Kinder mit Fluchterfahrung in Kitas: Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung [1 ed.] 9783666406782, 9783525406786


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Kinder mit Fluchterfahrung in Kitas: Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung [1 ed.]
 9783666406782, 9783525406786

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Matilde Heredia

Kinder mit Fluchterfahrung in Kitas Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung

Geflüchtete Menschen psychosozial unterstützen und begleiten Herausgegeben von Maximiliane Brandmaier Barbara Bräutigam Silke Birgitta Gahleitner Dorothea Zimmermann

Matilde Heredia

Kinder mit Fluchterfahrung in Kitas Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Nadine Scherer Satz und Layout: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6436 ISBN 978-3-666-40678-2

Inhalt

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen . . . . . . . . . 7 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Der Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Überblick: Der Spracherwerb in der frühen Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2 Der Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.3 Bilingual – mehrsprachig . . . . . . . . . . . . . . . 25 2 Mehrsprachigkeit in der pädagogischen Praxis 30 3 Sprache, Identität und kulturelle Vielfalt . . . . . 36 3.1 Sprache und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2 Sprache und kulturelle Vielfalt . . . . . . . . . . . 39 4 Kinder mit Fluchterfahrung in Kinder­ tageseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.1 Sprachliche Bildung bei Kindern mit Fluchterfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4.2 Spracheinschätzung und Sprachangebote für Kinder mit Fluchterfahrung . . . . . . . . . . 48 4.3 Die Bildungssprache mehrsprachiger Kinder stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

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Inhalt

5 Den pädagogischen Alltag neu denken und gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.1 Beispiele gelungener Praxisarbeit . . . . . . . . . 62 5.1.1 Kinder- und Familienzentrum August-­Bebel-Allee: Sprachangebot für Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.1.2 Kinder- und Familienzentrum Im Viertel: Spiele mit Sprache im Hort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.1.3 Gute Sprachpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.2 Das Sprachprofil der eigenen Einrichtung (neu) definieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

Der Titel der Fluchtaspekte-Buchreihe trägt den Zusatz »Geflüchtete Menschen psychosozial unterstützen und begleiten«. Kindertagesstätten als zentrale Orte pädagogischer Praxis sind nicht die ersten Arbeitsfelder, die beim Stichwort »psychosozial« in den Sinn kommen. Und dennoch gibt es in ihnen vielfältige Schnittstellen zu psychosozialen Themen – wie zum Beispiel, wenn Kinder ihre Erstsprache wegen subtiler, alltäglicher Diskriminierungserfahrungen als schmutzig empfinden oder sich für sie schämen. Die Autorin Margarete Stokowski schrieb am 27.11.2018 in ihrer Kolumne auf Spiegel Online: »Als Kind dachte ich lange Zeit, bilingual aufzuwachsen heißt, dass man außer Deutsch auch noch Französisch oder Englisch zu Hause spricht und nicht das, was die ›Polacken‹ und ›Kanaken‹ tun. ›Bilingual‹ klang wie etwas Wertvolles, während ich als Kind das Gefühl hatte, dass meine Muttersprache etwas ist, was ich besser loswerden sollte. Wie die alten Klamotten vom Flohmarkt, die man irgendwann durch fancy Adidassachen ersetzen konnte, wenn man lange genug gespart hatte. Polnisch war gleichbedeutend mit arm, gleichbedeutend mit: besser nicht da«.1

1 https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/deutsch-tuerkisch-­ polnisch-gute-sprachen-schlechte-sprachen-kolumne-a-1240 626.html [Zugriff: 24.07.2019].

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Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

Statt zu problematisieren, falls Kinder zu Hause nicht Deutsch sprechen, sollte laut Stokowski eher problematisiert werden, wenn sich Bildungseinrichtungen nicht auf Menschen verschiedener Herkunft einstellen können. Als mein dreijähriger Sohn mir im Kindergarten ein gleichaltriges Kind seiner Gruppe mit den Worten zeigte: »Der kann noch nicht richtig reden«, brachte mich das zum Nachdenken. Das Kind konnte durchaus fließend sprechen – in seiner Muttersprache. Dieser Mehrsprachigkeit im pädagogischen Alltag Wertschätzung beizumessen und diese Haltung auch den anderen Kindern gegenüber authentisch vorzuleben, ist eine zentrale Botschaft des vorliegenden Buches. Dabei verschweigt es auch nicht die Hindernisse und Schwierigkeiten auf diesem Weg. Wie gehen Pädagog*innen z. B. damit um, wenn sie selbst nicht verstehen, was Kinder untereinander sprechen? Anstatt auf Sprachgebote wie »Wir sprechen hier deutsch!« zurückzugreifen, öffnet die promovierte Soziologin Matilde Heredia einen anderen, wertschätzenden und kreativen Weg, mit Mehrsprachigkeit in Kitas umzugehen und die sprachliche Bildung aller Kinder, mit und ohne Flucht- oder Migrationserfahrung, zu stärken. Ihr Ansatz speist sich aus jahrelanger Leitungs- und Beratungstätigkeit bei unterschiedlichen Trägern der Kindertagesbetreuung. Matilde Heredia setzt sich in ihrem Buch zunächst sehr grundsätzlich mit Mehrsprachigkeit/Bilingualität auseinander. Zwei Kapitel (Kapitel 1 und 3) widmen sich den Fragen des (ein- und mehrsprachigen) Spracherwerbs sowie der Rolle von Sprache für die Identitätsentwicklung und kulturelle Vielfalt. Um ebenso zentrale Fragen im Umgang mit Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen geht es in Kapitel 2, das zu diesem Thema gewissermaßen den Rahmen entwirft. So bringt die Autorin ihre eigenen Erfahrungen in einem Satz sehr schön auf den Punkt: »Im Mittelpunkt gelungener Sprachangebote stand die

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Anerkennung der Sprache des Kindes und ihrer Familie, eine offene Haltung gegenüber sprachlicher und kultureller Vielfalt sowie Kreativität, um trotzdem miteinander zu kommunizieren« (S. 32 f.). Wie dies in der pädagogischen Praxis verwirklicht werden kann, ist Gegenstand der Kapitel 4 und 5, in denen gelungene Beispiele aus der Praxis Anregungen für die Gestaltung der eigenen pädagogischen Arbeit geben, die vor allem die Ressourcen der Fachkräfte und der Einrichtungen berücksichtigen. Wir wünschen den Leser*innen eine sie ermutigende Lektüre, die Lust auf Reflexion der eigenen Praxis und auf kreative Weiterentwicklung von Sprachbildungsangeboten in Kitas macht. Maximiliane Brandmaier Barbara Bräutigam Dorothea Zimmermann Silke Birgitta Gahleitner

Vorbemerkung

Alle Kinder sprachlich stärken! Dies ist die Prämisse der Kitas deutschlandweit. Die praktische Umsetzung ist allerdings nicht immer einfach. Wie kann es gelingen, mehrsprachige Kinder mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen willkommen zu heißen und sprachlich optimal zu begleiten? Wie können Sie als pädagogische Fachkräfte, wie können Sie als Akteur*innen von Kindertageseinrichtungen die Kita-Kultur authentisch mehrsprachig gestalten, ohne dabei Ihre eigene Identität und die Kultur der Kita und deren Familien, die bereits gelebt wird, in den Hintergrund zu stellen? Solcherlei Fragen und Reflexionen um dieses Thema haben die Idee für dieses Buch gegeben. Um diese aktuellen Themen aus der Praxisperspektive zu behandeln, werden im Folgenden diverse relevante Erfahrungen besprochen, die im Rahmen der Interaktion mit Kindern mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen von den pädagogischen Fachkräften gesammelt werden. Anhand von Beispielen gelungener Praxis aus Bremen werden mögliche Herangehensweisen an die sprachliche Bildung von Kindern mit Fluchterfahrung skizziert, die vielleicht neue Ideen auch für Ihre Arbeit geben können. Das Ziel hierbei ist, wichtige Aspekte rund um die Sprachbildungsarbeit und den Spracherwerb (vgl. Tracy, 2007; Szagun, 2013) in Kindertageseinrichtungen zu benennen, die pädagogische Fachkräfte aktuell beschäftigen, um für den Fall von Hindernissen in der pädagogischen Praxis Ideen, kreative Impulse und mögliche Lösungen zu bieten. Hierbei werden eigene Erfahrungen und Betrachtungen aus der

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Vorbemerkung

Tätigkeit als Regionalleitung und Beraterin von Kindertageseinrichtungen in die Analyse einfließen. Dabei wird keine Vollständigkeit angestrebt, sondern vielmehr Einblicke in das alltägliche Geschehen gewährt. Das Buch ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt wird der Spracherwerb von Kindern im frühen Kindesalter (0 bis 6  Jahre) dargestellt. Dabei wird ein Überblick über den Spracherwerb sowohl von ein- als auch von mehrsprachigen Kindern gegeben. Darauffolgend werden in Kapitel 1.3 die Begriffe der Bilingualität und der Mehrsprachigkeit erläutert. Bei dieser Analyse werden aktuelle wissenschaftliche Themen wie das Verständnis von Bilingualität, die Unterscheidung zwischen Deutsch als Fremdsprache (DaF) oder als Zweitsprache (DaZ) sowie Ansätze der Sprachbildung und Mehrsprachigkeit (vgl. Triarchi-­Herrmann, 2012; Roth, Terhart, u. ­Anastasopoulos, 2013) von Kindern mit Fluchterfahrung in Betracht gezogen. Die Analyse der sprachlichen Entwicklung sowie der gelungenen Inklusion von Kindern mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen ist ein wichtiges Anliegen in der pädagogischen Praxis von Kitas und setzt voraus, dass wir die vorhandene Mehrsprachigkeit in der Praxis reflektieren und uns auch mit kulturellen und Identitätsaspekten befassen. Diese Themen werden in den Kapiteln 2 und 3 behandelt, wobei in Kapitel 3 die Beziehungen zwischen den Sprachen und den Identitäten der Kinder sowie die zwischen interkulturellen Aspekten des Alltags in Kitas und den Sprachen der Kinder im Fokus stehen. Im Anschluss daran und als Herzstück des Buches werden in Kapitel 4 die Situation von Kindern mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen, einige Formen der Herangehensweise an die Arbeit mit ihnen sowie mögliche Hindernisse, die aus

Vorbemerkung13

meiner Sicht in diesem pädagogischen Tätigkeitsfeld zu erkennen sind, dargestellt. Um das Thema abzurunden, wird in Kapitel 5 der pädagogische Alltag in Kindertageseinrichtungen mit Blick auf deren Sprachprofile und die sprachliche Bildung von Kindern mit geringen Deutschkenntnissen beleuchtet. Anhand von Beispielen gut gelungener sprachlicher Arbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung in Kindertagesstätten werden in Kapitel 5.1 mögliche Lösungen für die Praxis aufgezeigt. Anschließend werden in Kapitel 5.2 die wichtigsten der zuvor dargestellten Aspekte gebündelt und Perspektiven für das Weiterdenken und praktische Handeln bezüglich der sprachlichen Bildung von Kindern mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen diskutiert. Insgesamt werden hier Aspekte genannt und analysiert, die im Zusammenhang mit dem aktuellen Umgang mit Mehrsprachigkeit und sprachlicher Bildung in Kindertageseinrichtungen stehen. Dabei wird der Fokus insbesondere auf die Situation gerichtet, in der Kinder mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen in Berührung mit der deutschen Sprache, d. h. einer (weiteren) Zweitsprache kommen. Die Praxisperspektiven, die hier wiedergegeben werden, beziehen sich überwiegend auf persönliche Beobachtungen sowie intensiven Austausch mit pädagogischen Fachkräften, die sich täglich mit der Inklusion von Kindern mit Deutsch als Fremdsprache beschäftigen. Das Buch möchte den Leser*innen vermitteln, welche Themen und möglichen Herausforderungen, aber ebenso Chancen die Aufnahme von mehrsprachigen Kindern für die pädagogische Praxis mitbringt. Die Themen und die Fragen, die bezüglich der Sprachbildungsarbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung in jeder Kindertageseinrichtung auftauchen, sind letztlich so he-

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Vorbemerkung

terogen wie die Kinder selbst. Bei der Analyse der hier vorgestellten Themen wird daher keine Vollständigkeit angestrebt; vielmehr sollen neue Perspektiven bei der Sprachbildungsarbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung aufgezeigt werden.

1  Der Spracherwerb

Der Erwerb von Sprache(n) setzt unmittelbar mit dem Beginn des Lebens, mit der Zeugung, ein, es handelt sich dabei um einen komplexen kognitiven und psychologischen Prozess. Beim Sprechenlernen werden verschiedene Entwicklungsprozesse, z. B. in Bezug auf Emotionen, Kognition und Motorik – im Grunde genommen der ganze Körper –, beansprucht, um die verschiedenen Sprachelemente wie Laute und Prosodie, Wortschatz, Grammatik, kognitives sprachliches Denken und Kommunikationsregeln (Jampert et al., 2011, S. 24) zu erwerben. Die Prosodie beschäftigt sich mit dem Klang, mit dem Rhythmus und mit der Melodie einer Sprache. »Die Prosodie einer Sprache ist ihr persönliches Markenzeichen. Über die unterschiedliche Betonung von Silben, Wörtern und Sätzen erhält jede Sprache ihre charakteristische Melodie, ihren charakteristischen Rhythmus und auf diese Weise ihren ganz individuellen Klang« (Jampert et al., 2011, S. 73). Um eine Sprache zu erwerben, setzen sich komplexe kognitive und motorische Systeme miteinander in Verbindung, beispielsweise bezogen auf die sprachliche Fähigkeit eines Kindes, ein Objekt beim Namen zu nennen. Diese (vermeintlich) einfache sprachliche Handlung beinhaltet, dass das Kind den Begriff im Vorfeld, z. B. in einem bestimmten Kontext, gehört oder sogar wiederholt gehört hat und ihn diesem Kontext zuordnen kann. In dem Fall ist das Kind auf kognitiver Ebene dazu in der Lage, den Begriff als den Namen des jeweiligen Objektes einzuordnen. Das Kind muss zudem die Laute erworben haben, die zum Aussprechen des Begriffs notwendig sind, und ferner

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Der Spracherwerb

neben den motorischen Fähigkeiten auch über die emotionalen Fähigkeiten verfügen, um sprechen zu können. Bezogen auf den Spracherwerb wächst das Kind im Idealfall in einer Umgebung auf, die es zum Sprechen anregt, ihm zuhört und es sprachlich stärkt. Dies sind nur einige der Voraussetzungen, die notwendig sind, damit das Kind zu sprechen lernt und beispielsweise ein Objekt in Verbindung mit einem Begriff bringen kann, um schließlich das Objekt korrekt zu benennen. Eine Sprache zu lernen, bedeutet, dass diese erst einmal erfahren, danach sich angeeignet, d. h. aufgenommen, und darauffolgend reproduziert, also gesprochen und (dadurch) weiterentwickelt wird. Dies ist ein Lernprozess, der den meisten Menschen als selbstverständlich erscheint, aber dennoch viele Fragen offenlässt. Das Sprechen und der Erwerb von Sprache(n) sind dem Menschen dahingehend gegebene Fähigkeiten, »über ein komplexes strukturiertes Symbolsystem, das wir Sprache nennen, mit anderen Menschen zu kommunizieren« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 11). Sprachwissenschaftler*innen befassen sich mit verschiedenen Spracherwerbstheorien und forschen aus unterschiedlichen Perspektiven über den Ursprung und die Grundlagen des Spracherwerbs (vgl. Klann-Delius, 2016; Albers, 2011a). Während z. B. die Vertreter*innen der nativistischen Theorie davon ausgehen, dass Sprachen und Sprachstrukturen angeboren sind, sind die Vertreter*innen der kognitivistischen Theorie der Ansicht, dass Sprachen durch Erfahrungen mit der Umwelt erworben werden, wohingegen wiederum die Vertreter*innen der interaktionistischen Theorie explizit die Interaktion mit anderen Menschen als Voraussetzung für den Spracherwerb verstehen (vgl. Klann-Delius, 2016). Fragen wie z. B. die, ob grammatikalische Kompetenzen angeboren sind oder im sozialen Umfeld des

Der Spracherwerb17

Kindes durch sozialen Kontakt mit Sprachvorbildern erworben und später in unterschiedlichen Situationen ausprobiert werden, werden im wissenschaftlichen Kontext und von Vertreter*innen der verschiedenen theoretischen Richtungen lebhaft diskutiert (vgl. Albers u. Jungmann, 2013, S. 30 ff.). Der Spracherwerb ist als individueller Lernprozess zu verstehen. Kinder, die unter ähnlichen Lebens- und Lernbedingungen eine Sprache erwerben, können trotz dieser ähnlichen Ausgangslage (große) Unterschiede beim Spracherwerb und Sprachstand zeigen. Der Spracherwerb verläuft von Kind zu Kind unterschiedlich und ist von vielen inneren wie äußeren Faktoren im Leben und Umfeld eines Kindes abhängig, z. B. den individuellen kognitiven Fähigkeiten oder der Sprechkultur der betreffenden Familie. Wie zuvor erwähnt, sind dabei einige Voraussetzungen aufseiten des Kindes und auch in dessen Umfeld erforderlich: So sollte das Kind über ein »gesundes und idealerweise intaktes Gehör- und Sprechorgan« (Wendlandt, 2017, S. 23) verfügen; neben solchen anatomischen, sind aber auch bestimmte gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen notwendig; und es sollten idealerweise die sinnlichen, sensorischen, visuellen, auditiven und kognitiven Wahrnehmungsfähigkeiten des Kindes gänzlich intakt vorhanden sein (vgl. Grimm, 2003). Doch ohne eine natürliche und authentische Berührung des Kindes mit einer Sprache kann deren Erwerb scheitern beziehungsweise lückenhaft bleiben. Diesen Aspekt bringt Rosemary Tracy gut auf den Punkt: »Unabdingbar für eine normale sprachliche und kognitive Entwicklung ist allerdings, dass einem Kind mindestens eine Sprache von Anfang an als natürlicher Bestandteil seiner Umgebung begegnet« (Tracy, 2009a, S. 24). Der Spracherwerb wird von Wissenschaftler*innen als »impliziter Lernprozess« (Jampert et al., 2011, S. 14) ver-

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standen. Das bedeutet, dass »Kinder […] nicht bewusst das Ziel [verfolgen], sich die Sprache/-n ihrer Umgebung anzueignen. Vielmehr lernen Kinder ihre erste/-n Sprache/-n nebenbei, was allerdings nicht bedeutet, dass es ohne Unterstützung, Lernimpulse und ohne Begleitung geschieht. Der Spracherwerb ist ein aktiver Lernprozess, bei dem das Kind und die Bezugspersonen engagiert tätig sind« (Jampert et al., 2011, S. 14). Bei diesem Lernprozess greifen Kinder auf verschiedene Lernstrategien zurück: Sie beobachten, hören (intensiv) zu, probieren Laute sowie Geräusche aus, um die eigene Stimme zu erkennen, sie kommunizieren in starkem Maße nonverbal (durch Gestik und Mimik), testen die Wirkung der eigenen Stimme und Sprache und probieren intensiv Sprachregeln aus, bis sie diese beherrschen (Jampert et al., 2011, S. 16). Beim Erwerb einer Sprache durchlaufen Kinder in den ersten drei Lebensjahren aufeinander aufbauende Etappen, bei denen sie verschiedene Sprachaspekte erkennen, spielerisch erproben und sich schließlich aneignen. Diesbezüglich wird von »Stufen des Spracherwerbs« gesprochen, die das Kind bei der Sprachentwicklung durchläuft (Jampert et al., 2014, S. 24 ff.).

1.1 Überblick: Der Spracherwerb in der frühen Kindheit In diesem Abschnitt gebe ich eine kurze Darstellung der Etappen des Spracherwerbs, die Kinder in der frühen Kindheit durchlaufen. Diese soll als grobe Orientierung im Hinblick auf die Analyse der Sprachaspekte dienen, die später behandelt werden, wie beispielsweise die Mehrsprachigkeit. Die ersten drei Lebensjahre sind für den Spracherwerb von Kindern entscheidend. Bereits im ersten Lebensjahr durchläuft ein Kind diesbezüglich verschiedene in-

Überblick: Der Spracherwerb in der frühen Kindheit 19

tensive Etappen. In dieser Zeit produziert es Geräusche und Laute, befindet sich jedoch ansonsten überwiegend im sogenannten Aufnahmemodus (Jampert et al., 2011, S. 24 ff.). Die Laute und Geräusche sowie die breite Palette der Ausdrucksformen derjenigen Personen, die das Kind in seinem Umfeld wahrnimmt, bilden die Grundlage seines Spracherwerbs. Kinder beobachten, hören intensiv zu und kommunizieren überwiegend über die Augen und den Körper beziehungsweise durch Bewegung und über Berührung. Während dieser Phase sind Blick- und Körperkontakt sowie Zuwendung für die ersten Kommunikationserfahrungen des Kindes unabdingbar (vgl. Diekert, 2015, S. 108). Ab dem siebten Lebensmonat beginnen Kinder in der Regel zu lallen und Laute zu imitieren, ab dem zehnten Monat äußern sie bereits erste konkrete Laute der Muttersprache. Die Laute und Geräusche, die das Kind produziert, werden im Laufe der Zeit vielfältiger und variieren in Bezug auf Laut und Form. Die »Produktion der ersten Wörter [erfolgt] etwa zum Ende des ersten Lebensjahres« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 27). In dieser Phase sind auch die sprachliche Umgebung und die Aufmerksamkeit, die Eltern/Erwachsene dem Kind schenken, von großer Bedeutung, denn hier beginnt die »geteilte Aufmerksamkeit (Joint Attention) in der Eltern-Kind-Interaktion, die sich auf ein Objekt bezieht« (Albers u. Jungmann, 2013, S. 35). Im Rahmen dieser Interaktion wird gelernt, die Aufmerksamkeit auf ein Objekt (z. B. einen Ball oder ein Spielzeug) oder einen Wunsch zu lenken, wobei bereits weitere Grundlagen der Kommunikation, wie grundlegende Dialogstrukturen, verankert werden. Ausgehend von einer normalen Entwicklung bezüglich des Wortschatzerwerbs äußert das Kind die ersten Wörter um das vollendete erste Lebensjahr herum. Im zweiten Lebensjahr erwirbt das Kind ungefähr 50 Wörter, danach

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folgt eine rasante Entwicklung der Sprache, die auch als Wortexplosion (vgl. Klann-Delius, 2016, S. 34 f.) bezeichnet wird. In dieser Etappe der Sprachentwicklung erweitert das Kind seinen Wortschatz sehr schnell (vgl. Chilla, Rothweiler u. Babur, 2013, S. 15). Das Kind eignet sich weitere Aspekte der Sprache an, wie z. B. Äußerungen mit mehreren Wörtern, und hat das syntaktische Prinzip entdeckt. Wörter sind Wortsymbole, und damit »beginnt der Wortschatzspurt, und das Kind nimmt jetzt täglich mehrere neue Wörter in seinen Wortschatz auf. Wenige Monate später, etwa zum zweiten Geburtsjahr, umfasst der produktive Wortschatz etwa 200–300 Wörter« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 101). Wenn das Kind das dritte Lebensjahr vollendet, ist es dazu in der Lage, »Dialoge zu führen, und beginnt zu erzählen« (Günther u. Günther, 2007, S. 101). Komplexere Verben wie »springen« oder »singen« können dann richtig konjugiert werden, sein »rezeptiver Wortschatz erweitert sich von 500 bis 1.000 Wörter und das Kind beherrscht unter anderem die Verbflexion und die Kasusmarkierungen (Nominativ und Akkusativ vor Dativ)« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 31). Insgesamt lässt sich festhalten, dass mit ungefähr drei Jahren Kinder im Durchschnitt alle Wortarten beherrschen und das »innere Lexikon […] nun hinsichtlich der Wortarten (z. B. Nomen, Verben, Adjektive) weitgehend komplett« ist (Wendlandt, 2017, S. 63). Unter »inneres Lexikon« ist die kognitive Erfassung der unterschiedlichen Begriffe zu verstehen. In den ersten drei Lebensjahren wird ein breites Fundament für die Erstsprache, aber auch für die weiteren Sprachen, die im Leben erworben werden (können), aufgebaut. Kinder haben bis dahin erfasst, wie die Sprache(n) und das Sprechen funktionieren. Hierzu äußert sich Tracy wie folgt: »Die wichtigsten Grundlagen ihrer Erstsprache

Überblick: Der Spracherwerb in der frühen Kindheit 21

eignen sich Kinder in den ersten drei Lebensjahren« an (Tracy, 2009a, S. 24). Der Spracherwerb findet bei Kindern in der Regel in ei­nem rasanten Tempo statt, wenn die kognitiven Voraussetzungen dafür gegeben sind sowie gleichzeitig eine relativ stabile und mindestens durchschnittliche emotionale und soziale Entwicklung des Kindes stattgefunden hat. Eine weitere Voraussetzung, die bereits in Abschnitt 1 erwähnt wurde, ist das Sprachumfeld, von dem das Kind regelmäßigen Sprachinput erhält sowie als sprechendes Subjekt wahrgenommen und behandelt wird. Auch wenn der Spracherwerb als flexibles System verstanden wird, das viele Veränderungen und Mängel abdecken kann, kann nicht von einer einheitlichen Sprachentwicklung bei Kindern gesprochen werden. Die Entwicklungssprünge beim Spracherwerb sind groß; während im ersten Lebensjahr nur wenige (oder noch gar keine »richtigen«) Wörter gesprochen werden, beherrscht »ein vierjähriges Kind die wesentlichen Satzkonstruktionen seiner Muttersprache« (Albers u. Jungmann, 2013, S. 40). Zugleich ist im Alter von circa vier Jahren eine Verlangsamung der Erweiterung des Wortschatzes festzustellen, welche ungefähr erst mit dem zwölften Lebensjahr abgeschlossen ist (vgl. Klann-Delius, 2016, S. 36). Im vierten Lebensjahr zeigt das Kind sein Interesse an Sprache anhand eines »Sprachspieles, wie z. B. das Erfinden von Reimen, oder bei Umbenennungsspielen, in denen Wortbedeutungen vertauscht werden« (Andresen, 2005, S. 76). Im Alter von circa fünf Jahren »beziehen [Kinder] grammatische Hinweise, z. B. den Kasus, in den Interpretationsprozess ein. Auch Nebensätze und Passivsätze werden verstanden« (Wendlandt, 2017, S. 63). Vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr setzt sich das Kind, häufig in spielerischer Weise, intensiver mit Sprachstrukturen und -variationen auseinander.

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Der Spracherwerb

Bei der Einschulung, d. h. ungefähr im Alter von sechs Jahren, verfügen Kinder über einen reichen passiven Wortschatz von »über 9.000–14.000 Wörter[n]« (Wendlandt, 2017, S. 63); der aktive Wortschatz liegt in diesem Alter bei »zwischen etwa 3.000 bis 5.000 Wörter[n]« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 101).

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Allgemein lässt sich festhalten, dass der Spracherwerb von Kindern von Geburt an bis zur Grundschule idealerweise ungestört und ohne Auffälligkeiten stattfinden kann, wodurch Kinder in diesem Fall eine durchschnittlich-­normale Sprachentwicklung durchlaufen. Im Gegensatz dazu zeigt die Realität allerdings, dass nicht immer vom Idealfall, d. h. von idealen Voraussetzungen für den Spracherwerb des Kindes, ausgegangen werden kann. Hierbei spielen viele autonome Faktoren eine zentrale Rolle, z. B. die individuellen Fähigkeiten des Kindes wie auch der soziale und familiäre Kontext bis hin zur Art der Kindertageseinrichtung, die es möglicherweise besucht. Dennoch zeigt sich, dass Kinder auch im Falle schwieriger Bedingungen, beispielsweise in einer sehr spracharmen Umgebung und/ oder bei einem Mangel an Sprachvorbildern, dazu in der Lage sind, eine Sprache zu erwerben und möglicherweise später Sprachlücken zu schließen. Der Spracherwerb basiert auf einem Lernprozess, der trotz möglicher Hindernisse dazu befähigt, durch eine angemessene Unterstützung etwaige Lücken in einigen Sprachbereichen mittels Sprachinput sowie ausgeprägter Fähigkeiten in anderen Bereichen zu kompensieren. So kann etwa ein geringerer Wortschatz zum Teil durch soziale und kommunikative Kompetenzen ausgeglichen werden.

Der Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern 23

1.2 Der Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern Wie erwerben Kinder eine Sprache? Wie erwerben sie mehrere Sprachen? Werden Sprachen in unterschiedlichen Kulturen anders erworben? Gibt es Unterschiede, wenn Kinder gleichzeitig (simultan) oder hintereinander (sukzessiv) mehrere Sprachen lernen? Diese vielfältigen Fragen können in einer zusammengefasst werden: Verläuft der Erwerb unterschiedlicher Sprachen auf unterschiedliche Art und Weise? Grundsätzlich ist zu konstatieren: Der Spracherwerb von unterschiedlichen Sprachen verläuft bei Kindern im Falle von guten sprachlichen Rahmenbedingungen, worunter die Existenz von Lerngelegenheiten und genügend Sprachangeboten für das Kind zu verstehen ist (vgl. Tracy, 2009a, S. 31), ähnlich. Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, unterscheiden sich allerdings oft in den sprachlichen Biografien voneinander, d. h. der Zeitpunkt und/oder die Gründe, wann und warum sie mit der zweiten Sprache in Berührung kommen, variieren. Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass Kinder, »die in einer mehrsprachigen Umgebung aufwachsen, [sich] problemlos in mehr als einer Sprache die Kernbereiche grammatischen Wissens aneignen« können (Tracy, 2007, S. 102). Beim Spracherwerb von mehrsprachigen Kindern sind der Zeitpunkt des erstmaligen Kontakts mit der betreffenden Sprache und die Rangfolge der Sprache(n), d. h. welche Rolle diese im sozialen Umfeld des Kindes spielt bzw. spielen, von Bedeutung. Wenn ein Kind von Geburt an mit zwei oder mehr Sprachen aufwächst, spricht man von einem simultanen Zweitspracherwerb oder von einem Spracherwerb, der »simultan-bilingual« (Chilla u. Niebuhr-Siebert, 2017, S. 36) ist. Falls ein Kind innerhalb der ersten drei Lebensjahre lediglich eine Erstsprache erwor-

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ben hat und später eine weitere Sprache hinzukommt, beispielsweise durch die Migration der Familie in ein neues Land bedingt, spricht man von einem sukzessiven Zweitspracherwerb (vgl. Tracy, 2009a, S. 30). Gesunde und normal entwickelte Kinder sind dazu in der Lage, in den ersten drei Lebensjahren mehrere Sprachen aufzunehmen und sich anzueignen. Tracy stellt hierzu fest: »Prinzipiell können Kinder also problemlos von Anfang an mit mehr als einer Sprache aufwachsen. Entgegen verbreiteten Vorurteilen werden sie durch den gleichzeitigen Erwerb zweier Sprachen nicht überfordert« (Tracy, 2009a, S. 25). In diesem Lernprozess werden Sprachbereiche wie Laute und Prosodie, aber auch Wortschatz und Kommunikationsregeln, beispielsweise das Dialogverhalten, erkannt und internalisiert. »Bereits in frühen Phasen des doppelten L1-Erwerbs [L1 = Erstsprache, Anm. MH] sind die Kinder in der Lage, die Sprache partnergemäß auszuwählen. Außerdem verfügen bilingual aufwachsende Kinder schon früh über metasprachliche Kompetenzen, d. h. sie äußern sich gezielt über die Sprachwahl ihrer Umgebung« (Heide, 2009, S. 4). Mehrsprachige Kinder sind sich ihrer Mehrsprachigkeit bewusst und können, je nach Bedarf oder Situation, die Sprachen auswählen oder sogar fließend zwischen den Sprachen hin- und herspringen (switchen) – beispielsweise, um mit Familienmitgliedern in der Muttersprache und mit Freund*innen in der Zweitsprache zu kommunizieren. Der Spracherwerb ist ein komplexer Lernprozess. Dabei wirken neben kognitiven und motorischen auch emotionale Faktoren, wie z. B. die Bindung des Kindes an die Erwachsenen und seine Sprachvorbilder. Die Umwelt und die familiäre Biografie des Kindes prägen seinen Spracherwerb und definieren seine Sprache sowie seine Identität, wobei die Emotionen des Kindes eine zentrale Rolle spie-

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len. Auch die soziale, politische sowie ökonomische Situation, in der das Kind aufwächst, sind beim Spracherwerb von Bedeutung und für die weitere Sprachentwicklung des Kindes mitentscheidend. Wissenschaft und Praxis berücksichtigen heute stärker als früher den Einfluss der Umwelt, in der ein Kind lebt, auf seinen Spracherwerb (vgl. Albers, 2011b, S. 50 ff.), beispielsweise durch eine intensivere Einbeziehung der Familien der Kinder in die Sprachangebote der betreffenden Kita oder durch Besuche der Familien, bevor die Kinder in die Kita kommen. Solche Maßnahmen bieten einen ersten Eindruck von der Sprachsituation und der sprachlichen Umwelt eines Kindes in seiner Familie.

1.3  Bilingual – mehrsprachig Eine im Kontext der Sprachbildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen immer wiederkehrende Frage ist die nach der Definition von Bilingualität und Mehrsprachigkeit. Oft gibt es seitens der pädagogischen Fachkräfte Unsicherheit bei der Nutzung dieser Begriffe. Fest steht, dass sich um den mehrsprachigen Spracherwerb diverse Mythen ranken, beispielsweise: »Kinder sind durch Mehrsprachigkeit überfordert. Sie müssen erst eine Sprache vollständig erwerben – sonst drohen ›Halbsprachigkeit‹ oder andere Probleme« (Heide, 2009, S. 2). Die aktuelle Forschung zeigt jedoch das Gegenteil, d. h. je früher fremdsprachige Kinder mit der deutschen Sprache konfrontiert werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie hier dieselben Erwerbsphasen durchlaufen wie Kinder, die Deutsch als Erstsprache erwerben (vgl. Tracy, 2009a, S. 31). Voraussetzung dafür sind allerdings jene guten Rahmenbedingungen des Spracherwerbs, die bereits zuvor genannt worden sind. Der Begriff »bilingual« wird im deutschsprachigen Raum sowohl in Bezug auf die Existenz von Zweispra-

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chigkeit bei Personen als auch für die Existenz und Nutzung von mehreren Sprachen im gesellschaftlichen Kontext verwendet. Stefan Schneider vertritt die Ansicht, dass Bilingualität im »Deutschen sowohl das individuelle Beherrschen zweier Sprachen seit der Kindheit [bezeichnet] als auch das kollektive Phänomen einer Gesellschaft, die in allen wichtigen kommunikativen Interaktionen zwei Sprachen verwendet« (Schneider, 2015, S. 15). Im Kontext der Bilingualität oder Mehrsprachigkeit findet eine Differenzierung zwischen mindestens zwei Sprachen statt, die ein Kind beherrscht. Bei Bilingualität wird zwischen Erst- und Zweitsprache unterschieden. Wie im vorigen Abschnitt angeklungen, ist die Erstsprache »die erste Sprache, die ein Mensch erwirbt« (Günther u. Günther, 2007, S. 56). Oft wird diese fälschlicherweise mit der Muttersprache gleichgesetzt, diesbezüglich ist jedoch anzumerken: »[D]ie Muttersprache ist, formal betrachtet, die Sprache, die die Mutter spricht und die das heranwachsende Kind als erste Sprache auf ganz natürliche und meist unkomplizierte Art und Weise erwirbt und lernt« (Günther u. ­Günther, 2007, S. 56). Weil aber nicht alle Kinder mit ihrer biologischen Mutter aufwachsen, sondern es diverse mögliche familiäre Strukturen gibt, ist der Begriff »Erstsprache« inklusiver, da er sich eben auf die erste Sprache bezieht, die ein Kind erwirbt. Nach dieser Erstsprache erwirbt ein bilinguales Kind eine Zweitsprache, welche »in der Gesellschaft, in der das Kind lebt, eine ganz zentrale Aufgabenstellung [hat]. Sie dient in erster Linie zur kommunikativen Bewältigung von Alltagssituationen« (­Günther u. Günther, 2007, S. 57). Wenn ein Kind mit seiner ­Familie beispielsweise von Mexiko nach Deutschland auswandert, dann wird seine Erstsprache vermutlich Spanisch und seine Zweitsprache Deutsch sein. Zu Hause und im familiären Kontext wird das Kind in dem Fall ­Spanisch sprechen, in der Kita wird es hingegen in der Regel Deutsch

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hören und sprechen müssen, um mit den anderen Kindern und Erwachsenen kommunizieren zu können. Bilinguale Personen beherrschen sowohl die Sprachproduktion als auch die -rezeption zweier Sprachen und sind dazu in der Lage, innerhalb dieser zwei Sprachen und Sprachsysteme zu kommunizieren. »Die Beherrschung mehrerer einzelsprachiger Systeme bezeichnet man als Bilingualismus oder Mehrsprachigkeit« (Bickes u. Pauli, 2009, S. 79). In diesem Buch werden Bilingualismus und Mehrsprachigkeit als Synonyme behandelt. Dessen ungeachtet wird der Begriff der Bilingualität in der Literatur nicht einheitlich gehandhabt. Oft wird eine Person dann als bilingual bezeichnet, wenn sie zwei Sprachen sehr gut oder zumindest verhandlungssicher beherrscht. Eine weitere Definition besagt, dass eine bilinguale Person in der Lage ist, »in einem ›monolingualen Modus‹, d. h. in der Sprache des Gesprächspartners zu kommunizieren« (Gawlitzek-­Maiwald u. Tracy, 2000, S. 497). Insgesamt lässt sich aus der Perspektive der/des Sprechenden festhalten, dass ein Individuum dann als mehrsprachig bezeichnet werden kann, »wenn es zwei oder mehr Sprachen täglich als Mittel der sprachlichen Kommunikation einsetzt. Dabei wird erwartet, dass der Wechsel von einer Sprache in die andere ohne Probleme gelingt« (Günther u. Günther, 2007, S. 59). Im Kontext von Bilingualität und/oder Mehrsprachigkeit stellt sich auch die im vorigen Abschnitt bereits kurz aufgeworfene Frage nach einer Unterscheidung, ob eine Person von Geburt an bilingual aufgewachsen ist oder (eine) weitere Sprache(n) im Laufe des Lebens erworben hat. Hierfür existieren in der Fremdsprachendidaktik unterschiedliche Bezeichnungen, je nachdem, wann und in welcher Lernumgebung die zusätzliche Sprache (z. B. Deutsch) erworben wird bzw. wurde. Mit Deutsch als Fremdsprache (DaF) wird der Erwerb von Deutsch

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als Sprache bezeichnet, die außerhalb der normalen Umgebung, d. h. beispielsweise gezielt im Fremdsprachenunterricht, gelernt wird und nicht im alltäglichen Kontext als zentrale Kommunikationssprache dient. Dies gilt beispielsweise dann, wenn polnische Studierende in Polen Deutsch lernen, in alltäglichen Situationen aber auf Polnisch kommunizieren. Mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) bezeichnet man hingegen den Erwerb der deutschen Sprache in Deutschland, d. h. »in einem natürlichen sprachlichen Umfeld« (Gehring, 2018, S. 11), in dem Deutsch die im Alltag dominante Sprache ist. Wolfgang Wendlandt differenziert beim ungesteuerten mehrsprachigen Spracherwerbsprozess zwischen vier Erwerbsmodellen von Sprache: »der monolinguale, der simultan-bilinguale, der sukzessiv-bilinguale Spracherwerb von Kindern und der Zweitspracherwerb von Erwachsenen« (Wendlandt, 2017, S. 39). In einigen Gesellschaften, z. B. in der Schweiz oder in Kanada, bildet das Aufwachsen in einsprachigen Strukturen eher die Ausnahme als die Regel (vgl. Adler, 2011, S. 103). Beim Spracherwerb wird außerdem zwischen den Optionen »mehr sprachliche Bildung oder Mehrsprachigkeit« (Rösch, 2017, S. 173) unterschieden: Während »Mehrsprachigkeit« die Beherrschung von mehreren Sprachen meint, richtet sich die Bezeichnung »mehr sprachliche Bildung« auf die Sensibilisierung für die Sprachenvielfalt. Dadurch wird die Logik der Einsprachigkeit im pädagogischen Kontext aufgehoben, und es werden von den pädagogischen Fachkräften alltägliche Situationen geschaffen, bei denen durchaus mehrere Sprachen beispielsweise anhand von mehrsprachigen Büchern, mehrsprachigen Ritualen und Liedern willkommen sind. Die Gesellschaft wird zunehmend heterogener, bunter, vielfältiger und, damit eng verbunden, mehrsprachiger. Deshalb ist es empfehlenswert, dass auch die Kindertageseinrichtungen im Sinne von

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Heidi Rösch im Idealfall mehrsprachig(er) werden (vgl. Rösch, 2017, S. 173). Aus eigenen Praxiserfahrungen habe ich den Eindruck gewonnen, dass in einigen Fällen bestimmte Sprachen und Bilingualitäten unterschiedliche Wertigkeiten im Bildungskontext genießen. Leist-Villis spricht diesbezüglich von »Sprachprestige« (Leist-Villis, 2010, S. 45). Während beispielsweise in der Kombination Englisch/Deutsch die Sprachressourcen des Kindes geschätzt werden, bekommen Bilingualitäten wie Serbisch/Deutsch oder Rumänisch/Deutsch weniger Aufmerksamkeit bzw. Anerkennung bezüglich der Sprachressourcen, über die die betreffenden Kinder verfügen. Im nächsten Kapitel wird auf diese Thematik näher eingegangen. Im Sinne einer positiven Sprachentwicklung von Kindern ist es erforderlich, deren Sprachrepertoire, d. h. dem »Spracherleben, […] wie sich Menschen selbst und durch die Augen anderer als sprachlich Interagierende wahrnehmen« (Busch, 2017, S. 19), Raum zu geben, damit sie sich ausdrücken und sprachlich präsent sein können. Die Unterstützung und die Einbeziehung der Mehrsprachigkeit im pädagogischen Alltag ist aus den hier erläuterten Gründen heraus mehr als nur sprachliche Bildung; beides kann die Grundlage für das Aufwachsen der Kinder in einer toleranten und weltoffenen Umgebung bilden.

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2 Mehrsprachigkeit in der pädagogischen Praxis

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Bei der Aufnahme oder der darauffolgenden Eingewöhnung eines Kindes in einem Kindergarten bzw. einer Kita werden in der Regel Fragen zu der/den in der betreffenden Familie gesprochenen Sprache(n) gestellt und später im pädagogischen Alltag im Idealfall berücksichtigt. In der Praxis existiert überwiegend ein relativ homogenes Bild der Fähigkeiten und Lebensumstände von mehrsprachigen Kindern, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, was Einfluss auf die pädagogischen Angebote in der betreffenden Einrichtung hat. In Deutschland und auch »anderen europäischen Staaten ist der institutionelle Umgang mit der mehrsprachigen Realität von den historisch überlieferten Grundüberzeugungen geprägt, dass das ›normale Kind‹ einsprachig aufwächst und lebt« (Gogolin u. Duarte, 2018, S. 68). Diese Tatsache untermauert, dass es im Vorfeld, d. h. bevor Sprachangebote für mehrsprachige Kinder in Kitas und Horten geplant und durchgeführt werden, sinnvoll ist, wenn sich die pädagogischen Teams über ihr Verständnis von Mehrsprachigkeit und ihr Bild von mehrsprachigen Kindern Gedanken machen. Sich mit den sprachlichen und auch kulturellen Hintergründen und Differenzen der Kinder in einer Kita zu beschäftigen, gibt den pädagogischen Fachkräften die Möglichkeit, handlungsfähiger gegenüber Herausforderungen im pädagogischen Alltag zu bleiben. Es ist hilfreich, sich als Team darüber auszutauschen und sich darüber im Klaren zu sein, was die Teammitglieder beispielsweise unter dem Begriff »Migrationshintergrund« verstehen und welche möglichen (unbewussten) Zuschreibungen diesbezüg-

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lich im pädagogischen Kontext existieren, die die Kinder potenziell belasten und für das Team sogar kontraproduktiv sein können. Diese Diskussion ist im Sprachbildungskontext notwendig, denn oft wurden und werden in Deutschland »Jugendliche und insbesondere Jungen mit Migrationshintergrund als Bildungsverlierer« (Rösch, 2017, S. 47) angesehen. Im Bildungskontext könnte der Migrationshintergrund von den pädagogischen Fachkräften differenziert betrachtet werden, da ein solcher Hintergrund im Falle von bildungsnahen und wohlhabenden Familien nicht zwangsläufig als nachteilig angesehen werden kann bzw. wird. Die Bildungsnähe von Familien, unabhängig davon, aus welcher Kultur sie kommen, ist ausschlaggebend für das Interesse der Eltern gegenüber dem Bildungsweg des Kindes und hat somit einen ähnlichen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 50 ff.). Das Sprachprofil eines mehrsprachigen Kindes und die Sprachen, die es spricht und mit denen es sich identifiziert, spielen bei der Eingewöhnung in einer Kindertageseinrichtung, in einer Grundschule, in einer weiterführenden Schule und auch später im Berufsleben eine zentrale Rolle. Wie bereits im Abschnitt 1.3 erwähnt wurde, genießen einige Sprachen sowohl in Bildungsinstitutionen als auch bei den pädagogischen Fachkräften mehr Akzeptanz als andere. Auch wenn dieser Tatsache häufig bei der Eingewöhnung bzw. Einschulung weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, gibt es Sprachen, die gesellschaftlich positiver aufgenommen werden als andere, und Sprachen, zu denen wir eher einen Bezug haben als zu anderen. Während beispielsweise Englisch, Spanisch oder Französisch in vielen Ländern weltweit eine positive Konnotation genießen und für den späteren Bildungs- und Berufsweg von Kindern als Vorteil angesehen werden, stehen andere Sprachen, die in Kindertageseinrichtungen oder Schulen gesprochen wer-

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den in einem weniger guten Licht und werden deutlich weniger akzeptiert, beispielsweise Türkisch oder Rumänisch. Darüber hinaus gibt es weitere gesellschaftliche Bereiche (z. B. soziale Gruppen, politische Organisationen, Sportvereine, religiöse Gemeinschaften etc.), wo Sprache als Ein- oder Ausschlusskriterium fungieren kann. Sprache gehört somit (analog zur Konfession, zur Hautfarbe, zu den Lebensformen sowie zur Staatsangehörigkeit) zur Gruppe der »rassismusrelevante[n] Unterscheidungsmerkmale des Neo-Rassismus« (Fereidooni, 2016, S. 45 f.). Um eine offene Mehrsprachigkeit in der Praxis gestalten zu können, bei der alle Sprachen der Kinder und ihrer Familien wertgeschätzt aufgenommen werden, ist es unabdingbar, eine reflexive Perspektive auf die eigene Haltung und den Umgang mit Mehrsprachigkeit in der eigenen Praxis zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen: Welches sind die idealen Sprachangebote für Kinder, die erst im Kindergarten mit der deutschen Sprache in Berührung kommen? Müssen die pädagogischen Fachkräfte die Erstsprachen dieser Kinder lernen oder ansatzweise sprechen können, damit sich jedes Kind in der Kindertageseinrichtung sprachlich gut aufgenommen bzw. aufgehoben fühlt? Wie könnten pädagogische Fachkräfte damit umgehen, wenn Kinder sich untereinander in ihrer Erstsprache austauschen und sie selbst diese Sprache nicht verstehen? Als Regionalleitung und Beraterin von Kindertageseinrichtungen konnte ich beobachten, dass ideale Sprachangebote, die Kinder anregen, sich in der neuen Sprache (Deutsch) kommunikativ zu beteiligen, nicht davon abhängig sind, ob die pädagogischen Fachkräfte die Erstsprachen der Kinder sprechen oder nicht. Im Mittelpunkt gelungener Sprachangebote steht nach meinen Erfahrungen die Anerkennung der Sprache des Kindes und seiner Familie, eine offene Haltung gegenüber sprachlicher und

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kultureller Vielfalt sowie Kreativität, um trotz etwaiger Verständigungsbarrieren miteinander zu kommunizieren. Aus meiner Sicht brauchen pädagogische Fachkräfte nicht die Erstsprache der Kinder zu sprechen, viel wichtiger ist es, die nonverbale Kommunikation, die offene Haltung in Dialogsituationen und bestimmte Kommunikationsrituale, die das Zurechtfinden im Alltag vereinfachen, zu stärken. Dadurch können sich alle Beteiligten besser orientieren und gleichzeitig die Beziehungen zu- und untereinander stärken. Wenn zwei Kinder sich in ihrer Erstsprache austauschen, ist das ein Zeichen dafür, dass sie sich in der Umgebung wohl fühlen, was die Grundlage für weitere Sprachanlässe ist, die zunehmend auf Deutsch stattfinden werden. Was bedeutet es für die pädagogische Praxis in Kindertageseinrichtungen, mehrsprachige Kinder in den Gruppen zu haben? Welche besonderen Aspekte erfordern mehr Aufmerksamkeit? Sinnvoll ist es hierbei, genauer auf die sprachlichen Ressourcen zu achten, die die Kinder mitbringen, und auf den möglichen Sprachinput einzugehen, welchen die Kinder noch brauchen. Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, die möglicherweise im privaten Kontext kaum oder nur punktuell mit der deutschen Sprache in Berührung kommen, haben mehr von muttersprachlichen Vorbildern als von additiven sprachlichen Angeboten, die das Ziel haben, diesen Kindern die deutsche Sprache beizubringen. Additive sprachliche Angebote laufen zumeist parallel zum pädagogischen Alltag, und die Kinder werden somit zeitweise aus der Kindergruppe herausgenommen, um gezielt Sprachbereiche zu fördern bzw. diese zu erweitern. Alltagsintegrierte Sprachangebote unterscheiden sich von den additiven dadurch, dass die Kindergruppe zusammenbleibt und die Angebote innerhalb des pädagogischen Alltags

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stattfinden (vgl. Huppertz u. Huppertz, 2015, S. 45). Bei diesen Angeboten bleiben die Kinder unter sich, werden nicht aus dem Geschehen herausgeholt und profitieren somit auch von der sprachlichen Interaktion innerhalb der Kindergruppe. Wichtig ist dabei, mehrsprachigen Kindern so viel Kontakt wie möglich mit der deutschen Sprache, mit anderen Kindern und mit Erwachsenen, die Deutsch als Erstsprache beherrschen, zu ermöglichen. Durch alltagsintegrierte Sprachangebote und eine bewusste Rolle der pädagogischen Fachkräfte als Sprachvorbilder der Kinder kann das gelingen. Damit verbunden sind die Analyse des Sprachprofils der eigenen Einrichtung und die folgende Frage: Wie viel Mehrsprachigkeit hat und lebt die Einrichtung täglich vor, d. h. wie mehrsprachig ist sie wirklich? Die Perspektive der Kinder und ihrer Familien einzunehmen, kann hierbei eine gute Orientierung geben, was allerdings Empathie voraussetzt. Durch eigene Beobachtungen aus der Praxis kann ich konstatieren, dass beim Thema Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen der Blick meistens auf die Kinder und ihre Familien gerichtet ist. Um die gegenwärtige sprachliche Bildung der Kinder in Kitas zu erfassen und die Praxis zu entlasten, wäre es »sinnvoll, einen breiteren Blick auf das gesamte frühkindliche Bildungssystem« (Lüdtke u. Stitzinger, 2015, S. 153 f.) zu werfen. Die Unterstützung der Sprachvielfalt im pädagogischen Alltag erweitert die Sprachbewusstheit der Kinder und ihren allgemeinen individuellen Horizont. Wenn Kinder mit unterschiedlichen Sprachen in Berührung gekommen sind und diese Situationen als selbstverständlich, alltäglich und auch positiv erlebt haben, so werden sie vermutlich eine offene und positive Haltung gegenüber neuen Sprachen entwickeln. Die massive globale Verbreitung von (fremdsprachigen) Filmen, Musikstücken, YouTube-­

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Videos, Computerspielen, Zeitschriften, Zeitungen etc., die digital für immer mehr Bevölkerungsgruppen zugänglich sind, trägt dazu bei, dass sich auch einsprachige Menschen immer stärker in einem mehrsprachigen Kontext bewegen (müssen). Dennoch gilt Mehrsprachigkeit in vielen Kindertageseinrichtungen und Horten nach wie vor als »Rarität«, als etwas Ungewöhnliches. Diese Situation bedeutet zugleich, dass Kinder, die nur über wenige bis keine Deutschkenntnisse verfügen, aber dabei Kindertageseinrichtungen bzw. Horte in Deutschland besuchen, implizit auch den Stempel bzw. das Stigma tragen, »anders« oder »nicht normal« zu sein, und dass diese Stigmatisierungserfahrung sie im schlimmsten Fall negativ prägt sowie negative Auswirkungen auf weitere Lern­prozesse hat. Das Bild, »nicht normal« zu sein, bezüglich der Sprache der Kinder und ihrer Familien, steht in einigen Fällen, wo die Kinder und ihren Familien nicht in Kitas integriert werden, in Verbindung mit dem Bild der »Fremden« als der »Ande­ ren« (vgl. Dintsioudi et al., 2016, S. 5). Diese Situation von Diskriminierung der Kinder, die neu in der Kita sind und noch nicht die dominante Sprache sprechen, kann sogar die gesamte sprachliche Identität aller Kinder in diesen Kindertageseinrichtungen bezüglich Mehrsprachigkeit negativ prägen. In dieser Situation erleben die Kinder keine offene Haltung gegenüber anderen Sprachen und erfahren sogar, wie Kinder aufgrund ihrer Sprache diskriminiert werden.

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3 Sprache, Identität und kulturelle Vielfalt

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Die Sprache(n), die Kinder sprechen und verstehen, wenn sie neu in einer Kindertageseinrichtung sind, kann bzw. können ein Grund für Akzeptanz oder für Ablehnung sein, die sie in der neuen Umgebung erfahren. In diesem Kapitel werden zwei Aspekte erläutert, die in engem Zusammenhang mit dem Spracherwerb von Kindern mit Fluchterfahrung in Kitas stehen. Es handelt sich um die Beziehung zwischen Sprache und Identität sowie zwischen Sprache und kultureller Vielfalt.

3.1  Sprache und Identität Sprache ist Identität und identitätsstiftend zugleich. Identität entwickelt sich für George H. Mead, »sie ist bei der Geburt anfänglich nicht vorhanden, entsteht aber innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tätigkeitsprozesses, das heißt im jeweiligen Individuum als Ergebnis seiner Beziehungen zu diesem Prozess als Ganzem und zu anderen Individuen innerhalb dieses Prozesses« (Mead, 1973, S. 177). Wiederum versteht Schönwald in Anlehnung an Mead die Identität als eine Spiegelung zwischen Individuen: »Nur weil Individuen sich mit anderen in Verbindung setzen können und ihre eigene Identität dadurch spiegeln können, kann die einzelne Identität bestehen« (Schönwald, 2012, S. 45). Im Prozess der Identitätsentwicklung stehen die Kommunikation und die Sprache(n) im Mittelpunkt, denn aus Meads Sicht ist für die Kommunikation wichtig, dass »das Symbol in der eigenen Identität das Gleiche wie im anderen Individuum auslöst« (Mead, 1973, S. 191). Die

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Sprache(n), die eine Person spricht und versteht, bilden die Grundlage für deren Kommunikation und »Sprachbiografie« (Tophinke, 2002, S. 1). Sie sind somit ein zentraler Teil der Persönlichkeit und der Lebensgeschichte dieser Person. Durch Sprache(n) können wir unsere Persönlichkeit performativ gestalten, immer wieder neu umschreiben sowie an die Situation und Umgebung, in der wir uns jeweils befinden, anpassen. Der Erwerb einer neuen Sprache bietet zugleich die Möglichkeit, unsere Identität teilweise zu ändern, zu erweitern oder gar ganz neu zu definieren. »Die personelle Identität ist zunächst mit dem Körperbild verbunden. […] Auch mit anderen Sinnen wird der Andere wahrgenommen: Wir hören seine Stimme, Lautäußerungen, seine Sprache« (Broszinsky-Schwabe, 2017, S. 54). Beispielsweise können die Sprachmelodie oder der Wortschatz von Menschen erkennen lassen, woher diese kommen oder stammen. Unter anderem die Muttersprache, die Heimatsprache, die Dialekte und die Familiensprache zeigen, wer wir in einem bestimmten Moment unseres Lebens sind beziehungsweise wer wir uns nach unseren Möglichkeiten und Ressourcen zu sein entscheiden. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu spricht diesbezüglich von Habitus und sprachlichem Habitus (vgl. Bourdieu, 1982). Bourdieu »geht davon aus, dass eine soziale Gruppe, die einen gemeinsamen sozialen Raum (z. B. Stadt, Stadtteil u. a.) teilt, einen gemeinsamen Lebensstil ausbildet, dem ein Komplex unterschiedlicher Präferenzen zugrunde liegt, der sich in Mobiliar, Kleidung, Sprache und Körpersprache niederschlägt« (Broszinsky-­Schwabe, 2017, S. 55). Unsere Sprache und Ausdrucksweise lassen demnach erkennen, aus welchem Milieu, im Sinne unserer gesellschaftlichen Verortung und Herkunft, wir stammen. Der Spruch »Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen« könnte gleichermaßen auf den Spracherwerb

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von Kindern angewandt werden. Für ein Kind ist es sehr förderlich, in einer heterogenen Gruppe verschiedene Sprachen in seiner Umgebung und dabei zugleich seine eigene Sprache zu hören, weil die Sprachenvielfalt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Teil der Welt des Kindes ist und seiner zukünftigen Lebensrealität bleiben wird. Kinder brauchen eine authentische Umgebung, in der sie sich wiedererkennen und mit Sprache(n) in Berührung kommen, ein Umfeld, in dem sie Sprache, Gestik und Mimik, verschiedene Laute sowie nonverbale Kommunikation erfahren und sich dabei ausprobieren können. Das Umfeld wird dem Kind Einblick in die Welt gewähren, welche sich das Kind dann zu eigen machen kann, denn »hinter unseren Wörtern steht unser Weltbild. Das ist auch bei kleinen Kindern so« (Szagun, 2007, S. 45). Die Sprache(n), die Kinder und ihre Familien sprechen, hat bzw. haben direkten Einfluss auf deren beider Beteiligung an Aktivitäten in einer Kindertageseinrichtung und somit langfristig auf den Bildungsverlauf und -erfolg der Kinder. Diesbezüglich gilt, was Gesa Siebert-Ott in Ergänzung ihrer Forschung festhält: »Als entscheidend für den geringeren Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund werden in dieser Studie nicht die soziokulturellen, sondern die sprachlichen Faktoren angesehen« (Siebert-Ott, 2013, S. 145). Neben der Förderung der Bildungssprache eines Kindes, worauf in Kapitel 4.3 näher eingegangen wird, ist die Einbeziehung der Identität (genauer: auch der sprachlichen Identität) der Kinder im Kita-Alltag von großer Bedeutung für deren Sprachentwicklung. Kinder werden auf diese Weise sprachlich, aber auch in ihrer Persönlichkeit gestärkt, können sich akzeptiert fühlen und eine positive Beziehung zu der neuen Sprache aufbauen.

Sprache und kulturelle Vielfalt39

3.2  Sprache und kulturelle Vielfalt Der kulturelle Hintergrund der Kinder gewinnt im pä­da­ gogischen Alltag zunehmend an Aufmerksamkeit. Anhand eigener Praxiserfahrungen stelle ich fest, dass nur die Information darüber, welche Sprachen die Kinder sprechen, die neu in der Kita sind, nicht ausreichend ist, um eine gelungene sprachliche Arbeit zu gestalten. Der Blick auf die Kinder und ihre Familien sowie auf die Situation vor Ort, d. h. in der Stadt oder in dem Dorf, wo sie leben, muss breiter angelegt sein, um sowohl die Identität als auch die Kultur der betreffenden Familien erfassen zu können. »Chancen und Risiken von Kindern aus Migrantenfamilien können nicht unabhängig von der jeweiligen Kultur des Einwanderungslandes betrachtet werden« (Leuzinger-Bohleber, 2016, S. 16). Der Begriff Kultur bezieht sich auf die »Anpassungsstrategie der Menschen an ihre Umwelt, an die Herausforderungen, an die Einschränkungen und an die Möglichkeiten, die bestimmte Kontexte ausmachen« (Keller, 2011, S. 14). Kurzum: auf die Sprachund Lebenserfahrungen, welche die Kinder und ihre Familien gemacht haben. Die unterschiedlichen Sprachkulturen der Familien können auch das Sprachverhalten der Kinder in der Kita beeinflussen, darum ist es sinnvoll, bei der Einschätzung der Sprachfähigkeiten der Kinder nach Möglichkeit die Sprachkultur des Kindes und seiner Familie zu berücksichtigen. Eine sprach- und kultursensible Haltung (vgl. Lüdtke u. Stitzinger, 2015, S. 152 ff.) sowie Interesse an der Persönlichkeit eines Kindes erweitern den Blick auf dessen Sprachfähigkeiten. Sich im pädagogischen Alltag über je nach Kulturkreis unterschiedliche Umgangsformen zu informieren und diese bestmöglich zu berücksichtigen, kann Brücken zwischen den pädagogischen Fachkräften und den Eltern bauen, wodurch die Möglichkeit, deren

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Kinder sprachlich zu unterstützen, eher gegeben ist, als wenn strikt gegen in starkem Maße vorhandene und in der Herkunftskultur eines Kindes verankerte, aber den Regeln der neuen »Zweitkultur« widersprechende (sprachliche) Gepflogenheiten vorgegangen wird.

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Ein Kind, das in einem sprachlich reichen Umfeld aufwächst, in dem das Sprechen, das Kommunizieren mit ihm, möglicherweise in verschiedenen Sprachen, d. h. in einem Kontext der Mehrsprachigkeit, gelebt und geschätzt werden, wird Sprachenvielfalt als etwas Alltägliches nehmen, sie (möglicherweise auch unbewusst) als natürlich und selbstverständlich verstehen (vgl. Tracy, 2007, S. 49 ff.). Außerdem werden Kinder aus sprachlich reichen und wertschätzenden Kontexten wahrscheinlich neugieriger gegenüber anderen Sprachen und Kulturen sein, wenn diese Vielfalt authentisch, realitätsnah, positiv und kreativ gelebt und anhand verschiedener pädagogischer Zugänge für die Kinder im Alltag greifbar gemacht wird. Somit steht im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit mit mehrsprachigen Kindern aus verschiedenen Kulturen, aber genauso für die ganze Kindergruppe, die Interkulturalität: »Interkulturalität bezeichnet im weitesten Sinn einen Interaktionskontext, bei dem Personen mit unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeit interagieren« (Pries u. Maletzky, 2018, S. 55). Übertragen auf die Kita-Praxis bedeutet dies, dass die Kultur der Familien mit der Kultur der jeweiligen Kita in Verbindung zu bringen ist. Eine Willkommenshaltung gegenüber anderen Sprachen und Kulturen ist der erste Schritt dazu. Ein zweiter Schritt wäre, die pädagogische Praxis vielfältiger zu gestalten. Die Perspektive der »Pädagogik der Vielfalt« (Prengel, 1993) mit ihrer Prämisse von der »Einzigartigkeit jedes Kindes sowie vom Ideal des gemeinsamen Lebens und Lernens aller Kinder mit der ganzen Bandbreite mögli-

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cher körperlicher, psychischer, sozialer und kognitiver Beschaffenheiten, einschließlich aller vorkommenden Stärken und Schwächen« (Prengel, 2010, S. 7), erweitert den sprachlichen und kulturellen Horizont einer Einrichtung. Unterschiedliche pädagogische, sprachliche und kulturelle Zugänge können beispielsweise mittels mehrsprachiger Bücher sowie anhand von Liedern in verschiedenen Sprachen erfolgen. Den Kindern Sprachen zugänglich zu machen und dabei vielfältige Aspekte der unterschiedlichen Herkunftskulturen zu berücksichtigen, ist ein Kernaspekt der Spracherwerbsarbeit in der heutigen Kita-Praxis. So bieten etwa Vorlesesituationen eine hervorragende Möglichkeit, um Kindern neue Sprachen und Kulturen zu zeigen. Wenn einem Kind zum Beispiel altersgerechte Geschichten, Märchen oder Gedichte vorgelesen werden (vgl. Wieler, 1997) und es gleichzeitig Erwachsene als Leser*innen erlebt, wird es (eher) motiviert sein, sich mit Sprache und Texten zu beschäftigen, um selbst Geschichten erzählen zu können, aber auch, um diese zu verstehen. Dieses Kind wird im Idealfall neugierig auf den Wortschatz, die Kommunikationsstrukturen und/oder die Symbole der (neuen) Sprache werden. Es wird dann etwa auch eher dazu bereit sein, die Sprache auszuprobieren und sie sich dadurch, bewusst oder unbewusst, anzueignen. Aus diesem Grund ist es notwendig, sich in der Praxis mit der Kultur und Sprachkultur des Kindes und seiner Familie auseinanderzusetzen und zumindest während der Eingewöhnungsphase des Kindes auch die Kommunikation mit den Eltern, die womöglich über noch geringe Deutschkenntnisse verfügen, mittels Dolmetscher*innen, Sprachmittler*innen, Symbolen oder Übersetzungsprogrammen zu unterstützen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der sprachlichen Bildungsarbeit mit mehrsprachigen Kin-

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dern mit Deutsch als Zweitsprache auch deren bisheriger Entwicklungsweg inklusive der Erfahrungen, Traditionen und positiven Aspekte, die sie mit sich bringen, einbezogen werden könnten oder sogar sollten. Dabei gilt es, sowohl sensibel und feinfühlig mit den Erfahrungen und den Entwicklungswegen der Kinder, die neu in der Kita sind, umzugehen als auch authentisch und offen gegenüber ihren Biografien und Lebenserfahrungen zu sein und dementsprechend zu handeln. Die Identität, die Kultur und die positiven Erfahrungen, die Kinder mitbringen, können eher in einer offenen und vertrauensvollen Atmosphäre zum Ausdruck kommen. Je stärker der pädagogische Alltag von Stress, Druck und Belastung geprägt ist, desto wichtiger ist es, die Bindungsarbeit sowie eine wertschätzende Atmosphäre und Haltung gegenüber den Kindern und ihren Eltern in den Vordergrund zu stellen und zu stärken. Bei der Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen wird oft die reziproke Ebene übersehen: Wie prägt diese Begegnung sowohl die Kinder und deren Familien aus anderen Kulturkreisen als auch die »einheimischen« pädagogischen Fachkräfte, und wie integrieren diese ihre Erfahrungen im eigenen Leben und in ihren Alltag? Denn durch die interkulturelle Begegnung erfährt nicht nur die Herkunftskultur der »Neuankömmlinge« potenzielle Änderungsanstöße, sondern auch unsere eigene Kultur und ebenso die Kultur der Kita selbst ändern sich. All dies kann jedoch nur dann geschehen, wenn wir bereitwillig mit anderen Kulturen in Berührung kommen und kulturelle Vielfalt gern zulassen.

4 Kinder mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen

Die in Deutschland vor allem seit 2015 gestiegene Aufnahme von Familien mit Fluchterfahrung aus Krisen- und Kriegsgebieten weltweit (vgl. BAMF, 2016, S. 5) spiegelt sich in den hiesigen Kindertageseinrichtungen in einer erhöhten Zahl von Anfragen nach Betreuungsplätzen sowohl in Krippen und Kindergärten als auch Horten wider. Laut einer repräsentativen Umfrage hatten im Dezember 2015 bundesweit »35 % der Befragten Kinder mit Fluchthintergrund in ihren Einrichtungen« (Haderlein, 2016, S. 16). Diese Situation bedeutet für viele Teams von Kindertageseinrichtungen eine große Herausforderung. Etliche Kinder mit Fluchterfahrung, die zuvor in Kriegsgebieten gelebt haben, benötigen aufgrund traumatischer Erfahrungen (vgl. Save the Children, 2017) eine intensivere Begleitung, denn viele von ihnen sind Zeug*innen oder gar Opfer grausamer Taten gewesen und haben mögliche psychische und/oder physische Schäden davongetragen. Obwohl Kinder unterschiedliche Reaktionen auf Gewalterfahrungen zeigen können, ist die Wahrscheinlichkeit einer »Prävalenz der traumatischen Erfahrungen« (Riffer, Kaiser, Sprung u. Streibl, 2018, S. 43 f.) vorhanden. Die Teams der Kindertageseinrichtungen, die mit Kindern mit Fluchterfahrung und ihren Familien arbeiten, erledigen daher mittlerweile unter weitgehender Beibehaltung der vormaligen Strukturen deutlich breitere sowie vielfältigere Aufgaben. Dazu gehören auch Maßnahmen, die das Ankommen der Kinder und ihrer Familien in Deutschland unterstützen, wie beispielsweise die Eltern über das deutsche Bildungs- und Gesundheitssystem zu

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Kinder mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen

informieren oder ihnen konkret beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Die Herausforderung für die Teams in Kitas und sonstigen Kinderbetreuungseinrichtungen besteht einerseits in den vielfältigen spezifischen Aufgaben und speziellen Problemlagen, die die Kinder mit Fluchterfahrung mit sich gebracht haben und die zeitnah behandelt werden sollten, und andererseits darin, dass die in den Einrichtungen vorhandenen Strukturen größtenteils bereits zuvor überlastet waren. Denn »[g]esellschaftliche Veränderungen führen seit einigen Jahren zu neuen und steigenden Anforderungen an die Arbeit in Kindertageseinrichtungen« (Altermann, Holmgaard, Klaudy u. Stöbe-­ Blossey, 2015, S. 9). 4

Kinder aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan haben oft keine Erfahrung mit Kitas oder Horten, da es in ihren Herkunftsländern zumeist keine entsprechenden Einrichtungen gibt, sondern Kinder bis zur Einschulung von ihren Familien betreut werden. Beispielsweise ist in Syrien der Besuch von Kitas nicht üblich, dort werden fast alle Kinder im Alter von sechs Jahren eingeschult, ohne einen Kindergarten besucht zu haben (vgl. UNESCO, 2006, S. 3). Deshalb ist eine ausführliche Information der Eltern über die hierzulande vorhandenen Betreuungsstrukturen und pädagogischen Konzepte sowie den pädagogischen Alltag in der betreffenden Einrichtung unerlässlich. Bei der pädagogischen Arbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung ist es von großer Bedeutung, sich Zeit zu nehmen, um die Kinder und ihre Familien kennenzulernen. Dabei ist es notwendig, ihnen gegenüber eine vorurteilsbewusste Haltung (vgl. Wagner, 2013, S. 30 ff.) einzunehmen, um sich der (potenziellen) eigenen Vorurteile bewusst zu werden und diese abzubauen. Oft werden z. B. von den pädagogischen Fachkräften Fluchterfahrungen mit trau-

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matischen Erfahrungen gleichgesetzt, was jedoch nicht zwingend richtig ist, da »nicht jede ungewöhnliche Belastungssituation eine Traumatisierung nach sich zieht. Wesentlich sind die persönliche Wahrnehmung und das Alter des Kindes, das eigene Temperament, die individuellen Sozialisationserfahrungen« (Reekers u. Gloger-Wendland, 2016, S. 7). Folglich sind nicht alle Kinder und Familien, die auf der Flucht waren, traumatisiert, genauso wie nicht alle Geflüchteten die gleiche Ausgangslage und Fluchtmotivation hatten. Eine möglichst neutrale Haltung und offene Begegnung bildet einen Kernaspekt bei der Arbeit mit Kindern und Familien mit Fluchterfahrung, wobei eine solche Herangehensweise natürlich idealerweise gegenüber allen Kindern einer Einrichtung samt Angehörigen an den Tag gelegt werden sollte. Alle Kinder bringen sprachliche Ressourcen mit; die pädagogische Begleitung besteht darin, offene und flexible Angebote zu gestalten, um ihnen den nötigen Raum zu bieten, sich auszudrücken. Deswegen ist es empfehlenswert, nicht von einer homogenen Gruppe von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache und Fluchterfahrung auszugehen. Genauso ist es ratsam, für diese Kinder möglichst vielfältige sprachliche Zugänge wie mehrsprachige Bücher, Gedichte, Lieder und Dialogangebote zu gestalten, damit sie sich von Beginn an angenommen fühlen.

4.1 Sprachliche Bildung bei Kindern mit Fluchterfahrung Bei der Arbeit in Kindertageseinrichtungen mit Kindern mit Fluchterfahrung und Deutsch als Zweitsprache ist aufseiten der pädagogischen Fachkräfte oft Unsicherheit zu erkennen, was jedoch weniger mit dem Spracherwerb an sich als vielmehr mit der Annahme unweigerlicher Folgen

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der Fluchterfahrung bis hin zu möglichen Traumatisierungen der Kinder in Verbindung steht. Die Frage, ob die sprachlichen Angebote für geflüchtete Kinder in gleicher Weise zu planen und durchzuführen seien wie Angebote für andere Kinder, wird oft gestellt. Welche Aspekte sollen dabei berücksichtigt werden? Grundsätzlich gilt, dass auch Kinder mit Fluchterfahrung vor allem einfach Kinder sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie, wenn sie neu in Kindertageseinrichtungen sind, einen normalen und geregelten Kindergartenalltag schätzen. Eine ruhige und freundliche Atmosphäre, Entspannungsecken, Vorlesen, Dialoge sowie Rituale, die zur Orientierung für alle Kinder beitragen, sind dabei hilfreich. Kinder mit Fluchterfahrung müssen genauso wie alle Kinder, die neu in der Kita sind, erst einmal in ihrer neuen Umgebung ankommen und Vertrauen gewinnen. Dies ist wichtig, damit sich Kinder mit Fluchterfahrung so angstfrei wie möglich an gemeinsamen Aktivitäten beteiligen und mit dem Umfeld zumindest nonverbal kommunizieren können, solange ihnen die verbale Kommunikation aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen allenfalls eingeschränkt möglich ist. Die Vertrauens- und die Bindungsarbeit stehen also im Vordergrund. Worauf sollte man nun bei der Spracharbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung im Kindergarten besonders achten? Ein zentraler Aspekt hierbei ist, die gesamten Kommunikationsressourcen dieser Kinder im Blick zu haben und in den Alltag einzubeziehen. Nach meinen Beobachtungen werden die Sprachfähigkeiten von Kindern mit geringeren Deutschkenntnissen nicht selten zumindest unbewusst von den pädagogischen Fachkräften angezweifelt. Dass ein Kind noch nicht genügend Deutschkenntnisse hat, heißt jedoch nicht, dass es über keine sonstigen Sprachund Kommunikationsfähigkeiten verfügt. Das Kind kann die eigenen Interessen und Wünsche zum Beispiel nonver-

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bal mitteilen, dafür braucht es ein Umfeld von pädagogischen Fachkräften, die sich bereitwillig auf diese Situation einlassen und Unterstützungssysteme (Dolmetscherprogramme, Symbolkarten etc.) zur Verfügung stellen. Pädagogische Fachkräfte kommunizieren mit Kindern mit geringeren bis keinen Deutschkenntnissen oft wortwörtlich »mit Händen und Füßen« und verwenden dabei in intensiver Weise Gestik und Mimik. Solche Erfahrungen sind für diese Kinder sehr wichtig, denn dadurch werden Sprachbarrieren abgebaut und die Kinder ins alltägliche Geschehen einbezogen, sodass sie sich mehr beteiligen können. Ein defizitärer Blick auf die Kinder, schlimmstenfalls begleitet von in deren Anwesenheit getätigten Aussagen wie »Sie kann ja nicht sprechen« oder »Es macht keinen Unterschied, ob er dabei ist oder nicht, er versteht uns ja sowieso nicht«, ist für die Betroffenen verletzend sowie für ihre Sprachentwicklung negativ und sollte daher unbedingt vermieden werden. Genau diese Kinder haben erhöhten Bedarf, an Sprachangeboten teilzunehmen, denn was sie brauchen, sind (wie schon in Kapitel 1 erwähnt) so viele Gelegenheiten wie möglich, um Spracherfahrung zu sammeln. Gleichzeitig wirkt sich positiv aus, aktiv auf die vorhandenen Kommunikationsfähigkeiten der Kinder zuzugreifen, sich Zeit für die Kommunikation mit ihnen zu nehmen sowie Freude und eine positive Haltung ihnen gegenüber auszustrahlen. Zentrale Grundlage dafür ist es, ein authentisches Interesse an den Kindern zu haben und dies ihnen und auch ihren Familien deutlich zu zeigen. Bei der Kommunikation mit Kindern aus anderen Kulturen, die noch nicht über genügend Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, empfehlt sich, die emotionale Ebene stärker zu berücksichtigen, beispielsweise durch Einbeziehung von Stofftieren, Piktogrammen oder Bilderkarten, auf denen unterschiedliche Emotionen abgebildet sind. Dies ist zum einen notwendig, um das Kind nicht zu

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überfordern, und zum anderen, um ihm einen sicheren (Rückzugs-)Ort sowie einen Ausdrucks- und Sprach(en) raum anzubieten, in dem es die eigenen Gefühle und sich selbst mit seiner eigenen sprachlichen Identität möglichst angstfrei zeigen kann. Eine positive sowie wertschätzende Sprache und Kommunikation tragen dazu bei und stärken die Bindung zwischen dem Kind und den pädagogischen Fachkräften. Kinder benötigen eine kindgerechte Umgebung, in der sie mit ihrer eigenen Biografie, ihren Emotionen und ihrer Persönlichkeit akzeptiert werden. Im Sinne der sprachlichen Bildung dieser Kinder brauchen auch ihre Emotionen im gegenwärtigen pädagogischen Alltag (mehr) Raum, die Kinder müssen ihre Gefühle und Empfindungen akzeptiert wissen. Aus diesem Grund sollten sich Erwachsene mehr Zeit für die ablenkungs- und unterbrechungslose Kommunikation mit den Kindern nehmen. Im Mittelpunkt der pädagogischen Situation sollten die Sprache(n) sowie das sprechende Kind stehen und weniger Sprachprogramme oder Lernziele, die das Kind zu absolvieren bzw. zu erfüllen hat. Kinder mit geringen Deutschkenntnissen brauchen für den Spracherwerb der Umgebungssprache Partizipationsmöglichkeiten im pädagogischen Alltag, um sich trotz der Sprachbarrieren als akzeptiertes Mitglied der Gruppe zu fühlen sowie sich an Entscheidungen und Situationen beteiligen zu können. Dazu empfiehlt sich, regelmäßig zu überprüfen, ob für alle Kinder genügend angemessene Möglichkeiten zur Partizipation vorhanden sind.

4.2 Spracheinschätzung und Sprachangebote für Kinder mit Fluchterfahrung Beim Ankommen in Kitas, Horten und Schulen erfahren Kinder mit Fluchterfahrung und Deutsch als Zweitsprache nicht selten eine zu schnelle Einschätzung ihrer sprachli-

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chen Fähigkeiten. Oft werden diese Kinder sprachlich mit anderen Kindern verglichen, die eine völlig unterschiedliche Ausgangslage haben. Kinder mit Fluchterfahrung, die über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse verfügen, werden beispielsweise mit gleichaltrigen Kindern verglichen, die Deutsch als Erstsprache erworben haben, oder mit Kindern mit Migrationshintergrund und Deutsch als Zweitsprache, die jedoch schon länger in Deutschland leben. Diese sprachliche Einstufung erfolgt z. B. mittels Sprachdiagnostikinstrumenten wie dem Sprachtest »Diagnostik, Elternarbeit, Förderung der Sprachkompetenz in Nordrhein-Westfalen bei 4-Jährigen – Delfin 4« (s. u. a.  Fried, 2008), die dabei nicht unbedingt bereits vorhandene sprachliche Ressourcen berücksichtigen. Bei der sprachlichen Einschätzung der Kinder wird der Blick meistens auf Sprachaspekte gerichtet, die die Kinder noch nicht beherrschen können, weil sie bisher zu wenig Berührung mit der deutschen Sprache hatten. Die Diagnose des »Sprachentwicklungsstandes mehrsprachiger Kinder kann also nie ausschließlich vor dem Hintergrund einer monolingualen Altersnorm erfolgen, sondern muss immer eine Reihe von Faktoren berücksichtigen, die den kindlichen Zweitspracherwerb beeinflussen« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 56). Neben der individuellen emotionalen Situation des Kindes und seiner Familie ist es empfehlenswert, ebenso »das Alter beim Erwerbsbeginn [der Zweitsprache], die Kontaktdauer, Qualität und Quantität des sprachlichen Angebots« (Ruberg u. Rothweiler, 2012, S. 56), das die Kinder bis zum Eintritt in ihre aktuelle Kindertageseinrichtung erfahren haben, so weit wie möglich zu berücksichtigen. Kinder mit Fluchterfahrung können im pädagogischen Alltag Stigmatisierungen ausgesetzt sein, indem sie allein auf ebendiese Fluchterfahrung reduziert werden. Die

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Tatsache, mit ihren Familien eine Flucht erlebt zu haben, prägt zwar zweifellos nicht nur die Anfangszeit der betroffenen Kinder in einer Kindertageseinrichtung, sondern möglicherweise auch ihren späteren Bildungsweg. Aber ohne die oft lebensbedrohlichen Erfahrungen und die humanitären Katastrophen, die Menschen zur Flucht bewegen bzw. während der Flucht erlebt haben, ­verharmlosen zu wollen, ist es dennoch notwendig, die Situation eines geflüchteten Kindes und seiner Familie differenzierter zu betrachten. »Wesentlich sind die persönliche Wahrnehmung und das Alter des Kindes, das eigene Temperament, die individuellen Sozialisationserfahrungen« (­Reekers u. Gloger-Wendland, 2016, S. 7). Nicht selten ist ein Grund für die Flucht einer Familie aus ihrem Heimatland das Bestreben, bessere Bildungsund Berufschancen für die eigenen Kinder erreichen zu wollen. Wenn die Bildungs- und Berufschancen der Kinder ein Kerninteresse der Familien mit Fluchterfahrung sind, werden die Eltern/Erwachsenen dieser Familie sich für die Sprachangebote, die ihre Kinder im Kindergartenkontext bekommen, interessieren und sich an Sprachangeboten für Familien in der Kita wahrscheinlich beteiligen. Im pädagogischen Alltag werden Auffälligkeiten geflüchteter Kinder oft einseitig auf deren Fluchterfahrung zurückgeführt, obgleich sie möglicherweise mit ganz anderen Aspekten der individuellen Entwicklung des jeweiligen Kindes zusammenhängen. Eine differenziertere Analyse der Situation sowie der individuellen Bedarfe und Ressourcen der betreffenden Kinder wird häufig von der Fokussierung auf die Fluchterfahrung bzw. bestimmte Fluchtaspekte überdeckt. Im Sinne aller Kinder mit Fluchterfahrung ist es notwendig, den Blick eher auf die Ressourcen, d. h. die individuellen Stärken eines Kindes und seiner Familie zu richten und, im sprachlichen Kontext, eben dessen Sprachstärken im Alltag in den Mittelpunkt

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zu stellen. Nach meinen Beobachtungen sind Kinder mit Fluchterfahrung aufgrund der besonderen Situation, im Verlauf einer Flucht oft mit Menschen unterschiedlichster (sprachlicher) Hintergründe in Kontakt zu geraten, nicht selten bereits (ansatzweise) mehrsprachig und verfügen über gute kommunikative Fähigkeiten sowie Sprachstrategien, um sich in einer neuen Sprache schnell und gut zurechtzufinden. Allerdings können dabei manchmal Loyalitätskonflikte zwischen der Erstsprache und der neuen Sprache entstehen. Marianne Leuzinger-Bohleber verdeutlicht diese Situation anhand eines Beispiels: »Nimmt […] das eng mit seinen primären Bezugspersonen verbundene Kleinkind wahr, dass seine Eltern, vor allem die Mutter, großes Heimweh haben oder gar innerlich noch gar nicht im Gastland angekommen sind, wird es die Zuwendung zur Kultur des Gastlandes als ›Verrat an der Mutter‹ bzw. den Eltern, als Wegbewegen von ihnen und Quelle eines tiefen Loyalitätskonflikts erleben« (Leuzinger-­Bohleber, 2016, S. 17). Eine solche Situation kann dazu führen, dass das Kind den Erwerb der neuen Sprache unbewusst bremst oder sogar ganz ablehnt. Hier stellt sich erneut die Frage, welche Sprachangebote für Kinder mit Fluchterfahrung geeignet sind. Handelt es sich um Kinder, die erst seit Kurzem mit der deutschen Sprache in Berührung sind, werden sie nicht selten in additive Sprachfördermaßnahmen gesetzt. Diese Angebotsform meint »pädagogische Tätigkeiten der gezielten Anregung und Begleitung bei der Entwicklung von Sprache generell oder einer speziellen sprachlichen Fähigkeit« (Roos u. Sachse, 2019, S. 56). In diesem Sinne fokussiert die additive Sprachförderung auf bestimmte Sprachaspekte wie Grammatik, Wortschatz oder Phonologie, die »Laute und Lautkombinationen, Betonungsmuster [und] Sprachmelodie« (Tracy, 2009b, S. 43) beinhaltet.

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In der Praxis erkenne ich anhand meiner Beobachtungen die Tendenz Kinder, die neu in Deutschland sind und noch kein Deutsch sprechen, in solche additive Sprachförderangebote einzugliedern. Die Intention hierbei ist, den Kindern die deutsche Sprache zu vermitteln. Dadurch erleben diese Kinder aber keinen natürlichen Spracherwerb, sondern Sprachförderung, die implizit einen defizitären Blick auf den Spracherwerb der Kinder hat. Kinder, die erst seit Kurzem mit der deutschen Sprache in Kontakt sind, brauchen meiner Auffassung nach jedoch erst einmal keine zusätzliche additive Sprachförderung, sondern eher alltagsintegrierte Sprachangebote, bei denen sie mit der neuen Sprache auf spielerische Weise erste Erfahrungen sammeln. »Alltagsintegrierte Sprachbildung meint, dass wir die alltäglichen Vorgänge und Handlungen der Kinder mit ihnen intensiver erleben und besser nutzen« (Huppertz u. Huppertz, 2015, S. 45). Das bedeutet, dass die Erfahrungen der Kinder mit Fluchterfahrung mit der Sprache in den Blick genommen und unterstützt werden. Diese Angebote können unter anderem anhand von Büchern, Reimen, Märchen, Liedern und Geschichten­erzählen gestaltet werden. Bewegungsangebote und das künstlerisch-­ kreative freie Gestalten in Verbindung mit sprachlichen Elementen bieten viele weitere Möglichkeiten, um den Kindern Sprach- und Kommunikations­aspekte näher­ zubringen. Besonders wichtig ist dabei, die Interaktion eines Kindes mit seinen Altersgenossen zu stärken: »Im Kontakt zu anderen Kindern lernt es seine Bedürfnisse und Ziele abzustimmen und durchzusetzen« (Albers u. Jungmann, 2013, S. 67). Die spielerische und sprachliche Interaktion zwischen Kindern bietet die Möglichkeit, beispielsweise Wörter und Laute, aber auch Grammatikstrukturen auszuprobieren und gleichzeitig sozialkommunikative Kompetenzen in der neuen Sprache zu erwerben. Durch alltagsintegrierte Sprachangebote kann das Kind

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erst einmal spielerisch Zugang zu der neuen Sprache finden. Besonders vorteilhaft ist dabei, dass alle Kinder einer Einrichtung davon profitieren; jedes Kind kann durch angemessene Unterstützung individuelle Aspekte der Sprache innerhalb seiner Gruppe ausbauen, z. B. Dialogfähigkeiten, Erzählkompetenzen oder Wortschatzerweiterung. Kinder mit Fluchterfahrung, die Deutsch als Zweitsprache lernen, sind somit zu Beginn ihrer Zeit in einer Kindertageseinrichtung am besten in alltags­integrierten sprachlichen Angeboten aufgehoben, denn dort können sie auf ungezwungene Weise erstmals mit der neuen Sprache, der neuen Umgebung und den anderen Kindern in Kontakt treten. Alltagsintegrierte sprachliche Bildungsangebote sind für alle Kinder offen und flexibel. Für die pädagogischen Fachkräfte können sie allerdings erst einmal eine Umstellung der bisher gewohnten Praxis bedeuten. Zu Beginn ist es notwendig, die Kinder möglichst genau in unterschiedlichen sprachlichen Situationen zu beobachten und ihnen zuzuhören, um die vorhandenen sprachlichen Ressourcen zu erkennen. Besonders wichtig ist zudem, im Alltag dafür zu sorgen, dass die sprachliche Entwicklung aller Kinder, auch derjenigen mit Deutsch als Erst­sprache oder mit zumindest fortgeschrittenen Kenntnissen, im Blick behalten wird. Ein weiterer Aspekt, dem besonders bei der sprachlichen Bildungsarbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung Aufmerksamkeit zukommen sollte, ist die Unterstützung der Sprachbewusstheit der Kinder. »Unter Sprachbewusstheit wird das Bewusstsein für die Struktur von Sprache und das Erkennen von Einheiten wie Text, Satz, Wort und Silbe verstanden«, wobei »ein Gefühl für die Struktur der Sprache« (Günther u. Günther, 2007, S. 54) erworben wird. Mit dem Ziel, die Kinder möglichst schnell mit der neuen Sprache, in diesem Fall Deutsch, vertraut zu machen, wer-

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den allerdings leider oft ad hoc Sprachangebote über ihnen »ausgeschüttet«. Stattdessen wäre es sinnvoller, ihnen Zeit zu geben, um die Sprache spielerisch selbst zu erkunden, und anhand von genauer Beobachtung die Interessen der Kinder zu erfahren, um diese in den pädagogischen Alltag einzubeziehen sowie in einen vielfältigen und mehrsprachigen sprachlichen Kontext einzubetten.

4.3 Die Bildungssprache mehrsprachiger Kinder stärken

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Die Bildungssprache (vgl. Roos u. Sachse, 2019) meint das Sprachwissen, den Wortschatz und die Sprachstruktur, die Kinder benötigen, um sich Wissen im Bildungskontext anzueignen. Es handelt sich hierbei nicht um eine andere, sondern um eine anders verwendete, eher fachliche Sprache. Dies zeigt sich in einem verstärkten Gebrauch fachbezogener Begriffe sowie durch »[p]assiv unpersönliche Ausdrücke, Konjunktiv, Konstruktionen mit ›lassen‹, Substantivierungen, Komposita, Attribute« (Lengyel, 2010, S. 597). Der Erwerb der Bildungssprache beginnt nicht erst in der Schule, sondern ab dem ersten Tag, an dem ein Kind mit der dominanten Sprache in seinem Lebensumfeld in Berührung kommt. Bildungssprache meint die Kommunikationssprache im Bildungskontext. Mit Hilfe von Sprachressourcen, wie einem fachlichen Wortschatz oder grammatischen Strukturen, kann sich das Kind Wissen aneignen, kognitive Lernprozesse durchlaufen und dabei sprachlich interagieren. Die Teilhabe des Kindes an Lernprozessen, Aktivitäten und (ganz allgemein) Kontakten mit anderen Kindern in Lernsituationen erfordert eine Sprachressource, die weit über die Umgangssprache hinausgeht sowie Zugang zu Bildungs- und Lernprozessen ermöglicht. In Deutschland wird Deutsch im schulischen

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Kontext als Bildungssprache angesehen und auch als die »Sprache der Schule« (Gogolin, Neumann u. Roth, 2003, S. 50 ff.) verstanden. Bei der sprachlichen Bildung von mehrsprachigen Kindern wird der Fokus von pädagogischen Fachkräften oft nicht in erster Linie auf die Bildungs-, sondern eher auf die Alltagssprache gerichtet. Dabei wäre es im Sinne einer gelungenen und nachhaltigen Inklusion dieser Kinder in Bildungseinrichtungen von zentraler Bedeutung, gleichzeitig und von Beginn an bei der Arbeit auch die Bildungssprache zu berücksichtigen und zu unterstützen. Insbesondere wäre es hilfreich, wenn Kitas in Zusammenarbeit mit Horten und Grundschulen diesen Aspekt in Form einer »durchgängige[n] sprachliche[n] Bildung« (Gogolin, 2018, S. 474 f.) gemeinsam entwickeln könnten – zum einen, um Kindern mit Deutsch als Zweitsprache eine bessere Per­ spektive zu bieten, zum anderen, um die Bildungswege für alle Kinder leichter zugänglich zu machen. Die Bildungssprache in den Mittelpunkt der Sprachbildungsarbeit mit mehrsprachigen Kindern zu rücken, bedeutet nichts anderes, als diese Kinder als gleichberechtigte Akteur*innen der betreffenden Bildungseinrichtung anzusehen und zu behandeln sowie dabei ihre sprachlichen Ressourcen zu stärken, damit sie in die Lage versetzt werden, die Bildungsprozesse, die ihnen bevorstehen, sprachlich zu erfassen und zu meistern. Sich ausschließlich mit ihrer Alltagssprache zu befassen und Kindern keinen Zugang zur Bildungssprache zu ermöglichen, ist für mehrsprachige Kinder oft nicht ausreichend und bedeutet im Grunde genommen deren weitgehende Ausgrenzung von Bildungserfahrungen. Zur bildungssprachlichen Stärkung der Kinder gehört es auch, die möglichen Unterschiede zwischen ihrer Bildungssprache im jeweiligen Herkunftsland und der Bildungssprache vor Ort, d. h. in der von ihnen besuchten

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Einrichtung, zu berücksichtigen. Wenn pädagogische Fachkräfte und Kinder zu Beginn keine gemeinsame sprachliche Basis haben, können hierbei Symbolkarten oder Bilder verwendet werden, um die Kommunikation zu unterstützen. Um beispielsweise zu erfahren, ob die Kinder in ihrer Herkunftssprache über einen reichen Wortschatz verfügen, könnten Kinderdiktate helfen, bei denen die Kinder den pädagogischen Fachkräften Geschichten diktieren, die anschließend von Dolmetscher*innen oder einem entsprechenden Programm übersetzt werden können. Andere Kinder, die die gleiche Erstsprache sprechen, könnten hier spielerisch in punktuellen Interaktionen und Spielsituationen als Übersetzer*innen helfen. Auf diese Weise erleben die Kinder einen ressourcenorientierten Umgang mit ihrer eigenen Sprache. Außerdem ist es, soweit dies möglich ist, empfehlenswert, sich im Vorfeld darüber zu informieren, welche Bildungsstrukturen die Kinder und ihre Familien aus dem Herkunftsland kennen und, noch wichtiger, welche Erwartungen sie an die Bildungseinrichtungen in Deutschland haben. Die Bildungssprache von mehrsprachigen Kindern in den Fokus der Bildungseinrichtungen zu rücken, bedeutet, von der Krippe bis zu den Hortangeboten das Sprachprofil und die Sprachkultur der eigenen Einrichtung sowie der jeweiligen Teams zu überprüfen und einheitlich zu gestalten. In Kindertageseinrichtungen, in denen Kinder aus anderen Kulturkreisen und mit Deutsch als Zweitsprache aufgenommen werden, steigen oft der Druck und die Unsicherheit dahingehend, wie mit der neuen Situation umgegangen werden kann. Dabei wird der Fokus oft auf die Kinder und deren Familien gerichtet und gleichzeitig der Situation der Teams sowie der einzelnen Mitarbeiter*innen weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Häufig wird versucht, die kulturellen Hintergründe sämtlicher Kinder in

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der betreffenden Einrichtung zu verstehen und so viele Sprachen wie möglich zu beherrschen, um mit den Kindern und ihren Familien optimal kommunizieren zu können. Viel sinnvoller wäre es hingegen, die Angebote zu reduzieren und im Alltag mehr Zeit für das Kennenlernen einzuplanen, d. h. weniger Zeitdruck zu haben und mehr qualitative Zeit miteinander zu verbringen. Eine entspannte und einladende Atmosphäre wird zugleich eher dazu beitragen, dass sich die Kinder und auch die Erwachsenen sprachlich kreativ entfalten können. Ein Schritt in die richtige Richtung könnte dabei sein, die sprachliche Perspektive des Kindes einzunehmen und im Team darüber zu reflektieren, wie das Kind die Einrichtung sprachlich erfährt. Bei der Sprachbildungsarbeit mit mehrsprachigen Kindern mit Fluchterfahrung ist es empfehlenswert, die Angebotsstrukturen hinsichtlich Planung und Durchführung zu vereinfachen und sich stattdessen intensiver mit wirklich zentralen Aspekten zu beschäftigen, wie der Beziehungsarbeit sowie der Schaffung von Sprachzugängen und Begegnungsmöglichkeiten für alle Beteiligten innerhalb einer Einrichtung. Von großer Bedeutung für das Gelingen des Spracherwerbs der Kinder ist es ebenfalls, wie schon zu Beginn von Kapitel 4 erwähnt, sich als päda­ gogische Fachkraft und als Team genug Zeit zu nehmen und von den Trägern der Kindertagesbetreuung genug Zeit zur Verfügung gestellt zu bekommen, um die sprachlichen Ressourcen der Kinder zu erkennen und diese in den pädagogischen Alltag einzubeziehen.   Kinder mit Fluchterfahrung brauchen Zukunftsperspektiven. Sie haben die vertraute Umgebung verlassen, und ihre Zukunft ist oft ungewiss. Menschen, die eine Flucht erlebt haben, möchten wohl nichts lieber, als irgendwo wirklich anzukommen, und aus diesem Grund ist es wich-

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tig, mit den und für die betroffenen Kinder in einer Kita oder einem Hort Perspektiven für ihren künftigen (Bildungs-)Weg zu skizzieren. Kinder mit Fluchterfahrung beschäftigen sich ebenso wie ihre Eltern nicht zuletzt mit der Frage nach dem »Ankommen«. Im pädagogischen Kontext ist es daher umso wichtiger, ihnen diesbezüglich eine Orientierung zu geben. Diese Orientierung bedeutet, dass die Kinder zumindest schon einmal in der Kita, im Hort oder in der Schule eine Perspektive haben und diese auf ihre weitere Zukunft projizieren können. Die Förderung der Bildungssprache dieser Kinder trägt beispielsweise zur Vermittlung einer Perspektive im Bildungskontext bei; dem Kind wird sprachliches Wissen vermittelt, das ihm weiteren Zugang zu unterschiedlichen Bildungsniveaus und -bereichen ermöglicht. Darüber hinaus sollten die Eltern der Kinder bei diesem Schritt einbezogen werden. Als wohl wichtigste soziale Bezugspersonen eines Kindes haben sie »die Fähigkeit, die Entwicklung seiner wichtigsten, spezifisch menschlichen Eigenschaften und Fertigkeiten wie den Umgang mit Symbolen, nonverbale und sprachliche Verständigung, die innere Repräsentation und die Entwicklung des Selbst zu unterstützen« (Albers u. Jungmann, 2013, S. 55). Die Beteiligung der Eltern an Aktivitäten der Kita stärkt die Bildungsprozesse der Kinder und schafft eine Brücke zwischen den zwei Sprachwelten ihres Kindes. Hierbei ist eine offene und einladende Haltung gegenüber den Eltern wichtig. Angebote wie Elternnachmittage, bei denen in entspannter Atmosphäre die Themen und Inhalte des Kita-Alltags aufgezeigt und besprochen werden, aber genauso mehrsprachiges Vorlesen einer inhaltlich gleichen Geschichte durch Eltern und Fachkräfte für die Kinder können eine gute Grundlage sein, um die Eltern, die pädagogischen Fachkräfte und die Kinder sich über deren Perspektive im Bildungskontext austauschen zu lassen.

5 Den pädagogischen Alltag neu denken und gestalten

Kitas, Horte, Grundschulen und weiterführende Schulen sind hierzulande zunehmend sozialen und politischen Veränderungen ausgesetzt. Kitas und Horte, denen in der Vergangenheit oft weniger Aufmerksamkeit und Bedeutung als Grundschulen zugemessen wurde, sind heute aus dem Alltag der weitaus meisten Familien, sowohl in städtischen als auch ländlichen Regionen, nicht mehr wegzudenken. Darüber hinaus lässt sich in pädagogischen Einrichtungen in Deutschland seit 2015 eindeutig einen Veränderungsprozess bezüglich der Aufnahme von Kindern mit Fluchterfahrung, die mit ihren Familien aus Kriegsregionen nach Deutschland geflüchtet sind, erkennen. Gleichzeitig sind Schlagworte wie »Inklusion«, »Inte­ gra­tion«, »kulturelle Vielfalt« oder »Mehrsprachigkeit« vielfach keine abstrakten Begriffe mehr, sondern oftmals Realität in Kindertageseinrichtungen – sowohl konzeptionell als auch bei der Umsetzung. In der pädagogischen Praxis ist die Integration und/oder Inklusion von aus unterschiedlichsten Gründen besonders förderungsbedürftigen Kindern bereits entschieden (vgl. Albers, 2011a, S. 9 ff.). Dies kommt allen Kindern zugute. Andere Einrichtungen tun sich diesbezüglich noch schwer bzw. befinden sich bislang in der Entwicklung. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit diesen Bereichen der Veränderung, wie z. B. auch dem der Interkulturalität (vgl. Pries u. Maletzky, 2018, S. 55 ff.), bedeutet und erfordert ein Umdenken aufseiten der in der pädagogischen Praxis vorhandenen Institutionen und ihrer Strukturen. Solche

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Veränderungsprozesse können nicht »von jetzt auf gleich« erfolgen, sie brauchen Zeit und engagierte Menschen, die diese Veränderungen bereitwillig tragen und umsetzen.

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Die Diversifizierung familiärer Biografien und Lebensformen, die sich beispielsweise in einer Zunahme der Anzahl von alleinerziehenden oder zwischen ihrer Arbeitsstelle und dem Wohnort pendelnden Eltern, aber ebenso von Familien mit Fluchterfahrung manifestiert, bringt eine Veränderung der Strukturen von Kindertageseinrichtungen mit sich. Familien brauchen heutzutage längere und flexiblere Betreuungszeiten, was zugleich neue bzw. andere Alltagsstrukturen in den pädagogischen Einrichtungen erfordert. Berufstägige Eltern, zumal, wenn sie alleinerziehend sind, sind von zuverlässigen Einrichtungen der ganztägigen Kinderbetreuung abhängig, um überhaupt berufstätig sein zu können. Bei Familien mit Fluchterfahrung ist die Situation nicht anders. Auch sie brauchen eine verlässliche Kinderbetreuung, um beispielsweise Zeit für Sprachkurse zu haben oder um ebenfalls arbeiten zu können. Für diese Familien hängt ihre Inklusion in die Gesellschaft noch stärker von einer funktionierenden externen Betreuung ihrer Kinder sowie einer vertrauensvollen Beziehung zwischen ihnen und den pädagogischen Fachkräften ab, denn oftmals verfügen sie – zumindest zu Beginn ihres Aufenthalts –über kein soziales Netzwerk vor Ort und geben ihre Kinder zudem vielfach zum ersten Mal in Fremdbetreuung. Über die nach wie vor ausstehende (finanzielle) Aufwertung des Berufes der Erzieherin/des Erziehers sowie die Arbeitsbedingungen und den Fachkräftemangel im Bereich der Kindertagesbetreuung wird regelmäßig sowohl auf politischer Ebene wie im öffentlichen Raum gesprochen. Angesichts der Häufung dieser Themen auch in ak-

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tuellen Diskussionen im pädagogischen Kontext ist die folgende Frage berechtigt: Besteht die Gefahr, dass dabei die sprachliche Bildung und besonders die Arbeit mit mehrsprachigen Kindern auf der Strecke bleiben? Die heterogenen Biografien der Familien, deren Kinder heutzutage Kindertageseinrichtungen in Deutschland besuchen, bedingen auch ein Umdenken bezüglich der Angebote und des Profils dieser Einrichtungen, um alle Kinder pädagogisch angemessen betreuen zu können. Angesichts der gegenwärtigen Situation, die zuvor kurz skizziert wurde, wird oft von »Herausforderungen« gesprochen, was leicht die Chance der positiven Veränderung übersehen lässt. Dass im Bildungskontext »Heterogenität als Motor für Bildungsprozesse« (Kobelt Neuhaus, 2013, S. 107) bezeichnet wird, ist eher selten der Fall – oft werden in diesem Zusammenhang vielmehr negative Per­ spek­tiven prognostiziert. Dabei bieten die Kitas und Horte heute häufiger als je zuvor Sprachbildungsmaßnahmen an, und ihre Mitarbeiter*innen setzen sich mit den dazugehörigen Themen theoretisch wie praktisch fachlich fundiert auseinander. Überwiegend offen bleibt allerdings die konkrete Benennung und Umsetzung beispielsweise von Ideen für eine bessere Inklusion von Kindern und Familien mit Fluchterfahrung im pädagogischen Alltag. Es werden nur wenige Synergien geschaffen, und eine Vision, wie diese Inklusion besser gelingen könnte, ist nicht deutlich erkennbar. Das Thema Sprache bzw. sprachliche Bildung ist in Politik und Wissenschaft in den Vordergrund gerückt. Deutlich wird diese Schwerpunktsetzung durch die Bildungsoffensive Frühe Chancen (BMFSFJ, 2011) sowie vorläufige Bildungs- und Forschungsprojekte, die in verschiedenen Bundesländern erfolgreich umgesetzt worden sind und aktuelle Erkenntnisse über die Bildungssituation in Deutschland vermitteln. Beispiele hierfür sind TransKig (vgl. Bollinger et al., 2009), FörMig Berlin (vgl.

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WIB, 2009), FörMig-Transfer (vgl. Salem, 2010) und KitaPlus (vgl. BASFI, 2013). Diese Projekte richten das Augenmerk nicht nur auf die sprachliche Bildung, sondern auch auf die Durchgängigkeit von Bildungsbiografien und -bereichen sowie das Einbeziehen der Welt des Kindes in das pädagogische Geschehen in einer Kindertageseinrichtung.

5.1  Beispiele gelungener Praxisarbeit

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Familien, die in Deutschland neu zugezogen sind, brauchen Beratung und Begleitung bei der Anmeldung und Eingewöhnung ihrer Kinder in Kitas und Schulen sowie (dies nicht anders als Familien ohne Migrations- bzw. Fluchthintergrund) Unterstützung beim Übertritt der Kinder aus der rein familiären Betreuung in die externe Betreuungssituation einer Kita und/oder Schule. Die im Folgenden vorgestellten Beispiele aus der Praxis sollen zeigen, wie der Umgang mit Sprachbarrieren zwischen pädagogischen Fachkräften und Familien flexibler und kreativ gestaltet werden kann. Das Angebot im Hort des Kinderund Familienzentrums Im Viertel zeigt zudem eine Möglichkeit auf, wie Mehrsprachigkeit für Kinder eine Quelle der Kreativität sein kann. Durch die Unterbringung von geflüchteten Familien in Erstaufnahmeeinrichtungen wurden vor allem zu Beginn der »Flüchtlingskrise« 2015 in der näheren Umgebung dieser Einrichtungen in relativ kurzer Zeit deutlich mehr Kindergarten-, Schul- und Hortplätze benötigt. Zugleich – aufgrund einer nicht vorhergesehenen kontinuierlichen Steigerung der Geburtenrate in Deutschland von ca. 2014 bis einschließlich 2016 (vgl. DESTATIS, 2017) – waren die vorhandenen Krippen- und Kindergartenplätze bereits zu knapp, und durch die zusätzliche Aufnahme von Kindern aus Familien mit Fluchterfahrung wurde die diesbezügli-

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che Versorgungslage in einigen Bundesländern, wie Bremen, sehr schwierig. Auch in dieser Situation zeigten jedoch viele Menschen, Organisationen und Initiativen eine ausgeprägte Willkommenshaltung gegenüber den Neuankömmlingen, sei es durch Spenden, persönliches Engagement oder sonstige Unterstützung. Der soziale und politische Wille, z. B. von Akteur*innen aus der Freien Hansestadt Bremen, setzte in dieser Situation ebenfalls einen positiven Akzent, und es wurden Angebote entwickelt, die rückblickend als gute Beispiele für eine gelungene Praxisarbeit anzusehen sind. Zwei von ihnen werden in diesem Kapitel daher stellvertretend dargestellt. Wegen der großen Akzeptanz werden diese Angebote (Stand: April 2019) weitergeführt, eine Verstetigung der niedrigschwelligen Angebote ist noch nicht erfolgt. Bei Angeboten mit niedrigschwelligem Zugang handelt es sich um kind- und familiengerechte Angebote, die nicht zuletzt für die Zielgruppe der Kinder aus Familien mit Fluchterfahrung konzipiert sind. Diese pädagogischen Angebote entstanden 2016 aus der Initiative des städtischen Trägers für Kindertagesbetreuung der Freien Hansestadt Bremen, KiTa Bremen, der Senatorin für Kinder und Bildung, Claudia Bogedan, der Fritz-Hollweg-Stiftung sowie eines anonymen Geldspenders aus der Region Bremen-Nord. In meiner Rolle als Regionalleitung von KiTa Bremen arbeitete ich mit den entsprechenden Einrichtungen zusammen und konnte so einen Überblick über die Situation vor Ort gewinnen. Bei der Entwicklung und Koordination der neuen Angebote stand ich den Teams unterstützend zur Seite. Möglich wurden diese Angebote in erster Linie überhaupt erst dadurch, dass die Teams einiger Einrichtungen von KiTa Bremen den Bedarf vor Ort erkannten und ihre Angebote anschließend selbst konzipierten und durchführten. Die Angebote mit niedrig-

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schwelligem Zugang richten sich nicht zuletzt an Familien, die bis dahin noch keinen Kita-Platz für ihre Kinder hatten. Die Familien besuchen mit ihren Kindern die Einrichtungen und verbringen dort gemeinsam Zeit mit den pädagogischen Fachkräften sowie mit anderen Familien, sie vernetzen sich untereinander und werden mit der neuen Umgebung vertraut. Charakteristisch für diese Angebote ist, dass sie leicht zugänglich sind – in diesem Fall auch für Kinder und Familien mit Fluchterfahrung. Die Teilnahme an diesen Angeboten sollte keine bürokratischen Schritte verlangen, gleichzeitig sollten die Teams und die Kapazitäten der jeweiligen Einrichtungen nicht überstrapaziert werden. Daher haben die meisten Kinder- und Familienzentren diese zusätzlichen Angebote mit niedrigschwelligem Zugang für neu zugezogene Familien nach der täglichen Regelbetreuungszeit (und mit großem Erfolg für alle Beteiligten) durchgeführt. Die niedrigschwelligen Angebote sind offen und flexibel, jede Einrichtung gestaltet sie nach den eigenen Ressourcen und Möglichkeiten. Im Mittelpunkt standen und stehen heute noch die Begegnung und das Willkommenheißen der Kinder und ihrer Familien in einer ihnen noch weitgehend fremden Umgebung. Kunst, Theater, Museumsbesuche, Spiele oder auch ein Eltern-Kind-Sprachcafé sind Beispiele, wie die niedrigschwelligen Angebote gefüllt werden, wobei sowohl die Interessen der Kinder und ihrer Familien berücksichtigt als auch gleichzeitig hiesige Traditionen, wie weihnachtliches Plätzchenbacken, gemeinsam gepflegt werden. In allen Angeboten sind die Mehrsprachigkeit und der unverkrampfte Umgang mit Sprachbarrieren zentrale Säulen. Ansonsten werden die Strukturen bewusst offengehalten und eigenständige Initiativen der jeweiligen Teams unterstützt. Dadurch sollte kreativen Prozessen vor Ort ein Raum gegeben werden, was als sehr gelungen zu bezeichnen ist.

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Insgesamt führen neun Einrichtungen von KiTa Bremen Angebote für Kinder und Familien mit Fluchterfahrung durch2. Im Folgenden werden die Beispiele des Kinder- und Familienzentrums August-Bebel-Allee und des Horts des Kinder- und Familienzentrums Im Viertel vorgestellt. Für die Leser*innen dürfte es von Interesse sein, praxisbewährte Herangehensweisen an die Arbeit mit Kindern und Familien mit unterschiedlichen Sprachen zu erfahren sowie die Vorteile kennenzulernen, die der Abbau von Sprachbarrieren und die Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit für die pädagogische Arbeit haben kann. 5.1.1 Kinder- und Familienzentrum August-BebelAllee: Sprachangebot für Familien

Das Kinder- und Familienzentrum August-Bebel-Allee befindet sich in der Vahr; dieser Bremer Stadtteil ist durch zahlreiche Hochhäuser, große Parkanlagen sowie eine kulturell heterogene Bevölkerung mit hohem Migrant*innenanteil und dementsprechend einer breiten Palette an Sprachen, die dort gesprochen werden, charakterisiert. Die ethnische und soziokulturelle Vielfalt ist in diesem Stadtteil sehr augenfällig. Das Kinder- und Familienzentrum August-Bebel-Allee verfügt über drei Krippengruppen, drei Elementar­gruppen und einen Spielkreis. Insgesamt werden hier 60 Kinder und deren Familien betreut (Stand: April 2019). Die Mitarbeiter*innen bekamen (und bekommen) häufig Anfragen von Eltern mit Fluchterfahrung, ob sie ihre Kinder 2 Im Einzelnen waren dies die sechs Kinder- und Familienzentren Arbergen, August-Bebel-Allee, Hohwisch, Mühlheimer Straße, Heinrich-Imbusch-Weg und Haus Windeck, dazu die Spieltreffs Wischmannstraße und Lüssumer Heide sowie der Hort des Kinder- und Familienzentrums Im Viertel.

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in der Einrichtung unterbringen könnten, und mussten diese Gesuche aufgrund eines Mangels an freien Plätzen jedoch oft absagen. Weil diese Familien das Anmelde­ verfahren für Kindergartenplätze noch nicht kannten, kamen sie fortan fast täglich im Kinder- und Familienzentrum August-Bebel-Allee vorbei – in der Hoffnung, dadurch doch einen Betreuungsplatz für ihr(e) Kind(er) zu bekommen. Ausgehend von dieser Situation trafen das Team und die Leitung im April 2016 die Entscheidung, ein zusätzliches Angebot speziell für Kinder bzw. Familien mit Fluchterfahrung zu initiieren. Das Angebot sollte in Form eines Eltern-Kind-Sprachcafés wöchentlich am Nachmittag durchgeführt werden. Weil die betreffenden Familien überwiegend nur geringe Kenntnisse der deutschen Sprache haben, war die zentrale Idee, die Mehrsprachigkeit der Kinder und ihrer Familien sowie deren Kontakt mit der deutschen Sprache in den Mittelpunkt des neuen Angebotes zu stellen. Das wichtigste Ziel, welches durch das neue Angebot erreicht werden sollte, sollte es sein, den Kindern mit Fluchterfahrung in kindgerechter Atmosphäre Kontakt zu anderen Kindern sowie ihre Entwicklung fördernde spielerische und kreative Erfahrungen zu ermöglichen. Gleichzeitig war es ein Ziel, die potenziellen Ängste der Kinder und ihrer Eltern abzubauen und den hohen Beratungsbedarf der Eltern besser abzudecken, indem den bis dahin überwiegend »zwischen Tür und Angel« stattfindenden Gesprächen ein fester Raum gegeben wurde. Dadurch sollte das Signal des Willkommenheißens für die neu zugezogenen Familien trotz fehlender Kindergartenplätze erkennbar gemacht werden. Der seit ca. 2014 bestehende Fachkräftemangel im Bereich der Kindertagesbetreuung in Deutschland bedeutete auch in diesem Fall, dass es nicht möglich war, schnell zusätzliche personelle Ressourcen zu gewinnen und tägli-

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che Angebote zu gestalten. Zwei pädagogische Fachkräfte konnten ihre Arbeitszeit ein wenig aufstocken und die neuen Angebote am Nachmittag durchführen. Dieses Beispiel zeigt, wie eng die Handlungsspielräume der Kinderund Familienzentren sind und dass eine politische und strukturelle Veränderung dringend notwendig wäre. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter bieten seit April 2016 zweimal pro Woche von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr ein offenes Angebot vorrangig für Kinder mit Fluchterfahrung und deren Eltern an. Der Mitarbeiter, der dieses Angebot mitgestaltet, hat selbst einen Migrationshintergrund und ist mehrsprachig, was eine Bereicherung für das Angebot bedeutet, denn dadurch ist er gut imstande, eine sprachliche Brücke zu den neu zugezogenen Familien zu schlagen. Besonders einige Väter greifen regelmäßig auf das Angebot zu und nutzten die Gelegenheit, um sich bei dem Mitarbeiter über diverse Themen zu informieren. Die Fragen, die dabei gestellt werden, beziehen sich zumeist auf die Organisation des familiären Alltags und reichen von Erziehungs- über Gesundheitsaspekte bis hin zu Informationen über die Meldebestätigung oder die Suche nach einer Kinderärztin/einem Kinderarzt. Die Unterstützungsbedarfe der einzelnen Familien sind meistens auf deren individuelle Situation vor Ort bezogen. Beispielsweise wollte eine Gruppe von Müttern das Fahrradfahren lernen, um sich flexibler im Stadtteil bewegen zu können. Dank zusätzlicher finanzieller und personeller Ressourcen, aber auch der Teambereitschaft innerhalb der Einrichtung war es Mitarbeiter*innen des Kinder- und Familienzentrums letztlich möglich, diesen Müttern zu helfen und ihnen das Fahrradfahren beizubringen. Die Besucher*innen dieses Angebotes erfahren über unterschiedliche Kanäle von dessen Existenz. Zu Beginn machten die Mitarbeiter*innen des Kinder- und Familienzentrums bei einer nahegelegenen Erstaufnahmeeinrich-

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tung für Flüchtlinge Werbung. Durch die Vernetzung im Stadtteil, aber auch die Weiterempfehlung seitens der Eltern untereinander hören aktuell immer weitere Familien von dem Angebot. Für die Leitung und das Team der Einrichtung war von Anfang an deutlich zu erkennen, dass die neu zugezogenen Familien eine hohe Emotionalität und Unsicherheit bezüglich ihrer Zukunftsperspektiven zeigen, gleichzeitig jedoch Autonomie und Handlungsfähigkeit im Alltag anstreben und dabei Unterstützung brauchen. Die Sprache im Mittelpunkt

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Zweimal pro Woche, jeweils nach den regulären Öffnungszeiten, empfangen die pädagogischen Fachkräfte die Kinder und deren Eltern in den Gruppenräumen des Kinder- und Familienzentrums und begleiten die Interaktion zwischen ihnen pädagogisch. Ein grundsätzliches Ziel war von Anfang an, dass sich die Familien in der Einrichtung willkommen fühlen sollten. Genauso wichtig ist der Austausch auf Deutsch zwischen den pädagogischen Fachkräften und den Kindern sowie deren Eltern. Währenddessen nutzen die Kinder die Zeit, um sich mittels Spielzeug und Büchern mit der Kita vertraut zu machen. Es werden mehrsprachige Bücher angeboten und Lieder in verschiedenen Sprachen gesungen. Die Eltern können sich untereinander näher kennenlernen und von Woche zu Woche mehr Vertrauen zu den pädagogischen Fachkräften sowie der Leitung der Einrichtung gewinnen. Auf sprachlicher Ebene stellt dieses Angebot nicht nur die deutsche Sprache, sondern zugleich die Mehrsprachigkeit der Kinder und ihrer Familien in den Mittelpunkt der Interaktion. Diese ressourcenorientierte sprachliche Haltung der pädagogischen Fachkräfte gegenüber den Kindern und deren Eltern sorgt bei letzteren beiden Gruppen für größere Sicherheit, baut Ängste ab und stärkt den

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mehrsprachigen Raum für alle Beteiligten als normales Umfeld. Überwiegend wird Deutsch gesprochen, oft aber auch auf andere Sprachen zurückgegriffen, um die Kommunikation mit den Eltern und den Kindern im Fluss zu halten. Die Verwendung einzelner Begriffe auf Englisch oder Französisch hilft beispielsweise dabei, den Eltern mit einer für sie erkennbar offenen und interessierten Haltung zu begegnen. In der Arbeit mit mehrsprachigen Familien sind multiple Sprachkenntnisse zweifellos von Vorteil, dennoch kann eine authentische Begegnung auch mit einer offenen Haltung und Kreativität gelingen und dazu beitragen, Sprachbarrieren zu überwinden. Im Fall des beschriebenen Angebotes in der August-Bebel-Allee öffnet der selbstverständliche Umgang mit Mehrsprachigkeit die Türen der Einrichtung auch für jene neu zugezogenen Familien, die noch kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Die Mehrheit der Kinder und Eltern, die das Angebot besuchen, hat bis zu diesem Zeitpunkt kaum Berührung mit der deutschen Sprache gehabt, weswegen sie die Gelegenheit nutzen, um ihren deutschen Wortschatz zu erweitern und Sprachbarrieren abzubauen. Darüber hinaus bedeutet die Zeit, die die Familien im Kinder- und Familienzentrum verbringen, für sie eine Abwechslung vom Alltag, denn sie lernen dort andere Kinder und Familien kennen, vernetzen sich mit ihnen und anderen Einrichtungen und nehmen an weiteren Aktivitäten, auch auf Stadtteilebene, teil. Die Atmosphäre, die bei diesem Angebot geschaffen worden ist, ist sehr einladend und entspannt. Die Kinder können sich frei bewegen, eigenständig die Gruppenräume sowie das Außengelände entdecken und das Spielzeug, die Kuscheltiere und die Bücher nutzen. Außerdem können die Eltern bei Kaffee und Kuchen die Kita und das Kitasystem »von innen« kennenlernen. Durch die offene und vertrauenerweckende Haltung der pädagogi-

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schen Fachkräfte und der Leitung der Einrichtung können Sprachbarrieren sowohl aufseiten der Eltern als auch der Kinder relativ schnell abgebaut werden. Was sich bewährt hat

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Die offene Haltung des Teams gegenüber der Mehrsprachigkeit der Kinder und ihrer Familien und der Wille, diese als Stärke anzusehen, aber auch der unkomplizierte Zugang zum Kinder- und Familienzentrum über das zusätzliche Angebot sorgen in relativ kurzer Zeit für eine gute Vertrauensbasis. Dadurch erhalten die Kinder mit Fluchterfahrung und ihre Familien, die bis dato kaum Deutschkenntnisse hatten, die Möglichkeit, sich sprachlich auszuprobieren, in Kontakt mit der deutschen Sprache zu treten und dabei die eigenen Ressourcen bezüglich ihrer Muttersprache(n) einzubeziehen. Die offene mehrsprachige Interaktion zwischen den pädagogischen Fachkräften und den Eltern wirkt sich insgesamt positiv auf die Situation der Kinder in der für sie neuen Einrichtung aus. Es lässt sich festhalten, dass der offene und unkomplizierte Einstieg, der durch dieses Angebot für die Kinder und deren Familien mit Fluchterfahrung ermöglicht wird, eine langfristige positive Wirkung hat – sowohl auf die Kinder als auch auf die Familien sowie die Betreuungsstrukturen innerhalb der Einrichtung. Das »unkomplizierte« bezieht sich dabei auf die Niedrigschwelligkeit des Zugangs, der für nicht-deutschsprachige Familien ansonsten oft eine sprachliche Überforderung bedeuten kann. Das offene Angebot ist einladend und bietet den Eltern zudem einen Einblick in die Institution »Kita«, was hilft, Ängste abzubauen und eine Vertrauensbasis zu schaffen. Gleichzeitig können Bedenken und sogar Ängste einiger Fachkräfte, die das Team und die Einrichtung teils belasten, überwunden werden.

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Das Besondere dieses Angebotes ist die gelungene Inklusion der Kinder und ihrer Familien vor Ort, was bis heute bei der Aufnahme der Kinder in der Einrichtung August-Bebel-Allee eine sichtbare Fortsetzung findet: Ihre Eingewöhnung verläuft unkomplizierter als bei anderen Kindern mit Deutsch als Zweitsprache, denn die Einrichtung ist ihnen bereits ein vertrauter Ort, und die dortigen Strukturen, Abläufe und pädagogischen Arbeitsweisen sind ihnen wie auch ihren Eltern bekannt. Insgesamt wird durch dieses Angebot eine frühzeitigere Vernetzung der Familien vor Ort sowie eine gelungene sprachliche und emotionale Grundlage und Beziehung geschaffen, indem unter anderem der Fokus bei der gegenseitigen Begegnung auf die Mehrsprachigkeit der Kinder und ihrer Familien gelegt und diese als Bereicherung (und nicht als Nachteil) verstanden wird. 5 5.1.2 Kinder- und Familienzentrum Im Viertel: Spiele mit Sprache im Hort

Das ebenfalls unter Trägerschaft von KiTa Bremen betriebene Kinder- und Familienzentrum Im Viertel liegt in der sehr lebendigen und bunten Östlichen Vorstadt von Bremen. Dort herrscht eine breite soziale, ökonomische und kulturelle Vielfalt. Die Einrichtung befindet sich neben einem öffentlichen Spielplatz, wodurch ein enger und regelmäßiger Kontakt zu den Nachbarn besteht. Der Hort ist in anderen Räumlichkeiten untergebracht, die nahe der Grundschule Schmidtstraße gelegen sind. Das Kinderund Familienzentrum Im Viertel hat einen künstlerischen und kreativen Schwerpunkt, der durch die Kooperation mit der Kunsthalle Bremen gepflegt wird. Zunehmend überwiegt in diesem Stadtteil die Gruppe der bildungsnahen und wohlsituierten Familien, deren Kinder sich sprachlich sicher ausdrücken können. Dane-

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ben besuchen den Hort Kinder mit Deutsch als Zweitsprache und Fluchterfahrung, die sprachliche Unterstützung brauchen. Einige dieser Kinder sind mehrsprachig und gingen zu Beginn des Angebotes erst seit relativ kurzer Zeit in die Schule bzw. den Hort. Bei diesem Angebot steht die Fluchterfahrung der Kinder nicht im Vordergrund, sondern eher deren Mehrsprachigkeit bzw. der Umstand, Deutsch als Zweitsprache zu erwerben. Ausgehend von dieser Situation hat die Leitung des Kinder- und Familienzentrums Im Viertel Synergien geschaffen und für die Kinder im Hortbereich ein hervorragendes sprachliches Angebot ermöglicht. Geleitet wird es seit August 2017 von der Künstlerin Donka Dimova, die selbst mehrsprachig ist und einen Migrationshintergrund hat. Die Durchführung dieses kreativen sprachlichen Angebotes durch sie hat die Spracharbeit im Hortbereich gestärkt, ohne dabei im Kinder- und Familienzentrum personelle Engpässe zu verursachen. Die kreative Sprache im Mittelpunkt

Das Sprachangebot im Hort des Kinder- und Familienzentrums Im Viertel richtet sich an die Kinder der Grundschule Schmidtstraße, die ebenfalls in der Östlichen Vorstadt gelegen ist. Donka Dimova bietet dort zweimal pro Woche ein spezielles Sprachangebot namens »Spiele mit Sprache im Hort« an, bei dem die Kinder verschiedene Zugänge zur Gestaltung von kreativen sprachlichen Projekten bekommen und als Spracherfahrung für sich entwickeln. Zu Beginn wurde das Angebot »Spiele mit Sprache im Hort« im August 2017 allen sechzig Kindern des Horts vorgestellt. Durch die offene Gestaltung des Angebotes konnten Kinder wöchentlich darüber entscheiden, ob sie daran teilnehmen wollten oder nicht. Im Laufe des Schuljahres 2017/18 haben sich letztlich zwanzig Kinder betei-

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ligt. Durchschnittlich war ein Viertel der Teilnehmer*innen mehrsprachig und hatte Deutsch als Zweitsprache. Die Stunden beginnen mit einem sprachlichen Input oder unterstützendem Material, das die Leiterin mitbringt. Dies können (Märchen-)Bücher, Gedichte, Geschichten oder kurze Filme sein, denen gute Dialoge entnommen werden. Für die Kinder steht vielfältiges Bastel- und Kunstmaterial zur Verfügung, das bei der kreativen Gestaltung der lebendigen Sprachprozesse genutzt wird. In einer sehr fröhlichen Atmosphäre, mit Musik sowie viel Bewegung und Spaß, setzen sich die Kinder sowohl mit der deutschen Sprache als auch weiteren Sprachen auseinander. Sie alle wollen etwas sagen, etwas ausdrücken, oft sind sie aber unsicher, wie sie das tun können. Bei diesem Angebot sind der Kreativität der Kinder bezüglich der eigenen Sprache jedoch keine Grenzen gesetzt. Die Kinder sprechen, reimen, erzählen und schreiben Liedtexte auf, sie nehmen sich als kreative Sprachakteur*innen wahr, und das auf eine sehr lebendige, intensive Art und Weise. Im Idealfall bleibt die Gruppe der Kinder ein ganzes Schuljahr lang zusammen und gestaltet über die gesamte Dauer des Angebotes unterschiedliche Sprach(kunst)werke oder Sprachprojekte. Durch die vielfältigen sprachlichen Zugänge und die Offenheit des Angebotes werden die sprachlichen Ressourcen der Kinder gestärkt und unterstützt. Dabei suchen die Kinder eigene Themenschwerpunkte und gestalten sie als Gruppe gemeinsam. Seit dem Beginn des Angebotes wurden diverse Themen bearbeitet, die für die Kinder interessant sind, wie »Farben«, »Gefühle« oder »Wunder im Alltag«. Durch die Einbeziehung der eigenen Interessen sind die Kinder intensiv in die Sprachprozesse involviert, und durch die konstruktive sowie positive Gruppendynamik gewinnen potenziell auch sonst eher zurückhaltende und/oder

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sprachlich unsichere Kinder (mehr) Mut, mitzumachen und dadurch zu Wort zu kommen. Die Sprachunterschiede zwischen den Kindern werden bei diesem Angebot durch kreative Sprachprozesse, die von den Kindern selbst initiiert werden, ausgeglichen. Jedes Kind findet sein eigenes Tempo und seine eigene Ausdrucksform. Hierzu äußert sich Donka Dimova wie folgt: »Manche Kinder sind so eifrig, dass sie selbstständige Texte haben wollen, andere sind eher froh, eine gemeinsame Arbeit zu entwerfen.« Was sich bewährt hat

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Dieses Angebot wird von den Kindern sehr gut angenommen, denn sie schätzen die Möglichkeit, sich sprachlich frei auszudrücken und dabei unterschiedliche kreative Zugänge zur deutschen Sprache und zu anderen Sprachen zu finden, für sich anzunehmen und zu nutzen. Nicht nur kreative Sprachprozesse und die dialogischen Ressourcen der Kinder stehen im Mittelpunkt des Angebotes, auch ihre Schriftsprache wird durch entsprechende zusätzliche Übungen spielerisch gestärkt. Auf diese Weise gewinnen sie mündlich wie schriftlich an Sicherheit bezüglich ihrer Ausdrucksmöglichkeiten und werden nicht auf etwaige Sprachdefizite reduziert. Die Kinder reimen beispielsweise spielerisch, erweitern dadurch den Wortschatz und bauen Hemmungen gegenüber der neuen Sprache ab. Eine wichtige Quelle der Kreativität ist bei diesem Angebot die Fantasiewelt der Kinder. Indem diese angeregt wird, werden die kognitiven und emotionalen Sprachressourcen der Kinder gefördert. Außerdem werden (nicht selten erstmals) Literacy-Erfahrungen gesammelt, wo­ runter der Kontakt der Kinder mit Büchern, Texten und generell der Schriftsprache zu verstehen ist. Verschiedenartige Texte, wie Lieder, Abzählreime, Märchen und

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sonstige Geschichten, werden gemeinsam (vor)gelesen und als Impulse für kreative Sprachprozesse genutzt, was zugleich das Interesse und die Vertrautheit der Kinder mit der Schriftsprache fördert und sie zudem dazu motiviert, sich selbst mit weiteren Texten und Textformen auf Deutsch zu beschäftigen. Alle Kinder stellen bei diesem Angebot ihre eigenen Ideen selbst in der Gruppe vor, was unmittelbar eine positive Wirkung auf das Ausdrucksvermögen hat und sich positiv auf die sprachliche Beteiligung der Kinder im schulischen Kontext auswirkt. Die Stärke dieses Angebotes liegt besonders darin, dass sich die Kinder ressourcenorientiert, wertschätzend und eigenmotiviert die neue Sprache aneignen. 5.1.3 Gute Sprachpraxis

Die zwei vorgestellten Praxisbeispiele aus der Arbeit mit Kindern (und deren Eltern) mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen von Kita Bremen zeigen, dass flexiblere und breit aufgestellte pädagogische Sprachangebote hervorragende Möglichkeiten bieten, um Spracharbeit mit mehrsprachigen Kindern (und deren Eltern) zu gestalten. Die Aufnahme von mehrsprachigen Kindern in Kitas und Horten bedeutet eine Heterogenisierung der Sprache(n) im pädagogischen Alltag, was wiederum strukturelle Veränderungen für die Praxisarbeit der Fachkräfte zur Folge hat. Damit ist gemeint, dass Gruppen in Kitas und Horten, die im Alltag ihrer Einrichtung bisher keine Mehrsprachigkeit erlebt haben, jetzt möglicherweise intensiv damit konfrontiert werden und sie in einigen Fällen als (r)eine Herausforderung empfinden. In diesem Kontext zentral ist daher nicht zuletzt die Frage nach den vorhandenen Ressourcen wie Personal, Zeit, Räumlichkeiten und Geld. Ein intensiverer und regelmäßiger Austausch im Team

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beispielsweise darüber, ob die Dienstplanung, das Raumoder das pädagogische Konzept den neuen Erfordernissen der Kita entsprechen oder nicht, wird nach meinen Beobachtungen in der Praxis oft vernachlässigt. Gerade durch die neuen Herausforderungen wären jedoch der Austausch im Team und die gegenseitige Unterstützung der Teammitglieder untereinander von großer Bedeutung. Die Teams einer Kita brauchen genau wie die Kinder, die neu in die betreffende Einrichtung kommen, unterstützende Strukturen, um handlungsfähig zu sein bzw. dies wieder zu werden. Davon auszugehen, dass ein gutes und den Bedürfnissen aller Kinder gerecht werdendes Sprachangebot mit den gleichen Ressourcen wie zuvor gestaltet werden kann, ist ein Irrtum. Die Umstellung einer Einrichtung, Gruppe oder Klasse von mono- zu multilingual wird im Bildungskontext politisch bis dato kaum thematisiert, obwohl damit gravierende strukturelle und pädagogische Veränderungen verbunden sind. Spracharbeit in einem mehrsprachigen Kontext braucht flexible Strukturen, Empathie, Offenheit und Zeit für alle Beteiligten, um gemeinsam neue, mehrsprachige Räume zu gestalten. Nicht nur die neu angekommenen Kinder und Familien mit Fluchterfahrung brauchen Zeit, um sich einzugewöhnen, sondern auch die pädagogischen Fachkräfte, die bis dahin vielleicht kaum Kontakt mit anderen Sprachen und Kulturen hatten, benötigen (viel) Zeit und Unterstützung bei diesem Veränderungsprozess. Die zwei vorgestellten Angebote zeigen, dass zusätzliche zeitliche wie finanzielle Ressourcen, Fortbildungen für die Teams und nicht zuletzt mehr Personal bzw. Personalstunden erst ein tatsächlich gutes Angebot für alle Beteiligten ermöglichen. Dahingegen kann bei unveränderten Strukturen und gleichbleibenden Ressourcen kaum befriedigend auf sämtliche sprachlichen, emotionalen und kognitiven Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kin-

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der mit Fluchterfahrung sowie der gesamten Gruppe eingegangen werden, was aufseiten der pädagogischen Teams schnell zu Überforderung führen kann. Wenn sich die Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien vervielfältigen und verändern, dann ist es notwendig, für alle Beteiligten verschiedene (mehrsprachige) sprachliche Zugänge zu den pädagogischen Strukturen und Angeboten von Kindertageseinrichtungen deutlich erkennbar zu machen. Das kann nicht unwesentlich dazu beitragen, Ängste und Barrieren abzubauen. Transparenz bezüglich der pädagogischen Angebote entlastet nicht nur die Kinder und deren Familien, sondern alle Beteiligten. Die sprachlichen Bedarfe der betreffenden Kinder und ihrer Familien werden bei den beiden vorgestellten Angeboten erkannt, ihnen wird im pädagogischen Alltag Raum gegeben, die Beteiligten werden begleitet und unterstützt. Dadurch wird eine Verbindung zwischen den Kindern und ihren Familien sowie den pädagogischen Fachkräften geschaffen, was sich bei der Entwicklung der Kinder langfristig positiv auswirkt. Diese Angebote schaffen für die Kinder, ihre Familien und die Teams der Einrichtungen eine sprachliche, emotionale und strukturelle Konstanz. Somit wirken sich die sprachlichen Erfahrungen, welche die Kinder und ihre Eltern bei diesen Angeboten gesammelt haben, auch später positiv auf deren Lebenskontext aus. Die Sprachbarrieren durch offene und kreative Sprachangebote abzubauen, bedeutet, die Autonomie, die Handlungsfähigkeit und nicht zuletzt die Inklusion der Kinder und ihrer Familien in die Gesellschaft zu ermöglichen. Aufgrund der großen Akzeptanz seitens der Kinder und ihrer Familien sowie der auch langfristig positiven Auswirkungen auf die Spracherwerbsprozesse der Kinder werden sowohl die Angebote im Kinder- und Familien-

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zentrum August-Bebel-Allee als auch im Kinder- und Familienzentrum Im Viertel aktuell unter reger Beteiligung weitergeführt. Zusammenfassend lässt sich bezüglich der sprachlichen Aspekte dieser Angebote Folgendes festhalten: Die Angebote sind für die Interessent*innen einfach zugänglich, die Atmosphäre im Rahmen ihrer Durchführung ist entspannt, unkompliziert sowie fröhlich und die Besucher*innen haben oft Spaß und erleben viele kreative Momente – das ist auch anhand der genannten Beispiele gut zu erkennen. Auf institutioneller Ebene werden die vorhandenen Strukturen entlastet und die konzeptionellen Schwerpunkte Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung gestärkt. Dadurch können Kinder und Eltern mit geringeren Kenntnissen der deutschen Sprache sowohl Sprachbarrieren abbauen und sich kommunikativ beteiligen als auch die jeweiligen Bildungseinrichtungen besser kennenlernen. Die Beziehungsarbeit bezogen auf die Kinder und ihre Familien wird durch die Struktur der Angebote gefördert, was für die Sprachentwicklung der Kinder besonders wichtig ist. Gerade durch diese Bindung werden in den Kindertageseinrichtungen Verbindlichkeit und langfristige Durchgängigkeit bei den Bildungs- und Lernprozessen der Kinder geschaffen.

5.2 Das Sprachprofil der eigenen Einrichtung (neu) definieren Eine Einrichtung wird durch die Aufnahme von mehrsprachigen Kindern nicht automatisch mehrsprachig. Damit das Sprachprofil einer Kita oder eines Horts mehrsprachig wird, ist es notwendig, dass das Team sich mit der eigenen Haltung gegenüber Mehrsprachigkeit und dem daraus resultierenden Umgang mit Mehrsprachigkeit im pädagogischen Alltag auseinandersetzt.

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Im Zuge der verstärkten Zuwanderung nach Deutschland in den letzten Jahren, hat das Thema »Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen und Schulen« an Gewicht in der Bildungsdebatte gewonnen. Wichtig ist dabei, die in der gegenwärtig durchaus herausfordernden Situation zugleich bestehende Chance für Bildungseinrichtungen zu erkennen. Gerade unter den geschilderten aktuellen Gegebenheiten können Kindertageseinrichtungen das eigene Sprachprofil sowie eine mehrsprachige Identität und Kultur definieren bzw. weiterentwickeln. Wir leben in einer globalisierten Welt, für die Mehrsprachigkeit eine zentrale Grundlage ist. Trotzdem, wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, wurde lange Zeit, auch in Bildungsinstitutionen, die »Einsprachigkeit als Normalfall« (Busch, 2017, S. 7) angesehen: »In der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Staaten ist der institutionelle Umgang mit der mehrsprachigen Realität von den historisch überlieferten Grundüberzeugungen geprägt, dass das ›normale Kind‹ einsprachig aufwächst und lebt, und dass es am besten sei, das Bildungssystem einsprachig in der Sprache des Staates zu gestalten« (Gogolin u. Duarte, 2018, S. 68). Dieses Bild stellt jedoch nicht mehr die Realität der heutigen Gesellschaft oder auch bloß der Bildungseinrichtungen dar. In den Medien wird des Öfteren über die Inklusion von Menschen ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen in unsere Gesellschaft diskutiert, und häufig wird diese Situation dabei einseitig als »problematisch« dargestellt. Paradox ist dabei, dass ein Inklusionsprozess thematisiert wird, der in anderen gesellschaftlichen Kontexten, wie Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft, schon längst Realität ist. Pädagogische Fachkräfte, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen machen regelmäßig deutlich, wie bedeutend die Sprachförderung und die sprachliche Bildung von Kindern ohne Kenntnisse der deutschen Sprache für deren Inklusion in die Gesellschaft sind. Was

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in solchen Diskussionen gleichwohl weniger berücksichtigt wird, ist die Haltung von Trägern der Kindertagesbetreuung gegenüber anderen Sprachen und Kulturen.

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Auch wenn Flucht- oder sonstige Migrationserfahrungen nicht zwingend das Entstehen von Mehrsprachigkeit bedingen, so kann man davon ausgehen, dass diese in Familien mit Migrationshintergrund öfter vorkommt als in Familien ohne Migrationshintergrund. Dabei gibt es – nebenbei bemerkt – durchaus unterschiedliche Interpretationen dieses Begriffs. So definiert z. B. Rösch: »Migrationshintergrund bezieht sich auf aktiv migrierte Personen (erste Generation) oder auf in der Aufnahmegesellschaft geborene Kinder mit mindestens einem migrierten Elternteil (zweite Generation) und ist darüber hinaus nicht ›vererbbar‹. Der Begriff ist umstritten, weil er für Ausgrenzung und Stigmatisierung gebraucht wird« (Rösch, 2017, S. 48). Beim »Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme« hingegen wird Kindern schlicht dann ein Migrationshintergrund zugeschrieben, »wenn mindestens ein Elternteil ausländischer Herkunft« ist (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2017). Wenn die Diskussion über die »richtige« Begleitung von oder den angemessenen Umgang mit mehrsprachigen Kindern mit Deutsch als Zweitsprache in Kindertageseinrichtungen geführt wird, so ist es hierbei meines Erachtens notwendig, die Perspektive der Kinder und ihrer Familien einzunehmen und auf der Metaebene zu überprüfen, welche Aspekte das »Ankommen« der betreffenden Kinder in der neuen Sprachumgebung erschweren können. Gleichzeitig ist es entlastend für das jeweilige Team, realistisch zu überprüfen, was innerhalb der vorhandenen Strukturen geleistet werden kann und was nicht. Diese Fragen mögen auf den ersten Blick banal wirken, sind jedoch von zentraler Bedeutung. Wenn die strukturellen Bedingungen nicht

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gegeben sind und/oder das pädagogische Team nicht hinreichend auf die Situation vorbereitet ist, dann werden die Kinder tendenziell eine kontraproduktive sprachliche Situation vorfinden. Kinder mit Fluchterfahrung sind in Kindertageseinrichtungen bisweilen strukturell bzw. institutionell bedingten Unsicherheit(en) ausgesetzt, was den angemessenen Umgang mit ihnen betrifft. Diese Situation hat nichts mit ihnen selbst und ihren sprachlichen Fähigkeiten zu tun, sondern resultiert vielmehr aus der Überforderung mancher Teams sowie aus den bereits genannten strukturellen Problemen. Aufgrund fehlenden Personals und nicht nachhaltiger Konzeptionsarbeit besuchen beispielsweise oft Kinder ohne Deutschkenntnisse additive Sprachfördermaßnahmen, die wenig oder gar nicht auf die individuellen Entwicklungsbedarfe dieser Kinder ausgerichtet sind. Somit stellt sich die Frage, wie es den pädagogischen Fachkräften gelingen kann, den Spracherwerb von Kindern mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen differenzierter zu betrachten und dabei die Sprachressourcen, welche diese Kinder mitbringen, stärker in die sprachliche Bildungsarbeit einfließen zu lassen. Darüber hinaus ist es wichtig, mit anderen Einrichtungen Kooperationen bezüglich der sprachlichen Bildung zu entwickeln bzw. zu intensivieren, um für die Kinder mehrsprachige Übergangsmöglichkeiten zwischen den jeweiligen Einrichtungen zu gestalten. Ohne eine »durchgängige Sprachbildung« (Gogolin, 2018, S. 474), die in den Strukturen sowohl der Kitas als auch der Schulen verankert ist, wird die nachhaltige sprachliche Entwicklung der Kinder erschwert. Sie sehen sich dann dazu gezwungen, sich die Arbeitsweise(n) und Abläufe in einer für sie neuen Einrichtung auch in einem neuen sprachlichen Kontext anzueignen, wozu bereits Gelerntes möglicherweise überschrieben werden muss.

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Wie bei Kindern mit Deutsch als Erstsprache sollten auch bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (und zusätzlich womöglich Fluchterfahrung) ihre Biografien, ihre individuelle Entwicklung und besonders ihre Interessen in Erfahrung gebracht werden, um diese optimal in das päda­ gogische und didaktische Handeln einzubeziehen. Die Identifikation und der Umgang mit Büchern, mit Schrift, mit Literalität, also Literacy (s. Nickel, 2014), wie auch die Themen, für die sich Kinder interessieren und die sie das Lesen darüber als anregende Erfahrung erleben lassen, hängen stark vom Umfeld des jeweiligen Kindes und seinen (am besten positiven) bereits gesammelten Erfahrungen mit Büchern ab. Eine solch positive Erfahrung ist im Idealfall schon »ein Teil der Identität geworden« (Rosebrock u. Nix, 2011, S. 17), und das Kind verfügt dadurch über ein »lesebezogenes Selbstkonzept« (Rosebrock u. Nix, 2011, S. 17). Hat ein Kind beim Lernen von Neuem bereits allgemein positive Erfahrungen gemacht, dann wird es sich auch weiterhin eher dazu motiviert fühlen, Neues, beispielsweise die deutsche Sprache, (er)lernen zu wollen. Im Fall von Literacy handelt es sich dabei um den Umgang mit Büchern und Texten sowie um die Lesekompetenzen an sich, die im pädagogischen Alltag durch die Auswahl kindgerechter und die Kinder interessierender Themen gestärkt werden können. Bei der Reflexion des Sprachprofils einer Kindertageseinrichtung wäre es sinnvoll, zu erfassen, in welchen Bereichen es bereits gelingt, die Interessen der mehrsprachigen Kinder zu berücksichtigen, und wo es noch Nachholbedarf gibt. Ebenso wäre es sinnvoll, bei möglichen Veränderungen des Sprachprofils auch die Interessen und kreativen Fähigkeiten der pädagogischen Fachkräfte zu berücksichtigen. Ein weiterer Aspekt, der den Spracherwerb von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache in Kindertageseinrichtun-

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gen beeinflusst, ist die Frage nach dem dort herrschenden Grad der Akzeptanz und einer positiven Haltung gegenüber anderen Sprachen bzw. Mehrsprachigkeit an sich. Dabei geht es darum, die Sprache(n) der Kinder authentisch wertzuschätzen und mit Herz und Verstand für ihre Bedürfnisse präsent zu sein. Damit wird ein sensibles Thema angesprochen. Gerade weil wir bereits eine mehrsprachige Gesellschaft sind, ist es umso dringlicher, sich in Kindertageseinrichtungen intensiver mit den sprachlichen gesellschaftlichen Strukturen zu beschäftigen. Eine Einrichtung, die bislang monolingual war und jetzt multilingual ist bzw. wird, braucht Zeit, Engagement und den Austausch innerhalb des Teams, um sich angemessen auf diese Situation vorbereiten zu können. Genauer gesagt bedeutet dies, dass es in Kindertageseinrichtungen und Horten zwingend notwendig werden muss, sich mit der aktuellen mehrsprachigen gesellschaftlichen Realität konstruktiv auseinanderzusetzen, dabei zu akzeptieren, wer und was wir als mehrsprachige Gesellschaft bereits sind, und dies bei der Konzeption sowie der Ausgestaltung der jeweiligen Einrichtungskultur miteinzubeziehen. Um die Kinder richtig kennenzulernen, sollte es auch zum Sprachkonzept einer Einrichtung gehören, sich genügend Zeit für sie und ihre Sprachbiografien zu nehmen. Ihre unterschiedlichen Sprachen sollten nicht als Erschwernis, sondern als eine Bereicherung für alle verstanden werden. Die Interessen und Wünsche der Kinder anzuhören, sie ernst zu nehmen und in die alltägliche sprachliche Interaktion mit ihnen einzubeziehen – darum geht es: um die stärkere Fokussierung auf die »emotionale Dimension« (Busch, 2017, S. 24) von Sprache im pädagogischen Alltag. Ein Kernaspekt bei der Aufnahme von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache und eventueller Fluchterfah-

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rung, der in Kitas und Horten reflektiert und umgesetzt werden sollte, ist die Entschleunigung der eigenen pädagogischen Praxis. Damit ist Folgendes gemeint: Weniger ist mehr. Ein Blick in viele Kitas und Horte zeigt die Hektik, welche die pädagogische Praxis oftmals beherrscht. Vor lauter Angeboten stehen die pädagogischen Fachkräfte, die Mitarbeiter*innen und auch die Kinder quasi stetig unter Zeitdruck. Wenn im Hinblick auf die strukturellen Pro­ bleme der Praxis, wie z. B. den schon mehrfach erwähnten Fachkräftemangel, keine Entlastung der pädagogischen Angebote erfolgt, können die Kommunikation, die Bindungsarbeit und die Qualität der pädagogischen Angebote in den Einrichtungen darunter leiden. In diesem Kontext ist es empfehlenswert, im Sinne der Kinder weniger additive, sondern mehr alltagsintegrierte pädagogische Angebote zu gestalten und sich dabei mehr Zeit für die Beziehung zu den Kindern zu nehmen, d. h. den Druck aus dem Alltag zu nehmen.

Fazit

In diesem Buch wurden die folgenden Fragen diskutiert: Wie kann es gelingen, mehrsprachige Kinder mit Fluchterfahrung in Kindertageseinrichtungen möglichst reibungslos aufzunehmen und sprachlich gut zu begleiten? Und wie kann man die eigene Kita-Kultur authentisch mehrsprachig gestalten, ohne dabei die eigene sprachliche Identität und die eigene Kultur in den Hintergrund zu stellen? Die Sprache(n) und die Kultur, die jedes Kind in eine Einrichtung mitbringt, gestalten und prägen den pädagogischen Alltag. Dies gilt umso stärker bei mehrsprachigen Kindern bzw. solchen mit Fluchterfahrung. Alle Kinder brauchen eine sprachlich positiv besetzte Umgebung, um sich selbst sprachlich sicher zu fühlen. Die sprachlichen Stärken und Ressourcen, die (anfangs) nicht-deutschsprachige Kinder in eine Kindertageseinrichtung mitbringen, werden im pädagogischen Alltag jedoch oft übersehen. Daher gilt es, (stärker) mit ihnen in Kontakt zu kommen und sie sowohl sprachlich als auch emotional im wahrsten Wortsinn »aufzunehmen«. Damit sprachliche Bildung mit (anfangs) nicht-deutschsprachigen Kindern gelingen kann, ist es wichtig, die Kinder und ihre Familien zunächst einmal willkommen zu heißen, sie kennenzulernen und mit ihnen in einen Austausch zu treten. Die eigene sprachliche Identität und die eigene Kultur zu leben und aufzuzeigen, gehört zu der authentischen Begegnung mit Kindern und Familien aus anderen Kulturkreisen. Zu sprechen, unterschiedlichste Sprachanlässe zu erzeugen und ein Sprachvorbild für die Kinder zu sein, dies sind relevante pädagogische Prämis-

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Fazit

sen. Sprache kann sich leichter im Rahmen von kreativen und freien Prozessen entfalten. Deshalb ist es empfehlenswert, stärker darauf zu achten, solche Prozesse zu ermöglichen und sprachlich zu begleiten, d. h. die Kinder im pädagogischen Alltag von Anfang an, trotz möglicher Sprachbarrieren, stärker in sprachliche Aktionen und Prozesse einzubeziehen. Ob eine Einrichtung mehrsprachig sein möchte oder nicht, ist aus heutiger Sicht nicht mehr die richtige Frage; die Frage, die stattdessen gestellt werden sollte, ist, welcher Weg dabei gewählt wird, um als Kita oder Hort mehrsprachig zu werden. Mehrsprachigkeit wird im pädagogischen Alltag oft als reine Herausforderung angesehen, wobei sie eigentlich als Chance zur Anpassung der pädagogischen Strukturen an die aktuellen Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien verstanden werden sollte. Dadurch könnte ein Perspektivenwechsel stattfinden und die Mehrsprachigkeit im pädagogischen Alltag als ein zentraler Aspekt verankert werden. In diesem Kontext wäre es zwingend notwendig, die gegebenen personellen, konzeptionellen und organisatorischen Strukturen vieler Kitas und Horte zu überprüfen und an die aktuellen Bedarfe der Praxis anzupassen. Zu den erforderlichen strukturellen Veränderungen gehört beispielsweise auch eine ebenso nachhaltige wie durchgängige Kooperation der Kitas mit Grundschulen und Horten. Um für die Kinder den sprachlichen Übergang zwischen den Einrichtungen zu vereinfachen, ist es notwendig, sich auf der konzeptionellen Ebene über durchgängig zu verfolgende Aspekte der sprachlichen Bildung zu verständigen. Diese Kooperation sollte am Kind orientiert sein und sowohl dessen Mehrsprachigkeit als auch seine vorhandenen sprachlichen Ressourcen in der Erstsprache berücksichtigen.

Fazit87

Die Sprachvielfalt, die mehrsprachige Kinder mit und ohne Fluchterfahrung in Kitas und Horte einbringen, erfordert ein Umdenken aufseiten der pädagogischen Einrichtungen. Die Teams und die Leitungen, aber auch die Eltern sollten sich verstärkt damit beschäftigen, Lösungen zu finden, wie und wodurch Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt als selbstverständlich in den Alltag der Kindertageseinrichtungen integriert werden können. Die Frage nach dem Warum ist derweil leicht beantwortet: um die bestmögliche Inklusion aller Kinder in die Gesellschaft zu gewährleisten. Die im Rahmen dieses Buchs vorgestellten Beispiele aus der Praxis zeigen, dass, um gelungene sprachliche Angebote zu gestalten, flexible Strukturen, zusätzliche zeitliche Ressourcen und idealerweise (mehr) mehrsprachige Teammitglieder benötigt werden. Ebenso ist deutlich geworden: Sich Zeit für die Kommunikation mit den Kindern und ihren Familien zu nehmen und den pädagogischen Alltag bewusst zu entschleunigen, d. h. weniger Stress walten zu lassen und dafür mehr kreativ gefüllte Zeit miteinander zu verbringen, sind Schritte in die richtige Richtung.

Literatur

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