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German Pages 292 Year 2018
Ruprecht Mattig, Miriam Mathias, Klaus Zehbe (Hg.) Bildung in fremden Sprachen?
Pädagogik
Ruprecht Mattig, Miriam Mathias, Klaus Zehbe (Hg.)
Bildung in fremden Sprachen? Pädagogische Perspektiven auf globalisierte Mehrsprachigkeit
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Inhalt
Introduction. Oder: Bildung in fremden Sprachen?
Ruprecht Mattig, Miriam Mathias & Klaus Zehbe | 7 Interkulturelles Lernen durch Mehrsprachigkeitsorientierung im Sprachenunterricht
Kerstin Göbel | 31
Eine Zweitsprache lernen – eine Zweitsprache sprechen. Zum Problem und zum Umgang mit der Herstellung von Nichtzugehörigkeit durch Deutschförderung
İnci Dirim & Doris Pokitsch | 59
Auf der Innenseite der Sprache. Mehrsprachigkeit in der Perspektive der pädagogischen Phänomenologie
Cornelie Dietrich | 81
Assessing the Intercultural Dimension of Language Learning
Henning Rossa | 107
Bildung durch ästhetische Figurationen in Literatur und Fremdsprache. Imagination, Mimesis, Imaginäres
Christoph Wulf | 125
Wilhelm von Humboldt als Ethnograph der Sprachen. Seine (tragische) Einsicht in die Dialektik der Bildung in Deutschland
Ruprecht Mattig | 139
Befreundung. Für eine gebildete europäische Mehrsprachigkeit
Jürgen Trabant | 171
Changing Methodologies in English Language Teaching. From the Grammar-Translation Method to the Challenges of English as a Lingua Franca
Katherine Kerschen | 195
Subjectivity in Translation
Paul Standish | 217
In der eigenen Sprache stottern. Über das Philosophieren auf Japanisch und die Erfahrung des Fremden
Fumio Ono | 235
Wie ›Bildung‹ die pädagogische Semantik in Japan bildet. Eine Beobachtung des Herumtollens von Bedeutungen in Übersetzungen
Jun Yamana | 257
›Bildung‹ vs. ›Kyōyō‹. Ein deutsch-japanischer Sprach- und Kulturvergleich
Akio Ogawa | 275
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren | 287
Introduction Oder: Bildung in fremden Sprachen? R UPRECHT M ATTIG , M IRIAM M ATHIAS & K LAUS Z EHBE
Globalisierung, Internationalisierung, Migration – Schlagwörter wie diese prägen seit einigen Jahren auch den pädagogischen Diskurs und verweisen darauf, dass Bildung und Erziehung heute in Dimensionen gedacht werden müssen, die über nationale Grenzen hinausgehen. Themen wie Mehrsprachigkeit, Fremdsprachenlernen und Übersetzung gewinnen dabei eine erhebliche Bedeutung, wie ein kurzer Blick auf rezente Diskussionen und Entwicklungen zeigt: Aufgrund der Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte spricht die Schülerschaft in vielen Schulen Deutschlands heute eine Vielzahl von Sprachen, was zu einer faktischen und von vielen Beteiligten als problematisch erfahrenen Mehrsprachigkeit im Schulalltag führt. Immer wieder weisen empirische Studien auf den Zusammenhang zwischen schlechten Leistungen in der Schule und mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache hin. Damit verbunden sind zahlreiche pädagogische Bemühungen, Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunft die deutsche Sprache näherzubringen (vgl. z. B. das Projekt »FörMig« 1, dargestellt in Gogolin et al. 2011). Aber nicht nur der deutschen Sprache kommt im Bildungswesen hohe Bedeutung zu, sondern auch der Vermittlung von anderen Sprachen, insbesondere der englischen. So sieht der Lehrplan in vielen Bundesländern Deutschlands inzwischen schon ab der ersten Grundschulklasse Englischunterricht vor. In innovativen Lehr-Lernkonzepten wird dabei mitunter versucht, auch Fachunterricht in der englischen Sprache abzu-
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»Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund«
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halten (vgl. Nold et al. 2008). Auch in der akademischen Forschung werden im Zuge der allseits propagierten Internationalisierung zunehmend englischsprachige Publikationen erwartet. Schließlich führen internationale Vernetzungen und Forschungsverbünde dazu, dass auch pädagogische Begriffe und Theorien über nationalsprachliche Grenzen hinweg migrieren und dabei die nationalen Diskurse verändern. So ist das Bildungsdenken in Deutschland in jüngster Zeit nachhaltig durch angelsächsische Konzepte wie literacy (›Kompetenz‹) oder employability (›Beschäftigungsfähigkeit‹) geprägt worden (vgl. dazu z. B. Lenzen 2014: 22ff.; Lederer 2014). Dieser Band geht aus einer Ringvorlesung mit dem Titel »Bildung in fremden Sprachen? Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Sprachenlernen und Mehrsprachigkeit in der Globalisierung« hervor, die im Sommer 2016 an der Technischen Universität Dortmund veranstaltet wurde. Ziel dieser Veranstaltung war es zum einen, eine kritische Reflexion aktueller gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen sowie bildungspolitischer Schwerpunktsetzungen in Hinsicht auf den Zusammenhang von Bildung und Sprachen zu leisten, und zum anderen, den Begriff der Bildung, der ungeachtet seiner Bedeutung als Grundbegriff der Erziehungswissenschaft als notorisch theoriewiderständig gilt, im Lichte von Mehrsprachigkeit zu konturieren. Orientiert an einer positiven Vorstellung von Vielstimmigkeit sollte dabei eine möglichst große Breite an verschiedenen Sichtweisen abgebildet werden. Die in diesem Band versammelten Beiträge widmen sich der Frage nach Bildung in fremden Sprachen aus historischen, systematischen, kulturvergleichenden, didaktischen und empirischen Perspektiven. In dieser Einleitung sei die Thematik – quasi quer zu den Beiträgen – unter den Gesichtspunkten »Sprache und Bildung«, »Englisch als Lingua Franca«, »Zur Übersetzung von ›Bildung‹ in fremde Sprachen« und »Bildung in fremden Sprachen aus empirischer Sicht« diskutiert:
S PRACHE
UND
B ILDUNG
Auch wenn der Bildungsbegriff viele, auch umstrittene und widersprüchliche, Bedeutungsdimensionen umfasst, so herrscht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass Bildung eng mit Sprache verbunden ist. Zwei verschiedene Denktraditionen lassen sich in diesem Zusammenhang unterscheiden.
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Die erste zeigt sich im Begriff der »Bildungssprache«, der sich traditionell auf die normative Unterscheidung zwischen sogenannten ›rohen‹ Sprachen auf der einen und ›gebildeten‹ (oder ›gelehrten‹) Sprachen auf der anderen Seite bezieht. Dies ist nicht nur eine linguistische Unterscheidung, sondern vor allem eine soziale: Das Volk verwendet die mündlich tradierten Volkssprachen, die gesellschaftlichen Eliten die gelehrten und schriftlich fixierten Sprachen. Historisch gesehen entwickelte sich die so gekennzeichnete Diglossie in Europa im Zuge der Bildungsreform Karls des Großen. Um sein (vielsprachiges) Reich zu einen, verfügte er, dass an allen Klöstern und Bischofssitzen seines Herrschaftsgebietes Schulen eingerichtet werden sollten, die sich des Lateinischen – das Latein der Kirchenväter, nicht des antiken Roms – bedienten. Es entstand ein für lange Zeit bestehendes Nebeneinander der einen gelehrten Sprache (Latein) und der vielen Volkssprachen: »Korrektes Latein vermochten nunmehr allerdings nur die führenden Schichten zu handhaben […]. Das ungelehrte Volk bediente sich weiterhin teils der noch nicht verschriftlichten germanischen, teils der dem Lateinischen entwachsenen und als solche nicht mehr verschriftlichten romanischen Idiome« (Fuhrmann 2006: 15).
Die dominanten Bildungssprachen änderten sich im Laufe der Zeit; im Mittelalter war es seit der Bildungsreform Karls des Großen das Lateinische, ab dem 17. Jahrhundert etablierte sich Französisch als Bildungssprache. Inzwischen gilt Englisch als die internationale Bildungssprache (vgl. dazu Decke-Cornill & Küster 2010: 10ff.; Trabant 2014). Der Begriff der Bildungssprache impliziert eine spezifische Normativität, eine gesellschaftliche Bewertung von Sprachen: Die Bildungssprache genießt im Sinne einer ›höheren‹ und ›kultivierten‹ Sprache Wertschätzung, wohingegen die ›einfachen‹ Volkssprachen Geringschätzung erfahren. Diese Bewertungen richten sich freilich nicht nur auf die Sprachen selbst, sondern vor allem treffen sie auch die Menschen, die sich der entsprechenden Sprachen bedienen. Im aktuellen erziehungswissenschaftlichen Diskurs – und mit Bezug auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation – ist eine neue Bedeutung des Wortes ›Bildungssprache‹ entwickelt worden, die vor allem auf Jürgen Habermas zurückgeht (vgl. Habermas 1977; Gogolin & Lange 2011). Habermas definiert Bildungssprache durch eine Abgrenzung von den Begriffen der Umgangssprache, Fachsprache und Wissenschaftssprache. Demnach ist
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Umgangssprache diejenige Sprache, die von den Angehörigen einer sozialen Gruppe im Alltag gesprochen und naturwüchsig gelernt wird. Demgegenüber dient die Fachsprache einer größeren Sprachpräzision in speziellen Lebensbereichen und beinhaltet ein Repertoire an Fachwörtern. Die Wissenschaftssprache dient der Tatsachenfeststellung und Prüfung von Aussagen. Sie kann kontextfrei verwendet werden, ist jedoch in bestimmte theoretische Zusammenhänge eingebunden und weist einen hohen Grad an Normierung auf. Mit dem Begriff der Bildungssprache beschreibt Habermas nun dasjenige Medium, durch welches Bestandteile der Wissenschaftssprache von der Umgangssprache adaptiert werden. Sie hat somit die Funktion, Fachwissen in die Alltagsdeutungen einzubringen. Die Bildungssprache wird in verschiedenen Kontexten wie im Fernsehen und Rundfunk verwendet, sie wird aber insbesondere im institutionellen Rahmen der Schule erlernt. Sie orientiert sich an den Regeln der Schriftsprache, auch dann, wenn sie mündlich verwendet wird. Dieser Begriff der Bildungssprache weist dabei auch darauf hin, dass die gesamte nachwachsende Generation in der Schule in ein bestimmtes sprachliches Standardregister eingeführt werden soll, welches sich auf lexikalischer, morpho-syntaktischer und textlicher Ebene von anderen Sprachregistern – und damit auch, je nach soziokulturellem Milieu mehr oder weniger, von der Umgangssprache, welche die Kinder in ihrer Familie lernen und sprechen – unterscheidet. Als wie wichtig die Beherrschung der Bildungssprache für die nachwachsende Generation anzusehen ist, mag der Verweis auf die erste PISAStudie der OECD verdeutlichen (vgl. Baumert et al. 2001): In der ersten Teilerhebung wurden 15-Jährige auf ihre Lesekompetenz getestet, wobei Lesekompetenz die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler abbilden soll, mit unterschiedlichen Texten umzugehen, die in der jeweiligen Bildungssprache verfasst sind. Lesen ist dabei eine Art und Weise, sich eine sprachlich kodierte Lebenswelt selbst anzueignen und an ihr Teil zu haben. Die erste große Vergleichsstudie zur Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern (OECD & Statistics Canada 1995), die mit in die Konzeption der ersten PISA Studie eingeflossen ist, legt nahe, dass es einen statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und künftigen Bildungsabschlüssen, beruflichen Qualifikationen und gesellschaftlichen Positionen gibt. Im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen, die ein lebenslanges Lernen erfordern, wird die Beherrschung der Bildungssprache zu einer Schlüsselqualifikation für die nachwachsende Generation. Studien wie
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PISA zeigen auch, wie schwer es gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund haben, die Bildungssprache Deutsch kompetent zu handhaben (vgl. Gogolin & Lange 2011). Auch dieser an Habermas orientierte Begriff der Bildungssprache schleppt freilich noch die im traditionellen Verständnis von Bildungssprache ausgedrückte normative Unterscheidung zwischen der einen wertvollen und den vielen weniger wertvollen Sprachen mit, wobei der Wert der Sprachen heute meist (mit Bezug auf die Bourdieu’sche Terminologie) im Sinne der Möglichkeit, kulturelles Kapital zu akkumulieren oder ins Spiel zu bringen, gedeutet wird. Die zweite Denktradition, die den Zusammenhang von Bildung und Sprache thematisiert, versteht gerade das Erlernen von fremden Sprachen als Bildung, wobei hier in der Regel keine Wertung der verschiedenen Sprachen vorgenommen wird. In diesen Konzepten wird meist mit Wilhelm von Humboldt darauf verwiesen, dass das Subjekt über die Sprache in ein Verhältnis zur Welt tritt, wobei dieses Verhältnis je nach Sprache verschieden ist. Demnach ist das Erlernen einer fremden Sprache mit der Aneignung einer anderen »Weltansicht« (Humboldt) durch das Subjekt verbunden, was beim Subjekt auch Bewegungen kritischer Distanzierung von der eigenen Weltansicht sowie Reflexionen über die Relativität sprachlich vermittelter Weltansichten überhaupt anzuregen vermag (vgl. z. B. Koller 1997). Aus dieser Sicht ist Sprache nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein Teil von Kultur. Sprachen sind in spezifische kulturelle Gewebe verflochten, die ebenso Sitten und Bräuche einer Gemeinschaft umfassen wie auch deren sozialen Strukturen, historischen Erfahrungen und imaginären Entwürfe. Historisch gesehen lässt sich diese zweite Denktradition zum Zusammenhang von Bildung und Sprache bzw. Mehrsprachigkeit für die europäische Geschichte seit dem Mittelalter rekonstruieren. Eine pädagogische Aufwertung des Reisens – und damit der Notwendigkeit, eine fremde Sprache zu erlernen –, findet man in der höfischen und klerikalen Ausbildung des Mittelalters. So empfiehlt Hugo von St. Viktor (ca. 1091-1141) in seinem Werk Didascalion de studio legendi den Lernenden, die Heimat zu verlassen, um kulturelle, d. h. auch sprachliche, Gewohnheiten abzulegen und dadurch den Blick für die höhere Wahrheit Gottes frei zu machen (Hugo 1997 [1128]: 251 FN60; 269). Im Gegensatz zu dieser religiösen Auffassung standen an den Höfen des mittelalterlichen Europas eher pragmatisch-politische Überlegungen für das Reisen und das Erlernen anderer
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Sprachen im Vordergrund, das Erlernen fremder Sprachen war ein wichtiger Teil der standesgemäßen Erziehung junger Adliger (vgl. Paravicini 2005: 13). Ab dem 13. Jahrhundert wurde es im Zuge der Stadtentwicklung und des sich entfaltenden Handels schließlich auch für Gewerbetreibende immer wichtiger, fremde Sprachen zu erlernen (vgl. Decke-Cornill & Küster 2010: 56f.). In der Renaissance etablierte sich dann die Konversation bei Hofe als wichtige soziale Institution für den Austausch mit Repräsentanten anderer Höfe und Kulturen (Göttert 1998: Sp. 1324). Die Konversation gab dem Austausch einen sozialen Rahmen und eine Form (vgl. Castiglione 1960 [1528]), das Mitredenkönnen an fremden Höfen zeichnete den cortegiano, gentilhomme, gentlemen oder homme honnête aus. Das Sprechen fremder Sprachen war also notwendig, um bei Hofe als verfeinert und gebildet anerkannt zu sein. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Französisch und Italienisch Diplomatensprachen, auch Spanisch gewann an Bedeutung (vgl. Decke-Cornill & Küster 2010: 58). In der Renaissance entwickelte sich auch ein neuer Bezug auf die alten Sprachen, nicht mehr das Latein der Kirche, sondern das der Antike trat, zusammen mit Altgriechisch, in den Vordergrund. Damit verbunden war auch ein verändertes Bildungsverständnis: Im Mittelpunkt standen nun nicht mehr religiöse Heilsvorstellungen, sondern die Entfaltung menschlicher Humanität im (ästhetischen) Rückbezug auf die Antike. Ab der Renaissance entwickelte sich das Reisen der Adelssprösslinge schließlich zur pan-europäischen Institution der ›Kavalierstour‹, die als Vorläufer der ›Bildungsreise‹ gilt, wie sie dann im 18. Jahrhundert entstand (vgl. z. B. Fuhrmann 2004: 173ff.). In den Mittelpunkt rückten vermehrt die unmittelbare Erfahrung anderer künstlerischer und kultureller Ausdrucksformen, Sprech-, Lebens- und Regierungsweisen. Reisen qualifizierte nicht mehr wie im Mittelalter für militärische oder verwaltende Tätigkeiten am eigenen oder fremden Hofe, es bildete durch die individuelle Erfahrung anderer Kulturen. Vielfältige Reiseberichte vom Ende der frühen Neuzeit (z. B. Goethes Italienische Reise von 17861788) legen davon Zeugnis ab. In pädagogischen Ansätzen, die dieser Tradition des Denkens über den Zusammenhang von Sprache und Bildung nahestehen, wird in der Regel die normative Auffassung abgelehnt, dass bestimmte Sprachen – z. B. eben eine spezifische Bildungssprache – anderen Sprachen überlegen seien. Allerdings kommt hier eine andere Normativität ins Spiel, denn vor dem Hintergrund dieser Denkrichtung erscheint Einsprachigkeit als ungebildet.
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Es wird deutlich, dass die beiden skizzierten Denktraditionen über den Zusammenhang von Bildung und Sprache in einem Spannungsverhältnis stehen. Der Auffassung einer einheitlichen Bildungssprache steht das Argument der Bedeutung von kultureller und kognitiver Vielfalt in der Mannigfaltigkeit von Sprachen gegenüber. Dieses Spannungsverhältnis kommt auch in den verschiedenen Beiträgen in diesem Band zum Ausdruck, wobei die Beiträge dabei letztlich Position für die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit in Bildung und Erziehung beziehen. Kerstin Göbel weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass die (faktische) Mehrsprachigkeit der Schülerschaft an deutschen Schulen im Unterricht bis heute kaum Beachtung findet, zudem erfahren nicht alle Sprachen die gleiche Wertschätzung. Mit Bezug auf die empirische Forschungslage zur Mehrsprachigkeit und zur Mehrsprachigkeitsorientierung im Sprachunterricht zeigt Göbel zudem, dass Mehrsprachigkeit sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Ressource darstellt. Denn bilingual Sozialisierte haben gegenüber monolingual Sozialisierten eine »kognitive Überlegenheit«, auch wenn sie beim Sprechen eine geringere Wortflüssigkeit aufweisen; und Klassen, in denen viele mehrsprachige Schülerinnen und Schüler sind, erreichen bessere Leistungen in Englisch als Klassen, in denen keine mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler anwesend sind. Gleichzeitig kann Göbel mit ihren empirischen Forschungen zeigen, dass dieses Potenzial der Mehrsprachigkeit bislang von Lehrkräften im Unterricht kaum – und schon gar nicht systematisch – genutzt wird. So führen die Forschungen letztlich zu dem Plädoyer, in der Pädagogik mehr Mehrsprachigkeit zu wagen. İnci Dirim und Doris Pokitsch gehen in diesem Band anhand der Analyse von Unterrichtsmaterial im Rahmen von ›Deutsch als Zweitsprache‹ darauf ein, dass die Zuschreibung von kultureller Zugehörigkeit (auch ungewollt) zu Diskriminierungen von Migrantinnen und Migranten führen kann. Mit dem Begriff des Othering verweisen sie darauf, dass durch die Herstellung von ›Fremdheit‹ inferiorisierende Subjektpositionen hervorgebracht werden können. Im gesellschaftlichen Diskurs – wie an Schulen – gelten die verschiedenen Sprachen unterschiedlich viel, die Bildungssprache ist Norm und Standard, an dem gemessen viele andere Sprachen als weniger bedeutend und wertvoll erscheinen. Dirim und Pokitsch sprechen sich dementsprechend für mehr pädagogische Sensibilität im Umgang mit dem ›Fremden‹ aus.
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Was, wenn eine Sprache für nicht würdig angesehen wird, um in ihr zu Philosophieren? Auf diese Frage geht Fumio Ono ein. Ono zeichnet nach, wie der japanische Philosoph Tetsurō Watsuji in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts versuchte, einen theoretischen Ansatz zu entwickeln, der das Philosophieren auch auf Japanisch legitimiert. Dieses Philosophieren, so Watsuji, sei dadurch gekennzeichnet, dass es sich der Sprache des Alltags bediene und damit emotionaler und weniger rationalistisch sei als Griechisch und Deutsch, also als die ›eigentlichen‹ Sprachen der Philosophie. Ono zeigt aber auch, wie Watsuji letztlich insofern über das gesteckte Ziel hinausschießt, als seine Philosophie nationalistische Tendenzen enthält. Christoph Wulf legt dar, dass die Aneignung der »eigenen« sprachlichen Weltansicht und des Imaginären der eigenen Kultur in mimetischen Lernprozessen geschieht. Bildung in fremden Sprachen heißt nach Wulf dann, dass das Subjekt sich über die Auseinandersetzung mit fremdsprachlicher Literatur auch das Imaginäre anderer kultureller Welten erschließt, was wiederum in mimetischen Prozessen verläuft. Bildung in fremden Sprachen, so verstanden, hat immer auch kulturelle Aspekte und umfasst Prozesse interkulturellen Verstehens. Mit der Betonung des Imaginären weist Wulf zudem darauf hin, dass Bildung in fremden Sprachen mehr ist als die Aneignung kommunikativer Kompetenzen. Wenn das Erlernen einer Fremdsprache bedeutet, sich eine ›fremde‹ Weltansicht, und damit auch eine andere Identität anzueignen, dann impliziert dies, dass im Fremdsprachenunterricht transkulturelle Subjekte hervorgebracht werden können – Subjekte, die keiner Kultur eindeutig zugeordnet werden können, sondern eine mehrschichtige kulturelle Identität haben und über die Relativität kultureller Bindungen reflektieren können, wie Henning Rossa herausstellt. Um einen Fremdsprachenunterricht, der dies leistet, zu realisieren, so Rossa, bedarf es allerdings noch der Entwicklung geeigneter didaktischer wie evaluativer Konzepte. Die Rede von Mehrsprachigkeit und vom Erlernen mehrerer Sprachen darf sich freilich nicht allein auf Nationalsprachen beziehen. Denn Nationalsprachen sind keineswegs homogene Gebilde, vielmehr sind sie immer auch in sich differenziert und enthalten z. B. unterschiedliche Dialekte, Soziolekte und Idiolekte. Aus anthropologisch-phänomenologischer Sicht spiegelt sich diese faktische Mehrsprachigkeit der sozialen Welt auch in den Subjekten selbst wieder, so dass sich mit dem Beitrag von Cornelie Dietrich sagen lässt, dass es streng genommen gar keine einsprachigen Sub-
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jekte gibt. Jedes Subjekt macht die Erfahrung, dass die Sprache selbst vielstimmig ist. So können z. B. der Klang der Stimme und die Semantik des Gesagten in vielfältiger Weise (spielerisch) in unterschiedliche Verhältnisse gesetzt werden. Der Begriff der Bildung verweist dann auf die Frage, über wie viele verschiedene Sprachregister bzw. Sprachen ein Subjekt verfügt und wie sicher es sie beherrscht. Normativ gewendet heißt das mit Cornelie Dietrich auch, dass die potenzielle Offenheit und Vielstimmigkeit des Sprechens pädagogisch ernst genommen und offengehalten werden muss. Ruprecht Mattig geht auf die (Bildungs-)Reisen Wilhelm von Humboldts, des Theoretikers der sprachlichen »Weltansichten«, ein und arbeitet den ethnographisch-forschenden Charakter dieser Reisen heraus. Dabei haben insbesondere Humboldts Studien im Baskenland seine Überlegungen zum Zusammenhang von Sprache und »Weltansicht« geprägt. Humboldt hat im Zuge seiner empirischen Forschungen zu Sprachen in fremden Ländern zudem erkannt, dass es in Deutschland eine tiefe »Kluft« zwischen den Gebildeten und dem Volk gibt, und dass diese Kluft vor allem durch die Sprache hervorgebracht wird. Mattigs Beitrag zeigt, dass Humboldt ein Verständnis von Bildung hatte, welches die Vielfalt der Sprachen wertschätzte; er zeigt aber auch, dass Humboldt sich explizit gegen ein gegenläufiges Bildungsverständnis verwahrte, welches den »Volkssprachen« keine Bedeutung zumisst. Humboldt sah die damalige Verwendung der französischen Sprache als Bildungssprache in Europa kritisch und plädierte stattdessen dafür, die kulturelle Individualität der verschiedenen Nationen Europas anzuerkennen. Humboldt, der in der Erziehungswissenschaft bislang nur als Theoretiker der Bildung wahrgenommen wird, muss dementsprechend auch als empirischer Forscher angesehen werden.
E NGLISCH
ALS L INGUA F RANCA AUS BILDUNGSTHEORETISCHER S ICHT Im Kontext aktueller Prozesse der Globalisierung und Internationalisierung nimmt die englische Sprache eine besondere Stellung als Verkehrssprache in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik und Tourismus ein. Englisch ist in der Regel die Sprache des ›kleinsten gemeinsamen Nenners‹ zwischen Personen unterschiedlicher Nationalität. Spätestens seit dem Ende des zweiten Weltkrieges hat Englisch die französische Sprache als Lingua
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Franca abgelöst. Der Begriff Lingua Franca bezeichnet ursprünglich eine im Mittelalter insbesondere für den Handel entstandene Behelfssprache, die den Sprechern der romanischen und nicht-romanischen Sprachen zur Verständigung diente (Lexikon der Sprachwissenschaft, s. v. ›Lingua Franca‹). Seit dem 18. Jahrhundert wird der Begriff Lingua Franca als allgemeine Bezeichnung für ähnlich geartete Mischsprachen und in jüngster Zeit ebenso für gewohnheitsmäßig als Verkehrssprache verwendete Sprachen wie das Englische benutzt (zum Begriff der Lingua Franca vgl. z. B. DeckeCornill & Küster 2010: 12). Im Hintergrund der Entwicklung des Englischen zur globalen Lingua Franca stehen freilich auch politische Machtverhältnisse und ökonomische Interessen. Insofern Englisch in den Schulen vieler Länder zur ersten Fremdsprache geworden ist, hat sich das Englische aber auch zur globalen Bildungssprache entwickelt (vgl. ebd.: 12ff.). 2 Ein kurzer Blick auf die Geschichte des Englischlernens in Deutschland mag diesen Prozess demonstrieren: Englisch wurde bereits im späten 19. Jahrhundert in Deutschland als Fremdsprache unterrichtet (z. B. ab 1870 in den Volksschulen Hamburgs) und 1955 mit dem Düsseldorfer Abkommen der Kultusministerkonferenz als erste Fremdsprache im deutschen Schulwesen verpflichtend eingeführt. Dabei ist der Beginn des Englischunterrichts in der letzten Zeit beträchtlich nach vorne verschoben worden. In Nordrhein-Westfalen wird Englisch beispielsweise seit dem Schuljahr 2008/2009 bereits im zweiten Halbjahr der ersten Klasse unterrichtet, wohingegen es zuvor erst ab der Sekundarstufe I auf dem Lehrplan stand. Dem aktuellen Lehrplan des Landes NordrheinWestfalen folgend, hat der Englischunterricht in der Grundschule zwei Ziele: Zum einen sollen die Schülerinnen und Schüler konkrete kommunikative Fähigkeiten erwerben und sich also auf Englisch verständigen können. Zum anderen soll der Englischunterricht als »Modell« dienen, an welchem die Schülerinnen und Schüler »Interesse und Freude am Sprachenlernen und an fremden Lebenswelten« entwickeln können und sollen (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2008: 5). Insofern geht es im Englischunterricht an Schulen auch um interkulturelles Lernen (ebd.: 10). Die oben skizzierte Diskussion um die »Weltansichten« von Sprachen und um interkulturelle kommunikative Kompetenz hallt hier
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In der Literatur gehen die Begriffe ›Lingua Franca‹ und ›Bildungssprache‹ teilweise in einander über. Eine klare Abgrenzung der Begriffe findet sich nicht.
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nach, insofern die Sprache mit spezifischen »Lebenswelten«, die »authentisch« erfahren werden sollen, in Verbindung gebracht wird. 3 Mit den Veränderungen der globalen Rahmenbedingungen und der gesellschaftlich-politischen Zielsetzungen geht auch eine Veränderung der Didaktik des Englischunterrichts einher. Katherine Kerschen zeichnet in diesem Band die Veränderungen der Englischdidaktik nach und diskutiert die Bedeutung des Englischunterrichts in Zeiten des Englischen als globaler Verkehrssprache. Sie geht davon aus, dass das Englische als Lingua Franca in lexikalischer, grammatikalischer, phonologischer sowie pragmatischer Hinsicht von dem Englisch der Muttersprachler abweicht und bestimmte Charakteristika des Englischen als Lingua Franca aus Perspektive eines Muttersprachlers als Fehler in der Sprachverwendung angesehen werden können. Englisch als Lingua Franca muss also als eine spezielle Sprachform angesehen werden, die sich qualitativ von muttersprachlichem Englisch unterscheidet. In der Konsequenz dieser Gegenüberstellung fragt Kerschen, ob die Lehrziele hinsichtlich des Fremdsprachenunterrichts Englisch weniger an dem britischen oder amerikanischen Standardenglisch, sondern vielmehr eben an der englischen Sprache als Lingua Franca selbst orientiert werden sollten. Mit Bezug auf empirische Untersuchungen zeigt Kerschen, dass viele Englisch-Lehrerinnen und -Lehrer unsicher sind, ob sie Englisch als Lingua Franca (und damit gleichsam losgelöst von spezifischen kulturellen Bedingungen) oder als eine Sprache mit spezifischem Kulturbezug unterrichten sollen. Die Frage der Vermittlung einer »Weltansicht« im Medium der Fremdsprache Englisch erscheint vor diesem Befund als ambivalent und – im Interesse der pädagogischen Praxis – als klärungsbedürftig. Während der kommunikative Nutzen des Englischen in der globalen Welt unbestritten ist, stellt sich aus bildungstheoretischer Sicht also die Frage, inwiefern gerade das Englische in seiner Verwendung als Lingua Franca geeignet sein soll, interkulturelles Lernen zu fördern. Kann eine
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Zu denken gibt zudem, dass die Erschließung neuer Lebenswelten und die Auseinandersetzung mit kultureller Vielfalt über den Erwerb der englischen Sprache explizit nicht nur im Kontext des internationalen Austauschs gedacht werden, sondern auch innerhalb Deutschlands. Englisch erscheint somit (auch) als Lösung für das Problem der innerdeutschen sprachlichen und kulturellen Pluralität der Schülerinnen und Schüler.
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Sprache, die losgelöst von einer kulturellen »Weltansicht« vermittelt wird, überhaupt differenzierte Bildungserfahrungen im oben genannten Sinne vermitteln? Die gemeinsame Verkehrssprache Englisch vermag zwar eine kommunikative Brücke zwischen Gesprächspartnern zu schlagen, jedoch nur bedingt deren jeweilige kulturelle Identität und Positionalität aufzuhellen, da die verschiedenen kulturellen Besonderheiten nicht über ihre jeweilige Sprache transportiert werden, sondern nur durch das Englische hindurch gebrochen in Erscheinung treten. In diesem Band wird diese Ambivalenz des Englischen auch in den Beiträgen von Jürgen Trabant, Paul Standish und Fumio Ono herausgearbeitet. Trabant legt in seinem Beitrag dar, dass Englisch als Lingua Franca nicht nur zu einer Verflachung der sprachlichen Landschaft in Europa führt, sondern auch zu einer Verflachung der europäischen Kultur. Er kritisiert eine Bildungspolitik, die im Fremdsprachenunterricht allzusehr auf das »Globalesisch« als einer global vereinheitlichten Kommunikationssprache abzielt, weil eine Welt, die durch das Englische dominiert wird, keine mehrsprachige Welt mehr wäre und dem Denken der Subjekte differenzierte Entfaltungsmöglichkeiten vorenthalten würden. Gerade eine Bildungstheorie, die auf ein differenziertes Denken setzt, muss dem »Globalesischen« also skeptisch gegenüberstehen und dem Englischen als erster Fremdsprache im Sinne einer »Befreundung« (Trabant) mindestens noch eine weitere Fremdsprache zur Seite stellen. Paul Standish reflektiert kritisch über die doppelte Autorität – die praktische Autorität sowie das Prestige –, die die englische Sprache im Zuge der Gloablisierung erhalten hat. Anglophone Begriffe wie ›social justice‹ prägen mittlerweile den Diskurs auch in Ländern, die nicht anglophon sind. Als Englischsprechender, der sich auf internationalen Konferenzen mit der globalen Sprache ›English-as-a-second-language‹ auseinandersetzen muss, weist Standish drauf hin, dass gerade geisteswissenschaftliche Fragen nach einer differenzierteren Sprachpraxis verlangen. Auch Fumio Ono thematisiert in seinem Beitrag die Hegemonie des Englischen, wobei er auf die zunehmende sprachliche Anglisierung der akademischen Welt in Japan blickt. Angesichts der Gefahr des Verlusts eines differenzierten Denkens bei der Durchsetzung einer einheitlichen Sprache spricht auch er sich dafür aus, dem Thema des Übersetzens mehr Beachtung zu schenken – Übersetzung verstanden als ein Stottern und »Ver-
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heddern der Zunge«, und letztlich als Katalysator der Bildung, in dem das Fundament des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ in Frage gestellt wird. Das oben bereits angesprochene Spannungsverhältnis zwischen der Bedeutung einer dominanten Bildungssprache einerseits und der Wertschätzung sprachlicher Vielfalt andererseits findet also einen konkreten Niederschlag in aktuellen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Entwicklungen hinsichtlich der englischen Sprache.
Z UR Ü BERSETZUNG VON ›B ILDUNG ‹ IN FREMDE S PRACHEN Nehmen wir den Gedanken ernst, wonach der Unterschied verschiedener Sprachen nicht nur in Bezug auf die Sprachlaute besteht, sondern auch auf verschiedene »Weltansichten« verweist, so stellt sich das Übersetzen als eine besondere Herausforderung heraus. Was in einer Sprache gesagt wird, lässt sich nicht ohne Weiteres genau so in einer anderen Sprache sagen, denn dafür müsste auch die spezifische »Weltansicht« in die andere Sprache mit hinübergetragen werden. Die Tätigkeit des Übersetzens ist dementsprechend mit der Aufgabe verbunden, die Weltansicht der Ausgangssprache mit der Weltansicht der Zielsprache zu vermitteln. Je nach Übersetzungstheorie (und Geschmack) kann die Übersetzung dann mehr in eine der beiden Richtungen tendieren: Wird versucht, die Weltansicht der Ausgangssprache so weit wie möglich zu erhalten, so hat der übersetzte Text in der Zielsprache einen fremden Charakter, der Text trägt das spezifische Lokalkolorit der Ausgangssprache mit in die Zielsprache hinein. Wird dagegen versucht, die Übersetzung so klingen zu lassen, dass sie wie in der Zielsprache geschrieben erscheint, so geht die Weltansicht der Ausgangssprache weitgehend verloren (vgl. Sachwörterbuch der Literatur, s. v. ›Übersetzung‹). Der Zusammenhang von Übersetzen und Bildung wird in dem Beitrag von Paul Standish systematisch betrachtet. Standish sieht ein wichtiges Bildungspotenzial in der Tätigkeit des Übersetzens, da beim Übersetzen die Unterschiede von Sprachen hinsichtlich Grammatik und Semantik beson-
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ders augenfällig werden und vom übersetzenden Subjekt Entscheidungen verlangen, die letztlich auch ethische Implikationen haben. 4 Auch das Wort ›Bildung‹ bereitet beim Übersetzen Schwierigkeiten. Es gilt als schwer in andere Sprachen übertragbar. Bereits das Deutsche Wörterbuch, das ab 1852 in Einzelbänden von Jacob und Wilhelm Grimm herausgegeben wurde, hebt hervor, dass das Wort ›Bildung‹ im europäischen Vergleich eigentümlich für den deutschen Sprachgebrauch sei (Deutsches Wörterbuch, s. v. ›Bildung‹). Vielfach wird in der Literatur der »deutsche Sonderweg« (Bollenbeck 1994: 20ff.) oder die »deutschsprachige Besonderheit« (Stojanov 2006: 27ff.) herausgestellt, die mit dem Begriff der Bildung gegeben seien. Weder im Englischen noch im Französischen gibt es die semantische Unterscheidung von Bildung und Erziehung – unter Bildung wird meist eine selbsttätige Aneignung von Welt durch Subjekte verstanden, während Erziehung als intentionale Fremdeinwirkung auf Subjekte angesehen wird –, die pädagogischen Begriffe education bzw. éducation werden in der Regel mit ›Erziehung‹ übersetzt. 5 Damit stellt sich die Frage, wie ›Bildung‹, der deutsche Fach- und Grundbegriff der Erziehungswissenschaft, in Sprachen wie das Englische oder das Französische übersetzt werden kann. In der Übersetzungspraxis gibt es verschiedene Lösungen zum Umgang mit diesem Problem, etwa finden sich englischsprachige Publikationen, in denen Bildung durchgängig mit education übersetzt wird, andere Übersetzungen nutzen je nach Kontext verschiedene Begriffe wie formation und cultivation (neben education), andere wiederum übersetzen den Begriff gar nicht erst, sondern setzen ihn kursiv als Bildung in den englischen Text (manchmal mit einer entsprechenden Erklärung in einer Fußnote). Es ist also keinesfalls klar, was ›Bildung‹ in fremden Sprachen bedeutet. Die These von der »deutschsprachigen Besonderheit« des Bildungsdenkens wird allerdings wiederum in Frage gestellt, wenn das Russische betrachtet wird, in dem es eine ähnliche Bedeutungsunterscheidung zwischen
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Dass das Übersetzen mit ›Bildung‹ zu tun hat, ist dabei letztlich eine Interpretation der HerausgeberIn, da Standishs Beitrag auf Englisch ist und das Wort ›Bildung‹ in diesem Zusammenhang nicht enthält.
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Gleichwohl deckt das adjektivische Partizip educated im Englischen (z. B. im Satz »The chair is an educated person.«) ähnliche Bedeutungsfelder wie das deutsche ›gebildet‹ ab (folglich könnte das Beispiel »The chair is an educated person.« mit »Die/der Vorsitzende ist eine gebildete Person.« übersetzt werden).
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Obrasovanie (образование, Bildung) und Vospitanie (воспитание, Erziehung) gibt (vgl. Stojanov 2006: 28). Diese Betrachtung verweist darauf, dass das pädagogische Feld und der theoretische Zugriff darauf je nach Sprache in historisch spezifischer Weise konstituiert werden. Es lohnt daher, den erziehungswissenschaftlichen Blick auf andere Sprachen als das Englische oder Französische auszuweiten. Wie aus dem bisher Gesagten bereits deutlich wurde, sind verschiedene Sprachen keineswegs voneinander abgetrennte Einheiten; vielmehr beeinflussen sich Sprachen gegenseitig, ihre historische Entwicklung ist durch vielfältige und komplexe Migration von Begriffen, grammatischen Strukturen etc. geprägt, wie in jüngster Zeit hinsichtlich der Übertragung angelsächsischer Begrifflichkeiten in das deutsche Bildungsdenken deutlich wurde. Wird allerdings die Frage nach Bildung in fremden Sprachen gestellt – dreht sich die Perspektive also um – so drängt sich der Verdacht auf, dass auch der deutsche Bildungsbegriff auf andere (nationale) Sprachen eingewirkt und dabei die nationalen Diskurse über pädagogische Sachverhalte geprägt haben könnte. Während also der Bildungsbegriff aktuell unter dem Einfluss angelsächsischen Denkens steht, soll in diesem Band auch gefragt werden, wie der Bildungsbegriff in andere Sprachen migriert ist und andere nationale Diskurse beeinflusst hat. Diese Frage wird exemplarisch am Fall Japans untersucht. Durch seine geographische Lage wurde Japan historisch stark durch den religiösen und philosophischen Austausch mit China und Korea geprägt. Besonders der Buddhismus und Konfuzianismus, die aus China und Korea übernommen wurden, nahmen ab dem 6. Jahrhundert großen Einfluss auf das Leben und Denken in Japan (Hammitzsch 1990: 281f.). Nach einer ausgedehnten Zeit der nationalen Abschottung und strengen Kontrolle von fremden Einflüssen durch die Militärregierung der Shogune (1603 bis 1868) kam es 1868 mit der offiziellen Wiedereinsetzung des Kaisers Meiji (1852-1912) als Staatsoberhaupt zu weitreichenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Reformen, die sich stark am europäischen und US-amerikanischen Ausland orientierten (Hammitzsch 1990: 291ff.). In dieser – auch als Meiji-Zeit bekannten – Periode des gesellschaftlichen Umbruchs entsandte die Regierung Japans ab der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts gezielt mehrere Missionen, um vielversprechende intellektuelle, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen des europäischen und US-amerikanischen Auslands zu erkunden und ggf. auf Japan zu über-
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tragen. Als Folge dieser Missionen wurden in Japan ganze wissenschaftliche Disziplinen mit ihren zugehörigen Fachsprachen, beispielsweise die Philosophie, nach westlichem Vorbild geschaffen (vgl. Havens 1970). Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht ist schon verschiedentlich gezeigt worden, dass Japan nach seiner Öffnung zum Westen hin eine Phase intensiven Imports auch pädagogischer Konzepte aus dem Westen durchlaufen hat. In der ersten Zeit war auch pädagogisches Gedankengut aus Deutschland dabei, nach dem zweiten Weltkrieg dann wurde das Schulwesen Japans nach US-amerikanischem Vorbild (wieder) aufgebaut (vgl. z. B. Brameld 1968; Foljanty-Jost 2004). Wie im Beitrag von Jun Yamana in diesem Band deutlich wird, hat auch der deutsche Begriff der ›Bildung‹ eine starke Rezeption in Japan gefunden. Allerdings hat sich kein festes Wort als Übersetzung ergeben, vielmehr sind verschiedene japanische Worte vorgeschlagen worden, die den deutschen Gedanken der ›Bildung‹ auf Japanisch zum Ausdruck bringen sollten. Yamana zeigt auf, welche historischen Entwicklungen diese verschiedenen Übersetzungen von ›Bildung‹ dann in Japan genommen haben. Letztlich, so Yamanas These, ist durch die verschiedenen Übersetzungen des Bildungsbegriffes und durch das damit einhergehende »Herumtollen« der Signifikanten eine semantische Unübersichtlichkeit in den pädagogischen Diskurs in Japan geraten, die bis heute zu (oft nicht einmal als solchen wahrgenommenen) Missverständnissen führt. Während Yamana insbesondere die japanischen Worte Ningenkeisei (人 間形成) und Tōya (陶冶) aus historischer Perspektive untersucht, nimmt Akio Ogawa in seinem Beitrag den japanischen Begriff Kyōyō (教養), der auch zur Übersetzung für ›Bildung‹ verwendet wird, aus linguistischer Sicht systematisch in den Blick. Ogawa stellt Kyōyō im Zuge eines Sprachund Kulturvergleichs dem deutschen Begriff Bildung gegenüber und macht deutlich, dass Übersetzungen stets nur eine begriffliche Annäherung sein können, da die Begriffsinhalte kulturell und gesellschaftlich geprägt sind. Die verschiedenen Bedeutungen von Kyōyō und Bildung erarbeitet er anhand der grundsätzlichen Sprachtypen des Deutschen und Japanischen. Bildung wird im Japanischen begrifflich zu einem »Netz aus Erfahrungen« und hat somit eher einen räumlichen Charakter als einen zeitlichdynamischen, wie im Deutschen. Bildung und Kyōyō stellen nach Ogawa begriffliche Ergänzungen dar, in denen der Gegenstand je nach Kultur unterschiedlich perspektiviert wird.
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B ILDUNG IN FREMDEN S PRACHEN AUS EMPIRISCHER S ICHT Schließlich sei in dieser Einleitung noch ein Aspekt aufgegriffen, der zwar von keinem der Beiträge direkt fokussiert wird, aber in der Ringvorlesung immer wieder Anlass für Diskussion gab. Wenn gesagt wird, dass es immer mehr Menschen gibt, die mehrsprachig aufwachsen, oder dass das Erlernen fremder Sprachen zu Bildungsprozessen im Sinne der Erweiterung der Weltansicht der Subjekte führt, so sind dies zunächst einmal nur Behauptungen. Um zu differenzierten und belastbaren Aussagen über den Zusammenhang von Bildung und Mehrsprachigkeit zu kommen, bedarf es empirischer Untersuchungen. Die Forderung nach Empirie zieht die Frage nach der geeigneten Methodologie nach sich. Den Zusammenhang von Bildung und (fremden) Sprachen empirisch zu untersuchen, ist freilich eine methodische Herausforderung. Bis heute stellt sich die Frage, wie der Begriff der ›Bildung‹ gefasst werden muss, um ihn empirisch anschlussfähig zu machen. ›Bildung‹ gilt als vager, vieldeutiger und auch idealistischer Begriff, der sich gegen die für empirische Forschungen oft geforderte Operationalisierung sperrt (vgl. z. B. Fuchs 2012). Auch der Begriff der »Weltansichten«, der im Rahmen einer an Humboldt orientierten Bildungstheorie immer wieder genannt wird, gilt als problematisch, weil er kaum je klar definiert wurde (vgl. Landfester 1988: 39; Mattig 2017). Ein Blick in die Forschungslandschaft zeigt dabei, dass im Rahmen unterschiedlicher Untersuchungsdesigns auch verschiedene Konzepte von ›Bildung‹ verwendet werden. Empirische Untersuchungsdesigns lassen sich grundlegend in quantitative und qualitative Forschungen differenzieren. In quantitativ orientierten Forschungen wird der Begriff ›Bildung‹ aufgrund der Schwierigkeit, ihn zu operationalisieren, kaum verwendet. Durchgesetzt hat sich der Begriff der ›Kompetenz‹, der exemplarisch mit Bezug auf die DESI-Studie (Deutsch Englisch Schülerleistungen International) dargestellt werden soll (vgl. Klieme & Beck 2007; Klieme et al. 2008). Die DESI-Studie erhebt die sprachlichen ›Kompetenzen‹ von Schülerinnen und Schülern an deutschen Schulen für die Sprachen Deutsch und Englisch, um diese Kompetenzen im Hinblick auf verschiedene Vergleichsebenen zu analysieren, wobei neben den individuellen auch die familiären, unterrichtlichen und schulischen Bedingungen sprachlicher Leistungen eine Rolle spielen. So werden in der DESI-Studie verschiedene
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Kompetenzen voneinander unterschieden (Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Textkonstruktion, Sprachbewusstheit, Sprechen und interkulturelle Kompetenz) und jeweils mit spezifischen Testverfahren gemessen. Der Begriff der Kompetenz wird dabei funktional verstanden und bezieht sich auf eine erfolgreiche Bewältigung von Situationen, in denen eine fremde Sprache verwendet werden muss. Aus bildungstheoretischer Sicht stellt sich hier die Frage, in welchem Verhältnis die Begriffe ›Kompetenz‹ und ›Bildung‹ zueinander stehen. Vor dem Hintergrund bildungstheoretischer Traditionen kann die bloße kommunikative Beherrschung einer fremden Sprache kaum als Bildung bezeichnet werden, denn es fehlen dann die reflexiven Momente, die durch die Konfrontation und Auseinandersetzung mit einer anderen »Weltansicht« – einer anderen Kultur – angeregt werden können. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Begriff der Bildung allerdings durchaus mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz in Zusammenhang bringen, bezeichnet interkulturelle Kompetenz im Rahmen der DESI-Studie doch die Fähigkeit, »[…] in kulturangemessener Form zu denken und zu handeln« (Hesse & Göbel 2007: 261). In diesem Sinne lässt sich also sagen, dass untersucht wird, inwiefern die Lernenden einer fremden Sprache eben nicht nur diese fremde Sprache beherrschen, sondern auch, ob und inwiefern sie sich auch die Weltansicht der mit der fremden Sprache gegebenen Kultur angeeignet haben. Dass die Ausarbeitung eines angemessenen Testinstrumentes zur Erfassung interkultureller Kompetenz dann allerdings wiederum mit Schwierigkeiten verbunden ist, deutet Rossa in seinem Beitrag in diesem Band an. Im Rahmen qualitativer Forschung sind offene, nicht eindeutig definierte Begriffe weniger problematisch als in der quantifizierenden Forschung. Begriffliche und theoretische Konstrukte haben in qualitativen Studien oftmals einen heuristischen Charakter. Das heißt, sie dienen dazu, einen empirischen Gegenstand überhaupt erst zu erschließen; unter Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten rücken spezifische Eigenschaften und Dynamiken des Gegenstandes in den Blick. Der heuristische Charakter qualitativer Studien zeigt sich z. B. in der Studie von Cornelie Dietrich in diesem Band, wo das Sprachspiel zweier Jugendlicher erschlossen wird. Die Jugendlichen lernen hier keine Fremdsprache im üblichen Sinne, sondern sie spielen mit Beleidigungen. Die untersuchte Interaktion, in der die beiden Jugendlichen virtuos und spielerisch mit Beleidigungen umgehen, mag auf den ersten Blick nichts mit ›Bildung‹ zu tun haben. Aber vor dem Hintergrund phä-
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nomenologischer und sprachanthropologischer Überlegungen weist Dietrich darauf hin, wie die Jugendlichen zwischen verschiedenen Ebenen sprachlichen Verhaltens wechseln. Dietrich schliesst aus ihren Beobachtungen, dass sich in der Jugendphase ein »doppelter Boden« in der Sprachlichkeit der Subjekte etabliert. Damit kann sie die These aufstellen, dass es eine altersspezifische Entwicklung des Umgangs mit der Mannigfaltigkeit der sprachlichen Weltansichten gibt. Bildungstheoretisch sind diese Überlegungen schließlich deshalb bedeutend, weil die Erfahrungen, die Jugendliche in Bezug auf ihre Sprachlichkeit machen, die Möglichkeit zur Reflexion und zum kritischen Umgang mit angetragenen gesellschaftlichen Erwartungen anregen können. So lässt sich gerade dieses »Sprachspiel« der Jugendlichen im Sinne der Erfahrung und der performativen Bearbeitung der Vielstimmigkeit der Sprache selbst verstehen – und damit als Bildungsprozess. Dieses heuristische Vorgehen bei qualitativen Studien lässt sich, wie Mattig in diesem Band darstellt, bereits bei Humboldt selbst beobachten, der bis zu seiner Bekanntschaft mit den Basken das Thema ›Bildung‹ nur beiläufig mit Sprache in Verbindung gebracht hatte. Erst im Baskenland, erst in der Auseinandersetzung mit der ihm so fremden baskischen Sprache, kommt ihm der Gedanke, wie wichtig die Sprache im Zusammenhang seiner anthropologischen Bildungstheorie ist. Auf diese Weise waren seine empirisch-qualitativen Forschungen im Baskenland gleichsam der Katalysator für seine späteren epochemachenden Überlegungen zur Sprachphilosophie. Ohne hier weiter in diese Diskussion einzusteigen – der einzelnen Untersuchungen im Bereich quantitativer sowie qualitativer Forschung sind einfach zu viele, um sie hier erschöpfend analysieren zu können –, zeichnet sich doch ein Unterschied hinsichtlich der Verwendung des Begriffes ›Bildung‹ in quantitativen und qualitativen Studien ab: Während ›Bildung‹ in quantitativen Studien oft im Sinne von Kompetenz und Leistung verstanden wird, erscheint ›Bildung‹ in qualitativen Untersuchungen kaum als Leistung, sondern als ein heuristischer, oft an die bildungsphilosophischen Traditionen anknüpfender Begriff mit offenen Bedeutungshorizonten, der auch Dimensionen wie z. B. kritische Reflexivität oder Widerständigkeit gegenüber gesellschaftlichen Rollenanforderungen umfasst. Was ›Bildung in fremden Sprachen‹ genau bedeutet, hängt also offensichtlich auch vom gewählten Untersuchungsdesign ab.
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Insofern es das Ziel der Ringvorlesung war, über den Bildungsbegriff zu reflektieren und die bildungspolitischen Entwicklungen kritisch zu kommentieren, lassen sich, die vorangegangenen Ausführungen zusammenfassend, folgende Thesen formulieren: •
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Der Zusammenhang ›Bildung und Sprachen‹ steht in einem Spannungsverhältnis, das zwischen den Polen ›eine Bildungssprache vs. viele (potenziell ungebildete) Sprachen‹ und ›Mehrsprachigkeit als Bildung‹ liegt. An beiden Polen finden sich dementsprechend unterschiedliche Bildungsverständnisse, die sich auch in unterschiedlichen bildungspolitischen Positionen ausdrücken. Aufgabe ist eine reflektierte und fruchtbare Vermittlung dieser theoretischen und politischen Richtungen. Sowohl die aktuelle Praxis an deutschen Schulen als auch bildungspolitische Tendenzen betonen allerdings eher den Pol der einen Bildungssprache (sei diese Deutsch oder Englisch), was aus Sicht der Beiträge dieses Bandes zu der Forderung führt, die Mehrsprachigkeit stärker zu betonen, z. B. durch mehr Mehrsprachigkeitsorientierung im Unterricht oder durch Einbezug des Themas Übersetzung. Wurde bisher schon deutlich, dass ›Bildung‹ nicht gleich ›Bildung‹ ist, so gilt dies erst recht, wenn ›Bildung‹ in fremden Sprachen ausgedrückt werden soll, wie das Beispiel der japanischen Übersetzungen zeigt. ›Bildung‹ hat zwar semantische Gemeinsamkeiten mit Worten wie Tōya (陶冶), Kyōyō (教養) oder Ningenkeisei (人間形成), doch lassen sich auch markante Unterschiede feststellen. Diese Reflexionen machen auf die Bindung pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Denkens an die Sprache, in der es formuliert wird, aufmerksam. Pädagogische Begrifflichkeiten müssen als indigene Konzepte verstanden werden, die in der Spannung zwischen universellen und partikularen Bedeutungen stehen. ›Bildung‹ ist im deutschen pädagogischen Diskurs geradezu omnipräsent und universell; aus globaler Perspektive dagegen erscheint ›Bildung‹ als ein partikulares Konzept, welches nur ein kleiner Teil der Menschheit verwendet. Unterschiedliche Bildungsverständnisse können auch hinsichtlich verschiedener methodischer Ausrichtungen in der empirischen Sozialforschung zum Zusammenhang von Bildung und Sprachen festgestellt werden. Während quantifizierende Forschungen oftmals ›Bildung‹ in verschiedene Kompetenzen auffächern und damit im Sinne von Leis-
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tungen messbar machen, orientieren sich qualitative Forschungen an eher heuristischen Begriffen, die dabei helfen, das empirische Material zu erschließen, wobei ›Bildung‹ eher im philosophischen Sinne als Potenzial kritischer Reflexivität verstanden wird. Um über die ›Bildungsrealität‹ in möglichst umfassender Weise etwas zu erfahren, sind beide Forschungsansätze notwendig. Die Spannung zwischen den dabei jeweils zugrundeliegenden Bildungsverständnissen gilt es auszuhalten und zu reflektieren. Keiner der folgenden Beiträge betrachtet nur einen der oben angesprochenen Aspekte »Sprache und Bildung«, »Englisch als Lingua Franca«, »Zur Übersetzung von ›Bildung‹ in fremde Sprachen« und »Bildung in fremden Sprachen aus empirischer Sicht«. Der Aufbau des Bandes ist gleichwohl nicht zufällig, sondern folgt folgender Überlegung: In den Beiträgen von Göbel, Dirim & Pokitsch und Dietrich wird das Thema Mehrsprachigkeit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, die dann folgenden Beiträge von Rossa, Wulf, Mattig und Trabant widmen sich aus unterschiedlichen Sichtweisen der Verknüpfung von Sprache und Kultur. Eine spezifische Orientierung erhalten diese Reflexionen dann in Fragestellungen nach dem Status des Englischen als globaler Lingua Franca, die in den Beiträgen von Kerschen, Standish und Ono bearbeitet werden. Der Band schließt ab mit den kulturvergleichenden (deutsch-japanischen) Beiträgen von Yamana und Ogawa, die sich mit der Schwierigkeit von Übersetzungen auseinandersetzen. Wir freuen uns, dass Forscherinnen und Forscher aus sehr unterschiedlichen Forschungsrichtungen an diesem Projekt teilgenommen haben, und wir danken ihnen für ihre Beiträge. Nehmen wir den Gedanken Hegels ernst, wonach erst der Durchgang durch das Fremde einen Zugang zum Eigenen – und damit Bildung – ermöglicht, so hoffen wir, dass dieser Band, indem er »Bildung in fremden Sprachen« untersucht, auch selbst zur Bildung beitragen kann.
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Interkulturelles Lernen durch Mehrsprachigkeitsorientierung im Sprachenunterricht K ERSTIN G ÖBEL
E INLEITUNG Prozesse der Globalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sowie aktuelle und vergangene Zuwanderung erfordern ein Konzept für den Umgang mit kultureller und sprachlicher Heterogenität. Die Schule ist, im Sinne eines Akkulturations- aber auch Sozialisationsagenten in multikulturellen Gesellschaften, ein wichtiges Bindeglied zwischen der aufnehmenden Gesellschaft und den zugewanderten Menschen (Schönpflug 2008; Vedder & Horenczyk 2006). Vor dem Hintergrund aktueller Zielstellungen interkultureller Bildung wird deutlich, dass für die Integration von Lernenden mit Zuwanderungshintergrund neben der fachlichen Integration und der Förderung der Verkehrssprache Deutsch auch die Förderung interkultureller Kompetenzen der Schülerschaft in den Blick genommen werden muss (KMK 2013). Der Betrachtung von Diskriminierung und Machtasymmetrien wird eine besondere Rolle zugewiesen, wenn Ungleichheit im deutschen Bildungssystem problematisiert und im Sinne der Integration aller Schülerinnen und Schüler diskutiert wird (Auernheimer 2010). Daher wird unter anderem ein konstruktiver Umgang mit sprachlicher Heterogenität gefordert, der eine Anerkennung und Förderung von Mehrsprachigkeit in den Schulen unterstützt (Gogolin & Meyer 2014; Alleman-Ghionda 2006; Europäisches Parlament 2005). Der zentrale ›Raum‹ für die Vermittlung von inhaltlichen und sozialen Kompetenzen ist der Unterricht; die Qualität des Unterrichts
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hat einen wesentlichen Einfluss auf den Schulerfolg aller Lernenden (vgl. Hattie 2013; Rivin, Hanushek & Kain 2005). Der vorliegende Beitrag widmet sich daher der Frage, ob und inwiefern der Unterricht interkulturelle und mehrsprachigkeitsorientierte Lernprozesse fördern kann.
S PRACHEN IN
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Menschen, die ihr Land verlassen, bringen in die neue Umgebung immer auch eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachen mit. So sind die Lernenden in der Schule in vielerlei Hinsicht mehrsprachig und Sprachenvielfalt ist inzwischen etwas Selbstverständliches. Eine einsprachige Person ist eigentlich undenkbar, denn jeder Mensch, auch ohne Migrationshintergrund, verfügt über verschiedene Sprachen (z. B. Soziolekte, Regiolekte, Dialekte) (Wandruszka 1981). So zeigt sich vor allem in den urbanen Räumen Europas ein zunehmendes Wachstum ethnischer Diversität (Vertovec 2007). Dies führt auch in Deutschland zu einer großen Sprachenvielfalt, die sich in der schulischen Situation widerspiegelt. Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund verfügen häufig sogar über mehr als zwei Sprachen, die sie innerhalb ihrer Familie oder ihrer sozialen Umgebung nutzen (Fürstenau, Gogolin & Yagmur 2003; Meißner, Beckmann & SchröderSura 2008). Aufgrund der Heterogenität der Zuwanderungssituation zeigen sich in Deutschland große regionale Unterschiede hinsichtlich der Zahl von Personen mit Zuwanderungshintergrund (Statistisches Bundesamt 2015) und damit auch Unterschiede hinsichtlich der Sprachensituationen in den Schulen. Der Bildungsbericht weist im Jahr 2016 darauf hin, dass über 60% der vier- bis fünfjährigen Kinder mit Migrationshintergrund zuhause eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der familiären Sprachpraxis und der Migrationsgeneration des Kindes. Während in der 2. Generation über die Hälfte der Heranwachsenden zuhause kein Deutsch spricht, gibt es in der 3. Generation kaum noch Sprachunterschiede zu Kindern ohne Migrationshintergrund. Dennoch spielt die Herkunftssprache in den Familien mit Zuwanderungshintergrund eine große Rolle, denn von den älteren Schulkindern mit Migrationshintergrund spricht ein »großer Anteil« neben Deutsch noch eine andere Sprache (Autorengruppe Bildungsberichtserstattung 2016.). Insgesamt nimmt die Kom-
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munikation in der deutschen Sprache in den Familien zu, allerdings bleiben die Herkunftssprachen, gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Zuwanderung nach Deutschland, weiter bedeutsam. Auch die Befunde aktueller Schulleistungsstudien machen deutlich, dass Mehrsprachigkeit in unseren Schulen und unserer Gesellschaft an Bedeutung zunimmt (Fürstenau et al. 2003; Hesse, Göbel & Hartig 2008; Stanat, Rauch & Segeritz 2010). Innerhalb der Sekundarstufe der deutschen Schulen sind aktuell die Türkisch-kurdisch-Erstsprachigen, die RussischErstsprachigen und die Polnisch-Erstsprachigen die größten Sprechergruppen (Göbel, Rauch & Vieluf 2011; Stanat, Rauch & Segeritz 2010; Gebhardt et al. 2013). Demgegenüber zeigt sich für die Primarstufe, dass neben dem Türkischen, Russischen und Polnischen auch Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien, nämlich Kroatisch, Bosnisch und Serbisch, viele Sprecher aufweisen (Haag, Böhm & Stanat 2012). Die tatsächliche Diversität der Sprachenverwendung wird in einer Erhebung von Fürstenau und anderen (2003) deutlich, die in Hamburger Grundschulen insgesamt 90 Herkunftssprachen identifizieren konnten, wobei auch hier Türkisch, Polnisch und Russisch die größten Sprechergruppen bildeten (vgl. auch Statistisches Amt für Hamburg & Schleswig-Holstein 2011). In Essener Grundschulen wurden ebenfalls die Grundschülerinnen und -schüler nach ihren Erstsprachen befragt und hier haben Chlosta und andere (2003) ca. 100 verschiedene Sprachen identifiziert, wobei die häufigsten Sprachen Türkisch, Arabisch, Polnisch und Russisch sind. Die Forderung nach Wertschätzung von Mehrsprachigkeit ist daher ein wichtiges Bildungsziel. Hiermit ist die Wahrnehmung verschiedener Sprachen gemeint, aber auch die positive Betrachtung von Menschen anderer Erstsprachen als Deutsch (Hesse & Göbel 2009). Mehrsprachigkeit wird in Europa als Schlüsselqualifikation verstanden und so fordert die Europäische Kommission (2005), dass jeder EUBürger neben seiner Erstsprache(n) mindestens zwei weitere Sprachen lernen bzw. in diesen sprachhandlungskompetent sein sollte.
D IE R ELEVANZ DER H ERKUNFTSSPRACHE FÜR L ERNENDE UND L EHRENDE Für Lernende mit oder ohne Zuwanderungshintergrund stellt der Erwerb ihrer Erstsprache und der weiteren sie umgebenden Sprachen eine komplexe
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Aufgabe dar. Für Lernende mit Zuwanderungshintergrund ist die Sprache, die sie in ihrer Familie als erstes erwerben (Muttersprache; Herkunftssprache), oftmals eine andere als die deutsche Sprache, die außerhalb der Familie gesprochen wird. Die Verkehrssprache Deutsch erwerben Kinder mit Zuwanderungshintergrund zumeist außerhalb der Familie im Alter von drei bis vier Jahren, wenn sie eine Kindertageseinrichtung besuchen (Ahrenholz 2014). Für die Identitätskonstruktion der Lernenden mit Zuwanderungshintergrund spielt ihre Herkunftssprache eine bedeutsame Rolle, da sie ein wichtiges Medium ihrer sozialen Einbettung darstellt und die Zugehörigkeit zur jeweiligen Sprechergruppe markiert (Fürstenau 2011; Makarova 2008) sowie für die Regulation elementarer Verhaltensformen, wie sie beispielsweise in der Erziehung realisiert werden, wichtig ist. Die Herkunftssprache ist zumeist die Sprache, mit der Gefühle ausgedrückt werden, und darüber hinaus sind mit ihr früh erworbene Mimik und Gesten verbunden (Krumm 2009). So kann eine geringe Wertschätzung gegenüber den migrantischen Sprachen und Kulturen der Lernenden mit Zuwanderungshintergrund für deren Selbstwertgefühl und Identitätsentwicklung schädlich sein. Allzu starke Anpassungsforderungen oder Diskriminierungstendenzen der aufnehmenden Gesellschaft in sprachlicher und kultureller Hinsicht können bei Personen mit Zuwanderungshintergrund einen Rückzug in die eigene Kulturgruppe begünstigen und bei Schülerinnen und Schülern schulische Anpassungsprozesse erschweren (Horenczyk et al. 2013). Einige internationale Studien weisen darauf hin, dass die schulische Anpassung besser gelingt, wenn eine positive Identifikation mit der Herkunftssprache und -kultur möglich ist (Vedder & Horenczyk 2006). Negative Stereotype und ungünstige Leistungserwartungen gegenüber Lernenden mit Zuwanderungshintergrund haben einen ungünstigen Einfluss auf deren Selbstkonzept und Leistungsfähigkeit (Martiny & Götze 2011). Vor dem Hintergrund zunehmender Sprachenvielfalt in den Schulen wird die Forderung nach mehrsprachiger Schulentwicklung immer deutlicher artikuliert (Fürstenau 2016; Krumm & Reich 2011). Die Anerkennung, die Wertschätzung und der Respekt gegenüber den mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern sollte in Schulen stärker entwickelt werden (Hu 2011). Die Praxis in deutschen Schulen ist jedoch häufig von einem sogenannten »monolingualen Habitus« gekennzeichnet (Gogolin 2005). Sprachliche Voraussetzungen von Schülerinnen und Schülern werden häufig nicht berück-
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sichtigt, Herkunftssprachen von Lernenden mit Zuwanderungshintergrund werden im Unterricht nicht aufgenommen (Hu 2003). Allenfalls werden Sprachen berücksichtigt, die als ›prestigeträchtig‹ gelten, oder es werden Schulfremdsprachen einbezogen, die sich mit dem Sprachwissen der Lehrkraft decken (Heyder & Schädlich 2015). Die fehlende Kompetenz der Lehrpersonen im Hinblick auf die Herkunftssprachen der Lernenden kann es ihnen erschweren, diese Sprachen konstruktiv im Unterricht zu berücksichtigen (Schöpp 2015). In einer internationalen Vergleichsstudie zeigt sich für Fremdsprachenlehrpersonen in Österreich, Italien und Großbritannien, dass sie sich schwer tun, die Herkunftssprachen ihrer Lerner produktiv in den Unterricht einzubeziehen (De Angelis 2011). Insgesamt ist auch an deutschen Schulen zum Teil eine mangelnde Offenheit gegenüber kultureller und sprachlicher Vielfalt zu verzeichnen (Auernheimer 2010; Thomas, Kammhuber & Schmid 2005). Die mangelnde Berücksichtigung ihrer Erstsprachen und kulturellen Wurzeln kann von Lernenden mit Zuwanderungshintergrund als Abwertung empfunden werden und sich auf den Lernprozess im Unterricht negativ auswirken (Göbel & Schmelter 2016). Die Förderung von Mehrsprachigkeit kann jedoch auch interkulturelle Lernprozesse unterstützen. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist es, dass Lehrpersonen diese sprachliche Vielfalt wertschätzen und die Sprachen produktiv nutzen.
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Befunde und Modelle der Bilingualismusforschung sowie der Fremdsprachendidaktik rücken die Sprachsituation von Lernenden mit Migrationshintergrund in ein besonderes Licht. So geht die Interdependenz-Hypothese (Cummins 1984, 1987; McLaughlin 1990) davon aus, dass die Kompetenz in der Erstsprache einen Einfluss auf den Erwerb weiterer Sprachen hat. Empirische Studien weisen weiterhin nach, dass sich für Mehrsprachige beim Erwerb weiterer Fremdsprachen ein positiver Transfereffekt zeigt (Cenoz 2000). Aus der Perspektive eines dynamischen Modells der Mehrsprachigkeit wird inzwischen davon ausgegangen, dass Sprachen im Gehirn der Sprecher gleichzeitig präsent sind und beständig miteinander interagieren. Es wird angenommen, dass ein kontinuierlicher Anpassungsprozess zwischen den verschiedenen Sprachen stattfindet und gegenseitige Abhän-
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gigkeiten zwischen den Sprachkompetenzen bestehen (z. B. Hufeisen & Jessner 2009). Nachdem in der Fremdsprachenforschung lange kein Unterschied zwischen dem Erlernen der ersten und weiterer Fremdsprachen sowie der Sprachenfolge gemacht wurde (Göbel & Schmelter 2016), haben sich inzwischen in verschiedenen Studien Unterschiede zwischen Lernergruppen (zwei- oder mehrsprachige Lerner) sowie zwischen dem Erwerb erster und weiterer Fremdsprachen gezeigt (Hufeisen & Jessner 2009; Jessner 2006, 2008). Die umfassenden Perspektiven und Befunde der Mehrsprachigkeitsforschung sind z. B. in einem Modell (Hufeisen 2010 – siehe Abb. 1) zusammengefasst, welches verschiedene Faktoren darstellt, die das Sprachenlernen determinieren, deren komplexe Zusammenwirkung bislang jedoch noch nicht empirisch untersucht wurde. Das Modell hebt insbesondere den Unterschied zwischen der ersten und den weiteren Fremdsprachen im Hinblick auf die Relevanz determinierender Faktoren hervor. Hieraus lassen sich Ableitungen für die Unterrichtsgestaltung im Sprachunterricht sowie mit Bezug auf die curricularen Vorgaben bilden (Schmelter 2010).
Neurophysiologische Faktoren: Generelle Spracherwerbsfähigkeit, Alter, … Lernexterne Faktoren: Lernumwelt(en), Art und Umfang des Inputs, L1-Lerntradition(en), kulturelles Erbe, … Emotionale Faktoren: Motivation, (Lern)Angst, Einschätzung der eigenen Sprachliteralität, empfundene Nähe/Distanz zwischen den Sprachen, Einstellung(en) zu den Sprachen, zu den zielsprachigen Kulturen, zum Sprachenlernen, individuelle Lebenserfahrungen, Lerntyp, … Kognitive Faktoren: Sprachbewusstsein, metalinguistisches Bewusstsein, Lernbewusstsein, Lerntyp, Wissen um den eigenen Lerntyp, Lernstrategien, individuelle Lernerfahrungen, … Fremdsprachenspezifische Faktoren: Individuelle Fremdsprachenlernerfahrungen und Fremdsprachenlernstrategien (z. B. interlinguale Vergleichs-, Transfer- und Rückbezugsfähigkeit), Interlanguages der vorgängigen Fremdsprachen, Interlanguage der jeweiligen Zielfremdsprache, … Linguistische Faktoren: L1, L2, Lx, … L2 (x>2)
Abbildung 1: Faktorenmodell zum multiplen Spracherwerb (Hufeisen 2010: 204)
Empirische Untersuchungen, die mono- und multilinguale Kinder sowie Erwachsene vergleichend in den Blick nehmen, weisen auf diverse Vorund Nachteile für Mehrsprachige hin. Im Vergleich zu monolingualen Sprechern weisen Bilinguale in den einzelnen Sprachen einen geringeren
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rezeptiven Wortschatz sowie eine ungünstigere Wortflüssigkeit auf und auch der Wortzugriff, zum Beispiel beim Benennen von Bildern, nimmt bei bilingualen Sprechern mehr Zeit in Anspruch als bei Monolingualen (Bialystok et al. 2010; Bialystok & Luk 2012; Ivanova & Costa 2008). Hingegen zeigen sich positive Wirkungen für Bilingualität insbesondere im Hinblick auf die kognitive Kontrolle im Sinne der Aufmerksamkeitsfokussierung und dies unabhängig vom Alter und vom sozialen Status der Personen (Bialystok 2006; Bialystok & Poarch 2015). Dieser Vorteil ergibt sich dadurch, dass bilinguale Personen in jeder Sprechsituation eine Auswahl aus dem Repertoire der ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen treffen müssen und auf diese Weise ihr Kontrollsystem, ein Netzwerk von Verarbeitungsprozessen im Gehirn, welches für die Aufmerksamkeitsfokussierung und das Arbeitsgedächtnis zuständig ist, stark beansprucht und trainiert wird. Entsprechend können Bilinguale ihre Aufmerksamkeit schneller fokussieren und im Vergleich zu Monolingualen Relevantes besser von Irrelevantem unterscheiden. Diese kognitive Überlegenheit zeigte sich in empirischen Untersuchungen unter anderem für Aufgaben, in denen Prozesse der Aufmerksamkeitskontrolle erforderlich sind, z. B. beim Benennen von Wörtern einer spezifischen Kategorie mit gleichem Anfangsbuchstaben (Bialystok et al. 2008) sowie im Rahmen nonverbaler Aufgaben, in denen Probanden ihre Aufmerksamkeit systematisch auf bestimmte Bilder oder Zeichen fokussieren und relevante von irrelevanten Informationen unterscheiden mussten. Hierbei zeigte sich für bilinguale Personen im Durchschnitt eine kürzere Reaktionszeit als für Monolinguale (Costa et al. 2008). In empirischen Studien konnte weiterhin gezeigt werden, dass mehrsprachige Personen über eine höhere Sprachbewusstheit verfügen als einsprachige Personen, was wiederum den Erwerb weiterer Fremdsprachen begünstigt (Mohanty & Perregaux 1997; Jessner 1999). Für den Erwerb von Fremdsprachen scheint zudem die Kompetenz in der jeweiligen Erstsprache relevant zu sein (Cummins 1984, 1987; McLaughlin 1990). Darüber hinaus zeigen sich interessante Befunde im Hinblick auf das Gedächtnis im Alter. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Bilinguale deutlich später Demenzerkrankungen ausbilden als Monolinguale (Craik et al. 2010); aufgrund des gut ausgebildeten Netzwerks ihrer Hirnregionen scheinen bilinguale Personen dementielle Entwicklungen besser kompensieren zu können (Bialystok & Poarch 2014). Diese vielfältigen Befunde verdeutlichen die Relevanz der kognitiven Ressource der Mehrsprachigkeit, die Förderung
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von Herkunftssprachen im Sinne der Aufrechterhaltung von Bildungsressourcen sollte daher in der Schule verstärkt Berücksichtigung finden.
E MPIRISCHE B EFUNDE ZUR R ESSOURCE M EHRSPRACHIGKEIT AUS DER P ERSPEKTIVE DER B ILDUNGSFORSCHUNG Innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Diskussion sowie innerhalb der empirischen Bildungsforschung wurde der Nutzen von Mehrsprachigkeit für die Bildungslaufbahn vielfach kontrovers diskutiert (Gogolin 2009). Inzwischen liegen empirische Befunde vor, die auf spezifische Vorteile von Mehrsprachigkeit im Hinblick auf schulrelevante Kompetenzentwicklungen hinweisen. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die Befunde der DESI-Studie (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen International; DESIKonsortium 2008). Sie ist eine von der KMK-finanzierte Studie zu den Lern- und Leistungsbedingungen und Ergebnissen in Deutsch und Englisch in der 9. Jahrgangsstufe. Ein Konsortium von Bildungswissenschaftlern und Fachdidaktikern hat Aufgaben für die Abbildung der Kompetenzen dieser Jahrgangsstufe und Fächer entwickelt und Analysen zur Bedeutung des Unterrichts sowie der individuellen Voraussetzungen der Lernenden vorgelegt. Insgesamt wurden N=11.000 Schülerinnen und Schüler aller Schulformen zu zwei Testzeitpunkten (2004-2005) sowie deren Lehrpersonen und Eltern befragt. Darüber hinaus wurde eine Videostudie in 104 Englischklassen der DESI-Stichprobe realisiert. Im Hinblick auf die Analysen zur Relevanz der unterschiedlichen Sprachbiografien für die Entwicklung der Kompetenzen im Deutschen und im Englischen wurden die Schülerinnen und Schülern zunächst nach ihrer Erstsprache (Muttersprache, L1) klassifiziert. 81% der Schülerinnen und Schüler der DESI-Studie haben als Erstsprache ausschließlich Deutsch (monolingual mit Deutsch als L1), 13% sind Nicht-Deutsch-Erstsprachige, die ausschließlich eine andere Sprache als Deutsch in der Familie erlernt haben (sukzessiv Mehrsprachige), 6% sind Mehrsprachige, die in ihrer Familie Deutsch und eine weitere Sprache erworben haben (simultan Mehrsprachige). Hinsichtlich der Verteilung auf die Schulformen lässt sich sagen, dass die Nicht-Deutsch-Erstsprachigen an den Hauptschulen überrepräsentiert und an den Gymnasien unterrepräsentiert sind (Hesse, Göbel &
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Hartig 2008). Auch die Mehrsprachigen zeigen eine leichte Überrepräsentanz an den Hauptschulen. Die deskriptiven Leistungsergebnisse im Deutschen (Testbereiche: Leseverstehen, Wortschatz, Argumentation, Schreiben, Rechtschreibung, Sprachbewusstheit) machen deutlich, dass Deutsch-erstsprachige Lernende in allen Bildungsgängen die höchsten Kompetenzen aufwiesen. Die Mehrsprachigen schnitten im Vergleich zu den Deutsch-Erstsprachigen etwas schlechter, jedoch im Vergleich zu den Nicht-Deutsch-Erstsprachigen, die einen deutlichen Rückstand aufwiesen, in allen Bildungsgängen besser ab. Nach Kontrolle von sozioökonomischem Hintergrund, Bildungsgang, kognitiven Grundfähigkeiten und Geschlecht bleibt der Nachteil für die NichtDeutsch-Erstsprachigen bestehen, der Unterschied zwischen Mehrsprachigen und Deutsch-Erstsprachigen ist jedoch nicht mehr statistisch bedeutsam. Die Mehrsprachigen zeigen sogar eine besondere Sensibilisierung für orthographische Besonderheiten, demgegenüber schnitten die NichtDeutsch-Erstsprachigen im Wortschatz Deutsch besonders schlecht ab (Hesse, Göbel & Hartig 2008). Die deskriptiven Ergebnisse bezüglich der Sprachkompetenzen im Englischen (Testbereiche: Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Textkonstruktion, Sprachbewusstheit, Sprechen, interkulturelle Kompetenz) zeigen demgegenüber, dass Mehrsprachige in allen Schulformen die besten Testergebnisse erzielten. Nach Kontrolle der relevanten Hintergrundvariablen schneiden die Mehrsprachigen und die Nicht-Deutsch-Erstsprachigen deutlich besser ab als die Deutsch-Erstsprachigen. Im Hinblick auf einzelne Kompetenzbereiche zeigt sich, dass Mehrsprachige und Nicht-DeutschErstsprachige gerade in den Bereichen Leseverstehen, Grammatik, Sprachbewusstheit und Hörverstehen bessere Ergebnisse erreichen. Im Bereich Soziopragmatik schneiden vor allem die Mehrsprachigen besonders gut ab (Hesse, Göbel & Hartig 2008). Beim Vergleich unterschiedlicher Sprechergruppen zeigte sich jedoch, dass die Russisch- und Polnisch-Erstsprachigen besonders, die Türkisch-Erstsprachigen hingegen am wenigsten im Hinblick auf das Sprachenlernen profitierten (Göbel, Rauch & Vieluf 2011). Nach Kontrolle relevanter Hintergrundvariablen ist im Fach Deutsch die Klassenzusammensetzung in Bezug auf die Erstsprachen nicht leistungswirksam, wohingegen im Fach Englisch sich die Anwesenheit NichtDeutsch-Erstsprachiger und Mehrsprachiger positiv auf das Klassenergebnis in den Englisch-Leistungstests auswirkt. Damit ergibt sich auch für die
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Monolingualen ein Sprachlernvorteil, wenn der Anteil an Lernenden anderer Erstsprachen höher ist (Hesse, Göbel & Hartig 2008). Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen der Sprachkompetenz in der Erstsprache im Sinne der Selbsteinschätzung der rezeptiven Sprachkompetenz (die Erstsprache verstehen) sowie der produktiven Sprachkompetenz (in der Erstsprache sprechen und schreiben) und den Sprachkompetenzen im Deutschen und Englischen zeigt sich zumeist ein positiver, zum Teil auch signifikanter Zusammenhang (Hesse, Göbel & Hartig 2008). Dieser Zusammenhang kann im Sinne der Interdependenz-Hypothese (Cummins 1984) interpretiert werden und wird inzwischen auch in anderen empirischen Leistungsstudien bestätigt. So konnten Rauch, Jurecka & Hesse (2010) für türkische Lernende zeigen, dass die Lesekompetenzen im Türkischen und Deutschen mit den Kompetenzen in der Drittsprache Englisch zusammenhängen. Auch aktuelle Befunde der NEPS-Studie (National Educational Panel Study) weisen für Russisch- und Türkisch-Erstsprachige einen positiven Zusammenhang zwischen den Hörverstehensleistungen in der Erstsprache und dem Leseverstehen in der Verkehrssprache Deutsch aus (Edele & Stanat 2015). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass migrationsbedingte Mehrsprachigkeit eine individuelle Ressource für das schulische Fremdsprachenlernen und damit auch für die schulische Anpassung darstellt. Mehrsprachig aufgewachsene Schülerinnen und Schüler wirken darüber hinaus positiv auf das Klassenergebnis im Englischen und sind somit eine Ressource für die Klassengemeinschaft, von der der sprachlernorientierte Unterricht profitieren könnte.
M EHRSPRACHIGKEITSORIENTIERUNG IM S PRACHENUNTERRICHT »The greatest failure of contemporary education has been precisely its inability to help teachers understand the ethnolinguistic complexity of children, classrooms, speech communities, and society, in such a way as to enable them to make informed decisions about language and culture in the classroom« (García 1996: VII; zitiert nach Hu 2011: 124).
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Um die Sprachenvielfalt zu unterstützen und Perspektiven für die kulturelle Identifikation in der Schule zu ermöglichen, sollte die Mehrsprachigkeit in den Schulen gefördert werden (Göbel & Schmelter 2016). Das Erkennen von Zusammenhängen zwischen verschiedenen Sprachen kann das Fremdsprachenlernen vereinfachen. Mehrsprachigkeitsorientierung im Sprachenunterricht zielt darauf ab, verschiedene Sprachen zu vergleichen und das Erlernen dieser Sprachen miteinander zu vernetzen, wobei sowohl die schulischen Fremdsprachen als auch die Herkunftssprachen in den Unterricht integriert werden sollen. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurden Ansätze entwickelt, um diese Zielstellung zu verfolgen sowie den Austausch zwischen den Lehrenden verschiedener Schulfächer zu fördern, der in der Praxis selten etabliert ist (Reissner 2015). Einen Ansatz stellen interkomprehensive Unterrichtsformate dar, die den Rückgriff auf die individuellen Sprachenrepertoires der Lernenden fördern und ihnen ihre sprachlichen Kompetenzen verdeutlichen. So können die Lernerautonomie geschult und ihre Sprachlernstrategien aufgebaut werden (Doyé 2010). Eine praktische Umsetzung dieses Unterrichtsformates wäre beispielsweise der Vergleich verschiedener Wetterberichte, wie er im Programm European Awareness and Intercomprehension erarbeitet wurde. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Wetterberichte aus Zeitungen in Spanisch, Bulgarisch, Belgisch und Griechisch, wobei sie die Reihenfolge der Bearbeitung selbst wählen dürfen. Das Material ist um entsprechende Abbildungen ergänzt und kann nur zielführend verstanden werden, wenn die Schülerinnen und Schüler ihr Vorwissen aktivieren und strategisch anwenden (Doyé 2010). In Fallstudien, bei denen Schülerinnen und Schüler in einem Projektzeitraum Interkomprehensionsunterricht erhielten, wurden die Bewertungen der Lernenden für dieses Unterrichtsformat erforscht. Der kontinuierliche Rückgriff auf das vorhandene Sprachwissen der Schülerinnen und Schüler und der konsequente Vergleich der Sprachen wurden von der Mehrheit der Lernenden positiv beurteilt und als Lernerleichterung empfunden (Bär 2009). Die Weiterentwicklung von Sprachlernbewusstheit (Language Learning Awareness) kann ebenfalls durch interkomprehensive Aufgabenformate unterstützt werden (Morkötter 2008). So können Textauszüge aus authentischen Materialien genutzt werden, die Transfermöglichkeiten zu bereits bekannten Fremdsprachen herstellen und an die Lebenswelt der Lernenden anknüpfen. Dadurch werden Lernende dazu befähigt, beispielsweise einen italienischen Text über ein Sommerferien-Lager
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zu verstehen, wenn er ausreichende Anknüpfungspunkte für den Lexiktransfer zum Deutschen, Französischen, Lateinischen und Englischen enthält, obwohl sie die italienische Sprache nicht beherrschen (Morkötter 2010). Demgegenüber zielt der Ansatz EuroCom, einer Sprachlernmethode, darauf ab, mithilfe von Erschließungsstrategien und einer Brückensprache weitere Sprachen der gleichen Sprachfamilie rezeptiv verstehen zu können (Klein & Stegmann 2000). Den Lernenden wird ein Grundlagenwerk an die Hand gegeben, welches neben den lexikalisch-semantischen, morphologischen und syntaktischen Erschließungsstrategien auch kurze Sprachenportraits der einzelnen Sprachen enthält und dazu einlädt, die fremdsprachliche Texterschließung schrittweise zu üben (Hufeisen 2006). Der Einsatz bilingualen Sachfachunterrichts (integriertes Sachfach- & Fremdsprachenlernen) bietet die Gelegenheit der Vernetzung von Fremdsprachenlehrkräften, der Sachfachunterricht könnte durch ein Gesamtsprachencurriculum fundiert werden. Dadurch werden Sachfach- und Sprachenlernen miteinander verbunden und die Unterrichtsinhalte auf jeweils beiden Sprachen durchdrungen. Hierdurch soll die Sensibilität für Mehrsprachigkeit gefördert, mitgebrachte sowie im schulischen Kontext entstandene Mehrsprachigkeit einbezogen und sprachenübergreifende Lernstrategien sowie Language Learning Awareness vermittelt werden (Hufeisen 2011).
B EFUNDLAGE ZUR M EHRSPRACHIGKEITSORIENTIERUNG IM S PRACHENUNTERRICHT Wie zuvor angeführt, stellen die sprachlichen Erfahrungen und Lernstrategien von Mehrsprachigen eine günstige Grundlage für das weitere Lernen von Fremdsprachen dar (Behlke 2012; Behr 2007; Hufeisen 2010; Meißner 2010) und könnten im Sinne eines konstruktiven Umgangs mit kultureller und sprachlicher Heterogenität im Fremdsprachenunterricht genutzt werden. Eine Mehrsprachigkeitsorientierung im Sprachenunterricht könnte die Lernenden darin unterstützen, sprachliche Phänomene bewusster wahrzunehmen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Sprachen zu entdecken und hieraus Lernstrategien für zukünftiges Sprachenlernen abzuleiten (Göbel & Schmelter 2016). Für den Unterricht im Deutschen als
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Fremdsprache hat sich bereits gezeigt, dass die Unterstützung rezeptiver Sprachentransferprozesse die Sprachlernergebnisse positiv beeinflussen kann (Marx 2005; Hufeisen 2006).
Sprachentransferunterstützung im Unterricht – die Perspektive der Lehrpersonen Die produktive Nutzung von Mehrsprachigkeit im Sprachlernunterricht im Sinne des Aufzeigens von Transferpotenzialen bereits vorhandener sprachlicher Kompetenzen in Hinblick auf Lexik, Grammatik und Pragmatik zur Erschließung von Konzepten in der Zielsprache wurde auch im Rahmen der DESI-Studie in den Blick genommen (Göbel, Hesse & Vieluf 2010). Die Deutsch- und Englisch-Lehrpersonen der DESI-Studie wurden befragt, inwieweit sie das Aufgreifen verschiedener Sprachen für sinnvoll erachten. Während die generelle Zustimmung zur Sinnhaftigkeit des Aufgreifens verschiedener Sprachen im Unterricht sehr positiv eingeschätzt wurde, ist die tatsächliche Nutzung hiervon vergleichsweise seltener. Für den Deutschunterricht zeigte sich, dass Mehrsprachigkeitsorientierung am Gymnasium häufiger auftritt sowie in Klassen, in denen der Anteil Lernender mit anderer Erstsprache als Deutsch besonders hoch ist. Für den Englischunterricht spielt die Schulform keine Rolle, jedoch nutzen Lehrpersonen, die in einem häufigen Kontakt mit dem englischsprachigen Ausland stehen, häufiger die Gelegenheit, andere Sprachen im Unterricht aufzugreifen (Hesse et al. 2008). Ein Effekt der von den Lehrpersonen eingeschätzten Mehrsprachigkeitsorientierung im Unterricht auf die Leistungsergebnisse der Lernenden lässt sich für den Deutschunterricht nicht zeigen. Für den Englischunterricht zeigt sich demgegenüber ein positiver Zusammenhang zwischen der von den Lehrpersonen eingeschätzten Mehrsprachigkeitsorientierung und den Leistungsergebnissen der Schülerinnen und Schüler, vor allem im Hinblick auf die Leseverstehensleistung (Göbel & Vieluf, eingereicht). In Klassen mit einem bilingualen Sachfachangebot ist das Angebot an Sprachentransferunterstützung aus der Perspektive der Lehrpersonen höher.
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Sprachentransferunterstützung im Unterricht – Der Blick in die Unterrichtsvideos Die DESI-Analysen der Lehrpersonenperspektive lassen darauf schließen, dass im Unterricht realisierte Mehrsprachigkeitsorientierung positiv mit den Lernergebnissen im Englischen zusammenhängt. Es stellt sich die Frage, in welcher Weise im Unterricht Sequenzen von Sprachentransferunterstützung tatsächlich realisiert werden und welche Charakteristika diese aufweisen. Im Folgenden werden die Ergebnisse einer Re-Analyse von Videodaten aus dem Projekt DESI dargestellt, welche im Hinblick auf die interkulturellen Aspekte der Lehr-Lernsituationen im Englischunterricht realisiert wurde (Göbel 2016). Die Re-Analyse erfolgte im Rahmen des DFG Projektes »Interkulturelle Lehr-Lernprozesse im Englischunterricht der Klassenstufe 9«. Im Sinne einer zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse wurden die realisierten interkulturellen Themen der einzelnen Unterrichtsstunden bzw. Unterrichtsphasen hinsichtlich ihrer didaktischen Umsetzung beschrieben. Die zusammenfassenden Inhaltsanalysen wurden, anhand von vorgegebenen Beobachtungsdimensionen, von insgesamt vier Beobachtern realisiert, bei denen es sich um zuvor im Hinblick auf die Beobachtungsaufgabe trainierte Lehramtsstudierende des Faches Englisch verschiedener Schulformen handelte. Die Videos wurden zunächst jeweils von zwei Beurteilerinnen und Beurteilern individuell bearbeitet, anschließend wurden gegebenenfalls entstandene Abweichungen in einer Rücküberprüfung am Ausgangsmaterial besprochen und eine gemeinsame Version entwickelt (Mayring 2003). Das Material wurde anhand eines vorgegebenen Beobachtungsbogens systematisch beschrieben. Eine der Auswertungskategorien war die Kategorie »Sprachentransferunterstützung«. Hierunter waren interlinguale Phänomene im Unterrichtsgespräch gefasst, in denen Sprachvergleiche hinsichtlich Lexik, Grammatik, Pragmatik oder Syntax vorgenommen wurden (Göbel et al. 2010; Marx 2005). Diese Sprachvergleiche konnten von den Lehrpersonen oder von Schülerinnen und Schülern initiiert worden sein. Von den insgesamt 104 analysierten Unterrichtsvideos waren in sieben Videos Sequenzen identifizierbar, in denen das Unterrichtsgespräch auf Sprachentransfer hinweist. Die in Tabelle 1 dargestellten explorativen Analyseergebnisse stellen Zitate der Interaktionssequenzen aus den Transkripten der Unterrichtsvideos der DESI-Studie dar, die von den Beur-
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teilerinnen und Beurteilern als sprachentransferunterstützend eingeschätzt worden waren. Tabelle 1: Erste explorative Ergebnisse der Videoanalysen Schulform und in-
Sprachentransferunterstützung -
haltliche Ausrichtung
Transkriptausschnitt aus den jeweiligen video-
der videografierten
grafierten Unterrichtsstunden
Unterrichtsstunde
(Zeitangaben in Klammern)
Gymnasium
S
»Eh, what is ›fleet‹?« (00:10:22-00:10:24) […]
Thema: Aborigines
T
»Fleet ... many planes or many ships together are a fleet.« (00:10:31-00:10:37)
T
»Similar in ... German word Flotte.« (00:10:3700:10:39)
Gymnasium
S
Thema: Sheffield –
»Eh maybe you can't see the smoke of the factory, because the factories are using eh a Filter.«
now and then
(00:33:25-00:33:35) T
»A filter. We have that word in English as well mhm.« (00:33:35-00:33:36)
Gymnasium
S
Thema: Virtual Wedding
»What’s
›Affäre‹
in
English?«
(00:33:40-
00:33:42) T
»Affäre is affair, just eh leave out the e at the end, yeah, affair, to have a, to have, have an affair.« (00:33:42-00:33:53)
S
»Mit ›f‹?« (00:33:53-00:34:00)
T
»Eh, double f, yeah, a double f. To have an affair.« (00:34:00-00:34:05)
Realschule
S
Thema: Ireland and
T
St. Patrick’s Day
»Eh, asso-ciate//« (00:15:07-00:15:10) »//Associated. There is a German word that’s similar.« (00:15:10-00:15:15)
S
»Assoziieren?« (00:15:15-00:15:17)
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Realschule
T
Thema: British School System
»Right? So what is formal? It is the (p) same word in German.« (00:12:00-00:12:04)
T
»Absolutely the same.« (00:12:04-00:12:06)
T
»We only spell it different or we we read it different.« (00:12:06-00:12:09)
T
»What is... Read it German this Wort, eh, word
S
»Formal.« (00:12:13)
T
»Aha, there you are.« (00:12:13-00:12:15)
T
»Formal and formal.« (00:12:15-00:12:17)
S
»And sometimes the parents look for a place of
formal.« (00:12:09-00:12:12)
this Independent Schools before their childrens are born.« (00:13:40-00:13:45) T
»Children.« (00:13:45-00:13:46)
S
»Children are born, and then, eh, they go … sometimes go to school when they are only 3 years ol-.« (00:13:46-00:13:52)
T
»All right. So earlier than that [points to the slide]. What do we call that age with 3 when chil..children go to school? So, we don’t have it here Class [silence].« (00:13:52-00:14:03)
T
»You know ›kindergarden‹? Ne. This is already the the age… .« (00:14:03-00:14:06)
Hauptschule
T
Thema: Bowl und
T
»What, what is it in Italian?« (00:48:22-00:48:24)
Melting Pot
S
»Eh, lettu...lettuga.« (00:48:24-00:48:27)
T
»We call it lettuce, alright.« (00:48:18-00:48:22)
»Latuga comes from the Italian language.« (00:48:27-00:48:30)
T
»Latuga, comes from the Italian language, latuga, lettuce.« (00:48:30-00:48:35)
S
»Please say in Italian: My favourite ice-cream is chocolate and Angelo has got the best.« (r) (00:25:27-00:25:34)
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»Eh, (?). [Schüler sagt den Satz auf Italienisch].« (00:25:34-00:25:44)
S
»Can you say ›Good morning‹, ›Good night‹ and ›Good bye‹ in your language?« (r) (00:33:1200:33:15)
S
»Yes. Soll ich es sagen?« (00:33:15-00:33:16)
T
»Yes, of course, Navid.« (00:33:16-00:33:18)
S
» ›Salom‹ und was noch?« (00:33:18-00:33:21)
S
»Good night.« (00:33:21-00:33:23)
S
(t) [Schüler sagt ›Good Night‹ auf Türkisch.] (00:33:23-00:33:25)
Realschule
T
Thema: Jobs
»Mhm, foreman. Who has got an idea?« (00:16:21 -00:16:26)
T
»And we know, I think we have the same word in German.« (00:16:55 - 00:16:59)
T
»If you have fore-worker it would be the same meaning, would you know what it is?« (00:16:59 - 00:17:05)
T
»If you have a worker and he is a sort of top of the workers, a top-person among the workers.« (00:17:05 - 00:17:11)
T
»Do you know what that is in German?« (00:17:11 - 00:17:12)
T
»Hu, Vorarbeiter, never heard?« (00:17:12 00:17:15)
Legende: T = Teacher; S = Student
Die dargestellten Transkriptsequenzen verdeutlichen, dass Sprachentransferunterstützung im Englischunterricht ein seltenes und wenig systematisch eingeführtes Ereignis darstellt, nur in sieben der 104 Unterrichtsvideos waren Sprachenvergleiche überhaupt auffindbar. In den Unterrichtsvideos, in denen Sprachenvergleiche angestellt wurden, ist die Vergleichsperspektive hauptsächlich die deutsche Sprache. Das Ziel der Vergleiche ist primär die Klärung von Lexikunsicherheiten. Weiterhin waren die Sprachenvergleiche
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in keiner der analysierten Sequenzen im Sinne einer rezeptiven Sprachverständnisstrategie explizit gemacht worden. Die vorliegenden Sequenzen wurden zumeist von den Lehrpersonen initiiert, weil es sich offenbar zufällig aus dem Sachzusammenhang ergeben hatte. Ein Bezug zu den Herkunftssprachen der Lernenden wird nur in Unterrichtssequenzen einer Hauptschulklasse hergestellt, hier werden im Hinblick auf Vokabelklärung sowie im Hinblick auf Begrüßungssituationen Ähnlichkeiten zwischen den diskutierten Vokabeln und den Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler besprochen.
S CHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE B ILDUNGSPRAXIS UND B ILDUNGSFORSCHUNG Die Sprachen, die Menschen sprechen, stellen einen Teil ihrer Identität dar und verdienen gesellschaftliche Akzeptanz und Respekt. Empirische Studien weisen darauf hin, dass Mehrsprachigkeit sowohl eine individuelle Ressource beim Sprachenlernen als auch eine kollektive Ressource im Sprachenunterricht darstellt. Inwieweit Mehrsprachigkeit tatsächlich als Ressource genutzt werden kann, hängt auch von der erworbenen Kompetenz in den jeweiligen Sprachen ab. Daher kann es ein wichtiges Signal an Lernende mit Zuwanderungshintergrund sein und das Potenzial der Mehrsprachigkeit innerhalb der Gesellschaft sichern, wenn Sprachlernangebote in der/den Erstsprachen gemacht werden. Für den Fremdsprachenunterricht zeigen Befunde der DESI-Studie sowie Studien aus der Mehrsprachigkeitsdidaktik, dass Möglichkeiten der Mehrsprachigkeitsorientierung im Hinblick auf die Unterstützung von Lexik- und Grammatik-Transferstrategien bestehen, dass diese allerdings bislang selten genutzt werden. In den DESI-Unterrichtsvideos zeigen sich fast ausschließlich Sprachvergleichsangebote vom Englischen zum Deutschen. Auch bei Lehrpersonen, die ein hohes Maß an Sprachentransferunterstützung berichteten, sind Sprachentransfersequenzen im videografierten Unterricht selten und beziehen sich zumeist auf die deutsche Sprache. Transferpotenziale, die sich im Unterrichtsgespräch gezeigt hatten, wurden von den Lehrpersonen häufig nicht aufgegriffen (Göbel & Vieluf, eingereicht). Grund hierfür könnte die geringe Vertrautheit mit anderen Sprachen sowie mit Transferstrategien im Bereich von Lexik, Syntax oder Grammatik sein.
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Um Mehrsprachigkeitsorientierung im Fremdsprachenunterricht zu befördern, sollten Lehrpersonen bestärkt und geschult werden, Transferpotenziale zu den Herkunftssprachen und den anderen Sprachen der Schülerinnen und Schüler systematisch zu fördern. Hierzu ist es nötig, die Lehrpersonen für multilinguale Sprachlernmodelle zu sensibilisieren und didaktische Materialien zu entwickeln, die einen Einbezug von verschiedenen Sprachen im Unterricht ermöglichen. Durch die Herstellung multipler Sprachbezüge könnte eine positive Bewertung des herkunftssprachlichen Potenzials von Migrantenschülerinnen und -schülern im Unterricht unterstützt werden. Daher sollten entsprechende Bildungsangebote im Rahmen der Lehreraus- und -weiterbildung entwickelt und empirisch überprüft werden. Dabei scheint es wichtig, die zu entwickelnden Aufgaben gut in den Unterricht integrieren zu können, die positiven Transfermöglichkeiten bewusst zu machen, den Austausch und die Reflexion hierüber zu erlauben und somit zu einer Akzeptanz und Wertschätzung von Mehrsprachigkeit beitragen zu können (Göbel & Schmelter 2016). Eine solche Aufgabenentwicklung und die Entwicklung von Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrpersonen sollte systematisch geschehen und deren Erfolg auf das Sprachlernen und interkulturelle Lernen der Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Fächern empirisch geprüft werden (z. B. Dausend & Lohe 2016; Göbel et al. 2017).
L ITERATUR Ahrenholz, Berndt (2014): »Erstsprache – Zweitsprache – Fremdsprache.« In: Ahrenholz, Berndt & Oomen-Welke, Ingelore (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. 3. korrigierte Auflage. Baltmannsweiler: Schneider, S. 316. Alleman-Ghionda, Christina (2006): »Soziokulturelle und sprachliche Pluralität als anthropologische Voraussetzung und notwendige pädagogische Perspektive der Entwicklung von Standards und Kompetenzen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung.« In: Plöger, Wilfried (Hg.): Was müssen Lehrerinnen und Lehrer können? Beiträge zur Kompetenzorientierung in der Lehrerbildung. Paderborn: Schöningh, S. 235-256.
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Eine Zweitsprache lernen – eine Zweitsprache sprechen Zum Problem und zum Umgang mit der Herstellung von Nichtzugehörigkeit durch Deutschförderung İ NCI D IRIM & D ORIS P OKITSCH
P ROBLEMAUFRISS Fremdes kann unsere Neugier wecken und das Entdecken des als ›fremd‹ Erlebten kann Lernprozesse anstoßen, gerade auch aus dem Wunsch heraus, das ›Eigene‹ zu erweitern oder Anteile dessen durch Neues zu ersetzen. Beim Erlernen von neuen Sprachen ist dieser Aspekt sicherlich nicht zu unterschätzen. Die virtuelle, imaginierte oder tatsächliche Begegnung mit Menschen an anderen Orten der Welt und die Möglichkeit der Kommunikation mit ihnen in ihren Sprachen ist ein motivierender Faktor, sich dem manchmal doch anstrengenden, zeitintensiven Erlernen einer neuen Sprache hinzugeben. Räumlichkeit spielt in der Fremdsprachaneignung insofern eine Rolle, als es darum geht, sprachliche Räume zu erschließen, in der heutigen Zeit der Digitalisierung sicher nicht nur, aber auch in einem geographischen Sinne. Die Begegnung mit Menschen an diesen – aus der eigenen geographischen Lage heraus betrachtet – entlegenen Orten der Welt, sei es im Rahmen einer beruflichen Zusammenkunft, sei es im Rahmen einer privaten Reise oder eines Bildungsarrangements, birgt möglicherweise nicht die Erwartung in sich, dass das Fremde vollständig aufgelöst wird. Es besteht möglicherweise auch nicht der Wunsch bzw. nicht die
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Notwendigkeit, etwas daran zu ändern, selbst der oder dem jeweils anderen fremd zu sein. Im Kontext der Zweitsprachaneignung zeigt sich jedoch ein anderes, vielleicht sogar komplexeres Bild. In diesem Kontext geht es nicht so sehr darum, sich ›Entlegenes‹ heranzuholen. Die Zweitsprachaneignung folgt einer viel dringlicheren, oft sogar akuten Notlage des Kommunikationsund Handlungsbedarfs im eigenen gesellschaftlichen Umfeld, zu dem man dazugehören möchte bzw. muss. Jemand, der_die sich eine Zweitsprache aneignet, ist auch bestrebt, Fremdheit zu überwinden und als zugehörig anerkannt zu werden und demnach in einer anderen gesellschaftlichen Dynamik als jemand, der_die sich eine Fremdsprache aneignet. Lernen beispielsweise Jugendliche in einer polnischen Schule Deutsch, wird die Zugehörigkeitsdimension zu Deutschland, Österreich oder einem anderen »amtlich deutschsprachigen Land« (Dirim 2015) wohl in den meisten Fällen eine eher untergeordnete Rolle spielen. In der Zweitsprachvermittlung hingegen geht es auch darum, durch den Sprachunterricht Zugehörigkeit zur eigenen Umgebung zu ermöglichen und Zugehörigkeit zu entwickeln. ›Zugehörigkeit‹ möchten wir in diesem Kontext allerdings nicht mit ›Gleichmachung‹ verwechselt wissen. Unsere Perspektive wäre die Ermöglichung von Zugehörigkeit, durch die Anderssein einen legitimen Platz erhält, indem einander andere einander gleichgestellt sind. ›Anderssein‹ muss sich im Kontext von Mehrsprachigkeit auch nicht darin erschöpfen, aus einem anderen Land gekommen zu sein. Das, was den Menschen ausmacht, ist überdies sehr viel mehr als die nationale Herkunft: »Jede ist anders anders«, wie Arens & Mecheril (2009: 2) schreiben. Zugehörigkeit bedeutet in unserer Perspektive empirisch etwa, dass Schüler_innen, die als Seiteneinsteiger_innen ins österreichische Bildungssystem kommen (z. B. weil sie mit ihren Eltern zusammen vor Krieg und Gewalt fliehen mussten), Deutsch können müssen, um in der österreichischen Schule handlungsfähig zu werden, Erfolg zu haben und Zukunftsperspektiven zu realisieren – genauso wie Schüler_innen, die zu Hause Deutsch sprechen und damit das Glück haben sprachlich kaum benachteiligt zu werden. Sprachenlernen im Zweitsprachkontext, und dies wäre der Sachverhalt, den wir im vorliegenden Artikel thematisieren möchten, folgt also zunächst der Dringlichkeit, Eile und Geschwindigkeit, der eigenen Umgebung anzugehören, um in ihr unbenachteiligt handlungsfähig zu werden. Gleichsam sind aber beispielsweise Deutsch-als-Zweitsprach-Bildungsmaßnahmen in
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politisch-historische Entwicklungen und Verhältnisse eingebunden, in denen auch ein ausgrenzendes Fremdmachen Tradition hat, welches der angestrebten unbenachteiligten Handlungsfähigkeit entgegenwirkt. Dieses Fremdmachen bzw. die (Re-)Produktion von (Nicht-)Zugehörigkeitsimaginationen stellt eine gewachsene Wissensstruktur dar, in der das ›Eigene‹ und das ›Fremde‹ entlang diverser Differenzmerkmale – wie etwa Nation, Kultur oder auch Sprache – beschrieben und kategorisiert wurden und werden, um ein ›Wissen über‹ als normativ gesetztes Wissen zu stabilisieren. Diese Mechanismen sind massiv und umfassend, sie sind aber auch subtil, in unterschiedlicher Gestalt, habituell verankert und machen es teilweise schwierig, sich z. B. als Lehrkraft eines Deutschkurses dieser Dynamik zu entziehen. »Die kategorische Klassifizierung des Fremden und des Eigenen ist im Vorgang der Beobachtung, Beschreibung, Isolierung und des In-Bezug-Setzens des als konträrkomplementär gedachten Eigenen und Fremden verankert. Unter Einbeziehung eines Vergleichsfeldes wurden durch die Verwendung des eigenen Vokabulars und Wissens stabile Narrative und Macht über kulturell Fremde historisch errichtet. […] Dieser diskursive Unterwerfungsakt hat die Macht, eine innere Distanz zu den Fremden herzustellen, sie von sich abzulösen und sie jenseits des Eigenen zu verorten« (Yıldız 2012: 379f.).
Im Folgenden zeigen wir Herstellungspraxen von Nichtzugehörigkeit im Kontext von Zweitsprachenlernen auf und hoffen, damit zur Sichtbarmachung von Verstrickungen in ebendiese Praxen und zu möglichen kritischproduktiven Umgängen damit beizutragen. Dazu wird zunächst der Begriff ›Deutsch als Zweitsprache‹ selbst auf dahinterliegende Konzepte von (Nicht-)Zugehörigkeit befragt und in Bezug zu anderen prototypischen Sprachrelationen zur deutschen Sprache gesetzt, vor allem zu Deutsch als Erstsprache. Deutsch als Fremdsprache als prototypische Bezeichnung streifen wir der Einordnung wegen nur andeutungsweise. Am Beispiel einer exemplarischen Lehrwerksanalyse zeigen wir zudem subjektivierende Adressierungen der Nichtzugehörigkeit an Lernende, die Akte der »Ausgrenzung im Einbezug« (vgl. Mecheril 2013) darstellen. Dabei wird deutlich, dass Deutschlernen häufig dadurch ermöglicht wird, dass zugleich mit dem Mittel des Fremdmachens Ausgrenzungen stattfinden. Wir argumentieren auf einer subjekt- und diskurtheoretischen Perspek-
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tive im Kontext der postkolonialen Theorie, um bestimmte Denktraditionen der Ausgrenzung begrifflich-theoretisch erfassen und beschreiben zu können. Dabei gehen wir auf inhaltliche Botschaften ein, die über Deutschlernübungen transportiert werden. Damit verbunden steht auch die Frage nach einer (eigenen) »involvierten Professionalität« (vgl. Messerschmidt 2011) – die Schwierigkeit, Sprachförderung zu gestalten, ohne Zuschreibungen und (Nicht-)Zugehörigkeiten zu (re-)produzieren. Unsere Analyse beenden wir mit einem Vorschlag von Möglichkeiten des pädagogischen Umgangs mit fremdmachend-ausgrenzenden Adressierungen in Lehr-/Lernzusammenhängen.
S UBJEKTIVIERENDE ADRESSIERUNGEN DES K ONZEPTES ›D EUTSCH ALS Z WEITSPRACHE ‹ Den hier fokussierten nationalstaatlichen Kontext Österreich verstehen wir als Migrationsgesellschaft, d. h. als eine Gesellschaft, die durch vielschichtige Migrationsprozesse geprägt ist, die sich nicht auf einseitige Migrationsbewegungen (Stichwort: Einwanderung) reduzieren lassen (vgl. Mecheril 2004). Bei der österreichischen Migrationsgesellschaft handelt es sich zudem um eine amtlich deutschsprachige, jedoch lebensweltlich mehrsprachige Gesellschaft, wobei der deutschen Sprache eine spezifische Funktion zukommt und zwar nicht nur aufgrund ihrer gesellschaftlichen Verankerung als National-, Amts-, oder – für unsere Betrachtungen besonders relevant – als Schul- und Unterrichtssprache, sondern v. a. auch durch die ihr zugesprochene gesellschaftsformende Rolle. Letztere zeigt sich offen in der Betrachtung diskursiver Praxen im Spannungsfeld von Migration und Integration, in welchem ein Verständnis von Sprachkompetenz (hinsichtlich der deutschen Sprache) als Integrationsindikator einen gesellschaftlichen Konsens darstellt. In der mehrsprachigen Migrationsgesellschaft fungiert die deutsche Sprache daher im Sinne Bourdieus (1990) als soziales Kapital, das v. a. in Hinblick auf die sprachliche Relativierung der Beziehungen von Sprechenden und (der deutschen) Sprache in Erscheinung tritt. So wird nicht bloß Deutsch gesprochen, sondern Deutsch wird in Migrationsgesellschaften amtlich deutschsprachiger Länder stets als etwas (als Erst-, Zweit-, Mutter, Familiensprache etc.) gesprochen. Was bedeutet es nun aber, Deutsch als Zweitsprache zu sprechen? Welche Repräsentationen und
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(Nicht-)Zugehörigkeiten gehen damit einher und welche Konsequenzen können daraus für die Sprachhandlungsfähigkeit von Zweitsprecher_innen abgeleitet werden? Ein Blick auf die Entwicklung des Begriffs ›Deutsch als Zweitsprache‹ (in Folge ›DaZ‹) als sprachdidaktisches Konzept macht deutlich, dass darin v. a. didaktische (Weiter-)Entwicklungen hinsichtlich des eingangs beschriebenen Sprachlernkontextes zum Ausdruck kommen sollten. Die deutsche Sprache sei für Lernende in einer deutschsprachigen Umgebung nicht als Fremdsprache zu betrachten und man benötige daher einen eigenständigen Begriff, der es erlaube, auf diese spezifischen Lernbedingungen zu reagieren. Nun eröffnete zwar ein neuer Begriff eine neue Sicht auf Lernbedingungen der deutschen Sprache in amtlich deutschsprachigen Ländern, gleichzeitig konstruiert(e) und determiniert(e) der Begriff aber auch dieses Sichtfeld. Erweitert als Bezeichnung für Menschen, die Deutsch nicht einfach nur sprechen, sondern Deutsch in spezifischer Weise – nämlich als Zweitsprache – sprechen und der »diskursiven Figur des/der ›native speaker‹ bzw. des/der ›MuttersprachlerIn‹ « (Knappik 2016: 221) gegenübergestellt werden (einer Figur, die wie Knappik (2016) zeigen konnte, aus machtvollen Verknüpfungen von »Sprache(n), Nation und Perfektion« (ebd.) konstituiert wird), wird ›DaZ‹ zur Markierung der oder des Fremden. In diesem Zusammenhang wirkt der Begriff losgelöst von einem Sprachlernkontext als Adressierung von Sprecher_innen als Migrant_innen bzw. Menschen mit Migrationshintergrund: »Zweitsprachler_innen können somit jene Menschen sein, die gerade erst nach Österreich zogen und das Deutsche in einem Kurs lernen, aber auch Menschen, die schon seit Jahren in Österreich leben oder in Österreich geboren wurden und das Deutsche in ihrer Umgebung bzw. im Kindergarten und der Schule erwarben« (Miladonović 2016: 305; Hervorhebung im Original).
Begriffe können nach Mecheril (2009: 58) als »Instrumente der Ausblendung« verstanden werden, »weil sie bestimmte Zusammenhänge, Aspekte und Nuancen in den Mittelpunkt stellen« und somit auch »alternative Sichten behindern«. ›DaZ‹ ist somit nicht nur ein didaktisch nützlicher und womöglich unverzichtbarer Begriff, sondern enthält auch – wie in der Linguistik im Hinblick Sprache und Sprachen seit vielen Jahren diskutiert wird (vgl. Busch 2013) – eine symbolische, soziale, politische und subjektivie-
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rende Dimension, die jeder Handlung in diesem Feld auf mannigfache Weise innewohnt. So steht das Konzept ›DaZ‹, trotz seiner didaktischen Nützlichkeit innerhalb der fundamentalen und Ordnung schaffenden Differenzlinie »DaF-DaZ-DaM« 1 auch als Beispiel für die Problematik der »Ausgrenzung im Einbezug« (vgl. Mecheril 2013) in migrationsgesellschaftlichen Zusammenhängen. Der Begriff fungiert dabei als Sammelbegriff für weitere Zuschreibungen, die Nichtzugehörigkeit zum Ausdruck bringen und den Status als Sprecher_in markieren: »Die Adressierung mit Zweitsprache bedeutet zwar einerseits in irgendeiner Weise als soziales Wesen in der Gesellschaft anerkannt zu werden, anderseits bedeutet diese Anerkennung gleichzeitig aber auch, an den sozialen Rand positioniert zu werden […]« (Miladinović 2016: 312).
Mit Bhabha interpretiert, der aus dem literaturwissenschaftlichen Zweig der postkolonialen Theorie heraus argumentiert, verweist die Zuweisung zur Kategorie ›DaZ‹ auf die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft der legitimen Deutschsprecher_innen im Sinne der von Bhabha (2000) genannten majoritätsgesellschaftlichen Herrschaftsperspektive »Werde wie wir, aber nicht ganz!« Sehr diskussionswürdig wäre u. E. darüber hinaus die Frage der sprachlichen Normen, an denen sich orientiert wird: Wie zulässig sind sie? Wer kann das Deutsche verändern? Warum gelten Dialekte des Deutschen als native speaker-Sprachgebrauch und migrationsspezifische Formationen nicht? All diese Fragen im engeren sprachlichen Sinne können wir an dieser Stelle aus Platzgründen nicht bearbeiten, möchten sie aber zumindest nicht unerwähnt lassen. Sprachförderung, so kann allgemein gesagt werden, ist nicht ›naiv‹ und ist nicht nur gut, auch wenn Gutes intendiert wurde, sie ist nicht nur ein Angebot für das sprachliche Lernen, sondern sie ist als Weiterführung der früheren ›Identitätsansätze‹ formuliert auch ein Subjektivierungsangebot. In einem gesellschaftlichen Ordnungsgefüge, in dem beispielsweise Vorstellungen von native vorherrschen und Sprache ein Instrument darstellt, das eingesetzt wird, um über Zugehörigkeit zu entscheiden, wird etwa die Be-
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Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Zweitsprache – Deutsch als Muttersprache
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zeichnung ›DaZ-Kind‹ zu einem hierarchisierenden Begriff, auch wenn dies nicht bezweckt worden war. Macht- und diskurstheoretisch gesprochen wohnt dem Begriff ›DaZ‹ eine Zuschreibung inne, von der sich kaum gelöst werden kann. Damit kommt die Problematik der Subjektivierung durch Begriffe und Maßnahmen in den Blick, wie sie u. a. im Rahmen der Machtund Subjektivierungstheorie von Foucault und Butler diskutiert wird: »Subjektivation ist buchstäblich die Erschaffung eines Subjekts, das Reglementierungsprinzip, nach dem ein Subjekt ausformuliert oder hervorgebracht wird. Diese Subjektivation ist eine Art von Macht, die nicht nur einseitig beherrschend auf ein gegebenes Individuum einwirkt, sondern das Subjekt auch aktiviert und formt. Subjektivation ist also weder einfach Beherrschung, noch einfach Erzeugung eines Subjekts, sondern bezeichnet eine gewisse Beschränkung in der Erzeugung, eine Restriktion, durch welche diese Hervorbringung sich erst vollzieht« (Butler 2001: 81f.).
Subjektivation kommt auch im Zusammenhang mit Bildungsangeboten zustande. Der Bildungsbegriff, den Rose (2012) im Anschluss an die Auseinandersetzung mit Subjektivierungstheorien ins Zentrum ihrer Forschung stellt, erlaubt diese Problematik zu fassen, weil er nicht nur einem formalen Bildungsverständnis folgt, mit dem Wissenszuwächse in den Blick genommen werden, sondern Bildung »viel umfassender als etwas [...], was mit Prozessen der Subjektivitätskonstitution verknüpft ist«, versteht (ebd.: 11). Rose nimmt dabei auch in den Fokus, wie in Folge von Zuschreibungen »als fremd, anders ein bildungsrelevanter Umgang mit solchen Zuschreibungen erfolgt« (ebd.). Deutschlernangebote und die Art des Sprechens bzw. Schreibens über Deutschfördermaßnahmen führen nicht nur zur Aneignung sprachlicher Mittel; die Maßnahmen sind zugleich als solche zu verstehen, innerhalb derer gesellschaftliche Rahmenbedingungen zum Tragen kommen, die mit Bezeichnungspraxen, mit den behandelten Gegenständen, mit Adressierungen an die Lernenden subjektivierende Zuordnungen schaffen. Das Sprachlernangebot wird unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu einem spezifischen Mittel der Subjektivierung, bei dem Deutschlernende nicht nur Deutsch lernen, sondern darüber hinaus erfahren, welcher Platz ihnen in der Gesellschaft zugewiesen wird. ›DaZ‹ ist nicht allein ein linguistischer Begriff oder ein sprachdidaktischer, sondern auch ein sozialer, der auf der einen Seite Förderung ermög-
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licht, auf der anderen Seite aber mit Inferiorisierungen der Zielgruppe einhergeht.
E INGESCHRIEBENES W ISSEN ÜBER N ICHT ZUGEHÖRIGKEIT : EINE EXEMPLARISCHE KEY INCIDENT -ANALYSE Zuschreibungen und Kategorisierungen, die der (Re-)Konstruktion von Zugehörigkeiten und Nichtzugehörigkeiten dienen, stellen ein historisch gewachsenes Wissenssystem dar, innerhalb dessen von einem machtvollen Zentrum aus Wissen über das ›Eigene‹ und das ›Fremde‹, über ein ›Wir‹ und ein ›Nicht-Wir‹ (vgl. Mecheril 2004) erzeugt wird. Fremdheitskonstruktionen können nach Rommelspacher als eine dynamische Beziehung verstanden werden, welche durch ein Wechselspiel von Distanz und Nähe aufrechterhalten wird. Ein Fremdbild kann demnach nur dann entstehen, wenn das Fremde nah genug ist, um es als »Gegenüber zu begreifen« (2002: 9). Ist die Distanz zu groß, kann kein Wissen über Fremdheit erzeugt werden. Diese machtvolle Praxis wird durch das Einschreiben von Wissen in einen normierten und normierenden Wissenskanon aufrechterhalten. Mittels tradiertem Wissen über die Fremdheit werden somit symbolische Grenzen zwischen Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit gezogen, die nicht nur dem ›Fremden‹, sondern v. a. auch dem ›Selbst‹ als Grundlage zur Positionierung innerhalb der Gesellschaft dient. Lehrwerke, die primär dem Erlernen einer Sprache dienen, sind als Teil eines institutionalisierten Wissens ein konstitutives Element dieses gewachsenen Wissenssystems. Die Zugehörigkeitsordnungen, die darin eingeschrieben sind, sind jedoch nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Um zu zeigen, wie jenes eingeschriebene Wissen sichtbar gemacht werden kann, welches zur »Verbesonderung« von Lernenden durch die Stabilisierung von kanonisiertem Zugehörigkeitswisssen führt, wird im Folgenden exemplarisch ein key incident aus einer Analyse des Lehrwerks Pluspunkt Deutsch – Österreich, B1 (Schote 2014a, 2014b) präsentiert (vgl. Pokitsch 2015). 2
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Die nachfolgende Incidentanalyse ist entnommen aus Dirim & Pokitsch (2017).
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Unter Zuhilfenahme der machtkritischen Analysekategorie ›Weißsein‹ wurde dabei zunächst das Lehrwerk auf mögliche Verhältnisbestimmungen von kultureller Zugehörigkeit und ›Wir‹-›Nicht-Wir‹-Konstruktionen im Handlungsfeld ›DaZ‹ hin analysiert. Dabei wurden aus dem Kursbuch des Lehrwerks (Schote 2014a) jene Textstellen extrahiert, die im Kontext ›Interkulturelles Lernen‹ mit der Differenzmarkierung ›Kultur‹ operieren, um diese hernach entlang einer key incident-Analyse zu analysieren. Als key incidents werden dabei nach Erickson jene Textstellen verstanden, die Schlüsselereignisse im untersuchten Material darstellen, um »the generic in the particular, the universal in the concrete« (1977: 61) sichtbar zu machen und demnach für eine konkrete Analyse herangezogen werden können. Der auf die Identifizierung dieser key incidents folgende Analyseprozess beginnt mit einer beschreibenden Interpretation der identifizierten key incidents, bevor diese zueinander (und im konkreten Beispiel auch zu didaktischen Hinweisen in den dazugehörigen Handreichungen für Lehrende) in Beziehung gesetzt und kontextualisiert werden, um darauf folgend theoretische Bezüge zu erarbeiten. Liest man key incidents als repräsentative Ausschnitte einer sozial konstruierten Wirklichkeit, welche im Rückschluss ebenso Aufschlüsse über deren Konstruktion enthalten, kann ihrer Analyse ein emblematischer Charakter zugesprochen werden, indem in Analogie zur Kunstform eines Emblems, auf ›universelles‹ Wissen durch die Visualisierung spezifischen Wissens verwiesen wird. Die emblematische Drei-Teilung in pictura, inscriptio und epigramm, die durch ihre Verknüpfung diese Visualisierung erst ermöglicht, wurde in die vorgenommene key incident-Analyse ebenso übernommen: Der key incident ist dabei eo ipso einem pictura gleichzusetzen, welches in Kombination mit der Überschrift (inscriptio) als reduziertes, jedoch repräsentatives Abbild konstruierten Wissens fungiert. Die Interpretation, sowie die Kontextualisierung mittels Herstellung theoretischer Bezüge, stehen analog zu einem epigramm und dienen als Schlüssel zur Enträtselung eines versteckten, in das pictura eingeschriebenen Wissens (vgl. Green & Bloom 1997: 185ff.; Kroon & Sturm 2002: 100f.). Da es sich bei dem genannten Lehrwerk um ein eigens für den Lernkontext ›Österreich‹ konstruiertes und innerhalb sogenannter ›Integrationskurse‹ eingesetztes Unterrichtsmaterial handelt, steht dieses exemplarisch für das Spannungsfeld Sprache-Migration-Integration, in welches das Feld ›DaZ‹ in besonderem Maße involviert ist. Es kann daher der Veranschauli-
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chung der thematisierten (unfreiwilligen) Verstrickungen des Faches und darin Agierender in machtvolle, hierarchisierende Zuschreibungspraxen dienen, wie an folgender (gekürzt wiedergegebener) Analyse eines key incidents verdeutlicht werden soll: Ausgangspunkt für eine, als ›interkulturell‹ bezeichnete, Übung wird in Lektion 3, unter dem Titel »Eine Migrantin erzählt« (Schote 2014a: 32) ein Lesetext präsentiert, in dem eine gewisse Irina Bulgakova, in ihrer (zugeschriebenen) Rolle als Migrantin Geschlechterverhältnisse in Russland und Österreich miteinander vergleicht um bereits im ersten Absatz zu dem Schluss zu kommen, dass »das Leben der Frauen […] in Russland anders als in Österreich [ist]« (ebd.). Dieses »anders« wird zunächst anhand der dichotomen Bilder von ›emanzipierten Frauen‹ und ›unemanzipierten Frauen‹ aufgerufen (wobei Bildung/Beruf und Familie dafür als Synonyme fungieren), im weiteren Verlauf des Textes durch die Themenfelder »Großfamilie und Kinderbetreuung« und »Rollenbilder« ergänzt, um die einleitende Feststellung abschließend zu bekräftigen: »Ich glaube, es gibt in Russland heute zwei Gruppen von Frauen: Frauen, für die Heirat und Familie sehr wichtig sind, und Frauen, für die ein unabhängiges Leben wichtiger ist. […] Oft übernehmen die Großeltern die Betreuung der Kinder […] […] Die Scheidung ist unkomplizierter als in Österreich, aber ich glaube, dass die Situation der Frauen nach der Scheidung viel schlechter als hier ist. Sie bleiben in Russland mit den Kindern oft allein und die Kinder sehen ihren Vater nie wieder. […], dass es den Frauen in Österreich besser als in Russland geht. Sie sind freier und unabhängiger und sie haben mehr Rechte bei einer Scheidung« (ebd.).
In diesem Interpretationsraster von Emanzipation wird »die andere, die fremde Frau als Stereotyp der Unterdrückung, Nicht-Emanzipierten gezeichnet […]«, während zugleich »die Situation der einheimischen Frauen idealisiert [wird]« (Gemende et al. 2007: 21). Wie Rommelspacher in diesem Zusammenhang aufzeigt, wird der Emanzipationsbegriff dabei instrumentalisiert und zur Legitimation mehrdimensionaler Hierarchien zwischen Frauen herangezogen; Geschlechterhierarchien werden somit durch kulturelle Hierarchien kompensiert (vgl. 2007: 50f., Gemende et al. 2007: 21f.). In diesem Selbstbild gilt es, gegen eine »geschlechtshierarchische Arbeitsteilung« (Rommelspacher 1995: 91), die Familie(narbeit) Frauen zuschreibt
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und sie dadurch indirekt von gesellschaftlicher Macht ausschließt, entschieden anzukämpfen. Emanzipation steht hier also in enger Verbindung zu einem Bewusstsein der »eigenen Freiheit«, in der »Familie« proportional zur Statussteigerung negativ konnotiert wird. Familie und v. a. die Größe der Familie kann, diesem Verständnis folgend, auch als Indikator für den jeweiligen sozio-ökonomischen Status gelesen werden. Dadurch ergibt sich ein Bild, in dem die unterdrückte Frau (›Migrantin‹) – für die es unbedingten Handlungsbedarf gibt – einer emanzipierten Frau (›Österreicherin‹) gegenübergestellt wird. Es kommt demnach, zu einer Selbstidealisierung der ›Österreicherin‹ bei einer gleichzeitigen Abwertung der ›Migrantin‹. Zudem werden dabei stereotype Geschlechterbilder (re-)produziert, die Frauen mit sog. Migrationshintergrund als »aufgrund ihres Traditionalismus stark an ihre Familie gebunden und in beruflichen Entscheidungen von ihren Vätern und Ehemännern abhängig [darstellen]« (Rommelspacher 2007: 51). Differenzierte Familien- und Lebensmodelle sowie die Pluralisierung von Geschlechterverhältnissen werden hier zugunsten einer nationalstaatlichen Homogenisierung ausgeklammert, Feminismus wird dabei zu einer »Dominanzattitüde« (Rommelspacher 1995: 98) stilisiert, die »im Dienste der Bestätigung der eigenen Überlegenheit [fungiert]« (ebd.: 99). Als Übung, die »primär dem interkulturellen Vergleich [dient]« (Schote 2014b: 25), folgt diesem Text eine zweiteilige Diskussion, in der die Kursteilnehmer_innen (TN) ausgehend von Irina Bulgakovas Aussagen über »Frauen in Österreich […] ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen kritisch überprüfen« (ebd.). Dies wird didaktisch mittels Fragestellungen im Sinne von »Habe ich andere Erfahrungen gemacht?« (ebd.) empfohlen, um daraus für die TN einen »Leitfaden« (ebd.) zu erstellen, der dabei hilft, »sich im österreichischen Alltag besser zurechtzufinden und die gegenüber der Heimat andersartige Umgebung besser zu verstehen« (ebd.). Die Andersartigkeit der Umgebung, die an dieser Stelle in ein Spannungsfeld von Emanzipation und Unterdrückung eingebunden ist, rekurriert im Rückschluss auf die Andersartigkeit der Migrant_innen, denen auf Grund ihrer jeweiligen (als entwicklungsbedürftig antizipierten) Kultur eine mangelnde Kompetenz zugeschrieben wird. Die dabei empfohlenen Redemittel geben bereits einen Hinweis darauf, in welche Richtung diese Diskussion gelenkt werden soll:
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»Es ist wichtig, dass sich die Männer genauso viel um den Haushalt und die Erziehung der Kinder kümmern wie die Frauen. Die Aufgaben müssen gerecht verteilt sein. Ich glaube, dass es in Österreich Gleichberechtigung gibt. Frauen und Männer haben die gleichen Rechte, aber die Karrierechancen von Männern sind besser. Die Situation der Frauen ist in Österreich anders als in meinem Heimatland. Wenn ich Österreich mit meinem Heimatland vergleiche, finde ich, dass es viele Unterschiede gibt« (Schote 2014a: 38).
Das Verharren in starren, heteronormativen Geschlechterrollen spiegelt dabei eine defizitorientierte Sichtweise wider, in der Ursachen und Strukturen von Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozessen verdeckt werden. Frauen, v. a. Migrantinnen, so kann diese Übung interpretiert werden, müssen sich aus (familiär) patriarchalen Kontexten befreien, um sich dem Bild einer ›emanzipierten Frau‹ zu nähern. Anstatt geschlechterspezifische Zuschreibungen und Diskriminierungsformen, Sexismus innerhalb der österreichischen Gesellschaft oder einen geschlechtshierarchisch organisierten Arbeitsmarkt zu thematisieren, können sich ›österreichische‹ Frauen in Relation zu Frauen mit sog. Migrationshintergrund setzen und sich dadurch auf den ›Lorbeeren‹ ihrer Emanzipationsbemühungen ausruhen. Innerhalb des dabei gezeichneten Bildes werden Kultur bzw. kulturelle Zugehörigkeiten mit Vorstellungen von Traditionalismus und Rückständigkeit verbunden, die Parallelen zu der von Said (1995 [1978]) beschriebenen Erfindung des Orients bei gleichzeitiger Konstruktion seines Antagonisten (des Okzidents) aufweisen. Während sich die ›österreichische‹ Gesellschaft im hier thematisierten Kontext als emanzipiert, modern und fortschrittlich inszenieren kann, werden andere Kulturen als unaufgeklärt und rückständig konstruiert, wobei ein, an koloniale Pädagogik anknüpfender ›Bildungsauftrag‹ sichtbar wird: War es einst die »Bürde des weißen Mannes« 3, die Kolonialisierten aus der Barbarei in die Zivilisation zu führen, so erscheint es nun analog dazu die Bürde der Mehrheitsgesellschaft zu sein, das migrantische Subjekt aus seiner Unaufgeklärtheit zu führen, indem man es Prinzipien der Demokratie, Gleichberechtigung, Toleranz u. ä. lehrt.
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Nach dem Gedicht »The White Man’s Burden« von Rudyard Kipling (1899) siehe etwa: http://www.hermann-mueckler.com/pdf/RKipling-Engl-Deut.pdf.
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I NVOLVIERTE P ROFESSIONALITÄT Im Zuge dieser Analysen wird die Frage nach einer Weiterentwicklung der Begrifflichkeit und einer Transformierung von inferiorisierenden Zuschreibungen virulent. Das Ziel ist dabei nicht, jemandem ›Förderung‹ zu verweigern, sondern darüber nachzudenken, inwiefern und mit welchen Vorgehensweisen die Herstellung von Inferiorität der ›Geförderten‹ wenn nicht abgeschafft, so zumindest reduziert werden kann. Unsere Kritik richtet sich hier nicht, wie sonst üblich, gegen die Schul- oder Sprachenpolitik und gesetzliche Regelungen, sondern in selbstreflexiver Absicht gegen uns selbst (als Lehrende, aber auch als Forschende). Der fachbezogene Professionalisierungsgedanke wird, in Anlehnung an Messerschmidt, als »involvierte Professionalität« (Messerschmidt 2011) gefasst, d. h. als Professionalität in einem sozialen Gefüge, in das »DaZ-Wissenschaftler_innen und DaZLehrkräfte« aktiv involviert sind, in dem sie aber ›blinde Flecken‹ besitzen. Nach der Vorstellung von »involvierter Professionalität« bietet es sich zur Bearbeitung der blinden Flecken an, diskursive ›Verstrickungen‹ mit einer diskurstheoretisch informierten Arbeitsweise zu bearbeiten, um Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit der gesellschaftlichen Eingebundenheit des Geschehens, das thematisiert wird, auseinanderzusetzen, wie Messerschmidt im Rahmen der akademischen Lehre ausarbeitet: »Die Fragerichtung des Projekts zielt darauf, die Hochschule selbst als Ort der interkulturell-migrationsgesellschaftlichen Bildung zu betrachten […]. Mit dem Projekt soll eine Anregung zur Selbstreflexion gegeben werden, um einen Prozess anzustoßen, der es angehenden Lehrer_innen ermöglicht, sich selbst und das eigene Handeln in einer Beziehung zur Einwanderungsgesellschaft zu verstehen. Grenzen dieser Beziehung, Distanzierungen und Befremdungen sind Teil der zu erforschenden Selbstdarstellungen und Wahrnehmungsmuster. […] Der Forschungsansatz richtet sich darauf aus, den Subjektivitäten der Teilnehmenden Raum zu geben und folgt einem Konzept involvierten Forschens, bei dem es nicht um eine objektivierende Untersuchung von Einstellungen Anderer geht, sondern darum, eigene Auffassungen in einen Kommunikationsprozess einzubringen, zu dokumentieren und weiter zu entwickeln« (Messerschmidt 2011: 81f., Hervorhebung im Original).
Aus dem Wunsch heraus, Förderung ohne othering (um es mit einem Ausdruck der postkolonialen Theorie zu beschreiben, vgl. Thomas-Olalde &
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Velho 2011) zu konzipieren, begeben wir uns auf die Suche nach einer Perspektive, die es ermöglicht, gleichsam Übungsformen und andere Formate des Faches zu beleuchten und (darin immanente) Zuschreibungspraxen zu reflektieren. Die Wahl fällt auf die »Migrationspädagogik« (Mecheril et al. 2010), die an postkoloniale, diskurstheoretische, subjektivierungskritische, macht- und gesellschaftskritische Wissenschaftstraditionen anschließt und diese auf pädagogische Zusammenhänge adaptiert.
M IGRATIONSPÄDAGOGIK ALS R AHMUNG VON D EUTSCHFÖRDERUNG ›Deutsch als Zweitsprache‹ kann als pädagogische Reaktion auf Migration verstanden werden: Das Angebot bzw. die Durchführung von Deutschförderung als kompensatorische Maßnahme für Schüler_innen mit ›Migrationshintergrund‹ ist – historisch betrachtet – eine der ersten Reaktionen auf die Folgen von Migration für die deutschsprachigen Bildungssysteme und steht damit in einer längeren Tradition, die mit der als »ausländerpädagogisch« charakterisierten und kritisierten Phase des paternalistischen Umgangs mit Migration in den 1960er und 1970er Jahren beginnt (vgl. Mecheril 2010: 54f.). Eine Auseinandersetzung damit, was es heißt, in der Tradition dieses in der Erziehungswissenschaft im Nachhinein weitgehend konsensuell als assimilationistisch bewerteten Maßnahmenbündels bzw. Paradigmas zu stehen, wäre im Fachdiskurs im Sinne eines reflektierten Umgangs mit der eigenen fachdisziplinären Entwicklung wünschenswert. Die Diskussion eines disziplinären und erkenntnisbezogenen Selbstverständnisses sowie einer darauf folgenden reflexiven Verortung von ›Deutsch als Zweitsprache‹ wird auf verschiedene Weise geführt und ist unseres Erachtens fruchtbar, um Grundlagen für wissenschaftspolitische Forderungen zu entwickeln. 4 In der Tradition der pädagogischen Konzepte und Perspektiven der Auseinandersetzung mit den Folgen von Migration für Bildung und Erziehung steht auch die »Migrationspädagogik« (Mecheril 2004; Mecheril et al. 4
Ein Sammelband mit Beiträgen, die sich mit den normativen Orientierungen und reflexiven Verortungen im Feld DaF und DaZ beschäftigt, ist in Vorbereitung (Dirim & Wegner, im Erscheinen).
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2010), die dezidiert macht- und herrschaftskritisch ausgerichtet ist und es damit ermöglicht, die allgegenwärtigen ›Verstrickungen‹ des Faches in die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen zu verstehen, zu ordnen und zu bearbeiten. Ein besonderes Interesse der Migrationspädagogik richtet sich auf das Verstehen der Herstellung von Zugehörigkeitsordnungen in der Gesellschaft und – damit verknüpft – in den Bildungsinstitutionen: »Eine zentrale Aufgabe der Migrationspädagogik besteht in der Beschäftigung mit der Frage, wie der und die natio-ethno-kulturelle Andere unter Bedingungen von Migration erzeugt wird und welchen Beitrag pädagogische Diskurse und pädagogische Praxen hierzu leisten. Gegenstand der Migrationspädagogik sind insofern die durch Migrationsphänomene bestätigten und hervorgebrachten Zugehörigkeitsordnungen und insbesondere die Frage, wie diese Ordnungen in bildungsinstitutionellen Kontexten wiederholt, produziert werden sowie wie sie verändert werden können« (Mecheril o. J. [2010]).
Die Herstellung des natio-ethno-kulturell Anderen verweist auf die Problematik der im migrationsgesellschaftlichen Referenzraum konstruierten Zugehörigkeitsordnungen: »Mit der Perspektive ›Migrationspädagogik‹ richtet sich der Blick auf Zugehörigkeitsordnungen in der Migrationsgesellschaft, auf die Macht der Unterscheidung, die sie bewirken und die Bildungsprozesse, die in diesen machtvollen Ordnungen ermöglicht und verhindert sind. Erfahrungen in der Migrationsgesellschaft werden nicht allein, aber in einer bedeutsamen Weise von Zugehörigkeitsordnungen strukturiert. ›Zugehörigkeit‹ kennzeichnet eine Relation zwischen einem Individuum und einem sozialen Kontext, in dem Praxen und Konzepte der Unterscheidung von ›zugehörig‹ und ›nicht-zugehörig‹ konstitutiv für den Kontext sind. Im Zugehörigkeitsbegriff wird das Verhältnis von Individuum und sozialem Kontext fokussiert. Beim Zugehörigkeitsbegriff wird gefragt, unter welchen sozialen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen und von diesen vermittelten individuellen Voraussetzungen Individuen sich selbst als einem Kontext zugehörig verstehen, erkennen und achten können« (Mecheril o. J. [2010]).
Sofern keine Auseinandersetzung mit Repräsentationen von Deutschlernenden durch die Fachperspektiven stattfindet und eine Transformation von
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inferiorisierenden Zuschreibungen erfolgt, läuft die (Forschungs-)Arbeit im Bereich ›DaZ‹ Gefahr, bestehende Hierarchien zwischen ›Migrant_innen‹ und ›Nicht-Migrant_innen‹, Schüler_innen mit und ohne sogenanntem Migrationshintergrund oder, wie Paul Mecheril schreibt, »Wir« und »NichtWir«, zu bestätigen und zu reproduzieren (vgl. Mecheril 2010). Das Begriffspaar »Wir« und »Nicht-Wir« verweist auf das relationale Verhältnis der Zuordnungen: ›DaZ‹ erhält im Spiegel von ›DaF‹ und ›DaM‹ seine soziale, symbolische und subjektivierende Bedeutung und umgekehrt. ›DaZ‹-Lehrende arbeiten in dilemmatischen Situationen. Auf der einen Seite geht es darum, Deutschförderung anzubieten, auf der anderen Seite wird damit diskursiven Positionen zugearbeitet, die dazu führen, dass Mitglieder der Zielgruppe, die Lernenden, inferiorisiert werden. Auf Grund dieser Problematik stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, mit diesen Dilemmata und Spannungen umzugehen und Deutschfördermaßnahmen auf eine Weise anzubieten, die nicht zu einer symbolischen Markierung von Unterlegenheit der Mitglieder der Zielgruppe führt. Um diese Reflexionen zu ermöglichen, kann u. E. mit Analyseperspektiven der »Migrationspädagogik« gearbeitet werden.
P ERSPEKTIVEN MIGRATIONSPÄDAGOGISCHER G ESTALTUNG DER ARBEIT IM B EREICH ›D EUTSCH ALS Z WEITSPRACHE ‹ Die Arbeit im Feld ›DaZ‹ kann angesichts ihrer Verwobenheit in allgemeine gesellschaftliche sowie spezifische politische und rechtliche Diskurse zu einer »befähigende[n] Verletzung« (Spivak, zit. nach Dhawan 2014) werden – ein Zustand, der, so unsere Wahrnehmung, dem Anspruch und Selbstbild von ›DaZ‹-Lehrenden widerspricht. Dieser Zustand ist nicht ganz aufhebbar, jedoch kann daran gearbeitet werden, die Verletzung zu reduzieren. Dafür wäre im ersten Schritt notwendig, sich dem Problem der gesellschaftlichen Verwobenheit des Faches und seiner Widersprüche zu stellen. Möglicherweise würde damit akzeptiert werden, dass es politische Rahmenbedingungen, Dispositive sowie diskursive Verknüpfungen gibt, innerhalb derer ›gut gemeinte‹ Begriffe und Konzepte zu »befähigenden Verletzungen« werden (können). Eine »befähigende Verletzung« würde z. B. dann stattfinden, wenn Schüler_innen in einer sprachsensiblen Biolo-
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giestunde sich mit dem Thema ›Hautfarbe‹ beschäftigen müssten (was vor Kurzem im Rahmen einer Uni-Veranstaltung von Studierenden vorgeschlagen wurde) und nicht mit anderen/allen Themen. Damit würde eine an koloniale Diskurse anknüpfende ›Verbesonderung‹ von Schüler_innen stattfinden, die in der Aneignung des Deutschen unterstützt werden 5 und auf einer inhaltlichen und naturalistischen Ebene eine Unterscheidung von Schüler_innen in (im weiteren Sinne) als ›farbig‹ und ›nicht-farbig‹ konstruiert werden. In einem gesellschaftspolitischen Kontext, in dem Deutschkenntnisse zu einem rechtlichen Instrument der Regulierung von Zugehörigkeit werden, würde damit die Vorstellung des Deutschlernens im Zusammenhang ›Förderung‹ (sogenannter ›Integration‹ und ›Zugehörigkeit‹), mit einer kolonialen Konnotation verknüpft werden. Die Reduzierung von (kolonialen oder anderen) »befähigenden Verletzungen« könnte im Sinne der migrationspädagogischen Arbeit innerhalb der schulischen ›DaZ‹-Förderung mit den folgenden Perspektiven bzw. didaktischen Prinzipien in Angriff genommen werden: • • •
Subjektivierungskritische Verwendung von Fachbegriffen, Gestaltung von Fördermaßnahmen ohne inferiorisierende ›Verbesonderung‹ der Lernenden, Gestaltung von Fördermaßnahmen ohne Exotisierung der Lernenden.
Eine Leitfrage, mit der diese und weitere Prinzipien bzw. Vorgehensweisen initiiert werden könnten, lautet: Mit welchen Vorgehensweisen kann DaZFörderarbeit gestaltet werden, ohne dabei Wir- und Nicht-Wir-Hierarchien zu (re-)produzieren?
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Zur Problematik der Kategorie ›Hautfarbe‹ vgl. Arndt 2011.
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E INE ZWEITSPRACHE LERNEN –
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Auf der Innenseite der Sprache Mehrsprachigkeit in der Perspektive der pädagogischen Phänomenologie C ORNELIE D IETRICH
V ORAUSSETZUNGEN AKTUELLER S PRACH -P ÄDAGOGIKEN Führt man sich den Mainstream der aktuellen pädagogischen und bildungspolitischen Diskussionen vor Augen, so scheint es ganz unzweifelhaft zu den großen Herausforderungen der Pädagogik zu gehören, einsprachig Heranwachsende mindestens zu möglichst guten Fremdsprachenkenntnissen und mehrsprachig Heranwachsende zu einer solchen Sprachkompetenz in der je gültigen Bildungssprache zu führen, die ihnen eine Teilhabe an der Mehrheitskultur in Schule, Ausbildung und Beruf ermöglicht. »Das sichere Beherrschen der deutschen Sprache in Wort und Schrift ist ein Schlüssel für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen.« So lautet der erste Satz der großen Forschungsinitiative BISS (Bildung durch Sprache und Schrift), den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2015 in der zweiten Runde ausschrieb (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2015). Es ist nur eines von unzähligen Projekten in Forschung und Entwicklung innerhalb der Pädagogik, die sich dieses Themas annehmen. Dieser erste Satz ist ebenso unumstritten wie aber auch schon voraussetzungsvoll. Ich möchte nun im Folgenden diese hier mitgegebenen Voraussetzungen ihres Mantels der Selbstverständlichkeit entkleiden und diskutieren. In Anlehnung an die Phänomenologie soll dabei eine Sprachauffassung zugrunde gelegt werden, die den Vollzug des Sprechens
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in seinen kommunikativen und materiellen Dimensionen ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Eine erste Voraussetzung liegt in der Objektivierung und Singularisierung der Sprache als einem Korpus, der dem sprechenden Menschen gegenüber und im besten Falle zur Verfügung steht. In dieser Fassung lassen sich nicht nur Sprache und Sprecher*in, sondern auch Sprachen untereinander trennen, niedergelegt in ›ihren‹ Grammatiken und Wörterbüchern. Einsprachige Menschen besitzen dann eine, mehrsprachige Menschen besitzen zwei oder mehr dieser Objekte. Sprache wird erworben, man hat einen Wort-Schatz oder ein Sprach-Vermögen oder aber ist von SprachArmut betroffen. Ich habe die Sprache oder habe sie nicht; und wenn ich sie habe, beinhaltet das sogleich auch ein Beherrschen – in Wort und Schrift. Die deutsche ›Spracharmut‹, die nicht – wie z. B. im Französischen üblich – zwischen Rede (parole) und Sprache (langue), also der Tätigkeit des Sprechens und dem System der Sprache unterscheidet, führt in der Geschichte der Linguistik und Sprachphilosophien immer wieder zu Forderungen einer stärkeren Berücksichtigung der gesprochenen Sprache gegenüber der Dominanz einer Sprachsystemforschung. Einer der prominentesten Vertreter ist hier Wilhelm von Humboldt, der in seiner berühmten KawiEinleitung den energeia-Gedanken wie folgt formuliert hat: »Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (ergon), sondern eine Thätigkeit (energeia). […] Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen« (Humboldt 1998 [1836]: 174).
Gemeinsam mit der Objektivierung entwickelt sich eine zweite Voraussetzung aktueller Sprachpädagogiken, die mit dem Begriff der ›Beherrschung‹ den Rahmen eines instrumentellen Sprachverständnisses aufruft. In dieser Rahmung (Wehling 2016) ist die Annahme impliziert, ein vorhandenes Defizit des »Nicht-oder-zu-wenig-Sprache-haben« könne durch Unterrichtsund Bildungsprozesse in ein »Genug-Sprache-haben« transformiert werden. Getragen wird diese Lehr-, Lern- und Forschungstradition von dem zweifellos notwendigen Optimismus gegenüber dem Projekt einer herstellbaren
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Sprach- und Sprechkompetenz, an dessen Ende eben die Beherrschung von etwas dann notwendig dem Sprechersubjekt Untergeordneten steht. Ist Sprache dergestalt Instrument der Welterfassung, der Benennung von Ideen, Dingen, Zusammenhängen und Sachverhalten, dann wird sie selbst unsichtbar. »Wir verehren alle heimlich dieses Ideal einer Sprache, die uns in letzter Konsequenz von ihr selbst befreit, indem sie uns den Dingen überlässt. Eine Sprache, das ist für uns jener fabelhafte Apparat, der es ermöglicht, eine unbestimmte Anzahl von Gedanken oder Dingen mit einer endlichen Anzahl von Zeichen auszudrücken […]« (Merleau-Ponty 1993: 27).
Verloren geht im instrumentellen Sprachverständnis jedoch die Eigensinnigkeit der Sprache selbst, die sich in der Materialität des Sprechens und der Unverfügbarkeit der Subjekte über eine kommunikative Situation manifestiert. Wird hingegen Sprache nicht nur als Instrument, sondern auch als Medium der Bildung aufgefasst, so ist man auf den Zwischencharakter des Redens verwiesen, der sowohl Humboldt als auch Merleau-Ponty wichtig war (Dietrich 2010). In dieser erweiterten Auffassung macht Sprache die Vermittlung von Ich und Welt überhaupt erst möglich, bleibt dabei aber als Medium auch eigenständig. Der berühmte Begriff der »Weltansichten« (Humboldt), die mit Hilfe der Sprache entstehen, verweist auf jene Dimension menschlicher Sprachlichkeit: Man wird der (Innen- und Außen-)Welt ansichtig im Medium der Sprache, und verschiedene Sprachen bringen entsprechend auch unterschiedliche Weltansichten hervor. Das Medium Sprache bringt seine eigenen Möglichkeiten und Grenzen, bringt auch seine Geschichte in das Geschehen mit ein. Sprache spricht sich selbst. Als Medium eignet Sprache notwendig auch immer eine Materialität, die an den Körper des Sprechenden oder Schreibenden gebunden bleibt. Das Medium ist insofern kein reines und neutrales ›Zwischen‹, sondern es ragt tief hinein in die Kehle oder die Finger, die Ohren und die Augen, die sie auch mit plastiziert. Wie einer lernt, die Welt zu betrachten, auf sie zu hören, wie sein Stimmklang sich habituell entwickelt und seine Hände sich ausbilden, die Dinge zu begreifen, all diese Formen des Aufnehmens und Tätigwerdens sind unlösbar mit der Sprache verbunden. Aus allgemeinpädagogischer Perspektive muss daher festgestellt werden: Beide Voraussetzungen aktueller Sprachpädagogiken (Objektivierung
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und instrumenteller Gebrauch) formieren eine Komplexitätsreduktion sprachlicher Wirklichkeit von Kindern und Jugendlichen, die zwar vielleicht didaktische Entwicklungen und Evidenz generierende empirische Forschung zum Spracherwerb und zur Sprachförderung ermöglicht – die aber auch Gefahr läuft, wesentliche Dimensionen der sprachlichen Verfasstheit von Kindern und Jugendlichen auszublenden. Mein Anliegen ist es, diese Komplexität mit Hilfe der Phänomenologie und verbunden mit kulturwissenschaftlichen Argumenten ein Stück weit wieder einzuholen. Dass damit nicht notwendigerweise der Weg in die Empirie versperrt ist, zeige ich im letzten Abschnitt des Textes.
P HÄNOMENOLOGIE DER S PRACHE UND DES S PRECHENS Eine phänomenologische Sprachauffassung findet ihren Ausgangspunkt in der Tradition, die Sprache als ein lebendiges Pulsieren zwischen Menschen aufzufassen, den kommunikativen und materiellen Aspekt des miteinander Sprechens also an die erste Stelle der Untersuchungen zu stellen. Sprechen ist für Merleau-Ponty zu allererst ein leibliches Vermögen, mit Hilfe dessen sich ein Ausdruckswunsch artikuliert. »Sprechen und Verstehen sind Bestandteile eines einzigen Systems Ich-Anderer, und der Träger dieses Systems ist kein reines ›Ich‹ […]; es ist das mit einem Leib ausgestattete Ich, das beständig von diesem Leib überschritten wird, der es manchmal seiner Gedanken beraubt […]. Als inkarniertes Subjekt bin ich Anderen ausgesetzt wie übrigens Andere auch mir, und ich identifiziere mich mit dem, der vor mir steht und spricht. Sprechen und Zuhören, Handlung und Wahrnehmung sind für mich völlig verschiedene Tätigkeiten nur dann, wenn ich über sie nachdenke« (Merleau-Ponty 1993: 41).
Was hier viel mehr als in den pädagogischen Anwendungen zur Förderung von Sprachkompetenz thematisiert wird, ist das dem Redenden und dem Rede Hörenden Unverfügbare, das sich in jedem Sprechakt mitartikuliert. Alles, was gesagt wird, schließt eine Unzahl von Dingen aus, die dann nicht gesagt werden können. Was gesagt wird, legt immer auch Zeugnis ab von der Begrenztheit des Sagbaren, lässt Bedeutungshorizonte aufscheinen, die
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mitunter höchstens erahnt und diffus wahrgenommen werden, aber nicht dem Bewusstsein zur Verfügung stehen wie z. B. die Atmosphäre in einem Gespräch, die latente Aggressivität oder der die Rede einfärbende Blick des Gegenübers. All diese der Verfügbarkeit der Redenden entzogenen Momente ziehen ein in einen vorsprachlichen Raum des Schweigens, aus dem heraus immer neue Bedeutungsintentionen entstehen. Spür- und hörbar werden sie auch in der Stimme und ihrem »Subversionspotential«, deren »unkontrollierbare Eigendynamik den Vorgaben der Rede oftmals zuwider« handelt (Kolesch & Krämer 2006: 11). In dieser Sichtweise gibt es keine Sprache, die nicht verkörperte Sprache, weil an ein vom Körper aufgeführtes materiales Medium gebunden, ist. »Es gibt keine Sprache jenseits des raum-zeitlich situierten Vollzugs ihrer stimmlichen, gestischen oder schriftlichen Artikulation« (Krämer 1998: 39). Phänomenologisch wird die Dynamik des Sprechens und der Sprache durch das Zusammenspiel von Schweigen, gesprochener und sprechender Sprache erklärt. Sprache ist da bzw. entsteht, um das Schweigen zu brechen. Das Schweigen als der vorsprachliche Raum formiert sich aus den Sinnüberschüssen einer jeden Erfahrung und Reflexion, es bildet ein biographisch je besonderes unerschöpfliches Reservoir an Erlebnissen, Eindrücken, Erfahrungen, Ideen und Reflexionen, die immer nur zum Teil verarbeitet oder ›verstanden‹ und dementsprechend immer nur partiell thematisiert, objektiviert in Sprache gefasst sind. In diesem Reservoir an stets unvollständig verarbeiteten Erlebnissen und Widerfahrnissen entstehen die Dringlichkeiten, bedeuten zu wollen, hier entsteht die in phänomenologischer Perspektive immer an den Leib gebundene Intentionalität. Das Durchbrechen des Schweigens durch Bedeutungsintention geschieht nun aber keineswegs nur in Worten, sondern bereits präreflexiv in Gebärden, Bewegungen, Handlungen. Die Herausstilisierung des gesprochenen Wortes ist eine relativ späte und explizite Form des durchbrochenen Schweigens. Auf der anderen Seite, dem Schweigen gegenüber, steht die gesprochene Sprache als das sedimentierte Reservoir an Worten und Bedeutungen, das dem Subjekt vielfältige Angebote der intersubjektiven und innersubjektiven Verständigung macht. Das Subjekt greift spontan nach diesen Angeboten, es wird von der ihn umgebenden gesprochenen Sprache durchdrungen, es fädelt sich, in den Phasen des Spracherwerbs, in sie ein. Für Merleau-Ponty ist es jedoch wichtig in Erinnerung zu halten, dass auch die jetzt
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fraglos instituierte und intersubjektiv etablierte Sprache früher einmal neue Bedeutungen hervorbrachte und dass diese neuen Bedeutungen erst im Laufe der Zeit zu allgemein gültigen Zeichen wurden. Die Entstehung solcher Partikel der instituierten Sprache erklärt Merleau-Ponty aus »ursprünglichen« Gesten, die plötzlich einen »übertragenen Sinn« entstehen lassen und schließlich, dank der Offenheit des sprachlichen Systems, dort einen festen Platz erhalten: »Übrigens müssen jetzt erworbene Bedeutungen einmal neue Bedeutungen gewesen sein. Dieses offen-endlose Vermögen des Bedeutens – ein Vermögen in eins, einen Sinn zu erfassen und zu kommunizieren –, kraft dessen der Mensch durch den Leib und die Sprache sich selbst transzendiert zu neuem Verhalten, zu anderen hin und zum eigenen Denken, muss als ein ursprüngliches Faktum anerkannt werden« (Merleau-Ponty 1974: 230).
Das Individuum hat die Möglichkeit, mit der gesprochenen Sprache kreativ umbildend umzugehen, weil es in vielen Sprechakten gewahr wird, dass das Angebot der instituierten Sprache für die eigenen Bedürfnisse nicht ausreicht: »Die Nichtkoinzidenz von Gemeintem, Gelebten und Gesagten, die Inadäquation von Ausgedrücktem und Ausdruck hält die Sprache in Bewegung. Dabei ergibt sich [...] ein wechselseitiger Überschuss: was man sagen will, kann über das hinausgehen, was man sagt, und was man sagt, kann über das hinausgehen, was man sagen will« (Waldenfels 1976: 20).
Die Sprache kann aber nur deshalb in Bewegung bleiben, weil ihre Bedeutungen niemals hermetisch abgeschlossen und festgelegt sind, es gibt immer Raum für Sinnverschiebungen, die von Einzelnen, bzw. in Gesprächen von mehreren, dort vorgenommen werden, wo die je besonderen Weltverhältnisse dies nahelegen und erforderlich machen. Solche nun kommen zustande durch die Vermögen der »sprechenden Sprache«, die gleichsam die Vermittlung zwischen gesprochener Sprache und Schweigen übernimmt. Mit der sprechenden Sprache bezeichnet Merleau-Ponty diejenige Kraft, die einer noch sprachlosen Bedeutungsintention in die Sprachwelt hinein verhilft. Sie enthält die schöpferische Kraft im Sprechen, d. h. sie thematisiert die bisher unartikulierten Aspekte des Schweigens, die nach
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außen drängen. Im Übergang von der leiblichen Geste zum Wort vollzieht sie die Verwirklichung einer noch unklaren Bedeutungsintention. Sie ist im Begriff, das Schweigen zu durchbrechen, etwas Neues hervorzubringen. »Die Sprachen, als bereits konstituierte syntaktische und Vokabular-Systeme und als empirisch vorhandene ›Ausdrucksmittel‹, sind Niederschlag und Sedimentation des Sprechens, in dem der noch unformulierte Sinn nicht nur ein Mittel äußerer Bekundung findet, sondern überhaupt erst ein Dasein für sich selbst gewinnt, als Sinn erst eigentlich geschaffen wird. Oder man könnte zwischen sprechender Sprache und gesprochener Sprache unterscheiden. In der sprechenden Sprache begegnet uns die Bedeutungsintention in statu nascendi« (Merleau-Ponty 1974: 232).
Am deutlichsten kann man, so Merleau-Ponty, ihre »Arbeitsweise« studieren beim kleinen Kind, beim Poeten, beim Philosophen oder auch bei Verliebten, die dem geliebten Menschen gegenüber zum ersten Mal ihre Empfindungen auszudrücken suchen (vgl. Merleau-Ponty 1974: 212, Anm. 5). Was sich hier besonders eindrucksvoll zeigt ist aber auch in vielen alltäglichen Sprechakten enthalten: Das Subjekt erfährt die Grenzen seiner Ausdruckskraft, sucht nach passenden Worten, es passieren ihm »Versprecher« oder unglückliche Formulierungen. Es gibt immer wieder Situationen, in denen der Vorrat der gesprochenen Sprache als hohl, nichtssagend, floskelhaft und daher unzureichend und unpassend empfunden wird: Man muss Neues (er)finden. Nur so bleibt das System lebendig, kann sich Sprache weiterentwickeln und dadurch zugleich auch das Subjekt selbst. Denn während des Sprechens, das sich der sprechenden Sprache bedient, werden inner-weltliche Inhalte wie Gedanken oder Gefühle nicht lediglich in Sprache überführt und zum Ausdruck gebracht, sondern sie werden zum allerersten Mal thematisiert und damit auch erst real für das sprechende Subjekt. Bedeutungen werden in ihrem Entstehen aufgegriffen und realisiert, dabei erfährt das Subjekt sich selbst, wie es sich und sein Zur-Welt-Sein auch Anderen offenbart, es erfährt aber vielfach auch sein Unvermögen, Intention und gesprochene Sprache in Einklang zu bringen. In Vertiefung des bisher Gesagten und in Vorbereitung der Thematik innerer Mehrsprachigkeit lassen sich systematisch vier Aspekte der leibgebundenen Rede feststellen, die im Folgenden einzeln dargestellt werden. Sie entfalten sich im Raum zwischen redenden Personen, aber auch im Raum zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt, den Dingen und Phänomenen, die an den Sprechenden ap-
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pellieren, zur Sprache gebracht zu werden, sowie aber auch immer schon im Sprechersubjekt selbst, zwischen den verschiedenen Topographien von Sprachlichkeit und Vorsprachlichkeit, Leiblichkeit, Bewusstheit und Imagination. Was Sprache für wen bedeutet, lässt sich nie allein an den Worten in einer bestimmten grammatischen Struktur ablesen, auch Prosodie und Pragmatik stellen keine ausreichenden Analysemethoden zur Verfügung, weil auch sie die Zwischenleiblichkeit und die damit verbundene Bedeutsamkeit des Gestischen in Stimme und Körper nicht hinreichend berücksichtigen. Die Aspekte können eine anthropologisch-pädagogische Perspektive auf das Sprechen fundieren, die auch für die Analyse von Spracherwerbsprozessen hilfreich sein kann. 1) Gleichzeitigkeit von Leib und Zeichen. Die materiell-leibliche Dimension des Sprechens fundiert das Berührtsein durch gesprochene Sprache und deren mitunter eindringliche Wirkung. Nicht nur der zornige Schrei berührt und dringt ein, auch die Monotonie eines Sprechers kann bedrängen. Die sprachliche Geste des Anderen wirkt zunächst unmittelbar ohne eigenes Zutun, und zwar in den meisten Fällen des Alltags unterhalb des Bewusstseins. Der Horizont des Bedeutens spannt sich zwischen zwei Polen auf. Am einen Pol findet die neue, originäre, suchende, gerade im Entstehen begriffene Sinngenese statt, mit der ein zunächst individueller Bildungsprozess gestiftet wird. Am anderen Ende finden wir die bereits instituierten Gesten der Gemeinschaft, die jede und jeden Heranwachsenden andauernd umgeben, seinem Leben Ordnung, Orientierung und früher entstandene Bedeutungszuschreibung nicht nur anbieten, sondern ungefragt aufdrängen. Aufgrund ihrer stark ordnenden Kraft besitzt das sprachliche Zeichen als instituierte Geste eine Tendenz zur Erstarrung; eingefrorene instituierte Gesten lösen sich von ihrem Entstehungszusammenhang und werden Bestandteil von Institutionen und Organisationsabläufen wie z. B. dem Unterricht der Schule oder dem Begrüssungsritual im Kindergarten. Hat die spontane Geste einmal die feste Gestalt eines konventionellen Zeichens angenommen, so dient sie fortan der Aufrechterhaltung der – auch sozialen – Ordnung, und nicht länger der Suche danach. Dennoch erklingen in jedem Sprechakt performative Besonderheiten, in denen die Leiblichkeit des Sprechers hörbar ist. 2) Dialogizität und Resonanz. Die alltägliche Wirklichkeit der Sprache ist der Dialog, das Mit-Anderen-Sein in sprachlicher Aktivität. Wenn jemandes Rede ›mich anspricht‹, meine Anteilnahme und meine Antwort
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herausfordert, so beruht diese Wirkungsbeschreibung niemals allein auf der symbolischen Bedeutung der Worte, sondern immer auch, vielleicht sogar ursprünglich auf dem Vermögen der Sprache, Beziehungen zu stiften und zu gestalten. Durch die Art und Weise des Sprechens trete ich in Beziehung mit dem Gesprächspartner, selbst dann, wenn es sich gar nicht um ein Gespräch, sondern vielleicht um einen Vortrag, einen Monolog im Theater handelt. Seewald (1992: 381ff.) spricht in diesem Zusammenhang von einer sprachlichen »Metaphorisierung des Leibes«: Wie das Auge kann man jemandem sprechend freundlich zugewandt sein oder ihn sogar durchbohren, wie die Hand kann Sprache jemanden (er-)schlagen oder zärtlich berühren, wie der Fuß jemanden treten und verletzen und wie mit Armen jemanden umarmen oder erdrücken. Wenn man sich also im Gespräch angenommen oder abgelehnt, aufgehoben oder fehl am Platze, umschmeichelt oder schmerzhaft verletzt, inspiriert oder blockiert fühlt, so wird dies mitgeneriert in der sprechgestischen Atmosphäre. 3) Horizonthaftigkeit. Durch die materiellen und performativen Eigenschaften einer jeden gesprochenen Rede bildet sich um die Worte und in den Worten ein Horizont von möglichen Bedeutungen, ein Potential an Nicht-Ausgeschöpftem, das dem Gegenüber der Rede immer mehr als eine Möglichkeit zu antworten gibt. Der Theatertheoretiker Hans-Thies Lehmann umschreibt die Geste des Schauspielers auf der Bühne wie folgt: »Die Geste ist eine Potenz, die nicht in den Akt übergeht, um sich in ihm zu erschöpfen, sondern als Potenz im Akt verbleibt und in ihm tanzt« (zit. n. Finter 1984: 67). Dieses Bild einer tanzenden Potentialität ist nun mit Blick auf das Theater leichter nachzuvollziehen als mit Blick auf eine scheinbar klare Anweisung eines Lehrers in der Schule, z. B.: »Mach jetzt deine Aufgaben!« Aber auch dort kann der Sprecher die Wirkung seiner Sprechgeste niemals vollständig planen, weil er nicht wissen kann, welchen Weg die Geste in ihrem Vollzug nehmen wird; auch dort hat die Schülerin verschiedene Antwort- bzw. Reaktionsmöglichkeiten. Sie wird entweder in einer von vielen möglichen Formen »Ja« sagen und ihre Aufgaben machen, oder sie wird in einer von vielen Formen »Nein« sagen und ihre Aufgaben nicht machen, oder sie wird eine Diskussion über den Sinn der Aufgaben beginnen. Der das Zeichen umgebende Horizont bringt eine Polysemie ins Spiel, die auf das Gegenüber ganz unterschiedliche Wirkungen haben kann: Einladung, Bestätigung, Verwirrung oder auch Kränkung sind nur einige Beispiele dafür. Dass das Gemeinte und das Bewirkte dabei stark differieren
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können, gehört zu den alltäglichen Beziehungserfahrungen aller, die das Wagnis des Miteinandersprechens eingehen. 4) Sinngenerierung und Sinntradierung. In der nachhusserlschen Phänomenologie, die Sprache als gestisches Vermögen eines leiblichen Subjektes auffasst, wird, wie oben erläutert, die Neuschöpfung von Sinn betont: aus den Sinnüberschüssen der je individuellen Erfahrungen und Erlebnisse, die zunächst unartikuliert und unausgesprochen bleiben, formiert sich eine Bedeutungsintention, die zuerst in Körperbewegungen und Handlungen, schließlich im Wort das Schweigen bricht und dadurch für das Individuum erst realisiert wird. Die sprechende oder die sich selbst sprechende Sprache (Merleau-Ponty 1993) ist individuell wie kollektiv immer auf der Suche nach angemessenen Ausdrucksformen für das Erlebte, sie kann dabei aber nicht anders, als sich der bereits vorhandenen, gesprochenen Sprache zu bedienen. Sprechen lernen heißt daher immer auch Sprache erfinden. In vielen Dokumenten des kindlichen Sprechens werden diese Suchbewegungen hörbar; in Wortschöpfungen wie »Wintermintabletten« oder »Wolkenfabrik« (Schornstein) zeigt sich die kreative Tätigkeit, die im Rückgriff auf Vertrautes den Ausdrucks- und Artikulationswunsch, den das Fremde erzeugt, stillt. Sprache ist, so Merleau-Ponty, »ein durch das Subjekt vollzogenes Überschreiten der verfügbaren Bedeutungen […], das unter dem Anreiz des Gebrauchs, den man in seiner Umgebung von den Wörtern macht, ausgelöst wird« (Merleau-Ponty 1994: 76). Die Möglichkeiten und Zumutungen der bereits instituierten Sprechgesten, wie sie beispielsweise in Gestalt der Lehrerfrage, des Kindergebets oder den ritualisierten Arten der Konfliktbearbeitung, z. B. in der Familie den Kindern einen bestimmten Gebrauch nahebringen, ordnen so die Interaktion der Gemeinschaften, verschaffen Orientierung und verhelfen so zur Einfädelung in die umgebende Kultur.
I NNERE M EHRSPRACHIGKEIT UND DIE V IELSTIMMIGKEIT DES S PRECHENS In zweifacher Hinsicht kann sich nun begründen lassen, dass Kinder und Jugendliche immer schon mehrsprachig und vielstimmig aufwachsen. Vor dem Hintergrund der phänomenologischen Sprachauffassung entpuppt sich erstens die Idee einer reinen Einsprachigkeit insofern als Illusion, als das
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leiblich und gestisch fundierte Sprechen jedes einzelnen Individuums verwurzelt ist in den unterschiedlichen Modi des Gesprochenen, des Sprechenden und des Schweigenden. In der Soziolinguistik (Henne 1986; Braun 1998) ist zweitens von einer kulturellen inneren Mehrsprachigkeit die Rede; damit sind die vielfältigen Codes, Sozio- und Dialekte gemeint, die sich als Sprachvarietäten einer in ihrer Einheitlichkeit dann auch als Konstrukt aufzufassenden Kultursprache, wie dem Arabischen, dem Französischen oder dem Deutschen, zeigen. Alle oben genannten Merkmale des Sprechens, die Gleichzeitigkeit von Leib und Zeichen, die Dialogizität und Resonanz, die ständige Produktion von Sinnüberschüssen und Polysemien in der gesprochenen Sprache, richten sich nicht nur auf das Gegenüber der Rede, sondern immer auch auf den Sprecher und die Sprecherin selbst. Durch die dichte funktionale Verbindung von Stimme und Ohr, von Sprechen und Hören wirken die sprachlichen Gesten ebenso auf den Produzenten wie auf den Rezipienten: Was und wie man etwas sagt, erreicht immer auch die Sprechenden selbst – und zuweilen ist man erschrocken, zuweilen erfreut, jedenfalls oft überrascht über den Klang und Gestus der eigenen Rede. Nach Waldenfels (1994) ist die Resonanzfähigkeit des Leibes, die die Stimme des anderen aufnimmt, Bedingung für eine Verdoppelung des Hörer-Sprecher-Systems. Wenn ich spreche, bin ich selbst und ist der Andere, der schweigend zuhört, Resonanzraum meines Sprechens, es tönt bereits in ihm und gibt mir Antwort; und während der Andere mir antwortet, bin ich sein Resonanzraum, obwohl ich schweige, tönt doch seine Stimme, tönen seine Gedanken und Ansichten in mir. Sprachlichen Gesten wie einem Schrei, einer Klage, einem Befehl oder einer zärtlichen Liebkosung kann man sich nicht entziehen, solange man im Dialog ist. Das Präsentische des Anderen in meiner Sprache betrifft aber nicht nur den je aktuellen Moment des Miteinander-Sprechens, sondern diese Erfahrungen schichten sich lebensgeschichtlich auf und sedimentieren sich zu vielfältigen Formen der Relationalität, die in das eigene Sprechen hineingenommen ist. Von einem »inneren Karneval«, der sich dauernd in unserem Sprechen ereigne, spricht in ähnlicher Weise HansJoachim Roth (2004). Er spielt damit auf das ständige Zusammensein mehrerer Ordnungen an, die unser Sprechen bevölkern. Worte und Sätze, die der vernünftigen Ordnung des sprachlichen Systems unserer »Amtssprache«, der gesprochenen Sprache nach Merleau-Ponty, folgen, vermischen sich beständig mit Elementen des Begehrens und des Imaginären: Etwas ist
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zum Lachen oder Weinen, bereitet Empfindungen der Lust oder des Schmerzes, es entstehen im Gespräch, mitunter im Selbstgespräch, Wünsche, Hoffnungen und Ängste. Ständig führen wir einen inneren Dialog, und dabei sind die Dialogpartner höchst ungleiche, so dass die Differenzen zwischen Imaginärem und symbolischer Ordnung jenen zusätzlichen oder überschüssigen Sinn produzieren, der im Gespräch mit dem realen Partner (und dessen karnevalesker Mehrsprachigkeit) notwendigerweise Polysemien und Missverständnisse erzeugt. Insofern also der Andere und das Andere meiner selbst, der Fremde und das Fremde meiner selbst im eigenen Reden immer mittönt und sich Ausdrucksformen verschafft, ist es illusorisch, von einer einstimmigen und einsprachigen Rede auszugehen, auch wenn alle Worte ›der‹ deutschen oder türkischen oder italienischen Syntax und Semantik folgen (und selbst das ist in vielen Situationen der gesprochenen Alltagsrede unwahrscheinlich). Auf kultureller Ebene hat die Soziolinguistik und Varietätensprachforschung ebenso schon längst mit dem Mythos der Einsprachigkeit gebrochen. Das Deutsche als eine einheitliche, von allen verstandene Sprache hat es vermutlich nie gegeben, auch wenn es immer wieder Versuche der Standardisierung und Vereinheitlichung gab und gibt. Helmut Henne hat die Anfänge der Sprachvarietätenforschung in der Germanistik des 19. Jahrhunderts, namentlich bei den Brüdern Grimm und Wilhelm von Humboldt, rekonstruiert (vgl. Henne 1979). Sowohl der biblische Mythos der babylonischen Sprachverwirrung als auch Humboldts Idee einer gesamtmenschlichen Sprache zeugen von der Vorstellung (oder Sehnsucht nach) einer einheitlichen Sprache. »Nach biblischer Vorstellung gilt: Am Anfang war die eine Sprache. Alle hatten sprachlich an allem teil. Erst: nach der Teilung, so die Wissenschaft oder: nach der Verwirrung – so der religiöse Mythos – begann die sprachliche Entfremdung der Menschen. Die Menschen wurden einander deshalb fremd, weil sie nicht mehr auf dieselbe Sprache zurückgreifen konnten, um sich zu verständigen« (Henne 1979: 306).
Schon Wilhelm und Jacob Grimm haben bei der Konzeption des deutschen Wörterbuchs deutlich gemacht, dass sie ›das‹ Deutsche nirgends haben finden können. Vielmehr haben sie innerhalb dessen 14 verschiedene Sprachvarietäten gefunden – vom Gotischen über das Neuhochdeutsche bis zum
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Friesischen. Und innerhalb dessen fanden sie außerdem »ein Panorama der Standes-, Gelehrten- und Berufssprachen«, die beschrieben und zugleich auch schon kritisch kommentiert werden. So nenne Grimm etwa die »gegenwärtige Rechtssprache […] ungesund und saftlos, mit römischer Terminologie hart überladen« (zit. n. Henne ebd.: 308). Im Weiteren hat die moderne Linguistik dann neben die regionalen Dialekte und fachspezifischen Gruppensprachen noch die Soziolekte verschiedener Gruppen, die sich nach sozioökonomischen Status oder Alter voneinander unterscheiden sowie die Umgangs- und Schriftsprachen gestellt (Braun 1998). Da nun jede einzelne Varietät sowohl Ausdruck als auch Generator je besonderer Lebensweisen oder »Weltansichten« (Humboldt) ist, stellt sich für die erziehungswissenschaftliche Forschung die Frage, wie und in welcher Weise Heranwachsende mit diesen Formen der inneren Mehrsprachigkeit umgehen und ob es altersspezifische Entwicklungen in der Art des Umgangs zu beobachten gibt. Ich möchte nun im Folgenden an Hand eines Beispiels untersuchen, wo und wie diese beiden Dimensionen der Mehrsprachigkeit und Vielstimmigkeit in der sprachlichen Wirklichkeit zusammenkommen.
D IE V ERVIELFÄLTIGUNG DES S PRECHENS UND DER S PRACHE AM E NDE DER K INDHEIT An einem Beispiel aus der eigenen Forschung (vgl. Dietrich 2010) möchte ich nun zeigen, wie in der Lebensphase der Frühadoleszenz aus der Vielstimmigkeit der Rede Sprache und Sprechen in einer gegenüber der Kindheit neuen Weise zum Medium der Bildung werden. Es ist kein Zufall, dass lebensgeschichtlich zum ersten Mal mit Beginn der Jugendphase eine Reihe von sprachlich-performativen Phänomenen auftauchen. Viel untersucht sind die prominenten Vokabularien der Jugendsprache; ebenfalls in die Phase gehören provokante Redeweisen den Eltern gegenüber wie auch das exzessives Schweigen im Familienkontext und das umso agilere Kichern, Poltern und Battlen im Peerkontext. Weniger Bedeutung erlangen sowohl in der soziolinguistischen als auch in der erziehungswissenschaftlichen Forschung die Turbulenzen der ungleichmäßigen Stimmbandschwingungen, des Stimmwechsels bei Mädchen und Jungen, die sich aus dem Wachstum von Kehlkopf, Resonanzräumen und Stimmlippen ergeben. Betrachtet man die bei Jugendlichen hervorgebrachten
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Formen des Sprechens, so tauchen neben Witzen, gestischen Karikaturen vor allem verschiedene Formen des Sprachspiels auf, von denen ich eines hier vorstellen und analysieren möchte. Die Akteure in diesem Beispiel sind zwei aus Russland immigrierte Jugendliche, ich nenne sie Dimar und Max. Während einer Gruppenarbeit, bei der Dimar und Max mit zwei weiteren Jungen zusammenarbeiten (sollen), beginnt Max, auf seinem Papier eine Zeichnung anzufertigen. Um die Qualität dieser Zeichnung geht es in dem sich entspinnenden Wortwechsel. Der Herausforderer ist Dimar. Es beginnt ein heikles Spiel auf der Grenze zwischen Spiel und Ernst einerseits, zwischen repräsentierendem Sprechen und präsentierendem direktem Handeln andererseits. 1 Hurensohn und Mutterficker I D: 1Das is einfach nur SchEIße Leise, beiläufig \ M:
٨
Das= is= nich =Scheiße sehr leise, schnell, eng, kaum artikuliert
II
∩
٧
D: =und wIE das Scheiße is das (unverst.) SchEIß
(unverst. auf Russisch)
nimmt Tempo und Melodie auf III D:
↑
٧
:SchEIsse (2 sec) prosda SchEIsse höchste Akzentstufe, offen \
M:
٨
das is nich SchEIße leise, kaum artikuliert
1
2
das sieht das sieht ganz
mehr Artikulation, etw.
Das Material stammt aus einer soziolinguistischen Jugendsprachforschung (vgl. Dietrich 2010). Dimar und Max leben beide seit einigen Jahren (fünf bzw. vier) in Deutschland und besuchen hier die Hauptschule. Die Transkription erfolgt in Anlehnung an Selting 1995: X/XI.
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F0 erhöht ∩
٨
∩
D: aber so richtig SchEIße (1 sec) grad sahs gut aus jetzt siehts ganz normal nimmt Tempo/Melodie auf ∩ M:
normAl aus (Spasti?) lauter
V
U
D:aus und bald kommstu (? Und=sags= das is schEIß ?) ∩
٧ M:
das sie das sieht gUt aus man un
das sieht ganz
lauter werdend VI D: richtig schEIße ⁄
↑
⁄
↑ F0 erhöht
3
M:
wieso machstu überhaupt mein Stift kaputt ∙ du: Hurensohn?
sehr laut, aufgebracht, angreifend, sich steigernd VII
⁄
D:
Alter so was möchtn wa hier nich hörn du :Mutterficker (2sec)
\
↑ F0 erhöht
scheinbar beruhigend, aber sehr schnell ⁄ 4
M:
gib jetz her
aggressiv, greift den Stift VIII D:
∩
↑
Nein
naa ers erst wenn du
zieht den Stift weg
sehr schnell ⁄
M:
↓
gib jetz her mein StIft du Missgeburt
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IX
⁄
D: mir sagst dass=das scheiße aussieht ⁄ \ M:
halt=die Fresse leiser werdend, zieht sich zurück
In soziolinguistischer Interpretation kann man hier »Elemente einer Kultur der kommunikativen Selbst-Unterhaltung […], die in erster Linie den Maximen des Spaßes und des Wettbewerbs folgen« (Schmidt 2005: 93) ausmachen. Mithilfe situations- und kontextbezogener Interaktionsanalysen fand Schmidt diese Hauptkategorien jugendlicher Gesprächsrituale, die seiner Ansicht nach einerseits zu »Identitätswettbewerben«, andererseits zur immer wieder neuen Konstituierung des Spaßes und des Witzes führen, innerhalb dessen Normverstöße erlaubt seien (ebd.). Die folgende Interpretation zielt darüber hinausgehend mehr auf eine Beschreibung des ›Eigensinns‹ dieses Spiels als auf eine funktionale Erklärung im Sinne der Jugendsoziologie. Dazu werde ich die Interpretation der Wortbedeutungen mit derjenigen der prosodischen Merkmale der Rede in Verbindung bringen, um so das gestische Sprechhandeln rekonstruieren zu können. Phase 1 (Fl. I/II): Der Ball, den sich die beiden Jungen zuspielen, besteht nur aus einem Wort: »Scheiße«. Er wird mehrmals hin und her gespielt, wobei die Regeln klar zu sein scheinen: Dimar schlägt und Max versucht zu parieren. Dimar ist derjenige, der das Spiel beginnt. In einem normalen Alltagsgespräch müsste nach dem ersten Ballwechsel eine Begründung oder ein Argument folgen, warum er das Bild von Max für misslungen hält. Dimar aber nimmt lediglich das Wort »Scheiße« wieder auf, vermutlich um Max weiter zu provozieren. Er tut dies in erstaunlichem Tempo, denn seine Phrase »Und wie Scheisse das is« schließt unmittelbar an die defensiv vorgetragene Äußerung von Max an. Aber nicht nur im Tempo, auch in der Sprachmelodie gleicht er sich dabei der Phrase von Max an: er ›singt‹ dessen Äußerung quasi nach und signalisiert damit, dass es sich für ihn nicht um einen ernsthaften Streit, sondern um eine spielerische Provokation handelt. Max entgegnet darauf zunächst nichts, er murmelt etwas vor sich hin, verstummt aber, als er bemerkt, dass Dimar nun russisch zu sprechen beginnt. Dabei wendet dieser sich an einen dritten deutschrussischen Jungen, der mit am Tisch sitzt, sich aber aus dem Streit-Spiel heraushält, vielmehr als Publikum fungiert.
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Phase 2 (Fl. III-V): Die zweite Phase – wie auch alle anderen – wird von Max initiiert. Er verweigert die nochmalige Aufnahme des Schlüsselwortes »Scheiße« und erweitert die Semantik, indem er behauptet, sein Bild sehe doch »ganz normal« aus. Sein Tonfall ist immer noch defensiv, was die Vermutung nahe legt, dass für ihn das Spiel noch gar nicht begonnen hat. Dimar verwendet daraufhin das gleiche prosodische Mittel wie in der ersten Phase und wiederholt exakt die Sprachmelodie von Max (auf dessen Wort »ganz normal«), jetzt allerdings nicht nur einmal, sondern dreifach. Semantisch verbindet er dies mit einer »Abwärtssteigerung«: dein Bild war erst »gut«, jetzt ist es »normal«, und als nächstes wirst du dann zugestehen, dass es wirklich »scheisse« ist. Das anfängliche Nachsingen der Melodie des Gegners bekommt nun eine andere Färbung, es steht im Horizont des ›Nachäffens‹. Dabei bezieht er sich auf den Gesamtverlauf des Dialogs, an dessen Anfang Max tatsächlich seine Zeichnung als »voll gut« präsentiert hatte. Dennoch entsteht durch den immer gleichen Tonfall ein sprechgestisch Gemeinsames. Max greift nun (Fl. IV) das »gut« auf, verlässt dabei seinen defensiven Ton und klingt nun lauter und selbstbewusster. Er muss nicht mehr nur den Angriff abwehren, indem er sagt, sein Bild sei »nicht scheiße«, sondern er bestimmt nun wieder selbst über die Qualität seines Bildes. In dem Moment, wo Max stimmlich-sprachlich seine Verteidigungshaltung verlässt, nimmt Dimar ihm seinen Stift weg, und zwar den Stift, mit dem Max die Zeichnung angefertigt hatte. Er beginnt damit zu spielen, ihn aufzuschrauben und hat damit eine neue Ebene der Provokation gefunden. Er wechselt das Medium seiner Gestik, geht von der Mund- zur Handbewegung über und generiert damit ein neues Thema. Phase 3 (Fl. VI/VII): Max reagiert prompt und geht nun zum Gegenangriff über. Erstaunlicherweise kleidet er diesen in eine Frage: »Wieso machst du überhaupt meinen Stift kaputt?« Ebenso plausibel wäre der deutliche Appell gewesen, den Stift wieder an seinen Platz zu legen oder zumindest nicht auseinander zu nehmen. Mit der Frageform aber eröffnet Max seinem Freund wiederum die Möglichkeit zur Antwort, gesteht ihm einen Handlungsspielraum zu. Das angefügte »du Hurensohn« ist das Signal zu einem sprachlichen rituellen Kampfgeschehen, denn auf »Hurensohn« folgt, fast zwangsläufig, die Steigerungsform »Mutterficker«. So auch hier. Dimar reagiert erneut äußerst virtuos. Zunächst nimmt er dem angriffslustigen Tonfall die Kraft, indem er scheinbar distanziert in einen anderen Sprechmodus wechselt (crossing); im Ton des vernünftigen, mahnenden Erwachsenen sagt er: »(Alter) so was wollen wir hier nicht hören«, dieses Wort gehört nicht in die Schule, gehört nicht unter zivilisierte Menschen. Dieses blitzartige Präsent-Machen des erwachsenen Tonfalls, der erwachsenen Gesprächsregel, wird gerahmt von dem jugend-
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sprachlichen »Alter« und von dem ebenfalls der Jugendsprache zuzurechnenden und hier das Spiel fortführenden »du Mutterficker«. Zum dritten Mal übernimmt Dimar dabei die Melodie von Max: Dessen »Hurensohn« und Dimars »Mutterficker« erhalten die genau gleichen Dehnungsakzente und Tonhöhenverläufe. Er schlägt also doppelt zurück: Erst verlässt er scheinbar das Spielfeld und imitiert den außenstehenden Erwachsenen mit einem Kommentar, der die Spielhandlung diskreditiert, im nächsten Moment ist er wieder Mitspieler und übertrumpft Max ein weiteres Mal. Dabei ist das Aus-dem-Spielfeld-Treten ja zugleich eine Steigerung der spielerischen Ebene, er erzeugt ein ›Spiel im Spiel‹. Phase 4 (Fl. VIII/IX): Nun ist es an Max, das Spiel abzubrechen, er geht auf die sprachlichen Feinheiten nicht mehr ein, sondern reagiert darauf, indem er in den alltäglichen Modus pragmatischer Handlungen zurückkehrt, in dem Worte dazu da sind, das Tun zu begleiten und zu unterstützen. Er lenkt das Geschehen auf den Stift als ein handhabbares, konkretes Ding: »Gib jetzt her!«, und das Wortgefecht wird nun zum Handgemenge, denn seine Worte begleiten den Griff nach dem Stift, den Max allerdings mehrfach wegzieht. Dimar schichtet hier nun Dingwelt und Symbolwelt übereinander. Er verleiht dem Stift die symbolische Bedeutung der Macht über das Bild und die Bildqualität, denn Max soll ihn erst dann wiederbekommen, wenn er zugibt, dass sein Bild »Scheiße aussieht« (Fl. VII). Max befindet sich in der Sackgasse: Entspricht er der Forderung, bekommt er zwar seinen Stift wieder, gibt symbolisch aber zugleich seine Unterlegenheit zu, so dass der wieder erhaltene Stift seinen Wert verliert: Wozu bräuchte einer, der nicht zeichnen kann, einen Zeichenstift? Gibt er auf der symbolischen Ebene aber nicht nach, müsste er das Handgemenge fortführen, was in der gegebenen Situation der Schulstunde auch nicht möglich ist. Was also bleibt ihm, als: »Halt die Fresse!«?
Es geht hier um die gegenseitig sich unterstützende und vorantreibende Produktion einer Kampfmetaphorik im Medium der Sprache. Das Metaphorische wird hergestellt auf der sprechgestischen Ebene: Während sich die beiden Jungen auf der semantischen Ebene mit Eifer widersprechen, wählen sie auf der prosodischen Ebene jedoch den Modus des SichEntsprechens, jedenfalls zwischenzeitlich. Vor allem Dimar ist es, der zugleich symbolisch provoziert, sich präsentativ-gestisch aber an seinen Mitschüler anschmiegt. Er ist auf der Suche nach dem Du, nach dem »dialogischen Körper« (Eichberg 1993), stellt auf der sprachkörperlichen Ebene eine Nähe her, die ihm die Konventionen der Männlichkeit aber nicht erlau-
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ben explizit zu machen und die er daher in die Semantik des Kampfes kleidet. Dabei wechseln die beiden Jungen zwischen den verschiedenen Ebenen. Auf einem sprachlichen Niveau und mit einem Vokabular, das von der Institution, in der sich die beiden Kontrahenten befinden, weder erwünscht noch aktiv vermittelt ist, erfüllen die beiden Jugendlichen doch genau die doppelte Erwartung, die man für den Konfliktfall an sie stellt: Einerseits gehört es zum Verhaltenskodex der Schule, Konflikte, und seien es gespielte, mit Worten zu lösen; andererseits soll auch in Wortgefechten gewöhnlich derjenige mit den besseren Argumenten als Stärkerer aus der Diskussion hervorgehen. Was die Jugendlichen diesen Verhaltenserwartungen hinzufügen, ist die eigenwillige Definition von ›Stärke‹, die sich nämlich nicht auf das bessere Argument – wie es sozial erwünscht wäre – sondern auf die gewandtere, schnellere, kraftvollere Art zu sprechen bezieht. Eine Form von Widerstand, Überschreitung der Subjektivierung, die in der Schule vorgenommen wird. Das Ganze findet statt im Modus des Spiels, und zwar eines höchst virtuosen Spiels. Die Wortbälle fliegen hier mitunter so schnell hin und her, dass man lange Übung unterstellen darf. So ein kommunikatives Handeln ergibt sich nicht spontan, sondern ist Beispiel für eine sprech-performative Alltagspraxis unter männlichen Jugendlichen: Sie dient der Bearbeitung von Differenzen zwischen den in sich widersprüchlichen gesellschaftlichen Rollenerwartungen (sei zugleich ein vernünftiger, Konflikte verbal und gewaltfrei aushandelnder Schüler und ein Mann, der sich nichts gefallen lässt) und den eigenen dialogischen Impulsen und Wünschen.
S CHLUSS Was sich hier zeigt und erläutert wurde, ist ein Beispiel für die besondere stimmlich-sprachliche Lebenswelt Jugendlicher. Kinder leben mit der Gewissheit, dass alles, was man sagen will, auch sagbar ist. Zwar gibt es nicht selten Abweichungen von dieser Regel: Man kann sich hin und wieder dabei vertun, muss immer noch neue Worte kennen lernen, es gibt Situationen, in denen auch Kinder sprachlos sind; im Prinzip aber vertrauen sie der Übereinstimmung von gelebtem Leben und dem Sprechen darüber. Für alles, was man erlebt, sieht, hört, versteht oder nicht versteht, gibt es die pas-
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senden Worte. Kinder unterscheiden noch nicht zwischen der just erlebten Situation und ihrer sprachlichen ›Darstellung‹. Stimme, Sprache, Engagement und Aufgeregtheit in der je aktuellen Situation bilden fast immer ein Ganzes. Zwar können auch jüngere Kinder durchaus etwas nicht aussprechen, können verschweigen, verstummen oder lügen; das ändert aber nichts an ihrer Sicherheit darüber, dass sie den Sachverhalt im Prinzip in Sprache transformieren könnten oder doch können sollten. Ältere Kinder im Übergang zum Jugendalter hingegen erlernen allmählich die Trennung von aktuellem Erleben und ihrer Formulierung. Sie beginnen zu unterscheiden zwischen dem aktuellen Tun oder Erleben und der Kundgabe desselben. Ebenso erlernen sie allmählich mit Hilfe der Sprache etwas herzustellen, was es vordem gar nicht gab. Sie nutzen dafür zunächst narrative Formate (Geschichten, Erzählungen, Witze), im Rahmen derer sie Gefühle, Andeutungen, Mehrdeutigkeiten, Metaphern für Erlebtes oder Gewünschtes bearbeiten können. In die Sprachlichkeit des jugendlichen Menschen zieht sich so allmählich ein doppelter Boden ein, die Welt und die sprachliche Welt werden voneinander getrennt, jedenfalls der Möglichkeit nach. Während der Spracherwerb des kleinen Kindes dazu dient, Außen und Innen möglichst in Übereinstimmung zu bringen und dabei auch ausdifferenziert zu werden, eröffnet sich nun zu Beginn der Adoleszenz die Möglichkeit, die Welt ein zweites Mal zu entwerfen, nicht mehr im Sinne der Benennung und der fraglosen Übernahme von Ordnungen der Erwachsenenwelt, sondern im Sinne einer sprachpraktischen Reflexion dieser Ordnung. Es entsteht ein Sprechen zweiter Ordnung, ein neuer Horizont des fiktiven Spiels mit der Sprache, in welchem eine Differenz von Sprache und Sprechen, von Symbolisierung und Leiblichkeit, von Bedeutung und Klang eine wichtige Rolle spielt. Ich vermute stark, dass der Vorgang des Stimmwechsels und die damit verbundenen komplexen physiologischen Vorgänge damit im Zusammenhang stehen. Mädchen und Jungen verlieren in der späten Kindheit die eindeutige Beziehung zu ihren Sprechorganen, zur leiblichen Fundierung ihres Sprechens als einem bisher fraglosen Organ ihrer Weltbearbeitung. Die Stimme dezentriert sich, sie kommt abhanden, macht, was sie will, wird fremd und vielfältig. Die Jugendlichen sind in der Phase des Sprachwandels besonders offen und sensibel für die Differenz zwischen Klang und Rede, zwischen beste-
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hendem und neuem Sinn, zwischen Reden und Schweigen, zwischen Empfindungen und ihrer Darstellung. Sie entdecken diese Differenzen und die damit verbundenen Möglichkeiten der Interpretation und Konstituierung von Welt in Sprache. Sie entdecken, mit anderen Worten, die Vielstimmigkeit der gesprochenen Sprache. Es geht nun nicht mehr, wie in der kindlichen Sprachwelt, lediglich um die bewusste Unterscheidung von wirklichkeitsadäquatem und phantasiebezogenem Sprechen, sondern um ein komplexeres Ineinandersetzen beider Bezugsfelder. Sprachprofilierung als Bildungsprozess bedeutet für die Zeit des Jugendalters, seinen Weg zu suchen im Umgang mit den Potentialen der Mehrdeutigkeiten im Sprechen. Das kann sich auf die Mehrsprachigkeit oder Mischsprachigkeit ebenso beziehen wie auf eine innere Disposition zum flexiblen Umgang mit verschiedenen Stilen (crossing) oder auch nur mit verschiedenen Codes in unterschiedlichen sozialen Settings. Bevor solche in der Form gut beschreibbaren Spielarten der Jugendsprache sich allerdings gefunden haben, durchlaufen die Jugendlichen eine Entwicklung, in der sie sich von den naiven Gewissheiten einer fraglosen Übereinstimmung von Sagen und Gesagtem entfernen, ohne schon zu wissen, wohin die Reise geht. Eine besonders beliebte Form, mit diesen Unwägbarkeiten umzugehen, ist das Sprachspiel. Es ist diejenige Form des Sprechens, in der die Erfahrung der Gestaltung von egologischen zu logischen, von materialer zu abstrakter Zeichenbildung und -verwendung und damit von Eigenschöpfung innerhalb der instituierten Sprache am ehesten möglich ist. Es öffnet sich die Tür zu dem Wissen, dass man sich mit dem vorhandenen Repertoire der gesprochenen Sprache nicht zufrieden geben muss, dass es immer weitere Spielarten, im Prinzip unbegrenzte Möglichkeiten gibt. Diese Öffnung ist bildungstheoretisch deswegen so bedeutsam, weil sie genau den Spalt ermöglicht, der sich zwischen Subjekt und Gesellschaft herstellen lassen kann und der die Möglichkeiten zur Selbstreflexion und Widerständigkeit enthält. Dieser Spalt kann der Entwicklung des Sprachsinns (im Sinne Humboldts) eine neue Richtung geben, er ist unabhängig vom Inhalt und Intellekt ein Instrument der Bildung, denn er ermöglicht die sprachliche Artikulation von Erfahrungen einerseits, die nicht restlose Vereinnahmung durch für mich und meine Position vorgesehene Sprachformeln andererseits. Es kommt zum Bewusstsein und wird damit auch gestaltungsfähig, dass neben dem instrumentellen und medialen Gebrauch des Sprechens ein Drittes, der Erfahrungsraum Sprache selbst, entsteht. Mit großer Lust erobern
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und gestalten die Jugendlichen diesen von der Zweckrationalität vernünftiger Rede freien Raum. Was vordem selbstverständliches Mittel zum Zweck der Mitteilung und des Ausdrucks war (und was es in vielen Fällen später auch wieder wird), das erweitert sich in dieser sensiblen Phase zu einer eigenen Erfahrungssphäre: Das Sprechen als eine ästhesiologisch-ästhetische Praxis wird, vielleicht nur für kurze Zeit, selbst Quelle von jugendtypischen, wichtigen Erfahrungen. Ich habe beobachten können, dass dabei die Lautlichkeit, das zuweilen auto-erotische Spiel mit dem eigenen Mundraum, mit Zunge, Lippen, Lautherstellung genau den Raum wieder aufsucht, der die Grenzregion zwischen Leib und Bedeutungsgenese im ursprünglichsten Sinne darstellt. Solche Sprachspiele, wie sie Max und Dimar hier ausüben, verweisen aber auch auf die mit der Öffnung einhergehenden Risiken. Wenn die eigene Rede in ihrer Mehrdeutigkeit erfahren wird, so wächst damit auch die Wahrscheinlichkeit, missverstanden zu werden oder unverstanden zu bleiben. Gleichzeitig vervielfacht sich auch die Rede der anderen, so dass sich eine Unsicherheit darüber, ob der andere auch meint, was er sagt oder ob ich verstanden habe, was er sagen wollte, als Grund in der sprachlichen Erfahrung etablieren kann. Im Sprachspiel wird diesen Risiken begegnet, indem der Ernstfall ausgeklammert wird. Es kann eine produktive Entwicklung jugendpädagogischer Überlegungen m. E. nur darin bestehen, diesen im Jugendalter sich öffnenden Spalt offen zu halten und die Differenzen, für die ein Bewusstsein entsteht oder entstehen könnte, durch Unterstützung des Erwerbs praktischen Wissens im Umgang mit Sprache als Differenzen am Leben zu erhalten. Denn es entsteht oder verhindert sich hier eine lebenslang flexible »interne Multikulturalität« bzw. »Mehrsprachigkeit« (Wimmer 2002: 119). Damit geht eine Vervielfältigung der Bedeutungen einher. In verschiedenen Redegattungen (Witz, Karikatur, dialogisches Sprachspiel) erproben die Kinder das ›So-tun-als-ob‹ der Sprache. Sie erfahren und probieren, dass man mit Hilfe der performativen Ausreizung der Stimme etwas darstellen kann, sich anderen nähern oder sich distanzieren kann, dass man absichtlich unauthentisch sein, anderen etwas vorspielen kann. In dem langsam sich einstellenden Wissen und mit dem Kalkül, dass es sich um Darstellung handelt, spielen die etwa 12- bis 15-Jährigen an der Grenze zwischen Authentizität/Naivität und fiktiver Selbstpräsentation, die auch im Rückzug, im Schweigen, in der Geste des Unansprechbaren sich zeigen kann. Sie zelebrieren das kleine Theater des Alltags. Im Unterschied
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zum kindlichen Theaterspiel wird das jugendliche nicht mehr als solches markiert, so dass eine für die beteiligten Darsteller dauernd erfahrbare Vibration der Mehrdeutigkeiten entsteht. Eine besondere Bedeutung erlangt dabei die Aufführung der Stimme selbst.
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Assessing the Intercultural Dimension of Language Learning H ENNING R OSSA
Positioned at the interface of studies in education (Erziehungswissenschaft, Bildungswissenschaften), foreign language pedagogy and applied linguistics (Fachdidaktik Englisch), this paper offers an introduction to central issues pertaining to the intercultural dimension of language learning. Current conceptualizations of ›culture‹, ›language‹ and ›communication‹ unambiguously confirm that these above domains are »mutually interacting […], reinforcing [and] inextricably bound« to one another (Damen 2003: 72). A frequently quoted saying attributed to Winston Brembeck, who was a scholar in the field of communication studies at the University of Wisconsin Madison, concisely articulates how the language-culture connection affects foreign language learning: »To know another’s language and not his culture is a very good way to make a fluent fool of yourself« (cf. Schmidt 2007: 17). This raises the question to what extent the ›target culture(s)‹ can and should be taught in the foreign language classroom and how these learning processes may impact on the developing cultural identities of language learners who are faced with the task of relating to a foreign culture using perspectives acquired in and shaped by their own culture(s). Essentially, this view proposes that foreign language learning includes the requirement to learn about and respond to cultural differences. This ›intercultural‹ position has been investigated in the field of language teaching/foreign language pedagogy for roughly fifty years (cf. Kaplan 1966), drawing on work in anthropology, the social sciences and education.
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In Germany, the notions of ›intercultural communicative competence‹ and ›intercultural learning‹ were accepted as a frame of reference in state curricula for foreign language education around the turn of the twenty-first century, following the development which led to the publication of the Common European Framework of Reference for Languages (1971-2001; cf. Council of Europe 2001). Admittedly the ›intercultural turn‹ in language education has, at the same time, invited harsh criticism which rejects intercultural concepts as abstract, politically driven ideologies, far removed from the realities of the practice of foreign language teaching (cf. Hu 1999). In my experience, using a second or foreign language (L2) can indeed provide access to one’s cultural identity and even provide seemingly objective notions, such as concepts proposed in theoretical and empirical research, in a way that is markedly different from similar reflections undertaken in one’s mother tongue (L1). The background of this observation is a proposition discussed in second language research: learning a new language means learning a new identity (cf. Taylor et al. 2013). This potential also points out a reason why foreign language learning can be a particularly effective environment to widen our perspective on ourselves and how we understand others. Learning to be a different version of our ›self‹ when we speak a foreign language may allow us to approach cultural differences more openly than we would typically be expected to do from the point of view of our L1 ›self‹. Therefore, as a case in point, I have chosen to write the paper in English, my L2. I have also decided to preserve the personal voice I tend to use in my introductory lectures, although this may compromise the more objective style the reader may typically expect from an academic publication. My ›assessment‹ of the ›intercultural dimension of language learning‹ put forth in the title will focus on four basic questions: 1. 2. 3. 4.
What is the overall goal of foreign language learning? What is the intercultural dimension of language learning? What does it mean to be interculturally competent? How can intercultural competence be assessed?
Given the purpose and scope of the paper, the following discussion of these fundamental questions is sketchy at best.
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IS THE OVERALL GOAL OF FOREIGN LANGUAGE LEARNING ? Over the past forty years the ›communicative approach‹ to foreign language education has led to a wide recognition in the field that the overall objective of language teaching and learning is the ability to use language effectively and in socially and culturally appropriate ways to achieve communicative goals. The (socio-)linguistic and philosophical underpinnings of this paradigm shift were formulated in the 1960s and 1970s (Austin 1962; Habermas 1971; Hymes 1972; Searle 1969) as a reaction against the notion that being a language speaker means, essentially, having acquired a grammatical system, i. e. ›linguistic competence‹ (Chomsky 1968). The concept of ›communicative competence‹ gradually evolved to become a frame of reference for the transformation of language curricula, methods, materials, learning objectives and assessment procedures in foreign language classrooms. This ›communicative turn‹ in language teaching and learning aimed at »the ability to function in a truly communicative setting – that is, in a dynamic exchange in which linguistic competence must adapt itself to the total informational input, both linguistic and paralinguistic, of one or more interlocutors« (Savignon 1972: 8).
The most influential model which specifies components of ›communicative competence‹ was proposed by Canale & Swain (1980) and modified by Canale (1983). ›Communicative competence‹ consists of: •
•
•
grammatical competence: the ability to produce and determine »accurately the literal meaning of utterances« (Canale & Swain 1980: 30), which includes knowledge of lexical items and rules of grammar. sociolinguistic competence: the ability to make use of sociocultural rules and rules of discourse to produce and interpret utterances appropriately in »communicative events« and a »given sociocultural context« (ibid.). discourse competence: the ability to follow the rules of coherence and cohesion in understanding and producing texts (cf. Canale 1983).
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•
strategic competence: the ability to »compensate for breakdowns in communication« (Canale & Swain 1980), using verbal and nonverbal communication strategies.
The innovative contribution of this model lies in its focus on the interactive nature of communication and the objective of appropriate and effective language use. These two perspectives within the notion of ›communicative competence‹ have been very influential in shaping our understanding of what it means to know a language: »Communication is appropriate when it meets contextual and relational standards (you did it right given the context); effective when it achieves desired ends or goals or provides satisfaction of both communicators« (Smith, Paige & Steglitz 2003: 109). It is important to note, however, that ›communicative competence‹ describes the knowledge and (sub-) competences of a ›native speaker‹. When the model is used as a frame of reference for curriculum development, those concerned (researchers, stakeholders, policy-makers and practitioners) have to confront the question to what extent a ›native speaker‹ model can realistically be expected to help specify valid and practicable, i. e. attainable learning objectives in the context of foreign language education.
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IS THE INTERCULTURAL DIMENSION OF LANGUAGE LEARNING ? Theoretical research within language education concerned with the tasks of specifying and modelling communicative competence coincided with a growing interest in theoretical and (subsequently) practice-oriented perspectives on the autonomy and emancipation of ›the learner‹. At the same time, social and political realities were characterized by increasing levels of mobility, migration and globalization, leading to culturally and linguistically more diverse societies and identities. By the 1990s, the impact of this development became visible in theoretical concepts relevant to language education, and – as a consequence – the notion of communicative competence was expanded, most notably by Byram (Byram 1997; Byram & Fleming 1998; Byram & Zarate 1996, 1997). According to Byram, the question »What does it mean to know a second language?« must include what is required for foreign language
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learners to understand and relate to speakers from other cultural backgrounds, i. e. ›sociocultural competence‹ (Byram & Zarate 1994), leading to the more comprehensive objective of ›intercultural communicative competence‹ (Byram 1997). Very much in line with the interdisciplinary perspectives of the contributions to this volume, the academic discourse on ›intercultural learning‹ in foreign language education (e. g. Bredella & Delanoy 1999; Caspari & Burwitz-Melzer 2017; Hu 1999) was inspired and fueled by developments in the fields of general education and pedagogy (cf. Auernheimer 2003). In a way, this development has forced foreign language education as a scientific discipline to stretch the limits of what was generally understood to constitute the core of teaching and learning in foreign language classrooms. Byram analyses situations, in which foreign language learners become language users, and argues that they inevitably have »to see and manage the relationships between themselves and their own cultural beliefs, behaviours and meanings as expressed in a foreign language, and those of their interlocutors, expressed in the same language – or even a combination of languages – which may be the interlocutor’s native language, or not« (Byram 1997: 12).
These requirements clearly go beyond earlier communicative syllabi of foreign language courses, which were typically based on an analysis of situations of target language use. These situations implied a language learner who was merely expected to »imitate a native speaker both in linguistic competence, in knowledge of what is ›appropriate‹ language, and in knowledge about a country and its ›culture‹ « (Byram, Gribkova & Starkey 2002: 5). Instead of working on the pragmatically impossible target of turning the foreign language learner into a native speaker, Byram suggests language teachers should support learners in becoming ›intercultural speakers‹. The ›intercultural speaker‹ is someone who »crosses frontiers, and who is to some extent a specialist in the transit of cultural property and symbolic values« (Byram & Zarate 1997: 11). According to Guilherme (2000: 298), »the intercultural speaker mediates between two or more cultural identifications [and negotiates] between their own cultural, social and political identifications and representations with those of the other«.
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This perspective on the language learner respects the interdependence of language and cultural meanings (cf. Hu 1999: 289) and emphasizes the relevance of an intercultural dimension within language learning. Such conceptualizations of language learning geared towards intercultural speakers mirror the notion of the »third place« (Kramsch 1993), where foreign language learners create a new identity between the cultures and identities they are involved with. According to Byram et al. (2002), developing the intercultural dimension in language teaching involves the following aims: • • •
»to give learners intercultural competence as well as linguistic competence; to prepare them for interaction with people of other cultures; to enable them to understand and accept people from other cultures as individuals with other distinctive perspectives, values and behaviours;
•
and to help them to see that such interaction is an enriching experience« (Byram et al. 2002: 10).
Current conceptualizations of ›culture‹ as a dynamic, hybrid construct (cf. Matz, Rogge & Siepmann 2014b) tend to be critical of the ›self‹ and ›other‹ dichotomy within intercultural learning, which was originally based on a more stable understanding of universal ›culture general‹ aspects and ›culture-specific‹ differences bound to social groups. Additionally, postmodern ›transcultural‹ (Welsch 2009) conceptualizations of communication and language learning challenge the validity of the notion that the process of cultural mediation can be modelled as an interaction between two distinct, culturally coherent subjects. Instead, as Reimann (2017: 41) argues, language learners today typically draw on multiple (cultural) sources in shaping and reflecting on their identities, and they do so in classrooms which are heterogeneous on various levels. From a transcultural perspective, foreign language classrooms can be understood as places where the common focus lies not on identifying differences but rather on a creative process of negotiating how differences can be overcome in a way which is acceptable for the individuals involved (cf. Matz, Rogge & Siepmann 2014a: 10-11).
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DOES IT MEAN TO BE INTERCULTURALLY COMPETENT ? Byram’s model of ›Intercultural Communicative Competence‹ (Byram 1997) fuses the constructs of ›intercultural competence‹ and ›communicative competence‹ and is based on propositions which have implications for the ›communicative approach‹ to language teaching. Intercultural competence, i. e. »the ability to interact effectively with people from other cultures that we recognize as being different from our own« (Guilherme 2000: 297) ultimately depends on communicative competence, i. e. the ability to negotiate intended meanings (cf. Kramsch 2011). Byram’s aim is to support the communicative orientation of language teaching while strengthening its intercultural dimension »to ensure a shared understanding by people of different social identities« and foreign language learners’ abilities »to interact with people as complex human beings with multiple identities and their own individuality« (Byram et al. 2002: 5). It is important to note that in his proposal Byram (1997) avoids committing to a definition of the term ›culture‹. Instead, he refers to the »beliefs, meanings and behaviours« members of a social group share (ibid.: 39). Byram points out »the dangers of presenting ›a culture‹ as if it were unchanging over time or as if there were only one set of beliefs, meanings and behaviours in any given country« (ibid.: 39). For the context of teaching English as a foreign language, these dangers are extended by the curriculum-design issue of deciding which culture(s) should be considered ›target cultures‹ in the English-speaking world: Britain, the U. S., Australia? Canada, India, South Africa, New Zeeland? In his analysis of intercultural communication, Byram identifies five factors which make up the construct of ›intercultural competence‹ (ibid.: 31ff.): • • • • •
Attitudes Knowledge Skills of interpreting and relating Skills of discovery and interaction Critical cultural awareness/political education.
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The attitudes of »curiosity and openness [and the] readiness to suspend disbelief about other cultures and belief about one’s own« (ibid.: 57) constitute the affective foundation of intercultural competence: »This means a willingness to relativise one’s own values, beliefs and behaviours, not to assume that they are the only possible and naturally correct ones, and to be able to see how they might look from an outsider’s perspective« (Byram et al. 2002: 12).
To some extent this affective core of intercultural competence echoes the aim of moving from an ethnocentric position towards a more ethnorelative worldview, as proposed in Bennett’s Developmental Model of Intercultural Sensitivity (DMIS; Bennett 1986). The DMIS describes developmental stages people move through as they acquire »the ability to recognize oneself operating in cultural context, the identification and appreciation of cultural differences, and […] general strategies for adapting to cultural differences« (Bennett, Bennett & Allen 2003: 246).
The cognitive dimension of ›knowledge‹ refers to »social groups and their products and practices in one’s own and in one’s interlocutor’s country« as well as to »the general processes of societal and individual interaction« (Byram 1997: 58). The bi-directional orientation of this dimension enables you as an intercultural speaker to construct an idea of the world the person from another culture lives in and to anticipate how he or she may perceive you (cf. Byram et al. 2002: 12). The affective and cognitive dimensions of intercultural competence both point to the ability to de-centre, to relativise and to take on someone else’s perspective. One central aim implied in these descriptors is the need to anticipate and resolve misunderstandings. This task necessitates the skills of interpreting and relating »document[s] or event[s] from another culture, to explain […] and relate [them] to documents from one’s own« (Byram 1997: 61). The second set of skills allows the intercultural speaker to discover »new knowledge of a culture and cultural practices [and] to operate knowledge, attitudes and skills under the constraints of real-time communication and interaction« (ibid.: 62). The objectives at the heart of intercultural competence, specifically those of orchestrating knowledge, attitudes and skills to interpret beliefs,
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meanings and behaviours and to relate them to your own, demand that foreign language learners »become aware of their own values and how these influence their views of other people’s values« (cf. Byram et al. 2002: 13). This ›critical cultural awareness‹ enables the intercultural speaker to »identify and evaluate critically and on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries« (Byram 1997: 63). The following episode of an intercultural encounter I experienced some twenty-five years ago as an exchange student with the ›CongressBundestag Youth Exchange‹ scheme may help illustrate some of the central concepts in Byram’s model. When I prepared for my year abroad in Danbury, Connecticut (USA), the sponsoring institutions (U. S. Congress, Deutscher Bundestag) made it very clear that this experience was intended to foster both intercultural understanding between German and U. S. citizens and my own identity as a ›young transatlantic ambassador‹. I remember feeling slightly skeptical whether I would be able to live up to this ambition, but, if anything, I was eager to find out what it means to be a teenage son in an American family and a senior year student at an American high school. I thought of myself as a tolerant person, willing to adapt to circumstances different from what I was used to at home. On my first day of school, I was invited to attend a meeting at the local board of education, which welcomed all international students to Danbury. I enjoyed the meeting but also felt that it forced me to behave in a way which was clearly at odds with what I had previously learned about cultural standards in the (German) educational context: I was late for school on the first day of classes. I entered the quiet school building and walked down the hall, towards the principal’s office. A voice called me. »Hey, son! Where do you think you’re goin’? I need to see your pass.« I turned around to face a man in uniform who looked at me sternly. Attitudes: My general attitude may have been open and curious towards life as a high school senior in a small town in Connecticut, but at this particular moment I felt irritated and wrongfully accused: Why would I have to bring my passport to school? Why would this man be in a position to question the legitimacy of my walk to class? Why would he pretend to be my father? I clearly hadn’t broken any rules, had I? I was quite frankly not ready to suspend my disbelief in the legitimacy of what I just witnessed.
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Knowledge: I knew that security personnel were normal members of staff at American high schools, but I was not aware that security were responsible for ensuring the rule that while classes are in session students are only allowed to move in the building, if they carry a ›pass‹, a piece of paper which indicates the errand the student is currently pursuing, signed by a teacher. Skills of interpreting and relating/discovery and interaction: My irritation was obviously due to an inaccurate interpretation of the linguistic (lexical items »son« and »pass«) and paralinguistic elements (the stern tone of voice) I perceived. I found out later that the man’s tone of voice I had interpreted as serious and harsh was relatively harmless, compared to the tones employed by other members of security staff. »Pass« obviously referred to a concept of a significantly less formal quality than ›passport‹, while »son« was not intended as a condescending utterance, but carries a rather affectionate overtone. I had experienced similar situations at home, of course, where particularly strict teachers demanded to know what students were doing in the hallways during classes, but here the badge and uniform and the legal document I was asked to provide seemed to intensify the severity of the situation. At the time it did not occur to me that pursuing the ›why‹ questions I had asked myself when I was approached by the security guard actually would have presented an opportunity to engage in an exercise of shifting cultural perspectives at the beginner’s level: What might have motivated him to approach me so directly? What does it mean to be a security guard at this high school? How does his position compare to similar jobs in my school at home? Critical cultural awareness: One of the values which became apparent in my reflections on the episode recalled above does in fact invoke a stereotype about German culture: It is important to stick to the rules. Incidentally, the man in uniform and similar stakeholders in my school at home seemed to share this belief, and I was, in principle, willing to adhere to it. Additionally, it became clear to me towards the end of my American immersion experience that the security guard’s behavior towards me may have reflected a tendency in American culture to behave according to the value of ensuring low levels of distance in social and power relations. This means, for instance, that complete strangers can be expected to approach one another in a fairly casual language register to engage in friendly and, to my intercultural ear, surprisingly personal small-talk while shopping at the supermar-
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ket; a phenomenon which is markedly different from similar situations in German cultural contexts. In summary, how does my reflection on this episode relate to the theoretical construct of intercultural competence as specified in Byram’s model? Intercultural competence describes a disposition which allows the intercultural speaker to interact effectively with people from other cultures, drawing on an awareness of cultural values and how they may influence the given communicative situation. Essentially, then, intercultural competence means knowing yourself and being able to anticipate how others may perceive you. At the same time, keeping an open mind will allow you to deal with the idiosyncrasies and surprises which can be expected to present themselves in any meaningful communication between individuals. Eventually, the episode above was resolved by the two speakers involved and can reasonably be recognized as a case of »effective communication«. Admittedly, this was mainly due to the security guard’s competence, not mine. When I explained that I was an exchange student, arguing that I could clearly not be expected to bring my passport to school and that I was on my way to see the principal, he smiled and chuckled. He shook my hand to welcome me to Danbury High and told me not to forget to ask for a pass from the principal’s office to my classroom. It is clear to me that he had initially treated me as a regular student, which I appreciate now, and when he realized that I was not aware of the »pass« requirement, he was willing to relativize and suspend the need to enforce this rule under the given circumstances, revealing a genuinely intercultural attitude sensu Byram.
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CAN INTERCULTURAL COMPETENCE BE ASSESSED ? While the objective of teaching intercultural competence is widely accepted in language curricula and language policy documents in Europe, the practice of teaching and assessing intercultural competence is still underdeveloped. Practitioners lament the need for more practicable learning objectives and methodological options for teaching as well as assessment instruments (cf. Vogt 2016). Intercultural assessment in the foreign language classroom is a particularly thorny issue due to three fundamental problems. First, assessment in
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its narrower sense of ability measurement requires learners to respond to assessment tasks in ways which can be evaluated reliably and objectively. Given the affective, subjective, evaluative and interpretative elements of intercultural competence these requirements can hardly be met. Secondly, specifying and operationalizing a sound theoretical understanding of intercultural competence in the assessment tasks, proves highly problematic due to the fuzzy nature of the concepts involved (e. g. culture, value, identity, worldview, attitude). Finally, the strong link between culture and language discussed at the beginning of this paper creates further issues for any classroom-based assessment procedure. For the sake of validity, it would be theoretically problematic and practically undesirable to measure intercultural competence in the foreign language classroom without specifying a foreign language context, which means that an integrated measurement of L2 language ability would be necessary, widening the scope of the assessment procedure even more, at the cost of the measurement’s precision. The culture-language connection also seems to create problems for the design and everyday practice of intercultural foreign language teaching. In a recent study on a sample of videographed English (as a foreign language) lessons Göbel et al. (2017) find that teachers rarely include a focus on the connection between culture and language in lessons which explicitly aim at promoting intercultural learning. The authors speculate that this tendency may be caused by teachers’ beliefs that a focus on language is not appropriate for an intercultural lesson or that language learning will happen implicitly, while learners’ attention is focused on intercultural knowledge, strategies or attitudes (Göbel et al. 2017: 117). Despite the issues discussed above, people are routinely assessed with a view to their capability to succeed in intercultural settings in other contexts, for example in global business. Instruments such as self-assessment questionnaires 1 and oral or written responses to ›critical incidents‹ 2 are employed to provide feedback for individuals, groups and organizations re-
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One prominent example is the Intercultural Development Inventory (Hammer (2011), based on the Developmental Model of Intercultural Sensitivity by Bennett (1986).
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Critical incidents are communication scenarios which present an intercultural misunderstanding or conflict (cf. Nold 2009, Spencer-Oatey 2013).
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garding the development of ethnorelative orientations and strategies for engaging with cultural differences.
C ONCLUSION :
STRENGTHENING THE POSITION OF INTERCULTURAL LEARNING IN THE FOREIGN LANGUAGE CLASSROOM If our aim is to support foreign language learners in their development of attitudes, knowledge and skills which enable them to approach, recognize, understand and respect others’ beliefs, meanings and behaviors, we must confront the complex task of • • • •
making learners become aware of their own cultural identities, helping them take on perspectives which are different from their own, inviting them to relativize their own perceptions and interpretations and letting them explore the connection between culture and language.
Critical incidents, comparable to the intercultural episode I recalled above, possess a relatively high level of face validity for the context of the communicative foreign language classroom because similar tasks, which present a communicative exchange and ask learners to respond to it in descriptive, analytical or creative ways, are already part of the established inventory of communicative teaching techniques. These scenarios can be exploited to raise awareness of how we perceive and deal with cultural differences (cf. Göbel et al. 2017; Göbel & Helmke 2010), and they can complement other approaches which ask learners to respond to culturally relevant literary texts, images or films (cf. Beutel 2017; Vogt 2016: 86ff.). The focus on misunderstandings caused by culturally bound expectations and interpretations communicated in critical incidents may also allow teachers and learners to balance out the emphasis on harmony and agreement. Byram’s influential model is criticized for from the perspective of »Bildung theories« (Hoff 2014). Hoff argues, for example, that conflict, ambiguity and difference should not be addressed as challenges but rather as potentially fruitful learning opportunities in intercultural communication (Hoff 2014). Further research geared towards a valid and pragmatically usable model of intercultural competence is needed to align the construction of theory and the prac-
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tice of language teaching and assessment in a way which reinforces our pedagogical efforts with a view to the high hopes formulated for intercultural learning: »There is […] a fundamental values position which all language teaching should promote: a position which acknowledges respect for human dignity and equality of human rights as the democratic basis for social interaction« (Byram et al. 2002: 13).
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Bildung durch ästhetische Figurationen in Literatur und Fremdsprache Imagination, Mimesis, Imaginäres C HRISTOPH W ULF
S PRACHE UND B ILDER : D AS S ICHTBARMACHEN DES U NSICHTBAREN Das Erlernen einer Fremd- bzw. Zweitsprache und die dadurch mögliche Vertrautheit mit einer fremden Kultur initiiert wichtige Bildungsprozesse. Fremdsprachenlernen in der Schule wird daher nicht auf den Erwerb bloßer sprachlicher Fertigkeiten reduziert. Das Erlernen einer Fremdsprache bietet die Möglichkeit, durch die Begegnung mit dem Fremden einer anderen Kultur auch ein erweitertes Verständnis der eigenen Kultur zu gewinnen. In der globalisierten Welt sind die Prozesse des Kennenlernens fremder Kulturen und das dadurch bessere Verständnis der eigenen Kultur von erheblicher Bedeutung. Bildung findet heute nicht mehr nur innerhalb nationaler Kulturen statt. In Deutschland vollzieht sie sich in einem europäischen Rahmen und ist daher eine interkulturelle Aufgabe, bei der es auch darauf ankommt, sich durch das Lernen einer Fremdsprache mit einer oder mehreren fremden Kulturen vertraut zu machen (Wulf & Merkel 2003; Wulf 2006, 2016). In der globalisierten Welt, in der Europa nur eine von mehreren wichtigen Regionen ist, spielt darüber hinaus Global Citizenship Education eine wichtige Rolle. In dieser von der UNESCO entwickelten Bildungsperspektive sind Frieden, Alterität und Nachhaltigkeit zentrale Konzepte (UNESCO 2015; World Education Forum 2015; Wintersteiner et al. 2014). In vielen Schulen bearbeitet eine engagierte Lehrerschaft diese
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Themen und Perspektiven, die für die historisch- geographisch-politische Bildung, den Deutsch- und den Fremdsprachenunterricht einen wichtigen normativen Bezugsrahmen darstellen. Neben dem Erwerb sprachlicher Fertigkeiten macht der Erwerb einer Fremdsprache auch die Auseinandersetzung mit literarischen Werken und einer darauf beruhenden Annäherung an eine fremde Kultur und deren Imaginäres möglich. Die Lektüre fremdsprachlicher literarischer Werke führt zu einer Beschäftigung mit sozialen und emotionalen Konstellationen, die in der Alltagswelt der Lesenden keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Durch die Lektüre dieser Werke werden Handlungsfolgen und Bilder vermittelt, die sich im Imaginären junger Menschen festsetzen und dieses entwickeln. In der Lektüre literarischer Werke entstehen Emotionen. Dies geschieht häufig umso eher, wenn literarische Werke keinen unmittelbaren Bezug zum Leben der Leser haben. Durch die gleichzeitige Nähe und Distanz zu den Themen der literarischen Werke wird eine mehrdimensionale Auseinandersetzung mit den in ihnen dargestellten sozialen Konstellationen möglich. Dadurch wird das gelesene Werk Teil der Vorstellungswelt der Leser. Dieser Prozess vollzieht sich in hohem Maße mimetisch. Mimesis bezeichnet einen Prozess der Nachahmung und Anähnlichung (Adorno 1979). Der Begriff geht auf einen frühen Gebrauch des Wortes im fünften Jahrhundert v. Chr. in Kleingriechenland (Sizilien) zurück und spielt später in Platons Politeia (Staat) und im Werk von Aristoteles eine zentrale Rolle (Gebauer & Wulf 1992). Mimetische Prozesse sind produktive Prozesse des Nachvollzugs. In ihnen werden die Figurationen des literarischen Werkes nachgeschaffen und durch Anähnlichung an Text, Handlung, Struktur und Bilder angeeignet (Gebauer & Wulf 1998; Wulf 2005; 2013a). Diese Auseinandersetzung trägt zur Entwicklung der Einbildungskraft bei. Durch den mimetischen Nachvollzug wird das gelesene Werk in den Lesern lebendig. In dieser Möglichkeit der Imagination, gelesene Texte ›lebendig‹ zu machen, liegt deren Bedeutung. Die Entwicklung der Imagination in Erziehung, Bildung und Sozialisation spielt daher eine wichtige, häufig nicht angemessen gesehene Rolle (Wulf 2014; Wulf & Zirfas 2014). Um die Imagination zu entwickeln, bedarf es eines forschenden Lernens, eines Lernens, bei dem es weniger auf die Antwort auf gestellte Fragen, als vielmehr auf den Prozess des Suchens, der Konstruktion und des Erkennens ankommt. Bei diesem Lernen steht nicht das Wissen, sondern
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die Suche nach Verständnis und Erkenntnis im Mittelpunkt. In einem auf Entdecken ausgerichteten heuristischen Lernen steht am Anfang das Taumazein, d. h. das Staunen, die Verwunderung, darüber, dass die Dinge so und nicht anders sind als sie sind. Darauf folgen die Entwicklung radikalen Fragens und die Entwicklung von Deutungen, Interpretationen und Konstruktionen. Literarischen Texten kommt in diesem Zusammenhang erhebliche Bedeutung zu, zumal der Raum für diese Prozesse unter dem Druck Leistung vergleichender Tests kontinuierlich eingeschränkt wird. Dem wollte eine Kollegin in Berlin entgegenwirken, die mit sogenannten bildungsfernen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die nur mit Mühe lesen konnten, Dramen von Shakespeare las, aufführte und interpretierte. Dabei machte sie die Erfahrung, dass sich diese Jugendlichen durchaus für Literatur und die in ihr dargestellten Handlungen und Konstellationen interessierten. Von der Lektüre der shakespeareschen Dramen, die sie mit den Jugendlichen in verteilten Rollen las und von denen auch einzelne Szenen gespielt wurden, waren diese Schüler und Schülerinnen begeistert. Sie entdeckten etwas, das sie ansprach und oft sogar faszinierte, selbst wenn sie es sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nur mühevoll erschließen konnten. An diesem Beispiel wird deutlich, dass selbst Jugendliche, denen die Schule eine eingeschränkte Bildbarkeit zuschreibt, von literarischen Texten angesprochen werden können. In diesen Dramen begegneten die Jugendlichen menschlichen Handlungen und Emotionen, die sie berührten, mit denen sie sich identifizierten und durch die sie eine Ausweitung ihres Erfahrungsraums gewannen. Die Jugendlichen erschlossen sich die in den Dramen dargestellten Handlungskonstellationen in mimetischen Akten, in denen sie den geschriebenen Text in gesprochene Sprache und die gesprochene Sprache in Handlungen transformierten.
M IMETISCHES L ERNEN UND DIE B ILDUNG DES I MAGINÄREN Schon Aristoteles hat diese mimetische Fähigkeit als ein besonderes Merkmal des Menschen begriffen, durch die er sich von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Mimetische Handlungen, verstanden als Akte kreativer Nachahmung, befähigen Menschen zum Nachvollzug und damit zur
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Verarbeitung und Gestaltung kultureller Werke. An solchen Prozessen haben Menschen, so Aristoteles, in hohem Maße Freude. Mimesis »[…] zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Lebewesen, dass er in besonderem Maße zur Nachahmung befähigt ist und seine ersten Kenntnisse durch Nachahmung erwirbt – als auch durch die Freude, die jedermann an Nachahmung hat« (Aristoteles 1987: 11).
In die gleiche Richtung dachte Walter Benjamin, als er darauf verwies, dass mithilfe des mimetischen Nachvollzugs die Unsinnlichkeit der Schrift in »lebendige« Situationen und Konstellationen überführt werden kann. Im mimetischen Nachvollzug beginnt ein literarischer Text, der zunächst aus abstrakten Buchstaben besteht, zu leben und für den Leser Bedeutung zu gewinnen. Paul Ricoeur betont die zentrale Rolle, die mimetische Prozesse für die ästhetische Erfahrung spielen (Ricoeur 1988-1991). Nach seiner Auffassung lassen sich hier drei Phasen unterscheiden. In einer ersten Phase erfahren Literaten wie alle anderen Menschen die Welt mimetisch. Walter Benjamin hat diese Prozesse in Berliner Kindheit um 1900 in Bezug auf sein Elternhaus beschrieben (Benjamin 1980). Benjamin rekonstruiert hier, wie er sich als Kind die verschiedenen Ecken und Gegenstände seines Elternhauses in einer mimetischen Anähnlichung erschließt. So berichtet er davon, wie er als Kind seinen Körper dazu verwendet, eine Windmühle darzustellen und dabei die Erfahrung der Maschinenhaftigkeit des menschlichen Körpers macht. Auf der Grundlage einer solchen Erschließung der Welt und der Dynamik ihrer Imagination schaffen Schriftsteller in der zweiten Phase in mimetischen Akten ihr literarisches Werk. Dabei werden ihre Lebenserfahrungen nicht kopiert; vielmehr erfolgt die mimetische Gestaltung eines literarischen Werkes unter Verwendung der amalgamierten und kreativ verarbeiteten Lebenserfahrungen. In einer dritten Phase schaffen die Leser des literarischen Werkes in einem mimetischen Nachvollzug die ästhetische Erfahrung, in der der Text in ihrem Imaginären zum Leben erweckt wird. Dabei versteht es sich von selbst, dass unterschiedliche Leser aufgrund ihrer differenten Lebenserfahrung und Subjektivität unterschiedliche ästhetische Erfahrungen haben. In dieser Phase ›benötigt‹ das literarische Werk den Leser, um in dessen Imagination ›lebendig‹ werden zu können.
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Diese Überlegungen machen deutlich, wie sehr die Lebenserfahrungen und Imaginationen von Schriftstellern mit deren kreativer Produktion und der ästhetischen Erfahrung der Leser verwoben sind. Diese Verwobenheit ist der Grund dafür, dass literarische Texte Wirkungen auf ihre Leser haben können, die diese dabei unterstützen, die Welt, menschliche Relationen und sich selbst besser kennen zu lernen. René Char hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass Literatur etwas von einem Menschen weiß, was er nicht weiß. Durch die mimetische Aneignung literarischer Werke erfährt der Mensch etwas von sich, was er vorher nicht wusste. Er lernt Dimensionen kennen, die er nicht kannte und zu denen er bislang keinen Zugang hatte. Literarische Texte bieten kein Rezept dafür, wie man besser leben kann. Doch sie können dazu beitragen, Grundkonstellationen des Lebens, wie sie zum Beispiel mit Liebe, Glück, Neid, Eifersucht, Leid und Tod verbunden sind, in der Imagination zu durchleben, sich diesen vertraut zu machen und sie reflexiv zu durchdringen. Folgt man der aristotelischen Ästhetik, dann werden hier in der Erfahrung von Grundsituationen des menschlichen Lebens kathartische Wirkungen möglich. Wie alle Künste, so vermittelt auch die Literatur in ihren Narrationen Bilder vom Menschen, die beim Lesen in mimetischen Akten angeeignet werden. In diesen Narrationen und Bildern werden Einzelaspekte, Fragmente von Handlungen und Bildern des Menschen vermittelt, die häufig keine in sich geschlossenen Menschenbilder darstellen, ohne dadurch jedoch weniger wirksam zu sein. In allen Kulturen und historischen Zeiten erzeugen Menschen Bilder von sich. Sie brauchen diese ästhetischen Figurationen, um sich über sich selbst zu verständigen und sich zu verstehen. Menschenbilder bzw. Fragmente von Menschenbildern sind Konstruktionen des Menschen von sich. Sie werden geschaffen, um Repräsentationen bzw. einzelne Aspekte des Menschen sichtbar zu machen. Diese Narrationen und Bilder sind Vereinfachungen menschlicher Vielfalt und Komplexität in bildlichen bzw. literarischen Darstellungen. In ihnen werden auch die Machtstrukturen einer Gesellschaft sichtbar. Desgleichen werden Wünsche, Normen und Werte in Narrationen und Bildern dargestellt, von denen sich viele auf ästhetische Figurationen gelingenden oder misslingenden Lebens beziehen. Nicht nur die Literatur, sondern auch die bildenden Künste vermitteln Bilder vom Menschen, z. B. die Plastiken der griechischen Antike, in denen sich das Ideal des Guten und Schönen, die Kolokagathia, die Einheit körperlicher Schönheit und geistiger Qualität ausdrückt. Auch im christlichen
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Mittelalter entstehen Menschenbilder, in denen der fromme gottgefällige Mensch dargestellt wird. Die biblia pauperum in den mittelalterlichen Kirchen, d. h. die bildliche Darstellung von biblischen Geschichten in Druckwerken, Fresken oder Glasmalerei, machen dies deutlich. Wir finden Darstellungen gottgefälliger Menschen untergliedert nach Ständen in Adlige, Mönche und Bauern, in denen sich auch die hierarchischen Strukturen der Gesellschaft spiegeln (Wulf 2010).
E NTSTEHUNG
UND
M ACHT
DER
M ENSCHENBILDER
Warum haben literarische Narrationen und Bilder vom Menschen so tiefgreifenden Einfluss auf die Bildung des Menschen? Drei Gründe scheinen mir besonders wichtig zu sein: 1) Ein anthropologischer Aspekt. Während das Verhalten nichtmenschlicher Primaten weitgehend durch ihre Instinkte geregelt wird, ist dies aufgrund der »Frühgeburt« bzw. des »extra-uterinen Frühjahrs« beim durch Neotenie gekennzeichneten Menschen nicht der Fall (Gehlen 1978). Das junge Menschenkind ist durch die große Plastizität seines Körpers und seiner Sinne gekennzeichnet. Sein Verhältnis zur Welt ist nicht durch Instinkte bestimmt; es ist weltoffen und erlernbar. Kinder sind lernbedürftig und lernfähig. Sie sind auf kulturelles Lernen angelegt. Mithilfe mimetischer Prozesse finden große Teile kulturellen Lernens statt (Wulf 2013a, 2013b; Gebauer & Wulf 1992, 1998). In diesem Prozess spielen Bilder und Narrationen eine wichtige Rolle. Viele von ihnen richten sich auf andere Menschen und Lebenswelten. Sie geben Orientierung und Sinn. Sie werden mit anderen Menschen geteilt und schaffen Gefühle der Zugehörigkeit und der Gemeinsamkeit. Hierin liegt die Nachhaltigkeit ihrer Wirkung. Narrationen und Bilder werden nicht einfach übernommen, sondern mit anderen Menschen gelebt und verinnerlicht. Sie entstehen in Handlungs- und Sprachspielen. Im Unterschied zu den Instinkten der Tiere sind sie historisch und kulturell bestimmt und lassen sich verändern. 2) Frühkindliche Formungen. Bilder und Narrationen über den Menschen haben tiefgreifende Wirkungen, besonders, wenn sie in der Kindheit erzählt oder gelesen werden und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sichern. Diese Narrationen besetzen die Vorstellungswelt und werden Teil des Imaginären. Sie haben Einfluss auf die Wahrnehmung der Welt, der
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Kultur, anderer Menschen und die Selbstwahrnehmung. Bilder des Menschen werden Teil der Menschen und ihrer Einbildungskraft und wirken auf ihre Emotionen. Durch die Rhythmen und Riten des Lebens werden sie wiederholt und verfestigt. Wie Pflanzen mit ausgedehnten Wurzeln setzen sich Narrationen und Bilder vom Menschen im Imaginären fest und gewinnen ihre Wirkung aus der Verbindung mit bereits vorhandenen Vorstellungen (Hüppauf & Wulf 2006). 3) Bilder als Teil des Körpers. Als Bilder des Imaginären werden literarisch vermittelte Bilder vom Menschen Teil des Körpers. Sie sind ihm inhärent und können deswegen schwer verändert werden. Häufig bestehen sie aus Folgen von Bildern und Narrationen und sogar aus Text- und Bildnetzen, mit denen heterogene, zum Teil sogar paradoxe Konstellationen »eingefangen« werden. Dadurch werden einmal bestehende Bilder und Erzählungen wiederholt bestätigt und in ihrer Geltung verstärkt (Wulf 2014).
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WIRD ZUM
G EGENSTAND UND B ILD
Ein Charakteristikum der Moderne besteht darin, dass die Welt den Menschen gegenübersteht und weniger in ihrer Genese als vielmehr als Gegenstand und Bild wahrgenommen wird. In der Antike waren Menschen, Tiere und Umwelt Teil der belebten Natur, der Physis. Damit waren sie grundsätzlich einander ähnlich. Sie waren von der Kraft, der Dynamis der Natur, der Physis belebt. Im Mittelalter bleibt dieses Verhältnis der Menschen zur Welt erhalten. Tiere, Menschen und Welt sind von Gott geschaffen und haben ihre Kreatürlichkeit gemeinsam. In der Moderne ändert sich dieses Verhältnis des (westlichen) Menschen zur Welt, zu anderen Menschen und zu sich selbst. Die Natur wird nicht mehr in erster Linie als beseelt erlebt. Sie wird zum Gegenstand, zum Objekt, zum Bild. Die Menschen sind nicht mehr Teil der Natur bzw. der von Gott geschaffenen Welt, sondern stehen ihr gegenüber; sie vermessen sie und erfassen sie ›objektiv‹. Mit der Entwicklung der Neuen Medien nimmt diese Tendenz zu. Nicht nur die Welt und die anderen Menschen werden zum Bild, auch wir selbst nehmen uns immer mehr im Modus des Bildes wahr. Die starke Verbreitung der Digitalfotografie im Lebensalltag – z. B. in Form von Selfies – ist dafür ein Beleg. Mit Hilfe elektronischer Fotos bzw. Filme machen wir alle wichtigen Ereignisse und letztlich uns selbst zum Bild (Wulf 2009, 2013a, 2013b,
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2014). Literarische Texte und Narrationen können dieser Tendenz zur Bildwerdung entgegenwirken. Bilder und literarische Narrationen zeigen, welche zentrale Rolle die Imagination und das Imaginäre für die Konstitution des Menschen und seiner Bildung spielen. Sie machen deutlich, wie stark sie durch ihren jeweiligen historischen und kulturellen Charakter bestimmt werden und wie wichtig ihre Erforschung im Rahmen der Anthropologie bzw. der pädagogischen Anthropologie ist (Wulf 2010). Bilder vom Menschen sind Bilder und Narrationen vom Menschen, die der Mensch von sich selbst entwirft, und deren Bedeutung für seine Wahrnehmung und Deutung der Welt, seine Erinnerungen und seine Zukunftsprojektionen es zu begreifen gilt. Sie werden durch soziale und kulturelle Praktiken des alltäglichen Lebens und durch die Literatur und die Künste erzeugt. Bilder des Menschen werden Teil des kollektiven und individuellen, sozialen und kulturellen Imaginären und wirken dadurch an der Gestaltung des Handelns mit. Die Erzeugung von Bildern und Narrationen ist ein Merkmal, das wir als homo sapiens sapiens mit allen Menschen gemeinsam haben, dessen Ausgestaltung jedoch in der Geschichte und in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich ist. Da literarische Narrationen und Bilder etwas sichtbar machen, was ohne sie nicht in Erscheinung träte, stellt ihre Erforschung einen wichtigen Bereich der pädagogischen Anthropologie dar (Wulf & Zirfas 2014). Was wir als ›Bild‹ bezeichnen, ist unterschiedlich; das Spektrum des Begriffs ist weit gespannt. Unter dem Einfluss der Neurowissenschaften und ihrer Verbildlichungsstrategien werden sogar die Ergebnisse der Wahrnehmung mit anderen Sinnen als ›Bilder‹ bezeichnet. Sodann sprechen wir von mentalen oder ›inneren‹, auch von durch literarische Texte erzeugten Bildern, die etwas vergegenwärtigen, was selbst nicht anwesend ist (Sartre 1979). Viele ästhetische Produkte haben die Form von Narrationen und Bildern. Sie sind Produkte eines auf die Erzeugung von Narrationen und Bildern gerichteten Prozesses. Als Metaphern sind Bilder ein konstitutives Element der Sprache. Bilder schaffen, Bilder als Bilder erkennen, mit Bildern fantasievoll umgehen ist eine universelle Fähigkeit des Menschen. Je nach historischer Zeit und Kultur ist sie jedoch unterschiedlich ausgeprägt. Welche Bilder und Sprachbilder wir sehen und wie wir sie sehen, wird durch komplexe historische und kulturelle Prozesse bestimmt. Wie wir Bilder und Narrationen wahrnehmen und mit ihnen umgehen, wird zudem
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durch unsere lebensgeschichtliche Einmaligkeit und Subjektivität beeinflusst. Die in literarischen Narrationen erzeugten Bilder werden mithilfe der Imagination Teil der mentalen Bilderwelt und des kollektiven und individuellen Imaginären. Diese Welt der imaginären Bilder hat Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Außenwelt. Da diese Bilder performativ sind, können sie sogar zur Emergenz von Handlungen beitragen. Das Imaginäre ist der Ort der Bilder und als solches das Ziel der Bilder erzeugenden Imaginations-Prozesse. Zugleich ist es der Ausgangspunkt der performativen Energien der Bilder.
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UND I MAGINATION
Die Imagination ist eine conditio humana, eine Bedingung des Menschen, deren Grundlagen in der Konstitution des menschlichen Körpers liegen (Belting 2001; Boehm 1994; Hüppauf & Wulf 2006; Wulf 2014). Die Performativität, d. h. der inszenatorische Charakter menschlichen Handelns, ist eine Folge der prinzipiellen Offenheit und der Rolle, die die Imagination bei der Ausgestaltung dieser Offenheit spielt. Mit Hilfe der Imagination werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander verwoben. Die Imagination erzeugt die Welt des Menschen, die soziale, kulturelle, symbolische und imaginäre Welt. Sie ermöglicht Geschichte und Kultur und damit geschichtliche und kulturelle Diversität. Sie schafft die Welt des Imaginären und ist an der Erzeugung der Praktiken des Körpers beteiligt. Für deren Inszenierungen und Aufführungen bedarf es nicht nur eines Bewusstseins dieser Praktiken. Vielmehr müssen sie inkorporiert und Teil eines praktischen, körperbasierten, impliziten Wissens sein (Kraus et al. 2017), dessen dynamischer Charakter soziale und kulturelle Veränderungen und Gestaltungen möglich macht. Dabei sind mimetische, auf der Imagination beruhende Prozesse von zentraler Bedeutung. In ihnen findet kulturelles Lernen statt, das soziale und kulturelle Identität erzeugt, die eine zentrale Voraussetzung für Wohlbefinden und Glück bildet. Für alle Formen des sozialen und kulturellen Handelns und deren Verdichtung in Narrationen und Bildern des Menschen spielt die Imagination eine zentrale Rolle. Mithilfe von Narrationen, Bildern, Schemata und Modellen steuert sie das menschliche Verhalten und Handeln. Erzählungen und
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Bilder haben Einfluss auf das Handeln. Nicht nur in den europäischen Künsten hat die Imagination eine zentrale Bedeutung. Sie spielt in der Genese des Homo sapiens sapiens und seiner Kulturen eine wichtige Rolle. Der Zugang der Menschen zur Welt und der Welt ins ›Innere‹ der Menschen vollzieht sich mithilfe der Imagination im Medium von Bildern und Narrationen.
I MAGINATION UND I MAGINÄRES Mithilfe der Imagination erzeugen Individuen, Gemeinschaften und Kulturen das Imaginäre. Dieses lässt sich als eine materialisierte Bilder-, Ton-, Tast-, Geruchs- und Geschmackswelt begreifen. Die Imagination bildet die Voraussetzung dafür, dass Menschen die Welt in einer historisch und kulturell geprägten Weise wahrnehmen. Die Imagination erinnert und erzeugt, kombiniert und projiziert literarische und visuelle Bilder. Sie schafft Realität. Zugleich dient ihr die Realität dazu, Bilder hervorzubringen. Die Bilder und Narrationen der Imagination haben eine die Wahrnehmung, Erinnerung und Zukunft strukturierende Dynamik. Ihre Vernetzung folgt den dialektischen und rhythmischen Bewegungen der Einbildungskraft. Nicht nur das alltägliche Leben, sondern auch Literatur, Kunst und darstellende Künste enthalten ein unerschöpfliches Reservoir von Bildern und Narrationen. Einige scheinen stabil und wenig veränderbar zu sein. Andere hingegen unterliegen dem historischen und kulturellen Wandel. Die Imagination hat eine symbolisierende Dynamik, die kontinuierlich neue Bedeutungen erzeugt und dazu Bilder und Sprache verwendet. Mithilfe dieser von der Imagination geschaffenen Bilder und Narrationen erfolgen Deutungen der Welt (Hüppauf & Wulf 2006). Die Imagination ist eine starke performative Kraft, die soziale und kulturelle Handlungen inszeniert und aufführt. Mithilfe mimetischer Bewegungen kann der ikonische Charakter literarischer Bilder und Narrationen erfasst werden. Im Nachschaffen ihres Bild- und Erzählcharakters werden die Bilder und die Narrationen ins Imaginäre aufgenommen. Als Teil der mentalen Welt eines Menschen sind sie Zeugnisse der Außenwelt. Welche Bilder, Narrationen, Strukturen und Modelle Bestandteil des Imaginären werden, hängt von vielen Faktoren ab. In Bildern und Narrationen sind Anwesenheit und Abwesenheit der realen Welt unauflösbar miteinander
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verwoben. Es entstehen Sprach- und Bildnetze, mit denen wir die Welt umspannen und die unsere Sicht und Deutung der Welt bestimmen. Der performative Charakter der Imagination bewirkt, dass die Narrationen und Bilder einen zentralen Teil des Imaginären ausmachen (Wulf & Zirfas 2007). In ihnen sind die Machtstrukturen der sozialen Verhältnisse und gesellschaftlichen Strukturen repräsentiert. Viele dieser Prozesse haben in der Kindheit der Menschen ihre Anfänge und vollziehen sich weitgehend unbewusst. Schon in dieser Zeit wird die Wahrnehmung, die sprachliche Bezeichnung und Deutung sozialer Konstellationen und Arrangements gelernt. Beim Begreifen der Welt spielen diese frühen Erfahrungen eine wichtige, nicht ersetzbare Rolle. Ein Begreifen sozialer Handlungen entsteht dadurch, dass biographisch geprägte historische und kulturelle Schemata und mentale Bilder und Sprachformen bei jeder Wahrnehmung mitwirken. Wir nehmen soziale Handlungen wahr und setzen uns in ihrer Wahrnehmung zu ihnen in Beziehung. Dadurch gewinnen diese Handlungen für uns Bedeutungen. Wenn sich Handlungen anderer Menschen auf uns richten, geht der Impuls zur Anknüpfung einer Beziehung von ihnen aus; erwartet wird dann eine Antwort unsererseits. In jedem Fall entwickelt sich eine Beziehung, für deren Entstehung die in literarischen Texten und Wahrnehmungen entstandenen Bilder unseres Imaginären wichtige Voraussetzungen bilden. Wir treten in ein Handlungsspiel ein und handeln bezogen auf die uns in diesem sozialen Arrangement entgegen gebrachten Erwartungen, sei es, dass wir auf sie eingehen, sie modifizieren oder ihnen zuwiderhandeln. Unser Handeln ist weniger aufgrund von Ähnlichkeit als vielmehr aufgrund erzeugter Entsprechungen mimetisch. In ein Handlungsspiel eingelassen, nehmen wir die Handlungen der anderen wahr und handeln in mimetischem Bezug auf sie.
AUSBLICK Bilder sind unhintergehbar. Sie entstehen, weil wir uns über uns selbst verständigen und Gemeinsamkeiten und Gefühle der Zughörigkeit mit anderen Menschen entwickeln müssen. In diesem Prozess spielen literarische Bilder erzeugende Narrationen eine wichtige Rolle. Durch das Erlernen einer Fremdsprache und die Annäherung an das Imaginäre einer fremden Kultur findet eine Ausweitung der Vorstellungswelt statt, der in einem zusam-
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menwachsenden Europa und in einer globalisierten Welt zunehmende Bedeutung zukommt.
L ITERATUR Adorno, Theodor W. (1979): Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Aristoteles (1987): Poetik. Herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam. Belting, Hans (2001): Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Wilhelm Fink. Benjamin, Walter (1972): »Berliner Kindheit um Neunzehnhundert.« In: ders.: Gesammelte Schriften. Band IV, 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 235-304. Boehm, Gottfried (1994): »Die Bilderfrage.« In: Boehm, Gottfried (Hg.): Was ist ein Bild? München: Wilhelm Fink. Gebauer, Gunter & Wulf, Christoph (1998): Mimesis. Kunst, Kultur, Gesellschaft. 2. Auflage. Reinbek: Rowohlt. Gebauer, Gunter& Wulf, Christoph (1998): Spiel, Ritual, Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt. Reinbek: Rowohlt. Gehlen, Arnold (1978): Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 12. Auflage. Wiesbaden: Akademische Verlagsanstalt Athenaion. Hüppauf, Bernd & Wulf, Christoph (Hrsg.) (2006): Bild und Einbildungskraft. München: Wilhelm Fink. Kraus, Anja; Budde, Jürgen; Mietzge, Maud & Wulf, Christoph (Hrsg.) (2017): Handbuch Schweigendes Wissen. Weinheim: Beltz-Juventa. Ricoeur, Paul (1988-1991): Zeit und Erzählung. 3 Bände. München: Wilhelm Fink. Sartre, Jean-Paul (1979): Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft. Reinbek: Rowohlt. UNESCO (2015): Rethinking education. Towards a global common good? Paris: UNESCO. Wintersteiner, Werner; Grobbauer, Heidi; Diendorfer, Gertraud & Reitmair-Juárez, Susanne (2014): Global Citizenship Education: Politische Bildung für die Weltgesellschaft. Wien: UNESCO. World Education Forum (2015): Incheon Declaration. Paris: UNESCO.
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Wulf, Christoph (Hrsg.) (2016): Exploring Alterity in a Globalized World. London: Routledge. Wulf, Christoph (2014): Bilder des Menschen. Imaginäre und performative Grundlagen der Kultur. Bielefeld: transcript. Wulf, Christoph (2013a): Anthropology. A Continental Perspective. Chicago: The University of Chicago Press. Wulf, Christoph (2013b): Das Rätsel des Humanen. Eine Einführung in die historische Anthropologie. München: Wilhelm Fink. Wulf, Christoph (Hg.) (2010): Der Mensch und seine Kultur. Hundert Beiträge zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des menschlichen Lebens. Köln: Anaconda. Wulf, Christoph (2009): Anthropologie. Geschichte – Kultur – Philosophie. 2., erweiterte Auflage. Köln: Anaconda. Wulf, Christoph (2006): Anthropologie kultureller Vielfalt. Interkulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung. Bielefeld: transcript. Wulf, Christoph (2005): Zur Genese des Sozialen. Mimesis, Performativität, Ritual. Bielefeldt: transcript. Wulf, Christoph & Merkel, Christiane (Hg.) (2003): Globalisierung als Herausforderung der Erziehung Theorien, Grundlagen, Fallstudien. Münster: Waxmann. Wulf, Christoph & Zirfas, Jörg (Hg.) (2014): Handbuch Pädagogische Anthropologie. Wiesbaden: Springer Verlag Sozialwissenschaften. Wulf, Christoph & Zirfas, Jörg (Hg.) (2007): Pädagogik des Performativen. Theorien, Methoden, Perspektiven. Weinheim: Beltz.
Wilhelm von Humboldt als Ethnograph der Sprachen Seine (tragische) Einsicht in die Dialektik der Bildung in Deutschland R UPRECHT M ATTIG
Wenn in der Erziehungswissenschaft über den Zusammenhang von Bildung und (Fremd-)Sprachen nachgedacht wird, fehlt selten ein Hinweis auf Wilhelm von Humboldt (1767-1835), der diesem Zusammenhang mit dem Begriff der sprachlichen »Weltansicht« eine bis heute wegweisende – wenn auch nicht unumstrittene – theoretische Basis gegeben hat. 1 Zitiert werden dabei in der Regel die programmatischen Skizzen, die Humboldt 1809/1810 als Leiter der Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht niedergeschrieben hatte sowie seine in seinen letzten Lebensjahren entstandenen sprachphilosophischen Studien. Während Humboldt also vor allem als Stichwortgeber theoretischer Standpunkte erscheint, werden im vorliegenden Beitrag seine in der Erzie-
1
Zustimmende Referenzen auf Humboldt finden sich in ganz verschiedenen erziehungswissenschaftlichen Ansätzen, in der Fremdsprachendidaktik (DeckeCornill & Küster 2010: 19) ebenso wie in der Bildungstheorie (Benner 2003; Koller 1997), der empirisch-qualitativen Bildungsforschung (Dietrich 2010: 18ff.; Koller 2009) oder der pädagogischen Anthropologie (Bollnow 1966: 144ff.; Giel 1967). Kritische Stimmen gibt es seltener, z. B. in der Migrationspädagogik (Dirim & Mecheril 2010: 109) und der historischen Bildungsforschung (Landfester 1988: 37ff.).
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hungswissenschaft bislang nur wenig wahrgenommenen empirischen Studien betrachtet. Humboldt reist in seinem Leben viel und hält sich auch für längere Zeiten in fremden Ländern auf. Schon 1789 besucht er das revolutionäre Frankreich. In den 1790er Jahren zieht er dann mit seiner Familie von Jena nach Paris und unternimmt von dort aus in den Jahren 1799-1800 eine mehrmonatige Reise durch Spanien. Fasziniert von der Lebensart und der Sprache der Basken, die er dabei kennenlernt, fährt er 1801 noch einmal für zwei Monate ins Baskenland. Die Jahre 1802-1808 lebt er als Diplomat in Rom, um dann, nach einer Zwischenstation in London von 1817-1818, seinen Lebensabend in Sprachstudien vertieft auf Schloss Tegel zu verbringen (vgl. Gall 2011). Gerade seine frühen Reisen und Auslandsaufenthalte zeigen ihn als einen engagierten Ethnographen, der die fremden Völker so detailliert wie möglich zu erfassen versucht. Er selbst sagt: »Mir von fremdartiger Eigenthümlichkeit einen anschaulichen Begriff zu verschaffen, war, was ich vorzüglich bei meinem Reisen beabsichtigte« (III: 30). 2 Während er zunächst, d. h. in den 1790er Jahren, seine Aufmerksamkeit in einem umfassenden Sinne auf die Kultur der untersuchten Nationen richtet, wird sein Blick während seiner Auseinandersetzung mit den Basken um 1800 zunehmend auf die Sprache gelenkt, was dann, neben anderen Studien, seinen späteren sprachphilosophischen Arbeiten den Weg bereitet. 3 Der Beitrag geht der Frage nach, mit welchem Blick Humboldt auf die Sprachen der von ihm bereisten Länder schaut und zu welchen Einsichten er in seinen empirischen Studien gelangt. Es wird die These erarbeitet, dass Humboldts empirisches Forschen bildungstheoretisch geleitet ist, wobei ›Bildung‹ allerdings kein rein deskriptives Konzept zur Erfassung der empirischen Welt darstellt, sondern einen »Leitbegriff« eines Denkens, das zur Zeit Humboldts in Deutschland Kontur gewinnt (vgl. Bollenbeck 1994). Nach Bollenbeck entwickelt sich »Bildung« zusammen mit dem anderen
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Wenn nicht anders vermerkt, wird Humboldt mit Band- und Seitenangaben nach den von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Gesammelten Schriften zitiert.
3
Wie Trabant (2012: 53ff.) zeigt, sind es zwei parallele Erfahrungen, die Humboldts Aufmerksamkeit um das Jahr 1800 auf die Sprache lenken: zum einen die Reisen ins Baskenland, zum anderen die Auseinandersetzung mit dem Wallenstein seines Freundes Schiller. Zu Humboldts Baskenstudien vgl. ZabaletaGorrotxategi 2006.
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Leitbegriff »Kultur« zu einem spezifisch »deutschen Deutungsmuster«, welches eine bestimmte, durch kollektive Erfahrungen hervorgebrachte Sicht auf die Welt wiederspiegelt. Bestimmte Worte einer Sprache werden demnach dann zu Leitbegriffen bzw. einem Deutungsmuster, wenn sie das kollektive Denken und Handeln der Sprachgemeinschaft in besonderer Weise prägen. Ein Deutungsmuster »leitet Wahrnehmungen, interpretiert Erfahrenes und motiviert Verhalten« (ebd.: 19). Insofern sich in einem Deutungsmuster gesellschaftliche Erfahrungen spiegeln, schafft es »soziale Relevanzstrukturen« mit einem spezifischen normativen Horizont. Deutungsmuster dienen demnach dazu, die Welt zu deuten und Handlungsoptionen zu eröffnen. Sie lassen sich als »geschichtlich gewachsene Welterfahrung« verstehen, »die in Sprache aufbewahrt ist« (ebd.: 44). 4 Bollenbeck hält Humboldt für einen zentralen Repräsentanten des deutschen Bildungsdenkens; bei Humboldt zeige sich ein elitärer und idealistisch-verengter Blick auf die Welt (ebd.: 143ff.). Bollenbecks Ausführungen wird hier insofern gefolgt, als Humboldts Blick auf die empirische Welt mit Rückgriff auf das Konzept des Leitbegriffes rekonstruiert wird; 5 diese Rekonstruktion zeigt dann aber auf, dass Humboldt – anders als Bollenbeck meint – gerade nicht als Repräsentant eines elitären und idealistischen Bildungsdenkens anzusehen ist. Vielmehr stellt sich heraus, dass Humboldt in seinen empirischen Studien den elitären Charakter von ›Bildung‹ in Deutschland erkennt und kritisiert. Um die kollektive Erfahrung deutlich zu machen, durch die Humboldts empirischer Blick auf die Sprachen geleitet ist, wird zunächst die politische
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Bollenbecks Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeiten mit Humboldts Auffassung von den sprachlichen »Weltansichten«, insofern damit gemeint ist, dass jede Sprache einen spezifischen Zugang zur Welt eröffnet, eine spezifische Weltdeutung bereithält. Humboldt geht es allerdings mehr um die Sprache als einem »großen Gewebe«, er betrachtet nicht die soziale Kraft einzelner Worte oder Wendungen. Es ließe sich allerdings sagen, dass sich in Deutungsmustern die Weltansicht einer Sprache besonders fokussiert dokumentiert. Da sich in Deutungsmustern spezifische historische Erfahrungen niederschlagen, lassen sie sich auch kaum übersetzen. Bollenbeck weist wiederholt darauf hin, dass Bildung »unübersetzbar« sei (z. B. 1994: 119).
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Die folgende Analyse bezieht sich nur auf den Leitbegriff Bildung, nicht auf die Verknüpfung von Bildung und Kultur zu einem Deutungsmuster.
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und kulturelle »Herrschaft« (Humboldt) Frankreichs in Europa skizziert, um dann die deutsche, sich über den Bildungsbegriff identifizierende Gegenbewegung dazu herauszustellen, die insbesondere darin besteht, die deutsche Sprache zu stärken. Vor diesem Hintergrund werden dann Humboldts bildungsanthropologischen und ethnographischen Ansichten über Frankreich und Europa aufgezeigt, wobei deutlich wird, weshalb er gerade an den Basken als einer von Frankreich kaum beeinflussten Nation so interessiert ist. Schließlich wird herausgearbeitet, dass Humboldt beim Vergleich der Nationen eine nuancenreiche Dialektik der (sprachlichen) Bildung in Deutschland feststellt, womit er sich als ein scharfer Kritiker von Bildungspraxis und Bildungsdünkel in Deutschland entpuppt. Seine Grundeinsicht dabei ist, dass die deutsche Sprache, die von den Bildungsbürgern gerade mit dem Anspruch gefördert wird, auch das Volk zu integrieren, durch die spezifische sprachliche Praxis der Bürger für das Volk geradezu zu einer fremden Sprache wird, was nach Humboldt zu einer Spaltung der Nation führt. Tragischer Weise traut sich Humboldt allerdings nicht, diese Einsicht auch vernehmlich zu artikulieren, so dass er teilweise bis in unsere Tage – z. B. bei Bollenbeck – als ein Repräsentant jener gesellschaftlichen Gruppe erscheint, die er selbst so kritisch beurteilt hatte. Abschließend wird gefragt, ob und inwiefern Humboldt der gegenwärtigen Erziehungswissenschaft auch als Empiriker noch zu denken geben kann. Einführend sei noch angemerkt, dass das Wort ›Bildung‹ Schwierigkeiten bei der Interpretation der Schriften Humboldts bereitet. Humboldt verwendet »Bildung« in verschiedenen Zusammenhängen mit unterschiedlichen Bedeutungen. In seinen anthropologischen Entwürfen meint Bildung meist in einem umfassenden, sich auf Geistiges, Körperliches, Moralisches und Ästhetisches beziehenden Sinne »Charakterbildung« (vgl. Mattig 2012). In seinen ethnographischen Beobachtungen verwendet Humboldt »Bildung« aber gelegentlich auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Sprache, Literatur und Wissenschaft. In der Humboldt-Rezeption schließlich wird »Bildung« häufig als sprachliche Bildung verstanden, auch wenn Humboldt selbst eben eigentlich ein weiteres Bildungsverständnis hatte. Der Fragestellung des vorliegenden Beitrages entsprechend wird im Folgenden auch auf die Sprache fokussiert.
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F RANZÖSISCH ALS EUROPÄISCHE B ILDUNGSSPRACHE ZUR Z EIT H UMBOLDTS Humboldt lebt in einer Zeit der politischen und kulturellen Dominanz Frankreichs in Europa (vgl. Trabant 2008). Seit Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte der Sonnenkönig Ludwig XIV. seine Macht auf dem europäischen Kontinent entfaltet, der Lebensstil des französischen Hofes wurde zu einem weithin nachgeahmten Vorbild. Zunächst orientierte sich der Adel, dann immer mehr auch das aufkommende Bürgertum kulturell an Frankreich. Die französische Sprache verdrängte das vorherrschende Lateinische fast vollständig als Amtssprache und entwickelte sich zur Sprache der gebildeten Eliten – zur »Bildungssprache« 6, wie es oft heißt –, die zunehmend in internationalen Beziehungen und in der Domäne der Diplomatie, aber auch selbst dann verwendet wurde, wenn die Gesprächspartner sich einer anderen gemeinsamen Muttersprache hätten bedienen können. Literatur, ursprünglich in einer anderen Sprache veröffentlicht, erhält oft nur in der französischen Übersetzung Aufmerksamkeit. 7 Mit französischen Lehnwörtern werden auch die mit ihnen verbundenen Kulturgüter und Kulturformen in den Ländern Europas angenommen und übernommen. In Politik, Wissenschaft und Literatur bedient sich Europa zur Zeit Humboldts also vorzugsweise des Französischen. Die Bedeutung der französischen Sprache als europäischer Bildungssprache zu Humboldts Zeit hängt auch damit zusammen, dass der Ausbau dieser Sprache schon seit dem 17. Jahrhundert, seit der Gründung der Académie française, systematisch gefördert wurde. Ziel der Académie française war es, die französische Sprache zu vereinheitlichen und zu pflegen. Diese ›Pflege‹ orientierte sich an den Gepflogenheiten des französischen Hofes, so dass das Französische zentralistisch und aristokratisch normiert wurde. Die Académie française sah es zudem als ihre Aufgabe an, die französische Sprache von Dialekten, von allen volkstümlichen Elemen6
Dieser Begriff ist in der Literatur gelegentlich zu finden (z. B. SchmidtRadefeldt 1990: 255). Es sei aber darauf hingewiesen, dass ›Bildungssprache‹ zu Humboldts Zeit kein zeitgenössisches Wort ist.
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So wurde John Lockes Essay Concerning Human Understanding von 1690 erst in französischer Übersetzung zu einem einflussreichen Text auf dem europäischen Kontinent (vgl. Trabant 2008: 136).
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ten und von ausländischen Einflüssen zu befreien und ein ›reines‹ Französisch zu schaffen (vgl. Trabant 2014: 149ff.). Die Bedeutung der französischen Sprache in Europa ist aber noch komplexer, da Französisch nicht nur die Sprache der Aristokratie war, sondern im Laufe des 18. Jahrhunderts auch zur Sprache der Aufklärung wurde. Die zentralen Werke der Aufklärung stammten aus Frankreich (oder wurden auf Französisch rezipiert), und die französischen Aufklärer stellten selbstbewusst die herausragende Stellung des Französischen vor anderen Sprachen fest. Für sie war Französisch die Sprache der neuen, aufgeklärten Zeit. Während andere Sprachen ihrer Auffassung nach nur Aberglauben, Irrtümer und Vorurteile aus der alten Zeit tradierten, ermögliche Französisch ein klares und wahres Denken: »Die Ideologen der französischen Sprache – z. B. Voltaire oder Rivarol – hatten schon immer behauptet, dass der französische Geist und der Geist der Menschheit koinzidieren: Die sogenannte clarté des Französischen sei nichts anderes als die den universellen Denkgesetzen entsprechende Struktur des Französischen« (Trabant 2014: 137, Hervorhebung im Original).
Diese normative Aufladung des Französischen im Namen der Aufklärung führte im Zuge der Französischen Revolution auch zu sprachpolitischen Konsequenzen (vgl. Trabant 2014: 127-138): Während die Vertreter des aristokratischen Französisch sich bewusst vom Volk abgegrenzt hatten, stellte es sich für die Revolutionäre als Problem heraus, dass Frankreich faktisch ein vielsprachiges Land war und das Volk, das nach der Revolution ja an politischen Prozessen hätte partizipieren sollen, der französischen Bildungssprache kaum mächtig war – was die Konsequenz hatte, dass dem Volk die politische Teilhabe weitgehend verwehrt blieb. 8 Diesem Problem wurde von den Revolutionären mit dem Versuch begegnet, in ganz Frankreich das – ironischerweise aristokratisch geprägte – Standardfranzösisch
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Nur ein Fünftel der Bevölkerung Frankreichs soll des Französischen mächtig gewesen sein. Zwei weitere Fünftel sollen Französisch in sehr begrenztem Maße und nur mündlich beherrscht haben. Die verbleibenden zwei Fünftel schließlich sollen gänzlich andere Sprachen wie deutsch, italienisch, okzitanisch, katalanisch, baskisch, bretonisch und flämisch gesprochen haben (vgl. Trabant 2014: 119; 131).
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durchzusetzen, was bedeutete, dass nun auch im politischen Bereich gegen alles Dialektale und gegen die Mundarten des – oft als ›roh‹ bezeichneten – Volks vorgegangen wurde. Mithilfe dieser Politik sollte aus dem vielsprachigen und in weiten Teilen unaufgeklärten Frankreich eine aufgeklärte und republikanische Nation werden. Während also die französische Sprache am Ende des 18. Jahrhunderts schon auf eine Geschichte des systematischen Ausbaus zurückblicken konnte, war dies bei anderen Sprachen Europas nicht so der Fall. Der Glanz des Französischen strahlte entsprechend stark auch in den deutschsprachigen Raum aus. So ergibt sich, mit Blick auf die deutsche Sprache, das folgende Bild: »Die kodifizierte Norm des Französischen traf auf ein Deutsch, das sich noch nicht konsolidiert hatte. […] Ein deutscher Philosoph wie Leibniz, der 1699 sogar Mitglied der Académie française geworden war, schrieb auf lateinisch oder französisch […] und in der Mitte des 18. Jahrhunderts sprach Friedrich II. von Preußen besser französisch als deutsch« (Schmidt-Radefeldt 1990: 255).
Im 18. Jahrhundert wurde die französische Kunst der Konversation an deutschen Höfen so eifrig gepflegt, dass Voltaire anlässlich eines Besuches in Berlin vermerkte, die Sprache, die er bei Hofe am seltensten höre, sei die deutsche (vgl. Jurt 2014: 49). Es versteht sich, dass auch die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt in ihrer Jugend von ihren Privatlehrern Unterricht in Französisch genießen, wie es für Sprösslinge der adligbürgerlichen Beamtenschaft damals üblich ist (vgl. Gall 2011: 20).
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Während die deutsche Sprache im 18. Jahrhundert in den gehobenen gesellschaftlichen Schichten Deutschlands also zunächst keinen guten Stand hat – Friedrich II. bezeichnet das Deutsche noch 1780 als eine »halbbarbarische Sprache«, der es an Geschmack und Charme fehle (vgl. Jurt 2014: 103ff.) –, entwickelt sich in bürgerlichen Kreisen eine Gegenbewegung. Diese richtet sich ebenso gegen den aristokratischen Charakter des Französischen wie gegen den von den Aufklärern Frankreichs vertretenen Universalitätsanspruch der französischen Sprache und zielt darauf ab, auch der deutschen
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Sprache Anerkennung zu verschaffen. Äußerlich zeigt sich dies in einer enormen Zunahme an Publikationen auf Deutsch. Nach dem Erfolg von Goethes »Die Leiden des jungen Werther« von 1774 – das Buch wird zum ersten internationalen Bestseller aus dem deutschsprachigen Raum – erfahren auf Deutsch verfasste Werke und Zeitschriften eine Blüte: »1781 erschienen Schillers Räuber und die Kritik der reinen Vernunft von Kant, 1787 Schillers Don Carlos und Goethes Iphigenie. Es folgte nun die ganze Entfaltung der deutschen Literatur und Kunst, die wir kennen« (Jurt 2014: 121).
Ab 1783 erscheint die Berlinische Monatsschrift, in der Gedanken der deutschen Aufklärung diskutiert werden, 1795 beginnt Schiller mit der Publikation der deutschsprachigen Zeitschrift Horen. Im Zuge der Entfaltung der deutschen ›Nationalliteratur‹ entwickelt sich in Deutschland auch ein Denken, welches sich bewusst vom französischen Universalismus abgrenzt. Autoren wie Lessing, Möser und Herder stellen die Bedeutung kultureller Vielfalt heraus und betonen das Recht jeder Nation, sich nach ihrer Eigenart zu entfalten. Herder formuliert diesen relativistischen Gedanken sowohl bildungs- als auch sprachtheoretisch, insofern er postuliert, dass sich in jeder Sprache ein je spezifischer »Volksgeist« ausdrücke, der sich ausbilden solle. Und mit seiner Auffassung von der Gleichwertigkeit der Kulturen stellt er auch die so weit verbreitete Norm des Französischen explizit in Frage (vgl. Jurt 2014: 115ff.; Bollenbeck 1994: 119). Es dürfte kaum verwundern, dass Humboldt, als Freund Herders, Goethes, Schillers und anderer großer Autoren der aufblühenden deutschen Literatur, diesem in Deutschland sich entwickelnden Denken nahesteht. Auch er schreibt auf Deutsch und veröffentlicht z. B. Aufsätze in der Berlinischen Monatsschrift und in Schillers Horen. Der Suche des aufgeklärten Bürgertums nach dem deutschen Charakter und der deutschen Nation liegt die historische Situation zugrunde, dass Worte wie ›Deutschland‹ oder ›die Deutschen‹ zur Zeit Humboldts weder auf einen Staat mit eigener Verfassung noch auf ein Volk, welches sich als Einheit begreift, verweisen. Das ›Heilige römische Reich deutscher Nation‹ ist ein in viele Fürstentümer aufgeteiltes Gebiet, und die Menschen, die es bewohnen, identifizieren sich als Preußen, Schwaben, Franken, Sachsen etc. – aber nicht als Deutsche. Die Stärkung und Verbreitung der deutschen Sprache durch die Literatur lässt allerdings ein neuartiges Zusammengehö-
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rigkeitsgefühl unter den deutschen Bürgern entstehen (vgl. Jurt 2014: 111f.). In diesem Kontext ist bemerkenswert, dass das Bürgertum in einer spezifischen Rezeption der Antike einen Weg findet, sich von anderen Nationen, namentlich von Frankreich, abzugrenzen, und sich selbst zu definieren. So orientiert man sich in Deutschland, anders als in den »Einheitsmonarchien« (Wehler 1989: 220) Frankreich, England und Amerika, nicht an der römischen, sondern an der griechischen Antike. Gerade im Pluralismus der Staaten wird eine Parallele zwischen dem alten Griechenland und Deutschland gesehen. Vor allem aber entzündet sich an der griechischen Antike die Entfaltung des deutschen Bildungsdenkens: »Attraktiver als die Erfolge der offenbar unerreichbaren römischen Staatsbildung wirkte das einsame Spitzenniveau der griechischen Kultur. Die normative Utopie des hellenischen Menschentums und seiner künstlerischen Schöpfungen kam […] dem Entwicklungsbegriff von autonomer Bildung als Wert an sich entgegen oder half dabei, ihn sogar erst zu begründen« (Wehler 1989: 220).
Die Identifizierung des Bürgertums mit dem Konzept der Bildung lässt sich am Begriff »die gebildeten Stände«, der Ende des achtzehnten Jahrhunderts aufkommt, ablesen. Insofern ›Bildung‹, mit der Betonung auf der freien Entfaltung der geistigen, moralischen und ästhetischen Fähigkeiten des Individuums, Verständnissen der Gelehrsamkeit, der standesgemäßen und der berufsbezogenen Erziehung entgegengesetzt wird, ist es ein emanzipatives, auf das Aufbrechen der starren Ständeordnung und die Freisetzung von Humanität gerichtetes Konzept. Zu den »gebildeten Ständen«, die während des 18. Jahrhunderts stark an kulturellem und politischem Einfluss gewinnen, werden freie Künstler und Schriftsteller, Ärzte und Notare gezählt, vor allem aber Verwaltungsbeamte, Richter und Professoren, die der moderne Staat zunehmend braucht (vgl. Bödeker 1989). Sie qualifizieren sich nicht mehr im traditionellen Sinne durch ihren Stand, sondern durch ihr Wissen. Die »gebildeten Stände« in Deutschland entwickeln einen eigenen, an ›Bildung‹ orientierten Lebensstil, der sich unter anderem durch neue Formen des Familienlebens, durch Diskussionsrunden in Lesezirkeln und Besuche von Museen und Theatern auszeichnet (vgl. Fuhrmann 2004: 87ff.). In diesen Zirkeln wird viel geschrieben und gelesen – und dass gerade die deutsche Sprache dabei rege
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Verwendung findet, lässt sich als Akt der Selbstbehauptung gegenüber der französischen Kultur verstehen (vgl. Jurt 2014: 111ff.). Humboldt hat schon von Jugend an lebhaft an dieser neu aufkommenden bürgerlichen Praxis teil (vgl. Gall 2011: 15ff.). Das soziale Projekt der Überwindung der alten Ständeordnung im Namen der Bildung ist wiederum eng mit der Verwendung der deutschen Sprache verbunden. Die »gebildeten Stände« nutzen eben nicht das als Sprache der Aristokratie geltende Französisch, sondern wenden sich dem Deutschen als einer Sprache des Volkes zu. 9 Sie entwickeln die Vorstellung »von einer geschmeidigen Nationalsprache, die den Standescharakter des Sprachgebrauches wie die ›Gallicomanie‹ in Deutschland überwinden soll« (Bollenbeck 1994: 31). Ziel dieses Projekts ist letztlich die »Herausbildung einer ›Kulturnation‹ durch Sprache« (ebd.). Lesen gilt dementsprechend »als wesentliche Funktion des Gebildetseins«: »Durch Lektüre hatte der Gebildete überhaupt erst Teil an der Bildung, Bildung zirkulierte durch Lektüre« (Bödeker 1989: 37). Zur Zeit Humboldts zeigt sich ›Bildung‹ also als ein aufkommender Leitbegriff, der dem deutschen Bürgertum in Denken und Handeln im Sinne einer Gegenbewegung zur zeitgenössischen politischen und kulturellen Kräfteverteilung Orientierung gibt.
H UMBOLDTS H ALTUNG ZUR »G ALLOMANIE « E UROPAS Humboldts Haltung gegenüber Frankreich lässt sich als ambivalent bezeichnen. Einerseits ist er fasziniert von den grundlegenden Ideen der französischen Aufklärung, die er sich insbesondere in seiner ersten großen Schrift von 1792 zu Eigen macht. 10 Sein Verständnis von Bildung, welches die Entwicklung des menschlichen Inneren so betont, gewinnt er u. a. aus der Auseinandersetzung mit Rousseau, den er als den ersten Pädagogen be-
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In der deutschen Nationalliteratur spielen denn auch Motive aus Volkssagen eine bedeutende Rolle (vgl. Jurt 2014: 113f.).
10 Z. B. stellt er den »Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen« als Motto ein Zitat von Mirabeau voran.
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zeichnet, der »den Gesichtspunkt von den äussren physischen Erfolgen hinweg auf die innere Bildung des Menschen zurükzieht« (I: 162). 11 Während Humboldt sich grundlegend an aus Frankreich stammenden Gedanken orientiert, denkt er aber auch kritisch über die Rolle Frankreichs in Europa und über die französische Aufklärung nach – und entwickelt gerade sein Bildungsverständnis letztlich explizit in Abgrenzung vom französischen Denken. Dies lässt sich anhand einiger Passagen aus seinem Aufsatz »Das achzehnte Jahrhundert« von 1798 herausarbeiten. Seine Abgrenzung gegenüber Frankreich hat dabei zwei Aspekte, einen philosophischanthropologischen und einen politisch-kulturellen. Hinsichtlich des ersten Aspektes vermisst Humboldt, ähnlich wie z. B. Herder vor ihm, im Denken der französischen Aufklärung die Anerkennung und Wertschätzung der Individualität und wirft ihm eine ethnozentrische Sichtweise vor: »Die Franzosen jener Periode kannten schlechterdings nur Eine […] Form, dieser Einen Regel unterwarfen sie alles, ohne Schonung irgend einer Eigenthümlichkeit, in die sie nicht einmal einzugehen werth achteten. Es ist nicht möglich, um den mildesten Ausdruck zu brauchen, befremdendere Urtheile über die Griechen und über Shakespeare zu lesen, als Voltaire […] so oft ausspricht, und selbst diejenigen, welchen die Alten ein Gegenstand des täglichen Studiums und der Verehrung waren, vermögen es nicht, nur auf einen Augenblick aus dem Standpunkte ihrer Zeit und ihrer Nation (denn der Einfluss von beiden kommt hier zusammen) herauszutreten« (II: 71f.).
Diesem Ethnozentrismus setzt Humboldt entschieden die relativistische Sichtweise entgegen, welche sich in Deutschland bereits entwickelt hatte. Die, wie Humboldt sagt, »bessere und partheilosere Kultur« der Deutschen ziele eben gerade darauf ab, aus dem eigenen Standpunkt »herauszutreten« und »die Eigenthümlichkeiten jeder Zeit und jeder Nation« zu untersuchen. Sie sei damit nicht so gewalthaltig wie die französische und könne erst wahre Bildung und Humanität freisetzen: »Wenn jenes erstere Verfahren zugleich, wie die Uebermacht des Französischen Geistes so lange that, die andern Nationen in knechtischer Unterdrückung zurück-
11 Zur Bedeutung Rousseaus für die Entwicklung des deutschen Bildungsdenkens vgl. Bollenbeck 1994: 112ff.
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hielt, und die Gemeinschaft mit ihnen erschwerte, wenn es ausserdem noch den freien Blick auf die Menschheit hinderte und verfälschte, so muss dieses letztere nothwendig zugleich alle Kräfte wecken, die erwachten in Berührung bringen, und die vollständigste Uebersicht über alle Theile des Menschengeschlechts zur Hervorbringung der reinsten und höchsten Humanität verstatten« (II: 72).
Unter Bildung versteht Humboldt dementsprechend die Entfaltung der Individualität in der Gemeinschaft: Jeder Einzelmensch – aber auch jede Nation – soll den eigenen »eigenthümlichen Charakter« ausbilden: »Der höchste und lezte Zwek jedes Menschen ist die höchste und proportionirlichste Ausbildung seiner Kräfte in ihrer individuellen Eigenthümlichkeit« (I: 246). Die »höchste Humanität« kann demzufolge nur dann hervorgebracht werden, wenn alle Menschen sich bilden; und dies geht nur durch »Berührung« der Menschen, durch »charakterbildende Verbindungen« (wie es an anderer Stelle heißt), die dadurch gekennzeichnet sind, dass »einer den Reichthum des andren sich eigen« (I: 107) macht. Der Grundgedanke von Humboldts Bildungsverständnis ist demnach, dass jede Individualität sich in Berührung mit anderen Individualitäten einerseits treu bleibt und andererseits ihre »Eigenthümlichkeit« dadurch entfaltet, dass sie von anderen lernt und anderen zu lernen gibt. Es versteht sich, dass solche Verbindungen nur dann wirklich charakterbildend sein können, wenn die beteiligten Menschen einen soweit gefestigten Charakter haben, dass sie ihre eigene Individualität nicht verlieren. Sollten sie durch Zwang von außen oder durch innere Schwäche Charakterzüge entwickeln, die ihrem Wesen nicht entsprechen, zeitigt die Berührung schädliche Folgen. Genau hier liegt das Problem, welches Humboldt dann in Hinsicht auf den zweiten, den politisch-kulturellen Aspekt, mit Frankreich hat. Denn er ist der Ansicht, dass die Nationen Europas im Laufe des 18. Jahrhunderts politisch zu sehr von Frankreich dominiert wurden und sich kulturell zu sehr an Frankreich orientierten, so dass sie sich von ihrem je eigenen Wesen entfernt hätten. Auch wenn er positive Seiten an diesen internationalen Verbindungen, die durch die Dominanz Frankreichs entstanden, anerkennt, beurteilt er das Ergebnis letztlich doch negativ. So schreibt er über das 18. Jahrhundert:
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»Das Bedürfniss eines nahen und ununterbrochenen Verkehrs unter allen Nationen war schon im Anfange desselben bis auf einen beträchtlichen Grad gestiegen; unter den Mächten Europens hatte sich nach und nach ein gemeinschaftliches politisches System gebildet; die Verfassung fast aller Staaten und noch mehr die Richtung des Geistes aller Einzelnen war noch im höchsten Verstande monarchisch, von dem Lehnswesen her war man noch an eine strenge Form stufenweiser Unterordnung und an ein steifes Cärimoniell gewöhnt. Unter diesen Umständen hatte nun Frankreich nicht bloss ein politisches Uebergewicht, sondern, was bei weitem wichtiger ist, zugleich auch durch den Glanz seines Hofes, die Feinheit seiner Sitten, die Leichtigkeit und Eleganz seiner Literatur ein gesellschaftliches. Wenn daher, wie es jetzt anfieng, alle Höfe Europas Eine grosse, durch Gesandten und Reisende immerfort in Verbindung unter einander stehende Gesellschaft ausmachten, so mussten sie sich natürlich vorzugsweise nach dem Punkte des grossesten Schimmers hinwenden und von dort aus Gesetze empfangen. Von ihnen aber breitete sich dieser Einfluss auf die übrige Nation aus. So war die äussere Lage. Im Innern gährte überall ein Verlangen nach höherer und feinerer Kultur. Nationenweis, wo jeder Schritt mit so vielen Hindernissen umgeben war, hätte sich diess nur spät und langsam, wenn auch vielleicht am Ende besser und vielseitiger ausbilden können« (II: 108).
Humboldt äußert diesen Gedanken im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu den »zufälligen« Eigenschaften, die die nationalen Charaktere seiner Auffassung nach entwickeln können, wenn sie durch äußere Einflüsse dazu gedrängt oder verleitet werden. Die politische und kulturelle »Herrschaft« Frankreichs im Europa des 18. Jahrhunderts sieht er als »fremdartig und aufgedrungen« an, sie habe dazu geführt, dass die anderen Nationen Charakterzüge entwickelt hätten, die ihrem eigenen Wesen nicht gemäß seien. An anderer Stelle klagt Humboldt über die »Trägheit« und »Schlaffheit« der zeitgenössischen Nationalcharaktere (I: 385). Humboldts kritische Haltung gegenüber der letztlich als schädlich beurteilten »Gallomanie« (II: 109) Europas spiegelt sich auch in seinen ethnographischen Beobachtungen wieder. So ist er auf seiner Reise durch Spanien von Charakter und Bildung der Spanier insgesamt enttäuscht. An Graf von Schlabrendorff schreibt er im März 1800 aus Valencia, den »Vorwurf der Roheit« könne man der spanischen Nation »mit Recht machen« (Kappstein 1917: 137). Selbst die »weniger Ungebildeten« seien »oberflächlich und seicht«, vor allem verachteten sie ihre eigene Nation und beteten Frankreich an. Alles, was aus Frankreich nach Spanien komme, »schlägt
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auf einmal alles nieder, was jenseits der Pyrenäen Vorurteil heißt, und kann also nur zum oberflächlichen Nachbeten führen« (ebd.: 138). Zwar kenne man in Spanien ausländische – auch deutsche – Literatur, doch der Umgang mit ihr gefällt Humboldt dann doch nicht: »Den Werther lieben sie zwar auch, aber in der französischen Übersetzung« (ebd.: 139). Die spanische Sprache selbst sei bislang »noch wenig, vorzüglich zum philosophischen Gebrauche, gebildet, aber sie hat sehr gute Anlagen […]« (ebd.). An Schiller schreibt Humboldt aus Spanien: »Wie Italien hat es nur damals originelle Schriftsteller gehabt, und verderbt jetzt sich und seine Sprache durch unglückliches Nachahmen der Franzosen« (Ebrard 1911: 250). Demgegenüber, im Sinne eines normativen Gegenhorizonts zu der ihn umgebenden Kraftlosigkeit, hat Humboldt ein Bild von einem starken und hoch gebildeten Nationalcharakter vor Augen. Dieses gewinnt er als Neuhumanist aus der Auseinandersetzung mit den alten Griechen. Einer seiner frühen Schriften zufolge zeigt sich im Charakter der Griechen »meistentheils der ursprüngliche Charakter der Menschheit überhaupt, nur mit einem so hohen Grade der Verfeinerung versezt, als vielleicht nur immer möglich sein mag« (I: 275). An diesem Ideal gemessen ist Humboldt durchaus enttäuscht von den ihm bekannten zeitgenössischen, unter dem Einfluss Frankreichs stehenden, Nationen Europas. Allerdings schließt er in der genannten Schrift nicht aus, dass sich unter den noch nicht bekannten Nationen doch noch kräftige Charaktere finden könnten: So fragt er, »ob genauere Bekanntschaft mit den Chinesern und Indianern diese als solche Nationen zeigen wird?« (I: 277). Es ist bezeichnend, dass er mit den »Chinesern und Indianern« solche Völker als Beispiele nennt, die weit entfernt von möglichen Einflüssen Frankreichs liegen. In Humboldts Bildungsdenken schlagen sich also historisch-kollektive Erfahrungen mit Frankreich, der französischen Sprache und dem französischen Denken seiner Zeit nieder. »Bildung« ist bei ihm ein deutscher Leitbegriff im Sinne Bollenbecks, insofern er sich an spezifischen sozialen Relevanzstrukturen orientiert. Er untersucht auf seinen Reisen nicht einfach die Sprachen der fremden Länder, sondern die sprachliche Bildung, was bei ihm allerdings gerade nicht heißt, dass er danach fragt, wie gut die verschiedenen Völker die zu seiner Zeit verwendete ›Bildungssprache‹ Französisch beherrschen. Vielmehr sieht er, der sozialen Relevanzstruktur des Bildungsdenkens folgend, gerade die Dominanz des Französischen als Gefahr für die nationalen Charaktere an. »Bildung« kann in Humboldts Sicht
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nur in der eigenen Sprache eines Volkes stattfinden. Humboldts bildungsanthropologische Perspektive geht von der Annahme aus, dass prinzipiell jeder Charakter – und damit auch jede Sprache – das Potenzial zur Bildung, also zur Höherentwicklung, hat. Während die französischen Aufklärer Aufklärung an ihre eigene Sprache binden, ist Humboldt der Auffassung, dass Aufklärung, zumindest potenziell, in jeder Sprache möglich ist. Nicht die Sprachen selbst sind demnach abergläubisch, sondern die Sprachen können Aberglauben und Irrtümer enthalten, welche aber durch »Läuterung« (wie er es verschiedentlich nennt, z. B. I: 406; II: 20), oder, anders ausgedrückt: durch Bildung, überwunden werden können. Wenn Humboldt also durch den Leitbegriff »Bildung« orientiert auf die Sprachen Europas schaut, so geht es ihm (in einem normativen Sinne) um Ursprünglichkeit und Vielfalt, nicht um Vereinheitlichung. So beklagt er gerade das allmähliche Verschwinden der Sprachen und Sitten kleiner »Völkerhaufen«: »So stehen, und einige unter ihnen vielleicht nicht mehr auf lange Zeit, die NiederBretagner in Frankreich, in England ihre Brüder, die Bewohner von Wales, in Schottland die Hochländer, in Süd- und NordDeutschland die einzeln zerstreuten Wendischen Völkerschaften, in Schweden die tapfern Dalecarlier, an den Busen der Ostsee die Esten und Liven, und einige andre noch unbedeutendere Stämme in Italien und auf den Italiänischen Inseln, gleichsam als lebendige Ruinen von ebensoviel ehemals mächtigen und weitverbreiteten Nationen da« (XIII: 7).
Wenn heute oft darauf verwiesen wird, dass Humboldt Bildung und Sprache in der Weise zusammen denkt, dass das Erlernen fremder Sprachen zur Erweiterung der Weltansicht des lernenden Subjekts führt, so zeigt sich hier, dass dies nur die eine Seite seines Bildungsverständnisses ist. Und es ist gleichsam die zweite Stufe des Bildungsprozesses. Zunächst, also auf einer ersten Stufe, geht es Humboldt darum, dass jeder Charakter seine Eigentümlichkeit ausbildet. Auf der kollektiven Seite heißt das, dass eine Nation ihre eigene Sprache entfalten soll, auf der subjektiven, dass jedes Individuum sich die Sprache – und damit die Weltansicht – der eigenen Nation aneignen soll. Das bedeutet zwar nicht, dass diese Sprache sich gegen Einflüsse von außen abschotten muss. Es bedeutet aber, dass Fremdes nur dann konstruktiv angeeignet werden kann, wenn der eigene Charakter so stark entwickelt ist, dass er das Fremde ins Eigene verweben kann, ohne sich da-
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bei selbst zu verlieren. Das Bildungsverständnis Humboldts wäre falsch aufgefasst, wenn nicht diese Spannung zwischen der Entfaltung der Individualität und der bildenden Wechselwirkung unter den verschiedenen Individualitäten beachtet würde.
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Seine Bekanntschaft mit den Basken stellt dann einen entscheidenden Wendepunkt in Humboldts anthropologischer Forschung dar. Denn in den Basken findet er zum ersten Mal ein lebendes Volk, das seinem Ideal eines kräftigen und proportionierlich gebildeten Charakters nahekommt. Voller Bewunderung schreibt er an Goethe: »Noch nie ist mir ein Volk vorgekommen, das einen so echt nationalen Charakter, eine sich schon auf den ersten Anblick so originell ankündigende Physiognomie behalten hat. […] In keiner andern Nationalphysiognomie habe ich je etwas Aehnliches gefunden, unter keinem andern Volke so allgemein den Ausdruck gerade der intellectuellen Kräfte, und doch deutet nichts in ihrer Bildung auf List oder Schlauheit hin; es ist vielmehr die glücklichste Vereinigung eines feinen Verstandes mit einem geraden und schlichten Sinne« (Bratranek 1876: 143).
Auch in seiner Beschreibung der Basken finden sich Reflexionen zum Einfluss Frankreichs in Europa, und zwar sowohl in politisch-kultureller Hinsicht als auch in Hinsicht auf die Aufklärung. Dabei ist es bezeichnend, dass Humboldt von den Basken schreibt, sie hätten historisch gesehen nur wenig Einfluss von außen erfahren. Positiv hebt er schon im ersten Satz seiner Reisebeschreibung Die Vasken 12 hervor, dass die Basken, da sie »[v]ersteckt zwischen Gebirgen« lebten, schon »eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch« ihre »ursprüngliche Sprache« und größtenteils ihre »ehemalige Verfassung und Sitten« hätten erhalten können (XIII: 5). Er 12 Der Text ist von Humboldt 1805 fertiggestellt worden, aber erst 1920 posthum erschienen. Sein voller Titel lautet: Die Vasken, oder Bemerkungen auf einer Reise durch Biscaya und das französische Basquenland im Frühling des Jahres 1801 nebst Untersuchungen über die Vaskische Sprache und Nation, und einer kurzen Darstellung ihrer Grammatik und ihres Wörtervorraths.
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lobt weiterhin, dass die Basken sich mit keinem ihrer Nachbarn »vermischt« hätten und »aller Fortschritte des Luxus und der Verfeinerung um sie her ungeachtet, in einem Zustand ursprünglicher Sitten-Einfalt geblieben« seien (ebd.: 6). Auch wenn er dies so explizit nicht sagt: gemeint sind der »Luxus« und die »Verfeinerung«, die er, wie er in »Das achtzehnte Jahrhundert« ausführt, während des achtzehnten Jahrhunderts vom französischen Hof aus nach ganz Europa ausstrahlen sieht. Auch politisch gesehen hätten sich die Basken ihre, wie er meint, ursprüngliche Freiheit erhalten: Humboldt vermerkt, dass »[k]eine Art der Feudalverfassung […] sich in diesen glücklichen Winkel Europas eingeschlichen [hat]« (ebd.: 121). Wenn also das Baskenland in historischer Perspektive von der Gefahr, die durch den »Glanz« des französischen Hofes ausgegangen war, verschont geblieben sei, so sieht Humboldt den Basken mit der »Europaeischen Aufklärung« (ebd.: 7) doch in Zukunft eine andere Gefahr drohen. Denn die »Aufgeklärten« unter den Basken halten seinen Beobachtungen zufolge meist nicht viel von den alten Sitten und der alten Sprache, so dass gerade die Sprache – und mit ihr die ganze baskische Nation – inzwischen ihrem »Untergang« (ebd.: 9) entgegensehe. Humboldt reflektiert dies explizit kritisch auch mit Bezug auf die sprachpolitischen Entwicklungen nach der französischen Revolution: Die baskische Sprache müsse, wie er sagt, »schon jetzt […] von allen Seiten verfolgt, und am stiefmütterlichsten gerade von dem aufgeklärtesten Theile der Nation behandelt, von Jahrzehend zu Jahrzehend tiefer in das Gebirg zurückweichen, und es ist vorauszusehen, dass ihr Verfall, von nun an, einen noch mehr beschleunigten Gang nehmen wird. Die schnelle Abnahme, welche die provenzalische und tolosanische Mundart im südlichen Frankreich seit dem Anfange der Revolution erfahren hat, giebt davon ein warnendes und lehrreiches Beispiel« (ebd.: 9).
In diesem Zitat zeigt sich, wie sehr sein Denken sich von dem Denken der (französischen) Aristokratie und Aufklärung unterscheidet, denn offenbar misst er den – von der Académie française ebenso wie von französischen Aufklärern als »roh« und minderwertig eingeschätzten – volksmäßigen »Mundarten« einen hohen Wert bei. Tatsächlich konzentriert Humboldt seine ethnographischen Forschungen auf die ländlichen und gebirgigen Re-
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gionen des Baskenlandes, wo er die alten Sitten und die baskische Sprache noch am reinsten vorfindet. Humboldt schätzt die »rohen« Völker und ihre Sprachen aber nicht nur deshalb, weil sie »zur Hervorbringung der höchsten Humanität« in ihrem Eigenrecht wertgeschätzt werden müssen. Die Basken haben seiner Auffassung nach etwas, was die anderen, die »cultivirten« Nationen Europas, nicht haben. Dies deutet sich in folgendem Abschnitt an, in dem Humboldt die Vermischung von baskischem und französischem Charakter betrachtet: »Der Basquische Charakter dem französischen beigemischt (wie man es in Personen, die Literatur und Umgang gebildet hat, antrift) giebt dem letzteren einen unbeschreiblichen Reiz. Er giesst einen Schmelz der Einbildungskraft zugleich über den Geist und das Gefühl, scheint jenen zu unabhängigeren Ideen zu erheben, in dieses die ursprünglichen Naturlaute zurückzurufen, und trägt noch gleichsam die Farbe der grossen Naturgegenstände, des Gebirges und des Meers, und der einfachen Verhältnisse eines armen, nur Ackerbau und Viehzucht treibenden Volkes an sich, wenn man sich auch, bei genauerer Untersuchung, eben so sehr und vielleicht noch mehr um den wahren Gehalt ächter Charaktereinfalt betrogen findet« (ebd.: 179f.).
Auf dem Land und in den Bergen, also dort, wo eine solche Vermischung noch nicht stattgefunden hat, haben die Basken seiner Auffassung nach dagegen noch ihre Ursprünglichkeit, ihre »ächte Charaktereinfalt«, dort sind sie noch nicht durch Luxus und Verfeinerung korrumpiert. Gerade dieses Ursprüngliche vermisst Humboldt in den Nationen des übrigen Europa, welche es aufgrund des politischen und kulturellen Einflusses Frankreichs nicht vermocht hätten, dem »gesetzmässigen Gang« ihrer »innersten reingestimmten Empfindung« (II: 338f.) zu folgen und dabei ihre individuellen Charaktere ohne negative Fremdeinflüsse zu entfalten. Aus Sicht der Bildungsanthropologie Humboldts haben die Basken also vor den übrigen Nationen Europas den Vorzug, dass sie ihre Ursprünglichkeit bewahrt haben. Ein nochmaliger Blick auf Humboldts Bild der alten Griechen zeigt, welche bildungstheoretische Tragweite diese Entdeckung eines lebenden, ursprünglich gebliebenen Charakters hat, denn die alten Griechen zeichnen sich demnach durch zwei Eigenschaften aus: Sie haben erstens ihren ursprünglichen Charakter erhalten und diesen zweitens zu einem so hohen Grad verfeinert, »als vielleicht nur immer möglich sein mag« (I: 275). Die zeitgenössischen Nationen Europas haben zwar durch ihre
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Orientierung an Frankreich einen hohen Grad an »Verfeinerung« entwickelt, sind dabei aber – aufgrund der zu starken Nachahmung Frankreichs – ihren ursprünglichen Charakteren untreu geworden. Die Basken hingegen haben seiner Auffassung nach zwar noch keine Verfeinerung entwickelt, sie sind dafür aber ursprünglich geblieben. Allerdings: Humboldt nimmt die auf dem Land und im Gebirge lebenden Basken nicht als vollkommen »roh« und unaufgeklärt wahr. Gerade »[t]ief im Lande« (XIII: 83) findet er eine für ihn erstaunliche »Volksaufklärung« vor: »Es ist unläugbar, dass Biscaya Vorzüge vor den übrigen Spanischen Provinzen hat, dass die Biscayer allen andern Spaniern in Betriebsamkeit, Fleiss und Geschicklichkeit auf das mindeste gleich sind, und dass an Volksaufklärung, an wahrem Patriotismus und ächtem Nationalstolz keine Provinz sich den Biscayischen gleich stellen darf« (XIII: 127f.).
Den Basken sei es, wie keinem anderen Volk, gelungen, »viele der wohlthätigsten Früchte Europaeischer Aufklärung glücklich mitten in ihre Einöden zu verpflanzen, ohne darum doch ihre Eigenthümlichkeit und ihre ursprüngliche Einfachheit aufzugeben« (ebd.: 7). Wie kann es aber sein, dass gerade dort die Volksaufklärung gedeiht? Humboldt macht folgende Beobachtung: »Von einem, manchem Fremden vielleicht wunderbar scheinenden Enthusiasmus für ihr Land und ihre Nation beseelt, bleiben auch die Begüterten, auch die, welche Ehrentitel in Castilien empfangen, oder angesehene Aemter bekleidet haben, gern ihrer Heimath getreu, und in dieser leben sie nothwendig in einer sogar sehr grossen Gemeinschaft mit der Masse des Volks, da sie sich ebensowenig von den Sitten als der Sprache desselben ausschliessen können. So geht immer ein gewisser Theil neuerer Aufklärung und Bildung in die Volkssprache und die Volksbegriffe über, und es giebt eine minder sichtbare Absonderung der Stände, deren Verschiedenheit in den Augen des ächten Vizcayers sogar gänzlich hinwegfällt« (ebd.: 12f.).
Diese Volksaufklärung ist gerade keine Nachahmung Frankreichs. Wenn Teile »neuerer Aufklärung und Bildung« in die Sprache und das Denken des Volks »eingehen«, wird die baskische Sprache durch diese Aufklärungsimporte zwar um bestimmte Worte und Denkweisen bereichert, sie
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bleibt sich dabei aber selbst treu, sie bleibt »Volkssprache«. In Humboldts Augen haben sich die vom Lande stammenden aufgeklärten Basken, anders als die urban lebenden Basken, nicht von ihrer Nation entfremdet, sie ahmen weder die Verfeinerung noch die Aufklärung Frankreichs nach, so dass ihre aufgeklärten Kenntnisse zu einem Segen für die Nation werden. Humboldt zeichnet die Basken hier also als ein Volk, welches dem Ideal nahekommt, das er schon Jahre vor seinen Baskenreisen aufgestellt hatte, denn die »Verbindungen« zwischen den Menschen sind hier insofern bildend, als der baskische Charakter eine so große Kraft hat, dass er seine Eigenständigkeit nicht aufgibt.
H UMBOLDTS E INSICHT IN DIE D IALEKTIK DER B ILDUNG IN D EUTSCHLAND Humboldt nimmt seine Beobachtungen in Spanien und insbesondere über die »Volksaufklärung« im Baskenland auch als Anlass zur Reflexion über Bildung und Sprache in Deutschland, wobei er eine Einsicht gewinnt, die sich – auf mehreren Ebenen – als Einsicht in die Dialektik der Bildung bezeichnen lässt. Erstens: Im November 1799, also auf seiner ersten Fahrt durch Spanien, teilt er Goethe aus Madrid eine »allgemeine Bemerkung« (hier und im Folgenden Bratranek 1876: 150f.) über Spanien mit, in der er voller Erstaunen feststellt, dass in Spanien »in Sprache, Sitten und Gebräuchen […] weniger Unterschied zwischen dem Volk und den höheren Ständen herrscht«; bei den Spaniern findet er »mehr schlichte Einfachheit und Natürlichkeit als im übrigen Europa«. Es folgt ein Satz, der angesichts der oben dargestellten Idee des Bürgertums, mittels Bildung gerade die überkommenen Standesunterschiede zu überwinden, aufhorchen lässt: »Es gibt doch keine größere Scheidewand unter den verschiedenen Ständen, als die, welche die feinere intellectuelle Bildung errichtet; und diese Scheidewand fehlt hier.« Den Grund für diese »Scheidewand« vermutet er in den verschiedenen historischen Entwicklungen der Nationen, denn jede Nation habe zu einer anderen Zeit und mit einer anderen Geschwindigkeit ihre kulturelle Blüte erfahren:
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»Je später sich eine Nation ausbildete, desto unübersteiglicher dünkt mich diese Scheidewand. Sie existiert kaum in Spanien, weil die Bildung dort ihren Gipfel fast im 16. Jahrhundert erreicht hatte; sie ist geringer in Frankreich, weil […] auch dort die feinere Bildung schon alt ist, sie ist unendlich groß in Deutschland; bei uns ist in der That eine intellectuelle Aristokratie, wer nicht zur Kaste gehört, kann auch selbst unsere leichtesten Schriftsteller kaum verstehen.«
Mit seinem ethnographisch-vergleichenden Blick auf Spanien sieht Humboldt, dass die »feinere intellectuelle Bildung« in Deutschland zu einer gesellschaftlichen Spaltung führt, dass es gerade diese Bildung ist, die ein neues Kastenwesen, eine »intellectuelle Aristokratie« hervorbringt. Wie aber kommt diese »Scheidewand« zustande? Humboldt erklärt sie mit Blick auf die spezifische Verwendung von Sprache durch die Gebildeten: »Die Bildung in diesen letzten Zeiten ist schnell, sie ist vorzüglich philosophisch gewesen und hat ganz und gar durch Schriftsteller Fortschritte gemacht. In den frühern Zeiten war sie langsamer und sinnlicher. Das Volk konnte damals nachkommen; jetzt eilt man ihm ohne alle Hoffnung der Möglichkeit des Einholens voraus. Auch im Mittelalter gab es sogenannte hohe Wissenschaften, Metaphysik und scholastischen Wust. Aber er blieb immer in seiner engen Sphäre. Jetzt, wo alle Wissenschaften enger verbunden sind, geht auch die Philosophie mehr in alle über, und hat einer einmal mit Beifall ein System aufgestellt, so tönt es dem armen Laien aus allen Ecken wieder, und er muß, wie vor einem verschlossenen Schrank, davor stehen bleiben. Gerade was hätte dazu beitragen sollen, die Wissenschaften populär zu machen, hat die entgegengesetzte Wirkung gehabt. Sonst schrieb man, was schwerer war, lateinisch, und was man in der Muttersprache schrieb, machte man auch für das Volk verständlich. Jetzt fällt diese letzte Bemühung fast ganz hinweg.«
Auch wenn die deutschen Intellektuellen ganz gezielt dieselbe Sprache verwenden wie das Volk – eben gerade nicht Latein oder gar Französisch, sondern die ›Muttersprache‹ –, so verwenden sie sie doch in anderer Weise. Dadurch, dass sie sich in schriftlicher Form untereinander austauschen, koppeln sie sich vom Volk, welches die Sprache »sinnlich«, also mündlich, verwendet, ab. Durch die Entwicklung einer philosophisch orientierten, schriftlich vermittelten Bildung entstehen Humboldt zufolge also zwei soziale Gruppen, die, obwohl sie dieselbe Sprache verwenden, doch in verschiedenen, unüberbrückbar voneinander getrennten, sprachlichen Welten
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leben. Die Intellektuellen schreiben in der Sprache des Volks, sie reden aber nicht mit dem Volk. So verbleibt die intellektuelle Bildung innerhalb der neu entstandenen »Kaste«, im Gebrauch der Gebildeten wird dem Volk seine »Muttersprache« zu einer fremden Sprache. 13 Humboldts Version von der Dialektik der (sprachlichen) Bildung in Deutschland um 1800 lässt sich vor diesem Hintergrund also so bezeichnen, dass Bildung, obwohl sie die Überwindung der Ständeordnung anstrebt, einen exklusiven und elitären Charakter (»intellectuelle Aristokratie«) annimmt, der auf ihrer Schriftlichkeit beruht. 14 Zweitens: Auch bei den Basken findet Humboldt, wie aus dem Zitat über die »Volksaufklärung« schon hervorging, eine geringe bis gar nicht vorhandene Trennung der Stände vor. Es ist dabei aber nicht so, dass im Baskenland allein das Volk von der Aufklärung profitiert. Humboldt beobachtet, dass auch die Gebildeten durch diesen Kontakt in einer, wie ihm dünkt, besseren Verfassung sind. In einer zusammenfassenden Bemerkung heißt es: »Wer Frankreich, Spanien und Italien durchreist hat, wird mit Verwunderung bemerkt haben, dass, in den meisten Gegenden dieser Länder, das Landvolk gar nicht
13 Humboldt verwendet zur Zeit der Abfassung der hier untersuchten Texte noch nicht den Begriff der Weltansicht. Bislang ist dieser Begriff auch immer klar in Hinsicht auf verschiedene Nationalsprachen verstanden worden. Es wäre aber eine eigene Untersuchung wert, ob Humboldt nicht schon in der Erkenntnis der hier behandelten sozialen Unterschiede in einer und derselben Sprache die Idee von den Weltansichten kommt. 14 Aus heutiger Sicht ist die soziale Kehrseite der Bildung, die sich im historischen Prozess zeigt, vielfach aufgezeigt worden. Bildung wurde mit der Zeit immer mehr zum Distinktionsprinzip, die Bildungsbürger, die ihren eigenen Aufstieg der Bildung verdankten, schotteten sich zunehmend gegen andere soziale Gruppen ab. Und diese Abschottung wurde gerade über die Bildung der »gebildeten Stände« hervorgebracht. Wer an dieser Bildung nicht partizipierte, hatte auch keinen Zugang zu den entsprechenden gesellschaftlichen Positionen. Das Bildungssystem sorgte also dafür, dass dem größten Teil des Volkes eben dieser Zugang verwehrt blieb (vgl. z. B. die Beiträge in Kocka 1989). Es ist bemerkenswert, dass Humboldt derartige Tendenzen der Distinktion über Bildung schon erkannte.
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eine so durch Wohnung, Kleidung und Sitten abgeschiedene Classe als in Deutschland ausmacht, und wer den Ursachen und den Folgen dieser Erscheinung nachdenkt, der wird finden, dass der Nachtheil davon nicht bloss unmittelbar in dem Volkscharakter, sondern selbst in der gebildetsten Gesellschaft der Nation, in der Sprache und der Litteratur fühlbar ist« (XIII: 128).
Die durch Sinnlichkeit geprägte Sprache des Volkes diene »zum Ausdruck der unmittelbarsten Bedürfnisse, der natürlichsten Empfindungen, der kindlichsten Phantasie, ja selbst der rohesten Leidenschaften« und habe deshalb besonders viel »Energie« und »Reichthum« (hier und im Folgenden: XIII: 11). Durch Literatur und Wissenschaft dagegen werde die Sprache verfeinert und »zum höchsten geistigen Gebrauch fähig«. Dieser Prozess der Bildung impliziere allerdings die Gefahr, dass dem Volk seine Sprache »entrissen« werde. Das Volk hat dann aufgrund des fehlenden Zugangs zur Schrift keinen Teil mehr an der Sprache, obwohl sie doch sein »ursprüngliches Eigenthum« ist. Mit Blick auf die gesamte Nation führe dies letztlich dazu, dass sowohl das Volk als auch die Gebildeten dadurch in ihrer Kraft geschwächt würden: Das Volk hat keinen Zugang zur Aufklärung, die Gebildeten verlieren in ihrer Konzentration auf die Schriftlichkeit die lebendig-mündliche Handhabe der Sprache. Genau dieses Problem nimmt Humboldt aber in Deutschland wahr. Denn dort herrsche zwischen den Gebildeten und dem Volk eine »Kluft« – wie er sich im Baskenbericht ausdrückt –, was letztlich der Nation als Ganzer schade: »Der Mensch ist einmal bestimmt, sich gesellschaftlich auszubilden; der einzelne muss sich immer an eine Masse anschliessen, und alles Menschliche berührt sich zugleich in der Einfachheit der Natur und der höchsten Blüthe der Ausbildung. Ohne einen entschiednen, festen und kräftigen Volkscharakter erwartet man daher vergebens auch in der feinsten Bildung einer Nation Wahrheit, Stärke und Haltung. Je unermesslicher aber die Kluft zwischen dem Volk und den gebildeten Ständen der Nation wird, desto seltner wird auch die Erscheinung von Volkscharakteren« (XIII: 12).
Humboldts Einsicht in die Dialektik der Bildung umfasst hier also auch die Beobachtung, dass die »gebildeten Stände«, die sich durch die Verwendung von Schriftsprache vom Volk abgekoppelt haben, aufgrund eben dieser Abkoppelung eigentlich gar nicht als ›gebildet‹ bezeichnet werden können.
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Denn Bildung kann in Humboldts Sicht nur gelingen, wenn sich die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte (in Humboldts Sinne) zu einem »proportionierlichen« Ganzen entfalten (vgl. Mattig 2012). Drittens: Dies ist nun allerdings eine Einsicht, die in den gebildeten Ständen wohl kaum gern gehört worden sein wird. Die so stur an ihrer alten Sprache festhaltenden Basken – anhand derer Humboldt ja gerade zu dieser Einsicht kommt – gelten den aufgeklärten Zeitgenossen gerade als ein wildes und unkultiviertes Volk: »Die Beschäftigung mit dem Baskischen hatte […] bei den klassisch orientierten Intellektuellen der Zeit noch kein ausreichendes Ansehen erlangt. Mme. de Stael zum Beispiel brachte […] nie Verständnis für das bei Humboldt immer stärker sich manifestierende Interesse für sogenannte rohe ungebildete Sprachen auf, und so nimmt es nicht wunder, daß Humboldt, um nicht auf Unverständnis zu stoßen, zuerst nur ausgewählten Personen beginnt, von seinen Studien zu erzählen« (Hurch 2010: 10).
Tatsächlich fällt auf, dass Humboldt seine Kritik an der Sprachpraxis der gebildeten Stände, auch wenn sie inhaltlich scharf ist, ziemlich zurückhaltend formuliert. Dies zeigt sich schon in dem Madrider Brief an Goethe, in dem er über die »Scheidewand« und die »intellectuelle Aristokratie« in Deutschland schreibt. Am Ende des Briefes bittet er Goethe: »Sie zeigen diesen Brief wol nur Schillern. Vor einem andern als Ihnen beiden möchte ich nicht mit so précocen Urtheilen erscheinen« (Bratranek 1876: 154). Abgesehen davon, dass diese Bitte vom Einschlag des Französischen auch bei Humboldt zeugt, dokumentiert sich in ihr bereits eine Vorsicht bei der Äußerung seiner Urteile über die Bildung in Deutschland. Diese Vorsicht und Zurückhaltung zeigt sich dann auch in der baskischen Reisebeschreibung. Im handschriftlichen Manuskript finden sich Stellen, an denen Humboldt seinen ursprünglichen Text korrigiert. 15 An folgender Passage zeigt sich dabei, dass Humboldt in diesen Korrekturen mitunter kritische Äußerungen entschärft. Er denkt hier über den drohenden
15 In der Leitzmann-Ausgabe der Werke Humboldts sind auch die Korrekturen aufgeführt, die Humboldt an seinem handschriftlichen Manuskript vornimmt. Diese Korrekturen fehlen leider in den Ausgaben von Flitner & Giel sowie Hurch.
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Verlust der kleinen Völker und ihrer Sprachen nach und schreibt dann (in der ursprünglichen, nicht korrigierten Fassung): »Den Menschen sind wir einmal gewohnt uns vergänglich zu denken; also wenn auch der Laut auf ewig verstummt, [der sonst Menschenalter an Menschenalter knüpft,] wenn die Form zerbrochen wird, in die [eine eigne Menschengattung] ihre Gedanken und Empfindungen goss, [nun bis zur Vertilgung ihrer letzten Spur vernichtet wird, können daher wohl nur diejenigen mit Gleichgültigkeit untergehen sehen, die auf alles, was sie roh und ungebildet nennen, mit schnöder Verachtung hinabschauen, und nicht hohe Menschlichkeit genug in sich tragen, um den zarten Punkt zu erkennen, wo…]« 16
Auch wenn es letztlich nicht klar ist, wen Humboldt hier mit »diejenigen« genau meint, so wird doch deutlich, dass er eine Haltung charakterisiert (und kritisiert), die sich als Dünkel bezeichnen lässt, genauer noch, da es hier um die Verachtung des Rohen und Ungebildeten geht, als Bildungsdünkel. Mit Bezug auf das bereits Gesagte lässt sich auch vermuten, dass Humboldt hier die normative Haltung der »intellectuellen Aristokratie«
16 Diese Stelle wurde aus dem Text in XIII: 10f. und den Fußnoten 3 und 4 aus XIII: 10 sowie der Fußnote 1 aus XIII: 11 rekonstruiert. Sie bricht ab und bleibt fragmentarisch. In der korrigierten Fassung Humboldts heißt es dann: »Den Menschen sind wir einmal gewohnt uns vergänglich zu denken; also wenn auch der Laut auf ewig verstummt, in dem er sonst sich selbst überlebt, wenn die Form zerbrochen wird, in die ein eigner Menschenstamm seine Gedanken und Empfindungen goss, dann scheint sein Untergang doppelt wehmüthig, weil nun alle Verbindung zwischen ihm und der Folgezeit hinwegfällt. Selbst wenn eine Sprache, noch durch keine Literatur verfeinert, nur der reine Ausdruck der Denkart eines rohen Volkes ist, bleibt ihr Verlust keinesweges gleichgültig. Denn auch in der höchsten Cultur giebt es unläugbar einen Punkt, auf dem die zartesten Regungen der verfeinerten Empfindung von selbst in die einfachen Ergiessungen des natürlichen Gefühls zurückkehren, und auf dem in einer wahrhaft cultivirten Nation die am sorgfältigsten ausgebildeten Individuen in fortwährender und gegenseitiger Berührung mit dem schlichten, aber gesunden Theile des Volks stehn« (XIII: 11f.). Während Humboldt in der korrigierten Fassung also selbst die Zuschreibung »roh« für bestimmte Völker vornimmt, schreibt er diese Zuschreibung in der ersten Fassung anderen zu.
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meint. Ein Volk wie die Basken, das keine eigene Literatur und auch sonst keine nennenswerte Kultur hervorgebracht hat, mag vor dem Hintergrund dieser Haltung als so wertlos erscheinen, dass die »Vertilgung« seiner Sprache gleichgültig hingenommen werden kann. Hier zeigt sich eine weitere Nuance der Einsicht Humboldts in die Dialektik der Bildung: Vor dem Hintergrund seiner eigenen Auffassung von Humanität bzw. »hoher Menschlichkeit« ist ihm selbst nämlich weder der Untergang von Völkern noch auch der Bildungsdünkel gleichgültig. Und wenn er all jenen, deren Denken von diesem Dünkel geprägt ist, einen Mangel an »hoher Menschlichkeit« vorwirft, dann impliziert dies wiederum, dass diese Menschen sich (vor dem Hintergrund von Humboldts Bildungstheorie) als nicht gebildet erweisen. Viertens: Weshalb aber ist Humboldt so zurückhaltend in der Formulierung dieser kritischen Reflexionen? Vielleicht lässt sich diese Frage mit Verweis auf das Deutungsmuster ›Bildung und Kultur‹ beantworten. Dieses Deutungsmuster (das ja darauf abhebt, dass Bildung im Medium ›hoher Kultur‹ hervorgebracht wird) hatte schon zu Humboldts Zeiten eine so enorme normative Kraft entwickelt, dass Humboldt – der nicht zum Kämpfen neigte, sondern meist die diplomatische Note zu treffen versuchte – selbst nicht die Kraft aufbrachte, sich ihm entgegenzustellen. Er hätte womöglich nicht nur Unverständnis zu erwarten gehabt, sondern auch Gegenwind. 17 Wenn Humboldt seine kritischen Äußerungen also entschärft, kapituliert er vor der normativen Kraft des Deutungsmusters und zeigt so auch auf der performativen Ebene eine Einsicht in die Dialektik der Bildung. Humboldt denkt letztlich auch dialektisch in dem Sinne, dass er den erkannten Widersprüchen mit einem Lösungsvorschlag begegnet, den er aus den Beobachtungen bei den Basken ableitet. Die Bildung des Nationalcharakters, so Humboldt, kann nur als lebendige Wechselwirkung zwischen Volk und gebildeten Ständen gelingen. Er schlägt eine Differenzierung des Bildungsbegriffes vor, indem er eine verfeinerte geistige Bildung (Literatur,
17 Humboldt hatte sich schon einmal gleichsam die Finger verbrannt, als er 1795 in Schillers Horen zwei Aufsätze zum Thema Geschlechtlichkeit veröffentlichte hatte. Ausgerechnet der philosophische Großmeister der Zeit, Immanuel Kant, gab dazu ein vernichtendes Urteil ab. Zur Geschlechtlichkeit äußerte Humboldt sich fortan nicht mehr. Erst in letzter Zeit wird die Bedeutung seiner diesbezüglichen Überlegungen gewürdigt (vgl. z. B. Schmid-Kowarzik 1997).
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Wissenschaft) und eine natürliche Bildung (Volkssprache) unterscheidet und die Forderung aufstellt, beide produktiv aufeinander zu beziehen: »[E]inen Theil jener Charactere sorgfältig zu erhalten und zu nähren, und ihnen auch in der feineren Bildung, ihn mit in dieselbe hinüberführend, Gültigkeit zu verschaffen, gehört gewiss zu den nur noch wenig beachteten Mitteln, einer Nation Kraft und Charakter zu erhalten, über deren Mangel man so oft gerechte Klage führt. Denn jeder Versuch der Bildung ist übelverstanden, der nicht den Einfluss auch der blossen Natur, so viel es geschehen kann, lebendig erhält« (XIII: 13).
So kommt er zu der Auffassung, dass »in einer wahrhaft cultivirten Nation die am sorgfältigsten ausgebildeten Individuen in fortwährender und gegenseitiger Berührung mit dem schlichten, aber gesunden Theile des Volks stehn« sollten (XIII: 11f.). Abschließend lässt sich nun noch eine weitere Dimension der Dialektik der Bildung feststellen, welche Humboldt allerdings nicht sehen konnte, da es nun um ihn selbst geht. Bei einem Blick in die Literatur fällt auf, dass Humboldt immer wieder als ein Vertreter eines einseitig auf Verfeinerung und Vergeistigung ausgerichteten, elitären Bildungsdenkens bezeichnet wird. So schreibt Roth, dass in Humboldts Bildungsidee »ohne Zweifel […] der Gedanke einer Geisteselite und Geistesaristokratie« zu sehen sei, »der heute fast rührend anmutet« (Roth 1971: 293). Bollenbeck sieht Humboldt gar als »Repräsentant eines spezifisch deutschen Bildungsideals« an, welches »bis in die Gegenwart hinein mit seinem Namen verbunden ist« (1994: 143). Humboldt habe das »Leitbild des bildungsbürgerlichen Subjekts« in die soziale Praxis – und damit in die Lebensformen und das Denken der »gebildeten Stände« – gebracht. Indem Humboldt Bildung allein auf die »Objektivationen des menschlichen Geistes« (ebd.: 148) beziehe, sei sein Denken idealistisch verkürzt: »Die Idee ›des reinen Menschentums‹ ist sozusagen erhaben über die wirtschaftlich-gesellschaftliche Situation des ›Bildungssubjekts‹ « (Bollenbeck 1994: 146). Tatsächlich gibt es Texte Humboldts, die diese Lesart erlauben. 18 Allerdings verweist die in diesem Beitrag vorgeschlagene Lektüre der empirischen Arbeiten Humboldts da-
18 Bollenbeck z. B. bezieht sich in weiten Teilen auf das frühe Fragment »Theorie der Bildung des Menschen« (I: 282ff.), zu dem Giel (1967: 208) sagt, dass Humboldt hier »nahe daran war, das Tor in den Idealismus aufzustoßen«.
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rauf, dass eine differenziertere Sichtweise nötig ist. 19 Dass es so weit kommen konnte, dass Humboldt als prototypischer Vertreter derjenigen »Kaste« angesehen wird, die er selbst so kritisch betrachtet hatte, ist eine eigene, geradezu tragische Dialektik der Bildung.
AUSBLICK Nicht nur als Theoretiker von Sprache und Bildung, sondern auch als ihr Empiriker erweist sich Humboldt als erstaunlich zeitgemäß und für heutige Fragen der Bildungsforschung und -politik anknüpfungsfähig. Zunächst einmal kann Humboldt der heutigen Erziehungswissenschaft, die den Zusammenhang von Sprache und Bildung bislang kaum ethnographisch erforscht, in methodischer Hinsicht Anregungen geben. Hier wären auch mehr international orientierte Forschungen wünschenswert, die sich auf Bildung in fremden Sprachen richten – gerne auch mit kritischem Blick auf hegemoniale Verwendungen von Sprache. 20 Sodann hat Humboldt einen genauen Blick für die Medialität der gesellschaftlichen Verwendung von Sprache, der zu denken gibt. Während er selbst sich in seinen spanischen und baskischen Studien mit dem Unterschied zwischen oraler und literaler Sprachverwendung befasst, geht es heute insbesondere um den Übergang von der literalen zur digitalen Sprache. Schließlich ist der soziale Aspekt sprachlicher Bildung, den Humboldt mit Blick auf die »Scheidewand« zwischen den gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland bemerkt, unter Schlagworten wie ›Chancengleichheit‹, ›Bildungssprache‹ und ›soziale Herkunft‹ ein aktuelles Thema in der Bildungsforschung. Angesichts der gegenwärtigen Klagen über eine zunehmende Abkoppelung (international vernetzter) gesellschaftlicher Eliten 19 Die wirtschaftliche Situation ist nicht Gegenstand dieses Beitrages. In Die Vasken finden sich aber zahlreiche Beobachtungen und Überlegungen auch zu ökonomischen Sachverhalten bei den Basken. Dass Humboldt in seinen empirischen Studien die gesellschaftlichen Bedingungen von Bildung reflektiert, sollte inzwischen deutlich geworden sein. 20 Eine lesenswerte Studie, die sich mit Bildung in der baskischen Sprache befasst, ist von Echeverria (2003) vorgelegt worden.
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vom ›Volk‹ sowie der Sorgen um die emotionalisierten, ›postfaktischen‹ Debatten im globalen öffentlichen Diskurs ist allerdings die von Humboldt geforderte Bildung, bei der sowohl das »Volk« und die »Gebildeten« als auch die »Leidenschaften« und die »Aufklärung« produktiv »zu einem Ganzen« aufeinander bezogen werden, eine geradezu erschreckend aktuelle und drängende bildungspolitische Herausforderung.
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Befreundung Für eine gebildete europäische Mehrsprachigkeit J ÜRGEN T RABANT
Einleitend möchte ich vier Gedanken zum Thema »Bildung in fremden Sprachen« voranschicken, die ich andernorts ausgeführt habe (vgl. Trabant 2014: 94-112) und auf denen ich hier aufbauen möchte: Einsprachigkeit: Ich sage dort etwas harsch, dass Einsprachigkeit ungebildet sei. Es gibt natürlich gebildete einsprachige Menschen. Aber ich meine – und darauf komme ich hier zum Schluss noch einmal zu sprechen –, dass zur Bildung eine Distanzierung von sich selbst gehört. Und eine fremde Sprache lernen und sprechen ist eine Distanzierung von der eigenen Sprache, und deswegen glaube ich tatsächlich, dass ein wirklich gebildeter Mensch nicht einsprachig sein kann. Fremdsprachen lernen: Bildung vs. kommunikative Kompetenz. Die Lernziele des Fremdsprachenunterrichts sind in der Geschichte des Sprachenlernens ganz verschieden. Klassische Sprachen hat man gelernt wegen der ›Bildung‹, einer besonderen Art von Wissen, das wesentlich zum gesellschaftlichen Typ des Studiosus gehörte. Das Erlernen moderner Sprachen gehörte dagegen zum Erwerb eines performativen Könnens des gesellschaftlichen Typus des Cortegiano. Eine der eleganten Fähigkeiten des Höflings war, zusammen mit Fechten und Reiten, modern gesagt, die kommunikative Kompetenz in einer modernen Fremdsprache. Im deutschen (Real-)Gymnasium hatte aber zunächst auch der moderne Fremdsprachenunterricht einen Bildungs-Auftrag. Dieser aber wird in den neuen Curricula durch das Prinzip der kommunikativen Kompetenz ersetzt. Fremdsprachen-
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lernen dient im Rahmen der Kompetenzen-Pädagogik ausschließlich zum Erwerb von Cortegiano-Fertigkeiten. Was heißt Mehrsprachigkeit? Zunächst ist die Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit zu treffen. Einerseits gibt es in einer Gesellschaft oder einem Land viele Sprachen, wie etwa in der Schweiz oder in der Europäischen Union. Andererseits bezieht sich Mehrsprachigkeit darauf, dass ein individueller Mensch verschiedene Sprachen kann. Diese verschiedenen Mehrsprachigkeiten sind in vielerlei Hinsicht aufeinander bezogen. Was heißt nun ›eine Sprache können‹? Was ist eine Sprache? Ist ein Dialekt eine Sprache? Ist das Können der Hochsprache und eines Dialektes schon Mehrsprachigkeit? Was also ist ›-sprachig‹? Wann bin ich französisch-sprachig? Wann bin ich englisch-sprachig? Es gibt unendliche Stufen von ›Sprachigkeit‹. Mehrsprachigkeit, die bildet: Man muss unterscheiden zwischen einer natürlichen Mehrsprachigkeit und einer gelernten Mehrsprachigkeit. Es gibt ja viele Individuen, die zwei oder mehr Erstsprachen haben. Es ist aber ein entscheidender Unterschied, ob der Mehrsprachige die Sprachen als Muttersprachen erworben hat oder ob er sie nach dem Erstsprach-Erwerb gelernt hat. Die gebildete Mehrsprachigkeit, von der ich sprechen möchte, ist gelernte Mehrsprachigkeit. Das Lernen, das Bildung ist, ist das Lernen eines Fremdartigen, mit dem ich mich befreunde.
D IE M EHRSPRACHIGKEIT E UROPAS Die Mehrsprachigkeit Europas: kultureller Reichtum und kommunikativer Fluch Die Frage von Mehrsprachigkeit und Bildung bezieht sich hier zuvörderst auf das Sprachenlernen im mehrsprachigen Europa. Die Karte der Sprachen Europas zeigt die Mehrsprachigkeit dieses Kontinents (siehe Abb. 1). Natürlich bildet diese Karte nicht alle Sprachen ab. Die großen Sprachgebiete fallen ins Auge, es sind auch einige kleine, also sogenannte MinderheitenSprachen abgebildet (z. B. eu für Baskisch, br für Bretonisch), aber längst nicht alle. In den großen Sprachgebieten, zum Beispiel im Deutschen, gibt es verschiedene regionale Varietäten (Schwäbisch, Bairisch), die nicht verzeichnet sind. Und wir haben natürlich nicht nur in dem Sprachgebiet des
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Deutschen viele Migrantensprachen, von denen wir noch überhaupt nicht wissen, ob und wie sie die Sprach-Karte verändern werden.
Abbildung 1: Karte der wichtigsten Sprachen Europas (Argador 2006)
Trotz dieser Nachteile nehme ich Bezug auf diese Karte Europas. Das Besondere an dieser mehrsprachigen Region ist, dass es im Europa der Europäischen Union 24 Amtssprachen gibt: 1.
Bulgarisch
2.
Dänisch
3.
Deutsch
4.
Englisch
5.
Estnisch
6.
Finnisch
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7.
Französisch
8.
Griechisch
9.
Italienisch
10.
Irisch
11.
Kroatisch
12.
Lettisch
13.
Litauisch
14.
Maltesisch
15.
Niederländisch
16.
Polnisch
17.
Portugiesisch
18.
Rumänisch
19.
Schwedisch
20.
Slowakisch
21.
Slowenisch
22.
Spanisch
23.
Tschechisch
24.
Ungarisch
Diese Sprachen sind deswegen offizielle Sprachen der EU, weil sie nicht nur einfach Sprachen des alltäglichen privaten Umgangs, sogenannte Vernakularsprachen, sind, sondern weil sie ausgebaute Sprachen sind und weil sie als ausgebaute Sprachen einen hohen Status haben. Ausbau nennt man in der Linguistik die Tatsache, dass man in vielen Diskursen mit dieser Sprache sprechen und schreiben kann und dass die sprachlichen Mittel für die Bewältigung dieser verschiedenen Diskurse zur Verfügung stehen. So können wir auf Deutsch zum Beispiel über Juristisches, über Nuklearphysik und Philosophie sprechen. Die Presse, die Literatur, die Medien, die Politik, die Verwaltung finden in dieser Sprache statt. Dass man diese vielfältigen und prestigereichen Diskurse in dieser Sprache absolvieren kann, gibt diesen Sprachen einen besonderen Rang in ihren Sprachgemeinschaften. Die Sprachgemeinschaften, die solche ausgebauten Sprachen haben, betrachten sie als kulturelle Errungenschaft, sie erkennen sich selbst in diesen Sprachen wieder. Und weil das so ist, gibt die Europäische Union diesen Sprachen in ihrer Sprachpolitik und Kulturpolitik einen ganz besonderen Status. Die Europäische Union sagt zum Beispiel im Vertrag von Lissabon: »Sie [die Union] wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt
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und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas« (Europäische Union 2007, Artikel 2 (3)). Die EU bezieht sich also in ihrer »Verfassung« auf die sprachliche Vielfalt und sieht in ihr etwas Positives. Auch der Kommissar für Sprachen, den es nicht mehr gibt, Leonard Orban, hatte in schöner Prosa Schönes über die Sprachen gesagt: »Die harmonische Koexistenz vieler Sprachen in Europa ist ein kraftvolles Symbol für das Streben der Europäischen Union nach Einheit in der Vielfalt, einem der Eckpfeiler des europäischen Aufbauwerks« (Europäische Kommission 2008: 3).
Diese sprachenfreundliche Position der EU hat auch ganz konkrete freundliche sprachpolitische Konsequenzen: Jeder Bürger Europas kann in seiner Sprache mit Brüssel kommunizieren, sofern sie eine offizielle Amtssprache ist, gleichgültig ob auf Deutsch, der Sprache mit den meisten Sprechern, oder auf Maltesisch, der kleinsten Sprache. Man bekommt allerdings zum Beispiel keine Antwort aus Brüssel auf Baskisch, da es keine Amtssprache ist. Die EU unterhält einen Sprachdienst, für den jeder Europäer immerhin zwei Euro im Jahr zahlt. Aber das ist nun einmal die Konsequenz dieser Wertschätzung der Sprachen in Europa. Es gab, wie gesagt, sogar einmal einen Kommissar für die Mehrsprachigkeit. Europa erfreut sich der Vielfalt seiner Sprachen, und Linguisten freuen sich natürlich, wenn die Sprachen, wie es heißt, geschützt und entwickelt werden. Das ist alles ganz wunderbar, es ist aber natürlich auch furchtbar. Die schöne Buntheit der europäischen Sprachen ist gleichzeitig ein riesiges Problem, ein Fluch: der Turm zu Babel kommt in den Sinn. Die Vielfalt der Sprachen ist ein fundamentales kommunikatives Hindernis für Europa. Und deswegen gibt es auch eine starke Bewegung gegen die sprachliche Buntheit. Die Gegenbewegung ist aber nicht offizielle Politik der Europäischen Union, wohl aber so etwas wie die inoffizielle natürliche Reaktion der Europäer auf den Fluch von Babel: Die Europäer lernen eine Sprache. Sie verschaffen sich eine gemeinsame Sprache, sie lernen Englisch, beziehungsweise lernen sie das, was ich »Globalesisch« nenne, weil nicht die Befreundung mit England (und Amerika) der Zweck dieses Spracherwerbs ist, sondern die Ermöglichung globaler Kommunikation. Dieser Prozess wird lebhaft gefördert von den mächtigen Kräften der Gesellschaft, von den einzelnen Staaten und von der Wirtschaft. Die starke deutsche Wirtschaft hat zum Beispiel in Deutschland ein anglophones Unterrichtswesen etabliert.
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Man kann vom Kindergarten bis zum MBA ein englischsprachiges Schulwesen durchlaufen, das wesentlich gefördert wird von der Privatwirtschaft. Aber auch die staatlichen Schulen setzen massiv auf eine Anglisierung schulischer Curricula. Jede staatliche Schule, die etwas auf sich hält, etabliert sogenannte ›bilinguale‹ Zweige mit CLIL-Klassen, Content and Language Integrated Learning-Klassen, damit die Kinder Sciences oder Social Sciences, also die wichtigen Dinge des Lebens, gleich auf Englisch lernen können. Jenseits der Schule gehen zunehmend die sogenannten ›hohen Diskurse‹, also Wissenschaft, Technik, Business, auch Eventkultur oder Show Business, ins Englische über. Und mein Berliner Klempner bietet indoor climate solutions auf seinem Werkstattwagen an. Hier ist also gegen die europäische Sprachenvielfalt ein Prozess der sprachlichen Vereinheitlichung des Kontinents im Gange, der von mächtigen Agenten vorangetrieben wird.
Mehrsprachigkeit gegen Mehrsprachigkeit Dieser Prozess des kollektiven Erlernens des globalen Englisch ist von Jürgen Gerhards als Erwerb von »Mehrsprachigkeit im Vereinten Europa« beschrieben worden (2010). Diese »Mehrsprachigkeit« wird im programmatischen Untertitel näher als »transnationales sprachliches Kapital als Ressource einer globalisierten Welt« charakterisiert. Das entscheidende Wort dieser Bilanz ist aber »Mehrsprachigkeit«. Ganz Europa wird »mehrsprachig« durch das Erlernen des globalen Englisch. Damit ist das Problem Babel tendenziell überwunden. Die individuelle Verfügung über das Englische ist die Lösung für das kommunikative Problem der Sprachenvielfalt. Die störende gesellschaftliche Mehrsprachigkeit wird durch die individuelle Mehrsprachigkeit aller Europäer aufgehoben. Diese als »Mehrsprachigkeit« gepriesene Spracherlernung des Englischen durch die Europäer hat aber zwei problematische Konsequenzen, einerseits für die Sprachen und andererseits für die Gesellschaften: Was die Sprachen angeht, so macht dieser Prozess eine große kulturelle Eigenart Europas rückgängig: die Tatsache nämlich, dass wir in unseren Nationen alles in unserer Sprache haben sagen können, dass wir Nuklearphysik und Biologie auf Deutsch betreiben konnten, dass unser Recht deutsch gesprochen und geschrieben wurde, dass die Theologie, die Philosophie, alle Wissenschaften deutsch sprachen. Dies war eine der ganz großen kulturellen
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Errungenschaften nicht nur Deutschlands, sondern Europas. Seit dem 16. Jahrhundert steigen die sogenannten Volkssprachen von unten auf in die prestigereichen Diskurse der Bildung und der Macht. Im Mittelalter waren die Orte Hoher Rede, die Universität, das Recht, die Kirche, die staatliche Organisation, Orte des Lateinischen. Das Volk unten – Vulgus – sprach verschiedene Volkssprachen, Vulgare. Diese ›Diglossie‹ des Mittelalters bestand aus der Hoch-Sprache Latein oben und den Volkssprachen unten. Seit dem 16. Jahrhundert steigt nun das Vulgare allmählich nach oben auf, überall in den europäischen Nationen und überall ein bisschen anders, aber überall mit demselben Ergebnis. In Frankreich beispielsweise beginnt der König damit, das Lateinische als Verwaltungs- und Gerichtssprache zu verbieten und die Volkssprache Französisch an seine Stelle zu setzen: Seit 1539 wird »en langage français et non autrement«, »in französischer Sprache und nicht anders«, geurkundet und das Land verwaltet, »nicht anders« heißt: nicht auf Latein. Dem folgen dann die Wissenschaften und die Philosophie. Die Dichtung war eigentlich als einziger ›hoher‹ Diskurs immer eher volkssprachlich (weil ihr Publikum kein Latein konnte). In Deutschland steigt das Deutsche (›deutsch‹ heißt ja gerade ›zum Volk gehörig, Vulgare‹) vor allem im Gefolge der religiösen Erneuerung in der Reformation auf, aber eben doch langsamer als in Frankreich. Aber auch in Deutschland ist das Vulgare, die Volkssprache, seit dem 18. Jahrhundert ›oben‹. Ungefähr ab 1750/1800 (bis 1950) vollziehen sich die oberen Diskurse, also Wissenschaft, Philosophie usw. auf Deutsch. Dieser Übergang in die eigene Sprache ist ein großer kulturpolitischer Prozess, dessen Bedeutung Hegel so beschrieben hat: »Es erhob sich das Gefühl vornehmlich, daß ein Volk nicht als gebildet angesehen werden kann, welches nicht alle Schätze der Wissenschaft in seiner eigenen Sprache ausdrücken und sich in ihr mit jedem Inhalt frei bewegen kann« (Hegel 1809: 315).
Sich in einer Sprache in jedem Inhalt frei bewegen können, das ist eben das, was die Linguistik ›Ausbau‹ nennt. Und ein Volk, so Hegel, welches eine solche ausgebaute Sprache hat, betrachtet sich als gebildet. Der Aufstieg der Sprache ins Hohe, in die Schätze der Wissenschaft, ist der Aufstieg in die ›Volks-Bildung‹. Was nun derzeit in Europa geschieht, ist eigentlich wieder ein Zurückkehren zur früheren diglossischen Sprachkonstellation. Wenn oben die ho-
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hen Diskurse, Wissenschaft, Technik, Business etc., auf Englisch absolviert werden, dann bedeutet das natürlich einen Abstieg des Vulgare. Das Deutsche, Französische, Niederländische und alle anderen Volkssprachen ziehen sich gewissermaßen ins Private zurück. Die Volkssprache, die oben war, steigt jetzt wieder hinab, und damit sinkt natürlich auch ihr Ansehen in der Sprachgemeinschaft. Die Sprache wird durch diese Prozesse, durch diese Vertreibung aus den hohen Diskursen, niedriger, ›Vernakularsprache‹ (das Wort stammt von lat. verna, ›der im Haus geborene Sklave‹). Die Tatsache, von der Hegel gesprochen hat, dass wir über alles in unserer Sprache sprechen können, dass wir uns in ihr mit jedem Inhalt frei bewegen können, reduziert sich manifest: Wenn man zum Beispiel über Biologie (schon in der Schule, erst recht in der Universität) nur noch auf Englisch spricht, dann kann man sich mit diesem Inhalt nur noch schwer in der eigenen Sprache bewegen. Neben den negativen Folgen für die Sprache hat die gepriesene ›Mehrsprachigkeit‹ auch negative Folgen für die Gesellschaft. Durch das englischsprachige Schulwesen wird das befördert, was ich den Austritt der Elite aus der Sprachgemeinschaft nenne. Die zunehmende Beschulung in englischsprachigen Schulen ist eine Bewegung aus der Sprachnation hinaus: Als Bildungssprache wird von ehrgeizigen Eltern nicht mehr das Deutsche betrachtet, sondern hohe Bildung ist die in der englischen Sprache vermittelte. Dieser Prozess ähnelt den politisch und kulturell außerordentlich problematischen Vorgängen im 17. Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg, als die Aristokratie aus dem Deutschen ausstieg und ins Französische einstieg, in die siegreiche Kultur. Der Ausstieg der Elite aus dem Deutschen verstärkt ein anderes gesellschaftliches Problem, den mangelnden Integrationswillen von Migranten. Er hat nämlich zur Folge, dass Migranten sich fragen, warum sie eigentlich Deutsch lernen sollen. Deutsch, so bemerken sie rasch, ist ja gar nicht die höchste Sprache in diesem Land. Deutsch ist offensichtlich nur eine Vernakularsprache, die höchste Sprache für den gesellschaftlichen und beruflichen Erfolg ist Englisch. Warum soll ich den Weg über das Deutsche gehen, ich brauche keine zweite Vernakularsprache, ich habe schon eine. Die zunehmende gesellschaftliche Präsenz des Englischen erzeugt oder verstärkt also zwei Desintegrationstendenzen: Ausstieg/Desintegration oben, Nicht-Einstieg/Nicht-Integration unten. Auch wenn diese vielleicht erst langsam spürbar werden, so sind dies problematische Entwicklungen, die mit der enthusiastisch begrüßten Ausbrei-
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tung von ›Mehrsprachigkeit‹, mit der Anhäufung des transnationalen sprachlichen Kapitals, verbunden sind.
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ALS KOMMUNIKATIVES
K APITAL
Aber natürlich kann (und soll) niemand diesen europäischen Tsunami des Englisch-Spracherwerbs aufhalten. Dass die individuelle Mehrsprachigkeit aller Europäer das Problem der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit Europas, das Problem des Nicht-Verstehens, löst, ist – auch über die Akkumulation persönlichen linguistischen Kapitals hinaus – ein durchaus wünschenswerter politischer Gewinn für Europa. Da aber keine Gewinne ohne Kosten erzielt werden, sollte man darauf sehen, dass die Gewinne nicht mit dem Verlust der alten Kultursprachen Europas bezahlt werden. Damit dies nicht geschieht, muss man sich gegen die Verachtung der Sprachen wehren, die von bestimmten Promotoren der ›Mehrsprachigkeit‹ ausgeht, und eine andere Auffassung von Sprache und also auch ein alternatives Konzept von Mehrsprachigkeit dagegenhalten. Gerhards (2010) hat gezeigt, dass die Europäer massiv Englisch lernen. Der Prozess ist in den verschiedenen Ländern verschieden stark und verschieden schnell, aber er ist gesamteuropäisch und dynamisch. Gerade die jungen Generationen lernen Englisch und in wenigen Jahren wird Europa eine zweisprachige (Englisch + X) Bevölkerung haben. Schon jetzt sind die Niederlande und die skandinavischen Länder praktisch zweisprachig (vgl. Europäische Kommission 2012). Aber auch in den Ländern, die es noch nicht so gut können, lernen die jungen Leute intensiv Englisch. Werbung für diesen gleichsam wie ein Naturereignis wirkenden Prozess ist eigentlich nicht nötig. Dennoch gibt es eine massive Reklame für das Englisch- oder Globalesisch-Lernen, mit unschönen ideologischen Begleiterscheinungen. Agenten dieser Publizität sind Politiker, Journalisten und die Sozialwissenschaften. Die hierbei verwendeten politisch-ideologischen Termini sind ›Mehrsprachigkeit‹ und ›Sprachgerechtigkeit‹ (zur Sprachgerechtigkeit vgl. Parijs 2011). Der Bundespräsident hatte sich im Jahr 2013 in einer Europarede über die Sprachen in Europa geäußert:
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»Zunächst fehlt uns dazu [für eine europäische Öffentlichkeit] einfach eine gemeinsame Verkehrssprache. In Europa sind 23 Amtssprachen anerkannt, zahllose andere Sprachen und Dialekte kommen noch hinzu« (Gauck 2013).
Diese Vielsprachigkeit (es war noch, bevor mit dem Kroatischen die 24. Sprache in die EU eintrat) stellt er – in traditioneller pastoraler Bibelexegese – nicht als freudige Vielfalt heraus, sondern als Horror, als Fluch von Babel, der ja die einheitliche Sprache (des Paradieses) getilgt hat. Es gilt also, wieder eine gemeinsame Sprache zu finden. Dieser paradiesische Sprachbesitz wird nun mit dem Ausdruck ›Mehrsprachigkeit‹ herbeigewünscht: »Mehr Europa heißt nämlich nicht nur Mehrsprachigkeit für die Eliten, sondern Mehrsprachigkeit für immer größere Bevölkerungsgruppen, für immer mehr Menschen, schließlich für alle!« (Gauck 2013).
Durch individuelle Mehrsprachigkeit wird das biblische Problem der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit – Babel – überwunden. Und Mehrsprachigkeit für alle beseitigt dann gleich auch noch die drohende Sprachungerechtigkeit, also die Gefahr eines elitären Spracherwerbs, die ungerechte Verteilung des »transnationalen globalen Kapitals« (Gerhards 2010), auf die ich hingewiesen habe. Der Ausdruck ›Mehrsprachigkeit‹ wird hier mit seinen positiven Konnotationen nur für eine ganz bestimmte Zweisprachigkeit verwendet, für die Diglossie Englisch/Volkssprache. Diese braucht aber eigentlich keine präsidentielle Förderung mehr. Auch die Soziologie betreibt die Beförderung der neuen Diglossie Englisch/Volkssprache unter dem positiv konnotierten Ausdruck ›Mehrsprachigkeit‹. Das schon erwähnte Buch von Jürgen Gerhards betreibt unter diesem Terminus Propaganda fürs Englisch-Lernen. Nur dieses befördert »transnationales sprachliches Kapital als Ressource einer globalisierten Welt«. Das Kapital, das akkumuliert werden soll, ist nicht das Erlernen des Baskischen, Lateinischen, Finnischen oder Ungarischen. Eine Mehrsprachigkeit mit diesen Sprachen bringt nach der Theorie des linguistischen Kapitalismus überhaupt nichts. Kapital wird nur vermehrt, wenn Sie die Sprache lernen, mit der Sie mit den meisten Menschen sprechen können. Das einzige Kapital, das der Rede wert ist, ist also Englisch. Obwohl der Titel des Buches »Mehrsprachigkeit« heißt, geht es nicht um Mehrspra-
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chigkeit überhaupt. Es wird kein Loblied gesungen auf die Menschen, die Italienisch, Griechisch, Französisch oder Ungarisch gelernt haben (und meinen, sie hätten damit einen ungeheuren Schatz angehäuft). Dass es nicht um die Förderung von Mehrsprachigkeit im vereinten Europa geht, ist auch aus der Tatsache ersichtlich, dass in dem Buch eine Empfehlung von Mehrsprachigkeit für Anglophone fehlt. Diese haben das transnationale Kapital Englisch von Geburt an (wie der Adel im Ancien Régime), das heißt englische Einsprachigkeit genügt – im Grunde dann auch für Europa insgesamt. Das Buch kann auch deshalb kein Verständnis von Mehrsprachigkeit entfalten, weil es eine sehr enge Auffassung von ›Sprache‹ hat. In seinem Einsatz für das Englische zeigt es eine völlige Gleichgültigkeit für die anderen Sprachen. Was mit den anderen Sprachen in der mehrsprachigen Konstellation Europas geschieht, ist dem linguistischen Kapitalismus völlig gleichgültig, ja er erweist sich als explizit sprachenfeindlich. Er zeigt eine totale Herzlosigkeit gegenüber den Sprachen, die ja durch die dynamische Ausbreitung des Englischen durchaus gefährdet sind, wie wir angedeutet haben. Aber der kapitalistischen Sprachsoziologie ist das Schicksal der Sprachen gleichgültig, weil sie Sprache radikal auf Kommunikation reduziert. Der Soziologie geht es prinzipiell um eine gut funktionierende Gesellschaft. Der soziologische Blick auf die Sprache konzentriert sich auf das gesellschaftliche Miteinander. Die Funktionsbeschreibung von Sprache lautet daher auch knapp: »Über diesen wechselseitigen Austausch von Informationen können Menschen ihre Handlungsabsichten koordinieren und miteinander kooperieren« (Gerhards 2010: 24). Sprache ermöglicht Kooperieren und Koordinieren durch die Übergabe von Informationen, also Kommunikation. Andere Funktionen von Sprache – und damit andere Konzeptionen von Sprache – werden explizit ausgeschaltet, zum Beispiel, dass Sprachen etwas mit dem Denken oder mit Kultur zu tun haben könnten. Hierzu schreibt Gerhards ausdrücklich: »Zudem zeigt sich, dass die zentrale Annahme der Theorien, dass unterschiedliche Sprachen zu einer unterschiedlichen Weltaneignung und zu unterschiedlichen Kulturen führen, nicht haltbar ist. Die Vorstellung, dass Sprachenvielfalt immer auch kulturelle Vielfalt bedeutet, ist so nicht richtig« (Gerhards 2010: 15).
Diese Behauptung wird mit dem Bezug auf eine ganz bestimmte linguistische Theorie gestützt. Aber durch diese Berufung auf die – höchst umstrit-
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tene – Chomskysche Sprachtheorie, wird eine solche Feststellung auch nicht plausibel. Chomskys Prophet Pinker (1994) kämpft in einem langen Buch dagegen an, dass verschiedene Sprachen irgendetwas mit unterschiedlichem Denken zu tun haben könnten. In der Tat geht es dieser Linguistik nur um universelle Denkstrukturen. Inzwischen sind aber andere Sprachauffassungen wieder stärker geworden, die Sprachen durchaus mit »unterschiedlicher Weltaneignung« und »unterschiedlichen Kulturen« in Verbindung bringen (z. B. Deutscher 2010). Nur auf Grundlage einer solchen Sprachauffassung kann ein tieferer Begriff von Mehrsprachigkeit entwickelt werden. Wenn aber verschiedene Sprachen nur verschiedene Laute sind, mit denen Menschen dieselbe Information zum Zwecke gesellschaftlicher Kooperation und Koordination austauschen, dann sind die Sprachen tatsächlich gleichgültig, dann braucht man letztlich auch nur eine. Aber eine kognitiv-kulturelle Sprachauffassung, wie ich sie jetzt kurz unter dem Stichwort der »Weltansichten« andeuten werde, führt über das kommunikative Kapital hinaus zu einem kognitiven Schatz, der ganz unkapitalistisch wie das Rheingold einfach nur »glänzt und gleißt«.
W ELTANSICHTEN : M EHRSPRACHIGKEIT
ALS KOGNITIVER
R EICHTUM
Weltansicht Im Ausdruck »Weltansicht«, der von Wilhelm von Humboldt stammt, konzentriert sich die Alternative zur kapitalistisch-kommunikativen Sprachauffassung: ein kognitives Konzept von Sprache. Ich gehe aus von Humboldts berühmtem Satz in seiner ersten Akademie-Rede 1820: »Ihre [der Sprachen] Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst« (GS IV: 27). Sprachverschiedenheit ist also nicht nur einfach eine materielle Verschiedenheit, sondern eine semantisch-kognitive Verschiedenheit. Mit dem Ausdruck »Weltansichten« ist eigentlich gar nichts Großartiges gemeint, sondern etwas ganz Einfaches. Viele Leser des Humboldtschen Satzes glauben, dass die »Verschiedenheit der Weltansichten selbst« bedeute, dass Menschen eine völlig andere Auffassung von Gott und der Welt hätten, weil sie eine andere Sprache sprechen, dass zum Beispiel Japaner die Welt
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völlig anders sehen als sie. Jede alltägliche Begegnung mit Japanern aber lehrt uns, dass sie das meiste in der Welt genauso sehen wie wir. Es ist aber mit den »Weltansichten« etwas gemeint, das wir alle beim Sprachenlernen wieder und wieder erfahren haben, nämlich, dass die semantischen und grammatikalischen Strukturen in den verschiedenen Sprachen nicht koinzidieren. Hier meine simplen Beispiele, die Sie alle kennen: Auf Englisch müssen wir uns entscheiden, ob wir sagen »she is singing« oder »she sings«. Auf Deutsch haben wir nur eine Verbform »sie singt«. Und weil wir uns im Englischen immer entscheiden müssen, ob wir die progressive form nehmen oder nicht, wird die Verbal-Handlung anders ›gesehen‹ als im Deutschen. Im Deutschen entscheiden wir sozusagen nicht sprachlich, ob jemand gerade singt oder ob sie eine gewohnheitsmäßige Sängerin ist, das wird außerhalb der Sprache entschieden. Die Italiener unterscheiden sprachlich nicht zwischen Treppe und Leiter, beides ist scala. Natürlich verwechseln auch Italiener eine Treppe nicht mit einer Leiter, aber sie machen den Unterschied nicht sprachlich. Insofern ›sehen‹ Italiener und Deutsche die Welt an dieser Stelle verschieden. Im Französischen unterscheidet man zwischen zwei Arten des Neu-Seins, neuf – nouveau, zwischen der materiellen Neuheit und der epistemischen Neuheit, also dem, was ich noch nicht kenne. Daher kann man sagen: »ta nouvelle voiture n’est pas neuve«. Also »dein neues Auto ist nicht neu«, das heißt, »dein Auto, das ich bisher noch nicht kannte, ist kein fabrikneues Auto«. Neuf und nouveau sind zwei Aspekte des Begriffs der Neuheit, die das Deutsche oder Englische nicht unterscheiden. Nichts Anderes ist gemeint mit Humboldts Ausdruck »Weltansichten«. Damit sind also nicht verschiedene ›Weltanschauungen‹ gemeint, Ensembles von Überzeugungen und Aussagen über die Welt, wie etwa die kommunistische Weltanschauung oder die christliche. »Weltansichten« meint die verschiedene Semantik in den verschiedenen Sprachen, also in der Tat die »unterschiedliche Weltaneignung« (Gerhards 2010), denn nichts Anderes als eine primäre ›Weltaneignung‹ ist die lexikalische und grammatische Gliederung der Welt durch die Sprache. Und jeder, der eine Sprache lernt, weiß, dass das gerade der springende Punkt ist beim Sprachenlernen: Dies ist die Schwierigkeit, aber eben auch der Charme der fremden Sprache, deswegen sind sie interessant, aber auch schwer. Leicht (und uninteressant) wären fremde Sprachen, wenn Sprachen nur materiell verschiedene »Zeichen und Schälle« zum Informationsaustausch wären.
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Europas neue Auffassung von Sprache und Denken Dass Sprachen kognitiv anders sind, dass sie verschiedene Semantiken sind, ist eine profunde sprachtheoretische Einsicht der Sprachreflexion in Europa, die etwa mit dem 16. Jahrhundert beginnt und vor allem durch die Begegnung Europas mit dem radikal Anderen, insbesondere mit den amerikanischen Sprachen, befördert wird. Die Europäer merken, wenn sie Amerika erobern und die dortigen Völker mit ihrer Religion beglücken wollen, dass es nicht so einfach ist, ihr »Vaterunser« und ihre christlichen Glaubensinhalte ins Nahuatl, Otomì, Quechua oder eine sonstige amerikanische Sprache zu übersetzen. Diese Sprachen sind semantisch und grammatikalisch völlig anders strukturiert als die bisher bekannten europäischen Sprachen. Übersetzen ist nicht einfach nur ein Ersetzen von Lauten, sondern eine Umstrukturierung des Inhalts. Es ist kein Zufall, dass die Missionare sozusagen die ersten Linguisten waren, die gemerkt haben, dass die amerikanischen Sprachen profund anders sind; sie sind eben nicht nur verschiedene Schälle und Zeichen. Aus dieser Erfahrung tiefer, also semantischer und struktureller Alterität erwächst dann eine völlig neue Sprachauffassung, die in schroffem Gegensatz zu dem alteuropäischen, von Aristoteles formulierten kommunikativen Sprachmodell steht (das ja keineswegs überwunden ist, sondern in der modernen Soziologie fröhlich weiterlebt). Nach Aristoteles sind die Wörter lautliche ›Zeichen‹ für Vorstellungen von der Welt, die bei allen Menschen gleich sind. Wenn die Menschen nun diese – universellen und außersprachlichen – Vorstellungen kommunizieren wollen, verbinden sie diese mit Lauten, die allerdings in den verschiedenen Sprachen verschieden sind. Verschiedene Sprachen sind also nur verschiedene »Schälle und Zeichen«. Genau an dieser Stelle kämpft Humboldt sein ganzes Linguistenleben lang gegen Aristoteles, der seit Jahrtausenden die europäische Sprachauffassung bestimmt: Die Vorstellungen sind universell und nur die Laute sind verschieden; das ist die uralte, von Aristoteles verbreitete und auch triviale Auffassung von Sprache. Nun aber entdeckt Europa, dass die Vorstellungen durchaus nicht universell sind, sondern dass die Sprachen verschiedene Vorstellungen von der Welt bilden und dass Vorstellung und Laut eine Einheit bilden und als Einheit der Sache gegenüberstehen. Die Sache – oder die Welt – ist natürlich dieselbe für alle Menschen, aber die Vorstellungen, mit denen sie die Welt kognitiv bearbeiten, sind verschieden, und die Spra-
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chen sind diese verschiedenen ›Weltbearbeitungen‹. Auch hier wieder ein einfaches Beispiel: verschiedene Wörter für die Zahl 99. Die Sache 99 wird von uns bekannten Sprachen jeweils semantisch verschieden ›gesehen‹. Wir sagen ›neun-und-neunzig‹, wir beginnen mit den Einern und verbinden sie mit den Zehnern mit einem und; die Engländer sagen ›neunzig-neun‹ ninety-nine, beginnen mit den Zehnern; die Franzosen sagen ›vier-zwanzigzehn-neun‹ quatre-vingt-dix-neuf, eine einigermaßen komplizierte Rechenoperation. Die Sprachen ›blicken‹ sozusagen verschieden auf dieselbe Sache in der Welt. Vielleicht noch ein berühmtes Beispiel, das gleich auch noch klarmacht, dass die ›Ansichten‹ der Sprachen keine wissenschaftlichen Begriffe sind, sondern dass die »Weltansichten« sprachliche Begriffe sind, die in der Wissenschaft dann gerade überwunden werden müssen: Der Logiker Gottlob Frege hat darüber geklagt, dass die Wörter der natürlichen Sprache wissenschaftlich völlig überflüssige Semantiken enthalten und dass sie manchmal sogar mehrere Wörter für ein und dieselbe Sache haben. Sein berühmtes Beispiel war Abendstern und Morgenstern, zwei Wörter, die ein und dieselbe Sache, die Venus, bezeichnen und an denen dann noch eine lästige Semantik dranhängt: ›Stern des Abends‹ und ›Stern des Morgens‹ (Frege 1892: 27). Mit dieser Sprachkritik hat der Logiker gerade scharfsinnig die besondere kognitive Ebene der Sprache erkannt. Der Logiker und Wissenschaftler braucht natürlich nur ein einziges Wort, das sich eindeutig auf eine einzige Sache bezieht, ihn interessiert überhaupt nicht, ob der Stern am Abend oder am Morgen leuchtet. Frege hat genau gesehen, wie die Sprachen funktionieren, dass sie sprachimmanente Begriffe haben und selbst verschiedene Begriffe für dieselbe Sache haben können. Das heißt, Frege bestätigt Humboldts Redeweise von den »Weltansichten«, die Sprachen sind (allerdings muss die Wissenschaft die natürlichen Sprachen gerade deswegen hinter sich lassen). Humboldt resümiert den Zusammenhang von Sprache und Denken folgendermaßen: »Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens und des Wortes von einander leuchtet es klar ein, daß die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte [Wahrheit] zu entdecken« (GS IV:27).
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Es geht gegen Aristoteles. In dessen Modell ist der Gedanke schon gefasst, die Wahrheit ist schon erkannt, weil sie unabhängig von der Sprache in einem universellen kognitiven Prozess gewonnen wird und dann nur noch ›dargestellt‹ werden muss. Humboldt aber sieht, dass die Sprachen selbst den Gedanken erst erzeugen. Daher ist die Wahrheit vor der Sprache noch unerkannt, erst die Sprache »entdeckt« sie, erst die Sprache fasst den Gedanken.
Bildung des Gedanken Humboldt beschreibt in seiner Sprachphilosophie, wie das geschieht, also wie der Gedanke in der Sprache geschaffen wird, wie die Sprache »die Wahrheit entdeckt«. Humboldt nennt die Sprache »das bildende Organ des Gedanken« (GS VII: 53) oder »die Arbeit des Geistes« (GS VII: 46). In diesem Beitrag über ›Bildung‹ sei hier auf den Ausdruck bilden hingewiesen: Die Sprache ›bildet‹ den Gedanken, sie ist im emphatischen Sinne ›Bildung‹, nämlich Erzeugung und Formung kognitiver Strukturen. Humboldt beschreibt in den Termini der kantischen Philosophie, wie das geschieht: »Subjective Thätigkeit bildet im Denken ein Object. [...] Die Thätigkeit der Sinne muß sich mit der inneren Handlung des Geistes synthetisch verbinden, und aus dieser Verbindung reißt sich die Vorstellung los, wird, der subjectiven Kraft gegenüber, zum Object, und kehrt, als solches aufs neue wahrgenommen, in jene zurück« (GS VII: 55).
Durch unsere Sinne nehmen wir die Welt wahr, bilden Vorstellungen, die »synthetisch« mit dem Laut zusammenhängen, sich im Laut verkörpern. Der mit der Vorstellung verbundene Laut ist ein von uns produziertes Objekt in der Welt, das wir hören, das also wieder durch die »Thätigkeit der Sinne« wahrgenommen wird und sich mit der »inneren Handlung des Geistes synthetisch« verbindet. Die »Arbeit des Geistes«, die Bildung des Gedanken durch Sprache ist also eine komplizierte perzeptive, verkörpernde und reflexive kognitive Aktivität, deren drei wesentliche Momente von der Natur gegeben sind:
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»Die unzertrennliche Verbindung des Gedanken, der Stimmwerkzeuge und des Gehörs zur Sprache liegt unabänderlich in der ursprünglichen, nicht weiter zu erklärenden Einrichtung der menschlichen Natur« (GS VII: 53).
Soweit ist die sprachliche Produktion des Gedanken Tätigkeit des Einzelnen »in abgeschlossener Einsamkeit« (GS VII: 55). Die Bildung des Gedankens hat aber als weiteres notwendiges Moment den Anderen, das Du; denn der Mensch ist, wie Aristoteles gesagt hat, ein gesellschaftliches Wesen, ein zoon politikon: »Schon das Denken ist wesentlich von Neigung zu gesellschaftlichem Daseyn begleitet, und der Mensch sehnt sich, abgesehen von allen körperlichen und Empfindungsbeziehungen, auch zum Behuf seines bloßen Denkens, nach einem dem Ich entsprechenden Du; der Begriff scheint ihm erst seine Bestimmtheit und Gewißheit durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft zu erreichen« (GS VI: 26).
Das Denken findet immer in der inter-subjektiven Dimension mit dem Anderen statt. Die Bildung des Gedanken ist noch nicht an ihr Ende gelangt, wenn der Gedanke nur an mein eigenes Ohr zurückkehrt. Er muss von dir gehört werden und vor allem aus der »fremden Denkkraft« zurückstrahlen. Die sprachliche Arbeit des Geistes endet erst im Mit-Denken und MitSprechen des Anderen: »In der Erscheinung entwickelt sich jedoch die Sprache nur gesellschaftlich, und der Mensch versteht sich selbst nur, indem er die Verstehbarkeit seiner Worte an Andren versuchend geprüft hat. Denn die Objectivität wird gesteigert, wenn das selbstgebildete Wort aus fremdem Munde wiedertönt« (GS VII: 55f).
Die sprachliche Bildung des Gedankens ist ein viel komplizierterer Prozess, als es sich simple Repräsentations-Modelle vorstellen. Wir bilden nicht nur Vorstellungen im Kopf und kleben dann sozusagen Laute an diese. Vorstellungen werden nur gebildet, wenn sie Laut geworden und gehört worden sind, und sind überhaupt erst dann wirklich fertig, wenn Du mir mein Wort wieder zurückgibst. Und das dritte Moment der sprachlichen Erzeugung des Gedankens, dieses ›Ich-und-Du-Gemeinsam-Denken‹, ist dann schließlich die Tatsache, dass Sprache kein universell gleiches Denken generiert, sondern ein essen-
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tiell verschiedenes in verschiedenen Sprachen. In der Dimension der Alterität ›nistet‹ gleichsam die Differenz. Du bist zwar wie ich, aber du bist trotzdem ein anderer oder eine andere. Es gibt daher nicht die Sprache überhaupt, sondern wir denken und bilden das Wort und den Begriff in verschiedenen Sprachen: »Das Denken ist aber nicht bloß abhängig von der Sprache überhaupt, sondern bis auf einen gewissen Grad, auch von jeder einzelnen bestimmten« (GS IV:21). Deswegen ist dann, um den Satz noch einmal zu zitieren, die Verschiedenheit der Sprachen »nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst« (GS IV:27). Schließlich ist die Existenz verschiedener Sprachen für Humboldt nicht wie für den Bundespräsidenten eine Quelle des kommunikativen Schreckens, sondern ein Grund zu kognitiver Freude. Dass es viele Sprachen gibt, also verschiedene Weltansichten, betrachtet er als einen Reichtum des Denkens. Das hat mit seiner leibnizschen Vergangenheit zu tun. Leibniz ist der Theoretiker der Individualität und feiert die Vielfalt der Individualitäten als einen Reichtum der Welt. Deswegen schreibt Humboldt an der folgenden berühmten Stelle aus einem frühen Text: »Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichthum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseyns, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da« (GS VII: 602).
Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Sprachen sind ein Reichtum des Geistes und der Welt, weil wir die Welt durch die Sprachen jeweils anders sehen und jeweils anderes in ihr entdecken. Diese verschiedenen Aspekte des Weltentdeckens sind für Humboldt eine Erweiterung des »Menschendaseyns«. Sprachen sind etwas Kostbares, weil sie verschiedenes Denken sind.
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Spracherlernung als Gewinnung einer neuen Weltansicht Aus dieser Feier der Verschiedenheit folgt, dass Fremdsprachenlernen ein Hineingehen in verschiedene Weltansichten ist und damit eine tiefe kognitive Bereicherung: »Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht seyn und ist es in der That bis auf einen gewissen Grad, da jede Sprache das ganze Gewebe der Begriffe und die Vorstellungsweise eines Theils der Menschheit enthält« (GS VII: 60).
Jede Sprache ist die Weltansicht eines Teils der Menschheit. Diese philosophische Funktion der Sprachen, das »ganze Gewebe der Begriffe« zu schaffen, macht diese zu wahrhaft anthropologischen Kostbarkeiten und ihre Erlernung eher zur Hebung und Anhäufung eines kognitiven Schatzes als zur Akkumulation von kommunikativem Kapital. Nicht nur wird das Erlernen einer fremden Sprache zu einer wahrhaften Entdeckung, auch die »Förderung und Entwicklung« der Sprachen durch die Europäische Union bekommt durch eine solche Sprachauffassung ihre tiefe Berechtigung. Von hier aus wird aber auch die sprachpolitische Bedrohung der europäischen Sprachen durch das Englische erst dramatisch. Von hier aus wird erst plausibel, wieso Mehrsprachigkeit ›Bildung‹ ist und wieso es bei der Frage um die Sprache immer um tiefe Belange des Menschseins geht. Nur von einem solchen – philosophisch-anthropologischen – Konzept von Sprache führt ein Weg zum Fremdsprachenunterricht als ›Bildung‹. Ich sage damit nicht, dass kommunikative Kompetenz kein wertvolles Ausbildungsziel ist, sie ist sogar unabdingbar für ein erfolgreiches Leben in der Welt. Fremdsprachenunterricht mit dem Ziel der kommunikativen Kompetenz stimmt ohne weiteres mit der praktisch-kommunikativen Sprachauffassung der Soziologie überein und wird von dieser ja auch entsprechend gefeiert. In ihrer Ausschließlichkeit führt sie allerdings letztlich zur Reduktion der Sprachwahl, eben zur Wahl der kommunikativ effektivsten Sprache. Zur erfolgreichen Kommunikation genügt es letztlich, globales Englisch zu beherrschen (vgl. Trabant 2014: 103). Wenn Sprachen dagegen primär als »Weltansichten« verstanden werden, ist »die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht« das zentrale Ziel der Erlernung fremder Sprachen. Und es wird auch sinnvoll, mehr als nur eine
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fremde Sprache zu lernen. Humboldts Zeitgenosse Hegel beschreibt das Erlernen einer fremden Sprache als eine Befreundung mit dem Fremden.
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Hegel ist für ein paar Jahre Direktor des Gymnasiums in Nürnberg gewesen und musste als solcher am Schuljahresende Reden halten und über das Geleistete und also über wichtige pädagogische Themen sprechen. Seine erste Gymnasialrede, am 29. September 1809, behandelt das Konzept der Bildung, ausgehend von der Frage, warum die Schüler eigentlich die Antike studieren sollen: »[...] die Bildung muß einen frühern Stoff und Gegenstand haben, über den sie arbeitet, den sie verändert und neu formiert. [...] Um aber zum Gegenstande zu werden, muß die Substanz der Natur und des Geistes uns gegenüber getreten sein, sie muß die Gestalt von etwas Fremdartigem erhalten haben« (Hegel 1809: 320f).
Ich muss mir einen Gegenstand als etwas Fremdartiges gegenüberstellen und an ihm arbeiten. Das ist für Hegel die Grundfigur der Bildung. Er nennt die Gegenüberstellung auch »die Entfremdung, welche Bedingung der theoretischen Bildung ist« (ebd.). Als ich am Anfang sagte, dass Einsprachigkeit ungebildet ist, bezog sich das durchaus auf diese Passage. Der Einsprachige verbleibt nämlich in seiner Sprache, tritt nicht aus sich, aus seiner Sprache, heraus. Damit erfüllt er nicht diesen emphatischen hegelschen Begriff von Bildung, deren Bedingung die Entfremdung ist. Dieses Fremde nun, das mir gegenübersteht, ist das Anziehende, das Interessante. Es erweckt, was Hegel mit einem herrlichen Ausdruck den »Zentrifugaltrieb der Seele« nennt: »Diese Forderung der Trennung aber ist so nothwendig, daß sie sich als ein allgemeiner und bekannter Trieb in uns äußert. Das Fremdartige, das Ferne führt das anziehende Interesse mit sich, das uns zur Beschäftigung und Bemühung lockt [...]. Die Jugend stellt es sich als ein Glück vor, aus dem Einheimischen weg zu kommen und mit Robinson eine ferne Insel zu bewohnen« (Hegel 1809: 321).
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Die Trennung zwischen mir und dem Gegenüberstehenden ist notwendig, damit es mich als Anderes lockt. Wenn es dasselbe wäre wie ich, würde es mich nicht interessieren. Dieses attraktive Fremde wirkt nach Hegel insbesondere auf die Seelen der jungen Menschen, die sich vom Einheimischen und Eigenen wegsehnen zum Fremden. Diese Sehnsucht nennt er den Zentrifugaltrieb der Seele, die zu jener Befreundung führt, von der mein Titel spricht: »Auf diesen Zentrifugaltrieb der Seele gründet sich nun überhaupt die Nothwendigkeit, [...] eine ferne, fremde Welt in den jungen Geist hineinstellen zu müssen. Die Scheidewand aber, wodurch diese Trennung für die Bildung, wovon hier die Rede ist, bewerkstelligt wird, ist die Welt und Sprache der Alten; aber sie, die uns von uns trennt, enthält zugleich alle Anfangspunkte und Fäden der Rückkehr zu uns selbst, der Befreundung mit ihr, und des Wiederfindens unserer selbst, aber unsrer nach dem wahrhaften allgemeinen Wesen des Geistes« (Hegel 1809: 321f.).
Die Zentrifugalkraft der Seele wird dadurch erregt, dass mir das Fremde gegenübersteht, so dass ich mich nach diesem Fremden sehne, dass ich aus meinem Eigenen austreten will, dass ich zu dem Fremden hin will. Durch diesen Trieb, den Hegel als einen allgemeinen angesehen hat, als Neugier des sich selbst bildenden Menschen, begegne ich dem Anderen und freunde mich mit ihm an. Diese Befreundung mit dem Anderen, in dem ich nicht das total Ferne, auch nicht das Feindliche, sondern das Freundliche sehe, eröffnet dann die Möglichkeit, zu mir zurückzukehren. Es geht in Hegels Rede über den Sinn der Begegnung mit der Welt und der Sprache der Alten nicht um Kommunikation. Es geht nicht darum, dass die Lerner des Lateinischen oder Griechischen mit Römern oder Griechen Konversation treiben oder gar Geschäfte machen wollen, sondern um die Kenntnis der »goldenen Äpfel in silbernen Schalen«, wie er die Literatur der Alten nennt (Hegel 1809: 319). Bei aller hohen »Befreundung« mit dem kostbaren Fremden verkennt Hegel nicht das ›Mechanische‹ des Sprachenlernens, vor allem bei der Erlernung ihrer Grammatik. Die mechanische Erfassung grammatischer Kategorien der fremden Sprache ist aber die Bedingung für eine wirkungsvolle Aneignung der Elemente jenes Fremden. Der Zentrifugaltrieb der Seele kann sich natürlich nicht nur aufs Lateinische und Griechische beziehen, nicht nur auf die Welt und Sprache der Alten, sondern auf alle Welten und alle Sprachen der Anderen. Er ist des
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weiteren nicht nur in der Jugend spürbar – in dieser aber, das hoffe ich allerdings, besonders intensiv. Die Sehnsucht nach dem Anderen ist eine lebenslang wirkende menschliche Zentrifugalkraft. Und schließlich ist die Befreundung mit dem Fremden die Quintessenz einer gebildeten europäischen Mehrsprachigkeit: »die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht«, getrieben von der Sehnsucht, »mit Robinson eine ferne Insel zu bewohnen«.
L ITERATUR Argador, Urion (2006): Karte der wichtigsten Sprachen Europas. Vom Autor lizensiert unter Creative Commons zur Weiterverwendung und verarbeitung unter gleichen Bedingungen bei Namensnennung (CC BYSA 2.5). Zugriff am 16.11.2016. https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Image-Languages-Europe.png. Deutscher, Guy (2010): Im Spiegel der Sprache. München: Beck. Europäische Kommission (2012): Die europäischen Bürger und ihre Sprachen. Spezial Eurobarometer 386. Zugriff am 03.11.2016. http://ec. europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_386_de.pdf. Europäische Kommission (2008): Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung. Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Zugriff am 03.11.2016. http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2008/DE/ 1-2008-566-DE-F1-1.pdf. Europäische Union (2007): Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Zugriff am 03.11.2016. http://eur-lex. europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=OJ:C:2007:306: TOC. Frege, Gottlob (1892): »Über Sinn und Bedeutung.« Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik NF 100, S. 25-50. Gauck, Joachim (2013): Rede zu Perspektiven der europäischen Idee. Zugriff am 03.11.2016. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/ Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/02/130222-Europa.html.
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Changing Methodologies in English Language Teaching From the Grammar-Translation Method to the Challenges of English as a Lingua Franca K ATHERINE K ERSCHEN
I NTRODUCTION Any attempt to understand the role of foreign languages in Bildung (a term whose multiplicity of meanings cannot be elaborated in the limited space of this article; see the Introduction to this volume for further discussion) must take into account the methodologies with which these languages are taught. Foreign language teaching in Germany has been characterized by a variety of methodological approaches since the emergence of Fremdsprachendidaktik (roughly translated as ›(foreign) language teaching methodology‹) as a discipline in the 19th century (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2010). The history of foreign language teaching in Germany will not be discussed in detail in this article, as there are excellent treatments of this topic already available in the form of both monographs (Klippel 1994) and collected volumes (Finkenstaedt & Schröder 1991). What is of interest here is how foreign language teaching methodologies are conceptualized. Fremdsprachendidaktik as a field is concerned with the goals of foreign language teaching, the content of lessons, and the methods which are the means by which the content should be learned and the goals achieved. The goals, contents, and methods have a reciprocal effect on each other and together reveal the underlying conceptualization of a specific approach to
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foreign language teaching. Therefore, I propose the following guiding questions for evaluating language teaching methodologies. Together, these questions cover the what, how, and why of foreign language teaching: • • •
What are the goals of foreign language teaching (i. e. why teach the foreign language)? What should be taught in the classroom? How should it be taught?
In this article, four methodologies will be highlighted to demonstrate how conceptualizations of language teaching methodology change over time. Two classic methodologies as well as two modern methodologies will be discussed. Though these methodologies are not exclusive to English language teaching (henceforth ELT), English as a foreign language will be the focus of this paper, as it is the most commonly taught foreign language in Germany and is facing unique challenges due to the rise of English as a global lingua franca. The first section of this article will give a brief overview of four methodologies and attempt to answer the guiding questions outlined above for each methodology in turn. Following that, the current goals of ELT in Germany will be discussed. Then the focus will shift to English as a lingua franca (henceforth ELF): what it is and what challenges it poses to traditional conceptions of ELT. Included in this section will be an overview of research on teachers’ beliefs concerning ELF and how these beliefs might impact their methodological choices. The results of an empirical study on this topic conducted by the author will also be presented. Finally, the article will conclude with a reflection on how the three guiding questions for English language teaching methodology might be answered going forward.
F OREIGN L ANGUAGE T EACHING M ETHODOLOGIES The four methodologies presented here will be split into two categories: classic and modern. The categorization is based on both chronological order and the underlying conceptualizations of the methodologies. The space limitations of this article allow for only a brief description of the core components of each methodology. Much more could be said about their origins,
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pedagogical details, and impact on the field of language teaching than will be possible here. Readers interested in further details can turn to the references cited in this article, while the information presented here should be sufficient to illustrate how our understanding of foreign language teaching and learning has evolved and to provide context for the challenges currently facing ELT.
Classic Methodologies Classic methodologies of foreign language teaching are characterized by their controlled, teacher-centered approach. All steps in the learning process and all activities are pre-determined and carefully managed by the teacher. The expectation is that the elaborate and regimented classroom procedures will lead to the same achievement in language proficiency for all learners. This can be seen as a ›closed‹ conceptualization of foreign language teaching in terms of goals, contents, and methods. Another characteristic of classic methodologies is that they are generally no longer promoted by researchers or practitioners in the field of Fremdsprachendidaktik, though they have not disappeared entirely from English classrooms around the world. One such methodology is the Grammar-Translation Method. This method of teaching languages has existed since the Middle Ages when it was used to study the classical languages. It was adapted to the instruction of modern foreign languages beginning in the 19th century (Decke-Cornill & Küster 2010). Unlike later methodologies, the Grammar-Translation Method did not draw on scientific findings about language learning (as these did not really exist in the 19th century). Rather, learning a foreign language was seen as a means to contribute to overall intellectual development and self-refinement through a focus on the literary language and culture of a civilization; developing communicative skills was subordinated to these aims (Richards & Rodgers 2001). The content consisted of literary texts from the target language. Learners were expected to translate these texts, and to do so they were provided with vocabulary lists with translations from their native language to the target language. Grammatical rules were taught explicitly and deductively. Memorization of rules was thought to train cognitive and logical skills (Decke-Cornill & Küster 2010). The native
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language of the teacher and the students was the working language of the classroom and lessons were taught lecture-style with few opportunities for students to interact with the teacher or each other (Richards & Rodgers 2001). The methods emphasized accuracy in text comprehension and translation, not the spontaneous and creative use of language. The lack of emphasis on communication (speaking and listening) highlights most clearly how the underlying conceptualization of the Grammar-Translation Method differs from modern methodologies. Being able to speak and communicate in the foreign language is one of the main goals of most foreign language learners today, while it was almost irrelevant in the Grammar-Translation Method. The second classic methodology that will be discussed here, AudioLingualism, does focus on speaking competence, unlike the GrammarTranslation Method; however, it also differs sharply from modern methodologies in terms of content and methods. Audio-Lingualism, or the AudioLingual Method, was developed in the United States in the 1940s in order to quickly train soldiers. The main goals were to develop native speakerlike grammatical and phonological accuracy and to master everyday dialogues and communicative situations (Richards & Rodgers 2001). It drew from – at the time – current scientific research in the fields of linguistics and psychology, specifically Leonard Bloomfield’s work on structural linguistics and Burrhus Frederic Skinner’s principles of behaviorism (DeckeCornill & Küster 2010). According to these principles, since language is a verbal behavior, it can be conditioned through the processes of habit formation. Therefore, language lessons were based on a cycle of repetition and positive or negative reinforcement. The teacher would perform dialogues and then the students would imitate and repeat the dialogues. Grammar and vocabulary were taught inductively through pattern drills (Richards & Rodgers 2001). Oral competence was given precedence over written competence, though written texts were also memorized and imitated. Similar to the Grammar-Translation Method, the classroom methods were very teacher-focused and the learners had little autonomy or control over their learning (Larsen-Freeman 2000). Audio-Lingualism began to fall from favor in the 1960s due to significant criticism on both the theoretical level (Chomsky’s new theory of linguistic competence cast doubt on the underpinnings of the methodology) and the practical level (learners could not transfer the acquired habits and memorized dialogues to real-life communication)
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(Larsen-Freeman 2000). Though pattern drills may occasionally be found in the modern language classroom, Audio-Lingualism’s focus on accuracy above all else and the passive role of the learner is at odds with modern methodologies.
Modern Methodologies In contrast to classic methodologies, an ›open‹ conceptualization of foreign language teaching underlies modern methodologies. These methodologies are learner- rather than teacher-oriented and use a diversity of methods. They are more process- than product-oriented, meaning that the accuracy, or correctness, of the final result of an activity is not as important as the interactions and learning processes that are part of the activity (Decke-Cornill & Küster 2010). The flexibility in the classroom is meant to empower the individual learner and lead to a more intuitive and natural use of language. The rise of Communicative Language Teaching (henceforth CLT) in the 1970s marked a paradigm shift in foreign language teaching methodology. ›Communicative competence‹ emerged as the overarching goal of foreign language teaching. The term was first proposed by the sociolinguist Dell Hymes in an attempt to incorporate the social context of language use into linguistic theory. It comprises four competences (grammatical, discourse, sociocultural, and strategic) which together make up the ability to use language not only accurately, but appropriately (Savignon 2001). In CLT, the goal is for learners to become fluent, autonomous users of the foreign language. The contents and methods are not as rigidly defined as in the Grammar-Translation Method or Audio-Lingualism; though classroom practices should reflect the principles of communicative competence and learner autonomy, they can be adapted to suit the specific teaching context (Decke-Cornill & Küster 2010). Nonetheless, there are some general characteristics that can be ascribed to the ›communicative‹ classroom. Activities should reflect an integrated approach to developing the four skills of listening, speaking, reading, and writing, and lessons should be designed around interactive, cooperative learning situations (Müller-Hartmann & Schockervon Ditfurth 2010). The teacher selects and organizes the materials and acts as a guide, but the lessons should be learner-focused. Authentic materials, meaning texts taken from the target culture and not developed specially for
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the foreign language classroom, should form the basis of lessons, for the reason that such materials allow for a more natural language acquisition experience and provide cultural knowledge about the appropriate use of the target language (Decke-Cornill & Küster 2010). The final methodology that will be discussed here, Task-Based Language Teaching (henceforth TBLT), is an offshoot of CLT that was first developed in the late 1980s (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2010). Like CLT, its goals are to stimulate authentic, meaningful communication and develop communicative ability and fluency (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2010). However, TBLT puts an increased focus on interactions between learners and on meaningful tasks in which learners have to use the language to negotiate meaning (Richards & Rodgers 2001). These changes grew out of criticisms that the communication occurring in traditional CLT classrooms was only ›pseudo-communication‹, that just providing authentic input is not enough to get learners to actually use the language in a way that is truly meaningful to them (and not just a means of practicing the target language) (Decke-Cornill & Küster 2010). In TBLT, tasks provide the purpose for communication. The syllabus of a TBLT classroom is built around tasks, which are specially designed activities which have a non-linguistic goal, meaning the primary focus is on achieving a pre-defined outcome; unlike in CLT, the appropriate completion of the task rather than rehearsal of the language is the goal (Ellis 2003). The teacher plans the tasks, but the learners are responsible for managing their linguistic resources in order to successfully complete the tasks. Though TBLT has not been as widely adopted as CLT, it has resulted in increased recognition of learners’ agency in the language learning process.
C URRENT G OALS IN G ERMANY
OF
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In their book Englischdidaktik: Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, one of the current authoritative works on teaching English in Germany, Doff & Klippel lay out the goals for the modern foreign language classroom and group them into three domains: 1) the acquisition of knowledge (about language, language use, cultures, literature, etc.); 2) the practicing of skills (with regard to linguistic skills, intercultural interactions, foreign lan-
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guage learning, etc.); and 3) the awakening of attitudes (towards language, towards speakers of other languages, towards learning foreign languages, towards literature and culture) (2007: 34, translation by the author). Some of these goals are familiar from past methodologies: a focus on literature and cultures from the Grammar-Translation Method, linguistic skills from Audio-Lingualism, developing positive attitudes towards language learning from CLT, and better interactional competence from TBLT. The goals that focus on intercultural communication and attitudes towards other cultures and speakers are more recent additions. These skills and attitudes form part of what is known as ›intercultural communicative competence‹, or ICC (Byram 1997), which has become one of the main goals of foreign language teaching (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2010). Over the last two decades, intercultural communication has become a buzzword not just in the media, but in the field of Fremdsprachendidaktik as well. The reality of today’s globalized world is that the majority of people on Earth must at some point communicate in a foreign language or with someone from a different language background. As will be shown in the next section, English in particular is becoming a means of communication between people who do not share a native language. Recognizing how crucial successful intercultural communication is for a global citizenry, the Council of Europe made ICC central to the Common European Framework of Reference for Languages (2001). The CEF emphasizes plurilingualism and the development of »intercultural awareness, skills and know-how«, as these »enable the individual to develop an enriched, more complex personality and an enhanced capacity for further language learning and greater openness to new cultural experiences« (Council of Europe 2001: 43). In Germany, intercultural competence has been incorporated into the core curricula (Kernlehrpläne) of many states, including North Rhine-Westphalia. Newer editions of the curricula even mention the special status of English as a lingua franca, pointing to an even greater need for intercultural communicative competence (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014). However, as will be shown below, such recommendations at the policy level have not necessarily trickled down into actual teaching methodology yet.
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E NGLISH AS A L INGUA F RANCA: A C HALLENGE FOR L ANGUAGE T EACHING M ETHODOLOGY To understand the potential impacts of ELF on language teaching methodology, it is necessary to have a clear picture of what ELF is. A broadly accepted definition of a lingua franca is: »a contact language used among people who do not share a first language, and which is commonly understood to mean a second (or subsequent) language of its speakers« (Jenkins 2007: 1, addition by the author). In Europe and most of the world today, English plays this lingua franca role. It is the most widely taught foreign language in Europe, being taught to more than 90% of lower secondary pupils (Breidbach 2003). It is now the de facto language of communication when people of different language backgrounds meet, whether while traveling, at the university, or, especially, in the workplace. In fact, English used in lingua franca interactions between non-native speakers of English has become more common than interactions involving native speakers of English (Graddol 2006; House 2009). ELF discourse differs systematically from discourse between native speakers of English. Empirical analyses of ELF interactions have shown patterns and consistent features across a variety of contexts and in all areas of language: lexicon, grammar (Seidlhofer 2001; 2002), phonology (Jenkins 2000) and pragmatics (House 2008; 2009). A full description of the features of ELF is beyond the scope of this article; the reader is referred to the sources listed above for more detailed information. However, it is critical for the current discussion to note that certain characteristics of ELF discourse would be classified as mistakes in native speaker English. For example, redundant grammatical information such as the 3rd-person-singular ›-s‹ for verb conjugation may be omitted (Seidlhofer 2001), and non-nativelike pronunciation (such as pronouncing the ›th‹ sound as ›t‹ or ›d‹) is accepted and not viewed as an impediment in ELF contexts (Jenkins 2000). Such features have led to ELF sometimes being labeled as a ›simplified‹ or ›incorrect‹ use of English, but researchers studying ELF argue that the English used in lingua franca interactions should not be seen as English as a foreign language in the traditional sense, but as a special form of language use which differs qualitatively from native speaker English. Due to increasing globalization and open borders within the EU, most Germans will use English to communicate primarily with other non-native
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speakers. This leads to the question if the German educational standards for English language teaching should shift in orientation from British/American Standard English to ELF, or from ›real‹ English to ›realistic‹ English (Seidlhofer 2003). In their Praxishandbuch Doff & Klippel (2007) consider arguments for and against such a shift. In their opinion, the main argument on the pro side is that the minimal standards for vocabulary, grammar, and pronunciation are more realistic and achievable for all pupils, particularly those outside of Gymnasien. Additionally, the focus on comprehensibility in a range of everyday and professional situations may better prepare pupils for the ›real world‹ of English usage, while a wider range of suitable materials drawn from the everyday lives of pupils would be available for lessons. On the con side, they argue that increased tolerance for errors may prevent pupils from achieving the highest levels of competence in English (which may be a goal for many pupils); literary and cultural content in English lessons could be lost; and English lessons could become a sort of functional training rather than an educational subject. On the one hand, carrying on with traditional language teaching methodologies and ignoring ELF would ignore the reality of English in today’s world and be a disservice to pupils. On the other hand, decoupling English lessons from specific literary, cultural and intellectual traditions would fundamentally change the role that learning English as a foreign language plays in the larger educational context. If a focus on ELF were to be incorporated into the curriculum, it would require a significant methodological re-conceptualization; the goals, contents, and methods of foreign language teaching would need to be redefined. On the front lines of any methodological change are always the teachers who are tasked with taking developments in policy, curricula, and pedagogy and adapting them to their classrooms. Important insights into what a new conceptualization of foreign language teaching methodology might look like can be gained from research about teachers’ beliefs, which is a growing area of interest for scholars in general education and Fremdsprachendidaktik.
Teachers’ Beliefs Concerning English as a Lingua Franca Examining the beliefs, attitudes and opinions of in-service teachers (meaning teachers who are already active in the classroom) and pre-service teach-
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ers (students and trainees preparing to become teachers) is a wellestablished research area in language acquisition and education research. The basic assumptions underlying research on teachers’ beliefs are that beliefs influence teachers’ perception and judgment, guide their actions and decisions, and affect how policy, curricula, and information on teaching are translated into classroom practices (Farrell & Tan Kiat Kun 2007; see also Borg 2006). Though there is not a one-to-one correspondence between beliefs and actual teaching practice, research has shown that beliefs do indeed correlate with actual behaviors in the classroom (Farrell & Tan Kiat Kun 2007; Cota Grijalva & Ruíz-Esparza Barajas 2013). Considering how relatively recent ELF is as an identified phenomenon, there has already been a considerable amount of research done on English teachers’ beliefs concerning ELF and how it might impact their teaching practices. A decade ago, as scholarly publications on ELF were beginning to increase, researchers began asking the question of whether English teachers were being affected by the spread of ELF. Seidlhofer & Widdowson (2003) interviewed pre-service teachers enrolled in an English language teaching methodology course at the University of Vienna. They found that the participants, through their studies and their own English learning experience, had absorbed the notion that their own goals for proficiency should be to be as close to native speaker-like as possible. The participants were asked to read an article about ELF and comment on it. Their reactions to the issues raised in the article (for example, that becoming competent in ELF could be the goal of English language learning and that native speakers are not the only model) ranged from relief that they did not need to agonize about not ›passing‹ as a native speaker to resentment that the topic of ELF had never come up in their studies before. Some, however, were skeptical of an ELF-focused English teaching and worried about a lack of standards or how to measure ›good‹ versus ›bad‹ performance in ELF. These pre-service teachers were open to, and even excited by, the idea of ELF, but unsure of what teaching ELF would actually look like. Teachers interviewed for other studies both in Germany and abroad have expressed similarly ambivalent sentiments about ELF. Decke-Cornill set out to investigate whether the shift in focus to ELF had »also affected the substance and the objectives of English language teaching« (2003: 60) in the German public school system by interviewing English teaching staff from a Gesamtschule and a Gymnasium. The teachers were asked what they
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thought about a shift from a culture-specific to a global focus on English language teaching, how this shift could affect the language classroom, and if they felt ready to include lingua-franca-specific elements in their teaching. The Gymnasium staff especially seemed reluctant to move away from a native speaker-oriented approach to ELT. They »were convinced that the awareness of cultural relativity obtained in a culturespecific English language classroom would result in a general attitude of intercultural sensitivity useful in lingua franca situations« (ibid.: 63).
The Gesamtschule staff embraced lingua franca-specific teaching more. One teacher said, »Our students are not likely to travel to England. Some travel to America, but that is a privilege. Turkey or Italy or maybe Mallorca are much more likely places for most of them and these are the places for which they may need some English« (ebd.: 64).
All teachers, even those who seemed willing to embrace a global focus for English language teaching, expressed concern about needing standards for the lingua franca. They also showed uncertainty regarding the practical issues of teaching ELF. Said one teacher: »You know, it occurs to me that we would have to invent the language that we are supposed to teach« (ibid.: 65). Another asked, »How does a lingua franca function?« (ibid.: 65). Compared to the pre-service teachers in Seidlhofer & Widdowson’s (2003) study, these in-service teachers were somewhat more conservative and resistant to the concept of ELF on principle; however, both types of teachers expressed the same practical concerns about how to actually incorporate ELF in the classroom. A more recent study was conducted by Pedrazzini & Nava (2011), who interviewed five English teachers in Italy, none of whom were native English speakers. These teachers showed awareness of some characteristics of ELF discourse (such as mutual intelligibility being enough for communication, with native-like pronunciation being unnecessary), but still favored the native speaker standard, particularly for themselves and their identity as English teachers and English language authorities. The interviewees expressed the opinion that native speaker standards could offer guidelines to learners. Responses to a question about affiliation with ELF indicated that
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they considered themselves to be a part of an ELF community to the extent that they are aware of World Englishes and affirm that English does not belong solely to the U. K. or the U. S., but still claimed the native speaker model was a legitimate one for their learners (learners who, it must be noted, would most likely use English primarily for lingua franca purposes, not to communicate with native speakers). Similar beliefs were expressed by the participants in Farrell & Tan Kiat Kun’s (2007) case study of English teachers in Singapore. The teachers said in interviews that they believed the local variety (›Singlish‹) was grammatically incorrect, though they indicated they used it to build rapport with their pupils, and that British English was the ›Standard English‹. When asked about their reasons for this belief, most of their answers centered on the fact that British English was what they had been taught in school, so British English was the proper English that should be taught.
B ELIEFS OF P RE -S ERVICE E NGLISH T EACHERS ABOUT E NGLISH AS A L INGUA F RANCA IN L ANGUAGE T EACHING : A Q UANTITATIVE S TUDY This section presents a study conducted by the author which aims to expand upon the research on teachers’ beliefs cited above. This study differs from previous research in two significant ways. First, it is a quantitative study whereas the previous studies were all qualitative (interview-based). The advantage of a quantitative research design was that far more participants could be included (in total, 229 pre-service English teachers at the author’s university participated). Second, as it is more recent and used pre-service, rather than in-service, teachers as participants, the results more accurately reflect the beliefs about ELF held by the new generation of teachers who will shape language teaching practices for the next decades. The study, its background and design, and the full results are presented in more detail in Kerschen (2015). Therefore, only those aspects of the methods and results which are relevant for the current discussion will be presented here. The intent of the study was to conduct an explorative investigation of pre-service teachers’ openness to moving away from the native speaker model and to including lingua franca aspects in English teaching. As all of the data were self-reported, the results cannot provide direct evidence of
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how these teachers will behave in the classroom. However, the results may allow a glimpse into the minds of future teachers and reveal the nature of their beliefs concerning lingua franca-oriented English teaching.
Methods The data in the study were collected via a questionnaire that the participants had to fill out online. The original study included multiple questionnaires, but only one is of interest here. Entitled »Beliefs Questionnaire« (BQ), it originally consisted of four scales, of which two, the »Native Speaker Norms« and the »Awareness of English as a Lingua Franca« scales, are presented in this article (see the Appendix for a full list of questionnaire items). The two scales were intended to be counterpoints to each other and represent different perspectives on English language teaching methodology. The »Native Speaker Norms« scale was intended to show if the participants believed that the traditional ›Standard English‹ or native speaker model represents the best model for ELT. The »Awareness of ELF« scale was designed to indicate both the respondents’ awareness of English usage in a lingua franca context and their inclination to include elements of ELF in their teaching. Each scale consisted of various statements about English usage and English teaching, and the participants had to rate their agreement with the statement from 1 (»don’t agree at all«) to 6 (»agree completely«).
Results The scores on the Awareness of ELF scale (mean=3.98) indicated overall agreement with the propositions presented in that scale. The mean score (3.08) for the »Native Speaker Norms« scale is almost a full point lower than the mean for the »Awareness of ELF« scale and crosses below the threshold of 3.5 that indicates overall disagreement with the statements (response options 1-3 indicated disagreement, while 4-6 indicated agreement). However, the means for both of the scales are not far from the dividing line, suggesting that the respondents had some ambivalence about the items and were not always clearly against a native speaker model or for an ELForiented model in language teaching. It was also found that scores on the
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two scales were moderately (but statistically significantly) negatively correlated with each other, meaning that higher agreement with the statements on the »Native Speaker Norms« scale corresponded to lower agreement with the statements on the »Awareness of ELF« scale, and vice versa. The full statistical analysis of the results can be found in Kerschen (2015).
D ISCUSSION The mean scores on the two scales revealed that respondents’ beliefs concerning different perspectives on English teaching showed general support for focusing more on intercultural communication and ELF in English teaching and less inclination to adhere to the native speaker norms-based model, though not a definitive rejection of it. This result is probably due to the characteristics of the target group. On the one hand, it is not surprising that the participants, as members of a younger generation, showed openness to intercultural perspectives in English teaching. On the other hand, it is also not surprising that they still adhered somewhat to the native speaker model, as this is the standard they have experienced in their own language education and teacher training. Overall, it appears that the pre-service teachers who participated in this study had mixed beliefs about native speaker norms. Examination of the mean scores for individual items in the sub-scale revealed a few explanations for this ambivalence. The respondents partly agreed (item mean=3.82) with item 2, »Teaching learners to follow native speaker norms is the correct way of learning a language«. However, the participants expressed moderate disagreement (item mean=2.52) with item 6, »Other types of English besides the native speaker model are not good targets for language learners«. This apparent contradiction has also been found in previous research with pre-service and in-service teachers (see Grau, 2005; Pedrazzini & Nava, 2011; Sifakis & Sougari, 2010) and will be discussed further in the next section. The participants demonstrated overall agreement with the propositions on the ELF Awareness scale that promoted incorporating more intercultural aspects into English language teaching. However, the overall mean was barely over the threshold separating ›disagreement‹ and ›agreement‹. When item means were inspected, it became apparent that there were a few con-
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tradictions in the participants’ responses, which probably led to a lower overall mean score. The mean of the responses for the item 4, »My future pupils are more likely to use English with native speakers rather than with other non-native speakers«, (a negatively worded item whose scores were reversed to calculate the overall scale scores) was 2.5, showing that the participants were aware that English learners in Europe often use English as a lingua franca. Beyond awareness of the lingua franca context, participants also believed that the purpose of using English should be greater than only communicating with native speakers. Agreement with item 9, »It is more important that learners of English are taught to be sensitive to many different cultures than to learn the social and cultural norms of native English speakers«, was higher than the overall mean (item mean = 4.80). However, the respondents also showed strong agreement (item mean = 4.33) with item 3, »It is most important for my pupils that they are exposed to authentic British or American language materials«. It seems that the participants might have been in favor of an ELF-orientation in English teaching in theory, but were unsure of what it would look like in practice.
Pedagogical Implications The beliefs of the participants in this study corresponded to the beliefs of pre-service and in-service teachers found in other research. The respondents may support the idea of ELF and teaching English from a lingua franca perspective in theory, but be unsure how to implement it (Seidlhofer & Widdowson 2003), or they may feel that focusing on so many different varieties instead of one standard may be too much for classroom instruction (Decke-Cornill 2003). In an earlier questionnaire study that measured attitudes of pre-service teachers at a German university (Grau 2005), the majority of participants responded that many different accents and varieties should be present in the teaching materials for English courses, but over half also stated that British and American English should be used as the main models. Grau speculated that this is due to the fact that their knowledge of English teaching comes from their own experiences in traditional classrooms, and so they have never observed the teaching of the lingua franca dimension of English. Overall, the participants’ beliefs as measured by the BQ show an awareness of the lingua franca situation, and some
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willingness to incorporate lingua franca aspects into teaching; however, they also view native speaker standards as generally appropriate, and therefore may turn to these standards in their actual teaching practice. According to Sifakis & Sougari (2010), teachers face two different kinds of hindrances when confronted with the possibility of putting more of a focus on ELF in their teaching practice. Subjective hindrances, which are conscious to teachers and usually in their control, include issues such as awareness of the global English situation and their willingness to approach it and its potential difficulties with an open mind. Objective hindrances are outside of the teacher’s control and often stem from their working context, both immediate (materials available, certain tests required by the school) and institutional (the institutional culture and educational policy mandates). The studies presented in this section elaborate some subjective hindrances that pre- and in-service teachers face when considering ELF. When considering their teaching approach, they often refer back to their own learning experiences in traditional English classrooms focused on native speaker standards. They are willing to approach the possibility of ELF, but often still hold on to native speaker norms. Concerns about the practical aspects of how to teach ELF could also be seen as an objective hindrance if the teachers feel that they do not know how to incorporate an ELF approach to teaching because there are no appropriate materials available to them or a coherent pedagogy they can follow. Practical teaching issues are clearly of primary concern to most pre-service and in-service teachers.
T HE F UTURE
OF
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English language teaching methodology will most likely undergo a significant transformation or reconceptualization in the near future, continuing its historical development (see section 2). The studies on teachers’ beliefs discussed in sections 4 and 5 show that all English teachers share the goal of preparing their pupils for a globalized world and equipping them with both the linguistic and intercultural skills they need to succeed in a global marketplace and as global citizens. However, there is no consensus on the other goals of foreign language teaching. According to the program laid for ELT at the secondary level by Doff & Klippel (2007), the English classroom should aim to develop skills and functional competence in the use of lan-
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guage; knowledge about language, literature, and culture; intercultural abilities; and broader intellectual development. Combining all of those different strands is a tall order for teachers, and some teachers may choose different goals to focus on. Decke-Cornill’s (2003) interviews with teachers from different school forms showed they had divergent goals: Gesamtschule teachers were more concerned with equipping their pupils with practical skills, while Gymnasium teachers focused more on literature, culture, and intellectual development. Therefore, one possibility for the future of English language teaching methodologies is that there will be further differentiation between the school forms. ELF may have more of an impact on English teaching in Haupt-, Real- and Gesamtschulen, while traditional methodologies may persist longer at Gymnasien. While ELF may have entered into the consciousness of English language teachers at the level of the larger context and goals of ELT, it has had less impact thus far on how they view the content of English lessons. The research on teachers’ beliefs show that they either reject a shift from content that focuses on native speakers and the cultures of North America, Britain, and Australia (Farrell & Tan Kiat Kun 2007; Pedrazzini & Nava 2011) or are open to a re-orientation but unsure about what to replace the traditional content with (Decke-Cornill 2003; Seidlhofer & Widdowson 2003; Kerschen 2015). There is also the question of how to combine intercultural competence with functional communicative skills. Successful communication in a lingua franca context requires both, but knowledge of traditional English-speaking cultures, a main focus of current English teaching methodologies (particularly CLT, with its focus on ›authentic‹ materials), may help little with actual ELF interactions. Content is currently a big question mark in ELT and is likely to be the most hotly disputed aspect of a new conceptualization of language teaching methodology. In terms of methods, an orientation towards ELF would support shifting the focus of English lessons from accuracy and communicative ability measured against native speaker norms and putting it on developing a sense of agency and community among learners. For learners in Germany, the primary reason for learning English today is to use it to communicate not with native speakers, but with other non-native speakers, as was recognized by the teachers who participated in the studies discussed above. In interactions between non-native speakers, all participants have an equal claim on the English language (Jenkins 2007). In addition, lingua franca situations
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require that English learners feel confident in their ability to communicate in diverse contexts and with diverse partners, and therefore must be active agents in their own learning. The concepts of learner agency and community are not new; they are reflected in both CLT and TBLT. However, a new, ELF-focused conceptualization of English teaching methodology would require a ›doubling down‹ on these concepts by employing methods that allow students to use English frequently and purposefully during lessons. As such methods are already common in many English classrooms, this aspect of methodology is likely to be less controversial than redefining the goals and content of English lessons, though some teachers may want to preserve methods that place more emphasis on native speaker-like accuracy. This article and the research cited herein have shown that ELF poses challenges to currently existing language teaching methodologies in terms of goals, contents, and methods. However, in spite of (or perhaps due to) these challenges, it has the potential to push the field of ELT in new directions. The historical trend in foreign language teaching methodology has been towards methodologies that are more inclusive and that better prepare learners to use the language and communicate with people from other cultures. In this sense, Communicative Language Teaching and Task-Based Language Teaching are marked improvements over Audio-Lingualism and the Grammar-Translation Method. The process of re-conceptualizing language teaching methodology is not an easy one and can lead to disputes among and between researchers and teachers, but it is the hope of this researcher that ELF will lead to improvements in ELT that will best serve the English learners of the 21st century.
APPENDIX »Beliefs Questionnaire« Native Speaker Norms • It is problematic if learners use behaviors from the native language when communicating in the foreign language. • Teaching learners to follow the social rules and cultural values of native speakers is the correct way of learning language.
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Native speakers are the best standard against which to measure teachers, materials and students. A non-native speaker is always less competent in the target language than a native speaker. The best way for English learners to develop their ability to behave appropriately in the foreign language is to present them native speaker models to imitate. Other versions of English besides the native speaker model are not good targets for language learners. My future students should strive to speak like American, British or Australian native speakers. It is the goal of English class to encourage learners to adopt the beliefs and behaviors of English-speaking cultures.
Awareness of English as a Lingua Franca • Learners need to speak English as native-like as possible in order to be successful in the future. • Real English comes from countries in which it is spoken as a native language. • It is most important for my future students that they are exposed to authentic British or American language materials. • My future students are more likely to use English with native speakers rather than other non-native speakers. • The teacher’s goal in the classroom should be to model a native speaker as closely as possible. • Using native speaker-like pragmatic behaviors will enable English learners to communicate effectively in all situations, including in interactions with other non-native speakers. • Teachers should be comfortable teaching about the cultures and values of English-speaking societies that are not Britain, Australia or the USA. • It is important for teachers to have experience using English in communication with other non-native speakers. • It is more important that learners of English are taught how to be sensitive to many different cultures than to learn the social and cultural customs of native English speakers. • A variety of English types should be taught in school, including varieties from Asia or Africa and dialogues between non-native speakers.
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Subjectivity in Translation P AUL S TANDISH Je n’ai qu’une langue, ce n’est pas la mienne. I have only one language; it is not mine. JACQUES DERRIDA (1998: 1)
In his little book on translation, Monolingualism of the Other; or, The Prosthesis of Origin, Jacques Derrida makes this enigmatic statement: »I have only one language; it is not mine.« What do these two clauses mean? At first sight, they are puzzling, even self-contradictory: the opening affirmation of »I have« conflicts with ensuing the denial (»not mine«). Hence, the sentence raises questions of ownership – that is, questions of both belonging and identity – and questions of singularity and plurality. These constitute central themes of the text that unfolds. How are we related to the language that we call ours – our ›native language‹, our ›mother tongue‹? And how then do we relate to those other languages that we acquire as second and third languages, for these are languages that others will call their mother tongue? When Derrida states »I have only one language«, is he reporting an empirical fact: that he, as it happens, knows no other languages? This does not seem to have been the case, for surely, while he clearly spoke and wrote for the most part in French, there are ample examples of him talking and writing in English, and in other languages, and we know that he also spoke street Arabic as a child growing up in Algiers. The sentence could be saying something different again: that there is only one language. While, on the face of it, this also is untrue, it hints at the thought that languages are not, as we are inclined to assume, simply sepa-
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rate from one another: as etymology indicates and as our ordinary experience reveals, languages seep into one another, with words and concepts appropriated and adapted continually and dynamically, and with no ultimate stabilisation in wholly discrete forms. To think otherwise is to entertain the fantasy of a pure language, the true language of a people, or even sometimes of an original language, but in fact there is no such thing. 1 It is in this sense that the hyperbole of »there is only one language« begins to make sense. Still further, there is, in the expression »I have only one language«, the hint of a kind of poverty: that language is all I have; that all there is to me, qua human being, is language; and that language pervades my being and my world. On the basis of these initial reflections, the discussion that follows moves through six stages. First, I shall address questions of language, difference and translation; second, what is (thought to be) involved in transferring meaning from one language to another; third, some specific problems regarding the hegemony of English, especially in relation to policyborrowing; fourth, the example of the translation of the term ›social justice‹ into Japanese; fifth, some more pervasively important problems regarding the translation of ideas of the human subject; and sixth, and in conclusion, questions of receptivity and the exercise of judgement in relation to the role of the translator. The cumulative effect will be, I hope, an appreciation of the complex interrelation between language and plurality, which has significance well beyond the apparent task of the translator.
L ANGUAGE ,
DIFFERENCE , AND TRANSLATION
Language is very often understood and described as a means of communicating thought. This is a common-sense assumption, but it also finds classic expression in the work of Aristotle, and it can be found in modern text books of communication theory. Moreover, the idea of language as a vehicle for thought is expressed by many contemporary philosophers, including Michael Dummett and John McDowell (Dummett 1978; McDowell 1994: 1
For a fascinating discussion of language and plurality, see Barbara Cassin’s Nostalgia: When Are We Ever At Home? (Cassin 2016). For a discussion of these themes in relation to higher education, see Yun & Standish (forthcoming).
S UBJECTIVITY IN TRANSLATION
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124-126). The view in question goes something like this. A person, A, has a thought and wants to communicate that thought to someone else, B. A codes the thought into spoken words, and B hears the words and decodes them. The process can be replicated through an extra stage, where the thoughts coded into words are then further coded into writing, and once again B decodes. If all goes well, on these scenarios, B will in the end have the same thought as A. This is a tidy picture, and it has its attractions. But some fairly obvious questions soon arise. Consider, first, the starting point: A has a thought. What form does this thought have? It will not help at all at this stage to say that the thought has the form of a brain process, because, while brain processes are clearly involved in our thinking, it is a mistake to think that they can be equated with thought: in fact, to speak of brain processes has the effect of pushing the problem aside. What more careful reflection reveals is the following: that when one has a thought, that thought is almost always already in the form of language. Our minds are characterised by that silent stream of words that passes through them, where words are not exactly under our control but the very means of thinking that makes our being in control possible. Even those thoughts that we have that are not obviously in words at all – the recollection of someone’s face or of the smell of onions frying – occur against a background, a background of words. An interesting implication of this is that our thoughts are derived from the circulation of signs in the community in which we are brought up. This is counter-intuitive to the extent that we tend to think of ourselves as starting off as isolated subjectivities with feelings and thoughts. It is only then and on the strength of this, we imagine, that we enter into language, which is the means for communicating those thoughts. The plausibility of this comes in part from the accurate assumption that little babies do indeed have feelings and thoughts, just as the higher animals have feelings and thoughts. But the danger here is of a kind of anthropomorphism: this would consist in our assumption that the baby’s thoughts are like our own. The baby cries, and we say that she is hungry, and surely this is a reasonable way to speak. But her hunger is very far removed from our own when we wonder what is for dinner. This is partly because the social context of our having dinner is very different from that of the baby searching for the breast, but it is also, more significantly, due to the fact that the world, with all its fine differences and discriminations, and with the self-awareness that comes with
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language, has not yet opened up for the very small child. It will open for her, in a way that it will not, for the most part, for the animal, which will remain confined in the push-and-pull of need and instinct, in a habitat rather than a world. At this stage, the baby’s behaviour, and her thoughts and feelings, are closer to those of the animal in many respects, although, unlike them, she has the potential for full human experience, and she is rightly treated differently as a result. It is a familiar point to students of language and linguistics that different languages make different kinds of discrimination. This is true at the level of individual words. Consider, for example, the range of words in Spanish for which ›blue‹ is the most appropriate English translation – hence, the finer (or at least different) range of discrimination achieved in Spanish. It is true also with regard to more subtle, though perhaps more important aspects of language. For example, English generally lacks middle-voiced verb forms, i. e. verbs that are considered neither active nor passive, whereas these are prominent in many other languages. The definite and indefinite articles, the use of which takes such nuanced forms in English and in most European languages, are in fact absent from most languages in the world. Singular and plural forms, which seem essential in so many languages, are absent from Japanese. To an English or German speaker, a language without these features can seem puzzlingly deficient in terms of precision of expression; yet Japanese has a refinement of discrimination in respect of manners of address and means of showing respect, for persons and for things, that quite escapes the understanding of most speakers of European languages. Languages reveal the world differently. A related mistake here is the assumption that signs can be matched without remainder in the way that alternative codes can: 1, 3, 5, 7 might be matched to A, C, E, G, so that the code for a lock CGEA might substitute for 3751. But language is not a code in this way, and words do not function like this. Words are always open to new connotations and new associations. This is not just a theoretical possibility: it is there, live, in our ordinary usage, and indeed it is for this reason that thoughts are never trapped within a closed system but open constantly to new possibilities. Derrida refers to this aspect of the sign as its unsaturatedness: it is necessarily open to such new connections, never full to the extent that it could not absorb more meanings. This is not to encourage the scepticist idea that we never really know what we are saying or what someone means: it is to describe the very conditions
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in which language is possible and in which we can say what we mean, in which sometimes we are in doubt, and sometimes the question of doubt does not arise at all.
T RANSFERRING MEANING
FROM ONE LANGUAGE
INTO ANOTHER
A further set of assumptions that threaten clear understanding of the way that language works comes to the fore in certain familiar beliefs about translation, and once again these have a common-sense plausibility. Let us identify two: 1) Each language is more or less self-contained and pure. The words are
›in‹ one language or another. 2) The words in a language function by means of a correspondence with things in the world, and hence it is by our reference to things existing in a common world that the matching of one language to another takes place. These ideas work in a complementary way. The idea that languages are pure and self-contained is readily supported in circumstances where words of a major language are to be matched with those of another, with which one is not familiar, especially where these languages come from different groups and have different roots – say, German and Mandarin Chinese. Where the languages are more closely connected, it is easy to find words and structures that are connected etymologically, and it is more easy, in actual usage, for the speakers of the different languages to muddle through. This fluidity of interaction tells us more about the way that languages develop and about their unsettled and ultimately indeterminate nature. Attempts to stabilise languages, with the compiling of dictionaries and grammar textbooks, are certainly useful, but it would be a mistake to imagine that they have ultimate authority, as the example of the Académie Française is popularly thought to demonstrate. The dictionary and the grammar follow usage rather than establish it – and indeed the role of the Académie is to identify conventions that are advisory rather than mandatory.
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The aspiration to stability here connects with the second of the assumptions: that meaning involves the correspondence of a word with a thing. Once again, the common-sense plausibility of this is relatively easy to dispel. In the first paragraph of the Philosophical Investigations, Ludwig Wittgenstein gives attention to this, showing how this idea may seem to work well enough for such nouns as ›table‹, ›chair‹, and ›bread‹, but is less convincing when it comes to the words ›five‹ and ›red‹, in »five red apples« (Wittgenstein 1958: §1). The problem is still more evident if one considers words such as ›although‹, ›mainly‹, ›because‹, and ›hello‹. There is a metaphysics embedded in the assumption of correspondence to the effect that the world is, as it were, pre-packaged in the form of more or less discrete things and that names are (to be) attached to these. It is a major concern of Wittgenstein’s later writing to undermine such a way of thinking, deeply entrenched as it is. One expression of such a metaphysics is to be found, in the 18th century, in the work of Condorcet, where language is seen as representational, as designative, and, that is, as primarily naming things. In the same century, the Encyclopédie of d’Alembert and Diderot aspired in principle to be an inventory of things in the world. Roland Barthes’ essay »The Plates of the Encyclopaedia« brilliantly analyses the way that this is conceived. Each plate is divided in two, with the top half presenting a living scene – perhaps in a baker’s shop – while the lower part provides a tabulated key and nomenclature for the different items in use in the scene. There is a compelling beauty to the plates, with cameo scenes from what is to be imagined to be real life, complemented by taxonomies of idealised objects, carefully drawn. This reveals, so it seems, a fundamental ordering of things, just as the diversity of plates purports to encompass the range of what goes on in the world. It is relatively easy to see how the two assumptions collude in thinking about translation. Languages map this common world, as seems to be evident where one translates the English ›cat‹ with the German Katze, the terms having a common referent. But, as with the word ›blue‹ above and its Spanish equivalents, it is not difficult to see the problems with this picture. ›Beef‹ and the French boeuf alike can refer to the meat on the plate, but ›beef‹ does not name the animal in the field. At stake here are not only differences in the range of reference of a term, but wider questions of usage and factors regarding the sensuous fea-
S UBJECTIVITY IN TRANSLATION
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tures of words and other signs. This is accentuated in certain forms of literature, especially in poetry. When a foreign word occurs in one’s own language, it stands out, and this presents particular problems for the translator. Let us imagine that a poem is to be translated from Spanish into German and that the poem includes a German expression. If the translation were into Italian, the German expression could be maintained, and it would still stand out in contrast to the rest of the poem. But if the German is maintained in a translation into German, that contrast will be lost. This may seem an extreme case, but it serves to highlight those aspects of sound and connotation, and of the familiar and the unfamiliar, that a more abstract conception of meaning hides. On the whole, and in the Western world especially, the tendency has been to sublime meaning by imagining it in abstract terms, in line with the metaphysics described above. To think in those terms is to dull the sensibility of the translator, and it is to fail to do justice to our ordinary experience of natural languages. These are difficulties that arise in respect of any natural languages, but English, I suggest, presents particular problems, and it is to this that we should now turn.
P OLICY - BORROWING
AND THE HEGEMONY OF
E NGLISH
English has prominence as a language in a way that is unprecedented, seemingly self-reinforcing, and self-perpetuating. No hegemony lasts forever, but it is not easy to imagine this changing soon – especially given the ways in which it has been more firmly installed and further boosted by developments in new technology. The dominance of English has had effects on a global scale, not least in the European Union. It is interesting to speculate about how far the UK’s withdrawal from Europe will compromise this dominance. But, in any case, the policy context in many fields has seen changes on a global scale, and English has been a significant driver of this change. Think, for example, of the role now played by international comparisons, perhaps especially in the field of education. Such comparisons can play a critical role when it comes to dependence on international organisations such as the World Bank. Think also of more general and pervasive aspects of globalisation, of the
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growth and subsequent diversification of the mass media, of the spectacular development of the internet and social media, and of improved communications in terms of transport and travel. Such factors have fuelled a boom in publishing, where the massive preponderance of work has been in English. And this is a situation, as far as the university is concerned, that is accentuated by the increasing pressure to publish in English – a tendency driven in part by bibliometric evaluation. In such circumstances, English has acquired authority in two senses. First, it has practical authority in international contexts. It is the means by which people from different countries can most easily communicate with one another. This is the case not because English is an easy language to learn (It is not!). It has rather to do with the ubiquity and familiarity of the language, which is again self-perpetuating, as was acknowledge above. Second, it has perceived authority because of the economic power and prestige associated with Anglophone – that is, especially, American – culture. Here we should remember also the sheer scale of research in North America, which has a distorting effect on the international field. Obviously it is the case that these circumstances give Anglophone scholars a headstart when it comes to publication, and this in turn means that their work is given undue prominence in the international scene. Once again a process of selfreinforcement is clearly evident. I want now, however, to consider some examples of distorting effects occasioned by the dominance of English, not only in terms of the chances of publication but on the thinking of non-anglophone speakers and researchers.
›S OCIAL
JUSTICE ‹ IN TRANSLATION
It is important to acknowledge that the dominance of English can affect speakers of other languages – perhaps especially those working in academic research – at two levels. This is, first, in terms of their engagement in discussions internationally where the lingua franca is English. But there is also, second, the question of interference by this dominance of English in circumstances where researchers are speaking their mother-tongue. Let us consider these in turn.
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In cases where English is the lingua franca, it is not only that English terms are used: it is also the case that the conceptual field will be determined differently. A term will carry certain connotations, opening onto conceptual fields that may well be different from those of the term’s equivalents in other languages. Furthermore, as with any language, there are structures to English that are different from other languages and distinctive. Rich though the language is, its characteristic sentence form (subject-verbobject) is not similarly prominent in all languages. English relies heavily on nouns or pronouns in the subject position, and it lacks the middle-voiced forms that are an important aspect of some languages. This means that it is necessary to identify a subject in a way that is not necessary in, for example, Japanese. These diverse features of language are not merely matters of curiosity: they have to do with different ways of thinking, different ways of being, and different ways in which the world comes into view. Interference in the native language by the dominance of English can be illustrated in ways that are familiar enough – most obviously in the adoption of American, sometimes commercial terms in the language. This may be politically or aesthetically objectionable, but at least it is relatively easy to identify. There is a more complex problem, however, where the interference takes more surreptitious forms. Let me provide an example. In educational research there is much discussion of social justice. This is surely for good reason in so many respects, although the term can become something of a mantra. Certainly in international circumstances where education is discussed, the term is frequently heard. But what I am concerned with here is its invasion of other languages. In Japanese, an authentic expression is available to translate the phrase: shakai seigi. But there is also now a more recent term, which is written in katakana (the Japanese syllabary used for foreign and imported terms): soshiaru jasutisu, which is plainly a Japanese adaptation of the English expression. Now the point is that the Japanese researcher, adept in the international research scene, is likely to prefer the more international and more modern term in preference to the authentic Japanese expression. Indeed, it may carry a kind of kudos so to do. This can work in the dominant language, English, where, say, it is Bildung that is being discussed and where it is accepted that the term resists translation. But
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the effect in the case of soshiaru jasutisu is altogether harder to asses and, as I have suggested, more surreptitious. 2 A further consequence of the dominance of English also needs to be weighed. This is that the language spoken in international contexts will not be exactly English but English-as-a-Second-Language. Why should this be a problem? One aspect of this is that instead of mastery being gained in the language (a language in which complex ideas are to be expressed and exchanged), there prevails a good-enough-to-get-you-there form of discourse in which greater refinement comes to be eschewed. This, indeed, is a matter of concern. But there is something further to be considered, something that is perhaps of greater importance, in the fact that the lingua franca will, for most speakers, be severed from their mother tongue, the language of intimacy with which they grew up. Now it seems highly likely in many more technical fields that this will matter very little. But in the humanities – and for that matter in the social sciences, where the point of focus is still human beings and their institutions – this may indeed carry significant costs. For it may, especially in the social sciences, give an added boost to the proclivity towards the adoption of technical vocabularies and abstract ways of seeing. Good novelists are generally preoccupied with the understanding of human nature and its institutions, and most novelists would not choose to write in a language that was not their own. If the Geisteswissenschaften, to borrow this broader and more apt term, are to be adequate to their task, the nature of the language they use must be seen to be of paramount importance. Acquiescence in technical modes of discourse will surely stand in the way of a fitting response to the subject matter’s demands. It is easy to multiply the examples of distortion along the lines I have suggested. Think, for example, in educational research of the prominence of the idea of teacher. But think also of the way that this term is neutrally descriptive in relation to such terms as maître in French or sensei in Japanese. The latter terms incorporate ideas of respect and warmth in a manner that the English expression does not quite manage. But I want to press the
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Ruprecht Mattig provides an interesting discussion of Otto Friedrich Bollnow’s account of Übung, which was influenced by his awareness of Japanese cultural practices (Mattig 2017). Mattig rightly draws attention to the seeming poverty of the range of related English terms – ›practice‹, ›exercise‹, ›drill‹ – in relation to what is conveyed by the German term and equivalent expressions in Japanese.
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point further by focusing on an expression that is critically important for philosophy and for wider fields of enquiry into the human condition. This is the term ›subject‹ itself.
T RANSLATING › THE
SUBJECT ‹
Following the period of Japan’s closure to the outside world (1600-1868), and with the Meiji restoration, there was a policy of sending the brightest young people to Europe and the United States in an effort to find out what was going on. What they brought back ranged across the arts and sciences, and crucially it included philosophy itself. Of course, questions of a philosophical kind had been asked in Japan since ancient times and sometimes addressed in the most profound ways, but what was absent was anything like philosophy as an academic subject of study. Thus, when Amane Nishi (1829-1927), in the late nineteenth century, introduced philosophy into Japan and created a name for it, tetsugaku (哲学), he initiated a process in the course of which numerous translations of major European and American philosophical works were made. Inevitably these translations encountered problems relating to key terms, one of which was the central and pivotal term ›human subject‹, a term notoriously difficult for Chinese and Japanese translators. In Japanese, two possibilities present themselves. There is the epistemological subject as shukan and the subject of practice as shutai: 主観 shukan epistemological subject
主体 shutai subject of praxis
Nishi preferred shukan, thus installing a certain conception of subjectivity at the heart of philosophy. The subsequent adoption of the term in numerous translations in some ways set the course for philosophy as it was to develop in Japan, with trail effects in other subjects of study and streams of thought. There is a degree of irony to this, as well as a further suggestion of colonisation. In English and other dominant European languages, this central term retains a degree of looseness: the boundaries between the conceptuali-
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sation of the subject in, say, David Hume, whose writings evoke more the epistemological subject, and Karl Marx, whose thinking foregrounds and thematises the subject of praxis, are not clear-cut, however much their elaboration of the notion in their philosophy may lead in different directions. But with this fundamental differentiation in Japanese, it was as if thinking in terms of one of the aspects of that term had been foreclosed. The irony is that the idea of a shutai-like (that is, practice-oriented) subject is closer to the indigenous life and thought of Japan – a country that had not witnessed the revolution brought about by René Descartes and the rapid rise of science, which were such crucial factors in modern Europe, but that was steeped in religious and cultural practices in which such factors as behaviour, bodily performance and appearance, and gesture were of paramount importance. In his Translation and Subjectivity: On »Japan« and Cultural Nationalism, Naoki Sakai provides a telling account of one such factor: the practice of learning a foreign language. His specific point of departure is Akira Suzuki’s examination in the early nineteenth century of the idea of foreign language learning. Writing during the late stages of Japan’s closure to the outside world, Suzuki understood such learning in terms of the acquisition of an ancient language, of China or Japan. But it is important that this process was taken to involve an absorption of the textures of a social and political reality different from one’s own. Through this there would be a »cofiguring« of each. Hence, learning of this kind (and the relation to literature and language that it implies) is of an order very different from that of ›literature‹ or ›foreign-language learning‹ in their familiar forms in contemporary schools and universities: whereas the study of literature today might be conceived in terms of, say, a literary-critical approach, and a language might be studied for instrumental reasons, in Suzuki’s account learning is closer to the experience of the novice monk, where one becomes absorbed in the content and textual practices of the language in question, including its characteristic disciplining of the body. One commits or submits oneself to its ethos. Such an account of literature is overtly related to the construction of subjectivity, with all the ethical richness that that implies. Sakai takes this to be »an ecstatic project«, where »ecstasy« implies being taken outside oneself and a readiness for this to happen. It is
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»a project of moving away from and getting out of the selfsame that the figure of a foreign language solicits me to venture into. It is a project of transforming me into that which is not familiar rather than a project of returning to the authentic self« (Sakai 1997: 33).
This encounter with the foreign language realises, then, a possibility of subjectivity on both fronts (the ›home‹ language and the foreign language), and this is transformative in kind. It is important on this account to see that questions of the possibilities of the human are at stake, and these are matters of freedom itself. Sakai develops the point in relation to the idea of the contrast in conceptions of the human subject on which the present discussion is turning: »By shutai, therefore,« he writes, »I like to suggest the impossibility of full saturation of any identity and, particularly, of the agent of action, as well as an undecidability that underwrites the possibility of social and ethical action. Yet the shutai is not the agent of action possessing free choice as it is understood in liberal humanism because freedom is neither owned by it nor in it« (ibid.: 150).
This is to resist the idea of freedom as either a possession of a subject or as internal to an ego, along the lines that are typically assumed by liberal humanism. The reason for this is that freedom is not internal to a subject but is ›out there‹, in the engagement of ethical action and with the absence of any final settlement. It is there in the ongoing engagement in language, where the subject is opened to possibilities beyond itself – that is, in a kind of ekstasis. Sakai’s account makes it possible to see a kind of colonisation in the displacement of such an orientation to foreign-language learning and of the reading practices that went with it. The foregrounding of the epistemological subject, which maintains a more distanced and less engaged relation to practice, colludes in this. This extends to the conceptualisation of identity – not just the identity of Europe or of Japan but the notion of identity itself. For there is a sense in which modern Western notions of identity have been shaped by the taxonomical practices that developed so rapidly in the 18th century in Europe, with the rise of the statistical sciences. Powerful though these undoubtedly are – indeed they are invaluable in a science such as biology – they present problems in relation to the classification of forms of
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human life and settlement, as the early development of anthropology plainly shows. They play a part in the notions of identity in the »orientalism« that Edward Said has described (Said 1978). This can also be seen in what we might think of as an ›occidentalism‹ – say, a Japanese construction of the West. But, so I have tried to argue elsewhere (Standish 2011), occidentalism is not symmetrical with orientalism in that the former depends upon a notion of identity that is itself a cultural import or imposition. Suppose for a moment that it is conceded that shutai-thinking is more typical of Japan and ›the East‹. How far would the formulation of such a judgement already get things wrong? While it may seem that shukan is the mode of subjectivity of ›the West‹ and shutai that of ›the East‹, Sakai is eager to show that the Japanese are also shukan-like in their construction of ›the West‹. In criticism of Tetsuro Watsuji’s famous work Fudō, which tried to show that there was an essential relationship between character, culture, and climate, Sakai argues that the »interiority called Japan« in such an anthropology ends up being thoroughly »Western« —the grafting of an image of Japan on Japan determined by Western notions of identity. In the same way subjects are apt to become shukan-like in their thinking when confronting cultural difference insofar as, in this process, the other is objectified. To identify shutai as the defining characteristic of subjectivity in the East is ironically self-defeating. So these are questions about what can be understood by identity itself, and these should be live in the subject of philosophy. We are thinking here on the grand scale of personal and cultural identity, but problems with notions of naming and identity, and the metaphysics that goes with this, are raised also at the most basic level, as we saw, of »five red apples«. What does that imply for language and translation?
L ANGUAGE
SPEAKS
Such questions are live especially where it is recognised that language is not to be understood as a tool of communication, and instrument for conveying thought. The picture of this, which was advanced by Aristotle, has not ceased to have its adherents in philosophy and elsewhere, but the above discussion has attempted to show why it is fallacious. The exploration of what is at stake in the translation of the word ›subject‹ into Japanese is one
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entry into understanding why these things matter, and it furthers the dismantling of the metaphysical assumptions at work in the Aristotelian picture. A highly influential statement of a different view is to be found in Martin Heidegger’s 1950 lecture Die Sprache, translated as »Language« (Heidegger 1971). In contesting the idea that language is something that human beings have, Heidegger inverts the normal expression (that the human being speaks) and says provocatively »Die Sprache spricht«, »Language speaks.« The disturbing animism in this expression is partially dispelled if one ponders the fact that, as we saw above, we do not first have thoughts and then code them in language, but rather our thoughts come to us in and, indeed, from language. They do come from language in that we would not be able to think, in the ordinary sense that human beings think, if we had not been exposed to the circulation of language in the communities in which we were brought up. Our thoughts come from that circulation. Moreover, it would be a mistake to think that our thoughts are under our control in any straightforward way. Our thoughts come to us. The words come to our mind. Only on the strength of this are we able to direct our thoughts in particular ways and sometimes to ponder what words to use. For the most part, our relation to our language is less active, more passive, and more desirably receptive than we are inclined to acknowledge. And receptiveness so often plays a critical role in good judgement. Good judgement is not simply in the gift of the rationally autonomous sovereign subject: it depends upon a reception of language, and that language is not simply ›mine‹.
R ECEPTIVITY ,
JUDGEMENT , AND THE TASK OF THE TRANSLATOR The challenge the Chinese or Japanese translator faces in relation to the word ›subject‹ exemplifies a more general difficulty. The translator normally confronts a gap between meanings for which there is ultimately no satisfactory resolution. As a result, the translator experiences the space for judgement – precisely that space where there is no rule to resolve the difficulty she faces. For Nishi no compromise between shukan and shutai presented itself. The task she faces cannot be understood in any simple logic of
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problem-solving. Indeed, a mentality of problem-solving may be a barrier to the thinking that is required. The difficulty she faces is irreducible, although she still must exercise judgement and act. I would like to suggest that this exercise of judgment – carried out in full focus in the decision that confronted Nishi, but inherent in the background to the practical reason that the translator continually exercises – in fact exemplifies a requirement of the moral life. This is that we are challenged as human beings where incommensurable ways of things run up against one another. In such circumstances, there is no rule. The consequences of our decisions, big and small, will help to shape the circumstances that then unfold, dynamically reconstructing our lives with one another and the kind of world that we have. It is, as we saw, a familiar point that languages divide up the world in different ways. But it is convenient, especially for native English speakers, to play down its importance. This leads to the complacent assumption that this is ›just a matter of translation‹, that translation is primarily a technical matter, and that differences between languages are merely to be overcome. Think of this as a suppression of thought, of which the monolingual may be unaware.
R EFERENCES Barthes, Roland (1972 [1957]): »The Plates of the Encyclopaedia.« In Mythologies. Translated by Annette Lavers. London: Paladin. Cassin, Barbara (2016 [2013]): Nostalgia: When Are We Ever At Home? Translated by Pascale-Anne Brault. New York: Fordham University Press. Derrida, Jacques (1998 [1996]): Monolingualism of the Other; or, The Prosthesis of Origin. Translated by Patrick Mensah. Stanford, CA: Stanford University Press. Dummett, Michael (1978): Truth and Other Enigmas. London: Duckworth. Heidegger, Martin (1975 [1950]): »Language.« In id.: Poetry, Language, Thought. Translated by Albert Hofstadter. New York: Harper Perennial, pp. 185-208.
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In der eigenen Sprache stottern Über das Philosophieren auf Japanisch und die Erfahrung des Fremden 1 F UMIO O NO
E INLEITUNG :
EINE RICHTIGE
S PRACHE ?
Gibt es eine richtige Sprache zum Philosophieren und Denken? In welchem Verhältnis steht die Sprache zum Philosophieren? Reguliert sie die Bedingungen philosophischen Denkens oder ist die Philosophie in ihrer essenziellen Natur unabhängig von der Sprache? Sind Fragen wie diese in einer Zeit, in der Begriffe wie ›richtig‹ und ›essenzielle Natur‹ nicht mehr, wie z. B. in der Philosophie des Aristoteles, die Basis für ein ›gutes Leben‹ darstellen, überhaupt noch relevant? Wir können die Frage, ob es eine richtige Sprache zum Philosophieren gibt, heute ohne Zögern mit ›Nein‹ beantworten. Das liegt daran, dass es keine einzige Sprache gibt, in der wir nicht denken könnten, so dass es auch keine Sprache gibt, aus deren Perspektive anderen Sprachen die Möglichkeit und das Recht zum Philosophieren abgesprochen werden könnten.
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Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines Textes, der auf Japanisch mit dem Titel »Tetsugaku to hon’yaku no sabujekuto, aruiwa jibun-jishin no gengo nioite domorukoto: Watsuji Tetsuro ›Nihongo to tetsugaku no mondai‹ saikou« veröffentlicht wurde (Ono 2015). Die vom Autor geschriebene englische Version des Textes wurde vom Autor zusammen mit Ruprecht Mattig ins Deutsche übersetzt.
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Noch 1966 allerdings sagt Martin Heidegger in einem SPIEGEL-Interview mit dem Titel »Nur noch ein Gott kann uns retten« Folgendes über die Aufgabe der Deutschen bei der »Umkehr« aus der modernen technischen Welt: »SPIEGEL: Glauben Sie, daß die Deutschen eine spezifische Qualifikation für diese Umkehr haben? Heidegger: Ich denke an die besondere innere Verwandtschaft der deutschen Sprache mit der Sprache der Griechen und deren Denken. Das bestätigen mir heute immer wieder die Franzosen. Wenn sie zu denken anfangen, sprechen sie deutsch; sie versichern, sie kämen mit ihrer Sprache nicht durch. SPIEGEL: Erklären Sie damit, daß Sie in den romanischen Ländern, zumal bei den Franzosen, eine so starke Wirkung gehabt haben? Heidegger: Weil sie sehen, daß sie mit ihrer ganzen großen Rationalität nicht mehr durchkommen in der heutigen Welt, wenn es sich darum handelt, diese in der Herkunft ihres Wesens zu verstehen. So wenig man Gedichte übersetzen kann, kann man ein Denken übersetzen. Man kann es allenfalls umschreiben. Sobald man sich ans wörtliche Übersetzen macht, wird alles verwandelt. SPIEGEL: Ein unbehaglicher Gedanke. Heidegger: Es wäre gut, wenn es mit dieser Unbehaglichkeit im großen Maßstab Ernst würde und man endlich bedächte, welche folgenreiche Verwandlung das griechische Denken durch die Übersetzung ins Römisch-Lateinische erfahren hat, ein Geschehnis, das uns noch heute das zureichende Nachdenken der Grundworte des griechischen Denkens verwehrt« (DER SPIEGEL 23/1976: 217). 2
Wie karikaturistisch diese romantisierende Vorstellung uns heute auch erscheinen mag, Heidegger war jedenfalls überzeugt, dass das Philosophieren und das kontemplative Untersuchen aufs Engste mit der deutschen Sprache verbunden sei. Auch wenn es nicht so auffällig erscheinen mag: Wenn wir nun allerdings fragen, ob diese Art des philosophischen Ethnozentrismus im heutigen akademischen Diskurs überwunden ist, können wir leider nicht mit ›Ja‹ antworten. In der Zeit der Globalisierung, in der der Imperialismus der englischen Sprache bekanntermaßen immer mehr um sich greift, zeigt sich das Prob-
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Das Interview wurde 1966 von Rudolf Augstein und Georg Wolf geführt, auf Wunsch Heideggers aber erst nach seinem Tod im Jahr 1976 veröffentlicht.
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lem zwar etwas anders als bei Heidegger, doch im Prinzip geht es auch hier darum, dass das akademische Denken immer mehr mit einer Sprache (in diesem Fall der Englischen) verbunden wird, was wiederum andere Sprachen tendenziell ausschließt. Wie sollen wir damit umgehen? Die Eingangsfragen erscheinen noch in einem anderen Licht, wenn angesichts des Imperialismus des Englischen die Subjektkonstitution in der Sprache betrachtet wird. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ich und der Sprache? Ist das ›Ich‹ ein anderes, wenn es sich im Englischen I nennt, als wenn es sich im Japanischen mit 私 (Watashi) bezeichnet? Diese Fragen berühren also den Zusammenhang von Sprache und Philosophie, insofern Sprache das Philosophieren überhaupt erst möglich macht. Wenn wir weiterhin bedenken, dass Philosophie traditionell als paideia, also als Streben nach Charakterbildung, angesehen wurde, hängt diese Frage auch eng mit Fragen nach der Bildung zusammen.
AKADEMISCHE S PRACHEN IM Z EITALTER DER G LOBALISIERUNG Ich möchte die eingangs gestellten Fragen noch weiter kontextualisieren. Welche Sprache es auch sein mag, wenn wir in einer fremden Sprache lesen, nachdenken oder schreiben, erfahren wir die Freude, eine Welt kennenzulernen, die wir vorher nicht gekannt hatten; die Freude, die Welt auf andere Weise zu verstehen, indem wir sie mit anderen sprachlichen Mitteln ausdrücken; und natürlich die Freude, mit Menschen anderer sprachlicher Welten kommunizieren zu können. Zweifellos erweitert sich der Horizont meiner Welt bei der Verwendung verschiedener Sprachen. Wenn heute allerdings die englische Sprache im Zuge von Globalisierung, neoliberaler Ökonomie und technischem Rationalismus als Lingua Franca dient, dann heißt das, dass sich auch im Bildungssystem und der akademischen Welt ein unausgesprochener Maßstab immer mehr durchsetzt, ein Maßstab, dessen Motto so formuliert werden könnte: »Was nicht auf Englisch geschrieben ist, existiert nicht«. Dieser zunehmende institutionelle Zwang mag einen Anflug von trotziger Rebellion hervorrufen, nun doch lieber wieder auf Japanisch zu publizieren, vielleicht sogar auch poetischer zu schreiben; oftmals allerdings führt er einfach nur dazu, dass die lebendige Erfahrung tiefer philosophischer Kontemplation verloren geht.
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Ich selbst bin an einer japanischen Universität tätig, wo ich Philosophie, Europäische Studien und Deutsch lehre, wobei Deutsch zur Germanistik zählt. In Japan verliert die deutsche Sprache allerdings immer mehr an Boden als zweite Fremdsprache, es gibt immer weniger Studierende, die Deutsch lernen wollen. Es wird hier erwartet, dass jemand, der Geistes- und Sozialwissenschaft studieren möchte, wenigstens vier oder fünf verschiedene Sprachen erlernen soll, und ich hoffe natürlich, dass die Studierenden sich darunter auch für Deutsch entscheiden. In der heutigen Situation allerdings, in der Internationalisierung bzw. Globalisierung mit Englischlernen gleichgesetzt wird, muss immer mehr Überzeugungsarbeit für das Deutschlernen geleistet werden; muss die Bedeutung der deutschen Sprache für die Philosophie zunehmend herausgestellt werden. Wenn das kommunikationszentrierte Modell der Sprache, wonach Sprache als ein Instrument angesehen wird, mit dem man eloquent business betreiben kann, zum Vorbild auch für den akademischen Diskurs wird, dann wird die Interaktion von vielen und in ihrer Mannigfaltigkeit bereichernden Sprachen bereits verhindert. Es ist zu bezweifeln, ob die Reform des Bildungssystems und der Universitäten auf der Basis von so trivialen wie ordinären Begriffen wie »global human resources« (wie sie vom Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie sowie dem Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie in Japan verwendet werden), die die Menschen nur als Ressourcen für den Markt ansehen, wirklich eine bessere Zukunft bringt. Kritische Stimmen werden allerdings mit Schlagwörtern wie ›globaler Standard‹, ›Bedarf der Wirtschaft‹ oder ›Rankingverfahren‹ schnell zum Schweigen gebracht. Dank einer weitreichenden staatlichen Unterstützung erhalten viele Studierende und junge Forscherinnen und Forscher in Japan die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, auch wenn diese Aufenthalte meist sehr kurz sind und viele Beschränkungen haben. Dabei ist die Situation heute so, dass ein Vortrag oder ein Aufsatz, der möglicherweise als Resultat aus einem solchen Auslandsaufenthalt hervorgeht, am besten auf Englisch geschrieben werden sollte. Das heißt natürlich nicht, dass längere Aufenthalte notwendig besser wären und dass alles, was auf Englisch publiziert wird, automatisch einen Ausfluss der global homogenisierten Welt darstellt. Es stellt sich aber die Frage, welche Auswirkungen diese Entwicklungen für das akademische Arbeiten in mittel- bis langfristiger Perspektive haben. Außerdem habe ich Sorgen, ob diese Situation wirklich den wünschenswerten
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Dialog hervorzubringen vermag, der durch die reflektierte Interaktion mit Menschen anderer kultureller Hintergründe zum Hinterfragen und Prüfen unseres so selbstverständlich erscheinenden Selbst führen kann. Ich teile also die Sorgen, die Paul Standish (2010) in seinem Aufsatz »One Language, One World« in Bezug auf den momentan zu beobachtenden Trend zur globalen Uniformität zum Ausdruck bringt.
V ON I ONIEN NACH K YOTO ? W EGE PHILOSOPHISCHER T RADITIONEN In seinem Buch Der Stern der Erlösung entwickelt Franz Rosenzweig ein Konzept für ein »Neues Denken«, das auf einer Kritik an den »Philosophen von Jonien bis Jena« (1976: 13), das heißt an der »Welt von Parmenides bis Hegel« (ebd.: 14), basiert. Er wirft dieser philosophischen Tradition vor, Philosophie als eine Bewegung zur »Allheit« hin zu verstehen, die die »Vielheit« der Dinge der Annahme, dass Denken und Sein in der Einheit des logos aufgehen, unterwirft (ebd.: 12). Demgegenüber entwirft Rosenzweig sein Konzept des »Neuen Denkens« als eine Bewegung aus der »Allheit« heraus. Man könnte sagen, dass Rosenzweigs kritische Perspektive auf die Philosophie bereits in seiner Definition der Geschichte der abendländischen Philosophie zum Ausdruck kommt. Demnach erreicht die Philosophie, die in der Tradition der vorsokratischen Antike bis zum deutschen Idealismus reicht, in Heidegger, der das Licht des vorsokratischen Griechenlands direkt mit dem deutschen Schwarzwald verbinden will, ihren Höhepunkt. Im Kontrast dazu gibt es eine andere philosophische Tradition, die zwar dieselben Wurzeln hat, aber ein Denken der Externalität entwickelt. Später sollten sich auch Emmanuel Levinas und Walter Benjamin, genau wie Rosenzweig, für diesen zweiten Weg entscheiden. Die Sicht auf die Rivalität dieser beiden Wege der Philosophie mag auch die Zeit widerspiegeln, in der Rosenzweig lebte, vielleicht hat er seine Philosophie in seine Umwelt projiziert. Was ihn zum Beispiel besonders beschäftigte, waren die Zerstörung und der Wiederaufbau der Welt im Zuge des ersten Weltkrieges. Zudem mag Rosenzweig – als einem assimilierten Juden, der zwar zum Christentum konvertieren wollte, aber doch zögerte – die Rivalität zwischen Deutschen und Juden sowie zwischen Christentum
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und Judentum als ein solches Problem des Zusammenbruchs der Welt erschienen sein. Natürlich war die durch Jena bzw. Hegel repräsentierte moderne deutsche Philosophie keineswegs ganz unverbunden mit den Ereignissen, die die neuen und alten Imperien zum Zerfall brachten, so, wie auch die Aufklärung eng mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches, den Napoleonischen Kriegen, der Bildung neuer Nationalstaaten und der Neuordnung der Welt im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zusammenhing. Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, sich in der heutigen Zeit, in der die Globalisierung voranschreitet und die Welt verändert, der genannten Punkte hinsichtlich der Sprache bewusst zu sein? Was bedeutet die doppelte Sprachdifferenz (zwischen verschiedenen akademischen Disziplinen zum einen und zwischen Englisch und Japanisch – oder Deutsch – zum anderen) für das philosophierende Subjekt? Einerseits steckt in der Globalisierung das Potenzial, die Begegnung mit Heterogenität bzw. die Erfahrung des Fremden hervorzurufen, was dazu führen könnte, den eigenen Egozentrismus zu hinterfragen. Zum Beispiel könnte eben die Basis der abendländischen Philosophie, der Glaube an Universalität, Rationalität und »Allheit«, zum Gegenstand der Reflexion werden. Andererseits kann die Globalisierung aber auch zur Uniformierung und Homogenisierung führen. In diesem Sinne laufen die Vielfalt und die Vielschichtigkeit der Welt und des Lebens Gefahr, dramatisch reduziert zu werden, bis nur noch eine fade und geistlose Oberfläche übrigbleibt. Die globale Marktwirtschaft, das Bildungssystem, die Vereinheitlichung von Wissenschaft und Technik unter der Dominanz der neuen Lingua Franca Englisch sind vielleicht die besten Beispiele dafür. Nicht einmal die Kognition kann in der Philosophie Anspruch auf eine ›rein‹ theoretische Natur erheben, da sie mit den historischen Entwicklungen in politischen, sozialen und sogar akademischen Systemen verbunden ist; wenn wir hier weiter nachfragen, finden wir, dass das Denken momentan, in der Zeit der Globalisierung, auch mit Verunsicherungen über die zunehmenden Durchlässigkeiten nationalstaatlicher Grenzen in Verbindung steht. Das, was ich oben über die Freude am Sprechen in fremden Sprachen, über die Rebellion gegen den globalen Zwang des Englischen und über meine Sorge um die Bedeutung der deutschen Sprache im Rahmen der japanischen Geisteswissenschaften gesagt habe, gehört hierher. In anderen
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Worten: Es gibt nichts, was in einem Vakuum existiert, alle Gedanken werden in je spezifischen Situationen hervorgebracht. Wird dies nicht beachtet, kann man einerseits leicht in die Falle eines vorgeblich kosmopolitischen Universalismus geraten, andererseits einem konservativen Nationalismus und dessen falscher Vorstellung von ›reinen‹, traditionellen Kulturen (wie er in Japan als Nihon-Shugi existierte) anheimfallen. Wenn diese Fragen über Imperien und Nationalstaaten in irgendeinem Zusammenhang mit der Philosophie stehen, kann Sprache vielleicht als das verbindende Element angesehen werden. Dies liegt daran, dass die Bildung von Nationalsprachen eng mit der Bildung von Nationalstaaten zusammenhängt. Hier entsteht die Frage, in welchem Verhältnis die Philosophie zu dem Gefüge der verschiedenen (nationalen) Sprachen steht, und welche Bedeutung das Übersetzen dabei hat. Zum Beispiel glaubte Heidegger ja an »die besondere innere Verwandtschaft der deutschen Sprache mit der Sprache der Griechen und deren Denken« und missbilligte die »folgenreiche Verwandlung«, die »das griechische Denken durch die Übersetzung ins Römisch-Lateinische erfahren hat« (1976: 217). Diese Missbilligung Heideggers zeigt, wie die Vielfalt der Sprachen einer bestimmten Vorstellung von »Allheit« (Rosenzweig) unterworfen werden kann, insofern nur Griechisch und Deutsch als Sprachen des Denkens anerkannt werden. Damit wird auch das denkende und übersetzende Subjekt auf die Verwendung bestimmter Sprachen verpflichtet. Wenn wir weiterhin bedenken, dass der oben genannte Philosoph Rosenzweig nicht nur die Hymnen von Judah Halevi, einem der größten hebräischen Poeten des Mittelalters, sondern, zusammen mit Martin Buber, auch die hebräische Bibel ins Deutsche übersetzte, müssen sich seine linguistischen Bemühungen, metaphorisch gesprochen, zwischen den durch Athen und Jerusalem symbolisierten Traditionen hin- und her bewegt haben, was heißt, dass er zwischen Griechisch/Deutsch und Hebräisch, zwischen Philosophie und Bibel, hin- und herübersetzt hat. Wie würde nun das Philosophieren auf Japanisch zu dieser Tradition der »Philosophen von Jonien nach Jena« in Bezug stehen? Würde das Philosophieren auf Japanisch aus dieser Tradition ausgeschlossen sein – eben weil Philosophie mit dem Griechischen und dem Deutschen verbunden wird –, oder würde allein schon der Versuch, Teil dieser Tradition zu werden, bedeuten, eine neue Tradition zu etablieren, die dann vielleicht »Philo-
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sophie von Jonien nach Kyoto« 3 heißen könnte? Wenn eine Person auf Japanisch philosophiert, heißt das, dass diese Person vom Japanischen ins ›Griechische‹ übersetzen muss oder umgekehrt? Oder könnte es beides sein? Wäre es vielleicht sogar möglich, dass die Relationierung ›Japanisch und Philosophie‹ eine neue Möglichkeit eröffnet, die bisher noch gar nicht angesprochen wurde?
P ROBLEME
IN T ETSURŌ W ATSUJIS »D AS P ROBLEM DER JAPANISCHEN S PRACHE UND DER P HILOSOPHIE «
Um derartige Fragen zu bearbeiten, können wir einen Blick auf die Studie »Das Problem der japanischen Sprache und der Philosophie« werfen, die der japanische Philosoph und Anthropologe Tetsurō Watsuji (1889-1960) im Jahr 1935 veröffentlicht hat. 4 Watsuji war einer der bedeutendsten Philosophen des modernen Japan. Er ist ein zentraler Vertreter der »KyotoSchule«, allerdings verließ er Kyoto später, als er Professor für Ethik an der Universität Tokyo wurde. Er ist bekannt für seine historischen Arbeiten über das japanische Geistesleben, seine kulturellen Studien über Traditionen Japans, seine typologischen Arbeiten zum Zusammenhang von Klima und Kultur sowie seine philosophischen und anthropologischen Reflexionen über ethische Fragen, die auf dem Gedanken vom Menschen als »Zwischensein« basieren. Nach Robert Carter war Watsuji »[...] einer von den wenigen Philosophen Japans in diesem Jahrhundert, die die Aufmerksamkeit der Welt auf die japanische Philosophie lenkten. Wie andere Philosophen der Kyoto-Schule versuchte er, die Reichhaltigkeit der japanischen Kultur von Neuem zu verstehen, während er sich gleichzeitig durch seine Studien über die
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In Kyoto ist die erste philosophische Schule des modernen Japan entstanden. Diese auch als »Kyoto-Schule« bekannte Philosophie geht auf Kitarō Nishida (1870-1945) und Hajime Tanabe (1885-1962) zurück.
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Die Studie trägt im Original den Titel »Nihongo to Tetsugaku no Mondai [日本 語と哲学の問題]«. Es liegt bislang keine publizierte Übersetzung vor. Die folgenden Zitate sind vom Autor und vom Übersetzer ins Deutsche übertragen worden. Gleiches gilt für die nachfolgenden Zitate Carters, Sakais, Karatanis und Isomaes.
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westliche Kultur und Philosophie von ihr distanzierte. Das Ergebnis war zum einen ein Dialog mit Heidegger und anderen westlichen Philosophen, zum anderen eine solide Wiederentdeckung der Vitalität japanischer Traditionen« (Carter 1996: 1).
Nachdem Watsuji sich während eines Aufenthaltes in Deutschland in den Jahren 1927 und 1928 mit Heideggers Sein und Zeit auseinandergesetzt hatte, versuchte er in »Das Problem der japanischen Sprache und der Philosophie«, eine neue Ontologie auf der Basis der japanischen Sprache zu entwickeln. Kurz nach seiner Rückkehr nach Japan, im Dezember 1928, hielt er vor der Philosophischen Gesellschaft Kyoto eine öffentliche Vorlesung mit dem Titel »Japanische Sprache und Philosophie«, die dann 1935 in einem Sammelband abgedruckt wurde. Watsuji beginnt den Vortrag wie folgt: »In dieser kleinen geistesgeschichtlichen Studie versuche ich, einen fundamentalen Aspekt der geistigen Aktivitäten der japanischen Nation zu verstehen, indem ich die Natur der japanischen Sprache in ihrer Eigentümlichkeit untersuche« (Watsuji 1935: 188).
Der Gedanke, dass die »geistigen Aktivitäten einer Nation« in der Sprache ihren spezifischen Ausdruck finden, ist freilich nicht neu. Er kommt aus der Tradition der deutschen historistischen Linguistik, die mit Namen wie Herder, Grimm und Humboldt verbunden ist. Es ist allerdings bemerkenswert, dass Watsuji eine japanische Version dieser Perspektive entwickeln wollte. Und aus dieser Sicht Watsujis heraus kann eine weitere Kritik an Heidegger geübt werden: »Er [Heidegger, F. O.] betont die fundamentale Bedeutung des Daseins in Bezug auf das Individuum, niemals aber in Bezug auf den Menschen, der ein duales Wesen in der Individualität und der Sozialität hat. Deshalb betrachtet er das Wesen der Sprache nur im Sinne der umfassenden Kommunikation zwischen dem Individuum und seinen Instrumenten, niemals aber als praktische Kommunikation zwischen Mensch und Mensch. [...] Wenn die Struktur eines sozialen Wesens unabhängig von seinem sozialen Körper gedacht wird, hat sie nichts mit der Verschiedenheit von Sprachen und der geistigen Natur der Nationen zu tun. Das Problem kann aber nur richtig gelöst werden, wenn man die Natur des Ortes sozialer Wesen versteht. Zusätzlich ergibt sich uns über das als Fūdo oder Suido [Klima, F. O.] bezeichnete Phänomen ein Pfad zur Natur des Ortes« (Watsuiji 1935: 190).
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Watsuji besteht darauf, dass das Dasein immer schon ein soziales Sein ist, und dass es für die Ontologie deshalb notwendig ist, die »Natur des Ortes sozialer Wesen« zu verstehen. Er bezeichnet diese Sozialität als »sozialen Körper« und nennt diesen »die Eigentümlichkeit, mit der das Selbstverständnis des Daseins ausgedrückt wird, das heißt die Eigentümlichkeit von Sprachen« (ebd.: 191). Das heißt, für Watsuji muss sich die Sozialität konkret in der Sprache ausdrücken. Watsujis Bewusstsein für dieses Thema war aber nicht darauf begrenzt, das Dasein als sozialen Körper zu begreifen oder die Sprache als Ausdrucksform des sozialen Körpers zu analysieren. Indem er die Besonderheiten der japanischen Sprache aufdeckte, wollte er außerdem einer auf der japanischen Sprache basierenden Philosophie zur Geburt verhelfen. Denn er war der Auffassung, dass es möglich sein müsse, auch auf Japanisch zu philosophieren. Er schreibt: »Wenn wir uns nun die japanische Sprache als einen zwar besonderen, aber doch vollständigen Ausdruck, also als einen objektiv verstehbaren Ausdruck des geistigen Lebens in Japan mit eigenen historischen und nationalen Wurzeln ansehen, fällt uns als Erstes die Tatsache auf, dass wir weniger wissenschaftliche und philosophische Werke haben, die in reinem Japanisch geschrieben sind – obwohl wir ein reiches Erbe an Literatur und historischen Werken haben, die in reinem Japanisch geschrieben sind und die wir anderen Kulturen mit Stolz vorzeigen können. Das heißt nicht, dass die Japaner nicht wissenschaftlich oder philosophisch denken würden. Jeder muss zugeben, dass die Japaner im Bereich des Buddhismus und des Konfuzianismus tiefgehenden Betrachtungen und philosophischen Gedanken nachgegangen sind, auch schon in der klassischen Zeit. In diesem Zusammenhang liegt es aber auch auf der Hand, dass sie nicht versucht haben, diese Gedanken in reinem Japanisch auszudrücken; in anderen Worten: die Aktivität des Denkens – ein großer Teil des geistigen Lebens – ist niemals auf Japanisch zum Ausdruck gekommen« (ebd.: 192).
Watsuji ist hier, einfach gesagt, der Auffassung, dass es zwar bedeutende Werke der Literatur und Geschichte auf Japanisch, aber kaum wissenschaftliche oder philosophische Schriften in dieser Sprache gab. Ich nehme an, dass er sich hier auf klassische japanische Literatur wie das Man’yoshu (ein Buch mit der ältesten Sammlung japanischer Gedichte, gegen 859 n. Chr. herausgegeben), Kojiki (Aufzeichnungen aus alten Zeiten, ca. 712 n. Chr. herausgegeben), Nihon Shoki (Die Chroniken Japans, 720 n. Chr. vollen-
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det), Kokin Wakashū (eine Sammlung japanischer Gedichte aus alten Zeiten, um 905 n. Chr. veröffentlicht) oder Dōgens (1200-1253) buddhistische Studien aus dem Mittelalter sowie die konfuzianistischen Texte aus der Edo-Zeit (1603-1868) bezieht. Wenn er nun meint, dass es relativ wenig wissenschaftliche und philosophische Werke in »reinem Japanisch« gibt, müssen wir uns fragen, was er mit ›rein‹ meint. Sicherlich schwingt in Watsujis Ausdruck vom »reinen Japanisch« ein nationalistischer Stolz mit, über eine Kultur, die es wert ist, anderen ›vorgezeigt‹ zu werden. Es ist nachzuvollziehen, dass bei einer Person, die gerade von einem Studienaufenthalt im Ausland zurückkehrt, eine Tendenz zum Kulturnationalismus entsteht. Tatsächlich hatte Watsuji nach seinen Europa-Reisen sein bekanntes Buch über kulturelle Typologien, Fūdo, fertiggestellt. In diesem Buch entwickelt er, auf der Basis phänomenologischhermeneutischer Analysen verschiedener eurasischer Gegenden, eine komparative Studie zum Zusammenhang von Klima und Kultur. Insofern das Klima, so Watsuji, die verschiedenen nationalen Charakteristiken hervorbringe, überbrücke es die Differenz zwischen Natur und Kultur. Er unterscheidet drei Klimatypen: Monsun- (Südasien und Ostasien), Wüsten(Westafrika) und Wiesenklima (Europa). Auch wenn eine solche Typologie zwar einerseits in sich interessant und ungewöhnlich ist, basiert sie doch andererseits auf einem kulturellen Essenzialismus. Wie Naoki Sakai zu Recht kritisiert, ist sie nur durch einen »übertragenden und gegenübertragenden Austausch zwischen asiatischem kulturellem Essenzialismus und westlichem Narzissmus« möglich (Sakai 1997: 126). In Watsujis Formulierung vom »reinen Japanisch«, die er im Sinne der Abgrenzung vom Buddhismus und Konfuzianismus der klassischen Zeit verwendet, zeigt sich auch der bekannte Mechanismus, durch die Abgrenzung von einer Exteriorität eine interne Homogenität und Reinheit zu konstruieren. Denn der Ausdruck der »Reinheit« tritt in besonders großem Kontrast gegenüber der chinesischen Sprache und den chinesischen Schriftzeichen hervor: »Als die Japaner die hochentwickelten Begriffe und das Wissen des Buddhismus und des Konfuzianismus akzeptierten, konnten sie den darin enthaltenen logischen Inhalt nicht leicht auf Japanisch ausdrücken, obwohl das Japanische so frei war und so reich an intuitiven und eigentümlichen Ausdrücken [wie in der Literatur und in den historischen Werken, F. O.]. Deshalb dachten sie im Rahmen chinesischer Texte
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und schrieben in der chinesischen Sprache. In der Folge wurde die chinesische Sprache Teil des japanischen Denkens und sie wurde allmählich japanisiert« (Watsuji 1935: 192).
In Hinsicht auf die Logik, der Watsuji hier folgt, sind seine Ausführungen sehr konventionell und eigentlich banal. Auf der Grundlage der Entwicklung der Japanischen Sprache durch die Etablierung des japanischen Schriftsystems, das sowohl Kanji (chinesische Zeichen) als auch Kana (japanisierte Zeichen) enthält, schreibt Watsuji der chinesischen Sprache einseitig Logik und Begrifflichkeit, der (wie es damals hieß: primitiven) japanischen Sprache dagegen Intuition und Emotionalität zu. Damit führt er das metaphysische dichotome Muster der spät Edo-zeitlichen (1603-1868) Kokugaku-Ideologie (ein vormoderner, ethnozentrischer und nationalistischer Diskurs über die Sonderstellung Japans gegenüber Korea und China und die imaginierte Reinheit des klassischen Denkens und der klassischen Kultur Japans vor der Einführung des Buddhismus und des Konfuzianismus aus China aus Korea) in anderen Worten fort. In der Kokugaku-Ideologie finden sich Gegenüberstellungen wie Kanji versus Kana, ›Vernunft‹ (in der chinesischen Literatur) versus ›Emotion‹ (in der traditionellen japanischen Dichtung), Kara-Gokoro (Chinesischer Geist) versus Yamato-Gokoro (Japanischer Geist) und Masurao-Buri (der maskuline und tolerante Stil in der Dichtung) versus Taoyame-Buri (der weibliche und empfindsame Stil in der Dichtung). Auch wenn diese Auffassung Watsujis aus heutiger Sicht zu kritisieren ist, muss doch bedacht werden, dass er hier ein wichtiges Problem anspricht: das Problem des Philosophierens in der Alltagssprache. Bevor wir dieses Thema betrachten, müssen wir uns aber anschauen, was Watsuji unter Alltagssprache versteht. In der Passage, die auf das oben wiedergegebene Zitat folgt, schreibt er: »Indes gibt es immer eine Kluft zwischen wissenschaftlicher und philosophischer Sprache einerseits und der literarischen und alltäglichen Sprache andererseits. Das ist der Grund, weshalb die japanische Sprache ihren relativ reinen Zustand so lange erhalten konnte. Sie ist reich an Ausdrücken für präreflexive Erfahrungen, war immer mit emotionalen Ausdrücken verbunden und hat das präreflexive natürliche Denken nicht zur logischen Begrifflichkeit entwickelt« (ebd.).
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Was hier als Alltagssprache beschrieben wird, bezieht sich nicht auf die chinesische Sprache, die, im Sinne einer systematischen Terminologie, das begriffliche Denken und die intellektuelle Reflexion ermöglicht, sondern auf eine Sprache, die das »natürliche Denken« und die »Erfahrung« noch vor jeder begrifflichen Reflexion zum Ausdruck bringen kann. Watsuji glaubt, dass das »Gefühl« in der Alltagssprache unverstellt erhalten bleibt und dass »die Alltagssprache, weit entfernt von akademischen Begriffen und nahe am künstlerischen Ausdruck, noch eine relativ naive sprachliche Reinheit bewahrt« (ebd.: 194). Vor diesem Hintergrund sollten wir Watsujis Theorie betrachten, wonach es eine konstante ›Kluft‹ zwischen diesen beiden Sprachen gibt. Diese Theorie lässt sich auf die Besonderheit der japanischen Sprache selbst zurückführen. Denn durch die Aufnahme der chinesischen Kanji in Japan wurde ein duales Lesesystem geschaffen, das einerseits auf der originalen japanischen Aussprache der Zeichen (Kun’yomi, Begriffs-Lesung) und andererseits auf der importierten altchinesischen Aussprache (On’yomi, Klang-Lesung) basiert. Kojin Karatani (2002) stellt heraus, dass das KanjiSystem in Japan zwar einerseits akzeptiert ist, gleichzeitig aber kontinuierlich als etwas Fremdes abgewehrt wird. Das heißt, dass dieses System auch dann, wenn es internalisiert wird, seinen exogenen Charakter behält. Anders gesagt: Es wird als Exogenes internalisiert. Genau auf diesen Effekt ist die ›Kluft‹ zurückzuführen, die sich in Watsujis Denken findet. Karatani schreibt, dass eine »nationale Sprache dann komplett ist, wenn in Vergessenheit gerät, dass sie aus der Übersetzung einer geschriebenen Sprache (z. B. aus dem Lateinischen oder den Kanji-Zeichen) stammt und stattdessen als direkter Ausdruck innerer Gefühle empfunden wird« (Karatani 2002: 21). Wenn Watsuji also meint: »Als die deutschen Philosophen vor hundert Jahren so erbittert darum kämpften, sich von den Fesseln des Lateinischen zu befreien, hat dies zum Aufleben und Aufblühen der Philosophie geführt« (Watsuji 1935: 238), dann hatte er an diesem Punkt ›vergessen‹, dass diese »aufblühende« Philosophie nicht hätte erscheinen können, ohne aus einer geschriebenen Sprache übersetzt worden zu sein. Vielleicht konnte er sich einfach nicht vorstellen, dass keine Sprache oder Philosophie sich einstmals aus »Fesseln« »befreit« und dass keine Sprache eine ›reine‹ Herkunft hat.
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P HILOSOPHIE
UND
J APANISCH
ALS
ALLTAGSSPRACHE
Abgesehen von den angesprochenen problematischen Aspekten enthalten Watsujis Analysen über das Wesen der japanischen Sprache einige interessante und weiterführende Punkte. Zum Beispiel zeigt Watsuji, dass der Begriff ›Wissen‹ im Japanischen ursprünglich nicht im intellektuellen oder kognitiven Sinne verstanden wird, sondern eher im Sinne des Begriffes ›Weg‹. Ein anderes Beispiel ist, dass das Wort aru (sein) ursprünglich motsu (haben) meinte, was darauf verweist, dass in Japan kein Unterschied zwischen Sein und Haben gemacht wurde. Letztlich ist auch die Untersuchung der Frage »Was ist das Sein?«, die in der zweiten Hälfte von Watsujis Studie behandelt wird, ein Meilenstein in der Erforschung der japanischen Geistesgeschichte. Deshalb kann die Studie als ein gutes Beispiel für eine ›Philosophie auf Japanisch‹ dienen, die noch vor vielen der bekannteren Werke der Kyoto-Schule, wie Shūzō Kukis »Die Struktur von Iki« (1930) und Junzō Karakis »Über Vergänglichkeit« (1964), oder der Nachfolger wie Hiroshi Ichikawas »Die Struktur von Mi« (1985) und Megumi Sakabes philosophischen Arbeiten wie »Die Hermeneutik der persona« (1976) und »Die Philosophie der Berührung« (1983), entstand. Weiterhin hat Watsujis Analyse des Japanischen einige Gemeinsamkeiten mit Motoki Tokiedas »Sprachprozess-Theorie« in Die Prinzipien der japanischen Linguistik (1941), die eine der einzigartigsten und interessantesten Studien über linguistische Theorien im modernen Japan darstellt. In diesem Beitrag kann allerdings nicht auf all diese Punkte im Detail eingegangen werden. Hier soll die Aufmerksamkeit noch einmal auf die Frage gelenkt werden, weshalb Watsuji meinte, dass die Philosophie in Japan so wenig entwickelt sei. Watsujis Antwort darauf ist, dass das »reine Japanisch« nicht im Rahmen akademischer Begrifflichkeiten entwickelt sei, und dass die Alltagssprache, anders als die akademische Terminologie, Erfahrung und Gefühl in ihrer reinen Form enthalte. Könnte denn, wenn Watsuji damit richtig läge, die Alltagssprache bzw. die japanische Sprache niemals die Sprache der Philosophie werden? Watsuji geht nicht davon aus. Er erklärt seine Perspektive wie folgt: »Selbst, wenn die frühere japanische Sprache so war, schließt dies neue Möglichkeiten der kommenden japanischen Sprache nicht aus« (Watsuji
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1935: 206). Weil Japanisch als eine Sprache des Alltags verwendet wird, enthält sie in ihrer ›Realität‹ bereits die ›Möglichkeit‹. »Die japanische Sprache ist kein Ding, das von außen betrachtet werden könnte, sie ist unsere Art zu sein. Wenn wir also einen möglichen Aspekt der japanischen Sprache betrachten, dann heißt das, dass wir uns schon im Rahmen der Voraussetzungen dieser Sprachen bewegen, und wir müssen selbst entlang des Wegs gehen, den die japanische Sprache zu ihrer Bildung nehmen muss. Das heißt, wir müssen uns auf die reine Bedeutung in der japanischen Sprache stützen (ohne von außen begrifflichen Inhalt, der ihr nicht angehört, hineinzutragen) und für uns selbst befragend nachdenken« (ebd.: 207).
Dieses Zitat macht deutlich, dass die japanische Sprache kein Gegenstand ist, der von außen betrachtet werden könnte, sondern eine lebendige Praxis. Wenn Watsuji sagt, dass die japanische Sprache »unsere Art zu sein« ist, dann erscheint die japanische Sprache als ein aktives Agens eines praktisch-körperlichen Subjekts (主体, Shutai) und nicht als Eigenschaft eines theoretisch-epistemologischen Subjekts (主観, Shukan). 5 Als alltägliche Sprache existiert die »reine japanische Sprache« für Watsuji im Prozess des Werdens, der in sich das Sein enthält. Für ihn bedeutet »Kontemplation« bzw. Philosophie, sich des Werdens bewusst zu sein und dieses Bewusstsein sprachlich auszudrücken. In Bezug auf die Dichotomien, die Watsuji immer vorgeworfen werden, also hinsichtlich des begrifflichen Wissens, der verstehensbasierten Wahrnehmung, des beobachtenden Verstehens etc. auf der einen, und der praktischen Kommunikation auf der anderen Seite, ist die praktische Kommunikation der Menschen die Quelle für sein Verständnis vom »reinen Japanisch«. Wenn Watsuji also das »Zwischensein« der Menschen als Wurzel der Ontologie ansieht, macht er das »reine Japanisch« zu einem essenziellen Element seiner Ethik. In dieser Argumentation wird die japanische Sprache als etwas verstanden, das mehr die Kennzeichen der praktischen
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Im Japanischen kann der Begriff des Subjekts in zwei Weisen übersetzt und verstanden werden, zum einen im Sinne von ›Shutai‹, zum anderen im Sinne von ›Shukan‹. Diese Unterscheidung geht auf Kiyoshi Miki (1897-1945), einen Schüler von Kitarō Nishida, zurück (vgl. Kobayashi 2010), die in diesem Kontext von Watsuji aufgegriffen und thematisiert wird.
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Kommunikation als der begrifflichen Systematik entwickelt hat; das heißt, dass die japanische Sprache für Watsuji »hervorragend für den Ausdruck emotionaler Erfahrungen« (ebd.: 206) geeignet ist, und dass sie eine Sprache ist, die tief in der Praxis des täglichen Lebens verankert ist. Hier gelangen wir zu der Ideologie, dass Japanisch eine Sprache ist, die in einer Ethik der praktischen Kommunikation von Menschen wurzelt. Deshalb gibt es in Watsujis Denken eine emotionale Erfahrung, die vor dem epistemischen, begrifflichen Verstehen liegt, und einen konkreten Ausdruck des »Zwischenseins«, der im alltäglichen Leben wurzelt. Philosophieren in der Alltagssprache heißt für Watsuji, diese Erfahrung in der Sprache direkt in die Richtung der Theorie zu entwickeln. Das erfordert eine doppelte Aktivität, die darin besteht, die Kluft einerseits zu erhalten und sie andererseits gleichzeitig auch zu füllen. Aus seiner Perspektive heißt das darüber hinaus auch, Ethik als die erste Philosophie anzusehen und ethische Praxis als Basis ethischer Theorie. Es fällt schließlich auch noch auf, dass Watsujis praktische Kommunikation von Menschen keine Fremden einschließt. Letztlich entwickelt Watsuji nicht die Art von Ethik, die bereit ist, sich und ihre Grundlagen durch die Erfahrung des Fremden in Frage zu stellen. Sakai zufolge lässt sich sagen, dass Watsuji die »Unentscheidbarkeit des Sozialen [undecidability of the social], die dem ›Zwischensein‹ mit anderen inhärent ist«, nicht sieht, und dass das, »was er mit seiner Verwendung des Begriffes Shutai erreicht, […] in Wirklichkeit eine Vertauschung des praktischen Bezugs mit dem epistemischen Bezug [ist]« (Sakai 1997: 145).
Ü BERSETZTE S UBJEKTIVITÄT : F ÜR DAS V ERHEDDERN DER Z UNGE Eingangs habe ich die Hegemonie des Englischen als neuer Lingua Franca erwähnt und Sorgen um die Homogenisierung von Bildungssystem, Wirtschaftssystem etc. ausgedrückt. Könnte man dieses Problem lösen, wenn man der Dominanz des Englischen eine Stärkung des Deutschen entgegengesetzte? Natürlich nicht. Wir würden die von Heidegger behauptete »besondere innere Verwandtschaft« (1976: 217) zwischen Philosophie und deutscher Sprache fortführen; auch wenn dies die Hegemonie des Engli-
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schen relativieren könnte, würde es doch nur eine weitere Gruppe an Mitgliedern der akademischen Welt privilegieren. Sollten wir, als Akt der Opposition gegenüber der Hegemonie des Englischen, uns vielleicht weigern, diese Sprache zu verwenden? Nein, das sollten wir nicht; denn auch damit hätten wir uns letztlich in den Kampf um die Hegemonie hineinziehen lassen. Sich dem System einfach zu verweigern hieße letztlich, die Hegemonie zu bestätigen, und das wäre nicht dasselbe wie Kritik. Außerdem ist es, gleich wo man lebt, sowieso nicht mehr möglich, sich der voranschreitenden Globalisierung zu entziehen, so dass unser Leben vielleicht noch eher von ihr ausgehöhlt ist, als wir es überhaupt merken. Welchen Weg man auch immer nimmt, die Schwierigkeiten lassen sich nicht vermeiden. Vielleicht gibt es aber auch die Möglichkeit, sich nicht in diesen Kampf verwickeln zu lassen. Ich würde in diesem Sinne ein paar Löcher in dieses System schlagen wollen und auf die Möglichkeit setzen, dass das System sich als solches ändert. Das Ziel wäre, etwas Anderes zu denken als die Entweder-OderEntscheidung zwischen Anpassung und Verweigerung; Es müsste ein Weg gefunden werden, der diese Unterscheidung implodieren lässt und ein Freisein vom Entscheidungszwang ermöglicht. 6 Während wir den Bezug zum Englischen aufrechterhalten können, sind wir doch aufgerufen, über die Veränderung dieses Bezugs und das Weltsystem selbst, das durch das Englische repräsentiert wird, nachzudenken. Was bedeutet es also, angesichts der Schwierigkeiten, die vor uns liegen, auf Japanisch zu philosophieren, ohne einerseits eine narzisstische Selbstzufriedenheit zu entwickeln, und ohne andererseits die Besonderheiten der japanischen Sprache angesichts einer ›universellen‹ Sprache aus dem Blick zu verlieren? Es wäre sicherlich keine stabile Erfahrung, wenn ich auch nur in meiner Muttersprache denken würde. So gibt es zum Beispiel, hinter den heutigen Trends eines ›coolen‹ Japan und der ›Japanimation‹, gemischte Gefühle (bewusste und unbewusste) über die japanische Sprache in den ehemaligen Kolonien Japans. Könnte man das Japanisch, das seit Generationen von Koreanern in Japan oder den Ainu und der Bevölkerung von Okinawa gesprochen wird, als die »reine japanische Sprache« im Sinne Watsujis betrach-
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Um dies weiter zu verfolgen, bietet es sich an, an Giorgio Agambens Begriff der »Potenzialität« anzuknüpfen (vgl. Agamben 2005).
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ten? Ob es einem gefällt oder nicht, Japanisch ist eine postkoloniale Sprache, was von Jun‘ich Isomae herausgestellt wurde, als er sagte, dass »die historischen Umstände […] dazu geführt [haben], dass wir als Sprecher des Japanischen gleichzeitig Täter und Opfer der Kolonisation sind« (Isomae 2013: 20). Watsuji beendet seine Studie »Das Problem der japanischen Sprache und der Philosophie« mit dem Weckruf »Oh Ihr Philosophen, die Ihr auf Japanisch denkt, erscheinet!« und fügt hinzu, dass eine »vom alltäglichen Leben entfremdete Philosophie […] niemals eine glückliche Philosophie sein [kann]« (ebd.: 238). Dem kann im Prinzip zugestimmt werden. Denn wenn es in der heutigen Zeit als armselig und minderwertig betrachtet wird, im akademischen Bereich auf Japanisch zu denken, könnten Watsujis Aufrufe als Ermunterung verstanden werden, sich nicht dem Zwang der Hegemonie des Englischen zu ergeben und Philosophie auf Japanisch zu betreiben. Allerdings könnten Watsujis Aufrufe auch im Sinne festlicher Worte für die »welthistorische Perspektive« (um den in mancher Hinsicht problematischen Jargon der Kyoto-Schule zu verwenden) (miss)verstanden werden. 7 Denn im besten Falle also könnten Watsujis Worte denjenigen, die Japanisch verwenden, eine Existenz einräumen; im schlimmsten Fall würde es unseren romantischen Narzissmus anstacheln. Trotz allem: Da weder der Begriff einer Nationalsprache noch der Begriff der Alltagssprache »rein« in Watsujis Sinne sein kann, kann ich seinem Aufruf nicht mit vollem Herzen entsprechen – auch wenn wir in einer Zeit leben, in der das Philosophieren auf Japanisch auf Schwierigkeiten und kritische Herausforderungen trifft, und auch wenn das Philosophieren auf Japanisch reiche Möglichkeiten als Antwort auf diese Krise bereithält. Das Problem kann auch nicht einfach dadurch gelöst werden, dass man der Idee von der ›Reinheit‹ das Konzept der ›Hybridität‹ entgegensetzt. Ich
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Unter dem Begriff der »welthistorischen Perspektive« fassten manche Philosophen der Kyoto-Schule (wie z. B. Masaaki Kōsaka und Shigetaka Suzuki) zur Zeit des zweiten Weltkrieges die Bemühung, die westliche Metaphysik und Moderne zu überwinden, um den Imperialismus Japans nicht nur geschichtlich sondern auch philosophisch zu legitimieren. In diesem Sinne fanden z. B. 1942 Symposien zum Thema »Die Überwindung der Moderne«, »Die welthistorische Perspektive und Japan«, »Ethik und Geschichtlichkeit der Großostasiatischen Prosperitätssphäre«, und »Die Philosophie des totalen Krieges« statt.
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meine, dass uns die Idee von der »Erfahrung des Fremden«, die Antoine Berman in seiner »Übersetzungslehre« [traductologie] im Anschluss an Heideggers Lektüre Hölderlins entwickelt, einige Hinweise geben kann (Berman 1984). Denn diese Idee hilft uns, zu verstehen, dass die Erfahrung, etwas Eigenes zu lernen, ein doppelseitiger Prozess ist, der neben dem Erlernen des ›Eigenen‹ immer auch das Erlernen dessen, was ›fremd‹ ist, beinhaltet. So ist die Erfahrung des ›Fremden‹ schon beim Erlernen des ›Eigenen‹ in Form einer konflikthaften Relationierung gegeben. Die Erfahrung des Übersetzens erhellt nun die Formen dieser Relationierung in diesem doppelseitigen Prozess, sie stellt die selbstevidenten Rahmen, welche die Unterscheidungen zwischen dem ›Eigenen‹ und dem ›Fremden‹ hervorbringen, in Frage und beschreibt die Dynamiken und Gewichtungen, in der solche Unterscheidungen erscheinen. Die Erfahrung des Übersetzens ist eine heuristische Erfahrung, in der die eigenen Gedanken als unstabil und ›auf der Kippe‹ stehend empfunden werden. Ist es aber nicht eine Täuschung, wenn wir davon ausgehen, dass das Übersetzen immer zwischen der eigenen und einer fremden Sprache stattfindet? Geschieht das Übersetzen nicht auch in der eigenen Sprache und alltäglich? Wenn solche Fragen als legitim angesehen werden, dann können uns Deleuze und Guattari helfen, zu verstehen, was Übersetzen bedeuten kann: »Proust sagte: ›Meisterwerke sind in einer Art von Fremdsprache geschrieben.‹ Das ist das gleiche wie stottern, allerdings indem man Stotterer in der Sprache und nicht bloß beim Sprechen ist. Ein Fremder sein, aber in der eigenen Sprache, und zwar nicht nur, als ob man eine Fremdsprache spricht. Zweisprachig sein, vielsprachig, aber in ein und derselben Sprache, sogar ohne Dialekt oder Mundart. Ein Bastard sein, ein Mischling, aber durch Veredelung der Rasse. Dann produziert der Stil Sprache« (Deleuze and Guattari 1992: 137).
In der eigenen Sprache zu stottern ist den inneren Erfahrungen der ständigen Erschütterungen und Beben im Prozess der Bildung des eigenen Selbst ähnlich. Etymologisch gesehen, heißt Erfahrung ›durch eine Krise gehen‹ (lateinisch ex-periri). Demnach ist Erfahrung mit Leiden, mit einem Widerfahrnis verbunden. Wenn die Worte nicht fließen, dann sind, an der Schwelle dessen, was ein Wort wird und was keines wird, das Stottern der Zunge, das Zittern der Lippen und das Zögern des Aussprechens das Knar-
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ren der Existenz. Es ist, als ob die Individuen mit einer zersprungenen Identität zurückgelassen würden, als ob sie, wenn sie einen Schritt vorwärts machten, über ihre eigenen Füße stolperten. Das Stottern, das Knarren der Worte, das ist das Übersetzen. In diesem Sinne könnte das Philosophieren untrennbar mit dem Stottern in der eigenen Sprache verbunden sein. Wenn die Philosophie in ihrem eigentlichen Sinne erfahren wird, als in der Erfahrung von Leiden und Krise wurzelnd, dann kann die Philosophie auch als Übersetzung gedacht werden, dann kann sie mit der kontinuierlichen Erfahrung des Verhedderns der Zunge in Verbindung stehen. Eine konstante Neu-Interpretation des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹, die getreu und ehrlich mit vermutlichen Fehlern, Unmäßigkeiten, Verwirrungen und Verstörungen umgeht, kann als Katalysator dienen, um das eigene Fundament in Frage zu stellen – was das Ziel der Philosophie ist. Es gibt keinen Grund dafür, dass wir nicht hoffen könnten, dass dieses Stottern und das Verheddern der Zunge als eine stimmlose Stimme (wenn vielleicht auch nur in einem kleinen Maße) dazu beitragen kann, die Struktur linguistischer Hegemonie aufzubrechen. Wenn wir Watsujis Begriff der praktischen Kommunikation zwischen Menschen und den Begriff des »sozialen Körpers« auch heute noch als sinnvoll anerkennen können, dann keinesfalls im Sinne der Homogenisierung der »reinen japanischen Sprache«, sondern, ganz entgegen Watsujis Worten, im Sinne des Übersetzens als einer ›Erfahrung des Fremden‹ und einer Erfahrung des Stotterns in eigenen Worten. Dann könnte Watsujis Frage nach der Basis des Zwischenseins von Menschen, die sich durch die Sprache, das Ethos und die Ethik zieht, zum ersten Mal als eine substanzielle ethische Praxis hervorgebracht werden. Das könnte dem Gedanken, dass wir in einer Realität leben, die wir mit anderen teilen, neue Nahrung geben.
L ITERATUR Agamben, Giorgio (2005): La potenza del pensiero. Saggi e conferenze. [Die Macht des Denkens. Essays und Vorträge]. Vicenza: Neri Pozza. [auf Italienisch] Berman, Antoine (1984): L’épreuve de l’étranger: Culture et traduction dans l’Allemagne romantique. [Die Erfahrung des Fremden: Kultur und
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Wie ›Bildung‹ die pädagogische Semantik in Japan bildet Eine Beobachtung des Herumtollens von Bedeutungen in Übersetzungen J UN Y AMANA
E INLEITUNG Unangenehm. Tatsächlich unangenehm fühlt man sich, wenn man gezwungen ist, das deutsche Wort ›Bildung‹ in eine andere Sprache zu übersetzen. Denn es ist eigentlich nicht möglich, diesen Begriff mit seiner ganzen Bedeutungsvielfalt in ein fremdsprachiges Wort umzusetzen, wie schon Clemens Menze betont (Menze 1983: 351). Wenn jedoch die Übersetzung des Bildungsbegriffs trotz aller Schwierigkeiten versucht wird, kann sich – hypothetisch gesprochen – die Bedeutung des Begriffs in der Zielsprache ändern, ausdifferenzieren und neu systematisieren. In diesem Beitrag wird erläutert, auf welche Schwierigkeiten man bei der Übersetzung von ›Bildung‹ in Japan, vor allem im Bereich der japanischen Pädagogik, stößt und wie versucht wurde, mit solchen Schwierigkeiten umzugehen. Zugleich wird gefragt, was solche Bemühungen um die Übersetzung des Bildungsbegriffs in die pädagogische Semantik in Japan mit sich brachten. 1
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Dieser Aufsatz beruht auf einem von mir verfassten Teil eines Beitrags (Yamana & Fujii 2014) für einen japanischen Sammelband (Wigger, Yamana & Fujii 2014). Dies heißt nicht, dass der japanische Aufsatz Wort für Wort direkt ins
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Im Allgemeinen wird in Japan 教養 (Kyōyō) als die treffendste Übersetzung von ›Bildung‹ angesehen und interdisziplinär am häufigsten diskutiert. In diesem Beitrag wird die Aufmerksamkeit jedoch auf zwei andere Wörter gerichtet. Dies sind 陶冶 (Tōya) und 形成 (Keisei). Wie später ausgeführt wird, bezeichnen die beiden Wörter eher den Prozess der Bildung als dessen Ergebnis. Insofern wurden sie vor allem unter Pädagogen bzw. Erziehungswissenschaftlern häufig benutzt, die erziehungswissenschaftliches Wissen und Denkmuster über den Prozess der Bildung aufzustellen versuchten. Schon hierbei lässt sich andeuten, dass der Begriff ›Bildung‹ nicht nur zur Etablierung der japanischen Pädagogik als Disziplin beigetragen, sondern auch ihre semantische Konfusion herbeigeführt hat. Heute wird in der japanischen Erziehungswissenschaft kaum beachtet, dass sich eine Verwirrung durch die Übersetzung des deutschen Bildungsbegriffs in die pädagogische Semantik Japans eingeschlichen hat. Ohne die Wurzel solcher Verwirrung zu kennen, wird gegenwärtig in Japan über Erziehung und Bildung geredet und diskutiert, ohne dabei zu überprüfen, ob sich die benutzte Terminologie unter den Diskutierenden richtig verzahnt. Erst durch die Untersuchung der Geschichte der Übersetzungen von ›Bildung‹ und der damit einhergehenden Bedeutungsverschiebungen, die in diesem Beitrag versucht wird, kann die Kohärenz der Semantik der japanischen Pädagogik präziser überprüft werden. Der Beitrag besteht aus fünf Teilen: Nach dieser Einleitung werden kurz ›Tōya‹ und ›Keisei‹ im Spektrum der japanischen Übersetzungsmöglichkeiten von ›Bildung‹ verortet (Abschnitt 1). Dann wird die Genese und Entwicklung von ›Tōya‹ (Abschnitt 2) und ›Keisei‹ (Abschnitt 3) als Übersetzungen für ›Bildung‹ untersucht. Zugleich werden Überlegungen zur
Deutsche übersetzt worden wäre. Mir deutsche Leserinnen und Leser vorstellend, habe ich einige Informationen weggelassen, die mir für sie nicht unbedingt notwendig zu wissen erschienen, und andere neu hineingetan, ohne die das Verstehen des Aufsatzes für sie vermutlich schwierig wäre. Im Grunde genommen war keine wörtliche Übersetzung möglich, und ich musste darüber nachdenken, wie ich Wörter anders formulieren kann, um den Inhalt des Aufsatzes besser zu vermitteln. Die Bedeutung solcher Kompliziertheit beim Übersetzen ist auch Thema dieses Beitrags. Diese Forschung wurde von der »JSPS KAKENHI Grant Number 15K04226, 15H03478« unterstützt.
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Kohärenz und Inkohärenz der Semantik der Pädagogik in Japan angestellt. Ferner werden Änderungen in der Konnotation des Bildungsbegriffs in Deutschland umrissen und sodann erwogen, wie sich solche Änderungen auch auf die Semantik der japanischen Erziehungswissenschaft beziehen lassen (Abschnitt 4). Zum Schluss werden einige Punkte pointiert, die mir bezüglich des Themas ›Bildung und Übersetzung‹ wichtig erscheinen.
Ü BERBLICK ÜBER JAPANISCHE Ü BERSETZUNGEN FÜR ›B ILDUNG ‹ UND DIE PÄDAGOGISCHE S EMANTIK IN J APAN Der Begriff ›Bildung‹ scheint vielfältige Elemente zu beinhalten, die auf diese Weise in nicht-deutschsprachigen Kulturen nicht unter einem Begriff angesprochen werden. Wie ein englischer Übersetzer eines deutschen philosophischen Essays schreibt, wäre der Begriff ›Bildung‹ auf Englisch ein Komplex von ›formation‹, ›development‹, ›culture‹, ›self-cultivation‹ und ›education‹ und wäre daher abhängig vom Kontext unterschiedlich zu interpretieren und zu übersetzen (Pickford in: Adorno 2005: 323). Durch die Übersetzung wird der Begriff ›Bildung‹ in seine Bedeutungselemente zerteilt und dabei gleichzeitig als die Integration dieser Elemente verstanden. Die eben genannten englischen Wörter könnten ins Japanische grundsätzlich folgendermaßen übersetzt werden: culture education self-cultivation formation development
文化 (Bunka) im Sinne der menschlichen Schöpfung 教養 (Kyōyō) im Sinne der allseitigen Menschlichkeit 教育 (Kyōiku) im Sinne der pädagogischen Tätigkeit 陶冶 (Tōya) im Sinne der Höherbildung 形成 (Keisei) im Sinne der Selbst-Transformation 発達 (Hattatsu) im Sinne der physischen und psychischen Entwicklung
Wie der französische Literaturwissenschaftler Antoine Berman schreibt, beinhaltet der Begriff ›Bildung‹ sowohl den Prozess der Transformation von Menschen, als auch dessen Folge (Berman 2008: 92). Obwohl auch viele japanische Übersetzungswörter von ›Bildung‹ vieldeutig sind und mehr oder weniger beide Seiten – Prozess und Folge – enthalten, kann tendenzi-
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ell bestimmt werden, welche Wörter eher den Prozess oder die Folge akzentuieren. Was die japanischen Übersetzungen des deutschen Bildungsbegriffs angeht, ist 教養 (Kyōyō) als Bedeutsamstes unter allen Übersetzungsmöglichkeiten von ›Bildung‹ anzusehen. Es bezeichnet eher die Folge der menschlichen Transformation, zumindest im heutigen Kontext. Neben ›Kyōyō‹ werden 陶冶 (Tōya) und 形成 (Keisei) für relevant gehalten, die eher den Prozess der menschlichen Transformation hervorheben. Deshalb werden ›Tōya‹ und ›Keisei‹ besonders im pädagogischen Bereich häufig verwendet. 文化 (Bunka), 教育 (Kyōiku), und 発達 (Hattatsu) werden auch oft im pädagogischen Bereich benutzt, aber mit solchen japanischen Wörtern werden eher andere deutsche Wörter assoziiert, z. B. ›Kultur‹ für ›Bunka‹, ›Erziehung‹ für ›Kyōiku‹ und ›Entwicklung‹ für ›Hattatsu‹. Angesichts solcher Konstellation der japanischen Wörter wird im Folgenden insbesondere auf ›Tōya‹ und ›Keisei‹ fokussiert.
陶冶 (T ŌYA ) ›Tōya‹ ist ein chinesisches Lehnwort in Japan. Ursprünglich bedeutet 陶冶 (Tōya), Porzellan herzustellen (陶) und Metalle zu schmieden (冶). Im Kontext des Konfuzianismus wurde dies umgedeutet. In einer metaphorischen Bedeutung hieß ›Tōya‹, dass sich ein Mensch bei seinem Lehrmeister höherbildet. Vermutlich ist die japanische Übersetzung von ›Bildung‹ von einem Pädagogen eingeführt worden. Der japanische Pädagoge Motoichi Yuhara (1863-1931), seinerzeit eine Schlüsselperson für die Einführung der europäischen Pädagogik in der Meiji-Zeit durch seine Übersetzung von deutschen Schriften, erlaubt einen Blick darauf, wie das Wort ›Tōya‹ in die japanische pädagogische Semantik aufgenommen wurde. Als zeitgenössischer Chronist schreibt er, dass ›Tōya‹ um die Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jahrhundert, als der Herbartianismus in Japan am intensivsten rezipiert wurde, häufig als Übersetzung für ›Bildung‹ benutzt wurde. Wenn seine Aussage als zuverlässig anzusehen ist, war es allerdings Yuhara selbst, der in Japan zum ersten Mal auf die Idee gekommen ist, das chinesische Wort ›Tōya‹ als Übersetzung für ›Bildung‹ zu verwenden (Yuhara 1922: 186f.). Er schreibt: »Es hat mich sehr gefreut, dass das Wort Tōya
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heutzutage so verbreitet benutzt wird, als ob es schon seit alten Zeiten bei uns existieren würde« (Yuhara 1922: 187 [eigene Übersetzung]). In seinem Vorwort zu den Regeln des Übersetzens für das Buch Allgemeine Erziehungslehre von Adolf Gustaf Lindner (1828-1887), das von Yuhara 1873 ins Japanische übersetzt wurde, betont Yuhara, dass Deutsch andere sprachliche Wurzeln und eine andere Grammatik als Japanisch habe, und dass man daher nie erwarten könne, sich die Bedeutung des deutschen Textes durch die Übersetzung von Begriffen und durch Wortumstellungen zu erschließen (Yuhara 1873: 1). Daneben deutet er an, dass es für Japaner nicht möglich sei, Wörter mit einem christlichen Hintergrund, zu denen auch ›Bildung‹ gehört, zu verstehen. Auf Basis dieser Argumentation kündigt er an, dass er das Buch von Lindner frei übersetzen will. Was das Wort ›Bildung‹ betrifft, ist er auf den Gedanken gekommen, die Bedeutungen des deutschen Wortes mit einem anderen Wort aus der konfuzianistischen Kultur Japans umzusetzen, welches für Japaner gewohnt klingt. Dieses Wort ist nämlich ›Tōya‹. Seit das Wort ›Tōya‹ in der japanischen pädagogischen Semantik verbreitet wurde, haben japanische Pädagogen insbesondere im Bereich der Erziehungsphilosophie versucht, den Begriff ›Tōya‹ als ›Bildung‹ im Sinne der klassisch-philosophischen Bedeutung – Höherbildung durch die Beziehung eines Selbst auf seine Welt – zu bestimmen. Der neukantianisch orientierte Pädagoge Sukeichi Shinohara (1876-1957) zeigt solche Tendenzen beispielhaft in seinen Schriften. Laut Shinohara »heißt Tōya im pädagogischen Sinne, erstens, die Entwicklung von innen, wie Paulsen unterstreicht. Zweitens wird Tōya wegen seiner Eigenschaft durch die Selbsttätigkeit von Schülern befördert. Drittens bedeutet das die möglichst uneinseitige Entwicklung der inneren und geistigen Wesenheit als Ganzes« (Shinohara 1975: 84 [eigene Übersetzung]).
Mir scheint eine solche Übersetzung und Deutung sowohl eine Bildungsphilosophie auszudrücken, als auch zur Etablierung der pädagogischen Semantik in Japan beizutragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand eine andere Tendenz, die ›Bildung‹ als intellektuelle Erziehung verstand. Der Schulpädagoge Tarō Ogawa (1907-1974) prägte den Gebrauch von ›Tōya‹ als Synonym für die intellektuelle Erziehung im Sinne der marxistischen Theorie. Ogawa stellte dem
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Begriff ›Tōya‹ das Konzept 訓育 (Kun‘iku) als Erziehung für die volle und freie Entwicklung des Individuums gegenüber (vgl. Ogawa 1963). In der Folge verbreitete sich diese Dichotomie zwischen ›Tōya‹ und ›Kun‘iku‹ vor allem im Bereich der Schulpädagogik. Hier entstand eine Verwirrung, in der mit ›Kun‘iku‹ ein anderes Wort als Übersetzung des deutschen ›Bildung‹ eingeführt wurde, was im Bereich der Erziehungsphilosophie eigentlich mit ›Tōya‹ bezeichnet wird. Es gab einige Pädagogen, die in der semantischen Konfusion ihren Sprachgebrauch bezüglich des Terminus ›Tōya‹ änderten. Der prominente Schulpädagoge Mantarō Kido z. B. hatte in den 1930er Jahren mit dem Wort ›Tōya‹ bildungsphilosophisch »die Beziehung des Produzierenden auf das Produzierte« (Kido 1935: 996) verstanden, während er das gleiche Wort nach dem Zweiten Weltkrieg als intellektuelle Erziehung im Sinne der marxistischen terminologischen Formel benutzte. Tendenziell wurde und wird auch heute in den Abteilungen der Erziehungsphilosophie in den japanischen Fakultäten für Erziehungswissenschaft gelehrt, dass ›Tōya‹ die Beziehung zwischen Selbst und Welt bezeichne, während man bei Schulpädagogen lernte und noch lernt, dass das gleiche Wort die intellektuelle Erziehung bedeute. Insofern kann man formulieren, dass es unterschiedliche Dialekte bezüglich des Terminus ›Tōya‹ innerhalb der pädagogischen Disziplin in Japan gibt. 2 Weil manche Erziehungswissenschaftler die Herkunft solcher Bedeutungsunterschiede nicht kennen und bei ihren Lehrveranstaltungen nicht erläutern, bleibt der Begriff ›Bildung‹ für die Studierenden rätselhaft und fern ihres Verständnisses. Erst durch die archäologische Untersuchung der pädagogischen Semantik, zu der dieser Beitrag ansetzt, kann verstanden werden, woher diese Kompliziertheit des Bildungsbegriffs kommt.
形成 (K EISEI ) Als alternative Übersetzung von ›Bildung‹ kann auch 形成 (Keisei) genannt werden. ›Keisei‹ gehört zur japanischen Umgangssprache. 形 (Kei) 2
Insofern kann die »Vergeblichkeit der Exegese« (Tenorth 1997: 976) von ›Bildung‹ im Zuge von Übersetzungsversuchen auch den nicht-deutschsprachigen Raum anstecken.
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heißt ›Form‹, und 成 (Sei) bedeutet ›werden‹ bzw. ›machen‹. 形成 (Keisei) bedeutet demnach gleichzeitig sowohl ›formen [Form machen]‹ oder auch ›Form werden‹ und ›sich formen‹. Soweit die Geschichte des Wortes ›Keisei‹ in der japanischen Pädagogik überschaut wird, findet sich dieses Wort bemerkenswerterweise vor allem in der Kyoto-Schule der Philosophie. Hier wurde es speziell philosophisch bestimmt und wurde dadurch zu einem pädagogischen Terminus, der synonym zum deutschen Terminus ›Bildung‹ benutzt wurde und wird. Der repräsentative Philosoph der Kyoto-Schule, Kitarō Nishida, äußert schon in seinem Aufsatz »Philosophie und Erziehung« von 1933, dass nach seiner Ansicht »die Erziehung als eine Art Keisei anzusehen ist, so dass man Menschen so formen kann, wie ein Holzschnitzer Skulpturen produziert« (Nishida 1966: 87). Den Vorgang von ›Keisei‹ stellt sich Nishida jedoch nicht starr vor, sondern dynamisch. Er imaginiert ›Keisei‹ als »schöpferische Wirkung durch die Vereinigung von subjektiven und objektiven Phänomen, bei der die Erscheinung des Selbsts durch das Objektive ermöglicht werden kann«. Das Synonym ›Kōsei‹ (構成) zu ›Keisei‹ (形成) erwähnend schreibt er weiter: »構成する [kōsei-suru, konstituieren], also ›bilden‹ [in Deutsch geschrieben], heißt 引き出す [hikidasu, herausziehen], d. h. ›erziehen‹ [in Deutsch geschrieben]« (Nishida 1966: 88 [eigene Übersetzung und eigene Erläuterungen]). Motomori Kimura, der seine philosophisch orientierten pädagogischen Gedanken unter dem Einfluss von Nishida entwickelt hat, schreibt in Bezug auf die Bedeutung des Terminus ›Keisei‹ in seinem Buch 形成的自覚 (Keisei-Teki-Jikaku [Bildung zum Zweck der Selbsterkenntnis]) von 1941, dass der deutsche Begriff ›Bildung‹ ursprünglich bedeutet habe, etwas Formhaftes zu produzieren und daher eine innere Beziehung zum deutschen Begriff der ›Kultur‹ besitze, mit dem etwas von Menschen Gemachtes im Gegensatz zur Natur bezeichnet werde (Kimura 1941: 3f.). Damit weist Kimura darauf hin, dass die wesentliche Bedeutung von ›Keisei‹ in solcher Beziehung zwischen Bildung und Kultur besteht. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Wort ›Keisei‹ weiter gebraucht, jedoch zunehmend mit anderen Begriffen zusammen. Im Bereich der Pädagogik wurde statt ›Keisei‹ der Terminus 人間形成 (Ningen-Keisei) nun häufiger benutzt. 人間 (Ningen) heißt ›Mensch‹ oder auch ›Menschheit‹. Demzufolge ist das Konzept 人間形成 (Ningen-Keisei) vergleichbar
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mit dem Begriff der ›Menschenbildung‹ auf Deutsch. Der Einfluss der Bestimmung des Terminus ›Keisei‹ durch die philosophische Kyoto-Schule kann auch in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Der Erziehungsphilosoph Takeshi Ōura äußert beispielsweise, dass er das Wort ›Ningen-Keisei‹ nach der Bestimmung von Kimura verwenden wolle (Ōura 1950: 201). Das Wort ›Keisei‹ enthält 形 (Kei), also ›Form‹, als seine Komponente. Dies verursachte manchmal Verwirrung bezüglich seiner Verwendung. Es wurde z. B. gesagt, dass man mit dem Wort ›Keisei‹ assoziieren könne, dass Menschen nach bestimmten Mustern geformt werden sollen. Deshalb passe ›Keisei‹ nicht zum Terminus ›Bildung‹. Die größte Konfusion entstand jedoch daraus, dass der prominente Pädagoge Seiichi Miyahara während des Zweiten Weltkrieges und unter dem Einfluss von Ernst Krieck den Terminus ›Keisei‹ als Übersetzung von ›Formung‹ benutzte und dagegen ›Bildung‹ mit dem japanischen Begriff 教育 (Kyōiku), also ›Erziehung‹, übersetzte (Miyahara 1940). Bei Miyahara bedeutet ›Keisei‹ ›Formung‹; in anderen Kontexten, wie bei Ōura, bezeichnet das gleiche Wort ›Bildung‹. Auch dieses Phänomen, ähnlich wie im Beispiel von ›Tōya‹ gezeigt, kann als Dialekt des Terminus ›Keisei‹ innerhalb der pädagogischen Disziplin in Japan betrachtet werden. Im Allgemeinen gesprochen, war der Terminus ›Tōya‹ als Übersetzung von ›Bildung‹ in der japanischen Pädagogik vorherrschend, aber nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Häufigkeit der Verwendung von ›Keisei‹ bzw. ›Ningen-Keisei‹ mit der Zeit zu. Je breiter und häufiger das Wort ›Keisei‹ verwendet und von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Kontexten benutzt wurde, desto schwieriger wurde es, noch die Beziehung des Wortes zum Begriff der ›Bildung‹ zu erkennen. Tendenziell stellt man das Wort ›Keisei‹ dem Begriff (学校) 教育 (Kyōiku bzw. Gakkō-Kyōiku), also dem Wort ›(Schul-) Erziehung‹, gegenüber und benutzt es, um die unabsichtliche von der absichtlichen Höherbildung zu unterscheiden, ohne jedoch die Herkunft des pädagogischen Terminus zu beachten.
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ÄNDERUNG DER B EDEUTUNG VON ›B ILDUNG ‹ IN D EUTSCHLAND Wie in den bisherigen Abschnitten schon gezeigt wurde, wurden in der Pädagogik in Japan hauptsächlich zwei japanische Wörter – ›Tōya‹ und ›Keisei‹ – als Übersetzung für ›Bildung‹ verwendet. Durch die Untersuchung ihrer Bedeutungen und ihrer Geschichte wurde festgestellt, dass der Begriff ›Bildung‹ sich durch seine Übersetzung ins Japanische mit anderen Begriffen wie ›Erziehung‹ und sogar auch ›Formung‹ in der japanischen pädagogischen Semantik verwoben hat. Kompliziert erscheint mir nun auch, dass Konnotation und Denotation von ›Tōya‹ und ›Keisei‹ eng damit zusammenhängen, zu welcher Zeit, von wem, mit welchem sozialen Hintergrund und aus welchem Interesse der Begriff der ›Bildung‹ ins Japanische übersetzt wurde. Dies wird in der heutigen Verwendung der Begriffe nicht mehr deutlich. Ohne über diese semantische Verwirrung zu wissen, reden wir in der Gegenwart über ›Tōya‹ und ›Keisei‹, als ob wir davon ausgehen könnten, dass andere wüssten, was wir jeweils meinten. Ferner lässt sich aufzeigen, dass die Änderung der Bedeutung von ›Bildung‹ in Deutschland die als ursprünglich sinnstiftend anzusehende Beziehung zwischen ›Bildung‹ und ›Tōya‹ bzw. ›Keisei‹ komplizierter und unsicherer macht. Die Änderung der Bedeutung von ›Bildung‹ im heutigen deutschen Kontext thematisiert Heiner Barz (2003), der mit Hilfe der »Göttinger Studie« (Strzelenwicz, Raapke & Schulenberg 1966) und der »Oldenburger Studie« (Schulenberg et al. 1979) auf bestimmte Veränderungstendenzen in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinweist. Bei den Fragebogenuntersuchungen der beiden Studien geht es um Bildungsvorstellungen. Es wurde z. B. gefragt: »Kennen Sie einen Menschen, von dem Sie sagen können, dass er gebildet ist?«, und (wenn ja), »Warum halten Sie ihn für gebildet?«. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen von 1958 und 1973 wird »eine starke Verschiebung in den Bildungsvorstellungen deutlich« (Barz 2003: 11). Den Unterschied der Bildungsvorstellungen pointiert Barz im Längsschnitt zusammenfassend: »Antworten, die personale, affektive oder charakterliche Dimensionen zu Kennzeichnung des gebildeten Menschen heranziehen, werden seltener (Rückgang von 43% auf 18%); Antworten, die Bildung stärker als ein formales Vermögen auffassen, das verfügbar ist in dem Sinne, dass es als Instrument für bestimmte Zwecke
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erworben und verwertet werden kann, nehmen stark zu (von 50% auf 71%)« (Barz 2003: 11).
Auf der Grundlage der Studien von 1958 und 1973 und einer von ihm selbst durchgeführten Untersuchung neueren Datums über Bildungsvorstellungen beschreibt Barz schematisch ein Verlaufsmodell von Bildungsvorstellungen. Er entwickelt ein Phasenmodell von der »humanistischen« über die »instrumentelle« bis in die »postmoderne« Phase (Barz 2003: 16), das an dieser Stelle nicht eingehend diskutiert werden kann. Hier wird nur darauf hingewiesen, dass der Wandel der Bedeutung von ›Bildung‹ durch die Globalisierung weiter beschleunigt zu werden scheint. Die Wichtigkeit der humanistisch-philosophischen Bildungstheorie betonend, bringt Lothar Wigger die jetzige Situation beispielhaft und krisendiagnostisch wie folgt auf den Punkt: »Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis in Deutschland stehen vor vielen neuen Herausforderungen und Aufgaben: durch neue politische Vorgaben der Bewährung in einer globalisierten Welt, durch gestiegene Erwartungen der Öffentlichkeit an die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems angesichts der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien der Leistungen der Schüler und durch gesellschaftliche Veränderungen wie zum Beispiel die Auseinanderentwicklung der Einkommen, Beschäftigungsmöglichkeiten und Lebenschancen. Effizienz und Effektivität sind die Maßstäbe für die Reform von Schulen und Universitäten, Bildung und Erziehung geraten zunehmend unter die Ansprüche der Nützlichkeit und des Dienstes an der Ökonomie« (Wigger 2014: 1).
Wegen dieser Verflachung und Instrumentalisierung des Begriffs der ›Bildung‹ scheint es mir schwierig zu sein, ›Bildung‹ noch heute mit dem zu identifizieren, was man früher in Japan mit den Termini ›Tōya‹ und ›Keisei‹ zu begreifen versuchte. Mit anderen Worten verlieren die japanischen Termini ›Tōya‹ bzw. ›Keisei‹ ihre Referenz zu den deutschen Ursprungsbegriffen und den Stellenwert, den sie in Deutschland zu haben schienen. Weiterhin kann darauf hingewiesen werden, dass die Kräfte der Globalisierung selbstverständlich auch in Japan festzustellen sind und damit auch die Konzeption von ›Bildung‹ beeinflussen. Manche Zeitgenossen, auch Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler, können sich nur schwer vorstellen, was früher mit den Termini ›Tōya‹ bzw. ›Keisei‹ ge-
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meint war. Momentan gerät nicht nur die Referenz der Bildung im philosophischen Sinne, sondern auch ihr Gegenstück in Japan in Vergessenheit. Meiner Ansicht nach kann das Verschwinden und Verschwimmen der vielfältigen Dimensionen der ›Bildung‹ heute nur durch die Rückbesinnung auf den Verweisungszusammenhang zwischen ›Bildung« und ›Tōya‹ bzw. ›Keisei‹, den man in der Vergangenheit hergestellt hatte, überwunden werden. Die semantische Archäologie von ›Bildung‹ mit Vorstellungs- und Einbildungskraft zwischen den Sprachen scheint mir empfehlenswert und sogar notwendig für die globalisierte Welt zu sein.
E INIGE B EMERKUNGEN ZUM T HEMA ›Ü BERSETZUNG ‹ IN HETEROLINGUALEN W ELTEN Der japanische Philosoph Toshiaki Kobayashi erwägt die Problematik des japanischen Wortes 主体 (Shutai) als Übersetzungswort für ›Subjekt‹ (subject) und stellt seine These bezüglich des Charakters der Übersetzung in den japanischen Wissenschaften, vor allem in der Philosophie, wie folgt dar: »Die Idee und Philosophie in der japanischen Moderne ist zwar die Folge der Übersetzung aus der westlichen, und der größere Teil ihres Inhaltes besteht aus der Nachahmung der westlichen Idee. […] Aber auch in solcher Nachahmungswissenschaft kann keine perfekte Nachahmung durchgeführt werden. Soviel solche Nachahmung durch ›Übersetzung‹, also durch die Vermittlung eines anderen Sprachsystems als des originalen, versucht wird, muss die Übersetzung selbst als halbtransparente Tätigkeit in den Inhalt des Nachgeahmten unvermeidlicherweise eintreten. Mit anderen Worten muss das Signifikat eines Übersetzungswortes von seinem Signifikanten, welcher mehr oder weniger willkürlich ausgewählt ist, unausweichlich beeinflusst werden« (Kobayashi 2010: 14f. [Eigene Übersetzung]).
Um es kurz zu fassen, drückt Kobayashi dies auch so aus, dass der »Signifikant herumtollt« (シ ニ フ ィア ンは 戯れ る ). Mit dem Ausdruck von Kobayashi könnte der vorliegende Aufsatz als Versuch charakterisiert werden, die japanischen Übersetzungswörter für ›Bildung‹ beim Herumtollen zu beobachten.
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Die Ergebnisse der Untersuchung über den Umgang mit dem Begriff der ›Bildung‹ erinnern an Naoki Sakais (1997) Auseinandersetzung mit dem Thema der ›Übersetzung‹. Er unterscheidet zwischen einer »homolingualen« und einer »heterolingualen« Weltanschauung und erläutert vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung, was ›übersetzen‹ und ›Übersetzung‹ heißt. Unter der Voraussetzung einer »homolingualen« Weltanschauung können Kommunikationsteilnehmer, die derselben sprachlichen Gemeinschaft angehören, Wörtern einheitliche Bedeutungen zuschreiben (Sakai 1997: 4ff.). Die »homolinguale« Weltanschauung und die Vorstellung der Übersetzertätigkeit wird verständlich, wenn man sich vorstellt, dass das Konzept ›Hund‹ sowohl in Deutschland als auch in Japan bekannt ist. Das deutsche Wort ›Hund‹ kann insofern mit dem japanischen Wort 犬 (Inu) zur Deckung gebracht werden. Was die Darstellung in dem vorliegenden Beitrag anbelangt, wurden zwei »homolinguale« Sprachgemeinschaften – die deutsche einerseits, die japanische andererseits – vorgestellt. Innerhalb jeder Gemeinschaft blieben die Bedeutungen zwischen Gesagtem und Verstandenem gleich. Es gäbe zwischen Gesagtem und Verstandenem keinen Unterschied. Zwischen den beiden Gemeinschaften könnte auf diese Weise eine Kommensurabilität hergestellt werden, mit der jedes Wort in einer Gemeinschaft irgendwie in ein Wort oder mehrere Wörter in der anderen Gemeinschaft übersetzt werden könnte. Hierbei heißt ›Übersetzung‹ eine transparente Tätigkeit, durch die jedes Wort nur umgelagert, umgesetzt und vermittelt würde. Insofern würden ›Übersetzer‹ als unbedeutend gelten, ihr schöpferischer Beitrag im Übersetzen würde nicht anerkannt werden. Was jedoch den Begriff ›Bildung‹ betrifft, erscheint eine »homolinguale« Weltanschauung zu keinen brauchbaren Übersetzungsergebnissen zu führen. Im Anschluss an Sakai scheint die »heterolinguale« Weltanschauung dafür angemessen zu sein. Nach der »heterolingualen« Weltanschauung muss man »ohne Garantie des wechselseitigen Verständnisses und der transparenten Kommunikation [auch] in einer ›Wir‹-Gemeinschaft sprechen, hören, schreiben und lesen« (Sakai 1997: 8 [eigene Übersetzung]). Entsprechend wird eine Inkommensurabilität angenommen, die nicht nur zwischen einer als Sprachgemeinschaft identifizierten Gruppe und einer anderen besteht, sondern die auch innerhalb einer solchen Gruppe existiert. Hierbei müssen Übersetzer »auch als Interpreten [d. h. Deutende] betrachtet werden« (Sakai 1997: 21 [eigene Übersetzung und Anmerkung]), da sie
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keine Übereinstimmung zwischen Gesprochenem und Verstandenem voraussetzen können. Zugleich ist jedoch »für sie bei der Übersetzung nicht erlaubt, zu äußern, was sie meinen« (ebd.). Insofern bleiben sie zwar immer auf der Stelle eines »Subjekts im Transit« (Sakai 1997: 25), können aber genau deswegen ihre eigene exklusive Stelle erhalten, von der aus sie die Kontinuität in der Diskontinuität der sozialen Systeme durch ihre eigene Praxis herstellen können. Dieser Beitrag hat damit begonnen, das Spektrum von japanischen Übersetzungsmöglichkeiten des deutschen Bildungsbegriffs darzustellen. Dieses Spektrum wird bereits vorstellbar, selbst wenn man nur eine »homolinguale« Weltanschauung voraussetzt. Tatsächlich muss aber jeder mit anderen eigentlich heterolingual kommunizieren und in diesem Sinne seine kommunikative Tätigkeit als ›Übersetzer‹ im Sinne eines »Subjekts im Transit« praktizieren. Gleichzeitig wird hierbei angenommen, dass man trotzdem manchmal so handelt, als könnte man mit anderen homolingual kommunizieren. Den Begriff ›Bildung‹ als Beispiel nutzend, wurde versucht, zu beobachten, was in einer solchen heterolingualen Spaltung passierte und passiert. Mit anderen Worten wurde untersucht, wie unterschiedlich der Begriff ›Bildung‹ durch Übersetzungen, durch Wiederholungen und Verschiebungen, durch Koexistenzen und Konflikte in der pädagogischen Disziplin in Japan verstanden oder missverstanden wurde. Es wurde auch gefragt, ob nicht sozusagen Dialekte durch die Übersetzung des deutschen Wortes ›Bildung‹ innerhalb der Disziplin entstanden, und ferner, ob diese Pluralität von Übersetzungsmöglichkeiten und -praktiken des deutschen Bildungsbegriffs in der japanischen pädagogischen Semantik unter der Annahme einer homolingualen Weltanschauung zu Vereinfachungen führte. Die Ära der Globalisierung kann als Ära der Übersetzung verstanden werden, sofern man es für unsere Zeit als wichtig betrachtet, Brücken zwischen den bisher als andersartig oder auch entgegengesetzt verstandenen Kulturen zu schlagen. Hierbei scheinen die Anschlussfähigkeit, die Übertragbarkeit, die Austauschmöglichkeit, die Klarheit, die Überschaubarkeit und die Ausmessbarkeit von Begriffen bevorzugt zu werden. Insofern ist es nicht überraschend, dass der Begriff ›Bildung‹ heutzutage mehr und mehr von seinem philosophischen Ursprung abgelöst wird. Anscheinend ist das deutsche Wort ›Bildung‹ wegen seiner Unübersetzbarkeit, Unanschlussfä-
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higkeit und Unklarheit als Konzept in einer globalisierten Welt nicht opportun. Trotz dieser zeitgenössischen Diagnose des Begriffs ›Bildung‹, oder sogar genau wegen dieser Diagnose, scheint es mir relevant zu sein, mit dem Begriff ›Bildung‹ umzugehen. Wenn es einem Wort an Definitionsklarheit fehlt, kann dies im Sinne der globalen scientific terminology nachteilig sein. Gleichzeitig scheint ein solcher Begriff unpassend in der gegenwärtigen, schnelllebigen Gesellschaft. Aber das Wort kann zugleich Anlässe geben, klare Unterscheidungen in Frage zu stellen und auf Anschlussmöglichkeiten zwischen gegebenen, aber als unterschiedlich aufgefassten Elementen hinzudeuten. Damit ist es möglich, über die gegebenen Systeme zu reflektieren. ›Bildung‹ ist ein typisches Beispiel dafür. Metaphorisch gesagt, scheint es für uns nötig zu sein, nicht nur auf der Oberfläche der Semantik effizienter zu schwimmen, sondern mit Hilfe eines solches Terminus hin und wieder auch bis in die Tiefe der Semantik zu tauchen. Dafür muss man jedoch das Tauchen trainieren. Wie kann man jedoch das Tauchen trainieren? Die wichtigste Methode zu solchem semantischen Untertauchen ist immer noch die Übersetzung selbst. In der Kyoto Universität wird das Seminar »Deutsche Lesung« veranstaltet. In diesem Seminar lesen wir z. B. Texte von Georg Simmel, Theodor W. Adorno und Hans-Georg Gadamer, die sich irgendwie auf das Thema ›Bildung‹ beziehen. Vorbereitet werden dabei die deutsche und japanische Version der Texte und ab und zu auch die englische. Die Teilnehmenden versuchen, sie besser zu übersetzen. Das Vorgehen ist langsam, erträgt Unbehagen und ist in den meisten Fällen unübereinstimmend und strittig. Dies ist jedoch nicht eine Übersetzung um der Übersetzung selbst willen. Das Ziel des Seminars liegt darin, Unübersetzbares in der Kluft zwischen verschiedenen Sprachen, zwischen Geschriebenem und Gelesenem, zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, und zwischen unterschiedlichen Teilnehmenden zu berühren. Die Übersetzung bedeutet hierbei keine Umlagerung eines Wortes oder Satzes in ein anderes in einer anderen Sprache. Es ist eher eine Tätigkeit, das Andere zu entdecken, anzuerkennen und die Annährung zu versuchen, und dadurch das Selbst zu ändern. Dies kann als Training des semantischen Untertauchens angesehen werden, und darin befindet sich eine Möglichkeit der Bildung durch Übersetzung, oder vielleicht besser formuliert, der Übersetzung als Bildung.
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L ITERATUR Adorno, Theodor W. (2005): Critical Models: Interventions and Catchwords. Übersetzt von Henry W. Pickford. New York: Columbia University Press. Barz, Heiner (2003): Bildung – Bemerkungen zur säkularen Wirklichkeit eines humanistischen Leitbegriffs. Manuskript für die Antrittsvorlesung von Heiner Barz in Düsseldorf am 27.05.2003. Zugriff am 22.06.2016. http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Institute/ Sozialwissenschaften/BF/Barz/Tagungsbeitraege/Antrittsvorlesung.pdf Barz, Heiner & Tippelt, Rudolf (2003): »Bildung und soziales Milieu: Determinanten des lebenslangen Lernens in einer Metropole.« Zeitschrift für Pädagogik 48, S. 323-340. Berman, Antoine (2008):『ロマン主義ドイツの文化と翻訳』[Die Erfahrung des Fremden: Kultur und Übersetzung in der deutschen Romantik] Übersetzt aus dem Französischen von Shōichi Fujita. Tokyo: Mizusu Shobō. [auf Japanisch] Kido, Mantarō (1935): 「 形 象 と 技 術 ―― 教 育 学 の 方 法 に つ い て の 試論」 [Formen und Technik. Essay über die Methodologie der Pädagogik.] In: 『教育』 [Erziehung] 3 (6), S. 1-8. [auf Japanisch]. Kimura, Motomori (1941): 『 形 成 的 自 覚 』 [Bildung nzum Zweck der Selbsterkenntnis]. Tokyo: Kōbundō . [auf Japanisch] Kobayashi, Toshiaki (2010): 『 < 主 体 > の ゆ く え ―― 日 本 近 代 思 想 史への一視角』[Wandel des Begriffs ›shutai‹. Eine Perspektive zur Geschichte des modernen Gedankens in Japan]. Tokyo: Kōdansha. [auf Japanisch] Menze, Clemens (1983): »Bildung.« In: Lenzen, Dieter & Mollenhauer, Klaus (Hrsg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft. Band 1. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 350-356. Miyahara, Seiichi (1940):「形成と教育」[Keisei und Kyōiku.] In: 『日本 評論』[Japan Revue]. Augustnummer, S. 182-191. [auf Japanisch] Nishida, Kitarō (1966 [1933]):「教育学について」[Über Pädagogik.] In: ders. 『 西 田 幾 多 郎 全 集 』 [Sämtliche Werke.] Band 12. Tokyo: Iwanami Shoten. [auf Japanisch] Ogawa, Tarō (1963):『教育と陶冶の理論』[Theorie von Kyōiku und Tōya]. Tokyo: Meiji Tosho Shuppan. [auf Japanisch]
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Ōura, Takeshi (1950): 「 社 会 的 人 間 形 成 と し て の 教 育 ―― 教 育 の 本質に関する基礎的研究」[Kyōiku als soziales Ningenkeisei. Basisforschung über das Wesen der Erziehung] In: Tokyo Pädagogische Hochschule (Hg.):『教育原理』[Erziehungsprinzipien]. Tokyo: Kaneko Shobō, S. 182-189. [auf Japanisch] Sakai, Naoki (1997):『日本思想という問題――翻訳と主体』 [Problematik des japanischen Gedankens. Übersetzung und Subjekt]. Tokyo: Iwanami Shoten. [auf Japanisch] Shinohara, Sukeichi (1975 [1949]):『改訂 理論的教育学』[Theoretische Pädagogik, revidierte Ausgabe] Tokyo: Kyōdō Shuppan. [auf Japanisch] Schulenberg, Wolfgang; Pühler, Susanne; Loeber-Pautsch, Uta & Loeber, Heinz-Dieter (1979): Soziale Lage und Weiterbildung. Braunschweig: Westermann. Strzelewicz, Willy; Raapke, Hans-Dietrich & Schulenberg, Wolfgang (1966): Bildung und gesellschaftliches Bewusstsein. Stuttgart: Enke. Tenorth, Heinz-Elmar (1997): » ›Bildung‹ – Thematisierungsformen und Bedeutung in der Erziehungswissenschaft.« Zeitschrift für Pädagogik 43, S. 969-984. Wigger, Lothar; Yamana, Jun & Fujii, Kayo (Hrsg.) (2014):『人間形成と 承認――教育哲学の新たな展開』[Bildung und Anerkennung. Zur neuen Entwicklung der Erziehungsphilosophie] Kyoto: Kitaōjishobō. [auf Japanisch] Yamana, Jun & Fujii, Kayo (2014): 「 現 代 に お い て 人 間 形 成 (ビルドゥング)に向き合うことは何を意味するか」[Was bedeutet der Umgang mit dem Bildungsbegriff heute?] In: Wigger, Lothar; Yamana, Jun & Fujii, Kayo (Hrsg.): 『 人 間 形 成 と 承認――教育哲学の新たな展開』[Bildung und Anerkennung. Zur neuen Entwicklung der Erziehungsphilosophie] Kyoto: Kitaōjishobō, S. 1-16. [auf Japanisch] Yuhara, Motoichi (1873):「訳例七則」[Sieben Regeln bei der Übersetzung.] In: Lindner, Gustav Adolf:『倫氏教育学』[Pädagogik.] Übersetzt von Motoichi Yuhara. Tokyo: Kinkōdō, S. 1-7. [auf Japanisch] Yuhara, Motoichi (1922):「ヘルバルト派教育学説の全盛時代」 [Blütezeit der pädagogischen Theorie des Herbartianismus.] In: Nationale Gesellschaft zur Förderung der Erziehung (Hg.): 『教育五十年史』
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[50-jährige Geschichte der Erziehung] Tokyo: Minyūsha, S. 179-188. [auf Japanisch]
›Bildung‹ vs. ›Kyōyō‹ Ein deutsch-japanischer Sprach- und Kulturvergleich 1 A KIO O GAWA
V ORBEMERKUNG Dem deutschen Wort ›Bildung‹ entspricht, soviel ich weiß, nichts, was es in anderen Sprachen gibt, d. h. ›Bildung‹ ist in andere Sprachen schwer übersetzbar. Denken wir z. B. ans Englische, so findet sich dort bestenfalls als annäherndes Äquivalent das Wort ›culture‹, d. h. etwas vom Menschen Kultiviertes bzw. Entwickeltes. Das Gleiche gilt auch für das französische ›culture‹. Im Griechischen gibt es das Wort ›paideia‹, das etwa beinhaltet, dass das Kind vom Erwachsenen erzogen wird. Etymologisch verwandt damit ist das deutsche Wort ›Pädagogik‹. Insofern ist die Bildung im Deutschen einzigartig. Aber was heißt eigentlich ›Bildung‹? Während es schwer ist, das Wort ›Bildung‹ zu fassen, klingt z. B. das Wort ›Ausbildung‹ vertrauter und zugänglicher. Denn ›Ausbildung‹ stellt etwas Konkretes dar, etwas, was in Schulen oder einzelnen Berufsbranchen stattfindet. Bei ›Bildung‹ gibt es neben ›Ausbildung‹ weitere Komposita wie z. B. ›Bildungsroman‹ (Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, Thomas Manns
1
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Prof. Dr. Ruprecht Mattig an der Technischen Universität Dortmund, der mich zur dortigen Ringvorlesung eingeladen hat. Danken möchte ich auch den an meiner Vorlesung Teilnehmenden für ihre wertvollen Fragen und Hinweise. Prof. Andreas Rusterholz und Kayo Danjo danke ich für die Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts für den vorliegenden Beitrag.
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Tonio Kröger), ›Bildungswesen‹ oder ›Bildungsreform‹. Was dabei ›Bildung‹ jeweils beinhaltet, ist nicht einfach zu deuten. Der vorliegende Beitrag reflektiert diese Fragestellung mit Bezug auf die japanische Sprache und vor dem Hintergrund des Bildungsromans.
E NTSTEHUNG
UND
V ERWENDUNG VON K YŌYŌ
Wenden wir uns dem Japanischen zu, so wird ›Bildung‹ oft mit dem Wort ›Kyōyō‹ übersetzt. ›Kyōyō‹ heißt wörtlich ›Lehren/Gelehrtwerden‹ bzw. ›Ernähren/Ernährtwerden‹. Das Japanische hatte dieses Wort ursprünglich nicht. Es ist erst in der Taishō-Ära, vor etwa 150 Jahren, entstanden. Das Wort ›Kyōyō‹ ist zwar nicht gerade eine falsche Übersetzung, aber bestimmt auch keine optimale. Denn wie es bei der Übersetzung in eine fremde Sprache manchmal geschieht, mag man sich damals gleichsam notgedrungen das Wort ›Kyōyō‹ ausgedacht haben. Allerdings ist es bei Übersetzungen generell der Fall, dass eine vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Originalwort und dem Übersetzungswort im Endeffekt nicht erzielbar ist, weil die kulturellen, gesellschaftlichen und vor allem sprachgemeinschaftlichen Hintergründe verschieden sind (vgl. Vermeer 1996). So kommen für unser Wort ›Bildung‹ mehrere Übersetzungen in Frage. Diese werde ich aber außer Acht lassen und mich auf ›Kyōyō‹ konzentrieren. Denn es steht doch fest, dass ›Kyōyō‹ sich als eine der repräsentativsten Übersetzungen von ›Bildung‹ in Japan eingebürgert hat. Hinweisen möchte ich also nochmals darauf, dass sich die Inhalte von ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹ höchstens partiell überschneiden (siehe Schema A). Um diese Sachlage noch zu verdeutlichen, ziehe ich jeweils zwei Komposita heran: ›Bildungswesen‹ und ›Bildende Kunst‹ auf der einen Seite und ›Kyōyō-Gakubu‹ sowie ›Kyōyō-Kōza‹ auf der anderen. ›Bildungswesen‹ wird nicht in ›Kyōyō-Seido‹ (›Bildungssystem‹) übersetzt, sondern in ›Kyōiku-Seido‹ (›Erziehungssystem‹). ›Bildende Kunst‹ wird in ›ZōkeiGeijutsu‹ (›Formen-Kunst‹) übersetzt. ›Kyōyō-Gakubu‹ ist eine Fakultät für so genannte ›Freie Künste‹ oder ›liberal arts‹, und ›Kyōyō-Kōza‹ ist kein ›Bildungskurs‹ (Ich weiß nicht, ob es im Deutschen dieses Wort gibt), sondern z. B. ein Fremdsprachenkurs in der Volkshochschule.
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›Bildung‹
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›Kyōyō‹
Schema A (eigene Darstellung)
Es gibt zudem das japanische Wort ›Kyōyōshōsetsu‹, d. h. ›Bildungsroman‹. Die beiden Wörter sind insofern bedeutungsgleich, als es sich um eine Lehnübersetzung handelt. Nur: während in Deutschland Bildungsromane geschrieben wurden und immer noch geschrieben werden und dementsprechend weit verbreitet sind, existiert diese Gattung in Japan so gut wie gar nicht. Stattdessen haben sogenannte ›Privatromane‹ (oder ›Ich-Romane‹) in Japan eine lange Tradition. Privatromane sind Romane, in denen der Autor, basierend auf seinen privaten Erfahrungen, vor allem innere Gefühlszustände der Menschen schildert. Kenzaburō Ōe, ein Nobelpreisträger für Literatur, hat einen Roman namens Kojinteki-na Taiken (dt. Eine persönliche Erfahrung) geschrieben. Der Titel bekundet unverkennbar die Haupteigenschaft der Privatromane. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Japanologin Hijiya-Kirschnereit (2005) meint, dass manche Privatromane nicht logisch zu definieren sind. Die Frage stellt sich dabei, was unter »nicht logisch« zu verstehen ist. Die Logik im europäischen Sinne setzt traditionell die zeitlich verlaufende Kette ›Mittel-Zweck‹, ›Ursache-Wirkung‹ oder ›Anfang-Folge-Ende‹ voraus. In der Tat fehlt in den meisten japanischen Privatromanen diese Logik einer Beschreibung einer zeitlichen Erweiterung oder einer zeitlich aufbauenden Entwicklung des Menschen. Was stattdessen die Privatromane prägt, sind Gefühle oder Empfindungen des Ich und zwischen dem Ich und den anderen. Die psychischen Zustände sind nicht zeitlich-dynamisch beschrieben, sondern gleichsam situativ-statisch. Dazu zwei Zitate: Zunächst aus Wilhelm Meisters Lehrjahre, einem Beispiel des deutschen Bildungsromans, eine Bemerkung von Wilhelm:
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»Daß ich dir's mit Einem Worte sage, mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht« (Goethe 1992: 657, 19-21).
Und dann ein Zitat aus Hijiya-Kirschnereit: »The result of this process is a chronological series of relived scenes and spiritual conditions whose meaning is self-evident or lies in the chronological order, without the necessity for the overriding perspective of an interpreting commentary. There is also no trace of a process of development in the plot. The shishōsetsu hero reacts predictably to similar situations, he seems to ›learn‹ nothing at all from his story―how could he, since he does not have a sufficiently clear picture of himself to recognize his mistakes?« (1996: 282f.).
Solchen wohl typischen Unterschied zwischen dem Bildungsroman und dem Privatroman werde ich nachfolgend sprach- und kulturwissenschaftlich näher erläutern.
S PRACHLICH - KULTURELLE U NTERSCHIEDE Es ist aufschlussreich, dass das deutsche Wort ›bilden‹ kein Passiv bildet. Also, *Peter wird gebildet. 2
kann man nicht sagen. Interessant ist zudem, dass das bedeutungsähnliche Wort ›ausbilden‹ durchaus passiviert werden kann: Peter wird ausgebildet.
Das Passiv drückt generell aus, dass die betreffende Tätigkeit am Subjekt ausgeführt wird, das selbst nicht aktiv in die Handlung eingebunden ist. 3 2
Das Sternchen * bedeutet, dass der Satz grammatisch nicht richtig ist.
3
Der Satz »Peter wurde geschlagen« lässt sich paraphrasieren mit »Peter bekam einen Schlag«.
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VS .
›K YŌYŌ ‹
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Man bekommt also eine Ausbildung, sei es in der Schule, im Krankenhaus, in einer Bäckerei oder in einer Brauerei. Bildung hingegen bekommt man nicht von außen. Man bildet sich selbst und so bildet man sich fort. So gesehen, ist die Bildung ein dynamischer Prozess, den das Agens vorantreibt, entwickelt und befruchtet. Das entspricht genau dem Leitthema eines ›Bildungsromans‹ 4. Das impliziert die zeitlich dynamisch verlaufende Erweiterung oder Entwicklung des Wissens durch einen Menschen. Ich illustriere das wie folgt:
Orientierungswissen
Verfügungswissen
Schema B (eigene Darstellung)
Der Bildungsprozess hat stets aufbauende Momente. Ferner hat er ein Ziel, selbst wenn man anfangs nicht weiß, was das Endziel ist. Wenn man sich aber im zeitlichen Verlauf bemüht, den Bildungsprozess ununterbrochen aufzubauen, werden Etappenziele erreicht und dann auf neue erweitert. Der Maßstab wird immer höher gesetzt. Und wenn man eine Reihe von solchen Zielen erreicht hat, ist man ›gebildet‹. Ich präzisiere das Schema B aus der Sicht der Wissenskategorien nach Mohr (1977): Mohr unterscheidet zwischen »Verfügungswissen« und »Orientierungswissen«. Das »Verfügungswissen« gibt die Antwort auf die Frage: »Wie kann ich etwas, was ich tun will, tun?« Das »Orientierungswissen« dagegen beantwortet die Frage: »Was soll ich tun? Was darf ich tun?«. Beide Wissenskategorien ergänzen sich: Verfügungswissen ohne Orientie-
4
Die folgenden Ausführungen zum deutschen Bildungsbegriff beziehen sich vor allem auf die Bedeutung von Bildung im Kontext des deutschen Bildungsromans. Andere Bedeutungsdimensionen bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt.
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rungswissen sei »blind« und Orientierungswissen ohne Verfügungswissen »leer« (Mohr 1997: 62; zu diesen beiden Wissenskategorien siehe auch Mittelstraß 1998). In Schema B habe ich die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Wisssensformen dargestellt. Nun, beim japanischen ›Kyōyō‹ sieht es anders aus. Um ›Kyōyō-no aru Hito‹, d. h. ein gebildeter Mensch zu sein, spielen die zielgerichteten, zeitlich aufeinander aufbauenden Prozesse keine (wichtige) Rolle. Das Individuum strebt nicht danach. Zugespitzt gesagt: Es gibt kein Agens. Man bildet sich nicht, sondern – wenn es auch wortspielerisch klingen mag – die Bildung bildet sich von selbst. Man ist sich nicht dessen bewusst, sich zu bilden. Man orientiert sich stark an Situationen, mit denen man in einzelnen Lebensphasen konfrontiert ist, und aus denen man etwas lernt. Dass man etwas tut und wie man etwas tut, steht im Hintergrund. Im Vordergrund steht, dass man etwas wird oder besser, dass etwas in einem wird. ›Kyōyōno aru Hito‹, d. h. ein gebildeter Mensch, resultiert aus den diversen angehäuften Erfahrungen, die letztlich in ihrer Gesamtheit mit einander zusammenhängen. ›Kyōyō-no aru Hito‹ sieht in Zusammenhänge ein, die auf den ersten Blick, d. h. scheinbar, zusammenhanglos sind. Diese Sachlage lässt sich folgendermaßen illustrieren:
Schema C (eigene Darstellung)
Während die Bildung dynamisch und zeitlich erweitert wird und vor allem durch den sich Bildenden bzw. die sich Bildende selbst realisiert wird, ist ›Kyōyō‹ ein statisch gestaffeltes, ich würde zu sagen wagen, ein räumliches Gebilde, das in sich und auch mit der umgebenden Welt vernetzt ist. Auch hier habe ich zu veranschaulichen versucht, wie das Verfügungswissen und das Orientierungswissen sich komplementieren. Man sieht dort, die beiden Wissenskategorien sind bei ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹ unterschiedlich gestal-
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VS .
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tet. In Schema C stellen die kleineren runden Kreise »Verfügungswissen« dar; die die Kreise miteinander verbindenden Linien »Orientierungswissen«. Der bisher skizzierte Unterschied zwischen ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹ schlägt sich in den Sprachtypen des Deutschen und des Japanischen im Allgemeinen nieder. Yoshihiko Ikegami, ein kontrastiver Linguist und Kultursemiotiker, weist auf Folgendes hin: Forscher, die Sprachen zu typologisieren versuchen, gelangen fast ausnahmslos zu dem Gedanken einer Dichotomie, welche die einzelnen Sprachen jeweils als Ganzheit in zwei verschiedene Kategorien einteilt (Ikegami 1981: 1). Nach Ikegamis Worten geht es um »Tun«- vs. »Werden«-Sprachen (Ikegami 1981). Zu den von Ikegami genannten Sprachforschern gehören nicht nur europäisch-angloamerikanische wie Peter Hartmann, Roman Jakobson, André Martinet, Leo Weisgerber und natürlich Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf, sondern auch japanische Philologen wie z. B. Kanae Sakuma. Sakuma (1995 [1941]: 177) formuliert: »Während europäische Sprachen dazu tendieren, einen Sachverhalt so darzulegen, dass jemand oder etwas diesen zustande bringt, bevorzugt das Japanische, ihn so zu beschreiben, dass er selbst zustande kommt« [Übersetzung des Autors].
Ich demonstriere dies mit einem Beispiel: Saikin, kono Atari-ni Kōsō-Biru-ga ta-tta.
Wörtlich übersetzt bedeutet dies: In letzter Zeit, in dieser Gegend Hochhäuser sich-bauen-Präteritum
In der deutschen Sprache würde man in dieser Situation hingegen sagen: »In letzter Zeit hat man in dieser Gegend Hochhäuser gebaut.« »In letzter Zeit wurden in dieser Gegend Hochhäuser gebaut.«
Hochhäuser baut man oder sie werden von Menschen gebaut. Das ist eine deutsche oder generell europäische Ausdrucksweise. Im Japanischen dagegen können sich Hochhäuser selbst bauen!
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Ich greife noch zwei markante Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Japanischen in der Begrüßung und der Wunschäußerung auf. Zunächst zur Begrüßung: Im Japanischen sind etymologisch die meisten Begrüßungsformeln dadurch entstanden, dass man auf das ›Situative‹ (›Situationen‹) Bezug nahm. Das Situative bzw. das Räumlich-Statische, was im gemeinsamen Besitz der Gesprächsteilnehmer ist, ist ausschlaggebend. Mit anderen Worten: Die Gesprächsteilnehmer teilen das Situative mit einander und bestätigen es gegenseitig. Ein Paradebeispiel ist der Abschiedsgruß »Sayōnara«, der wörtlich so etwas wie »Das war und ist so« bedeutet. Ein vager statischer Hinweis auf eine gemeinsam geteilte Situation wird zum dynamischen ›Sich-Verabschieden‹ verwendet. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass man selbst innerhalb des ostasiatischen Sprachraums von einer anderen Ausdrucksweise Gebrauch macht. So z. B. im Koreanischen »Anneng-haseyo« (»Befinden Sie sich weiterhin im Wohle«) oder im Chinesischen »Zai jian« (»Wiedersehen«). Im Chinesischen ist diese Formulierung sogar genau die gleiche wie in manchen europäischen Sprachen (»Auf Wiedersehen« im Deutschen, »Au revoir« im Französischen, »Arrivederci« im Italienischen usw.). Alles also in zeitlicher Abfolge zielgerichtet – so wie bei dem Wort ›Bildung‹. Im Japanischen gibt es neben »Sayōnara« eine ganze Reihe von Begrüßungsformeln, die sich alle auf das statisch Situative beziehen: »Ohayō« (»früh«: »Guten Morgen«), »Konnichiwa« (»diesen Tag«: »Guten Tag«), »Konbanwa« (»diesen Abend«: »Guten Abend«) etc. Dagegen hat man im Deutschen »Guten Morgen«, »Guten Tag« und »Guten Abend«. All diesem liegt das Muster ›dem Gegenüber etwas wünschen‹ zugrunde: eine zeitlich verlaufende, zukunftsorientierte Prozedur. Kienpointner (1996: 48) nennt als eines der Prinzipien vernünftigen Diskutierens die Regel: »Gemeinsame Ausgangspunkte respektieren«. Die meisten Begrüßungsformeln im Japanischen lassen sich als Anwendungsfälle dieser Regel interpretieren, und zwar als solche, in denen das gemeinsam ›Situative‹ zum Ausdruck kommt. Die Orientierung am Situativen ist grundlegend, so wie beim Wort ›Kyōyō‹. Nun zur Wunschäußerung: Im Deutschen (und in vielen anderen europäischen Sprachen) äußert man einen Wunsch, indem man nach der Fähigkeit seines Gegenübers fragt wie z. B. »Könn(t)en Sie mir bitte Salz geben?« Man bezieht sich auch oft auf die futurische Tätigkeit seines Gesprächspartners (»Würden Sie mir bitte Salz geben?«). In den beiden Fällen
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ist es offenkundig, dass der/die Handelnde im Zentrum steht. Offenkundig ist außerdem, dass auch hier die zeitlich-dynamische Prozedur zu Grunde liegt. Denn das Vorhandensein einer Fähigkeit ist die Voraussetzung für die auszuführende Tätigkeit; man muss die Fähigkeit besitzen, um die betreffende Handlung zu realisieren. Dies ist eine Kette, die räumlich-dynamisch verläuft. Und temporal-dynamisch par excellence verläuft ja die im Futur durchzuführende Tätigkeit. Hier erneut die Zielgerichtetheit in zeitlicher Abfolge – so wie bei ›Bildung‹. Im Japanischen dagegen kann eine Frage nach der Fähigkeit oder der zukünftigen Tätigkeit des Gesprächspartners nicht als ›Wunschäußerung‹ fungieren. Wie äußert man dann im Japanischen einen Wunsch? Geläufig ist, dass man wiederum auf das Situative verweist. Man fragt nämlich nach der Existenz des Erwünschten, wie z. B. Oshio-wa ari-masu-ka? Salz-Topik dasein-Höflichkeitssuffix-Fragepartikel »Ist Salz da?«
Dieser Satz ist ganz und gar räumlich-statisch. Eine situative und räumlichstatische Bezugnahme im Japanischen kann so weit gehen, dass man seinen Wunsch erfüllt bekommt, indem man in hohem Maße indirect speech acts nutzt. So kann z. B. der Satz »Koko samuku-nai?« (»Ist es hier nicht kalt?«) den Gesprächspartner durchaus dazu veranlassen, das Fenster zu schließen, die Heizung wärmer zu stellen etc. Es gilt hier: die Beschreibung einer Situation lässt eine andere Situation entstehen. Diese Vorstellung liegt auch ›Kyōyō‹ zugrunde: ›Kyōyō‹ basiert auf einem Gebilde bzw. Netzwerk miteinander zusammenhängender Situationen. Noch eine Bemerkung zum Unterschied zwischen den Ausdruckstypen »Können Sie mir Salz geben?« und »Schließen Sie bitte das Fenster!« einerseits und »Ist Salz da?« und »Ist es hier nicht kalt?« andererseits. Natürlich sollen auch solche Prozeduren relativ gedeutet werden: Auch im deutschsprachigen Raum kann man sein Gegenüber dazu veranlassen, das Fenster zu schließen, indem man sagt »Ist es hier nicht kalt?« Die Frage stellt sich, inwieweit eine solche Ausdrucksweise in der betreffenden Sprachgemeinschaft ›etabliert‹ ist. Der Etablierungsgrad ist unterschiedlich. Im Sinne von »fashions of speaking« nach Benjamin Lee Whorf ist die Bevorzugung der ›situativen‹ Bezugnahme im japanischen Sprachraum deut-
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lich prägender als im deutschen Sprachraum. Und anders herum ist der Vorzug der handlungs- und somit zielorientierten Ausdrucksweise im Deutschen stärker verankert als im Japanischen. In Anknüpfung an Whorf kann man bei ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹ von andersartigen »fashions of selfcultivation« (Bruford 1975) sprechen. Im weiteren Zusammenhang noch ein paar Worte zum Spracherwerb: Akatsuka (2000) weist darauf hin, dass japanische Kinder im Stadium des Erwerbs von Nebensätzen zuerst »wenn«-Sätze mit der Konjunktion -ra oder -nara erlernen, englischsprachige Kinder hingegen »because/weil«Sätze. 5 »Wenn«-Sätze lassen sich nämlich so auslegen, dass sie dazu dienen, zwei Sachverhalte spatial-statisch mit einander zu verknüpfen. Dagegen liegt den »because/weil«-Sätzen offenbar das ›Ursache-Wirkung‹-, ›Mittel-Zweck‹-Verhältnis zugrunde, was wiederum auf der temporaldynamischen Verlaufskette basiert. Diesem Unterschied entsprechen erneut die Schemata B und C.
S CHLUSSBEMERKUNG Ich habe im vorliegenden Beitrag erläutert, dass ›Bildung‹ eine zielorientierte, zeitlich verlaufende Erweiterung des Wissens darstellt, ›Kyōyō‹ dagegen dessen räumliche, situationsbezogene Vernetzung. Mit Bezug auf den oben skizzierten Unterschied zwischen ›Bildungsroman‹ und ›IchRoman‹ lässt sich sagen: Ein ›Bildungsroman‹ schildert einen Prozess des zeitlichen Reifens der Hauptperson, ein ›Ich-Roman‹ dagegen miteinander zusammenhängende Situationen, in die die Hauptperson eingebettet ist. Wenn hier versucht wurde, den Unterschied zwischen ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹ mit Bezug auf die Differenzierung von »Tun-Sprache« vs. »Werden-Sprache« auszuloten, muss allerdings betont werden, dass dieser Unterschied als relativ aufzufassen ist. Die beiden Begriffe ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹ schließen sich nicht aus. Sie ergänzen und überschneiden sich gegenseitig. Wie gesagt, kann man bestenfalls von der unterschiedlichen Ge-
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Betreffende Daten über deutschsprachige Kinder sind mir zwar nicht bekannt, aber Paralleles zum Englischen ist zu vermuten. Die »Warum«-Fragen der Deutschen sind weltberühmt!
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wichtung je nach Kultur, Gesellschaft und Geschichte sprechen. Dies ist zugleich der Sinn dieses Beitrags. So wie die Sprachwissenschaft die beiden Sprachtypen »Tun-Sprache« und »Werden-Sprache« anerkennend relativiert, so könnte auch die Erziehungswissenschaft über die beiden genannten oder eventuell über noch weitere Bildungsformen reflektieren. Das scheint mir eine der grundlegenden Herausforderungen für die Erziehungswissenschaft zu sein. In diesem Sinne gilt es, sich weiterhin Gedanken darüber machen, wie wir Bildung hervorbringen bzw. wie die Bildung wird. Der Beitrag kann mit einer Anekdote abgeschlossen werden: Ein deutscher Professor namens Eugen Herrigel, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an einer japanischen Universität deutsche Philosophie lehrte, wollte sich im Zen-Buddhismus bilden/ausbilden lassen. Zu den Disziplinen gehörte das Bogenschießen. Als er den Zen-Meister, also einen Gebildeten, fragte, wie er besser mit dem Bogen schießen könne, antwortete der Meister: Stellen Sie sich vor, dass nicht der Mensch schießt, sondern dass ES schießt (vgl. Herrigel 2010). Überträgt man dies auf den Unterschied zwischen ›Bildung‹ und ›Kyōyō‹, heißt das: Man bildet sich in sich selbst vs. erst Umstände machen einen zum Menschen mit ›Kyōyō‹.
L ITERATUR Abe, Kinji (1997):『 教養とは 何か 』[Was ist Bildung?]. Tokyo: Kodansha. [auf Japanisch] Akatuska, Noriko (1998):『モダリティーと発話行為』[Modalität und Sprechakt]. Tokyo: Kenkyūsha. [auf Japanisch] Bruford, Walter Horace (1975): The German Tradition of Self-Cultivation: ›Bildung‹ from Humboldt to Thomas Mann. Cambridge: Cambridge University Press. Goethe, Johann Wolfgang (1992): »Wilhelm Meisters Lehrjahre.« In: Voßkamp, Wilhelm; Jaumann, Herbert (Hrsg.): Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Band 9. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag. Herrigel, Eugen (2010): Zen in der Kunst des Bogenschießens. München: O. W. Barth.
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Hijiya-Kirschnereit, Irmela (2005): Selbstentblößungsrituale zur Theorie und Geschichte der autobiographischen Gattung »Shishôsetsu« in der modernen japanischen Literatur. München, Iudicium. Hijiya-Kirschnereit, Irmela (1996): Rituals of Self-Revelation. Shishōsetsu as Literary Genre and Socio-Cultural Phenomenon. Cambridge: Harvard University Press. Hinds, John (1986): Situation vs. Person Focus. Tokyo: Kuroshio. Ikegami, Yoshihiko (1981):『「する」と「なる」の言語学』[Sprachwissenschaft des Tuns und des Werdens]. Tokyo: Taishukan. [auf Japanisch] Ikegami, Yoshihiko (2000):『日本語論への招待』[Einladung zur japanischen Sprachtheorie]. Tokyo: Kodansha. [auf Japanisch] Kienpointner, Manfred (1996): Vernünftig argumentieren. Regeln und Techniken der Diskussion. Hamburg: Rowohlt. Mittelstraß, Jürgen (1998): Die Häuser des Wissens. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Mohr, Hans (1997): Einführung in (natur-)wissenschaftliches Denken. Berlin: Springer. Sakuma, Kanae (1995 [1941]): 『日本語の特質』 [Eigenschaften der japanischen Sprache]. Nachdruck. Tokyo: Kuroshio. [auf Japanisch] Vermeer, Hans (1996): A skopos theory of translation (some arguments for and against). Heidelberg: TEXTconTEXT. Whorf, Benjamin Lee (1956): Language, Thought and Reality; Selected Writings of Benjamin Lee Whorf. Herausgegeben von John Caroll. Cambridge, MA: MIT Press.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Cornelie Dietrich, Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg. Arbeitsschwerpunkte: Kulturwissenschaftliche Bildungsforschung und Bildungstheorien, KulturellÄsthetische Bildung, Kindheitsforschung und Frühe Kindheit, Kommunale Bildungslandschaften. İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte: Spracherwerb und Sprachgebrauch in der Migrationsgesellschaft, Didaktik und Methodik der Deutsch als Zweitsprach-Förderung und der sprachlichen Bildung, Didaktik der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit, migrationspädagogische Zweitsprach(en)Didaktik. Kerstin Göbel, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung an der Universität Duisburg-Essen. Arbeitsschwerpunkte: Unterrichts- und Schulentwicklung, Interkulturalität und Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht. Katherine Kerschen, Doktorandin im Fach German Applied Linguistics and Language Science an der Pennsylvania State University. Arbeitsschwerpunkte: Zweitspracherwerb, Vokabelerwerb, Fremdsprachendidaktik. Miriam Mathias, akademische Mitarbeiterin am Lehrstul für Systematische Erziehungswissenschaft und Methodologie der Bildungsforschung an der Technischen Universität Dortmund. Arbeitsschwerpunkte: Historische Bildungsforschung, qualitative Biographieforschung.
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| BILDUNG IN FREMDEN S PRACHEN?
Ruprecht Mattig, Professor für Systematische Erziehungswissenschaft und Methodologie der Bildungsforschung an der Technischen Universität Dortmund. Arbeitsschwerpunkte: Pädagogische Anthropologie, ethnographische Bildungsforschung, Ritualforschung, Jugendforschung. Akio Ogawa, Professor für Deutsche Literatur und Sprache an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Kwansei Gakuin Universität, Nishinomiya. Arbeitsschwerpunkte: Kontrastive Linguistik, Sprachtypologie, Kultursemiotik. Fumio Ono, Associate Professor für Europäische Studien in der Fakultät der Globalisierung und Regionalwissenschaften an der Doshisha Universität, Kyoto. Arbeitsschwerpunkte: Philosophie, Geistesgeschichte, Judaistik, Erziehungswissenschaften. Doris Pokitsch, Prae-Doc Assistentin am Fachbereich Deutsch als Fremdund Zweitsprache (Universität Wien). Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Mehrsprachigkeit und wissenschaftliches Schreiben, migrationspädagogische und subjektivierungstheoretische Zugänge zum Feld ›DaZ‹, migrationsgesellschaftliche Differenzordnungen im Kontext sprachlicher Zugehörigkeit(en) und damit verbundene Macht-/Wissensstrukturen. Henning Rossa, Professor für Fachdidaktik Englisch an der Universität Trier. Arbeitsschwerpunkte: Wissen und Überzeugungen von Englischlehrkräften, sprachliche Kompetenzen testen und prüfen, Englischunterricht und Inklusion, fachdidaktische Entwicklungsforschung, Wirksamkeit standardbasierter Unterrichtsentwicklung. Paul Standish, Professor für Philosophy of Education am Institute of Education, University College London (UCL). Arbeitsschwerpunkte: Philosophy of Education, Sprach- und Übersetzungsphilosophie. Jürgen Trabant, Professor emeritus für romanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Historische Anthropologie der Sprache, Geschichte der Sprachphilosophie, Europäische Sprachpolitik, Bild und Sprache.
V ERZEICHNIS DER A UTORINNEN
UND
A UTOREN
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Christoph Wulf, Professor für Anthropologie und Erziehung an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Historisch-kulturelle Anthropologie, Pädagogische Anthropologie, ästhetische und interkulturelle Bildung, Performativitäts- und Ritualforschung, Emotionsforschung, Mimesis- und Imaginationsforschung. Jun Yamana, Associate Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Tokyo. Arbeitsschwerpunkte: Reformpädagogik, Systemtheoretische Forschung, Raumforschung, Erforschung des kulturellen Gedächtnisses. Klaus Zehbe, akademischer Mitarbeiter am Lehrstul für Systematische Erziehungswissenschaft und Methodologie der Bildungsforschung an der Technischen Universität Dortmund. Arbeitsschwerpunkte: ethnographische Bildungsforschung, Bildungstheorie, interkulturelle Pädagogik.
Pädagogik Anselm Böhmer
Bildung als Integrationstechnologie? Neue Konzepte für die Bildungsarbeit mit Geflüchteten 2016, 120 S., kart. 14,99 E (DE), 978-3-8376-3450-1 E-Book PDF: 12,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3450-5 EPUB: 12,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3450-1
Jan Erhorn, Jürgen Schwier, Petra Hampel
Bewegung und Gesundheit in der Kita Analysen und Konzepte für die Praxis 2016, 248 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3485-3 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3485-7
Elisabeth Kampmann, Gregor Schwering
Teaching Media Medientheorie für die Schulpraxis — Grundlagen, Beispiele, Perspektiven (unter Mitarbeit von Linda Leskau, Kathrin Lohse, Arne Malmsheimer und Jens Schröter) März 2017, 304 S., kart., zahlr. Abb., 24,99 E (DE), 978-3-8376-3053-4 E-Book PDF: 21,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3053-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Pädagogik Juliette Wedl, Annette Bartsch (Hg.)
Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung 2015, 564 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 34,99 E (DE), 978-3-8376-2822-7 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2822-1
Tobias Leonhard, Christine Schlickum (Hg.)
Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung 2014, 208 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2909-5 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2909-9
Peter Bubmann, Eckart Liebau (Hg.)
Die Ästhetik Europas Ideen und Illusionen 2016, 206 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3315-3 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3315-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de