden.
G l üc k l ic h v er e int e s A n d er e s Dieser Markt der „globalen neuen Weltkultur“, der sich durch Synthese und Austausch bildet und ständig Neues produziert, ist jener, den ich nun näher betrachten möchte – und der auch der Platz für Célia Mara ist. Jenseits von Exotismus und Sexualisierung, mit einem starken Augenmerk auf Globalisierung, wird Migration zu einem essentiellen Schlagwort: „weil Migration zu einer beständigen und universellen Bedingung geworden ist. ‚Kultur‘ selbst, in der älteren Bedeutung von einer Art Superstruktur oder ideologischem Gepäck, ist nicht länger mit irgendeiner erkennbaren Form von Ort, Zeit, Tradition oder Klasse verbunden“ (Erlmann 1995: 11).
AkteurInnen und KonsumentInnen lassen ethnische Markierungen weit hinter sich, Grenzen lösen sich auf. Neue musikalische Traditionen bilden sich heraus und verlangen ihren Platz in der Musikgeschichte – so z.B. die „Mestizo Bewegung“, welche sich auf eine spanisch-sprachige Basis stützt, jedoch grenzüberwindend arbeitet. Das Gleiche gilt auch für die neue alpenländische „Volxmusik“, welche die eigenen Wurzeln in einem globalen Kontext thematisiert: „Wir sprechen hier von einer Bewegung, in der kreuz und quer diverse Regionen miteinander in Verbindung stehen. Ein immer instabileres Konzept von ‚Authentizität‘ in einer Welt des musikalischen und kulturellen Nomadentums unterstreicht diese Tendenzen“ (Chambers 1995: 46).
Kosmopolitische Identitäten bilden sich heraus „die je nach Belieben innerhalb und außerhalb des traditionell als totalisierendes System bezeichneten, also von dominierenden Traditionen kontrollierten Systems agieren.(können)“ (Guilbault 1995: 35). Es öffnet sich ein flexibler Zugang zum Musikmarkt und vor allem die freie Gestaltung der eigenen musikalischen Identität. Ganz im Sinne 169
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Butlers wird der Ausschluss zum Werkzeug der Selbstfindung, die Auflösung der Bipolarität ermöglicht das Schaffen eines neuen Weges. „Das Andere selbst hatte dagegen keine Stimme, ihm war nicht erlaubt zu sprechen und den eigenen Sinn des Werdens in den gegenwärtigen Existenzbedingungen zu definieren. Jetzt, wo wir das Binäre dieser separierten Welten, Kulturen und Künste ablehnen und wo wir die Reise zwischen den Welten gewählt haben, die Zeichen, Sounds und Sprachen der Vermischung verstehend, so daß es weder ‚Authentisches‘ noch ‚Unechtes‘ gibt, bedeutet dies nicht, daß es darin keine wirklichen Unterschiede der Erfahrungen, der Kultur und der Geschichte gibt“ (Chambers 1995: 47).
Wenn ich nun den Platz von Célia Mara in der Worldmusic suche, kann ich ihn nur im Rahmen dieser Definition von Chambers finden. Célia Maras Musik ist nicht „authentisch brasilianisch“, nicht „exotisch“. Sie hält sich weder an die vorgegebenen ethnischen noch an die Gendermarkierungen. Ihre „Selbstfindung“ entspricht der Entwicklung eines eigenen musikalischen Weges; dank der Aneignung von elektronischen Produktionstechniken, der Integration von zeitgemäßen, europäischen Popelementen sowie von „globalen Sounds“, welche aus der Begegnung der Kulturen im Rahmen der Migration resultieren, sowie der Schaffung einer eigenständigen Interpretation ihrer musikalischen (brasilianischen) Basisinformationen, erscheint Worldmusic in ihrem Fall als ein Weg des Empowerments. Im „bastardista“-Konzept drückt sich eine Mischung aus, welche auf Célia Maras’ starker kultureller Identität als Brasilianerin und Migrantin aufbaut, aber gleichzeitig die essentiellen Aspekte der modernen, europäischen Gegenwartskultur, die Einbeziehung jener Elemente einer „globalisierten Kultur“, der politisierten Minderheitenfrage und dem aus dem feministischen Diskurs kommenden Selbstverständnis zeugen. In der Subsumierung in der Kategorie Worldmusic schaffen wir neue Identitäten, jenseits nationaler und regionaler Grenzen: „World Music ist Ausdruck einer Umformung räumlicher, historischer und kultureller Identitäten, die die Gesellschaften weltweit charakterisieren. Die zentrale Kategorie dieser globalen Ästhetik, so marginal sie
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VIVA O BASTARDISMO!
auch gegenwärtig noch erscheinen mag, ist die Synthese“ (Erlmann 1995: 6).
Zusammenfassend kann ich daher nochmals auf die Ambivalenz der Zuordnung des Schaffens einer KünstlerIn in die Verschwommene, nicht klar definierte Kategorie „Worldmusic“ hinweisen. Einerseits hebe ich dadurch die mehrfache Exklusion hervor – stelle ihre Arbeit jenseits der ‚wahren‘ Musik und jenseits der dominanten Kulturnorm. Das bedeutet auch die Ausschliessung aus den Mainstream-Vermarktungsmöglichkeiten und Medien. Ich thematisiere rassistische Kriterien, welche sich mit dem Begriff des auditiven Tourismus (vgl. Goodwin & Gore 1990) wunderbar umschreiben lassen, Differenz ist ein zentrales Thema. Andererseits beinhaltet die Kategorisierung der Worldmusic auch den positiven Aspekt der Suche nach eigener Identität jenseits des weissen euro- und v.a. angelsächsischen Kulturzentrismus, beinhaltet das Konzept des Empowerments im Sinne einer „Selbstermächtigung im Eintritt in den globalen Musikmarkt“, drückt auch das politische Ziel der Entwicklung einer globalen „Weltkultur“ jenseits ethnischer und nationaler Grenzen aus. Es steht für die Übernahme anderer musikalischer Konzepte. Dieser Prozess lässt sich verstärkt am Einzug und der Subsumierung (sprich die Aufhebung der Differenz) der „Worldmusic-Artists“ in die unterschiedlichen Musikgenres ablesen – von Jazz über Elektronic bis in den Pop und die Klassik löst sich die Markierung von den ethnischen Differenzen. Der „bastardismo“, eine Bezeichnung, die der Musikjournalist Luigi Lauer zur Beschreibung des Phänomens „bastardista“ entwickelt hat, kann daher als wirkungsvoller, identitätsstiftender Weg zur Selbstbehauptung, unter Sichtbarmachung der Exklusion im eurozentristischen Musikmarkt, führen. „Bastardista feiert die Unterschiede zwischen den Menschen und Musiken. Tropicalismo war vorgestern, MPB war gestern, Brazilectro war bis vorhin, ab jetzt muss es Bastardismo heißen. Ein grandioses Album“
(Luigi Lauer, WDR Funkhaus Europa). Und weil kein Bastard wie die andere ist, freuen wir uns über die vielen neuen Identitäten, die sich herausbilden!
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SILVIA SANTANGELO JURA
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R Ü CK-
UND
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MONIKA WAGNER Symposien zu dieser Thematik sind zwar nicht neu, aber sie sind wichtig. Sie sind wichtig, da sie jene Fragen zur Rezeption „nichtwestlicher“ Kunst, zur Dialektik „Zentrum versus Peripherie“ sowie zu den Kriterien und Mechanismen des internationaler Kunstmarkts, die bereits seit Jahrzehnten in Fachkreisen rege diskutiert werden, immer wieder neu erörtern, die Entwicklung bzw. etwaige Errungenschaften hinterfragen und neue Perspektiven und Ansätze aufzeigen und in den laufenden Diskurs einbringen. Wichtig ist dabei aber vor allem auch, dass die Beiträge schließlich in schriftlicher Form vorliegen und Nährstoff für weitere Diskussionen, Symposien, wissenschaftliche Abhandlungen und dergleichen bieten können. Mit dem Symposium „Blickwechsel: Positionen in der zeitgenössischen Kunst“ unter besonderer Berücksichtigung der zwei Themenblöcke „Acesso – Zugang von KünstlerInnen aus Lateinamerika zum internationalen Kunstmarkt“ und „Macht – Herrschaft – Widerstand: Feministische Positionen in der Kunst Lateinamerikas“ im Rahmen des Kultur-Festivals onda latina hatten sich die VeranstalterInnen ganz bewusst das Ziel gesetzt, vor allem KünstlerInnen aus Lateinamerika, insbesondere jene, die hier in Österreich leben, in die Diskussion mit einzubeziehen und ihnen gemeinsam mit ExpertInnen der Kunstszene – KuratorInnen, GaleristInnen, KunstkritikerInnen – eine Plattform zur Vernetzung und zum gegenseitigen Austausch zu bieten. Die Teilnahme an dem Symposium war jedoch, wider Erwarten, relativ gering. Weder namhafte VertreterInnen der österreichischen Kunstszene, noch eine große Anzahl hier lebender KünstlerInnen aus Lateinamerika waren zu den Vorträgen des ersten Themenblocks erschienen. Dieser Umstand ist bedauerlich, er bestätigt jedoch aufs Neue die Vermutung, dass die Kunstszene generell und in diesem Fall die österreichische innerhalb ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten und Befindlichkeiten
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MONIKA WAGNER
funktioniert. Fragen zur Rezeption lateinamerikanischer Kunst in Europa oder den Vereinigten Staaten heute bzw. zum Zugang lateinamerikanischer Künstler zum internationalen Kunstmarkt bedürfen daher eines äußert differenzierten Zugangs. Verallgemeinerungen sollten nur mit aller Vorsicht vorgenommen werden. So nimmt etwa das Interesse an lateinamerikanischer Kunst in Spanien oder auch in den Vereinigten Staaten in der Kunstszene dort einen anderen Stellenwert ein, als in Österreich – die Gründe dafür sind gewiss wie Carla Bobadilla in ihrem Beitrag Re-Contextualización festhält, auf geographische und historische Faktoren sowie ökonomische Interessen zurückzuführen – und führt somit zu unterschiedlichen diskursiven Herangehensweise und Blickwinkeln. Beschränkt man nun den Blickwinkel auf die Kunstszene in Österreich, so lässt sich festhalten, dass zwar durchaus immer wieder Ausstellungen, die Lateinamerika und KünstlerInnen aus Lateinamerika gewidmet waren, stattgefunden haben und auch vereinzelt noch stattfindet, dass sich jedoch mittlerweilen die Interessen der KuratorInnen heute anderen regionalen Schwerpunkten – China, Korea z.B. zuwenden. Verwunderlich ist aber dennoch, dass keines der großen Ausstellungshäuser die Herausforderung und vielleicht sogar die Notwendigkeit gesehen hat, im Rahmen des EU-Lateinamerika Gipfels in Wien künstlerischen Positionen aus Lateinamerika eine Bühne zu geben. So unterliegen die Selektionsprozesse in der Kunst – was, wann und wie gezeigt wird – vergleichbar wie Mode, Esskultur und Tourismus – Trends und lokalen Marktinteressen, die von jenen vorgegeben und geprägt werden, die die Hebel auf den Finanz- und Kapitalmärkten betätigen und die Meinungsbildung entscheidend steuern. In den 1980er Jahren, als Diskussionen über Multikulturalismus, Identität und Globalisierung auch in der Kunstwelt Eingang fanden, war ein reges Interesse an „nicht-westlicher“ Kunst zu bemerken. „Nicht-westliche“ Kunst boomte geradezu, und plötzlich zeigte beinahe jedes bedeutende Ausstellungshaus moderner Kunst Gefallen daran, Kunst aus Ländern des Südens zu präsentieren. Dabei wurde bei der Auswahl der Kunstwerke bzw. bei der Konzeption der Ausstellung oftmals weniger Wert darauf gelegt, bei den ausgestellten Werken eine inhaltliche bzw. konzeptionelle Klammer zu finden, sondern die auszustellenden Werke wurden häufig durch Bezeichnungen und Ausstellungstitel zusammengefasst, die sich auf Kategorisierungen bzw. Zuordnungen nach Re176
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gionen, Ländern oder Kontinenten reduzierten. Ausstellungen wie zum Beispiel „Colours. Kunst aus Südafrika“ (Haus der Kulturen Berlin, 1996), „Karibische Kunst heute“ (documenta Halle Kassel 1994) waren dahingehend konzipiert, die Bandbreite künstlerischen Schaffens in diesen Ländern bzw. Regionen aufzuzeigen, wobei insbesondere das „Andere“ das „Fremde“ das „Exotische“ betont wurde und öffentlichkeitswirksam vermarktet werden konnte. Diese erste Welle, die ‚nicht-westlicher‘ Kunst verstärkt Eingang in die Welt europäisch-amerikanischer Kunstausstellungen ermöglicht hat, wurde jedoch nicht nur mit Begeisterung und Wohlwollen aufgenommen, sondern hat auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Fragen hinsichtlich Umgang mit Kunstwerken „nicht-westlicher“ Kunst und Ausstellungspraxis geführt. Welche Kunstwerke werden in Betracht gezogen und welche nicht? Nach welchen Kriterien und von wem wird die Auswahl getroffen? Dies hat letztlich dazu geführt, dass AusstellungsmacherInnen und KuratorInnen in den letzten Jahren das Terrain behutsamer betreten und Kooperationen mit ExpertInnen bzw. KuratorInnen aus den jewieligen Ländern suchen und eingehen. Darüber hinaus wird heute verstärkt der Versuch unternommen, thematische Schwerpunktsetzungen herauszuarbeiten, wie z.B. die Ausstellungen „Africa Screams – das Böse in Kino, Kino, Kult“ (Kunsthalle Wien, 2004) oder „Spirit & Vision. Aboriginal Art“ (Sammlung Essl, 2004) belegen. Inwieweit jedoch die Auswahl dieser Themen nicht wiederum bestehende Stereotypen und Klischees bedient und letztlich verfestigt, wäre dabei allerdings gesondert zu hinterfragen. Die Beiträge von Hemma Schmutz „Wir sind gleichzeitig Schwarze, Indios, Weiße oder: A Pureza e um Mito (Helio Oiticica)“ und Elke aus dem Moore „Entre Pindorama. Die Adaption antropophager Ideen und Strategien“ stellen die zwei Ausstellungsprojekte „vivências“ (Generali Foundation Wien 2000) und „Entre Pindorama“ (Künstlerhaus Stuttgart 2004) vor, die exemplarisch zwei anspruchsvolle Ausstellungskonzepte aufzeigen und Einblick in die Ausstellungspraxis gewähren. Hervorzuheben ist insbesondere die kritische Herangehensweise, Strategien zu entwickeln, die Kunst aus „nicht-westlichen“ Ländern weder marktschreierisch noch plakativ, sondern mit dem gleichen Respekt wie dieser europäischamerikanischen Kunstgrößen zuteil wird, zu zeigen gedenken. Dennoch: Fakt ist, dass der Kunst aus Ländern des Südens in der europäisch-amerikanischen Kunstwelt und am internationalen 177
MONIKA WAGNER
Kunstmarkt auch weiterhin nicht der gleiche Stellenwert eingeräumt wird. Die Tatsache, dass, wie Jens Kastner in seinem Beitrag „Und wen interessiert eigentlich der Kunstmarkt?“ ausführt, unter den 100 Top-KünstlerInnen, die die Zeitschrift „Capital“ seit 1970 listet, im Jahr 2004 lediglich drei Künstler aus Lateinamerika zu finden sind, vermag, das schiefe Verhältnis anschaulich zu unterstreichen. Das Ergebnis beweist, dass das internationale Kunstgeschehen auch weiterhin von Europa und den Vereinigten Staaten aus bestimmt wird. Kritische Stimmen wie etwa Rasheed Aareen, Gerardo Mosquera oder Coco Fusco u.a. betonen, dass bis heute nicht von einer gleichwertigen Herangehensweise und Rezeption von westlicher und nicht-westlicher Kunst gesprochen werden kann. Und es ist anzunehmen, dass dieses Ungleichgewicht solange bestehen wird, solange die Vormachtstellung der europäisch-amerikanischen Kunstwelt unangetastet bleibt und Kunstgeschichte von diesem einseitigen Blickwinkel ausgehend geschrieben wird. Welche Strategien bzw. Entwicklungen sind nun denkbar? Welche Ausblicke möglich? Jens Kastner verweist in diesem Zusammenhang auf künstlerische Praktiken, die als „eine mögliche Form der Reaktion auf Exklusionen Identitätspolitik“ in den Vordergrund rückt. Die bewusste Abkehr vom Mainstream bzw. die Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen und Wurzeln, aber auch die Vereinnahmung fremder, kultureller Einflüsse (vgl. Konzept der Antropofagia), die zur Stärkung der eigenen Identität in Abgrenzung zu den Herrschenden den eigenen Bedürfnissen entsprechend transformiert und adaptiert werden, sind Strategien, die nicht-europäischamerikanischen KünstlerInnen die Möglichkeit offenbaren, dem Euro-Amerikazentrismus die Stirn zu bieten. Diese Praktiken waren stets wichtig, ja sogar notwendig als Ausdruck von Widerstand und kultureller Emanzipation und sie sind es bis heute. Sie waren aber nicht in der Lage, die bestehenden Parameter im internationalen Kunstreigen aufzubrechen. Nun, vielleicht war dies auch nicht unbedingt deren Intention, doch durch ihr künstlerisches Wirken haben diese KünstlerInnen wiederum das Interesse europäisch-amerikanischer KunstkritikerInnen geweckt und wurden in Folge dessen wiederum vereinnahmt und folglich den Mechanismen des internationalen Kunstgeschehens und Kunstmarkts unterworfen. Dass es auch Konzepte jenseits des internationalen Kunstmarkts gibt, d.h. dass Produktion von Kunst nicht ausdrücklich auf den internationalen Kunstmarkt ausgerichtet ist, sondern vielmehr im 178
RÜCK- UND AUSBLICK I
Kontext einer Gesellschaft, eines politischen System die Funktion einer sozial engagierten Ausdrucksform zu sehen und zu verstehen ist, wie Jens Kastner ausführt, ist gut und richtig. Diese Tatsache bietet jedoch meines Erachtens keine wirkungsvolle Alternative, die in der Lage ist, die Hegemonie der europäisch-amerikanischen Kunstwelt aufzubrechen. Eine globale Kunstwelt mit gleichberechtigten Partnern und gleichermaßen anerkannten unterschiedlichen Interpretationen des Konzeptes Kunst besteht erst dann, wenn die Nachwehen kolonialer Epochen und der damit verbundene Machtanspruch zu Grabe getragen werden. Oder wie Thomas Fillitz in seinem Beitrag „Zur Dekolonisierung der globalen Kunstwelt. Eine Kritik europäisch-amerikanischer Hegemonieansprüche“ ausführt: „Dekolonisierung der europäisch-amerikanischen Hegemonie über die globale Kunstwelt heißt zu allererst die Konstruktion der universellen Ordnung künstlerischen Schaffens in unilinearer, historisch evolutionärer Form, und von einem Zentrum aus, zu brechen. Benötigt wird ein Konzept, das Gleichzeitigkeit, kulturelle Diversität und Relationalität beinhaltet.“
Internationale Kunstmessen und Biennalen nehmen im Kontext einer globalen Kunstwelt eine gewichtige Rolle ein. Sie analysieren das internationale künstlerische Panorama, provozieren Neugierde, wecken die Sensibilität der BetrachterInnen und sprechen eine große Öffentlichkeit an. Sie sind darüber hinaus eine Plattform für lokale und internationale KünstlerInnen, und sie bestimmen die Trends und Entwicklungen am internationalen Kunstmarkts. Da Biennalen ein großes Medienecho haben bzw. ein gesteigertes Interesse der internationalen Kunstszene hervorrufen, sind die Zielsetzung jeder Biennale und letztlich die Vermittlung der zu kommunizierenden Inhalte für die Entwicklung des gegenwärtigen Kunstgeschehens ausschlaggebend. Denn an den Kritiken und Meinungen orientieren sich wiederum in Folge Kunstproduktion, Kunstmarkt und Kaufverhalten von KunstsammlerInnen. In diesem Kontext muss das Entstehen zahlreicher Biennalen außerhalb der westlichen Hemisphäre wie z.B. in Sao Paulo (seit 1949) in Havanna (seit 1984), in Dakar (seit 1992) durchaus positiv gewertet werden, da diese Form von Dezentralisierung letztlich auch dazu beigetragen hat, die hegemonialen Ansprüche der west-
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MONIKA WAGNER
lichen Kunstwelt aufzubrechen und die „Peripherie“ ins „Zentrum“ zu rücken. Doch auch in diesem Zusammenhang bedarf es einer kritischen Reflexion über Auswahlkriterien, Intention und Ausstellungspraktiken dieser transnationalen Kunstereignisse. Konkrete Ansätze lassen sich, wie in den vorliegenden Beiträgen ausgeführt, orten. Sie sind Grundlage für weitere Diskussionen, die in diesem Kontext noch geführt werden. Abschließend möchte ich noch ein paar Gedanken bzw. Fragen anführen, die vielleicht wietere Debatten anregen könnten. Sollte nicht auch darüber nachgedacht werden, inwieweit das Studium der Kunstgeschichte an europäischen Universitäten, das sich bis heute primär der Wissensvermittlung abendländischer Kunstgeschichte verpflichtet sieht, nicht reformiert werden müssen, um den Entwicklungen der globalen Kunstwelt besser gerecht zu werden? Denn rührt die Unterrepräsentation von nicht-westlichen KünstlerInnen am internationalen Kunstgeschehen nicht vielleicht auch von daher, dass KuratorInnen zu wenig Kenntnis von den regionalen Entwicklungen außerhalb Europas und den Vereinigten Staaten haben? Das Überwinden von Ausstellungskonzepten, die das Regionale vor das Thematische stellen, wären möglicherweise ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Nicht-europäischamerikanische KünstlerInnen sollten nicht weiterhin in Sonderausstellungen ihren euorpäisch-amerikanischen KollegInnen gegenübergestellt werden. Ausstellungsmodelle und Ausstellungspraktiken könnten sich in Zukunft vielmehr dahingehend entwickeln, bei Gruppenausstellung zu bestimmten Themen, bei der Auswahl der KünstlerInnen, das künstlerische Schaffen weltweit zu berücksichtigen, d.h. künstlerische Positionen zu einem Thema von verschiedenen Blickwinkeln aus zu präsentieren. Denkbar ist abschließend auch, dass durch neu entstehende Kapitalmärkte – in der arabischen Welt aber auch in Asien – neue finanzkräftige Zentren entstehen, die ihr Mitspracherecht auch im Bereich der Kunstwelt einfordern und die europäisch-amerikanischen Hegemonieansprüche endgültig ad acta legen.
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A U S BL I C K II M A C HT – H E R RS C H A F T – W I D ER S T A N D . K U N S T A L S P O L I T IS C H E S ( F E MI N I S T IS C H E S ) M I T TE L D E R K O M MU N I K A TI O N PATRICIA ZUCKERHUT „Noch vor kurzem fand die lateinamerikanische Kunst des 20. Jahrhunderts bei europäischen und nordamerikanischen Kritikern kaum Beachtung“ (Edward Lucie-Smith 1997: 7).
Die von Lucie-Smith 1997 festgestellte Ignoranz gegenüber der Kunst Lateinamerikas im Allgemeinen gilt im Besonderen auch heute noch, fast eine Dekade später, für weibliche für feministische wie auch für lesbisch-feministische Künstlerinnen des lateinamerikanischen Raums. Und das obgleich Frauen in der Geschichte der lateinamerikanischen Kunst eine weit prominentere Rolle spielten als in der europäisch-nordamerikanischen Moderne, was die mexikanische Forscherin Eli Bartra (1991) veranlasst, die Reichhaltigkeit „weiblicher Kunst“ in Mexiko hervorzuheben. Frauen sind in vielen lateinamerikanischen Ländern nicht nur künstlerisch aktiv, sie sind auch ein wichtiger politischer Faktor, vor allem in Oppositions- und sozialen Bewegungen. Diese Tatsache gerät im deutschsprachigen Diskurs um Lateinamerika nur allzu leicht in Vergessenheit, gelten doch Frauen hier wie anderswo im hegemonialen euro-amerikanischen Denken als „Marker für nationale und kulturelle Differenz“ (Castro Varela & Dhawan 2005: 19), ihre angebliche besondere Unterdrückung und Unterordnung als Zeichen der Minderwertigkeit und Degeneriertheit der (post-) kolonialen Kultur. Nicht ganz zufällig gilt Lateinamerika häufig als „Kontinent des machismo“, die lateinamerikanischen Frauen in ihrer Gesamtheit als sein Opfer. Dabei agierten viele lateinamerikanische Schriftstellerinnen bereits um die Jahrhundertwende „als Frauenrechtlerinnen und Feministinnen“ (Küppers 2000: 19) und es sind 181
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auch heute noch sehr viele Autorinnen sowie Kulturschaffende anderer Sparten äußerst aktiv in ihrem politischen Engagement. Ich möchte in der Folge einen kurzen Überblick über lateinamerikanische Frauenbewegungen im Kontext der internationalen, transnationalen und globalen Feminismen1 geben und anschließend auf die Diskussionen und Beiträge eingehen, wie sie bei der Veranstaltung „Macht – Herrschaft – Widerstand: Kunst als politisches (feministisches) Kommunikationsmitte“, im Rahmen des Festivals onda latina, geführt wurden. Eingeladen waren hier sehr bewusst äußerst unterschiedliche Künstlerinnen und Wissenschafterinnen – unterschiedlich nicht nur im Hinblick auf ihre Ausdrucksmittel (Performance, Film, Theater, Wissenschaft), sondern auch bezogen auf ihre politischen Sichtweisen und Aktivitäten (vgl. Mader, Bruguera, Salgado, Santangelo Jura). Auf diese Weise sollte der Vielfältigkeit (lateinamerikanischen) Kulturschaffens ebenso wie der Heterogenität von Feminismen zumindest in Ansätzen Rechnung getragen werden. Zwar findet der Begriff „Feminismen“ im Plural als Bezeichnung und Ausdruck der Vielfalt feministischer Bewegungen erst in den letzten Jahren weitere Verbreitung, tatsächlich aber kann auch in den Anfängen der „zweiten Welle der Frauenbewegung“ (siehe dazu u.a. Küppers 2000, Desai 2006) von Feminismen oder Frauenbewegungen gesprochen werden. Wie die heftigen Auseinandersetzungen zwischen „radikalen“ Feministinnen, sozialistischen Feministischen, spirituellen Feministinnen etc zeigen, gab es nie eine Einheitlichkeit der Bewegung, wie sie im Konzept der „universellen Schwesterlichkeit“ der 1970er, frühen 1980er Jahre nahegelegt wurde. Allerdings gab und gibt es vorherrschende
1 Ich verwende hier den Begriff „Feminismen“ alternierend zu „Frauenbewegungen“. Der Terminus „Feminismus“ wurde und wird allerdings von vielen Frauen (und Männern) abgelehnt, da damit zum einen eine „Anti-Männer-Haltung“ assoziiert wird, die nicht von allen in Frauenorganisationen aktiven Personen gleichermaßen geteilt wird (Alice Walker entwickelte 1983 als Alternative den „Womanismus“, ein Konzept, das beispielsweise von der nigerianischen Schriftstellerin Flora Nwapa aufgegriffen wird; vgl. Arndt 2000), zum anderen wird „Feminismus“ oft als ein Phänomen der Mittel- und Oberschicht assoziiert, das die „wahren Probleme“ der Frauen (der ökonomischen Ausbeutung, der Klassen- und „Rassen-“diskriminierung, etc.) außer Acht ließe (für Lateinamerika verweist z.B. Potthast 2003 auf diesen Konflikt). 182
AUSBLICK II
Strömungen, Tendenzen, die sich in den politischen Aktivitäten wie auch in den theoretischen Überlegungen in den verschiedenen Weltregionen finden lassen. Einigen dieser vorherrschenden Strömungen und Tendenzen möchte ich hier, speziell bezogen auf Lateinamerika, nachgehen. In der neuen Frauenbewegung der 1970er, 1980er Jahre2 engagierten sich Frauen unterschiedlichster Profession und Herkunft – dem mexikanischen feminismo popular gelang es gar eine Brücke zwischen dem akademischen Feminismus und dem „Feminismus des Überlebens“ zu schlagen, was sich im Slogan des kontinentalen Frauentreffens in Mexiko von 1987 „Wir sind alle Feministinnen“ ausdrückt. Und das obwohl in vielen Ländern der Welt, beispielsweise in Indien und den USA, aber auch in Lateinamerika selbst, frühe autonome Frauenpolitiken und Analysen als Spiegelung der Sichtweisen und Themen der Mittelklasse, gebildeten, weißen und/oder Oberkasten/-klassen Frauen galten (vgl. Desai 2006 allgemein; Potthast 2003 für Lateinamerika). Bereits bei der Weltfrauenkonferenz von 1975 in Mexiko begann hier ein Umdenken, traten doch nun in verstärktem Ausmaß Frauen aus ländlichen Regionen, Migrantinnen und indigene Frauen Lateinamerikas in die Debatten ein. In den 1970er, 1980er Jahren begannen unter anderem Women of Color in den USA, Dalit und muslimische Frauen in Indien, sowie indigene und afrikanische Frauen in Lateinamerika die bis dahin vorherrschende feministische Analyse, die im wesentlichen von zwei grundlegenden Differenzen ausging – der zwischen den Geschlechtern und jener zwischen den Kulturen – in Frage zu stellen und erweiterten sie dahingehend, dass Themen der Rasse, Kaste, Klasse, Ethnizität und Religion zu einem grundlegenden Bestandteil der Analyse und der daraus resultierenden Praxis gemacht werden mussten. Damit rücken die differences within – die Differenzen innerhalb eines Geschlechts, innerhalb einer Kultur – ins Blickfeld des Interesses. Es wird festgestellt, dass Geschlecht nie alleine wirksam ist, sondern in spezifischen Zusammenhängen, gleichzeitig mit und durch andere Differenzen (wie z.B. 2
Der „zweiten Welle“ des Feminismus/der Feminismen im Unterschied zur ersten Welle, der Frauenbewegung(en) – auch im 19. Jhdt. gab es äußerst unterschiedliche Ausrichtungen – des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie sie sich als Reaktion auf die Postulate der Aufklärung („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) entwickelt hatte(n) (zur/zu den ersten Frauenbewegung/en vgl. u.a. Käppeli 1997). 183
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„Rasse“, „Religion“ oder „Klasse“) geschaffen, zum Ausdruck gebracht und sozial realisiert wird. Damit einher geht auch die Erkenntnis, dass sich die einzelnen Formen von Unterdrückung wie „Rasse“, „Klasse“ und „Geschlecht“ nicht addieren lassen, sondern in ihren Überschneidungen und Durchkreuzungen in den jeweiligen Zusammenhängen unterschiedlich wirksam sind (vgl. dazu u.a. Zuckerhut 2003). In den 1990er Jahren werden nun die feministischen Debatten in Lateinamerika wie auch andernorts in verstärktem Maße von den – von Women of Color, von indigenen und afrikanischen Frauen Lateinamerikas, von Gay-and-Lesbians der USA u.v.a.m. angeregten – Diskussionen um Differenzen und Identitäten geprägt. Heterogenität, Diversität und Pluralität werden als Strategie eingefordert und gleichzeitig eine „Einheit in der Verschiedenheit“ angestrebt. Nun gibt es differenzierte Analysen der vielfältigen sozialen Verortungen von Frauen und der Auswirkungen dieser Erkenntnisse auf feministische Solidaritäten, aber auch eine stärkere Fragmentierung der Bewegung(en). „Schwesternschaft“, der zentrale Begriff der frühen Frauenbewegung der zweiten Welle in den 1970er, 1980er Jahren, kann nicht (mehr) einfach angenommen werden, sondern sie muss in konkreten Kämpfen jeweils erst geschaffen werden (Desai 2006). Bina Agarwal (1996) spricht in der Folge von „strategischer Schwesternschaft“ und Susan S. Friedman (1998) fordert als Konsequenz einen „lokationalen Feminismus“, einen Feminismus der über Gender hinausgehen muss, einen Feminismus, der abgeht von einer Sichtweise eines (feministischen, weiblichen…) Selbst als Ganzheit mit einem inneren essentiellen Kern, hin zu einem Diskurs verräumlichter Identitäten, die sich in ständiger Bewegung befinden. Diskurse der multiplen Unterdrückung, der multiplen Subjektpositionen, widersprüchlichen Subjektpositionen, Relationalität, Situationalität und Hybridität stehen nun im Mittelpunkt des Interesses. Durch die multiplen Differenzlinien, die Vielfalt an Identifikationen, „auf deren Grundlage sich heute Widerstand formiert“, sind Feministinnen zu neuen Bündnissen und Koalitionen herausgefordert, resümiert daher Elisabeth Tuider (2004: 171) über die mexikanische Frauenbewegung im 21. Jahrhundert. Nach diesem kurzen Überblick breiter Tendenzen der Feminismen im 20. und 21. Jahrhundert, möchte ich anhand einer Zusammenfassung der zentralen Aussagen während der Vortrags- und Diskus184
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sionsveranstaltung „Macht – Herrschaft – Widerstand“ auf die Rolle von Kunst und Künstlerinnen in sozial-feministischen Bewegungen eingehen. – Ist Kunst ein wirksames Mittel zur gesellschaftspolitischen Veränderung, des Widerstands gegen hegemoniale Gewalt? – Welche Informationen lassen sich vermittels eines Kunstwerks vermitteln? – Ist eine feministische Positionierung im Zusammenhang mit Kunst sinnvoll? Dies waren die zentralen Fragen, Fragen die äußerst kontrovers diskutiert wurden und werden. Dabei rückten performative Aspekte des Kunstschaffens in den Mittelpunkt des Interesses, wie sich das in der vorliegenden Publikation manifestiert: von den Inszenierungen Tania Brugueras bis zur musikalischen Performance Célia Maras als einer Möglichkeit der Schaffung und Dokumentation von Identitäten. Daneben ist aber auch „Kunst“ und „Kunsthandwerk“ im Sinne eines Ausdrucks indigener, kultureller, weiblicher bzw. männlicher etc. Identitäten wie auch Kunst(handwerk) als Mittel zur Schaffung und/oder Erweiterung (weiblichen, ethnischen) Handlungs(spiel)raums gerade in Lateinamerika nicht zu vernachlässigen (vgl. Mader, Salgado, Santangelo Jura). Deutlich wurde in den geführten Auseinandersetzungen, dass Kunst wie auch eine bewusst politische (vor allem – aber nicht nur – feministische) Positionierung eng mit Fragen von Identitäten – von Gender, von zugeschriebener „Rasse“, von regionaler Herkunft etc. – verbunden ist. So kommt Tania Bruguera, die sich klar von bestimmten feministischen Positionen3 in der Kunst distanziert, immer 3 Insbesondere wendet Bruguera sich gegen feministische Positionen des „Opfer“ und eines weiblichen Essentialismus wie er in den 1970er Jahren vertreten wurde, sowie gegen die Forderung nach einer speziell „weiblichen“ oder „feministischen“ Kunst: „[…] I was one of the few women in the visual art doing this work. […] a lot of people in the beginning want to put me in feminist – ‚oh you are a feminist, you talk about women‘. I understand that of feminism, and I understand the need of the difference in order to explain yourself. But in this case I thought it was a way to segregate the work to only one aspect of life and I want to talk the language of the master. I want to appropriate of antropofagia, the language of the master, and to talk the same language. I didn’t want to be miserable. I wanted to assume we are equal 185
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wieder auf diese sich wandelnden Identitäten zu sprechen, wenn sie darauf hinweist, dass ihr Kunstschaffen sehr viel mit ihrer kubanischen Herkunft zu tun hat, an bestimmten Zusammenhängen aber andere Aspekte ihres Seins, ihrer Identität(en) in den Mittelpunkt rücken. Beispielsweise, wenn sie feststellt, dass es ihr in Kuba sehr wichtig ist, die Gesellschaft zu kritisieren, sie aber außerhalb Kubas gegenüber zu starken KritikerInnen des kubanischen Systems eher geneigt ist dieses zu verteidigen,4 oder wenn sie darauf hinweist, dass in vielen Zusammenhängen ihre kubanische Identität eine größere Bedeutung hat als die Tatsache ‚Frau‘ zu sein.5 Immer wieder nimmt sie in ihren Kunstwerken, in ihren Inszenierungen Bezug auf ihre Geschichte, auf ihre Identität: einmal auf ihre Position innerhalb des politischen Systems Kubas, ein andermal auf die Frage der Selbstzensur, auf die Frage des Umgangs oder Erfassens von Geschichte, auf die Frage des Empowerment, auf die Frage der Macht (vgl. Bruguera). Bei aller Fluidität von Identitäten werden aber KünstlerInnen in ihrer weiblichen Identität, als Frauen, nicht nur strukturell, sondern auch am (inter-)nationalen Kunstmarkt stark benachteiligt. Das viel propagierte Gegenmittel des „Gendermainstreaming“ wurde von den DiskussionsteilnehmerInnen allerdings eher als Bedrohung, denn als sinnvolle Gegenstrategie verstanden. Nur allzu leicht wird es dazu verwendet „weibliches“ und/oder „feministisches“ Kunstschaffen zu disqualifizieren und sich dergestalt missliebige KonkurrentInnen vom Hals zu schaffen. Dazu kommt, dass die (feministischen) Forderungen nach Autonomie und Selbstbestimmung mit den Anforderungen des neoliberalen Systems der Selbstverantwortung und individuellen Verwirklichung hervorragend zusam-
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and that is your problem if you don’t leave me. So in my work I tried to be not female or male. I hope if people see my work they do not say, ‚oh that’s a girls work‘ or ‚it’s a men’s work‘. It is something that should not be in the discussion for me“ (Bruguera, 13.05.2006, Transkription der Podiumsdiskussion, S. 1). „And I want to criticise what happened in Cuba - it’s very interesting, […] when I am in Cuba I am very critical, but I don’t like anybody to criticize Cuba“ (Bruguera, 13.05.2006, Transkript der Diskussion, S. 2). „Sometimes I think in my case it is more important to know that I am from Cuba, than a woman, when I was a kid, when I was in Lebanon, than to know if I am a men or a women“ (Bruguera, 13.05.2006, Transkript der Podiumsdiskussion, S. 7). 186
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menpassen (vgl. dazu auch Tuider 2004). Rubia Salgado bezeichnet das als einen „Prozess der Absorption“ und sie sieht daher auch die Forderung nach Selbstbestimmung mittlerweile als problematisch: „denn ich weiß, das ist die neoliberale Logik: du bist verantwortlich für dich, für deine Gesundheit, Pension“ (Salgado, 13.05.2006, Transkription der Podiumsdiskussion, S. 4).6 KünstlerInnen als MigrantInnen sind von Ausgrenzung und Benachteiligung womöglich (noch) in anderer Weise betroffen, wie besonders anhand des Beitrags von Rubia Salgado deutlich wird. Einerseits wird eine künstliche Identität als Migrantin konstruiert (eine Konstruktion, die im Sinne von Widerstand auch bewusst selbst geschaffen und genutzt werden kann), andererseits wird von diesem Konstrukt „Anpassung“, „Assimilation“ an eine nicht näher definierte „nationale Kultur“ verlangt oder aber „kulturelle Verschmelzung“ im Konzept des Multikulturalismus. Während im „Alltagsdiskurs“ das Konzept „Kultur“ immer mehr ausgeweitet (von der nationalen Kultur über die Unternehmenskultur, über die Kultur in den Schulen bis hin zum berühmten „Krieg der Kulturen“) und verstärkt verwendet wird – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Legitimierung einer Antieinwanderungs- oder Antiminderheiten-Politik (vgl. das Editorial des „Current Anthropology, Suplement“, Vol. 40, 1999) – wird und wurde dieses Konzept schon seit langem von postkolonialen aber auch feministischen DenkerInnen in Frage gestellt und seine Auflösung propagiert. Als Konsequenz aus dieser Kritik sollte sich das Interesse verstärkt „auf durchlässige Grenzgebiete, Kolonialismus, ökonomische Globalisierung und/oder Migration, also auf verbundene Räume und verwobene Identitäten“ (Strasser 2001: 32) richten, Aspekte, auf die auch Silvia Santangelo Jura in ihrem Beitrag zur „Weltmusik“ verweist. Fragen der Identität betreffen nicht nur die KünstlerIn, auch das Publikum ist davon betroffen, ein Punkt auf den Tania Bruguera besonders in Hinblick auf die Interpretationen ihrer Kunstwerke durch das internationale – beispielsweise das deutsche Publikum – hinweist (wenn sie nach ihrem Bezug zu Hermann Nitsch gefragt wird o.ä.). Gerade hier zeigen sich die Grenzen eines Ansatzes, der von einer Art „Universalität der Symbolik“ ausgeht. Denn Symbole sind 6
Salgado (Transkription der Podiumsdiskussion, S. 5) verweist darauf, dass auch „Feministinnen“ zu einer Ware wurden – ein weiterer Aspekt der Relevanz unterschiedlicher Identitäten in den Prozessen von Macht und Unterordnung, Privilegierung und Diskriminierung. 187
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von Menschen geschaffen, verändern sich daher und werden auch in verschiedenen Kontexten jeweils unterschiedlich interpretiert. Gerade hinsichtlich der (sich verändernden) Identität(en) des Publikums zeigt sich, dass selbst bei einer Fokussierung alleine auf das „Objekt“ unabhängig vom Künstler/der KünstlerIn und ihren Interessen, Intentionen und Hintergründen, die Interpretation dieses Objekts jeweils sehr unterschiedlich sein kann (und sein wird). Darauf wurde in der Diskussion indirekt verwiesen, wenn auf Tendenzen am Kunstmarkt, oder in der Kunsttheorie hingewiesen wurde, die jeweils spezifischen Zyklen und „Modeströmungen“7 unterworfen sind: wird eher die Biographie des/der KünstlerIn in den Vordergrund gerückt, oder wird nur das Werk gesehen und für sich genommen interpretiert. Eine der Teilnehmerinnen des Symposiums drückt das direkter aus: „Wenn man die Kunst nur als Objekt betrachtet und das abstrahiert von der Person, dann kann man die „Frauen-Männerfrage“ weglassen, d.h. von wem das produziert wurde. Der Künstler an sich ist [aber] – meiner Ansicht [nach] – per Definition eine Person, er repräsentiert seine Seele, also ist die Abstraktion, zu sagen, ‚es ist nur ein Objekt‘, nicht möglich“ (Publikum 5, Transkription der Podiumsdiskussion, S. 5).
Und eine andere Teilnehmerin verweist auf ein Grundproblem der Debatten um Kunst und die Bedeutung der Differenz(en): „[…] zu sagen: ich bewerte nach den Werten, nach den Produktionen als Auswahlkriterium, ist sehr berechtigt, ist gut. Aber ich muss mir die dahinterstehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der KünstlerInnen ansehen, und da gibt es enorme Ungleichgewichte. Solange kein fairer Zugang zu Produktionsmöglichkeiten, Arbeitsmöglichkeiten herrscht, ist die Qualität der Werke ein sehr schwieriges Kriterium. Es sollte nicht das 7 Wobei den polit-ökonomischen Hintergründen dieser Tendenzen und Modeströmungen jeweils nachgegangen werden müsste, um diese Zusammenhänge jeweils konkret aufzuzeigen. Denn wie u.a. Grosfoguel Ramón and Ana Margarita Cervantes-Rodríguez (2002) betonen, ist unser Wissen immer situiert, sprechen wir – und Kunstschaffen ist neben anderen Varianten des Ausdrucks eine Form von Kommunikation – immer von einem bestimmten Ort in den Gender-, Klassen-, rassischen und sexuellen Hierarchien einer gegebenen Region im modernen/ kolonialen Weltsystem, im globalen System aus. 188
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einzige bleiben. Wie kann ich diese Arbeits- und Produktionsbedingungen verbessern? Es trifft vor allem Frauen mit migrantischen Hintergrund und natürlich Frauen aus Ländern des Südens, ob jetzt Brasilien oder Ländern in Afrika“ (Publikum 4, Transkription der Podiumsdiskussion, S. 4).
Auffassungen, die ausschließlich „das Werk“ eines Künstlers/einer Künstlerin in den Mittelpunkt stellen, die davon ausgehen, dass das Werk „für sich spreche“, übersehen neben den strukturellen Ungleichheiten, die dazu führen, dass ein/e KünstlerIn bekannter wird als andere, ihre Produkte besser vermarkten kann, wie das in der oben genannten Aussage angedeutet wird, die Bedeutung der Relationalität in der Deutung und Interpretation, wie auch der Bewertung von Kunst. Kunst und KünstlerIn sind nicht voneinander zu trennen, ebenso wenig wie der/die KünstlerIn von ihrem/seinem politisch-sozialen Hintergrund und den ökonomischen Rahmenbedingungen ihres/seines Schaffens isoliert zu sehen ist, wie das besonders deutlich im Kunstschaffen der indigenen Frauen (und Männer) Lateinamerikas zum Ausdruck kommt (vgl. Mader): Kunst, Religion, Ökonomie, etc. sind im Grunde keine unabhängig voneinander existierenden, isoliert zu betrachtenden Bereiche, sie sind voneinander abhängig, miteinander verflochten und jeweils nur in ihren Wechselwirkungen, in ihren Relationen interpretier- und verstehbar. Wenn ich nun abschließend die getätigten Aussagen und Haltungen, bezogen auf die eingangs gestellte Frage nach der Rolle von Kunst in feministisch-sozialen Bewegungen, kurz zusammenfasse, so ergibt sich folgendes Bild: Kunst(handwerk) erweitert die (ökonomische) Handlungsfähigkeit, schafft weibliches Empowerment (Mader); Kunst (Aktionismus) ist ein kreatives Mittel in der Bildungs- und Kulturarbeit und damit auch ein Mittel für bewusste politische Arbeit wie auch für Bewusstseinsarbeit (Salgado); Kunst (Musik) ist ein sinnvolles Mittel politischer Arbeit, ein Mittel zur Bildung von wechselnden und fluiden Identitäten und gleichzeitig ein Mittel sich gegen fixe Zuweisungen auszusprechen, sowie gegen hegemoniale Repräsentationsformen anzuklingen“ (Santangelo Jura); Kunst (Performance) ist ein Mittel „Macht“ in ihren unterschiedlichen Formen spürbar, begreifbar machen (Bruguera). So gesehen hat Kunst, haben KünstlerInnen, eine wichtige und vielfältige Rolle in sozial-feministischen Bewegungen, denn Kunst ist ein Mittel unter anderen zur gesellschaftspolitischen Ver189
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änderung, des Widerstands gegen hegemoniale Gewalt; vermittels eines Kunstwerks lassen sich vielfältige Informationen – der „Macht“, der „Identitäten“, der Positionierung, etc. – vermitteln. Eine feministische Positionierung im Zusammenhang mit Kunst ist sinnvoll, insofern Feminismus im Sinne von Feminismen, von relationalen Beziehungen und Positionierungen verstanden wird. In diesem Sinne, von Kunstschaffen als sich verändernden und fluiden Positionierungen, als eng verbunden mit wechselnden Dientitäten, möchte ich meinen Beitrag mit Zitaten zweier mexikanischer und einer Chicana-Künstlerin/nen ausklingen lassen: „Um Künstlerin zu sein, darf ich nichts vergessen, darf ich nicht vergessen, dass ich Mexikanerin bin, darf ich nicht vergessen, dass ich Frau bin, dass ich Mama bin, dass ich in Mexiko Stadt lebe. Ich glaube, 8 dass all das bedeutsam ist…“ „Ich glaube nicht, dass es nur wegen der Tatsache, dass wir Frauen sind, eine besondere Arbeit gibt, wir malen nicht mit unseren Genitalien, wir 9 malen mit unserer Art zu denken und mit unserer Art zu sein.“ „Chicana Künstlerinnen fokussierten auf ihre kulturelle Identität und verwendeten die weiblichen Linsen der Erzählung, des häuslichen Raums, sozialer Kritik und der Zeremonie […]“10
8 „Yo no me puedo olvidar de nada para ser artista, no me puedo olvidar de que soy mexicana, no me puedo olvidar de que soy mujer, de que soy mamá, de que vivo en la ciudad de México. Yo creo que todo esto sale…“ (Testimonio, InterAktion …, 1991: 54). 9 „No creo que hay por el hecho de ser mujeres un trabajo distinto, no pintamos con nuestras genitales, pintamos con nuestra manera de pensar y nuestra manera de ser“ (Testimonio, InterAktion…, 1991: 41). 10 „Chicana artists focused on their cultural identity using female lenses of narrative, domestic space, social critique, and ceremony […]“ (Amalia Mesa-Bain, Latin American Still Life 20, zit. nach: Amador Gómez-Quintero and Pérez Bustillo 2002: 115f). 190
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A U T OR I N N EN Carla Bobadilla, Künstlerin, geboren 1976 in Valparaíso, Chile. 1994 bis 1999 Studium der bildenden Kunst mit Hauptfach Fotografie an der Universität Playa Ancha in Valparaíso, Chile. Diplomarbeit mit Auszeichnung. Lebt und arbeitet seit 2002 in Wien. Ausstellungen in Europa und Chile. Seit 2004 Doktorratsstudium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Paris-Stipendium des Bundeskanzleramtes 2006. Tania Bruguera, Künstlerin, geboren 1968 in Havanna, Kuba. Studierte am Instituto Superior de Arte in Havanna und am School of the Art Institute of Chicago. Lebt und arbeitet in Chicago und Havanna. Interdisziplinäre Künstlerin, die v.a. in den Bereichen „Arte de Conducta“ (Verhaltenskunst), Performance und Installation arbeitet. Gründerin und Leiterin von „Arte de Conducta“, dem ersten Performance-Lehrgang Lateinamerikas. Teilnahme an der „documenta 11“, sowie an zahlreichen Biennalen. Umfangreiche Lehrtätigkeit u.a. New School, New York, School of the Art Institute of Chicago, MOMA New York. Erhielt 1998 ein Guggenheim Stipendium, 1999 Stipendium der School of the Art Institute of Chicago. Im Jahr 2000 Prinz-Claus-Preis. Teilnahme an verschiedenen Artist-in-Residence-Programmen. Ihre Werke finden sich in zahlreichen öffentlichen Sammlungen und wurden in mehreren großen Museen (darunter New Museum of Contemporary Art, New York; Museum Bojmans, Rotterdam; Helsinki Art Museum) ausgestellt. Thomas Fillitz, Professor für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien. Gastlehrender an verschiedenen Universitäten in Europa. Forschungen zu zeitgenössischer Kunst in Afrika, zu interkulturellen Praktiken und transnationalen Prozessen. Rezenterer Forschungsschwerpunkt zu Systemen visueller Repräsentation. Publikationen: (2002) Zeitgenössische Kunst aus Afrika, Wien:
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Böhlau; (2005) Art, Culture, and Place. MESS – Mediterranean Ethnological Summer School Vol. 6: 183-202. Jens Kastner, Soziologe und Kunsthistoriker, geboren 1970, lebt als freier Autor und Dozent in Wien und Münster. Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Uni Münster (1999-2004), am Zentrum für Lateinamerikaforschung (CELA) der Uni Münster (2004-2006) und an der Wiener Kunstschule. Veröffentlichungen in diversen Zeitungen und Zeitschriften (Jungle World, springerin, u. a.) zu Sozialen Bewegungen, Cultural Studies und zeitgenössischer Kunst. Koordinierender Redakteur von „Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst“. Elke Mader, Vertretungsprofessorin am Institut fuer Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien; langjährige Feldforschungen in indianischen Gemeinschaften in Ecuador und Peru; thematische Schwerpunkte: Konzept der Person, Mythologie, Gender, Tourismus. Seit 2001: Tätigkeit im Bereich von eLearning im Rahmen der Universität Wien und des Östrreichischen Lateinamerika Instituts. Elke aus dem Moore, Kuratorin, Kunst- und Literaturwissenschafterin und Künstlerin, Künstlerische Leiterin des Künstlerhauses Stuttgart (2003-2006), Kuratorin an der Shedhalle, Zürich (19992002), Ausstellungsprojekte u.a.: ENTRE PINDORAMA – Zeitgenössische brasilianische Kunst und die Adaption antropofager Strategien (2004) und Les Histoires Communes – Globale Zirkulation von Mode und Style (2006). Publikationen: Tillandsien – Projekte am Künstlerhaus Stuttgart, Revolver-Verlag, Frankfurt, 2005, ENTRE PINDORAMA – Zeitgenössische brasilianische Kunst und die Antropofagia, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 2005. Mario Navarro, Künstler, geboren 1970 in Santiago, Chile, wo er lebt und arbeitet. Kunstschule an der Pontifica Universidad Católica de Chile (1988-1993), zahlreiche internationale Einzelausstellungen, Teilnahme an mehreren Biennalen, Gruppenausstellungen und kuratorische Tätigkeit (u.a. Daniel Lopez Show, Roebling Hall and Withe Box, New York, USA, 2006).
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AUTORINNEN
Rúbia Salgado, Autorin und Aktivistin, geboren 1964 in Brasilien, lebt seit 1987 in Österreich. Studium in Rio de Janeiro: Portugiesisch und Literaturwissenschaft. Mitbegründerin von maiz-Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen Linz, Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich. Silvia Santangelo Jura, Kulturanthropologin mit Schwerpunkt in der brasilianischen Kultur. Arbeitet als freie Kommunikatorin, als Herausgeberin von „Worldmusic“, ist Chefredakteurin eines TVMagazins, welches sich mit Frauen in der Popularmusik auseinandersetzt. Weiters ist sie als freie Videomacherin aktiv; ihre Doku „Die Königinnen vom Salgueiro“ wurde als „Best video“ mit dem „best of black international cinema“ Award in Berlin ausgezeichnet; für ihre interkulturelle Bildungsarbeit erhielt sie den Herta Pammer Preis. Hemma Schmutz, Kunsthistorikerin, war zwischen 1994 und 1997 maßgeblich am Aufbau des „Depot. Kunst und Diskussion“ im Wiener Museumsquartier beteiligt. Ab 1998 arbeitete sie für die Generali Foundation in Wien und hat dort u.a. im Jahr 2000 an der Ausstellung „vivências“ mitgewirkt. Seit März 2005 Leiterin des Salzburger Kunstvereins. Monika Wagner, freie Wissenschafterin, Lektorin, PR-Beraterin im Kulturbereich, geboren 1968 in Wien. Studium der Ethnologie und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für TheaterEthnologie, Mitherausgeberin der Schriften der Gesellschaft für Theaterethnologie. 1998-2001 Tutorin am Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie. Seit 2002 Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie. 20012003 im Bereich Presse & Öffentlichkeitsarbeit, seit 2003 im Bereich Marketing & Kommunikation am Schauspielhaus, Wien. Forschungsaufenthalte in Kuba und London; Forschungsschwerpunkte: zeitgenössische kubanische Kunst (visual & performance arts), Kunsttheorien, Ästhetik im interkulturellen Vergleich. Patricia Zuckerhut, Kultur- und Sozialanthropologin, freie Wissenschafterin und Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten Österreichs. Arbeitet derzeit an ihrer Habilitation zum
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Thema „Households at the Crossroads of Hierarchy and Agency“, einem Vergleich der innerhäuslichen Machtverhältnisse historischer und rezenter Nahua in Mexiko. Schwerpunktthemen: Feministische Anthropologie und Genderforschung, kultur- und sozialanthropologische Konzepte von Macht und Herrschaft, sexualisierte Gewalt, Weltbilder und Personenkonzepte.
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Kultur- und Medientheorie Ramón Reichert Im Kino der Humanwissenschaften Studien zur Medialisierung wissenschaftlichen Wissens Juli 2007, 220 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-647-2
Marcus Krause, Nicolas Pethes (Hg.) Mr. Münsterberg und Dr. Hyde Zur Filmgeschichte des Menschenexperiments Mai 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-640-3
Christoph Lischka, Andrea Sick (eds.) Machines as Agency Artistic Perspectives Mai 2007, ca. 250 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-646-5
Annett Zinsmeister (Hg.) welt[stadt]raum mediale inszenierungen April 2007, ca. 160 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-419-5
Nic Leonhardt Piktoral-Dramaturgie Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899) April 2007, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-596-3
Marc Ries, Hildegard Fraueneder, Karin Mairitsch (Hg.) dating.21 Liebesorganisation und Verabredungskulturen April 2007, ca. 248 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-611-3
Hans Dieter Hellige (Hg.) Mensch-Computer-Interface Zur Geschichte und Zukunft der Computerbedienung April 2007, 360 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-564-2
Meike Kröncke, Kerstin Mey, Yvonne Spielmann (Hg.) Kultureller Umbau Räume, Identitäten und Re/Präsentationen April 2007, ca. 176 Seiten, kart., ca. 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-556-7
Lars Koch (Hg.) Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945-1960
Georg Stauth, Faruk Birtek (Hg.) ›Istanbul‹ Geistige Wanderungen aus der ›Welt in Scherben‹
April 2007, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-615-1
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Kultur- und Medientheorie Michael Charlton, Tilmann Sutter Lese-Kommunikation Mediensozialisation in Gesprächen über mehrdeutige Texte März 2007, ca. 150 Seiten, kart., ca. 17,80 €, ISBN: 978-3-89942-601-4
Christian Bielefeldt, Udo Dahmen, Rolf Großmann (Hg.) PopMusicology Perspektiven der Popmusikwissenschaft März 2007, ca. 220 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-603-8
Björn Bollhöfer Geographien des Fernsehens Der Kölner Tatort als mediale Verortung kultureller Praktiken Februar 2007, 258 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-621-2
Karin Knop Comedy in Serie Medienwissenschaftliche Perspektiven auf ein TV-Format Januar 2007, 364 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-527-7
Florian Werner Rapocalypse Der Anfang des Rap und das Ende der Welt Februar 2007, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-608-3
Andreas Böhn, Christine Mielke (Hg.) Die zerstörte Stadt Mediale Repräsentationen urbaner Räume von Troja bis SimCity Februar 2007, 392 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-614-4
vidc (Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit) / kulturen in bewegung (Hg.) Blickwechsel Lateinamerika in der zeitgenössischen Kunst Februar 2007, 198 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-660-1
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de