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German Pages 182 Year 2017
CARL SCHMITT
Über Schuld und Schuldarten Eine terminologische Untersuchung Zweite Auflage
Mit einem Anhang weiterer strafrechtlicher und früher rechtsphilosophischer Beiträge
Duncker & Humblot · Berlin
CARL SCHMITT
Über Schuld und Schuldarten
CARL SCHMITT
Über Schuld und Schuldarten Eine terminologische Untersuchung Zweite Auflage
Mit einem Anhang weiterer strafrechtlicher und früher rechtsphilosophischer Beiträge
Duncker & Humblot · Berlin
Veröffentlicht unter Mitwirkung des wissenschaftlichen Beirats der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die erste Auflage dieser Schrift ist als Heft 120 in der Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen“, begründet von Hans Bennecke und herausgegeben von Karl von Lilienthal in der Schletterschen Buchhandlung, Breslau 1910, erschienen. Es handelt sich um die gleichnamige Inaugural-Dissertation an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg. Referent: Fritz van Calker 1. Auflage 1910 Unautorisierter Nachdruck der 1. Auflage 1977 2. Auflage 2017 Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH Druck: Das Druckteam, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-15164-6 (Print) ISBN 978-3-428-55164-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85164-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Inhalt Über Schuld und Schuldarten Aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
I. Die Definition der Strafschuld
14
§ 1. Zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 § 2. Die Nominaldefinition des Wortes „Schuld“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 § 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Schuld, ein Moment der Einzeltat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 4. Schuld – die den Zwecken des Rechtes nicht entsprechende Zwecksetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 5. Das Bewußtsein einer rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit . . . . . . . . 71
II. Über das logische Verhältnis des Begriffes Schuld zu den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit
88
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Die Vorstellungstheorie (Zur v. Lisztschen Schuldlehre) . . . . . . . . . . . . 94 b) Die Willenstheorie in der Vorsatzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Zur Bindingschen Schuldlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Zur Schuldlehre der Autoren, die Bindings Theorie vom unbewußten Willen ablehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Weitere strafrechtliche und frühe rechtsphilosophische Beiträge Über die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des kunstgerechten operativen Eingriffs (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das ordentliche strafprozessuale Verfahren (1916) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
6 Inhalt Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems (1913) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Juristische Fiktionen (1913) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Rechtsbegriff und Rechtsidee. Rezension zu: Julius Binder, Rechtsbegriff und Rechtsidee. Bemerkungen zur Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers (1916) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Editorische Nachbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Über Schuld und Schuldarten Eine terminologische Untersuchung
Aus der Literatur Allfeld, Die Bedeutung des Rechtsirrtums im Strafrecht, 1904. – Der Einfluß der Gesinnung des Verbrechers auf die Bestrafung, 1909. v. Bar, Die Grundlagen des Strafrechts, 1869. – Gesetz und Schuld, Bd. II, 1907. Basedow, Die strafrechtliche Verschuldung, ein Willensvorgang, 1898. Βekker, Theorie des heutigen deutschen Strafrechts, 1859. Βeling, Grundzüge des Strafrechts, 1905. – Die Lehre vom Verbrechen, 1906. Βerner, Lehrbuch des Strafrechts, 1898. – Die Lehre von der Teilnahme am Verbrechen und die neueren Kontroversen über dolus und culpa, 1847. Beschütz, Die Fahrlässigkeit innerhalb der geschichtlichen Entwickelung der Schuldlehre, I Teil, 1906. Βierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. I, 1894, Bd. II, 1898, Bd. III, 1905. Binding, Die Normen, Bd. I, 2. Aufl., 1890, Bd. II, 1877. Birkmeyer, Darstellung des Strafrechts in seiner Enzyklopädie, 1904. – Kritische Vierteljahresschrift 29 (N.F. 10), S. 587 f. – Studien zu dem Hauptgrundsatze der modernen Richtung im Strafrecht: nicht die Tat, sondern der Täter ist zu bestrafen, 1909 (zit: Studien). Birnbaum, Über allgemeine Strafbestimmungen mit der Hinsicht auf den bösen Vorsatz, Arch. des Krim. N. F. 1837, S. 276 f., 473 f. Bruck, Zur Lehre von der Fahrlässigkeit im heutigen deutschen Strafrecht, 1885. van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen, 1891. – Politik als Wissenschaft, 1899. – Vergeltungsidee und Zweckgedanke, 1899. – Ethische Werte im Strafrecht, 1904. – Die Bestimmung der Strafart nach der Gesinnung, Rechtsvergl. Darst. Allg. Teil, Bd. III, S. 173 f. (zit: R. v. D. III. S. …). Eccard, Die Fahrlässigkeit nach dem geltenden deutschen Strafrecht, 1889. Eltzbacher, Die Handlungsfähigkeit nach deutschem bürgerlichen Recht, Bd. I, 1903.
10
Aus der Literatur
Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, 1. Aufl. 1802, 14. Aufl. Herausgegeben von C. J. A. Mittermaier, 1847. Finger, Das österreichische Strafrecht, Bd. I. 1894. – Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Bd. I, 1904. – Bemerkungen zum Schuldbegriff, G.S. 72, S. 249 f. Frank, Vorstellung und Wille in der modernen Doluslehre, Z. 10, S. 161 f. – Über den Aufbau des Schuldbegriffes, 1907 (zit: Frank, Aufbau). Geyer, Grundriß I, 1884. – Kritische Vierteljahresschrift 19, S. 402 f., 20, S. 562 f. Graf zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit, 1905. – Die Elemente des Schuldbegriffes, G.S. 65, S. 304. – Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, Z. 27, S. 329 f. Gretener, Die neuen Horizonte im Strafrecht, 1909. Hälschner, System des preußischen Strafrechts, 1858. – Das gemeine deutsche Strafrecht, Bd. I, 1884 (zit: Hälschner, Pr. und D. I). Hartmann, Das Kausalproblem im Strafrecht, 1900. Ηeinemann, Die Bindingsche Schuldlehre, 1883. Heitz, Das Wesen des Vorsatzes, 1885. Hemmen, Über den Begriff, die Arten und den Beweis des Dolus, 1909. Hertz, Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts, 1880. Hippel, Die Grenzen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1903. – Vorsatz und Fahrlässigkeit in der rechtsvergleichenden Darstellung, Allgem. Teil, III. Bd. Hold v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, Bd. I, 1903, Bd. II, 1905. Höpfner, Einheit und Mehrheit der Verbrechen, 1901. – Zur Tragweite der Normenlehre, Z. 23, S. 643 f. Hrehorowicz, Grundbegriffe des Strafrechts, 1882. Janka, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts, 1894. – Grundlagen der Strafschuld, 1885. Jhering, Zweck im Recht, 2 Bände, 1877–1883. Kahn, Der außerstrafrechtliche Irrtum, 1900. Klee, Zur Lehre vom strafrechtlichen Vorsatz, 1897. – Der dolus indirektus als Grundform der vorsätzlichen Schuld. Klein, Annalen der Gesetzgebung, 1794, XII. S. 186 f. – Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen Rechts, 1796. – Archiv des Kriminalrechts, Bd. I, 2 Stück.
Aus der Literatur11
Köhler, Die Strafbarkeit bei Rechtsirrtum, 1904. Κοhler, Studien aus dem Strafrecht, Bd. I, 1890. – Gedanken über die Ziele des heutigen Strafrechts, 1909. Κöstlin, Neue Revision, 1845. – System des deutschen Strafrechts, 1855. Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, 1903. Κοllmann, Die Stellung des Handlungsbegriffes im Strafrechtssystem, 1908. – Der symptomatische Verbrechensbegriff, Z. 28, S. 458 f. Kuhlenbeck, Der Schuldbegriff als Einheit von Wille und Vorstellung, 1892. Lammasch, Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches, 1879. Liepmann, Einleitung in das Strafrecht, 1900. Lilienthal, Die pflichtmäßige ärztliche Handlung, 1899. – Der Zweck als Straf- und Schuldmoment, Z. 20, S. 440 f. v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts (sämtl. Auflagen, die 16. u. 17. ist als v. Liszt Lehrb. zitiert). – Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. I u. II, 1905 (zit.: v. Liszt, I u. II). – Die Deliktsobligationen im System des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1898. Löffler, Die Schuldformen des Strafrechts, 1895. Löning, R., Grundriß zu Vorlesungen über deutsches Strafrecht, 1885. Lucas, Die subjektive Verschuldung im heutigen deutschen Strafrechte, 1883. Luden, Abhandlungen aus dem Strafrecht, Bd. II, 1840. Makarewicz, Einführung in die Philosophie des Strafrechts, 1906. Mayer, M. E., Die schuldhafte Handlung und ihre Arten, 1901. – Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903. Merkel, Lehrbuch des Strafrechts, 1889. – Gesammelte Abhandlungen, 1899. Meyer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1895. Meyer-Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1907. Miricka, Die Formen der Strafschuld, 1903. Mittermaier, W., Kritische Beiträge zur Lehre von der Strafrechtsschuld, 1909. Oetker, Der Einfluß des Rechtsirrtums, 1876. – Zum Schuldbegriff, G.S. 72, S. 161 f. Ortloff, Die Strafbarkeitserkenntnis als Schuldvoraussetzung, 1891. – Die Schuldarten im Strafrecht, G.S. 31, S. 120 f. Radbruch, Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtsystem, 1904.
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Aus der Literatur
– Über den Schuldbegriff, Z. 24, S. 333 f. – Erfolghaftung R. v. D. Allgem. Teil II, 1908. Rümelin, Das Verschulden im Straf- und Zivilrecht, 1909. Rupp, Modernes Recht und Verschuldung, 1880. Schmidt, R., Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für verletzende Eingriffe, 1900. Schweizer, Über den Irrtum im Strafrecht, 1906. Seuffert, H., Ein neues Strafgesetzbuch, 1902. Sigwart, Der Begriff des Wollens und sein Verhältnis zum Begriff der Ursache, Tübinger Progr., 1881. Stammler, Wirtschaft und Recht, 1896. – Die Lehre von dem richtigen Rechte, 1902. Sturm, Fr., Die strafrechtliche Verschuldung, 1902, G.S. 74, S. 169 f. Τemme, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts, 1876. Tesar, Die symptomatische Bedeutung des verbrecherischen Verhaltens, 1907. Τhοmsen, Über den Versuch der durch eine Folge qualifizierten Delikte, 1895. – Untersuchungen über den Begriff des Verbrechensmotivs, 1902. Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, 1878. Thyrén, Abhandlungen aus dem Strafrecht und der Rechtsphilosophie, Bd. I. und II., 1896. Τittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft I, 1822. Wachenfeld, Darstellung des Strafrechts in Kohlers Enzyklopädie II, S. 239 f. Wächter, Vorlesungen über deutsches Strafrecht, 1881. Wahlberg, Gesammelte Schriften, Bd. I, 1875. Westerkamp, Α., Muß sich der zur strafrechtlichen Verschuldung, erforderliche Bewußtseinsinhalt auf die rechtliche oder sittliche Wertung der Handlung erstrecken? 1907. Weyl, System der Verschuldungsbegriffe im B.G.B., 1905. Ζeitler, Strafe ohne Schuld im deutschen Reichsstrafgesetzbuch, 1899. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, 1879. G.Α. = Goltdammers Archiv; G.S. = Gerichtssaal; R. v. D. = Rechtsvergleichende Darstellung des Strafrechts; Z. = Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Wo ein Mißverständnis nicht zu befürchten war, ist der Name des Autors mit der betreffenden Seitenzahl zitiert.
Einleitung Der Zweck dieser Abhandlung ist, zu untersuchen, in welchem Verhältnisse die Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit zu dem Begriffe der Schuld im Sinne des geltenden Strafrechts stehen, und mit welcher Berechtigung dementsprechend in den einzelnen Systemen des Strafrechts Vorsatz und Fahrlässigkeit als „Schuldarten“ bezeichnet werden. Bei der Schwierigkeit und dem Umfang der Materie sei zur Rechtfertigung und Entschuldigung auf einen Ausspruch W. Mittermaiers hingewiesen, nach welchem in der Schuldlehre Hunderte mitarbeiten müssen, um die Erkenntnis auch nur um Haaresbreite zu fördern. Wenn der Begriff der Schuld für das Strafrecht ein fundamentaler ist – Liepmann sagt: „Der Angelpunkt des Strafrechts“ – wenn auch die Begründung des Vorentwurfs I, S. 198 / 99, bemerkt, es handele sich hier um Fragen, die den Kern des gesamten Strafrechts berühren, und wenn infolgedessen Einheitlichkeit und Genauigkeit in der Terminologie von großer Bedeutung sind, so liegt wohl zureichende Veranlassung vor, die sehr schwankende Terminologie der Schuldlehre einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Denn nirgends ist Unsicherheit in der Terminologie verwirrender und von gefährlicheren Konsequenzen als hier. Der Plan der Untersuchung ist folgender: I. Von der Bedeutung des Wortes Schuld soll ausgegangen werden; und zwar kommt es im ersten Teile vor allem darauf an, eine Begriffsbestimmung der Schuld im sogenannten formalen Sinne zu geben, ohne daß der materielle Inhalt des Begriffes erörtert zu werden brauchte. II. Nach dem so gewonnenen Begriffe der Schuld bestimmt sich dann, was Schuldarten sind und mit welchem Rechte Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten genannt werden.
I. Die Definition der Strafschuld § 1. Zur Methode Der Weg, der wohl von den meisten Autoren eingeschlagen wird, um zu einer Definition der Schuld zu gelangen, ist folgender: Man geht davon aus, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit gewöhnlich Schuldarten heißen, und als die einzigen Schuldarten anzusehen sind. Wenn also, so wird argumentiert, feststeht, was Schuldarten sind, wenn die beiden Spezies gegeben sind, dann ist es sehr einfach, zu beiden das genus proximum dadurch zu finden, daß man das Gemeinsame aus den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit heraussucht, vor die Klammer zieht, wie Graf Dohna sich ausdrückt. Dies Gemeinsame muß offenbar die Schuld im Sinne des Strafrechts sein. Gehen wir, ohne sofort die Richtigkeit der Voraussetzungen zu untersuchen, diesen Weg weiter, um die Richtigkeit der Methode an ihren Resultaten zu erkennen. An den Namen Radbruchs knüpft sich die Auffassung von der Schuld als einem rein psychologischen Begriffe. Radbruch geht Z. 24 S. 333 f. folgendermaßen vor: Das Wort Vorsatz, die eine „Schuldart“, bezeichnet etwas rein Psychologisches, der Begriff ist ein rechtlich indifferenter. Bei der Fahrlässigkeit ist das allerdings nicht so selbstverständlich. Da aber die beiden Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit neben einander gestellt werden müssen, so handelt es sich darum, den einen Begriff dem anderen homogen zu machen. Diese erste bedeutende Schwierigkeit überwindet Radbruch dadurch, daß er sich dafür entscheidet, aus dem Begriffe der Fahrlässigkeit alles, was an normativen Elementen in ihr liegt, als fremdes Ingredienz auszumerzen, und sie durch eine allgemein als scharfsinnig anerkannte Konstruktion in einen rein psychologischen Begriff zu verwandeln, so daß sie dem Vorsatz adäquat und es möglich wird, beide unter einem gemeinsamen Oberbegriffe zusammenzufassen. Jene Umwandlung der Fahrlässigkeit besteht darin, daß ihr psychologischer Inhalt von der Rechtswidrigkeit geschieden wird; die Rechtswidrigkeit soll von außen an ein doppelt bestimmtes Unterlassen (1. Unterlassen der erforderlichen Sorgfalt, 2. Unterlassen der Körperbewegung) und den Erfolg herangebracht werden. Das Resultat Radbruchs ist demnach: Schuld ist etwas rein Psychologisches, irgend eine normative Beziehung ist nicht mehr darin enthalten.
§ 1. Zur Methode15
Diesen Ausführungen ist von Graf Dohna G.S. 65 S. 319 f. sofort entgegengehalten worden, es bedeute eine Vergewaltigung des Sprachgebrauches und des Sprachgefühles, dem Worte Schuld seinen Normativcharakter zu nehmen. Seit seinem ersten Auftreten in der deutschen Sprache bezeichnet das Wort neben Geldschuld, etwas wofür man büßen soll, wofür einem ein Vorwurf gemacht wird (vgl. Makarewicz S. 371, Schrader, Reallexikon S. 306). Es kann ferner hier auf das Wort Strafe, das jedenfalls inhaltlich auf das engste mit der Schuld zusammenhängt, hingewiesen werden. Nach Brunner enthält das Wort Strafe seit seinem ersten Auftreten in der deutschen Sprache, im 13. Jahrhundert, die Bezugnahme auf ein mißbilligendes Urteil. Tatsächlich wird denn auch das Wort Schuld heute wohl allgemein in dieser Bedeutung gebraucht und Radbruch selbst bleibt seinen Ausführungen streng genommen nicht treu, wenn er am Schlusse seiner erwähnten Abhandlung sagt, der Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit sei „ein Gemütszustand, der die Handlung als für den Handelnden charakteristisch erscheinen läßt und wenn jene Handlung eine rechtswidrige und die aus ihr zu schließende Gesinnung eine antisoziale ist, als Schuld bezeichnet wird“. Zudem kann die Auffassung von der rein psychologischen Natur der Schuld dem Wesen der staatlichen Schuldzurechnung und ihrer spezifischen Betonung gegenüber jeder anderen Verantwortlichmachung niemals genügend Rechnung tragen. Denn nicht jede Verantwortlichmachung kann man als Schuldzurechnung bezeichnen. Es ist gerade in den letzten Jahren, beim Streit um Determinismus und Indeterminismus häufig darauf hingewiesen worden, daß jeder Mensch im praktischen Leben beständig nach Maßgabe seines Charakters behandelt wird. Wenn das aber der Fall ist, dann muß man in dem Schuldurteil mehr finden, als die bloße Konstatierung der Verantwortlichmachung. Auch der talentlose Künstler, dessen Werke nicht gekauft werden, muß den Mangel seines Talentes merklich büßen, er wird also tatsächlich für ihn verantwortlich gemacht; aber es denkt keiner daran, ihn seiner schlechten Produktionen wegen für schuldig zu erklären. Und wenn der Staat einen Unterschied macht in der Behandlung zurechnungsfähiger Verbrecher und gefährlicher Geisteskranker, wenn man zugibt, daß unser geltendes Strafrecht wenigstens heute noch auf dem Boden des Vergeltungsgedankens steht – was wohl unbestritten ist (vgl. van Calker Verg. u. Zw. S. 16 / 17, aber auch z. B. Aschaffenburgs Monatsschr. III. S. 610) – wenn heute ein Unterschied zwischen Strafe und sichernder Maßnahme besteht, so daß „Schutzstrafe“, wie Lipps1 bemerkt, eigentlich eine contradictio in adjecto ist, dann muß in dem Schuldurteil ein besonderes Moment liegen, nach Liepmanns Ausdruck ein in utilitaristische Werte nicht auflösbares Pathos, dem jene Auffassung von der rein psychologischen Natur der 1 Asch.
Monatsschr. III, S. 299.
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I. Die Definition der Strafschuld
Schuld nicht gerecht werden kann. Der Staat stellt sich dem Verbrecher als respektverlangende Autorität in „hoheitsvoller Übermacht“ entgegen, Staat und Verbrecher machen nicht sachlich untereinander ab, wer von ihnen der stärkere ist. Der Staat legt eine „innere Würde“ in seine strafrechtliche Verantwortlichmachung; Staat und Verbrecher stehen einander nicht wie zwei bewußte Stirnerianer gegenüber, sondern der Staat ist hier konsequenter Hegelianer. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob sich eine philosophische Rechtfertigung für ein solches Auftreten des Staates finden läßt oder nicht; für den Juristen, wenigstens den Dogmatiker, muß es genügen, daß der Staat diese Autorität prätendiert, womit für ihn die Angelegenheit axiomatisch erledigt ist. Aus dieser, man könnte sagen, religiösen Nuancierung des Wortes Schuld wird sich vielleicht auch die mit Recht gerügte „mystische Unklarheit“2 in vielen Dèfinitionen der Schuld erklären lassen. Alle Anerkennung der besonderen Natur des Wortes Schuld darf natürlich nicht hindern, das Objekt des Unwerturteiles exakt festzustellen. Alle die vielen Assoziationen, die das Wort hervorzurufen pflegt, gehen diese Untersuchung nichts an; ebensowenig wie der Jurist, welcher den § 211 des Str.GB. zu kommentieren hat, sich um die Stimmungsimpression des Wortes „Mord“ zu kümmern braucht. Trotzdem aber ergibt eine Betrachtung des Vorganges der strafrechtlichen Schuldzurechnung auf den ersten Blick, daß eine Begriffsbestimmung der Schuld, die in ihr einen an sich ganz gleichgültigen psychologischen Zustand sieht, jener spezifischen Besonderheit der strafrechtlichen Verantwortlichmachung, jenem Pathos der Schuldzurechnung nicht gerecht wird. Die Bezugnahme auf ein Unwerturteil muß in dem, was als Schuld ausgegeben wird, zu Tage treten. Es sei, um jedes Mißverständnis weit fernzuhalten, ausdrücklich bemerkt, daß jenes mißbilligende Urteil nur von dem das Strafgesetz erlassenden Staat ausgesprochen gedacht ist, daß in der Pönalisierung der Tat das Unwerturteil liegt; daß der Richter dagegen bloß konstatiert, ob die bestimmten Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt und unter anderm natürlich auch, ob Vorsatz und Fahrlässigkeit gegeben sind. Doch braucht in dieser Konstatierung noch nicht notwendig ein selbständiges Werturteil des Richters zu liegen. Es wäre töricht, dem Richter ein Pathos vorschreiben zu wollen, und es scheint, als wäre die Ableugnung des normativen Elementes im Schuldbegriffe häufig durch eine Verwechslung der Tätigkeit des unter das Strafgesetz subsumierenden Richters mit der des unter Strafe stellenden Staates möglich geworden. Vor dieser Verwechslung warnt Heinemann S. 43 ausdrücklich. Sie scheint aber den Ausführungen Höpfners Ζ. 23. S. 653 f. zu Grunde zu liegen, zwar nicht, was den Normativcharakter der Schuld angeht, wohl aber in der Annahme, das Werturteil könne überhaupt aus dem 2 Löffler,
Schuldformen, S. 11.
§ 1. Zur Methode17
ganzen Verhältnis zwischen Staat und Verbrecher ausgeschieden werden. (Näheres zu Höpfners Ansicht im II. Teile der Arbeit.) Zuweilen scheint man auch die ausdrückliche Bezugnahme auf ein distributives Urteil deshalb für unnötig zu halten, weil es selbstverständlich ist, daß bei rechtlicher Schuld das Werturteil natürlich nur vom Rechte ausgehen kann. Dennoch aber bleibt es unrichtig anzunehmen, der relative Charakter des Begriffes verschwinde dadurch, daß der Gegenstand auf den bezogen werden muß, als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.3 Radbruchs Resultat muß also Bedenken erregen und zwingen, die Prämissen, von denen er ausgeht, zu untersuchen. Seine ganze Deduktion beruht auf der Voraussetzung: Vorsatz und Fahrlässigkeit sind Schuldarten und zwar die einzigen. Ist diese Voraussetzung falsch, dann fällt das ganze Gebäude zusammen. Es wäre deshalb die erste und wichtigste Aufgabe Radbruchs und aller derer, die ihm in dieser Methode folgen – es ist die große Mehrzahl der Autoren – einen absolut sicheren Beweis dafür zu führen, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind, und daß diese Terminologie die einzig richtige ist. Das darf keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Schon Binding hat vor über dreißig Jahren (Normen II, S. 124, Anm. 152), Bekker (S. 456) vor vierzig Jahren die Verwirrung in der Terminologie aufs eindringlichste beklagt, und es braucht bloß daran erinnert zu werden, daß auch heute noch, ganz abgesehen davon, daß die Autoren häufig keine sich selbst gleich bleibende Terminologie gebrauchen, Vorsatz und Fahrlässigkeit bald Schuldarten,4 3 Daß dem Begriffe der Schuld die Bezugnahme auf ein Unwerturteil wesentlich ist, darf als allgemeine Anschauung bezeichnet werden. Dabei kann hier außer Frage bleiben, ob es genügt, den Normativcharakter anzuerkennen oder ob die Schuldzurechnung ein ethisches Unwerturteil im Sinne der unter den Rechtsgenossen geltenden Wertanschauung enthält. Es sei auf folgende besonders deutlichen Aussprüche verwiesen: Hälschner, D. I, S. 198. Merkel, S. 65 f., 70 f. ν. Liszt, S. 158. Aufsätze II S. 48, 215. Janka, Grundlagen S. 49 ff. Liepmann, Einl. S. 163. Kuhlenbeck, S. 79. v. Calker, Ethische Werte S. 23. Finger, L. I. S. 229, 233, G.S. 72 S. 254. M. E. Mayer, S. 103 f. Höρfner, Ζ. 23, S. 649. Kohlrausch, S. 30 / 31. („nach wie vor enthält die Pönalisierung einer Tat ein Unwerturteil“) Dohna, G.S. 65, S. 310, 313. Beling, Verbr. S. 79 / 80. W. Mittermaier, S. 29 f. Gretener, S. 12 / 13. Birkmeyer, Studien S. 86. Rümelin, Verschulden S. 9. Kraus, G.S. 65 S. 166 bemerkt allerdings bei der Besprechung von Lönings Zurechnungslehre des Aristoteles, daß Lob und Tadel nicht Werturteile, sondern Kundgebungen mit motivierender Tendenz sind; hier sollte nur betont werden, was auch Kraus anerkennt, daß die Schuldzurechnung einen Tadel enthält. Über die motivierende Tendenz der die Schuld begründenden strafrechtl. Normen ist im 4. Abschn. des I. Teiles zu reden. 4 So die herrschende Terminologie z. B. v. Liszt, S. 157 ff., Μ. E. Mayer, v. Calker, E. W. S. 27, Beling, Verbrechen S. 45.
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I. Die Definition der Strafschuld
bald Schuldformen,5 bald Schuldelemente,6 bald Schuldgrade,7 bald Schuldvoraussetzungen8 heißen. Der logische Unterschied zwischen Schuldarten und Schuldvoraussetzungen dürfte groß genug sein, um ein skeptisches Verhalten gegenüber weittragenden Schlüssen aus einer unsichern Terminologie zu rechtfertigen, obwohl es an sich zweifellos methodologisch einwandfrei ist, aus den gegebenen spezies das genus abzuleiten. Man könnte jetzt einwenden, daß Radbruchs Weg nur deshalb zu einem unrichtigen Resultate führt, weil er von Vorsatz und Fahrlässigkeit bezw. dem Inhalte dieser Begriffe nicht die richtige Auffassung habe. Man brauche nur, umgekehrt wie Radbruch, nicht die Fahrlässigkeit dem Vorsatze, sondern den Vorsatz der Fahrlässigkeit gleichartig zu machen. Dann enthält nämlich auch der Vorsatz die Beziehung auf ein Unwerturteil, obwohl das an sich zweifelhaft sein kann (weshalb Binding, Grundriß § 47 III den Vorsatz ein „schlechtes Wort“ nennt). Der gemeinsame Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit enthält dann natürlich ebenfalls eine solche Beziehung, sodaß alle Schwierigkeiten, die sich aus der Konsequenz: Schuld ist etwas rein Psychologisches ergeben, schwinden. Noch eine weitere, beachtenswerte Schwierigkeit scheint sich dabei zu heben. Wenn man nämlich die Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit zu rein psychologischen macht, die ebensogut auf rechtlich gleichgültige Handlungen angewandt werden, so muß man zugeben, daß auch Zurechnungsunfähige vorsätzlich und fahrlässig handeln können. Dann dürfte man aber die Zurechnungsfähigkeit nicht mehr Schuldfähigkeit nennen. Es soll also vorläufig die Schuldfähigkeit von der doli et culpae capacitas getrennt und abgewartet werden, ob sich ihre Identität oder Kongruenz ergibt.9 Wenn vorsätzlich der handelt, der einen bestimmten Erfolg wissentlich und mit Willen herbeiführt, oder – wie die Vorstellungstheorie will – der einen vorausgesehenen Erfolg herbeiführt, so ist nicht einzusehen, warum ein Geisteskranker oder ein 7 jähriges Kind 5 Löffler, Miricka, Finger, Lehrb. S. 267 (S. 255: Schuldarten). G.S. 72, S. 254. Liepmann, S. 130, während v. Calker, E. W. S. 29 Vollendung und Versuch als Schuldformen bezeichnet. 6 Frank, Aufbau S. 10. 7 Köstlin, System S. 176, 203, 206. 8 Bierling, III. § 42. Vgl. auch Ηöρfner, Ζ. 23, S. 651. 9 Deshalb gehört der anfangs des vorigen Jahrhunderts häufig erwähnte Aufsatz von Grolman, Bibliothek f. d. peinl. Rechtsw. 1797, I.St. 1. S. 1–50 nicht hierhin, trotz seines Themas: Können Unmündige dolos und culpos handeln? Denn Grolman geht stillweigend davon aus, daß die Zurechnungsfähigkeit doli et culpae capacitas und der Vorsatz selbstverständlich böser Vorsatz ist. Er untersucht dann, ob nach Zivilrecht Unmündige namentlich solche, die pubertati proximi sind, nicht nach Strafrecht ihrer körperlichen oder geistigen Reife wegen als zurechnungsfähig angesehen werden können. Hier dagegen soll zunächst, wie das schon Luden II. 80, 537 tut, die Zurechnungsfähigkeit von der doli et culpae capacitas geschieden werden.
§ 1. Zur Methode19
nicht zuweilen einen bestimmten Erfolg seiner Tätigkeit voraussehen, wissen und wollen kann. Bleibt es doch eine Tatsache, daß auch Zurechnungsunfähige tätig werden, was ohne Vorstellungs- und Willensvorgänge nicht möglich wäre. „Auch der Wahnsinnige handelt, soweit man sein Tun noch mit diesem Namen belegen darf, nicht zwecklos; seine Handlungen unterscheiden sich von denen des vernünftigen Menschen nicht durch den Mangel, sondern durch die Abnormität des Zweckes.“ (Ihering, I. S. 21.) Diesen Worten kann man auch dann beistimmen wenn man nicht mit Ihering ein unbewußtes Wollen anerkennt, denn das Bewußtsein wird man nicht jedem Unmündigen, namentlich solchen, die pubertati proximi sind, und vor allem nicht jedem Geisteskranken absolut absprechen können. Erschöpfen sich die Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit in der Angabe einer psychologischen Beziehung zu einem Erfolge, so müssen Zurechnungsunfähige schon aus folgender Erwägung heraus vorsätzlich und fahrlässig handeln können: die Zurechnungsfähigkeit besteht in einer Störung des Motivationslebens; ist aber die Motivation gegeben, so läuft die Tätigkeit des Zurechnungsunfähigen weiter, ohne daß sie sich psychologisch von der des normalen Menschen unterscheiden müßte: Es ist eine bekannte Tatsache, daß bestimmte Arten von Geisteskranken ihr Vorhaben mit größter Umsicht und auffallendem Scharfsinn ausführen. Nun ist es für den Begriff des Vorsatzes gleichgültig, wie die Motivation zustande gekommen ist. Deshalb schließt bekanntlich der Affekt den Vorsatz nicht aus, und die Ansicht, welche in ihm eine besondere Schuldart oder Schuldform sah (z. B. Κöstlin, System S. 155, 183 ff. N. Rev. 293 ff.) ist heute wohl überwunden.10 Löffler hat zu ihrer Widerlegung sehr treffend darauf hingewiesen, daß es sich beim Affekt um eine bestimmte Temperatur der Seele handelt, welche die als Vorsatz bezeichnete Beziehung der Innerlichkeit zum Erfolge nicht berührt; außerdem ist ja auch Fahrlässigkeit im Affekt möglich. Solange man also Vorsatz und Fahrlässigkeit für neutrale Begriffe erklärt, solange muß man auch Zurechnungsunfähigen die Fähigkeit zu vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln zuschreiben. Bemerkt doch gerade Βinding, (Ν. II. S. 157) auch der Wahnsinnige und das Kind vermögen sich den Erfolg ihres Handelns vorzustellen und diesen zu wollen. Wenn es aber an dem ist, daß die Zurechnungsunfähigkeit die psychologische Beziehung, die als Schuld hingestellt wird, keineswegs ausschließt, so wird es unmöglich, die Zurechnungsfähigkeit noch als Schuldfähigkeit auszugeben. Man wird die Logik als zwingend bezeichnen müssen: entweder sind Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht Schuldarten, oder die Zurechnungsfähigkeit ist nicht Schuldfähigkeit. Mit Recht hält nun aber die allgemeine Anschauung daran fest, daß die Zurechnungsfähigkeit 10 Gegen diese Auffassung Hälschner, Pr. Str. I. S. 144. D. S. 515. Βinding, Ν. II. S. 508 ff. Löffler, S. 5. ν. Βar, II. S. 432 ff.
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Schuldfähigkeit ist.11 Auch v. Liszt nennt sie so.12 Die Konsequenz liegt auf der Hand. Man kann die Zurechnungsfähigkeit auch nicht dadurch als Schuldfähigkeit retten, daß man dem Zurechnungsunfähigen die Fähigkeit zum Handeln abspricht, weil ihr Handeln nicht für das Recht in Betracht käme, denn damit hätte man sich selbst widersprochen, weil man den Begriff „Handlung“ ja auch als neutralen Begriff definieren wollte. Ebensowenig bietet der Unterschied von technischer und natürlicher, oder von kriminalistischer und „eigentlicher“ Zurechnungsfähigkeit einen Ausweg,13 eine Unterscheidung, die vorgenommen wurde, um dem berechtigten, schon von Luden II. S. 87 vorgebrachten Einwande zu entgehen: es sei überflüssig, die Fähigkeit zur Schuld, d. h. zu Vorsatz oder Fahrlässigkeit festzustellen, wenn der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit bewiesen sind; nach der doli et culpae capacitas zu forschen, wenn dolus und culpa vorliegen. Trotz der erwähnten Unterscheidung aber würde man die Zurechnungsfähigkeit nicht als Schuldfähigkeit aufrecht erhalten können. Denn die sogenannte natürliche Zurechnungsfähigkeit schließt ja bewiesenermaßen nach jenen Autoren den Vorsatz oder die Fahrlässigkeit nicht aus; bei der technischen Zurechnungsfähigkeit aber wird vom positiven Rechte aus dem Kreise der durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit konstituierten Schuld von außen her ein Ausschnitt genommen; diejenigen Eigenschaften also, welche kraft der positiven Gesetzesbestimmung jenen Ausschnitt begrenzen, können ebendeshalb nicht mehr die Schuldfähigkeit ausmachen. Was die Schuldfähigkeit begründet, liegt innerhalb des Kreisausschnittes. Allen diesen Widersprüchen wäre man entgangen, wenn man die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Rechte als Straffähigkeit bezeichnen könnte. Radbruch schlägt das a. a. O. vor.14 Man ist ihm aber aus guten Gründen nicht gefolgt. Die lex lata sieht zweifelsohne in der Zurechnungsfähigkeit die Schuldfähigkeit. Sie beruht, wie schon erwähnt, auf dem Vergeltungsgedanken, sie straft auch den sogenannten Unverbesserlichen und versteht die Zurechnungsfähigkeit im retrospektiven Sinne, nur der Moment der Bege11 Vgl. Birkmeyer, Encykl. S. 1051 ff. Finger, L. S. 234 ff. M. E. Mayer, S. 68–69, Wachenfeld in Kohlers Encykl. II. S. 262. Auch Berner, Teilnahme S. 58 ff., der Zurechnungsfähigkeit für Straffähigkeit erklärt, versteht darunter nicht die Möglichkeit einer Einwirkung durch die Strafe, sondern nimmt, wie aus S. 61 hervorgeht, den Begriff im retrospektiven Sinne. Vergl. auch Berner, Lehrb. S. 77. 12 Lehrb. S. 157, 165. 13 Köstlin, System S. 134. 14 Vgl. Die Begründung des Vorentw. I. S 224 „es ist sehr wohl möglich, daß ein Geisteskranker unter den Voraussetzungen der strafrechtlichen Schuld mit vollem Schuldbewußtsein gehandelt hat, nur hindert seine abnorme Geistesbeschaffenheit daran, ihn strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen“. Sehr energisch gegen diesen Satz v. Liszt, Ζ. 30. S. 252. Binding, G. S. 76, S. 32.
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hung der Tat kommt in Betracht. Wer in diesem Augenblicke diejenigen Eigenschaften besaß, welche die Zurechnungsfähigkeit ausmachen, kann für schuldig erklärt werden, gleichgültig, welche Wirkung von der Strafe zu erwarten ist. Die Lösung, die Radbruch vorschlägt, ist also ausgeschlossen. Es könnte den Anschein haben, als wären mit den bisherigen Ausführungen Argumente für die Ansicht erbracht, welche den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit einen auf die Rechtswidrigkeit bezugnehmenden Inhalt gibt. Denn für eine solche Auffassung beständen die Schwierigkeiten nicht, die sich daraus ergeben, daß Zurechnungsunfähige vorsätzlich oder fahrlässig handeln können. Wenn vorsätzlich nur der handelt, der mit Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwidrigkeit oder Normwidrigkeit usw. ein Gebot übertritt, wenn Handlung überhaupt nur Betätigung eines rechtlich relevanten Willens ist, so kann ein Zurechnungsunfähiger nicht vorsätzlich handeln. Diese Ansicht könnte ferner als positives Argument für sich geltend machen, daß sie den Sprachgebrauch wenigstens bezüglich des Wortes Fahrlässigkeit auf ihrer Seite hat, daß auch die Etymologie wahrscheinlich zu Ungunsten der Gegenansicht spricht.15 Über die sehr schwankende Bedeutung des Wortes Vorsatz dagegen wird allgemein geklagt.16 Somit dürfte es also viel begründeter sein, die Fahrlässigkeit, nicht den Vorsatz ausschlaggebend sein zu lassen. Auf diese Weise bliebe dann auch der Normativcharakter des Oberbegriffes gewahrt. Aber eine Verteidigung oder Widerlegung einer der beiden Auffassungen ist für den Zweck dieser Einleitung nicht erforderlich; es handelt sich hier bloß um eine Topik der Begriffe Schuld, Vorsatz und Fahrlässigkeit und es reicht hin, festzustellen, daß auch die Lösung, welche die Auffassung, Vorsatz und Fahrlässigkeit seien Begriffe mit rechtlichem Inhalt, zu geben scheint, die Methode Radbruchs, von den sogen. Schuldarten aus zum Begriffe der Schuld zu gelangen, nicht retten kann. Auch sie operiert beständig und wie als selbstverständlich mit der kritiklos angenommenen Terminologie: Vorsatz und Fahrlässigkeit sind Schuldarten; auch sie geht, genau wie die gegnerische Ansicht, von dieser unbewiesenen Prämisse aus; auch sie baut auf eine schwankende Basis. Die zurückzuweisende Methode wird von allen den Gelehrten eingeschlagen, welche die Schuld als psychologische Beziehung der Innerlichkeit des Täters zu einem sozialschädlichen Erfolge,17 oder zu seiner Tat18 oder zu 15 Binding,
Grdr. § 48 I. Mittermaier, S. 33. Grdr. § 47 III. v. Liszt, L. 6. Aufl. S. 143 Anm. 1. Ebenso 7. Aufl. S. 149 Anm. 1. 17 So Löffler, S. 5, Miricka, S. 11, beiläufig auch Klee, S. 78; über M. E. Mayer und Beling, welche diese Definition als nicht falsch anerkennen, s. u. im II. Teile der Arbeit. 18 Kohlrausch, S. 1. 16 Binding,
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einem unter den Tatbestand eines Strafgesetzes fallenden Erfolge19 oder als subjektive Beziehung zu dem durch die Willensbetätigung herbeigeführten Erfolge20 definieren. Daß diese Gelehrten trotz prinzipieller Verschiedenheit ihrer Ansichten über den Inhalt der fraglichen Begriffe alle stillschweigend dieselbe Methode befolgen, kann das Mißtrauen gegen ihren Weg nicht beheben; bestärkt aber muß es noch werden durch die von diesem Standpunkt aus konsequente Schulddefinition, die Kohlrausch a. a. O. gibt: „Schuld im Sinne des Strafrechts ist diejenige subjektive Beziehung, in welcher ein schuldfähiger Täter zu seiner Tat gestanden haben muß, um für diese strafrechtlich verantwortlich gemacht werden zu können“, eine Definition, an welcher auf den ersten Blick auffällt, daß sie das Wort „schuldfähig“ in sich enthält; womit sie sich eigentlich schon selbst aufgegeben hat. Denn wenn es Menschen gibt, bei denen diese subjektive Beziehung vorliegt, die aber trotzdem nicht schuldfähig sind – das müßte man nach der Definition annehmen – dann ist diese Beziehung eben nicht mehr Schuld. Ganz konsequent ist denn auch der jedem Sprachempfinden widerstrebende, aber in der Literatur keineswegs allein dastehende21 Satz von Kohlrausch S. 23: „Die Schuld kann sich nur auf Momente der Strafwürdigkeit beziehen“. Das Resultat dieser ausschließlich kritischen einleitenden Betrachtung sei zusammengefaßt: Es ist methodologisch falsch, von den sogenannten Schuldarten auszugehen, um den Begriff der Strafschuld zu bestimmen. Es ist ein ewiger Zirkel, erst die Schuld aus den sogen. Schuldarten und dann die Schuldarten aus der Schuld zu beweisen. Solange nicht feststeht, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit wirklich Schuldarten sind – und das läßt sich erst feststellen, wenn man weiß, was „Schuld“ ist – schweben alle Deduktionen in der Luft. Nicht von Vorsatz und Fahrlässigkeit darf man ausgehen, um die Schuld zu bestimmen, sondern umgekehrt: es muß erst ohne Rücksicht auf die Terminologie „Schuldarten“ eine Begriffsbestimmung der Schuld gesucht und erst dann, von ihr aus, nachgesehen werden, mit welchem Rechte Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten heißen. 19 Mittermaier,
S. 29. v. Liszt in älteren Auflagen seines Lehrbuches z. B. 3. Aufl. S. 163, 7. Aufl. S. 137, 8. Aufl. S. 154, 9. Aufl. S. 151, 152 (während in der 4.–6. Auflage als die zu Grunde liegende Schulddefinition an die Spitze gestellt wird: Schuld ist Verantwortlichkeit für den herbeigeführten Erfolg). Für den Zusammenhang unserer Ausführungen im Texte besonders charakteristisch sind folgende Sätze der 2. Auflage S. 147. „Wir haben den Schuldbegriff aus den beiden Schuldarten des modernen Rechtes, Vorsatz und Fahrlässigkeit, abzuleiten. Demnach besteht das Wesen der Schuld immer in der Beziehung des Vorstellungslebens zur Kausalität des Tuns.“ Hierhin gehören auch die Ausführungen v. Liszt’s in Deliktsobligationen S. 46 f. und Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht 1889, S. 15. 21 Vgl. v. Liszt 3. Aufl. S. 164 Anm. 7. 20 So
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Auch darf ein positives Argument für diese Methode nicht übersehen werden, ein Argument, das gerade Radbruch (und v. Liszt) entnommen ist: Erst muß der Gattungsbegriff feststehen, bevor man die differentia specifica der Arten untersuchen kann. Radbruch (Handlungsbegriff, S. 90) und v. Liszt (L. S. 120 und I. S. 238) machen das als Begründung dafür geltend, daß die systematische Darstellung des Strafrechts vom natürlichen Begriffe der Handlung auszugehen hat. Wenn das methodologisch richtig ist, dann wird man mit genau derselben Logik zugeben müssen, daß Radbruchs Weg in seiner Abhandlung über den Schuldbegriff nicht der richtige ist. Auch bei der Frage nach der Schuld wird man auf jeden Fall vom Genusbegriffe auszugehen haben und nicht von den vermeintlichen species. Scheinbar folgen die meisten Darstellungen der Schuldlehre dieser Methode. Gewöhnlich wird zuerst – häufig freilich nicht sehr eindringlich – über Schuld gesprochen, und dann – meist umso ausführlicher – von Vorsatz und Fahrlässigheit, ohne daß man die Darlegung des logischen Verhältnisses dieser drei Begriffe sich angelegen sein ließe.22 Auch v. Liszt erörtert in seinem Lehrbuch die Terminologie Schuldarten nicht, wie denn überhaupt fast alles Interesse der Strafrechtstheoretiker sich auf die Formulierung und Abgrenzung der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit konzentriert. Ob das sachlich berechtigt ist, kann vorläufig gleichgültig sein; hier muß nur hervorgehoben werden, daß man, wenn es einem um die Terminologie „Schuldarten“ ernst ist, mit Binding, Ν. II. S. 115 f. erst den Begriff der Schuld aufstellen muß, um dann dessen Arten zu bestimmen. Darauf erst ergibt sich die weitere Frage, ob die so gewonnenen Schuldarten sich als Vorsatz und Fahrlässigkeit bezeichnen lassen.
§ 2. Die Nominaldefinition des Wortes „Schuld“ Nachdem die Notwendigkeit einer Begriffsbestimmung der Schuld im Sinne des Strafrechts offensichtlich geworden und der gewöhnliche Ausgangspunkt, um zu ihr zu gelangen, als unannehmbar erwiesen ist, ergibt sich als nächste Aufgabe, den festen unbestrittenen und unbestreitbaren 22 Vgl. Meyer-Allfeld, S. 130 ff., besonders aber Thomsen, Stfr. Allg. Teil S. 119. Noch auffallender ist das übrigens in der gesamten civilistischen Literatur der Fall. Vgl. die Lehrbücher von Cosack, I. S. 248, Crome, I. S. 481. Ausführlich bespricht dieses Verhältnis dagegen Weyl, S. 406–407, der aber auch ein Verhältnis der Überund Unterordnung der fraglichen drei Begriffe annimmt, und dessen Bedenken wegen der negligentia quam suis nicht das Verhältnis dieser Über- und Unterordnung selbst, sondern nur die Gruppierung betrifft.
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Punkt zu suchen, von dem aus diese Begriffsbestimmung vorgenommen werden muß. Man begegnet häufig der Unterscheidung: Schuld im formalen und Schuld im materiellen Sinne, wobei unter dieser der faktische Inhalt verstanden ist, der dem Worte Schuld gegeben wird. Die Frage danach soll aber hier ausscheiden. Was Schuld im materiellen Sinne ist, ob sie soziale Gefährlichkeit oder Anormalität ist, oder ob das Wort seinen Inhalt den moralischen Anschauungen der Rechtsgenossen entnimmt, das alles kann schon wegen der unübersehbaren Kontroversen über dieses Problem nicht wohl zum Fundamente der Ausführungen gemacht werden. Deshalb hat man sein Augenmerk vor allem auf die Definitionen der Schuld im sogen. formalen Sinne zu richten, um womöglich in ihnen den gesuchten Ausgangspunkt zu finden. Es wurde schon eine solche Definition erwähnt: Schuld ist das, wofür man zu büßen hat; und tatsächlich werden alle die verschiedenen Begriffsbestimmungen: das, wofür man verantwortlich gemacht wird, „rechtswidriges Verhalten verbunden mit der positiv rechtlichen Wertung desselben als einer den Handelnden belastenden oder verpflichtenden Tatsache“,23 alle diese Definitionen werden dasselbe besagen, nämlich: Schuld ist das Objekt des Unwerturteiles, das als der Schuldzurechnung wesentlich erkannt wurde. Es ist augenscheinlich: alle diese Definitionen sagen etwas sehr Richtiges und Selbstverständliches, weil sie eben nur Nominaldefinitionen sind. Trotzdem aber wird man sie nicht als überflüssig bezeichnen können, denn mit ihnen dürfte der gesuchte Punkt gewonnen sein, von dem aus bestimmt werden kann, was Schuld im Sinne des geltenden Strafrechts ist. Sobald feststeht, daß Schuld das ist, wofür jemand ein Vorwurf gemacht wird, sobald ergibt sich unmittelbar die Aufgabe, zu suchen, was nach geltendem Rechte von dem in der Strafe und in der Strafdrohung liegenden Vorwurf betroffen wird. Die Frage danach ist noch keineswegs identisch mit der nach dem materiellen Inhalte des Begriffes Schuld; denn die Frage nach dem Objekt des Unwerturteiles kann, solange sie nur das vorliegende positive Recht berücksichtigt, als Antwort eine abstrakte, aus der lex lata gezogene und nur auf sie bezugnehmende Formel verlangen, die das ausdrückt, was an den vielen besonderen Fällen der Bestrafung und an dem Verhalten für das gestraft wird, in den Augen des Strafenden das Wesentliche erscheint. Die Frage nach dem materiellen Inhalte der Schuld ist eine metagesetzliche; man müßte über das positive Recht hinausgehend, nach den Gründen suchen, aus denen der Staat gerade diesen Vorgang mit Strafe belegt, um zu erkennen, welchen Inhaltes – mit anderen Arten von Werturteilen verglichen – das strafrechtliche Werturteil ist. Welchen Inhalt man dem auf dem vorgeschlagenen Wege gewonnenen Schuldbegriff zu geben 23 Bierling,
III. S. 237.
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hat, das zu erörtern gehört nicht mehr zum Gegenstande der Abhandlung. Es genügt, daß die Schulddefinition für eine solche Bestimmung des materiellen Inhaltes Raum läßt. Obgleich sie also nur auf die Formalstruktur der Schuld des geltenden Strafrechtes gerichtet ist, wird sie trotzdem wohl zu wissenswerten Ergebnissen kommen können, ohne in der selbstverständlichen Richtigkeit jener analytischen Definition der Schuld stehen bleiben zu müssen. Für die Frage nach dem logischen Verhältnisse der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit zu dem Begriffe Schuld genügt es, soweit es sich um die Schuld handelt, diese in ihrer formalen Struktur zu erkennen. Mit der oben erwähnten Nominaldefinition, mit der sich z. B. v. Liszt L. S. 157, Aufsätze II. S. 48 begnügt, wird man demnach die Frage nach der Schuld im formalen Sinne nicht für erledigt halten dürfen. Eine solche Definition bedeutet überhaupt keine Bereicherung unserer Erkenntnis. Ihre Unzulänglichkeit ergibt sich sehr klar aus einer Betrachtung der Bedeutung des Satzes „keine Strafe ohne Schuld“. Die Gegenüberstellung von Schuldhaftung und Erfolgshaftung und die Behauptung, die Entwicklung des Strafrechtes stelle ein langsames Fortschreiten von dieser zu jener dar, (beides findet sich bei v. Liszt, Lehrb. S. 159, Aufs. II. S. 14424) sind unmöglich, wenn man dabei stehen bleibt, die Schuld als das zu bezeichnen, wofür zur Verantwortung gezogen wird. Darauf haben namentlich Bierling25 und Frank26 hingewiesen. Ganz abgesehen davon, daß man auch in der Erfolgshaftung eine Haftung für den bösen Willen, der eben beim Vorliegen des bloßen Erfolges präsumiert wird, erblicken kann und abgesehen von Bierlings Erinnerung an den Animismus der Naturvölker, der hier manches erklärt, liegt auch in den krassesten Fällen, wo anscheinend ausschließlich für die Herbeiführung eines Erfolges verantwortlich gemacht wird, natürlich immer etwas vor, wofür verantwortlich gemacht wird, wenn das auch der bloße Erfolg ist. Man hält sich demnach, wenn man jene Gegenüberstellung gebraucht und die Behauptung vom Fortschritt zur Schuldhaftung aufstellt, gar nicht mehr an seine Nominaldefinition, sondern legt in das Wort Schuld schon die Bedeutung hinein, die wir ihm heute geben, oder man versteht unter Schuldhaftung die Haftung unter der Voraussetzung, daß Vorsatz oder Fahrlässigkeit bezüglich des perhorreszierten Erfolges gegeben ist. Wenn nach heute geltendem Rechte ein solcher Fall, der sogen. Erfolgshaftung vorliegt und der unglückliche Täter verurteilt wird, spricht man ihn dann nicht schuldig, auch, wie etwa im Falle des § 226, betreffs des schweren Erfolges, den er weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführt hat? Gewiß stehen alle diese Gesetzesbestimmungen in schreiendem Widerspruche zu Lucas, S. 1 ff., Löffler, Ζeitler, Kahn und sämtliche Lehrbücher. S. 243. 26 Frank, Aufbau S. 4. 24 Ebenso 25 III.
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den sonst in unserem Strafgesetzbuche zur Geltung kommenden Prinzipien, gewiß stimmen sie durchaus nicht überein mit den Rechtsanschauungen unserer Zeit und unseres Volkes, aber eine Strafe ohne Schuld – und das muß man doch unter Erfolgshaftung verstehen, wenn man sie der Schuldhaftung gegenüberstellt – liegt im Sinne der Nominaldefinition des Wortes nicht vor. Der Satz „keine Strafe ohne Schuld“ besagt demnach bei einer solchen Schulddefinition etwas Selbstverständliches, weil er eben sagt: Niemand macht einen Vorwurf, ohne daß in seinen Augen etwas Vorwerfbares vorliegt. Nun kann man in dem Satze „keine Strafe ohne Schuld“ das Wort Schuld auch im Sinne der im Volke herrschenden Wertanschauungen auffassen. Dann würde der Satz einen ganz anderen Inhalt gewinnen, da man ihn dann sowohl als historisches Faktum, wie als kriminalpolitische Forderung aufstellen kann. Die letzte Bedeutung hat der Satz, wenn M. E. Mayer, Rechtsnormen S. 75 ausführt, „dieses Prinzip müsse aufs strengste gewahrt werden“ oder wenn Allfeld an der Spitze seiner Abhandlung über den Rechtsirrtum schreibt, „keine Strafe ohne Schuld: so lautet der Grundsatz, auf dem sich unser Strafrecht aufbaut, seitdem es seiner Kindheit entwachsen ist“, und wenn er im folgenden die Entscheidung von dem abhängig macht, was die Rechtsgenossen als gerecht empfinden.27 Man könnte noch eine dritte Bedeutung in den Satz „keine Strafe ohne Schuld“ legen; nämlich: die Schuld geht logisch und historisch der Strafe voraus. Damit würde man sich in bewußten Gegensatz stellen zu den Rechtsgelehrten, die wie v. Liszt, Aufs. II. S. 143 und Klee, S. 45 darauf hinweisen, daß das Recht ein Produkt der Not ist, daß man strafte, um sich zu wehren und daß der Schuldgedanke und das Schuldbewußtsein des Täters die Folge, nicht der Grund dieser Reaktion ist. Auch könnte man argumentieren: die Strafe geht der Schuld logisch voraus, weil es keine Schuld gäbe, wenn nicht gestraft würde, und das einfachste Mittel, die Verbrechen aus der Welt zu schaffen, wäre die Abschaffung des Strafgesetzbuches. Der Satz „keine Strafe ohne Schuld“ müßte also richtiger heißen, „keine Schuld ohne Strafe“ oder, um die Formulierung von Jacques Stern28 anzuwenden: statt „wo kein Verschulden, da auch keine Vergeltung“ hieße es richtiger: „wo keine Vergeltung, da auch kein Verschulden“. Es liegt auf der Hand, daß mit solchen Erwägungen für das praktische Ziel dieser Abhandlung nichts getan ist. Wir gehen vom geltenden Rechte aus; wir nehmen die Tatsache hin, daß es einen Staat gibt, der unter be27 Mit diesem Inhalt findet sich der Satz z. B. auch bei Kohler, Studien I, S. 106 / 7. Begründung des Vorentw. I, S. 200. Rümelin, Verschulden S. 19. 28 Ζ. XXIV, S. 35 ff.
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stimmten Voraussetzungen straft. Damit ist allerdings zugegeben, daß für uns die Schuld vor dem Strafgesetzbuch liegt, daß die Strafwürdigkeit und damit auch die Schuld der Strafdrohung, wenn nicht zeitlich, so doch logisch vorausgehe. Das soll jedoch nicht allgemein für den Schuldgedanken und für seine historische Entstehung angenommen werden (wie Kohlrausch, S. 23 und vor ihm z. B. Bekker, S. 233 und Luden II, S. 83 das tun), sondern für unser Thema genügt es, wenn dies für das heutige positive Recht gilt. Der strafende Staat muß eine Veranlassung haben, aus der er Strafe androht; und zwar tut er es, weil er das, wofür er straft, als etwas Böses, d. h. seinen Zwecken nicht Gemäßes ansieht. Weiter brauchen wir nicht zurückzugehen. Was der Inhalt seiner Zwecke ist, warum er gerade diese als böse ansieht, interessiert uns nicht. Wenn man von Schuld im Sinne des Strafrechtes spricht, so hat man damit anerkannt, daß menschliche Satzung eine Schuld begründen kann. Und manche, die das bestreiten, die mit Bekker S. X betonen, daß alles durch die staatliche Strafe Verbotene dem göttlichen Gebote widerspreche, daß es sündhaft sei und daß die Strafwürdigkeit und die Schuld gerade in den Widerspruch mit dem göttlichen Gebote bestehe – sie täuschen sich, rechtsphilosophische Fragen mit dogmatischen vermengend, sehr häufig selbst dadurch, daß sie nachträglich erklären, was dem positiven Rechte widerspreche, sei auch dem göttlichen Gebote zuwider, und ihre Bezugnahme auf dieses göttliche Gebot erscheint praktisch überflüssig – für die rechtsphilosophische Begründung des Strafrechtes allerdings nicht. Aber die vorliegende Arbeit soll dem geltenden Strafrecht und seiner Terminologie dienen. Alle philosophischen Ambitionen liegen ihr fern, ebenso wie kriminalpolitische Erwägungen. Mit der erwähnten Nominaldefinition der Schuld ist die Möglichkeit einer Definition der Strafschuld des geltenden Rechtes gegeben, und man ist nicht gezwungen, mit einem aprioristischen Schuldbegriffe an das Strafrecht heranzutreten und dieses an ihm zu meistern. Der Satz „keine Strafe ohne Schuld“ wurde herangezogen, zunächst um zu zeigen, daß jene häufig als Definition der Schuld im formalen Sinne hingestellte Nominaldefinition zwar einen Ausgangspunkt abgibt, daß sie aber keineswegs als Definition der Schuld im formalen Sinne befriedigen kann. Sodann aber wurde auf die oft nicht beachtete29 verschiedenartige Bedeutung jenes Satzes hingewiesen, um so die eng gezogenen Grenzen der vorliegenden Arbeit deutlich zu machen. Die Frage: Was ist Schuld? ist nur Voraussetzung, allerdings notwendige Voraussetzung für die Frage nach der Berechtigung der Terminologie „Schuldarten“. Es muß dem29 Der einzige, der den Satz nicht mit Selbstverständlichkeit aufstellt, ist Beschütz, Die Fahrlässigkeit innerhalb der geschichtlichen Entwickelung der Schuldlehre, I S. 3; er versucht dort auch eine Rechtfertigung des Ausdrucks Erfolgshaftung daß sie aber von der Nominaldefinition der Schuld aus nicht möglich ist, ergibt sich aus den Ausführungen des Textes.
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nach zuerst festgestellt werden, was Schuld ist. Es wird aber ausreichen, wenn man auf dem vorgeschlagenen Wege, also von der Nominaldefinition ausgehend, den Schuldbegriff des geltenden Rechtes finden kann. Wenn nämlich die so gewonnene Schulddefinition mit der allgemeinen Anschauung der Strafrechtstheoretiker über den Begriff der Strafschuld übereinstimmt, wenn sie außerdem in ihrer formalen Struktur dem Schuldbegriffe der ethischen Wertanschauungen der Zeit und des Volkes, die ja ihren Ausdruck im geltenden Strafrechte finden, nicht widerspricht, – dann wird man eine solche Definition der Untersuchung des logischen Verhältnisses von Strafschuld, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu Grunde legen dürfen. Ob aber die Auffassung, die ihren Schuldbegriff aus den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit und der kritiklos angenommenen Terminologie „Schuldarten“ deduziert, ob diese Auffassung mit der hier gewonnenen Definition vereinbar ist oder nicht, und inwiefern ihr Schuldbegriff haltbar ist, das gehört natürlich in den II. Teil dieser Abhandlung, in die Erörterung der Frage: Wie verhalten sich Vorsatz und Fahrlässigkeit zum Begriffe der Schuld und sind sie wirklich Schuldarten? Will man einerseits bezüglich der landläufigen Terminologie, die Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten bezeichnet, seine absolute Voraussetzungslosigkeit bewahren, und will man außerdem noch andererseits nicht einen von vornherein fertigen Schuldbegriff dem Strafrechte auferlegen, so ist der vorgeschlagene Weg der einzig mögliche. Demnach wird zu fragen sein: Was ist das, wofür das geltende Strafrecht den in der Strafe liegenden Vorwurf macht? Wird aber nicht dadurch die Schuld dem Verbrechen gleichgestellt? Ist es nicht das Verbrechen, für das verantwortlich gemacht wird? Und könnte man nicht mit Frank ein Argument aus dem § 262 der Str.P.O. (und § 81 G.V.G.) entnehmen, wo gesagt ist, daß die Schuldfrage auch solche vom Strafgesetz besonders vorhergesehene Umstände umfaßt, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen? Aber diesem Argumente Franks gegenüber hat Kriegsmann in der Besprechung des Frankschen Aufsatzes Z. 28. S. 713 / 14 geltend gemacht, daß die Frage: Ist der Angeklagte schuldig? einen viel umfassenderen Sinn hat, als die Frage der strafrechtlichen Schuldlehre: Hat der Täter schuldhaft gehandelt? Auch Birkmeyer, Studien S. 86 unterscheidet ausdrücklich zwischen der Schuld als dem „Komplex von subjektiven und objektiven Momenten, wie er die Voraussetzung der Strafe bildet“ und der Schuld als „fehlerhafter Willensbestimmung zu einem rechtswidrigen Tun“.30 Nun zeigt sich schon hier der Unterschied in den verschiedenen Auffassungen der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit: 30 Auch Rümelin, Verschulden, S. 3. Anm. lehnt Schlüsse aus dem Wortlaut des § 262 Str.P.O. ab.
§ 2. Die Nominaldefinition des Wortes „Schuld“29
Für denjenigen, der die neutralen Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit, die an den natürlichen Begriff der Handlung herangebrachten Prädikate, unter dem Namen „Schuld“ zusammenfaßt, für den muß die Frage Kriegsmanns: Hat der Täter schuldhaft gehandelt? eine ganz andere Bedeutung haben als für den, der, Vorsatz und bösen Vorsatz gleichstellend, jedes vorsätzliche Handeln eo ipso für etwas Vorwerfbares erklärt.31 Auch der Unterschied der Strafrechtssysteme tritt schon hier zu Tage: Für den, der in dem Verbrechen zunächst eine Handlung sieht, die in bestimmter Weise und unter anderm auch als vorsätzlich oder fahrlässig prädikatisiert wird, bedeutet das Schuldhafte am Verbrechen jedenfalls etwas anderes als für den, der den Verbrechensbegriff auf der Normübertretung aufbaut, oder mit Merkel das Verbrechen als Rechtsverletzung betrachtet und von dem im rechtswidrigen Erfolg objektivierten Willen spricht. Vorläufig dürfte ganz allgemein für das Verhältnis von Schuld und Verbrechen folgendes gelten: Das Verbrechen kommt durch eine Reihe von Voraussetzungen zustande, von denen man unmöglich immer behaupten kann, daß der Täter für sie verantwortlich gemacht wird. Um ein beliebiges Beispiel zu gebrauchen: Wenn jemand wegen bezüglichen Bankerottes verurteilt wird, so wird ihm aus der Zahlungseinstellung oder gar der Konkurseröffnung selbst noch nicht ohne weiteres ein Vorwurf gemacht werden können, wie sich aus der Fassung von § 239 der K.O. deutlich ergibt, und doch müßte ohne die Konkurseröffnung die Schuldfrage im Sinne des § 262 Str.P.O. verneint werden. Bekker bemerkt daher S. 240, daß die äußeren Umstände zum Verbrechen im rechtlichen Sinne gehören, daß man aber, sobald sie gegeben sind, für die Bestrafung nur die „inneren Umstände“ in Betracht ziehen dürfe. Und zwar könnte diese Ansicht auch dann aufrecht erhalten werden, wenn man den eben erwähnten Einwand bezüglich des Verhältnisses von Schuld und Delikt erhöbe, also die Bindingsche Unterscheidung von Delikt und Verbrechen benutzte, wonach das Delikt die verbotene Handlung als solche, Verbrechen aber den Tatbestand bezeichnet, an den die Strafformeln angeknüpft sind (Ν. II, S. 463 ff.). Was an der verbotenen Handlung das Vorwerfbare ist, das muß gefunden werden; diese Handlung selbst ist noch nicht in jedem ihrer Teile das Objekt des Unwerturteils; schon deshalb nicht, weil zur Handlung der Kausalzusammenhang zwischen Innervation und Muskelbewegung gehört,32 welcher 31 Wenn man das erwägt, so fällt das richtige Licht auf einen Einwand gegen den vorgeschlagenen Ausgangspunkt, den man in den Worten Löfflers S. 10 finden könnte. L. sagt dort, daß die richtige Beantwortung der Schuldfrage nur einen Teil der Frage nach der Strafwürdigkeit erledige L. sieht aber dabei Schuld offensichtlich als den Oberbegriff seiner drei Schuldformen an, aus dem jede Bezugnahme auf eine Bewertung ausgeschlossen ist. Ihn trifft also der im vorigen Abschnitt behandelte Vorwurf, er geht von einer unbewiesenen Prämisse aus. 32 Wenigstens für den, der nicht psycho-physischer Parallelist ist.
30
I. Die Definition der Strafschuld
an sich isoliert betrachtet, ebensowenig getadelt werden kann, wie der weitere zwischen Körperbewegung und verpöntem Erfolge. Die Schuld ist nicht das Delikt; man mag sie den Kern des Deliktes nennen oder mit Kohlrausch S. 57 das „Wesen des Verbrechens“; aber sie ist weder mit Verbrechen, noch mit Delikt identisch. Als nächste Aufgabe ergibt sich demnach: Es gilt das Objekt des in der Schuldzurechnung liegenden Unwerturteils zu suchen. Es gilt, für das geltende Strafrecht das zu suchen, was der strafende Staat mit seiner Strafe und dem in ihr enthaltenen Vorwurf eigentlich treffen kann. Die Richtigkeit dieses Ausgangspunktes wird von niemandem bestritten. Wer sich der Nominaldefinition v. Liszts anschließt, muß sie anerkennen; ebenso wer mit Birkmeyer (Studien S. 86) von der Schuld als dem „eigentlichen Gegenstand der Strafe“ und dem „Objekt der Bestrafung“ spricht. Nicht zu übersehen ist endlich, daß in zwei unlängst erschienenen Abhandlungen über den Schuldbegriff, in der von Frank über den Aufbau des Schuldbegriffes und der von W. Mittermaier S. 31 der hier vorgeschlagene Ausgangspunkt ausdrücklich zugegeben ist.33 Es muß noch eine Reihe von Nominaldefinitionen der Schuld erwähnt werden, die inhaltlich mit der hier angenommenen übereinstimmen, und nur wegen einer Ungenauigkeit nicht wörtlich zugegeben werden können. So ist z. B. die Definition v. Liszts (L. S. 157, Aufs. II, S. 48): Schuld ist die Veranwortlichkeit des Täters, offenbar unrichtig, weil sie bloß die Tatsache angibt, daß verantwortlich gemacht wird. Die Verantwortlichkeit des Täters ist ein Faktum,34 sie ist nicht seine Schuld. An der Verantwortlichkeit ist der zurechnende Staat ebenso sehr Schuld wie der Verbrecher. Der gleiche Vorwurf der Ungenauigkeit trifft aber auch Franks Ausdruck „Vorwerfbarkeit“ (Aufbau S. 11). Denn dieses Wort bedeutet keineswegs die Zusammenfassung dessen, was vorgeworfen wird.35 Ebensowenig wird man die Schuld mit Tittmann, I. S. 181 als „Zurechnungsfähigkeit wegen Entstehung eines rechtswidrigen Ereignisses“ oder mit Köstlin, System S. 156 als „Maß der Verantwortlichkeit“ oder mit Janka, III. Aufl. S. 17 als „Zurechenbarkeit“ bezeichnen dürfen.
33 Ausdrücklich auch Lipps, Asch. Monatsschr. III, S. 300: „Das, wogegen die Strafe sich richtet“. 34 Darauf weisen besonders Finger, G.S. 72, S. 251, und Frank, Aufbau, S. 3 hin. Übrigens sagt v. Liszt, Aufsätze II, 45 selbst, daß die Verantwortlichkeit eine Tatsache ist. Auch L. 6 A. S. 131. 35 Außerdem ist der Ausdruck deshalb ungenau, weil er darüber im Zweifel läßt, ob es sich um Vorwerfbarkeit der Tat oder des Täters handeln soll. So auch gegen Frank v. Liszt L. S. 158, Anm.
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens31
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens Nur das geltende Strafrecht soll berücksichtigt werden. Für diese Abhandlung kommt die Schuld demnach nur als Rechtsbegriff in Betracht, ohne daß jedoch – wie Mittelstädt, G.S. 44, S. 416 ff. das tut – damit jede Frage nach dem materiellen Inhalt des Begriffes verworfen sein soll. Auch wird man sich für das geltende Recht mit einer solchen Konstatierung nicht begnügen dürfen. Vielmehr kann jetzt erst die eigentliche Erörterung dessen, was Strafschuld ist, beginnen; die weitere Methode dieser Erörterung ist durch ihren Zweck gegeben. Wenn die wesentlichen Voraussetzungen betrachtet werden, die vorliegen müssen, damit gestraft wird, so führt das vielleicht dem Ziele näher, weil nur dadurch erkannt werden kann, was der Strafgesetzgeber für das eigentlich Strafwürdige hält. Es ist für unser Thema wohl richtiger, die positiven Bedingungen der Strafe zu erwägen, als nach dem allgemeinen Zweck der Strafe zu suchen und sich im endlosen Streit der Strafrechtstheorien zu verlieren. Nach dem geltenden Strafrecht ist als notwendige Voraussetzung der Strafe zu betrachten eine vorsätzliche oder fahrlässige, rechtswidrige Handlung oder Unterlassung, die einen unter den Tatbestand eines Strafgesetzes fallenden Erfolg hat. Aber gleich zu Anfang erhebt sich hier ein wichtiges Bedenken. Es gibt Fälle, in denen Vorsatz und Fahrlässigkeit für die Bestrafung nicht verlangt werden. Wenn auch erklärt werden mußte, daß die Nominaldefinition der Schuld nicht imstande ist, einen Unterschied zwischen Erfolgs- und Schuldhaftung zu erklären, so ist doch andererseits nicht zu bestreiten, daß der mit dieser Gegenüberstellung gemeinte Unterschied in der Verantwortlichmachung tatsächlich besteht. Das geltende Recht scheint also zwei grundverschiedene Auffassungen zu haben, sodaß man damit rechnen muß, den Schuldbegriff des geltenden Rechtes dualistisch zu fassen. Es wäre also möglich, daß man in diesem Sinne, wenn man die beiden Arten der Verantwortlichmachung nebeneinander hält und von der einen mit Beziehung auf die andere spricht, von einer „Strafe ohne Schuld“ reden kann. Es fragt sich nur: Sind die Fälle der sogenannten Erfolgshaftung, d. h. hier: der Verantwortlichmachung ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit, ihrer Zahl, ihrer gesetzlichen Behandlung, oder ihrer tatsächlichen Wichtigkeit nach geeignet, eine besondere Berücksichtigung bei der Begriffsbestimmung der Schuld im Sinne des geltenden Strafrechtes, eine speziell für sie berechnete Schulddefinition zu erzwingen? Wird man erklären müssen, daß das geltende Strafrecht in seiner Auffassung von der Schuld bewußt zwei einander widersprechenden Prinzipien folgt?
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I. Die Definition der Strafschuld
Für zahlreiche Fälle in strafrechtlichen Nebengesetzen, namentlich bei Zoll- und Steuerdelikten, scheint das zuzutreffen. Doch darf nicht übersehen werden, daß eine Reihe von Gelehrten hier nur noch eine Ordnungsstrafe annimmt und nicht mehr von krimineller Strafe spricht.36 Oder daß es sich hier nicht um rechtswidrige, sondern um verwaltungswidrige Handlungen handelt.37 Hierhin mit Frank die gesamten Übertretungen des Strafgesetzbuches zu rechnen, wäre ganz willkürlich.38 Selbst wenn man aber von Fällen reiner Erfolgshaftung spricht,39 so wird man, soweit sie bis jetzt in Frage stehen, bei ihrem unbestreitbaren Ausnahmecharakter, ihnen keinen Einfiuß auf die Begriffsbestimmung der Strafschuld einräumen können. Ob man von „Strafe ohne Schuld“ sprechen kann, richtet sich danach, ob hier für etwas anderes verantwortlich gemacht wird, als in den Fällen der Verantwortlichmachung, welche für die lex lata als normale bezeichnet werden müssen. Was eine zweite Gruppe von Bestimmungen, bei denen man von Erfolgshaftung sprechen kann, anbelangt, so veranlaßt der schwere Erfolg die Berücksichtigung der Schuld, die aber nicht in seiner Herbeiführung besteht. Man kann hierhin die Bestrafung der Schuld bei fahrlässiger Herbeiführung eines verpönten Erfolges rechnen, ferner die Bestrafung von Anstiftung und Beihilfe und aus dem besonderen Teile des Strafgesetzbuches die §§ 139,40 210, 227, 329 Abs. 2, wenn man im schweren Erfolge eine Bedingung der Strafbarkeit sieht. Aber diese Fälle bedeuten offenbar keine Ausnahme. Denn der schwere Erfolg ist zwar die Voraussetzung der Bestrafung, auf keinen Fall jedoch das eigentliche Objekt des Unwerturteils. Das ergibt sich sehr deutlich aus den Worten des § 227 Abs. 1 a. E., daß der an der Schlägerei Beteiligte nicht bestraft werden soll, wenn er ohne sein Verschulden in die Schlägerei hineingezogen ist. Bei einer dritten Gruppe von Fällen qualifiziert der Erfolg das Delikt, indem er über die Höhe des Strafrahmens entscheidet, und sein Ausbleiben als Strafmilderungsgrund erscheint, (so beim Versuch), oder sein Eintritt als Strafschärfungsgrund.41 Hier begründet also die bloße Herbeiführung des Erfolges eine schwerere Bestrafung, wenigstens nach der de lege lata herrschenden und wohl auch richtigen Meinung. Aber auch hier tritt keine Strafe v. Liszt, L. S. 161. Goldschmidt, G.A. 49, S. 71. 38 So auch Liszt, L. S. 161. 39 So Frank, § 59 Nr. VIII, Beling, S. 42. 40 Ähnlich § 13 des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juni 1884; § 9 des R. G. gegen den Verrat milit. Geheimn. 3. Juli 1893. 41 So in den §§ 118, 178, 220, 221, 224, 226, 229, 239, 251, 307, 309, 312, 314–16, 321–24, 326–28, 340. Ferner Rinderpestgesetz vom 21. Mai 1878. §44 Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879, § 12, 13. Sprengstoffgesetz § 5. Sklavenraubgesetz v. 28. Juli 1895, § 1. 36 So 37 So
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens33
ein, wenn überhaupt keine Beziehung der Innerlichkeit des Täters zu einem strafrechtlich relevanten Erfolge gegeben ist. Da das Gesetz also nur unter dieser Voraussetzung dem qualifizierenden Erfolge eine solche Bedeutung beimißt, so wird man nicht annehmen können, daß es hier eine bewußte prinzipielle Ausnahme von seinem sonstigen Haftungsprinzip habe machen wollen, daß es vielmehr aus hier nicht zu erörternden Motiven eine schon begründete Strafe erhöht. Freilich ist der Standpunkt des Gesetzes ein äußerst unklarer, und die schweren Vorwürfe, die besonders von H. Seuffert und Löffler gegen eine solche Methode der Verantwortlichmachung überhaupt erhoben werden, treffen jedenfalls auch das geltende Strafgesetzbuch. Für den Zweck dieser Erörterung ist es übrigens von Wichtigkeit, daß viele namhafte Autoren der Ansicht sind, es müsse auch nach geltendem Rechte wenigstens Fahrlässigkeit bezüglich des qualifizierenden Erfolges gegeben sein,42 und daß Löning (Grundriß, S. 46) von einer unwiderleglichen Schuldpräsumtiοn spricht, sodaß demnach die Besonderheit jener Fälle nicht in dem verschiedenen Objekt des Unwerturteiles läge, sondern nur in der Methode des Schuldbeweises.43 Es wird also bei der weiteren Untersuchung auf diese Fälle der sogenannten Erfolgshaftung nicht weiter Rücksicht zu nehmen sein; sie berühren eine Definition der Schuld im Sinne des geltenden Strafrechtes nicht, und vor allem ist es Beling,44 der die Bedeutungslosigkeit der fraglichen Bestimmungen für die Definition des Verbrechens als einer schuldhaften Handlung hervorgehoben hat und dabei bemerkt: „Die Definition eines Dinges ist nimmermehr auf Abnormitäten berechnet“. – Der Gesetzgeber formuliert eine Reihe von Tatbeständen, die den nach seinem Willen zu vermeidenden Erfolg bezeichnen. Daß irgend ein Geschehnis unter einen solchen Tatbestand fällt, daß es nach Belings Ausdruck „Typizität“ hat, ist notwendige Voraussetzung für die in der Strafe sich äußernde Reaktion des Staates (§ 2 Str.G.B.) Nun tritt aber häufig ein Ereignis ein, das alle in einem strafrechtlichen Tatbestande aufgezählten objektiven Merkmale hat, ohne daß hier jemand an eine Strafe dächte. Niemand wird, wenn die berühmten Feldmäuse Schaden anrichten, heute eine 42 Βerner, Lehrb. S. 520 ff., Binding, Handb. I, S. 366, und Hälschner, I 237 ff. 326. Vgl. auch Τhοmsen, Versuch der durch eine Folge qualifizierten Delikte, S. 32, Anm., der von dem „Gefühle der unmittelbaren Nähe der Verschuldung“ spricht und Roland, Gefahr im Strafr., 1886, S. 65. 43 Jedenfalls ist der Vorentwurf einer zweifellos berechtigten kriminalpolitischen Forderung nachgekommen, indem er im § 62 bestimmt: „Wo das Gesetz, für den Fall, daß eine strafbare Handlung einen bestimmten, nicht gewollten Erfolg herbeiführt, eine erhöhte Strafe androht, tritt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, diese Strafe nur dann ein, wenn der Täter die Möglichkeit eines solchen Erfolges voraussehen konnte“. Vgl. die Begründung I, S. 220 ff. 44 Verbrechen, S. 43.
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I. Die Definition der Strafschuld
Bestrafung erwarten; unsere Strafgesetze wenden sich ausschließlich an Menschen. Strafen für Tiere oder gar leblose Gegenstände sind ihm unbekannt. Oft aber wird der perhorreszierte Erfolg von einem Menschen herbeigeführt, ohne daß der ihn Herbeiführende bestraft wird: ein Wahnsinniger verübt Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen. Das Gesetz verlangt jedoch noch mehr als die Zurechnungsfähigkeit: der Täter muß rechtswidrig gehandelt haben, und es ist eine psychologische Beziehung des Zurechnungsfähigen zu dem schädlichen Erfolge notwendig, nur wenn Vorsatz oder Fahrlässigkeit bezüglich jenes Erfolges vorliegt, wird zur Verantwortung gezogen. Ohne daß man nun gleich diese psychologische Beziehung als Schuld bezeichnen müßte, wird man dennoch sagen können, daß man, um das eigentlich Schuldhafte an dem die Reaktion des Staates auslösenden Vorgange zu erkennen, in das Innenleben des Täters wird eindringen müssen. Nur dort kann das liegen, was der strafende Staat für das eigentlich Strafwürdige ansieht. Dieses erste Ergebnis wird auch von denjenigen Autoren zugegeben, welche die Schuld in Vorsatz oder Fahrlässigkeit aufgehen lassen. Denn für sie ist die Schuld ein psychischer Vorgang, dem an seiner rein psychischen Natur nichts dadurch genommen werden kann, daß er die Beziehung zu einem äußeren Geschehen hält, weil diese nur zu seiner Charakterisierung dient. Eine Betrachtung des geltenden Rechts ergibt somit als erstes wichtiges Resultat: Schuld ist etwas Innersubjektives – ob ein Zustand oder ein einzelner Vorgang, wird sich nachher zu zeigen haben. Man kann der obigen Beweisführung gegenüber einwenden: Für das geltende Recht kommt nur die in die sinnfällige Erscheinung getretene Schuld in Betracht; was in der Seele verborgen bleibt, kümmert das Recht nicht; cogitationis poenam nemo patitur; also muß man die Objektivierung in einem äußeren Geschehen mit in die Definition der Schuld im rechtlichen Sinne aufnehmen. Dieser Einwand ist kaum durchschlagend. Um zu wissen, wo das die Schuld Begründende an der Handlung steckt, muß man, da von zwei äußerlich genau gleichen Handlungen die eine schuldhaft sein kann und die andere nicht, immer ein Ereignis des Innenlebens des Täters feststellen. So ist z. B. das Wegnehmen einer fremden beweglichen Sache in vielen verschiedenen Fällen möglich, ohne daß das Strafrecht darin etwas Vorwerfbares sähe; sobald es aber in der Absicht geschieht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, erklärt es die Wegnahme für strafbar; es braucht beim Diebstahl ja gar nicht zur Aneignung zu kommen, die Aneignung braucht nur in cogitatione zu geschehen. Auch darf man aus der Tatsache, daß die Schuld dem Innenleben des Täters angehört, keineswegs mit M. E. Mayer45 schließen, jede Definition der Schuld sei für den Juristen unmög45 Schuldhafte
Handlung, S. 104.
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens35
lich und überflüssig, nur auf die schuldhafte Handlung komme es an. Bevor man eine Handlung als schuldhaft bezeichnen kann, wird man bestimmen müssen, was Schuld ist. Stellt ja auch Mayer selbst, der das Kriterium der schuldhaften Handlung in der Pflichtwidrigkeit der Willensbetätigung erblickt, alles ab auf die Bedeutung der Vorstellung vom rechtswidrigen Erfolg als Motiv für das Handeln des Täters. Auch er dringt in die Tiefen der Seele, und auch bei ihm erscheint das Erfordernis, daß der in Frage stehende psychische Vorgang in die sinnfällige Erscheinung getreten ist, als eine aus dem Wesen der Rechtsordnung sich ergebende und notwendige, aber äußerliche Voraussetzung für die Beachtlichkeit dieses Vorganges; eine Voraussetzung, die aber nicht hindern kann, daß trotzdem der rein psychische Vorgang das bleibt, worauf alles ankommt. Aus dem Wesen des Rechtes ergeben sich demnach die Grenzen, die von außen her einen Kreis in dem großen Kreise von psychologisch gleichen Erscheinungen bestimmen. Damit also von rechtlicher Schuld die Rede sein kann, muß irgend ein sinnfältiges Geschehen, eine Objektivation des innersubjektiven Geschehens vorliegen. Aber das berührt das Wesen des in Frage stehenden psychischen Vorganges in keiner Weise. Daß ein kleiner Kreis innerhalb eines großen nach irgend welchen beliebigen Gesichtspunkten abgesteckt wird, bewirkt nicht, daß das innerhalb des kleinen Kreises Eingeschlossene aus dem großen Kreis heraustritt. Damit ist nicht behauptet, die rechtliche Schuld stelle einen Ausschnitt der ethischen Schuld dar. Diese Behauptung nähme Rücksicht auf den materiellen Inhalt der Strafschuld und gehörte deshalb nicht mehr zum Gegenstande dieser Arbeit. – Sondern es sollte bloß gesagt werden: Das Recht sieht das Wesentliche am Verbrechen, das wofür es seinen Vorwurf macht, in einem bestimmt gearteten Vorgang in der Seele des Verbrechers, aber es nimmt nicht von jedem solchen Vorgang Notiz, sondern es tut das nur unter der äußerlichen Bedingung, daß er sich in bestimmter Weise objektiviert hat. Beling46 drückt das sehr prägnant aus, indem er sagt: Schuld ist das seelische Moment, um dessentwillen jemand für sein rechtswidriges Verhalten verantwortlich gemacht wird; – ein Satz, der mit den bisherigen Ausführungen wörtlich im Einklang steht. Der objektive Charakter des Rechtes überhaupt und des Strafrechts im besonderen, auf den van Calker47 gegenüber den Bestrebungen einer absoluten Ethisierung des Strafrechts hinweist, über den sich in diesem Zusammenhange auch Bekker und Kuhlenbeck48 nachdrücklich auslassen, ist damit nicht geleugnet. Es wird im Gegenteil betont, daß ein bestimmt geartetes Hervortreten in die sinnliche Wahrnehmbarkeit dem Rech46 Verbrechen
S. 80. Werte S. 13. 48 Bekker, Theorie S. 236 ff., Kuhlenbeck, S. 60. 47 Ethische
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I. Die Definition der Strafschuld
te wesentliche Voraussetzung bleibt, so daß der Ansicht, das Verhalten des Täters müsse die objektive Möglichkeit einer Gefährdung von geschützten Interessen begründen, durchaus beigepflichtet werden kann. Und zwar bedeutet das Erfordernis des „Heraustragens des verbrecherischen Willens in die Außenwelt“ mehr als ein bloß aus praktischen oder gar fiskalischen Rücksichten gemachtes Zugeständnis an die menschliche Unzulänglichkeit; die verbrecherische Erscheinung ist auch mehr als die bloße Veranlassung rechtlicher Beachtung,49 sondern das Vorgehen des Gesetzgebers entspringt einer Erkenntnis der Grenzen von Recht und Moral. Somit ist auch über die Frage des untauglichen Versuches noch nichts entschieden, und wenn sich aus dem geltenden Recht ergäbe, daß er straflos bleiben muß, so wäre die vorgetragene Ansicht also nicht widerlegt. Denn wenn das Recht nicht auf ihn reagiert, so erklärt es ihn damit doch noch nicht für erlaubt und lobenswert. Es sei wiederum der Satz Βekkers zitiert: was gar nicht äußerlich zur Erscheinung kommt, bleibt ungestraft, aber was so zur äußerlichen Erscheinung kommt, das beurteilen wir nicht nach Maßgabe seiner Erscheinung, sondern nach der innerlichen geistigen Bewegung, aus der es entsprossen ist.50 Man könnte demnach in dem Ausdruck „rechtliche Schuld“ ein Doppeltes finden. Er gibt einmal an, daß der Maßstab, an dem ein bestimmter Vorgang gemessen wird, damit überhaupt eine Beurteilung und eine Mißbilligung möglich ist, dem Rechte entnommen wird; zweitens aber erinnert er daran, daß nach Gesichtspunkten, die sich aus der Natur der Rechtsordnung ergeben, aus den schuldbegründenden Vorgängen bestimmte herausgenommen werden. Es ist also richtig zu sagen: Das Heraustreten in die Außenwelt ist eine dem Rechte wesentliche Vorbedingung der Bestrafung, da erst feststehen muß, daß die Innerlichkeit des Täters und seine Handlung oder Unterlassung mit einem perhorreszierten Erfolge in Zusammenhang gebracht werden kann. Liegt ein solcher Erfolg und ein solcher Zusammenhang nicht vor, dann wird nach der Schuld garnicht gefragt. Erst wenn das der Fall ist, wenn etwa ein Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg und das Wollen des Erfolges festgestellt ist, berücksichtigt man die Schuld. Die äußerliche Erscheinung ist also Voraussetzung der rechtlichen Beachtlichkeit, nicht aber Begriffsmerkmal des Vorganges, der vom Recht als Schuld angesehen wird. Schuld und Kausalzusammenhang sollen streng getrennt werden. Der reale Kausalverlauf von der Innervation der Körperbewegung an bis zum verbrecherischen Erfolge kann mit der Schuld nichts zu tun haben; er kann z. B. Luden, Abh. II, S. 116. 131. Ζ. 28, S. 457: man bestraft den Täter „wegen seiner Schuld, wenn diese zu einer Rechtsverletzung führte“. 49 So
50 Kollmann,
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens37
sie weder begründen, noch aufheben, noch mehren oder mindern. Denn nur die Willensbestimmung selbst – nicht einmal mehr das Heraustreten des bösen Willens – ist eigentlich das Werk des Täters; ob die Willensbestimmung zum verbrecherischen Erfolge, ja ob der verbrecherische Entschluß überhaupt zu einer sinnfälligen Handlung, zu einer sichtbaren Körperbewegung führt, ist Werk des Zufalls. Niemand kann für den Kausalverlauf als solchen verantwortlich gemacht werden. Daß die Kugel bei der Explosion der Patrone aus dem Gewehrlauf herausfliegt, daß der Mensch stirbt, wenn er an der richtigen Stelle getroffen wird, das kann nicht das sein, wofür ein Vorwurf gemacht wird, das geschieht mit naturgesetzlicher Notwendigkeit, daran wird auch eine Strafdrohung nichts ändern. „Was kann man dem Menschen verbieten: das Eintreten des Erfolges, oder das Anstreben desselben?“ Mit dieser Frage hat Lammasch51 den Einwand widerlegt, der ungedeihliche Erfolg solle durch die Strafdrohung verhütet werden, nicht Phantasien und Wünsche. Der Strafgesetzgeber verbietet nicht, daß man sich gekränkt fühlt, wenn man beleidigt wird, sondern er verbietet zu beleidigen; er wendet sich ausschließlich an den Täter. Somit wird die Schuld nicht definiert werden dürfen als das Verursachen eines rechtswidrigen Erfolges, nicht als das „kausale Verhalten“. Was aus der Willensbestimmung tatsächlich folgt, kann niemals die Willensbestimmung qualifizieren. Zwei äußerlich genau gleiche Erfolge können der eine schuldhaft, der andere schuldlos herbeigeführt sein, sogar zwei äußerlich genau gleiche Handlungen können die eine gewollt, die andere zufällig, die andere schuldhaft, die andere schuldlos sein. Es ist hier an die sogenannten ungeschickten Bewegungen zu denken, auf die Beling aufmerksam macht. Alles, was aus der schuldhaften Willensbestimmung folgt, mag noch so wichtig sein, – sobald es gefolgt ist, tritt es vor ihr als der Hauptsache zurück. Die Schulddefinition: „rechtswidriger Wille als Ursache eines rechtswidrigen Erfolges“ zieht ebenfalls das kausale Moment in den Schuldbegriff; ganz abgesehen davon, daß sich gegen sie geltend machen läßt, die Schuld, die Rechtswidrigkeit des Willens, habe als solche gar keine realen Wirkungen; ob der Bewußtseinsinhalt des Täters als gut oder böse qualifiziert wird, das „kann nach außen nichts bewegen“.52 Es liegt nun folgende Erwiderung nahe: wenn nicht jede Verursachung und nicht jede Handlung, die einen schädlichen Erfolg bewirkt, gestraft wird, und wenn man daraus den Schluß zieht, daß die Verursachung nicht 51 Objektive
Gefährlichkeit S. 51. ist auch die Fassung des § 254 B.G.B, ungenau. Vgl. v. Liszt, Deliktsobligationen S. 46, R. G. Entsch. in Civils. 54, S. 407: „nicht das Verschulden, sondern erst das auf ihm beruhende Handeln kann mitwirkende Ursache sein“. Vgl. auch Birkmeyer gegen Bruck, Krit. Vierteljahrsschrift 29, 8. 602: Ein äußerer Erfolg kann „nicht durch Fahrlässigkeit und Schuld verursacht werden“. 52 Deshalb
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zur Schuld gehört, weil sie nicht das sein kann, wofür ein Vorwurf gemacht wird, so muß man umgekehrt auch die Richtigkeit folgenden Schlusses zugeben: nicht alle im Innenleben des Täters in der noch näher zu bestimmenden Weise sich abspielenden Vorgänge, die nach der vorgetragenen Ansicht als Schuld bezeichnet werden müßten, werden von der Strafe getroffen, sondern nur diejenigen, die mit einem bestimmten Erfolge in Verbindung stehen und zwar nach Maßgabe dieses Erfolges; also kann nicht jener innerliche Vorgang allein das sein, wofür gestraft wird. Merkel53 macht diesen Einwand in folgender Formulierung: Der Staat stuft seine Strafe nach der verbrecherischen Wirksamkeit ab, diese muß also zur Schuld gehören. (Ζ. I, S. 591 ff.) Demgegenüber ist aber daran zu erinnern, daß der Staat auf eine äußerlich gleiche Wirksamkeit in sehr verschiedener Weise reagiert, daß der Unterschied in der Bestrafung vorsätzlicher oder fahrlässiger Herbeiführung eines Erfolges Merkels Worte widerlegen kann. Daß der schwere Erfolg das Urteil über den Täter tatsächlich erheblich beeinflußt, ist keine Widerlegung; allerdings muß eine Schulddefinition darauf Rücksicht nehmen, daß das Wollen oder das Nichtvermeidenwollen eines Erfolges je nach der Schwere des Erfolges verschieden beurteilt wird. Der Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg ist demnach eine – vielleicht nicht einmal immer notwendige54 – Voraussetzung der Zurechnung zur Schuld; aber er gehört nicht zum Schuldbegriff. Die von Merkel und Liepmann55 verteidigte Zusammengehörigkeit soll abgelehnt werden, ebenso wie die Schulddefinitionen Fingers und Kuhlenbecks,56 wonach die Schuld ein Beziehungsbegriff ist, der das Wollen und die Kausalität umspannt. Daß beide, Schuld und Kausalität praktisch in engster Verbindung auftreten, wird niemand v. Bar57 abstreiten; es kann hier auch auf die doppelte Bedeutung von αἰτία hingewiesen werden, es ändert das aber nichts an der begrifflichen Trennung. Merkel wirft dieser Auffassung vor, sie übersehe die geistigen Kräfte, die bei jeder Handlung wirksam seien. Man wird aber darin keinen Gegenbeweis erblicken können. Bei der Frage nach der Schuld handelt es sich nicht nur darum, daß etwas gewollt ist (das muß entschieden sein), sondern der Willensinhalt steht in Frage. Nicht einmal kommt mehr in Betracht, ob die Körperbewegung auf den 53 An Merkel schließt sich an Bruck, G.A. 36, S. 427 in seiner Erwiderung auf Birkmeyers Kritik seines Buches über Fahrlässigkeit a. a. O. 54 Hartmann, Das Kausalproblem im Strafrecht, 1900, S. 6: „Die Kausalität interessiert den Richter gar nicht um ihrer selbst willen; sie bildet die Brücke, die Schuld zu erkennen und zu bemessen“. 55 Merkel a. a. O. und Lehrb. S. 71, 66. Liepmann, Einl. S. 60, 83 ff. 56 Finger, Lehrb. S. 28: „das für ein unerwünschtes Ereignis kausale Ereignis in Beziehung auf ein mißbilligendes Urteil“. Kuhlenbeck, S. 59 f. 57 Gesetz und Schuld, ΙI, S. 243.
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Willen zurückzuführen ist, sondern nur, welcher Art die Vorstellung ist, welche die vom Zentralprinzip bewußt aktualisierte Innervation qualifiziert.58 Die geistigen Faktoren mögen also nicht außerhalb des Kausalzusammenhanges stehen, aber damit ist noch nicht bewiesen, daß man die von ganz verschiedenen Gesichtspunkten ausgehenden Fragen nach der Schuld und nach dem Kausalzusammenhang nicht wenigstens begrifflich trennen dürfte und müßte.59 Kuhlenbeck gibt übrigens S. 71 die Heterogenität der beiden Elemente, die seinen Schuldbegriff ausmachen, dadurch zu, daß er sagt, zu der ontologischen Kausalität müsse noch eine auf einem ganz anderen Gebiete gelegene Prämisse hinzukommen, der Wille müsse nicht nur Ursache des Erfolges sein, der Erfolg müsse auch gewollt sein. Selbst angenommen, daß der Wille immer die Ursache des Erfolges sein müsse, so ist das kein Beweis für die Unzertrennlichkeit von Schuld und Kausalzusammenhang, und der auf derselben Seite stehende Satz Kuhlenbecks, das Wollen als subjektiver Verantwortlichkeitsgrund müsse zu dem Wollen als physischer relativer Ursache hinzukommen, spricht deutlich genug aus, daß jenes subjektive Moment das ist, wofür verantwortlich gemacht wird. Außerdem wird Kuhlenbeck durch seine Formulierung, der Erfolg müsse gewollt sein, gezwungen, immer nur auf vorsätzliches Handeln zu exemplifizieren; er spricht nie von der Fahrlässigkeit, wo sein Satz sich sofort als unrichtig erweisen müßte. Denn er kann den nicht vorgestellten Erfolg – um einen solchen handelt es sich bei der unbewußten Fahrlässigkeit doch auf jeden Fall – unmöglich als gewollt bezeichnen, da er Bindings, die Vorstellung ausschließende Begriffsbestimmung des Wollens aufs lebhafteste bekämpft (S. 41 f.). Seine Auffassung von der Zusammengehörigkeit von Schuld und Kausalität wird endlich durch seine eigenen Ausführungen über die Unterlassung widerlegt, die im Grunde genommen auf den Satz hinauslaufen:60 Schuld liegt bei dem vor, der etwas verursacht hat; die Verursachung kann aber in der bloßen Schuld bestehen; – womit die Notwendigkeit einer Trennung erwiesen ist. Wenn K. die Kausalität der Unterlassung nach der Verschuldung bestimmen will, so ist das ein Beleg dafür, daß die Schuld von der Kausalität unabhängig ist; – ob man für die juristische Zurechnung eine besondere Kausalität annehmen muß, welche auf die Schuld Bezug nimmt,61 ob insbesondere eine Kausalität der Unterlassung mit Rücksicht auf das Verschulden konstruierbar ist, das liegt außerhalb 58 So Βeling, Grundriß, 2. Aufl. S. 38, Verbrechen, S. 46, 391. Vgl. aber die Ausführung w. u. 59 „Die Willenskausalität als solche besagt noch gar nichts für den Eintritt und Umfang der Schuld.“ So Tesar, Symptomatische Bedeutung S. 206. 60 Ähnliches gilt für Wahlberg, Ges. Aufs. I 39 / 40; A. Sturm, Rechtswidrigkeit der Unterlassung, S. 35 („Juristische Verursachung“). 61 Vgl. darüber besonders v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 196 ff.
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I. Die Definition der Strafschuld
unserer Aufgabe; hier sollte nur die Notwendigkeit einer Trennung von Schuld und Kausalität hervorgehoben werden. Ob umgekehrt die Schuld bei der Untersuchung des Kausalzusammenhanges zu berücksichtigen ist, das interessiert nur insoweit, als eine solche Berücksichtigung die obigen Ausführungen beweist. „So wichtig die Kausalität für das Strafrecht ist, so ist sie doch nur ein nicht einmal unentbehrliches Stück des Tatbestandes.“62 Dem Resultate, daß die Frage nach der Kausalität aus der Untersuchung des Schuldbegriffes auszuscheiden habe, stimmt die herrschende Meinung bei.63 Von ganz anderer Art ist das Unternehmen Franks,64 die Beschaffenheit der die Tat begleitenden äußeren Umstände in den Schuldbegriff hineinzuziehen. Franks Untersuchung über den Aufbau des Schuldbegriffes ist von großer Bedeutung für die Terminologie von Vorsatz und Fahrlässigkeit, weil er besonders nachdrücklich auf die Widersprüche der gewöhnlichen Bezeichnung mit Schuldarten hingewiesen hat. Dem Schuldbegriff aber, wie er ihn aufstellt, muß widersprochen werden. So zweifellos es richtig ist, daß die Umstände, unter denen der Täter handelte, bei der Bemessung der Schuld in Rechnung gezogen werden, so sicher folgt eben daraus, daß sie selbst nicht die Schuld oder Elemente des Schuldbegriffes sein können. Denn sie sind nicht das, was dem Täter vorgeworfen wird. Der leichtsinnige Kassierer wird nicht dafür verantwortlich gemacht, daß er gut situiert war oder kostspielige Liebhabereien hatte; wenn diese Umstände in Betracht kommen, so geschieht es nur, weil sich bei ihrem Vorliegen Schlüsse ziehen lassen für die Qualifizierung von Vorgängen in der Seele des Täters. Aber diese Vorgänge bleiben allein das, worauf sich der Vorwurf bezieht, und die Beschaffenheit der begleitenden Umstände hat nicht konstitutive, sondern deklaratorische Bedeutung.
62 Βeling,
Verbrechen, S. 391. Beling besonders nachdrücklich Hertz, Unrecht, S. 153. (Er unterscheidet zwischen Willensinhalt und Kausalität.) M. E. Mayer, Schuldhafte Handl., S. 120, 126, Z. 22, S. 558 f. (Er hält die Kausalität der Unterlassung allerdings aufrecht.) Radbruch, Handlungsbegriff, S. 107, Z. 24, S. 335; vgl. auch Z. 25, S. 266. Tesar, a. a. O.; Kollmann, die Stellung des Handlungsbegriffes im Strafrechtssystem. 1908, Z. 28, S. 458; Hippel, R. v. D. III, S. 524, Anm. 5. 64 Aufbau, S. 12. Ähnlich berücksichtigt auch A. Sturm (Rechtswidrigkeit der Unterlassung, S. 36) die konkreten Tatumstände. Bei der Erwähnung des Art. 483 des Code Livingstone sagt er: „Die Verantwortung liegt nicht nur in der Schuld der Weisung (der falschen Wegweisung), sondern auch zugleich darin, daß der Mann blind oder fremd war, daß es dunkel war“. Über die tatsächliche Bedeutung der konkreten Tatumstände für die Schuld vgl. im folgenden Abschnitt. 63 Außer
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens41
Schuld, ein Moment der Einzeltat. Als Resultat ergibt sich: das, wofür heute der strafende Staat den Vorwurf macht, ist ein Vorgang des Innenlebens. Und zwar besteht die Schuld des geltenden Rechtes in einem einzelnen Vorgang, sie ist nicht Charakterschuld. Der Ort, an dem es die Gesinnung, die jedenfalls aufs engste mit dem Charakter zusammenhängt, berücksichtigt, ist die Strafzumessung.65 Wer einen Tatbestand erfüllt, wird nach Maßgabe des betreffenden Paragraphen bestraft. Das geltende Recht kann deshalb nicht für den Charakter vergelten wollen, weil es den Vorwurf macht für die einzelne vergangene Tat, die es nach dem bekannten Ausdruck auf den Isolierschemel stellt. Man mag über diese Methode denken wie man will, hier handelt es sich darum, die Formalstruktur des Schuldbegriffes zu finden. Tesar66 bringt ein wichtiges Argument gegen diejenigen vor, die Schuld und Kausalzusammenhang nicht trennen wollen; er bemerkt, daß man die Rückfallstrafe nicht rechtfertigen kann, wenn man die Verantwortlichkeit ausschließlich auf der Kausalität aufbaut. Jedoch wird daraus nicht, wie Tesar es will, gefolgert werden können, daß in der Berücksichtigung des Rückfalles das Recht seine Auffassung von der Schuld als Moment eines einzelnen Vorganges aufgegeben habe. Bewiesen ist vielmehr nur, daß es sich bei der Schuld um einen ausschließlich innersubjektiven Vorgang handelt; nicht aber, daß die Schuld des heutigen Strafrechts in einer konstanten Richtung des Verbrechers auf das Verbrechen besteht. Das dürfte unbestreitbar und wohl auch allgemein anerkannt sein. Wenn scharf umrissene Tatbestände formuliert werden, die erfüllt sein müssen, damit gestraft wird – und zwar ist das, wie Kohlrausch S. 31 bemerkt, nicht bloß ein Schutz gegen richterliche Willkür – wenn zwischen Zustands- und Augenblicksverbrechern kein prinzipieller Unterschied gemacht wird, wenn diejenigen, die die ganze Konstruktion des geltenden Strafrechtes schufen, die Verfasser des Code pénal und des preußischen Strafgesetzbuches von 1851, vom Indeterminismus ausgingen und an die einzelne Willensäußerung anknüpften – wenn das alles der Fall ist, so ergibt sich die Stellung des geltenden Strafrechts in dieser Frage aufs deutlichste. Die Schuld ist, wie W. Mittermaier, S. 22 f. hervorhebt, ein Moment der Einzeltat; genauer und mit Berücksichtigung der obigen Ausführungen gesagt, ein innersubjektives einzelnes Geschehen; ein Teil – und zwar ein in der Seele des Täters sich abspielender Teil – des Geschehens, das für die strafrechtliche Beurteilung zusammengefaßt und ihr unterworfen wird. Dabei ist zu beachten, daß der Ausdruck „Einzeltat“ auch insofern ungenau ist, als er ein äußeres sinnfälliges Geschehen begriffsnotwendig in 65 Siehe
§ 20 Strafgesetzbuch und dazu van Calker, R. v. D. III. S. 173 f. Hartmann, Kausalproblem. S. G.
66 Ähnlich
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I. Die Definition der Strafschuld
sich schließt, wovon aber bei reinen Unterlassungsdelikten nicht die Rede sein kann. Auch erweckt der Ausdruck „Moment der Einzeltat“ leicht die Vorstellung, als handle es sich um eine das äußerliche Geschehen begleitende Beziehung, in die man das Innenleben des Täters zu diesem Geschehen bringt; mit anderen Worten, die Schuld gehe im Vorsatz und in der Fahrlässigkeit als psychologischen Beziehungen auf. Oder als müßte unter dem Namen „Tat“ die für den tatbestandlichen Erfolg kausale Tätigkeit des Schuldners und dieser Erfolg zusammengefaßt werden, und die Schuld sei eine (wirklich vorhandene oder vom Verantwortlichmachenden konstruierte) Beziehung der Innerlichkeit des Täters zu dieser kausalen Tätigkeit. Davon ist schon deshalb nicht die Rede, weil die Kausalität mit Beziehung auf den perhorreszierten Erfolg kein absolutes Erfordernis des Schuldvorwurfes ist und die Schuld daher mit einer psychischen Beziehung dazu nichts zu tun haben kann. Bei der unbewußt fahrlässigen Unterlassung kann von einer Tat des Delinquenten als dem objektiv vorliegenden Resultat einer für einen schädlichen Erfolg kausalen Tätigkeit des Delinquenten nicht gesprochen werden. Trotzdem muß aber auch hier Schuld vorliegen, und das, worin die Schuld gefunden werden kann, muß auch hier ein einzelner Vorgang des Innenlebens, ein Akt des zur Verantwortung Gezogenen, eine „innerliche geistige Bewegung“ (Bekker) sein, die allerdings nicht frei und losgelöst von jedem äußeren Geschehen im Psychischen schwebt, sondern zu einem schädlichen Erfolge in irgend eine objektive (oft als Kausalität im juristischen Sinne bezeichnete) und eine subjektive (Vorsatz und Fahrlässigkeit) Beziehung gebracht werden kann. Wie wenig man aber deshalb diese subjektive Beziehung selbst zur Schuld machen darf, ergibt sich schon daraus, daß in vielen Fällen z. B. bei der unbewußten Fahrlässigkeit, gar keine bewußte und deshalb für uns überhaupt keine reale Beziehung des Seelenlebens zum Erfolge vorliegt, eine solche vielmehr erst nur durch die vergleichende und abwägende Tätigkeit des zur Verantwortung Ziehenden und als dessen bloße Konstruktion hergestellt wird.67 Diese Konstruktion ist also ausschließlich das Resultat der Tätigkeit des strafenden Staates; die Schuld des Täters besteht demnach nicht in ihr, sondern nur darin, daß er zu ihr Veranlassung gegeben hat. Ebenso besteht die Schuld nicht in der Qualifikaton des innersubjektiven Vorganges, sondern dieser Vorgang ist, wenn er bestimmte Eigenschaften hat, die Schuld. Nicht daß man ihm einen Vorwurf macht, macht man jemand zum Vorwurf, sondern daß sein Tun bestimmte Eigenschaften hat und deshalb einen Vorwurf begründet, daß der innersubjektive Vorgang nicht so 67 Näheres darüber und weitere Argumente gegen die Definition der Schuld als psychologischer Beziehung und eine Zusammenstellung der Autoren, welche sie vertreten, im II. Teile dieser Arbeit, weil eine solche Definition augenscheinlich den Oberbegriff von V. und F. herzustellen sucht.
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens43
ist, wie man ihn wünscht. Insofern ist es richtig mit Beling (Verbrechen S. 45) die Schuld eine Eigenschaft des Willens zu nennen und zu betonen, daß es der Willensinhalt ist, der die Schuld begründet; denn er qualifiziert den Vorgang. Aber es wäre falsch, den Willensinhalt vom Willensakt zu trennen. Ein bestimmt qualifiziertes Tun bleibt doch das eigentliche Objekt des Unwerturteils; nicht die Qualifikation des Tuns. Allerdings hat die Kausalität des Willensaktes für den Erfolg mit der Schuld nichts zu tun. Aber den Schuldvorwurf begründet andererseits auch nicht der vom Willensakt getrennte bloße Vorstellungsinhalt, sondern ein durch diesen Inhalt qualifizierter Willensakt. Vorausgesetzt, daß alle Schuld Willensschuld ist, muß also feststehen 1. daß überhaupt ein Willensakt vorliegt und 2. daß dieser Willensakt bestimmte Eigenschaften hat. Beides darf nicht voneinander getrennt werden. Beides gehört zur Schuld. Nicht aber kommt die weitere Frage, ob der Willensakt für den perhorreszierten Erfolg in irgend einem Sinne kausal ist und welches seine realen Folgen sind, in Betracht. Schuld ist also nicht eine Beziehung, nicht der Vorstellungsinhalt eines innersubjektiven Vorganges, sondern ein durch einen bestimmten Bewußtseinsinhalt geeigenschafteter Vorgang.68 Wenn man sich der Ungenauigkeit und Mißverständlichkeit des Ausdrucks „Moment der Einzeltat“ bewußt bleibt, so wird man den Ausdruck als ein prägnantes Wort dafür gebrauchen können, daß der aus dem geltenden Rechte gezogene Schuldbegriff nicht weiter gehen darf, als dieses selbst, daß er bei einem einzelnen Geschehen stehen bleiben und sich damit bescheiden muß, einen bestimmten materiellen Inhalt, den man ihm geben will, nicht auszuschließen oder wenigstens nicht in höherem Grade auszuschließen, als es das positive Strafrecht auch tut. Sollte also z. B. alle Schuld Charakterschuld sein und das geltende Strafrecht dieser Auffassung nur äußerlich widersprechen, während in Wirklichkeit das Verbrechen auch hier schon symptomatische Bedeutung für den Charakter hat, so ist es genügend und erforderlich, daß es sich mit dem formalen Schuldbegriff des geltenden Rechtes genau so verhält; daß er der Annahme einer Charakterschuld nicht widerspricht, zunächst aber nur ein einzelnes Geschehen berücksichtigt. Ob die hier vorgeschlagene Definition der Schuld im formalen Sinne – die für die Untersuchung des logischen Verhältnisses von Vorsatz und Fahrlässigkeit zur Strafschuld genügt – diesen Erfordernissen entspricht, wird sich zu 68 Es ist vor allem Beling, der darauf hingewiesen hat, daß für die Schuldfrage der Willensinhalt entscheidend ist. Vgl. S. 40 dieser Arbeit. Tatsächlich beruht ja auch praktisch das Schwergewicht auf dessen Feststellung, aber ohne Willensakt ist der Willensinhalt nicht zu denken und daß Beling diese Trennung (die natürlich nicht mit der von Schuld und Kausalität zu verwechseln ist) trotzdem vornimmt, beruht darauf, daß auch er davon ausgeht, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit die beiden Schuldarten sind. Vgl. darüber im II. Teil.
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I. Die Definition der Strafschuld
zeigen haben. Vorläufig ist daran festzuhalten, daß Definitionen der Schuld wie „Mangel an sozialer Gesinnung“ oder „Zurückbleiben hinter dem Charakterminimum“ keine dem positiven Strafrecht entnommenen Definitionen der Schuld im formalen Sinne sind. Durch die Subsumierung unter einen bestimmten Tatbestand wird nicht der Charakter in absolut bestimmter Weise qualifiziert. „Ein Individuum, das jemand mit allgemeinen Ausdrücken beschimpft, kann eine solche Streitsucht, eine solche Unverträglichkeit, einen in so hohem Grade antisozialen Charakter zeigen, daß die Verhängung von bloßer Geldstrafe oder Haft die größte Torheit wäre; ein Mensch, der einen fremden Hund schlägt oder einen Kanarienvogel erwürgt, kann die blutdürstigsten Neigungen besitzen“,69 trotzdem haben solche Charaktereigenschaften nach geltendem Rechte für die Frage, ob eine bestimmte Schuld vorliegt, keine konstitutive Bedeutung; es kommt auf die einzelne Tat und den gesetzlichen Tatbestand an, unter den sie fällt. Man darf den „juristischformalistischen Charakter unseres Strafgesetzbuches“ (v. Liszt) nicht einfach ignorieren. Die Behandlung Rückfälliger, die zweifelsohne eine Berücksichtigung der antisozialen Gesinnung bedeutet, steht durchaus vereinzelt da; auch sie knüpft zu dem in der äußerlichsten Weise an die Einzeltat an; sie kann nicht beweisen, daß nach geltendem Recht das Verbrechen nur für die Charakterschuld symptomatische Bedeutung hat, und daß man die Schuld im formalen Sinne als Charakterschuld definieren kann, ohne weit über das positive Recht hinauszugehen. Es ist ja denkbar, daß man im Rückfall nur ein Symptom für die Schuldintensität der Einzeltat erblickt. – Kohlrausch hebt S. 32. nachdrücklich hervor, daß die Schuld ein Moment der Einzeltat sein muß; er sagt sogar, sie könne überhaupt sowohl als rechtliche, wie als ethische Schuld nur ein Moment der Einzeltat sein. Außerdem kennt er aber noch etwas Strafwürdiges, noch ein Objekt des Unwerturteiles, nämlich die soziale Gefährlichkeit des Täters, und es entsteht für ihn das Problem, diese beiden grundverschiedenen Dinge miteinander zu vereinigen. Demgegenüber ist zu beachten, daß das Problem, so wie es Kohlrausch stellt, für die dogmatische Untersuchung des Schuldbegriffes der lex lata garnicht existieren kann. Es liegt auf der Hand: wenn die soziale Gefährlichkeit das ist, was mit dem in der Strafe liegenden Vorwurf getroffen werden soll, dann ist sie für uns eben Schuld. Es ist zunächst eine bloße Behauptung, die Schuld ganz allgemein begriffsnotwendig als Moment eines isolierten Vorganges hinzustellen. Es ist nicht einzusehen, warum man nicht von einer Charakterschuld sprechen können, warum man nicht jemand seiner Gesinnung wegen einen Vorwurf machen soll. Viele namhafte Autoren tun das. M. E. Mayer hat das Wort geprägt „der Charakter belastet“, und v. List kennt eine Schulddefinition „Mangel an sozialer Gesinnung“. Wenn man 69 Tagantzeff
zitiert bei Gretener „Die neuen Horizonte“, S. 108.
§ 3. Schuld – ein einzelner Vorgang des Innenlebens45
also nachweist, daß, abgesehen von der Schuld als Moment der Einzeltat, das geltende Recht außerdem noch in einigen Fällen die soziale Gefährlichkeit unmittelbar treffen will (nicht bloß tatsächlich mittelbar trifft), so ist damit die soziale Gefährlichkeit als Schuld erwiesen, und man hätte zwei verschiedene Schuldbegriffe des geltenden Rechtes entdeckt. Die Antithese: Schuld – soziale Gefährlichkeit wäre unrichtig, weil auch die soziale Gefährlichkeit Schuld wäre. Somit ist zunächst die Methode von Kohlrausch für eine Untersuchung der formalen Struktur der positiven Strafschuld nicht verwertbar. Denn es ist eine große Willkür, einen a priori fertigen Schuldbegriff an das Strafrecht heranzubringen und von einer Bestrafung ohne Schuld zu sprechen, wenn man zu erkennen glaubt, es werde in manchen Fällen gestraft, wo es sich mit der vorgefaßten Auffassung von der Schuld nicht verträgt. Zweitens aber darf überhaupt nicht für das geltende Recht angenommen werden, daß die soziale Gefährlichkeit die Strafe begründe, noch daß sie die Schuld ausschließe. Heute würde Cesare Borgia sicher bestraft werden, und er wäre durch seine Verbrechernatur nicht entschuldigt, niemand nennte ihn schuldlos, wie Kohlrausch das konsequent tut. Auf der anderen Seite aber wäre er nicht schon wegen seiner verbrecherischen Anlagen allein strafbar. Für die Frage: liegt etwas vor, wofür das strafende Recht ihm einen Vorwurf macht, für die Frage also: ist er in Schuld? handelt es sich einzig und allein darum: hat er den Tatbestand eines Deliktes in bestimmter Weise erfüllt? An diesem einzelnen Ereignis erschöpft sich die Beurteilung des heutigen Strafrechts; das Urteil über den Charakter oder die soziale Gefährlichkeit, das implicite in dem Schuldigurteil enthalten sein mag, hat nichts mehr mit dem positiven Recht zu tun. An der einzelnen Handlung allein also wird der unmittelbare Gegenstand des Unwerturteiles und damit die Schuld im formalen Sinne zu finden sein. Das werden namentlich alle diejenigen Autoren anerkennen müssen, die Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten bezeichnen. Daß der Vorsatz keine Charaktereigenschaft ist, sondern sich nur auf ein einzelnes Tun oder Unterlassen bezieht, ist unbestreitbar. Deshalb hat M. E. Mayer, für den alle Schuld Charakterschuld ist, weil der „Charakter belastet“, den Vorsatz definiert als eine bestimmte Art der pflichtwidrigen Willensbetätigung, also als einzelnen Vorgang, nicht als Zustand; obwohl doch für ihn der Vorsatz eine Schuldart ist und er sich dieser Terminologie bewußt bleibt und aus ihr (z. B. Schuldhafte Handlung S. 145) wichtige Konsequenzen zieht. Dasselbe gilt von Hippel,70 der Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten, mit Egoismus und Leichtsinn, also Charaktereigenschaften, in Parallele stellt. Man könnte zur Entgegnung an die Strafzumessung erinnern, wo doch der Charakter auch in der heutigen Praxis der Gerichte wohl niemals unbe70 Die
Grenzen von V. und F. S. 140, ebenso R. v. D. III, S. 510.
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I. Die Definition der Strafschuld
achtet bleibt. Aber die Frage der Strafzumessung setzt eine bejahende Antwort auf die Frage nach der Schuld voraus. Für die vorliegende Erörterung lautet die Fragestellung: was ist rein formal, Schuld im Sinne des geltenden Strafrechts? nicht aber: welche Faktoren bestimmen das Maß der Strafe? Das „ganze Gerüst des besonderen Teiles aller Strafgesetzbücher“ (Merkel) zwingt einfach zu der hier vertretenen Schulddefinition, und die tatsächliche Berücksichtigung bei der Strafzumessung könnte die Formalstruktur dieses Begriffes der positiven Strafschuld nicht alterieren. Auf das Bedenken: wenn bei größerer sozialer Gefährlichkeit schärfer gestraft wird, so wird doch in der sozialen Gefährlichkeit etwas Vorwerfbares erblickt – könnte man erwidern: die betreffenden Eigenschaften des Charakters haben nur deklaratorische Bedeutung für die Schuldintensität des einzelnen Willensaktes, des einzelnen schuldbegründenden psychischen Vorganges, der das eigentliche Objekt des Unwerturteils bleibt.71 Auf jeden Fall ist die Strafzumessung der Ort, an dem der Gesetzgeber Erwägungen Einlaß gewährt, die dem materiellen Inhalte, den man dem Begriffe der Schuld gibt, entnommen sind, die aber nicht mehr zum positiven Rechte gehören. Für den Zweck dieser Arbeit – die Frage nach der Berechtigung der Terminologie, die Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten bezeichnet – genügt es aber, wenn feststeht, was Kohlrausch72 selbst so formuliert hat: die lex lata und die Praxis trafen die schlechte Tat, nicht den schlechten Menschen. Niemals also wird man für das positive Recht den Satz Thyréns (Abhandlungen II, S. 45) annehmen können: „eine mehr oder minder konstante Richtung des Verbrechers auf das Unrecht wird durch den Begriff des Verbrechens vorausgesetzt“. Tesars Theorie vom symptomatischen Verbrechensbegriff, wonach das Verbrechen nur ein Symptom des antisozialen Charakters ist und die Schuld in diesem besteht, berührt eine formale Schulddefinition des 71 Wie Mittermaier, S. 22 „Gewiß mag man oft genug – und mit Recht! – früher wie heute auch die allgemeine Gesinnung des Täters beachtet haben und noch beachten, immer benutzt sie doch der Richter nur, um die Schwere der Schuld eben dieses Falles zu erhärten“. Er verweist auf Merkel, Lehrb. S. 259 und Liepmann, Einl. S. 129. Auch die Ausführungen Kohlers, Gedanken über die Ziele des heutigen Strafrechts S. 5 / 6 und die Begründung des Vorentwurfes, I. S. 331 f., bes. S. 341 gehören hierhin. 72 Aschaffenburgs Monatsschrift, Bd. I, S. 22. Es ist interessant, daß dieser Unterschied schon sehr deutlich gemacht wird von Rοßhirt, N. Arch. des Kriminalrechts, 1823, S. 498, der die Beurteilung des Charakters als die moralische und die Beurteilung der einzelnen Tat als die juristische gegenüberstellt. Naturgemäß tritt die Betonung der Schuld als Moment der Einzeltat besonders im Kampf der beiden Strafrechtsschulen hervor. Z. B. Birkmeyer, Z. 17, S. 125, Studien über den Grundsatz der modernen „nicht die Tat, sondern der Täter ist zu bestrafen“, Κοhler, Gedanken über die Ziele des heutigen Strafrechts, S. 5 f. Doch muß wiederholt werden, daß alle kriminalpolitischen Erwägungen diese Arbeit nichts angehen, ebensowenig wie die metagesetzliche Frage, was letzten Endes mit der Strafe getroffen werden soll.
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positiven Rechtes nicht. Tesar begründet seine Ansicht dadurch, daß er der entgegengesetzten sogen. realistischen Auffassung des Verbrechens in jeder der drei Perioden ihrer Vorherrschaft (Glossatoren, Aufklärungszeit, Merkel) einen Konstruktionsfehler und einen fundamentalen Irrtum nachweist. Kollmann, Ζ. 28, S. 449 f. spricht Tesars Ansicht noch schärfer aus, verwirft aber dessen negativen und historischen Beweis und versucht einen allgemein gültigen, der das realistische System als a priori falsch erweist: es baut auf dem Begriff der Handlung auf und setzt Verursachung voraus. Davon kann bei Unterlassungen keine Rede sein; also ist die ganze Konstruktion unmöglich. Ferner kann eine Tat keine Schuld haben, sondern nur der Täter; der realistische Verbrechensbegriff muß notgedrungen an die Handlung unmögliche Prädikate anlegen, weil nicht die Handlung strafbar oder schuldhaft ist, sondern der Handelnde. Kollmann sucht dann positiv den symptomatischen Verbrechensbegriff zu begründen, indem er erklärt, alle jene Bedenken wegen der Unterlassung und der Falschprädikatisierung fielen weg bei der Auffassung des Verbrechens als Symptom für den antisozialen Charakter. – Die Bedeutung der Ausführungen Τesars und Kollmanns auch für das geltende Strafrecht darf nicht unterschätzt werden, namentlich der Hinweis Kollmanns auf die Folgerungen, die sich für die Frage der Strafschuld ergeben, wenn man die Kausalität der Unterlassung nicht mehr anerkennt; er ist daher für das vorliegende Thema zu verwerten: Und zwar entsteht das Problem, einmal die Tatsache, daß Schuld ein einzelner Vorgang, nicht der antisoziale Charakter ist, und gleichzeitig die Tatsache, daß auch bei der Unterlassung, namentlich bei der unbewußt fahrlässigen Unterlassung Schuld angenommen werden muß, zu beachten, und einen Schuldbegriff zu konstruieren, der beides miteinander in Einklang bringt. Aber weder Tesar noch Kollmann setzen deutlich auseinander, ob sie ihre Auffassung von der Schuld als Charakteranlage auch für die Schuld des geltenden Strafrechtes im formalen Sinne aufrecht halten wollen. Es dürfte aus den angegebenen Gründen unmöglich sein. Dennoch aber muß der Determinist, was jene für den Charakter symptomatische Bedeutung des Verbrechens angeht, auch heute in gewissem Sinne ein Zugeständnis machen. Er muß es als ein Stehenbleiben auf halbem Wege bezeichnen, daß einmal die Verantwortlichmachung des Menschen nicht mehr ausschließlich abhängt von der Herbeiführung eines Erfolges, auf der anderen Seite aber nicht bis zum Charakter des Täters zurückgegangen wird, obwohl doch aus dem Charakter alle Taten des Menschen entspringen. Die Verantwortlichmachung für den gefährlichen Charakter oder für moralisch minderwertige Charaktereigenschaften wird dem Deterministen als die ideale und weitschauendste Methode der Schuldberechnung erscheinen. Doch muß, ohne daß ein Schluß auf die Stellung des Strafgesetzbuches zum Streit um die Willensfreiheit damit angedeutet sein sollte,
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I. Die Definition der Strafschuld
diese Konsequenz des Determinismus: Schuld ist Charakterschuld, für das geltende Recht abgelehnt werden, wenigstens solange es sich um Schuld im formalen Sinne handelt. Der Determinismus braucht deshalb noch nicht mit dem geltenden Strafgesetzbuch unvereinbar zu sein. Welche Gründe den Gesetzgeber abgehalten haben, jene Konsequenz zu ziehen, ist gleichgültig; denn auch für den Determinismus ist der Standpunkt des Gesetzes kein unrichtiger oder unlogischer, sondern das Gesetz hat bloß, vielleicht aus sehr wichtigen praktischen Gründen, seine Methode nicht bis in ihre letzte theoretische Konsequenz verfolgt. Das oben erwähnte Argument, daß die Verfasser des Gesetzes Indeterministen gewesen sind und das Strafgesetzbuch entsprechend angelegt haben, steht damit nicht in Widerspruch. Vielmehr ist für den Kampf um Determinismus und Indeterminismus zunächst überhaupt keine Antwort aus dem positiven Rechte zu entnehmen. Von diesem verlangen, daß es das Problem der Willensfreiheit entscheide, wäre Torheit; noch mehr aber, einzelne Wendungen des Gesetzes, etwa den § 51 und die Worte „freie Willensbestimmung“ herbeizuziehen, um damit die schwierigsten philosophischen Fragen bequem zu erledigen.73 Die Begründung des neuen Vorentwurfes spricht sich Bd. I, S. 225 sehr klar darüber aus: „die Erörterung, ob der Mensch Willensfreiheit besitze und ob die deterministische oder indeterministische Anschauung richtig ist, gehört nicht in das Gebiet des Strafrechts, sondern in das der Philosophie und Psychologie; der Ausdruck „freie Willensbestimmung“ ist nicht im metaphysischen Sinne des gewöhnlichen Lebens zu verstehen“. Für den Kriminalpolitiker bleibt freilich das Problem trotz jener Worte der Begründung ein fundamentales, aus dem sich je nach der Entscheidung für die Anlage und den Aufbau des ganzen Strafrechts grundverschiedene Folgerungen ergeben; für den Dogmatiker des vorliegenden Rechts dagegen ist die Angelegenheit eine fremde. Er muß die Tatsache hinnehmen, daß nun einmal unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorwurf gemacht wird; er hat sich vor allem hier davor zu hüten, positives Recht und kriminalpolitische Forderungen zu vermengen und nach v. Bars treffendem Ausspruche, aus den Worten zu deduzieren, was er aus anderen Gründen für richtig hält. Was rein formal den Schuldbegriff des geltenden Rechtes angeht, so bleibt er von dem Streit um die Willensfreiheit genau in derselben Weise und in demselben Grade unberührt, wie das geltende Strafrecht selbst. Aber dem Schuldbegriff eine Entscheidung entnehmen zu wollen, wäre einmal eine offensichtliche petitio principii,74 und sodann hieße es, von Strafschuld zu reden, ohne das gelten73 Wie hier auch M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 70, Anm. v. Bar, Gesetz und Schuld, II S. 17, auch v. Liszt, Lehrb. S. 168 (dagegen Z. 17, S. 72), van Calker, Reform der Gesetzgebung 1910, S. 22. 74 Namentlich indeterministischen Behauptungen gegenüber mag an den schlagenden Ausspruch von Hertz, Unrecht, S. 120, erinnert werden: „nicht der Schuld-
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de Strafrecht eines Blickes zu würdigen und den Schuldbegriff als Hintertür zu benutzen, um persönlichen Überzeugungen des Autors Gesetzeskraft zu verleihen. Es wäre ein Verzicht auf die Definition der Schuld des positiven Rechtes, die notwendig ist, um festzustellen, ob Vorsatz und Fahrlässigkeit nach geltendem Rechte Schuldarten sind. Der Begriff der Strafschuld der lex lata hat es also mit einem operari, nicht mit einem esse zu tun. Dabei bleiben trotzdem die Ausführungen Merkels, van Calkers, Liepmanns, M. E. Mayers und Dohnas75 bestehen. Man kann sich mit dem geltenden Strafrecht beschäftigen, ohne seinen Determinismus aufgeben zu müssen, und die eben zitierten Gelehrten haben auch die Verträglichkeit des Vergeltungsgedankens mit dem Determinismus nachgewiesen.76 Der Determinismus kann eine Charakterschuld anerkennen; wenn nun auch die lex lata nur die einzelne Tat berücksichtigt, so wird doch tatsächlich für den Charakter verantwortlich gemacht, denn operari sequitur esse. Es ist bemerkenswert, daß gerade Binding (Normen II, S. 9) den Satz ausgesprochen hat: „deshalb wird nicht das Verbrechen bestraft, sondern der Verbrecher: unsere Taten sind nur der Schlüssel zu unserm Wesen.“ Diese Verantwortlichmachung für den Charakter, die Vergeltung für den Charakter, bedarf keiner juristischen Begründung; sie ist eine Tatsache, die jeder Mensch täglich am eigenen Leibe erfährt. Und auch die besondere Art der Verantwortlichmachung, wie sie in dem Schuldurteil liegt, ist eine Haftbarmachung für den Charakter. Wenn nun v. Liszt und ihm sich anschließend Gretener77 angesichts dessen von einer rohen und törichten Barbarei sprechen will, so trifft dieser Vorwurf die unabänderlichen Tatsachen, nicht diejenigen, die sie konstatieren. Die Resultate jener Autoren sind mit einem solchen Ausruf nicht widerlegt. Nur muß auch ihnen gegenüber daran festgehalten werden, daß, wenn auch mit dem Schuldurteil der Charakter für seine Minderwertigkeit verantwortlich gemacht wird, wenn also auch hier eigentlich und im Grunde jede Schuld Charakterschuld ist, dennoch nicht durch jede Subsumtion einer Tat unter ein Strafgesetz der Charakter in derselben Weise für minderwertig erklärt wird. Namentlich gilt das auch für die unbewußte Fahrlässigkeit; auch hier hat man die Schuld im formalen Sinne als Moment einer Einzeltat zu betrachten. Freilich zeigt sich gerade hier am deutlichsten, daß die begriff postuliert die Willensfreiheit, sondern ohne sie fällt nur diejenige spezielle Ansicht über ihn, welche die absoluten Strafrechtstheoretiker festhalten müssen“. 75 Merkel, Z. 1. S. 560, van Calker, Strafrecht und Ethik, S. 22, Liepmann, Einl. S. 8 f., M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 185 f., Dohna, Aschaffenburgs Monatshefte, III S. 513 f. Vgl. auch Steinitz, Über den Verantwortlichkeitsgedanken im 19. Jahrhundert, Zeitschr. f. pädagog. Psychologie III, S. 363 f. 76 Daß namentlich auch die Rückfallsstrafe dem Vergeltungsgedanken nicht widerspricht, darüber vgl. z. B. van Calker a. a. O. gegen v. Liszt, Aufs. II, 311, 389. Ebenso Kohler, Gedanken über die Ziele des heutigen Strafrechts, S. 5 f. 77 v. Liszt, Ζ. 18, S. 261, Gretener, Neue Horizonte, S. 12.
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I. Die Definition der Strafschuld
Haftbarmachung für den einzelnen Vorgang des Innenlebens in Wirklichkeit den Charakter faßt. Deshalb spricht v. Bar (der Indeterminist ist) hier von der Verantwortlichmachung wegen „mangelhafter Bildung des Charakters“, von einer Charakterstrafe (Gesetz und Schuld, II. S. 443 f.), wobei allerdings nur dann gestraft werde, wenn es zu einem Schaden gekommen sei. Aber dem gegenüber hat Hippel78 (der Determinist ist) geltend gemacht: „bestraft wird die Unvorsichtigkeit … Unvorsichtigkeit kann zwar ständige Eigenschaft eines Menschen sein, also dessen Charakter kennzeichnen; es ist das aber keineswegs notwendig“. All diesem hat eine Definition der Strafschuld des geltenden Rechtes Rechnung zu tragen. Das geltende Recht knüpft ausgesprochenermaßen an ein einzelnes Geschehen an; es stellt nicht Charaktertabellen auf, sondern formt Tatbestände; es hat Verbrechenstypen, keine Verbrechertypen. Als ein einzelner Vorgang ist daher die Schuld im formalen Sinne zu definieren, und diese Definition der Schuld des positiven Rechtes muß nur bedacht sein, was den materiellen Inhalt dieses Begriffes angeht, alle die Deutungen zuzulassen, die das geltende Strafrecht zuläßt. – Die obigen Ausführungen dienten in der Hauptsache zur Klärung des Themas. Es mußte sowohl Deterministen wie Indeterministen gegenüber betont werden, daß ihr Streit, der gerade um das Wort „Schuld“ am heftigsten wütet, für das Thema dieser Abhandlung deshalb keine Bedeutung hat, weil es nun einmal eine Tatsache ist, daß das geltende Strafrecht für etwas Bestimmtes einen Vorwurf macht; und das Objekt dieses Unwerturteiles nennen wir eben die Schuld.79 Da nun aber mit hinreichender Sicherheit für das geltende Strafrecht feststeht: der Vorwurf wird zunächst für ein einzelnes Geschehen gemacht, so ist die formale Struktur des Schuldbegriffes des geltenden Strafrechtes entschieden. Von Schulddefinitionen, die den eben erörterten Gedanken hervorheben, sind vor allem diejenigen zu nennen, welche von einer verbrecherischen oder einer fehlerhaften Willensbestimmung reden.80 78 Hippel, R. v. D. III, S. 567, Anm. 5. Gegen v. Bar erklärt sich in dieser Frage auch Mittermaier, Strafrechtsschuld, S. 24. Die Antwort, die v. Bar G. S. 74, S. 284 f. Hippel gegeben hat, beweist zunächst nur, daß mit der Bestrafung der Fahrlässigkeit letzten Endes immer der Charakter betroffen wird. 79 Binding, Grundriß (7. Aufl.) S. XII. „Angesichts des geltenden Rechtes gilt es gleich, ob die Verantwortlichkeit für die schuldhafte Tat aus deterministischen oder indeterministischen Anschauungen erklärt wird.“ Vgl. auch v. Liszt, Lehrb. S. 82, Hippel, Z. 23, S. 401, Goldschmidt, G. A. 51, S. 547. 80 Dahin gehören Luden, Abb. II, S. 101, 500. Er spricht von „verbrecherischer Willensbestimmung“. Ebenso Wilda, Germ. Strafrecht, S. 313, 641. Janka, Grundlagen, S. 51, 52 „der aktuelle Konflikt des in der Handlung hervortretenden Willens mit dem in der Norm liegenden Imperative“. Birkmeyer, Enzykl. S. 1054, Studien S. 86: „fehlerhafte Willensbestimmung“. Wachenfeld, in Kohlers Enzykl. II, S. 263, spricht von „innerer Handlung“. Dahin gehört auch Bekkers mehrfach zitierter Aus-
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§ 4. Schuld – die den Zwecken des Rechtes nicht entsprechende Zwecksetzung Mit dem Resultate des vorigen Abschnitts ist die nächste Frage gewonnen: welche unter den psychischen Erscheinungen ist für das geltende Recht als das Objekt des Unwerturteiles zu bezeichnen? Daß es sich nur um einen Willensakt handeln kann, wurde schon erwähnt. Es ergibt sich das sofort aus der imperativischen Natur der für die Schuldfrage in Betracht kommenden Rechtssätze. Dem Strafgesetz liegt eine Norm zu Grunde. Man wird nun die Streitfrage, ob jede Rechtsnorm einen Imperativ enthält, – was man im Hinblick auf die sogen. erlaubenden Rechtssätze oder auf scheinbare Ausnahmebestimmungen bezweifeln möchte – hier übergehen können. Soweit Ausnahmen von allgemein aufgestellten Befehlen in Betracht kommen könnten, sind in ihnen nur Einschränkungen der Imperative zu erblicken, Notbehelfe gegen die rein technische Schwierigkeit, daß der Gesetzgeber nicht das ganze Gebot oder Verbot mit einem Satze aussprechen kann. Wenn ein Strafgesetz einen Zweck haben soll, dann kann es nur der sein, den Adressaten der ihm zu Grunde liegenden Norm – nur dieser, nicht etwa das Staatsorgan steht in Frage – zu einem vom Gesetzgeber gewollten Verhalten zu veranlassen. Wenn demnach das Strafgesetzbuch nur ein „Codex von Motiven“ ist, so ist damit auch der imperativische Charakter desjenigen Teiles des Strafrechts erwiesen, den eine Untersuchung der Strafschuld allein zu berücksichtigen hat.81 druck „geistige Bewegung“ (Theorie S. 240) (vgl. endlich auch die Ausführungen von W. Mittermaier, Strafrechtsschuld, S. 21 f.), Basedow, Die strafrechtliche Verschuldung, ein Willensvorgang. 81 Bindings für das Recht überhaupt geltende Bedenken gegen Thon und Bierling (Normen I, 2. Aufl., S. 101 f. und Krit. Vierteljahrsschr. XXI, S. 547) berühren unsere Behauptung deshalb nicht. Wenn Binding nur einen Teil der Rechtsvorschriften als Normen bezeichnen will, so sind es doch nur diese wirklichen Normen, die auch nach Binding (z. B. Normen I, S. 99 / 101 und 243 / 44) die Gehorsamspflicht begründen und damit erst den Ungehorsam und die Schuld im Sinne Bindings möglich machen. Die Sätze des Strafrechts, bei denen eine ernstliche Meinungsverschiedenheit bezüglich ihres imperativischen Charakters bestehen kann, z. B. die Frage, ob die Zurücknahme der Norm selbst wieder eine Norm ist, sind für die Untersuchung des Schuldbegriffs der lex lata gleichgültig. Daß Merkel, Krim. Ahh. II, S. 583, daran erinnert, jeder Satz verpflichte nicht nur, sondern berechtige auch, ebenfalls. Der Einwand gegen die Imperativentheorie, der sich auf das Bestehen eines Gewohnheitsrechtes gründet, da dieses nicht als auferlegter Wille betrachtet werden könne – so Βergbοhm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, S. 94, und Eltzbacher, Handlungsfähigkeit, S. 40, vgl. auch schon Binding, Normen I, S. 103, Anm. 5 – wird von Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit, S, 106, damit widerlegt, daß er geltend macht „ob das geltende wirkende Recht seinen Ursprung im Gesetz oder in der
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Es stehen sich also der Staat und der Delinquent gegenüber: das Tun dieses entspricht nicht den Anforderungen, die jener stellt. Der Verantwortlichmachende nimmt durch das Schuldurteil eine Bewertung vor. Solange nur er, nicht auch das Objekt seiner Bewertung in Frage steht, kann man sogar von der imperativischen Natur der Rechtssätze absehen und mit Zitelmann annehmen, daß in jeder Rechtsnorm nur ein Urteil enthalten sei.82 Denn das könnte nicht die Argumentation beinflussen, die als die entscheidende einer Untersuchung über den Schuldbegriff angesehen werden muß: es ist davon auszugehen, daß das Recht etwas bewertet, mag also die Norm einen Imperativ oder ein Urteil enthalten, mit beiden ist die Bewertung gegeben. Es handelt sich auf jeden Fall, nach Windelbands Ausdruck, um eine Norm im qualitativ-teleologischen Sinne. Eine Bewertung wird aber erst dadurch möglich, daß das verantwortlichmachende Recht bestimmte Zwecke verfolgt; die Zweckbetrachtung ist wesentlich für die Bewertung, weil nur sie den Maßstab, an dem gemessen werden soll, zu liefern imstande ist.83 „Indem ein jedes Urteil darüber, was sein soll, von dem Gedanken eines zu verwirklichenden Zweckes, eines zu erreichenden Zieles ausgeht, urteilt, bewertet es die Erscheinung der Außenwelt nach ihrem Verhältnis zu diesem Zwecke“ (van Calker). Die dem Strafgesetze zu Grunde liegende Rechtsnorm indiziert die Zwecke des Gesetzgebers in genügender Weise. Wessen Zwecke inhaltlich für den im Gesetze zu Worte kommenden Willen bestimmend sind, ob der berechnende Egoismus der sozialherrschenden Klasse, oder die moralischen Wertanschauungen der Zeit oder des Volkes, oder die Sittlichkeit, wie sie Κöstlin, Bekker, Hälschner verstehen, ob der Zweck ein durchaus relativer ist, oder ein absoluter – alles das liegt jenseits unserer Aufgabe. Ebenso wie Stammlers oder van Calkers Untersuchungen darüber, was für den Gesetzgeber maßgebend sein soll und die Möglichkeit Gewohnheit hat, ist für eine psychologische Struktur gleichgültig“. Auch ist zweifelhaft, ob es im Strafrecht überhaupt ein Gewohnheitsrecht geben kann. Dafür ist allerdings Binding, Handbuch I, S. 210 und die dort zitierte Literatur, vgl. auch zur Begründung der Straflosigkeit ärztlicher Eingriffe Oppenheim, Das ärztliche Recht zu körperlichen Eingriffen an Kranken und Gesunden, S. 18 f. Dagegen v. Liszt S. 87 / 88 (mit Literaturangaben) und A. Sturm, Gewohnheitsrecht, S. 132 f. Den imperativischen Charakter der Norm heben außer Binding hervor Merkel II, 581, Janka, Grundlagen, S. 51, Hälschner, System des deutschen Strafrechts, I, S. 18. Im übrigen findet sich die Literatur bei H. von Ferneck, Rechtsw. I, § 10. 82 Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 221. Gegen ihn besonders lebhaft Heinemann, Die Bindingsche Schuldlehre, S. 39 f. und Thοn, „Der Normenadressat“, Iherings Jahrb. 50, S. 4; vgl. aber auch Liepmann, Einl. S. 134 „zwar kann und soll eine Strafdrohung abschrecken und somit einen Einfluß auf den Willen des Handelnden ausüben, aber sie ist ihrem Wesen nach die Sanktion eines schon bestehenden Urteiles“. Löning, Grdr. S. VI. 83 Ihering, Zweck im Recht I, S. 426 f.
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eines allgemein gültigen Prinzips.84 Hier braucht nur rein formal festzustehen, daß der Staat – für uns der alleinige Gesetzgeber – in den Normen, die aus dem positiven Strafrecht entnommen werden können, seine Zwecke mit hinreichender Deutlichkeit ausspricht. Diese Zweckbetrachtung begründet das Schuldurteil, gestaltet es und bedingt es schlechthin. Die Schuld war, der Nominaldefinition des Wortes gemäß, als das Objekt des Unwerturteils bezeichnet worden. Damit ist im Anschluß an die obige Ausführung die Fragestellung gewonnen: was wird an den Zwecken des Staates gemessen? Und bisher ergab sich als Antwort: ein menschliches Verhalten, ein innersubjektiver Vorgang. Die weitere endgültige Antwort auf die Frage: was ist Schuld im formalen Sinne? folgt daraus, daß alle Schuld, wie wohl allgemein anerkannt, Willensschuld ist; sodaß sich als unbestreitbare Schulddefinition ergibt: Schuld im Rechtssinne ist (rechtlich) böser Wille. Die von der großen Mehrheit der Autoren angenommene Ansicht, daß alle Schuld Willensschuld sei,85 ist allerdings von einigen in Zweifel 84 Hierhin gehört auch der Aufsatz von Ο. Kraus in der Schweizerischen Z. f. Stfr., Bd. X, S. 290 f. 85 Ausdrücklich wird das z. B. hervorgehoben: Klein, Annalen, XXII (1794), S. 186, Grunds., S. 91; Luden, II, S. 102 f., 500 f. („verbrecherische Willensbestimmung“); Wilda, Germ. Strafr., S. 146 f., 544 (der widerrechtliche Wille bestimmt den Begriff des Verbrechens); Köstlin, Ν. Rev. z. B. S. 61 (die „aus dem Wesen des Willens abgeleitete Möglichkeit des Guten und Bösen“); Bekker, Theorie, S. 251 f.; Wahlberg, Aufs., S. 35 (alle Schuld ist „rechtswidriger Wille“); Geyer, Krit. Vierteljahrsschr., XIX, S. 444 („die Strafwürdigkeit beruht auf einer Willensschuld); Binding, Normen II, S. 102 („Schuld ist der Wille eines Handlungsfähigen als Ursache einer Rechtsfähigkeit); Merkel, Lehrbuch, S. 72 („der Begriff der Schuld bezieht sich auf das handelnde, nicht auf das vorstellende Subjekt als solches“); Thon, S. 78; Hertz, Unrecht, S 153 (jede Schuld verlangt einen rechtswidrigen Willen); Heinemann, S. 22 (die Rechtsverletzung liegt in dem „bösen Willen des Täters“); Lukas, Subjektive Verschuldung, S. 2; Βruck, Fahrl., S. 1; Janka, Grundlage, S. 23, 52 (Schuld ist „Konflikt des individuellen Willens mit dem Rechtswillen“); Frank, Z. 10, S. 161 („die Bestrafung des bloßen Gedankens war eine Verirrung“); Ihering, II, S. 65; Basedow, Subjektive Verschuldung („die strafrechtliche Verschuldung, ein Willensvorgang“); Βirkmeyer, Enzykl., S. 1054, Studien, S. 86 f., G.S. 67, S. 406: „die Vergeltungsstrafe richtet sich gegen den bösen Willen des Verbrechers“; M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 35 („gut und böse, verdienstvoll und schuldhaft sind Prädikate, die einen Sinn haben nur in Beziehung auf einen Willen“; Beling, Grundzüge, 3. Aufl., S. 30, Verbrechen, S. 46 („die Vorstellungen als solche entbehren jedes Schuldcharakters“); Liepmann, Einl., S. 130 („jedes Sollen stellt eine von einem Willen ausgehende und sich an einen Willen wendende Forderung dar“); Dohna (z. B. Z. 27, S. 348: „alle Schuld ist Willensschuld“); Finger, Lehrb., S. 233; Lipps, Aschaffenburgs Monatsschr. III, S. 286 (die Handlung, für die gestraft wird, muß in sich böse sein, d. h. aus einem bösen Willen entspringen); v. Bar, Gesetz und Schuld, II, S. 274, 296 („allgemein anerkannt ist, daß das Strafrecht sich gegen den strafbaren Willen der Person richtet“); Grundlagen, S. 88 („wesentlich eine Reaktion gegen den rechtswidrigen Willen“). Rümelin, Verschulden, S. 33. Entscheidend ist
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I. Die Definition der Strafschuld
gezogen worden. Und zwar berufen sich diese ausnahmslos auf die Bestrafung der Fahrlässigkeit, der allerdings ein Verstandesirrtum zu Grunde zu liegen scheint. Da aber dieses Argument voraussetzt, daß die Fahrlässigkeit wirklich eine Schuldart ist, und auch hier die Voraussetzungslosigkeit bezüglich dieser Terminologie beibehalten werden muß, so fällt dieses Argument außer Betracht. Andere Argumente sind aber noch nicht vorgebracht, und es dürften sich der herrschenden Auffassung somit gewichtige Gründe nicht entgegensetzen lassen. Es ist Beling, der betont hat, daß es sich bei der Schuld darum handelt, dem Willen ein Attribut zu erteilen und der deshalb die Schuld als Eigenschaft des Willens definiert. Wie weit dieser Definition zugestimmt werden kann, wurde im vorigen Abschnitt erörtert. Der Einwand aber, den Mittermaier (Strafrechtsschuld S. 35) gegen Beling vorbringt, indem er die Schuld eine Beziehung des Willens nennt, leidet an der schon mehrmals zurückgewiesenen Deduktion aus dem Satze: Vorsatz und Fahrlässigkeit, sind Schuldarten. Weil Mittermaier das für selbstverständlich hält und weil er die Schwierigkeit von Radbruchs Resultat einer rein psychologischen Schulddefinition dadurch vermieden zu haben glaubt, daß er den Vorsatz im Sinne des Strafrechts für rechtswidrigen Vorsatz erklärt – ein Ausweg, aber kein Beweis –, so kommt er zu dem Schluß: Schuld ist nicht Attribut, sondern eine Beziehung des Willens. Aber auch Mittermaier sieht, wie wir, die Schuld in dem Objekt des Unwerturteils (S. 31). Das mußte er deshalb suchen, unabhängig von der herrschenden Bezeichnung des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit als Schuldarten. Über das Verhältnis von Schuld und Beziehung des Willens zu einem rechtswidrigen Erfolge (als dem Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit) ist im zweiten Teile der Arbeit zu sprechen. Hier erhebt sich zunächst die Forderung einer genaueren Präzisierung dessen, was mit böser Wille gemeint ist, damit die Definition nicht dem Vorwurf ausgesetzt ist, der mit Recht von Frank und Thyrén vor über zehn Jahren, von Sigwart (Über den Begriff des Wollens, S. 3) sogar schon vor über dreißig Jahren allen denen gemacht wurde, die das Wort Wille gebrauchen, ohne zu sagen, was sie darunter verstehen; ein Vorwurf, der seitdem nichts an Bedeutung verloren hat. Das Objekt der Bewertung bei der Schuldfrage ist das Verhalten eines zurechnungsfähigen Menschen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle hat man darunter das Handeln eines Menschen zu verstehen, wozu man der Satz Stammlers (Lehre von dem richtigen Rechte, S. 69): „Die Handlung selbst, als äußere Erscheinung, unterliegt der Naturbetrachtung und fällt unter das Kausalitätsgesetz. Das Wollen, als eine grundsätzlich eigene Richtung des Bewußtseins, untersteht der Gesetzmäßigkeit des Telos“.
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auch die bewußte, mit einem Willensimpuls verbundene Unterlassung rechnen muß. Ob das bewußte und absichtliche Unterlassen nun freilich als solches kausal für einen Erfolg sein kann, ist eine andere Angelegenheit, die aber die Schuld nicht betrifft. Für die Handlung also sei zunächst die Schuldformel aufgestellt, und es muß dann später nachgesehen werden, ob sie auch für die unbewußte Unterlassung paßt; denn die wenigstens vorläufige Trennung von Handlung und Unterlassung ist seit Radbruchs und Dohnas Untersuchungen86 wohl erforderlich geworden. Schuld ist böser Wille; Handlung ist Willensbetätigung; also schuldhafte Handlung Betätigung eines bösen Willens. Das Handeln des Menschen kann als Willensbetätigung nur durch das Wollen charakterisiert werden, das Wollen nur durch den Zweck. Mit Rücksicht darauf, daß die in dem Schuldurteil liegende Bewertung von den Zwecken des Staates ausgeht, und da auch das Objekt der Beurteilung, die menschliche Willensbetätigung, immer durch Zwecke charakterisiert werden kann, so ist es gleich nahe gelegt, den Zweck als konstruktives Element für den Schuldbegriff zu verwenden. Folgende zwingende Erwägung führt dazu: wenn alle Schuld Willensschuld ist, und wenn der Begriff Schuld begriffsnotwendig auf ein Unwerturteil Bezug nimmt, dann ist Schuld eben negativ bewerteter Wille. Wer aber will, „der will etwas, was er vorstellt, und dies nennen wir Zweck“.87 Der Wille, um dessen Qualifizierung es sich bei der Schuldfrage handelt, wird also nur durch die Zwecke des Handelnden qualifiziert. Diese Qualifikation ist immer möglich, weil jede bewußte Handlung – und nur bewußte Handlungen kommen für das Strafrecht in Betracht – einen Zweck hat. „Jedes geistig gesunde menschliche Wesen setzt sich bewußtermaßen Zwecke seines Wollens und Handelns.“88 Warum hier nur von Zwecken, nicht von Motiven gesprochen ist, wird sich im Verlauf der folgenden Erörterung ergeben. Zuvor soll, der Gesinnung der Arbeit entsprechend, daran erinnert werden, daß das Motiv, was seine Verwendung in der Schuldlehre angeht, sich einer steigenden Beachtung erfreut. Nach der Terminologie einer Reihe von Gelehrten stehen aber Zweck und Motiv gleich. Kuhlenbeck (S. 54) behauptet, was subjektiv Motiv heiße, werde objektiv Zweck genannt, und M. E. Mayer (Schuldhafte Handlung, S. 59) bezeichnet den Zweck als das in die Außenwelt projizierte Hauptmotiv. Die Ansichten und Resultate dieser Gelehrten können also wenigstens für das ganze Unternehmen, den Schuldbegriff in der hier vorgeschlagenen Weise zu konstruieren, angeführt werden, um dem landläufigen Einwand zu begegnen: nur die 86 Radbruch,
Handlungsbegriff, S. 131 f., Dohna, Z. 27, S. 329 f., bes. S. 331. Über den Begriff des Wollens, S. 18. 88 van Calker, Politik als Wissenschaft, S. 14, auch Ihering, Zweck im Recht, I. Bd., Kap. I. 87 Sigwart,
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I. Die Definition der Strafschuld
Ethik, nicht das Strafrecht kümmert sich um den Zweck oder das Motiv des Täters. Wegen der engen Berührung mit der hier vorgeschlagenen Formulierung sei der Satz van Calkers R. v. D. III, S. 185 zitiert: „Die Beurteilung des Willensinhaltes muß in erster Linie den jeweiligen Zweck, auf dessen Erreichung der Wille gerichtet ist, zum Objekt nehmen“. Ethische Werte S. 25 erblickt van Calker in der falschen Zwecksetzung den wesentlichen Faktor der Schuld. – Jedoch soll hier der Zweck nicht nur in erster Linie, sondern ausschließlich für die Schuldfrage (nicht für die Frage nach Absicht, Vorsatz oder Fahrlässigkeit) für maßgebend erklärt werden. Von anderen Autoren sind in diesem Zusammenhange außer den schon erwähnten zu nennen: Liepmann, Kraus, Thomsen, Dohna und Miricka.89 Auch darf nicht unerwähnt bleiben, daß schon v. Bar in seinen Grundlagen des Strafrechts S. 61 die Bedeutung des Motives für das Strafrecht hervorhebt, ihm sogar Schuld konstituierende Wirkung beilegt, und ein Beispiel bildet, das zwar nicht ohne weiteres anerkannt sein soll, das aber für das folgende sehr wichtig ist; er sagt: „die Tötung eines Menschen aus Haß, Gewinnsucht und einer Unzahl anderer Motive ist unsittlich und eines der schwersten Verbrechen; die Tötung aus Notwehr, d. h. zur Verteidigung des eigenen Rechtes, ist erlaubt: nur das Motiv ist hier für das Strafrecht das unterscheidende Merkmal“. – Den Begriff des Motives hat dann van Calker wieder verwertet und in die Diskussion eingeführt.90 Das Individuum soll das wollen, was der strafende Staat will; d. h. wenn in einer konkreten Situation das Recht einen äußeren Erfolg herbeigeführt oder vermieden wissen will, dann soll die Vorstellung vom Eintritt oder Nichteintritt dieses Erfolges das Objekt sein, auf dessen Verwirklichung der Täter sein Tun oder Unterlassen einrichtet. Ist das nicht der Fall, dann liegt Schuld vor. Die vom Rechte gewünschte Vorstellung wird also als Maßstab benutzt, an dem die wirklich vorhandene Vorstellung, und damit der Willensakt und die Willensbetätigung, gemessen wird. Welcher Art nun – vom verantwortlichmachenden Rechte aus gesehen – die zu verwirklichende Vorstellung ist, in deren Richtung der Täter eine Körperbewegung bezw. Körperruhe eintreten läßt, das allein kann die Handlung des Täters und die Willensbetätigung charakterisieren und demgemäß allein veranlassen, daß man seinen Willen als einen bösen bezeichnet. In Frage steht also, nach der Terminologie Thomsens (S. 159), die Pertinenzvorstellung, d. h. die Vorstellung des Gewollten, im Gegensatz zu der Erre89 Liepmann, Einl. S. 115 ff. (die Zurechnung zur Schuld müsse sich nach der Qualität der Motive abstufen). Kraus, Z. 17, S. 172. Dohna, G.S. 65, S. 311. Τhοmsen, Untersuchungen über das Verbrechensmotiv. Miricka, Die Formen der Strafschuld, S. 52–55, S. 106 ff. 90 Siehe v. Liszt, Aufs. II, S. 176, Anm.
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gungsvorstellung, welche z. B. als Erinnerung oder als unausführbar Zukünftiges den Willen bloß erregt, nicht aber ihrem Inhalte nach selbst erstrebt wird. Da eine solche Pertinenzvorstellung bei jeder bewußten Handlung oder vorsätzlichen Unterlassung vorliegt, so versagt, wenigstens soweit es sich um solche handelt, dies Kriterium der Charakterisierung nie. Die Vorstellung, welche die Willensbetätigung qualifiziert, kann die Elemente, die das Strafrecht zu einem verpönten Erfolge zusammenfaßt, mit umfassen; – der Täter handelt z. B. in Richtung auf die Verwirklichung der Vorstellung vom Tode eines Menschen. In solchen Fällen ist es ohne weiteres klar, daß der durch eine solche den Zwecken des Rechtes genau entgegengesetzte Zwecksetzung charakterisierte Innervationsakt rechtlich böse, der Wille des Täters schuldhaft genannt werden muß. Nun wird man aber gleich einwenden, daß die Tötung nicht der Zweck des Täters zu sein braucht, daß sie vielleicht nur das Mittel zu einem vom Rechte durchaus gebilligten Zweck sei, daß also der Zweck die Handlung vor dem Recht nicht charakterisieren kann, und daß der Zweck das Mittel nicht heiligt. Dies Bedenken, das übrigens in der gleichen Weise der Verwendung des Begriffes „Motiv“ entgegenstehen würde, ist hinfällig. Um zunächst zu begründen, warum dieser Begriff nicht verwertet wurde, kann an das heute noch geltende Wort Sigwarts von dem „vieldeutig schillernden Ausdruck“ erinnert werden. Trotz der Untersuchungen M. E. Mayers und Thomsens ist eine Einigung über den Begriff keineswegs erzielt. Unter Motiv werden auch die sogenannten Urmotive, d. h. Charaktereigenschaften des Täters verstanden.91 Man wird aber mit Beziehung auf das geltende Recht nicht sagen dürfen, der Trieb als solcher könne die Schuldhaftigkeit einer Handlung, die aus ihm hervorgegangen ist, konstituieren. Ferner ist nach Thomsen (S. 234 und 237) die Pertinenzvorstellung in dem eben erwähnten Sinne selbst eigentlich kein Motiv.92 Sie hat nämlich an sich gar nichts Treibendes, sondern bezeichnet nur das Objekt, das der Täter durch seine Körperbewegung zu erreichen sucht. Man will nicht, weil man vorstellt, sondern was man will, das stellt man sich vor – eine Ansicht, in der Thomsen einer Reihe von Autoritäten93 zustimmt. Besonders beachtenswert sind in diesem Zusammenhange zwei Einwürfe, die Miricka (Formen der Strafschuld, S. 51 f.) gegen M. E. Mayer macht: wenn jeder Zweck Hauptmotiv ist, dann muß sich nach M. E. Mayer an seine Vorstellung ein Lustgefühl 91 Thοmsen, S. 240. v. Liszt, Aufs. Π, S. 182. (Mayer nennt das S. 42 irrig.) Thyrén II, S. 55. 92 Anders nach M. E. Mayer, S. 61, wonach man jede Zweckvorstellung unter dem Gesichtspunkt betrachten kann, daß sie Hauptmotiv ist. 93 Z. B. Hälschner, D. Strafr. I, S. 191. Zitelmann, S. 157. Liepmann, Einl. S. 46, Anm. 1. – Vgl. auch Schuppe, Göttinger gel. Anz. 1902, S. 182 in der Besprechung von Mayers Abhandlung.
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knüpfen; das gilt aber nur für den Endzweck: die Zwischenveränderungen kann man aber auch Zweck nennen, wie Mayer S. 63 selbst zugibt. Und umgekehrt, nicht jedes Hauptmotiv ist Zweck (so M. E. Mayer, S. 59), weil die als Hauptmotiv bezeichnete Vorstellung etwas anderes als die Folgen der Handlung zum Inhalt haben kann. Eine solche Vorstellung wird man auf jeden Fall noch als Motiv bezeichnen müssen, nicht aber zur Vergleichung der vom Rechte gewünschten mit derjenigen, deren Realisierung der Täter erstrebt hat, verwenden können: weil sie eben nicht realisiert werden soll, – sie kann ja als Erregungsvorstellung in der Vergangenheit liegen – sondern nur den Anstoß zum Handeln des Täters gegeben hat. Beim Zweck dagegen, dem „zu bewirkenden Objekt“, ist die Vergleichung dessen, was der Verantwortlichmachende als das zu bewirkende Objekt wünscht, mit dem, was der zur Verantwortung Gezogene als zu bewirkendes Objekt tatsächlich sich vorgesetzt hat, immer möglich. Die Bedenken, die sonst gegen die Verwendung des Begriffes Zweck erhoben werden, sind hinfällig. Der Mißbilligung eines bestimmten Tuns seitens des Staates liegt auf jeden Fall eine Zweckbetrachtung zu Grunde, gleichgültig, ob man, was den Begriff der Strafe überhaupt angeht, das Prinzip der gerechten Vergeltung oder die Zweckstrafe in der technischen Bedeutung des Ausdrucks verteidigt. Die mit Strafe bedrohte Handlung will der Staat nicht, und er kann sie nur deshalb nicht wollen, weil sie seinen Zwecken widerspricht. Ein einzelnes Wollen des Individuums wird an den Zwecken des Staates gemessen und bewertet, und das kann nur durch eine Qualifikation der Zwecke des Handelnden geschehen. Der Wille kann nur durch das charakterisiert werden, was er will. Es ist nun schon von vielen Rechtsgelehrten94 auf die besondere Bedeutung hingewiesen worden, welche im Tatbestand einzelner Paragraphen dem Zwecke des Täters beigelegt wird, sei es, daß das Gesetz das Wort „Zweck“ gebraucht,95 sei es, daß es „um zu“ oder „absichtlich“ sagt. Wenn also im Paragraphen 237 steht: „um die Entführte zur Unzucht zu bringen“, so wird hier ein besonderer Zweck des Täters als die Schuld begründend ausdrücklich angegeben. Solche Fälle sind sehr klare Beispiele für die formale Struktur der Schuld im Sinne des Strafrechts. Aber gerade sie widerlegen die oft ausgesprochene Ansicht, der Zweck habe im Strafrecht keine Bedeutung,96 um den Endzweck kümmere sich das Recht nicht. Diese Auffassung entspricht nicht einmal dem Wortlaut des Gesetzes. Freilich nimmt das Recht nicht auf den Endzweck des 94 Merkel, Lehrbuch, S. 257. van Calker, Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen, S. 11. Lilienthal, Z. 20, S. 440 f. 95 §§ 129, 147, 151, 177, 235, 267, 270, 273, 303. 96 John, Entwurf, S. 192. Birkmeyer, Enzykl., S. 1054, Studien, S. 84, auch Berner, Teilnahme, S. 150.
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Täters Rücksicht, und vor dem § 211 steht (bezüglich der Frage): liegt überhaupt Schuld vor? Stand genau so da, wie der brutalste Räuber, Raskolnikoff genau wie der scheußlichste Lustmörder. Aber so verstehen die zitierten Paragraphen den Ausdruck „Zweck“ ja auch garnicht. Derjenige, der die minderjährige Person ihren Eltern durch List usw. entzieht, muß die Minderjährige zu unsittlichen oder gewinnsüchtigen Zwecken gebrauchen wollen; das verlangt der § 235, damit die qualifizierte Strafe eintritt. Der Entführer muß die Entführte zur Unzucht bringen wollen, das verlangt der § 237 als Zweck des Täters. Nur soweit also berücksichtigt das Recht dessen Zwecksetzung; daß der Endzweck des Täters wahrscheinlich ein Geldgewinn ist, hindert nicht, hier von Zweck zu reden; was, um noch weiter zu gehen, der Entführer mit diesem Gelde anfangen wollte – vielleicht verfolgte er in ihrem letzten Erfolg ganz anständige Zwecke, man denke nur an Frau Warren und ihr Gewerbe – das alles kann auch noch Zweck genannt werden, aber daß es das kann, beweist nur, wie unrichtig es ist, mit Berner (Lehrbuch S. 127) und Janka, (L. S. 87) Zweck und Endzweck gleichzusetzen. Es gibt eigentlich gar keinen Endzweck, abgesehen natürlich von dem von Ζitelmann, S. 143 sogenannten psychischen Zweck, d. h. der Aufhebung vorhandener Unlust. Nur in diesem Sinne gebraucht Βerner das Wort. Hier ist aber nur von dem gewollten äußeren Erfolge, von dem realen Zweck die Rede, der nach Zitelmanns Terminologie immer nur das Mittel zum psychischen Zweck ist. Schon aus dieser Ausdrucksweise ergibt sich aufs deutlichste die schon von Ihering (Zweck im Recht, S. 64) lebhaft geltend gemachte Relativität des Zweckbegriffes. „Der Zweck b, zu dem a das Mittel enthält, kann seinerseits wiederum nur ein Mittel für den Zweck c sein.“ Von zahlreichen Autoren wird das anerkannt.97 Es steht demnach nichts im Wege, jede einzelne Vorstellung, die auf dem Wege zur Verwirklichung weiter in der Zukunft liegend gedachter Vorstellungen bewußt verwirklicht werden soll, Zweck zu nennen. Auch der Sprachgebrauch macht eine, je vom Standpunkt seiner Betrachtung aus verschieden abgesteckte Grenze, und man schließt sich in den subjektiven des Täters ein, wenn man nur die von ihm als letzte gewollte Veränderung der Außenwelt Zweck nennt. Für das strafende Recht kommt, soweit es sich um die Schuldfrage – nicht um die Strafzumessung – handelt, prinzipiell nur der Abschnitt des Geschehens in Betracht, der durch einen Tatbestand umgrenzt wird. Aus der Kette wird ein einzelnes Glied herausgenommen; und was innerhalb des so sich erge97 Hälschner, D. Strafr. 1, S. 191. Er nennt auch Zwischenerfolge, die Bedingung des Enderfolges sind, beabsichtigt. Kuhlenbeck, S. 53, spricht von „Mittelzwecken“, die sich zwischen den Entschluß und den Endzweck einschieben. M. E. Mayer, S. 63. Miricka, S. 53 („Zwischenveränderungen“), v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 316 (jedes Mittel, einen hinterliegenden Erfolg zu erreichen, ist nichts als ein näherliegender Erfolg).
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benden Abschnittes als Zweck des Täters angesehen werden muß, was der Täter sich innerhalb dieses Abschnittes als zu bewirkendes Objekt vorstellte, das wird mit den Zwecken des Rechtes verglichen. Ob der für die strafrechtliche Betrachtung herausgenommene Zweck im Verhältnis zu den subjektiven Bestrebungen des Täters einen Zwischenzweck oder den realen Endzweck bedeutet, ist gleichgültig. Man wird daher den Zweck sehr wohl als konstruktives Element für den Schuldbegriff des geltenden Rechtes verwerten können, – von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist jedoch noch nicht die Rede. Der hier gemachte Vorschlag ist also nicht mit den Versuchen zu verwechseln, den Zweck in der Vorsatzdefinition, und zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, oder zur Konstruktion einer besonderen Schuldform zu benutzen.98 Es ist undenkbar, daß das Recht eine menschliche Handlung bewertet, ohne daß die Zwecke des Staates und des Individuums aneinander gemessen würden. Berner, Teilnahme S. 150 sagt: „Der Jurist fragt: was hat dieser Mensch getan? welches ist das allgemeine Prädikat, unter das sich seine Handlung subsumiert? Die Frage des Moralisten geht einen Schritt weiter; sie lautet: warum hat er es getan? welches war sein Zweck bei der Objektivierung dieser Absicht?“ Diese Gegenüberstellung ist in dieser Fassung offenbar unrichtig,99 wenn Berner alle Schuld für Willensschuld erklärt, dann darf er nicht mehr fragen: was hat dieser Mensch getan, sondern: was hat dieser Mensch gewollt? und das heißt eben nichts anderes als: warum hat er es getan? welches war der Zweck seiner Handlung? – Sehr nachdrücklich betont Birkmeyer, Studien S. 87: Wir fragen „um die Schuld des Täters festzustellen, nicht nach Zweck, Motiv, Gesinnung“. Und dennoch soll die Schuld fehlerhafte Willensbestimmung zu einem rechtswidrigen Tun sein, also darin bestehen, daß man etwas Rechtswidriges will. Der Zweck ist aber doch nur das Objekt des Wollens, er bezeichnet nur das, wozu man sich bestimmt. Somit dürfte die Behauptung, das geltende Strafrecht berücksichtige niemals die Zwecke des Täters, der vorgeschlagenen Formulierung des Schuldbegriffes nicht im Wege stehen, vielmehr auf einer unbegründet engen Auffassung des Wortes „Zweck“ beruhen. Bisher war nur auf solche Willensakte exemplifiziert, bei denen die Herbeiführung des strafrechtlich relevanten Erfolges Zweck des Täters genannt werden konnte. Es handelt sich jetzt darum, ob die angegebene Konstruk tion auch in den Fällen anwendbar ist, in denen der verpönte Erfolg nicht 98 Das Wort Zweck verwenden in der Vorsatzdefinilion Feuerbach, Lehrbuch, § 54, Bibl. II, 193–273 (vgl. Art. 39 des Bayr. St.G.B. 1813); Grolman, Bibl. I, 1 Stck. 1797, Lehrb., §§ 46–52. Als besondere Schuldform stellt neuerdings Miricka die Absicht auf, die durch den Zweck des Täters konstituiert wird. 99 Als Erster hat daraufhingewiesen v. Calker, Strafrecht u. Ethik, S. 17.
§ 4. Schuld61
bezweckt war, vor allem, in denen er fahrlässig herbeigeführt wurde. Und es fragt sich, ob sie an der gefährlichen Klippe, die Schuld bei Fahrlässigkeit als Willensschuld zu erklären, nicht das Schicksal sehr zahlreicher Vorgängerinnen teilt. Dabei muß ausdrücklich hervorgehoben werden, daß die späteren Ausführungen über das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit zum Begriffe Schuld von der vorgeschlagenen Formulierung nicht abhängig gemacht sein sollen. Es kommt auf die konkrete Zwecksetzung an; d. h. in einer bestimmten Situation muß das, was bezweckt ist. nicht das richtige sein. Wenn ein tatbestandlicher Erfolg fahrlässig herbeigeführt wird, so ist der Wille des Täters nicht auf ihn gerichtet gewesen; der Täter hat sich nicht zu seiner Herbeiführung bestimmt, und die Fehlerhaftigkeit der Willensbestimmung kann nicht darin liegen; vielmehr nur darin, daß das, was in Wirklichkeit bezweckt ist, in dieser konkreten Situation den Zwecken des Rechtes nicht entspricht. Hat jemand durch eine Handlung fahrlässig einen schädlichen Erfolg herbeigeführt, so muß die fahrlässige Setzung der Ursache eine bewußte Handlung sein. Wo von Handeln die Rede ist, muß immer ein bewußtes Handeln vorliegen.100 Nur der bewußte Wille kommt in Betracht, und als gewollt kann nur das Vorgestellte bezeichnet werden. Da aber die Schuld böser Wille ist, so fragt es sich, wodurch der Wille des fahrlässig Handelnden qualifiziert werden kann, und das kann eben nur durch die Vorstellungen geschehen, deren Verwirklichung der Täter bewußt erstrebt hat. Diese werden mit derjenigen verglichen, welche inhaltlich den Zwecken des Rechtes entspräche, und demnach für mehr oder weniger böse gefunden. Wenn also wegen einer fahrlässigen Handlung gestraft wird, so muß eine bewußte Handlung gegeben sein, und diese allein steht in Frage.101 Dohna bemerkt, der Ausdruck „fahrlässige Handlung“ sei genau genommen eine contradictio in adjecto. Das ist zweifellos richtig, aber fahrlässig bezieht sie sich in einem solchen Ausdruck nicht auf die Vornahme der Handlung, sondern auf die Herbeiführung des Erfolges, mit welcher der Verantwortlichmachende die Innerlichkeit des Täters in Beziehung setzt. Die Handlung, welche objektiv als Ursache dieses Erfolges angesehen wird, muß eine bewußte sein, gleichgültig, welche Vorstellung der Täter vom Erfolge hatte. Auch kommt nur dieser Augenblick für die Frage nach der Schuld in Erwägung. Die Schuld kann nicht erst in dem Augenblick eintreten, in dem der verpönte Erfolg eintritt, Thon, der das 100 Zitelmann, S. 65 f. Janka, Strafrecht, S. 102. M. E. Mayer, Schuldhafte Handl., S. 183. Dohna, Z. 27, S. 331. Vor allem natürlich die Hegelianer, z. B. Köstlin, N. Rev. 228. 101 Thοmsen, S. 145, hat auf eine Verwandtschaft mit den actiones liberae in causa hingewiesen. Ähnlich anscheinend schon Grοlman, Bibl. II, S. 33, obwohl es natürlich mit der im Text vorgeschlagenen Konstruktion nichts zu tun hat, wenn er davon spricht, der Täter habe sich freiwillig in Unaufmerksamkeit versetzt.
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S. 78 hervorhebt, bildet folgendes Beispiel: Wer ein Glas gifterfüllten Wassers ohne böse Absicht an einen Ort stellt, wo ein Dritter es leicht genießen kann, handelt schon damit normwidrig, daß das Wasser später getrunken wird, kann die Schuld unmöglich begründen. Der perhorreszierte Erfolg ist aber nach den Ausführungen des vorigen Abschnittes eine äußere, allerdings aus dem Wesen der Rechtsordnung sich ergebende Bedingung der Berücksichtigung der Schuld, nicht die Schuld selbst. Ob die vorhergehende Handlung kausal ist, konstituiert die Schuld also nicht, und daß Binding, Normen II, S. 264 die Kausalität der vorhergehenden Handlung lebhaft bekämpft, berührt die vorgeschlagene Konstruktion der Schuld bei Fahrlässigkeit in keiner Weise. Da aber der bewußte Willensakt eines Menschen als solcher naturgemäß einen Zweck hat und deshalb durch diesen charakterisiert werden kann, so ist damit der Weg für die einzig mögliche Konstruktion der Schuld bei Fahrlässigkeit als einem fehlerhaften Willensakt gezeigt. Bei der Fahrlässigkeit wird die Vorstellung, zu deren Verwirklichung der Handelnde tätig wurde, nur dadurch zu einer vom Rechte aus gesehen falschen, daß sie gerade in dieser Situation nicht verwirklicht werden sollte. Alle Schuld ist Willensschuld, es muß demnach, wenn bei der fahrlässigen Herbeiführung eines Erfolges gestraft wird, auch hier Willensschuld vorliegen. Soll das aber der Fall sein, so muß ein Willensakt tatsächlich vorliegen – wenn man nicht, von der Annahme eines Willensvermögens ausgehend und dieses personifizierend, von der Bosheit des Willens überhaupt sprechen will. (So z. B. Sturm, Die strafrechtliche Verschuldung, S. 47, 49.) Man darf die Willensschuld nicht durch den Mangel, d. h. das Fehlen eines Willens bestimmen wollen,102 denn wo kein Wille vorliegt, da ist auch ein böser Wille und damit eine Willensschuld undenkbar; die Voraussetzungen, unter denen man das Fehlen des durch den richtigen Zweck charakterisierten Willensaktes annimmt, sind vielmehr nur die Voraussetzungen, unter denen die wirklich vorhandene Zwecksetzung eine falsche war. Setzt jemand fahrlässig die Ursache zu einem tatbestandlichen Erfolge, so hat er in diesem Augenblick nicht das bezweckt, was das Recht verbietet, aber auch nicht das, was es wünscht. In einer konkreten Situation erwartet das Recht eine bestimmte Vorstellung als zu verwirklichende erstrebt. Mit der allgemeinen obligatio ad diligentiam könnte man, wie schon Klein bemerkt, die verschiedene Bestrafung bei der fahrlässigen Herbeiführung verschiedener Erfolge nicht rechtfertigen; es müßte denn eine Pflicht bestanden haben, die Aufmerksamkeit gerade auf die Vermeidung dieses Erfolges zu richten, man müßte eine Unzahl von obligationes ad diligentiam annehmen. Wer fahrlässig eine Brand102 Das tut Merkel, L. S. 85; Finger, L. d. Deutschen Strafr., S. 268, sagt: „In dem Mangel an Aufmerksamkeit offenbart sich die Gleichgültigkeit gegen die Rechtsgüter und die Vorschriften des Rechts.“ Dann ist die Fahrlässigkeit aber nicht mehr Schuldart, sondern Schuldsymptom.
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stiftung begeht, wird anders bestraft, als derjenige, der fahrlässig eine Körperverletzung herbeiführt. Eine solche Verschiedenheit kann, wenn man nicht eine Erfolgshaftung annehmen will, nur durch die folgende Konstruktion erklärt werden: in der konkreten Situation, in welcher der Brandstifter den Brand legte, erwartete der zur Verantwortung Ziehende, daß die Vorstellung, den Brand zu vermeiden, das Handeln des Täters bestimmte. Diese Vorstellung war nicht vorhanden, sie gibt aber den Maßstab ab, an dem die wirklich vorhandene gemessen werden kann. Diese mag an sich ganz harmlos sein. Aber der durch sie qualifizierte Willensakt wird hier dadurch zu einem bösen, daß sie der erwarteten Vorstellung nicht entspricht, sie vielmehr ausschließt. Deshalb ist es auch nicht gleichgültig, was der Täter an Stelle des zu vermeidenden Erfolges gewollt hat. In diesem Zusammenhang ist Franks (Aufbau des Schuldbegriffes, S. 12) Hinweis auf die die Tat begleitenden Umstände zu erwähnen. Wann das Recht verlangt, daß die Vorstellung von der Vermeidung des bestimmten Erfolges ihrem Inhalt nach Zweck des Täters ist, das kann sich nur nach der konkreten Sachlage richten, dafür läßt sich kein Schema aufstellen. Der durch die im regelmäßigen Verlauf der Dinge vielleicht gleichgültige Vorstellung charakterisierte Willensakt wird in dieser Situation, in der das Recht eine andere wünscht, schuldhaft. Dem Vater, der aus Unachtsamkeit sein Kind tötet, wird also nicht vorgeworfen, daß er die Tötung des Kindes gewollt habe – das wäre Torheit und Ungerechtigkeit –, sondern es wird ihm vorgeworfen, daß er in dieser Situation etwas Unrichtiges gewollt habe – ein Vorwurf, den jeder vernünftige Mensch ohne weiteres als berechtigt zugeben wird. Der eilige Droschkenkutscher verfolgt den Zweck, sich ein Trinkgeld zu verdienen; der Inhalt der Vorstellung vom Erwerb des Geldes ist das, was er realisieren will. Das Recht verlangt aber von ihm, daß er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, d. h. daß in der konkreten Situation die Vorstellung von der Möglichkeit einer Tötung oder Körperverletzung sein Tun beherrsche in der Richtung auf die Aktualisation der zur Vermeidung dieser Erfolge nötigen Innervationsakte. Die in Wirklichkeit vorhandene Vorstellung – das Trinkgeld zu bekommen – läßt die vom Recht gewünschte Vorstellung – die Körperverletzung zu vermeiden – nicht aufkommen. Jene wird dadurch hier zu einer bösen; der durch sie charakterisierte Willensakt begründet die Schuld. Der Kutscher will hier nicht das, was das Recht hier von ihm verlangt. Um Stammlers Ausdruck zu gebrauchen: „der Wille des Täters hat seine Richtung nicht in der Linie des allgemein gültigen Gesichtspunktes der Zwecksetzung genommen“ (Wirtschaft und Recht, S. 369). Der „in concreto vorliegende Zwiespalt zwischen dem individuellen Willen und dem allgemeinen“ (Merkel) ist damit dargelegt. Man wird jetzt einwenden: bei der fahrlässigen Handlung bezweckt der Täter überhaupt nichts Böses, nichts strafrechtlich Relevantes; das tut er
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I. Die Definition der Strafschuld
nicht einmal beim Vorsatz, sondern höchstens bei der Absicht. – Aber erstens ist es unrichtig, im Strafrechte von etwas „an sich“ Bösem oder „an sich“ Gutem zu reden. „Überhaupt sollte man den Sprachgebrauch vermeiden, etwas sei ‚an sich‘ erlaubt. Nichts ist ‚an sich‘ erlaubt oder unerlaubt.“ (Binding, Normen I, S. 131 Anm. 7). Es wird ja auch nicht gesagt, ein Trinkgeld zu verdienen suchen sei etwas Böses, sondern nur: der Willensinhalt des Täters ist in dieser Situation nicht dem vom Rechte erwarteten gemäß, also ist er rechtlich böse; da in der konkreten Situation das Verdienen des Trinkgeldes diesen Inhalt ausmachte, so kann man es ohne Bedenken als böse bezeichnen. – Und zweitens: der Zweck soll hier als das die Schuld konstituierende Moment verwendet werden, und er wird seine Brauchbarkeit am besten wohl dadurch beweisen, daß er die Schuld bei fahrlässigem Handeln als Willensschuld außer Zweifel stellt. Nicht aber soll der Zweck als konstruktives Element für die Unterscheidung der sogenannten Schuldarten oder Schuldformen, also nach der gewöhnlichen Terminologie für die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit dienen. Das ist eine gänzlich andere Frage, welche die subjektive Beziehung des Täters zu dem durch seine Handlung herbeigeführten schädlichen Erfolge betrifft; von dieser Beziehung ist aber noch keineswegs erwiesen, daß sie die Schuld ausmacht. Mirickas besondere Schuldform z. B. hat somit mit der hier vorgeschlagenen Konstruktion nichts zu tun, ebensowenig wie Feuerbachs Vorsatzdefinition. Beide suchen Arten der Herbeiführung eines schädlichen Erfolges durch menschliches Handeln zu bestimmen, mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit ihrer Konstruktionen ist für uns nichts bewiesen oder widerlegt. Freilich macht es für die Schwere der Schuld einen Unterschied, ob jemand die Tötung eines Menschen bezweckt oder ob er trotz Vorhersehens eines solchen Erfolges die Handlung vornimmt, oder ob er fahrlässig tötet; die genaue psychologische Formulierung für diese verschiedenen Beziehungen der Innerlichkeit zum verpönten Erfolge ist ein Problem, das aber nicht die Frage berührt: inwiefern kann man bei fahrlässiger Tötung sagen, der Täter habe einen bösen Willen gehabt, d. h. etwas Böses gewollt? Liegt ja doch auf der Hand, daß er den fahrlässig herbeigeführten Erfolg nicht gewollt hat, weil er ihn sich nicht vorstellte. Hier liegt die entscheidende Schwierigkeit; und sie war es vielleicht, die Binding veranlaßte, seine Theorie vom unbewußten Willen aufzustellen, d. h. mit den Hegelianern zu sagen: auch was nicht vorgestellt ist, kann gewollt sein; gewollt ist vielmehr alles, was die Folge einer Willensbetätigung und damit des Willens als des kausalen Momentes im Menschen ist103 (Normen II, S. 105 f. § 38). Bei der Fahrlässigkeit hat also der Täter nach B. den Erfolg gewollt. Sein 103 Wenn von Bindings Theorie des unbewußten Willens die Rede ist, so heißt das natürlich nur: B. nimmt an, nicht Vorgestelltes könne gewollt sein. Vgl. Liepmann, Einleitung S. 35.
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Wille war daher auf etwas Böses gerichtet und somit ohne weiteres schuldhaft. Daß die Notwendigkeit der Konstruktion der Fahrlässigkeit als Willensschuld Binding zu dieser allgemein abgelehnten Behauptung104 eines strafrechtlich relevanten unbewußten Willens veranlaßte, wird auch von Kohlrausch (S. 5) und von v. Bar (Gesetz und Schuld II, S. 301–303) vermutet. Der unbewußte Wille kann aber nicht zu einer Konstruktion verwertet werden; das Problem jedoch bleibt bestehen: inwiefern ist bei der fahrlässigen Herbeiführung eines Erfolges der Wille des Täters auf etwas Böses gerichtet? Die einzig mögliche Antwort ist: weil das, was er in Wirklichkeit gewollt hat, etwas Böses ist, mag es „an sich“ noch so harmlos erscheinen. Man kann den Willensakt nur durch sein Objekt charakterisieren. Das schlagendste Wort für die vorgetragene Konstruktion der Schuld bei Fahrlässigkeit als Willensschuld wäre: die Schuld ist hier negativ böser Wille. Jedoch wird dieser Ausdruck Kleins105 nicht unbesehen übernommen werden dürfen, schon deshalb nicht, weil Klein immer vom Willensvermögen spricht. Es soll zunächst damit keine Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bezeichnet werden. Außerdem sagt Klein: „es war kein böser Entschluß vorhanden, aber es mangelte an einem guten, der Wille war negativ böse“. Er ist also durchaus nicht der oben angenommenen Ansicht, die davon ausgeht, daß immer ein böser Entschluß vorhanden sein muß, wenn man von einem bösen Willen sprechen will. Der Ausdruck selbst aber ist, richtig aufgefaßt, in keiner Weise zu beanstanden, sobald man nur „negativ“ nicht mit „Wille“, sondern mit „böse“ zusammennimmt: man sieht das Böse am Willen eben darin, daß die gewünschten Ζweck-Vorstellungen nicht vorhanden waren und die tatsächlich vorhandenen die gewünschten also negierten.106 104 Die nähere Erörterung der Gründe gegen die Annahme des unbewußten Willens im zweiten Teile dieser Arbeit. 105 Klein, Annalen XII, S. 186, Grunds. § 120, Arch. 1, 2, S. 61. Auch Köstlin, N. Rev. § 99, System § 65 und Wahlberg, Aufs. I, S. 35, gebrauchen den Ausdruek. van Calker, Eth.W., S. 26, spricht von einem negativen Verhältnis des Täters zur Norm. 106 F. Sturm, Strafrechtl. Verschuldung, S. 35, übt an dem Ausdruck kräftig Kritik; er formt bei dieser Gelegenheit den wörtlich zitierten Satz: „Ich kenne nur die psychischen Zustände, daß man entweder einen positiven Willen hat, oder daß man überhaupt keinen Willen hat“. Aber erstens übersieht er, daß Klein an keiner einzigen Stelle von einem negativen Willen spricht, sondern immer nur sagt: negativ böser Wille. Die tumultuarische Erklärung Sturms: „Was ein negativer Wille ist, weiß ich nicht“, war also unmotiviert. Zweitens aber fällt die Kritik in der Hauptsache auf ihn zurück. Nach seiner eigenen Auffassung liegt nämlich bei der Fahrlässigkeit kein Wille vor; er zieht aber keineswegs daraus die Folgerung: also ist die Fahrlässigkeit keine Willensschuld, – sondern es gelingt ihm, die Willensschuld dadurch zu retten, daß er die Schuld nicht in dem „einzelnen Wollen“, sondern in dem „Willensvermögen“ findet. (S. 35.) Alle Schuld soll Unterlassung sein. Natürlich: in omni peccato non fit quod jubetur·. Selbst wenn man die von der modernen
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Ein Ausspruch W. Mittermaiers (Strafrechtsschuld, S. 53) scheint dieses Resultat anzudeuten: bei unbewußter Fahrlässigkeit billigte der Täter „etwas scheinbar Harmloses. Diese Billigung ist aber das Schuldhafte, denn der Täter soll dann seine Kausalität nicht billigen, wenn die Umstände ihn zur Aufmerksamkeit und Sorgfalt oder zur Unterlassung mahnen, und er die Tat nicht vorzunehmen genötigt ist.“ Wenn Mittermaier aber fortfährt, „auch hier haben wir ein Billigen oder Wollen der Gefahr“, so ist das, solange man Nichtvorgestelltes nicht als gewollt anerkennen kann, unrichtig. Der unbewußt fahrlässig Handelnde braucht gar nicht an die Gefahr zu denken; auch wenn der Gedanke daran ihn sicher zurückgehalten hätte, handelt er fahrlässig. Bisher war nur von fahrlässigen Handlungen die Rede, denen man, wenigstens was die Frage nach dem bösen Willen angeht, vorsätzliche Unterlassungen gleichstellen kann.107 Es kann sich also nur noch um fahrlässige Unterlassungen handeln. – Wenn man die eben vorgeschlagene Konstruktion der Schuld bei Fahrlässigkeit gelten läßt, so wird man ohne weiteres anerkennen müssen, daß sie auf die Schuld bei fahrlässiger Unterlassung übertragen werden kann. Die Vorstellungen, welche die vom Recht gewünschte Vorstellung ausschließen und mit ihr verglichen werden, sind auch hier das, was einen Willensakt als Schuld begründet, indem sie ihn als den Zwecken des Rechtes nicht entsprechend qualifizieren. Es sei daran erinnert, daß nur von der Schuld die Rede ist, daß ein realer Vorgang in der Seele des Täters qualifiziert werden soll, daß es dagegen nicht darauf ankommt, die Kausalität der Unterlassung um jeden Preis zu retten. Wenn also die leichtsinnige Mutter zur Fabrik geht, während das kranke Kind zu Hause stirbt, so sind alle die Zweckvorstellungen, die ihr Tun beherrschen, in dieser konkreten Situation böse, sie entsprechen nämlich der Zweckvorstellung, die das verantwortlichmachende Recht erwartet, nicht: sie können daher das Verhalten der Mutter als schuldhaft qualifizieren, obwohl niemand der Mutter ihren Erwerbssinn „an sich“ zum Vorwurf machen kann Wenn ein böser Wille Psychologie aufgegebene Vermögenstheorie gelten läßt, so bleibt es doch schwierig, zu erfassen, daß das Willensvermögen eines Kutschers deshalb als böse bezeichnet werden kann, weil er eingeschlafen ist. Es sei an Sturms Beispielen exemplifiziert: Wenn ich spazieren gehe und dadurch meine Pflicht vernachlässige, so ist das Spazierengehen nach Sturm S. 45 nichts Böses. Wenn jedoch der Wärter sich betrinkt und infolgedessen die Weiche nicht stellt, so soll seine Schuld schon darin liegen, daß er sich betrinkt. Wie aber, wenn jener Erste sich betrinkt und der Weichensteller spazieren geht? Dem Rechte kann das Sichbetrinken „an sich“ ebenso wichtig oder unwichtig sein wie das Spazierengehen, in beiden Handlungen kann je nach den Umständen eine grobe Fahrlässigkeit liegen. Über Sturms Aufsatz im G. S. 72, S. 160 vgl. im II. Teil. 107 Das wird von Radbruch, Handlungsbegriff, S. 134, zugegeben und von Dοhna, Ζ. 27, S. 331 f. hervorgehoben.
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vorliegen muß, damit überhaupt eine Willensschuld möglich ist, dann muß eben das, was an Stelle des Richtigen gewollt ist, eben aus diesem Grunde böse sein. Deshalb ist auch trotz der Polemik Radbruchs 137 der Ausdruck „Verhalten“ nicht aufgegeben worden; ein Ausdruck, der hier nur einen psychischen Vorgang bezeichnen, keineswegs aber besagen soll, daß die Körperbewegung, die der Unterlassende an Stelle der gebotenen Handlung vornimmt, zur Unterlassung gehöre oder gar als die reale Ursache des eingetretenen verpönten Erfolges hingestellt werden könne. Man mißverstände die obigen Ausführungen, wenn man in ihnen eine Verteidigung derjenigen Auffassung von der Kausalität der Unterlassung sähe, welche die „Realität“ der Unterlassung durch den Hinweis auf das „andere Tun“ des Täters beweisen möchte. Es ist richtig, daß die anderweitige Körpertätigkeit des Unterlassenden mit dem Unterlassen (dem transitiven Zeitwort) nichts zu tun hat. Für die Konstruktion der Schuld aber kann das nicht genügen. Für die Schuld ist es durchaus nicht gleichgültig, was der Täter an Stelle der unterlassenen Handlung getan hat. Es sei der Fall gesetzt, die Wärterin eines kranken Kindes erfährt von dem Plane eines Mordanschlages auf ihren Mann; sie läßt sofort das Kind im Stich und benachrichtigt die Polizei, rettet dadurch ihrem Manne das Leben, während das Kind stirbt. Hier liegen die äußeren Umstände genau wie im ersten Fall; es liegt – wenn man von jeder ethischen Bewertung bei dem Gebrauch des Wortes „Unterlassen“ absieht – genau so gut eine Unterlassung vor, wie bei der Mutter, die zur Fabrik geht; auch die psychologische Beziehung zum Erfolge ist – ebenfalls von jeder Bewertung abgesehen – genau dieselbe: der Tod des Kindes war vorauszusehen; es war aber nicht an ihn gedacht. Und doch wird man im letzten Falle nicht mit derselben Unbedenklichkeit von Schuld reden, wie im ersten. Gerade an diesen beiden Fällen wird der tatsächliche Vorgang beim Schuldurteil sehr deutlich: die Vergleichung der konkreten Zwecksetzung mit der der Rechtsordnung entsprechenden. Diese Konstruktion läßt sich auch bei fahrlässiger Unterlassung anwenden.108 Ein letztes Bedenken gegen die vorgeschlagene Formulierung des Ausdrucks „böser Wille“ liegt darin, daß durch die Hineinziehung der Zwecke des Staates in unstatthafter Weise Schuld und Rechtswidrigkeit vermengt werden könnte. Dieser Einwand beträfe also nicht den Vorschlag, was das 108 Wenn Radbruch dabei bleiben wollte, daß Unterlassung, auch soweit es sich um die Schuldfrage handelt, weiter nichts bedeutet, als etwas nicht tun, so müßte er für Handlung und Unterlassung je eine besondere Schuld konstruieren. Dieser Notwendigkeit entgeht er nur dadurch, daß er Schuld als den Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit auffaßt (S. 144). Eine besondere Schuld bei Unterlassung konstruieren Janka, L. S. 94 (für Vorsatz) und S. 105 (für Fahrlässigkeit), Löning, Grundr. S. 8, 12. Auch v. Liszt, L. 3. Aufl., 3. 123, erklärt es für konsequent, das zu tun, wenn man die Unterlassung nicht mehr für kausal halten will.
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Individuum angeht, dessen Zweck für den der strafrechtlichen Erörterung unterworfenen Abschnitt des Geschehens entscheiden zu lassen, sondern den Teil der Schulddefinition, der die Bezugnahme auf die Zweckbetrachtung des Staates enthält. Geht man nämlich von dieser aus, so läßt man die Rechtswidrigkeit als das dem Rechte Widersprechende entscheiden und erklärt: wo keine Rechtswidrigkeit, da keine Schuld.109 In der Behandlung der Frage nach der Bedeutung des viel umstrittenen Begriffes Rechtswidrigkeit erfreut sich der Zweckbegriff namentlich nach den Untersuchungen Stammlers und Dohnas einer steigenden Beachtung.110 Einen besonders deutlichen Beweis dafür liefert die Kontroverse über die Begründung der Straflosigkeit des Arztes für operative Eingriffe. Eine starke Ansicht in der Theorie erklärt den Arzt unter Berufung auf seinen Zweck für straflos, sei es. daß man durch diesen direkt die Rechtswidrigkeit für ausgeschlossen hält,111 sei es, daß man den Zweck für das Fundament eines Gewohnheitsrechtes erklärt.112 Wenn Zweck und Rechtswidrigkeit so eng zusammenhängen, und der Zweck in der Schulddefinition verwendet wird, so scheint diese dem Vorwurf aus109 Ob umgekehrt auch ohne Schuld keine Rechtswidrigkeit möglich ist, ist eine ganz andere Frage. 110 Vgl. auch Stooß, Schweizer. Zeitschr. f. Stfr. 10, S. 369. 111 So v. Liszt, Lehrb. S. 140: „Das angemessene Mittel zur Erreichung des vom Gesetzgeber anerkannten Zweckes macht die vorgenommene Handlung zu einer rechtmäßigen, selbst wenn sie scheinbar den Tatbestand eines Gesetzes erfüllt.“ Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 95, Miricka S. 123. – Hamm, D. J. Z. 1907, S. 451, und Löffler, R. v. D., bes. Teil V, S. 247 wollen das Gesetz aus seinem Zweck interpretieren. Es ist nicht zu übersehen, daß es sich um den sogenannten objektiven Zweck handelt, wenn die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Eingriffs ausgeschlossen sein soll, um die generelle Eigenheit des ärztlichen Tuns, einen bestimmten Erfolg, herbeizuführen, nicht um einen Vorgang in dem Innenleben des Täters. Deshalb kann der Ausspruch Kahls, Ζ. 29, S. 368 hier nicht verwertet werden: Der vom Arzt „gewollte Erfolg und in die Vorstellung seines Handelns eingeführte Zweck ist nicht auf Zerstörung, sondern auf Erhaltung eines Rechtsgutes gerichtet … Absicht und Zweck unterscheiden den Arzt vom Verbrecher“. – Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 19 schreibt Lilienthal (Die pflichtmäßige ärztliche Handlung 1899), Rich. Schmidt (Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes, S. 24), Oppenheim (Das ärztliche Recht zu körperlichen Eingriffen 1892) die Verwertung des Zweckbegriffes in dieser Frage zu. Doch sagt v. Calker (Auf Befehl begangene Handlungen, S. 11) schon 1891: „Der erlaubte Zweck gibt ihm (dem Arzt) ein Recht zur Handlung, die, wenn sie um eines nichterlaubten Zweckes willen vorgenommen wäre, stets rechtswidrig bliebe.“ Vgl. auch Rotering in G. Α. XXX. – Auf den Heilzweck verweist auch die Begründung des Vorentwurfes I, S. 253 / 54, deren Ausführungen sich allerdings als eine undurchdringliche Kumulierung widersprechender Argumente darstellen. Gegen die Begründung des Vorentwurfes in dieser Frage auch Mittermaier, Z. 30, S. 630. 112 So Oppenheim, Das ärztl. Recht zu körperlichen Eingriffen, S. 17, v. Angerer, Münch. Med. Wochenschr. 1899, S. 354 f., van Calker, Frauenheilkunde und Strafrecht, S. 13.
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gesetzt zu sein, den v. Liszt113 gegen Liepmann und Dohna erhebt: Schuld und Rechtswidrigkeit müßten von einander getrennt werden. Aber ein solcher Vorwurf, der seinen Ursprung in der doppelten Annahme hat: Vorsatz und Fahrlässigkeit seien die beiden Schuldarten und seien gleichzeitig rechtlich gleichgültige Begriffe, kann die vorgeschlagene Formulierung nicht erschüttern. Wenn erstens dem Begriff der Schuld die Beziehung auf ein Unwerturteil wesentlich ist, – das wird von v. Liszt anerkannt – und wenn zweitens für die rechtliche Schuld zunächst nur das Recht in Betracht kommt, dann wird man sich schwerlich der Konsequenz entziehen können, bei der Frage nach der Schuld die Rechtswidrigkeit zu beachten. Daß die Lehre von Vorsatz und Fahrlässigkeit von der Rechtswidrigkeit getrennt werden muß, ist eine ganz andere Frage, die bejahend oder verneinend beantwortet werden kann, ohne daß das den Zusammenhang von Schuld und Rechtswidrigkeit berührte. Da rechtliche Schuld etwas vom Rechte Gemißbilligtes ist, so muß sie sicher etwas Rechtswidriges sein; und umgekehrt, was nicht rechtswidrig ist, kann auch nicht vom Recht zum Objekt seines Unwerturteils gemacht werden. Auch die Nominaldefinition des Wortes Schuld, die v. Liszt gibt, spricht dafür, beim Ausschluß der Rechtswidrigkeit einen Schuldausschließungsgrund anzunehmen,114 weil eben „die verbrecherische Willensbestimmung“ fehlt. Schuld soll da vorliegen, wo das Recht jemand für etwas verantwortlich macht. Aber weder bei dem in Notwehr Handelnden, noch bei dem Scharfrichter, noch bei dem Soldaten im Felde, noch beim Arzt kann man davon reden; keinem von ihnen wird ein Vorwurf gemacht; es liegt nichts Strafwürdiges vor; jeder von ihnen ist in der Tat unschuldig. Ob man sagen kann, sie hätten den in Frage stehenden Erfolg 113 Lehrb. S. 157, Anm. Übrigens sagt v. Liszt selbst L. 9. Aufl., S. 152 „rechtswidriger Wille“. 114 So auch van Calker a. a. O., wo er von einem persönlichen Schuldausschließungsgrunde spricht. Birkmeyer, Enzykl. S. 1058, ferner H. Meyer, L. 5. Aufl., S. 262, Berner, Lehrb. S. 91. Die Begründung im Text findet sich schon bei Luden, Abh. II, S. 499. – Kohlrausch, S. 64 „der Soldat im Kriege würde es mit Recht als eine Kränkung empfinden, wenn man ihm vorhielte, daß die Tötung des Feindes normalerweise rechtswidrig sei“, v. Bar nennt Ges. und Schuld III, S. 56 die Einwilligung einen Schuldausschließungsgrund. Mittermaier Z. 30, S. 627: „Für die Notwehr ist der Gedanke, daß die Schuld nicht ausgeschlossen sei, einfach ein Unding“. Besonders lebhaft und mit den Ausführungen des Textes sich eng berührend Frank, Aufbau S. 6 f. – Hrehorowicz, der Vorsatz und Fahrlässigkeit als indifferente Begriffe faßt, für die „verbrecherische Willensbestimmung“ aber außerdem noch Bewußtsein der Rechtswidrigkeit und einen bestimmten Zweck verlangt, nimmt bei Notwehr Vorsatz, aber nicht verbrecherische Willensbestimmung an (Grundbegriffe des Strafrechts, bes. S. 359, Anm. 1). – Deutliche Beispiele dafür, wie sich die Terminologie Schuldausschließungsgründe ausschließlich auf der Terminologie „Schuldarten“ aufbaut, bei R. Schmidt a. a. O. S. 49 und Miricka, S. 128, Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 122.
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vorsätzlich oder ob fahrlässig herbeigeführt, das richtet sich danach, welchen Inhalt man den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit gibt. Aber es ist ein auf eine unsichere Terminologie sich gründender und deshalb abwegiger Scharfsinn, hier einen Strafausschließungsgrund dem Schuldausschließungsgrund gegenüberzustellen und eine durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigte, mit dem unzweideutigen Sinne des Wortes Schuld in Widerspruch stehende Terminologie zu bilden. * Man wird nach alledem in der Formulierung „den Zwecken des Rechtes nicht entsprechende konkrete Zwecksetzung“ eine einwandfreie Präzisierung der Definition der Schuld als bösem Willen erblicken dürfen. Die Definition ist dem Vorwurf nicht ausgesetzt, den man der Bindingschen Definition der Schuld als eines Ungehorsams entgegengehalten hat.115 Auf der einen Seite kann nämlich die Bedeutung, die der Staat seinen Zwecken beimißt, eine sehr verschiedene sein, sie kann auch mit Rücksicht auf andere konkurrierende Zwecke gemindert oder aufgehoben werden; auf der anderen Seite sind Abstufungen innerhalb der Schuld möglich und zwar nach der Divergenz von individueller und allgemeiner Zwecksetzung, nach dem Winkel, unter dem sie sich schneiden. „Der negative Wert der einzelnen Zwecksetzung ist um so größer, je stärker die Intensität des Widerspruchs gegen jene (den Maßstab der Beurteilung liefernde Entwicklungs-)Bedingungen ist, welche in der konkreten Zwecksetzung zum Ausdruck gelangen.“ (van Calker, R. v. D. III, S. 185, 186). – Auch wird die Definition nicht von dem Vorwurf van Calkers getroffen (Ethische Werte, S. 18), daß ein Verzicht auf die Berücksichtiguug des objektiven Momentes bei der Bewertung der verbrecherischen Handlung eine Verwirrung über die Bedeutung der einzelnen Interessen für Gesellschaft und Staat zur Folge haben würde. Gerade hier zeigt sich, daß man, ohne die aus dem Wesen der Rechtsordnung sich ergebenden prinzipiellen Konsequenzen aufgeben zu müssen, die Schuld in einem rein psychischen Vorgang, einem actus interior, finden kann. Denn wenn die Zwecksetzung des Täters an den Zwecken des Staates gemessen wird, so kommen die einzelnen Interessen von Gesellschaft und Staat in der Bedeutung, die das Strafgesetz ihnen beimißt, am klarsten und deutlichsten zur Geltung. In dem verschiedenen Werte der verletzten Interessen liegt die Erklärung für die verschiedene Bestrafung bei verschiedenem Erfolg. Der 115 Merkel, L. S. 15 / 16, v. Liszt, Ζ. 6, S. 663, L. S. 67, Liepmann, Einl. S. 12, M. E. Mayer, Schuldhafte Handl., S. 125, Kohlrausch, S. 46. Doch protestiert Binding dagegen, Normen I, S. 365 und sagt, er hätte niemals die Bedeutung der verletzten Rechtsgüter für die Bestrafung als irrelevant betrachtet. Thon, Rechtsnorm, S. 98.
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Wert des Schutzobjektes ist demnach, wie van Calker zugegeben werden muß, wenigstens mittelbar von konstitutiver Bedeutung für die Schwere der Schuld, weil die Bedeutung der staatlichen Zwecksetzung und der Wert des Schutzobjektes, soweit er für den Juristen in Betracht kommt, natürlich übereinstimmt: je wertvoller das Schutzobjekt, desto größer bei einer Verletzung die Divergenz zwischen der staatlichen und der individuellen Zwecksetzung, desto größer also die Schuld. Die vorgeschlagene Definition berücksichtigt ferner das normative Element des Schuldbegriffes. Sodann trägt sie der Tatsache Rechnung, daß die Schuld nach geltendem Rechte ein Moment der Einzeltat ist; sie geht, gerade wie das positive Recht, wenigstens davon aus, läßt aber dennoch die Auffassung zu, daß letzten Endes doch der Charakter es ist, der belastet; denn für den Deterministen muß jede Zwecksetzung dem Charakter entspringen, und eine Haftbarmachung für eine bestimmt geartete Zwecksetzung trifft stets den Charakter. Dieser Auffassung von der Schuld entspricht oder widerspricht die vorgeschlagene Schulddefinition genau in derselben Weise, wie das positive Strafrecht überhaupt dem Determinismus oder Indeterminismus. – Sie hebt außerdem hervor, daß alle Schuld Willensschuld sein muß; sie ist endlich, unabhängig von der Terminologie „Schuldarten“, aus der Nominaldefinition des Wortes Schuld deduziert, ohne in deren unbrauchbarer Richtigkeit stecken zu bleiben. Man wird sie daher sowohl als eine schärfere und bestimmtere Formulierung des Ausdrucks „böser Wille“, wie auch als Schulddefinition überhaupt annehmen können.
§ 5. Das Bewußtsein einer rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit Einem Problem, das zu den wichtigsten der Schuldlehre gehört, ist bisher geflissentlich ausgewichen: der Frage, welche Bedeutung das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit, Normwidrigkeit, Staatswidrigkeit, Rechtswidrigkeit, kurz irgend einer rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit des Tuns für die Schuld des Täters hat. An dieser Frage darf deshalb nicht vorbeigegangen werden, weil es sich für diese Arbeit um das Verhältnis des Begriffes Schuld zu den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit handelt, und weil deshalb für den Fall, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind, ihr Inhalt entschieden ist. Das sehr beliebte Argument dagegen: das Bewußtsein der Unerlaubtheit gehört deshalb zum Vorsatz, weil sich aus dem Begriffe der Schuld ergibt, daß der Schuldige ein solches Bewußtsein hatte oder wenigstens haben konnte – setzt den Charakter des Vorsatzes als einer Schuldart als bewiesen voraus.
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Mit Rücksicht darauf, daß das eigentliche Thema die Betrachtung des gegenseitigen Verhältnisses der Begriffe Schuld, Vorsatz und Fahrlässigkeit ist, daß also eine Klarheit über den Begriff der Schuld zwar notwendige Voraussetzung, aber eben nur Voraussetzung ist, kann das erwähnte Problem nur in den durch das eigentliche Thema der Arbeit und das Erfordnis eines sachlichen Zusammenhanges gegebenen Grenzen behandelt werden, umsomehr, als vorläufig nicht die Bedeutung dieses Bewußtseins für den Vorsatzbegriff und als die differentia specifica der Schuldart Vorsatz in Frage steht, sondern nach dem Begriff der Schuld überhaupt gesucht wird. Eine Polemik soll nur gegen einige neue und besonders wichtige Argumente, die sich auf die Schuld überhaupt beziehen, versucht werden, damit die Untersuchung sich nicht in einer präjudiziellen Frage verliert, und damit schon oft wiederholte Gründe und Gegengründe nicht abermals wiederholt werden,116 – eine Methode, zu deren weiteren Entschuldigung auf die dogmengeschichtlichen Ausführungen von A. Westerkamp und auf die Darstellung Hippels R. v. D. Allg. T. III, S. 547 f. hingewiesen werden darf. – Aus der Nominaldefinition des Wortes Schuld: das, wofür einem der Vorwurf gemacht, ergibt sich zunächst noch keine Antwort. Es wurde schon hervorgehoben, daß nach dieser Definition Schuld auch bei der sogenannten Erfolgshaftung vorliegt, wo man jedenfalls das Bewußtsein einer sittlichen oder rechtlichen Wertung des Tuns nicht verlangt. Es steht jedem und auch dem Staate vollkommen frei, zu erklären, was er für verwerflich hält. Aus dem bisher gewonnenen weiteren Resultat: Schuld ist die den Zwecken des Staates nicht entsprechende Zwecksetzung, ergibt sich ebenfalls noch kein zwingender Grund, in der subjektiven Stellungnahme des Täters zur Norm das die Schuld konstituierende Moment zu sehen. Vielmehr kann es sich sehr wohl um eine objektive Vergleichung der beiden Zwecke handeln, die, wenn sie zu Ungunsten des Individuums ausfällt, einen Vorwurf gegen dieses hinreichend rechtfertigt, ohne daß sich der verantwortlichmachende Staat deshalb den Vorwurf der Unvernunft oder Willkür zuziehen müßte. Nimmt doch jeder Mensch beständig eine solche Bewertung vor, und es sei hier an den gerade von Dohna (G.S. 65, S. 318, Aschaffenburgs Monatschr. III, S. 510 f.) herangezogenen Vergleich mit der ästhetischen Beurteilung eines Kunstwerks erinnert, die gänzlich unabhängig davon ist, ob der produzierende Künstler den ästhetischen Normen, an denen sein Werk gemessen wird, bewußt oder unbewußt gefolgt ist.117 Deshalb darf man zum Be116 Bruck, Fahrlässigkeit. S. 7, Anm. 1 meint in dieser Frage schon 1880: „Neues wird sich schwerlich noch sagen lassen. Der Gesetzgeber hat nunmehr die Pflicht, sich für eine Ansicht zu entscheiden und dieselbe zu legalisieren.“ 117 Auch Kohlrausch, S. 28 weist darauf hin, und wenn Finger, Lehrb. I, S. 231, ihn zu widerlegen sucht mit der Bemerkung, es liege eine Verwechslung von Geschehen und Handeln vor, so dürfte das nicht überzeugend sein, weil man ebensogut
§ 5. Das Bewußtsein einer rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit73
weise der Erforderlichkeit einer subjektiven Stellungnahme des Täters nicht leichthin auf den „bösen Willen“ oder auf den Begriff der Schuld verweisen, und daraus, daß das Strafrecht eine Schuld kennt, ableiten, dieser Begriff des Strafrechts müsse alle diejenigen Elemente aufweisen, die man aus irgendwelchen Gründen seinem von vornherein feststehenden Begriff der Schuld zuschreibt. Um eine Antwort auf unsere Frage zu finden, wird demnach nichts anderes übrig bleiben, als nachzusehen, ob das positive Recht seine Verantwortlichmachung von einem bestimmten Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Qualifikation der Handlung abhängig macht, oder ob sich andere juristische Gründe dafür finden lassen. Was die einzelnen Gesetzesbestimmungen angeht, so sind die §§ 43, 56, 57 und 59 – in der letzten Zeit allerdings auffallend weniger – herbeigezogen und mit einem bemerkenswerten Aufgebot von Scharfsinn interpretiert worden, und zwar sowohl um die Notwendigkeit des fraglichen Erfordernisses, wie auch um das Gegenteil zu beweisen.118 Der Streit um die Auslegung des § 59 bezieht sich auf den Inhalt des Vorsatzes, gehört also nicht hierher, wie denn überhaupt daran erinnert werden darf, daß es sich ausvon der strafrechtlichen Verantwortung sagen kann, sie beurteile eigentlich nur das sozial schädliche Geschehen, nicht das Handeln. 118 Man wird mit den Verteidigern der letzten Ansieht annehmen müssen, daß den Verfasser des Reichsstrafgesetzbuches der Satz: error juris nocet als etwas Selbstverständliches vorgeschwebt habe. Denn wenn auch der § 44 des Pr.St.G.B. von 1851 das nicht direkt aussprach, so wurde diese Bestimmung doch in der Theorie und Praxis allgemein so aufgenommen. Vgl. Oppenhoff, Rechtsprechung des Obertribunals, Bd. I S. 19, Bd. V S. 156, Heinemann, S. 122 f., Simon, G.S. S. 32, S. 420–424. Vgl. auch Rοsenberg, Z. 23, S. 224 f. Aus dem vorliegenden Wortlaut des geltenden Strafrechts ergibt sich jedoch nichts. Der § 43, den Οrtlοff, G.S. 34, S. 427 heranzieht, kann deshalb nicht verwertet werden, weil er die Ausdrücke Verbrechen und Vergehen nur als Gegensatz zu Übertretungen gebraucht und damit weiter nichts sagen will, als daß der Versuch von Übertretungen nicht gestraft wird. Lucas, Subjektive Versch., S. 72 / 73 bringt noch ein Argument vor: Ob das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Verbrechen gehöre, solle ja gerade bewiesen werden, es sei also eine petitio principii, das aus dem Gebrauch des Wortes an dieser Stelle zu folgern. Ernstlich in Frage könnte kommen der § 56, den Ortloff, G.S. 31, S. 401 f., Strafbarkeit bei Rechtsirrtum, S. 57 f., zu verwerten sucht. Jedoch hat der Ausdruck: die zur Strafbarkeit erforderliche Einsicht nur Bedeutung für die Zurechnungsfähigkeit, also eine Schuldvoraussetzung, nicht die Schuld selbst; es ist ja nur von der erforderlichen Sorgfalt die Rede. Vgl. Lukas, S. 72, Bruck, Fahrlässigkeit, S. 28, Hälschner, D. Str. I, S. 221, Binding, Ν. II, S. 466, 467 (der hier die, allerdings inkorrekte, Definition der Zurechnungsfähigkeit finden will), v. Liszt, Deliktsobligationen, S. 52 (zu § 828 B.G.B.). Auch folgt aus dem § 56 nicht, daß diese Einsicht selbst zur Schuld gehöre (Olshausen, zu § 56 Nr. 4). Man kann niemand aus seiner Einsicht in die Strafbarkeit einen Vorwurf machen; diese kann höchstens Schuldvoraussetzung sein.
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schließlich darum handelt: gehört die Bezugnahme auf das Bewußtsein der Unerlaubtheit in die Schulddefinition; deshalb ist immer mit zu berücksichtigen, daß auch bei Fahrlässigkeit gestraft wird, und eine Reihe von Argumenten, die sich auf den Vorsatzinhalt beziehen, scheiden aus. Was also die Frage nach der Bedeutung des Bewußtseins der Unerlaubtheit für die Schuld angeht, so wird man sagen dürfen, daß aus den erwähnten Paragraphen keine Antwort zu entnehmen ist. Nun könnte es den Anschein haben, als wäre mit solchen Resultaten der bisher eingeschlagene Weg, aus dem positiven Strafrecht den Schuldbegriff zu entnehmen, und das Ziel, eine Schulddefinition des geltenden Rechtes zu finden, als unmöglich erwiesen. Aber es sollte nicht aus einzelnen Paragraphen und gelegentlichen Ausdrücken des Gesetzes die Schulddefinition genommen werden – sonst wäre ja auch eine Auseinandersetzung mit den das Wort „unverschuldet“ gebrauchenden §§ 54 und 213 nötig gewesen; sondern es sollte versucht werden, aus den Voraussetzungen, an die der Gesetzgeber prinzipiell seine Strafe knüpft, eine rein formale Bestimmung dessen zu finden, wofür der strafende Staat heute seinen Vorwurf macht. Die Tatsache also, daß zwei oder drei Paragraphen, von denen man das erwarten möchte, eine grundsätzliche Ansicht nicht aussprechen, darf nicht entmutigen; sie kann ja auch der Auffassung entsprungen sein, der Gesetzgeber habe es der Wissenschaft zu überlassen,119 Definitionen aufzustellen. Auf jeden Fall aber ist der Gesetzgeber gezwungen, dadurch, daß er nur bestimmte Wesen unter bestimmten Voraussetzungen straft, auszusprechen, wem im Grunde genommen die in der Strafe liegende Mißbilligung gilt. Auf keinen Fall wird es demnach nötig sein, das Strafrecht, ohne das Strafgesetzbuch zu beachten, in dieser Frage mit Tittmann, I, § 2 für eine „rein philosophische Wissenschaft“ zu erklären. Man mag daher noch so sehr mit Makarewicz, Philosophie, S. 406, der Ansicht sein, daß die Nichtberücksichtigung der subjektiven Stellungnahme des Täters zur Norm einem fortschrittlichen Strafrecht nicht entspreche, man mag mit Dohna, G.S. 65, S. 321 annehmen, es sei eine Rückkehr in die alte Barbarei der Erfolgshaftung, wenn man das Erfordernis des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit nicht anerkenne, man kann dem Satz Allfelds, Rechtsirrtum, S. 21, zustimmen, daß es der Gerechtigkeit im Sinne der Anschauungen der Rechtsgenossen widerstreite, Strafen 119 Die sehr entgegengesetzten Meinungen darüber gruppieren sich folgendermaßen: gegen eine Legaldefinition sind: Mittermaier, Arch. 1835, S. 427, § 54 Anm. III des Feuerbachschen Lehrbuches (14. Aufl.), Hälschner, D. I. 303 (aber nur „solange kein Bedürfnis obwaltet“), Βünger, Ζ. 6 S. 350, Lucas, S. 3 f. Dafür sind: Bekker, Theorie, S. 331, Binding, Ν. II, S. 458, Bruck, S. 106–109, Löffler, Schuldformen, S. 252, Miricka, S. 95, Allfeld, Rechtsirrtum, S. 40, Hippel, III, 464 Anm. 2 und die Begründung des Vorentwurfs I, S. 199). Eine Übersicht über die darauf bezügliche Literatur bis zum R.Str.G.B. bei Hemmen, Dolus, S. 81–83.
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ohne Rücksicht auf das Vorhandensein des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit zu verhängen – alles das sind Erwägungen außerhalb des Themas; sie dürfen nicht von einer unbefangenen Erforschung des positiven Rechtes abhalten. Dura lex, sed lex. Auf der andern Seite aber kann natürlich ebensowenig die Furcht vor einer übergroßen Milde oder einem Verfall der Rechtsordnung, sobald jeder sich mit seiner Gesetzesunkenntnis entschuldigen könnte,120 ein Argument bilden. Nachdem der Wortlaut des Strafgesetzbuches die Antwort schuldig geblieben ist, wird nichts anderes übrig bleiben, als Oetker, Rechtsirrtum, S. 5 zuzugeben: „eine allseitig befriedigende Lösung der Frage ist nur dann zu erwarten, wenn man ihre Stellung im Rechtssysteme, ihren Zusammenhang mit den obersten Prinzipien des Strafrechts, dem Rechtsgrund der Strafe, dem schuldhaften Willen, mit der Natur der Strafrechtssätze, der Handlungsfähigkeit, dem Tatbestande der Verbrechen zu begreifen sucht.“ Es seien daher einige wichtige Argumente, die aus allgemeinen juristischen Gesichtspunkten gewonnen sind, erörtert. Zunächst sind hier die Ausführungen Klees (Zur Lehre vom Vorsatz) zu erwähnen, welche die ganze Frage abstellen auf das Verhältnis des Staates zum Individuum und sowohl für die Schuld überhaupt, wie speziell für den Vorsatz zu dem Resultate gelangen, „daß die kanonische Auffassung des Verbrechens als einer Sünde, eine Auffassung, die das Bewußtsein von der kriminellen oder moralischen Qualifikation der Handlung in den Begriff des Vorsatzes hereingetragen, dem eigentlichen Wesen des Strafrechts fern liegt, welches die· Selbstbehauptung des sozialen Organismus ist“. Es scheint, als wollte Klee aus dem Schuldbegriff auch die Beziehung auf ein Unwerturteil ausscheiden, weil er energisch erklärt, für ihn habe das Wort Schuld keinerlei sittlichen Beigeschmack (S. 78). Doch will er damit nur sagen, daß sein Schuldbegriff von der Stellungnahme des individuellen Willens zur Norm und von jedem Schuldbewußtsein unabhängig sei. Wohl aber muß er nach dem ganzen Charakter seiner Ausführungen über die erhabene Stellung des Staates gegenüber dem Individuum in dem Schuldurteil ein mit besonderem Pathos ausgesprochenes Werturteil erblicken. Wenn Klees Ausführungen etwas beweisen, so vor allem das eine, daß aus der Stellung des Staates gegenüber dem Individuum eine Berücksichtigung des Bewußtseins der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit der Handlung nicht notwendig folgt. Die anderen Gesichtspunkte, aus denen sich eine solche Berücksichtigung ergeben könnte, sind damit noch nicht ausgeschlossen. Klees Auseinandersetzungen sind auch deshalb hier zu erwähnen, weil zuweilen (z. B. 120 Heinemann, Bindingsehe Schuldlehre, S. 56, Lucas, Subjektive Versch. S. 80, G.S. 36, S. 422, v. Bar, Gesetz und Schuld, II, 373 f., G.S. 74, S. 283. Auch Stooß, Schweizer. Z. f. Strfr. 12, S. 1 f.
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von Gretener, Neue Horizonte, S. 12) gerade aus dem Pathos des Unwerturteiles geschlossen wird, daß ohne Kenntnis des Täters von der Strafwürdigkeit seiner Handlung dieses Pathos roh oder lächerlich erschiene. Ein solches, einem subjektiven Eindruck entnommene Argument kann sich also nicht einmal auf die Allgemeingültigkeit der ihm zu Grunde liegenden Stimmung berufen.121 Eine Reihe von namhaften Autoren versucht aus der Tatsache des Zusammenhanges zwischen Strafschuld und der Schuld im Sinne der ethischen Wertanschauungen der Zeit und des Volkes die Beachtlichkeit der subjektiven Stellungnahme des Täters zur übertretenen Norm abzuleiten. Dieser Methode muß sofort entgegengehalten werden, daß sie einen fertigen, aus der (Sozial-)Ethik entnommenen Schuldbegriff von außen her an das Strafrecht heranträgt, daß sie also auf die Frage: was ist Schuld im Sinne des Strafrechts? eigentlich keine Antwort geben kann. Es ist eine petitio principii, zu sagen: das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit gehört deshalb zum Schuldbegriff, weil ohne das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit eine Schuld überhaupt nicht möglich ist. Daß es eine Reihe von Delikten gibt, bei denen sich die moralischen Anschauungen der Rechtsgenossen besonders auffallend mit dem Strafrecht einverstanden erklären, ein solcher Nachweis genügt keineswegs, um von der absoluten Übereinstimmung der beiden Schuldbegriffe zu überzeugen. Liepmann, Einl. S. 136, hat auf den Unterschied zwischen Kriminalunrecht und Polizeiunrecht gerade in dieser Frage aufmerksam gemacht, – wie auch schon Windelband, Über Willensfreiheit, S. 216.122 Die Wichtigkeit dieses Unterschiedes, der übrigens mit dem Unterschied zwischen kriminellem und polizeilichem Unrecht, soweit die Schuld in Frage steht, vielleicht im wesentlichen kongruent, aber nicht notwendig identisch ist, wird in künftigen Strafgesetzbüchern nicht unbeachtet bleiben dürfen. Das vorliegende positive Recht aber kümmert sich nicht darum, und es wird daher nötig sein, der „eigenen Spur vergessen“, dessen Regeln aufzusuchen.123 Kohlrausch hat S. 28 darauf hingewiesen, daß es ganz allgemein, also auch für die Schuld im Sinne der ethischen Anschauungen des Volkes zu121 Auch Frank, Kommentar 5.–7. Aufl., S. 131 sagt, daraus, daß die Schuld Vorwerfbarkeit sei, folge noch nicht, daß man aus seinem Verhalten nur demjenigen einen Vorwurf machen könne, der dessen Rechtswidrigkeit gekannt habe. 122 Vgl. auch Stooß, Z. 24, S. 320 Anm. 123 Lucas, Subjekt. Versch. S. 121, meint, daß das gesamte Strafrecht generisch gleich ist und Unterschiede nur durch die Erheblichkeit der Rechtsverletzung oder Bedrohung begründet werden können. Er nennt die Frage nach der Trennung von Kriminal- und Polizeiunrecht für das geltende Recht wenigstens eine Doktorfrage. Es kann aber trotzdem nicht darauf eingegangen werden.
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nächst nur eine Behauptung ist, wenn Merkel und M. E. Mayer erklären: ohne Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit keine Pflichtwidrigkeit. Pflichtwidrig und bewußt pflichtwidrig ist keineswegs notwendig dasselbe. Kohlrausch unternimmt daher eine ganz neue Beweisführung, die das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit als für den Schuldbegriff (nicht etwa bloß für den Vorsatz) notwendig erweisen soll, und die schon ihrer Originalität wegen geeignet ist, Bedenken zu erregen gegen die plausible Argumentation: solange nicht die Notwendigkeit eines solchen Bewußtseins bewiesen ist, gehört es nicht in die Begriffsbestimmung, ist es nicht begriffsnotwendig. Kohlrausch geht folgendermaßen vor (S. 32): Wenn man fragt, warum ging das Strafrecht von der Erfolgshaftung zur Schuldhaftung über, oder genauer: welches können die Gründe dafür sein? so sind nur zwei Antworten möglich: weil der Täter gewußt hat, was er tat und deshalb sozialgefährlich ist, – oder aber, weil er nur beim Vorliegen des fraglichen Bewußtseins wissen konnte, daß er nicht so handeln durfte. Da aber das geltende Strafrecht nur die Einzeltat bewertet, so ist die letzte Antwort die richtige, und damit das Erfordernis der Pflichtvorstellung erwiesen und die Schuld abhängig von dem Vorhandensein und der Intensität der Pflichtvorstellung. Über die Trennung von Schuld und sozialer Gefährlichkeit, wie sie Kohlrausch vornimmt, ist schon gesprochen worden. Gegen die eben erwähnte Argumentation wird von Gοldschmidt, G.A. 51, S. 340 ff. und von Beling, Verbrechen, S. 192 geltend gemacht, daß nicht die Pflichtvorstellung, sondern der Mangel des Pflichtgefühls Grundlage der Schuld ist. Von der Intensität der Pflichtvorstellung zu reden, ist ja schon unmöglich, es kann sich höchstens um die Intensität des Gefühlswertes einer Vorstellung handeln. Ferner weist Beling darauf hin, daß K. an moralische Pflichtvorstellungen denkt, wenn er Nero und Cesare Borgia für schuldlos erklärt, während es hier nur auf juristische Pflichtvorstellungen ankomme. Doch wird das K. deshalb nicht treffen, weil er offenbar davon ausgeht, daß der ethische und der rechtliche Schuldbegriff von gleicher Struktur sind, demnach die Pflichtvorstellung immer die gleiche formale Bedeutung für die Konstituierung der Schuld haben muß, mag es sich nun um moralische oder juristische Pflichtvorstellungen handeln. Aber noch aus einem anderen Grunde als den eben erwähnten dürfte der schwierige Nachweis auch Kohlrausch nicht gelungen sein. Die ganze Methode seiner Beweisführung kann eingestandenermaßen schwerlich zu zwingenden Gründen gelangen. Zudem aber birgt die Fragestellung: warum ging man von der Erfolgshaftung zur Schuldhaftung über? eine Reihe von unbewiesenen Behauptungen in sich. S. 31 wird gesagt: nach wie vor enthält die Pönalisierung einer Tat ein Werturteil; geändert hat sich aber das Objekt der Beurteilung; nicht an den Erfolg, sondern an das Verhalten des Täters wird
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jetzt der Maßstab herangetragen. So selbstverständlich das scheint, so wenig selbstverständlich ist es. Es wird nämlich stillschweigend vorausgesetzt, daß man in den Fällen der Erfolgshaftung für den Erfolg als solchen, nicht für einen Willen strafen wollte. Freilich liegt, wie schon eingangs erwähnt, nach der großen Mehrzahl der Autoren dem Gegensatz zwischen Schuld und Erfolgshaftung ein fundamentaler Unterschied im Objekt des Unwerturteiles zu Grunde, und namentlich die historischen Darstellungen der Entwicklung des Strafrechts in den Lehrbüchern gehen von diesem Gedanken aus. Es ist aber keineswegs absurd, anzunehmen, auch in den krassesten Fällen der Erfolgshaftung sei ein böser Wille, auf den der Erfolg zurückgeführt wurde, das gewesen, was von der Strafe getroffen werden sollte. Nach dieser Auffassung läge die Eigentümlichkeit der Periode der Erfolgshaftung darin, daß der böse Wille präsumiert (nicht fingiert) wurde, sobald der Erfolg gegeben war, was tatsächlich ja heute auch noch häufig genug vorkommt. Ist dem aber so, dann war nicht der Erfolg, sondern der böse Wille das Objekt des Unwerturteils, und dieses hat sich nicht geändert. Manches, das sich dem modernen Menschen als ungeheuerlich darstellt, findet seine Erklärung in dem Animismus der Naturvölker (Bierling, III. S. 246 f.); die Verantwortlichmachung von unbeteiligten Gliedern einer Sippe – von Löffler, Schuldformen S. 33, 35 als besonders schwerer Fall von Erfolgshaftung hingestellt – wird verständlich, wenn man erwägt, wie sehr die Gruppe damals objektiv und subjektiv (dem Verletzten) als ein einheitliches Individuum erscheinen mußte. (Vgl. Kohler, Enzykl. I, S. 57, Simmel, Soziale Differenzierung, 2. Abh.). Ferner soll hier ein Ausspruch Wildas (Germ. Strafr, S. 146) erwähnt werden, nach dem auch im ältesten germanischen Strafrecht der widerrechtliche Wille den Begriff des Verbrechens bestimmte. Es soll ferner daran erinnert werden, daß ein Rechtshistoriker wie Βrunner (Deutsche Rechtsgeschichte, II. S. 545, ähnlich: absichtslose Missetat, S. 815 f.) von Fällen der Verantwortlichmachung, die nach Kohlrausch als Erfolgshaftung zu bezeichnen wären, folgendes sagt: „Zwischen beiden Gruppen von Ausnahmefällen (der besondern Berücksichtigung der bösen Absicht und des Ungefährwerkes) lagerte die breite Masse der Übeltaten, bei welchen aus dem schädigenden Tatbestande ohne weiteres auf das Dasein des verbrecherischen Willens geschlossen wurde.“ Wenn das der Fall ist, das Objekt des Unwerturteiles also auch hier nicht der Erfolg, sondern der Wille des Täters ist, dann bedeutet der Ausdruck Erfolgshaftung keinen Gegensatz zur Schuldhaftung; und zwar auch dann nicht, wenn man Schuld nicht im Sinne der Nominaldefinition auffaßt, sondern darunter immer Willenschuld versteht. Die Erfolgshaftung dürfte dann eigentlich der Schuldhaftung nicht entgegengesetzt werden, sondern das Wort Erfolgshaftung wäre eine sehr treffende, aber mißverständliche Bezeichnung für eine besondere Methode des Schuldbeweises. Die Fragestellung von Kohlrausch, auf der
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sich seine ganze Deduktion aufbaut: warum änderte sich das Objekt des Unwerturteils? wäre danach unbrauchbar; denn es steht noch gar nicht fest, ob sich das Objekt des Werturteiles überhaupt geändert hat. Ganz abgesehen davon, daß man nach Makarewicz (Philos. S. 33) immer nur nach dem Wie, nicht nach dem Warum fragen soll, wäre folgende Fragestellung vielleicht richtiger: Warum glaubte man in der bloßen Verursachung eines schädlichen Erfolges nicht mehr ein unwiderlegliches Sympton für das zu erkennen, was man mit der Strafe eigentlich treffen wollte? Warum änderte man die Methode des Beweises? und als Antwort könnte sich nur ergeben: weil die psychologische Betrachtung des menschlichen Tuns eine andere wurde, weil sich der Kalkül verfeinerte. Man könnte nun weiter nach den Gründen dieser Verfeinerung forschen, das würde aber eine kulturhistorische, keine juridische Untersuchung mehr sein.124 Ein weiteres Argument für die Notwendigkeit des Bewußtseins einer Unerlaubtheit, das namentlich von Basedow (Die strafrechtliche Verschuldung) lebhaft verteidigt, das aber auch z. B. von Dohna, G.S. 65, S. 324 f. benutzt wird, muß als ein verhältnismäßig neues hier erwähnt werden, da es den Schuldbegriff betrifft, nicht etwa bloß ein solches Bewußtsein für den Vorsatz beweisen will. Basedow will die Entscheidung über die Schuldfrage abhängig machen von dem Schuldbewußtsein, einem Verantwortlichkeits- und Reuegefühl des Täters. Schwerlich aber wird jemand für das geltende Recht behaupten wollen, es müsse heute, da im allgemeinen gerade die verstocktesten Verbrecher am härtesten gestraft werden, jeder freigesprochen und für nichtschuldig erklärt werden, der glaubhaft macht, er fühle sich nicht schuldig. B. verlangt denn selbst auch keineswegs Schuldbewußtsein des Täters, sondern nur das Bewußtsein der Normwidrigkeit, weil dieses regelmäßig das Schuldbewußtsein begründe. Damit sinkt die ganze Argumentation in sich zusammen. Zunächst bedurfte es des Beweises, warum das Schuldbewußtsein überhaupt zur Schuld nötig ist. Ferner: wenn bei einem Täter trotz des Bewußtseins der Normwidrigkeit das Schuldbewußtsein sich nicht einstellt, und er dennoch wegen dieses Bewußtseins der Normwidrigkeit für schuldig erklärt wird, dann war es überflüssig, das Schuldbewußtsein herbeizuziehen. Zudem: wenn bei einem zurechnungsfähigen Menschen dieses Schuldbewußtsein trotz des Bewußtseins der Normwidrigkeit nicht eintritt, obwohl es normalerweise eintreten müßte, dann ist ein solcher Mensch eben nicht mehr zurechnungsfähig, und eine Bestrafung wäre nach geltendem Rechte ausgeschlossen. Aber gerade Kohl124 Dem Argument, das Kohlrausch, S. 92 f., aus der teleologischen Natur des Begriffes Erfolg – deren Nachweis gegenüber der herrschenden Erfolgsdefinition sein Verdienst ist – entnimmt, mißt K. selbst keine zwingende Bedeutung bei. Auch würde es die Schuld bei unbewußter Fahrlässigkeit, von der K. niemals spricht, kaum zu begründen vermögen.
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rausch hat Basedow gegenüber auf die sehr zahlreichen Ausnahmen hingewiesen und auf den hartgesottenen Sünder, „der sich zwar der antisozialen Bedeutung der Normwidrigkeit, ja der Strafbarkeit seines Tuns bewußt ist, bei dem aber jenes ‚eigentümlich erregende Gefühlsmoment‘ jenes ‚Schuldbewußtsein‘ nicht mehr mit dem bewußt normwidrigen Handeln verbunden ist“ (S. 29). Interessant ist ferner die von bedeutenden Psychiatern (z. B. von Schäfer125) gemachte Beobachtung, daß gerade Geisteskranke ein sehr stark entwickeltes Schuldbewußtsein haben können. Und endlich: in welchem Momente sollte auch das Schuldbewußtsein des Täters erforderlich sein? Im Augenblick der Begehung der Tat kann es unmöglich verlangt werden, denn dann wären wohl die meisten Affektverbrechen und erst recht alle unbewußt fahrlässigen Delikte eo ipso straflos. Es aber nachträglich noch zu beachten, zu sagen, der Täter muß sich bewußt sein, böse gehandelt zu haben (Dohna, G.S. 65, S. 320), das hieße, das Recht des Staates, zu strafen, abhängig machen von einem nachträglichen, mehr oder weniger zufälligen Akt des Täters, sodaß der Verbrecher sehr töricht handelte, wenn er Schuldbewußtsein äußerte. Man wird vielleicht moralisch nur unter dieser Voraussetzung von Schuld reden können; aber daß der Zweck des Gefängnisgeistlichen der ist, durch Erweckung des Reuegefühls beim Gefangenen dem Staate das Recht zur Bestrafung zu verschaffen, daran hat wohl noch kein Jurist im Ernst gedacht. Dem Schuldbewußtsein Strafschuld konstituierende Bedeutung beilegen, das heißt, wie Klee S. 79 treffend sagt, eine mehr oder weniger zufällige Begleiterscheinung zur Voraussetzung der Schuld machen, ein naturale zum essentiale. Es bleibt nur noch das einzige positive Argument, das auf jeden Fall eine Antwort geben muß, und tatsächlich eine befriedigende gibt: die Natur der für die Schuldfrage in Betracht kommenden Normen. Ihr imperativischer Charakter wurde schon hervorgehoben, aus ihm scheint mit absoluter Sicherheit der von Hold von Ferneck (Rechtswidrigkeit, S. 281 / 282) ausgesprochene Satz zu folgen: „eine Handlung als pflichtwidrig prädizieren heißt, sie mit der Psyche des von der Norm betroffenen in Verbindung bringen: der tatsächliche Vorgang, der zu Grunde liegt, wenn man von Pflichtwidrigkeit spricht, besteht darin, daß die individuellen Motive des Verpflichteten im Kampf mit dem vom Rechte gegebenen oder entliehenen Motive die Oberhand behalten haben.“ Es ist aber offensichtlich, daß diese Folgerung für die Schuld bei Fahrlässigkeit nicht beibehalten werden kann. Hier kann von einem Kampf der individuellen mit dem vom Rechte gesetzten Motive nicht die Rede sein. Demnach wird man das Bewußtsein der rechtlichen Unerlaubtheit nicht in den Begriff der Schuld aufnehmen können; Schuld ist nicht bewußt pflichtwidrige Handlung; Schuld ist nicht 125 Allgemeine
gerichtliche Psychiatrie 1910.
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Auflehnung gegen das Gesetz; es ist nicht genau, wenn Hälschner (Pr. Strafr. S. 216) und ähnlich Bekker (Theorie, S. 240) sagen: das Verbrechen erhält seine Existenz durch den sich auflehnenden Willen. Wer fahrlässig einen Menschen tötet, bei dem kann von einem sich gegen den Befehl des Staates, auflehnenden Willen nicht gesprochen werden, ebenso wenig wie von einem Kampf mit dem vom Recht gegebenen Motiven oder von Mißachtung des Rechts (Janka, Grundl. S. 51). Der fahrlässig Handelnde wird auch gestraft, wenn feststeht, daß er bei Kenntnis der Folgen seines Tuns die Handlung unterlassen hätte – was wohl in den meisten Fällen fahrlässigen Handelns der Fall sein wird. Sagt man aber, das Spezifische der Schuld des fahrlässig Handelnden liege eben darin, daß er sich des Befehles nicht bewußt geworden sei, obwohl dieser bekannt und wirksam hätte sein müssen, die Schuld liege in der Unkenntnis trotz der Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit, – so muß man zugeben, daß die Schuld bei dieser Unkenntnis eine wesentlich andere ist als da, wo trotz der Kenntnis des Befehles gehandelt wird. Man täuscht sich selbst, wenn man sagt: nur bei Kenntnis des Befehles kann der Befehl verletzt werden: bei fahrlässigem Handeln besteht die Verletzung eben darin, daß der Befehl nicht gekannt war. So sagt z. B. Finger, Lehrb. S. 261: „da der strafrechtliche Vorsatz nur eine Art strafrechtlicher Schuld ist, so ist für diesen Vorsatz, wie für Schuld allgemein, das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit Voraussetzung“. S. 266 / 67 aber erklärt er die Fahrlässigkeit als die „pflichtwidrige Unaufmerksamkeit oder Gleichgültigkeit“. Von einer solchen müßte er konsequent nur dann reden, wenn auch hier das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit gegeben ist, denn die Fahrlässigkeit ist für ihn ja geradesogut wie der Vorsatz eine Art der strafrechtlichen Schuld. – Allfeld, Rechtsirrtum, S. 30 sagt: „die Schuld bei der Fahrlässigkeit liegt in dem Unterlassen der pflichtgemäßen Umschau nach den Folgen der Handlung“. Soll die Schuld hier die gleiche formale Struktur haben wie beim Vorsatz, so hätte es auch hier zu einem Kampf der Motive kommen müssen. Die beliebte Hilfskonstruktion eines Befehles zur Aufmerksamkeit, einer obligatio ad diligentiam,126 läßt im Stich, und zwar aus dem Grunde, weil auch dieser Befehl bewußt übertreten sein müßte, der Täter sich also bewußt in Unaufmerksamkeit versetzt haben müßte. Bei unbewußter Fahrlässigkeit wird man selten davon sprechen können; aber es 126 Davon sprechen außer den im Text erwähnten zuerst (für das Civilrecht) Hasse, Die culpa des römischen Rechts, 2. Ausg. 1838, S. 12 f. Von neueren: Buri, G.S. 29, Beil. S. 153 / 54, Bekker, S. 329, Hälschner, Pr. Strfr. 149, 157, D. I. 131, Lucas, Subjektive Versch., S. 108. (Man hat die Pflicht, „nur das mit der Rechtsordnung in Einklang Stehende und das auch in seinen Folgen nicht gegen dieselbe Verstoßende zu wollen“.) Höpfner, Z. 23, S. 650 konstruiert ein „Verbot zu handeln, ohne vorher wie ein bonus pater familias überlegt zu haben, ob das Handeln einen gewissen Erfolg herbeiziehen könnte“. Dohna, G.S. 65, S. 323. van Calker, Eth. Werte, S. 26, Begründung des Vorentw. I, S. 213 / 14.
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darf nicht übersehen werden, daß eine Reihe von Gelehrten anerkannt haben, daß eine solche Konsequenz aus ihrem Schuldbegriff nötig ist. Deshalb nimmt bekanntlich Feuerbach127 culpa nur dann an, wenn der Täter das Bewußtsein der „Verbindlichkeit zu gehörigem Fleiß“ hatte. Wer Bindings unbewußt rechtswidrigem Willen gegenüber geltend macht, ein unbewußt rechtswidriger Wille könne kein rechtswidriger sein, der muß notgedrungen die Fahrlässigkeit aus dem Strafrecht weisen, oder sie mit Feuerbach in der bewußten Übertretung der obligatio ad diligentiam finden, oder aber sie ist für ihn keine Willensschuld mehr. Damit ist die Ansicht, welche ohne Bewußtsein der Unerlaubtheit keine Schuld kennt, als dem. Schuldbegriff des geltenden Rechts nicht entsprechend erwiesen. Sehr deutlich wird das an der Besprechung des zweiten Bandes der Normen durch Geyer, Krit. Vierteljahresschr. 29, S. 402. Geyer hebt sehr nachdrücklich hervor: „der Wille, welcher etwas will, was dem Rechte widerspricht, aber dabei keine Vorstellung von diesem Widerspruch hat, an sich betrachtet, ist indifferent, schuldlos, denn ein unbewußter Widerspruch und ein gewollter Widerspruch sind Dinge, die sich gegenseitig ausschließen“ (S. 445). Auf der folgenden Seite wird die Fahrlässigkeit als Willensschuld dadurch erklärt, daß der Täter „die unter diesen Umständen gebotene und für ihn mögliche Aufmerksamkeit nicht angewandt und so, ohne es zu wollen, ein Übel herbeigeführt habe“; es soll nach G. eine ethische Pflicht zur Aufmerksamkeit bestehen. Seine Definition der Fahrlässigkeit kann man ohne weiteres zugeben; ebenso die Pflicht zur Aufmerksamkeit. Hält man aber daran fest, daß nur die bewußte Übertretung eines Gebotes schuldhaft sein kann, dann kann die Fahrlässigkeit nur in der bewußten Übertretung des Gebotes zur Aufmerksamkeit liegen. Auch die Versäumnis der Kenntnis des Gebotes, in der nach Binding, Normen II, S. 76 das Schuldhafte liegen soll, müßte nach einer solchen Auffassung bewußt geschehen. Es würde dem Bewußtsein des Individuums die Entscheidung darüber zugeschoben, ob Schuld vorliegt. Was die Konstruktion einer solchen schuldhaften Veräumnis selbst aber angeht, so hat Heinze, G.S. 13, S. 447 treffend gegen sie bemerkt, es sei nicht einzusehen, warum „die Bestrafung der schuldhaften Versäumnis von der unwissentlichen Übertretung eines anderen Strafgesetzes abhängen“ soll. Bei der Fahrlässigkeit, wenigstens bei der unbewußten, ist also ein Fall gegeben, wo der Täter für schuldig befunden wird, ohne daß bei ihm im Augenblick seines Handelns oder Unterlassens Kenntnis der Unerlaubtheit 127 Lehrb. I. Aufl., § 63, S. 47 / 48. Außerdem Rev., S. 55, Bibl. 202, 228 f. (Dagegen vgl. Luden, Abh. I, S. 261, Köstlin, Rev., S. 321.) Auch Schaffrath, Grundwissenschaft des Rechts 1842, zieht die Konsequenz, und Hälschner, D. 313, G.S. 21, S. 35, Liepmann, Einl. S. 130, scheinen sie anzudeuten.
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vorgelegen hätte. Damit ist aber bewiesen, daß es eine Strafschuld ohne Kenntnis der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwirigkeit usw. gibt. Es gibt Fälle, in denen auf die subjektive Stellungnahme des Täters zur Norm keine Rücksicht genommen wird. Der Schluß, den viele Gelehrte – ihrer Schulddefinition treu – gezogen haben, indem sie die Fahrlässigkeit aus dem Kriminalrecht herausweisen, dieser Schluß ist für das positive Recht, das auch bei der Fahrlässigkeit einen Vorwurf macht, unmöglich. Er hat auch heute wohl kaum noch Anhänger, während er in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, und selbst noch unter der Herrschaft des Reichsstrafgesetzbuches nicht selten vorgebracht wurde.128 Hertz, Unrecht § 14 geht davon aus, daß nur der bewußt rechtswidrige Wille rechtswidrig genannt werden könne; bei der unbewußten Fahrlässigkeit liegt das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit vor; sie gehört demnach nicht ins Strafrecht; wenn sie gestraft wird, so ist das, wie ausdrücklich betont wird, Strafe ohne Schuld, was aber aus politischen Gründen gerechtfertigt sein soll. Jedoch war das gerade des Beweises bedürftig, daß nur der bewußt rechtswidrige Wille rechtswidrig genannt werden kann; und wenn sich für das geltende Strafrecht ergibt, daß es ohne Bewußtsein der Bosheit einen bösen Willen annimmt, so darf nicht daraus gefolgert werden, das positive Strafrecht habe einen falschen Schuldbegriff, sondern nur, der Schuldbegriff von Hertz entspricht nicht dem positiven Recht. Selbst wenn das geltende Recht eine Vorsatzdefinition gäbe, die etwa der Art. 39 des Bayerischen Strafgesetzbuches von 1813 oder der Art. 41 des Hannoverschen, so würde daraus nur folgen, daß zum Vorsatz ein solches Bewußtsein gehört; für den Begriff der Strafschuld wäre noch nichts bewiesen. Demnach ist es, da die Kenntnis der einzelnen Paragraphen des Strafgesetzbuches von vornherein außer Betracht bleiben kann, nicht notwendig, daß der Täter sich der Norm bewußt war, die inhaltlich dem Strafgesetz zu Grunde liegt, mag man nun diese Norm mit Binding als Rechtsnonn bezeichnen, oder mag man weiter gehen, über das positive Recht hinaus auf den materiellen Inhalt, als dessen Form sich das Gesetz darstellt und etwa mit M. E. Mayer von Kulturnorm sprechen. Zur Schuld gehört nicht das Bewußtsein von der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit der Handlung. Die Frage, wie sie A. Westerkamp stellt: muß sich der Bewußtseininhalt auf die rechtliche oder sittliche Wertung der Handlung erstrecken? ist für die Strafschuld zu verneinen. Wenn Kohlrausch ohne ein solches Bewußtsein überhaupt keine Schuld annehmen will, so ist das, wie Goldschmidt, G. A. 128 Außer Hertz, Stübel, N. Arch. VIII, S. 295 f., Roßhirt, ebenda, S. 379 f., Zerbst, Arch. Cr. R. 1856, S. 214 f.; auch Tittmann I, S. 187 rechtfertigt die Bestrafung der Fahrlässigkeit aus politischen Gründen. Temme, Lehrb. S. 97 („man mag sich drehen und wenden wie man will, die Bestrafung der culpa ist nur aus polizeilichen Rücksichten im Strafgesetzbuch aufgenommen“), vgl. auch H. Groß in seinem Arch. 26, S. 78.
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51, S. 343 schon bemerkt, von vornherein ausgeschlossen; in Frage kommen kann nur die Möglichkeit eines solchen Bewußtseins. Ohne diese Möglichkeit freilich, das wird man mit Merkel, Lehrb. S. 67 / 69 anerkennen müssen, kann man nicht von Schuld reden. Soll der imperativische Charakter der Norm überhaupt eine Bedeutung haben, dann muß zugegeben werden, daß da keine Strafe eintreten kann, wo der Befehl unmöglich vernommen werden konnte. Wäre dem nicht so, dann brauchte der Gesetzgeber keine Rücksicht auf die moralischen Anschauungen seiner Zeit und seiner Kulturepoche zu nehmen, er brauchte seine Gesetze nicht zu publizieren. In Wirklichkeit aber muß ihm daran gelegen sein, daß sein Befehl als Motiv wirken konnte. Handelt es sich demnach um einen zurechnungsfähigen Menschen, der unmöglich wissen konnte, daß ihm ein bestimmtes Tun verboten war, so ist bei ihm auch die Wirksamkeit des Befehles als Motiv von vornherein ausgeschlossen; aber nicht, wie beim Zurechnungsunfähigen wegen der persönlichen Eigenschaften, sondern sozusagen aus äußerlichen Gründen. Es hieße dem Gesetzgeber einen Selbstwiderspruch vorwerfen, wenn er einen solchen Menschen trotz der Unmöglichkeit des Bewußtseins einer Unerlaubtheit strafen soll. Er könnte ebensogut Wolken und Winde strafen wollen, um einen Ausdruck Bindings zu gebrauchen. Wobei allerdings zu bemerken ist, daß Binding hier mit Beziehung auf die Zurechnungsunfähigkeit spricht. Diese geht nicht in der Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit auf; sie wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß diese Möglichkeit nicht vorliegt, sondern: die Zurechnungsfähigkeit ist vorausgesetzt; es handelt sich nun weiter um die Zurechnung der einzelnen objektiv falschen Zwecksetzung zur Schuld; und es soll gesagt werden, diese Zurechnung ist ausgeschlossen, wo die Kenntnis von der Unrichtigkeit der Zwecksetzung ausgeschlossen ist. Das ist eine aus der Natur der Strafrechtssätze sich ergebende Konsequenz. Aber in dieser Begründung liegt gleichzeitig eine Beschränkung. Die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit ist eine Schuldvoraussetzung; aber sie gehört nicht zur Schuld; es wäre ungenau, die Schuld als die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit zu definieren, denn nicht dieses Bewußtsein und ebensowenig diese Möglichkeit, ist das, was dem Täter vorgeworfen wird. Die Möglichkeit liegt vielleicht darin, daß er in einem bestimmten Milieu groß geworden ist, oder eine besonders gute Erziehung genossen hat, – alles Dinge, aus denen man niemand einen Vorwurf machen kann. Als Schulddefinition ist jener Ausdruck daher abzulehnen. Die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit ist aber ebensowenig Schuldelement; sie gehört nicht zur Schuld, sondern ist eine von außen herangebrachte, allerdings aus dem Wesen der Rechtsnormen sich ergebende Schuldvoraussetzung. Was die Schuld ausmacht, ist und bleibt „faktischer Gegensatz des individuellen Willens zum allgemeinen“ (Wächter, Lehrb.
§ 5. Das Bewußtsein einer rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit85
S. 22). Ob zum Vorsatz das Bewußtsein der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit als Begriffsmerkmal gehört, darüber ist noch nichts entschieden. Das von Köhler (Strafbarkeit bei Rechtsirrtum, S. 72) gegen die Resultate von M. E. Mayers Rechtsnormen und Kulturnormen (S. 75) in dieser Frage erhobene Bedenken: wenn für Vorsatz und für Fahrlässigkeit und gleicher Weise die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit verlangt würde, so wäre damit ein Fahrlässigkeitsmoment in die Vorsatzdefinition eingeführt – dieses Bedenken trifft das bisher gewonnene Ergebnis nicht. M. E. Mayer stellt die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit nicht außerhalb des Schuldbegriffes, wie das hier geschah, sondern er fordert diese Möglichkeit für die Schuld; ohne das würde „die Geltung des Prinzips, das aufs strengste gewahrt werden soll, ‚keine Strafe ohne Schuld‘ erheblich beeinträchtigt werden“. Er hält Vorsatz und Fahrlässigkeit ausdrücklich als Schuldarten aufrecht, unterscheidet an der schuldhaften, d. h. pflichtwidrigen Handlung zwischen subjektiver und objektiver Pflichtwidrigkeit, und zwar soll jene ganz allgemein gegeben sein, wenn beim Täter die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit vorliegt, während die objektive Pflichtwidrigkeit verschieden ist, je nachdem es sich um Vorsatz oder Fahrlässigkeit handelt. Demnach, so schließt er, ist der gemeinsame Oberbegriff, Schuld, die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit; die differentia specifica der beiden Spezies, Vorsatz und Fahrlässigkeit, liegt in der verschiedenen Bedeutung der Vorstellung des Täters vom objektiv rechtswidrigen Erfolg als Motiv. – Aber dieses Schema der Schuld und der Schuldarten zeigt, daß die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit auch für Mayer eigentlich außerhalb der Strafschuld liegt. Wer handelt, trotz der Möglichkeit eines solchen Bewußtseins, der handelt nach M. schuldhaft; soll nun der Vorsatz eine Schuldart sein, so genügt es nicht, daß man die durch die Möglichkeit jenes Bewußtseins charakterisierten Handlungen nach irgend einem Gesichtspunkte einteilen kann, der mit jener Charakterisierung nichts zu tun hat. Durch Vorsatz und Fahrlässigkeit wird das Innenleben des Handelnden zum rechtswidrigen Erfolg in Beziehung gesetzt; aber das, was die Schuld begründet, die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit, bleibt bei beiden Schuldarten starr und unverändert. Besteht die Schuld in einem bestimmten Verhältnis der Psyche zur Pflicht, dann müssen die Schuldarten Arten dieses Verhältnisses sein, nicht aber, wie Vorsatz und Fahrlässigkeit, Arten der Herbeiführung eines strafrechtlichen Erfolges. Der Vorsatz kann nicht dadurch zu einer Schuldart werden, daß man bei der schuldhaften Handlung die Handlung als vorsätzlich und fahrlässig unterscheiden kann, sondern es ist für die Aufstellung von Schuldarten auf das Bezug zu nehmen, was die Schuldhaftigkeit ausmacht. Daß alle Handlungen, und deshalb auch die schuldhaften, in vorsätzliche und fahrlässige unterschieden werden können, kann den
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Charakter des Vorsatzes als Schuldart nicht konstituieren. Man kann den Vorsatz nicht dadurch zur Schuldart machen, daß man aus dem Kreise der durch die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit charakterisierten Handlungen einen Ausschnitt nimmt, der bestimmt wird durch die Fälle des vorsätzlichen Handelns; denn durch diese, mit Beziehung auf die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit zufällige Scheidung wird das innerhalb des Segmentes Fallende noch nicht zur Spezies des innerhalb des übrigen Kreises Liegenden. Die unbedingt erforderliche Verschmelzung von Schuld und Vorsatz ist nicht gelungen, der Vorsatz wird vielmehr äußerlich an die Möglichkeit des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit geklebt.129 Nach alledem kann die Tatsache des imperativischen Charakters der Norm, für das geltende Recht wenigstens, nicht die Bedeutung haben, daß der Befehl bekannt sein muß, damit Schuld vorliegen kann. Andererseis aber darf diese Tatsache nicht einfach übersehen werden, und es bleibt somit nichts übrig, als ihr dadurch Genüge zu tun, daß man das Bewußtsein einer Normwidrigkeit (im allgemeinsten Sinne des Wortes) oder vielmehr seine Möglichkeit als Schuldvoraussetzung anerkennt, womit deutlich gesagt ist, daß die Schuld selbst nicht in der bewußten Auflehnung des Willens besteht. Das hier gewonnene Resultat findet seinen prägnantesten Ausdruck in dem Satze van Calkers: „das Strafgesetz kann als Beurteilungsnorm nur da zur Anwendung kommen, wo ihm die Möglichkeit gegeben ist, als Befehlsnorm zu wirken.“130 Weil es genügt, die Bedeutung der Berücksichtigung des fraglichen Bewußtseins für die formale Struktur des Schuldbegriffes erkannt zu haben, und weil es sich nach der vorgetragenen Auffassung dabei immer nur um eine Schuldvoraussetzung, nicht um etwas zur Schuld Gehöriges handeln kann, so braucht der Maßstab nicht näher bestimmt zu werden, nach dem sich einerseits die Möglichkeit, und andererseits die Norm- oder Pflichtwidrigkeit berechnet. Die als Resultat des vorigen Abschnitts gewonnene Schulddefinition wird also nicht berührt. Nicht der „wissende Trotz“ ist das Objekt des Unwerturteiles, sondern der objektiv böse Wille, ein Begriff, dem durch die Verwertung des Zweckbegriffes eine größere Präzision zu geben versucht wurde. Es bedarf jedoch, um vollständig zu sein, der Hinzufügung der in zu Mayers Terminologie im II. Teile der Arbeit. v. D. Allgem. Teil III, S. 188. Vgl. auch Ethische Werte, S. 26. Der Satz wird von Goldschmidt, G.A. 51, S. 342, in der Besprechung von Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, öfters zustimmend erwähnt. Doch stimmt van Calker bezüglich des Schuldbegriffes nicht mit den Ausführungen des Textes überein, schon deshalb nicht, weil auch für ihn V. und F. Schuldarten sind. 129 Weiteres 130 R.
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diesem Abschnitt gewonnenen Einschränkung, so daß sich als endgültige Schulddefinition ergibt: Schuld ist die konkrete, den Zwecken des Rechtes nicht entsprechende Zwecksetzung eines zurechnungsfähigen Menschen, bei dem das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit möglich war. Von dieser Definition aus muß untersucht werden, als was die beiden Begriffe V. und F., so wie sie heute gebraucht werden, zu qualifizieren sind. Auf den materiellen Inhalt des Schuldbegriffes einzugehen, wird nicht erforderlich sein. Freilich, daß man eine Betrachtung dieses materiellen Inhaltes ungebührlich vernachlässigt hat, ist v. Liszt, Lehrb. S. 51, ohne weiteres zuzugeben; daß eine Einigung darüber keineswegs erzielt ist, aber ebenfalls. Eines jedoch ist zweifellos: es kann sich bei dieser Frage nach dem materiellen Inhalt nur darum handeln, welchen Inhalt die Zwecke haben oder haben sollen, an denen die individuelle Zwecksetzung gemessen wird, d. h. welche Faktoren jene Zwecke inhaltlich zustande bringen. Die Frage wäre keine dogmatische mehr, sondern eine rechtsphilosophische oder kulturhistorische. Auf die Frage, als was die Darstellung des geltenden Strafrechts Vorsatz und Fahrlässigkeit zu bezeichnen hat, kann eine wissenswerte Antwort gegeben werden, ohne daß alle jene, wohl noch lange kontrovers bleibenden Probleme entschieden sind; – vielleicht ist das, wenn es um ein klares Resultat zu tun ist, sogar notwendig.
II. Über das logische Verhältnis des Begriffes Schuld zu den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit Auf die Frage: wenn alle Schuld böser Wille ist, was sind dann Vorsatz und Fahrlässigkeit? liegt die Antwort nahe: Arten des bösen Willens, weil sie Schuldarten sind. Diese Antwort setzte aber die Richtigkeit der Terminologie „Schuldarten“ voraus, und gerade diese soll untersucht werden. Nach den bisher gewonnenen Resultaten steht vielmehr nur das fest: Schuldarten sind Arten des bösen Willens, Arten unrichtiger Zwecksetzung. Diese Konsequenz ist z. B. von Binding, Normen II, S. 115131 gezogen worden: Schuld ist rechtswidriger Wille, Schuldarten sind der bewußt und der unbewußt rechtswidrige Wille. Die Begriffe, welche die beiden Arten des bösen Willens bezeichnen, wird man Schuldarten nennen dürfen; aber natürlich nur dann, wenn man ihnen einen solchen Inhalt gibt, daß sie wirklich als Arten des bösen Willens erscheinen. Ob Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind, richtet sich also darnach, welchen Inhalt man den beiden Worten gibt. Nicht aber dürfte man mit Binding132 schließen: man muß den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit diesen Inhalt geben, weil sie Schuldarten sind. Eine solche Argumentation würde an dem schon mehrere Male zurückgewiesenen Fehler leiden, daß sie von der absoluten Richtigkeit einer in Wirklichkeit sehr schwankenden Terminologie ausgeht, mit einer unbewiesenen Prämisse operiert; ein Fehler, an dem auch die für unser Problem wichtigen Ausführungen Dohnas, Z. 27, S. 329 f. kranken. Die richtige Fragestellung ist vielmehr: was versteht man unter Vorsatz, welchen Inhalt gibt man diesem Wort? was unter Fahrlässigkeit? Wenn nun die verschiedenen Theoretiker des Strafrechts mit diesen Worten eine grundverschiedene Bedeutung verbinden, dann muß auch das logische Verhältnis 131 Vgl. auch van Calker, Ethische Werte, S. 26 f., 36, wo nach dem positiven und negativen Verhalten des Täters zum objektiv richtigen unterschieden wird. Ähnlich R. v. D. Allgem. T. III, S. 186. „Die verschiedene Intensität des Widerspruches (gegen die Normen des Zusammenlebens) wird heute durch die Unterscheidung der Schuldarten … zum Ausdruck gebracht“. 132 Normen, II. a. a. O. Außer van Calker auch Liepmann, Einl. S. 134, M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 145, Finger, D. Strafrecht I. S. 261, Schweitzer, Über den Irrtum im Strafrecht, S. 47 / 48. Ganz an Binding sich anschließend: Hammerer, Einfluß des Rechtsirrtums, S. 19 ff.
II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit89
zu dem Begriffe Schuld jedesmal ein grundverschiedenes sein, und es ist undenkbar, daß alle mit derselben Berechtigung von Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten sprechen. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind also nicht Arten des rechtswidrigen Willens, weil sie Schuldarten sind; sondern: wenn sie Arten des rechtswidrigen Willens sind, dann sind sie Schuldarten; sind sie das aber nicht, dann wird man sie nicht mehr Schuldarten nennen dürfen, sondern man muß sie anders qualifizieren. Von dieser Erwägung aus betrachtet, zerfallen die Ansichten über Vorsatz und Fahrlässigkeit in zwei große Gruppen: I. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind neutrale Begriffe, sie beziehen sich auf die Handlung im natürlichen Sinne. II. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind Begriffe mit auf die Rechtswidrigkeit bezugnehmendem Inhalt. Daß in diesen beiden Auffassungen zwei Systeme des Strafrechts sich gegenüberstehen, ist augenscheinlich; daß beide die Terminologie „Schuldarten“ gebrauchen, muß auffallen. Bevor jedoch näher darauf eingegangen wird, bedarf die Gruppierung selbst einer Erläuterung. Um ein Schlagwort zu gebrauchen, kann man das Unterscheidungsmerkmal darin erblicken, daß die einen vom Vorsatz, die anderen vom bösen Vorsatz reden, oder die einen vom dolus facti und die anderen vom dolus juris. Der Streit darum, ob der Vorsatz ohne weiteres dem bösen Vorsatz gleichzusetzen ist, war schon im dritten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts Gegenstand zahlreicher Abhandlungen; die Kontroverse endete damit, daß man den Vorsatz mit dem natürlichen Begriff der Handlung zusammen, und die Lehre vom Rechtsirrtum getrennt davon behandelte. Das geschah zuerst von Roßhirt, Arch. d. Crim. 1827, S. 491 f. S. 523: „wie wichtig es aber ist, darauf aufmerksam zu machen, daß die Lehre vom dolus mit der Lehre von der ignorantia juris nicht vermischt werde“ … und es ist interessant, damit die Ausführungen von Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, S. 1 f., zu vergleichen. – Eine dogmengeschichtliche Darstellung der Vorsatzlehre von diesem Gesichtspunkte aus würde, wenn sie einigermaßen gründlich sein sollte, weit über den räumlichen Umfang dieser Arbeit hinausgehen. Es wäre vor allem der Unterschied zwischen formeller und materieller Zurechnung zu beachten, wie ihn Κöstlin und Hälschner machen, die deshalb – und das ist für eine terminologische Arbeit das wichtigste – Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr als Schuldarten bezeichnen, sondern entweder (neben dem Versuch!) als Schuldgrade (so Köstlin, System, S. 97, 176, 203, 206, 245) oder aber ausdrücklich als „Arten der Vermittlung von Erfolg und Willensbestimmung“, nach denen sich das Maß der Schuld bemißt (so Hälschner, Pr. Str.
90 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
II, S. 121, D. I, S. 276). Die folgende Untersuchung soll in erster Linie modernen Autoren gelten, sie ist in der Hauptsache kritisch und soll vor allem nicht eine Entscheidung über die sachliche Richtigkeit der beiden verschiedenen Ansichten über den Inhalt von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu geben versuchen, sondern bei zugegebenem Inhalte die Berechtigung der von Vertretern beider Anschauungen gebrauchten Terminologie „Schuldarten“ prüfen.133 In die erste Gruppe gehören nicht nur diejenigen Autoren, die mit v. Liszt ausdrücklich die Allgemeingültigkeit der in Frage stehenden Begriffe betonen und die Widerrechtlichkeit als etwas wenigstens dem Vorsatze Wesensfremdes hinstellen, vielmehr auch solche, die nach ihrer eigenen Versicherung nur von dem Vorsatze reden, der sich auf strafrechtlich relevante Erfolge bezieht, die ihn aber gleichzeitig so definieren, daß auch rechtlich gleichgültige Erfolge darunter fallen können und die Begrenzung auf die tatbestandsmäßigen Erfolge als eine äußerliche und das Wesen des Vorsatzes nicht berührende Einschränkung erscheint. Das ist überall da der Fall, wo das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit ausgesprochenermaßen als nicht zum Vorsatzbegriff gehörig abgelehnt wird. Deshalb würde Lucas z. B. in die I. Gruppe gehören; er betont zwar, Subjektive Verschuldung, S. 2, der gewöhnliche Vorsatz sei ein indifferenter Begriff und daher werde, um Mißverständnisse zu vermeiden, das Wort dolus gebraucht; somit sind für ihn Vorsatz und rechtswidriger Vorsatz identisch (S. 146). Aber wie wenig es ihm um das hier interessierende Problem zu tun ist, zeigt sich sehr deutlich darin, daß er die Vorsatzdefinitionen von Wächter und v. Liszt, S. 6 nebeneinander stellt. – Wächter verlangt den auf die Verletzung des Rechtsgutes gerichteten Willen zum Dolusbegriff, während die Defini 133 Literaturangaben zu der Kontroverse, ob der Vorsatz böser Vorsatz sei, finden sich bei Mittermaier, Anm. III zu § 59 des Feuerbachschen Lehrb. 14. Aufl. Die Kritik, die M. dort an Feuerbachs Vorsatzdefinition übt, betrifft übrigens nur die psychologische Definierung. Eine Übersicht über die wichtigsten Gesetzbücher, die vom bösen Vorsatz reden und die Literatur mit Berücksichtigung des hier interessierenden Problems, vor allem ein Hinweis auf Birnbaums Aufsatz, Arch. d. Krim. 1837, S. 276 f. und 473 f. bei ν. Bar, Gesetz und Schuld, II. S. 282, Anm. 16. Der im Texte gebrauchte Ausdruck „dolus juris und dolus facti“ findet sich bei Birnbaum a. a. O., S. 515. Eine scharfe Gegenüberstellung bei Tittmann, I. S. 179. „Vorsatz ist der Entschluß zur Wirklichmachung eines vorgestellten Zweckes. Böser Vorsatz (dolus) ist der Entschluß zur Wirklichmachung eines als unerlaubt vorgestellten Zweckes.“ S. 187 betont er dann, der böse Vorsatz an sich interessiere die Gemeinschaft nicht. – Auch die Frage, ob der dolus des römischen Rechts dem Vorsatz entspricht, oder ob er böser Vorsatz im technischen Sinne ist, würde hierher gehören. Vgl. v. Bar a. a. O., S. 275, Löffler, Schuldformen, S. 66, Anm. 33. v. Liszt, 6. Aufl. S. 143, Anm. 1 meint, der dolus malus habe mit unserem Vorsatz nichts zu tun, dagegen z. B. Birkmeyer, Krit. Vierteljahrsschr. 29, S. 594. Diese Frage wird auch in der civilistischen Literatur erörtert; eine vollständige Literaturübersicht bei Weyl, System der Verschuldungsbegriffc, S. 390 f.
II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit91
tion v. Liszts ausdrücklich die Allgemeingültigkeit des Begriffes hervorhebt – und Lucas erklärt, die letztere sei die das Wesen des dolus, also des nach Lucas nicht indifferenten Begriffes, am besten treffende Definition. Vom Scharfrichter heißt es S. 60, er töte vorsätzlich Menschen; die zur Unterdrückung eines Tumultes aufgebotenen Polizeisoldaten und der den Schüler züchtigende Lehrer sollen vorsätzliche Körperverletzungen begehen – was alles unmöglich ist, wenn der Vorsatz ein Begriff mit rechtlichem Inhalt ist und sich nur auf objektiv rechtswidrige Erfolge bezieht. Die Einschränkung des Vorsatzes auf rechtswidrige Erfolge, die Lucas vornehmen will, verändert also den Inhalt des Vorsatzbegriffes in keiner Weise. – Dasselbe gilt von Hippel. Grenzen von Vorsatz, S. 2 Anm. 1 wird gesagt „soweit man zum Vorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fordert, eine Kontroverse, auf die hier nicht eingegangen werden kann, handelt es sich ebenfalls lediglich um eine Erstreckung desselben Begriffes auch auf dieses Merkmal“. Damit ist die Erörterung der für die vorliegende Arbeit entscheidenden Frage abgelehnt, und Hippel setzt sich dem Einwand aus, es werde Schwierigkeiten machen, den Willen mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf die Rechtswidrigkeit zu erstrecken, wie das Wissen oder Vorstellen. Jedenfalls aber steht fest, daß er sich auch einen Vorsatz ohne das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit denken kann. Doch heißt es R. v. D. III, S. 593: „Zum Vorsatz gehört grundsätzlich das Wollen der Tat als einer pflichtwidrigen“, und S. 591 a. a. O. erklärt er, wenn man den Vorsatzbegriff rein durchführen wolle, so müsse man das Wollen der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwidrigkeit fordern. Aber trotzdem und trotz der Bemerkung Grenzen von Vorsatz S. 144, daß unter Erfolg immer die Summe der Deliktsmerk male verstanden sei, ist es für das Wesen des Vorsatzes, wie Hippel ihn definiert, eigentlich zufällig, daß der vorsätzlich herbeigeführte Erfolg unter einen Tatbestand des Strafgesetzbuches fällt. Zum Beweise sei auch auf das a. a. O. S. 61 Anm. 1 angeführte Beispiel verwiesen: der Lebensretter springt ins Wasser, er hat seinen eigenen Untergang für wahrscheinlich gehalten, trotzdem aber, sagt Hippel, handelt er nicht vorsätzlich. Und zwar – das ist der springende Punkt – nicht etwa deshalb nicht, weil der Selbstmord kein Delikt ist, sondern das Beispiel wird gebraucht, um zu beweisen, daß trotz erheblicher Wahrscheinlichkeit vom Eintritt des Erfolges, der Erfolg nicht notwendig vorsätzlich herbeigeführt zu sein braucht. Man kann demnach vorsätzlich Selbstmord begehen, obwohl der Selbstmord kein Delikt ist. In diesem Zusammenhange ist auch der Vorentwarf des neuen Strafgesetzbuches zu erwähnen. Die Begründung spricht allerdings von Schuldfοrmen. Dieser Ausdruck legt den Schluß auf einen Oberbegriff nicht in derselben Weise nahe, wie der Ausdruck Schuldarten. S. 201 der Begründung Bd. I heißt es, der § 58 Abs. 1 des Vorentwurfes bezeichne als Schuldformen den Vorsatz und die Fahrlässigkeit; dabei wird die „Zweiteilung“
92 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
der Schuld, ohne besondere Begründung übrigens, empfohlen. Der Wille, von dem der § 59 des Vorentwurfs spricht, bezieht sich auf die Handlung, einschließlich des Erfolges, das Wissen auf die einzelnen Tatumstände (S. 203). S. 215 wird dann das Bewußtsein der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit aus dem Vorsatzbegriff gewiesen, der Rechtsirrtum soll den dolus nicht ausschließen. Gerechtfertigt wird das nicht aus systematischen Gründen, sondern ausschließlich mit einem Hinweis auf die praktischen Konsequenzen der Beachtlichkeit eines solchen Irrtums. Gegen Hippels Forderung des Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit wird S. 215 Anm. 7 geltend gemacht, sie bedeute eine Benachteiligung der sittlich-feinfühligen Menschen. In die I. Gruppe sind ferner die Autoren zu rechnen, welche kriminalpolitisch für den Vorsatz das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit verlangen, dieses Erfordernis aber für das geltende Recht ablehnen. Sie haben damit zugegeben, daß der Vorsatz nicht begriffsnotwendig böser Vorsatz ist, und daß das fragliche Bewußtsein aus anderen Gründen neben dem Vorsatz gefordert werden muß, aber nicht etwa den Vorsatz als Schuldart konstituiert. Dahin gehören Köhler, Strafbarkeit bei Rechtsirrtum, S. 78 f., S. 109, und Makarewicz, Philosophie, S. 405 / 06. Ob auch Bruck hier anzuführen ist, kann sehr zweifelhaft sein. Ihm seinen Platz anzuweisen, ist deshalb schwer, weil sich sein Vorsatzbegriff sehr seltsam aus dem Bindingschen und v. Lisztschen zusammensetzt, weil er, wie Birkmeyer in seiner Besprechung des Bruckschen Buches über Fahrlässigkeit sagt, seine Begriffe gern aus mehreren Theorien zusammennäht (Krit. Vierteljahresschr. 29, S. 602). Nach geltendem Rechte soll das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nicht zum dolus gehören, so S. 21. Nach der Begriffsbestimmung des dolus auf S. 5 ist dieser aber ein bewußtes Auflehnen, im Gegensatz zur Fahrlässigkeit, die unbewußtes Zuwiderhandeln ist. Also gibt es entweder einen dolus ohne Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, oder aber das geltende Strafrecht kennt überhaupt keinen dolus. Eine sehr deutliche Trennung des Vorsatzes vom Rechtsirrtum findet sich noch bei Hrehorowicz, Grundfragen S. 156, 192 Anm. 2, 216, der den Vorsatz als neutralen Begriff definiert, damit aber die verbrecherische Willensbestimmung zustande komme, außerdem noch Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fordert. Seine Ausführungen bieten ein besonders klares Beispiel dafür, daß es hier auf die Vοrsatzdefinitionen ankommt; nicht auf die Frage, ob man überhaupt das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit für die Schuld verlangt, sondern darauf, ob ohne ein solches Bewußtsein Vorsatz nicht vorliegt. Bierling III, S. 322 / 23 betont das nachdrücklich: „eine ganz andere Frage ist, ob außerdem noch bei dem (vorsätzlich) Handelnden das Bewußtsein davon erforderlich sein soll, daß die von ihm in der vorgedachten Weise gewollte Handlung zugleich eine rechtlich verbotene mit bestimmten Rechtsfolgen bedrohte war“. Er will von vornherein jeden Versuch zurück-
II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit93
weisen, „den Ausschluß des dolus bei Unkenntnis der verbietenden Norm schon aus dem Begriffe des rechtswidrigen Vorsatzes ableiten zu wollen“. Doch darf nicht übersehen werden, daß Bierling, III, S. 295 die Terminologie Schuldarten aufgegeben hat. In die I. Gruppe gehören außer v. Liszt und Frank und den bisher Erwähnten außerdem noch H. Meyer, Lehrb. 4. Aufl. S. 192, 198, Heinemann, S. 110 f., v. Lilienthal, Z. 15, S. 277, Löffler, Schuldformen, Klee, Zur Lehre vom strafrechtlichen Vorsatz, Stooss, Schweizer. Z. 10, S. 362 / 6, 12, S. 1–9, v. Bar, Gesetz und Schuld, II. S. 275. Auch das RG. Bd. XII, S. 275, Bd. XX, S. 393, Bd. XXIV, S. 369. Man wird auch Basedow, Die strafrechtliche Verschuldung, hierher rechnen dürfen, weil er S. 79 das Schuldbewußtsein als etwas zu dem Vorsatz Hinzukommendes verlangt. Meistens freilich (z. B. v. Liszt, Lehrb. S. 178, Α. 1, Meyer-Allfeld S. 133 Α. 12, Schweizer, S. 51, Anm. 2) wird er in der Zahl derer aufgeführt, die das Bewußtsein der Normwidrigkeit zum Vorsatz verlangen. Nach Heitz, Wesen des Vorsatzes, ist der Vorsatz im Gegensatz zur Fahrlässigkeit ein farbloser Begriff, er hat an sich nichts mit der Schuld zu tun, und Heitz will den Ausdruck „Schuldarten“ nur in „Ermangelung eines besseren gebrauchen“. Diese Einsicht verfolgt er aber nicht in ihre Konsequenzen. Er erörtert namentlich nicht, was aus der Fahrlässigkeit wird, wenn man sie nicht mehr neben dem Vorsatz stehen lassen kann; ferner scheinen Zurechnungsunfähige nach ihm überhaupt nicht vorsätzlich (in natürlichem Sinne) handeln zu können. (So S. 34, 35.) Seinen Vorsatzbegriff gewinnt er durch eine Interpretation des § 59 RStr.G.B, § 59; das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehört nach ihm nicht zum Vorsatz. In die I. Gruppe gehören endlich alle diejenigen, die für Vorsatz und Fahrlässigkeit gleichmäßig die Möglichkeit des Bewußtseins einer rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit verlangen, also Merkel, Lehrb. S. 67 f., S. 80, Seuffert, N.Str.G.B. 1902, S. 37–39, M. E. Mayer, Rechtsnormen, S. 75 f. Wie aus den Ausführungen des vorigen Abschnitts zu Meyers Rechtsnormen hervorgeht, gehören diese Gelehrten deshalb nicht zur II. Gruppe, weil für sie das Bewußtsein der Unerlaubtheit nicht die differentia specifica der Schuldart Vorsatz ist, sondern das Kriterium vielmehr in der verschiedenen Beziehung zum herbeigeführten Erfolge liegt. * Was die II. Gruppe angeht, so werden hierhin alle Strafrechtstheoretiker zu rechnen sein, die das Bewußtsein einer Unerlaubtheit als Wesensmerkmal des Vorsatzbegriffes betrachten, für die also Vorsatz immer böser Vor-
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satz ist, sodaß, wenn ein solches Bewußtsein nicht gegeben ist, überhaupt kein Vorsatz mehr vorliegt. Es ist also nicht neben dem natürlichen Vorsatz erforderlich, sondern wenn das Strafrecht von Vorsatz spricht, so ist immer der böse Vorsatz gemeint. Für sie steht es also z. B. außer Zweifel, daß der Scharfrichter nicht vorsätzlich tötet. In diese II. Gruppe gehören außer Binding von Neueren: Wahlberg, Ges. Aufs. I, S. 37, 40, 48, 49; Oetker, Rechtsirrtum, §§ 14 ff.; Janka, Strafrecht S. 87; Löning, Grundr. S. 31; Geyer, Grundr. I, S. 110; Holtzendorff, Handb. III, S. 528; Βünger, Z. 6, S. 343 f.; Hammerer, Einfl. des Rechtsirrtums; Birkmeyer, Enzykl. S. 1125–1130, Krit. Vierteljahresschr. 29, S. 590 f.; van Calker, Ethische Werte, S. 21, 29, 30; Liepmann, Einl. S. 134; M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 114 f.; Meyer-Allfeld, 6. Aufl. S. 133 f.; Finger, Oesterr. Strafr. I, S. 180, D. I, S. 227 f., G.S. 72, S. 252; Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, S. 24; Dohna, G.S. 65, S. 304; Beling, Verbrechen, S. 80; Schweizer, Zur Lehre vom Rechtsirrtum, S. 38, 47; Kahl, Z. 29, S. 368 und wohl auch Κοhler, Studien I, S. 70 ff. Mit welchem Recht diese Autoren den Vorsatz eine Schuldart nennen, und welche Komplikationen sich daraus ergeben, daß gleichzeitig auch die Fahrlässigkeit neben dem Vorsatz eine Schuldart sein soll, das wird im § 7 der Arbeit zu erörtern sein. Man kann im Anschluß an Dohnas Aufsatz, Z. 27, S. 329 f. in Binding und v. Liszt die typischen Repräsentanten der einander gegenüberstehenden Ansichten erblicken. Mit ihrem Namen könnten daher die folgenden beiden Abschnitte überschrieben werden, obwohl für die mit Binding zu besprechenden Theorien eine einheitliche Beurteilung deshalb nicht möglich ist, weil Bindings Konstruktion der Fahrlässigkeit als Schuldart fast allgemein abgelehnt wird. – Ob die eine oder die andere Auffassung berechtigt ist, das zu entscheiden ist nicht der Zweck der Arbeit; ihr Gegenstand ist vielmehr die kritische Untersuchung der Berechtigung des Ausdrucks Schuldarten und eventuell positiv die richtige Qualifikation der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff a) Die Vorstellungstheorie (Zur v. Lisztschen Schuldlehre) Innerhalb der I. Gruppe seien zunächst diejenigen Gelehrten besprochen, die den Vorsatz als Vorstellung oder Voraussicht eines Erfolges definieren und deshalb im Prinzip nichts gegen eine entsprechende, ausschließlich auf das Vorstellungsleben Bezug nehmende Definition der Fahrlässigkeit einwen-
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff95
den könnten. Allerdings spricht man auch bei der Fahrlässigkeit von einer Vorstellungstheorie. Doch hat die Scheidung hier eine ganz andere Bedeutung. Die Vorstellungstheoretiker der Vorsatzlehre benutzen, wie namentlich aus dem grundlegenden Aufsatze Franks, Z. 10, S. 161 f. hervorgeht, die Vorstellung nur zur Charakterisierung einer Tätigkeit; das wesentliche ist und bleibt ihnen diese Tätigkeit. In der Fahrlässigkeitslehre dagegen kann man unter Vorstellungstheoretikern nur diejenigen verstehen, welche die Fahrlässigkeit als eine Verstandesschuld oder als den Mangel des Denkvermögens im Gegensatz zum Willensvermögen hinstellen und behaupten, weil hier alles auf das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von bestimmten Vorstellungen ankomme, könne man bei der Fahrlässigkeit nicht von einer Willensschuld reden. Hier betrifft der Gegensatz zwischen Vorstellungs- und Willenstheorie also nicht die psychologische Formulierung eines Vorganges in der Seele des Täters oder dessen Beziehung zu einem äußeren Geschehen, sondern die Frage nach dem Wesen der Schuld selbst, die fundamentale Frage, ob alle Schuld Willensschuld ist oder nicht. Da der Unterschied zwischen Vorstellungs- und Willenstheorie demnach nicht gleichmäßig durch die Lehre von Vorsatz und Fahrlässigkeit durchgeführt wird, die Frage, ob alle Schuld Willensschuld ist, aber bereits erledigt wurde, so ist die Einteilung nach Vorstellungs- und Willenstheoretiker der Vorsatzlehre gerechtfertigt. Denn anscheinend kann es für die Terminologie nicht gleichgültig sein, ob man vom Vorstellen oder Wollen des Erfolges spricht. v. Liszt baut sein System auf dem Begriff der Handlung auf. Die Handlung wird als indifferenter Begriff definiert, und diesem Begriff wird ein Prädikat nach dem andern hinzugefügt, bis sich als Definition des Verbrechens ergibt: Verbrechen ist schuldhafte, rechtswidrige Handlung. Und zwar soll die Handlung dann schuldhaft sein, wenn 1. Zurechnungsfähigkeit des Täters und 2. Zurechenbarkeit des Erfolges, d. h. Vorsatz oder Fahrlässigkeit gegeben ist. Der Vorsatz wird ausdrücklich für einen neutralen Begriff erklärt und definiert als die die Handlung begleitende Voraussicht des Erfolges. Die Zurechnungsfähigkeit ist in den letzten Auflagen des Lehrbuches als Schuldfähigkeit hingestellt, womit gesagt ist: Zurechnungsunfähige können nicht schuldhaft handeln. Ob sie auch nicht vorsätzlich und fahrlässig handeln können, wird nicht auseinandergesetzt. v. Liszt gibt, abgesehen davon, daß er Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten bezeichnet, zwei Definitionen der Schuld. Einmal: Schuld im formalen Sinne ist die Verantwortlichkeit des Täters für die begangene rechtswidrige Handlung. Sodann: Schuld im materiellen Sinne ist Mangel an sozialer Gesinnung. Der Begriff Schuld enthält begriffsnotwendig die Beziehung auf ein Unwerturteil. Diese beiden Definitionen der Schuld, der Charakter der Zurechnungsfähigkeit als Schuldfähigkeit und die Terminologie: die neutralen Begriffe
96 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
Vorsatz und Fahrlässigkeit sind Schuldarten, – sind drei miteinander unvereinbare Dinge. Entweder muß die Terminologie Schuldarten aufgegeben werden oder das ganze System der Schuldlehre. 1. Wenn Vorsatz und Fahrlässigkeit die Voraussetzungen der Zurechenbarkeit sind, wenn die Zurechenbarkeit des Erfolges neben der Zurechnungsfähigkeit (der Schuldfähigkeit) ihrerseits wiederum eine Voraussetzung der Schuld ist, (Lehrb. S. 158) dann sind Vorsatz und Fahrlässigkeit Voraussetzungen der Schuld, nicht Schuldarten. 2. Wenn dem Begriffe Schuld die Bezugnahme auf ein Unwerturteil wesentlich ist, wenn gleichzeitig der Vorsatz ein neutraler Begriff ist und die Fahrlässigkeit ihm zur Seite gestellt wird, also beide als indifferente Begriffe erscheinen, dann sind Vorsatz und Fahrlässigkeit entweder nicht mehr Schuldarten, oder nicht mehr indifferente Begriffe. 3. Wenn Schuld im formalen Sinne Verantwortlichkeit des Täters ist, dann sind die Schuldarten Arten dieser Verantwortlichkeit, Vorsatz und Fahrlässigkeit aber entweder nicht mehr Schuldarten oder nicht mehr indifferente Begriffe. 4. Wenn Schuld im materiellen Sinne Mangel an sozialer Gesinnung ist, dann sind die Schuldarten Arten dieses Mangels; Vorsatz und Fahrlässigkeit aber entweder nicht mehr Schuldarten oder nicht mehr indifferente Begriffe. ad 1. Die nähere Erörterung des zweiten Adjektivs, das v. Liszt an die Handlung heranbringt, um sie als Verbrechen zu qualifizieren, stellt folgendes Schema dar: nur der Zurechnungsfähige kann schuldhaft handeln; die Zurechnungsfähigkeit ist also Voraussetzung der Schuld; aber nur dann hat ein Zurechnungsfähiger schuldhaft gehandelt, wenn ein rechtswidriger Erfolg sο von ihm herbeigeführt worden ist, daß der Erfolg zurechenbar ist. Und das ist unter der Voraussetzung der Fall, daß Vorsatz oder Fahrlässigkeit bezüglich dieses Erfolges gegeben ist. Schuld liegt vor bei Zurechnungsfähigkeit des Täters und Zurechenbarkeit des Erfolges. Zurechenbarkeit des Erfolges liegt vor bei Vorsatz oder Fährlässigkeit. Danach wird es zweifelhaft, ob Vorsatz und Fahrlässigkeit direkt etwas mit der Schuld zu tun haben. Sie sind vielmehr Voraussetzungen einer Schuldvoraussetzung, nicht Arten der Schuld, sondern Arten der Herbeiführung eines Erfolges. Wenn die Zurechnungsfähigkeit Schuldfähigkeit ist und als Schuldvoraussetzung der Zurechenbarkeit des Erfolges (Vorsatz und Fahrlässigkeit) gegenübergestellt wird, dann tritt die Wesensverschiedenheit der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit auf der einen, und der Schuld auf der anderen Seite klar zu Tage. Die Worte, welche angeben, wann ein konkreter Erfolg zurechenbar ist, können nicht Arten der Schuld sein. Wären sie das, da müßte jeder, der vorsätzlich handelt, schuldhaft handeln. Es wäre
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff97
demnach nicht denkbar, daß man eine rechtlich gleichgültige Handlung vorsätzlich beginge; und das berühmte Beispiel: ich kann meine Uhr vorsätzlich oder fahrlässig ins Wasser fallen lassen, wäre grundfalsch; weil hier nicht von schuldhaftem Handeln gesprochen werden kann, könnte auch nicht von vorsätzlichem oder fahrlässigem die Rede sein. – Ferner: ist die Zurechnungsfähigkeit Schuldfähigkeit und geht zugleich die Schuld in den beiden Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit auf, – was man annehmen muß, wenn sie die beiden einzigen Schuldarten sein sollen – so ist die Zurechnungsfähigkeit Fähigkeit zu Vorsatz und Fahrlässigkeit, doli et culpae capacitas. Nichtschuldfähige können also nicht vorsätzlich oder fahrlässig handeln. Erwägt man die v. Lisztsche Definition des Vorsatzes: die das Handeln begleitende Voraussicht des Erfolges, so ergibt sich sofort unabweislich die Folgerung, daß ein Kind oder ein Geisteskranker vorsätzlich handeln kann, weil jeder von ihnen den Erfolg seiner Tätigkeit vorauszusehen imstande ist; eine Schuldart ist gegeben, obwohl Schuld unmöglich ist. Dieses Resultat hat Radbruch zu dem schon zu Anfang erwähnten Ausweg veranlaßt, die Zurechnungsfähigkeit nicht mehr Schuldfähigkeit, sondern Straffähigkeit zu nennen. Das wäre allerdings ein Ausweg, der die Terminologie Schuldarten rettete, wenn nicht die folgenden Bedenken noch beständen. ad 2. Die Schuld ist nach v. Liszt ein Begriff, der die Beziehung auf ein Unwerturteil begriffsnotwendig in sich enthält (Lehrb. S. 158, Aufs. II, S. 48, 215). Man wird erwarten dürfen, daß es sich mit den Schuldarten ebenso verhält. Wenn der, der schuldhaft handelt, so handelt, daß es vom Rechte gemißbilligt wird, dann muß, wenn das vorsätzliche oder fahrlässige Handeln nur Unterarten des schuldhaften Handelns sind, jedes vorsätzliche Handeln ein vom Rechte gemißbilligtes sein. Wer also mit Voraussicht des Erfolges seine eigene Sache beschädigt, der handelt entweder nicht vorsätzlich, weil sein Handeln vom Rechte nicht gemißbilligt wird, oder aber er handelt vorsätzlich, dann ist jedoch das vorsätzliche Handeln keine Unterart des schuldhaften Handelns mehr. Der Scharfrichter, der Soldat im Felde, der operierende Arzt, sie alle kennen den Erfolg ihres Tuns, und v. Liszt und mit ihm die herrschende Terminologie bezeichnet daher ihr Tun als vorsätzliche Tötung oder Körperverletzung. Es ist nur konsequent, hier, ebenfalls im Einklang mit der herrschenden Terminologie, einen Strafausschließungsgrund dem Schuldausschließungsgrunde gegenüberzustellen, da ja der Vorsatz, die Schuldart, nicht ausgeschlossen ist. Als besonders charakteristisch sei hier der Satz von Richard Schmidt (Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes, S. 49) zitiert: „die Tötung in Notwehr, die Operation des behandelnden Arztes unterliegen dem genannten Strafgesetz gegen vorsätzliche Tötung und vorsätzliche Körperverletzung, um erst durch gesetzliche Strafausschließungsgründe der Rechtswidrigkeit und damit der Strafbarkeit ent-
98 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
kleidet zu werden.“134 Aber inkonsequent ist es, die Schuld trotzdem noch als einen Begriff aufzufassen, der ein distributives Urteil als wesentliches Merkmal in sich enthält. Dem Einwand einer Vermengung von Schuld und Rechtswidrigkeit ist schon entgegengetreten; der Einwand gründet sich ausschließlich auf die Terminologie, Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten zu bezeichnen. Vorsatz und Fahrlässigkeit auf der einen, die Rechtswidrigkeit auf der anderen Seite müssen freilich scharf getrennt werden, wenigstens nach v. Liszts Strafrechtssystem; aber daraus ergibt sich für die Trennung von Schuld und Rechtswidrigkeit erst dann etwas, wenn Vorsatz und Fahrlässigkeit die Schuld ausmachen, was keineswegs als zweifellos erscheint. – Bekanntlich hat Binding (Lehrb., besond. Teil I, 2. Aufl. S. 27 Anm. 5) lebhaft gegen den Mißbrauch, der mit dem Worte Vorsatz getrieben wird, angekämpft; er glaubt, die v. Lisztsche Auffassung mit dem Hinweis ad absurdum geführt zu haben, daß nach ihr auch der Scharfrichter vorsätzlich handle. Das ist aber zunächst nicht eine Widerlegung des v. Lisztschen Vorsatzbegriffes, sondern nur seiner Terminologie Schuldarten, deren gefährliche Folgen sich an Radbruchs Abhandlung über den Schuldbegriff, Z. 24, S. 333 f. zeigen. – Radbruchs Argumentation ist in der Tat lückenlos konsequent, sobald man die beiden Prämissen zugibt: Vorsatz und Fahrlässigkeit sind indifferente Begriffe, sie sind außerdem die beiden einzigen Schuldarten. v. Liszt muß beides zugeben; das Ergebnis ist der sogenannte rein psychologische Schuldbegriff, aus dem jede Wertung ausgeschaltet ist, der also v. Liszts Auffassung von dem normativen Charakter des Schuldbegriffes stracks zuwiderläuft; ein Resultat, das außerdem ein sprechender Beweis dafür ist, wie weittragende Folgen eine ungenaue Terminologie hat und das allein genügen würde, um die vorliegende terminologische Untersuchung vor dem Vorwurf einer hyperkritischen oder gar frivolen Silbenstecherei zu schützen. Auch hier gilt das von Radbruch zitierte Wort Schopenhauers: „daß man bestrebt sein soll, jeden Irrtum aufzudecken und auszurotten, auch wo kein Schade von ihm abzusehen, weil dieser sehr mittelbar sein und einst hervortreten kann, wo man ihn nicht erwartet: denn jeder Irrtum trägt sein Gift in seinem Innern“. ad 3. Es ist selbstverständlich: wenn Schuld Verantwortlichkeit des Täters ist, dann sind die Schuldarten Arten dieser Verantwortlichkeit. Wo also keine Verantwortlichkeit gegeben ist, da dürfte weder von Schuld noch von Schuldarten gesprochen werden.·Will man demnach die Tötung, die der Scharfrichter vornimmt, ohne rechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, als vorsätzliche Handlung qualifizieren, so darf man Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr Schuldarten nennen. v. Liszt setzt sich also in Wider134 Ausdrücklich schließt sich ihm in dieser Terminologie an H. v. Ferneck, Rechtsw. I, S. 293.
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff99
spruch mit seiner Nominaldefinition, wenn er Vorsatz und Fahrlässigkeit oder auch nur den Vorsatz auf rechtlich gleichgültige Erfolge sich beziehen läßt.135 Gerade eine Nominaldefinition aber hat die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich oder sollte es haben, und der eklatante Widerspruch, der in der Terminologie Schuldarten liegt, darf nicht, mit Radbruchs beiläufiger Bemerkung (Handlungsbegriff S. 116 Anm.) abgetan werden, es handele sich „lediglich“ um eine Nominaldefinition. ad 4. Die Definition der Schuld im materiellen Sinne, wie sie v. Liszt gibt, ist ebensowenig mit der Terminologie Schuldarten vereinbar. Man kann die Arten des Mangels an sozialer Gesinnung bezeichnen wie man will, vielleicht als Feindseligkeit und als Gleichgültigkeit gegenüber der societas, oder im Anschluß an Hippel als Egoismus und Leichtsinn; – Vorsatz und Fahrlässigkeit sind, als indifferente Begriffe gefaßt, niemals damit identisch. Sie können es schon deshalb nicht sein, weil sich die Schuld im materiellen Sinne, wie v. Liszt sie definiert, als Charakterschuld darstellt, während Vorsatz und Fahrlässigkeit auch nach v. Liszt Momente der Einzeltat sind und sich auf eine konkrete Handlung beziehen. Vorsatz ist nicht Feindseligkeit gegen die Gesellschaft, Vorsatz ist nicht Egoismus, und selbst das vorsätzliche Herbeiführen eines unter den Tatbestand eines Strafgesetzes fallenden Erfolges braucht noch nicht Egoismus, nicht einmal Symptom von Egoismus zu sein. Wieder sei an den operierenden Arzt, den Scharfrichter, den Soldaten im Feld erinnert, die nach v. Liszt und auch nach dem Reichsgericht (z. B. Entsch. in Strafsachen XXIV, S. 369) alle vorsätzlich handeln, denen aber niemand Mangel an sozialer Gesinnung vorwerfen wird. Wenn v. Liszt, Lehrb. S. 170 de lege ferenda für den Vorsatzbegriff das Bewußtsein des antisozialen Charakters der Handlung verlangt, so ist damit gesagt, daß für die lex lata der Vorsatz keine Schuldart ist.136 Der hier vorgebrachte Einwand deckt sich zum Teil mit den Ausführungen Birkmeyers Studien, S. 96 gegen die v. Lisztsche Schuldlehre. Es ist B. darin zuzustimmen, daß der Vorsatz keine Art der Mangelhaftigkeit an sozialer Gesinnung sein kann, wenn man ihm das Bewußtsein des antisozialen Charakters der Handlung nicht als Begriffsmerkmal zuschreibt. Wenn aber 135 In der 6. Aufl. S. 131 und in der 7. Aufl. S. 137 des Lehrb. ist gesagt, Schuld sei bloß die Verantwortlichkeit für den eingetretenen Erfolg. Das rechtliche oder ethische Unwerturteil sei bei dieser „Tatsache“ durchaus nebensächlich. Das ist eine Vermengung der Schuld als dessen, wofür man verantwortlich gemacht wird und der Schuld als dem Oberbegriff der indifferenten Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit. Vgl. darüber weiter unten im Text. In den neueren Auflagen wird die Wesentlichkeit des Unwerturteiles als Begriffsmerkmal zugegeben und betont, 16. / 17. Aufl., S. 178. 136 Es ist interessant, daß die beiden Vertreter des symptomatischen Verbrechensbegriffes dies Bewußtsein für den Vorsatzbegriff verlangen: Tesar, S. 104, Kollmann, Handlungsbegriff, S. 209.
100 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
Birkmeyer S. 97 ein weiteres Argument gegen v. Liszt darin erblickt, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit bei ihm zu Arten der Schuld im Sinne eines Mangels der erforderlichen sozialen Gesinnung geworden sind, so ist das wenigstens für eine rein terminologische Untersuchung nicht als Einwand zu betrachten. Denn wäre dem wirklich so, dann hätte die Terminologie Schuldarten bei v. Liszt ihre Berechtigung. In Wirklichkeit ist es aber nicht der Fall; was v. Liszt als Vorsatz und Fahrlässigkeit definiert, sind nicht Arten dieser Schuld; und auch wenn er das Bewußtsein des antisozialen Charakters in den Vorsatzbegriff aufnähme, so könnte dieser dennoch nicht zur Schuldart werden, weil er immer Moment einer Einzeltat bleibt, während der Mangel an sozialer Gesinnung auf einen Zustand hinweist. Das Resultat ist: Wer mit v. Liszt Vorsatz und Fahrlässigkeit so definiert, daß sie vorliegen können, ohne daß gleichzeitig die wesentlichen Begriffsmerkmale eines Verbrechens gegeben sind, der darf Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht als Schuldarten bezeichnen, oder aber er muß dem Worte Schuld jede Beziehung auf ein Unwerturteil nehmen. * Es hieße den Sinn dieser Polemik arg mißverstehen, wenn man in ihr einen Angriff auf das Strafrechtssystem v. Liszts sähe. Ein solcher Angriff wäre eine Anmaßung. Vielmehr waren diese Ausführungen nötig, um festzustellen, was Vorsatz und Fahrlässigkeit für v. Liszt tatsächlich bedeuten, und um gerade dadurch eine Reihe von Angriffen auf seine Schuldlehre zurückzuweisen, die ausschließlich auf Mißverständnissen beruhen, wie sie durch jene ungenaue Terminologie hervorgerufen worden sind. Was sind Vorsatz und Fahrlässigkeit in v. Liszts Schuldlehre? Was ihr logisches Verhältnis zur Strafschuld angeht, sind sie Schuldvoraussetzungen. Und zwar müssen sie das für jeden sein, der einmal der bisher gewonnenen Schulddefinition zustimmt, für den also Schuld böser Wille, den Zwecken des Staates nicht entsprechende Zwecksetzung ist, und der zweitens Vorsatz und Fahrlässigkeit, oder wenigstens den Vorsatz, was seinen begrifflichen Inhalt angeht, für etwas rechtlich Gleichgültiges erklärt. Das Aufgeben der landläufigen Terminologie Schuldarten wäre eine radikale Abhilfe gegen die erwähnten scheinbaren Widersprüche in v. Liszts Schuldlehre,137 während der Vorschlag Radbruchs, die Zurechnungsfähigkeit Straffähigkeit zu nennen, der Schwierigkeit aus dem Wege geht, ohne ihr abzuhelfen. Durch die 137 Hippel, R. v. D. III, S. 563 nennt v. Liszts Ansicht „so unbestimmt formuliert, daß der Kritiker Gefahr läuft, den Autor mißzuverstehen“. Birkmeyer, Studien, S. 102 spricht von einem „Chaos von Widersprüchen“.
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff101
Terminologie „Schuldvoraussetzungen“ ist deutlich gemacht, daß die rechtlich farblosen Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit mit dem Begriffe Schuld selbst nichts zu tun haben. Sie können Voraussetzungen der Zurechenbarkeit eines Erfolges, vielleicht auch Arten der Zurechenbarkeit sein, ohne daß damit der unbestreitbaren Tatsache: das Wort Schuld enthält die Beziehung auf ein Unwerturteil, widersprochen würde. Ebenso bleiben die Definitionen der Schuld im formalen und materiellen Sinne unberührt. Das geltende Strafrecht aber stände der Bezeichnung Schuldvoraussetzung keineswegs im Wege; nirgends ist bestimmt, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind und daß die Schuld der Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist. Und selbst wenn der Vorentwurf des neuen Strafgesetzbuches Vorsatz und Fahrlässigkeit unter der Titelüberschrift „Schuld“ behandelt, so ist damit nichts bewiesen. Weder im heute geltenden Rechte, noch nach dem Vorentwurf wird gefragt, ob Schuld vorliegt, sondern immer nur, ob ein tatbestandlicher Erfolg durch einen zurechnungsfähigen Menschen vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt worden ist. Das Problem besteht also nicht darin, Vorsatz und Fahrlässigkeit um jeden Preis als Willensschuld zu erklären oder aus dem Begriffe der Schuld zu deduzieren, sondern: es muß eine klare und sichere, vor allem auch praktischen Bedürfnissen genügende psychologische Formulierung dessen gesucht werden, was das Strafrecht meint, wenn es von Vorsatz oder von Fahrlässigkeit spricht. Daß dies die wichtigste Aufgabe ist, und daß gleichzeitig Vorsatz und Fahrlässigkeit direkt nichts mit der Schuld gemeinsam haben, wird am deutlichsten in den Ausführungen Franks, Z. 10, S. 161 f., in denen man wohl die klarste und eingehendste Begründung der Vorstellungstheorie in der Vorsatzlehre erblicken darf. Frank geht, vollkommen in Übereinstimmung mit den im ersten Teile dieser Arbeit vorgetragenen Anschauungen, davon aus, daß alle Schuld Willensschuld ist; er bemerkt ausdrücklich, es sei eine Verirrung, für einen Fehler des Denkens oder Meinens verantwortlich zu machen. Trotzdem aber alle Schuld Willensschuld ist, definiert er die „Schuldart“ Vorsatz als „Voraussicht (das Bewußtsein) des Erfolges meiner Handlung, verbunden mit der Kenntnis derjenigen Umstände, welche die Handlung zu einer strafbaren machen“. Er verwendet also den Willen nicht zur Konstruktion der „Schuldart“, und gibt eine Reihe von gewichtigen Gründen dafür an. Man kann diese gelten lassen oder nicht, auf alle Fälle ist offenbar, daß das so Definierte keine Art der Willensschuld mehr sein kann. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind vielmehr, wie auch bei v. Liszt, Arten der Herbeiführung eines strafrechtlich relevanten Erfolges, vorsätzliches und fahrlässiges Handeln sind die beiden Arten des Handelns, durch das ein Erfolg, der für zurechenbar gehalten wird, herbeigeführt wird; nach Hälschners Ausdruck: Arten der Vermittelung von Erfolg und Willensbestimmung. Sie beziehen sich also auf die subjektive Stellung, welche der Täter zu dem
102 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
von ihm bewirkten Erfolg einnimmt. Daß sie dann aber nicht gleichzeitig Schuldarten sein können, ergibt folgende einfache Erwägung: die Arten der Herbeiführung eines Erfolges könnten höchstens dann Schuldarten sein, wenn die Schuld in der Herbeiführung eines unter einen strafgesetzlichen Tatbestand fallenden Erfolges bestände. Ein solcher Erfolg kann aber auch zufällig (im rechtlichen Sinne) herbeigeführt werden, demnach müßte auch der Zufall eine Schuldart sein. Besonders deutlich ist der Ausspruch von v. Liszt, Deliktsobligationen, S. 56:138 Das Verschulden bezieht sich stets „auf die Handlung als Herbeiführung einer sinnfälligen Veränderung in der Außenwelt“; es hat „nichts mit der Normwidrigkeit der Handlung, also mit dem rechtlichen Werturteil über die herbeigeführte Veränderung in der Außenwelt zu schaffen“. „Es wäre direkt gesetzwidrig, wollte man den Vorsatz als den bewußt rechtswidrigen Willen, die Fahrlässigkeit als den unbewußt rechtswidrigen Willen bezeichnen … Damit ist die Bindingsche Schuldlehre, die auf dem Gebiete des Strafrechts vorübergehend eine große Rolle gespielt hat und auch heute noch das Denken manches unserer besten kriminalistischen Schriftsteller verwirrt, endgültig für das Privatrecht abgelehnt.“ Von gleicher Bestimmtheit ist der Satz Franks a. a. O. „Das Bedürfnis, die vorsätzliche Herbeiführung eines Erfolges von der fahrlässigen zu unterscheiden, kann nicht nur auf juristischem, sondern auch auf rechtlich durchaus indifferentem Gebiete auftreten.“ Man könne ja auch, sagt Frank, seine Taschenuhr vorsätzlich oder fahrlässig ins Wasser fallen lassen, ohne daß von einem normwidrigen Handeln die Rede sein könne. Ob damit Bindings Schuldlehre widerlegt ist, ist eine andere Frage. Was aber die sogenannten Schuldarten für Frank, v. Liszt und alle Vorstellungstheoretiker bedeuten, ist zweifellos geworden. Wenn man rechtlich gleichgültige Handlungen genau so gut vorsätzlich begehen kann, wie Verbrechen, dann haben Vorsatz und Fahrlässigkeit mit der Schuld so wenig zu tun, daß es irreführend ist, von Schuldarten zu sprechen. Sie sind Arten der Herbeiführung eines Erfolges durch menschliches Handeln. Für jedes System des Strafrechts, das vom Begriff der Handlung ausgeht und den Vorsatz in der angegebenen Weise definiert, ohne auf den bösen Willen und die Arten der Bosheit des Willens Bezug zu nehmen, für jede derartige Schuldlehre können Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr Schuldarten sein – womit freilich über den Wert oder Unwert eines solchen Systems noch nichts gesagt ist. – Wichtig ist auch die Bemerkung v. Liszts, Lehrb., 10. Aufl. S. 137, Anm. 10, das Schuldurteil setze einen Erfolg voraus, deshalb müsse sich der Schuld138 Vgl. auch Lehrbuch 5. Aufl., S. 176, Anm. 8, wo ebenfalls ausdrücklich anerkannt ist, daß die beiden Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit lediglich das Verhältnis des Vorstellungslebens des Täters zum herbeigeführten Erfolge bezeichnen, daß auch rechtlich gleichgültige Erfolge so herbeigeführt werden können; dabei wird auf Art. 702 des alten H.G.B, verwiesen.
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff103
begriff auf den Erfolg beziehen, nicht auf das bloße Wollen. Dabei übersieht er aber, daß nicht der Erfolg das Objekt des Unwerturteiles ist, sondern nur der Wille; und eine Beziehung auf den Erfolg ist nicht selbst die Schuld, sondern kann höchstens den Willen charakterisieren. Schuld ist Wille. Um die Terminologie Schuldarten zu rechtfertigen, muß weiter beständig im Auge behalten werden, daß die Schuld böser Wille ist. Die Schuldarten können demnach nicht Arten des Willens, sondern müssen Arten der Bosheit des Willens sein. Der Begriff Vorsatz aber – nicht ebenso bestimmt die Fahrlässigkeit – nimmt in den jetzt besprochenen Systemen gar keinen Bezug auf die „Bosheit“, d. h., da alles vom Standpunkt der Rechtsordnung aus beurteilt werden muß, auf die Rechtswidrigkeit des Willens. Vorsatz und Fahrlässigkeit beziehen sich vielmehr ausschließlich auf das Verhältnis der Innerlichkeit des Täters zum herbeigeführten Erfolg: beim Vorsatz hat der Täter ihn vorausgesehen, bei der Fahrlässigkeit nicht, sollte er ihn aber voraussehen; beim Zufall fällt beides weg. Deshalb grenzt nach dieser Auffassung die Fahrlässigkeit an den Zufall, stuft sich allmählich zu ihm ab, was unmöglich wäre, wenn sie eine Art des bösen Willens bedeutete und außerdem Schuld und Kausalität getrennt wären. So spricht Τhοmsen, Versuch S. 21, von der Dreiteilung Vorsatz, Fahrlässigkeit und Zufall. Und Hippel, der allerdings Willenstheoretiker ist, sagt R. v. D. III, S. 565, „die Fahrlässigkeit ist … auf der einen Seite vom Vorsatz, auf der anderen vom schuldlosen Handeln, vom bloßen Zufall abzugrenzen“. Es soll in diesem Zusammenhang als besonders charakteristisch ein Satz Köstlins, N. Rev. S. 225, nicht unerwähnt bleiben: „den direkten Gegensatz des Vorsatzes bildet das Unvorsätzliche oder Zufällige, gegen welches das Subjekt sich völlig negativ stellt, als gegen ein mit seinem Wissen und Wollen in offenem Widerspruch stehendes Geschehen. Und auf S. 236 wird die Grenze zwischen Fahrlässigkeit und Zufall als eine relative bezeichnet; doch spricht Köstlin, wie erwähnt, auch nicht von Schuldarten. – Hier ist auch die Bemerkung der Begründung des Vorentwurfes I, S. 213 / 14 anzuführen, wonach gleichfalls die Fahrlässigkeit nach unten an den Zufall grenzt; die Begründung spricht von Schuldfοrmen. Die Ausdrucksweise „Arten der Herbeiführung eines Erfolges durch menschliches Handeln oder Unterlassen“ könnte zu ihrer Rechtfertigung darauf hinweisen, daß auch das Strafgesetzbuch die Fahrlässigkeit als eine Art der Herbeiführung eines Erfolges behandelt, indem es z. B. im § 309 sagt: wer durch Fahrlässigkeit einen Brand herbeiführt, oder in § 222: wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht. Diese Redeweise wäre sinnlos, wenn man einerseits Schuld und Kausalzusammenhang trennen und gleichzeitig die Fahrlässigkeit eine Schuld nennen wollte; während die Worte des Gesetzes nicht mehr widersinnig erscheinen, sobald man die
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Fahrlässigkeit nicht mehr als Schuldart bezeichnet. – Freilich ungenau bleiben sie doch noch; die Fahrlässigkeit nimmt auf das Nichtvorhandensein eines bestimmten Willensverhaltens Bezug. Das kann natürlich keinen Erfolg herbeiführen. Nur die in dieser Weise charakterisierte Willensbetätigung kann kausal werden; das Verschulden als solches nicht. Das wird auch vom Reichsgericht139 betont. Aber nach der Definition des Reichsgerichtes (Strafsachen, Bd. VI, 41) besteht das Wesen der Fahrlässigkeit darin, „daß durch die Nichtanwendung der gebotenen Sorgfalt, … von dem Handelnden ein vom Recht verpönter Erfolg seines Handelns herbeigeführt worden ist“. Also auch in dem eben zitierten Paragraphen handelt es sich um Herbeiführung eines Erfolges durch menschliches Handeln. Die Ausdrucksweise des Gesetzes deutet darauf hin. Strafschuld ist aber nicht Herbeiführung eines Erfolges; also kann die Fahrlässigkeit keine Schuldart sein. – Nun liegt gleich eine Entgegnung nahe; sind Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht gerade deshalb Arten der Schuld, weil sie Arten der zurechenbaren Herbeiführung eines Erfolges sind? Könnte man nicht so argumentieren: es gibt drei Arten der Herbeiführung eines Erfolges, Vorsatz, Fahrlässigkeit und Zufall; aber nur in den beiden ersten Fällen wird man verantwortlich gemacht, wird einem etwas vorgeworfen; also sind Vorsatz und Fahrlässigkeit Arten der schuldhaften Herbeiführung; man darf sie daher wohl Schuldarten nennen? Noch einleuchtender scheint das zu sein, wenn man die Schulddefinitionen heranzieht, die v. Liszt in der 4.–6. Aufl. seines Lehrbuches gibt (4. Aufl., S. 160, 5. Aufl., S. 159, 6. Aufl., S. 139). Schuld, heißt es da, ist die Verantwortlichkeit für den verursachten Erfolg. Beim Zufall ist der Erfolg auch verursacht, aber da wird auch nicht verantwortlich gemacht; die Arten der Verantwortlichkeit sind also Vorsatz und Fahrlässigkeit Was dieser Argumentation einen Schein von Berechtigung verleiht, ist folgendes: Man nennt heute einen Erfolg nur dann verschuldet, wenn die Willensbetätigung eines Menschen für ihn kausal war und wenn außerdem beim Täter Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt. Man kann daher sagen, Vorsatz und Fahrlässigkeit sind Verschuldensarten, Arten derjenigen Herbeiführung eines Erfolges, welche dessen Zurechenbarkeit begründet. Damit drückt man ganz allgemein die Arten der Zurechenbarkeit eines jeden Erfolges aus. Hier aber handelt es sich darum, ob Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind. Von der Herbeiführung eines Erfolges, von der Kausalität, ist gar keine Rede mehr. Und Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten zu begründen, das vermag auch jene Argumentation nicht. Sieht man von der Neutralität der beiden Begriffe ab, die den Begriff Schuldarten von vornherein ausschließt, so bleibt außerdem noch die ausschlaggebende Gegenargumentation: in der zurückzuweisenden Argumentation steckt ein ähnlicher 139 Entscheidungen
in Zivilsachen Bd. 54, S. 411.
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff105
Fehler, wie in dem Unterfangen, die Arten des bösen Willens als Arten des Willens, nicht als Arten der Bosheit des Willens zu konstruieren; nur mit dem, aber hier nichts entscheidenden Unterschied, daß man wohl von Arten der Herbeiführung eines Erfolges durch menschliche Handlung, nicht aber von Arten des Wollens sprechen kann. Wenn Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sein sollen, weil sie Arten der schuldhaften Herbeiführung eines Erfolges sind, dann müssen sie Arten der Schuldhaftigkeit bei der Herbeiführung sein. Denn es ist ja nicht die Herbeiführung eines Erfolges an sich, wofür verantwortlich gemacht und gestraft wird, – bei zufälliger Herbeiführung wird nicht gestraft, – sondern für die schuldhafte Herbeiführung wird der Vorwurf gemacht. Die differentia specifica müßte sich also nicht nach der Beziehung der Innerlichkeit zum eingetretenen Erfolge bestimmen, sondern nach dem Verhältnis zu der das Unwerturteil begründenden, die Zwecksetzung enthaltenden Norm. Das ist bei der hier in Frage stehenden Auffassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit aber nicht der Fall. Die Schuldarten müssen Arten der Schuld bleiben, sie können niemals Arten der Herbeiführung eines Erfolges werden. Sobald man das anerkennt, hat die Terminologie Schuldarten jeden Schein von Berechtigung verloren.140 In dem Ausdruck: Arten der Herbeiführung eines Erfolges könnte man insofern eine Schwierigkeit finden, als bei einigen Delikten eine sinnfällige Veränderung der Außenwelt nicht gegeben zu sein scheint. Es ist hier an den in diesem Zusammenhang oft erwähnten Meineid zu denken. Doch weicht v. Liszt, diesem Bedenken dadurch aus, daß er Lehrb. S. 123 bei allen Delikten einen Erfolg für vorhanden erklärt und seinen Erfolgsbegriff entsprechend faßt. Es ist ja nicht notwendig, daß zu jedem Verbrechen ein materieller, sinnfälliger Erfolg gehört.141 – Eine weitere Frage ist, ob es nicht überhaupt falsch ist, von Herbeiführung eines Erfolges zu sprechen, da ja auch vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassungen möglich sind, und sehr bezweifelt werden kann, ob durch die Unterlassung der Erfolg herbeigeführt wird. Nimmt man an, daß die Unterlassung nicht kausal ist, so steht fest, daß man unter Umständen für einen Erfolg verantwortlich gemacht wird, ohne daß man ihn herbeigeführt hat. Aber auch in diesen Fällen müßte Vorsatz oder Fahrlässigkeit gegeben sein, wenigstens in dem Augenblicke, in dem man die den Erfolg abwehrende Tätigkeit des Delinquenten erwartete. Wenn man nun mit v. Liszt, der sich hier dem Sprachgebrauch des Lebens anschließen will (Lehrb., S. 135), bei Rechtswidrigkeit der Unterlassung von dem Unterlassenden sagt, er habe den Erfolg herbeigeführt, so ist diese Schwie140 Daß dolus und culpa Arten des tatsächlichen Verhaltens sind und daß sie nicht mehr Schuldarten heißen können, hat Bierling III, S. 295 deutlich ausgesprochen. 141 Vgl. darüber Kohlrausch, Irrtum, S. 92 und H. v. Ferneck I, S. 384 / 385.
106 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
rigkeit, wenigstens äußerlich, gelöst. Für den Zweck dieser Arbeit reicht es hin, hervorzuheben: Wenn Vorsatz und Fahrlässigkeit als Arten der Herbeiführung eines Erfolges angesehen werden – und nach ihrer tatsächlichen Stellung in der Schuldlehre v. Liszts müssen sie das –, dann sind sie nicht mehr Schuldarten. Gerade hier, bei der Frage nach dem Inhalt der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit, wird der Unterschied der Strafrechtssysteme wichtig. Das müßte in der Terminologie zum Ausdruck kommen, v. Liszt sagt Z. 8, S. 154 / 5: „Wenn wir im allgemeinen darüber einig sind, daß die Begriffe Vorsatz, Absicht, Fahrlässigkeit, auf Handlung und Erfolg sich beziehen, so ist, sollte ich meinen, vollkommen klar, daß das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit kein Bestandteil des Vorsatzes sein kann; daß die Frage nur dahin gestellt werden darf, ob nicht neben142 dem Vorsatz als ein zu ihm hinzutretendes Element jenes Bewußtsein gefordert werden kann“. Und im folgenden wirft er Binding vor, daß dieser überall über der Normwidrigkeit die verursachende Bedeutung der verbrecherischen Handlung übersähe. Für v. Liszt sind also Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr Schuldarten. Die Schuldarten gehören gar nicht ins Strafrecht; was Schuld ist, kann vielleicht wichtig werden bei der Frage der Strafzumessung, wo ja auf die Schwere der Schuld Rücksicht genommen werden muß. Was Schuldarten sind, ist eine müssige Frage. Das Strafrecht hat es nur mit Vorsatz und Fahrlässigkeit zu tun; die für den Dogmatiker des Strafrechts allein wichtige Aufgabe ist, diese beiden Begriffe psychologisch genau zu formulieren. Deshalb sagt Frank (Z. 10, S. 207 / 8): „Von einer Definition des dolus muß verlangt werden, daß sie die Beziehung des Bewußtseins zu den durch die Handlung hervorzurufenden Veränderungen der Außenwelt klar stellt. Wenn dies nicht durch den Begriff des Willens möglich ist, so kann es nur durch den der Vorstellung, der Voraussicht geschehen“. Hält man daneben noch den Schlußsatz, S. 221 / 2: die Formel lautet nicht: der Täter hat sich vorgestellt, folglich wird er bestraft, sondern: er hat gehandelt, obwohl er sich vorstellte, – so kann kein Zweifel mehr bestehen; Vorsatz ist nicht das, wofür bestraft und der Vorwurf des vorantwortlich machenden Rechtes gemacht wird; sondern, wenn trotz des Vorsatzes gehandelt ist und außerdem noch die übrigen Veraussetzungen erfüllt sind, dann wird angenommen, daß das Objekt des in der Strafe liegenden Unwerturteiles gegeben ist.143 Der 142 Damit ist v. Liszt auch dem Einwand Bindings Ν. II, S. 497 entgangen, der geltend macht, wer das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nur dann verlange, wenn es im Tatbestand eines Gesetzes aufgeführt ist, der müßte zwei verschiedene Dolusbegriffe annehmen, einen, zu dem das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehört, und einen anderen, zu dem es nicht gehört. 143 Vgl. auch die Begründung des Vorentwurfes I, S. 209, wo gesagt wird, die Vorsatzdefinition des § 59 des Vorentwurfes besage nur, woran der strafrechtliche Wille zu erkennen sei.
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Vorsatz ist Schuldvoraussetzung. Er scheint allerdings nach dem eben zitierten Ausspruch Franks eine gewisse symptomatische Bedeutung zu haben, ebenso wie nach der Erörterung des Vorsatzbegriffes in v. Liszts Lehrbuch (S. 170), wo Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände definiert und dann fortgefahren wird: „die Mangelhaftigkeit der sozialen Gesinnung des Täters wird hier dadurch bekundet, daß der Täter trotz der Erkenntnis von der antisozialen Bedeutung seiner Tat handelt“. Ähnlich der schon zitierte Satz von Radbruch (Z. 23, S. 647): Vorsatz und Fahrlässigkeit sind „ein Gemütszustand, der die Handlung als für den Handelnden charakteristisch erscheinen läßt und wenn jene Handlung eine rechtswidrige und die aus ihr zu schließende Gesinnung eine antisoziale ist, als Schuld bezeichnet wird“. Ebenso deutlich ist die ganze Darstellung Löfflers in seinen Schuldformen; die Schuld soll eine Beziehung der Innerlichkeit des Täters zum Erfolge sein, die den Täter als sozialen Schädling charakterisiert. Das Objekt des Vorwurfes ist aber diese Eigenschaft als sozialer Schädling: die Beziehung der Innerlichkeit ist in Verbindung mit der Zurechnungsfähigkeit und der Rechtswidrigkeit Schuldsymptom. Bei der Neutralität des Vorsatzbegriffes kommt die symptomatische Bedeutung nicht dem Vorsatz zu, sondern dem Verbrechen; sind alle Voraussetzuugen eines Verbrechens, unter anderen auch Vorsatz und Fahrlässigkeit, erfüllt, so ist damit unwiderleglich konstatiert, daß Schuld vorliegt. Das Verbrechen ist das Symptom, auf das hin, nach Klees Ausdruck, der Richter wie ein schlechter Arzt kurieren muß. Das gilt schon für das geltende Recht, für die Schuld als Moment der Einzeltat. Von ihrer Bedeutung für das System des Strafrechts abgesehen, haben darnach die Arbeiten Tesars und Kollmanns, was die Schuldfrage angeht, für das geltende Strafrecht in ihren Resultaten volle Gültigkeit. Das Verbrechen ist Schulderkenntnismittel; die Schuld liegt hinter dem Verbrechen. Dann sind Vorsatz und Fahrlässigkeit aber auch nicht mehr Schuldarten, sondern höchstens Schuldvoraussetzungen. Die Konsequenz ergibt sich mit zwingender Notwendigkeit aus v. Liszts Schuldlehre. * Benennt man Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr mit dem mißverständlichen Namen Schuldarten, so wird folgender Einwand Belings (Verbrechen S. 80) gegen den v. Lisztschen Vorsatzbegriff hinfällig: „Wer dolus und culpa ihres Schuldcharakters beraubt, wer also für das Verbrechen erstens Schuld und zweitens als etwas total anderes Vorsatz und Fahrlässigkeit fordert, den muß die Frage in tötliche Verlegenheit bringen, was denn nun der Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit sei, – das Wesen dieser Begriffe muß ewig verschleiert werden.“ Dieser Einwand unterschiebt dem
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Gegner zunächst die Behauptung, außer Vorsatz und Fahrlässigkeit werde noch als weiteres Verbrechensmerkmal die Schuld verlangt. Das geschieht freilich zuweilen, (z. B. von Sturm, Strafrechtl. Verschuldung S. 67) nicht aber von v. Liszt. Es ist auch keineswegs notwendig. Die Schuld kann hinter dem Verbrechen liegen, und es ist denkbar, daß der Staat aus wichtigen Gründen nicht sagt: wer schuldig ist, wird bestraft, sondern: wer unter diesen bestimmten Voraussetzungen, die der Richter zu konstatieren hat, handelt, bei dem liegt Schuld vor: wer also das Verbrechen begeht, der beweist damit, daß der böse Wille bei ihm vorlag, ohne daß dieser eigens konstatiert werden müßte. In dieser Bedeutung ist eine symptomatische Auffassung des Verbrechens für das geltende Strafrecht denkbar und vielleicht auch notwendig. Anders aber steht es um den zweiten Einwand Belings: wie nun die beiden Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit unter einem Oberbegriff zusammengefaßt werden, wenn sie nicht mehr Schuldarten sind. Allerdings könnte man ja einfach auf eine solche Zusammenfassung verzichten. Da man aber die beiden Begriffe nebeneinander zu stellen pflegt und das geltende Strafrecht dasselbe zu tun scheint, so ist es notwendig, auf diesen für die Terminologie wichtigen Einwand einzugehen. Zuvor aber ist zu beachten, daß die Gegner den Ausdruck „Beziehung der Innerlichkeit des Täters zum Erfolge“ als gemeinsames Wort für ihre Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit mit derselben Berechtigung gebrauchen dürfen, wie Beling. B. erkennt diese Definition Löfflers ausdrücklich an, und Löffler beraubt doch sicherlich den Vorsatz (wenn man darunter seine beiden Schuldformen Absicht und Wissentlichkeit wenigstens teilweise zusammenfassen will) ebensosehr wie v. Liszt des Schuldcharakter; ja er zweifelt S. 66 Anm. 3 daran, ob dem römischen dolus malus das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit begriffswesentlich ist. – Aber alle diese Gegeneinwände helfen nicht über die tatsächliche Wesensverschiedenheit der beiden Begriffe hinweg. Wenn, der Vorsatz etwas rein Psychologisches ist, so wird die Konstruktion der Fahrlässigkeit immer Schwierigkeiten machen. Von einer Reihe von Autoren, zuerst von Merkel, wurde die schon in der Einleitung erwähnte Tatsache beachtet, daß der Begriff Vorsatz ohne weiteres als ein farbloser, rechtlich indifferenter erscheint, was man ohne eine gewaltsame Ignorierung des Sprachgebrauches von der Fahrlässigkeit nicht behaupten kann. Es ist besonders interessant, die beiden Definitionen v. Liszts daraufhin miteinander zu vergleichen. In den ersten Auflagen ist der Vorsatz der Wille als Ursache einer Handlung im engeren Sinne, begleitet von der Vorstellung der Kausalität, d. h. begleitet von der Vorstellung jener Veränderungen, welche die Handlung in der Außenwelt hervorruft und von der Vorstellung, daß diese Veränderungen durch die Handlung hervorgerufen würden. Die Fahrlässigkeit dagegen ist der Wille als Ursache einer von der Vorstellung ihrer Kausalität nicht be-
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gleiteten Handlung mit rechtswidrigem Erfolge (1. Aufl. S. 117; 3. Aufl. S. 108). Noch in der letzten Auflage des Lehrbuches (17. Aufl. S. 182) wird der Eintritt des rechtswidrigen Erfolges und die Vorhersehbarkeit dieser Wirkung als zum Begriffe der Fahrlässigkeit gehörig hingestellt. Der Unterschied zum Vorsatzbegriff liegt auf der Hand, umsomehr, als von diesem S. 170 erklärt wird: „die Begriffsbestimmung des Vorsatzes hat auszugehen von dem Handlungsbegriffe und zunächst von der rechtlichen Wertung der Handlung, also ihrer Rechtswidrigkeit, abzusehen.“ Diesen Zwiespalt – der Vorsatzbegriff ist ein indifferenter, die Fahrlässigkeit enthält ein distributives Urteil – hat Bierling III, S. 305 dadurch zu beseitigen versucht, daß er die Beziehung auf ein ethisches Unwerturteil als etwas nebenbei zur Fahrlässigkeit Gehöriges bezeichnete; der normative Charakter des Wortes steht also einer Zusammenfassung mit dem Vorsatze nicht im Wege und kommt dabei nicht in Betracht. Radbruch sucht dasselbe Ergebnis durch seine schon erwähnte Konstruktion der Fahrlässigkeit als doppelter Unterlassung zu erreichen. Für v. Liszt dürfte aber auch ohne das eine Zusammenfassung der beiden Begriffe nicht ausgeschlossen sein. Denn er geht keineswegs soweit, wie etwa Rupp,144 der behauptet, das Moment der Schuld bestehe bei der Fahrlässigkeit nicht in dem Willen des Handelnden, sondern in der Kausalität; v. Liszt betont im Gegenteil, S. 183, daß auch bei der Fahrlässigkeit ein Willensfehler „im Sinne der herrschenden Terminologie“ vorliegt; daß der Begriff der Fährlässigkeit durch den des Vorsatzes begrenzt wird (S. 182 Anm. 1) und daß Schuld und Kausalität streng getrennt werden müssen. Seine Beschränkung der Fahrlässigkeit auf rechtswidrige Erfolge scheint also das Wesen der Fahrlässigkeit als Schuldvoraussetzung nicht zu berühren; Bierlings Ansicht könnte also auch er beistimmen. Auch daß v. Liszt den Eintritt des rechtswidrigen Erfolges in den Fahrlässigkeitsbegriff zieht, während der Vorsatz von diesem Eintritt gänzlich unabhängig ist, dürfte diese Zusammenfassung nicht absolut ausschließen, obwohl auch hier Bedenken bestehen bleiben. Lucas,145 hat v. Liszt gegenüber die Fahrlässigkeit als das „reine Gegenbild des Vorsatzes auf dessen ganzem Gebiete“ zu retten versucht, indem er geltend macht, bei einer Reihe von Delikten, z. B. beim Meineid, könne gar nicht von einem Erfolg gesprochen werden. Dagegen repliziert v. Liszt mit der Verwerfung des Unterschiedes von Erfolgs- und Nichterfolgsdelikten (Lehrb. S. 123). Außerdem könnte man ja auch statt Arten der Herbeiführung des Erfolges Arten der Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung sagen und dann weiter erklären, die besondere Eigenart der Fahrlässigkeit, daß man von ihr nur im Falle eines tatbestandlichen Erfolges rede, komme für die Zusammenfas144 Dissertation 145 Subjektive
1880, § 13. Verschuldung, S. 111.
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sung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht in Betracht, liege also außerhalb des Oberbegriffes als etwas für diesen Gleichgültiges. – Es ist nicht zu leugnen, daß Belings Einwand wegen der Zusammenfassung beider Begriffe nicht ohne Bedeutung ist; denn alle Konstruktionsversuche erwecken den Eindruck eines mehr oder weniger äußerlichen Notbehelfs. Nur darf man darüber nicht vergessen, daß Belings Einwand kein Beweis für die Terminologie Schuldarten ist; man kann alle die erwähnten Schwierigkeiten zugeben. Man kann sogar, wenn man sich mit den eben angeführten Vorschlägen Bierlings und Radbruchs nicht zu befreunden vermag, annehmen, daß eine Zusammenfassung überhaupt unmöglich ist, aber es ist nicht einzusehen, warum Vorsatz und Fahrlässigkeit deshalb Schuldarten sein müssen. Die Wesensverschiedenheit zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bleibt dann eben bestehen; – daß sie keinen gemeinsamen Oberbegriff haben, ist eben ein Schönheitsfehler in v. Liszts Schuldlehre. Daß der Ausdruck „Schuldart“ als Bezeichnung des Vorsatzes direkt unrichtig ist, ist schon längst erkannt worden. Die von Merkel (Lehrb. S. 80), Heitz (Diss., S. 28 Anm. 6), Eccard (Diss., S. 32, 44, 45), Hartmann (Das Kausalproblem, S. 3 Anm. 2),146 Seuffert, N. Str.G.B. S. 46 gemachte Beobachtung besonders energisch betont und dem Vorsatz den Charakter einer Schuldart abgesprochen zu haben, ist das Verdienst der Dissertation von Sturm.147 Sturm geht, ohne den Vorsatzbegriff Bindings zu beachten, mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, daß der Vorsatz ein rein psychologischer Begriff ist (S. 67). Weil er das ist, kann er keine Schuldart mehr sein. Daraus folgt, meint Sturm, daß dieser Vorsatz nicht der Vorsatz im Sinne des Strafrechts sein kann, Vorsatz im Sinne des Strafrechts muß vielmehr schuldhafter Vorsatz sein. Dieser schuldhafte Vorsatz hört eher auf als der natürliche Vorsatz (S. 68). Das soll heißen, man kann vorsätzlich handeln, ohne schuldhaft zu handeln; durch den Begriff der Schuld (nach Sturm, S. 46, Unterlassung der Unterdrückung der verbrecherischen Willensregungen) wird die Grenze des vorsätzlichen Handelns im Sinne des Strafrechts abgesteckt, und zwar soll der Richter nach freiem Ermessen entscheiden, ob Schuld vorliegt. Demgegenüber liegt die Frage nahe, welche Bedeutung der Vorsatz jetzt eigentlich noch hat, wenn alles auf die Schuld ankommt, die etwas toto coelo anderes ist als der Vorsatz. Mittermaier (Strafrechtsschuld, S. 33 / 34) hält alle Schwierigkeiten, die sich aus der Verschiedenartigkeit von Vorsatz und Fahrlässigkeit ergeben, für „ganz unwesentlich“. Man brauche ja nur Vorsatz und rechtswidrigen Vorsatz für identisch zu erklären, um alles das überwunden zu haben. Doch ist Sturm mit dieser neuen Behauptung 146 Abgesehen von Βierling III, S. 291, ist hier vor allem Höpfner, Ζ. 23, S. 651 zu erwähnen. Vgl. auch Finger, G.S. 72, S. 249 f. 147 Die strafrechtliche Verschuldung, 1902.
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff111
nicht widerlegt; nur insoweit trifft ihn der Vorwurf, als er diese Möglichkeit garnicht bedacht hat und die Ausführungen Bindings zum Vorsatzbegriff keiner Berücksichtigung würdigt.148 Aber auch Mittermaier scheint das Problem zu verkennen, wenn er keine Schwierigkeiten darin erblicken kann. Gerade darum handelt es sich ja: ist der Vorsatz im Sinne des Strafrechts rechtswidriger, böser Vorsatz, oder „natürlicher“ Vorsatz? Inwiefern er, wenn das erste der Fall ist, eine Schuldart genannt werden kann, ist im folgenden Abschnitt zu erörtern. Aber Vorsatz und bösen Vorsatz für identisch zu erklären, nur um den Vorsatz noch eine Schuldart nennen zu können, das heißt eine Schuldlehre auf einer schwankenden Terminologie aufbauen, ein System aufgeben, um eine Terminologie zu retten. Solange man an der rechtlichen Indifferenz des Begriffes Vorsatz festhält, ist eine befriedigende Lösung aller dieser Fragen nur möglich durch Aufge148 Sturms weiterer Fehler liegt darin, daß er, ebenfalls ohne weiteres Nachsehen, außer dem Vorsatz als Erfordernis des Verbrechens die Schuld aufstellt, während das positive Strafrecht sich damit begnügt, zu sagen: wer vorsätzlich einen Menschen tötet … Das Verbrechen müßte also nach S. schuldhafte, vorsätzliche, rechtswidrige Handlung sein. Die ganze Konstruktion erinnert an eine entsprechende der culpa von Temme (Lehrb. S. 111), der meint, es sei nach den Umständen des einzelnen Falles „zu ermessen, wo die strafbare culpa anfange“, während nach Sturm Diss., S. 67 der Richter bestimmen soll, wo der Vorsatz anfange, schuldhaft zu sein. Es wird dann sehr richtig hinzugefügt, daß das nicht sehr leicht sei. Umsoweniger ist es das, als die Definition der Schuld, wie sie Sturm (Diss. S. 47, 49, G.S. 74, S. 169 f.) gibt, kaum sehr praktikabel ist; die Schuld soll nämlich in einer „Schwäche des Menschen und speziell in einer Schwäche des Willensvermögens“ bestehen. – Während Diss. S. 2 betont wird, man könne niemanden wegen seiner Dummheit einen Vorwurf machen, werden in den Ausführungen G.S. 72, S. 160 f. Bosheit und Torheit als die beiden Schuldarten ausgegeben (die Einteilung ist eine ähnliche wie die Ortloffs G.S. 34, S. 419: Schuld des Willens und Schuld des Erkenntnisvermögens). Mit der Unterscheidung „Bosheit und Torheit“ ist nicht etwa die Gegenüberstellung Hippels von Egoismus und Leichtsinn gemeint; sondern aus dem einfachen Grunde, weil auch „die Ethik“ (es wird leider nichts Näheres von ihr verraten) diese beiden Schuldarten kennt, sollen sie auch die beiden Schuldarten des Strafrechts sein. Kurz, um Goethe zu zitieren, von genus und species ist bald was gepfiffen. – übrigens formt Sturm bei dieser Gelegenheit G.S. 72, S. 221 den wörtlich zitierten Satz: „Der vorsätzlichen Schuld haftet etwas Unehrenhaftes an, und fordert das Verhalten des Täters unsere Entrüstung heraus; der Fahrlässigkeit haftet aber etwas Lächerliches an, und fordert das Verhalten des Täters unseren Spott heraus.“ Der Weg zu diesem, auch inhaltlich sehr sonderbaren Satze ist der „freier philosophischer Forschung“ (Diss. S. 2). – Die tumultuöse Polemik ist in der Sache haltlos, ebenso wie die leichtfertige Behauptung, all die enorme Arbeit, die auf die Feststellung der Vorsatzgrenzen von Autoren wie Frank, Thyrén, M. E. Mayer, Miricka und Hippel geleistet ist, sei überflüssig. Das Resultat: Bosheit und Torheit sind die beiden Schuldarten, gehört jedenfalls nicht in dic Jurisprudenz. Wichtig bleibt, wie erwähnt, der energische Hinweis darauf, daß der Vorsatz als natürlicher Begriff, als „Seelenzustand“, keine Schuldart mehr sein kann und von der Fahrlässigkeit wesensverschieden ist. Nur gibt Sturm keine Lösung der Schwierigkeit.
112 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
ben der Terminologie Schuldarten, und zwar sowohl für den Vorsatz, wie für die Fahrlässigkeit. Der Schuldbegriff hat also aus der Lehre von der Zurechenbarkeit des Erfolges auszuscheiden, er geht den Dogmatiker direkt nichts an. An diesem Punkte liegt die Verwechselung, die Radbruch in seinem Aufsatz über den Schuldbegriff begeht: Nicht das normative Element darf aus dem Schuldbegriff eliminiert werden, sondern die Schuld, welcher der Normativcharakter bleibt, scheidet aus, und damit allerdings jedes normative Element aus der Lehre von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Für die Terminologie Schuldart aber bleibt kein Raum. Der einzige, sehr äußerliche Grund, beide unter dem Begriff Schuld zusammenzufassen, ist der Mangel eines einwandfreien Oberbegriffes für beide und das praktische Bedürfnis, ein bequemes Wort zur Hand zu haben; eine Bequemlichkeit, die aber große Mißverständnisse in ihrem Gefolge hat. Läßt man die Terminologie Schuldarten, deren starke suggestive Wirkung niemand verkennen wird, fahren, so erledigt sich ein weiteres wichtiges Argument gegen die Vorstellungstheorie in der Vorsatzlehre, das Argument: wenn alle Schuld Willensschuld ist und der Vorsatz eine Schuldart, dann muß der Vorsatz Wille sein. Von einer Reihe namhafter Autoren ist dieser Einwand gemacht worden. So von Merkel, Lehrb. S. 82, „die Schuld kann nicht identisch sein mit „der Beziehung des Vorstellungslebens des Täters auf den Erfolg“. So von Birkmeyer, Kritische Vierteljahresschrift 29, S. 589: „Da einen Erfolg wollen und einen Erfolg sich vorstellen, zwei gänzlich verschiedene Dinge sind, jenes eine Willens-, dieses eine Denktätigkeit ist, so muß Bruck (dessen Buch über die Fahrlässigkeit Birkmeyer a. a. O. bespricht) entweder im dolus schon den bloßen bösen Gedanken strafen wollen, oder er muß davon ausgehen, daß ein dolos Handelnder jeden Erfolg, den er sich vorstellt, auch wollen muß: – eine durch und durch verwerfliche präsumtio doli“. – So von M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 145: „Da alle Schuld Willensschuld, der Vorsatz aber eine Schuldart ist, muß der Vorsatz ein bestimmt gearteter Wille sein.“ So von Beling, Grundzüge S. 62: „Die Vorstellungen als solche entbehren jedes Schuldcharakters“. So endlich von v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 266: „Wie kommt es, daß die Beschaffenheit der Vorstellungen die Strafbarkeit begründen … soll? Wie kommt man dazu, sie über Schuld und Unschuld entscheiden zu lassen?“ Aber so gewichtig die Aussprüche dieser Gelehrten sind, ihr Einwand trifft nicht die Sache, sondern nur die Terminologie Schuldarten. Dasselbe gilt von dem Einwand, die Voraussicht des Erfolges bleibe immer dieselbe, unabhängig von der Schwere des Erfolges; man könne mit demselben Vorsatz eine fremde Katze erschießen, wie seinen Vater morden, – die Voraussicht selbst werde nicht davon berührt, sie werde nicht intensiver; die Beziehung der Innerlichkeit zum Erfolg lasse keine größere oder geringere
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff113
Schwere der Schuld zu. Dieser Einwand, den Hälschner, D. I. S. 199 erwähnt, ist nur berechtigt, wenn man den als Voraussicht eines Erfolges definierten Vorsatz eine Schuldart nennt. Sagt man jedoch Schuldvoraussetzung, so ist es gleichgültig, ob man ihn so formuliert, daß das Wort Wille in der Definition vorkommt oder nicht. Er zeigt dann ja nur in Verbindung mit einer Reihe anderer Voraussetzungen auf die Schuld hin, er ist nicht die Schuld selbst, die trotzdem Willensschuld bleiben kann und muß.149 Es handelt sich hier weder um einen Angriff auf v. Liszts Strafrechtssystem, noch um seine Verteidigung, sondern ausschließlich darum, festzustellen, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit in Wirklichkeit für ihn keine Schuldarten sind und daß man daraus allein noch keinen Einwand gegen sein System oder auch nur gegen seine Lehre von Vorsatz und Fahrlässigkeit entnehmen kann. Für v. Liszt besteht, wie erwähnt, das Problem eben nur noch in der möglichst klaren und praktischen psychologischen Formulierung dessen, was es bedeutet, wenn im Gesetz von Vorsatz oder Fahrlässigkeit die Rede ist. Glaubt man also mit Rücksicht darauf, daß nur die Körperbewegung gewollt sein kann und man nicht von einem gewollten Erfolge sprechen dürfe, – vielleicht eine übertriebene und nicht einmal zu Ende gedachte Genauigkeit – so hindert einen nichts, nur vom Vorstellen des Erfolges zu sprechen. Auch auf einzelne Kontroversen der Fahrlässigkeitslehre fällt mit dem Aufgeben der bezeichneten Terminologie ein neues Licht. Alle Definitionen der Fahrlässigkeit sprechen vom Nichtvorhersehen eines voraussehbaren Erfolges, und immer wieder wird daraus ein Argument gegen das Axiom entnommen, daß alle Schuld Willensschuld ist. Denn der Schluß liegt nahe: wer fahrlässig handelt, der will den ungedeihlichen Erfolg nicht, er hat vielmehr nur nicht an ihn gedacht, und dafür wird er bestraft. Das wird z. B. Löffler, Schuldformen S. 5150 veranlaßt haben, zu behaupten, es sei nicht einzusehen, warum alle Schuld Willensschuld sein soll, und das so zu begründen: er könne nicht finden, daß bei allen Schuldformen ein auf den rechtswidrigen Erfolg gerichteter Wille das Wesentliche sei. Dieser 149 Es soll in diesem Zusammenhange eine Stelle des hl. Thomas von Aquin, X. prima sec. qu. 20. Art. 5, der sehr nachdrücklich erklärt, daß alle Schuld Willensschuld sein müsse, zitiert werden: „si est (eventus) praecogitatus, manifestum est, quod addit ad bonitatem vel malitiam actus. Cum enim aliquis cogitans, quod ex opere suo multa mala possunt sequi, nec propter hoc dimittit, ex hoc apparet voluntas ejus esse magis inordinata“. 150 Auch Mittelstädt, G.S. 46, S. 404 meint, daß die rechtliche Fahrlässigkeitsschuld „sich so ganz und garnicht mit der ihr heimlich untergeschobenen sittlichen Willensschuld deckt“. Daß schon v. Almendingen die Fahrlässigkeit nicht als Willensschuld anerkennen wollte, ist bekannt.
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Satz trifft für die Fahrlässigkeit zu; denn bei ihr liegt kein auf den rechtswidrigen Erfolg gerichteter Wille vor. Aber die Folgerung: also ist nicht alle Schuld Willensschuld, ist nur dann richtig, wenn die Fahrlässigkeit wirklich eine Schuldart ist. Sieht man sie dagegen als Schuldvoraussetzung an, so kann man in ihrer Definition alles auf den Vorstellungsinhalt abstellen, ohne den Satz, daß alle Schuld Willensschuld ist, aufgeben zu müssen. Die Schuld bei Fahrlässigkeit ist dann eben etwas anderes als die Fahrlässigkeit selbst. Die im § 4 dieser Arbeit vorgetragene Konstruktion des bösen Willens bei der Fahrlässigkeit kann also bestehen bleiben, und steht den Definitionen der Fahrlässigkeit, wie sie allgemein gegeben werden, nicht im Wege. * Es ist leicht erklärlich, daß gegenüber den erwähnten Angriffen gegen die Vorstellungstheorie in der Vorsatzlehre die Terminologie Schuldarten aufgegeben worden ist. Und zwar hat Frank selbst das getan, in seiner Abhandlung über den Aufbau des Schuldbegriffes.151 Er sucht Vorsatz und Fahrlässigkeit eine andere Benennung zu geben und führt aus: sie gehören noch zur Schuld, aber sie sind nicht mehr die Schuld, sie sind vor allem nicht mehr Schuldarten; sondern sie verhalten sich zur Schuld, wie die Wurzeln des Baumes zum Baum; sie werden als Schuldelemente qualifiziert. Jedoch dürfte auch diese Terminologie unhaltbar sein und die Schwierigkeiten kaum zu lösen vermögen. Heißt es doch kurz nach diesen Ausführungen a. a. O. S. 12: damit der (die Schuld begründende) Vorwurf gemacht werden kann, wird ein Dreifaches vorausgesetzt: 1. Zurechnungsfähigkeit, 2. Vorsatz und Fahrlässigkeit, 3. normale Beschaffenheit der die Tat begleitenden Umstände. Da Frank ausdrücklich an der Neutralität der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit festhält, da er auch hier das schon Z. 10, S. 207 gebrauchte Beispiel·gegen Binding vorbringt: ich kann meine Uhr vorsätzlich ins Wasser fallen lassen, – so bleiben auch hier Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldvoraussetzungen. Sie werden nicht Schuldarten, auch nicht Schuldelemente; denn die Gesamtheit dessen, was nach Frank die Schuld ausmachen soll, ist ja nicht das, wofür ein Vorwurf gemacht wird, sondern nur ein Symptom dafür. Das geht klar daraus hervor, daß Frank auch jetzt noch a. a. O. S. 26 daran festhält, alle Schuld müsse Willensschuld sein und· zwar deshalb, weil es ohne Mitwirkung des Willens keine Handlung und ohne diese keine Schuld geben könnte, aber keines der angegebenen drei Schuld elemente, weder die Zurechnungsfähigkeit, noch Vorsatz und Fahrlässigkeit, noch die normale Beschaffenheit der begleitenden Umstände nach Franks 151 Ebenso
Kommentar, 5.–7. Aufl., S. 126 / 7.
§ 6. Der Vorsatz als indifferenter Begriff115
Definitionen etwas vom Willen enthält. Sie deuten vielmehr in ihrer Gesamtheit auf einen bestimmt gearteten Willen hin. * Es könnte als ungeheuerlich erscheinen, daß der Satz „keine Strafe ohne Willensschuld“ in Geltung bleiben, die Schuld selbst aber aus der bisher sogenannten Schuldlehre verwiesen werden soll. Aber es ist eine Konsequenz v. Liszts Auffassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Sie steht außerdem mit jeder seiner beiden Schulddefinitionen durchaus in Einklang. Denn er sagt selbst von der Schuld im materiellen Sinne, dem Mangel an sozialer Gesinnung, daß sie ein „metagesetzlicher“ Begriff sei. Was aber die Schuld im formalen Sinne, nach v. Liszt also die Verantwortlichkeit des Täters, angeht, so finden sich im positiven Strafrechte nur die Voraussetzungen dazu; die Verantwortlichkeit selbst ergibt sich erst, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind; – worin sie eigentlich besteht, wird direkt nicht gesagt. Die Bestimmung dessen, wofür verantwortlich gemacht wird, bleibt aber wichtig, um einen Maßstab für die Strafzumessung zu haben, und insofern wird man die Schuld nicht vollständig aus dem Strafrecht verweisen können. Um zu bestimmen, welchen Grad die Schuld hat, muß man wissen, was Schuld ist. Diese Erwägung führt auf einen Einwand Bierlings, III, S. 249 Anm. gegen Höpfner, der in seinem Werke „Einheit und Mehrheit der Verbrechen“ § 10 durch die sogenannte subjektive Fassung der Norm alles Normative aus dem Strafrecht schaffen will. Höpfners Gedankengang ist folgender: statt die dem Strafgesetz zu Grunde liegende Norm mit Binding objektiv zu konstruieren, also: du sollst nicht die Tötung eines Menschen verursachen, – faßt man die Norm so: Du sollst nicht diejenige Tätigkeit vornehmen, von der Du Dir vorstellst oder vorstellen kannst, daß sie den perhorreszierten Erfolg zur Folge haben wird oder kann. Demnach gehört die Kausalität nicht mehr zur Schuld. Es handelt sich nur noch darum, festzustellen, ob der Täter diesem Verbote zuwidergehandelt hat. Es ist offenbar, daß damit aus den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit jede Wertung und normative Beziehung eliminiert ist. Höpfner stimmt auch mit den bisher für die v. Lisztsche Schuldlehre vorgetragenen Ausführungen vollkommen überein, und in seinem Aufsatze Z. 23 S. 651 spricht er es in einer Anmerkung sogar aus, daß für v. Liszt Vorsatz und Fahrlässigkeit eigentlich nur Schuldvoraussetzungen sind (ähnlich Hartmann, Das Kausalproblem, S. 3 Anm. 2). Formuliert man die Norm so, wie Höpfner es will, so besteht die Aufgabe des Dogmatikers sowohl wie des Richters darin, zu untersuchen, wie jene Vorstellung zu definieren ist bezw. ob sie beim Täter, der rechtswidrig gehandelt hat, vorlag. Von einer Wertung ist nicht mehr die Rede. Nur ist es ein
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Irrtum, anzunehmen, damit sei das Pathos, das in dem Schuldvorwurf des Staates liegt, aufgehoben. Das Werturteil bleibt das entscheidende; der traditionelle Schuldbegriff behält seine Bedeutung, auch wenn im Strafrecht nicht mehr von Schuld, sondern nur von Vorsatz und Fahrlässigkeit gesprochen wird. In Höpfners Sätzen, Z. 23 S. 648, „Die Funktion des Schuldbegriffes, die absurden Konsequenzen der Haftung für den ‚rechtswidrigen Erfolg‘ auszuschließen, wird verrichtet, genauer, sie wird erübrigt, durch die in der Norm enthaltene Bezugnahme auf das Vorstellungsleben des Handelnden“, und S. 649: „wir können in logisch unanfechtbarer Weise ein Strafrecht aufbauen, ohne des Schuldbegriffes zu benötigen“, scheint eine Verwechselung der Tätigkeit des zur Verantwortung ziehenden Staates mit der Tätigkeit des unter das Gesetz subsumierenden Richters zu liegen. Insofern hat Bierling recht, wenn er meint, es sei eine Selbsttäuschung, den Schuldbegriff damit überwunden zu glauben. Wohl aber hat die subjektive Fassung der Norm den Vorzug, daß sie besonders deutlich macht, wie wenig Vorsatz und Fahrlässigkeit den Namen Schuldarten verdienen. – Der weitere Einwand Bierlings, daß ohne einen Schuldbegriff der Strafzumessung jede Grundlage fehle, ist sachlich begründet; aber ebenfalls kein Beweis für oder gegen die Bedeutung von Höpfners subjektiver Fassung der Norm. Denn wenn man Vorsatz und Fahrlässigkeit aus ihrer unmittelbaren Verbindung mit der Schuld löst, so braucht deshalb die Schuld selbst noch nicht gänzlich bedeutungslos zu werden. Es steht nichts im Wege, daß sie an der Stelle, wo das Gesetz implicite auf sie verweist, also bei der Strafzumessung, wiederum von Wichtigkeit wird. Freilich nur subsidiär; im übrigen ist sie für v. Liszt aus dem Strafrecht ausgeschieden. Doch wird man kaum sagen können, daß das ein Fehler sei. Denn das Pathos des verantwortlichmachenden Staates bleibt ja unberührt, die im Schuldbegriff enthaltene Beziehung auf ein Unwerturteil unangetastet. Die Schuld bleibt das, worauf es ankommt; nur hat das Gesetz dem Dogmatiker und dem Richter in allen entscheidenden Punkten die Feststellung der Schuld abgenommen, indem es eine Reihe von Voraussetzungen aufstellt, bei deren Vorliegen die Schuld gegeben ist. Die Summe dieser Voraussetzungen, das Verbrechen, ist Schuldsymptom. Mit der Bedeutung des Handlungsbegriffes im Strafrechtssysteme steht das in keiner Berührung. Nur hat jeder, der mit Tesar oder Kollmann von der symptomatischen Bedeutung des Verbrechens spricht, damit die Schuld aus dem Strafrecht verwiesen; denn dieses hat es nur mit dem Verbrechen zu tun, mit dem Strafschulderkenntnismittel. Der Vorsatz kann dann aber unmöglich noch eine Schuldart genannt werden, denn er gehört ja zum Verbrechen. Der Vorwurf Kollmanns aber, die sogen. realistische Auffassung des Verbrechens prädikatisiere falsch, weil nicht die Handlung schuldhaft sei, sondern der Täter, dieser Vorwurf wird trotz der Beibehaltung der realistischen Auffas-
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sung des geltenden Rechtes hinfällig, sobald Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr Schuldarten heißen. Denn jetzt wird nicht mehr gesagt: die Handlung ist schuldhaft, sondern nur die Handlung ist (mit Beziehung auf den zu vermeidenden Erfolg) fahrlässig oder vorsätzlich begangen. Direkt ausgesprochen ist die Eliminierung des Schuldbegriffes in dem Satze Lilienthals, Pflichtmäßige ärztliche Handlung, S. 17: „Für den Juristen handelt es sich gar nicht um ein Werturteil über die strafbare Handlung, sondern nur darum, ob bestimmte Vorschriften des Strafgesetzbuchs anzuwenden sind“. Der Satz Richard Schmidts, Strafrechtliche Verantwortung des Arztes, S. 19 dagegen, erst das Schlußresultat, das verurteilende oder freisprechende Urteil selbst, enthalte das soziale Werturteil, kann dahin mißverstanden werden, als sei es der Richter, welcher nach Feststellung aller Voraussetzungen das Werturteil spricht. Das ist nicht der Fall; sondern der Gesetzgeber hat es aus den verschiedensten Gründen dem Richter leicht gemacht, indem er ihm die genauen Voraussetzungen der Schuld vorschreibt. Deren Konstatierung ist seine Aufgabe, weiter nichts. „Les juges ne sont que la bouche qui prononce les paroles de la loi“. Das ist freilich ein vielleicht nicht einmal richtiges, jedenfalls aber unerreichbares Ideal, doch gibt es der juridischen Verarbeitung des Gesetzestextes seine Richtung. b) Die Willenstheorie in der Vorsatzlehre Es steht keineswegs im Widerspruch mit der Annahme, alle Schuld sei böser Wille, wenn die Autoren, die zwar das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit nicht als Wesensmerkmal des Vorsatzes auffassen, die aber doch im Vorsatz den auf den rechtswidrigen Erfolg gerichteten Willen sehen, in die I. Gruppe gerechnet werden. Wer sagt: der vorsätzlich Handelnde will den Erfolg, der hat freilich, wenn dieser Erfolg rechtswidrig genannt werden kann, den Vorsatz als den auf etwas Böses gerichteten Willen definiert; der Vorsatz ist ihm also anscheinend Schuld; das Bewußtsein der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit gehört ja nach der hier angenommenen Schulddefinition nicht zum Begriff der Strafschuld. Dieser Schluß enthält aber eine Reihe von großen Ungenauigkeiten. Zum ersten: Die Richtung des Willens auf den „objektiv rechtswidrigen“ Erfolg macht nach den hier in Frage stehenden Autoren gar nicht das Wesen des Vorsatzes aus. Nur der auf einen solchen Erfolg gerichtete Vorsatz kommt für das Strafrecht in Betracht; das ist selbstverständlich. Aber es ist für das Wesen des Vorsatzes selbst zufällig, daß dieser Erfolg ein rechtswidriger genannt wird. Sowohl der Raubmörder, wie der Scharfrichter handeln nach der jetzt zu besprechenden Vorsatzdefinition vorsätzlich. Daß der Erfolg, den jener herbeiführt, ein „objektiv rechtswidriger“ genannt wird, während
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das bei diesem nicht der Fall ist, berührt die Natur des Vorsatzes in keiner Weise. Die Versicherung, für das Strafrecht kämen nur rechtswidrige Erfolge in Frage, ändert nichts daran. Denn das nimmt dem als Wollen des Erfolges hingestellten Vorsatzbegriff nicht seinen indifferenten Charakter und macht ihn nicht zu einer Schuldart. Wenn auch der Scharfrichter, der Soldat, der Arzt vorsätzlich handeln, so kann man nicht sagen: wer vorsätzlich handelt, der handelt auch schuldhaft, d. h. er tut etwas, wofür ihm das verantwortlich-machende Recht einen Vorwurf macht. Der Vorsatz hat also hier mit der Schuld nichts gemeinsam, er ist auch hier Schuldvoraussetzung. – Zum zweiten: Wenn von dem ersten Argumente abgesehen und zugegeben wird, daß der Vorsatz, wenn er sich auf einen rechtswidrigen Erfolg bezieht, Schuld ist, genauer: daß, wer vorsätzlich handelt, immer auch schuldhaft handelt, so ist damit der Vorsatz noch keineswegs als Schuldart erwiesen. Das ist aber das punctum saliens. Wer die landläufige Terminologie Schuldarten gebraucht, der darf den Vorsatz nicht in der Schuld aufgehen lassen, der darf Vorsatz und Schuld nicht identifizieren, sondern muß ihm gegenüber der Fahrlässigkeit ein specificum geben. Dazu ist diese Theorie aber nicht imstande, und der zu widerlegende Einwand enthält dies Zugeständnis in sich. Wer vorsätzlich einen rechtswidrigen Erfolg herbeiführt, der will etwas Böses, also ist er in Schuld; das ist die Argumentation des besagten Einwandes. Wie kann aber daraus folgen, daß der Vorsatz eine Schuldart ist? Was wird dann aus der Fahrlässigkeit? Bei ihr will der Delinquent – das macht ja gerade ihren Unterschied zum Vorsatz aus – den Erfolg nicht. – Die angenommene Gruppierung wird also nicht getroffen. Auch für die Willenstheoretiker gelten die für die v. Lisztsche Schuldlehre vorgetragenen Ausführungen. Auch für sie sind Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldvoraussetzungen. Auch für sie kommt es zunächst darauf an, eine scharfe, psychologische Formulierung für den Vorsatzbegriff des geltenden Rechtes zu finden. Und weil sowohl bei der Vorstellungs- wie bei der Willenstheorie diese Aufgabe die wichtigste ist, deshalb ist der Streit zwischen ihnen keineswegs ein zweckloser; das behaupten wollen, hieße das Wesentliche an jener Kontroverse verkennen. Was Schuld und Schuldarten sind, liegt jenseits der Aufgabe dessen, der sich mit Vorsatz und Fahrlässigkeit als indifferenten Begriffen befassen zu müssen glaubt; ihn interessieren vor allem die Grenzen zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Wenn Miricka z. B. zwischen bewußter und unbewußter Strafschuld unterscheidet, so hat er dabei Grenzen zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit und nicht zwischen verschiedenen Schuldarten im Auge; es kommt ihm allein auf eine psychologische Präzisierung bestimmter Beziehungen der Innerlichkeit des Täters zum bewirkten Erfolge an. Von der Schuld selbst ist bei ihm nie die Rede, und wenn er den Zweck als konstruktives Element für die erste seiner sogenannten Strafschuldformen, die Absicht, verwendet, so wird diese damit noch
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nicht zu einer Schuldart. – Miricka geht von der Bedeutung der indifferenten Begriffe Absicht, Vorsatz und Fahrlässigkeit aus. Wäre es aber tatsächlich selbstverständlich, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind und wäre diese Terminologie mehr als eine bequeme und nicht recht ernst genommene Ungenauigkeit, so wäre nichts erstaunlicher, als daß noch niemand den ernstlichen Versuch gemacht hat, für die psychologische Formulierung nicht von den neutralen Begriffen Absicht, Vorsatz, Fahrlässigkeit auszugehen, sondern etwa von dem Mangel an sozialer Gesinnung und seinen Arten. Wie gering das Vertrauen in die zurückzuweisende Terminologie ist, wie sehr alles auf den Vorsatz, und nicht auf die Schuld ankommt, dafür gibt es kein besseres Zeugnis, als die interessante Tatsache, daß man wohl versucht hat, aus den indifferenten Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit die Schuld zu gewinnen (Radbruch), nicht aber umgekehrt aus dem Schuldbegriff die psychologische Formulierung für Vorsatz und Fahrlässigkeit zu finden. Freilich sind die bekannten Untersuchungen Hippels über den Vorsatz viel zu tiefbohrend, als daß sie dies Problem nicht berührt hätten (Grenzen von Vorsatz, S. 140, R. v. D. III, S. 510). Aber die Art und Weise, wie das geschieht, ist der beste Beweis für die eben vorgetragene Behauptung. Hippel geht keineswegs von seiner Unterscheidung der Schuld in Egoismus und Leichtsinn aus, sondern am Schluß seiner Ausführung wird beiläufig darauf hingewiesen, daß die auf dem Wege einer Untersuchung des psychologischen Gehaltes des Vorsatzbegriffes gewonnenen Resultate sich wohl in Einklang bringen lassen mit der Unterscheidung von Egoismus und Leichtsinn. Wäre die Terminologie „Schuldarten“ richtig und wäre man von ihrer Richtigkeit durchdrungen, dann wäre der umgekehrte Weg der gebotene gewesen: es hätte sich darum gehandelt, einwandfreie Formeln für egoistisches und leichtsinniges Handeln zu finden. Und außerdem: die Unterscheidung der Schuldarten in Egoismus und Leichtsinn kann sich nur auf eine Schuld beziehen, die als Charakterschuld gedacht ist, wenn auch von Hippel, R. v. D. III, S. 567 gegen v. Bars Auffassung der unbewußten Fahrlässigkeit als Charakterschuld opponiert.152 Wenn aber Egoismus und Leichtsinn Arten einer Charakterschuld sind, dann decken sie sich auf keinen Fall mit den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Es ist in der Tat nicht einzusehen, warum derjenige, der vorsätzlich groben Unfug verübt, indem er eine Straßenlaterne ausdreht, mit mehr Recht ein Egoist und mit weniger Recht ein leichtsinniger Mensch genannt werden soll, als der, der aus grober Fahrlässigkeit einen Menschen tötet. Wenn die Schuld 152 Gegen die Unterscheidung selbst macht v. Bar II, S. 334 geltend: „Der gegensätzliche Begriff von Egoismus ist aber nicht Leichtsinn, sondern Altruismus, und der Leichtsinnige ist, wenn er andere oder die sittliche Ordnung schädigt … immer auch ein Egoist.“ Darauf entgegnet Hippel, R. v. D. III, S. 510, das treffe „den Kern der Sache“ nicht.
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Charakterschuld ist, dann können Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht mehr Schuldarten sein, weil sie auch nach Hippels Definitionen Momente einer Einzeltat sind. Demnach geht auch die Willenstheorie, soweit sie das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit nicht als Begriffsmerkmal des Vorsatzes behandelt, nicht davon aus, daß der Vorsatz eine Art des bösen Willens sein muß. Auch in der Willenstheorie wird von Beziehungen der Innerlichkeit des Täters zum Erfolge gesprochen, nicht aber zur übertretenen Norm. Auch sie definiert nicht Schuldarten, sondern Arten der Herbeiführung eines Erfolges durch menschliche Handlung. Auch für sie müßte der Zufall eine Schuldart sein, da man selbst den sogenannten objektiv rechtswidrigen Erfolg auch zufällig herbeiführen kann. * Bevor zur II. Gruppe übergegangen wird, bedarf es einer kurzen Erörterung darüber, ob die Vertreter der I. Gruppe den Versuch machen, zu beweisen, warum Vorsatz und Fahrlässigkeit indifferente Begriffe sind. Gewöhnlieh wird statt des Beweises die Frage gestellt: warum soll ich rechtlich gleichgültige Erfolge nicht vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführen können? so daß sich zwei nackte Behauptungen gegenüberstehen: Binding sagt (Lehrb. I, 2. Aufl. S. 27, Anm. 5): „Indem man ‚rechtswidrig‘ auch in Gedanken wegläßt, läßt man den Jungen ebenso ‚vorsätzlich‘ sein Butterbrot essen und den Dichter ‚vorsätzlich‘ dichten, als den Mörder ‚vorsätzlich‘ morden. Das ist aber ein grenzenloser Unfug im juristischen Sprachgebrauche.“ Frank und v. Liszt sagen: ich kann meine eigene Taschenuhr genau so gut vorsätzlich oder fahrlässig ins Wasser fallen lassen, wie eine fremde (v. Liszt, Lehrb., 5. Aufl., S. 176, Anm. 8, Frank, Z. 10, S. 206 und Aufbau, S. 21). Einen ähnlichen Beweis führt Klee in seiner Abhandlung über den strafrechtlichen Vorsatz. Er streift die Frage, ob der Vorsatz ein neutraler Begriff ist, oder ein solcher mit rechtlichem Inhalt (z. B. S. 4, S. 63, Anm. 19, S. 79, Anm. 3), erklärt aber, ohne besonderen Nachweis, ebenfalls, es handle sich deshalb um neutrale Begriffe, weil man seine eigene Sache vorsätzlich oder fahrlässig zerstören könne. Der Vorsatz ist für ihn „der Akt des Willens, gerichtet auf die sich objektiv als eine strafbar darstellende Handlung“ (S. 14). Daß der Vorsatz eine Schuldart ist, wird nicht ausdrücklich gesagt, aber offenbar stillschweigend vorausgesetzt, denn aus dem Vorsatzbegriff wird S. 78 f. der Schuldbegriff deduziert und die Schuld beständig am Vorsatze demonstriert. Bindings Vorsatzbegriff soll deshalb falsch sein, weil die Handlung nicht vom Willen den Charakter der Gesetzmäßigkeit empfangen könne, die Zurechnung habe von dem rein physischen Akt auszugehen. Auf Bindings Argument aus der Terminologie Schuldarten geht er
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nicht ein; ebenso wenig wie Heinemann in seiner Arbeit über die Bindingsche Schuldlehre, der sich in der Hauptsache darauf beschränkt, zu betonen, das Bewußtsein der Normwidrigkeit gehöre nicht in den Schuldbegriff. Das behauptet Binding aber in dieser Fassung gar nicht, da er die Fahrlässigkeit, bei der nach ihm unbewußte Normwidrigkeit vorliegt, ja auch für Schuld hält, und das Bewußtsein der Normwidrigkeit nur als konstruktives Element für eine Schuldart verwendet. Heinemann führt keinen Beweis für seinen natürlichen Vorsatzbegriff an, er erwähnt nur einmal S. 20, die Zurechnungslehre müsse vom natürlichen Begriff der Handlung ausgehen. Er sowohl wie Klee und andere, die Binding wegen seiner Forderung des Bewußtseins der Normwidrigkeit für den Vorsatz bekämpfen (z. B. Lucas) vermengen vielfach mit dieser Frage das naheliegende, aber doch scharf zu unterscheidende Problem: ist der Vorsatz ein indifferenter Begriff oder nicht. Es ist sehr wohl denkbar, daß man ihn dafür hält und die Schuld als besonderes Erfordernis noch außerdem verlangt (z. B. Basedow, Strafr. Versch., S. 79) oder daß man das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit zwar nicht als essentiale des Vorsatzbegriffes, wohl aber neben ihm als Voraussetzung der Bestrafung aufstellt (z. B. v. Liszt de lege ferenda, Lehrb. S. 173). Demnach dürften jene Autoren die Frage nach der Berechtigung der Terminologie Schuldarten nicht übersehen, sondern der Weg ihrer Untersuchungen müßte der sein: 1. Ist das Bewußtsein der Unerlaubtheit dem Begriff der Schuld wesentlich? 2. Ist der Vorsatz eine Schuldart, was hat er überhaupt mit der Schuld zu tun und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Erfordernis des Bewußtseins der Unerlaubtheit? So aber, wie Klee und Heinemann vorgehen, enthält ihre Beweisführung die versteckte petitio principii, der Vorsatz sei selbstverständlich ein indifferenter Begriff; daraus ist dann leicht zu folgern, daß vom Bewußtsein der Pflichtoder Normwidrigkeit nichts darin enthalten ist und daß es schwer fällt, einzusehen, warum gerade dieses Erfordernis von Binding als Wesensmerkmal des Vorsatzes so lebhaft betont wird.153 Den wichtigsten Beweis für die Neutralität des Vorsatzbegriffes führt v. Liszt selbst (Lehrbuch, S. 170, 120 Anm.), unter Berufung auf Radbruchs Ausführungen über den Handlungsbegriff im Strafrechtssystem. Er geht davon aus: das Verbrechen ist Handlung, der natürliche Handlungsbegriff ist die Grundlage des ganzen Systems. An diesen Begriff wird eine Reihe von Prädikaten gebracht, von der rechtlichen Wertung soll zunächst abgesehen werden, aber nur, um zu ihr hinzuleiten. Bevor man die schuldhafte Handlung definiert, muß feststehen, was Handlung ist, man darf den Gattungsbegriff nicht zu Gunsten des Artbegriffes vernachlässigen. – Erkennt man 153 Stooß, Schw. Z. f. Stfr. 12, S. 1 f. betont, daß der Vorsatzbegriff „farblos“ ist, und macht in der Hauptsache kriminalpolitische Gesichtspunkte geltend.
122 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
v. Liszts System an, so wird man auch seine Konsequenzen bezüglich der Auffassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit annehmen müssen; auch von ihnen gilt dann, daß man zunächst von jeder Wertung abzusehen hat, zugleich aber zu ihr hinleiten muß. Doch liegt gerade in der schon besprochenen Wesensverschiedenheit der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit, die von v. Liszt keineswegs überwunden ist, ein Angriffspunkt für die andere Auffassung vom Verbrechen, die davon ausgeht, daß das Verbrechen zunächst Normübertretung ist. Diesen Angriff hat Dohna, Z. 27 S. 329 f. unternommen. Wie weit er berechtigt ist, das zu untersuchen, geht über die Grenzen des Gegenstandes dieser Arbeit hinaus; nicht die Berechtigung des einen oder anderen Systems des Strafrechts ist ihr Thema, sondern die Stellung, die in dem einen oder anderen System den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit mit Beziehung auf ihr Verhältnis zum Schuldbegriffe zukommt.
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz a) Zur Bindingschen Schuldlehre Die Notwendigkeit, von der Schuld auszugehen und nach ihr die Schuldarten zu bestimmen, ist von Binding, Normen II, S. 115 f., mit großer Klarheit erkannt und hervorgehoben worden. Zur Bezeichnung dieser Schuldarten verwendet Binding die Ausdrücke Vorsatz und Fahrlässigkeit, deren Inhalt er entsprechend bestimmt, und wenn man diese Inhalte und außerdem noch die bekannte Theorie vom unbewußten Wollen zugibt, so ist man gezwungen, sich zu der auch in ihrer Terminologie konsequenten Bindingschen Schuldlehre zu bekennen. Wenn Schuld böser Wille ist, dann können die Schuldarten nicht Arten des Willens, sondern nur Arten der Bosheit des Willens sein. Der Wille muß also immer der gleiche bleiben, in jedem Falle auf das Böse gerichtet sein. Dieses Erfordernis erfüllt Binding dadurch, daß er, im Anschluß an den Willensbegriff der Hegelianer, jede durch die menschliche Handlung verursachte Wirkung als vom Menschen gewollt bezeichnet. Wer fahrlässig einen anderen tötet, hat demnach die Tötung gewollt, sein Wille war genau so gut auf etwas Widerrechtliches gerichtet, wie der des Totschlägers oder Mörders. Beide unterscheiden sich nur durch die Art der Bosheit: der eine kennt die Rechtswidrigkeit seines Tuns, der andere nicht; der Wille des einen ist bewußt böse (rechtswidrig), der des anderen unbewußt böse (rechtswidrig). Bezeichnet man jenen mit Vorsatz, diesen mit Fahrlässigkeit, dann sind Vorsatz und Fahrlässigkeit wirklich Schuldarten. Von den einzelnen Sätzen dieser Argumentation ist der erste zwingend. Nicht nach den Arten des Willens können die Schuldarten unterschieden
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz123
werden, das ergibt sich zunächst aus dem Wesen der Strafschuld, der das Unwerturteil begriffsnotwendig ist. Wenn Schuld bestimmt qualifizierter Wille ist, dann können die Schuldarten unmöglich dadurch gewonnen werden, daß man die Qualifikation unberührt läßt und nur den Willen in Arten zu teilen versucht. Zweitens aber folgt die Unmöglichkeit jeder anderen Einteilung aus der Natur des Willens. Es gibt, wie Binding mit Recht betont, keine Arten des Wollens, man kann dasselbe Objekt nicht auf verschiedene Arten wollen; höchstens kann es Grade, Intensitätsgrade des Wollens geben. Aber zu behaupten, man könne etwas auf zwei Arten wollen, nämlich 1. indem man es will und 2. indem man es nicht will, oder indem man es 1. direkt und 2. indirekt will, ist ein vollkommener Widerspruch. Und dennoch birgt eine Reihe von Erklärungen der Fahrlässigkeit als Willensschuld diese unerhörte Behauptung in sich. Wer nämlich in der Schuld nur Willensschuld sehen, gleichzeitig aber Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht nach dem Bewußtsein und Nichtbewußtsein der Unerlaubtheit unterscheiden will, sondern nach dem Verhältnis des Willens zum herbeigeführten Erfolge, wer endlich außerdem noch erklärt, nur Vorgestelltes könne gewollt sein – wer diese drei Sätze mit der Terminologie Schuldarten in Einklang bringen will, dessen Schuldlehre enthält den eben genannten perplexen Satz. Der Grund, Bindings Unterscheidung zwischen bewußt bösem und unbewußt bösem Willen abzulehnen und damit das Gebäude von Bindings Schuldlehre einstürzen zu lassen und die Terminologie Schuldarten unmöglich zu machen, ist Bindings Theorie vom unbewußten Willen. Wenn der fahrlässig Handelnde den Erfolg gewollt hat, dann ist die Fahrlässigkeit eine Schuldart und kann als zweite Schuldart neben den Vorsatz gestellt werden. Es ist schon bemerkt worden, daß einige Autoren vermuten, Binding habe diesen unbewußten Willen nur dieser Konstruktion der Fahrlässigkeit zu Liebe angenommen. Ohne das freilich müssen die Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit ganz anders erklärt werden. Nun ist aber die Theorie vom unbewußten Willen allgemein abgelehnt worden. Die wichtigsten Erwägungen, die dazu führten, sollen kurz aufgezählt werden. 1. Bindings Definition des Willens als „Fähigkeit kausal zu werden“ (Normen II, S. 110) ist richtig, aber sie besagt nichts über das Wesen des Willens, denn auch durch Reflexbewegungen z. B. kann der Mensch kausal werden. (So Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, S. 4 / 5.) 2. Die aus dieser Definition gezogene Konsequenz: alles, was der Mensch verursacht, ist gewollt, läßt sich nicht verwerten. „Der auf den Zweck gerichtete Wille, als bloße Bejahung eines Projektes, wodurch dieses meine Absicht wird, ist überhaupt nicht kausal nach außen, seine Wirksamkeit ist
124 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
bloß eine innerpsychologische, kausal nach außen ist nur der bestimmte Willensimpuls“. (So Sigwart, S. 26.) 3. Binding nennt alle Folgen des Willensaktes realisierten Willen. (Normen II, S. 111 / 12.) Dabei gehört für ihn der Wille zu den realen Dingen. „Kann man ein Reales realisieren? kann man einen Toten töten?“ (So Sigwart, S. 27.) 4. Bindings Auffassung, das Unbewußte könne gewollt sein, ist psychologisch unrichtig. Ignoti nulla cupido. Von Wollen kann man nur sprechen, wenn das Bewußtsein der Erreichbarkeit des Begehrten, also auch die Vorstellung davon gegeben ist. (So Geyer, Krit. Vierteljahresschr. II, S. 441 f.; vgl. auch Buri, G.S. 29, Beil. S. 144 f.: das Wollen entspringt einem Unlustgefühl und ist stets auf ein Lustgefühl gerichtet. Wovon man keine Vorstellung hat, davon kann man auch nicht wissen, ob es ein befriedigendes Gefühl auslösen wird. Oder Kärcher, G.S. 32, S. 222: „Die Erkenntnis bewirkt das Gefühl des Angenehmen oder Unangenehmen, und dieses bewirkt … das Bedürfnis, entweder das Angenehme zu erhalten, oder das Unangenehme zu beseitigen.“) 5. Die Charakterisierung des Willens kann nur durch seine Vorstellungen geschehen. „Der Wille ist … auch als erkennender von Bedeutung und gewinnt seinen rechtlichen Wert, unabhängig von seiner Kausalität, gerade auf Grund der in ihm lebenden Vorstellungen.“ (So Hertz, Unrecht, S. 150.154) Die angegebenen Gründe waren ausschlaggebend, und Bindings bekannte Beispiele vom experimentierenden Chemiker wurden nicht anerkannt. Bei der fahrlässigen Herbeiführung eines schädlichen Erfolgs hat nach der heute allgemein herrschenden Ansicht der Handelnde den Erfolg also nicht gewollt. Demnach kann man die Fahrlässigkeit nicht mehr als das unbewußt rechtswidrige Wollen des rechtswidrigen Erfolges definieren. Und es fragt sich: was ist die Fahrlässigkeit für die Autoren, die Bindings unbewußtes Wollen ablehnen, aber gleichzeitig den Vorsatz als bewußt rechtswidrigen Willen bezeichnen? Ein weiterer Grund, Bindings Schema der Schuldlehre aufzugeben, war das Bedenken gegen den Inhalt, den Binding in der Forderung des Bewußtseins der Normwidrigkeit dieser Normwidrigkeit zu geben scheint. Die 154 Gegen Bindings unbewußten Willen haben sich außer den im Text zitierten Autoren noch gewandt: Wahlberg, Z. III, S. 190, Janka, Grundlagen, S. 30; Bünger, Ζ. VI, S. 292; Hälschner, D. I., S. 294; 312, Anm., Hrehorowicz, Grundbegriffe, S. 160, Anm. 1, Lucas, Subjektive Versch., S. 15, Heinemann, Bindingsche Schuldlehre, S. 8 f., Frank, Ζ. X., S. 206, Hauser, G.S. 54, S. 30, Kuhlenbeck, Schuldbegriff, S. 41, Träger, Wille, Determinismus und Strafe 1895, S. 16, Liepmann, Einl., S. 31–38, M. E. Mayer, Schuldh. Handl., S. 30 f., Sturm, Strafrechtl. Versch., S. 12 f., Radbruch, Handlungsbegriff, S. 121, v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 301 / 303.
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz125
Kenntnis der einzelnen speziellen Norm zu fordern, hielt man für zu gefährlich, weil es anscheinend direkt dazu führte, die Kenntnis des Strafgesetzes, ja die Kenntnis des staatlichen Organes zu verlangen, das die Norm erlassen hat (so Kohlrausch, Irrtum, S. 41 f., Klee, S. 3 f., Heinemann, S. 52 f., Beling, Verbrechen S. 182 / 3), und ferner müßte dann, was Geyer, Krit. Vierteljahresschr. 24, S. 571 geltend macht, auch eine quantitative Beschränkung des Vorsatzes innerhalb der Norm vorgenommen werden, weil der Vorsatz nur soweit reichen kann, wie das Bewußtsein vom Widerspruche zur Norm. Deshalb fordert man Kenntnis der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit ganz im allgemeinen. Wenn man die beiden Sätze Bindings, den vom unbewußten Wollen und den von der Kenntnis der Norm, aufgibt, dennoch aber das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit als dem Vorsatzbegriff wesentlich hinstellt, so müssen sich daraus große Veränderungen für das Über- und Unterordnungsverhältnis der Begriffe Schuld (böser Wille), Vorsatz und Fahrlässigkeit ergeben. Welche Bedeutung diese Abweichungen von Bindings Schuldlehre für die Terminologie Schuldarten haben, darauf kommt es im folgenden an. b) Zur Schuldlehre der Autoren, die Bindings Theorie vom unbewußten Willen ablehnen Unter den Gelehrten, die das Bewußtsein einer Unerlaubtheit als für den Vorsatzbegriff notwendig erklären, aber dennoch Bindings unbewußten Willen aufgeben, kann man unterscheiden zwischen solchen, die mit Binding davon ausgehen, daß alles Verbrechen zunächst Normübertretung ist (so Janka und Finger) und solchen, die ihr System auf dem natürlichen Handlungsbegriff aufbauen, obwohl sie dem Vorsatz seinen „Schuldcharakter“ wahren wollen. (So Beling, Die Lehre vom Verbrechen.) Der Unterschied tritt oft nicht deutlich hervor. Von manchen Autoren, namentlich des vorigen Jahrhunderts, (vgl. darüber Höpfner, Einheit und Mehrheit des Verbrechens, S. 65) wird das Verbrechen bald als Handlung, bald als Gesetzesübertretung definiert. Aber so groß natürlich der Unterschied der Systeme ist, so gilt doch für beide, was ihre Konstruktion der Fahrlässigkeit angeht, daß die Fahrlässigkeit nicht mehr neben dem Vorsatz als Schuldart stehen kann. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind allerdings, da ihnen ausdrücklich eine Bezugnahme auf die Rechtswidrigkeit gegeben wird, mehr als bloße Schuld Voraussetzungen, sie sind vielmehr – die Schuld immer als Moment der Einzeltat betrachtet – Schuldsymptome. Und zwar aus folgender Erwägung heraus: Sieht man mit Βeling das Wesen des Verbrechens nicht mehr in der Normübertretung und definiert
126 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
man die Schuld als die Eigenschaft einer Handlung in der Weise, daß man die Innerlichkeit des Täters mit dem durch die Handlung herbeigeführten Erfolge in Beziehung setzt, so sieht man die Schuldarten nicht mehr in den verschiedenen Arten des Verhältnisses der Psyche zur übertretenen Norm, sondern zum herbeigeführten Erfolge. Der Gegensatz wird in typischer Reinheit erkannt, wenn man Bindings Schuldarten: bewußt und unbewußt rechtswidriger Wille mit der ebenfalls das Bewußtsein als Kriterium verwendenden Einteilung Mirickas vergleicht: bewußte und unbewußte Strafschuld. Dort beziehen sich Bewußtsein und Nichtbewußtsein auf die übertretene Norm, hier auf den durch die Handlung bewirkten tatbestandlichen Erfolg. Wenn man zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit auf der einen, Kausalität auf der anderen Seite unterscheiden wollte, so wäre dort die Fahrlässigkeit dem Zufall völlig wesensfremd, während sie hier in ihn übergeht. Spricht man nun von vorsätzlicher Herbeiführung eines Erfolges, so wird man natürlich nicht das Bewußtsein einer Unerlaubtheit mit der gleichen Selbstverständlichkeit als essentiale des Vorsatzbegriffes fordern können, wie wenn man von vorsätzlicher Normübertretung spricht. Wer, wie Beling, das Prädikat schuldhaft an die Handlung heranbringt und es sich in die Prädikate vorsätzlich und fahrlässig auflösen läßt, berücksichtigt zwar den Willensinhalt, nicht die Kausalität, aber diesen Willensinhalt nur unter dem Gesichtspunkte der Beziehung zum bewirkten Erfolge, so daß Vorsatz und Fahrlässigkeit auch hier Arten der Herbeiführung eines Erfolges werden. Daß sie dann nicht mehr Schuldarten sein können, weil sonst die zufällige Herbeiführung eine dritte Schuldart sein müßte, und daß die Replik, es handle sich eben um Arten der schuldhaften Herbeiführung, nicht stichhaltig ist, weil es sich, damit Schuldarten konstituiert werden können, um Arten der Schuldhaftigkeit bei der Herbeiführung handeln müßte – das wurde schon im vorigen Paragraphen der Arbeit erwähnt. – Nun geben aber die hier zu nennenden Gelehrten, ohne Rücksicht auf ihr Strafrechtsystem ihren Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit einen besonderen auf die Rechtswidrigkeit oder die sittliche Unerlaubtheit ihres Tuns bezugnehmenden Inhalt. Für sie haben also diese beiden Begriffe eine andere Bedeutung, wie für diejenigen, welche in ihnen allgemein gültige, indifferente sehen. Sie können nicht bloße Schuldvoraussetzungen sein. Andererseits aber ist die Gruppierung Bindings durchbrochen; sie können also auch nicht Schuldarten sein. Was sie in Wirklichkeit sind, soll zunächst an ihrem Begriff der unbewußten Fahrlässigkeit demonstriert werden. Man ist sich wohl darüber einig, das Wesen der unbewußten Fahrlässigkeit in dem Nichtvorhersehen und Nichtvermeidenwollen des voraussehbaren und vermeidbaren verpönten Erfolges zu sehen. Ob dessen Eintritt noch zum Begriff der Fahrlässigkeit gehört, kann außer Betracht bleiben. Das Wort Fahrlässigkeit drückt also eine Beziehung der Innerlichkeit des fahr-
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz127
lässig Handelnden zum ungedeihlichen Erfolge aus. Es wird gesagt: der Täter hat sich den Erfolg zwar nicht vorgestellt, deshalb kann er ihn auch nicht gewollt haben; aber er hat unter Umständen gehandelt, unter denen er den Erfolg sich hätte vorstellen und vermeiden wollen sollen und können. (Bei der bewußten Fahrlässigkeit hat der Täter den Erfolg vorausgesehen, aber den trotzdem herbeigeführten nicht gewollt.) Also mit Beziehung auf den strafrechtlich relevanten Erfolg hat er fahrlässig gehandelt. Diese Beziehung des Innenlebens des Täters zum Erfolge existiert gar nicht in dem Bewußtsein des Täters, sie ist nicht wirklich vorhanden, sondern wird erst durch die vergleichende und wertende Betrachtung eines Dritten geschaffen. Es wurde aber schon hervorgehoben, daß, wenn alle Schuld Willensschuld sein soll, das, was der Täter wirklich gewollt hat, etwas Böses sein muß. Da nun Bindings Theorie vom unbewußten Willen abgelehnt wird, so muß die Konsequenz gezogen werden: der fahrlässig Handelnde will den schädlichen Erfolg nicht, seine Innerlichkeit steht, da nur Bewußtseinsvorgänge relevant sein können, in keiner realen Beziehung zum Erfolg. Er hat den Erfolg nicht vorgestellt, er hat überhaupt nicht an ihn gedacht, von einer bewußten psychischen Beziehung kann also nicht die Rede sein. In dieser Beziehung zum Erfolge, die das Wesen der Fahrlässigkeit ausmacht, kann demnach die Schuld des Täters nicht liegen. Diese Beziehung wird ja, wie schon im 1. Teile der Arbeit hervorgehoben, erst vom verantwortlichmachenden Rechte konstruiert, sie kann nicht das sein, wofür ein Vorwurf gemacht wird. Es wird hier allerdings vorausgesetzt, daß man die Fahrlässigkeit als Moment einer Einzeltat betrachtet, nicht etwa, wie v. Bar, einen Charakterfehler in ihr sieht. Spricht man mit v. Bar von der Fahrlässigkeit eines Menschen wie von seinem Leichtsinn, so ist es möglich, in ihr das Objekt des Unwerturteiles zu sehen; man kann dann sagen, der Täter wird für seine Fahrlässigkeit bestraft. Definiert man die Fahrlässigkeit aber, wie das im allgemeinen geschieht, in der angegebenen Weise, also so, daß mit Beziehung auf eine einzelne Handlung ein bestimmtes Verhältnis der Innerlichkeit zum Erfolge hergestellt wird, so kann die Fahrlässigkeit nicht mehr Schuld sein. Das Wort Fahrlässigkeit nimmt nämlich nur auf den verpönten aber nichtgewollten Erfolg Bezug; dieser ist fahrlässig herbeigeführt. Daß der Wille des fahrlässig Handelnden ein böser genannt werden kann, ist nur dadurch zu erklären, daß der Wille sich auf etwas in dieser konkreten Situation Böses richtet, der Täter will etwas, was er nicht wollen soll. Auf dies wirklich Gewollte nimmt das Wort Fahrlässigkeit aber nur mittelbar Rücksicht. Man spricht zwar nicht von Fahrlässigkeit, wenn der Täter den Erfolg nicht vermeiden sollte, wenn ihn kein Vorwurf trifft, daß er ihn nicht vermeiden wollte. Wo also kein Vorwurf, da auch keine Fahrlässigkeit. Jedoch ist die Fahrlässigkeit damit noch nicht als Schuld erwiesen. Sieht man sie in der vom Rechte konstruierten psychischen Beziehung, dann ist sie
128 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
nicht die Schuld, sondern sie indiziert die Schuld; es ist daher genauer, sie ein Schuldsymptom zu nennen. Das gälte auch für v. Liszt wenn er den normativen Charakter der Fahrlässigkeit beibehalten wollte; dann wäre für ihn der Vorsatz Schuldvoraussetzung, die Fahrlässigkeit Schuldsymptom. Beide könnten unmöglich als Arten eines gemeinsamen Oberbegriffes nebeneinander stehen. Da v. Liszt aber alles auf die Voraussehbarkeit abstellt, so erscheint bei ihm die Beschränkung auf den rechtswidrigen Erfolg nicht geeignet, aus der Fahrlässigkeit mehr zu machen, als eine Schuldvoraussetzung. Erst das Verbrechen ist für v. Liszt Schuldsymptom. Für die jetzt besprochenen Gelehrten dagegen ist es die Fahrlässigkeit schon für sich allein. Wer fahrlässig handelt, der handelt auch immer schuldhaft. Die Terminologie Schuldarten scheint hier berechtigter; nur ist sie, streng genommen, nicht genau, weil Bindings Grundsätze aufgegeben sind, die allein imstande waren, die Fahrlässigkeit als Schuldart neben den Vorsatz zu stellen. Es ist ein Irrtum, wenn Janka (Lehrbuch, I. Aufl., S. 102) von dem Verbrechen als Normübertretung ausgehend und die Fahrlässigkeit sowohl für Willensschuld, wie für eine Schuldart erklärend, meint, es sei „ganz unzulässig, aber auch überflüssig“, mit Binding „auf ein dem Willensbegriff geradehin widersprechendes Wollen des Unbewußten zu rekurrieren“. Für ihn liegt die Schuld bei der Fahrlässigkeit in der Rücksichtslosigkeit oder der Leichtfertigkeit. Inwiefern aber die Rücksichtslosigkeit neben „bewußter konkreter Normwidrigkeit“ als zweite Species des Oberbegriffes Schuld zu stehen vermag, ist schwer einzusehen. Wer Vorsatz und Fahrlässigkeit für Schuldarten hält, muß zeigen, daß sie Arten des bösen Willens sind. Glaubt man darauf verzichten zu können, den bösen Willen nach den Arten der Bosheit zu unterscheiden, so muß man nachsehen, ob man ihn nach den Arten des Willens unterscheiden kann, denn nur bei ihm kann dann die differentia specifica noch liegen. Arten des Willens kann man aber auch nicht dadurch ermöglichen, daß man mit Birkmeyer, Enzykl. S. 1054, von indirektem Willen spricht. Bei der Fahrlässigkeit ist der fahrlässig herbeigeführte Erfolg eben nicht gewollt, auch nicht indirekt; demnach bleibt nichts als der Schluß: die Fahrlässigkeit ist keine Art des bösen Willens. Den bewußtesten Versuch, trotz des Aufgebens des Bindingschen Willensbegriffes Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldarten zu erweisen, hat M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 182, gemacht. Seine Begründung liegt in dem Satze: „Die fahrlässige Handlung ist genau wie die vorsätzliche eine pflichtwidrige Willensbetätigung. … In beiden Fällen hat der Täter die Handlung gewollt, die er bei Beobachtung seiner Pflichten nicht hätte wollen dürfen; in beiden Fällen ist die Tat (Handlung und Erfolg) dem Handelnden zurechenbar, weil der Erfolg die Wirkung dieser Handlung ist; in beiden Fällen ist die Tat dem Willen zur Schuld zuzurechnen, weil die Vorstellung des schädlichen Erfolges auf die gewollte Handlung nicht, wie
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz129
es hätte sein können und sollen, hindernd eingewirkt hat.“ Aber die Diskrepanz zwischen Vorsatz – wo das Rechtswidrige selbst gewollt ist – und Fahrlässigkeit – wo es nicht gewollt ist, aber die Innerlichkeit mit dem Nichtgewollten in Beziehung gebracht wird – bleibt bestehen. Es handelt sich nicht darum, eine Reihe von Ähnlichkeiten der vorsätzlichen und der fahrlässigen Handlung aufzuweisen, zu zeigen, daß in beiden Fällen irgend etwas gewollt ist, sondern darum, mit welchem Rechte Vorsatz und Fahrlässigkeit selbst Arten des bösen Willens, d. h. der Bosheit des Willens oder nach Mayers Worten „Arten der Pflichtwidrigkeit der Willensbetätigung“ sind und wieso das Wort Fahrlässigkeit mit dieser Art identisch ist, und sie nicht bloß andeutet. Die differentia specifica muß in der verschiedenen Stellung zur Pflicht, nicht in der Verschiedenheit der Willensbetätigung liegen. In seinem späteren Werke „Rechtsnormen und Kulturnormen hat Mayer das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit als Begriffsmerkmal des Vorsatzes aufgegeben und die Möglichkeit dieses Bewußtseins als allgemeines, bei Vorsatz und Fahrlässigkeit gleichmäßig geltendes Begriffsmerkmal der Schuld hingestellt. Daß aber auch damit Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht als Schuldarten begründet werden können, mußte mit Rücksicht auf den Zusammenhang schon im I. Teile der Arbeit, auf S. 85 / 86 auseinandergesetzt werden. Die Fahrlässigkeit bleibt also eine Art der Herbeiführung des Erfolges. Wie sehr auch bei Autoren, die wie Ortloff, Gr. S. 34, S. 401 ausdrücklich von dem allgemeinsten Begriff der Schuld ausgehen, die betonen, daß zum Vorsatz das schuldhafte Bewußtsein gehört, weil nur so von einem schuldhaften Willen die Rede sein könne, wie sehr auch von solchen Autoren Schuldarten und Arten der Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolges gleichgestellt werden, – was übrigens nicht falsch ist, wenn man die Kausalität in die Schuld einbezieht – das beweist die Gegenüberstellung von Schuldarten und Zufall bei Ortloff, a. a. O. S. 423. „Die Fahrlässigkeit ist sonach wie Vorsatz … überhaupt allgemein Schuldart, im Gegensatz zu jener (der Vorsätzlichkeit) und zum Zufall“. Mit unvermeidlicher Konsequenz ergibt sich die Alternative: entweder nimmt man Bindings Theorie vom unbewußten Willen an und sagt: der Wille des fahrlässig Handelnden ist auf etwas Böses gerichtet, weil er den schädlichen Erfolg wirklich gewollt hat, das specificum der Schuldart Fahrlässigkeit liegt in dem Nichtbewußtsein der Rechtswidrigkeit, oder aber man gibt es auf, die Fahrlässigkeit als eine Schuldart hinzustellen. In neuerer Zeit hat besonders Beling die Notwendigkeit des Bewußtseins der rechtlichen Unerlaubtheit für den Vorsatzbegriff hervorgehoben. Da er wiederholt auf die Terminologie Schuldarten Bezug nimmt und aus ihr wichtige Konsequenzen zieht, so muß auf seine Ausführungen eingegangen
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und die vorgetragene Auffassung an ihnen demonstriert werden. Beling geht im Gegensatz zu Binding und in Übereinstimmung mit v. Liszt von dem natürlichen Begriffe der Handlung aus. Das Verbrechen ist zunächst Handlung, nicht Normübertretung. Eine weitere Abweichung Belings von der Bindingschen Schuldlehre ist die, daß er zum Vorsatz nicht das Bewußtsein des Widerspruches mit der bestimmten Norm verlangt, sondern das Bewußtsein der rechtlichen Unerlaubtheit im allgemeinsten Sinne des Wortes. Vorsatz und Fahrlässigkeit aber hält er sehr nachdrücklich als Schuldarten aufrecht. In der „Lehre vom Verbrechen“ S. 180 sagt er, offenbar von der Terminologie Schuldarten ausgehend, daß in dem Schuldbegriff die psychische Beziehung zu einer Rechtswidrigkeit unmöglich fehlen könne, noch deutlicher S. 195: „den Inhalt des Schuldbegriffes macht die psychische Beziehung zum Tatbestand und zur Rechtswidrigkeit aus. Fehlt es an dieser psychischen Beziehung, so fehlt es auch an der Schuld“. Nun besteht aber auch für Beling die Fahrlässigkeit gerade darin, daß eine bestimmte erwartete psychische Beziehung nicht vorlag. Demnach könnte schon nach Belings eigenen Worten die Fahrlässigkeit keine Schuldart mehr sein und unmöglich neben dem Vorsatz und mit ihm gemeinsam den Oberbegriff der Schuld: psychische Beziehung zum Erfolg und zur Rechtswidrigkeit – ausmachen. Wenn nun nach Belings anderer Schulddefinition, auf S. 45 die Schuld eine Eigenschaft des Willens ist, so muß das auch für Vorsatz und Fahrlässigkeit, die Schuldarten, gelten. Demnach müßte die Fahrlässigkeit eine besondere Eigenschaft des Willens sein, eine Konsequenz, die Beling damit zu ziehen scheint, daß er vom vorsätzlichen und fahrlässigen Willen spricht. Da aber gleichzeitig Vorsatz und Fahrlässigkeit immer nur eine Beziehung zum rechtswidrigen Erfolg enthalten, so kann sich das, was vom fahrlässigen Willen gesagt ist, nur auf den rechtswidrigen Erfolg beziehen; mit anderen Worten: wer einen Menschen fahrlässig tötet, der will den Tod dieses Menschen, allerdings nur „fahrlässig“. Es ist etwas ähnliches, wie wenn Birkmeyer, Enzykl. S. 1054 und v. Bar, Kausalzusammenhang, S. 33 vom „indirekten Wollen“155 sprechen. Das zu sagen und gleichzeitig den unbewußten Willen Bindings verwerfen, heißt aber, den Satz aussprechen: wer etwas nicht will, der will es in einer bestimmten Art und Weise. Ferner: wenn Schuld ein bestimmt gearteter Wille ist – diese Schulddefinition Belings wurde im I. Teile dieser Arbeit angenommen – so kann sie nicht gleichzeitig „die Beziehung der Innerlichkeit des Täters zur Tat“ sein. Nun wird die Schuld allerdings sehr häufig so definiert. Außer Beling und Löffler sind z. B. noch zu nennen: Kuhlenbeck, Schuldbegriff, S. 59: eine Beziehung zwischen Wollen und Verursachen; M. E. Mayer, Schuldhafte Hand155 Dieser Ausweg ist sehr alt: vgl. J. Ayrer (zitiert bei Beschütz, Fahrlässigkeit, S. 113 und Löffler, S. 162) Böhmer (zitiert bei Löffler, S. 28).
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz131
lung, S. 122, der die Definition Löfflers und die v. Liszts, 8. Aufl., S. 154 als korrekt, wenn auch unzulänglich bezeichnet; Miricka, Schuldformen S. 111: „daß das Wesen der Strafschuld in der Relation der Psyche des Täters zum rechtswidrigen Erfolge zu sehen ist, darüber kann wohl kaum ein Zweifel bestehen“; Kohlrausch, Irrtum, S. 1: „Schuld ist diejenige subjektive Beziehung, in welcher ein schuldfähiger Täter zu seiner Tat gestanden haben muß, um für diese strafrechtlich verantwortlich gemacht werden zu können“; W. Mittermaier, Strafrechtsschuld, S. 31: Schuld ist nicht der Seelenzustand, sondern dessen Beziehung auf ein normwidriges Geschehen.156 Zwischen der Auffassung, die Löffler z. B. vom Vorsatz hat, und derjenigen Belings besteht jedoch augenscheinlich ein zu großer Unterschied, als daß eine solche Schulddefinition sehr wertvoll sein könnte. Aber nicht nur ihre praktische Verwertbarkeit wird problematisch, sondern auch ihre formale Richtigkeit. Folgert doch Löffler aus seiner Schulddefinition, daß es eine Verstandesschuld gibt, was Beling, wie erwähnt, energisch zurückweist.157 Wenn man aber Beling darin zustimmen muß, daß alle Schuld nur in einem Wollen bestehen kann, so ist es damit ausgeschlossen, die Schuld in einer psychischen Beziehung zu sehen. Die psychische Beziehung ist nur ein Zustand, kein Willensakt; ein esse, kein operari. Wenn die Schuld Willensschuld ist, dann kann sie höchstens in dem Herstellen dieser psychischen Beziehung bestehen. Auch kann man hier mit Hälschner, D. I, S. 199 geltend machen, daß die psychische Beziehung nicht wie die Schuld als schwerer oder leichter bezeichnet werden kann. Die psychische Beziehung kann den Willensakt charakterisieren, die Schuld anzeigen, sie kann nicht selbst die Schuld sein. An der präzisen Formulierung, die W. Mittermaier a. a. O. der Ansicht gibt, wird die Berechtigung dieses Einwandes besonders ersichtlich: Schuld, sagt er, ist die Beziehung auf ein normwidriges Geschehen. Bei der Fahrlässigkeit stellt aber das zur Verantwortung ziehende Recht diese Beziehung her; deshalb darf man nicht sagen, sie ist die Schuld, denn dann würde man erklären, es wird dem Täter ein Vorwurf daraus gemacht, daß jemand da ist, der ihm einen Vorwurf macht; vielmehr ist es das beim Täter real vorhandene Objekt des Unwerturteils, was den Grund zu dem in der Strafe liegenden Vorwurf abgibt und somit die Schuld ausmacht. Nun läßt sich erwidern: beim bösen Willen liegt ebenfalls eine Beziehung der Psyche zur Außenwelt vor; durch sie wird ja gerade der Wille als böser 156 Hierhin gehören auch die Schulddefinitionen, die v. Liszt an den schon mehrfach zitierten Stellen der älteren Auflagen seines Lehrbuches gibt, ebenso z. B. Zeitler, Strafe ohne Schuld, S. 17, Löning, Krit. Vierteljahresschr. III, S. 260. 157 Allerdings spricht auch Beling, Verbr., S. 199, 201 von einer dritten Spezies der Schuld, der Wissentlichkeit, und zwar bei Gelegenheit der Erörterung des § 151 Gew.O. Darin scheint ein Widerspruch zu liegen mit seinem Satze, Grundz. S. 62: „Die Vorstellungen als solche entbehren jedes Schuldcharakters“.
132 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
charakterisiert; er ist böse, weil er sich auf eine vom Rechte nicht gewollte Veränderung oder Nichtveränderung bezieht. Aber diese Einwendung birgt ihre Widerlegung in sich. Der Wille wird allerdings durch eine solche Beziehung charakterisiert, aber er ist nicht diese Beziehung. Wer die Beziehung selbst Schuld nennt, verwechselt das Schuldsymptom mit der Schuld selbst. Die Definition „Beziehung der Innerlichkeit zum Erfolge“ geht augenscheinlich von der Terminologie Schuldarten aus und in Belings beiden Schulddefinitionen: Schuld ist böser Wille und Schuld ist psychische Beziehung zum rechtswidrigen Erfolge stehen sich die Resultate zweier grundverschiedenen Methoden gegenüber. Erstens: man geht von der Nominaldefinition der Schuld aus und bestimmt nach ihr, was Schuld im geltenden Strafrechte ist: böser Wille. Zweitens: man geht von der landläufigen Terminologie Schuldarten aus und bestimmt die Schuld als den Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit: psychische Beziehung zum tatbestandsmäßigen Erfolge. Nur der erste Weg ist der richtige; der zweite charakterisiert sich dadurch, daß er mit dem Resultat des ersten unvereinbar ist. Man kann die psychische Beziehung zum Erfolge, die das verantwortlichmachende Recht konstruiert und die man als Fahrlässigkeit bezeichnet, weder als Wille noch als Eigenschaft des Willens definieren. Sie kann nur Symptom einer Eigenschaft des Willens sein. Die Beziehung der Innerlichkeit zu einem äußeren Vorgang kann überhaupt keine Eigenschaft sein. Man kann Vorsatz und Fahrlässigkeit als psychische Beziehungen definieren, aber daraus folgt für die Schuld noch nichts, solange nicht bewiesen ist, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten sind. Die Fahrlässigkeit aber kann keine Schuldart sein, wenn man nicht vom unbewußt gewollten Erfolge sprechen will. Ebensowenig der Vorsatz; obwohl man ihn definiert als das Wissen und Wollen des perhorreszierten Erfolges mit dem Bewußtsein der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit. Nach einer solchen Definition handelt allerdings jeder, der vorsätzlich handelt, immer auch schuldhaft. Zum Unterschiede von der gegnerischen Auffassung des Vorsatzes handelt der Scharfrichter z. B. nicht vorsätzlich. Aber auch hier zeigt sich der Unterschied zu Bindings Schuldlehre, und die Folge davon, daß man das Bewußtsein der Normwidrigkeit nicht mehr als die Schuldart Vorsatz (im Gegensatz zur Schuldart Fahrlässigkeit) begründendes Element verwerten kann. Es gilt hier ähnliches, wie bei der Willenstheorie des indifferenten Vorsatzbegriffs: zugegeben, daß Vorsatz immer Schuld wäre, wie ist dann der Vorsatz eine Schuldart neben der Fahrlässigkeit? Wo liegt die differentia specifica? Nach Binding im Bewußtsein der Normwidrigkeit und das die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Zusammenfassung unter einen Oberbegriff Begründende liegt für Binding in dem jedesmal vorhandenen Wollen des Erfolges. Wie aber, wenn man nun diese Spezifizierung nicht mehr verwerten kann, weil die Fahrlässigkeit nicht mehr als
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz133
unbewußtes Wollen des rechtswidrigen Erfolges angesehen wird? Wenn die Fahrlässigkeit, wie nachgewiesen, nicht mehr Schuldart, sondern Schuldsymptom ist? Dann muß – wenn man absolut Schuldarten beibehalten will – die wirkliche zweite Schuldart neben dem Vorsatz gefunden werden. Und es ist vielleicht denkbar, Bindings Unterscheidung zwischen bewußt und unbewußt rechtswidrigem Wollen noch für eine beschränkte Anzahl von Fällen aufrecht zu erhalten, nämlich für die, in denen der Täter den Tatbestand erfüllen wollte, während ihm das Bewußtsein der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit fehlte. Es sei z. B. an die bekannte Erzählung bei Osenbrüggen erinnert: Bauern töten den von Schmerzen gequälten sterbenden Knecht, weil sie das für gut und erlaubt halten Die Bauern hätten dann fahrlässige Tötung begangen, wenn man neben dem Vorsatz eine zweite mit Fahrlässigkeit bezeichnete Schuldart annehmen zu müssen glaubt.158 Damit sind aber die Fälle der Fahrlässigkeit, in denen der Erfolg nicht gewollt war, ja nicht einmal vorausgesehen wurde, noch nicht erklärt. Nun ist nach der im I. Teile der Arbeit vorgeschlagenen Konstruktion der Willensschuld bei Fahrlässigkeit auch in den Fällen, in denen der Täter im Sinne der Ausdrucksweise des Strafgesetzbuches fährlässig handelt, sein Wille auf etwas Böses gerichtet; das Bewußtsein der Normwidrigkeit ist nicht gegeben. Es liegt daher nahe zu schließen: also fällt auch sein Tun unter die zweite Schuldart, trotz der Ablehnung von Bindings unbewußtem Wissen kann man die Schuld nach dem Bewußtsein oder Nichtbewußtsein der Normwidrigkeit in Arten einteilen. – Eine solche Argumentation übersähe, daß man diese zweite Schuldart nicht mehr Fahrlässigkeit nennen kann; denn die Fahrlässigkeit nimmt, wie gesagt, nur auf den unter den Tatbestand des Strafgesetzes fallenden Erfolg Bezug.159 Ist Fahrlässigkeit gegeben, so ist allerdings damit immer entschieden, daß der Täter nicht das Richtige wollte, sein Wille ist in der früher erörterten Bedeutung negativ böse. Damit ist aber die wirkliche Natur der Fahrlässigkeit zu Tage getreten: wer fahrlässig handelt, beweist damit, daß sein Wille negativ böse war. 158 Fahrlässigkeit wegen fehlenden Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit nehmen in der Tat an: Olshausen, Kommentar zu § 59, Nr. 17; Finger, Lehrb. I, S. 267. 159 Hertz will die unbewußte culpa überhaupt nicht mehr als Schuld gelten lassen, spricht aber trotzdem noch von Schuldarten, wobei nicht deutlich wird, nach welchem Kriterium die Einteilung des „bewußt rechtswidrigen Willens“ geschehen soll. Er sagt nur Unrecht, S. 152, daß anders als bisher unterschieden werden müsse, und deutet nur an, daß „die subjektive Ungewißheit über den Eintritt des verbotenen Erfolges vorhanden sein kann, ohne der Existenz des rechtswidrigen Willens Abbruch zu tun“, und ferner soll aus dem Verhältnis, zu dem „der Eintritt des rechtswidrigen Erfolges und die Erfüllung des Handlungszweckes wirklich oder nach Ansicht des Täters zu einander stehen, kein für den Begriff des rechtswidrigen Willens konstruktives Moment fließen“. Es ist aber sehr zweifelhaft, wie ihm dann noch eine Einteilung der Schuldarten gelingen kann.
134 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
Wenn also auch der Vorsatz so definiert wird, daß, wer vorsätzlich handelt, immer auch schuldhaft handelt, so ist er doch, weil Vorsatz und Fahrlässigkeit nebeneinandergestellt werden, keine Schuldart, sondern, wie die Fahrlässigkeit, ein Schuldsymptοm. Demnach gehört auch für die in die Gruppe II. zu rechnenden Autoren, außer Binding, die Frage nach den Schuldarten eigentlich nicht mehr in den dogmatischen Teil des Strafrechts. Das Strafgesetzbuch kennt nur Vorsatz und Fahrlässigkeit und dem Interpreten des Strafgesetzes muß vor allen Dingen daran gelegen sein, festzustellen, welchen Inhalt das Gesetz diesen Worten geben will. – Entsprechend der Anordnung des vorigen Paragraphen der Arbeit soll auch hier wieder die Frage gestellt werden: erbringen die Vertreter der eben besprochenen Ansicht einen Beweis dafür, daß die Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit den Inhalt haben, den sie ihnen geben wollen, namentlich dafür, daß das Bewußtsein der rechtlichen oder sittlichen Unerlaubtheit zum Vorsatzbegriffe gehört? Nur für Binding sind Vorsatz und Fahrlässigkeit die beiden nebeneinanderstehenden und einzigen Schuldarten. Woraus ergibt sich aber, daß dem Vorsatz das Bewußtsein der Normwidrigkeit notwendig ist, wenn nicht aus seiner Bedeutung als Schuldart neben der Fahrlässigkeit? Bei Binding hat die Betonung dieses Bewußtseins als essentiale des Vorsatzbegriffes seine Berechtigung; sobald man Bindings Schuldlehre aufgibt, fällt dieser Grund fort. An seine Stelle können nur Erwägungen allgemeiner Gerechtigkeit und Billigkeit treten. Bezeichnend ist der Ausspruch Ortloffs, G.S. 34, S. 433, man müßte „geradezu erschrecken“ vor der Behauptung, zum Vorsatz sei eine Handlung zuzurechnen, ohne daß der Handelnde die Vorstellung von dem Verbotensein derselben gehabt habe. Das ändert aber nichts daran, daß jede Schlußfolgerung aus dem Ausdrucke Schuldarten auf einer petitio principii beruht.160 Beling (Verbrechen S. 80) wirft der Behauptung, auch Zurechnungsunfähige könnten vorsätzlich oder fahrlässig handeln, vor, sie 160 Ähnlich wie der zitierte Ausspruch Ortloffs sind auch die Ausführungen Birnbaums, N. Arch. 1837, S. 276 f. gehalten, die v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 282 eine „Art Rettung des bösen Vorsatzes“ nennt. Besonders S. 516: „Man kann eigentlich eine den Strafgesetzen zuwiderlaufende Handlung zum Vorsatze jemandem nicht zurechnen, wenn man nicht annimmt, er habe die den Strafgesetzen zuwiderlaufende Handlung als solche begehen wollen, und dies kann man nicht annehmen, ohne vorauszusetzen, er habe gewußt, daß sie dem Strafgesetze zuwider sey.“ S. 517 heißt es von jemand, der entgegen der Bestimmung des französischen Rechtes Schlüssel nachmacht, man könne von ihm in gewissem Sinne sagen: „er habe die dem Strafgesetz zuwiderlaufende Handlung begangen, auch wenn er nicht wußte, daß sie verboten war“. Aber „soll sie ihm ohne dieses Wissen als dem Strafgesetz zuwiderlaufende zum Vorsatz oder als vorsätzliche Übertretung eines Strafgesetzes, oder zum bösen Vorsatz, d. h. zum Verbrechen und zur Strafe zugerechnet werden, so ist dies eine höchst ungerechte·Bestimmung“.
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz135
verwechsele zwei Schuldbegriffe: den Begriff Schuld als Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit und die Schuld im Sinne des täglichen Lebens, d. h. ein Aufgeben von Rechtsvorteilen in einer Weise, wie es ein ordentlicher Mensch nicht tun würde. Dieser Vorwarf enthält allerdings die Widerlegung der Ansicht, die mit dem im vorigen Abschnitt zitierten Beispiel die Indifferenz des Vorsatzbegriffes beweisen und sich damit auf den Sprachgebrauch berufen will. Der Sprachgebrauch entscheidet hier eher gegen als für die Neutralität; aber einen zwingenden Beweis kann auch er nicht liefern, weil die Entwicklung der in Frage stehenden Begriffe schon seit zu langer Zeit von dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens abgeschnitten ist, sodaß dessen Herbeiziehung zur Unterstützung einer Terminologie ebenso eindruckslos ist, wie die zu ihrer Widerlegung.161 Überdies hat Beling mit einem solchen Nachweis des schwachen Punktes an der gegnerischen Beweisführung keineswegs seine eigene Auffassung bewiesen. Der Vorwurf scheint außerdem vorauszusetzen, daß die Schuld im Sinne des Sprachgebrauchs des täglichen Lebens ebenfalls der Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit sei. – Selbst wenn jener Vorwurf also richtig wäre, so wäre damit bei weitem noch nicht bewiesen, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldarten und die Schuld ihr Oberbegriff ist. Man wird, wenn man mit dem Worte schuldhaft nur Vorsatz und Fahrlässigkeit unter einem Namen zusammenfaßt, niemals mit Beling die Behauptung, daß Zurechnungsunfähige nicht vorsätzlich handeln können, dadurch zu beweisen vermögen, daß man erklärt: sie können ja nicht schuldhaft handeln. „Nach einem bekannten Gesetz der Logik, meint Beling, muß der Unterbegriff natürlich alle Merkmale des Oberbegriffs an sich tragen.“ Allerdings; aber die Frage ist ja gerade, ob es sich um das logische Verhältnis der Über- und Unterordnung handelt. Die Einwendungen, die Oetker, G.S. 72, S. 161 f. gegen Frank (Aufbau des Schuldbegriffes) vorbringt, erschöpfen sich, soweit sie hier interessieren, in der kategorischen Erklärung: Vorsatz und Fahrlässigkeit machen zusammen den „abstrakten Begriff Schuld“ aus, dem als „konkreter Begriff“ das Verschulden gegenübertreten soll.162 Auch die Argumentation von M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, S. 139, ist nicht zwingend. Die Nachweisung, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit ju ristisch-technische Begriffe sind, genügt nicht, um außer Zweifel zu stellen, daß diese beiden Worte einen nur auf rechtlich relevante Vorgänge Bezug nehmenden Inhalt haben. Denn die Gegenansicht von der indifferenten Natur der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit ist sich wohl bewußt, daß das 161 Ein interessanter Beleg dafür findet sich D.J.Z. 1910, S. 458 / 461, wo das Ergebnis einer Umfrage über die Bedeutung von Vorsatz und Absicht mitgeteilt ist. 162 Doch ist der Hinweis Oetkers auf Hälschner und dessen „Maß der Schuld“ sehr wichtig. Vgl. S. 89 f. der Arbeit.
136 II. Über das Verhältnis des Begriffes Schuld zu Vorsatz und Fahrlässigkeit
tägliche Leben die in Frage stehenden Ausdrücke nicht so braucht, wie die Jurisprudenz; daraus muß aber keineswegs folgen, daß diese Begriffe nicht so formuliert werden dürfen, daß auch strafrechtlich irrelevante Vorgänge darunter fallen können. Was den Beweis angeht, den M. E. Mayer, S. 137, den einzigen positiven Beweis nennt, so lautet er: Vorsatz und Fahrlässigkeit sind deshalb juristisch-technische Begriffe, weil sie Schuldarten sind. Aber gerade das galt es zu beweisen. Auch M. E. Mayer geht von der Terminologie Schuldarten aus, und gerade seine Polemik gegen die Definitionen v. Liszts und Löfflers (Schuldhafte Handlung, S. 127) beweist das; denn er wirft diesen nur vor, daß sie nicht angeben, worin die psychologische Beziehung besteht; daß aber die Schuld selbst in ihr besteht, ist auch ihm selbstverständlich. Die Behauptung, Zurechnungsunfähige könnten nicht vorsätzlich oder fahrlässig handeln, weil sie nicht schuldhaft handeln können, ist damit in ihrer wahren Bedeutung erkannt. Nimmt man das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit in die Vorsatzdefinition auf und sind Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldsymptome, so können Zurechnungsunfähige nicht vorsätzlich oder fahrlässig handeln; aber nicht deshalb, weil der Schuldbegriff in den Begriffen Vorsatz und Fahrlässigkeit aufgeht, sondern weil von einem Schuldsymptom nicht die Rede sein kann, wo die Schuld ausgeschlossen ist. Deshalb behalten die Autoren der II. Gruppe in der Sache recht, wenn sie Zurechnungsunfähigen diese Möglichkeit absprechen. Das geschieht denn auch außer von Beling z. B. von Kohlrausch, Irrtum S. 103, wo impliciter gesagt ist: weil Zurechnungsunfähige nicht vorsätzlich handeln können, kann der Vorsatz nicht lediglich auf das sinnlich Wahrnehmbare sich beziehen. Nimmt man den Vorsatzbegriff von Kohlrausch an, so können freilich Zurechnungsunfähige nicht vorsätzlich handeln; aber der erwähnte Satz von Kohlrausch ist kein Beweis für seinen Vorsatzbegriff, sondern setzt ihn als bewiesen voraus.163 163 Nach vollständiger Fertigstellung der vorliegenden Arbeit erschien „Das Wesen der Fahrlässigkeit“ von Franz Exner (Wien 1910), eine Monographie, die ihrer großen Bedeutung wegen hier wenigstens erwähnt werden soll. Exner erkennt, daß die Terminologie Schuldarten unrichtig ist, wenn man von der Schuld als dem Objekt des Unwerturteiles ausgeht. Gleichzeitig aber versucht er, die Schuld als den Oberbegriff von Vorsatz und Fahrlässigkeit dadurch zu retten, daß er einen zweiten Schuldbegriff, die „psychische Beziehung zum Erfolge“, annimmt. Dieser Beziehung gibt er, aber mit Rücksicht auf die Terminologie „Schuldarten“, einen auf die Rechtswidrigkeit bezugnehmenden Inhalt, und es ist interessant, daß auch Exner gegen den „psychologischen“ Schuldbegriff eigentlich nichts anderes ins Feld führt, als die Terminologie „Schuldarten“. Daß aber Vorsatz und Fahrlässigkeit, gerade weil er diesen beiden Begriffen einen rechtlichen Inhalt gibt, auch für ihn Schuldsymptome sind – wodurch die Ausführungen des § 7 der vorliegenden Arbeit besondere Beweiskraft erhalten – beweist sein Ausspruch, die Schuld müsse psychische
§ 7. Der Vorsatz als böser Vorsatz137
Beziehung sein, weil der Täter „sich durch sie als mißbilligenswert und strafwürdig charakterisiert“ (S. 7). Exner betont die Fahrlässigkeit gegenüber einer einseitigen Berücksichtigung des Vorsatzes; es entspricht daher vollkommen der S. 113 f. dieser Abhandlung vorgetragenen Anschauung, wenn er zu dem Schlusse kommt, Vorsatz und Fahrlässigkeit müßten eine Beziehung zum Erfolge, nicht zur Rechts- oder Normwidrigkeit bezeichnen. (S. 113 f.) Nur ist damit über die Schuld noch nichts gesagt. Die in § 4 dieser Abhandlung vorgeschlagene Konstruktion der Willensschuld bei Fahrlässigkeit wird durch Exners Ausführungen nicht berührt. S. 58 f. weist er allerdings in treffender Kritik nach, daß alle bisherigen Versuche, die Fahrlässigkeit als Wollensschuld zu erweisen, mißlungen sind, sowohl die Annahme eines unbewußten, wie die eines teilweisen oder indirekten Wollens. Gibt man aber die Bezeichnung der Fahrlässigkeit als Schuldart auf, so wird es unnötig, nachzuweisen, der fahrlässig Handelnde habe den Erfolg gewollt. Und daß die Wollensschuld (um eine solche handelt es sich natürlich) bei Fahrlässigkeit im Wollen des Nichtrichtigen besteht, so daß der fahrlässig herbeigeführte Erfolg nur die Bedeutung hat, als Grundlage zu dienen für die Vergleichung mit dem wirklich Gewollten, und daß der fahrlässig herbeigeführte Erfolg deshalb garnicht gewollt zu sein braucht, damit das wirkliche Wollen rechtlich böse genannt werden kann, – das bedarf noch der Widerlegung. Vor allem aber der schon erwähnte Umstand, daß auch Exner an der Terminologie Schuldarten festhält, und aus ihr weittragende Schlüsse zieht (S. 5), veranlaßte mich, die vorliegende Arbeit unverändert zu publizieren und daran festzuhalten, daß der Begriff der Schuld nicht ins positive Strafrecht, sicher aber nicht in die Lehre von Vorsatz und Fahrlässigkeit gehört. Wenn Schuld das ist, wofür gestraft wird, dann hat der Kriminalist, solange er mit der lex lata zu tun hat, mit der Schuld nichts zu tun, denn die lex lata gibt ja die Voraussetzungen, unter denen gestraft wird, vollständig an. Die Frage nach der Schuld ist in jeder Hinsicht eine metagesetzliche.
Weitere strafrechtliche und frühe rechtsphilosophische Beiträge
Über die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des kunstgerechten operativen Eingriffs* Der Vorentwurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch ist den Wünschen, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für kunstgerechte operative Eingriffe gesetzlich zu regeln, nicht nachgekommen. Die Begründung (I. S. 253 / 4) versucht diese Unterlassung zu rechtfertigen; die Rechtfertigung, die wohl allgemein abgelehnt wird,1 besteht in einer verwirrenden Kumulierung heterogener Argumente, die keineswegs – wie das anscheinend gemeint ist – im Falle eines praktischen Bedürfnisses gegenseitig ihre Unzulänglichkeiten abzuhelfen und einander zu vikariieren vermögen. Die Kontroverse über die Frage ist durch die Ausführungen der Begründung nicht berührt worden und würde – mit Rücksicht auf die Regelung der Nötigung im § 240 des Vorentwurfes und die entsprechenden Bemerkungen der Motive (II. S. 673) noch bedeutungsvoller geworden – auch dann ihren Weg weitergehen, wenn der Vorentwurf in der vorliegenden Gestalt Gesetzeskraft erhielte. Irgendeine Abgrenzung der Interessen von Patient und Arzt ist ja nicht gegeben. Das aber ist gerade der Kern der Kontroverse, und es ist schon beinahe eine Trivialität, zu sagen, daß es nur deshalb und so weit Wert hat, einen Grund der Straflosigkeit des Arztes für den operativen Eingriff zu suchen, als mit diesem Grunde eine Grenze gegeben ist. Will sich nun der Gesetzgeber für eine bestimmte Theorie entscheiden, so ist er damit für alle oft sehr tiefgehenden prinzipiellen Konsequenzen gebunden. Dabei ist er Knecht, und seine Neigung, solche Angelegenheiten der Wissenschaft oder der Entscheidung „von Fall zu Fall“ zu überlassen, ist daher menschlich verständlich. Die einzelnen Theorien, die eine Begründung der Straflosigkeit des Arztes geben, sind aufs innigste verflochten in systematische Prämissen und Anschauungen, und es ist vielleicht an der Zeit, diese wenigstens anzudeuten, damit die monographische Behandlung, die das Thema meistens erfährt, nicht darüber hinwegtäuscht. Welche prinzipiellen Schwierigkeiten die Auffassung in sich birgt, die den Arzt lediglich der Einwilligung des Pati* Zeitschrift
für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 31 (1911), S. 467–478. Z. XXX, S. 630. van Calker, Zeitschr. f. Rechtspfl. in Bayern, VI, S. 46. Heimberger, Aschaffenburgs Monatsschr., VII, S. 66 (namentlich gegen die Heranziehung des Notstandes, für die übrigens allein Schaper in Holzendorffs Handbuch II, S. 133 f. eingetreten ist). 1 Mittermaier,
142 Über Tatbestandsmäßigkeit u. Rechtswidrigkeit des operativen Eingriffs
enten wegen für straflos erklärt, liegt auf der Hand. Sie führt auf den Unterschied von veräußerlichen und unveräußerlichen Gütern und die Begründung dieses Unterschiedes zurück. Die praktischen Bedenken gegen die Einwilligungstheorie (die Behauptung Bewußtloser, Unmündiger, Geisteskranker), sollen nicht hervorgehoben werden, weil sie eben nur ein Bedenken, aber kein logisches Gegenargument bedeuten würden; denn wenn das Reichsgericht den Arzt, der einen bewußtlosen Selbstmordkandidaten operiert, für strafbar erklären muß, weil dessen Einwilligung nicht vorliegt und nicht zu präsumieren ist, so beweist diese Konsequenz eben nur, daß seine Theorie nicht imstande ist, das zu leisten, wofür man sie aufstellt: eine dem Rechtsbewußtsein angemessene Lösung zu geben. – Unmittelbar aber auf die elementarsten Probleme der Strafrechtssystematik führt die heute besonders aktuelle Frage, ob die Tätigkeit des operierenden Arztes einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt. Wer durch die Erklärung, der Tatbestand der Körperverletzung sei hier nicht gegeben, alle die schwierigen Argumentationen über den Ausschluß der Rechtswidrigkeit überflüssig machen will, von dem wird man verlangen, daß er sich über seinen Begriff des Tatbestandes und der tatbestandsmäßigen Handlung ausläßt, welches beides durchaus keine notiones simplices sind. Denn die Berufung auf den Sprachgebrauch des täglichen Lebens kann hier nichts entscheiden. Der Sprachgebrauch, der übrigens keineswegs feststeht2 und dessen Beweiskraft durch eine Berufung auf ihn eher erschüttert als begründet wird, mengt hier normative und deskriptive Elemente durcheinander; seine Anerkennung gibt einer Reihe von Assoziationen Raum, die nichts zu tun haben mit der Frage: Liegt eine menschliche Tätigkeit vor, die in einer bestimmten Weise das verletzt, was bei rechtswidrigem Tun als Schutzobjekt bezeichnet würde? Der Arzt, der ausruft: wer dem Arzte vorwirft, die Operation sei eine Körperverletzung oder Mißhandlung, der begeht eine Mißhandlung an der Sprache – hat damit schlagend demonstriert, was man mit dem Worte „mißhandeln“ alles anfangen kann. Soll konstatiert werden, ob die Gesundheit beschädigt oder jemand mißhandelt ist, so bleibt für irgend ein Pathos kein Platz mehr; es dürfen ja die subjektive Absicht des Verletzenden und die Rechtswidrigkeit des Tuns nicht berücksichtigt werden. Der im Kriege gefallene Feind ist gerade so gut getötet, wie das Opfer eines Lustmordes; solange es sich um die Feststellung des Todes durch Menschenhand handelt, wird der Unterschied nicht gemacht. Man wird freilich nicht sagen, daß beide gemordet seien. Aber Worte wie Mord und Diebstahl bezeichnen ein Delikt, nicht 2 Daß es nicht einer hyperkritischen modernen Jurisprudenz vorbehalten war, beim operativen Eingriff von Körperverletzung zu sprechen, beweist ein bei v. Sterneck, GS. 69, S. 56, zitierter Ausspruch (Neuholds) aus dem Jahre 1834: „Fast jede Operation ist an sich eine mehr oder minder bedeutende Verletzung“. „Dem Kranken wird durch die Behandlung des Wundarztes ein Übel zugefügt“.
Über Tatbestandsmäßigkeit u. Rechtswidrigkeit des operativen Eingriffs143
einen von der Zurechenbarkeit des Erfolges und der Rechtswidrigkeit losgelösten Tatbestand, wie die ganz sachlichen Ausdrücke Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung – ein Unterschied, der sich allerdings nicht ohne weiteres aus der verschiedenen Verwendung dieser vier Begriffe in dem Texte der betreffenden Paragraphen des StrGB. ergibt. Das Urteil, daß jemand ermordet ist, bedeutet immer ein Schuldig-Urteil; die Feststellung, daß eine Körperverletzung vorliegt dagegen ebensowenig, wie die Feststellung des Getötetseins. Deshalb dürfen solche Worte wie Mord und Diebstahl in keiner Weise in diesen Zusammenhang gezogen werden, und es ist aus eben diesem Grunde kein stichhaltiges Argument, wenn gegen die Erklärung der Straflosigkeit des Arztes aus einem Gewohnheitsrecht geltend gemacht wird, das Gewohnheitsrecht könne eine schlechte Handlung nicht zu einer guten, einen Mord, einen Diebstahl oder eine Körperverletzung nicht erlaubt machen.3 In dem Worte „mißhandeln“ scheint allerdings ein normatives Moment zu liegen und zwar in der Weise, daß es in den Tatbestand aufgenommen ist (so besonders Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 38). Doch ist damit noch nicht im entferntesten bewiesen, daß die Regeln der Heilkunde zu einem Element des Tatbestandes geworden wären, etwa wie die Regeln der Baukunst im § 330.4 Die Behauptung, die Angemessenheit der Behandlung bestimme sich nach den jeweils herrschenden wissenschaftlichen Anschauungen, lenkt die Aufmerksamkeit ab von der allein entscheidenden Frage nach dem Schutzobjekt bei der Mißhandlung und dem bei der Körperverletzung. Und wenn man den Unterschied zwischen Gesundheitsbeschädigung und Mißhandlung nicht im Schutzobjekt, sondern in der Angriffshandlung finden will, so erhebt sich die Frage nach diesem Unterscheidungsmerkmal, das aber niemals in dem Verstoß gegen die Regeln der Heilkunde liegen kann, weil auch eine Gesundheitsbeschädigung zuweilen gegen die Regeln der Heilkunde verstößt. Die Berufung auf den Sprachgebrauch, der Hinweis auf die anständige Gesinnung des Arztes, mit alledem kann man, wenn der Körper wirklich verletzt ist, das Vorliegen des Tatbestandes der Körperverletzung nicht wegdemonstrieren. Das punctum saliens bleibt: welches ist das Schutzobjekt bei der Körperverletzung und ist dieses Schutzobjekt verletzt? Doch ist das nur die erste Frage, die weitere ist: in welchem Moment muss die Verletzung gegeben sein? Diese Fragestellung ist notwendig, um ein anderes Argument richtig zu würdigen, das gerade von dem Gelehrten vorgebracht wird, dem die Reinigung des Begriffes „Tatbestand“ von normativen Beziehungen zu verdanken ist.5 Wenn die Operation gelingt, so scheint freilich von einer Kahl, Z. XXIX, S. 363. Die Lehre vom Verbrechen, Seite 154; Z. XVIII, S. 286 / 87. 5 Beling a. a. O. 3 So
4 Beling,
144 Über Tatbestandsmäßigkeit u. Rechtswidrigkeit des operativen Eingriffs
Gesundheitsbeschädigung oder Mißhandlung nicht gesprochen werden zu können, und auch bei einer Zufallsheilung ist anscheinend kein Schutzobjekt verletzt und kein Tatbestand gegeben. Aber abgesehen davon, daß unbeantwortet bleibt, wie die nachteiligen Nebenwirkungen der Operation strafrechtlich zu beurteilen sind, liegt es nahe zu fragen: wie lange hat man zu warten, damit der endgültige Erfolg der Operation sicher ist? Wo findet sich ein Kriterium dafür, den Kausalverlauf, der durch den operativen Eingriff in Bewegung gesetzt wird, für die juristische Betrachtung an einer bestimmten Stelle aufhören zu lassen? Es ist keine Grenze dabei abzusehen. Alles kommt also darauf an: in welchem Moment ist das Delikt vollendet; wann ist beim operativen Eingriff der Erfolg gegeben? „Mit dem ersten Messerschnitt“ antwortet das Reichsgericht6 und hat damit allerdings eine ziemlich sichere Grenze fixiert. Will man diese nicht zugeben, so trifft einen die Beweislast für jede andere Grenzbestimmung. Ohne eine absolute Klarheit über den strafrechtlichen Begriff des Erfolges ist jede Theorie darüber haltlos. Aber nicht einmal das genügt. Wenn der Erfolg „jede durch menschliche Tätigkeit herbeigeführte Veränderung der Außenwelt“ ist, so ist damit nichts gewonnen, weil die Kausalkette ins Unendliche weiterläuft und jene Erfolgsdefinition keinen Anhaltspunkt für einen Einschnitt abzugeben vermag. Erkennt man dagegen den teleologischen Charakter des Erfolgsbegriffes an und bezeichnet man als Erfolg nur das nach gewissen Gesichtspunkten aus der unendlichen Menge von Wirkungen einer Ursache herausgenommene Bild, so erhebt sich die Frage, woran sich diese Zusammensetzung des Erfolgsbildes orientiert. Läßt man die Anschauungsweise des täglichen Lebens entscheiden, so ist wiederum nicht viel gewonnen, weil das tägliche Leben bei seiner Zusammenfassung stets die subjektive Gesinnung des Täters berücksichtigt und deshalb auch eine Zufallsheilung, die durch den Schlag eines Raufboldes verursacht ist, immer als Mißhandlung betrachten wird. Wenn es aber richtig ist, in der Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit alle solche auf die subjektive Seite der Tat sich gründenden Erwägungen streng beiseite zu lassen, so kann die Anschauungsweise des täglichen Lebens auch nicht darüber entscheiden, in welchem Moment der Erfolg gegeben und das Delikt vollendet ist. Da sich aus dem Wortlaut des Gesetzes selbst nicht das geringste ergibt, so bleibt nichts übrig, als anzunehmen: sobald eine Wirkung eingetreten ist, die für sich allein irgendwie als Verletzung des Schutzobjektes sich darstellt, wird für die juristische Betrachtung der Einschnitt gemacht; alles was darauf als weitere Wirkung erfolgt oder regelmäßig zu folgen pflegt, kann für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit und mittelbar der subjektiven Gesinnung des Täters von größter Wichtigkeit sein, das Vorliegen des Tatbestandes wird dadurch nicht berührt. 6 Entscheidungen
in Strafs., Bd. 25, S. 383.
Über Tatbestandsmäßigkeit u. Rechtswidrigkeit des operativen Eingriffs145
Damit wäre auch bestimmt, welche Bedeutung dem „objektiven Zweck“7 zukommt, der potentiellen Kausalität des operativen Eingriffs, seiner generellen Eigenheit, einen vom Rechte ausdrücklich gebilligten und sogar erstrebten Erfolg herbeizuführen. Die Tatbestandsmäßigkeit wird durch diese Eigenheit der Körperverletzung nicht aufgehoben, vielmehr kann sie von Bedeutung sein für die Qualifikation des tatbestandsmäßigen Tuns als eines rechtswidrigen. Wenn jedes Schuldigurteil eine Mißbilligung des verbrecherischen Tuns enthält, so muß an jedem Verbrechen etwas sein, das jenes Unwerturteil herausfordert; das kann aber, solange man die Einzeltat nach v. Liszts bekanntem Ausdruck auf den Isolierschemel stellt, nur in der Rechtswidrigkeit der Handlung liegen. Denn die „Typizität“ oder die „objektive Tatbestandsmäßigkeit“ oder wie man immer sagen will, ist nach geltendem Rechte eine zwar unumgängliche, aber doch nur sehr äußerliche Voraussetzung jenes Unwerturteiles und vor allem nicht dessen Objekt. Die psychische Beziehung zum äußeren Geschehen, die entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit ist, und deren Inhalt, soweit nur die psychische Beziehung zum äußeren Geschehen, nicht auch zur Norm (in weitestem Sinne) in Betracht kommt, jedenfalls durch den Tatbestand genau angegeben wird,8 ist ebenfalls zunächst etwas rechtlich durchaus indifferentes. Und selbst wenn man, von der Terminologie „Schuldarten“ ausgehend,9 diesen beiden Worten einen rechtlichen Inhalt geben und nur von Vorsatz oder Fahrlässigkeit sprechen will, sobald eine strafbare Handlung vorliegt, so bleibt doch der eigentliche Grund des Unwerturteiles immer in der Rechtswidrigkeit belegen, da nach jenen Theorien der Verbrecher nur vorsätzlich handelt, weil und soweit er etwas Rechtswidriges tut, nicht aber handelt er rechtswidrig, weil er vorsätzlich handelt, – ob es eine „objektive Rechtswidrigkeit“ geben 7 Im Zweck des operativen Eingriffs sehen den Strafausschließungsgrund: Rotering, GA., 30, S. 179. v. Lilienthal, Die pflichtmäßige ärztliche Handlung und das Strafrecht, 1899, auch Lilienthals bedeutungsvoller Aufsatz, Z. XX, S. 440 f., ist hier zu erwähnen. Rich. Schmidt, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für verletzende Eingriffe, 1900. v. Liszt, Lehrb., S. 153; Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, I (1904), S. 225. Graf zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit, S. 95. Meyer-Allfeld, Lehrb., S. 218 / 19; vgl. auch van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen, 1891, S. 11. – Dem subjektiven Zweck des Arztes meinen Finger, Lehrb., I, S. 409 / 10 und Z. XX, S. 12. Kahl, Z. XXIX, S. 368 / 69. 8 Die Ansicht, die Stooß (vgl. die Literaturangabe w.u.) öfters ausgesprochen hat, beim Arzte liege kein Vorsatz der Körperverletzung vor, hängt mit seiner Ansicht, der operative Eingriff sei keine Körperverletzung, zusammen. – Anders Hamm, DJZtg., 1907, S. 450, der nicht vorsätzliches, sondern auch böswilliges Handeln fordert, wofür aber der § 223 keinen Anhalt gibt; vgl. auch Heß, Abhandlungen aus dem Gebiete des Zivil- und Strafrecht, § 45. 9 Darüber, daß Schlüsse aus der Terminologie, „Schuldarten“ auf den Inhalt von Vorsatz und Fahrlässigkeit unmöglich sind, vgl. meine Abhandlung „Über Schuld und Schuldarten“, Breslau 1910.
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kann, muß allerdings hier unerledigt bleiben. Definiert man also das Verbrechen als vorsätzliche oder fahrlässige, tatbestandsmäßige, rechtswidrige Handlung, so ergibt sich schon aus dieser Definition, welches Moment das Unwerturteil der Rechtsordnung provoziert. Nach alledem wird das eigentliche Problem darin liegen, den Grund zu finden, der die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Tuns ausschließt. Der operative Eingriff ist eine Körperverletzung, als was man auch immer das Schutzobjekt definieren mag. Es ist sonderbar, wenn sich jemand deswegen gekränkt fühlt. Es beweist das eine vollkommene Verkennung dessen, was man unter Tatbestandsmäßigkeit versteht, selbst dann, wenn Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nicht scharf getrennt werden; was freilich sehr häufig geschieht, obwohl Klarheit über ihr gegenseitiges Verhältnis notwendig ist, wenn eine Entscheidung darüber getroffen werden soll, ob beim operativen Eingriff die Rechtswidrigkeit oder Tatbestand der Körperverletzung wegfällt. Ist die Tatbestandsmäßigung eine Voraussetzung, ein Element der Rechtswidrigkeit? Ist die Rechtswidrigkeit eine Voraussetzung oder ein Element des Tatbestandes? Wer mit Graf zu Dohna in der (materiellen) Rechtswidrigkeit ein allgemeines Tatbestandsmerkmal sieht, für den ist alles, was nicht rechtswidrig ist, auch nicht tatbestandsmäßig, demnach fiele für ihn auch der operative Eingriff nicht unter einen Tatbestand, aber nur, weil er nicht rechtswidrig ist. Dieser Auffassung steht eine andere gegenüber, die zwar die (objektive) Tatbestandsmäßigkeit von der Rechtswidrigkeit trennt, aber aus jener eine nur durch positive Gesetzesbestimmungen zu widerlegende Präsumtion für diese zu entnehmen scheint und so, umgekehrt wie Graf zu Dohna, zu dem Resultat kommt: was tatbestandsmäßig ist, ist auch rechtswidrig. Der Gegensatz von materieller und formeller Rechtswidrigkeit erhält so eine besondere Bedeutung, und es ist kein Zufall, daß Beling, der energisch an der formellen Rechtswidrigkeit festhält, gezwungen ist, den Tatbestand der Körperverletzung zu negieren, wenn er den Arzt nicht wegen des operativen Eingriffes bestrafen will. Daß die Rechtswidrigkeit zum Verbrechen gehört und das Verbrechen immer etwas Rechtswidriges ist, wird wohl selbstverständlich sein. Stellt man nun die Begriffe Tatbestand und Rechtswidrigkeit einander gegenüber, sieht man in der „Typizität“ eines Geschehens etwas, das nichts mit irgend einer Wertung zu tun hat, so kann etwas Tatbestandsmäßiges etwas nicht Rechtswidriges sein. Damit ist ein interessantes Beispiel gegeben, wie sich die kriminalistische Betrachtung differenziert, wie sie den früher einheitlich aufgefaßten Vorgang immer mehr zerlegt und nicht mehr die Totalimpression des Geschehens mit ihren tausend zufälligen und unkontrollierbaren Assoziationen entscheiden läßt, sondern das Element, welches die gefühlsmäßige Reaktion auslöst, genau rubriziert, immer enger umgrenzt und zurückdrängt. – Frei-
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lich nur in der Konstruktion, nicht seiner realen Wichtigkeit nach. Das Rechtsgefühl läßt seiner nicht spotten. Von einer Ausnahme abgesehen,10 gehen sämtliche Autoren davon aus, daß der operierende Arzt z. B. bei Einwilligung des erwachsenen Patienten straflos bleiben muß, und dafür suchen sie um jeden Preis eine juridische Begründung. Wie sehr dabei metagesetzliche Faktoren Einfluß haben, beweist die Berufung auf das „ungeschriebene Recht“11 die Heranziehung der „allgemeinen Rechtsanschauung“ und der „Tradition“12 der „Gesellschaftswidrigkeit“13 und der „guten Sitten“.14 Nur dadurch, daß man Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nicht trennt, wird es möglich, anzunehmen, die Gesellschaftswidrigkeit z. B. könne jene aufheben. Wenn solche Faktoren Einfluß haben sollen, so kann ihrer ganzen Natur nach, dieser Einfluß, der ja nur für die Wertung des Tuns von Bedeutung ist, nur in einer Beeinflussung des Urteils über die Rechtswidrigkeit bestehen, nicht aber können sie die Tatbestandsmäßigkeit aufheben.15 Freilich sind die Bedenken gegen diese „materielle“ Rechtswidrigkeit und die Ungebundenheit in die ihre Anerkennung den Richter zu versetzen scheint, sehr große und auch der Vorwurf einer „summarischen Jurisprudenz“16 ist ein schwerer. Eine Verteidigung liegt diesem Aufsatze fern. Es soll nur betont werden: jede Theorie, welche die Rechtswidrigkeit unter bestimmten in positiven Gesetzesvorschriften nicht enthaltenen Voraussetzungen aufgehoben sein läßt, führt konsequent dazu. Um ein Beispiel zu geben, wie wenig es hier „Einzelfälle“ gibt: v. Liszt erklärt (Lehrb. S. 313), die Rechtswidrigkeit der Körperverletzung werde durch die Einwilligung des Verletzten deshalb nicht ausgeschlossen, weil es eine „unserm Rechtsbewußtsein entschieden widerstreitende Annahme“ sei, daß der Einzelne „dominus membrorum suorum“ ist. Wenn aber das Rechtsbewußtsein diese Rolle spielen soll, so wird man ihm konzedieren müssen, daß es nicht nur den Grund der Bedeutungslosigkeit der Einwilligung angeben kann, sondern 10 Oskar
v. Sterneck, GS. 69, S. 56 f. Lehrb., I, S. 38 (für die Perforation). 12 v. Bar, GS. 60, S. 83, 104; Gesetz und Schuld, III, S. 81. 13 Kohler, Jur. Lit, 16, S. 224. 14 Zitelmann, Archiv. f. d. ziv. Praxis, 99, S. 115 / 119; Ahrens, Geschäftsführung ohne Auftrag als Strafausschließungsgrund, 1909, S. 36 / 37. 15 v. Bar läßt (GS., 60, S. 95 / 96 und Gesetz und Schuld, III, S. 75 f.) unter gewissen Voraussetzungen die Einwilligung den Tatbestand aufheben, wobei er ausdrücklich keinen Unterschied machen will, ob eine Heilung eingetreten ist oder nicht. Man braucht diese Ansicht nur mit Belings Ausführungen a. a. O. zu vergleichen, um zu erkennen, wie wenig Einigkeit noch über den Begriff des Tatbestandes erzielt ist. Die Einwilligung kann den Tatbestand nur dann aufheben, wenn der Wille des Verletzten das Schutzobjekt ist. So vollkommen konsequent: Klee, GA., 48, S. 176 f. Rich. Schmidt a. a. O. S. 54 f. (für Mißhandlung). 16 v. Bar, Gesetz und Schuld, III, S. 75 (gegen Dohna). 11 Binding,
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auch dessen Grenze. Da nun bei leichten Körperverletzungen die Berücksichtigung der Einwilligung dem Rechtsbewußtsein entschieden nicht widerstreitet, so führt v. Liszts Begründung dazu, einen Unterschied zwischen schweren und leichten Körperverletzungen im nichttechnischen Sinne anzunehmen.17 Damit ist aber die ganze wichtige Frage nach der Bedeutung der Einwilligung des Verletzten dem Rechtsbewußtsein zur Beantwortung überlassen, und es steht nichts im Wege, ihm nun auch noch andere Gründe zu entnehmen, welche die Rechtswidrigkeit ausschließen. Es ergibt sich dieser Einfluß von Faktoren, die im politischen Recht nicht erwähnt werden, mit logischer Notwendigkeit aus der Methode juridischer Argumentation, für die gerade die Behandlung des Problems der Verantwortlichkeit für operative Eingriffe charakteristisch ist: von einem durch das Rechtsgefühl postulierten Resultat, für das sich noch kein Anhaltspunkt im Gesetz findet, wird ausgegangen. Will man nun kein Gewohnheitsrecht konstruieren, so ist man gezwungen, prinzipiell beim Rechtsgefühl diese um sich greifende Bedeutung zuzuschreiben; man erntet damit nur die Früchte seiner Methode. Denn wenn sich aus dem positiven Recht nicht sofort ein bestimmtes Urteil entnehmen läßt, wie sollte es sich dann aus ihm ergeben, nachdem das Rechtsgefühl dafür gesprochen hat; wie sollte diese merkwürdige Influenz von Gefühlserwägungen auf die Auffassung ganz beruflicher und nüchterner Paragraphen beständig vor sich gehen, ohne daß eines Tages ihre systematischen Konsequenzen ans Licht träten? Und auch wenn man das Wort vom Ausschluß der Rechtswidrigkeit vermeidet, sind die weitgehenden Folgen unabweislich, die daraus erwachen, daß man sich das Urteil vom Rechtsgefühl vorschreiben läßt, obwohl die juridische Begründung noch aussteht. Ob das Rechtsgefühl über den Ausschluß der Rechtswidrigkeit entscheiden oder den Tatbestand aufheben kann, das Resultat ist dasselbe und der zur Vorsicht mahnende Satz Heimbergers (R. v. D. Allg. T. IV S. 4): „Es läßt sich nicht überblicken, wie weit er (der Satz, daß der Zweck das angemessene Mittel rechtsgemäß machen kann) greift und was alles aus diesem Zweckgedanken heraus als rechtsmäßig erkannt werden müßte“ fällt in der Sache auf ihn selber zurück. Ebenso ist es nur eine Umschreibung, wenn das gleiche Resultat durch eine Interpretation der Bestimmungen über Körperverletzung aus ihrem Zweck erreicht werden soll.18 Bekommt nämlich die 17 Wie das v. Bar, Gesetz und Schuld, III, S. 58 / 59; Löffler, R. v. D., bes. Teil V, S. 243, tun und Binding, Handb., I, S. 772 Anm. 7 fordert. Hier sind ferner zu erwähnen: v. Lilienthal a. a. O. S. 248, Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 140 f., Kiehl, GU. 54, S. 376. 18 So Löffler, R. v. D., besond. Teil V, S. 247. Vgl. auch Dietrich, Die Straflosigkeit ärztlicher Eingriffe, 1896, der das Gesetz aus dem Gedanken interpretieren will, daß Übel, die zur Fernhaltung größerer Übel und zur Erreichung von Zwecken, die das Gesetz selber im Auge hat, notwendig sind, nicht verboten sein können.
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Interpretation, deren stillschweigendes Axiom bleibt: „Das Gesetz will nur das dem Rechtsgefühl entsprechende“ einen solchen Umfang zugestanden, so hat der Richter die gleiche Bewegungsfreiheit. Eine Gesetzesbestimmung aus ihrem Zweck interpretieren heißt ja in der Tat nichts anderes, als einem idealen Gesetzgeber einen von diesem aus gesehen subjektiven Zweck zuschreiben. Da jede Interpretation die ratio legis d. h. den Zweck des Gesetzes (d. h. eben des idealen Gesetzgebers) zu finden bestrebt ist, so kann es sich nur darum handeln, sich über die Idee vom Recht und vom Gesetzgeber zu einigen, um danach zu bestimmen, wie weit z. B. die ethischen Wertanschauungen der Zeit und des Volkes19 oder die „Kulturnormen“20 als Interpretationsfaktoren gelten können. Wird deren Anwendbarkeit bejaht, so bedarf es nicht mehr der Annahme eines Gewohnheitsrechtes,21 um dem überindividuellen Rechtsgefühl die Legitimation zu geben, jedes Strafgesetz in seinem Sinne zu deuten. Schließlich ist auch die Theorie, die den Arzt auf Grund eines Berufsrechtes für straflos erklärt,22 nur ein Versuch zur Interpretation des Gesetzes und kann demnach als Zwecktheorie bezeichnet werden23. Endlich kann auch das Reichsgericht in seiner bekannten Entscheidung über die Frage nicht umhin, seine eigene Auffassung aus dem Zweck heraus zu interpretieren. Es ist unrichtig, dem Reichsgericht deshalb einen Selbstwiderspruch vorzuwerfen,24 weil es einmal prinzipiell der Einwilligung des Verletzten keinerlei Bedeutung zuerkennt, gleichzeitigt aber beim operativen Eingriff der Einwilligung des Patienten konstitutive Bedeutung für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit zuschreibt. Das Reichsgericht macht mit Recht dagegen geltend,25 der Grund, daß der einzelne nicht über rechtlich geschützte Interessen verfügen könne, treffe nicht zu, wenn jemand „zum Zweck seiner Heilung von einem bereits vorhandenen Leiden sich in ärztliche Behandlung begebe“. Auch bei Hälschner,26 auf den sich 19 van
Calker, Strafrecht und Ethik, 1897; Ethische Werte im Strafrecht, 1904. E. Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903. 21 Oppenheim, Der ärztliche Eingriff an Kranken und Gesunden, 1892; Stooß, Chirurgische Operation und ärztliche Behandlung, 1898, S. 73 / 75 (für Transplantation); Behr, Ärztlich-operativer Eingriff und Strafrecht, 1902, S. 57 f.; v. Calker, Frauenheilkunde u. Strafrecht, 1908. 22 Binding, Handbuch, I, S. 793; Merkel, Lehrbuch, S. 298; Meyer, Lehrb., 4. Aufl., S. 323; Aschaffenburg in Hoches Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie, S. 115; Wachenfeld in Kohlers Enzyklopädie II, S. 260; Kahl, Z. XXIX, S. 368–371; Olshausen, 8. Aufl., zu § 223. 23 Gerade in Bindings Handbuch, I, S. 792 findet sich der Satz: „Die notwendigen Mittel zu rechtlich erlaubten Zwecken sind rechtlich erlaubte Mittel.“ 24 Das tun Lilienthal a. a. O., S. 31, Anm. 2; Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 42; Löffler a. a. O. S. 245. 25 Bd. 25, S. 383. 26 Das gemeine deutsche Strafrecht, I, S. 470 / 71. 20 M.
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das Reichsgericht in der genannten Entscheidung beruft, liegt kein Selbstwiderspruch vor, weil er eine sittliche Pflicht zur Einwilligung in die Operation annimmt. Ob eine solche Pflicht besteht, kann hier gleichgültig sein, jedenfalls ist aber damit der Einwilligung hier konstitutive Bedeutung genommen. Wenn ein allgemeiner Impfzwang besteht, so wird man die Straflosigkeit des Impfarztes nicht an der Einwilligung des Geimpften, sondern aus dessen rechtlicher Pflicht zur Duldung der Impfung ableiten müssen. Nach einer vor kurzem ergangenen Entscheidung des preußischen Oberverwaltungsgerichts kann, wenn der Aufforderung, das Kind impfen zu lassen nicht nachgekommen wird, bei einer zweiten polizeilichen Anordnung angedroht werden, daß das Kind dem Impfarzt vorgeführt werden soll.27 Ein solcher Fall macht deutlich, wie wenig die Einwilligung des Verletzten oder seines gesetzlichen Stellvertreters das sein kann, was die Rechtswidrigkeit ausschließt; vielmehr ist es die Rechtspflicht zur Einwilligung, unabhängig davon, ob diese im konkreten Falle gegeben oder verweigert wurde. Wenn Hälschner von einer sittlichen Pflicht spricht, so liegt die Konstruktion genau so; was nach ihm die Rechtswidrigkeit ausschließt, ist nicht die Einwilligung, sondern der Umstand, daß der Vorgang den Zwecken des idealen Gesetzgebers entspricht. Vielleicht liegt in der Erkenntnis dieser weittragenden Konsequenzen der Theorien über den Ausschluß der Rechtswidrigkeit der Grund, warum die Ansicht, es liege überhaupt kein Tatbestand vor, immer mehr an Boden gewinnt.28 Jedenfalls aber muß diese Ansicht kriminalpolitisch eine gesetzliche Regelung fordern, die sich vielleicht auf eine besondere Behandlung der Nötigung bezöge.29 Was die Theorien angeht, die einen Ausschluß der Rechtswidrigkeit annehmen, so wird das praktische Rechtsleben nicht darauf warten können, bis über die prinzipiellen und präjudiziellen Fragen eine Einigkeit in der Doktrin erzielt ist; auch sie führen unbedingt zur Forderung 27 Mitgeteilt
in der DJZtg., 1910, S. 542. kein Tatbestand vorliegt, nehmen an: Heß, Die Ehre, 1891, S. 54, Anm. 4; Stooß, Schweizer Zeitschr. f. Strafr., VI, S. 54; Z. XII, S. 24 f., S. 443; DJZtg., 1899, S. 184 / 85; Deutsche Mediz. Wochenschr. 1889, S. 247 / 48, Chirurgische Operation, S. 38; Frank, Kommentar, 5. / 7. Aufl., vor § 223; Heimberger, Strafr. und Medizin, S. 38 f.; Aschaffenburgs Monatsschr., VII, S. 65 f.; Rieger, Die Kastration in rechlicher, sozialer und vitaler Hinsicht, 1900, S. 12; Klee, GA., 48, S. 176 f.; Kitzinger, GS., 55, S. 87 / 88; Kohler, Jur. Literaturbl., 16, S. 224; Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, S. 97; M. E. Mayer, Rechtsnormen u. Kulturnormen, 1903, S. 98 f.; Holer, Die Einwilligung des Verletzten (Anhang); Binding, Lehrb., I, 2, § 15; Kiehl, GA., 54, S. 379; v. Bar, GS., 60, S. 95; Gesetz und Schuld, III, S. 75 f.; Wilhelm, Aschaffenburgs Monatsschr., VII, S. 52. 29 Daß die Stellung des Arztes erschwert werde, weil die Unkenntnis der Gesetze seine Strafbarkeit nicht ausschließen würde (Wilhelm a. a. O. und Begründung I, S. 254) ist eine Erwägung, die sich gegen jedes Gesetz vorbringen läßt. 28 Daß
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positiver Gesetzesbestimmungen, die vielleicht in diesem speziellen Falle eine Verweisung auf das Rechtsbewußtsein treffen können, wie sie der zivilrechtlichen Verweisung auf Treu und Glauben entspricht, wobei der Einwilligung besonders gedacht werden müßte. Daß endlich auch die Vertreter des Gewohnheitsrechtes in dieser Angelegenheit für eine gesetzliche Regelung eintreten müssen, ergibt sich schon aus der Stellung des modernen Gesetzgebers zum ungeschriebenen Recht.30
30 Doch ist Oppenheim, Schweizer Zeitschr. f. Strafr., 1893, S. 352, trotzdem gegen die gesetzliche Regelung.
Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das ordentliche strafprozessuale Verfahren*1 Es liegt nahe, bei der Frage nach der Einwirkung des Kriegszustandes auf das Strafprozeßverfahren zunächst an das kriegsgerichtliche oder das standrechtliche Verfahren zu denken, das nach dem preußischen Belagerungszustandsgesetz vom 4. Juni 1851 (§§ 10–15) und Art. 15 des bayerischen Kriegszustandsgesetzes vom 5. November 1912 eintreten kann. Aber die Bestimmungen der genannten Kriegszustandsgesetze betreffen die Anordnung und Regelung eines Sonderverfahrens, das selbständig neben dem ordentlichen Strafverfahren hergeht. Sie betreffen Sondergerichte und das Verfahren vor ihnen, während nach § 3 EGStrPO. die Reichsstrafprozeßordnung nur auf solche Strafsachen Anwendung findet, die vor die ordentlichen Gerichte gehören. Infolge der Anwendung von Kriegsgerichten oder der Verhängung des Standrechts werden zwar zahlreiche Straffälle, die sonst vor die ordentlichen Gerichte gehörten und im ordentlichen Verfahren behandelt würden, vor die Kriegsgerichte oder das Standrecht gebracht. Soweit aber das ordentliche Verfahren noch eintritt, geht es seinen bisherigen Gang * Zeitschrift
für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 38 (1916), S. 783–797. Aufsatz gibt den Inhalt der Probevorlesung wieder, die ich am 16. Februar 1916 vor der juristischen Fakultät in Straßburg gehalten habe. Spätere Veröffent lichungen – in Betracht kommen Lukas, Justizverwaltung und Belagerungszustandsgesetz, in der Festgabe für Otto Mayer, Tübingen 1916, S. 225 f., und Rosenberg, Die rechtlichen Schranken der Militärdiktatur, Z. 37, S. 808 f. – haben das Ergebnis nicht berührt. Das Interesse des Aufsatzes ist übrigens weniger auf die Auslegung des Belagerungszustandsgesetzes gerichtet als auf die Bedeutung, die strafprozeßrechtliche Konstruktionen bei der Betrachtung der Einwirkung des Kriegszustandes erhalten. Die Arbeit von James Goldschmidt, Materielles Justizrecht (in der Festgabe für B. Kübler S. 85 f., Berlin 1905) möchte ich dabei besonders hervorheben, auch wenn ihre Ablehnung des materiellen Strafanspruchs im folgenden abgelehnt ist. – Von der verwerteten Literatur über den Belagerungszustand ist zu erwähnen: Th. Reinach, De l’état de siège, Paris 1885; Brüß, Der Belagerungszustand als Rechtsinstitut (Erlanger Dissertation), Cüstrin 1897; Haldy, Das Recht zur Verhängung des Belagerungszustandes, Tübingen 1906; Hans Gmelin, Umfang des königlichen Verordnungsrechts und das Recht zur Verhängung des Belagerungszustandes in Italien, Karlsruhe 1907; Bücher, Der Belagerungszustand im Deutschen Reich und dessen Gliedstaaten (Leipziger Diss.), Borna / Leipzig 1909; Sido, Die persön liche Militärgewalt des Großherzogs von Baden (Freiburger Diss.), Rastatt 1912; v. Nicolai, Der reichs- und landesrechtliche Kriegszustand (Heidelberger Diss.), Tübingen 1913. 1 Der
Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das strafprozessuale Verfahren153
weiter, gleichgültig, ob zur Anordnung von Kriegsgerichten geschritten ist oder nicht. Es handelt sich bei dem kriegsgerichtlichen und standrechtlichen Verfahren also um ein neues Verfahren, nicht um eine Einwirkung des Kriegszustandes auf das ordentliche strafprozessuale Verfahren. Aus einem anderen Grund sind hier die Änderungen strafprozessualer Bestimmungen nicht zu erörtern, die während des Krieges infolge gesetzgeberischen Eingreifens eingetreten sind. Durch die wichtigste der hier in Betracht kommenden Anordnungen, die Bekanntmachung des Bundesrats vom 7.10.1915, ist z. B. das Gebiet des richterlichen Strafbefehls bedeutend erweitert und die Zuständigkeit der Schöffengerichte ausgedehnt.2 Die dadurch eintretenden Änderungen der StPO. und des GVG. sind zwar veranlaßt durch Verhältnisse, die infolge des Krieges entstanden sind, sie betreffen auch das ordentliche strafprozessuale Verfahren. Das Entscheidende ist jedoch, daß sie sich nicht aus den Kriegszustandsgesetzen ergeben und infolgedessen nicht als rechtliche Folgen aus dem Rechtsinstitut des Kriegszustandes entspringen. Während also bei dem kriegsgerichtlichen und standrechtlichen Verfahren zwar eine Einwirkung des Kriegszustandes vorliegt, aber keine solche auf das ordentliche Verfahren, handelt es sich bei der erwähnten Bekanntmachung des Bundesrats zwar um eine Einwirkung auf das ordentliche Verfahren, nicht aber um eine solche des Kriegszustandes. Um Einwirkungen mit gesetzgeberischem Charakter handelt es sich endlich in den Fällen, in denen der Militärbefehlshaber nach § 9b des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand oder Art. 4 Nr. 2 des bayerischen Kriegszustandsgesetzes im Interesse der öffentlichen Sicherheit Vorschriften erläßt. Tatsächlich ergehen heute wohl die meisten und wichtigsten Anordnungen der Militärbefehlshaber unter Berufung auf die § 9b oder Art. 4 Nr. 2. Es ist nun möglich, daß die auf Grund dieser Bestimmungen erlassenen Vorschriften im einzelnen Falle für ein bestimmtes Strafverfahren von Bedeutung sind. Aber die Einwirkung auf das Strafverfahren ist keine unmittelbare. Denn § 9b und Art. 4 Nr. 2 enthalten nach der heutigen Praxis der Gerichte die Übertragung gesetzgeberischer Befugnisse an den Militärbefehlshaber, sie ermächtigen ihn, allgemein bindende Befehle zu erlassen, die durch eine Strafandrohung geschützt sind. Der Militärbefehlshaber, der von der Befugnis Gebrauch macht, schafft einen neuen Rechtssatz, dessen tatsächlicher Erfolg für die Durchführung eines konkreten Strafverfahrens wichtig sein kann, der aber keine Einwirkung des Kriegszustandes auf das Strafprozeßverfahren ist.3 Beling, Z. 37, S. 257 f. die rechtliche Bedeutung des § 9b (Art. 4 Nr. 2) vgl. Rosenberg a. a. O. S. 808 f. (gegen die in der Praxis der Gerichte und der Militärbefehlshaber durchgedrungene Auffassung, daß § 9b dem Militärbefehlshaber ein selbständiges, an ge2 Hierüber 3 Über
154 Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das strafprozessuale Verfahren
Als solche Einwirkungen des Kriegszustandes auf das ordentliche Verfahren sind vielmehr nur zwei Arten von Besonderheiten anzusehen, die infolge von zwei spezifischen Wirkungen des Kriegszustandes eintreten können. Sie ergeben sich 1. daraus, daß bei Verhängung des Kriegszustandes verfassungsrechtliche Bestimmungen außer Kraft gesetzt werden können, und 2. daraus, daß mit der Verhängung des Kriegszustandes die vollziehende Gewalt auf den Militärbefehlshaber übergeht. Die Einwirkung der Suspendierung von Verfassungsbestimmungen und die Einwirkung des Übergangs der vollziehenden Gewalt sind also die beiden hier zu erörternden Punkte. In § 5 des preußischen Gesetzes sind mehrere Artikel der preußischen Verfassung aufgezählt, die bei Erklärung des Belagerungszustandes zeitund distriktweise außer Kraft gesetzt werden können. Da das preußische Gesetz über den Belagerungszustand nach Art. 68 der Reichsverfassung für das ganze Reich mit Ausnahme Bayerns gilt, können auch in den übrigen Staaten die entsprechenden Artikel der Verfassungen aufgehoben werden. Für Bayern ist eine Aufhebung der Verfassungsbestimmungen nicht vorgesehen.4 – Von den für die Aufhebung in Betracht kommenden Verfassungsbestimmungen interessieren hier Art. 5 und 6 der preußischen Verfassung. Durch Art. 5 ist die persönliche Freiheit gewährleistet; nach Art. 6 ist die Wohnung unverletzlich und das Eindringen in dieselbe, eine Haussuchung sowie die Beschlagnahme von Briefen und Papieren nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet. Die Bestimmungen der Reichsstrafprozeßordnung über diese Materie (8. und 9. Abschnitt, §§ 94–101: Voraussetzungen und das Verfahren einer Beschlagnahme, §§ 102–111: Durchsuchung einer Wohnung und anderer Räume, §§ 112–132: Verhaftung und vorläufige Festnahme von Personen) sind an die Stelle der entsprechenden Verfassungsbestimmungen getreten und unterliegen infolgedessen ebenfalls der Suspendierung während des Kriegszustandes.5 Erfolgt die Suspendierung, so hat der Militärbefehlshaber die Befugnis, Anordnungen zu treffen, die eine Haft, Durchsuchung oder Beschlagnahme zum Gegenstande haben, ohne daß er durch die genannten strafprozessualen Bestimmungen gehindert oder beschränkt wäre. Er kann die Beschlagnahme von Beweisstücken durchführen, ohne daß es der richterlichen Bestätigung, die nach § 98 StrPO. erforderlich ist, bedarf; er kann die Korrespondenz von Persosetzliche Schranken nicht gebundenes Verordnungsrecht gebe). Vgl. auch meinen Aufsatz „Diktatur und Belagerungszustand“, Z. 38, S. 138 f. 4 Infolgedessen wäre nach Gmelin a. a. O. S. 145 die Rechtslage nicht anders, als wenn die Suspension zugelassen wäre. Die herrschende Auffassung steht aber auf dem Standpunkt, daß infolgedessen in Bayern Eingriffe in verfassungsmäßig garantierte Rechte unzulässig sind. Das ist besonders wichtig für die militärische Sicherheitshaft, da das Gesetz vom 4.12.1916 (RGBl. S. 1329) für Bayern nicht gilt. 5 Haldy a. a. O. S. 55 / 56; Laband, Staatsrecht (5. Aufl.) Bd. IV S. 48.
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nen beschlagnahmen, ohne daß Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß sie von einem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind (§ 99); er darf die beschlagnahmten Briefe öffnen, während dies sonst nur dem Richter zusteht (§ 100) usw. In gleicher Weise kann er Durchsuchungen von Wohnungen und anderen Räumen vornehmen lassen, ohne etwa durch § 102 beschränkt zu sein, wonach solche Durchsuchungen grundsätzlich nur bei dem als Täter, Teilnehmer, Begünstigter oder Hehler Verdächtigen zulässig sind; die Durchsuchung darf, entgegen § 104, auch zur Nachtzeit erfolgen, der Inhaber der zu durchsuchenden Räume braucht bei der Durchsuchung nicht anwesend zu sein, während er nach § 106 ein Recht dazu hat; die bei der Durchsuchung gefundenen Papiere können vom Militärbefehlshaber geprüft werden, während ihre Durchsicht sonst nur dem Richter zusteht (§ 110) usw. Endlich kann er jemand in Haft nehmen, ohne durch andere Bestimmungen als die des Gesetzes vom 4.12.1916 (RGBl. S. 1329) beschränkt zu sein. In allen diesen Fällen handelt der Militärbefehlshaber, wie überhaupt, unter seiner persönlichen Verantwortlichkeit; Rechtsmittel gegen sein Vorgehen sind nur nach Maßgabe des Gesetzes vom 4.12.1916 (RGBl. S. 1331) an die militärische Zentralinstanz zulässig. Man hat allerdings eine Einschränkung der weitgehenden Befugnisse des Militärbefehlshabers damit herbeiführen wollen, daß man sagte, der Militärbefehlshaber dürfe auch bei Suspendierung der Verfassungsbestimmungen nur im öffentlichen Interesse, namentlich also im Interesse der Landesverteidigung eingreifen. Dieser Grundsatz hätte aber nur Bedeutung für die Verantwortung, die immer eine persönliche bleibt; Einfluß auf die rechtliche Gültigkeit der Anordnungen des Militärbefehlshabers hat er nicht. Außerdem kann er, da er eine reine Zweckmäßigkeitserwägung zum entscheidenden Gesichtspunkt macht, den Umfang der Befugnisse des Militärbefehlshabers nicht umgrenzen. Gerade im gegenwärtigen Krieg hat sich das besonders deutlich gezeigt. Zahlreiche, nicht nur militärische und politische, sondern auch wirtschaftliche Angelegenheiten haben ihre Regelung nur der Initiative von kommandierenden Generälen zu verdanken, die unter Berufung auf das öffentliche Interesse eingriffen.6 6 So ist das stellvertretende Generalkommando des I. bayerischen AK. vorangegangen mit der Regelung der Versorgung Bayerns mit Erzeugnissen der Milchwirtschaft, es hat den Bedarf des Heeres an Bier und Heu gesichert und zahlreiche andere wirtschaftliche Maßnahmen getroffen, die auf Grund von Art. 4 Nr. 2 KZG, also unter Berufung nicht nur auf das öffentliche Interesse, sondern sogar auf das Interesse der öffentlichen Sicherheit erfolgten. Die Zusammenstellung der „Kriegsanordnungen des stellv. Generalkommandos, I. bayer. AK“ von Hauptmann Roth (München 1917) ist in dieser Hinsicht für jede Betrachtung des Kriegszustandsrechts eine Fundgrube wichtigen und interessanten Materials.
156 Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das strafprozessuale Verfahren
Diese Ausdehnung des öffentlichen Interesses ist aus folgendem Grunde wichtig für die Frage nach der Einwirkung des Kriegszustandes auf das ordentliche Verfahren: Bei der Suspendierung von Verfassungsbestimmungen wird regelmäßig unter Aufhebung von Art. 7 der preußischen Verfassung zur Anordnung von Kriegsgerichten geschritten. Dann gehören vor die Kriegsgerichte die im § 10 des preußischen Belagerungszustandsgesetzes genannten Delikte, Hochverrat, Landesverrat, Mord, Aufruhr, tätliche Widersetzung usw. Alle diese Delikte tragen vorwiegend militärischen und politischen Charakter und sind mit der Anordnung von Kriegsgerichten dem ordentlichen Strafverfahren entzogen. Würde sich das Interesse des Militärbefehlshabers nur auf solche Delikte beziehen können, so würde die Aufhebung von Verfassungsbestimmungen für das ordentliche Verfahren praktisch bedeutungslos, da der Militärbefehlshaber kein Interesse an einem Einschreiten hätte. In Wahrheit aber können auch solche Strafverfahren Gegenstand seines Interesses sein, die nicht militärischen oder politischen Charakter haben, sondern etwa nur für die wirtschaftliche Sicherung des Heeresbedarfs oder des Bedarfs der Bevölkerung von Bedeutung sind. Man könnte nun sagen, es handle sich bei den vom Militärbefehlshaber angeordneten Maßnahmen, wie Haft, Durchsuchung und Beschlagnahme gar nicht mehr um ein Strafverfahren, die vom Militärbefehlshaber vorgenommenen Verhaftungen usw. würden nur tatsächliche Eingriffe bedeuten, die zwar für das Ergebnis des Strafprozesses im konkreten Falle tatsächliche Wichtigkeit haben könnten, die man aber nicht als rechtliche Einwirkungen auf das Strafverfahren bezeichnen dürfe. Das ist jedoch nur scheinbar richtig. Selbstverständlich kann nicht von rechtlichen Einwirkungen gesprochen werden, wenn der Militärbefehlshaber durch bloß tatsächliche Änderungen das Verfahren beeinflußt, wenn er etwa einen bestimmten Richter oder Zeugen einsperren läßt. Das hätte für den Strafprozeß nicht mehr juristisches Interesse, als wenn das Gerichtsgebäude einstürzt oder die Akten verbrennen. Das Wesentliche ist aber, daß der Militärbefehlshaber seine rechtlichen Befugnisse im Interesse der Strafverfolgung ausüben kann, daß er also nicht gehindert ist, die Ergebnisse seiner Durchsuchung, Beschlagnahme oder Inhaftierung dem Staatsanwalt zu überlassen, damit dieser sie zu seiner Strafverfolgung benutzt, etwa zur Grundlage seiner öffentlichen Klage macht. Der Militärbefehlshaber darf solche Maßnahmen sogar im ausschließlichen Interesse der Strafverfolgung treffen. In zahlreichen Fällen wird ja auch das Interesse der öffentlichen Sicherheit mit dem Interesse der Strafverfolgung unmittelbar zusammenfallen. Die Folge ist dann, daß die Bestimmungen der StrPO. über Beschlagnahme, Durchsuchung und Verhaftung inhaltlos werden: der Verdächtigte verliert die Garantien, die von der StrPO. zum Schutz des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren aufgestellt sind.
Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das strafprozessuale Verfahren157
Diese weitgehende Einwirkung hat ihre Grenze an der richterlichen Unabhängigkeit. Art. 86 der preußischen Verfassung, an dessen Stelle § 1 des GVG. getreten ist, spricht diese Unabhängigkeit aus. Eine Suspendierung des Art. 86 kann nach dem preußischen Belagerungszustandsgesetz nicht erfolgen. Auch der Umstand, daß das Gesetz die Aufhebung des Art. 7 – niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden – für zulässig erklärt, ändert nichts an der richterlichen Unabhängigkeit, denn die Aufhebung des Art. 7 bezweckt nur, die Anwendung von Kriegsgerichten zu ermöglichen; mit der Anordnung der Kriegsgerichte sind daher die Ausnahmen, die von Art. 7 gemacht werden können, erschöpft. Hier liegt der Fall vor, daß die Aufhebung einer Verfassungsbestimmung durch die Spezialisierung der zulässigen Ausnahme genau umgrenzt und eingeschränkt wird. Der Militärbefehlshaber könnte daher nicht etwa in die Behördenorganisation eingreifen und Gerichte nach Gutdünken besetzen und zusammenstellen. Die Funktionen des Richters im ordentlichen Strafverfahren sind keiner Einwirkung durch Anordnungen des Militärbefehlshabers ausgesetzt. Die gesamte Tätigkeit, die dem Gericht im ordentlichen Strafverfahren zugewiesen ist, vor allem der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens, die Vorbereitung der Hauptverhandlung, die gesamte mündliche Verhandlung als Grundlage der richterlichen Beweisführung und des unabhängigen richterlichen Urteils, bleiben von jeder Einwirkung des Militärbefehlshabers ausgeschlossen. Das gilt auch für den Untersuchungsrichter. Dieser ist ebenfalls richterlicher Beamter und nimmt richterliche Funktionen wahr. Zwar erfolgt seine Bestellung nach § 60 GVG. durch die Landesjustizverwaltung, aber das betrifft nur die Auswahl seiner Person und hat keinen Einfluß auf die Art seiner Tätigkeit; er wird durch die Bestellung nicht zum Beauftragten oder Gehilfen der Staatsanwaltschaft ernannt, wie das nach französischem Rechte der Fall ist. Was er wahrzunehmen hat ist, wie die StrPO. ausdrücklich sagt, gerichtliche Voruntersuchung im Gegensatz zu der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft. Er eröffnet und führt die Voruntersuchung selbständig (§ 182 StrPO.), Beschwerden, die seine Tätigkeit betreffen, gehen nicht an die vorgesetzte Justizverwaltungsbehörde, sondern an die Strafkammer (§ 72 GVG.). Seine Funktionen sind daher ebenfalls richterliche und der Beeinflussung durch den Militärbefehlshaber nicht unterworfen. Den Schutz der richterlichen Gewalt genießt nicht nur die eigentliche richterliche Tätigkeit. Diese ist ein reiner Gedankenvorgang – Aufnahme des Tatbestandes und Anwendung des Gesetzes auf den Tatbestand. Es gibt aber eine Reihe positiv-rechtlicher Bestimmungen, die die unmittelbaren äußeren Bedingungen einer unbehinderten richterlichen Tätigkeit sicherstellen sollen. Hierher gehören die sitzungspolizeilichen Befugnisse des Gerichts und des Vorsitzenden (§§ 179–185 GVG.), die Entfernung von Parteien aus dem Sitzungszimmer, die Verhängung von Ordnungsstrafen wegen
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Ungebühr usw., die ungehinderte Gestaltung des äußeren Verlaufs der mündlichen Verhandlung, die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten, die Aufnahme des Beweises, kurz die ganze Sachleitung, die dem Vorsitzenden nach § 237 StrPO. zusteht, ferner die Anberaumung von Terminen, Bestellung des Pflichtverteidigers, sodann die sogenannten interna des Gerichts, wie die Bestimmung des Referenten einer Sache und die Leitung der Beratung. Alles das bleibt ausschließlich Sache des Gerichts. Der Militärbefehlshaber darf also z. B. keinen Termin bestimmen. Zweifel könnten sich nur bei den Bestimmungen über die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung erheben. Dadurch, daß der Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung und Staatssicherheit in § 173 GVG. aufgenommen ist, hat diese Bestimmung einen mehr polizeilichen Charakter angenommen: sie dient dem öffentlichen Interesse, nicht speziell dem Schutz der Unabhängigkeit des Richters. Der Militärbefehlshaber, der die Interessen der öffentlichen Sicherheit während des Kriegszustandes wahrzunehmen hat, könnte daher ebenfalls die Befugnis in Anspruch nehmen, den Ausschluß der Öffentlichkeit anzuordnen und durchzuführen; er wäre nicht darauf angewiesen, den Ausschluß der Öffentlichkeit beim Gericht anzuregen oder durch die Staatsanwaltschaft beantragen zu lassen. Neben dem Militärbefehlshaber behielte dann allerdings auch das Gericht die Befugnis, die Öffentlichkeit auszuschließen; der Unterschied zwischen dem Militärbefehlshaber und der durch das Gericht angeordneten Ausschließung würde sich darin zeigen, daß gegen die Anordnungen des Gerichts nach § 175 GVG. Beschwerde stattfindet, während gegen die Anordnung des Militärbefehlshabers selbstverständlich auch hier nur das Rechtsmittel des Gesetzes vom 4. 12. 1916 möglich wäre. Doch sprechen historische Gründe und die Stellung des § 173 im GVG. gegen eine solche Herauslösung aus dem Zusammenhang mit den Bestimmungen zum Schutze der Unabhängigkeit des Richters. – Bisher sind die auf Grund einer Aufhebung von Verfassungsbestimmungen möglichen Einwirkungen auf das ordentliche Verfahren erörtert worden. Dabei hat sich vor allem die Sonderstellung der richterlichen Tätigkeit im Strafprozeß ergeben. Der Gegensatz von richterlicher Tätigkeit und der Tätigkeit anderer Behörden beherrscht nun auch die zweite Art von Einwirkungen, nämlich diejenigen, die erfolgen, weil die vollziehende Gewalt auf die Militärbefehlshaber übergeht. Der Übergang der vollziehenden Gewalt tritt nach § 4 des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand mit der Verhängung des Kriegszustandes ein. Dieser Übergang der vollziehenden Gewalt ist für alle Belagerungszustandsgesetze, die, wie das preußische, das französische System des état de siège übernommen haben, charakteristisch;7 er ist 7 Während beispielsweise in Österreich und in England die Wirkung des Kriegszustandes darin besteht, daß Verfassungsbestimmungen suspendiert werden und
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infolgedessen auch für das ganze deutsche Reich (mit Ausnahme Bayerns) als die spezifische Wirkung des Kriegszustandes anzusehen; mit ihm werden die Verwaltungsbehörden Untergeordnete und Vollzugsorgane des Militärbefehlshabers. Der Übergang erfolgt in der Weise, daß alle Verwaltungsbehörden ihre Tätigkeit in der bisherigen Weise fortsetzen und der Militärbefehlshaber nach seinem Belieben entweder selbst ihre Funktionen übernimmt oder ihnen Anweisungen erteilt: alles im Rahmen der bisherigen Befugnisse der Verwaltungsbehörde, denn es stehen dem Militärbefehlshaber auf Grund des Übergangs der vollziehenden Gewalt keine anderen Befugnisse zu, als diejenigen, die bisher der Verwaltungsbehörde des in Frage stehenden Verwaltungszweiges zustanden. Der Übergang der vollziehenden Gewalt verändert also nicht den Inhalt der rechtlichen Befugnisse einer Behörde, sondern betrifft nur die Person, die diese Befugnisse wahrnimmt. Die Übernahme einer Funktion durch den Militärbefehlshaber oder ihre Vornahme auf Anweisung des Militärbefehlshabers hat allerdings die weitere wichtige Folge, daß der Militärbefehlshaber selbst die Verantwortung übernimmt. Der Übergang der vollziehenden Gewalt erstreckt sich auf alle Zweige der Verwaltung, nicht bloß, wie gelegentlich behauptet worden ist8, auf die sogenannte innere Verwaltung, im Gegensatz zur Finanz- oder Justizverwaltung. Das hat für das Strafverfahren deshalb Bedeutung, weil zahlreiche prozessuale Befugnisse einem Organ der vollziehenden Gewalt im Sinne des § 4 BelZG., der Staatsanwaltschaft überwiesen sind. Die Staatsanwaltschaft ist eine besonders streng einheitliche, hierarchisch-bürokratische Behörde; jeder Beamte der Staatsanwaltschaft hat nach § 147 GVG. den dienstlichen Anweisungen seines Vorgesetzten nachzukommen, der Vorgesetzte hat ein Recht der Aufsicht und Leitung und die ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landesgerichten sind befugt, bei allen Gerichten ihres Bezirks die Amtsvorrichtungen der Staatsanwaltschaft selbst zu übernehmen oder mit ihrer Wahrnehmung einen anderen als den zunächst zuständigen Beamten zu beauftragen (§ 146 GVG.). Alle diese Befugnisse, namentlich auch das Devolutions- und SubKriegsgerichte eintreten, die gesamte Verwaltung aber in den Händen der Zivilbehörden bleibt, geht nach dem französischen System die vollziehende Gewalt auf die Militärbehörde über. Für Bayern ist die Rechtslage dadurch eine besondere geworden, daß das bayerische Kriegszustandsgesetz den Übergang der vollziehenden Gewalt nicht erwähnt, dagegen durch königliche Verordnung vom 31.7.1914 die vollziehende Gewalt auf den Militärbefehlshaber übertragen ist, der Übergang sich aber nur auf die Befugnisse der den Zivilstaatsministerien untergeordneten Staatsbehörden erstreckt. 8 v. Nicolai a. a. O. S. 21. Vgl. über die Stellung der Staatsanwaltschaft im Belagerungzustandsgesetz Lukas a. a. O. S. 239. Nach Lukas gehört die gesamte Justizverwaltung (mit Ausnahme der Justizverwaltungsfunktionen der Staatsanwaltschaft) nicht zur vollziehenden Gewalt im Sinne des § 4.
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stitutionsrecht, kann der Militärbefehlshaber auf Grund des Übergangs der vollziehenden Gewalt selbst ausüben. Theoretisch kann man die Einwirkungsmöglichkeiten, die auf Grund des Übergangs der vollziehenden Gewalt gegeben sind, als belanglos bezeichnen. Infolge dieses Übergangs tritt ja keine Änderung der Funktion, sondern nur ein Wechsel der mit der Wahrnehmung der Funktion betrauten Person ein. Die Befugnisse des Militärbefehlshabers sind daher beim Übergang der vollziehenden Gewalt keine anderen als die der Staatsanwaltschaft. Trotzdem liegt hier nicht nur ein bedeutungsloser Personenwechsel vor. Denn die Befugnisse, die den nichtrichterlichen Behörden im Strafprozeß zukommen, lassen dem Ermessen dieser Behörde einen gewissen Spielraum. Wenn der Militärbefehlshaber nun von dem Übergang der vollziehenden Gewalt Gebrauch macht, so tut er das, um seine Auffassung der Sachlage durchzusetzen. Wäre er sicher, daß die in Frage stehende Behörde auch ohne sein Eingreifen seinen Absichten entsprechend handelt, so wird er keine Veranlassung haben, von dem Übergang der vollziehenden Gewalt Gebrauch zu machen. Es bedarf also jetzt nur noch einer Erörterung der Fälle, in denen das geltende Strafprozeßrecht eine Beeinflussung offen zuläßt. Am meisten scheint das Ermessen der Staatsanwaltschaft bei der Klageerhebung beschränkt zu sein. Denn der Staatsanwalt ist nach dem Legalitätsprinzip (§ 152) verpflichtet, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Diese strenge Bindung tritt auch für den Militärbefehlshaber ein, der auf Grund des Übergangs der vollziehenden Gewalt die Klage erheben oder nicht erheben will. Damit wäre für die Klageerhebung der Übergang der vollziehenden Gewalt bedeutungslos geworden. Das wäre umso wichtiger, als wegen des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft eine strafrichterliche Verurteilung ohne Erhebung der öffentlichen Anklage durch die Staatsanwaltschaft (abgesehen von den Fällen der Privatklage) nicht möglich ist (§ 155). Dennoch ist für die Klageerhebung der Übergang der vollziehenden Gewalt nicht unpraktisch. Erstens sind von dem Legalitätsprinzip die bekannten Ausnahmen gemacht (bei den im Ausland begangenen und im Inland verfolgbaren Delikten § 4 StrGB.; bei Verfahren auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte gegen einen im Ausland verurteilten Deutschen, § 37; beim sogenannten objektiven Verfahren vor Sondergerichten nach landesrechtlicher Bestimmung), und zweitens kann auch das Legalitätsprinzip nicht verhindern, daß eine Strafsache von verschiedenen Gesichtspunkten aus beurteilt wird und sowohl die tatsächliche wie die rechtliche Auffassung der Sache einen weiten Spielraum lassen, innerhalb dessen Zweckmäßigkeitserwägungen und politischen Notwendigkeiten Rechnung getragen werden kann.
Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das strafprozessuale Verfahren161
Der Militärbefehlshaber hat die Befugnis, im Rahmen der genannten Möglichkeiten die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Klage zu erheben oder nicht zu erheben. Die Staatsanwaltschaft ist zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet,9 ihr ist infolgedessen auch jede Verantwortung abgenommen, wenn sie auf Anweisung des Militärbefehlshabers handelt. Das ist besonders wichtig für den Fall, daß eine Klage nicht erhoben wird. Würde ein Staatsanwalt mit rechtswidrigem Vorsatz die Anklage nicht erheben, so wäre er nach § 346 StrGB. strafbar; der Militärbefehlshaber dagegen, der durch die Anweisung, die Klage nicht zu erheben, alle Verantwortung übernommen hat, fällt nicht unter diese Strafbestimmung, wenn er in rechtswidriger Absicht eine Klageerhebung unterdrückt. Er ist auch in dieser Hinsicht, wie für alle seine Handlungen, nur persönlich, d. h. nur seinem obersten Kriegsherrn verantwortlich und seine Anordnungen unterliegen nur den Rechtsmitteln des Gesetzes vom 4. Dezember 1916. Erwägt man, daß einerseits der Staatsanwalt den Anweisungen des Militärbefehlshabers unbedingt gehorchen muß und andererseits der Militärbefehlshaber selbst nur eine persönliche Verantwortung hat, so kann diese Rechtslage dazu führen, daß der Militärbefehlshaber über das Strafklagerecht des Staates entscheidet. Die Erhebung der Klage bedeutet prozessual die Ausübung der Befugnis des Staates zur Durchführung des staatlichen Strafrechts, des jus puniendi, die Tätigkeit seiner Gerichte in Anspruch zu nehmen. Der Militärbefehlshaber ist also in der Lage, über die Ausübung dieses Strafklagerechts, wenn auch ohne rechtliche Befugnis, tatsächlich zu disponieren. Eine Schranke findet diese Dispositionsmöglichkeit an der Bestimmung des § 170 StrPO.: erachtet das Gericht den Antrag des Verletzten für begründet, so beschließt es die Erhebung der öffentlichen Klage und die Staatsanwaltschaft hat diesen Beschluß durchzuführen, d. h. Klage zu erheben. Das gilt auch für den Fall, daß die Klageerhebung der Staatsanwaltschaft auf Anweisung des Militärbefehlshabers unterblieben ist. Die Staatsanwaltschaft ist zwar an weitere Weisungen des Gerichts nicht gebunden; sie ist nicht verpflichtet, nach der Klageerhebung noch weiter im Interesse einer Bestrafung tätig zu werden, aber das Wesentlichste ist, daß nunmehr das Strafklagerecht des Staates ausgeübt wird und daß eine richterliche Entscheidung im Strafprozeß möglich geworden ist. Die Einwirkung des Militärbefehlshabers erstreckt sich nicht nur auf die Klageerhebung, sondern auf die gesamte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. Sie kann sich in allgemeinen Anweisungen, wie in Vorschriften für den 9 Laband a. a. O.; Haenel, Deutsches Staatsrecht I (1892) S. 437; Zorn, Staatsrecht I (1895) S. 199. Gegen die unbedingte Gehorsamspflicht Thielke, Gehorsam und Schuld des Staatsbeamten und des Soldaten bei gesetzwidrigen Befehlen des Vorgesetzten (Königsberger Diss.), Königsberg 1911, S. 32.
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einzelnen Fall äußern. Die Anweisungen können sich z. B. beziehen auf die Einlegung von Rechtsmitteln, auf die Beantragung von Haftbefehlen und ihrer Verlängerung, auf Anträge, die die Eröffnung des Hauptverfahrens betreffen usw. Der Militärbefehlshaber kann dem Staatsanwalt untersagen, ein von der Staatsanwaltschaft eingestelltes Strafverfahren wieder aufzunehmen, durch seinen Antrag die Überweisung einer Sache an das Schöffengericht gemäß § 75 GVG. herbeizuführen, nach der eingangs erwähnten Bekanntmachung des Bundesrats vom 7. 10. 1915 bei Einreichung der Anklageschrift durch seinen Antrag die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu begründen, oder dadurch, daß er den Antrag nicht stellt auszuschließen, durch seinen Antrag einen Strafbefehl zulässig zu machen, die Wiederaufnahme eines Verfahrens nach § 405 StrPO. zu beantragen, im Privatklageverfahren nach § 417 die Verfolgung zu übernehmen usw. Ferner kann der Militärbefehlshaber der Staatsanwaltschaft vorschreiben, welche Anträge sie in der mündlichen Verhandlung zu stellen hat. Er kann auch den Beamten der Staatsanwaltschaft auswählen, der die Klage in der mündlichen Verhandlung vertritt. Auch die gesamte Strafvollstreckung unterliegt dem Übergang der vollziehenden Gewalt. Sie ist nach § 483 StrPO. der Staatsanwaltschaft übertragen. Dem Gericht sind nur vereinzelte Entscheidungen geblieben (§§ 493, 494 StrPO.), die unter den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit fallen. Soweit aber die Staatsanwaltschaft zuständig ist, treten im ganzen Umfange die Wirkungen des Übergangs der vollziehenden Gewalt ein.10 Die Anweisungen, die der Militärbefehlshaber dem Staatsanwalt in der Strafvollstreckung erteilt, können sich namentlich auf den Strafaufschub und seine Handhabung beziehen. In den meisten Bundesstaaten ist gemäß § 483 StrPO. in Schöffensachen die Vollstreckung dem Amtsrichter übertragen. Auch diese Vollstreckungstätigkeit des Amtsrichters unterliegt dem Übergang der vollziehenden Gewalt. Denn der Amtsrichter handelt hier nicht als richterlicher Beamter, sondern als Organ der Staatsanwaltschaft, die die eigentliche Vollstreckungsbehörde bleibt. Seine Funktionen werden dem Amtsrichter, nach § 483 Abs. 3 StrPO., durch Anordnung der Justizverwaltung übertragen; er besorgt Geschäfte, die, wenn sie ihm nicht von der Landesjustizverwaltung übertragen werden, von der Staatsanwaltschaft übernommen werden müßten. Er ist infolgedes10 Das folgt daraus, daß die gesamte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft unter die vollziehende Gewalt im Sinne des § 4 fällt und für die Frage nach dem Umfang des Überganges der vollziehenden Gewalt nur formal die Kompetenz, nicht aber die innere Natur der in Frage stehenden Tätigkeit maßgebend ist. Daß die Strafvollstreckung ihrer Natur nach richterliche Tätigkeit ist, soll damit nicht bestritten werden (vgl. Goldschmidt a. a. O. S. 110, Lukas a. a. O. S. 233).
Die Einwirkungen des Kriegszustandes auf das strafprozessuale Verfahren163
sen auch der Justizverwaltung unterstellt, in seiner Vollstreckungstätigkeit von den Instruktionen der Justizverwaltung abhängig und Beschwerden, die seine Tätigkeit betreffen, gehen an die Aufsichtsbehörde.11 Seine Tätigkeit ist also keine richterliche, wie die des Untersuchungsrichters, sondern die einer Verwaltungsbehörde. Hier wäre demnach der Fall gegeben, daß ein richterlicher Beamter den Anweisungen des Militärbefehlshabers Folge zu leisten hat. – Damit sind die Einwirkungen des Übergangs der vollziehenden Gewalt auf das Strafverfahren erschöpft. Auch hier hat sich die richterliche Tätigkeit innerhalb des Strafverfahrens von der Tätigkeit anderer Behörden abgehoben. Mag der Militärbefehlshaber nach Aufhebung von Verfassungsbestimmungen vorgehen oder mag er auf Grund des Übergangs der vollziehenden Gewalt eingreifen, immer findet seine Einwirkung ihre Grenzen an der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt. Das ist für die Konstruktion des Strafprozesses von besonderem Interesse. Wenn es sich bei jedem Strafverfahren um die Durchführung des staatlichen Strafanspruchs handelt, um das aus dem materiellen Strafrecht entspringende jus puniendi des Staates, so hat dieser Anspruch eine Besonderheit gegenüber dem privatrechtlichen Anspruch: er kann nur durch urteilsmäßige Feststellung befriedigt werden; ohne richterliches Urteil ist eine Bestrafung und auch eine Strafvollstreckung grundsätzlich ausgeschlossen. Andererseits konsumiert das richterliche Strafurteil den in Frage stehenden Strafanspruch; darauf beruht die Wirkung des Satzes ne bis in idem im Strafprozeßrecht. Nur durch Ausübung der Strafgerichtsbarkeit kann daher über den Strafanspruch des Staates verfügt werden. An diese Besonderheit des staatlichen jus puniendi wird weder durch die Suspendierung von Verfassungsbestimmungen noch durch den Übergang der vollziehenden Gewalt etwas geändert. Der Militärbefehlshaber hat bei der Suspendierung von Verfassungsbestimmungen die Möglichkeit, die Durchführung eines Strafanspruchs zu beschleunigen, aber er kann nicht bewirken, daß eine Strafe ohne gerichtliches Verfahren verhängt wird, er kann nicht strafen. Der Militärbefehlshaber hat es ferner in der Hand, durch Anweisungen an den Staatsanwalt die Erhebung der Klage zu verhindern. Damit ist zwar die Ausübung des Strafklagerechts gehindert und wegen des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft, auch die Ausübung der strafrichterlichen Gewalt hintangehalten. Gleichzeitig ist aber auch die spezifische Wirkung der strafrechtlichen Verurteilung, die Konsummation des materiellen Strafanspruchs hintangehalten, d. h. praktisch, die Wirkung des Satzes ne bis in idem tritt nicht ein und eine spätere Klageerhebung und 11 Allerdings nicht an die staatsanwaltschaftliche, sondern die richterliche Aufsichtsbehörde. Vgl. in Strfs. Bd. 21 S. 428; Bd. 31 S. 78; Stein, Grenzen und Beziehungen zwischen Justiz und Verwaltung, Tübingen 1912, S. 54 / 55.
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strafrichterliche Verurteilung ist immer noch rechtlich möglich. Selbst den Eintritt der Verjährung könnte der Militärbefehlshaber nicht ausschließen, da die Verjährung nur durch eine richterliche Tätigkeit unterbrochen wird (§ 68 StrGB.). Der Militärbefehlshaber hat also auch nicht die Möglichkeit, eine strafrechtliche Verurteilung dauernd auszuschließen. Er kann trotz seiner weitgehenden Befugnisse nicht über den Strafanspruch des Staates verfügen, sondern nur dessen Durchführung fördern oder hemmen.
Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems* Einer der ersten und eifrigsten Bekämpfer des Glaubens an die Allwissenheit und Allmacht des positiven Gesetzes, Erich Jung, hat nunmehr eine ausführliche Darstellung seiner methodologischen Anschauungen über das natürliche Recht gegeben1. Der Ausgangspunkt seiner Argumente, die eigentliche rechtsphilosophische Fundamentierung des Systems, übernimmt Jung in offenem Bekenntnis von Schopenhauer, auf den er auch schon früher wiederholt als seinen philosophischen Richtpunkt hingewiesen hatte. Die Rechtsphilosophie Schopenhauers, deren Gegensatz zu jeder evolutionistischen, vor allem aber einer biologistischen Auffassung des Rechtes bekannt ist, soll aus Anlaß dieses erneuten Versuches ihrer Verwertung auf ihre Voraussetzungen geprüft werden, nicht um durch ihre Widerlegung eine entwicklungsgeschichtliche Auffassung des Rechts zu beweisen, sondern um ihre Brauchbarkeit als Grundlage eines rechtsphilosophischen Systems zu ermitteln. Die grundlegende Frage aller Rechtsphilosophie ist die nach dem Recht; nicht nach einer Worterklärung, die nur eine kurze Zusammenfassung dessen enthielte, was die landläufige Terminologie unter diesem Wort zusammenfaßt, nicht also die Frage, die mit der Kompendien-Erklärung beantwortet ist, daß das objektive Recht ein Inbegriff von Regeln menschlichen Zusammenlebens sei, sondern die Frage nach dem Wesen des Rechts. Dadurch ist das Problem bereits aus der Sphäre einer mit den Mitteln der Statistik oder natur- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen arbeitenden Behandlung herausgehoben. Aus dem Wesen des Rechts müssen sich seine Begründung und sein Sinn ergeben, ebenso wie die Bewertung der im Rechtsleben auftretenden Erscheinungen, die Grundsätze der Zusammenfassung eines Zeitraumes der Rechtsgeschichte zu einer Epoche, das Werturteil über eine einzelne solcher Epochen des Rechts und den Gang ihrer Aufeinanderfolge, die Entwicklung zu nennen, man erst nach einer Einigung über das Wesen des Rechts die wissenschaftliche Befugnis hat. Wenn aber Schopenhauer das Wesen des Rechts negativ bestimmt als Verneinung des Un* Monatsschrift
31.
1 Das
für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, 10 (1913), S. 27–
Problem des natürlichen Rechts, Leipzig 1912.
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Schopenhauers Rechtsphilosophie
rechts, so muß das bei richtiger Würdigung der Bedeutung des Problems von vornherein Bedenken erregen. Denn in einer solchen Definition liegt der Ausdruck der allgemeinen Überzeugung, daß überhaupt alles Positive die Verneinung eines Negativen sei, daß dieses Negative das eigentliche Wesen ausmache und nicht bloß die notwendige sprachliche Umschreibung oder eine durch den Gang der Darstellung, die bei dem Unrecht als dem am leichtesten zu erklärenden anfängt, determinierte Formulierung bedeute. Eine solche Definition fügt sich dem System der Philosophie Schopenhauers in großartiger Architektonik ein. Aber durch sie wird das Wesen des Rechts nicht erklärt, sondern verneint. Es bedarf daher einer genauen Prüfung ihrer eigenen Voraussetzungen, ehe sie zur Grundlage eines rechtsphilosophischen Systems gemacht wird, und erst recht da, wo ein aktueller Methodenstreit auf dieser Grundlage geklärt werden soll. Wenn das Recht verneintes Unrecht ist, so wird die Definition des Unrechts wohl Aufschluß über das Recht geben. Nach Schopenhauer besteht nun das Unrecht darin, daß das Individuum den eigenen Willen, der sich in seinem Leibe objektiviert, bis zur Verneinung des anderen Willens in einem anderen Individuum bejaht. Alles Unrecht muß demnach Unrecht gegen einzelne Individuen sein, es gibt streng genommen kein Unrecht gegen den Staat oder eine Gesamtheit, und das ,,Recht“ des Staates, zu strafen, bedeutet weiter nichts als das einer großen Menge einzelner Individuen, ihrer Verneinung zu begegnen, während im Grunde alles Recht auf dem einzelnen Individuum beruht. Es handelt sich also immer um den individuellen Willen, nicht um den allgemeinen Willen, der allem Leben und aller Erscheinung wesentlich ist. Die Ausdrücke Bejahung und Verneinung des individuellen Willens setzen selbständige Individualitäten voraus, die als solche sich gegen eine Verneinung verteidigen dürfen, und deren Wert somit in ihrer Individualität besteht. Für das Recht kommt demnach eigentlich nicht der Wille in Betracht, sondern die Individualität, die für sich ein Recht auf Existenz und Nichtverneinung gegenüber dem andern hat. Damit entfällt aber die Konstruktion aus dem ,,Willen“, auf die Schopenhauer so viel Wert legt. Sie läßt es unerklärt, woher das Recht des Individuums auf Nichtverneinung durch ein anderes Individuum stammt, warum eine solche Verneinung des Einzelwillens als solchen Unrecht sein soll. Ist die Bejahung des eigenen Willens, die zur Verneinung des fremden Willens übergeht, Unrecht, so ist sie innerhalb der Grenze, binnen deren sie nicht bis zur Verneinung geht, kein Unrecht; die Bejahung des eigenen Willens gegenüber einer Verneinung dagegen ist Recht. Die Definitionen des Rechts und des Unrechts setzen zwei gleichartige Willen voraus, die nebeneinander existieren und von denen jeder eine durch den andern erfolgende Verneinung verneinen darf. Der Grund dafür, daß er das darf, wird in der Nichtberechtigung der ersten Verneinung gefunden, und für deren Nichtberechtigung wieder wird
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weiter kein Grund angegeben als der, daß man sich nur bis zu einer gewissen Grenze bejahen darf, jenseits deren das Unrecht beginnt. Hier zeigt sich, wie dem Philosophen das, was eigentlich das Unrecht oder Recht ausmacht, entschlüpft, um durch die Worte Bejahung und Verneinung ersetzt zu werden, die gänzlich leer sind, solange sie nicht durch eine Angabe darüber, wann die Bejahung berechtigt und wann die Verneinung unberechtigt ist, einen Inhalt bekommen. Die Definition, die Schopenhauer vom Unrecht gibt, läuft mit andern Worten darauf hinaus, daß Unrecht das ist, was man sich berechtigterweise nicht gefallen zu lassen braucht. Es ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, wo die Grenze zwischen Bejahung und Verneinung ist. Denn durch die bloße Tatsache meiner körperlichen Existenz verneine ich jedes andere Individuum. Durch die bloße Tatsache der Undurchdringlichkeit meines materiellen Körpers z. B. verhindere ich, daß ein anderer da ist, wo ich bin. Warum das keine Verneinung im Sinne des Rechts ist, müßte sich aus der Begründung, die dem Recht, bezw. dem Unrecht gegeben wird, folgern lassen. Bedeuten die Worte Bejahung und Verneinung in der Sphäre des Rechts etwas Spezifisches, ist der individuelle Wille, der ein Recht auf Nichtverneinung hat, eine rechtliche Konstruktion, so entfällt die Konstruktion Schopenhauers und wird, wo es sich um ihre selbständige Verwertung in einem rechtsphilosophischen System außerhalb des philosophischen Systems Schopenhauers handelt, eine leere Umschreibung der elementaren Fragen, die den Ausgangspunkt des Problems der Rechtsphilosophie bilden. Mit der Proklamierung des Unrechts als des primären Begriffes und der Ableitung des Rechts aus ihm als seiner Negation ist daher kein Fortschritt in der Erkenntnis gemacht. Im Begriffe des Unrechts liegt gerade so gut die Norm wie in dem des Rechts, und die Worte Bejahung und Verneinung enthalten die normativen Elemente bereits in sich, um deren Begründung sich alles dreht, deren Aufpflanzung als Ausgangspunkte aber weiter nichts bedeutet, wie die Erschleichung der zu beweisenden Prämisse. Für Schopenhauer wird das Recht nicht zu einem nihil privativum, einem Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes. Denn das Recht ist nicht ohne weiteres da, wo kein Unrecht ist, sondern das Recht entsteht erst durch eine Verneinung des Unrechts, also den positiven Akt der Negation. Alles Recht ist seinem Wesen nach Notwehr. Bei genauerer Betrachtung erscheint daher das Recht als etwas durchaus Positives, dem nur eine auf die Verneinung Bezug nehmende Formulierung gegeben ist. Die ausdrückliche Negation des Unrechts setzt einen Akt der Notwehr, eine Stellungnahme voraus, und gerade die ist es, die der Bewertung ,,Recht“ unterzogen wird. Gerade in ihr liegt das Wesentliche des Rechts. Analysiert man Schopenhauers Ausführungen näher, so wird man finden, daß er selbst die Wendungen „Recht“ „mit mehr Recht“ usw. auch da gebraucht, wo sie nichts mit einer Verneinung des Unrechts zu tun haben. So
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Schopenhauers Rechtsphilosophie
soll durch Arbeit, durch „Formation“ ein „Recht“ an Sachen begründet werden. Das soll aber, wie weiter ausgeführt wird, nur dann möglich sein, wenn andere „Rechte“ nicht verletzt werden. Gegenüber der Theorie des Präokkupationsrechtes wird geltend gemacht, der neue Ankömmling könne demjenigen gegenüber, der sich auf das Präokkupationsrecht stützt, „mit viel besserem Rechte“ entgegenhalten: eben weil der andere schon so lange genossen habe, sei es recht, daß nun auch er einmal an die Reihe komme. Alle diese Argumente, die oft ein zweideutiges Spiel mit dem Worte Recht treiben, weisen nichts mehr von dem Recht als Verneinung des Unrechts auf. In ihnen läßt sich selbstverständlich, wie in jeder Position, das Wort „Recht“ so formulieren, daß es als verneinte Negation erscheint, aber der Erkenntniswert der Definition aus der Negation steht in Frage und ist in diesen Fällen völlig illusorisch. Die Verneinung des fremden Willens ist Unrecht. Alles Unrecht, das entweder Gewalt oder List ist, soll darin bestehen, daß ein fremdes Individuum gezwungen wird, meinem statt seinem eigenen Willen zu dienen. Daraus müßte sich für Schopenhauer die Konsequenz ergeben, das Individuum als selbständiges Subjekt einzuführen und von jedem gemeinsamen überindividuellen Willen, soweit das Recht in Frage steht, abzusehen. Wenn nun der Staat als Gemeinschaft den einzelnen zur Verantwortung zieht, wenn er soweit geht, daß er eine Hinrichtung vornimmt, – ,,mit vollem Recht“ sagt Schopenhauer –, so fragt sich, wie dieses volle Recht zu begründen sei. Streng genommen hat nur der das Recht zur Verneinung der Verneinung, dessen Wille im konkreten Falle verneint ist. Bei Mord wäre das der Getötete. Der Wille zum Leben ist bei den übrigen Menschen in diesem Falle nicht verneint; höchstens ließe sich sagen, zwar nicht der Wille zum Leben direkt, aber doch in anderer Weise, der Wille zur Sicherheit und Ungefährdetheit, und als Verneinung dieser Verneinung erscheine dann die Hinrichtung, nicht als Verneinung der Verneinung des Willens zum Leben, der in dem Getöteten herrschte. Bei dieser Konstruktion muß jedoch jeder einzelne, der gefährdet ist, das Recht zur Hinrichtung haben. Soll es der Staat im Gegensatz zu den einzelnen Individuen haben, so ist für ihn ein neuer, von dem Einzelwillen spezifisch verschiedener Wille nötig, der zwar leicht ,,konstruiert“ werden kann, den zu begründen aber nicht leicht ist. Nähme jemand an, die Verwandten des Getöteten hätten ein Racherecht, so könnte er ja auch einfach eine Konstruktion aufstellen, die dahin ginge, daß auch der Wille der Verwandten als solcher an jeder Verletzung des Willens einer Person verletzt sei, und eine Art Familienwille bestände, der einer Familiensubstanz entspräche. Das wäre offenbar keine Begründung. Die Tautologie liegt in all diesen Erklärungen auf der Hand, ebenso wie in der Argumentation Schopenhauers, daß Verträge deshalb bindend seien, weil ihre Verletzung die Bejahung des eigenen Willens bis zur Verneinung des frem-
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den und dessen Unterwerfung durch List bedeute. Es wird hier keine Begründung gegeben, sondern nur eine Übersetzung der unverändert übernommenen rechtlichen Grundanschauungen, die gerade der Begründung bedürfen, in die Terminologie eines philosophischen Systems, wie das so oft bei Philosophen vorkommt. Darum gelangt aber auch Schopenhauer namentlich nicht zu einer Erklärung des Staates, der für ihn in einer Nützlichkeitsinstitution aufgeht, der „mit vollem Rechte“ hinrichten darf, wo doch niemand die Befugnis haben soll, sich zum moralischen Richter aufzuwerfen und dessen Recht in nichts anderem begründet wäre, wie in einer utilitaristischen Erwägung. Die Unmöglichkeit einer solchen Begründung der Autorität des Staates konnte einem Philosophen wie Schopenhauer nicht entgehen. Aber in der Folge davon ergab sich für ihn eine handgreifliche Inkonsequenz. Er setzt nämlich auseinander: „Denn die öffentliche Sicherheit, der Hauptzweck des Staates ist durch ihn (den Verbrecher) gestört, ja sie ist aufgehoben, wenn das Gesetz unerfüllt bleibt; er, sein Leben, seine Person, müssen jetzt das Mittel zur Erfüllung des Gesetzes und dadurch zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit sein und werden zu solchen gemacht mit allem Recht zur Vollziehung des Staatsvertrages, der auch von ihm, insofern er Staatsbürger war, eingegangen war.“ Es liegt danach nicht in der öffentlichen Sicherheit, sondern in einem Vertrage der Grund für die Rechtmäßigkeit der Strafe, und das ist eine Konstruktion, deren Heterogenität gegenüber der Deduktion aus den Erwägungen der Nützlichkeit und öffentlichen Sicherheit augenscheinlich ist, zu der sich der Philosoph aber unvermerkt verstehen mußte, obwohl ihm im übrigen alles Recht und aller Staat nur eine Frage des praktischen Bedürfnisses gewesen zu sein scheint. Ganz folgerichtig tritt denn auch sein Ideal des Staates als etwas „dem Schlaraffenlande sich annäherndes“ auf. Daran ist der Wert seiner Rechts- und Staatsphilosophie zu ermessen. Denn eine Institution mit diesem Ziel und diesem Effekt müßte jedem Philosophen und gerade Schopenhauer als etwas Verächtliches, von jeder moralischen Dignität Entblößtes erscheinen. Ein solches Ideal konnte sich aber nur aus den Nützlichkeits- und Sicherheitserwägungen ergeben, die er für die Strafe und das Recht des Staates zu strafen, vorträgt. Der Vorwurf und der Einwand, die gegen dieses Ideal eines Staates sprechen, treffen daher in genau derselben Weise die Gründe, aus denen der Staat und seine Rechte abgeleitet werden, und damit diesen Staat und dieses Recht selbst. Als Nützlichkeitsinstitutionen haben sie keine Begründung, sondern nur eine den rein tatsächlichen Grund angebende Erklärung. Alle diese Einwände sind mit dem Respekt vorgetragen zu denken, den jeder einem Mann wie Schopenhauer schuldig ist. Aber so imposant die fast gewalttätige Kraft der „Formation“ ist, mit der rechtsphilosophische Inhalte
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Schopenhauers Rechtsphilosophie
von ihm seinem großartigen System eingefügt sind, so bedeuten sie in diesem System doch nur ein beiläufiges, stilisiertes Ornament, das außerhalb dieses Zusammenhanges seinen Wert und seine Verwertbarkeit verliert. Die eingangs erwähnte Frage, ob die Rechtsphilosophie Schopenhauers als Grundlage eines rechtsphilosophischen Systems übernommen werden könne, ist also zu verneinen2.
2 Auch Jung ist ihr nur in dem, was er als seine Ausgangspunkte angibt, gefolgt. Im Verlauf seiner Darstellung fließen immer neue Argumente ein, und endlich erscheint (S. 118) die Kultur als Grund und Ziel des Rechts, ein Begriff mit dem, wie Jung ihn gebraucht, Schopenhauer sicher nicht einverstanden gewesen wäre.
Juristische Fiktionen* Es wird als eine Eigenart der modernen Rechtswissenschaften bezeichnet werden können, daß sie den sog. Hilfswissenschaften, vor allem Nationalökonomie, Soziologie und Psychologie, mit vollem Bewußtsein eine ständig steigende Bedeutung beimißt, so daß diesen Hilfswissenschaften gegenüber die sich ihrer bedienende Jurisprudenz auf einzelnen Gebieten beinahe ein imaginärer Punkt zu werden scheint. Die Mittel der bisherigen Auslegungslehre: extensive und intensive Interpretation, Argumente e contrario und Analogie, haben in den letzten Jahren öfters eine vernichtende Kritik erfahren und an Überzeugungskraft eingebüßt. Im Verlauf dieses „Kampfes um die Rechtswissenschaft“ ist auf beiden Seiten ein Kunstgriff menschlichen Denkens, der in der Jurisprudenz eine technisch vollkommene Ausbildung erhalten hat, die Fiktion, verkannt und mißverstanden worden. Daher erscheint gerade zur rechten Zeit das Werk eines Philosophen, das die Bedeutung der Fiktion nicht bloß für Logik und Erkenntnistheorie, sondern auch für die Methode der praktischen Wissenschaft in erstaunlicher Vielseitigkeit behandelt und sich in einigen Kapiteln ex professo mit der Jurisprudenz beschäftigt, wodurch es nicht nur „prinzipielle“ (daraus macht man sich heute nicht sehr viel), sondern auch unmittelbare Bedeutung für uns erhält. Gemeint ist „Die Philosophie des Als ob“ von H. Vaihinger (Berlin 1911). Das Wort Fiktion scheint beinahe gleichbedeutend mit lügenhafter Erfindung geworden zu sein. Es wird meist als Vorwurf gebraucht, und nicht bloß in Schriftsätzen der Rechtsanwälte bedeutet es immer mehr einen willkommenen Euphemismus. Jedenfalls sieht man in dem Nachweise, daß einer juristischen Konstruktion die Voraussetzung von etwas nur Gedachtem zugrunde liegt, an sich schon eine Widerlegung. Es wird z. B. nicht viele Juristen geben, die nicht folgendes Argument von Brinz gegen Savignys Erklärung der juristischen Persönlichkeit als Fiktion für „einfach schlagend“ hielten. Auch mir, wie dem ganzen Auditorium, erschien es so, als Hellwig es in seiner Vorlesung vortrug: jemand möchte seinen Hut dort an der Wand aufhängen; aber es ist kein Haken da. Was tut Savigny? Er fingiert einen Haken und hängt seinen Hut daran. Dies Argument, das in der Lehre von der juristischen Persönlichkeit in irgendeiner Form eine ausschlaggebende Rolle spielt, das aber in Wahrheit nichts enthält als etwas, das Savigny wohl * Deutsche
Juristen-Zeitung 18 (1913), Sp. 804–806.
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kaum entgangen sein kann, nämlich den Hinweis darauf, daß etwas Fingiertes nichts Reales, nichts Greifbares ist – ein solches Argument verkennt das, worauf alles ankommt: nämlich nicht auf die Wirklichkeit von etwas Gedachtem, sondern auf die praktische Verwertbarkeit der Fiktion für Wissenschaft und Rechtspraxis. Die Fiktion ist ein Kunstgriff, ein Weg, den die Menschheit in allen Wissenschaften tausendmal beschreitet, um durch falsche Annahmen zum richtigen Ziel zukommen, eine Methode, die vor allem in der Mathematik und den Naturwissenschaften ihren Wert und ihre Berechtigung längst gezeigt hat. Es ist also kein Zeichen von „Exaktheit“, wenn man unbesehen jede Fiktion zurückweist; man schadet dadurch nur sich selber. Das Rechtsleben verdankt zahllose Fortschritte der Fiktion. Selbst die Auswüchse, die sich bei übertriebener Anwendung z. B. in England1 ergeben haben, beweisen nichts für eine wissenschaftliche Unrichtigkeit, sondern zeigen, daß es sich darum handelt, die Fiktion in den richtigen Grenzen zu halten. Das ist für den Juristen das wichtigste an Vaihingers Werk: es legt dar, daß die Fiktion an sich nichts Verwerfliches ist. Grund und Grenze der Berechtigung einer Fiktion liegen nicht in ihrer Annäherung an die Wirklichkeit, sondern in dem Nutzen, den sie für das Erkennen hat. Es gibt keine Wissenschaft, die ihrer entbehren könnte, aber Jurisprudenz und Mathematik (die übrigens von Vaihinger durchaus nicht in der bei Nichtjuristen beliebten Weise unterschiedslos nebeneinander gestellt werden) haben die Fiktion in reinster Form herausgebildet. Die Fiktion ist eine bewußt willkürliche oder falsche Annahme, die trotzdem die Erkenntnis fördert und wertvolle Resultate liefern kann. Aber noch ein weiteres Ergebnis des Vaihingerschen Buches ist von aktuellem Interesse für den Juristen. Als grundsätzlich maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes, als entscheidend für die Richtigkeit einer richterlichen Entscheidung wird heute ziemlich allgemein der Wille des Gesetzes betrachtet. Nun beruft man sich auch bei extensiver Interpretation, selbst bei analoger Anwendung, auf den Willen des Gesetzes, bekräftigt das Resultat der Auslegung mit den Worten: Das ist der wahre Wille des Gesetzes. Augenscheinlich handelt es sich dabei nicht mehr um das, was man als den im Gesetz enthaltenen Willen bezeichnen kann, der in unveränderlicher Bestimmtheit dem Juristen auferlegt ist. Es sei nur an die Ausbildung, wie sie der § 826 BGB. in der Praxis erfahren hat, erinnert, um zu beweisen, daß hier die Berufung auf den Willen des Gesetzes etwas Besonderes bedeutet. Die Methode ist die: man betrachtet das Ergebnis der Auslegung, als ob es der Wille des Gesetzes wäre. Dabei ergibt sich allerdings die Tendenz, das Gedachte als Realität zu behandeln. Dadurch, daß man eine willkürliche 1 Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht im Handb. des öffentl. Rechts IV. II. 4. 1. § 16, wo der hohe Wert der Fiktionen ausdrücklich betont wird.
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und falsche Annahme macht, um Wirklichkeiten zu berechnen, zugleich aber sich dieser Willkürlichkeit stets bewußt bleiben muß, entsteht ein „unangenehmer Spannungszustand“ der Seele, den man zu beseitigen sucht, indem man dem Gedachten Realität zuschreibt. „So wird die Fiktion einfach Dogma, das Als ob wird zum Weil“ (S. 222), und damit fällt auf die juristische Methodenlehre und zahlreiche einzelne Kontroversen ein ganz neues Licht.2 Es muss hier bei diesen Andeutungen sein Bewenden haben. Aber sie werden genügen, um davon zu überzeugen, daß Vaihingers Buch für die Rechtsgeschichte, die Dogmatik wie die Methodenlehre eine Fülle von Anregungen enthält und vielleicht der ganzen Diskussion um Rechtswissenschaft und Rechtspraxis eine neue Wendung gibt. Die Jurisprudenz kann das um so williger annehmen, als es sich nicht um die Zuführung von fremden Elementen handelt, nicht einmal um eine neue Hilfswissenschaft, sondern um eine Methode, die ihr mit anderen Wissenschaften gemein ist, und die den neuen Weg für ein Zusammenarbeiten von Theorie und Praxis zeigt.
2 In größerem Zusammenhange finden sich Ausführungen darüber in meinem kürzlich erschienenen Buche: „Gesetz und Urteil“. Berlin, Otto Liebmann. 1912. S. 26, 37.
Rechtsbegriff und Rechtsidee* Rezension zu Julius Binder, Rechtsbegriff und Rechtsidee. Bemerkungen zur Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers Die Bemerkungen Binders knüpfen an Stammlers 1911 erschienene „Theorie der Rechtswissenschaft“, die letzte und anscheinend abschließende Zusammenfassung der Rechtsphilosophie Stammlers, an und begleiten die Darlegungen dieses Werkes mit Fragen, Erläuterungen und Gegenargumenten vom ersten bis zum letzten Kapitel. Das Ergebnis der Binderschen Kritik ist: bei aller Anerkennung der ungewöhnlichen Bedeutung die Stammler schon durch seine Problemstellung hat, muß sein Unternehmen doch „mit Bedauern als gescheitert“ betrachtet werden (S. 316). Fast alle wichtigen Argumente und Resultate Stammlers werden abgelehnt. Dazu kommt, daß die Klagen über die Mißverständlichkeit, Unklarheit und Dunkelheit von Stammlers Ausdrucksweise und über seine willkürliche und inkonsequente Terminologie das Buch von Anfang bis zu Ende durchziehen.1 Trotzdem kann es aber nicht als „Anti-Stammler“ signalisiert werden. Denn B. lehnt nicht prinzipiell die Methode ab, der Stammler zu folgen vorgibt, er bestreitet nur, daß Stammler ihr gefolgt ist; er setzt ausdrücklich voraus, daß die Grundlage jeder fruchtbaren Kritik der gemeinsame Ausgangspunkt ist, den er mit Stammler hat, nämlich die Kantsche Transzendentalphilosophie mit ihrem Gegensatz von reiner, apriorisch bedingender Form und dem der Empirie angehörenden bedingten Stoff, welcher Ausgangspunkt beide, Binder wie Stammler, in Gegensatz sowohl zu dem rein empirischen Positivismus etwa Bergbohms, wie auch zu Hegelschen Rechtsmetaphysik stellt. Wenn Binder außer dieser Erkenntnistheorie noch „die Begründung der Ethik aus dem Gesichtspunkt der persönlichen Freiheit“ als zweiten gemeinsamen Ausgangspunkt hinstellt (S. 3), so tritt dieser Gesichtspunkt zwar mehr zurück, ist aber ebenfalls von prinzipiellem Interesse und soll weiter unten besonders erörtert werden. * Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 17 (1916), 3, S. 431–440. 1 Es ist interessant, diesen Klagen im einzelnen nachzugehen (vgl. S. 24, 27, 31 Anm., 40, 47, 52, 56, 81, 92, 94, 114, 144, 151 Anm., 160, 165, 173 Anm., 192, 199, 201, 207, 211, 232, 234 / 6, 237–241, 254, 256, 268, 287, 308). Der Vorwurf verwirrender Mißverständlichkeit, der schon oft gegen Stammler erhoben wurde (vgl. z. B. M. Weber im Arch. f. Sozialw. Neue Folge Bd. VI S. 94 f., Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912 S. 54 Anm.) ist noch niemals so substanziiert erschienen.
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Stammler beginnt mit seinem „reinen Rechtsbegriff“ („das Recht ist ein unverletzbares, selbstherrliches, verbindendes Wollen“), der, unabhängig von jeder Erfahrung und frei von empirischen Inhalten, also formal im Sinne der transzendentalen Erkenntnistheorie, die Erkenntnis „Recht“ überhaupt erst möglich macht. Stammler gewinnt diesen entscheidenden Begriff angeblich deduktiv, durch „kritisches Selbstbesinnen“, vom Wollen (im Gegensatz zum Wahrnehmen) als dem allgemeinsten Begriff ausgehend und die speziellen Elemente (verbindendes, selbstherrliches, unverletzbares) der Reihe nach hinzufügend. Hier erhebt B. seinen ersten Einwand: Der reine Rechtsbegriff Stammlers ist nicht durch kritische Analyse, sondern durch generalisierende Abstraktion aus bloß empirischen Rechtserfahrungen zustandegekommen; er ist der oberste und letzte Allgemeinbegriff der empirischen Rechtswelt, der durch immer weitere Abstraktionen, also induktiv, nicht deduktiv gewonnen wurde; das ist methodisch falsch, denn auf diesem Wege ergibt sich kein reiner Begriff (S. 18, 142). Der Fehler in der logischen Struktur kehrt bei Stammler immer wieder: in den Erörterungen über die „Grundbegriffe“ des Rechts (S. 105); in der Methodik, bei der Darlegung der Bildung juristischer Begriffe (S. 147 / 8) und in der Lehre von der juristischen Konstruktion (153); in der Systematik (S. 160, 162, 164), namentlich darin, daß Stammler neben seinem Begriff des Rechts noch den einer Rechtsordnung einführt, den er selbst für einen empirischen Allgemeinbegriff erklärt, der aber mit seinem Rechtsbegriff zusammenfließt (S. 171 / 2); endlich in den Ausführungen über das überstaatliche Recht, die darauf hinauslaufen, daß der Begriff eines mit einem Rechtsinhalt ausgestatteten überstaatlichen Rechts auftritt, der aber dennoch mit dem rein formalen obersten Rechtsbegriff identifiziert wird (S. 193, 195). Der Rechtsbegriff Stammlers ist aus dem Grunde kein reiner Begriff, weil er durch die Hereinziehung des „Wollens“ und des Zweckes, – trotz aller Proteste Stammlers – in Wahrheit ein empirisch-psychologischer Begriff ist. Die ungeheuerliche Unklarheit des Wortes „Wollen“ liegt ja sofort auf der Hand, wenn man die Frage nach dem Subjekt stellt: Das Subjekt des Wahrnehmens ist für Stammler der einzelne wahrnehmende Mensch, das Subjekt des Wollens aber die Rechtsordnung, der Gesetzgeber, also jedenfalls etwas anderes als der einzelne Mensch. Aber trotz der Unklarheit lässt sich erkennen, daß Stammlers Begriffe des „Wollens“ und des Zweckes empirische Bewußtseinsinhalte betreffen und nicht Elemente des reinen Rechtsbegriffes sein können (S. 26–39). Mit Hilfe dieser Vermengung von rein formalen und empirisch-psychologischen Elementen werden zahlreiche Schwierigkeiten in Stammlers Argumentationen verdeckt oder umgangen. So soll z. B. der formale Rechtsbegriff für Stammler positiv sein, aber was rein formal ist, kann nicht positiv gelten, das Problem wird nicht gelöst, sondern dadurch umgangen, daß diese logische Frage mit der psychologischen Frage
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Rechtsbegriff und Rechtsidee
nach den Kriterien eines faktischen Geltens verquickt wird (S. 65). Auch die vier Kategorien des Rechts, die Stammler aus dem Rechtsbegriff ableitet und die jeden Rechtsinhalt erst logisch bedingen, sind in Wahrheit nicht Kategorien im Kantischen Sinne, sondern aristotelische Kategorien, d. h. oberste Gattungsbegriffe, und das System reiner Rechtsbegriffe, das Stammler damit ausstellt, ist nur ein System abstrakter Rechtsbegriffe, mit anderen Worten eine „allgemeine Rechtslehre“ im gewöhnlichen Sinne des Wortes (S. 88). Die reinen Rechtsbegriffe müssen nach Binder schon deshalb empirische Begriffe sein, weil der vielgestaltige Stoff eines konkreten, historischen Rechts durch sie erfaßt werden soll; es muß, sagt Binder wörtlich „im Rechtsbegriff ein wenn auch noch so abstrakt bezeichnetes Stoffliches enthalten sein, damit er geeignet sei, ein mehr oder weniger Stoffliches in sich zu begreifen“ (S. 90) – ein Argument, das in diesem Wortlaut allerdings den Verdacht nahelegt, Binder denke sich die Kategorien als wirkende Realitäten, die einen Stoff nach Art eines Behälters in sich fassen oder begreifen. – Wird Stammlers reine Rechtslehre von dem Einwand getroffen, daß sie etwas Empirisches wie ein Formallogisches behandelt, so erscheinen in dem Teile der Theorie der Rechtswissenschaft, in denen die normative Funktion des Rechtsbegriffes behandelt wird und die Rechtsidee auftritt, namentlich in dem Kapitel von der „Geschichte des Rechts“, die reinen Begriffe als metaphysische Potenzen mit empirischer Realität und Wirkung (S. 200 / 1). Stammler gibt eine Universalgeschichte des Rechts, was ohne Metaphysik nicht möglich ist. Seine Auffassung, in dem geschichtlichen Prozeß ringe eine Idee nach Verwirklichung und komme der Verwirklichung näher, ist Hegelische Geschichtsmetaphysik, aber keine kritische Geschichtsbetrachtung (S. 301, 309). – Nach dem Ergebnis von Binders Kritik ist demnach selbst dem heißen Bemühen eines Gelehrten wie Stammler das mit den tauglichsten Mitteln begonnene Unternehmen einer reinen Rechtslehre mißlungen. So wächst die Erwartung, auf welche Weise wohl Binder selbst den schmalen Weg des Transzendentalismus einschlagen wird, ohne von ihm nach der Seite einer transzendenten Metaphysik oder nach der eines empirischen Positivismus abzuweichen. Binder geht dabei folgendermaßen vor: Das Einzige, was das formale Element in den als „Recht“ zu bezeichnenden empirischen Vorgängen ausmacht, ist ihre „Beziehung zur Rechtsidee“. Der Stammlerschen Definition des Rechts setzt Binder die andere entgegen: „Alle Einrichtungen, die auf die Rechtsidee zurückgeführt werden können, sind rechtliche Einrichtungen“ (S. 60). In dieser Definition ist die Rechtsidee der apriorischen Norm des Rechts substituiert; Binder definiert also, wenn wir das bereits juristischen Charakter tragende Wort „Einrichtung“ farblos machen, eigentlich so: Alles Tatsächliche, worin die apriorische Norm des
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Rechts funktioniert, ist Recht. Die apriorische Norm ist die Kategorie des Rechts, eine ursprüngliche Funktion des Bewußtseins, durch die wir gewisse Bewußtseinsinhalte als rechtliche erkennen. Die Idee, als vorgestellte vollkommene Übereinstimmung eines Gegenstandes mit seiner Norm, ist selbstverständlich nicht die Norm selbst, aber Binder läßt sie für seine Erörterung an die Stelle der Norm treten, da dies (wegen der vollkommenen Übereinstimmung) unschädlich sei und sich überdies aus praktisch-terminologischen Gründen empfehle (S. 59). Die Rechtsidee hat somit eine doppelte Funktion; eine formallogische, sie konstituiert erst den Begriff des Rechts; und eine normative, sie gibt einen Maßstab für die Beurteilung des Rechts, für die Beantwortung der Frage nach der Richtigkeit des Rechts. Binder zieht die Positivität im faktischen Sinne in den Begriff des Rechts – wobei er außerordentlich interessante und wichtige Darlegungen über den Begriff des positiven Geltens macht –, jedoch gehört diese Geltung durchaus zu den empirischen Elementen des Rechtsbegriffes und ist etwas rein Tatsächliches. Die naheliegende Frage, wann und warum eine faktische Einrichtung auf die Rechtsidee „zurückgeführt“ werden kann, wird nicht vollständig beantwortet. Zwar läßt Binder seinen Zweifel daran, daß er auf dem normwissenschaftlichen Standpunkt Windelband-Rickertscher Richtung steht und jene Zurückführung eine Leistung des philosophischen Betrachters ist.2 Soll aber nur der Standpunkt des Betrachters maßgebend sein, und die rechtliche Norm gleichberechtigt neben der ethischen oder ästhetischen stehen, so erscheint die Aufnahme des historischen Geltens in den Begriff des Rechts seltsam. Wenn man die Koordinierung der rechtlichen mit der ästhetischen Norm benutzen wollte, so wäre danach eine Definition des Schönen denkbar, die dahin lautete, das Schöne sei irgend etwas, das mit der Idee des Schönen in Zusammenhang gebracht werden könne und außerdem tatsächlich einmal vorgekommen ist; der Begriff des Kunstwerkes würde als logisches Element die Tatsache in sich schließen, daß es irgendwo konkrete Bilder oder irgendwo aufgeführte Opern gibt! Die psychologischen Faktoren, auf denen die tatsächliche Geltung des Rechts beruht, setzen überdies bereits mit psychologischer Notwendigkeit von Seiten der Subjekte jener psychologischen Vorgänge eine Beurteilung als „Recht“ voraus; in Binders Definition des Rechts erscheint das Recht also zweimal; es ist etwas, das tatsächlich irgendwo als Recht aufgefaßt wird und außerdem der Rechtsnorm unterliegt. 2 Doch finden sich Wendungen wie „das Recht dient der Rechtsidee“ (S. 250), oder in den historischen Moralgesetzen „wirkt“ die sittliche Norm (S. 62), was auf die Idee als eine wirkende Realität hinzudeuten scheint, und wenn es an anderen Stellen heißt, „alles Recht strebt darauf hin, der Norm zu entsprechen“ oder „Recht ist alles, was um der Rechtsidee willen besteht“ (S. 203), so könnte man meinen, es komme vielleicht auch auf die bewußten oder unbewußten Zwecke der rechtschaffenden Subjekte an.
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Die „konstitutive Bedeutung“ der Rechtsnorm verflüchtigt sich so zu einem leeren Wort. Ihre fundamentale Wirkung wird immer dadurch umschrieben, daß sie das Recht erst möglich mache usw. In der Bezeichnung der einzigen Kategorie des Rechts, der Rechtsnorm, wird das Wort „Recht“ ungeklärt wiederholt. Man kann Stammler manche Einwände machen, aber auf die Frage nach dem Rechtsbegriff gibt er eine Antwort, die immerhin keine Tautologie ist. Binder dagegen definiert immer nur: Recht ist etwas, was erstens etwas Tatsächliches und zweitens etwas der Rechtsnorm Unterstelltes ist. Darin liegt gerade die Bedeutung Stammlers, daß er seine Rechtslehre aus dem Kreisen leerer Umschreibungen heraushebt und die Wirkung seines Rechtsbegriffes bis in die Wissenschaft des positiven Rechts nachzuweisen sucht. Zwar sagt auch Binder: „Diese Realität (des einzelnen Rechtssatzes als Imperativ) verknüpfen wir mit der Rechtsidee, aus ihr bilden wir auf Grund dieser Synthese die Rechtsbegriffe“ (S. 147). Aber das Auffällige an Binders Rechtsidee ist, daß sie nach den mehrfach zitierten Umschreibungen verabschiedet und insbesondere bei der Erörterung der juristischen Verarbeitung des positiven Rechts ausdrücklich ignoriert wird. Binders Bekenntnis zur Kantischen Philosophie und seine Übernahme der Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften hat – im Gegensatz zu der Konsequenz, mit der z. B. Kelsen die Jurisprudenz als normative Wissenschaft den soziologisch-explikativen Wissenschaften gegenüberstellt – keinerlei praktische Bedeutung. Binder behandelt vielmehr das Rechtliche als den konstanten Faktor, der bei der Technik der Begriffsbildung beiseite geschoben werden dürfe (S. 154, vgl. S. 138 / 9, 180, 227, 279); die Auslegung der Rechtssätze soll aus ihrem rein empirischen und praktischen Zweck erfolgen, die Rechtsidee bleibt ganz außer Betracht (S. 250). Die sog. freie Rechtsfindung, die Ausfüllung von Lücken, die Verweisung auf die guten Sitten und auf Treu und Glauben, alles das hat mit der Rechtsidee nichts zu tun, sondern bewegt sich in empirischen Zweckvorstellungen. Auch in der Rechtsgeschichte bleibt die Rechtsidee gleichgültig (S. 283). Wenn Binder davon spricht, die transzendentale Rechtsnorm gewähre die Möglichkeit, „einen Kosmos von Begriffen zu gestalten“ (S. 228), so hat er jedenfalls von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Die Wissenschaft des positiven Rechts – und es gibt ja auch für Binder nur positives Recht – betätigt sich, als wären Rechtsnorm und Rechtsidee nie gewesen. Danach kann nicht mehr anerkannt werden, daß die Kantische Rechtslehre bei Binder die Grundlage seiner Rechtslehre bedeute: sie ist der Vorbau einer positivistischen Rechtslehre geworden. Eine Betrachtung des Schicksals, das der „Idee der persönlichen Freiheit“ – dem zweiten gemeinsamen Ausgangspunkt – widerfährt, läßt ebenfalls eine Abkehr Binders von dem Kantischen Prinzip erkennen. Obwohl das Recht wie die Moral die sittliche
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Freiheit des Menschen voraussetzen (S. 121), wird ein gewaltiger Unterschied anerkannt: nach der sittlichen Idee ist der Einzelne der Träger und Hüter seiner eigenen Persönlichkeit, nach der Idee des Rechts empfängt er seine Persönlichkeit aus den Händen der mit ihm verbundenen Genossen. „Und es ist im Grunde auch in der Idee der Persönlichkeit selbst eine leise Verschiedenheit auf beiden Gebieten zu konstatieren“ (S. 226). Leider bricht Binder gerade in diesem Punkte ab, weil die eingehende Untersuchung, deren diese Frage bedürfe, nicht in dem Rahmen der Erörterung vorgenommen werden könne. Doch sind seine Ausführungen gerade da, wo es sich darum handelt, seine früher geäußerten Ansichten3 in rechtsphilosophische Zusammenhänge zu bringen, von besonderem Interesse. Binder unterscheidet zwischen der Persönlichkeit als Machtbegriff, d. h. dem Rechtssubjekt als dem Träger subjektiver Rechte und der sittlichen Persönlichkeit des Menschen (von der Stammler ausschließlich spricht). Die Verbindung von Recht und Ethik liegt in folgendem: Person im Rechtssinne ist derjenige, den die Rechtsordnung wegen des in ihm liegenden sittlichen Wertes als Selbstzweck anerkennt, also nur der vernünftige Mensch (S. 99). Die sog. juristischen Personen haben dann keine Rechtspersönlichkeit, wohl aber sind sie Rechtssubjekte im Sinne des Machtbegriffes. Der Begriff der Rechtspersönlichkeit soll jedoch kein reiner Begriff sein, wie Stammler meint, sondern immer ein empirischer. Es gibt für Binder keine andere Rechtspersönlichkeit als die innerhalb des positiven Rechts liegende. Die Konsequenz ist die, daß alle Persönlichkeit im Recht ausschließlich auf dem Recht beruht, der sittliche Wert kann höchstens eine (juristisch gar nicht interessierende) „Veranlassung“ der Anerkennung als Persönlichkeit sein. Binder erklärt sogar, daß es nur Ein Rechtssubjekt geben kann: den Staat als Träger der Rechtsordnung; alle anderen sog. Rechtssubjekte sind nur Rechtsobjekte (S. 167 / 8). Namentlich im Zusammenhang mit Binders früheren Ausführungen über „Rechtsnorm und Rechtspflicht“ – wonach die Rechtsnorm zwar Befehl, aber nur Befehl an die Beamten des Staates, also Selbstbindung des Staates ist – liegt darin eine wahrhaft großartige systematische Konsequenz. In der Rechtsordnung haben der einzelne Mensch und seine sittliche Persönlichkeit als Rechtssubjekt nicht mehr und nicht andere Realität oder Wert wie die juristische Person, solange es sich um die aus dem positiven Recht entspringenden Berechtigungen handelt.4 Das gilt 3 Das Problem der juristischen Persönlichkeit, Leipzig 1907 und die Prorektoratsrede „Rechtsnorm und Rechtspflicht“, Leipzig 1912. 4 Laband, Arch. für öffentl. Recht II (1887) S. 160 / 1: „Die Rechtsfähigkeit der Selbstverwaltungskörper hat in der Rechtsordnung eine ebenso reale Existenz wie die Rechtsfähigkeit der Individuen. Auch die letzteren haben die Eigenschaft, Personen, d. h. Rechtssubjekte zu sein, vom Recht, nicht von der Natur, welche überhaupt nicht „Rechtssubjekte“ hervorzubringen vermag. …“ (Das gilt auch dann,
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für Binder um so mehr, als gerade er die methodische Selbständigkeit der Rechtswissenschaft gegenüber der Ethik hervorhebt (S. 224 / 225). Der Satz Binders „das Recht verpflichtet rechtlich zu nichts“ (S. 220, Rechtsnorm und Rechtspflicht, S. 38 / 9), dessen elegante Prägnanz viele als paradox empfinden mögen, enthält eine treffende Formulierung dieser Bedeutungslosigkeit des Einzelnen. Allerdings besteht die von Binder nicht in Erwägung gezogene Möglichkeit einer autonomen Rechtspflicht, deren Subjekt freilich nicht der einzelne Mensch, sondern der Staat wäre,5 aber jener ethische Persönlichkeitsbegriff wird auf jeden Fall wesenlos. So sind für Binder die beiden mit Stammler gemeinsamen Kantischen Grundzüge nicht mehr die Grundlagen seiner Rechtsphilosophie. Auf diese Feststellung muß sich die Kritik seines Werkes beschränken, denn Binder lehnt es ab, den Begriff des Rechts „mit erschöpfender Genauigkeit zu bestimmen“, weil seine Abhandlung in der Hauptsache kritisch sei (S. 91). Jedoch ist das Werk weit mehr als ein kritischer Kommentar zu Stammlers „Theorie der Rechtswissenschaft“. Es tritt den von Stammler aufgeworfenen Problemen von einer soziologisch auf das konkrete Recht orientierten Seite näher, weiß durch eine gedankenreiche und oft glänzende Diskussion das Interesse auch an den abstraktesten Gedankengängen zu erregen und wachzuhalten und bedeutet in der Sache eine wesentliche Klärung und Förderung sowohl der Prinzipien wie zahlreicher Einzelfragen.
wenn man statt „Natur“ Ethik sagt und, wie Binder, von der ethischen Persönlichkeit ausgeht, die vom Recht anerkannt werde.) 5 Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914 (Ende 1913 erschienen) S. 101, 53, 71 [3. korr. Aufl., Berlin 2015, S. 101, 57, 73]; der Staat wird „zum einzigen Träger der juristischen Norm, zu ihrem einzigen Adressanten, zum einzigen im rechtlichen Sinne Verpflichteten.“ „Es gibt eine Autonomie im Recht, aber ihr Träger ist der Staat.“ Über Stammlers Rechtsphilosophie vgl. S. 34, 61–64 [S. 39, 64 – 66].
Editorische Nachbemerkung Die Dissertation von Carl Schmitt erschien in 1. Auflage 1910 in der Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen“, Heft 120, im Verlag der Schlet ter’schen Buchhandlung Breslau. In den meisten Bibliotheken sind die Belegexemplare der Dissertation so aufgebunden, dass nur Teil I incl. einem Lebenslauf des Verfassers vorliegt. Lebenslauf Ich bin geboren am 11. Juli 1888 zu Plettenberg in Westfalen als Sohn des Kaufmanns Johann Schmitt, besuchte das humanistische Gymnasium zu Attendorn in Westfalen, wo ich Ostern 1907 das Zeugnis der Reife erlangte. Darauf studierte ich sechs Semester Jurisprudenz, davon zwei in Berlin, eins in München, drei in Straßburg. Die beiden letzten Semester beschäftigte ich mich vorzugsweise mit strafrechtlichen Studien unter der Leitung des Herrn Professor van Calker. Es sei mir gestattet, ihm an dieser Stelle meinen ehrerbietigen Dank auszusprechen.
1977 erschien im Verlag Keip, Frankfurt / Tokio, ein unautorisierter Nachdruck. Obwohl Carl Schmitt davon erfahren hatte, verzichtete er auf juristische Schritte. In der hier vorliegenden 2. Auflage sind wenige formale Korrekturen aus dem Handexemplar des Autors übernommen, das im Nachlass Carl Schmitt, Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Signatur RW 265 Nr. 28285 vorhanden ist. Zusätzlich sind in diese Ausgabe weitere strafrechtliche und frühe rechtsphilosophische Beiträge von Carl Schmitt aufgenommen worden. Der Betreuer der Dissertation, Fritz van Calker (1864–1957), ord. Professor der Rechte an der Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg, hat sich im Vorwort der 2. Auflage seines Werkes „Grundriß des Strafrechts“, München, Berlin, Leipzig 1916, bei seinem Schüler bedankt: „Herr Privatdozent Dr. Carl Schmitt hat … den vorliegenden Grundriß bei seiner Vorlesung im S.S. 1916 bereits auf seine praktische Brauchbarkeit erprobt; die Erfahrungen, die sich hierbei ergaben, wurden verwertet. Dem lieben Kollegen sei auch an dieser Stelle herzlichen Dank gesagt!“. Auch in der 3. Auflage, München / Berlin / Leipzig 1927 heißt es im Vorwort: „Bei der Herausgabe dieser 3. Auflage ist es mir ein besonderes Bedürfnis, meiner treuen Mit arbeiter aus der Straßburger Zeit Dr. Carl Schmitt, jetzt Professor in Bonn, und Wilhelm [korrekt Fritz] Eisler (gefallen 1916 [korrekt 1914] in Frankreich) in herzlicher Dankbarkeit zu gedenken.“ Berlin, im Mai 2017
Gerd Giesler
Für den wissenschaftlichen Beirat der Carl-Schmitt-Gesellschaft e. V.