Bildwelten des Wissens: Band 10,2 Bild - Ton - Rhythmus 9783110548877

Many theoretical attempts have been made to understand audiovisual connections in terms of media and aesthetic genres, s

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German Pages 130 Year 2017

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Rhythmus als transsensorielle Erfahrung
Painting the world with sounds, perceiving the world from echoes
Synästhetische Sabotage an Saussures Linguistik? Magrittes Sprachgebrauch
Farbtafeln
Faksimile: Stephan von Huenes Partitur für Die Neue Lore Ley I
Bildbesprechung: Stephan von Huene. Skulptur – Klang – Raum – Interaktion
Hören, was man sieht – Sehen, was man hört. Bild, Ton, Rhythmus im Werk von Stephan von Huene
Die technische Anatomie eines mechanischen Entwurfs. Stephan von Huenes Erweiterter Schwitters
Eisensteins rhythmische Trommel
Bilderverbot und Musiktheater. Bernd Alois Zimmermann, die Abstraktion der Zeitorganisation und die Bühne als Wahrnehmungsraum
Musikvideo als audiovisuelle Synergie. Michel Gondrys Star Guitar für The Chemical Brothers
Bücherschau: Wiedergelesen/Rezensionen
Projektvorstellung: I Singin′ In The bRain
Projektvorstellung II: „A curious combination“. Ton-Bild-Welten im Gedichtfilm
Bildnachweis
Die AutorInnen
Bildwelten des Wissens
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Bildwelten des Wissens: Band 10,2 Bild - Ton - Rhythmus
 9783110548877

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Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 10,2

Bild – Ton – Rhythmus

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1: Liberty Bell, Liberty Bell Center, Philadelphia, USA, gegossen 1752 in London, Stich, 1901. 2: Wünsch: Die Zurückwerfung des Schalls, Lithografie, 1826. 3: Léo-Paul-Samuel Robert: Echo, Öl auf Leinwand, 1878. 4: Grafik von Alexander Melville Bell: Visible Speech, um 1900. 5: Tanzende Mänade, Marmorrelief, Kapitolinische Museen, Rom, Ende 2. Jh. 6: Daniel Chodowiecki: Andere Vergnügungen der Kinder. Der Reifen, der Brummkreisel, der Kreisel, der Drachen, Kupferstich, 1774, Detail. 7: Robert Fludd: Komposition der Welt, Kupferstich, 1617. 8: Johannes Kepler: Modell des Sonnensystems, Kupferstich, 1596. 9: Rudolf von Laban: Elementare Regeln und Schriftzeichen der Laban’schen Bewegungsschrift, 1920, Detail. 10: Jorinde Voigt: WV 2012141 Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 2 (Opus 2, Nr. 2), aus der Serie: Ludwig van Beethoven Sonate 1 bis 32, Bleistift auf Papier, 2012. 11: DJ-Software Traktor Pro 2, Screenshot. 12: Wandmalerei, Orange Spring, Südafrika, o. D. 13: Filmstill aus More Entr’acte, Regie: Rene Clair, Produktion: Rolf de Maré, Frankreich 1924. 14: Athanasius Kircher: Schematische Darstellung

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des menschlichen Ohrs, Kupferstich, 1662, Detail. 15: Athanasius Kircher: Hörrohr, Holzschnitt auf Papier, 1673, Detail. 16: Alfred Ehrhardt: Trompetenschnecke, Gelatinesilberabzug, 1940/41. 17: Zweidimensionales, graustufiges Rauschsignal, o. D. 18: Einsatz eines Lautsprecherwagens der DDR-Grenzpolizei, Mai 1962. 19: Chladnische Klangfiguren, nach Ernst Florens Friedrich Chladni, Entdeckung über die Theorie des Klanges, 1787, Detail. 20: Oskar Sala am Konzert-Trautonium, Reproduktion aus einer Funkzeitung, nach 1938. 21: Heinz-Joseph Nisius: Klangkurve, 1979. 22: Christian Morgenstern: Fisches Nachtgesang, Lautgedicht, 1915. 23: John Cage: Partitur zur Komposition „4’33““, Version: tacet tacet tacet, 1960. 24: Christoph Kunst: Berghain, o. D. 25: Robert Morris: Box with whe Sound of its own Making, Walnussholz und Tonband, 1961. 26: Tischuhr mit Steinschnappschloss, ca. 1550, aus Süddeutschland.

Inhaltsverzeichnis

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Editorial

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Rhythmus als transsensorielle Erfahrung Ein Gespräch von Reinhart Meyer-Kalkus mit Michel Chion

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Cynthia F. Moss Painting the world with sounds, perceiving the world from echoes

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Karl Clausberg Synästhetische Sabotage an Saussures Linguistik? Magrittes Sprachgebrauch

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Farbtafeln

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Faksimile: Stephan von Huenes Partitur für Die Neue Lore Ley I Johannes von Müller

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Bildbesprechung: Stephan von Huene. Skulptur – Klang – Raum – Interaktion Marvin Altner

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Petra Kipphoff von Huene Hören, was man sieht – Sehen, was man hört. Bild, Ton, Rhythmus im Werk von Stephan von Huene

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Yasuhiro Sakamoto Die technische Anatomie eines mechanischen Entwurfs. Stephan von Huenes Erweiterter Schwitters

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Oksana Bulgakowa Eisensteins rhythmische Trommel

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Dörte Schmidt Bilderverbot und Musiktheater. Bernd Alois Zimmermann, die Abstraktion der Zeitorganisation und die Bühne als Wahrnehmungsraum

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Alexis Ruccius Musikvideo als audiovisuelle Synergie. Michel Gondrys Star Guitar für The Chemical Brothers

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Bücherschau: Wiedergelesen/Rezensionen Reinhart Meyer-Kalkus, Jean-Claude Schmitt, Alexis Ruccius, Yasuhiro Sakamoto

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Projektvorstellungen: Singin’ In The bRain Tomohiro Ishizu „A curious combination“ Stefanie Orphal

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Bildnachweis

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Die AutorInnen

Editorial

1: György Ligeti: Notation für Volumina, Abschnitt 21–24, 1961–62.

Komponisten und Maler haben seit jeher den Austausch zwischen Bild und Ton thematisiert und neue Notationsformen dafür gesucht. Wie etwa der ungarischösterreichische Komponist György Ligeti mit der Notation seines Orgelstücks Volumina (1961–62, 1966). ◊ Abb. 1 Die wurmartig sich schlängelnden, sich hier verdickenden, dort verdünnenden Gebilde stehen für die Bewegungsverläufe einer in Clustern geschichteten Musik. Ausführliche verbale Anweisungen des Komponisten unterstützen den Appeal der grafischen Wirkung. Dennoch sieht sich der Interpret einem erheblichen Varianzspielraum ausgesetzt: Der visuelle Eindruck der Grafik will seine gestisch-motorische Klangfantasie stimulieren, ohne die das Visuelle nicht in Töne umzusetzen wäre. Solche musikalischen Bilder stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Kosmos audiovisueller Gestaltungen dar, die uns die modernen Medienkünste beschert haben, von Klangskulpturen, Tonfilmen, Opernaufführungen, Poetry-Filmen bis hin zu Musikvideos. Bewegte Bilder und Töne dürfen nicht allein unter visuellen Gesichtspunkten und auch nicht allein unter auditiven beziehungsweise raumakustischen Gesichtspunkten untersucht werden. Der Schnitt zwischen Bild und Ton schafft vielmehr den Mehrwert, das Neue, das nicht aus der Addition des einen und des anderen entspringt, sondern aus dem Zusammenspiel beider. Wir hören anders, wenn wir auch sehen, was wir hören, und wir sehen anders, wenn wir auch hören, was wir sehen, wie der französische Medientheoretiker und Komponist Michel Chion darlegt. Natürlich sind auch andere Sinnesvermögen, vom Tast- bis zum Gleichgewichtssinn, an diesem Zusammenspiel der auditiven und visuellen Dimension beteiligt. Was wir als Wirklichkeit erfahren, ist multisensorisch beschaffen, und die Künste messen sich daran.

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Editorial

An theoretischen Versuchen zum Verständnis der Audiovisualität fehlt es nicht, viele von ihnen sind an Medien und Kunstgattungen wie Musikvideo, Tonfilm und Klanginstallationen erprobt worden. Die Grundannahmen dieser Ansätze reichen von semiotischen über synästhetisch-wahrnehmungspsychologischen und medientechnologischen bis hin zu neuropsychologischen Prämissen. Vieles scheint noch im Fluss zu sein, eine dominierende audiovisuelle Doktrin hat sich noch nicht herauskristallisiert. In einer solchen Situation kommt man wohl nur weiter, wenn man die Familienähnlichkeiten verschiedener, präzise beschriebener Fallbeispiele nebeneinander hält und Vergleichbarkeiten und Unterschiede abwägt. Dies soll mit dem vorliegenden Themenband unternommen werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Werk von Stephan von Huene, einem Pionier der audiovisuellen Kunst. Sein Titel „Bild – Ton – Rhythmus“ ist Programm. So unterschiedlich die Fallbeispiele und die theoretischen Prämissen der Ansätze auch sein mögen, so sollen doch zwei Voraussetzungen gelten: Zum einen geht es um den Schnitt zwischen Tönen und Bildern, also um die Formen ihrer Verknüpfung und Montage; zum anderen um die dynamische Dimension dieser Verknüpfung, um den Rhythmus. Vielleicht erweist sich ja der Rhythmus als das Bindemittel von Tönen und bewegten Bildern. Yasuhiro Sakamoto, Reinhart Meyer-Kalkus und die Herausgeber

Rhythmus als transsensorielle Erfahrung Ein Gespräch von Reinhart Meyer-Kalkus mit Michel Chion

R. Meyer-Kalkus:

Herr Chion, können Sie sich bewegte Bilder ohne Töne vorstellen?

Michel Chion:

Ja, durchaus, nur erhalten diese Bildsequenzen dann einen phantomähnlichen Charakter. Ich bin beeindruckt von Maurice Merleau-Pontys La phénoménologie de la perception, es heißt dort sinngemäß: Solange ein Gegenstand nur durch ein einziges Sinnesvermögen vermittelt wird, bleibt er unwirklich, wie etwa Bilder des Straßenverkehrs, wenn wir sie durch eine dicke Fensterscheibe sehen, ohne irgendein Geräusch zu hören.

R. Meyer-Kalkus:

Der umgekehrte Fall ist, dass man etwas nur hört, ohne es zu sehen. In Ihrem Buch La voix au cinéma (1981) haben Sie solche im Tonfilm anzutreffenden Phänomene mit einem Begriff von Pythagoras als akusmatisch bezeichnet: Da sind Geräusche, Musik oder Stimmen, aber wir können die Quelle ihrer Entstehung oder ihren Träger nicht identifizieren.

Michel Chion:

Viele Filme spielen mit solchen akusmatischen Effekten. Der Plot des Films besteht dann darin, visuell zu enthüllen, was zunächst nur hörbar war. Denken Sie an Fritz Langs Das Testament des Dr. Mabuse. Ich habe die zunächst unsichtbaren Träger von Stimmen oder Geräuschen im Film Acousmêtres genannt. Oft besteht die Spannung in Filmen darin, diesen nur hörbaren Figuren ein Gesicht zu verleihen.

R. Meyer-Kalkus:

Kehren wir noch einmal zu dem Fall zurück, dass wir etwas sich bewegen sehen, was nach unseren Erfahrungen ein Geräusch machen müsste – wie denn jede Bewegung in der Wirklichkeit mit Geräuschen verbunden ist, nur werden uns diese Geräusche vorenthalten.

Michel Chion:

Ein Spezialfall davon sind stumme Figuren im Film, die mich von jeher besonders interessiert haben. Ich habe meinen ersten Artikel in den Cahiers du Cinéma über stumme und schweigende Personen im Tonfilm geschrieben, lange vor den Überlegungen zu akusmatischen Tönen und den Stimmen der Acousmêtres. Ich habe einen neuen Begriff aufgrund eines griechischen Worts geprägt: ­Athorybos (ohne Geräusche), etwas, das sich bewegt, ohne ein

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Interview

Geräusch zu machen. Ein anderer Fall ist das, was ich Phantomklänge (Sons en creux) nenne: In Hitchcocks Die Vögel etwa sieht man Vögel, die schreien, wie auch Vögel, die im Bild fliegen und schreien, ohne dass man einen Laut hört. Diese Phantomklänge sind ebenso wichtig wie das, was man von ihnen tatsächlich hört. R. Meyer-Kalkus:

Gegenüber einem theoretischen Ansatz wie dem von Gilles Deleuze, der die intersensorische Dimension audiovisueller Montagen in das Bild verlagert und von den Tönen als der vierten Dimension des Bildes spricht, haben Sie stets darauf insistiert, dass man die verschiedenen intersensorischen Dimensionen in ihrem Zusammenspiel studieren müsse, auch im Hinblick auf den Mehrwert (Valeur ajoutée), der daraus entsteht.

Michel Chion:

Ich kann mich tatsächlich nicht damit abfinden zu sagen, dass das Auditive eine Dimension des Bildes sei, wie dies Deleuze tut. Vielmehr handelt es sich stets um ganz verschiedene Dimensionen, die hier zusammenspielen.

R. Meyer-Kalkus:

Mir scheint, dass Ihr Ausgangspunkt bei solchen Überlegungen der Ton ist, mit dem Sie als Komponist von Musique concrète in besonderer Weise vertraut sind. Anders als viele Musikwissenschaftler oder auch Filmtheoretiker, die sich mit dem Ton beschäftigt haben, legen sie eine überraschende Prämisse zugrunde, wonach Klänge keinen in sich homogenen Bereich darstellen, der nach außen hin abgeschlossen ist und einen autonomen Wahrnehmungsbereich bildet. Solche überkommenen holistischen oder idealisierenden Vorstellungen untergraben Sie, indem Sie behaupten, dass unsere Tonwahrnehmung stets eine Verankerung der Töne im Sichtbaren sucht, also gewissermaßen vom Hören ins Sehen oder die Vorstellung überspringt.

Michel Chion:

In der Tat unterstelle ich, anders als viele Filmtheoretiker, dass es so etwas wie den Ton oder die Tonspur im Tonfilm nicht gibt. Töne sind, wenn man diesen Begriff einmal als Oberbegriff für die drei Phänomene Stimme, Geräusche und Musik nimmt, jeweils aus ganz unterschiedlichen Komponenten zusammengesetzt, und diese Komponenten können beliebig weiter kombiniert werden, wie dies ja in der elektronischen Musik oder im Sounddesign der Filmindustrie auch geschieht. Die Möglichkeiten solcher Kombinierbarkeit sind schlechthin unbegrenzt. Andererseits können sich die einzelnen Tonelemente jeweils in ganz spezifischer Weise auf

Rhythmus als transsensorielle Erfahrung

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1: Porträt von Michel Chion.

sichtbare Träger oder Objekte ihrer Hervorbringung beziehen. Unsere Wahrnehmung reagiert darauf mit einem Phänomen, das ich als Audio-Division bezeichne.1 Wir verankern das Gehörte jeweils im visuellen Rahmen der Bilder, dort suchen wir die Quelle ihrer Entstehung, ob wir sie nun finden oder nicht. Was man hört, spaltet sich dann auf in das, was man sieht und das, was man nicht sieht. Solche Effekte der Re-Division müssen beim Tonfilm immer in Rechnung gestellt werden. Wenn ich sage, dass es die eine Tonspur nicht gibt, so meine ich genau dies: Wir reißen die Tonphänomene jeweils aus dem akustischen Zusammenhang, um sie in einem Bild-Ort (Lieu d’image) zu lokalisieren und auf Sichtbares als ihre Träger oder Quellen zu beziehen. Dabei ist natürlich vorausgesetzt, dass es im Film in der Regel keinen Ton gibt, der strictu sensu an seine originäre Ursache gebunden ist. Es handelt sich vielmehr um artifiziell, gewöhnlich im Studio erzeugte Töne, die auf ganz unterschiedliche Weise hervorgebracht werden können und etwas suggerieren, was wir dann auch zu hören-sehen glauben, wie zum Beispiel das Pferdehufe-Geklapper, das die Tontechniker durch aneinander geschlagene Schalen hervorbringen. 1 Hinsichtlich der Terminologie von Michel Chion vgl. das Glossaire auf seiner Homepage http://www.michelchion.com.

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Interview

R. Meyer-Kalkus:

Ihre These ist, wie Sie einmal schreiben: Es gibt einen visuellen Rahmen für Töne, aber keinen auditiven.

Michel Chion:

Damit ist gemeint, dass wir als Betrachter und Zuhörer Töne immer in einem visuellen Rahmen zu lokalisieren versuchen, nie in einem auditiven. Es gibt keinen auditiven Rahmen für Töne, weil die Töne aufgrund der Technik ihrer Aufnahme und Wiedergabe stets so komplex sind, dass sie nicht nur in einer einzigen akustischen Raumkarte zu situieren sind. Darin unterscheiden sich die Klangcollagen wohl von der Klangwelt der Fledermäuse und anderer Spezies des Tierreichs, die sich vor allem durch Echolokation im Raume orientieren. Doch ist dies nur möglich, weil ihr Gehirn auf die minimalen Differenzen der ausgesendeten und zurückkehrenden Tonfrequenzen geeicht ist und sie aufgrund dieses Mechanismus auf die Gegenstände im Raum schließen können. Das ist in einem komplexen Tongemisch, wie es für den Tonfilm die Regel ist, ganz anders. Ich meine deshalb, dass man den Begriff des Audiovisuellen eigentlich durch den des Audio-Divisuellen ersetzen müsste. Es geht immer um geteilte beziehungsweise aufgeteilte Bilder und Töne. Es ist eben nicht wahr, dass die Linie einfach zwischen Bildern und Tönen verläuft, wie dies eine Filmtheorie suggeriert, die die technisch notwendige Unterscheidung zwischen Bild und Ton, mit der die Cutter arbeiten, einfach auf unsere Wahrnehmung projiziert. Diese funktioniert nicht so, als ob man eine Tonspur mit einer Bilderfolge einfach koppeln würde. Vielmehr lösen sich die Bestandteile des übereinander geschichteten Tongemischs ins Audio-Dividierte auf, also in die verschiedenen Rahmungen, die Töne in Bild-Orten finden oder auch nicht dort finden.

R. Meyer-Kalkus:

Klänge werden also auf Bilder zurückprojiziert, was für Sie andererseits so viel besagt, dass wir dann auch diese Bilder anders sehen.

Michel Chion:

Es ist das, was ich den Mehrwert (Valeur ajoutée) genannt habe. Wir verorten nicht nur die Töne im Bild-Ort, sondern wir nehmen die Bilder im selben Zuge auch anders wahr. Es ist eben nicht dasselbe, was ich sehe, wenn ich dieselben Bilder mit jeweils anderen Tönen hören-sehe. Die Töne verleihen den Bildern jeweils spezifische Qualitäten, die sie von sich aus gar nicht haben, sie verlebendigen sie und unterstreichen materielle Qualitäten wie Volumen, körperliche Größe, Energie etc. Andererseits überspielen sie die Bildschnitte, indem sie die Illusion einer organischen Folge von Bildern sugge-

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rieren. Sie lassen uns dort Kontinuität wahrnehmen, wo doch die Bilder aufgrund des Schnitts voneinander getrennt sind. Ich nenne das Phrasierung. Schließlich dramatisieren sie im Film die Folgen von Bildern, indem sie ihnen den Charakter eines Spannungsaufbaus oder eines Spannungsabbaus vermitteln, womit immer auch Emotionen verbunden sind. R. Meyer-Kalkus:

Wenn ich es recht sehe, umschiffen Sie damit den Begriff der Synästhesie, wie er vielfach gerade von wahrnehmungstheoretisch orientierten Ansätzen unterstellt wird.

Michel Chion:

Tatsächlich sind die Begriffe Bild und Ton trügerisch, insofern sie uns glauben machen, dass sich Bilder rein visuell und Töne sich rein akustisch in der Wahrnehmung vermitteln, um sich dann in der Kombination zu potenzieren. Doch eine solche Annahme unterschlägt die Gespaltenheit von Bild und Ton und deren grundlegende Asymmetrie, die bei ihrer Kombination immer vorauszusetzen sind. Das Zusammenspiel ist komplexer, weshalb übrigens auch ein heute beliebter Ansatz, alles auf den Körper als Singulare tantum oder auf Verkörperung zu beziehen, nicht recht weiterführt. Man übersieht dabei nicht nur das, was ich die Audio-Division nenne, sondern auch die transsensoriellen Qualitäten, die weder in dem einen noch in dem anderen Sinnesvermögen aufgehen, wie etwa rhythmisch-kinetische Erfahrungen, die keinem einzigen Sinnesvermögen angehören.

R. Meyer-Kalkus:

Wir kennen solche Erfahrungen vor allem aus der Musik.

Michel Chion:

Sie sind aber auch in der Stille von Projektionen im Kinosaal zu erleben, etwa wenn der Lichtstrahl eine spezifisch flimmernde Qualität erhält. Ich bin immer wieder entzückt, wenn ich Blade Runner sehe und die Weise, wie hier das Licht eigene Rhythmen beschreibt, welche den ganzen Raum durchfluten. Meine Vermutung ist, dass wir ein historisches Erbteil mit uns herumtragen: die Erfahrung von flackerndem Licht der Talg- und Wachskerzen, dank derer wir uns als Kinder nachts im Dunkeln orientiert haben. Solche Rhythmen sind nicht nur visuell, sondern eben trans­sensoriell.

R. Meyer-Kalkus:

Bei Ihren Überlegungen spielen die Erfahrungen der Psychoanalyse eine wichtige Rolle. Immer wieder rekurrieren sie auf Entdeckungen der Kinderpsychologie und Forschungen über die ersten Stadien menschlichen Lebens.

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Interview

Michel Chion:

Was den Rhythmus anbelangt, so muss man wohl vorausschicken, dass es im menschlichen Körper kein besonderes Organ für dessen Wahrnehmung gibt. Was freilich nicht ausschließt, dass es sich hier um eine der ältesten, am tiefsten verankerten und fundamentalen Wahrnehmungsweisen handelt, die bereits im intra-uterinen Leben vorhanden ist, wenn wir Pulsationen und Variationen des Rhythmus hören. Nach Françoise Dolto sind dabei vor allem die kontrastiven und dephasierten Rhythmen des Herzschlags der Mutter und des schnelleren des Embryos von Bedeutung. Dies schafft wohl eine rhythmische Grunderfahrung all unserer Wahrnehmungen, die weder visuell noch rein sonor ist. Ich nenne dies eine transsensorielle Wahrnehmung. In Maurice Merleau-Pontys Phénoménologie de la Perception findet man solche Phänomene unter dem Begriff des Intersensoriellen beschrieben. Leider wird dieses Buch viel zu wenig gelesen. Diese Analysen hätten längst Gemeingut werden müssen. Man kann das Verhältnis zwischen dem Ton und dem Bild nicht thematisieren, ohne einen solchen Begriff des Inter- oder Transsensoriellen zugrunde zu legen, und das heißt Dimensionen der Wahrnehmung einzubeziehen, die weder visuell noch sonor sind. Mir scheinen das Visuelle und das Sonore Kanäle zu sein, die einen Teil unserer Wahrnehmungen vermitteln, die weder rein sonor noch visuell sind.

R. Meyer-Kalkus:

Was das Verhältnis zur Stimme anbelangt, so war unter Kulturwissenschaftler lange Jahre die von Jacques Derrida formulierte Kritik am sogenannten Phonozentrismus einflussreich. Haben Sie sich mit dieser Kritik auseinandergesetzt?

Michel Chion:

Ich habe Derrida recht spät gelesen und war nicht einverstanden mit der Art, wie er die Beziehung des Menschen zu seiner Stimme beschreibt. Ich vernehme meine eigene Stimme zum Beispiel als schlecht sitzend, nicht ebenmäßig, manchmal etwas schrill, und ich nehme an, dass dies der Erfahrung vieler Menschen entspricht. Bei Männern ist die Erfahrung des Stimmbruchs sehr tiefgreifend, vielleicht ähnlich wichtig wie die Veränderung der Körperformen bei Frauen. Die Erfahrung des Sich-Sprechen-Hörens (S’entendre parler), die Derrida analysiert, ist im Gegensatz zu dem, was er behauptet, selber eine Erfahrung der Division, der Gespaltenheit. Das hat meines Erachtens Franz Kafka in seiner Erzählung Die Verwandlung am besten veranschaulicht: Während Gregor Samsa wähnt, er spreche ganz ruhig und deutlich zu seiner Familie, ver-

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nimmt diese nur ein unangenehmes Geräusch. Ich könnte mir vorstellen, dass Derrida ein Phobiker des Klangs und der Stimme war, wie es viele Menschen sind, selbst unter Musikern. Seine Kritik des Phonozentrismus verkennt meines Erachtens die Erfahrung der Fremdheit des Sich-selber-Hörens. Und was seine Kritik an dem sogenannten Phonozentrismus anbelangt, so gehe ich im Gegensatz dazu soweit zu sagen, dass unsere auditive Wahrnehmung im Grunde vokozentrisch beschaffen ist, dass sie sich, wenn sie mit einem Tongemisch konfrontiert ist, zunächst und vor allem auf das richtet, was sie als Stimme wiedererkennt. Ich verstehe diesen Vokozentrismus nicht als meine persönliche Vorliebe, sondern vielmehr als eine Weise, wie unsere Wahrnehmung funktioniert. Im Tonfilm muss man schon ganz außergewöhnliche Vorkehrungen treffen, damit der Ton vokodezentriert erscheint und sich der Rest nicht um sie strukturiert. Eine Weise, wie man dies machen kann, zeigen Filme von Jacques Tati und Federico Fellini, die an vielen Stellen ein Stimmengewirr produzieren, wo es auf die einzelne Stimme und die Information, die wir entnehmen können, gar nicht mehr ankommt. R. Meyer-Kalkus:

Ich möchte auf den Begriff des Rhythmischen zurückkommen und Sie fragen, ob man ihn noch weiter im Hinblick auf seine spezifische Temporalität differenzieren kann?

Michel Chion:

Rhythmus ist für mich nicht notwendig eine regelmäßige Pulsation, es kann sich auch um sehr fließende rhythmische Qualitäten handeln wie den Rauch einer Zigarette, die Bewegungen des Lichts im Eisenbahnzug; das können Mikro-Rhythmen sein oder ­Makro-Rhythmen, die einen ganzen Tag überspannen. Natürlich auch das Tropfen von Regen auf einem Blechdach usw. Auch Effekte der Beschleunigung und der Verlangsamung gehören zu diesen transsensoriellen Qualitäten des Rhythmus, ebenso wie das Kontinuierliche und Diskontinuierliche. Nun scheint es allerdings so, als ob es mehr oder weniger schnelle oder langsame Sinne gibt. Meines Erachtens, und damit stehe ich wahrscheinlich recht allein, ist das Hören der schnellste Sinn, über den wir verfügen. Ein extrem schnelles auditives Phänomen kann den Eindruck einer präzisen Form in unserer auditiven Wahrnehmung hinterlassen. Das gilt für visuelle Bewegungen in gewisser Hinsicht auch, aber häufig ist die Wahrnehmung dann recht ungenau. Es gibt andere Sinnesvermögen, bei denen es extrem schwierig wäre, eine r­ hythmische

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Interview

­ ahrnehmung festzustellen, weil diese Sinne, wie etwa der W Geruchssinn, recht langsam sind. Es bedarf schon einiger Sekunden, damit sich eine Geruchswahrnehmung entfaltet und wieder vergeht. Man kann in diesem Bereich nur Adagios oder langsame Sätze komponieren, streng genommen kann man nicht einmal von einem Rhythmus der Gerüche sprechen. Der Geschmackssinn ist wiederum hochkomplex. Man weiß ja, dass es nicht nur unsere Zunge und die Mundpartien sind, die auf Lebensmittel ansprechen und uns signalisieren, ob sie gut oder verdorben, schmackhaft oder unschmackhaft sind. In dem, was wir Geschmack nennen, gibt es ganz unterschiedliche Empfindungen der Textur, der materiellen Beschaffenheit etc. und des Zusammenspiels mit den Gerüchen. Sie wissen ja, dass Menschen, die aus medizinischen Gründen das Pech haben, ein eingeschränktes Geruchsvermögen zu besitzen, auch keinen Geschmack mehr an der Mehrzahl unserer Lebensmittel haben. R.Meyer-Kalkus:

Kurz zusammengefasst: Rhythmus ist per se ein trans­sensorielles Phänomen, es kann über den Kanal des Sehens, des Hörens, des Tastens oder eines anderen Sinnesvermögens wahrgenommen werden.

Michel Chion:

Deshalb lehne ich ja auch die Idee von scheinbar homogenen Sinnesbereichen wie dem Visuellen oder dem Auditiven ab. Visuelles und Auditives überlappen sich partiell im Transsensoriellen, auch wenn sie jedes für sich eine eigene Dimension besitzen.

R. Meyer-Kalkus:

Liegen diesen Erfahrungen auch bestimmte Erlebnisse als Kinogänger zugrunde?

Michel Chion:

Ich habe in den 1960- und 1970er-Jahren viele Stummfilme in der Cinémathèque française angesehen. Deren Direktor Henri Langlois hatte entschieden, dass man alle Stummfilme ohne irgendwelchen Ton, ohne Klavier oder Orchester betrachten müsse. Ich habe also die Filme von Dreyer und Murnau ganz stumm gesehen, abgesehen von den Geräuschen im Zuschauerraum und bei der Vorführung. Und ich habe festgestellt, dass die Bilder voller eigener Rhythmen waren, die man gewissermaßen musikalisch wahrnehmen konnte. So war Murnaus Sunrise für mich einfach ein Wunder. Wenn die Straßenbahn in die Stadt kommt, sieht man die Figuren in Großaufnahme und im Hintergrund die Bewegungen dessen, was draußen vor sich geht. In den Szenen, wo die Straßenbahn im

Rhythmus als transsensorielle Erfahrung

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Herzen der Stadt eintrifft, repräsentiert die Masse der Fußgänger fließend schnelle Bewegungswerte. Der ganze Übergang vom Land in die Stadt ist als eine große rhythmische Modulation und Transformation komponiert. In anderen Szenen kann man durch eine große Fensterscheibe auf einen belebten Platz schauen, wo der Rhythmus einer Stadt wie der eines Flusses vorbeirauscht. R. Meyer-Kalkus:

Wie verbindet sich dies mit Ihren Erfahrungen als Komponist von Musique concrète?

Michel Chion:

In einem Konzert, bei dem kürzlich meine 2. Symphonie aufgeführt wurde, habe ich zunächst einen kurzen Film von vier Minuten gezeigt, den ich bereits vor längerer Zeit produziert und bei dem ich allen Ton weggeschnitten hatte. Diese Erfahrung hat dem Publikum zu einer besonderen Konzentration verholfen. Indem es den stummen Film sah, nahm es die Rhythmen und sonoren Suggestionen über den visuellen Kanal wahr. Als es dann die 2. Symphonie hörte, ein Werk der Musique concrète über Lautsprecher, bei der es nur Töne und keine Bilder gibt , war es besser vorbereitet, sich nun auf das andere Sinnesvermögen, auf das Hören zu konzentrieren. Mit den Bildern hatte es ein Bewusstsein seiner rhythmischen Sensibilität hinzugewonnen, die es nun auf das Auditive übertragen konnte. Diese Formel werde ich in Zukunft wohl noch systematischer in meiner Arbeit als Komponist verwenden. Ich werde stumme visuelle Sequenzen mit viel Bewegungen produzieren, die fünf Minuten dauern und die immer mit dem Hinweis beginnen: „Diese Projektion dauert fünf Minuten“, bevor ich meine Musik zu hören gebe. Bei den Filmbildern handelt sich manchmal um autobiografisches Material, das ich während meiner Reisen gefilmt habe. Es ist schon erstaunlich, wie der Wegfall des Tons die rhythmische Wahrnehmung des Bildes befreien kann.

R. Meyer-Kalkus:

In Ihren Überlegungen verfechten Sie offenkundig ästhetische Kategorien, die gegenwärtig vielerorts in Frage gestellt werden, nämlich Begriffe wie Werk und Form, die Ihnen wichtig e­ rscheinen.

Michel Chion:

Als Komponist fühle ich das Bedürfnis, musikalische Werke zu schaffen, die durch eine Form bestimmt sind. Ich werde weniger berührt durch musikalische Kreationen mit informellen Tonabläufen oder mit sonoren Installationen, bei denen der Zuhörer ein und aus gehen kann. Mehrere meiner besten Freunde praktizieren solche musikalischen Improvisationen. Ich betrachte sie mit Sym-

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Interview

pathie und Interesse, aber ich hake da nicht ein. Die Form ist ein spezifisches künstlerisches Mittel, um einigen wenigen Sekunden in einem Werk einen ganz besonderen Wert zu verleihen, ja sie erlaubt diesen wenigen Sekunden zu existieren. Die Form spannt die Zeit auf bestimmte Weise und verleiht ihr Energie. Ich mag es gerne, wenn die Zeit abwechselnd gespannter und entspannter ist, ein wenig wie in gewissen Horror-Filmen, wo sich das Geschehen ganz ruhig und fast statisch 40 Minuten lang zuträgt, bis sich alles in wenigen Sekunden katastrophal zuspitzt. Ich selber habe Werke von fünf Minuten komponiert, aber auch solche von zwei Stunden und 15 Minuten. Mein Werk Variations ist absichtlich viel zu dicht für ein einmaliges Hören komponiert, es bedarf mehrerer Versuche, um es zu erschließen. R. Meyer-Kalkus:

Sie scheinen eine besondere Sensibilität für rhythmische Qualitäten des Lichts zu haben.

Michel Chion:

Das hat wahrscheinlich mit meiner Biografie zu tun. Die Küche meiner Amme war lange Zeit durch eine Glasbirne in einer Hängelampe erleuchtet, die ab und zu hin und her schwankte. Dann veränderte sich von einem Tag auf den anderen alles: Man hatte unter der Decke eine Neonröhre installiert. Ich hatte Mühe, mich daran zu gewöhnen, weil dieses Licht die Schatten unterdrückte und eine eigene Pulsation hatte. Nach einiger Zeit fand ich aber genau diese Pulsation beruhigend, während sie für viele andere Menschen brutal erscheint. Wenn ich in Italien solche Neonröhren sehe, fühle ich mich an meine Kindheit erinnert. Ich habe eine etwas verrückte Theorie, weshalb so viele Leute ihren Fernseher den ganzen Tag und die ganze Nacht über anlassen, obgleich sie gar nicht hinsehen. Der Fernseher produziert Rhythmen und Bewegungen des Lichts, die das elektrische Licht nicht mehr hervorbringt, und die in früherer Zeit von Kerzen und Leuchtern hervorgebracht wurden. Auch wenn man raucht oder Räucherstäbchen abbrennt, schafft man leuchtende Mikro-Rhythmen. Offenbar sind Rhythmen ein Bedürfnis des Menschen, er ernährt sich von ihnen, ob sie nun über den Tastsinn, das Sehen oder das Hören vermittelt werden.

Die Interviews wurden in Weimar (18.11.2011) und Berlin (26.7.2012) geführt.

Cynthia F. Moss

Painting the world with sounds, perceiving the world from echoes1 Human production and experience of sounds are rich and varied, operating in art forms such as music, and in communication functions, such as language. Sound production in humans is achieved through fine control of the vocal chords and articulatory mechanisms, and the skilled use of percussion, string, wind and keyboard instruments. The acoustic signals produced in both speech and music can be nuanced to convey subtle meanings and emotions. Such acoustic signals are transient events, but just like visual images, painting the world with sounds can lead to lasting perceptions. It is the job of the auditory system to make sense of complex sound patterns so that they can be interpreted by the listener. For example, at the symphony, human listeners may hear the contributions of separate instruments, or differentiate between music played from different sections. At the same time, a listener may follow a melody that is played by different sections of the orchestra. The human listener groups and segregates sounds, according to similarity or differences in pitch, timbre, rhythm and location to perceptually organize sounds from the auditory scene into perceptual streams.2 Through auditory scene analysis, we interpret the sounds that paint the world transiently. Just as the auditory system groups and segregates streams of sound to interpret complex acoustic events, the visual system also organizes patterns of light that reflect from objects in the world. Auditory scene analysis shares some perceptual phenomena with visual scene analysis. For example, both visual and auditory scene analyses involve the segregation and grouping of information to create a coherent representation of the external sensory world. The auditory and visual systems both support operations such as object recognition, figure-ground segregation and stimulus tracking. The phenomenon of auditory stream segregation in humans appears to follow some fairly simple laws, namely the effect depends on the frequency similarity of groups of sounds and the rate at which stimuli are presented.3 Similar laws also apply to apparent motion in vision, e.g. when spatially separated lights flash in 1 Many ideas presented in this article developed through research collaborations and extensive discussions with Annemarie Surlykke, University of Southern Denmark, which were facilitated by a joint fellowship year in the “Scene Analysis Group” with Michael Lewicki and Bruno Olshausen at the Wissenschaftskolleg zu Berlin (2008-2009). Annemarie Surlykke and Don Berger provided helpful comments on earlier versions of the manuscript. Research presented here was also supported by grants from NIH (NIMH, Dynamic sensorimotor control in spatial localization and tracking; NIBIB, Innovative Technologies Inspired by Biosonar, and NSF (IOS: Adaptive perceptual-motor feedback for the analysis of complex scenes), awarded to CFM. 2 A. Bregman: Auditory Scene Analysis, Cambridge 1990. 3 Bregman (as cited in footnote 2).

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sequence, we perceive a moving light, such as those surrounding a marquee displaying the name of a play, movie or artist appearing at a venue. As with melodic motion in auditory streaming, visual apparent motion depends on the similarities among the lights that flash, their physical spacing, and the temporal separation of flashes.4 Painting the world with sounds: Echolocation in bats

The concept of auditory scene analysis applies not only to humans but in fact to all animals equipped with hearing, and this concept is vividly illustrated in the echolocating bat, an animal that paints the world with high frequency 1: Jackson Berger: Abstract representation of the echolocating bat painting its world with sound, 2012. acoustic signals, and builds a rich representation of its environment from the echo returns. The features of the bat’s echolocation signals may be likened to the brightness, color, and texture of paint on a canvas: The physical characteristics of the bat’s sounds, such as intensity, frequency and harmonic structure, directly shape the information the bat uses to build images of the world. ◊ Fig. 1, Tafel 1 As a bat flies toward a target, it modifies the features of its echolocation calls. With closing distance, the bat decreases the duration, increases the production rate and adjusts the frequency characteristics of its calls. These changes in call parameters are used to divide the bat’s insect pursuit sequence into different phases: search, approach, and terminal buzz.5 Given that the perceptual organization of sound depends on the acoustic features of the very signals used to paint the world, the bat’s own changes in its sonar vocalizations directly impact the returning echoes and thus its analysis of the auditory scene. Indeed, the bat’s vocal production patterns provide us with a window to the acoustic information the bat is actively controlling as it seeks food, avoids obstacles and navigates in different environments. 4 A. Korte: Kinematoscopische Untersuchungen. In: Zeitschrift für Psychologie der Sinnesorgane, Vol. 72, 1915, pp. 193–296. 5 D. R. Griffin, F. A. Webster, C. R. Michael: The echolocation of flying insects by bats. In: Animal Behavior, Vol. 8, 1960, pp. 141–154.

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Perceiving the world with echoes

Research on echolocation has demonstrated the bat’s use of various acoustic features to perceive spatial characteristics of objects. For example, the bat relies on the delay between its echolocation calls and returning echoes to determine the distance of objects.6 It compares the intensity, timing and frequency characteristics of echoes at the two ears to measure the direction of objects.7 A bat can estimate the size of an object from echo intensity, and the shape of an object from the echo frequency profile.8 Collectively, these echo features provide the bat with information to form a three-dimensional (3-D) representation, an acoustic painting, of a target and its location in space. Many species of bat use echolocation to hunt small insect prey in the dark.9 This is a daunting perceptual task, given the acoustic environment in which the bat must operate. For each echolocation sound a bat produces, it may receive a cascade of echoes from multiple objects, as well as signals produced by other bats in close proximity.10 To successfully localize and track a single object in the midst of interfering signals from obstacles and neighboring bats, the animal must organize acoustic information collected from multiple sonar targets arriving from different directions and at different arrival times.11 6 J. A. Simmons: The resolution of target range by echolocating bats. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 54, 1973, pp. 157–173. 7 B. D. Lawrence, J. A. Simmons: Echolocation in bats. The external ear and perception of the vertical positions of targets. In: Science, Vol. 218, 1982, pp. 481–483; J. A. Simmons, S. A. Kick, B. D. Lawrence, C. Hale, C. Bard, B. Escudie: Acuity of horizontal angle discrimination by the echolocating bat, Eptesicus fuscus. In: Journal of Comparative Physiology A, Vol. 153, 1983, pp. 321–330; J. M. Wotton, T. Haresign, J. A. Simmons: Spectral and temporal cues produced by the external ear of Eptesicus fuscus with respect to their relevance to sound localization. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 98, 1995, pp. 1423–1445. 8 J. A. Simmons, W. A. Lavender, B. A. Lavender, C. A. Doroshow, S. W. Kiefer, R. Livingston, et al.: Target Structure and Echo Spectral Discrimination by Echolocating Bats. In: Science, Vol. 186, No. 4169, 1974, pp. 1130–1132. 9 D. R. Griffin: Listening in the Dark, New Haven 1958; H.-U. Schnitzler, C. F. Moss, A. Denzinger: From spatial orientation to food acquisition in echolocating bats. In: Trends in Ecology and Evolution, Vol. 18, No. 8, 2003, pp. 386–394. 10 C. F. Moss, A. Surlykke: Auditory scene analysis by echolocation in bats. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 110, 2001, pp. 2207–2226; C. Chiu, C. F. Moss: When echolocating bats do not echolocate. In: Communicative and Integrative Biology, Vol. 1, No. 2, 2008, pp. 61–62; C. Chiu, W. Xian, C. F. Moss: Flying in silence. Echolocating bats cease vocalizing to avoid sonar jamming. In: Proceedings of the National Academy of Sciences, Vol. 105, No. 35, 2008, pp. 13115–13120; C. Chiu, W. Xian, C. F. Moss: Adaptive echolocation behavior in bats for the analysis of auditory scenes. In: Journal of Experimental Biology, Vol. 212, 2009, pp. 1392–1404. 11 C. F. Moss, A. Surlykke: Probing the natural scene by echolocation. In: Frontiers in Behavioral Neuroscience, Special Issue in Neuroethology, 2010, doi: 10.3389/fnbeh.2010.00033.

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Sound production and perception are intimately linked in echolocation

Echolocation is an active system: the bat transmits the very sound energy it uses to paint the environment. Importantly, the bat carefully adjusts the features of its calls in response to information it has gathered from the environment and to control information it is seeking.12 The echolocation call forms a beam of sound, an auditory “flashlight” that “illuminates” the environment over a restricted region in space.13 As the big brown bat inspects the environment, it carefully points the center of its sound beam at closely spaced objects, much the way humans direct their eyes at visual objects.14 Bats also modify the duration of their echolocation calls to avoid overlap between vocalizations and echoes. When a bat is far away from an object, echoes return following a longer delay than when a bat is close to an object. To avoid overlap between echolocation calls and echoes, bats shorten the duration of their calls as the distance to objects closes.15 Consequently, a bat produces longer duration calls when inspecting more distant objects than when inspecting short range objects. It is noteworthy that the bat’s adjustment in call duration holds only for the objects it is attending.16 If a bat is not attending an object (target or obstacle), it does not shorten its calls to avoid overlap between calls and echoes. This suggests that the duration of echolocation calls indicate the bat’s acoustic gaze along the distance axis.17 Aspects of echolocation are illustrated in ◊ Fig. 2, Components of bat echolocation. The circular arrangement of panels with arrows illustrates the feedback processes involving bat echolocation sound production, perception, and adaptive 12 Moss and Surlykke (as cited in footnote 11); C. F. Moss, C. Chiu, A. Surlykke: Adaptive vocal behavior drives perception by echolocation in bats. In: Current Opinion in Neurobiology, Sensory and Motor Systems, Vol. 21, Issue 4, pp. 645–652. 13 K. Ghose, C. F. Moss: The sonar beam pattern of a flying bat as it tracks stationary and moving prey. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 114, No. 2, 2003, pp. 1120–1131. 14 B. Falk, T. Williams, M. Aytekin, C. F. Moss: Adaptive behavior for texture discrimination by the free-flying big brown bat, Eptesicus fuscus. In: Journal of Comparative Physiology A., special issue in memory of Gerhard Neuweiler, 2011, doi: 10.1007/s00359-010-0621-6; Moss, Surlykke (as cited in footnote 11); Moss, Chiu, Surlykke (as cited in footnote 12); A. Surlykke, K. Ghose, C. F. Moss: Acoustic scanning of natural scenes by echolocation in bats. In: Journal of Experimental Biology, Vol. 212, 2009, pp. 1011–1029. 15 Griffin (as cited in footnote 9); A. Surlykke, C. F. Moss: Echolocation behavior of big brown bats, Eptesicus fuscus, in the field and the laboratory. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 108, No. 5, 2000, pp. 2419–2429; Moss, Surlykke (as cited in footnote 11). 16 M. Aytekin, B. Mao, C. F. Moss: Spatial perception and adaptive sonar behavior. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 128, 2010, pp. 3788–3798. 17 Falk et al. (as cited in footnote 14); Moss, Surlykke (as cited in footnote 11); Surlykke et al. (as cited in footnote 14).

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2: Components of bat echolocation.

behaviors. The central panel shows a photo of the big brown bat, Eptesicus fuscus (credit: Steven Dear). The curved lines are a cartoon representation of an echolocation sound directed at an insect prey. Left panel shows oscillograms (time waveforms) of a sequence of echolocation calls produced by a bat as it pursues insect prey on the wing. The call production rate increases and call duration decreases as the bat approaches its prey. The final group of sounds occurs at a rate of about 150 sounds/ sec and is referred to as the terminal buzz.18 Top panel shows the dynamic echo patterns that return from fluttering insect prey, which is further complicated by the presence of obstacles. Spectrograms of echoes from a fluttering insect “illuminated” with frequency modulated sonar signals show changes in amplitude and bandwidth, which depend on the insect wing position when the echolocation sound strikes.19 Right panel shows a plot of echoes recorded from a single object broadcast with sonar sounds from different directions. The relative energy of echoes across ultrasound ­frequencies (Y axis, frequency, kHz) changes as a function of direction (X 18 Griffin et al. (as cited in footnote 5). 19 C. F. Moss, M. Zagaeski: Acoustic information available to bats using frequency modulated sonar sounds for the perception of insect prey. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 95, 1994, pp. 2745–2756.

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axis, angles, degree). Data come from a study of texture discrimination by echolocation.20 Bottom panel presents a time-expanded spectrographic display of echolocation calls produced by the big brown bat as it inspects a complex environment. The bat adapts its sound duration, interval and bandwidth in response to information it has processed. Echolocation calls with similar features are produced in groups.21 The bat’s adaptive echolocation behavior provides a window to its perception of the sonar scene.22 Bats may also rely on the frequency or pitch of their calls to sort their own vocalizations and echoes from those of neighboring bats. Frequency refers to the physical characteristic of the call and pitch the corresponding perceptual experience. When two bats compete for a single prey item, they may adjust the frequency of their calls to avoid interference from the other. The magnitude of frequency adjustments depends on the similarity of the bats’ voices when they fly alone. When bats have distinctly different voices to begin with, they do not make the effort to adjust the frequency or pitch of their calls when they are paired; however, if bats have similar voices when they fly alone, they make large shifts in the frequency of their calls when they are paired. Frequency adjustments in echolocation calls produced by bats flying in groups changes the “colors of the acoustic paintings” they experience, which may help them solve the auditory scene analysis problem of sorting and tracking echoes that result from their individual vocalizations.23 Most bat echolocation sounds are very brief, interrupted by comparatively long call intervals that allow for the processing of echo returns. The intermittent production of sonar calls results in a stroboscopic sampling of the environment, 24 i.e. like flashing a torch light. However, the bat’s agile flight through complex environments and successful interception of flying, sometimes evasive prey, 25 suggests that the bat

20 Falk et al. (as cited in footnote 14). 21 C. F. Moss, K. Bohn, H. Gilkenson, A. Surlykke: Active listening for spatial orientation in a complex auditory scene. In: Public Library of Science Biology, Vol. 4, No. 4, 2006, pp. 615–626; Moss, Surlykke (as cited in footnote 11). 22 Moss et al. (as cited in footnote 12). 23 Chiu et al. (as cited in footnote 11); Moss, Surlykke (as cited in footnote 11); Moss et al. (as cited in footnote 11). 24 C. F. Moss, M. Zagaeski: Acoustic information available to bats using frequency modulated sonar sounds for the perception of insect prey. In: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 95, 1994, pp. 2745–2756. 25 J. D. Triblehorn, K. Ghose, K. Bohn, C. F. Moss, D. D. Yager: Free-flight encounters between praying mantids (Parasphendale agrionina) and bats (Eptesicus fuscus). In: Journal of Experimental Biology, Vol. 211, 2008, pp. 555–562.

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may experience a stable perceptual representation of the world through intermittent echoes. This observation leads to the inference that the bat relies on working memory to assemble information gathered across a sequence of short, stroboscopic echoes.26 What is it like to be a bat?

The signals the bat selects to paint its world with sound provide us with some insight to philosopher Thomas Nagel’s question, “What is it like to be a bat?”.27 Echolocating bats actively control the timing, intensity, frequency characteristics, duration, and direction of echolocation signals, and the features of these signals (e.g. their spectral color, intensity, and location) offer insight to the information a bat has processed from its world of echoes and the information it further seeks. In his 1974 essay, What is it like to be a bat?, Nagel puts forth his views in the field of phenomenology. Nagel chose the bat to illustrate his points, because this animal’s perceptual world is strikingly different from our own. Although we cannot answer the question, “What is it like to be a bat?”, we infer that echo perception, attention and memory operate together to support spatial navigation of echolocating bats as they operate in complex environments.28 Echo imaging of the world is exploited by a broad range of animals

Bats are not the only creatures to rely on echolocation to navigate. Dolphins and other toothed whales have as sophisticated a biological echolocation system as bats, but also animals like shrews, birds and even humans can actively paint the world with sound that result in echoes used to detect targets and obstacles when light levels are low or absent.29 Whales and dolphins use a variety of signals for echolocation, ranging from clicks to tonal sweeps in frequency.30 It appears that some shrews use

26 Moss, Surlykke (as cited in footnote 10); Moss et al. (as cited in footnote 12). 27 T. Nagel: What is it like to be a bat? In: The Philosophical Review, Vol. 4, 1974, pp. 435–450. 28 M. E. Jensen, C. F. Moss, A. Surlykke: Echolocating bats and their use of landmarks and spatial memory. In: Journal of Experimental Biology, Vol. 208, 2005, pp. 4399–4410; Moss, Surlykke (as cited in footnote 11); N. Ulanovsky, C. F. Moss: What the bat’s voice tells the bat’s brain. In: Proceedings of the National Academy of Sciences, Vol. 105, 2008, pp. 8491–8498. 29 Griffin (as cited in footnote 9); J. T. Thomas, C. F. Moss, M. Vater (Eds.): Echolocation in bats and dolphins, Chicago 2004; R. A. Fay, A. N. Popper, P. Nachtigall, A. Surlykke A (Eds.): Springer Handbook of Auditory Research Volume on Echolocation in Bats and Dolphins, New York 2013, in press. 30 Thomas et al. (as cited in footnote 29).

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echolocation to inspect their habitats.31 Oil birds and cave swiftlets produce clicks when the fly in dark caves.32 Blind humans may tap a cane, snap fingers, vocalize or click with the tongue to produce sounds that reflect from objects in the environment.33 Some echolocating blind humans report rich spatial representations, or pictures, of the world through reflections of sounds (most notably tongue clicks) they produce.34 Like bats, echolocating humans integrate echo information with spatial memory and knowledge of the environment to “see with sound”. These examples serve to illustrate the ubiquity of painting the world with sound to analyze the auditory scene.

31 B. M. Siemers, G. Schauermann, H. Turni, S. von Merten: Why do shrews twitter? Communication or simple echo-based orientation. In: Biol Letters, Vol. 5, No. 5, 2009, pp. 593–596. 32 J. H. Fullard: Echolocation in Free-Flying Atiu Swiftlets (Aerodramus sawtelli). In: Biotropica, Vol. 25, 1993, pp. 334–339; Griffin (as cited in footnote 9); M. Konishi, E. I. Knudsen: The oilbird. hearing and echolocation. In: Science, Vol. 204, No. 4391, 1979, pp. 425–427; H. A. Thomassen, G. D. E. Povel: Comparative and phylogenetic analysis of the echo clicks and social vocalizations of swiftlets (Aves: Apodidae). In: Biological Journal of the Linnean Society, 2006, Vol. 88, No. 4, pp. 631–643. 33 C. H. Ammons, P. Worchel, K. M. Dallenbach: “Facial Vision”. The perception of obstacles out of doors by blindfolded and blindfolded-deafened subjects. In: American Journal of Psychology, Vol. 66, 1953, pp. 519–553; Griffin (as cited in footnote 9); W. N. Kellogg: Sonar System of the Blind. In: Science, Vol. 137, 1962, pp. 399–404; T. A. Stoffregen, J. B. Pittenger: Human echolocation as a basic form of perception and action. In: Ecological Psychology, Vol. 7, 1995, pp. 181–216; S. Teng, D. Whitney: The acuity of echolocation. Spatial resolution in the sighted compared to expert performance. In: Journal of Visual Impairment and Blindness, Vol. 105, No. 1, 2011, pp. 20–32; L. Thaler, S. A. Arnott, M. A. Goodale: Neural correlates of natural human echolocation in early and late blind echolocation experts. In: PLoS One, Vol. 6, No. 5, 2011: e20162. doi:10.1371/journal.pone.0020162. 34 Daniel Kish, personal communication, 2010.

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Synästhetische Sabotage an Saussures Linguistik? Magrittes Sprachgebrauch 1929 veröffentlichte René Magritte (1898–1967) eine Art Regelsammlung über mögliche Verhältnisse von Worten und Bildern.1 Inspiriert von kursierenden Konzepten moderner Sprachwissenschaft zerlegte er die scheinbar selbstverständlichen Einheiten von (Vorstellungs-)Dingen und ihren Bezeichnungen – aber nicht nur in übliche affirmative Paarungen von Wort und Bild, sondern in subversive, auf weiteren Zuwachs angelegte Triaden von Objekten, deren Bildern, ihren Benennungen sowie möglichem Ersatz für all diese Gebilde. Daraus ergab sich eine ungewohnte Vielfalt visueller Verbindungen und Vertauschungen, die Magritte in achtzehn Merksätzen auflistete. Die auffälligste Eigenart dieser Aphorismen war, dass sie, wie die zwischen 1927 und 1930 entstandenen Sprachbilder, unter anderem auch regelrechte Sprechblasen enthielten. ◊ Abb. 1a Magritte unternahm also den bis dahin unerhörten systematischen Versuch, auch das akustische Phänomen der Sprache so ins Bild zu bringen, wie es bisher nur aus Niederungen des Comicstrip und gelegentlichen Ausbrüchen der Avantgardekunst bekannt war. Dass er damit gleichzeitig auch noch die Verbindung zur Sprachwissenschaft Saussures und zur Synästhesie-Forschung herstellte, verleiht seinen visuellen Experimenten zusätzlichen Reiz und Rang. Die Zusammensetzung von Sprachzeichen hatte Ferdinand de Saussure (1857–1913) zwischen 1906 und 1911 in seinen berühmten Vorlesungen, die nur in editorischer Kombination von Hörermitschriften als Cours de linguistique générale überliefert sind, zum Angelpunkt seiner Darlegungen gemacht.2 Offenbar untermalte er seine einführenden Erläuterungen zur Natur der sprachlichen Zeichen auch mit einfachen, halbschematischen Illustrationen. Jedenfalls wurde die posthum erschienene Druckfassung mit einer Reihe von beschrifteten Strichzeichnungen ausgestattet. Sprachliche Zeichen verstand Saussure in Anlehnung an zeitgenössische Psychologie und Hirnforschung als Kombinationen von Vorstellungen und Lautbildern. Vorstellungen meinten innere Anschauungsbilder der „angesprochenen“ Dinge, Lautbilder meinten nicht physikalische Laute, sondern psychische Eindrücke beim Aussprechen, das heißt, innere Bilder der lautlichen Hervorbringung und Erscheinung mit eventuell mehrsinniger, individuell unterschiedlicher Intensität. Die beigefügten Illustrationen ◊ Abb. 1b zeigten die enge Verbindung von Lautbildern und Vorstellungen als längsgeteilte Ovale. In ihnen präsentierten sich die 1 René Magritte: Les mots et les images. In: La Révolution surréaliste, No. 12, Paris 1929. 2 Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale, Paris/Lausanne (2. Ausgabe) 1922 [1916]; deutsch: Rudolf Engler (Hg.): Ferdinand de Saussure. Cours de linguistique générale, Wiesbaden 1968/1974.

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inneren Bilder wie Bohnenhälften: schematisch unterteilt, aber wie im Leben – oder in Synästhesien – doch untrennbar verbunden. Beziehungen der Saussure’schen Zeichentheorie zu multimodal-synästhetischen Konzepten waren also naheliegend; und in Genf war zudem ein direkter Konnex zur Synästhesie-Forschung gegeben. 1893 hatte dort Théodore Flournoy (1854–1921) das erste Standartwerk über ­Synopsien des Farbenhörens3 publiziert und später den Kollegen Saussure im Fall einer vorgetäuschten Seeleneinwanderung vom Mars und angeblich von dort stammender Schrift/Sprache konsultiert.4 Beide hat also mitunter das Problem von Mehrsinnigkeiten beschäftigt. Mit seiner im Grunde synästhetisch-transmodalen Konstruktion sprachlicher Gesamtzeichen hat Saussure bekanntlich ein neues Kapitel in der Sprachwissenschaft eröffnet und sich posthum einen malenden Saboteur ins Theoriegebäude geholt: Magritte. Auch die äußeren Umstände sprechen für diese Vermutung. Die zweite, französische Auflage des Saussure’schen Kurses erschien 1922 in Paris, Magritte könnte sie also wenig später direkt am Verlagsort kennengelernt haben.5 Schon die einleitende Maxime Magrittes zum Verhältnis von Worten und Bildern liest sich wie eine ironische Steigerung des ersten Saussure’schen Grundsatzes, demzufolge das Band, das Bezeichnung und Bezeichnetes, also Lautbild und Vorstellung verknüpft, beliebig ist: Kein Gegenstand sei so fest mit seinem Namen verbunden, schrieb Magritte, dass man ihn nicht durch einen anderen ersetzen könne, der besser zu ihm passe; und zum Beweis versah er ein harmloses Pflanzenblatt mit der Beischrift „le canon“. In dieser Manier scheinen auch die folgenden Merksätze mit dem disziplinierten Regelwerk des Genfer Sprachforschers nachdenklichen, bildlichen Schabernak zu treiben, indem sie die möglichen Widersprüche zwischen Lautsprache, Schreibschrift und dargestellten Dingen ausloteten. Auch wenn die Anklänge nicht über motivische Bruchstücke hinausgingen: Saussures anschaulich untermalte Zeichenanalyse scheint einschließlich Baum und Pferd für Magrittes

3 Thèodore Flournoy: Des Phénomèmes de Synopsie (Audition Colorée). Photismes – Schèmes visuels – Personifications, Paris/Geneve 1893. 4 Flournoy hat Saussure als Sprachexperten zu Rate gezogen bei seiner Studie über das Medium Hélène Smith; siehe Théodore Flournoy: Des Indes à la planète Mars. Etude sur un cas de somnambulisme avec glossolalie, Paris 1900; deutsch: Die Seherin von Genf, mit einem Geleitwort von Max Dessoir, Leipzig 1914. 5 Skeptisch zu solchen Bezügen: John C. Welchman: Nach der Wagnerianischen Bouillabaisse: Theorie und Praxis des Wortbildes in Dada und Surrealismus. In: Indi Freeman: Das Wort-Bild in Dada und Surrealismus, Los Angeles/München 1989/1990, S. 69ff.

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Sentenzen die zu erweiternden und dabei unterminierten Vorbilder geliefert zu haben. Von 1927 an hat Magritte daran gearbeitet, die Weltanschauung der Pariser Surrealisten für sich auszulegen; die Aphorismen über Worte und Bilder waren vermutlich ein Programmentwurf und/oder resümierendes Ideenprotokoll für die gleichzeitig entstandenen Sprachbilder. Deutlichste Reverenz erwies Magritte dem Paten seiner subversiven Thesen 1927 in einem der Sprachgebrauch-Gemälde.6 ◊ Abb. 1c Im Interieur eines bildgroßen „Sprachzeichens“ ist programmatisch ein Dialog inszeniert. Das hochformatige, von einer imaginären Quersprosse geteilte Bild zeigt im oberen Ausschnitt schwach bewölkten Himmel, im unteren stehen sich zwei von den seitlichen Rahmenleisten halbierte Profilköpfe vor dunklem Hintergrund gegenüber. Aus ihren unmerklich geöffneten Lippen entspringen zwei Sprechblasen, in denen „le piano“ und „la violette“ in Magrittes üblicher Schreibschrift zu lesen ist. Das Bild erinnert durch quergeteilte Rahmung an Saussures Doppelschema; und es präsentiert seine Doppelnatur auch durch unterschiedliche Zustände der Luftfüllung: Der Himmel im oberen Bildfeld wirkt neblig; Wolkenformen sind als ziehende Schwaden angedeutet. Die von den Profilköpfen angesprochenen Dinge dagegen erhalten durch Schriftzüge in den Sprechblasen bildliche Prägnanz. Klavier und Veilchen wirken zwar wie beliebig aus der Luft gegriffene Sachen; und sie bestünden als realer Sprachhauch der Sprecher auch aus nichts weiter als Luft. Im Bild stellen sie jedoch inschriftlich artikulierte Luft dar, mit der sich die Lautbilder auf Verkörperungen zweier Sinnesempfindungen beziehen: nämlich auf (Klavier)Klang und (Veilchen)Farbe, die Hauptmodalitäten zeitgenössischer Synästhesie-Forschung. Warum aber wollte Magritte in diesem Bild momentane menschliche Sprachschöpfungen, nämlich schriftlich-konkretisierte Lautbilder samt ihren mehrsinnigen Andeutungen mit der diffusen Dauer der Gesamtatmosphäre konfrontieren? Jedenfalls hat hier die erste der Saussure’schen Illustrationen direkt Pate gestanden. ◊ Abb. 1b Um den individuellen Vorgang und Kreislauf des Sprechens darzustellen, hatte Saussure zwei einander zugewandte Köpfe benutzt, die durch Telefonleitungen verbunden waren und so den Austausch von Lautbildern und

6 René Magritte: L’usage de la Parole, 1928, Öl auf Leinwand, 73 × 54 cm, Privatsammlung; Christoph Schreier: René Magritte/Sprachbilder 1927–1930, Hildesheim 1985. Die Reihenfolge und Kennzeichnung der verschiedenen Bilder mit diesem Titel ist in der Literatur uneinheitlich.

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Vorstellungen in damals schon geläufiger Fernsprechtechnik vor Augen führten. Magritte ersetzte lediglich die schematische Mund-Ohr-Hirn-Verdrahtung durch Sprechblasen. Der Hintersinn des Bildes kam in der Zweiteilung zum Vorschein, denn darin war Saussures schematische Zeichenzusammensetzung aus Lautbild und Vorstellung auf das Gesamtsystem übertragen. Magritte ließ den leeren Himmel über der Dialogszene als vermeintlich nichtssagenden Ausschnitt und Extrakt allen Sprechens (parole) posieren: als reine, von den Individuen losgelöste Sprache (langue); mehr noch: als vollkommen durchmischtes Atmosphären-Archiv aller jemals geführten Reden, das Charles Babbage ein Jahrhundert zuvor in die Welt gesetzt hatte.7 Dass Magritte mit diesem Bild eine seriöse Saussure-Kritik im Sinn hatte, ist unwahrscheinlich, obwohl er gelegentlich zu entschiedenen Ansichten neigte. Aber sein Sprachgebrauch-Gemälde präsentierte immerhin ein kompaktes Gesamtbild Saussure’scher Sprachtheorie, enthüllte deren synästhetische Konnotationen und gab obendrein einen ironisch-hintergründigen Bildkommentar dazu. Das bezeugen sowohl der Bildtitel wie auch die Verwendung vulgärer Sprechblasen. Doch diese Fossilien der Sprachvisualisierung waren nicht der einzig dingfeste Beleg für Magrittes Beschäftigung mit Problemen der Sprache: Er hat in jenen Jahren neben „Sprachbildern“ ganze Serien von Doppelbildern gemalt, die offenkundig die Struktur von Stereobildpaaren übernahmen, übertrieben und so Eigenarten des subjektiven Sehfeldes ausloteten. In diese Bilder ist höchstwahrscheinlich popularisiertes Wissen über Hirnasymmetrien und Lokalisation von Sprachzentren eingeflossen.8 In der Zeit von 1925 bis 1937 produzierte Magritte über vierzig Collagen und Gemälde, die mehr oder minder direkt die formalen und inhaltlichen Aspekte von Verdoppelung oder bedeutsamer Bildhälftenkonfrontation durchspielten. Hinzu kam eine wachsende und schwer einzugrenzende Zahl von Verschmelzungs- und Überlagerungsbildern. In Doppelbildern zeigten sich stereoskopische Effekte dingfest gemacht oder auffällig verkehrt. Die reale Zweiheit der Bildvorlagen oder die beim Stereoschielen sich einstellende virtuelle Dreiheit hat Magritte sozusagen wörtlich genommen. In Überlagerungs- und Verschmelzungsbildern hat er

7 Charles Babbage: The Ninth Bridgewater Treatise. A Fragment, first published 1837, London (Second edition) 1838; Philadelphia (Second edition) 1841. Chapter IX: On the Permanent Impression of our Words and Actions on the Globe we inhabit. 8 Karl Clausberg: Neuronale Kunstgeschichte. Selbstdarstellung als Gestaltungsprinzip, Wien 1999, speziell Kap. III: René Magrittes demontierte Stereogemälde; Ders.: Neuronale Bildwissenschaften. In: Hans Belting: Kunstgeschichte. Eine Einführung, Berlin (7. Auflage) 2008, S. 337–362.

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dagegen vornehmlich paradoxe Formverbindungen herausgekehrt. Mit anderen Worten: Magrittes Imaginationen scheinen durchgängig von einer Art VorstellungsStereoskopie geprägt. Dass Magritte tatsächlich spezifische Effekte des (pseudo)stereoskopischen Wettstreits der Sehfelder für seine subversiven Zwecke heranzog, ist exemplarisch am Porträt des geheimen Doppelgängers ◊ Abb. 2a von 1927 abzulesen: Das Doppelbild ist scheinbar durch Ausschneiden und Seitwärtsverschieben der Mittelpartie einer Büste erzeugt. Magritte hat damit das arealweise Überblenden einer schielenden oder stereoskopischen Zusammensicht irreal rückgängig gemacht, nämlich anstelle der intakten Doppelbilder deren monokulare Wahrnehmungsfragmente in einem gemeinsamen Bildraum nebeneinander gestellt. Obendrein ist mit der freigelegten Schellenanatomie eine regelrecht „pseudoskopische“ Reliefumkehrung als imaginäre Hohlform und Innenansicht präsentiert. Durch Schielen kann man im Prinzip die widernatürliche Zerlegung und invertierte Öffnung des Körpers ungeschehen machen. Aber der eigentliche Reiz des Bildes liegt in den eklatant falschen, surrealen Vorgaben zur optisch heilsamen Wiedervereinigung. Magritte hat also die flüchtigen Wahrnehmungsübergänge bei stereoskopischer Zusammensicht zum ominös dauerhaften Defizit einer bildeigenen Doppelrealität gemacht. Die Alternative zu solchen Zerlegungen war das Überblenden der Doppelbilder, das bis zum Durchscheinen, etwa von Holzmaserung im Frauenfleisch Abb. 2d, gehen konnte. Zerlegen und Überblenden wurden zu Magrittes Universalverfahren der Bilderfindung. Das Prinzip hat er aus der experimentellen Optik des 19. Jahrhunderts übernommen und mit seinerzeit aktuellen Elementen der Sprach- und Hirnforschung bereichert. Komplementär zum älteren Sprachgebrauch-Bild hat Magritte 1929 im Palast aus Vorhängen ◊ Abb. 2b Wahrnehmung und Sprachbezeichnung nun horizontal gegenübergestellt: Im Gemälde präsentierte er zwei nebeneinander an der Wandtäfelung eines Zimmers lehnende, identisch geformte, siebeneckig halbovale Rahmen. Der linke enthält einen leicht wolkigen Himmelsausschnitt, der rechte zeigt nur das kursiv geschriebene Wort „ciel“. An rein visuelle Verschmelzung der gleichbedeutenden Inhalte ist offensichtlich nicht mehr zu denken. Stattdessen erscheint der Unterschied zwischen Imagination und verbaler Evokation so nachdrücklich, dass sich der Gedanke an Echos hirnhemisphärischer Spezialisierungen aufdrängt. Wie zum Beweis hat Magritte 1935 die Replik dieses Gemäldes mit englischer Inschrift spiegelbildlich angelegt. ◊ Abb. 2d Die Rahmenformen sind nach links orientiert und die Inschrift „sky“ befindet sich im linken Bildfeld. Wahrscheinlich hatte der Belgier eine deftig-ironische Anspielung auf die „verkehrte“ Mentalität der Engländer und

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deren Linksverkehr im Sinn. Die „rechte“ Mentalität war mit dem von Paul Broca in den 1860er-Jahren entdeckten Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte gegeben, die gemäß physiologischer Optik im rechten Sehfeld repräsentiert sein sollte; so, wie es das Originalgemälde mit rechtsseitiger Inschrift zeigte. So oder so: Zur vertikalen Saussure-Paraphrase waren nun hirngerecht-horizontale Bildfassungen der multimodalen Sprach-Atmosphäre hinzugekommen. Magrittes Sprachgebrauch-Gemälde ist übrigens vom Cartoon-Virtuosen Saul Steinberg (1914–1999), der selbst so ausdauernd mit Synästhesie-Motiven experimentierte9, in New York gekauft worden. In Steinbergs Erinnerungen10 kann man lesen, dass er es für ein Doppelporträt André Bretons hielt. Die Sprechblasen seien von satter lachsvioletter Farbe; vielleicht habe Magritte damit eine Zungenverlängerung gemeint, so Steinberg. Außerdem gebe das Gemälde vor, Rückseite eines Spannrahmens mit zentraler Querstrebe zu sein; also ein weiterer „surrealistischer Witz“, denn dann würde man es wie eine durchsichtige Rückansicht wahrnehmen. Steinberg hat Magritte sogar persönlich kennengelernt, aber nur flüchtig. Ob seine Bemerkungen also auf den Maler selbst zurückgehen, mag dahingestellt bleiben. Ebenso bleibt ungewiss, ob einer oder beide auf ihre Art Synästheten waren – und das für so selbstverständlich hielten, dass sie es nicht einmal erwähnten. 9 Karl Clausberg: Ausdruck und Aura. Synästhesien der Beseelung. In: Karl Clausberg, Elize Bisanz, Cornelius Weiller (Hg.): Ausdruck Ausstrahlung Aura. Synästhesien der Beseelung im Medienzeitalter, Bad Honnef 2007, S. 41–86. 10 Saul Steinberg (zusammen mit Aldo Buzzi): Reflections and Shadows, London 2002, S. 58.

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1: „Sprachgebrauch“. a) René Magritte: Les mots et les images, Thesen von 1929 in Auswahl. b) Ferdinand de Saussure: Bildschemata aus der „Linguistique Generale“. c) René Magritte: L’usage de la parole, 1928. Privatsammlung, Öl, 65 × 50 cm. © 2014. BI, ADAGP, Paris/Scala.

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2: Stereoskopie der Vorstellungen a) René Magritte: Le double secret, 1927. Paris, Musee National d’Art Moderne – Centre Pompidou, Öl, 114 × 162 cm. © 2014. BI, ADAGP, Paris/Scala, Florence. b) René Magritte: The Palace of Curtains, III, 1928–29. New York, Museum of Modern Art (MoMA) – The Sidney and Harriet Janis Collection. Acc. n.: 631.1967, Öl, 81,2 × 116,4 cm. © 2014. Digital image, MoMA, New York/Scala, Florence. c) René Magritte: Le pailais des ridaux, 1935. Privatsammlung, Öl, 27 × 41 cm. © 2014. BI, ADAGP, Paris/Scala, Florence. d) René Magritte: Découverte, 1927. Privatsammlung, Öl, 65 × 50 cm. © 2014. BI, ADAGP Paris/ Scala Florence.

Farbtafeln

Tafel 1: Jackson Berger: Abstract representation of the echolocating bat painting its world with sound, 2012.

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Farbtafeln

Tafel 2: Paul Klee: symptomatisch, 1927.

Tafel 3: LOGO Schaltmodul: Grafische Darstellung des Steuerprogramms für Erweiterter Schwitters, Original, 1989.

Farbtafeln

Tafel 4: Michel Gondry: Star Guitar, Still (00:42), 2002.

Tafel 5: Michel Gondry: Polaroid Commercial, Still (00:50), um 1996.

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Takte gefasst. So entsteht ein Notensystem, überschrieben mit „o“, „ah-ei“ und wieder „o“. Die Stephan von Huenes Partitur vokalen Laute formen den „Liedtext“. für Die Neue Lore Ley I In diese Laute zerfallen ist der Name Loreley. Huenes Klangskulptur treibt mit ihrem Stephan von Huenes Partitur für die Neue Lore Mythos ein Spiel voller Ironie. Während vor Ley ◊ Abb. 1 ist entstanden im Zusammenhang maritimer Klangkulisse eine weibliche Stimmit der gleichnamigen Klangskulptur.1 Die me erschallt und besagte Vokale singt, werden komplexe Struktur der querformatigen Compu- verschiedene Segmente der farbig gefassten terzeichnung lädt dazu ein, unabhängig von der Flachstahlskulptur bewegt: Lehnt der Kopf Skulptur betrachtet zu werden. ◊ Abb. 2 Eine des Frauenprofils leicht zurück, öffnet sich der Binnenrahmung weist dem Geschehen einen Mund, gleichzeitig führt ein Unterarm einen autonomen Raum zu. Eine rote, pfeilartige Kamm über die Fläche des Haares. Der Klang, Form sticht hervor, die horizontal verläuft, kurz das Lied der Neuen Lore Ley kommt aus einem kurz anschwillt, um hernach abzunehmen. Ein Lautsprecher, wird aber unwillkürlich mit der Paar vertikaler, grellgelber Balken scheidet fünf femininen Gestalt assoziiert. parallel angeordnete, gleichabständige Linien in In der Wahrnehmung des Betrachters drei Spalten. Ihre strenge Ordnung wird durch finden akustisches und visuelles Signal unwilldas Spiel ausladend geschwungener Schleifen kürlich zusammen. Das Werk appelliert an die dynamisiert. Einzelne, den diversen Details menschliche Sinneswahrnehmung, die offenbar zuordenbare Begriffe geben das Blatt als eine dazu neigt, jedem akustischen Ereignis einen Partitur zu erkennen. Sie schildert das „life of a Ursprung im Sichtbaren zuzuordnen, im Glautone“. Mit „onset“ und „decay“ wie das An- und ben, es zu verstehen. Einmal mehr reflektiert Abschwellen dieses Tones bedeutet. Es ist findet Huene über Möglichkeiten und Unmöglichsich in der roten Form artikuliert. Ihr Verlauf keiten der Kommunikation, ihr innewohnende beschreibt den Faktor „time“. Durch die Balken, Missverständnisse sowie das gerade darin bestedie „time-pauses“, wird er rhythmisiert und in hende kreative und nicht zuletzt auch komische

1: Die Neue Lore Ley I, 1990/1997.

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2: Stephan von Huenes Partitur für Die Neue Lore Ley I.

Potenzial.2 Huene hat hierfür die Formulierung der „zu Kunstwerken entschlüsselten Nachrichten“ gefunden.3 Das Frauenprofil, mit den bis ins Klischee überzeichneten Attributen augenscheinlicher Attraktivität versehen, ist aller wachgerufener Sehnsüchte zum Trotz nicht die Urheberin des Klangs und kann daher letzten Endes auch nicht als seine gegenständliche Erscheinung bestehen. Der Partitur hingegen gelingt es, den Klang sichtbar werden zu lassen. Und zwar indem sie innerhalb des Bildraumes dem Faktor Zeit Gestalt verleiht, wie auch umgekehrt die Skulptur, um den Klang vervollständigt, nicht mehr allein im sichtbaren Raum zu verorten ist. Die farbliche Kongruenz gibt die Partitur denn auch als Parallele zur Lore Ley zu erkennen. Und dennoch darf das Blatt unbedingt verstanden werden als ein Kunstwerk eigenen Rechts – ein Kunstwerk, zu dem ein akustisches Signal „entschlüsselt“ wurde. Johannes von Müller

1 Huene hatte sie 1990 für den Außenbereich des Museums Ludwig entworfen. Das Werk wurde nie ausgeführt, doch existieren zwei weitestgehend identische Modelle. Die Neue Lore Ley I (S 1990-2) wurde jüngst erworben von der Stiftung Brandenburger Tor und ist fortan zu sehen im Max-Liebermann-Haus, Berlin. Petra Kipphoff von Huene: Unfinished. Projekte, die nicht ausgeführt wurden. In: Christoph Brockhaus, Hubertus Gaßner, Christoph Heinrich (Hg.): Stephan von Huene. Die Retrospektive, Ostfildern-Ruit 2002, S. 210–213; Dies.: Sie kämmt es mit goldenem Kamme. Stephan von Huene – Die Neue Lore Ley. In: Marion Kramp, Matthias Schmandt (Hg.): Die Loreley: Ein Fels im Rhein, ein deutscher Traum, Mainz 2004, S. 164–167. 2 Vgl. u. a. die Arbeit Lexichaos (S 1990-1), hierzu: Stephan von Huene. Lexichaos. Vom Verstehen des Missverstehens zum Missverstehen des Verständlichen, Ausst.kat., Hamburg 1990. 3 Stephan von Huene: Tischtänzer. Nachrichten von unterhalb der Gürtellinie. In: Ders.: Tischtänzer, hg. v. Petra Oelschlägel, Ostfildern-Ruit 1995, S. 6.

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Bildbesprechung Stephan von Huene. Skulptur – Klang – Raum – Interaktion

Wer das etwa vierzig Jahre umspannende Œuvre von Stephan von Huene überblickt – der als Künstler immer auch akribischer Tüftler und versierter Techniker, ein an historischen Kenntnissen und an Erfahrungen reicher, an den neuen Kommunikations- und Medienwissenschaften interessierter Denker und heiterer Menschenfreund war – erkennt einen Dreischritt, der in den frühen 1960er-Jahren mit postsurrealistischen Figurationen in Zeichnungen und Klangskulpturen einsetzt, ab Mitte der 1970er-Jahre eine Phase minimalistischer KlangEnvironments durchläuft und von 1985 bis 2000 zu dem kaum noch schlagwörtlich kategorisierbaren Werk eines Künstlers führte, der über alle Mittel und Medien verfügen konnte, weil er sie sich über die Jahre einzeln und in unterschiedlichen Zusammenhängen erarbeitet hatte. Ausgehend von den klassischen Medien Zeichnung, Malerei und (unbewegter) Skulptur entwickelte der „Grenzgänger, Grenzüberschreiter“ 1 Stephan von Huene ein in der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innovatives und darin gänzlich unklassisches Hauptwerk der Medienkunst. Der Sohn deutscher Emigranten, in Kalifornien geboren und aufgewachsen, der schon in der Doppelsprachigkeit eine frühe Irritation, auch die Fragwürdigkeit von festgelegten und festlegenden Kategorien erlebte, war mit seiner Kunst aus der Zeit herausgefallen und seiner Zeit voraus. Er hatte Kunstgeschichte studiert und als Student des renommierten Chouinard Art Institute in Los Angeles besonders intensiv am Zeichenunterricht teilgenommen. Andererseits arbeitete der emphatische und souveräne Zeichner an medial konzipierten Kunstwerken, und zwar zu einem Zeitpunkt, als es für solche Ideen noch keine Vorarbeit oder Umgebung und wenig Anerkennung gab, von

einem Markt gar nicht zu reden. Einerseits war von Huene Teil der Westcoast-Kunstszene, andererseits gehörte er keiner Künstlergruppe und keinem Netzwerk von Galerien an. Er war mit Allan Kaprow und Sam Francis befreundet, auch mit Ed Kienholz, dem Maßstäbe des Spektakels setzenden Provokateur. Es spricht einiges dafür, dass die beiden Künstler das Gefühl verband, einzelgängerisch und radikal zu arbeiten – auch wenn sich Letzteres bei von Huene erst auf den zweiten Blick zeigt. Mit einer Mischung aus kalifornischer Leichtigkeit und deutscher Beharrlichkeit arbeitete von Huene kontinuierlich an seinen tönenden Skulpturen und Klang generierenden Installationen. Wobei die frühen figurativ und erzählerisch konzipierten Maschinen (so nannte von Huene seine Klangskulpturen) anachronistisch erschienen im Vergleich zu den von Materialtransparenz und Formreduktion geprägten Arbeiten der 1970er-Jahre und den späteren, mechanisch betriebenen Konstruktionen, die durch die Mikro-Computertechnologie revolutioniert wurden. Ohne den Vorzug, den Mainstream zu repräsentieren, also „in“ zu sein oder als Revolutionär früh unterzugehen und dann „out“ zu sein, 2 nahm Stephan von Huene eine radikal individuelle künstlerische Position ein, die auf universeller Bildung ebenso wie der Kenntnis zeitgenössischer Diskurse beruhte und als eine Produktion angelegt war, die sich ganz der Subjektivität der Inspiration und der Eigendynamik künstlerischer Herstellungsverfahren verdankte. Der „experimentelle Realist“ 3 von Huene entwarf schon in seinen nach dem Ort ihres Entstehens benannten Pasadena-Federzeichnungen4 (1961–1963) ein Bildgeschehen, das sich nicht nur visuell, sondern auch akustisch artikuliert. Wie die späteren, pneumatisch bewegten Klangskulpturen scheinen auch die gezeichneten Figuren zu atmen. Ihren geblähten Körpern entweicht Luft aus allen Öffnungen und durch sie geraten Laute in Buchstabenform an die Bildoberfläche.

Bildbesprechung

Gestik und Ton gehören in ihrer Körpersprache konstitutiv zusammen, und wer die Probe macht und alle lautsprachlichen Elemente der Federzeichnungen bei der Betrachtung ausblendet, wird nicht nur feststellen, dass die Buchstaben auch kompositorisch mitspielen, also bildlich fehlen, wenn sie entfernt werden, sondern dass die verstummte Komposition visuell arretiert ist. Es ist eine drangvolle Fixierung, die Figuren festhält, deren üppige Körpervolumen und erotische Präsenz einen bacchantischen Ausbruch der Sinnlichkeit erwarten ließen. Da dieser nicht stattfindet und die klaustrophobisch anmutende Isolation der Wesen sich nicht löst, bilden sich Ventile für den Überdruck der Emotionen. Sie zeigen sich an der Dekomposition, die den Organismus der Figuren auflöst und ihren Körperhaltungen den Ausdruck des verstörendunfreiwillig Komischen verleiht. Und sie werden als Laute „hörbar“, die mal unterdrückt, mal explosiv aus dem Körperinneren kommend im Bildraum erscheinen. So bedingen Zeichnung und Buchstaben einander, und wer die Probe beendet und die Laute wieder zulässt, sieht sie („hört“ sie fast) mit Erleichterung. Zunächst ist es wohl nur eine Frage der Einheit und folglich Zusammengehörigkeit sinnlicher Erfahrungen: Ein Organismus, der sich nicht bewegt und keinen Ton von sich gibt, wird instinktiv für tot gehalten. Wer etwas hört, es aber nicht sieht, denkt an Geister. Wer etwas sieht, aber nicht hört, dem erscheint das Sichtbare geisterhaft. Doch ein Objekt – eigentlich unbelebt –, das sich bewegt und erklingt, weckt (Aber-)Glauben oder fasziniert als technisches (Wunder-)Werk. In ihm wird das stille Objekt mehrdimensional verlebendigt oder, wie Stephan von Huene es formulierte, „multi-medial“ in Bewegungen versetzt und zum Instrument der Klangerzeugung. Bereits der früheste der künstlerischen Klang-„Automaten“, Kaleidophonic Dog (1964), ◊ Abb. 1 ist das Ergebnis eines Experiments mit Instrumentalklängen, die nicht nur zu hören

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1: Kaleidophonic Dog, 1967.

sind, sondern auch skulptural-kompositorisch inszeniert werden, wobei kinetisch-figurative Elemente den instrumentellen Effekt der Klangerzeugung scheinbar narrativ ergänzen, ihn jedoch im Verlauf des Spiels ins komisch Absurde wenden. „1964“, schreibt von Huene, „is […] the year when I integrated sound into the visual/tactile objects to make them more complete. This concern with the tactile (kinesthetic), auditory, and visual relations and synesthesia thereof has remained as an integral part of my work“.5 Versucht man, das spezifische Verhältnis von Ton und Bild am Beispiel der Klangskulpturen Stephan von Huenes zu charakterisieren, so fällt die Abwesenheit, ja geradezu Vermeidung kontinuierlich gleichlaufender Prozesse mit eindeutigen Entsprechungen auf. Schon bei der Herstellung der Klangspur von Kaleidophonic Dog dachte von Huene nicht an Harmonien, sondern an Kollisionen: „I always thought that the Kaleidoscope was just colliding patterns and so the way these tapes [von Kaleidophonic Dog] were going

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Bildbesprechung

2: Der Mann von Jüterbog, 1995.

that it was a kind of colliding patterns of dots. […] Other people make music of phasing, I make music of collisions.“ 6 In den frühen kinetischen Skulpturen stößt der Betrachter auf die Absurdität7 mechanisch-klanglicher Vorgänge, die wie dadaistisch inspirierte Uhrwerke ablaufen. Zwischen den etwas hilflos erscheinenden Klapp- und Schwenkbewegungen von Beinen und Kiefer des kaleidophonischen Hundes, der, seiner Körpermasse und Bedrohlichkeit des Ausdrucks zum Trotz, von der Vielzahl filigran beweglicher Teile des Instrumentalcorpus, das ihn trägt, dominiert wird, und den präzise abgemessenen Beinbewegungen des Mann von Jüterbog (1995) liegen gut dreißig Jahre Geschichte der Klangskulptur Stephan von Huenes, an der sich ablesen lässt, wie sich Bild, Ton und Bewegung aufeinander beziehen, ohne eins zu werden. Bei dem Mann von Jüterbog führt die mechanische Halbfigur in Herrenhosen und -schuhen eine Spielbein-Choreografie auf, während das Standbein insistierend mit der Schuhspitze auf ein Podest tippt. ◊ Abb. 2 Dazu erklingen die

Stimme Reinhard Lettaus, ◊ Abb. 3 der seinen Text Seitliche Blicke verliest, sowie die exakt rhythmisierten Geräusche einer Trommel, die neben der Figur installiert ist. „Every sound is numbered and is assigned to a movement“, erläuterte von Huene seine Arbeit. „The up and down, swinging and turning motion of the leg, foot, and hips translates the language into time and tempo and accentuates individual words, sometimes synchronically and sometimes contrary to the text. The drum places additional accents, with a dramatic beat or a clattering drum roll.“ 8 Die drei „sprechenden“ Elemente Beinbewegungen, Trommelschläge und Textvortrag treten spürbar programmiert auf. Die Mechanik der Beinbewegungen funktioniert ruckhaft und mit sichtbarem Nachschwingen bei ausgreifenden Bewegungen. Lettaus Sätze werden durch Pausen gegen den Lesefluss in ihre Teile zerlegt. Und die vier Schlägel treffen das Trommelfell mit mechanischer Präzision immer an den gleichen Stellen, so dass sich darin „Narben“ abzeichnen. Die drei Sprachformen erklingen in bestimm-

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3: Der Mann von Jüterbog, 1995: Partitur des Textes von Reinhard Lettau.

ten Momenten zeitgleich, aber sie bleiben für sich (wie der Ich-Erzähler in Lettaus Text, der seinen Blick, seine Anschauung und Bewegung bei Begegnungen mit Passanten zu koordinieren sucht). Und doch entsteht für den, der verweilt und sich einhört, eine übergeordnete Phrasierung, die, vermittelt durch den Wechsel von Gleichzeitigkeit und Gegenläufigkeit von Klang

und Erscheinung, das Stück in seiner Gesamtheit zu einer strukturellen Einheit verbindet. Sie „trägt“ den Rezipienten über die Widerständigkeit der Darbietung, ohne deren Verweigerung einer allzu menschlichen Fiktion aufzuheben. Umso abrupter wirkt daher nach knapp drei Minuten die Pause, die sich nach Momenten des abwartenden Verharrens als das Ende erweist.

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Eine kinetische Klangskulptur, die anhält und schweigt, ist in ihrer Paralysiertheit ansteckend. „You can’t turn on a switch?“, fragt Joan La Barbara Stephan von Huene im Interview und erhält die Antwort: „There’s a switch that turns it on.“ 9 The Man of Jüterbog wird von Ausstellungsbesuchern durch unwissentliches Auslösen einer Lichtschranke aktiviert, wodurch das Erwecken der Skulptur mit dem Erschrecken der Betrachter/Hörer zusammenfällt. Für einen Moment entgleitet dem Rezipienten seine kritische Distanz und ästhetische Urteilskraft und er ist gebannt von der sprechenden Skulptur ohne Oberkörper. Es ist verlockend, an dieser Stelle von Huenes Frage aus einem Brief an Heinrich Klotz: „Is this, the temporal, the only real bonding that occurs between sight and sound?“ 10 zu paraphrasieren: Ist sie, die Interaktivität, die einzige wirkliche Verbindung zwischen Betrachter und Kunstwerk? Stephan von Huenes Klangskulpturen lassen sich nicht im konventionellen Modus des Ausstellungsbesuchs zwischen Kontemplation und Selbstdarstellung erfahren. Nicht nur aufgrund der Überraschung darüber, die Automatik der Skulpturen durch Körperbewegung initialisiert zu haben, sondern auch, weil die klingenden und animierten Skulpturen den Betrachter herausfordern, Gleichzeitiges wahrzunehmen, wodurch er für Momente sich selbst vergisst. Aber auch für die bloße Hingabe an das Schauspiel, das sie aufführen, sind von Huenes Klangskulpturen ungeeignet. Ihre distanzierende Wirkung, die heterogenen Abläufe und die ungewohnte Aktivierung des Betrachters durch einander überlagernde Prozesse sind eine möglicherweise auch bedrängende Herausforderung und konfrontieren ihn mit sich selbst. Der immer neue Auftritt der Skulpturen fordert den Betrachter auf, seine eigene Position vor den Kunstwerken neu zu bestimmen.11 Marvin Altner

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1 Vgl. Stephan von Huene: Grenzgänger, Grenzverschieber, Ausst.kat. Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), Karlsruhe 2006. 2 Vgl. von Huenes Definition von „in“ und „out“ in: Tisch Tänzer. Eine Modenschau für Kunstausstellungen, 14.8.1993. In: Stephan von Huene: Die gespaltene Zunge. Interviews, Texte, Notizen, München 2012, S. 131. 3 Kunstforum International, Nr. 107, April/Mai 1990, S. 278. Hier zitiert nach Horst Bredekamp: Die Tiefe der Oberfläche. In: Christoph Brockhaus, Hubertus Gaßner, Christoph Heinrich (Hg.): Stephan von Huene – Tune the World. Die Retrospektive, Ausst.kat. Haus der Kunst, München, Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum – Zentrum Internationaler Skulptur, Duisburg, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Ostfildern 2002, S. 154. 4 Vgl. das Werkverzeichnis der der Zeichnungen Stephan von Huenes in: Hubertus Gaßner, Petra Kipphoff von Huene (Hg.): The Song of the Line – Stephan von Huene. Zeichnungen aus fünf Jahrzehnten, Ausst.kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Stiftung Brandenburger Tor im Max Liebermann Haus, Berlin, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, Ostfildern 2010, S. 98–104. 5 Ausst.kat. Artec 93, Nagoya Japan, unpaginiert. Hier zitiert nach: Petra Kipphoff von Huene: „Bin ich ein Künstler? Wissenschaftler? Techniker?“. Eine Biografie. In: Brockhaus, Gaßner, Heinrich (s. Anm. 3), S. 281. 6 Interview mit Joan La Barbara, Los Angeles 1979. In: von Huene: Die gespaltene Zunge (s. Anm. 2), S. 96. 7 Interview mit der Zeitschrift Mizue, Tokio 1973. In: Stephan von Huene: Die gespaltene Zunge (s. Anm. 2), S. 52–53. 8 Siehe Stephan von Huene in: Brockhaus, Gaßner, Heinrich (s. Anm. 3), S. 201. 9 Interview mit Joan La Barbara. In: Stephan von Huene: Die gespaltene Zunge (s. Anm. 2), S. 96. 10 Stephan von Huene: Form, Methoden & Techniken des Medienkünstlers, Brief an Heinrich Klotz (ZKM, Karlsruhe) vom 3.1.1994. In: von Huene: Die gespaltene Zunge (s. Anm. 2), S. 173. 11 Vgl. die Ausführungen zum Betrachter/WerkVerhältnis in: Stephan von Huene: Tisch Tänzer. Semantik und Syntax. In: von Huene: Die gespaltene Zunge (s. Anm. 2), S. 134–135.

Petra Kipphoff von Huene

Hören, was man sieht – Sehen, was man hört. Bild, Ton, Rhythmus im Werk von Stephan von Huene Sehen, was man nicht hört

In dem großen Konvolut der Zeichnungen von Stephan von Huene aus dem Jahr 1964 fallen, neben der Form des Zyklus – es gibt jeweils eine große Sequenz von Federzeichnungen, Bleistiftzeichnungen und Rauchzeichnungen – vor allem zwei wiederkehrende Motive auf. Zum einen sind da die Buchstaben, die, egal ob über ein Blatt verteilt oder nebeneinander gestellt, fast nie ein Wort ergeben, und falls es doch einmal geschieht, dies kein Wort ist, das wir kennen. Es bleiben die grafischen Zeichen und der sinnfreie Klang von „KEFX“, „ESCOT“, „XOT“, „KAAROOOO“. Und dazu die Feststellung von Stephan von Huene, wir seien „beständig dazu verleitet, nach Spracherfahrungen zu suchen, wo es in Wahrheit nur Töne gibt“.1 Diese Wörter ohne Inhalt aber sehen so aus aus/hören sich an wie Präludien zur Klangskulptur Erweiterter Schwitters (1987). ◊ Abb. 1 Der Anfang des Erweiterten Schwitters liegt bei Kurt Schwitters Ursonate (1923/1932), die sich ihrerseits einer Vorlage von Raoul Hausmann verdankt. Mit Hilfe eines Phonem-Generators und auf der Basis der klassischen Sonaten-Form hat Stephan von Huene das Klangmaterial von Schwitters in einem komplizierten Prozess bearbeitet/neu artikuliert und gleichzeitig als Auslöser der Bewegungen der Stockfigur benutzt.2 Fümms  bö  wö  tää  zää  Uu,     pögiff,     kwii  Ee … Oooooooooooooooooooooooooooooooo

so der Anfang der Ursonate. Aus dieser Vorgabe wird in von Huenes Erweiterter Schwitters ein Zischen, Gurgeln, Krächzen, Schnarren, eine Apotheose der rhythmisierten Buchstabenklänge, begleitet von komisch richtungsweisenden Gesten und ruckartigen Bewegungen. Zum anderen aber sieht man neben diesen sinnfreien Buchstabenlauten auf von Huenes Zeichnungen auch, wie Klänge produziert werden könnten. ◊ Abb. 2a–c Da vereint sich zum Beispiel ein Oberkörper mit einer Violine, über deren Saiten ein Bogen geführt wird; oder, etwas weniger poetisch, aus einem Gesäß wächst eine Trompete mit explosiv gezeichneter Klangausstrahlung. Ähnliches auf den Bildern: 1 Christoph Brockhaus, Hubertus Gaßner, Christoph Heinrich (Hg.): Stephan von Huene – Tune the World. Die Retrospektive, Ausst.kat., Ostfildern-Ruit 2002, S. 238. 2 Brockhaus, Gaßner, Heinrich (s. Anm. 1), S. 236 sowie Kurt Schwitters: Anna Blume und andere Literatur und Grafik, Köln 1968, S. 394–422.

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1: Erweiterter Schwitters, 1987.

Großbuchstaben, Unwörter, Gesten ohne Ton, Schallwellen ohne Text/Klang aus einem Menschenmund, so etwa auf dem Bild, dessen Titel identisch ist mit den gemalten, silbernen Großbuchstaben: KESP (1963). „Es war“, schrieb Allan Kaprow, mit dem Stephan von Huene eine Freundschaft seit den frühen Künstlertagen verband, „als wollten sie etwas sagen, aber irgendjemand hatte etwas um ihren Mund herum getan. Diese Bilder strengten sich an zu sprechen. Es war deshalb auch kein Zufall, als ein paar Jahre später Stephan von Huenes Arbeiten tatsächlich wirkliche Geräusche mit einschlossen. Und diese Klänge und Geräusche artikulierten sich in Skulpturen, nicht mehr in Bildern. Sie fingen an, Wörtern ähnlich zu werden, und diese Wörter wurden schließlich zu Stimmen und die Skulpturen zu Manifestationen von Wörtern“.3 Kaleidophonic Dog, Totem Tones, Tap Dancer, Rosebud Annunciator, One Man Band, Drum, Glass Pipes, Text Tones, Tisch Tänzer, Lexichaos, Die Neue Lore Ley, Sirenen Low – schon die Titel dieser Klangskulpturen, die Stephan von Huene selber lieber Maschinen nannte, annoncieren Ton und Bewegung, erinnern zum Beispiel daran, wie es sich anhört und wie es aussieht, wenn ein Orchester die Instrumente stimmt. „I’m tuning everything I can. I’d probably tune the whole world if I could“, hatte Stephan von Huene 1979 in einem heiteren Interview mit der Sängerin und Komponistin Joan La Barbara gesagt, er würde gern die ganze Welt stimmen, wenn er könnte.4 Was, jenseits des enthusiastisch globalen Ausrufs, die eigenen, konkreten Absichten betraf, so waren sie auch von konzeptionellen Überlegungen begleitet, die von der Fähigkeit ausgingen, die üblichen, zur zweiten Natur gewordenen Kategorien der Wahrnehmung neu zu sortieren. Und dadurch das Potenzial der Kunst zu erweitern.

3 John Grayson (Hg.): Soundsculpture, Ausst.kat., Vancouver 1975, S. 39. 4 Stephan von Huene: Die gespaltene Zunge – Texte & Interviews, München 2012, S. 87.

Hören, was man sieht — Sehen, was man hört

Grenzüberschreitung, von Theodor W. Adorno als „Verfransung“ und „Pseudomorphose“ getadelt,5 war seit den späten 1960er-Jahren gern als Synonym für Avantgarde und Modernität benutzt worden, erschöpfte sich aber in der Realität der Ausstellungen auch oft darin, dass der Kunstfreund zum Beispiel im Dunkel des Galerieraums über Stacheldraht stolperte oder sonst irgendwie vor den bürgerlichen Kopf gestoßen wurde. Daher wohl auch die schlecht gelaunte Ablehnung des seiner Zeit sehr verbundenen und von den Studenten adorierten Philosophen und Soziologen. Stephan von Huene hatte, nach eigenen Erfahrungen als Künstler und als Lehrer, eine andere Vorstellung von der Moderne und ihren Herausforderungen, besonders auch im Zusammenhang der eigenen, kategorienfernen Intentionen: „One of the great confusions, which have become evident […] concerns the distinction between Modernism and Modernization. Modernism is an extension of the Enlightenment and is regenerative whereas Modernization is merely a snapshot of the technology of a particular time. The confusion occurs when Modernization is mistakenly made to equal Modernism.“ 6

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2a: Federzeichnungen. Menschen als Instrumente, D 1964-19, 1964.

2b: Federzeichnungen. Menschen als Instrumente, D 1964-22, 1964.

Am Anfang der eigenen Überlegungen standen keine Ansprüche, sondern Fragen: „I ask myself What is the sound Of what I see? What is the vision

2c: Federzeichnungen. Menschen als Instrumente, D 1964-115, 1964.

5 Theodor W. Adorno: Über einige Relationen zwischen Musik und Malerei. Die Kunst und die Künste, Vortragsheft Akademie der Künste, Berlin 1976, S. 50. 6 von Huene (s. Anm. 4), S. 139.

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Petra Kipphoff von Huene

3a: Text Tones, 1979, 1982–83.

Of what I hear? That small Pause/Interval Between these two questions Is a Klang sculpture If I can draw a line precisely and only in that very small space Where atmosphere touches Object my pencil remains sharp (clear) + doesn’t scratch“ 7

Die Synästhesie der Künste, die Parallelität ihrer Präsenz in der Erfahrung des Betrachters, der auch ein Zuhörer ist, dieser Wunschtraum der Romantiker und besonders von Philipp Otto Runge, war auch für Stephan von Huene ein Begriff, in dem er seine Arbeit wiedererkannte. Seine Klangskulpturen, so schrieb er in den Notizen zur ‚Zauberflöte‘,8 baue er auf „Muster der Synästhesie hin, die Verbindungswege schaffen sollen zwischen akustischen und körperlichen Wahrnehmungen“. Seine Vorstellungen aber gingen über die Simultaneität der Wahrnehmungen von Augen und Ohren hinaus und suchten „den Ort, an dem Gestalt und Grund sich austauschen, einander räumlich durchdringen und zur Oberfläche werden […] Es ist ein mystischer Ort. Ich nenne ihn die Hautgrenze, wo Außenwelt und Innenwelt miteinander in Kontakt treten. Es ist eine Oberfläche und sie ist transparent“.9 In diesem immateriellen Grenzbereich verwirklicht sich die Klangskulptur. Bei zwei großen, in ihrer Erscheinung und Wirkung fast antipodischen Arbeiten ist das Zusammenspiel von Bild, Ton, Klang und Bewegung besonders vielschichtig, sowohl vom Konzept her, wie auch in der Umsetzung: Text Tones und Tisch Tänzer. Beide Klangskulpturen, die man auch als Raum-Installationen bezeichnen kann, sind über Jahre hinweg entwickelt und gebaut, teilweise in technischen Details oder der Programmierung auch verändert worden. Die Text Tones widerspiegeln den Klang und Rhythmus der Umgebung, den sie aufnehmen und durch ein Programm gefiltert repetieren. Wohingegen die Tisch Tänzer im Rhythmus der vorgegebenen Bewegung der Figuren die Umsetzung der gesprochenen Texte (in einem Fall der Musik) in die Körpersprache demonstrieren. Beide Arbeiten, deren Rhythmus auch 7 Skizzenbuch S-B 6, Typoscript. 8 Die Zauberflöte, Klangskulptur Stephan von Huene. Romanischer Keller, Salzburg 1985. 9 von Huene (s. Anm. 4), S. 50; vgl. dazu auch Horst Bredekamp: Die Tiefe der Oberfläche. In. Brockhaus, Gaßner, Heinrich (s. Anm. 1), S. 142f.

Hören, was man sieht — Sehen, was man hört

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3b: Text Tones, 1979, 1982–83.

von der das Spiel auslösenden Präsenz des Publikums mitbestimmt wird, eröffnen eine Dimension der Interaktivität, die bei den frühen Skulpturen der 1960er-Jahre mit ihrem programmierten Klang- und Bewegungsablauf nicht gegeben war. Hören, was man nicht sieht

Text Tones (1979/1982–83) ist eine Serie von sechs Skulpturen, schmalen, hohen, weiß gestrichenen Holzkästen. ◊ Abb. 3a, b Auf dem ersten ist ein Aluminiumrohr montiert, dessen Länge so bemessen ist, dass die innere Luftsäule in derselben Frequenz schwingt wie das Rohr selbst, wenn es von außen wie ein Gong angeschlagen wird. Stephan von Huene nannte das „the absolute pitch“, wobei die Relation von akustischer Länge und den visuellen Proportionen wichtig war. Auf den fünf anderen Kästen sind jeweils zwei Rohre montiert, die um sechs Prozent kürzer beziehungsweise länger sind. Jede Skulptur ist mit einem Mikrofon und einem Lautsprecher versehen, die für drei Minuten die Geräusche des Raums aufnehmen und über eine Tonbandschleife verzögert zurückspielen. Dazu werden die Töne in ein analoges und ein digitales Signal separiert. Das digitale Signal wird geteilt zwischen zwei Hämmerchen, die auf das Rohr schlagen, wenn eine gewisse Frequenz überschritten wird. Das analoge Signal wird durch einen Lautsprecher gespielt und versetzt die Luft im Rohr in Schwingung. Da beide Frequenzen gleich sind, werden die Geräusche des Raums monoton reproduziert. Der Klang der Text Tones, der aus (gesprochenen) Texten (klingende) Töne macht, verdankt sich einer Mischung aus Planung und Zufall. Jede Skulptur stellt sich beim Vorübergehen eines Menschen durch einen Näherungsschalter an, nimmt drei Minuten lang Geräusche der Umgebung auf und spielt sie verändert zurück. Die Skulpturen werden aber nie alle gleichzeitig angestellt, ein Fall von Stochastik. Was gespeichert wird, bleibt dem Zufall der Besucherpräsenz überlassen. Die

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4: Tisch Tänzer, 1988–93.

Skulpturen können sich aber auch gegenseitig aufnehmen, wenn kein Mensch mehr im Raum ist, sondern nur noch das, was er als Klangkörper im wahrsten Sinne des Wortes hinterlassen hat. Der Rhythmus wird im Moment der Aufnahme durch den Besucher bestimmt, seine körperliche Bewegung und seine Artikulation. Im Feedback mischen sich die Laute des Einzelnen mit denen der anderen Besucher dann zu dem, was Thomas von Randow eine „Art Vexierspiegel“ genannt hat.10 Stephan von Huene interessierte aber auch ein anderes Potenzial der Text Tones: Er nannte es „selfcomposing“. In den Text Tones werden Wörter zu Tönen, die keinen zu identifizierenden Informationswert mehr haben. Nach der akustischen Wiedergabe wird das Band gelöscht, der Speicher ist frei für die nächste Aufnahme, die neue Eigenkomposition, die genau so lange gültig ist, bis wieder eine neue kommt. „Text Tones concern an interplay of literal and aliteral elements and bring attention to the shifting locus of meanings“, schrieb Stephan von Huene.11 Und: „Speech can have so many kinds of messages just outside of the word. Words are rather ambiguous units in terms of their signal […] I have a reversal of context. The meaning of shifts. The machines don’t have a mind. They only have mechanics. The audience has to give in order to receive.“

10 Katharina Schmidt: Stephan von Huene – Klangskulpturen, Ausst.kat., Baden-Baden 1983, S. 94. 11 Programmheft Contemporary Music Festival, California Institute of the Arts, Los Angeles 1982, S. 2.

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5: Bewegungsstudien zu Tisch Tänzer, D/S 1986-201-203.

Sehen und Hören

Im Ensemble der Tisch Tänzer, ◊ Abb. 4 einer kleinen Aufführungsbühne innerhalb eines größeren Ausstellungsraumes, sehen und hören wir eine sehr konkrete Gegenwelt zu den Text Tones. Drei mit Männerhosen und Herrenschuhen ausgestattete Halbkörper stehen auf Sockeln, ein vierter, auf einem etwas höheren Sockel platzierter Körper ist aus Fiberglas und unbekleidet. ◊ Abb. 5, rechts Ausschnitte aus Reden der amerikanischen Politiker Dwight D. Eisenhower, Lyndon B. Johnson und Jesse Jackson sind zu hören, dazu steppende Geräusche der Schuhspitzen, die das Gesagte rhythmisch und sehr expressiv akzentuieren. Der unbekleidete Halbtorso, der an eine Prothese erinnert, bewegt sich elegant zu abwechselnd einer Melodie aus Bizets Perlenfischern und der Arie Lascia ch’io pianga aus Händels Oper Rinaldo. Die Tisch Tänzer werden, genau wie die Text Tones, erst durch die Präsenz des Publikums aktiviert und entsprechen so auch ihrerseits Stephan von Huenes Vorstellung der notwendigen Interaktivität von Kunstwerk und Betrachter/Zuhörer. „Tisch Tänzer is a small exhibition to fit inside a larger exhibition. It is meant to explore the wholeness of an exhibition by focusing on the quality of relationship between art works and their public. Modernisation (today’s technology) is used to extend these possibilities of relationship. The Tisch Tänzer exhibition is directed towards a reversal of the conventional strategies of presenting pictures (optical delusions) to the spectator for consumption. As an alternative the Tisch Tänzer exhibition is designed to stimulate the image-initiation (imagination) capabilities already inherent in the spectator. Thus the ­exhibition/spectator/ audience unit becomes cyclical and regenerative.“ 12 12 von Huene (s. Anm. 4), S. 139.

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Gerade weil die Tisch Tänzer sich nur durch die Bewegung der Unterkörper artikulieren, hat der Rhythmus ihrer Bewegung bei aller maschinellen Expressivität auch etwas Spielerisches, eben dem Tanz Verpflichtetes. „Als Decodierer unseres Wunschund Zeichensystems vollziehen die Tisch Tänzer das bewegende Kunststück, den Besucher einzubeziehen, ihm aber die Freiheit der Selbstanalyse zu lassen.“13 Konträr zu dem Minimalismus der Skulpturen der Text Tones hat das Visuelle bei den Tisch Tänzern, deren theatralischer Auftritt durch die beleuchtungsbedingten Schattenwirkungen der sich bewegenden Skulpturen und die großformatigen Zeichnungen an der Wand dahinter noch verstärkt wird, eine bewegte Präsenz. Das Akustische, also die unterschiedlichen Sprachstile dreier Politiker, die sich dann auch in der Körpersprache fortsetzen, im Kontrast dazu die bezaubernde Musik bringen jenseits des Textes und der Töne auch kulturell bedingte Konnotationen von Kinetik, Klang und Rhythmus ins Spiel. Auf einer im wahrsten Sinne des Wortes höheren Ebene wird die maskuline Politiker-Attitüde der halben Herren mit den Bügelfalten von der Figur relativiert, die durch keine Bekleidung geschlechtlich oder gesellschaftlich definiert ist und ästhetisch depraviert wirkt. Sie ist es, die sich zu melodischen Klängen bewegt, die jenseits aktueller Ereignisse und individueller Sprachen sind. Entsprechend ist der Rhythmus der Bewegung nicht exaltiert, sondern fließend, selbst in der Akzentuierung einzelner Gesten harmonisch. Zum Thema Körpersprache/Kinetik fand Stephan von Huene bei Ray L. Birdwhistell, der dieses Sujet wissenschaftlich umfassend untersucht hatte, hinreichend Material, das seine eigenen Interessen unterstützte und mit Forschungsergebnissen untermauerte.14 Da waren zum Beispiel die Berechnungen, denen zufolge bei einer sprachlichen Äußerung die Information, die beim Adressaten ankommt, nur zu sieben Prozent Inhalt ist, aber zu 30 Prozent von der Intonation, also durch Rhythmus und Dynamik bestimmt wird. Der Rest, also gut 60 Prozent, ist Körpersprache, Kinetik. Die Neue Lore Ley (1990/1992) ist dafür ein besonders anschauliches und heiteres Beispiel. Zwar ist das Lied ohne Worte, das aus ihrem kunstvoll geschminkten Mund perlt, nicht nur eine Begleitmusik. Aber – und das ist gar nicht weit entfernt von Heinrich Heine – die mindestens ebenso große Verführung liegt in der Bewegung der Lippen und vor allem in der Geste, mit der die Hand den Kamm durch das Haar führt.

13 Horst Bredekamp: Theater der Unterleiber – über Stephan von Huenes Tisch Tänzer. In: Petra Oelschlägel (Hg.): Stephan von Huene. Tisch Tänzer, Ostfildern-Ruit 1995, S. 57. 14 Ray Birdwhistell: Kinesics and Context. Essays on Body Motion Communication, Philadelphia 1970.

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Was die Tisch Tänzer betrifft, so waren Birdwhistells grundsätzliche Feststellungen der parallelen oder sogar analogen Strukturen des kinetischen und des linguistischen Modus für Stephan von Huene eine grundlegende Information für seine Programmierung der Relation von Ton, Rhythmus und Bewegung. Und seine Berechnung über die Anteile von Inhalt, Intonation und Körpersprache bei einer sprachlichen Äußerung eine Bestätigung dessen, was er in der eigenen Arbeit erfahren hatte: „Es ist möglich, dass ich die Information im Kontext suchte und weniger in dem Signal der Worte. Ich hab’ am Klang, der Situation, an Gesten, wie Leute aussehen, wie sie die Augen bewegen – dies und das waren mehr bewusste Quellen als die Sprache selbst.“15 Man hört, was sieht man

Die lautstarke Geburt der „Geräuschkunst“, der arte dei rumori durch Luigi Russolo und seine futuristischen Kollegen, die im Jahr 1913 mit einem Manifest verkündet wurde, hat der Welt der Kunst/Musik neue Töne, aber für diese keinen neuen Namen gebracht. Wozu auch? Es war ja nicht mehr und nicht weniger als die Erweiterung der Wahrnehmung um alle jene Töne, die seit dem späten 20. Jahrhundert und der Industrialisierung entstanden waren. Diese banaleren, aber auch reichhaltigeren Töne kamen eher aus den Lokomotiven als aus den Konzertflügeln, von den Motoren der Autos als vom Rauschen der Baumwipfel, die links und rechts der Alleen oder Autobahnen stehen. Zur Kategorie Klang gehört auf einmal und selbstverständlich auch der Krach und das Alltagsgeräusch. Er mache, so Stephan von Huene im Interview mit Joan La Barbara, indem er für die frühen Klangskulpturen Staubsaugermotoren verwendet habe, eben auch „Haushaltsmusik“.16 Worüber beide, wie im Protokoll vermerkt ist, fröhlich lachten. Er habe, fügte Stephan von Huene hinzu, als er die Totem Tones baute, auch viel Zeit auf den kalifornischen Freeways verbracht und auf einmal die unterschiedliche Lautstärke der verschiedenen Motoren wahrgenommen, zum Beispiel die Frequenz des Motors seines eigenen Autos im Vergleich zu der eines Lastwagens, wo es „ganz wunderbare beatings“ gab und „akustische Dinge, die sich zwischen ihnen abspielten“, zu entdecken waren. Zu der Bibliothek von Stephan von Huene,17 deren Grundstein Hermann von Helmholtz’ Lehre von den Tonempfindungen war, gehört auch das klassische Werk 15 Gespräch mit Klaus Schöning in der Sendung, „Studio Akustische Kunst“, WDR Köln, 7.12.1985. 16 von Huene (s. Anm. 4), S. 87. 17 Stephan von Huene: The Song of the Line/Die Zeichnungen 1950–1999, Ausst.kat., Hamburg/ Berlin/ Karlsruhe, Ostfildern 2010, S. 136ff.

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des Musikethnologen Curt Sachs, der 1904 an der Berliner Universität im Fach Kunstgeschichte promoviert wurde und später emigrieren musste: Rhythm and Tempo: A Study in Music History. Hier hat Stephan von Huene sich unter anderem auch den Satz in der Einleitung angestrichen: „Immer wieder wird in diesem Buch die Tat6: Porträt von Stephan von Huene. sache betont werden müssen, dass durch die ganze Geschichte hindurch der Rhythmus mit der Linie und der plastischen Form einhergeht.18 Für sich und seine Arbeit brachte von Huene diesen Zusammenhang am Beispiel der Skulptur Glass Pipes knapp auf einen Nenner: „You hear what you see.“ 19 ◊ Abb. 6

18 Curt Sachs: Rhythm and Tempo. A Study in Music History, New York 1953, S. 181. 19 Glass Pipes, 1976, Typoscript.

Yasuhiro Sakamoto

Die technische Anatomie eines mechanischen Entwurfs. Stephan von Huenes Erweiterter Schwitters1 Das Verhältnis von Bild und Ton

Die Wahrnehmung von Klangskulpturen wird oft als ein synästhetischer Prozess verstanden, der auditive und visuelle Reize verknüpft. Die Annahme einer homogenen Perzeption birgt allerdings eine Unschärfe, die sich die Schnittstelle oder cross-modality zwischen Bild und Ton nicht eingesteht. Sofern sie im Raum verkörpert sind, werden Bild und Ton als visuelle und auditive Informationen mit verschiedenen Organen wahrgenommen. In dieser Hinsicht sind sie perzeptuell autark. Allerdings verlassen sie den Kunstkörper in einer gemeinsamen Bewegung und werden gleichzeitig vom Betrachter wahrgenommen. „Was man auf dem Bildschirm sieht, kann man hören“, wie Stephan von Huene sagt.2 Psychologische Erörterungen dieser Frage behandeln im Allgemeinen nur die synästhetische Übersetzbarkeit von Bild und Ton.3 Unter informationstheoretischen Gesichtspunkten lässt sich das Verhältnis von Bild und Ton dahingehend beschreiben, dass es im Kunstkörper als Code vorgebildet ist und in der Perzeption wieder decodiert wird. Im Falle einer Medienkunst wie von Stephan von Huenes Klangskulpturen kann der Code entweder mechanisch als Kontrollmodul oder computertechnisch als Algorithmus und Programm verstanden werden. Technische Module und der Algorithmus des Programmcodes fungieren in diesem Sinne als Bindemittel zwischen Bild und Ton innerhalb eines Codierungs- und Decodierungsprozesses. Angesichts der Komplexität der Wahrnehmung bleibt offen, wie sie sich theoretisch angemessen modellieren lässt. Wie in der Forschung zur auditorischen Scheinbewegung4 herausgearbeitet wurde, generiert die Bild-Ton-Wahrnehmung eine Gesamtgestalt, die weder visuell noch auditiv aufgenommen wird.

1 Ich möchte Arne Rehder und Felix Jäger herzlich für die Unterstützung danken. Dieser Text wurde muttersprachlich von Felix Jäger editiert. 2 Klaus Schöning: Im Gespräch mit Stephan von Huene nach der Produktion des Hörspiels „Erweiterter Schwitters“ 1987 (redigierte Auszüge), Hamburg (Archiv Stephan von Huene) 2006, S. 2. 3 Pierre Boulez: Le pays fertile. Paul Klee, Paris 1989. Vorwort von Paule Thévenin. 4 Robert Sekuler, Allison B. Sekuler, Remee Lau: Sound alters visual motion perception. In: Nature 385, 308, 23.1.1997, doi: 10.1038/385308a0 – „Auditory apparent motion“ beschreibt ein Wahrnehmungsprinzip, nach dem der visuelle Eindruck von Bewegung durch den auditiven Reiz maßgeblich mitbestimmt wird. Sekuler schildert eine exemplarische Konstellation: Wenn sich zwei Vierecke in gegenläufigen Bewegungen, eines von links nach rechts, das andere von rechts nach links, bewegen, erscheint es dem Betrachter, als würden sie sich kreuzen. Wenn im selben Moment ein Ton erklingt, kann die Kreuzung nicht mehr wahrgenommen werden; stattdessen entsteht der Eindruck eines Rückstoßes. Hierin zeigt sich, dass audiovisuelle Wahrnehmung nicht rein additiv aus der Summe visueller und auditiver Reize besteht.

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1: Paul Klee: symptomatisch, 1927.

In seiner Schrift Bildnerisches Denken zeigt Paul Klee anhand der Analogien in der gedanklichen Erschließung visueller und musikalischer Inhalte, dass der Austausch von Bild und Ton nicht darstellend verstanden werden kann, sondern konzeptionell als „Artikulation“.5 In seiner Skizze symptomatisch. Rohrfederzeichnung wird deutlich, dass die Übersetzbarkeit von Bild und Ton nicht grafisch oder mathematisch, sondern strukturell als ein im Rhythmus artikulierter Prozess erklärt werden kann. ◊ Abb. 1, Tafel 2 In dieser Weise kennzeichnet die Artikulation eine cross-modale Grundlagenstruktur. Sie entspricht daher in informationstheoretischer Hinsicht einem Gesetz der Codierung. Die Analyse einer Klangskulptur Stephan von Huenes erlaubt hier einen vertiefenden Einblick, der die Verknüpfung von Bild und Ton als Code im Entwurf darstellt. Mittels der technischen Analyse soll eine neue Perspektive auf die Bildbetrachtung eröffnet werden. Die technische Anatomie

Bevor die technische Analyse durchgeführt werden kann, muss der Begriff der digitalen Arbeitsweise definiert und vom analogen Prozess abgegrenzt werden. Entgegen der Annahme eines Vernunftprinzips unterscheidet sich die Rationalität im Verarbeitungsprozess eines Computeralgorithmus oder eines technischen Systems deutlich von dem, was der menschliche Intellekt für rational hält. Im Gegenzug gilt auch: Was für den Menschen rational zu denken ist, lässt sich nicht einfach programmieren. Diese Differenzierung charakterisiert zugleich die verschiedenen Herangehensweisen von informationstheoretischen Interpretationen der Arbeitsoder Wahrnehmungsweise. Zwischen Bild und Ton lässt sich zwar physikalisch eine 5 Paul Klee: Form- und Gestaltungslehre, Band 1: Das bildnerische Denken, Basel (5. Auflage) 1990, S. 271–306.

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klare Grenze ziehen; im digitalen Arbeitsprozess ist dagegen eine Gemeinsamkeit garantiert, weil sowohl Bild als auch Ton durch einen computersprachlichen „Code“ gekennzeichnet sind. Obwohl es sich dabei um eine rein begriffliche Scheidung handeln mag, zeigt sich, dass technisch bedingte Kunstwerke auch informationstheoretisch eingehend analysiert werden müssen. Bild- und Klang-Phänomene können erst dann richtig verstanden werden, wenn ihr Codierungsprozess zu Tage tritt. Im Kunstwerk bedeutet Technik mehr als Technik. Sie ist ein wichtiger Teil des Kunstkörpers, der Bild und Klang künstlich verknüpft. Stephan von Huenes technischer Entwurf bietet hierfür ein einmaliges Beispiel. Erweiterter Schwitters

Wie im Beitrag von Huenes für das Interface Symposium 1992 paradigmatisch dargelegt, verstand sich von Huene gleichermaßen als „Künstler, Wissenschaftler und Techniker“. Obwohl seine Haltung zur Kunst bereits in zahlreichen Forschungsarbeiten thematisiert wurde,6 ist das technische Profil seiner Klangskulpturen bisher wenig beachtet worden. Um die technische Gestaltung als Verknüpfung von Bild und Ton verstehen zu können, ist es deshalb notwendig, die Ingenieursleistung von Huenes informationstheoretisch zu erschließen. Dieser Blickpunkt wird seine Klangkunst auf ein technisches Denkmuster zurückführen, in dem Bewegung und Vokale der Skulptur gebunden sind. Im Begriff der Kunst liegt eine eigene Kategorie vor, von der her einige Künstler den Alltagsgebrauch der Technik hinterfragen und ihre Bedeutung für den Menschen kritisch problematisieren. Es gibt Spielarten der Medien- und Technikkunst, in denen sich der Künstler über die technische Beschaffenheit seines Werks keine Rechenschaft ablegt. Sein Anspruch erschöpft sich in der Bereitstellung einer ideellen Botschaft. Die Zusammensetzung des Werks bleibt dem Inhalt der Darstellung gegenüber arbiträr. Hardware und Software können durch funktionale Äquivalente ersetzt werden. Andererseits gibt es Fälle, in denen die individuelle Anordnung der Technik konstitutiv zur Erhellung des künstlerischen Inhalts beträgt. Sie ist einerseits ein tool, wie Stephan von Huene gelegentlich selber sagte. Sie ist aber auch unersetzbar. Stephan von Huenes Erweiterter Schwitters ist hierin Zeugnis einer künstlerischen Arbeitsweise, die sich der Technik als solcher zuwendet. ◊ Abb. 2 6 Christoph Brockhaus, Hubertus Gaßner, Christoph Heinrich (Hg.): Stephan von Huene. Die Retrospektive/The Retrospective, Ostfildern-Ruit 2002; Alexis Ruccius: Die Interpretation der Tonempfindung. Stephan von Huene und Hermann von Helmholtz. In: All-Over. Magazin für Kunst und Ästhetik, Heft 4, 2013, S. 28–35.

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Die erste Version des Schwitters wurde 1987 produziert und erklang erstmals im selben Jahr anlässlich der Documenta 8 in Kassel. Danach wurde sie in verschiedenen europäischen Museen ausgestellt und befindet sich seit 2006 in der Sammlung des Sprengel Museums Hannover. 1988–89 und 1999 wurden technische Aktualisierungen durchgeführt. Die Skulptur zeigt verschiedene Kombinationen aus Bewegungen der Einzelglieder, während Kurt Schwitters Ursonate7 gesprochen wird. Technische Beschreibung I: Vokale

2: Erweiterter Schwitters.

3: Programmatisches Schema des Zufallsgenerators.

Erweiterter Schwitters ist aus einem Holzkörper konstruiert, der armartige Gliedmaßen aufweist. Seine anthropomorphe Gestalt lässt an einen menschlichen Oberkörper denken. Die technischen Anlagen befinden sich im unteren Teil des Holzkastens und sind aus Kompressor, Computer und Sensor zusammengebaut. Am Kopf sitzt ein Lautsprecher, aus dem die mit dem Phonem-Synthesizer manipulierte Ursonate ertönt.8 Die Ursonate wird nicht einfach als aufgenommener Ton gesprochen, sondern vor jedem neuen Zyklus in Realzeit neu codiert. Wie Stephan von Huene erläuterte,9 werden die einzelnen Phoneme jedes Mal von einem Zufallsgenerator gemischt und an neue Positionen innerhalb der Sonatenstruktur gebracht. Das System des Zufallsgenerators ist in ◊ Abb. 3 zu sehen. Er enthält mehrere

7 Kurt Schwitters „Ursonate“ ist eines der Hauptwerke der Lautpoesie des deutschen Dadaismus, in der aus bedeutungsfernen Lauten eine symphonische Form entwickelt wird. Kurt Schwitters war ebenso sehr als bildender Künstler wie als Lautpoet berühmt. Der „Erweiterte Schwitters“ ergänzt durch Körperbewegungen die lautpoetische Dichtung um einen gestisch-motorischen Anteil. 8 Hans Jürgen Stelling: Kunst hat Töne. Nicht nur Grafik. Computer in der Kunst. In: c’t. Magazin für Computertechnik, Heft 1, 1988, S. 82–84. Stephan von Huene interessierte sich sehr für die Entwicklung der Technik und hat daher oft versucht, seine Klangskulpturen umzubauen. Die technische Beschreibung gilt deshalb nur für die Version von 1988. 9 Stephan von Huene: Erweiterter Schwitters. Eine Studie in experimenteller Realität. In: Lucie Schauer, NBK (Hg.): Maschinenmenschen, Ausst.kat., Berlin 1989, S. 111–113.

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Audiofilter, die sich in der Position der einzelnen Artikulationen der Ursonate umsetzen, den Rhythmus manipulieren, Tonhöhe und Lautstärke ändern etc. Die genauen Parameter der Filter werden nicht vorher eingestellt, sondern von einem Filter-Steuerungsprogramm mittelbar kontrolliert, um in jedem Zyklus einen neuen Vokal zu generieren. Für die Neuberechnung der Vokale wird eine unmittelbar zuvor gespielte Audiodatei verwendet. Jeder Vokal wird also nur einmal abgespielt; in jedem Turnus kommt ein neuer Vokal hinzu. Kurt Schwitters Ursonate wird auf diese Weise automatisch 4: Liste der gespeicherten Vokale. zu Erweiterter Schwitters weiterentwickelt. Um die Audiodatei der Ursonate technisch leicht umstrukturieren und manipulieren zu können, wird sie nicht als eine Datei, sondern pro Artikulation der Phoneme getrennt gespeichert und abgespielt. Die Liste der einzelnen tonalen Artikulationen der Vokale ist in ◊ Abb. 4 zu sehen. Sie werden mit den entsprechenden Gesten assoziiert, damit die Artikulation nicht nur sprachlich als Vokal, sondern auch kinästhetisch als Bewegung präsentiert wird. Mittelbar wird durch die Umstrukturierung der Ursonate das Bewegungsprogramm von Erweiterter Schwitters für den jeweils folgenden Durchgang automatisch neu codiert. Technische Beschreibung II: Gesten und Haltungen

Wie in der Filmaufnahme ersichtlich,10 markieren die Bewegungen und das aus ihnen erklingende Geräusch die wichtigsten Stilelemente von Erweiterter Schwitters. Diese Bewegungsformen können aufgrund der technischen Entwürfe von Huenes verstanden werden. ◊ Abb. 5+6 stammt aus dem Programmierungs- und Produktionsprozess von Erweiterter Schwitters um das Jahr 1989. Wie in der Abbildung zu sehen ist, wird der Mechanismus von einem Programmcode mit den technischen Anlagen gesteuert. Die Programmiersprache beziehungsweise das System heißen Logo und wurden im Jahr 1967 in Massachusetts von zwei Informatikern, Wally Feuerzeug und Seymour Papert, entwickelt.

10 Vgl. http://www03.zkm.de/vonhuene/stvh/?page_id=1071#schwitt (Stand: 04/2014).

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Logo basiert auf dem weltanschaulichen Fundament der 1960er-Jahre, in dem Thesen über künstliche Intelligenz, Entwicklungspsychologie und mathematische Logik, wie sie sich in der Informationstheorie ausdrücken, zusammenkommen. Im Besonderen zielte diese Sprache auf die Förderung und Ausbildung des Denkvermögens von Schülern. Auf der Basis von Logo hat die Firma Siemens ein Steuermodul für Industrie und Robotik entwickelt, das von Huene für die dritte Version des Erweiterter Schwitters nutzte. Vor diesem technischen Hintergrund ist Erweiterter Schwitters als ein aus der Informationstheorie entwickelter Roboter zu charakterisieren, der die gestische und vokale Kommunikation des Menschen nachahmt. Er entspricht damit gleichzeitig dem Anliegen Stephan von Huenes, die 5: Produktionsprozess des Erweiterter Schwitters, 1989. Grenze zwischen Mensch und Computer zu erforschen. Mithilfe eines Steuerungsmoduls von Logo lässt sich der Programmcode in eine visuelle Form übersetzen. ◊ Abb. 7a, 7b, Tafel  3 zeigt die originale grafische Darstellung des Steuerungsprogramms (Schaltmodul), gesichert von Stephan von Huene am 24.9.1999, die später für den Wiederaufbau im Sprengel Museum Hannover von dem Techniker Arne Rehder mittels der aktuellen Logo-Software umgearbeitet wurde. Die Synchronisierung zwischen Bild und Ton erfolgt nach Stelling mit der Erkennung bestimmter Phoneme (Vokale) und anschließender Ausgabe von Steuersignalen auf ein paralleles I/O-Board (Logo).11 Die einzelnen Blöcke von B01 bis B17 haben die Funktion einer banalen Logikoperation, die die physikalischen Positionen der mechanischen Instrumente sowie den Servomotor der Glieder steuert. Dies entspricht beispielsweise dem Befehl „Position der Hände hoch halten, solange der Körper nach links dreht“. Durch die Kombination dieser 17 Programmblöcke 11 Stelling (s. Anm. 8).

Die technische Anatomie eines mechanischen Entwurfs

werden verschiedene Bewegungen des Schwitters physikalisch generiert. Einige Ideen der Bewegungsvariationen sind auf ◊ Abb. 8 zu sehen. Der mit „High“ oder „Low“ markierte Block bedeutet das neutrale, elektrische Spannungslevel null oder eins des anschließenden Blocks, der die Standardkörperposition von Erweiterter Schwitters definiert. Daher sind die Bewegungsformen der einzelnen Gelenke auf zwei Varianten beschränkt. Block I markiert den Input des Sensors, Q den Output. Gemeinsam definieren sie die On-OffFunktion der Gestik. Auf diese Weise können die Bedingungen, die Auswahl und die Kombination der Bewegungen durch die technische Analyse verstanden werden. Daraus ergibt sich ein begrenzter Bestand von Körperpositionen, die in der gezeigten Skizze schematisch dargestellt sind.

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6: Programmcode für Erweiterter Schwitters (Abschnitt).

Dynamik im technischen Kunstkörper

Allerdings bleibt die Frage offen, an welcher Stelle Rhythmus und Takt der Bewegung beziehungsweise die artikulierte Körperdynamik der Glieder auftauchen. Wenn man den Code und den grafischen Entwurf durchsieht, wird ersichtlich, dass die gesamte Bewegung ohne einen bestimmten Zeitparameter programmiert worden ist. Aus diesem Grund zeigt die Skizze als Zusatzinformation eine exakte Sekundenangabe. Das bedeutet im Gegenschluss, dass die Geschwindigkeit der Bewegung von der Arbeitsgeschwindigkeit des zentralen Systems, dem Computer, abhängt. Anders gesagt ist die Körperdynamik von Schwitters analog zur Funktionsweise menschlicher Muskeln durch den Puls eines elektrischen Kreislaufs mechanisch strukturiert. Eine unmittelbare elektrische Manipulation des Kreislaufs ist demnach nicht möglich. Entweder wird die gesamte Bewegung langsamer und verändert ihre

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7a: LOGO Schaltmodul: Grafische Darstellung des Steuerprogramms für Erweiterter Schwitters, Original, 1989. (Am Modul I1 wurden die Zeichen „e” und „s” vorne ergänzt.)

Dynamik, sobald eine Zeile oder eine Funktion im Programmcode hinzukommt, oder schneller, sobald eine Position entfernt wird. Auch wenn die Mechanik wegen des Gewichts des Holzmaterials mehr Drehmoment (Torque) bräuchte, würde sich die Dynamik anders darstellen, weil sich die elektrischen Pulse nach Maß der benötigten Kraft für die Drehung ständig ändern und dadurch ihr physikalischer Bewegungsrhythmus anders austariert wird. Wie bereits angedeutet, werden die Reihenfolge der Gesten und ihr Timing in jedem Zyklus erneuert. Indem sich dabei die Arbeitsgeschwindigkeit innerhalb des zentralen Systems verändert, wird zugleich die Dynamik der Beuge- und Streckbewegungen des Schwitters neu moduliert. Nicht nur technisch, sondern auch mechanisch-elektrisch werden die Variationen der stets einmaligen Sprachlaute generiert. In dieser prekären Balance hat Stephan von Huene eine spezifische Bewegungsgestalt für Erweiterter Schwitters entworfen. Diese ist aber nicht bewusst fixiert worden, sondern mittelbar durch die technische Struktur der Skulptur bedingt. Daher fungiert der Computer im Kern des Schwitters als neuronales Netz, dessen Elektrosignale durch Nervenbahnen die physikalische Körperdynamik des Schwitters, seine Gesten und Haltungen produzieren. Holzkörper, Computer und mechanische Instrumente erschaffen einen technischen „Organismus“. In dieser Hinsicht bezeichnet der Entwurf Stephan von Huenes das anatomische Diagramm eines Technikkörpers, der Klang und Bewegung miteinander verschmelzen lässt.

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Die Individualität des Technikkörpers

Erweiterter Schwitters wurde im Sommer 2012 wieder aufgebaut und im Sprengel Museum in Hannover ausgestellt. Wie im Falle von Text Tones in der Hamburger Kunsthalle wurde das zentrale Steuerungssystem neu transplantiert und umprogrammiert, weil das alte Steuersystem (Computersystem) teilweise wegen des Alterungsverschleißes nicht mehr funktionierte. Nach Arne Rehder hatte der Eingriff auch Folgen für das Innenleben des Schwitters: Da das neue zentrale Steuerungssystem die Daten schneller als die alte Version verarbeitet, musste das Bewegungsprogramm mit einem bestimmten Zeitparameter fixiert werden. Äußerlich sehen wir dieselbe Bewegung, aber die maschinensprachliche 7b: LOGO Schaltmodul: Grafische Darstellung des Steuerprogramms für Erweiterter Schwitters, Verfassung und die innere Körperdynamik Repräsentation von Arne Rehder, 2011. sind teilweise anders beschaffen. Sofern ein Algorithmus oder Programmcode, wie im Großteil der Computerkunst, nur für den Computer simuliert wird, bleibt die prinzipielle Scheidung von Technik und Kunst gültig; sobald das technische Kunstwerk aber im physikalischen Raum dargestellt wird, hat es Teil an den Gesetzen der Natur, weil kinästhetische Dynamik, Klang und Bewegung nur nach ihren Vorgaben verkörpert werden können. Dynamik, Klang und Bewegung können technisch simuliert werden, aber sobald sie im Raum Gestalt annehmen, stehen sie nicht mehr unter der Kontrolle des Künstlers. In diesem Sinne fügt sich die Manifestation der Technik nahtlos in einen physikalisch definierten Raum ein. Deshalb fungiert die Technik in diesem Fall nicht allein an sich und für sich, sondern tatsächlich als elektrische Nervenbahn eines Kunstwerks. Da Erweiterter Schwitters selbstständig in Realzeit die Ursonate und ihre Gestenkombination generiert, bedeutet Technik hier keine Simulation, die das Programmierte repräsentiert, sondern ein produktives Vermögen, das sich selbst ohne Künstler automatisch fortentwickelt.

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Yasuhiro Sakamoto

8: Signaltafel des Deutschen Volkstelegraphen: Das Vorbild für den „Vlusser-Turm“ auf der Deutschen Post in Hamburg, der nicht realisiert, aber zum Vorgänger des Erweiterten Schwitters wurde.

Wie Klee gezeigt hat,12 können Bild und Ton als Artikulation verstanden werden, die sich bei Schwitters durch die verschiedenen Rhythmen der analogen Sprache und die visuelle Kadenz der Gesten vermittelt. Obwohl sich der Prozess, in dem eine Maschine Sprachlaute erzeugt, deutlich von der menschlichen Rede unterscheidet, erweist der technische Entwurf des Schwitters, dass eine Trennung von Vokalen und Bewegungen im Sprachlaut nicht möglich ist. Im Rhythmus der artikulierten Wörter ist die Sprachkommunikation vom ganzen Körper getragen. ◊ Abb. 5 Stephan von Huene realisierte die Schnittstelle von Bild und Ton nicht nur konzeptionell, sondern auch technisch-körperlich.

Fazit

Nach Maßgabe einer technischen Anatomie wurde versucht, die Verschmelzung der Gesten und Laute des Schwitters nachzuvollziehen. Das vom Kunstwerk vorgestellte Phänomen wird hierbei durch einen Aspekt sichtbar gemacht, der nicht nur zeigt, „was“ dargestellt ist, sondern auch „wie“ es sich präsentiert, in diesem Fall, wie Ton und Bewegung miteinander verknüpft sind. Mittels der technischen Kontinuität des Automatismus versuchte Stephan von Huene, sein Kunstwerk unendlich zu machen. In den Worten von Huenes steht hinter vielen Kunstwerken ein starkes Streben nach Unsterblichkeit, das er im Schwitters auf seine Weise durch die Operation der Sprachlaute verwirklicht sah. Die Technik wird gemeinhin im Gegensatz zur Lebendigkeit aufgefasst; von Huene zeigt, dass gerade die Technik durch die von ihr erzeugte Kontinuität das Kunstwerk lebendig13, also unendlich machen kann.

12 Klee (s. Anm. 5). 13 “My work is more biological than industrial. The Japanese said that I was giving a soul to the machine.” Art in America, 11/1969, S. 147.

Die technische Anatomie eines mechanischen Entwurfs

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Der von Stephan von Huene sehr geschätzte Informatiker Douglas Hofstadter fragte sich, wer der Komponist einer Computermusik sei, wenn das Computerprogramm bei der Programmierung eine unerwartete, aber eindrucksvolle Musik generiert hätte.14 Theoretisch können Technik und Mechanik nicht selbst schöpferisch werden, aber manchmal entsteht echte Kreativität aus der prozessualen Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Von Huenes Kunst ist nicht das Produkt einer selbstgenügsamen Schöpfungstätigkeit, sondern Gegenstand einer produktiven Auseinandersetzung mit der Technik. Einerseits konnten die Gesten und Haltungen von Schwitters aufgrund der technischen Grenze der Zeit nur durch Try and Error festgestellt werden. Andererseits hat von Huene nur den Bedingungsrahmen programmiert, nach dessen Möglichkeiten die Sprachlaute generiert werden. Welche Vokale, Gesten, Haltungen, Beugebewegungen produziert werden, ist durch den Zufallsgenerator entschieden. Sobald das Programm gestartet ist, versucht Erweiterter Schwitters, sich anhand seiner jeweils letzten Vokale automatisch weiterzuentwickeln. Die Entwürfe lassen diese Austauschprozesse hervortreten.

14 Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach. An Eternal Golden Braid, Stanford, Ca. 1985, S. 603– 605.

Oksana Bulgakowa

Eisensteins rhythmische Trommel

Von August 1939 bis zum Beginn des Jahres 1941 arbeitete Sergej Eisenstein an der ersten Fassung seines Buches Methode (ursprünglicher Titel: Grundproblem) und schrieb dafür das Kapitel „Die rhythmische Trommel“ nieder.1 Die hier artikulierten Überlegungen zum Rhythmus unterscheiden sich von jenen Gedanken, die er im Sommer 1929 in den Aufsätzen des kugelförmigen Buches – „Die vierte Dimension im Film“, „Dramaturgie der Filmform“, „Nachahmung als Beherrschung“ – formuliert hatte.2 Der Bruch könnte von neuen Erfahrungen herrühren, die er jüngst gemacht hatte: Im November 1938 beendete Eisenstein seinen ersten Tonfilm Alexander Newski, und ab Dezember 1939 begann er mit den Proben zu seiner ersten Operninszenierung, Wagners Die Walküre. Im April 1939 schrieb er in seinem Tagebuch: „Traumatisme d’Alexandre. It is the first film where I gave up the Eisenstein touch. […] The Novgorod Bridge as reel – You ought to be ashamed of Your self, dear Master of Art!“ 3 Die Notiz verwies auf einen absurden Vorfall. Als der fertige Film zu Stalin gebracht wurde, war eine Rolle im Studio vergessen worden. In der angelieferten Zusammensetzung abgenommen, kam Alexander Newski so in den Verleih. Es fehlte eine ganze Szene, die Begegnung zweier Recken auf der Nowgoroder-Brücke, fast zehn Minuten Film, doch sowohl ein unmotivierter Fabelverlauf als auch eine unausgewogene Komposition wurden in Kauf genommen. In dem 108 Minuten langen Film dauerte die Schlachtszene 33 Minuten; sie startete direkt in der Mitte des Films (bei 51:06 Min.). Zu dieser Zeit analysierte Eisenstein in seinem Aufsatz „Über den Bau der Dinge“ (beendet im August 1939) Werke, die auf dem Prinzip des goldenen Schnitts beruhen. Die rhythmische Gliederung des Raums der Akropolis und die zeitliche Gliederung seines Films Panzerkreuzer Potemkin üben nach Eisensteins Meinung deshalb eine so magische Wirkung aus und werden als absolut „organisch“ empfunden, weil beiden das Prinzip des goldenen Schnitts zugrunde liegt, dessen mathematischer Ausdruck (0,618) der Wachstumsformel von Pflanzen, menschlichen Knochen und Tierhörnern entspricht.4 Die Gliederung des Potemkin entsprach dieser Proportion, die von Newski nicht mehr, dabei avan1 Sergej Eisenstein: Metod/Methode, 4 Bde., hg. v. Oksana Bulgakowa, Berlin 2009, Band 1, S. 235–246. Diesem Kapitel folgen andere, in denen Eisenstein sich explizit mit dem Problem des Rhythmus auseinandersetzt, vor allem ein Kapitel über den inneren Monolog und Idée fixe (Bd. 2, S. 381–410) und „Rhythmus und Wiederkehr“ (Bd. 2, S. 435–452). 2 Über dieses Projekt siehe Oksana Bulgakowa: Sergej Eisenstein. Drei Utopien. Architekturentwürfe zur Filmtheorie, Berlin 1996, S. 31–108. 3 Russisches Staatsarchiv für Dokumente der Kunst und Literatur (im weiteren RGALI), 1923-2-1152, S. 11. Die drei Zahlen bedeuten in der Reihenfolge Depot, Inventurliste, Verwaltungseinheit. 4 Sergej Eisenstein: Jenseits der Einstellung, hg. v. Felix Lenz, Helmut H. Diederichs, Frankfurt a. M. 2006, S. 209.

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1: Sequenzdiagramm für den Film Alexander Newski.

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cierte der Film sofort zum Publikumsliebling. Seine Wirkung versuchte Eisenstein mit einer anderen Formel zu erklären, was auch die Revision seiner Vorstellungen vom Rhythmischen nach sich zog. Doch sowohl 1929 als auch zehn Jahre später begriff er den filmischen Rhythmus als ein Zusammenspiel motorischer, zeitlicher, akustischer und räumlicher Ordnungen, als ein Zusammenspiel des maschinellen und des biologischen Rhythmus’, der im Film eine perfekte Synthese findet. Der Regisseur gestaltet den Rhythmus seines Werks nach biologischen, körperlichen Empfindungen, doch der Filmrhythmus ist gleichzeitig durch die Bewegung des Streifens, eines langen Bandes aus Rechtecken und schwarzen Balken jeweils einer Länge, durch den Projektionsapparat bestimmt, was das rhythmische Pulsieren des Lichtstrahls bedingt, der in regelmäßigen Abständen durch die schwarze Blende des Malteser Kreuzes unterbrochen wird. Diese Voraussetzungen machen Film zu einem besonderen Fall unter den rhythmischen Strukturen. Deshalb bestimmen die Vorstellung vom Ornament (dem das Filmband gleicht) und das Prinzip der Wiederkehr Eisensteins Gedanken über den Rhythmus und seinen Versuch, eine rhythmische Formel für alle Phänomene zu finden, die den Film ausmachen: Bild, Ton und Bewegung. Potemkin war als Stummfilm geschnitten. Newski entstand in enger Zusammenarbeit mit Sergej Prokof’ev und sollte eine ähnliche Perfektion in der Übereinstimmung der visuellen, kinetischen und musikalischen Rhythmen erreichen wie Walt Disneys Produktionen. Mit ihm wollte sich Eisenstein in der Montage seines Tonfilms messen. Er wollte die Bewegung eines Musikabschnitts erfassen, die Spur dieser Bewegung als Linie darstellen, diese Linie einer visuellen Komposition zugrunde legen, welche wiederum mit dem Musikabschnitt korrespondieren sollte.5 ◊ Abb. 1 Die Bewegung jedoch wurde nicht nur als musikalische oder grafische Lösung begriffen, nicht nur als zeitlicher oder visueller Rhythmus analysiert, sondern auch über den Rhythmus des Atems definiert, der nach Eisenstein die Montage der Schlachtszenen bestimmte. Die Schlachtszenen sind hart geschnitten – im Bild wie im Ton – und wie ein Ballett gebaut. Prokof’ev schrieb dazu eine Suite: Durch das Alternieren der russischen Melodie mit einer deutschen wird die Logik der abwechselnden Dominanz der Kräfte vermittelt. Wenn die symmetrischen Passagen ihre musikalische Entwicklung ausschöpfen, werden sie abrupt durch quasi-naturalistische Schlachtgeräusche ersetzt. Gegen Ende der Schlacht, bei der Verfolgung, werden die Melodien 5 Eisenstein: Jenseits der Einstellung (s. Anm. 4), S. 263.

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mithilfe von Überlappungen und Überblendungen ineinander verwoben. Am Ende geht die deutsche Melodie in das Geräusch von Luftblasen über und „versinkt“, wie der letzte Ritter, im Peipussee. Die Bewegung der Musik macht die Bewegung im Bild wahrnehmbar – nicht nur die motorische, die sichtbare, auch die emotionale. Die Musik ermöglicht es, das Bild in seiner visuellen Struktur, in der Gestalt, zu erfassen, und den Rhythmus der Bewegung sowie der Bildfolge zu intensivieren. Eigentlich unternahm Eisenstein in diesem narrativen, sehr einfachen Film den Versuch, die theoretische und praktische Grundlage für einen abstrakten Musikfilm auszuprobieren und in seiner Analyse zu formalisieren.6 Eine ähnliche Bewegungspartitur erarbeitete er für Die Walküre. Einst verlachte er Lev Kulešov, weil dieser seine Filme mit einem Metronom und einem Zentimetermaß geschnitten hatte. Eisenstein brauchte das nicht. Den filmischen Rhythmus, ein Produkt vielfältiger Wechselwirkungen (Bewegung von Körpern im Bild, Bewegung des Films durch den Projektionsapparat, die Wiederholung und das Alternieren der räumlichen Konfigurationen in den Einstellungen), konnte er ohne Bandmaß spüren. Der Rhythmus wurde nicht nur von dem, durch die immer kürzer werdenden Einstellungen beeinflussten zeitlichen Verlauf bestimmt,7 sondern auch durch die Bewegung innerhalb der Einstellung und die Bewegung der Kamera. Beide haben die Dynamik intensiviert und so das rhythmische Empfinden beeinflusst. Außerdem wurde die Montage durch andere Faktoren rhythmisiert: sich abwechselnde gerundete und eckige Formen, Hell-Dunkel-Schwankungen, das Alternieren von Nahaufnahmen und Totalen, von Bildern und Zwischentiteln, die Anzahl der Figuren im Bild etc.8 All das ergab einen plastischen, optischen Rhythmus, den Eisenstein nicht in Analogie zu symmetrischen Anordnungen, sondern in der Analogie zum Ornament zu definieren suchte und mit der Figur der Wiederkehr verband. Diesen komplexen filmischen Rhythmus beherrschte er intuitiv. Bei der Inszenierung von Wagner dagegen traute er nicht seinem Gefühl, sondern folgte dem vorgegebenen Takt. Allen Sängern wurde eine Bewegungspartitur vorgeschrieben, die mathematisch berechnet war: Die Schritte sollten in genauer Korrespondenz zur Zahl der Takte stehen. Genau 36 Takte sollte es dauern, wenn 6 Eisenstein: Jenseits der Einstellung (s. Anm. 4), S. 264–30. 7 Diesen Fall hielt Eisenstein für die einfachste Lösung der metrischen Montage, die die mechanische Beschleunigung mit Längenkürzungen nach einer einfachen mathematischen Formel erreicht (3/4, 2/4). Wenn der metrische Modul allerdings mathematisch zu kompliziert errechnet wird, wie in Vertovs „Das elfte Jahr“ (1928), ist die rhythmische Organisation kaum wahrnehmbar und deshalb unwirksam. Eisenstein: Jenseits der Einstellung (s. Anm. 4), S. 119–120. 8 Eisenstein: Jenseits der Einstellung (s. Anm. 4), S. 134–144.

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Sieglinde ihrem Siegmund ein mit Wasser gefülltes Horn reicht, vier Takte, um es anzuheben, vier weitere Takte, um es diagonal nach unten gleiten zu lassen usw. Die Sängerin wies das von sich und meinte, dass Eisenstein, so aufregend seine visuellen Einfälle auch seien, die Musik zu mathematisch wahrnehme und den musikalischen Rhythmus, der nicht durch Takttrennungen bestimmt werde, kaum spüre.9 Eisenstein hatte offensichtlich Wagner anders als Nietzsche wahrgenommen, für den die rhythmische Organisation von dessen Musik den Zuhörer in einen extremen physiologischen Zustand versetzen kann: „unregelmäßiges Atmen, Störung des Blutumlaufs, extreme Irritabilität mit plötzlichem Coma“.10 Um die Oper zu dynamisieren, ließ Eisenstein einige Arien durch Pantomimen im Hintergrund illustrieren. Die Bewegung der kinetischen Dekorationen, der Felsen, genauso wie das pulsierende Licht sollten den Rhythmus der Musik visualisieren. Kritiker warfen dem Regisseur vor, diese Visualisierungen würden stören und von der Musik ablenken: „Die Filmtempi, mit denen Eisenstein arbeitet, und die monumentale, epische Musikentwicklung Wagners sind polare Phänomene“, meinte der Komponist Jurij Šaporin in der Pravda vom 23. November 1940. Um so gründlicher war Eisensteins theoretische Beschäftigung mit dem Rhythmus in dieser Zeit. Köper und Kosmos

In seinem Buch Methode versuchte Eisenstein diverse Anregungen zusammenzuführen: mystische Praktiken von Ignatius Loyola und Augustin Poulain, auf die er über das Buch Physiologie der Passion von Charles Letourneau (1868) aufmerksam wurde; die Ideen der deutschen Schule der Experimentalpsychologie und Ästhetik (Kretschmer, Wundt, Klages, Nietzsche); die Arbeiten des Freudo-Marxisten Wilhelm Reich über den Orgasmus; Gedanken der neuen Kunstpraxis und Theorie, mit denen er gleichsam gut vertraut war. Als Schüler von Meyerhold hatte er sich intensiv mit rhythmischen Prinzipien im Theaterraum (vor allem in Bezug auf die Mise-en-scène) und in der Ausdrucksbewegung auseinandergesetzt. Als aufmerksamer Leser kannte er die Texte russischer Formalisten (Osip Briks Klangwiederholungen, 1919; Jurij Tynjanovs Probleme der Verssprache, 1924) und das Buch des Anthroposophen und Symbolisten Andrej Belyj Rhythmus als Dialektik (1929). Als Zuschauer hatte er viel bei den Regisseuren Abel Gance und Dziga Vertov gelernt, 9 Natalja Schpiller: Die Walküre in der Inszenierung Sergej Eisensteins. In: Kunst und Literatur, Heft 28, 6/1980, S. 773–780, hier S. 774. 10 Friedrich Nietzsche: Fragmente. In: Kritische Gesamtausgabe, hg. v. G. Colli, M. Montinari, Berlin 1971, Abt. 8, Bd. 3, S. 307.

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die mit der Montage extrem kurzer Einstellungen experimentiert hatten. Als Patient, der seine Depressionen mit Hilfe von Eurhythmie und Hypnose zu kurieren versuchte, bemerkte er bereits 1921: „Ich habe nicht gedacht, daß ein Galopp zu Musik, das Bein-Hochwerfen oder rhythmisches Laufen so die Stimmung heben können.“11 Die Experimentalpsychologie setzte sich mit dem biologischen Sein des Organismus auseinander, das sich auf rhythmische Vorgänge wie Atmung und Herzschlag gründet. Die Anthroposophen befassten sich mit dem rhythmischen Pulsieren des Universums. Eisenstein beschäftigte sich mit dem Kunstwerk, das er als isomorphe Matrize beider Strukturen – des Körpers wie des Kosmos’ – verstand. 1929 wurde Rhythmus von ihm als ein Modell der Nachahmung betrachtet. Die Kunst der Moderne, zu deren Vertretern er sich zählte, ahmte nicht die Form, sondern die Grundstruktur nach, das heißt deren rhythmische Organisation.12 1939 analysierte Eisenstein in Die Methode unterschiedliche Formen der künstlich geschaffenen rhythmischen Strukturen – literarische, musikalische, filmische, räumliche Gliederungen, kinetische-motorische Phänomene wie die Ausdrucksbewegung oder den Zirkus sowie sprachliche Praktiken (der Wiederholung, der Alliteration, der Beschwörung). In all diesen Formen suchte er nach einer Verbindung von Rhythmus und Bewegung, deren Vollendung er (auf die Urformen der Kunst bezogen) im Ornament fand. Über das Ornament (die bildliche Verkörperung des Rhythmus) näherte er sich dem dynamischen Phänomen in der Literatur – der Fabel, die das Sujet organisiert. Sie wurde als prälogisches und mimetisches Phänomen interpretiert, als Verkörperung des Rituals, das sich auf die rhythmische Organisation der Bewegung und die doppelte Lesart gründete. Die stufenartige Verbindung zwischen diesen Phänomenen – Rhythmus, Gestus, sprachliche Prälogik, Sujet/Fabel, Musik, Ornament und Zirkus – bildete den roten Faden, den er für sich auslegte und im ersten Band seines Buches Methode aufgriff. Das Alternieren der Figurengruppen auf der Bühne oder in einer Einstellung unterliegen den rhythmischen Prinzipien genauso wie der Wechsel von geraden und ungeraden Elementen in der chinesischen Malerei, in den russischen Ikonen, den deutschen Karikaturen oder Eisensteins Bildfolgen. Diese rhythmischen Gebilde analysierte er in den weiteren Kapiteln des Buches.

11 Brief an die Mutter vom 13.2.1921, RGALI, 1923-1-1549, S. 83–86. 12 Eisenstein: Nachahmung als Beherrschung (1929, deutsch geschrieben). In: Oksana Bulgakowa (Hg.): Herausforderung Eisenstein, Berlin 1989, S. 46–48.

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Allerdings entstanden die ersten Notizen und Zitate zum Rhythmus für Methode, nachdem Eisenstein den Aufsatz über den Orgasmus von Wilhelm Reich gelesen hatte.13 1934 wandte er sich an Reich mit der Bitte, ihm sein Buch über den Orgasmus zu schicken, in dem Rhythmus untersucht wird. Reich antwortete ihm voller Begeisterung, schickte ihm auch einige Hefte seiner Zeitschrift, die er im holländischen Exil herausgab und die Eisenstein fleißig exzerpierte, und beschrieb in dem Begleitbrief seine Eindrücke von Eisensteins Film: „In Potemkin wird man von der Rhythmik, die eine direkte Fortführung des biologisch-sexuellen Grundrhythmus ist, richtig überwältigt. Soweit ich die Sache beurteilen kann, wirken sich die rationellen Gedanken des Kommunismus filmisch dann am besten aus, wenn sie in guter Art mit dem biologischen Rhythmus verknüpft werden.“14 Sinnakzent oder pure Wirkung

Während Eisenstein 1929 meinte, Rhythmus helfe, die Aufmerksamkeit gegenüber den Sinnverbindungen zu schärfen, kam er zehn Jahre später zu der Überzeugung, dass Rhythmus dazu eingesetzt werde, um die logischen Denkstrukturen auszuschalten. 1929 versteht er die filmische Dynamik – die Montage – als Prozess einer ständigen dialektischen Aufhebung von Fotogramm zu Fotogramm, von Einstellung zu Einstellung. Die Montage zweier Fotogramme, die voneinander durch einen schwarzen Riss (das Intervall) getrennt sind, produziere im Filme eine Bewegungsillusion und somit einen Sprung in die neue (kinetische) Qualität (Unbeweglichkeit – Bewegung). Gleichzeitig führe dieser Sprung auf eine andere Emotions- bzw. Begriffsebene (von der Abbildung zum unsichtbaren Sinn-Bild und Begriff).15 Warum die Intervalle, die Risse zwischen den Bildern, die Prozesse der Bedeutungsbildung fördern, erklärt Eisenstein aus der Analogie zum Vers. Die Betonung des semantischen Moments im Gedicht erfolgt durch den Rhythmus; im Film gibt es dafür eine Entsprechung: Rhythmus wird organisiert durch die Risse im visuellen Kontinuum, die die semantischen Akzente genauso betonen wie die Risse zwischen den Strophen, im Wechsel betonter/unbetonter Silben.

13 Wilhelm Reich: Der Orgasmus als elektro-physiologische Entladung. In: Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie, Kopenhagen, Bd. 1, Heft 1, 1934, S. 31–42; Eisenstein: Metod/ Methode (s. Anm. 1), S. 90–94. 14 Eisenstein: Schriften, hg. v. Hans-Joachim Schlegel, München 1984, Bd. 4, S. 254. 15 Eisenstein: Dramaturgie der Filmform (1929, deutsch geschrieben). In: Bulgakowa (s. Anm. 12), S. 29–38.

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Der Film Oktober (1927) hatte mit seinen Wort-Bild-Spielen diese Technik demonstriert. Auf den Text im Zwischentitel „Die Kosaken haben Kerenskij betrogen“ folgte das Bild: das Hirschgeweih in Kerenskijs Zimmer. Nach dem Mutterfluch im Zwischentitel war die Skulptur der Mutter mit dem Kind zu sehen und in der Nahaufnahme die Unterschrift „Les premiers pas“. Danach folgen zwei Einstellungen: Die Wache trainiert den Bajonettstoß („pas d’arme“) und zwei Soldatinnen tanzen (einen Pas de deux). Drei Bilder wirken wie Illustrationen zu verschiedenen Wortbedeutungen.16 Der abrupte Wechsel von der Schrift zum Bild sollte die Risse betonen und das Erraten der Bild-Wort-Rätsel vorantreiben. 1939 meint Eisenstein (im Kapitel „Die rhythmische Trommel“), man brauche den Rhythmus, um den Rezipienten in einen Trancezustand zu versetzen, ihn dem prälogischen Denken näher zu bringen und so auf das Erlebnis der Ekstase vorzubereiten. Je einfacher und monotoner der Rhythmus sei, desto effektiver die Wirkung. Dieses Ausschalten des Bewusstseins bei gleichzeitigem Sich-Anheim-Geben an den rhythmischen „Autopiloten“ entspreche dem Funktionieren des vegetativen Nervensystems. Atem, Herzschlag, Peristaltik, Zellteilung arbeiten rhythmisch ohne Beteiligung des Bewusstseins oder des Willens. Damit kann das Funktionieren des Films auf der Basisebene, der „Zellebene“, beschrieben werden, besonders wenn der Regisseur mit extrem kurzen Fragmenten (in der Länge einiger Fotogramme) arbeitet. Beide Gedankengänge illustrierte Eisenstein mit Beispielen aus Potemkin. Die rhythmische Ordnung des Films ist kompliziert gestaltet, und die Organisation der Odessaer Treppe in Potemkin gerät sehr variationsreich. Die chaotische Bewegung der Masse, mit verschiedenen Geschwindigkeiten gedreht, wird strukturiert durch den gleichförmigen Schritt der Soldaten. Ihre monotone rhythmische Bewegung wird dreimal durch das Anhalten und die Gegenbewegung in einem anders gestalteten Rhythmus unterbrochen (die Mutter mit dem getöteten Jungen, die alte Lehrerin, die Witwe mit dem Kinderwagen). Nach diesen Zäsuren wird die Bewegung nach unten in der rhythmischen Struktur variiert (die Flucht der Menschenkörper geht in das springende Rollen des Kinderwagens über). Diese etwa sechs Minuten andauernde Sequenz endet mit einer Montage dreier extrem kurzer Einstellungen von marmornen Löwen (ein schlafender, ein aufhorchender, ein brüllender), die den Eindruck eines Sprungs vermitteln sollen. Die Variation der rhythmischen Struktur 16 Vgl. Jurij Civjan: K istorii intellektualnogo kino (Zur Geschichte des intellektuellen Films). In: Leonid Kozlov (Hg.): Iz tvor eskogo nasledija S. M. Ejzenštejna, Moskau 1985, S. 107–111, hier S. 109.

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erlebt so eine Steigerung beim Wechsel des Materials (von Körpern zum Stein), die den Übergang in eine andere Qualität (das Unbewegliche bewegt sich) hervorrufen. 1929 analysiert Eisenstein die Variationen und die dreifache Unterbrechung dieser rhythmischen Struktur.17 1939 meint er, dass dieses radikale Experiment seinerzeit vom Zuschauer „geschluckt“ und die Fragmentierung überwunden wurden, weil der Rhythmus davor so eindringlich war. Nur dank dem monotonen, einfachen Rhythmus der Soldatenstiefel (Eisensteins Chorus Girls), die einem Trommeleffekt gleichen, ist der Zuschauer darauf vorbereitet, dass die drei unbeweglichen Bilder, nacheinander geklebt, den Eindruck einer Bewegung hervorrufen. Die richtige Geschwindigkeit der Bewegung des Filmstreifens durch den Projektor entscheidet in diesem Abschnitt alles. Bei der Londoner Vorführung hatte Edmund Meisel die Geschwindigkeit der Vorführung geändert, um seine Musik dem Bild leichter anpassen zu können. Der Film lief zu langsam, und die Zuschauer hielten an dieser Stelle nicht den Atem an, sondern lachten.18 Eisenstein erklärt – Psychologen, Philosophen, Dichtern, Choreografen, Architekten folgend – den Rhythmus zum Mittler zwischen Natur und Kunst, der die Wahrnehmung der Kunst sichert und hilft, die in der Moderne zelebrierte Fragmentierung zu überwinden. Doch im Film hat Rhythmus eine besondere Bedeutung: Er liegt den mechanisch genauen Gliederungen des Filmstreifens zugrunde. Eisenstein beruft sich auf eine Passage aus dem Buch von René Fülöp-Miller, in dem dieser einen Brief von Joseph Gregor zitiert: „Ich halte den Film für eine Nivellierung des Seelenlebens durch optische Rhythmik, denn durch das physiologische Phänomen der Bildzerteilung (soundso viele Bilder in der Sekunde, die zusammen das lebende Bild ergeben) wird eine Art Suggestion ausgeübt, die man bei jeder Kinovorführung beobachten kann. […] Diese Suggestion auf Grund optischer Rhythmik wäre das Urmaterial, wie der Rhythmus und die Tonhöhe bei der Musik. […] Ich glaube zum Beispiel, dass die Symbolistik, mit der der Film ganz durchtränkt ist (im amerikanischen Film: Küsse, Telephone, Beine, im Russischen: Kreuze, Fahnen, Maschinengewehre) an ganz genau bestimmten Stellen eintritt und wiederkehrt. Auf diese Weise würde nach meiner Auffassung die Suggestion entstehen, mit der dann vieles zu erreichen ist, Grundlage einer psychologischen Dramaturgie des Films.“19 17 Eisenstein: Jenseits der Einstellung (s. Anm. 4), S. 121. 18 Eisenstein: Metod/Methode, Bd. 1 (s. Anm. 1), S. 243. 19 René Fülöp-Miller: Die Phantasiemaschine. Eine Saga der Gewinnsucht, Berlin/Wien/Leipzig 1931, S. 134–135; Eisenstein: Metod/Methode (s. Anm. 1), S. 244.

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Eisenstein versucht diese Beobachtung, die er mit Gregor teilt, mit seitenlangen Zitaten aus Ernst Kretschmers Medizinische Psychologie zu stützen, in denen die Wirkung von Rhythmus durch vegetativ-somatische Funktionen des menschlichen Organismus erklärt wird (Bewegungen der weißen Blutkörperchen, der Spermatozoen, des Herzgefäßsystems, der Darmperistaltik). Die rhythmischen Bewegungsformen dieses „ziemlich autonomen Systems“ werden von Kretschmer in dem angeführten Zitat mit einfachen monotonen Rhythmusformen bei Tieren, Kindern und Naturvölkern verglichen (Kreisbewegung der Raubtiere im Käfig, Tanzrituale, kindliche Neigung zu Bewegungsstereotypien wie Hüpfen, Trommeln und zur „Verbigeration“, dem zum monotonen, sinnlosen Wiederholen von Tönen, Silben und Wortfolgen). Der einfachste Rhythmus würde in seiner Einförmigkeit für den „Kulturmenschen“ unerträglich, meint Kretschmer. Die Entwicklung der modernen Musik zu äußerst komplizierten und gebrochenen Metren, die früher als arrhythmisch erscheinen mussten, habe die einfachen rhythmischen Tendenzen zurückgedrängt, aber in der Psychomotorik sei es geblieben: der einfachen Rhythmus sowie die optische Symmetrie wecke immer ein Lustgefühl.20 Eisenstein projiziert diese Meinung auf sein Konzept einer neuen Dramaturgie für den Tonfilm, die er als inneren Monolog definiert. Diese Art Dramaturgie entwickelt sich nach den Prinzipien der rhythmischen Wiederholung eines Leitmotivs, die Eisenstein mit den Techniken zur Erreichung eines ekstatischen Zustandes in Loyolas Geistlichen Übungen vergleicht. Ein Leitmotiv muss variiert durch drei verschiedene Medien geführt werden – als Bild, als Ton und als Schrift. Diese drei Stufen korrespondierten nach Eisenstein mit drei Stufen des Bewusstseins. Auf der ersten Stufe vergegenständlicht sich das Sinnliche im Bild. Auf der zweiten, der tonalen Stufe, erfolgt die Befreiung vom Sinnlichen: Ein Ton, ein Geräuschkomplex, ein Schrei sind abstrakter als ein Bild, ihre Beziehung zum Gegenstand ist nicht direkt. Danach kann und muss ein Zwischentitel eingesetzt werden: Die Schrift ist eine reine Abstraktion und hat keine Beziehung zur mimetischen Nachbildung. Komplexe Assoziationsketten in der Arbeit mit Geräuschen, Stimmen und Musik, ihrer Überlagerung und Transformation kann an die einfache Wiederholung eines Worts gebunden sein. Diese Formel testet Eisenstein in drei Schlüsselszenen seiner Drehbücher zu den nicht realisierten Tonfilmen Sutters Gold, An ­American

20 Ernst Kretschmer: Medizinische Psychologie. Ein Leitfaden für Studium und Praxis, Leipzig 1922, S. 41–43. In: Metod/Methode, Bd. 1 (s. Anm. 1), S. 436–437.

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Tragedy, Der Fergana-Kanal.21 Sie basieren auf der einfachen Wiederholung eines Gedanken (und eines Wortes: „Gold“, „Kill!“, „Water“), eingebunden in die komplexen Bild- und Tonreihen: „[The sounds] are distorted, and a whisper becomes the whistle of a storm, and the storm cries out ‚Kill’, or the whistle of the storm becomes the movement of the street, the wheels of a streetcar, the cries of a crowd, the horns of motorcars, and all beat out the word: ‚Kill! Kill!‘ And the street noises become the roar of the factory machines, and the machines also roar out ‚Kill! Kill!‘ Or the roar of the machines descends to a low whisper and it whispers again: ‚Kill! Kill!‘ And at this moment a pleasant, unemotional voice slowly reads the newspaper article: ‚Fifteen years ago a similar accident occurred, but the body of the man was never found.’“22

Diese Technik der monotonen Wiederholung verband Eisenstein später mit der Komposition seines Films Alexander Newski. Dort geht es um die Wiederholung (fast ohne Variation) eines Themas, Patriotismus, in jeder Szene, jedem Bild, jeder Replik. Darin sieht er die Nähe seines Films zu repetitiven Techniken der Hypnose oder von Verhören des Third degree, zu Schamanenbeschwörung, zur Wiederholung einer farblichen Kombination, eines Wortes wie bei Shakespeare („I had an Edward, till a Richard kill’d him;/ I had a Henry, till a Richard kill’d him;/ Thou hast an Edward, till a Richard kill’d him;/Thou hadst a Richard, till a Richard kill’d him“, Richard III, IV), zu Zola (Lourdes) oder zu Gedichten von Velimir Chlebnikov (Die Beschwörung durch Lachen). Sie alle setzten auf dieselbe einfache, psychische „rhythmische Trommel“, die die katholischen Mystiker benutzen, um Halluzinationen hervorzurufen. Eisenstein hatte diese Technik an sich selbst ausprobiert, als er sich während der Regenzeit in Mexiko in einen Trancezustand versetzte: Er hatte ein zeichnerisches Motiv, Duncan’s Death, in 150 leicht abweichenden Variationen wiederholt, was bedeutete, das seine Hand die gleichen Bewegungen auf dem Papier mehr als 150 Mal reproduzierte. Diese einfache Formel nutzte auch sein „primitivster“ Film, deshalb schrieb er im Tagebuch:

21 Eisenstein: The Film Sense, übersetzt und hg. v. Jay Leyda, New York 1942, S. 236–250, S. 256–268. 22 Eisenstein: An American Tragedy (1930). In: Ivor Montagu: With Eisenstein in Hollywood, Berlin 1968, S. 286f.

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„Newski wirkt sich selbst zum Trotz. Alle sehen seine Mängel: Pappmaché avant tout, die Längen, die rhythmischen Brüche […] Aber er wirkt quand-même. Ich denke, das liegt darin, dass er wie eine Schamanenschelle alles um einen Gedanken kreisen lässt. Die Einheit der Handlung, die zur Oraison du simple regard führt, wie Père Poulain in seinem Buch über die Ekstase sagen würde.“23 Rhythmus und Wiederkehr

Die Verbindung von Rhythmus mit der Wiederkehr war für Eisenstein ein wichtiger Punkt, denn er hatte die rhythmische Organisation der Montagereihen mit Mnemotechniken verglichen. Sowohl der vegetative Rhythmus, der in einen Trancezustand versetzt, als auch der ausgefallene Rhythmus, der die Bedeutungsakzente herausarbeitet, dienen im Film als Gedächtnisstütze. Die Wiederkehr der gleichen Bilder, Töne oder Verfahren ist dabei ausschlaggebend. Eisenstein hatte diese Technik in einer Episode im Film seines Kollegen Friedrich Ermler Der Mann, der sein Gedächtnis verlor (Oblomok imperii, 1929) ausprobiert, an dessen Montage er beteiligt war.24 Das ist umso spannender, als in der Szene die Rückkehr des Gedächtnisses visualisiert wird. Die Bilder sollten Assoziationen wachrufen: Visuelle, akustische, taktile und Geschmacksreize werden heraufbeschworen ebenso wie das somatische Körpergedächtnis. Wenn alle Sinne des Helden aktiviert und visualisiert sind, kommt es zu einer Lokalisierung des Traumas und zur kathartischen Erlösung von der Amnesie. Der Held muss auch einen gedanklichen Sprung auf die Sprachebene produzieren, um Stimuli und Sinneserinnerungen zu semantisieren. In der siebenminütigen Episode, die in mehrere kürzere Sequenzen zerfällt, wiederholen sich bestimmte Strukturprinzipien. Ziemlich gleich ist auch die Anzahl der Wiederholungen der Schlüsselbilder (4 oder 8, wie in einem musikalischen Takt, beim fünften, nicht identischen Bild erfolgt immer der Wechsel). Das rhythmische Schema der immer kürzer werdenden Einstellungen folgt der mathematischen Proportion 7 : 5 : 3.25 Nicht nur die statistisch-formellen Besonderheiten, auch die Logik des Aufbaus der Teilsequenzen ist die gleiche. Die Wiederholungen betonen, dass die formalen Besonderheiten eine 23 Dezember 1938, undatiert, RGALI 1923-2-1158, S. 11. Eisenstein las das Buch des katholische Priesters Augustin Poulain „Des Grâces d’oraison, traité de théologie mystique“ (Paris 1906) in einer Ausgabe aus dem Jahr 1931. 24 Dokumentiert in Eisensteins Korrespondenz RGALI, 1923-1-2284 und den Erinnerungen von Ermler: Friedrich Ermler: Dokumenty. Statji. Vospominanija, Moskau 1971, S. 112. 25 Mikhail Iampolskii, Yuri Tsivian: La poetique d’un texte heterogène: Débris de l’empire de Friedrich Ermler. In: La Licorne, Poitiers, 1990, numéro 17, S. 181–215.

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semantische Verankerung haben. Zunächst evoziert ein Filmbild einen Sinn, dann folgt die Variation, die einen deutlichen Referenzbezug zum verbalen Äquivalent herstellt. Die erwartete Entschlüsselung spielt mit verschiedenen Bedeutungen, die das evozierte Wort haben kann, was die Überführung auf die Sprachebene sichert, um am Ende der Sequenz zu einer metaphorischen (verbalisierten) Semantisierung zu gelangen. Jede Subsequenz hat auch deutliche filmische Selbstreferenzen, die eine weitere Metaebene – parallel zur sprachlichen Metaebene – bildet.26 Dieselbe Technik machte sich Vertov zunutze, als er den kommemorativen Film zu Lenins zehntem Todestag drehte. Für Drei Lieder über Lenin (1933) benutzte er orientalische Folklore als Matrize. Die rhetorisch aggregativen, additiven Strukturen des Films verwiesen auf die orale Poetik mit ihren Techniken des Memorierens, die durch rhythmische Redundanz und wiederkehrende Epitheta (bei Vertov: wiederkehrende Bilder) bestimmt wurde. Die Wiederholung der Bilder, Bildsequenzen und Zwischentitel sollte den Zuschauer – wie früher den Sprecher und den Hörer – auf dem richtigen Pfad halten. Früher wurde diese Rhythmisierung von Tanzschritten und Atemtechniken unterstützt.27 Vertovs Montage bewegte sich dagegen nur langsam voran und befasste sich immer wieder mit dem bereits Gezeigten und Vorgeführten, was einerseits einfache, aber wirksame rhythmische Strukturen sicherte, andererseits die Erinnerung schulte und die Bilder den Zuschauern einprägte. In der alternierenden Montage des ersten Lieds folgen Bilder von Frauen ohne Schleier, die in einem Klassenzimmer lesen lernen; Bilder von knienden Männern, die in einer Moschee beten; Bilder von Pionieren, die am Ufer entlang marschieren. Diese Serie separater Bilder produziert vorerst keine metaphorische Übertragung. Aber die Parallelisierung von identisch rhythmischen, synchronen Handlungen – die Männer verbeugen sich im selben Rhythmus, die Frauen wiederholen rhythmisch im Chor dieselben Silben, die Kinder marschieren im Gleichschritt – verweist auf eine Ähnlichkeit, die eine Semantisierung vorantreibt. Ein Ritual (Verbeugung) wird durch ein anderes (Marsch oder Chor) ersetzt. Die Frauen haben ihren Lehrer gefunden, die Schule mit Lenins Bildnis an der Wand ersetzt die Moschee, das säkularisierte Wissen die religiöse Erleuchtung. Auf diese Weise ist es möglich, zwischen 26 Vgl. meine Analyse: Oksana Bulgakowa: Eisensteins Vorstellung vom unsichtbaren Bild oder: Der Film als Materialisierung des Gedächtnisses. In: Thomas Koebner, Thomas Meder, Fabienne Liptay (Hg.): Bildtheorie und Film, München 2006, S. 36–52. 27 Marcel Jousse: Le style oral rythmique et mnémotechnique chez les verbomoteurs, Paris 1925; Jousse: Le Parlant, la Parole et le Souffl, Paris 1978.

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den Einstellungen eine metaphorische (wenn auch nicht verbalisierte) Verbindung herzustellen und die Bilder miteinander zu verknüpfen. Der Rhythmus der Wiederholung erleichtert die Semantisierung der nebeneinander gestellten Bilder, ihre Transformation in eine „Gegenstand-Sprache“. Es ist kein Zufall, dass Vertov nicht imstande war, diese Komposition als Drehbuch vorab aufzuschreiben oder den Inhalt von Drei Lieder mit Worten wiederzugeben.28 Er hatte mit Versen und Prosa experimentiert, war aber damit gescheitert. In der Stummfilmzeit sprach er von der Tonleiter als einem möglichen Aufschreibesystem. Doch meistens hatte er für seine Drehbücher ein anderes Modell entwickelt: Kreisförmige Schemata und Diagramme ersetzten den Text. Eine elliptische Skizze für seinen Film Enthusiasmus (1931) markierte die Wiederholungen und platzierte die wiederkehrenden Bilder entlang der Kurven; auf den Geraden waren die Geräusche angeordnet, an beiden Enden der Ellipse standen zwei zentrale, die Sequenz organisierende, kontrastierende Sinnbilder. Ihre Verbalisierung definierte die Kategorisierungsprinzipien (etwa dieselbe Funktion: Vorwärtsbewegung). Auf diese Weise erschien die Skizze nicht nur als Schema des Drehbuchs, sondern eher als grafische Vermittlung einer nicht linear organisierten, assoziativen und redundanten Struktur, ja einer Denkfigur. Die kreisförmigen Drehbücher erinnern an die kreisförmigen Musikkompositionen des Orients – etwa der Arud-Dichtung und -Musik mit ihren Kreisen, deren erster auf Gegensätzen aufbaut, der zweite auf Konsonanzen, der dritte auf Ähnlichkeiten usw.29 Die Montage, ein zergliederndes Verfahren des textbasierten, linearen Denkens, war hier mit einem anti-analytischen, redundanten System gepaart. Diese Art, einen Film zu schneiden, kam Eisensteins Ideen sehr nahe. Eisenstein interpretierte die Montage ebenfalls als etwas nicht Lineares: Sie realisiert sich nicht als eine Reihung (ein Bild nach einem anderen Bild), sondern besteht aus einer Reihe von Superpositionen. Ein Bild überlagert das andere, dieses wird vom nächsten überlagert, ein verschwundenes Bild wird von einem auftauchenden ersetzt, das sofort von einem wiederum darauffolgenden überlagert wird. Um das nächste Bild wahrzunehmen, muss das vorangegangene vergessen werden, doch um dem Film zu folgen, müssen alle Bilder abrufbar sein.30 Im Umgang mit dem Vergessen/Erinnern und Verschwinden/Auftauchen der Bilder hat Film viel mit 28 Tri pesni o Lenine, hg. v. Elizaveta Svilova-Vertova, Vitalij Furti ev, Moskau 1972, S. 115. 29 Galej Allachverdiev: Trud Chtiba Tebrizi „Kitab al-kafi fi-l-aruz va-l-kavafi“ kak isto nik po vosto noj poetike, Baku 1992, S. 76–77. 30 Eisenstein: Dramaturgie der Filmform (s. Anm. 15), S. 30.

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Musik gemeinsam.31 Um diese Bilder in Erinnerung zu behalten, wird zu Mitteln gegriffen, die in der Ars memoriae beschrieben wurden: diskrete Bilder in einem Raum unterzubringen, sie in (narrative) Beziehungen zueinander zu stellen und mit solchen Mitteln wie Rhythmisierung und Wiederholung zu arbeiten. Mit ihrem Interesse an nicht-linearen, zyklischen Zeitverläufen folgten Vertov und Eisenstein dem Trend, der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aufkam, als Künstler, Schriftsteller, Sprachwissenschaftler, Soziologen, Psychologen und Philosophen wie Velimir Chlebnikov, Pablo Picasso, Antonin Artaud, Lucien LévyBruhl, T. S. Eliot, D. H. Lawrence, Rudyard Kipling, Ezra Pound, Ernst Cassirer oder Alexander Luria sich mit symbolischen Praktiken der archaischen Gesellschaften auseinandersetzten. Die mythische Welt wurde verstanden als eine Welt des Raums, die Moderne als eine Welt der Zeit. Der Film mischte diese Trennung. Der Filmstreifen, zu einer Loop geklebt, konnte dasselbe Ereignis immer wieder abspielen und wurde verstanden als eine Figur der ewigen Wiederkehr. Auch wenn die Montage zunächst als eine zeitliche Figur (als Platzieren der Raumsegmente auf einer zeitlichen Achse) konzeptualisiert wurde – und die frühen Assoziationen der Montage mit dem Zug oder dem Fließband haben dieses Verständnis begünstigt –, entstanden auch andere Vorstellungen, die die virtuelle Gleichzeitigkeit aller in der Kette wahrgenommenen Filmbilder betonten und die Montage als eine Raumfigur, als Collage, als Überlagerung verschiedener simultaner Schichten auffassten. Deshalb wurde Rhythmus im Film von Eisenstein als zeitliches und räumliches Phänomen interpretiert. 31 Eisenstein beruft sich dabei auf das Buch von Henry Lanz, der diese Parallele zieht: Henry Lanz: The Physical Basis of Rime, Stanford 1931, S. 34.

Dörte Schmidt  in memoriam Sabine von Schablowski

Bilderverbot und Musiktheater. Bernd Alois Zimmermann, die Abstraktion der Zeitorganisation und die Bühne als Wahrnehmungsraum1 Sobald1man Bilder in Bewegung setzt, hat man es mit dem Problem der Zeitorganisation zu tun. Insofern liegt das Interesse nahe, das der frühe Film der Musik entgegenbrachte, wie man paradigmatisch bei Hans Richter oder Walter Ruttmann sehen kann, die in ihren abstrakten Filmen diese Frage gleichsam „auf Putz legen“. Richter nennt zwei seiner Filme programmatisch „Rhythmus“. Die Rede vom Rhythmus im Film, die Verwendung gerade dieses Begriffs für dessen Zeitorganisation ist ein wichtiges Indiz, verweist sie doch auf eine gewisse (eben musikalische) Autonomie dieser Strukturebene. Zugleich – jedoch viel seltener diskutiert – ist es offensichtlich frühzeitig gerade die Autonomie des Umgangs mit Zeit (und Raum) im Film, die auch Komponisten – und zwar unabhängig von der Frage einer veritablen Filmmusik – als abstraktes Strukturmodell fasziniert. Beides beginnt bemerkenswerterweise genau in der Zeit, in der innermusikalisch die feste Fügung von Rhythmus, Metrum und motivischer Gestalt ins Rutschen gerät und ihre formbildende Kraft zumindest in Frage steht.2 Bringt man Musik direkt in Verbindung mit Bildern, sei es im Film oder auf der Bühne, so hat man es mit der Frage nach der Instanz für die Zeitstrukturierung zu tun und gerät damit aus musikalischer Perspektive zumindest potenziell in Schwierigkeiten – jedenfalls solange die Musik davon ausgeht, eine ihr eigene, innermusikalische Zeitlichkeit, eben Rhythmus, auszuprägen. Es entsteht ein Hierarchien-Problem, in dem die „Macht der Bilder“, ihre Tendenz, sich die Musik als Repräsentation semantischer Vorgänge zu- und unterzuordnen, unmittelbar mit dem Absolutheits- und Universalitätsanspruch einer sich als Kunst im emphatischen Sinne verstehenden Musik kollidiert. Der Konflikt rührt letztlich an das alttestamentarische Bilderverbot, das säkularisiert im Autonomiegebot der europäischen 1 Ohne die Anregung von Reinhard Meyer-Kalkus und seine wie auch Yasuhiro Sakamotos Geduld als Herausgeber sowie die fortwährenden Diskussionen mit Heribert Henrich und Reinhard Kapp wäre dieser Text wohl nicht entstanden. Ihnen gilt mein herzlicher Dank für ihre Bereitschaft, meine Überlegungen immer wieder mit mir zu prüfen und sie mit Hinweisen zu bereichern. Heribert Henrich ermöglichte mir überdies, Einsicht in die Druckfahnen seines Zimmermann-Werkverzeichnisses zu nehmen, dem der Text, wie man schnell sieht, viel verdankt. Heribert Henrich: Bernd-AloisZimmermann-Werkverzeichnis. Verzeichnis der musikalischen Werke von Bernd Alois Zimmermann und ihrer Quellen, Mainz 2014 . 2 Siehe hierzu jüngst Reinhard Kapp: Neue Musik und Film bis 1930. Interdependenzen jenseits der Anwendung. In: Musiktheorie, Jg. 27, 2012, Heft 3, S. 197–212. Einige Komponisten weisen auch selbst auf filmische Mittel als formale Vorbilder für Instrumentalwerke hin, so etwa Elliott Carter im Zusammenhang mit dem ersten Streichquartett, siehe Elliott Carter: String Quartets Nos. 1, 1951, and 2, 1959 (1970). In: Ders.: Collected Essays and Lectures, 1937–1995, hg. von Jonathan W. Bernard, Rochester 1997, S. 231–235, S. 233.

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bzw. europäisch geprägten Kunst-Musik wie wohl in keiner anderen Kunst weitergewirkt hat. Die „Idee der absoluten Musik“ richtete sich in mehrfacher Weise gegen „Repräsentation“ und schloss sowohl die Emanzipation von gesellschaftlichen Zwecken wie von jeder „Darstellungsfunktion“ ein. Die vergangenheitspolitische Funktion der Musik3 hat die Geltung dieses Gebots – jedenfalls in Europa – für die Avantgarde nach dem zweiten Weltkrieg noch verschärft. Das erklärt auch, warum den Debatten über das Bilderverbot – zumindest im Zusammenhang mit Musik – so leicht etwas Moralisches anhaftet.4 Nicht von ungefähr verweist Gottfried Boehm ausgerechnet auf ein Beispiel aus der Musik, um zu zeigen, dass und wie die moderne Bilderfrage sich in der des Alten Testaments spiegelt: auf Schönbergs Oper Moses und Aron, welche die Idolatrie so prominent und provokativ auf die Musikbühne gestellt hat.5 Nicht ohne Bedeutung für die Debatte darüber, wie es das Musiktheater nach 1950 mit den Bildern hält, sind nun der historische Moment wie der Ort, an dem gerade dieses Stück in die Öffentlichkeit tritt: Die berühmte Szene mit dem Tanz um das Goldene Kalb (2. Akt, 3. Szene) wird im Rahmen des ersten internationalen Zwölftonkongresses während der Darmstädter Ferienkurse am 2. Juli 1951, also wenige Tage vor Schönbergs Tod, unter der Leitung von Hermann Scherchen konzertant uraufgeführt.6 Die Schönberg’sche Bilderfrage also betritt die Bühne in Nachkriegsdeutschland programmatisch gemeinsam mit der nach den Strukturmöglichkeiten der Methode des Komponierens mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen, und der Autor 3 Vgl. hierzu auch Dörte Schmidt: „Das wache Bewußtsein aller Beheimateten“. Exil und die Musik in der Kultur der Nachkriegszeit. In: Irmela von der Lühe, Axel Schildt, Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, S. 356–385. 4 Beispielhaft sieht man das an den Debatten in Christian Scheib, Sabine Sanio (Hg.): Bilder – Verbot und Verlangen in Kunst und Musik, Saarbrücken 2000. 5 Gottfried Boehm: Die Bilderfrage. In: Ders. (Hg.): Was ist ein Bild?, München (2. Auflage) 1995, S. 325–343, S. 329. 6 Im März 1952 folgt die konzertante Uraufführung der gesamten Oper (ohne den nicht komponierten 3. Akt) durch den NDR Hamburg, die szenische 1957 in Zürich, jeweils unter Hans Rosbaud. Im Oktober 1959 kommt das Werk im Rahmen der West-Berliner Festwochen unter Scherchen auf die Bühne der Deutschen Oper. Dem vergangenheitspolitischen Ort der Oper widmet sich aus historischer Perspektive nicht ohne Grund Claus-Dieter Krohn: Arnold Schönbergs Oper „Moses und Aron“ im Nachkriegsdeutschland. In: von der Lühe, Schildt, Schüler-Springorum (s. Anm. 3), S. 386–421 (mit einem Verzeichnis der Inszenierungen 1954–2004, S. 419–421). Zur Debatte um die Zwölftontechnik und das Exil in Nachkriegsdeutschland und speziell in Darmstadt siehe auch Dörte Schmidt: Begegnungen im vieldimensionalen Raum. Über einige Aspekte der Remigration Theodor W. Adornos und der „Zweiten Wiener Schule“ nach Westdeutschland. In: Maren Köster, Dörte Schmidt (Hg.): „Man kehrt nie zurück, man geht immer nur fort.“ Remigration und Musikkultur, München 2005, S. 75–104.

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ist ein jüdischer Emigrant. Wie heftig die Abwehr gerade gegen diese Verbindung bei der jungen Avantgarde war, die sich nur wenig später provokativ zu Anton Webern bekannte und damit das Strukturproblem von der Bilderfrage losriss, mag man an Pierre Boulez’ berühmter Rede nach Schönbergs Tod ablesen, die direkt Bezug nimmt auf das soeben uraufgeführte Stück: „Hüten wir uns, Schönberg als eine Art Moses anzusehen, der im Angesicht des gelobten Landes stirbt, nachdem er die Gesetzestafeln von einem Berg Sinai heruntergebracht hat, den einige Leute um ihr Leben gern mit Walhall verwechseln möchten. (Inzwischen ist der Tanz um das Goldene Kalb in vollem Gange.)“7 Im Jahr der Uraufführung des Tanzes um das goldene Kalb nimmt ein Komponist an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil, auf den Moses und Aron in der Verbindung von absoluter kompositorischer Struktur und provokativ gestellter Bilderfrage vor dem Horizont des vergangenheitspolitischen Problems, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kunst weitergehen könne, größten Eindruck macht: Bernd Alois Zimmermann. Man könnte sagen, diese Verbindung prägt Zimmermann nachhaltig. Sie kulminiert in der Idee eines „pluralistischen Komponierens“, das der kunst- wie geschichtsphilosophischen „Stunde Null“, die die jungen Komponisten um Boulez und Stockhausen mit ihrem Bekenntnis zu Anton Webern ausriefen, einen theoretischen Denkraum und – nicht in allen Teilen deckungsgleich – kompositionspraktischen Experimentalraum entgegenstellte. Als dessen Angelpunkt erweist sich die Zeitorganisation. Gerade dieser Auseinandersetzung mit der historischen Konsequenz wegen greift der Verweis auf die Postmoderne für eine Verortung des Zimmermann’schen Unternehmens eindeutig zu kurz. „Wenn jemand mit zugleich rapidem Elan und beinahe wissenschaftlicher Akribie die ‚musikalischen Aufräumarbeiten‘ seiner Generation erledigte, so war es gewiss Zimmermann, dem die meisten der jüngeren Komponisten zunächst den Vorteil einer durch die politischen Verhältnisse ungehemmten Entwicklung voraushatten.“ 8

7 Pierre Boulez: Schönberg ist tot. In: Ulrich Dibelius, Frank Schneider (Hg.): Neue Musik im gesteilten Deutschland, Bd. 1, Berlin 1993, S. 91f. Die Übersetzung von Hans Oesch erschien erstmals 1974 in der Zeitschrift Melos. Die zitierte Passage findet sich bereits in der zuerst publizierten englischen Fassung des Textes: Pierre Boulez: Schoenberg is dead. In: The Score, 1952, Heft 1, S. 18–22, S. 22. 8 Biografische Notiz, Typoskript, hs. datiert mit „26.1.65“ [Monatsangabe nicht ganz eindeutig lesbar], Akademie der Künste, Berlin: Bernd-Alois-Zimmermann-Archiv 465, S. 1.

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So schreibt Zimmermann programmatisch über sich selbst in einer biografischen Notiz aus den 1960er-Jahren, die sich als Typoskript im Nachlass befindet und wohl zu den Texten gehört, die er für Monika Lichtenfeld als Vorlagen zu ihrem 1968 erschienenen Artikel für die Enzyklopädie Musik in Geschichte und Gegenwart anfertigte. Dieser Artikel ist auch der Ort, an dem der Begriff des „Pluralismus“ für Zimmermanns Komponieren propagiert wird,9 den Marion Rothärmel im gleichen Jahr unmittelbar mit den Soldaten verbinden wird10 – Zimmermanns Beitrag zu der so bildmächtigen wie von den Verfechtern künstlerischer Autonomie in dieser Zeit beargwöhnten Gattung Oper.11 Die szenische Uraufführung von Moses und Aron unter Hans Rosbaud (einem Zimmermann wie Schönberg eng verbundenen Dirigenten), die in eben das Jahr 1957 fällt, in dem Zimmermann sich zur Arbeit an den Soldaten entschließt, ist diesem sicher ebensowenig entgangen, wie die damit einhergehende Publikation des Klavierauszuges im Mainzer Schott Verlag, der auch der seine war. Überdies erscheint im gleichen Jahr bei Columbia noch die 1954 im Zuge der konzertanten Uraufführung beim NDR Hamburg entstandene Einspielung (ebenfalls unter Hans Rosbaud) auf Schallplatte und wird Anfang der 1960er-Jahre bei Philipps erneut aufgelegt.12 Moses und Aron und die dort gestellte Bilderfrage sind ganz offensichtlich während der Zeit, in der Zimmermann an seiner Oper arbeitet, in mehrfacher Weise präsent. Auch die Widmung der Soldaten-Partitur an den 1962 verstorbenen Hans Rosbaud ist sicher kein Zufall. Zimmermann hatte eine Zeitlang gehofft, dieser würde auch die Uraufführung seiner Oper dirigieren. Seine Idee und den Begriff des „pluralistischen Komponierens“ hat Zimmermann bemerkenswerterweise zuerst gerade nicht im Zusammenhang der Oper und der Bilderfrage erörtert, sondern Ende der 1960er-Jahre in einem Interview über Ballett für eine breitere Öffentlichkeit erläutert und das damit verbundene Strukturdenken über den Zeitbegriff mit der Idee des Choreografischen verbunden.13 9 Vgl. das dreiseitige, am Ende mit „Monika Lichtenfeld“ gezeichnete Typoskript, Akademie der Künste, Berlin, Bernd Alois Zimmermann Archiv 473; teilweise sind Formulierungen übernommen. 10 Marion Rothärmel: Der pluralistische Zimmermann (Die Soldaten). In: Melos, 1968, S. 97–102. 11 Der Begriff „pluralistische Kompositionstechnik“ findet sich in der dem 1968 erschienenen MGGEintrag zugrunde liegenden biografischen Skizze von 1966 bezogen auf Soldaten, Dialoge etc.; auch wird dieser Begriff schon hier gemeinsam mit dem Zeitbegriff genannt, vgl. Klaus Ebbeke (Hg.): Bernd Alois Zimmermann (1918–1970). Dokumente zu Leben und Werk, Berlin 1989, S. 11. 12 http://www.schoenberg.at/diskographie/works/051.htm (Stand: 11/2012). 13 Bernd Alois Zimmermann: Ballett auf dem Prüfstand. Interview mit Jens Wendland. In: Horst Koegler (Hg.): Ballett 1968, S. l. Hierzu auch Ebbeke (s. Anm. 11), S. 95. Zu diesen Fragen im Kontext der Ballett-Kompositionen ausführlicher Dörte Schmidt: „C’est ma façon de faire du Pop Art“. Zimmermann et le ballet dans les années 1960. In: Pierre Michel, Heribert Henrich, Philippe

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Zentrale Voraussetzung für diese Vorstellung von Pluralismus ist die Absage an die Forderung der Serialisten nach struktureller Immanenz: „Der philosophische Begriff des Pluralismus, der das gleichzeitige Vorhandensein vieler Schichten, die gar nicht unbedingt voneinander ableitbar zu sein brauchen, deren Charakteristikum manchmal geradezu in ihrer Unableitbarkeit besteht – dieser philosophische Begriff ist natürlich für die kompositorische Methode nicht primär, sondern ich habe, nachdem ich diese meine Kompositions-Methode entwickelt hatte, nach einem Begriff gesucht, der dieses Phänomen am besten umschreibt und unterscheidet.“ 14

Offensichtlich war es Zimmermann auch noch nach der Komposition der Soldaten wichtig, dieses Konzept nicht sofort der Gefahr semantischer Überwucherung auszusetzen, sondern seine Abhängigkeit von der Zeitebene als abstrakten Schritt hervorzukehren. Erste Überlegungen hierzu lassen sich relativ weit zurückverfolgen und stehen im Zusammenhang mit der Umarbeitung der Bühnenmusik zu einem Stück des avantgardistischen Schweizer Puppenspielers Fred Schneckenburger in eine „Musik zu einem imaginären Ballett“ mit dem Titel Kontraste.15 Hier stellt sich die Entwicklung als eine Abstraktionsbewegung weg von der Konkretheit szenischer Bilder dar. 1953 schrieb Zimmermann an Schneckenburger mit Blick auf diese Arbeit, er verstehe das Ballett gegenüber der spezialisierten Form des Puppentheaters als eine Verallgemeinerung.16 Wenige Jahre später stellt der Komponist in einer fast identischen Formulierung als verbindungstiftend bereits nicht mehr die Verallgemeinerung heraus, sondern nun tritt vor allem die den beteiligten Elementen Musik, Bewegung und Farbe jeweils eigene Absolutheit hervor.17 In der Werkeinführung Albèra (Hg.): Regards croisés sur Bernd Alois Zimmermann. Actes du colloque de Strasbourg 2010, Genf 2012, S. 143–157. 14 Zit. nach Ebbeke (s. Anm. 11), S. 11. 15 Schneckenburger hatte 1951 im Düsseldorfer Kom(m)ödchen gastiert. 1952 kam es zur Zusammenarbeit mit Zimmermann. 16 „So brauchte ich also in dem Ballett […] lediglich die eben erwähnten Elemente [Musik, Bewegung und Farbe] von der spezialisierten Form des Puppentheaters auf die mehr verallgemeinernde des Balletts zu übertragen[,] ohne Gefahr zu laufen in der leeren Abstraktion zu münden.“ Zimmermann an Fred Schneckenberger, 2.8.1953, Akademie der Künste, Berlin: Bernd Alois Zimmermann Archiv. 17 „Das Ballett [Kontraste] versucht durch die Reduzierung auf die wesentlichen Elemente: Musik, Bewegung und Farbe, absolute Musik, absoluten Tanz und analog dazu auch absolute Farbe zu einer Einheit zu verbinden. Anregung dazu gab vor allem die abstrakte Malerei.“ 25.2.1955, an Graf

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zu Kontraste zieht Zimmermann die Konsequenz aus der im Absoluten sich zeigenden Eigenständigkeit der beteiligten Künste: Das Verhältnis der „wesentlichen Elemente“ des Balletts sei, so liest man dort, „dergestalt, daß ‚Interpretation‘ des einen durch das andere ausgeschlossen sein sollte: Kontrapunkte! Nicht Illustration oder gar Synchronisation“.18 Zimmermanns Absage an die strukturell abgesicherte Immanenz des seriellen Denkens erweist sich inhaltlich bereits im Zusammenhang mit den Kontrasten als Absage an hermeneutische Verhältnisse.19 Dies hat Folgen für die Begründung der Verbindung von Musik und Bild bzw. Bühne in einem eben nicht mehr musik-immanent strukturierten Gefüge; Zimmermann sucht die Kohärenz des Ganzen nun durch Abstraktion, durch denkbar weitgehende Entfernung von Abbildhaftigkeit, zu sichern. Die Voraussetzung hierfür liefert eine Öffnung der Zeit-Struktur nicht nur grundsätzlich für Material, das nicht aus ihr heraus generiert wurde, sondern auch für die Wiedereinführung von Konkretion. Als extremes kompositorisches Experiment in dieser Richtung kann die Musique pour les Soupers du Roi Ubu (1962–1966) gehört werden. Sie unterwirft dem mit dem Adjektiv „pluralistisch“ benannten Zeitschichten-Verfahren ausschließlich bereits komponierte Musik aus allen möglichen historischen Epochen und mit sehr unterschiedlichen Gestaltqualitäten. Damit führt Zimmermann vor, dass nicht nur die einzelnen Töne, sondern auch musikalische Gestalten nicht von den Zeitstrukturen abgeleitet sein müssen, um konsistent durch sie strukturiert zu werden.20 Eine choreografische Gegenprobe hierzu bildet in gewisser Weise Gerhard Bohners Konzeption für seine Tratto-Choreografie von 1968, in der der Choreograf eine für eine andere Musik konzipierte Arbeit gleichsam auf dieses Stück projizierte. Den Tänzern wurde über Strachwitz, Akademie der Künste, Berlin: Bernd Alois Zimmermann Archiv; Wolfgang Rathert nimmt u. a. die letzte Bemerkung zum Anlass, eine Verbindung zur Ideenwelt Willy Baumeisters herzustellen: „… Ausdruck einer ganz bestimmten geistigen Situation …“. Zum Kontext von B. A. Zimmermanns Perspektiven (1955/56). In: Ulrich Tadday (Hg.): Musik-Konzepte Sonderband Bernd Alois Zimmermann, München 2005, S. 143–160. Zimmermann selbst wird in der Werkeinführung zu „Kontraste“, die die Formulierung sehr weitgehend übernimmt, Mirò ins Spiel bringen, siehe Bernd Alois Zimmermann: Intervall und Zeit. Aufsätze und Schriften zum Werk, hg. von Christof Bitter, Mainz 1974, S. 90. 18 Zimmermann: Intervall und Zeit (s. Anm. 17), S. 90. 19 Zimmermann: Ballett (s. Anm. 13), S. 30. 20 „Tratto“, wo Zimmermann dieses Zeitdenken strukturell noch einen Schritt weiterentwickelt, bildet dazu aus der Perspektive des musikalischen Materials insofern den Gegenpol, als er hier gleichsam hinter den Klang zurückgeht: „Der Sinuston […] erwies sich, ganz entgegen der ursprünglichen Erwartungen, doch als ziemlich resistent allen noch so differenzierten Klangverarbeitungsmethoden gegenüber […] es zeigte sich, daß er, der ohne Zweifel etwas Vorklangliches hat, doch sehr bestimmte und offenbar nicht zu unterdrückende Eigentümlichkeiten besaß.“ Zimmermann: Intervall und Zeit (s. Anm. 17), S. 56.

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Ohr-Hörer die ursprüngliche Musik, ein Walzer von Fritz Kreisler, zugespielt, nach der sie tanzen sollten. Die Zuschauer hörten Zimmermanns elektronische Komposition Tratto. Dieses Setting wurde dem Publikum im Programmheft auch mitgeteilt, das heißt, es war sich dieser Diskrepanz beim Sehen bewusst.21 Dies skizziert die kompositorische wie theatralische Problemlage, mit der sich Zimmermann in der Zeitspanne befasst, in die auch Komposition und Uraufführung der Oper Die Soldaten fallen. Der Schritt zur Choreografie steht dabei für eine Verbindung von Musik und Bühne, welche die künstlerische Autonomie beider Ebenen nicht verletzt. Was aber passiert, wenn dieser Komponist sich mit der Oper programmatisch jener Bühnengattung zuwendet, in der die Frage der Repräsentation, also der Kern des Problems mit dem Bilderverbot in der Musik, im Zentrum steht, und die sich deshalb wie keine andere den immer wieder aktualisierten Vorwurf zuzieht, sie verstoße gegen die Reinheitsgebote der absoluten Kunst, dem sich die Avantgarde in den 1950er-Jahren gerade so explizit wie mühsam entzogen hatte? Zimmermanns Erkenntnisse aus der Erkundung des Choreografischen ergreifen schon bald auch die Arbeit an der Oper und werden zu zentralen Impulsen für das Aufbrechen des eigentlich zunächst eher traditionellen Plans einer Nummern-​ oper. Die von Zimmermann selbst immer wieder mystifizierte Krise, welche die Arbeit an der Oper zu Beginn des Jahres 1960 zum Stillstand bringt, spielt hierbei eine aufschlussreiche Rolle. Wenn auch nicht der einzige Auslöser, so war doch die Absage der geplanten Uraufführung und die darauf folgende Unterbrechung der Herstellung des Aufführungsmaterials durch den Verlag ein wichtiger Faktor in diesem Vorgang. Erst nach zwei Jahren wird Zimmermann die Arbeit an der Oper wieder aufnehmen. Schlüsselszenen für den Schritt, der sich in dieser Pause vollzieht, sind die beiden großen Szenen im Kaffeehaus der Soldaten im zweiten und vierten Akt. In der ersten dieser Szenen kreisen die Soldaten als Gruppe ihr potenzielles Opfer Stolzius ein (und auch Marie gerät damit indirekt bereits in ihr Visier). Dies ist erste Szene der Oper, in der es darum geht, die Handlungen einer großen 21 „Meinem Ballett lag die Idee zugrunde, daß die Musik, die das Publikum hört, nicht die Musik zu sein braucht, welche die Bewegungen der Tänzer unterstützt. Der Pas de deux ‚Dreiviertelkomödie‘ [auf einen Walzer von Fritz Kreisler] wurde auf zwei Paare übertragen und für eine nach zwei Seiten offene Bühne eingerichtet.“ Tratto. Ballett für zwei Solopaare, Programmblatt zur Aufführung in der Berliner Akademie der Künste, 22.6.1969, Akademie der Künste, Berlin: Gerhard Bohner Archiv 12. Die Kritiken im Bohner-Nachlass zeigen, dass die Rezeption dieses Experiments zumindest ratlos war – befördert noch von einer technischen Panne, derentwegen die Saaleinspielung ausfiel, sodass das Stück noch einmal mit Zimmermanns Musik wiederholt werden musste.

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Anzahl von Personen auf der Bühne in eine konsistente Form zu bringen. Zunächst integriert der Komponist die Gruppe der Soldaten ganz der traditionellen Operndramaturgie folgend als Chor. Um hierfür eine Textgrundlage zu schaffen, fügt Zimmermann das Lenz’sche Gedicht Lied zum teutschen Tanz ein. Dann aber entwickelt er für diese Szene ein Raumkonzept, das sich deutlich von der literarischen Vorlage löst: „Das Kaffeehaus hat den zeitlosen Charakter eines Offiziers-Kasinos. Sehr viele und große Spiegel an den Wänden, welche von den Offizieren zur Kontrolle der Haltung und zu gelegentlichem Spiegelfechten benutzt werden. Einfache, aber nicht ärmliche Einrichtung, Empore mit Treppen rechts und links hinten. An den Tischen sitzen jeweils drei Personen (hohe, mittlere und tiefe Sprechstimme). An Tisch Ia: 3 Fähnriche, Kaffee trinkend (Empore rechts vorn), Tisch IIa: 3 Offiziere (unten links hinten), Tisch IIIa: 3 ­Offiziere (unten rechts hinten), Tisch Ib: 3 Offiziere rauchend, sich langweilend (Empore hinten links), Tisch IIb: 3 Offiziere, Skat spielend (Empore hinten rechts), Tisch IIIb: 3 Offiziere, Zeitung lesend (Empore links vorn). Mit Ausnahme der kartenspielenden Offiziere ist alles in einer dauernden, fast choreographischen Bewegung.“ 22

Nicht nur findet sich bereits hier die Idee des Choreografischen verbunden mit der Einführung eines dreidimensionalen Raumsettings, in nuce ist durch die Spiegel auch bereits das Problem von Präsenz und Abbild eingeführt. Beides wird später für die Konzeption der Oper wichtig werden. Zu dieser Szene existiert nicht nur eine vor 1960 entstandene Particell-Skizze; auch die Partitur hatte Zimmermann bereits vor der Unterbrechung der kompositorischen Arbeit fertiggestellt.23 An diesem ersten Kulminationspunkt der Oper sichert Zimmermann die strukturelle Konsistenz über das im Ballett zu dieser Zeit bereits erprobte Strukturmodell, indem er auch die szenischen Aktionen gleichsam musikalisiert und so den Boden schafft für den Einsatz der Tänzer, die dann mittels eines rhythmisch genau ausnotierten Step- bzw. Stampftanzes ebenfalls als Klangerzeuger in den Schlagwerksatz eingeschrieben

22 Typoskript T 6, Bernd Alois Zimmermann Archiv, Berlin: 1.62.3.3, S. 17, vgl. auch die Raumdisposition in der Partitur: Bernd Alois Zimmermann: Die Soldaten. Oper in vier Akten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz, Studienpartitur, Mainz 1975, Edition Schott 6343, S. 175. 23 Diese Skizze ist beschrieben bei Ebbeke (s. Anm. 11), S. 82f., sowie bei Henrich (wie Anm. 1), Quelle S 36, S. 55 und Quelle P 1.12, S. 61.

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sind. Bis zu diesem Zeitpunkt organisiert der Komponist seine Tonhöhenordnung nach der Zwölftonmethode und koordiniert diese mit rhythmischen und metrischen Modellen, die zwar reihenartig strukturiert, aber von der Tonhöhenordnung unabhängig sind. Soweit ist das Projekt gediehen, als es konzeptionell und auch ganz praktisch in die Krise gerät. Erst nach der Wiederaufnahme der Arbeit 1962 finden sich Proportionsskizzen, die zeigen, dass Zimmermann nun die Zeit- und Tempoverhältnisse direkt aus den Tonhöhenverhältnissen ableitet und so zu verallgemeinerten Zeitstrecken kommt, die in Minuten und Sekunden gerechnet und nicht automatisch in traditionellen musikalischen Maßeinheiten (rhythmischen Werten, Metren) gedacht werden.24 Dies ist die kompositionstechnische Voraussetzung für jene „weiträumige, in ihren Molekülen […] nicht so undurchlässig gebunden[e]“ Musik, die „für die andere autonome Kunst, das Ballett“ durchlässig ist, ohne ihre eigene Autonomie aufzugeben, wie Zimmermann in dem bereits erwähnten Interview mit Jens Wendland projektiert.25 Nicht von ungefähr finden sich dann auf der Ebene der Reihentechnik auch konkrete Verbindungen zu einigen der für die Entwicklung des „pluralistischen“ Denkens wichtigen Ballettkompositionen.26 In genau dieser Situation erhält Zimmermann einen entscheidenden Impuls durch seine distanziert-neugierigen Kontakte zur Köln-Düsseldorfer Avantgarde- und Fluxus-Szene, auf deren Bedeutung Klaus Ebbeke mit Recht wiederholt hingewiesen hat.27 Nicht nur das Potenzial des Performativen kann er in dieser Szene erfahren, deren Kompositionen in ihrer Schriftform kaum Angriffspunkte für analytisches Denken zu liefern schienen. Künstler wie John Cage, Merce Cunningham oder Nam June Paik führen ihm hier vor, welche künstlerische Kraft frei wird, wenn die verschiedenen Dimensionen der Aufführung weder herme24 Siehe hierzu im Einzelnen Ebbeke (s. Anm. 11), Kap. „Die Soldaten“, S. 69–91 (mit Beschreibungen einzelner Skizzen); Ders.: Zur Entstehungsgeschichte der „Soldaten“. In: Ders.: Zeitschichtungen. Gesammelte Aufsätze zum Werk von Bernd Alois Zimmermann, hg. von Heribert Henrich, Mainz 1998, S. 58–71; sowie Heribert Henrichs Skizzenbeschreibungen und Darstellung des Kompositionsprozesses in Henrich (wie Anm. 1), S. 111–124. 25 Zimmermann: Ballett (s. Anm. 13), S. 34. 26 So verwendet er beispielsweise im IV. Akt eine Reihe aus „Présence“ (1961), die auch in den Dialogen (1960/65) eine Rolle spielte, und wird sie dann wieder im „Concerto pour violoncelle en forme de ‚pas de trois‘“ (1965/66) aufgreifen. Auch das Oratorienprojekt, in dem die Bilderfrage ebenfalls ins Zentrum rückt, ist mit der Oper verbunden über die Reihe aus Szene III.4, die bereits in den „Antiphonen“ (1961–62) vorkam. Heribert Henrich betont mit guten Gründen, dass sich schwer entscheiden lässt, „ob er diese Reihen aus einer schon vorhandenen Globalkonzeption der Soldaten in die genannten Werke übernahm oder umgekehrt das noch offene Reihenkonzept der Soldaten nachträglich um diese Reihen erweiterte“, Henrich (wie Anm. 1), S. 122. 27 Siehe beispielsweise Ebbeke (s. Anm. 11), S. 72.

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neutisch noch zwingend strukturell voneinander abgeleitet, sondern nur über eine verallgemeinerte Zeitorganisation koordiniert sind28 und man sich um Fragen der Abstraktion bzw. Autonomie der Materialebenen bei der Auswahl des so strukturierten Materials gleichsam mutwillig nicht schert. Wenn Zimmermann die kompositorische Arbeit an der Oper wieder aufnimmt, geht er auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen die zentrale Problemstellung der Bilderfrage in der Oper neu an. Anders als im Ballett hatte er es schon in der bereits vor der Unterbrechung konzipierten Choreografie der ersten Kaffeehaus-Szene nicht mit abstrakten Bewegungskonzepten zu tun, sondern mit szenischen, inhaltlich kodierten Aktionen von Wirtshausbesuchern. Das Inventar der Szene mutiert zu Klangerzeugern: Tische, Stühle und Geschirr werden zu einem „Schlagzeug-Arsenal“. Die Rhythmisierung bestimmt hörbar in der ersten Kaffeehaus-Szene nicht nur gestische Aktionen, sondern auch die Rollentexte der Figuren, ergreift später die Bewegungen der Tänzer und schließlich tritt noch eine Jazz-Combo als „Musik auf der Szene“ hinzu, der auf der Bühne selbst nicht von ungefähr gerade die essenzielle rhythmische Dimension des Schlagzeugs fehlt, das vielmehr aus dem Orchester kommt und diese Musik mit dem übrigen Orchestersatz verbindet. Damit stellt sich unübersehbar die Frage nach den Konsequenzen solcher Musikalisierung von Außermusikalischem und die damit einhergehende Verbindung mehrerer Wirklichkeitsebenen im musikalischen Gefüge über die Zeit-​ organisation bereits vor der Unterbrechung der Komposition: und zwar anders als in den Ballettkompositionen ausdrücklich unter den Bedingungen von Szene, also unter Beibehaltung der gegebenenfalls szenisch erzeugten Bildqualitäten. Dass Zimmermann bereits am Ende des ersten Aktes, also direkt vor der ersten Kaffeehaus-Szene, einen differenzierten Schlagzeugsatz als nicht szenisch eingebundene, zwar unsichtbare, aber in drei Gruppen räumlich in den Kulissen aufgestellte Bühnenmusik einführt und diese dann auch in der Kaffeehaus-Szene einsetzt, verstärkt die Wirkung dieser Konzeption und zeigt die grundlegende Bedeutung der Zeit­ ebene für die Verbindung der Realitätsebenen des theatralen Gefüges.29 Möglicherweise hat Zimmermann bei seinen Besuchen der Veranstaltungen in Mary Bauermeisters Atelier im Rahmen des Contre-Festivals 1960 bei einer Aufführung von La Monte Youngs Poem for chairs, tables and benches erleben können, was 28 Aus dieser Perspektive könnte man auch einmal die Funktion der Cage’schen „time brackets“ mit derjenigen der Zimmermann’schen Zeitschichten vergleichen. 29 Vgl. Studienpartitur (s. Anm. 22), S. 208 (Einsatz der „Musik auf der Szene“) und S. 213 (Einsatz „Bühnenmusik“).

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passiert, wenn man in der Musikalisierung ein solches Inventar gegenüber seinem pragmatischen Kontext (und damit auch gegenüber der Verweisfunktion ins Als-ob einer Szene) völlig verselbstständigt. Die Konsequenzen des szenischen Als-ob sind dadurch umso stärker in den Blick gerückt und werden nach der Wiederaufnahme der Arbeit in aufschlussreicher Weise zum Motor der Entwicklung. Zunächst macht sich Zimmermann an die Relektüre und Revision der bereits vorhandenen Teile der Oper, die unter anderem mit einer neuen Akteinteilung einhergeht. Ein einjähriger Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom ermöglicht es ihm ab Oktober 1963, auch die noch fehlenden Teile in Angriff zu nehmen. Vor allem der Schlussakt, zu dem es bis dahin offensichtlich nur wenig konkrete Vorstellungen gibt, wird zu dem Ort, an dem Zimmermann die Konsequenzen seines Ansatzes für die Bildebene ausschreitet. Bereits früh, schon im ersten Libretto-Entwurf, hatte sich in den letzten beiden Akten die Handlung zu einem Strudel der Ereignisse verdichtet: Vorgesehen waren – wohl nach dem Modell der Simultanszene, die im zweiten Akt dem Kaffeehaus folgt und in der gleichzeitig ablaufende Handlungsteile auch gleichzeitig gezeigt werden – zunächst jeweils Gruppen von simultan ablaufenden Szenen. Sie werden bereits im Zuge der Überarbeitung des Librettos zu einer großen Szene zusammengezogen, in die insgesamt neun Einzelszenen des Schauspiels eingehen. Steigerung der linearen, aber deutlich beschleunigten Szenenabfolge in die Gleichzeitigkeit war also schon hier als Strategie vorgesehen. Im Laufe der kompositorischen Arbeit aber gewinnt diese Idee eine neue Qualität, indem sie mit der grundsätzlichen Frage nach den Realitätsebenen musiktheatralischer Darstellung und ihrer Bildmächtigkeit verbunden wird. Das Problem von Realität und Abbild, angelegt im Aufbrechen der Trennung von Bühne als dramatischem Aktionsraum und Orchester als „absolutmusikalischem“ Raum in der ersten Kaffeehaus-Szene wird zum dramaturgischen Angelpunkt des Geschehens. Deren Komplementärszene im letzten Akt spielt im gleichen räumlichen Setting, überbietet jedoch nun auch die zunächst etablierten Ebenen musik-theatraler Darstellung mit technischen Mitteln und löst überdies die Grenze zum Zuschauerraum auf: „Diese Szene hat den Charakter eines Traumes: das Geschehen mehrerer ­Szenen spielt sich losgelöst von Raum und Zeit, der Handlung vorgreifend, auf sie zurückgreifend, gleichzeitig auf der Bühne, in drei Filmen, und in den Lautsprechern [die im Zuschauerraum verteilt hängen, d. h. diesen ein­ begreifen] ab. […] Die Darsteller werden ggf. zweimal gedoubelt: einmal durch Tänzer, ein andermal durch Schauspieler ggf. durch beide. […]

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Die 3 Filmleinwände sollen nicht scharf, viereckig begrenzt sein, sondern die Illusion nähren, daß das Filmgeschehen sich in die Szene hinein fortsetzt, resp. aus ihr hervorwächst. Falls es die Beschaffenheit des Zuschauerraumes erlaubt, sollte mindestens eine Filmleinwand außerhalb der Bühne (jedoch für alle sichtbar!) angebracht werden.“ 30

Technische Reproduktion von Klang ist zu diesem Zeitpunkt im Stück bereits eingeführt: Potenziell kann dies von Beginn an greifen, wenn die Aufführung von der in der Besetzungsliste der Partitur eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, dass bei Platzproblemen mit der sehr großen Besetzung im Graben „das gesamte Schlagzeug (mit Ausnahme des Paukenspielers) sowie Klavier, Cembalo und Celesta im Probenraum des Orchesters untergebracht werden [können]: akustische Übertragung durch Lautsprechergruppen links und rechts des Bühnenportals in den Zuschauerraum“.31 Diese Option betrifft dann auch das Spiel mit den rhythmischen Ebenen – Orchester im Graben, Musik auf der Szene und Bühnenmusik in der Kulisse –, die in der ersten Kaffeehaus-Szene ausgespielt werden. Überdies ist in dieser Szene auch schon eine elektronische Verstärkung für den Kontrabass der Jazz-Combo auf der Szene vorgesehen, die ebenfalls mittels Lautsprechern übertragen werden muss. Immer aber steht hinter diesen Übertragungen eine gleichzeitig erfolgende, analoge Klangerzeugung durch einen Spieler. Dies nun ändert sich in der zweiten Kaffeehaus-Szene zu Beginn des letzten Aktes, wenn vorproduzierte Standbilder, Filme und Tonbänder zum Einsatz kommen. Hier wird nicht einfach nur Simultaneität durch technische Mittel gesteigert, sondern das Verhältnis von Realität und Abbild systematisch verwirrt: Der Fortgang der Handlung erscheint in den Filmen, deren Einsatzzeitpunkte und Dauer in die Zeitorganisation der Szene genau einkomponiert sind, Vergangenes steht leibhaftig auf der Bühne (die Sänger singen allesamt frühere Passagen aus ihren Partien, die Tänzer und die rhythmisierten Aktionen an den Tischen greifen auf die Zeitorganisation der ersten Kaffeehaus-Szene zurück etc.), die Figuren begegnen sich selbst auf der Szene, die Stimmen der Offiziere an den Tischen, die man auf der Bühne sieht und hört, werden über eine Lautsprechergruppe im Publikum verdoppelt.32 30 Studienpartitur (s. Anm. 22), S. 427. 31 Studienpartitur (s. Anm. 22), Besetzungsliste. 32 Bemerkenswerterweise sind in dieser Endfassung der Oper die oben erwähnten Spiegel aus der Szeneanweisung zum ersten Kaffeehaus offensichtlich obsolet geworden. Das Thema, das sie einbringen sollten, wird hier nun gleichsam auskomponiert.

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Hier nun kommen die Möglichkeiten der technischen Reproduktion ins Spiel, die Heinz-Klaus Metzger mit der ihm eigenen provokativen Emphase wohl unter jene „Ersetzungen der Wirklichkeit“ rechnen würde, die er als „blasphemische Verdopplung der Welt durch ihre bildliche Darstellung selber“, also als Verstoß gegen das Bilderverbot, zu entlarven sucht und gegenüber dem von ihm gebilligten Einsatz von Technologie als Mittel der Produktion neuer Klänge in der elektronischen Musik abgrenzt.33 Dass hinter der ästhetischen Kritik am Verstoß gegen das Repräsentationsverbot letztlich ein theologisches Verdikt steckt, ist ein Erbe des 19. Jahrhunderts und wird selten explizit, macht sich aber gerade in jener Zuspitzung bemerkbar, die das Autonomiegebot nach dem Zweiten Weltkrieg in den Avantgarde-Debatten über Musik erfährt. Zimmermann entzieht seinen Umgang mit technischen Verdopplungen solcher Kritik, indem er sie in einer Weise steigert und vervielfacht, die zu einer nicht mehr graduellen, sondern qualitativen Veränderung des Ganzen führt: Die Frage, was hier Wirklichkeit ausmacht und was Bedeutung trägt, ist in extremem Maße mit der Frage nach der Wahrnehmung als Zugang zur Welt verbunden. Zimmermann überfordert seine Zuschauer mutwillig und interessiert sich für die Grenzen der einheits- und bedeutungsstiftenden Möglichkeiten ihrer Wahrnehmung. Dabei geht es nicht – wie immer wieder von Regisseuren wie Kritikern als Argument für die Suspendierung des technischen Aufwandes angeführt – um einen Mitte der 1960er-Jahre modischen, aber heute vermeintlich obsolet gewordenen Multimedia-Effekt, sondern über den Grenzgang um eine qualitative Auseinandersetzung mit den Bedingungen von Wahrnehmung und Sinnzuweisung, wie sie sich auch in der Bild-Debatte spiegelt.34 In diesem Sinne schreibt Zimmermann nach der Uraufführung an den mit Fernsehfassungen von Opern befassten Regisseur Kurt Wilhelm und weist dem Zuschauer ausdrücklich eine aktive Rolle zu:

33 Heinz-Klaus Metzger: Von der Ersetzung der Wirklichkeit – oder: als es die Musik noch gab. In: Scheib, Sanio (s. Anm. 4), S. 99–103 (Zitat S. 99). Reinhart Meyer-Kalkus sieht hierin mit Recht die Überdrehung einer Haltung, die auf Adornos Überlegungen in seinem Essay über Musik und Sprache zurückgehen könnte. M. E. zeigt sich gerade in der Übertreibung, die hier aufbricht, aber ein Symptom, das auf die unterschwellige Wirksamkeit der in ästhetischen Urteilen über Musik immer noch präsenten Denkfigur des Bilderverbots hinweist. 34 Vgl. z. B. Karlheinz Lüdekings Diskussion um die Leistung Cézannes vor dem Hintergrund Heideggers und Merleau-Pontys in: Ders.: Zwischen den Linien. Vermutungen zum aktuellen Frontverlauf im Bilderstreit. In: Boehm (s. Anm. 5), S. 344–366, vor allem S. 354f.

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„Nun sagten Sie mir […], dass das Auge hinsichtlich der Wahrnehmung vieler verschiedener Fakten nur eine begrenzte Kapazität besitze. Es würde mich interessieren, ob das für die Verwendung mehrerer Filmleinwände an verschiedenen Orten im Zuschauerraum zutrifft, so wie es von mir in der […] 1. Szene des 4. Aktes gefordert wurde. Meiner Vorstellung nach müsste der Zuschauer bei der Flut der sich überstürzenden optischen Eindrücke rings um ihn her die Möglichkeit haben, […] eine Auswahl […] zu treffen, die entsprechend der jeweiligen Impulsivität ausfällt, und aufgrund des rhythmischen Verlaufs der Information dann doch zu einem Gesamteindruck gelangt.“ 35

Der Komponist schafft also, so denkt Zimmermann, über die Zeitstruktur eine strukturelle Kohärenz, die in der Wahrnehmung auch dann greift, wenn man nicht alle Elemente erfasst, und die damit die Autonomie des künstlerischen Gebildes gewährleistet. Dies geschieht eben gerade nicht als Übermittlung eines – hermeneutisch erschließbaren – Sinns, sondern durch die Entwicklung eines Wahrnehmungsraumes, der durch konflikthafte Konfrontation von sinnlicher Präsenz und Repräsentation die Bedingungen von Sinnkonstitution als Auswahl- und Zuweisungsvorgang erfahr- und reflektierbar macht.36 Dieser Wahrnehmungsraum sichert durch seine ästhetische Autonomie solche Sinnkonstitution gegen Essenzialismen. Zimmermann setzt also zu Beginn des vierten Aktes gerade durch den Einsatz technisch reproduzierender Medien unmissverständlich eine Situation, die ein neues Verhältnis zur Bildmacht der Gattung sucht und das Verhältnis der Realitätsebenen des Theaters durch Vervielfältigung zum Thema macht. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Schluss der Oper: Zunächst erschien es dem Komponisten folgerichtig, die Situation noch zu steigern, indem die Gesangspartien in der letzten Szene (einer eigentlich sehr intimen Situation mit Marie und ihrem Vater, der sie nicht mehr erkennt) nur noch vom Tonband begleitet werden sollten.37 Geplant waren einerseits Geräusch- und Sprachklänge (Marschtritte, mili35 Zimmermann an Kurt Wilhelm, WDR, 24.10.1966, zit. in Henrich (s. Anm. 1), S. 108. 36 Zimmermann geht hier einen ersten Schritt in die Richtung eines „Theaters der Wahrnehmbarkeit“, das in sehr unterschiedlicher Weise von Komponisten wie Helmut Lachenmann, Elliott Carter, Heinz Holliger, Beat Furrer und anderen weiterentwickelt worden ist; siehe hierzu auch Dörte Schmidt: Theater der Wahrnehmbarkeit. Musikalische Dramaturgie, Szene und Text in Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern. In: Hermann Danuser (Hg.): Musiktheater heute. Internationales Symposium der Paul Sacher Stiftung Basel 2001, Mainz 2003 (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung, Bd. 9), S. 195–212. 37 Siehe Henrich (wie Anm. 1), S. 120.

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tärische Befehle, extreme Lebensäußerungen etc.), das heißt eine aus technischer Reproduktion hervorgegangene und durchaus ihre Semantik mittragende Klang­ ebene, andererseits Bänder mit elektronisch erzeugter Musik also solcher, in der elektronische Klangerzeuger nicht reproduzierend, sondern produzierend eingesetzt werden. Die Raumdisposition der Partitur zeigt, wie hier die schon zu Beginn des Aktes angedeutete Idee, den Zuschauerraum als Klangraum einzubeziehen, ausgeweitet wird: Nun sind auch Lautsprechergruppen an der Rückwand und an der Decke des Zuschauerraumes beteiligt.38 Die Zuschauer sind vollständig von Klang umgeben, Zimmermann komponiert den Raum in allen Einzelheiten. Gleichsam in letzter Minute hat er sich auch noch entschieden, einen Orchesterpart für diese Szene zu komponieren, der nicht nur das Spektrum der technisch vermittelten Wirklichkeitsebenen an im realen Raum erzeugte Klänge rückzubinden vermag, sondern auch als ein ausdrücklicher Kommentar zur Bilderfrage gehört werden kann. Der Regisseur der Kölner Uraufführung zielte auf genau diesen Punkt, als er sich entschied, seine Zuschauer hier extrem zu blenden, ihnen durch etwas Sichtbares die Sicht zu nehmen, wie es etwa die Kritik im Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet: „Vom Schnürboden segelte die ganze lampenbestückte Beleuchtungsbrücke herunter, die Tausend-Watt-Lichtwerfer bombardierten das Parkett mit strahlendem Weiß.“39 Was passiert an dieser Stelle? Nachdem die körperlose Stimme des Feldpredigers Eisenhardt über Lautsprecher mit einem Pater noster nicht nur gegen die bestürzende Szene des Nicht-Erkennens von Vater und Tochter, sondern auch gegen Marschtritte und Panzerketten anzukommen versucht und nachdem noch einmal Situationen aus den beiden Kaffeehaus-Szenen aufgerufen wurden (die Tänzer, die Jazz-Combo auf der Bühne, die Soldaten, die sich wieder um Marie drängen), steigert sich alles akustisch wie optisch zu einem dynamischen Höhepunkt, der plötzlich abbricht in eine sieben Sekunden dauernde Stille in totaler Finsternis.40 Dann setzen alle Instrumente mit Ausnahme des Schlagzeugs gemeinsam con tutta la forza ein, also in der höchsten ihnen möglichen Lautstärke, mit dem Einklang d’ (eigens gibt Zimmermann in der Partitur an, dass es keine Oktavierungen geben darf), der in einem fast 50 Sekunden dauernden Decrescendo verklingt, bei dem die einzelnen Instrumentengruppen nach einem genau festgelegten Plan nach und nach aussteigen, bis am Ende nur noch die Streicher übrigbleiben.

38 Siehe Studienpartitur (s. Anm. 22), S. 456. 39 N. N.: Oper. Zimmermann. Lauter Schreiklang. In: Der Spiegel, 1965, Heft 9, S. 110. 40 Studienpartitur (s. Anm. 22), S. 466.

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Niemand, der beide Stücke kennt, wird dies nicht mit dem Unisono der Violinen am Schluss von Moses und Aron in Verbindung bringen, zumal Zimmermann auch am Ende des zweiten Aktes bereits auf diese Stelle anspielt und hiermit auch dies wiederaufgreift.41 Aufschlussreich ist der Unterschied: Schönbergs Moses beklagt am Ende des Opernfragments die Idolatrie als Gottlosigkeit und spricht dann auf dieses Unisono seinen berühmten letzten Satz: „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“ Während Schönbergs Moses im Unterschied zu Aron in der ganzen Oper überhaupt nicht singen kann, sondern nur noch sprechen, singen bei Zimmermann alle Protagonisten. Am Ende jedoch ist auch bei ihm Singen nicht mehr möglich. Sprechen aber auch nicht. Hier setzt gleichzeitig mit dem Orchesterunisono vom Band ein von Zimmermann sogenannter „Schreiklang“ ein, der „enthaltend alle ‚Register‘ menschlicher Stimmäußerung, ständig in sich rotiert und vom Maximum an Lautstärke, im Raume umlaufend, bis zum völligen Verstummen abgebaut wird“.42 Dieser Klang nun ist nicht nur die Steigerung und Verallgemeinerung extremer menschlicher Lebensäußerung als Klimax der Entwicklung. Er verweist vielmehr, wie wir durch Klaus Ebbeke wissen, auf einen Einfluss aus der Fluxus-Szene: auf den Schreiklang in Nam June Paiks Hommage à John Cage, die Zimmermann 1960 bei Mary Bauermeister erlebte. Er setzt damit also auch ein Signal in Richtung eben jener Öffnung der Material-Ebene, für die Fluxus- und Pop-Art standen und die die Voraussetzung für Zimmermanns radikale Neuformulierung der Bilderfrage in dieser Oper bildete. Die entscheidende Bedingung für die Rückeroberung der Bilder in einem Musiktheater, das die Repräsentation auf den Prüfstand stellt, lässt sich nicht zufällig analog zu Marco Livingstones Formulierung denken, mit der dieser die Anregungen der Pop-Art für die Bildende Kunst zuspitzt: als „Möglichkeiten für eine gegenständliche Kunst, die die formale Kraft der Abstraktion anerkennt und zugleich auch deren inhaltliche Krise sieht, ohne sich auf eine Gegenposition zur Moderne zurückzuziehen“.43

41 Dort durch ein Unisono der Violinen auf einer Fermate, allerdings in einer von Schönbergs Vorbild unterschiedenen Oktavlage. Diese Stelle ist erst nach der Neuordnung der Akte an die prominente Position des Aktschlusses und damit in den skizzierten Zusammenhang gerückt. Man könnte noch weitere formale Verbindungen herstellen über die Rückgriffe auf den Anfang der Oper, die auch bei Schönberg eine Rolle spielen, die Frage nach der einheitsstiftenden Funktion der Reihe etc. Dies auszuführen und in seinen inhaltlichen Konsequenzen zu bedenken, wäre einen eigenen Aufsatz wert. 42 Zimmermann an Herbert Eimert, 28.12.1964, nach Henrich (wie Anm. 1), S. 99. 43 Marco Livingstone: Schöne neue Warenwelt. In: Ders. (Hg.): Pop Art, Ausst.kat. Museum Ludwig Köln, München 1992, S. 10–18, hier S. 17.

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Immer wieder sind der Schluss von Die Soldaten und die Frage der medialen Steigerung im vierten Akt Gegenstand von Zweifeln und Debatten gewesen und hier verhandeln letztlich auch die Inszenierungen über die Bilderfrage. Auch Zimmermann selbst hat diese Frage offensichtlich noch nach der Kölner Uraufführung weiter bedacht und mit Regisseuren von Folgeaufführungen darüber kommuniziert; hierauf bezieht sich aktuell die Salzburger Inszenierung im Sommer 2012, wie der Dramaturg im Programmheft eigens postuliert: „Auch in Salzburg überdenken wir den Schluß. Wir verzichten auf die Film-​ einspielungen, wie schon einige Produktionen zuvor. Um der Musik näher zu kommen, sie in der Felsenreitschule pur wirken zu lassen, so echt wie es nur geht und nicht Play-Back […] verzichten wir in der dritten Szene des vierten Aktes auch auf Teile des elektroakustischen Materials.“ 44

In Salzburg entscheidet man sich jedoch nicht nur programmatisch, auf die elektroakustische Dimension der Szene zu verzichten, sondern man löst auch die Simultaneität der Klänge auf, indem man dem finalen Schrei der Marie nicht nur seine akustische wie symbolische Steigerung und Verallgemeinerung im Schreiklang verweigert, ihn gleichsam in den Todesschrei der Lulu zurückblendet, sondern ihn dem verklingenden Unisono auch noch voranstellt und damit die musikalische Kohärenz der Situation auflöst, wogegen die Zimmermann bereits in seiner Reaktion auf Gerard R. Kochs Kritik der Kasseler Inszenierung von 1968 Einspruch erhob: „Das von mir in der Partitur vorgesehene eingestrichene d aller Orchesterinstrumente muss gleichzeitig mit dem vom Band kommenden ‚Schreiklang‘ gespielt werden. Das ist an dieser Stelle deshalb erforderlich, weil dabei die höchste Phonzahl aller vom Band kommenden Ereignisse erreicht ist und diese ohne das ‚Orgelpedal‘ des Orchesters nicht genügend musikalisch-klang44 Götz Leineweber: Wider die „Donauversickerung des Geistes“. Zur Salzburger Inszenierung der Soldaten. In: Bernd Alois Zimmermann. Die Soldaten, Programmheft Salzburger Festspiele 2012, S. 12–14, Zitat S. 14. Der Begriff des „Puren“ verweist, auch auf Authentizität bedacht, auf eine Formulierung von Zimmermann selbst aus einem Brief, in dem dieser dem WDR-Redakteur Otto Tomek mitteilt, dass er über die Verwendung der Bänder im Fall der Rundfunkfassung der Oper weiter nachdenkt und überlegt, „ob die Schluss-Szene nur pure Musik sein soll“; Zimmermann an Otto Tomek, 15.3.1965, siehe auch den Auszug in Programmheft Salzburg 2012, S. 113. Hier spielt allerdings sicher eine Rolle, dass das für den letzten Akt so wichtige Spiel mit akustischer Präsenz und Abbild im Raum unter diesen Bedingungen ohnehin nicht transportierbar ist. Zimmermanns Überlegung scheint mir nicht ohne Weiteres auf eine Bühnenfassung übertragbar.

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lich ausgeglichen wären, abgesehen davon, dass eine empfindliche Lücke in raum-akustischer Hinsicht dadurch entstehen würde. Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, dass gerade im Zusammenwirken von akustischen Ereignissen, die vom Band kommen, und solchen, die ‚life‘ geschehen, ein besonderer Aspekt der ‚Soldaten‘ liegt […].“ 45

Der Salzburger Inszenierung liegt mit dem Weglassen der Bänder eine substanzielle Änderung der kompositorischen Struktur durch Regisseur und Dirigent zugrunde, die auch die Haltung zur Bilderfrage betrifft. Alvis Hermanis und Ingo Metzmacher passen die Oper mit ihrer Entscheidung in ein musiktheatralisches Denken ein, das sich letztlich nach den alten Bildtraditionen zurücksehnt und Sinn wieder hermeneutisch rückbinden will. Das wohl verbirgt sich auch hinter dem Adjektiv „echt“. Sie sind damit nicht allein, wie etwa auch die Deutungssehnsucht David Hermanns angesichts von Helmut Lachenmanns „Musik mit Bildern“ Das Mädchen mit den Schwefelhölzern zeigt, das im September 2012 an der Deutschen Oper Berlin Premiere hatte und uns dieses Stück eben nicht – wie von Lachenmann provoziert – als post-repräsentatives Wahrnehmungsfeld, als Sinnzuweisungsangebot für die Bilderfantasie jedes Einzelnen im Publikum, sondern als metaphorisches Seelen-Drama einer Terroristin vor Augen und damit auch vor Ohren führte. So steht am Ende die Frage im Raum, was solche aktuell beobachtbare Sehnsucht nach der Repräsentation, nach der (eindeutigen) Erzählung gerade angesichts der musikdramatischen Experimente mit der postrepräsentativen Überwindung des Bilderverbots eigentlich bedeutet. Man könnte sich beruhigen und die Salzburger Inszenierung als ein Missverständnis des Regisseurs abtun, im Blick auf aktuelle Produktionen für das Musiktheater vielleicht sogar beklagen, wie weit das szenische Denken mancher Regisseure oft hinter dem der Komponisten herhinkt46 – weit beunruhigender aber wäre es, Inszenierungen der Soldaten, wie etwa die Salzburger, in ihrer Sehnsucht als (nicht auf das Theater begrenzte) Zeitdiagnose ernst zu nehmen, als einen absichtsvollen Rückfall in jene „großen Erzählungen“ lesen zu müssen, um deren kritische Analyse sich gerade Künstler wie Zimmermann oder Lachenmann – und nicht nur in ihren Bühnenwerken – so sehr bemüht haben.

45 Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.11.1968, Reaktion auf die Kritik der Kasseler Aufführung von Gerhard R. Koch, nach Henrich (s. Anm. 1) S. 113. 46 Dass und wie es auch anders geht, untersucht – durchaus mit programmatischem Impetus –beispielsweise das von der Regisseurin Barbara Beyer angeregte Projekt „Oper anders denken. Zwischen Hermeneutik und Performativität“ in Graz, http://operandersdenken.kug.ac.at/index.php?id=14067 (Stand: 11/2012).

Alexis Ruccius

Musikvideo als audiovisuelle Synergie. Michel Gondrys Star Guitar für The Chemical Brothers Eine Annonce für die Schallplatte Celeste Aida (Victor Talking Machine Co., USA 1908) zeigt den in herrischer Pose stehenden Enrico Caruso (1873–1921) als den Feldherrn Radames aus der Oper Aida. ◊ Abb. 1 Neben ihm ist die Schallplatte mit Label und den gesangsfixierenden Rillen abgebildet. Durch eine Montage überschneidet der rechte Ellenbogen die Schallplatte und agiert wie ein Tonabnehmer. Die Stimme verwandelt sich in den Körper Carusos; auf diese Weise erzeugt er sich physiognomisch selbst aus dem auf der Schallplatte fixierten Klang. Dies evoziert, dass der Besuch eines Caruso-Konzertes dem Abspielen der Schallplatte entspricht oder dass Caruso mit dem Abspielen das Wohnzimmer des Zuhörers betritt. Die Überschrift der Annonce „Both are Caruso“ bestätigt dies prägnant. „The Victor Record […] is Caruso.“ Die Schallplatte sei der Musiker. Der Annoncentext fügt hinzu, dass nicht nur Caruso selbst in das Wohnzimmer gebracht werde, sondern sich der Raum durch das Abspielen des Tonträgers in ein Opernhaus, die Metropolitan Opera, verwandeln würde.1 Da das Medium der Schallplatte den Klang vom Körperbild Carusos maschinell schied und transformierte, versuchte die Annonce, die Imagination des Zuhörers zu konditionieren, ihm den Klangraum immersiv erfahrbar zu machen und die Opernaufführung synästhetisch durch den Klang entstehen zu lassen. Audiovisuelle Medien richten sich sowohl an das Ohr als auch an das Auge. Die Unabhängigkeit zwischen Audio- und Videosignalen, welche die Wiedergabegeräte durch ihren technischen Aufbau gewährleisten, garantiert nicht deren getrennte Wahrnehmung. Im Gegenteil soll die synchrone und einzelne Ansprache der Sinne ein dem Aufgenommenen Entsprechendes als Einheit vermitteln. Da die Eigenheit eines audiovisuellen Mediums bei der Wiedergabe jedoch zu spüren ist und der Klang in einem bestimmten Moment zu einem bestimmten Bild als passendes Gegenstück erscheint, soll er synästhetisch ein bestimmtes Bild suggerieren; dadurch entsteht in der Verbindung zwischen Klang und Bild ein Surplus, welches nicht durch deren Addition zu verorten ist. Wie bei der Annonce für eine Aufnahme mit dem Sänger Caruso bleibt auch hier die Immersion in den Klangund Bildraum an eine audiovisuelle Synergie gebunden. Luzide akzentuiert dies das Musikvideo als Gattung. Neuere Publikationen zum Musikvideo versuchten, die Spezifik der Gattung anhand unterschiedlicher Blickwinkel zu untersuchen. Dabei zirkelten sie die Bereiche der ökonomischen Anbindung, der politischen Sprengkraft, der Geschlechterdebatten, des Musikfernsehens, der sozialen Einbindungen oder der Epochenprägung 1 N. N.: Both are Caruso. In: The Literary Digest, Jg. 50, 1915, Heft 4 (23. Januar), o. S.

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aus der Themenfülle des Musikvideos ab. 2 Diese Bandbreite verdeutlicht sowohl das enorme Potenzial des Musikvideos als Forschungskatalysator als auch, dass Bilder und Klänge als Assoziationsmotoren jenseits ihrer eigenen Historizität fungieren können. Der Versuch einer Überblicksdarstellung von Henry Keazor und Thorsten Wübbena war der erste Ansatz, eine Summe für die Gattung des Musikvideos zu ziehen.3 Zwei Ausstellungen – The Art of Pop Video in Köln und Imageb(u)ilder in Gronau – verstärkten 2011 den Anspruch des Musikvideos auf eine eigene Gattungsgeschichte.4 Dabei bleibt das Musikvideo in den historischen Kontext der audiovisuellen Medien und der Klangkunst eingebettet, wie ihn Veruschka Bódy und Peter Weibel 1987 in der 1: Annonce von Victor Records für Celeste Aida, 1915. Publikation Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo geprägt hatten.5 Der Zusammenhang mit diesem Feld ist jedoch vage und könnte durch eine Zusammenführung der Einzelbetrachtung des Klanglichen und des Visuellen ein Spezifikum der Gattung liefern. Die folgende Analyse von Star Guitar unternimmt den Versuch, das Zusammenwirken zwischen Klang und Bild im Musikvideo zu bestimmen.

2 Sebastian Vieregg: Die Ästhetik des Musikvideos und seine ökonomische Funktion, Saarbrücken 2008; Daniel Hornuff: Im Tribunal der Bilder. Politische Interventionen durch Theater und Musikvideo, Paderborn 2011; Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.): Clipped differences. Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo, Bielefeld 2003; Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun, Ulla Autenrieth: Viva MTV! reloaded. Musikfernsehen und Videoclips crossmedial, Baden-Baden 2009; Michael Altrogge: Tönende Bilder. Interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendliche, Berlin 2001; Gerhard Bühler: Postmoderne auf dem Bildschirm, auf der Leinwand. Musikvideos, Werbespots und David Lynchs Wild at Heart, Sankt Augustin 2002. 3 Henry Keazor, Thorsten Wübbena: Video Thrills the Radio Star. Musikvideos. Geschichte. Themen. Analysen, Bielefeld (2. Auflage) 2007. 4 Michael P. Aust, Daniel Kothenschulte (Hg.): The Art of Pop Video, Berlin/Wuppertal 2011; Thomas Mania, Henry Keazor, Thorsten Wübbena (Hg.): Imageb(u)ilder. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Videoclips, Münster 2011. 5 Veruschka Bódy, Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987. Ein jüngeres Beispiel: Dieter Daniels, Sandra Naumann (Hg.): See this Sound. Audiovisuology. Compendium. An Interdisciplinary Survey of Audiovisual Culture, Köln 2010.

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2: Michel Gondry: Star Guitar, Still (00:42), 2002.

Konstruktion des Landschaftsklanges

Im Musikvideo Star Guitar von 2002 des 1963 geborenen Regisseurs Michel Gondry geht der Blick aus dem Eisenbahnfenster auf eine industrielle Landschaft.6 Vom rechten Bildrand ausgehend, preschen industrielle Bauten und Infrastruktur-​elemente in den Fensterausschnitt, um sich nach links wandernd perspektivisch zu verkleinern. Diese Bewegung ist synchron mit der elektronischen Musik des britischen Duos The Chemical Brothers: Ed Simons (*1970) und Tom Rowlands (*1971). Die durch Synthesizer erzeugten oder elektronisch bearbeiteten Klänge verlaufen zeitgleich mit den Elementen der vorbeiziehenden Industrielandschaft. Dabei verschränkt sich der permanente Fluss der Bilder mit den gleichmäßigen oder synkopisch verlaufenden Rhythmen der Musik. Ein verschliertes Still zeigt im Vordergrund Schienenstränge, hinter denen sich eine undurchdringliche Industrielandschaft aus Silos, Werkhallen, Wassertürmen und Schornsteinen aufbaut. ◊ Abb. 2, Tafel 4 Die Produktion des Klanges ging derjenigen des Musikvideos voraus. Die einzelnen, durch Synthesizer und durch elektronisch veränderte Aufnahmen charakterisierten Klänge sind in sich repetitiv, jedoch verändert sich die Klanggestalt durch Lautstärkemodifizierung und Manipulation einzelner Klangparameter, beispielsweise des Frequenzgemisches durch einen Filter. Die markante Rhythmus6 Als klangliche Ausgabe erschien „Star Guitar“ zunächst 2001 als 12-Inch-Single auf Schallplatte und als Single auf CD (Star Guitar, The Chemical Brothers, Freestyle Dust & Virgin Records, UK 2001). Danach wurde 2002 die DVD mit dem Musikvideo Michel Gondrys veröffentlicht (Star Guitar, Michel Gondry, Freestyle Dust & Virgin Records, UK 2002). Im Jahr 2003 erschien das Musikvideo erneut auf einer Werkzusammenstellung Gondrys (The Work of Director Michel Gondry, Sleeping Train Productions & Palm Pictures, UK 2003) und auf der DVD „The Chemical Brothers. Singles 93-03” (Freestyle Dust & Virgin Records, UK 2003).

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Sektion ist durch tonhöhenvariierte Claps, eine warmklingende Bassdrum und zischende Hihats geprägt. Alle Klänge präsentieren sich maschinengeneriert, selbst der Gesang ähnelt einer Synthesizermelodie. Der 4/4-Takt bildet das Raster, auf dem diese Klänge angeordnet sind, ein- und aussetzen. The Chemical Brothers erzeugten in ihrem Tonstudio diese Klänge, indem sie mittels unterschiedlicher Maschinen das klangliche Material aufzeichneten, bearbeiteten und arrangierten. Simons zufolge entwarfen sie den markantesten Synthesizerklang, indem Rowlands eine Fly MIDI Guitar des Herstellers Parker Guitars mit dem MIDI-Eingang eines Nord Modular-Synthesizers von Clavia verknüpfte.7 Das Spielen auf der Gitarre steuerte die Parameter des Synthesizers, um je nach Regulierung einen eher gitarrenähnlichen oder rauschenden Synthesizerklang zu erzeugen. Das Zusammenfügen des klanglichen Materials erfolgte mit der Musiksoftware Emagic Audio Logic 4,8 deren Spurenansicht in Takteinheiten unterteilt ist. Durch das Ordnen von Balken in diesem Raster verbinden sich die Klänge visuell untereinander, bevor die klangliche Wiedergabe die bildliche Manipulation erklingen lässt. Die Relation zwischen Klang und Bild legte die Struktur des Tracks fest. The Chemical Brothers erteilten Michel Gondry 2001 den Auftrag zur Umsetzung ihres Tracks als Musikvideo.9 Gondry berichtete, dass er den Track der Chemical Brothers nach einer Eisenbahnreise erhielt. Die sich im Eisenbahnfenster stetig verändernde Landschaft hätte ihn auf die Idee zu dem Musikvideo gebracht.10 Die Landschaft Gondrys besteht aus einzelnen, sich wiederholenden Teilstücken. Die Kameraperspektive ist hierbei fixiert. Sie zeigt den Ausblick aus einem Eisenbahnfenster, aus nach rechts versetzter Position, gleich dem Blickfeld eines mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzenden Reisenden. Die Industrie tritt anstelle einer Musikerperformance auf: Infrastrukturelemente und Industriebauten bevölkern das Musikvideo. Dies erfolgt durch die suggerierte Eisenbahnfahrt in einer maschinellen, geschwindigkeitsbetonten, rhythmischen Bewegung, die durch die Maschinenkraft der Teilstücke bestimmt ist, die sich immer wieder vom rechten Rand in das Bild hineintakten. Gondry filmte eine konkrete Eisenbahnfahrt, veränderte sie und baute sie von neuem auf.11 Die Kriterien hierfür legte er in Relation zu den 7 Ken Micallef: Come With Us. The New Album of The Chemical Brothers. In: Remix Magazine, Jg. 4, Heft 1 (Januar), 2002, S. 36. 8 Micallef (s. Anm. 7). 9 Interview zu „Star Guitar“. In: The Chemical Brothers, DVD (s. Anm. 6). 10 Beiheft zu „The Work of Director Michel Gondry“, DVD (s. Anm. 6), o. S. 11 Das Musikvideo zeigt als markante Hinweise das Stadttor St. Michel in Avignon, die Pont du Robinet über die Rhône und das Glaswollwerk von Isover in Orange (Frankreich).

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3 a,b,c: Michel Gondry: Making of Star Guitar, Stills (07:19, 07:02, 07:42), 2001.

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Rhythmen, den Tonhöhen und dem Instrumentenvolumen der Musik fest als einem Verknüpfungspunkt von Klang und Bild. In dem Video Making of Star Guitar zeigt Gondry, wie seine Hand Symbole auf einem Bogen karierten Papiers notiert, um eine langgestreckte Partitur herzustellen.12 ◊ Abb. 3a Es findet ein Wechsel zwischen der Notation und dem prüfenden Anhören des Tracks statt. Gondry ordnet den Klängen horizontale Linien zu, auf welchen er ein Klangereignis als Symbol notiert. ◊ Abb. 3b Mit einem Kugelschreiber schwebt er zählend über das Raster, um an der richtigen Position ein Symbol einzutragen. Im Still ist ein umgekehrtes „F“ zu sehen. Dieses fungiert als Repräsentant für den hohen Clap, der im Musikvideo als Strommast erscheint. Im nächsten Schritt übersetzte Gondry die Partitur in ein Modell, das er filmte. Beispielsweise bezeichnete er die Welle des notierten Bassklanges mit „cans (3 different sizes)“, um zu markieren, dass im Modell drei unterschiedliche Größen von Dosen diesen Klang verkörpern sollten. ◊ Abb. 3b Auf einem Parkplatz ordnete Gondry nach seiner Partitur Videokassetten, Gabeln, Orangen, Nägel und Dosen an. ◊ Abb. 3c Durch eine der Musik angeglichenen Kamerafahrt nahm er die suggerierte Fahrt der Eisenbahn vorweg. Dadurch konnte er auf dem Bildschirm die Umsetzung seiner Partitur testen und die Konstruktion einer Landschaft aus Einzelteilen überschauen und prognostizieren.

12 Making of Star Guitar. In: The Chemical Brothers, DVD (s. Anm. 6).

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4: Kraftwerk: Trans Europa Express, Beilage der LP, Detail, 1977.

Die Umsetzung dieser Relationen entstand mit Hilfe einer Videosoftware: Die Spurenansicht verband Bilder und Klänge visuell miteinander; sie synchronisierte die jeweiligen Teilstücke. Die Industrielandschaft von Star Guitar entstand zunächst als Partitur, dann als Modell. Das Zusammenspiel von Bild und Klang konnte Gondry durch Stellvertreter testen. Dies hebt die Austauschbarkeit der Elemente hervor, die Gondry wechselseitig einem Klang oder einem Bild zuordnete, und betont gleichzeitig die feste Position der Bilder. Der gesetzte metaphorische Zusammenhang zwischen Klang und Bild definierte die Konfiguration der Teilstücke zueinander, um durch Synchronizität den Klang rhythmisch, tonhöhen- oder volumenabhängig verkörpern und einen Raumeindruck erzeugen zu können. Diese Verzahnung bündelt und bekräftigt gegenseitig die jeweilige Position von Klang und Bild. Paradoxerweise schafft die getrennte, metaphorische Konstruktion eine Einheit; dies ist mit der Rezeption von Vorbildern eng verknüpft. Synergiebereitung

The Chemical Brothers nahmen durch die Produktion und die elektronischen Klänge Bezug auf die Maschinenikonografie der House Music und damit auf die Verbindung von Maschine und Musik im Futurismus, vermittelt über die Gruppe Kraftwerk. Kraftwerk verwoben das Motiv der Eisenbahnfahrt als eines der wichtigsten Infrastrukturelemente der Industrie mit ihrer elektronischen Musik. Die Innenhülle der LP Trans Europa Express (Kling Klang & EMI, D 1977) ist mit Notenlinien überzogen. ◊ Abb. 4 Auf der rechten Seite fährt in geschwungener Bewegung eine Eisenbahn aus dem Notenliniensystem. Die kontinuierlichen Rhythmen im Hintergrund des Tracks schließen sich mit der gleichförmigen Bewegung der Eisenbahn kurz; die Synthesizermelodie dynamisiert die kurvige Fahrt. Die Verbindung von Eisenbahnfahrt und elektronischer Musik griff Michel

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­ ondry wiederholt auf. 1994 setzte er für G einen Levi’s-Werbespot eine Dampflokomotive in Szene. Mit dem Einsetzen der elektronischen Schlagzeugrhythmen fährt sie kraftgeladen an einem Bahnübergang vorbei. ◊ Abb. 5 Die schräg gefilmte Fahrt der Dampflokomotive und das Schwarz-Weiß der Bilder lehnen sich an den ersten Film Arivée d’un 5: Michel Gondry: Levi’s Commercial, Still (01:01), 1994. train à La ­Ciotat der Brüder Auguste und Louis Lumière (1862–1954/1864–1948) an.13 ◊ Abb. 6 Auch in einer Smirnoff-Werbung des Regisseurs gibt es eine kurze Sequenz, bei der sich eine junge Frau im Abendkleid an der Unterseite eines Eisenbahnwaggons über den Schienen festklammert, um ihrem Verfolger zu entkommen. Hierbei wird die Zugfahrt wiederum mit elektronischer Musik beschleunigt. Die Rezeption des Eisenbahnfilms ist gleichermaßen in Gondrys Werbespot für die Polaroid Company 6: Auguste und Louis Lumière: Arivée d’un train à La Ciotat, evident: Blicke gehen als eine rückwärts Still, 1896. laufende Phantom-ride-Aufnahme aus dem Fenster des letzten Waggons. ◊ Abb. 7, Tafel 5 Mit der festgerahmten Sicht aus dem Fenster ist die Eisenbahnfahrt der Filmbetrachtung vergleichbar. Eine Spiegelung im Eisenbahnfenster bei Star Guitar zeigt den Waggoninnenraum, ◊ Abb. 8 die transparente Grenze zwischen innen und außen manifestiert das evozierte Sitzen des Zuschauers in einem Fahrzeug. In dieser Weise ähnelt die Landschaft in Star Guitar den Phantom rides und den Moving panoramas. Bei letzteren, einem Prototypen des Films, bewegte sich ein großer Landschaftsprospekt mit Hilfe zweier Rollen an den Zuschauern vorbei. Dies sollte 13 Zur Spezifik von „Arivée d’un train à La Ciotat“: Harro Segeberg: Von der proto-kinematographischen zur kinematographischen (Stadt-)Wahrnehmung. In: Harro Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens. Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst, München 1996, S. 327–358. Den Gründungsmythos des Films, dass bei der ersten Vorführung die Zuschauer vor der einfahrenden Eisenbahn flüchteten, entlarvte Martin Loiperdinger als konstruiert: Martin Loiperdinger: Lumières Ankunft des Zugs. Gründungsmythos eines neuen Mediums. In: Kinotop, Jg. 5, 1996, S. 36–70.

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die Illusion einer Reise erzeugen, ohne selbst auf Reisen gehen zu müssen.14 Hierfür fungierten eingeübte Betrachterstandpunkte: die Sicht aus dem Fenster eines Transportmittels, der Eisenbahn oder der Kutsche. Die Eisenbahnfahrt verknüpfte das Protofilmische und den Film als Metapher der Bewegungsbildwahrnehmung. Dies nutzte Gondry, um die Klänge und die Industrieartefakte verbinden zu können. Die Verbindung von Klang und Bild als Metapher ist auf diese Weise mit der Wahrnehmung in audiovisuellen Medien als audiovisuelle Synergie gekoppelt.

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7: Michel Gondry: Polaroid Commercial, Still (00:50), um 1996.

Audiovisuelle Synergie

Die technische Trennung von Körper und Klang war bei Star Guitar Voraussetzung für die synästhetische Suggestion einer neuen Reziprozität zwischen Klang und Körper. Die ersten Klangaufzeichnungen ab 8: Michel Gondry: Star Guitar, Still (00:51), 2002. den 1870er-Jahren versuchten das Ideal der lebensechten Klangabbildung zu erfüllen; der Tonträger sollte im Wohnzimmer die Illusion eines Konzertbesuches und dessen Raumempfindung synästhetisch evoziert entstehen lassen,15 wie es die Annonce Carusos vollzieht. Die Eigenqualität eines jeden Klangaufzeichungs- und Klangwiedergabeverfahrens steht diesem Ideal entgegen. Der Musiker und Produzent Fred Gaisberg (1873–1951) stellte einen markanten Unterschied zwischen einer Schalltrichter- und einer elektrischen Mikrofonaufnahme fest und bemerkte, dass „auf eine bestimmte Art die akustische Aufzeichnung [mittels Schalltrichter] der Stimme schmeichelte“.16 Um die gewünschte Klangabbildung einer Aufführungsaufzeichnung zu erfüllen, musste

14 Monika Wagner: Bewegte Bilder und mobile Blicke. Darstellungsstrategien in der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts. In: Segeberg: Mobilisierung des Sehens (s. Anm. 13), S. 171–189, S. 179f. 15 Virgil Moorefield: The Producer as Composer. Shaping the Sounds of Popular Music, Cambridge/ London 2005, S. XIV. 16 „In some ways acoustic [mechanische Aufzeichnung, im Gegensatz zu der elektrischen] recording flattered the voice“, zitiert nach Moorefield (s. Anm. 15), S. 2.

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sich die Eigenqualität des Klanges synästhetisch vom Visuellen aus eingegeben mit einem neuen Ursprung verbinden. Caruso sang im Tonstudio in einen Schalltrichter; die Annonce montierte hingegen die daraus folgende Eigenheit der klanglichen Aufnahme mit einem neuen Klangursprung: der Metapher einer Opernaufführung. Die Industrieanlagen sind für die elektronischen Klänge von Star Guitar als Metapher des Klangursprungs gesetzt. Durch die Differenz zwischen des erwarteten und des in Star Guitar gesetzten Zusammenhangs von Klang und Bild entsteht eine audiovisuelle Synergie. Star Guitar evoziert, dass das Musikvideo Sinnesmodalitäten synästhetisch überschreitet. Gleichzeitig bleiben der eigentliche Klang und das eigentliche Bild in einer spezifischen unmittelbaren Wahrnehmungssituation bestehen. Michel Gondrys Star Guitar für The Chemical Brothers zeigt durch seine maschinelle Verbindung von Klang und Bild auf, dass in der Wahrnehmung audiovisueller Medien eine Nuance suggerierter Synästhesie steckt, die durch Metaphern konstruiert ist und als audiovisuelle Synergie die technische Konstruktion in eine Immersion wandelt. Gondrys Musikvideo könnte somit als eine Transzendierung einer in der Alltagskultur der Mediengesellschaft problematischen Verbindung unterschiedlicher Sinnesangebote verstanden werden. Das Eintauchen in die audiovisuellen Medien ist paradoxerweise mit einer konstitutiven Trennung und maschinellen Zusammenfügung von Bild und Klang verbunden. Die Spezifik des Musikvideos als Gattung ist das kristalline Herausarbeiten der durch Metaphern konstruierten audiovisuellen Synergie als Kritik einer Abbildfunktion von Medien und einer Stärkung der Eigenheit einer jeden technischen Konfiguration audiovisueller Apparaturformen.

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Wiedergelesen Erwin Panofsky über rhythmische Kunst

Das Phänomen des Rhythmus’ hat im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts eine erstaunliche Aufmerksamkeit in geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskussions- und Forschungszusammenhängen gefunden. Kaum eine Disziplin, in der nicht ein eigener Rhythmus-Begriff entwickelt oder empirische Untersuchungen unternommen wurden, ob in der philosophischen Ästhetik (Theodor Lipps, Theodor Ziehen), der experimentellen Psychologie (Wilhelm Wundt, Heinz Werner), in Philologie und Sprachwissenschaft (Eduard Sievers, Franz Saran, Andreas Heusler), Musikwissenschaft (Gustav Becking), Kunstwissenschaft oder Ökonomie (Karl Bücher). Dass Rhythmus auch für Komponisten, bildende Künstler und Autoren zu einer Schlüsselkategorie wurde, kann man an Igor Strawinskijs und Béla Bartóks Rhythmusstudien ablesen, ebenso an futuristischen und dadaistischen Sprachexperimenten und der Malerei eines Giacomo Balla. „Die Form der Dichtung ist der Rhythmus“, heißt es ebenso lapidar wie kategorisch bei dem Schriftsteller und Verleger Herwarth Walden,1 dem Anführer des Berliner „Sturm“-Kreises. Rhythmus war der Begriff für alle sich der rationalen Erkenntnis entziehenden Charakteristika individuellen Ausdrucks, aber auch für die soziale Bindungskraft bewegter Gruppen und Kollektive in Tanz, Sport und Massenveranstaltungen. Folgt man den sozialpsychologischen Überlegungen des ungarischen Filmtheoretikers Belá Balázs, so muss man in dieser Entdeckung des rhythmisch bewegten Körpers des Einzelnen wie von Gruppen eine Kompensation für die wachsende Entfremdung gegenüber körperlicher Arbeit und überhaupt gegenüber dem Körperlichen in der Lebenswelt moderner Gesellschaften sehen. In der Kunstwissenschaft hat Erwin Panofsky eine schon seit Gottfried Semper und

August Schmarsow anhängige Diskussion über rhythmische Bewegungsdarstellungen in Architektur und bildender Kunst auf den Punkt gebracht, und zwar an abgelegener Stelle, in einer Rezension von Hans Kauffmanns Leipziger Habilitationsschrift Albrecht Dürers rhythmische Kunst von 1924. Unter demselben Titel publiziert Panofsky 1926 einen Artikel im Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1926, 2 der nun freilich alles andere als eine übliche Rezension ist, sondern vielmehr eine kritische Auseinandersetzung mit dem in Kauffmanns Untersuchung vorausgesetzten Rhythmus-Begriff. Panofsky entwickelt daran anschließend eine ebenso anspruchsvolle wie originelle Konzeption des Rhythmus’ in der bildenden Kunst, vor allem in Skulptur und Malerei. Er macht dabei wie selbstverständlich von Argumenten der philologischen, musikwissenschaftlichen, philosophischen und ästhetischen Debatte Gebrauch, mit gelehrten Ausgriffen in die Überlieferungsgeschichte von Bildformeln wie von ästhetischen Begriffen. Vor allem die ersten 20 Seiten dieser Rezension zählen zu den durchdachtesten Beiträgen zur Rhythmus-Diskussion in diesen Jahrzehnten und verdienten auch unter Panofsky-Lesern neben dem im Jahr zuvor erschienenen, inzwischen klassisch gewordenen Aufsatz Die Perspektive als symbolische Form (1924/1925) größere Aufmerksamkeit. Gegenüber Hans Kauffmann, der seinerseits eine kritische Auseinandersetzung mit Panofskys zehn Jahre zuvor erschienenem Buch Dürers Kunsttheorie (1915) geführt hatte, formuliert dieser nun einen Rhythmus-Begriff, der mit sicherem Gespür die Einsichten einer seit drei Jahrzehnten währenden Debatte auf den Begriff bringt und eigene originelle Lösungsvorschläge für das Problem der Bewegungsdarstellung in Malerei und Skulptur präsentiert, unter anderem mit einer Reformulierung dessen, was Lessing den prägnanten Augenblick genannt hatte. Sein theoretischer Ausgangspunkt ist eine Rhythmus-Studie des klassischen Archäologen

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Eugen Petersen, der wesentliche seiner Einsichten vorweggenommen hatte, wie die Herleitung des Begriffs aus seiner Etymologie im Griechischen, wie auch die Idee, dass die Erfahrung des Rhythmischen von einer „stetigen Ordnung optischer oder akustischer Eindrücke“ abhängig sei.3 In Poetik und Musik werde diese Ordnung durch die Spannung zwischen einem abstrakten, unsichtbaren beziehungsweise unhörbaren Schema, dem Metrum und dessen Realisierung in einem anschaulichen oder klingenden Material hervorgerufen. Rhythmus in diesem wohldefinierten Sinne ist also von der ästhetischen Konkretisierung einer abstrakten Ordnung von Impulsen in einem akustischen und/oder visuellen Material abhängig. Panofsky stellt die Frage, ob solcher Rhythmus vorgegeben ist oder nicht vielmehr, „wie in der Regel bei optischen Eindrücken, durch ‚sukzessive Apperzeption‘ vom aufnehmenden Subjekt erzeugt“ wird, wie dies Theodor Lipps in seiner Ästhetik behauptet.4 Solche Leistungen der menschlichen Wahrnehmung beziehungsweise Apperzeption ereigneten sich, wenn wir etwa das Ticken einer Uhr, das Stampfen eines Motors, das Brandungsgeräusch des Meeres oder den Pulsschlag des Herzens als rhythmisch erleben, was nach Lipps jeweils voraussetzt, dass „ein ästhetisches Bewusstsein der an und für sich mechanischen Eindrucksfolge ihren besonderen Lebenssinn und Lebenswert leiht“.5 Panofskys ganze Argumentation geht nun dahin, diese Konstitutionsleistung und damit die Subjektivität der RhythmusErfahrung, die für die phänomenologischen Schulrichtungen im Vordergrund stehen, zu depotenzieren, um stattdessen nach objektiv beschreibbaren, psycho-physikalischen Wirkungen zu fragen, durch die in der bildenden Kunst die Rhythmus-Erfahrung zustande kommt. Nach Panofsky hat der ästhetisch erfahrene Rhythmus generell den Charakter einer Wellenbewegung, insofern die Glieder eines als rhythmisch empfundenen Ganzen von einem ununterbrochenen, einheitlichen Schwunge getragen

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werden, der sich immer wieder aus sich selbst erneuert. Nur solche rhythmischen Gesamtbewegungen erscheinen uns als lebendig, nicht hingegen eine Folge abrupter Stöße, in denen wir keine Ordnung mehr wahrnehmen können. Mag sein, dass Panofsky hier noch einem klassizistischen Begriff homogener, metrisch-rhythmischer Ordnungen anhängt. Spätestens in der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man lernen, dass auch das Diskontinuierliche, Abgehackte und Stotternde einen eigenen Rhythmus haben kann, wie man dies in der zeitgenössischen Musik bei Stockhausen (etwa KontraPunkte) und Boulez (etwa Troisième Sonate pour Piano, 1958) erkennen kann. Gerade das NichtPeriodische der Rhythmen erhält hier alle Aufmerksamkeit, und Periodizität, für Panofsky eine Voraussetzung jeder Rhythmuserfahrung, wird zum Anathema, indem man temporale Verlaufsformen und Ordnungen anstrebt, die sich nicht länger einem „regelmäßigen Wechsel zwischen Abschwächung und Verstärkung, Hebung und Senkung“ verdanken.6 Panofsky unterstellt weiterhin, was heute gleichfalls von vielen Performance-Künstlern in Frage gestellt würde, dass letztlich nur optische und akustische Eindrücke ästhetische Rhythmus-Erlebnisse verschaffen können. In seinen Überlegungen tritt die akustische Dimension gegenüber der visuellen allerdings in den Hintergrund, sei es aus disziplinär-fachlichen, sei es aus pragmatischen Gründen der eigenen Kompetenz. Man muss dies bedauern. Nur wenige Jahre später waren die technischen Vorbereitungen des Tonfilms so weit fortgeschritten, dass man dem Problem der audiovisuellen Verknüpfung nicht länger ausweichen konnte, wie dies Überlegungen von Filmkritikern wie Rudolf Arnheim und Belá Balázs und der russischen Filmpioniere (wie etwa Sergej Eisenstein) belegen. Panofsky steht noch diesseits solcher audiovisuellen Überlegungen, und auch in seinem 1934/1936 verfassten Aufsatz zum Kino (Style and Medium in the Motion Picture) sind

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seine Verdikte gegenüber einer Tonspur, die den Informationsgehalt der laufenden Bilder angeblich nur verdoppelt, eigentümlich steril. Der Tonfilm ist für ihn vor allem running picture. Rhythmus als Bindungsmittel von Ton und Bild wird ihm nicht zum Problem. Andererseits spart seine Kauffmann-Rezension nicht mit Hinweisen auf neue Medien wie Momentfotografie und Film (damals also noch Stummfilm) und spielt damit auf Problemkomplexe an, die bei einer Konzeptualisierung von Bewegungsdarstellungen in Film und anderen bewegten Künsten (Ballet, Oper, Schauspiel etc.) zu berücksichtigen sind. Auf diese intermedialen Aspekte möchte ich abschließend eingehen, wobei ich Panofskys Auseinandersetzung mit der Dürer-Forschung wie überhaupt mit der Bildwissenschaft seiner Zeit nicht weiter verfolge. Panofsky konzentriert sich in seinen Überlegungen auf das Problem der Bewegungsdarstellung und der Vergegenständlichung des Rhythmus in der Bildenden Kunst. Hier strebt er einen, gegenüber Lessing alternativen Begründungsversuch für die Bestimmung des prägnanten Augenblicks in Bildwerken an. Misstraut er doch Lessings Lob der Freiheit der Einbildungskraft beim Betrachten von Bildwerken, die vorausgesetzt werden müsse, um das Vorher und das Nachher eines bestimmten Augenblicks sich vorzustellen. Wie Lessing in seinem Laokoon schreibt: „Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können. Je mehr wir darzu denken, desto mehr müssen wir zu sehen glauben.“ 7 Stattdessen will Panofsky einen Rhythmus-Begriff formulieren, der es den Geisteswissenschaften erlaubt, eine der naturwissenschaftlichen Forschung entsprechende Exaktheit der methodischen Begründung zu erreichen. Panofsky hält es deshalb gegenüber Lessing mehr mit Goethes in Über Laokoon entwickelter Deutung, wonach der prägnante Augenblick die Verschränkung von Wirkung und Gegenwirkung, also von objektiv, vielleicht sogar mechanisch zu bestim-

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menden körperlichen Kräften ist. Das Rhythmus-Erlebnis bei einer im Bild festgehaltenen Bewegungsdarstellung werde im wesentlichen durch Umkehrpunkte zwischen zwei Bewegungen, einer endenden und einer neu anhebenden, hervorgerufen, die der Betrachter zu einer SinnEinheit zusammenfassen müsse. Panofsky macht dabei Anleihen bei dem antiken Rhythmus- und Harmonie-Theoretiker, dem Aristoteles-Schüler Aristoxenos, so wie ihn Eugen Petersen in seiner Rhythmus-Abhandlung kommentiert hatte. Aristoxenos habe erklärt, dass alle Bewegungen (Kinesis) nur an ihren Halte- oder besser: Wendepunkten (Heremiai oder Schemata) wahrnehmbar seien. Panofsky nimmt als Beleg für diese These die von E. Muybridge erfundene Momentfotografie, deren einzelne Bilder nur dann nicht den Eindruck des Leblosen machten, wenn sie durch Zufall gerade einen Wendepunkt erfassten. Aus den Bilderreihen eines kinematografisch aufgenommenen Filmstreifens werde man fast immer eine bewegungswirksame Einzelaufnahme herausfinden können, es seien aber paradoxerweise die nur mit potenzieller Bewegung geladenen Umkehrpunkte, in denen die aktuelle Bewegung zur Ruhe gelangt ist, die in Bild und Skulptur als die eigentlich bewegungswirksamen, als wahrhaft „fruchtbare Momente“ wirkten. Der in einem vorübergehenden Bewegungsstillstand erfasste Körper erscheine wie mit Energie gesättigt, die als Summe vergangener wie als Quelle zukünftiger Aktionen aufgefasst werde. Vorzüglichstes Kunstmittel solcher rhythmischer Bewegungsdarstellung in der antiken Bildkunst war der Kontrapost, in dem die eigentümlich kritische Situation der Auseinandersetzung zwischen Kraft und Widerstand ihren anschaulichen Ausdruck fand. Die zur Ruhe gekommene und die potenziell anhebende Bewegung am Umkehrungspunkt, nach Panofsky beziehungsweise nach Petersen etwa die ruckartige Umschaltbewegung des myronischen Diskobol, sind Glieder einer ein-

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zigen Bewegungs-Verkettung, die den Eindruck des Rhythmischen hervorruft. Panofsky nennt diese Darstellungsweise auch die Verdichtung des Bewegungsablaufs zu einem dynamisch aufgeladenen Spannungsmoment. Aus verwandtem Geist hatten die Theaterund Filmrevolutionäre Meyerhold und Eisenstein in den 1925er-Jahren eine Idee der Kinderpsychologie (Kurt Lewin u. a.) aufgegriffen, nämlich die durch den Film empirisch belegten Hemmungs- bzw. Abwendungsgesten von Kindern (engl.: recoil), die sie für die Bewegungsdarstellung in Film und Theater fruchtbar machten. Auch hier interessierte die Verbindung von zwei Bewegungen an einem Umkehrpunkt, der selber scheinbar bewegungslos ist. Dementsprechend sind für Panofsky nur jene Bewegungen rhythmisch wirksam, die an den Halte- beziehungsweise Wende- oder Umschlagpunkten das Vorher und das Nachher in ein Jetzt bringen. Rainer Maria Rilke hatte in den 1920er-Jahren wohl Ähnliches im Blick, als er den Vers schrieb: „Jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,/liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.“ 8 Panofsky unterscheidet von dieser auf die Einzelperson bezogenen Bewegungsdarstellung die Zerlegung des Bewegungsablaufs in mehrere kinematografisch aufeinanderfolgende Einzelphasen, den „kontinuierender Stil mit verteilten Rollen“.9 Statt eines einzigen Akteurs werden hier mehrere Akteure und Situationen dargestellt, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Gestalt gesonderter Teilhandlungen vergegenwärtigen. Panofsky analysiert zwei Typen dieses sogenannten kontinuierenden Stils: einerseits die Möglichkeit, die verschiedenen Phasen des Gesamtgeschehens an einer Reihe von Akteuren darzustellen, die sich, ikonografisch betrachtet, als Wiederholungen einer und derselben Figur erweisen; oder andererseits dieselben Phasen an einer Reihe ikonografisch verschiedener Akteure vorzuführen, so dass eine kontinuierende Darstellung mit verteilten Rollen

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entsteht. Während die erste Methode in mittelalterlichen Bildwerken zur Darstellung gelangte, wo der Bildraum mit dem Sehraum noch nicht identifiziert war (wo also etwa der Leidensweg Christi mit den verschiedenen Stationen der Via crucis in einem einzigen Bild zusammengefasst wurde, wie auch später in komischen Genres wie etwa bei Wilhelm Busch), ist die letzte Methode einer kinematografisch kontinuierenden Darstellung mit verteilten Rollen für das Verständnis rhythmischer Bewegungen in der Kunst von besonderer Relevanz, da sie jeweils an der raumzeitlichen Identität der dargestellten Figur festhält, also unserer Erwartung einer Identität der jeweils dargestellten Gestalt Rechnung trägt. Der Künstler muss nach Panofsky allerdings darauf bedacht sein, dass jene an und für sich heterogenen und isolierten Figuren, durch die wir den Strom einer Gesamtbewegung hindurchgleiten sehen, dynamisch miteinander verbunden erscheinen, was wohl nur dann der Fall ist, wenn die Einzelfiguren jeweils für sich betrachtet als Träger einer ihnen selber innewohnenden Eigen-Bewegtheit erscheinen. Diese Eigen-Bewegtheit setzt aber wiederum einen Wendepunkt in der dargelegten Weise voraus. Panofsky stößt hier auf Darstellungsprinzipien, die in analoger Weise sowohl in der bildenden Kunst als auch in Film, Drama, Oper, Musik und Poesie seit den 1920er-Jahren Verwendung fanden. Ob man an filmische Techniken wie die Raumtiefe bei Friedrich Murnau, Orson Welles und im italienischen Neorealismus denkt oder an polyphone Stimmengeflechte in der Musik der Zweiten Wiener Schule, etwa in den, ganze Völkerschaften in Bewegung setzenden Chören von Schönbergs Moses und Aron (1930–1932), stets erwächst die rhythmische Gesamtbewegung aus der Energie einer Vielzahl von mit einander koordinierten Einzelbewegungen: Vielstimmigkeit als Voraussetzung des rhythmischen Gesamteindrucks einer simultanen Energieanspannung und sich „in einheitlichem Schwunge fortsetzenden Gesamtbewegung“.10

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Problematisch erscheint freilich das quasinaturwissenschaftliche, positivistische Wissenschaftsethos, das Panofskys Rhythmus-Begriff zugrunde liegt. Ernst Gombrich hat gegenüber solchen psycho-physikalistischen Ansätzen zu Recht geltend gemacht, dass auch für die sinnliche Wahrnehmung der „Primat der Bedeutung“ gelte.11 Weder sehen noch hören wir in Augenblicken, sondern vielmehr stets in Sinn- und Gestaltzusammenhängen, die unser Gedächtnis überspannt. Wie sich eine Musik in Phrasen, also kleineren Sinn- und Gliederungseinheiten entfaltet, so entfaltet sich eine Handlung in Einheiten, die wir gar nicht wahrnehmen würden, wenn wir nicht ein Vorverständnis der zugrunde liegenden Handlung hätten. Ein solcher Begriff der Handlung muss wohl vorausgesetzt werden, wenn wir die dargestellten Körper jeweils in spezifischen Aktionen begriffen sehen. Ohne Handlungskontext keine angemessene Deutung der einzelnen Bewegungen und ihrer Rhythmizität. Eben diesen Handlungshorizont blendet Panofsky aber aus, um einen quasi mechanischen Begriff der Bewegung herauszufiltern. Reinhart Meyer-Kalkus

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1 Herwarth Walden: Das Begriffliche in der Dichtung. In: Expressionismus. Die Kunstwende, hg. v. H. Walden, Berlin 1918, S. 30–38, S. 30. 2 Erwin Panofsky: Albrecht Dürers rhythmische Kunst. In: Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 1926, S. 136–192, im Folgenden zitiert nach dem Wiederabdruck in: Erwin Panofsky: Deutschsprachige Aufsätze I, hg. v. Karen Michels und Martin Warnke, Berlin 1998, S. 390–473. 3 Eugen Petersen: Rhythmus, Abh. d. Königl. Gesellsch. d. Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1917, S. 1ff. 4 Panofsky (s. Anm. 2), S. 391; Theodor Lipps: Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst, Erster Teil: Grundlegung der Ästhetik, Hamburg und Leipzig 1903, S. 235f. 5 Panofsky (s. Anm. 2), S. 391. 6 Panofsky (s. Anm. 2), S. 391. 7 Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. In: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 5/2: Werke 1766–1769, hg. v. Wilfried Barner, Frankfurt 1990, S. 32. 8 Rainer Maria Rilke: Sonette an Orpheus II, 12. 9 Panofsky (s. Anm. 2), S. 406 . 10 Panofsky (s. Anm. 2), S. 405. 11 Ernst H. Gombrich: Der fruchtbare Moment. Vom Zeitelement in der bildenden Kunst. In: Ders.: Bild und Auge. Neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Stuttgart 1984, S. 40–62, hier S. 51. (Der Aufsatz erschien erstmals 1964 im Journal of the Warburg and Courtauld Institutes.)

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Rezension I Janina Wellmann: Die Form des Werdens. Eine Kulturgeschichte der Embryologie 1760–1830, Göttingen 2010.

Das Leben eines Forschers hat seine eigenen Rhythmen, mit langen Passagen der Reflexion und des einsamen Schreibens, die auf unvermutete und doch willkommene Weise unterbrochen werden können von einer stimulierenden Lektüre oder der Begegnung mit einem Forscher, der dieselben Fragen verfolgt. Im Herbst 2010 befand ich mich erst seit kurzer Zeit in Berlin, als ich im Verlauf einer informellen Diskussion von dem kürzlich erschienenen, schönen Buch von Janina Wellmann erfuhr. Die aufmerksame Lektüre dieses Werks wie auch die Begegnung mit der Autorin sollte entscheidenden Einfluss auf meine eigenen Forschungen über die Geschichte der Rhythmen (Histoire des rythmes) haben.1 Die Entdeckung von Wellmanns Arbeit kam im richtigen Augenblick: Ich untersuchte damals die Begriffsgeschichte des Wortes Rhythmus über eine sehr lange Zeitstrecke hinweg. Ich wollte verstehen, wie es geschehen konnte, dass sich „Rhythmus“ in allen europäischen Sprachen von dem poetischen und musikalischen Begriff in der Antike (der berühmte Artikel von Emile Benveniste diente mir dabei als Anhaltspunkt)2 zu der gegenwärtigen Konzeption eines Rhythmusbegriffs ausweiten konnte, der alle Bereiche des individuellen und kollektiven Lebens umfasst vom Herz-„Rhythmus“ bis zu den „schulischen Rhythmen“, von den „Rhythmen der Natur“ und Jahreszeiten bis zu den „Rhythmen“ der ErdErwärmung und in kaum einem ökonomischen, politischen und sozialen Bereich keine Verwendung findet. Auf diese Frage nach der Ausweitung des Begriffsumfangs gibt Janina Wellmann eine unzweideutige und präzise Antwort. Das erste Verdienst ihres Buches besteht darin, den Blickpunkt auf die Zeit von 1760– 1830 zu verlagern und zu zeigen, wie entschei-

dend dieser erste Augenblick einer Moderne (in dem Sinne, wie sie Reinhard Koselleck verstanden hat) für die Konstitution unseres Begriffs des Rhythmus gewesen ist. Bereits um die Jahrhundertwende um 1900 trat eine, eben erst sich konstituierende junge Soziologie (E. Durkheim, M. Mauss, K. Bücher, G. Simmel) mit Überlegungen zu sozialen Rhythmen hervor, weiterhin die Philosophie (L. Klages, H. Bergson), die abstrakte Malerei (P. Klee, P. Mondrian), der Jazz und der rhythmische „Ausdruckstanz“ (E. Jacques-Delcroze). Wellmann zeigt, dass man zum Verständnis dieser Entwicklungen eine andere Bruchlinie in Betracht ziehen muss, die sich ein Jahrhundert früher auftat, als die Wissenschaften der Natur bzw. des Lebens einen Paradigmenwechsel erfuhren. Die mit großem Nachdruck und Überzeugungskraft vorgetragene These ihres Buches besteht darin, dass sich die neuen Konzepte des Rhythmus aus der Biologie heraus entwickelt und auf die Gesamtheit der menschlichen Aktivitäten ausgebreitet haben. Um ihre Beweisführung zusammenzufassen, bedient sie sich eines von Michel Foucault und auch von Wolf Lepenies exponierten Gedankens, wonach die Naturgeschichte („l’histoire naturelle“) ihren Platz einer Geschichte der Natur („l’histoire de la nature“) geräumt hat, oder, wie man auch sagen könnte: einer Natur als Geschichte. Von einer statischen Konzeption des Lebens als eines lebendigen Wesens gelangt man um 1800 zu einer Episteme des Lebens als einer dynamischen Transformation, die sich fortschreitend aus ihrer eigenen Bewegung heraus erneuert. Wellmann nennt dies das neue „epigenetische Modell“ (modèle épigénétique). Der Titel ihres Buchs Die Form des Werdens bezieht sich auf diese unerhörte Idee einer sukzessiven Genese der Form mit den ihr eigenen Phasen der Wiederholung, der Konstanz und der Variation – mit einem Wort: ihres Rhythmus’. Zu dessen frühen Entdeckern gehörte der deutsche Arzt Caspar Friedrich Wolff, der die Idee eines ursprünglichen Determinismus des Organismus

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(wie ihn etwa der Schweizer Naturforscher Albrecht von Haller vertrat) bekämpfte. Wolff war ein Vorläufer, doch war er keineswegs allein. Seine Ideen wurden von einer ganz neuen Episteme getragen, zu deren Fürsprechern niemand anderes als Johann Wolfgang von Goethe in seinem Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790) gehörte. Was an diesem einflussreichen Beispiel aufzeigt werden kann, ist der Umstand, dass dieses epigenetische Modell zusammenging mit der gleichzeitigen Erfindung einer epigenetischen Ikonografie. Diese war von Anfang an eine der Grundlagen der Entwicklung des gesamten Bereichs der Wissenschaften vom Leben, von Botanik, Zoologie und Medizin. Wellmann gewährt dem Leser an dieser Stelle eine weitere Überraschung, wenn sie zeigt, wie diese, die Serie und die Variation in der Wiederholung privilegierende Ikonografie seit dem 17. Jahrhundert durch eine neue Ikonografie des menschlichen Körpers vorbereitet worden war, die diesen in Bewegungen zerlegte und deren Regularitäten untersuchte. Diese Ikonografie war keine andere als die der Handbücher fürs Fechten und mehr noch für den militärischen Drill des Marschierens und der Handhabung des Gewehrs. Diese Handbücher vermehrten sich sprunghaft mit dem Aufschwung der Berufsarmeen in den modernen Staaten (wie in Frankreich, Piemont, Preußen etc.). Es ist faszinierend zu sehen, wie alle Bereiche des sozialen Lebens, der Kultur und Politik, so fremd sie sich auch gegenüberzustehen scheinen, darin in Wirklichkeit konvergieren, wenn auch in jedem Bereich mit eigenen Entwicklungsphasen. Dieser Gedanke begründet eine andere, ebenso bemerkenswerte Dimension des Buchs von Janina Wellmann, nämlich die Untersuchung der zur Gegenwart hinführenden Ausbreitung des neuen Paradigmas in allen ästhetischen und philosophischen Aktivitäten des 19. und 20. Jahrhunderts. Emblematisch für diese Epoche ist Friedrich Nietzsches Definition des

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Rhythmus von 1870/1871, von der Wellmann den Titel ihres Buches herleitet: „Rhythmus ist die Form des Werdens, überhaupt die Form der Erscheinungswelt.“ Ihr Blick umfasst das Ensemble aller Disziplinen – Wissenschaften, Philosophie, Poesie, Bildende Kunst, Musik – und den ganzen internationalen Horizont der Forschung: Deutschland, Frankreich, die Vereinigten Staaten und England; weniger bekannte Autoren werden herangezogen wie Alfred North Whitehead, der in seinem An Enquiry concerning the principles of natural knowledge 1919 erklärte, dass „no rhythm can be a mere pattern, for the rhythmic quality depends equally upon the differences involved in each exhibition of the pattern“. Jacques Derrida wird ein halbes Jahrhundert später darauf antworten, wenn er sein Konzept der différence entwickelt, das gleichermaßen im temporalen Sinne als Sich-Verzögerndes wie im räumlichen Sinne als Abweichung (écart) verstanden werden kann: Einmal mehr charakterisieren Wiederholung und Diversität das Ensemble der „rhythmischen Episteme“. Der Leser von Wellmanns Buch wird sich auch der schönen Seiten zur Poesie und zum „Wechsel der Töne“ bei Friedrich Hölderlin erinnern, der zu Recht als einer der wichtigsten Praktiker und Theoretiker einer Ästhetik des Rhythmus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrachtet wird, im Einklang mit den Ideen einer permanenten Veränderung in seinen Theorien der Natur und des Lebens. Seit dem Erscheinen dieses wichtigen Buchs vor vier Jahren haben eine Reihe von weiteren Publikationen mit unterschiedlich weit gespannten Ambitionen das Studium von sozialen Rhythmen und deren theoretische Begründung weiter vorangebracht. Es ist vielleicht nicht überflüssig, an dieser Stelle die wichtigsten Publikationen zu erwähnen, die die Überlegungen von Janina Wellmann fortsetzen oder ergänzen. In Frankreich war es, wie die Autorin zu Recht unterstreicht, vor allem das Werk des Linguisten, Dichters und Übersetzers Henri Meschonnic,3

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von dem ausgehend ein neues philosophisches Interesse an der Frage des Rhythmus’ entstand. Kürzlich erst hat ein Kolloquium an diesen ebenso wichtigen wie originellen Autor erinnert.4 Der Philosoph und Historiker Pascal Michon hat eine Art von Bilanz der soziologischen Traditionen des Studiums der sozialen Rhythmen seit dem 19. Jahrhundert vorgelegt, in der er aber weniger aufmerksam als Wellmann gegenüber der Rolle der Biologie ist, dagegen mehr auf die Errungenschaften der Soziologie um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert abhebt. Pascal Michon errichtet auf seinem Begriff des Rhythmus’ – im vorsokratischen Verständnis als eine „Art des Fließens“ – das Fundament seiner Überlegungen zur Politik in Zeiten der Globalisierung.5 Er gibt zugleich eine bibliografische Netz-Zeitschrift (www.rhutmos. eu) zu diesem Thema heraus. Überaus fruchtbar waren auch die Anregungen von Gilles Deleuze und Félix Guattari in Mille Plateaux, die das Beispiel des musikalischen Ritournells heranzogen, um über die Wiederholungen und Regularitäten hinaus die Variation, den Bruch und die „Krise, die von einem Milieu zum anderen führt“, im Phänomen des Rhythmus’ herauszustellen.6 Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes, der, wie ich glaube, Janina Wellmann entgangen ist, kann man ermessen, wenn man die den RhythmusAnalysen („Rythmanalyses“) gewidmete Sondernummer der Zeitschrift Multitudes liest.7 Unter den Autoren verdient besondere Beachtung der Philosoph Pierre Sauvanet, der Autor mehrerer Werke zum philosophischen Nachdenken über Rhythmus in der Antike und heute ist. Wenn er die Omnipräsenz der Frage nach dem Rhythmus im ästhetischen Denken der Gegenwart konstatiert, so notiert er doch auch die unterschiedlichen Verwendungsweisen dieses Begriffs: Entweder wird die numerische oder metrische Struktur in den Vordergrund gestellt, etwa wenn man von musikalischem Rhythmus spricht, oder man meint die Periodizität und den zyklischen Charakter eines Phänomens, wie

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etwa bei ökonomischen Zyklen, oder man zielt auf das Fließende der Bewegung, um beispielsweise den Wechsel der Jahreszeiten zu betonen. Den Rhythmus definiert er aufgrund einer Kombination dieser Eigenschaften, wie immer auch deren Reihenfolge beschaffen sein mag, in der sie auftreten, als „periodische Struktur der Bewegung“.8 Parallel dazu werden empirische Forschungen zu den ästhetischen Praktiken des Rhythmus in Malerei, Musik, Poesie und Film angestellt. Die von der Universität Montréal herausgegebene Zeitschrift Intermédialités hat 2010 eine zweisprachige Nummer dem Thema „rhythmisieren“ („rythmer/rhythmize“) gewidmet.9 Ich selber habe die Rhythmen in der Tapisserie de Bayeux untersucht, wobei ich eine wichtige Untersuchung von K. C. Ghattas,10 die zu Recht von Janina Wellmann zitiert wird, zu ergänzen hoffe. Kürzlich erschien eine Publikation der Vorträge eines Kolloquiums zu den Rythmes et croyances au Moyen Âge, das 2012 an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (EHESS) von Marie Formarier und mir organisiert worden ist.11 Das Hauptziel dieses Gemeinschaftswerks war es, in poetischen Texten, im Gesang und der Prosa die Rhythmen der lateinischen und volkssprachlichen Rhetorik zu untersuchen. Das Untersuchungsfeld der Rhythmen ist also in nahezu allen Bereichen, in Geschichte, Philosophie, Wissenschaftsgeschichte, Literatur, bildender Kunst, Musik, Tanz usw. eröffnet und beweist eine erstaunliche Dynamik. Weniger denn je muss sich hier ein Forscher allein fühlen. Wenn man seine eigenen Forschungen durchführt, bedeuten Begegnungen, Gespräche und Lektüren eine unschätzbare Chance. Ich hatte eine solche Chance, als ich auf das wichtige Buch von Janina Wellmann stieß, und zwar in einem Augenblick, als ich es für meine Überlegungen am meisten benötigte. Jean-Claude Schmitt Übersetzung: Reinhart Meyer-Kalkus

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1 Janina Wellmann: Die Form des Werdens. Eine Kulturgeschichte der Embryologie 1760–1830, Göttingen 2010. 2 Emile Benveniste: La notion de ‘rythme‘ dans son expression linguistique (1951). In: Ders.: Problèmes de linguistique générale, Bd. 1, Paris 1966, S. 327– 335. 3 Henri Meschonnic: Critique du rythme. Anthropologie historique du langage, Lagrasse 1982; Ders.: Politique du rythme. Politique du sujet, Lagrasse 1995. 4 Serge Martin (Hg.): Paroles, rencontres. Ouvrir les Archives „Henri Meschonnic“. Résonance générale (Essais pour la poétique, 6), Caen 2013. 5 Pascal Michon: Rythmes, pouvoir, mondialisation, Paris 2005; Ders.: Les rythmes du politique. Démocratie et capitalisme mondialisé, Paris 2007. 6 Gilles Deleuze, Félix Guattari: Capitalisme et schizophrénie. Mille Plateaux, Paris 1980. 7 Multitudes 46 (Rythmanalyses), Herbst 2011 – mit Beiträgen von Pascal Michon, Frédéric Bisson, William Scheuerman, Anne Querrien, Ariel Kyrou, Pierre Sauvanet, Yves Citton. 8 Pierre Sauvanet: Le rythme et la raison. Une approche philosophique des phénomènes rythmiques, I. Rythmologiques; II. Rythmanalyses, 2 Bde., Paris 2000. Ders.: Le pouvoir paradoxal du batteur de jazz. In: Multitudes 46 (vgl. Anm. 7), S. 207–210; Ders.: Art. „Rythme“. In: Jacques Morizot, Roger Pouivet (Hg.): Dictionnaire d’esthétique et de philosophie de l’art, Paris 2007, S. 388. 9 Intermédialités. Intermediality, Histoire et théorie des arts, des lettres et des techniques, 16 (Rythmer/ rhythmize), Herbst 2010. 10 Kai Christian Ghattas: Rhythmus der Bilder. Narrative Strategien in Text- und Bildzeugnisen des 11. bis 13. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009. 11 Rythmes et croyances au Moyen Âge, hg. v. Marie Formarier, Jean-Claude Schmitt, Bordeaux 2014 (Scripta Mediaevalia 25).

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Rezension II Ralf Beil, Peter Kraut (Hg.): A House Full of Music. Strategien in Musik und Kunst, Ostfildern 2012.

Die Verknüpfung des Gehör- und Gesichtssinns ist seit den 1970er-Jahren eine kuratorische Leitlinie der Zusammenstellung von Werken der bildenden Kunst und der Musik. Dabei behandelten museale Klangkunstausstellungen vorrangig Werke des 20. Jahrhunderts. Sie folgten damit – initial mit Sehen um zu Hören (1975), Für Augen und Ohren (1980) und Vom Klang der Bilder (1985) – dem Auftauchen einer Medienkunst, wie sie Nam June Paik in Exposition of Music (1963) durch seine neu konfigurierten Klangund Bild-Apparaturen vorstellte. Gleichzeitig nahmen die Kunst- und die Musikgeschichte Themen jenseits ihres angestammten Terrains auf, um mit den Bereichen der Medienkunst und der Musikikonografie integrierte Forschungsfelder zu entwerfen. Dabei erweiterte die Musikikonografie den Zeitraum bis zu den Kapitellen von Cluny, während die Erforschung der Medienkunst die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im Auge behielt. Die Werkauswahl des Katalogs der gleichnamigen Ausstellung A House Full of Music in Darmstadt (13.5.–9.9.2012) folgte letztgenannter Vorstellung von Klangkunst. Der Traditionsbruch mit den vorherigen Ausstellungen lag Ralf Beil zufolge in der Systematisierung: Zwölf Kategorien, beispielsweise das Speichern oder das Würfeln, wären geeignet, die „künstlerischmusikalische Aktivität des gesamten 20. Jahrhunderts“ zusammenzufassen und den „inneren Zusammenhang“ von Musik und Kunst als Verbindungsstrategie darzustellen (12–16). Die kuratorische Strategie, den Knüpfpunkt von Klang und Bild in diesen zwölf Kategorien zu suchen, konterkarierten die Werke in der Darmstädter Ausstellung gekonnt, indem sie Nuancen der Verknüpfung von Klang und

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Bild sichtbar und hörbar machten, um einer nur verfahrenstechnischen Bezeichnung oder einem metaphorischen Gebrauch der Ordnungsstrategien entgegenzulaufen. Beispielsweise enthält Janet Cardiffs und George B. Millers Cabinet of Curiousness von 2010 in jeder Schublade einen Klang (95). ◊ Abb. 1 Die zugeordnete Kategorie des Speicherns bezeichnet den metaphorischen Gebrauch des Schranks als ein Archivmedium, nicht jedoch die bildlichen und klanglichen Eigenheiten. Immer neue Kombinationen von Schubladenkonfigurationen lassen beim Herausziehen ein spielerisches Experiment zwischen Sichtbarem und Hörbarem beginnen. Bei einigen Klangskulpturen war diese leibhaftige Überprüfung der Kategorien nicht möglich, da sie ihres Klanges beraubt wurden. Isoliert erschien Nam June Paiks Schallplattenschaschlik von 1963 (218), das hinter einer Glasvitrine als ein stummes, gefrorenes Objekt erschien. Der Katalog nimmt die Vielfalt der Ausstellung auf und präsentiert die Werke in guten Reproduktionen auf dickem Papier. Starke, das Werk herausarbeitende Texte, wie beispielsweise Stefan Frickes Bemerkungen zu John Cages 4’33” von 1952 (123), sind im Katalog ebenso zu finden wie assoziativere Kommentare. Die Auswahl der Quellentexte ist gut gelungen; neben Cages Credo von 1937 (83–85) trifft insbesondere Rainer Maria Rilkes Ur-Geräusch von 1919 den kognitiven Impetus des Themas. Rilke stellte sich vor, wie die Kronen-Naht eines menschlichen Schädels klänge, wenn er diese mit einer Grammophonnadel abspielte: ein „Urgeräusch“ entstünde (75–77). Peter Kraut schließt die Publikation mit einem Text zur Geschichte der Klangkunstausstellungen ab, in dem er eine Klangwissenschaft fordert, die „jenseits der traditionellen musikhistorischen Kategorien und in Anlehnung an die Kunstwissenschaft“ ansetzen und eine „historisch-kritische Verortung“ leisten sollte (374). Damit begreift er die Kategorien als einen Vorschlag und relativiert sie zugleich.

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1: Janet Cardiff und George B. Miller: Cabinet of Curiousness, 2010.

Der Katalog zur Ausstellung A House Full of Music macht die Vielfalt der Klangkunst des 20. Jahrhunderts stark. Die Absicht, sie in zwölf Kategorien einzuteilen, erscheint als eine Lochmaske, ohne die Präsenz des Klanges und des Bildes zu fassen. Als Konsequenz wäre eine Ausstellung zu denken, die bei prähistorischen Musikinstrumenten und antiken musikalischen Darstellungen ansetzt, um über die Kapitelle von Cluny durch bewegende und klingende Medienautomaten einen neuen Ausblick auf den Knüpfpunkt von Klang und Bild zu eröffnen. Damit sind die Kunst- und die Musikgeschichte gefordert, den Zeitraum ihrer gemeinsamen Forschungsfelder zu erweitern und die Komponente des Klanges und des Bildes zunächst detailliert getrennt zu untersuchen, um das spezifisch Verknüpfende eines Klangkunstwerks in der Zusammenführung gemeinsam exakt historisieren zu können. Alexis Ruccius

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Rezension III Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte, Große Oper in zwei Aufzügen, KV 620, Komische Oper Berlin, Premiere am 25. November 2012.

Eines der berühmtesten Bühnenbilder der Theatergeschichte wurde vom preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel für die Berliner Erstaufführung der Zauberflöte am königlichen Nationaltheater 1816 entworfen. ◊ Abb. 1 Wie Ludwig Friedrich Catel in einer Rezension zu Schinkels Weihnachtsausstellung von Schaubildern in der Berliner Zeitung des 29. Dezember 1808 erklärte,1 habe Schinkel die Bühne durch eine perspektivische Bildstruktur, Transparentbildtechnik und Lichteffekte als ein optisches Gerät (Guckkasten) konstruiert, damit die Zuschauer vermittels der Illusion von Räumlichkeit die Stimmung der Szenen unmittelbarer imaginieren können. Schinkels Bühnenbild gilt damit bis heute als berühmteste Bildprägung der Zauberflöte. Das besondere Spannungsfeld der heterogenen Berliner Opernlandschaft hat das Schinkel’sche Erbe dabei zum Experimentierfeld der Operninterpretation erhoben. Unter den Produktionen der Komischen Oper ragen Harry Kupfers Inszenierung aus den 1970/1980er-Jahren und Hans Neuenfels’ letzte Inszenierung von 2006 hervor. Kupfer versuchte, in amüsantem, märchenhaftem Duktus die Konkurrenz zwischen der Königin der Nacht und Zarastro auf den Konflikt zwischen der westlichen Welt und dem Sozialismus auszulegen, sodass die problematische Persönlichkeit des Tamino in der politischen Ideologie Gestalt gewinnt. Kupfers Ansatz folgte einer politischen Aktualisierung, in der sich die Lage der Stadt in einer Weise widerspiegelt, die der Zauberflöte gegen ihre historische Anlage einen zeitgenössischen Sinn abgewann. Bei Neuenfels überwiegt der ironische und humorvolle Charakter des Stückes,

1: Karl Friedrich Schinkel: Die Königin der Nacht erscheint, Bühnenbild, um 1815.

dessen Erotik als symbolischer Zauber erscheint. Die Flöte wird dabei als Metapher des Phallischen vorgestellt. Die neueste Inszenierung der Zauberflöte durch die britische Theatergruppe 1927 (Suzanne Andrade und Paul Barritt) und Barrie Kosky wird seit ihrer Premiere am 25. November 2012 regelmäßig im Repertoire der Komischen Oper aufgeführt. Das Konzept basiert auf dem Verhältnis von Ton- und Stummfilm, worauf die Jahresangabe des Gruppennamens verweist. Wie Andrade erläutert, inszeniert sie nicht ein Theaterstück und fügt dann den Film hinzu.2 Obwohl der Einsatz von Videoprojektionen in Operninszenierungen der Gegenwart sehr geläufig ist, fungierten sie oft nur als Ersatzmittel der Bühnenausstattung: Bild und Musik werden zwar zusammen präsentiert, bleiben aber organisch unverbunden, weil es die Höherwertung der Musik erfordere, dass die Bilder ihr Folge leisten. Auf diese Weise problematisieren 1927 und Kosky die Grenze zwischen Bild, Bewegung und Ton. 1927 und Kosky interpretiert die Zauber­f löte ausgehend von der Liebesgeschichte zwischen Tamino und Pamina. Der Entwicklungsgang zur großen Liebe erlaubt es dabei, das Schweigen als Teil der Kommunikation auf der Bühne darzustellen. Während das Unausgesprochene

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2: 1. Akt: Pamina und Papageno sprechen über Tamino. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de.

einen wichtigen Teil des Liebesverhältnisses ausmacht, verlangt die Oper als Musik- und Sprachkunst eine akustische Wiedergabe. Wie in Wagners Vorspiel zu Tristan und Isolde oder Toshio Hosokawas Kompositionen lässt sich auch „Stille“ als Element einer musikalischen Formgebung darstellen, deren „Ungesungenes“ und „Unausgesprochenes“ aber aufgrund des Konflikts mit den musikalischen und dramatischen Elementen sowie der technischen Grenze der Oper in bisherigen Inszenierungen selten auftauchen. Während der geschwätzige Papageno die offenherzige Liebe verkörpert, bezeichnet Tamino Reinheit und Ehrlichkeit. Tatsächlich erklärt sich hieraus die Schwierigkeit, die Zauberflöte als reine Liebesgeschichte zu inszenieren, da sich das Schweigen in der Kommunikation der Oper nur schwer thematisieren lässt. Aus diesem Grund vereinnahmen 1927 und Kosky die besonderen Eigenschaften des Stummfilms und streicht den Dialog aus der Zauberflöte. Die von den sanften Celesta-Klän-

gen begleiteten Dialoge werden stattdessen als Zeichentrickstummfilm mit beweglichen Buchstaben auf die gesamte Bühne projiziert. In diesem ist die unausgesprochene Sprache der Liebeskommunikation auf die Oper übertragen. Der Stummfilm fungiert daher als Katalysator, der zwischen Bild und Ton die Liebe der Protagonisten darstellt. ◊ Abb. 2+3 Die kleine, bewegliche Performance der Opernsänger gewinnt dabei durch die Synchronisierung mit dem Zeichentrickstummfilm einen besonderen Akzent. Obwohl sich die Bühne nicht bewegt, wird durch die relative Differenz zwischen der Scheinbewegung in der Animation und der tatsächlichen Bewegung der Sänger eine Illusion erzeugt: Die Sänger springen nur einen Schritt, werden aber von der schnellen Bewegung des Hintergrundes überholt. Die gesamte Bewegung wird als Illusion wahrgenommen, in der die Sänger besonders hoch und fern springen. Der Perzeptionseffekt ist zwar aus dem Film bekannt, aber im Opernhaus außergewöhnlich schwer nachzuerleben.

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Projektvorstellung I Singin’ In The bRain

3: 1. Akt: Panino und Monostatos. Foto: Iko Freese/ drama-berlin.de.

Die Kombination der Bewegung in der Animation und der realen Bewegung auf der Bühne wurde dabei optisch mit der entsprechenden Auswahl comicartiger Kostüme und akustisch durch die Musik garantiert. Der Ton agiert als Bindemittel zwischen realer und Scheinbewegung, sodass der Zuschauer filmische und theatralische Wirklichkeit identifiziert. Der Zeichentrickstummfilm von 1927 arbeitet zwar auf dem neuesten Stand multimedialer Darstellungsmittel, aber in Bezug auf die technischen Grundlagen seines symbolischen Ausdrucks zeigt sich eine Analogie zu Schinkels Bühnenbildern. In ihnen ist die Schnittstelle sowohl zwischen mentalem und wahrgenommenem Bild als auch äußerem und seelischem Klang aufgeführt. 1927 und Kosky weisen damit auf eine zeitgenössische Form der Oper, in der sich Bild und Ton zur Gesamtkunst vereinen. Yasuhiro Sakamoto 1 Helmut Börsch-Supan: Karl Friedrich Schinkel. Bühnenentwürfe, Berlin 2000; Junko Nagao: Schinkel as Scenographer and ‘Staging’ the World: Focusing his Stage Designs for Die Zauberflote (The Magic Flute). In: Journal of the Japanese Society for Aesthetics, Vol. 57, No. 2, 2006, S. 70–83. 2 Komische Oper Berlin Dramaturgie (Hg.): Die Zauberflöte. Komische Oper Berlin, Berlin 2012.

Given their dominance amongst human sensory modalities, it is no surprise that artistic masterpieces throughout the history have been produced primarily for two modalities: vision and audition. Tomas Aquinas wrote in Summa Theologica that artwork is thought to “please” the senses, that is, great paintings and music please us through the eyes and ears. Such sensation of beauty has been primarily thought to be a subjective experience, and perception of beauty varies across individuals depending upon cultural backgrounds, upbringing, or personal experiences. This subjective aspect makes it difficult to characterise what constitutes beauty, leading to the common adage that “beauty is in the eye of the beholder”. However, does the beauty found in paintings or music reside within our eyes or ears? From a neuroscience perspective, I would propose that beauty is in the brain of the beholder, that means the perception of beauty is based on neurobiological processes. This view suggests that we could learn something about beauty by studying the functions of our brains. In the discourse of philosophical and aesth-​ etical debates on beauty, an English art critic Clive Bell was particularly noteworthy because he formulated questions about beauty in an experimentally accessible way. In Art, he asked what it is that subjectively beautiful objects have in common with one another, despite their overwhelming heterogeneity. He also wrote that “If we can discover some quality common and peculiar to all the objects that provoke the aesthetic emotion, we shall have solved […] the central problem of aesthetics”.1 This underlines Clive Bell’s belief in a singular feature that is common in all works that are perceived as beautiful. Bell’s formulation is a useful introduction to the neurobiological studies of perception of beauty. While Bell focused on beauty in visual

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1: Brain regions active during viewing of visual stimuli (orange; visual cortex), and during listening to auditory stimuli (green; auditory cortex). Average of 21 subjects shown. Statistically averaged activations were rendered onto an averaged brain.

works, beauty is also commonly perceived from auditory stimuli as well. Since the perception of beauty is not modality-specific, many have asked what the difference is between visual and auditory beauty. Ricciotto Canudo clearly divided the two into spatial and temporal arts2 which suggests that the two forms of beauty could represent two entirely different experiences. Consistent with this idea, visual and auditory information are processed in different areas of the brain dedicating to each modality. Visual stimuli are primarily processed in the visual cortex located in the back of the brain, whereas auditory stimuli are processed in the auditory cortex in the temporal regions ◊ Fig. 1. This “functional specialisation” of the brain refers to the fact that each modality has its own specialised area.3 Nevertheless, how do these specialised regions relate to the perception of beauty? Is the processing of beauty found in paintings segregated from the processing of musical beauty, as is the case with basic sensory information? Or does beauty perception share a common neural system that can be mediated by any of the senses?

Projektvorstellungen

To answer this question, we conducted a neuroimaging study on the perception of beauty using a variety of paintings, including landscapes, portraits, and still lifes. For example, the stimuli included Grande Odalisque by Jean Auguste Dominique Ingres and Salisbury Cathedral by John Constable. We also included a variety of musical excerpts from Western and Eastern orchestra music, such as Adagiotto from the 5th symphony of Gustav Mahler and Japanese court music. We had 21 participants from different cultural and ethnic backgrounds, and asked them to rate how beautiful they perceived what they viewed or heard while their brain activity was monitored using functional magnetic resonance imaging. None of the participants were artists. It should be noted that each participant used his/her own classification of beauty. Therefore, classifications of beauty differed across participants. We used this approach because we wanted to characterise brain responses induced by the perception of beauty, rather than by particular painting or music stimuli. We found that an area in the frontal cortex called the medial orbitofrontal cortex (mOFC) was active when participants experienced beauty, regardless of whether the source of beauty was visual or musical. The results are summarised in ◊ Fig. 2 , which shows the averaged activation across all participants superimposed onto a normalised canonical brain. Areas shown in red denote activity induced by visual beauty, whereas green areas show regions activated by musical beauty. The yellow region within the mOFC was found to be active in response to both visual and musical beauty. Importantly, the mOFC was the one and only region whose activity correlated with the perception of beauty regardless of the stimulus modality.4 These findings can give an answer to Clive Bell’s important question of “is there a common feature in all beautiful things?” Our results suggest that all beautiful things do, in fact, share a common feature. However, the common fea-

Projektvorstellungen

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2: Cortical activation correlating with the experience of beauty. Statistically averaged activation rendered onto a normalised canonical brain shows the overlap in zones within the medial orbitofrontal cortex (mOFC) activated by visually beautiful (red) and musically beautiful (green) stimuli, and the overlap between the two activations (yellow).

ture is not to be found in objects themselves, but rather in the pattern of brain activation within the mOFC. This is a surprising and an unexpected answer to Bell’s question, but it enables us to identify a single characteristic of beauty. We can still analyse common features in visual objects such as colour, symmetry, or proportion, but these characteristics cannot be applied to musical works as descriptive characteristics in one domain cannot always be applied to other domains. However, examining brain activity during the perception of beauty gives us a new tool to describe the characteristics of beauty that bridge the visual and musical senses. Brain activity in the mOFC provides a neurobiological answer to the question posed by Bell. While we neuroscientists cannot actually define common features in all beautiful works, we instead try to reveal the common neural conditions that allow us to experience something as beautiful. In other words, we cannot say any-

thing about objective characteristics of beauty from our neuroimaging research thus far. However, neuroscientific approaches offer an exciting opportunity for collaboration with philosophers and humanists to address this problem. The neuroscience of beauty was born about a decade ago. Perhaps, taking an additional step back can help to put this problem in perspective. Singin’ in the Rain is an iconic play that depicts the drama of the transition from silent films to talkies. Such a big transition required a great deal of effort and struggle to accomplish as it required adapting and accepting new techniques, with the collaboration between visual and sound production. While I was watching this play one day, I realised that the neuroscience of beauty might now be in a similar transition period. It might be difficult to reconcile disparate approaches to studying beauty, but I believe our understanding will be significantly enhanced with collaborations between neuro-​science, philosophy, and the humanities.

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In closing, the science of beauty is still in its infancy, and there remain many more open questions than answers. The interpretations of our study will undoubtedly be shaped by the findings of future studies. I hope that the arguments here could form a small bridge to connect not only the two sensory modalities discussed, but also the two disciplines studying these deep questions of the human experience. Tomohiro Ishizu 1 Clive Bell: Art, London 1921, p. 292. 2 Richard Abel: French film theory and criticism: a history/anthology, Princeton 1988, p. 328. 3 S. Zeki, J. D. Watson, C. J. Lueck, K. J. Friston, C. Kennard, R. S. J. Frackowiak: A direct de​monstration of functional specialization in human visual cortex. In: Journal of Neuroscience 11, 1991, p. 641–649. 4 Tomohiro Ishizu, Semir Zeki: Toward a brainbased theory of beauty. In: PLoS One, 6, 2011, e21852.

Projektvorstellungen

Projektvorstellung II „A curious combination“. Ton-Bild-Welten im Gedichtfilm

Solange es Film gibt, gibt es die Verfilmung von Gedichten. Ihren Durchbruch als selbstständiges Kurzfilmgenre erlebte die audiovisuelle Realisierung von Lyrik allerdings erst im Umfeld der Spoken-Word-Bewegung, die in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann, zur Vermittlung ihrer Literaturperformances das junge Medium Video zu nutzen. Heute widmen sich unter Bezeichnungen wie Poetryvideo, Cinepoem oder Poesiefilm Künstlerinnen und Künstler verschiedener Stilrichtungen der audiovisuellen Umsetzung von Lyrik. Sie veröffentlichen ihre Arbeiten auf internationalen Festivals, vereinzelten DVD-Editionen1 und vor allem im Internet. Im Projekt Poesiefilm, das an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule an der FU-Berlin entstanden ist, erfolgte erstmals eine eingehende Untersuchung des Phänomens.2 Das Genre ist stilistisch überaus vielgestaltig und reicht vom Experimentalfilm bis zum narrativen Spielfilm und sogar Animationsfilm. Doch das Feld des Poesiefilmes lässt sich auch danach kartografieren, auf welche Art und Weise die Integration der Gedichte erfolgt. Neben Filmen, die sich rein metaphorisch auf Lyrik bzw. Poesie beziehen (poetische Filme), und solchen, die lediglich Themen oder Motive eines bestimmten Gedichtes ins audiovisuelle Medium übertragen (Adaptionen), gibt es auch Arbeiten, die das Gedicht selbst, gesprochen oder schriftlich, im audiovisuellen Medium realisieren. Sie sollen im Folgenden abgrenzend Gedichtfilme genannt werden. In vielen dieser Gedichtfilme werden die Worte in Form eines Voice Overs aus dem Off des Bildes eingesprochen. Sie beruhen also auf der medienspezifischen, technischen Trennung von Ton und Bild und machen damit die TonBild-Relation zu einem zentralen Kriterium der formalen Untersuchung von Gedichtfilmen, das

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1: Clive Holden: Active Pass, 2004.

sich entsprechend zu einem der Schwerpunkte des Projektes entwickelt hat. Die technische Trennung von Ton und Bild ist zwar Eigenschaft eines jeden Films, doch fällt dies oft gar nicht auf, da Bild und Ton vor allem im narrativen Spielfilm meist synchronisiert vorliegen und als Ereigniszusammenhang wahrgenommen werden. W. J. T. Mitchell spricht in diesem Zusammenhang von Braiding, dem Verweben verschiedener Sinneskanäle oder Zeichenfunktionen. Dagegen grenzt er die Vorgehensweise von Experimentalfilmen der sechziger und siebziger Jahre ab, die Ton- und Bild-Spur voneinander entfernen.3 Dieses Verfahren findet sich in vielen Gedichtfilmen. Die einflussreiche Experimentalfilmerin Maya Deren hat auf einem Symposium mit dem Titel Poetry and the Film schon 1953 auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass sich aus der Kombination von Dichtung und Film keineswegs zwangsläufig Redundanzen ergeben müssen. Sie vergleicht die Loslösung von Ton- und Bildspur mit unserer Wahrnehmung, wenn wir, am Fenster stehend, zwei getrennte Ereignisse gleichzeitig hören und

sehen. Was diese Ereignisse verbinde, sei allein unser Bezug auf sie: „They don’t know about each other, and so you stand by the window and have a sense of afternoon which is neither the children in the street nor the women talking behind you but a curious combination of both, and that is your resultant image, do you see?“ 4 Das Interessante an diesem Zitat ist nicht so sehr der kaum überraschende Einsatz Maya Derens für eine avantgardetypische, kontrapunktische Verwendung des Tons, sondern dass sie hier Konzepte vorwegnimmt, die erst viel später ihre wissenschaftliche Fundierung gefunden haben: Aus dem Zusammentreffen der unzusammenhängenden Wahrnehmungen entsteht eine „curious combination“, die nicht bloß eine Addition der beiden sinnlichen Eindrücke darstellt, sondern die sie in der Wahrnehmung zu einem Dritten verschmilzt.5 Was Maya Deren hier beschreibt, lässt sich somit als Vorwegnahme von Michel Chions Konzept des Mehrwehrts (valeur ajoutée) bezeichnen. Dieser Mehrwert ist eng an das Phänomen der ­Synchrese6 gekoppelt, die daraus resultiert, dass visuelle und auditive

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Phänomene als zusammengehörig wahrgenommen werden, sobald sie zeitgleich auftreten. Das heißt jedoch nicht, dass Mehrwert nur dann entsteht, wenn Ton und Bild synchron sind. Barbara Flückiger zufolge, die den Prozess als intermodale Assoziation beschreibt, ist der Mehrwert sogar umso größer, „je weniger Redundanz zwischen der Darstellung der Objekte auf der Bild- und Tonspur besteht“,7 ohne dass sie jedoch in eine maximale Differenz kippen, bei der sich überhaupt kein Zusammenhang zwischen den Konzepten mehr herstellen lässt. Eine These, die sich für die Untersuchung der Gedichtfilme fruchtbar machen ließ: Gerade weil Ton und Bild im Sinne der oben beschriebenen Mechanismen zusammenwirken und sich in der Wahrnehmung wechselseitig modifizieren, birgt die technische Trennung von Ton und Bild im Gedichtfilm besonderes poetisches Potenzial. Die unerwartete Zusammenstellung von Ton und Bild, aus deren Zusammenspiel etwas Drittes, Neues hervorgeht, lässt sich daher in ihrer Funktionsweise mit der Metapher vergleichen. Wenn beispielsweise in Clive Holdens Filmprojekt Trains of Winnipeg8 die Verse des Gedichtes Active Pass mit Filmaufnahmen von einer Fährüberfahrt durch eine Meeresenge kombiniert werden, dann verbinden sich das im Gedicht thematisierte Alter des lyrischen Subjekts mit den filmischen Bildern zur nautischen Metapher der Lebensfahrt. Zu hören sind nur die sprechende Stimme des Dichters, elektronische Klänge und vereinzelte Signalgeräusche wie Nebelhorn und Möwengeschrei. Diese Tongestaltung entrückt die Bilder aus ihrem konkreten Kontext, enträumlicht sie und reichert sie mit Stimmung und Ausdruck des Gedichtes an. Über eine bloße Illustration hinausgehend, erwächst aus der Rekombination von Ton- und Bild, die getrennt voneinander entstanden sind, ein Drittes, das in keinem von beiden für sich allein enthalten war. Stefanie Orphal

Projektvorstellungen

1 Poesiefilme, DVD, Deutschland 2010; Dikran Janus Kadagian: Rant. Who Says Words With My Mouth. Moving Poetry Series, DVD, USA 2006; Rattapallax Magazine, Ausgaben 14, 15 und 17, DVD, USA 2006, 2007 und 2008. 2 Stefanie Orphal: Poesiefilm. Lyrik im audiovisuellen Medium, Berlin, Boston 2014. 3 W. J. T. Mitchell: There Are No Visual Media. In: Oliver Grau (Hg.): MediaArtHistories, Cambridge, Mass. 2007, S. 394–406, hier S. 401. 4 Willard Maas, Amos Vogel (Hg.): Poetry and the Film: A Symposium. With Maya Deren, Arthur Miller, Dylan Thomas, Parker Tyler. Chairman Willard Maas. Organized by Amos Vogel. In: P. Adams Sitney (Hg.): Film Culture. An Anthology, London 1970, S. 172–186, hier S. 179. 5 Vgl. Reinhart Meyer-Kalkus: Akusmatische Extensionen im sonoren Kino. Überlegungen zu Michel Chions Theorie der Audiovision. In: Maren Butte, Sabina Brandt (Hg.): Bild und Stimme, Paderborn 2011, S. 66–98. 6 Michel Chion: Un art sonore le cinema. Histoire, esthétique, poétique, Paris 2003, S. 192. 7 Barbara Flückiger: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films, Marburg 2001, S. 146. 8 Clive Holden: Trains of Winnipeg. 14 Film Poems, Kanada 2004, 89 min.; http://www.trainsofwinnipeg.com (Stand: 02/2014).

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Bildnachweis

Titelbild: Anestis Logothesis (1921–1994), Klangmodell (Erhard Karkoschka: Das Schriftbild der neuen Musik, Celle 1966, S. 86). Innentitel: Philipp Galle nach Marten van Heemskerck: Collage nach „Natura“, 1572 (The New Holstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450–1700, Roosendaal 1994, S. 183). Editorial: 1: Erhard Karkoschka: Das Schriftbild der Neuen Musik, Celle 1966, S. 123; © Henry Litolff’s Verlag/C. F. Peters, Frankfurt am Main. Interview: 1: Privat. Moss: 1: (c) Jackson Berger 2: Privat Clausberg: 1–6: © VG Bild-Kunst, Bonn 2014/DIGITAL IMAGE © 2014, The Museum of Modern Art/Scala Florence. Faksimile: 1: Stephan von Huene. Die Retrospektive, Ausst.kat., Ostfildern-Ruit 2002, S. 78. 2: Stephan von Huene. The Song of the Line, Ausst.kat., Ostfildern-Ruit 2010, S. 146–147. Bildbesprechung: 1: Petra Kipphoff von Huene, Hamburg. 2: David Baltzer/Zenit, Berlin. 3: Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Staatliche Museen zu Berlin. Kipphoff von Huene: 1: Petra Kipphoff von Huene. 2a–c, 4, 6: Stephan von Huene. Die Retrospektive, Ausst.kat., Ostfildern-Ruit 2002, S. 57, 155, 76. 3a, b: Kunsthalle Hamburg. Foto: Yasuhiro Sakamoto, 2012. 5: Stephan von Huene. The Song of the Line, Ausst.kat., Ostfildern-Ruit 2010, S. 118–119. Sakamoto: 1: Paul Klee: Form- und Gestaltungslehre, Bd. 1, Das bildnerische Denken, Basel (5. Auflage) 1990, S. 300. 2: Stephan von Huene. Die Retrospektive, Ostfildern-Ruit 2002, S. 243. 3: Hans Jürgen Stelling: Kunst hat Töne. Nicht nur Grafik. Computer in der Kunst. In: c’t. Magazin für Computertechnik, Heft 1, 1988, S. 84. 4–6: Petra Kipphoff von Huene. 7a–b: Arne Rehder. 8: Louigiana Museum (Hg.): Stephan von Huene. Sound Sculptures, Ausst.kat., Humlebæk 1991. Bulgakowa: 1: Sergej Eisenstein. Izbrannye proizvedenija v 6 tomach. Band 2. Moskau 1964, S. 248–249. Ruccius: 1: Anonymus: Both are Caruso. In: The Literary Digest, Jg. 50, Heft 4 (23. Jan.), 1915, o. P. 2: Star Guitar (DVD), Michel Gondry, Freestyle Dust & Virgin Records, UK 2002. 3a–c: The Chemical Brothers. Singles 93-03 (DVD), Freestyle Dust & Virgin Records, UK 2003. 4: Autor. 5, 7–8: The Work of Director Michel Gondry (DVD), Sleeping Train Productions & Palm Pictures, UK 2003. 6: Harro Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens. Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst, München 1996, S. 348. Rezension II: 1: Ralf Beil, Peter Kraut (Hg.): A House Full of Music. Strategien in Musik und Kunst, Ostfildern-Ruit 2012, S. 95. Rezension III: 1: © Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin, Inventarnummer: Schinkel SM 22c.121. 2–3: Foto: © Iko Freese/drama-berlin.de. Projektvorstellung I: 1: Privat 2: Tomohiro Ishizu, Semir Zeki: Toward a brain-based theory of beauty. In: PLoS One, 6, 2011, e21852. Projektvorstellung II: 1: © Clive Holden. Bildtableau I: 1: Charles S. Keyser: The Liberty Bell. Independence Hall, Philadelphia 1901, Titelseite, Detail. 2: bpk/Staatsbibliothek zu Berlin, Abteilung Historische Drucke (Rara-Lesesaal, Signatur Mv5238-1). 3: http://www.likeyou.com/en/node/36873 (Stand: 06/2014). 4: © Alexander Graham Bell Association for the Deaf and Hard of Hearing. 5: Rom, Kapitolinische Museen. 6: J. B. Basedows Elementarwerk mit den Kupfertafeln Chodowieckis u. a., kritische Bearbeitung in drei Bänden, Bd. 3, hg. von Theodor Fritzsch, Leipzig 1909, Tab. VI. 7: Robert Fludd: Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica Atqve Technica Historia, Bd. 1, Oppenheim 1617, S. 90. 8: Johannes Kepler: Prodromus dissertationum cosmographicarum, continens mysterium cosmographicum, de admirabili proportione orbium coelestium, deque causis coelorum numeri, magnitudinis, motuumque periodicorum genuinis …, Tübingen 1596, Tab. III. 9: Rudolf von Laban: Die Kunst der Bewegung, Wilhelmshaven 1988, S. 33, Tafel I. 10: © VG Bild-Kunst, Bonn 2014/© Jorinde Voigt. 11: Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Native Instruments GmbH. 12: © SLUB Dresden/Deutsche Fotothek. 13: http://www.youtube.com/watch?v=UnXdYxvBHf8 (Stand: 06/2014). 14: Athanasius

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Bildnachweis

Kircher: Musurgia Universalis (1662), Ausg. Kassel 2006, fol. 14, Detail. 15: Athanasius Kircher: Phonurgia nova sive coniugium mechanico-physicum artis & naturae paranympha phonosophia concinnatum, Kempten 1673, S. 160. 16: © Alfred Ehrhardt Stiftung. 17: http://commons.wikimedia. org/wiki/File:White.noise.b.w.png (Stand: 06/2014). 18: © Polizeihistorische Sammlung beim Polizeipräsidenten in Berlin, Foto 2071/10. 19: Ernst Florens Friedrich Chladni: Neue Beiträge zur Akustik, Leipzig 1817, Tafel II. 20: © bpk/Musikinstrumenten-Museum, Staatliches Institut für Musikforschung, SPK, Bildnummer: 20031683. 21: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von HeinzJoseph Nisius. 22: Christian Morgenstern: Alle Galgenlieder, Leipzig 1965, S. 21. 23: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von C. F. Peters Musikverlag Frankfurt am Main, Leipzig, London, New York. 24: © Christoph Kunst, www.chrissekunst.de. 25: © VG Bild-Kunst, Bonn 2014. 26: http:// commons.wikimedia.org/wiki/File:GNM_-_Tischuhr.jpg (Stand: 06/2014). Bildtableau II: 1: © Courtesy of the Estate of Stan Brakhage and Fred Camper, www.fredcamper. com. 2: http://www.nagata.co.jp/e_index.html (Stand: 06/2014). 3: http://commons.wikimedia. org/wiki/File:Singing_Ringing_Tree_%28Panopticons%29.jpg (Stand: 06/2014). 4: http://www. max-neuhaus.info/soundworks/vectors/passage/ (Stand: 07/2014). 5: http://en.wikipedia.org/wiki/ File:HyperbolicParaboloid.png (Stand: 06/2014). 6: Archiv Leitner. 7: http://mapy.mzk.cz/de/mzk 03/001/051/256/2619268901_02/ (Stand: 06/2014). 8: Robert Fludd: Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica Atqve Technica Historia, Bd. 1, Oppenheim 1617, S. 160. 9: http://de.wikipedia.org/wiki/Genter_Altar#mediaviewer/Datei:Ghent_Altarpiece_B_-_Angels. jpg (Stand: 07/2014). 10: http://afronreviews.tumblr.com/ (Stand: 06/.2014). 11: http://de.wikipedia. org/wiki/Louis-Bertrand_Castel#mediaviewer/Datei:Musique_Oculaire_Castel_1770.jpg (Stand: 06/2014). 12: http://wp11060919.server-he.de/faecher/050900kunst/050908bild_des_monats/2 009/050908bdm_2009_09_12.htm (Stand: 06/2014). 13: © Thomas Aurin, [email protected]. 14: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pan_Daphnis_Altemps_Inv8571.jpg (Stand: 08/2014). 15: Mit freundlicher Genehmigung des Bundesministeriums für Finanzen. 16: © Foto: Stephen Cummiskey/Schaubühne. 17: © Nick Cave 2014. 18: Rudolf von Laban: Die Welt des Tänzers. Fünf Gedankenreigen, Stuttgart 1920, S. 48–49. 19: © Rovereto, Mart, Archivio del ’900, fondo Luigi Russolo. 20: © Linden Gledhill. 21: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Edisongmcylinder.jpg (Stand: 06/2014). 22: Ralf Beil und Peter Kraut: A House Full of Music, Ostfildern 2012, S. 105.

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Die AutorInnen

Dr. Marvin Altner Dozent, Studiengang Kunstwissenschaft, Universität Kassel Prof. Dr. Oksana Bulgakowa Professorin für Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Michel Chion (em.) Dozent an der Université Sorbonne Nouvelle – Paris III, Komponist, Filmkritiker und freier Schriftsteller in Paris Prof. Dr. Karl Clausberg Kunsthistoriker in Hamburg Dr. Tomohiro Ishizu Wellcome Laboratory of Neurobiology, University College London Dr. Petra Kipphoff von Huene Ehemalige Redakteurin für Kunst bei DIE ZEIT in Hamburg, jetzt freie Autorin, vorwiegend für DIE ZEIT und die Neue Zürcher Zeitung Prof. Dr. Cynthia F. Moss Professorin der Psychologie am Department of Psychological and Brain Sciences, Johns Hopkins University Prof. Dr. Reinhart Meyer-Kalkus Außerplanmäßiger Professor am Institut für Germanistik an der Universität Potsdam und Wissenschaftlicher Koordinator am Wissenschaftskolleg zu Berlin Johannes von Müller M.A. Koordinator des internationalen Forschungsverbundes Bilderfahrzeuge, Warburg Institute, London Dr. des. Stefanie Orphal Friedrich Schlegel Graduiertenschule der Freien Universität Berlin Alexis Ruccius M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max Planck Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main Dr. Yasuhiro Sakamoto Ehemaliger Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung und Exzellenzcluster, Humboldt-Universität zu Berlin JSPS Research Fellow, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main Prof. Dr. Dörte Schmidt Professorin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste, Berlin Prof. Dr. Jean-Claude Schmitt Directeur d‘Etudes an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris

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1: Stan Brakhage: Still aus Existence is Song, dem letzten der vier Abschnitte aus The Dante Quartet, 1987. 2: Akustische Simulation für Karlheinz Stockhausens Gruppen für drei Orchester in der Suntoryhall in Tokyo, o. D. 3: Mike Tonkin und Anna Liu: Singing Ringing Tree, Lancashire, England 2006. 4: Max Neuhaus: Drive In Music, 1967. 5: Hyperbolisches Paraboloid, o. D. 6: Bernhard Leitner: Pendelnder Kreis-Raum, Sound Cube, Tusche auf Papier, 1970. 7: Giovanni Francesco Venturi: Wasserorgel, Villa d’Este in Tivoli, Kupferstich, Ende der 1680er-Jahre. 8: Robert Fludd: Tempel der Musik, Kupferstich, 1617. 9: Jan van Eyck: Genter Altar, linker Flügel: Die singenden Engel, Holz, 1430/42. 10: Filmstill aus Big, Regie: Penny Marshall, Produktion: James L. Brooks, Robert Greenhut, 1988. 11: Castel: Musique oculaire, Stich, 1770. 12: Ältestes bekanntes Musikinstrument: Flöte, hergestellt

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aus dem Radius eines Singschwans, Fundort: Geißenklösterle-Höhle, Schwäbische Alb, 40.000 bis 41.000 v. Chr. 13: Thomas Aurin: Aufnahme aus Ein Chor irrt sich gewaltig, Regie: René Pollesch, Volksbühne, o. D. 14: Skulptur von Pan, wie er Daphnis die Panflöte unterrichtet, Kopie. 15: Sonderbriefmarke Bremer Stadtmusikanten, Michel Nr. 1120, Erstausgabe 31.01.1982. 16: Stephen Cummiskey: Aufnahme aus Die gelbe Tapete, Regie: Katie Mitchell, Schaubühne, 2013. 17: Nick Cave, Soundsuits, 2008. 18: Pantomimische Gebärdenakkorde, o. D. 19: Luigi Russolo und Ugo Piatti mit dem Intonarumori, Reproduktion, wahrscheinlich in den 1960er-Jahren angefertigt. 20: Linden Gledhill: Commercial Color Sound Sculpture, o. D. 21: Edison-Hartgusswalze aus Wachs, ca. 1904. 22: Peter Blake: The Beatles, Sgt. Peppers’s Lonely Hearts Club Band, LP-Cover, 1967.

Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 10,2

Bild – Ton – Rhythmus

Herausgeber Prof. Dr. Horst Bredekamp, Dr. Matthias Bruhn, Prof. Dr. Gabriele Werner Verantwortlich für diesen Band Dr. Yasuhiro Sakamoto, Prof. Dr. Reinhart Meyer-Kalkus Redaktion Das Technische Bild Tableaus Julia Bärnighausen, Annekathrin Heichler, Felix Jäger, Rahel Schrohe, Theresa Stooß Lektorat Rainer Hörmann Layout Dr. Birgit Schneider, Andreas Eberlein Satz Julia Bärnighausen, Annekathrin Heichler, Theresa Stooß & aroma, Berlin Druck Concept Medienhaus GmbH Adresse der Redaktion Humboldt-Universität zu Berlin Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik Das Technische Bild Unter den Linden 6 10099 Berlin [email protected] Fon: +49 (0) 30 2093-2731, Fax: -1961 ISSN 1611-2512 ISBN 978-3-11-040091-5 © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston www.degruyter.com Das Jahrbuch „Bildwelten des Wissens“ erscheint jährlich in 2 Teilbänden. Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.