Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren: Vorträge und Diskussionsbeiträge auf dem gleichnamigen Forum vom 25. bis 27. März 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428497096, 9783428097098

Seit Ende der achtziger Jahre ist die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren eines der zentralen Themen

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German Pages 297 Year 1998

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Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren: Vorträge und Diskussionsbeiträge auf dem gleichnamigen Forum vom 25. bis 27. März 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428497096, 9783428097098

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Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 128

Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren Vorträge und Diskussionsbeiträge auf dem gleichnamigen Forum vom 25. bis 27. März 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

herausgegeben von

Jan Ziekow

Duncker & Humblot· Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren : Vorträge und Diskussionsbeiträge auf dem gleichnamigen Forum vom 25. bis 27. März 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer I hrsg. von Jan Ziekow. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 128) ISBN 3-428-09709-2

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-09709-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...............................................................................................................

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Begrüßung und Einführung in das Thema Von Jan Ziekow, Speyer ................................................................................

9

Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - eine Zwischenbilanz Von Annette Guckelberger, Speyer ...............................................................

17

Zügige VerwaItungsverfahren Von Jan Ziekow, Speyer ...............................................................................

51

Diskussion zu dem Vortrag von Jan Ziekow ......................................................

97

Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern Von Helge Sodan, Berlin ........ ........ ..... .............. ..........................................

107

Diskussion zu dem Vortrag von Helge Sodan ....................................................

129

Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz im Bau- und Fachplanungsrecht Von Bernhard Stüer, Münster ......................................................................

141

Diskussion zu dem Vortrag von Bernhard Stüer .. ........ ......... .................. ...........

165

Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Schlanken Staat Von Heribert Schmitz, Bonn ........................................................................

171

Diskussion zu dem Vortrag von Heribert Schmitz .............................................

193

6

Inhaltsverzeichnis

Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung Von Christine Steinbeiß-Winkelmann, Bonn .......................... .....................

201

Diskussion zu dem Vortrag von Christine Steinbeiß-Winkelmann......................

225

Gesetzliche Verfahrensvereinfachung und Gegentendenzen der Praxisdargestellt an den Beispielen der immissionsschutzrechtlichen Änderungsanzeige und -genehmigung sowie stoffbezogener abfallrechtlicher Genehmigungen und Zuweisungen Von Jürgen Fluck, Ludwigshafen ................................................................

227

Diskussion zu dem Vortrag von Jürgen Fluck ....................................................

243

Die Präklusion öffentlicher Belange Von Franz-Joseph Peine, Göttingen ............................................................

249

Diskussion zu dem Vortrag von Franz-Joseph Peine ........................................

271

Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren Von Bernd Holznagel, Münster ...................................................................

279

Diskussion zu dem Vortrag von Bernd Holznagel .............................................

291

Verzeichnis der Referenten und Diskussionsteilnehmer ....................................

295

Vorwort

Der vorliegende Band vereint die Referate und Diskussionsbeiträge, die auf dem Forum "Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" vom 25. bis 27. März 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer vorgetragen wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem In- und Ausland waren Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Um den geführten Gedankenaustausch authentisch wiederzugeben, habe ich mich zu einem Abdruck der Diskussionsbeiträge im Wortlaut entschlossen. Meine Sekretärinnen, Frau Erika Köge/ und Frau E/sie Medl, haben die Mühe auf sich genommen, die Tonbandmitschnitte der Diskussionen zu transkribieren. HierfUr sowie für ihre engagierte Unterstützung bei der Durchführung der Tagung danke ich ihnen herzlich. Frau Kögel hat darüber hinaus sachkundig die Formatierung übernommen; auch hierfür sei ihr gedankt. Speyer, im Juli 1998

Jan Ziekow

Begrüßung und Einf"ührung in das Thema Von Jan Ziekow Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie ganz herzlich - auch im Namen des Rektors der Hochschule, Herrn Prof. Dr. Magiera - zum Forum "Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer begrüßen. Obwohl die Veranstaltung recht kurzfristig angekündigt worden ist, gab es ein reges Interesse, worüber ich mich sehr freue. Die Referentinnen und Referenten eingerechnet, nehmen an der Tagung fast 70 Personen teil. Wenn ich mir die Teilnehmerliste ansehe, die Sie im übrigen auch in Ihren Tagungsunterlagen fmden, so stelle ich fest, daß - mit zwei Ausnahmen - alle deutschen Bundesländer vertreten sind. Die Spannbreite reicht von Rügen bis Freiburg und von Cottbus bis Trier. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Orten, die ich jetzt nicht genannt habe, bitte ich sehr um Nachsicht. Hervorheben darf ich aber noch, daß eine große Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den östlichen Bundesländern dabei ist. Da wir auch zwei Teilnehmerinnen und einen Teilnehmer aus Österreich unter uns haben, die ich besonders begrüße, dürfte sich das Forum eigentlich sogar als "internationales" bezeichnen. Ähnlich heterogen wie bezüglich der regionalen Herkunft ist der Teilnehmerkreis in beruflicher Hinsicht zusammengesetzt. Traditionell am stärksten vertreten sind die Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes der Länder und zwar aus ganz verschiedenen Ressorts. Die Bundesebene wird repräsentiert durch zwei Referenten des morgigen Tages, Herrn Dr. Schmitz und Frau Dr. Steinbeiß-Winkelmann, und Mitarbeiter von Bundesämtern, die kommunale Ebene durch zwei Bürgermeister und andere Funktionsträger von Kreisen und Gemeinden. Begrüßen darf ich weiterhin Teilnehmer aus dem Kreis der Verwaltungsrichter, darunter mit Herrn Dr. Starost einen Bundesverwaltungsrichter, aus der Rechtsanwaltschaft, aus Wissenschaft und Wissenschaftsverwaltung sowie aus der Wirtschaft. Bei der letzteren, nämlich der BASF AG in Ludwigshafen, dürfen wir am morgigen Nachmittag und Abend zu Gast sein. Herr Dr. Fluck hat dies vermittelt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Erlauben Sie mir nun einige Worte zur Erläuterung des Themas. Die Diskussion über die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

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Jan Ziekow

ist aus meiner Sicht ein typisches Beispiel einer in Konjunkturzyklen verlaufenden Thematisierung. Obwohl wir uns in Speyer eigentlich eher bemühen, neue Entwicklungen anzustoßen und zu begleiten, verhalten wir uns hier also durchaus antizyklisch, denn der große Beschleunigungsboom ist zunächst einmal vorbei. Inwieweit wir auf dem Weg zu einem neuen Konjunkturanstieg sind, darüber wird uns morgen Herr Dr. Schmitz informieren. Um nicht mißverstanden zu werden, darf ich aber darauf hinweisen, daß die Verfahrensbeschleunigung in den letzten Jahren in Speyer einen Forschungsschwerpunkt darstellte. Ich erinnere insoweit nur an zahlreiche Studien des mittlerweile emeritierten Kollegen Blümel 1, an das von ihm am Forschungsinstitut rur öffentliche Verwaltung bei der Hochschule betreute und von Frau Dr. Eckert bearbeitete Forschungsprojekt "Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren,,2, an das von Herrn Blümel gemeinsam mit Herrn Kollegen Pitschas veranstaltete Forschungsseminar zum Thema "Reform des Verwaltungsverfahrensrechts", in dem mehrere Vorträge Fragen der Verfahrensbeschleunigung gewidmet waren 3 , oder an die Dissertation des langjährigen Abteilungsleiters an dieser Hochschule, Herrn Dr. Ebling, mit dem Titel "Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen,,4. Darüber hinaus ist unter der Betreuung von Herrn Kollegen Hili die Dissertation "Optimierung anlagenbezogener Zulassungsverfahren" von Frau Weber entstandenS, welche aus einer im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellten Untersuchung zu den "Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren in den neuen Ländem,,6 hervorgegangen ist. An diese Tradition soll nun heute und in den nächsten Tagen angeknüpft werden.

I Vgl. nur Willi Blümel, Verkehrswegeplanung in Deutschland, in: Blümel / Magie ra Merten / Sommermann, Verfassungsprobleme im vereinten Deutschland, 1993, S. I ff.; ders. ! Martin Pfeil, Neuere Entwicklungen im Umwelt- und Verwaltungsverfahrensrecht, 1995, S. 5 ff., 89 ff.; ders., Fachplanung durch Bundesgesetze (Legalplanung), DVBI. 1997, S. 205 ff. 2 Vgl. Lucia Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren,

1997.

3 Vgl. Eberhard Bohne, Aktuelle Ansätze zur Reform umweltrechtlicher Zulassungsverfahren, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 41 ff.; Martin Bullinger, Beschleunigte Genehmigungs- und Planungsverfahren flIr eilbedürftige Vorhaben, a.a.O., S. 127 ff.; Udo Steiner, Beschleunigung der Planungen flIr Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, a.a.O., S. 151 ff. 4 Wilfried Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, 1993. 5 Annette Weber, Optimierung der Zulassung von Industrieanlagen unter Berücksichtigung empirischer Studien (noch nicht veröffentlicht). 6 Hermann Hili! Annette Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren in den neuen Ländern, 1996.

Begrüßung und Einführung

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Über die Marksteine der Beschleunigungsbewegung, so möchte ich sie einmal bezeichnen, wird uns im Anschluß an meine einfilhrenden Worte Frau Dr. Guckelberger7 informieren. Deshalb werde ich mich hierzu einer Stellungnahme enthalten und nur einige grundsätzliche Bemerkungen vorausschicken. Das Faszinosum der Beschleunigungsdebatte liegt für mich darin, daß die Zeit als Handlungsfaktor zum Mittelpunkt von Steuerungsbemühungen gemacht worden ist, ohne in ihrer Relevanz als Entscheidungsparameter vorher exakt analysiert worden zu sein. Mit Verlaub: Die Erkenntnis, daß Zeit Geld ist, ist so neu nicht. Hieraus politische Folgerungen zu ziehen, ist zu allen Zeiten wünschenswert gewesen. Es wäre also alle Zeit gewesen, sich bedächtig Gedanken zur Implementation eines Zeitkonzepts in das Verwaltungsrecht zu machen. Immerhin gilt es, grundlegende Fragen zu beantworten: Hat sich die Verwaltung, wie es Martin Bullinger so schön formuliert hat, dem Rhythmus von Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen 8? Oder hat das Recht zumindest auch eine katechontische Funktion, die Aufgabe, noch nicht hinreichend verarbeitete technische, wissenschaftliche und ökonomische Prozesse aufzuhalten, um die Entwicklung angemessener Steuerungsmuster zu ermöglichen9? In der Geschichte gibt es unterschiedliche Ansätze zur Lösung des Problems, wenngleich - dies sei hinzugefügt - das Gesamte meist schlecht gefahren ist, wenn sich der Staat als Rhythmusgeber versucht hat. 1O Gründlichere Reflexionen hierüber habe ich in der Beschleunigungsdiskussion vermißt. Dies ist um so erstaunlicher, weil sich die politische Beschäftigung mit einer Rhythmusänderung der Verwaltungstätigkeit in Deutschland nahezu nahtlos einpassen läßt in eine Wiederentdeckung - so muß man wohl sagen - des Phänomens "Zeit" in allen Wissenschaftsbereichen. Verstärkt seit Beginn der 80er Jahre findet sich in Philosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine Beschäftigung mit unterschiedlichsten Facetten der Zeit als Bedingung menschlichen Handeins. 11 Die Rechtswissenschaft hat sich schon früh mit Paul 7 Annette Guckelberger, Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - eine Zwischenbilanz, in diesem Band. S Vgl. Martin Bullinger, Verwaltung im Rhythmus von Wirtschaft und Gesellschaft, JZ 1991, S. 53 ff. 9 In diesem Sinne Hasso Hofmann, Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, JZ 1988, S. 265 (278); Bernhard Schlink, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), S. 235 (259 ff.); dazu auch Lorenz Schulz, "Die Zeit drängt", in: Ökologie und Recht, 1991, S. 127 (154 ff.). 10 Wenn Bullinger (Anm. 8) S. 59 als GegenbeispieI die Stein-Hardenbergschen Reformen heranzieht, so übersieht er, daß diese Reformen geradezu paradigmatisch für eine Rhythmusanpassung sind, vgl. Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 142 ff. 11 Vgl. nur Werner Bergmann, Die Zeitstrukturen sozialer Systeme, 1981; Peter Bieri, Zeit und Zeiterfahrung, 1972 ; Wolfgang Deppert, Zeit, 1989; Helmut Dietl, Insti-

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Jan Ziekow

Kirchhofs Betrachtungen zum Thema "Verwalten und Zeit,,12 an dieser Diskussion beteiligt, jedoch ist dieses Werk lange Zeit singulär geblieben l3 . Bemerkenswert ist der Zeitpunkt der Intensivierung der Zeitdebatte - Sie verzeihen mir bitte die Dominanz des Wortes "Zeit" auch in meinen Überlegungen: Über Zeit denkt man offenbar nur dann nach, so ließe sich pointiert formulieren, wenn man dazu Zeit hat. Das Nachsinnen über Grundlagenprobleme ist zeitlich durchaus angebunden an einen Zustand einer gewissen Saturiertheit. Nicht, daß ich falsch verstanden werde: Ich will mit meiner Einschätzung die einschlägigen Reflexionen keineswegs abwerten. Ganz im Gegenteil: An wenig anderen Beispielen zeigt sich die Berechtigung und Notwendigkeit von Grundlagenforschung so deutlich, als wenn auf ihre Vorarbeiten im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann. Nun ist es nicht so, daß ich einen unmittelbaren Einfluß der Zeitforschung auf die politische Beschleunigungsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland behaupten wollte. In Anbetracht der klaren Steuerung der Beschleunigungsprojekte durch das Standortargument wird sich der Gesetzgebungsprozeß kaum als Rückgriff auf wissenschaftliche Erkenntnis deuten lassen - jedenfalls nicht als bewußten. Was aber bleibt ist eine Zeitgestimmtheit, eine Geneigtheit, Zeit als aktuellen Existenz- und Handlungsbezug anzuerkennen. Das äußert sich auf ganz verschiedenen Ebenen und reicht von der Auffassung, daß verschwendete Studienzeit verschwendete Lebenszeit sei, über die Feststellung der Zeitbestimmtheit eines Investitionserfolgs bis hin zur kulturphilosophischen Auseinandersetzung, ob schon der Rubikon von der Modeme zur Postmoderne überschritten ist oder nicht. Ordnet man die Diskussion über die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren in diesen größeren Bezugsrahmen ein, so wird die an manchen Vorschlägen festzustellende Eigendynamik des Diskurses verständlicher.

Daß der standortorientierte Beschleunigungsansatz in seiner Gesamtheit auch ein gut Teil Standortpsychologie in Form der Bewußtmachung der Verfahrensrelevanz des Faktors Zeit ist, wird kaum jemandem verborgen geblieben sein. Mit einer der neuen Regelungen, an der die Frage eines über bloße Beschleunigungssymbolik hinausgehenden rechtlichen Gehalts virulent wird, nämlich dem Gebot, Verwaltungsverfahren zügig durchzuführen, werde ich mich im Anschluß an die Ausführungen von Frau Dr. Guckelberger beschäfti-

tutionen und Zeit, 1993; Günter Dux, Die Zeit in der Geschichte, 1992; Norbert Elias, Über die Zeit, 1984; Petra Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, 1993; Reinhard Lauth, Die Konstitution der Zeit im Bewußtsein, 1981. 12 Paul Kirchhof, Verwalten und Zeit, 1975. \3 Vgl. noch Peter Häberle, Zeit und Verfassung, ZtP N.F. 21 (1974), S. 111 ff.; Stephan Kirste, Die Zeitlichkeit des positiven Rechts und die Geschichtlichkeit des Rechtsbewußtseins, 1998; Clemens Gerte I, Der Zeitfaktor im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1992; Wolf-Rüdiger Schenke, Verfassung und Zeit, AöR 103 (1978), S. 566 ff.

Begrüßung und Einfllhrung

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gen. 14 Auch die von der Bundesregierung eingesetzte "Unabhängige Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren", die wohl unter dem Namen ihres Vorsitzenden als "Schlichter-Kommission" in die Geschichte eingehen wird und auf deren Vorarbeiten die Beschleunigungsgesetzgebung weitgehend zurückgeht, hat den psychologischen Gehalt der einschlägigen Maßnahmen in Gestalt des Topos der "Standortpflege" eingeräumt. 15 Im Entwurf der Bundesregierung des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes 16 findet sich dieser Gedanke dann allenfalls noch höchst versteckt. Dies ist insofern um so erstaunlicher, als es kaum die harten Fakten gewesen sein können, die die Beschleunigungspolitik vorangetrieben haben. Der Kollege Bohne hat zu einem Zeitpunkt, zu dem schon recht munter an der Beschleunigungsschraube gedreht wurde, nämlich im Jahre 1993, auf einer Tagung hier in Speyer dezidiert darauf hingewiesen, daß es belastbare Aussagen zum Einfluß des Zulassungsrechts auf die Verfahrensdauer nicht gibt, schon gar nicht im internationalen Vergleich des Standorts Deutschland. 17 Negative Erfahrungen aus der Praxis mit der Beschleunigungsgesetzgebung sind nicht gerade bevorzugt berücksichtigt worden. Als Beispiel darf ich nur den Bericht eines Referenten aus dem Umweltministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern anfUhren, nach welchem dort nach Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes die Dauer der Genehmigungsverfahren zunächst dramatisch anstieg und auch später nicht unter die durchschnittliche Verfahrensdauer vor Erlaß des Gesetzes fiel. 18 Dabei ist diese Äußerung sogar noch unter dem Vorzeichen zu sehen, daß ausweislich der Ergebnisse mehrerer Untersuchungen - eine davon unter der Leitung von Herrn Kollegen Hill hier im Hause durchgefUhrt - beispielsweise die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren in den neuen Bundesländern weniger Zeit in Anspruch nahmen als in den alten. 19 Auf mögliche Gründe hierfUr befragt, wiesen Vertreter der betroffenen Behörden vor allem auf die hohe Motivation hinsichtlich einer beschleunigten Industrieansiedlung in ihrer Region hin. 20 Zusammengenommen hätten diese Ergebnisse zumindest Jan Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren, in diesem Band. Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren. Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, 1994, Rn. 204 f. 16 BTDrucks 13 /3995. 17 Bohne (Anm. 3) S. 45 ff. 18 Reinhard Wuljhorst, Erfahrungen mit den Beschleunigungsgesetzen - aus der Sicht der Exekutive, VerwArch 1997, S. 163 (170 f.). 19 Hill / Weber (Anm. 6), S. 139; Rudolf Steinberg / Helga Hermann de Miquel / Joachim Scharioth / Barbara Fertsch / Sandra Mangold, Genehmigungsverfahren rur gewerbliche Investitionsvorhaben in Deutschland und ausgewählten Ländern Europas, 1995, S. 91. 20 Vgl. Hill / Weber (Anm. 6) S. 135. 14

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Jan Ziekow

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nahe gelegt, der Frage nachzugehen, ob eine Verfahrensbeschleunigung durch weitere gesetzliche Regelungen möglich oder der Versuch nicht eher kontraproduktiv ist. Soweit mittlerweile Studien zum Standort Deutschlands im Wettbewerb um das kürzeste Genehmigungsverfahren und der Relevanz des Verfahrensdauerproblems fUr die Standortentscheidung vorliegen, indizieren sie ebenfalls keinen zwingenden Handlungsbedarf. Die durchschnittliche Dauer der Genehmigungsverfahren in Deutschland ist zwar länger als in anderen europäischen Ländern, jedoch nicht signifikant?! Die Kritik entzündet sich vor allem an "Ausreißern", also einzelnen überlangen Genehmigungsverfahren?2 Dementsprechend wird die Bedeutung der behördlichen Verfahrensdauer fUr die Standortentscheidung der Wirtschaftsunternehmen in den einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen als gering eingeschätzt.23 Differenzierende Stimmen beispielsweise aus der chemischen Industrie weisen darauf hin, daß die materiell-rechtlich determinierte Prüftiefe schon fUr die Dauer der Antragsvorbereitung durch das Unternehmen von größerer Bedeutung als die Länge des Verwaltungsverfahrens sein könne. 24 In der Gesamtschau der Grundlagen der neueren Beschleunigungsgesetzgebung, insbesondere des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, kann mithin jedenfalls der Eindruck entstehen, daß der Handlungsimpuls etwas diffus ist. Es könnte daran gedacht werden, daß weniger reale Regelungsnotwendigkeiten als vielmehr die Erhebung des Faktors Zeit zum eigendynamischen Gegenstand politischen Handeins von Einfluß waren. Die BefUrchtung, daß sich eine dahingehende Entwicklung im bevorsttfhenden Bundestagswahlkampf weiter verselbständigen wird, liegt nahe. Mit weiteren Impulsen ist möglicherweise aus dem Projekt "Schlanker Staat" zu rechnen, worüber uns morgen Herr Dr. Schmitz informieren wird?S Mit meinen etwas gesetzgebungskritischen Anmerkungen wollte ich allerdings nicht den Eindruck vermitteln, daß ich die vom Gesetzgeber ergriffenen

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145.

Steinberg / de Miquel / Scharioth / Fertsch / Mangold (Anm. 19) S. 13, 51 f., 70,

Vgl. Eckert (Anm. 2) S. 8 f. Vgl. RudolfSteinberg / Hans-Jürgen Allert / Carsten Grams / Joachim Scharioth, Zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens filr Industrieanlagen, 1991, S. 44; Steinberg / de Miquel / Scharioth / Fertsch / Mangold (Anm. 19) S. 70; Umweltgutachten 1996 des Sachverständigenrates filr Umweltfragen, BTDrucks 13 / 4108 S. 69 Nr. 81. 24 Vgl. Michael Henrich, Prüfungs- und Genehmigungsverfahren aus der Sicht eines Unternehmens, in: Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, 1994, S. 71 (73). 25 Heribert Schmitz, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Schlanken Staat, in diesem Band. 22 23

Begrüßung und Einfllhrung

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Beschleunigungsmaßnahmen für bedeutungslos halten würde. Ganz im Gegenteil: Es soll gerade Gegenstand dieses Forums sein zu ermitteln, wie sich verschiedene zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung vorgenommene Änderungen bzw. Ergänzungen auf das Verwaltungsverfahrensrecht auswirken. Damit bin ich bei der Zielsetzung der Veranstaltung. Beabsichtigt habe ich - im Titel eines Vortrags kommt das auch zum Ausdruck - eine Zwischenbilanz der Beschleunigungsgesetzgebung der neu esten Zeit. Der Bogen ist insoweit gespannt vom Rückblick auf die gesetzgeberischen Aktivitäten bis hin zum Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen. Der Schwerpunkt liegt aber dazwischen, nämlich auf der Analyse wesentlicher Beschleunigungsinstrumente im nunmehr geltenden Recht und der Frage, welche verfahrensrechtlichen Anforderungen sich daraus formulieren lassen. Dabei bitte ich zu beachten, daß es zu fast allen Themen bisher kaum vergleichbare Entwicklungsbemühungen im Schrifttum oder in der Rechtsprechung gibt. Wir betreten hier also weitgehend Neuland. Um so mehr sollten wir versuchen, in der Diskussion zu konsistenten Lösungsmodellen zu kommen. Um einem solchen Diskurs weitestmöglich Vorschub zu leisten, habe ich mich um eine thematische und gleichzeitig durchaus antipodische Gliederung der Vorträge bemüht. Im Anschluß an meine einführenden Worte wird Frau Dr. Guckelberger von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer eine Zwischenbilanz zu den bisher getroffenen "Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren,,26 ziehen. Anschließend werde ich unter dem Titel "Zügige Verwaltungsverfahren,,27 zu den allgemeinen Beschleunigungsvorschriften der §§ 10 S. 2, 71a ff. VwVfG sprechen, bevor Herr Kollege Sodan von der Freien Universität Berlin zur "Unbeachtlichkeit und Heilung von Form- und Verfahrensfehlem,,28 Stellung nehmen wird. Steht bei diesen Vorträgen eher die Position der Behörde bzw. des Antragstellers im Mittelpunkt, so wird Herr Kollege Stüer aus Münster im letzten Beitrag des heutigen Tages die Gegenposition halten und zu "BUrgerbeteiligung und Rechtsschutz in Bau- und Fachplanung,,29 referieren. Ähnliche Überlegungen liegen der Zusammenstellung der morgigen Vorträge zugrunde. Zunächst wird uns Herr Dr. Schmitz vom Bundesministerium des Innem die Zukunftsperspektive aufzeigen und die "Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Schlanken Staat,,30 skizzieren. Die Kontrastrolle wird dann von Frau Dr. Steinbeiß-Winkelmann, Bundesminsterium der Justiz,

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In diesem Band. In diesem Band. In diesem Band. In diesem Band. In diesem Band.

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eingenommen, die die "Verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung,,31 aufzeigen wird. Am Nachmittag wird das Bild abgerundet durch eine dritte Sichtweise, nämlich die der unternehmerischen Praxis. Herr Dr. Fluck von der BASF AG wird diese Perspektive eröffnen in seinem Referat "Gesetzliche Verfahrensvereinfachung und Gegentendenzen der Praxis - dargestellt an den Beispielen der immissionsschutzrechtlichen Änderungsanzeige und -genehmigung sowie stoffbezogener abfallrechtlicher Genehmigungen und Zuweisungen"n. Beschlossen wird die Tagung am Freitag durch zwei Aspekte, die zwar inhaltlich nicht unmittelbar konfligieren, in der Zusammenschau jedoch eine interessante Tendenz andeuten, nämlich eine Einengung des Verfahrensspielraums tur Träger öffentlicher Belange einerseits und eine Öffnung der Verfahrenssteuerung tur verwaltungsexterne Dritte andererseits. Zum ersten Gesichtspunkt wird Herr Kollege Peine von der Universität Göttingen den Vortrag "Die Präklusion öffentlicher Belange,,33 beisteuern. Herr Kollege Holznagel von der Universität Münster wird den zweiten Aspekt mit seinem Beitrag "Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren,,34 ausleuchten. Für eine EinfUhrung waren das wohl genug der Worte. Ich wünsche mir sehr, daß wir zu anregenden und weiterfUhrenden Gesprächen über das Thema der Tagung kommen und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Speyer.

31 In diesem Band. 32 33 34

In diesem Band. In diesem Band. In diesem Band.

Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren - eine Zwischenbilanz Von Annette Guckelberger Soll man einen Überblick über erfolgte Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren geben, merkt man sehr bald, wie uferlos dieses Thema ist. 1 Heute wird zwar der Begriff der Beschleunigungsgesetzgebung in aller Regel mit dem Zeitraum Ende der 80er bzw. den 90er Jahren verbunden, es wurden aber auch schon früher Anstrengungen zu einer Verkürzung der Dauer von Verwaltungsverfahren unternommen. So berichtet Feldhaus, daß der preußische Gesetzgeber bereits im Jahre 1861 eine raschere Errichtung von gewerblichen Betrieben ermöglichen wollte, indem die dagegen gegebene Einspruchsfrist von vier auf zwei Wochen verkürzt wurde, bei einigen Betrieben vom Genehmigungserfordernis und bei der Errichtung von Dampfkesselanlagen von der Öffentlichkeitsbeteiligung abgesehen wurde. 2 Das Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht datiert aus dem Jahre 1979.3 Die Verbindung des Begriffs Beschleunigungsgesetzgebung mit dem oben erwähnten Zeitraum dürfte darauf zurückzuftlhren sein, daß die Bundesregierung mit Beschluß vom 13. Juli 1983 Maßnahmen zur Entbürokratisierung, Rechts- und Verwaltungsvereinfachung zu einem der Hauptziele ihrer politischen Tätigkeit erklärte. 4 Seit diesem Zeitpunkt sind immer mehr Rechtsgebiete unter dem Aspekt der I Umfangreiche Nachweise zur Beschleunigungsdebatte und -gesetzgebung gibt Schmidt-Kötters. in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, in den Fn. 6 ff. beginnend ab S. 35, sowie Michael Ronellenjitsch. Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 23 f. Fn. 11 ff. Einen Überblick zur allgemeinen Bedeutung des Beschleunigungsgedankens im Verwaltungsverfahrensrecht im Laufe der Zeit gibt Bullinger, DVBI 1992, 1463 (1464 ff.). 2 Feldhaus. in: Umweltschutz als Standortfaktor: Investitionssicherung und Möglichkeiten zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Industriezulassungen, 1994, S.128. 3 BGBI I S. 949 ff. 4 Vgl. dazu Bundesministerium des Innem (Hrsg.), Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Anlagen, Empfehlungen der Unabhängigen Kommission für Rechtsund Verwaltungsvereinfachung auf der Grundlage einer Befragung von Beteiligten und Betroffenen, 1990 (sog. Waffenschmidt-Kommission), S. 76; BT-Drs 12/6923, S. 4.

2 Speyer 128

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Annette Guckelberger

Verkürzung der Verfahrensdauer novelliert worden. Standen bei diesen Änderungen anfangs noch spezielle und situationsbezogene Anliegen im Vordergrund, ist der Gesetzgeber mehr und mehr dazu übergegangen, diese Regelungen zu verallgemeinern. S Im folgenden sollen nach einer kurzen Darstellung des Gesetzes zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht schwerpunktmäßig die Beschleunigungsmaßnahmen ab dem Jahre 1983 dargestellt werden.

I. Das Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht vom 6. Juli 19796 Angesichts des ungünstigen Verlaufs der Baukonjunktur im Jahre 1977 und der Kritik an der zunehmenden Bürokratisierung fast aller Lebensbereiche hielt der Gesetzgeber eine Verkürzung der Dauer der Genehmigungsverfahren im Bauwesen rur notwendig, um so Investitionshemmnisse und -schwierigkeiten zu beseitigen. 7 Aufgrund dessen wurde im Jahre 1979 das Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht verabschiedet. In diesem wird das Verfahren zur Aufstellung bzw. Änderung von Bebauungsplänen beschleunigt, indem die Gemeinde den Beteiligten eine angemessene Frist zur Abgabe ihrer Stellungnahmen setzen soll.8 Unter bestimmten Voraussetzungen genügt bei der Änderung des (Entwurfs eines) Bebauungsplans eine eingeschränkte Beteiligung.9 Die Normen für den Erlaß eines vorzeitigen oder in Parallele zum Flächennutzungsplan entwickelten Bebauungsplans werden erweitert. 1O Teil- und Baugenehmigungen können schneller erteilt werden, indem das gemeindliche Einvernehmen bzw. die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde fmgiert werden, wenn sich diese nicht innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der

5 Ronellenfitsch, in: Rengeling (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - Deregulierung, 1997, S. 59; Bundesministerium des Innem (Hrsg.), Sachverständigenrat ,,schlanker Staat', Abschlußbericht Bd. I, 1997, S. 178. 6 BGBI I S. 949 ff. 7 BT-Drs 8 / 2451, S. 1, 13; BT-Drs 8 /2885, S. 1 f. Vgl. dazu auch Eva-Maria Ehebrecht-Stüer. Außenbereichsbebauung: Entwicklung und geltendes Recht, 1997, S.42m.w.N. 8 §§ 2 V 3 1. HS, 2 a VII 4, 13 S. 2 BBauG. 9 §§ 2 VII, 13 BBauG. 10 § 8 III, IV BBauG.

Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

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Genehmigungsbehörde äußern. II Als den eigentlichen Kernpunkt der Beschleunigungsnovelle bezeichnet der Ausschuß ftir Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Ausdehnung der Vorschriften zur Heilung mangelhafter Bebauungspläne. 12 Vor allem der neu eingeftigte § 155 b Abs. 2 S. 2 BBauG bestimmt, daß Mängel im Abwägungsvorgang nur noch erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. Des weiteren werden die Verfahren zur Baulandumlegung, zu den Grenzregelungen und zum Ablauf von Sanierungsmaßnahmen erleichtert und beschleunigt. I3 In bestimmten Bereichen wird vom Genehmigungserfordernis abgesehen. 14 Nennenswert sind auch die §§ 155 Abs. 2, 164 BBauG. Denn bei der vorzeitigen Besitzeinweisung entflillt im Interesse der Beschleunigung die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Teilweise wird das materielle Baurecht geändert, damit gewisse Bauvorhaben eher genehmigt werden kön15 nen.

11. Die Zeit im unmittelbaren Anschluß an die Regierungserklärung vom 13. Juli 1983 Bereits am 4. Mai 1983 kündigte der Bundeskanzler im Deutschen Bundestag Maßnahmen zur Vereinfachung des Rechts und zur Beseitigung von Überreglementierungen an. Am 13. Juli 1983 beschloß die Bundesregierung, sich schwerpunktmäßig mit der Entbürokratisierung, Rechts- und Verwaltungsvereinfachung zu befassen. 16 Zu ihrer Unterstützung setzte sie dabei eine Unabhängige Expertenkommission ftir Rechts- und Verwaltungsvereinfachung unter der Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesinnenministerium Herrn Dr. Waffenschmidt ein,17 welche bis heute eine Vielzahl von Stellungnahmen abgegeben hat. 18 In der Anfangszeit konzentrierte sich der Gesetzgeber hauptsächlich auf das Ziel der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung,

11 §§ 19 IV 7, 36 II 1 BBauG. Außerdem muß gern. § 19 IV 3 BBauG die Genehmigungsbehörde innerhalb von drei Monaten über die beantragte Teilungsgenehmigung entscheiden. 12 BT-Drs 8 / 2885, S. 35. 13 Vgl. im einzelnen BGBI 1952 ff., 957 ff. 14 BT-Drs 8 / 2451, S. 20; 8/2885, S. 33. 15 .. Vgl. z.B. die Erweiterung der Befreiungsmöglichkeit in § 31 II BBauG sowie die Anderung der §§ 34, 35 BBauG. 16 Vgl. auch BT-Drs 12/6923, S. 4. 17 Vgl. dazu Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 76. 18 Vgl. dazu Sachverständigenrat ,,schlanker Staat" (Fn. 5), Abschlußbericht, S. 11 m.w.N.; Busse, DÖV 1996,389 (390) m.w.N.

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ohne dem Beschleunigungsaspekt ein besonderes Gewicht beizumessen. Beispielsweise verfolgte er mit dem Ersten l9 und dem Zweiten20 Rechtsbereinigungsgesetz im Jahre 1986 folgende Ziele: Ein Teil der Änderungen soll Erleichterungen rur den Bürger, die Verwaltung und die Wirtschaft bringen, indem Zuständigkeitsregelungen aufgelockert, Doppelzuständigkeiten abgebaut sowie Genehmigungs- und Anzeigepflichten beseitigt werden. Verwaltungsund Verfahrensregelungen werden veränderten Verhältnissen angepaßt oder aufgehoben, wenn sie zwischenzeitlich gegenstandslos geworden sind. Außerdem werden sonderrechtliche Verfahrensvorschriften dem Bundesverwaltungsverfahrensgesetz angeglichen. 21 Erst gegen Ende der 80er Jahre kristallisierte sich zunehmend die Notwendigkeit heraus, in gewissen Gebieten speziell die Dauer von Verwaltungsverfahren zu verkürzen. Ursache hierfilr war einerseits, daß infolge der Wiedervereinigung die Verhältnisse in den neuen Bundesländern möglichst rasch an den Standard der anderen Bundesländer angenähert werden sollten. 22 Zum anderen wurde ganz allgemein bemängelt, daß Genehmigungsverfahren rur gewerbliche und industrielle Neuansiedlungen sowie rur •• .. 23 dIe ErweIterung oder Anderung bestehender Anlagen zu lange dauerten.

BGBI I 265 ff., 560 ff. BGBI I 2441 ff. Daneben gibt es das Dritte Rechtsbereinigungsgesetz vorn 28.6.1990 (BGBI I 1221 ff.), in welchem in §§ 17 IV BFemStrG, 36 IV BBahnG, 17 Nr. 1 BWasserstraßenG materielle Präklusionsvorschriften neu eingeführt bzw. gleich ausgestaltet werden. Vgl. zu Beschleunigungsbestrebungen durch das Dritte Rechtsbereinigungsgesetz B1ümel, in: BIUmel1 Pitschas (Hrsg.), Refonn des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 26. 2\ BT-Drs 10 16356, S. 1 f.; 10 1 5532, S. 1 f.; vgl. dazu Bonk, NVwZ 1997, 320 (321); Ronellenfitsch (Fn. 5), S. 52. 22 Ronellenfitsch, in: Willi BIUmel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 181; Lucia Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 1; Bullinger, DVBI 1992, 1463 (1464 f.); Roland Siegel, Verfahrensbeschleunigung in der Verkehrswegeplanung, 1997, S. 21; Henrik Jacoby, Die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren und das Verfassungsrecht, 1996, S. 4 f.; Hans-Jürgen Ringel, Die Plangenehmigung im Fachplanungsrecht, 1996, S. 1 f., nennt als Grunde die Wiedervereinigung, die Öffnung Osteuropas und den durch den Europäischen Binnenmarkt verstärkten Konkurrenzdruck. 23 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 7. Ronellenfitsch (Fn. 22), S. 181, meint dazu, daß die aktuelle Beschleunigungsdiskussion erst einsetzte, "als die Durchsetzung umweltrelevanter Vorhaben immer schwieriger wurde." Siegel (Fn. 22), S. 25 f.; Jacoby (Fn. 22) erklärt diese Sichtweise mit dem allgemeinen Gedanken des Grundrechtsschutzes durch Verwaltungsverfahren, Bullinger, DVBl 1992, 1463 (1466) mit der allgemeinen Notwendigkeit einer Anpassung der Verwaltung an den rascheren zeitlichen Rhythmus von Wirtschaft und Gesellschaft sowie den zu hohen Kosten für den ohnehin belasteten Staatshaushalt. \9

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Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

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m. Die Empfehlungen der Waffenschmidt-Kommission zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Anlagen Im Jahre 1990 gab die Waffenschmidt-Kommission Empfehlungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren rur Anlagen ab. Diese wurden auf der Grundlage einer Befragung von Beteiligten sowie unter MitberUcksichtigung von Beschleunigungsvorschlägen anderer Institutionen entwickelt. 24 Da gerade bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren die Genehmigungsbehörde, sonstige zu beteiligende Behörden und der Antragsteller in verstärktem Maße zusammenarbeiten müssen, beziehen sich ihre Empfehlungen hauptsächlich auf diesen Bereich. 25 Die Kommission befaßt sich zunächst mit Beschleunigungsmöglichkeiten in der Antragsphase. Hier sei darauf hinzuwirken, daß von Anfang an richtige und vollständige Antragsunterlagen eingereicht werden. Verbesserungen können insoweit durch eine erweiterte Beratungsmöglichkeit rur den Antragsteller - sei es durch Private, die Kommunen, die IHK, die Genehmigungsbehörde selbst oder durch eine Verwendung standardisierter Vordrucke eintreten. 26 Eher skeptisch steht sie dem Vorschlag gegenüber, durch die Einschaltung öffentlich bestellter Gutachter Doppelgutachten zu vermeiden. Denn nur wenige Personen kennen sich mit der Bandbreite der zu beurteilenden Anlagen aus; auch müßten die Behörden das Gutachten selbst würdigen?' Sie empfiehlt, auf das jeweilige Einzelvorhaben abgestimmte Zeitpläne aufzustellen, lehnt aber eine gesetzliche Vorgabe von Regelfristen ab, da sich diese kontraproduktiv auswirken könnten. 28 Genehmigungsverfahren lassen sich durch Koordinationsanstrengungen im Rahmen der Beteiligung anderer Behörden beschleunigen. Zu empfehlen sind hier sog. Stemverfahren, bei denen alle Behörden gleichzeitig beteiligt werden. Die Waffenschmidt-Kommission möchte diese jedoch nicht gesetzlich vorschreiben, da hierfür keine Notwendigkeit besteht und eine generelle Pflicht zur BeitUgung mehrfacher Antragsunterlagen mit erhöhten Kosten verbunden ist. 29 Allen anderen in Betracht zu ziehenden Beschleunigungsmöglichkeiten wie zum Beispiel die Beschränkung der Anzahl der zu beteiligenden Behörden30 oder eine Zustimmungsfiktion bei Nichteinhaltung von Äußerungsfristen3l steht sie eher kritisch gegenüber. Sie betUrwortet jedoch die EintUhrung 24

2S 26

27 28 29 30 31

Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn. Waffenschmidt-Kommission (Fn.

4), 4), 4), 4), 4), 4), 4), 4),

S. 9 ff.,12 ff., 78. S. 12. S. 15 ff., 21 ff., 27 f. S. 19 f. S. 23 ff. S. 44 ff. S. 47 ff. S. 54 ff.

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solcher Regelungen, wonach die Genehmigungsbehörde bei Nichteinhaltung bestimmter Äußerungsfristen davon ausgehen kann, daß die zu beteiligende Behörde gegen das jeweilige Vorhaben keine Einwände hat. 32 Nach Ansicht der Waffenschmidt-Kommission kann eine schnellere Entscheidung durch die Einfilhrung eines Projektmanagements bei der Genehmigungsbehörde 33 sowie eine verbesserte Steuerungs- und Kontrolltechnik zum Beispiel in Form von Mitarbeiterbesprechungen oder Rücksprachen 34 herbeigefilhrt werden. Dagegen will sie das Erstellen von Statistiken zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Funktionsflihigkeit der Genehmigungsbehörde nicht generell als Pflicht vorschreiben. 3s Daß an die Nichteinhaltung vorgegebener Fristen eine Genehmigungsfiktion angeknüpft wird, hält sie mit den staatlichen Schutz- und Vorsorgepflichten sowie den Beteiligungsrechten Dritter filr nicht vereinbar. 36 Die Waffenschmidt-Kommission tritt filr eine Änderung bestimmter immissionsschutzrechtlicher Vorschriften ein. Sie befilrwortet eine Einbeziehung der wasserrechtlichen Erlaubnis in die Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG,37 die Überfilhrung bestimmter Anlagen vom förmlichen ins vereinfachte Genehmigungsverfahren,38 die Einfilhrung eines Anzeigeverfahrens insbesondere filr umweltverbessernde Anlagenänderungen 39 sowie eine Bauartzulassung. 4o Eine Änderung der sachlichen Zuständigkeiten hält sie ebenso wie die Einfilhrung mobiler Teams zur Unterstützung der Genehmigungsbehörde grundsätzlich filr nicht erforderlich. 41 Ein genehmigtes Vorhaben läßt sich schneller in die Tat umsetzen, wenn die Gerichtsverfahren gestrafft werden. Dies kann nach Ansicht der Kommission durch die Einfilhrung einer Zu lassungsberufung sowie von Massenverfahren erreicht werden. 42 Sie spricht sich jedoch gegen eine Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bei einer Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde aus, weil sich im Widerspruchsverfahren Streitigkeiten schnell auf unkomplizierte Weise lösen lassen. 43 Als weitere Beschleunigungsmaßnahmen nennt die Kommission die zunehmende

Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 55. Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 57 ff. 34 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 61 f. 3S Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 62 f. 36 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 54, 63 ff. 37 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 30 ff. 38 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 36 f. 39 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 36, 38 ff. - wobei dem Unternehmer ein Wahlrecht eingeräumt werden soll. 40 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 40 f. 41 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 33 ff. 42 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 65 f. 43 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 65 ff. J2

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Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

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Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen und Datenbanken. 44 Gut qualifiziertes Personal bei der Behörde und beim Antragsteller kann zu einer möglichst raschen Durchfilhrung des Verfahrens beitragen. 45 Auch sollte überlegt werden, ob nicht die Aufsichtsbehörden vermehrt auf eine rasche Verfahrensdurchführung achten sollten. 46 Alles in allem ist filr die Vorgehensweise der Waffenschmidt-Kommission charakteristisch, daß sie sehr sorgflUtig die Argumente filr und gegen einzelne in Erwägung zu ziehende Beschleunigungsmittel darstellt. Jedoch läßt sie teilweise offen, ob sie eine Beschleunigungsmaßnahme befilrwortet oder nicht. 47 Sie macht kaum konkrete Normvorschläge. Oft hält sie zwingende Vorgaben filr entbehrlich, um die Verfahrensbeteiligten nicht zu stark einzubinden oder weil die Praxis die jeweiligen Beschleunigungsmaßnahmen auch ohne gesetzliche Vorgaben ergreift. 48 Sie ist sich zwar bewußt, daß eine Verkürzung der Verfahrensdauer die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland erhöhen kann. 49 Dennoch dürfte der Aspekt der Standortpflege filr die Ausgestaltung ihrer Empfehlungen nicht so wichtig gewesen sein. 50

IV. Die Beschleunigung des Verkehrswegebaus Ab Anfang der 90er Jahre bemühte sich der Gesetzgeber, die Zeitdauer von Planungs- und Zulassungsverfahren filr Verkehrsprojekte zu verkürzen. Ein wesentlicher Auslöser hierfilr war, daß die marode Verkehrssituation in den neuen Bundesländern so bald wie möglich behoben werden mußte. Da nach dem damals geltenden Planungsrecht filr die Verwirklichung größerer Verkehrsvorhaben eine Zeitdauer von bis zu zwanzig Jahren zu veranschlagen war, war eine Abänderung dieses Rechtsgebiets unausweichlich. sl Deshalb erließ der Gesetzgeber neben speziellen Maßnahmegesetzen52 das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 16.12.1991. 53 Dieses regelt zeitlich befristet Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 72 ff. Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 67 ff. 46 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 71 f. 47 Vgl. z.B. Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 41, 51. 48 Vgl. z.B. Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 16,45,62. 49 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 7. 50 Waffenschmidt-Kommission (Fn. 4), S. 9: "Es liegt im allseitigen Interesse, diese Möglichkeiten zu nutzen." 51 Vgl. BT-Drs 12/1092, S. 1,7. 52 Vgl. dazu Z.B. Ronellenjitsch (Fn. 22), S. 192 ff.; Jacoby (Fn. 22), S. 106 ff. 53 BGBI I 2174 ff.; vgl. zur Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes Ronellenjitsch (Fn. 22), S. 185 f., DVBI 1991, 920 (923 ff.) sowie DVBI 1994, 441 (442 f.). Vgl. des 44 45

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die Planung des Baus und der Änderung von Bundesfern- und Bundeswasserstraßen, von Verkehrsflughäfen und Straßenbahnen sowie von Verkehrswegen der Bundeseisenbahnen im Bereich der neuen Bundesländer und im Land Berlin. 54 Neben Regelungen zur Linienbestimmung,55 den Vorarbeiten56 und der vorzeitigen Besitzeinweisung57 modifiziert dieses Gesetz vor allem das Planungs- und Verwaltungsprozeßrecht. Das Plan feststellungs verfahren wird durch die Einfilhrung bzw. Verkürzung von Fristen beschleunigt. Die Anhörungsbehörde wird kraft Gesetzes dazu verpflichtet, binnen eines Monats die Planauslegung und die Einholung von Stellungnahmen anderer zu beteiligender Stellen zu veranlassen. 58 Diese müssen sich innerhalb von drei Monaten äußern. 59 Die Gemeinden müssen den Plan binnen drei Wochen nach Zugang auslegen. 6o Die Erörterung ist drei Monate nach Ablauf der Einwendungsfrist abzuschließen,61 einen Monat danach soll die Anhörungsbehörde ihre Stellungnahme abgeben. 62 Dabei muß sie erst nach dem Erörterungstermin eingegangene behördliche Stellungnahmen nicht mehr berücksichtigen, es sei denn, daß die verspätet vorgebrachten öffentlichen Belange der Planfeststellungsbehörde auch so bekannt sind bzw. hätten bekannt sein müssen. 63 Ein weiterer Beschleunigungseffekt wird dadurch erreicht, daß in gewissen Fällen anstelle eines Planfeststellungsverfahrens eine Plangenehmigung erteilt werden kann, die abgesehen von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung dieselben Rechtswirkungen wie ein Planfeststellungsbeschluß hat. 64 Bei ihr entfällt die Öffentlichkeitsbeteiligung, die Anhörung der Naturschutzverbände und die Durchfilhrung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. 65 Wird ein bestehender Verkehrsweg oder Verkehrsflughafen geändert, findet kein Erörterungstermin statt. 66 Des weiteren war der Gesetzgeber bestrebt die Zeitdauer der Verwaltungsgerichtsweiteren zu diesem Gesetz Blümel, in: BIUmel / Magiera / Merten / Sommermann, Verfassungsprobleme im vereinten Deutschland, 1994, S. 6 ff.; Wagner, NVwZ 1992,232 ff.; Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, 235 ff.; Paetow, in: BIUmel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 213 ff. 54 § 1 I VerkPBG. 55 § 2 VerkPBG. Vgl. dazu auch Wagner, NVwZ 1992, 232 (235). 56 § 6 VerkPBG. 57 § 7 VerkPBG. 58 § 3 I 1 VerkPBG. 59 § 3 I 3 VerkPBG. 60 § 3 11 1 VerkPBG. 61 § 3 III I VerkPBG. 62 § 3 III 2 VerkPBG. 63 § 3 IV VerkPBG. 64 § 4 VerkPBG. 65 Klinski / Gaßner, NVwZ 1992,235 (235 f.); Wagner, NVwZ 1992, 232 (234). 66 § 3 V VerkPBG.

Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

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verfahren zu verkürzen, damit das jeweilige Verkehrsprojekt schon bald realisiert werden kann. Deshalb ist das Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich ZUStändig,67 eine innerhalb sechs Wochen zu begründende Anfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung. 68 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO müssen binnen eines Monats gestellt werden. 69 Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz wurde eine bundesweite Beschleunigung der Planung und Verfahren im Verkehrswege bau gefordert. Unter anderem legte im Mai 1991 eine von der Verkehrsministerkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe "Beschleunigung von Verkehrswegefolanungen" einen Bericht zu bundesweiten Beschleunigungsmöglichkeiten vor. 0 Der Gesetzgeber kam dieser Aufforderung nach, indem er Ende 1993 das sog. Planungsvereinfachungsgesetz erließ. 7! Hintergrund dieses Gesetzes war, daß auch in den alten Bundesländern die Planungsverfahren fUr Verkehrs investitionen viel zu lange dauern und die Bundesrepublik als Transitland in der Mitte Europas über möglichst leistungsfähige Verkehrswege verfUgen soll. Das Planungsvereinfachungsgesetz ordnet deshalb zeitlich unbefristet und räumlich unbeschränkt bestimmte Beschleunigungsmaßnahmen im Bereich der Bundesbahn-, Bundesfernstraßen-, Bundeswasserstraßen-, Personenbeforderungs- sowie Luftverkehrsgesetze an. Die Beschleunigungsmittel gleichen im wesentlichen denjenigen des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes. Es werden Fristen gesetzt,73 verspätet erhobene Einwendungen materiell präkludiert,74 nicht rechtzeitig vorgebrachte behördliche Stellungnahmen müssen nicht berücksichtigt werden, es sei denn, daß sie der Planungsbehörde auch so bekannt sind bzw. hätten bekannt sein müssen,7S und wiederum wird die Plangenehmigung mit Konzentrationswir-

67 § 5 I VerkPBG.

§ 5 II 1, III VerkPBG. § 5 II 2 VerkPBG. 70 Dieser ist auszugsweise abgedruckt in Innenministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Verwaltung 2000, Beschleunigung von Planung und Verfahren im Verkehrswegebau, 1991, S. 67 ff. 7! BGB! I 2123 ff.; vgl. zu dessen Entstehungsgeschichte Ronellenfitsch (Fn. 22), S. 197 f. sowie DVB11994, 441 (445 ff.); Steinberg I Berg, NJW 1994,488 ff.; Kröger I Schulz, NuR 1995,72 ff.; Pasternak, BayVB11994, 616 ff.; Steiner, NVwZ 1994, 313 ff. 72 BT -Drs 12/4328, S. I f., 17. 73 Art. I § 36 d I Nr. I, 2, 3, Art. 2 § 17 lIla, IIIb, IIIc I, 2, 5, Art. 3 § 14 III, § 17 Nr. 1,2,3, Art. 4 § 10 11 Nr. 2, Nr. 3 S. I, Nr. 4, Art. 5 § 29 Ia Nr. 1,2, 3,4. 74 Art. I § 36 dIll, Art. 2 § 17 IV I, Art. 3 § 17Nr. 5, Art. 4 § 10 IV I, Art. 5 § 29 IV l. 75 Art. I § 36 d 11 3, Art. 2 § 17 IV 3, Art. 3 § 17 Nr. I, Art. 4 § 10 11 Nr. 3, Art. 5 § 29 IV 3. 68

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kung eingellihrt. 76 Bei der Änderung bereits existierender Verkehrswege kann von einer fönnlichen Erörterung und der Durchllihrung einer Umweltverträglichkeitsprüfung abgesehen werden, wenn die Betroffenen anderweitig Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. 77 In Fällen von unwesentlicher Bedeutung können Planfeststellung und Plangenehmigung ganz entfallen. 78 Zur Verstärkung des Beschleunigungseffekts werden wiederum Maßnahmen zur Verkürzung der Dauer etwaiger Verwaltungsgerichtsverfahren angeordnet. Allerdings ist nach dem Planungsvereinfachungsgesetz in der Regel das Oberverwaltungsgericht erstinstanzlieh zuständig. 79 Kraft Gesetzes sind Abwägungsmängel nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. 80 Bei derartigen Mängeln können der Planfeststellungsbeschluß oder die Plangenehmigung nur noch aufgehoben werden, wenn der jeweilige Fehler nicht durch Planergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. 8l Insgesamt wollte der Gesetzgeber durch die Angleichung der Bundesverkehrswegegesetze eine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung herbeillihren. 82 Dies ist ihm von der Tendenz her gelungen. Da aber die jeweiligen Änderungsartikel des Planungsvereinfachungsgesetzes in ihrer Entstehungsgeschichte nicht immer unumstritten waren, ist der Nonntext der einzelnen Verkehrswegegesetze, insbesondere was den einstweiligen Rechtsschutz anbetrifft, nicht immer völlig identisch. 83

v. Das Wohnungsbauerleichterungsgesetz vom 17. Mai 199084 Im Jahre 1989 bestand in den alten Bundesländern eine starke Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Gründe hierfür waren einerseits die ausgezeichnete Art. I § 36 b 11, Art. 2 § 17 Ia, Art. 3 § 13 Ia, Art. 4 § 8 11, Art. 5 § 28 la. Art. 1 § 36 d I Nr. 4, Art. 2 § 17 IIIc 2, Art. 3 § 17 Nr. 4, Art. 4 § 10 Nr. 5, Art. 5 § 29 la Nr. 5. 78 Art. 1 § 36 b III, Art. 2 § 17 11, Art. 3 § 13 Ib, Art. 4 § 8 III, Art. 5 § 28 11. 79 Art. 7. 76 71

80 Art. 1 § 36 d VI I, Art. 17 Vlc 1, Art. 3 § 19 IV 1, Art. 4 § 10 VIII I, Art. 5 § 29 VIII I. 81 Art. 1 § 36 d VI 2, Art. 2 § 17 Vlc 2, Art. 3 § 19 IV 2, Art. 4 § 10 VIII 2, Art. 5 § 29 VIII 2. 82 BT-Drs 12/4328, S. 2,17. 83 Vgl. hierzu Steiner, NVwZ 1994, 313 (314 ff.). Vgl. zu den unterschiedlichen Formulierungen bei der Plangenehmigung Steinberg, NuR 1996, 6 (11) und den unterschiedlichen Ausgestaltungen des einstweiligen Rechtsschutzes in Art. 1 § 36 d IV, Art. 2 § 17 VIa, Art. 3 § 19 11, Art. 4 § 10 VI, Art. 5 § 29 VI Ronellenfitsch (Fn. 22), S. 206 f. 84 BGBI I 926 ff.; vgl. dazu Jäde, UPR 1991,50 ff.; Mönch, NVwZ 1990,918 ff.

Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

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Wirtschaftsentwicklung als auch der unerwartet hohe Zustrom von Aus- und Übersiedlern auf dem Wohnungsmarkt. 85 Durch den Erlaß des zeitlich befristeten Baugesetzbuchmaßnahmengesetzes wollte der Gesetzgeber dafür sorgen, daß Wohnbauland möglichst schnell ausgewiesen wird und auf rasche Weise neuer Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann. 86 Dabei wurden die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Beschleunigungsmaßnahmen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erweitert. 87 Bei dringendem Wohnbedarf werden die Anforderungen des materiellen Rechts modifiziert bzw. gelockert, indem beispielsweise erleichtert Befreiungen erteilt werden können. 88 Andererseits wurde versucht, unter solchen Gegebenheiten die Verfahrensdauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verkürzen. Zu nennen sind hier vor allem die Möglichkeit, von der Bürgerinformation vor der Auslegung des Planes abzusehen,89 die Dauer der Planauslegung auf zwei Wochen zu reduzieren,9O den Bebauungsplan im vereinfachten Verfahren abzuändern, selbst wenn die Grundzüge der Planung berührt werden,91 oder den Trägem öffentlicher Belange aufzugeben, sich innerhalb einer bestimmten Frist oder dem festgesetzten Anhörungstermin zu äußern. Tun sie das nicht, müssen ihre Stellungnahmen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. 92 Des weiteren ist bei anzuzeigenden Bebauungsplänen von der zuständigen Verwaltungsbehörde die Verletzung von Rechtsvorschriften innerhalb eines Monats zu rügen. 93 Bei ausschließlich Wohnzwecken dienenden Vorhaben sind die Teilungsgenehmigung sowie das gemeindliche Einvernehmen bereits innerhalb eines Monats zu erteilen. 94 Wurde ein Genehmigungsantrag nicht spätestens drei Monate nach seinem Eingang abgelehnt, kann er nicht mehr unter Berufung auf die §§ 30, 31 BauGB abgewiesen werden. 95 Nach § 9 BauGBMG sind gewisse Fehler der Bauleitplanung unbeachtlich. Zur schnelleren Realisierung von ausschließlich Wohnzwecken dienenden Bauvorhaben ordnet § 10 Abs. 2 BauGBMG an, daß dagegen erhobene Widersprüche und Anfechtungsklagen Dritter keine aufschiebende Wirkung haben.

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BT-Drs ll /5972, S. 1,9. BT-Drs ll /5972, S. 1,9; BT-Drs 11 /6636, S. 3. Vgl. dazu BT-Drs 11 /6636, S. 22 f. § 4 I BauGBMG. § 2 II BauGBMG. 90 § 2 III BauGBMG. 91 § 2 VII BauGBMG. 92 § 2 IV, V BauGBMG. 93 § 2 VI BauGBMG. 94 § 5 II, III BauGBMG. 95 § 5 IV BauGBMG.

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VI. Das Investitions- und Wohnbaulandgesetz vom 22. April 1993 Mit dem Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland vom 22.4.1993 (BGBI I 466 ff.) verfolgte der Gesetzgeber zwei Intentionen. Einerseits will er dadurch die Voraussetzungen für die Erleichterung und Beschleunigung von Investitionen schaffen, um so den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen, aber auch den alten Bundesländern anzukurbeln. Zum anderen soll dadurch der Mangel an Wohnbauland behoben werden. 96 Die in diesem Gesetz enthaltenen Änderungen sind zu vielfältig, um sie alle im Detail zu besprechen. 97 Daher werden im folgenden nur einige Änderungen angesprochen, bei denen der Aspekt der Verfahrensbeschleunigung leitend war. Im Bereich des Baurechts sieht § 246 a BauGB fUr die neuen Bundesländer einige Verfahrensvereinfachungen und -beschleunigungen vor. 98 Auch dort sind von nun an die Vorschriften des Baugesetzbuchmaßnahmengesetzes maßgeblich. 99 Bundesweit wird der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 BauGBMG ausgedehnt, indem die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bereits bei nur dem vorübergehenden Wohnen dienenden Vorhaben entfällt. Ein dagegen gerichteter Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO kann grundsätzlich nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Genehmigung gestellt werden. 100 Daneben werden die vertraglichen Elemente im Städtebaurecht verstärkt. 101 Ein aus dem Flächennutzungsplan entwickelter Bebauungsplan ist bei dringendem Wohnbedarf nicht der höheren Verwaltungsbehörde anzuzeigen. 102 Durch den neu geschaffenen § 8 a BNatSchG soll eine Beschleunigung erreicht werden. Die gesetzliche Regelung des Verhältnisses zwischen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und der Bauleitplanung bewirkt, daß die Belange des Naturschutzes

96 BT-Drs 12/3994, S. 1,22 f.; 12/4047, S. 1; vgl. zu seiner Entstehungsgeschichte Krautzberger / Runkei. DVB11993, 453 (453 f.) m.w.N. 97 Vgl. zu den einzelnen Änderungen Krautzberger, NVwZ 1993,520 ff.; Krautzberger / Runkei, DVBI 1993, 453 ff.; Fluck, DB 1993, 2011 ff.; Gaßner / Schmidt, NVwZ 1993,946 ff.; Thoma, BayVBI 1994, 137 t1; Busse, BayVBI 1993, 193 ff., 231 ff.; Lüers, LKV 1993, 185 ff. 98 BT-Drs 12/3944, S. 22 f. 99 BT-Drs 12/3944, S. 22 f. § 19 I 1 BauGBMG, wobei nach § 19 I 2 BauGBMG gewisse Vorschriften auch unabhängig von einem dringenden Wohnbedarf zur Anwendung kommen. 100 § 1011 2 BauGBMG. 101 §§ 6, 7 BauGBMG. 102 § 2 VI BauGBMG.

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und der Landschaftspflege nur einmal pro Vorhaben geprUft werden. 103 Bei den Raumordnungsverfahren werden Fristen für einzelne Verfahrensschritte vorgegeben,I04 eine UmweltverträglichkeitsprUfung wird nicht mehr zwingend vorgeschrieben. 105 Teilweise kann von Raumordnungsverf3.hren abgesehen werden,l06 in den neuen Bundesländern auch dann, wenn ansonsten bedeutsame .. Investitlonen unangemessen verzögert würden. 107 Weitere Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren wurden vor allem im Bereich des Abfall- und Immissionsschutzrechts angeordnet. Für ortsfeste Abfallentsorgungsanlagen ist nicht mehr ein Planfeststellungsverfahren, sondern ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen. l08 Dadurch wird die Beteiligung der Naturschutzverbände und die Vornahme einer AlternativenprUfung entbehrlich. l09

Bei Deponien kann unter erweiterten Voraussetzungen an die Stelle eines Planfeststellungsverfahrens eine Plangenehmigung treten. llo Im Immissionsschutzrecht wurden die Voraussetzungen für eine Teilgenehmigung erleichtert lll und das förmliche Verfahren durch die Einführung einer Regelfrist, innerhalb derer über die Genehmigung zu entscheiden ist,112 gestrafft. Die Konzentrationswirkung des § 13 BlmSchG wird auf wasserrechtliche Entscheidungen mit Ausnahme der wasserrechtlichen Erlaubnisse und Bewilligungen ausgedehnt. § 15 Abs. 2 BlmSchG ermöglicht es, bei unwesentlichen Anlagenänderungen unter bestimmten Voraussetzungen von ihrer öffentlichen Bekanntmachung abzusehen. Weiterhin wurden die Vorschriften über den vorzeitigen Beginn I 13 und die Bauartzulassung ll4 verbessert bzw. erweitert. Parallel dazu wurden in der 103 BT-Drs 12/3944, S. 25 f. Zugleich soll dadurch ein vorsorgender Umweltschutz durch die Vorverlagerung der Entscheidung über ökologische Belange in die Bauleitplanung sowie die Durchführung und Finanzierung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sichergestellt werden. 104 § 6 a VIII ROG. 105 § 6 a I ROG. Vgl. dazu Fluck, DB 1993,2011 (2011); Busse, BayVBI 1993,231 (234 f.). 106 § 6 a III ROG. 107 § 6 a XII ROG. 108 § 7 I AbfG.

109 Fluck, DB 1993,2011 (2012); Gaßner / Schmidt, NVwZ 1993,946 (947 ff.). Sofern die Anlage im v~reinfachten immissionsschutzrechtlichen Verfahren genehmigt wird, entflUit auch die Offentlichkeitsbeteiligung und die Durchführung einer UVP (vgl. dazu Reiner Schmidt, Einführung in das Umweltverwaltungsrecht, 4. Aufl., 1995, § 5 Rz.24). 110 § 7 III AbfG. 111 § 8 BlmSchG, wobei die Änderung vor allem der KlarsteIlung dient. 112 § 10 Via BlmSchG. JJ] § 15 a BlmSchG. 114 §§ 23 I Nr. 5, 33 BlmSchG.

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4. BImSchV 115 unter anderem die Zuordnung von Anlagen zum vereinfachten oder förmlichen Verfahren geändert und das Genehmigungsverfahren für Versuchsanlagen erleichtert. In engem Zusammenhang zum Investitions- und Wohnbaulandgesetz stehen gewisse Änderungen der 9. BlmSchV. 116 Dort wird nunmehr in § 2 Abs. 2 S. 3 die Antragsberatung näher konkretisiert; insbesondere soll frühzeitig abgeklärt werden, welche Antrafsunterlagen benötigt werden, wie das Verfahren beschleunigt werden kann 11 und welche Behörden am Verfahren zu beteiligen sind. Nach § 11 S. 2 der 9. BlmSchV sollen die Akten sternförmig an die zu beteiligenden Stellen versendet werden, welche ihre Stellungnahmen binnen eines Monats abgeben sollen. Gemäß § 13 Abs. 2 S. 2 9. BlmSchV werden Gutachten des Antragstellers, die in Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde in Auftrag gegeben wurden, als Sachverständigengutachten behandelt. Darüber hinaus werden in den neuen Bundesländern gewisse Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung modifiziert. In bestimmten Streitigkeiten wird die Zulassungsberufung eingeführt und der Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen drittbegünstigende Verwaltungsakte angeordnet sowie die abstrakte Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zeitlich befristet. 1I8

VII. Anregungen der Bundesländer zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren Um die Wettbewerbsfahigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu sichern, haben auch die Bundesländer Überlegungen zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren angestellt. 119 Dementsprechend hat der Bundesrat Ende September 1994 den Entwurf eines

BGBI1993 1383; genauere Ausftlhrungen dazu in BT-Drs 12/6923, S. 9 ff. BGBI 1993 I 494. Vgl. dazu auch den Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeiten einer weiteren Beschleunigung und Vereinfachung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, BT-Drs 12/6923. Dabei verweist die Bundesregierung darauf, daß ftlr sie bestimmte Beschleunigungsmaßnahmen nicht in Betracht kommen, weil diese auch ohne gesetzliche Vorgaben von der Praxis ergriffen würden (S. 5, 15,23) bzw. der Bund nicht in den Kompetenzbereich der Länder eingreifen dürfe (S. 13, 14, 15). 117 § 2 11 3 Nr. 5 9. BImSchV geht dabei von der Institution eines behördlichen Verfahrensbevollmächtigten aus, der zu seiner Unterstützung einen sachverständigen Dritten beiziehen kann (so auch BT-Drs 12/6923, S. 12). 118 Art. 13 des Investitions- u WohnbaulandG. 119 Nachweise zu Überlegungen auf Landesebene bei Ronellenfitsch (Fn. I), S. 23 Fn. 11; Stephan Schulte. Möglichkeiten zur Beschleunigung baulicher Vorhaben, 1996, S. 22 Fn. 14 f.; Schmidt-Kötters (Fn. I), Fn. 7, 10. 115

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Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vorgelegt,120 welcher inhaltlich einen Gesetzesantrag des Freistaates Bayern aUfgreift. 121 Damit gewisse Vorhaben schneller realisiert werden können, sollen die Verwaltungsgerichtsverfahren gestrafft werden. Der Bundesrat hat daher unter anderem vorgeschlagen, die Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle von einer Füntjahresfrist und einer subjektiven Rechtsverletzung abhängig zu machen,122 das Beweisantragsrecht bei Massenverfahren einzuschränken 123 sowie die Zu lassungsberufung und eine allgemeine Wertgrenze für Beschwerden einzuführen. 124 Die Verwaltung soll auch während des Gerichtsverfahrens ihr unterlaufene Fehler korrigieren oder Ermessenserwägungen ergänzen können. 125 Den Ländern soll es ermöglicht werden, durch spezialgesetzliche Anordnung die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auszuschließen,126 eine abgewiesene Anfechtungsklage soll trotz Einlegung eines Rechtsmittels keine aufschiebende Wirkung entfalten. 127 Besonders hervorzuheben ist auch der im Mai 1995 vom Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 128 dessen Inhalt weitgehend auf einen Gesetzesvorschla~ der baden-württembergischen Landesregierung vom Mai 1994 zurückgeht. 19 1m Bereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes tritt er rur eine Positivierung des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung, 130 eine Absenkung der Grenzzahl rur Massenverfahren, \31 die Heilung bestimmter Verfahrens- und Formfehler auch noch während des Gerichtsverfahrens 132 sowie die Ausdehnung des § 46 VwVfG auf Ermessensentscheidungen 133 ein. Das allgemeine Planfeststellungsrecht soll in Anlehnun~ an die Beschleunigungsmaßnahmen im Verkehrswegebau geändert werden. 1 4 Im Immissionsschutzrecht soll die Regelung über den BT-Drs 12/8553. BR-Drs 327 / 94. 122 BT-Drs 12/8553, S. 4, 8, 9 f. 123 BT-Drs 12/8553, S. 5, 8, 13. 124 BT-Drs 12/8553, S. 5 f., 8, 13 f. 125 BT-Drs 12/8553, S. 5, 8, 12, 13. 126 BT-Drs 12/8553, S. 4, 11. 127 BT-Drs 12/8553, S. 4, 9, 11 f. 128 BT-Drs 13 / 1445. 129 BR-Drs 422 / 94; Ronellenfitsch (Fn. 5), befaßt sich auf S. 60 f. mit der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzentwurfs. 130 BT-Drs 13 / 1445, S. 4, 6. 131 BT-Drs 13 / 1445, S. 4, 6 f. \32 BT-Drs 13 / 1445, S. 4, 7. 133 BT-Drs 13 / 1445, S. 4, 7. 134 BT-Drs 13 / 1445, S. 4 f., 7. 120 121

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vorzeitigen Beginn auf neu errichtete Anlagen und den Probebetrieb, 135 das in § 38 BauGB enthaltene Standortprivileg auf überörtliche Planungen für öffentlich zugängliche Abfallentsorgungsanlagen 136 ausgedehnt werden.

VIII. Die Schlichter-Kommission Am 24.2.1994 hat die Bundesregierung eine unabhängige Expertenkommission mit dem Ziel eingesetzt, weitere Verfahrensvorschläge zur Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren auszuarbeiten. Anfang Dezember 1994 legte diese sog. Schlichter-Kommission ihren Abschlußbericht vor. 137 Ausgangspunkt ihrer weitreichenden Änderungsvorschläge ist, daß kürzere und einfacher ausgestaltete Verwaltungsverfahren maßgeblich dazu beitragen können, die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu erhalten und, wenn möglich, sogar zu erhöhen. 138 Wirtschaftsunternehmen, welche ihre Produkte sehr schnell auf den Markt bringen, können dadurch Wettbewerbsvorteile erzielen. 139 Für viele Unternehmer ist es wichtig, möglichst rasch auf veränderte technische oder marktwirtschaftliche Gegebenheiten zu reagieren. 140 Entsprechend ihrem Arbeitsaufirag 141 hat die Schlichter-Kommission konkrete Vorschläge entwickelt, welche für Investitionen und damit für das Wirtschaftswachstum sowie die Beschäftigung bedeutsam sind. Bei ihrer Ausarbeitung hat sie sich hauptsächlich an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert. 142 Zugleich wollte sie aber auch den Belangen des Dritt- und Umweltschutzes sowie europarechtlichen Vorgaben ausreichend Rechnung tragen. 143 Der Hauptvorschlag der Schlichter-Kommission besteht darin, die Planungsund Genehmigungsverfahren zukünftig entsprechend einem sog. offenen Beschleunigungsmodell auszugestalten. 144 Dadurch soll den Unternehmern zuBT-Drs 13 / 1445, S. 5, 7. BT-Drs 13 / 1445, S. 5, 8. 137 Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1994 (sog. Schlichter-Kommission). Vgl. dazu auch Schlichter, DVBI. 1995 173 ff.; Eckert (Fn. 22), S. 10 ff.; SchmidtKötters (Fn. 1), S. 49 ff. \38 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 4, 142, 147,201,206,220. 139 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 4,121,137,214. 140 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 4, 122, 138, 140, 142,214. 141 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 001. 142 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 201, 205. 143 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 005 f., 200, 216, 233 ff., 401 ff. 144 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 005, 133,200 ff. 135

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mindest in einem gewissen Maße die Gelegenheit gegeben werden, durch eigenes Verhalten aktiv auf die Dauer von Genehmigungsverfahren einzuwirken. 145 In Bereichen, in denen die Verwaltung ganz allgemein auf den durchschnittlichen Eilbedarf eines Investors Rücksicht nehmen soll, kann per Gesetz oder Verwaltungsvorschrift allgemein und zwingend eine Beschleunigung angeordnet werden (sog. Regelbeschleunigung).146 Ist es einem Unternehmen dagegen besonders wichtig, seine Leistungen so schnell wie möglich auf dem Markt anzubieten, soll es durch die Wahl bestimmter weiterer Beschleunigungsmittel die Zeitdauer der Genehmigungsverfahren noch mehr verkürzen können (sog. Sonderbeschleunigung nach Wahl).147 Diese Sonderbeschleunigung läßt sich auf zweierlei Weise, nämlich als Auswahl- oder Angebotsbeschleunigung ausgestalten: Bei der Auswahlbeschleunigung sieht das Gesetz selbst eine Reihe von Beschleunigungsmöglichkeiten vor, zwischen denen der Investor auswählen kann. 148 Demgegenüber wird die Verwaltung bei der Angebotsbeschleunigung dazu ermächtigt und verpflichtet, auf Wunsch des Unternehmers eine geeignete Palette an zusätzlichen Beschleunigungsmaßnahmen auszuarbeiten bzw. ihn über weitere Beschleunigungsmöglichkeiten zu beraten. 149 Von diesen Beschleunigungsmöglichkeiten sieht die Schlichter-Kommission die Angebotsbeschleunigung als am erfolgversprechendsten an. Während die Verwaltung eine gesetzlich vorgeschriebene Regel- und Auswahlbeschleunigung oft als Kritik an ihrer bisherigen Arbeitsweise empfmden und sich zum Beispiel angesichts zu wenig Personal kaum zur Realisierung der gesetzlichen Vorgaben in der Lage sehen wir.d, kann sie bei der Angebotsbeschleunigung sowohl ihre eigenen Bedürfnisse als auch die des Investors ausreichend berücksichtigen. 150 Als möglicherweise in Betracht kommende Beschleunigungsmittel nennt die Kommission unter anderem die Einführung beweglicher Verfahrensabläufe, 151 eine frühzeitige Abstimmung zwischen der unternehmerischen Planung und der behördlichen Kontrolle bis hin zu deren vollständiger Parallelisierung,152 eine sternfOrmige Beteiligung aller Behörden bzw. die Einführung einer Antragskonferenz, 153 die alsbaldige Zuziehung behördlich anerkannter Sachverständiger bei der Sachverhaltsermittlung, 154 die Erteilung einer Rahmengenehmigung 145 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 133,209,211,219 ff. 146 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 005, 200, 210, 222, 245. 147 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 005, 200, 211, 213, 245, 276. 148 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 211, 213, 223, 226. 149 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 211, 213, 224 ff., womit zugleich ein administrativer Standortwettbewerb (Rz. 217 f.) verbunden ist. ISO Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 222 ff. 151 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 248 ff. 152 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 250 ff., 259 ff. 153 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 256 f. 154 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 255, 269. 3 Speyer

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bzw. die Einftlhrung gestreckter Genehmigungsverfahren, ISS die Übertragung der Durchftlhrung einzelner Verfahrensschritte auf besonders verantwortliche Personen 156 oder daß der Investor selbst verfahrensentlastende Eigenbeiträge erbringt. 157 Bei Wahl der Sonderbeschleunigung muß der Unternehmer damit zusammenhängende Nachteile wie erhöhte Eigenleistungen in Kauf nehmen oder auf bestimmte Rechtswirkungen der Genehmigung verzichten. 158 Nimmt die Behörde zum Beispiel aus Gründen der Zeitersparnis eine verkürzte oder nur oberflächliche Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen vor, kann die erteilte Genehmigung keine so weitgehende Bestandskraft entfalten. 159 Wird bei der Erteilung einer Genehmigung auf die Verfahrensbeteiligung Dritter verzichtet, kann sie nicht privatrechtsgestaltend in Form des Ausschlusses zivilrechtlicher Abwehransprüche wirken. 160 Bei dem offenen Beschleunigungsmodell können also die Unternehmen ausgehend von ihren individuellen Bedürfnissen entscheiden, ob sie ein eher lang andauerndes Genehmigungsverfahren oder eine im verkürzten Verfahren erteilte Genehmigung mit größeren Risiken wünschen. 161 Folge davon ist, daß die Genehmigungsverfahren im Gegensatz zu bisher flexibel,162 nachfragegerecht l63 und kooperativ l64 ausgestaltet werden müssen. Sodann hat die Schlichter-Kommission auf über 140 Seiten Einzelvorschläge zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren erarbeitet. Aus Platzgründen können hier aber nur einige besonders bedeutsame Änderungsvorschläge vorgestellt werden. Was das Verwaltungsverfahrensgesetz anbetrifft, empfiehlt die Schlichter-Kommission, einen eigenen Abschnitt über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren einzuftlgen. Gemäß § 71 a ihres Entwurfs soll dort die Regel- und Sonderbeschleunigung ausdrücklich normiert werden. Der Ablauf des Verfahrens soll unter anderem durch Vorantragskonferenzen, eine gezielte Beratung des Antragstellers, die sternförmige Versendung von Akten, eine grundsätzliche Präklusion verspätet vorgebrachter Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange sowie durch eine gemeinsame Besprechung mit allen am Verfahren Beteiligten be-

Schlichter-Kommission (Fn. Schlichter-Kommission (Fn. 157 Schlichter-Kommission (Fn. 158 Schlichter-Kommission (Fn. 159 Schlichter-Kommission (Fn. 160 Schlichter-Kommission (Fn. 161 Schlichter-Kommission (Fn. 162 Schlichter-Kommission (Fn. 163 Schlichter-Kommission (Fn. 164 Schlichter-Kommission (Fn. ISS

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137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz. 137), Rz.

272 ff. 275 ff. 286 ff. 005, 215, 294 ff. 296 f., 301. 299 f. 133, 135, 139,215,220. 005, 200, 207, 212, 218, 219. 200, 207, 218, 219, 221. 200, 219, 227, 230 ff.

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schleunigt werden können. 165 Im Planfeststellungsrecht hält die SchlichterKommission eine verfahrensverkürzende Änderung des § 73 VwVfG rur notwendig. Es sollen Fristen eingeruhrt bzw. verkürzt werden, verspätet vorgebrachte Einwendungen werden materiell präkludiert, nicht rechtzeitig vorgebrachte Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange brauchen bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden. 166 Auf Wunsch des Unternehmers ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Plangenehmigung zu erteilen. 167 Abwägungsmängel im Planfeststellungsverfahren sollen nur noch beachtlich sein, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. 168 Im Immissionsschutzrecht schlägt die Schlichter-Kommission unter anderem folgende Änderungen vor: Nebeneinrichtungen zu Anlagen sollen vom immissionsschutzrechtlichen Genehmigungserfordernis freigestellt werden. 169 Es sollen vermehrt sog. Anzeigeverfahren eingeruhrt werden, denen unter Umständen eine Konzentrationswirkung zukommen kann. Auf Wunsch des Vorhabenträgers sollen die Errichtung von Anlagen ohne bzw. von geringer Umweltrelevanz sowie umweltverbessernde oder geringfügige Anlagenänderungen nur noch geraume Zeit vor ihrer Durchruhrung den Behörden angezeigt werden. Abgesehen von diesen Erleichterungen müssen die Anlagen aber nach wie vor dem materiellen Recht entsprechen. '70 Über diesen Vorschlag hinausgehend erwägt die Schlichter-Kommission, ob eine Änderungs- oder Neugenehmigung eines Vorhabens nicht bereits dann erteilt werden kann, wenn dadurch der bisherige Zustand verbessert wird, sämtliche Anforderungen des materiellen Immissionsschutzrechts aber erst einige Zeit später erfüllt werden. 171 Ein weiterer Beschleunigungseffekt läßt sich durch sog. Rahmengenehmigungen erzielen. Beteiligt sich ein Unternehmen am Umwelt-Audit, braucht die Verwaltung auf Antrag nicht mehr sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen prüfen. Sie soll nur noch die Einhaltung der wesentlichen gesetzlichen Anforderungen kontrollieren und dem Unternehmer die Detailausführung des Vorhabens überlassen. Im Gegenzug verpflichtet sich dieser zu einer laufenden Ei-

165 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 559 ff., 919 ff. Dabei ist zu beachten, daß einige Beschleunigungsmöglichkeiten von Amts wegen, andere nur auf Antrag ergriffen werden können. 166 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 913 ff. 167 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 302. 168 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 918. 169 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 511 ff.; allerdings kann der Investor das strengere Verfahren wählen. 170 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 519 ff., 525 ff., wobei der Bestandsschutz bei einer Anzeige auf jeden Fall geringer als bei einer Genehmigung ist. 171 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 521.

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genkontrolle nach gesetzlich vorgegebenen Qualitätsmaßstäben. 172 Außerdem kann der Investor eine Genehmigung unter dem Vorbehalt weiterer Auflagen beantragen, wenn er nicht sämtliche Stellungnahmen der Fachbehörden abwarten möchte. I?3 Auch bei einer gewöhnlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung läßt sich die Verfahrensdauer verkürzen, wenn der Umfang der notwendigen Antragsunterlagen reduziert wird oder einige dieser Unterlagen erst in einem späteren Verfahrensabschnitt beizubringen sind. I?4 Weitere Vorschläge gehen dahin, Regelfristen zur Prüfung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen einzufUhren, 1?5 die Genehmigungsverfahren bei Nichteinhaltung von Äußerungsfristen durch die Fachbehörden weiterzubetreiben,I?6 vermehrt Teilprüfungen im Rahmen des Genehmigun~sverfahrens auf Private zu übertragen l ?? oder Projektmanager einzuschalten I 8 sowie den Anwendungsbereich einer Zulassung des vorzeitigen Beginns zu erweitern. 179 Nach Ansicht der Schlichter-Kommission sollte das von ihr propagierte offene Beschleunigungsmodell auch im Baurecht aufgegriffen werden: Je nach Größe des Bauvorhabens soll keine Baugenehmigung, eine Baugenehmigung im vereinfachten oder förmlichen Verfahren erforderlich sein. Ab einer bestimmten Größe des Bauvorhabens soll der Bauherr die Möglichkeit haben, dieses im strengeren Verfahren genehmigen zu lassen. 180 Des weiteren regt sie an, daß bereits die Kommunalaufsicht ein verweigertes gemeindliches Einvernehmen ersetzen kann. 181 Im Bereich des Wasserrechts schlägt sie vor, den Anwendungsbereich der Plangenehmigung zu erweitern und die Möglichkeit eines abschnitts- oder stufenweisen Planfeststellungsverfahrens beim Gewässerausbau kraft Gesetzes ausdrücklich zu regeln. 182 Da eine gesetzliche Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren nur Sinn macht, wenn der so erzielte Beschleunigungseffekt nicht wieder durch langwierige Gerichtsverfahren ausgehebelt wird, spricht sich die Schlichter-Kommission fUr weitere Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung aus. Zum einen soll der Gerichtsschutz vorgezogen werden, indem die Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 274, 536, 541 ff. Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 568. 174 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 549 ff., insbes. 552, 553, 558. 175 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 557. 176 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 566 ff. 177 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 539 f. 178 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 562 f. 179 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 571 ff. 180 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 728 ff. 181 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 721 ff. 182 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 652, 655, wobei beide Maßnahmen antragsabhängig ausgestaltet werden sollen. 172

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Gerichtsverfahren bereits während der unternehmerischen Planung bzw. vor Abschluß der Verwaltungsverfahren eingeleitet werden. 183 Zum anderen hat die Schlichter-Kommission mehrere Einzelvorschläge zur zeitlichen Straffung der Gerichtsverfahren nach Erteilung der behördlichen Genehmigung entwickelt. Unter anderem soll eine Normenkontrolle nur noch binnen Jahresfrist erhoben werden können,184 die Möglichkeit zur Einlegung von Rechtsmitteln beschränkt werden 185 und die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen drittbegünstigende Verwaltungsakte nur noch ausnahmsweise eintreten. 186 Der Abschlußbericht der Schlichter-Kommission enthält somit einen sehr umfassenden Katalog an Beschleunigungsmaßnahmen mit konkreten Normvorschlägen. Dabei wird nicht nur versucht, einzelne Rechtsvorschriften im Bereich des besonderen Verwaltungsrechts zu korrigieren, sondern ein allgemeingültiges Beschleunigungsmodell entwickelt. Dementsprechend sollen auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz Vorschriften zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren geändert bzw. neu eingefilgt werden. Vertraute die Waffenschmidt-Kommission noch darauf, daß die Verfahrensbeteiligten häufig von sich aus die erforderlichen Beschleunigungsmaßnahmen ergreifen, möchte die Schlichter-Kommission der Verwaltung gesetzlich vorgeben, wie die jeweiligen Verwaltungsverfahren voranzutreiben sind. Da die entsprechenden Normvorschläge oft als Ist- oder Soll-Vorschriften formuliert sind, wird der Spielraum der Verwaltung bei der Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren teilweise eingeengt. Anders ist es, wenn sie selbst ein Beschleunigungskonzept filr ein Vorhaben ausarbeiten kann. Die Investoren können den Verfahrensablauf beeinflussen, indem die Verwaltungsverfahren sehr häufig auf einen entsprechenden Antrag hin in einer bestimmten Richtung fortzuführen sind. Heute werden die Begriffe des sog. offenen Beschleunigungsmodells, der Regel- und der Sonderbeschleunigung stets mit der Schlichter-Kommission verbunden, welche damit einen entscheidenden Beitrag in der allgemeinen Beschleunigungsdebatte geliefert hat. Ihr Hauptanliegen war es, durch ihre Vorschläge die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu stärken. Allerdings räumt die Schlichter-Kommission selbst ein, daß es keinen konkreten Nachweis dafür gibt, daß in Deutschland die Planungs- und Genehmigungsverfahren länger als im Ausland dauern. 187 Auf jeden Fall Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 263 ff., 1000. Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 1006, welche die Normenkontrolle nicht von einer subjektiven Rechtsverletzung (Rz. 1007 ff.) abhängig machen möchte. 185 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 1016 ff. Nach Rz. 270 ist außerdem zu erwägen, die gerichtliche Sachverhaltsermittlung auf eine gerichtliche Instanz zu beschränken. 186 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 1011 ff. 187 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 004, 123 f., 136 f., 208. 183

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könnten aber etwaige Beschleunigungsmaßnahmen zu einer deutlichen Verbesserung des Images des Wirtschaftsstandorts Deutschland beitragen. 188

IX. Die Ludewig-Kommission Mit der Umsetzung des Abschlußberichts der Schlichter-Kommission befaßte sich eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Koalitionsfraktionen und der Bundesressorts, welche in Anlehnung an ihren Vorsitzenden als LudewigKommission bezeichnet wird. Diese billigte in ihrer im Juni 1995 abgegebenen Stellungnahme die meisten Vorschläge der Schlichter-Kommission. 189 Was den vorgezogenen Gerichtsschutz, das zeitliche Auseinanderziehen oder die Reduzierung der von der Behörde vorzunehmenden Prüfungen bei der Rahmengenehmigung oder bei stärkeren Eigenbeiträgen des Investors anbetrifft, wurden teilweise verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. l90 Manchmal hält die Ludewig-Kommission eine Regelung in den Fachgesetzen für besser als eine allgemeine Regelung. 191 Im Wasserrecht soll die Plangenehmigung anstelle des Planfeststellungsverfahrens unabhängig von einem Antrag des Vorhabenträgers erteilt werden. 192 Ebenso sollte im Baurecht dem einzelnen kein Wahlrecht zwischen den verschiedenen Genehmigungsverfahren eingeräumt werden. 193 Die Ludewig-Kommission spricht sich für zusätzliche Verfahrenserleichterungen bei Anlagen für Zwecke der Forschung, Entwicklung und Erprobung l94 sowie die Normierung des Grundsatzes der Planerhaltung im Planfeststellungsreche 95 aus. Sie billigt den Entwurf der §§ 71 a ff. VwVfG, faßt diesen aber thematisch besser zusammen. 196 Die Vorschläge, auch Deponien dem BundesImmissionsschutzgesetz zu unterstellen, Verfahrenserleichterungen bei einer standortübergreifenden Ersetzung von Anlagen zu gewähren sowie den An-

Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 004, 208. Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Empfehlungen der Arbeitsgruppe aus Vertretern der Koalitionsfraktionen und der Bundesressorts zur Umsetzung der Vorschläge der unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1995 (sog. Ludewig-Kommission). Vgl. auch die Wiedergabe der Äußerungen von Herrn Dr. Ludewig, in: Schlanker Staat (Fn. 5), S. 173 f. 190 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 16, 17, 18,20. 191 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 15, 18, 21, 54. 192 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 53. 193 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 60. 194 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 37 ff. 195 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 25. 196 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 28 ff. 188

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wendungsbereich des § 56 VwVfG zu erweitern, werden abgelehnt. 197 Außerdem soll die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur bei solchen Verwaltungsakten entfallen, welche Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern. 198 Damit bleibt festzuhalten, daß die Ludewig-Kommission das von der Schlichter-Kommission vorgeschlagene offene Beschleunigungsmodell befürwortet. Nur wenige der Empfehlungen wurden abgelehnt oder modifiziert.

x. Die Umsetzung der Beschleunigungsempfehlungen im Jahre 1996

Im Jahre 1996 wurden zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland weitreichende Änderungen des Verwaltungsverfahrens- I99 , Bundes-Immissionsschutz- 2°O und Wasserhaushaltsgesetzes201 sowie der Verwaltungsgerichts202 .. ordnung beschlossen. Dabei hat der Gesetzgeber eine große Anzahl der Anderungsvorschläge der Schlichter- und Ludewig-Kommission aufgegriffen,z°3 Berücksichtigt wurde beispielsweise aber auch der vom Bundesrat beschlossene "Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Wirtschafts standorts Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren",z04 Als wichtige Änderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes sind zu nennen, daß nach § 45 Abs. 2 VwVfG bestimmte Verfahrens- und Formfehler bis 197 Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 23, 31, 35. 198Ludewig-Kommission (Fn. 189), S. 51. Im Gegensatz zur Schlichter-Kommission meint die Ludewig-Kommission auf S. 50, daß die Antragsbefugnis im NormenkontrolIverfahren von einer subjektiven Rechtsverletzung abhängig gemacht werden solle. 199 BGBI I 1354; vgl. dazu z.B. Jäde, UPR 1996, 361 ff.; Hermanns, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, S. 144 ff.; Schmitz / Wessendorf, NVwZ 1996,955 ff.; Stüer, DVB11997, 326 ff.; Bonk, NVwZ 1997,320 ff. 200 BGBI I 1498; vgl. dazu z.B. Schäfor, NVwZ 1997, 526 ff.; Hansmann, NVwZ 1997, 105 ff.; Moormann, UPR 1996, 408 ff.; Wasielewski, LKV 1997, 77 ff.; Meins, BayVBI 1998, 136 ff. 201 BGBI I 1695; vgl. dazu z.B. Spillecke, in: Ministerium rur Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Umweltrecht, 1996, S. 179 ff.; Stüer, DVB11997, 326 (338 ff.). 202 BGBI I 1626; vgl. dazu z.B. Bader, DÖV 1997,443 ff.; Stüer, DVBI 1997,326 (332 ff.); Krämer, LKV 1997, 114 ff.; Schmieszek, NVwZ 1996, 1I51 ff.; Schenke, NJW 1997,81 ff.; Meissner, VBIBW 1997,81 ff. 203 Einen genauen Überblick dazu, inwieweit die Vorschläge der SchlichterKommission vom Gesetzgeber in die Tat umgesetzt wurden, gibt Eckert (Fn. 22) auf S. 15 ff. 204 BT-Drs 13 / 1445.

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zum Abschluß des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können 20s und gemäß § 46 VwVfG nunmehr bestimmte formelle Fehler auch bei Ermessensentscheidungen unbeachtlich sind. In den §§ 71 a ff. VwVfG wurde ein eigener Abschnitt zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, welche die Durchführung wirtschaftlicher Unternehmungen zum Gegenstand haben, eingefUhrt. Das Planfeststellungsrecht wurde in Anlehnung an die Empfehlung der Schlichter-Kommission und die baden-württembergische Gesetzesinitiative geändert. Zusätzlich regelt § 74 VwVfG, daß eine Plangenehmigung einen Planfeststellungsbeschluß ersetzen kann, wenn das jeweilige Vorhaben Rechte anderer nicht beeinträchtigt bzw. die Betroffenen mit dem Vorhaben einverstanden sind und mit den Trägem öffentlicher Belange das Benehmen hergestellt ist?06 In ganz unbedeutenden Fällen können Planfeststellung und Plangenehmigung entfallen?07 Damit sollte das allgemeine Planfeststellungsrecht an die Änderungen des Planungsvereinfachungs- und Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes angeglichen werden?08 In § 75 Abs. la VwVfG ist nunmehr normiert, daß bei beachtlichen Abwägungsmängeln, welche offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind, der Planfeststellungsbeschluß bzw. die Plangenehmigung nur aufzuheben sind, wenn sie nicht durch eine Planergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behebbar sind. Bei den Änderungen des Immissionsschutzrechts hat der Gesetzgeber vor allem die Vorschläge der Schlichter-Kommission zur Änderung des Ablaufs der Genehmigungsverfahren aufgegriffen. § 7 Abs. 1 S. 4, 5 9. BImSchV ermöglicht ein gestrecktes Verwaltungsverfahren. Teilprüfungen sind schon vor Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen vorzunehmen. Unterlagen, deren Einzelheiten für die Beurteilung der Genehmigungsflihigkeit nicht unmittelbar von Bedeutung sind, können bis zum Beginn der Errichtung und der Inbetriebnahme der Anlage nachgereicht werden. Den Behörden wird eine Regelfrist zur Prüfung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen vorgegeben,209 Teilprüfungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens können vermehrt auf Dritte übertragen werden,2\O §§ 11 S. 3, 20 Abs. 1 S. 2 9. BImSchV befassen sich mit nicht fristgemäßen Äußerungen der Fachbehörden. In der 4. BImSchV hat der Gesetzgeber die Zuordnung gewisser Anlagen zum förmlichen bzw. vereinfachten Genehmigungsverfahren verändert, aber an der Genehmigungspflicht

205 Weder die Schlichter-Kommission noch die baden-württembergische Gesetzesinitiative hatten eine derartige Änderung erwogen. 206 § 74 VI Vwvro. 207 § 74 VII VwVfG. 208 BT-Drs I3 /3995, S. 10; I3 /1445, S. 7. 209 § 7 I 1,29. BlmSchV. 210 § 13 II 2 9. BImSchV.

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von Nebeneinrichtungen festgehalten.2~1 Das von der Schlichter-Kommission vorgeschlagene Anzeigeverfahren wurde nur in modifizierter Form übernommen. Während immissionsschutzrechtlich wesentliche Anlagenänderungen nach wie vor genehmigungspflichtig sind, brauchen unwesentliche Änderungen, die sich auf die Schutzgüter des § 1 BImSchG auswirken können, den Behörden nur noch einen Monat vor dem Beginn ihrer AusfUhrung angezeigt werden. 212 Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber die IVU-Richtlinie umsetzen. 213 Eine Ausdehnung der Anzeigeverfahren auf die Neuerrichtung von Anlagen kam nicht in Betracht, da das Bundes-Immissionsschutzgesetz nach seiner momentanen Grundkonzeption nur zwischen genehmigungsbedürftigen und nicht genehmigungs be dürftigen Anlagen unterscheidet und die EinfUhrung einer weiteren Anlagenkategorie die Rechtsanwendung fUr die Praxis erschwert hätte. 214 In § 8 a BImSchG wurden die Voraussetzungen fUr den vorzeitigen Beginn und Betrieb bestimmter Vorhaben erleichtert. Wegen europarechtlicher Vorgaben konnte jedoch bei neuerrichteten Anlagen eine vorzeitige Inbetriebnahme nicht gestattet werden. 2lS Der Gesetzgeber konnte sich nicht dazu durchringen, mit einer sofortigen Umweltverbesserung verbundene Anlagen zuzulassen, wenn alle Anforderungen des materiellen Immissionsschutzrechts erst einige Zeit später erfUllt werden. Auch hat er weitgehend davon abgesehen, den Umfang der von der Verwaltung vorzunehmenden Kontrolle bei Teilnehmern an Öko-Audit-Verfahren zu reduzieren. Begründet wurde dies damit, daß sonst eine Vielzahl von Firmen mittelbar zu einer Teilnahme an dem fUr sie viel zu kostspieligen Öko-Audit gezwungen würde. 216 Insgesamt hat der Gesetzgeber einen Großteil der Vorschläge der Schlichter-Kommission bei der Änderung des Immissionsschutzrechts aufgegriffen. Trotz der teilweisen BefUrchtungen des Bundesrats, daß ein dem Investor vermehrt zugestandenes Wahlrecht zwischen bestimmten Verfahrensarten unnötig Verwaltungskraft

2Il Gründe daflir sind europarechtliche Vorgaben und Differenzierungsschwierigkeiten flir die Praxis. Die Nebeneinrichtungen müßten im übrigen immer noch baurechtlich genehmigt werden. Vgl. dazu Schäfer, in: Rengeling (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - Deregulierung, 1997, S. 147 f. 212 Vgl. §§ 15, 16 BlmSchG. Auf Wunsch des Vorhabenträgers kann er anstelle des Anzeigeverfahrens auch das vereinfachte oder fönnliche Genehmigungsverfahren wählen (§ 16 IV BlmSchG). 213 BT-Drs 13 /3996, S. 9; Schäfer, NVwZ 1997,526 (528); ders. (Fn. 211), S. 153. 214 Schäfer (Fn. 211), S. 148 ff. Allerdings kann die Bundesregierung gemäß § 23 I I Nr. 4 BlmSchG eine Anzeigeverordnung erlassen. 215 BT-Drs 13 / 3996, S. 8. 216 Schäfer, NVwZ 1997, 526 (529); ders. (Fn. 211), S. 152. Lediglich § 4 I 2 9. BImSchV sieht vor, daß die Teilnahme am Öko-Audit im Rahmen der Antragsunterlagen zu berücksichtigen ist. Dabei bleibt die Reichweite dieser Vorschrift unklar. Vgl. dazu Schäfer, NVwZ 1997, 526 (529); Hansmann, NVwZ 1997, 105 (107); Wasielewski, LKV 1997,77 (80).

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binden könnte,217 wurde ihm in den heute geltenden §§ 12 Abs. 2a, 16 Abs. 4, 19 Abs. 3, 23 Abs. la BImSchG relativ weitgehend die Möglichkeit eröffnet, durch eigene Erklärungen den Verfahrensablauf zu beeinflussen. Einige der Vorschläge der Schlichter-Kommission scheiterten an europarechtlichen Vorgaben. Kaum rezipiert wurden Empfehlungen, künftig den Umfang der von der. Verwaltung zu prüfenden Genehmigungsvoraussetzungen zu verringern. Dadurch könnte nach Ansicht der Schlichter-Kommission die Eigenverantwortlichkeit der Industrie gestärkt werden, die sich dann aber beispielsweise gegen gewisse Risiken absichern und einen eingeschränkten Bestandsschutz für ihre Vorhaben hinnehmen muß. 2I8 Im Rahmen der Novellierung der Verwaltungsgerichtsordnung hat der Gesetzgeber abgesehen von der Bestimmung des § 71c Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG den Vorschlag der Schlichter-Kommission, den Gerichtsschutz parallel zum Ablauf der Verwaltungs verfahren einsetzen zu lassen, nicht umgesetzt. Dagegen hat er das Rechtsmittelrecht geändert. Berufung und Beschwerde sind nur zulässig, wenn bestimmte Zulassungsgründe vorliegen und die Rechtsmittel vom Oberverwaltungsgericht zugelassen wurden. 219 Beim einstweiligen Rechtsschutz wurde die Systematik des § 80 VwGO beibehalten. Im Interesse der Verfahrens beschleunigung kann der Gesetzgeber aber bei drittbegünstigenden Verwaltungsakten, insbesondere wenn sie Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, durch Bundes- oder Landesgesetz den Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage anordnen?20 Neu eingefügt wurde § 80 b VwGO, wonach die aufschiebende Wirkung einer abgewiesenen Anfechtungsklage drei Monate nach Ablauf der Begründungsfrist des dagegen eröffneten Rechtsmittels endet. Gemäß §§ 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 7, 94 S. 2, 114 S. 2 VwGO kann die Verwaltung während des Gerichtsverfahrens Verfahrens- und Formfehler heilen sowie Ermessenserwägungen ergänzen. Aus Gründen der Rechtssicherheit wurden die Voraussetzungen für die Einleitung von Normenkontrollverfahren eingeengt.221

BT-Drs 13 13996, S. 12, 14, 15. Schlichter-Kommission, Rz. 135,239 ff., 290 ff., 539, 546, 554, 574. 219 §§ 12411, 124 a, 146 IV, V, VI VwGO. 220 § 80 11 1 Nr. 3, 11 3 VwGO. 221 Gemäß § 47 11 1 VwGO wird diese von einer subjektiven Rechtsverletzung und einer Zweijahresfrist abhängig gemacht. 217 218

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XI. Der Abschlußbericht des Sachverständigenrats "Schlanker Staat" Am 18. Juli 1995 hat die Bundesregierung den Sachverständigenrat "Schlanker Staat" als unabhängiges und externes Gremium unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Rupert Schalz eingesetzt. Dieser hat am 6. Oktober 1997 seinen Abschlußbericht dem Bundeskanzler übergeben. 222 Aufgabe des Sachverständigenrats war es, angesichts der leeren Staatskassen und den veränderten Rahmenbedingungen Konzepte zu einer Verschlankung des Staats zu entwikkeln. 223 Derartige Maßnahmen zum Abbau überflüssiger Bürokratie tragen zumindest mittelbar zu einer Beschleunigung von Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren bei. Wird die Normenflut reduziert, indem sich der Gesetzgeber künftig vor dem Erlaß entsprechender Normen fragen soll, ob für diese insbesondere unter Berücksichti~ung der damit für die Wirtschaft verbundenen Kosten ein Bedürfnis besteht, 24 oder werden staatliche Aufgaben abgeschafft bzw. verlagert,22S wirkt sich dies zumindest teilweise beschleunigend aus. Gleiches gilt beispielsweise für Vorschläge, die Verwaltungseinheiten zu modernisieren, eine leistungstahigere Behördenstruktur und -organisation zu schaffen,226 vermehrt modeme Informationstechniken zu nutzen227 oder die Justiz stärker zu entlasten. 228 Bei einigen Äußerungen des Sachverständigenrats steht aber das Ziel, die Dauer von Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren zu verkürzen, fast gleichberechtigt neben dem Verschlankungsaspekt. So spricht sich der Sachverständigenrat dafür aus, in dem neu zu schaffenden Umweltgesetzbuch nur noch eine einheitliche Vorhabengenehmigung vorzusehen. Auf diese Weise kann eine Qualitätsverbesserung und eine Harmonisierung mit dem medienübergreifenden EG-Recht bewirkt werden. 229 Auch in anderen Bereichen des Ordnungsrechts soll künftig vermehrt die Einheitsgenehmigung mit umfassender Konzentrationswirkung eingeführt werden. Denn die Vermeidung von Parallelverfahren mit inhaltlich gleicher Prüfung hat einen investitionsfördernden und -beschleunigenden Effekt. 230 Des weiteren befürwortet der Sachverständigenrat, bei einer Teilnahme an Öko-Audit-Verfahren den Prüfumfang

222 Sachverständigenrat "Schlanker Staat", Abschlußbericht Band I, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, 1997 (Schlanker Staat). 223 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 5 ff., 199 ff. 224 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 15 ff. 225 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 27 ff., 44 ff., 74 ff. 226 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 35 ff., 108 ff. 227 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 157 ff. 228 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 179 ff. 229 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 85 ff. 230 Schlanker Staat (Fn. 222), S. 89 f.

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der Verwaltung zu reduzieren und damit die betriebliche Eigenverantwortung zu stärken. 23I Das Kapitel XIV des Abschlußberichts befaßt sich ausschließlich mit dem Thema der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. 232 Der Sachverständigenrat ist der Ansicht, daß eine Verkürzung der Dauer von Genehmigungsverfahren sowohl aus ökonomischen und beschäftigungspolitischen Gründen als auch aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig ist. 233 Ihm gefällt das von der Schlichter-Kommission vorgeschlagene offene Beschleunigungsmodell, bei dem die Unternehmen zwischen einem zügigen Genehmigungsverfahren mit größeren Haftungsrisiken oder einer mit einem geringeren Risiko behafteten administrativen Genehmigung üblichen Zuschnitts wählen können. 234 Allerdings sollte der für die Anwendung der §§ 71 a ff. VwVfG entscheidende Begriff der "Genehmigungsverfahren zum Zwecke einer wirtschaftlichen Unternehmung" ausgedehnt werden. Neben den objektbezogenen Vorhaben sollten die §§ 71 a ff. VwVfG auch für subjektbezogene Genehmigungen, die einer gewerblichen Betätigung oder einer Berufszulassung dienen, sowie für sämtliche Baugenehmigungen zur Förderung wirtschaftlicher Unternehmungen gelten. 235 Des weiteren fordert er, eine ausdrückliche Rechtsgrundlage filr den Einsatz von Projektmanagem aufzustellen236 und in §§ 71 a ff. VwVfG weitere Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Beschleunigung aufzunehmen. 237

Xll. Das BauGB 1998 Am 1.1.1998 sind umfangreiche Änderungen im Baugesetzbuch in Kraft getreten. 238 Anlaß filr die Novellierung war das Außerkrafttreten des Baugesetzbuchmaßnahmengesetzes zum 31.12.1997. 239 Durch die Änderungen soll das Recht der Bauleitplanung und der Raumordnung übersichtlicher und einfa-

Schlanker Staat (Fn. 222), S. 90 ff. m Schlanker Staat (Fo. 222), S. 173 ff. 233 Schlanker Staat (Fo. 222), S. 173. 234 Schlanker Staat (Fo. 222), S. 174,177. 235 Schlanker Staat (Fo. 222), S. 174 f. 236 Schlanker Staat (Fo. 222), S. 175 f. 237 Schlanker Staat (Fo. 222), S. 174 f. 238 BGBI 1997 1 2141; vgl. dazu z.B. Fickert, BauR 1997, 947 ff.; Bunzel, NuR 1997,583 ff.; Peine, JZ 1998,23 ff.; Bielenberg, ZfBR 1997,69 ff.; Lüers, ZfBR 1997, 231 ff., 275 ff.; Finkeinburg, NJW 1998, 1 ff.; Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 1997,1145 ff.; Wagner, BayVBI 1998, 161 ff.; Friege, ThürVBI 1998,73 ff., 101 ff.; Dolderer, NVwZ 1998, 567 ff. 239 BT-Drs 13 /6392, S. 1,31,33; 13 /7589, S. 7. 231

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cher gestaltet werden. Überschaubare und zügige Planungsverfahren wirken sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland vorteilhaft aus. 240 Ausweislich der Gesetzesmaterialien wurden bei der Novellierung einige Vorschläge der Schlichter-Kommission sowie der Abschlußbericht der Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs241 berUcksichtigt. 242 Im folgenden werden nur solche Bestimmungen des Baugesetzbuchs erörtert, von denen man sich einen besonderen Beschleunigungseffekt verspricht. Zunächst ging es dem Gesetzgeber darum, bewährte Regelungen zur Beschleunigung der Planaufstellung aus dem Baugesetzbuchmaßnahmengesetz in das neue Baugesetzbuch zu übernehmen. Da generell Investitionen gefördert werden sollen, werden die Beschleunigungsmaßnahmen nicht mehr auf bestimmte Bauvorhaben zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs beschränkt. 243 Übernommen und auf das Aufstellungsverfahren von Flächennutzungsplänen ausgedehnt werden unter anderem die verkürzte Frist bei der wiederholten Auslegung eines Bauleitplanes244 oder die grundsätzliche NichtberUcksichtigung von Stellungnahmen solcher Träger öffentlicher Belange, welche sich nicht binnen eines Monats geäußert haben. 24s Andere Regelungen des Baugesetzbuchmaßnahmengesetzes, wie zum Beispiel das Entfallen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung oder die Möglichkeit, für die Träger öffentlicher Belange einen Anhörungstermin festzusetzen, wurden nicht aufgegriffen, da sie die Praxis nicht umgesetzt hat oder sie nur zu einem ganz geringfügigen Beschleunigungseffekt führten?46 Von weiteren Regelungen des Baugesetzbuchmaßnahmengesetzes wurde abgesehen, weil sie die Planungssicherheit bzw. Planmäßigkeit zu stark beeinträchtigten oder in der Zwischenzeit kein Bedürfnis mehr für sie besteht. 247 Nach dem neu eingefügten § 4 b BauGB, der auf einen allgemeinen Vorschlag der Schlichter-Kommission248 zurückgeht, können die Gemeinden zur Verfahrensbeschleunigung die Vorbereitung und Durchführung einzelner Verfahrensschritte nach den §§ 3-4 a BauGB auf Dritte übertragen. Die Abwägung müssen die Gemeinden aber nach wie vor selbst vorneh-

240 BT-Drs 13 16392, S. 31; 13 17589, S. 7. 241 Bundesministerium fIlr Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Bericht der Expertenkommission zur Novellierung des BauGB vom 28. 10. 1995. 242 BT-Drs 13 16392, S. 31. 243 BT-Drs 13 16392, S. 33; 13 17589, S. 14 f. 244 BT-Drs 13 16392, S. 33, 45; § 3 III 2 BauGB. 245 BT-Drs 13/6392, S. 33,45 f.; § 4 11 I, III 2 BauGB. 246 BT-Drs 13 16392, S. 34. 247 BT -Drs 13 16392, S. 34. 248 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 284.

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men. 249 Sehr umstritten war während des Gesetzgebungsverfahrens, ob aus einem Flächennutzungsplan entwickelte Bebauungspläne vor ihrem Inkrafttreten der höheren Verwaltungsbehörde anzuzeigen sind oder nicht. 250 Nach dem jetzigen § 10 BauGB wird von einer Anzeige abgesehen, weil mit der Reduzierung der staatlichen Kontrolle eine Beschleunigung, eine Aufwertung des Flächennutzungs~lans sowie eine Stärkung der kommunalen Planungshoheit verbunden sind. 2 I Die §§ 11, 12 BauGB regeln die städtebaulichen Verträge, den Vorhaben- und Erschließungsplan, bei denen durch die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde und privaten Investoren Bauland im beiderseitigen Interesse zügig ausgewiesen werden kann. 252 Da in den einzelnen Bundesländern zunehmend bestimmte Bauvorhaben nur noch anzuzeigen oder ganz von einem Genehmigungs- bzw. Anzeigeerfordernis freigestellt sind, hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, die Anwendung der §§ 30 ff. BauGB von den bauordnungsrechtlichen Verfahrensweisen zu lösen. 253 In Umsetzung eines Vorschlags der Schlichter-Kommission254 kann bereits die Kommunalaufsichtsbehörde gemäß § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB ein rechtswidrig verweigertes gemeindliches Einvernehmen ersetzen. 255 § 212 a Abs. 1 BauGB bestimmt, daß Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen alle bauaufsichtlichen Zulassungen eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung entfalten. 256 Auf eine Anregung der Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs wird nunmehr auch im Baurecht der Grundsatz der Planerhaltung normiert (§ 215 a Abs. 1 BauGB). Beachtliche Mängel einer Satzung ruhren nicht mehr zu ihrer Nichtigkeit, sofern der jeweilige Fehler in einem ergänzenden Verfahren behoben werden kann. Mußte früher bei einer Nichtigerklärung das gesamte Verfah~ ren zur Aufstellung eines Bauleitplanes wiederholt werden, genügt es jetzt,

249 BT-Drs 13 /6392, S. 40, 47. Die Einschaltung Dritter war auch nach dem bisherigen Recht möglich. Durch die ausdrückliche gesetzliche Normierung sollen die Gemeinden von dieser Beschleunigungsmöglichkeit verstärkt Gebrauch machen. 250 Ablehnend die Expertenkommission (Fn. 241), Rz. 236 ff., und der Bundesrat in BT-Drs 13 / 6392, S. 102 f.: Nur eine vorherige Kontrolle schaffe flir den Investor Rechts- und Investitionssicherheit, lasse Gerichtsverfahren entbehrlich werden und sei Garant flir ein rechtkonformes und qualitätsvolles Planen der Gemeinden. Dagegen schlug der Bundesrat vor, den Umfang der von der höheren Verwaltungsbehörde vorzunehmenden Prüfung des Flächennutzungsplans zu reduzieren (BT-Drs 13 / 6392, S. 101). 251 BT-Drs 13 /6392, S. 36, 49, 132; 13 / 7589, S. 8, 16. 252 BT-Drs 13 /6392, S. 38, 50 ff. 253 BT-Drs 13 /6392, S. 55. Vgl. den neuen Wortlaut von § 29 I BauGB. Zugleich wurden §§ 14 II1, 15 I 2, 3, 36 I 3 BauGB angepaßt. 254 Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 722. Gemäß Rz. 548 soll auch die Immissionsschutzhehörde das Einvernehmen ersetzen können. 255 BT-Drs 13 /6392, S. 38 f., 60. 256 Vgl. dazu BT-Drs 13 /7589, S. 30.

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wenn allein der fehlerhafte Teil des Verfahrens noch einmal durchgefilhrt wird. 257

XIII. Schlußbetrachtung Wie sich aus den vorausgegangenen Ausfilhrungen entnehmen läßt, gibt es ganz bestimmte Mittel, durch welche die Verfahrensdauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzt werden kann. Typische Beschleunigungsmaßnahmen sind unter anderem die Einfilhrung bzw. Verkürzung von Fristen, die Präklusion von Einwendungen und verspätet vorgebrachten behördlichen Stellungnahmen sowie eine Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Gerade in den letzten Jahren wurde immer detaillierter geregelt, wie Verwaltungsverfahren möglichst rasch zum Abschluß gebracht werden können. Als Beispiele hierfilr sind eine verstärkte Antragsberatung, die stemförmige Versendung von Akten, vermehrte Besprechungen zwischen den Verfahrensbeteiligten sowie die Einschaltung Dritter in das Verwaltungsverfahren, sei es nun als Projektmanager oder Gutachter, zu nennen. Eine Beschleunigung kann dadurch erreicht werden, daß der Umfang der erforderlichen Antragsunterlagen reduziert wird oder gewisse Unterlagen erst in einem späteren Verfahrensabschnitt beigebracht werden müssen. Wegen der sehr langen Verfahrensdauer von förmlichen Verwaltungsverfahren ist der Gesetzgeber zunehmend dazu übergegangen, bei weniger bedeutsamen Vorhaben einfachere Verfahrensarten zur Verfilgung zu stellen. So wird im Planfeststellungsrecht die Plangenehmigung eingefilhrt, teilweise wird ganz auf die Durchfilhrung eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens verzichtet. In anderen Rechtsbereichen werden Anzeigeverfahren vorgesehen oder bestimmte Anlagen vom Genehmigungserfordernis ausgenommen. Je nach Gesetz wird entweder die jeweilige Verfahrensart unmittelbar festgelegt oder dem Antragsteller eine Optionsmöglichkeit filr das strengere Verfahren eingeräumt. Ideale Beschleunigungsmittel sind die Zulassung des vorzeitigen Beginns, Teilgenehmigungen oder Genehmigungen unter Auflagenvorbehalt. Immer mehr wird die Einfilhrung von Einheitsgenehmigungen mit umfassender Konzentrationswirkung gefordert, da hier mehrfache, inhaltlich gleiche Prüfungen der Verwaltung vermieden werden. Ergänzend zu diesen Beschleunigungsmaßnahmen wird die Dauer etwaiger sich anschließender Verwaltungsgerichtsverfahren durch die Einschränkung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln verkürzt, teilweise werden Ausschlußfristen filr 257 Expertenkommission (Fn. 241), Rz. 123; BT-Drs 13 /6392, S. 38, 74; 13 /7589, S. 17. Nicht aufgegriffen wurde der vom Bundesrat vorgeschlagene § 216 a BauGB zur Unbeachtlichkeit von Mängeln städtebaulicher Verträge (BT-Drs 13 / 6392, S. 118 f., 138).

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Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nonniert. Sehr oft wird im Interesse der Beschleunigung spezialgesetzlich vorgesehen, daß Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung entfalten. Außerdem werden die Vorschriften erweitert, aufgrund derer bestimmte Fehler der Verwaltung heilbar oder unbeachtlich sind. Zunehmend wird angeordnet, daß beachtliche Fehler vorrangig im Wege der Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren zu beheben sind. Eher selten entscheidet sich der Gesetzgeber dafUr, an die Nichteinhaltung einer Frist bestimmte Fiktionen, wie zum Beispiel die einer Genehmigung, anzuknüpfen. Vorschläge, den Umfang der von der Verwaltung vorzunehmenden Kontrolle der Einhaltung bestimmter Nonnen zugunsten einer größeren Eigenverantwortung der Vorhabenträger zu reduzieren, werden oft nur zögerlich befolgt. Obwohl auch hier das materielle Recht in vollem Umfang einzuhalten ist, zieht der Gesetzgeber häufig - wohl im Hinblick auf verfassungsrechtliche Vorgaben - eine präventive Vorhabenkontrolle durch die Verwaltung einem nur repressiven, nachträglichen Einschreiten vor. Der Gesetzgeber darf keine Beschleunigungsmaßnahmen ergreifen, welche europarechtlichen Vorgaben widersprechen. Nationales und europäisches Recht können nicht voneinander unabhängig gesehen werden. Allerdings gibt es auch auf der euro~äischen Ebene Bestrebungen zu einer Rechts- und Verwaltungsvereinfachun§.2 8 So hat die Europäische Kommission auf eine Anregung Deutschlands hin S9 im September 1994 eine Gruppe unabhängiger Experten fUr die Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter der Leitung von Herrn Dr. Bernhard Molitor eingesetzt,260 welche eine Straffung und Vereinfachung der Rechtsvorschriften zur Förderung der globalen Wettbewerbsfähigkeit, von Beschäftigung und Wachstum fUr notwendig hält. 261 Obwohl sie sich nicht mit der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren befaßte, sind vor allem ihre Forderungen interessant, durch Zielvorgaben bei den Umweltvorschriften den Mitgliedstaaten und Unternehmen Wahlmöglichkeiten bei ihrer Art der Umsetzung einzuräumen,262 sowie im Bereich der Biotechnologie Arbeiten mit ungefährlichen Organismen von bestimmten Verwaltungsverfahren auszunehmen,263 fUr Tätigkeiten mit niedrigem Risiko Anmeldeverfahren ohne

258 Einen Überblick zu Beschleunigungsbestrebungen auf EG-Ebene geben SchmidtKötters (Fn. I), S. 45 ff., sowie die Schlichter-Kommission (Fn. 137), Rz. 407 ff., 507 f. 259 Vgl. Bernhard Molitor, Deregulierung in Europa, 1996, S. 27 f. 260 Bericht der Gruppe Unabhängiger Experten rur die Vereinfachung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften (Molitor-Bericht); vgl. zu den Arbeitsbedingungen und der Arbeitsweise dieser Kommission Molitor (Fn. 259), S. 29 ff. 261 Molitor-Bericht (Fn. 260), S. 1 ff. 262 Molitor-Bericht (Fn. 260), S. 65. 263 Molitor-Bericht (Fn. 260), S. 80.

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Wartefristen einzufiihren264 sowie nur noch eine einzige Genehmigung vorzusehen, die zur Freisetzung von Organismen auch in anderen Mitgliedstaaten berechtigt. 26s Mit der Änderung der UVP-Richtlinie vom 3.3.1997266 wurden die Vorschriften für das PrUfverfahren zum Zwecke einer harmonisierten und effizienteren Anwendung der Richtlinie deutlicher gefaßt, ergänzt und verbessert. Beschleunigend dürfte sich hier die Bestimmung auswirken, wonach die Mitgliedstaaten nunmehr dafür zu sorgen haben, daß der Öffentlichkeit die Genehmigungsanträge binnen angemessener Zeit zugänglich zu machen sind. 267 Bei Projekten mit grenzüberschreitender Wirkung sollen die beteiligten Mitgliedstaaten einen angemessenen Zeitrahmen für die Dauer der Konsultationsphase vereinbaren,268 der betroffene Mitgliedstaat ist so bald wie möglich zu unterrichten und ihm ist eine angemessene Frist zur Erklärung seiner Teilnahme einzuräumen. 269 Die betroffenen Mitgliedstaaten haben die notwendigen Angaben binnen angemessener Frist den Behörden und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, welche der zuständigen Behörde des Staates, in dem das Projekt durchgeführt wird, ihre Stellungnahmen in angemessener Frist zuleiten sollen. 270 Abzuwarten bleibt, inwieweit sich das dem Projektträger einzuräumende Recht, die zuständige Behörde vor der Einreichung des Genehmigungsantrags zu einer Stellungnahme im Hinblick auf die vorzulegenden Angaben zu veranlassen, beschleunigend auswirken wird. 271 Es ist kaum anzunehmen, daß die Bestrebungen zu einer Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren ihren Höhepunkt erreicht haben. Vielmehr wird ihnen zum Beispiel bei der Schaffung eines Umweltgesetzbuchs einige Bedeutung zukommen. 272 Molitor-Bericht (Fn. 260), S. 80. Molitor-Bericht (Fn. 260), S. 80. 266 ABI 1997 L Nr. 73, S. 5. 267 Art. 6 II UVP-RiLi. 268 Art. 7 IV UVP-RiLi. 269 Art. 7 I UVP-RiLi. 270 Art. 7 III UVP-RiLi. 271 Art. 5 II UVP-RiLi. 272 Vgl. dazu den Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom Juli 1997, insbes. S. 602 ff. Die Kommission befürwortet eine sog. integrierte Genehmigung mit umfassender Konzentrationswirkung. Die Vermeidung paralleler Genehmigungsverfahren und die Harrnonisierung und Vereinfachung des Zulassungsrechts wirken sich beschleunigend aus. Weitere Vorschläge sind u.a.: Die Vorgabe von Fristen für einzelne Verfahrensschritte, die Möglichkeit von Auflagenvorbehalten, die Zusammenführung von Scopingverfahren und Antragskonferenzen, eine präzise Regelung der Einwendungspräklusion und Zustellung, eine Konsensfindung und Mittlung durch Mediatoren. Dagegen lehnt sie Sonderbeschleunigungsmöglichkeiten nach Wahl unter Verzicht auf Rechtssicherheit grundsätzlich ab, da im Umweltrecht ein umfassender Interessenausgleich bei der Entscheidung über das jeweilige Vorhaben stattfinden soll. Im Immissionsschutzrecht (S. 1177) kann unter bestimmten Voraussetzungen eine 264 265

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so

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Mit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996 (BGBl I 1354) wurde nach einer Äußerung von Bundesinnenminister Kanther lediglich ein "erster Schritt auf dem Weg zu einem strafferen und effektiveren Verwaltungsverfahrensrecht" untemommen. 273 Daher bleibt mit Spannung abzuwarten, welche weiteren Beschleunigungsvorschlllge der Ende 1997 konstituierte Beirat"Verwaltungsverfahrensrecht" machen wird.

Genehmigung durch den Nachweis der Prüfung der Anlage durch Sachverständige ersetzt werden. 273 NJW 1998, Heft 4, S. XXIV.

Zügige Verwaltungsverfahren Von Jan Ziekow Es ist hier nicht der Ort, die Irrungen und Wirrungen der Beschleunigungsgesetzgebung nochmals nachzuzeichnen I. An dieser Stelle geht es vielmehr um die Quintessenz dieses Prozesses, sozusagen den beschleunigungsgesetzgeberischen Stein der Weisen. Diesen Schatz birgt das Verwaltungsverfahrensgesetz (gemeint ist auch im folgenden das des Bundes) in seinem § 10 S. 2: "Es (nämlich das Verwaltungsverfahren) ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. " Wer wollte dem nicht frohen Herzens zustimmen? An anderer Stelle, nämlich dort, wo es darum geht, konkret Farbe zu bekennen, ist der Gesetzgeber deutlich bemüht, den durch die allgemeine Vorschrift des § lOS. 2 genährten Überschwang zu dämpfen. Für die im Kern der standortorientierten Beschleunigungsdiskussion stehenden Genehmigungsverfahren wird die Beschleunigungsvorgabe in § 71 b VwVfG viel vorsichtiger formuliert: "Die Genehmigungsbehörde trifft die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen dafür, daß das Verfahren in angemessener Frist abgeschlossen und auf Antrag besonders beschleunigt werden kann." Hier wird also wieder etwas Wasser in den so schön schimmernden Wein des zügigen Verwaltungsverfahrens geschüttet, aber immerhin: Ein etwas verdünnter Wein ist besser als gar keiner. Beim Wein würde allerdings wohl niemand auf den Gedanken kommen, daß er mit seiner Herstellung seinen Zweck bereits erfilllt hat. Im Bereich des Rechts ist diese Vorstellung dagegen durchaus verbreitet. Die Identifizierung von Handeln des Gesetzgebers und Lösung des Sachproblems ist keineswegs selten. Jedenfalls im Bereich der Beschleunigungsgesetzgebung ist das ein Irrglaube: Ein Verwaltungsverfahren wird nicht bereits dadurch schneller durchgeführt, daß seine Zügigkeit gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Problem "zügiges Verwaltungsverfahren" ist durch § 10 S. 2 und § 71 b VwVfG nicht gelöst, sondern zur Lösung aufgegeben. Die Lösungswege müssen erst noch 1 Dazu Annette Guckelberger, Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - eine Zwischenbilanz, in diesem Band.

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gefunden werden. Vorsichtige Schritte in diese Richtung zu unternehmen, ist Gegenstand dieses Beitrags. Zu diesem Zweck werde ich mich zunächst der Grundnorm des Beschleunigungsrechts, also dem §10 S. 2 VwVfG, zuwenden. Die Allgemeinheit der dort genannten Verfahrensgrundsätze Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Zügigkeit stellt die besondere Herausforderung bei der Anwendung dieser Vorschrift dar. Die Lösung hier auftretender Interpretationsprobleme kann ohne weiteres ftlr die Auslegung der besonderen Beschleunigungsvorschriften der §§ 71 a ff. VwVfG fruchtbar gemacht werden. Dies schließt andererseits nicht aus, daß schon bei der Beschäftigung mit § 10 S. 2 VwVfG zur Konkretisierung auf die Grundgedanken der Genehmigungsverfahrensbeschleunigung zurückgegriffen wird. Insbesondere die Instrumente des § 71 c VwVfG lassen sich durchaus auf Strukturprinzipien zurückftlhren, die ftlr die Deutung des allgemeinen Zügigkeitsgebots herangezogen werden können. Von diesem Ausgangspunkt aus wird anschließend ein Ausblick auf die Anwendungsprobleme der speziellen Vorschriften zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (§§ 71 a ff. VwVfG) vorgenommen. 'Erst an letzter Position stellt sich die Frage, die den Juristen eigentlich immer am meisten interessiert, die des "quis iudicabit?", also die Frage der Durchsetzbarkeit des ZUgigkeitsgebots und der Sanktionierung seiner Verletzung.

I. Das allgemeine Zügigkeitsgebot des § 10 S. 2 VwVfG Bei dem Versuch, sich der Interpretation des allgemeinen Zügigkeitsgebots des § 10 S. 2 VwVfG zu nähern, lassen sich verschiedene, den Zugang erschwerende, Problem schichtungen ausmachen. Zunächst einmal geht es um die schlichte Frage, ob wir es bei dem Zügigkeitsgebot überhaupt mit einem Rechtssatz zu tun haben, der von der Verwaltung zwingend zu beachten ist, oder ob es sich hierbei um irgend etwas anderes handelt, etwa einen Programmsatz. Aus dem danach bestimmten Normtypus ergibt sich dann das weitere Problem, in welcher Weise die Verwaltung die von diesem Typus ausgehenden Anforderungen internalisieren muß und was das ZUgigkeitsgebot inhaltlich von den Behörden fordert. 1. Das Zügigkeitsgebot als zwingender Rechtssatz Betrachtet man die Gesetzgebungsgeschichte des Verwaltungsverfahrensgesetzes, so müßte man zu dem Schluß kommen, daß es eine zwingende normative Wirkung des ZUgigkeitsgebots des § 10 S. 2 VwVfG nicht geben kann. Die Begründung des Regierungsentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes

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filhrte zur Wirkung des § 10 S. 2 ausdrücklich aus: "Die Normierung dieses Grundsatzes hat nur die Bedeutung eines Programmpunktes . Gleichwohl kann darauf wegen seiner maßstabbildenden Wirkung nicht verzichtet werden. ,,2 Die Begründungen der verschiedenen Gesetzesentwürfe zur Ergänzung des § 10 S. 2 VwVfG um das Zügigkeitsgebot lesen sich ganz ähnlich. Da ist die Rede von einem "Verfahrensgrundsatz", von dem "eine zusätzliche Signalwirkung ausgehen" so1l3. Im wissenschaftlichen Schrifttum wird dem Zügigkeitsgebot lediglich eine Appellfunktion zugeschrieben, der keinerlei Rechte entspringen könnten4 • Wollte man es bei diesem Befund belassen, so müßte die Beschäftigung mit dem Zügigkeitsgebot an dieser Stelle enden. Ein Appell an den guten Willen der Verwaltung, sich doch vielleicht ein wenig zu beeilen, mag nobel sein und befolgt werden oder nicht, ist jedoch juristisch nicht greifbar. Da die Suche nach dem, was der Gesetzgeber mit der Ergänzung des § 10 S. 2 VwVfG bewirken wollte, in den Gesetzesmaterialien nicht recht weiterfUhrt, hilft möglicherweise die Untersuchung weiter, welche Funktion einem verfahrensrechtlichen Zügigkeitsgebot überhaupt unterlegt werden darf. Die SchlichterKommission, auf deren Vorschlag die Neufassung des § 10 S. 2 VwVfG zurückgeht, hat darauf hingewiesen, das Beschleunigungs- und Effektivitätsgebot sei Bestandteil jedes rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens; es gebe zumindest einen Verfassungsauftrag zur Abwehr untragbarer Verzögerungen. s Woher genau ein solcher Verfassungsauftrag kommen soll, bleibt allerdings unklar. Daß der Staat des Grundgesetzes ein effizienter ist, der rasch und wirtschaftlich handeln muß, ist verfassungsrechtlich keineswegs gesichert. Von einem der Vefassung immanenten Effektivitätsgrundsatz wird man in dieser Generalität kaum sprechen können. 6 Effizienz ist keine absolute, sondern eine relative, eine akzessorische Kategorie.' Sie läßt sich nur bereichsspezifisch erfassen im Zusammenhang mit eiBTDrucks 7/910 S. 42. Bundesratsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, BTDrucks 13/1445 S. 6. 4 Vgl. Bernhard Stüer, Die Beschleunigungsnovellen 1996, DVBI. 1997, S.326 (327). 5 Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren. Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, 1994, Rn. 905. 6 Horst Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S. 487; Walter Leisner, Effizenz als Rechtsprinzip, 1971, S. 24 f., 44 ff.; Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (163 2

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Peter Häberle, Effizienz und Verfassung, AöR 98 (1973), S. 625 (631).

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nem verfassungsrechtlich geordneten Rechtsinstitut. Diesen Gedanken legt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, soweit sie sich mit der Dauer behördlicher Verfahren befaßt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob der Anspruch, durch eine Behörde binnen angemessener Zeit beschieden zu werden, sich rur den gesamten Bereich der Verwaltungstätigkeit aus einem einheitlichen Grundsatz herleiten läßt, zwar ausdrücklich offengeiassen 8, in der Sache jedoch verneint. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer atomverfahrensrechtlichen Präklusionsregelung filhrte das Gericht aus, eine solche Regelung wirke auf die unerläßliche Verfahrenskonzentration und -zügigkeit hin. Gefordert sei sie unter den Gesichtspunkten der Funktionsfähigkeit der Verwaltung sowie der Interessen der Antragsteller und der von der Genehmigung betroffenen Dritten. 9 Bestimmend rur die verfassungsrechtliche Ableitung des Zügigkeitsinstruments "Präklusion" sollen mithin die Verwaltung als Institution sowie die Rechte des Antragstellers und anderer Betroffener sein. In einer Entscheidung zur Pflicht der Strafvollzugsbehörden, rechtzeitig über Urlaubsanträge von Gefangenen zu entscheiden, zog das Verfassungsgericht als Maßstab die Grundrechte der Gefangenen heran. lo Wegen der institutionellen Nähe zum Strafverfahren maß das Gericht in einer weiteren Entscheidung die überlange Dauer eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, obwohl zunächst behördliches Verfahren, am Prozeßgrundrecht auf ein faires rechts staatliches Verfahren. I I Das Bundesverfassungsgericht greift also nicht auf ein generelles Recht auf eine zügige Entscheidung zurück, sondern verortet ein solches Recht im Einzelfall bei den die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Behörde prägenden Grundrechten. Aus diesem Grunde müssen Versuche skeptisch beurteilt werden, aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Recht auf ein faires Verfahren oder aus dem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG generalklauselartig ein allgemeines verfassungsrechtliches Zügigkeitsgebot abzuleiten. Die Beschleunigung von Verfahren unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens ist vom Bundesverfassungsgericht primär für den Sektor des Strafverfahrensrechts gefordert worden. 12 Insoweit handelt es sich um eine bereichsspezifische Anknüpfung, die in den durch die Verzögerung eintretenden selbständigen Belastungen des Beschuldigten fußt, die in Widerspruch zu der gebotenen Verhältnismäßigkeit zwischen Sanktion und

BVerfGE 60, S. 16 (41 0; 69, S. 161 (170). BVerfGE 61, S. 82 (116). 10 BVerfGE69, S. 161 (170). 11 BVerfG NJW 1992, S. 2472. 12 Vgl. BVerfGE 46, S. 17 (28 f.); 63, S. 45 (68 f.); BVerfG NJW 1984, S. 967; 1992, S. 2472. 8

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Verschulden des Täters treten können. 13 Auf den Verwaltungsprozeß sind diese Grundsätze deshalb nicht ohne weiteres übertragbar. Hier ist in erster Linie Art. 19 Abs. 4 GG sedes materiae. 14 Um so weniger besteht die Möglichkeit, die fUr das Strafverfahren entwickelten Anforderungen auf die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden anzuwenden. 15 Allerdings kann dem Bemühen, das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen rechtsverletzende Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zu einer Art "Super-Beschleunigungsgebot" zu entwickeln, kein Erfolg beschieden sein. Daß effektiv nur ein solcher Rechtsschutz ist, der rechtzeitig gewährt wird, kann als mittlerweile gesichert gelten. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt die Pflicht des Gesetzgebers, den Rechtsweg so auszugestalten, daß die Verfahren in angemessener Frist abgewickelt werden können. 16 Art. 19 Abs. 4 GG enthält demnach unmittelbar nur ein prozeßbezogenes Beschleunigungsgebot. Gleichwohl gewinnt eine Auffassung immer mehr an Boden, die aus dieser Verfassungsnorm auch ein Gebot zur zeitgerechten DurchfUhrung des Verwaltungsverfahrens entnehmen will. 17 Denn eine Verschleppung des Verwaltungsverfahrens, so wird argumentiert, fUhre dazu, daß der gerichtliche Rechtsschutz seinerseits erst später und gegebenenfalls nicht mehr zeitgerecht in Anspruch genommen werden könne. Art. 19 Abs. 4 GG soll insoweit im Wege der Vorwirkung ein Beschleunigungsgebot fUr das Verwaltungsverfahren enthalten. II Eine solche Verlängerung der Kausalkette wird der Funktion des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht. Es ist zwar richtig, daß sich aus Art. 19 Abs. 4 GG durchaus Vorwirkungen auf die Ausgestaltung des dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerten Verwaltungsverfahrens So BVerfG NJW 1992, S. 2472 (2473). Dieter Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 176; Eberhard Schmidt-Aßmann. in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, 1997, Ein!. Rn. 47. IS A. A. Paul Rombach, Der Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994, S. 52 f. 16 Vg!. nur BVerfGE 53, S. 115 (127); 55, S. 349 (369); 60, S. 253 (269); 65, S. I (70 f.); WilU Blümel, Raumplanung, vollendete Tatsachen und Rechtsschutz, in: Festgabe für Ernst Forsthoffzum 65. Geb., 1967, S. 133 (138 f.); Paul Kirchhof, Verfassungsrechtliche Maßstäbe rur die Verfahrensdauer und rur die Rechtsmittel, in: Staat und Völkerrechtsordnung. PS rur Karl Doehring, 1989, S. 439 (449); Michael Kloepfer, Verfahrensdauer und Verfassungsrecht. Verfassungsrechtliche Grenzen der Dauer von Gerichtsverfahren, JZ 1979, S. 209 (211 f.); Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, 1996, Art. 19 Abs. IV Rn. 262. 17 Grundlegend Ferdinand Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 158; ihm folgend Martin Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren rur eil bedürftige Vorhaben, 1991, S. 41 f.; Hans-Werner Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), S. 60 (82); Michael Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 112. 18 Bullinger (Anm.17) S. 42; Kopp (Anm.17) S. 158. 13

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ergeben können. Dies betrifft jedoch nur den Fall, daß das Verwaltungsverfahren so angelegt ist, daß die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes entweder vollständig vereitelt oder doch unzumutbar erschwert wird.\9 Im übrigen aber gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG nicht selbst Rechte im Verwaltungsverfahren, sondern setzt die Verletzung eines anderwärts begründeten Rechts voraus. 20 Ob ein Verwaltungsverfahren überlang ist, ist mithin keine Frage des Art. 19 Abs. 4 GG?\ Das Gebot effektiven Rechtsschutzes greift vielmehr erst dann, wenn durch die Verfahrensverzögerung ein in einer anderen Vorschrift fundiertes Recht verletzt worden ist. Dann ist Rechtsschutz gegen die Rechtsverletzung durch Verzögerung zu gewähren. Der genannten bereichsspezifischen Akzessorietät des Effizienzgedankens am ehesten gerecht wird der Rückgriff auf die jeweils in Rede stehenden Grundrechte zur Ableitung von Beschleunigungsmaßgaben. Daß die grundrechtlich materiell geschützten Positionen eine zeitliche Dimension aufweisen, ist eindeutig. Deutlich wird dies am Beispiel der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Entschädigungsanspruch eines Grundstückseigentümers aus enteignungsgleichem Eingriff wegen der rechtswidrigen Versagung einer Genehmigung. Der Bundesgerichtshof bezeichnete es als Inhalt der von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten EigentümersteIlung, das Grundstück im Rahmen der Rechtsordnung nach den eigenen Vorstellungen zu nutzen, über es zu verfUgen und es zu veräußern. 22 Wird der Eigentümer an der Nutzung dieser Stellung auch nur vorübergehend durch die rechtswidrige Versagung einer Genehmigung gehindert, so liegt darin eine entschädigungspflichtige Aufopferung seines Eigentumsrechts. Zum Inhalt der Eigentümerbefugnisse gehört demnach auch die Bestimmung über die zeitliche Dimension ihrer Nutzung. In das Eigentum wird nicht nur dann eingegriffen, wenn der Berechtigte vollständig an der Ausübung seines Rechts gehindert wird, sondern schon dann, wenn er den Zeitpunkt der Nutzung seiner Eigentümerbefugnisse nicht mehr selbst bestimmen kann. Für die Wahrnehmung anderer grundrechtlicher Befugnisse, im hier interessierenden Zusammenhang etwa denen aus dem von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht der Berufsfreiheit, gilt nichts anderes. Zur grundrechtlich abgeschirmten Freiheitssphäre gehört schlechterdings auch die Bestimmung des" Wann" des Freiheitsgebrauchs. Grundrechtsdogmatisch stellt mithin jede durch ein behördliches Handeln verursachte Verzögerung der Möglichkeit der Grundrechtsausübung einen Grundrechtseingriff dar. Wichtig ist dies vor allem fUr die vorliegend relevanten Genehmigungsverfahren. Ist fUr die Aufnahme einer Tätigkeit, etwa die Errichtung einer Anlage oder den Beginn einer 19 20 21 22

BVerfGE 61, S. 82 (110). BVerfGE 61, S. 82 (110). Rombach (Anm. 15) S. 51 f. BGH UPR 1998, S. 21 (22).

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wirtschaftlichen Unternehmung, eine behördliche Erlaubnis erforderlich, so liegt in diesem Genehmigungserfordernis ein Grundrechtseingriff. Sofern die Notwendigkeit der Einholung der Erlaubnis der Behörde die Kontrolle ermöglichen soll, ob die im Interesse der Gemeinwohlanforderungen und zum Schutze anderer formulierten Genehmigungsvoraussetzungen eingehalten werden, dient der Eingriff einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck und ist insoweit gerechtfertigt. Dies gilt jedoch nur solange, wie die Dauer des Genehmigungsverfahrens zur Erreichung seines Ziels erforderlich ist. Überschreitet das Verfahren die notwendige Dauer, so entfällt die Rechtfertigung des Eingriffs. Überlange Genehmigungsverfahren stellen deshalb Grundrechtsverletzungen dar, die bereits über die abwehrrechtliche Seite der Grundrechte abgewehrt werden können. 23 Für den Gesetzgeber ergibt sich aus diesem Befund die objektiv-rechtliche Pflicht, eine Verfahrens gestaltung bereitzustellen, die effektiven Grundrechtsschutz gewährleistet. 24 Wie immer wieder übersehen wird, beschränkt sich der Gedanke des Grundrechtsschutzes durch Verfahren nicht darauf, durch Beteiligungsnotwendigkeiten beschleunigungshemmend zu wirken - und auch dies ist eine äußerst oberflächliche Betrachtung _,25 sondern ist die verfahrensrechtliche Ausprägung des Prinzips der Grundrechtseffektivität. 26 Insbesondere dann, wenn der Grundrechtsschutz durch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle nicht ausreichend gewährleistet ist, hat der Gesetzgeber dieses Manko nach Möglichkeit durch eine entsprechende Gestaltung des Verwaltungsverfahrens auszugleichen?7 Da die ex post getroffene Feststellung, daß das behördliche 23 Bullinger (Anm. 17) S. 39 f.; Rolf Krumsiek / Klaus Peter Frenzen, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, DÖV 1995, S. 1013 (1017); Rombach (Anm. 15) S. 48 f.; Rudolf Steinberg, Komplexe Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, DÖV 1982, S. 619 (622); Thomas Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996, S. 65. 24 BVerfGE 53, S. 30 (65 f.); 73, S. 280 (296); 84, S. 59 (72). 2S SO aber Michael Ronellenfitsch, Neues Verkehrswegeplanungsrecht, in: Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 179 (208 f.). 26 Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 583. Aus der Diskussion noch Herbert Bethge, Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, NJW 1982, S. 1 ff.; Wi//i Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 23 ff.; Erhard Denninger, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland V, 1992, § 113 Rn. 5 ff.; Klaus-Peter Dolde, Grundrechtsschutz durch einfaches Verfahrensrecht?, NVwZ 1982, S. 65 ff.; Helmut Goer/ich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 57 ff.; Dieter Grimm, Verfahrensfehler als Grundrechtsverstöße, NVwZ 1985, S. 865 ff.; Fritz Ossenbühl, Grundrechtsschutz im und durch Verfahrensrecht, in: Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel. FS rur Kurt Eichenberger zum 60. Geb., 1982, S. 183 ff.; Rainer Wahl, Bürgerbeteiligung bei der Landesplanung, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 113 (130 ff.). 27 BVerfGE 84, S. 34 (46).

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Verfahren zu lang war und der Genehmigungsempfänger deshalb in seinen Grundrechten verletzt ist, den Betroffenen nie so stellen kann, als wäre das Verwaltungsverfahren zeitgerecht durchgefUhrt worden, ist der Gesetzgeber gehalten, fUr die kürzestmögliche Dauer des Verwaltungsverfahrens Sorge zu tragen. 28 In welcher Weise er dies tut, unterliegt grundsätzlich seiner Gestaltungsfreiheit. Aus der Einschätzung heraus, daß Genehmigungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zumindest noch weiter beschleunigungsflihig sind, hat sich der Bundesgesetzgeber unter anderem fUr die ausdrückliche Aufnahme des Zügigkeitsgebots in den Text des § 10 S. 2 VwVfG entschieden. Liest man das Zügigkeitsgebot unter diesem Vorzeichen als Konkretisierung des Gebots des Grundrechtsschutzes durch Verfahren, so ist die eingangs aufgeworfene Frage nach der Verbindlichkeit des Zügigkeitsgebots ohne weiteres zu beantworten. Als Vorschrift, die der Effektivität des materiellen Grundrechtsschutzes zu dienen bestimmt ist, ist sie so auszulegen, daß sie Ihrer Komplementärfunktion in bestmöglicher Weise gerecht werden kann?9 Eine Auslegung, die § 10 S. 2 VwVfG als unverbindlichen bloßen Programmsatz ansieht, wird dem Effektivitätsprinzip nicht gerecht. Effektiv ist das Zügigkeitsgebot nur, wenn es zwingend zu beachten ist. Wie das Einfachheits- und das Zweckmäßigkeitsgebot ist der Grundsatz der Zügigkeit ein Rechtssatz mit unmittelbarer Verbindlichkeit. 30 2. Die Steuerungswirkung des Zügigkeitsgebots Mit der Feststellung seiner Verbindlichkeit ist zunächst nur geklärt, daß das Zügigkeitsgebot von der Verwaltung bei der DurchfUhrung eines Verwaltungsverfahrens umzusetzen ist. Beantwortungsbedürftig bleibt die Frage, in welcher Weise das Zügigkeitsgebot strukturell Steuerungswirkung fUr das Verwaltungsverfahren entfalten kann.

Jürgen Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 170 f. Zur grundrechtlich gebotenen Auslegung des Verfahrensrechts unter dem Gesichtspunkt maximaler Grundrechtseffektivität Ziekow (Anm. 26) S. 583. m Heinz Joachim Bonk, Strukturelle Anderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, S. 320 (323); Wolfgang Clausen, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1996, § 10 Rn. 4.1; Hermann Hili, Verfahrensermessen der Verwaltung, NVwZ 1985, S. 449 (451); Ferdinand 0. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl. 1996, § 10 Rn. 1; Klaus Obermayer, Dogmatische Probleme des Verwaltungsverfahrens, in: Verwaltungsverfahren. FS zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags, 1977, S. 111 (116); Rombach (Anm. 15) S. 46; Ronellenjitsch (Anm. 17) S. 111 f.; Stephan Schulte, Möglichkeiten zur Beschleunigung baulicher Vorhaben, 1996, S. 37; Carl Hermann U/e / HansWerner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, § 19 Rn. 13. 28

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Von seiner Grundstruktur her läßt sich Verfahren als soziales System zur Reduzierung von Komplexität begreifen. Typologisch ist es durch die Ungewißheit seines Ausgangs charakterisiert, die in Form von abzuarbeitenden Verhaltensalternativen den Handlungszusammenhang prägt. 31 Die Beendigung der Ungewißheit des Ausgangs, das Zustandekommen einer Entscheidung, ist Ziel des Verfahrens. Das Verfahren ist zwar ergebnis-, nicht jedoch zieloffen. Verfahren sind nicht zweckfrei, sondern dienen dem Ausstoß einer Entscheidung. 32 Insoweit ist das Verfahren ein Prozeß der Selektion unter vorhandenen Alternativen. Auf jeder Prozeßstufe hat der Entscheider seine Entscheidungsgrundlage daraufhin zu überprüfen, ob sie ihm die auf dieser Stufe gebotene Selektionsleistung ermöglicht. Ist dies nicht der Fall, muß die Entscheidungsgrundlage so weit komplettiert werden, bis sie die Reduzierung von Unsicherheit zuläßt. Verfahren ist also ein Prozeß permanenter Informationsgewinnung und -verarbeitung. 33 Dabei ist jedes Verfahren als sozialer Interaktionsprozeß in der Zeit einmalig und ex post nur beschränkt reproduzierbar. Diesbezüglich kann Verfahren verstanden werden als Strukturierung eines Kommunikationsprozesses zwischen mehreren Beteiligten zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels, nämlich der Findung einer Entscheidung. 34 Allerdings ist das Verwaltungsverfahren nicht nur schlichter Entscheidungsfindungsmodus, sondern zuvörderst Formung staatlicher Herrschaftsausübung35 , ist Vermittler zwischen Verfassungsvorgaben und Verwaltungsrealitäe 6 . Das Verfahren schließt die Lücke zwischen abstrakt-genereller Gesetzgebung und konkret-individuellem Gesetzesvollzug. 37 Es ist notwendige Schaltstelle für die soziale Realität des materiellen Verwaltungsrechts. Dessen weitestgehende Vollzugsabhängigkeit macht seine reale Wirkungsmächtigkeit von

Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl. 1978, S. 38 ff. Vgl. Rudolf Fisch, Administrative Entscheidungen bei Vorhaben für technische Großanlagen, in: Abfallnotstand als Herausforderung für die Öffentliche Verwaltung: Entsorgung, Verringerung und Vermeidung von Sonderabfall, 1995, S. 59 (62 ff.); Hermann Hili, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S.21O. 33 Hili (Anm. 32) S. 210 f.; Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Verw. 1992, S. 21 (23). 34 Vgl. Hili (Anm. 32) S. 211. 3S Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche / Schmitt-G1aeser / Schmidt-Aßmann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (8 f.). 36 Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland I, 1987, § 24 Rn. 75. 37 Schmidt-Aßmann (Anm. 35) S. 12. 31

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Transfonnationsakten der Verwaltung abhängig. 38 Das Verwaltungsverfahren ist deshalb Verwirklichungsmodus des Verwaltungsrechts. 39 Als HandlungsgefUge zwischen Verwaltung und Bürger oder zwischen einzelnen Verwaltungseinheiten ist jener Modus als dialogische Beziehung, als Rechtsverhältnis strukturiert. In dieser Struktur kann es durchaus erfaßt werden als - um in den Worten Schmidt-Aßmanns zu sprechen - Ordnungsidee kooperativer Gemeinwohlkonkretisierung. 4o Diese Ordnungs idee für den Einzelfall operabel zu machen, ist Aufgabe des Verfahrensrechts. Es muß der Struktur des Verwaltungsverfahrens gerecht werden, rechtsstaatliche Bestimmtheit und situationsgerechte Flexibilität vereinen. 41 Die damit von der Verwaltung zu erbringende Bewältigungsleistung hat Rainer Wahl plastisch in das Szenario des magischen Vielecks gefaßt. 42 Entsprechend der Multifunktionalität des Verfahrens sieht sich die Verwaltung bei ihrem Handeln einer Vielzahl von Anforderungen gegenüber: So soll das Verfahren unter anderem eine materiell rechtmäßige Entscheidung hervorbringen, dieses Ergebnis legitimieren, Akzeptanz vennitteln, der Behörde Infonnationen verschaffen, widerstreitenden Interessen Artikulationsraum gewähren und ihren Ausgleich herbeiführen, individuelle Rechte wahren, wirtschaftlich und zweckmäßig sein. 43 Auf welche Weise die Verwaltung diese Ziele erreichen und wie sie die verschiedenen Zielvorgaben untereinander gewichten will, bleibt ihr weitgehend selbst überlassen. Andererseits muß selbstverständlich auch die Gewichtung der verschiedenen Eckpunkte des magischen Vielecks rechtlichen Regeln folgen und kann nicht im freien Belieben der Behörde stehen. Ein Beispiel: Wenn das volle Gewicht des behördlichen Verfahrensverhaltens auf die Ecke "Zügigkeit" gelegt wird, kippt das Vieleck über diese Ecke ab und die anderen Eckpunkte wie etwa Gründlichkeit der Sachverhaltsennittlung oder Betroffenenbeteiligung hängen in der Luft. Das Verwaltungsverfahren

38 Rainer Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht? , in: Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 1984, S. 19 (41). 39 Wahl (Anm. 6) S. 153 f. 40 Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland III, 1988, § 70 Rn. 4. 4\ Vgl. Hermann Hili, Rechtsstaatliche Bestimmtheit oder situationsgerechte Flexibilität des Verwaltungshandeins, DÖV 1987, S. 885 (895). 42 Wahl (Anm. 6) S. 157; ders., Neues Verfahrensrecht für Planfeststellung und Anlagengenehmigung - Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrens oder bereichsspezifische Sonderordnung?, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 83 ( 117). 43 Vgl. Hili (Anm. 32) S. 199 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 (108 ff.); Wahl (Anm. 42) S. 117.

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muß also rechtlichen Regelungsmechanismen unterliegen, die ein solches Abkippen verhindern und das Vieleck im wesentlichen in der Balance halten. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat als regelungstechnische Figur für die Integration dieser Anforderungen die Einräumung des sog. Verfahrensermessens an die Behörde gewählt. Nach § 10 S. 1 VwVfG ist das Verwaltungsverfahren an bestimmte Formen nicht gebunden, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen. Allgemein wird dieser Vorschrift entnommen, daß der Behörde hinsichtlich Einleitung und Durchführung des Verwaltungsverfahrens ein Ermessen zukommt. 44 Inhalt dieses Verfahrensermessens ist die dem Einzelfall angemessene, sachgerechte und situationsbezogene Abwägung der öffentlichen und privaten Belange in Verfolgung der gesetzlichen und administrativen Zielvorstellungen. 4s Die Behörde entscheidet grundsätzlich nach ihrer Wertung, wie sie das Verwaltungsverfahren durchführt und welche Verfahrensmaßnahmen sie ergreift. Für eine Reihe von Verfahrensschritten bestätigt das Verwaltungsverfahrensgesetz diesen Grundsatz der Durchführung nach pflichtgemäßem Ermessen noch einmal ausdrücklich, so für das Ob und Wann der Verfahrensdurchführung (§ 22 S. 1 VwVfG), für Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung (§ 24 Abs. 1 S. 2 VwVfG) oder für die Heranziehung von Beweismitteln (§ 26 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Jede Entscheidung, die die Behörde in pflichtgemäßer Ausübung ihres Verfahrensermessens trifft, ist rechtmäßig, und zwar unabhängig davon, ob andere Stellen als die verfahrensleitende Behörde - etwa das Verwaltungsgericht - die Entscheidung genauso getroffen hätten oder nicht. 46 Wie für jede Ermessensentscheidung werden die von der Behörde bei der Verfahrensgestaltung einzuhaltenden Grenzen in § 40 VwVfG umschrieben 47 , d.h. die Behörde hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Danach ist die Verwaltung auf die Ausrichtung ihrer Ermessensausübung an der Multifunktionalität des Ver44 Clausen (Anm. 30) § 10 Rn. 4; Hili (Anm. 30) S. 450; Kopp (Anm. 30) § 10 Rn. 5; Schach (Anm. 33) S. 36; VG Berlin DVBI. 1983, S. 283 (284); Curt Lutz Lässig,

in: Klaus Finkeinburg / Curt Lässig, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 1979, § 10 Rn. 19; Klaus Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 1990, § 10 Rn. 8; Rainer Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 693; Paul Stelkens / Heribert Schmitz, in: Paul Stelkens / Heinz Joachim Bonk / Michael Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1998 § 10 Rn. 16. BVerwGE 85, S. 323 (328) spricht - hinsichtlich der dogmatischen Einordnung zurückhaltender - von einem aus der Verfahrensherrschaft der Behörde fließenden Entscheidungsspielraum. 45 Pitschas (Anm. 44) S. 693. 46 BVerwGE 85, S. 323 (328 f.). 47 Hili (Anm. 30) S. 451; Kopp (Anm. 30) § 10 Rn. 6; Jast-Dietrich Busch, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1996, § 40 Rn. 3.3; Clausen (Anm. 30) § 10 Rn. 4; Stelkens / Schmitz (Anm. 44) § 10 Rn. 17.

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fahrens, an den vorgegebenen Verfahrenszwecken, verpflichtet. 48 Nach den allgemeinen Grundsätzen der Ermessenslehre49 hat die Behörde alle für die konkrete Entscheidung relevanten Verfahrenszwecke zu ermitteln, die sich daraus für die Verfahrensgestaltung ergebenden Möglichkeiten zu entwickeln und im Konfliktfall eine Abwägung vorzunehmen. 50 Erforderlichenfalls muß also die Behörde die Verfahrenszwecke untereinander gewichten. Berücksichtigt sie die sich aus einer Zwecksetzung ergebenden Verfahrensanforderungen überhaupt nicht oder nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht, so liegt ein Ermessensfehler vor. Insbesondere darf ein Verfahrenszweck nicht weiter zurückgesetzt werden als es die Verwirklichung anderer Zwecke fordert. Die Verfahrensgestaltung ist deshalb ein der Verwaltung in Permanenz aufgegebener Ausgleichsprozeß im Zeichen der Multifunktionalität des Verfahrens. Es läßt sich mit Fug und Recht sagen, daß die sich aus der Einräumung des Verfahrensermessens ergebende Gestaltungsleistung an Verwaltungserfahrung und Verwaltungsklugheit rückgebunden ist. 5 I Daß § 10 VwVfG damit zumindest mittelbar Vorstellungen zu Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes sowie zur Organisation impliziert, sei nur am Rande vermerkt. Für unsere Zwecke wichtiger ist die Erkenntnis, daß Verwaltungsklugheit und allgemeine Ermessensgrenzen nicht allein den Ausgleichsprozeß steuern. Vielmehr enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz - wenn auch nur vereinzelte - Steuerungsvorgaben, die das Verfahrensermessen der Behörde begrenzen. Überhaupt kein Ermessen besteht beispielsweise hinsichtlich der Wahl der Amtssprache (§ 23 Abs. 1 VwVfG), der Anhörung Beteiligter (§ 28 Abs. 1 VwVfG) oder der Gewährung von Akteneinsicht für Beteiligte (§ 29 Abs. 1 VwVfG). Durch den Gebrauch des Modalverbs "sollen" für den Regelfall ebenfalls kein Ermessen eingeräumt ist der Behörde bei der Anregung der Abgabe von Erklärungen, der Stellung von Anträgen etc. (§ 25 S. 1 VwVfG). Hier besteht ein Verfahrensermessen nur in atypischen Situationen. Kein Ermessen besteht nach der Wortwahl des Gesetzes auch hinsichtlich der Verwirklichung der Verfahrensgrundsätze des § 10 S. 2 VwVfG: "Es (das Verfahren) ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen". Nach gängiger Dogmatik der Ermessenslehre heißt das nichts anderes als: Die Behörde muß 48 Hili (Anm. 30) S. 451; Kopp (Anm. 30) § 10 Rn. 6; Klaus Lange, Ermessens- und Beurteilungsspielräume als Transformatoren von Innen- und Außenrecht, NJW 1992, S. 1193 (1194). 49 Vgl. etwa Hans Peter Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1997, Rn. 399 ff.; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 7 Rn. 7 ff. so Hili (Anm. 30) S. 451. SI Schach (Anm. 33) S. 36.

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das Verfahren einfach, zweckmäßig und zügig gestalten. Gleichwohl bestehen unverkennbare normstrukturelle Unterschiede zwischen den als gebundene Entscheidungen ausgestalteten Verfahrenshandlungen der Wahl der Amtssprache, der Anhörung sowie der Gewährung von Akteneinsicht einerseits und der Verpflichtung der Behörde auf die Verfahrensgrundsätze des § 10 S. 2 VwVfG andererseits: Die gebundenen Verfahrenshandlungen lassen sich im wesentlichen in ein einfaches Ja / Nein-Schema fassen. Es wird die deutsche Sprache gebraucht oder nicht, es wird angehört oder nicht, es wird Akteneinsicht gewährt oder nicht. Gestaltungsspielräume bestehen hier nur am Rande, insbesondere hinsichtlich der Umstände der Durchfllhrung der jeweiligen Verfahrenshandlung. Den Verfahrensgrundsätzen des § 10 S. 2 VwVfG wird das Ja / Nein-Schema dagegen nicht gerecht. Sie geben der Verwaltung keine bestimmte Handlung vor, sondern sind in ihrer Verwirklichung auf aktive Verfahrensgestaltung durch die Behörde angewiesen. Es handelt sich also um ermessenslenkende Rechtssätze, die ihrerseits wieder gestaltungsoffen sind. Der Verwaltung werden für die Ausgestaltung des Verfahrens Ziele vorgegeben, wobei die Behörde über den Weg der Zielerreichung selbst bestimmt. Normtypologisch sind die Verfahrensgrundsätze des § 10 S. 2 VwVfG deshalb ein Finalprogramm. Die Bedeutung dieses Finalprogramms besteht in der Aufstellung einer Gewichtungsregel innerhalb der multifunktional gesteuerten Ausübung des Verfahrensermessens. Mit der besonderen Erwähnung der Grundsätze der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Zügigkeit des Verfahrens hat sich der Gesetzgeber für eine diesbezügliche Zielpriorität entschieden. 52 Allerdings ist die Priorität keine absolute in dem Sinne, daß die Verfolgung der Ziele des § 10 S. 2 VwVfG die Behörde von der Beachtung anderer Verfahrens funktionen entbinden würde. 53 Der Vorrang ist vielmehr nur ein relativer, so daß bei der Ausgestaltung des Verfahrens die Ziele des § 10 S. 2 VwVfG zwar mit erhöhtem Gewicht in die Abwägung einzustellen sind, jedoch keine Abwägungssperre für andere Gesichtspunkte beinhalten. Planungsrechtlich gesprochen handelt es sich mithin weder um durch Abwägung nicht überwindbare Planungs leitsätze noch um schlichte Berücksichtigungsgebote, sondern um Optimierungsgebote. 54 Optimierungsgebote fordern nicht unbedingt die Realisierung des Optimums und Maximums des formulierten Ziels, sondern die best- und größtmögliche Realisierung des Ziels unter Berücksichtigung anderer konfligierender

Hill (Anm. 30) S. 451; Bullinger (Anm. 17) S. 30; Rombach (Anm. 15) S. 45. Wahl (Anm. 42) S. 115. A. A. wohl Rombach (Anm. 15) S. 45. 54 Zur Terminologie Bernhard Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 1997, Rn. 581 f. 52 53

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und konkurrierender Belange. ss Die Rezeption dieses Gedankens im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht ist inzwischen verbreitet. Man spricht insoweit von optimierendem Verwaltungshandeln, das bei der Ausfüllung von Entscheidungsspielräumen programmatische Aufträge bestmöglich umzusetzen hat. S6 Die eingangs dieses Abschnitts gestellte Frage, in welcher Weise das Zügigkeitsgebot strukturell Steuerungswirkung für das Verwaltungsverfahren entfaltet, kann deshalb dahingehend beantwortet werden, daß das Zügigkeitsgebot der Verwaltung das Programm aufgibt, bei der Gestaltung des Verfahrens den Faktor "Beschleunigung" bestmöglich zur Geltung zu bringen. Zügigkeit ist nicht ein in die Ausübung des Verfahrensermessens einzustellender Parameter wie jeder andere, sondern ein der Behörde zur Verwirklichung ständig aufgegebener Gesichtspunkt. Die Verwaltung ist verpflichtet, alle Maßnahmen zur zügigen Verfahrensabwicklung zu ergreifen. Ihr Verfahrensermessen ist insofern reduziert, als sie immer die schnellstmögliche Verfahrensgestaltung zu wählen hat, die ohne disproportionale Hintanstellung anderer Verfahrensfunktionen zulässig ist. 3. Zügigkeitsgerechte Organisations- und Verfahrensgestaltung Mit der Kennzeichnung der durch § 10 S. 2 VwVfG aufgegebenen zügigen Verfahrensdurchfiihrung als verfahrensbezogenes Optimierungsgebot noch nicht gelöst ist das Problem, was damit von der Behörde inhaltlich gefordert wird. Es geht nunmehr darum, Kriterien für zügigkeitsförderndes Verwaltungshandeln zu entwickeln und Umrisse eines entsprechenden Maßnahmenkonzepts bereitzustellen. Der Anspruch, eine insoweit auch nur ansatzweise abschließende Ausleuchtung anstreben zu wollen, wäre überzogen. Einer aus der bereits erwähnten Verwaltungsklugheit fließenden Verwaltungskreativität können normativ intendierte Erwägungen nur beschränkt gerecht werden. Klärungsbedürftig ist zunächst, worauf sich das Zügigkeitsgebot materiell bezieht. Zur Verdeutlichung diene folgendes Beispiel: Bezieht man die aus dem Zügigkeitsgebot fließenden Verpflichtungen nur auf das von einer Behörde durchgeführte Verfahren bis zum Erlaß der behördlichen verfahrensabschließenden Entscheidung, so ist beispielsweise die Frage der Akzeptanzbeschaffung für die Entscheidung der Behörde zwar möglicherweise eine eigenständige Verfahrensfunktion, jedoch aus dem Zügigkeitsgebot weitgehend ausge55

..

Werner Hoppe, in: ders. / Susan Grotefels, Offentliches Baurecht, 1995, § 7 Rn. 32; ders., Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBI. 1992, S. 853 (858). 56 Wolfgang Hoffmann-Riem, Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts als Aufgabe, AöR 115 (1990), S. 400 (414).

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blendet. Vielmehr erscheinen für eine solche Betrachtungsweise akzeptanzbeschaffende Maßnahmen eher als verfahrensverlängernd und damit zügigkeitshemmend. Perspektivisch völlig anders stellt sich die Wirkung der Akzeptanzvermittlung im Verfahren dar, wenn man das Zügigkeitsgebot auch auf die Betrachtung des Schicksals der Behördenentscheidung in dem Zeitraum bis zu deren gesicherter Realisierbarkeit erstreckt. Unter diesem Blickwinkel mögen akzeptanzllirdernde Verfahrensschritte zwar das Verfahren vor der Behörde verlängern. Allerdings würde dann die anfängliche Verzögerung mehr als ausgeglichen, wenn die Entscheidung der Behörde auf breiter Front akzeptiert und nicht noch vor dem Verwaltungsgericht angegriffen wird. Daraus wird deutlich, daß die inhaltliche Anreicherung des Zügigkeitsgebots nicht zum wenigsten davon abhängt, wie man seinen zeitlichen Bezugsrahmen faßt. Der Ansatz, die Wirkungsanalyse des Zügigkeitsgebots auf das behördliche Verfahren bis zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der Behörde zu beschränken, läßt sich als formelle Betrachtungsweise bezeichnen. Entsprechend kann das Verständnis, das auch das weitere Schicksal der Entscheidung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme verwaltungs gerichtlichen Rechtsschutzes, einbezieht, als materielle Betrachtungsweise charakterisiert werden. Für die formelle Betrachtungsweise scheint zunächst die systematische Stellung des § 10 S. 2 VwVfG im Verwaltungsverfahrensgesetz zu sprechen. Nach dem sprachlichen Zusammenhang gilt das Zügigkeitsgebot rur das in § 10 S. 1 VwVfG erwähnte Verwaltungsverfahren. Ausweislich der Legaldefmition des § 9 VwVfG ist unter einem Verwaltungsverfahren die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden zu verstehen, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; eingeschlossen sind die verfahrensabschließenden Handlungen des Erlasses des Verwaltungsaktes und des Abschlusses des öffentlich-rechtlichen Vertrages. Daraus ergibt sich eindeutig, daß das Zügigkeitsgebot nur solche Maßnahmen meinen kann, die innerhalb des zeitlich solchermaßen umgrenzten Verwaltungsverfahrens ergriffen werden. Allerdings beinhaltet dies nicht zwangsläufig, daß bei der Betrachtung der beschleunigenden Wirkung von innerhalb des Verfahrens getroffenen Maßnahmen der Zeitraum nach Abschluß des Verfahrens im Sinne von § 9 VwVfG außer Betracht zu bleiben hätte. Eine materielle Betrachtungsweise, die in die Folgenanalyse von Verfahrenshandlungen auch den Einfluß der betreffenden Handlung auf die realen Verwirklichungschancen der verfahrensabschließenden Entscheidung einbezieht, dürfte nicht allein mehr dem Gebot der Verwaltungsklugheit gerecht werden, vielmehr darüber hinaus besser den funktionalen Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß einfangen. Kennzeichnen

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läßt sich dieser Zusammenhang als differenziertes Gesamtrechtsschutzsystem. 57 Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht hier nicht darum, den alten Wein der Rechtsschutzzentriertheit der Verwaltungsrechtsdogmatik in neue Schläuche zu rullen. Das Verwaltungsverfahren ist keine praefatio zum Verwaltungsprozeß, sondern nach Funktionszuweisung und Zwecksetzung von ihm verschieden. 58 Die Handlungsperspektive des behördlichen Erstentscheiders ex ante ist qualitativ etwas anderes als die Kontrollperspektive des gerichtlichen Zweitinterpreten ex pOSt. 59 Von einem Gesamtrechtsschutzsystem kann vielmehr deshalb gesprochen werden, weil Verwaltungsverfahren und gerichtlicher Rechtsschutz wechselseitig entlastende und stabilisierende Wirkungen entfalten. 60 Wie das Verwaltungshandeln unter der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG von vornherein kontroll-orientiert vorgehen muß, ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren von der administrativen Vorleistung abhängig. Insoweit ist Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit die Rechtskonkretisierung zwar in funktioneller Trennung, der Sache nach aber gesamthänderisch aufgegeben. Deutlich wird dies an dem Typus des Genehmigungsverfahrens im Sinne der neuen §§ 71 a-e VwVfG. Der explizite Hinweis auf die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung von Genehmigungsvoraussetzungen während des Verwaltungsverfahrens oder sogar vor diesem (vgl. § 71 c Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG) zeigt, daß der Gesetzgeber die Tätigkeit von Behörde und Gericht unter dem Parameter Zeit in einem Handlungszusammenhang sieht. Bereits im Genehmigungsverfahren nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz hat die Behörde unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung die Einbeziehung der Verwaltungsgerichte zu erörtern. Klarer kann kaum zum Ausdruck gebracht werden, daß rur die Implementation des Faktors Zeit behördliches und verwaltungsgerichtliches Verfahren als Einheit verstanden werden müssen. 6 \ Ausgehend von diesem umfassenden Bezugsrahmen der Wirkung des Zügigkeitsgebots liegt es auf der Hand, daß dieses wesentlich komplexer als die bloße Verpflichtung ist, die einzelnen Verfahrenshandlungen in einer zügigen Abfolge miteinander zu verbinden. 62 Typologisch lassen sich die gestellten Anforderungen - notwendigerweise vergröbernd - in Analyse-, Organisations-, 57 Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 (122); ebenso Jürgen Schwarze, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 44. 58 Hill (Anm. 32) S. 217; Albert von Mutius, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. FS flir ChristianFriedrich Menger, 1985, S. 575 (579 ff.); Wahl (Anm. 6) S. 161. 59 Wahl (Anm. 6) S. 160. 60 Schmidt-Aßmann (Anm. 40) Rn. 21. 61 Kar! Pein, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, BB 1996, S. 1399; Würtenberger (Anm. 23) S. 66 f. 62 So aber Obermayer (Anm. 30) S. 116; ders. (Anm. 44) § 10 Rn. 18.

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Differenzierungs- und Verfahrens gebote unterteilen. Diese verschiedenen Anforderungen können zwar als Stufen typisiert werden, jedoch nicht als eine zeitlich festgelegte Reihenfolge, die nur abgearbeitet werden muß. Vielmehr sind die Teilgebote interdependent und wirken reflexiv. Ihre Verwirklichung ist als Prozeßstruktur aufgegeben, die die Behörde zu ständigen Adaptionsleistungen zwingt. Von daher ist das Analyse- sowohl Grund- als auch Rahmengebot. Es erlegt der Behörde auf, ihren Aufgabenbereich auf den Umgang mit dem Faktor Zeit hin zu untersuchen. Einzustellen sind insbesondere die Art der sich stellenden Aufgaben, der prognostisch zu ermittelnde zukünftige Aufgabenanfall, der zur Aufgabenerledigung zu erbringende Verfahrensaufwand, die vorhandenen personellen und sächlichen Ressourcen und deren organisatorische Verwendung. Vor der Umsetzung jedes weiteren Gebots ist die Analyse entsprechend konkretisiert fortzuschreiben. Umzusetzen ist die Analyse zunächst auf der Ebene des Organisationsgebots. Danach hat die Behörde Aufbau- und Ablauforganisation allgemein so zu gestalten, daß die vorhandenen Ressourcen unter dem Blickwinkel der Beschleunigung der Verwaltungsverfahren so effektiv wie möglich eingesetzt werden. 63 Ausgehend von der rur die verschiedenen Verfahrenstypen tatsächlich zu erbringenden Bewältigungsleistung, müssen Überlasten im Bereich einzelner Einheiten oder Mitarbeiter verhindert werden. Interne Reibungsverluste durch ineffektive Leistungskoordination, Motivationsmängel und gruppenpsychologische Friktionen sind zu vermeiden. Soweit in Zeiten der Knappheit möglich, sollte die Auslastung der einzelnen Einheiten unter dem Limit bleiben, um gegebenenfalls Dynamisierungsressourcen vorhalten zu können. Virulent wird das Problem besonders bei der Sonderbeschleunigung nach § 71 b letzter Halbsatz VwVfG. Weiterhin ist das Verfahren auf der Grundlage der Ablaufanalyse generell zu organisieren. Ein Beispiel ist die Standardisierung typischer Verfahrensschritte etwa in Form von Formularsätzen, ein anderes der flächendeckende Einsatz moderner Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologie, vor allem in der zwischenbehördlichen Zusammenarbeit. 64 Allgemein ist der Kommunikationsfluß zwischen Behörden, die häufiger kooperieren müssen, von vornherein möglichst stauungsfrei auszugestalten. Ein wichtiges Feld, zu dem schon unabhängig von dem einzelnen Verfahren organisatorische Überlegungen der Behörde notwendig sind, ist das des Verfahrens- bzw. Projektmanagements. Hierunter versteht man zusammenfassend die Modifikation bürokratischer Strukturen durch eine zielbezogene und aktive Organisation und Koordination aller entscheidungsrelevanten Faktoren nach 63 Dazu auch Nicolai Dose, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch verbesserte Organisationsstrukturen der öffentlichen Verwaltung, in: Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, 1994, S. 219 ff. 64 V gl. Ronellenfitsch (Anm. 17) S. 82 ff.

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flexiblen Standards. 6s Gedacht werden kann an die Bestellung eines behördlichen Projektmanagers, der die Aufgabe hat, in kürzestmöglicher Frist ein bestimmtes Verwaltungsverfahren zu koordinieren und durchzuruhren. 66 Wie bereits die Wortwahl der Vorschrift zeigt, ist der Projektmanager verschieden von dem in § 2 Abs. 2 S. 3 Nr. 5 9. BlmSchV genannten Verfahrensbevollmächtigten, der die Gestaltung des zeitlichen Verfahrensablaufs sowie die organisatorische und fachliche Abstimmung überwacht. Die Bestellung eines solchen Verfahrensbevollmächtigten ist zwar ebenfalls eine Maßnahme des Verfahrensmanagements, im Verhältnis zur Einsetzung eines aktiv gestaltenden Projektmanagers jedoch ein aliud. Soweit sich Rechtsvorschriften mit dem Projektmanagement befassen, ist allerdings wie in § 2 Abs. 2 S. 3 Nr. 5 9. BImSchV oder § 4b BauGB regelmäßig ein behördenexterner Projektmanager gemeint. Hinsichtlich des Bezugs zum Organisationsgebot ebenfalls hierher gehört die Beschäftigung mit dem Einsatz von Konfliktmittlem, sei es eines auf die Interessenintegration im Verfahren beschränkten passiven Konfliktmittlers oder eines mit dem Vorschlag der im Konflikt befindlichen Sachlösung befaßten aktiven Konfliktmittlers. 67 Instrumentell geht es dabei weniger um die Erzielung einer unmittelbaren Beschleunigungswirkung durch Mediation als vielmehr um ein Element eines umfassenden Kooperationsmanagements, das den aus dem Zügigkeitsgebot abzuleitenden Verfahrensanforderungen zuzuordnen ist. Gleichwohl sind insoweit wie rur das Projektmanagement verfahrensvorgelagerte organisatorische Bemühungen der Behörde gefordert, das rur den konkreten Einsatz von Pro-

65 Vgl. Daniela Braig / Ulrich Scharpf, Die Beschleunigung administrativer Entscheidungsprozesse bei Großvorhaben, in: Abfallnotstand als Herausforderung rur die öffentliche Verwaltung: Entsorgung, Verringerung und Vermeidung von Sonderabfall, 1995, S. 277 (298 ff.); Martin Bullinger, Beschleunigung von Investitionen durch ParallelprUfung und Verfahrensmanagement, JZ 1993, S. 492 (498 f.); Rombach (Anm. 15) S. 238 f. 66 Dazu Bullinger (Anm. 65) S. 499 f.; Rombach (Anm. 15) S. 242 ff.; Ronellenfitf!ch (Anm. 17) S. 81 f.; Martin Böckei, Projektmanagement in Verwaltungsverfahren, DÖV 1995, S. 102 ff. 67 Zur Konfliktmittlung Winfried Brohm, Verwaltungsverhandlungen mit Hilfe von Konfliktmittlern?, DVBI. 1990, S. 321 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, 1989; Bernd Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, 1990; ders., Der Einsatz von Konfliktmittlern, Schiedsrichtern und Verfahrenswaltern im amerikanischen Umweltrecht, Verw. 22 (1989), S. 421 ff.; ders.; Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren, in diesem Band; Oliver Passavant, Mittlerunterstützte Kooperation in komplexen Verwaltungsprojekten, DÖV 1987, S. 516 ff.; Michael Ronellenfitsch, Konfliktmittlung aus Anlaß von Genehmigungs- und PIanfeststellungsverfahren, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, S. 185 ff., Helmuth Schulze-Fielitz, Der Konfliktmittler als verwaltungsverfahrensrechtliches Problem, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, S. 55 f.

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jektmanagern, Verfahrensbevollmächtigten und Konfliktmittlern nötige - auch personelle - know how vorzuhalten. Die vorgeschaltete Aufgaben- und Aufwandanalyse sollte die Behörde des weiteren in die Lage setzen, generelle Zeitvorstellungen fUr die DurchfUhrung einzelner Verfahrens schritte und des Verwaltungsverfahrens insgesamt zu entwickeln. Die Rede ist an dieser Stelle nicht von durch Rechtsvorschrift vorgegebenen, gegebenenfalls sanktionsbewehrten Fristen fUr Verfahrensschritte oder die Erstellung der verfahrensabschließenden Entscheidung, sondern von einer internen Rechenschaftslegung über die anzustrebende Verfahrensdauer. 68 Ein solcher Regelfristenkatalog ist in manchen Bundesländern bereits durch Verwaltungsvorschrift eingefUhrt worden. 69 Ob dies sinnvoll ist, mag dahinstehen. Die Fassung als fUr nachgeordnete Behörden grundsätzlich verbindlicher Fristenplan birgt die Gefahr eines Konflikts mit dem im Anschluß zu behandelnden Differenzierungsgebot. Vorzuziehen ist deshalb die auf den jeweiligen Handlungsbereich der verfahrensdurchfUhrenden Behörde begrenzte Regelfristenerstellung. In jedem Fall kann und soll sich der Regelfristenkatalog nur am Durchschnittsfall der sich fUr die Behörde stellenden Bewältigungsaufgabe orientieren. 7o Da es um eine organisationsbezogene Maßnahme geht, ist maßgebend die von dem Regelfristenkatalog ausgehende Signalwirkung71. Den verfahrensdurchfiihrenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird eine Leitlinie fUr die zeitliche Verfahrensgestaltung an die Hand gegeben. Sie zwingt insbesondere zur Reflexion darüber, ob es sich in concreto um ein die Komplexität des typisierten Durchschnittsfalles übersteigendes oder unterschreitendes Verfahren handelt und wie dementsprechend der Zeitbedarf anzupassen ist. Versteht man die Aufstellung eines Regelfristenkatalogs in dieser Weise, so ist sie gleichzeitig ein probates Mittel, um dem Differenzierungsgebot gerecht zu werden. Das Differenzierungsgebot verlangt, daß beschleunigende Maßnahmen in einer dem jeweiligen Verfahrensgegenstand individuell angepaßten Weise vorgenommen werden. Es deckt sich nicht etwa mit der von der Schlichter-Kommission vorgeschlagenen fakultativen Sonderbeschleunigung nach Wahl im Unterschied zur zwingenden Regelbeschleunigung 72 • Es ist daran zu erinnern, daß das Zügigkeitsgebot ein die Ausübung des Verfahrensermes68 Zur Problematik von Entscheidungsfristen vgl. Bullinger (Anm. 17) S. 62 fT.; Rombach (Anm. 15) S. 216 ff.; Schulte (Anm. 30) S. 112 ff. 69 Vgl. etwa die Verwaltungsvorschrift des baden-württembergischen Umwe1tministeriums zur Beschleunigung von Zulassungsverfahren im Umweltbereich vom 1.12. 1992, GABI. 1993, S. 15. 70 Bullinger (Anm. 17) S. 65. 71 Bullinger (Anm. 17) S. 65; Rombach (Anm. 15) S. 217; Ronellenfitsch (Anm. 17)

S.106. 72

Investitionsförderung (Anm. 5) Rn. 209 ff.

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sens leitendes Optimierungsgebot ist. Ermessen wird der Behörde aber gerade zu dem Zweck eingeräumt, größtmögliche Einzelfallgerechtigkeit walten lassen zu können. 73 Auch bei der Umsetzung des Zügigkeitsgebots muß sich die Behörde deshalb um eine den Besonderheiten des Einzelfalls zugeordnete Zeitgerechtigkeit bemühen. 74 Typisierungen und Standardisierungen sind zwar zulässig, jedoch nur wenn sie zumindest generell ihrerseits auf die Erzeugung beschleunigender Effekte gerichtet sind. Je näher die aus dem Zügigkeitsgebot abzuleitenden Anforderungen auf das einzelne Verfahren bezogen sind, desto stärker sind die Differenzierungsanforderungen. Während sie sich auf der bereits erwähnten organisatorischen Ebene vor allem in dem Erfordernis des Vorhaltens verschiedener Reaktionsmöglichkeiten niederschlagen, verlangen sie auf der im Anschluß zu behandelnden Stufe der konkreten Verfahrensgebote eine situativ offene Steuerung in der Zeit. Das Differenzierungsgebot soll generalisierte Handlungsmuster beispielsweise hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Beschleunigung und Untersuchungsgrundsatz oder bei der Implementation des Akzeptanzgedankens ausschließen. Es veraniaßt die Behörde, in jedem Verfahren den Parameter Zeit aufs Neue zu hinterfragen. Für die zeitbezogenen Verfahrensgebote folgt aus diesen Ausfiihrungen zum Differenzierungsgebot zwangsläufig, daß nur eine Kiste von Verfahrensbausteinen ausgeschüttet werden kann, die in verschiedenen Verfahren situationsbedingt gegebenenfalls auch unterschiedlich zusammengesetzt werden müssen. Das zügige Verwaltungsverfahren gibt es eben nicht; Zügigkeit ist immer wieder neu herzustellen. Positiv gefaßt muß die Behörde alle Maßnahmen ergreifen, die eine möglichst schnelle Durchfiihrung des Verfahrens erleichtern; negativ gewendet muß sie sich auf die zum Erlaß der verfahrensabschließenden Entscheidung unbedingt notwendigen Verfahrensschritte beschränken und insoweit überflüssige Handlungen unterlassen. 75 Was in diesem Sinne notwendig und was überflüssig ist, ist vor allem im Ausgleich mit anderen Verfahrensgrundsätzen zu entwickeln. So sagt beispielsweise § 28 Abs. 1 VwVfG, daß die Anhörung Beteiligter eine notwendige Verfahrenshandlung ist. Nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwVfG darf die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen von der Anhörung absehen. Beschleunigungsgesichtspunkte spielen bei dieser Ermessensbetätigung grundsätzlich keine Rolle. Das einer Anhörung gegebenenfalls entgegenstehende zeitliche Moment ist in

13.

73

Vgl. Hili (Anm. 30) S. 451; Bult (Anm. 49) Rn. 399, 402; Maurer (Anm. 49) Rn.

74 Allgemein zur Notwendigkeit einer gegenstandsangemessenen Verfahrensgestaltung Jost Pietzcker, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 193 (209); Wahl (Anm. 6) S. 174 f.; ders. (Anm. 42) S. 115 ff. 75 Vgl. Peler Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 3. Aufl. 1993, S. 98.

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§ 28 Abs. 2 Nr.1 und 2 VwVfG als Tatbestandsvoraussetzung fUr die Eröffnung des Ermessensspielraumes eingeordnet worden. Nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint oder wenn durch die Anhörung die Einhaltung einer fUr die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde. Raum fUr eine zusätzliche Berücksichtigung allgemeiner Zügigkeitserwägungen im Rahmen der Ermessensausübung besteht nach dem Zweck der Ermächtigung nicht. Entsprechendes gilt fUr die nach § 29 Abs. 1 VwVfG grundsätzlich notwendige Gewährung von Akteneinsicht und die unter den Voraussetzungen des § 29 Abs.2 VwVfG nach Ermessen der Behörde mögliche Versagung der Einsicht. Auch hier kann die Anwendung des Zügigkeitsgebots nicht dazu fUhren, daß die im Ermessen der Behörde stehende Verfahrenshandlung grundsätzlich überflüssig und zu unterlassen ist. Denn sonst wäre das der Behörde in § 28 Abs. 2 und § 29 Abs. 2 VwVfG eingeräumte Versagungsermessen weitgehend obsolet. Ein potentielles Konfliktfeld besteht vor allem zwischen der zügigen VerfahrensdurchfUhrung und dem in § 24 VwVfG festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, nach dem die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt. Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt sie ausweis lieh des § 24 Abs. 1 S. 2 VwVfG nach ihrem Ermessen. Grundlage des Untersuchungsgrundsatzes ist im wesentlichen die dem Schutz betroffener Grundrechte und der Gesetzesbindung der Verwaltung verpflichtete Gewahr der sachlichen Richtigkeit des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsverfahren. 76 Entsprechend dem Inhalt der einschlägigen materiellen Rechtssätze ist die Behörde zur umfassenden Ermittlung des relevanten Sachverhalts verpflichtet. 77 Für die Entscheidung unerhebliche, offenkundi/ie oder bereits bewiesene Tatsachen bedürfen keiner weiteren Erforschung. 7 Unter dem Blickwinkel des Zügigkeits- als Verfahrensgebot stellt sich nun das Problem, welches Maß an Sachverhaltsermittlung notwendig ist, bevor die Behörde entscheiden darf. Darf sie bereits entscheiden, wenn sie an und fUr sich von einem bestimmten Sachverhalt ausgeht, letzte Gewißheit aber nur durch außergewöhnlich aufwendige und zeitraubende Untersuchungen zu gewinnen ist? Schon vor der ausdrücklichen Verankerung des Zügigkeitsgebots in § 10 S. 2 VwVfG ging die ganz überwiegende Auffassung davon aus, daß die aus dem Untersuchungsgrundsatz fol-

76 Wilfried Berg, Zur Untersuchungsmaxime im Verwaltungsverfahren, Verw. 1976, S. 161 (165); Raimund Brühl, Die Sachverhaltsermittlung im Verwaltungsverfahren und ihre Bedeutung für den Entscheidungsprozeß, JA 1992, S. 193 (196); Clausen (Anm. 30) § 24 Rn. 2; Kopp (Anm. 30) § 24 Rn. 1. 77 Clausen (Anm. 30) § 24 Rn. 3.1. 78 Clausen (Anm. 30) § 24 Rn. 3.1.

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genden Ermittlungsanforderungen abzuwägen sind gegen das Interesse an einer schnellen Verfahrenserledigung. 79 Die Gegenauffassung stützte sich auf das Argument, da das Gesetz kein ausdrückliches Beschleunigungsgebot enthalte, könne die Berufung auf ein solches auch nicht den notwendigen Ermittlungsumfang beeinflussen. 8o Mit der Fixierung des Gebots, Verfahren zügig durchzuführen, ist dieser Argumentation die Grundlage entzogen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß sich aus dem Zügigkeitsgebot die Pflicht der Behörde zur Begrenzung ihrer Sachverhaltsermittlung unter dem Gesichtspunkt der Schnelligkeit des Verfahrens ergibt. Unproblematisch ist dies jedenfalls dann, wenn eine verringerte Prüfmtensität durch eine nachträgliche Kontrolle der Entscheidungswirkung und gegebenenfalls ein korrigierendes Eingreifen der Behörde kompensiert werden kann. 81 Aber auch wo dies nicht der Fall ist und dem beschleunigungsbedingten Risiko einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung beispielsweise nicht durch die Beifügung eines Auflagenvorbehalts im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG gesteuert werden kann, wirkt das Verfahrensgebot der Zügigkeit auf das Maß an Sachverhaltssicherheit ein, das die Behörde für ihre Entscheidung benötigt. Ausgangspunkt ist das Vorliegen eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, daß kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse überschauender Mensch noch zweifelt. 82 Unter der durch § 10 S. 2 VwVfG vorgegebenen Optimierung der Verfahrenszügigkeit kann dieses Maximum an Wahrscheinlichkeit allerdings nur noch als Grundlage für Entscheidungen mit einer hohen Folgenintensität für Interessen Privater oder der Allgemeinheit gefordert werden. Mit abnehmender Entscheidungswirkung ist das Verhältnis zwischen Aufklärungs- und Zügigkeitsgebot entsprechend anders auszutarieren. Grundsätzlich genügt die Ausschöpfung aller für die Behörde ohne Verfahrensverzögerung erreichbarer Erkenntnisquellen, soweit sie die Herstellung eines subsumtionsflihigen Tatbestandes ermöglichen. Zwischen zwei das gleiche Sachverhaltselement betreffenden Erkenntnismitteln ist dem leichter erreichbaren auch dann der Vorzug zu geben, wenn das andere möglicherweise mehr Erkenntnissicherheit verspricht. Den vollkommenen Verzicht auf eine Sachverhaltsermittlung rechtfertigt das Zügigkeitsgebot allerdings nicht. Die Behörde muß sich damit auseinandersetzen, welcher Grad an Sachverhaltssicherheit bereits erreicht ist und weIche Maßnahmen voraussichtlich weIche Wahrschein79 BVerwG NJW 1987, S. 143; 1988, S. 1104 (1105); OVG Koblenz NuR 1986, S. 134 (135); Berg (Anm. 76) S. 178; Brühl (Anm. 76) S. 196 f.; Clausen (Anm. 30) § 24 Rn. 3.1; Hili (Anm. 30) S. 453; Rombach (Anm. 15) S. 80 f.; Paul Stelkens / Dieter Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs (Anm. 44) § 24 Rn. 36. 80 Ule / Laubinger (Anm. 30) § 21 Rn. 2. 81 Vgl. Bullinger (Anm. 17) S. 76. AA Kopp (Anm. 30) § 24 Rn. 22. 82 Clausen (Anm. 30) § 24 Rn. 5; Kopp (Anm. 30) § 24 Rn. 22; Stelkens / Kallerhoff(Anm. 79) § 24 Rn. 20; Ule / Laubinger (Anm. 30) § 27 Rn. 14.

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lichkeitssteigerung erbringen. Je geringer der zu erwartende Aufklärungsgewinn, desto eher setzt sich das Zügigkeitsgebot gegen eine weitere Untersuchung durch. Erforderlich bleibt in jedem Fall eine Sockelwahrscheinlichkeit, die das Vorliegen des von der Behörde festgestellten Sachverhalts auch fUr einen unbefangenen Beobachter nachvollziehbar macht. Hat die Behörde in dieser Weise ihr Verfahrensermessen pflichtgemäß ausgeübt, so liegt auch dann kein Verfahrensfehler vor, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der von der Behörde ermittelte Sachverhalt unvollständig war. 83 Selbst wenn diese Unvollständigkeit von Einfluß auf die Sachentscheidung war, ist § 46 VwVfG demnach nicht anwendbar. Dies ändert aber nichts daran, daß das Verwaltungsgericht bei einem mit materiellen Fehlern begründeten Angriff auf die behördliche Entscheidung selbst nach § 86 VwGO den Sachverhalt von Amts wegen aufklären und insoweit Spruchreife herstellen muß. 84 Sieht man die Funktion des Untersuchungsgrundsatzes in der Zuweisung der Verantwortung fUr die zureichende Durchdringung der Sachverhaltskomplexität an die Verwaltung, so bietet sich als Möglichkeit der zeitlichen Entlastung des Verfahrens als Vorgang der Komplexitätsreduktion die Abschichtung des Vorgangs der Entscheidungsbildung durch Teilentscheidungen an. Die Formen solcher Teilentscheidungen sind zahlreich. Sie reichen von Entscheidungen zunächst nur über die Zulässigkeit eines Antrags, über das Bestehen eines Anspruchs oder einer Leistungspflicht dem Grunde nach unter Vorbehalt der Entscheidung über die Höhe, über einen Teil eines Anspruchs auch der Höhe nach, über den Erlaß von vorläufigen Regelungen bis hin zu den bekannten Mustern gestufter Verwaltungsverfahren wie Vorbescheid, Teilgenehmigung und Zulassung vorzeitigen Beginns. Ob allerdings der Erlaß dieser Teilentscheidungen etwas mit den Verfahrensgrundsätzen des § 10 VwVfG zu tun hat, ist noch nicht ausdiskutiert. Ein beträchtlicher Teil der Verwaltungsrechtswissenschaft hält die Zulässigkeit von Teilentscheidungen fUr kein Problem des § 10 S.2 VwVfG, sondern des betreffenden materiellen Rechts 85 ; dies soll zumindest fUr Entscheidungen in gestuften Verwaltungsverfahren gelten86 •

Vgl. zur Problematik auch Hill (Anm. 30) S. 453. Clausen (Anm. 30) § 24 Rn. 8; Wolfram Höfling / Volleer Breustedt, in: Sodan / Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 1996, § 86 Rn. 68; Willy Spannowsky, in: Sodan / Ziekow, a.a.O., § 113 Rn. 26 ff. Einschränkend Hili (Anm. 30) S. 453 f. Zum Problem auch Ernst Kutscheidt, Verfahrensbeschleunigung und richterliche Kontrolldichte, NWVBI. 1995, S. 121 (123). 85 Clausen (Anm. 30) § 10 Rn. 5; Stelleens / Schmitz (Anm. 44) § 10 Rn. 8; Rombach (Anm. 15) S. 209. 86 Hill (Anm. 30) S. 451; Ule / Laubinger (Anm. 30) § 19 Rn. 14. 83

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Überwiegend wird die Sache aber anders gesehen. Ausgangspunkt dieser EntwicklunRist eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 19668 , also beträchtliche Zeit vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Es ging dabei um die Frage, ob nach den damaligen §§ 16 ff. GewO, die später durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz aufgehoben wurden, der Erlaß eines Vorbescheids zulässig war, obwohl die Gewerbeordnung diese Handlungsform nicht kannte. Das Bundesverwaltungsgericht verwies auf das auch schon vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes anerkannte Verfahrensermessen der Behörde und stellte fest, daß die materiellrechtlichen Regelungen der Gewerbeordnung dem Erlaß eines Vorbescheids nicht entgegenstanden. 88 Diesem Prüfschema folgen andere obergerichtliche Entscheidungen. In einem bei dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg anhängigen Verfahren stand das Problem zur Beurteilung, inwieweit die Baugenehmigung rur ein Zwischenlager rur abgebrannte Brennelemente eine Aussage über die Zulässigkeit einer entsprechenden Nutzung des Zwischenlagers enthält, obwohl diesbezüglich noch atomrechtliche Genehmigungen ausstanden. 89 Auch das Oberverwaltungsgericht verwies rur die Zulässigkeit einer derartigen atypischen Abschnittsbildung auf das Verfahrensermessen der Behörde und prüfte anschließend das Bestehen materiell-rechtlicher Begrenzungen dieser Befug• 90 ms. Daß dieses Modell am ehesten dem Zusammenhang von Verfahren und Sachentscheidung gerecht wird, ist offensichtlich. Ziel des Verfahrens ist die Produktion einer Entscheidung. 91 Wie die Behörde dieses Ziel erreichen will, ist nach § 10 VwVfG weitgehend ihr überlassen. Es steht in ihrem Ermessen, ob sie das Verfahrensergebnis in einer einzigen Entscheidung formulieren oder schrittweise verwirklichen will. Der zulässige Inhalt der Sachentscheidung wiederum wird durch das materielle Recht festgelegt. Ergibt dessen Auslegung, daß eine schrittweise Verwirklichung des Entscheidungsinhalts ausgeschlossen oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, so ist das Verfahrensermessen insoweit beschränkt. 92 BVerwGE 24, S. 23 ff. BVerwGE 24, S. 23 (27 f.). 89 OVG Lüneburg DVBI. 1983, S. 184 ff. 90 OVG Lüneburg DVBI. 1983, S. 184 (186). 91 Vgl. O. I 2. 92 Im Ergebnis ebenso Peter-Michael Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1997, S. 179; Peter Badura, Das Verwaltungsverfahren, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, ~.O. Aufl. 1995, § 38 Rn. 26; Franz-Joseph Peine, Der vorläufige Verwaltungsakt, DOV 1986, S. 849 (857); Kopp (Anm. 30) § 9 Rn. 38, 40; Hans-Christoph Schimmelpjennig, Vorläufige Verwaltungsakte, 1989, S. 152 f.; Volkmar Götz, Die vorläufige Subventionsbewilligung, JuS 1983, S. 924 (927). A. A. Klaus Kemper, Der vorläufige Verwaltungsakt, 1990, S. 122 f., der allerdings unzutreffenderweise (vgl. o. I 1.) von einer fehlenden Normativität des § 10 S. 2 VwVfG ausgeht. 87 88

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Aus § 10 S. 2 VwVfG ergibt sich deshalb das an die Behörde gerichtete Verfahrensgebot zu prüfen, ob eine Verfahrensbeschleunigung durch Erlaß einer Teilentscheidung möglich ist. Eines darauf gerichteten Antrags Verfahrensbeteiligter bedarf es nur dann, wenn er gesetzlich vorgeschrieben ist. Gleichwohl ist die Erörterung der sich aus der Schichtung der Entscheidung ergebenden Konsequenzen mit den Beteiligten ein Bestandteil des durch die Verfahrensgebote des § 10 S. 2 VwVfG geforderten Kooperationsmanagements. Bei ihrer Prüfung hat die Behörde zu beachten, daß die Reduzierung von Sachverhaltskomplexität durch den Erlaß einer Teilentscheidung nicht zwangsläufig mit einer Verfahrensbeschleunigung verbunden sein muß. Insbesondere bleibt zu beachten, daß sich das Zügigkeitsgebot auf den gesamten Zeitraum bis zur tatsächlichen Realisierbarkeit der verfahrensabschließenden Endentscheidung bezieht. 93 Besteht beispielsweise über den Grund eines vom Antragsteller geltend gemachten Anspruchs von 1000,- DM und die Höhe bis zum Betrag von 800,- DM Klarheit, wohingegen bezüglich des Bestehens eines Anspruchs auf die restlichen 200,- DM langwierige Sachverhaltsermittlungen notwendig sind, so liegt es unzweifelhaft im Interesse des Anspruchsstellers, zunächst einen positiven Bescheid über den Teilbetrag von 800,- DM zu erhalten. Eine Verfahrensbeschleunigung im Sinne des Zügigkeitsgebots findet damit jedoch nicht statt, da die Notwendigkeit der Ausermittlung der Restforderung unverändert bestehen bleibt. Ähnliches gilt grundsätzlich fUr die Stufung komplexer Zulassungs verfahren durch Vorbescheid oder Teilgenehmigung. Der Erlaß einer solchen Maßnahme reduziert nicht das Gesamtprüfungsprogramm fUr den Genehmigungsgegenstand, sondern fUhrt tendenziell eher zu einer Erhöhung des Prüfungsaufwandes. Denn wegen der notwendigen vorläufigen Gesamtbeurteilung vor Erlaß von Vorbescheid oder Teilgenehmigung hat sich die Behörde mit erst später zu prüfenden Genehmigungsvoraussetzungen doppelt zu befassen: zunächst zur Erstellung der Gesamtprognose und bei weiterem Fortschreiten des Genehmigungsverfahrens dann abschließend. 94 Gleichwohl kann sich durch die Verfahrensstufung ein Beschleunigungseffekt ergeben, wenn man die einschlägigen Präklusionsregelungen beispielsweise der §§ 11 BImSchG oder 7 b AtG mit in den Blick nimmt. Danach sind im weiteren Verfahren Einwendungen ausgeschlossen, die schon gegen den unanfechtbar gewordenen Vorbescheid bzw. die Teilgenehmigung vorgebracht worden sind oder hätten vorgebracht werden können. Gerichtliche Verfahren gegen die abschließende Genehmigung werden hierdurch entlastet, da das noch abzuarbeitende Konfliktpotential reduziert und

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Vgl. o. 13. Rombach (Anm. 15) S. 202 ff.

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der allein zur Verfahrensverschleppung dienende Rückgriff auf bereits erledigt geglaubte Verfahrensabschnitte versperrt ist. 95 Auf noch dünnerem Eis steht die Beurteilung der Zulassung vorzeitigen Beginns, etwa nach § 8 a BlmSchG, § 33 KrW- / AbfG oder § 9 a WHG, mit Blick auf das Zügigkeitsgebot. Es wurde von Expertenseite immer wieder darauf hingewiesen, daß die vor der Zulassung vorzeitigen Beginns erforderliche Prüfung, ob mit einer Entscheidung zugunsten des Antragstellers gerechnet werden kann, wie bei der Teilgenehmigung jedenfalls nicht zu einer Verringerung des PrUfungsaufwandes führt. Anders als bei der Teilgenehmigung wird dies jedoch nicht durch eine Präklusionsregelung kompensiert. Da der Zulassung vorzeitigen Beginns auch nicht die der Teilgenehmigung eigene Bindungswirkung zukommt, liegt die Einschätzung auf der Hand, der Antragsteller bekomme dasselbe besser mit einer Teilgenehmigung. 96 Das Beschleuni~ungs­ potential der vorläufigen Zulassung wird eher als gering eingeschätzt. 9 Eine beschleunigende Wirkung kann sich lediglich insofern ergeben, als der Antragsteller früher mit der tatsächlichen Errichtung der Anlage beginnen kann. 98 Es sei nur am Rande vermerkt, daß auch dieser Beschleunigungseffekt nur zu erzielen ist, wenn man der Zulassung vorzeitigen Beginns eine ihr nach dem Gesetzeswortlaut nicht zukommende Konzentrationswirkung etwa hinsichtlich einer erforderlichen Baugenehmigung beilegt. 99 Jedenfalls verbleibt der gegebenenfalls erzielbare faktische Zeitgewinn allein in der Sphäre des Antragstellers. Selbst nach der hier für die Anwendung des Zügigkeitsgebots vertretenen Auffassung bleibt dieser Parameter außerhalb der von der Behörde nach § 10 S. 2 VwVfG anzustellenden zeitbezogenen Folgenabschätzung. 1OO Das Zügigkeitsgebot verpflichtet mithin die Behörde nicht dazu, die Zulassung vorzeitigen Beginns von sich aus in den Blick zu nehmen. Rombach (Anm. 15) S. 203. Klaus Hansmann, Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren?, NVwZ 1997, S. 105 (Ill); Franz-Josej Moormann, Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, in: Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren - Deregulierung, 1997, S. 159 (179). 97 Wilfried Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Zulassung von Abfallentsorgunganlagen, 1993, S. 285; RudolfSteinberg I Hans-Jürgen Allert I Carsten Grams I Joachim Scharioth, Zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens rur Industrieanlagen, 1991, S. 133. Verfassungsrechtliche Bedenken bei Lucia &/rert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 78. 98 Hansmann (Anm. 96) S. 111; Rombach (Anm. 15) S. 168. 99 Zu dieser noch nicht geklärten Frage Manfred Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, 7. Aufl. 1998, § 31 Rn. 76; Hanns Engelhardt I Johannes Schlicht, Bundesimmissionsschutzgesetz, 4. Aufl. 1997, § 8 Rn. ll; Michael Scheier, Zulassung des vorzeitigen Beginns, NVwZ 1993, S. 529 (530, 533); Klaus Thorwarth, Die Konzentrationswirkung der Zulassung des vorzeitigen Ausbaubeginns nach § 9a i.V.m. § 31 Abs. 2a WHG im Planfeststellungsverfahren, ZfW 1991, S. 205 ff. 100 Vgl. auch Rombach (Anm. 15) S. 168. 9S

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Weitere Verfahrensgebote wie das Sternverfahren oder die Antragskonferenz waren in der Behördenpraxis seit langem bekannt und sind vom Gesetzgeber im wesentlichen nur nachvollziehend in die §§ 71d und e VwVfG aufgenommen worden. Die darin niedergelegten Koordinationsgrundsätze gelten auch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 71a ff. VwVfG, soweit es in dem jeweiligen Verfahren erforderlich ist. Das Verfahrensgebot mit der größten Nähe zu den Betroffenen ist eine Kategorie, die sich als Kooperationsmanagement bezeichnen läßt. Bereits vor der Neufassung des § 10 S. 2 VwVfG durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz war anerkannt, daß die Vorschrift ein Spektrum von verfahrensimmanenten Kooperationsmöglichkeiten eröffnet. 101 Diese Tendenz ist mit der Novellierung verstärkt worden. Die dahingehende Marschroute war von der Schlichter-Kommission klar abgesteckt worden. Beratung und kooperative Beschleunigung sind wesentliche Elemente des von der Kommission vorgeschlagenen offenen Beschleunigungsmodells. 102 Ein zügigkeitsorientiertes Verfahrensrecht ist notwendigerweise ein kooperatives. Wichtig ist vor allem die Erinnerung an das aus dem Zügigkeitsgebot abgeleitete Differenzierungsgebot. Es fordert von der Behörde das Bemühen um eine Zeitgerechtigkeit, die den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht wird. l03 Eine einzelfallbezogene Optimierung des Verfahrensfaktors Zeit ist besser unter Einbeziehung der Betroffenen zu erreichen. Man muß aber insoweit unterscheiden: Beim Erlaß eines belastenden Verwaltungsakts wird eine über die durch § 28 Abs. 1 VwVfG vorgeschriebene Anhörung hinausgehende Kooperation mit dem potentiellen Adressaten wenig bringen. Sein Interesse wird im Regelfall darauf gerichtet sein, den Erlaß des Verwaltungsakts eher zu verzögern als zu beschleunigen. Aber auch hier kann ein Kooperationsmanagement darauf gerichtet sein, die Akzeptanz der belastenden Maßnahme rur den Adressaten zu erhöhen und so die Wahrscheinlichkeit einer Anfechtung der Entscheidung zu vermindern. Unverkennbar ist aber, daß die Domäne des Kooperationsmanagements bei den auf Erlaß eines begünstigenden Verwaltungs akts - sei es mit oder ohne drittbelastende Wirkung - gerichteten Verwaltungsverfahren liegt. Wesentliche Versatzstücke eines solchen Kooperationsmanagements, die in den Bereich des allgemeinen Zügigkeitsgebots des § lOS. 2 VwVfG transponiert werden können, nennt § 71c VwVfG. I04 Angeknüpft werden kann zunächst an die Auskunftspflicht der Behörde über die Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung, wie sie in § 71c Abs. 1 VwVfG speziell rur die GenehmiSchoch (Anm. 33) S. 30. Vgl. Investitionsfdrderung (Anm. 5) Rn. 200, 230. 103 Vgl. O. 13. 104 Zu § 71 c VwVfG als Normierung des Kooperationsmanagements Bonk (Anm. 30) S. 326, 328; Stüer (Anm. 4) S. 327. 101

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gungsverfahren verankert worden ist. Eine solche Auskunft dürfte voraussetzen, daß die Behörde im wesentlichen Klarheit über den Zeitbedarf des Verfahrens gewonnen hat. Anhaltspunkt dafür ist der auf der Stufe des Organisationsgebots aufgestellte Regelfristenkatalog, der die Behörde gerade zur Reflexion über den zeitlichen Anpassungsbedarf im konkreten Verfahren veranlassen soll.IOS Die Behörde hat also für jedes Verfahren einen zumindest groben Verfahrensplan zu erarbeiten, der die wesentlichen Verfahrensschritte Zeiteinheiten zuordnet. In Anbetracht des Bezugsrahmens des Zügigkeitsgebots erstreckt sich dieser Plan auch auf die bei einer eventuellen Anfechtung der Entscheidung ungefähr hinzuzurechnende Zeit bis zum Abschluß eines Widerspruchsbzw. gerichtlichen Verfahrens. Während des Verfahrens hat die Behörde die so ermittelten Soll-Zeiten mit den Ist-Zeiten abzugleichen und den Verfahrensplan entsprechend anzupassen. 106 Eine Pflicht der Behörde, den Zeitplan von Amts wegen dem Antragsteller mitzuteilen und ihn mit ihm zu erörtern, besteht nicht. Wie § 25 S. 2 VwVfG verwendet § 7lc Abs. 1 VwVfG den Terminus "Auskunft", so daß die Information - soweit sie erforderlich ist - nur auf Verlangen gewährt werden muß. 107 Allerdings unterliegt die Mitteilung und Erörterung des Zeitplans ohne vorherige Anfrage dem Verfahrensermessen der Behörde, dessen Ausübung vom Zügigkeits- als Optimierungsgebot geleitet wird. Entsprechend ist das Ermessen eingeschränkt, wenn eine Abstimmung des Verfahrensplans mit dem Antragsteller das Verfahren beschleunigen kann. In Genehmigungsverfahren ist das Ermessen der Behörde zur Mitteilung des Zeitplans auf Null reduziert. Nach § 71c Abs. 3 VwVfG hat die Behörde dem Antragsteller nach Eingang des Antrags unverzüglich mitzuteilen, mit welcher Verfahrensdauer zu rechnen ist. Da diese Mitteilung dem Antragsteller Dispositionssicherheit ermöglichen soll, genügt die Angabe eines allgemeinen Zeitrahmens nicht. Vielmehr ist die Verfahrensdauer - entsprechend dem Verfahrensplan aufgeschlüsselt nach Verfahrensschritten - soweit wie möglich zu konkretisieren. 108 Ist der Zeitplan dem Antragsteller mitgeteilt worden, so sind notwendig werdende Änderungen mit dem Antragsteller zu erörtern. 109 Ein weiterer Bestandteil eines Kooperationsmanagements, der für die Verwirklichung des Zügigkeitsgebots hervorgehobene Bedeutung hat, ist das breite Spektrum von Möglichkeiten, die Akzeptanz behördlicher Entscheidungen zu Vgl. o. I 3. Vgl. Martin Bul/inger, Verwaltung im Rhythmus von Wirtschaft und Gesellschaft, JZ 1991, S. 53 (60). 107 Vgl. Clausen (Anm. 30) § 25 Rn. 4.6. 108 Busch (Anm. 47), Nachtrag zur 5. Aufl., 1996, § 71c Rn. 5. 109 Vgl. den Bericht der sog. Waffenschmidt-Kommission zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren ruf Anlagen, 1989, S. 26. 105

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verbessern und damit das Risiko einer zeitraubenden Anfechtung zu vennindem. Die Vorschriften über das Genehmigungsverfahren greifen das Problem, wenngleich nur am Rande, auf in § 7lc Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG. Danach erörtert die Genehmigungsbehörde im sog. Vorantragsverfahren mit dem zukünftigen Antragsteller, in welcher Weise die Beteiligung Dritter oder der Öffentlichkeit vorgezogen werden kann, um das Genehmigungsverfahren zu entlasten. Es wird daraus das Bewußtsein des Gesetzgebers deutlich, daß es fiir die Dauer eines Genehmigungsverfahrens durchaus darauf ankommt, wann und wie eine Beteiligung Drittbetroffener bzw. der Öffentlichkeit erfolgt. Der Gesetzgeber erweist sich damit als weitsichtiger als Teile des wissenschaftlichen Schrifttums, in dem die Öffentlichkeitsbeteiligung teilweise noch immer als potentiell verfahrensverlängernd angesehen wird. 1\0 Allerdings wird sich schlechterdings nicht bestreiten lassen, daß sich die Öffentlichkeits- und Drittbetroffenenbeteiligung selbst unter Einbeziehung der Rechtsschutzperspektive verfahrensdauerausweitend auswirken kann. Zahlreiche Studien belegen, daß eine solche Verfahrensverlängerung trotz Beteiligung immer dann eintritt, wenn die Durchfiihrung der Beteiligung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die wesentlichen Entscheidungsparameter bereits feststehen. In diesem Fall erscheint die Erörterung potentiellen Opponenten als bloßer Fonnalakt, der keine wirklichen Einflußnahmemöglichkeiten mehr eröffnet und deshalb nicht akzeptanzvennittelnd wirken kann. 111 Akzeptanz ist dabei nicht gleichbedeutend mit Konsens: Wer eine Verwaltungsentscheidung akzeptiert, muß sie nicht fiir die richtige Lösung halten. Entscheidend ist allein, daß er sie als noch vertretbare Problemlösung hinnimmt und als auch fiir sich verbindlich annimmt. 112 Daraus ergibt sich fiir die Akzeptanzschaffung im Sinne eines verfahrensverkürzenden Kooperationsmanagements ein Mehrfaches: Ausgangspunkt ist der Sinn von Akzeptanzvennittlung fiir die Beschleunigung von Verwaltungs verfahren: Personen, die die Verwirklichung der behördlichen Entscheidung vor allem durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes möglicherweise verhindern oder verzögern wollen, sollen zur Hinnahme der Entscheidung und damit zum Verzicht auf verfahrens verlängernde Handlungen bewegt wer-

In dieser Richtung Pietzcker (Anm. 74) S. 194; Ronellenfitsch (Anm. 17) S. 90. Heidrun Gleim-Egg, Kritische Ereignisse bei einem konflikthaften Erörterungstermin, in: Abfallnotstand als Herausforderung für die öffentliche Verwaltung: Entsorgung, Verringerung und Vermeidung von Sonderabfall, 1995, S. 207 (220). Wolfgang Hoffmann-Riem I Susanne Rubbert, AtomrechtIicher Erörterungstermin und Öffentlichkeit, 1984, S. 29 ff.; Holznagel, KonfliktIösung (Anm. 67) S. 84 ff.; Würtenberger (Anm. 23) S. 163. 112 Hermann Hili, Akzeptanz des Rechts - Notwendigkeit eines besseren Politikmanagements, JZ 1988, S. 377; Thomas Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, S. 257 (258 f.). 110 111

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den. 113 Dies wird am ehesten gelingen, wenn sie zu einem Zeitpunkt beteiligt werden, zu dem ihre Einwendungen noch gestaltend auf die Verwaltungsentscheidung Einfluß nehmen können. Die Bürgerbeteiligung ist deshalb möglichst frühzeitig durchzufiihren. 114 Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß weder § 10 S. 2 noch § 71c Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG die Behörde von der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften über den Beteiligungszeitpunkt entbinden." s Nur wenn dieser Zeitpunkt der Behörde nicht vorgegeben ist, hat sie die Möglichkeit zu einer durch das Zügigkeitsgebot prädisponierten Durchführung einer frühen Beteiligung. Das Beteiligungsverfahren selbst, beispielsweise der Erörterungstermin, ist so zu gestalten, daß es sein Ziel, Akzeptanz herzustellen, überhaupt erreichen kann. Beispiele sind eine großzügige Informationspolitik, auch hinsichtlich des Inhalts von die behördliche Entscheidung stützenden Gutachten, eine dialogische Durchfiihrung der Erörterung, die Diskussion von Altemativvorschlägen und das Bemühen um Kompromißlösungen. 116 Hier bietet sich insbesondere der Rückgriff auf das auf der Stufe der Organisationsgebote erarbeitete know how hinsichtlich des Einsatzes unabhängiger Persönlichkeiten an, die als Konfliktmittler einen Kompromißvorschlag anbieten sollen.

11. Die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nach den §§ 7la ff. VwVfG Gesetzessystematisch sind die §§ 71a-e VwVfG eine Konkretisierung des allgemeinen Zügigkeitsgebots des § 10 S. 2 VwVfG für die in § 71a VwVfG näher bezeichneten Genehmigungsverfahren. Die zur Anwendung des § lOS. 2 VwVfG entwickelten Grundsätze gelten also auch hier, werden allerdings teilweise - wenngleich nur in Randbereichen - modifiziert. Wie zahlreiche Stim113 Vgl. Carl-Eugen Eberle, Arrangements im Verwaltungsverfahren, Verw. 1984, S.439 (442); Fritz Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, S. 465 (467); Rombach (Anm. 15) S. 224; WolfRüdiger Schenke. Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VBIBW 1982, S. 313 (317); Würtenberger (Anm. 23) S. 16,66 f.; ders. (Anm. 112) S. 261. 114 Gleim-Egg (Anm. 111) S. 220; Würtenberger (Anm. 23) S. 163 f.; Rombach (Anm. 15) S. 225; Volker Weber, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung Betroffener, in: Dose I Holznagel I Weber, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, 1994, S. 135 (144). IJS Busch (Anm. 108) § 71c Rn. 4; Henning Jäde, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nach dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, UPR 1996, S. 361 (367). 116 Dazu Gleim-Egg (Anm. 111) S. 220 f.; Würtenberger (Anm. 23) S. 125 ff.

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men aus Wissenschaft und Praxis hebt auch die BegrUndung des Regierungsentwurfs eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes hervor, daß viele der vorgesehenen Instrumente schon nach bisherigem Recht zulässig waren und in der Praxis teilweise zum Einsatz kamen. Betont wird die Signalwirkung, die einer ausdrUcklichen gesetzlichen Erwähnung filr die Bereitschaft der Behörden zukomme, auf diese Möglichkeiten zurUckzugreifen. 117 Allerdings wurde diese Zielsetzung der Normativierung als Merkposten nicht durchweg positiv beurteilt. Aus Nordrhein-Westfalen etwa kam das Bedenken, der neue Abschnitt würde zu einer Verrechtlichung des bisher freien Verwaltungsverfahrens filhren und damit einer Bürokratisierung Vorschub leisten. 118 Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Einwand nicht. Mit dem Vertrauen des Gesetzgebers in die bereits erwähnte Klugheit der Verwaltung und ihre Kreativität bei der Umsetzung des Zügigkeitsgebots ist es offenbar nicht allzu weit her. Das ist aber wohl auch nicht der Punkt, um den es bei den §§ 71a ff. VwVfG geht. Hinter den Regelungen steht vielmehr ein guter Teil Standortpsychologie. Insbesondere die Kernregelung, der § 7lc VwVfG, läßt sich kaum anders als im Sinne vertrauensbildender Maßnahmen ftlr Investitionsvorhaben deuten. Das muß immer im Auge behalten werden, wenn man die Vorschriften über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren rechtlich fassen will. Hinsichtlich des Anwendungsbereichs der §§ 71a-e VwVfG spricht § 7la VwVfG von Verwaltungsverfahren, die die Erteilung einer Genehmigung zum Ziel haben, die der Durchftlhrung von Vorhaben im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung des Antragstellers dient. Gegenüber dem Vorschlag der Schlichter-Kommission, der ganz allgemein von "behördlicher Genehmigung" spricht,119 ist die Bestimmung mit Blick auf die genannte Zielrichtung des Abschnitts deutlich präziser. Dennoch lassen die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe zahlreiche Fragen offen. Wohl noch am leichtesten geklärt werden kann, was unter einer "Genehmigung" zu verstehen ist. Die BegrUndung des Regierungsentwurfs fUhrt dazu aus, der Begriff sei im weiteren Sinne zu verstehen und umfasse auch Genehmigungen wie beispielsweise die Plangenehmigung und Erlaubnisse. 12o Ganz allgemein kann unter "Genehmigung" jede ausdrUckliche behördliche Gestattung - also nicht die bloße Entgegennahme einer Anzeige - gefaßt werden, die ein gesetzliches Verbot - sei es mit Erlaubnis- oder mit Befreiungsvorbehalt - filr den Einzelfall außer Wirkung

117 BTDrucks 13 / 3995 S. 8; Heribert Schmitz / Franz Wessendorf, Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz - Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz und der Wirtschaftsstandort Deutschland, NVwZ 1996, S. 955 (959). 118 Vgl. Pein (Anm. 61) S. 1402. 119 Investitionsförderung (Anm. 5) Rn. 920. 120 BTDrucks 13 / 3995 S. 8.

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setzt. 12I Ob diese Gestattung durch einen Verwaltungsakt oder in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag erteilt wird, ist unerheblich. 122 Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach dem Gegenstand der Genehmigung. Das Gesetz spricht von der "Durchführung von Vorhaben im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung des Antragstellers". Damit ist zunächst klargestellt, daß der wirtschaftliche Bezug in der Person des Antragstellers bestehen muß. Ein gleichsam fremdnütziges beschleunigtes Genehmigungsverfahren gibt es nicht. Inhaltlich neutral ist der Begriff des Vorhabens. Er bezeichnet schlicht den Inbegriff dessen, auf das sich die Genehmigung bezieht, also dasjenige, was der Antragsteller vorhat und wofür er einer Genehmigung bedarf. 123 Dabei muß es sich nicht notwendigerweise um objektbezogene Vorhaben etwa im Sinne des Baurechts (vgl. § 29 BauGB) oder einer immissionsschutzrechtlichen Anlage (vgl. § 4 BImSehG) handeln. Einbezogen sind ebenso subjektbezogene Vorhaben, die einer Genehmigung mit Elementen einer Personalkonzession bedürfen. 124 Beispiele sind die Gaststättenerlaubnis (§ 2 GaststättenG), die Reisegewerbekarte (§ 55 GewO), Genehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz (§ 2 PBefG) und ähnliches. Die Kernfrage der Anwendbarkeit der §§ 71a ff. VwVfG ist nun die, ob solche Vorhaben "im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung" im Sinne des § 71a VwVfG liegen. Soweit ersichtlich ist der Begriff der wirtschaftlichen Unternehmung dem öffentlichen Recht bisher zwar nicht fremd. Jedoch lassen die andersartigen Regelungszusammenhänge beispielsweise des § 4 Abs. 1 S. 2 BlmSchG eine Verallgemeinerung nicht ohne weiteres zu. Den Begriff deshalb wegen seiner Unschärfe zu kritisieren,125 erscheint gleichwohl ein wenig überzogen. Jeder unbestimmte Rechtsbegriff, der neu formuliert wird, ist anfiinglich mehr oder weniger interpretationsoffen. Sachgerechte Auslegungskriterien zu entwickeln, ist Aufgabe von Praxis und Wissenschaft. Die Begründung des Regierungsentwurfs bietet insoweit nur wenige Anhaltspunkte. Zunächst soll das Kriterium der "wirtschaftlichen Unternehmung" Genehmigungen aus dem Anwendungsbereich der §§ 71a ff. VwVfG ausschließen, die einen Bezug ausschließlich zur privaten Lebensführung des Antragstellers aufweisen, beispielsweise die Erteilung einer Fahrerlaubnis. 126 Kritik hat die in der Entwurfsbegründung vorgenommene Ausgrenzung der lediglich einer Berufszulassung 121

Ähnlich Heinz Jaachim Bank, in: Stelkens I Bonk I Sachs (Anm. 44) § 71a Rn. 41

ff.; Jäde (Anm. 115)363.

Vgl. auch Busch (Anm. 108) § 71a Rn. 2. Vgl. Jäde (Anm. 115) S. 363. 124 Bank (Anm. 30) S. 327; Busch (Anm. 108) § 71a Rn. 4; Jäde (Anm. 115) S. 363. 125 So die Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf, BR-Drs. 29 I 1 I 96 S. 5 f.; Ecken (Anm. 97) S. 47 f.; Caspar David Hermanns, Das GenBeschlG und die Fachplanungsgesetze, in: Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 144 (152). 126 BTDrucks 13 I 3995 S. 8. 122 123

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dienenden Genehmigungen, wie z. B. die Approbation als Apotheker oder Arzt, aus dem Begriff der wirtschaftlichen Unternehmung l27 gefunden. 128 In der Tat scheint auf den ersten Blick der Zusammenhang zwischen Berufszulassung und wirtschaftlicher Betätigung auf der Hand zu liegen. Gemeint aber ist folgendes: Die Approbation dient nicht dem Beginn einer wirtschaftlichen Unternehmung, sondern schafft nur eine Voraussetzung filr diesen. Vergleichbar ist die Situation im Handwerksrecht: Mit dem Bestehen der Meisterprüfung im Sinne des § 46 HwO wird nur die Befähigung zur selbständigen Führung eines Handwerksbetriebes festgestellt, nicht aber diese Befugnis bereits verliehen. Dazu ist ein weiterer Akt erforderlich, nämlich die Eintragung in die Handwerksrolle nach § 7 HwO. Approbation als Apotheker und die Feststellung des Bestehens der Meisterprüfung sind - grundrechtsdogmatisch korrekt formuliert - Berufszulassungsvoraussetzungen. 129 Die eigentliche Berufszulassung erfolgt dann durch die Erteilung der Apothekenerlaubnis bzw. die Eintragung in die Handwerksrolle. l3O Daß diese Akte von § 71a VwVfG erfaßt werden, darf als sicher gelten. 131 Versucht man, diese Zusammenhänge in herkömmliche juristische Begrifflichkeit zu fassen, so bietet sich die Entwicklung eines Unmittelbarkeitskriteriums an: Zwischen der wirtschaftlichen Unternehmung und dem Gegenstand der Genehmigung muß eine Beziehung der Unmittelbarkeit in dem Sinne bestehen, daß die Genehmigung entweder die Führung einer bereits bestehenden wirtschaftlichen Unternehmung fördert oder die Zulässigkeit dieser Unternehmung eröffnet. Darauf deutet auch der Wortlaut des § 71a VwVfG hin, wonach das Vorhaben im Rahmen der wirtschaftlichen Unternehmung liegen muß und ihr nicht vorgelagert sein darf. Dient die endgültige Vorhabengenehmigung in diesem Verständnis der wirtschaftlichen Unternehmung, so sind ebenso Akte der Verfahrensstufung wie Vorbescheid und Teilgenehmigung umfaßt. Entsprechend dem Hinweis in der Entwurfsbegründung, daß § 71a VwVfG auch öffentliche Investitionen wie Müllverbrennungsanlagen oder Kläranlagen erfaßt,132 ist der Begriff der wirtschaftlichen Unternehmung nicht eng zu fassen, beispielsweise im Sinne von Vorhaben, die volkswirtschaftlich relevant

So BTDrucks 13 / 3995 S. 8. Kritisch etwa Bank (Anm. 30) S. 327. 129 Vgl. dazu Jan Ziekaw, Befähigungsnachweise im Gewerberecht als Verfassungsproblem, in: Wirtschaft und Recht, 1989, S. 99 ff. 130 Für das Apothekenrecht Helge Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 196 ff.; fIlr das Handwerksrecht Jan Ziekow, Handwerksrecht, JuS 1992, S. 728 ff. 131 Vgl. auch Bank (Anm. 30) S. 327. 132 BTDrucks 13 / 3995 S. 8. 127

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sind oder Arbeitsplätze schaffen. 133 Ausschlaggebend ist allein der ökonomische Bezug, also die Führung einer Organisationseinheit, und sei sie noch so klein, nach erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen. Die Ausrichtung auf eine Gewinnerzielung macht die Unternehmung zur wirtschaftlichen, zu der deshalb beispielsweise auch land- und forstwirtschaftliehe Betriebe zählen. 134 Klärungsbedürftig ist weiterhin das Verhältnis der §§ 71a ff. VwVfG zu den verfahrensrechtlichen Vorschriften der Spezialgesetze. Nicht anwendbar sind die Beschleunigungsbestimmungen ausweislieh des § 72 Abs. 1 VwVfG auf Planfeststellungsverfahren. Laut der Begründung des Regierungsentwurfs werden die §§ 71a ff. VwVfG darüber hinaus dann verdrängt, wenn die entsprechenden fachrechtlichen Verfahrensregelungen wie im Immissionsschutz-, Atom- und Chemikalienrecht abschließenden Charakter haben. 135 Das ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 1 VwVfG, wonach das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht zur Anwendung kommt, soweit andere Rechtsvorschriften des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Daraus läßt sich aber wohl nicht schließen, daß die Regelungen über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nicht einmal ergänzend zu den Verfahrensbestimmungen der Fachgesetze herangezogen werden können. 136 In Anbetracht des dann verbleibenden geringen, hauptsächlich auf investiv unbedeutendere Vorhaben beschränkten Anwendungsbereichs der §§ 7la ff. VwVfG wäre dieses Ergebnis sinnwidrig. 137 Dem Optimierungsgedanken des Beschleunigungsgebots erscheint mir vielmehr der Ansatz von Stüer am nächsten zu kommen, die Beschleunigungsregeln auch dann anzuwenden, wenn sich aus dem Fachgesetz ein geringerer Grad eines Beschleunigungseffekts ergeben würde. 138 Sind danach die Vorschriften über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren anwendbar, so gilt das Beschleunigungsgebot des § 71b VwVfG. Danach trifft die Genehmigungsbehörde die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen dafilr, daß das Verfahren in angemessener Frist abgeschlossen und auf Antrag besonders beschleunigt werden kann. Ebenso wie das allgemeine Zügigkeitsgebot stellt § 71b VwVfG eine zwin~ende Verpflichtung der Behörde und nicht einen bloßen Programmsatz dar. 13 Nach der Begrün133 In diese Richtung gehend aber die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 29 / I / 96 S. 5; Nico Fengler, Rechtsprobleme zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, RiA 1997, S. 279 (284). 134 Bonk (Anm. 121) § 71 a Rn. 50, 56; Busch (Anm. 108) § 71a Rn. 3; Hermanns (Anm. 125) S. 152; Jäde (Anm. 115) S. 364. 135 BTDrucks 13 /3995 S. 7. 136 So aber wohl Bonk (Anm. 30) S. 326. 137 Vgl. auch Eckert (Anm. 97) S. 48. 138 Stüer (Anm. 4) S. 327. 139 Bonk (Anm. 121) § 71b Rn. 10; Hermanns (Anm. 125) S. 152; Jäde (Anm. 115) S. 364. A.A. Busch (Anm. 108) § 71b Rn. 2.

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dung des Regierungsentwurfs zielt die Verpflichtung der Behörde, beschleunigende Vorkehrungen zu treffen, darauf ab, daß die Behörde innerhalb des ihr rechtlich und tatsächlich zur VerfUgung stehenden Rahmens ihre beschleunigungsrelevanten personellen und organisatorischen Möglichkeiten voll ausschöpft. 140 Insoweit wiederholt die Bestimmung lediglich die sich schon aus dem allgemeinen Zügigkeitsgebot als Organisations- und Verfahrensgebote ergebenden Anforderungen. 141 Daß sich die Behörde bei ihrer Umsetzung an geltendes Recht zu halten hat, ist selbstverständlich. Der Hinweis auf die tatsächlichen Möglichkeiten der Behörde betont die Begrenzung der Beschleunigungschancen durch die vorhandenen Ressourcen. Einen über § 10 S. 2 VwVfG hinausgehenden Gehalt kann der § 71b VwVfG allenfalls hinsichtlich seines letzten Halbsatzes haben, wo von einer besonderen Beschleunigung auf Antrag die Rede ist. Wir haben hier den traurigen Rest dessen vor uns, was einmal von der Schlichter-Kommission als offenes Beschleunigungsmodell entworfen worden war. 142 Die Konzeption der Schlichter-Kommission beruhte vor allem auf einer Zweispurigkeit beschleunigender Instrumente, der sog. Regelbeschleunigung und der sog. Sonderbeschleunigung nach Wahl. Während die Regelbeschleunigung allen einschlägigen Verwaltungsverfahren zugute kommen sollte und sich in den §§ 10 S. 2, 71b VwVfG niedergeschlagen hat, sollte die Sonderbeschleunigung dem Investor die Möglichkeit eröffnen, die Zeitdauer des Genehmigungsverfahrens durch zusätzliche Beschleunigungsmittel seiner Wahl zu verkürzen. Die Sonderbeschleunigungsmittel, die rur den Antragsteller eine zusätzliche Kostenlast bedeuten, sollten ihm entweder unmittelbar durch das Gesetz zur Wahl gestellt oder von der Behörde in einem geeigneten Angebot zusammengestellt werden. 143 Von diesem Verständnis flexibler und nachfragegerechter Beschleunigung als öffentlicher Dienstleistung ist in § 71 b VwVfG nicht viel übrig geblieben. Grundsätzlich verweist die dort vorgesehene besondere Beschleunigung lediglich auf antragsabhängige und in Fachgesetzen ausdrücklich vorgesehene Beschleunigungsmöglichkeiten. 144 Diesbezüglich erschöpft sich die BTDrucks 13 /3995 S. 9. Auf diese Wiederholung hat schon die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 29 / 1 / 96 S. 6, hingewiesen; ebenso &kert (Anm. 97) S. 48. Zu den Organisationsund Verfahrensgeboten o. 13. 142 Zur Abweichung der §§ 71a ff. VwVfG von den Vorschlägen der SchlichterKommission im einzelnen Eckert (Anm. 97) S. 26 ff. 143 Investitionsförderung (Anm. 5) Rn. 209 ff. Dazu Martin Bullinger, Investitionsförderung durch nachfragegerechte und kooperative Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, JZ 1994, S. 1129 ff.; Otto Schlichter, Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, DVBI. 1995, S. 173 ff. 144 Begründung des Regierungsentwurfs eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BTDrucks 13 / 3995 S. 9; &kert (Anm. 97) S. 48. 140 141

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Vorschrift in der Verpflichtung der Behörde, auch tUr den Einsatz dieser besonderen Instrumente die ihr möglichen personellen und organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Allerdings besteht nach dem Wortlaut der Norm keine Veranlassung, ihren Anwendungsbereich derart eng zu fassen. Wenn § 7lb VwVfG von einem Antrag auf besondere Beschleunigung spricht, so wird man dies dahingehend interpretieren müssen, daß das Verfahren auf Antrag besonders beschleunigt werden muß. 14S Das Wort "kann" räumt der Behörde insoweit kein Ermessen ein, sondern bezieht sich auf die Abhängigkeit der tatsächlichen Möglichkeit zur besonderen Beschleunigung von den zuvor getroffenen Vorkehrungen der Behörde. 146 Solche Vorkehrungen können zum einen darin bestehen, daß die Behörde eigene Ressourcen tUr die besondere Beschleunigung auf Kosten des Antragstellers vorhält. In diesem Fall trägt die Behörde allerdings das volle Kostenrisiko, wenn die besondere Beschleunigung nicht in einem Maße nachgefragt wird, das die Vorhaltungskosten deckt. Die Entwicklung einer solchen Reserve wird deshalb allenfalls mittelfristig nach einer genauen Nachfrageanalyse möglich sein. Zum anderen kann sich die Behörde für die Fälle des Antrags auf besondere Beschleunigung privater fachlicher Kafazitäten versichern, die dann verfahrensverkürzend zum Einsatz kommen. 14 Ein dahingehendes Organisationsgebot zur Vorhaltung entsprechenden know hows ergibt sich jedoch schon aus dem allgemeinen Zügigkeitsgebot. 148 Der Gehalt des § 71b letzter Halbsatz VwVfG beschränkt sich dann auf den Anspruch des Antragstellers, daß das vorgehaltene know how eingesetzt wird. In Anbetracht des im Vergleich zum Zügigkeitsgebot des § 10 S. 2 VwVfG äußerst dürftigen zusätzlichen Beschleunigungsgehalts des § 7lb VwVfG überrascht der gegen die Sondervorschriften der §§ 71a ff. VwVfG für wirtschaftliche Unternehmungen erhobene Vorwurf der gleichheitswidrigen Begünstigung. 149 Verletzt sein soll offenbar das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG fließende Verbot, wesentlich Gleiches ohne sachlich rechtfertigenden Grund ungleich zu behandeln. ISO Demgegenüber ist festzuhalten, daß es sich hier schon nicht um wesentlich gleiche Sachverhalte handelt. Wirtschaftsrelevante Genehmigungen und sich auf andere Gegenstände bezieHermanns (Anm. 125) S. 152; Jäde (Anm. 115) S. 365. Jäde (Anm. 115) S. 365. 147 Jäde (Anm. 115) S. 365. 148 Vgl. o. 13. 149 Dieser Vorwurf klingt an in der Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 29/ 1 / 96 S. 6 und bei &kert (Anm. 97) S. 42 f. 150 Vgl. dazu und zur "neuen Formel" des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 66, S. 234 (242); 67, S. 231 (236); 67, S. 348 (365); 71, S. 146 (154 f.); 75, S. 78 (105); 79, S. 87 (98); 82, S. 126 (146); 88, S. 87 (97); Michael Sachs, Die Maßstäbe des allgemeinen Gleichheitssatzes - WiIlkürverbot und sogenannte neue Formel, JuS 1997, S. 124 (125 ff.). 145

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hende Verwaltungsverfahren sind hinsichtlich der Beschleunigungsnotwendigkeiten von mehr Elementen der Ungleichheit als der Gleichheit geprägt. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, würden die zwischen den verschiedenen Verfahrensgegenständen verbleibenden Unterschiede eine Ungleichbehandlung · 151 recht tiertlgen. Am Schluß dieses Abschnitts zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren steht ein kurzer Blick auf die in § 71 c VwVfG gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Beschleunigungsinstrumente. Nach § 71c Abs. 1 VwVfG erteilt die Genehmigungsbehörde, soweit erforderlich, Auskunft über Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens, einschließlich der damit verbundenen Vorund Nachteile. Wegen der Ausgestaltung als Auskunft wird die Information nur auf Verlangen gewährt. 152 Wird ein entsprechender Antrag gestellt, muß die Behörde die gewünschten Auskünfte geben,153 allerdings nur, soweit sie erforderlich sind. Die Erforderlichkeit bemißt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls, insbesondere der sachlichen und rechtlichen Schwierigkeit des Genehmigungsverfahrens und der Verfahrenskompetenz des Antragstellers. 154 Bei dieser Einschätzung steht der Behörde ebensowenig ein Beurteilungsspielraum zu wie bei der Beantwortung der Frage, inwieweit die schriftliche Erteilung der Auskunft von der Bedeutung oder der Schwierigkeit der Sache her an· 155 gemessen ersc hemt. Unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit steht auch die in § 71c Abs.2 VwVfG vorgeschriebene Erörterungspflicht der Behörde mit dem Antragsteller im sog. Vor-Antragsverfahren. Inhalt der Pflicht ist eine Beratung des zukünftigen Antragstellers bereits vor der Antragstellung über die aufgeführten Gesichtspunkte, nicht die verbindliche Abklärung dieser Punkte. 156 Zu erörtern sind die Fragen, welche Nachweise und Unterlagen von dem Antragsteller zu erbringen sind, welche sachverständigen Prüfungen im Genehmigungsverfahren anerkannt werden können und in welcher Weise die Beteiligung Dritter oder der Öffentlichkeit vorgezogen werden kann, um das Genehmigungsverfahren zu entlasten. Auf die potentiell beschleunigende Wirkung einer möglichst frühzeitigen Bürgerbeteiligung ist bereits ebenso hingewiesen worden Im Ergebnis ebenso Bank (Anm. 30) S. 327; Hermanns (Anm. 125) S. 152. Vgl. o. 13.; ebenso Jäde (Anm. 115) S. 365 f. 153 Bank (Anm. 30) S. 327; Busch (Anm. 108) § 71c Rn. 3; Jäde (Anm. 115) S. 365. 154 Begründung des Regierungsentwurfs eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BTDrucks 13 /3995 S. 9; Bank (Anm. 121) § 71 c Rn. 8 f.; Jäde (Anm. 115) S. 365. ISS Fengler (Anm. 133) S. 284. Anders Begründung des Regierungsentwurfs eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BTDrucks 13 / 3995 S. 9; Busch (Anm. 108) § 71c Rn. 3; Jäde (Anm. 115) S. 366. 156 Begründung des Regierungsentwurfs eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BTDrucks 13/3995 S. 9; Jäde (Anm. 115) S. 366. 151

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wie auf den Umstand, daß § 71c Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG keine von den Beteiligungsvorschriften des jeweiligen Fachrechts abweichende Verfahrensgestaltung eröffnet. 157 In rechtlicher Hinsicht am problematischsten ist die in § 71 c Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG vorgesehene Erörterung, ob es angebracht ist, einzelne tatsächliche Voraussetzungen der Genehmigung vorweg gerichtlich klären zu lassen. Die DurchfUhrung dieses selbständigen Beweisverfahrens leidet vor allem darunter, daß dessen von der Schlichter-Kommission angeratene besondere Regelung in der Verwaitungsgerichtsordnung lS8 bislang nicht verwirklicht worden ist. Derzeit bliebe nur der über § 173 VwGO mögliche Rückgriff auf die zivilprozessualen Vorschriften über das selbständige Beweisverfahren in den §§ 485 ff. ZPO. Anders als manche Stimmen l59 vermag ich zwar keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten gegen die Anwendung im Verwaltungsprozeß zu erkennen. Ebensowenig würde ein selbständiges Beweissicherungsverfahren deshalb leerlaufen, weil die Entscheidung des Gerichts gegenüber betroffenen Dritten, die zu Beginn des Genehmigungsverfahrens noch nicht feststehen, nicht in Rechtskraft erwächst. 160 Denn im selbständigen Beweisverfahren ergeht überhaupt keine rechtskraftfilhige Entscheidung. Die Wirkung der selbständigen Beweiserhebung besteht nach § 493 Abs. 1 ZPO nur darin, daß im späteren Prozeß die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht gleichsteht. Hier jedoch - und nicht bei der von der Schlichter-Kommission in den Vordergrund gestellten Notwendigkeit des Einverständnisses der Behörde mit dem vorgezogenen Rechtsschutz l61 dürfte das Kernproblem des selbständigen Beweisverfahrens im Genehmigungsverfahren liegen: Eine Würdigung des selbständig erhobenen Beweises durch das Gericht erfolgt nicht, sondern ist in einem eventuellen späteren Prozeß vorzunehmen. Es steht also keineswegs fest, ob das Gericht aufgrund des Ergebnisses des selbständigen Beweisverfahrens die betreffende Tatsache als bewiesen ansehen wird oder nicht. 162 Dieses Problem unterliegt zunächst der freien Beweiswürdigung durch die Behörde und gegebenenfalls später durch das Gericht. Zu dem von § 71c Abs. 2 S. 1 Nr.4 VwVfG gemeinten Zeitpunkt wird sich deshalb die Frage, ob eine vorgezogene Beweiserhebung zu einer Verfahrensverkürzung oder zu einer VerfahrensverVgl. o. I 3. Investitionsförderung (Anm. 5) Rn. 268. 159 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 29/ 1 /96 S. 7; Würtenberger (Anm. 23) S. 132. 160 So aber Eckert (Anm. 97) S. 50. 161 Investitionsförderung (Anm. 5) Rn. 268. 162 In diese Richtung gehend auch die Kritik in der Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 29/ 1 /96 S. 12. 157 158

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längerung durch die Notwendigkeit einer ergänzenden Beweiserhebung fUhrt, häufig nur schwer beantworten lassen. Der Sinn eines solchen Verfahrens ist schon deshalb nicht recht einsichtig, weil mit Vorbescheid und Teilgenehmigung probate Mittel zur Abschichtung des Tatsachenstoffs vorhanden sind. 163 Das letzte in § 71c VwVfG genannte Element eines Kooperationsmanagements bietet eine Überleitung zum letzten Teil der Untersuchung. Nach § 71c Abs.3 VwVfG muß die Behörde nach Eingang des Antrags dem Antragsteller unverzüglich mitteilen, ob die Angaben und Antragsunterlagen vollständig sind und mit welcher Verfahrensdauer zu rechnen ist. Auf die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Aufschlüsselungsanforderungen ist bereits im Zusammenhang der Überlegungen zur Aufstellung eines Verfahrensplans hingewiesen worden. l64 Die Mitteilung über die Verfahrensdauer ist zwar weder Verwaltungsakt noch Zusicherung im Sinne von § 38 VwVfG' jedoch besteht auf sie ein Rechtsanspruch. 165 Die fUr den Antragsteller nicht ganz unwichtige Frage ist nun die, welche Folgen es hat, wenn die Behörde beispielsweise die in § 71c Abs. 3 VwVfG vorgeschriebene Mitteilung nicht macht, den mitgeteilten Verfahrensplan nicht einhält, beschleunigende Verfahrensmaßnahmen nicht ergreift etc.

111. Die Sanktionierung von Verstößen gegen Vorschriften zur Verfahrens beschleunigung Bei dem Problem der Sanktionierung von Verstößen gegen Vorschriften zur Verfahrensbeschleunigung geht es strukturell um die Frage nach der Herrschaft über die Zeit l66 , die auch nach den Neuerungen durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz grundsätzlich bei der Verwaltung geblieben ist. Die EinfUgung des allgemeinen Zügigkeitsgebots und der Vorschriften über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren haben aber nochmals deutlich gemacht, daß diese Herrschaft keine unbegrenzte ist, sondern rechtlichen Kautelen unterliegt. Haftungsrechtlich gesprochen dient das Zügigkeitsgebot der Abgrenzung von Risikosphären: Wer hat bis wohin das Risiko des Faktors "Zeit" zu tragen, die Verwaltung oder der Bürger? Durch die Neuregelungen ist die Risikogrenze zu Lasten der Verwaltung verschoben worden: Die Behörde

Vgl. Jäde (Anm. 115) S. 367. Vgl. o. I 3. 165 Busch (Anm. 108) § 71c Rn. 5; Jäde (Anm. 115) S. 367 f. A.A. wohl Stüer (Anm. 4) S. 327: nur Appellvorschrift. 166 Dazu Bullinger (Anm. 106) S. 54 ff. 163

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hat den Faktor "Zeit" zu optimieren, das Zeitrisiko des Bürgers also weitestmöglich zu minimieren. Bei aller Skepsis gegenüber einem rechtsschutzzentrierten Verwaltungsverfahrensrecht würde es dieser Verschiebung von Risikosphären nicht gerecht, wollte man Verletzungen des Zügigkeitsgebots vollkommen sanktionslos steIlen. Das war auch schon vor der NoveIlierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht der Fall. Der Bundesgerichtshof hat mit wechselnden BegrUndungsansätzen eine Amtspflicht der Behörden anerkannt, Anträge mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten und, sobald ihre Prüfung abgeschlossen ist, ungesäumt zu bescheiden. Schuldhafte Verletzungen dieser Amtspflicht fUhren zu AmtshaftungsansprUchen nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. 167 Diesbezüglich hat die Statuierung des allgemeinen Zügigkeitsgebots in § 10 S. 2 VwVfG also recht wenig geändert. Anderes gilt aber ftir die konkreten Beschleunigungspflichten nach den §§ 71 c-e VwVfG. Die Schwelle rur das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung ist hier deutlich niedriger angesetzt worden. Keine Amtspflichtverletzung liegt allerdings in der Abweichung der Ist-Dauer des Verfahrens von der nach § 71c Abs. 3 VwVfG mitgeteilten SollDauer. 168 Hier kommt ein Amtshaftungsanspruch nur in Betracht, wenn die dem Verfahrensplan zugrunde liegende Prognose falsch erstellt wurde, also entweder auf einer falschen Tatsachengrundlage beruhte oder die Einschätzung der Behörde aus der Sicht ex ante nicht vertretbar war. 169 Im übrigen wird man dem Gedanken der Verteilung von Risikosphären im Beweisrecht Rechnung tragen und beispielsweise an eine Dokumentationspflicht der Behörde hinsichtlich der Ausschöpfung aller beschleunigenden Maßnahmen denken können. Es verbleibt die Frage, ob und wie der Bürger beschleunigende Maßnahmen im Wege des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes erzwingen kann. Fest steht zunächst, daß die schärfste verfahrensrechtliche Sanktion, die GenehmigungsfIktion, nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn sie - wie in § 19 Abs. 3 S. 5 BauGB rur die Teilungsgenehmigung - gesetzlich ausdrUckIich vorgesehen ist. Die Erhebung einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO wird dem Antragsteller häufIg nicht weiterhelfen. Insbesondere in komplexeren Verfahren wird es meist an der rur einen Verpflichtungsausspruch erforderlichen Spruchreife fehlen und die in § 75 S. 2 VwGO vorgesehene Dreimonats167 BGHZ 15, S. 305 (311 f.); 30, S. 19 (26 f.); BGH WM 1970 S. 1252 (1254 f.); VersR 1983, S. 754; NVwZ 1990, S. 499; BayObLG NVwZ 1995, S. 928 (929); aus der Literatur etwa Fritz Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 43 f. 168 Busch (Anm. 108) § 71c Rn. 6. AA Bonk (Anm. 121) § 71 c Rn. 42. 169 Jäde (Anm. 115) S. 368; Jörg-Dieter Oberrath / Oliver Hahn, Ende des effektiven Rechtsschutzes?, VBIBW 1997, S. 241 (243); Ulrich Ramsauer, Nachtrag zu Kopp (Anm. 30), 1997, Rn. 70.

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frist zu kurz sein. Die beispielsweise in Frankreich bekannte volle Übernahme des Genehmigungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht nach Ablauf von Verfahrensfristen 170 ist dem deutschen Verwaltungsprozeßrecht fremd. Der von der Schlichter-Kommission angeregte parallele gerichtliche Rechtsschutz beispielsweise in Form der Ersetzung eines behördlichen durch einen gerichtlichen Vorbescheid 171 ist bislang nicht verwirklicht worden. Auch andere Sanktionen, die europäischen Rechtsordnungen vertraut sind, können im deutschen Recht nicht durchgreifen. So ist in der Schweiz ein verzögertes Verwaltungs verfahren trotz des zwischenzeitlichen Inkrafttretens von neuen Regelungen noch unter Zugrundelegung des Altrechts abzuschließen. 172 Ein solcher Rückgriff ist in Deutschland ohne ausdrückliche Übergangsregelung wegen der Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht möglich. Das Interesse konzentriert sich deshalb auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit konkreter Verfahrensschritte. Eine solche Klagbarkeit des Zügigkeitsgebots wird teilweise pauschal verneint. 173 Dabei wird zuwenig beachtet, daß rur die Untersuchung der prozessualen Realisierbarkeit mehrere Punkte auseinander zu halten sind. Der erste Punkt betrifft die Frage, ob sich aus dem Zügigkeitsgebot ein subjektives öffentliches Recht des Antragstellers im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO auf zügige Verfahrensdurchftlhrung ableiten läßt. Das ist rur die Rechtslage vor Inkrafttreten des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, unter welcher die Verpflichtung zur raschen Durchruhrung des Verwaltungsverfahrens als in den Grundsätzen der Einfachheit und der Zweckmäßigkeit enthalten angesehen wurde, zuweilen bestritten worden. 174 Überwiegend wurde jedoch auch der ungeschriebenen Zügigkeitsverpflichtung ein entsprechendes subjektives öffentliches Recht des Bürgers entnommen. 17S Nach der Gesetzesänderung wird man ein solches Recht kaum noch bestreiten können. Daß das Gebot, das Verwaltungsverfahren zügig durchzuruhren, zumindest auch dem Interesse des Betroffenen dient, ist evident. 176 Dazu Rombach (Anm. 15) S. 91 f. Investitionsförderung (Anm. 5) Rn. 270. 172 Annette Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen im Tätigkeitsbereich der Verwaltung, 1997, S. 143. Zur "Verzögerung durch Verzögerung" wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderung vgl. Würtenberger (Anm.23) S. 52. 173 Vgl. etwa Stelkens I Schmitz (Anm. 44) § 10 Rn. 6; Stüer (Anm. 4) S. 327; Ule / Laubinger (Anm. 30) § 19 Rn. 13. 174 Lässig (Anm. 44) § 10 Rn. 34. m Hill (Anm. 30) S. 452; Clausen (Anm. 30) § 10 Rn. 4.1; Rombach (Anm. 15) S. 46; Stelkens I Schmitz (Anm. 44) § 10 Rn. 5. 176 Im Ergebnis auch die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 29 / I / 96 S. 4; Bonk (Anm. 30) S. 323; Ramsauer (Anm. 169) Rn. 60a; Ronellenfitsch (Anm. 17) S. 112; Stelkens I Schmitz (Anm. 44) § 10 Rn. 21. 170

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Hiervon zu unterscheiden ist das Problem, welchen Inhalt dieses subjektive Recht auf ein zügiges Verwaltungsverfahren hat. Wegen des bestehenden Verfahrensermessens der Behörde kann es sich grundsätzlich nur um ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung handeln. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, daß die Behörde das Verwaltungsverfahren unter Beschleunigungsgesichtspunkten optimal gestaltet. Unter mehreren Verfahrenshandlungen mit gleicher Beschleunigungswirkung wählt die Behörde nach ihrem Ermessen aus. Ein gerichtlich realisierbarer Anspruch des Bürgers auf eine bestimmte Maßnahme der Behörde im Verfahren kommt demzufolge nur bei einer Ermessensreduzierung in Betracht. 177 Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die Neuregelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz insoweit eine Verbesserung der Position des Klägers gebracht haben. Als Optimierungsgebot fordert der Grundsatz der zügigen Verfahrensdurchfilhrung von der Behörde die Wahl der schnellstmöglichen Verfahrensgestaltung, die ohne unverhältnismäßige Hintanstellung anderer Verfahrensgrundsätze und -zwecke möglich ist. 178 Der Ausgleich konkurrierender Verfahrensgrundsätze obliegt zwar grundsätzlich der Behörde, jedoch ist die Frage der Abwägungsdisproportionalität als Ermessensfehler gemäß § 114 VwGO der Kontrolle der Verwaltungsgerichte unterworfen. Der Antragsteller kann also vor dem Verwaltungsgericht die Verpflichtung der Behörde zur Vornahme einer bestimmten beschleunigenden Verfahrenshandlung beantragen und geltend machen, andere Verfahrensfunktionen würden damit nicht in unverhältnismäßiger Weise benachteiligt. Von Bedeutung ist diese Möglichkeit insbesondere dann, wenn der Antragsteller zuvor vergeblich eine entsprechende Verfahrensgestaltung bei der Behörde angeregt hatte. Dabei dürfte aber der Antragsteller die materielle Beweislast tragen, wenn der beschleunigende Effekt der begehrten Maßnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Im übrigen bleibt es der Behörde unbenommen, auf alternative Verfahrensgestaltungen hinzuweisen, die ebenfalls dem Zügigkeitsgebot genügen. In das diesbezüglich bestehende Auswahlermessen der Behörde darf das Verwaltungsgericht nicht eingreifen. Überhaupt kein Ermessen ist der Behörde bezüglich der in § 71c VwVfG genannten Maßnahmen eröffnet. Auf die Gewährung der Auskunft, Vorantragserörterung, Vollständigkeits- und Verfahrensdauermitteilung hat der Antragsteller einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch. 179 Eine dritte Problemebene, auf der Bedenken gegen eine gerichtliche Durchsetzbarkeit des Zügigkeits- und Beschleunigungsgebots festgemacht werden, ist die prozeßrechtliche. Behauptet wird vor allem, daß § 44a VwGO der selb177 Clausen (Anm. 30) § 10 Rn. 4.1; Fengler (Anm. 133) S. 280; Hill (Anm. 30) S. 452; Ramsauer (Anm. 169) Rn. 60a; Ronellenfitsch (Anm. 17) S. 112. 178 Vgl. o. 12. 179 Jäde (Anm. 115) S. 367 f.; Ramsauer (Anm. 169) Rn. 62.

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ständigen Klagbarkeit von Ansprüchen auf beschleunigende Verfahrenshandlungen entgegensteht. 180 Nach dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Daß Verfahrenshandlung in diesem Sinne nicht nur ein positives Tun der Behörde, sondern ebenso das Unterlassen einer Maßnahme ist, ist anerkannt. 181 Gegen die Anwendung des § 44a VwGO läßt sich auch nicht einwenden, sein Zweck sei auf dasselbe Ziel wie das Zügigkeitsgebot, nämlich die beschleunigte Abwicklung des Verwaltungsverfahrens gerichtet - im Falle des § 44a VwGO durch die Verhinderung von Verfahrensunterbrechungen in Fonn eines parallel geführten Gerichtsverfahrens. Denn die Verfahrenseffizienz ist nur einer dem § 44a VwGO zugrundeliegenden Zwecke; der andere, die Venneidung der Mehrspurigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren durch Konzentration des Rechtsschutzes auf die verfahrensabschließende Sachentscheidung,182 wird durch die isolierte Einklagung beschleunigender Maßnahmen sehr wohl berührt. Doch ist mittlerweile gleichfalls als gesichert anzusehen, daß das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Nichtanwendbarkeit des § 44a VwGO dann fordert, wenn der Betroffene im späteren Verfahren nicht hinreichend effektiven Rechtsschutz zu erlangen vennag. 183 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies unter anderem der Fall, wenn die nachträgliche "Rechtsschutzmöglichkeit im Hinblick auf das Begehren der Antragsteller nicht mehr zeitgerecht ... wäre". 184 Treffender läßt sich das Schicksal des Beschleunigungsanspruchs des Bürgers bei Anwendung des § 44a VwGO kaum beschreiben. Da Verletzungen des Zügigkeitsgebots nur in äußerst seltenen Fällen von Einfluß auf die Sachentscheidung gewesen sein werden, ist die Entscheidung in der Sache wegen § 46 VwVfG in aller Regel nicht angreifbar. Zeitgerechter Rechtsschutz wird dem Betroffenen nur zuteil, wenn er beschleunigende Behördenhandlungen gegebenenfalls bereits während des laufenden Verwaltungsverfahrens gerichtlich erzwingen kann. Überwiegend wird deshalb mittlerweile davon ausgegangen, daß § 44a VwGO auf die sog. Beschleunigungsklage nicht anzuwenden ist. 18s Ein letzter Zweifel betrifft die Fonn des gerichtlichen Rechtsschutzes, in der beschleunigende Maßnahmen begehrt werden könnten. Für das HauptsacheverHili (Anm. 30) S. 452; Oberrath / Hahn (Anm. 169) S. 242. Reimund Schmidt-De Caluwe, in: Sodan / Ziekow (Anm. 84) § 44a Rn. 119. 182 Zu den Normzwecken des § 44a VwGO Schmidt-De Caluwe (Anm. 181) § 44a Rn. 22 f. 183 BVerfG NJW 1991, S. 415 (416); BVerwG UPR 1997, S. 461 (462); Schmidt-De Caluwe (Anm. 181) § 44a Rn. 242. 184 BVerwG UPR 1997, S. 461 (462). 185 Friedhelm Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl. 1991, Rn. 635; Jäde (Anm. 115) S. 367; Rombach (Anm. 15) S. 135 f. 180

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fahren ist die Frage unschwer zu beantworten: Je nachdem, ob die erstrebte Verfahrenshandlung einen Verwaltungsakt darstellt oder nicht, ist Verpflichtungs- oder Leistungsklage zu erheben. In Anbetracht der derzeitigen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren wird die Durchfiihrung eines Hauptsacheverfahrens jedoch recht wenige beschleunigende Wirkungen zeitigen können. Realistisch ist demnach eigentlich nur ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. Ordnet aber das Gericht per einstweiliger Anordnung die Vornahme einer Verfahrenshandlung an, so würde ein auf diese Handlung bezogenes Hauptsacheverfahren gegenstandslos. Es liegt ein typischer Fall vor, in dem durch die einstweilige Anordnung fiir die Zukunft irreversible Fakten geschaffen werden. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache ist nach ganz überwiegender Auffassung grundsätzlich unzulässig. 186 Auch hier hilft aber wieder ein Blick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Auslegung des Prozeßrechts: Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache greift nicht ein, wenn das Zuwarten bis zu einer Hauptsacheentscheidung die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereiteln oder wesentlich erschweren würde. 187 Dies wird bei beschleunigenden Maßnahmen häufig der Fall sein. Man wird allerdings insoweit differenzieren müssen: Je mehr sich die Wirkung der begehrten Handlung auf die Durchfiihrung des Verwaltungsverfahrens beschränkt, desto eher ist eine Hauptsachevorwegnahme zulässig. Beispiel ist die Erzwingung der in § 71c VwVfG genannten Behördenpflichten durch einstweilige Anordnung. Je mehr dagegen Teile der verfahrensabschließenden Sachentscheidung vorweggenommen werden sollen, desto weniger ist der Erlaß einer einstweiligen Anordnung zulässig. Beispiele sind Teilregelungen mit beträchtlicher Prüftiefe, etwa Teilgenehmigung und Vorbescheid im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren (§§ 8, 9 BImSehG).

IV. Schlußbetrachtung In einem Kurzresümee zusammengefaßt lassen sich die in das Verwaltungsverfahrensgesetz eingefiigten Beschleunigungsvorschriften der §§ 10 S. 2 und 71 a ff. zwar nicht als der eingangs bemühte gesetzgeberische Stein der Weisen, aber doch als Vorschriften bezeichnen, deren rechtlicher Gehalt über eine bloße legislative Symbolik weit hinausreicht. Den Behörden werden steuerungstechnisch präzise Vorgaben gemacht, deren instrumentelle Ausfiillung Verwaltungsklugheit und -kreativität fordern. Die Zielvorgabe "Zügigkeit" ist 186 Vgl. die Nachweise bei Friedrich Schach, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 1997, § 123 Rn. 141. 187 Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 2. Aufl. 1996, § 33 Rn. 17; Schach (Anm. 186) § 123 Rn. 157.

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von der Verwaltung fUr jeden Einzelfall aufs Neue zu analysieren und zu verwirklichen. Die Stellung von auf Beschleunigung angewiesenen Antragstellern wurde gestärkt. Die Herstellung von Zügigkeit entbindet die Behörde nicht von ihrer Verfahrensverantwortung, ist aber ihr und dem Antragsteller gemeinsam aufgegeben. Es ist von Seiten eines Bundesverwaltungsrichters die Prognose gewagt worden, daß von diesen Vorschriften eine strukturelle Veränderung des Verwaltungsverfahrens insgesamt ausgehen kann. ISS Ich schließe mich dieser Hoffnung an, fUge aber hinzu, daß ihre Realisierung den Willen aller Beteiligter - Antragsteller, Behörde und Verwaltungsgericht - voraussetzt, das Zügigkeitsgebot und seine Ausformungen ernst zu nehmen.

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Bonk (Anm. 30) S. 330.

Diskussion zu dem Vortrag von Jan Ziekow

Storost: Sie haben, Herr Professor Ziekow, in beeindruckender Weise versucht, das Zügigkeitsprinzip zu strukturieren nach allen Regeln der Kunst bzw. der Verwaltungswissenschaft, und das ist sicherlich auch die Aufgabe dieser Wissenschaft. Als Jurist bin ich aber ein bißchen skeptisch, ob all das, was Sie sicherlich richtig zur Strukturierung aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht gesagt haben, den Verwaltungsgerichten auch eine nachvollziehbare Handhabe geben kann, soweit zu gehen und einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch zu kreieren, der dann seinerseits folgerichtig unter dem Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG auch eine gerichtliche Kontrolle und Durchsetzbarkeit erfordert. Ich, lassen Sie es mich ganz offen sagen, halte diesen Satz 2 des § 10 VwVfG insgesamt rur eine politisch motivierte Gesetzeslyrik. Der Begriff der Zügigkeit unterscheidet sich insoweit in nichts von den Begriffen der Einfachheit und der Zweckmäßigkeit, nach dem das Verwaltungsverfahren zu vollziehen ist, und ich habe es eigentlich seit meinem Studium immer gelernt, daß die Gerichte derartige Begriffe, insbesondere den der Zweckmäßigkeit, nur mit ganz spitzen Fingern anfassen dürfen und sich nicht dazu aufschwingen dürfen, ihrerseits diese Begriffe nun mit Inhalt zu rullen und den Verwaltungen vorzuschreiben, wie das zu geschehen hat. Der zweite Punkt, der in die gleiche Richtung mich zu denken veraniaßt ist, daß der politische Wille des Gesetzgebers, der hinter diesem ganzen Gesetzgebungsaktivismus der letzten 10 Jahre steht, entscheidend auch und gerade dahin geht, die Verwaltungsgerichte daran zu hindern, sich in die Entscheidungsprärogative der Verwaltung einzumischen, und daß zu einem Kerngebiet dieser Entscheidungsprärogative der Verwaltung immer die Verfahrensgestaltung gezählt wird. Das findet seinen Ausdruck u.a. auch in den von Frau Dr. Guckelberger vorhin dargestellten Heilungsvorschriften, die bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, nach dem Willen des Gesetzgebers bei Verfahrens- und Formfehlern sogar bis zum Ende der Revisionsinstanz - wie das prozessual zu machen ist, ist ein weites Feld - der Verwaltung die Heilung von Fehlern ermöglichen sollen. In diesen Zusammenhang gehört auch § 44a, der schon vor geraumer Zeit in die Verwaltungsgerichtsordnung eingeruhrt wurde und es grundsätzlich ausschließen soll, Zwischenstreite um Verfahrensfragen zum Gegenstand gesonderter verwaltungsgerichtlicher Verfahren zu machen. Alledem wird sozusagen konträr entgegengewirkt, wenn 7 Speyer 128

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wir jetzt anfangen, ein subjektives öffentliches Recht des Bürgers auf zügige Verfahrensgestaltung zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Zwischenverfahren dieser Art zu machen. Ich möchte also dringend davor warnen, sich da allzu große Hoffnungen seitens der Betroffenen zu machen, daß die Verwaltungsgerichte zusätzlich zum Mittel einer staatlichen Wirtschaftsförderung i.S. einer Durchsetzung des Zügigkeitsprinzips instrumentalisiert werden können. Ich wage die Prognose, daß das nur in ganz seltenen Ausnahmefällen geht, wenn eindeutig und klar entgegen z.B. § 71 c gehandelt wird, also einer benannten Vorschrift, die genau und konkret sagt, was die Verwaltung zu tun hat. Daß sich aber allgemein aus dem Zügigkeitsprinzip im Wege der Interpretation irgend etwas herleiten läßt, das glaube ich nicht. Eher - und das ist durchaus ein scharfes Schwert unter dem die Verwaltung erzittern kann - ist der Amtshaftungsanspruch zu instrumentalisieren. Aber die Verwaltungsgerichte werden sich nur sehr schwer dafilr in Dienst nehmen lassen. Baumeister: Zum einen möchte ich Herrn Dr. Storost widersprechen und Herrn Professor Ziekow beispringen. Mich überzeugen die Darlegungen des Referenten. Ich denke, daß man also auch subjektive Rechte ableiten kann sowohl aus § 10 Abs. 2 wie auch aus den näheren Regelungen der §§ 71a ff. Gerade die von Ihnen, Herr Storost, angesprochene und offenbar befilrwortete Amtshaftung zeigt doch die subjektivrechtliche Relevanz der Verfahrensbestimmungen. Zudem scheint es mir sinnvoller, in einem früheren Stadium, wenn der Schaden eingetreten ist, eine Lösung zu suchen, eben durch einen Anspruch schon während des Verfahrens und nicht erst, wenn gewissennaßen das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Eine andere Bemerkung noch zu dem Referat zum - zugegebenennaßen nebensächlichen - Punkt "Klageart" . Sie, Herr Ziekow, sprachen z.B. von der Verpflichtungsklage in der Hauptsache. Sie muß ja gerichtet sein auf Erlaß eines Verwaltungsakts. Meines Erachtens wäre aber, weil es ja um einen Anspruch auf eine Beschleunigung geht, eher die allgemeine Leistungsklage anzuwenden. Schmitz: Den skeptischen Bemerkungen von Herrn Storost kann ich mich anschließen. Zügigkeit war auch bisher Verfahrensgebot filr die Verwaltung. Es bestand weitgehend Einigkeit, daß die Merkmale "einfach und zweckmäßig", die in § 10 sei jeher genannt waren, den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung umfaßten. Wenn nun der Gesetzgeber Zügigkeit besonders erwähnt, ändert sich dadurch materiell rur den Antragsteller nichts. Effektive Beschleunigung muß am materiellen Recht ansetzen; hier müssen Standards auf den Prüfstand. Trotzdem würde ich hier nicht so hart urteilen wie Herr Storost, der von Geset-

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zeslyrik sprach. Der Gesetzgeber wollte das Zügigkeitsgebot stärker herausstellen, insoweit ein "Signal" setzen. Ähnliches gilt rur §§ 71 a ff. Zu der Diskussion über die zusätzlichen Merkmale, die die Zügigkeit in den §§ 71a ff. verdeutlichen sollen, möchte ich bemerken, daß ich es grundsätzlich störend empfmde, wenn allgemein der Eindruck erweckt wird, daß Behörden prinzipiell langsam und zögerlich arbeiten und daß es verstärkter gesetzgeberischer Maßnahmen bedürfe, um den Behördenbediensteten Beine zu machen; das ist mit Sicherheit ein falscher Eindruck. Die Dauer von Verfahren hängt nicht nur vom individuellen Behördenmitarbeiter und der Länge seiner Frühstückspause oder sonstigem ab, die Dauer hängt viel stärker auch von Rahmenbedingungen ab, für die die Behördenleitung, der Haushaltsgesetzgeber und wer auch immer zuständig ist. Wenn Sie nicht genug qualifiziertes Personal haben in einer Genehmigungsbehörde, dann können Sie komplexe Verfahren nicht mit großer Geschwindigkeit bewältigen. Wenn Sie die Vorschläge der sogenannten Schlichter-Kommission vergleichen mit dem, was nachher Gesetz geworden ist, dann werden Sie feststellen, daß diese Überlegungen auch den Gesetzgeber bei seiner Gesetzgebungsarbeit bewogen haben, in einzelne Vorschriften entsprechende Klauseln aufzunehmen, die einen Bezug zum tatsächlich Möglichen herstellen. In § 71 b z.B. heißt es, daß die Genehmigungsbehörde die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen trim, d.h. es wird nichts Unmögliches verlangt. Was tatsächlich möglich ist, hängt eben auch davon ab, was den Behördenmitarbeitern an Ressourcen zur Verfügung steht. Auch in anderen Paragraphen der 71 a ff. sind Klauseln wie "soweit erforderlich" oder "soweit geboten" aufgenommen worden. Das sind alles Punkte, die Sie in den Vorschlägen von Schlichter nicht finden, aber der Gesetzgeber hat sich, beraten durch die Verwaltungspraktiker, eben zu diesen Modifikationen bereit gefunden. Ziekow: Herr Dr. Starost, ich habe ja versucht, den lyrischen Gehalt des § 10 S. 2 VwVfG am Anfang durch den Vergleich mit einem mehr oder weniger guten Wein deutlich zu machen. Als am dogmatischen Durchschnitt geschulter Jurist scheut man sich etwas, Staatszielbestimmungen in Verwaltungsverfahrensgesetzen zu suchen anstatt in der Verfassung. Und aus diesem Grund habe ich mich bemüht, das Problem möglichst nicht auf die Ebene der bloßen programmatischen Lyrik entgleiten zu lassen, obwohl das natürlich der primäre Ansatz des Gesetzgebers ist. Das ist gar keine Frage: Es soll ein Appell an die mit der Anwendung des § 10 S. 2 VwVfG befaßten Behörden gerichtet werden. Ich würde allerdings die Frage, inwieweit Verwaltungsgerichte auf diese Anwendung zugreifen dürfen, durchaus anders sehen wollen. Zunächst einmal bewegt sich die Umsetzung des Gehalts des § 10 S. 2 innerhalb des Verfahrensermessens der Behörde, auf das die Verwaltungsgerichte grundsätzlich nicht zugrei7'

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fen dürfen. Die Verfahrensgestaltung liegt weiterhin ausschließlich bei der verfahrensfUhrenden Behörde. Lediglich dann, wenn die Behörde eine Maßnahme nicht ergreift, die einfach bei gleicher Wirkung filr das Verfahren beschleunigender ist als andere, ergeben sich überhaupt Kontrollmöglichkeiten. Deshalb wird der Bereich des Primärrechtsschutzes, so die Verwaltungsgerichte sich überhaupt dazu verstehen wollen, nur auf ganz zurückgezogener Linie eine Rolle spielen. Ihre pessimistische Einschätzung hinsichtlich einer dahingehenden Bereitschaft der Verwaltungsgerichte teile ich vollauf. Deshalb habe ich am Schluß meines Vortrags ja auch die Bitte an die Verwaltungsgerichte aufgenommen, dieses Zügigkeitsgebot rechtlich ernst zu nehmen. Den Weg über die Amtshaftung beurteile ich nicht positiv. Denn der Bundesgerichtshof hat sich doch auf absolute Ausnahmekonstellationen beschränkt, in denen er einen Amtshaftungsanspruch angenommen hat. Zu Herrn Baumeister: Zunächst bedanke ich mich dafUr, daß Sie mir beigesprungen sind. Der Hinweis auf die verschiedenen Klagearten ändert aber nichts an meinen Darlegungen. Ob die Verfahrensmaßnahme nun ein Verwaltungsakt ist oder nicht: § 123 VwGO ist insoweit immer die einschlägige Fonn des vorläufigen Rechtsschutzes. Wenn ich Sie allerdings so verstanden haben müßte, daß Sie eine Leistungsklage allgemein auf Beschleunigung richten wollen, so würde ich Ihnen widersprechen. Der Klageantrag müßte schon deutlicher bezeichnet, auf eine konkrete beschleunigende Maßnahme gerichtet werden. Zu Herrn Dr. Schmitz: Natürlich war eine inhaltliche Änderung des § 10 S. 2 VwVfG nicht beabsichtigt. Das ist ganz klar. Das Zügigkeitsgebot wurde auch bisher schon aus dem § 10 S. 2 herausgelesen. Worauf es mir vor allen Dingen ankam, ist die unter der Geltung des § 10 S. 2 a.F. fUr die kritischen Punkte verbreitete Argumentation, anders als Einfachheit und Zweckmäßigkeit stehe die Zügigkeit eben nicht im Gesetzestext. Der Gesetzgeber habe also diesem Punkt nicht die Bedeutung zugemessen, die es erlauben würde, diesen Gesichtspunkt hervorgehoben zur Geltung zu bringen. Dieser Argumentation ist jetzt die Grundlage entzogen. Wenn Sie mich so verstanden haben sollten, ich sei der Auffassung, daß Behörden grundsätzlich langsam arbeiten und der gesetzgeberischen Auffrischung bedürfen, so bin ich zutiefst mißverstanden worden. Ich habe schon in meinen einleitenden Worten versucht, deutlich zu machen, daß Behörden viel besser arbeiten würden, wenn sie nicht so viel Material vom Gesetzgeber unterfUttert bekommen würden und sich auf ihre eigentlichen Aufgaben, die Durchführung von Verwaltungsverfahren, ohne die ständige Notwendigkeit der Implementation zusätzlicher Rechtsvorschriften, konzentrieren könnten. Deshalb glaube ich in der Tat, daß hier der Gesetzgeber weniger hilfreich ist. Zu den Rahmenbedingungen ist zu bemerken, daß das Vorhandensein von mehr Personal natürlich auch größere Beschleunigungsmöglichkeiten eröffuet. Ich fürchte allerdings, daß der Trend der im Bereich größe-

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rer Landesministerien und auch Bundesministerien durchgeftlhrten Organisationsuntersuchungen eher dahin geht, durch Änderungen der Aufbau- und Ablauforganisation weiteres Geld einzusparen. Es gibt in Nordrhein-Westfalen beispielsweise Organisationsuntersuchungen an Verwaltungsgerichten, wo sehr deutlich gemacht worden ist, daß mit einer geringeren Zahl von Verwaltungsrichtern durchaus nicht ein Absinken der Erledigungsziffern verbunden ist. Daraus würde ich als Finanzminister natürlich auch die Konsequenz ziehen, daß organisatorische Änderungen den Haushalt entlasten und gleichwohl beschleunigende Wirkungen haben können. Unter diesen Vorzeichen gesehen, ist das Zügigkeitsgebot gerade auch eine Aufforderung an die Verwaltung, ihre Ablauf- und Aufbauorganisation ungeachtet der haushaltstechnischen Notwendigkeiten beschleunigungsgerecht auszurichten. Daß das natürlich nur im Rahmen des Möglichen gilt, ist völlig klar. Storost: Nochmal ganz kurz auch auf das eingehend was Herr Schmitz gesagt hat: Ich möchte nicht so mißverstanden werden, daß ich den Versuch nicht ftlr legitim halte, aus dem Zügigkeitsprinzip im allgemeinen und auch besonders au~ seinen Ausformungen in den §§ 71a ff. konkrete Pflichten ftlr die Verwaltung herzuleiten. Aber nicht alles, was als Pflicht normiert ist, kann deshalb gleichzeitig Kontrollnorm für die Verwaltungsgerichte sein, sondern eine Kontrollnorm bedarf, um ftlr die Gerichte handhabbar zu sein, einer inhaltlichen Präzisierung, die die darauf fußende gerichtliche Entscheidung auch allgemeinverständlich und jedenfalls überwiegend akzeptabel erscheinen läßt. Es kann auf keinen Fall so aussehen, daß die Verwaltungsgerichte auch hinsichtlich dieser Verfahrensfragen in den Ruf gelangen, sie wüßten alles besser als die Verwaltung, was ja in der neueren Diskussion immer wieder als Vorwurf gegen die Verwaltungsgerichte erhoben wird, vor allem gegen die vielen jungen Richter, die im Zuge der Ausweitung der Verwaltungsgerichtsbarkeit eingestellt worden sind - überwiegend Leute mit sehr ansehnlichen Examensleistungen. Da gibt es ganz schnell auch gewisse Ressentiments, wenn die Verwaltungsgerichte nun auf dem Weg über eine relativ rechtsschutzfreundliche Interpretation dieser Normen veraniaßt werden, sich auch insoweit zum Richter aufzuspielen, als es um die Verfabrenshandhabung im Einzelfall geht. Was erforderlich ist im Sinne der §§ 71a ff. oder was möglich ist, das wissen die Verwaltungen natürlich am allerbesten. Es bedarf nämlich· intensiver Kenntnisse der Verwaltungs interna, um das beurteilen zu können. Ich möchte deshalb davor warnen, daß man allzu große Hoffnungen in die Justiziabilität dieser Maßstäbe setzt. Ziekow: Sie haben natürlich mit den §§ 71a ff. VwVfG und der Frage der Erforderlichkeit der entsprechenden Maßnahme einen ganz sensiblen Bereich angespro-

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chen. In der Tat geht der Trend dahin, daß genau diese Prüfung der Erforderlichkeit einen Beurteilungsspielraum fUr die Verwaltung eröffnen soll, der gerichtlich nicht kontrollierbar ist. Wenn man aber wirklich sagen will, die §§ 71a ff. VwVfG sollen gerichtlich kontrollierbar sein, dann muß man wohl davon ausgehen, daß auch die Frage der Erforderlichkeit kontrollierbar ist und nicht noch zusätzlich zum Verfahrensermessen mit einem Beurteilungsspielraum arbeiten. Loistl: Ich denke, auch wenn ich kein Jurist bin, habe ich einige Genehmigungsverfahren miterlebt und meine, an dieser Stelle sollte man in einem Seminar, das sich "Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" nennt, mal deutlich machen, daß - meiner Ansicht nach -, die Frage ob so ein Rechtsbegriff in § 10 noch justiziabel ist, praktisch keine Relevanz haben wird. Und ich denke, ich gehe auch kein Risiko ein, wenn ich Ihnen zusage, eine Flasche des erlesenen Weines Ihnen dann zu überreichen, wenn tatsächlich auf diesem Weg mal ein Verfahren beschleunigt wurde. Ganz unabhängig davon wollte ich noch eine zweite Sache anmerken, einfach mein Eindruck als jemand der einige Verfahren erlebt hat: Ich habe das GefUhl, daß alle Beschleunigungsgesetze mehr oder weniger - und ich überspitze jetzt - ins Leere greifen, solange man eben nicht den materiellen Prüfumfang der Behörden angeht und verringert. Denn die Behörde - gerade weil sie das Verfahren, wie eben zu Recht ausgefUhrt wurde, ja nicht bewußt verlangsamt - ist eigentlich genötigt, Ausweichmanöver einzugehen, und das heißt in der Praxis, daß man eben an der Vollständigkeit der Unterlagen so lange herumrnacht, bis die materiellen Prüfinhalte abgeprüft werden konnten. Ziekow: Ich kann Ihnen eigentlich nur zustimmen. In der Tat wird das Beschleunigungsgebot nur in AusnahmeflUlen eine gerichtliche Rolle spielen. Das meiste dessen, was ich versucht habe, an Geboten zu entwickeln, sollte eigentlich ohnehin ein Grundsatz ordnungsgemäßer VerwaltungsfUhrung sein; insoweit besteht natürlich keine Kontrollmöglichkeit. Alles, was die Aufbauorganisation betrifft, ist gerichtlich nicht kontrollierbar. Diesbezüglich bleibt es wirklich bei der Appellfunktion, allenfalls bei aufsichtlichen Maßnahmen. Auf die Bedeutung des materiellen Prüfumfangs habe ich ja in meiner Einleitung schon hingewiesen. Die Erstellung eines Antrags, der dann auch genehmigungsfllhig ist, kostet in der Regel mindestens so viel Zeit, wie das Verwaltungsverfahren an sich. Bezieht man also Beschleunigung auf alle Phasen eines Projekts - von dem Wunsch, ein Vorhaben zu realisieren, bis zu seiner tatsächlichen rechtlichen Realisierbarkeit -, bestehen wesentlich größere Beschleunigungspotentiale. Ich habe allerdings die BefUrchtung, daß dafUr kein Konsens zu erzielen ist, also insbesondere bei umweltrechtlichen Standards keine Absenkungen zu er-

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reichen sind. Sicherlich wäre das der Weg, wie man am kostenschonendsten zu einer Beschleunigung kommen würde, aber ich glaube, er ist politisch nicht konsensflihig. Storost: Mich würde interessieren, wie denn die Handhabbarkeit der von Ihnen im einzelnen sehr eindrucksvoll aufgezeigten Standards durch die Fachaufsicht in den jeweiligen Verwaltungsbereichen beurteilt wird. Das wäre eine Möglichkeit, wo auch der potentielle Investor, also der Antragsteller in einem Genehmigungsverfahren, ansetzen könnte - vielleicht - aus meiner Sicht - erfolgversprechender als bei einer Inanspruchnahme der Gerichte, durch eine Aufsichtsbeschwerde, durch das Verlangen, wenn eine Verwaltung hier handhabbar Verfahrensverzögerung betreibt, daß dann einfach die Fachaufsichtsbehörden einschreiten oder vielleicht auch ein rechtsaufsichtliches Einschreiten möglich wäre. Das erscheint mir erfolgversprechender, weil da auch die Interna der Verwaltung besser beurteilt werden können als von einem Gericht. Ziekow: Möchte vielleicht jemand aus den betroffenen Behörden etwas zur Möglichkeit aufsichtlichen Einschreitens sagen? In den wissenschaftlichen Beschleunigungsdiskussionen ist das so eine Art Stein der Weisen gewesen, wenn gar nichts anderes mehr geht. Höfer: Wir stehen ja zwischendrin: oben das Ministerium und unten die unteren Verwaltungsbehörden, insoweit kann ich es wohl aus beiden Perspektiven beurteilen. Zunächst ist eindeutig, daß Ministerien sich viel zu häufig um Einzelfälle kümmern und ihren eigenen Aufgaben nicht gerecht werden, nämlich politische Leitungsfunktionen auszuüben. In vielen Fällen wird eingegriffen auch unter dem Aspekt, jemand schneller zu einer Genehmigung zu verhelfen. Dies kann aus dem Landtag genauso kommen wie sonst woher, das verstehe ich eigentlich nicht unter einer sachgerechten Wahrnehmung von Fachaufsichtsaufgaben. Ich würde meinen, dort eher die Finger wegzulassen, weil Berichtspflichten zu keinem Beschleunigungseffekt führen, ganz im Gegenteil. Das ist die eine Seite, die ich aus meiner Perspektive ganz klar erkenne, und dies wäre vielleicht mal ein Ansatz, wie man zu Beschleunigungen kommen kann. Auch wenn Sie Unternehmer hören, ist das, was dort geschieht, nicht immer produktiv. Das Zweite: Wir sind Fachaufsichtsbehörde über Fachverwaltungen, beispielsweise Gewerbeaufsichtsämter, aber auch über untere Verwaltungsbehörden - in unserem Bezirk 3 Gewerbeaufsichtsämter mit ca. 400 Leuten und dann noch 13 untere Verwaltungsbehörden, große und kleine. Dort nun einzugreifen, ist eine ganz schwierige Aufgabe, denke ich. Zunächst einmal haben Sie in die

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Organisation bei der unteren Verwaltungsbehörde überhaupt nicht einzugreifen, das machen der Oberbürgermeister und Landrat schon selber; die wissen es auch am besten, wie eine Verwaltung ordnungsgemäß funktioneren soll. Da stoßen Sie schon mal an Grenzen. Aber es ist natürlich so, daß Sie in einem konsensualen Vorgehen, das ziehe ich im übrigen dem Begriff der Fachaufsicht in der Zwischenzeit weit vor, durchaus in der Lage sind, in Besprechungen auch mit nachgeordneten Behörden, mit Fachbehörden, zu Beschleunigungseffekten zu kommen, und deshalb lege ich sowieso den Bestimmungen des § 10 und der §§ 71 ff. VwVfG keinen großen Wert bei, weil eigentlich wichtige Bereiche dadurch überhaupt nicht angesprochen sind, nämlich die Vertrauensbildung, völlig unabhängig von Verfahren, und vor allem die Frage: Was geschieht eigentlich nach den Genehmigungen? Da kommt es ja erst ganz dick auf die Firmen zu, wenn Sie an Überwachungen und Kontrollmechanismen denken. Fachaufsicht können Sie sich im strengen Sinne des Wortes eigentlich abschminken, die hat vielleicht noch im alten Preußen stattgefunden. In der Zwischenzeit sind Ihre Erfolge erheblich größer, wenn Sie zu überzeugen versuchen, wenn Sie dann auch beispielsweise einen Fall nehmen und sagen, der ist typisch, so machen wir das in Zukunft, aber dann bitte miteinander. Das ist eigentlich das einzige, was erfolgversprechend ist, und daran halten wir auch fest. Ziekow: Wenngleich ich Ihren Beitrag natürlich nicht rur meine Position vereinnahmen will, empfinde ich ihn doch als Stärkung. Denn die Argumentation all derer, die den § 10 Satz 2 und alles was damit zusammenhängt gerne aus den Verwaltungsgerichten verabschieden wollen, ist gerade der Verweis auf die aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten. Und wenn Sie sagen, daß eine solche Aufsicht in der Praxis nicht stattfmdet, dann stärkt mich das darin, der Vorschrift, wenn man überhaupt mit ihr arbeiten will, einen Rest an justiziablem Gehalt zuzumessen. Bock: Ich könnte mir gut vorstellen, daß die Vorschriften, die wir heute diskutieren, in einer anderen Hinsicht die forensische Praxis beschäftigen werden. So könnten geschickte Anwälte bei Verwaltungsakten mit belastender Drittwirkung diese Vorschriften in Beratungen und Auskunft dazu verwenden, Befangenheitsvorschriften in die Rechtsprechung wieder reinzutragen. Hier sehe ich für die Praxis ein großes Problem abzuwägen, inwieweit Beratung und Auskunft zulässig sind, ohne eben bei Anlagenentscheidungen Drittbetroffene zu benachteiligen.

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Ziekow: Das war in der Tat ein großes Problem auch der Verfassungsmäßigkeit der §§ 71a ff. VwVfG, verstanden als Sonderrecht filr bestimmte Antragsteller mit der Möglichkeit, bestimmte Verfahrenshandlungen der Behörde herbeizufilhren, welche andere Antragsteller eben nicht haben. Vollends ausdiskutiert ist das noch nicht. Steinbeiß-Winkelmann: Ich möchte eigentlich nur ankündigen, daß ich zu dem Punkt morgen etwas sagen werde. Nicht zur Befangenheitsfrage, wohl aber zu der Frage, inwieweit Sonderbeschleunigungsmöglichkeiten nach Wahl verfassungsrechtliche Probleme unter dem Aspekt der Gleichbehandlung aufwerfen können. Das Stichwort in dem Zusammenhang ist 'Neutralität von Entscheidungsträgern '. Es darf hier keine Sonderrechtsmöglichkeiten geben, die bestimmten Investoren zur VerfUgung stehen, anderen hingegen nicht. Wie gesagt, darauf werde ich morgen zu sprechen kommen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überlegungen. Im übrigen, wenn ich denn schon am Reden bin und um das bisherige Gleichgewicht zwischen zwei jungen Wissenschaftlern und zwei gestandenen Praktikern in Richtung der Praktiker zu verschieben - ich rede als mittelalterliche Praktikerin: ich möchte Herrn Starost nachdrücklich beipflichten und auch Herrn Schmitz in der Skepsis, § 10 als in kleiner Münze umsetzbaren und einklagbaren Rechtssatz zu betrachten. Gerade auch wenn man die Entstehungsgeschichte miterlebt hat, sollte man da keine übertriebenen Illusionen haben. Diese Vorschrift war als Signal, als Appell gedacht. Herr Schmitz hat das eben gesagt, ich unterstreiche es jetzt noch mal. Alle waren sich eigentlich einig darüber, daß in den schon im Verwaltungsverfahrensgesetz enthaltenen Begriffen der Einfachheit und Zweckmäßigkeit diese Zügigkeit drinsteckt, aber es mußte halt auch noch die Zügigkeit ausdrücklich mit rein. Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft das, was Sie gerade zum Abbau materieller Maßstäbe gesagt haben: "Wir kommen doch eigentlich überhaupt nicht daran vorbei. Zweck hat das Ganze nur, wenn wir auch an die materiellen Maßstäbe gehen." So kann man das natürlich machen, das wäre eine schlagkräftige Geschichte, aber eine, bei der ich große Bauchschmerzen kriegen würde. Meines Erachtens ist diese Zügigkeitsproblematik, wenn sie sich denn stellt, und alles, was zur Steigerung der Zügigkeit ersonnen wird, in allererster Linie ein Ressourcenproblem. Herr Schmitz hat das bereits gesagt, nicht weil er aus Ihrem Vortrag - Herr Ziekow - herausgehört hat, Sie würden jetzt diesen Aberglauben teilen, alle Verwaltungsbehörden arbeiten langsam, sondern weil da ein Eindruck immer wieder stimuliert wird, der sich durch Fakten so gar nicht belegen läßt, und der dann in Forderungen mündet, die eigentlich nur Leute einsetzen können, die es gar nicht gibt und die es immer weniger gibt. Es werden - hier hat gerade ein Vertreter der Regierungspräsidentenebene gesprochen - die

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Diskussion

Ebenen, die vielleicht noch am ehesten das leisten können, was immer mehr angebliches Gebot der Stunde ist, abgebaut, und wie das Ganze zusammengehen soll - ich greife damit auch wieder dem vor, was ich morgen sagen will weiß eigentlich keiner. Die linke Hand fordert, und die rechte Hand baut die Leute, die die Forderungen umsetzen können, ab.

U nbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrensund Formfehlern Von Helge Sodan

I. Einleitung Nicht einmal das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) hat vor dem Regelungseifer des Gesetzgebers seine Ruhe. Dieses Gesetz vom 25.5.1976 1 ist seit seiner Verkündung innerhalb von 20 Jahren nur durch ftlnf Gesetze geändert worden2 ; ganze 7 Vorschriften erfuhren dabei eine Änderung, eine Bestimmung - die Berlin-Klausel - ist gegenstandslos geworden, und eine Norm nämlich § 49a - fUgte der Gesetzgeber ein. Es gibt nur wenige Bundesgesetze, die sich durch eine vergleichbare Beständigkeit auszeichnen. Kurz nachdem zwei Jahrzehnte seit der Verkündung des VwVfG vergangen waren, erlag der Gesetzgeber jedoch der Versuchung, die bisherige beachtliche Kontinuität durch wesentliche Veränderungen zu beenden. Das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren - hierfUr bietet der Gesetzgeber die wahrlich "prägnante" Abkürzung "Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz" (GenBeschIG) an - vom 12.9.19963 enthält in seinem Art. 1 Änderungen des VwVfG, die nunmehr seit mehr als anderthalb Jahren gelten. Im Hinblick auf Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern sind die Neufassungen von § 45 Abs. 2 und § 46 letzter Teilsatz VwVfG von Bedeutung. § 45 Abs. 1 VwVfG regelt, daß eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich ist, wenn die in den Nm. 1 bis 5 genannten Handlungen nachgeholt werden. § 45 Abs. 2 VwVfG a. F. bestimmte, daß Handlungen des BGB!. I, S. 1253. Die Änderungen erfolgten durch Art. 7 Nr. 4 des Adoptionsgesetzes vom 2.7.1976 (BGB!. I, S. 1749 [1757]), Art. 7 § 3 des Betreuungsgesetzes vom 12.9.1990 (BGB!. I, S. 2002 [2017]), das Sechste Überleitungsgesetz vom 25.9.1990 (BGB!. I, S. 2106), Art. 12 Abs. 5 des Postneuor4!lungsgesetzes vom 14.9.1994 (BGB!. I, S. 2325 [2384]) und Art. 1 des Gesetzes zur Anderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 2.5.1996 (BGB!. I, S. 656). 3 BGB!. I, S. 1354. I

2

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Abs. 1 Nm. 2 bis 5 nur bis zum Abschluß eines Vorverfahrens oder, falls ein Vorverfahren nicht stattfmdet, bis zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage nachgeholt werden durften. § 45 Abs. 2 VwVfG n. F. legt nunmehr fest, daß Handlungen nach Abs. 1 bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können, dehnt also den Zeitraum für die Möglichkeit der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern erheblich aus. § 46 VwVfG ist insoweit unverändert geblieben, als er vorschreibt: Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist. Die frühere Einschränkung "wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können" ist ersetzt worden durch die Formulierung "wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat". 1. Einschlägige Regelungen in den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen und in weiteren Bundesgesetzen In den Vorbemerkungen zum Entwurf des GenBeschlG weist die Bundesregierung4 zu Recht daraufhin, daß der überwiegende Teil der Genehmigungsverfahren von den Ländern nach Maßgabe ihrer Landesverwaltungsverfahrensgesetze durchgeführt werde; die "zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung notwendige Wahrung des Gleichklangs von Bundes- und Landesverwaltungsverfahrensgesetzen" erfordere "eine Übernahme der Regelungen des vorliegenden Entwurfs in die Landesverwaltungsverfahrensgesetze". Was die Anpassung des Landesverwaltungsverfahrensrechts an die Neufassungen von § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG anbelangt, ergibt sich gegenwärtig folgender Befund: Diese Anpassung ist in Form wörtlicher Übereinstimmung durch Änderungen der entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze des Landes Baden-Württemberi, des Freistaats Bcrern6, der Freien Hansestadt Bremen', der Freien und Hansestadt Hamburg, des Saarland/, des BT-Drucks. 13 / 3995, S. 2. § 45 Abs. 2 und § 46 LVwVfG neu gefaßt durch Gesetz vom 24.11.1997 (GB!. BW, S. 470 [471]). 6 Art. 45 Abs. 2 und Art. 46 BayVwVfG neu gefaßt durch Gesetz vom 26.7.1997 (BayGVB!., S. 348). 7 § 45 Abs. 2 und § 46 BremVwVfG neu gefaßt durch Gesetz vom 29.9.1997 (GBI. Bremen, S. 325). 8 § 45 Abs. 2 und § 46 HmbVwVfG neu gefaßt durch Gesetz vom 27.8.1997 (HmbGVBI., S. 441). 9 § 45 Abs. 2 und § 46 SVwVfG neu gefaßt durch Gesetz vom 26.11.1997 (ABI. Saar!. 1998, S. 42). 4

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Landes Sachsen-Anhalt 10 sowie des Freistaats Thüringen 11 erfolgt. In den Ländern Berlin und Rheinland-Pfalz sowie im Freistaat Sachsen gelten die neuen Regelungen von § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG aufgrund sog. dynamischer Verweisungen jeweils in § 1 Abs. I des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes; damit sind sie in das Landesrecht automatisch inkorporiert worden. Dies gilt ferner rur das Land Niedersachsen, welches seine statische Verweisung auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes durch eine Aktualisierung geändert hat, durch die nunmehr auch Art. 1 GenBeschlG in Bezug genommen ise 2 • In den Ländern Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein ist das Landesrecht bislang nicht an die Neufassungen von § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG angepaßt worden. Das Land Hessen hat offenbar bewußt auf eine solche Anpassung verzichtet. Denn Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung vom 15.7.1997 \3 enthält einige Änderungen des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes, die aber nicht dessen §§ 45 und 46 betreffen. Als Zwischenbilanz ergibt sich also, daß in 11 der 16 Bundesländer mittlerweile Regelungen gelten, die wörtlich mit § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG n. F. übereinstimmen.

2. Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht Erstaunlich ist im übrigen, daß der Bundesgesetzgeber die Vorschriften zum fmanz- und sozialbehördlichen Verfahren bislang nicht an die Neuregelungen in § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG angepaßt hat. § 126 Abs. 2 und § 127 AO 1977 sowie § 41 Abs. 2 und § 42 Satz I SGB X stimmen weiterhin nahezu wörtlich mit den alten Vorschriften in § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG überein. In engem Zusammenhang mit den Neufassungen von § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG stehen verwaltungsprozessuale Regelungen, welche das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) vom 1.11.1996 14 enthält, das am 1.1.1997 in Kraft getreten ist. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter "schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Ver10 § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG LSA neu gefaßt durch Gesetz vom 21.11.1997 (GVBI. LSA, S. 1018). 11 § 45 Abs. 2 und § 46 ThürVwVfG neu gefaßt durch Gesetz vom 10.10.1997 (ThÜrGVBI., S. 349). 12 Siehe Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes vom 28.11.1997 (Nds. GVBI., S. 489 [493]). \3 GVBI. Hess., S. 217 (218). 14 BGBI. I, S. 1626.

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handlung zu erledigen". Durch Anfilgung der Nr. 7 in § 87 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann er nunmehr "der Verwaltungsbehörde die Gelegenheit zur Heilung von Verfahrens- und Fonnfehlern binnen einer Frist von höchstens drei Monaten geben, wenn das nach seiner freien Überzeugung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert". Durch das 6. VwGOÄndG wurde ferner dem § 94 VwGO ein Satz 2 angefilgt, der wie folgt lautet: "Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Fonnfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist." Darüber hinaus läßt sich in diesem Zusammenhang der neue Satz 2 in § 114 VwGO in Betracht ziehen, welcher bestimmt: "Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ennessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen." 3. Spezielles Planungs- und Genehmigungsrecht Im übrigen gibt es in einigen speziellen Gesetzen Vorschriften, welche die Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Fonnfehlern regeln. Von diesen Nonnen sind besonders die schon lange geltenden §§ 214 und 215 BauGB zu nennen. § 214 BauGB betrim die Beachtlichkeit der Verletzung von Verfahrens- und Fonnvorschriften filr die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach dem Baugesetzbuch. § 215 BauGB regelt die Frist filr die Geltendmachung der Verletzung von Verfahrens- und Fonnvorschriften. Der neue § 215a BauGB legt in seinem Abs. 2 fest, daß bei Verletzung der in § 214 Abs. 1 BauGB bezeichneten Vorschriften oder bei sonstigen Verfahrens- oder Fonnfehlern nach Landesrecht der Flächennutzungsplan oder die Satzung auch mit Rückwirkung erneut in Kraft gesetzt werden können. § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG bestimmt filr die straßemechtliche Planfeststellung, daß erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Fonnvorschriften nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung filhren, "wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können; die §§ 45 und 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen bleiben unberührt." Mit diesem Wortlaut stimmt im wesentlichen der durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz in das VwVfG eingefilgte § 75 Abs. la in seinem Satz 2 überein. Danach filhren erhebliche Mängel bei der Abwägung "nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können". In der Begründung zum gleichlautenden Gesetzentwurf der BundesregierungIS IS

BT-Drucks. 13 /3995, S. 10 (zu § 75).

Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern

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heißt es, auf eine Regelung der Verletzung von Verfahrens- oder Fonnvorschriften wie im FStrG sei verzichtet worden, da insoweit die geänderten §§ 45 und 46 VwVfG anzuwenden seien.

n. Gang der Untersuchung Der Überblick über Vorschriften zur Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Fonnfehlern zeigt, daß mittlerweile ein weiter Regelungskomplex vorliegt, der nicht nur allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, sondern nach wie vor eben auch einzelne Fachgesetze umfaßt. Nachfolgend sollen diejenigen Vorschriften einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, die wegen ihrer allgemeinen Bedeutung und ihrer rechtlichen Brisanz im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion über die Beschleunigung stehen: nämlich die §§ 45 und 46 VwVfG des Bundes sowie die bereits genannten, damit in engem Zusammenhang stehenden verwaltungsprozeßrechtlichen Neuregelungen. Dabei wird es vor allem darum gehen, das Ineinandergreifen der Vorschriften aufzuzeigen und Hinweise fUr deren Anwendung in der Praxis zu geben. Keinesfalls ausgeblendet werden dürfen jedoch einige verfassungsrechtliche Probleme, die sich bezüglich der einschlägigen Nonnen stellen. Die von Konrad Redeker im Jahre 1997 vertretene· Ansicht, verfassungsrechtliche Einwendungen müßten jedenfalls "bis zu einer mit Sicherheit erst in Jahren wenn überhaupt - zu erwartenden Entscheidung des BVerjG fUr die laufende Praxis zurückgestellt werden,,16, teile ich nicht. Auch die öffentliche Verwaltung und mit Streitfällen befaßte Verwaltungsgerichte dürfen verfassungsrechtliche Einwendungen nicht einfach "zurückstellen", wie sich etwa aus Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 und 100 Abs. 1 GG ergibt. Dies verbietet sich auch deshalb, weil gegebenenfalls eine verfassungskonfonne Auslegung in Betracht gezogen werden kann. Die nachfolgenden Erörterungen unterstellen allerdings zunächst die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit der genannten Nonnen. Die Analyse des neuen Regelungswerks fUhrt dann zwangsläufig zu dessen verfassungsrechtlicher Problematik.

In. Zur Vorschrift des § 45 VwVfG Bei dieser Analyse ist zunächst von dem unverändert gebliebenen Abs. 1 in § 45 VwVfG auszugehen, auf den sich ja die Neufassung des § 45 Abs. 2 16

(626).

K. Redeker, Die "Heilungsvorschriften" der 6. VwGO-Novelle, NVwZ 1997,625

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VwVfG unmittelbar bezieht. Ohne hier die gesamte Diskussion über die Heilung von Verfahrens- und Fonnfehlern l7 noch einmal aufrollen zu können, sind einige grundsätzliche Feststellungen zum Verständnis der genannten Neuregelung allerdings unvenneidlich. Die Behandlung von Verfahrens- und Fonnfehlern war vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes umstritten. In Rechtsprechung l8 und Literatur l9 hatte sich überwiegend die Auffassung herausgebildet, Verstößen gegen Verfahrensvorschriften nicht allgemein die gleiche Bedeutung beizumessen wie der Verletzung von materiellem Recht. Verwaltungsakte, die ausschließlich in ihrer Entstehung fehlerhaft sind, sollten ungeachtet dessen mit Rücksicht auf ihre materielle Rechtmäßigkeit auch insgesamt rechtmäßig sein können. Diesem Ansatz liegt letztlich die Vorstellung von einer bloß dienenden Funktion des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht zugrunde. 20 Bereits vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes war im Schrifttum21 jedoch auch vielfach Kritik an der Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Fonnfehlern erhoben worden: Schon damals wurde warnend auf die Gefllhrdung des Rechtsstaats durch Entwertung der Verfahrensgarantien hingewiesen; der Gesetzgeber fördere mit Nonnen, die zur Sanktionslosigkeit bestimmter Rechtsverstöße fUhrten, die Neigung, die betreffenden Verfahrens- oder Fonnvorschriften aus venneintlichen Gründen der Verwaltungseffizienz nicht anzuwenden. Wie in der jüngsten Zeit vennochten sich 17 Siehe aus der reichhaltigen Literatur etwa F. Kopp, Die Heilung von Mängeln des Verwaltungsverfahrens und das Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozeß, VerwArch. 61 (1970),219 ff.; H-J. Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, 1973; K. A. Bettermann, Die Anfechtung von Verwaltungsakten wegen Verfahrensfehlern, in: Festschrift fIlr H. P. Ipsen zum 70. Geburtstag, 1977, S. 271 ff.; R. Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 ff.; F. Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler?, NJW 1982,2160 ff; ders., Zur Systematik der Folgen von Verfahrensfehlern - eine Bestandsaufnahme nach zehn Jahren VwVfG, DVBI. 1988, 69 ff.; ders., Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., 1991, Rdnrn. 584 ff.; L. Messerschmidt, Zur Heilung und Folgenlosigkeit von Verfahrens- und Formfehlern bei Verwaltungsakten gern. §§ 45 und 46 VwVfG, NVwZ 1985, 877 ff. 18 Vgl. etwa BVerwGE 24, 23 (32); 29, 282 (283 f.); BVerwG, DVBI. 1969, 362 (364). 19 Vgl. z. B. 0. Groschupf, Wie entscheidet das Verwaltungsgericht, wenn das Verwaltungsverfahren fehlerhaft war?, DVBI. 1962, 627 (629 ff.); K. A. Bettermann, Anmerkung zum Urteil des VG Sigmaringen vom 17.9.1962 - I 163/62 -, DVBI. 1963, 826 (827 f); F. Weyreuther, Probleme der Rechtsprechung zum Enteignungsverfahren, DVBI. 1972,93 (94 ff.). 20 M Sachs, in: P. Stelkens / H. 1. Bonk / M. Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., 1998, § 45 Rdnr. 7. 21 Siehe u. a. F. Osse..nbühl, Zum Problem der Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte, DOV 1964, 511 (516 f); C. H Ule, Verwaltungsreform als Verfassungsvollzug, in: Recht im Wandel, Festschrift 150 Jahre earl Heymanns Verlag, 1965, S. 53 (71 ff.); K'!pp (Fußn. 17), S. 220 ff; F. Haueisen, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsakt, DOV 1973,653 (656 f).

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aber auch schon vor Erlaß des Verwaltungsverfahrensgesetzes die Kritiker nicht durchzusetzen. Der Gesetzgeber ist bekanntlich mit den Regelungen in den §§ 45 und 46 VwVfG einem anderen Ansatz gefolgt. 1. Regelungsgegenstände des § 45 Abs. 1 VwVfG § 45 Abs. 1 VwVfG bezieht sich nicht auf Verfahrens- und Formfehler, die den Verwaltungsakt nach § 44 Abs. 1 oder 2 VwVfG nichtig machen oder ihn nach § 43 VwVfG erst gar nicht wirksam entstehen lassen, wie etwa im Falle einer fehlerhaften Bekanntgabe. Sofern die in § 45 Abs. 1 VwVfG genannten Handlungen nachgeholt werden, ist die Verletzung der entsprechenden Verfahrens- oder Formvorschrift nach der Sprache des Gesetzgebers" unbeachtlich ". Die Nachholung der zunächst versäumten Handlung ruhrt zur "Heilung" des Fehlers, wie sich terminologisch aus der Überschrift des § 45 VwVfG ergibt. Nach einer Auffassung in der Literatur22 soll die Heilung dazu führen, daß die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts rückwirkend beseitigt wird; der geheilte Verwaltungsakt wird demnach als von Anfang an rechtmäßig fingiert. Andererseits wird im Schrifttum23 die Ansicht vertreten, daß die im Moment der ursprünglichen Entscheidung eingetretene Rechtswidrigkeit durch die Heilung nicht beseitigt werde: Der Verwaltungsakt sei danach rechtswidrig, bleibe es aber nicht, so daß die Heilung lediglich eine ex-nunc-Wirkung habe. Mit der Heilung entfällt jedenfalls der verwaltungsgerichtliche Aufhebungsanspruch nach § 113 VwGO ebenso wie die Möglichkeit der Verwaltung zur Rücknahme des Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG. 24

§ 45 Abs. 1 VwVfG regelt die Unbeachtlichkeit der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften nur für die in den Nm. 1 bis 5 genannten Fehler und deren Beseitigung durch Nachholung der erforderlichen Handlungen. Er gilt also nicht rur weitere Verfahrens- und Formfehler, für Zuständigkeitsmängel oder gar materiell-rechtliche Fehler. 25 a) § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVjG sieht eine Heilung vor, wenn der für den Erlaß des Verwaltungsakts erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird. Der An22 Siehe W Klappstein, in: H. J. Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., 1996, § 45 Rdnr. 2.5; Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 18; W-R. Schenke, "Reform" ohne Ende - Das Sechste q~setz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOAndG), NJW 1997,81 (87). 23 H. Meyer, in: H. Meyer / H. Borgs-Maciejewski, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1982, § 45 Rdnr. 12; F. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., 1991, Rdnr. 613; F. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., 1996, § 45 Rdnr. 6. Differenzierend nach Fehlerarten Messerschmidt (Fußn. 17), S. 877 f. 24 OVG Münster, NVwZ 1988, 740; Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 22. 25 Vgl. BVerwG, NJW 1987, 1564 (1566); OVG Saarlouis, NVwZ 1982,127.

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trag ist eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung. Hinsichtlich des Antragserfordernisses ist § 22 VwVfG zu beachten. Gemäß § 22 Satz 1 VwVfG entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchftlhrt. Dies gilt freilich gemäß § 22 Satz 2 Nr. 2 VwVfG nicht, wenn die Behörde aufgrund von Rechtsvorschriften nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt. Ein nachträglicher Antrag kann auch konkludent gestellt werden, etwa durch Erhebung einer Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auf Erlaß des Verwaltungsakts, der ohne daftlr notwendigen Antrag von der Behörde abgelehnt wurde. 26 Dies ist nach der neuen Fassung des § 45 Abs. 2 VwVfG zulässig, weil danach sämtliche Handlungen des § 45 Abs. 1 VwVfG bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können. Aber auch nach der alten Fassung des § 45 Abs. 2 VwVfG war die konkludente Nachholung des Antrags durch Klageerhebung möglich. Denn von der damaligen zeitlichen Begrenzung, daß Handlungen nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens oder bei Fehlen eines Vorverfahrens bis zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage nachgeholt werden durften, war § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ausdrücklich ausgenommen. Der Betroffene hat im übrigen ein Wahlrecht, ob er den Antrag nachträglich stellt oder gegen den ohne Antrag ergangenen Verwaltungsakt Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhebt. 27 Im letzteren Falle ist der noch zu erörternde § 46 VwVfG zu beachten. Eine Beschwer des Betroffenen 28 ergibt sich aus der Überlegung, daß sich niemand einen begünstigenden Verwaltungsakt, den er nicht haben will, aufdrängen lassen muß?9 Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG scheidet im übrigen dann aus, wenn eine besondere Antrag~ist als Ausschlußfrist - etwa zur Vergabe einer Subvention - versäumt wurde. 30 b) § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVjG regelt die Heilung im Falle der nachträglich gegebenen Begründung ftlr den Verwaltungsakt. Das grundsätzlich bestehende Erfordernis einer Begründung schreibt § 39 VwVfG vor. Nach dessen Absatz 1 ist ein "schriftlicher oder schriftlich bestätigter Verwaltungsakt schriftlich zu begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermes26 VG Berlin, NJW 1981,540; F.-J. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1997, Rdnr. 236. 27 Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 31. 28 Dagegen Bettermann (Fußn. 17), S. 275, der eine Beschwer des Betroffenen nicht für erforderlich hält. 29 Vgl. M Sachs, "Volenti non fit iniuria", VerwArch. 76 (1985), 398 (417 f.). 30 Peine (Fußn. 26).

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sens ausgegangen ist." Diesen Voraussetzungen muß die nachträglich gegebene Begründung entsprechen. Die Heilung kommt tUr diejenigen Fälle in Betracht, in denen die Begründung völlig fehlt oder eine Begründung gegeben wurde, welche die Anforderungen von § 39 Abs. 1 Satz 2 oder 3 nicht wahrt. Jedenfalls kein unmittelbarer Anwendungsfall von § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG liegt vor, wenn eine Begründung zwar den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 39 VwVfG genügt, aber die zutreffenden Rechtsgründe verfehlt, welche die getroffene Entscheidung sachlich rechtfertigen. 31 c) § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVjG bestimmt die Heilung tUr den Fall, daß die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Nach § 28 Abs. 1 VwVfG ist - vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 dieser Vorschrift - vor Erlaß eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten im Sinne des § 13 VwVfG eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den tUr die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 32 kann jedoch in der bloßen Einlegung des Widerspruchs noch keine Heilung der unterbliebenen Anhörung gesehen werden; ansonsten liefe nämlich § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG leer. 33 Der Widerspruch tUhrt vielmehr nur dann zur Heilung, wenn die vollwertige Gewährung des in § 28 VwVfG enthaltenen Rechts sichergestellt ist. Dies läßt sich etwa in einern Fall bejahen, in dem die Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts so umfangreich ist, daß der Betroffene ihr alle tUr die Entscheidung erheblichen Tatsachen im Sinne des § 28 VwVfG entnehmen und sich dazu äußern kann. 34 Die Nachholung der AnhÖrung muß im übrigen nicht notwendig durch die Erstbehörde vorgenommen werden. Nach einern Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 35 genügt bei Errnessensentscheidungen die Anhörung durch die Widerspruchsbehörde, sofern diese zur vollen Überprüfung auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit befugt ist. d) § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVjG regelt die Heilung im Falle der nachträglichen Beschlußfassung eines Ausschusses, dessen Mitwirkung tUr den Erlaß des Verwaltungsakts erforderlich ist. Diese Heilungsmöglichkeit besteht nicht nur, 31 Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 45; zur Bedeutung der Neuregelung in § 114 Satz 2 VwGO a.a.O., Rdnr. 61 ff. Siehe zur Diskussion über die Behandlung von Fällen des "Nachschiebens von Gründen" etwa F. Schoch, Nachholen der Begründung und Nachschieben von Gründen, DÖV 1984,401 (403 f.); H-W. Laubinger, Die Umdeutung von Verwaltungsakten, VerwArch. 78 (1987), 207 (222 ff.); Hufen (Fußn. 23), Rdnr. 605; H Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl., 1997, § 10 Rdnr. 40. 32 Siehe BVerwGE 54, 276 (280); 66, III (114). 33 Vgl. H Mandelartz, Anhörung, Absehen von der Anhörung, Nachholen der unterbliebenen Anhörung - zur Relativierung eines Verfahrensrechts, DVBI. 1983, 112 (115); Hufen (Fußn. 23), Rdnrn. 606 ff.; Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 78. 34 Im Ergebnis ebenso BVerwG, NJW 1983,2044 (2045). 3S Siehe BVerwG, NVwZ 1984, 578 (579).

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wenn zuvor überhaupt kein Beschluß des Ausschusses erfolgt ist, sondern auch dann, wenn es zwar zu einer Beschlußfassung gekommen ist, diese aber rec htSWl·d· ng war. 36 e) § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVjG sieht schließlich eine Heilung vor, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird. Diese Vorschrift darf nicht dahin mißverstanden werden, daß etwa das Nachholen des Erlasses eines Verwaltungsakts durch die zuständige anstelle der zuvor tätig gewordenen unzuständigen Behörde erfaßt sein soll. Vielmehr bezieht sich die Bestimmung nur auf die Mitwirkung im Rahmen eines mehrstufigen Verwaltungsakts. 37 2. Zur Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG Die zuvor genannten Handlungen können nach § 45 Abs. 2 VwVfG n. F. nunmehr bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Darin ist eine deutliche Erweiterung des fUr die Heilung des Verfahrens- oder Formfehlers zur VerfUgung stehenden Zeitraums im Vergleich zur alten Fassung zu sehen, welche die Nachholung der Handlungen - wie bereits erwähnt - nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens bzw. bis zur Klageerhebung gestattete. Die Behörde darf also sowohl im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als auch im Hauptsacheverfahren von Amts wegen die Handlungen nach § 45 Abs. 1 VwVfG bis zur letzten gerichtlichen Entscheidung nachholen. Dies gilt nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 VwVfG auch noch in der Revisionsinstanz. Für dieses Ergebnis spricht ferner die Entstehungsgeschichte. Der Bundesrat schlui nämlich in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung3 vor, § 45 Abs. 2 VwVfG wie folgt zu fassen: "Handlungen nach Abs. 1 können nur bis zur Entscheidung in der letzten Tatsachen instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden." Der Bundesrat fUhrte zur Begründung aus, die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern könne "der Verwaltung nur bis zu dem Zeitpunkt ermöglicht werden, in dem Verwaltungshandeln vom Gericht bei seiner Entscheidung noch berücksichtigt werden" könne. Dies sei "der Zeitpunkt, in dem entweder aufgrund einer mündlichen Verhandlung oder ohne mündliche Verhandlung eine Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren beschlossen" werde. In der Revisionsinstanz sei "eine Nachholung nicht mehr möglich, da hier aufgrund eines feststehenden Sachverhalts nur noch Rechtsfragen geprüft" würden. Dieser Meyer (Fußn. 23), Rdnr. 19; Klappstein (Fußn. 22), Rdnr. 3.4. K. Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1990, § 45 Rdnr. 23; Peine (Fußn. 26), Rdnr. 236 (S. 145). 38 BT-Drucks. 13/3995, S. 11. 36

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Vorschlag des Bundesrats blieb im Gesetzgebungsverfahren jedoch ohne Erfolg. Die Bundesregierung konnte sich mit ihrem Entwurf zur Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG durchsetzen. Durch diese Regelung wird die Bindung des Bundesverwaltungsgerichts an Tatsachenfeststellungen gemäß § 137 Abs. 2 VwGO nicht obsolet. Sofern aufgrund nachgeholter Verfahrenshandlungen wie etwa einer nachträglichen Anhörung Sachverhaltsfeststellungen erforderlich werden, darf das Bundesverwaltungsgericht sie nicht erstmals treffen. Insoweit kommt eine Zurückverweisung an die Vorinstanz in Betracht. 39

IV. Zur Neuregelung in § 46 VwVfG Der neuen Fassung des § 45 Abs. 2 VwVfG liegt offenbar die Zielsetzung der Verhinderung überflüssiger Zweitverfahren zugrunde, die entstünden, wenn ein Verwaltungsakt lediglich wegen Verfahrens- oder Formfehlern aufgehoben werden und das Verfahren erneut beginnen müsse, obwohl in der Sache keine andere Entscheidung ergehen könnte. 4o Dieser Zweck wird auch mit § 46 VwVfG verfolgt, welcher ein behördliches Verteidigungsrecht regelt. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat. Der Rechtsverstoß ist dann also unbeachtlich. Wie bereits einleitend dargestellt, schloß die bis zum GenBeschlG in Kraft gewesene Fassung des § 46 VwVfG einen Aufhebungsanspruch wegen Verfahrens- und Formfehlern nur dann aus, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Die Beseitigung dieser Formulierung begründete die Bundesregierung im entsprechenden Gesetzentwurf 1 unter Hinweis auf die überwiegende Auffassung, die sich in Rechtsprechung und Literatur zur alten Fassung des § 46 VwVfG gebildet hatte 42 : Danach erfaßte der bisherige Anwendungsbereich dieser Vorschrift gebundene Verwaltungsakte 39

..

H. J. Bank, Strukturelle Anderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Ge-

nehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997,320 (324 Fußn. 37); Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 120; a. A. P. Schmidt, in: E. Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., 1998, § 137 Rdnr. 27, der eine begrenzte Zulassung neuer Tatsachen in der Revisionsinstanz "aus dem Wesen der Revision als einer Rechtskontrolle" herleitet. 40 Vgl. dazu die entsprechende Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des neuen § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO, BT-Drucks. 13 / 3993, S. 12. 41 BT-Drucks. 13 /3995, S. 8. 42 Siehe etwa ~VerwG, NVwZ 1985, 525; R. Pietzner / M. Ranellenjitsch, Das Assessorexamen im Offentlichen Recht, 9. Aufl., 1996, § 38 Rdnr. 13; Peine (Fußn. 26), Rdnr.243.

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und Ennessensentscheidungen nur im Falle der selten gegebenen Ennessensreduzierung auf Null. Diese liegt vor, wenn jede andere als eine bestimmte Entscheidung ennessensfehlerhaft wäre. 43 Die Bundesregierung44 fllhrte aus, durch die Neufonnulierung des letzten Teilsatzes in § 46 VwVfG werde "nicht mehr nur auf die Alternativlosigkeit des Entscheidungsinhalts, sondern auch auf die Kausalität des Verfahrens- oder Fonnfehlers rur die Entscheidung abgestellt". Damit würden "auch solche Ennessensentscheidungen erfaßt, in denen zwar keine Ennessensreduzierung auf Null" vorliege, "in denen die Behörde aber bei Venneidung des Verfahrens- oder Fonnfehlers dieselbe - materiell rechtmäßige - Entscheidung getroffen hätte". Nach Ansicht der Bundesregierung stellt die Neufonnulierung "lediglich eine Erweiterung der bisherigen Rechtslage dar, so daß hierzu ergangene Rechtsprechung und die Literatur auch zukünftig zur Interpretation und Handhabung dieser Vorschrift herangezogen werden" könnten. Die wesentliche Änderung der bisherigen Rechtslage durch die Neufassung des § 46 VwVfG besteht also darin, daß eine Unbeachtlichkeit von Verfahrensund Fonnfehlern nunmehr auch bei Ennessensentscheidungen, bei denen das Ennessen nicht auf Null reduziert ist, und - insoweit ist die Begründung der Bundesregierung zu ergänzen - bei der Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum möglich ist. Es handelt sich dabei um Entscheidungen, die auf Abwägungen beruhen und bei denen der Verwaltung entweder auf der Rechtsfolgeseite der Nonn ein Auswahlrecht aufgrund sog. Ermessens oder auf der Tatbestandsseite fllr die Richtigkeit der an sich einen rechtmäßigen Entscheidung aufgrund sog. Beurteilungsspielraums die Letztverantwortlichkeit übertragen ist. Der Wortlaut des neuen § 46 VwVfG gibt zu erkennen, daß das Erfordernis der Offensichtlichkeit nicht auf den Fehler als solchen, sondern auf das Fehlen eines Einflusses des Fehlers auf die Entscheidung in der Sache zu beziehen ist. 4s Gemeint ist die materielle Entscheidung, die Gegenstand des jeweiligen Verfahrens ist. Zu der Frage, welcher Maßstab zur Beurteilung der Offensichtlichkeit anzulegen ist, äußert sich die Bundesregierung in der Begründung ihres Gesetzentwurfs nicht. Sie vertritt lediglich die Ansicht, das Erfordernis der Offensichtlichkeit der Kausalität stelle "sicher, daß in dem Spannungsverhältnis zwischen Verfahrensökonomie und den Fonnund Verfahrenserfordernissen, die sowohl den Schutz betroffener Dritter als auch eine effektive 'geordnete' Verwaltung" bezweckten, "ein angemessener Ausgleich" erfolge 46 • Angesichts der Ähnlichkeit der in § 46 VwVfG n. F.

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~ Maurer (Fußn. 31), § 7 Rdnr. 24; G. Schwerdtfeger, Offentliches Recht in der Fallbearbeitung, 10. Aufl., 1997, Rdnr. 161. 44 BT-Drucks. 13 /3995, S. 8. 4S Bonk (Fußn. 39), S. 326. 46 BT -Drucks. 13 / 3995, S. 8.

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verwandten Formulierung "offensichtlich" mit dem in § 44 Abs. 1 VwVfG fUr die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts enthaltenen Begriff "offenkundig" bietet es sich an, die zu diesem vorgenommene Auslegung hier entsprechend heranzuziehen: Für die Offenkundigkeit des Fehlers ist maßgebend, daß ein urteilsfilhiger, unvoreingenommener, aufmerksamer und verständiger Bürger, der mit den in Betracht kommenden Umständen vertraut ist, den Fehler erkennen konnte47 . Unter Berücksichtigung der zur alten Fassung des § 46 VwVfG ergangenen Rechtsprechung48 läßt sich der Einfluß des Fehlers auf die Entscheidung in der Sache bejahen, wenn die konkrete Möglichkeit bestand, daß ohne diesen Fehler die Entscheidung in der Sache anders ausgefallen wäre. Die Kausalität muß also zwischen dem Verfahrens- oder Formfehler und der Möglichkeit von Entscheidungsalternativen überhaupt bestehen. 49 Fehlt diese Kausalität, dann liegt aus der Sicht des Gesetzgebers kein wesentlicher, rur die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts beachtlicher Verfahrens- oder Formfehler vor.

V. Ergänzung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Verwaltungsprozeßrecht An § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG knüpfen § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 sowie § 94 Satz 2 VwGO an. Nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter des Gerichts im sog. vorbereitenden Verfahren der Verwaltungsbehörde die Gelegenheit zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern binnen einer Frist von höchstens drei Monaten geben, wenn das nach seiner freien Überzeugung die Erledigung des Rechtsstreitsr nicht verzögert. Die Bundesregierung beruft sich in der Begründung ihres entsprechenden GesetzentwurfsSO auf den Gesichtspunkt der Verfahrenseffizienz: Es solle "vermieden werden, daß ein im materiellen Ergebnis 'richtiger' Verwaltungsakt durch stattgebendes Anfechtungsurteil aufgehoben werden" müsse, "dann aber erneut erlassen und unter Umständen nochmals der gerichtlichen Überprüfung unterworfen" werde. Das vorbereitende Verfahren endet mit dem Beginn der mündlichen Verhandlung oder der Beratung. Die DurchfUhrung eines vorbereitenden Verfahrens ist allerdings keinesfalls die Regel. Nicht selten fallen vorbereitendes Verfahren und Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zusammen. Dies hat zur Konsequenz, daß fUr Anordnungen nach § 87 Abs. 1 Satz 2 47 Vgl. etwa BVerwG, NJW 1971, 578; BSGE 24, 162 (168); BSG, SGb. 1976, 457 (459); H. J WoljJ /0. Bachof / R. Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., 1994, § 49 Rdnr. 12. 48 BVerwGE 75,214 (228); OVG Münster, NJW 1978, 1764 (1765). 49 Peine (Fußn. 26), Rdnr. 243. so BT-Drucks. 13 /3993, S. 12.

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VwGO oft die Zeit fehlt und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung erfolgen. Stellt der Vorsitzende oder der Berichterstatter im vorbereitenden Verfahren die Unbeachtlichkeit eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 46 VwVfG fest, ist die Sache materiell-rechtlich zur mündlichen Verhandlung reif. Ist hingegen § 46 VwVfG nicht einschlägig, kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO verfahren und damit zur nachträglichen formell-rechtlichen Rechtfertigung des Verwaltungsakts beitragen. 51 Die Verwaltungsbehörde, welche die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach den erörterten Absätzen 1 und 2 in § 45 VwVfG bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von Amts wegen herbeifilhren kann, erhält dann also im Falle ihrer Untätigkeit vom Gericht die Gelegenheit zur Heilung. Auch diese bemißt sich nach § 45 VwVfG. Läßt das einschlägige Landesrecht - wie gegenwärtig noch in filnf Bundesländern --eine Heilung im gerichtlichen Verfahren nicht zu, ist eine Anordnung nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO jedoch unzulässig. Im Falle der Zulässigkeit liegt es im Ermessen des Vorsitzenden bzw. des Berichterstatters, ob er nach dieser Vorschrift verfährt; dabei kann er berücksichtigen, welchen Aufwand in der laufenden Dezernatsbearbeitung die Beurteilung der entscheidungserheblichen Folgen eines Verfahrens- oder Formfehlers erfordern würde. 52 In der Anordnung muß der Vorsitzende oder Berichterstatter den nach seiner Rechtsauffassung gegebenen konkreten Fehler benennen. Die Festlegung der richterlichen Frist liegt in seinem Ermessen. Diese darf jedoch - auch im Falle einer möglichen Verlängerung - insgesamt höchstens drei Monate betragen. 53 Die Anordnung nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO setzt voraus, daß die Gelegenheit zur Heilung innerhalb der Frist nach der freien Überzeugung des Vorsitzenden bzw. Berichterstatters die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert. Dafilr ist nur maßgebend, ob das Verfahren bei Einräumung der Heilungsmöglichkeit länger dauern würde. Läßt sich der Rechtsstreit ohne die Anordnung früher erledigen, muß diese unterbleiben, selbst wenn ohne die Heilung des Verfahrens- oder Formfehlers gegen die Behörde zu entscheiden ist. 54 Nutzt die Behörde die ihr gegebene Gelegenheit zur Heilung nicht innerhalb der richterlichen Frist, filhrt dies nicht zur Präkludierung; denn die Behörde ist gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG eben von Amts wegen berechtigt, HandlunRedeker (Fußn. 16). K.-M Ort/off, in: F. Schoch / E. Schmidt-Aßmann / R. Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung (Stand: Mai 1997), § 87 Rdnr. 24d. Vgl. dazu auch V. Schmid, in: H. Sodan / 1. Ziekow (Hrsg.), Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1996, § 87 Rdnr. 7; H. Geiger, in: E. Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., 1998, § 87 Rdnr. 3. 53 Geiger (Fußn. 52), Rdnr. 13; a. A. Ort/ojJ(Fußn. 52). 54 Vgl. dazu BVerwG, Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 23 (S. 54); VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 364. 51

52

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gen nach § 45 Abs. 1 VwVfG vor der abschließenden gerichtlichen Entscheidung nachzuholen. 55 Führt die Behörde bis zu diesem Zeitpunkt keine Heilung herbei, bleibt der Verwaltungsakt insoweit rechtswidrig. Ist der Verfahrensoder Formfehler jedoch geheilt und der Verwaltungsakt auch materiell rechtmäßig, können die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache tur erledigt erklären; dabei liegt es nahe, die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu Lasten der Behörde zu treffen. 56 Ist der Verwaltungsakt aber materiell rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt, vermag auch eine Heilung von Verfahrens- oder Formfehlern am Obsiegen des Klägers nichts zu ändern. Wurde kein vorbereitendes Verfahren durchgetuhrt oder ist in einem solchen Verfahren kein Hinweis auf heilbare Verfahrens- und Formfehler erfolgt, können die Behörde und die anderen Beteiligten in der mündlichen Verhandlung die Aussetzung des Verfahrens zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern beantragen. Auf einen solchen Antrag hin kann das Gericht gemäß § 94 Satz 2 VwGO die Verhandlung aussetzen, "soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist". Mit "Verfahrenskonzentration" dürfte das gesamte Verfahren gemeint sein, also nicht nur der anhängige Verwaltungsprozeß, sondern auch das bisherige und ein mögliches weiteres Verwaltungsverfahren. 57 In die Überlegungen zur Verfahrenskonzentration ist auch der Umstand einzubeziehen, daß ein wegen des Fehlers ergehendes Anfechtungsurteil eine baldige fehlerfreie Wiederholung des Verwaltungsakts nach sich ziehen kann. Der Entwurf der Bundesregierung hatte noch folgende anderslautende Fassung vorgeschlagen: "Auf Antrag der Verwaltungsbehörde soll das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies sachdienlich ist.,,58 Die später tatsächlich beschlossene Fassung von § 94 Satz 2 VwGO geht auf eine Amegung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages 59 zurück, der eine Reduzierung der Vorschrift von einer grundsätzlichen Verpflichtung des Gerichts auf eine Ermessensregelung mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Gerichte tur geboten hielt.

55 56 57 58 59

Ortlo.fJ(Fußn. 52). Vgl. Geiger (Fußn. 52), Rdnr. 13; Ortlo.fJ(Fußn. 52), Rdnr. 24g. Redeker (Fußn. 16). BT-Drucks. 13 /3993, S. 5 (Hervorhebung vom Verf.). Siehe BT-Drucks. 13 / 5098, S. 24.

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VI. Erfassung von materiell-rechtlichen Mängeln über § 114 Satz 2 VwGO Der neue § 114 Satz 2 VwGO, demzufolge die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, bezieht sich nicht auf Verfahrensund Formfehler, sondern nur auf materiell-rechtliche Mängel. Er betrifft demnach Fälle, in denen der ursprüngliche Verwaltungsakt bereits ausreichend im Sinne von § 39 Abs. 1 VwVfG begründet wurde, folglich unter keinem Verfahrensfehler leidet und die Ergänzung von Ermessenserwägungen lediglich eine Präzisierung sowie eine Klarstellung der dem Verwaltungsakt beigefügten Begründung ist. 60

VII. Verfassungsrechtliche Probleme Gegen die Neuregelungen in § 45 Abs. 2 und § 46 VwVfG sowie in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 und § 94 Satz 2 VwGO bestehen jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beansprucht "die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Grundrechte auch im jeweiligen Verfahrensrecht Geltung".61 Der Grundrechtsschutz ist danach "weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken".62 Diese Judikatur wurde zunächst illr den Grundrechtsschutz der in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Eigentumsgarantie63 und der in Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit64 entwickelt, später aber etwa auch auf die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausgedehnt6s . In bezug auf letztere illhrte das Bundesverfassungsgericht66 aus, nicht ,jeder Verfahrensfehler in einem atomrechtlichen Massen-

60 Siehe näher zu dieser Bestimmung Redeker (Fußn. 16), S. 627 f.; K. Redeker / H.J. v. Dertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., 1997, § 114 Rdnrn. lOa ff.; Schenke (Fußn. 22), S. 88; W Kluth, Die Auswirkungen der 6. VwGO-Novelle auf das Wirtschaftsrecht, WiB 1997, 512 (512 f.); K. Rennert, in: E. Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., 1998, § 114 Rdnrn. 84 ff.; Sachs (Fußn. 20), Rdnrn. 61 ff. 61

62 63

(389). 64

BVerfGE 52, 380 (389). BVerfGE 53, 30 (65). Vgl. etwa BVerfGE 37, 132 (141, 148); 46, 325 (334); 49, 220 (225); 52, 380

Vgl. z. B. BVerfGE 39, 276 (294); 44, 105 (119 ff.); 45, 422 (430 ff.); 52, 380 (389 f.). 65 Siehe BVerfGE 51,324 (343 ff.); 52, 380 (389). 66 BVerfGE 53, 30 (65 f.).

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verfahren" sei "bereits als Grundrechtsverletzung zu beurteilen"; eine solche Verletzung komme "aber dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche Verfahrensvorschriften außer acht" lasse, "die der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter erlassen" habe. 67 Selbst für Verfahren, die "mit gleichsam konstitutiver Wirkung die Geltendmachung einer grundgesetzlichen Gewährleistung regeln", gesteht das Bundesverfassungsgericht68 dem Gesetzgeber allerdings "eine weite Gestaltungsfreiheit" zu; aus den materiellen Grundrechten ließen "sich hierfür nur elementare, rechtsstaatlieh unverzichtbare Verfahrensanforderungen ableiten". Damit ist der Weg zum sog. Rechtsstaatsprinzip gewiesen. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG muß die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern "den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen". In Art. 20 GG wird zwar der Begriff "Rechtsstaat" - anders als in dem vom Abgeordneten v. Mangoldt dem Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates im Jahre 1948 vorgelegten Entwurf'9 - nicht ausdrücklich verwendet. Art. 20 Abs. 3 GG wurde jedoch gezielt "zur besseren Kennzeichnung der Rechtsstaatlichkeit als der Grundlage des Grundgesetzes" formuliert. 70 Diese Verfassungs bestimmung bindet die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht. Im Hinblick auf die Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern besteht seit jeher ein Zielkonflikt zwischen der Bindung der Behörden an das Recht auf der einen Seite sowie der Effizienz des Verwaltungshandelns auf der anderen Seite. 71 Die Beschleunigung der Verfahren von Verwaltung und Gerichten dient letztlich deren Funktionsfähigkeit und ist gewiß ein Zweck, den der Gesetzgeber prinzipiell verfolgen darf. 72 Die Nachholung einer fehlerhaften oder fehlenden Verfahrenshandlung durch die Verwaltung kann sogar für den Betroffenen eine wichtige Ausgleichsfunktion haben. 73 Aufgrund solcher Überlegungen hatte die alte Fassung des § 45 VwVfG als gesetzgeberischer Komprorniß zwischen Verfahrenseffizienz und Rechtsbindung der Verwaltung weitgehend Akzeptanz ge-

67 Siehe zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich grundrechtlicher Schutzpflichten näher H. Sadan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 52 ff. 68 BVerfGE 60, 253 (295). 69 K.-B. v. Dömming / R. W Füßlein / W Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR N. F. 1 (1951), 1 (195). 70 So der Abgeordnete Dehler, JöR a. a. 0., S. 200. 71 Bank (Fußn. 39), S. 324. 72 Vgl. dazu BVerfGE 61, 82 (116); R. Krumsiek / K. P. Frenzen, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, DÖV 1995, 1013 (1017 f.). 73 Hufen (Fußn. 23), Rdnr. 595.

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funden 74 • Allerdings erforderte diese Bestimmung mit Rücksicht auf das Rechtsstaatsprinzip eine verfassungskonforme Auslegung. Friedhelm Hujen7S hat herausgearbeitet, daß selbst bei den in § 45 VwVfG genannten "Fehlertypen" die Heilung im Einzelfall ausgeschlossen sein kann, "wenn sich zeigt, daß die nachgeholte Verfahrenshandlung ihre rechtsstaatlich gebotene Funktion nicht mehr erfüllen kann". Er stellte einige Konstellationen zusammen, in denen von einer "realen Fehlerheilung" nicht gesprochen werden kann: Dies ist etwa der Fall, wenn das Gesetz eine Maßnahme zwingend vor Erlaß des Verwaltungsakts vorschreibt und bei Nachholung der Schutzzweck der Verfahrensnorm unterlaufen würde wie etwa nach § 69 BPersVG bei Maßnahmen, die der Mitbestimmung des Personalrats unterliegen; in diesem Falle scheidet eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG aus. Die Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG wirft nun allerdings die Frage auf, ob man sich überhaupt noch mit einer verfassungskonformen Auslegung begnügen kann. Möglicherweise ist die Regelung der Heilbarkeit von Verfahrensund Formfehlern damit in Verfassungswidrigkeit "hineingewachsen". Die Ausdehnung des für die Heilung zur Verfügung stehenden Zeitraums bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verschiebt die Gewichte ganz zugunsten der Verwaltung. 76 Das bisherige Damoklesschwert einer unzulässigen Nachholung der Handlungen des § 45 Abs. 1 VwVfG im Verwaltungsprozeß schwebt nun eben nicht mehr über der Behörde. Diese kann jetzt darauf "vertrauen", daß unbewußt, aber sogar auch bewußt begangene Verfahrens- und Formfehler bis zum Abschluß des Verwaltungsprozesses - sogar noch in dritter Instanz - nachgeholt werden und die Gerichte der Behörde insoweit wegen der neuen Regelungen in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 und § 94 Satz 2 VwGO sogar Hilfestellun~ leisten können, gleichsam als "verwaltungsgerichtlicher Reparaturbetrieb" 7. Dies ist ein verheerendes Signal für die öffentliche Verwaltung und deren Rechtstreue. Für die Behörden muß die Versuchung nunmehr groß sein, lästige und zeitaufwendige Verfahrenserfordernisse einfach nicht mehr zu beachten. Schon earl Hermann Ule78 formulierte zutreffend: "Ein durch rechtsstaatliche Grundsätze bestimmtes Verwaltungsverfahren kann die Aufgabe, die ihm in der rechtsstaatlichen Ordnung zukommt, nur 74 Vgl. etwaD. Grimm, Verfahrensfehler als Grundrechtsverstöße, NVwZ 1985,865 (871); Hufen (Fußn. 23), Rdnr. 595 f.; F. 0. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., 1996, § 45 Rdnr. I. 75 Fußn. 23, Rdnr. 600. 76 Siehe dazu näher Schenke (Fußn. 22). 77 J. Berkemann, Verwaltungsprozeßrecht auf "neuen Wegen"?, DVBI. 1998,446. Berkemann (a. a. 0., S. 447) bezeichnet eine "heilende" Korrektur der an sich durchgreifenden Verfahrensfehler durch die beklagte Behörde noch in dritter verwaltungsprozessualer Instanz als "Tollstück". 78 Fußn. 21, S. 71; zustimmend Kopp (Fußn. 17), S. 221 f.

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dann erfUllen, wenn es von den Verwaltungs behörden , die sich nach ihm zu richten haben, auch eingehalten wird." Der Gesetzgeber setzt mit Verfahrensund Fonnvorschriften Recht, bringt aber zugleich zum Ausdruck, daß er der Verwaltung den Rechtsbruch nicht verübeln möchte - dies alles mit dem hehren Ziel der Verfahrensbeschleunigung. Die zuständige Behörde erhält also sozusagen einen "Freischuß" .79 Die Relativierung der Rechtsbindung der Verwaltung wiegt auch deshalb besonders schwer, weil es sich bei den in § 45 Abs. 1 VwVfG geregelten Verfahrens- und Fonnfehlem um solche handelt, von denen man eigentlich meinen müßte, sie dürften einer Behörde gar nicht unterlaufen. Dies gilt besonders für das Fehlen einer erforderlichen Anhörung. Vor Gericht hat gemäß Art. 103 Abs. 1 GG ,jedennann Anspruch auf rechtliches Gehör". Das Bundesverfassungsgericht80 bezeichnete diese Vorschrift als "eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken". Das Recht auf Gehör qualifizierte es als das "prozessuale Urrecht des Menschen", das "fUr ein gerichtliches Verfahren LS. des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar" seL 81 Dieses Recht ist auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 103 Abs. 1 GG Element eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens. 82 Wegen des Subordinationsverhältnisses, in welchem sich der Bürger regelmäßig im Verwaltungsverfahren befmdet, hat die Wahrung des rechtlichen Gehörs hier keine geringere Bedeutung als im gerichtlichen Verfahren. 83 Dem rechtlichen Gehör kommt die Funktion zu, dem Bürger Gelegenheit zu geben, auf eine bevorstehende Entscheidung Einfluß auszuüben. 84 Wie auch § 28 VwVfG zum Ausdruck bringt, bedingt diese Funktion regelmäßig eine vorherige Anhörung. Die Bereitschaft einer Behörde, nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens und Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage ihr Ennessen in Abweichung von der ursprünglichen Entscheidung auszuüben oder einen ihr zustehenden Beurteilungsspielraum nunmehr anders wahrzunehmen und infolgedessen den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben, dürfte eher gering sein. 8s Die vom Ge-

79 Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Mitt. 1996, 102; C. Krämer, Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, LKV 1997, 114 (115). 80 BVerfGE 9,89 (95); 67, 208 (211); 74, I (4 f.). 81 BVerfGE 55, I (6). 82 Vgl. etwa F.-L. Knemeyer, Rechtliches Gehör in Gerichtsverfahren, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 1989, § 155 Rdnr. 59; C. Degenhart, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 103 Rdnr. 5. 83 C.-D. Bracher, Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens?, DVBI. 1997,534 (535). 84 Vgl. BVerfGE 9,89 (96); 17,356 (362); 42, 172 (175). 85 Vgl. D. Ehlers, Anhörung im Verwaltungsverfahren, Jura 1996, 617 (622); K. Redeker, Neue Experimente mit der VwGO?, NVwZ 1996, 521 (523); L. Eckert, Be-

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setzgeber zur Rechtfertigung angefiihrten Gründe der Verfahrenseffizienz stehen m. E. in keinem Verhältnis zu den sich aus rechtsstaatlicher Sicht ergebenden schwerwiegenden Nachteilen. Im Falle der fehlenden Begründung kann es sogar zu überflüssigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren kommen, weil der Betroffene die materielle Rechtmäßigkeit des gegen ihn erlassenen Verwaltungsakts nicht zu überprüfen vermag. Die Durchfiihrung unnötiger Verwaltungsprozesse läuft aber dem Beschleunigungsziel des Gesetzgebers gerade zuwider. 86 Nach allem dürfte die Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren sein. 87 Diejenigen Bundesländer, welche bislang ihr Landesrecht nicht an diese Norm angepaßt haben, können sich fiir die Beibehaltung der alten Regelung also sogar auf die Verfassung berufen. Dieser Befund wirkt sich auch auf die neuen Regelungen in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 und § 94 Satz 2 VwGO aus. Denn diese stellen eine Konsequenz der Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG dar, indem sie die Nachbesserung von Verwaltungsentscheidungen auch prozessual ermöglichen sollen. 88 Abgesehen davon spricht gegen die Verfassungsmäßigkeit besonders von § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO der Grundsatz der richterlichen Neutralität. 89 Das Bundesverfassungsgericht betont zu Recht, daß die richterliche Tätigkeit "Neutralität und Distanz des Richters gegenüber den Verfahrensbeteiligten" erfordert. 9O Gerichte dürfen vom Gesetzgeber nicht als "Verwaltungshelfer" mißbraucht werden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen ferner gegen die Neufassung des § 46 VwVfG. Indem nunmehr eine Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern auch bei Ermessensentscheidungen, bei denen das Ermessen nicht auf Null reduziert ist, und bei der Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum möglich ist, wird die Rechtsbindung der Verwaltung weiter relativiert. Im Zusammenspiel mit § 45 Abs. 2 VwVfG dürfte § 46 schleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 59; Bracher (Fußn. 83), S. 537. 86 Sachs (Fußn. 20), Rdnr. 39. 87 Die Verfassungswidrigkeit der Heilungsmöglichkeit bei fehlender Anhörung nehmen an: Eckert (Fußn. 85); Bracher (Fuß. 83), S. 538. Von einer "verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit" spricht Berkemann (Fußn. 77), S. 448. Eine - freilich von ihm nicht präzisierte - verfassungskonforme Auslegung hält Bonk (Fußn. 39), S. 325, für geboten. Für Verfassungsmäßigkeit hingegen H. Schmitz / F. Wessendorf, Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1996,955 (957 f). 88 Vgl. BT-Drucks. 13 /3995, S. 8. 89 Siehe dazu Redeker (Fußn. 85); W Kuhla /1. Hüttenbrink, Endstation Einzelrichter, DVBI. 1996,717 (718); Schenke (Fußn. 22), S. 86 f; A. Gromitsaris, Fehlerfolgenregelungen im Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, SächsVBI. 1997, 101 (105); K.-H. Millgramm, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz, SächsVBI. 1997, 107 (110); Krämer (Fußn. 79); Berkemann (Fußn. 77), S. 448. 90 BVerfGE 21,139 (146); vgl. auch BVerfGE 46,34 (37); 60,175 (214).

Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Fonnfehlem

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VwVfG im praktischen Ergebnis dafilr sorgen, daß die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern zur Regel wird. Mit Blick auf die weiterhin beachtlichen Fälle von Verfahrens- und Formfehlern drängt sich die Frage auf, ob überhaupt noch eine mit Rücksicht insbesondere auf Art. 3 Abs. 1 GG gebotene gleichheitliche Rechtsanwendung gegeben ist. Der Gesetzgeber stuft die Bedeutung des von ihm geschaffenen Verfahrensrechts jedenfalls so weit herab, daß dessen Sinn kaum mehr sichtbar ist. Ein strikt zu beachtendes geordnetes Verwaltungsverfahren macht aber in einem Rechtsstaat durchaus Sinn. In diesem Zusammenhang darf an folgenden Satz des bedeutenden VerwaltungsrechtIers Otto Maye/ 1 erinnert werden: "Die subjektiven Rechte der Einzelnen auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts finden ihren Schutz ... durch besonders dafilr getroffene Vorkehrungen; sie finden ihn aber auch, und vielleicht wirksamer, im ordentlichen Gang der Verwaltungstätigkeit ... "

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Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl., 1924, S. 122.

Diskussion zu dem Vortrag von Helge Sodan

Ziekow: Meine Damen und Herren, Sie sehen, es ist Ihnen das Paradies aufgetan worden. Sie haben entweder einen Freischuß bei Verfahrensfehlern oder aber Sie brauchen das Landesrecht nicht an Bundesrecht anzupassen, also in jedem Falle weniger Arbeit. Oder aber, und das ist dann eine unangenehme Konsequenz, Sie sind gutwillig und rechtstreu und müssen sich dementsprechend mit den neuen Regelungen auseinandersetzen. Storost: 'Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust' könnte ich anfangen zu sagen. Einerseits haben Sie mir mit Ihren Ausfilhrungen insbesondere was die verfassungsrechtliche Würdigung betrifft, aus dem Herzen gesprochen. Ich bin durchaus der Auffassung, das klang ja heute auch in der Einleitung von Herrn Ziekowauf, daß die Berufung auf den Faktor Zeit und die Beschleunigung auch als so etwas wie die Iristrumentalisierung eines politischen Begriffs zum Kampf gegen den Rechtsstaat, wie er sich bei uns entwickelt hat, mißbraucht wird. Und von daher habe ich ein sehr ungutes Gefilhl, was diese Kumulierung von Heilungsvorschriften und Unbeachtlichkeitsregelungen anderer Art betrifft, noch dazu im Zusammenhang mit den prozessualen Instrumenten, die hier zur Verfilgung gestellt werden, um das auch effektiv zu machen. Andererseits bin ich als Richter veranlaßt, mit einem vorschnellen Urteil über die Verfassungswidrigkeit solcher Regelungen sehr zurückhaltend zu sein. Ich möchte also die Frage aufwerfen: Ist nicht das Verdikt, das Sie hier aus der Sicht des objektiven Rechts sicherlich nachvollziehbar und mit guten Gründen gesprochen haben, zu relativieren im Hinblick darauf, daß diese Regelungen in erster Linie den Zweck haben, den gerichtlichen Rechtsschutz auf Fälle zu beschränken, in denen die betroffenen Bürger eben nicht nur in Verfahrenspositionen benachteiligt worden sind, sondern in denen auch materielle Rechte verletzt worden sind, also die berühmte dienende Funktion des Verfahrensrechts? Von daher kommt es letzten Endes rur die Frage der Verfassungswidrigkeit darauf an, wie die Handhabung dieser Regelung aussieht. Ist es nicht möglich, diese Regelung so zu handhaben, daß von einer Heilung - ich denke jetzt speziell an diese Heilungsvorschriften in § 45 Abs. 1 und 2 - nur gesprochen werden kann, wenn der Bürger nachträglich zwar substantiell so gestellt wird, wie er von vornher9 Speyer 128

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ein gestellt gewesen wäre, wenn man die zu seinen Gunsten bestehenden verfahrensrechtlichen Regelungen beachtet hätte. Und nur dann, wenn man sagen kann, das ist völlig ausgeschlossen, dann wären die Regelungen grundsätzlich rechtswidrig. Ich halte es durchaus für möglich, daß die Behörde nicht einfach sagen darf, nun äußere dich einmal, aber was du sagst, ist uns völlig gleichgültig, wir haben damit unsere Pflicht getan, wir haben das nachgeholt, damit ist die Sache erledigt. Die Behörde kann vielmehr durchaus - das kommt dann allerdings auf die Beurteilung des Einzelfalls an - z.B. eine substantielle Anhörung, das ist ja der Hauptfall, den Sie zuletzt angesprochen haben, nachholen und ergebnisoffen, sachbezogen antworten. Wenn sie das tut, dann kann man, meine ich, die Regelung nicht mehr fUr verfassungswidrig halten in diesem konkreten Fall. Also ich meine schon, daß es darauf ankommt, wie die Behörde im Einzelfall das ausfUhrt. Allerdings ist sie dafür nachweispflichtig. Sie muß den Nachweis im konkreten Fall führen, daß sie die Anhörung, die vorher rechtswidrigerweise unterblieben ist, so substantiell nachgeholt hat, daß der Bürger dadurch im Ergebnis nicht schlechter gestellt ist. Dann meine ich, kann man das nicht für verfassungswidrig halten, daß die Möglichkeit der Behörde eröffnet wird, das auch noch nachträglich durchzuführen. Steinbeiß-Winkelmann: Ich mache auf einen Knackpunkt aufmerksam in diesem Zusammenhang. Mir erscheint Ihre Linie, Herr Starost, wir sind da schon wieder konform, genau richtig. Großes Problem bei § 46 ist das Ausmaß der Betonung der Effizienz vor der Rechtsfehlerdurchschlagkraft. Frage: Wie weit führt das wirklich zu diesem Verdikt der Verfassungswidrigkeit? Es kommt darauf an, wie denn der Bürger durch diese Heilungsmöglichkeiten im Prozeß letztendlich gestellt ist. Ich glaube auch, das ist die Wegmarke, an der sich das entscheidet. Da gibt es jetzt aber einen Punkt, entweder habe ich das jetzt nicht ganz genau mitbekommen, Herr Sodan, oder Sie haben ihn nicht angesprochen, wo die Falle für meine Begriffe zuschnappt, und das ist der § 114 VwGO. Für mich ist nicht so sehr die nachgeholte Anhörung eine Problemzone, sondern die Frage, was ist eigentlich mit unzureichenden Begründungen? Wie wird mit denen im Prozeß umgegangen? Das hatten Sie ja auch angesprochen. Und da ist wichtig herauszustellen, daß die Heilungsmöglichkeit, die der § 45 eröffnet, nur Begründungsflille betrifft, die schon den Anforderungen des § 39 VwVfG nicht genügen. Die korrespondierende prozessuale Vorschrift dazu ist der § 94 Satz 2 VwGO. Jetzt hatten wir aber im Regierungsentwurf auch noch einen Satz 2 zu § 114, der sich mit dem Nachschieben von Gründen befaßte und vor dem Hintergrund einer diffizilen Rechtsprechung auch die Frage berücksichtigen mußte, was denn mit dem maßgeblichen Zeitpunkt fUr eine Anfechtungsklage ist, und vor allen Dingen auch die Frage: Wann haben wir es denn noch mit dem ursprünglichen Streitgegenstand zu tun? Und diese Vorschrift ist in ganz fataler Weise während der parlamentarischen Beratung 'verschlimmbessert' worden.

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Wir haben damals versucht klarzustellen, vor allem auch in der Begründung zu dieser Regelung, daß zwar inhaltliche Begründungsmängel durch Nachschieben von Gründen im Prozeß bereinigt werden können, daß es aber im Prozeß immer nur um Ergänzungen gehen darf, daß es niemals darum gehen darf, eine in der Sache völlig unzureichende Begründung auszuwechseln, weil das ein Auswechseln des Streitgegenstandes wäre, insbesondere bei Ennessensentscheidungen. Deswegen hieß es in der Begründung zu § 114 Regierungsentwurf: "Es darf nur die Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts ergänzt werden." Und daraus ist jetzt geworden: Die Behörde darf ihre Ennessenserwägungen im Prozeß des Auswechselns ergänzen, ohne daß die Frage des Streitgegenstandes und der Begründung eine Rolle spielt. Das also als Ergänzung zu Ihren Überlegungen: Was kann man denn im Prozeß noch nachholen, ohne den Bürger schlechter zu stellen. Der § 114 VwGO hat da eine wahre Schleuse geöffnet. Schmitz: Bereits bei der Anhörung vor den Ausschüssen des Bundestages haben einige Sachverständige die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des GenBeschlG gestellt. Man kann aus systematischer und dogmatischer Sicht Einwände gegen einige der neuen Vorschriften haben. Sie mögen das Bild, das man von der Aufgabe des Verfahrensrechts bisher hatte, stören. Auch wenn Herr Sodan im Zusammenhang mit den Heilungsmöglichkeiten des § 45 nun auch das "scharfe Schwert des Verfassungsrechts gezogen" hat, glaube ich, daß dieses Schwert nicht gezogen werden muß, daß vielmehr die von ihm angesprochenen Punkte Fragen verfassungspolitischer Art sind, aber nicht solche, die das Verdikt der Verfassungswidrigkeit begründen können. Herr Storost hat, meine ich, zutreffend darauf hingewiesen, daß es durchaus Möglichkeiten der Handhabung der neuen Vorschriften gibt, die ohne weiteres verfassungsmäßig sind. Er bewegt sich damit auch auf der Linie, die schon von Herrn Bonk in seinem NVwZ-Beitrag (1997, S. 320; J.Z.) zu dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vorgezeichnet worden ist. Ich möchte aber ein praktisches Argument einbringen. Wenn man den Behörden unterstellt, daß sie bei einer nachgeholten Anhörung nicht mehr willens oder nicht mehr bereit sind, die möglicherweise relevanten Argumente des Bürgers zu berücksichtigen und dann eventuell ihre Entscheidung zu revidieren, wie kann man dann glauben, daß wenn ein Gericht die Entscheidung aufhebt und das Verfahren dann wieder ganz von vorne beginnt, daß die Behörde dann bereit wäre, die Argumente des Bürgers anders zu gewichten. Im Gegenteil, meine ich, müßte man dann davon ausgehen, daß die Fronten zwischen Bürger und Behörde eher stärker verhärtet sind, so daß dem Bürger damit auch nicht gedient ist. Was Herr Storost sagte zu der Darlegungspflicht der Behörde bei der nachgeholten Anhörung, das kann man nur unterstreichen. Die Behörde, die im Wege der Heilung anhört, wird darlegen müssen, mehr als im nonnalen Verfahren, daß sie die Argumente 9"

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des Bürgers zur Kenntnis genommen hat. Sie muß stärker darlegen, daß sie die Argumente gewichtet hat und wie sie sie gewichtet hat. Das gibt dann dem Gericht durchaus die Möglichkeit, auch dieses Verfahren der Behörde nochmal unter den Aspekten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu würdigen und gegebenenfalls die Behörde dann, wenn es offensichtlich ein pauschales Zurückweisen der Argumente des Bürgers gibt, auf den korrekten Weg zu verweisen. Bock: Ich darf noch einmal auf eine andere Voraussetzung der Heilung hinweisen. Ich möchte nochmals den Begriff 'offensichtlich' in den Raum stellen. 'Offensichtlich' heißt filr mich nicht, daß jeder gut geschulte Jurist erkennen kann, daß ein Fehler die Entscheidung nicht beeinflußt hat, sondern offensichtlich bedeutet, daß der Durchschnittsbürger erkennt: Hier liegt ein Verfahrensfehler vor, der die Entscheidung nicht beeinflußt. Dazu benötige ich nicht einmal die verfassungskonforme Auslegung. Ich komme dann aber auch zum Ergebnis, daß diese Voraussetzung bedeutet: Der Bürger weiß, der Verfahrensfehler hat die Entscheidung nicht beeinflußt, er weiß, daß er sich nur auf einen Verfahrensfehler beruft, und er weiß vor allem, daß die Verwaltung im Nachgang dieselbe Entscheidung noch mal treffen wird. Von daher komme ich zu dem Ergebnis, daß - richtig ausgelegt - diese Vorschrift nur zum Mißbrauch durch einen Bürger filhren könnte. Zwar ist Verwaltungseffizienz sicherlich keine Rechtfertigung, um es der Verwaltung einfacher zu machen gegenüber dem Bürger. Auf der anderen Seite ist natürlich auch die Frage, ob der Bürger, der weiß, daß der Fehler nur im Formellen liegt, ohne daß materiell Unrecht geschehen ist, einfach in einen Prozeß getrieben werden darf. Sodan: Ich möchte zunächst auf den Diskussionsbeitrag von Herrn Bock erwidern. Ich hatte in meinem Vortrag darauf hingewiesen, daß sich die Bundesregierung in der Begründung ihres Gesetzentwurfs zu der Frage nicht äußert, welcher Maßstab zur Beurteilung der Offensichtlichkeit im Sinne des § 46 VwVfG n. F. anzulegen ist. Leider ist es häufig so, daß Gesetzesbegründungen allzu dürftig sind, möglicherweise aufgrund der Befilrchtung, man könne später einmal an bestimmte Aussagen erinnert werden. Ich habe - ganz in ihrer Richtung, Herr Bock - angeregt, sich auf den Parallelbegriff der Offenkundigkeit zu stützen, den § 44 Abs. I VwVfG filr die Nichtigkeit des Verwaltungsakts verwendet. Für die Offenkundigkeit des Fehlers ist maßgebend, daß nicht etwa ein geschulter Jurist, sondern ein urteilsflihiger, unvoreingenommener, aufmerksamer und verständiger Bürger, der mit den in Betracht kommenden Umständen vertraut ist, den Fehler erkennen konnte.

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Auf die Ausführungen von Herrn Schmitz möchte ich wie folgt antworten: Nimmt man neuere Gesetzgebungswerke kritisch unter die Lupe des Verfassungsrechts, so wird häufig von denjenigen, denen die Kritik nicht geflUlt, sogleich entgegenhalten, die verfassungsrechtliche Argumentation sei in Wirklichkeit nur verfassungspolitischer Art. Herr Schmitz: So einfach sollten Sie es sich nicht machen. Ich habe in meinem Vortrag versucht darzulegen, daß die Neuregelungen der Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern die Verwaltung in diesem Bereich weitgehend von ihrer Rechtsbindung befreien. Damit ist das Rechtsstaatsprinzip schon als objektives Prinzip, aber auch in seiner Geltung über Grundrechtsgewährleistungen in Frage gestellt. Herr Schmitz hat die Forderung erhoben, die Behörde müsse im Falle der Nachholung der erforderlichen Anhörung eines betroffenen Bürgers darlegen, daß sie dessen Argumente zur Kenntnis genommen und hinreichend gewichtet habe. Dieser Hinweis vermag m. E. die Verfassungsmäßigkeit von § 45 Abs. 2 VwVfG n. F. nicht zu stützen. Es ist vielmehr wenig wahrscheinlich, daß die Behörde von ihrer bereits getroffenen Entscheidung im Prozeß noch einmal abrückt. Ich bleibe bei meinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß durch die Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG für die Verwaltung eine wichtige Disziplinierungsfunktion entfallen ist. Wer einen "Freischuß" im Verfahrensrecht hat, wird unter dem Druck seiner Arbeit nicht unbedingt geneigt sein, die Verfahrensvorschriften strikt einzuhalten. Überall sind nur Menschen tätig - auch in der Verwaltung. Infolgedessen benötigen wir einen funktionierenden Rechtsstaat mit einem Sanktionssystem. Im Hinblick auf den Diskussionsbeitrag von Frau Steinbeiß-Winkelmann ist noch einmal zu bekräftigen, daß § 114 Satz 2 VwGO sich nicht auf Verfahrensoder Formfehler, sondern nur auf materiell-rechtliche Mängel bezieht. Er betrifft also Fälle, in denen der ursprüngliche Verwaltungsakt bereits ausreichend im Sinne von § 39 Abs. 1 VwVfG begründet wurde, demnach unter keinem Verfahrensfehler leidet und die Ergänzung von Ermessenserwägungen lediglich eine Präzisierung sowie eine KlarsteIlung der dem Verwaltungsakt beigefügten Begründung ist. In diese Richtung zielten offenbar auch Ihre Ausführungen, Frau Steinbeiß-Winkelmann. Sie haben zu Recht angedeutet, daß damit ein weites Feld von Problemen eröffnet ist. Insbesondere stellt sich die Frage, wie sich § 114 Satz 2 VwGO in das ~isherige System des Nachschiebens von Ermessenserwägungen einfügt. Die von Ihnen, Herr Storost, angestellten Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Problematik decken sich weitgehend mit Ausführungen von Herrn Schmitz. Mag das Rechtsstaatsprinzip auch ein allgemeines Rechtsprinzip sein, so müssen wir es dennoch ernst nehmen. Auf dem Gedanken des Rechtsstaats baut schließlich unser gesamtes Gemeinwesen auf. Zum Rechtsstaat gehört ein geordnetes Verwaltungsverfahren. Wozu hat man sich eigentlich die Mühe gemacht, nach langer Beratung das Verwaltungsverfahrensgesetz von 1976 zu

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schaffen, wenn heute unter dem Druck der teilweise ausufernden Verfahren scheibchenweise immer weiter die Anforderungen zurückgenommen werden? Für mich ist es ein Widerspruch in sich, zwar Rechtsvorschriften zu erlassen, auf der Einhaltung dieses Rechts aber nicht mehr zu bestehen und sogar offensichtliche Rechtsverstöße sanktionslos zu lassen. Damit greife ich alte Bedenken aus der Literatur auf, die noch aus der Zeit vor dem Verwaltungsverfahrensgesetz stammen. Diese müssen heute angesichts der Neuregelung vor allem in § 45 Abs. 2 VwVfG um so mehr gelten. Der Gesetzgeber hat m. E. die in verfassungsrechtlicher Hinsicht wesentliche Abwägung zwischen der Effizienz des Verwaltungshandelns einerseits und der Bindung der Verwaltung an das Recht sowie dem Vertrauen des Bürgers in die Einhaltung dieses Rechts andererseits fehlerhaft vorgenommen und damit die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschritten. Diese Argumentation ist - wie ich nochmals gegenüber Herrn Schmitz betonen möchte - nicht verfassungspolitischer, sondern verfassungsrechtlicher Art. Schmitz: Ich möchte nicht dagegenhalten, sondern einen weiteren Punkt noch ansprechen, kurz, vielleicht erläuternd. Herr Sodan, Sie sprachen die Parallelität der Begriffe 'offenkundig' in § 44 und 'offensichtlich' in § 46 VwVfG an. Der Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, der in der kommenden Woche im Bundestagsinnenausschuß beraten wird und vermutlich den Ausschuß auch ohne weiteres passieren wird, sieht vor in § 44 das Wort 'offenkundig' durch 'offensichtlich' zu ersetzen, um den Gleichklang wieder herzustellen. Ich darf betonen, daß das nicht die einzige Änderung dieses Gesetzentwurfes ist, das könnte einen falschen Eindruck hervorrufen, aber die Änderungsabsicht stützt Ihre These. Zum zweiten einen Punkt, den Sie vorhin angesprochen haben: Heilung noch in der Revisionsinstanz. Sie boten die Lösung an, daß man § l37 Abs. 2 VwGO dann so verstehen muß, daß das Bundesverwaltungsgericht zurückverweist, um die Wertung der neuen Tatsachen in der unteren Instanz zu ermöglichen. Ob der Gesetzgeber das so gewollt hat, bezweifle ich. Dem Gesetzgeber ging es bei dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz um ein Höchstmaß an Verfahrensbeschleunigung und systematischen Überlegungen, die im Gesetzgebungsverfahren auch erörtert worden sind. Insbesondere wurde auch der Punkt erörtert, ob man die Formulierung so faßt: "bis zum Abschluß der letzten Tatsacheninstanz". Dem ist der Gesetzgeber eben nicht gefolgt. Das läßt rur mich nur das Verständnis zu, daß er auch eine Berücksichtigung neuer Tatsachen unmittelbar in der Revisionsinstanz gewollt hat. Das würde bedeuten, daß man den § 45 Abs. 2 dann so versteht, daß er den § 137 Abs. 2 VwGO insoweit modifiziert, daß die heilenden Maßnahmen eben noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden können. Problematisch ist der Gedanke allerdings im Hinblick darauf, daß die meisten Verwaltungsverfahren nach den Verwaltungsver-

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fahrensgesetzen der Länder vollzogen werden können und man wohl nicht dem Landesgesetzgeber die Kompetenz zumessen kann, die VwGO zu modifizieren. Hier haben Sie ein Problem. Dort wird man überlegen müssen, wenn man diesen Weg geht, ob man zu dem Ergebnis kommt, daß der Landesgesetzgeber, der zwar den § 45 Abs. 2 seines Gesetzes wortgleich gehalten hat, aber eben nicht die Kompetenz zur Modifikation der VwGO hat, ob der Landesgesetzgeber insoweit eine Lücke in seinem Landesverwaltungsverfahrensgesetz hinterläßt mangels Kompetenz und ob diese Lücke dann über den § I BVwVfG wieder gefUllt wird, daß also in solchen Fällen das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz die Heilung in der Revisionsinstanz verwirklicht. Das ist so der einzig denkbare Weg, den ich sehe, um dem Gesetz insoweit zum Erfolg zu verhelfen. Ob dieser Weg sich durchsetzt, ist eine andere Frage. Scheffier: Ich wollte einmal noch auf eine Nuance hinweisen aus der gerichtlichen Praxis und zwar: Die Verwaltungsgerichte sind ja bekanntlich auch nicht gerade unterbelastet und wir bedauern sehr, daß die Entlastungswirkung eines rechtmäßigen Verwaltungsverfahrens doch weithin entfällt. Unser Eindruck ist der, daß die Verwaltung oft einfach einmal abwartet, wie sich die Sache entwickelt. Viele Bescheide werden ja auch bestandskräftig und ansonsten wird eben abgewartet, was vom Gericht gerügt wird, und dann insbesondere, was Anhörungsfehler, Begründungsfehler angeht, noch etwas nachgeschoben, wobei ich in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen möchte, daß es aus Klägersicht nicht gerade vertrauensbildend ist, wenn erst aus Anlaß einer Klage die Verwaltung veranlaßt wird, von sich aus etwas nachzubessern, nachzufüttern mit Argumenten. Und kennzeichnend ist, daß häufig Kläger in der mündlichen Verhandlung sagen, wenn mir das vorher gesagt worden wäre, dann wäre ich nicht hierher, nämlich an das Verwaltungsgericht, gekommen. Also dieser Entlastungseffekt scheint mir auch ein bedeutender Punkt zu sein, jedenfalls solange die Verwaltungsgerichte so wie üblich in den letzten Jahren stark überlastet sind. - Eine weitere Anmerkung: Die angesprochene Kostenregelung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach der Heilung der angesprochenen Fehler kann man aus formaler Sicht als ausreichend ansehen, weil dem Kläger ja jedenfalls materiell nichts passiert. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß diese Möglichkeiten von vielen meiner Kollegen und auch von mir als unzureichend angesehen wird, zum al öfters die Behördenvertreter den Eindruck erwecken, daß eine nachteilige Kostenentscheidung für die Verwaltung als Beklagte ja nur den Träger der Behörde trifft und nicht den Bediensteten selbst. Das kommt öfters deutlich zum Ausdruck. Also in der Praxis bleibt einem dann eigentlich nur eine Möglichkeit, daß man im Falle der Heilung von Verfahrensfehlern, die bisher der Klage zum Erfolg verholfen hätten, mit dem Kläger auch die materielle Rechtslage erörtert und ihm insoweit versucht, deutlich zu machen, daß mit der Heilung die Erfolgsaussichten wahrscheinlich geschwunden sind und er am

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besten von dieser Möglichkeit noch Gebrauch macht, aber im Wege der mündlichen Verhandlung dann wenigstens noch etwas fUr sein Vertrauen in die Justiz getan wird, der Staatsverdrossenheit entgegengewirkt wird. Von einer Aussetzung zur Heilung von Verfahrensfehlern wird, das möchte ich als letztes noch anmerken, nur sehr selten Gebrauch gemacht, einfach daher, weil der Erledigungsdruck eine intensive Vorbereitung der Verfahren vor der Terminierung in vielen Fällen nicht möglich macht, von ganz gewichtigen Dingen vielleicht einmal abgesehen. Ein Hinweis auf Heilungserfordernisse erfolgt demzufolge nur dann, wenn es eben evident ist, oder wenn es ganz gewichtige Verfahren sind, die dann in der Tat vorher intensiver vorbereitet werden. Ansonsten tauchen viele Verfahrensfehler erst kurz vor oder während der Vorberatung auf und eine Aussetzung erscheint dann rein aus den Belangen der Praxis nicht angebracht, weil damit dann die Verhandlungstermine wieder durcheinandergebracht würden. Von der Praxis her gesehen wird deshalb dieser Möglichkeit aus meiner Erfahrung relativ wenig Bedeutung zukommen. Lankau: Aus anwaltlicher Sicht stellt sich die Frage: Wie sollen wir eigentlich noch Prozesse gewinnen? Aber das ist nicht ein Problem, das das Forum hier beunruhigen sollte. Mit diesem kleinen Scherz will ich eigentlich etwas ganz anderes verbinden, nämlich die Frage: Was fUhren wir denn noch fUr Verwaltungsprozesse? Herr Sodan, Sie haben vorher gesagt, es verschieben sich die Gewichte zugunsten der Verwaltung in ganz großem Umfang und haben dann das Wort gebraucht vom Verwaltungsrichter als Verwaltungshelfer. Und ich will ganz bitter sagen: Im Grunde genommen ist es noch schlimmer, man traut es sich kaum zu sagen: Aber wenn es so ist in dieser düsteren Sicht, dann ist das Verwaltungsstreitverfahren eines Tages vielleicht nur noch so ein verlängertes Verwaltungsverfahren. Denn da geht es hin. Wir fUhren die Prozesse und durch das Amtsermittlungsprinzip ist nun schon sehr viel mehr aufgegraben als in sonstigen Prozessen. Und wenn das geschehen ist, dann soll der Richter abschließend entscheiden, und wir warten darauf, daß in der Sache entschieden wird. In Wirklichkeit bekommen wir aber zunächst einmal eine Entscheidung des Richters darüber, was er jetzt fUr richtig hält an Aufklärungshinweisen oder sonstigem, um eben Heilungen herbeizufUhren. Und damit ist er aus der Sicht des Klägers derjenige, der plötzlich auf Seiten der Verwaltung steht und die mühselig dann wiederbeatmet, bis so eine Sache in ihren Fehlern geheilt ist. Und das ist ein Verstoß, ja ich sage es einmal so, gegen die Gewaltentrennung. Denn dann finde ich den Richter nicht mehr wieder als den Unparteiischen, der entscheiden soll. Das halte ich fUr ein ganz großes Problem. Und zwar wesentlich weiter noch als die psychologische Belastung, die sich damit vielleicht rur die Beteiligten verbinden mag. Aber das Gewicht ist so verschoben, daß die Justiz ihre Unabhängigkeit damit im Grunde verliert. Vor allen Dingen weiß ich gar nicht, was auf mich zukommt. Wer bestimmt denn, das läßt sich ja nie

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nachvollziehen, was in dem Richter vorgeht: Hat er nun Lust, etwas zu erkennen und von sich aus etwas zu machen? Diese Bestimmungen sind erst in der letzten Phase, wie vorhin auch deutlich wurde, im Gesetzgebungsverfahren hereingekommen. Der eine Richter macht das, und der andere sagt vielleicht aus Gründen der Fairneß: Ich verzichte darauf, ich lasse das einmal so kommen. Das ist also eine derartige unklare Geschichte, und die spielt sich dann in einer Ecke ab, in der wir überhaupt keine Klarheit haben, daß ich auch aus dieser Sicht Verfassungswidrigkeiten erkenne. Sodan: Es wird Sie gewiß nicht überraschen, Herr Lankau, daß ich Ihnen nur zustimmen kann. Ganz in Ihrem Sinne hatte ich die These vertreten, daß Gerichte vom Gesetzgeber nicht als Verwaltungshelfer mißbraucht werden dürfen. Im übrigen möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß die von mir vorgetragene verfassungsrechtliche Kritik der Sache nach nicht neu ist. Schon im Gesetzgebungsverfahren selbst sind gegen die Änderungen heftige Einwände erhoben worden. Ich bin sicher, daß die Kritik anhalten wird. In einem von mir im Vortrag zitierten Aufsatz aus dem Jahre 1997 plädierte Konrad Redeker ja dafUr, verfassungsrechtliche Einwendungen bis zu einer erst in Jahren - wenn überhaupt - zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts filr die Praxis zurückzustellen. Dies gibt mir Veranlassung zu dem Hinweis, daß heute unser Verfassungsrechtsschutz nicht mehr hinreichend wirksam ist. Verfassungsbeschwerden liegen beim Bundesverfassungsgericht bis zu ihrer Entscheidung oft über viele Jahre. Dies ist angesichts der beim Bundesverfassungsgericht jährlich etwa 5000 eingehenden Verfassungsbeschwerden nicht verwunderlich. So stellt sich in der Tat die Frage, wie lange man auf eine bundesverfassungsgerichtliche Klärung des Problems warten muß, ob durch die Neuregelungen zur Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern das Grundgesetz verletzt ist. Ungeachtet dessen halte ich es jedoch filr angezeigt, im Rahmen dieses Forums die Verfassungsmäßigkeit zu erörtern. Den Ausfiihrungen von Herm SchejJler kann ich ebenfalls nur zustimmen. Der betroffene Bürger dürfte dem Kostenbeschluß nicht so viel Wert beimessen wie einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache, welche ihm Recht gibt, durch die während eines Verwaltungsprozesses erfolgte Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers aber verhindert wird.

Im Hinblick auf den zweiten Diskussionsbeitrag von Herrn Schmitz möchte ich noch einmal klarstellen: Eine Zurückverweisung durch das Bundesverwaltungsgericht kommt hier nur dann in Betracht, wenn aufgrund nachgeholter Verfahrenshandlungen wie etwa einer nachträglichen Anhörung noch neue Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Ich hoffe, daß Sie, Herr Storost, als langjährig erfahrener Richter mir darin zustimmen, daß das Bundesverwaltungsgericht diese

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Sachverhaltsfeststellungen nicht erstmals treffen darf. Ich bin nicht der Ansicht, daß das Revisionsrecht insoweit durch § 45 Abs. 2 VwVfG modifiziert ist. Storost: Das ist eine sehr interessante Frage, die überhaupt noch nicht gerichtlich entschieden worden ist. Wenn man der Auffassung folgt, die Herr Schmitz vertreten hat, dann müßte sich eine etwaige Tatsachenberücksichtigung des Bundesverwaltungsgerichts als Revisionsgericht auf die Heilung als solche, also die Frage beschränken, ob eine Heilung in formaler Hinsicht eingetreten ist. Also a): z.B. Problem der nachgeholten Anhörung: Ist angehört worden? Und b): Ist substantiell angehört worden? Also hat die Behörde ergebnisoffen diese Anhörung zur Kenntnis genommen? Und die weitere Frage dann: Wenn sie aufgrund dieser ergebnisoffenen Anhörung ihre Begründung des Verwaltungsakts ergänzen muß und dabei nun neue Tatsachen zu berücksichtigen sind, also der Bürger einen Gesichtspunkt vorgetragen hat, der bisher in der Begründung nicht berücksichtigt worden ist, und die Behörde nun zu diesem Gesichtspunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung nehmen muß, dann sind wir im Bereich des § 114 Satz 2 VwGO. Und da stellt sich die Frage wieder anders. Denn der § 114 Satz 2 VwGO ist ja auch anders formuliert als der § 45 Abs. 2 VwVfG. Da steht ja "bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens", hier "im verwaltungsgerichtlichen Verfahren". Ich würde das letztere als generellen Verweis auf das Prozeßrecht betrachten. Das greift in § 137 Abs. 2 VwGO nicht ein, sondern läßt ihn voll bestehen. Wenn sich also aus der Anhörung neue Tatsachen ergeben, die zu berücksichtigen sind, dann wäre insoweit zurückzuverweisen, soweit das überhaupt in dem betreffenden Rechtsstreit eine Rolle spielen kann. Die Frage, ob da eine ZurUckverweisung helfen kann, ist eine weitere. Wenn die Behörde ihre Begründung erst in der Revisionsinstanz ergänzt, stellt sich ja die Frage: Ist das nicht ein neuer Verwaltungsakt, der da erlassen wird? Muß der nicht dann Gegenstand eines neuen Verfahrens sein? Ist das überhaupt berücksichtigungsfiihig? Da hätte ich erhebliche Zweifel. Aber wie gesagt, die Frage, ob die Anhörung formal nachgeholt worden ist oder ob sie substantiell nachgeholt worden ist, das wäre möglicherweise eine Frage, die das Revisionsgericht unter Ausnahme von § 137 Abs. 2 VwGO zu klären hätte. Aber wie gesagt, das ist meine vorläufige persönliche Meinung. Rechtsprechung dazu gibt es noch nicht. Steinbeiß-Winkelmann: Ich wollte nur dieses Unbehagen noch verstärken und das zwischen den Zeilen sehr deutlich zum Ausdruck gekommene Unbehagen über den politischen Wind, der durch diese Änderungen weht, und eine kleine Abrundung noch vortragen: § 113 des Regierungsentwurfs zur VwGO-Änderung ist auch eines kleinen Seitenblickes wert. Da hatte der Regierungsentwurf in Ergänzung

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der beiden Vorschriften, die sagen, das Gericht soll Gelegenheit zur Heilung geben, noch einen ordentlichen Schritt zugelegt und gesagt: Wegen eines Verfahrens- oder Fonnfehlers darf das Gericht den Verwaltungsakt überhaupt nur aufheben, wenn es die Verwaltungsbehörde auf den Fehler hingewiesen hat und ihr Gelegenheit zur Heilung des Fehlers gegeben hat. Das war also sozusagen die Krönung des Ganzen. Und da hat dann sogar der Rechtsausschuß kalte Füße gekriegt und gesagt, da wollen wir dann doch den Bedenken Rechnung tragen, die in der Fachöffentlichkeit vorgebracht worden sind. Diese Regelung, eben dieser § 113, hätte die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu stark in die Rolle des Helfers der Verwaltung gedrängt und ist unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung verfassungspolitisch bedenklich. Sodan: Es fällt schwer, auf eine solche Bemerkung noch eine andere "daraufzusetzen" . Auf jeden Fall danke ich Dmen, Frau Steinbeiß-Winke/mann, fiir Ihren Hinweis, der zeigt, daß gelegentlich Sachverstand noch politische Entscheidungen beeinflussen kann. Bisweilen habe ich den Eindruck, daß die Kluft zwischen Politik und Wissenschaft selten so tief war wie gegenwärtig. Ich kann nur hoffen, daß wissenschaftlicher Sachverstand von der Politik wieder stärker beachtet wird. Vielen Dank!

Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz im Bau- und Fachplanungsrecht Von Bernhard Stüer Seit langem wird beklagt, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Vergleich nicht ausreichend attraktiv sei. Als eine der Ursachen wird auf die als zu lang empfundenen Genehmigungs- und Zulassungsverfahren im Bau- und Fachplanungsrecht verwiesen. An die Stelle eines demokratischen Rechtsstaates sei ein Rechtsmittel- und Rechtswegestaat getreten, dessen Verästelungen unübersehbar geworden seien. Ausufernde Rechtsschutzmöglichkeiten und die unendliche Dauer der Gerichtsverfahren werden als Ursachen für einen Investitionsstau und eine Abwanderung großer Wirtschaftskonzerne ins Ausland festgemacht. Die Lage hat sich jedoch inzwischen gründlich verändert. Durch eine Änderung der Fachplanungsgesetze und vielleicht nicht weniger stark durch die 6. VwGO-Novelle ist das Fachrecht durchforstet und sind die Rechtsschutzmöglichkeiten kräftig gestutzt worden. Alles in allem könnten wir bereits wieder vor einer Trendwende stehen, bei der es gilt, die Grundelemente rechtsstaatlicher Planung und des gerichtlichen Rechtsschutzes vor zu starken Beschneidungen zu schützen.

I. Ausgangspunkte Das Fachplanungsrecht aber auch das Recht der städtebaulichen Planung sind in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von umfangreichen Gesetzgebungsverfahren gewesen. Das Gesetz zur Beschleunigung der Planung für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin l (VerkPIBG) ermöglichte es ein gutes Jahr nach der Wiedervereinigung, die für eine öffentliche Planung erforderlichen Rechtsgrundlagen in kürzerer Frist zu schaffen? Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 14.12.1991 (BGBI. I S. 2174). Zu Beschleunigungsmaßnahmen Broß, DVBI. 1991, 177; Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, 1994; Fluck, Der Betrieb 1993, 20 11; Ronellenfitsch, DVBI. 1991, 920; Schulze. in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, S. 85; Schulze / Stüer, ZfW 1996, 269; dies., in: Stüer (Hrsg.) I

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Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege) (PIVereinfG) übertrug die Regelungen für die neuen Länder auf die Fachplanungsverfahren auch in den alten Ländem. 4 Weitere Beschleunigungen vor allem im Hinblick auf den gerichtlichen Rechtsschutz sind durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993 (InvWoBaulG)s eingeführt worden. Das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (GenBeschlG)6 hat zusätzliche Beschleunigungseffekte dadurch ermöglicht, daß der Verwaltung vor allem durch eine Änderung des VwVfG verschiedene verfahrensstraffende Modelle an die Hand gegeben werden, die eine zeitnahe Durchführung der Planungsverfahren begünstigen. 7 Das Sechste Gesetz zur Änderung deF VwGO und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) 8 - es handelt sich um die grundlegendste Reform der VwGO seit dem Jahre 1960 - hat wesentliche Änderungen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingeführt 9. Hinzu tritt für den Bereich des Städtebaus und der Raumordnung das zum 1.1.1998 in Kraft getretene Bau- und Raumordnungsgesetz. Es will einen verbesserten Beitrag zum Umweltschutz leisten, was durch die Integration des Naturschutzes in die Bauleitplanung und durch die Neufassung des Außenbereichsparagraphen geschehen soll. Die Bestandskraft der städtebaulichen Satzungen soll durch den Grundsatz der Planerhaltung gestärkt werden. Die Kooperation zwischen Gemeinde und Vorhabenträger soll durch städtebauliche Verfahrensbeschleunigung, S. 62; Stüer, DVBl. 1990, 1393; ders., DVBl. 1997, 326; ders., NWVBI. 1998, 171; kritisch vor allem B/üme/. in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 17; Jank, Die 6. VwGO-Novelle, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 43; vgl. auch Hermanns, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, S. 144. 3 Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren rur Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz - PIVereinfG) v. 17.12.1993 (BGBl. 1 S. 2123). 4 Zu einer Bewertung dieser Vorschriften Pasternak, Beschleunigung beim Straßenbau, BayVBl. 1994,616; Steinberg, NJW 1994,488. 5 Investitions- und Wohnbaulandgesetz v. 24.4.1993 (BGBl. 1 S.466); vgl. zu Nachweisen über die Literatur Stüer, DVBl. 1995, 649 Fnte. 22. 6 Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz - GenBeschlG) v. 12.9.1996 (BGBl. I 1354); vgl. Stüer, DVBl. 1997, 326; ders. in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 90; ders., NWVBl. 1998, 171. 7 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 1637. 8 .. Sechstes..Gesetz zur Anderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6.VwGOAndG) v. 1.11.1996 (BGBl. 11626). 9 Das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren (BlmSchG-Novelle) (Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung imm\~sionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren v. 9.10.1996, BGBl. I 1498) hat zu Anderungen des BlmSchG und der Verordnung über das Genehmigungsverfahren geführt. Mit dem Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) v. 11.11.1996, BGBl. I 1695, sind wichtige Bestimmungen des WHG teilweise umgestaltet oder neu gefaßt worden.

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Verträge und den vorhabenbezogenen Bebauungsplan sowie die Einschaltung Dritter in den Planungsprozeß gefördert werden. Durch die erfolgte Integration des BauGB-MaßnG in das BauGB und weitere harmonisierende Regelungen soll der Planungsprozeß vereinfacht und von unnötigem Ballast befreit werden. Der Grundsatz der Planerhaltung wird groß geschrieben. Das Verhältnis des Städtebaurechts zur Raumordnung und zum Fachplanungsrecht wurde neu geordnet und streckenweise übersichtlicher gestaltet. Auch hat das Recht der Raumordnung durch ein völlig neu konzipiertes RaG eine neue Grundlage erhalten. IO Ziel der Neuregelungen des Bau- und Fachplanungsrecht sowie des Verfahrensrechts war es, das Planungsrecht zu vereinfachen und unnötigen Ballast vor allem in den Verfahrensabläufen aber auch im gerichtlichen Rechtsschutz über Bord zu werfen. Die Entscheidungsbefugnis der Planungsträger sollte gefestigt und die Investitionsbereitschaft von gewerblicher Wirtschaft und Industrie zur Sicherung des Standortes Deutschland gestärkt werden.

11. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Bau- und Fachplanungsrecht Die verschiedenen Novellen des Bau- und Fachplanungsrechts haben teilweise zu einer Vereinheitlichung gefilhrt, teilweise aber Unterschiede zwischen beiden Planungsbereichen bestehen lassen. Deshalb gilt es zunächst, Bilanz zu ziehen und den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Bau- und Fachplanungsrecht nachzugehen. Sodann wird zu fragen sein, welcher Ratschlag dem Gesetzgeber filr künftige Reformen und allen am Planungsgeschehen Beteiligten gegeben werden kann. Sollte das Planungsrecht über die Grenzen des Fachplanungsrechts und der Bauleitplanung hinweg stärker als bisher harmonisiert werden? Oder sind sogar Disharmonien innerhalb des Fachplanungsrechts und in seinem Verhältnis zum Bauplanungsrecht erwünscht? 1. Unterschiedliche Handlungsformen

Der vielleicht gravierendste Unterschied zwischen der städtebaulichen Planung einerseits und der Fachplanung andererseits ist in den unterschiedlichen Handlungsformen begründet. Die verbindliche Bauleitplanung äußert sich im Bebauungsplan, der von den Gemeinden als Satzung erlassen wird (§ 10 BauGB). Die Fachplanung vollzieht sich in der Regel als Planfeststellungsbe10

Zu den Kernpunkten der Reform Stüer, DVBI. 1996, 177.

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schluß (§ 74 VwVfG) und damit als Verwaltungsakt (§ 35 S. 2 VwVfG). An dessen Stelle kann gegebenenfalls auch die ohne allgemeine Öffentlichkeitsbeteiligung durchfiihrbare Plangenehmigung (§ 74 VI VwVfG) oder ein Verzicht auf ein förmliches Planverfahren überhaupt treten (§ 74 VII VwVfG). Und ein weiterer gravierender Unterschied hängt mit diesen unterschiedlichen Handlungsformen zusammen: Das Modell des Städtebaurechts ist zweistufig, das des Fachplanungsrechts einstufig: 11 Die städtebauliche Planung, die sich im Bebauungsplan in rechtsverbindlichen Festsetzungen äußert, bildet die erste Stufe, auf der die Grundentscheidung über die bodenrechtlich relevanten Nutzungen getroffen wird. Auf der zweiten Stufe folgt zumeist nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts ein Baugenehmigungsverfahren, in dem vor dem Hintergrund der getroffenen Planungsentscheidung über die konkrete Vorhabenzulassung entschieden wird. Im nicht beplanten Innenbereich und im Außenbereich tritt an die Stelle des Bebauungsplans die Planungsentscheidung des Gesetzgebers. Diesem zweistufigen Modell tritt im Fachplanungsrecht ein einstufiges Zulassungsmodell gegenüber. Hier wird in einem Zulassungsverfahren über das "ob" und "wie" des Vorhabens entschieden. Die mit dem Vorhaben verbundenen Konflikte müssen daher in einem Verfahren bewältigt werden. Ein teilweise möglicher Konflikttransfer in ein Nachfolgeverfahren, wie dies in der Bauleitplanung geschehen kann, ist im Fachplanungsrecht nicht in gleicher Weise vorgesehen. Das einstufige Fachplanungsverfahren muß zugleich die Abwägungselemente enthalten, die in der Bauleitplanung auf der ersten Stufe abgeschichtet werden können. 2. Unterschiedliche Aufstellungsverfahren Die Verfahren zur Planaufstellung sind zwar in den großen Leitlinien vergleichbar, weisen jedoch in Einzelheiten zahlreiche Unterschiede auf. Für die Bauleitplanung ist eine zweigeteilte Bürgerbeteiligung kennzeichnend. In der vorgezogenen Bürgerbeteiligung (§ 3 I BauGB) im Rahmen der Bauleitplanung werden die Bürger über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung möglichst frUhzeitig unterrichtet. Den Bürgern ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben. Im Fachplanungsrecht ist eine vorgezogene Bürgerbeteiligung, bei denen Fehler auch in der Bauleitplanung folgenlos bleiben (§ 214 I Nr. 1 BauGB) nicht vorgesehen. Die förmliche Bürgerbeteiligung in der Bauleitplanung (§ 3 11 BauGB) ist vom Ansatz her mit dem Anhörungsverfahren des fachplanerischen Planfest11

Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 1637.

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stellungsverfahrens vergleichbar (§ 73 VwVfG). Allerdings bestehen schon Unterschiede. Die förmliche Bürgerbeteiligung erschöpft sich in der Offenlage der Unterlagen und der Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats. Im Planfeststellungsverfahren ist die Beteiligung zweigeteilt: Einwendungen gegen das Vorhaben können innerhalb der Offenlage (einen Monat) und eines sich daran anschließenden Zeitraums von 14 Tagen geltend gemacht werden (§ 73 IV VwVfG). Daran schließt sich ein Erörterungstermin an, bei dem die rechtzeitig erhobenen Einwendungen in mündlicher Verhandlung zu erörtern sind (§ 73 VI VwVfG). Im Gegensatz zum Fachplanungsrecht ist in der Bauleitplanung eine Erörterung im Anschluß an die förmliche Offenlage der Pläne nicht vorgesehen. Die Trägerbeteiligung ist im Bau- und Fachplanungsrecht - abgesehen von den vorgenannten Unterschieden, die sich aus der parallel durchgeführten Bürgerbeteiligung auch für die Träger öffentlicher Belange ergeben - weitgehend vergleichbar. In der Bauleitplanung haben die Träger ihre Stellungnahmen regelmäßig innerhalb eines Monats abzugeben. Die Frist kann angemessen verlängert werden (§ 4 II BauGB). In den Stellungnahmen sollen sich die Träger auf ihren Aufgabenbereich beschränken. Belange, die von den Trägem nicht rechtzeitig vorgetragen worden sind, werden in der Abwägung nicht berücksichtigt, es sei denn, die verspätet vorgebrachten Belange sind der Gemeinde bekannt oder hätten ihr bekannt sein müssen oder sind für die Rechtmäßigkeit der Abwägung von Bedeutung. In der Fachplanung haben die Träger ihre Stellungnahme innerhalb einer von der Anhörungsbehörde zu setzenden Frist, die drei Monate nicht überschreiten darf, abzugeben. Auch hier sind nicht rechtzeitig vorgebrachte Belange abgesehen von deren Abwägungserheblichkeit grundsätzlich unbeachtlich (§ 73 III a VwVfG).

3. Präklusion Ein gravierender Unterschied besteht im Hinblick auf unterschiedliche Präklusionsregelungen im Bau- und Fachplanungsrecht. Die Präklusionsregelungen stehen wiederum mit den erweiterten Beteiligungsrechten der Bürger im Zusammenhang. Während nicht rechtzeitig vorgebrachte Anregungen auch in der Bauleitplanung grundsätzlich nicht berücksichtigt werden müssen, es sei denn, sie sind für die planenden Stelle erkennbar, mehr als geringfügig und schutzwürdig und damit für die Abwägung von Bedeutung (formelle Präklusion) (§ 3 II BauGB), sieht das Fachplanungsrecht eine darüber hinausgehende materielle Präklusion vor. Im Verfahren nicht rechtzeitig erhobene Einwendungen gegen den Plan sind nach Ablauf der Einwendungsfrist ausgeschlossen etwa im immissionsschutzrechtiichen Genehmigungsverfahren nach § 10 III 3 10 Speyer 128

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BImSchG,12 im fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren nach § 17 IV I FStrG, im wasserwegerechtlichen Planfeststellungsverfahren nach § 17 Nr. 5 WaStrG, im atomrechtlichen Verfahren nach § 7 I AtomVfV,13 im eisenbahnrechtlichen Verfahren nach § 20 II 1 AEG. 14 Durch § 73 IV 3, 4 VwVfG i. d. F. des GenBeschlG ist diese materielle Präklusion auch auf alle anderen PIanfeststellungsverfahren ausgedehnt worden. Danach sind mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Voraussetzung fUr den Lauf der Frist ist, daß gern. § 73 IV VwVfG ordnungsgemäß auf die Frist und die Präklusion bei Versäumung der Frist hingewiesen worden ist. Die prozessuale Sperrwirkung gilt auch fUr nicht rechtzeitig dargelegte enteignungsrechtliche Vorwirkungen. 15 Der Einwendungsausschluß hat materielle Wirkungen. Er erstreckt sich auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren und fUhrt zum Verlust der Möglichkeit, Abwehransprüche durchzusetzen. 16 Ob die Behörde gleichwohl die materiell präkludierten Einwendungen berücksichtigen kann, wird unterschiedlich beurteilt. 17 Jedenfalls verliert der EinwendungsfUhrer das Recht, im Verfahren eine Erörterung zu verlangen oder in nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren eine Kontrolle in diesem Bereich zu erreichen (§ 73 IV VwVfG). Nach Ablauf der Einwendungsfrist sind, sofern nicht die Voraussetzungen fUr eine Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG gegeben sind, nur noch Ergänzungen und Präzisierungen zu bereits während der Frist erhobenen Einwendungen möglich. Im übrigen gilt in fachplanungsrechtlichen Planfeststellungsverfahren auch in seinem 12 BVerwG, B. v. 29.9.1972 - 1 B 76.71 -, DVBI. 1973, 645 = GewArch 1974, 19; Urt. v. 29.8.1986 - 7 C 52.84 -, DVBI. 1987, 258 = NVwZ 1987, 131. 13 BVerwG, Urt. v. 17.7.1980 -7 C 101.78 -, BVerwGE 60,302; B. v. 12.11.1992 - 7 ER 300.92 - NVwZ 1993, 266; BVerfG, B. v. 8.7.1982 - 2 BvR 1187 / 80 -, BVerfGE 61, 82 = NJW 1982, 2173 = DVBI. 1982, 940 = Hoppe / Stüer, Die Rechtsprechung zum Bauplanungsrecht (RzB), 1995, Rdn. 1105 - Sasbach. 14 BVerwG, B. v. 12.11.1992 - 7 ER 300.92 -, NVwZ 1993,266 = DVBI. 1993, 168 - Taigatrommel. Die Vorschrift wird vom BVerwG für verfassungsrechtlich unbedenklich eingeschätzt, BVerwG, Urt. v. 23.4.1997 - 11 A 7.97 -, DVBI. 1997, 1119 = NuR 1997,504 unter Hinweis aufUrt. v. 24.5.1996 - 4 A 38.95 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119; B. v. 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61,82 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 1105 - Sasbach; vgl. auch Urt. v. 6.8.1982 - 4 C 66.79 -, BVerwGE 66, 99 = NJW 1984, 1250 - Rhein-Main-Donau-Kanal. 15 BVerwG, B. v. 13.3.1995 - 11 VR 5.95 -, UPR 1995, 269 = NuR 1995,250Buchholzer Bogen: zu Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes. Ein Einwendungsausschluß besteht selbst dann, wenn die Eigentümerbe1ange im Rahmen zivilrechtlicher Verhandlungen, die der Eigentümer mit dem Träger des Vorhabens geführt hat, aktenkundig geworden sind. 16 BVerwG, Urt. v. 6.8.1982 - 4 C 66.79 -, BVerwGE 66, 99 = NJW 1984, 1250 = UPR 1983, 198 - Rhein-Main-Donau-Kanal. Zum Einwendungsausschluß nach § 3 I AtAnlV auch Urt. v. 17.7.1980 -7 C 101.78 -, BVerwGE 60,297 = DVBI. 1980, 1001 = NJW 1981,359 = Hoppe / Stüer, RzB Nr. 470 - Atomrecht. 17 Zum Meinungsstand Kopp, VwVfG, 6. Aufl. 1996, § 73 Rdn. 95.

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durch das Plan VereinfG und das GenBeschlG geänderten Inhalt unverändert jene materielle Präklusion,18 wie sie in der Rechtsprechun~ zur Ermittlung der abwägungserheblichen Belange l9 entwickelt worden ist. 0 Nicht rechtzeitig geltend gemachte Einwendungen brauchen im Planfeststellungsbeschluß daher nur berücksichtigt zu werden, wenn sie der Behörde bereits bekannt sind oder sie sich geradezu aufdrängen. 21 Den erweiterten Rechten der Planbetroffenen in der Bürgerbeteiligung korrespondieren daher verstärkte Mitwirkungslasten. 22 Dieser Rechtsgedanken gilt auch in der Bauleitplanung. Werden die eigenen Belange nicht rechtzeitig in den förmlichen Beteiligungsverfahren geltend gemacht, so gehen die Rechte der Betroffenen in dem Sinne unter, daß mit ihnen die Planung nicht aufgehalten werden kann. Die Fehlerhaftigkeit der Planung hat dann keine Rechtsfolgen. Dies stellt an die Verfahrensbeteiligten und deren Verfahrensbevollmächtigte erhöhte Anforderungen. Der EinwendungsfUhrer ist daher zur Vermeidung von Rechtsnachteilen gezwungen, seine Belange bereits während der Einwendungsfrist vorzubringen. Zur Wahrung der Frist ist erforderlich, die Einwendungen dem Grunde nach zu erheben. Eine ergänzende und detaillierte Begründung kann auch nach Ablauf der Einwendungsfrist noch vorgebracht werden. Die Behörde muß lediglich erkennen können, in welche Richtung die Einwendungen gehen. Einzelheiten können nachgetragen werden. Zu den beachtlichen Einwendungen zählen danach nur diejenigen, die im Offenlegungsverfahren vorgebracht werden. 23 18 BVerwG, B. v. 13.3.1995 -11 VR 5.95 -, NVwZ 1995,905 = DVBI. 1995, 1025 UPR 1995, 269 = NuR 1995, 250 - Buchholzer Bogen; Urt. v. 6.8.1982 - 4 C 66.79 BVerwGE 66, 99 = NJW 1984, 1250 = UPR 1983, 198 - Rhein-Main-Donau-Kanal. Zum Einwendungsausschluß nach § 3 I AtAnlV auch Urt. v. 17.7.1980 -7 C 101.78-, BVerwGE 60, 297 = DVBI. 1980, 1001 = NJW 1981,359 = Hoppe / Stüer, RzB 1995 Rdn. 470 - Atomrecht. 19 BVerwG, Urt. v. 13.9.1985 - 4 C 64.80 -, BRS 44 Nr. 20; B. v. 11.4.1995 - 4 B 61.95 -, Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 8. 20 Im übrigen ist die Klage nach § 5 III S. 1 VerkPIBG innerhalb von 6 Wochen nach Klageerhebung zu begründen. Innerhalb dieser Frist muß der Kläger die ihn beschwerenden Tatsachen so konkret angeben, daß der Lebenssachverhalt, aus dem er den mit der Klage verfolgten Anspruch ableitet, unverwechselbar feststeht. Das schließt späteren vertiefenden Vortrag nicht aus, so BVerwG, Urt. v. 30.9.1993 - 7 A 14.93 -, NVwZ 1994,371 = DVBI. 1994,354 - Gifhom. 21 Zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials grundlegend BVerwG, B. v. 9.11.1979 - 4 N 1.78 -, BVerwGE 59, 87 = DVBI. 1980, 233 = Hoppe / Stüer, RzB 1995 Rdn. 26 - Normenkontrolle. 22 BVerwG, B. v. 18.9.1995 - 11 VR 7.95 -, NVwZ 1996,399 = NuR 1996, 88Wasserwerk; Urt. v. 23.8.1996 - 4 A 30.95 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 122 Berliner Autobahnring. 23 Vgl. zur Präklusion bei der Planung in mehreren Abschnitten BVerwG, Urt. v. 23.4.1997 - 11 A 7.97 -, DVBI. 1997, 1119 = NuR 1997, 504.

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Der gesetzlich angeordneten materiellen Präklusion unterliegen auch Rechte der Gemeinden oder kommunaler Organisationen, die mit selbständigen Rechten versehen sind. Auch diese haben ihre Belange als Teil der Einwendungsruhrer innerhalb der gesetzten Ausschlußfristen im Einwendungsverfahren vorzutragen. Geschieht dies nicht fristgemäß, so gehen auch die gemeindlichen Rechte unter. Eine Gemeinde kann gemäß § 73 IV 1 VwVfG Einwendungen nicht nur bei der Anhörungsbehörde, sondern auch bei sich selbst erheben. Die Einwendungen müssen in einer innerhalb der Einwendungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift abgegebenen Erklärung des gesetzlichen Vertreters der Gemeinde enthalten sein. 24 4. Planänderungen

Teilweise unterschiedlich stellen sich auch die rechtlichen Anforderungen an die Änderung von Plänen im Bau- und Fachplanungsrecht dar. Dabei muß zwischen der Planänderung im Aufstellungsverfahren und der Änderung bereits aufgestellter Pläne unterschieden werden. In der Bauleitplanung ist eine erneute Offenlage der Pläne nach § 3 III BauGB erforderlich, wenn die Grundzüge der Planung betroffen sind. Das gilt übrigens seit der Neufassung der §§ 3, l3 BauGB sowohl rur den Flächennutzungsplan als auch rur den Bebauungsplan. Sind die Grundzüge nicht betroffen, kann eine eingeschränkte Betroffenenbeteiligung nach § l3 BauGB erfolgen. Allerdings ist der Kreis der zu Beteiligenden recht weit und erfaßt auch Mieter oder Pächter und alle anderen, deren abwägungserhebliche Belange durch die Planänderung berührt werden. 25 Im Zweifel wird daher eine erneute, allerdings auf 14 Tage zu kürzende Offenlage sinnvoller als eine individuelle Betroffenenbeteiligung sein. Neu ist, daß in der Bauleitplanung auch bei Widerspruch von Betroffenen ein Genehmigungsverfahren nicht erforderlich ist, wenn die Änderung des Bebauungsplans aus einem wirksamen Flächennutzungsplan entwickelt ist.

24 BVerwG, Urt. v. 12.1.1997 -11 A 62.95 -, NVwZ 1997,997 = DVBl. 1997,725 - Markt Zapfendorf; Urt. v. 18.6.1997 - 11 A 70.95 -, UPR 1997,470 = NJ 1997,615 - Staffelstein mit Hinweis auf Gerichtsbescheid v. 27.10.1995 - 11 A 24.95 -, Buchholz 442.09 § 20 AEG Nr. 4 = UPR 1996, 226. 25 Im Fachplanungsrecht sind auch Mieter und Pächter gegenüber dem PlanfeststeIlungsbeschluß klagebefugt, wenn aufgrund der Zulassungsentscheidung in ihre Besitzrechte eingegriffen werden soll und sie sozusagen in ihrer "verfassungsrechtlichen Eigentümerposition" betroffen sind, so BVerwG, Urt. v. 1.9.1997 - 4 A 36.96 -, DVBl. 1998, 44 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 2341.

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Im Fachplanungsrecht ist eine erneute (eingeschränkte) Beteiligung erforderlich, wenn durch die Planänderung im Verfahren der Aufgabenbereich einer Behörde oder Belange Dritter erstmalig oder stärker als bisher betroffen sind. 26 Sind die Grundzüge der Planung betroffen, wird eine erneute Offenlage und Erörterung stattzufmden haben. Die bei der Änderung von Entwürfen im Verfahren einzuhaltenden Grundsätze erscheinen daher im Bau- und Fachplanungsrecht in etwa vergleichbar. 5. Unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten

Aus den unterschiedlichen Handlungsformen der städtebaulichen Planung und der Fachplanung ergeben sich auch unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten. Der Bebauungsplan kann mit der Normenkontrolle angegriffen werden, wenn geltend gemacht werden kann, daß der Antragsteller in eigenen Rechten betroffen ist. Bei einer zulässigen Normenkontrolle erfolgt dann eine umfassende Planprüfung zumeist ohne Beschränkung auf die eigene Betroffenheit. Im Gegensatz dazu können Planfeststellungsbeschluß und Plangenehmigung im Fachplanungsrecht nur nach den Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber Verwaltungsakten angefochten werden. Hier kann in der Regel von den Plan betroffenen eine Anfechtungsklage erhoben werden. Der Anfechtungsanspruch kann sich in einen Verpflichtungsanspruch umwandeln, wenn (lediglich) ein Anspruch auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung um Schutzauflagen besteht (§ 74 II 2 VwVfG) und hierdurch die Rechtswirksamkeit der Planung nicht insgesamt in Frage gestellt werden kann. 6. Anforderungen an die Abwägung

Vergleichbare Anforderungen ergeben sich in der Bau- und Fachplanung im Hinblick auf das Abwägungsgebot. Denn das Abwägungsgebot spielt in der Planungsentscheidung eine zentrale Rolle, die sogar noch an Bedeutung gewinnen wird, je mehr Gesetzgebung und Rechtsprechung Verfahrensfehler bei der Planung filr unbeachtlich oder zumindest heilbar erklären wird. Abwägungsdirigierte Planungsentscheidungen sind von gebundenen Zulassungsentscheidungen zu unterscheiden. Die Planung ist in dem Sinne abwägungsdirigiert, daß die Entscheidungen der planenden Stelle den verfassungsrechtlichen 26 BVerwG, B. v. 12.6.1989 - 4 B 101.89 -, NVwZ 1990, 366 = UPR 1989, 431 = ZtBR 1990, 106 - vereinfachte Planänderung bei Radweg; Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 559.

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Anforderungen des Abwägungsgebotes unterliegen. 27 Planung und Abwägung sind damit unzertrennlich. Die Zusammengehörigkeit von Planung und Abwägung als sozusagen zwei Seiten derselben Medaille folgt aus der das Eigentum regelnden, umgestaltenden und im Ernstfall auch überwindenden Kraft öffentlicher Planung. Der Planungsträger ist zu derart weitreichenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nur befugt, wenn er dazu durch eine umfassende Interessenabwägung legitimiert wird. Eine einseitige, ausschließlich an Genehmigungsansprüchen ausgerichtete Zulassungsentscheidung wird diesen verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten nicht gerecht. Aus diesem Grunde ist der gebundenen Zulassungsentscheidung ein Planungsverfahren vorgelagert, in dem die verfassungsrechtlich gebotene umfassende Ermittlung, Bewertung und Abwägung der Belange einschließlich einer Ausgleichsentscheidung grundgelegt wird. Diese Entscheidungsstruktur ist etwa tur das Städtebaurecht aber auch Immissionsschutzreches kennzeichnend. Die Entscheidungen im Fachplanungsrecht werden zumeist in einem einstufigen Verfahren in dem Sinne getroffen, daß die fachplanerische Entscheidung sowohl die Planungs- als auch die Zulassungsentscheidung enthalten. Derartige Entscheidungen des Fachplanungsrechts müssen daher auch die Abwägungselemente enthalten, die tur eine rechtsstaatliehe Planung kennzeichnend sind. 29 Das Abwägungsgebot der Bauleitplanung ist daher in seinen rechtlichen Grundstrukturen und verfassungsrechtlichen Anforderungen identisch mit dem Abwägungsgebot der Fachplanung. Das Abwägungsgebot legitimiert sich noch aus einem weiteren Grund: Fachplanerische Entscheidungen sind nicht nur, wie etwa die bauaufsichtliehe oder die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, Entscheidungen über die öffentlich-rechtliche Zulassung des beantragten Vorhabens. Sie enthalten darüber hinaus eine verbindliche Raumnutzungsentscheidung, mit der abschließend über die raumplanerische Zulässigkeit der Bodeninanspruchnahme befunden wird. 30 Die privilegierte Fachplanung hat gegenüber der sonst maßgebenden örtlichen Gesamtplanung im Sinne einer materiellen Konzentration grundsätzlich Vorrang (vgl. § 38 BauGB). Diese Besonderheit verlangt eine vom Abwägungsgebot gesteuerte, in planerischer Gestaltungsfreiheit ergehende 27 Grundlegend BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - 4 C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = DVBI. 1970,414 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 23 - Abwägungsgebot; Urt. v. 14.2.1975 4 C 21.74 -, BVerwGE 48,56 = DVBI. 1975,713 = NJW 1975, 1373 = Hoppe I Stüer RzB Rdn. 50 - B 42; Urt. v. 10.2.1978 - 4 C 25.75 -, BVerwGE 55, 220 = DVBI. 1979, 63 = NJW 1978, 2308 = Hoppe I Stüer RzB Rdn. 466 - Kiesweiher. 28 Dies gilt auch flir Abfallbeseitigungsanlagen, wie sich auch § 38 BauGB ergibt. Danach sind städtebauliche Belange zu berücksichtigen. 29 BVerwG, Urt. v. 14.2.1975 -4 C 21.74-, BVerwGE 48,56= DVBI. 1975,713 = NJW 1975, 1373 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 50 - B 42. 30 Steinberg, Fachplanung, 1993, 19 f.

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Zweckentscheidung des zuständigen öffentlichen Planungsträgers unbeschadet des Umstandes, daß die Behörde häufig nicht selbst originär plant, sondern die entsprechenden Vorstellungen des Vorhabenträgers abwägend nachvollzieht und dadurch die rechtliche Verantwortung für die Planung übernimmt. 31 Demgegenüber findet bei gebundenen, d. h. einen Rechtsanspruch einräumenden Genehmigungen die verbindliche Raumnutzungsentscheidung des öffentlichen Planungsträgers, z. B. die kommunale Bauleitplanung, auf einer vorgelagerten Stufe statt. Ist das betreffende Vorhaben mit dieser Planung vereinbar, darffolgerichtig insoweit eine Zulassung nicht verweigert werden. 32 Wird die Bauleitplanung daher durch eine Fachplanung ersetzt, muß im Rahmen der Fachplanung eine Abwägung erfolgen, in die auch die kommunalen Belange eingehen. Weder die Bauleitplanung noch die Fachplanung können daher auf die Beachtung des Abwägungsgebotes verzichten. Versuche, diese Zusammenhänge aufzulösen und vor allem die Planungsentscheidung des Fachplanungsrechts in eine gebundene Zulassungsentscheidung umzumünzen,33 müssen daher an verfassungsrechtlichen Vorgaben scheitern. Die Zulassung von Vorhaben kommt ohne Planung und die Planung kommt ohne Abwägung nicht aus. Damit vollzieht sich Bauleitplanung und Fachplanung trotz der unterschiedlichen Handlungsformen auf der Grundlage vom Prinzip her weitgehend einheitlicher vefahrensrechtlicher und materiell-rechtlicher Grundlagen. 7. Abwägungsfehlerlehre Mit dem Abwägungsgebot unterliegen die Entscheidungen des Fachplanungsrechts damit den allgemeinen rechtlichen Anforderungen, wie sie vom BVerwG etwa für die Bauleitplanung aber auch für die verschiedenen Fachplanungen nach weitgehend einheitlichen Grundsätzen entwickelt worden sind. 34 Danach sind die nach Lage der Dinge zu berücksichtigenden Belange zunächst 31 BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 -7 C 25.93 -, BVerwGE 97,143 = DVBI. 1995, 238 = ZfBR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage. 32 Für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vgl. § 6 Nr. 2 BImSchG; BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 -7 C 25.93 -, BVerwGE 97,143 = DVBI. 1995,238 = ZfBR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage. 33 Vgl. dazu Weidemann, DVBI. 1994,263. 34 BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - 4 C 105.66 -, BVerwGE 34,301 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 23 - Abwägungsgebot; B. v. 9.11.1979 - 4 N 1.78, 2 - 4.79 -, BVerwGE 59, 87 = BauR 1980,36 = DVBI. 1980, 233 = DöV 1980,21 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 26 - Normenkontrolle; BVerwG, Urt. v. 22.12.1981 - 4 CB 32.81 -, Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 7 - wasserrechtliche Abwägung. Zu Vorschlägen, das Abwägungsgebot gesetzlich zu regeln, Hoppe, DVBI. 1994, 1030; ders. in: Hoppe I Grotefels, Offentliches Baurecht, 1995, § 7 Rdn. 1 ff; Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 2156.

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zu ennitteln und sodann in die Abwägung einzustellen. Die Belange sind nicht im Gegensatz zu ihrer objektiven Gewichtigkeit zu bewerten. Die Ausgleichsentscheidung zwischen den berührten öffentlichen und privaten Belangen darf nicht in einer Weise vorgenommen sein, die zur objektiven Gewichtigkeit der Belange außer Verhältnis steht. Der abwägungsdirigierte Charakter der Planungsentscheidung führt allerdings auch dazu, daß der Antragsteller keinen von einer Abwägung unabhängigen Rechtsanspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplans oder auf Planfeststellung hat. Die jeweiligen Vorschriften des BauGB und des Fachplanungsrechts räumen der Behörde eine planerische Gestaltungsfreiheit ein, die sich auf alle Gesichtspunkte erstreckt, die zur Verwirklichung des gesetzlichen Planungsauftrags und zugleich zur Bewältigung der von dem Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme von Bedeutung sind. Die planerische Gestaltungsfreiheit findet ihre rechtlichen Grenzen zum einen in den zwingenden Versagungsgründen des jeweiligen Fachplanungsrechts und sonstiger infolge der Konzentrationswirkung zu beachtender Rechtsvorschriften, zum anderen - und dies gilt zugleich auch für die Bauleitplanung - in den Anforderungen des Abwägungsgebots. 35 Der Antragsteller hat dementsprechend keinen Anspruch auf Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses oder Aufstellung eines Bauleitplans in dem Sinne, daß bei Erfüllung bestimmter tatbestandlicher Voraussetzungen dem Antrag zwingend stattgegeben werden muß. 36 Eine derartige Annahme wäre mit der Funktion und den rechtlichen Wirkungen einer Planfeststellung unvereinbar. 37 8. Abwägungs- und Rechtsschutzpyramide Für die Berücksichtigung von Belangen in der städtebaulichen und fachplanerischen Abwägung und für den gerichtlichen Rechtsschutz in der Fachplanung ist ein Stufensystem von unterschiedlich Belangen von Bedeutung. An der Basis stehen einfache Belange, also von der jeweiligen Planungsentscheidung betroffene einfache Interessen. Dazu gehören auch Belange, die nicht ab35 Zum Abfallrecht: BVerwG, B. v. 27.5.1986 - 7 B 86.86 - DVBI. 1986, 1281; Urt. v. 21.2.1992 - 7 C 11.91 -, BVerwGE 90, 42; Urt. v. 27.3.1992 - 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96; zu anderen Fachplanungsrechten: BVerwG, Urt. v. 12.6.1985 - 4 C 40.83 -, BVerwGE 72, 15. 36 BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 7 C 25.93 -, BVerwGE 97, 143 = DVBI. 1995, 238 = ZffiR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage. 37 Der Träger eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens kann allerdings einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit haben, so BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 7 C 25.93 - BVerwGE 97, 143 = DVBI. 1995,238 = ZffiR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage.

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wägungserheblich oder rechtsschutzbewährt sind. Auf einer darüberliegenden Stufe stehen die abwägungserheblichen Belange. 38 Es handelt sich um von der Planung betroffene Interessen, die mehr als geringfügig, schutzwürdig und erkennbar sind und damit zum Abwägungsmaterial gehören und in die planerische Entscheidung einzustellen sind. Auf einer weiteren Stufe darüber stehen die rechtlich geschützten Belange, also solche Betroffenheiten, die wehrfähig sind und eine Klagebefugnis LS. des § 42 11 VwGO und eine Antragsbefugnis nach § 47 11 VwGO begründen. 39 Zugleich ist damit die Grenze der einfachrechtlichen Zumutbarkeit markiert, wie sie etwa im Hinblick auf die Grenzwerte der Verkehrslärrnschutzverordnung besteht. Darüber erheben sich die enteignungsgleichen schweren Betroffenheiten, bei denen die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird. Derartige Beeinträchtigungen sind zwar keine Enteignung LS. des Art. 14 III GG, da das Eigentum in der Hand des Betroffenen verbleibt und weder das Eigentum noch einzelne Eigentumspositionen nach dem Bilde der klassischen Enteignung auf einen anderen Rechtsträger übergehen. 40 Gleichwohl erfolgt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 12 GG), die enteignende Wirkungen hat und daher gegebenenfalls nur bei einer entsprechenden Kompensation41 verfassungsrechtlich zulässig ist. Die Planung hat hier drei Möglichkeiten: Sie muß die Beeinträchtigungen auf ein zumutbares Maß reduzieren, durch eine Änderung der Planung die Voraussetzungen für eine unmittelbare Eigentumsinanspruchnahme schaffen oder zumindest einen entsprechenden AUSSieich gewähren, der eine Kompensation für die Beeinträchtigungen darstellt. 2 Auf der obersten Stufe der Pyramide steht die Enteignung mit einer unmittelbaren Eigentumsinanspruchnahme, die zu einer Entschädigung führt (Art. 14 III GG).43

38 BVerwG, B. v. 9.11.1979 - 4 N 1.78 - BVerwGE 59,87 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn.26. 39 BVerwG, Urt. v. 14.2.1975 - 4 C 21.74 - BVerwGE 48,56 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 50 - B 42. 40 BVerfG, B. v. 15.7.1981 - I BvL 77/78 -, BVerfGE 58, 300 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 1136 - Naßauskiesung; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15.2.1990 - 4 C 47.89BVerwGE 84, 361 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 1049 - Serriesteich; Urt. v. 24.6.19937 C 26.92 - BVerwGE 94, 1= DVBI. 1993, 1141 = NJW 1993,2949 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 1055 - Herrschinger Moos; Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 989. 41 BVerfG, B v. 14.7.1981 - I BvL 24/78 -, BVerfGE 58, 137 - Pflichtexemplare. 42 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdn. 860. 43 BVerwG, Urt. v. 18.3.1983 - 4 C 80.79 -, BVerwGE 67,74 = Hoppe / Stuer, .. RzB Rdn. 1245 - Wittenberg.

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Enteignung enteignungsgleiche Betroffenheite (verfassungsrechtliche Zumutbarkeit) Eingriff in Rechte einfachrechtliche Zumutbarkeit abwägungserhebliche Belange (mehr als geringfügig, schutzwürdig und erkennbar betroffen) einfache Belange Abwägungs- und Rechtsschutzpyramide

In die Abwägung sind dabei alle Belange einzustellen, die mehr als geringfügig, schutzwürdig und erkennbar sind. Dazu gehören auch die rechtlich geschützten Belange und auch jene Betroffenheiten, die sich in ihren Wirkungen enteignend darstellen, ebenso wie gegebenenfalls die auf der Grundlage der Planung vorgesehenen Enteignungen. Rechtsschutz kann in der Regel nur bei Verletzung solcher Belange gewährt werden, die rechtlich geschützt sind oder deren Verletzung die einfachrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteigt. Im Gegensatz zum Bauplanungsrecht kann der Betroffene sich gegenüber fachplanerischen Entscheidungen auch auf abwägungserhebliche eigene Belange berufen. Der Rechtsschutz ist allerdings auf die Rüge der Verletzung der eigenen Belange beschränkt. Der von der Planung enteignungsrechtlich Betroffene hat demgegenüber vom Ansatz her umfassende Rechtsschutzmöglichkeiten. Er kann sich auch auf andere öffentliche Belange berufen, wenn dadurch die Gesamtabwägung in eine Schieflage gerät und die Planung rechtswidrig erscheint. 44 Wendet sich ein Betroffener gegen einen Bebauungsplan, so wird der Plan bei Zulässigkeit des Antrags und bei einer eigenen möglichen Rechtsbetroffenheit grundsätzlich auf alle Fehler geprüft. Die Planprüfung ist nicht auf die eigene Fehlerbetroffenheit begrenzt.

44 Kritisch zur Begrenzung der Abwehrrechte auf den in Anspruch genommenen Eigentümer Blümel, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 17.

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9. Begrenzte Fehlerbeachtlichkeit - Heilungsmöglichkeiten Das Bau- und Fachplanungsrecht hält unterschiedliche Fehlerfolgenregelungen bereit. Die Konzeption des Gesetzgebers ist vom Ansatz her zwar vergleichbar, jedoch in den einzelnen Regelungsbereichen unterschiedlich ausgestaltet. Zunächst stellt sich die Frage, welche Fehler überhaupt rur die Rechtswirksamkeit der Pläne beachtlich sind. § 214 BauGB enthält dazu rur die Bauleitplanung einen numerus clausus der beachtlichen Form- und Verfahrensfehler. Danach ist hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem BauGB ergeben, nur eine Trias von Gründen maßgeblich: fehlerhafte Bürger- und Trägerbeteiligung, fehlende Begründung, fehlender Erläuterungsbericht, fehlender Feststellungs- oder Satzungsbeschluß, fehlendes Genehmigungsverfahren, fehlerhafte Bekanntmachung. Besondere Unbeachtlichkeitsregelungen enthält § 214 II BauGB rur Fälle, in denen das Entwicklungsgebot verletzt ist. Hier ist letztlich die Frage entscheidend, ob die geordnete städtebauliche Entwicklung gewahrt ist. Alle anderen Form- und Verfahrensfehler sind unbeachtlich. Außerdem sind die beachtlichen Fehler innerhalb eines Jahres (§ 215 I Nr. 1 BauGB) bzw. rur Abwägungsfehler innerhalb von sieben Jahren gegenüber der Gemeinde zu rügen (§ 215 I Nr. 2 BauGB). Es bleiben dann noch die materiellen Fehler, die auf die Planungsentscheidung durchschlagen und von Amts wegen zu prüfen sind. Für das Fachplanungsrecht ergeben sich Regelungen im Anschluß an die Verwaltungsaktsqualität der Planfeststellung aus §§ 44 bis 46 VwVfG. Hier ist vor allem der Grundsatz zu erwähnen, daß Form- und Verfahrensfehler unbeachtlich bleiben, wenn sie sich nicht auf die Rechtsposition des Betroffenen auswirken. Dies setzt jeweils neben einer Kausalität des Fehlers auch die Rechtsbeeinträchtigung des einzelnen voraus. Die Nichteinhaltung von Verfahrensvorschriften fUhrt daher noch nicht zur Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses. Hinzukommen muß vielmehr, daß sich der Verfahrensfehler als ein formeller Mangel auf die Sachentscheidung ausgewirkt haben kann. Der danach erforderliche Kausalzusammenhang ist nur dann gegeben, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planungsbehörde ohne den Verfahrensfehler anders entschieden hätte. 45 Eine nur abstrakte Möglichkeit einer anderen

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BVerwG, B.v. 24.6.1993 - 4 B 114.93 -, VkBI 1995, 210.

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Entscheidung genügt nicht. 46 So ist etwa die Rüge des Grundstückseigentümers, im Gegensatz zu den Erfordernissen der EG-UVP-Richtlinie sei keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgefUhrt worden, unbeachtlich, wenn nicht dargelegt wird, daß dieser Verfahrens fehler die Sachentscheidung beeinflußt hat. 47 § 75 I a VwVfG baut fUr alle Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen im Fachplanungsrecht zwei Hürden dafUr auf, daß Verfahrensmängel auf die Rechtswidrigkeit der Planfeststellung durchschlagen: Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind (§ 75 laI VwVfG). Erhebliche Mängel bei der Abwägung fUhren nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung48 oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden können (§ 75 Ia 2 VwVfG).49 Hierdurch erhält die planende Behörde einen größeren Fehlerfreiraum.

Vom Ansatz her vergleichbare Regelungen enthalten § 214 III 2 BauGB und § 215 a I BauGB. Auch in der Bauleitplanung sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. 50 Erhebliche Mängel der Satzung fUhren nach 46 BVerwG, Urt. v. 17.2.1997 - 4 A 41.96 -, LKV 1997,328 = NVwZ 1997,998Schön berg A 20, unter Hinweis aufUrt. v. 30.5.1984 - 4 C 58.81 -, BVerwGE 69, 256; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 1.95 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 115 = DVBI 1996,915. 47 So BVerwG, Urt. v. 8.6.1995 - 4 C 4.94 -, BVerwGE 98, 339 = DVBI. 1995, 1012 = UPR 1995, 391 = NuR 1995, 537 - B 16 Bemhardswald; Urt. v. 25.1.19964 C 5.95 -, BVerwGE 100, 238 = DVBI. 1996, 677 - Eifelautobahn A 60; vgl. auch Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 19.94 -, DVBI. 1996,907; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 26.94-, BVerwGE 100,388 = DVBI. 1996,914 - Autobahnring München-West - Allach; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 1.95 -, DVBI. 1996, 915 - Autobahnring München A 99 Urt. v. 12.12.1196 - 4 C 29.94 -, DVBI. 1997,798 - Nesselwang-Füssen mit Hinweis auch auf die Heilungsmöglichkeiten in § 45 VwVfG; kritisch hierzu Blümel, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrens beschleunigung, 1997, S. 17. 48 BVerwG, Urt. v. 22.3.1985 - 4 C 63.80 -, BVerwGE 71, 150 = DVBI. 1985,896 = Hoppe / Stüer RzB Rdn. 145 - Roter Hang; Urt. v. 16.3. 1984 - 4 C 46.80 - NVwZ 1985, 108 = UPR 1984,377= Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 39 - Schutzvorkehrungen; Urt. v. 20.10.1989 - 4 C 12.87 -, BVerwGE 84, 31 = DVBI. 1990, 419 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 216 - Eichenwäldchen; Urt. v. 21.12.1995 - 11 VR 6.95 -, NVwZ 1996,896 = DVBI. 1996,676 - Erfurt-Leipzig / Halle; Stüer, DVBI. 1997,326; ders., in: Stüer(Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 90. 49 Entsprechende Regelungen sind bereits für die Fehlerheilung von PIanfeststellungsverfahren durch das Planungsvereinfachungsgesetz in mehreren Fachgesetzen eingeführt worden (§ 20 VII 2 AEG, § 17 VIc 2 FStrG, § 19 IV 2 WaStrG, § 10 VIII 2 LuftVG, § 29 VIII 2 PBefG). 50 Vgl. zu vergleichbaren Vorschrift des § 214 III 2 BauGB und deren Vorgängerregelungen BVerwG, Urt. v. 21.8.1981 - 4 C 57.80 -, BVerwGE 64,33 = NJW 1082, 591 = DVBI. 1982,354 = BauR 1981, 535 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 846 - zu § 155b

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§ 215 a I BauGB nicht zur Nichtigkeit, wenn sie durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können. So können aus fehlerhaften Motiven oder Vorstellungen der beteiligten Entscheidungsträger offensichtliche und daher für die Gültigkeit des Planes erhebliche Abwägungsmängel in der Regel nicht hergeleitet werden. 51 Auch liegt ein offensichtlicher Mangel nicht schon dann vor, wenn Planbegründung und Aufstellungsvorgänge keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthalten, daß der Plangeber sich mit bestimmten Umständen abwägend befaßt hat. 52 Zudem muß nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit eines solchen Einflusses bestehen, was etwa dann der Fall sein kann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder aufgrund sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände ergibt, daß sich ohne den Fehler im Abwägungsvorgang ein anderes Abwägungsergebnis abgezeichnet hätte. 53 Auch darf sich das Gericht nicht ungefragt auf eine Motivsuche54 begeben. 55 Der Gesetzgeber wollte mit den vorgenannten Änderungen sicherstellen, daß Fehler im Planfeststellungsverfahren nur dann zur Nichtigkeit des Planfeststellungsbeschlusses führen sollen, wenn sie nicht durch Planergänzungen oder eine ergänzende Planfeststellung geheilt werden können. Die gesetzlichen Regelungen sollen bewirken, daß die Aufhebung des Planes sozusagen nur im äußersten Notfall und dann erfolgt, wenn andere Heilungsmöglichkeiten durch Planergänzung oder ergänzendes Planverfahren scheitern. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung war es den Gerichten im Fachplanungsrecht in begrenztem Umfang erlaubt, Planungsfehler durch Auflagen zu heilen, ohne den gesamten Planfeststellungsbeschluß aufzuheben, wenn die Auflagen die We-

II Satz 2 BBauG - Offensichtlichkeit Abwägungsmangel; B. v. 20.1.1992 - 4 B 71.90, DVBI. 1992,577 = BauR 1992,344 = NVwZ 1992,633 = UPR 1992, 188 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 855 - Gemengelage; B. v. 29.1.1992 - 4 NB 22.90 - DVBI. 1992,577 = BauR 1992, 342 = NVwZ 1992, 662 = UPR 1992, 193 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 856 - Baugenehmigung und Normenkontrolle; B. v. 23.12.1993 - 4 B 212.92Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 35; W. Hoppe, in: Hoppe I Grotefels, Öffentliches Baurecht, 1995, § 16 Rdn. 30 ff.. 51 BVerwG, Urt. v. 21.8.1981 - 4 C 57.80 -, BVerwGE 64,33 = NJW 1982,591 = DVBI. 1982, 354 = BauR 1981,535 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. 846 (zu § 155b II 2 BBauG) - Offensichtlichkeit des Abwägungsmangels. 52 So zu § 214 IIl2 BauGB BVerwG, B. v. 29.1.1992-4 NB 22.90-, DVBI. 1992, 577 - Baugenehmigung und Normenkontrolle. 53 So BVerwG, B. v. 29.1.1992 - 4 NB 22.90 -, DVBI. 1992, 577 - Abwägungsmangel. 54 Zur ungefragten Fehlersuche BVerwG, Urt. v. 7.9.1979 - 4 C 7.77 -, Buchholz 406.11 § 10 Nr. 10; B. v. 12.9.1989 - 4 B 149.89 -, Buchholz 406.11 § 10 BBauG I BauGB Nr. 19 = Hoppe / Stüer, RzB Rdn. Nr. 1300. 55 So BVerwG, B. v. 23.12.1993 - 4 B 212.94 -, Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 35 - aufgezwungene Erschließungspflicht.

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sensstruktur der Planung als solche unangetastet gelassen hat. geht daher vor Aufhebung.

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Nachbesserung

Die Planergänzung betrifft dabei vor allem die aus der bisherigen Rechtsprechung im Fachplanungsrecht bekannten Fälle der Schutzauflagen (§ 74 11 2 VwVfG).57 Das ergänzende Verfahren bezieht sich demgegenüber auf Fälle, in denen Verfahrens- oder Inhaltsmängel durch Nachbesserung des Verfahrens oder durch eine inhaltliche Nachbewertung geheilt werden können. Dieser Teil der Vorschrift ermöglicht im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung58 etwa auch die Einholung ergänzender Gutachten oder ergänzender Ermittlungen des Sachverhalts oder Bewertungen von Belangen. Die Heilungsmöglichkeiten eines ergänzenden Verfahrens in § 75 I a VwVfG und § 215 aI BauGB beziehen sich nicht nur auf Form- und Verfahrensfehler, sondern auch auf inhaltliche Fehler. So können etwa fehlerhafte Beteiligungen ebenso geheilt werden wie etwa Abwägungsmängel. Auch eine etwa fehlerhafte Beteiligung eines nach § 29 BNatSchG anerkannten Naturschutzverbandes kann durch eine ergänzende Anhörung geheilt werden. Der Gesetzgeber will mit diesen Heilungsregelungen die Aufhebung der Planung als radikale Folge einer Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses vermeiden, wenn der Fehler durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Selbst erhebliche Mängel in der Abwägung können daher Gegenstand des Heilungsverfahrens sein. Entscheidend ist allein, daß die Möglichkeit besteht, den Fehler im ergänzenden Verfahren zu 56 Eine Beschränkung der Aufhebung eines straßenrechtlichen PIanfeststellungsbeschlusses auf einen Anspruch lediglich auf Planergänzung hat das BVerwG auch schon nach der bisherigen Rechtsprechung anerkannt, so BVerwG, Urt. v. 20.10.1989 - 4 C 12.78 -, UPR 1990,99 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 216 - Lärmschutz Eichenwäldchen; B. v. 3.4.1990 - 4 B 50.89 -, UPR 1990, 336 = DVBI. 1990, 789 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 854. Beruht nämlich die Rechtswidrigkeit nur auf einem die Gesamtplanung nicht in Frage stellenden Mangel, der durch Planergänzung ausgeräumt werden kann, so besteht kein Anspruch aufPIanaufhebung, sondern nur auf Vornahme dieser Ergänzung. 57 Zur Schutzauflagenrechtsprechung des BVerwG, vor allem zu § 17 IV FStrG a. F. Urt. v. 14.2.1975 - 4 C 21.74 -, BVerwGE 48,56 = DVBI. 1975, 713 = NJW 1975, 1373 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 50 - B 42; Stüer, DVBI. 1997, 326; ders. in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 90. 58 Eine Nachbesserung des Abwägungsmaterials durch das Gericht hat das BVerwG stets abgelehnt, so etwa BVerwG, Urt. v. 22.10.1987 -7 C 4.85 -, BVerwGE 78,177 = NVwZ 1987, 536 = DVBI. 1988, 148 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn.474 - Brokdorf; Urt. v. 25.2.1988 - 4 C 32 und 33.86 -, BauR 1989, 53 = UPR 1988, 266 = NVwZ 1989, 152 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 82 - Verkehrsanalyse; B. v. 10.2.1989 - 7 B 171.88 -, DVBI. 1989, 833 = UPR 1989, 277 = StT 1989, 539 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 83 - Mettmann; B. v. 14.8.1989 - 4 NB 24.88 -, DVBI. 1989, 1105 = ZfBR 1989, 264 = UPR 1989, 452 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn.84 - Beitrittsbeschluß; Urt. v. 18.5.1990 -7C 3.90 -, BVerwGE 85,155 = DVBI. 1990,1170 = UPR 1991, 21 = NVwZ 1991, 362 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 56 - Betonformsteine aus Quarzsand; B. v. 26.6.1992 - 4 B I - 11.92 -, DVBI. 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572 = Hoppe I Stüer, RzB Rdn. 42 - B 31 - Abschnittsbildung.

Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz im Bau- und Fachplanungsrecht

159

beheben. Diese Möglichkeit ist aber etwa auch bei einer Verletzung des Beteiligungsrechts eines anerkannten Naturschutzverbandes oder auch bei materiellen Abwägungsfehlern vom Grundsatz her gegeben. Allerdings entfaltet der insoweit fehlerhafte Planfeststellungsbeschluß bis zur Heilung der Mängel keine · k ungen. 59 W Ir Für die Belange in der "Abwägungs- und Rechtsschutzpyramide" im Fachplanungsrecht bedeutet dies: Einfache Belange an der Basis, die nicht zum Abwägungsmaterial gehören, sind bei der Planung nicht zu berücksichtigen. Die NichteinsteIlung solcher Belange ruhrt nicht zu rechtlichen Fehlern der Planung. Werden abwägungserhebliche Belange nicht in die Planungsentscheidung eingestellt, so ruhrt dies zwar zu einem Abwägungsfehler. Ob sich daraus beachtliche Rechtsfehler ergeben, hängt davon ab, ob die fehlerhafte Nichtberücksichtigung solcher Belange auf die Planungsentscheidung durchschlägt. Davon wird in der Regel nur auszugehen sein, wenn es sich um wesentliche Belange handelt, durch deren Nichtbeachtung die Planung insgesamt oder in ihren wesentlichen Teilen in Frage gestellt wird. Abwägungserhebliche einfache Belange, rur die nicht einmal Schutzauflagen erforderlich wären (§ 74 11 2 VwVfG), werden in der Regel eine auf die Rechtmäßigkeit der Gesamtentscheidung durchschlagende Bedeutung nicht gewinnen. Danach verbleibende erhebliche Fehler können im übrigen durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden (§ 75 Ia VwVfG). Greift die Planung in Rechte ein, sind grundsätzlich Schutzauflagen erforderlich (§ 74 II 2 VwVfG). Kann denn nicht berücksichtigten Belangen durch Schutzauflagen entsprochen werden, geht eine Planergänzung einer Aufhebung der Planung vor. Der Anfechtungsantrag mit dem Ziel der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses wandelt sich in einen Verpflichtungsantrag mit dem Ziel der Anordnung von Schutzauflagen. Sind solche Schutzauflagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, hat der Betroffene einen angemessenen Anspruch in Geld. Auch dies kann noch im gerichtlichen Verfahren nachbeauflagt werden, ohne daß dadurch die Planung in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt wird. Führt die Planung zu enteignend wirkenden Betroffenheiten oder soll sie die Grundlage rur eine Enteignung bilden, stellt sich bei Nichtberücksichtigung derartiger Betroffenheiten die Frage, ob die Fehler auf die Gesamtentscheidung durchschlagen. Auch kann in den Fällen der enteignenden Betroffenheit gerügt werden, daß die Fehlbeurteilung anderer Belange Auswirkungen auf die Gesamtentscheidung hat. Derartige

59 So BVerwG, Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 19.94 -, DVBI. 1996,907; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 26.94 -, BVerwGE 100, 388 = DVBI. 1996,914 - Autobahnring München-West - Allach; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 1.95 -, DVBI. 1996,915 - Autobahnring München A 99 Urt. v. 12.12.1196 - 4 C 29.94 -, DVBI. 1997, 798 - Nesselwang-Füssen mit Hinweis auch auf die Heilungsmöglichkeiten in § 45 VwVfG; kritisch hierzu Blümel, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 17.

160

Bernhard Stüer

Fehler können allerdings gegebenenfalls nach § 75 I a 2 VwVfG durch ein ergänzendes Verfahren geheilt werden. Die durch das Plan VereinfG und das GenBeschlG eingeführten Heilungsregeiungen60 machen eine neuerliche Abgrenzung des Verhältnisses von autonomer Planungsverantwortung der Planfeststellungsbehörde und der nachvollziehenden gerichtlichen Kontrolle erforderlich. Fehler dürften in einem ergänzenden Verfahren nicht mehr heilbar sein, wenn damit das Gesamtkonzept der Planung in Frage steht. Eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder Alternativenüberprüfung könnte somit durch ergänzende Planverfahren nachgeholt werden, wenn sich dadurch das Gesamtkonzept der Planung im Ergebnis nicht eritscheidend ändert. Die Regelungen des PIVereinfG und des GenBeschlG enthalten den allgemeinen Grundsatz, daß Verfahrensfehler und auch Fehler in der inhaltlichen Abwägung durch Ergänzung und Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens geheilt werden können. 61 Ein ergänzendes Verfahren kann nur dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhafte Gesamtabwägung auch durch die Bereinigung von Verfahrensfehlern und die Nachermittlung sowie Neubewertung von Belangen nicht geheilt werden kann. Es muß also umgekehrt die Frage gestellt werden, ob eine Reparatur des verfahrensrechtiichen oder inhaltlichen Fehlers in einem ergänzenden Verfahren sowie in einer Nachbewertung durch die Behörde ausgeschlossen werden kann. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn die gewählte Trasse nach Lage der Dinge ausscheidet und nur eine völlig andere Trassenführung in Betracht kommt. Dasselbe wird gelten, wenn klar ist, daß sich die Grundzüge der Planung auch aufgrund eines ergänzenden Verfahrens nicht mehr halten lassen. Steht dies aber nicht fest oder ist sogar ein Festhalten an der Planung nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens durchaus möglich, so eröffnen die Vorschriften des PIVereinfG und des GenBeschlG entsprechende Heilungsmöglichkeiten.

III. Planung als "goldener Schnitt" divergierender Interessen Die verschiedenen Bereiche des Bau- und Fachplanungsrechts haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Vor allem sind es die verfahrensmäßigen und inhaltlichen Anforderungen an jede rechtsstaatliche Planung, die das Planungsrecht über die Grenzen der Fachplanung und der städtebaulichen Planung 60 Entsprechende Heilungsregelungen enthalten § 215 a BauGB und § 10 ROG i.d.F. des BauROG 1998. 61 Die Heilungsmöglichkeiten orientieren sich damit an dem Bilde der fehlerhaft zugeknöpften Weste. Sie wird nicht ganz, sondern nur bis zu demjenigen Knopf wiederaufgeknöpft, an dem sie fehlerhaft zugeknöpft wurde; Stüer, DVBl. 1997,326; ders., in: Stüer (Hrsg.) Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 90.

Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz im Bau- und Fachplanungsrecht

161

hinweg einen. Dishannonien innerhalb des Fachplanungsrechts sollten daher beseitigt und auch das Verhältnis des Fachplanungsrechts zum Recht der städtebaulichen Planung weiter hannonisiert werden. Regelungsmöglichkeiten mit dieser Zielsetzung gibt es genug: Die Regelungen über die Bürger- und Trägerbeteiligung im Bau- und Fachplanungsrecht auch im Hinblick auf Präklusionsregelungen können vereinheitlicht, die Unbeachtlichkeits- und Heilungsregelungen weiter angeglichen werden. Ein breites Feld könnte sich dem Gesetzgeber im Bereich der Rechtsschutzmöglichkeiten stellen. Hier sind allerdings Grenzen durch die unterschiedlichen Handlungsformen von Bebauungsplan lind Planfeststellung vorgegeben, die nur bei Aufgabe des traditionellen städtebaulichen oder fachplanerischen Instrumentariums überwunden werden könnten. Was haben die Reformen nun für den Bürger gebracht? Ist überflüssige Bürokratie abgebaut, der Standort Deutschland gestärkt und zugleich der Rechtsschutz des Bürgers verbessert worden? Das alles geht wohl nicht gleichzeitig zusammen. Die geänderten Vorschriften des Bau- und Fachplanungsrechts begreifen sich als Experiment, rechtsstaatliche Anforderungen im Interesse einer schnelleren Projektverwirklichung zu lockern. Ob dieses Experiment gelingt, steht dahin. Die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen appellieren an die Verantwortungsbereitschaft und Sensibilität der Akteure. Es wäre geradezu fatal wenn die gesetzgeberischen Experimente dazu genutzt würden, rechtsstaatliche Garantien über Bord zu werfen und durch Verfahrensregelungen verfassungsrechtlich abgesicherte Bürgerinteressen auf die leichte Schulter zu nehmen. Dann wäre der Tag nicht fern, an dem die rechtlichen Daumenschrauben wieder stärker angezogen würden und man am Ende zu den gewiß überzogenen rechtlichen Anforderungen zurückkehren würde, von denen die Fahrt in die Vereinfachung des Bau- und Fachplanungsrechts zu Beginn der 70er Jahre ihren Ausgangspunkt nahm. Dann hätte am Ende auch die von langer Hand vorbereitete Selbstkorrektur der Rechtsprechung62 nichts gefruchtet. Ebenso fatal wäre es, wenn auf Dauer der Rechtsschutz beim Einzelrichter der ersten Instanz beginnt und dort zugleich auch sein bitteres Ende findet. Denn ein Rechtsstaat, der sich nur noch als Steigbügelhalter wirtschaftlicher Interessen versteht und an einer bedingungslosen Beschleunigung ausgerichtet ist, wird seiner gemeinwohlbezogenen Ausgleichsfunktion nicht gerecht. Verwaltungen und Gerichte sind daher aufgerufen, die Beschleunigungsregelungen des Bau- und Fachplanungsrechts behutsam anzuwenden und dabei vor allem rechtsstaatliche Garantien nicht über Bord zu werfen. Der Gesetzgeber ist gut beraten, wenn er bei künftigen Reformvorhaben die verschiedenen Materien des Planungsrechts noch stärker als bisher einander annähert und da-

62

Schlichter, ZfBR 1985, 107; Stüer, DVBI. 1985, 469.

11 Speyer 128

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Bemhard Stüer

bei vor die richtige Mitte zwischen erforderlichen Vereinfachungen und Beschleunigungen einerseits und rechtsstaatlichen Garantien im Interesse einer angemessenen Beteiligung und eines ausreichenden Rechtsschutzes des Bürgers andererseits wahrt. Denn eine Rechtsordnung, die sich nur noch an Beschleunigungseffekten ausrichtet und mit Bürgerinteressen "kurzen Prozeß" macht, wird ebenso scheitern wie ein Rechtswege- und Rechtsmittelstaat, der sich auf eine kleinliche Fehlersuche begibt63 und an jedem formalen Fehler im Detail auch gemeinwohlgetragene Projekte scheitern läßt. Wenn Optimierungsgebote ihre Berechtigung haben, dann dort, wo es gilt, einen goldenen Mittelweg zwischen diesen Extremen zu finden. 64

63 Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 7.9.1979 - 4 C 7.77 -, BauR 1980, 40 = VR 1980, 204 = Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 18 - Fehlersuche. 64 Kritisch daher zur Verfahrensbeschleunigung Blümel, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 17; vgl. auch Stüer, NWVBI. 1998, 171.

Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz im Bau- und Fachplanungsrecht Querschnitte zwischen Bau- und Fachplanungsrecht Bauleitplanung Bebauungsplan § 10 BauGB: Satzung

Rechtsformen

Einleitung Planverfahren Bürgerbeteiligung

Trägerbeteiligung Planänderung

Abwllgungsgebot

Naturschutz FFH

Vogelschutz Fehlertypologie

Fehlerheilung

Rechtsschutz

Aufstellungsbeschluß § 2 12 BauGB (fakultativ)

Konzentrationswirkung

11*

. U

U U U

vorgezogene fllrmliche/Offenlage Erörterungstermin

§ 3 I BauGB § 311 BauGB § 3 I BauGB § 4 BauGB

enttl!lIt § 73 IV VwVfG § 73 VI VwVfG §§ 73 111 a VwVfG

U U -

im Planverfahren Anderungen abgeschlossener Planungen

§§ 3 111, 13 BauGB § 13 BauGB

§ 73 VIII VwVfG § 76 VwVfG

U

Abwägungserfordemis Zusammenstellung Abwägungsmaterial Abwägungsverfahren Abwägungsergebnis

§ I VI BauGB

§ 741 VwVfG

§ 214 111 BauGB

§ 75 la VwVfG

§§ I a, 135 a-c BauGB §§ lall Nr. 4, 29 111 BauGB Verträglichkeitsprilfung Art. 6 111 FFH-RL Abwägungserfordemisse Art. 6IVFFH-RL Art. 4 Vogelschutz-RL

§ 8 BNatSchG

U

Art. 6 111 FFH-RL § 19 c BnatSchG Ld.F. 2. ÄndG Abwägungserfordemisse Art. 6 IV FFH-RL Art. 4 Vogelschutz-RL

-

§§ 44 bis 46 VwVfG

U

§ 75 la I VwVfG Abwägungsmängel § 75 la 2 VwVfG

U

arg. § 215 all, 11 BauGB arg. § 215 all, 11 BauGB § 215 a I BauGB

§ 45 VwVfG arg. § 75 la 2 VwVfG § 75 1.2 VwVfG

U

§ 215 a 11 BauGB

enttl!lIt Rechtsschutzpyramide

Natura 2000

Bedeutsamkeit Form- und Verfahrensfehler materielle Fehler Abwägungsverfahren materielle Fehler Form- und Verfahrensfehler materielle Fehler Planergänzung ergänzendes Verfahren Rückwirkung

§ 2141,11 BauGB § 215 I BauGB § 214 111 2 BauGB § 215 a I BauGB

Normenkontrolle Nachbarklage Gemeinden

Präklusion

Fachplanung Planfeststellung §§ 35 2, 74 I VwVfG: VA Plangenehmigung § 74 VI VwVfG Verzicht auf Planfeststellung § 74 VII VwVfG Antrag § 73 I I VwVfG

163

Kausalität materielle formelle

interkommunale Gemeindenachbarklage enttl!lIt §§ 3 11, 4 BauGB materielle § 38 BauGB

Verträglichkeitsprüfung

Anfechtungsklage Schutzauflagen

-

-

= U U U U U

§ 46 VwVfG § 73 IV 3 VwVfG § 73111 a2 VwVfG formelle § 75 VwVfG

• U. unterschiedlIch ,,-" .. . Im wesentlIchen vergleichbar

U

-

Diskussion zu dem Vortrag von Bernhard Stüer

Scheffler: Diese Äußerung von Herrn Stüer aus der Anwaltssicht, daß es oft schwer ist, überhaupt noch irgendwelche Dinge mit Erfolg rügen zu können, diese Beschwerden höre ich aus Anwaltskreisen des öfteren, auch in Form von informellen Telefonaten, wo dann gefragt wird, jetzt habe ich Klage erhoben, aber beim Durchsehen weiß ich eigentlich gar nicht mehr, was ich noch mit Erfolg hier vorbringen kann. Auf der anderen Seite hat sich zumindest in RheinlandPfalz seit einiger Zeit herauskristallisiert, daß etwa auch die Straßenverwaltung Prozesse nach Möglichkeit vermeidet. Es wird also immer auf eine Klage erwidert, daß man zunächst um das Absehen von Terminierung bittet, weil man außergerichtlich versuchen wird, notfalls durch Erwerb von Ersatzgelände das Verfahren zu vermeiden - vielleicht auch aus der Sicht, damit schneller zu einer bestandskräftigen Planfeststellung zu kommen. Stüer: Ihre Einschätzung, Herr Dr. Scheffler, kann ich nur bestätigen. Die Aussichten, mit Erfolg einen Planfeststellungsbeschluß anzufechten, sind vielfach nicht sonderlich hoch. Bei den Planfeststellungsverfahren der EIbevertiefung und des Emssperrwerks, die ich gerade auf der Seite der Planfeststellungsbehörden begleite, wird besonders nach der Klageberechtigung gefragt. Wenn etwa Bürger ihre Betroffenheiten im Einwendungs- und Erörterungsverfahren nicht rechtzeitig darlegen, gehen die Belange im nachfolgenden Gerichtsverfahren unter. Das folgt aus der in diesen Fällen vom Gesetzgeber angeordneten materiellen Präklusion. Selbst enteignungsrechtlich Betroffene können sich später nicht mehr auf ihr Eigentum berufen, wenn sie nicht innerhalb der Einwendungsfrist Einwendungen erhoben haben. Die Erfahrungen zeigen, daß von den zahlreichen Betroffenen vielfach nur ein Bruchteil Einwendungen erhebt, während die große Masse der Betroffenen sich nicht rechtzeitig meldet und daher auch in einem späteren Gerichtsverfahren mit ihren Betroffenheiten ausgeschlossen ist. Vielfach spielt auch die Überlegung eine Rolle, daß die Vorhabenträger im Falle des freihändigen Erwerbs Preise bieten, die deutlich über dem Verkehrswert liegen. Die dann noch verbleibenden Kläger werden nicht selten im Gerichtsverfahren herausgekauft oder durch eine Planänderung klaglos gestellt. Vielfach nehmen die Kläger dann auch die Klagen freiwillig zurück, um min-

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destens eine entsprechende Entschädigung zu erhalten, die deutlich über dem Verkehrswert der Grundstücke liegt. Allen Verfahrensbeteiligten kann bei dieser Situation nicht geraten werden, streitige Rechtsfragen über Jahre vor den Gerichten auszutragen. Es wird vielmehr zunehmend das Bestreben beobachtet, den Streit außergerichtlich beizulegen. Die Präklusionsregelungen haben dabei aus der Sicht der Vorhabenträger und Behörden den Vorteil, daß sich die Zahl derer, mit denen verhandelt werden muß, auf diejenigen beschränkt, die während des Einwendungsverfahrens auch tatsächlich Einwendungen erhoben haben. Mit allen anderen - vor allem denjenigen, die keine eigenen Rechte einbringen - muß nicht im einzelnen verhandelt werden. An derartigen Belangen kann das Vorhaben nur scheitern, wenn die geltend gemachten Fehler wie etwa die NichtbeTÜcksichtigung der Belange das Gesamtergebnis der Abwägung nicht in Frage stellen. Einzelne Fehleinschätzungen etwa im Bereich der Schutzauflagen können auch im Gerichtsverfahren noch ausgeglichen werden. Horn: Meine Damen und Herren, ich möchte das Problem von einer ganz anderen Seite aufrollen. Bei den früheren Vorträgen ging es ja vorwiegend um juristische Feinheiten, um Lyrik. Ich will es einmal etwas profan herunterbrechen auf die Ebene, wo nämlich die Probleme vor Ort gelöst werden, in den Städten und Gemeinden. Ich möchte es mit einer Problemskizzierung einleiten, um es verständlicher zu machen: Ich komme aus dem Ballungsraum Frankfurt am Main, Grund und Boden ist teuer - eine Binsenweisheit. Man muß zwischen 900,und 1.200,- DM pro qm hinlegen. In Mecklenburg-Vorpommern, es sind eine Reihe von Kollegen hier, da sieht es natürlich anders aus. Das muß man wissen. Also: Grund ist sehr teuer: Es kann dort, das ist eine weitere Binsenweisheit, nur derjenige bauen, der also 100.000,- DM und mehr verdient, der in Frankfurt, Wiesbaden oder Darrnstadt arbeitet. Gleichwohl sind die Städte im sogen. Speckgürtel von Frankfurt Siedlungsschwerpunkt, d.h. die überregionalen Pläne sehen vor, daß ein entsprechender Siedlungsflächenzuwachs stattfindet. Für die Städte vor Ort bedeutet dies konkret: Sie müssen planen! Warum müssen die Städte planen? Wir haben ein elementares Interesse daran, daß wir Flächen ausweisen, um Bürger anzusiedeln, die dann in den Ballungszentren arbeiten können. Dies auch mit Blick auf den Einkommensteueranteil, einer unserer Haupteinnahmequellen. In Zahlen: Auf 1,- DM Gewerbesteuer kommen in unserer Stadt 4,- DM Einkommensteuer. Und dann haben wir die Besonderheit, daß alle die, die gebaut haben, niemand mehr dazulassen kommen wollen. Ich will es an einem weiteren Beispiel verdeutlichen: Eine Fläche von 5.000 qm, also durchaus eine sehr große Fläche, sollte mit vier Häusern bebaut werden. Zwar sah der Bebauungsplan einmal zehn Häuser vor. Man hat sich dann aber auf vier Häuser geeinigt, eineinhalbgeschossige Bauweise. Das Ver-

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fahren läuft seit sechs Jahren. Jetzt ist der Satzungsbeschluß getroffen worden und jetzt muß man davon ausgehen, da hochkarätige Anwälte involviert sind, daß mit dem § 47 VwGO gedroht wird. Dann wird es vielleicht zehn Jahre bis zum Abschluß dauern. Das muß man alles so ein bißchen einmal als Hintergrund sehen, so daß man eigentlich nur ein Kompliment der Gesetzgebung machen muß, daß dieser exzessive Rechtsstaat, dieser hypertrophierte Rechtsstaat, nun langsam, Gott sei Dank, in die andere Richtung gefahren wird. Ich habe das auch den Kollegen schon in der Pause gesagt: Solange wir eine fünfseitige mit Rechtsmittelbelehrung versehene Fällgenehmigung brauchen, um einen morschen Baum zu fiillen - Sie haben richtig gehört: einen morschen Baum, keinen Wald, sondern einen morschen Baum - und Stadt und untere Naturschutzbehörde involviert sind, muß es einfach noch mehr "radikalere" Regelungen geben. Wenn man sich überlegt, daß es in den neuen Bundesländern gelungen ist, den Instanzenzug auf das Bundesverwaltungsgericht zu begrenzen, und wenn man jetzt also konkret vor Ort sieht, was man an Verkehrs infrastruktur geschaffen hat, dann muß man im Grunde genommen nur sagen: Weiter so! Es kann doch nicht wahr sein, daß man 30, 35, 40 Jahre benötigt, wenn man in Hessen eine Straße bauen will, und - wenn man die Forderung erhebt, eine Straße zu bauen - mittlerweile politisch kriminalisiert wird. Also insofern kann ich mir nur wünschen, daß die Diskussion in einer "größeren Radikalität" geführt wird, denn wir vergeuden wirklich kostbarste Ressourcen. Für jemanden, der unmittelbar mit dem Bürger zu tun hat, ist es erforderlich, Regelungen an die Hand zu bekommen, um wirklich auch Probleme lösen zu können. Denn wir wollen ja nicht nur bei juristischen Kolloquien wunderschöne Diskussionen führen, sondern wir wollen konkret die Probleme vor Ort lösen und insofern ist es wirklich gut so, daß man endlich versucht, jetzt eine neue Richtung anzusteuern. Es wäre wünschenswert, wenn die Radikalität, "rechtsstaatliche Radikalität" würde ich es einmal nennen, wenn diese noch etwas ausgeprägter wäre. Stüer: Es ist sicher richtig, von einer kleinlichen Fehlersuche abzugehen und sich auf die wesentlichen Fragestellungen zu beschränken, aber dies muß mit Augenmaß geschehen. Mir geht es darum, die richtige Mitte zwischen den Extremen einer totalen Fehlersuche einerseits und einer völligen Unbeachtlichkeit selbst schwerer inhaltlicher Mängel der Planung zu finden. Denn wenn selbst schwere Mängel der Planung keine Bedeutung mehr haben sollen, dann wird der Tag nicht fern liegen, daß sich das Pendel wieder umdreht und die Rechtsprechung wieder kleinlicher kontrolliert. Das aber wäre geradezu fatal. Erste Anzeichen für einen solchen Kurswechsel sehe ich bereits in den Vorstellungen zu einem neuen Umweltgesetzbuch. Der Kommissionsentwurf sieht dazu vor, daß Eingriffe, die den Naturhaushalt erheblich beeinträchtigen, grundsätzlich unzulässig sind. Die einfachen Belange in der Abwägung werden damit zu Optimierungsgeboten oder sogar strikt zu beachtenden Vorrangregelungen. Auch

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Diskussion

in Europa werden diese Tendenzen etwa in der Vogelschutzrichtlinie oder der FFH-Richtlinie erkennbar. Für diejenigen, die vor Ort Verantwortung tragen, kann daraus doch nur der Ratschlag folgen, die verfahrensrechtlichen, aber auch materiell-rechtlichen Anforderungen zu wahren und mit Bürgerinteressen nicht kurzen Prozeß zu machen. Die Einschätzung etwa, daß einzelne Rechtsfehler fUr die Rechtswirksamkeit der Planung unbeachtlich sind, darf nicht in den Ratschlag umgemünzt werden, diesen Anforderungen dann erst gar nicht mehr zu entsprechen. Die Planer und Fachverwaltungen sollten vielmehr wie bisher die gesetzlich geregelten Anforderungen wahren. Dann können sie allerdings guten Mutes sein, daß nicht jeder Verfahrensfehler sogleich zur Nichtigkeit der Planung fUhrt. Wenn nicht so verfahren wird, dann wird es Korrekturen geben, und diese Korrekturen sehe ich jetzt im Naturschutzbereich aufdämmern, wenn sie an die A-20-Entscheidung des BVerwG denken. Sie sehen daher, daß bereits gegengesteuert wird. Und Sie in der Praxis können das nur verhindern, wenn Sie wirklich ordnungsgemäße Verfahren durchfUhren und die Richter nicht bereits aus den Akten die Erkenntnis gewinnen, daß über die Köpfe der Betroffenen hinwegentschieden wird. Wenn so verfahren wird, dann mag auch der politische Wille umgesetzt werden. Die Rechtsprechung gibt dafUr vor allem den Hinweis, sich in der Argumentation auf wesentliches zu beschränken und die vorgetragenen Belange nach ihrem Gewicht zu behandeln (BVerwGE 59, 87). Ein Ratschlag an den Gesetzgeber mag noch angefiihrt werden: Nichts ist schlimmer fUr die Praxis, als wenn dauernd neue Gesetze erlassen werden, deren Inhalt und Reichweite überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen werden können. Auch ein Handwerksmeister wird kaum in der Lage sein, in gewohnter Weise Reparaturen vorzunehmen, wenn in seinem Werkzeugkoffer die Instrumente dauernd ausgetauscht oder kaum auffindbar verlegt werden. Und deswegen müssen wir auch eine gewisse Kontinuität der Vorschriften bekommen und es darf nicht dauernd an dem gesetzlichen Instrumentarium herum laboriert werden. Für die Verwaltung und Rechtsprechung gilt es, das neue Instrumentarium behutsam anzuwenden und das richtige Augenmaß mit dem Ziel der Gewährleistung ausreichender rechtsstaatlicher Garantien zu wahren. Storost: Ich darf das, was Herr Stüer eben gesagt hat, mit Nachdruck unterstützen. Diese gesetzgeberischen Leistungen, die wir heute mehrfach diskutiert haben, sind ein großes Experiment. Und zwar ein Experiment mit dem Rechtsstaat. Wenn das darauf hinausläuft, daß die verfassungsrechtlich unantastbar festgeschriebene Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz in einer relevanten Zahl von Fällen wegen der Zurücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, die ich im Ansatz fUr durchaus verfassungskonform halte, nicht mehr

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funktioniert, werden die Verwaltungsgerichte und - und wie ich hoffe - mit ihnen auch die Mehrzahl aller anderen am Rechtswesen mitarbeitenden Juristen nicht zögern, diese Entwicklung mit dem entsprechenden Nachdruck auch zu bremsen. Denn es kann nicht angehen, daß wir wieder in Zustände zurückfallen, wie wir sie vor der EinfUhrung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland hatten, daß jede Verwaltung nach politischem Gutdünken machen kann, was sie will, ohne Rücksicht darauf, welche Rechte irgendwo bestehen und welche Rechte der Bürger im Einzelfall betroffen sind. Wenn Sie die neuen Bundesländer ansehen, so haben wir eine weit überwiegende Zahl von nach dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und den einschlägigen Fachplanungsrechten ablaufenden Prozessen, die von Bürgern aus dem Westen Deutschlands, also aus den alten Bundesländern, betrieben werden. Thema sind die Anschlußstrecken, die im westlichen Bundesgebiet gebaut werden, um den Osten entsprechend anzubinden. Die laufen auch nach dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, und die weit überwiegende Zahl von Klägern sind finanziell und juristisch sehr potente Leute aus dem westlichen Bundesgebiet, während im Osten das GefUhl dafUr, daß man so etwas nicht macht, daß man da überhaupt sowieso nichts machen kann, weil das Sache des Staates ist und man gegen den Staat nicht vorgehen kann, also dieses vorrechtsstaatliche Denken, noch unheimlich verbreitet ist und dazu fUhrt, daß in relevanter Zahl überhaupt keine Klagen erhoben werden. Das sollte nicht Vorbild sein fUr einen Rechtsstaat, der bisher jedenfalls in den letzten 40, 50 Jahren seines Bestehens auf all diese Dinge sich etwas zugute gehalten hat, und ich möchte dringend davor warnen, daß man die Wiedervereinigung zum Vorwand nimmt, um nunmehr diesen Rechtsstaat sozusagen wie das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich bin einverstanden damit, daß man Auswüchse, die mehrfach angesprochen worden sind und die allen bekannt sind, auch mit gesetzgeberischen Mitteln bekämpft. Aber das kann nicht so aussehen, daß man dann der Verwaltung plein pourvoir gibt und Gesetze zwar noch auf dem Papier stehen, aber ihre Durchsetzung nicht mehr gewährleistet ist, wenn man das politisch fUr inopportun hält. Schäfer: Ich möchte genau an dem Punkt anknüpfen, was eben schon gesagt worden ist und was auch mein Vorredner aus Frankfurt gesagt hat. Und zwar möchte ich das Stichwort bringen auf die Unterschiedlichkeit zwischen Ost und West. Ich bin nunmehr seit 1993 in den neuen Bundesländern tätig und so ist alles beileibe nicht, Herr Horn, wie Sie das vorher dargestellt haben, daß es als Glanzpunkt gelten kann, wie die Verfahrensbeschleunigung dort betrieben wird, sondern ich sehe dies vielmehr aus einer anderen Warte. Es stimmt schon, was eben angeklungen ist, daß die überwiegende Zahl der Kläger aus dem Westen kommt. Aber man darf nicht vergessen, die Bevölkerung der ehemaligen DDR, die es nicht anders gewohnt war, 50 Jahre lang gesagt zu bekommen,

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Diskussion

was gemacht wird - und so wird es jetzt wieder gemacht. Jetzt genau in diese Phase hinein kommen diese Verfahrensbeschleunigungen rur Planungsvorhaben. Und es gibt dort eben Unternehmensträger oder Planungsträger, die sich aufgrund dieser gesetzlichen Grundlagen teilweise verhalten wie die Axt im Walde. Wir haben teilweise mit den Klagen dieser Bürger zu tun, die sich dann letztendlich in der Art artikulieren, daß sie sagen, es hat sich im Prinzip nichts geändert. Also die Politik- und Rechtsverdrossenheit steigt. Stüer: Ich unterstütze das, was Herr Storost gesagt hat, uneingeschränkt. Die Einzelheiten der verfahrensmäßigen Garantien sind zwar nicht verfassungsrechtlich abgesichert, sondern unterliegen der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers. Es stellt sich daher zunächst einmal die Frage der politischen Vernünftigkeit. Wenn die eingeräumten Spielräume einseitig zu Lasten des Bürgers und der Umwelt ausgenutzt werden, dann sehe ich die Zeiten wiederkommen, daß die Jechtsstaatlichen Anforderungen wieder stärker angezogen werden. Rechtsstaatliche Planung darf sich nicht auf die Beurteilung der Belange der Klageberechtigten beschränken, sondern muß sich aus sich heraus verstehen. Und wenn der richtige Mittelweg eingehalten wird, dann darf auch die Verwaltung sich getrost darauf verlassen, daß nicht jeder kleine Fehler zur Rechtswidrigkeit der Planung fUhrt. Vor allem aber geht es rur die Verwaltung darum, die Eingriffsfolgen zu bedenken. Es gibt Verfahren, da werden die Folgen des Handelns überhaupt nicht gesehen. So meinte etwa das Oberverwaltungsgericht Schleswig im Rahmen der Beurteilung des Sofortvollzugs bei der Anordnung von Teilmaßnahmen, daß die Belange der Fischer in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen und dies ausweislich der Anordnung nicht geschehen sei. Es darf dann nicht einfach nach dem Motto verfahren werden, auf entgegenstehende Belange komme es angesichts der Eilbedürftigkeit des Vorhabens nicht an. Auch in solchen Fällen sind die Eingriffsfolgen vielmehr zu bedenken. Nichts anderes ist die erste Stufe der Abwägung, die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und das Bedenken der sich durch die Planung ergebenden Auswirkungen. Die Planung muß daher handwerklich in Ordnung sein, dann wird sie auch vor Gericht Bestand haben.

Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Schlanken Staat Von Heribert Schmitz In der Koalitionsvereinbarung von CDU / CSU und F.D.P. vom November 1994 wurde die Verschlankung des Staates - insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Förderung des Wirtschaftsstandorts Deutschland - als vorrangiges Politikziel für die jetzt dem Ende zugehende 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages ausgewiesen. Schon hierbei richtete sich der Blick der Koalitionspolitiker auf das Verwaltungsverfahrensreche . Das Interesse hat seitdem nicht nachgelassen: Ein Ende der Verfahrensbeschleunigung ist noch nicht in Sicht. Die für Verwaltungsverfahren weiter vorgesehene Schlankheitskur sieht als Diät u.a. Verringerung behördlicher Prüfungstiefe bei Risikoverlagerung auf Antragsteller2 und "Partnerschaft im Genehmigungsverfahren" als behördliches Umdenkungsziee vor. Über die Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung und zur Verschlankung des Staates gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen:

Ein Mitglied des Bundestages aus Bayern beschrieb bei der Vorbereitung des sog. Beschleunigungspakets seine Vorstellung eines effektiven Genehmigungsverfahrens in etwa so: "Da ruft mich ein Unternehmer, der in meinem Wahlkreis investieren will, an und erzählt mir, was er plant. Ich rufe nun den Landrat an oder auch die Leiter der zuständigen Fachbehörden. Dann bekommt der Unternehmer seine Genehmigung in wenigen Tagen, kann loslegen und Arbeitsplätze schaffen. " Ein Regierungspräsident, der vom Niederrhein stammt, wird bei einer Anhörung vor Ausschüssen des Bundestages mit Vorhaltungen eines Industrievertreters über zu lange Genehmigungsverfahren konfrontiert. Er erwidert hierzu: "Ich höre zum ersten Mal hier von einem Vertreter dieser Firma vor den Aushierzu Schmitz I Wessendorf, NVwZ 1996,955 (956). Vgl. die Versicherungsmodelle von Bohne, DVBI. 1994, 195; Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (Speyerer Forschungsberichte Bd. 164), 1997, S. 96 ff. J Vgl. Sachverständigenrat "Schlanker Staat", Abschlußbericht Bd. I (1997), 1 Näher

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schüssen des Bundestages längere beredte Klage. Sie hätten die Gelegenheit nehmen sollen, sich bei mir zu beklagen als Chef einer Behörde, die für Genehmigungen zuständig ist, und zwar zu einem richtigen Zeitpunkt. Ich wundere mich, daß man sich hier dazu jetzt einläßt. ,,4 Auf die Bemerkung des Ausschußvorsitzenden, das sei durchaus erlaubt, im Bundestag gelte das freie Wort, repliziert unser Regierungspräsident: "Aber nur, wenn er mich vorher angerufen hat. " Die geschilderten Anrufvarianten mögen der Verfahrensbeschleunigung dienen. Wenn man sie rechtlich qualifizieren will, dürfte man sie dem informellen Verfahren zurechnen. Informelles Verwaltungshandeln und Verlagerung von Genehmigungsverantwortung in den privaten Bereich kennzeichnen aktuelle Tendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht. Gestatten Sie mir jedoch zunächst einige Ausführungen zum formellen Verfahren in der Form, die es durch die Initiative der Bundesregierung im Jahre 1996 gefunden hat und durch aktuelle Bestrebungen fmden soll.

I. Beschleunigung durch das GenBeschlG Daß im internationalen Wettbewerb um Investitionen die Dauer von Genehmigungsverfahren ein wesentlicher Faktor sei, war schon seit längerem aus Wirtschaftskreisen zu vernehmen. Einschätzungen der tatsächlichen Dauer von Genehmigungsverfahren sind ebenso unterschiedlich wie die vermuteten Gründe hierfür. Es verwundert nicht, wenn die Wirtschaft von einer höheren Verfahrensdauer ausgeht als die Genehmigungsbehörden5• Zwar gibt es in Teilbereichen Angaben über die jeweilige Verfahrensdauer; repräsentative Studien sind jedoch rar6 • Von der Wirtschaft weniger betont werden andere Faktoren wie

4 Protokoll Nr. 31 (13. Wahlperiode) des BT-Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß), S. 57. 5 Hierzu Pein, BB 1996, 1399. Zum "Zeitverbrauch" Fisch, Zeit und Entscheidung Zur Rolle der Zeit bei Genehmigungsverfahren für technische Großverfahren, in: Fisch / Beck (Hrsg.), Abfallnotstand als Herausforderung rur die öffentliche Verwaltung (Speyerer Forschungsberichte Bd. 150), 1995, S. 249 ff.; Steinberg, NuR 1996, 6; Infratest Industria, Empirische Untersuchung der Genehmigungsverfahren für gewerbliche Investitionsvorhaben in Deutschland, Frankreich, England, Italien, Spanien und Belgien sowie ihre Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland - Ableitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Genehmigungsverfahren in Deutschland und deren rechtliche und rechtspolitische Würdigung, Bericht rur den Bundesminister für Wirtschaft, April 1994; Grünbuch zur Innovation der Europäischen Kommission (Bulletin der EU, Beil. 5 / 95), S. 50. 6 Vgl. Krumsiekl Frenzen, DÖV 1995, 1013 (1015 f.). S. auch Schatz, Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland - Vereinfachung und Beschleunigung von Pla-

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Planungssicherheit durch hohen Vertrauensschutz für erteilte Genehmigungen. Die ständigen Klagen und eine offensichtlich unbefriedigende Entwicklung der allgemeinen Wirtschafts lage haben zum Auftrag der Politik an die Regierung gefilhrt, durch eine substantielle Beschleunigung der Genehmigungsverfahren die Attraktivität des Standorts Deutschland für Investitionen zu erhöhen. Wo auch immer dieser Auftrag formuliert wird, findet sich beschwörungsgleich die Formel, daß hierbei jedoch Rechte Dritter oder der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt werden sollen. Am 19.9.1996 ist das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz (GenBeschlG)7 in Kraft getreten8 • Es soll dazu beitragen, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Lassen Sie mich die Kernelemente dieses Gesetzes herausheben: -

Bei materiell rechtmäßigen Entscheidungen soll nicht mehr jeder Verstoß gegen Form-, Verfahrens- oder Abwägungsvorschriften gleich zur Aufhebung der Entscheidung führen.

-

Mit der Straffung des Planfeststellungsverfahrens und der Einführung der Plangenehmigung greift das Gesetz Regelungen aus dem Fachplanungsrecht auf. Da die dort gemachten Erfahrungen überwiegend positiv sind, war es naheliegend, die Regelungen aus dem Fachplanungsrecht in das allgemeine und übergreifend anwendbare Verwaltungsverfahrensgesetz zu übernehmen. Diese Übernahme in das Verwaltungsverfahrensgesetz schafft zugleich auch die Voraussetzungen filr eine zukünftige Rechtsbereinigung und wirkt damit dem häufig kritisierten Auseinanderlaufen des Fachplanungsrechts entgegen.

-

Als dritter wichtiger Bereich wurde durch das Gesetz ein neuer Abschnitt in das Verwaltungsverfahrensgesetz aufgenommen. Dieser Abschnitt sieht für investitionsrelevante Genehmigungsverfahren umfassende Beratungspflichten und beschleunigende Verfahrensmodelle vor. Das dort genannte Sternverfahren und die Antragskonferenz sind ebenso wie die ausführlichen Auskunfts- und Beratungspflichten bereits Gegenstand einer Reihe von Verwaltungsvorschriften und haben sich in der Praxis bewährt. Durch die Normierung der wichtigsten Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung im Verwaltungsverfahrensgesetz wird sowohl im Hinblick auf die Antragsteller als auch hinsichtlich der Genehmigungsbehörden ein größerer Anreiz

nungs- und Genehmigungsverfahren, Vortragsmanuskript, 3. Treffen der Kieler Doctores Iuris, Mai 1995, Nr. 25 f. 7 Hierzu Schmitz / Wessendorf, NVwZ 1996, 955; Jäde, UPR 1996, 361; Bonk, NVwZ 1997,320; Stelkens, in: SteIkens I Bonk I Sachs, VwVfG, 5. Aufl. (1998), Einl Rn. 67; Eckert (0. Fußn. 2), S. 25 ff., 42 ff., 103 ff. 8 BGBI I, S. 1354.

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geschaffen, die neuen Beschleunigungsinstrumente zu nutzen. Zudem wird hierdurch die verstärkte Ausrichtung der Verwaltung auf eine modeme, bürgernahe Dienstleistung dokumentiert9 • Während aus der Verwaltung auf unzureichende Mitwirkung der Antragsteller als Grund für Verfahrensverzögerungen hingewiesen wurde, reagierte der Gesetzgeber durch stärkere Betonung der - auch bislang in § 25 VwVfG normierten - Pflicht zur Beratung durch die Genehmigungsbehörde. Mit den neuen §§ 71a ff. VwVfG werden nun zugleich Elemente bisher informellen Verfahrens verrechtlicht 10. Die weitgehende Harmonisierung, die bisher das Verfahrensrecht des Bundes und 'der Länder prägte, hat sich bewährt. Dieses Prinzip der Einheitlichkeit des Verfahrensrechts und seines Vollzugs 11 in der Bundesrepublik Deutschland 12 erfordert eine unverzügliche Anpassung der LVwVfGe an die Regelungen des GenBeschlG. Da insbesondere wegen § 1 Abs. 3 VwVfG die meisten Genehmigungsverfahren nach Landesrecht abgewickelt werden 13, könnte das Ziel dieses Gesetzes, die Beschleunigung von Verfahren, andernfalls nicht erreicht werden. Dementsprechend sind die Länder laufend über die Arbeiten an dem Gesetzentwurf informiert worden; ihre Äußerungen waren Gegenstand der Beratungen in der Koalitions- / Ressortarbeitsgruppe l4 . Die Bundesregierung hat stets darauf hingewiesen, daß die Übernahme der Regelungen des GenBeschlG in die Landesverwaltungsverfahrensgesetze unabdingbar ist, um eine wirkungsvolle Verfahrensbeschleunigung zu erreichen 15. BM Kanther und der Chef des Bundeskanzleramts haben ihre Länderkollegen nachdrücklich gebeten, für die vollständige Übernahme Sorge zu tragen. Inzwischen hat die Mehrheit der Länder ihre Verwaltungsverfahrensgesetze entsprechend geändert; eine

9 Vgl. Vorblatt des Gesetzentwurfs, A. Zielsetzung, BT-Dr 13 / 3995. S. ferner Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), Einl Rn. 28. 10 Stelkens / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 9 Rn. 162 ff., 164, Graphik vor Rn. 90; Bank, ebda., § 71a Rn. 18. 11 Gern. § 137 Abs. I Nr. 2 VwGO ist die Anwendung einer Vorschrift der LVwVfGe durch das BVerwG revisibeJ, soweit die Vorschrift ihrem Wortlaut nach mit dem VwVfG des Bundes übereinstimmt. 12 Vgl. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), Einl Rn. 60 ff., 86; Bank, ebda., § I Rn. 270; Klappstein / v. Unruh, Rechtsstaatliche Verwaltung durch Gesetzgebung, 1987, S. 136 ff. 13 Vgl. Bank, in: SteJkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 1 Rn. 55. 14 Dazu BundesministeriumjUr Wirtschaft (Hrsg.), Empfehlungen der Arbeitsgruppe aus Vertretern der Koalitionsfraktionen und der Bundesressorts zur Umsetzung der Vorschläge der unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, Juni 1995. 15 Z.B. Vorblatt des Gesetzentwurfs, Buchst. D, BT-Dr 13 /3995. Auch MdB Schlee (CDU) in der 2. /3. Lesung im Bundestag, BT-StenBer.-Plenarprot. 13 / 116, S. 10347.

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Übernahme steht noch aus in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen I6 • Durch die Änderungen der VwVfGe soll den Klagen aus der Wirtschaft über eine zu lange Dauer von Genehmigungsverfahren in Deutschland Rechnung getragen werden. Unabhängig von dem tatsächlichen Befund soll das Gesetz auch ein Signal zugunsten eines besseren Investitionsklimas setzen 17. Diese Absicht fordert einige grundsätzliche Bemerkungen zum Einfluß von Verfahrensregelungen auf die Dauer von Genehmigungsverfahren heraus: 1. Grenzen der Beschleunigung durch Verfahrensregelungen

Die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren hat, wie aus dem Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland ersichtlich ist, gegenüber anderen Faktoren eine geringere Bedeutung rur die Investitionsbereitschaft und Innovationsflihigkeit der Wirtschaft l8 . In der Bundesrepublik Deutschland gelten zwar vergleichsweise strenge und weitreichende Vorschriften zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Verschiedene Studien 19 haben aber gezeigt, daß diese Vorschriften in Deutschland - im internationalen Vergleich - keine nennenswerten Standortnachteile bilden. Diese Studien ziehen auch hinsichtlich der ökonomischen Wirkungen des Umweltschutzes insgesamt eine positive Gesamtbilanz. Sie weisen darauf hin, daß bei der Diskussion über die Belastungen durch Umweltschutz eher die allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine tragende Rolle spielen. Das sind die qualitativen Faktoren wie Industriefreundlichkeit, Technikoffenheit an den Investitionsstandorten, Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Betrieben und mit Verwaltungen und nicht zuletzt die Akzeptanz in der Bevölkerung rur bestimmte Techniken. Festzustellen ist, daß auch in anderen Staaten, die den Ruf geringer Regelungsdichte genießen, Umweltauflagen zunehmend an Bedeutung gewinnen. So fiillten die Umwelt- und Nachbarschutzauflagen, die beim Bau des im vergangenen Jahr bei Los Angeles eröffueten Getty-Kunst-Centers zu berücksichtigen waren, einen ganzen Aktenordner20 • Spektakuläre Großprojekte lassen mitunter den Eindruck entstehen, daß Verfahrensvorschriften bürokratischer Selbstzweck und / oder Waffe der jeweiliStand: 1.3 .1998. So Schlee (0. Fußn. 15), S. 10346. 18 Vgl. Schatz, o. Fußn. 6, Nr. 27 ff. 19 Z.B. von DIW, RWI und Prognos; vgl. Bericht der UMK-Arbeitsgruppe "Beschleunigung von ~Ianungs- und Genehmigungsverfahren" vom 11.11.1993; auch Krumsiekl Frenzen, DOV 1995, 1013 (1015). 20 S. art - Das Kunstmagazin, Heft 12 / 1997, 14 (26). 16

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gen Projektgegner sind. Dabei gerät leicht die Tatsache aus dem Blickfeld, daß das Verfahren und insbesondere die Öffentlichkeitsbeteiligung konsensstiftend wirken sollen 21 • Im weitaus größten Teil der Fälle wird dieses Ziel auch erreiche 2• Anders ist es bei den Projekten, bei denen die Grundauffassungen in der Gesellschaft diametral gegenüberstehen. Konflikte, die hier liegen, lassen sich durch Verfahrensvorschriften nicht beheben. Gerade bei großen Verkehrsprojekten gewinnt das Begriffspaar "Ökologie - Ökonomie" Freund-FeindCharakter. Verfahren können ihrem Zweck nicht dienen, wo Kompromißbereitschaft - wie bei der Fundamentalopposition gegen technische Großvorhaben nicht existiert. Vorschläge, die allein am Verfahren ansetzen, sind letztlich nicht zielführend. Mehr Erfolg als vom Versuch, Verfahren zu verbessern, ist von der Modifizierung materiell-rechtlicher Anforderungen zu erwarten. Dabei muß deutlich werden, daß die Entscheidung über die grundsätzliche Zulässigkeit von Vorhaben bereits vom Gesetzgeber getroffen ist und im Verwaltungsverfahren nicht mehr zur Disposition steht. Ebenso muß klar sein, daß Akzeptanz kein Synonym für die Herstellung einer allgemeinen Zufriedenheit ist, sondern vielmehr die Hinnahme einer Entscheidung bedeutet, die - obwohl sie rechtmäßig ist - mitunter den Betroffenen gerade nicht überzeuge3 • 2. Einfluß des materiellen Rechts In erster Linie gestalten sich die Genehmigungsverfahren deshalb komplex und zeitraubend, weil ein hoher Prüfungsaufwand infolge der kaum noch überschaubaren materiell-rechtlichen normativen Vorgaben betrieben werden muß. Auch der internationale Vergleich läßt Zweifel aufkommen, ob ein optimaler Umweltstandard perfektionistische Rechtsnormen, überdifferenzierte Verwaltungsvorschriften und technische Regelwerke im derzeitigen Umfang erfordert. Deutschland verfügt bereits jetzt über ein überreguliertes Umweltschutzrecht, das durch die Implementation von EG-Richtlinien noch zusätzlich kompliziert wird und zum Teil schon vollzugsuntauglich ist. Die Vielfalt der Regelungen stellt ein unüberschaubares Geflecht von Bestimmungen, Vorschriften und Ausnahmeregelungen dar, die zum Teil schlicht unverständlich sind. Mehr spricht dafür, daß auch bei einer Entfeinerung dieser Regelwerke die Umweltstandards zumindest gehalten werden können. Dieser Zusammenhang von materiell-rechtlichem Prüfungsumfang und der Dauer von Verwaltungsverfahren darf nicht aus dem Auge verloren werden. Wenn auch wesentliche Beschleuni2\

So auch U. Becker, VerwArch 87 (1996),581 (607). .• A.A. Krumsiek / Frenzen, DOV 1995, 1013 (1014): Erwartung größerer Akzeptanz habe sich zum großen Teil nicht erfllllt. 23 S. Stelkens / Schmitz, in: Stelkens I Bonk I Sachs (0. Fußn. 7), § 9 Rn. 179, § 10 22

Rn. 24.

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gungspotentiale, die in der Handhabung der Verfahren liegen, bisher keinesfalls ausgeschöpft sind, so kann es eine durchgreifende Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren unter Beibehaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen nicht geben. Weitere Beschleunigungseffekte können daher durch eine Änderung des materiellen Rechts erzielt werden 24 • 3. Befristung von Gesetzen Eine Idee zur Verringerung der Normenflut, die immer wieder auftaucht, möchte ich hier kurz streifen: die Befristung der Geltungsdauer von Gesetzen. Die Propagandisten dieser Idee von sog. Zeitgesetzen fUhren an, eine Befristung zwinge den Gesetzgeber zur ständigen Kontrolle der bestehenden Normen auf ihren Sinn und ihre tatsächliche Wirksamkeit hin 2s • Dieser Auffassung wird sich ein Gesetzgebungspraktiker kaum anschließen können. Zwar wäre bei Zeitgesetzen der gewünschte Kontrollvorgang institutionalisiert; ob er dann tatsächlich inhaltlich wahrgenommen würde, ist eine andere Frage. Für Parlament und Regierung dürften die aus einer Befristung erwachsenden Aufgaben nur bei einer erheblichen Erhöhung der personellen und sachlichen Mittel zu bewältigen sein. Zu groß wäre jedenfalls die Gefahr, daß z.B. wegen veränderter Mehrheitsverhältnisse im Parlament oder aktueller Überlastungen im federführenden Ministerium eine erforderliche nahtlose Verlängerung der Geltungsdauer nicht bewirkt werden könnte. Den Rechtsunterworfenen ist die damit verbundene Unsicherheit nicht zuzumuten 26 .

11. 2. VwVfÄndG Für das VwVfG selbst war durch das GenBeschlG der Reformbedarf noch nicht erschöpft27 • Zwei Problemfälle, die rur die Verwaltungspraxis von aktuel-

24 So auch Ronellenfitsch und Kutscheidt bei den Vierten OsnabrUcker Gesprächen zum deutschen und europäischen Umweltrecht, vgl. Tagungsberichte Holle / Scholz, UPR 1996, 377 (378, 379), und Szczekalla, ZG 1996, 284. Ebenfalls Krumsiek / Frenzen, DÖV 1995, 1013 (1024). 25 Vgl. nur Baumeister, Das Rechtwidrigwerden von Normen, 1996, S. 395. 26 Schmitz, ZG 1996, 204 (205). 27 Zur allgemeinen Reformdiskussion Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, 1993; Bonk, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § I Rn. 272 ff.; B1ümel / Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, passim; Klappstein, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht, 1994, S. 163 f.; Bülow, Fortentwicklung des Verwal-

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ler Bedeutung sind, sollen in einem nächsten Schritt durch das Zweite Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften28 gelöst werden. 1. Änderung von § 61 Abs. 1 VwVfG

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 3.3.1995 29 entschieden, daß die Unterwerfung eines Bürgers unter die sofortige Vollstreckung aus einem mit der Behörde geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag nur wirksam ist, wenn a) die Behörde bei Vertragsschluß durch den Behördenleiter, seinen ständigen Vertreter oder einen Volljuristen vertreten30 und b) die Unterwerfung von der Aufsichtsbehörde genehmigt wird. Der Wortlaut des § 61 Abs.l Satz 2 VwVfG war von der Verwaltungspraxis bisher in dem Sinne ausgelegt worden, daß die vorgenannten Voraussetzungen nur vorliegen müssen, wenn die Behörde sich einem Bürger unterwirft31 • Die qualifizierte Vertretung soll dem Schutz der Behörden dienen; durch das Erfordernis der aufsichtsbehördlichen Genehmigung sollen die fiskalischen Interessen des Rechtsträgers der vertragschließenden Behörde gewahrt werden. Praktische Relevanz hat die Unterwerfungserklärung vor allem bei folgender Fallgestaltung: Die Behörde schließt statt einen Verwaltungsakt zu erlassen - mit dem Bürger unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Zur Sicherung der Vertragserfüllung durch den Bürger wird eine Vertragsstrafenunterwerfung vereinbart. Die verschärften Bedingungen des Bundesverwaltungsgerichts machen nun dieses Instrument für die Behörde praktisch unbrauchbarn. Der handelnde Sachbearbeiter müßte in jedem Einzelfall seine Aufsichtsbehörde einschalten. Dies bedeutete erheblichen Verwaltungsmehraufwand und tungsverfahrensrechts unter besonderer Berücksichtigung des Planfeststellungsrechts, 1996, passim. 28 BT-Dr 13 / 8884. 29 BVerwGE 98, 58 = NJW 1996, 608; vgl. auch die Besprechung von Hans Meyer, JZ 1996, 78. Ebenso VGH Kassel, ESVGH 46, 281. 30 VGH Kassel, o. Fußn. 29: Eine Bevollmächtigung von Personen, die nicht zu diesem Personenkreis gehören, ist unzulässig. 3\ So auch Bonk, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 61 Rn. 19 f., 22; Hans Meyer in: Meyer / Borgs, VwVfG, 2. Aufl. (1982), § 61 Rn. 8 und 12; a.A. Ule / Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. (1995), § 72 Rn. 22 f.; differenzierend Henneke, in: Knack, VwVfG, 5. Aufl. (1996), § 61 Rn. 5 f., und Obermayer, VwVfG, 2. Aufl. (1990), § 61 Rn. 18, 28, 32 f., (nur aufsichtsbehördliche Genehmigung erforderlich); Kopp, VwVfG, 5. Aufl. (1991), § 61 Rn. 6 ff., (nur Vertretung durch Behördenleiter oder Volljuristen erforderlich; wie hier jetzt aber wohl 6. Aufl. (1996), § 61 Rn. 7). Das Problem besteht auch rur die gleichlautende Vorschrift des § 60 SGB X. 32 Kunig, JK 96, VwVfG § 61 1/ 1, schließt nicht aus, daß die Entscheidung insgesamt von der überkommenen Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz des öffentlichrechtlichen Vertrags als Handlungsform geprägt ist.

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liefe zudem allen Beschleunigungsbestrebungen zuwider. Schnellstmögliche Abhilfe durch eine gesetzliche KlarsteIlung erscheint deshalb angezeigt. 2. Änderung von § 33 VwVfG Der zunehmende IT-Einsatz bei der Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen hat das Bedürfnis der Beglaubigung von Computerausdrucken deutlich werden lassen. Hier bietet sich eine Regelung an, die der bereits rur das Verwaltungsverfahren des SGB in § 29 Abs. 4 SGB X getroffenen entspricht.

III. Weitere Entwicklung 1. Anpassung von Abgabenordnung und Sozialgesetzbuch X Aus dem Anwendungsbereich des VwVfG ausgenommen sind nach dessen § 2 Abs. 2 u.a. Verfahren nach der Abgabenordnung und nach dem Sozialgesetzbuch, da die betreffenden Verwaltungsverfahren nach Auffassung des Gesetzgebers zu starke Besonderheiten aufweisen. Trotzdem ist es bisher gelungen, große Bereiche der drei parallelen Kodifikationen anzugleichen und koordiniert fortzuentwickeln 33 • Deshalb wird auch jetzt zu prüfen sein, welche Änderungen des VwVfG durch das GenBeschlG Folgeänderungsbedarf in Abgabenordnung und SGB X begründen. 2. Rechtsbereinigung Bemühungen zur Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, mit denen inhaltlich übereinstimmende oder entgegenstehende Spezialregelungen angepaßt werden sollen, stoßen regelmäßig auf den Widerstand der davon Betroffenen 34. Im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts wurden bei etwa drei Viertel der anpassungsfähigen Gesetzesvorschriften und etwa sieben Achteln der Vorschriften in Rechtsverordnungen fachliche Einwände gegen eine alsbaldige Vereinheitlichung vorgebraches. 33 Als "Drei-Säulen-Theorie" bezeichnetes System der drei Verfahrensgesetze nebst entsprechenden gerichtlichen Verfahrensordnungen; vgl. Stelkens. in: Stelkens I Bonk I Sachs (0. Fußn. 7), Einl Rn. 68 ff. 34 Vgl. Krumsiek/ Frenzen, DÖV 1995, 1013 (1015). 35 Bonk, DVBI 1986, 485 (489).

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Diese Vorbehalte sind jedenfalls insofern berechtigt, als insbesondere Beschleunigungsaspekte - etwa im Verkehrswegeplanungs- und im Asylverfahrensrecht - vom allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht abweichende Regelungen erzwingen können. Die Frage, ob und wie weit Abweichungen erforderlich sind oder nicht, läßt sich sinnvoll nur aus fachlicher Sicht entscheiden. Aus verwaltungsverfahrensrechtlicher Sicht ist Vereinheitlichung jedenfalls kein Selbstzweck36 . Vielmehr dürfte weiter folgendes richtig sein: "Eine totale Vereinheitlichung muß kein erstrebenswertes Ziel sein. Unität rur sich genommen ist noch keine Garantie für Qualität und Fach- und Sachgerechtigkeit. Insofern kann notwendiges bereichsspezifisches Recht nicht einfach zugunsten einheitlicher Regelungen abgeschafft werden, zumal die strengen verfassungsrechtlichen Gebote der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und insbesondere die neuen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Grundrechtskonformität des Verwaltungsverfahrens detaillierte Regelungen geradezu bedingen und einer zu weitgehenden Pauschalierung entgegenstehen. Deshalb sind kleinere, fachgerechte und durchsetzbare Änderungen und Anpassungen nach Maßgabe der jeweiligen Materie unter den gegebenen Umständen einer umfassenden, aber nicht durchsetzbaren Lösung vorzuziehen. Verfahrensrechtsvereinheitlichung und Rechtsbereinigung bleiben Daueraufgabe rur die Gesetzgeber von Bund und Ländern.,,3? Für den Sachbearbeiter in der Genehmigungsbehörde birgt die Anwendung unterschiedlichen Verfahrensrechts Unsicherheit und potentielle Fehlerquellen, damit auch höheren Zeitverbrauch38 . Die Behörde ist, wenn sie diese Fehlerquellen ausschalten will, an der personal wirtschaftlich erwünschten und kostenmindernden flexiblen Verwendung des vorhandenen Personals gehindert; statt dessen benötigt sie mehr und stärker spezialisiertes Personal. Sie können das vergleichen mit der Arbeit in einer Autowerkstatt: Solange die verschiedenen Schraubengrößen überschaubar sind, besteht eine gewisse Sicherheit, daß der Monteur zum richtigen Schraubenschlüssel greift und die Muttern fest anzieht. Bürger oder investierende Unternehmen können sich regelmäßig die Beschäftigung besonderer Planungsspezialisten nicht leisten. Für sie wird die Verfahrensteilhabe erschwert, was wiederum die Akzeptanz der Verfahrensregelung mindert.

36 Wahl, in: Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des VerwaItungsverfahrensrechts, 1983, S. 26 ff.; Pietzcker, VVDStRL 41 (\ 983), 193 (210), jeweils m.w.N. 37 Bonk, DVB11986, 485 (492, 493). 38 So auch Münch, NJW 1996, 3320 (3322).

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Beispielhaft sei hier nur ein - kaum begrUndbarer - Fall unterschiedlicher Regelung eines gleichen Sachverhalts angefUhrt. § 74 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 VwVfG bestimmt nun, daß an Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung dann erteilt werden kann, wenn Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden. Diese Fassung entspricht den nun überflüssigen Regelungen in § 18 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz, § 14 Abs. la Bundeswasserstraßengesetz und § 8 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz (jeweils i.d.F. des Planungsvereinfachungsgesetzes). Demgegenüber kommt nach § 17 Abs. la Bundesfernstraßengesetz und § 28 Abs. la Personenbeforderungsgesetz (gleichfalls i.d.F. des Planungsvereinfachungsgesetzes) die Plangenehmigung auch dann in Betracht, wenn Rechte anderer "nicht wesentlich" beeinträchtigt werden. Fachliche Gründe für diese Besonderheit mögen behauptet werden39 , bei Abwägung mit dem höheren Anwendungsaufwand kann das Ergebnis - Rechtsbereinigung - kaum zweifelhaft sein. Mit dem GenBeschlG sind in das VwVfG zahlreiche Elemente des Planungsvereinfachungsgesetzes und des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes übernommen worden. Damit werden deren einschlägige Vorschriften zu überflüssigen Spezialregelungen, die es nun entsprechend der Vorgabe des Bundestages bei der Verabschiedung des VwVfG, eine weitgehende Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts anzustreben40, zu beseitigen gl·1t41 . Auch der Zweite Bericht der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes zur Entlastung der Unternehmen, Bürger und Verwaltungen von administrativen Pflichten (sog. WaffenschmidtKommission) empfiehlt der Bundesregierung, eine Refonn des Verwaltungsverfahrensrechts in Angriff zu nehmen mit dem Ziel, den Bestimmungen des VwVfG wieder eine möglichst breite Anwendung zu verschaffen42 • Die Zersplitterung des Verfahrensrechts konterkariert alle Beschleunigungsbestrebungen insbesondere dann, wenn für die unterschiedlichen Regelungen sachliche Gründe nicht erkennbar sind. Geboten ist der Wechsel von der Augenblicksund Stimmungsgesetzgebung zurück zur Kodifikation 43 •

39 Manchmal auch nicht einmal dies: s. Nr. 8 der Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des GenBeschlG (0. Fußn. 9), S. 13. 40 Entschließung des Bundestages vom 15.1.1976, s. Stelkens. in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), Einl Rn. 80. 41 S. auch Blümel. Protokoll BT-Umwelt 13 / 31 (0. Fußn. 4), I S. 24; Franßen. ebda., S. 26. 42 Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Unnötiger Aufwand durch Vorschriften (11), 1996, S. 65. 43 Kirchhof, DStR 1989,263 (269); Münch, NJW 1996,3320 (3321).

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3. Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern Bei der Vorbereitung weiterer Änderungen des VwVfG sollte wieder zu der bewährten Praxis zurückgekehrt werden, daß nach wissenschaftlicher Vorbereitung von den hierzu fachlich qualifizierten Experten (Le. die Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern) ein Musterentwurf rur die Simultangesetzgebung von Bund und Ländern44 erstellt wird. Um die Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussion nutzbar zu machen, ist eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit durch Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium des Innern vorgeschlagen worden45. Bundesinnenminister Kanther hat Ende 1997 einen solchen Beirat berufen. Ihm gehören indes nicht nur Wissenschaftler an. Der anzustrebenden Praxisnähe kommt die Mitwirkung von Vertretern der betroffenen Kreise zugute. Der Beirat fördert den Dialog zwischen Wirtschaft, Verwaltung, Anwaltschaft und Justiz. Ich bin sicher, daß er wichtige Impulse für die Fortentwicklung des Verwaltungsrechts geben wird. 4. Privatisierung Wir haben uns bisher mit der Beschleunigung innerhalb der Verwaltung beschäftigt. Zunehmend gerät als Alternative in den Blick die Verlagerung des Verfahrens aus der Verwaltung in den privaten Bereich. Unbefriedigende volkswirtschaftliche Entwicklung und knappe öffentliche Finanzmittel geben der Privatisierungsdiskussion weiteren Auftrieb. Daß der Umfang der Privatisierung einen gravierenden Wandel der Staatsfunktion46 mit sich bringen wird, ist bereits jetzt erkennbar. Das hierauf zielende Schlagwort "Schlanker Staat" ist indes ebenso unscharf wie das Ziel des Wandels47 • Die Vorprägungen aus der politischen Diskussion beziehen sich vielfach auf - zumeist nur behauptete - Vor- und Nachteile von Privatisierungsmaßnahmen48 • So wurde schon früh eine Entfernung aus dem juristisch verifizierbaren Bereich beklagt49 • Für eine Privatisierung wird regelmäßig geltend gemacht, daß die jeweilige Aufgabe, Hierzu Klappstein, in: Knack (0. Fußn. 31), Rn. 1.2 vor § 1. S. Klappstein, Rechtseinheit (0. Fußn. 27), S. 149 ff.; ders., in: Knack (0. Fußn. 31), Rn. 6 vor § 1; Blümel, Protokoll BT-Umwelt 13 / 31 (0. Fußn. 4), I S. 32 f.; Kopp, DOV 1995, 434. 46 Als Eckpunkte einer Modernisierung staatlichen HandeIns werden - neben der Privatisierung - genannt: Vereinfachung, Beschleunigung und Kostenminimierung. V gl. Hofe / Müller, BayVBI 1995, 225. 47 S. auch Stelkens, NVwZ 1995, 325 (331). 48 Schach, DVBI 1994, 962. 49 Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 13 7 (152). 44 45

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die bisher der Verwaltung oblag, von Privaten schneller, besser, flexibler und wirtschaftlicher wahrgenommen werden kann. Vielfach lassen die Bemühungen um Privatisierung ein tiefes Mißtrauen gegen Kraft und Fähigkeit von Staat und Verwaltung erkennen oder sind von eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht frei 50. Demgegenüber besorgen Kritiker einer Privatisierung, daß die Zuverlässigkeit der Aufgabenwahrnehmung, der Schutz von Drittbetroffenen, die Umweltverträglichkeit der Aufgabenerledigung, die Sozialverträglichkeit des Entgelts u.a. nicht gewährleistet seien51 • Die "Verschlankung des Staates" setzt die Reduzierung und Begrenzung staatlicher Aufgaben auf den Kernbereich voraus. Ein Ziel ist, in der Ministerialverwaltung die politischen Steuerungskräfte zu stärken, ihnen mehr Flexibilität im Hinblick auf neue Aufgaben einzuräumen und sie von dem Ballast der alltäglichen Verwaltungsarbeit zu befreien. Den Kernbereich festzulegen, liegt allein im Ermessen des Gesetzgebers. Dieses Ziel kann nicht mit einem quantitativen Maßstab erreicht werden; es kann nicht um eine pauschale Streichung z.B. von 10% aller Aufgaben gehen, sondern es muß ein rationaler Kompetenz- und Verfahrensmaßstab gefunden werden, der zu einer qualitativen Aufgabenkritik fUhrt. Grundlage hierfUr ist das Prinzip der offenen Staatsaufgaben, d.h. daß allein der Gesetzgeber in eigenem Ermessen entscheidet, welche Aufgaben und ggfs. in welcher Form er diese wahrnehmen will. Dementsprechend sind als rationale Maßstäbe z.B. die Grundsätze der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit, der fmanziellen Leistbarkeit oder das Subsidiaritätsprinzip geeignet. Irrational erscheint mir dagegen das Bemühen mancher Kommunen, hoheitliche Aufgaben in privater Verpackung anzubieten. Ich zitiere beispielhaft aus dem Schreiben eines Beigeordneten einer Ruhrgebietsgroßstadt: Danach arbeitet diese Stadt "im Rahmen der Verbesserung des städtischen Dienstleistungsangebotes und Förderung der Kundenorientierung an einem Konzept, Eheschließungen durch besondere Serviceleistungen der Standesbeamten attraktiver zu gestalten und sich stärker an den Wünschen und Vorstellungen von Brautleuten zu orientieren". Weiter fUhrt der Verfasser aus: "Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich betonen, es geht dabei um neue Formen für die Eheschließung, die im Gegensatz zu der bislang praktizierten 'preußischen Hochzeit' als hoheitlichen Rechtsakt kundenfreundlich und sympathisch sind und einem gewandelten Zeitgeist entsprechen. " Daß es diesem Beigeordneten auch ums Geld geht, belegt die Feststellung in seinem Schreiben, "daß interessierte Brautpaare sich eine besondere Leistung durch50 51

Hierzu Heuer, DÖV 1995, 85, 86. Vgl. Stelkens / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § I Rn. IOl.

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aus 'etwas kosten lassen' Am Rande sei bemerkt, daß mir eine Eingabe vorliegt, in der die gänzliche Privatisierung der Eheschließung vorgeschlagen und die Übernahme der Organisation angeboten wird. H.

Wenn die um sich greifende Modernisierungsrhetorik die Stadt mit der Etikette "Konzern" versieht oder in den Ansätzen einer "neuen" Verwaltung die Prinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung widergespiegelt wissen will, werden die kulturellen Grundlagen der deutschen Administration einschließlich ihrer spezifisch rechtsstaatlichen Anforderungen an die Leitungsstrukturen (= Hierarchie) vernachlässigt. Verwaltungen und der Staat sind keine Aktiengesellschaften52. Der Begriff Privatisierung umfaßt rechtlich verschieden zu bewertende Sachverhalte. Zu unterscheiden sind zunächst formelle und materielle Privatisierung. Als weitere Privatisierungstypen werden im neueren Schrifttum die Vermögensprivatisierung und die funktionale Privatisierung genannt53 . Noch größer wird die Typenvielfalt bei Berücksichtigung von Möglichkeiten der Teilprivatisierung54 . Hierzu gehört auch die Beauftragung externer Projektmanager. Durch die Beauftragung externer Projektmanager sollen Aufgaben der Verwaltung in Teilbereichen auf Private übertragen werden. a) Formelle Privatisierung

Bei der formellen Privatisierung (Organisationsprivatisierung)55 bedient sich der Verwaltungsträger zur Aufgabenwahrnehmung der Formen des Privatrechts, z.B. durch Schaffung von Eigengesellschaften. Privatisiert wird nur die Organisation der Aufgabe, nicht die öffentliche Aufgabe selbst. Die Verwaltung soll hier von den Fesseln des öffentlich-rechtlichen Organisationsrechts 52 So zutreffend Pitschas, Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsrecht im "schlanken Staat", VM 1996, 4 (5). 53 Vgl. Wahl, DVBI 1993,517 (518 f.); Schoch, DVBI 1994,962; Hoppe / Bleicher, NVwZ 1996,421 (422). 54 Zusammenstellung der unterschiedlichen Beteiligungstypen bei Wolff / Bachof / Stober 11,5. Aufl. (1987), § 104a; König, Entwicklung der Privatisierung, VerwArch 79 (1988), 241; Gramlich, Öffentliche Unternehmungen im Verfassungsstaat, BB 1990, 1493; Stober, NJW 1984, 449; Goerlich / Hegele, in: Stober (Hrsg.), Handbuch des sächsischen Staats- und Verwaltungsrechts, 1996, § 3 Rn. 35 ff.; Gusy, DÖV 1984, 872; v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982; kritisch: Ehlers, Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, JZ 1990, 1089 (1094); Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986; Steiner, Privatisierung der Nebenbetriebe an Bundesautobahnen, NJW 1994, 1712; Brohm, Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand und Wettbewerb, NJW 1994,281; Schneider, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht (Tagungsbericht), DVBI 1995, 837. Zu Einzelheiten ferner Stelkens / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 1 Rn. 101 ff. 55 S. Stelkens / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 1 Rn. 104 ff.

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befreit werden, um - u.a. - flexibler und kostengünstiger handeln zu können; so bei Personalbeschaffung, Personaleinsatz und Personalentlohnung56 . Diesen Vorteilen stehen in der Praxis vielfach auch nicht unwesentliche Nachteile gegenüber. Neben der reduzierten demokratischen Kontrolle solcher Eigengesellschaften zählt hierzu, daß Leitungsfunktionen häufig fachfremd - z.B. mit ehemaligen Kommunalpolitikern - besetzt werden, wobei die Gehälter an denen der echten Privatwirtschaft orientiert sind57 . Tatsächlich fUhrt die fonnelle Privatisierung zu schleichendem Kompetenzverlust der öffentlichen Verwaltung, deren Einfluß zu mindern gerade auch Motiv fUr die Organisationsänderung ist58 . Vielfach erscheint deshalb die materielle (echte) Privatisierung vorzugswürdig, soweit eine Aufgabenverlagerung rechtlich zulässig ist. b) Materielle Privatisierung

Eine wirkliche Aufgabenverlagerung findet bei der materiellen Privatisierung (Aufgabenprivatisierung)59 statt. Die Aufgabe als solche wird von der öffentlichen Verwaltung aufgegeben. Die Verwaltung selbst ist zur Aufgabenprivatisierung in der Lage, soweit keine gesetzliche Aufgabenzuordnung entgegensteht. Handelt es sich um Pflichtaufgaben der öffentlichen Verwaltung, bedarf die Privatisierung einer gesetzlichen Grundlage60 . Auch dabei wird jeweils zu prüfen sein, ob und wie eine fortbestehende Verwaltungsverantwortung zu gewährleisten ist. Die Aufgabenprivatisierung schließt hier regelmäßig die Nonnierung von steuernden und kontrollierenden Rechtsvorschriften ein 61 . So werden auf Vollzugsebene Überwachungsinstitutionen geschaffen und mit Regulierungsaufgaben betraut62 . Privatisierung vennindert jedenfalls den Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensrechts. Einer Klärung im einzelnen bedürfen noch zahlreiche

56 Zu weiteren Motiven rur privatrechtliche Organisation und zu möglichen Nachteilen Wolf! I Bachof1Stober 11 (0. Fußn. 54), § 104a Rn. 13 f. 57 S. auch Heuer, DÖV 1995, 85 (87 f.). 58 Schoch, DÖV 1993,377 (382); auch Bu/l, VerwArch 86 (1995), 621 (629). 59 S. Stelkens I Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 1 Rn. 109 ff. 60 Schoch, DVBI 1994,962 (974). 61 Wahl, DVB11993, 517 (519). 62 Beispiel: Regulierungsbehörde rur Telekommunikation und Post als Bundesoberbehörde gern. § 66 TKG. Die Regulierung der Telekommunikation wird sowohl in § 1 des G über die Regulierung des Postwesens und der Telekommunikation als auch in § 2 TKG als hoheitliche Aufgabe des Bundes deklariert. Ziele der Regulierung sind u.a. Wahrung des Fernmeldegeheimnisses, Sicherung des Wettbewerbs, Gewährleistung der Grundversorgung, Wahrung der Interessen der öffentlichen Sicherheit (§ 2 Abs. 2 TKG).

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Fragen zur Überleitung von zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Rechten der öffentlichen Hand auf Private wie Betretungs- und Besichtigungsrechten oder umgekehrt - von Rechten der Bürger gegenüber bisher zuständigen Behörden wie Akteneinsichtsrecht oder Beteiligungsrechten Dritter. Ein Äquivalent für den Grundrechtsschutz, der nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern gerade auch durch Verwaltungsverfahren effektuiert wird63 , ist bei privatrechtlicher Abwicklung nicht ohne weiteres gegeben. 5. Aktuelle Initiativen

Im vergangenen Dezember hat der Vorsitzende des Sachverständigenrats "Schlanker Staat", MdB Prof. Scholz, vorgeschlagen, wesentliche - noch offene - Empfehlungen des Sachverständigenrats, die sich für eine kurzfristige Umsetzung eignen, im Rahmen eines Artikelgesetzes noch in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen64 • Hierzu gehören: -

Standardöffnung,

-

Einführung eines "Auditverfahrens" durch Öffnungsklausel im VwVfG,

-

Hinweis auf Möglichkeit des Projektmanagements im VwVfG,

-

Einschränkung der gerichtlichen NachpTÜfbarkeit von Ermessensentscheidungen durch Änderung der VwGO (§ 114a VwGO)65,

-

Privatisierung von bisher bei den Gerichten geführten Registern,

-

Verlagerung von Aufgaben und Zuständigkeiten auf Notare.

Im Rahmen des VwVfG kommen für eine Umsetzung die Vorschläge zur Standardöffnung, zur "Auditierung" und zum Projektmanagement in Betracht. a) Standardöffnung

Standards werden durch Gesetze, Rechtsverordnungen, Erlasse und Verwaltungsvorschriften von Bund, Ländern und Kommunen gesetzt. Zunehmend be63 Vgl. Bonk, in: Stelkens I Bank I Sachs (0. Fußn. 7), § 1 Rn. 33 ff.; Ste/kens ! Schmitz, ebda., § 9 Rn. 49 ff. 64 S. Handelsblatt v. 2.1.1998, FAZ v. 3.1.1998; ferner Sachverständigenrat (0. Fußn. 3), S. 178. 65 S. Art. 3 des Entwurfs (Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern) eines Rechtsvereinfachungs- und Aufbaubeschleunigungsgesetzes, abgedruckt bei RudolJ von Bennigsen-Stiftung (Hrsg.), 8. Banner Fachgespräch: Beurteilungsspielraum der Behörden und richterliche Kontrolldichte (1994), S. 49 ff.; zur Zweckmäßigkeit einer Parallelregelung im VwVfG - § 40a - vgl. Stern, ebda., S. 21.

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ruhen Standards auch auf internationalen Vereinbarungen. Diese Standards, die z.T. als belastend und nicht ausreichend flexibel empfunden werden, dienen u.a. der Vereinfachung des Warenverkehrs, der Konkretisierung von Verkehrssicherungspflichten oder der Verwaltungsvereinfachung. Festzuhalten ist also, daß Verwaltungsvorschriften, in denen die überwiegende Mehrzahl der Standards defmiert ist, nicht apriori überflüssig, sondern im Gegenteil ein wichtiger Beitrag zur Rationalisierung des Verwaltungsvollzugs sind. Daher ist nicht ein blindes Außerkraftsetzen von Vorschriften angesagt, sondern kritische und sorgfaltige Einzelfallprüfung66 • Mecklenburg-Vorpommern hat rur den eng begrenzten Bereich der kommunalen Tätigkeit im eigenen Wirkungsbereich einen Gesetzentwurf erarbeitet, wonach Kommunen durch die oberste Rechtsaufsichtsbehörde von der Verpflichtung zur Einhaltung landesrechtlicher Standards befreit werden können. Als Beispiel sind die Vorgaben fiir Öffnungszeiten und Gruppengrößen in Kindertagesstätten genannt. Die neuen Vorschläge gehen weit über die Initiative von Mecklenburg-Vorpommern hinaus. Danach soll durch eine Öffnungsklausel im VwVfG die Verbindlichkeit von Standards nicht nur fiir die Eigentätigkeit der öffentlichen Hand, sondern insgesamt auch fiir die Privatwirtschaft gelockert werden. Die vollziehende Behörde soll ermächtigt werden, auf Antrag die Abweichung von vorgegebenen Standards zuzulassen, wenn das Ziel auch auf anderem gleichwertigem, aber wesentlich kostengünstigerem Weg erreicht werden kann. Die Öffnung von Standards korrespondiert dabei mit einer höheren Eigenverantwortung der Betroffenen. Von der Flexibilisierung sollen solche Standards ausgenommen werden, bei deren Öffnung Gefahr fiir Leib und Leben entsteht oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefllhrdet wird67 • Das VwVfG eignet sich insoweit rur die Aufnahme einer allgemeinen Öffnungsklausel, die auf die Möglichkeit der durch Fachgesetz zu regelnden Flexibilisierung von Standards hinweist. Daneben können bereichsübergreifende Fragen, die mit der Öffnung von Standards verbunden sind, als Regelungsmodell aufgenommen werden. In Betracht kommen hier allgemeine Verfahrens- und Haftungsvorschriften. Eine weitergehende Regelung scheitert an dem rein subsidiären Charakter des VwVfG (§ I Abs. I VwVfG), der es nicht erlaubt, durch Gesetz oder Rechtsverordnung normierte Standards zu öffnen. Eine mögliche Regelung im VwVfG stellt sich konzeptionell wie folgt dar: -

Bezugnahme auf fachgesetzliche Zulassung der Standardabweichung;

-

Standardöffnung auf Antrag;

-

Beweislast des Antragstellers rur die Gewährleistung des Schutzzwecks auch ohne Einhaltung des Standards; 66 67

Vgl. Rüter, DÖV 1997,908 (910). Vgl. Sachverständigenrat (0. Fußn. 3), S. 79 ff.

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-

Kostentragung durch den Antragsteller fllr ggf. anfallende Zusatzkosten der Behörde;

-

Möglichkeit der Befristung und der Auferlegung von Berichtspflichten;

-

Erleichterungen fllr auditierte Unternehmen.

Die Standardöffnung zielt auf die Beschleunigung von investitionsrelevanten Genehmigungsverfahren. Die Regelung könnte daher als neuer § 71 g in den Abschnitt la "Beschleunigung von Genehmigungsverfahren" aufgenommen werden. b) Auditierung Bisher kennt lediglich der Umweltbereich ein Auditverfahren 68 • Danach können Unternehmen sich freiwillig einer Prüfung durch zugelassene Gutachter unterziehen und werden bei Einhaltung der vorgegebenen Umweltstandards in ein entsprechendes Register eingetragen. Die umfangreichen Regelungen hierzu fmden sich im Umweltauditgesetz und der entsprechenden EG-Verordnung. Konkrete Entlastungen registrierter Unternehmen von Berichts- oder Genehmigungspflichten existieren derzeit noch nicht, so daß insoweit auch keine Erfahrungen in diesem Bereich vorliegen. Der aktuelle Vorschlag zielt sowohl inhaltlich als auch vom Anwendungsbereich über diese Form des Auditverfahrens hinaus. So sollen das Auditverfahren auch außerhalb des Umweltbereichs Anwendung fmden und registrierte Unternehmen nicht nur bei Mitteilungsund Berichtspflichten, sondern im Genehmigungsverfahren selbst entlastet werden 69 • Genehmigungen sollen danach ohne Prüfung der Genehmigungsunterlagen erteilt werden, wenn diese von einem registrierten Unternehmen vorgelegten werden. Dieser Entlastung müssen dabei nach dem Äquivalenzprinzip entsprechend hohe Anforderungen an die registrierten Unternehmen gegenüberstehen. Die Anforderungen werden um so höher sein, je schwerer die Gefahren wiegen, deren Abwehr durch den Genehmigungsvorbehalt abgewehrt werden sollen - atomrechtliche Verfahren verlangen andere Wertungsmaßstäbe als einfache Baugenehmigungen. Wegen der Abhängigkeit einer solchen erweiterten Auditregelung vom Fachrecht kommt fllr das VwVfG nur eine Öffnungsklausel in Betracht, die um allgemeine bereichsübergreifende Regelungen zu ergänzen ist. Entsprechend dem Konzept, das auch dem fOrm lichen Verfahren LS.d. §§ 63 ff. VwVfG zugrunde liegt, bestimmt das Fachrecht, inwieweit hierauf zurückgegriffen wird. Die Fragen, welche inhaltlichen Anforderungen geprüfte Unternehmen zu erfllllen haben, wie deren Prüfung und Registrierung

68 69

Vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 63 Rn. 131. Vgl. Sachverständigenrat (0. Fußn. 3), S. 93 f.

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ausgestaltet wird und in welchem Maße diese entlastet werden sollen, können dagegen nur im Fachrecht selbst geregelt werden. Eine mögliche Regelung im VwVfG stellt sich konzeptionell wie folgt dar: Für Genehmigungsverfahren: -

DurchfUhrung des erleichterten Verfahrens auf Antrag;

-

Erteilung der Genehmigung ohne nähere Prüfung der Antragsunterlagen, wenn der Antragsteller versichert, daß diese vollständig sind und die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen;

-

Prüfungsrecht der Behörde bei begründeten Zweifeln;

-

Mitwirkungspflicht des Antragstellers bei der nachträglichen Prüfung, wenn sich nach Erteilung der Genehmigung Anhaltspunkte ergeben, daß die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorlagen; kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann die Genehmigung ohne weitere Prüfung zurückgenommen werden;

-

Wirksamkeit der Genehmigung unabhängig vom Bestand der Auditierung. Für Überwachungsverfahren:

-

Entfallen der vorgeschriebenen Überwachungsmaßnahmen sowie der Mitteilungs- und Anzeigepflichten auf Antrag;

-

DurchfUhrung der Überwachungsmaßnahmen durch den Antragsteller und deren Protokollierung sowie Aufzeichnung der ansonsten mitteilungs- oder anzeigepflichtigen Daten;

-

Mitteilungspflicht bei abweichenden Meßergebnissen;

-

Widerruf des erleichterten Überwachungsverfahrens bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen. Gemeinsame Regelungen:

-

Nachweis eines ausreichenden Versicherungsschutzes durch den Antragsteller;

-

Pflichtverletzungen der Antragsteller sind an die registerfUhrenden Stellen zu melden.

Die an die Auditierung anknüpfenden Erleichterungen im Genehmigungsverfahren könnten als eine weitere besondere Verfahrensart in einem neuen Abschnitt 1b "Erleichtertes Verwaltungsverfahren" des Teil V "Besondere Verfahrensarten" des VwVfG geregelt werden. Die Substitution von Verwaltungshandeln durch die freiwillige und eigenverantwortliche Beachtung und Einhaltung bestehender Rechtsstandards durch den auditierten Antragsteller entlastet nicht nur die Behörden, sondern fUhrt auch zu einer wesentlichen Verkürzung der Verfahrensdauer.

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c) Projektmanager

Projektmanager70 werden eingesetzt, um bei herausragenden Vorhaben durch Koordinierung der verschiedenen Behörden- und Bürgerbeteiligungen und der Beiträge des Antragstellers die schnellstmögliche Durchfilhrung von Genehmigungsverfahren zu gewährleisten. Je nach Ausgestaltung kann es sich dabei um eine reine Stabsfunktion handeln, die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten unberührt läßt, oder um eine mit umfassenden Weisungsbefugnissen ausgestattete Stelle. Die Umsetzung erfolgt entsprechend den fachlichen Gegebenheiten im Rahmen der bestehenden Behördenorganisation oder durch die anlaßbezogene Einrichtung von Projektgruppen. Aufgrund des verwaltungsinternen Charakters dieser Maßnahmen bedarf es zu deren Umsetzung keiner gesetzlichen Regelung. Einige Länder haben bereits für bestimmte Bereiche Verwaltungsvorschriften erlassen, in denen das Projektmanagement geregelt wird. Der aktuelle Vorschlag spricht sich dafilr aus, das Instrument des Projektmanagers durch eine gesetzliche Regelung im Rahmen der Vorschriften zum Beschleunigten Verfahren (§§ 71a ff. VwVfG) zu institutionalisieren, um hierdurch ein Signal für eine breitere Anwendung zu geben 71. In Ergänzung der Regelungen des 1996 in Kraft getretenen GenBeschlG zum Sternverfahren und zur Antragskonferenz könnte ein neuer § 71f in das VwVfG eingefilgt werden, der bei Vorhaben im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen die Möglichkeit der Einsetzung eines Projektmanagers vorsieht. Die Vorschrift wäre dabei offen zu gestalten, um eine flexible Anpassung des Instruments an die jeweiligen besonderen Verhältnisse zu erlauben und um die bereits im Rahmen von Verwaltungsvorschriften bestehenden bewährten Regelungen nicht zu unterlaufen. Eine mögliche Regelung im VwVfG stellt sich konzeptionell wie folgt dar: -

Einsetzung eines Projektmanagers auf Antrag;

-

Aufgabenbeschreibung des Projektmanagers als Gestaltung des zeitlichen Ablaufs und Überwachung der organisatorischen und fachlichen Abstimmung, Ansprechpartner für Verfahrensbeteiligte;

-

Zuständigkeitsregelungen bleiben unberührt;

-

Dritte - auch Private - können zur Unterstützung des Projektmanagers auf Kosten des Antragstellers herangezogen werden;

-

Zuständigkeitsregelung filr die Bestellung des Projektmanagers.

70 Auch "Konfliktmittler"; vgl. Ste/kens / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs (0. Fußn. 7), § 9 Rn. 179 f. 71 Vgl. Sachverständigenrat (0. Fußn. 3), S. 175 f.

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d) Nächste Schritte

Nach den Vorstellungen des Sachverständigenrats "Schlanker Staat" kommt rur die neu in das VwVfG aufzunehmenden Regelungen eine zeitliche Befristung in Betracht72 • Dies mag um so mehr gelten, als mit diesen Vorschriften z.T. Neuland betreten wird und deren Auswirkungen einer kritischen Überprüfung bedürfen73 • Meine vorhin dargelegten Bedenken gegen sog. Zeitgesetze kann ich indes nur wiederholen74 • Ganz besonderes Gewicht kommt der Abstimmung mit den Ländern zu. Bisher war es bei Änderungen des VwVfG zur Wahrung der Einheitlichkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern üblich, daß auf Arbeitsebene ein gemeinsamer Musterentwurf erarbeitet wurde. Eine Änderung des VwVfG ohne vorherige Beteiligung der Länder bei der Erarbeitung eines Musterentwurfs könnte die zwingend erforderliche Übernahme durch die Länder und damit den Erfolg der Gesetzesinitiative erheblich geflihrden. Zum anderen gilt es, die von den Ländern im Bereich des Projektmanagements und der Standardöffnung bereits gemachten Erfahrungen in den Gesetzentwurf einfließen zu lassen. In den Abstimmungsprozeß soll zudem der erst Ende letzten Jahres berufene Beirat Verwaltungsverfahrensrecht einbezogen werden, dessen Zielsetzung es gerade ist, die Erfahrungen aus Wirtschaft, Rechtsprechung, Wissenschaft und Verwaltung in die Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts einzubringen. Die Frage, ob die Umsetzung der Vorschläge des Sachverständigenrats "Schlanker Staat" einen so kompliziert erscheinenden Prozeß erfordert, läßt sich leicht beantworten. Verwaltungsmodernisierung verträgt keinen kurzen Prozeß. Solcher würde bereits bei den ersten Praxisversuchen an der rauhen Wirklichkeit der vorhandenen, komplizierten Strukturen scheitern 75. Bei Überlegungen zu einer Änderung des VwVfG sind in erster Linie dessen fachbereichsübergreifender Charakter und Ausrichtung zu berücksichtigen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz regelt als Querschnittsgesetz einzelne Verfahrensschritte und -abläufe, überläßt aber die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens in bestimmtem Umfang fachspezifischen Regelungen. Die Normierung standardisierter Modelle in einem Querschnittsgesetz, das auf eine Vielzahl von Verfahren unterschiedlichster tatsächlicher und rechtlicher Komplexität Anwendung findet, ist nur begrenzt sachgerecht und möglich. Auch deshalb ist eine vorschnelle und unreflektierte Übernahme nicht ausreichend praxis erprobter Instrumente in bundesweit geltendes Dauerrecht nicht angezeigt. 72 Sachverständigenrat (0. Fußn. 3), S. 21. 73 Vgl. auch Sachverständigenrat (0. Fußn. 3), S. 16 ff. 74

75

S. o. 3. Befristung von Gesetzen. So auch Rüter, DÖV 1997, 908 (909).

Diskussion zu dem Vortrag von Heribert Schmitz

Mende: Ich leite die Planfeststellungsbehörde der Wasser- und Schiffahrtsdirektion in Berlin und habe Fragen zu dem Projektmanager. Ich kenne es aus großen Bauvorhaben, an denen ich als Planfeststellungsbehörde beteiligt war, daß fUnf bis sechs Genehmigungsverfahren parallel liefen. Man traf sich einmal im Monat beim Landesministerium und hat ungeflihr abgestimmt, wann welche Verfahren mit welchen Überschneidungen liefen. Eine Weisungsbefugnis der einladenden Behörde konnte aber allein deshalb nicht entstehen, weil Planfeststellungsbehörden unabhängig zu entscheiden haben und nach der Rechtsprechung die Unabhängigkeit gewahrt sein muß. Wie wollen Sie das koordinieren, wenn der Projektmanager Weisungsbefugnis bekäme? Das stimmt mit der ganzen Rechtsprechung zur Unabhängigkeit der Planfeststellungsbehörde nicht überein. Schmitz: Wenn Sie sich die einschlägigen Vorschläge in diesem SachverständigenSchlanker-Staat-Bericht anschauen, stellen Sie fest, daß da der Projektmanager nicht so differenziert dargestellt wird wie die, die sich damit fachlich befassen, ihn kennen. Und es ist nicht zwingend abzuleiten aus diesen Vorschlägen, daß man unbedingt auch einen privaten Projektmanager haben will, wobei ich da die scharfe Schnittstelle sehe. Wenn Sie einen privaten Projektmanager haben, dann verlagern Sie Verantwortung aus dem Behördenbereich heraus und haben letztlich danach keinen parlamentarisch Verantwortlichen mehr für das Verwaltungshandeln. Das bleibt also bei Schalz etwas unklar. Wir haben uns so beim Zuarbeiten fUr eine mögliche gesetzliche Regelung darauf beschränkt, immer nur das Modell behördlicher Projektmanager weiter zu verfolgen, und würden im Bereich des Verwaltungs verfahrens gesetzes keine Vorgaben machen wollen, die etwas aussagen über die Weisungsbefugnis jenseits der vorgegebenen Strukturen. Das wäre dann Aufgabe des Fachrechts. Das ist ein Problem, das wir im allgemeinen recht gut lösen können. Das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht würde dann allenfalls rur diese Fälle passen, wo dem Projektmanager nur eine Koordinierungsfunktion zukommt, wie Sie das eben beschrieben haben. Mehr eignete sich nicht rur allgemeine Gesetzgebung.

13 Speyer 128

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Diskussion

Herrn: Ich leite in Brandenburg eine Landesoberhörde, die u.a. zuständig ist fiir die statischen und zwar baustatischen Prüfungen von Bauwerken. Wir haben in Brandenburg die Erfahrung gemacht, daß die Öffnung von Regelung und Standard eine sehr anspruchsvolle, aber auch eine sehr schwierige Aufgabe ist, da sie immer in gewisser Weise eine Gradwanderung darstellt. Seit 1.1. dJ. existiert bei uns eine neue Landesbauordnung, die u.a. vorsieht, daß die Behörden auf die baustatische Prüfung der Bauvorlagen bei Bauten geringen Schwierigkeitsgrades verzichten, also z.B. der typische Häuslebauer. Zunehmend bemerke ich jetzt, daß die dann in die Pflicht zu nehmenden Ersteller dieser Bauvorlagen, nämlich die Architekten, dieser Verantwortung nicht gerecht werden wollen und um Prüfung nachsuchen. Zum zweiten sehe ich auch ein Problem darin, daß durch eine solche Erklärung der Antragsteller, daß die Unterlagen vollständig und geprüft sind, ohne Nachprüfung, was ja quasi einer Selbstgenehmigung gleichkommt, eine Rechtsunsicherheit bei dem, fiir den geplant oder gebaut werden soll, entsteht. Ein Beispiel dafiir ist auch bei uns in jüngster Zeit aufgetreten. Dort haben Bauunternehmungen, die als Generalauftragnehmer aufgetreten sind, unzertifizierte Baumaterialien eingesetzt. Diese Baumaterialien waren aber in diesem Projekt als statisch zu belasten ausgewiesen, d.h. sie dienten also der statischen Tragkraft dieses Gebäudes und es fiihrte dazu, daß sie nicht diesen Anforderungen genügten, daß die Bauvorhaben dann gesperrt werden mußten. Es war aber im Vorfeld behauptet worden, daß diese Materialien den Anforderungen genügen. Ich sehe hier auch einen weiteren Problempunkt, nämlich dort, wo mit solchen Dingen bis hin zur Fälschung eine Menge Geld verdient werden kann, wird auch neuerlich kriminelle Energie geweckt. Lepold: Ich kann die Thematik, die Herr Herrn aufgegriffen hat, fortsetzen. Auch in Rheinland-Pfalz gibt es vereinfachte Landesbauordnungs-Genehmigungsverfahren, die gehen, wie es scheint, noch sehr viel weiter als in Brandenburg. Wir haben natürlich auch die Erfahrung gemacht, daß die Architekten die Verantwortung scheuen. Da fällt die Haftung jetzt auf die Architekten selbst zurück. Trotz alledem haben wir in unserer Kreisverwaltung in der Bauabteilung festgestellt, daß mindestens 80 % der Arbeit wegfallen, weil die Bauherren und die Architekten diese Möglichkeit auch tatsächlich wahrnehmen. Das Verfahren wird insgesamt wirklich vereinfacht. Und deshalb möchte ich Sie, Herr Schmitz, durchaus unterstützen, auch in anderen Verfahren diese Art der "Selbstgenehmigung" aufzunehmen. Es funktioniert nämlich. Wir haben natürlich mehr Nachbarbeschwerden, aber summa summarum doch weniger Verfahren auf der Grundlage der Landesbauordnung. Dann zu den Bedenken von Frau Dr. Steinbeiß-Winkelmann gegenüber der Befristung von Anlagengenehmigun-

Diskussion

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gen: Man sollte vielleicht sich doch noch einmal mit dem französischen Atomrecht befassen: Der Landkreis Trier-Saarburg und andere Kommunen, das Großherzogturn Luxembourg, das Land Rheinland-Pfalz und das Saarland klagen derzeit gegen das Kernkraftwerk Cattenom - und diese französischen Kernkraftwerke haben immer nur eine zeitliche Anlagengenehmigung und müssen sich einer ständigen Fortentwicklung in Technik und Wissenschaft unterwerfen. Ich halte es nicht von vornherein filr Anlagen mit einem erheblichen Gefährdungspotential filr ausgeschlossen, daß man eine Befristung der Genehmigung annimmt mit dem Ziel, nach einigen Jahren den neuen technischen Erkenntnissen Rechnung tragen zu können. Schmitz: Zu dem Punkt Rechtsunsicherheit, der in erster Linie von Herrn Herrn angesprochen worden ist: Quasi stellt natürlich die Selbstgenehmigung in Auditierungen höhere Anforderungen auch an den Bürger bzw. auch an den Vertreter des Bürgers. Er muß das Recht besser kennen als bisher und kann sich nicht darauf verlassen, daß die Behörde ihn in die Obhut nimmt und ihm alles abnimmt. Aber das habe ich ja eben auch gesagt und das kommt ebenso in den Vorschlägen aus dem Sachverständigenrat immer wieder deutlich heraus, daß die Befreiung von Genehmigungserfordemissen korrespondiert mit einer erhöhten Selbstverantwortung. Das ist ein Angebot an den Bürger oder an das investierende Unternehmen, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen. Aber es ist ja kein zwingendes' neues Verfahren, sprich, der kleine Häuslebauer, der nur einmal in seinem Leben sein Haus baut und nicht mit einem großen Architekturbüro zusammenarbeitet, der kann ja weiterhin das normale Verfahren wählen und dann auch die entsprechend höhere Beratung der Behörde in Anspruch nehmen. Zu der Befristung von Anlagengenehmigungen, die Frau Lepold angesprochen hat, habe ich selbst noch keine abschließende Meinung. Die Bedenken bezogen sich mehr auf gesetzliche Normsetzung. Nun, wie es jetzt hier in dem genannten Beispielsfalle ist, da fehlt mir die Praxiserfahrung. Steinbeiß-Winkelmann: Ich wollte kurz noch etwas Illustrierendes zu diesem Thema beifilgen und auch ankündigen, daß ich gleich auch aus verfassungsrechtlicher Sicht etwas sagen werde zu den Punkten Standardabbau, Eigenkontrolle und Auditierung. Jetzt nur zu dem, was Herr Herrn auch gerade gesagt hat und die Dame aus Rheinland-Pfalz. Ich glaube, es ist keiner aus Bayern da; denn Bayern ist, glaube ich, beim Rückzug des Staates aus dem baulich-technischen Sicherheitsbereich am weitesten. Die haben ja vor kurzer Zeit ihr gesamtes Baurecht umgekrempelt, haben korrespondierend dazu auch eine Verordnung über die privaten Sachverständigen erlassen, haben dabei wohl auch spektakuläre Erfolge 13*

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erzielt. Es heißt hier in dem Bericht des Sachverständigenrates, daß inzwischen, was diesen Sektor private Häuslebauer angeht, in Bayern 80% der Bauvorhaben innerhalb von 5 Wochen genehmigt werden, soweit sie denn überhaupt noch einer Genehmigung bedürfen. Das ist ganz toll. Das ist mir, wenn ich ein Haus baue, auch nur recht. Bayern hat bis jetzt eine Grenze eingezogen, nämlich die Genehmigungsfreiheit im ersten Schritt beschränkt auf Wohnbauvorhaben, die maximal 2 ~ Stockwerke umfassen. Damit kann ich auch noch einigermaßen ruhig schlafen. Wenn ich höre, daß sie jetzt überlegen, bis zur Hochhausgrenze zu gehen, und dann die Hinweise von Herrn Herrn dazunehme, daß man natürlich in diesem Privatbereich auch eine ganze Menge Vertrauen haben muß hinsichtlich der Frage, wie neutral und verläßlich denn solche Gutachten sind, und dann einmal den Blick nach Asien herüberwandern lasse, dann ist es mir bei Bauwerken mit mehr als 2 ~ Stockwerken lieber, wenn der Staat die Sache kontrolliert. Schmidt-Ludowieg: Ich habe mit diesen letzten Fragen 10 Jahre lang zu tun gehabt. Ich war Mitglied einer Bund-Länder-Kommission zur Reform des Bauordnungsrechts, da war u.a. Herr Prof. Scholz Mitglied. Wir waren von 1973 - 1984 tätig; wir haben sämtliche europäische Systeme untersucht, und was jetzt Bayern macht, das hatten wir im Prinzip 1984 vorgeschlagen, aber die Bauminister hatten Bedenken, hatten das Thema auf der Tagesordnung - genau fUnf Minuten, und dann wurde die Sache abgelehnt. Lediglich vor einigen Jahren (1995) ist dem Herrn Stoiber das wieder eingefallen. Bayern ist hier Vorreiter. Zur Erklärung: Es ist im Grunde genommen das modifizierte französische System, daß dort der einzelne Häuslebauer seine Baugenehmigung in 3 bis 4 Wochen bekommt, weil die Behörde nichts prüft. Sie prüft eben nur die planerische Zulässigkeit. Im übrigen muß der Architekt unterschreiben, daß alles den Vorschriften entspricht. Aber an diesen werden auch andere Anforderungen gestellt als bei uns, und das hatten wir auch vorgeschlagen, nur das haben die Bayern und die übrigen Bundesländer nicht gemacht. Es ist in Frankreich ein Vergehen, wenn einer gegen die Bauvorschriften verstößt. Das ist nicht so wie bei uns eine lächerliche Ordnungswidrigkeit, sondern man kommt tatsächlich ins Gefängnis, der Architekt muß 10 Jahre haften, der Unternehmer muß 10 Jahre haften! Wir haben also in Frankreich ganz andere Regulative. Das hatten wir auch vorgeschlagen, aber das haben die Deutschen eben nicht übernommen. Und es ist jetzt so, daß tatsächlich Baden-Württemberg schon lange ein Baugenehmigungsfreistellungsverfahren für Wohngebäude geringer Höhe bis zu drei Wohnungen hat, und nunmehr auch Bayern dies bis zur Hochhausgrenze erweitert hat. Aber das gilt nur rur die Fälle, wo das planungsrechtlich abgesichert ist. Selbst ein Ein- oder Zweifamilienhaus muß, wo kein Bebauungsplan vorliegt, weiterhin nach dem bisherigen Verfahren genehmigt werden. Das wollte ich nur zur Richtigstellung sagen. Das Verfahren läuft ja in Frankreich auch, da

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werden z.B. große Fabriken, Sonderbauten auch von nichtstaatlichen Institutionen geprüft und das sind zugelassene private Bauprüfgesellschaften, die aber wesentlich strenger sind als bei uns. Und die prüfen einmal aus privatrechtlichen Gründen für die Bauversicherungen, damit diese etwaige Schäden innerhalb der lOjährigen Gewährleistungsfrist versicherungsmäßig abdecken können, und andererseits im Auftrage des Staates sozusagen als beliehene Unternehmer. Höfer: Noch einmal zu den baden-württembergischen Erfahrungen: Da gibt es auch einen Erfahrungsbericht, und es hat sich gezeigt, daß von diesen fakultativen Möglichkeiten weniger Gebrauch gemacht wird als tatsächlich angenommen wurde, weil die Verantwortung für Planer und Architekten einfach zu groß erscheint. Man möchte sich absichern. Also so hoch wie in Bayern ist die Erfolgsquote nicht. Noch zu drei anderen Punkten: Privatisierung ist mir schon ein wichtiges Thema und ich denke, wir werden auf dem Weg fortschreiten müssen, weil wir gar nicht mehr in der Lage sind, Randbereiche, die wir noch als staatliche Aufgaben erledigen, mit den Personalressourcen, die uns künftig zur Verfügung stehen werden, überhaupt abzudecken. Ich glaube, daß wir noch manches machen, was wir nicht unbedingt müssen. Ein Beispiel: Warum muß eigentlich der Grunderwerb für den Straßenbau durch Beamte des gehobenen Dienstes erledigt werden? Mir fielen bestimmt noch mehr Beispiele ein. Das Problem liegt ja wo ganz anders. Sie brauchen für die Privatisierung natürlich auch finanzielle Mittel, nur die stehen überhaupt nicht zur Verfügung. Insoweit ist schon für die Privatisierung eine Grenze gesetzt. Wenn man die Privatisierung, an meinem Beispiel aufgehängt, rur den Straßenbau durchziehen will, dann müssen Sie ja irgendjemanden beauftragen, der das tut und dies wird nicht umsonst sein. Diese Privatisierungsideen korrespondieren nicht mit der Zurverfügungstellung der sächlichen Ressourcen und das ist aus meiner Sicht die Hauptproblematik. Auch sonst könnte ich mir da noch manches vorstellen. Die Konzentration auf den Kembereich der Verwaltung wird nur übrig bleiben. Das wäre nicht nur die Polizei. Zum Öko-Audit noch eine Anmerkung: Zunächst einmal wird die Registrierung von der Industrie- und Handelskammer durchgeruhrt. Wir werden so beteiligt, daß wir gefragt werden, ob uns ein Verstoß gegen Umweltvorschriften bekannt sei. Man hat natürlich Erwartungen geweckt. Ich will ein Beispiel nennen: Die Firma Mercedes Benz hat ihren Standort in Untertürkheim zertifiziert und jetzt wohl auch den Standort Sindelfingen. Das sind Riesenfabrikanlagen. Nun sagt man denen, es ist wunderbar, daß ihr das gemacht habt. Der Aufwand war sehr hoch, selbst rur Daimler Benz, denen es ja ein bißchen besser geht, seit der Elch-Test gelungen ist! Aber die wollen nicht nur sagen, wir haben das

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gemacht, sondern sie wollen tatsächliche Vorteile daraus ziehen. Ich sehe solche Vorteile weniger im Genehmigungsbereich, als im Überwachungsbereich. Wenn sie Genehmigungen hernehmen, die gewachsen sind, begonnen in den 70er Jahren, durch Änderungsbescheide ergänzt, und sie prüfen da einmal nach, was Sinnvolles darinsteckt oder Sinnloses, dann werden wir bald erkennen müssen, daß eine ganz dringende Entfrachtung notwendig ist. Da werden Stoffe im Abstand von 4 Wochen geprüft, die interessieren nicht. Datenfriedhöfe existieren in Hülle und Fülle. Ich bin ein ganz starker Anhänger der Idee, einmal bei den öko-audierten Betrieben mit der Überprüfung anzufangen. Insoweit denke ich schon, daß die bayrischen Ansätze, die sich im übrigen nicht nur auf das Baurecht beziehen, sondern im Immissionsschutz, im Wasserbereich, im Abfallbereich schon erheblich fortgeschritten sind, über den Freistaat hinaus umzusetzen wären. Vieles, was aus der Scholz-Kommission kommt, kann man sicher bestreiten. Aber wir werden diesen Weg weiter aktiv beschreiten müssen. Wir müssen es in Eigeninitiative tun. Uns fällt mehr dazu ein, als wenn eine Kommission aus Berlin oder Bonn uns etwas hineindrückt und wir dann nachher nicht zurecht kommen. Horn: Ich möchte noch ganz gerne eine Anmerkung zu Ihren Ausfilhrungen, Herr Dr. Schmitz, zur Organisationsprivatisierung machen. Sie sehen ja, wenn ich das richtig verstanden habe, eine gewisse Sorge, daß dies mit einem Verlust an demokratischer Kontrolle einhergeht. Eine Anmerkung aus der Praxis hierzu: Bis es also zu dieser Organisationsprivatisierung kommt, gibt es oft einen entsprechenden politischen Diskurs darüber, ob das sinnvoll ist. Wenn man sich dann also dazu entschließt und die Stadtverordnetenversammlung dann sagt, o.k., wir wollen das also künftig in Form des Privatrechts tun, wird das oft damit verbunden, daß eine demokratische Delegation stattfindet und zwar in der Form, daß das Parlament, die Stadtverordnetenversammlung, beschließt, die Vertreter des Aufsichtsrates mit den im Parlament anwesenden Fraktionen zu besetzen. In diesen Tagen gibt es eine aktuelle Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof in Kassel, der also ganz klar gesagt hat: Der Magistrat ist der Gesellschafter und nur der Magistrat sagt, was Sache ist, wer sozusagen künftig Mitglied des Aufsichtsrats ist. Tatsache ist aber, wenn man sozusagen diese Mischform, die sich aus der Praxis herausgebildet hat, verfolgt und sagt, jawohl, der Magistrat beschließt dann auf Vorschlagsrecht der Stadtverordnetenversammlung, dann haben Sie im Grunde genommen diese demokratische Kontrolle. Ich kann sagen, im Main-Taunus-Kreis gibt es eine Vielzahl von GmbH' s, insbesondere im Krankenhausbereich, Sozialbereich, wo das hervorragend funktioniert, obwohl also die Zusammensetzung von links bis rechts geht. Noch eine weitere Anmerkung: Bei dieser Organisationsprivatisierung wird das immer so gerne übersehen, daß das im Grunde genommen sogenannte "Inzest-GmbH's" sind, weil eine Beteiligung von echten Privaten gar nicht

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vorgesehen ist. Was ist das rur eine Privatisierung, wenn zu 100 % die Stadt nach wie vor die Anteile hält? Das sind natürlich nur unechte Privatisierungen und solche Formen gibt es auch. Von unserer Stadt kann ich sagen, daß wir eine bayerische Bank mit 40 % Beteiligung dabei haben und da profitiert man in der Tat davon durch Beratungs-know how. Also das sind dann die Formen, die anzustreben sind, nicht nur jetzt einfach die Verlagerung in die Form des Privatrechts. Schmitz: Sie sprachen an, Herr Horn, am Rande der Organisationsprivatisierung, daß die im Rat vertretenen Parteien jeweils auch Vertreter in den Aufsichtsgremien sind. Das war an sich auch gerade das, was ich mit meiner Kritik ins Ziel genommen habe. Es sind verdiente Vertreter der kommunalen Körperschaft, die hier sich als Unternehmer betätigen, Bezüge in der Höhe, wie sie in der Privatwirtschaft üblich sind, beziehen. Das ist in der Regel auch bei unterschiedlichen Gruppierungen kein Problem. Da ist die Interessenlage in der Regel gleich zwischen den Vertretern der verschiedenen Parteien. Was die Ausschaltung der Verwaltung angeht, bleibt es, meine ich, dabei. Wenn eben nur die Ratsvertreter in den Gremien sind, fehlt die Rückkoppelung. Die Fachverwaltung, die ja die Verwaltungsspitze in der Regel erst dazu bringt, kompetent ihre Aufsichtsaufgaben wahrnehmen zu können, wenn nur die Spitzen ad personam in den Aufsichtsgremien sitzen, fehlt den Betreffenden in der Regel der Fachverstand, um die Aufsicht auch wirksam wahrnehmen zu können. Sie sprachen an die Fälle, wo die Organisationsprivatisierung so weit geht, daß es nur eine Scheinprivatisierung ist. Da ist mein Petitum gewesen, man solle in solchen Fällen überlegen, warum man da dann nicht echt privatisiert, sprich, die Aufgabe nach außen gibt. Wenn ein Unternehmen so weit sich schon aus dem Bereich der Verwaltung entfernen läßt, dann sollte die Verwaltung oder die öffentliche Hand überlegen, ob sie ihre Finger nicht ganz davon lassen kann und dann materiell privatisiert. Das halte ich rur den ehrlicheren Weg.

Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung Von Christine Steinbeiß-Winkelmann

I. Einführung - Zum Beschleunigungsbedarf Das Thema "Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" ist in den letzten Jahren zu einem "Dauerbrenner" geworden. Der Schwerpunkt der Initiativen - streckenweise auch des Aktionismus - liegt dabei im politischen Raum. Ihm folgt die juristische Diskussion. Diverse Gremien und Gesetzgebungsvorhaben haben sich vornehmlich seit Beginn der 90-er Jahre mit der Verfahrens beschleunigung befaßt, insbesondere die Unabhängige Expertenkommission zur "Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" (sog. SchlichterKommission l ) die Arbeitsgruppe aus Vertretern der Koalitionsfraktionen und der Bundesressorts zur Umsetzung der Vorschläge der Schlichter-Kommission (Ludewig-Arbeitsgruppe2) 1 Der vom Bundesministerium für Wirtschaft herausgegebene Bericht ist veröffentlicht unter dem Titel "Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren", 1994; hierzu Bullinger, JZ 1994, S. 1129 ff; Hoffmann, DÖV 1995, S. 237 ff; Schlichter, DVBI. 1995, S. 173 ff. 2 Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe vom Juni 1995 sind nicht veröffentlicht; s. zur Umsetzung durch die Beschleunigungsnovellen 1996 die Übersicht bei Stüer, DVBI. 1997, S. 326 ff. mit kritischen Anmerkungen und Warnungen vor zu viel Optimismus bezüglich des Beschleunigungseffekts dieser Novellen; ähnlich Weinreich, NVwZ 1997, S. 949 ff.; Skepsis dokumentiert auch der Bericht von Mayen, NVwZ 1997, S. 878 ff. über die Tagung des Deutschen Anwaltvereins zu den Beschleunigungsnovellen; speziell zu den immissionsschutzrechtlichen Beschleunigungsnovellen Schäfer, NVwZ 1997, S. 526 ff.; kritisch Führ, UPR 1997, S. 421 ff.; Koch, NVwZ 1996, S. 215 (219 ff.); Moormann, in: Renge1ing (Hrg.), Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren - Deregulierung, Vierte Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen Umweltrecht, 1997, S. 159 ff.; speziell zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz Bonk, NVwZ 1997, S. 320 ff.; Schmitz / Wessendorf, NVwZ 1996, S. 955 ff.; Jäde, UPR 1996, S. 361 ff.; Ronellenfitsch, in: Rengeling (Hrg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - Deregulie-

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der Sachverständigenrat "Schlanker Staat,,3. Die politischen Schlagworte, mit denen das Thema verknüpft war, wechselten: Den eigentlichen Auftakt bildete - einigungsbezogen - der "Aufschwung Ost,,4; es folgte - globaler ausgerichtet - die "Investitionsforderung zur Sicherung des Standortes Deutschland im internationalen Wettbewerb"s, und das vorerst letzte Kapitel der Verfahrensbeschleunigung steht unter dem Obertitel "Schlanker Staat". Diese Karriereentwicklung ist bemerkenswert bei einem Thema, dessen Dringlichkeit zwar oft behauptet, aber selten mit harten Fakten belegt wird. Im Gegenteil: Die Schlichter-Kommission konstatiert im ersten Teil ihres Berichts: "Es gibt nur wenige international vergleichende Studien über die Dauer von Genehmigungsverfahren; infolgedessen ist die empirische Basis hier besonders wenig tragfähig." Und es heißt weiter: "Immerhin lassen die Untersuchungen den Schluß zu, daß der Vergleich in der Regel zu Ungunsten Deutschlands ausgeht. Insbesondere lassen sich viele Einzelbeispiele fmden, in denen Verfahren in Deutschland erheblich länger als im Ausland dauern, und gibt es wohl auch Fälle, in denen die Verfahrenslänge vergleichsweise extrem ist. 6" rung, Vierte Osnabrucker Gespräche zum deutschen und europäischen Umwe1trecht, 1997, S. 51 ff., der die Neuerungen als zu "zaghaft" bewertet; die Frage der Beschleunigung im Baurecht blieb im übrigen in den Beratungen der Schlichter-Kommission und der Ludewig-AG weitgehend ausgeklammert, s. zu den dortigen Neuregelungen Preschel, DÖV 1998, S. 45 ff.; zu den besonders beschleunigungsfreundlichen Neuregelungen im bayerischen Baurecht Sauter, BayVB\. 1998, S. 2 ff.; Jäde / Weiß, BayVB\. 1998, S. 7 ff. 3 Abschlußbericht Bonn 1997; eine Übersicht über die Verfahrenswege zu einem "schlankeren" Staat gibt Busse, DÖV 1996, S. 389 ff.; s. dazu auch Weidinger, BayVB\. 1997, S. 513 ff. 4 Zur Entwicklung bis zum Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22.4.1993 (BGB\. I S. 466) Überblicke m.w.N. bei Erbguth, JZ 1994, S. 477 ff.; Rombach, Der Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994, S. 27 ff.; Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 23 ff.; Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (321); Stelkens, in: Stelkens 1 Bonk 1 Sachs, VwVfG, 4. Aufl. 1993, Einleitung Rdn. 61; zum Diskussionsstand insgesamt den Tagungsband Blümell Pitschas (Hrg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, Vorträge und Diskussionsbeiträge des Speyerer Forschungsseminars vom 3. - 5. März 1993, 1994; zur Folgeentwicklung siehe Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeiten einer weiteren Beschleunigung und Vereinfachung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vom 28.2.1994, BT-Drs. 12 1 6923; Bericht der SchlichterKommission (FN 1), Rdn. 500 ff.; zu den - unzureichend beachteten - praktischen Erfahrungen mit den Beschleunigungsgesetzen Wuljhorst, VerwArch 88 (1997), S. 163 ff. 5 Siehe den Bericht der Schlichter-Kommission (FN I). 6 Bericht der Schlichter-Kommission (FN I), Rdn. 124; ein Beispiel für die öffentliche Unzufriedenheit mit dem Standort Deutschland wegen angeblich überlanger Verfahren liefert die Zeitschrift "Stern" Nr. 45/1995, S. 32 ff. unter dem Titel "Die deutsche Krankheit - Die Macht der Bürokratie"; demgegenüber weist Rombach (FN 4), S. 157 zu Recht auf die Funktion von Genehmigungsverfahren hin, gerade gegenüber neuarti-

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Mit diesen vorsichtigen Worten wird die Tatsache "umschifft", daß geraume Zeit vor dem Abschluß der Kommissionsarbeiten ein im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstelltes empirisches Gutachten über die Dauer von deutschen Genehmigungsverfahren im europäischen Vergleich 7 Ergebnisse erbracht hatte, die an sich geeignet waren, dem Beschleunigungsthema viel Wind aus den Segeln zu nehmen: Das Gutachten konstatiert, daß die durchschnittliche Verfahrensdauer in Deutschland nicht höher liegt als in anderen Staaten. Auch hinsichtlich der Beweggründe potentieller Investoren bei ihrer Standortentscheidung ist die Recherche in puncto Verfahrensbeschleunigung eher unergiebig: Die Gründe rur eine Abwanderung ins Ausland liegen nämlich laut Gutachten überwiegend bei den Lohn- und Lohnnebenkosten. Die Dauer von Genehmigungsverfahren und damit eventuell verknüpfte Kosten spielen ebenso wie die Kosten rur Umweltschutzmaßnahmen eine nachgeordnete Rolle 8 • Es gibt also - wie auch im Schlichter-Bericht vermerkt wird - deutliche "Widersprüche zwischen den verbreiteten und zunehmenden Klagen über die Dauer von Genehmigungsverfahren und den Ergebnisse solcher Befragungen". Zu den Gründen äußert sich der Kommissionsbericht nur vorsichtig: In derartigen Untersuchungen seien kleinere Unternehmungen wohl kaum berücksichtigt worden. Außerdem habe sich die Wirtschaft wohl an die Dauer und Handhabung von Genehmigungsverfahren in Deutschland gewöhnt und empfinde deshalb Verfahren im konkreten Fall nicht als ungebührlich lang. Jedenfalls sei im allgemeinen die Unzufriedenheit groß 9 . Die Analyse des Regelungsbedarfs, die ein guter Gesetzgeber an den Anfang jeder Tätigkeit stellen muß 10, fällt also beim Regelungsthema Verfahrensbegen Risiken und Technologien auch die für eine gesellschaftlich-politische Meinungsbildung notwendige Zeit zu sichern; ausführlich zur Frage der Verfahrensdauer und zum Fehlen belastbarer Fakten Bohne, in: BIUmel / Pitschas (FN 4), S. 45 ff.; ebenso Repkewitz, VerwArch 88 (1997), S. 137 (140 f); Krumsiek I Frenzen, DÖV 1995, S. 1013 (1015 f.) 7 Steinberg I Hermann de Miquell Scharioth I Fertsch I Mangold, Genehmigungsverfahren für gewerbliche Investitionsvorhaben in Deutschland und ausgewählten Ländern Europas, 1995. 8 Vgl. Steinberg u.a. (FN 7), S. 46 ff., 49 ff.; s. auch die entsprechenden Hinweise im Bericht der Schlichter-Kommission (FN 1), Rdn. 125 ff. sowie bei Rombach (FN 4), S. 148 f bei und mit FN 6, S. 160 f 9 Bericht der Schlichter-Kommission (FN 1), Rdn. 125; tatsächlich bestätigt das Gutachten aus dem Jahre 1995 lediglich die Ergebnisse einer vorausgegangenen, ebenfalls im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellten Studie, die im wesentlichen die Meinung der mittelständischen Industrie darstellte, vgl. Steinberg I Allert I Grams I Scharioth, Zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für Industrieanlagen, 1991, insbes. S. 32 ff.; entsprechende Kritik am "legislativen Aktionismus" z.B. bei Führ, UPR 1997, S. 421 (431). 10 Vgl. § 22 a der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO 11), mit dem Verweis auf die sog. "Blauen Pruffragen".

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schleunigung wie folgt aus: Als Beweggrund bleibt - bei Licht besehen - in erster Linie die große allgemeine Unzufriedenheit und ein vermeintlich negatives Image des Wirtschaftsstandortes Deutschland, dem durch deutliche Beschleunigungsmaßnahmen entgegengewirkt werden SOlllI. Damit aber leidet das Postulat der Verfahrensbeschleunigung an BegrUndungsdefiziten, die in der verfassungsrechtlichen Bewertung eine erhebliche Bedeutung haben.

11. Verfahrensbeschleunigung und Verfassungs recht - ein ambivalentes Verhältnis Um das Verhältnis von Verfassungsrecht und Verfahrensbeschleunigung ranken sich Vorurteile: Häufig wird das Verfassungsrecht primär als Beschleunigungshemmnis gesehen. Diese Sicht der Dinge ist aber falsch, weil einseitig. Das Verfassungsrecht zieht der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren nicht nur - defensiv - Grenzen, sondern es enthält auch - positiv - Vorgaben für eine Beschleunigung. Diese Ambivalenz läßt sich anhand der jüngsten Beschleunigungsbestrebungen im Zeichen des "Schlanken Staates" gut veranschaulichen: Verschlankungsbemühungen sind dort nötig, wo Übergewicht einen Organismus und seine Funktionen beeinträchtigt. Übertriebenes Schlankheits streben ohne sachliche Grunde und Augenmaß ist dagen nicht nur sinnlos, sondern nachteilig oder häufig sogar gefii.hrlich. Solche Übertreibungen und Begleitschäden will das Verfassungsrecht verhindern, wenn Planungs- und Genehmigungsverfahren "verschlankt" und beschleunigt werden sollen. Es verlangt (oder legitimiert zumindest) eine "Reduktionsdiät" aber dort, wo Verfahrensanforderungen und Verfahrensdauer für die Betroffenen eine übermäßige Belastung sind. 1. Positive Vorgaben des Verfassungsrechts für eine Verfahrensbeschleunigung Wirtschaftliche Investitionen, um die es bei den Beschleunigungsbemühungen in erster Linie geht, sind Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheit. Wer ein Unternehmen aufbaut und betreibt, kann sich - beginnend mit der Gebäudeerrichtung - auf Grundrechtsverbürgungen berufen. Im Mittelpunkt ste11 Vgl. Bericht der Schlichter-Kommission (FN 1), Rdn. 004, 208; auch im Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3) finden sich insoweit nur Pauschalaussagen (S. 173 ff.); ähnlich pauschal z.B. Ronellenjitsch (FN 4), S. 27.

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hen dabei die Berufsfreiheit gern. Art. 12 Abs. 1 GG und die Eigentumsgarantie gern. Art. 14 GG. Außerdem kann hier Art. 2 Abs. I GG eine Rolle spielen, der mit der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung schützt. Wird rur Tätigkeiten, die dem Schutzbereich dieser Grundrechtsgarantien unterfallen, im materiellen Verwaltungsrecht ein Genehmigungserfordemis aufgestellt und mit bestimmten sachlichen Anforderungen verknüpft, so ist das eine Einschränkung grundrechtlich geschützter Freiheit l2 • Solche Einschränkungen müssen den grundrechtlichen Eingriffsvorbehalten genügen. Voraussetzung darur ist in erster Linie eine hinreichende sachliche Rechtfertigung der Freiheitsbeschränkung. Sie muß - bei einem Vergleich zwischen Beschränkungswirkung und verfolgten Zielen - geeignet, erforderlich und angemessen sein. Diese Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gelten nun nicht nur rur die materiell-rechtlichen Freiheitsbeschränkungen, etwa in Gestalt von Baugenehmigungsanforderungen oder immissionsschutzrechtlichen Anlagegenehmigungsregelungen. Auch das Verwaltungsverfahren, das solchen Genehmigungen vorgeschaltet ist, muß seinerseits verhältnismäßig sein. Die vorgeschriebenen Verfahrensschritte und Verfahrensanforderungen, die die Dauer des Verfahrens vorzeichnen, dürfen den Betroffenen nicht über Gebühr belasten. Daß dabei eine realistische Betrachtungsweise nötig und erlaubt ist, braucht nicht näher ausgeruhrt zu werden. Kapazitätsgrenzen der Verwaltung in personeller, sachlicher und fmanzieller Hinsicht sind hier also zu berücksichtigen, was der neue § 71 b VwVfG mit dem Postulat der "rechtlich und tatsächlich möglichen" Beschleunigungsvorkehrungen zum Ausdruck bringt. Auf dieser Basis aber ist festzuhalten, daß eine Beschleunigung und Verschlankung von Verwaltungsverfahren grundrechtlich erwünscht ist. Die Grundrechte erlauben grundsätzlich nur so viel Verfahrensaufwand in sachlicher und zeitlicher Hinsicht, wie es in Anbetracht der Verfahrenszwecke notwendig und angemessen erscheint 13 . Damit rücken die Aufgaben von Genehmigungsverfahren ins Blickfeld. Welche Verfahrenszwecke sind gewichtig genug, um grundrechtliche Be-

12 Dabei ist allerdings zu differenzieren zwischen Freiheitsverbürgungen wie z.B. Art. 12 Abs. 1 GG und Institutsgarantien wie Art. 14 GG, vgl. näher SteinbeißWinke/mann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 95 ff. (insbesondere bei und mit FN 71), S. 406 ff., 610 ff. 13 Vgl. Sachverständigenrat "Schlanker Staat" (FN 3), S. 173; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdn. 339; Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 7; speziell zum "Faktor Zeit" Denninger, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 113 Rdn. 33; Rombach (FN 4), S. 48 ff.

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schleunigungsinteressen von Investoren (und sonstigen Antragstellern) zu begrenzen? 2. Grenzen des Verfassungsrechts gegenüber einer Verfahrensbeschleunigung Genehmigungsverfahren sollen fundierte und haltbare Verwaltungsentscheidungen über die Frage ermöglichen, ob eine beantragte Genehmigung erteilt wird oder nicht. Regelungen über das Verfahren dieser Entscheidungsfindung verfolgen denselben Zweck wie die materiell-rechtlichen Genehmigungserfordernisse selbst. Das Verfahrensrecht dient der Verwirklichung des materiellen Rechts 14. Genehmigungserfordernisse werden vom materiellen Recht dort normiert, wo eine vorgeschaltete staatliche Kontrolle gegenüber bestimmten Verhaltensweisen notwendig erscheint, weil sie die Gefahren tUr individuelle Rechtsgüter Dritter oder tUr Rechtsgüter der Allgemeinheit mitbringen. Der individuelle Rechtsgüterschutz betrifft in diesem Zusammenhang vor allem Leben und körperliche Unversehrtheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 GG; außerdem Eigentumsrechte im Sinne von Art. 14 GG. Beim Rechtsgüterschutz zu Gunsten der Allgemeinheit steht der zum Staatsziel erhobene Umweltschutz gemäß Art. 20 a GG im Vordergrund. Wie hoch Genehmigungshürden zur Sicherung solcher Rechtsgüter jeweils sein dürfen, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, weil durch das Genehmigungserfordernis grundrechtliche Freiheit eingeschränkt wird. Es kommt hier darauf an, wie schadensgeneigt der jeweilige Handlungsbereich ist. Hochgefährliches Verhalten darf der Gesetzgeber von Grundrechts wegen mit einem repressiven Verbot belegen, dem lediglich ein Befreiungsvorbehalt beigetUgt ist. Hier ist das Verbot die Regel und die Erlaubnis die Ausnahme. Gegenüber Verhaltensweisen mit geringerer Gefährlichkeit sind dagegen nur präventive gesetzliche Verbote mit Erlaubnisvorbehalt verhältnismäßig, bei denen die Genehmigungserteilung nicht Ausnahme, sondern Regel ise s. Eine dritte Variante 14 Vgl. Wahl, in: Blümel / Pitschas (FN 4), S. 86 f.; zur Unterscheidung zwischen Kontrollerlaubnis und Planfeststellung als Entscheidungsgrundtypen und zu den daraus resultierenden unterschiedlichen Anforderungen an ein funktionstaugliches Verfahren Schuppert, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppert (Hrg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 (108 tT.); näher zu den einzelnen Funktionen umweltrechtlicher Genehmigungsverfahren Rombach (FN 4), S. 153 t1; s. im übrigen auch unten FN 25. 15 Zur Unterscheidung zwischen repressiven und präventiven Verboten Woljf I Bachofl Stober, Verwaltungsrecht 1,10. Autl 1994, § 46 Rdn. 44 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 9 Rdn. 51 ff.

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betrifft Verhaltensweisen mit noch geringerer Gefahrengeneigtheit, die der Gesetzgeber einerseits wegen verbleibender Risiken nicht gänzlich ohne staatliche Vorabkontrolle freigeben will, bei denen aber der Rechtsgüterschutz andererseits in der Regel kein vorgeschaltetes ausfUhrliches Genehmigungsverfahren verlangt. Hier bietet sich - als milderes Regelungsinstrument im Vergleich zu repressiven und präventiven Genehmigungserfordernissen - das Anzeigeerfordernis an: Man muß der Verwaltung lediglich mitteilen, daß man ein bestimmtes Vorhaben in Angriff nehmen will. Dadurch wird die Möglichkeit zu staatlicher Prüfung und Intervention eröffnet. Das Verhalten muß aber nicht förmlich genehmigt werden, sondern ist - gegebenenfalls nach einer gewissen Wartefrist - erlaubt 16 • Der Gesetzgeber muß sich bei seiner Auswahl zwischen diesen unterschiedlichen materiell-rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten an den Erfordernissen des Rechtsgüterschutzes orientieren. Diese Richtschnur gilt auch fUr das "dienende" Verfahrensrecht. Verfahren zur Verwirklichung von materiell-rechtlichen Genehmigungserfordernissen dürfen nur in dem Maß verkürzt, vereinfacht, beschleunigt oder durch ein bloßes Anzeigeerfordernis T-anz ersetzt werden, wie es der jeweils erforderliche Rechtsgüterschutz erlaubt 7. Verfahrensbeschleunigung erweist sich damit - verfassungsrechtlich betrachtet - als Abwägungsproblem 18 • Es stehen sich gegenüber die grundrechtliche Freiheit des Vorhabenträgers / Investors, der möglichst schnell die rechtlichen Hürden fUr sein Vorhaben - fUr die Ausübung seiner Grundrechtsfreiheit - überwinden will, und Rechtsgüter Dritter wie der Allgemeinheit, die vor Risiken und Schäden durch das Vorhaben geschützt werden sollen. Wer als Gesetzgeber oder als gesetzvollziehender Verwaltungsträger Verfahren beschleunigen will, muß diese widerstreitenden Interessen jeweils fUr sich gewichten und dann gegeneinander abwägen. Auf der Seite des Rechtsgüterschutzes kommt es dabei vor allem darauf an, welches Ausmaß die möglicherweise drohenden Schäden haben können, ob Z.B. gravierende Gesundheitsbeeinträchtigungen oder sogar TodesflilIe möglich erscheinen, und wie groß die Wahrscheinlichkeit solcher Schäden ist - ein Prognoseproblem. Auf der Seite der Investoren kommt es darauf an, welche BeVgl. Maurer, wie vor, § 9 Rdn. 54, § 23 Rdn. 20 a; Beispiel: § 15 BImSchG. Vgl. zur Auswahl des materiell-rechtlichen Instrumentariums Rombach (FN 4), S. 171 f.; zur grundrechtsschützenden Funktion von Verwaltungsverfahren Hesse (FN 13), Rdn. 358 ff. m.w.N.; Stober (FN 13), S. 7 f.; Denninger (FN 13), Rdn. 29 ff. 18 Deshalb kann man die Verfahrensbeschleunigung nicht isoliert zum Verfassungsgebot erheben, so zu Recht Rombach (FN 4), S. 158 ff. (gegen Bullinger, der allerdings i.E. ebenfalls nur ein Abwägungsgebot fonnuliert, vgl. dens., in: Blümell Pitschas (FN 4), S. 130 ff.); ebenso Jacoby, Die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren und das Verfassungsrecht, 1996, S. 55. 16 17

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deutung das jeweilige Vorhaben sowohl gesamtwirtschaftlich als auch rur die berufliche und wirtschaftliche Existenz der Betroffenen hat und welche Rolle dabei der Zeitfaktor spielt. Genau an dieser Stelle kommen die Erkenntnisse ins Spiel, auf die eingangs schon hingewiesen wurde: Je stärker Beschleunigungsmaßnahmen Abstriche auf der Seite des Rechtsgüterschutzes mit sich bringen und Risiken erhöhen, desto gewichtiger müssen nicht nur die sachlichen Vorhaben von Investoren, sondern gerade auch ihr "Eilbedürfnis" sein. Nur vermutete, aber nicht belegbare Beschleunigungsinteressen können nachhaltige Umgestaltungen von Verwaltungsverfahren mit erhöhtem Schadensrisiko nicht rechtfertigen 19. Eine "allgemeine Unzufriedenheit" und Imageprobleme taugen dazu noch weniger.

3. Grundrechtskollisionen ? In der Grundrechtsdogmatik hat man rur derartige Konfliktlagen und ihre grundrechtliehe Bewertung mancherlei Konstruktionen und Namen erdacht. Der Interessenwiderstreit zwischen Investoren und potentiell geschädigten Dritten wird gern als "Grundrechtskollision" bezeichnet, die man materiellund verfahrensrechtlich lösen müsse. Diese Terminologie und Sichtweise ruhrt leicht zu Mißverständnissen: Von einer Kollision "der Grundrechte" könnte man beim Konflikt Privater zwar dann sprechen, wenn die Grundrechte Pflichten und Rechte im Verhältnis Privater zueinander normieren würden. Eine solche unmittelbare "Drittwirkung" der Grundrechte wird aber ganz allgemein abgelehnt. Die Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes sind vielmehr an den Staat adressierte Rechtssätze und haben in erster Linie einen negatorischen Inhalt. Das bedeutet: Die staatsgerichteten Pflichten und korrespondierenden BürgeransprOche aus den Grundrechten zielen primär auf eine Begrenzung oder Unterbindung staatlicher Zugriffe ab, kurz auf "Eingriffsabwehr" . Solche Zugriffsverbote und AbwehransprOche gegenüber dem Staat kollidieren aber nicht, wenn die Freiheit eines privaten Grundrechtsträgers durch einen anderen Grundrechtsträger bedroht wird20 . Eine Kollision staatlicher Grundrechtspflichten wird durch den Konflikt von Privaten nur dann ausgelöst, wenn dieser Konflikt inhaltlich gegenläufige grundrechtliche Verhaltensanforderungen an den Staat aktualisiert. Das ist der Fall, wenn der potentielle Schädiger gegenüber dem Staat grundrechtliche Abwehrrechte geltend machen kann, der potentiell Geschädigte dagegen grund19 Grundlegende Zweifel an der Vereinbarkeit der anhaltenden Beschleunigungseuphorie mit der "Langzeitverantwortung" des Gesetzgebers äußert Erbguth (FN 4) m.w.N. 20 Näher Steinbeiß-Winkelmann (FN 12) S. 139 ff. m.w.N.

VerfassungsrechtIiche Vorgaben und Grenzen der Verfahrens beschleunigung 209

rechtliche Schutzansprüche. Ob und in welchem Umfang Schutzpflichten aus den Grundrechtsverbürgungen abgeleitet werden können, ist zwar im einzelnen unklar und streitig. Einmütigkeit dürfte aber darüber bestehen, daß solche positiven Schutzanforderungen aus Grundrechten allenfalls in Gestalt weitmaschiger objektiver Gebote abgeleitet werden können und daß deren Erfüllung weitgehend dem Gestaltungsermessen des Gesetzgebers überlassen bleibt. Präzisierte einklagbare Schutzansprüche Einzelner korrespondieren solchen objektiven Geboten grundsätzlich niche'. Damit kann die schon oben gezogene Zwischenbilanz zur Verfahrensbeschleunigung als Abwägungsproblem vervollständigt werden: Rechtsgüterschutz durch staatliche Genehmigungserfordernisse und zugehörige Verwaltungsverfahren geschieht zwar in Erfüllung objektiver Schutzaufgaben des Staates. Wie dieser Schutz materiell- und verfahrensrechtlich im einzelnen zu bewerkstelligen ist, zeichnet die Verfassung aber nicht vor. Das gilt um so mehr, wenn es um staatlichen Schutz rur einzelne gegenüber anderen Grundrechtsträgern geht, deren Freiheit der Staat nicht übermäßig beschneiden darf. Auch der Rechtsgüterschutz zu Gunsten der Allgemeinheit - insbesondere Artikel 20 a GG - begründet keine konkreteren Verhaltensanforderungen an den Staat. Artikel 20 a GG geht davon aus, daß der Umweltschutz mit anderen Verfassungsprinzipien und Verfassungsrechtsgütern prinzipiell gleichgestellt ise2 • Beim Ausgleich zwischen Umweltschutz und anderen Verfassungsrechtsgütern soll dem Gesetzgeber ebenfalls ein weiter Gestaltungsspielraum bleiben, insbesondere auch bei der' Frage, welche Schutz-, Vorsorge- und Überwachungsstandards im materiellen Recht festgelegt und verfahrensrechtlich abgesichert werden sollen23 • Zusammengefaßt: Das Grundgesetz enthält in aller Regel keine konkreten Gestaltungsanforderungen an Verwaltungsverfahren, sondern liefert nur Richtwerte. Zwischen gegenläufigen Freiheitsinteressen der Bürger und im Konflikt Individualinteresse / Allgemeininteresse muß durch materielles Recht in Gestalt von Genehmigungs- und Anzeigeerfordernissen ein angemessener Ausgleich gesucht werden 24 • Es muß - mit den Worten Hesses - "praktische Konkordanz" angestrebt werden. Die Genehmigungsverfahren müssen so ge-

21 Näher Steinbeiß-Winkelmann (FN 12), S. 52 ff., 145 ff. m.w.N.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtIichen Schutzpflichten, 1996; zu grundrechtlichen Schutzpflichten aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts Szczekalla, DVBI. 1998, S. 219 ff. 22 Vgl. die Begründung im Bericht der Gemeinsamen Verfassungs-Kommission, BT-Drs. 12/6000, S. 67f. 23 Jarass / Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 20 a, Rdn. 7. 24 Hesse (FN 13), Rdn. 317 ff. '4 Speyer 128

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staltet sein, daß im Einzelfall diese ausgewogene Konkordanz auch tatsächlich gefunden wird25 . Diese verfassungsrechtlichen Maßgaben sollen nachfolgend anhand ausgewählter Beispiele aus der jüngeren Beschleunigungs"geschichte" veranschaulicht werden.

111. Anschauungsbeispiele 1. Standardabbau und -öffnung

In den Empfehlungen des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" fmdet sich die Forderung: "weniger Standards als vorrangiges Ziel der Deregulierung" 26. Der Standardabbau ist ein grundrechtlich sensibles Thema, das in der aktuellen Diskussion auch in einen Zusammenhang mit der Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltungsverfahren gebracht wird. Tatsächlich geht es hier aber um Regelungsthemen, die - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - nicht mit den Mitteln des Verfahrensrechts gelöst werden können. Was sich hinter dem Schlagwort "Standardabbau und Flexibilisierung von Standards" verbirgt, liegt nicht offen zutage, denn der Begriff der Standards ist weit und unbestimmt. Der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" definiert Standards als "qualitative oder quantitative Mindestanforderungen an Personal, Ausstattung, Verhalten oder Verfahren,,27. Solche Anforderungen finden sich in Gesetzen, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Länder, aber auch in privatrechtlichen Regelungswerken wie z.B. DINNormen28 . Der Sachverständigenrat betont, daß rur Standards das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt, und dies trifft zu, soweit es um Standards geht, die gesetzliche Verbindlichkeit beanspruchen. Derartige Standards haben - so der Sachverständigenrat - in vielen Bereichen Oberhand genommen, sind zu klein25 Hesse (FN 13), Rdn. 360; Wahl, in: BIUmel / Pitschas (FN 4), S. 86 f, 116 ff. (zum "magischen Vieleck" der Anforderungen an Verwaltungsverfahren); zur Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts, in komplexen Regelungssituationen eine weit verstandene "Richtigkeit" der Problemlösung zu sichern, instruktiv auch Hoffmann-Riem, AöR 119 (1994), S. 590 (599 ff.); s. zu den verfassungsrechtlichen Eckdaten der Verfahrensgestaltung außerdem Bank, NVwZ 1997, S. 320 (322 f); Jacoby (FN 18), S. 27

ff.

Abschlußbericht (FN 3), S. 74 ff Wie vor, S. 79 f; speziell zur "fast unUberschaubaren Zahl von Umweltstandards" Schulze / Fie/itz, in: Schmidt (Hrg.), Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Besonderer Teil 1, 1995, S. 219 (270 f.) m.w.N. 28 Abschlußbericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 76, 80. 26

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teilig und starr geworden 29 • Deshalb sollen nach den Vorstellungen des Sachverständigenrates neue Standards im Bundes- und Landesrecht strenger auf ihre Erforderlichkeit geprüft und vorhandene Standards nachträglich unter einen Ausnahmevorbehalt gestellt werden. Die Verwaltung soll verstärkt ermächtigt werden, im Einzelfall von vorgegebenen Standards abzuweichen oder jedenfalls gleichwertige Alternative zu erlauben. Adressat dieser Forderung ist nach der Formulierung des Sachverständigenrates "der jeweilige Gesetzgeber", der den Ausnahmevorbehalt durch "ein generelles Gesetz" normieren so1l30. Mit dem Stichwort "generelles Gesetz" kommen die verfassungsrechtlichen Grenzen für den Standardabbau ins Spiel: Es ist zwar aus der Sicht der Investoren, die durch Standards in ihrer Grundrechtsfreiheit beschränkt werden, verfassungsrechtlich geboten, Standards auf das Maß des Erforderlichen und Angemessenen zu beschränken. Wo diese Grenze verläuft, hängt aber vom Schutzzweck der jeweiligen Standards ab. Standards, die Rechtsgüterschutz gewährleisten, und Standards mit anderen Zwecken, z.B. der Qualitätssicherung, dürfen nicht gleichgesetzt werden 31 . Geht es um Standards der ersten Gruppe, dann ist für Abbau- und Öffnungsmöglichkeiten die Frage entscheidend, wie stark einerseits die jeweilige Standardregel Investoren belastet und wie hoch andererseits im jeweiligen Zusammenhang das Sicherungsbedürfnis für Dritte oder die Allgemeinheit ist. Ein Abbau und eine Öffnung von solchen Standards kann deshalb nur durch differenzierende Regelungen in den jeweils einschlägigen Fachgesetzen vollzogen werden. Generalisierende und pauschalisierende Regelungeri in Querschnittsgesetzen kommen dagegen nicht in Betracht, denn sie erlauben keine abwägende Grenzziehung anband der Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs. Damit scheidet insbesondere auch das Verwaltungsverfahrensgesetz schon deshalb als Standort für solche Regelungen aus, weil es ein sachbereichsübergreifendes Querschnittsgesetz ist. Hinzu kommt, daß Standards, die dem RechtsgUterschutz dienen, dem materiellen Ordnungsrecht zuzurechnen sind. Man hat es hier nicht mit einem Regelungsthema des Verfahrensrechts zu tun, so daß auch die Kompetenztitel, die das Verwaltungs verfahrens gesetz des Bundes tragen, hier nicht genutzt werden können. Daß eine Standardreduzierung über das Thema Verfahrensbeschleunigung weit hinausgeht, kommt in den Vorschlägen der Schlichter-Kommission und der Ludewig-Arbeitsgruppe im übrigen gebührend zum Ausdruck: Dort heißt 29 Wie vor, S. 76 ff., ohne Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Standardarten. 30 Wie vor, S. 83. 31 Dementsprechend wird den Standards, die Leib und Leben sowie öffentliche Sicherheit und Ordnung schützen, auch im Abschlußbericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 82 f., eine Sonderrolle zugewiesen.

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die Prämisse der Beschleunigungsvorschläge nämlich: Kein Abbau von materiellen Standards, soweit sie "rechtlich gebotene Leistungen zu Gunsten Dritter oder der Allgemeinheit, etwa zum Schutz der Umwelt oder einzelner Grundrechte" betreffen32 • 2. Beurteilungsermächtigungen und Reduzierung verwaltungsgerichtlicher Kontrolldichte Ganz ähnlich wie bei der Frage des Abbaus von Standards fällt die verfassungsrechtliche Bewertung bei einem anderen Vorschlag aus, der in der Beschleunigungsdiskussion mit bemerkenswerter Ausdauer seit Jahren immer wieder ins Spiel gebracht wird: Gemeint ist die Idee, in die VwGO einen neuen § 114 a einzufügen, der die Beurteilungsspielräume der Verwaltung vergrößern und die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte verkleinern so1l33. Bemerkenswert ist die Lebensdauer dieses Vorschlages deshalb, weil wiederholte Nachfragen bei den Fachverwaltungen auf Bundes- wie auf Landesebene zu dem Ergebnis geführt haben, daß dort die in Schlagzeilen zuweilen beklagte "Kontrollwut" der Verwaltungsgerichte gar nicht als übermäßige Einengung empfunden wird und daß man dementsprechend auch keinen Bedarf für eine allgemeine "Richterbändigungsklausel" in der VwGO siehe 4 • Auch hier handelt es sich - wie beim Standardabbau - um ein Regelungsthema, das dem materiellen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen ist und das außerdem nur differenzierend und nicht pauschal in einem sachgebietsübergreifenden Gesetz wie der VwGO behandelt werden kann. Beurteilungsermächtigungen sind Regelungen, bei denen der Gesetzgeber der Verwaltung für einzelne Tatbestandsmerkmale eine Entscheidungsprärogative einräumt. Während die Auslegung gesetzlicher Tatbestandselemente und ihre Anwendung im konkreten Fall normalerweise der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt, soll bei solchen Beurteilungsspielräumen die gerichtliche Kontrolle ähnlichen Grenzen unterliegen wie die Er32 Bericht der Schlichter-Kommission (FN 1), Vorschlag "Leit 9", S. 60 f.; "ImSch 6" und "ImSch 12", S. 105 f., 111 f.; siehe auch das dortige Votum (S. 113 f.) gegen eine "Dynamisierung" von Standards als Instrument der "Regelbeschleunigung"; zur Verbesserung des Umweltrechtsvollzuges ohne Standardabsenkungen auch Lübbe-Wolff, Modemisierung des Umweltordnungsrechts, 1996. 33 Vgl. Bericht der Schlichter-Kommission (FN 1), S. 194 f. 34 Die erste Nachfrage wurde auf der Länderebene entsprechend einem Auftrag der Iustizminister-Konferenz vom Herbst 1993 in den Iahren 1994 und 1995 durch eine Länder-Arbeitsgruppe durchgeführt und mündete in einen entsprechenden Beschluß der Herbst-Iustizminister-Konferenz 1995; die Befragung auf Bundesebene wurde 1996 vom Bundesministerium der Iustiz durchgefllhrt.

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messenskontrolle35 . Die Schaffung derartiger kontrollfreier Entscheidungsräume ist eine Sache des materiellen Verwaltungsrechts, so daß schon aus diesem Grunde Ideen, dieses Thema in die VwGO zu transportieren, verfehlt sind. Das Problem hat aber darüber hinaus auch eine verfassungsrechtliche Dimension, die derjenigen des Themas "Standardabbau" gleicht. Verwaltungsgerichtliche Kontrolle dient der Bewahrung des objektiven Rechts zum Schutz der Allgemeinheit. Zugleich verwirklicht sie den grundrechtlichen Anspruch aus Artikel 19 Abs. 4 GG auf effektiven Rechtsschutz. Beschränkungen dieser Kontrolle durch Schaffung von Beurteilungsspielräumen filr die Verwaltung sind deshalb verfassungsrechtlich nur zulässig, soweit das im Licht der Rechtsschutzgarantie und des überindividuellen Rechtsgüterschutzes angemessen erscheine6 . Auch hier kommt es also im Ergebnis auf eine Abwägung der widerstreitenden Belange an, und diese Abwägung kann nicht pauschal, sondern nur differenzierend getroffen werden. Dementsprechend haben sowohl die Schlichter-Kommission als auch die Ludewig-Arbeitsgruppe davon abgeraten, eine allgemeine Beurteilungsspielraum-Klausel in die VwGO einzufilgen (Vorschlag VG 7). Sie stünde - wie es in den Empfehlungen der Schlichter-Kommission heißt - "verfassungsrechtlich auf höchst unsicherem Boden und würde Unsicherheit statt Beschleunigung bringen,,37. Warum der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" hierzu gleichwohl eine intensive neue Diskussion anmahnt, damit "das Grundproblem in seiner Gesamtheit zu einem späteren Zeitpunkt" wieder aufgegriffen werden kann 38 , bleibt ungewiß.

3. Unerheblichkeit planerischer Abwägungsmängel Die bisherigen Überlegungen münden einheitlich in die Bilanz: differenzierende Ausnahmeregelungen: ja, sachbereichsübergreifende Pauschallösungen: nein. Dieses Bewertungsmuster wiederholt sich auch bei der Ergänzung des § 75 VwVfG durch einen neuen Absatz 1 a, der besagt: "Mängel im Abwägungsvorgang sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwä35

14 ff.

Vgl. Maurer (FN 15), § 7 Rdn. 26 ff.; WolfJ I Bachof1Stober (FN 15), § 31 Rdn.

36 Vgl. Maurer (FN 15), § 7 Rdn. 34 ff.; WolfJ I BachofI Stober (FN 15), § 31 Rdn. 16, 24, beide m.w.N. aus Literatur und Rechtsprechung; s. zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben und Perspektiven der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte - auch mit rechtsvergleichendem Blick auf das europäische Ausland - außerdem SchmidtAßmann, DVBI. 1997, S. 281 ff. 37 Bericht der Schlichter-Kommission (FN I), S. 197 f. zum Vorschlag "VG 7"; Empfehlungen der "Ludewig-AG" (FN 2), S. 52 zum sei ben Vorschlag. 38 Abschlußbericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 191.

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gungsergebnis von Einfluß gewesen sind,,39. Das Vorbild hierfür ist § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB, der seinerseits Vorläufer im alten Baurecht hat und durch die jüngste Baurechtsnovelle nicht verändert worden ist. Eine derartige Regelung, wie sie jetzt im VwVfG allgemein rur Planfeststellungsverfahren getroffen worden ist, schneidet Planungsbetroffenen partiell die Möglichkeit ab, Einwendungen im Verwaltungsverfahren und vor Gericht geltend zu machen. Sie beschränkt also grundrechtliche Positionen, vor allem des Gesundheits- und des Eigentumsschutzes, und wiederum auch die korrespondierende Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Deshalb wurde gegenüber den ersten derartigen Regelungen im Baurecht - wie es in der Kommentarliteratur heißt "ungewöhnlich heftige verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Kritik" geübt40 • Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat der UnbeachtlichkeitsklauseI im Ergebnis zwar Verfassungsmäßigkeit bestätigt, zugleich aber die Voraussetzung aufgestellt, eine solche Klausel müsse verfassungskonform einschränkend ausgelegt werden41 : Man dürfe fehlerhafte Planvorstellungen von Ratsmitgliedern oder seitens des Planungsverbandes zwar als unerheblich einstufen und insofern die Kontrolle des Abwägungsvorgangs beschränken. Das Abwägungsergebnis müsse aber unbeschränkt nachprüfbar bleiben. Wenn die konkrete Möglichkeit bestehe, daß eine Planung ohne den gerügten Mangel anders ausgefallen wäre, dann sei dieser Mangel auch erheblich 42 • Diese höchstrichterliche Forderung nach verfassungskonformer Restriktion macht deutlich, daß auch die Unbeachtlichkeitsklausel bei Abwägungsmängeln grundsätzlich Ausnahmecharakter behalten muß, daß sie also nicht generalisierend getroffen werden sollte, sondern nur als punktuelle Regelung in einzelnen Fachgesetzen43 . Der Gesetzgeber ist dieser Linie im Planungsvereinfachungsgesetz44 auch zunächst gefolgt und hat entsprechende Einzelregelungen - die 39 Diese Ergänzung entspricht einer Empfehlung der Schlichter-Kommission, s. Abschlußbericht (FN 1), S. 179 mit Vorschlag "VwV 7"; entsprechendes Votum im Bericht der Ludewig-AG (FN 2), S. 25. 40 Vg!. Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 4. Autl 1994, Vorbemerkungen §§ 214 - 216, Rdn. 7 m.w.N. 41 BVerwGE 64, 33 (35 ff.). 42 BVerwG, wie vor, S. 39 f. 43 Vg!. die Grundsatzkritik bei Erbguth, JZ 1994, S. 477 (480) gegen die undifferenzierte Gleichsetzung von Planfeststellungen und Entscheidungen der Bauleitplanung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten im Bereich kommunaler Selbstverwaltungsgarantie; für Übernahme in das VwVfG hingegen schon Wahl, in: Blüme! / Pitschas (FN 4), S. 103; s. dazu auch unten FN 48; einen weiteren Problemfall bilden im übrigen die erweiterten Möglichkeiten zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach §§ 45 Abs. 2, 46 VwVfG. S. zur Kritik Bank, NVwZ 1997,320 (324 ff.) mit dem m.E. zutreffenden Resultat, daß die Neuregelungen "nicht von vornherein als verfassungswidrig eingestuft werden können", wohl aber bei entsprechender Grundrechtsrelevanz des Verfahrensfehlers einer verfassungskonform einschränkenden Auslegung bedürfen. 44 Vom 17.12.1993 (8GB!. I S. 2123).

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um den Vorrang der Planergänzung angereichert sind - in die wesentlichen planungsrelevanten Fachgesetze eingeftlgt. Für eine noch weiter reichende generalisierende Querschnittsregelung im VwVfG ist damit - vom Differenzierungsgebot abgesehen - schon kein Bedarf erkennbar. Daß sie gleichwohl getroffen wurde, dürfte wohl hauptsächlich auf den Wunsch nach politischer Signalwirkung zurückzuführen sein. 4. Materielle Präklusion und sog. "Behördenpräklusion" Ähnliches gilt ftlr den neuen § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG, der für alle Planfeststellungsverfahren eine materielle Präklusion eingeführt hat: Verspätet vorgebrachte Einwendungen werden ausgeschlossen, und zwar auch mit Wirkung ftlr den Verwaltungsprozeß, also materiell. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs.4 GG, die generellen Beurteilungs- und Unerheblichkeitsklauseln Grenzen zieht, ist auch Bewertungsmaßstab ftlr solche Regelungen der materiellen Präklusion. In der verfassungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung besteht an sich Einmütigkeit, daß die materielle Präklusion als Beschneidung der Rechtsschutzgarantie Ausnahme bleiben muß und nur ftlr einzelne Sachbereiche eingeftlhrt werden kann. Voraussetzung ist, daß im jeweiligen Bereich das Verwaltungsverfahren eine kompensatorische Ausgestaltung hat, so daß eine Präklusion im Ergebnis keine übermäßige Rechtsschutzerschwerung bewirkt45 . Der Gesetzgeber muß deshalb gesondert zwischen Rechtsschutzbelangen einerseits und möglichen Beschleunigungsbedürfnissen andererseits abwägen, bevor er sich zu einer solchen Regelung entschließt46 • Bei der Änderung des VwVfG zur Umsetzung der Empfehlungen der Ludewig AG hat man sich über dieses Differenzierungsgebot4 aber mit dem schlichten Verweis auf das Planungsvereinfachungsgesetz ohne weitere Begründung hinweggesetzt48 • Der Trend der Zeit war offensichtlich stärker als verfassungsrechtliche Zweifel. 45 Vgl. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrg.), GG-Kommentar, Bd. 1, 1996, Art. 19 IV, Rdn. 76 m.w.N.; Kopp, VwVfG, 6. Aufl. 1996, § 73 Rdn. 95; Stelkens (FN 4), § 26 Rdn. 39, § 73 Rdn. 51. 46 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Stand 1996, Art. 19 IV Rdn. 260 m.w.N.; siehe auch Rombach (FN 4), S. 226 ff. 47 Im Votum der Ludewig-AG (FN 2) kommt dieses Differenzierungsgebot bei Vorschlag "VwV 6" (S. 25) noch zum Ausdruck. 48 V gl. Regierungsentwurf des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BT-Drs. 13 / 3995, Begründung zu Art. 1 Nr. 7.; für eine entsprechende Vereinheitlichung im VwVfG hingegen bereits Wahl, in: Blümel / Pitschas (FN 4), S. 101, u. wohl auch Blümel, ebd., S. 26, beide im Rahmen nachdrücklicher und grds. überzeugender Plädoyers gegen den zunehmenden Wildwuchs von Sonderverfahrensrecht u. bereichsspezifischem Verfahrensrecht. M.E. ist die auch bei Wahl (S. 86 f.) thematisierte Grenze

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Unberücksichtigt blieb insbesondere auch die Überlegung, wie hoch die Entlastungswirkung solcher Präklusionsregelungen rur die Verwaltung im Ergebnis tatsächlich sein kann. Im Verwaltungsverfahren gilt gern. § 24 VwVfG der Amtsermittlungsgrundsatz, und deshalb muß die entscheidende Behörde alle Umstände ermitteln und berücksichtigen, die rur die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung von Bedeutung sind. Dazu gehören nicht nur die Belange der Allgemeinheit, sondern gleichermaßen auch die möglichen Auswirkungen auf Rechtsgüter Dritter. Die Pflicht der Behörde, solche denkbaren Auswirkungen auf Dritte zu berücksichtigen, hat zwar Grenzen, die sich namentlich aus den Mitwirkungsobliegenheiten von Beteiligten gern. § 26 Abs. 2 VwVfG und auf Grund spezieller Rechtsvorschriften ergeben. Verletzt ein Betroffener diese Mitwirkungslast, so darf die Behörde - vor allem in komplexen Planfeststellungsverfahren - die nicht vorgetragenen Belange grundsätzlich auch unberücksichtigt lassen. Diese Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes durch Mitwirkungslasten gilt aber nicht rur Belange, die die Behörde trotz versäumter Mitwirkung des Betroffenen kennt oder die sich ihr aufdrängen mußten49 • Offenkundige Auswirkungen auf Rechtsgüter Dritter (oberhalb der Bagatellgrenze ) muß die Behörde also immer berücksichtigen. Ob diese Dritten sich fristgerecht zu Wort gemeldet haben, ist im Fall der materiellen Präklusion zwar fUr ihre Anfechtungsmöglichkeiten vor Gericht maßgebend, aber nicht fUr die Amtsermittlungspflichten der Behördeso • Diese Anforderungen des Amtsermittlungsprinzips finden im neuen § 73 Abs.3 a VwVfG (und parallel in § 71 c Abs. 2 VwVfG sowie im neuen § 20 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV) gebührenden Ausdruck. Hier ist in das VwVfG die sog. Behördenpräklusion eingerugt worden, d.h. der Ausschluß von Behörden mit verspäteten Stellungnahmen. Präklusionsregelungen beruhen eigentlich auf dem Verwirkungsgedanken, also auf der Vorstellung, daß ein Betroffener über seine Belange verfUgen und frei entscheiden kann, ob und wann er Einwendungen erhebtS I. Diese Dispositionsbefugnis haben Behörden, die öffentliche Belange wahrnehmen müssen, aber gerade nicht. Wenn die Belange, die eine Behörde in einem Planfeststellungsverfahren zu vertreten hat, rur die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung von Bedeutung sind, kann es keine

der Rechtsvereinheitlichung bei grundrechtlich so "heiklen" Themen wie Unerheblichkeitsklausel und materieller Präklusion erreicht, weil mit der Übernahme solcher Regelungen aus den Fachgesetzen in das VwVfG das Regel-Ausnahme-Verhältnis entgegen der grundrechtlich vorgegebenen Tendenz umgekehrt wird. 49 Vgl. BVerwGE 59, 87 (103 f.); Kopp (FN 45), § 24 Rdn. 18, § 73 Rdn. 60 a m.w.N. so Vgl. BVerwGE 60,297 (309 f.); Kopp (FN 45), § 73 Rdn. 95 m.w.N. sowie Rdn. 60 a; Stelkens (FN 4), § 26 Rdn. 39 a.E. SI Vgl. Schulze-Fielitz (FN 45).

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Präklusion wegen Verspätung geben s2 • Der neue § 73 Abs. 3 a S. 2 trägt dem Rechnung, denn er schließt die Behördenpräklusion nicht nur aus, wenn die verspätet vorgebrachten Belange der Planfeststellungsbehörde schon bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen. Fristunabhängig müssen vielmehr darüber hinaus auch all die Aspekte berücksichtigt werden, die für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung sind. Mit dieser zusätzlichen Einschränkung, die in den Vorschlägen der Schlichter-Kommission noch nicht enthalten warS3 , werden nicht nur die Gefahren einer zu weitreichenden Behördenpräklusion abgefangen, sondern aus den oben dargelegten Gründen zugleich auch die Härten der Individualpräklusion gemildert. 5. Private Eigenleistungen (Auditierung, Haftung) vor staatlicher Kontrolle? Der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" legt besonderes Gewicht auf die Überlegung, staatliche Kontroll- und Überwachungstätigkeit durch "Eigenleistungen" von Investoren zu ersetzen. Bei diesen Eigenleistungen steht die Selbstkontrolle in Form von Auditierungen nach Art des Umwelt-Audit im Vordergrunds4 • Daneben gibt es den Gedanken an Haftungsverschärfungen eventuell gekoppelt mit Versicherungspflichten - als Ersatz rur staatliche VerantwortungSs • Zu der Frage, auf welche Elemente staatlicher Kontrolle unter Verweis auf solche Eigenleistungen verzichtet werden soll, gibt es wiederum verschiedene Modelle. Die Schlichter-Kommission nennt in ihren Empfehlungen folgende Möglichkeitens6 : 52 Vgl. Erbguth, JZ 1994, S. 477/479 f. unter Hinweis auf das Rechtsstaatsprinzip; zu den Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Beteiligung anderer Behörden auch Rombach (FN 4), S. 212 ff.; speziell zur Neuregelung der Behördenpräklusion im VwVfG auch Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (328). 53 Vgl. Bericht der Schlichter-Kommission (FN 1), Vorschlag "VwV 6" c (S. 177 f) und "ImSch 23" (S. 135 f.). 54 Vgl. Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 90 ff.; zum System des Umwelt-Audits Waskow, Betriebliches Umweltmanagement, 1994; LübbeWoljJ, OVBI. 1994, S. 361 ff; Sel/ner I Schnutenhaus, NVwZ 1993, S. 928 ff.; Schneider, Die Verwaltung 1995, S. 361 ff; zum "Wettbewerb" zwischen der EG-Öko-AuditVerordnung und dem Instrumentarium der ISO Norm 14001 Feldhaus, UPR 1998, S. 41 ff. 55 Vgl. Bericht der Schlichter-Kommission (FN I), S. 62 (Rdn. 239 f.), S. 122 (Rdn. 546); aus der Literatur Bohne, OVBI. 1994, S.195 ff.; ders., in: BlUmel / Pitschas (FN 4), S. 67 ff; Endres I Rehbinder I Schwarze, Haftung und Versicherung rur Umweltschäden aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1992. 56 Vgl. die Vorschläge "Leit 20,21" (S. 74 f), "Leit 24" (S. 80 ff.), "ImSch 14 bis 16" (S. 116 ff), "ImSch 24" (S. 138 ff.); im Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 94, wird zusätzlich die Möglichkeit angesprochen, rur auditierte Standorte auf nachträgliche Kontrollen und Informationspflichten zu verzich-

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Verringerung der Kontrolltiefe durch Möglichkeit der Behörde,sich bei der Vor- und / oder Nachkontrolle auf Audit-Prüfberichte zu stützen (also Einschränkung der Amtsennittlungsanforderungen)s7 Erteilung von nur vorläufigen, widerruflichen oder partiellen Genehmigungen (also Einschränkung des sachlichen Kontrollumfangs), insbesondere durch erweiterte Möglichkeiten, den vorzeitigen Beginn von Anlagen nicht nur bei Anlageänderungen zuzulassen, sondern auch bei Neuanlagen (§ 15 a ImSchG alt, § 8 a neu) Verlagerung bestimmter Prüfungsabschnitte auf die Zeit nach der Genehmigungserteilung ("gestrecktes" Genehmigungsverfahren ) Beschränkung auf eine Rahmengenehmigung im Sinne einer Prüfbestätigung nur rur die wesentlichen gesetzlichen Anforderungen (als weitere Variante eines "gestreckten" Genehmigungsverfahrens) völliger Verzicht auf das Genehmigungserfordernis zu Gunsten der bloßen Anzeige. Gemeinsam ist allen diesen Überlegungen, die in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert werden können, folgendes: Die sachlichen Anforderungen des materiellen Rechts gegenüber Vorhaben sollen unberührt bleiben. Es geht hier also nicht primär um Dere~ulierung. Im Vordergrund steht vielmehr der Grundgedanke der Substitution 8. Damit unterscheiden sich diese Ansätze vor allem vom Instrumentarium des Standardabbaus, das auch Absenkungen der materiellen Rechtrnäßigkeitsschwelle mit umfaßt. Abgesenkt wird beim Verweis auf private Eigenleistungen nicht diese Schwelle. Vielmehr soll bei gleichbleibendem materiell-rechtlichem Standard die staatliche Garantenrolle und Mitverantwortung fiir die Einhaltung dieses Standards eingeschränkt werden. Die Garantien, die der Staat nach abschließender Prüfung aller Rechtsmäßigkeitsfragen bezüglich eines Vorhabens mit der Erteilung einer bestandskräften, was aber nicht mehr die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens i.e.S. betrifft; vgl. im übrigen zu den unterschiedlichen Ansätzen einer Reduzierung von Genehmigu!.lgselementen auch die Übersicht bei Rombach (FN 4), S. 163 ff., HoffmannRiem, AOR 119 (1994), S. 590 (603 ff) m.w.N. 57 Auf den Unterschied dieses Ansatzes gegenüber sog. "Rahmengenehmigungen" wird in den Empfehlungen der Ludewig-AG (FN 2), zu "ImSch 14" (S. 42 f.) besonders hingewiesen. 58 Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 90 f; siehe außerdem Böhm-Amtmann, in: Abschlußbericht des Sachverständigenrates "Schlanker ~taat", Materialband, S. 342 f, unter Hinweis auf die entsprechenden Vorgaben der Oko-Audit-Verordnung der EG.

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tigen Vollgenehmigung übernimmt, sollen teilweise oder ganz durch private "Garantien" ersetzt werden. Der Schwerpunkt staatlicher Mitverantwortung verlagert sich damit auf die Kontrolle der Kontrolleure 59 • Wo liegen die verfassungsrechtlichen Grenzen rur solche Ersatzlösungen? Bis zu welchem Punkt darf sich der Staat aus seiner vorsorgenden Wächterrolle zurückziehen und auf die nachträgliche Überwachung beschränken? Für diese Fragen gibt es noch weniger griffige Formeln als bei den schon abgehandelten Beschleunigungsbeispielen. Markiert werden können aber auch hier verfassungsrechtliche Eckpunkte60 , die letztendlich wieder in das Erfordernis der Rechtsgüterabwägung münden: Ob Haftungs- und Versicherungslösungen eine Zurücknahme staatlicher Präventivkontrolle erlauben, hängt vor allem von Art, Ausmaß und Wahrscheinlichkeit der Schäden ab, die mit einem Vorhaben verbunden sein können. Je höher die Schadensgefahr, desto wichtiger sind präventive Kontrollverfahren. Grundrechtlicher Verfahrensschutz durch angemessene Beteiligungsmöglichkeiten von Drittbetroffenen ist nur im Vorfeld einer Genehmigungserteilung zu verwirklichen. Je geringer und unwahrscheinlicher dagegen denkbare Schäden sind, je weniger vor allem Lebens- und Gesundheitsgefahren bestehen, desto eher wird der Staat Drittbetroffene auf eine Risikoübernahme durch den Investor verweisen dürfen, desto eher darf also echte Schadensvorsorge durch Schadensersatzmöglichkeiten ersetzt werden. Daß die Belastbarkeit solcher Risikoübernahmen ggf. durch Versicherungsnachweise gewährleistet werden muß, wurde oben schon erwähnt. Ob es dabei rur die ganz unterschiedlichen Konstellationen zufriedenstellende versicherungstechnische Lösungen gibt, muß jeweils gesondert geprüft werden, was im übrigen auch schon die Schlichter-Kommission hervorgehoben hat61 . Je höher das Geflihrdungspotential einer Anlage, desto weniger wird es adäquate Versicherungsmodelle geben. Insbesondere sind private Haftungs- und Versicherungslösungen nicht geeignet, um Schäden rur die Allgemeinheit abzufangen, auf deren Abwehr staatliche Präventivkontrolle ebenfalls abzielt. Bei diesen Allgemeinheitsbelangen spielt die Vorsorge gegenüber den neuartigen Distanzund Summationsschäden - Stichwort: Waldschäden - eine besonders wichtige

59 Vgl. Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat", S. 92; s. hierzu auch den Bericht über das Lüneburger Umweltsymposium "Öko-Audit und Umweltordnungsrecht" von Lange/eldt, NVwZ 1997, S. 771 (774). 60 Vgl. ausführlicher zu den Möglichkeiten und Grenzen einer Teilprivatisierung der Verfahrensverantwortung Hoffmann-Riem, AöR 119 (1994), S. 590 (607 fI) m.w.N.; zu den rechtlichen Grenzen bei der Einschränkung präventiver Genehmigungserfordemisse Rombach (FN 4), S. 171 ff., 220 f.; auch Schulze-Fielitz (FN 27), S. 329. 61 Bericht der Schlichter-Kommission (FN I), Rdn. 546.

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Rolle. Hier stößt die Ersetzbarkeit der staatlichen Präventivkontrolle an klare Grenzen. Auch hinsichtlich der Ausbaumöglichkeiten des Öko-Audit-Modells sind knappe und griffige Antworten nicht möglich. Vielmehr handelt es sich dabei um ein Sonderthema, das im vorliegenden Zusammenhang nur "angetippt" werden kann. An Ersatzlösungen nach Art des Audit-Modells muß ebenfalls die Meßlatte des jeweils erforderlichen Rechtsgüterschutzes angelegt werden. Der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" bringt dies in seinem Abschlußbericht mit erfreulicher Deutlichkeit zum Ausdruck: Eigenkontrolle kann staatliche Kontrolle nur bei "funktionaler Äquivalenz" ersetzen, d.h. dort, wo beide Instrumente nicht nur in ihrer Zielsetzung gleichwertig sind, sondern auch in ihrer "Steuerungswirksamkeit,,62. Richtiger Standort für verfahrens beschleunigende Regelungen dieser Art, mit denen privater Kontrolle der Vorrang eingeräumt wird, ist im übrigen wiederum das Fachrecht63 . In welchem Maß Eigenleistungen staatlicher Kontrolle vorgehen können, läßt sich nur differenzierend im materiellen Genehmigungsrecht näher ausgestalten. Querschnittslösungen im allgemeinen Verfahrensrecht scheiden auch hier weitgehend aus. Sie kommen nur in Betracht, soweit einzelne Regelungselemente, die tatsächlich das Verfahrensrecht betreffen, "vor die Klammer" gezogen werden können. 6. Verfahrensbeschleunigung durch Genehmigungsentscheidungen in Gesetzesform?

"Gleichwertigkeit" ist auch der Maßstab rur ein weiteres Beschleunigungsrezept, auf das abschließend noch ein kurzer kritischer Seitenblick geworfen werden soll. Dieses Rezept betrifft nicht die - gewissermaßen systemimmanente - Beschleunigung von Verwaltungsverfahren, sondern die Ersetzung solcher Verfahren durch Gesetzgebungsverfahren. Nach der Herstellung der Deutschen Einheit setzte man auf diesen Weg große Hoffnungen vor allem im Zusammenhang mit der dringenden Sanierung der Verkehrs infrastruktur in Ost-

62 Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 93 ff.; näher Bqhm-Amtmann (FN 58), S. 343 f.; vgl. im übrigen den Bericht über die Konferenz "Oko-Audit in Europa" im Herbst 1997 von Stüer und Rude, DVBI. 1998, S. 85 (86 f.) mit kritischen Ausführungen zur Substitutionskraft des Audit-Modells gegenüber dem Ordnungsrecht; Langerfeldt (FN 59), S. 771 ff.; ausführlicher hierzu Feldhaus, UPR 1997, S. 341 ff. 63 Ausbaufähige Ansätze bietet insbesondere der kürzlich neu gefaßte § 4 Abs. I der 9. BlmSchV.

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deutschland. Im Ergebnis ist er allerdings nur zweimal beschritten worden 64 , und die Beschleunigungshoffnungen haben sich als überhöht erwiesen: Im Fall Stendal wurde filr die behördlichen Planfeststellungsbeschlüsse eine Verfahrensdauer von ca. 2 bis maximal 3 Jahren veranschlagt; das Planungsgesetz sollte dagegen in 6 bis 7 Monaten fertig sein6s . Tatsächlich dauerte das Verfahren aber allein im Bundesrat und Bundestag, also ohne Anrechnung der planerischen Vorarbeiten, vom August 199266 bis Juli 1993 67, und das Gesetz trat erst im Dezember 1993 in Kraft. Im Fall Wismar brauchte man von der Einbringung des Gesetzes im April 1993 68 bis zu seinem Inkrafttreten ein Jahr. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum Stendal-Gesetz die Prognose des Gesetzgebers zur Frage des Zeitgewinns im Ergebnis zwar als vertretbar eingestuft69. Daß die "Hochzonung" von Verwaltungsentscheidungen auf die parlamentarische Ebene ein Patentrezept zur Beschleunigung ist, kann aus den Ausfilhrungen des BVerfG aber nicht abgeleitet werden. Da es hier um Durchbrechungen der Gewaltenteilung geht, muß der Gesetzgeber - so das BVerfG - "im Einzelfall gute Gründe" haben, wenn er eine konkrete Fachplanung an sich ziehen will, denn diese Fachplanung ist wegen des erforderlichen Apparates und Sachverstandes üblicherweise der Verwaltung vorbehalten 70 . Ob das Gericht dem Parlament solche guten Gründe angesichts der jetzt vorliegenden konkreten Erfahrungen noch einmal zubilligen würde, darf bezweifelt werden. Zweifel sind auch angebracht, soweit es um die Grundrechtskonformität solcher Einzelfallgesetze geht. Artikel 19 Abs. I S. I GG verbietet derartige Gesetze allerdings nicht völlig, sondern nur filr den Bereich der Grundrechtseingriffe, und dieses Merkmal wird vom BVerfG sehr formal aus gelege'. Ob An64 Gesetz zur "Südumfahrung Stendal" vom 29.10.1993 (BGB\. I S. 1906); Gesetz zum Bau der A 20 im Bereich Wismar vom 2.3.1994 (BGB\. I S. 734); s. im übrigen den Überblick über ~!!itere ursprünglich vorgesehene Fachplanungen in Gesetzesfonn bei Ronellenfitsch, DOV 1991, S. 77lff.; Würtenberger, VBIBW 1992, S. I; Blümel, DVB\. 1997, S. 205 (206) m.w.N. in FN 13; zu den Anfängen der Diskussion in den 70er Jahren Rombach (FN 4), S. 229 FN 300. 6S Vg\. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 12/3477, S. 7 f. 66 BR-Drs. 513 / 92 vom 14.8.1992. 67 Zustimmung des Bundesrates in der 659. Sitzung am 9.7.1993. 68 BR-Drs. 247/93 vom 16.4.1993 69 BVerfGE 95,1 (19 f.); dazu kritisch Blümel, DVB\. 1997, S. 205 (210 f.); Skepsis gegenüber dem Beschleunigungseffekt von Maßnahmegesetzen auch bereits bei Würtenberger, VBIBW 1992, S. 1 (3). 70 BVerfGE 95, 1 (17). 7' Vg\. - jeweils kritisch - Herzog, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand 1996, Art. 19 I I, Rdn. 18 ff.; Dreier, in: ders. (Hrg.), Grundgesetz, Bd. I, 1996, Art. 19 I, Rdn. 9 f. m.w.N.

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lagegenehmigungen mit belastender Drittwirkung und ähnliche primär begünstigende Entscheidungen nach dieser Auffassung vom Verbot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG erfaßt würden, ist zweifelhaft und kann hier nicht vertieft werden 72 • Problematisch ist aber darüber hinaus, ob bei einer Überantwortung solcher Entscheidungen an die Parlamente ein Entscheidungsverfahren stattfindet, dessen Gestaltung Grundrechtsschutz in gleicher Weise sichert wie ein Verfahren auf der Verwaltungsebene. Dort wird Grundrechtsschutz im Verfahren durch Öffentlichkeitsbeteiligung und anschließende Abwägung aller vorgebrachten Einwendungen gewährleistet73. Parlamentarische Entscheidungsfindung verläuft demgegenüber in ganz anderen Bahnen. Die Hauptrolle spielen hier die Ausschüsse, und dort hat es in den Fällen Stendal und Wismar - soweit bekannt - abgesehen von einer Ortsbegehung und einer Sachverständigenentscheidung weder Einwendungstennine noch lange Abwägungsprozeduren gegeben. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr - wie auch das BVerfG vennerkt weitgehend die Untersuchungen der privaten Planungsgesellschaft zueigen gemacht, die mit der Vorbereitung des Planungskonzepts beauftragt war und die vor der Anhörung im Bundestag in gewissem Umfang Auslegungen, Anhörungen und Erörterungen nach Art eines Planfeststellungsverfahrens durchgefilhrt hae4 •

Damit mündet die Frage, ob Verwaltungsentscheidungen auf Parlamente verlagert werden dürfen, letztlich in die - ganz andere - Frage, in welchem Maß hoheitliche Entscheidungsfmdung auf Private verlagert werden darf. So kann im Fall Stendal durchaus bezweifelt werden, ob der Gesetzgeber tatsächlich - wie vom BVerfG angenommen - die Vorennittlungen der privaten Planungsgesellschaft ausreichend "gegengeprüft" und eine eigene Abwägung der betroffenen Belange vorgenommen hat. Eben dies aber wird vom Gericht nicht 72 In der Stendal-Entscheidung wendet das BVerfG Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG wegen der enteignungsrechtlichen Vorwirkungen dieser anlagenbezogenen Fachplanung an, bejaht aber die Voraussetzungen ftlr eine Legalenteignung LS.d. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG und sieht das Gesetz aus den gleichen Grilnden auch als mit Artikel 19 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar an, vgl. BVerfGE 95, 1 (26); Kritik unter dem Aspekt der Rechtsschutzverkürzung bei Blümel, DVBI. 1997, S. 205 (207 ff.), m.w.N.; Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771 (780). 73 Siehe die Nachweise oben FN 17; daß Genehmigungsentscheidungen in Gesetzesform keinen Akzeptanzgewinn erwarten lassen, legt Rombach (FN 4), S. 231 dar. 74 BVerfGE 95, 1 (18, 24 f.); daß das BVerfG die Rolle dieser privaten Planungsgesellschaft nicht näher beleuchtet, vermerkt kritisch auch Blümel, DVBI. 1997, S. 205 (210); ausftlhrlicher und kritisch zur Rolle der privaten Planungsgesellschaften als "Herrinnen" des Verfahrens Jacoby (FN 18), S. 109 ff.; s. im übrigen auch Rombach (FN 4), S. 231, der anhand eines Beispielfalles aus dem Abfallrecht demonstriert, daß der wesentliche Zeitbedarf häufig in der Vorantragsphase liegt, die nicht auf das Parlament verlagert werden kann.

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mehr näher problematisiert und kann auch im vorliegenden Rahmen nicht vertieft werden. Vielmehr ist die Privatisierung von Hoheitsentscheidungen ein Sonderthema, das im Zeichen der "Staatsverschlankung" ebenfalls Hochkonjunktur haes, das aber nicht mehr zum Themenkreis der Verfahrensbeschleunigung im engeren Sinne gehört.

IV. Resümee Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen lassen sich besser anhand problematischer Beschleunigungsinstrumente demonstrieren als anhand der unproblematischen. Dementsprechend standen hier die "kritischen Fälle" im Vordergrund. Das soll und darf aber nicht den Blick dafUr verstellen, daß Verfahrensbeschleunigung aus der Sicht des Verfassungsrechts ein positives Ziel ist. Darauf wurde eingangs hingewiesen, und das ist abschließend zu wiederholen. Anschauungsmaterial rur verfassungskonforme Beschleunigungsansätze bietet z.B. der neue Abschnitt 1 a im Teil V des Verwaltungsverfahrensgeset76 zes . Jüngstes Beispiel rur ein relativ unproblematisches, aber unter Umständen sehr wirkungsvolles Instrument ist das Konzept des Projektmanagements77 • Rechtliche Grenzen sind allerdings auch hier zu beachten. Vor allem muß die Neutralität der staatlichen Entscheidungsträger in Genehmigungsverfahren nicht nur aus einfachgesetzlichen (§§ 20,21 VwVfG), sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gewahrt bleiben78 • Hoheitsträger sind Sachwalter von Allgemeinheitsinteressen und dürfen sich deshalb nicht einseitig als "Dienstleister" rur den jeweiligen Antragsteller verstehen und verhalten. Das Neutralitätsgebot sichert neben den Belangen der Allgemeinheit auch die 75 Vgl. Bericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" (FN 3), S. 56 ff.; ,:~1. zum Thema "Privatisierung" etwa Benz, Die Verwaltung 1995, S. 337 ff.; Peine,DOV 1997, S. 353 ff.; Schuppert, DÖV 1995, S. 761 ff.; sowie mit besonderem Blick auf das Gemeinschaftsrecht Schmidt, Die Verwaltung 1995, S. 281 ff.; ergänzende Kritik zum Bereich des verwaltungsprivatrechtlichen Handeins, dessen Problematik Uber die Diskussion zu den Möglichkeiten der materiellen Privatisierung nicht in Vergessenheit geraten sollte, bei Unruh, DÖV 1997, S. 653 ff. 76 Dazu ist allerdings kritisch zu fragen, ob ein nennenswerter Teil dieser Regelungen zu Gunsten der "Gesetzesschlankheit" nicht besser in Verwaltungsvorschriften placiert worden wäre; näher zu diesen Neuregelungen Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (326 ff.). 77 Dazu näher Bul/inger, in: BIUmel / Pitschas (FN 4), S. 145 ff.; BöckeI, DÖV 1995, S. 102 ff.; Rombach (FN 4), S. 235 f., 238 ff. mit rechtsvergleichenden Ausführungen zu den unterschiedlichen Gestaltungsvarianten des Projektmanagements. 78 Vgl. Rombach (FN 4), S. 248 ff.

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Gleichbehandlung Einzelner in Genehmigungsverfahren - ein Verfassungsgebot, das rur das Gesamtfeld der "Sonderbeschleunigung nach Wahl" gilt. Es darf in diesem Zusammenhang nicht zu sachwidrigen Differenzierungen kommen. Die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren darf nicht zum Vorrecht fmanzkräftiger Großkunden werden, sondern muß auch rur kleinere und mittlere Unternehmen verrugbar sein79 • Diese Klientel hat - wie die InfratestUntersuchungen im Jahre 1990 ergeben haben - keine internationalen Standortprobleme, sondern Orientierungsprobleme im innerdeutschen Vorschriftendschungel. Ein neutrales Projektmanagement ist deshalb gerade rur diese Wirtschaftskreise vordringlich80. Das Umweltrecht kennt entsprechende Ansätze in der 9. BImSchV (§ 2). Seine Institutionalisierung im Verwaltungsverfahrensgesetz wird vom Sachverständigenrat "Schlanker Staat" befilrwortet81 • Dort heißt es in diesem Zusammenhang: "An die Stelle von traditioneller bürokratischer Organisation und Verfahrensweise muß ein ertrags-, kunden- und kostenorientiertes Verwaltungsmanagement treten." In dieser Formulierung sind alle Schlagworte vereinigt, die das Themenfeld "Verfahrensbeschleunigung im Schlanken Staat" wie ein roter Faden durchziehen. Zugleich zeigen diese Schlagworte bei näherem Hinsehen auch die Brüche im Programm des Schlanken Staates. Modeme Verwaltung soll kunden- wie ertragsorientiert sein, und dies verbindet sich mit der Vorstellung der hocheffizienten, hochflexiblen, schnellen Verwaltungsbediensteten, die binnen kürzester Zeit auf der Basis umfassender Sachkompetenz integrierte Genehmigungen zu komplexen Vorhaben erste 1len82 • Modeme Verwaltung soll aber zugleich kostenorientiert sein, und das heißt schlank und möglichst unaufwendig. Die Konsequenz aus dieser Forderung wiederum heißt: Abbau von Verwaltungs- und vor allem von Personalkosten bis hin zum Abbau ganzer Verwaltungsebenen. Wie diese ganz gegenläufigen Forderungen verknüpft werden sollen, muß die Zukunft zeigen.

79 Instruktiv zum Aspekt der Finanzierung von Verfahrensbeschleunigung aus der Perspektive des Gleichheitssatzes Rombach (FN 4), S. 246 ff. 80 Vgl. Steinberg u.a. (FN 9), S. 116 ff. 81 Vgl. Sachverständigenrat "Schlanker Staat" (FN 3), S. 175 f. 82 Zur Komplexitätssteigerung verwaltungsrechtlicher Entscheidungslagen allgemein und unter besonderer Berücksichtigung der Forderung nach integriertem Umweltschutz HojJmann-Riem, AöR 119 (1994), S. 590 (593 ff.); ders., DÖV 1997, S. 433 ff.; zur Forderung, fur derartige komplexe Genehmigungsverfahren auf "mittlerem" Abstraktionsniveau Regelungen mit Modellcharakter zu entwickeln und in das VwVfG einzustellen Wahl, in: Blümel / Pitschas (FN 4), S. 97 ff.

Diskussion zu dem Vortrag von Christine Stein beiß-Winkelmann

Storost: Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau Steinbeiß-Winkelmann, daß Sie auf einen Aspekt in dem Zusammenhang mit der Diskussion von § 114 VwGO und § 75 Abs. la VwVfG hingewiesen haben. Sie sagten eingangs, Standardabbau sei keine Frage des Verfahrensrechts, sondern eine Frage des materiellen Rechts, und da traut man sich politisch noch nicht heran. Aber ich möchte mit Nachdruck darauf aufmerksam machen, daß es auch über die Möglichkeiten des Abbaus gerichtlicher Kontrollen letzten Endes die Möglichkeit gibt, materiellrechtliche Standards effektiv doch abzubauen, ohne daß es zu sehr aufflillt. Ein Beispiel dafür ist dieser § 75 Abs. la VwVfG, wonach Fehler bei der Abwägung - da steht ja nicht mehr Abwägungsvorgang, sondern Fehler bei der Abwägung - unerheblich bleiben, wenn sie nicht offensichtlich und von Einfluß auf das Ergebnis gewesen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie Sie zu Recht hervorgehoben 'haben, im Rahmen des Bauplanungsrechts eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift gesucht. Sie wird in der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts auch im Bereich des Fachplanungsrechts durchgeführt. Aber das ist ein Beispiel, wo man wirklich an die Grenzen des Tragbaren geht, wenn man materiellrechtliche Standards zwar vorne aufstellt, aber hinten so mit dem Hexenzeichen sagt: Aber einklagen könnt Ihr die nicht! Dann werden sie letzten Endes für den betroffenen Bürger ineffektiv. Und damit stehen sie leicht auch nur auf dem Papier, wenn die Verwaltung unter politischem Druck darauf verzichtet, sie dann auch wirklich durchzusetzen. Das ist eine große Gefahr. Man übersieht, daß auf diese Weise subkutan materiellrechtliche Standards abgebaut werden können. Schmitz: Ich möchte hier noch eine kleine Ergänzung machen zu der Modernisierungsrhetorik, die von Frau Steinbeiß- Winke/mann eben auch angesprochen wurde in bezug auf effektive Verwaltung, schnell, schlagkräftig usw. Wenn man mit den Leuten spricht, die diese Formulierungen in die bekannten Papiere hineinbringen, stellt man ein ganz erstaunliches Grundverständnis hinsichtlich des Verwaltungsverfahrensrechts fest. Einen Punkt möchte ich hier bezeichnen, nämlich die Einheit des Verwaltungsverfahrensrechts in Bund und Ländern. 15 Speyer 128

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Diskussion

Wenn man mit den betreffenden Leuten spricht, zu behutsamer Fortentwicklung mahnt und darauf hinweist, daß man schließlich auch einen Konsens mit den Ländern erreichen muß, um die bisher gewahrte Einheit auch weiter zu behalten, stößt man auf völliges Unverständnis und stellt fest, daß dort der Gedanke des Wettbewerbs herrscht. Man hört, daß es doch gar nicht schädlich sei, wenn zwischen den Bundesländern ein Wettlauf um das schlankeste und effektivste Verwaltungsverfahrensrecht entstehen würde. Die Länder, die sich den Segnungen der Verfahrensbeschleunigung verweigern, würden dann eben sehen, wo sie blieben, es käme kein Investor mehr in dieses Land, und das wäre ja dann durchaus so erwünscht. Hinweise darauf, daß man in eine Kleinstaaterei zurückfiele, wie wir sie im vergangenen Jahrhundert hatten und die man damals als nicht sehr effektiv für die Fortentwicklung des gesamten Bundes ansah, solche Hinweise stoßen auf Unverständnis. Das sollte noch zur Erläuterung der Gedankengänge, die hier prägend sind, mitgeteilt werden. Steinbeiß-Winkelmann: Ich fühle mich bestärkt und habe insofern keinen Anlaß zur Entgegnung gegenüber Herrn Schmitz. Zu Herrn Starost: Ich wollte sagen, wenn man Standardabbau überhaupt betreibt, dann muß man jedenfalls beim materiellrechtlichen Standard diesen Abbau korrekterweise auch im materiellen Recht vollziehen. Dankeschön für den Hinweis, daß faktischer Standardabbau natürlich genauso erfolgt, wenn man gerichtliche Kontrolle einschränkt. Dann ist der Standard, der nicht kontrollfähig und nicht als Maßstab für ein Gericht verwendbar ist, selbstverständlich faktisch entwertet. Das ist dann aber kein "ehrlicher" Standardabbau, sondern Aushöhlung.

Gesetzliche Verfahrensvereinfachung und Gegentendenzen der Praxis - dargestellt an..den Beispielen der immissionsschutzrechtlichen Anderungsanzeige und -genehmigung sowie stoflbezogener abfallrechtlicher Genehmigungen und Zuweisungen Von Jürgen Fluck

I. Einleitung An drei sehr unterschiedlichen umweltrechtlichen Zulassungsformen möchte ich Beispiele bzw. Möglichkeiten gesetzlicher Verfahrensvereinfachungen und die Gegentendenzen einer beharrenden, weniger flexiblen Verwaltungspraxis darstellen. Die Wahl meiner Beispiele geht auf die nähere Beschäftigung mit diesen zurück und ist weniger durch zwingende Zusammenhänge gekennzeichnet.

11. Die immissionsschutzrechtliche Änderungsanzeige und -genehmigung In der Praxis der Chemieuntemehmen betreffen gut 90 % der Genehmigungsverfahren Anlagenänderungen. Die Beschleunigungsnovelle zum BImSchG brachte eine wichtige Neuerung rur die Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen. Im Vorgriff auf die EG-IVU-Richtlinie l erhielten die §§ 15, 16 BImSchG eine neue Gestalt, indem als Regelverfahren rur Änderungen ein präventives Anzeigeverfahren in § 15 eingefilhrt und der Genehmigungstatbestand rur wesentliche Änderungen von § 15 in den neuen § 16 verschoben wurde 2 • Auch durch diese räumliche Umstellung sollte die angestrebte WandI Richtlinie 96 / 61 / EG des Rates vom 24. Sept. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABI. 1996 Nr. L 257 v. 10.10.1996, S. 25. 2 Vgl. dazu Fluck, Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen nach §§ 15, 16 BImSchG i.d.F. der Beschleunigungsnovelle, VerwArch. 88 (1997), 265 ff.

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lung deutlich gemacht werden. Die beiden Vorschriften erhielten ihre endgültige Fassung erst im Vermittlungsausschuß, was mangels schriftlicher Begründung der dort gefundenen Kompromisse wie stets Anlaß zum Streit über den wahren Willen des Gesetzgebers gibt. Wie so oft nehmen dann Ministerialbeamte, die beratend involviert waren, in Anspruch, allein den wahren Willen des Gesetzgebers zu kennen. Ich komme darauf noch zurück. Nach altem Recht mußten unwesentliche Änderungen der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer Anlage nur nachträglich, in einem ZweiJahres-Rhythmus mitgeteilt werden. Der dies anordnende § 16 BImSchG a.F. .. 3 .. war demnach primär eine Uberwachungsregelung . Nunmehr sind solche Anderungen, "sofern eine Genehmigung nicht beantragt wird", einen Monat vor der geplanten Verwirklichung anzuzeigen, "wenn sich die Änderung auf die Schutzgüter des § 1 auswirken kann". Die Monatsfrlst läuft erst ab dem Zeitpunkt der Vorlage vollständiger Unterlagen, so daß leicht Streit über die Frage aufkommen kann, welche Unterlagen ftlr die Prüfung erforderlich sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BImSchG). Mangels näherer Vorgaben im Gesetz kann man hier nur pragmatisch vorgehen, der jeweils zuständige Beamte, seine Mentalität und seine Erfahrung sowie die Behördenpraxis spielen hierbei eine große Rolle. In § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG wird erstmals die Wesentlichkeit einer Änderung definiert als eine solche Änderung, "durch die nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese ftlr die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 erheblich sein können". Während der zweite Halbsatz Auswirkungen auf Schutzgüter anderer Gesetze ausblenden will, deren Beachtung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Genehmigungsvoraussetzung ist, geht der erste Halbsatz auf die EG-IVU-Richtlinie zurück4 • Der Unterschied zwischen wesentlicher und unwesentlicher Änderung liegt also in der potentiellen Nachteiligkeit einer Änderung. Ob mit dieser Defmition schon viel ftlr die Praxis gewonnen ist, sei hier noch dahingestellt. § 16 Abs. 1 Satz 2 schließt von dem Genehmigungsbedürfnis aber solche nachteiligen Auswirkungen aus, "die offensichtlich gering sind" und bei denen "die Erftlllung der sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 ergebenden Anforderungen sichergestellt sind". Man kann nun darüber philosophieren, ob das Gesetz damit genehmigungsbedürftige wesentliche Änderungen von nicht genehmigungsbedürftigen wesentlichen Änderungen unterscheidet. Trotz des ungenauen Wortlauts handelt es sich m.E. vielmehr um eine generelle Schwelle zwischen Genehmigungsbedürftigkeit und Nicht-Genehmigungsbedürftigkeit und damit zwischen § 15 und § 16 BImSchG.

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Vgl. dazu Fluck, in: Ule / Laubinger, BlmSchG, Stand: 3 /98, § 16 a.F. Rdnr. B 5. Art. 2 Nr. 10 Buchst. b) der Richtlinie.

Gesetzliche Verfahrensvereinfachung und Gegentendenzen der Praxis

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In § 16 Abs. 2 BImSchG fmdet sich die zuvor bereits in § 15 Abs. 2 BImSchG a.F. enthaltene Regelung über das Absehen von der öffentlichen Bekanntmachung im Änderungsgenehmigungsverfahren. Dies kann erfolgen unter der Voraussetzung, daß "erhebliche nachteilige Auswirkungen auf in § 1 genannte Schutzgüter nicht zu besorgen sind". Lediglich das Wörtchen "erheblich" wurde eingerugt, um Anforderungen der EG-UVPRL Rechnung zu tragen. Nachteilige Auswirkungen sind nach Absatz 2 Satz 2 insbesondere dann nicht zu besorgen, wenn "erkennbar ist, daß die Auswirkungen durch die getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden oder die Nachteile im Verhältnis zu den jeweils vergleichbaren Vorteilen gering sind". Der zunächst vorgelegte Bundestagsbeschlußs, der auf Grundlage der Vorschläge des Vermittlungsausschusses geändert wurde, hatte die zweite Alternative, die sog. Saldierungsklausel aus dem Absatz 2 herausgenommen und als zusätzliche Voraussetzung in die Offensichtlichkeitsklausel des § 16 Abs. 1 Satz 2 hineingenommen. Durch die Änderung in die geltende Fassung sind jedenfalls die Anforderungen an die Offensichtlichkeitsklausel reduziert worden. Dies ist nun m.E. eine Aussage, die sich klar aus dem Gesetz und der Entstehungsgeschichte ergibt. Aufgrund der Diskussion im Gesetzgebungsverfahren zwischen den beteiligten Bundes- und Landesministerien und mit Vertretern der Wirtschaft in der Anhörung zum Referentenentwurf wurde der erwähnten Fassung jedoch eine weitaus größere Bedeutung zugemessen, als ihr tatsächlich aufgrund des Wortlautes zukam, mag auch die Absicht einiger der Souffleure im Gesetzgebungsverfahren weitergehend gewesen sein. Der Bundesrat, insbesondere sein Umweltausschuß, kämpfte gegen die "Saldierungsklausel" in § 16 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfes in der BT-Fassung und sah die endgültige Fassung des Gesetzes als großen Erfolg an. Der Länderausschuß Immissionsschutz (LAI), weitgehend personenidentisch mit den Landesvertretern im BR-Umweltausschusses in dieser Sache, vertrat denn auch die Auffassung, da die Saldierungsklausel aus § 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG gestrichen worden sei und sich nur noch in dessen Absatz 2 fmde, sei eine Saldierung auch im Anzeigeverfahren nicht an5 Vorschläge des federführenden BT-Ausschuß (BT-Drucks. I3 / 5100, S. 20): § 16 Abs. I Satz 2 sollte folgende Fassung erhalten: "Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen gering sind, im Verhältnis dazu die jeweils vergleichbaren Vorteile überwiegen und die Erfüllung der sich aus § 6 Abs. I Nr. I ergebenden Anforderungen sichergestellt ist." § 16 Abs. 2 Satz 2 sollte lauten: "Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn erkennbar ist, daß die Auswirkungen durch die getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden".

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wendbar. Gleiches gelte bzgl. der ersten Alternative des § 16 Abs. 2 Satz 2 BImSchG. Weder vorhandene Schutzvorkehrungen dürften bei der Beurteilung offensichtlich geringfilgiger Nachteile berücksichtigt werden, noch dürften Vor- und Nachteile einer Änderung im Anzeigeverfahren saldiert werden. Methodisch wurde dies also mit einem Umkehrschluß begründet. Ich hatte bereits dargelegt, daß sich diese Schlußfolgerung nicht aus den unterschiedlichen Fassungen des § 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG entnehmen läßt, da die vorgeschlagene Saldierungsklausel als kumulative Voraussetzung vorgesehen war. Auch ein Umkehrschluß aus § 16 Abs. 2 BImSchG ist methodisch verfehlt. § 16 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 betreffen unterschiedliche Fälle. Die Entscheidung über das Absehen von der Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt in einem Genehmigungsverfahren auf der Grundlage eingereichter vollständiger Unterlagen und ist keine eingeschränkte Prüfung, die innerhalb eines Monats abgeschlossen sein muß. Die Unterlagen, die im Anzeigeverfahren vorgelegt werden müssen, sind demgegenüber weniger umfangreich und detailliert. Im Anzeigeverfahren kommt es zudem auf die Offensichtlichkeit des Ausschlusses nachteiliger Auswirkungen und der Sicherstellung der Genehmigungsvoraussetzungen an. Ist diese nicht gegeben, fUhrt dies zum Genehmigungsverfahren. Wenn dort nach näherer Prüfung (erheblich) nachteilige Auswirkungen ausgeschlossen werden können, bleibt es beim Genehmigungsverfahren, lediglich die Öffentlichkeitsbeteiligung entfallt. Die Diskussion im Gesetzgebungsverfahren und auch das Festhalten an der dargestellten Interpretation wurde durch zwei Beispiele geprägt, die der nordrhein-westfalische Vertreter in die Diskussion einbrachte:

J. Beispiel: Ein bestehendes Kohlekraftwerk, das die einschlägigen Bestimmungen einhält, soll durch eine zweite Verbrennungsstraße erweitert werden, die in Beschaffenheit und Betrieb voll der ersten Straße entspricht. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß bereits zweifelhaft ist, ob es sich dabei um einen Änderung im Sinn des Gesetzes handelt oder dies nicht als eine Neuerrichtung anzusehen ist. Immerhin wird in der Literatur die Auffassung vertreten, daß die Kapazitätsverdopplung eine Neuerrichtung und nicht mehr die Änderung einer Anlage darstelle . Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man bei Ergänzung der Haupteinrichtung um eine weitere darauf abstellt, ob diese selbständig - nicht bloß durch Teilgenehmigung - genehmigt werden könnte und dies als Neuerrichtung wertet.

6 Vgl. dazu H.P. Martens, Die wesentliche Änderung im Sinne des § 15 BlmSchG, 1993; Fluck, Rechtsfragen der wesentlichen Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen nach § 15 BlmSchG, Zeitschrift für Wasserrecht 1996, 433 ff.

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Weiter stellt sich die Frage, ob ein solches Anlagenvolumen überhaupt im Anzeigeverfahren und der dort zu VerfUgung stehenden Zeit geprüft werden kann. Die Aussage des Betreibers, die Unterlagen seien identisch mit den bereits einmal genehmigten, muß ja ebenfalls von der Behörde auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Kann die Behörde auch bei optimaler Ausnutzung des Personals, das filr diese Aufgabe zur VerfUgung steht, diese nicht in der Monatsfrist des § 15 Abs. 2 Satz 1 BImSchG erfilllen, spricht das filr die Erforderlichkeit eines Genehmigungsverfahrens, denn dann sind Auswirkungen auf die Schutzgüter des § 1 BImSchG eben nicht auszuschließen. Und im übrigen gilt aus praktischer Sicht: Solange die Rechtswirkungen der Genehmigung den Investor besser schützen, wird er bei solch umfangreichen Erweiterungen ohnehin von seinem Wahlrecht gemäß § 16 Abs. 4 Satz 1 BImSchG Gebrauch machen und eine Genehmigung einholen. 2. Beispiel:

Ein Kraftwerk soll durch eine Rauchgasentstickungsanlage ergänzt werden, die mit einem Katalysator arbeitet und beim Betrieb Ammoniak einsetzt. Während die Gesamtmaßnahme wegen der Emmissionsreduzierung umweltverbessernd ist, stellt die Ammoniaklagerung erfahrungsgemäß ein - allerdings beherrschbares - sicherheitstechnisches Problem dar. Mit diesem Beispiel sollte wiederum dargelegt werden, daß die Berücksichtigung von Schutzvorkehrungen oder eine Saldierung im Anzeigeverfahren auszuscheiden seien. Wenn man allein auf das Gesamtergebnis der Umweltverbesserung abstelle, werde man den sicherheitstechnischen Problemen nicht gerecht, die allein im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens ausreichend beurteilt werden könnten. Ob eine Maßnahme potentielle nachteilige Auswirkungen hat, ist unter Gesamtwürdigung aller Aspekte zu berücksichtigen. Wenn das Gesamtergebnis nicht ausreichend im Rahmen der Offensichtlichkeitsprüfung gewürdigt werden kann, ist ein Genehmigungsverfahren erforderlich. Daß die Ammoniaklagerung regelmäßig ein sicherheitstechnisches Problem darstellt, sagt nichts darüber aus, ob aufgrund der Anlagenart, ihrer Lage usw. die Beurteilung im Einzelfall zu dem Ergebnis kommen kann, daß sicherheitstechnische Probleme offensichtlich nicht zu erwarten sind. Zeigt sich also bei näherer Betrachtung, daß die Beispiele eigentlich nicht tragen, so muß man sich doch wundem, welche Wirkung ihnen bei der Diskussion der Novelle zukam und daß sie geeignet waren, Fehleinschätzungen über solch lange Zeit aufrechtzuerhalten. Aber auch hier gilt: Je schwieriger die Lage, desto leichter die Verwirrung durch Scheinargumente. Insgesamt zeigt sich m.E. bei der kritisierten Interpretation der §§ 15, 16 BImSchG auch eine verfehlte Vorstellung von der Rechtsanwendung in der

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Praxis. Der Begriff der Wesentlichkeit wurde nicht nur in der Vergangenheit höchst unzureichend, manche meinen gar zirkelhaft?, von der Rechtsprechung defmiert: Wesentlich soll sein, was erheblich für die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen ist. Der Anspruch der vollen rechtlichen Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe geht hier besonders deutlich fehl. Die Frage der Wesentlichkeit wird in der Praxis vom naturwissenschaftlich-technischen Fachmanns beurteilt. Maßgeblich sind seine Kenntnisse von der konkreten Anlage, der verwendeten Anlagentechnik und ihren Risiken. Eine Standardanlage, die er bereits mehrfach geprüft hat, kann er recht schnell beurteilen. Bei Änderungen, die ja stets nur im Zusammenhang mit der bestehenden Anlage abgeschätzt werden können, stützt sich seine Prüfung auf vorhandene Akten, Überwachungsmaßnahmen und vielleicht auch individuelle Kenntnis der Anlage oder der verwendeten Anlagentechnik. Diesen Besonderheiten ist durch ein flexibles Instrument bzw. durch flexible und nicht unnötig restriktive Nutzung der vorhandenen Instrumente Rechnung zu tragen. Genau das Gegenteil wird erreicht, wenn man Schutzeinrichtungen aus der Beurteilung ausblenden will. Dies ist weder, wie dargelegt, aus dem Gesetz ableitbar, noch vereinbar mit dem gesunden Menschenverstand, jedenfalls des Durchschnittsfachmanns, auf dessen Urteil es ankommt. Die LAI-Ansicht führt dazu, daß er sich zwar ein Urteil bilden soll über die durch die Änderung von Anlagenteilen und deren Betrieb potentiell verursachten Wirkungen. Die vorhandenen oder ebenfalls hinzuzufiigenden Schutzvorkehrungen und deren Wirkungen soll er hingegen aus seiner Betrachtung ausblenden müssen. Hier wird gewissermaßen ein Denk- und Prüfverbot ausgesprochen. So soll eine vorhandene Rauchgasreinigungseinrichtung und deren Reinigungsleistung zunächst im Anzeigeverfahren außer Betracht gelassen werden, auch wenn dies im ursprünglichen Genehmigungsverfahren bereits geprüft worden war und aus den Akten klar erkennbar ist, daß sie auch fiir die Behandlung der aufgrund der Änderung verursachten Mehrernissionen ausreicht. Hansmann 9 will gar unterscheiden zwischen integrierten Einrichtungen, die nur in ihrer Gesamtwirkung beurteilt werden könnten und nachgeschalteten Einrichtungen, deren Schutzwirkung im Anzeigeverfahren nicht berücksichtigt werden dürfte. Integrierte und nachgeschaltete Einrichtungen lassen sich oft gar nicht voneinander trennen. Je nachdem wie tief man in einzelne Verfahrensprozesse einsteigt, können sich auch integrierte Prozesse in Hauptverfahren und nachgeschaltete Verfahren aufspalten lassen. Daß der Jurist hier eine 7 Vgl. Grigoleit / Mager, Die atomrechtliche Änderungsgenehmigung und ihr Verhältnis zur Ausgangsgenehmigung, NuR 1997,469,471 f. 8 In aller Regel tatsächlich Männer! 9 Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren?, NVwZ 1997, 105.

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rechtliche Abgrenzung versuchen wird, hilft der Praxis ohnehin kaum weiter, weil der Vollzugsbeamte als "Techniker" meist verfahrenstechnisch denkt. Entscheidend ist vielmehr allein, ob die Wirkung der vorhandenen oder der vorgesehenen Schutzvorkehrung im Anzeigeverfahren ausreichend beurteilt werden kann, um die Annahme zu tragen, daß nachteilige Auswirkungen offensichtlich nicht zu erwarten sind. Die hier kritisierte Ansicht wird sehr stringent in NRW praktiziert - dieses Bundesland ist ohnehin durch eher preußisch strikten Verwaltungsvollzug gekennzeichnet. Andere Bundesländer zeichnen sich stärker durch einen pragmatischen, kooperativen Verwaltungsvollzug aus. Dazu gehört Rheinland-Pfalz, das insoweit Unternehmen einen Standortvorteil bietet. Aus Sicht der BASF erfolgt die Anwendung der §§ 15, 16 BImSchG durch die rur sie zuständigen Behörden in sachgerechter Weise.

111. Bürokratie und Vereinfachung bei der Überwachung der Abfallentsorgung Zu den Verordnungen, die das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz konkretisieren, gehören die Nachweisverordnung und die Konzept- und Bilanzverordnung lO • In diesen beiden Verordnungen lassen sich ein sehr aufwendiges bürokratisches Kontrollsystem wie auch ein Ansatz zur Deregulierung im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz belegen. Für den Juristen, der die Abfallbewegungen in der Regel nicht im einzelnen nachvollzieht, erscheint das Fonnularunwesen der Nachweisverordnung äußerst bürokratisch. Fonnulare auszuruHen und Kästchen anzukreuzen widerstreben seiner durch die Ausbildung geprägten Mentalität. Für den Praktiker im Umweltrecht - damit meine ich in der Regel den Nichtjuristen - stellen sich die Fragen eher umgekehrt: Für ihn ist wichtig, welches Fonnular er wie zu benutzen und auszufüllen hat. Während die Dauer von Genehmigungsverfahren und Beschleunigungsbestrebungen etwa fUr die Anlagengenehmigung in aller Munde ist, kennen nur wenige das stoffbezogene Kontrollverfahren der Nachweisverordnung. Es basiert im wesentlichen auf dem Notifizierungsverfahren der EG-AbfaHverbringungsverordnung bzw. der Vorgängerrichtlinie und ruHt die Vorgaben in Art. 13 der EG-Abfallverbringungsverordnung aus. Danach haben die Mit-

10 Vgl. dazu Kaminski / Konzak, Das untergesetzliche Regelwerk zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 1997; Fink/ Fluck, in: Fluck, KrW- / AbfG, Stand 5/1998, NachwV.

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glieds staaten die geeignete Regelung und die Überwachung und Kontrolle von Abfiillen in ihrem Zuständigkeitsbereich festzulegen und dabei der erforderlichen Konkordanz zwischen dieser Regelung und den gemeinschaftlichen Regelungen Rechnung zu tragen. Das Nachweisverfahren beruht auf den §§ 42 ff. KrW- / AbfG. In Form des "obligatorischen Nachweisverfahrens" erfaßt es besonders überwachungsbedürftige Abfiille zur Beseitigung und zur Verwertung, während die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen auch andere Abfiille der Nachweispflicht unterwerfen kann - sog. fakultatives Nachweisverfahren. Zur Nachweisfllhrung sind verpflichtet Betreiber von Anlagen, in denen Abfiille dieser Art anfallen oder beseitigt werden, und alle diejenigen, die Abfiille dieser Art einsammeln oder befördern. Das Nachweisverfahren ist im einzelnen näher in der Nachweisverordnung ausgestaltet. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen einer Vorabkontrolle durch Entsorgungsnachweis und einer Verbleibskontrolle durch Begleitschein. Das "Grundverfahren" für den Entsorgungsnachweis (§§ 3 ff. NachwV) ist so ausgestaltet, daß der Abfallerzeuger bestimmte Erklärungen unter Verwendung verschiedener Formulare abzugeben hat, die er an den Abfallentsorger übermittelt und der seinerseits seinen Teil ergänzt und die Nachweiserklärung an die fUr ihn zuständige Behörde weiterleitet, welche die Zulässigkeit der angestrebten Entsorgung zu bestätigen hat. Die Bestätigung wird sowohl dem Abfallerzeuger wie dem Abfallentsorger schriftlich mitgeteilt. Der Abfallerzeuger oder Besitzer seinerseits gibt eine Kopie der einschlägigen Unterlagen an die für ihn zuständige Behörde. Hinsichtlich des Bestätigungsverfahrens gibt es gewisse Vorschriften, die einer Beschleunigung Rechnung tragen. So muß die Eingangsbestätigung in 10 Tagen abgegeben werden. Es muß unverzüglich eine Vollständigkeitsprüfung durchgefllhrt werden, an die sich eine eventuelle Aufforderung zur Ergänzung der Unterlagen mit Fristsetzung anschließt. Bei Vollständigkeit der Unterlagen gilt nach 30 Tagen eine Bestätigung als erteilt, falls keine Ablehnung erfolgt ist. Bereits dadurch zeigt sich deutlich, daß die Vorabkontrolle ein recht detailliertes stoffbezogenes Prüfungsverfahren ist. Dieser Eindruck bestätigt sich insbesondere dann, wenn man sich die ausfUhrlichen Formulare anschaut. Es wird also der Weg des Abfalls vom Erzeuger oder Besitzer zum Entsorger überprüft. Andererseits handelt es sich lediglich um eine "papierne" Kontrolle, d.h. im Rahmen dieses Nachweisverfahrens wird eben keine Stoffprobe genommen, sondern es werden nur die Abfallbeschreibung und der Entsorgungsweg auf dem Papier auf Plausibilität überprüft. Gleichzeitig muß natürlich der Abfallbeförderer auch entsprechende Papiere mitfUhren, d.h. die Kontrolle der Abfallbeförderer durch die Verkehrspolizei erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Papierform fllr die mitgefllhrten Abflille.

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Neben diesem Grundverfahren kennt die NachwV das "privilegierte Verfah.ren" (§§ 10 ff. NachwV). Die Bestätigung wird hier im wesentlichen ersetzt durch eine Freistellung der Anlage. Die rur den Abfallentsorger zuständige Behörde prüft im Vorfeld, ob die Anlage rur die Entsorgung bestimmter Abfiille zulässig und geeignet ist. Der eigentliche Abfallentsorgungsvorgang wird dann dieser Behörde nicht mehr mitgeteilt. Vielmehr hat der Abfallerzeuger oder besitzer eine Anzeige an seine Behörde zu erteilen und daraufhin die Erklärung dem Abfallentsorger zuzusenden, der sie seinerseits dann ergänzend ausrullt und zurücksendet. Diese Annahmeerklärung ist wiederum an die rur den Abfallerzeuger oder -besitzer zuständige Behörde zu übennittein. In der Praxis mancher Bundesländer wird dieses privilegierte Verfahren erschwert durch die sog. Kennummernvergabe, die erst durch den Bundesrat im Wege der Zustimmungsmaßgabe in § 27 NachwV eingebracht wurde ll . Die Fonnulare sehen die Eintragung einer bestimmten Kennummer vor, die mit dem Anzeigefonnular eingeholt werden soll, d.h. erst nach Rückgabe einer Kopie der Anzeige seitens der Behörde soll der Erzeuger seinen Entsorgungsnachweis an den Erzeuger weitergeben können. Damit wird das privilegierte Anzeigeverfahren konterkariert, der gedachte Zeitgewinn geht teilweise verloren. Man wird vielmehr fordern müssen, daß diese Verfahren der Kennummernvergabe auch vorab rur eine Vielzahl von Fällen und lediglich in Fonn eines Durchnummerierens zu erfolgen hat. Eine nähere Prüfung des Vorgangs darf damit nicht verbunden sein. Die sog. Verbleibskontrolle erfolgt durch Begleitschein, d.h. ein solcher Nachweis begleitet jede gesonderte Abfallart bei der tatsächlichen Entsorgung vom Abfallerzeuger über den Einsammler zum Beförderer bis zum Abfallentsorger. Die genannten Personen haben je einen Beleg zurückzuhalten bzw. bekommen eine Kopie als Bestätigung zurück. Ebenso bekommt die rur den Abfallentsorger zuständige Behörde zwei Ausfertigungen, von denen sie eine an die rur den Abfallentsorger oder -besitzer zuständige Behörde übersendet. Auf Details möchte ich hier gar nicht weiter eingehen. Diese Verbleibskontrolle ist ebenfalls weitgehend und aufwendig, wenn sie sich auch vornehmlich auf dem Papierweg abspielt. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sieht nun von diesen Nachweisanforderungen recht weitgehende Ausnahmen vor, die in der Nachweisverordnung nicht erwähnt werden. Zu unterscheiden ist die Ersetzung der Nachweise kraft Gesetzes sowie die Einzefallausnahmen nach den §§ 44 und 47 KrW- / AbfG.

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BR-Drucks. 356/96 [Beschluß], S. 7.

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Kraft Gesetzes werden Nachweise ersetzt, wenn der Erzeuger oder Besitzer Abfiille in eigenen in einern engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehenden Anlagen beseitigt. An die Stelle der Nachweise treten dann Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallbilanzen nach §§ 19, 20 KrW- / AbfG. In den gleichen Fällen, in denen allerdings die eigenen Anlagen nicht in einern engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen, bedarf es der Entscheidung der Behörde im Einzelfall. Ihr Ermessen ist allerdings eingeschränkt, sie "soll" bei Abfiillen zur Beseitigung von der Vorlage von Nachweisen absehen, "wenn die Gemeinwohlverträglichkeit der Eigenbeseitigung durch Abfallwirtschaftskonzept und Abfallbilanzen nachgewiesen werden kann". Bei Abfiillen zur Verwertung gilt dies generell, wenn Ordnungsgemäßheit und Schadlosigkeit der Verwertung durch Abfallwirtschaftskonzept und Abfallbilanz nachgewiesen werden können. Bei der Anwendung der §§ 44 und 47 KrW- / AbfG gibt es Interpretationsprobleme, was den Begriff der "eigenen Anlage" angehe 2• Umstritten ist dabei, ob es auf die öffentlich-rechtliche Anlageninhaberschaft, die zivilrechtliche Eigentumsposition oder sonstige zivilrechtliche Befugnisse ankommt. Eine Freistellung von der Nachweispflicht ist weiter nach § 25 Abs. 2 KrW/ AbfG bei der freiwilligen Rücknahme von Abfiillen vorgesehen. Die zuständige Behörde soll von Verpflichtungen zur Nachweispflicht absehen, "soweit durch die freiwillige Rücknahme die Ziele der Kreislaufwirtschaft nach §§ 4 und 5 gefördert werden und die ordnungsgemäße Beseitigung der zurückgenommenen Abfiille in anderer geeigneter Weise nachgewiesen wird". Auch hier fallen einern bzgl. dieser anderen geeigneten Weise des Nachweises in erster Linie Abfallwirtschaftskonzept und Abfallbilanz ein, die geeignet sind, vergleichbare Nachweise zu erbringen. Da am Nachweisverfahren ja immer zwei Personen beteiligt sind, nämlich der Abfallerzeuger und der -entsorger, stellt sich die Frage, ob die Pflicht zur Nachweisfilhrung bereits dann entfiillt, wenn einer von beiden der Nachweispflicht nicht mehr nachkommen muß, weil er - verkürzt gesagt - aussagefiihige Bilanzen und Konzepte führt. Man wird hier wohl annehmen müssen, daß ein Nachweiserfordemis nur dann völlig entfallen kann, wenn beide Beteiligten von der Nachweisverpflichtung befreit sind. Ist etwa nur der Abfallentsorger wegen der von ihm erstellten Konzepte und Bilanzen von der Nachweispflicht befreit, entfiillt die Pflicht des Abfallerzeugers deshalb nicht. Da er zur Durchsetzung seiner Nachweisverpflichtung der Mithilfe des Entsorgers bedarf, wird dieser leider in gleicher Weise gezwungen mitzuwirken mit dem Unterschied, daß seine Verpflichtung bzw. auch fehlerhaftes Ausfüllen der

12 Vgl. dazu nur Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW-/ AbfG, § 13 Rdnr. 82 ff.; F1uck, KrW-/ AbfG, § 13 Rdnr. 100.

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Unterlagen nicht bußgeldbewehrt ist, denn insofern erfüllt er keine öffentlichrechtliche Pflicht, sondern er wirkt nur in Erfüllung der Pflicht des anderen, nämlich des Erzeugers mit. Zu dieser Frage fmdet sich allerdings weder im Gesetz noch in Gesetzgebungsmaterialien irgendeine Aussage. Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallbilanzen sind in erster Linie interne Planungs- und Kontrollinstrumente. Ihr Inhalt ist in §§ 19 und 20 KrW- / AbfG sowie in der entsprechenden Abfallwirtschaftskonzept- und Bilanzverordnung geregelt. Soweit nicht landesrechtlich bereits entsprechende Konzept- und Bilanzpflichten bestanden, muß die erste Bilanz erstmals bis zum 01.04.1998 und das erste Abfallwirtschaftskonzept erstmals bis zum 31.12.1999 erstellt werden. Während das Konzept auf einen Zeitraum von 5 Jahren angelegt ist, erstreckt sich die Bilanz auf das zurückliegende Kalenderjahr. Abfallwirtschaftskonzept und Abfallbilanz sind standortbezogen zu erstellen, wie § 7 AbfKoBiV klarstellt, auch wenn das so aus dem Gesetz selbst nicht zwingend entnommen werden kann I3. Generell enthält die AbfKoBiV keine Verpflichtung einer bestimmten Darstellungsform, sondern nur Inhaltsvorgaben. Sie bietet gewisse Formblätter an, die im wesentlichen mit denen der Nachweisverordnung übereinstimmen. An versteckter Stelle als Ausnahmebestimmung in § 10 LV.m. der Anlage 2 und dort in der Nr. 5 wird jedoch festgelegt, daß in den Fällen, in denen es um eine Ersetzung oder Ausnahme nach §§ 44 und 47 Abs. 1 KrW- / AbfG geht, in der Regel die Formblätter der Anlage 1 zu verwenden sind. Dies bedeutet halt eben Verwendung der gleichen Formblätter wie sie auch in der Nachweisverordnung vorgeschrieben worden sind. Die im Gesetz vorgesehene Erleichterung wird in der Verordnung wieder zurückgeschnitten, der fortschrittliche Bundesgesetzgeber durch die Zustimmungsmaßgabe der Länder bei Erlaß der Verordnung gebremst. Einen kleinen Ausweg läßt die Verordnung m.E. Soweit die Angaben in digitalisierter Aufbereitung erstellt werden sollen, kann mit der zuständigen Behörde auch die Form der Datenübergabe abgestimmt werden und das läßt sich durchaus in einem weiteren Sinne verstehen. Mit vernünftigen Behörden wird es möglich sein, insbesondere bei größeren Standorten eine angemessene Darstellungsform zu fmden, die eine bessere Übersichtlichkeit bietet als die Formblätter. Zusammenfassend ist also festzuhalten, daß die Nachweisverordnung eine sehr detaillierte papierne Kontrolle des Verbleibs von AbflHlen ermöglicht. Das Gesetz selbst sieht gewisse Erleichterungen vor für diejenigen, die Konzepte und Bilanzen erstellen. Diese werden in der Konzept- und Bilanzverordnung wieder teilweise zurückgenommen, wenn auch gewisse Spielräume bleiben.

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Vgl. dazu bereits Fluck, KrW- / AbfG, § 19 Rdnr. 67 ff.

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Die BASF AG hat diesen Spielraum zusammen mit der zuständigen Bezirksregierung genutzt und einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abgeschlossen, in dem Details bezüglich des Konzepts und der Bilanz sowie damit zusammenhängende andere Anzeigepflichten einvernehmlich geregelt worden sind. Damit wurde eine sinnvolle Regelung der Nachweisftlhrung und der Erstellung von Konzept und Bilanzen gefunden.

IV. Andienungspfticht nach dem rheinland-pfälzischen Abfallrecht Gemäß § 8a des rheinland-pflilzischen LAbfWAG sind Sonderabflille, die in Rheinland-Pfalz zu entsorgen sind, der Zentralen Stelle anzudienen. Zentrale Stelle ist die halbstaatliche Sonderabfall-Management GmbH (SAM), an der das Land 51 % der Anteile und die in Rheinland-Pfalz angesiedelten Entsorger 49 % halten, also ein Beispiel sog. "Privat-Public-Partnership". Die rh.-pf. Andienungspflicht sollte nach der in der Gesetzesbegründung 14 niedergelegten Ansicht des Gesetzgebers nicht mehr wie eine andere VorläuferGesellschaft Abfallentsorgungsanlagen errichten und betreiben, sondern sollte die Aufgabe haben, "Entsorgungskapazitäten auf dem freien Markt durch privatwirtschaftliche Verträge vornehmlich ftlr in Rheinland-Pfalz erzeugte Sonderabflille zu sichern und die Sonderabfallströme in diese von ihr ausgewählten Anlagen zu steuern". Vorbild der gesetzlichen Regelung, wie eines Teils der Praxis, war die einige Jahre vorher, zu Zeiten des sog. Abfallnotstandes, eingeftlhrte Andienungspflicht in Niedersachsen 1s • Dort war ebenfalls eine GmbH, die NGS, als Beliehene und Zentrale Stelle ftlr die Andienung und Zuweisung zuständig. Sie hatte insbesondere durch vertragliche Vereinbarungen mit Betreibern von Abfallentsorgungsanlagen eine Basis geschaffen ftlr die Entsorgung von in Niedersachsen angefallenen Abflillen innerhalb dieses Bundeslandes. Die Zuweisung angedienter Abflille erfolgte denn auch weitgehend an diese vertraglich verbundenen Entsorgungseinrichtungen. Durch Rechtsverordnung waren bestimmte Abflille von der Andienungspflicht ausgenommen, bei denen sich vorher das zuständige Umweltministerium überzeugt hatte, daß hier geordnete Entsorgungswege existierten. Im Unterschied zu Rheinland-Pfalz wurde in Niedersachsen der NGS ausdrücklich das Recht eingeräumt, eigene Abfallentsorgungsanlagen zu errichten und zu betreiben, sowie Beteiligungen an derartigen Anlagen zu erwerben (§ 15 Abs. 4 NAbfG). LT-Drucks. 12/2404, S. 8. Vgl. §§ 15 ff. des niedersächsischen Abfallgesetzes v. 14.0ktober 1994 (GVBI. S. 467) zuletzt geändert durch Gesetz v. 28.Mai 1996 (GVBI. S. 242). 14 15

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Die rh.-pf. SAM beabsichtigte zunächst dem niedersächsichen Vorbild zu folgen und mit verschiedenen Entsorgern Verträge zu Bedingungen abzuschließen, die vielleicht auch den andienungspflichtigen Abfallerzeugern zugute gekommen wären. Dem niedersächsichen Vorbild wurde tatsächlich so weit gefolgt, daß man auch die dort verwendeten Verträge als Muster rur Rahmenverträge mit Entsorgern benutzte. Mit insgesamt 172 Entsorgungsunternehmen sollen dabei Verträge geschlossen worden sein l6 . Ob und wie sie tatsächlich mit Leben erfilllt wurden, entzieht sich meiner näheren Kenntnis. Der Regelfall dürfte jedoch so beschaffen gewesen sein, daß eine Zuweisung an eine Anlage erfolgte, die der Abfallerzeuger ausgesucht hatte, mit dem er bereits vorher eine Vereinbarung über die Bedingungen und besonders den Entsorgungspreis getroffen hatte und dem deshalb bei Eignung der Anlage die Abfälle zur Entsorgung zugewiesen wurden. Immerhin war ja bereits mit Gründung der SAM der Entsorgungsmarkt in Bewegung geraten, die Sonderabfallmengen gingen zurück und der beftlrchtete Entsorgungsengpaß hatte sich als nicht zutreffend herausgestellt. Das bei der SAM vorhandene Wissen über die unterschiedlichen Entsorgungspreise wurde wohl ebenfalls nicht zugunsten der andienungspflichtigen Abfallerzeuger genutzt, diese wurden - wohl aus wettbewerbsrechtlichen Gründen - also nicht auf günstigere Entsorgungsmöglichkeiten hingewiesen, jedenfalls dann nicht, wenn der Erzeuger sich schon vor der Andienung einen Entsorger ausgesucht hatte, was die Regel war und ist. Die Gebühren der SAM bemessen sich gemäß § 2 Abs. 1 der einschlägigen Landesverordnung 17 "rur die Behandlung, Lagerung oder Ablagerung von Sonderabfällen ... nach dem im Einzelfall tatsächlich entstandenen Aufwand". Zur Abgeltung der bei der SAM angefallenen Aufwendungen sollten sie zunächst um 12% erhöht werden, bei einer Zuweisung auf die Sonderabfalldeponie Gerolsheim 6 %. Wodurch dieser Unterschied zu rechtfertigen ist, konnte mir nie jemand sagen. Der Zuschlag bei normalen Zuweisungen wurde nach und nach reduziert und liegt nun bei 7 %. Nicht nur aus den Reihen der Abfallerzeuger wurde vornehmlich die Höhe dieser Gebühr kritisiert, die sich aus ihrer Sicht eher als eine verkappte, unzulässige Abfallabgabe 18 oder doch als eine überhöhte Stempelgebühr darstellte. Im Regelfall bestätigte nämlich die SAM nur den vom Andienungspflichtigen mit der Andienung vorgelegten Vorschlag und verlangte, daß man die Rechnung an den Entsorger über sie einreichte, um diese dann, mit Zuschlag, weiterzuleiten und das Inkasso durchzuftlhren. Dies ftlhrte dazu, daß der größte 16 Tischvorlage der SAM zu einem Pressegespräch am 21.1.1998 über die Geschäftstätigkeit der SAM im Jahre 1997. 17 Landesverordnung über die Kosten der Zentralen Stelle rur Sonderabfälle vom 2. Dezember 1993, GVBI. S. 619. 18 Vgl. dazu jetzt BVerfG, U. v. 7.5.1998 u.a. Az. 2 BvR 1876/91.

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Anteil der Mitarbeiter der SAM tatsächlich mit einer Inkassotätigkeit beschäftigt war für Leistungen, die von der SAM gar nicht erbracht worden waren. Damit wurde faktisch und zwangsweise eine Aufgabe übernommen, die eigentlich bei den Privaten selbst verbleiben sollte. Da in der Regel der Abfallerzeuger den geeigneten und kosten günstigsten Entsorgungsweg ohnehin bereits für sich ausgewählt hat, erhält die SAM in der Tat für eine Stempelleistung einen Zuschlag, der sich allein nach den tatsächlichen Entsorgungskosten, aber nicht nach den eigenen Kosten der SAM richtet. Es überrascht nicht, daß ein von Prognos im Auftrag der SAM eingeholtes Gutachten kürzlich empfohlen hat, gerade diese Inkassofunktion ebenso wie die Abteilung Vertragswesen abzuschaffen, weil sie viel zu aufwendig und ineffektiv seien. Die Novelle des rh.-pf. LAbtWAG folgt dem 19. Ich will hier nun nicht näher auf die neue Rechtslage im einzelnen eingehen, die in Rheinland-Pfalz durch die verabschiedete Novelle des LAbtWAG entstanden ist. Vielmehr will ich hervorheben, daß es auch nach geltendem Recht möglich gewesen wäre, entsprechend vorzugehen. Das Gesetz hat nicht definiert, was unter Andienung und Zuweisung zu verstehen ist. Es hatte nicht vorgeschrieben, daß die SAM die ihr angedienten Abflille in eigener Regie zu entsorgen hätte bzw. dies durch Verträge mit Privaten hätte sicherstellen müssen, denn es handelte sich gerade nicht um Überlassung und Übernahme, wie sie § 13 KrW- / AbfG für die an die Kommunen überlassungspflichtigen Abflille vorschreibt. Zwar heißt es in § 8c des rh.-pf. LAbtWAG, daß die Zentrale Stelle für Sonderabflille "für die ihr entstehenden Aufwendungen und die Behandlung, Lagerung oder Ablagerung der Abflille in der Anlage, der sie zugewiesen worden sind, Gebühren und Auslagen" erhebt. Daraus allein kann aber nicht gefolgert werden, daß die Behandlung, Lagerung oder Ablagerung der Abflille in der Regie der SAM und damit auch insoweit kostenverursachend durchgeführt werden mußte. Wie Andienung und Zuweisung tatsächlich durchzuführen waren, ist im LAbtWAG nicht geregelt. Trotz weitergehender Verordnungsermächtigung in § 8b Abs. 2 Nr. 1 LAbtWAG regelt die Verordnung über die Andienung von Sonderabflillen vom 2. Dezember 1993 nur das "papierne" Andienungs- und Zuweisungsverfahren, indem das Nachweisverfahren als Grundlage auch für das Verfahren der Andienung und Zuweisung benutzt wird, d.h. es werden die gleichen Vordrucke benutzt. Die "Verantwortliche Erklärung" im Entsorgungsnachweisverfahren wird der SAM zugeleitet und gilt als Andienung, die Bestätigung des Entsorgungsnachweises gilt als Zuweisung. Gerade durch diese Benutzung des Nachweisverfahrens wird die Berechtigung in Frage gestellt, durch landesrechtliche Regelung zusätzliche Andienungs19

Vgl. § 8 Abs. 8 LAbfWAG vom 2. April 1988, GVBI. 1998, 97 ff.

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pflichten zu schaffen. Dies ist aber ein sehr umstrittene Frage auch der Interpretation des § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG, auf die ich hier nicht näher eingehen wilfo. Jedenfalls hat der Verordnungsgeber den Spielraum, den ihm das Gesetz gab, nicht ausgenutzt und nicht frühzeitig genug die Struktur der beliehenen SAM so geändert, daß die Belastung für die Abfallerzeuger und -entsorger gering gehalten wurde. Ein Vorbild aus Niedersachsen wurde unvollständig übernommen, ohne den Anpassungsbedarf und die Anpassungsmöglichkeiten voll a.uszuloten. Zudem zeigen sich am Beispiel SAM die Gefahren einer neuen Flucht nicht mehr in privatrechtliche Handlungs- oder Organisationsformen, sondern in gemischte Handlungs- und Organisationsformen. Die werbewirksame Bezeichnung als Public-Private-Partnership scheint mir eher die Problematik und die Kosten für den Bürger zu verschleiern. Da werden getreu dem Wahlspruch "von jedem nur das Beste" hohe Gebühren als "Gewinnzuschlag" erhoben, um zunächst eine privates Unternehmen fmanzieren zu können, das beliehen wird, das mehrere nach privatwirtschaftlichen Maßstäben hochbezahlte Geschäftsführer mit eigenen Dienstwagen hat, von denen zwei aus der Entsorgungswirtschaft kommen, und insgesamt die Mitarbeiterzahl vielfach so hoch anzusetzen, wie die zuvor in den zuständigen Behörden für diese Aufgaben verfügbaren. Es gibt wohl kaum einen eleganteren Weg, behördliche Tätigkeit auch in Zeiten knapper Haushaltsmittel auszudehnen und den betroffenen Unternehmen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Hinzu traten staatsanwaltliehe Ermittlungsverfahren sowie im Falle eines Entsorgungsunternehmen politische Streitigkeiten, die sich in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß über die Effektivität der Überwachungstätigkeit der SAM niederschlugen. Sie taten ein übriges, um die Struktur der SAM zunächst unverändert zu lasse, um der Kritik der Opposition keine Nahrung zu geben, die allerdings die strukturellen Probleme auch kaum erkannte.

v. Resümee Ungeachtet der zuletzt geäußerten Kritik an der Flucht in privatrechtliche Organisationsformen und Partnerschaften sowie den Besonderheiten in Rhein20 Vgl. dazu nur Fluck, KrW- I AbfD, § 13 Rdnr. 238 fT.; Schink, in: Brandt I Ruchay I Weidemann, KrW-1 AbfD, § 13 Rdnr. 101 fT.; Ossenbühl, Zur Kompetenz der Länder für ergänzende abfallrechtliche Regelungen, DVBI. 1996, 19 fT.; Spoerr, Rechtsprobleme abfallrechtlicher Andienungspflichten und zentraler Einrichtungen, LKV 1996, 145 fT. 16 Speyer 128

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land-Pfalz, ging es mir vornehmlich darum, an drei unterschiedlichen Beispielen aufzuzeigen, daß oft unnötige Restriktionen im Gesetzesvollzug und mangelnde Flexibilität bereits begründet sind in der unzureichenden Rechtsanwendung. Es fehlt nur zu oft am juristischen Handwerkszeug.

Diskussion zu dem Vortrag von Jürgen Fluck

Ziekow: Herr Fluck, sehen Sie irgendeine Aussicht, daß man zu rechtlich trennscharfen Abgrenzungen kommt hinsichtlich der Ermittlungen der Auswirkung der entsprechenden Änderung? Im § 16 BImSchG ist die Rede von offensichtlich geringen nachteiligen Auswirkungen, im Abs. 2 von nicht zu besorgenden erheblichen nachteiligen Auswirkungen. Wo ist die Abgrenzung zwischen einer unerheblichen und einer geringen Auswirkung? Besteht eine Möglichkeit, das wirklich rechtlich trennscharf zu fassen, oder ist das eigentlich eine Skalierung, die nur der Handsteuerung unterliegt? Fluck: Das würde ich im letzteren Sinne sehen. Man kommt in der Rechtsanwendung gerade hier bei den wesentlichen Änderungen nicht daran vorbei, der Verwaltung Spielräume zu überlassen, weil es um technische Sachverhalte geht, deren BeurteilunOg von der Erfahrung des konkreten Beamten abhängt, der die Entscheidung trifft. Wenn Sie eine Anlagenänderung betrachten, die der betreffende Beamte der Art nach schon zum fünften Mal zu Gesicht bekommt, dann ist er in der Lage, dieses Offensichtlichkeitsurteil ganz schnell zu ßllen und zu sagen: Natürlich, die Kisten kenne ich, das ist überhaupt kein Problem, da brauche ich nur einmal kurz drauf zu schauen. Handelt es sich um eine ganz neue Anlagentechnik, die nicht vertraut ist, die nicht eingeführt ist, dann tut sich der Fachmann vor Ort schwerer. Mit der Offensichtlichkeit ist im Zweifel die Lebenserfahrung des Fachmannes gemeint. Man kommt nicht daran vorbei. Wir sind im Zivilrecht auch gewöhnt, auf die Verkehrsanschauung abzustellen oder auf die Gesamtheit der Billig- und Gerechtdenkenden oder irgendwelche neutrale Dritte. Die Ansicht, dies gerichtlich voll nachprüfen zu können, geht meiner Meinung nach fehl. Zudem gibt es aber auch kaum Gerichtsverfahren zum Thema wesentlicher Änderungen, weil in aller Regel derjenige, der eine Genehmigung haben will, auch bei der wesentlichen Änderung alles tut, damit er die Genehmigung bekommt. Er hat keine Zeit, zu Gericht zu gehen, und führt entweder ein Genehmigungsverfahren durch oder bringt noch ein paar Unterlagen bei.

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Diskussion

Storost: Angesichts dieses Befundes würde ich noch gerne Ihre Meinung zu der Frage hören, ob Sie damit übereinstimmen, daß diese als Verfahrensvereinfachung, beschleunigungs- und investitionsfreundliche Maßnahme verkaufte Leistung des Gesetzgebers in Wirklichkeit eher das Gegenteil erreicht, nämlich Unsicherheit, und damit im Grund genommen eine Verkomplizierung des Verfahrens und letzten Endes auch eigentlich eine Behinderung der Anwendung des Immissionsschutzrechts darstellt. Fluck: In Nordrhein-Westfalen ja, aber in der Pfalz nicht. Storost: Aber das ist doch Bundesgesetz, das sollte doch nicht davon abhängig sein, in welchem Land das gemacht wird. Fluck: Es ging mir auch darum, auf den unterschiedlichen Vollzug hinzuweisen, und es gibt immer verschiedene Auslegungsmöglichkeiten. Man kann das Gesetz restriktiv auslegen, und dies erfolgte auch in jüngerer Zeit durch die Bundesländer, weil diese letzte Novelle gegen deren Widerstand erfolgt ist. Die Bundesländer haben alles versucht, um die Änderung der §§ 15, 16 zu verhindern. Auch bei der Auslegung der Vorschriften durch den LAI ist diese Tendenz festzustellen. Wenn man die Vorschriften etwas sachgerechter beurteilt, kommt man zu Ergebnissen, mit denen man gut leben kann. Diese Vorschriften sollen im übrigen auch im Umweltgesetzbuch erhalten bleiben. Lankau: Nur ganz kurz: Sie haben sich ja vorhin mehrfach und mit viel Entrüstung gegen die Gebühren gewandt, die Ihnen da auf das Auge gedrückt werden. Wenn man das jetzt liest - leider haben Sie den § 5, auf den Sie sich beziehen, nicht abgedruckt - also wie sich das jetzt aus Ihrem Mund anhört, hat man doch Zweifel an der Rechtrnäßigkeit dieses Gebührentatbestandes. Warum haben Sie da nicht einmal angefochten? Fluck: Trotz unserer Zweifel haben wir es aus verschiedenen Gründen unterlassen, hiergegen vorzugehen, u.a. deshalb, weil BASF ursprünglich für RheinlandPfalz eine Abfallverbrennungsanlage errichten und betreiben sollte. Meines Wissens sind noch zwei Anfechtungsverfahren beim OVG Koblenz anhängig, ich bin aber nicht über den aktuellen Stand informiert.

Diskussion

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Es wurde teilweise auch von Vertretern des Ministeriums gesagt: "Ach, nun zahlt doch erst einmal, damit die SAM etwas in die Kasse bekommt; dann sind wir in der Lage, schnell die Gebühren zu reduzieren". Das heißt, aus diesen hohen Gebühren mußte erst einmal diese private Gesellschaft finanziert werden. Mittlerweile macht die SAM erhebliche Gewinne. Die GeschäftsfUhrergehalte von zwei Geschäftsführern und einem Prokuristen sind recht hoch, höher als in einer normalen Behörde. Die Entsorgungswirtschaft ist beteiligt und erhält zusätzliche Informationswege. Diese ganze Geschichte ist sehr, sehr dubios. Sodan: Herr Dr. Fluck, Sie hatten daraufhingewiesen, daß ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zustande gekommen ist. Ist das eigentlich ein Ausnahmefall, oder liegen solche öffentlich-rechtlichen Verträge häufiger vor? Fluck: Wir schließen des öfteren öffentlich-rechtliche Verträge ab. Das ist doch kein Problem. Sodan: Also Gesetzesvollzug durch öffentlich-rechtlichen Vertrag. Fluck: Ja, nur sehr oft brauchen Sie den förmlichen Vertrag ja gar nicht. In Behördenbesprechungen etwa wird ein gemeinsames Protokoll erstellt, und dann werden die Punkte freiwillig übernommen und durchgefUhrt, und wenn solche Sachen durch informelles oder kooperatives Verwaltungshandeln laufen, brauchen Sie keinen Vertrag. Sie brauchen ihn nur dann, wenn Sie irgendwelche Bindungen begründen wollen, oder wenn Sie auch werbemäßig oder politisch nach außen wirken wollen. Diese Dinge spielen eine Rolle, ebenso wie Z.B. steuerrechtliche Aspekte: Sie brauchen fUr die steuerrechtliehe Anerkennung von Rückstellungen eine konkrete Rechtspflicht. Aber der Normalfall zeichnet sich durch eine eingespielte Zusammenarbeit aus: Man trifft sich, bespricht gewisse Dinge, und das Unternehmen sagt o.k., wir machen das bis dann und dann, und beim nächsten Treffen wird geklärt, ob die Zusage eingehalten worden ist oder nicht. Ist sie nicht eingehalten worden, dann brauchen Sie ja auch keinen öffentlich-rechtlichen Vertrag, keine formelle Verpflichtung. Vieles läuft seit Jahrzehnten über diesen Weg der informellen Absprache. Als Beispiel aus der BASF sei der wasserwirtschaftliehe Ausschuß genannt, der im Landeswassergesetz als mögliche Institution vorgesehen ist und seit Jahrzehnten regelmäßig tagt. Gleiches gilt fUr die Antragskonferenzen, die nicht ausgelöst werden durch einen einzelnen Fall, sondern es finden regelmäßig Termine statt, in denen die anstehenden Genehmigungsverfahren be-

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Diskussion

handelt werden. Bei uns ist es durch die Größe des Standortes und die Vielfalt der Verfahren einfach notwendig, eine ständige Zusammenarbeit zu pflegen, ständigen Kontakt, gegenseitiges Vertrauen zu haben, sonst würde das auch nicht laufen. Deswegen sind öffentlich-rechtliche Verträge nach wie vor natürlich die Ausnahme, wenn wir den Vergleich zu Verwaltungsakten oder sonstigen freiwilligen Verpflichtungen ziehen. Müller: Ich wollte eigentlich zur ersten Frage, zur Abgrenzung von Anzeige und Genehmigung einige Informationen weitergeben. Ich bin bei der Gewerbeaufsicht Neustadt/W. zuständig fUr diese Anzeigeverfahren gegenüber der BASF seit EinfUhrung des neuen Anzeigeverfahrens und habe ungefilhr 100 Anzeigeverfahren durchgetUhrt. Innerhalb dieser Verfahren hat sich eine Verwaltungspraxis entwickelt mit belastbaren Entscheidungskriterien, mit deren Hilfe man sagen kann, das ist eine Anzeige oder das muß eine Genehmigung werden. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Regelmäßig gibt es Probleme dann, wenn es um die Beurteilung der technischen Anlagensicherheit geht. Es stellt sich die Frage: Können durch das Gefilhrdungspotential einer Anlage Gefilhrdungen fUr die Nachbarschaft hervorgerufen werden, die Schutzgüter betroffen werden, reicht also ein Anzeigeverfahren aus oder muß eine Genehmigung durchgefilhrt werden? In diesem Fall hätten wir uns eine Unterstützung durch die Gesetzgebung gewünscht. Fluck: Besser nicht. Auch das einheitliche Recht ist abhängig von den Entscheidungsträgern vor Ort, ihrer Qualität, ihrer Erfahrung. Unterschiedliche Rechtsanwendungen können nicht immer vermieden werden. Die Kreisverwaltung, die zwei Genehmigungsverfahren im Jahr durchfUhrt, wird im Zweifel immer das Genehmigungsverfahren vorziehen, weil sie viel zu unsicher ist, das im Anzeigeverfahren zu entscheiden. Die gleichen Sachverhalte laufen bei der BASF im Anzeigeverfahren, weil hier Leute im Unternehmen wie auf Behördenseite sitzen, die tagtäglich nichts anderes tun und die eine breite Erfahrung haben. Diese Unterschiede kann man nicht nivellieren. Sie kommen nicht daran vorbei, daß das Sachwissen und die Einschätzung vor Ort unterschiedlich sind. Dem kann man durchaus auch Rechnung tragen. Ein Unternehmen, das die Wahl hat, kann ja im Zweifel auf Nummer sicher gehen und eine Genehmigung beantragen. Trotzdem tätigen wir Investitionen in Millionenhöhe, die über die Anzeige laufen, weil wir uns sicher sind, auch damit hinreichenden Bestandsschutz zu haben. Oder genauso die Frage: Warum sollte man nicht stets Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchfUhren? Das fUhrt zu stärkerer Absicherung, Präklusion usw. Das machen wir hier nicht, weil wir am Standort keine Probleme haben. Das letzte Verfahren mit Öffentlichkeitsbetei-

Diskussion

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ligung, bei dem Einwendungen erfolgten, d.h. daß wir einen Erörterungstermin durchfUhren mußten, war 1991; da ging es um Gentechnik. Seitdem haben wir keinen Erörterungstermin durchftlhren müssen, weil keine Einwendungen kommen, weil die Akzeptanz an unserem Standort so hoch ist. Man kann diese auf verschiedene Weise fördern, z.B. durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und frühzeitige Information bei Betriebsstörungen. Storost: Das heißt doch, daß man bei einer unterschiedlichen Handhabung von Behörde zu Behörde, von Land zu Land oder gar von Kommune zu Kommune auch leicht in eine Art Umweltdumping hineingerät, daß sich also da, wo die Behörden am großzügigsten sind, das Gesetz am exzessivsten auslegen, Industrie ansiedelt, und an anderen Stellen, wo man etwas strengere Maßstäbe anlegt, da wird einem das dann als Standortnachteil entgegengehalten. Das kann nicht der Sinn einer Bundesgesetzgebung sein. Ich bin da durchaus skeptisch. Sie haben sicherlich recht, wenn Sie als Unternehmen mit ungebremster Akzeptanz das auch begrüßen und nicht darunter leiden, aber in anderen Gegenden Deutschlands wird man vergleichbare Fälle schwer finden. Fluck: Die Bayern sind auch sehr pragmatisch, wie ich höre. Diesen Standortwettbewerb haben Sie schon immer gehabt, noch viel stärker ausgeprägt bei den Kommunen, weil diese versuchen, Gewerbe anzusiedeln, und sie können natürlich durch solche Verfahren, Sonderbeschleunigung usw. in Wettbewerb treten. Das können Sie nie ganz ausschließen. Bei Änderungen geht es um die Alternative "Genehmigung oder Anzeige". Wenn man anerkennt, daß auch die Anzeige eine präventive Kontrollmaßnahme ist und man je nach Qualität der handelnden Beamten auch mit der bloßen Anzeige nicht hinreichende umweltrechtliche Kontrolle durchftlhren kann, dann hat man damit kein Problem. Es wird dann nur die Frage nicht unbedingt bundesweit einheitlich entschieden, ob ein Genehmigungsverfahren durchzuftlhren ist oder nicht. Aber das ist zweifellos verbunden mit der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen oder wie man das auch immer nennen will. Wenn man solche anerkennt, dann kann man sich eigentlich auch nicht lösen von der Einschätzung und der Mentalität des handelnden Beamten. Sie gelangen dann einfach zwingend zu Unterschieden. Der Anspruch des einheitlichen Vollzugs des Bundesrechts ist ein Ideal, aber in der Praxis haben wir schon immer unterschiedliche Verfahren in den Ländern gehabt. Deswegen sprechen wir auch heute noch scherzhaft vom preußischen oder pfälzischen "Landrecht". Die Mentalität ist auch in Rheinland-Pfalz unterschiedlich. Im preußischen, nördlichen Teil ist der Vollzug viel stringenter als im pfälzischen Teil. Auch in einem Bundesland merkt man unterschiedliche Strukturen, die historisch gewachsen sind.

Die Präklusion öffentlicher Belange Von Franz-Joseph Peine Im Rahmen des Generalthemas "Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" ist mir die Aufgabe zugefallen, zu analysieren, ob und, wenn ja, welcher Beschleunigungseffekt der Präklusion öffentlicher Belange in Planungs- und Genehmigungsverfahren zukommt. Bei der Präklusion öffentlicher Belange geht es um die sogenannte "Behördenpräklusion" - Private können öffentliche Belange regelmäßig nicht vortragen. Die Themenstellung erweckt den Anschein, als gäbe es einen wohldefmierten Begriff der Präklusion. Die dem Anschein nach vermittelte Gewißheit ist leider nur eine scheinbare. Deshalb werden im ersten Teil meines Vortrags die differenten Kategorien von Präklusion erläutert und einige aus der weiteren Diskussion ausgeschieden, nachdem ich nachgewiesen habe, daß diese Begriffsverständnisse in keine besondere Relation zum Thema Beschleunigung gebracht werden können. Es wird - das Ergebnis sei vorweggenommen - übrig bleiben ein besonderer Fall der sogenannten materiellen Präklusion. Ihre Verfassungsmäßigkeit stand im Streit; europarechtliche Erwägungen werden gegen die materielle Präklusion vorgetragen. Im zweiten Teil setze ich mich mit den vorgebrachten Argumenten auseinander und weise nach, daß diese Diskussion die Behördenpräklusion nicht betrifft. Im dritten Teil sei kurz der "Siegeszug" der Vorschriften betreffend die Behördenpräklusion geschildert. Die eigentliche Analyse erfolgt im vierten Teil. Der Vortrag endet mit einigen Schlußbemerkungen.

I. Die differenten Kategorien von Präklusion "Präklusion bedeutet den Ausschluß eines Verfahrensbeteiligten mit seinem (möglicherweise erfolgversprechenden) Vorbringen. Dieses verfahrensrechtliche Instrument ist im Verwaltungsverfahrensrecht regelmäßig Bestandteil förmlicher Genehmigungsverfahren mit Bürgerbeteiligung. Allerdings kann von ,der' Präklusion im Verwaltungsverfahren nicht die Rede sein, gibt es doch

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Franz-Joseph Peine

Präklusionsvorschriften unterschiedlichster Reichweite und damit verschiedene Präklusionskategorien. I" Zweck des Ausschlusses von Verfahrensbeteiligten und damit auch Zweck aller Kategorien von Präklusion ist zweierlei: -

zum einen die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren,

-

zum anderen die Schaffung von Rechtssicherheit nach einer einmal getroffenen Entscheidung. 2

Das Mittel zur Zweckerreichung besteht darin, Ausschlußfristen zu normieren. 3 Die Festsetzung soll die von dem geplanten Vorhaben Betroffenen veranlassen, ihre Bedenken gegen das potentielle Vorhaben rechtzeitig geltend zu machen - und nicht erst in einem späteren Planungsstadium oder gar bei oder nach der Fertigstellung der Anlage. 4 Ein Textbeispiel: § 4 Abs. 2 Satz 1, § 4 Abs. 3 Satz 2 BauGB: " Die Träger öffentlicher Belange haben ihre Stellungnahmen nach Absatz 1 innerhalb eines Monats abzugeben; die Gemeinde soll diese Frist bei Vorliegen eines wichtigen Grundes verlängern. - Belange, die von den Trägem öffentlicher Belange nicht innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 vorgetragen wurden, werden in der Abwägung nicht berücksichtigt, es sei denn, ... " Mit Blick auf die Aussage betreffend die Reichweite der Präklusion differieren die Gesetzestexte; ferner variiert die Reichweite der Präklusion je nach Art der behördlichen Entscheidung. s In Abhängigkeit von diesen Ausgangspunkten lassen sich folgende Arten von Präklusion unterscheiden: -

die formelle und

-

die materielle. 6 Die materielle Präklusion ist aufzuspalten in die

-

Einwendungspräklusion und in die

_ Anspruchspräklusion. 7 Beide Varianten von materieller Präklusion zerfallen in mehrere Typen: Brandt, Präklusion im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997,233,233. Brandt, NVwZ 1997, 233, 233. 3 Brandt, NVwZ 1997, 233, 233. 4 Brandt, NVwZ 1997, 233, 233; Degenhart, Präklusion im Verwaltungsprozeß in: Erichsen / Hoppe u.a. (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 621,628. 5 Brandt, NVwZ 1997,233,233. 6 Brandt, NVwZ 1997,233,233 ff. 7 Brandt, NVwZ 1997,233,234 ff. I

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Die Präklusion öffentlicher Belange

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-

die Einwendungspräklusion in die horizontale und in die vertikale,8

-

die Anspruchspräklusion in das "Modifizierungsmodell" und das "Ausschlußmodell", die Präklusion privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Ansfrüche sowie in die Präklusion ausschließlich privatrechtlicher Ansprüche.

Der Aufzählung der verschiedenen Arten von Präklusion hat die Vorstellung ihrer Inhalte zu folgen.

Die formelle Präklusion: Diese Fonn von Präklusion, auch unechte genannt IO, ist angeordnet, wenn der Betroffene mit seinem Vorbringen nur rur das weitere Verwaltungsverfahren ausgeschlossen wird, nicht aber rur das spätere verwaltungsgerichtliche Verfahren. 1I Gegenstand der formellen Präklusion sind Einwendungen, die sich beim Drittbetroffenen auf die Geltendmachung eines Abwehranspruchs gegen die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildende Genehmigung beziehen. 12 Folge der formellen Präklusion ist, daß die Behörde die präkludierten Einwendungen nicht mehr berücksichtigen muß; sie darf sie aber berücksichtigen wegen der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes. 13 Ferner gehen dem Betroffenen seine materiellen Rechte und seine Klagebefugnis im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht verloren. 14 Der Hinweis auf die Rechtsfolgen, die mit der formellen Präklusion verbunden sind, zeigt, daß der formellen Präklusion ein Beschleunigungseffekt im Verwaltungsverfahren nicht zukommt. Denn die Behörde muß ermitteln, ob ein verspätet vorgebrachter Einwand bei der Abwägung zu berücksichtigen ist. Mit Blick auf die Vollständigkeit des abzuwägenden Materials muß sie ebenfalls selbst ennitteln, um eine rechtmäßige Entscheidung zu treffen. Eine Entlastung der Behörde insoweit, als sie bei der Zusammenstellung des AbwägungsmateBrandt, NVwZ 1997,233,234 ff. Brandt, NVwZ 1997,233,236 f. IO Ipsen, Einwendungsbefugnis und Einwendungsausschluß im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, DVBI. 1980, 146, 150. 11 Brandt, NVwZ 1997, 233, 233; Busch, in: Knack, VwVfG, 4. Aufl. 1994, § 73 Rn. 7.4.2; Bonk. in: Stelkens I Bonk I Sachs, VwVfG, 4. Aufl. 1993, § 73 Rn. 51; Degenhart, in: Festschrift für Menger, 1985, S. 621 f.; Streinz, Materielle Präklusion und Verfahrensbeteiligung im Verwaltungsrecht, VerwArch 79 (1988),272,282 f.; Papier, Einwendungen Dritter in Verwaltungsverfahren, NJW 1980, 313, 314 mit weiteren Nachweisen. 12 Brandt, NVwZ 1997,233,233; BVerwGE 60,297,300 f. =NJW 1981,359. 13 Brandt, NVwZ 1997, 233, 233; Degenhart, in: Festschrift für Menger, 1985, S. 621, 622; Papier, NJW 1980, 313, 316; Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, S. 131. 14 Brandt, NVwZ 1997,233,234; Busch, in: Knack, VwVfG, 4. Aufl. 1994, § 73 Rn. 7.4.2; Bonk, in: Stelkens I Bonk I Sachs, VwVfG, 4. Aufl. 1993, § 73 Rn. 51; Papier, NJW 1980,313,314. 8

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rials als auch bei der Abwägung des zusammengestellten Materials Erleichterung fmdet, ist nicht zu verzeichnen. Im Grunde genommen kann unter dem Aspekt der mit der Präklusion verfolgten Zwecke auf die formelle Präklusion verzichtet werden. Diese Konsequenz hat auch der Gesetzgeber gezogen: Vorschriften, die ausschließlich die formelle Präklusion anordnen, fmden sich so nur noch sehr selten. 15 Die materielle Präklusion: Eine materielle oder echte l6 Präklusion schließt Einwendungen oder Ansprüche des Betroffenen sowohl für das Verwaltungsverfahren als auch für das gerichtliche Verfahren aus. 17 Die materielle Präklusion durch eine Norm bewirkt, daß der Betroffene seine materiellen Rechte nach Fristablauf weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtsverfahren geltend machen kann. 18

Es liegt auf der Hand, daß die materielle Präklusion die Erfüllung der mit ihr angestrebten Ziele bewirken kann, wenn nicht infolge anderer Erwägungen die nicht rechtzeitig vorgetragenen Einwendungen berücksichtigt werden müssen. Die materielle Präklusion kann deshalb verfahrensbeschleunigend wirken. Mit Blick auf die Präklusion öffentlicher Belange ist zu fragen, für welche der verschiedenen dargestellten Kategorien von Präklusion die potentielle Verfahrensbeschleunigung von Bedeutung ist. Die Einwendungspräklusion erfaßt das sachliche Gegenvorbringen zur Geltendmachung eines Abwehranspruchs im Verwaltungsverfahren l9 • Zu trennen ist zwischen der horizontalen Einwendungspräklusion und der vertikalen Einwendungspräklusion; eine horizontale Einwendungspräklusion setzt eine Ausschlußfrist, eine vertikale Einwendungspräklusion findet statt bei gestuften Verfahren. Die Bezeichnung "horizontal" verdeutlicht, daß sich auf Verwaltungsverfahrensebene die Präklusion auf die Dauer eines zusammenhängenden Verfahren beschränkt;20 die "vertikale" Einwendungspräklusion schließt einen Verfahrensabschnitt ab und wirkt durch alle folgenden, noch zusammengehörenden Verfahrensabschnitte des gestuften Verfahrens weiter. 21

15 Vgl. Brandt, NVwZ 1997, 233, 234; Ronellenfitsch, Die Planfeststellung, VerwArch 80 (1989), 93, 104. 16 Ipsen, DVBI. 1980, 146, 150. 17 Brandt, NVwZ 1997, 233, 234; Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989), 93, 102; Steinberg, Fachplanung, 1993, S. 131; Degenhart, in: Festschrift rur Menger, 1985, S. 621, 622; Papier, NJW 1980,313,314. 18 Brandt, NVwZ 1997,233,234. 19 Dazu und im folgenden, Brandt, NVwZ 1997,233,234. 20 Brandt, NVwZ 1997,233,234 f.; Streinz, VerwArch 79 (1988), 272, 282, 286. 21 Brandt, NVwZ 1997, 223, 235; Streinz, VerwArch 79 (1988), 272, 282, 290 f.; Jarass, BImSchG, 3. Aufl. 1995, § II Rn. I; Ipsen, DVBI. 1980, 146, 148.

Die Präklusion öffentlicher Belange

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Die Präklusion öffentlicher Belange ist sowohl bei der horizontalen als auch bei der vertikalen Einwendungspräklusion denkbar. Beispiele für die horizontale Einwendungspräklusion bilden § 10 Abs. 3 Satz 3 BlmschG, § 17 Abs. 4 Satz I FStrG sowie die schon genannten Vorschriften des BauGB; Beispiele für die vertikale Einwendungspräklusion bilden § 11 BlmSchG und § 7b AtG. 22 Die zweite Form der materiellen Präklusion ist die Anspruchspräklusion. Sie erfaßt die eigentlichen Abwehrrechte. Ein unanfechtbarer Verwaltungsakt (Genehmigung oder Planfeststellungsbeschluß) schließt Ansprüche auf Beseitigung oder Änderung einer genehmigten Anlage aus, soweit die Ansprüche in der jeweiligen Vorschrift genannt werden. 23 Es ist unmittelbar einsichtig, daß die Präklusion öffentlicher Belange mit der Anspruchspräklusion in keinem Zusammenhang steht. Von Bedeutung ist nach alledem die materielle Präklusion in Gestalt der Einwendungspräklusion, und zwar sowohl in ihrer horizontalen als auch in ihrer vertikalen Variante.

11. Die Verfassungsmäßigkeit der materiellen Einwendungspräklusion Die Verfassungsmäßigkeit der materiellen Einwendungspräklusion ist in der Literatur vor allem unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG bestritten worden. 24 Es hat eine mehr als 20 Jahre andauernde Diskussion gegeben. Diese Diskussion betraf die Präklusion von Einwendungen der Bürger, nicht die hier behandelte Behördenpräklusion,zs Für die "Bürgerpräklusion" ist festzuhalten: Die Präklusion betrim die Ausformung des materiellen subjektiven Rechts. Dieses materielle subjektive Recht wird indes von Art. 19 Abs. 4 GG nicht geschaffen, sondern vorausgesetzt. 26 Deshalb ist an sich Art. 19 Abs. 4 GG kein verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit der materiellen Einwendungspräklusion. Ausnahmsweise sind die PräklusionsvorS. die Nachw. in Fußn. 21. Von Danwitz, Umweltrechtliche Präklusionsnormen zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzgarantie, UPR 1996, 323, 324; ders., Die europarechtliche Zulässigkeit von Präklusionsnormen, UTR 1997, 387,391; Brandt, NVwZ 1997,233,234 f. mit weiteren Nachweisen. 24 U/e, Zur rechtlichen Bedeutung von Ausschlußfristen im Verwaltungsverfahren für den Verwaltungsprozeß, BB 1979, 1009, 1011 ff.; Papier, NJW 1980,313,318 ff. 25 Dazu näher Solveen, Zur materiellen Präklusion im Fernstraßenplanungsrecht, DVBI. 1997, 803, 803. 26 Vgl. Schenke, Die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, JZ 1988, 317, 321. 22

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schriften dennoch am Grundrecht des Art.19 Abs. 4 GG zu messen, da das Grundrecht Vorwirkungen auf die Ausgestaltung des dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerten Verwaltungsverfahren ausübt. Gegen diese Vorwirkungen wird aber nur dann verstoßen, wenn die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens mit unangemessenen Erschwerungen verbunden ist. Grundsätzlich stellen Präklusionsvorschriften eine solche unangemessene Erschwerung nicht dar27 ; es ist jedermann möglich, in der angegebenen Frist seine Einwendungen der zuständigen Stelle vorzutragen. Dieses Ergebnis teilt das Bundesverfassungsgericht. Es stellt im Sasbach-Beschluß28 klar, daß eine materielle Einwendungspräklusion verfassungsgemäß ist, wenn die Betroffenen hinreichend Gelegenheit haben, ihre Einwendungen vorzutragen, und eine mögliche Versäumung der Einwendungsfrist in ihren Verantwortungsbereich flillt. Es ist nach alledem davon auszugehen, daß die Verfassungsmäßigkeit der materiellen Einwendungspräklusion heute außer Frage steht. Für die hier bedeutungsvolle Behördenpräklusion ist zu betonen, daß sie ohnehin nicht an Art. 19 Abs. 4 GG gemessen werden kann. 29 Behörden sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht Grundrechtsträger3o . Ferner sind Behörden nicht Inhaber von Rechten, sondern von Kompetenzen. Der einzige Gesichtspunkt grundgesetzlicher Art, der in diesem Zusammenhang relevant sein könnte, ist die gemeindliche Planungshoheit. Sie ist naturgemäß nur einschlägiger Prüfungsgesichtspunkt, wenn eine Gemeinde Planungsträger ist; auf diesen Fall wird an geeigneter Stelle eingegangen. Hingewiesen sei ferner darauf, daß die materielle Einwendungspräklusion auch unter europarechtlichen Aspekten beleuchtet werden kann. Bedeutungsvoll ist dieser Blickwinkel insbesondere wegen des Umweltschutzes: Eine enge Fristsetzung kann dazu fUhren, daß entscheidende Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden, weil sie verspätet oder überhaupt nicht vorgetragen werden. Jedoch ist - unter Vorwegnahme späterer Ergebnisse - festzuhalten, daß verspätet vorgetragene öffentliche Belange, also auch solche des Umweltschutzes, von der Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt werden 27 Vgl. zum Vorstehenden Pieroth I Schlink, Grundrechte - Staatsrecht 11, 12. Aufl. 1996, Rn. 1097, 1160. 28 BVerfGE 61,82,85 ff. = NJW 1982,2173 ff. = NVwZ 1982, 5541 ff.; zustimmend von Münch I Kunig, GG, 4. Aufl. Art 19 Rn. 66; Schenke, in: BK, 1982, Art. 19 Abs. 4 Rn. 434 ff.; Bonk, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 4. Aufl. 1993, § 73 Rn. 51; Haedrich, AtG, 1986, § 7b Rn. 6. 29 Ebenso Schenke, JZ 1988, 317, 318 mit Hinweis auf BVerfGE 39, 212 und Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 31 ff. 30 BVerfGE 21, 369 ff.; 205 ff.; PierothlSchlink, aaO, Rn. 169.

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können. Verspätet vorgetragene Belange des Umweltschutzes sind also berücksichtigungsfähig; ferner sind Belange des Umweltschutzes auch dann berücksichtigungsbedürftig, obwohl sie nicht vorgetragen wurden, soweit sie der Planungsbehörde bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen. Deshalb dürfte die EinfUhrung von Fristen nicht zu einer Verschlechterung der Qualität des Umweltschutzes fUhren. Wenn die These richtig ist, daß die Behördenpräklusion das materielle Niveau des Umweltschutzes nicht senkel, dann entfällt zwingend, die einschlägigen Normen an europarechtlichen Verordnungen und Richtlinien zu messen. Es sei gleichwohl ausgeführt: Die Behördenpräklusion im Rahmen der Beschleunigungsgesetze betrifft den Bau von Infrastrukturmaßnahmen und damit den Verbrauch von Land und Landschaft. Potentiell einschlägig könnte die Richtlinie 92 / 43 / EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen sein - FloraFauna-Habitat. 32 Die Anwendung dieser Richtlinie auf den beschleunigten Bau von Infrastrukturmaßnahmen entfällt freilich, weil nach Art. 3 das Mittel zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten die Einrichtung eines zusammenhängenden europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete ist; dieses Netz soll die Bezeichnung "Natura 2000" erhalten. Der beschleunigte Bau von Infrastruktureinrichtungen auf der einen Seite und die Einrichtung dieses Netzes auf der anderen Seite schließen einander nicht aus. Es wird, dieses sei betont, auch von niemandem behauptet, daß die angesprochene Richtlinie durch die Beschleunigung als solche verletzt werde. Europäisches Umweltrecht, welches materielle Standards setzt, ist nach alledem durch die Behördenpräklusion im Rahmen der Beschleunigungsgesetze weder berührt noch verletzt. Von keiner Seite wird behauptet, die EinfUhrung von Ausschlußfristen beinhalte einen sonstigen Verstoß gegen Europarecht. Europäisches Recht, welches derart spezielle Regeln enthält, ist nicht existent. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf zwei Entscheidungen des EuGH, die Entscheidungen Peterbroeck33 und die Entscheidung van Schijndee4 - beide vom 14. Dezember 1995, die sich zur Frage der Vereinbarkeit von innerstaatlichen Präklusionsregeln und dem Beibringungsgrundsatz mit dem Europarecht befassen. Nach dieser Judikatur steht Gemeinschaftsrecht einer Präklusionsnorm entgegen, die die Prüfungsbefugnis innerstaatlicher Gerichte im Hinblick auf das Gemeinschafts3\ Zur Auswirkung von Beschleunigungsgesetzen auf vorhandene Umweltstandards s. Peine, Recht der öffentlichen Sachen, Teil I, JZ 1996, 350, 351 ff. 32 AbI. EG Nr. L 206 vom 22.7.1992, S. 7. 33 EuGH, DVBI. 1996, 249 f. 34 EuGH, Urteil vom 14.12.1996, Rs. C-430 und C-431 /93.

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recht einschränkt35 - Gemeinschaftsrecht müsse immer von Amts wegen geprüft werden. Gemeinschaftsrecht steht mitgliedstaatlichen Verfahrensvorschriften entgegen, die es einem nationalen Gericht verbieten, von Amts wegen die Vereinbarkeit staatlicher Rechtsakte mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen. Die Präklusionsnormen des deutschen Rechts verbieten die Überprüfung deutscher Rechtsakte am Europarecht einem deutschen Gericht nicht. Den rechtlichen Maßstab fUr seine Prüfung findet das Gericht unabhängig vom Vortrag eines Beteiligten - jura novit curia; zum Recht in diesem Sinne gehört heute ohne weiteres das Europarecht. Wenn das behauptete Ergebnis nicht stimmen sollte, dann sind die deutschen Präklusionsnormen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH europarechtskonform zu interpretieren - daß das möglich ist, ist heute nicht mehr zu bezweifeln. Die Frage, ob der Gesetzgeber die angesprochene Regelungstechnik verwenden darf, beantwortet sich deshalb allein nach nationalem Verfassungsrecht. Nationales Verfassungsrecht wird durch die EinfUhrung der Behördenpräklusion nicht verletzt.

III. Zum "Siegeszug" der Vorschriften über die Behördenpräklusion Die materielle Einwendungspräklusion betreffend die von Behörden vorzutragenden öffentlichen Belange im Rahmen von Genehmigungsverfahren hat es früher nicht gegeben. Es waren freilich schon früh Regelungen in Geltung, nach denen den Trägem öffentlicher Belange eine "angemessene Frist" zur Stellungnahme gesetzt werden konnte; hingewiesen sei auf § 4 Abs.l Satz 3 BBauG in der Fassung der Novelle von 1976. Eine Überschreitung dieser Frist fUhrt aber regelmäßig nicht dazu, den Träger öffentlicher Belange mit seiner Stellungnahme in jedem Fall auszuschließen. Bestrebungen mit diesem Ziel gab es im Gesetzgebungsverfahren, der Gesetzgeber hat sie sich jedoch nicht zu eigen gemacht. Folge einer FristUberschreitung war, daß die Gemeinde regelmäßig den nächsten verfahrensrechtlichen Abschnitt, nämlich die frühzeitige Bürgerbeteiligung nach § 3 Abs.l BBauG oder die öffentliche Auslegung nach § 3 Abs. 2 BBauG, durchfUhren durfte. Die Stellungnahme des Trägers öffentlicher Belange mußte sie nicht abwarten. Ferner verstieß die Gemeinde nicht gegen Abwägungsgrundsätze, wenn sie die vom Träger öffentlicher Belange nicht oder nicht rechtzeitig vorgetragenen Belange nicht abwog, sofern

35

EuGH, DVBI. 1996, 249 f.

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diese Belange sich nicht aufgedrängt hatten. 36 Die Träger öffentlicher Belange, die sich nicht fristgerecht im Verfahren nach § 4 Abs. I BBauG äußerten, waren weiter berechtigt, die nicht fristgerecht vorgetragenen Belange in späteren Verfahrensabschnitten darzulegen. Die Behördenpräklusion gewann praktische Bedeutung mit dem Gesetz zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften 37 bzw. seines Art. 2, des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch. 38 § 2 Abs. 4 BauGB-MaßnG nonnierte erstmalig die Behördenpräklusion bei der Aufstellung von Bebauungsplänen zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs der Bevölkerung. Die Nonn verkürzte die Fristen rur den Vortrag öffentlicher Belange durch Behörden im Bauleitplanverfahren. Diese materielle Einwendungspräklusion gelangte in das Gesetz auf Vorschlag des Bundesrats, um fehlende Sanktionsmöglichkeiten beim Überschreiten gesetzter Fristen auszugleichen. 39 Der Bundesrat gab einer Forderung der kommunalen Spitzenverbände nach. 40 Es sei der Hinweis gestattet, daß sich diese Forderung der kommunalen Spitzenverbände in Übereinstimmung mit der literatur befmdet, in der durchweg geäußert wird, daß eine Verfahrensbeschleunigung nur erzielt werden könne, wenn eine "Sanktion" rur die Fristenüberschreitung vorgesehen sei; als Sanktion komme nur in Betracht, verspätete Stellungnahmen zu ignorieren oder unterbliebene Stellungnahmen als Zustimmung zum Vorhaben zu betrachten. 41 Die durch § 2 Abs. 4 BauGB-MaßnG angeordnete Behördenpräklusion läßt sich interpretieren als eine Präklusion mit beschränkter Wirkung - eine beschränkte Ausschlußwirkung rur die Träger öffentlicher Belange. Das Gesetz spricht von "müssen nicht berücksichtigt werden". Sofern die Träger öffentlicher Belange nämlich nicht innerhalb der Monatsfrist des Satzes 1 oder der nach Satz 2 verlängerten Frist ihre Belange vorgetragen haben, entflHlt nach Satz 3 die Pflicht, diese Belange abzuwiegen; die Träger öffentlicher Belange

36 BVerwGE 59, 87; vgl. Gaentzsch, in: Schlichter / Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 2. Aufl. 1995, § 2 BauGB-MaßnG, Rn. 6; W Schrödter, in: A. Schrödter (Hrsg.), Baugesetzbuch, 5. Aufl. 1992, § 2 BauGB-MaßnG, Rn. 8f. 37 Wohnungsbauerleichterungsgesetz vom 17.5.1990 (BGBI. I, S. 926). 38 BauGB-MaßnG vom 17.5.1990 (BGBI. I, S. 926). 39 BT-Drs. 11/6508, S. 21 f. 40 BT-Drs. 11/6508, S. 21 f. 41 BT-Drs. 11 /6508, S. 22; Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 85; Schäfer / Schmidt-Eichstaedt, Das Bundesbaugesetz in der Praxis, DVBI. 1984, 588, 593; Steiner, Beschleunigung der Planungen rur Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in: BIUmel / Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 151, 154; ders., Das Planungsvereinfachungsgesetz, NVwZ 1994,313,314.

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sind mit ihren nicht fristgerecht vorgetragenen Vorstellungen im späteren Auslegungsverfahren ausgeschlossen. Diese Ausschlußwirkung ist indes eine beschränkte. 42 Sie tritt nicht ein, wenn der Träger öffentlicher Belange seine Vorstellungen nach Fristablauf darlegt und diese, so § 2 Abs. 4 Satz 3 Halb satz 2 BauGB-MaßnG, "der Gemeinde auch ohne sein Vorbringen bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen"; offen bleibt die Antwort auf die Frage, ob auch ohne einen späteren Vortrag der Träger öffentlicher Belange öffentliche Interessen durch den Träger der Planung in die Abwägung einzubringen sind. Zu den Belangen, die die Gemeinde kennen muß, zählen in jedem Fall die öffentlichen Belange, die sich der Gemeinde im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufdrängen müssen;43 das sind beispielsweise Belange des Naturschutzes. Drängen sich bestimmte Interessen der Gemeinde nicht auf, so müssen sie aber dennoch berücksichtigt werden, wenn sie der Gemeinde aus anderen Gründen bekannt sein müssen. Diese Voraussetzung ist erfUllt, wenn die Gemeinde aus anderen Verfahren Informationen darüber besitzt, daß der Bebauungsplan Interessen eines bestimmten Trägers öffentlicher Belange tangiert. 44 Die später im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erlassenen Beschleunigungsgesetze haben sich des Instruments der Behördenpräklusion durch Fristsetzung bedient, soweit es in den Regelungszusammenhang paßte. Es handelt sich um folgende Gesetze (in der Reihenfolge ihres Erlasses): -

das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz4S (Übernahme der Behördenpräklusion rur die Genehmigung von Bundeseisenbahnen, Bundesfernstraßen, Bundeswaserstraßen, Verkehrs flughäfen und Straßenbahnen in den neuen Ländern)

-

das Investitionsförderungs- und Wohnbaulandgeseti 6 (mit Blick auf die Behördenpräklusion keine Änderung im Verhältnis zum BauGB-MaßnG)

-

das Planungsvereinfachungsgeseti7 (Übernahme der Behördenpräklusion rur die Genehmigung von Bundeseisenbahnen, Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen, Verkehrsflughäfen und Straßenbahnen in den alten Bundesländern)

W Schrädter, aaO, Rn. 11. S. BVerwGE 59, 87. 44 S. W Schrädter, aaO, Rn. 11. 45 Vom 16.12.1991 (BGBI.l, S. 2174). Zu diesem Gesetz siehe auch Peine, Recht der öffentlichen Sachen, Teil I, JZ 1996,350,351. 46 Vom 22.4.1993 (BGBI. I, S. 926), i. d. F. vom 28.4.1993 (BGBI. I, S. 622). 47 Vom 17.12.1993 (BGBI. I, S. 2123). 42 43

Die Präklusion öffentlicher Belange

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-

.. das Magnetschwebebahnplanungsgesetz48 (Ubernahme der Behördenpräklusion rur die Genehmigung von Magnetschwebebahnen )

-

das Gesetz über den Bau der Südumfahrung Stendal49 das GenehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzSO (Übernahme der Behördenpräklusion rur Genehmigungen und Planfeststellungen nach dem VwVfG; auf diese Regelungen verweisen § 34 Abs. 1 Satz 1 KrW- / AbfG und § 9b Abs. 5 AtG)SI

-

-

das Bau- und Raumordnungsgesetz 1995 s2 (Übernahme der Behördenpräklusion bei der Aufstellung von Bauleitplänen).

In der Literatur ist bislang selten verzeichnet worden, und deshalb ist hier besonders darauf hinzuweisen, daß sich Veränderungen in den Wortlaut der Texte betreffend die Behördenpräklusion "eingeschlichen" haben: Aus einem "müssen nicht berücksichtigt werden" ist geworden "werden nicht mehr berücksichtigt"; diese Formulierung fmdet sich in § 71d Abs. 2 VwVfG, § 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG, § 4 Abs. 3 Satz 2 BauGB. s3 In diesem Wechsel der Wortwahl ist eine Verschärfung der Behördenpräklusion zu erblicken: Nach meinem Verständnis gestattet die Formulierung "müssen nicht" der Planungsbehörde, verspätetes Vorbringen gleichwohl noch zu berücksichtigen, wenn es der Behörde bislang unbekannt war. Die Formulierung "werden nicht" räumt der Planungsbehörde diese Freiheit wohl nicht mehr ein. Ferner verändern ·die Vorschriften mit der zuletzt genannten Formulierung den materiellen Gehalt der Entscheidung: Was nicht mehr berücksichtigt werden darf, hat auf den Inhalt der Entscheidung keinen Einfluß. Die Behördenpräklusion ist nach der heutigen Rechtslage kein nach einheitlichen Maßstäben zu behandelnder Fall. Es gibt zwei Varianten: eine weiche und eine strenge.

Vom 23.11.1994 (BGBI. I, S. 3486) geändert am 19.7.1996 (BGBI. I, S. 109). Vom 29.10.1993 (BGBI. I, S. 1906). 50 Vom 12.9.1996 (BGBI. I, S. 1354). 51 § 34 Abs. 1 Satz 1 KrW- / AbfG und § 9b Abs. 5 AtG sind vor dem Wirksamwerden des § 73 Abs. 3a VerVfG erlassen worden; bei diesen Normen handelt es sich aber um dynamische Verweisungen. 52 Vom 18.8.1997 (BGBI. I, S. 2081). 53 Die Angleichung des § 4 BauGB an § 73 Abs. 3a VwVfG entspricht Überlegungen der Expertenkommission zur Novellierung des BauGB, die eine Übernahme des § 2 Abs. 4 BauGB-MaßnG vorschlägt. Vgl. Bericht der Expertenkommission Rn. 181,363; BR-Drs. 635/96, S. 45 f. 48

49

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IV. Diskussion der Behördenpräklusion 1. Die Einführung der Behördenpräklusion gründen ihre Verfechter auf eine Reihe von Argumenten. Die wichtigsten klangen zuvor bereits an; sie werden jetzt ausführlicher dargestellt.

-

Das erste vorgetragene Argument betrifft das Ziel der Behördenpräklusion, es geht um die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Der Eintritt einer beschleunigenden Wirkung wird in der Literatur behauptetS4 ; ob sie eintritt, bedarf der Analyse unter rechtlichen und tatsächlichen Aspekten.

-

Das zweite vorgetragene Argument für die Einführung der Behördenpräklusion besteht darin, daß es eine Sanktion für die Fristversäumnisse der Träger öffentlicher Belange geben müsse. Diese Sanktion wird von Verbandsvertretern und Teilen der Literatur ~efordert mit dem Hinweis, eine "zahnlose" Fristsetzung sei ohne Effekt. S Dieser Hinweis leuchtet ohne weiteres ein. Zu bedenken ist aber, daß die Träger öffentlicher Belange nach Einführung der Ausschlußfrist in der Sache wie eine säumige Privatperson behandelt werden; ob diese Gleichstellung angemessen ist, bedarf der Analyse.

Die Frage, warum Genehmigungsverfahren überhaupt beschleunigt werden sollen, ist meines Erachtens eine berechtigte Frage. Es bedarf nicht der näheren Darlegung, daß Genehmigungsverfahren in Deutschland häufig sehr lange dauern. Das liegt zum einen, so wird behauptet, daran, daß die Bürger und die Träger öffentlicher Belange an diesen Verfahren intensiv beteiligt werden; ferner ist die Länge der Gerichtsverfahren bedeutungsvoll; zum anderen liegt die Länge der Verfahren darin begründet, daß die Genehmigungsbehörde das beantragte Vorhaben intensiv prüft und auch prüfen muß, weil die Genehmigung für den Investor mit einer sehr lange dauernden "Garantiewirkung" verbunden ist. Die Dauer des Verfahrens schafft eine Vielzahl von Vorteilen, die auf der Hand liegen: Partizipation der Bürger an Verwaltungsentscheidungen und damit verbunden die Einübung demokratischen Verhaltens sowie einer der Demokratie

54 S. statt vieler Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 85; Schäfor I Schmidt-Eichstaedt, DVBI. 1984, 588, 593; Steiner, Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in: Blümel / Pitschas (Hrsg.), Refonn des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 151, 154; ders., NVwZ 1994,313,314. 55 BT-Drs. 11 /6508, S. 22; Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 85; Schäfor I Schmidt-Eichstaedt, Das Bundesbaugesetz in der Praxis, DVBI. 1984,588,593; Steiner, Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in: Blümel / Pitschas (Hrsg.), Refonn des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 151, 154; ders., Das Planungsvereinfachungsgesetz, NVwZ 1994,313,314.

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würdigen Streitkultur; die umfassende Ennittlung der ftlr die Genehmigung eines Vorhabens relevanten Belange und damit verbunden die Gewähr fUr die Richtigkeit der Entscheidung; die ausfUhrliche Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung durch die Gerichte und damit verbunden die Gewähr fUr die Richtigkeit der Entscheidung; ein hohes Maß an Rechtssicherheit mit Blick auf die langfristige Möglichkeit des Betreibens der Anlage durch den Investor und damit verbunden die Garantie der Amortisation des eingesetzten Kapitals. Eine diese Vorteile abbauende Gesetzgebung muß ihrerseits positive Argumente auf ihrer Seite haben. Als solche werden angefUhrt: -

die schnelle Lösung eines dringenden Problems (Wohnungsbau, BauGBMaßnG)56 - dieses ist kein Argument, denn warum die schnelle Lösung eines dringenden Problems erreicht werden soll, bedarf ihrerseits der Begründung; ferner sei darauf verwiesen, daß das Bauen von Wohnungen kein Problem der Behördenpräklusion darstellt, sondern ein Problem der Investoren, die danach fragen, ob sich das eingesetzte Kapital in akzeptabler Zeit amortisiert;

-

die Schaffung einer Infrastruktur in den neuen Ländern und von Verkehrsverbindungen zwischen West und Ost (VerkPBG)57 - dieses ist ein verständliches Argument, welches letztlich aber lediglich lokale und befristete Bedeutung besitzt;

-

die Beschleunigung von Verkehrswegeplanungen auch in den alten Bundesländern (PIVereinfGi 8 - diese Aussage beinhaltet kein Argument; denn gefragt ist gerade danach, warum es Beschleunigung geben soll;

-

die Verbesserung der Attraktivität des Standorts Deutschland durch verkürzte Genehmigungsverfahren (VwVfG)59 - dieses ist ebenfalls kein Argument; ob Deutschland fUr Investoren (ausländische wie inländische) attraktiver wird, ist abhängig von der Lösung des Problems, ob sich eine geplante Investition in Deutschland rechnet, und nicht eine Frage nach der Dauer eines Genehmigungsverfahrens, erst recht nicht der Behördenpräklusion; Behördenpräklusion und Attraktivität von Deutschland haben meines Erachtens nichts miteinander zu tun; die Richtigkeit dieses Arguments zeigt der erste Fall der EinfUhrung einer Behördenpräklusion, der Fall des BauGB-MaßnG, der auch nicht mit diesem Argument begründet worden ist; 56 BT-Drs. II /6636, S. 2, 24, 25.

57 BR-Drs. 294/91; 303 / 91; 303 / 1-12/91; 663 /91; 126/95; BT-Drs. 12 /1092; 12/1118; 12/1328; 12 /1471. 58 BR-Drs. 756/92; 598/93; BT-Drs. 12/4328; 12/5284; 12/5983. 59 Schmitz / Wessendorf, Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1996, 955, 955f.

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-

die Antwort auf Klagen der Wirtschaft über eine zu lange Dauer der Genehmigungsverfahren in Deutschland (VwVfG)60 - dieses ist nur dann ein Argument, wenn die lange Dauer eines Genehmigungsverfahrens an sich ein Mißstand ist; das aber läßt sich wohl nicht generell, sondern lediglich im Einzelfall behaupten;

-

ein Signal zugunsten eines besseren Investitionsklimas (VWVfG)61 - dieser Hinweis trägt nicht, weil die Verbesserung des Investitionsklimas eine Folge veränderter wirtschaftlicher Daten ist und nicht ein Problem der Beschleunigung behördlicher Genehmigungsverfahren.

Die rur die Beschleunigung vorgetragenen Hilfsargumente tragen nach alledem das mit ihnen verbundene Ziel regelmäßig nicht; lediglich ein Argument kann akzeptiert werden - freilich nur mit begrenzter Wirkung. Die Hauptargumente bedürfen noch der Analyse. 2. Die Gegner der Einfiihrung der Behördenpräklusion gründen ihre ablehnende Haltung ebenfalls auf eine Reihe von Argumenten. Als erstes wird behauptet, die Behördenpräklusion nach dem Verwaltungsbeeinträchtige den materiellen Gehalt der zu treffenden Entscheidung. 2 - Dieses Argument klang zuvor schon an und es ist zutreffend: Was nicht berücksichtigt werden darf, hat auf den Inhalt der Entscheidung keinen Einfluß. Die Frage ist, ob es Recht mit diesen Folgen geben darf~ Verboten ist ein solches Recht nur dann, wenn es verfassungswidrig ist - ist es das nicht, kann man es rur verfehlt oder schlecht halten; rur eine praktische Entscheidung sind solche Werturteile bedeutungslos. In der Literatur wird an keiner Stelle behauptet, die Behördenpräklusion sei verfassungswidrig. Es ist nicht ersichtlich ein Maßstab, an dem gemessen die Verfasungswidrigkeit sich ergeben könnte. Die Grundrechte entfallen, ein Verstoß gegen formelles Verfassungsrecht ist nicht ersichtlich. Also ist das Präklusionsrecht verfassungskonform. verfahrens~esetz

Die Präklusion'sei zweitens Ausdruck des Verwirkungsgedankens; sie beruhe auf der Überlegung, daß bestehende Rechte nicht rücksichtslos mit Blick auf andere am Rechtsverhältnis beteiligte Personen ausgeübt werden dürften; die Präklusion begründe also eine Mitwirkungslast als Kehrseite eines Mitwirkungsrechts. 63 Dieser Gedanke ist entwickelt worden zur Präklusion von Einwendungen privater Dritter. Problematisch bei der Behördenpräklusion ist, daß die Behörde nicht Inhaber eigener Interessen ist und diese eigenen Interessen

Schmitz I Wessendorf, NVwZ 1996,955,955 f. Schmitz I Wessendorf, NVwZ 1996, 955, 955 f. 62 Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 54. 63 BVerwGE 60, 297, 305 f.-Whyl; von Danwitz, UPR 1996, 323, 324; ders., UTR 1997, 387, 391. 60

61

Die Präklusion öffentlicher Belange

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verwirken würde, sondern daß Interessen der Allgemeinheit verwirkt werden würden. - Demnach wird eine Idee - die der Verwirkung - auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts übertragen, ftlr die die Idee nicht paßt; denn der Gedanke der Verwirkung betrifft Rechte, Behörden besitzen aber keine Rechte, sondern Kompetenzen. Ferner "verwirkt" die Behörde Allgemeininteressen und diese existieren losgelöst von ihrem Vorbringen im konkreten Fall durch eine Behörde. Indes ist auch hier und zum folgenden auf das zur Verfassungswidrigkeit Gesagte zu verweisen. Es wird ferner wie folgt argumentiert: Im Gegensatz zu Privatpersonen nehme die Behörde nicht disponible eigene Interessen wahr, sondern erfüllt eine ihr rechtsstaatlich obliegende Pflicht; die Übertragung des mit Blick auf den Bürger entwickelten Präklusionsmodells auf den Staat signalisiere ein Verständnis des Gemeinwesens, welches die staatliche Schutzfunktion rur das soziale Ganze auf ein bloßes Interesse reduziere. 64 - Auch dieses Argument ist richtig. Das soziale Ganze zu wahren ist Pflicht des Staates und nicht lediglich ein Interesse, über das der Staat beliebig verfügen kann. Die Wahrung des Interesses des Gemeinwohls ist qualitativ etwas anderes als ein verzichtbares beliebiges Privatinteresse. Darüber hinaus wird behauptet, daß im Gegensatz zum Bürger sich Behörden nicht mit gerichtlichen Maßnahmen dagegen wehren könnten, wenn ihre Stellungnahme nicht berücksichtigt werde; deshalb verkürze die Behördenpräklusion die Verfahrensdauer nicht durch die Streichung einer Klagemöglichkeit durch die Behörden, sondern gehe materiell zu Lasten von Interessen der Allgemeinheit, insbesondere des Umweltschutzes; die Interessen könnten weder von den Behörden als Folge der Präklusion noch von Dritten als Folge fehlender Klagebefugnis geltend gemacht werden. 65 Diese Behauptung wird mit Recht vorgetragen. Materiell wirkt die Entscheidungsfindung entlastend zu Lasten desjenigen Interesses, dessen Wahrung der eigentliche Existenzgrund von Verwaltung ist: der Schutz des Gemeinwohls vor partikularen Individualinteressen. Schließlich sei eine gesetzliche Regelung, nach der im Planfeststellungsverfahren verspätete oder Stellungnahme der Drittbehörden unbeachtet blieben oder unterbliebene Stellungnahmen als Zustimmung verstanden werden dürften, unzulässig; denn öffentliche Belange verlören nicht dadurch ihre Bedeutung, daß sie von den Behörden, die zu ihrer Wahrung zuständig sind, nicht artikuliert würden; die Stellungnahme der Drittbehörden sollten vielmehr dazu beitragen, daß die behördliche Entscheidung dem Abwägungsgebot genüge; die

64

f.

65

Jäde, Präklusion im Anzeigeverfahren?, UPR 1993,4,6. Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 54

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Stellungnahmen seien nicht Ausfluß von irgendwie gearteten Rechtspositionen der Drittbehörden, deren Kompetenzen gewahrt werden müßten; gefragt sei lediglich der Sachverstand der Drittbehörden. 66 - So einleuchtend dieses Argument auf den ersten Blick ist, so ist ihm gleichwohl nicht zu folgen, weil nicht dargelegt wird, warum die Unzulässigkeit anzunehmen ist. Insbesondere wird nicht verfassungsrechtlich argumentiert, was freilich nach dem oben Gesagten von vornherein entfällt. Deshalb handelt es sich bei diesem Argument um eine reine Rechtsbehauptung. Endlich schließe die materielle Behördenpräklusion prozessuale Rechte des Bürgers aus, der sich gegen behördliche Entscheidungen nicht mehr mit der Begründung wehren könne, daß Belange nicht berücksichtigt wurden, die die öffentlichen Stellen vorgebracht hätten; der Bürger werde rur die Fristversäumnis "bestraft".67 Dieses Argument greift ebenfalls nicht, weil der Bürger nur solche Belange geltend machen kann, die sich mit seinem subjektivöffentlichen Recht in Verbindung bringen lassen. Ausschließlich objektive Interessen bilden niemals subjektive Rechte. Abschließend wird behauptet, daß Belange, von denen die Genehmigungsbehörde nichts wissen könne, entscheidungsrelevant sein könnten. 68 Dieses Argument verfängt deshalb nicht, weil entscheidungsrelevant nur diejenigen Argumente sind, die der Gesetzgeber als entscheidungsrelevant akzeptiert. Verspätete Argumente sollen gerade nicht entscheidungsrelevant sein, unabhängig davon, ob die Behörde dieses Argument kennt oder nicht - von Ausnahmen abgesehen, auf die ich noch eingehen werde. Nach der Analyse der "pro"- und "contra"-Argumente ist darauf hinzuweisen, daß gesetzliche Regelungen, die Stellungnahmen von Drittbehörden, die nicht innerhalb bestimmter Fristen abgegeben werden, als unbeachtlich betrachten, mit folgenden gesetzlichen Aussagen kollidieren: -

mit dem Untersuchungsgrundsatz,

-

mit dem planerischen Abwägungsgebot, welches dazu verpflichtet, alle bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange zu würdigen; werden die bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange teilweise nicht gewürdigt, ist ein Abwägungsdefizit zu konstatieren,

-

mit dem Kontrollauftrag bei Unternehmergenehmigungen. 69

66 Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 114f. 67 Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 55. 68 Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 55. 69 Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 85 f. Skepsis für den Fall, daß verspätetes Vorbringen, das der Gemeinde nicht bekannt sein mußte, zentrale Aspekte der Planung berührt, auch im Be-

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Weder der Untersuchungsgrundsatz noch der Kontrollauftrag haben Verfassungsrang. Es handelt sich um einfachgesetzlich normierte Pflichten; die Behördenpräklusion ist ebenfalls ein einfachgesetzlich normiertes Recht; in diesem Falle stellt sich die Frage, nach welcher Regel die Kollision aufzulösen ist. Die Behördenpräklusion stellt das zuletzt erlassene Recht dar; in diesem Fall gilt der Grundsatz lex posterior derogat legi priori. Daraus ist zu schließen, daß die genannten Grundsätze eingeschränkt sind durch die Behördenpräklusion. Die Grundsätze gelten also nur soweit, wie sie nicht mit der Behördenpräklusion kollidieren. Es kann deshalb nicht gesagt werden, daß die Behördenpräklusion wegen eines Verstoßes gegen einen der zuvor genannten Grundsätze unzulässig sei. Für das Abwägungsgebot ist festzuhalten, daß es aus dem Wesen rechtsstaatlicher Planung folgt. Das Abwägungsgebot hat deshalb Verfassungsrang es ist ein Element des Rechtsstaatsprinzips70. Die Präklusionsregeln sind deshalb in einer Weise zu interpretieren, daß sie mit dem Inhalt des Abwägungsgebots nicht kollidieren. Die Pflicht zur Einhaltung des Abwägungsgebots geht deshalb der Behördenpräklusion vor. Der potentiell beschleunigende Effekt, der mit der Behördenpräklusion verbunden ist, tritt jedenfalls dann nicht ein, wenn er zu Lasten des Abwägungsgebots erzielt werden soll.71 Speziell mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 2 BauGB fmdet sich in der Literatur eine Diskussion, auf die hier kurz eingegangen werden soll. Es wird behauptet, daß deshalb, weil § 4 Abs. 3 Satz 2 BauGB zwingend anordnet, daß verspätetes Vorbringen nicht berücksichtigt wird, die Norm gegen die Planungshoheit der Gemeinde verstoße. 72 Dies ist das einzige Mal, daß in der Literatur ein verfassungsrechtlicher Maßstab herangezogen wird, um eine Behördenpräklusion für rechtswidrig zu erklären. Indes ist davon auszugehen, daß diese Verfassungswidrigkeit nicht zu konstatieren ist. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG existiert die Planungshoheit der Gemeinden lediglich im Rahmen der Gesetze; das Bundesverfassungsgeriche3 spricht insoweit von einem Gesetzesvorbehalt; zumindest durch und aufgrund von Parlamentsgesetzen kann in den Aufgabenbereich einer Gemeinde eingegriffen werden, weil es letztlich keinen absolut geschützten

richt der Kommission zur Novellierung des BauGB, Rn. 181,363: Vertrauen aufsachgerechte Einschränkung der Präklusion in der Praxis. 70 S. Peine, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 1997, Rn. 137 mit weiteren Nachweisen. 71 Stemmler, Nichtigkeit von Bebauungsplänen bei fehlerhafter Beurteilung des dringenden Wohnbedarfs, BauR, 1991,423,424 f.; zustimmend Hoppe / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 5 Rn. 165; Lüers, Die Änderungen des Baugesetzbuchs durch das Bau- und Raumordnungsgesetz - BauROG, ZffiR 1997, 231, 237. 72 Bielenberg, Zu einigen Grundsatz- und Verfahrensfragen der Novelle des BauGB, ZffiR 1997,69,71. 73 BVerfGE 79, 127, 143.

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Bereich der Gemeinden gibt. 74 Es ist problemlos möglich, die angesprochene Norm des BauGB als eine solche zu interpretieren, mit Hilfe derer in die Planungshoheit der Gemeinde eingegriffen wird. Dieser Eingriff ist durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gedeckt und deshalb verfassungsmäßig. Es besteht kein Grund, anzunehmen, daß die Behördenpräklusion wegen eines Verstoßes gegen die Planungshoheit der Gemeinde verfassungswidrig ist. Es ist nach alledem festzuhalten, daß es eine Reihe von Argumenten gibt, die ganz allgemein gegen die Behördenpräklusion sprechen. Die Behördenpräklusion stellt der Sache nach ein Instrument dar, welches nicht in unsere Rechtsordnung "paßt", weil das Interesse des Gemeinwohls disponibel wird. 3. Mit Blick auf die Sanktionierung von Fristüberschreitungen bedienen sich die Gesetze des Instruments der "Fiktion", s. z. B. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB. Diesen Weg ist der Gesetzgeber bei der Präklusion nur begrenzt gegangen, weil Sachverhaltsermittlung auf der einen Seite und Entscheidungsfindung in Planungsangelegenheiten auf der anderen Seite durch das rechtsstaatliche Abwägungsgebot miteinander verknüpft sind. 7s Deshalb müssen verspätete Stellungnahmen von Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, bei der Behördenentscheidung nicht berücksichtigt werden, es sei denn, die Behördenpräklusion ist rechtsstaatlich geboten. Eine solche Regelung vermeidet immer, daß der weitere Fortgang eines Genehmigungsverfahrens vom Eingang der Stellungnahme einer beteiligten Behörde abhängt. Die Regelung erklärt darüber hinaus einen öffentlichen Belang für objektiv-rechtlich unbeachtlich; ein solches Verständnis der Regelung über die Behördenpräklusion ist erlaubt, soweit der Bundesgesetzgeber über die Beachtlichkeit eines öffentlichen Belangs bei der Abwägung disponieren kann. 76 Diese Wirkung der Behördenpräklusion bedingt zweierlei: -

Erstens kann die Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde bzw. allgemeiner die Genehmigungsbehörde zwar grundsätzlich davon ausgehen, daß die beteiligte Behörde sich nicht äußern will, wenn diese bis zum Ablauf der Äußerungsfrist eine Stellungnahme nicht abgegeben hat; die Anhörungsund Planfeststellungsbehörde bzw. allgemeiner die Genehmigungsbehörde hat dann aber um so sorgfältiger zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang die Belange, zu denen die Stellungnahme abzugeben war, berührt sind; reicht hierzu der eigene Sachverstand aus, so ist eine weitere Beteiligung der Drittbehörde nicht mehr nötig, andernfalls muß der säumigen Behörde eine Nachfrist gesetzt werden.

74 Löwer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG-Kommentar, Band 2, 3. Aufl. 1995, Art. 28 Rn. 59. 75 S. zum folgenden Steiner, NVwZ 1994, 314. 76 Steiner, ebenda.

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-

267

Zweitens genügen Stellungnahmen von Drittbehörden, um deren Fachwissen in das Planfeststellungsverfahren einfließen zu lassen.

4. In Ansehung der Grenzen der Behördenpräklusion sind zunächst einfachgesetzliche Grenzen zu beachten: Nach § 71d Abs. 2 VwVfG sowie weiterer Normen sind drei Grenzen bedeutungsvoll: -

verspätet vorgebrachte Belange sind der Genehmigungsbehörde bereits bekannt;

-

verspätet vorgebrachte Belange hätten der Genehmigungsbehörde bekannt sein müssen;

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verspätet vorgebrachte Belange sind fUr die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung.

Eine Präklusion solcher Belange, die sich als berücksichtungsbedürftig im Rahmen der Abwägung aufdrängen, kommt also nicht in Betracht. Letzeres folgt aus dem Umstand, daß nur dann die Abwägungsentscheidung dem Rechtsstaatsprinzip genügt und rechtmäßig ist." Mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie weiterer Gerichte ist davon auszugehen, daß Belange nur dann in die Abwägung eingestellt werden müssen, wenn sie mehr als geringftlgig, schutzwürdig und fUr die Gemeinde erkennbar sind. 78 Die Erkennbarkeit der Belange wird dabei wesentlich durch die Trägerbeteiligung und die Bürgerbeteiligung gesteuert. Für die Gemeinde erkennbar ist, was im Verfahren der Trägerbeteiligung nach § 4 BauGB oder im Verfahren der vorgezogenen und förmlichen Bürgerbeteiligung nach § 3 BauGB vorgetragen worden ist. Im übrigen braucht die Gemeinde negativ getroffene Belange nur in die Abwägung einzustellen, wenn sie offensichtlich sind, sich dem Planer also geradezu aufdrängen und sozusagen offen auf der Hand liegen. 79 Die im Gesetz genannten Ausnahmen entsprechen der Forderung, daß eine rechts staatliche Handhabung der Präklusion von Rügemöglichkeiten notwendig ist. Die genannten Ausnahmen sind verfassungsrechtlich gefordert und deshalb ist die Norm unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten verfassungsmäßig. Eine weitere schon angesprochene Grenze der Behördenpräklusion ist zu beachten: Der Bundesgesetzgeber muß über die Beachtlichkeit eines öffentli-

77 Lüers, ZffiR 1997, 231, 237; Stüer, Bauleitplanung, in: Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Rn. 394; Stemmler, BauR 1991,423,424 f.; Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 85. 78 S. dazu die Nachweise bei Peine, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., 1997, Rn. 147. 79 BVerfGE 59,87.

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Franz-Joseph Peine

chen Belangs bei der Abwägung disponieren können. 8o Dazu gehören beispielsweise Belange aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht. 81 Die Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers über den öffentlichen Belang ist aber das entscheidende Kriterium rur die Zulässigkeit einer Unbeachtlichkeitsanordnung und nicht der Gesichtspunkt, ob sich eine Behörde, deren Genehmigung, Erlaubnis, Verleihung etc. aufgrund der Konzentrationswirkung ersetzt wird, verspätet äußert oder schweigt. Als eine letzte Grenze der Behördenpräklusion ist auf das Europarecht hinzuweisen, welches oben ausführlich zur Darstellung gelangte. 5. Gesetzliche Fristen für die Anlagenzulassungsverfahren sind relativ leicht zu umgehen. Es können immer noch Unterlagen nachgefordert oder Dritte vorgeschoben werden - diese Handlungsmöglichkeiten betreffen die Genehmigungsbehörde. Zum anderen kann die Behörde, die eine Stellungnahme abzugeben hat, beantragen, ihr möge eine Fristverlängerung eingeräumt werden, weil beispielsweise der zuständige Sachbearbeiter sich in Urlaub befindet oder krank ist; auch solche Dinge können vorgeschoben werden. Wegen der zuvor erwähnten Ausnahmen ist immer daran zu denken, daß die zuständige Behörde von Amts wegen Ennittlungen anzustellen hat, die einen Beschleunigungseffekt konterkarieren können. Mit Blick auf die Grenzen der Behördenpräklusion unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist ferner daran zu denken, daß die Behörde Belange, die potentiell von der Verfassung geschützt sind, immer in die Entscheidungsfmdung einbringen können muß, um im Ergebnis eine verfassungswidrige Entscheidung zu venneiden. Keine Genehmigungsbehörde kann schließlich daran gehindert werden, aufgrund späteren Vorbringens die getroffene Entscheidung abzuändern; dieses gilt insbesondere rur Gemeinden, die z. B. aufgrund späteren Vorbringens einen Bebauungsplan ändern können. 82 Nach alledem ist außerordentlich zweifelhaft, ob die Behördenpräklusion wirklich zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren beiträgt. Rein rechtlich gesehen wird die hier geäußerte Skepsis in der Literatur fast durchgehend geteilt. Ob dieser Befund sich auch empirisch belegen läßt, muß unbeantwortet bleiben, da Verf. für entsprechende Untersuchungen nicht ausgerüstet ist.

80 Steiner, Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in: Blümell Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 151, 156 f.; ders., NVwZ 1994,313,314 f. 8\ Steiner, Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in: Blümell Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 151, 156 f.; ders., NVwZ 1994,313,314 f. 82 Bielenberg,ZfBR 1997,69, 71; Lüers,ZfBR 1997,231,237.

Die Präklusion öffentlicher Belange

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In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß eine Fristüberschreitung von Seiten der Träger öffentlicher Belange regelmäßig angestrebt wird durch Anträge auf Fristverlängerung und durch Zwischenmitteilungen; es wird versucht, die Frist zu strecken. 83 Ferner treffen Behörden, die in Zeitbedrängnis geraten und mit ihrem Vorbringen nicht präkludiert werden wollen, immer wieder "rein vorsorglich" negative Entscheidungen. 84 Daraus kann man zwar den Schluß ziehen, "Vortragen" i. S. der hier analysierten Normen sei zu definieren als "Vorbringen", wie es mit Blick auf Einwendungen privater Dritter gefordert wird, nämlich mit einem Mindestmaß an Konkretisierung; ein schlichtes Nein reiche deshalb nicht aus. Ein Mißbrauch läßt sich aber auf diese Weise nicht verhindern. 85 Es scheint nach alle dem sehr zweifelhaft, ob mit der Behördenpräklusion ein Beschleunigungseffekt erzielt wird.

IV. Schlußbetrachtung Zwei Thesen, die sich aus dem zuvor Dargelegten zwingend ergeben, seien abschließend formuliert: 1. Die Behördenpräklusion "paßt" nicht in unsere Rechtsordnung, weil sie öffentliche Interessen zu beliebig disponiblen Interessen degradiert. 2. Die Behördenpräklusion kann die mit ihr verbundenen Erwartungen nicht erfiHlen, weil sie zum einen nur begrenzt möglich ist und zum anderen eine Vielzahl von Umgehungsmöglichkeiten existierten. Bei der Behördenpräklusion handelt es sich sowohl um ein unpassendes als auch um ein ungeeignetes Instrument zur Verfahrensbeschleunigung. Verfahrensbeschleunigung ist notwendig; sie muß aber mit anderen Instrumenten erzielt werden.

83

84 85

Schäfer / Schmidt-Eichstaedt, DVBI. 1984, 588, 593. Steiner, NVwZ 1994,313,314. BVerwGE 60, 297, 300-Whyl.

Diskussion zu dem Vortrag von Franz-Joseph Peine

Bock: Ich darf vielleicht aus Sicht der Praxis erwähnen, daß gerade auf Sachsen bezogen die Aufgabe einer Planung einer Straße auf die Regierungspräsidien delegiert worden ist. Die Regierungspräsidien aber haben die typische Eigenschaft, alle Fachbehörden in einem Haus zu vereinigen, so daß vom Grunde her alle öffentlichen Belange erst einmal fUr uns offenkundig sind. Wenn wir als Planfeststellungsbehörde öffentliche Belange außer Acht lassen unter Berufung auf materielle Präklusionsvorschriften, begeben wir uns sehr nahe in den Bereich der Amtshaftung; hier ist dann schon fUr den Beamten als Person die Gefahr sehr groß, sich selbst in unendliche Schwierigkeiten zu bringen. Lepold: Ich möchte aus unseren Erfahrungen berichten, daß uns als federfUhrende Kreisverwaltung die Behördenpräklusion sehr wohl geholfen hat. Im Lande Rheinland-Pfalz ist es wahrscheinlich ein Spezifikum einer ganz besonderen Behörde, der endlich einmal mit der Behördenpräklusion "Beine gemacht" worden ist. Sie hat sich nämlich bei der Anhörung der Träger öffentlicher Belange niemals gemeldet, auch nicht auf Anmahnungen, Fristverlängerungen etc., sondern hat es darauf ankommen lassen, daß Drittbetroffene geklagt haben gegen eine letztendlich erteilte Genehmigung. Im Gerichtsverfahren kam die Behörde dann mit ihren Totschlagsargumenten. Und je nach Fallkonstellation ist dieser Behörde auch nicht mit Amtshaftung beizukommen. So hat sie sich über Jahre hinweg mit Faulheit davongeschlichen, und das geht jetzt nicht mehr. Das ist der seltene Fall, wo ich sage, Behördenpräklusion ist notwendig. Mende: Als Planfeststellungsbehörde fUr Bundeswasserstraßen haben wir sehr positive Erfahrungen mit den Ausschlußfristen gemacht, jedoch nicht dadurch, daß wir nachher argumentiert haben, Behörden, die verspätet Stellung genommen haben, sind ausgeschlossen, sondern einfach dadurch, daß wir festgestellt haben, die betroffenen Behörden halten sich ungefähr an die Fristen, d.h. Überziehungen oder Verspätungen beschränken sich auf ca. eine Woche. Aber es ist nicht mehr so, wie gerade Frau Lepold gesagt hat, daß Monate oder sogar ein

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Jahr später Stellungnahmen kommen. Das ist durch die Ausschlußfristen sehr stark zurückgegangen. Erfahrungen, die wir gemacht haben: Eine einzige Behörde hat geschrieben, wir halten uns generell nicht an die Frist, sie hätten daher gerne Verlängerung. Nachdem dann jedesmal zurückgeschrieben wurde, wir geben nur Verlängerung in EinzelflHlen, kam innerhalb einer Woche: Sie hätten keine Bedenken. Ich finde diese Fristen sehr positiv, wobei ich aber auch sehe, daß man verspätete Stellungnahmen eigentlich nicht ausschließen kann. Die Fristen werden besser eingehalten. Schmidt-Ludowieg: Ich habe da nur indirekte Informationen, aber dazu folgendes: Herr Professor Peine, Sie haben vergessen, die Landesbauordnung zu erwähnen. Das sind ja auch Gesetze, und die haben die Präklusionswirkung schon seit Mitte der 70er Jahre. Ich erinnere hier besonders an die Landesbauordnung von Nordrhein-Westfalen. Dort hieß es erst: Verspätete Stellungnahmen von Trägem anderer Belange brauchen nicht gehört werden, das hat aber nicht funktioniert. Später wurde dann ein Müssen daraus. Denn Sie wissen ja: Ein Baugenehmigungsverfahren muß über die Denkrnalschutzbehörde und andere Dienststellen laufen. Das ist ein sternförmiges Verfahren, die müssen alle angehört werden, weil ja die Baugenehmigung Konzentrationswirkung hat. Und genau das funktionierte eben in Deutschland nicht sehr gut, und da hat man das eingeftlhrt. Aber nach meinen Informationen aus Nordrhein-Westfalen, aus anderen Bundesländern kenne ich es eben nicht, funktionierte deswegen die Beschleunigung in der Hinsicht nicht, weil, das hatte der eine Kollege vorher schon gesagt, der untere Bauaufsichtsmensch als Letztverantwortlicher mit Amtshaftungsansprüchen rechnen muß. Er gibt den Antrag z.B. an die Feuerwehr und triffi diese innerhalb der Frist keine richtige Entscheidung, dann wagt er nicht, ohne Votum der Feuerwehr, zu entscheiden. Denn später passiert etwas, und dann kommt das Problem der Amtshaftung. Also, in der Theorie ist das wohl alles recht gut, aber in der Praxis habe ich da auch meine Zweifel. Peine: Ich möchte jetzt eine Zwischenbemerkung machen mit Bezug auf das, was auch anklang, nämlich daß den Behörden durch diese Präklusionsvorschriften, wie man so schön sagt, Beine gemacht werden sollen. Das setzt, wenn man so etwas als Argument bringt, ein schlimmes Verständnis von Behörden voraus, nämlich: daß Behörden im Grunde genommen faul sind und nichts tun, es sei denn, man macht ihnen Dampf, dann fangen sie an, warm zu werden. So kann ich nicht argumentieren. Ein solches Verständnis von Behörden empflinde ich persönlich als unfair. Aber wenn es aus Ihren Reihen kommt, dann ist es eben so und dann haben die Vorschriften einen Sinn. Mehr kann ich nicht sagen. Wenn ich das Problem theoretisch analysiere, habe ich Zweifel. Wenn ich aber

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jetzt Ihre Aussage höre, daß einige Behörden früher über Monate, Jahre überhaupt nichts gemacht haben und jetzt nun endlich rechtzeitig mit ihrer Arbeit zu einem Ende kommen, weil sie aus irgendwelchen Gründen zu Ende kommen müssen oder möglicherweise auch, weil sie Angst haben vor einer Amtshaftung, dann ist der positive Effekt der Behördenpräklusion natürlich überhaupt nicht zu bestreiten. Mende: Ich glaube nicht, daß das damit zu tun hat, daß Behörden faul sind oder sonst irgend etwas, sondern es hat vielleicht auch viel mit der politischen Bedeutung mancher Vorhaben zu tun, beispielsweise Flughafenausbauten oder der Transrapid oder der Wasserstraßenausbau, die politisch ja sehr oft umstritten sind. Wir als Bundesbehörde haben die entsprechenden Landesbehörden zu beteiligen, die wissen, daß ihre Umweltminister sehr stark dagegen sind. Dann dienen die Fristen schon dazu, daß man auch von den Behörden, die prinzipiell dagegen sind, fristgemäße Antworten bekommt, und sie nicht einfach aus politischen Gründen verzögern können. Das bringt nicht allzu viel, aber man bekommt wenigstens einigermaßen zeitlich die Stellungnahme und weiß, wo man als Behörde im Genehmigungsverfahren steht. Das hat nichts mit Faulheit oder Dummheit der Behörden zu tun, sondern einfach mit dem politischen Klima, das mit manchen Großvorhaben verbunden ist. Peine: Wenn ich dazwischenfragen darf? Wenn es diese Präklusionsvorschrift nicht gäbe, würden dann Verfahren aus politischen Erwägungen verzögert werden? Mende: Also ich kenne mehrere Verfahren vor Einfilhrung der Präklusionsvorschriften, in denen Landesbehörden dann zu Planfeststellungsunterlagen 1, 1 Y2 Jahre keine Stellung genommen haben. Nachdem die Erörterungstermine abgeschlossen waren, wurden jedesmal neue Stellungnahmen vorgelegt, so daß nacherörtert werden mußte und damit überhaupt kein Abschluß des Verfahrens möglich war. Horn: Ich möchte meiner Kollegin also wirklich beipflichten und will auch ein Beispiel aus der Praxis geben. Wir gehen ja immer davon aus: Mehrere Behörden sind beteiligt und kluge und gebildete und vor allen Dingen entpolitisierte Beamte. Das mag von Bundesland zu Bundesland verschieden sein. Wir haben ja gestern bei der BASF ein sehr positives Beispiel gehört. Das mag 150 km weiter in Hessen anders gesehen werden. Wenn sich in Regierungspräsidien oder anderen Behörden sogenannte "Umwelt-Missionare" und "Umwelt-Apo18 Speyer 128

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stel" fmden, die ihre tägliche Arbeit minimieren, dann haben Sie natUrlich ein praktisches Problem. Sie wissen: Wenn es um ein größeres Bauvorhaben geht, daß diese Abteilung von vornherein, ganz egal, was Sie vortragen, welche guten Gründe Sie vortragen, daß sie in ihrem Grundtenor gegen das Bauen ist. Und dann der Hinweis auf Präklusionsfristen. Sie haben das ja, Herr Prof. Peine, sehr schön ausgefUhrt. Dann kommen irgendwelche 2, 3, 4 Seiten die klassischen K.o.-Argumente. Die sind im PC abgespeichert, sind beliebig abrutbar. Sie haben ja sehr schön gesagt, ein schlichtes "nein" reicht nicht. Im Wege der Computerisierung ist es ja ein einfaches, die tollsten Argumente zu Papier zu bringen. Aus vielen Verfahren kann ich sagen, daß es teilweise abenteuerlich ist, was sich Ämter für Kompetenzen anmaßen. Zum Naturschutz erfolgen seitenlange Ausführungen, ohne dafür zuständig zu sein. Statt sich auf ihre Bereiche zu konzentrieren, versucht ein "Umwelt-Missionar" oder ein "UmweltApostel" - ausgestattet mit entsprechendem Sendungsbewußtsein - das Problem aus seiner Sicht ganzheitlich zu betrachten. Und das ist in der Praxis ein Problem, ob es jetzt eine Behördenpräklusion gibt oder ob es sie nicht gibt. Das können Sie fast vergessen. Ich will einmal ein ganz aktuelles Beispiel geben: Wir haben ein 65 Mio.-Projekt, vorhabenbezogener Erschließungsplan. Die Verwaltung ist an gewisse Fristen gebunden durch entsprechenden Vorlauf im Magistrat, in den Ausschüssen, im Parlament. Die einzubeziehenden Behörden hatten Monate Zeit. Es hat auch eine Antragskonferenz im Vorfeld gegeben. Trotzdem kamen nach dem Satzungsbeschluß durch die Stadtverordnetenversammlung noch irgendwelche obskuren Einwände, und da stehen Sie schon sehr wohl vor der Frage, so nach dem Motto locker zu sagen: Kinder, Pech gehabt, außen vor. Wir wollen ja etwas erreichen. Wir haben dann doch versucht, auch wenn wir uns auf die gesetzliche Neuregelung hätten stUtzen können, noch in irgendeiner Weise die Einwände miteinzubeziehen. Dies auch vor dem Hintergrund, daß sie dann auch immer wieder Bürger finden, die dann den § 47 VwGO bemühen, und was weiß ich, zu was der Verwaltungsgerichtshof tendiert. Vielleicht gibt es wieder eine neue Rechtsprechung, da heißt es, es ist zwar gut und schön mit der Behördenpräklusion. Aber es gibt doch die obskursten dogmatischen Argumente, und wir haben dann das Problem, daß dann der Bebauungsplan rechtswidrig ist und das Ganze noch einmal wiederholt wird. Also insofern, um es abschließend zu sagen, wir tun eigentlich alles um es zu vermeiden, daß es nicht rund läuft. Deshalb sind die Behördenpräklusionsfristen im Grunde genommen gut, es ist schön, daß sie da sind, das ist es dann aber auch. Graßmann: Gleich zwei Anmerkungen dazu: Zum einen hilft mir natUrlich die gesetzte Frist oder die im Gesetz stehende Frist in der Argumentation gegenüber den Behörden, die bei mir im Immissionsschutzrecht in Verfahren beteiligt sind. Sie führt aber nicht dazu, daß die Behörde im Prinzip schneller arbeitet. Es

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führt im Prinzip nur dazu, daß die Prioritätenliste dort verschoben wird. D.h. mein Verfahren wird herausgezogen und gleich erledigt, weil ich eben Druck machen kann über die Frist, die ich habe. Die Behörde arbeitet nicht langsam oder so etwas. Mein Verfahren war halt sonst noch nicht dran. Zweitens ist natürlich wichtig, daß die Fristen, die ich im Verfahren habe, mich dazu nötigen und das fmde ich ganz richtig, auch ein vernünftiges Projektmanagement fUr das gesamte Verfahren zu machen, weil im Verfahren bestimmte eingeschlossene Entscheidungen zu treffen sind, die gar nicht durch die beteiligte Behörde irmerhalb der Monatsfrist abgearbeitet werden können. Z.B. kommt ein Vorhaben, das in einem Landschaftsschutzgebiet liegt, vor. Hier muß geschaut werden, ob von der Satzung über das Landschaftsschutzgebiet oder von der Rechtsverordnung über das Landschaftsschutzgebiet ein Befreiungstatbestand besteht. Dann ist wieder ein untergeordnetes Verfahren zu fUhren, wo weitere Beteiligte darin stecken, so die Naturschutzverbände, und dann wird durch den Landkreis der Naturschutzbeirat beteiligt, der normalerweise nur alle zwei Monate tagt, so daß ich solche Entscheidungen im Prinzip schon im Vorfeld des Verfahrens erkennen muß. Ich muß versuchen, diese Sachen schon auszulagern und anzuschieben zu einer Zeit, wo noch gar kein vollständiger Antrag vorliegt. D.h. also hier, daß die Behördenkonferenz zu Anfang und ein gezieltes Projektmanagement ganz wichtig bei einem solchen Verfahren sind. Da kann ich dann zum Schluß nicht mehr mit der Monatsfrist argumentieren, die zwar im Gesetz steht, denn ohne z.B. diese Befreiung kann ich die Genehmigung nicht erteilen. Ich müßte höchstens dann, wenn die Monatsfrist abgelaufen ist, die Genehmigung verweigern, und das macht natürlich keinen Sinn.

Holznagel: Herr Graßmann, diese Probleme, die Sie beschreiben, sind das politische Blockademechanismen oder hängen die auch damit zusammen, daß die Verfahren insgesamt sachlich zu komplex geworden sind? D.h. zu viele Themen sind abzuprUfen, zu viele Behörden sind involviert etc. Denn dagegen könnte man ja wohl etwas tun, indem man meinetwegen Präventivkontrollen auflöst und ersetzt durch andere Steuerungs instrumente, Versicherungsmodelle oder sonst etwas. Wenn es primär politische Blockademechanismen sind unter denen Sie leiden, ist es natürlich ein ganz schwieriges Geschäft. Denn sie können dann theoretisch schon ab drei involvierten Behörden mit einer eingenommenen Blockadebehörde alles lahmlegen. Graßmann: Nein, es ist weniger Blockade. Da sind es dann schon sachliche Argumente, d.h. die sachliche Komplexität der Verfahren. Ich glaube eher, daß die Politik unabhängig vom Verfahren versucht, etwas anzuschieben, weil es da ja immer um Arbeitsplätze geht. 18"

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Mende: Bei den Verkehrs infrastrukturen sind es eher politische Blockaden, würde ich sagen, weil da seit Jahren die zu beteiligenden Behörden feststehen. Bei den großen Verkehrsprojekten, Wasserstraßen, Transrapid, Eisenbahn, Flughäfen denke ich, ist es eine politische Blockadepolitik von Gegnern. Herrn: Ich möchte noch einmal eine Lanze rur das kooperative Verfahren zwischen den beteiligten Behörden brechen. Ich hatte vorhin in der Diskussion sehr stark den Eindruck, daß hier zwei gegnerische Lager aufeinandertreffen. Das ist ja eigentlich nicht der Fall. Es geht eigentlich darum, daß man ein Vorhaben befördern will und daß man das recht sicher tun möchte. Aber andererseits ist die Präklusion natürlich ein Instrument, welches diese Verfahrensweise etwas verschärft. Das bringt also eine gewisse Schärfe ins Geschäft. Wir haben festgestellt, daß die Präklusion bei uns in Brandenburg Verfahren nicht beschleunigt. Ich kann da den Vortragenden nur bestätigen; es kommt auch nicht so überraschend, denn wir hatten es z.B. im Baugesetzbuch schon immer mit Fristen zu tun. Auch die Beteiligungsfrist, wenn es dort heißt "in angemessener" Frist, ist ja durch die Richter ausgeformt worden. Natürlich gibt es Ausreißer, auch bei uns, die sich innerhalb bestimmter Fristen nicht äußern oder nicht äußern wollen. Für die ist dieses Instrument zumindest eine Grenze, die gesetzt wurde. Aber auch hier denke ich, gibt es rur Leute, "Missionare" war vorhin gesagt worden, durchaus Möglichkeiten, das Verfahren zu verlängern. Mitunter erreiche ich durch die Präklusion sogar den gegenteiligen Effekt: Daß sie eigentlich nach Tricks suchen, um ihre Zeit und ihre Frist noch auszudehnen. Horn: Auch auf die Gefahr, das etwas zu pointiert zu bringen: wie sehr diese Behördenpräklusion auch auf einer anderen Ebene vollkommen ins Leere geht. Und zwar - ich nehme an, das wird in den anderen Bundesländern ähnlich sein - gibt es in Hessen, wo man das Beirats-Unwesen eingeführt hat, Partizipation exzessiv, und ich habe die ehrenvolle Aufgabe, daß ich auch Mitglied im Kreisnaturschutzbeirat bin. Ich bin der einzige Wahlbeamte neben rund 25 Experten: selbsternannten Experten, ausgewiesenen Experten. Wir kommen einmal im Monat zusammen und werden zu allen möglichen Bauprojekten, ob das ein S-Bahn-Bau ist, ob das ein größeres Bauvorhaben ist, eingebunden. Wir haben in einer der letzten Sitzungen die neuen gesetzlichen Änderungen diskutiert. Sie müssen sich das jetzt so vorstellen: Der Naturschutzbeirat kommt einmal im Monat zusammen, und die Vorlagen erreichen im Regelfall die Hälfte eines Quellekatalogs. Der Kormoran-Erlaß mit 15 Seiten, der Abschluß der Rabenvögel 10 Seiten, und dann kommen die verschiedenen Bauvorhaben. Da sind also der selbsternannte und der echte Sachverstand versammelt, und da

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wird dann munter diskutiert, wobei eine Sitzung in der Regel drei Stunden dauert. Die Schwierigkeit ist jetzt die: Wenn jetzt also die entsprechenden kurzen Fristen gesetzt sind, dann ist natürlich schon der Ruf nach der Fristverlängerung vorprogrammiert. Das ist natürlich kein Wunder, wenn ich solche Zentimeter Informationsberge habe, die man natürlich erst einmal durchschauen und querlesen muß. Wenn man in einer Behörde gewohnt ist, zielgerichtete Entscheidungen zu treffen, wenn man dann sieht, wie 3 bis 4 Stunden diskutiert wird und das praktische Ergebnis dagegen hält, wage ich die kühne Forderung, erst einmal solche exzessiven Formen der Beteiligung rigide abzuschaffen. Ziekow: Eine abschließende Frage, Herr Peine: Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, daß eine Behörde wegen Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt? Peine: Ich muß jetzt ganz ehrlich sagen, daß mich diese Frage überrascht. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber ich will einfach einmal versuchen, systematisch eine Antwort zu fmden. Wenn der Wortlaut des Gesetzes die Möglichkeit zuläßt, daß Behörden sich auf diese Vorschrift berufen können, dann ist an sich nichts dagegen zu sagen, daß wegen der Wortlautinterpretation eine Behörde sich auf die Norm berufen kann, also Wiedereinsetzung verlangen kann. Jetzt müßte man als zweites fragen: Kollidiert das Ergebnis mit anderen Vorschriften oder mit anderen Dingen, wie hier beispielsweise mit unserem Beschleunigungsgedanken. Wir müssen versuchen, eine Auflösung zu finden zwischen einerseits der Wiedereinsetzung, andererseits der Beschleunigung. Jetzt würde ich vorsichtig sagen wollen, daß nach alledem, was wir in der letzten Zeit durch die Gesetze vermittelt erhalten haben, der Gedanke der Beschleunigung rur den Gesetzgeber so dominant ist, daß man möglicherweise dazu neigen könnte, daß der Gedanke der Beschleunigung die Wiedereinsetzung ausschließt.

Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren' Von Bernd Holznagel

A. Die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Planung und Durchsetzung komplexer Verwaltungsentscheidungen Die effektive Bewältigung von Interessenkonflikten ist in westlichen Industrieländern heutzutage längst zu einem knappen Gut geworden. Die Verwaltung steht insbesondere im Umweltbereich vor erheblichen Problemen, komplexe Entscheidungen vorzubereiten und durchzusetzen. Selbst nach langjährigen Planungen kann sie keinesfalls sicher sein, daß die Errichtung umweltgeflihrdender Anlagen wie Abfalldeponien, Flughäfen und Kraftwerken von den betroffenen Bürgern widerstandslos hingenommen werden. Dabei werden unterschiedliche Protestformen eingesetzt. Sie reichen von der Initiierung verwaltungsgerichtlicher Verfahren bis zur Einflußnahme auf lokale Politiker oder zur Veranstaltung von Demonstrationen. Die Folge ist häufig eine Verzögerung der Projektrealisierung oder sogar die endgültige Aufgabe der behördlichen Planung. Die Ursachen fUr diese Intensivierung von Umweltstreitigkeiten sind vielfliltig 2 • Die erhöhte Wertschätzung, die Umweltbelange in den letzten Jahren erfahren haben, sind hier ebenso anzufUhren wie der zu beobachtende Vertrauensverlust in die Handlungsflihigkeit des Staates und seiner Institutionen. Bei Konflikten um umweltgeflihrdende Vorhaben wie Straßenerweiterungen oder Abfallentsorgungsanlagen wehren sich die Bürger gegen die mit dem Vorhaben verbundenen sozialen Kosten. In Umfragen werden als Grund fUr die ablehnende Haltung an erster Stelle die gesundheitlichen Risiken angefUhrt, die durch eine erhöhte Abgas- und Lärmbelästigung oder eine unsachgemäße Abfall entsorgung entstehen. An zweiter Stelle stehen befUrchtete materielle und

I Der Autor hat diesen Vortrag erstmals auf der Tagung "Mediation rur Juristen Konfliktbewältigung ohne gerichtliche Entscheidungam" gehalten, die am 27. / 28.9.1996 in Köln stattfand. Die dort präsentierten Beiträge sind dokumentiert in: Breidenbach / Henssler (Hrsg.), Mediation rur Juristen, 1997. 2 Hierzu neuerdings Jan Karpe, Rationalität und mentale Modelle, Frankfurt, 1997.

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Bernd Holznagel

immaterielle Einbußen wie eine Senkung der Grundstückspreise oder auch eine Verminderung der Lebensqualität in unmittelbarer Nachbarschaft des Vorhabens. Da eine Neuansiedlung nur in einem geringen Maße Arbeitsplätze scham oder das Steueraufkommen erhöht, werden diese Nachteile regelmäßig nicht durch positive Projektauswirkungen aufgewogen. Ein hinreichender Ausgleich ftlr die zu erwartenden sozialen Kosten kann auch durch die herkömmlichen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren nur unzureichend gewährt werden. In empirischen Untersuchungen wird zudem das herkömmliche Beteiligungsverfahren als eine weitere Ursache für Bürgerproteste angeftlhrt3 • Genehmigungsverfahren laufen in der Praxis auch heute noch vielfach - wie es ein amerikanischer Kollege nannte - nach dem Modell "Entscheiden - Ankündigen - Verteidigen" ab. Von den Befragten werden in diesen Fällen die Offenheit des Entscheidungsprozesses, die Chancengleichheit bei der Beeinflussung des Ergebnisses und die Neutralität der Behörde in Zweifel gezogen. Die BUrgerbeteiligung komme regelmäßig zu spät, da die wesentlichen Entscheidungen bereits in den vor den Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren stattfmdenden Vorverhandlungen zwischen Behörde und Vorhabenträger getroffen würden. Der in den förmlichen Verwaltungsverfahren vorgesehene Erörterungstermin verkomme daher zu einem bloßen Ritual und werde nahezu ausschließlich strategisch - nämlich zur Vorbereitung späterer gerichtlicher Auseinandersetzungen - genutzt.

B. Gebrauch von Mediation in den Vereinigten Staaten I. Begriffsbestimmung

Um einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten zu finden, ist insbesondere in den Vereinigten Staaten seit Ende der 70er Jahre mit konsensualen Verfahren der Konfliktbewältigung experimentiert worden4 • Bei diesen als "Negotiation" und "Mediation" bezeichneten Verfahren werden schon vor AntragsteIlung Aushandlungsprozesse zwischen Vertretern der Verwaltung, dem Vorhabenträger sowie von Repräsentanten aller durch das Vorhaben berührten Interessen 3 Peter Wiedemann / Susanne Fermers / Lutz Hennen, Bürgerbeteiligung bei entsorgungswirtschaftlichen Vorhaben. Analyse und Bewertung von Konflikten und Lösungsstrategien, Julich 1990. 4 Einen Überblick über diese Konzepte geben im deutschen Schrifttum Oliver Passavant, Mittlerunterstützte Kooperation in komplexen Verwaltungsprojekten, DVBI. 1987, 516; Bernd Holznagel, Der Einsatz von Konfliktmittlern, Schiedsrichtern und Verfahrenswaltern im amerikanischen Umweltrecht, Die Verwaltung 1989,421.

Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren

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initiiert. Ziel des Verfahrens ist die Ausarbeitung einer von allen Parteien für tragfähig befundenen Verhandlungsübereinkunft. Wichtiges Kennzeichen rur diese konsensualen Entscheidungsprozesse ist daher eine inhaltlich erweiterte Berücksichtigung der Belange Betroffener in der Verwaltungsentscheidung beispielsweise durch die Gewährung von Kompensationsleistungen, die über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen. Um zwischen den Verhandlungsparteien zu vermitteln und so bei der Suche nach einer konsensualen Konfliktlösung zu helfen, wird häufig ein neutraler Dritter - zumeist ein Mediator - in die Aushandlungsprozesse eingeschaltet. Bei diesen mittlerunterstützten Aushandlungsprozessen kommt dem neutralen Dritten - anders als dies bei Richtern und Schiedsmännern der Fall ist - keine Befugnis zu, eine bindende Entscheidung zu fällen. Allerdings kann der Konfliktmittler je nach Typus der Streitigkeiten eine mehr passive oder mehr aktive Rolle übernehmen. Der passive Mittler, der auch Verfahrensmittler genannt wird, ist ausschließlich mit verfahrensbezogenen Aufgaben wie der Sicherung der organisatorischen Voraussetzungen der Verhandlungen, dem Abbau von Informationsungleichgewichten und der Sicherung von Verfahrensfairneß betraut. Demgegenüber übernimmt der aktive Mittler zusätzlich eine inhaltliche Verantwortung fUr das Verhandlungsergebnis, das sich aber im Rahmen der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften bewegen muß. Der aktive Mittler ist daher intensiv in die Auswahl der Verhandlungsteilnehmer und in das Schnüren von Verhandlungspaketen eingeschaltet.

11. Entwicklung Mittlerunterstützte Aushandlungsprozesse sind zunächst bei der Standortfindung von lokal unerwünschten Vorhaben, den sogenannten LULU's (Locally Unwanted Land Uses), wie Abfallbeseitigungsanlagen, Autobahnen, Flughäfen, Behindertenheimen usw. eingesetzt worden. Die Verhandlungen fanden dabei regelmäßig im Vorfeld oder neben den förmlichen Genehmigungs- bzw. Verwaltungsverfahren statt. Die Experimentierphase wurde vorwiegend von den großen Stiftungen wie der Ford Foundation oder der Conservation Foundation fmanziert. Seit Beginn der 80er Jahre werden mittlerunterstützte Aushandlungsprozesse in einem zunehmenden Maße und in unterschiedlichsten Varianten in bereits bestehende Verwaltungsverfahrensgesetze eingebaut. Der amerikanische Kongreß hat im Jahre 1990 im amerikanischen Verwaltungsverfahrensgesetz, dem Administrative Procedure Act, Rahmenregelungen rur den Einsatz von Kon-

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fliktmittlern aufgestelltS . Hiernach ist jede Bundesbehörde berechtigt, ein Konfliktmittlungsverfahren anzustrengen, wenn die von einer Verwaltungsentscheidung betroffenen Parteien zustimmen. Das Gesetz legt ausdrücklich fest, daß die behördliche Entscheidungsgewalt durch die Aushandlungsprozesse nicht beeinträchtigt wird. Um die Neutralität des neutralen Dritten zu stärken, steht ihm im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, das nur in gewissen Fällen aufgehoben werden kann. Die Behörden sind gesetzlich verpflichtet, über die Einschaltung von Konfliktmittlern zu berichten und müssen ihre Angestellten über die Vor- und Nachteile dieser Vorgehensweise informieren. Große Beachtung haben auch die Ansiedlungsverfahrensgesetze in den Bundesstaaten Connecticut, Massachusetts, Rhode Island und Wisconsin gefunden 6 • Seit Beginn der 80er Jahre sind hier bei der Ansiedlung von Abfallentsorgungsanlagen Aushandlungsprozesse zwischen dem Vorhabenträger und einem lokalen Verhandlungskomitee zwingend vorgeschrieben. Ziel dieser Verfahren ist die Aushandlung eines Ansiedlungsvertrages, in dem u.a. der Bau der Anlage, die Überwachung des Anlagenbetriebes oder der Umfang von Kompensationsleistungen festgelegt werden. Allerdings dürfen die Verhandlungsergebnisse nicht der technischen Anlagengenehmigung widersprechen. Als Verhandlungs partner des Vorhabensträgers fungiert ein lokales Verhandlungskomitee, das sich aus Bürgern und leitenden Angestellten der Standortgemeinde zusammensetzt. Damit sich das Komitee effektiv an den Verhandlungen beteiligen kann, erhält es z.B. rur Sachverständigengutachten finanzielle Zuwendungen. Um eine endlose Fortsetzung der Verhandlungen zu vermeiden, ist in den Gesetzen eine genaue zeitliche Abfolge der Verfahrensschritte vorgesehen. Um temporäre Verhandlungsengpässe zu beseitigen, kann ein Konfliktmittler eingeschaltet werden. Sind die Verhandlungen endgültig festgefahren, wird ein Schiedsgericht etabliert. Während meines Aufenthaltes im "Programme on Negotiation" an der Harvard University konnte ich eine Reihe von Ansiedlungsverträgen, die in Wisconsin abgeschlossen wurden, einsehen. Es war interessant festzustellen, daß den Parteien in einer Großzahl von Fällen ein arbeitsfähiger Interessenausgleich gelungen war. Mittlerunterstützte Aushandlungsprozesse sind heutzutage nicht nur bei Auseinandersetzungen um Umweltschutzbelange, sondern z.B. auch bei familien- oder nachbarschaftsrechtlichen Streitigkeiten ein wichtiges Mittel der Kon-

5 Das Gesetz ist dokumentiert in Wolfgang HofJmann-Riem / Eberhard SchmidtAßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, Baden-Baden, 1990, 320 ff. 6 S. Bernd Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, Baden-Baden, 1990, 129 ff.

Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren

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fliktbewältigung 7 • Nahezu jede juristische Fakultät, die etwas auf sich hält, bietet heute Kurse an, in denen diese Verfahren gelernt werden können. In jüngster Zeit lassen sich auch gewisse Kommerzialisierungstendenzen feststellen, nachdem Anwaltskanzleien, Umweltberatungsfirmen oder auch staatliche Beratungszentren die Dienstleistung "mediation" in ihr Angebot aufgenommen haben.

c. Übertragbarkeit des Mediationkonzeptes in die Bundesrepublik I. Anknüpfungspunkte Das amerikanische Umweltrecht hat fUr die Rechtsetzung der europäischen Gemeinschaften und der Bundesrepublik in den letzten Jahren eine Art Vorbildcharakter übernommen. Neue Instrumente des Umweltschutzes wie die Umweltverträglichkeitsprüfung oder das Einsichtsrecht in Umweltakten wurden in den USA zum Teil zwanzig Jahre lang erprobt, bevor sie in die europäische Rechtsordnung übernommen wurden. Es kann daher nicht verwundern, daß die Mediation-Welle nach Europa übergeschwappt ist und das Verfahren nun auch in Deutschland intensiv diskutiert wird. Ähnlich wie zuvor in den USA wird überlegt, inwiefern Streitigkeiten um umweltgefährdende Projekte mit Mediation besser als bisher gelöst werden können. Anknüpfungspunkt sind die vielfach kritisierten Vorverhandlungen zwischen Behörde und Vorhabenträger. In diesen bipolaren, zweiseitigen Verhandlungen, die zumeist schon im Vorfeld der förmlichen Verwaltungs- und Beteiligungsverfahren stattfinden, werden in der Praxis die wesentlichen Entscheidungen der Projektrealisierung gefällt. Konfliktmittlungsverfahren sollen demgegenüber dazu ruhren, daß auch die vom Projekt betroffenen Bürger frühzeitig in den Entscheidungsprozeß einbezogen werden. Die Konfliktmittlung soll daher regelmäßig vor dem ilirmlichen Verwaltungs verfahren beginnen. Dennoch müssen nach allgemeiner Auffassung gewisse Verfahrensabläufe und -prinzipien eingehalten werden. 11. Voraussetzungen für Mediation 1. Kompromißfähigkeit des Konflikts

Konfliktmittler werden in den Vereinigten Staaten nur dann in Aushandlungsprozesse eingeschaltet, wenn die Streitigkeiten durch einen Komprorniß 7 Hierzu Stephan Breidenbach, Mediation. Struktur, Chancen und Risiken von Vennittlung im Konflikt, Köln, 1995, 11 ff.

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zu bewältigen sind. Dies kann bei Konflikten, in denen um fundamentale Wertentscheidungen gestritten wird, regelmäßig nicht erwartet werden. Denn hier kann die eine Partei nur auf Kosten der anderen gewinnen. Die Ansiedlung von Kernkraftwerken etwa flUlt daher aus dem Anwendungsbereich konsensualer Entscheidungsprozesse heraus. Soweit es aber um die Verteilung von knappen Ressourcen geht, können alle beteiligten Parteien zu Gewinnern werden. Bei diesem Konflikttypus ist auch die Leistung von Kompensationen denkbar, um eventuell entstehende Nachteile auszugleichen. 2. Ausreichende Verhandlungsanreize

Des weiteren müssen bei den Parteien ausreichende Anreize rur die Aufnahme von Verhandlungen vorhanden sein. Nur wenn sie keine bessere Alternative haben, werden sie versuchen, ihre Interessen auf dem Verhandlungswege durchzusetzen. Die Existenz von Tauschmacht, die z.B. durch die Androhung eines gerichtlichen Verfahrens erzeugt wird, ist daher eine weitere wichtige Voraussetzung rur die Initiierung von Konfliktmittlungsverfahren. 3. Bindung der Parteien an eine Verhandlungslösung

Schließlich muß eine Verhandlungslösung rur die Parteien verbindlich gemacht werden können. Die Bereitschaft, Zeit und Kosten in Verhandlungen zu investieren, kann andernfalls nicht erwartet werden. III. Verfahrensprinzipien

Grundsätzlich wird zwischen vier Stufen einer Konfliktmittlung unterschieden: der Initiierungs-, Vorbereitungs-, Verhandlungs- und Umsetzungsphase8• J. Initiierungsphase

Aushandlungsprozesse müssen zunächst initiiert werden. HierfUr kommt die Verwaltung ebenso in Betracht wie Bürgerinitiativen oder der Vorhabenträger. Bei der Beauftragung eines Konfliktmittlers ist darauf zu achten, daß seine Neutralität von allen in den Konflikt verstrickten Parteien anerkannt wird. In der bundesdeutschen Praxis sind daher Professoren, Vertreter der Kirchen oder

8 Hierzu im einzelnen Hartmut Gaßner / Bemd Holznagel / Uwe Lahl, Mediation, Bonn, 1992,33 ff.

Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren

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auch UmweltberatungsfInnen mit Konfliktmittleraufgaben betraut worden. 9 Wesentlich ist, daß die Auswahl des neutralen Dritten im Verlauf des Verfahrens von den Teilnehmern bestätigt wird. 2. Vorbereitungsphase

a) IdentifIzierung und Auswahl der Verhandlungsteilnehmer Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des neutralen Dritten, alle Interessen, die von der Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt sein können, zu identifIzieren und glaubwürdige Interessenvertreter fUr die Verhandlungen auszuwählen. Der Mittler muß daher eine detaillierte Analyse der Konfliktlandschaft vornehmen. Die IdentifIzierung möglicher Verhandlungsparteien ist besonders schwierig, wenn die Verhandlungen - wie bei Planungsprozessen üblich - in einem frühen Konfliktstadium beginnen sollen. Soweit bereits organisierte Interessengruppen bestehen, kann er diese bitten, Verhandlungsrepräsentanten zu nominieren. Es ist aber auch denkbar, daß der Konfliktmittler ad hoc Wahlen rur einen örtlich abgegrenzten Personenkreis durchfUhren läßt oder Einzelpersonen rur die Verhandlungen nominiert. Um die Interessen zukünftiger Generationen in die Verhandlungen einzubeziehen, kann der Mittler z.B. Vertreter der Kirchen oder Umweltverbände benennen. b) Festlegung der Verhandlungsspielregeln Nachdem die Teilnehmer des Verfahrens ennittelt wurden, muß in einem nächsten Schritt über die Inhalte, den zeitlichen Ablauf und die Verfahrensregeln Einigkeit erzielt werden. Die wichtigste Aufgabe liegt fUr die Parteien darin, die fUr eine Konfliktlösung erforderlichen Fragestellungen zu entwickeln und die Reihenfolge ihrer Bearbeitung festzulegen. Gewöhnlich ist diese Verfahrensphase Anlaß fUr intensive Diskussionen, da hier eine gewisse inhaltliche Vorstrukturierung der späteren eigentlichen Verhandlungen vorgenommen wird. Des weiteren muß das Verfahren so gestaltet werden, daß rur die Parteien Anreize fUr eine zügige VerhandlungsfUhrung bestehen. Eine Festlegung der Verhandlungsdauer macht das gesamte Verfahren rur die Parteien zeitlich kalkulierbar, verhindert Verzögerungstaktiken und erhöht somit die Bereitschaft, an ihm teilzunehmen. 9 S. nur die Fallstudie von Bernd Holznagel / Ulrich Ramsauer, Konsensuale Sachverhaltsennittlung. Data-Mediation am Beispiel der Verhandlungen über den Hamburger Autobahndeckel, Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 1997,65 ff.

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Weitere wichtige Fragen, über die vor den eigentlichen inhaltlichen Verhandlungen eine Einigkeit erzielt werden muß, betreffen Verhaltenspflichten der Parteien. So sind vor allem zum Schutz des Vorhabenträgers Regelungen über Verschwiegenheitspflichten z.B. in Bezug auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu treffen. Ebenso wichtig ist die Klärung des Verhältnisses zu den Medien, um einen fairen und gleichberechtigten Verhandlungsprozeß zu garantieren. Schließlich müssen die Verhandlungsmodalitäten vereinbart werden, zu denen Absprachen über den Ort, den Zugang der Öffentlichkeit, die Diskussionsleitung oder auch die Protokollierung der Verhandlungen gehören.

3. Verhandlungsphase a) Kooperative Informationsbeschaffung Die Verhandlungsphase beginnt mit einer gemeinsamen Sammlung und Auswertung der rur die Lösung der anstehenden Problemstellungen notwendigen Informationen. Soweit die Verhandlungsteilnehmer nicht von sich aus zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen in der Lage sind, muß eine Einigung über die in Auftrag zu gebenden Sachverständigengutachten erfolgen. Der Konfliktmittler hat darauf zu achten, daß Informationsungleichgewichte ausbalanciert werden. Zu diesem Zweck wird häufig weniger fmanzstarken Parteien die Möglichkeit eingeräumt, Untersuchungen bei Gutachtern ihres Vertrauens in Auftrag zu geben. b) Kooperative Problemlösungssuche Nachdem sich die Parteien eine hinreichende Informationsgrundlage erarbeitet haben, beginnen sie mit den eigentlichen Verhandlungen. Ziel ist es, einen einvernehmlichen Interessenausgleich auszuhandeln. Es soll eine Situation erzeugt werden, bei der jeder irgendwie gewinnen kann. Hier läßt sich von einer win-win-Situation sprechen im Unterschied zu dem sog. Nullsummenspiel, bei dem einer auf Kosten anderer alles gewinnt. Eine Situation mit mehreren Gewinnern läßt sich nur herstellen, wenn sich die Parteien in den Verhandlungen auf ihre (wirklichen) Interessen und nicht auf die von ihnen eingenommenen Positionen konzentrieren. Der Begriff der Position bezeichnet das durchzusetzende Verhandlungsergebnis. Das Interesse meint die Ziele und Gründe. Wenn es also beispielsweise darum geht, den Bau einer Straße zu verhindern, dann ist dies eine eingenommene Position. Dahinter liegen bestimmte Interessen, aufgrund deren man den Bau verhindern will. Etwa, weil man als Anlieger Angst vor Lärm oder vor der möglichen Wertminderung des eigenen Grundstücks hat. Bei den Verhandlungen geht es um die Klä-

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rung der Frage, ob es bei Anerkennung des jeweiligen Interesses - also der Berechtigung des Schutzes vor Uno, des Werterhalts und dergleichen - möglich ist, die Position - also die Verhinderung des Baus dieser Straße - zu verändern. Vielleicht gibt es Modalitäten, bei denen zwar die Interessen weitgehend gewahrt werden können, aber die Position modifiziert wird. So kann die Trassenfilhrung der Straße verändert werden, es können Lärmschutzvorrichtungen vorgesehen werden, oder es kann filr die Kompensation möglicher Wertminderungen gesorgt sein. Um Standortkonflikte beizulegen, wird in den USA die Zahlung von Geldleistungen ebenso vereinbart wie der Bau von neuen Infrastruktunnaßnahmen wie Z.B. Schwimmbädern oder sonstigen sozialen Einrichtungen. Auch Ersatzrnaßnahmen wie die Wiederherstellung der durch die spätere Errichtung des Vorhabens zerstörten Umwelt kommen als Ausgleichsmaßnahmen in Betracht. 4. Umsetzungsphase

a) Unterzeichung der Verhandlungsübereinkunft Sind die Pakete geschnürt, werden die Ergebnisse schriftlich niedergelegt, und die Parteien unterzeichnen die so entstandene Verhandlungsübereinkunft. Repräsentanten von Interessengruppen bedürfen hierzu der Zustimmung ihrer »Basis«. b) Bindung der Parteien Um die Parteien an die Verhandlungsübereinkunft zu binden, bedarf es regelmäßig verschiedener Umsetzungsakte. Bei Standortkonflikten wird die grundlegende Entscheidung über die Zu lässigkeit einer Anlagenerrichtung von der Behörde getroffen. Die Gegenleistung der Bürgerseite wie z. B. ein Klageverzicht können vertraglich vereinbart werden. c) Abreden zur Lösung zukünftiger Streitigkeiten Damit Schwierigkeiten, die bei der praktischen Umsetzung der Verhandlungsergebnisse entstehen, zügig behoben werden können, werden rur diesen Fall häufig gesonderte Abreden getroffen. Denkbar ist, daß die Parteien eine Wiederaufnahme der Verhandlungen verabreden. Des weiteren ist die Vereinbarung eines Schlichtungs- bzw. Schiedsverfahrens üblich, in dem Z.B. abschließend über entstandene Streitpunkte befunden wird.

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IV. Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen

Eine Umsetzung des Environmental-Mediation-Konzeptes in die bundesrepublikanische Ordnung ist in Grenzen schon nach der derzeitigen Rechtslage möglich lO • Bestehende Beschränkungen könnten durch eine gesetzliche Rahmenregelung überwunden werden. J. Zulässigkeit

Gewisse Spielräume tUr mittlerunterstütztes Verhandeln eröffnet der z.B. in Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren vorgesehene Erörterungstermin. Diese Veranstaltung dient vor allem dem Zweck, eine Einigung über die zuvor erhobenen Einwendungen zu erzielen (§ 74 Abs. 2, 73 Abs. 6 VwVfG). Eine Einigung kann aber regelmäßig nur durch Verhandlungen erreicht werden, so daß diese Vorgehensweise mittelbar durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen legitimiert ist. Da der Verwaltung die Verfahrensherrschaft übertragen wurde, kann ein Konfliktmittler nicht rechtsverbindlich mit hoheitlichen Aufgaben wie der Leitung des Erörterungstermins oder der Sachverhaltsaufklärung betraut werden. Die zuständige Behörde kann jedoch den neutralen Dritten bei der DurchtUhrung dieser Tätigkeiten um Mithilfe bitten. Für Aushandlungsprozesse, die außerhalb des Erörterungstermins oder gar eines förmlichen Verwaltungsverfahrens initiiert werden, gilt der Grundsatz der Nichtförmlichkeit. Das Verfahren ist demnach einfach, zügig und zweckmäßig durchzutUhren (§ 10 VwVfG). Im Schrifttum wird hieraus geschlossen, daß informelle Vorgehensweisen - soweit nicht gegen besondere Rechtsgrundsätze wie das Gleichheitsgebot verstoßen wird - rechtmäßig sind. Soweit sich allerdings die Verwaltung an das Verhandlungsresultat faktisch bindet und hierdurch Rechtspositionen anderer gestaltet bzw. nachteilig beeinträchtigt, sind die Beteiligungsregeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes anzuwenden. So sind Dritte i.S. des § 13 Abs. 2 S. 2 VwVfG, wie z.B. die Nachbarn eines beantragten Vorhabens, auf ihren Wunsch hin an den Verhandlungen zu beteiligen. Gegen die Einschaltung von Konfliktmittlem ergeben sich in dieser Phase des Entscheidungsprozesses keine Bedenken. Eine behördenfremde Person wäre zwar rein rechtlich nicht an diese Verhandlungsbedingungen gebunden. Da die Behördenvertreter nur bei ihrer Beachtung an den Aushandlungsprozessen teilnehmen dürfen und der neutrale Dritte an ihrer Mitwirkung interessiert ist, wird auch er sie in der Praxis beachten müssen. Ein besonders wichtiges Anwendungsfeld tUr Konfliktmittler dürfte zukünftig die Ausarbeitung einer Umwelt10 Grundlegend hierzu Bernd Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, Baden-Baden, 1990, 194 ff.

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verträglichkeitsprüfung darstellen. Nach § 5 UVP-Gesetz können »Dritte«, zu denen auch Mittler zu zählen sind, bei der Erörterung über den Gegenstand dieser Prüfung hinzugezogen werden. Um den derzeit bestehenden Handlungsspielraum des Konfliktmittlers zu erweitern, könnten ihm de lege ferenda - entsprechend den Regelungen des amerikanischen Umweltrechts - ein Akteneinsichts- und Zeugnisverweigerungsrecht sowie Kompetenzen zur eigenständigen Sachverhaltsaufklärung eingeräumt werden 11. Erste Vorschläge für eine Kodifizierung des Konfliktmittlereinsatzes fmden sich in dem Professorenentwurf rur ein allgemeines Umweltgesetzbuch. Hiernach können die Länder vorsehen, "daß die zuständige Behörde die Vorbereitung und Durchführung des Erörterungstennins unbeschadet ihrer Verfahrensverantwortung einem unbeteiligten Dritten (Verfahrensmittler) anvertrauen kann". 2. Implementation einer Verhandlungsübereinkunft

Das bundesrepublikanische Verwaltungsrecht stellt eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, um die Parteien an eine Verhandlungsübereinkunft zu binden 12. So können die ausgehandelten Ergebnisse beispielsweise durch Auflagen und Bedingungen hoheitlich umgesetzt werden. Des weiteren kommt der Abschluß privat- und öffentlich-rechtlicher Verträge in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind selbst faktische Bindungen der Verwaltung an eine Verhandlungslösung denkbar, die schon vor Beginn eines fönnlichen Verwaltungsverfahrens ausgehandelt wurden. Sie sind unter drei Voraussetzungen statthaft: sie müssen sachlich gerechtfertigt sowie unter Wahrung der Kompetenzordnung getroffen sein und sie müssen dem Gebot einer gerechten Interessenabwägung genügen. V. Plädoyer für weitere Experimente Eine Entscheidungsfmdung, die durch Verhandlungen und durch den Einsatz neutraler Dritter vorbereitet wird, weist eine Reihe von Vor t eil e n 11 Helmuth Schulze-Fielitz, Der Konfliktmittler als verwaltungsverfahrensrechtliches Problem, in: Wolfgang Hoffmann-Riem / Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, Baden-Baden, 1990,53 (73 ff.). Vorschläge fur die Abfassung eines Mediationsgesetzes hat kürzlich Hildegund Sünderhauf, Mediation bei der außergerichtlichen Lösung von Umweltkonflikten in Deutschland, 1997, 205 ff., unterbreitet. 12 Edmund Brandt, Umsetzung von Ergebnissen informeller Aushandlungen in formelle Entscheidungen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem / Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, Baden-Baden, 1990,239.

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gegenüber den traditionell in der Bundesrepublik gebräuchlichen Beteiligungsverfahren auf 3. Die Belange der von einem Vorhaben Betroffenen werden nicht mehr nur punktuell z.B. durch die Formulierung von schriftlichen Einwendungen oder im Verlauf einer Anhörung vorgebracht, sondern können kontinuierlich in den Entscheidungsprozeß einfließen. Dabei können die Betroffenen ihre Interessen frühzeitig artikulieren. Die Betroffenen werden überdies in die Lage versetzt, ihre häufig unterlegene fachliche Kompetenz zu verbessern und so ihre Vorstellungen konstruktiv vorzubringen. Ihre Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung und Informationsbeschaffung verbessert die Chancen fUr eine Akzeptanz der in Auftrag gegebenen Gutachten. Die Einschaltung eines behördenfremden Konfliktmittlers gewährleistet, daß das Verfahren fair und ohne Bevorzugung bestimmter Interessenvertreter durchgefUhrt wird. Darüber hinaus ist zu erwarten, daß die mit einer Entscheidung verbundenen Nachteile und sozialen Kosten fUr die Betroffenen besser als bisher ausgeglichen werden können. Es können nämlich Wege fUr einen Interessenausgleich gefunden werden, die über das im Gesetz vorgesehene Maß hinausgehen. Damit wird eine Vermehrung von Entscheidungsalternativen erreicht und die Anzahl von Konfliktlösungsvarianten insgesamt erhöht. Die verfUgbaren Mittel können somit optimal auf die Bedürfnisse aller Betroffenen abgestimmt werden. Gleichwohl dürfen an das Mediationsverfahren keine unrealistischen Erwartungen geknüpft werden. Bei der praktischen Umsetzung kann es sich Z.B. als schwierig erweisen, die Verhandlungsrunde zusammenzustellen, fUr eine annähernd gleiche Informationsgrundlage bei den Parteien zu sorgen sowie eine ausreichende Finanzierung der Konsenssuche sicherzustellen. Sollten sich die an das Mediationkonzept geknüpften Hoffnungen aber verwirklichen lassen l4 , wäre ein bedeutsamer Schritt fUr die dringend erforderliche Modernisierung deutschen Verwaltungshandelns getan.

13 Dieter Kostka, Öffentliches Konfliktmanagement, Die Verwaltung 1993, 87; Nicola Werbeck, Beteiligungsrechte und Kompensationsleistungen als Instrumente zur Erhöhung der Akzeptanz von Abfallanlagen - eine ökonomische Analyse, Zeitschrift flir angewandte Umweltforschung, 1993,210. 14 Zu den bisherigen Erfahrungen mit Umweltmediation in der Bundesrepublik s. Matthias Jeglitza / Carsten Hoyer, Deutsche Verfahren alternativer Konfliktlösung bei Umweltstreitigkeiten - Eine Dokumentation, in: Horst Zilleßen (Hrsg.), Mediation Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, 1998, 137 f1; Frank Claus / Peter M Wiedemann, Umweltkonflikte. Vermittlungsverfahren zu ihrer Lösung, Taunusstein, 1994. S. auch die zahlreichen Veröffentlichungen des am Wissenschaftszentrum Berlin angesiedelten Forschungsprojekts "Mediationsverfahren im Umweltschutz".

Diskussion zu dem Vortrag von Bernd Holznagel

Bock: Für mich geht es bei Ihrem Vortrag im wesentlichen darum, welche Anforderungen man an das Subjekt des Verfahrens stellen muß. Ich gehe nach wie vor davon aus, daß Art. 33 GG Bedeutung hat und auch nicht abgeschafft wird. Von daher stellt sich fUr mich die Frage, ob die Ersetzung z.B. eines Pianfeststellungsverfahrens oder eines Genehmigungsverfahrens ohne Beteiligung eines Beamten ohne weiteres möglich ist und da sehe ich sicherlich mindestens gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Und das zweite ist natürlich, inwieweit bei einem derartigen Verfahren die typischen Verwaltungsinstrumente entfallen. Ich denke da an die öffentlichen Bekanntmachungen von Entscheidungen, um eine Entscheidung überhaupt bestandskräftig zu bekommen. Das ist ja alles nicht ohne weiteres möglich, wenn man sich auf eine Ebene begibt, die mehr einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung entspricht als einem Verwaltungsakt. Diese Gedanken kommen mir vor allem deshalb, weil das von Ihnen gewählte natürlich ein Beispiel ist, in dem keine subjektiven Rechte in größerem Maße betroffen sind, sondern Sie im wesentlichen Immissionsbelastung gesenkt haben. Der umgekehrte Fall, wenn Sie diesen Hamburger Deckel entfernen würden, wäre sicherlich nicht mehr kompromißfähig und auch wahrscheinlich nicht mehr durchzusetzen, sondern nur noch eben durch dieses hoheitliche Instrument. Auf der anderen Seite begrüße ich es natürlich aus der Sicht der Verwaltung, daß die Verwaltung ein neues Verständnis entwickelt und sich endlich aus ihrer preußischen Rolle begibt, hoheitlich von oben herab zu handeln. Keller: Meine Frage an Sie geht auch in die Richtung des Vorredners. In welchem Verhältnis sehen Sie das, was Sie vorgetragen haben, zum bestehenden Verwaltungsverfahrensrecht, sprich: zum förmlichen Verwaltungsverfahren? Sehen Sie da Möglichkeiten, das in irgendeiner Art und Weise zu kombinieren, und wenn ja, wo sollte es Anwendung fmden? Sollte die Mediation in der vorbereitenden Planung stattfmden, oder sehen Sie Möglichkeiten, sie in das förmliche Verwaltungsverfahren einzubinden. Da habe ich so ein bißchen Probleme, weil wir uns dann gegebenenfalls auch den Erörterungstermin sparen können, da die

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Diskussion

Mediation unter Umständen auch das darstellt, was wir versuchen, beim Erörterungstermin oder in Vorbereitung des Erörterungstermins zu realisieren. Holznagel: Zu den rechtlichen Handlungsformen ist folgendes zu vermerken: Im formellen Verfahren gibt es hinreichende Möglichkeiten, Mediatoren einzusetzen. Die Behörde ist im Erörterungstermin normativ verpflichtet, Konsensprozesse zu initiieren. Des weiteren muß die Frage gestellt werden, ob oder neben solchen förmlichen Verfahren Aushandlungsprozesse gestattet sind. Herr Ziekow, Sie haben einen Vortrag zu diesem Thema gehalten. Durch die Veränderung von § 10 VwVfG und die EinfUhrung des Zügigkeitsgebots, werden m.E. die Spielräume konsensualer Aushandlungsprozesse erweitert. Denn diese Verfahren können unter bestimmten Bedingungen dazu fUhren, daß Gerichtsverfahren vermieden werden und insofern Anlagen schneller als bisher angesiedelt werden können. Jedoch ist bei einer frühen Einschaltung von Mediatoren darauf zu achten, daß Verfahrensbeteiligungsrechte, die später geltend zu machen sind, nicht leerlaufen. Wenn Sie Drittbetroffene haben, dann sollten Sie diese frühzeitig ins förmliche Verfahren mit einbeziehen. Dann haben Sie auch keine Unterlaufungsprobleme. Es ist jedoch darauf zu achten, daß eine Verhandlungslösung die Parteien rechtlich binden kann. Die derzeitige Praxis bipolarer Vorverhandlungen zeigt uns, wie dies vonstatten gehen kann. Die Verhandlungsergebnisse werden nämlich in die Genehmigung hineingeschrieben, sei es nun als Inhaltsbestimmung oder als Auflage. Ist dieser Weg nicht gangbar, Z.B. bei einem Klageverzicht seitens der Bürger, kann zudem ein öffentlichrechtlicher oder sogar privatrechtlicher Vertrag ausgearbeitet werden. Der BGH hatte in seiner Bergkamen-Entscheidung (BGHZ 79, 131) einen solchen Klageverzicht zu überprüfen. Der Gerichtshof hat entschieden, daß der Verzicht nicht sittenwidrig sei. Damit haben Sie zahlreiche Handlungsvarianten und weite Verknüpfungsmöglichkeiten, und die sind schon de lege lata verfUgbar. Bock: Ich fUhle mich jetzt doch ein bißchen mißverstanden. Ich ziele mit meiner Frage mehr in die Richtung, wie man mit dem Problem umgeht, daß man bei den meisten Verfahren im Vorfeld einen unbestimmten Personenkreis vor sich hat. Nicht auf der öffentlichen Seite, aber auf privater Seite, ist eigentlich nicht ohne weiteres von vornherein feststehend, welche Personen konkret betroffen sind. Es ist eben das förmliche Verfahren, das mir hier hilft, Abhilfe zu schaffen. Holznagel: Ich habe nicht dafUr plädiert, förmliche Verfahren abzuschaffen. Das wäre ein Mißverständnis. Ich würde sogar - de lege ferenda - dafUr plädieren, das

Diskussion

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Verfahren aufzuwerten. Die derzeitige Veränderung der Fehlerlehre paßt mir gar nicht. Das Verfahren gehört vielmehr ausdifferenziert. Dann könnte auch die materielle Kontrolldichte der Gerichte zurückgenommen werden. Die Richter könnten sich in gewissen Bereichen auf eine Verfahrenskontrolle beschränken. Konkret zu Ihrer Frage: Man muß Mediation mit dem förmlichen Verfahren verzahnen. Dies ist auch schon nach der geltenden Rechtslage möglich. Im Professorenentwurf zum allgemeinen Umweltgesetzbuch wird darüber hinaus die Einschaltung eines Verfahrensmittlers vorgesehen. Zudem könnte an weitere Rahmenregelungen filr den Einsatz neutraler Dritter gedacht werden. In den USA ist ihnen z.B. ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt worden. Nochmals: Ich plädiere nicht filr die Abschaffung des ilirmlichen Verfahrens. Herrn: Ich würde gerne noch einmal das Thema des Forums aufrufen: Beschleunigung. Wie sehen Sie das Verhältnis von Mediation zu Beschleunigungseffekten? Holznagel: Diese Frage läßt sich allgemein schwer beantworten. Bei Mediationen besteht die Gefahr, daß die Partizipationskosten sehr hoch sind. Aushandlungsprozesse können im übrigen sehr zeitintensiv sein. Sie müssen überdies den Mediator suchen. Er muß bezahlt werden usw. Letztlich kann nur in jedem Einzelfall geklärt werden, ob das Mediationsverfahren Beschleunigungseffekte verspricht. Z.B. können ja politische Hindernisse beseitigt oder gar ein Gerichtsverfahren überflüssig gemacht werden. Es sollte - wie bereits gesagt verstärkt darüber nachgedacht werden, ob nicht die gerichtliche Kontrolldichte reduziert werden kann. Mit der neuen Fehlerlehre hat sich der Gesetzgeber filr eine ganz andere Richtung entschieden. Der Abbau der Bedeutung des Verfahrens liegt aber nicht im internationalen Trend. Wir haben in den USA oder auch in den europäischen Staaten in den letzten Jahren eine massive Aufwertung von Verfahrensregeln erlebt. Es bleibt zu hoffen, daß sich das deutsche Recht im Zuge der Europäisierung diesen Entwicklungen anpassen wird. Kazianschitz: Ich komme aus Österreich und arbeite mit Kolleginnen und Kollegen zusammen, die in der Regel keine Großprojekte, wie z.B. große Straßenbauprojekte, sondern Genehmigungsverfahren filr Klein- und Mittelbetriebe durchfilhren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man bei solchen Verfahren externe Mediatoren beizieht, weil dies eine Kostenfrage ist. Es ist ja auch Aufgabe der Behörde, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen. Meine Frage ist weniger eine Frage an Herrn Holznagel als an Kollegen, die in der Praxis tätig sind. Bei uns wird Folgendes diskutiert: Einerseits gibt es auf der Behördenseite den

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Projektmanager, den Behördenvertreter, der sozusagen das Verfahren leitet und managt. Andererseits gibt es die Idee, ausgegliedert von der Behörde, einen Verfahrensmanager auf Seiten der Wirtschaft einzurichten, der dem Gewerbetreibenden zur Verfügung steht und ihn durch den Behördendschungel schleust. Dazu gibt es einige Modelle, die auch von Behördenseite als sinnvoll angesehen werden, da sie bei der gesetzlichen Interessenvertretung, das ist die Wirtschaftskammer, angesiedelt sind. Nun gibt es auch die Idee, solche Verfahrensmanager unmittelbar bei der Behörde anzusiedeln, wogegen allerdings die Verpflichtung zur Objektivität spricht. Gibt es bei Ihnen in Deutschland Modelle, durch die solche Behördenbetreuer ftlr Wirtschaftstreibende eingerichtet sind? Müller: Zwei Aspekte sind mir bekannt: Manche Interessenvertretungen haben Juristen oder auch andere Personen, die rur Kleinunternehmer eine solche Unterstützung gewähren. Das ist meines Wissens zwar nicht in irgendwelchen Vorschriften existent, aber das haben diese Interessenverbände so eingerichtet, und das macht auch Sinn aus meiner Sicht. Ein zweiter Aspekt: Das Land Rheinland-Pfalz hat eine kleine Beratungsgruppe rur Immissions-, Arbeits- und sonstigen Gefahrenschutz eingerichtet, die Kleinunternehmer im Rahmen eines solchen Verfahrens berät. Das ist dann allerdings eine Gruppe, die bei der Behörde angesiedelt ist, die aus der Behörde, aus der Gewerbeaufsichtsverwaltung kommt, die auch die interna kennt und dementsprechend auch gut einen Kleinunternehmer beraten kann.

Verzeichnis der Referenten und Diskussionsteilnehmer

Dr. Baumeister, Peter, Wissenschaftlicher Assistent, Universität Mannheim Bock, Christian, Referent, Regierungspräsidium Dresden Dr. Fluck, Jürgen, Rechtsanwalt, BASF AG, Ludwigshafen Dr. Graßmann, Franz, Referatsleiter, Amt rur Immissionsschutz, Waldstadt Dr. Guckelberger, Annette, Deutsche Hochschule ft1r Verwaltungswissenschaften Speyer Herrn, Ludwig, Dipl.-Ingenieur, Amtsleiter, Landesamt rur Bauen, Bautechnik und Wohnen des Landes Brandenburg, Cottbus Höfer, Helmut, Abteilungsdirektor, Regierungspräsidium Stuttgart Dr. Holznagel, Bemd, Univ.-Prof., Westfälische Wilhelms-Universität Münster Horn, Thomas, Bürgermeister, Stadt Kelkheim Kazianschitz, Elisabeth, Magister, Organisationsreferentin, Steiermärkische Landesregierung, Graz / Österreich Keller, Joachim, Regierungsdirektor, Regierungspräsidium Magdeburg Lankau, Ingo-Endrick, Rechtsanwalt und Notar, Darmstadt Lepold, Dorothea, Regierungsdirektorin, Dezementin, Kreisverwaltung TrierSaarburg, Trier Dr. Loistl, Manfred, Gewerberat, Ministerium rur Umwelt und Verkehr BadenWürttemberg, Stuttgart Mende, Christiane, Oberregierungsrätin, Dezematsleiterin, Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost, Berlin Dr. Müller, Amold, Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Neustadt an der Weinstraße Dr. Peine, Franz-Joseph, Univ.-Prof., Georg-August-Universität Göttingen Schäfer, Gerhard, Leitender Vermessungsdirektor, Behördenleiter, Staatliches Amt rur Ländliche Neuordnung Kamenz

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Verzeichnis der Referenten und Diskussionsteilnehmer

Dr. Scheffler, Hans-Hermann, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht, Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Schmidt-Ludowieg, Norbert, Verwaltungsdirektor, Justitiar, Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin Dr. Schmitz, Heribert, Ministerialrat, Bundesministerium des Innern, Bonn Dr. Sodan, Helge, Univ.-Prof., Freie Universität Berlin Dr. Steinbeiß-Winkelmann, Christine, Ministerialrätin, Bundesministerium der Justiz, Bonn Dr. Storost, Ulrich, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin Dr. Stlier, Bernhard, Prof., Rechtsanwalt und Notar, Münster Dr. Ziekow, Jan, Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer