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German Pages 569 [475] Year 1966
DEUTSCHE AKADEMIE DER W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N Veröffentlichungen der sprachwissenschaftlichen Kommission 5
BEITRÄGE ZUR SPRACHWISSENSCHAFT, VOLKSKUNDE UND LITERATURFORSCHUNG WOLFGANG
STEINITZ
ZUM 60. G E B U R T S T A G AM 28. F E B R U A R DARGEBRACHT
AKADEMIE-VERLAG 1965
•
BERLIN
1965
Herausgeber des vorliegenden Bandes A. Y. Isacenko, Berlin W. Wissmann, München H. Strobach, Berlin
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3 — 4 Copyright 1965 by Akademie -Verlag GmbH Lizenznummer: 202 - 100/41/65 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2048/5 • ES 7B, 7C, 14G • Preis: MDN 8 2 , -
LIEBER HERR STEINITZ!
M
it der Sprachwissenschaftlichen Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vereinen sich heute viele Ihrer Freunde, Fachgenossen und Schüler, um Ihnen zu Ihrem 60. Geburtstag ihre Glückwünsche darzubringen. die nach dem Worte eines Weltweit wie die Sprachwissenschaft, unserer Großen nur eine einzige ist, die bald hier, bald dort schürft, und wie die Völkerkunde, von der nach Ihrer Auffassung dasselbe gilt, ist der Kreis der Forscher, der sich zusammengefunden hat, um Ihnen zu huldigen. Die Vielfalt der Aufsätze spiegelt die Vielfalt Ihrer Forschungen wider. Voran stehen die Arbeiten zu den Sprachen und der Volkskunde der Finno-Ugrier. Seit Ihrer Dissertation „Der Parallelismus in der finnisch-karelischen Volksdichtung, untersticht an den Liedern des karelischen Sängers Arhippa Perttunen" haben Sie beide nicht mehr losgelassen. Als Sie sich mit dem Ostjakischen beschäftigten, in dessen Erforschung Ihre Arbeiten Epoche machten, da waren die ersten Früchte die Sammlung und Übersetzung ostjakischer Volkslieder und ostjakischer Volksdichtungen und Erzählungen — erst dann die ostjakische Chrestomathie mit grammatischem Abriß. Aber diese Bemühung um d,ie Grammatik des Ostjakischen führte Sie dann zu Ihrer bedeutendsten Erkenntnis, mit der Ihr Name in der Geschichte der Sprachwissenschaft allezeit verbunden bleiben wird, der Lösung der Rätsel, die der finno-ugrische Vokalismus den Forschern aufgegeben hatte: Indem Sie den Lehren der Phonologie folgend konsequent zwischen Phonemen und kombinatorischen Varianten unterschieden, erwies sich Ihnen mit einem Schlage der ostjakische Vokalismus als verblüffend einfach; gleichzeitig erkannten Sie, daß der gesamte finnisch-ugrische Vokalismus aufgehellt werden kann, wenn man vom ostjakischen Vokalsystem ausgeht. Als Sie nach der Niederwerfung des National-Sozialismus nach Berlin kamen, da griffen Sie, wie es Ihrer hilfreichen und tätigen Natur entspricht, da zu, wo es innerhalb Ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten
am nötigsten und wichtigsten war: Sie schrieben ein russisches Lehrbuch für weitere Kreise — Ihr größter publizistischer Erfolg! —, hielten Vorlesungen über die russische Sprache der Gegenwart und verfaßten dafür, für die Unterweisung der Lehrer des Russischen, die Bücher über die russische Konjugation und die russische Lautlehre. Die Klarheit und Systematik, der Blich für das Wesentliche und Entscheidende, der Ihre großen sprachwissenschaftlichen Werke auszeichnet, bewährt sich bei diesen hervorragend pädagogischen Arbeiten aufs glücklichste. Jedem Sprachforscher und jedem Ethnologen müßte es — so sollte man meinen — naheliegen, die wissenschaftliche Methode, die ihn bei der Erforschung fremder Sprachen und Kulturen zu Erfolgen geführt hat, auch einmal an der eigenen Sprache und am eigenen Volk anzuwenden. Was Sie forschend und organisatorisch für die deutsche Volkskunde geleistet haben, wird an anderer Stelle gewürdigt. Hier sei nachdrücklich betont, daß es Ihr Verdienst ist, wenn das Institut für deutsche Sprache und Literatur der Akademie, das aus der alten Deutschen Kommission hervorgegangen ist, eine Abteilung ,Deutsche Sprache der Gegenwart' erhielt. Die Pläne dazu stammen von Ihnen, wichtige Entscheidungen in der Ausführung gehen auf Sie zurück; aber auch, wie unendlich viel Einzelarbeit haben Sie in diese Unternehmungen hineingesteckt! Das dankbare Echo auf alles dies wird Ihnen aus den folgenden Blättern entgegenklingen. Nicht oder nur ganz leise werden Sie vernehmen können den Dank für die Lauterkeit Ihres Wesens und für die Güte und Hilfsbereitschaft, die Sie so oft bewiesen haben. Mögen Sie der Wissenschaft, Ihren Freunden und der Akademie lange forschend und lehrend, leitend und helfend, gesund und tätig erhalten bleiben! Ihr W. Wissmann
Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
zusammengestellt von H A N S - J O A C H I M
SCHÄDLICH
und einem Mitarbeiterkreis
Die in Buchform erschienenen Arbeiten sind mit * nach der laufenden Nr. gekennzeichnet. Rezensionen sind durch [R] bezeichnet. Bei der Aufnahme von Rezensionen über Arbeiten von W. Steinitz wurde keine Vollständigkeit angestrebt. Rezensionen über verschiedene Auflagen des Russischen Lehrbuches finden sich unter der 1. deutschsprachigen Auflage (Stockholm 1945), Rezensionen über die beiden Auflagen der Deutschen Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. I, finden sich unter der 1. Auflage (Berlin 1954); Rezensionen über das Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache finden sich unter der 1.—3. Lieferung (Berlin 1961). Ein erstes Verzeichnis von Veröffentlichungen W. Steinitz' für die Jahre 1925 — 1955 ist im DJbfVk 2, 1956, S. 235—237 erschienen. Es enthält die volkskundlich-ethnographischen Arbeiten vollständig; von den Arbeiten zur finnisch-ugrischen, russischen und deutschen Sprachwissenschaft nennt es nur die in Buchform erschienenen.
1*
Abkürzungen AL ALH AvglPhon BSL BZ CLSE DJbfVk DLZ F&F FUF FUFA IF IzvAN JbDAW JSFOu KV Mittbl Nyr MSFOu ND NDL NyK OLZ Spektrum TäglR UAJ UJb Virittäjä VJa WissAnn WSlJb ZDMG ZfG ZfSl ZfVk ZPhon ZPSK
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Acta Linguistica. Revue internationale de linguistique structurale Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae Archiv f ü r vergleichende Phonetik Bulletin de la Société de Linguistique de Paris Berliner Zeitung Commentationes Litterarum Societatis Esthonicae Deutsches J a h r b u c h f ü r Volkskunde Deutsche Literaturzeitung f ü r Kritik der internationalen Wissenschaft Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik Finnisch-ugrische Forschungen. Zeitschrift f ü r finnisch-ugrische Sprach- u n d Volkskunde Anzeiger der Finnisch-ugrischen Forschungen Indogermanische Forschungen. Zeitschrift f ü r Indogermanistik u n d allgemeine Sprachwissenschaft Izvestija Akademii N a u k SSSR. Otdelenie literatury i jazyka J a h r b u c h der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin J o u r n a l de la Société Finno-Ougrienne Kalevalaseuran Vuosikirja Mitteilungsblatt f ü r die Mitarbeiter der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1956 — 1960) Magyar Nyelvör Mémoires de la Société Finno-Ougrienne Neues Deutschland Neue Deutsche Literatur Nyelvtudomânyi Kôzlemények Orientalistische Literaturzeitung Spektrum. Mitteilungsblatt f ü r die Mitarbeiter der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (seit 1961) Tägliche Rundschau Ural-altaische J a h r b ü c h e r Ungarische Jahrbücher Virittäjä. Kotikielen seuran aikakauslehti Voprosy Jazykoznanija Wissenschaftliche Annalen. Zur Verbreitung neuer Forschungsergebnisse herausgegeben von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Wiener Slavistisches J a h r b u c h Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft Zeitschrift f ü r Slawistik Zeitschrift f ü r Volkskunde Zeitschrift f ü r Phonetik u n d allgemeine Sprachwissenschaft Zeitschrift f ü r Phonetik, Sprachwissenschaft u n d Kommunikationsforschung
1925 1
Die Herkunft der Finnen. U. T. Sirelius, Die Herkunft der Finnen. Die finnisch-ugrischen Völker (Helsinki 1924). I n : U J b 5, S. 311—314. 1926
2 3
Wörterverzeichnis. I n : R . Pelissier, Moksamordwinische Texte (Abhandl. d. Preuß. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., J g . 1925, Nr. 6), Berlin, S. 1 9 - 2 8 . Naturvölker und Kulturvölker. I n : Die Friedenswarte 26, S. 242—244. 1927
4
5
Elchfang bei Germanen und Finnen. I n : Aus den Forschungsarbeiten der Mitglieder des Ungarischen Instituts und des Collegium Hungaricum in Berlin. Dem Andenken Robert Graggers gewidmet, Berlin und Leipzig, S. 1 8 3 - 1 8 4 . 1928
Moor, Elemer: Über das Märchen von der verwünschten Königstochter: Grimm Nr. 93. Ein Meisterlied des Hans Sachs und ein ungarisches Volksbuch (In: Aus den Forschungsarbeiten der Mitglieder des Ungarischen Instituts und des Collegium Hungaricum in Berlin, Berlin und Leipzig 1927, S. 1 8 5 - 2 2 0 ) . I n : U J b 8, S. 225 (Nr. 146). [R] 6 Finnisch-Ugrischer Anzeiger. 19, 1928. I n : U J b 8, S. 405 (Nr. 222). [R] 7 Grünthal, W.: Augmentatiivi Virossa (In: Virittäjä 1928, S. 178—183). I n : U J b 8, S. 405 (Nr. 223). {R] 8 Haavio, M.: Taara — jumalan nimi suomessa? (In: Virittäjä 1927, S. 91 bis 95). I n : U J b 8, S. 405 (Nr. 224). [R] 9 Rapola, M.: Kappale suomen kielen vokaalien historiaa (In: Virittäjä 1927, S. 2 9 - 4 4 ) . I n : U J b 8, S. 407 (Nr. 233). [R] 10 Setälä, E . N.: Kuulla ja kuunnella (In: Virittäjä 1928, S. 2 5 1 - 2 5 5 ) . I n : U J b 8, S. 407 (Nr. 234). [R] 11 Setälä, E. N.: Tahtoa. Tahdoin: tahtomen (tahtoman)? (In: Virittäjä 1927, S. 6 9 - 7 7 ) . I n : U J b 8, S. 4 0 7 - 4 0 8 (Nr. 235). [R] 12 Toivonen, Y . H . : Zur Geschichte der finnisch-ugrischen inlautenden AfFrikaten. (In: F U F 19, 1928). I n : U J b 8, S. 408 (Nr. 236). £R] 13 Virittäjä 1928, Nr. 5—7 (Festschrift zum 60. Geburtstag Yrjö Wichmanns), S. 1 5 3 - 3 3 2 . I n : U J b 8, S. 408 (Nr. 237). [R] 14 Wiklund, K . B . : Tahtoa, tahdoin, moisio (In: Virittäjä 1927, S. 3 0 1 - 3 1 0 ) . I n : U J b 8, S. 409 (Nr. 238). [R] 15 Wiklund, K . B . : Mikael Agricolan jumalainluettelo ja käsiala (In: Virittäjä 1928, S. 2 8 7 - 3 0 5 ) . I n : U J b 8, S. 410 (Nr. 244). [R]
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Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
16 Finnek, Észtek, a magyarok északi testvérnépei (Bp.: Egyet. ny. 1928). I n : U J b 8, S. 441 (Nr. 343). [R] 17 Unkarilaiset (In: Suomen Suku Bd. II, Helsinki: Otava 1928, S. 395-471). I n : U J b 8, S. 443 (Nr. 346). [R] 18 Enäjärvi, E . : Erään leikin historia. (In: Virittäjä 1927, S. 318—333). I n : U J b 8, S. 443 (Nr. 347). [R] 19 Manninen, I . : Virolaisia lasten leluja. (In: KV 1928, S. 117 —131). I n : U J b 8, S. 444 (Nr. 351). [R] 20 Manninen, I. : Eras vanha itäinen lainae sine (In : Virittäjä 1928, S. 261 —264). I n : U J b 8, S. 444 (Nr. 352). [R] 21 Teppo, H. : Kansatieteellis — kielitieteellinen tutkimusretki Ilomantsiin kesällä 1927 (In: Virittäjä 1928, S. 43—52). I n : U J b 8, S. 448 (Nr. 358). [R] 1929 22 23 24 25 26
27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Pakarinen, S.: Suomalainen kirjallisuus 1924—1926 (Helsinki: S. K. S. 1927). I n : U J b 9, S. 117 (Nr. 3). [R] Rapola, M. : Vanhan kirjasuomen toimi johdannaisineen (Turku 1928). I n : U J b 9, S. 122 (Nr. 21). [R] Setälä, E. N.: Virokannas (In: Festskrift til Rektor J . Qvigstadt, vol. II, Oslo 1928, S. 263 - 2 8 0 ) . I n : U J b 9, S. 122 (Nr. 22). [R] Suomi. V. Folge, Bd. 1. I n : U J b 9, S. 122 (Nr. 23). [R] Tunkelo, E. A. : Luettelo aikakauskirja „Suomen" I—IV jakson (1841 bis 1920), osittain myös niihin sisältyväin Suomalaisen Kirjallisuuden Seuran Keskustelemuksien sisällyksestä (Helsinki 1927). In : UJb9, S. 123 (Nr. 27). [R] Lepik, M. : Rahvalaulukirjanduslikust levimisest (In: Eesti Kirjandus 1928, S. 4 7 0 - 8 2 ) . I n : U J b 9, S. 160 (Nr. 136). [R] Niemi, A. R. : Liettualaisen kansantietouden alalta (In: KV 1928, S. 47 bis 116). I n : U J b 9, S. 160 (Nr. 137). [R] Sibirskaja zivaja starina. VII. (Irkutsk 1928). In : U J b 9, S. 160 (Nr. 138). [R] Väisänen, A. O. : Kantelerunojen todellisuuspohja (In: KV 1928, S. 281 bis 303). I n : U J b 9, S. 160 (Nr. 139). [R] Finland. The country, its people and institutions. (Helsinki: Otava 1926). I n : U J b 9, S. 1 6 0 - 1 6 1 (Nr. 140). [R] Kettunen, L.: Ns. h : n metateesi suomen murteissa (In: Virittäjä 1928, S. 115-128). I n : U J b 9, S. 335 (Nr. 227). [R] Wichmann, Y.: Tetri. (In: Virittäjä 1928, S. 99-102). I n : U J b 9, S. 339 (Nr. 238). [R] Enäjärvi, E . : Nukke (In: KV 1928, S. 232-280). I n : U J b 9, S. 368 (Nr. 336). [R] Holmberg, U.: Kolttain omistusoikeuksista ja -merkeistä (In: KV 1927, S. 196-213). I n : U J b 9, S. 368 (Nr. 338). [R] Eisen, M. J . : Kuri silm (In : Eesti Kirjandus 1927, S. 3 4 - 4 3 und 153—160). I n : U J b 9, S. 369 (Nr. 340). [R]
Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
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Eisen, M. J . : Vahetatud lapsed (In: Eesti Kirjandus 1929, S. 430—38). In: UJb 9, S. 369 (Nr. 341). [R] Hämäläinen, A.: Tseremissien ja votjakkien periodiset paholaisten karkoitusmenot (In: K V 1928, S. 2 6 - 4 6 ) . In: UJb 9, S. 369 (Nr. 342). [R] Hämäläinen, A. : Kuolemantapaukseen liittyvistä mordvalaisten tavoista (In: KV 1927, S. 127-141). In: UJb 9, S. 369 (Nr. 343). [R] Sirelius, U. T. : Vasjuganin jumalat (In: KV 1928, S. 156-189). In: UJb 9, S. 369 (Nr. 344). [R] 1930
41
Saksan nuorisoliikkeistä. [Über die deutsche Jugendbewegung] In : Yhdysside (Helsinki) S. 7 5 - 7 6 . 42 Geographical Society of Finland (Hrsg.): Atlas of Finland 1925 (Helsinki Kustannuso. y. Otava 1929). In: UJb 10, S. 485 (Nr. 517). [R] 43 Gottlund, K. A. : Ruotsin suomalaismetsiä samoilemassa (Helsinki 1928). In: UJb 10, S. 488 (Nr. 526). [R] 44 Holmberg-Harva, U. : Para. Vertaileva tutkimus (Turku 1928). In : UJb 10, S. 4 9 4 - 4 9 5 (Nr. 544). [R] 1931 45
Manninen, I.: Die Sachkultur Estlands. I. [Übersetzt v. W. Steinitz] Tartu. XV, 276 S. 46 Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen Gesellschaft (Tartu — Dorpat. Jg. 1927, 292 S.; 1928, 204 S.). In: UJb 11, S. 1 3 0 - 1 3 1 (Nr. 3). [R] 47 Weiß, H., Johansen, P.: Bruchstücke eines niederdeutsch-estnischen Katechismus vom J . 1535. (In: Beiträge zur Kunde Estlands 15, 1930, S. 95 bis 133). In: UJb 11, S. 135-136 (Nr. 21). [R] 48 Moora, H. : Die Eisenzeit in Lettland bis etwa 500 n. Chr. I. Teil : Die Funde (Tartu - Dorpat 1929). In UJb 11, S. 148 (Nr. 69). [R] 49 Manninen, I . : Zur Ethnologie des Einbaums (In: Eurasia Septentrionalis Antiqua 1, 1927, S. 4 - 1 7 ) . In: UJb 11, S. 164 (Nr. 121). [R] 50 Schneider, G. : Das Schlangenschiff der Matzalwiek und andere Einbäume (In: Beiträge zur Kunde Estlands 15, 1929/30, S. 3 6 - 5 1 ) . In: UJb 11, S. 1 6 4 - 1 6 5 (Nr. 122). [R] 51 Okkola, T.: Suomen kansan kilpa-ja kotileikkejä (Helsinki 1928). In: UJb 11, S. 1 6 7 - 1 6 8 (Nr. 127). [R] 52 Estländische Literarische Gesellschaft (Hrsg.): Beiträge zur Kunde Estlands 13,1927/28; 14,1928/29; 15,1929/30, In: UJb 11, S. 302 (Nr. 199). [R] 53 Suomalaisen Kirjallisuuden Seura 1831 — 1931. Suomi V, 12, I (Helsinki 1931). La Société de Littérature Finnoise 1831 — 1931. (Helsinki 1931). In: UJb 11, S. 456 (Nr. 358 und 359). [R] 54 Saareste, Albert, Cederberg, A. R. : Valik eesti kirjakeele vanémaid mälestisi a. 1524-1739 (Tartu 1925-31). In: UJb 11, S. 461 (Nr. 376). [R] 55 Eesti. Maadeteaduslik, tulunduslik ja ajalooline kirjeldus. IV. Pärnumaa (Tartu 1930). In: UJb 11, S. 482 (Nr. 444). [R]
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Eesti Rahva Muuseumi Aastaraamat VI (Tartu 1930). I n : U J b 11, S. 487 (Nr. 457). [R] Gerd, Kuzebaj: Udmurt kyrzanës (Izewsk 1927). I n : U J b 11, S. 487 (Nr. 458). [R] Hämäläinen, A. : Beiträge zur Ethnographie der Ostfinnen (Helsinki 1930). I n : U J b 11, S. 487 - 4 8 8 (Nr. 459). [R] Tallgren-Tuulio, 0 . J., Tallgren, A. M. : Idrïsï. La Finlande et les autres pays baltiques orientaux (Helsingfors 1930). I n : DLZ 52, Sp. 1182—1186. [R] 1932
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Suomalaisen Kirjallisuuden Seuran satavuotispäiväksi 1931. Sanakirjasäätiön Toimituksia I. (Helsinki 1931). I n : U J b 12, S. 135 (Nr. 10). [R] Tallgren-Tuulio, O. J., Tallgren, A.M.: Idrïsï. La Finlande et les autres pays baltiques orientaux (Helsingfors 1930). I n : U J b 12, S. 148 (Nr. 51). [R] Suomen kansan vanhat runot. V. Itä- ja Pohjois-Inkerin runot 3. VII. Rajaja Pohjois-Karjala 2. (Helsinki 1931). I n : U J b 12, S. 1 6 2 - 1 6 3 (Nr. 90). [R] 1933
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Die volkskundliche Geographie in Estland. I n : ZfVk N. F. 4 (42), S. 258 bis 262. Manninen, I.: Die Sachkultur Estlands. II. [Übersetzt v. W. Steinitz] Tartu. XII, 338 S. (Sonderabhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft II). Nielsen, Konrad : Lappisk Ordbok, grunnet pâ dialektene i Polmak, Karosjok og Kautokeino — Lapp Dictionary, based on the dialects of P., K. and K., I. Bd. (Oslo 1932). I n : U J b 13, S. 166 (Nr. 10). [R] Saareste, A.: Die estnische Sprache (Tartu 1932). I n : U J b 13, S. 167 (Nr. 11). [R] Tallqvist, K. : Himmelsgegenden und Winde. (In: Studia Orientalia 2, 1928, S. 105-185). I n : U J b 13, S. 167 (Nr. 13). [R] Beke, ö . (Hrsg.): Tscheremissische Texte zur Religion und Volkskunde (Oslo 1931). I n : U J b 13, S. 195 (Nr. 107). [R] Gesänge russischer Kriegsgefangener, aufgenommen und hrsg. v. Rob. Lach. I. Bd. Finnisch-ugrische Völker. 1. Abtlg. Wotjak., syrjän. und permiak. Gesänge. 1926. — 3. Abtlg. Tscheremiss. Gesänge (Wien-Lpz. 1929). I n : U J b 13, S. 196 (Nr. 109). [R] Wichmann, Y. : Volksdichtung und Volksbräuche der Tscheremissen (MSFOu 59, 1931). I n : U J b 13, S. 197 (Nr. 113). [R] Suomenmaa IX. 2. Oulun lääni. Pohjoisosa (Porvoo 1931). I n : U J b 13, S. 198 (Nr. 116). [R] Donner, Kai: Samojedische Wörterverzeichnisse. (Helsinki 1932). I n : U J b 13, S. 376 (Nr. 215). [R]
Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
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Kettunen, L., Posti, L . : Näytteitä Vatjan kielestä (Helsinki 1932). Lensu, J . J . : Materialy po govoram vodi. (In: Zapadnofinskij sbornik, Leningrad 1930, S. 2 0 1 - 3 0 5 ) . I n : U J b 13, S. 3 7 6 - 3 7 7 (Nr. 217 und 218). [R] Mägiste, Julius: Soome-Eesti Sönaraamat (Tartu 1931). I n : U J b 13, S. 377 bis 378 (Nr. 221). [R] Vasmer, Max: Beiträge zur historischen Völkerkunde Osteuropas. I. Die Ostgrenze der baltischen Stämme (Sitz.-Ber. d. Preuß. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, 1932). I n : U J b 13, S. 3 7 8 - 3 7 9 (Nr. 224). [R] Hahm, Konrad: Die Kunst in Finnland (Berlin 1933). I n : U J b 13, S. 403 bis 404 (Nr. 311). [R] Launis, Armas (Hrsg.): Eesti runoviisid (Tartu 1930). I n : U J b 13, S. 404 (Nr. 312). [R] Manninen, I . : Die Sachkultur Estlands. Bd. I (Tartu-Dorpat 1931). I n : U J b 13, S. 4 0 4 - 4 0 5 (Nr. 313). [R] Rytkönen, Ahti: Savupirttien kansaa (Porvoo 1931). I n : U J b 13, S. 405 (Nr. 314). [R] Suomen kansan vanhat runot. V I I I . Varsinais-Suomen runot (Helsinki 1932). I n : U J b 13, S. 405 (Nr. 315). [R] Mikael Agricolan teokset. I. Abckiria. Rucouskiria. I I . Se Wsi Testamenti. n i . Käsikiria (Helsinki-Porvoo 1931). I n : U J b 13, S. 417 (Nr. 349). [R] Manninen, I . : Die finnisch-ugrischen Völker (Leipzig 1932). Manninen, I . : Die Sachkultur Estlands I., I I . (Tartu-Dorpat 1931, 1933). I n : ZfVk N. F . 5 (43), S. 2 3 1 - 2 3 2 . [R] 1934
83* Der Parallelismus in der finnisch-karelischen Volksdichtung, untersucht an den Liedern des karelischen Sängers Arhippa Perttunen. [Teildruck] Tartu. 73 S. Phil. Diss. v. 14. 12. 1934 (15. 12. 1932). 84* Der Parallelismus in der finnisch-karelischen Volksdichtung, untersucht an den Liedern des karelischen Sängers Arhippa Perttunen. Helsinki. X I I I , 219 S. (Folklore Fellows Communications 115). Rez.: Eesti Kirjandus 1935, Nr. 8, S. 384 (P. Ariste); U J b 15, 1935, S. 96 (A. Bussenius); Prager Presse v. 26. 4. 1936 (R. Jakobson). 85 Jahresbericht der estnischen Philologie und Geschichte (Eesti filoloogia ja ajaloo aastaülevaade) Bd. X I I , 1929 (Tartu 1933). I n : U J b 14, S. 263—264 (Nr. 8). [R] 86 Eesti Rahvalaulud. Dr. J . Hurda ja teiste kogudest toimet. M. J . Eisen, O. Kallas, V. Alava, W. Anderson, V. Grünthal, K . Krohn, O. Loorits, E. Päss (Estonum Carmina Popularia. E x D : ris J . Hurt aliorumque thesauris edid. usw.) Bd. I I (Tartu 1932). I n : U J b 14, S. 2 9 9 - 3 0 0 (Nr. 133). [R] 87
Findeisen, H . : Menschen in der Welt. Vom Lebenskampf der Völker in der Alten und Neuen Welt, im Polarlaiid, in Steppe und Tropenwald. Geleitwort von Sven Hedin (Stuttgart 1933). I n : U J b 14, S. 300 (Nr. 134). [R]
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88
Lehtisalo, T. : Beiträge zur Kenntnis der Renntierzucht bei den Juraksamojeden (Oslo 1932). In: UJb 14, S. 300 (Nr. 135). [R] 89 Leskinen, Eino. : Karjalan kielen näytteitä. I. TVerin ja Novgorodin Karjalaa (Helsinki 1932). : In: UJb 14, S. 3 0 0 - 3 0 1 (Nr. 136). [R] 90 Lewy, Ernst: (Hrsg.) Mordwinische Märchen in erzjanischem Dialekt (Leipzig 1931). In: UJb 14, S. 301 (Nr. 137). [R] 91 Manninen, I . : Die finnisch-ugrischen Völker (Leipzig 1932). In: UJb 14, S. 3 0 1 - 3 0 2 (Nr. 138). [R] 92 Qvigstad, J . : Lappische Heilkunde, mit Beiträgen von K. B. Wiklund (Oslo 1932). In: UJb 14, S. 302 (Nr. 139). [R] 93 Suomen kansan vanhat runot. VII. Raja- ja Pohjois—Karjalan runot. 4, 5. Skandinavian metsäsuomalaisten runot (Helsinki 1933). In: UJb 14, S. 3 0 2 - 3 0 3 (Nr. 140). [R] 94 Thomsen, Vilhelm: Samlede Afhandlinger. Bd. 4 (Kobenhavn 1931). In: UJb 14, S. 303 (Nr. 141). [R] 95 Sirelius, U. T. : Die Volkskultur Pinnlands. Hrsg. von W. Steinitz. I. Bd. Jagd und Fischerei in Finnland. Übers, v. G. Schmidt. Berlin. X I , 151 S., 311 Abb.1 Rez.: DLZ 55, 1934, Sp. 1380-1383 (A. Hämäläinen); Uusi Suomi v. 18. 2. 1934 (I. M.); Wiener Zeitschrift für Volkskunde 40, 1935, S. 2 1 - 2 2 (A. Haberlandt) ; Anthropos 32, 1937, S. 691 (B. Gunda). 1936 96
97 98
Magànhangzóilleszkedés az osztjäkban [Vokalharmonie im Ostjakischen] In: Nyr 65, S. 1 4 - 1 5 . Rez.: UJb 18, 1938, Beilage (Deutsche Auszüge ungarischer wissenschaftlicher Zeitschriften 1936, B) Geisteswissenschaften) S. 27; NyK 51, 1941, S. 87 (M. Zsirai, Az osztjäk mag. irodalmàhoz). Chantyjskij alfavit. Leningrad, Institut Narodov Severa. 4°, 4 S. [dupliziert] Puskin, A. S : Monih>t. Hui velti ha pa sorni hui. Pop iki pa luv mithaji! Balda. Ruä jastq evlt hanti jastqa hansis P. Hatanzejev, V. Stejnic jos ahtint. [A. S. Puschkin, Märchen. Der Fischer und der goldene Fisch. Der Pope und sein Knecht Balda. Aus dem Russ. ins Ostj. übersetzt von P. Chatanzejev, unter Redaktion von W. Steinitz.] Leningrad. 28 S. 1937
99* Chanti aryt — Chantyjskije pesni [Ostjakische Volkslieder; ostj. und russ.] Leningrad. 40 S. Bd. I I und I I I übers, von W. Steinitz; das Manuskript von Bd. I I verbrannte 1943 bei einem Fliegerangriff im Verlag Walter de Gruyter; das Manuskript von Bd. I I I befindet sich im Finnisch-ugrischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. 1
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Chantyjskij (ostjackij) jazyk. I n : Jazyki i pis'mennost' narodov several, Leningrad, S. 193—227. Spravocnik po orfografii chantyjskogo jazyka. Leningrad. 13 S. [dupliziert] Puskin, A. S. : Stancija vannti hg. Hanti j a s t q a tohm.éh.s N. Terjoskin, V. S tej nie joä ahtinï.. [A. S. Puschkin, Der Stationsvorsteher. Ins Ostj. übers, von N. Terjoskin, unter Redaktion von W. Steinitz] Leningrad. 28 S. 1938
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Ostjakische Texte mit Übersetzungen, Anmerkungen und Skizzen der Phonetik und Flexion zweier Dialekte. Tartu. S. 3—50. (CLSE XXXI). [Vorabdruck aus 110.] Rez.: U J b 19, 1939, S. 109 (H. D[ibelius]). 104 Der Vokalismus des Sosva-Wogulischen. In : Annales Litter. Societ. Esthonicae 1937, I, S. 244—77. [1938 erschienen] Rez.: Slovo a Slovesnost 5, 1939, S. 63 (V. Skalicka); U J b 19, 1939, S. 345 bis 346 (H. D[ibelius]); AvglPhon 5, 1941, S. 152 (E. Itkonen). 105 Die objektive Konjugation des Ostjakischen. I n : CLSE X X X , S. 680 —699. 106 Totemismus bei den Ostjaken in Sibirien. I n : Ethnos (Stockholm) S. 125 bis 40. 107 Totemismus bei den Ostjaken und Herkunft der Ostjaken und Wogulen. I n : Congrès Int. des Sciences Anthropol. et Ethnol. Compte rendu de la 2e session, Copenhague 1938. Copenhague, S. 303—304. 108 Das Lautsystem und die finnische Transkription dreier westsibirischer Eingeborenensprachen (des Ostjakischen, Wogulischen und Jenissei-Ostjakischen). I n : Ebenda, S. 375-376. 109 Die neuen Literatursprachen der sibirischen Eingeborenen (ugrische, samojedische, tunguso-mandschurische, »paläoasiatische« Sprachen). I n : Ebenda, S. 3 7 7 - 3 7 8 . 1939 110* Ostjakische Volksdichtung und Erzählungen aus zwei Dialekten. 1. Teil. Grammatische Einleitungen und Texte mit Übersetzungen. Tartu. X I I I , 460 S. (CLSE XXXI). Rez.: U J b 19, 1939, S. 109 (H. Dibelius); Zeitschrift für Ethnologie. Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 73, 1941, S. 122 (B. Gunda); Ethnographia - Népélet-52, 1941, S. 157 (B. Gunda); AvglPhon 5, 1941, S. 152 (E. Itkonen); OLZ 46, 1943, Sp. 397 bis 401 (K. Bouda); FUFA 28, 1944, S. 2 4 6 - 2 4 8 (Y. H. Toivonen). 111 (mit H. J . Peters) Zum deutsch-russischen Nichtangriffspakt. Stockholm 4. Sept. 3 S. [dupliziert]. 112 Brief an U. Harva über das Levirat bei den Ostjaken. In : F U F 26, 1939/40, 5. 110.
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Ostjakische (Chantische) Volksdichtung und Erzählungen. 2. Teil. Tartu. S. 1 - 3 2 (CLSE X X X I I I ) . [Vorabdruck aus 114.] 1941
114* Ostjakische Volksdichtung und Erzählungen. 2. Teil. [1. Hälfte] Stockholm. II, 208 S. [in einem Teil der Auflage mit Melodien II, 214 S.] 1 Rez. : OLZ 46, 1943, Sp. 3 9 7 - 4 0 1 (K. Bouda) ; FUFA 28, 1944, S. 2 4 6 - 2 4 8 (Y. H. Toivonen). 115 Der Freiheitskampf der baltischen Völker, [unter Pseudonym P. Balticus] I n : Die Welt (Stockholm) v. 17. 10. 1942 116* Ostjakische Chrestomathie mit grammatikalischem Abriß und Wörterverzeichnis. Univ. Stockholm — Univ. Uppsala. 102 S. Rez.: Cahiers F. de Saussure 3, 1943, S. 59 H. F[rei]); OLZ 46, 1943, Sp. 3 9 7 - 4 0 1 (K. Bouda); Language 19, 1943, S. 5 8 - 6 0 (Th. A. Sebeok). 117 Geschichte des finnisch-ugrischen Vokalismus. Thesen zu einem Vortrag im Ungarischen Institut Stockholm am 28. 9. 1942. Stockholm, Ungarisches Institut, Universität Stockholm. 9 S. 1943 118
Geschichte des finnisch-ugrischen Vokalismus. Uppsala. S. 1—32. [Vorabdruck aus 121.] 119 Nils Nilsson Skum i Sibirien. I n : Konstrevy (Stockholm) 19, S. 233—236. 120 Schriften des Nationalkomitees Freies Deutschland. [Anonym bearbeitet und herausgegeben von W. Steinitz und H. J . Peters] Heft 1—6. Stockholm 1943-1944. 1944 121* Geschichte des finnisch-ugrischen Vokalismus. Stockholm. IV, 144 S. (Acta Instituti Hungarici Universitatis Holmiensis. Series B. Linguistica 2). Rez. : Cahiers F. de Saussure 3, 1943, S. 59—60 (H. F[rei]); Acta Linguistica IV, 2, 1944, S. 8 9 - 9 4 (K. Bergsland) ; Dagens Nyheter v. 7. 2. 1944 (I. Harrie); ZDMG 98, 1944, S. 4 0 5 - 4 0 7 (K. Bouda); Language 20, 1944, S. 166 bis 167 (Th. A. Sebeok); Studies in Linguistics 2, 1944, S. 6 7 - 6 8 (Th. A. Sebeok); F U F 29, 1946, S. 2 2 2 - 3 3 7 (E. Itkonen, Zur Frage nach der Entwicklung des Vokalismus der ersten Silbe in den finnisch-ugrischen Sprachen, insbesondere im Mordwinischen); Nyr 72, 1948, S. 40—42 (ö. Beke); NyK 52, 1949, S. 148-157 (G. Lakó); DLZ 70, 1949, Sp. 2 0 0 - 2 0 6 (J. Loh1
Durch die Kriegsereignisse nicht, wie vorgesehen und im Vorabdruck 113 angegeben, in Tartu (CLSE) erschienen.
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mann); Phonetica 4, 1959, S. 151 — 152 (A. J . Joki, Die phonetische und lautgeschichtliche Erforschung derfinnisch-ugrischenSprachen in den Jahren 1941-1955). 122 Das Nationalkomitee — die einzige repräsentative Vertretung der antinazistischen Kräfte. In: Politische Information (Stockholm) Nr. 16 v. 15. 8., S. 4. 123 Stalins nationalitetspolitik. [Stalins Nationalitätenpolitik] In.: Sovjetnytt (Stockholm) 12, Nr. 12, S. 3 und 9. 1945 124* Russisches Lehrbuch. Stockholm. 200 S. Rez.: Politische Information (Stockholm) Nr. 14 v. 15. 7. 1945, S. 12 (I[rene] F[reydman]); Ny Dag v. 16. 7.1945 (K. [ = K. Krause = H. Meyer]); österreichische Zeitung (Stockholm) v. 8. 9. 1945 (M[axim] St[empel]); Neuphilologische Mitteilungen 46, 1945, S. 197—200 (V. Kiparsky); Folkskollärarnas tidning Nr. 40 v. 6. 10. 1945, S. 23 (J. Forseil); Ny Dag v. 12. 12. 1945 [0.] Z[ennström]); Stockholms Tidningen v. 28. 9. 1945 ([Chr. Jäderlund]); Folkviljan 1945, Nr. 31 (K.Krause [ = H.Meyer]); Lunds Dagblad v. 29. 10. 1945; Skänska Aftonbladet (Malmö) v. 21. 12. 1945; Dala-Demokraten v. 16. 11. 1945; Tagesspiegel v. 31. 8. 1946 (S. R.); Nyr 74, 1950, S. 3 9 1 - 3 9 2 (Z. Tröcsänyi). 125* Lärobok i ryska. I svensk bearbetning av Inga Tegen. Stockholm. VIII, 180 S. 126* Der Vokalismus des Ostjakischen. Ungerska Institutet vid Stockholms Högskola. Stockholm. 221 S. [Mikrofoto, maschinengeschrieben]. 127 Geschichte des finnisch-ugrischen Vokalismus. In: Spräkvetensk. Sällsk. i Uppsala Förhandl. 6, 1943-1954, S. 3 3 - 6 4 . [ = 118.: S. 1 - 3 2 ] . 128 Sibirien — framtidslandet av trä och kol. [Sibirien — Zukunftsland von Holz und Kohle] In: Sovjetnytt (Stockholm) 13, Nr. 2, S. 11. 120 Tillrättalagd översättning. [Zurechtgemachte Übersetzung] In: Aftontidningen (Stockholm) v. 23. 7. 130 De äro ju ryssar. . . [Das sind ja nur Russen. . .] In: Aftontidningen (Stockholm) v. 27. 11. 131 Stalin spricht. Die Kriegsreden vom 3. Juli bis zum 9. Mai 1945. Autorisierte Übertragung nach den amtlichen Vorlagen. Redaktion W. Steinitz. Stockholm. 256 S. 1946 132* Russisches Lehrbuch. 2. verbesserte Aufl. Stockholm. 200 S. 133* Russisches Lehrbuch. 3 . - 5 . Aufl. Berlin. 200 S. 134* Lserebog i Russisk. Bearbejdet for danske lsesere af A. Schiottz-Christensen. K0benhavn. 204 S. 135* Russisch für Fortgeschrittene. Heft 1—3. Berlin. 48 S.
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Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
136 Zur Lage des russischen Unterrichts. I n : Pädagogik 1, Nr. 3, S. 43—48. 137 Reform der deutschen Rechtschreibung. I n : TäglR v. 27. 11. 138 Diskussionsbeitrag über Rechtschreibungsreform. I n : Start Nr. 21 v. 25. 10. 139 Wir lernen Russisch. Ein Sprachkursus für jedermann. Nr. 12—31. I n : Tägl.R. v. 31. 7., 3. 8., 7. 8., 10. 8., 14. 8., 17. 8., 21. 8., 24. 8., 28. 8., 31. 8., 4. 9., 7. 9., 11. 9., 14. 9., 18. 9., 21. 9., 25. 9., 28. 9., 2. 10., 5. 10. 140 Neue Russische Bibliothek. Hrsg. von W. Steinitz. Heft 1—50. Berlin, Leipzig. 1946—1953. Rez.: TäglR v. 21. 5. 1950 (H:). 141 J . V. Stalin, Reci. J . W. Stalin, Reden. Ausgewählt und für den Unterricht bearbeitet von W. Steinitz. Berlin, Leipzig. 73 S. (Neue Russische Bibliothek, Heft 2). 1947 142 143 144 145 146
Rußland und Westeuropa. I n : Die Aussprache (Berlin) H. 1, S. 3—5. Venäjä kuuluu Eurooppaan. [Rußland gehört zu Europa] I n : SNS-Lehti (Helsinki) v. 14. 5. Vokalsysteme und Vokalgeschichte der finnisch-ugrischen Sprachen. ZPhon 1, S. 3 2 - 4 0 . Über den Versuch eines eisernen Vorhangs vor der Geschichte Rußlands. I n : DieNeueGes Heft 1, S. 23—29. Pesennik. Russisches Liederbuch. Ausgewählt und für den Unterricht bearbeitet von W. Steinitz, H. Vogt und L. Wolfslast. Berlin, Leipzig. 46 S. (Neue Russische Bibliothek, Heft 5). 1948
147* Die russische Konjugation. Berlin, Leipzig. 48 S. Rez.: Russischunterricht 2, 1949, S. 39—40 (E. Böttcher); Nyr 76, 1952, 5. 3 1 - 3 2 (J. Erdödi). 148* Russisches Lehrbuch. 6. verbesserte Aufl. Berlin. 205 S. 149 Nationalitäten und Nationalitätenpolitik der Sowjetunion. I n : DieNeueGes Heft 1, S. 3 2 - 4 3 . 150 Ryssland och Västeuropa [Rußland und Westeuropa] I n : Kontakt (Heising fors) 4, Nr. 5, S. 3 - 6 . 151 Kulturelle Verständigung. I n : National-Zeitung v. 1. 12. 152 Das gemeinsame Kulturerbe. Die Komponenten der russischen und westeuropäischen Kultur. I n : National-Zeitung v. 15. 12. 153 Wie sollen wir russische Namen schreiben ? I n : DieNeueGes Heft 4, S. 66—71. 154 Dem Wissenschaftler und Politiker. Zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Ferdinand Hestermann, Münster. I n : Deutschlands Stimme (Berlin) v. 12. 12.
155 Sowjetwissenschaft. Hrsg. J . Kuczynski und W. Steinitz. Heft lff. Berlin. 156 Beihefte zur Sowjetwissenschaft. Hrsg. J . Kuczynski und W. Steinitz. Heft lff. Berlin.
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1949 157* Russisches Lehrbuch. Schlüssel. Berlin. 57 S. 158 ü und j — Konsonant, Vokal oder Halbvokal? I n : Russischunterricht 2, S. 1 3 - 1 7 . 159 Lied eines Chanten. I n : DieNeueGes Heft 1, S. 63—64. 160 Wiedersehen mit Leningrad. I n : TäglR v. 26. 6. 161 Leningrad heute. I n : ND v. 12. 5. 162 Studium der Sowjetunion — ein Beitrag im Kampf um den Frieden. I n : DieNeueGes Heft 5, S. 3 2 3 - 3 2 5 . 163 Aus dem Tätigkeitsbericht der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, Landesgesellschaft Groß-Berlin. I n : Auf dem Wege zu einer Massenorganisation. Tätigkeitsbericht der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion 1. April 1948 bis 31. März 1949, Berlin, S. 124 bis 129. 164 Rede auf dem Kongreß der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion vom 1. bis 4. Juli 1949. I n : Freunde für immer. DieNeueGes Sondernummer, Berlin, S. 113—115. 165 Wie sich die Sprachen verändern. I n : Die Schulpost 1949. 166 Konstantin Simonow. I n : DieNeueGes Heft 2, S. 570. 167 Über „die Russen" und über uns. Diskussion über ein brennendes Thema. [Hrsg. und mit einem Vorwort von W. Steinitz] Berlin. 71 S. 1950 168* Geschichte des ostjakischen Vokalismus. Berlin. VTII, 138 S. (Finnischugrische Studien 1). [Neubearbeitung von 126.] Rez.: Asien-Bibliographie 2, 1950, H. 4, S. 11; ZPhon 5, 1951, S. 1 1 5 - 1 1 6 (A. Sauvageot); Word 8, 1952, S. 285 (Th. A. Sebeok); Polarforschung 22, Bd. 3, 1952, Heft 1 - 2 (Fülling); Studia Linguistica 6, 1952, S. 5 9 - 6 3 (J. Mägiste); IzvAN 11, 1952, S. 4 8 0 - 4 8 2 ( V . l . Lytkin); I F 62, 1955, S. 1 1 5 - 1 1 9 (W. Schlachter). 169* Ostjakische Grammatik und Chrestomathie mit Wörterverzeichnis. 2. verbess. Aufl. Leipzig. 169 S. Rez.: Asien-Bibliographie 2, 1950, H. 4, S. 11; Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 70, 1./2. Heft, 1951, S. 128 (E[rich] H[ofmann]); ZPhon 5, 1951, S. 1 1 6 - 1 1 8 (A. Sauvageot) ; Studia Linguistica 6, 1952, S. 63 (J. Mägiste); I F 62, 1955, S. 1 1 3 - 1 1 5 (W. Schlachter). 170* Russisches Lehrbuch. Druck und Verlag Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig. 171 Novyj pesennik. Neues russisches Liederbuch. Ausgewählt und bearbeitet von H. Vogt und W. Steinitz. Berlin, Leipzig. 83 S. (Neue Russische Bibliothek, Heft 19). 172 Zur Reform der Studienpläne und Prüfungsordnungen. I n : Auditorium. Studentenzeitung der Humboldt-Universität Berlin 1, Nr. 3.
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Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
173 Lehrerausbildung und Abschlußexamina an der Philosophischen Fakultät. In : Auditorium. Studentenzeitung der Humboldt-Universität Berlin 1, Nr. 5. 174 Zu Wilhelm Liebknechts Volksfremdwörterbuch. In : Einheit 5, S. 283—284. 175 Abschließend zur Schreibung russischer Namen. In: DieNeueGes Heft 3, S. 233-234. 176 Zu Stalins Aufsatz: „Über den Marxismus in der Sprachwissenschaft." In: N D v . 7. 7, 177 Wissenschaft — Brücke zwischen den Völkern. Antwort auf sechs Fragen des „Aufbau". In: Aufbau 6, S. 1102-1104. 178 Finnisch-ugrische Studien. [Hrsg. v. W. Steinitz] Bd. lff. [W. Steinitz, Geschichte des ostjakischen Vokalismus] Berlin. 179 Chrestomatija I. Russische Chrestomathie. I. Teil. Text. Zusammengestellt und bearbeitet von R. Stange unter Redaktion von W. Steinitz. Berlin, Leipzig. 282 S. 180 Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Hrsg. unter der Redaktion von S. I. Wawilow. . . Verantwortlich für die deutsche Ausgabe J . Kuczynski und W. Steinitz. Bd. 1. X X I I , 1254 S. Bd. 2. XVIII S., S. 1256-2032, CCLX Sp. Berlin. 181 Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Abteilung. Hrsg. J . Kuczynski und W. Steinitz. Heft lff. Berlin. 1951 182* Russische Konjugation. [2. Aufl.] Berlin, Leipzig. 47 S. 183* Lärobok i ryska. I svensk bearbetning av Inga Tegen. Andra upplagan. Stockholm. VIII, 180 S. [2. Druck 1959, 3. Druck 1961, 4. Druck 1963]. 184 Vom Bärenlied zum Leninlied. Altes und Neues aus dem Leben der Chanten. In: DieNeueGes Heft 3, S. 215-221. 185 Zum russischen Lehrplan. In: Russischunterricht 4, S. 128—130. 186 Russische Sprache — moderne Weltsprache. In: ND v. 9. 6. 187 Die deutsche Volksdichtung — ein wichtiger Teil des nationalen Kulturerbes. In: ND v. 16. und 17. 11. 188 Die russische Sprache als moderne Weltsprache. In: Unsere Wissenschaftler lernen Russisch, Berlin, S. 5—9. 189 [An die Abgeordneten des Bundestages.] Aus einer Rede auf der Sitzung des Nationalrats der Nationalen Front am 1. 12. 1951. In: ND v. 2. 12. 190 [Wissenschaftler im Dienste des Volkes.] Aus der Antrittsrede anläßlich der Wahl in die Deutsche Akademie der Wissenschaften zuBerlin. In : Forum v. 24.7. 191 Der Kampf des werktätigen Volkes gegen Krieg und Unterdrückung in der Volksdichtung. In: Wissenschaftler kämpfen für den Frieden, Berlin, S. 189-203. 192 Lettre de M. Steinitz. In: Comprendre. Revue de la Société Européenne de Culture 3, S. 23. 193 Lettre du prof. Steinitz de l'université de Berlin. In: Comprendre. Revue de la Société Européenne de Culture 3, S. 56.
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1952 194* Die russische Konjugation. 3., verbesserte Auflage. Berlin. 54 S. 195 Chrestomatija II. Russische Chrestomathie. II. Teil. Wörterverzeichnis. Zusammengestellt und bearbeitet von R. Stange unter Redaktion von W. Steinitz. Berlin. 67 S. 196 Über die Sprachwissenschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Deutschunterricht 5, S. 59—61. 197 Deutsche Volksdichtung. In: Sonntag v. 25. 5., 1. 6., 8. 6. und 15. 6. 198 Zur Erforschung der deutschen Volksdichtung. In: Deutsche Volkskunst. Hrsg. Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten, [Dresden] S. 19—24. 199 Der Kampf des werktätigen Volkes in der Volksdichtung. In: Heute und Morgen Heft 6, S. 370-372. 200 Die Erforschung der deutschen Sprache der Gegenwart. In: WissAnn 1, S. 4 9 2 - 5 0 5 . 201 Deutsche Sprache der Gegenwart. In: TäglR v. 10. 5. 202 Zur Grammatik der deutschen Sprache der Gegenwart. In: Deutschunterricht 5, S. 3 4 3 - 3 4 9 . 203 Zur deutschen Sprachwissenschaft. In: Aufbau 8, S. 493—502. 204 Phonetik für den Russischlehrer. In: Russischunterricht 5, S. 203—208. 205 Diskussionsbeitrag. In: Die Bedeutung der Arbeiten des Genossen Stalin über den Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft für die Entwicklung der Wissenschaften. Protokoll der theoretischen Konferenz der Abteilung Propaganda beim ZK der SED vom 23. bis 24. Juni 1951, Berlin, S. 60—79. 206 Geschichte des finnisch-ugrischen Konsonantismus. In: Acta Instituti Hungarici Universitatis Holmiensis, Series B, Ldnguistica: 1, S. 15—39. Rez.: NyK 54, 1952 [1953], S. 2 9 4 - 2 9 8 (M.Kispal); Phonetica 4, 1959, S. 155—156 (A. J . Joki, Die phonetische und lautgeschichtliche Erforschung der finnisch-ugrischen Sprachen in den Jahren 1941 —1955). 207 Beiträge aus der sowjetischen Sprachwissenschaft. Folge I. Redaktion W. Steinitz. Berlin. 156 S. (13. Beiheft zur Sowjetwisser schaft). 208 Große Sowjet-Enzyklopädie. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Verantwortlich für die deutsche Ausgabe: J . Kuczynski und W. Steinitz. 2. Aufl. Bd. 1. X X I I , 1254 S. Bd. 2. X V I I I S., S. 1256 - 2 0 3 2 , CCII S. Berlin. 1953 209* Russische Lautlehre. Berlin. VIII, 89 S. Rez.: Russischunterricht 6, S. 5 3 4 - 5 3 8 (N. Nikolajew); ZPhon 8, 1954, S. 411—416 (A. Isacenko); The Slavonic and East European Review 33, 1954, S. 2 3 6 - 2 3 9 (W. K. Matthews); WSlJb 4, 1955, S. 1 8 6 - 1 8 8 (W. Appel); BSL 51, 1955, S. 125 (R. L'Hermitte); Sbornik Praci Filosoficke Fakulty Brnenske University 5, 1956, S. 123 — 124 (J. Pacesovä); Praxis des neusprachlichen Unterrichts (Dortmund) 1962, Heft 1, S. 37—38. 2
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210* Die volkskundliche Arbeit in der Deutschen Demokratischen Republik. Vortrag, gehalten auf der Tagung der Sektion für Völkerkunde und dt. Volkskunde d. Dt. Akad. der Wiss. vom 4 . - 6 . 9. 1953. Leipzig. 34 S. (Studienmaterial für die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Volkskunstgruppen, Sonderreihe zur Volkskunstforschung, Heft 1. Hrsg. Zentralhaus für Laienkunst, Leipzig). Rez.: Cesky Lid 41, 1954, S. 1 3 9 - 1 4 0 (J. Kramarik). 211* Die deutsche Volksdichtung. (Stenogramm einer Lektion). Parteihochschule „Karl-Marx" beim ZK der SED. Kleinmachnow. 32 S. 212 Aufgaben und Ziele der volkskundlichen Arbeit in der Deutschen Demokratischen Republik. I n : WissAnn 2, S. 1—7. 213 Die humanitären Wissenschaften und die Praxis. I n : Aufbau 9, S. 114 bis 120. 214 Der Kampf des werktätigen Volkes gegen seine Unterdrücker in der Volksdichtung. I n : Deutschunterricht 6, S. 65—73. 215 Prof. Dr. John Meier. I n : Nationalpreisträger 1952, Berlin, S. 127—131. 216 Nationalpreisträger John Meier zum Gedächtnis. I n : WissAnn 2, S. 649 bis 651. 217 Hüter des Schatzes deutscher Volksdichtung. I n : Volkskunst 2, Heft 7, S. 1 1 - 1 2 . 218 Die unbetonten Vokale im Russischen. I n : Russischunterricht 6, S. 337 bis 343. 219 Ein deutsches Volkslied gegen den Söldnerdienst und seine Geschichte. I n : Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung (Spamer-Festschrift) (Veröffentlichungen der Kommission für Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss., Bd. 2), Berlin, S. 3 9 - 7 7 . 220 Ein deutsches Volkslied gegen den Söldnerdienst und seine Geschichte. In : ZfG 1, S. 5 5 2 - 5 6 5 . 221 Aufgaben der deutschen Volkskunde. Aus einem Vortrag. I n : Aufbau 9, S. 9 6 3 - 9 7 6 . 222 Zur Diskussion: Volkskunde und Völkerkunde. I n : F&F 27, S. 142-145. 223 Die Rolle der Werktätigen in der Volkskunde. I n : Volkskunst 2, Heft 12, S. 2 7 - 2 8 . 224 Über die großen Traditionen in der deutschen Wissenschaft. I n : TäglR v. 7.3. 225 (mit I.Weber-Kellermann) Vorwort. I n : Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung (Spamer-Festschrift). Berlin. (Veröffentlichungen der Komission für Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 2). 226 Vorwort I n : Volkslieder der Sorben in der Ober- und Nieder-Lausitz. Herausgegeben von Leopold Haupt und Johann Ernst Schmaler. (Anastatischer Neudruck der „Volkslieder der Wenden in der Ober- und NiederLausitz". 2 Bde. Grimma 1841/43.) Mit einem Vorwort von W. Steinitz. Berlin. (Veröffentlichungen der Kommission für Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 3).
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Große Sowjet-Enzyklopädie. Deutschland. Hrsg. der Übersetzung J . Kuczynski und W. Steinitz. [Mit einer Vorbemerkung der Hrsg.] Berlin. 421 S. (Große Sowjet-Enzyklopädie. Reihe Länder der Erde. I.). 1954
228* Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Bd. I. Berlin. XLIV, 499 S. (Veröffentlichungen des Inst. f. dt. Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 4/1). Rez.: Tagebuch (Wien) 9, 1954, Nr. 21; BZ v. 11. 6. 1954 (-hl-); Volkskunst 1955, Heft 5, S. 22 (Donath); ND v. 15. 4. 1955 (F. Sieber); Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 7, 1955, S. 388 ([W.] Engel); Deutsche Lehrerzeitung 1955, Nr. 34 (A. Helle) ; Wochenpost 1955, Nr. 28 (W. Pollatschek); Hessische Blätter für Volkskunde 46,1955, S. 175—176 (L. Röhrich) ; Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 3, 1955, S. 94 (v. Blankenborn); Heute und Morgen (Düsseldorf) 1955, Nr. 1, S. 58 (Cremer); Schweizer. Archiv für Volkskunde 51, 1955, S. 1 2 8 - 1 2 9 (W. Altwegg); Volkskunde. Driemaandelijks Tijdschrift voor de Studie van hat Volksleven 56, Neue Reihe: 14, 1955, S. 78—79 (P. J . M[eertens]); Rijksmuseum voor Volkskunde „Het Nederlandse Openluchtmuseum". Bijdragen en mededelingen 20, 1955, S. 29—31 (W. Roukens); Filolögiai Közlöny 1, 1955, S. 2 6 0 - 2 6 3 (L. Dégh) ; II Contemporaneo (Roma) v. 19.3. 1955 (F. Codino); Deutschunterricht 8, 1955, S. 478—479 (H. Strobach) ; Journal of English and Germanie Philology 54, 1955, S. 401—402 (A.Taylor); Öesky Lid 42, 1955, S. 281 - 2 8 2 (V. Karbusicky) ; IzvAN 14, 1955, S. 186 bis 190 (V. M. Schirmunski) ; österreichische Zeitschrift für Volkskunde N. S. 10 (59), 1956, S. 1 6 2 - 1 6 5 (L.Schmidt); Arts et Traditions Populaires 4, 1956, S. 374; Journal of the International Folk Music Council 8, 1956, S. 81 (R[uth] H[arvey]); Danske Studier 51, 1956, S. 140—142 (E. Dal); Blätter für deutsche Landesgeschichte 92, 1956, S. 3 9 4 - 3 9 5 (U. Stille); DJbfVk 2, 1956, S. 4 1 5 - 4 2 1 (V. Schirmunski); Folk-Lore (London) 68, S. 3 1 2 - 3 1 3 (E. Ettlinger) ; Stuttgarter Zeitung v. 30. 4. 1957 (d. f.) ; Regesten van de aanwinsten van het Instituut voor Vergelijkend Literatuuronderzoek aan de Rijksuniversiteit te Utrecht 2, 1957, S. 64; Études Germaniques 12, 1957, S. 292 (G. Zink) ; Radostnâ Zemë. Sbornik pro Studium lidu Ostravského kraje 7, 1957, S. 136 (-100-); Sovetskaja Étnografija 1957, Nr. 3, S. 219 (N.M. Listova); Studii si Cercetäri de Istorie Literarä çi Folclor 6, 1957, S. 7 0 7 - 7 1 0 (Gh. Vrabie); Muttersprache 68, 1958, S. 283 (W. Beyersdorff); Slovenski Etnograf 11, 1958, S. 2 4 6 - 2 4 8 (Z. Kumer); Demos 1, 1960, Sp. 2 2 4 - 2 2 6 (H. Strobach) ; Sovetskaja Muzyka 1962, Heft 11, S. 1 3 9 - 1 4 2 (L. Lebedinskij) ; Pamiçtnik Literacki 54, 1963, S. 217—224 (C. Hernas). 229* Über die deutsche Volksdichtung. Vortrag. Leipzig, Jena. 30 S. 230 Die Erforschung der deutschen Volksdichtung. I n : Völkerforschung. Vorträge der Tagung für Völkerkunde an der Humboldt-Universität Berlin 2*
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vom 2 5 . - 2 7 . April 1952 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 5), Berlin, S. 1 7 4 - 1 8 6 . Rez.: Schweizer. Archiv für Volkskunde 50, 1954, S. 229 ([R.] Wildhaber). Über die Aufgaben der Abteilung „Deutsche Sprache der Gegenwart". I n : Das Institut für deutsche Sprache und Literatur (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1), Berlin, S. 65—96. Weberlieder. I n : Deutschunterricht 7, S. 283—289. Folgt nicht der Trommel Ton. Ein deutsches Volkslied gegen Söldnerdienst. I n : BZ v. 22. 6. Bericht des Hrn. Wolfgang Steinitz. I n : Bericht der Studiendelegation der Deutschen Akademie der Wissenschaften über die Reise in die Sowjetunion vom 22. September bis 14. Oktober 1953 (Vorträge und Schriften der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Heft 54), Berlin, S. 63—68. Von der Volksdichtung zur klassischen Kunst. In : Deutschunterricht 7, S. 1. Brief zum 70. Geburtstag von Marcel Cohen. In : Hommage à Marcel Cohen. Édité par les amis de Marcel Cohen, Paris, S. 29—30. Vorwort. In : Völkerforschung. Vorträge der Tagung für Völkerkunde an der Humboldt-Universität Berlin vom 2 5 . - 2 7 . April 1952. Berlin. (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 5). 1955
238* Geschichte des wogulischen Vokalismus. Berlin X I , 366 S. (Finnisch-ugrische Studien 2). Rez.: A Nyelvtudomânyi Intézet Kôzleményei 7, 1956, S. 108—109; Kratylos 2, 1957, S. 7 5 - 8 8 (W. Schlachter); NyK 59, 1957, S. 2 4 2 - 2 4 7 (B. Kâlmân) ; V J a 1957, Nr. 3, S. 1 4 2 - 1 4 4 ( V . l . Lytkin); ALH 7, 1958, S. 1 9 5 - 2 0 5 (B. Kâlmân); ZPhon 11, 1958, S. 9 2 - 9 5 (A. Sauvageot); Erasmus 12, 1959, Sp. 92—97 (B. Wichmann); Asien-Bibliographie 8, 1956, H. 29, S. 9 - 1 0 . 239* Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Bd. I. 2. Aufl. Berlin. X L I V , 499 S. (Veröffentlichungen des Instituts für dt. Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 4/1). 240* Die russische Konjugation. Vom Verfasser unter Mitwirkung von G. Dick neu bearbeitete Ausgabe. [4., neu bearbeitete Aufl.] Berlin. 58 S. 241* Die volkskundliche Arbeit in der Deutschen Demokratischen Republik. Vortrag, gehalten auf der Volkskunde-Tagung der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin vom 4. bis 6. September 1953. 2. durchges. Aufl. Leipzig. 48 S. Rez. : Öeskoslovenskä Ethnografie 1956, S. 324 (J. Kramaïik). 242 Geht es um di libe? Gedanken zu einer Reform der deutschen Rechtschreibung. I n : Wochenpost v. 8. 1. 1955. [Auch als Broschüre erschienen: 16 S.] 243 Geht es um die libe? I n : Sprachpflege 4, Heft 1, S. 4 - 7 ; Heft 3, S. 9—10; Heft 4, S. 1 3 - 1 4 .
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Volkskunde und Völkerkunde. Aus dem Eröffnungsvortrag des volkskundlichen Kongresses zu Berlin September 1953. In: DJbfVk 1, S. 269—275. 245 Lied und Märchen als Stimme des Volkes. In: WissAnn 4, S. 321—342. 246 Zur Geschichte der deutschen Volkskunde. In: Deutsche Lehrerzeitung v. 25. 6. und v. 2. 7. 247 Izucenie narodnogo tvorcestva v Germanskoj Demokraticeskoj Respublike. In: IzvAN 14, S. 4 3 6 - 4 4 7 . 248 Nekotorye voprosy nemeckoj etnografii. In: Sovetskaja Etnografija Nr. 1, S. 5 4 - 6 5 . 249 [Georg Lukacs zum 70. Geburtstag.] In: Georg Lukäcs zum 70. Geburtstag, Berlin, S. 196. 250 Deutsches Jahrbuch für Volkskunde. Hrsg. vom Institut für deutsche Volkskunde an der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin durch W. Fraenger. Mitglieder der Schriftleitung: W. Steinitz. . . Bd. lff. Berlin. 251 Wissenschaftliche Annalen. Zur Verbreitung neuer Forschungsergebnisse im Auftrage der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin hrsg. von H. Wittbrod in Verbindung mit W. Friedrich, E. Thilo, J . Naas, W. Steinitz, R. Rompe, W. Unverzagt. Jg. 4 ff. Berlin. 1956 252 253 254 255
Zur ob-ugrischen Vokalgeschichte. In: UAJ 28, S. 233-241. Institut für deutsche Volkskunde. In: JbDAW 1954, Berlin, S. 2 9 5 - 3 0 1 . Beiträge zum: Lexikon. A—Z in zwei Bänden. Bd. A—K. Leipzig. Zur Schreibweise chinesischer Namen. Stellungnahme der Deutschen Akademie der Wissenschaften. In: ND, Beilage v. 15./16. 12. 256 Ansprache anläßlich der Ehrung von Thomas Mann in Weimar am 15. 5. 1955. In: WissAnn 5, S. 698-699. 257 Für wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Eine notwendige Erklärung. In: DJbfVk 2, S. 3 2 5 - 3 3 0 . 258 Lied und Märchen als Stimme des Volkes. In: Jahrestagung der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin vom 28. März bis 2. April 1955. Fachkonferenz Fasern aus synthetischen Hochpolymeren (Abhandlungen der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Klasse für Chemie, Geologie und Biologie, Jg. 1955, Nr. 6), Berlin, S. 3 8 - 5 4 . 259 Lied und Märchen als Stimme des Volkes. In: DJbfVk 2, S. 1 1 - 3 2 . 260 Nachruf auf Gustav John Ramstedt. In: JbDAW 1954, Berlin, S. 383. 261 Nachruf auf Adolf Spamer. In: JbDAW 1954, Berlin, S. 3 8 4 - 386. 262 Begrüßung. In: Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften in Westdeutschland. Protokoll der Konferenz des Instituts für Wirtschaftswissenschaften bei der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin vom 2 6 . - 2 9 . Januar 1956 (Schriften des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Nr. 5), Berlin, S. 9.
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263 Begrüßung. I n : Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus. Konferenz der Sektion Philosophie der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin 8. —10. März 1956. Protokoll, Berlin, S. 14—15. 1957 264* Russisches Lehrbuch. 7. überarbeitete Aufl. Berlin 207 S. und 8 Abb. 265* Russische Lautlehre. 2. neubearbeitete Aufl. Berlin. X, 90 S. Rez.: The Slavonic and East European Review 36, 1957—58, S. 585 ( f W . K. Matthews); WSlJb 7, 1959, S. 1 8 2 - 1 8 3 (H. Galton). 266 Probeartikel aus dem Ostjakischen Wörterbuch. Berlin. 3 + 6 S. [dupliziert] 267 Berichterstattung der Akademiedelegation im Plenum über die Reise in die Volksrepublik China. Vortrag von W. Steinitz. I n : Mittbl 3, Heft 2/3, S. 2 6 - 3 2 . 268 A finnugor rokonsägi elnevezesek rendszere. [Das System der finnischugrischen Verwandtschaftstermini] I n : A Magyar Tudomänyos Akademia Nyelv- es Irodalomtudomänyi Osztalyänak Közlemenyei 10, S. 321—334. Rez.: BSL 54, 1959, S. 3 1 7 - 3 1 8 (A. Sauvageot). 269 Institut für deutsche Volkskunde. I n : JbDAW 1956, S. 4 3 1 - 4 3 9 . 270 Bericht über die Arbeit der gesellschaftswissenschaftlichen Klassen, [am Leibniztag 1956] I n : JbDAW 1956, S. 8 8 - 9 3 . 271 Lied und Märchen als Stimme des Volkes. I n : Jahrestagung der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin vom 28. März bis 2. April 1955. Fachkonferenz Fragen der Krebsforschung und -behandlung (Abhandlungen der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Klasse für Medizin, Jg. 1955, Nr. 1), Berlin, S. 39—55. 272 Lied und Märchen als Stimme der Volkes. I n : Jahrestagung der Dt. Akad. der Wiss. vom 28. März bis 2. April 1955. Fachkonferenz Physik und Chemie der Kristalle (Abhandlungen der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Klasse für Chemie, Biologie und Geologie, Jg. 1955, Nr. 7), Berlin, S. 38—54. 273 Beiträge zum: Lexikon. A—Z in zwei Bänden. Bd. 2, L—Z. [Bd. 1, 1956] Leipzig. 274 (mit R. Wildhaber) Vorwort. I n : Volkskundliche Bibliographie für die Jahre 1937 und 1938, unter Mitarbeit des Instituts für deutsche Volkskunde hrsg. von R. Wildhaber (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 8), Berlin, S. III—IV. 275 Begrüßung. I n : Agrarethnographie. Vorträge der Berliner Tagung vom 29. Sept. bis 1. Okt. 1955 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 13), Berlin, S. V I I - V I I I . 1958 276* Russisches Lehrbuch. 8. durchges. Aufl. Berlin. 207 S. 277 Ogtjakische Etymologien. I n : NyK 60, 1958, S. 165—171.
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Das Leunalied. Zu Geschichte und Wesen des Arbeitervolksliedes. I n : DJbfVk 4, S. 3 - 5 2 . Rez.: Demos 2, 1961, Sp. 100-101 (H. Strobach). Vorwort. In: Adolf Spamer, Romanusbüchlein. Historisch-philosophischer Kommentar zu einem deutschen Zauberbuch. Aus seinem Nachlaß. Bearbeitet von J . Nickel (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 17), Berlin, S. VII—VIII. 1959
280* Russisch in 26 Lektionen. München. 207 S. (Humboldt-Taschenbücher, Großband, Nr. 81). 281 Institut für deutsche Volkskunde. In: JbDAW 1957, S. 100—105. 282 Institut für deutsche Volkskunde. In: JbDAW 1958, S. 239-250. 283 Rede auf der Versammlung des Instituts für deutsche Sprache und Literatur an der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, April 1959. In: Mittbl 5, Heft 3, S. 153-156. 284 Bericht über die Arbeiten der gesellschaftswissenschaftlichen Einrichtungen der Akademie. In: Mittbl 5, Heft 3, S. 120-123. 285 Das Leunalied. In: NDL 7, Heft 5, S. 48—60. 286 Cintecul §i basmul ca voce a poporului. [Lied und Märchen als Stimme des Volkes] In: Revista de filologie romanicä si germanica 3, S. 13—38. 287 Zu den samojedischen Lehnwörtern im Ob-Ugrischen. In: UAJ31, 1959, S. 4 2 6 - 4 5 3 . 288 Zum 100. Geburtstag Richard Wossidlos. In: DJbfVk 5, S. 3—5. 289 (mit M. A. Lavrent'ev) Vorwort. In: Die Berliner und die Petersburger Akademie der Wissenschaften im Briefwechsel Leonhard Eulers. Teil I. Der Briefwechsel L. Eulers mit G. F. Müller. Herausgegeben und eingeleitet von A. P. Juskevic und E. Winter unter Mitwirkung von P. Hoffmann. Vorwort von M. A. Lavrent'ev und W. Steinitz (Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas. Herausgegeben von der Historischen Abteilung des Instituts für Slawistik und der Arbeitsgruppe für Geschichte der slawischen Völker am Institut für Geschichte, Bd. III), Berlin, S. V—VI. 290 Die UdSSR. Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Hrsg. W. Fickenscher unter Mitwirkung von H. Becker, R. Rompe, W. Steinitz, A. M. Uhlmann. Leipzig. 1104 S. 291 Volksmärchen. Eine internationale Reihe. Hrsg. v. W. Steinitz und G. Ortutay. Bd. 1 (ab Bd. 3: Hrsg. von J . Krzyzanowski, G. Ortutay und W. Steinitz). 1960 292* Russisches Lehrbuch. 9. durchgesehene Aufl. Berlin. 207 S. 293 Ostjakische Lehnwörter im Russischen. In: ZfSl 5, S. 483—519.
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Einige Kapitel aus der ob-ugrischen Vokalgeschichte. I n : Forschen und Wirken. Festschrift zur 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin, Bd. III, Berlin, S. 335-348. Zur Toponymik des nördlichen Obgebiets. [Thesen zum Finnisch-ugrischen Kongreß in Budapest, 1960] 4 S. [dupliziert] [Diskussionsbeiträge in:] Sitzungsberichte der am 3. Dezember 1958 in Helsinki abgehaltenen Finnougristenkonferenz. I n : JSFOu 62:5, S. 13 und 25. . Institut für deutsche Volkskunde. I n : JbDAW 1959, S. 8 8 - 9 4 . Bericht des Vizepräsidenten Hrn. W. Steinitz über die Arbeiten der gesellschaftswissenschaftlichen Einrichtungen der Akademie, [am Leibnitztag 1959] I n : JbDAW 1959, S. 2 3 - 2 7 . Aufgaben der modernen Akademie im Bereich der Wissenschaften. I n : Mittbl 6, Heft 4, S. 118-121. Demos. Volkskundliche [ab Jg. 4, 1963: Ethnographische und folkloristische] Informationen. Hrsg. und verantwortlich für den Inhalt W. Steinitz. Jg. lff. Berlin. Schriften zur Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung. Hrsg. von F. Hintze, G. F. Meier, E. Seidel, W. Steinitz. Bd. lff., Berlin. Monumenta Paedagogica. Hrsg. von der Kommission für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin. R. Alt, H.Ahrbeck, W. Hartke, J . Irmscher, G. Mundorf, W. Steinitz. Bd. lff. Berlin. 1961
303* Russisches Lehrbuch. 10. durchgesehene Aufl. Berlin. 207 S. 304* Russisk lserebog. Ny [2.] revideret udgave ved A. Schißttz—Christensen. Kobenhavn. 212 S. 305* Russische Lautlehre. 3. durchgesehene Aufl. Berlin. X, 90 S. 306 „Polenlieder" wsröd niemieckich piesni ludowych. [„Polenlieder" unter den deutschen Volksliedern] I n : Pamigtnik Literacki (Warszawa) 52, S. 589—622. 307 Das Lied von Robert Blum. I n : DJbfVk 7, S. 9 - 4 0 . 308 Beiträge zu den finnisch-ugrisch-samojedischen Lehnwörtern im Russischen. I n : ZfSl 6, S. 597-601. 309 Etymologische Beiträge. I. Zu Hunfalvy-Vologodskij's Ostjakischem Wörterbuch. I n : ALH 11, S. 9 - 1 3 . 310 Einige türkische Lehnwörter im Ostjakischen. I n : Acta Orientalia Hun; garica 12, S. 179-181. 311 Zu-vorrussischen Namen und ihrer Aufnahme und Wiedergabe im Russischen. [Thesen zur Slawistischen Onomastischen Arbeitskonferenz in Berlin, 1961] 3 S. [dupliziert] 312 Aufgaben der modernen Akademie im Bereich der Wissenschaften. I n : JbDAW 1960, S. 179-183. 313 Institut für deutsche Volkskunde. I n : JbDAW 1960, S. 252-259.
Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
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Gedächtnisrede auf Wilhelm Pieck am 15.9. 1960. I n : J b D A W 1960, S. 8 2 1 - 8 2 5 . Julius Laziczius f , Lehrbuch der Phonetik. [Übersetzung und Vorwort v. W. Steinitz] Berlin. VI, 199 S. (Schriften zur Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung, Nr. 5). Spektrum. Mitteilungsblatt für die Mitarbeiter der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Hrsg. H. Frühauf, W. Steinitz, G. Rienäcker, H. Klare. J g . 7 ff. Berlin. Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. von R . Klappenbach und W. Steinitz. 1. und 2. Lieferung (A — annehmen). 3. Lieferung (annehmlich — Aufbruch). Berlin. Rez.: DLZ 82, 1961, Sp. 1 0 9 6 - 1 1 0 0 (H. Moser); Wetenschappelijke Tijdingen 21, 1961, Sp. 4 7 2 - 4 7 4 ; Phüologica Pragensia 4, 1961, S. 2 4 7 - 2 4 9 (P. Trost); Bälgarski Ezik 12, 1962, S. 4 7 1 - 4 7 4 (Z. Genadieva-Mutafcieva); Sprachpflege 11, 1962, Heft 1, S. 2 0 - 2 3 (W. Jung); ZPSK 15, 1962, S. 3 8 0 - 3 8 4 (VI. Smilauer); Leuvense Bijdragen 51, 1962, S. 1 3 6 - 1 3 7 (J. L. Pauwels); V J a 1962, Heft 3, S. 1 3 4 - 1 3 9 (E. E. Birzakova, A. M. Babkin); Slovo a Slovesnost 23, 1962, S. 149—157 (J. Filipec); Le Lingue del Mondo (Florenz) 27, 1962, S. 243 (L. L. M.); ALH 13, 1963, S. 4 2 1 - 4 2 4 (L. Elekfi) ; Revue des Langues Vivantes 29, 1963, S. 279 (R. A.); Wirkendes Wort 14, 1964, S. 1 4 1 - 1 4 2 (H. Eggers). Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte. Hrsg. von der Kommission für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin. R . Alt, H. Ahrbeck, W.Hartke, J . Irmscher, G. Mundorf, W. Steinitz. J g . lff. Berlin. Poetics. Poetyka. Poetika. Ed. D. Davie, I . Fönagy, R. Jakobson, D. S. Likhachev, M. R . Mayenowa, W. Steinitz, K . Wyka, S. Zölkiewski. Warszawa. X X I I I , 893 S. 1962
320* Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Bd. I I . Berlin. X L I I , 630 S. (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 4/II). Rez.: Norddeutsche Neueste Nachrichten v. 3. 11. 1962 (s[iegfried] n[eumann]); österreichische Zeitschrift für Volkskunde 65, 1962, S. 289—290 (L.Schmidt); ND, Beilage v. 12.1. 1963 (B.Kaiser); BZ v. 22.2. 1963 (E. Zenker); Volkskunst 12, 1963, Heft 2, S. 8 - 1 0 (P. Willert); Musik in der Schule 14, 1963, S. 1 3 2 - 1 3 4 (P. Willert); Demos 4, 1963, Sp. 1 0 1 - 1 0 4 (H. Strobach); DJbfVk 9, 1963, S. 4 0 1 - 4 0 5 (VI. Karbusicky); Weimarer Beiträge 1963, I I I , S. 629—632 (S. Neumann); Jahrbuch des österreichischen Volksliedwerkes 12, 1963, S. 129—131 (K. M. Klier); Germanistik 4, 1963, S. 4 2 7 - 4 2 9 (F. Hüser); Oostvlaamsche Zanten 38, 1963, S. 5 4 - 5 5 (A. van Hageland); Journal of the International Folk Music Council 15, 1963, S. 94 (E. Dal); Folklore 74, 1963, S. 426 (E. Ettlinger); Danske Studier
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Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz
1963, 'S. 8 9 - 9 1 (E. Dal); Pami§tnik Literacki 54, 1963, S. 2 1 7 - 2 2 4 (C. Hernas); Journal of American Folklore 76, 1963, S. 357—358 (R. L. Welsch); Muzykal'naja 2izn 1963, Nr. 18, S. 8 - 9 (V. Vinogradov); Beiträge zur Musikwissenschaft 5, 1963, S. 235—237 (P. Nedo); Deutsche Lehrerzeitung v. 26.7. 1963 (H.Rothe); Musik und Gesellschaft 1963, S. 680—681 ( E . H . Meyer); Blätter für deutsche Landesgeschichte 99, 1963, S. 406 (E.G. Franz); Deutschunterricht 16, 1963, Heft 6, S. 2 5 - 2 6 (H. Görsch); Hessische Blätter für Volkskunde 55, 1964, S. 224—227 (W. Salmen); Der Bibliothekar 18, 1964, Heft 10, S. 1055-1060 (M. Häckel, Gedanken zu einem Standardwerk der Volksliedforschung); Schweiz. Archiv für Volkskunde 60, 1964, S. 256f. (W. Suppan). Russische Lautlehre. 4. unveränd. Aufl. Berlin. X, 90 S. Etymologische Beiträge. II. Zu den syrjänischen Lehnwörtern des Obugrischen. I n : ALH 12, S. 247-254. Samojedisch — Obugrisches. I n : Commentationes Fenno-ugricae in honorem P. Ravila (MSFOu 125), Helsinki, S. 5 6 7 - 5 7 5 . Iz toponimiki severnogo Poob'ja. I n : Geograficeskie nazvanija. Voprosy geografii 58, S. 109-111. Russische Etymologien. I n : Acta Universitatis Carolinae 1962, Philologica 3, Slavica Pragensia IV, Praha, S. 443—447. Institut für deutsche Volkskunde. I n : JbDAW 1961, S. 109-117. (mit A. V. Topciev) Vorwort. I n : D. G. Messerschmidt, Forschungsreise durch Sibirien 1720—1727. Hrsg. von E.Winter und N. A. Figurovskij. Mit einem Vorwort von W. Steinitz und A. V. Topciev. Teil 1 (Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas, Bd. VIII, Teil 1), Berlin, S. V. Vorwort. I n : Das Limbacher Land (Werte der deutschen Heimat. Veröffentlichungen der Kommission für Heimatforschung, Bd. 5), Berlin, S. V I I bis VIII. Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. von R. Klappenbach und W. Steinitz. 4. Lieferung (aufbruch(s) — Ausführung). 5. und 6. Liefe-, rung (Ausführung(s) — bei). Berlin. 1963
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Etymologische Beiträge. I I I . Selkupische Lehnwörter im Ostjakischen. I n : ALH 13, 1963, S. 2 1 3 - 2 2 3 . 331 Zur finnisch-ugrischen Vokalgeschichte. I n : Congressus internationalis Fenno-ugristarum Budapestini habitus 20.—24. IX. 1960, Budapest, S. 5 2 - 5 9 . 332 Zur Toponymik des nördlichen Obgebietes. I n : Ebenda, S. 197 — 199. .333 Schlußansprache auf dem Internationalen Finno-Ugristen-Kongreß 1960. I n : Ebenda, S. 20—22. 334 Zu vorrussischen Namen und ihrer Aufnahme und Wiedergabe im Russischen. I n : Slawische Namenforschung. Vorträge auf der II. Arbeitskonferenz
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der Onomastischen Kommission beim Internationalen Slawistenkomitee in Berlin vom 17.—20. Okt. 1961, Berlin (Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik, Nr. 29), S. 7 - 1 4 . 335 Ein ostjakisches Märchen in M. A. Castrens handschriftlichem Nachlaß. I n : Glaubenswelt und Folklore der sibirischen Völker. Hrsg. von A. Dioszegi, Budapest, S. 115-119. 336 Eesti koolma ja Icalm. [Estnisch k. 'sterben' und Je. 'Grabstätte'] I n : Nonaginta. Johannes Voldemar Veski 90. sünnipäevaks 27. juunil 1963 (Eesti NSV Teaduste Akadeemia, Emakeele Seltsi Toimetised Nr. 6), Tallinn, S. 256 bis 259. 337 Institut für deutsche Volkskunde. I n : JbDAW 1962, S. 304—309. 338 Eröffnung. I n : Volkskundliche „Ostforschung" in Westdeutschland. Referate und Diskussionsbeiträge der Arbeitstagung in Berlin vom 27. und 28. Februar 1962. Als Manuskript vervielfältigt vom Institut für deutsche Volkskunde, Berlin, S. 1 - 7 . 339 Neue Russische Bibliothek. Hrsg. von W. Steinitz. Heft 51 ff. Berlin. 340 Jacob Grimm. Zur 100. Wiederkehr seines Todestages. Festschrift des Instituts für deutsche Volkskunde. Hrsg. von W. Fraenger und W. Steinitz. Berlin. 290 S. (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 32.) 341 Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. von R. Klappenbach und W. Steinitz. 7. Lieferung (bei2 — Bestechlichkeit). 8. und 9. Lieferung (Bestechung — chevaleresk). Berlin. 1964 342* Geschichte des finnisch-ugrischen Vokalismus. 2., mit einem Anhang und Wortregistern erweiterte Aufl. Berlin. VIII, 176 S. (Finnisch-ugrische Studien 4). 343* Russisch in 26 Lektionen. 3. Aufl. München. 207 S. (Humboldt-Taschenbücher, Großband, Nr. 81). 344* Lärobok i ryska. Tredje, omarbetade upplagan utgiven av B. Calleman. Stockholm. VIII, 323 S. 345* Russische Lautlehre. 5. unveränderte Aufl. Berlin. X, 90 S. 346 Rabocaja pesnja i narodnaja pesnja. (Vstupitel'noe slovo na simpoziume). VII Mezdunar. Kongress Antropolog. i Etnografic. Nauk (Moskva 1964). 18S. 347 Zur Periodisierung der alten baltischen und germanischen Lehnwörter im Finnischen. I n : Wiss. Z. Humboldt-Univ. Berlin, Ges. — sprachw. R. 13, 2/3, S. 3 3 5 - 3 3 8 . 348 Arbeiterlied und Arbeiterkultur. I n : Beiträge zur Musikwissenschaft 6, 1964, Heft 4 (Sonderheft Arbeiterlied-Tagung), S. 2 7 9 - 2 8 8 . 349 [Diskussionsbeitrag auf der Tagung zu Fragen der Arbeiterliedforschung (28.—30. April 1964, Deutsche Akademie der Künste)]. I n : Ebenda, S. 299 bis 300.
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Institut für deutsche Volkskunde. I n : JbDAW 1963, S. 7 2 3 - 7 2 8 . (mit H. Strobach) Wilhelm Fraenger. I n : DJfVk 10, 1964, S. I I I - I V . Ansprache zur Feier des 70. Geburtstages [von Friedrich Sieber]. I n : Letopis. Jahresschrift des Instituts für sorbische Volksforschung. Festschrift für Friedrich Sieber. Reihe C - Volkskunde, Nr. 6/7 (1963/64), Bautzen, S. 3—4. 353 [Glückwunschschreiben an J . Horäk]. I n : Öesky Lid 51, 1964, S. 258. 354 Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. von R. Klappenbach und W. Steinitz. 10. Lieferung (Chevalier — deutsch). [Mit einem neu bearbeiteten Vorwort für die Lieferungen 1 — 10.] 11. Lieferung (Deutsch — durchfallen). Berlin. 355* Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. von R. Klappenbach und W. Steinitz. 1. Band. A — deutsch. Berlin. 037, 800 S. Im Druck Ostjakisches Wörterbuch. Teil 1. Arbeiterlied und Volkslied. Sitzungsberichte der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst. Zur Periodisierung der alten baltischen Lehnwörter im Ostsee-Finnischen. I n : Kurylowicz-Festschrift. Etymologische Beiträge. IV. Tatarische Lehnwörter im Ostjakischen und Wogulischen. I n : ALH. Zur Geschichte des ob-ugrischen Vokalismus. I n : ZPSK. Foundations of Language. International Journal of Language and Philosophy. Consult. ed. . . . W. Steinitz . . . Vol. 1, 1965. Dordrecht — Holland. Nachtrag Schließlich: „Erfreuliches". I n : BZ v. 20. 1. 1955. Russisch in 26 Lektionen. 2. Aufl. München 1961. 207 S. (Humboldt-Taschenbücher, Großband, Nr. 81). Begrüßungsansprache des Vizepräsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. I n : Protokoll der internationalen Konferenz des Instituts für Wirtschaftswissenschaften bei der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin vom 18. bis 21. Oktober 1960 zu dem Thema: Neue Erscheinungen in der modernen bürgerlichen Politischen Ökonomie. 1. Halbband (Schriften des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Nr. 11), Berlin 1961, S. 9. A tarsadalomtudomänyi kutatästervezes lehetösegei es mödszerei. I n : TudTervTaj 1961, Nr. 5, S. 3 0 - 3 4 .
PAUL ARISTE
Hebräische Wörter im Estnischen
Die finnisch-ugrischen Völker haben nie direkte Verbindungen mit den die semitischen Sprachen sprechenden Völkern gehabt. Die aschkenasischen Juden, welche unter den Ungarn, Esten, Finnen und anderen finnisch-ugrischen Völkern lebten und noch leben, haben das Hebräische nur als eine rituelle oder gelehrte Sprache gebraucht, die in geschlossenen Kreisen gelesen und geschrieben wurde. Die nichtjüdischen Nachbarn konnten das Hebräische gewöhnlich in Büchern und Inschriften nur sehen, aber nicht hören. Die lebendige Volkssprache dieser J u d e n war Jiddisch, das heutzutage in den finnisch-ugrischen Ländern dem Untergange nahe steht. Nur durch das Jiddische und im jiddischen Gewand sind einige wenige Hebraismen ins Ungarische und Finnische eingedrungen. Deshalb h a t man bis jetzt über einen K o n t a k t zwischen den semitischen und finnisch-ugrischen Sprachen ernsthaft nichts geschrieben. Einige Arbeiten der älteren Verfasser, die die Frage der Verwandtschaft zwischen Finnisch-ugrisch und Semitisch behandelten, sind durchaus unwissenschaftlich. Die Verwandtschaftstheorien hat m a n auf zufälligen lexikalischen Ähnlichkeiten gebaut. Es gibt aber e i n e ostseefinnische Sprache, die eine ganze Reihe hebräischer Lehnwörter besitzt. Es ist das Estnische. I n der estnischen Literatursprache gibt es hebräische literarische Entlehnungen, welche allgemein bekannt sind und teilweise sogar in der Umgangssprache gebraucht werden. E s gibt im Estnischen nicht nur solche hebräische Wörter, die im Zusammenhang mit der jüdischen Gesellschaft, Geschichte, Religion, Zeitrechnung usw. benutzt werden, sondern auch verschiedene nichtjüdische Begriffe ausdrücken. Zum ersten Mal erschienen die meisten von diesen Entlehnungen in der estnischen Literatursprache im J a h r e 1739, in der Bibelübersetzung von A. Thor Helle. Anton Thor Helle wurde in Tallinn im Jahre 1683 in einer Kaufmannsfamilie geboren. E r studierte in Kiel Theologie. 1713 wurde er Pfarrer im Kirchspiel Jüri, unweit von Tallinn, wo er bis zum Tode im Jahre 1748 blieb. I m Jahre 173& erschien unter seiner Leitung und meistenteils auch in seiner Übertragung die erste estnische Bibelübersetzung, die einen großen Einfluß auf die weitere E n t wicklung der estnischen Literatursprache hatte. A. Thor Helle kannte sehr g u t die estnische Büchersprache und außerdem auch die Volkssprache in der Umgebung von Tallinn. Seine Bibelübersetzung h a t viele neue Wörter aus den Mundarten in die Literatursprache eingeführt. E r h a t auch neue Wörter geprägt, u m den hebräischen und griechischen Urtext wortgetreu weiterzugeben. Als effektives Hilfsmittel hat er die Luthersche Bibelübersetzung benutzt, doch nicht vor-
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Paul Ariste
behaltlos. Wo Luther und der Urtext nicht adäquat waren, ist er meistens dem Urtext gefolgt. 1 Der Übersetzer h a t t e außerordentlich große Schwierigkeiten, u m dem estnischen Leser solche Begriffe deutlich zu machen, die ihm damals völlig unbekannt waren, z. B. die orientalische Tier- und Pflanzenwelt, fremde Musikinstrumente, verschiedene Edelsteine usw. Wenn A. Tor Helle f ü r fremde Begriffe keinen passenden Ausdruck in der estnischen Sprache fand und keine Neubildung schaffen konnte, h a t er manchmal das hebräische Wort des Urtextes ins Estnische entlehnt. Die hebräischen Wörter wurden von ihm nicht mechanisch als Fremdwörter in den Text eingefügt. Sie wurden lautlich so stark estonisiert, daß der estnische Leser sie ohne weiteres aussprechen konnte. Fremde Laute, wie f , s und die anlautenden stimmhaften b, d, ieti usw.; joobeliaasta 'Jobeljahr' < r w ; naasir 'Nasiräer' < t u ; netinid 'Tempeldiener, Nethinim' < q^tij; tummirn 'Thummim' < a^an usw. I m Verzeichnis fehlen auch die Namen
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Paul Ariste
der althebräischen Münzen und Maße, z . B . adarkon 'eine Goldmünze' < panx; heera 'das kleinste Gewicht, der zwanzigste Teil des Sekels' < n u ; seekel 'Sekel < ipw usw. Ebenso fehlen im Verzeichnis geographische Namen und die von ihnen abgeleiteten Adjektive. Es sei f|iD erwähnt, daß die estnische Sprache drei hebräische Wörter kennt, die durch das Jiddische eingedrungen sind: koi 'ein schlechter geiziger oder habgieriger Mensch, ursprünglich: ein schlechter habgieriger Jude < jidd. '«J 'Nichtjude, Unwissender' < hebr. ">u; kosser 'passend, tauglich, angemessen' < jidd. isitfNp < hebr. -itso 'rituell erlaubt, im rechten Zustande'; pleite 'bankrott' < jidd. ya^D 'bankrott' < hebr. na^s 'Entrinnen'. Diese Wörter haben selbst solche Meister der estnischen Literatur, wie A. Tammsaare und 0 . Luts, gebraucht.
ROBERT AUSTERLITZ
Zur Statistik und Morphonologie der finnischen Konjugationstypen
Die Veröffentlichung des jetzt vollständigen Prachtwerkes Nykysuomen Sanakirja1 hat eine Zählung der verschiedenen Arten der Stichwörter ermöglicht. Ergebnisse dieser Zählung liegen vorläufig nur für das Verb und das Nomen vor2. Die Zählungen der Nominalkomposita, der Verbalkomposita mit sogenannten Präpositionen, der Adverbien, die statistische Erfassung des Instruktivs und dgl. sind erst vor kurzem in Angriff genommen worden. Eine Gegenüberstellung der textuellen Frequenz mit der hier ausgewerteten lexikalischen steht ebenfalls noch aus. Die Bedeutung dieser Zählung bedarf keiner besonderen Rechtfertigung: allein die Feststellung, daß 22 von 45 Verbtypen (Konjugationen) weniger als 16 Verben umfassen und daß 7 Konjugationen aus je einem einzigen Verb bestehen, ist für die beschreibende Grammatik von Interesse. Für die Finnougristik aber, für die das Wirken unseres Jubilars von so großer und weitreichender Bedeutung ist, mag die Umarbeitimg des Stoffes auf morphonologischer Grundlage und die Schlußfolgeningen, die sich aus einer solchen Umarbeitung ergeben, nicht uninteressant sein, ist doch der gegenwärtige Zustand einer Sprache ein Spiegelbild ihrer Entwicklung. . Wolfgang Steinitz hat unser Verständnis des Finnischen, insbesondere des finnischen Vokalismus im Gegensatz zum finnisch-ugrischen, bereichert. Hier sei nur ein Bruchstück seines seinerzeit intuitiv behandelten Materials quantitativ dargelegt und behandelt. Das Nykysuomen Sanakirja teilt die angeführten Verben je nach ihrer morphologischen Beschaffenheit (ihrer Konjugation) in 45 Typen ein. Die 45 Konjugationen enthalten abgeleitete wie auch einfache Verben; es bedarf also einer weiteren Arbeit, um die abgeleiteten Formen den einfachen gegenüberzustellen und daraus Schlüsse über die lexikalische Frequenz der Ableitungssuffixe zu ziehen. (Ableitungssuffixe werden in dieser Arbeit nur ausnahmsweise behandelt.) 1 (Wörterbuch der heutigen finnischen Sprache), Provoo und Helsinki: W. Söderström, 1 9 5 7 - 1 9 6 2 . 6 Bände. (Abkürzung: NSK.) 2 Die Zählung ist durch menschliche Kraft, also nicht maschinell durchgeführt worden, was zur Folge hat, daß sich einerseits Fehler eingeschlichen haben, die eine Maschine vermieden hätte, sich aber andererseits Zusammenhänge gezeigt haben, denen eine Maschine nicht gewachsen ist.
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Robert Austerlitz
Die Ergebnisse unserer Zählung 1 liegen in der Tabelle auf Seite 41 vor. Unsere morphonologische Transkription (in Großbuchstaben) besteht aus den Morphonemen M N R L X Q P T K V S H
I Y U EÖO Ä A
aus denen sich die phonologische Lesart (die aus praktischen Gründen in dieser Darstellung mit der finnischen Rechtschreibung isomorph ist) nach Anwendung folgender Regeln ergibt: (1) X im Stammauslaut wird vor dem Infinitiv 2 als T gelesen (Nr. 4, 12, 16, 22, 24). In Fällen wie Nr. 12, in denen X zwischen zwei E steht, wird es auch, vor getilgtem E, als T gelesen. (Die Tilgungsregeln werden im nächsten Absatz besprochen.) Die Form ALEXE-TAQ hat also die Zwischenform *ALET-TAQ (mit Tilgung von E vor -TAQ und Lesart T für X). In allen anderen Fällen, d. h. in Fällen, in denen ein zwischen zwei E stehendes X nicht in unmittelbarer Berührung mit einem suffixanlautenden Morphonem steht, wird dieses X endgültig (phonologisch) als n gelesen, z. B. ALEXE-N = alene-n (1. Pers. Sg.). (2) Große Kursivbuchstaben werden vor dem Infinitivsuffix® -TAQ getilgt; KATSEL2S-TAQ (Nr. 3) ergibt also eine Zwischenform*KATSEL-TAQ, VALITÄETAQ (18) die Zwischenform *VALIT-TAQ, und IUOZSÄ-TAQ (35) *IUOS-TAQ. (S. auch Nr. 7, 9, 12, 14, 26, 30, 32, 34, 37.) (3a) Ein konsonantisches Morphonem am Wortende (in den hier angeführten Infinitiven also das Morphonem Q) wie auch jede konsonantische Morphonemverbindung im Inlaut (d. h. Silbenschluß nach 6inem Vokal), wie z. B. NT in RAKKENTA- ( = rakenta-, Nr. 25) verursacht den Stufenwechsel nach links, d. h. bedingt die Lesung der morphonologischen Geminatae (TT, KK) als Simplices (t, k) und von T als d (z. B. NAI-TAQ = nai-da, Nr. 8; ebenso: 10, 29, 36, 43—45). Die in unserem Korpus nicht vorkommenden Fälle von Stufenwechsel (z. B., P P : p , P : v , IK:[ij]) werden hier nicht aufgezählt. (3 b) Die durch Tilgung entstandenen morphonologischen Konsonanten Verbindungen (der in der Tabelle angegebenen Reihe nach) LT und XT, TT (18, 30), 1 Diese Zählung ist noch nicht endgültig. So bilden erkanee und erata (bzw. 3. Person Sing, und Infinitiv) zwei verschiedene Stichwörter und wurden deshalb zweimal gezählt. Fehler dieser Art wurden nicht korrigiert; Druckfehler und Berichtigungen sind dagegen berücksichtigt. 2 Dies gilt auch für die Stellung vor den in Anm. 3 angeführten Suffixen und vor dem Präteritalsuffix -I-. Konsonantische Morphemverbindungen, die einerseits aus konsonantischen Morphonemen, die vor getilgten Vokalen [s. (2)] stehen, und andererseits aus dem Suffixanlaut N (Potentiale und Part. Prät.) bestehen, unterliegen den folgenden Assimilationsgesetzen: die Morphem Verbindungen T— N, L—N, R — N , S—N, X — N werden phonologisch jeweils als nn, II, rr, ss, nn gelesen. — Vor allen anderen Verbalsuffixen wird X als A (bzw. Ä) gelesen, z. B. K O H O X - N = kohoa-n, S E L V I X - N = selviä-n (Nr. 16, 22; 1. Person Sing.). 3 Ebenso vor den Passivsuffixen -TA- und -TU-, vor den Imperativsuffixen -KAA(-) und -KO-, vor dem Part. Prät. - N U T / - N E E - und vor dem Zeichen des Potentiale -NE-.
NSK Nr.
Frequenz
Typus
1 2 3 4 5 6 7 8
2 1 28 35 17 44 29 CO
Nr.
Morphonologisch
4349 2332 2279 1226 691 666 634 620
muiataa punoa katsella salata sallia antautua arvailla naida
MUISTA-AQ PUNO-AQ KATSEL^-TÄQ SALAX-TAQ SALLI-AQ ANTAUTU-AQ ARVAIL.E-TAQ NAI-TAQ
'sich erinnern' 'flechten' 'anblicken' 'verheimlichen' 'gestatten' 'sich ergeben' 'erraten' 'heiraten'
9 10 11 12 13 14 15 16
24 30 8 34 39 41 6 38
350 280 211 188 156 146 126 117
nuolaista haravoida pahentaa aleta haluta kihistä murtaa kohota
NÜOLAIS^-TAQ HARAVOI-TAQ PAHENTA-AQ ALEX.27-TAQ HALUX-TAQ KIHIS.E-TÄQ MURTA-AQ KOHOX-TAQ
'hastig lecken' 'rechen' 'verschlechtern' 'sinken' 'wollen' 'zischen' 'zerbrechen' 'steigen'
17 18 19 20 21 22 23
5 31 36 9 13 37 10
93 82 60 45 34 24 21
puoltaa valila katketa kaivaa laskea selvitä haastaa
24 25 26 27 28 29 30
40 42 25 4 11 21 45
15 12 11 10 9 7 7
palata rakentaa tulla soutaa paistaa juoda kaata
31 32 33 34 35 36 37 38
12 26 3 27 32 19 33 43
4 4 3 3 3 2 2 2
saartaa purra huutaa mennä juosta saada nähdä taitaa
39 40 41 42 43 44 45
7 14 15 16 20 22 23
1 1 1 1 1 1 1
sortaa tuntea potea lähteä myydä viedä käydä
PUOLTA-AQ VALIT&E-TAQ KATKEX-TAQ KAIVA-AQ LASKE-AQ SELVIX-TÄQ HAASTA-AQ PALAX-TAQ RAKKENTA-AQ TULÜ7-TAQ SOUTA-AQ PAISTA-AQ IUO-TAQ KAAT(4)-TAQ SAARTA-AQ PURÄ-TAQ HUUTA-AQ MEN.E-TÄQ ITJOJTS^-TAQ SAA-TAQ NÄKÜ-TÄQ TAITA-AQ SORTA-AQ TUNTE-AQ POTE-AQ LÄKTE-ÄQ MYY-TÄQ VIE-TÄQ KÄY-TÄQ
'verteidigen' 'wählen' 'brechen' 'graben' 'rechnen' 'klar werden' 'anklagen' 'zurückkehren' 'bauen' 'kommen' 'rudern' 'braten' 'trinken' 'umstoßen' 'umzingeln' 'beißen' 'schreien' 'sich begeben' 'laufen' 'erhalten' 'sehen' 'vermögen' 'unterdrücken' 'empfinden' ' k r a n k sein' 'sich wegbegeben' 'verkaufen' 'befördern' 'gehen'
1483 Das Beispielmaterial (unter „Typus") stammt aus dem NSK, I., xvi—xviii. Die deutschen Übersetzungen erheben keinen Anspruch auf Genauigkeit.
42
Robert Austerlitz
R T (32), N T (34) unterliegen gleichfalls in geschlossener Silbe dem Stufenwechsel, werden also phonologisch jeweils als II, t, rr, nn gelesen. {4) Die Verbindung K T wird als ht (starke Stufe, z. B. LÄKTE-ÄQ [42; kein Stufenwechsel, weil dem am Wortende stehenden Q zwei Vokale vorangehen] = lähte-ä) oder als hd (schwache Stufe, z . B . NÄKE-TÄQ [37; Zwischenform: *NÄK-TÄQ] = näh-dä) gelesen. (5) Die Notwendigkeit der Einführung von Sonderregeln ergibt sich nur in einigen wenigen Fällen, doch gelten diese Sonderregeln konsequent f ü r den Gesamtbereich der finnischen Grammatik. (a) Verba affectiva, die durch das Ableitungssuffix = I S E - gebildet werden, weisen keinen Stufenwechsel in der Wurzel auf: LÖPISE-TÄQ 'quatschen' (Zwischenform *LÖPIS-TÄQ) wird phonologisch nicht zu *löv=is-tä, wie zu erwarten wäre, sondern wird als löp=is-tä gelesen. Diese Gruppe von Verben (alle unter Nr. 9 und 14 angeführten) unterscheiden sich aber unverkennbar von allen anderen erstens formell durch das Vorhandensein des Ableitungssuffixes = I S E und zweitens semantisch durch ihre kinästhetische Eigentümlichkeit. (b) I n Nr. 18 wird SE getilgt, in anderen Fällen aber nur E. Nr. 18 besteht aber ausschließlich aus Verben, die als Ableitungssuffix = I T S E - enthalten, welches in keiner anderen Gruppe vorkommt 1 . (c) I n IUOKSE-TAQ (Nr. 35, die außerdem nur noch P I E K S E - T Ä Q = pies-tä 'peitschen' und SYÖKSE-TÄQ = syös-tä 'stürzen [trans.]' enthält), haben wir die Morphoneme beiderseits des S getilgt. Die Tilgung von K ist nur ein Schritt weiter als die vermutliche Zwischenform *IUOKS-TAQ, in der die der Sprache fremde Konsonantenhäufung *KST vorkommt. Es sei in diesem Zusammenhang auf Nomina wie LAPSE- = lapsi 'Kind' hingewiesen, bei denen im Partit. Sg. ebenfalls die Morphoneme beiderseits des S getilgt werden: LAPSE-TA = las-ta. (6) Auf eine morphonologische Andeutung der Vokalharmonie wird hier, hauptsächlich aus typographischen Gründen, verzichtet. Es versteht sich von selbst, daß wenn einmal ein A, 0 oder U in einem (unzusammengesetzten) Wort vorkommt, kein Ä, ö oder Y in demselben Wort vorkommen kann (und umgekehrt), daß also das Infinitivsuffix entweder -TAQ/-AQ oder -TÄQ/-ÄQ lauten muß und vom Vokalismus des Stammes abhängt. I und E sind in dieser Hinsicht neutral. Sind I und E aber die einzigen Vokale in einem Wort, bedingen sie vordervokalische Suffixe (s. Nr. 14, 22, 44). Aus der Tabelle ergibt sich auch die Tatsache, daß Verbalstämme, die Infinitiva auf -AQ (bzw. -ÄQ) und diejenigen, die Infinitiva auf -TAQ (bzw. -TÄQ) haben, sich gegenseitig ausschließen 2 . Zur ersten Gruppe gehören Verbalstämme, die auf 1 In SUITSE-AQ 'Rauch von sich abgeben' [selten], KAITSE-AQ 'weiden, pflegen', LOITSE-AQ '(ver)zaubern' [seltene Nebenform von LOITSI- AQ] wird stammauslautendes E nicht getilgt. Diese Verben (Nr. 21) enthalten aber auch nicht das Ableitungssuffix == ITSE-. 2 Was hier über das Infinitivsuffix gesagt ist, gilt auch für die in der Anm. 3 aufgezählten Suffixe. Das Präteritalsuffix -I- = -i- schließt sich in Verben, die auf X ausgehen, direkt an dieses X an (welches in diesen Fällen [wie T] als «gelesen wird; s. 4,13,19, 22, 24: SALAX-I
Finnische Konjugationstypen
43
A, 0 , U (bzw. Ä, ö , Y) I und TE ausgehen. Zur zweiten Gruppe gehören Verbalstämme, die auf zwei Vokale ausgehen (8, 10, 29, 36, 43—45), die auf E (aber nicht auf TE) ausgehen und solche, die auf einen Konsonanten (d. h. auf X) ausgehen 1 . Diese beiden Gruppen decken sich also vollständig. Dies bedeutet aber, d a ß a l l e o b e n a n g e f ü h r t e n T i l g u n g e n a u t o m a t i s c h s i n d , daß also die Architektonik eines gegebenen Verbs seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konjugation bestimmt. Es wird dem des Finnischen mächtigen Leser aufgefallen sein, daß die hier vorgeschlagene Analyse (1) in mancherlei Hinsicht mit der traditionellen finnischen Analyse (wie wir sie etwa in Suomen kielioppi von E. N. Setälä vorfinden) übereinstimmt und (2) verschiedentlich an eine ältere Entwicklungsstufe des Finnischen erinnert. Diese Ähnlichkeiten lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Die Handbücher stützen sich auf die Sprachgeschichte, um den heutigen Stand der Sprache zu beschreiben. Die hier vorgeschlagene Analyse ist programmatisch völlig ahistorisch. Da sie aber andererseits auf einer morphonologischen (im Gegensatz zu einer phonologischen oder, in unserem Falle, einer orthographischen) Grundlage basiert, hebt sie überraschenderweise eben diejenigen Züge der finnischen Lautarchitektonik hervor, die morphonologisch aktiv, phonologisch aber passiv (d. h. archaisch) sind; die Morphonologie ist eben bekanntlich der eigentliche Weg zur inneren Rekonstruktion. Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß hier der Versuch unternommen wurde, die 45 Konjugationstypen des Nylcysuomen Sanakirja auf einen einzigen Typus zu bringen. Der mathematisch-statistisch veranlagte Leser kann sich mittels graphischer Darstellungen die verschiedensten Kombinationen von (a) Frequenz eines beliebigen Typus gegen (b) ein beliebiges Charakteristikum (wie z. B. Auslaut -X, d. h. Ableitungen, oder -E, d. h. altes finnisch-ugrisches Sprachgut, u. a.) veranschaulichen. = salas-i, HALUX-I = halus-i usw.). In allen anderen Verbaltypen schließt sich das Präteritalsuffix an den in der Tabelle angegebenen (vokalischen) Verbalstamm, in welchem es [1] den Auslautvokal nicht beeinflußt (Nr. 2, 6), [2] diesen in o verändert, z. B. Nr. 20, KAIVA-I = kaivo-i, oder schließlich [3] tilgt, z. B. 1, 3, 5, 7 — 12 (ALEXE-I = alen-i), 13, 14 u. a. Die Gründe für die unter [1], [2] und [3] angeführten Veränderungen können hier nicht erörtert werden, sie beruhen aber auf der Architektonik der Verbalstämme. Ähnliche Gründe sind dafür ausschlaggebend, ob im Prät. in einem gegebenen Verb das T als t oder als s zu lesen ist, vgl. HUUTA-I- = huus-i (33) : POTE-I- = pot-i (41), oder SAARTA-I = saarto-i, saars-i, saart-i (drei Lesarten, je nach Anwendung der Regeln [2] und [3] und der Regel „T ist zu lesen als «"). Ausnahme: Nr. 45, KÄY-I = käv-i (also weder *kä-i mit Tilgung, noch *käy-i ohne Tilgung). — Das Konditionalsuffix tilgt gemäß der Regel nur das E in E-Stämmen und das I in I-Stämmen und einen von zwei langen Vokalen im Stammauslaut. — Alle anderen Suffixe schließen sich direkt an den Verbalstamm an; S. 40, Anm. 2. 1 In KAAT(A)-TAQ (Nr. 30) wird A getilgt, als ob es E wäre, ein seltener, archaischer, defektiver Typus mit Nebenformen in anderen Konjugationen.
MANFRED
BIERWISCH
Über die Rolle der Semantik bei grammatischen Beschreibungen
1.1. Zu der Frage, welche Rolle die Bedeutung bei der grammatischen Beschreibung einer natürlichen Sprache spielt, sind in den letzten Jahrzehnten im wesentlichen folgende Auffassungen vertreten worden: (1) Eine Grammatik, die sich nicht auf die Bedeutung stützt u n d sie in wesentlichen P u n k t e n einbezieht, ist unangemessen oder sogar unmöglich. (2) Die Trennung von Grammatik und Bedeutung ist notwendig, jedoch k a n n die Grammatik (die Form) nur im Hinblick auf die Bedeutung (den Inhalt} analysiert werden. (3) Die Bedeutung darf bei der grammatischen Analyse nicht berücksichtigt werden. Die Auffassung (1) entspricht der traditionellen, prästrukturellen Sprachwissenschaft, die Auffassung (2) ist im Anschluß an Saussures theoretische Konzeption vor allem von der Prager Schule u n d der Glossematik formuliert worden, die Auffassung (3) h a t sich aus der Forderung der amerikanischen distributionalistischen Theorie nach streng formalen Prozeduren zur Bestimmung der grammatischen Struktur ergeben. Zwar sind die Auffassungen (1) bis (3) zu verschiedenen Zeiten aufgetaucht, sie haben aber bis heute alle drei zahlreiche Anhänger. Die Erörterung der damit zusammenhängenden Fragen k a n n sich auf diese drei Standpunkte beschränken, unbeschadet der Tatsache, daß es weitere, mehr oder weniger artikulierte Zwischenpositionen gibt: Sie lassen sich alle auf (1) bis (3) reduzieren. I m R a h m e n einer umfassenden linguistischen Theorie, die nicht nur die F o r m einer Grammatik exakt charakterisiert u n d empirisch motiviert, sondern auch die Ziele u n d methodischen Bedingungen der linguistischen Theorie klärt, sind die durch (1) bis (3) umschriebenen Gegensätze leicht aufzuklären, die ihnen zugrunde liegenden Mißverständnisse zu beheben. Natürlich k a n n eine solche Analyse nicht auf einen Kompromiß zwischen den verschiedenen Standpunkten hinauslaufen, sie m u ß vielmehr den exakten theoretischen Sinn oder die Unangemessenheit der Motivierungen aufzeigen, die den genannten Auffassungen zugrunde liegen. 1 1 Hier gilt das gleiche wie bei den Mißverständnissen über das Verhältnis von Synchronie und Diachronie. Der Unterschied zwischen diesen Gesichtspunkten kann auch nicht durch die Kompromißtendenz vertuscht werden, die seit W. von Wartburgs These, daß es absolute Synchronie nicht gebe und daß man zwischen Synchronie und Diachronie vermitteln müsse, üblich geworden ist. (Vgl. Wartburg, Einführung in Problematik und, Methodik der Sprachwissenschaft, Halle 1943, 125ff.)
Semantik bei grammatischen Beschreibungen
45
Das ist nun in den letzten 10 Jahren so weitgehend getan worden 1 , daß wir uns hier mit sehr kurzen Bemerkungen und wenigen Beispielen begnügen können. 1.2. Bei der Beurteilung von (1) muß zunächst eine Korrektur gewisser tradierter Einteilungen vorgenommen werden. Es gibt eine Reihe von Erscheinungen, die zwar herkömmlicherweise in der Grammatik behandelt werden, weil sie nicht in den Wörterbüchern unterzubringen sind, die aber ihren angemessenen Platz in einer umfassenden Beschreibung der Bedeutung haben. Wir meinen zum Beispiel die Bedeutung der Tempora und Modi, des Numerus oder, in unterschiedlicher Weise für verschiedene Sprachen, der Postpositionen und Kasus, sofern nämlich deren Auftreten in einem Satz nicht seine grammatische Struktur — seine Richtigkeit oder Ambiguität — sondern nur seine Bedeutung affiziert. 2 Die nach dieser Richtigstellung in den traditionellen Grammatiken verbleibenden semantischen. Angaben sind entweder a) tautologisch, das heißt sie paraphrasieren nur mit semantischen Ausdrücken das, was die Grammatik ohnehin ausdrückt, oder sie sind b) Relikte einer nicht zu Ende geführten grammatischen Analyse oder es handelt sich c) um Erscheinungen, die gar nicht grammatisch beschrieben werden können. Beispiele, f ü r a) sind solche Aussagen wie: „Die Leistung des ergänzungslosen Satzes wird allein durch das Prädikat und die mit ihm fest verbundene Wortart Verb bestimmt. Es handelt sich nämlich in diesen Sätzen nicht um Verben schlechthin, sondern um eine bestimmte Schicht der Wortart Verb. I n ihnen können nur Verben als Prädikat stehen, die einen in sich ruhenden Zustand oder Vorgang und eine in sich ruhende Tätigkeit an dem im Subjekt genannten Wesen oder Ding feststellen. E s sind dies diejenigen intransitiven und echt reflexiven Verben, die keine Sinnergänzung fordern, und die unpersönlichen Verben." 3 Diese Peststellung besagt nicht mehr, als daß es im Deutschen Sätze gibt, deren Hauptverbkomplex (künftig HV) außer dem Verb (künftig V) keine weiteren Satzglieder enthalten kann oder muß, ihr Prädikat besteht also nur aus einem Verbstamm, der einer bestimmten Klasse angehören muß, und möglichen Hilfsverben (künftig Aux). Wir können die zitierte Feststellung einfach so zusammenfassen: I m Deutschen gibt es Sätze der Struktur Nom 0 + V x + Aux, wobei Nom 0 das Subjekt ist, und x der Index für die fragliche Verbklasse. Jede über diese rein formale Feststellung hinausgehende Interpretation führt zu Ungereimtheiten. Denn wie immer wir auch den Ausdruck „in sich ruhender Zustand oder Vorgang und in sich ruhende Tätigkeit" präzisieren wollen: Verben wie platzen, springen usw. können sicher nicht mit diesem Merkmal charakterisiert werden, obwohl sie in Sätzen der genannten 1 Siehe insbesondere Chromsky, Syntactic Structures, 'S-Gravenhage 1957, darin vor allem das Kapitel Syntax and Semantics; Lees, Rezension zu Syntactic Structures, Language 33, 393 — 99; Putnam, Some Issues in the Theory of Orammar, Proceedings of the Twelfth Symposium in Applied Mathematics, Providence 1961, 25 — 39. 2 Das Auftreten der verschiedenen Tempora und Modi hängt dabei in weit stärkerem Maße von rein syntaktischen Bedingungen ab, als es die bisherige Behandlung dieser und ähnlicher Probleme vermuten läßt. Vgl. dazu Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, Berlin 1963, 149 — 64. Vgl. auch unten Anmerkung 3, S. 49). 3 Dudengrammatik, herausgegeben von Paul Grebe, Mannheim 1959, § 867, 437.
46
Manfred Bierwisch
Struktur auftreten: Die Bombe platzt. Andererseits gibt es Verben, die die genannte semantische Eigenschaft zweifellos haben, aber ohne Ergänzung grammatisch unkorrekte Sätze ergeben: *Dresden liegt. Um Unsinnigkeiten zu vermeiden, müssen wir also „in sich ruhend" etwa als „objektlos" auffassen, was dann eine rein grammatische Charakterisierung ist. Ein Beispiel für b) — nicht zu Ende geführte grammatische Analyse — ist etwa folgende Beschreibung der Partizipbildung bei Verben mit sogenanntem trennbarem Präfix: „in der Vollendungsform aber (wird die gewichtigere Partikel) durch das — in diesem unfesten Zusammenhang hinzutretende -ge abgetrennt: durch-ge-schaut. Daß dieses perfektivierende ge hier erforderlich ist, erweist den relativ geringen Grad der Perfektivierung, der durch diese trennbaren Partikel erreicht wird. Diese unfesten Zusammensetzungen bezeichnen bestenfalls die Phase der Vollendung, sind also nicht 'Resultativa', sondern 'Konklusiva'." 1 Abgesehen von der unpräzisen und stets nur ad hoc gegebenen Charakterisierung solcher Termini wie „resultativ" und „konklusiv" in der gesamten Literatur muß die Bezugnahme auf sie durch die Angabe einer einfachen, rein grammatischen Regel ersetzt werden, die das Auftreten des Präfix ge bestimmt und die unformal etwa lautet: Wenn nicht der erste Vokal eines Verbstamms betont ist, wird das Partizip I I mit ge gebildet. 2 Ein Exempel für c) — den Versuch, semantische Erscheinungen in der Grammatik zu behandeln — bildet der größte Teil der Literatur über die „Aktionsarten" im Deutschen. Wir werden auf dieses Problem der Abgrenzung von Grammatik und Semantik in Abschnitt 3 zurückkommen. Diese Beispiele mögen genügen, um plausibel zu machen, daß die Auffassung (1) bei einer Präzisierung der Grammatiktheorie nicht aufrechterhalten werden kann. 3 Einen Beweis gegen die Auffassung (1) bilden sie natürlich nicht. I n einem strengen Sinn folgt die Unhaltbarkeit nur aus der entsprechend exakten Explikation des Begriffs Grammatik, die wir hier nicht wiederholen wollen. Uns kam es nur auf die Illustration an. 1
Erben, Abriß der deutschen Grammatik, vierte Auflage, Berlin 1961, 23. Eine genauere und streng formale Besehreibung dieser Regularitäten findet sich in Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs 85—6 und 114. 3 Wir sind hier nicht eingegangen auf die zahlreichen Fälle, in denen die Bedeutungsangaben einfach Ausdruck falscher Beobachtungen sind, wie etwa im folgenden Beispiel aus Brinkmann, Die deutsche Sprache, Düsseldorf 1962, 227, wo über Sätze mit einem Akkusativobjekt gesagt wird, daß sie- dann kein Passiv bilden können, wenn das Objekt nicht „außerhalb des Subjektbereichs liegt und unabhängig vom Subjekt ist. . . . In den Bereich des Subjekts fällt ein Akkusativ, der einen Körperteil des Subjekts nennt (Er hat den Kopf geschüttelt).11 Diese Feststellung ist grammatisch wie semantisch falsch, wie z. B. das vollkommen korrekte Passiv Zum Gruß wurde von allen die Hand erhoben zeigt. — Die hier kritisch analysierten Beispiele sind ganz willkürlich herausgegriffen aus Büchern, die für grammatische Beschreibungen zumal in Deutschland als repräsentativ gelten können. Sie sind alles andere als Einzelfälle und sollen die methodologische Position, nicht den Wert der Bücher charakterisieren, aus denen sie entnommen sind, denn natürlich können unvollständige oder falsche Analysen auch in streng formalen Grammatiken enthalten sein. 2
Semantik bei grammatischen Beschreibungen
47
1.3. Die Bemerkungen zur Auffassung (2) können sehr kurz gehalten werden, da sie unter anderem von Chomsky und Lees 1 sehr ausführlich kritisiert worden ist. Die bedeutsamste Schlußfolgerung aus (2) ist die Annahme, daß zwei Lautfolgen dann und nur dann phonologisch different sind, wenn sie verschiedene Bedeutung haben. Diese Annahme wird aber in der einen Richtung durch die Existenz von Homonymen, in der anderen durch die Existenz von Synonymen falsifiziert: Bei strikter Anwendimg der Annahme müßte Absatz in Beate verlor einen Absatz und Diesen Absatz hat Jakob geschrieben zwei phonologisch distinkte Lautfolgen repräsentieren, während die beiden Lautfolgen [es Jtünda zo:] und [es Jtenda zo:] phonologisch identisch sein müßten. Beides entspricht nicht der gewünschten adäquaten Beschreibung. Chomsky hat gezeigt, daß auch Modifikationen der genannten Annahme zu keinem empirisch sinnvollen Resultat führen. 2 Die gleichen Einwände und weitere Komplikationen gelten auch f ü r Hjelmslevs Prinzip der Kommutation 3 , das in analoger Weise auch semantische Invarianten begründet. 1.4. Wir wenden uns n u n noch der Auffassung (3) zu. Wir müssen dabei zunächst sorgfältig zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks „Analyse" unterscheiden. „Grammatische Analyse" wird einerseits verwendet f ü r die Prozedur, die einem gegebenen Satz unter Voraussetzung einer bestimmten Grammatik seine syntaktische, morphologische und phonologische Struktur zuordnet. Es ist also der Prozeß, den intuitiv jeder Sprecher und Hörer im Kommunikationsakt vollzieht, der metasprachlich kontrolliert wird in der im Grammatikunterricht vorgenommenen Grammatikanalyse' (für den es im Englischen den Ausdruck „parsing" gibt) und der auf Grund einer exakten Grammatik als rein formaler Prozeß formulierbar sein muß, so, daß jedem durch die Regeln der Grammatik ableitbaren Satz durch eine genau definierte Funktion auf jeder linguistischen Ebene seine Repräsentation zugeordnet wird. 4 Es ergibt sich aus unseren Bemerkungen zu (1) von selbst, daß die grammatische Analyse in diesem Sinn jede Berücksichtigung der Bedeutung ausschließen muß. Sonst hätte die • Forderung, daß in die Formulierung der Grammatik keine Bedeutungsangaben eingehen dürfen, keinen Sinn. Die zweite Bedeutung des Ausdrucks „Analyse" besteht in dem Prozeß, der auf Grund gegebener Sätze zur Auffindung der Regeln führt, nach denen sie gebildet sind. I n dieser zweiten Bedeutung ist nicht — wie bei der ersten — die Grammatik schon als bekannt vorausgesetzt. Das Ziel der distributio1 Chomsky, Syntactic Structures, 94—100, Lees, Rezension zu Syntactic Structures, 395-399. 2 Chomsky, Syntactic Structures, 95—96. Eine mögliche Modifikation besteht darin, zwei Lautfolgen dann und nur dann als phonologisch different anzusehen, wenn sie in der Menge aller ihrer Bedeutungen differieren. Damit würde die am Beispiel Absatz gezeigte Schwierigkeit umgangen. Die neuen Schwierigkeiten, die mit dem Begriff „Menge aller Bedeutungen " auftauchen, machen das Prinzip nicht sinnvoller. 3 Hjelmslev, Prolegomena to a Theory of Language, Revised English Edition, Madison 1961, 7 3 - 7 5 . 4 Eine exakte Formulierung dieser Forderung gibt u. a. Chomsky, On the Notion 'Rule of Grammar\ Proceedings of the Twelfth Symposium in Applied Mathematics, 6—7.
48
Manfred Bierwisch
nellen Sprachwissenschaft, am deutlichsten formuliert in Harris' „Methods in Structural Linguistics" 1 bestand nun daran, die Sprachtheorie als eine Reihe effektiver Prozeduren aufzubauen, die die grammatische Analyse im zweiten Sinn zu einem ebenfalls streng formalen Prozeß machen. 2 Chomsky hat als erster grundsätzlich klar gemacht, daß dieses Ziel nicht nur praktisch uninteressant, sondern auch theoretisch überflüssig ist. 3 Zieht man die Konsequenzen aus dieser Einsicht, so bedeutet das, daß die Auffindung einer Grammatik aus einem gegebenen Textmaterial wie jeder wissenschaftliche Entdeckungsvorgang ein heuristischer Prozeß ist, in den alle Arten von Hilfsmitteln einbezogen werden können: Es müssen bestimmte Hypothesen über die grammatische Struktur der zu beschreibenden Sprache gebildet und an den Fakten auf ihre Angemessenheit geprüft werden. Zur Bildung solcher Hypothesen können sehr vielfältige, auch semantische Überlegungen und Beobachtungen führen. Die Entscheidung über eine — oder mehrere alternative — Hypothesen muß dann aber auf Grund rein grammatischer Fakten — vgl. die Bemerkungen zur Auffassung (2) — sowie theoretischer Bedingungen über die Form der Grammatik geschehen. Beispielsweise ist im Deutschen wie in vielen Sprachen zwischen mehreren verschiedenen adverbialen Konstituenten zu unterscheiden: sie unterliegen verschiedenen Stellungsregularitäten, unterschiedlichen Beschränkungen bei der Kombination mit anderen Konstituenten usw. Dabei handelt es sich um rein grammatische Fakten, wie die grammatische Richtigkeit bzw. Abweichung der folgenden Sätze zeigt: (4) (a) (b) (c) (d)
Hans hat einen Mann in die linke Ecke geschickt. Hans hat auf dem Platz einen Mann in die linke Ecke geschickt. Hans hat auf dem Platz einen Mann getroffen. *Hans hat auf dem Platz einen Mann in die linke Ecke getroffen.
Die Unmöglichkeit von (4d) liegt nicht an der Bedeutung von treffen, das ja auch mit in die linke Ecke verbunden werden kann, etwa in Hans hat in die 1
Harris, Methods in Structural Linguistics, Chicago 1951, 6—9. Die Tatsache, daß diese beiden Bedeutungen des Ausdrucks „Analyse" in den Formulierungen der Theorie Hjelmslevs nicht auseinandergehalten werden, hat dazu geführt, daß auch die Glossematik als Formulierung einer Auffindungsprozedur verstanden worden ist. Erst ein spät hinzugefügter Abschnitt, Prolegomena S. 17 in der revidierten Ausgabe, zeigt, daß Hjelmslev solche Prozeduren zwar für möglich hält, die bisher vorliegende Theorie jedoch strikt davon unterscheidet. 3 Chomsky, Syntactic Structures, 49 — 60. Die Aporien, die mit diesem Ziel verbunden sind, wurden mehrfach auch im Detail aufgewiesen, so vor allem von Lees, Substitution in Frames Technique, mimeographiert; vgl. auch Bierwisch, Uber den theoretischen Status des Morphems, »S'tudia Grammatica I, Berlin 1962, 59 — 60. Inzwischen konnte bewiesen werden, daß eine effektive Auffindungsprozedur nicht existiert, wenn man folgende Bedingungen akzeptiert: Gegeben sei eine (unendliche) Menge von Sätzen, die durch eine Grammatik G, erzeugt wird. Es existiere eine schwächere Grammatik G2, die die gleiche Satzmenge erzeugt, G 2 ist nicht automatisch konstruierbar. Vgl. Shamir, A Remarle cm Discovery Algorithmus for Grammars, Information and Control 5, 246—51. 2
Semantik bei grammatischen Beschreibungen
49
linke Ecke getroffen. Die durch (4) exemplifizierten Fakten müssen also mit anderen zusammen durch grammatische Regeln erklärt werden. 1 Die Formulierung von Hypothesen über die dafür nötige Klassifizierung von Verben und Adverbialen kann jedoch durch semantische Überlegungen erleichtert werden. So werden zunächst Orts- und Richtungsadverbiale unterschieden. Erweisen sich die auf dieser Basis erreichten Klassifizierungen als adäquat, so gehen sie jedoch in die Grammatik als rein formale Kategorien ein. Die Verwendung von Benennungen, die die heuristische Genesis verraten, darf darüber nicht hinwegtäuschen. Vielmehr kann umgekehrt die grammatische Beschreibung die Basis für die Erklärung von Fakten bilden, die zunächst äls rein semantisch anzusehen waren. Wir fassen abschließend unsere Auffassung, die wir den Auffassungen (1) bis (3) entgegensetzen wollen, in folgender Weise zusammen: (5) Die Grammatik einer Sprache erfaßt per definitionem nur die grammatischen Regularitäten. Eine wissenschaftliche Beschreibung der Grammatik einer gegebenen Sprache muß als streng formales Regelsystem aufgebaut werden, das jedem Satz dieser Sprache automatisch seine grammatische Struktur zuordnet. (6) Der heuristische Prozeß, der zu dieser wissenschaftlichen Beschreibung führt, kann Überlegungen und Beobachtungen aller Art — auch semantische — benützen. (7) Die Bestätigung oder Verwerfung von Annahmen über die grammatische Struktur kann nur auf Grund grammatischer Fakten und genereller theoretischer Bedingungen über die Form einer Grammatik erfolgen. 2.1. Unsere bisherigen Erörterungen über die Beziehung zwischen Grammatik und Semantik gingen von der Voraussetzung aus, daß eine streng formale und empirisch motivierte Grammatiktheorie zur Verfügung steht. Für die Theorie der Semantik wurde diese Voraussetzung nicht gemacht. Nun verfügen wir aber seit den Arbeiten von Fodor und Katz 2 auch über die Grundzüge einer formalen und empirisch motivierten Semantiktheorie. Nach dieser Theorie besteht eine semantische Beschreibung aus einem Lexikon, das in formalisierter Form die semantische Struktur aller Bedeutungseinheiten enthält 3 , und einem System von Regeln, die jedem Satz auf Grund seiner syntaktischen Struktur und der in ihm enthaltenen Elemente des Lexikons die Gesamtzahl seiner möglichen Bedeutungen zuordnen, also 1 Satzbedeutung, falls der gegebene Satz semantisch eindeutig ist, n Bedeutungen, falls der Satz n-deutig ist und keine Satzbedeutung, falls der Satz semantisch unnormal ist. Nimmt man eine solche Theorie der semantischen Interpretation von Sätzen an, so ergeben sich neue Aspekte für die von uns untersuchten Probleme. Eine seman1
Dieser Zusammenhang wird skizziert in Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, 38 bis 53 und 5 7 - 5 9 . 2 Fodor und Katz, The Structure of a Sernantic Theory, Language 39, 170—210. 3 In diesem Lexikon findet auch die exakte Beschreibung der nicht-syntaktischen Eigenschaften von Tempus, Modus, Numerus, Kasus usw. ihren Platz (vgl. Abschnitt 1.2). 4
Festschrift Steinitz
50
Manfred Bierwisch
tische Analyse im ersten der beiden oben erörterten Bedeutungen des Wortes „Analyse" ist im Rahmen einer solchen Theorie ein mechanischer Prozeß, der einem gegebenen Satz alle seine Repräsentationen auf der semantischen Ebene zuordnet, mit anderen Worten, der auf rein formale Weise seine möglichen Bedeutungen angibt. Das kann gemäß der Form der semantischen Theorie nur auf der Grundlage der syntaktischen Struktur geschehen. Die Semantik setzt also in diesem Sinn die Grammatik voraus. Mit der semantischen Analyse im zweiten Sinn dieses Ausdrucks — dem heuristischen Prozeß, der zur Ermittlung des angemessenen Lexikons und der semantischen Regeln führt, — wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Natürlich sind auch dafür alle sinnvollen Mittel verwendbar. Interessant ist aber eine Schlußfolgerung, die sich aus der genannten Konzeption der Semantik für die Bewertung verschiedener möglicher Beschreibungen grammatischer — und semantischer — Fakten ergibt. Zu den unter (7) erwähnten „generellen theoretischen Bedingungen" gehört auch eine Bewertungsprozedur, die es in allgemeinformulierter Weise ermöglicht, von mehreren möglichen Beschreibungen der gleichen Fakten die einfachste Beschreibung auszuwählen. Was das innerhalb der Grammatik bedeutet, ist mehrfach gezeigt worden. 1 So besteht beispielsweise für viele Sprachen die Möglichkeit, die Regularitäten für Adjektivattribute entweder nur innerhalb der Konstituentenstruktur-Komponente der Syntax oder aber unter Zuhilfenahme von Transformationsregeln zu beschreiben. Die zweite Lösung führt zu einer Komplizierung des Transformationsteils, aber zu einer Vereinfachung der Gesamtgrammatik. Allgemeiner heißt das: „simplicity is a systematic measure; the only ultimate criterion in evaluation is the simplicity of the whole system. I n discussing particular cases, we can only indicate how one or another decsion will affect the over-all complexity. Such validation can only be tentative, since by simplifying one part of the grammar we may complicate other parts." 2 Wenn wir diese Überlegungen ausdehnen auf das Gesamtsystem der Sprachbeschreibung, so betrifft das über die einzelnen Teile der Grammatik Gesagte auch das Verhältnis zwischen Grammatik und Semantik, oder, wie man aus empirischen und theoretischen Gründen einschränken kann: das Verhältnis zwischen Syntax und Semantik. So kann zwischen zwei Beschreibungen grammatischer Fakten, von denen auf Grund der in Betracht gezogenen grammatischen Erscheinungen keine bevorzugt werden kann, die Beschreibung bestimmter semantischer Erscheinungen die Entscheidung ermöglichen. Es kann auch eine syntaktisch kompliziertere Lösung akzeptiert werden, wenn die semantische Beschreibung dadurch entsprechend vereinfacht wird. Wir wollen diesen Zusammenhang an einem Beispiel aus der deutschen Grammatik zeigen.
1
Vgl. z . B . Chomsky, Syntactic Structures, 72 — 81; Chomsky, A Transformational Approach to Syntax, Third Texas Conference on Problems of Linguistic Analysis in English, Austin 1962,152—58; Halle, On the Role of Simplicity in Linguistic Descriptions, Proceedings of the Twelfth Symposium in Applied Mathematics, 89—94. 2 Chomsky, Syntactic Structures, 55 — 6.
Semantik bei grammatischen Beschreibungen
51
2.2. Es gibt im Deutschen eine kleine Gruppe von Elementen, die mitunter als Adverbien, mitunter als sogenannte Modalpartikeln betrachtet werden und die durch eine Reihe gemeinsamer syntaktischer Eigenschaften gekennzeichnet sind. Zu ihnen gehören noch, doch und die Negation, die entweder nicht oder zusammen mit einem nachfolgenden unbestimmten Artikel leein heißt. Die syntaktischen Regularitäten, die für diese Elemente gelten, ihre Abgrenzung gegen andere Klassen, sind bis jetzt keineswegs vollständig geklärt. Wir beschränken uns hier auf die bereits untersuchten Eigenschaften, da es uns nur auf die Illustration des im vorigen Abschnitt erwähnten Zusammenhangs, nicht auf eine endgültige Beschreibung ankommt. Betrachten wir die folgenden Sätze und Nichtsätze: (8) (a) (b) (c) (d)
Klaus wird das Buch doch zu Hause lassen. Der Stein ist demnach nicht ins Wasser gefallen. Hans fährt den Wagen noch in die Garage. Bela ist kein Neuling.
(9) (a) (b) (c) (d)
*Klaus wird das Buch zu Hause doch lassen. *Der Stein ist demnach ins Wasser nicht gefallen. *Hans fährt den Wagen in die Garage noch. *Bela ist ein Neuling nicht.
Wir können diesen Beobachtungen Rechnung tragen, wenn wir annehmen, daß die fraglichen Elemente, die wir als Vertreter einer Konstituente Pv ansehen wollen, normalerweise hinter den Objekten und gewissen Adverbialbestimmungen stehen, aber vor den Richtungsadverbialen und dem Prädikatsnomen. Wenn wir weiterhin aus einer Reihe von Gründen annehmen, daß die Verbstellung des Nebensatzes für die deutsche Grammatik primär ist 1 , so kommen wir z. B. für (8a) zu folgender Analyse:
(10)
Satz
HV
Aux
(daß) Klaus das Buch doch zu .Hause lass en wird 1 Zur Begründung der Verbendstellung als der primären Wortstellung im Deutschen vgl. Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, 34 — 36. Dort findet sich auch 40, 64 — 5, 104—5 eine detailliertere und präzise Formulierung der in diesem Abschnitt skizzierten Analyse für Pv.
4*
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Manfred Bierwisch
Dabei ist V E (Verbergänzung) die Konstituente, zu der die Objekte und Adverbiale zusammengefaßt werden, und Vb enthält das Prädikat und die Kopula oder den Verbstamm mit den engsten Ergänzungen: den Richtungs- oder Lokaladverbien und den trennbaren Präfixen. Der unter (10) angegebenen Analyse entspricht folgendes provisorisches Regelsystem: (11) (a) Satz (b) VP (c) HV (d) Vb
Nom 0 + VP HV + Aux (VE) (Pv) Vb Präd -f- sei (Adv) V Ad Vv
Adv ist dabei die Konstituente für die Richtungs- und Lokaladverbiale, die nur bei bestimmten Verben möglich sind. In Klammern stehen Elemente, die in einer Konstruktion vorkommen können, aber nicht müssen. Von dieser primären Stellung aus können dann durch einfache Permutationstransformationen Sätze wie die folgenden abgeleitet bzw. ausgeschlossen werden: (12) (a) Klaus wird doch kein Buch zu Hause lassen. (b) Hans fährt noch den Wagen in die Garage. (c) *Der Stein ist nicht demnach ins Wasser gefallen. 2.3. Die Berücksichtigung weiterer syntaktischer Regularitäten führt dazu, eine andere Analyse als die durch (11) angegebene für Pv in Betracht zu ziehen. Es gibt zahlreiche grammatische Motivierungen dafür, Sätze vom Typ (13) als einen Komplex aufzufassen, der durch Einbettung des Hauptverbkomplexes von (14a) in (14b) für die Konstituente C entsteht: (13) Du wirst ihn später einen Zug besteigen sehen. (14) (a) E r besteigt einen Zug. (b) Du wirst ihn später — C — sehen. Ein komplexer Satz vom Typ (13) kann z. B . zwei Akkusativobjekte enthalten, von denen eins — ihn — eindeutig zum Matrixsatz (14 b) und eins — einen Zug — zum Konstituentensatz (14 a) gehört. E r kann aber im allgemeinen nicht zwei Pv enthalten, von denen eins aus dem Matrix- und eins aus dem Konstituentensatz stammt: (15) (a) Du wirst ihn später doch einen Zug besteigen sehen. (b) Du wirst ihn doch später einen Zug besteigen sehen. (c) *Du wirst ihn doch später doch einen Zug besteigen sehen. Die primäre Stellung von Pv ist dabei die, die es als Konstituente des eingebetteten Satzes hätte, wie folgendes Beispiel zeigt: (16) Du wirst ihn später den Zug nicht besteigen sehen. Auf Grund der in 2.2 skizzierten Analyse ließen sich diese Fakten durch die Beschränkung, daß der Matrixsatz kein Pv enthalten darf, beschreiben. Eine
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solche Beschränkung ist aber nur ad hoc aufgestellt, sie ist technisch kompliziert — es muß dann in den Konstituentenstrukturregeln festgelegt werden, daß P v nicht zzsammen mit C auftreten darf — und widerspricht der Intuition. P v wird nämlich eher als zum Matrixsatz, bestimmt aber nicht eindeutig als zum Konstituentensatz gehörig verstanden, selbst dann, wenn etwa die Negation mit dem Artikel des Objekts des Konstituentensatzes verschmolzen wird: (17) Du wirst ihn später keinen Zug besteigen sehen. Es ist also angemessener, Pv aus dem Konstituentensatz auszuschließen, falls er für C eingebettet werden soll. Das ist am einfachsten möglich, wenn wir P v mit anderen Elementen zusammenfassen, die nicht eingebettet werden können. Das trifft zu für Aux. Wir werden so zu folgender Reformulierung von (11) geführt. (18) (a) (b) (c) (d)
Satz VP Aux HV ->
Nom 0 + VP HV + Aux Ax (Pv) (VE) Vb
Die Konstituentenstrukturregeln bleiben im übrigen unverändert gegenüber der Analyse in 2.2, es muß nun aber eine Transformationsregel formuliert werden, die Pv an die Stelle zwischen VE und Vb permutiert. Diese Regel muß nach der Einbettungsregel, die (13) erzeugt, angewendet werden, um so das P v des Matrixsatzes auch zwischen VE und Vb des Konstituentensatzes zu plazieren, wie (16) es verlangt. Da bei der Erzeugung von (13) das Aux des Konstituentensatzes nicht mit eingebettet werden darf, ist nun automatisch garantiert, daß nicht zwei P v im Transform auftreten können. 2.4. Die Bewertung der beiden in 2.2 und 2.3 skizzierten Beschreibungen unter dem Gesichtspunkt der Einfachheit der Grammatik ist an dieser Stelle kaum möglich. Die Tatsache, daß für die zweite Beschreibung zwei Regeln mehr notwendig sind als für die erste, kann möglicherweise durch weitere Konsequenzen, die sich an anderen Stellen der Grammatik ergeben, ausgeglichen werden. Wichtiger ist in dieser Situation die Tatsache, daß in 2.3 eine der Intuition insofern mehr entsprechende Analyse gegeben wird, als Pv in Sätzen wie (16) als zum Matrixsatz gehörig betrachtet wird. Dieses Kriterium allein gibt jedoch keine sichere Basis für die Entscheidung. Wir wollen nun zeigen, daß die Berücksichtigung der semantischen Theorie die Bevorzugung von (18) weiter motiviert. Die Regeln (18) bilden die Grundlage für eine bei weitem einfachere Analyse der mit P v zusammenhängenden semantischen Fakten. 2.5. Betrachten wir die beiden folgenden Sätze: (19) (a) (daß) Achim wegfährt (b) (daß) Achim nicht wegfährt Eine adäquate semantische Beschreibung sollte zweifellos (19 b) als Negation von (19a) charakterisieren, d. h. die semantische Repräsentation sollte zeigen, daß das Negationselement den gesamten Satz negiert, in dem es enthalten
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Manfred Bierwisch
ist. 1 Vergleichen wir mit dem Verhältnis zwischen diesen beiden Sätzen das zwischen (20) und (21): (20) (a) (b) (c) (d) (e)
(daß) (daß) (daß) (daß) (daß)
Achim Achim Achim Achim Achim
wegfahren wegfahren wegfahren wegfahren wegfahren
(21) (a) (b) (c) (d) (e)
(daß) (daß) (daß) (daß) (daß)
Achim Achim Achim Achim Achim
nicht nicht nicht nicht nicht
muß kann darf will soll
wegfahren wegfahren wegfahren wegfahren wegfahren
muß kann darf will soll
Offenbar darf das Verhältnis zwischen den einander entsprechenden Paaren aus (20) und (21) nicht ohne weitere Spezifizierung als Negation beschsieben werden. Das läßt sich leicht verdeutlichen, wenn wir annehmen, daß (22) synonym mit (19b), also ebenfalls Negation von (19a) ist: (22)
(daß) Achim hierbleibt
Diese Annahme ist nicht korrekt, eine vollständige semantische Beschreibung dürfte (19 b) und (22) nicht gleich repräsentieren, sie ist aber eine f ü r unsere Zwecke legitime Vereinfachung. Wir können unter dieser Voraussetzung nämlich folgende Synonymien feststellen: (23) (a) (b) (c) (d) (e)
(daß) (daß) (daß) (daß) (daß)
Achim Achim Achim Achim Achim
hierbleiben hierbleiben hierbleiben hierbleiben hierbleiben
m u ß = (21b) oder (21c) k a n n = (21a) darf = (21a) will = (21 d) soll = (21 e)
Was wir durch (23) veranschaulichen wollen, läßt sich so umschreiben: Das Negationselement bezieht sich in einem Satz, der müssen, können oder dürfen enthält, auf das Modalverb, genauer: den in der Bedeutung des Modalverbs enthaltenen 'Modalfaktor' — Necessität und Possilität —, bei wollen und sollen bezieht es sich auf den Satz abzüglich des Modalverbs. 2 Diese Feststellung gilt auch 1
Das Negationselement kann also in Analogie zum Negationsoperator des Aussagenkalküls beschrieben werden. 2 Diesen Sachverhalt hat zuerst Bech, Grundzüge der semantischen Entwicklungsgeschichte der hochdeutschen Modalverba, Kopenhagen 1951, 8 — 12, systematisch formuliert und dafür die Termini 'Negatio recta' für die Negation des Modalverbs und 'Negatio obliqua' für Negation des 'untergeordneten' Hauptverbs eingeführt. Die Fakten, um die es dabei geht, lassen sich auch auf verschiedene andere Arten veranschaulichen, etwa durch folgende Umschreibungen : Achim muß wegfahren = Es ist notwendig, daß Achim wegfährt. Achim muß nicht wegfahren = Es ist nicht notwendig, daß Achim wegfährt.
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Semantik bei grammatischen Beschreibungen
dann, wenn das Negationselement mit einem unbestimmten Artikel zu kein verschmolzen ist: (24) (a) Ich muß Tabak kaufen = Es ist notwendig, daß ich Tabak kaufe. (b) Ich muß keinen Tabak kaufen = Bs ist nicht notwendig, daß ich Tabak kaufe. Die durch (19) bis (24) exemplifizierten Fakten sind zweifellos Gegenstand einer semantischen Beschreibung des Deutschen. Das bedeutet, daß diese Beschreibung außer einer exakten Charakterisierung der Bedeutung der Modalverben 1 Regeln enthalten muß, die festlegen, wie diese Bedeutungen in die Satzbedeutung eingehen und wie die Negation mit diesen Bedeutungen verbunden werden muß. Diese Regeln gehören zu einem Typ, der jeweils die semantischen Merkmale von solchen Elementen, die gemeinsam von einem übergeordneten Knoten des syntaktischen Stammbaums abhängen, unter festgelegten Bedingungen und in festgelegter Weise zu einem neuen Komplex semantischer Merkmale zusammenfassen, der dann die Bedeutung dieses ganzen Knotens angibt. Das bedeutet aber, daß wir zur Erklärung der Bedeutung von (21a) bis (21c) einen Stammbaum folgender Form voraussetzen müssen: (25)
Satz
Vb
(da) Achim
Ax
Adv
V Ad
weg
fahr en
Pv
Mod muß
nicht
Hier ist die Bedeutung von muß und nicht unmittelbar zu einem Komplex, der die Bedeutung von Aux angibt, zusammenzufassen. Genau diesen Stammbaum liefern uns die Regeln (18). Auf der Basis eines Stammbaums vom Typ (10), bei der das Negationselement zwischen VE und Vb steht, wäre die semantische Struktur von (21a) — die Negation des ModalfaKtors — nicht oder nur künstlich und kompliziert erklärbar. Die Bedeutung von (21 d) und (21 e) ist durch geeignete Formulierung der Regeln und der semantischen Charakterisierung von sollen und wollen leicht auf der Basis dieses Stammbaums abzuleiten: die Negationsbedeutung 1
Wir lassen hier die Probleme, die sich aus der besonderen Polysemie von mögen ergeben, außer acht. Sie ließen sich jedoch zweifellos in den hier skizzierten Rahmen einordnen. Ebenso beschränken wir uns auf Exempel mit der Negation und ignorieren die übrigen Elemente von Pv, da die Negation die Gründe unserer Argumentation besonders deutlich macht. Wir dürfen das tun, da es sich insgesamt nur um die Illustration eines allgemeinen Gesichtspunkts handelt.
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wird bei der semantischen Zusammenfassung von Aux und HV zur Bedeutung von YP einfach auf HV übertragen. Umgekehrt wäre die „Extraktion" der Negation aus einem Baum vom Typ (10) und ihre Amalgamierung mit dem Modalverb für (21a) bis (21c) nur sehr kompliziert und theoretisch unbefriedigend möglich. Wir haben damit am Beispiel von Pv und speziell der Negation gezeigt, welche Rolle eine semantische Theorie, die sich nicht auf die Umschreibung der Bedeutung von Wörtern oder Morphemen beschränkt, sondern exakt die Bedeutung von Sätzen charakterisiert, für die Beurteilung grammatischer Analysen spielen kann. Dabei darf die hier gegebene Analyse nur als Beispiel verstanden werden, es wird nicht vorausgesetzt, daß sie in dieser Form endgültig in eine grammatische und semantische Beschreibung der deutschen Sprache eingeht. 3.1. Nach den vorangehenden Betrachtungen über die Beziehung zwischen Grammatik und Semantik ist es notwendig, einige Bemerkungen über die Grenzziehung zwischen grammatischer und semantischer Beschreibung zu machen. Wir haben bisher vorausgesetzt, daß Grammatik und Semantik zwei streng getrennte Komponenten einer Gesamtbeschreibung sind, die rein formal nur insofern aufeinander bezogen sind, als die Semantik die durch die Syntax erzeugten Morphemketten und deren Struktur voraussetzt, um ihnen die entsprechenden Satzbedeutungen zuzuordnen, sie semantisch zu interpretieren. Diese Interpretation ist wiederum ein strikt formaler Prozeß, eine semantische Analyse in der ersten der oben erörterten Bedeutungen des Terminus 'Analyse'. Wir müssen uns nun fragen, auf Grund welcher Fakten die Semantik als besondere Komponente mit einer eigenen Repräsentationsebene der Grammatik gegenübergestellt werden muß, warum die durch sie beschriebenen Eigenschaften nicht in die grammatischen Repräsentationen integriert werden können. Chomsky hat gezeigt1, daß eine Grammatik honstruiert werden kann als ein Regelsystem, das die Sätze einer Sprache erzeugt und dabei unter anderem folgende Fakten erklärt: (26) (a) Die Möglichkeit, normale von abweichenden Sätzen zu unterscheiden (die Grammatikalität von Sätzen); (b) die Mehrdeutigkeit gewisser Sätze; (c) die strukturelle Verwandtschaft unterschiedlicher Sätze. In den Überlegungen zur Motivierung von Aufgabenstellung und Form der Semantik treffen nun Fodor und Katz 2 die Feststellung, daß die Semantik den Teil der synchronen, linguistischen Erscheinungen erklärt, den die Grammatik nicht erfassen kann. Das sind vor allem folgende Fakten: (27) (a) Die Möglichkeit, normale von abweichenden Sätzen zu unterscheiden, wo die Grammatik das nicht tut; (b) die Mehrdeutigkeit von Sätzen, die nicht grammatisch erklärt wird; (c) die Synonymie von Sätzen. 1 2
Chomsky, Syntactic Structures, Fodor und Katz, The Structure
insbesondere 85 — 91. of a Semantic Theory, 172 — 76.
Semantik bei grammatischen Beschreibungen
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Solange wir nur (27 a) ins Auge fassen, ist der Aufbau einer autonomen Semantik eine Frage, die nur davon abhängt, 'wie weit' die Normalität von Sätzen durch die Grammatik erklärt werden kann, das heißt, wie differenziert das grammatische Regelsystem ist. Die Anomalität eines Satzes wie (28) Das Wasser der Donau ist krank. könnte etwa grammatisch so erklärt werden, daß krank zu einer bestimmten Subklasse von Adjektiven und Wasser zu einer bestimmten Subklasse von Nomina gehört, für die solche Selektionsbeschränkungen aufgestellt werden, daß (28) nicht erzeugt werden kann. Der Einwand, daß auf diese Weise semantische Eigenschaften in die grammatische Beschreibung hineinmanipuliert würden, ist insofern nicht stichhaltig, als die Formulierung dieser Regularitäten mit rein grammatischen Mitteln geschieht. Gewichtiger ist der Einwand, daß eine solche Ausweitung der Grammatik zweifellos nur möglich ist, wenn man eine sehr viel kompliziertere Beschreibung in Kauf nimmt als sie sich ergäbe, wenn man die Abweichung von (28) durch Aufstellung einer eigenen semantischen Ebene erklärte. Doch ist die Tragweite dieses Einwands bisher noch nie untersucht worden und jedenfalls betrifft er nur Gradunterschiede in der Komplexität der Gesamtbeschreibung. Es genügt hier festzustellen, daß eine strikte Notwendigkeit für die Autonomie der Semantik nicht nachgewiesen werden kann, solange man die Aufgabe einer linguistischen Beschreibung lediglich als die Erklärung ansieht, was ein 'normaler Satz einer gegebenen Sprache' ist. 1 Nicht wesentlich anders verhält es sich mit (27b). Man kann zwar zeigen, daß es innerhalb der grammatischen Ebenen keine theoretisch sinnvolle Möglichkeit gibt, die zweifelsfreie Doppeldeutigkeit eines Satzes wie: (29) Die Bank steht auf der linken Seite der Straße. zu repräsentieren. Zwei verschiedene grammatische Repräsentationen könnte (29)' nur dann haben, wenn das Element Bank alternativ zu zwei verschiedenen Klassen gehört, so daß diese verschiedene Klassenzugehörigkeit zwei verschiedene syntaktische Analysen ergibt. Es liegt aber auf der Hand, daß die Aufstellung solcher Klassen völlig ad hoc wäre und zu einer Unzahl von Einerklassen führen würde. In offenbar noch stärkerem Maße gilt hier das gegen die grammatische Erklärung von (27 a) Gesagte: die Integration der Analyse semantischer Ambiguitäten in die Syntax würde zu einer unverhältnismäßigen Komplizierung der Beschreibung und überdies zu einer ganz gegen die Intuition verstoßenden Behandlung der Fakten führen, bei der alle semantischen Merkmale als syntaktische Kategorien in die Beschreibung eingingen. 1
Diese Auffassung ist auch expressis verbis formuliert worden z. B. von Harris, Distributional Structure, in: Word 10, 151—58. Harris vertritt dort die Auffassung, daß die Bedeutung ebenso wie die grammatische Richtigkeit eine Funktion der Distribution der linguistischen Grundelemente sei. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß die Bedeutung kleinere Distributionsklassen mit beschränkteren Distributionsmöglichkeiten betrifft.
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Erst die Einbeziehimg von (27c), der Synonymie von Sätzen, jedoch zeigt, daß es sich bei der Semantik um die Beschreibung eines autonomen Bereichs von Fakten handelt, der nicht mit den Mitteln der Syntax erfaßt werden kann. Die Tatsache, daß die folgenden Satzpaare von jedem deutschen Sprecher als Umschreibungen voneinander, also als synonym, angesehen werden, läßt sich mit grammatischen Mitteln nicht mehr ausdrücken: (30) (a) (b) (31) (a) (b)
Die Donau ist zu schmal. Die Donau ist nicht breit genug. Achim ist noch nicht lange Doktor. Achim hat erst vor kurzen promoviert.
Während der Vergleich von (26 a) und (26 b) mit (27 a) und (27 b) noch die Auffassung erlaubt, daß es sich bei der Semantik um einen Bereich von Erscheinungen handelt, dessen Beschreibung aus einer genügend differenzierten grammatischen Beschreibung vor allem aus Gründen der Einfachheit ausgegliedert und zu einer eigenen Komponente der Gesamtbeschreibung zusammengefaßt wird, zeigt (27c), daß diese Auffassung nicht haltbar ist: Eine exakte Erklärung der semantischen Struktur verlangt eine Theorie sui generis, sie ist nicht eine Verfeinerung der Grammatik. Diese Theorie erklärt aber zugleich auf angemessene Weise Fakten wie die durch (28) bis (31) exemplifizierten. 3.2. Wenn wir aus den eben erörterten Gründen annehmen müssen, daß Grammatik und Semantik sich mit grundsätzlich unterschiedlichen Bereichen von Erscheinungen beschäftigen, so heißt das jedoch nicht, daß von jedem einzelnen Faktum im vorhinein feststeht, ob es in den Bereich der Grammatik oder der Semantik fällt. Ob z. B. der Satz (32) *Es will kommen sollen, gegenüber dem ganz normalen Satz (33) Er soll kommen wollen. eine grammatische oder eine semantische Abweichung enthält, läßt sich zunächst nicht entscheiden. Empirisch feststellbar ist vorerst nur, daß (32) ein abweichender Satz ist. Eine große Zahl solcher Zweifelsfälle läßt sich erst dann behandeln, wenn die grammatische und die semantische Untersuchung weit genug vorangekommen ist, so daß sich eine Erklärung der Fakten entweder mit grammatischen oder mit semantischen Mitteln ergibt, die aus Gründen eingeführt wurden, die vom erörterten Zweifelsfall unabhängig sind. Für (32) würde das etwa bedeuten: Die Abweichung ist grammatischer Natur, falls die Kombination zweier Modalverben in einem Satz durch eine grammatische Regel beschränkt wird, die eine auch aus anderen Gründen erforderliche Subklassifizierung der Modalverben benützt, so daß zwar (33), aber nicht (32) erzeugt werden kann. Sie ist aber semantischer Natur, falls aus der Charakterisierung der Bedeutung der einzelnen Modalverben und den Regeln über die Amalgamierung von Bedeutungen die Unnormalität von (32) automatisch hervorgeht, ohne daß dabei grammatische Subklassen vorausgesetzt werden.
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Welche für die Beschreibung der sprachlichen Fakten notwendigen Kategorien grammatischer und welche semantischer Natur sind, zeigt also endgültig erst die Ausarbeitung einer angemessenen, zusammenhängenden Beschreibung. Sie legt dann allerdings auch für .die Zweifelsfälle exakt fest, was grammatische und was semantische Struktureigenschaften einer gegebenen Sprache sind. Das bedeutet übrigens nicht, daß die Fakten als abhängig von der Theorie angesehen werden. Vielmehr betreffen diese Erwägungen ja gerade Fälle, in denen die Fakten selbst unklar sind. 1 3.3. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird nun deutlicher, was wir in Abschnitt 1.2 unter Erscheinungen verstanden haben, die gar nicht grammatisch beschrieben werden können. Es ist ein sehr weit verbreitetes Mißverständnis, alle lin'guistischen Phänomene, die einer allgemeinen, in gewissem Sinne systematischen Behandlung unterworfen worden sind, für grammatisch zu halten. 2 Das hat zum Teil zu leicht korrigierbaren Irrtümern bei der Grenzziehung geführt: Richtige Einsichten in die Bedeutung von Singular und Plural etwa können ohne eigentliche Änderungen in den angemessenen semantischen Zusammenhang gestellt werden, die Grenzziehung ist hier im Grunde ein Scheinproblem. Es hat aber auch zur Bildung ganz falscher Begriffssysteme und zu völlig unzutreffenden Analysen geführt. Die für den deutschen Sprecher deutliche Parallelität zwischen folgenden Satzpaaren: (34) (35) (36) (37)
Er Er Er Er
setzt sich. legt sich. bekommt etwas. wird Lehrer.
Er Er Er Er
sitzt. liegt. hat etwas. ist Lehrer.
ergibt sich nicht aus deren syntaktischer Struktur. Sie ist aber durch falsche Fragestellung, unklare Begriffsbildung und wohl auch wegen ihrer relativ weiten Ausdehnung mit sehr verschiedenartigen weiteren Erscheinungen zusammengebracht worden, etwa dem Unterschied zwischen (38) Er sticht den Damm durch. 1
Er durchsticht den Damm.
Die Beurteilung der Grenze zwischen Grammatik und Semantik unterliegt damit den gleichen Bedingungen, denen auch die Unterscheidung zwischen grammatischen und ungrammatischen Sätzen unterliegt: "That is, we may assume for this discussion that certain aequences of phonemes are definitely sentences, and that certain other sequences are definitely non-sentences. In many intermediate ca,ses we shall be prepared to let the grammar itself decide, when the grammar is set up in the simplest way so that it includes the clear sentences and excludes the clear non-sentences. This is a familiar feature of explication." Chomsky, Syntactic Structwres, 14. 2 Einen drastischen Niederschlag hat diese Tendenz in dem Terminus „inhaltsbezogene Grammatik" gefunden, deren Anhänger sich keineswegs nur mit grammatischen Fragen beschäftigen, sondern — auf der Grundlage gewisser Annahmen über die Rolle der Sprache bei der Aneignung der Wirklichkeit — auch mit zahlreichen semantischen Problemen. Die Kontamination der Fragestellungen ist dabei geradezu zum Prinzip geworden.
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Manfred Bierwisch
Zur Erklärung des Befunds, der durch solche falsche Zusammenfassung entsteht, sind dann die Aktionsarten als grammatische Kategorie in die deutsche Grammatik eingeführt worden. Hier handelt es sich nicht mehr um einfache Zuordnungsfragen. Was von den Aktionsarten nach Aufklärung der eindeutig syntaktischen Befunde — zu denen (38) gehört — an wirklichen Fakten bleibt, wie etwa die in (34) bis (37) exemplifizierte Parallelität, kann nur innerhalb der Semantik beschrieben werden.1 Was wir hier am Beispiel der Aktionsarten erörtert haben, gilt in ähnlicher Weise für viele andere Probleme: Erst auf der Grundlage eines klaren Verständnisses für die Beziehung zwischen Grammatik und Semantik wird eine angemessene Lösung möglich. 1 Um die Behauptung im einzelnen zu begründen, müßte eine erhebliche Zahl von Details aufgeklärt werden, was hier nicht unsere Aufgabe sein kann. Ernsthafte Schwierigkeiten stellen sich einer solchen Berichtigung jedoch nicht in den Weg. Zu der hier kritisierten Auffassung der Aktionsarten vgl. z. B. Benicke, Die Theorie der Aspekte und Aktionsarten, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 72, Halle 1950, 150 ff. — Das am Beispiel der deutschen Sprache über die Aktionsarten Gesagte darf nicht in dieser Form auf die Aspekte etwa des Bussischen übertragen werden.
P . G. B O G A T Y R E V
Ausrufe von Austrägern und wandernden Handwerkern als Reklamezeichen
Die Ausrufe der Austräger, Händler und wandernden Handwerker haben -schon •oft die Aufmerksamkeit der Folkloristen in verschiedenen Ländern auf sich gebogen. Erst vor kurzer Zeit erschien eine größere Abhandlung in der Zeitschrift Revista de Folclor „Über die Ausrufe der Handwerker, Arbeiter, wandernden Händler und Austräger". 1 Das weite Interesse an diesem Gegenstand findet seinen Grund unter anderem auch darin, daß solche Ausrufe für das Studium der Veränderungen von Sprache und Lied — besonders des Liedrhythmus — beim Gehen und bei anderen Bewegungen 2 aufschlußreich sind. D. Holy macht darauf aufmerksam, daß der Rhythmus des Ausrufes des Rastelbinders Gehrhythmus beeinflußt wird. 3
(drdtenilc)
Ruf: dra - to - vat Schritt:
-i-
r
-i
fli - ko - vat
T
-j.
r
Hl
Leos Janäcek verweist auf die enge Verbindung zwischen der Sprechmelodie und der Liedmelodie und entnimmt seine Beispiele auch den Melodien von Rufen der Austräger. 4 Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit dem Problem der Ausrufe als Reklame- oder Werbezeichen, also mit einer Frage der Semiotik. Benutzt wird folgendes Material: B H K P H K H pa3H0CHHK0B. 3 a n n c n flHHyna, TpeiaHHHOBa, JIiicTonasoBa. Tpyjjti MyabiKaJibH0-3TH0rpapa 'Schritte', interesa 'Interessen', nerva 'Nerven'. Bei diesen -a-Pluralen ist die Heterogenie also vor allem bei Abstrakta üblich, für die sonst -e charakteristisch ist. Unter endungslosen Pluralen kommt sie bei vitjvjet 'Jahr', drujdru 'Baum, Holz' und syjsy 'Auge' vor. 1 Bei anderen Pluralbildungsweisen ist, unabhängig von der Bedeutung der betreffenden Substantive, ein Genuswechsel im Plural nicht zu belegen. 2 Charakteristisch für das albanische Genussystem ist die Tatsache, daß alle diese Heterogena auch wirkliche Maskulina sein können, ein wesentlicher Unterschied zum Rumänischen. In der modernen Literatursprache tritt die Heterogenie jedoch häufiger auf als die Bewahrung des m. Genus, fast ausschließlich aber wird sie bei den Abstrakta verwendet (vgl. aber unten die Beispiele aus Riza!). Einige Beispiele sollen zeigen, daß auch vom gleichen Autor oft beide Möglichkeiten genutzt werden: Dushi, Udha 193: me grushte te mbledhur (m) 'mit geballten Fäusten', aber ebda. 20: me grushte te mbledhura dhe te planeteve
( f ) ; Z i P 59, 2 : planeteve
te tjere (m) 'der a n d e r e n P l a n e t e n ' , Z i P 59, 3 :
te tjera ( f ) ; N o l i , H i s t . 1 4 6 : kater flamure
turke (f) '4 t ü r k i s c h e F a h n e n ' ,
ebda. 151: me flamure te hapur (m) 'mit offenen Fahnen'; Gjata, Ken. 79: malet e larte (m) 'die hohen Berge', ebda. 356: malet e pergjumura (f) 'die verschlafenen Berge'; Gjata, K e n . 1 0 0 : me ca floke te ashpra
(f) ' m i t g r o b e n H a a r e n ' , e b d a . 1 6 0 : flöhet e zinj
(m), 'die
schwarzen Haare'; ZiP 59, 6: mallra te reja (f) 'neue Waren', ebda.: mallrat e nevojshem (m), 'die notwendigen Waren'; Spasse, Ata 50: keta („m") fshatra... tevarfera (f) 'diese armen Dörfer', ebda. 66: midis ... fshatrave te tjere (m) 'inmitten anderer Dörfer' usw.
Die Dialekte verhalten sich unterschiedlich: während die Heterogenie z. B. bei -e in den gegischen Mua. sich stärker durchgesetzt hat als in den tosk., ist es bei -na (ra) umgekehrt. 3 1
Beispiele bei W. Fiedler, a. a. O., S. 230—251, 276—284, 354f. Ein großer Teil der Heterogena stammt aus Neutra, vgl. Brincu§, a. a. O., S. 82f. 2 Etwas ungenau formuliert daher Newmark (a. a. O., S. 54), wenn er schreibt: „pNstems which correspond to mN-stems which do not denote males are occasionally treated alternatively as masculine." 3 Die Untersuchung der altalbanischen Denkmäler bringt jedoch für beide Pluralbildungsweisen das gleiche Ergebnis: Heterogenie im Altgegischen (vgl. oben Buzuku), Bewahrung des m. Genus im Alttoskischen (Italoalbanischen), vgl. W. Fiedler, a. a. O., S. 242 und 280.
Wilfried Fiedler
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Es ergibt sich, daß das maximale Genusschema für das moderne Albanische nnrn
m* fn
4- f fn
n fn
ist, durch die (in Pfeilen angedeuteten) Möglichkeiten
m das minimale — m m m Als das typische Schema ist jedoch — — anzusehen, das genau dem Genussystem des modernen Rumänischen entspricht. 1 So scheint der albanische Sprachwissenschaftler S. Riza die Heterogenie selbst bei Abstrakta zu vermeiden, vgl. Buletin 1959, 2, S. 43: te trajtimevet te deritashem (m) 'der bisherigen Behandlungen', S. 45: nje varg problemesh te vegante (m) 'eine Reihe besonderer Probleme' usw. Schon Kristoforidhi verurteilte die Heterogenie in seiner Grammatik (a. a. 0., S. 13) als „sprachwidrig" (tix 6v6|xaTa -c% evvixty)?, Sexarr^ xat ev8sxa-uvj? y.Xäasw? ostj. Kr. f-) ist ganz regelmäßig (s. Toivonen a. a. O. 113). Der Vokalismus verursacht aber einige Schwierigkeiten, da wir auch im Ostjakischen eher ein -i- erwarten würden. D a es aber bei den Entsprechungen des syrj. -i- auch andere Anomalien gibt, glaube ich, daß diese Tatsache den Wert der Etymologie nicht wesentlich vermindert. Die meisten syrjänischen Lehnwörter kommen in den nordostjakischen (0, Kaz. nach Toivonen auchNi.) vor, doch gibt es reichliche 11% der Lehnwörter, die nur in den Süddialekten (DN, DT, Kr., Kam.) zu finden sind (s. Toivonen a. a. 0 . 132). Damit steht das isolierte Vorkommen des Wortes in der Kr. Mundart in keinem wesentlichen Widerspruch zu seinem syrjänischen Ursprung.
wog. wäl% 'Waschbrett' Als ich mein Buch „Die russischen Lehnwörter im Wogulischen" (1961) verfaßte, waren meine handschriftlichen Aufzeichnungen aus den Jahren 1957—58 noch nicht völlig bearbeitet, und das Wortmaterial war noch nicht gänzlich in alphabetische Ordnung gebracht. Deswegen konnte es vorkommen, daß ein Wort aus Versehen aus meinem eigenen Material in der Liste der russischen Lehnwörter ausgeblieben ist. Auch trug die Tatsache dazu bei, daß das wogulische Wort in den bisherigen Quellen nicht vorkommt: J k wäl'% 'sulyok (Waschbrett)'. Das Wort ist offenbar ein russisches Lehnwort aus russ. ecuiex 'Waschbleuel, Ortscheit' (Vasm.). Die Lautentsprechungen sind völlig regelmäßig (s. Kaiman a. a. 0 . 44, 47, 55, 65, 82). Dem anlautenden russischen B- entspricht mit Lautsubstition in allen wogulischen Dialekten das bilabiale w- (vgl. russ. eoponnö > wog. K U ß^rrifk 'Rappe', russ. eepiunä > ße'rska 'Zoll' usw.). Das russische unbetonte a wurde in den KondaMundarten nach der Entlehnung labialisiert (vgl. russ. Aaniuä > wog. K . läps 'Nudeln', russ. 6apdä> wog. K U pärtd 'Branntweinspülicht' usw.). Russ. mouilliertes ji bleibt im Wogulischen (vgl. russ. nu,Jiiimb>wog. K U piltl- 'Sägen', russ. ncuibmö>wog. K U pditd 'Mantel' usw.). I m Wogulischen (außer dem TawdaDialekt) ist die Betonung immer auf der ersten Silbe, — auch in den älteren Lehnwörtern. Der Vokal der zweiten Silbe wird im Konda-Dialekt meist reduziert oder fällt auch gänzlich aus ohne Rücksicht darauf, ob er im Russischen betont war oder nicht. Das auslautende -k wandelt sich im Konda-Dialekt fast immer zu Da sich das Wort in jeder Hinsicht an die wogulische Phonetik angepaßt hat, müssen wir feststellen, daß das Wort zu der älteren Lehnwortschicht (mindestens erste Hälfte des 19. Jahrhunderts) gehört, obwohl es erst jetzt aufgezeichnet wurde.
VLADIMIR
KARBUSICKt
Über die Beziehungen zwischen der älteren tschechischen und der germanischen Epik
Das erste Buch des Chronisten Kosmas von Prag ( f l l 2 5 ) , das ungefähr zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 12. Jahrhunderts geschrieben wurde,1 enthält zwei umfangreiche epische Stoffe: die Sage vom Ursprung des Herrschergeschlechts der Premysliden und die Sage vom Krieg zwischen den Stämmen der Lutschaner und Tschechen, mit den Helden Vlastislav und Tyro. Sie umfassen viele Kapitel und füllen einen bedeutenden Teil der Darstellung Kosmas' über die tschechische Vorgeschichte aus. Die Romantiker des 19. Jahrhunderts betrachteten sie als Überreste alttschechischer epischer Poesie, wiedergegeben in lateinischer Prosa.2 Die Motive beider Stoffe wurden auch von Fälschern des „Tschechischen Epos" verwendet und als usprüngliche epische Gesänge ausgegeben, die sie angeblich in alten Handschriften gefunden hatten.3 Nachdem diese Handschriften endgültig als Fälschungen erkannt worden waren, bildete sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der tschechischen positivistischen Historiographie und in der Literaturwissenschaft ein skeptisches Verhältnis zur Epik überhaupt. Unter dem Einfluß der Analyse Jagics4 herrschte die Ansicht vor, daß die Tschechen (und die Westslawen überhaupt) weder ein literarisches Epos noch Heldenlieder geschaffen haben.5 Die Ansicht Schreuers, daß der Lutschanerkrieg ein durch die Entstehung der Staatsorganisation bedingtes tschechisches Heldenepos ist, blieb deshalb unbe1
Ich verwende die Ausgabe von B. Bretholz, Die Chronik der Böhmen des Cosmas von Prag,
MGH, N . S. II, Berlin 1923. Datierung nach V. Hruby, Na okraj noveho vyddni kroniky 2
Kosmovy
[Zur neuen Ausgabe der Chronik Kosmas'], Casopis Matice Moravske 1925, 373.
V. Nebesky, Krdlodvorsky
Rukopis [Königinhofer Handschrift], Casopis Ceskeho muzea
1852/1V; P. J. Safarik, CCM 1833, 446; J. und H . Jirecek, Die Echtheit der Handschrift,
Prag 1862; E. Komarek, Pomer zpevu Cestmir v rukopisu
Königinhofer
Krdlovodvorskem
k
dejepisu [Die Beziehung des Cestmir-Gesanges in der Königinhofer Handschrift zur Geschichte], CCM 1868, 366 u. a. 3
Vom Streit über die Handschriftenfälschungen berichtet am besten J. Jakubec,
Dejiny
literatury ceske [Geschichte der tschechischen Literatur] II, Praha 1934, 341. 4
V. Jagi6 Oradja za slovinsku narodnu poeziju, R a d jugosl. akad. znan. i umjet., kn. 37,
Zagreb 1876, 33f., russisch in: Slavj. jeiegodnik, Kijev 1878, 140f. 5
Jan Mächal, O bohatyrskim
epose slovanskem [Das slawische Heldenepos], Praha 1894,
ähnlich in allen tschechischen Literaturgeschichten (besonders in denen von Vlöek und Jakubec); J. Horak, NaSe lidovd pisen [Unser Volkslied], Praha 1946, 19 u. a.
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achtet. 1 Als dann zu Beginn dieses Jahrhunderts zum erstenmal Berührungspunkte zwischen den germanischen Heldenliedern und dem Lutschanerkrieg nachgewiesen wurden (A. Wallner und W. Haupt) 2 , blieb auch diese Erkenntnis bis heute unberücksichtigt und wurde von der tschechischen Wissenschaft nicht ausgewertet. Es hat sich die Meinung eingebürgert, daß es sich um von Kosmas zusammengestellte Fragmente „volkstümlicher historischer Sagen" handelt und nicht um einen Komplex von epischen Dichtungen. Die Ansicht, daß es auch bei den Tschechen epische Gesänge gegeben hat, tauchte nur vereinzelt auf und dann nicht im Zusammenhang mit den Stoffen Kosmas'. 3 Auf das Genre der epischen Stoffe Kosmas' als das prosaischer Volkssagen schloß man nach der anachronistischen Analogie zur neueren Zeit, in der jedes Gebiet seine eigenen „Volkssagen" hatte. 4 So entstand angeblich die Sage vonTyro durch Volksetymologie und -ethiologie von den Grabhügeln im Gebiet Tursko bei Prag, und die Gestalt Vlastislavs von der zerstörten Burg, ,Vlastislav" u. ä. 6 Kosmas wurde in den Vorstellungen der Forscher immer mehr eine Art moderner Folklorist, der die Erinnerungen und Erzählungen einfacher Zeitgenossen aus dem Volke aufzeichnete. 8 Diese Überschätzung der „Volkstümlichkeit" der Sagen Kosmas' entwickelte sich in letzter Zeit zur Grundlage von zwei reichlich phantastischen Theorien über ihr Wesen selbst. Da ist vor allem die mythologische Theorie Z. Kalandras, 7 nach der Kosmas dem Volke fast ein kleines tschechisches Pantheon errichtete, und die Theorie Zd. Nejedly-s mit dem Bild vom ursprünglichen Gemeinschaftsleben, vom Matriarchat und Übergang zum Patriarchat, das Kosmas aus tausendjähriger Volkstradition aufzeichnete. 8 Letztere wurde dank der scheinbaren „marxistischen Auffassimg" zur Zeit des Dogmatismus fast offiziell. 1 H . Schreuer, Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagenzeit, Staatsr.- u. staatsw. Forsch. X X / 4 1902—9; ders., Zur altböhm. Verfassungsgesch., Mitt. d. Inst. f. österr. Gesch'forsch. 1904, 385 ff. u. a. 2 A. Wallner, Deutscher Mythus in der tschechischen Ursage, Laibach 1905; W. Haupt, Zur niederdeutschen Dietrichsage, Berlin 1914. 3 F. Wollman, Slovesnost Slovanü (Volksdichtung der Slaven), Praha 1928, P. Gr. Bogatyrev, Epos slavjanskich narodov, Moskva 1959, 359. 4 Der tschechische Terminus povést (Sage) bezeichet gegenwärtig ausschließlich prosaische Volkserzählungen mit historischem oder dämonischem Inhalt; noch im vorigen Jahrhundert wurde er auch für gesungene Epik gebraucht. 5 V. Flajshans, Zeitschrift Osvéta 1904/11, 893; ders., Ze Stadic do Prahy [Von Stadice bis Prag], Agrární archiv 1918, 40; derselben Ansicht sind einige heutige Forscher. 6 So formuliert z. B. A. Skarka, Dejiny ceské literatury [Geschichte der tschechischen Literatur] I, Praha 1959, 74, daß „irgendwelche Greise aus dem Volk, irgendwelche einfache volkstümliche Erzähler die Berichter Kosmas' für die mythische Zeit der heidnischen Urzeit waren". Ähnlich wertet auch J. Jech im Nachwort zum Band Tschechische Volksmärchen, Berlin 1961, den Stoff Kosmas' als Zeugnis für eine Erzählsituation („Auch bei uns hatte sich eine Atmosphäre herausgebildet, in der e r z ä h l t wurde. . .", 481). 7 Z. Kalandra, Ceské pohanstvi [Das tschechische Heidentum], Praha 1947. 8 Zd. Nejedly, Staré povesti ceské jako historicky pramen [Alte tschechische Sagen als historische Quelle], Praha 1953.
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Vor kurzem beschäftigte sich der Verfasser dieser A b h a n d l u n g m i t einer n e u e n A n a l y s e dieser beiden Stoffe nach historisch vergleichenden G e s i c h t s p u n k t e n 1 . D a b e i ergab sich, d a ß alle Motive, der dramatische B a u u n d sogar einige E l e m e n t e der Poetik, soweit sie sich in K o s m a s ' Übertragung verfolgen lassen, nur auf d e m Gebiet der europäischen gesungenen u n d literarischen E p i k des frühen Mittelalters Vergleichbares finden. D i e bisherigen Diskussionen zeigen, wie stark der Gedanke v o n d e n „ v o l k s t ü m l i c h e n historischen S a g e n " auch bei F a c h l e u t e n verwurzelt ist, u n d die A n s i c h t des Autors, d a ß es sich u m gesungene E p i k handelt, wurde als n o c h romantischer bezeichnet als die Meinung, d a ß K o s m a s ein folkloristischer Sammler ist. I n d e n Diskussionen wurde z . B . auch die Meinung geäußert, d a ß es „allzu s c h ö n wäre", w e n n der „Lutschanerkrieg" gesungene E p i k wäre. Allmählich begann sich jedoch die A n s i c h t v o m epischen Charakter der Stoffe K o s m a s ' durchzusetzen. Dieser B e i t r a g ist d e m älteren der beiden epischen Stoffe g e w i d m e t , d e m L u t schanerkrieg, 2 d e n n besonders hier k a n n m a n auf Z u s a m m e n h ä n g e hinweisen, die f ü r die allgemeine Epenforschung wichtig sind. Zur besseren Orientierung bringen wir das Wesentlichste aus d e m I n h a l t des Stoffes: Einleitend beschreibt Kosmas das Gebiet des Stammes der Lutschaner mit ihrem kriegerischen und listigen Pürsten Vlastislav, der zwar Erfolge in Schlachten hatte, a m Ende aber doch einen ruhmlosen Tod fand. Er bedrängte die Tschechen, plünderte ihr Land und baute eine Burg an der Grenze der Gebiete Beiina und Litomérice, so daß er eine Verbindung beider mit den Tschechen verhinderte. Ermutigt durch seine Erfolge, wollte Vlastislav ganz Böhmen unterwerfen. Er fordert durch Tragen von Schwertern zum Kampf heraus. Den versammelten Kriegern befiehlt er übermütig, allerlei Raubvögel mitzunehmen, sie während des Kampfes auf die Tschechen loszulassen und ihnen deren Fleisch als Praß zu geben. Mit der Parole „Erhebt die S t a n d a r t e n " wurde der Krieg erklärt. 1 V. Karbusicky, Próblémy kolem pfemyslovské povésti (Probleme um die PremyslidenSagen), Déjiny a soufiasnost 3, 1962; ders., ¿ánrová podstata a datování epickijch látek v Kosmové kronice [Die Art des Genres und die Datierung der epischen Stoffe in Kosmas' Chronik], Zprávy Spolecnosti es. národopiscú 1—2, 1962; ders., K teorii „matriarchdtu" v Kosmovljch povéstech [Zur Theorie des Matriarchats in Kosmas' Sagen], Cesky lid 4, 1963; ders., ¿ánrová postata a datováni lucké viXky (Stilgattung und Datierung des Lutschanerkrieges), Cesky lid 5, 1963; ders., Lidovy zpév v déjinách cesM hudby [Der Volksgesang in der Geschichte der tschechischen Musik], H u d e b n í V é d a 1962, 130; ders., Stfedovéká epika a pocátky ceské hudby [Mittelalterliche Epik u n d die Anfänge der tschechischen Musik], Hudební veda 2, 1964; ders., Povésti a historie [Sagen und Geschichte], Déjiny a souíasnost 2, 1964. 2 Die Sage von der H e r k u n f t des Pfemyslidengeschlechts ist in der Form, die Kosmas reproduziert, jüngeren Ursprungs, wie schon V. Tille vorausgesetzt hatte, der sie in die Zeit der Krönung des ersten böhmischen Königs im J a h r e 1085 verlegte. Der Verfasser bestätigte u n d präzisierte durch Vergleich mit den sagenhaften Zügen der historischen Gestalt Mathildes von der Lombardei diese Annahme Tilles (vgl. Cesky lid 4, 1963); Die Sage könnte nach dem J a h r e 1089 entstanden sein.
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Inzwischen hatte eine Wahrsagerin ihren Stiefsohn zu sich gerufen und ihm eine Warnung mitgeteilt: Die Zauberinnen der Tschechen gewännen die Übermacht über die Lutschaner, so daß diese bis auf den letzten Mann umkommen würden. Wenn er dem Verderben entrinnen wolle, müsse er dem ersten gefangenen Feinde die Ohren abschneiden und sie aufbewahren. Dann solle er die unsichtbaren Fesseln, mit denen die Pferde der Lutschaner gebunden sein werden, mit dem Zeichen des Kreuzes durchschneiden und ohne sich umzusehen vom Kampffeld fliehen, was immer auch um ihn geschehe. Die Tschechen wandten sich in ihrer Bedrängnis an eine Wahrsagerin und erhielten den Rat, den Göttern einen Esel zu opfern. Als sie dieses getan und das Fleisch des Esels verzehrt hatten, geschah etwas Wundersames: die Krieger wurden plötzlich lebensfroh und mutig und waren bereit, im Kampf zu sterben. Der tschechische Fürst rief seinen Adjutanten Tyro, einen mutigen, jungen und phantastisch starken Krieger, zu sich und übergab ihm seine Waffen und seine Rüstung, damit er als Fürst verkleidet die tschechischen Krieger in die Schlacht führe. Tyro spricht den Bewaffneten Mut zu und weist auf die unbarmherzige Demütigung hin, die ihre Frauen und Kinder zu erleiden hätten. Der Kampf beginnt. Vlastislav befiehlt, ganze Wolken verschiedener Vögel loszulassen, die die Sonne verdunkeln wie bei einem Gewitter. Tyro ahnt seinen Tod und bittet seine Krieger, ihm auf dem nahen Hügel ein großes Grabmal zu errichten. Dann stürzt er sich auf die Feinde und schlägt ihre Köpfe wie Mohnköpfe ab. Mitten im Schlachtgetümmel fällt er auf einen Haufen von Toten, vollgespickt mit Pfeilen. Den weiteren Kampf beschreibt Kosmas mit dem Vers „Man weiß nicht, wer durch wen, wann, und durch welche Wunde fiel". Den Tod Vlastislavs beschreibt Kosmas nicht (er erwähnte ihn bereits am Beginn der Erzählung). Die Lutschaner fielen bis auf den einen, den die Wahrsagerin gewarnt hatte. Als dieser nach Hause kam, beweinte man seine tote Frau. Er hob die Hülle, sah die Wunde in der Brust und den Kopf ohne Ohren und erkannte, daß er seine eigene verkleidete Frau getötet hatte — die Wahrsagerin. Die Tschechen fielen in das Land der Lutschaner ein und verwüsteten es. Sie fanden das verborgene Söhnchen Vlastislavs und brachten es zum Fürsten. Der Fürst erbarmte sich seiner, „tarnen ut catholicus bonus", ließ ihm eine neue Burg erbauen und vertraute ihn seinem bisherigen Erzieher auf dem Hof der Lutschaner an, einem gewissen Durynk aus Serbien. Der Kampf war beendet, die siegreichen tschechischen Standarten ruhten auf ihren alten Plätzen. Der verräterische Diener Durynk tötete jedoch das Waisenkind und brachte dessen Kopf dem Fürsten, in dem Glauben, durch die Ermordung des zukünftigen Feindes dem Fürsten zu gefallen. Dieser aber ruft erzürnt: „Ich durfte meinen Feind töten, du aber nicht deinen Herrn!" Damit fällte er das Urteil über den verräterischen Diener, der wie Judas an einem Erlenbaum endet. Kosmas schließt: Diese Dinge geschahen „vor langer Zeit". Er überläßt dem Leser das Urteil, ob sie wirklich geschahen oder ob sie erdacht seien. D e n ganzen Stoff verlegte Kosmas in die Zeit des mythischen „Fürsten Neklan". B e i ihm konnte er nämlich begründen, weshalb er nicht an der Spitze des Heeres stand: etymologisch bedeutet neklan 'einer, der nicht kämpfte, der feige war'; weiterhin spricht er nur noch v o m „Fürsten", ohne Namen, und bezeichnet ihn mit dem Terminus „dux". I n seiner Chronik aber verlegte er den Stoff bis in die Zeit der ersten getauften Fürsten, also in den Beginn des 10. Jahrhunderts. I m erdachten „Stammbaum" der vorgeschichtlichen Fürsten, der ex post, wahrscheinlich erst gegen E n d e des 11. Jahrhunderts, als genealogische Verbindung zwischen dem mythischen Prem ysl und dem historischen Borivoj entstand, ist Neklan der
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vorletzte, und seine „Regierung" würde ungefähr in den Beginn des 9. Jahrhundertsfallen. Die Komposition des gesamten Stoffes trägt Merkmale epischer Symmetrie um ein Zentrum, das in der eigentlichen Schlacht liegt: An den beiden Polen stehen zum Beispiel das Auftreten der Helden und ihr Tod, die Prophezeiung und ihre Erfüllung, die Plünderung des feindlichen Landes usw.; geradezu klassisch symmetrisch ist der erste Stoff über den Ursprung der Dynastie der Premysliden. Dieses Prinzip ist bereits aus der Epik Homers bekannt. 1 Typisch episch sind ferner Elemente, wie zum Beispiel die Todesahnung des Helden oder die Entscheidung der Schlacht bereits vor dem Beginn, und zwar durch die Götter, sowie deren Eingreifen während des Kampfes (sie verfolgen den Stiefsohn, nachdem er die unsichtbaren Fesseln durchschnitten hat). Diese Elemente stehen hier seltsamerweise der homerischen Epik näher als analogen Motiven in der Edda. Sie konnten nicht von Kosmas selbst dem Stoff zugefügt worden sein, denn Kosmas kannte Homer nicht. 2 Diese Frage bedarf noch einer Klärung. Es könnte ein literarischer Einfluß auf die Träger der Epik im höfischen Milieu sein oder ein natürlicher Einfluß im Bereich der kulturellen byzantinischen Einwirkung. 3 Das wichtigste homerische Element, wenn auch die Gestalt selbst Merkmale der germanischen Mythologie aufweist, ist die Schilderung des Schicksals Tyros, wie man aus einem Vergleich mit Patrokles ersehen kann: Tyro
Patrokles
Jugend, Kampfbegeisterung, die Tausende Feinde nicht fürchtet.
Jugend, Kampfbegeisterung, Furchtlosigkeit (Ilias, XVI).
Der Fürst übergibt ihm seine Waffen und sein Gewand, damit er in dieser Verkleidung das Heer in den Kampf führt.
Achilles übergibt ihm Waffen und Rüstung, damit er verkleidet für ihn das Heer in den Kampf führt. (XVI, 64.) Vergleiche, Todesahnung (II. VI, 464; XXIII, 245; X X I I I , 256 u. a.).
Tyro ahnt seinen Tod. Er reitet in die Feinde wie ein Naturelement. Er fällt auf einem Haufen von Leichen, von Pfeilen durchbohrt. Die Soldaten errichten ihm einen Grabhügel. 1
Der Ritt in die Feinde mit ähnlichen Metaphern (vgl. V, 134.148; XI, 63,297,492,537; X X , 490 u. a.). Analog XVI, 772. Der Grabhügel des Patrokles und die Trauerfeier (XXIII, 256).
A. Vantuch, Homer a homershy svet [Homer und die homerische Welt], Bratislava 1960, 270 f. 2 So berichtete bereits A. Kolär, Kosmovy vztahy k antice [Kosmas' Beziehungen zur Antike], Sbor. fil. fak. 111/28, Bratislava 1925. Kosmas kannte einige Gestalten Homers aus zweiter Hand und ungenau; die mittelalterliche lateinische Bearbeitung der Ilias wird jedoch in seiner Chronik nicht angeführt, im Gegensatz zu der Literatur, die er kannte. 3 Vgl. auch die Panonische Legende I., nach der Cyril in seiner Jugend Homer studiert haben soll.
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Wie gesagt, eine Reihe v o n Motiven der Gestalt Tyros k o m m t sowohl in der germanischen Epik als auch in der Epik anderer Völker vor, z . B . das Motiv des Rittes in die Feinde, das Grabhügelmotiv, das Motiv der Verkleidung, u. a. D o c h in seiner Gesamtheit, auch in der Reihenfolge der Motive, ist die Gestalt Tyros der des Patrokles a m nächsten. Die Mischung der byzantinisch-kirchenslawischen und der germanisch-lateinischen Einflüsse in der Kultur Böhmens ist für das 9. —10. Jahrhundert bekannt, in der epischen Sphäre m u ß sie jedoch noch eingehend erforscht werden. Ähnlich weist auch auf die östliche Welt der Epik die poetische Bearbeitung des Motivs der Vögel, die das eigene Heer erschrecken, obwohl das Motiv selbst sich genetisch auf die germanische Epik beziehen läßt. 1 Lutschanerkrieg
Igorlied
Quod ut factum est, tanta fuit densitas diversarum avium, ut sub pennis earum obscuraretur aer velut sub aquosa nube, vel nlgre tempestatis tempore.
.. nosö stonusci jemu grozoju pti5 ubudi; .. irnyja tuöja s' morja idut, chotjat prikryti solnca; a'v nich trepesòut sinij, ml'nij, byti gromu velikomu.
I m Motiv des Einstürmens des Helden auf den Feind paraphrasiert K o s m a s das einzige ihm bekannte antike E p o s : die literarische Aeneide Vergils ( X I I , 684). D a n n aber erscheint ein interessanter Zusammenhang mit der Poetik des Igorliedes. 2 Kosmas
Aeneis
Prosiiiens ceu maxima moles rupis, que fulmine rupta de summitate alti montis fertur per abrupta loca sternens amnia obstacula,
Ac veluti montis saxum de vertice praecepa cum ruit avolsum vento, seu turbidus imber proluit aut annis solvit sublapsa vetustas; fertur in abruptum magno mons improbus actu exultatque solo, silvas armenta virosque involvens secum disiecta per agmina Turnus sic urbis ruit ad muros.
haut aliter ruit fortissimus héros Tyro in confertissimos hostium cuneos. Ac veluti si quis in horto tenera papavera succiderei ferro, ita onstantium metit ense capita hostium. 1
Igorlied
(Jar' Ture Vsevolode! Stojisi na boroni, prysiesi na voji strëlami, gremlesi o selomy me6i charaluinymi.) Kamo Tur' poskoôjaëe, svojim zlatym selomom posvëôivaja, tamo leïat poganyja golovy Poloveckyja; poskepany sabljami kalenymi selomy Ovarskyja ot tebe, J a r ' Ture Vsevolode!
W. Haupt, op. cit., 58f. Ich gebrauche den Text des „Slovo" nach der kritischen Ausgabe von L. A. Dmitrij, Istorija pervogo izdanija „Slova o polku Igorove", Moskva—Leningrad 1960, 259. Zur Frage der Echtheit des „Slovo" vgl. Slovo o polku Igorove — pamjatnik XII, veka, Moskva— Leningrad 1962. 2
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I m Zusammenhang mit dem letzten Vergleich sind die Namen der Helden zu beachten. I n der Bautzener Handschrift, die dem nichterhaltenen Autograf von Kosmas am nächsten steht, ist Tyro nur bei der ersten Erwähnung als Name geschrieben, dann immer nur mit Kleinbuchstaben ohne jedwede nähere Kennzeichnung, die sonst bei anderen wirklichen Namen üblich ist (tyro, intrepidus tyro, bustum tyri, heros tyro). Ähnlich verhält es sich auch mit der Leipziger Handschrift. Kosmas selbst begründet die »-Form mit dem lateinischen Wortspiel etate et nomine Tyro {tiro = lat. junger Krieger). Die M-Form hingegen begründet er durch die Schlacht in campo, qui dicitur Turzko. Auf die M-Form weist auch die Paraphrase der Aeneide über Turnus und vor allem der Umstand, daß die «-Form im Tschechischen den Sinn „Stier" bzw. „Auerochs" hat. 1 Tun war ein übliches Symbol der jungen K r a f t und Fruchtbarkeit; so schrieb die Tradition auch Radegast einen Stierkopf zu. 2 Aber auch ein Synkretismus germanisch-slawischer Vorstellungen ist denkbar, denn auch die Sage von Solovej Budimirovic, die offensichtlich von den Warägern stammt, berichtet von der Verzierung eines Schiffes mit Stierköpfen, aber angeblich als eines Meerstieres. 3 Die slawische Nomenklatur kennt eine Reihe von Ortsnamen mit dem Stamm tun-, so daß Tursko bei Prag nicht vereinzelt ist und deshalb keine Neubildung nach der Sage von Kosmas sein kann. Für die ¿-Form im tschechischen Milieu gibt es aber auch schriftliche Zeugnisse. I n der ersten altslawischen Legende vom heiligen Vaclav (Wenzel) figuriert als führender Gefolgsmann Boleslavs ein Mann namens Tiro. 4 Diese ¿-Form ist aber vom Standpunkt der slawischen Sprachbildung unerklärlich 5 und deutet auf germanischen Ursprung hin, ähnlich wie die Namen anderer Kampfgenossen Boleslavs, zum Beispiel Tunna und Gomon. 6 Ich neige zu der Ansicht, daß ein Held mit dem slawisierten germanischen Namen Tiro existierte, dem bei der Verherrlichung die hyperbolisierende Bezeichnung turò gegeben wurde, so wie bei Vsevolod im „Igorlied". Das germanische Grundelement des Namens Tyro hängt offensichtlich mit den mythologischen Vorstellungen des Gottes Tiwaz, Tiu, Tyr zusammen. 7 Aufschlußreich ist der Hinweis Z. Kalandras auf einen Hügel bei Tursko mit dem Namen Ers. Dieses Wort ist durchaus unslawisch, hat jedoch Ähnlichkeiten in 1
W. Haupt, op. cit., 59. L. Niederle, ¿ivot starych slovanü [Das Leben der alten Slawen] I I / l , Praha 1916,74,104, 132, 157. 3 Vsev. Miller, Ocerki russkoj narodnoj slovesnosti I, Moskva 1897, 204. 4 M. Weingart, Svatovdclavsky sbornik I. Praha 1934, 981. 5 V. Flajähans, NaH svati [Unsere Heiligen], Nase red 1926, 65f. ; ders., Osóby a mista v legenddch svatoväclavskych [Personen und Orte in den Legenden vom Hl. Wenzel, Svatoväclavsky sbornik I, 827. 6 E. Walter, Jeète ke jmén&m Tunna a Gommon v ceskych legenddch a kronikdch [Nochmals i « den Namen Tunna und Gommon in den tschechischen Legenden und Chroniken], Scando-Slavica 1961, 152f. 7 Vgl. auch G. Neumann im Wörterbuch der Mythologie 1/5, Stuttgart (1963), 90. 2
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der germanischen Nomenklatur (Eresburg, Eresberg usw.). Nach dem Zeugnis der oberdeutschen Bezeichnung für Dienstag, Ertag, Eritag, Erchtag — vgl. Tiu, Tivesdäg, Tysdai, Tuesday — besteht hier eine Identität mit dem Begriff Tyr. 1 Es wäre also möglich, daß zur Zeit, als germanische Gefolgschaften in den Diensten tschechischer Fürsten standen, im 10. Jahrhundert, bei den Grabhügeln von Tursko sich germanische mythologische Vorstellungen geltend machten. All das hielt Kosmas im Rahmen der überlieferten Epik fest. Den Widerspruch zwischen Tira — tur löste er auf natürliche Art durch Verschiebung zur latinisierten Form tiro, um so mehr, als er in den Topoi der hagiographischen Literatur ein Muster hatte. 2 Die Verbindung mit dem lokalen Namen nach dem Stamme tun-, obwohl linguistisch unlogisch, machte ihm keine Schwierigkeit, besonders dann nicht, wenn in der übernommenen Epik vielleicht die hyperbolisierende Bezeichnung tur' vorkam. Es muß nicht betont werden, daß der Heldengrabhügel ein episches Motiv ist und daß deshalb die Archäologen bei Tursko keine Spur von der erwähnten Schlacht vorfanden. Es gibt dort eine Totenstätte aus der Bronzezeit und aus der älteren La-Tene-Zeit; Gräber aus der Burgwallperiode wurden bisher in das 11. Jahrhundert datiert. 3 Die Gestalt des Helden Tyro in der tschechischen Fassung ist also eine beachtenswerte Verbindung von byzantinisch-germanischen Einflüssen, was der historischen Situation in Böhmen im 10. Jahrhundert entspricht. In Böhmen verlief die Entwicklung gegenüber dem Großmährischen Reich, wo beide Einflüsse bereits im 9. Jahrhundert einwirkten, verspätet. Eine interessante Verbindung ist ferner das Motiv der Zauberin, die in Verkleidung kämpft, 4 und das Zeichen, mit dem der Stiefsohn den Zauber der Götter aufhebt, das liegende Heidenkreuz, das bei den Tschechen archäologisch in Gravierungen auf der Burgstätte Libusin (ungefähr am Anfang des 10. Jahrhunderts) nachgewiesen ist und das in abergläubischen Bräuchen bis in die neue Zeit erhalten blieb. Dieses Element treffen wir nur in slawischem Milieu an. 5 Auf den Einfluß mündlich tradierter germanischer Epik weist jedoch der markanteste, bisher unbeachtete Zusammenhang zwischen dem Lutschanerkrieg und dem Lied von Ermanarichs Tod hin. Vergleichen wir den dramatischen Bau beider Heldenlieder: 6 1
Z. Kalandra, Ceske phanstvi [Das tschechische Heidentum], Praha 1947, 391. „Intrepidus tiro" in der Kanaparius-Legende vom hl. Vojtech (Adalbert), die Kosmas gut kannte. Vgl. Fontes rerum Bohemiearum I, 237 oder MGH IV 582. 3 Albin Stocky, Bitva u Turska a archeologie [Die Schlacht bei Tursko und die Archäologie], Casopis pratel starozitnosti ceskych, 1923, 94 mit Literaturangaben. 4 W. Haupt, op. cit., 65. 6 Eingehender der Verfasser in Cesky lid 5, 1963, daselbst der Abdruck eines Stiches aus dem 10. Jahrhundert. 6 Ich benütze den Abdruck bei John Meier, Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, Bd. I, Berlin—Leipzig 1935, 21 f. 2
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Lutschanerkrieg I. Schilderung des Feindes
So vern yn yennen Franckriken dar wânth eyn Köninck ys wolgemeit, Den wil de Berner vordriuen vmme syner frôlicheit.
His /Luczanibus/ prefuit dux nomine Wlaztislav, vir bellicosus.., satisque in preliis felix potuisset dici, si sors supprema non clausisset eum fine infelici.
I I . Konflikt um Städte und Land, Errichtung von Hindernissen, die die Verbindung stören, Absicht völliger Zerstörung Stede vnd Borge synt vns auerlegen, se synt vns nicht vnderdän. De Köninck van Armentriken, de ys vns suluen g r a m . . . (Wat funden se by dem wege? einen galgen gebuwet staen.) He will vns Heren all twolue y n den Galgen hengen l a e n . . .
/Wlaztislav/ condidit urbem in confinio duarum provinciarum Beiina et Litomerici et posuit in ea viros iniquos ob insidias utriusque populi, quia hii adiuvabant partes B o e m o r u m . . . ; .. exaltatum est cor ducis.., ut mente feroci exardesceret omnern Boemiam ad obtinendum.
I I I . Befangenheit, Frauen werden u m R a t gefragt (Tho wem schal ick my holden, g y f f r a d t , Meister Hillebrandt!) Tohandt sprack sick van der Tynnen Meister Hillebrandes syn wiff:...
.. gens i s t a . . . , iam desperantes viribus et armis militaribus quandam adeunt sortilegam et consulunt e a m . . .
IV. Die F r a u rät, wohin sie gehen, was sie t u n und was sie opfern sollen (Die gesamten Strophen 4 bis 6, in der die F r a u rät, wie sie Blödeling gewinnen können und nicht bedauern sollen, d a f ü r Silber und Gold zu opfern.)
(Die Partie, in der die Wahrsagerin rät, einen Esel zur Versöhnung der Götter zu opfern.)
V. Nach Ausführung der Weisung der F r a u fühlen sich alle gestärkt und gehen frohen Mutes in den Kampf De Berner leth sick wapen sûlfftwôlffte syner Man. Sammith vnde syden tógen auer er harnsch an. Se setteden vp er hóuet van Fyolen eynen krans. Do stunden de heren al twolue, efft se makeden einen dantz.
Quibus ita esu animatis asinino — res similis prodigio — cerneres letas phalanges et viros mori promptos u t silvaticos porcos; et sicut post aquosam nubem fit sol clarior et visu iucundior, ita post nimiam inerciam exercitus ille f u i t alacrior et ad pugnam audacior.
VI. Ein junger und phantastisch starker Held in den Diensten des Fürsten (Vnd de hefft eyenn sone, de is men twólff yàr oldt. De ys twischen synen Winbranen syner drier spenne widt..)
E r a t ea tempestate quidam vir precipuus honestate corporis, etate et nomine Tyro, et ipse post ducem secundus imperio, qui ad occursum mile obpugnantium
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Tohant sprack sick Köninck Blodelinck.. Sege ick en to felde k a m e n mit veerdehalff H u n d e r t Man, Ick redes dy, Dirick van dem Berne, allene wold ick se vorslaen!
in prelio nullum timere, nemini scivit cedere.
V I I . Alle Feinde fallen bis auf einen Se slögen sick doch allent d a t dodt, wat v p der Borch w a s . . .
. . . Boemi potiti sunt triumpho, Lucencibus omnibus interfectis usque ad u n u m . . , quem noverca olim p r e m o n u e r a t . . .
(VIII. Einzelheiten des Kampfes?) (Die Strophen 15 bis 19 f ü h r e n die einzelnen Helden namentlich ein.)
Incertum est, quis a quo vel quali vulnerc quisque ceciderit.
I X . Tod des feindlichen Königs — des Unterdrückers (Strophe 21, Dietrich selbst t ö t e t Ermanarich.)
Den Tod Vlastislavs beschreibt Kosmas nicht, sondern deutet ihn nur a m Beginn der Erzählung u n t e r anderem auch dadurch an, daß er anschließend von dem verwaisten Sohn spricht.) X . Tod des jungen Helden
De Berner schriede syn w a p e n : (Tyros Fall. Die Erzählung setzt nach epi„o we d a t ick hir q w a m ! scher Logik sein Beklagen u n d die ErrichNu hebb ick yo vorlaren t u n g eines Grabhügels voraus.) Köning blodelinck, minen alderyüngsten (Es folgt aber ein „ h a p p y e n d " , [man!" der beweinte Held erscheint lebend.) X I . F r e u d e über den errungenen Sieg (Letzte Strophe, Freude, daß alle leben und heil sind.)
(Boemi) repedant leticia . . . etc.
ad propria cum
magna
X I I . Der aus einem fremden L a n d stammende Diener des feindlichen Königs (Reinholt van Meilan, Pförtner auf der Burg Ermanarichs.)
Duringo, qui f u i t de Zribia genere. (Der Erzieher am Hofe Vlastislavs.)
X I I I . Der moralische Grundsatz der Treue gegenüber dem Herrn, auch bei den Feinden, als Richtlinien f ü r die Verurteilung bzw. f ü r das Verhalten des Dieners (Strophe 11; Reinholt öffnet Dietrich nicht das Tor und ist seinem H e r r n t r e u ; Strophe 22: Dietrich läßt ihn dafür a m Leben:) (.. Sünder vp den guden Reinholdt, de synem H e r n trüwe was. H e d d he em nicht t r ü w gewesen, d a t hedd em kostet syn lyff.)
(Durynk verrät seinen H e r r n und ermordet ihn in der Hoffnung auf Belohnung durch den böhmischen König. Dieser aber r u f t erzürnt:) Mihi autem f u i t licitum occidere inimicum, sed non tibi dominum! (Er verhängt über ihn das Todesurteil.)
Beziehungen zwischen der älteren tschechischen und der germanischen Epik
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Die Tatsache, daß mehr als zehn Grundelemente in beiden Stoffen parallel laufen, kann man wohl als einen Beweis für ihren nicht zufälligen, sondern genetischen Zusammenhang betrachten. Diese Übereinstimmung geht so weit, daß wir den Lutschanerkrieg das, ,Lied vom Tode Vlastislavs" nennen könnten. Und gerade deshalb, weil zwischen der schriftlichen Fixierung der beiden Stoffe eine so große historische Entfernung liegt (Kosmas' Aufzeichnungen ungefähr nach dem Jahre 1110, der niederdeutsche Druck von „Koninc Ermenrikes döt" aus dem Jahre 1560) sind die ähnlichen Formulierungen um so verwunderlicher. Ein Vergleich ist deshalb für beide Stoffe von Bedeutung. Für den tschechischen Stoff ist er eine weitere Bestätigimg, daß Kosmas ihn als Gesamtheit aus der epischen Sängertradition übernahm, so daß der Lutschanerkrieg kein von Kosmas aus irgendwelchen Fragmenten lokaler Volkssagen zusammengestelltes Werk, sondern ein typisches „Heldenlied" ist. Für den deutschen Stoff ist der Vergleich wegen der genaueren Datierung seiner Entstehung wichtig. Das Lied unterscheidet sich, wie bekannt ist, wesentlich vom übrigen Kreis der Dietrich sagen. 1 Hervorstechend ist besonders der Umstand, daß hier Ermanarich von Dietrich selbst getötet wird, was durch eine Verschiebung des Dietrich-Sagenkreises zum älteren in der Edda erhaltenen Lied von Hamöir entstand. Bisher wurde wegen dieser Ausnahme in der Fabel das Lied von Ermenrichs Tod als entwicklungsmäßig jünger bezeichnet. Der Vergleich zeigt jedoch, daß die ganze Fabel dieses Liedes älter, zumindest aber gleich alt sein muß wie der epische Gesang vom Tode Vlastislavs. Deshalb ist die Frage, wann das tschechische Heldenlied wirklich entstanden sein kann, entscheidend. Schon allein die Formulierungen Kosmas' zeugen davon, daß er eine bereits niedergehende epische Tradition aufgezeichnet hat. 2 Es handelt sich also darum, wie lange man eine Sängertradition von ihrer Entstehung bis zu Kosmas voraussetzen kann. Über die Datierung des Lutschanerkrieges diskutierten in letzter Zeit tschechische Historiker, Archäologen und Folkloristen. Der Archäologe Zd. Vana befaßte sich in den fünfziger Jahren mit Forschungen auf der Burgstätte Vlastislav, 1 Vgl. R. C. Boer, Die Sagen von Ermanarich und Dietrich von Bern, Halle 1910; H. de Boor, Das niederdeutsche Lied von Koninc Ermenrikes ddt, Beitr. z. Deutschkunde, Festschrift Th. Siebs, 1922. 2 Bretholz, 3: Igitur huis narrationis sumpsi exordium a primis incolis terre Boermorum et perpauca, que didici senum fabulosa relatione, non humana laudis ambitione, sed ne omnino tradantur relata ablivioni, pro posse et nosse pando omnium honorum dilectioni. Der Verfasser zeigte in Cesky lid 4, 1963 durch eine neue Analyse der Terminologie, daß es sich um den Vortrag der Träger der Epik handelt (vgl. z. B. Kosmas sumpsi . . . perpauca . . . relatio mit Ovids sed liceat sumpta pauca referre lyra, Fasti II, 104). Auch der Ausdruck laus bedeutet nicht einfaches Lob, sondern im mittelalterlichen Latein auch Anerkennung, Versprechen im Zusammenhang mit Geld, und in den Annalen von Hradiste-Opatovice z. B. est laudata pecunia D. marcarum (Fontes rerum Boh. II, 389), also das, was den Sängern der Epik gebührte. Den Ausdruck senex für die Träger der Epik wählte Kosmas unter dem Einfluß der analogen Stelle in der Reginon-Chronik.
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die topographisch mit der Festlegung Kosmas' übereinstimmt. Dabei bewies er, daß sie an einem neuen Ort errichtet worden war, daß sie militärischen Charakter hatte, daß sie durch Brand plötzlich zerstört worden war und nicht mehr neu besiedelt wurde, so daß die Identifizierung mit dem Sitz Vlastislavs aus dem Lutschanerkrieg eindeutig ist. Die dort vorgefundene Keramik wies nach der bisherigen relativen Chronologie auf die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts hin. Ohne die Quellen zu prüfen, verließ sich Váña auf Kosmas' Einreihung des Stoffes zum mythischen „Neklan". Und weil jener „Neklan" schätzungsweise am Beginn des 9. Jahrhunderts regiert haben mußte, entschloß sich Váña, eine gründliche Revision der gesamten bisherigen relativen Chronologie vorzunehmen und die sogenannte jungburgstätter Keramik um mehr als ein ganzes Jahrhundert zurückzuverlegen.1 Mit dieser Verschiebung stimmt auch der Archäologe R. Turek überein, der die •entstandenen Widersprüche zu überwinden sucht, zum Beispiel durch die Annahme der „Älteren Tradition" des jüdischen Buches Josippón aus dem 10. Jahrhundert, das noch von den Lutschanern als von einem bedeutenden Stamm spricht, oder •durch Verlegung von Funden aus anderen Burgstätten (Libusin) in frühere Zeit, usw.2 Anderer Meinung ist die Historikerin B. Krzemienska, die darauf aufmerksam machte, daß der Name „Neklan" ein „Sprachwort" und deshalb notwendigerweise unhistorisch ist. Sie wies auch auf das epische Element des Motivs vom Kampfe des Helden in der Verkleidung des Fürsten hin. 3 Obwohl in seinem letzten Diskussionsbeitrag R. Turek die Datierung der Vlastislav-Keramik im 9. Jahrhundert verteidigt, beginnt er bereits die spätere Ausbildung der Sage zu erwägen.4 Die Verschiebung des archäologischen Materials um 100 bis 150 Jahre ist keinesfalls überzeugend, wenn sie auch ex post durch Erfindung neuer Argumente gestützt ist. Als Grundlage dieser Verschiebung bleibt nämlich immer nur das mechanische Datieren nach Kosmas' zeitlicher Einreihung des epischen Stoffes, die ohne jedwede kritische Erwägungen vorgenommen wurde. Für die Diskussionen der tschechischen Historiker und Archäologen ist bezeichnend, daß in ihnen auch jetzt keine Ergebnisse der Vergleiche im Bereich der Epik auftauchten, die in der deutschen Literatur schon über ein halbes Jahrhundert bekannt sind. Die angeführten Zusammenhänge mit der jüngeren Dietrich-Epik 5 lassen vor allem die Frage der „Geschichtlichkeit" des Lutschanerkrieges überhaupt er1 Z. Váña, Slovanské hradiété ve Vlastislavi v Cechách [Slawische Burgstätte in Vlastislav i n Böhmen], Archeologické rozhledy 1954, 491, Fortsetzung 1955, 363, 1956, 53, 1957, 533. Über die Verschiebung der Keramik hauptsächlich in den beiden ersten Beiträgen. 2 R. Turek, Die frühmittelalterlichen, Stämmegebiete in Böhmen, Praha 1957, 95; ders. Cechy na úsvitu déjin [Böhmen an der Schwelle der Geschichte], Praha 1963; ders. Naée kroniky a archeologie [Unsere Chroniken und die Archäologie], 1961/2, 550. 3 B. Krzemienska, Pisemné a hmotné prameny — historie a archeologie [Schriftliche und materielle Quellen — Geschichte und Archäologie], Ceskoslovensky casopis historicky 1962, 374. 4 R. Turek, Archeologie a historie — dnes a zitra (Archäologie und Geschichte — heute und morgen), ebenda 1963, 193. 6 Der Verf. machte in Cesky lid 5, 1963, darauf aufmerksam; ausführlicher in Hudebnl veda 1964 No 3.
Beziehungen zw ischen der älteren tschechischen und der germanischen Epik
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stehen. Ist doch auch das „Lied von Ermanarichs Tod" absolut unhistorisch und ein Ergebnis des typischen „transfert épique", der epischen Kontamination zweier verschiedener historischer Sujets, wie W. Kienast in seiner Analyse bewies.1 Die Heldenepik jener Art, zu der das „Lied vom Tode Vlastislavs" gehört, spielt sich immer irgendwie historisch verschleiert ab: einfach „einst", nach Kosmas' Formulierung „antiquis temporibus" oder „olim antea retro dierum" (dadurch unterscheidet sie sich von dem jüngeren mittelalterlichen und neuzeitlichen sogenannten historischen, mit Datierung beginnenden Lied). Es lag deshalb an Kosmas, wohin er den Stoff einreihte, und die heutige Wissenschaft kann deshalb seine „Eingliederung" nicht zum Ausgangspunkt für weitreichende Schlüsse machen. Hier hilft nur eine innere Analyse der motivischen und dramatisch-baulichen Anordnung des Stoffes, konfrontiert mit historischen Angaben. Auf den Umstand, daß Kosmas den Stoff künstlich zu „Neklan" verlegte, wies schon der bekannte tschechische Folklorist V. Tille hin, der ebenfalls die Meinung aussprach, daß der Lutschanerkrieg zur Zeit Boleslavs I. stattfand. 2 Der Verfasser ist der Meinung, daß die Ansicht Tilles der Wirklichkeit am nächsten steht. Das 10. Jahrhundert steht nämlich in Böhmen im Zeichen eines Zentralisationsbestrebens der Fürsten des tschechischen Stammes. Selbst die Entstehung einiger „Fürstentümer" auf dem Gebiete Böhmens ist eine jüngere Entwicklungserscheinung, die mit der Veränderung der gesellschaftlichen Struktur während des entstehenden frühen Feudalismus zusammenhängt. Sowohl die Entstehung des selbständigen Fürstentums der Lutschaner in Westböhmen als auch des SlavnikFürstentums in Ostböhmen kann wahrscheinlicher im Verlauf des 9. und 10. Jahrhunderts vorausgesetzt werden als irgendwann im 8. Jahrhundert. Das gesamte Milieu des Lutschaner Hoflebens mit dem Erzieher Durynk, die verwaltungsmäßige Einteilung des Lutschaner Fürstentums in 5 Provinzen, deren Beibehaltung mit der Übernahme der kirchlichen Tradition zusammenhängt, das alles gehört in die Welt des 10. Jahrhunderts und keinesfalls in die Zeit um die Wende des 8. zum 9. Jahrhundert, in das der mythische Fürst „Neklan" gehören würde. Auch die im Lutschanerkrieg enthaltenen „heidnischen" Elemente fallen ganz in das 10. Jahrhundert. 3 Schließlich handelt es sich um Epik, und wir wissen, wie sich diese Elemente in der Edda, im Nibelungenlied oder im Igorlied erhalten haben, die aus der ungefähr gleichen Zeit nach der christlichen Konversion stammen. Schließlich ist der Umstand, daß ein Stoff mit solchen „heidnischen" Elementen bis zu Kosmas erhalten blieb, der wichtigste Beweis ihrer Zähigkeit in der epischen Tradition. Das „Heidentum" im Lutschanerkrieg kann also kein Beweis für die ältere Datierung in das 9. Jahrhundert sein. 1
W. Kienast, Hambismdl und Koninc Ermenrîkes dôt, ZfDA 1926, 49 f. V. Tille, Kristianüv a Kosmùv Pfemysl [Kristians und Kosmas' Premysl], Cesky historicky casopis 1918, 255f. ; V. Flajshans, Nds jazyh matefsky [Unsere Muttersprache], Praha 1924, 91. 3 Betrifft das Opfern des Tieres und das Essen seines Fleisches, das die Legenden vom Hl. Wenzel des 10. Jahrhunderts kennen; Fontes rerum Boh. I, 185. 2
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Festschrift Steinitz
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Die Regierung Boleslavs I., die, wie Widukind berichtet, mit der Ermordung des heiligen Vaclav im Jahre 935 1 und mit dem 14 Jahre dauernden Widerstand gegen die sächsische Dynastie begann, ist gerade die geeignetste „epische Zeit" für Heldenlieder dieser Art. Der Kampf Tyros für den Fürsten 2 kommt fast dem Kampf Rolands für Karl oder dem Kampf IIja Murometz' für Vladimir gleich. Die starke Regierung Boleslavs hat eine ähnliche Bedeutung für die Macht des tschechischen Staates. Der Verfasser sprach hierzu als Arbeitshypothese die Annahme aus, daß der „Lutsehanerkrieg" einen historischen Kern hat und eine poetische Verdichtung der Ereignisse des Jahres 936 ist, von denen Widukind berichtet: Es handelt sich um die Demütigung eines Stammesfürsten, den der Chronist in Beziehung zu Boleslav als „subregulus" bezeichnet. Boleslav selbst schlug das sächsische und thüringische Heer, das der Kaiser dem subregulus zu Hilfe schickte, und zerstörte dann durch einen plötzlichen Angriff die „urbs subreguli", von der nur ein Trümmerfeld blieb.3 Diese „urbs subreguli" fungiert in Widukinds Bericht als wichtiges Moment, so wie die nach dem Fürsten benannte Burgstätte Vlastislav im Lutsehanerkrieg. Das würde erklären, warum an der Spitze des tschechischen Heeres, das den Krieg gegen die Lutschaner führte, nicht der Fürst selbst stand, sondern sein Stellvertreter Tyro (bei Kosmas „post ducem secundus imperio"). Diese Person könnte historisch sein, wie die in den Legenden vom Hl. Wenzel vorkommende Gestalt von Boleslavs Adjutanten, Tiro, zeigt. Diese Hypothese 4 wird Gegenstand weiterer Diskussionen sein, obwohl die Identifizierung des Lutschaner-Fürsten mit dem „subregulus" in der Literatur nicht ganz neu ist. 5 Das ändert jedoch nichts daran, daß die Zeit Boleslavs die 1
Der Historiker J . Pekar f ü h r t e als D a t u m der E r m o r d u n g Vaclavs 929 ein. Das D a t u m 935 verteidigt von neuem Zd. Fiala, Dva kriticke pflspevky he starym dijinäm ceskyrn [Zwei kritische Beiträge zur alten tschechischen Geschichte], Sbornik historicky 9, P r a h a 1962. 2 Der Name „ N e k l a n " t a u c h t bei Kosmas nur zweimal auf, bei der „ E i n j ä h r u n g " u n d bei der Begründung, weshalb der Fürst nicht selbst an der Spitze seines Heeres stand. Weiterhin fungiert nur ein ungenannter und entschlossener tschechischer F ü r s t mit dem Terminus dux, mit dem Sitz „in Pragensi palatio" (auch dieses Moment s t i m m t nicht mit der Datierung des Krieges in den Beginn des 9. J a h r h u n d e r t s überein, denn P r a g wurde später gegründet und der Fürstensitz erst ungefähr um die Wende vom 9. zum 10. J a h r h u n d e r t nach P r a g verlegt). _ 3 Pergensque inde ad urbem subreguli, primo eam inpetu cepit (sc. Boleslaus), et usque in hodiernum diem solitudinem fecit. Widukind, MGH 3, 438 — 9. 4 Vgl. Cesky lid 5, 1963. 5 Übersicht der Identifizierungen des subregulus mit dem F ü h r e r der Lutschaner i n : V. Novotny, Ceske dejiny [Böhmische Geschichte] I , 482 — 3. Die Forscher wurden jedoch von der Suggestion Kosmas' irregeführt, nach der die Lutschaner schon f r ü h e r u n t e r Neklan unterworfen wurden, so daß sie in jenem subregulus z.B. den „Verwalter" der Lutschaner sahen, der sich gegen die Premysliden auflehnte. Eine Identifizierung mit dem Lutsehanerkrieg ist auch vom geographischen S t a n d p u n k t durchaus logisch, wenn wir die möglichen Richtungen der Feldzüge Boleslavs gegen die Sachsen u n d Thüringer u n d die R ü c k g a b e der „urbs reguli" auf dem Rückwege rekonstruieren. I m Stoff vom Lutsehanerkrieg wird auch ausführlich von der Bedeutung der Burg Vlastislav gesprochen, doch es wird nicht ihre Vernichtung durch den von Tyro geführten Teil der tschechischen Armee erwähnt.
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bestmögliche f ü r das Z u s t a n d e k o m m e n des Heldengesanges v o m „ L u t s c h a n e r k r i e g " ist. Zu seiner E n t s t e h u n g k o n n t e es n i c h t s p ä t e r als im 10. J a h r h u n d e r t k o m m e n , höchstens noch gegen E n d e der Regierung Boleslavs I . (967). Gegen E n d e des 10. J a h r h u n d e r t s wurde das letzte selbständig bestehende tschechische F ü r s t e n t u m d u r c h die E r m o r d u n g d e r Slavnik-Fürstenfamilie auf Libice liquidiert. J e d w e d e Verherrlichung des Krieges m i t den L u t s c h a n e r n in späterer Zeit wäre unaktuell, d e n n im böhmischen Fürstenmilieu t r a t e n im 11. J a h r h u n d e r t bereits ganz andere F r a g e n in den Vordergrund. Die D a t i e r u n g des vorausgesetzten „Liedes v o m T o d e Vlastislavs" in das 10. J a h r h u n d e r t bringt allerdings der bisherigen d e u t s c h e n F o r s c h u n g eine Reihe von P r o b l e m e n u m das „Lied v o m Tode E r m e n r i c h s " . D a in der damaligen k u l t u rellen Situation n u r ein Einfluß der germanischen E p i k auf die tschechische, u n d n i c h t u m g e k e h r t , vorausgesetzt werden k a n n , m ü ß t e das Heldenlied „ K o n i n c E r m e n r i k e s d o t " als Ganzes u n d in seinem gesamten d r a m a t i s c h e n B a u (bis auf einige typische jüngere Spielmannsmerkmale) schon irgendwann zu Beginn des 10. J a h r h u n d e r t s e n t s t a n d e n sein, u n d nicht erst im 12. oder 13. J a h r h u n d e r t , wie noch K i e n a s t n a c h seinem Schema a n n i m m t : 1 Spielmannsgedicht von König Ermanarichs Tod ——— (um 1200) \
Hamdirlied
Hamöismäl (um 800)
Koninc Ermenrikes dot (16. Jh.)
Dänische balladeske Bearbeitungen. (16. Jh.)
Zur Diskussion s t e h t z u m Beispiel, ob bereits in der d e m tschechischen Milieu dienenden Vorlage jene zwölf Gehilfen Dietrichs g e n a n n t sind; im Motiv V I I I h a b e n wir darauf durch ein Fragezeichen über d e m Vers K o s m a s ' hingewiesen, der die Weitschweifigkeit der Vorlage durch das wiederholte quis, quo, quali, quisque a n d e u t e t . E i n großes Problem ist die Gestalt des Dieners Reinhold. W . H a u p t versuchte zu beweisen, d a ß es sich u m einen A n k l a n g a n den historischen Reinald von Dassel, den Erzbischof von K ö l n in den J a h r e n 1156—1167 handelt, der sich durch seine Teilnahme a n der E r o b e r u n g Mailands in der m ü n d lichen Spielmannsüberlieferung in Reinald von Mailand verwandelte. 2 W e n n auch deshalb unsere Einreihung des Gesanges v o m Lutschanerkrieg in das 10. J a h r h u n d e r t strittig wäre, so b e s t e h t hier auf alle Fälle der T e r m i n u s a d q u e m in d e r Chronik K o s m a s ' , also lange vor der Möglichkeit der epischen V e r w a n d l u n g Reinalds von Dassel. I m ursprünglichen Lied v o m T o d e E r m a n a r i c h s , das die Vorlage f ü r das tschechische Lied war, m u ß t e also die Gestalt des P f ö r t n e r s E r m a n a r i c h s schon v o r h a n d e n sein, u n d entweder hieß sie nicht Reinhold v o n Mailand, oder der historische Reinald h a t m i t ihr nichts zu t u n . 1
14*
W. Kienast, op. cit., 77.
2
W. Haupt, op. cit., 205.
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Der Vergleich korrigiert gleichzeitig einige Annahmen Kienasts vom jüngeren Ursprung einiger Motive, zum Beispiel des Motivs V. 1 Doch selbst die Wendung des Hamöirliedes zum Koninc Ermenrikes döt, wobei die Rächer Hamöir und Sorli durch Dietrich von Bern ersetzt wurden, für den Kienast den Terminus post quem als das Jahr 1100 voraussetzte, mußte sich früher abgespielt haben, irgendwann zu Beginn des 10. Jahrhunderts. Kienast ging davon aus, daß die neue Version nicht schon entstehen konnte, während die alte Version noch voll lebendig war. Unser Vergleich zeigt jedoch, daß für eine bestimmte Zeit beide Versionen nebeneinander bestehen konnten, denn es handelt sich um einen genügend großen geographischen Raum ihrer Existenz. Dabei liegt gerade bei der angenommenen Wanderung des Hamöirliedes von Oberdeutschland in das nordische Milieu Böhmen dem ursprünglichen Zentrum näher, so daß die Annahme, daß sich die Verwandlung des Hamöirliedes zum Koninc Ermenrikes döt schon in Niederdeutschland abgespielt habe, korrigiert werden kann. Davon zeugt auch das heldenhafte Ethos im „Lied vom Tode Vlastislavs", das auch dem Hamdismal eigen ist, 2 doch bereits durch das spielmännische happy end im Koninc Ermenrikes döt verwischt wurde. Unsere Ergebnisse können wir, wenn wir das sekundäre literarische Eindringen des Dietrichstoffes nach Böhmen in Betracht ziehen, in folgendem Schema zusammenfassen:
(Anfang des 12. Jh.)
14. Jh.)
des Kleinen und Großen Rosengartens (14. Jh.)
I m Böhmen des 12. Jahrhunderts kann man aus kulturhistorischen Gründen keine lebendige und sich fortentwickelnde Tradition der heimischen Epik voraus1
W. Kienast, op. cit., 72.
2
W. Kienast, opt. cit., 79.
Beziehungen zwischen der älteren tschechischen und der germanischen Epik
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setzen. I n diesem Milieu mußte sie notwendigerweise ausklingen. Deshalb ist es nicht richtig, wenn W. Haupt die Dalimil-Lizenzen, besonders die Erfindung neuer Namen und die literarische Entfaltung der Motive, als ein Ergebnis irgendeiner mündlichen Tradition auffaßt. 1 Soweit es Merkmale des Lebens dieses Stoffes im ritterlichen Milieu Böhmens des 13. Jahrhunderts gibt, handelt es sich offensichtlich schon um ein künstliches, in der Chronik Kosmas' verankertes Leben. 2 I m 14. Jahrhundert begann sich bereits im tschechischen Milieu der sekundäre Einfluß der literarischen Dietrich-Epik auszuwirken, zum Beispiel in Dalimil bei Hynek von Dubá 3 und in den Übersetzungen des Kleinen und Großen Rosengartens, von denen Fragmente erhalten blieben. 4 Ein Einwand von grundlegender Bedeutung könnte jedoch entstehen: ob vielleicht erst Kosmas selbst, unter dem Einfluß des ursprünglichen Liedes von Ermanarichs Tod, die historischen Erinnerungen an den Lutschanerkrieg bearbeitete, und ob die deutsche Vorlage nicht doch jünger ist, ungefähr aus dem Jahre 1100. Das ist jedoch aus einer Reihe von Gründen unmöglich. Vor allem konnte sich der Lutschanerkrieg in irgendeiner unfixierten, damals nicht liedhaften Form nicht fast zwei Jahrhunderte bis zu Kosmas erhalten. Außerdem ist das ausgeschlossen nicht nur wegen des Abstandes Kosmas' vom reproduzierten Stoff und seinen dazugehörenden kritischen Glossen, sondern auch wegen der Existenz des zweiten der epischen Stoffe in Kosmas' Chronik, der Sage von der Herkunft des böhmischen Fürstengeschlechts vom mythischen Premysl — dem Pflüger. Auch in dieser Modifikation bekannter internationaler Erzählungen von der Berufung des Herrschers vom Pfluge sind germanisch-slawische Elemente epischer Motivik und Symbolik verwendet. Es genügt, als Beispiele den nächtlichen Walkürenritt der Wahrsagerin Lubosa anzuführen, oder die erotische Symbolik des gepflügten, doch noch unbebauten Feldes, des Nußstrauches, des geheimen Verkehrs vor der Hochzeit und die Vorstellung als auserwählter Bräutigam. All das finden wir ähnlich im Sagenstoff von der Heirat der Kyjewer Prinzessin Zapava mit dem fremden Bräutigam aus Island. Diese Zusammenhänge, die erst durch die gegenwärtige vergleichende Forschung enthüllt wurden, können nicht die Frucht der dichterischen Phantasie Kosmas', des Dekans des Prager Kapitels sein. Deutsch von Adolf Langer 1
So legt W. Haupt die Verwandlung des Namens Tyro zu Stier bei Dalimil aus oder die Bezeichnung des Stiefsohns mit dem Namen Strabo (op. cit., 61, 63). 2 Dalimil führt im Schluß des 20. Kapitels an, daß die Szene des Lutschanerkrieges im Paradieshof der Prager Burg bildlich dargestellt ist. Dieser Hof befand sich im Rundgang des Hauses der Kanoniker zwischen dem Veitsdom und dem Hirschgraben, und die Malereien stammten ungefähr aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Der Hof blieb leider nicht erhalten. 3 Dalimil führt im Kapitel 93 an, daß die Deutschen seine Tapferkeit so sehr fürchteten, daß sie ihn Dietrich von Bern nannten; neueste Ausgabe: NejstarM ceská rtjmovaná hronika tak feceného Dalimila — [Die älteste tschechische gereimte Chronik des sogenannten Dalimil], Praha 1958, 153. 4 Fragmente gab A. Patera heraus, ÖCM 1881, 464.
PAUL KÄRPÄTI/BELA SZENT-IVÄNYI/ANDOR TARNAI
Das Stammbuch von Michael Rotarides
Die systematische Darstellung der ungarländischen Literatur wird vom Jahre 1711, dem Erscheinungsjahr des Autorenlexikons von David Czvittinger gerechnet. Czvittingers Arbeit wollte Michael Rotarides (geb. 1715 in Stitnik [Csetnek] — gest. 1747 in Wittenberg) weiterführen und ergänzen; wegen seines frühen Todes konnte jedoch nur die Einleitung zu seinem Werk im Druck erscheinen. 1 Das gewaltige Material seiner geplanten Arbeit ist teils noch zu seinen Lebzeiten auf der Reise nach Deutschland bei den Zollbehörden, teils nach seinem Tode abhanden gekommen. Einen Teil seiner Handschriften, der sich jetzt im Archiv des Finnischugrischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin befindet, haben ungarländische Studenten in Wittenberg von seinen Gläubigern erstanden. Sein in Berlin, in der Slowakei und in Ungarn aufbewahrter Nachlaß birgt wertvolle Quellen zur Geschichte der ungarländischen, insbesondere der slowakischen Literatur sowie zur Geschichte der evangelischen Kirche und ihres Schulwesens im damaligen Ungarn. Die ungarische und slowakische Kulturgeschichte kann sich mit den Ergebnissen der bisherigen Rotarides-Forschung nicht zufriedengeben. 2 Indem wir das Stammbuch von Rotarides bekanntmachen, möchten wir Unterlagen zu einer vollständigeren Biographie dieses unermüdlichen Forschers beisteuern. I n der ungarischen und slowakischen kulturhistorischen Literatur ist von den Stammbüchern bislang wenig die Rede gewesen. Wir halten es für angebracht, den Leser auf Grund einiger einschlägiger deutscher Arbeiten über die Stammbücher zu unterrichten. 3 Das Wort „Stammbuch" wird heute mit zwei Bedeutun1
Historiae hungaricae literariae antiqui medii atque recentioris aevi lineamenta quorum prolegomena generalem in universam historiam Hungariae literariam introductionem continentia prodeunt studio ac sumtu H. M. Hungari. Altona 1745. (Im weiteren: Lineamenta). 2 Bisher ausführlichste Darstellungen: Robert Gragger, Egy magyar tudös sorsa. Botarides Mihäly. Emlekkönyv. Dr. Grof Klebelsberg Kuno negyedszdzados kulturpolitikai müködesenek emlekere születesenek ötvenedik ¿vfordulöjdn. Budapest 1925. S. 437—452 (Im weiteren: Gragger); — Gyula Farkas, A magyar szellem felszabaduldsa. Irodalomtörtenetirdsunk fejlödesrajza. Budapest 1943, 49 — 70. 3 Robert und Richard Keil, Die deutschen Stammbücher des sechzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1893; — Robert Freund, Aus der deutschen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Nach Stammbuchblättern. Berlin. Bd. I 1902. Bd. II 1904; — Edmund Kelter, Das Stammbuch des Andreas Chemnitius 1597 — 1626. Hamburg 1910 (6. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten XXVII. J 909); — Das Stammbuch
Das Stammbuch von Michael Rotarides
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gen verwendet: Seit den zwanziger Jahren wurde es in einzelnen deutsehen Ländern Brauch, Ehepaaren anläßlich ihrer Eheschließung zur Zusammenfassung der Familienurkunden sogenannte Familienstammbücher zu überreichen. Dieser Brauch ist in beiden deutschen Staaten auch heute noch üblich. Als in der Kulturgeschichte gebräuchliches Wort gehört „Stammbuch" ebenso wie „Feder" zu der Art von Bedeutungswandel, bei der infolge einer Veränderung der Sache die Namensübertragung stattgefunden hat. Bei den Wörtern dieser Gruppe kann der Bedeutungswandel häufig nur anhand kulturhistorischer Kenntnisse erklärt werden, in jedem Fall deuten diese Wörter jedoch auf den Ursprung des Begriffs hin. Hier wird unter „Stammbuch" dem Charakter der meisten erhaltenen Exemplare entsprechend ein Album der Studenten in der Zeit vom 15. bis 19. Jahrhundert verstanden, in das — so etwa wie in das unter jungen Mädchen heute noch verbreitete Poesiealbum — die Bekannten des Stammbuchbesitzers zusammen mit ihrer Unterschrift schöne Sprüche, gewöhnlich der Literatur entnommene Zitate, eingetragen haben. Dieser Brauch läßt sich bis in die mittelalterliche Welt der Ritter zurück verfolgen. Zu jener Zeit, als von der Schrift nur wenige Gebrauch machten, wiesen die Teilnehmer der Turniere zur Legitimation ihrer Abstammung die auf Blätter gemalten, eventuell auch mit Unterschriften versehenen Wappen ihrer Familie und Verwandtschaft vor. Ein solches „liber gentilicius" diente nicht nur als Beweis für die Abstammung, sondern auch für die Verbindungen seines Besitzers. Diesem Brauch folgend ließen auf Zusammenkünften von Herrschern und Aristokraten die Anwesenden ihre Wappen sowie Wahlsprüche und Namen von professionellen Wappenmalern in ihre Büchlein einzeichnen bzw. eintragen, oder sie machten unter Umständen eigenhändige Eintragungen. Das Stammbuch wurde also von da an außer einer Legitimation und Empfehlung zu einem Gedenkbuch. Den Brauch übernahmen auch die wohlhabenden Bürger und die humanistischen Gelehrten, und die Wappen wurden von den schriftlichen Eintragungen mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Die adligen Jünglinge, die auf die Universitäten zogen, wiesen sich mit den Wappen des Wittenberger Studenten Lunden aus Oöttingen (1568—1571), hrsg. von Wilhelm Falckenheimer. Göttingen 1910; — Stammbüchersammlung Friedrich Warnecke, Berlin. Am 2. Mai 1911 Versteigerung bei C. G. Boerner in Leipzig (Illustrierter Katalog) Einleitung von Adolf Hildebrandt. Leipzig; — Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch X. 2. Abt. I.Teil. Leipzig 1919. S. 646 —647; — Adrian Zingg, Stammbuch. Eine fahsim. Ausgabe. Das Nachwort schrieb Erwin Hensler. Leipzig 1923; — Ein Stammbuch aus vier Jahrhunderten, zusammengestellt aus etwa 100 Leipziger Stammbüchern aus dem 16. bis 19. Jh. und mit einem Nachwort versehen von Johannes Hofmann. Leipzig 1926; — Stammbuch eines Wittenberger Studenten (Nicolaus Reinhold, 1542) Nach dem Original in der Fürstlich Stolbergischen Bibliothek zu Wernigerode in Faksimiledruck hrsg. von Wilhelm Herse. Berlin 1927. — Das Wort „Stammbuch" wurde mit der Bedeutung „Berufsgeschichte" für eine Publikationsreihe gebraucht: Kulturhistorische Stammbücher. Stuttgart (Stammbuch des Studenten 1878, Stammbuch des Arztes 1879, Stammbuch des Juristen und Beamten 1879).
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ihrer Familie aus, nahmen zugleich jedoch die mahnenden Zeilen ihrer daheim gebliebenen Angehörigen und Freunde mit in die Fremde. Ihrem Beispiel folgten dann auch die jungen Leute aus bürgerlichem Stande, und die Wappen adliger Gönner zierten auch ihre Stammbücher. An den Universitäten schrieben ihre Professoren und Kommilitonen weise und heitere Sprüche und Verse in diese Büchlein, welche mittlerweile die Form artig gebundener Taschenbücher angenommen hatten. I n ihrem Titel trugen sie die Bezeichnung „Album" oder „Album amicorum", aber diese Namen konnten wegen ihrer allgemeinen Bedeutung den Gebrauch des Wortes Stammbuch nicht beeinträchtigen. Wohlhabende Inskribenten ließen ärmeren Studenten auch materielle Unterstützung zukommen. I n manchen Gegenden hatte das Betteln mit dem Stammbuch so überhand genommen, daß es einige Behörden streng untersagten, mit den Stammbüchern Spenden zu sammeln. Im 17. und 18. Jahrhundert war das Stammbuch an den deutschen Universitäten und in Gelehrtenkreisen allgemein verbreitet. Die Studenten und Gelehrten aus dem Ausland übernahmen diesen Brauch ebenfalls. Erst in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen die Stammbücher außer Gebrauch. Der Inhalt der Stammbücher hat sich je nach den Phasen ihrer Geschichte gewandelt. In Verbindung mit den adligen Wappen oder anderen allegorischen Bildern trat der Wahlspruch, auch Symbol genannt, oder — falls in Französisch verfaßt — die Devise und das Motto in Erscheinung: Sprüche ohne bildliche Darstellung. Die Wahlsprüche — vom 16. Jahrhundert an wurden sie im allgemeinen auch ohne Bild als Symbole bezeichnet — schrieb man häufig abgekürzt in das Buch. In Gelehrtenkreisen fanden Zitate aus der antiken und der zeitgenössischen Literatur oder aus der Bibel, ja auch volkstümliche Lebensregeln Verbreitung. Diese in Prosa oder Versen verfaßten Texte — Denksprüche oder Sentenzen — richteten sich nach dem Charakter und den Verhältnissen des Stammbuchbesitzers. Vom 16. Jahrhundert an erschienen für Stammbücher geeignete Sentenzensammlungen auch schon gedruckt. Seit dem Ende desselben Jahrhunderts gaben die Druckereien illustrierte Alben zur Verwendung als Stammbücher heraus, außerdem wurden einzelne Werke mit weißen Blättern durchschossen für diesen Zweck hergestellt. Die Eintragungen wurden anfänglich in Lateinisch, mit der zunehmenden Verbreitung des Humanismus jedoch auch in Griechisch und Hebräisch verfaßt. I n der Zeit der Aufklärung gewann die Muttersprache immer mehr Raum, und es tauchten Zitate aus der französischen und italienischen Literatur auf. Nicht nur die Herkunft, das literarische Genre und die Sprache der Texte sind abwechslungsreich, sondern auch ihr Inhalt. Weise Gedanken und Gemeinplätze, Strophen großer Dichter und klägliche Dilettantenverse, erhabene Ideen und Scherze wechseln sich ab. Die Eintragungen der Studenten spielen häufig auf gemeinsame Erlebnisse an. Man begegnet heiteren Sprüchen mit zeremoniellen Widmungen und umgekehrt Moralregeln oder weihevollen Ratschlägen mit scherzhaften, ja zynischen Widmungen. Gelehrte preisen zuweilen die wissenschaftlichen Arbeiten des Stammbuchinhabers, und Professoren loben den Fleiß, die
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Bildung und die Frömmigkeit ihrer Schüler. Auch die konfessionellen und philosophischen Zwiste hinterließen ihre Spuren in den Eintragungen, und es werden auf den Blättern ein und desselben Stammbuchs nicht selten Dispute ausgetragen. Die Form der Eintragungen betreffend ist in den akademischen Stammbüchern eine gewisse Gleichmäßigkeit zu beobachten. Das früher vorherrschende Symbol kam links unter die Sentenz, abgekürzt neben das Datum, oder es blieb völlig fort, während der rechts stehenden Unterschrift die genauen Berufsangaben des Unterzeichners folgten. Im 18. Jahrhundert wurden — wie anzunehmen ist — auf Einfluß des Klassizismus in den Eintragungen die antiken lateinischen Inschriften nachgeahmt: oben stand die Sentenz, darunter folgten die Widmungsworte, sodann die Unterschrift und zuunterst das Datum. Dem Autoritätsprinzip der Zeit gemäß trugen sich die einzelnen Personen in der Reihenfolge ihres gesellschaftlichen Ranges ein: vorn die Adligen und weiter hinten die Bürger; es kam auch vor, daß für den adligen und den bürgerlichen Stand gesonderte Bücher gehalten wurden. Die ungarländischen protestantischen Studenten eröffneten ein Stammbuch im allgemeinen dann, wenn sie ihre Studien im eigenen Lande abgeschlossen hatten und ausländischen Universitäten zustrebten. Mit dem neuen Stammbuch, das nun bereits mit einem Titelblatt versehen war, suchten sie zuerst die Pfarrer, Schulen und Wohltäter ihrer Kirche in der Heimat auf; die aufgesuchten Personen schrieben moralische Mahnungen und Ratschläge in das neue Stammbuch und unterstützten den jungen Mann, der sich anschickte, das Land zu verlassen, mit freiwilligen Geldspenden. Die Studenten nahmen das Stammbuch dann mit sich ins Ausland und sammelten dort die Eintragungen ihrer Kommilitonen und Professoren und von berühmten Gelehrten. Michael Rotarides versah sein Stammbuch am 28. März 1736 in Sopron (ödenburg) mit einem langen barocken Titel. Die erste Eintragung stammt — wie es von einem evangelischen Studenten wohl zu erwarten war — von der Hand des ersten Pfarrers in Sopron noch vom selben Tage; die letzte ist vom 26. September 1746 aus dem Fürstentum Celle datiert. In den zwischen den beiden Datierungen vergangenen zehneinhalb Jahren haben sich 407 Personen in das Stammbuch eingetragen, so daß es so gut wie völlig ausgefüllt wurde. 1 Die Zahl der ungar1 Das Stammbuch von Rotarides ist in der Ungarischen Bibliothek von Halle-Wittenberg erhalten geblieben. Gegenwärtig wird es im Finnisch-ugrischen Institut der HumboldtUniversität zu Berlin aufbewahrt (Signatur: Ung. Ms. 30). Sein vollständiger Titel lautet: „Quod Factum Faustum Felixque Sit! Templum honoris, Virorum Illustrissimorum, Spectabilium, Perillustrium, Summe Reverendorum, Clarissimorum, Doctissimorum, et Egregiorum, Mecaenatum Optimorum, Desideratissimorumque nec non Matronarum Honestissimarum, debitoque honore Semper afficiendarum, aeternae memoriae erectum a Cliente deuotissimo et Rerum Patriae Studiosissimo, Michaele Rotaride Hungaro Gömöriensi, Anno Recuperatae Orbis Salutis MDCCXXXVI. die 28. Martii Sempronii." — Seine Abmessungen betragen 130 x 80 mm. Auf den ersten sechs Blättern des Stammbuches, das insgesamt 212 Blätter umfaßt, steht eine im Jahre 1911 von Dr. Heinrich Reinhold, einem ehemaligen Custos der Hallenser Ungarischen Bibliothek angefertigte Liste der
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ländischen Inskribenten übersteigt die der Ausländer nur gering (209:198). Außerhalb der ungarischen Landesgrenzen trugen sich insgesamt 19 Ungarländer in das Stammbuch ein. Fünf von ihnen lebten ständig im Ausland, mehrere — so einige Siebenbürger Aristokraten — weilten aus offiziellem Anlaß außer Landes, und etliche reiche Adlige befanden sich auf Studienreisen. Von den 19 Ungarländern waren insgesamt vier Studenten. Drei von ihnen hatten das wissenschaftliche Anliegen des notleidenden Rotarides verstanden und sprachen ihm wenigstens Mut zu. 1 Der überwiegende Teil der Eintragungen ist in Lateinisch verfaßt; griechische Texte kommen 43mal und hebräische (bzw. arabische) 17mal vor. 2 Lebende Sprachen wurden alles in allem in 18 Fällen verwendet. Deutsch ist mit 10 Eintragungen vertreten: davon sind 5 in Ungarn vorgenommen worden, eine stammt von einem in Deutschland ansässigen Ungarländer und vier von gebürtigen Deutschen. Von 7 ungarischsprachigen Texten sind 3 in Versen gehalten, und einer ist in ungarischer Keilschrift geschrieben. Die slowakische Sprache ist mit einer Eintragung vertreten. Diese sprachliche Verteilung der Eintragungen zeigt, daß Rotarides hauptsächlich in lateinisch und kirchlich gebildeten Gelehrtenkreisen verkehrte. Jede Eintragung besteht aus drei Teilen: aus dem Denkspruch, aus den Grußworten und dem Namen des Inskribenten (meist mit genauer Angabe seiner Titel und seines Berufes) sowie aus dem Ort und dem Datum der Eintragung. Der letzte Teil ist aus Vergeßlichkeit oder Nachlässigkeit nicht selten unvollständig oder sogar völlig weggeblieben. Auf den meisten Blättern steht im oberen Teil der Denkspruch, rechts darunter befinden sich die Grußworte und die Unterschrift, und diesen links gegenüber steht das Datum in der Weise, wie es im Schlußteil von Briefen auch heute noch üblich ist. Innerhalb dieser Gruppe bilden die Eintragungen eine besondere Unterabteilung, bei denen neben dem Datum auch das Symbol des Inskribenten verzeichnet ist. I m Stammbuch von Rotarides sind uns 44 solche Fälle bekannt; 36 Eintragungen dieser Art sind in Ungarn entstanden und 8 in Deutschland, aber davon stammt eine ebenfalls von einem ungarländischen Studenten. Die Eintragungen archaischen Typs oder mit den charakteristischen Formen des literarischen Barocks gehören ausnahmslos zu dieser stark vertretenen Gruppe. Personen, die sich in das Stammbuch eingetragen haben. Im ganzen Stammbuch sind insgesamt 18 Blätter leer geblieben. Auf einigen Blättern stehen zwei Eintragungen. Dem Blatt 98 hatte bereits Rotarides ein nächstes hinzugeklebt, auf dem sich eine Eintragung aus dem Jahre 1736 befindet. 1 Ständig im Ausland lebende Ungarländer: Karl Andreas Bei, David Samuel Madai, Adam Manyoki, Martin Schmeizel und Johann Andreas Segner. Von den Siebenbürgern war Johann Läzär der bedeutendste. — Paul Festeties, Georg Festetics' Vater, trug sich vermutlich 1742 in Leipzig ein. Von den Studenten ist Johann Ribiny, der spätere Kirchenhistoriker, am namhaftesten. 2 Von den in Griechisch verfaßten Eintragungen stammen 38 aus Deutschland und 5 aus Ungarn; von den Texten in orientalischen Sprachen sind 6 in Ungarn eingetragen worden.
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Als archaisch betrachten wir die Eintragung eines Advokaten aus Debrecen, der als bescheidener Nachfolger der mittelalterlichen Wappenmaler einen Mond zeichnete und auf diese Weise seinen Denkspruch „Plenjor redibo" bildlich darstellte. — Der Rektor des Gymnasiums von Levoca (Löcse, Leutschau) stellte seinen Text so zusammen, daß darin die Buchstaben, die römische Zahlen bedeuten können, die Jahreszahl der Eintragung ergeben. — Ein anonymer Inskribent aus Ozd'any (Osgyän) machte aus den Buchstaben des Namens von Michael Rotarides ein Anagramm und interpretierte die solcherart geschaffenen Worte in zwei Distichen. — Ein anderer zerlegte den lateinischen Namen (Rotarides) in verständliche Teile und meditierte über die Silben. — Ein weiterer Inskribent wahrte seine Anonymität, indem er mit einem aus dem eigenen Namen angefertigten Anagramm unterzeichnete. — Eine barocke Erscheinung stellen die Texte dar, welche in geometrischen Formen angelegt sind. In Wellenlinien geschriebene Zeilen verleihen der Wandelbarkeit des Geschickes und einander senkrecht überschneidende Zeilen dem Kreuz Christi bildhaften Ausdruck, wobei auch der Inhalt der Eintragungen davon handelt. Ebenfalls hierher gehört das Verfahren, bei dem der Inskribent die Verbundenheit der Freunde in der Weise dargestellt hat, daß er seinen Satz auf dem nächsten Blatt fortsetzte. Diese nach barocker Manier angelegten Eintragungen sind ausnahmslos in Ungarn entstanden. 1 Die formale Einteilung einer anderen, kleineren Gruppe von Eintragungen erinnert an Inschriften bzw. an Titelblätter von Büchern: die Mittelpunkte der untereinander geschriebenen, unterschiedlich langen Zeilen liegen auf einer senkrechten Achse. Dabei steht in der Mitte der Denkspruch, darunter die Grußformel an den Stammbuchbesitzer und die Unterschrift; schließlich folgen Ort und Datum der Eintragung, häufig durch einen waagerechten Strich vom Darüberstehenden getrennt. I m Stammbuch von Rotarides ist diese Gruppe mit insgesamt 37 Eintragungen vertreten. Davon sind lediglich zwei aus Ungarn datiert 2 und sämtlich in Gelehrtensprachen (Latein, Griechisch usw.) verfaßt. Es fällt auf, daß gerade die Träger der größten Namen eine Vorliebe für diese Form hatten: Christian Wolff, Christian August Heumann, der mit seinem literarhistorischen Wirken auf Rotarides großen Einfluß ausgeübt hat, sowie die berühmtesten in Deutschland ansässigen Gelehrten aus Ungarn: der Physiker Andreas Segner, Martin Schmeizel und Karl Andreas Bei, Matthias Bels Sohn. Etwa ein Drittel von ihnen benutzte die lateinische Orthographie der Humanisten, die in seinen 1 Die Eintragung mit der Zeichnung ist auf Blatt 100 zu finden. — Das Chronostichon: „IaM IndlgnVs eXIstens saLVabor VVLnere Christi" (1736, Blatt 158). — Das Anagramm: Michael Rotarides = „Hic male orta id res" (Blatt 196). — Die in Wellenlinie geschriebene Zeile: „Tali ordine fata procedunt" (Blatt 28). — Der in der Form eines Kreuzes eingetragene Text ist ein Zitat aus der Bibel (Cor., I, 22): „Nihil crucifixum, nisi Christum" •(Blatt 151). — Der auf das nächste Blatt hinüberreichende Satz lautet: „Sic jungit pagina Amicos" (Blatt 9 8 - 9 9 ) . 2 Johann Jakob Neuhold, Arzt in Sopron (Blatt 69) und Paul Major, evangelischer Hofgeistlicher (Blatt 202).
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Handschriften und in den Lineamenta auch Rotarides befolgte. Nach dem bisher Gesagten ist es vielleicht nicht voreilig anzunehmen, daß die auch in der Einleitung erwähnte neue Form der Eintragungen um die Mitte des 18. Jahrhunderts den Geschmack des neulateinischen Klassizismus verraten, daß dieser in Deutschland bereits mehr verbreitet war als im damaligen, in seiner spätbarocken Periode befindlichen Ungarn, und daß sich auch Michael Rotarides von dieser neuen Richtung angezogen fühlte. Ein Stammbuch kann niemals im voraus redigiert werden. Die sich eintragenden Personen, der Anlaß und der Text der Eintragungen sind nie im voraus berechenbar, und so kann durch die Stammbücher ein gut abgrenzbarer Bereich des Alltags der Gelehrtenwelt früherer Zeiten in seiner Natürlichkeit kennengelernt werden. Bald bekräftigten sich nolens volens die von der Laune des Schicksals nebeneinandergereihten Eintragungen, bald geraten sie miteinander in Widerstreit und verleihen jedem Stammbuch den oft schablonenhaften Denksprüchen zum Trotz Lebendigkeit und Individualität. Zwei Inskribenten des Stammbuches erinnerten, da der wandernde Student sie gerade um die Zeit aufsuchte, an Ostern. 1 — Einer schrieb ungarisch: „Hölnap jobb leszsz" (Morgen wird es besser) und bekräftigte seine Behauptung mit dem Ausspruch „Post nubila Phoebus"; auf dem folgenden Blatt meinte dagegen ein anderer: „Jobb m a " (Heute ist es besser) und zitierte zur Bestätigung Seneca. 2 Es kommen natürlich auch unbeabsichtigte Widersprüche vor. Ein Wittenberger Professor schrieb, man müsse die Menschen auch dann fürchten, wenn man recht handle; nach der Meinung eines Braunschweigers habe man nichts zu fürchten, wenn man richtig vorgehe. 3 Ein Inskribent aus Presov (Eperjes, Eperjesch) t a t das Gegenteil der miteinander Streitenden: er löste seine Aufgabe, indem er einer in Deutschland eingetragenen Sentenz einfach eine bekräftigende Klausel hinzufügte. Es gab jedoch auch solche, die einfach den Denkspruch eines ihrer Vorgänger abschrieben. 4 Zu den Erscheinungen des täglichen Lebens gehört auch, daß ein ansehnlicher Teil der Eintragungen aus konventioneller Verpflichtung entstanden ist, daß die Zitate häufig ungenau, aus dem Gedächtnis niedergeschrieben wurden, und nicht selten sind es gerade die bedeutenden, aber vielbeschäftigten Männer, die ihre Namen in Begleitung nichtssagender Äußerungen eintrugen. Christian WolfF sagte mit seinem Denkspruch „Tentanti nihil arduum" im Jahre 1740 ebenso wenig wie ein unbedeutender Inskribent, der ihn 1743, ein Blatt darauf, in der Form „Volenti nihil arduum" wiederholte. Aus den Worten Matthias Bels von 1738 („Unum est necessarium") kann ebenso wenig gefolgert werden wie aus denen 1
Beide aus Nemescsö, aus dem Jahre 1736 (Blatt 90, 91). Das Seneca-Zitat: ,,Si hodie manus admoverimus, erit, ut minus de crastino dependeamus." 3 'Blatt 71: „Vel recte faciendo homines timeas", Blatt 110: „Recte faciendo neminem timeas." 4 „Quicquid agis prudenter agas et respice finem" (Hildesheim, 21. September 1740). „Huic circumspectae prudentiae, symboli loco, subscribit Andreas Kesmarszky" (Presov, 5. Dezember 1742) (Blatt 77). — Die erwähnte Abschrift befindet sich auf Blatt 192. 2
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eines Pfarrers aus Ungarn, der mit Berufung auf den Evangelisten Lukas (X, 42) schrieb: „Uno opus est". 1 Es folgt aus dem Gemeinplatz-Charakter vieler Denksprüche, daß im Stammbuch von Rotarides eine ganze Reihe identischer Sprüche vorkommt. „Initium sapientiae timor Domini" kommt darin 6mal, „Dominus providebit" 5mal, „Si Deus pro nobis quis contra nos", „Aeterna sequamur" und „Omnia conando docilis solertia vincit" 3mal vor. Einmalige Wiederholungen sind mehr als zehnmal vertreten. Ziemlich zahlreich sind auch die sinngemäßen Wiederholungen.2 Aus den im Stammbuch aufbewahrten Denksprüchen kann also auf die geistige Umwelt von Rotarides nur mit allergrößter Vorsicht gefolgert werden. Als sichere Unterlagen können hingegen die Orte und Datierungen der Eintragungen zum Nachzeichnen der Reisen von Rotarides herangezogen werden, und auch aus den eingetragenen Grußworten kann man seine wissenschaftliche Tätigkeit betreffend mit gewisser Kritik Schlußfolgerungen ziehen. Im Frühjahr 1736 unternahm der junge Mann aus Sopron eine ausgedehnte Reise durch Ungarn. Er machte sich am 1. April auf den Weg und begab sich zuerst in die Gegend von Köszeg (Güns). Am 8. April besuchte er Martin Väsonyi in Vadosfalva, wandte sich dann nach Osten und weilte vom 12. bis 13. April in Papa und am 24. April in Pest (heute Budapest). Zwischen dem 1. und 4. Mai machte er in Kecskemét, Cegléd und Nagykörös Station; am 8. Mai befand er sich bereits in Aszód auf dem Weg nach Stitnik, das er über Lucenec (Losonc) und Rimavskä Sobota (Rimaszombat) erreichte. In Stitnik trug sich Michael Chmel, ein ehemaliger Mitschüler (commilito) in sein Stammbuch ein. Nach zweiwöchiger Rast (2. bis 14. Juni) durchwanderte er drei Wochen lang seine engere Heimat 3 , Gemerskä zupa, das frühere Komitat Gömör, und traf dann über die Zips (slow. Spis, ung. Szepesség), wobei er die Orte Spisska Novà Yes (Iglò, Neudorf), Levoca und Bardejov (Bàrtfa, Bartfeld) passierte, am 19. August in Sàrospatak ein. Am 26. und 27. August hielt er sich in Miskolc auf und am 4. September in Debrecen, wo er erneut einem ehemaligen Mitschüler, Stefan WeszprémiKoväts begegnete. Am 11. September befand er sich wiederum in Sàrospatak. Hier dürfte er längere Zeit geblieben sein, denn die nächste Eintragung ist dann erst vom 27. September aus Kosice (Kassa, Kaschau) datiert. Sodann wandte er sich Preiov, Levoca und Kezmarok (Késmàrk, Käsmark) zu. In dem Ort Niz. Ruzbachy (Oroszpatak, Russbach) in der Zips besuchte er seinen früheren Schulkameraden Johann Adam Moes und in Kezmarok seinen ehemaligen Lehrer, 1 Christian Wolff und sein Nachahmer auf den Blättern 14 und 15 ; Bei und sein Vorgänger auf Blatt 36 und 156. 2 Ein Beispiel: „ T a l e m Te praesta, qvalis haberi desideras" (3. November 1736, Blatt 203); „ I d Semper agas, ut qvalis haberi vis, talis etiam s i s " (19. Oktober 1736, Blatt 123); ,,Ad gloriam compendiaria via est, id agere ut qualis videri velis, talis etiam s i s " (Lübeck, 23. Februar 1741, Blatt 41). 3 Der von Gragger (S. 441) erwähnte Reisepaß aus Stitnik wurde nach der Reise durch Gömör ausgestellt. Für den zweiten Aufenthalt in Stitnik dient auch die Eintragung von Michael Chmel als Beleg.
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Daniel Sartorius. Von da führte sein Weg über Ruzomberok (Rözsahegy, Rosenberg) nach Kremnica (Körmöcbanya, Kremnitz), wo er von einem anderen ehemaligen Lehrer, Georg Sartorius, empfangen wurde. Die letzte Station seiner Reise im Jahre 1736 war nach den Eintragungen im Stammbuch am 7. November Banska Bystrica (Besztercebänya, Neusohl). Mit den guten Ratschlägen von 160 Inskribten und auch gewisser materieller Unterstützung in der Tasche blieb Rotarides vorerst zu Hause. Vom November 1737 stehen Unterschriften aus Wien im Stammbuch und aus der Zeit zwischen dem 28. Februar und dem 14. März 1738 aus Sopron. Im selben Jahr entschloß er sich dann dennoch zu der weiten Reise, denn nach Eintragungen aus Bratislava (Pozsony, Preßburg) (21. März bis 12. April) schrieb am 12. September endlich ein Wittenberger Student aus Ungarn seine Freundeszeilen in das Büchlein. Aus Wittenberg dürfte er im Januar 1740 nach Lübeck und im August desselben Jahres nach Magdeburg weitergezogen sein. 1 Als der junge Student im Frühjahr 1736 aus Sopron aufgebrochen war, hat wohl kaum einer geahnt, daß er sich mit literarhistorischen Plänen trug. Allgemein bekannt war lediglich, daß er sehr arm gewesen ist. Die Soproner Pfarrer entließen ihn deshalb mit Zeilen, die das Gefühl seiner Not mildern sollten. 2 (Eintragungen dieser Art kamen auch später wiederholt in das Stammbuch und haben ihre Aktualität nie eingebüßt.) In Rotarides ehrten seine Gastgeber bald den zukünftigen Pädagogen, bald den Theologen und bald den Juristen; Rotarides scheint sich nicht viel darum gekümmert zu haben, wofür man ihn hielt. Die meisten Inskribenten mahnten den jungen Mann gewöhnlich zur Ausdauer, zum Fleiß und wenn die Wissenschaft zur Sprache kam, zur „erudita pietas", wobei sich die zur Genüge bekannten Gemeinplätze nicht selten wiederholten. Ratschläge, die den Eindruck machen würden, daß sie auf der Höhe der zeitgemäßen Wissenschaften standen, hat er wenig bekommen. 1736 schrieb ein Inskribent von der praktischen Verwendbarkeit der Weisheit, und 1737 wurde in zwei Wiener Eintragungen auf den stetigen Fortschritt der Wissenschaft hingewiesen. 3 Und doch ist es ganz gewiß, daß sich Rotarides bereits zu dieser Zeit mit literarhistorischen Plänen beschäftigte, denn auf dem Titelblatt des Stammbuchs 1
In Wittenberg wurde er am 26. April 1738 immatrikuliert. Über seine Schriften aus den Jahren 1738—40 s. Gragger S. 442—443. Die Eintragung aus Lübeck ist vom 3. Januar 1740 datiert, die aus Magdeburg vom 10. August (Blatt 185, 180). 2 Pilgram: „Paupertas saepius virtutis quam invidiae comes est" (Blatt 85) — Samuel Serpilius: „Beatus, qui intelligit super egenum et pauperem: in die mala liberabit eum Dominus" (Blatt 86). 3 „Non qui multa; sed utilia seit, sapit" (Blatt 81); „Qui correctionem amat Scientiam amat" (Blatt 47); „Non qvis, sed qvid dicatur, attendendum" (Blatt 64). — Auf die Querelle, den Streit zwischen den Anhängern des Alten und des Neuen, ist folgende Magdeburger Eintragung vom Jahre 1740 bezogen: „Non ego sum veterum, non assacla Amice, novorum Seu vetus est, verum diligo, sive novum" (Blatt 180).
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bezeichnete er sich als „rerum patriae studiosissimus". Unterwegs äußerte er dann entweder selbst dies und jenes von der Wichtigkeit der Wissenschaften über Ungarn, oder dieser Gedanke kam auch anderen Vertretern der ungarländischen Intelligenz, wenn sie einen Studenten vor sich sahen, der den Universitäten und der Gelehrtenlaufbahn zustrebte ; Tatsache ist, daß einige Eintragungen auf dieses Thema eingehen. Stefan Szilâgyi, reformierter Rector in Debrecen, zitierte aus der „Méthode" von Descartes einen Satz des Inhalts, daß man die ausländischen Erfahrungen zum Nutzen des eigenen Volkes verwenden solle ; der Prediger von Poroszlö identifizierte die Sorge für sich mit der Sorge für das Vaterland, und zu diesem Themenbereich gehört auch die Eintragung von Johann Gottfrid Oertel, der seine Zeilen mit den von Matthias Bei herausgegebenen „hunnischen" Buchstaben (Keilschrift) zu Papier brachte. 1 Deutlich äußerten sich später, 1738 und 1742, Samuel Wilhelm Serpilius, evangelischer Pfarrer in Bratislava und Samuel Szilâgyi, der spätere Herausgeber von Seneca, über den Stand der Kultur in Ungarn und die Pflicht des Bürgers. 2 1736 erfolgten nur zwei Eintragungen, von deren Verfassern angenommen werden kann, daß sie von den hochstrebenden Plänen des jungen Mannes wußten. Der eine war Samuel Antoni in Stitnik, der aufgezeichnet hat, daß der Inhaber des Stammbuches „nach verschiedenen Dingen" forschte; der andere war Samuel Hruskovic (Hruscowitz), der „slowakische Geliert", der zu Rotarides' „erhabener Absicht" Erfolg wünschte. 1737 schloß sich ihnen der Verfasser einer Eintragung aus Wien an, der endlich ganz klar für Rotarides' „literarische Unternehmungen" Gottes Segen herbeiwünschte. 3 Michael Rotarides nahm im Sommer 1740 Abschied von der Universität zu Wittenberg. Vom 31. Juli bis zum 11. August sammelte er in seinem Stammbuch 21 Unterschriften, größtenteils von Professoren. I n diesem Zeitraum entstand jene Universitätsurkunde, in der darum gebeten wird, Rotarides die Benutzung von Bibliotheken zu gestatten, weil er die Geschichte der Literatur Ungarns schreiben wolle.4 Der junge Gelehrte hielt sich am 19. August in Magdeburg auf, vom 22. bis 24. August in Helmstedt und vom 27. August bis 1. September in Braunschweig. 1 Stefan Szilâgyi: „Expedit interdum experiri mores aliorum populorum, ut eo incorruptius de nostris judicemus" (Blatt 117). — „Cures Te ut Patriam eures" (Blatt 151). — Oertels Anspielung ist unklar: „Haec pauea Hunno Scythice sed Theologice scripta ut petitioni Domini Bibliothecarii satisfaceret . . . adponere voluit . . ." (Blatt 141). 2 „Non delicatis, sed iis vere dulcis est Patria, qui omni studio Patriae Servire laborant" (Blatt 178). — „Ubique bonus Patriae Civis . . ." (Blatt 208). 3 „Haec Domino Albi Possessori varia scrutanti et ad altiora strenue connitenti. . ." (Stitnik, 2. Juni 1736, Blatt 140) ;,,. . . cum voto felicissimi in eximiopropositosuccessus . . . " (Banskâ Bystrica, 7. November 1736, Blatt 114). — Paul Wallaszky: Conspectvs reipvblicae litterariae in Hvngaria . . . Posonii et Lipsiae 1785, S. 244: „Quod Germanis seculo hoc Gellertus, hoc nostris est in Hungaria Hruskouizius . . .". — „ . . . tuis ut faveat Conatibus literariis . . ." (Wien, 8. November 1737, Blatt 208). 4 Gragger (S. 444) berichtet von der Schrift und zitiert die wichtigsten Stellen.
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Von dort begab er sich nach dem nahe gelegenen Wolfenbüttel, wo in sein Stammbuch zwischen dem 7. und 18. September Eintragungen gemacht wurden. Darunter befindet sich mit dem Datum vom 11. September die des herzoglichen Rates und Bibliothekars Jakob Burckhardt, der vier Tage danach bestätigte, daß der Forscher aus Ungarn tatsächlich in der Bibliothek gearbeitet hat. 1 Vom 19. bis 21. September weilte Rotarides in Hildesheim. Hier besuchte er Jakob Friedrich Reimmann, der sich in seiner Arbeit „Versuch einer Einleitung in die historiam insgemein und deren teutschen Insonderheit" 1708—1713 über die ungarländischen Wissenschaften sehr niederschmetternd geäußert hatte. Reimmanns Behauptungen waren bereits 1711 von Czvittinger widerlegt worden; fünf Jahre nach seinem Besuch richtete dann Rotarides in den Lineamenta heftige Angriffe gegen Reimmann. — Aus Hildesheim kommend verbrachte er zwei Wochen in Hannover (27. September bis 9. Oktober), passierte Lüneburg und hielt sich vom 18. Oktober in Hamburg und Altona auf. Auf der Rückreise weilte er über zwei Monate in Lübeck (18. Dezember 1740 bis 23. Februar 1741). Seine nähere Verbindung zu Johann Gottlob Carpzov, dem er später seine Lineamenta gewidmet hat, geht wahrscheinlich auf diesen Aufenthalt zurück. 2 In Berlin wohnte er in der zweiten Märzhälfte (16.—28. März) und kehrte von hier aus nach Wittenberg zurück. Ende April befand er sich schon auf dem Weg nach Dresden, im Juni nach Leipzig und im Juli nach dem thüringischen Mühlhausen. Mitte August war er wieder in Wittenberg. Am 5. Oktober beantragte er einen Paß für eine Reise nach Halle, Leipzig und Jena. Sein Aufenthalt in Halle und Leipzig kann auf Grund der Eintragungen in das Stammbuch nachgewiesen werden. Die Reise von 1740/41 war in Rotarides' literarhistorischer Forschungsarbeit eine Wende von entscheidender Bedeutung. Durch den Brief der Wittenberger Universität unterstützt, begann er damals mit der systematischen Sammlung von Material, suchte er Mäzene für seine Pläne, und auch seine Bekannten begannen um diese Zeit in den Stammbuchzeilen mehr auf Rotarides' großes Unternehmen -einzugehen. Aus den Eintragungen ist bekannt, daß er in Braunschweig, Hannover und Wolfenbüttel in Bibüotheken gearbeitet hat, und während dieser Zeit wurde ihm ein Denkspruch mit literarhistorischem Bezug ins Stammbuch geschrieben. 3 Der Gegenstand seiner geplanten Arbeit ist nicht allen klar gewesen; der eine Inskribent schreibt von einer ungarländischen Kirchengeschichte, der andere von einer Geschichte Ungarns, wieder andere bleiben ganz allgemein, — einig waren sie sich jedoch alle darin, daß ein großes Werk im Entstehen begriffen war und wünschten Rotarides einen glücklichen Fortgang der Arbeit und hilfreiche Mäzene. Die schönste Anerkennung wurde ihm in Lübeck sicherlich auf Vermittlung 1
Näheres darüber bei Gragger, S. 445. Aus Hannover liegt auch eine Eintragung vom 7. September 1740 vor (Blatt 22). — Carpzovs Eintragung ist vom 18. Dezember 1740 datiert (Blatt 42). 3 „Lingua est historiae literariae basis, et quidem unica, per orientem et occidentem" .(Blatt 89). 2
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seines Vertrauten Carpzov vom Subrector und Bibliothekar der dortigen Schule zuteil: 1 „Per varios casus, per tot discrimina rerum Tendimus ad laudes, studiosae praemia mentis. Tu qvoqve Rotaride terras percurris et urbes Vt monumenta legas patrius qvae prodidit orbis Docta, sed has illas olim dispersa per oras. Sis felix! doctumqve vigil pertexe laborem. Certa tuae fronti Musae jam serta parabunt." 1742 wandte sich Rotarides der Heimat zu, um die Materialsammlung dort fortzusetzen.2 Laut Reisepaß, der ihm am 17. April von der Universität Wittenberg ausgestellt wurde, beabsichtigte er nach Leipzig und Halle zu reisen. Für einen Aufenthalt in Halle gibt es keine Belege; in Leipzig hielt er sich am 19. und 20. April auf. Hier wurden ihm drei Eintragungen ins Stammbuch geschrieben, darunter eine von Karl Andreas Bei; von der Universität und Stadt Leipzig erwarb er einen Paß für die Reise nach Bratislava. Wann er dort eintraf, ist nicht klar. Nach einem Briefkonzept vom 11. Juli war er jedenfalls bereits am 2. Mai in Bratislava. Zu Pfingsten besuchte er Sopron, wo er sich mit dem Datum vom 4. Juni einen Paß nach Banskä Bystrica besorgte, ohne jedoch von dem Dokument Gebrauch zu machen, denn er blieb in Bratislava und arbeitete in den dortigen Sammlungen. Er hatte vor, im August oder Anfang September für ein Jahr nach Wittenberg zurückzukehren.3 Zur angegebenen Zeit befand er sich jedoch nicht 1
Blatt 37, 78, 59, 142, 111. — Das Epigramm (Blatt 199) geht auf einen Vers Vergils zurück: Aen. I, 204. Interessanterweise haben noch zwei andere Eintragungen ihn als Urquelle: „Per varios casus, per tot discrimina rerum Tendimus in coelum. Dirige, Christe, vias!" (27. April 1744, Blatt 144) „Post varios casus, post tot discrimina rerum, Crede, tibi firmus, Lipsia portus erit." (30. Mai 1744, Blatt 116) 2 Zur Ergänzung der Biographie von Rotarides für die Jahre 1742—45 haben wir seine Reisepässe herangezogen, die in der Ungarischen Bibliothek von Halle-Wittenberg erhalten geblieben sind. (Gegenwärtig werden sie im Finnisch-ugrischen Institut der HumboldtUniversität unter der Signatur Ung. Ms. 29 aufbewahrt.) Die ausstellende Behörde hatte in den Pässen bescheinigt, daß es in dem Ort keine Pest gibt und vermerkt, wohin die im Paß bezeichnete Person zu reisen gedachte. Die Angaben in den Reisepässen hat bereits Gragger in seinem zitierten Aufsatz verwendet. Zur Ergänzung der im Stammbuch enthaltenen Angaben und um einige Irrtümer Graggers zu korrigieren, hielten wir es für erforderlich, die Dokumente erneut heranzuziehen. 3 Das Briefkonzept von Rotarides (Signatur: Ung. Ms. 29, Blatt 71): „ . . . sequentia Tibi breuiter perscribo. Nimirum, me, die 2. May saluum atque vna cum Domino Tekussio Posonium rediisse . . . Sempronio, finitis Pentecostalibus redux . . . Ego adhuc Posonii MSS. Belianis, aliisque huius generis documentis . . . incumbendo commoror . . . dicesque 15
Festschrift Steinitz
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in Wittenberg, sondern auf einem Besuch in Wien (30. August bis 11. September). Am 1. Oktober erwarb er dann in Bratislava einen Paß nach Stitnik. Weshalb er seinen ursprünglichen Plan geändert hat und bis zum Frühjahr 1744 in Ungarn blieb, kann aus den bekannten Quellen nicht ermittelt werden. Nach der Aussage des Stammbuchs hielt er sich am 5. Oktober in Trencin (Trencsen, Trentschin), am 9. in Banskä Stiavnica (Selmecbänya, Schemnitz) und am 28. Oktober in Presov auf. Seinen in Bratislava erworbenen Paß versah der Obernotar von Stitnik erst am 9. November mit einem Sichtvermerk und stellte ihm am selben Tag einen neuen Paß aus, der ihn zu einer Reise durch die damaligen Komitate Abaüj (heute Abaujska zupa) und Säros (heute Saris zupa), die Stadt Bardejov und die Zips berechtigte. Am 12. November passierte er Brzotin (Berzete) und Roznava (Rozsnyö, Rosenau), am 13. November Turna (Torna, Tornau) und traf am 14. November über Moldava nad Boldvou (Szepsi, Moldau) in Kosice ein. Die nächsten Stationen seiner Reise waren vom 22. November bis 17. Dezember 1742 und vom 4. bis 8. Januar 1743 Presov sowie vom 17. Dezember 1742 bis 3. Januar 1743 Sabinov (Kisszeben, Zeben). Von hier zog er weiter nach Lipany (Hethars, Siebenlinden) (10. Januar), Spisske Podhradie (Szepesvaralya, Kirchdorf) (12. Januar) und Spisska Nova Ves (14. Januar). Nach den Eintragungen im Stammbuch weilte er von Januar bis April 1743 in Kryzova (Keresztfalva, Kreutz), in Kezmarok, in L'ubica (Leibic, Leibitz) (23. Februar), in Vrbov (Menyhärdfalva,Menhardsdorf) (6. März) und Vlachovo (Olaszpatak, Lamsdorf) (30. April). Am 12. Mai besorgte er sich in Stitnik einen Paß, um nach Bratislava zu reisen. Im Besitz dieses Dokuments verbrachte er sechs Tage in Lucenec. Weitere Angaben enthalten die von uns benutzten Quellen erst vom 29. Januar 1744: an diesem Tag kam er auf dem Weg nach Kezmarok durch Banska Bystrica. Im Frühjahr dieses Jahres passierte er mit seinen Schriften unter vielen Schwierigkeiten die Landesgrenze und weilte vom 10. bis 11. Mai in Wroclaw (Breslau) und vom 23. bis 30. Mai in Dresden. Am 10. Mai 1745 wurde er in Wittenberg und am 30. Mai in Leipzig um einen Reisepaß nach Dresden vorstellig; im Oktober weilte er in Jena und Halle, im November und Dezember in Braunschweig, Magdeburg und Wolfenbüttel. Für das Jahr 1746 sind Reiseangaben nur aus dem Stammbuch bekannt. Im Frühjahr und Anfang des Sommers hielt er sich in Altenburg, Meuselwitz, Gera, Mühlhausen und Kassel auf. In Göttingen machte er fast den ganzen Monat August über Station (2.-28. August). Vom 16. bis 20. September weilte er in Hannover, und eine Woche darauf erfolgte die letzte Eintragung in das Stammbuch. Die Reise durch Ungarn hatte außer dem Materialsammeln 1 auch dem Zweck gedient, für seine Arbeit die Unterstützung oder wenigstens die Sympathie seiner Hospitio meo quod ipsi quae debeo vna cum honorario non" contemnendo, in Augusto aut sub initium Septembris ad Vos rediturus honoratissime soluam. — Ego enim certo certius, si vi fero, quantoovus Vitenbergam redibo, ibique unum vel alterum annum morabor." 1 Rotarides' Eintragung in der Gymnasiologie von Johann Rezik: „Manuscriptum Rezikianum legitimo praetio comparatum Anno 1743. Keszmarkini possidet Michael Rotarides Gömöriensis Hungarus manu propria" (Bibliothek des Finnisch-ugrischen Instituts der Humboldt-Universität, Signatur: Ung. Ms. 37, Blatt 1).
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Landsleute zu gewinnen. Aus Leipzig hatte ihm Karl Andreas Bei anerkennende Zeilen mit auf den Weg gegeben, und das mag ihn etwas ermutigt haben. 1 Urteilt man nach den Eintragungen des Stammbuchs, hat er insgesamt jedoch in seinem Vaterland weniger Verständnis gefunden als in Deutschland. Ein Inskribent aus Banska Stiavnica hatte den Sinn seiner historischen Forschungen so wenig begriffen, daß er ihm Regeln mitgab, auf welche Weise man historische Kenntnisse am besten memorieren könne. Sein großes Vorhaben ist in den in Ungarn entstandenen Stammbucheintragungen alles in allem dreimal erwähnt. In zweieil spricht man ihm zu, in der Arbeit fortzufahren, und ein dritter Inskribent, der offenbar weiter blickte und praktischer war, wünschte ihm Mäzene. Von großem Verständnis und von Anerkennung zeugt hingegen die 1745 in Jena erfolgte Eintragung von Johann Riblriy, dem späteren Kirchenhistoriker. 2 I n den Eintragungen aus dem Jahre 1746 beglückwünschte man ihn einerseits zum Erscheinen der Lineamenta, andererseits drang man auf Fortsetzung der Arbeit. Ein Freund aus Göttingen meinte, Rotarides sei es, der die Literatur Ungarns unsterblich gemacht habe; drei andere (unter ihnen einer, mit dem er in der Bibliothek zu Weimar Bekanntschaft geschlossen hatte) ermutigten ihn zu weiteren Unternehmungen. Während seiner großen Arbeit wurde Rotarides von seiner Umgebung, größtenteils Pfarrern und Lehrern, meist mit Ratschlägen aus religiösen Bereichen bedacht. Von den Denksprüchen mit Quellenangaben sind Zitate aus der Bibel am häufigsten, und für diese kirchlichen Kreise sind auch die Zitate aus den Schriften der Kirchenväter bezeichnend: der Name von Augustinus kommt im Stammbuch 7mal vor, von Lactantius 3mal, von Hieronymus und Chrysostomus 2mal, von Salvianus und Hilarius je einmal. Zur selben Gruppe gehören drei Luther-Zitate, ein Melanchthon-Zitat und zwei Sätze mit Berufungen auf Aristoteles. Von den Klassikern des Altertums kommen die Namen Plautus und Terenz, Sallust, Tacitus und Cornelius Agrippa, Ennius, Cato und Ovid sowie Plinius je einmal vor; auf Vergil hat man zweimal und auf Cicero viermal zurückgegriffen. Horaz ist ebenfalls viermal als Quelle angegeben, aber es ist nicht schwer, ein weiteres von ihm stammendes Zitat zu erkennen, und in mehreren anderen Denksprüchen wurden seine Verse nachgeahmt. Der meist zitierte Autor ist der Stoiker Seneca mit zehn Stellen. Berücksichtigt man noch, daß ein von ihm genommenes Zitat zweimal ohne Erwähnung seines Namens vorkommt, dann steht uns die Beliebtheit dieses Autors in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch überzeugender vor Augen. Außer den erwähnten sind es die Namen von Pythagoras zweimal, von Hippocrates, Ludovicus Vives, Erasmus, Justus Lipsius, Alphonsus Conradi, Cunaeus, Grotius, Descartes und Taubmann je einmal, von denen einzelne Denksprüche geprägt sind. 1
„Clarissimo ciui suo, de litteraria re Hungarorum bene merenti scribebat..." (Blatt 19). „Vt amico popularique suo aestimatissimo, memoriam sui commendaret, eumque ad superandas, quae sese in honestissimis eius destinationibus offerunt, difficultates, amice incitaret, scripsit. . ." (Blatt 137). 2
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Die Häufigkeitsverteilung der zitierten Autoren deutet darauf hin, daß über die an den Studenten gerichteten allgemeinen Mahnungen, über die Äußerungen der kirchlichen Orthodoxie und des Pietismus hinaus, der neue und jene Zeit charakterisierende geistige Gehalt des Stammbuches von Rotarides — den Spuren Horaz' und Senecas folgend — im Stoizismus erfaßt werden kann. Vorsicht ist natürlich auch noch innerhalb des solcherart abgesteckten engeren Bereichs geboten; Seneca- und Horaz-Zitate kommen nämlich auch im Stammbuch von Georg Michaelis Cassai vor, der noch ganz in der Welt des Barocks lebte, aus der herauszutreten Rotarides im Begriff war. 1 Wenn wir erwähnen, daß Johann Christoph Deccard, Rektor zu Sopron, den Studenten Rotarides 1736 mit einem Seneca-Zitat beehrte und wenn wir alle im Stammbuch enthaltenen stoischen Gemeinplätze aufzählten, in denen die abgeschiedene Lebensweise gepriesen, der „goldene Mittelweg", die Zurückhaltung im Handeln und ein Leben frei von Begierden nahegelegt werden, kommen wir der Klärung der Ursache für die Verwendung stoischer Zitate zwar noch nicht näher, weisen jedoch darauf hin, daß es dafür eine größere Anzahl von Belegen gibt. Es kann hier gewiß nicht vom unerwarteten Niederschlag irgendwelchen „zeitlosen Stoizismus" die Rede sein, der bei einem Teil der Inskribenten dadurch hätte geweckt werden können, daß der notleidende Gelehrte mit seinem Stammbuch erschien, und es sich dann gehörte, etwas Tröstendes hineinzuschreiben. Der Grund ist in den Verhältnissen des 18. Jahrhunderts zu suchen, die in einer anderen kulturellen Umwelt bekanntlich die stoische Literatur der ungarländischen Jesuiten bewirkt haben. 2 Rotarides war laut Angaben in seinen Reisepässen bald als Theologe, bald als Student der Rechte tätig, arbeitete tatsächlich jedoch in einer Situation außerhalb der Gesellschaft, zehn Jahre hindurch stellungslos und ohne Verdienst, um als „rerum patriae studiosissimus" seine Geschichte der ungarländischen Literatur zu schreiben. Für ihn trifft es in der Tat zu, daß er weder in seiner Wissenschaft noch in seiner Lebensweise den Weg der Menge gegangen ist. Sein Wanderleben erfüllte ihn geradezu mit Stolz, und so hielt er mit dem großen Selbstbewußtsein des Gelehrten und geistig Schaffenden ruhigen Gewissens an seinem großen Entschluß bis zum letzten fest. 3 Matthias Bei stand noch in kirchlichen Diensten, und in seinem Lebenswerk sind religiöse und fach wissenschaftliche Arbeiten nebeneinandergereiht. Michael Rotarides stellte seine Schaffenskraft ein Menschenalter später völlig in den Dienst 1 In Georg Michaelis Cassaia Stammbuch kommen 3 Seneca-Zitate vor. (Sein Stammbuch befindet sich ebenfalls im Finnisch-ugrischen Institut der Humboldt-Universität unter der Signatur: Ung. Ms. 12; die Zitate stehen auf Blatt 107, 180, 186.) Eines der Zitate ist auch bei Rotarides zu finden: „Multi ad sapientiam pervenissent, nisi se pervenisse existimassent" (Blatt 98). Außerdem steht noch in beiden Stammbüchern der Denkspruch „Fata viam invenient" (Blatt 156 bzw. 135). 2 Jözsef Turöczi-Trostler, Kereszteny Seneca. In: Magyar irodalom — vilägirodalom. Budapest 1961. Bd. II. S. 1 5 6 - 2 1 8 . 3 Eintragungen dieses Inhalts s. auf Blatt 33, 46, 66, 204.
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der Wissenschaft. Zu seiner Arbeit sprach ihm das Vaterland Mut zu, aber unterstützt hat es ihn kaum. Angehörige des Gelehrtenstandes, die ihm in Bildung und Gesinnung ebenbürtig waren, konnten ihm ihrer eigenen Armut wegen nicht helfen. Die Kräfte der evangelischen Kirche waren von der Ausbildung des Pfarrernachwuchses und der Aufrechterhaltung der Schulen in Anspruch genommen, und für einen solchen weltlichen, wissenschaftlichen Zweck, wie es der von Rotarides war, konnte sie auch schon wegen ihrer anders gearteten Aufgaben keine Opfer bringen. Pläne zur Organisierung der wissenschaftlichen Arbeit unabhängig von den konfessionellen Gemeinschaften waren in Ungarn gerade erst aufgetaucht, konnten aber mangels staatlicher oder gemeinschaftlicher Unterstützung nicht verwirklicht werden. Der mit seinem Vorhaben sich selbst überlassene Rotarides wurde weder ein Feind seiner Kirche noch des Adels; er besuchte weiterhin Pfarrhäuser und Herrensitze und suchte die Verbindung zu ungar ländischen Edelleuten im Ausland. Für seine Arbeit fand er eher in Deutschland Verständnis; dessen Universitäten als kulturelle Organisationen und die zahlreichen Vertreter der kirchlich-lateinischen Kultur konnten ihm dann auch soviel Hilfe zukommen lassen, daß der junge Mann aus Ungarn unter der freiwillig auf sich genommenen Last nicht vorzeitig zusammenbrach. Daß seine wissenschaftlichen Anstrengungen wenig Unterstützung erhielten, hängt auch damit zusammen, daß er noch mit der alten Sprache und nach der alten Methode der Wissenschaft arbeitete und sich für die Volkssprachen und die muttersprachliche Literatur nicht empfänglich zeigte. Es ist bezeichnend, daß seine zufällige Begegnung mit dem jungen Klopstock in einer Jenenser Buchhandlung in einem Brief des deutschen Dichters erwähnt ist, in den Schriften von Rotarides dagegen keine Spuren hinterlassen hat, obwohl dem Kennenlernen auch eine Einladung an ihn gefolgt war. Klopstocks ironische Bemerkung („Das Ansehen seines äußerlichen ist von ungefähr so lamentable, wie seine Vorrede") zeugt eben davon, daß Rotarides' mit großer Sorgfalt geschriebene Vorrede in Klopstocks Augen bereits als veraltet galt. Es ist dann allerdings eine Ironie des Schicksals gewesen, daß Klopstocks „Messias" — ins Lateinische umgearbeitet wurde. 1 Hätte Rotarides einige Jahrzehnte später gelebt, so hätten ihn sein Lebenszweck und sein Schicksal vielleicht in das antifeudale und antiklerikale Lager der Aufklärung geführt. Seine zornigen Ausfälle gegen religiöse Unterdrückung deuten bereits in diese Richtung. Die lateinisch-klassizistischen Züge des Stammbuchs (und der Lineamenta) geben zu ähnlichen Folgerungen Anlaß. Diese Richtung im Zeitalter des ausgehenden Barocks vermittelte in Mitteleuropa die 1
Jakab Bleyer, Klopstock egy magyar irodalomtörtenetirörol. Egyetemes Philologiai Közlöny, X X X I I (1908), 474—475. — Klopstocks Brief, in dem er Rotarides erwähnt, ist erschienen in: Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte, I (1888), 257 — 258. Der Brief ist v o m 8. Dezember 1745 datiert, und laut Klopstock soll es „jüngsthin" zur Begegnung gekommen sein; nach den Eintragungen im Stammbuch kann jedoch nur Oktober in Frage kommen. — Die lateinische Messias-Übersetzung: Mors Christi, sev Messias ex illustri poemate Klopstockiano. Viennae 1770.
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neuen Ideen und den Geschmack, die das Barock in den Hintergrund drängten, wo es zur Schaffung neuer Werte selbst nicht mehr fähig war. Die stoischen Merkmale im Stammbuch von Rotarides sind Zeichen des Übergangscharakters der Zeit. Ob und wie diese als Begleiterscheinungen einer Umwälzung, die durch die ganze Gesellschaft hindurchging, mit dem „stoischen Spätsommer" der Jesuiten des 18. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden können, — das zu klären ist die Aufgabe weiterer Forschungen. Soviel ist jedoch auf Grund der formalen und inhaltlichen Analyse des Stammbuchs gewiß: Rotarides stellte mit seinen Bestrebungen und seinem Werk in der Geschichte der ungarländischen Kultur eine Verbindung vom kirchlichen Barock zur Welt der Aufklärung her.
JULIAN KRZYZANOWSKI
Samuel Adalbergs Werk
I. Der Verfasser des großartigen Lexikons der polnischen Sprichwörter, Samuel Adalberg, wurde im Jahre 1868 in Warschau geboren; er besuchte dort die Schule und dann die Universität. Seine akademischen Studien setzte er in Paris und Berlin fort. 1 Nach längerem Aufenthalt in Petersburg ließ er sich in Warschau nieder und arbeitete hier im Kultus- und Volksbildungsministerium. I m November 1939, nach Ausbruch des Krieges, wählte er den Freitod, indem er vom vierten Stock eines ausgebrannten Hauses auf das Hofpflaster sprang. Seiner Ausbildung nach war er Philologe, Paläopolonist, der sich ausschließlich für Probleme der wissenschaftlichen Textausgabe interessierte. So veröffentlichte er in der von der Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Bibliothek der polnischen Schriftsteller einige gereimte Romane aus dem 16. Jahrhundert. Er mußte jedoch seine ehrgeizige Absicht aufgeben: eine Neuausgabe des Zwierciadlo (Spiegel) von Rej vorzunehmen, und so erschien davon nur das einleitende Heft (1897). Die damaligen Verhältnisse waren also daran schuld, daß das wissenschaftliche Werk von Adalberg sich auf das Sprichwörter-Lexikon beschränkt, einen Band von gewaltigem Umfang, der mit der Unterstützung des Mianowski-Fonds in Warschau in den Jahren 1889—1894 herausgegeben wurde. Über die Entstehungsgeschichte dieses gewichtigen, 800 Seiten umfassenden Bandes berichtet der Verfasser in der Einleitung, wo er die Bedingungen darstellt, unter welchen am Ende des 19. Jahrhunderts in Warschau wissenschaftliche Arbeit geleistet wurde. Den Anstoß zu seinem Werk, an dem er im Jahre 1883 zu arbeiten begann, gab Adalberg das, was „in jener Zeit seinen Ausdruck in einem ansehnlichen Teil der Literatur fand, der allgemein Folkloristik genannt, bei uns aber sehr zutreffend als volkskundlich bezeichnet wurde". Es waren die Werke von Oskar Kolberg, dessen Andenken Adalberg sein Buch widmete, wie auch die Tätigkeit anderer, deren Namen er mit Dankbarkeit erwähnt, und zwar: J a n Karlowicz, der Redakteur der „Wisla", und vor allem Ignacy Bernstein, ein leidenschaftlicher Sammler von sprichwortkundlichen Werken, der dem jungen Forscher seine Sammlungen, die später der Jagellonischen Bibliothek überwiesen wurden, zur Verfügung stellte. 1 Rocznik naukowo-literacko-artystyczny na rok 1905 von W. Okr^t. Warszawa 1905, S. 1. — J. Lorentowicz: Spojrzenie wstecz. Warszawa 1935, S. 15 — 24 (die Skizze: Nocny ñapad na filóloga).
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Am meisten verdankt jedoch Adalbergs Werk dem Mianowski-Fonds, der dem Verfasser nicht nur Subventionen zur Beendigung der Arbeit zukommen ließ u n d Zuschüsse zum Druck leistete, sondern, u n d dies war das wichtigste, auch ein Probeheft herausgab, u m das entstehende Werk durch Rundfragen einer kritischen Beurteilung zu unterziehen. Nach sechs J a h r e n , die dem Sammeln u n d der Redaktion des Materials gewidmet waren, u n d nach weiteren fünf Jahren, die der Druck in Anspruch nahm, nach vielen besonders sorgfältigen Korrekturen war das Lexikon der polnischen Sprichwörter, Gleichnisse u n d sprichwörtlichen Redewendungen Ende 1894 fertig. E s f a n d viel Beifall in Fachkreisen u n d wirkte anregend. Infolgedessen ermöglichten der Landesausschuß in Lwöw u n d der MianowskiFonds in Warschau dem Verfasser einen Jahresaufenthalt in Paris u n d weitere Studien in Berlin unter der Leitung von Brückner. Nicht minder wichtig war, daß Leser aus Fachkreisen Besprechungen des Buches veröffentlichten, vor allem aber ihrer Anerkennung durch Ergänzungen des Materials Ausdruck gaben. Die Ergänzungen s t a m m t e n von A. Brückner, St. Estreicher, H . Goldsztajn, F. Krcek. u. a. 1 Viel neues Material, das Adalberg u n b e k a n n t war u n d das seine Sammlung u m neue, schwer zugängliche Gebiete erweiterte, wurde dabei aufgefunden u n d veröffentlicht; das bezog sich auf Stoff aus dem Mittelalter u n d aus den H a n d schriften des 16. J a h r h u n d e r t s . Diese Ergänzungen waren sehr wichtig, denn sie f ü h r t e n in die polnische Sprichwortkunde drei Gesichtspunkte der Dokumentation ein: 1. Da das von Adalberg gesammelte Material aus verschiedenen Quellen stammte, erschienen in seiner Sammlung die Sprichwörter oft in verunstalteter Form. Manchmal f ü h r t e erst die Feststellung ihrer Originalfassung zum richtigen Verständnis des Sinnes u n d öfter auch zur Erkenntnis ihrer H e r k u n f t . 2. Adalberg n a h m zahlreiche Sprichwörter auf, die er in seiner Umgebung am Ende des 19. J a h r h u n d e r t s hören konnte u n d die den Eindruck hervorriefen, als seien sie später H e r k u n f t . Das Auffinden von älteren Fassungen ließ nun ihr Auftreten in Polen u m einige J a h r h u n d e r t e früher ansetzen. 3. Die Ergänzungen brachten viele Sprichwörter, die früher allgemein gebraucht worden sind u n d mit der Zeit völlig in Vergessenheit geraten waren. I m ganzen h a t also die wissenschaftliche Aktivität, die Adalberg hervorrief, dazu beigetragen, daß das J a h r 1894 zum Wendepunkt in der Geschichte der polnischen, ja sogar der slavischen Folkloristik geworden ist, denn von diesem D a t u m an k a n n m a n von einer modernen polnischen Parömiographie u n d folglich auch von einer polnischen Parömiologie sprechen. I I . Die Einleitung zum Sprichwörter-Lexikon ist ein Bericht über die ausgeführte Arbeit u n d die wissenschaftliche W e r k s t a t t des Verfassers von den ersten An1
Besprechung von A.Brückner in der „Kwartalnik historyczny" 1895 S. 519—27, sowie das umfangreiche Werk: Przyslowia. Karthi z dziejäw literatury i kultury polskiej. „Ateneum" 1895, B. 3, S. 157—84, 2 7 8 - 3 1 0 , 531 — 75. — F. Krcek in „Wisla" 1903, S. 4 1 7 - 3 1 , 7 1 1 - 2 1 ; in „Lud" 1907, S. 1 4 9 - 6 0 , 1908, S. 2 3 6 - 4 6 , 3 4 6 - 5 5 . - St. Estreicher in „Wisla" 1897, S. 1 1 2 - 1 8 , 3 4 3 - 5 1 , 5 3 7 - 4 3 u. a.
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Sätzen an bis zur Beendigung des großen Werkes. Wir finden hier u. a. auch einige Angaben über Adalbergs Verhältnis zu seinen Vorgängern, also über die Quellen, die ihm zur Verfügung standen, und wie sie von ihm' genutzt wurden. Weil er das Sprichwort als folkloristische Erscheinung, als ein Produkt der Volksliteratur ansah, sammelte er sein Material, indem er es den Leuten selber abhörte oder es in volkskundlichen Veröffentlichungen — im Lud von Kolberg und ähnlichen Sammlungen — sowie in der volkstümlichen Literatur suchte. E r betonte ausdrücklich den Wert von Kalendern, als die Rezensenten des Probeheftes sich darüber geringschätzig geäußert hatten. Hauptsächlich stützte er sich jedoch auf ältere Parömiographen, indem er zuerst bei Samuel Rysinski (1618) begann. Später faßte er auch zu Gregor Cnapius Vertrauen, den er anfangs wegen der zensorischen Gepflogenheiten geringschätzte, die der gelehrte .Tesuitenpater bei den Sprichwörtern anwandte. Im Laufe der Zeit wurde Adalberg jedoch auf die Hinweise bei Cnapius aufmerksam, die die Herkunft der Sprichwörter erklärten. J e weiter er in seiner Arbeit fortfuhr, desto mehr beschritt er das Gebiet der altpolnischen Literatur und stellte fest, daß die Sprichwörter aus Rysinskis und Cnapius' Sammlungen bei Rej, Kochanowski und andern Dichtern bis zu Krasicki auftraten. Auf diese Weise begann sich seine Kartei mit Material aus Büchern anzufüllen, die er als Volksliteratur wertete. Er mußte nun, obwohl darunter die Konsequenz seiner Grundsätze litt, eine obere zeitliche Grenze für sein Material ansetzen und wählte dafür das J a h r 1800, weil es eine runde Zahl war. Eine unheilvolle Folge einer solchen Festsetzung war, daß auf diese Weise in Adalbergs Sammlung Sprichwörter nicht aufgenommen wurden, die Mickiewicz in Herr Thaddäus (Pan Tadeusz), Fredro in Herr Jowialski (Pari Jowialski), Kraszewski und Chodzko in ihren Romanen anführten. So fehlt in Adalbergs Sammlung eine große Anzahl von Sprichwörtern, die von den Dichtern der Romantik der gesprochenen Sprache abgelauscht waren. Die untere zeitliche Grenze mußte Adalberg etwa u m hundert Jahre vor Rysinski zurückverlegen, obwohl es ihm nicht gelungen war, bis zu Biernat von Lublin vorzudringen, dessen Äsop (1522) in jener Zeit nur in einem unzugänglichen Exemplar bekannt war. Er überschritt aber auch die obere Grenze, da er auch aus den handschriftlichen und gedruckten volkskundlichen Arbeiten schöpfte, die im 19. Jahrhundert entstanden waren, so aus den Werken früherer Parömiographen wie K. Wl. Wojcicki, A. Weryha Darowski, T. Lipinski u. a. Er berücksichtigte auch fremdsprachige Sammlungen wie Mudroslovi ndrodu slovanskeho ve pfislovlch (1852) von öelakovsky und Russkije v svoich poslovicach (1831—34) von J . Snegirev; er benützte aber nicht die slawischen Nachklänge des Cnapius in den Werken von Komensky oder Hrcicka, weil sie damals bei uns noch ziemlich unbekannt waren. Bei der Aufnahme dieses ganzen reichen Materials unterzog er es jedoch einer Auswahl. So berücksichtigte er nicht die „obszönen Sprichwörter" (proverbia obscoena), obwohl sie vom „wissenschaftlichen Standpunkt" keine Bedenken hervorrufen würden, er befürchtete jedoch, daß sie in den „Augen der Laien" Anstoß erregen könnten (Vorrede VII).
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Es gelang ihm übrigens nicht, das Prinzip konsequent durchzuführen, wie das nach Rysinski zitierte (Hochzeits-)Sprichwort „Man kann nicht mit einer Gebärmutter zu zwei Hochzeiten erscheinen" (,,Trudno z jednq macierzynq na dwoje gody") beweist, das er offenbar nicht verstanden hatte, obwohl er nach Cnapius auch die schicklichere Variante „Man kann nicht mit einem Bauch zu zwei Hochzeiten erscheinen" (,,Z jednym brzuchem na dwoje gody") anführte. Trotzdem er sich mit der Herausgabe von dichterischen Texten aus dem 16. Jahrhundert beschäftigt hatte, drang er nicht immer genau in die Schlupfwinkel des altpolnischen Wortschatzes ein und führte manchmal Sprichwörter in fehlerhafter Form an. Hier einige Beispiele: 1. Bögsi: „Bog, rozurn doskonaly, cnota szwankowi siq nie podobajq (/)" („Gott, der vollkommene Verstand und die Tugend unterliegen keinem Schwanke"). Bei Zabczyc, einem Schriftsteller aus dem 17. Jahrhundert, steht das richtige Wort podpadajq = unterliegen, anstatt podobajq = gefallen. 2. Gielucha (!): „Na starosc cieluchami orac ciqzko" („Im Alter ist es schwer, mit Ochsen zu pflügen"). Das Stichwort ist hier falsch angegeben; es müßte Cieluch = Ochs heißen, vgl. „Lud" B. 6, S. 28 Nr 11, anstatt Cielucha = Färse. 3. Przestawac: „Bogactwo wielkie, na male (!) przestawac" („Großer Reichtum heißt, sich mit wenigem begnügen") Anstatt na male müßte es na male heißen. 4. Przypadek: „Cudzym siq przypadkiem kajac (/)" („Aus dem, was einem andern zugestoßen ist, eine Lehre ziehen"). Anstatt kajac siq = sich schuldig erklären, müßte es karac siq = eine Lehre ziehen heißen. 5. Saramuszka (!): „Saramuszki (!) — drözki gruszki" („Firlefanz — Bagatellen Kamellen"). Anstatt Saramuszka müßte es Faramuszska heißen. >6. ZlodziejM: „Zlodziej prawdziwy, rzeznik (!) zdradliwy" („Ein verräterischer Fürsprecher ist ein richtiger Dieb"). Hier steht anstatt rzecznik = Fürsprecher, Rechtsanwalt, rzeznik — Metzger, vgl. Facecje polskie 102. III. Neben sprachlichen, besser gesagt, lexikalischen Mißverständnissen stoßen wir im Lexikon auf andere Fehler, die viel öfter auftreten, aber zugleich nicht so leicht zu erfassen sind, und die mit dem Wesen des Sprichworts zusammenhängen; es handelt sich um Strukturelles und Semantisches. Adalberg wußte nämlich nicht, so paradox das klingen mag, was ein Sprichwort ist. Er gab sich mit der Erklärung zufrieden, es sei „die Philosophie und die Weisheit der Völker", wie er auf der ersten Seite der Einleitung schreibt. Bei der Feststellung, ob eine Redensart ein Sprichwort sei, ging er nicht von einer Definition aus, sondern er meinte, man müsse dazu einen „nervus parömiologicus" haben, zu dem man nur durch langwieriges Einlesen in Sprichwörter und Eindringen in ihre sprachliche Form gelange, wobei die Form entscheidender sei als der Inhalt (S. VI). Kurz ausgedrückt: er richtete sich nach einer während der Arbeit erworbenen
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wissenschaftlichen Intuition; er gab jedoch die Notwendigkeit „eines Eindringens in die Sprachform" zu, obwohl er sie nicht genauer kannte. Diese Unkenntnis hat sich ungünstig auf seine Arbeit ausgewirkt; sie erlaubte ihm nicht, identische Sprichwörter dort zu erkennen, wo sich ihr Wortlaut unterschied. Adalberg verstand einfach nicht, daß die Sprichwörter sowohl in voller Form wie auch in reduzierter oder synkopierter gebraucht werden. Da er diese Abstufungen nicht unterschied, hielt er die Varianten für selbständige Sprichwörter, sogar dann, wenn sie keinen Sinn hatten. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Sprichwort: Bqk3 „Dziewiqc bqköw konia udusi" („Neun Bremsen erwürgen ein Pferd"), was so rätselhaft klingt, daß man es für ein Paradox halten kann. Erst ein anderes Sprichwort unter dem Stichwort Mucha6 „Dziewiqc much a dziesiqty wilk na smierc zjedzq konia" (Fliege6 „Neun Fliegen und als zehnter ein Wolf fressen ein Pferd tot") klärt uns auf, worum es sich handelt. Wollte man dieses Sprichwort in der vollen Form anführen, müßte es lauten: „Neun Bremsen (Fliegen) erwürgen ein Pferd, besonders wenn ein Wolf mithilft." Ähnlich erscheint das Sprichwort „Serce nie sluga (chlopiec), rozkazac mu trudno" („Das Herz ist kein Diener [Junge], man kann ihm nicht befehlen") in zwei angeblich verschiedenen Formen: ,,Serce nie chlopiec" („das Herz ist kein Junge") und „Serce nie sluga, rozkazac mu trudno" („Das Herz ist kein Diener, man kann ihm nicht befehlen"). Solche Fälle sind sehr zahlreich. Manchmal beruhen sie auf einem Versehen des Herausgebers. Das angeblich nach Cnapius angeführte Sprichwort ,,Dobrze tobie kozy pasc" („Du solltest Ziegen weiden") klingt rätselhaft, solange man nicht in das Buch des alten Jesuiten eingesehen hat, wo zu lesen ist: „Dobrze tobie kozy pasc, nie uczyc (rzqdzic)" ((„Du solltest Ziegen weiden und nicht unterrichten [befehlen]"). 1 Eine andere Fehlerkategorie bilden die Fälle, in denen auf Grund verschiedener Wandlungen in der Kultur, in den Sitten, der Sprache usw. das Sprichwort zwar noch als Relikt existiert, aber sein Sinn schon verwischt ist. Ich führe einige Beispiele für die Unbeholfenheit Adalbergs an, der in solchen Fällen oft gänzlich humoristische Erklärungen gab. Die sprichwörtliche Redewendung: „Nie w ciemiq bity" ( = „Er ist nicht auf den Kopf gefallen", wörtlich: „Er ist nicht auf den Scheitel geschlagen worden") meint einen Menschen mit einem klugen Kopf, dem der Verstand in der Schule durch Prügel eingetrichtert worden ist, natürlich nicht auf den Kopf, sondern auf den Hintern, worauf der Witz beruht. Adalberg versah das Sprichwort mit einer sehr „gelahrten" Erläuterung: „Er hat einen gesunden Kopf; ist nicht dumm. Der Scheitel — der höchste Teil des Kopfes, der Oberkopf". Das Sprichwort „Cnota w czerwieni chodzi" ( = „Die Tugend wandelt in Rot") versieht Adalberg mit der sinnlosen Bemerkung, es handle sich um die roten Kleidungsstücke des Adels; in Wirklichkeit bedeutet „ R o t " hier Schamröte („Die Tugend errötet); das Sprichwort ist nämlich eine Übersetzung des lat. „Rubor est virtutis color". Und zuletzt noch ein Sprichwort, das den Geschlechtstrieb meint und bildlich folgendermaßen ausdrückt: Ciqgnqc1 „Kazdy tarn ciqgnie, 1
Im Artikel Przyslowia polskie i krytyka in der Festschrift Upominek na czesc E. Orzeszkowej. Kraköw 1893, S. 103 — 106.
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gdzie siq ulqgnie" ( „ J e d e n zieht es dorthin, wo er ausgebrütet w u r d e " ) ; n a c h Adalbergs Meinung soll das soviel b e d e u t e n wie „ J e d e r geht dorthin, woher er s t a m m t , wo er sich besser f ü h l t , wo es i h m g u t g e h t " . Andere Mißverständnisse sind festzustellen bei Sprichwörtern, die a n o n y m e Zitate aus der Bibel sowie den W e r k e n großer antiker u n d nationaler Dichter sind. Adalberg war ein P a r ö m i o g r a p h u n d kein Parömiologe; er v e r s t a n d nicht, d a ß ein Sprichwort eine internationale Schöpfung ist, die sich in d e m Augenblick einbürgert, in dem sie sich in der N a t i o n a l k u l t u r einwurzelt. D a r u m t r a t er gegen „die Einverleibung f r e m d e r Sprichwörter in die Sammlungen polnischer Sprichwörter a u f " (S. VI). Deswegen wird m a n in seinem Lexikon vergebens nach d e m Hinweis suchen, d a ß die Sprichwörter ,, Wszystko pröinosc" („Alles ist eitel") oder ,,Ptacy nie siejq ani orzq, a tez zyjq" („Die Vöglein säen nicht, sie e r n t e n nicht u n d sie leben dennoch") A n f ü h r u n g e n aus der Bibel sind, a u c h d a ß andere Sprichwörter dieser A r t zu uns auf d e m W e g über Schule, K a n z e l u n d andere I n s t i t u t i o n e n gelangten. E s ist noch nicht lange her, es w a r erst im J a h r e 1932, d a ß J . St. B y s t r o n dargestellt h a t , wie viele von unseren Sprichwörtern Z i t a t e aus Volksliedern sind. Dreißig J a h r e später (1960) h a b e ich in m e i n e m B u c h Mqdrej glowie dose dwie slowie (Einem klugen Kopf genügen zwei Worte) zahlreiche Fälle aufgezeigt, wo Sprichwörter Anspielungen auf einst allgemein b e k a n n t e Märchen u n d A n e k d o t e n bilden. Dieses B u c h war als K o m m e n t a r zur N e u a u s g a b e von Adalbergs Sprichwörter-Lexikon gedacht, es sollte die Quellenangaben bringen, w ä h r e n d die Neuausgabe n u r Hinweise auf diese A n m e r k u n g e n e n t h a l t e n wird. So gelangen wir z u m Problem der ontologischen Genesis des Sprichworts, einem Gebiet, das den Sprichwortsammler in den Sprichwortforscher verwandelt, u n d auf d e m wir solche Vorläufer h a b e n wie die großen H u m a n i s t e n , u n t e r anderen E r a s m u s von R o t t e r d a m oder P a u l u s Manutius. E s ist das Gebiet der S t r u k t u r des Sprichworts u n d seiner besonderen Geschichte. Dieses Gebiet findet seinen besonderen A u s d r u c k im S a c h k o m m e n t a r , der sowohl I n h a l t wie F o r m jener E r scheinung erklärt, die m a n Sprichwort n e n n t . IV. Adalberg e r w ä h n t u n t e r seinen Vorgängern Alexander Darowski m i t großer Anerkennung, er schweigt aber ü b e r K . W . Wojcicki, dessen Verdienst u m die K e n n t n i s der altpolnischen Sprichwörter sehr groß war, wenn auch meistens von unsicherem W e r t . D e n Spuren seiner beiden Vorgänger folgend, h a t Adalberg sein Material m i t genetisch-semantischen E r l ä u t e r u n g e n versehen, die bis in die prim ä r e Bedeutungsschicht der alten Sprichwörter dringen. Leider v e r s t a n d er es auch hier nicht, sich von d e m Anflug der traditionellen u n d falschen E r k l ä r u n g e n freizumachen, obwohl er gelegentlich selber gegen diese E r k l ä r u n g e n protestierte, z. B. wenn er die W e n d u n g e n „Dosiego roku" („Prosit N e u j a h r ! " ) , , , W y r w a l siq jak Filip z Jconopi" ( „ E r riß aus wie Philipp — so n e n n t m a n in m a n c h e n Gegenden den H a s e n — aus d e m H a n f " ) , „Jeden do Sasa, drugi do lasa" („Einer z u m Sachsen, der andere in den W a l d " = „ D e r eine h ü , der andere h o t t " ) richtig auslegte u n d die auf Volksetymologien b e r u h e n d e n E r k l ä r u n g e n ablehnte. E r ließ aber solche curiosa stehen, wie „Stroi baba firleje" („Das alte Weib v e r s u c h t wie ein
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junges Mädchen zu tanzen"), das er mit der Königin Bona und dem Adelsgeschlecht der Firlejs in Zusammenhang brachte, obwohl hier von dem althochdeutschen Wort virlei die Rede ist. Andere Beispiele sind: ,,Zatacza siq jak bela" („Er schwankt wie ein Stoffballen"), das er mit dem ungarischen König Bela in Verbindung brachte, oder „Data z mikstata" („Über den Marktklatsch"), wo mikstat seinen Ausführungen nach einen Ortsnamen bezeichnen soll usw. usw. Das hatte zur Folge, daß beim Neudruck des Lexikons dieser gesamte onomastische Ballast beseitigt und die falschen Erklärungen durch richtige ersetzt werden mußten, die den ursprünglichen, wörtlichen Sinn wiedergeben. Die Begründung dieser Änderungen ist in der Monographie Mqdrej glowie dose dwie slowie enthalten, wo auch die Mittel gezeigt werden, die zur Aufspürung der durch die Zeit verschleierten Tatsachen führen. Selbstverständlich haben diese Versuche nicht immer zu ganz verläßlichen Ergebnissen geführt, die nur dann zum Vorschein kamen, wenn man zur Quelle des Sprichworts gelangen konnte. Ich möchte an einigen Beispielen die Schwierigkeiten darlegen, die sich mir entgegensetzten. Der „venetianische Teufel", in dem Adalberg hierin Darowski folgend einen Vertreter des mittelalterlichen Hochadels sehen wollte, war in Wirklichkeit eine Anspielung auf ein italienisches Spielzeug „diavolo Cartesiano" genannt, was übrigens mit der alten Anmerkung von J . M. Ossolinski übereinstimmt. Ahnlich sah es mit dem Sprichwort aus: „Wiemy to panie Pilacie, iz ten lancuch dawno macie-, kazdy wiqzien, cogo nosi, odsmierci siq nie wyprosi" („Wir wissen es, Herr Pilatus, daß Ihr die Kette schon längst kennt; kein Gefangener, der sie trägt, kann dem Tod entgehen"). Die Frage, von welchem Pilatus hier die Rede sei, wurde verschieden beantwortet. Darowski wies auf einen grausamen Beamten namens Pilatus Ujejski hin, sein Rezensent sah hier die lateinische Bezeichnung für den Pranger; ich selber vermutete, daß es sich um den Pilatus aus der Bibel handle und daß es wahrscheinlich ein anonymes Zitat aus einem Passionsspiel sei; ich habe mich insofern geirrt, als es sich nicht um ein Passionsspiel, sondern um ein mittelalterliches Lied handelt, in welchem Christus, vor Pilatus berufen, in Ketten erscheint, was ein Zeichen dafür darstellte, daß nach Ansicht des Jüdischen Rates der Gefangene mit dem Tode bestraft werden sollte. 1 Das dritte Beispiel ist: „Zarobü (wyszedl) jak Zablocki na mydle" („Er hat soviel verdient [ist dabei so weggekommen] wie Zablocki bei dem Seifengeschäft"). Diese Redensart, die auch in Böhmen bekannt ist, wird in Polen oft für Leute gebraucht, die schlechte Geschäfte machen. Um welchen Zablocki es sich handelt, werden wir wohl nie erfahren. Es ist aber interessant, wie dieser Fall schon im 17. Jahrhundert erklärt wurde. I n dem Diarium privatum des Rektors der Akademie in Zamoäc, Bazyli Rudomicz, wird unter dem Jahresdatum 1658 ein Schwank erzählt, den der Rektor von Fabian Poniatowski gehört hat und der die Entstehung des Sprichworts „Er hat soviel bewirkt wie Zablocki mit der Seife" erhellen soll: Dieser Za1
Handschrift der Zamojski-Majoratsbibliothek Sg. 1547 (jetzt in der Nationalbibliothek in Warschau).
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blocki war ein Diener der Fürstin Ostrogska, der Frau des Wilnaer Wojewoden, er war nicht arm und nicht ungebildet, quoad ad litteras. Dieser hatte einmal einem armenischen Flüchtling seinen Pottaschehandel anvertraut. Als er ihn in Oströg auf dem Jahrmarkt mit zwei Wagen Schaumseife überraschte, führte er ihn zusammen mit den Wagen ins Gefängnis. Später, nachdem er ihn ad instantiam amicorum wieder herausgelassen hatte, verschenkte er die Seife an verschiedene Leute—hinc adagium. Solcherlei Nachforschungen, deren Schwierigkeiten hier aufgezeigt wurden, sind nicht wissenschaftliche Spielereien, die etwas an das Lösen von Silben- und Kreuzworträtseln erinnern, sondern sie besitzen großen wissenschaftlichen Wert. Das Sprichwort als einfache literarische Form ist ein Produkt des Lebens, bildet auch irgendwie Lebenserscheinungen ab und hält sie fest. Indem wir die ursprüngliche Bedeutung eines Sprichworts ermitteln, erklären wir auch zugleich, welche Erscheinungen es offenbart, und damit kann festgestellt werden, wann und wo das Sprichwort entstanden ist, auch kann sein internationaler oder nationaler Charakter mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bestimmt werden. Bloße Vermutungen werden durch Feststellung von Tatsachen, mindestens durch wissenschaftliche Hypothesen ersetzt. Adalberg verstand diese wissenschaftliche Forderung, doch war er so stark von seiner riesigen Sammler- und Herausgeberarbeit in Anspruch genommen und so sehr von jahrhundertelangen Traditionen überwältigt, daß er nicht über das Stadium von naiven und z. T. auch irrtümlichen Kommentaren hinauskam. Trotzdem aber hat er den Weg für weitere Forschungsstadien gebahnt, die in später erschienenen Werken wie in dem von Bystron und in dem von mir zum Ausdruck kamen. V. Sein Sprichwörterlexikon war auch in anderer Hinsicht ein Novum: das darin enthaltene Material war wörterbuchartig auf eine klare, übersichtliche Weise geordnet. Als Adalberg seine Arbeit begann, stellte er lange Überlegungen an, wie er sie am besten aufbauen sollte. Eine glückliche wissenschaftliche Intuition ließ ihn vom Incipit-System und sogar vom „philosophischen System" absehen, das die Sprichwörter nach beliebigen oder subjektiven Grundsätzen ordnete, wie es allgemeiner Brauch war, und das dazu führte, daß Sammlungen wie die russische W. Dals (Poslovicy russkogo Tiaroda, 1862) oder die böhmische Czelakovskys den Eindruck von Labyrinthen erwecken, in denen man sich verliert, auch dann, wenn sie von den Herausgebern mit Registern versehen sind. Adalberg folgte dem Beispiel solcher deutschen Parömiographen, wie dem Düringsfelds (1872—1875) und vor allem K. F. W. Wanders (Deutsches Sprichwörterlexikon, Leipzig 1863—1880). Das bedeutet, daß er aus jedem Sprichwort das Hauptwort — wie er es nannte — herausschälte, also ein Wort, das unverändert blieb, während die anderen in den verschiedenen Fassungen grammatische oder lexikalische Änderungen aufwiesen. Diese Haupt- oder Kernwörter, die als Stichwörter gebraucht und alphabetisch geordnet waren, wurden zum Mittelpunkt seines Lexikons, und nach ihnen teilte er den ganzen Stoff ein, indem er von der Grundversion ausging, die er bei Rysinski oder Cnapius gefunden hatte. Die anderen, älteren oder späteren Fassungen brachte er meistens in chronologischer Folge.
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Es gelang ihm aber nicht immer, diese einzig richtige Anordnung beizubehalten. Die Hauptursache war die Schwierigkeit in der Erfassung des Kernworts, besonders dort, wo mehrere Synonyme vertreten waren. Das Sprichwort, das bei Rysinski lautet ,,Niemiec dal siq dla towarzysza obiesic" („Der Deutsche ließ sich für seinen Gefährten hängen"), führt Wöjcicki so an: „Dal siq dla towarzysza cygan powiesic" („Der Zigeuner ließ sich für seinen Gefährten hängen"), und Kolberg: ,,Dla kompanii dal si$ Rusin powiesic" („Der Ruthene ließ sich hängen, um in Gesellschaft zu bleiben")! Adalberg brachte es unter den Stichwörtern Kompania (Gesellschaft), Rusin (Ruthene) und Towarzysz (Gefährte), obwohl es offensichtlich ist, daß dies nur Varianten sind, die zusammen unter einem der erwähnten Stichwörter auftreten müßten; eine Fußnote würde auf das Stichwort hinweisen. Noch schlimmer ist es mit dem Sprichwort, das bei Rysinski lautet: „file psa w studni draznic" („Es ist nicht gut, einen Hund im Brunnen zu reizen"), das in Polen die Form eines ironischen Vergleiches hat, z. B. „Tanczy jak pies w studni" („Er tanzt wie ein Hund im Brunnen"), „Uzyl jak pies w studni" („Er genoß soviel wie ein Hund im Brunnen") usw. Adalberg wählte aus dem Kontext beiläufige Wörter, Verben und Adverben und führte die Varianten unter ihnen an (Dobrzes — Gut 8 j Hulac3 — Schwelgen3; Pies232 — Hund 232 ; Pies301 — Hund 301 ; Spisac siq — Sich bewähren; Szczqsliwys — Glücklichg; Tanczyc10 — Tanzen 10 ; Uzyci — Genießen 4 ; Wdziqczyc sie2 — Schöntun 2 ), wodurch er die genetisch und semantisch einheitliche Gruppe in mehrere Teile zersplitterte, die später schwer herauszufinden waren. E r wußte auch nicht zu erklären, warum das Sprichwort einen Hund in einen Brunnen versetzte. Der Fall ist insofern typisch, als er in ein breites Gebiet von sprichwörtlichen Vergleichen führt, mit denen Adalberg nichts anzufangen wußte, vielleicht ausdem Grunde, weil er das Wesen oder den Mechanismus des Vergleiches nicht verstand und einfach das berücksichtigte, was er im Material fand, d. h. adjektivische und substantivische Vergleiche mit einem tertium comparationis und einem zweiten Glied, also z. B . : „Blaß wie . . . " , „Er sieht aus wie . . . " . Im zweiten Beispiel ist das Verb ein Ersatz für das Adjektiv, das die Basis des Vergleichs bildet. Adalberg behandelte Adjektive und Verben, die syntaktisch in der Anfangsstellung stehen, wie Kerne, er wählte sie zu Stichwörtern und führte unter ihnen ganze Reihen von Vergleichen an, was ihm die Sache erleichterte, aber böse Folgen nach sich zog, sowohl vom sachlichen Standpunkt aus wie auch in der Klassifizierung. Ein und dasselbe Sprichwort steht an mehreren Stellen, je nach der Zahl der sinnverwandten Wörter. So finden wir die Redensart „Trzqsie -siq jak opalka" („Er schlägt aus wie ein Futterkorb") unter den Stichwörtern Trzqsc siq (Zittern), Rzucac si$ (Zerren), Szarpac siq (Schütteln), obwohl es nur Varianten sind, die sich unter dem Stichwort Opalka (Futterkorb) befinden sollten. Vom sachlichen Gesichtspunkt aus muß dies Verfahren auch dem Verfasser des Sprichwörterlexikons Zweifel aufgedrängt haben, denn er wendet es nicht konsequent an. So hat er 90 Wendungen unter Aussehen und nur 30 unter Glupi (Dumm) gebracht, bei Blady (Bleich) hat er sich dagegen auf zwei Zeilen beschränkt: ,,Blady jak chusta, jak ksiqzyc, jak owsiany placek, jak sciana, jak trup" („Bleich
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wie ein Tuch, wie der Mond, wie ein Haferplätzchen, wie die Wand, wie eine Leiche"). Ein derartiges Verfahren erschwerte ihm die richtige Einordnung der Synkopen. Indem er unter dem Stichwort Wyglqda (Sieht aus) die Redensart brachte: „Wyglqda jak kot w butach" („Er sieht aus wie der gestiefelte Kater"), nahm er solche Synkopen nicht auf wie Kot w butach (Der gestiefelte Kater), Istny kot w butach (Der richtige gestiefelte Kater), die das Stichwort Kot (Kater) gefordert hätten. Dies alles wird klar, wenn es vom Standpunkt der neueren Parömiographie beurteilt wird. I n der amerikanischen Sammlung von Taylor-Whiting 1 wird als Kern des sprichwörtlichen Vergleichs das unveränderliche Glied, also das H a u p t glied gewählt. So findet m a n unter dem Stichwort Bird — ,,blithe as the birds", ,,as bright as a bird", „as brisk as a bird", unter Dog — „as quitty as a dog", ,,as tired as a dog". Auch Adalberg selber verfuhr manchmal so, entgegen seinem Grundsatz. Das Sprichwort „Mqdry jak Solomon" („Weise wie Salomon") führte er unter Solomon, und „Mqdry jak szafa porycka" („Klug wie der Bücherschrank aus Poryck") unter Poryck. Diese Abweichungen sind jedoch nur so zu erklären, daß er bei der Wahl des „Kernwortes" dem Eigennamen den Vorrang gab. Trotz dieses Zugeständnisses an die Incipit-Ordnung, die die Übersichtlichkeit des Werkes stört, m u ß zugegeben werden, daß die oben erwähnten Mängel nur geringfügig sind, und daß man ihretwegen nicht die Riesenanstrengungen unterschätzen darf, die den Verfasser die Anordnung und die sachliche Bearbeitung des Materials gekostet haben. VI. Nach 70 Jahren, die seit dem Erscheinen des Lexikons der polnischen Sprichwörter verflossen sind, und während derer viele Ergänzungen veröffentlicht wurden, offenbart sich der monumentale Charakter dieses großen Werkes ebenso deutlich wie in jenen Tagen, als die Leser es zum erstenmal in den Händen hatten. J a , die geschichtliche Perspektive erlaubt, seine große Bedeutung erst richtig einzuschätzen. Sie offenbart sich in der Rolle, die das Werk sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und f ü r die Z u k u n f t spielt. Erstens ist es eine Zusammenfassung der Errungenschaften eines Zeitraums von 400 J a h r e n ; es enthält nämlich 5100 Stichwörter und 30000 Grundfassungen, dazii zweimal so viel Varianten. Durch diese Sammlung wurde der größte Teil des Stoffes, der manchmal noch aus dem Mittelalter stammt und in unzugänglichen Manuskripten und Drucken enthalten war, zum allgemeinen Eigentum sowohl in Polen wie in der ganzen Welt. Zweitens h a t dieses Riesenmaterial eine moderne formale und sachliche Gestalt erhalten. Die von Adalberg angewandte stichwortartige Wörterbuchordnung ermöglicht trotz aller hier dargestellten Fehler eine Orientierung in unserem Sprichwörterbestand. Das Riesenregister erlaubt es, das Gesuchte schnell aufzufinden. 1 A. Taylor, B. J. Whiting: A dictionary 1820-1880. Cambridge Mass. 1958.
of American
proverbs and proverbial
phrases
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Zugleich weisen die sprachlichen und sachlichen Erläuterungen trotz aller Mängel auf die Beziehungen des Sprichworts zum Leben, das die Sprichwörter hervorgebracht hat. Sie haben auch dazu beigetragen, die Ansichten Adalbergs vom Sprichwort als einem Ausdruck der Volks Weisheit richtig zu modifizieren. Drittens hat das Zugänglichmachen des geordneten Materials den Weg für zukünftige Arbeiten gebahnt und gleichzeitig die Aufgaben vorgezeichnet, die vor der polnischen Parömiologie stehen. Als durch das Erscheinen des Lexikons eine ganze Flut von Ergänzungen hervorgerufen wurde, wobei Estreicher und Brückner die Zeitgrenzen bis zum Mittelalter erweiterten, konnte man behaupten, daß es das letzte Glied in der Geschichte der Parömiographie bilde und daß es zugleich seinem Verfasser den Rang des allergrößten polnischen Parömiographen gebe. Seine Kommentare haben, vielleicht gerade weil sie traditionell waren und doch Zweifel nicht unterdrückten, auf die Notwendigkeit einer neuen Betrachtungsweise hingewiesen, sowohl in bezug auf die einzelnen Sprichwörter, wie auch auf die ganze Sammlung, und zwar einer historischen Betrachtungsweise. Ich erwähnte dazu schon die Monographie von Bystron, Przyslowia polskie (Über polnische Sprichwörter), 1933, die den Charakter und die Geschichte der Sprichwörter behandelt, sowie das Buch des Verfassers Mqdrej glowie ... (Einem klugen Kopf ...), das einen analytischen Kommentar von 500 (tatsächlich aber von 1500) der schwierigsten polnischen Sprichwörter enthält und eine neue Betrachtungsweise des von Adalberg angehäuften Materials darstellt. Als drittes und letztes Glied dieser umfassenden großen Arbeit entsteht das Neue Lexikon der polnischen Sprichwörter (Nowa ksiqga przyslöw polskich), das viermal so umfangreich sein wird wie Adalbergs Werk. Es wird sich auf sein Werk stützen, jedoch versuchen, seine Fehler zu vermeiden. Das Werk wird den von Adalberg aufgestellten Zeitrahmen erweitern und den Zeitraum vom Mittelalter bis zur Gegenwart erfassen. Man ist bemüht, in diesem Werk alle Mängel und Fehler der von Adalberg angewandten Wörterbuch-Stichwortordnung zu beseitigen, Fehler, die zu vermeiden er selber nicht imstande war. Das Werk wird auch die Chronologie einführen, die er nicht zu bestimmen wußte. Es wird ferner stichhaltige Kommentare bringen, nicht so sehr lexikalischer wie sachlicher Art, die den Sinn, die Funktion und die Herkunft der polnischen Sprichwörter erklären. Falls es gelingen sollte, dieses Vorhaben zu erfüllen, wird das Neue polnische Sprichwörter-Lexikon eine Krönung der jahrhundertelangen Bestrebungen der Parömiologen bilden, wobei die riesenhafte Arbeitsleistung Adalbergs an erster Stelle steht.
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Festschrift Steinitz
J E R Z Y KURYiiOWICZ
Zur Vorgeschichte des germanischen Verbalsystems
Die überlieferten Methoden der indogermanischen Grammatik müssen mindestens in e i n e m Punkte einer wesentlichen Berichtigung unterzogen werden. Die Vorgeschichte der Einzelsprachen wird oft, ob es sich nun um Lautbestand oder Formenlehre handelt, als eine einheitliche Umwälzung aufgefaßt, die von dem von uns rekonstruierten Indogermanisch her den ältesten bezeugten Zustand der gegebenen Sprache erklären soll. Es war dies einst ein Notbehelf, der für die erste Anordnving des Stoffes ausreichen sollte und auf Jahrzehnte hinaus ausgereicht hat. Neuerdings, wo Fragen der relativen Chronologie in den Vordergrund rücken und Einsichten in den Bau des Sprachsystems zum Gemeingut der Komparatisten geworden sind, kann der Versuch gewagt werden, einer p e r s p e k t i v i s c h e n Auffassung der vorgeschichtlichen Entwicklung den Weg zu bahnen. Die Kenntnis der Typen des Lautwandels, der Umbildung der morphologischen Systeme, der Gesetze der sog. „Analogie", deren Mannigfaltigkeit nicht allzugroß ist, ist dabei eine notwendige Voraussetzung. Die Anzeichen, die auf die sukzessiven Verschiebungen des germanischen Verbalsystems ein Licht zu werfen scheinen, sind: a) das Präteritum der starken Verben, welches das idg. Perfekt fortsetzt; b) die a l l o m o r p h e Verteilung der Präteritalformen (der starken und schwachen Verben); c) der Unterschied zwischen den Formen mit und solchen ohne gra-Präfix im Gotischen und im Westgermanischen. Diese Tatsachen lassen sich auswerten, sofern man sich des Unterschiedes zwischen den Verbalsystemen mit A s p e k t („perfektivisch") und solchen mit Z e i t b e z u g („perfektisch") klar bewußt wird. V o l l e n d e t und v o r g ä n g i g sind nicht identisch. Andrerseits wäre es irrtümlich, von einem Gegensatz zwischen A s p e k t s y s t e m e n und Z e i t s y s t e m e n zu sprechen. Tempusunterschiede, insbesondere die Opposition G e g e n w a r t : V e r g a n g e n h e i t , liegen überall zugrunde'. Statt von Aspekt und Zeitbezug könnte man auch von absolutem und relativem Aspekt sprechen. Es ist eben der Bezug auf einen gewissen Zeitpunkt, der den absoluten Aspekt in einen relativen umsetzt. Diese Verschiebung läßt sich z. B. an den altertümlichen Verbalsystemen des Griechischen und Vedischen exemplifizieren:
Zur Vorgeschichte des germanischen Verbalsystems
a) Griechisch
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b) Vedisch
Präsens
Xeotoj
rinakti
Imperfekt
eXeL7rov
arinak
Aorist
eXittov
aricat
Im Griechischen ist der Gegensatz zwischen ¿Xeucov (imperfektiv) und eXwtov (perfektiv) im Präsens aufgehoben, und zwar zugunsten des merkmallosen Glieds (imperfektiv). Im Vedischen handelt es sich dagegen um die Opposition rinakti (Gleichzeitigkeit1 mit dem Sprechmoment) : aricat (Vorzeitigkeit im Verhältnis zinn Sprechmoment), während im Imperfekt arinak der Unterschied zugunsten des merkmallosen Glieds aufgehoben ist (Gleichzeitigkeit mit einem Moment der Vergangenheit). Daher: (a) Griechisch (b) Vedisch
Man ersieht aus (b), daß ein auf dem Begriff des Zeitbezugs aufgebautes („perfektisches") Verbalsystem nicht notwendigerweise auch ein Plusquamperfekt enthalten muß. Eine scheinbar ähnliche Entwicklung wie das vedische hat auch das lateinische Verbalsystem erfahren mit dem Unterschied, daß hier dank der Neuschaffung des Plusquamperfekts und der Vorzukunft (futurum exactum) der „perfektische" Charakter des Systems vollständig ausgeprägt worden ist. Der Weg, auf dem das. Lateinische den geschichtlichen Zustand erreicht hat, war jedoch komplizierter. Eine formelle Erneuerang des ererbten Imperfekts und der funktionelle Zusammenfall des idg. Aorists und Perfekts scheinen die einleitenden Stadien der Entwicklung gewesen zu sein. Semantisch wird der Gegensatz zwischen dem lateinischen Präsens und dem lateinischen Perfekt ( < idg. Aorist + idg. Perfekt) zur grundlegenden Opposition des Verbalsystems, während das Verhältnis lat. I m p e r f e k t : lat. P e r f e k t zu einem i n d i r e k t e n wird. Direkte Bezüge sind lat. I m p e r f e k t : P l u s q u a m p e r f e k t und lat. P r ä s e n s : I m p e r f e k t . Ähnliche Entwicklungen stehen fest z.B. für das Litauische oder das Hethitische. Was das erstere anbelangt, so ist außer der Erneuerung des Imperfekts, das eine usuelle Handlung in der Vergangenheit ausdrückt, die Schaffung von „perfektischen" Formen (aus dem Partizip) festzustellen, während die alten Aoriste auf -e-, -ä- zu einem allgemeinen Tempus der Vergangenheit (Gleichzeitigkeit mit 1 Vom Standpunkt der Lehre von den Oppositionen handelt es sich, strenggenommen, um N i c h t v o r z e i t i g k e i t (im Gegensatz zur V o r z e i t i g k e i t ) . Wir gebrauchen mit Vorbehalt den bequemeren Terminus G l e i c h z e i t i g k e i t .
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Jerzy KuryJowioz
einem Moment der Vergangenheit) herabsinken. Sie übernehmen die Funktion des griechischen Aorists und zum guten Teil die des griechischen Imperfekts 1 . Im Hethitischen sind sowohl der indogermanische Aorist als auch das indogermanische Perfekt 2 untergegangen; erhalten ist bloß das alte Imperfekt. Die Periphrase harzi + Partizip, die dem deutschen ,,er h a t " + Partizip entspricht, ist, nach den Parallelen aus anderen Sprachen zu urteilen, an die Stelle des indogermanischen Aorists oder Perfekts oder einer aus ihrem Synkretismus sich ergebenden neueren Bildung getreten. Auch im Hethitischen haben wir es also mit der Entwicklung eines „perfektischen" Verbalsystems zu t u n : Perfekt harzi -f- Part., Plusquamperfekt harta + Part, als Ausdruck der Vorzeitigkeit, während das alte Imperfekt die Gleichzeitigkeit mit einem Moment der Vergangenheit wiedergibt. In den Sprachen mit „perfektischem" Verbalsystem gibt es in der Regel zwei Präterita, deren eines („Perfekt") die Vorzeitigkeit gegenüber dem Präsens, das andere („Imperfekt") die Gleichzeitigkeit mit einem Moment der Vergangenheit ausdrückt. Manchmal ist die letztere Form, wie etwa im klassischen Französisch, aufgespalten: imparfait für das durative oder usuelle „Imperfekt", fossé défini oder passé simple für das punktuelle „Imperfekt". Wenn bloß zwei Präterita vorhanden sind, wird die Rolle des punktuellen Erzählungstempus entweder vom „Imperfekt" (wie etwa im Vedischen) oder vom „Perfekt" (wie im Lateinischen) übernommen. I m ersteren Fall hat das Imperfekt oft eine dreifache Färbung: es ist punktuell, durativ oder usuell. In manchen Sprachen mit einem dreifachen Präteritum, wie z.B. das Litauische, unterscheidet man: (1) Gleichzeitigkeit mit einem Moment der Vergangenheit (punktuell oder durativ), z. B. dlrbau ; (2) Vorzeitigkeit gegenüber dem Moment des Sprechens, z . B . (esù) dîrbçs; (3) usuelle Handlung in der Vergangenheit, z. B. dlrbdavau. I m Englischen verteilen sich die Rollen von (1) I wrote, (2) I have written, (3) I was writing folgendermaßen: (1) I wrote punktuelle o d e r usuelle Handlung in der Vergangenheit; (2) I have ivritten Vorzeitigkeit gegenüber der Gegenwart ; (3) I was writing durative Handlung in der Vergangenheit. Es wäre jedoch verfehlt, das Verhältnis I was writing : I wrote etwa dem polnischen pisalem:napisalem gleichzusetzen, da im Slavischen gerade der durative (imperfektive) Aspekt merkmallos ist. Die habituelle Funktion von I wrote müßte übrigens durch pisywalem wiedergegeben werden. Es kann also jede der drei Bedeutungsschattierungen des Imperfekts" (punktuell, durativ, habituell) in den „perfektischen" Verbalsystemen einen eigenen Exponenten erhalten: passé défini des Französischen (punktuell), I was writing im Englischen (durativ), die -tfovaw-Form des Litauischen (usuell). Die beiden übrigen Nuancen drückt jene Form aus, deren eigentlicher Bedeutungswert die G l e i c h z e i t i g k e i t m i t e i n e m M o m e n t d e r V e r g a n g e n h e i t ist. 1
Über das idg. Perfekt, das im Baltiseh-Slavischen aus einer Flexionsform zu einem neuen Typus abgeleiteter Verben (Leskiensche Klasse IVb) umgestaltet worden ist, s. Verfasser The Inflexional Catégories of Indo-European, 1964, 2. Kapitel. 2 The Inflexional Catégories, 2. Kapitel: Die hethitisohe /¡.¿-Konjugation setzt nicht das idg. Perfekt, sondern eine ältere Form der D e p o n e n t i e n fort.
Zur Vorgeschichte des germanischen Verbalsystems
245
Im Keltischen (Altirischen) ist mit einer d r e i f a c h e n Umgestaltung des ererbten Systems zu rechnen: I „perfektivisch" (idg.) > I I „perfektisch" > I I I „perfektivisch" > I V „perfektisch" (historisch bezeugter Zustand). Die Rekonstruktion der Etappe I I stützt sich auf den Parallelismus der keltischen mit der lateinischen Entwicklung. In beiden Zweigen kommt es zu einem funktionellen Zusammenfall des indogermanischen Aorists und Perfekts, wobei die allomorphe Verteilung der Formen gegenüber dem Lateinischen einen interessanten Unterschied aufweist: die Flexionsendungen dieser Verbalformen sind im Keltischen nicht unterschieden, je nachdem es sich um den alten Aorist oder das alte Perfekt handelt. Etappe I I I ist durch die Grammatikalisierung der Verbalpartikel ro- charakterisiert. Sie dürfte im Keltischen im wesentlichen dieselbe Rolle gespielt haben wie ga- im Germanischen (s. unten). Die Formen mit ro-, insbesondere die Formen des Präteritums, waren p e r f e k t i v (merkmalhaltig), die entsprechenden ohne roi m p e r f e k t i v (merkmallos), während das ererbte (obwohl formell umgestaltete) Imperfekt, z. B . no-iccad, die usuelle Handlung in der Vergangenheit wiedergab. Der Übergang von I I I zu I V war eine Wiederholung der Verschiebung, die sich in der Sprache schon einmal vollzogen hatte ( I > I I ) . Die perfektivische ro-Form (ro-icc) wurde zum „perfektischen Perfekt", während die imperfektivische ro-lose Form (iccais) die Funktion des punktuellen und durativen Präteritums übernahm. Vgl. die Entwicklung des Gegensatzes I m p e r f e k t : A o r i s t im Vedischen. Die Verteilung der Funktionen von iccais, ro-icc und no-iccad ist also dieselbe wie in lit. dirbau: (esù) dirbçs : dirbdavau. Die ursprünglichen Bedingungen der Verschiebung I I I > I V erhellen noch aus der Tatsache, daß der ro-Konjunktiv sowohl des Präsens als auch der Vergangenheit in Nebensätzen die Vorzeitigkeit gegenüber der Handlung des Hauptsatzes ausdrückt. Durch den Bezug der Handlung des Nebensatzes auf die des Hauptsatzes wurde nämlich die ursprüngliche P e r f e k t i v i t ä t dieser ro-Formen als V o r z e i t i g k e i t gewertet. Schließlich ist zu beachten, daß in Hauptsätzen der ro-Konjunktiv den Wunsch ausdrückt, was nur aus einer alten Perfektivität, nicht aber aus einer Vorzeitigkeit erklärt werden kann. Es ergibt sich aus den angeführten Beispielen, daß die Entstehung der Kategorie des Zeitbezugs auf einer Verschiebung des bis dahin bestehenden Gegensatzes i m p e r f e k t i v e s P r ä t e r i t u m : p e r f e k t i v e s P r ä t e r i t u m zu einem neuen Gegensatz „ I m p e r f e k t " (Gleichzeitigkeit mit einem Moment der Vergangenheit ) : „ P e r f e k t " (Vorzeitigkeit gegenüber dem Sprechmoment) beruhen kann. Außerdem besteht aber die Möglichkeit einer f o r m e l l e n Neuschaffung der Kategorie des Zeitbezugs durch Formen, die einen erreichten Zustand bezeichnen, wie etwa heth. harzi + Partizip oder ahd. (Tatian) phîgboum habêta sunt gipflanzôtan „arborem fici habebat quidam plantatam". Vgl. die semantische Entwicklung franz. j'ai une lettre écrite > j'ai écrit une lettre oder engl. I have it written down > I bave written it down. Umgekehrt scheint die Entstehung der Opposition i m p e r f e k t i v : p e r f e k t i v den Schwund des Unterschieds zwischen dem „perfektischen Perfekt" und dem auf einen Moment der Vergangenheit bezogenen „Imperfekt" nach sich zu ziehen oder, wie z . B . im Irischen, das ,,Imperfekt" auf den Ausdruck einer usuellen Handlung in der Vergangenheit einzuschränken.
246
Jerzy Kurylowicz
Ähnlich wie im Keltischen dürfte nun die Entwicklung des Verbalsystems im Germanischen vor sich gegangen sein. 1. Es ist vor allem die Funktion des neuen Dentalpräteritums ins Auge zu fassen. Das allomorphe Verhältnis, d. h. die semantische Gleichwertigkeit, des starken und schwachen Präteritums muß das Ergebnis eines Zusammenfalls zweier u r s p r ü n g l i c h f u n k t i o n e l l d i f f e r e n z i e r t e r Flexionsformen darstellen. Die Feststellung scheint wichtiger zu sein als die Etymologie des Dentalsuffixes. Eine naheliegende Erklärung wäre, daß es sich wie in allen Sprachen außerhalb des Indoiranischen, Hethitischen und Griechischen, um eine Erneuerung des ererbten indogermanischen I m p e r f e k t s handelt. Ob es dagegen eine -i-äie/o-Bildung (wie lat. dictt-äre etc.) oder eine andere Formation ist, scheint von geringerer Bedeutung zu sein. Man erwäge bloß, wie viele dieser neuen Imperfekta sich bis heute einer endgültigen etymologischen Klärung widersetzen. Die Singularformen des germanischen Dentalpräteritums sprechen jedenfalls für die ursprünglichen sekundären Endungen *-m, *-s, *-(, nicht für *-a, *-ta, *-e. Wenn dem so ist, mußte das Dentalpräteritum von Haus aus bei allen, sowohl schwachen als auch starken, Verben heimisch gewesen sein. Eine Spur des alten Zustands ersieht man noch aus dem Nebeneinander des Präsens ( < starkes Präteritum) der Präteritopräsentien und des entsprechenden, auf der Schwundstufe der Wurzel aufgebauten Dentalpräteritums, z . B . goth. wait:wisset, kann:kunpa, ferner aus den bindevokallosen Präteriten wie goth. baühta (Munkacsi) LM jiw-ün pät't'än il-potors 'er verschwand am Ende der Sehweite des Baumes' (s. Munkacsi VNGy. I V 129, 316); Reguly h a t uonung mit der Erläuterung 'vidusci' und iuvon mit 'ne vidno niz' versehen (s. Munkacsi—Kaiman VNGy. I V : 2 S. 137, 215). Wie aus der Übersetzung und den Kommentaren ersichtlich ist, haben die Gewährsleute ün, uon mit dem einsilbigen Verb (Munkacsi N y K X X I 368—369, X X I I 32, 74) N vä-, LM, LU ü- usw. 'sehen' verbunden; ün wäre demnach eigentlich das Partizip N väns, LM, L U ünd (s. 11. cc.). Eine solche Auffassung ist jedoch keineswegs richtig. Es wäre nämlich auffallend, wenn ünd 'sehend' bzw. 'Sehen' allein als Längenmaß erschiene; man würde erwarten, daß es als Attribut eines Substantivs mit der Bedeutung 'Maß, Entfernung u. dgl.' aufträte, ähnlich wie es in dem obenerwähnten N jiu vänd pas 'Sehweite' (pas 'Entfernung') der Fall ist. Das ün, uon ist anscheinend ein seltenes Wort der Folklore, dessen Bedeutung den Gewährsleuten unbekannt war. I n Szilasis Wörterverzeichnis 149 ist LM ün mit üniy 'groß' verglichen, aber auch diese Deutung ist nicht richtig. Das letztere Wort, das in Munkacsis Texten auch in der Form ön vorkommt, ist aus dem Ostjakischen übernommen, s. z. B. Munkacsi VNGy. I S. X L I X , I I S. 492, 496. Bei der Erklärung des in Rede stehenden Wortes muß man von den bei Reguly vorkommenden Formen ausgehen. E r bezeichnet mit uo außer dem langen ö, das in den westlichen Mundarten geschlossen ist, auch das lange ü. Als Beispiele für das letztere seien hier nur uossern 'ich sah' (s. Munkacsi VNGy. I I I 342) und tuoja, tuojä 'Frühling' (s. a. A. S. 480 erwähnt); nach den anderen Quellen haben diese Wörter im Westwogulischen ein ü, s. Kannisto Vok. 197, MSFOu 127 S. 179 und Munkacsi N y K X X I I 3 2 , 74, X L 462. Weil das in Rede stehende Wort einmal auch mit ü geschrieben ist: Lativ ünnä, Adjektiv üoning (s. Munkacsi VNGy. I V 302), ist hier anscheinend ein ü gemeint. Die Ausdrücke uoning iju uontmä usw. bilden einen in den Liedern gewöhnlichen T y p der etymologischen Figur: vor der zweigliedrigen possessiven Zusammensetzung iju uon usw. steht ein Adjektiv von demselben Stamm, wie das zweite Glied der Zusammensetzung (s. darüber z. B. Steinitz Ostj. Volksd. u. Erz. 2 S. 41—42). I n vaneng iju uonnä > (Munk4csi) LM väniy jiw ünnd 'aus der Sehweite der Waldbäume' (s. VNGy. I I I 488, 489) erinnert vaneng an das Substantiv (Reguly) westwog. vuane 'Wald', vuannem, voannem 'mein Wald' (s. a. A. S. 344), (Kannisto Vok. 8) VN, LU, LM ßäni usw. 'Wald, Gehölz'. Das Adjektiv vaneng ( > Munkacsi väniy) 'waldig, Wald-' kann hier jedoch nicht alt sein; es beruht entweder auf einer ungenauen Aufzeichnung s t a t t uoning oder auf einem Mißverständnis des Gewährsmannes; in Munkacsis Text ist väniy hier und in anderen Fällen durch den Einfluß des Regulyschen Originals bedingt. Hinsichtlich der Bedeutimg ist zu beachten, daß uon das Substantiv pätt' 'Boden, Grund, Ende' zum Parallelwort hat, z.B. pätt'ing iju pätt'än ät kärtänti, uoning iju uontne ät väenti (s. Munkacsi VNGy. I I I 340 und vgl. ebenda S. 488)^ d. h. 'das Wurzelende des Baumes mit einem Wurzelende beriecht er, das uon des Baumes mit einem uon beriecht er', eigtl. 'von dem Wurzelende . . . zieht er Geruch, von dem uon . . . nimmt er Geruch'. Das uon bezeichnet hier offenbar entweder einen Teil oder eine Eigenschaft des Baumes; es ließe sich z.B. mit
Wogulische Etymologien
251
'Stamm' übersetzen: 'den Stamm des Baumes mit einem Stamm beriecht er', d. h. er beriecht den ganzen Baum. In einem Ausdruck wie iuvon pätt'än ilä baatrs (s. oben) scheint iuvon ungefähr dasselbe wie iju in dem soeben betrachteten iju pätt'än zu bedeuten, so daß der Satz etwa in folgender Weise zu übersetzen wäre: 'er verschwand am Wurzelende des (auf dem Erdboden liegenden umgefallenen) Baumes (aus dem Gesicht)'. In diesem Fall bildet iuvon also anscheinend eine synonyme Zusammensetzung. Die Bedeutung wäre demnach einigermaßen unbestimmt, ungenau, was aber bei einem seltenen Wort der Folklore nicht zu befremden braucht. Das iju uon, iuvon erinnert stark an (Kannisto Wog. Volksd. I V S. 283, 515—516 Erläuterung 16b) P iüßß&nä 'Baum, «epeBO' (iüß 'Baum'), und die Ausdrücke lassen sich wirklich nicht voneinander trennen. Über P önä enthalten Kannistos Sammlungen, soweit ich bemerkt habe, keine weiteren Angaben, aber dieses Substantiv kommt dagegen anscheinend auch in zwei anderen westlichen Mundarten vor. In Wog. Volksd. V I 88findetsich ein in Liedern üblicher Ausdruck: V N sä(l'y ßor süöt iiß kannä 'mitten zwischen die sieben Bäume des bereiften Waldes' (iiß 'Baum'). Das Lied wurde schon im Sommer 1902 aufgezeichnet, und in einem nicht überprüften Kommentar zu der Originalaufzeichnung des Textes heißt es : süet iiß ßüna kalpüel iömi 'er geht zwischen sieben Bäumen'. Das Wort lautet also üna, und iiß ßüna bedeutet dasselbe wie iiß 'Baum'. In dem lexikalischen Material wiederum kommt eine Angabe L U un vor: ißun psltnä kaits'm '„noJiBepcTH Sejitaji, ich lief eine halbe W e r s t " ' ; ißun pelt
s'in
kßenkaitsfm 'ich lief eine Strecke von der Länge eines (gefallenen) Baumes fort' (pelt 'Länge, so lang wie'; s'in ist Lativ von s'i 'Maß, Menge, Zeit usw.'). Wie Kannisto in dem betreffenden Wortzettel bemerkt, ist das Längenmaß 'halbe Werst' im Walde zu lang und die betreffende, von dem Gewährsmann erhaltene Übersetzung unrichtig. Über die Bedeutung 'Länge des (gefallenen) Baumes' von ißun pelt ist zu beachten, daß ein ähnliches Längenmaß auch im Ostjakischen gebräuchlich ist, s. Karjalainen Wb. 60—61. Die Bedeutung des Wortes war also auch dem Gewährsmann Kannistos nicht mehr ganz klar. In L U ißun ist das lange ü in unbetonter Stellung kurz geworden, und der Schlußvokal ist, ähnlich wie in Regulys Belegen, aus satzphonetischen Gründen geschwunden. Über den in der ersten Silbe vorkommenden Vokalwechsel 5 ~ ö s . Kannisto Vok. 180ff., Steinitz Wog. Vok. 210ff., 325-326. P önä, V N üna, L U un und (Reguly) ün, uon gehört wohl, wie in Kannisto Wog. Volksd. I V 515—516 über P önä festgestellt ist, zu (Kannisto) TJ än&, TÖ 3nö~ 'große Föhre', K M öjiii 'großer Baum (entweder Föhre, Fichte, Lärche oder Pichtatanne)'. Die drei letztgenannten Dialektformen enthalten ein Ableitungssuffix *-3y, das im Nominativ in P durch -iy, in VN, L U durch -i vertreten ist. In dem vorliegenden Fall fehlt das Suffix also im Westwogulischen. Sollte es möglicherweise geschwunden sein? In einzelnen Wörtern steht jedenfalls in VN, L U anstelle von -i ein -ä, s. Liimola MSFOu 127 S. 181 — 182. Das obenerwähnte (Munkäcsi) LM ün beruht mit seiner Übersetzung 'Sehweite' also auf einer Volksetymologie, und auch N jiu väwa pas (s. oben) dürfte kein gebräuchliches Längenmaß sein.
J O H N LÖTZ
The Corono-Prepalatal Voiceless Fricatives in Hungarian
The purpose of this paper is to analyze the phonemic affinities of the Hungarian prepalatal voiceless fricative [9]1 (ich-Laut), and to describe its place in the rather complex allophonic (variant) structure of /j/ and /h/, the phonemes concerned. 1. In Hungarian there are three cases of occurrences of prepalatal voiceless fricatives, two of them unique examples: a. 1. In the Imperative Singular Second Person Nondefinite Short form of the verbs ending on the voiceless obstruants p, k, and /, where the mode suffix is [9] before a voiceless obstruant in close juncture or before pause, e. g., \te"p^\ 'tear!', [rofy] 'load!', [dofg] ' r a m ! ' . 2
b. 1. I n the word [ifíaí] 'inspiration; to inspire'. (The word is perhaps somewhat elevated in usage, but perfectly normal without any feeling for strangeness.) 3 c. 1. I n the emotional pronunciation of the word \hi /nn/ [e-] /e/ 2
Observed probably for the first time by J. Budenz in Magyar Nyelvészet (Hungarian Linguistics), vol. Y. (1862), p. 144. 3 Cf., for instance, Z. Gombocz: Osszegyüjtótt müvei II. 1. Magyar Fonitika, (Collected works. II. 1. Hungarian Phonetics) Budapest, 1939, p. 22. 4 First discussed by J. Laziczius in „Probleme derPhonologie—Zeichenlehre—Elementenlehre". Ungarische Jahrbücher, Vol. 15 (1935), p. 505. — For discussion of quantized vs. variable length cf. author's „Speech and Language", The Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 22 (1950), pp. 7 1 2 - 7 1 7 .
The Corono-Prepalatal Voiceless Fricatives in Hungarian
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resonant have a voiced corono-prepalatal fricative [j] in the Imperative (this is unvoicing in final position before pause or before voiceless obstruants) 1 in close juncturek, otherwise a semivocalic [y], e. g., [va'rj] 'wait!', [va-ryo] 'he shall wait it!'. Consonantal clusters with similar distribution occur in a few other words, e. g., [sorj] 'sprout', [olj] 'underpart'. b. 2. In the position following a vowel and not preceding a vowel, i. e., final position or before an unvoiced consonant, there are a few other cases of buccal voiceless dorso-palatalveler fricatives [x], e. g., [soz] 'shah', [joxt] 'yacht', [potrox] 'abdomen'. Also, long consonants occur, e. g., [pea;-] 'bad luck (slang)' or [cear] 'bill (slang)', [potrox-ol] 'with abdomen'. Sometimes the occurrence of h is optional, e. g., \du\ 'anger', [diival] 'with anger', also commonly \diix\ and [diix-al]. (The Academy recommends the h-less form.) Before voiced obstruants in suffixation a voiced alternant [y] occurs, e. g. [soybon] 'in the shah'. These sounds are rare in frequency, but regular in use. c. 2. The ouly other word which matches the regular laryngal transient vs. emphatic buccal fricative variation is the word [lex"dtatldn] 'impossible'. 2. 1. The cases under c) are different from the other two in that they occur only in emotional emphatic speech. The usual way of accounting for these is to regard them as a special kind of phonological feature, called emphaticum, treated apart from regular phonemic-distinctive features. This is assumed to be a side branch of linguistic description, a phonemic stylistics, which parallels the "intellectual" reference of the phoneme. 2 I t seems obvious to us, however, that these two kinds of usages both occur within the competence of the same analytical treatment of the sound, and they are not two separate phenomena but rather represent a variative aspect of the sound below the phonemic level. The only condition is, naturally, that we can justify the subsumption of two sounds in one class by the same procedures as in regular phonemic analysis. In order to do so, we require: a) that the resulting class should be defined intensively, i. e., by a feature common to all elements of the class, and not only extensively by enumeration; b) t h a t it should be uniquely distinguishable from all other classes of sounds; and, c) finally, — this is the most difficult aspect — that the identification should be 'phonetically reasonable. If we examine the buccal features in emotive speech in the two words varying with the laryngal transient sound (sometimes called semi-vocalic) we find that 1
The exact nature of the coordination of the glottal action with the supra glottal articulation will have to be investigated. Especially interesting is the timing of voicing in nondistinctive obstruent clusters. 2 Laziczius in his article quoted under 4, and later in „A New Category in Phonology, Proceedings of the Second International Congress of Phonetic Scientces, Cambridge, 1936, pp. 57—60, sets up a special new category of emphatics as distinct from both phonemes and variants. Trubetzkoy, after some uneasy discussion, relegates the study of the emphatics to a special „Lautstilistik" in his Grundziige der Phonologie, TCLP 7, Prague, 1939, pp. 17 to 29.
254
John Lötz
no traditional phonetic approach using points of articulation, or any modification thereof, in the buccal cavity as the referential frame could unify these two sounds, one lyryngal. the other buccal, uniquely within the sound system. If we, however, look at the two consonant articulations with reference to the adjacent vowel articulation, the unifying aspect becomes clear. This is the general consonantal excitation of the vocalic resonant chamber, either weakly by a short transient excitation (laryngal) when the h precedes the vowel, or b y a strong friction (buccal) following it. 1 The- timbre in both cases is colored by the dominant vowel. Thus, we can unify the two sounds as one phoneme and define the variation in terms of the emphatic: N
consonantal excitation of the adjacent vocalic resonance chamber regular
laryngal weak friction transient semivocalic
emphatic
buccal strong friction sustained frictional
2. The remaining two cases are not examples of variation, but of distinction. As is clear from the background, two classes of sounds suggest themselves as candidates for possible phonemic affinity, t h e corono-prepalatal semivowel [y] and the prepalatal fricative [j] on the one hand, and the laryngal transient (semivocalic) fricative [h] on the other. 2 I n case a. 1. the cluster final [9] does contrast with [j] and [y], but not with [h] i. e., it is in complimentary distribution with the laryngal transient. I n case b. 1. the [9] contrast with [y] but not with [A], e. g., [hoylik] 'it bends', [koyh] 'bent'. If we apply the principles of traditional American Structuralism, which is a purely reductive procedure and does not allow overlapping, only the [9] — [h] phonemic identification is permissible. This solution, however, would lead to undesirable results: to a morphophonemic alternation for the Imperative morpheme which would be a completely isolated phenomenon in Hungarian morphology, and to a phonetically unmotivated occurrence of a prepalatal variant after all sounds, including the back dorso-velar ones, such as [buk9] 'duck!'. A better solution offers itself if we distinguish two positions with reference to the vowel: 1) a position immediately following the vowel and not followed by a vowel, and, 2) a position following a consonant not followed by a vowel. Schematically: Position 1 (V) 9
Position 2 (Vc) 5
1 It would be possible to refer to the syllabic structure and to the shift in the syllabic boundary, but the notion of the syllable not being clear, the term will not be used here. 2 It is assumed that the semivocalic [y] and the fricative [j] are members of the same phoneme (the IPA has no separate symbols for them) characterized by consonantal constrictive articulation. — Also, it is assumed that the murmured [£.] and the voiceless [h] are united.
The Corono-Prepalatal Voiceless Fricatives in Hungarian
255
Then we could identify the [9] in Position 1 followed immediately by the vowel with the [h] phone where the unifying feature is the above described consonantal excitation of the vocalic resonance chamber and the varying features the force, dependant on the position with reference to the vowel, the timbre dependant on the quality of the vowel, and the voicing dependant on what follows. The [9] in Position 2, twice removed from the vowel, would be associated with the [j] and [y] phones where the unifying feature is the consonantal articulation at the front palate produced with the blade of the tongue (corono-prepalatal) and the variative features the force dependant on the position with reference to the vowel, and voicing dependant on the consonantal (or junctural) environment. Schematically :
N
Defining feature:
Consonantal (laryngal transient of buccal frictional) excitation of a vocalic resonance chamber.
in
Corono-prepalatal constrictive (transient semivocalic or frictional) articulation,
Variation S t r o n g (buccal fricative) post-, but not prevocalically W e a k (laryngal transient) prevocalically
1. Force S t r o n g (fricative) as a second element of a cluster not prevocalically. W e a k (semivowel) adjacent to a vowel
2. Voicing Vo i c e d only before voiced obstruent Voiceless
Voiceless only as second element of a cluster before pause or voiceless obstruents. Voiced
in all other cases
in all other cases
dependant on the adjacent vowel
3. Timbre always " i " colored
The intersection in a. 1. and b. 1. is readily explainable now: a. 1. HI in /kapj/ corono-prepalatal fricative voiceless -> 9 b. 1. /h/ in /ihlat/ buccal fricative "i" colored -> 9 Note, however, that, though there is a segmental intersection, biuniqueness — the two-way identical road from sound to phoneme and vice versa — is maintained if viewed in the larger phoneme sequence context: (V)s - / V h / (Vc)9 /Vcj/ Biuniqueness, however, can only be stated after variations have been resolved, cf. the emphatic case above.
John Lötz
256
This solution is satisfactory, both morphologically and phonologically; morphologically, since it leaves the Imperative morpheme as one unit, and phonologically since it explains the phonetic features as a dependance on the environment for both cases.1 1
In the labial region the cut is threefold in the corresponding articulations. semivowel (transient) voiced fricative voiceless fricative
M
M IV
/i i 9/
/h «/
B. H. JIHTKHH
BonpocH
B
cOBpeMeHHHx
y^apeHHH :
(1)
AKI^EHTYAI^HH
nepMCKHX
flnajieKTax
KOMH-h3BBHHCKHÌÌ
—
nepMCKHX
H3BIKOB
H3HKOB MH H a ß j i i o f l a e M l e T L i p e
KaiecTBeHHO-BOKajibHoe
KOMH-3HpHHCKnit — CBoßoflHoe (He C T p o r o $ H K C H p o B a H H o e ) y n a p e H H e Hiieft n a ^ a T b H a n e p B H f t c j i o r ;
( 3 ) K O M H - n e p M H i j K H H THII —
Tuna
ynapeHne;
(2)
c TeH^eH-
ocHOBO-paaHOMecTHoe
y s a p e H H e H ( 4 ) y ^ M y p T C K H f i — y ^ a p e H i i e n o K O H T C H H a n o c j i e ^ H e M c j i o r e ( c HCKOTOp H M H HCKJHOTOHHHMM). OcTaHOBHMCH H a p a c c M O T p e H H H K a j K f l o r o H 3 9THX n e T H p e x THnoB yflapeHHH. B KOMH-anpHHCKOM jiHTepaTypHOM H3HKe H B A H a j i e K T a x y f l a p e H H e He ^»HKCHpoBaHHoe,
OHO
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C T a B H T b H a JIK>6OH c j i o r 6 e 3 y m e p ß a « j i h C M t i c j i a : 'noftayr',
ke-kjamis — keja-mis — kekjamis
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— munasni
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CTporo MOJKHO
— munasny
' B O c e M b ' . O f l H a K O HMeeTCH o n p e n e j i e H -
H a n T e H f l e H i i H H CTaBHTb y f l a p e H H e H a n e p B b i i t c j i o r , H n p n o i ^ o p M j i e H H H CTHXOTB o p H o r o H3HKa no3TH O6HIHO opaeHTHpyioTCH Ha 3Ty ocoôeHHOCTt. BecbMa
o p H r H H a j i b H H ñ THn y ^ a p e m i H
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TpeTbH
nepeTHrHBaioT y,napeHHe Ha c e 6 n HJIH Ha npenuiecTByiomHii cjior. B p e 3 y j i b T a T e nojiyiaeTCH BecbMa opiirHHajibHaH KapTHHa pa3H0MecTH0r0 y^apeiiHH. IIocKOJibKy MecTO y n a p e H H H OÖHHHO o n p e ^ e j i n e T c n MopiJieMHbiM cocTaBOM cjiOBa, n o c T O J i b i c y OHO MOJKeT B o f l H H x c j i O B a x n a ^ a T b H a n e p B H i t c o i o r , B a p y r w x — H a B T O p o ñ , H a T p e T H ñ b i . A . ; HO B KajKflOM o T ^ e j i b H O M
jieHHoe MecTO
(CJIOB c
cjioBey^apeHHe3aHHMaeTBnojiHeonpe^e-
HeycTOitiHBUM y^apemieM
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HeMHoro), npimeM y^apeHHe
NOKOHTCH B c e r f l a HA KaKOM-HHÖYJIB c j i o r e OCHOBH c j i O B a , a
CJIOBOH3MEHHTEJIBHUE
cyHKCH B c e r « a HBJIHIOTCH 6 e 3 y A a p H H M n . ü o s T O M y KOMH-nepMHi^KOE MH HaSHBaeM MecTO
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npaBHji. Be3ynapHHMH
IOTCH c j i e f l y r a m n e K a T e r o p H H cy$HKCOB : 1 . n a n e H í H H e cy(j)HKCH 2.
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C Y $ $ H K C 3BATEJIBH0II < £ o p M H :
3 . n p H T H H t a T e j i b H H e cy(j)HKCH : 17
Festschrift Steinitz
' y lejiOBeKa',
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' n e j i O B C K y ' H ;np.
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258
B. H. JIbITKHH
4. cynKCi>I MHOHtecTBeHHoro CJIOB: mo-rttez
'JIIO,HH', kwz'es'
HHCJia cymecTBHTejitHux
H npeflHKaTHBHux
'JVIHHHH';
5. yMeiitiuHTejibHO-jiacKaTejibHHe cyHKcy cjior: to-pit ' r a i O T H u ì i ' , 'Gojiee m i O T H H i i ' ; c aHajiorniHHM HBJieHHeM mbi B C T p e i a e M C H b cjioSoa-
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2. npw npHcoe^HHeHHH na^ejKHOro cy$HKca k MecTOHMeHHio mi-jan 'Harn' yjjapeHiie nepeHOCHTCH Ha BTOpoft cjior : mija-nle 'HaM', mija-nket 'c Haivm'. B KOMH-nepMHi^KOM H 3 H K e MecTOM y n a p e H H H H H o r f l a p a 3 J i n q aioTCH r p a M M a r a iecKHe KaTeropHH, HanpnMep: s'oja-n 'KymaHBe', s'o-jan ' K y m a e m t ' ; petas 'Bcxoau', pe-tas 'Bhitt^eT' ; ole-m 'ìkh3hi>', o-lern 'jkhji' ; TaKHM oòpaaoM, o MecTe y«apeHHH hooahocjiowhhx ochob KOMH-nepMHijKoro H 3 H K a mohìho C K a a a T b c j i e n y i o m e e : b npnjiaraTejibHiix y ^ a p e H H e o6hiho n a a a e T Ha nepBHfi cjior (HCKJiKmeHiieM hbjihiotch or0B0peHHbie B H m e cjiyqaii) ; b rjiarojiax y^apeHHe n a ^ a e T Ha n e p B B i H cjior b tom c j i y i a e , ecjin hct cji0B006pa30BaTejibH0r0 cy(|i(|)HKca, HMeiomero cboio orjiacoBKy — b nocjieflHeM c n y i a e oho c 1-ro cuora nepeHOCHTCH Ha stot cy$$HKc (hmciotch OTflejiBHHe cy(|)(J)HKCH, Ha KOTopne He nepeHOCHTCH ynapemie, Hanpniviep, -ist c y M e H B n i H T e j i b H H M 3HaieHHeM); b nponaBOflHiix OCHOBaX cymecTBHTejibHHx ynapeHHe najjaeT Ha cy$(J)HKC, 3a HCKJiroieHneM OTMeieHHHX BHme cjiyiaeB. H 3 BHHieH3JiOHteHHoro BH3H0, hto y ^ a p e H H e K 0 M H - n e p M H i ( K 0 r 0
jiHTepaTypHoro
H 3 H K a , B OCHOBe KOTOpOrO JieffiHT (b OTHOmeHHH y ^ a p C H H H ) K y f l H M K a p C K H i i TOBOp,
M0p$0Ji0rH3Hp0BaH0. Ilo pa3MemeHHio yflapeHHH Majio oraimaioTCH ot Ky^HMKapcKoro h M H o r n e ^ p y r w e roBopu K o M H - I l e p M H i i K o r o O K p y r a ( B e p x H e H H b B e H C K n ì i , KOCHHCKHii, K O i e B C K O f t , HepABHHCKHfl H T. fl.). CjIOBOM, KOMH-nepMHIJKHe
flHajieKTBI
b CBOeM 6ojibniHHCTBe b OTHOmeHHH y ^ a p e H H H npejjCTaBjiHiOT ©^hhctbo ; npiiHijiiiTM p a 3 M e n ; e H H H y a a p e H H H y hhx oahh h Te ?Ke, « H a j i e K T H L i e otkjiohchhh K a e a i o T C H jihuib OTflejibHux c j i y i a e B . OflHaKO HMeioTCH KOMH-nepMHi^KHe AnajieKTH, r^e mbi Ha6jiioflaeM coBepmeHHo HHyio CHCTeMy ynapeHHH. TaK, HanpHMep, HaM ynajiocb ycTaHOBHTb HHott Tnn y^apeHHH b ohbkobckom n HHjKHeHHbBeHCKOM fliiajieKTax. OhbkobckhììflnajieKT,aaHHMaiomHit TeppHTopnio o^Horo (OHbKOBCKoro) cejibcoBeTa lOcbBHHCKoro paiiOHa KoMH-IIepMHn,Koro OKpyra, hbjih6tch csmum 17*
260
B . H . JIHTKHH
BOCTOHHHM ^HÄJIGKTOM HepTott y f l a p e H H H BHx
rjiacHHx
IIO
p. ÜHbBe,
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K a M H . 1 CaMOft X a p a K T e p H O H
3 T o r o A w a j i e K T a HBJIHGTCH ^BOftcTBeHHOCTt B n o B e ^ e H H H K o p H e -
B OTHOineHHH y ^ e p j K H B â H H f l H a c e ô e y ^ a p e H i i n : ORHH
KopHeBtie
r j i a c H H e n p w cjiOBOH3MeH6HHH H cji0B006pa30BaHHny,a;ep>KMBaK>T H a c e 6 e y ^ a p e H H e , a
flpyrne
He y f l e p j K H B a i o T . H a M y f l a j i o c b ycTaHOBHTb c j i e ^ y i o m i i e 3 a K 0 H 0 M e p H 0 C T H ,
Kacaion;necH nepeHOca H HenepeHoca yaapcHiiH c KOpHH cjiOBa: 1. KopHeBHe rjiacHHe HeBepxHero
no^ienia
a,
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e Bcer,n;a HMeioT H a
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y ^ a p e H H e H y ^ e p a t H B a i o T e r o H a c e 6 e n p n c j i 0 B 0 0 6 p a 3 0 B a H H H H cji0B0H3MeHeHHH, HanpHMep:
ka-n'len
lo'kni
' y KOUIKH',
ge-rni
'npaxoflHTb',
'iiaxaTt',
pe-talni
"BHÜTH
HA BPEMH' ;
2. KopHeBtie rjiacHHe BepxHero noflieMa i, i, u B HeoflHOCJiojKHUx cjiOBax He giza- ' m i r n y ' , pira• ' a a f t ^ y ' , tuli's ' ß e c H a ' , vunde• ' x m e T ' , biíe'm ' x o p o m o ' . HMeioT H a c e 6 e y a a p e H H H , H a n p H M e p :
T a K o i i T a n y ^ a p e H H H , K o r ^ a M e c T o y ^ a p e H H H s a B i i c i i T OT K a n e c T B a r j i a c H o r o , MH HA3HBAEM K A N E C T B E H H O - B O K A J I B H U M . T u n OHBKOBCKORO y « a p e H H H HE NPEACTABJIAET c o 6 o ñ HCKJIIOIEHHH : TOHHO TAKOE ATE Y^APEHUE HMEETCH B KOMM-H3Í>BHHCKOM ^IIAJIEKTE, OT^EJIEHHOM OT OHBKOBCKORO npOCTpaHCTBOM B HeCKOJIbKO COT KHJIOMeTpOB. 2
Tenept nocMOTpHM, Kan OÔCTOHT ^ejio c y^apeHHeM B HHHTNEHHBBEHCKOM HHajieKTe. BTOT jjHajieKT, oxBaTHBaiomnft THMHHCKHÜ, KynpoccKHö, KpoxajieBCKHH, AKceHOBCKHñ H ^oercKHÍt CEJIBCOBETH lOcbBHHCKoro paftoHa KoMH-IIepMHx;Koro OKpyra,
HBjiaeTCH
npoMejKyTOHHbiM
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H
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HHbBeHCKHMH ^HaJieKTaMH KOMH-nepMHUKOrO H 3 U K a H B T e p p H T O p n a j I b H O M , H B JIHHrBHCTHqeCKOM OTHOHieHHHX. OH 3aHHMaeT npOMejKyTOIHOe MeCTO H B OTHOineHHH
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KaTeropHñ
CJIOB,
NO^HHEHHHX
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MHorHe
pa3HHX (f)OpM
KaiecTBeHHO-BOKajibHOiviy
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cjiOBax, B KopHeBOM cjiore KOTopHX HMeeTCH rjiacHHit BepxHero noRieivia (i, i, u), TO B HHÎKHeHHbBeHCKOM R H a J i e K T e 3TH CJIOBOOÔpaCOBaTejIbHHe CyijMflHKCH HBJIHIOTCH B CERNA Y^APHHMH — HE3ABHCHMO OT KAIECTBA KOPHEBORO
raacHoro:
HE TOJibKO
pima-vni
'noTeTb', tiska-s'ni '/jpaTtcn', suvte-tni 'OCTAHOBHTB', pin'e'vtni 'BHBHXH y T b ' , HO H hotra's'ni ' ß e r a T b ' , pere-tni ' n o B a m r r b ' , peta-vni 'BBIÜTH n a BPEMH', kojyëni ' B H i u i e c H y T b ' , rekta-n 'MOTOBHJIO'. B H e r j i a r o j i b H H x a t e OCHOBAX (B HMEHAX, MecTOHMeHHHx H H a p e i H H x ) n p o H s o m j i o BHpaBHeHHe M e c í a y ^ a p e H H « :
1
cjiOBOH3MeHeHHH c B e p x H e p n A H H X
OcoßeHHocTH SToro AHajieKTa n0/i;p06H0 o n i i c a H t i B KaHffHflaTCKOií
BaTaJioBoti, CM. ee a B T o p e ^ e p a T 1962. 2
npii
CM. B . H . JIUTKHH,
OHÌIKOBCKUU
rjiacHux
fliiccepTaun
duajienm noMu-nepMfiiçKoeo nauna,
KoMu-n3beuHCKuü duajienm,
M o c r a a 1961, 33.
P . M. Mocraa
261
B o n p o c H anijeHTyaijiiH nepMCKHX H3HKOB
(si-res
n e p B o r o c j i o r a y a a p e H H e He CTajio nepeHOCHTbCH Ha cy$(|»HKcajii>HHft c j i o r 'MHUIKY', B
ju-res
'ROJIOBY',
ki-es
'MOIO P Y K Y ' H T . H . ) .
9TOM 0 T H 0 M E H H H Y N A P E H I I E HHJKHEIIHBBEHCKORO AIIAJIEKTA HE OTJIHIAETCH OT
KOMH-nepMHi^Koro J i H T e p a T y p H o r o H 3 H K a : n p o a y K T H B H H e c j i 0 B 0 0 6 p a 3 0 B a T e j i b H b i e eyi|)Ke 3aKOHOMepHOCTHM, K a K H M H B OHbKOBCKOM H KOMH-H3bBHHCKOM « H a j i e K T a x , T. e . ecjiH B nepBOM c j i o r e (B KopHe) CTOHT i, u,
i, TO
n p n cjiOBOH3MeHeHHH y a a p e H w e nepeHOCHTCH Ha cji0B0H3MeHHTejibHuft cy$ m i i x OJJHO H TO me KaK
pa3
RPAMMATHHECKOE AHANEHIIE. HAJIHINE CJIOB C K0JIE6JIK>MHMCH YAAPEHIIEM H y K a a u B a e T HA TO, HTO n p o i ; e c c MOPIJOJIORNAAIÍHH YAAPEHHH B J i H T e p a T -
y p H O M H3HKE H 6JIH3KHX K H e M y
AHajieKTax
H H B e j i n p o B K a MopHKCaM: C p a B H H T e j I B H H Ü C y $ $ H K C
-zik,
nepeTHrHBaioinHñ y ^ a p e m i e Ha npeamecTByiomHii cjior, H nopnaKOBBie
cyi
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RiiajieKTax
K0T0pHe
nepeTHrHBaioT
y^apemie
Ha
ce6n.
B
flByx
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B c e c j i O B a n o a n i ; e H T y a i i ; H H MOHÍHO p a s S i i T b H a « B e r p y n r r t i : B n e p B O ü r p y n n e CJIOB, H M e r o m n x B K O p H e a, e, o, e-ó, HHeM
HBJIHIOTCH c j i O B a
c
y^apeHiie Bcer^a na^aeT Ha nepBtiii cjior
cy^^HKcaMH
-zik,
-et,
BTOpan
-ik);
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C J I O B a C KOPHEBHMH T J i a C H H M H i, U, i ( K O M H - H 3 b B H H C K . 9 ) . B
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o n p e « e j i e H H H x CM.
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T. e .
BBIPASATHBAETCH rpynnti
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B
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(puka-la
cy Björn vill ha last boken tills i Björn har läst boken tills i morgon. J morgon. Durch die transformationelle Behandlung der Infinitivkomplexe bei Modalverben ist es möglich, das DET nach Modalverben in Sätzen folgender Art generell zu erklären. 1 (13) Han vill det. Jag kan det. Du far det i dag. 1 Wir lassen dabei die Frage offen, ob es sich bei den unter (13) verzeichneten Sätzen um vollgrammatische Sätze handelt. Jedenfalls sind solche Sätze in der schwedischen Sprache anzutreffen, und das genügt für unsere Argumentation.
18«
276
Wolfgang Mötsch / Renate Schädlich
Das DET in den angegebenen Sätzen wird als Ersatz für elidierte Ketten erklärt. Vergleiche dazu auch die unter (14) aufgeführten Beispielsätze, die keine Modalverben enthalten: (14) Han Han Han Han
bara började a t t läsa boken. bara började det. önskar att röka en cigarett. önskar det.
Ein weiterer wichtiger Grund für die hier vorgeschlagene Lösung ist der, daß auf diese Weise erklärt werden kann, daß Sätze mit Modalverb und passivem Infinitivkomplex zwar möglich sind, aber nicht auf entsprechende Aktivsätze zurückgeführt werden können. Satz (15) kann nicht auf Satz (16) zurückgeführt werden: (15) Gunnar vill bli väckt av systern klockan sju. (16) Systern vill väcka Gunnar klockan sju. Wir müssen — um dieses Faktum erklären zu können — Modalverben von der Passivtransformation ausschließen. Diese Eigenschaften haben Modalverben mit vielen anderen Verbklassen gemeinsam. Dagegen kann der für das Modalverbkomplement einzubettende Infinitivkomplex auf einen passivischen Satz zurückgehen. Satz (15) führen wir also auf folgende Sätze zurück: (15') Gunnar vill + C inf + klockan sju. (15") Gunnar blir väckt av systern klockan sju. Durch das vorgeschlagene Verfahren ergibt sich außerdem die Möglichkeit, Modalverbkomplexe auf einfache Weise zu erklären. Durch wiederholte Anwendung der Infinitiveinbettungsregel werden verschachtelte Modalverbkomplexe erzeugt, deren Komplexität auf Grund der Wiederholbarkeit der Regel nicht begrenzt ist. 1 Vergleiche folgende Beispiele: (17) Han fär komma igen. Han vill fä komma igen. Han mäste vilja fä komma igen. Eine genaue Formulierung der notwendigen Transformationsregel wird im folgenden Kapitel angegeben. 1
Die Abnahme des Grammatikalitätsgrades mit der Anzahl der ineinanderverschachtelten Modalverbkomplexe kann durch die Häufigkeit der Anwendung derselben Regel erklärt werden. Die so erzeugten Strukturen sind zwar noch grammatisch, ihr Komplexitätsgrad ist jedoch zu groß, als daß man sie wie normale Sätze behandeln könnte. Auch in anderen Fällen hat der Grad der Komplexität Auswirkungen auf die Grammatikalität, so zum Beispiel bei verschachtelten Relativsätzen. Es ist jedoch noch nicht entschieden, ob es nicht möglich ist, eine grammatische Grenze für die Anzahl der Modalverben in einem Satz anzugeben.
Die Grundstruktur schwedischer Verbalphrasen
277
3. Transformationsregeln I n diesem Kapitel werden einige der im vorangehenden Teil der Arbeit angedeuteten Transformationsregeln aufgestellt. Zunächst formulieren wir die Passivtransformation. Bereits daraus, daß im Konstituentenstrukturteil die Agensphrase abgeleitet wurde, ist zu entnehmen, daß unsere Formulierung der Passivtransformation von der N. Chomskys 1 abweicht. Die von Chomsky vorgeschlagene Passivtransformation bewirkt, daß das Subjekt eines geeigneten Aktivsatzes Bestandteil der Agensphrase wird, während das Akkusativobjekt die Stelle des Subjekts einnimmt. Ferner werden durch die Transformation Elemente des Hilfsverbkomplexes und die Präposition der Agensphrase eingeführt. Die Struktur von Passivsätzen wird jedoch besser erklärt, wenn man im Formationsteil zusätzlich zum Objekt die Agensphrase einführt. Auf diese Weise ist deren Platz in der Konstituentenstruktur von vornherein festgelegt. Die Passivregel, die unter diesen Voraussetzungen obligatorisch angewendet werden muß, bewirkt dann nur noch, daß das Subjektsubstantiv die Stelle des nominalen Elementes der Agenspräpositionalphrase einnimmt, während das von der Passivierung betroffene Objektsubstantiv die Stelle des Subjektsubstantivs im Ausgangssatz einnimmt. Ferner wird durch die Passivtransformation der Hilfsverbkomplex (Aux) um /BLIV + Pt 2 / bzw. S erweitert. Das nominale Element der Agenspräpositionalphrase wird im Konstituentenstrukturteil der schwedischen Grammatik nicht weiter zerlegt. Um das zu erreichen, darf Ag erst nach der Expansion von Nom in /av + Nom/ zerlegt werden. Dann ist es nicht mehr möglich, daß für Nom Elemente des Endvokabulars gewählt werden. Die Passivtransformation hat folgende Form: T - Passiv: X Nom' Aux V index (Nom") av Nom Y
1
2
3
4
5
6 7 8
Bedingung: obligatorisch. Sätze mit D E T als Subjekt wie: (18) D e t ö n s k a s . . . Det ansägs ... Det skrivs ... führen wir auf Aktivsätze mit MAN als Subjekt zurück. In diesem Falle muß die Agensphrase eliminiert werden. Das wird durch folgende Regel ausgedrückt: 1
Vgl. N. Chomsky, Syntactic Structures, 's Gravenhage 1957.
278
Wolfgang Mötsch / Renate Schädlich
T - MAN — Passiv: X (Nom") Aux
B L I V + Pt, S 1
1
^index
av + Nom'
Y
2
3
-5-1+3 Bedingung: obligatorisch wenn Nom' = MAN fakultativ sonst. Das Subjekt-DET entsteht dann, wenn der zu transformierende Satz kein nominales Objekt enthält, so daß die Stelle des Subjektes leer wird. Durch morphophonemische Regeln muß festgelegt werden, daß in diesem Falle D E T für das Subjekt einzusetzen ist. Es bleibt genaueren Untersuchungen vorbehalten zu entscheiden, welche Verbklassen für derartige Ausgangssätze in Frage kommen. Außerdem muß untersucht werden, welche Regeln die Wahl einer der hier alternativ aufgeführten Passivformen / B L I V - f Pt 2 / bzw. /S/ determinieren. Imperativsätze führen wir auf Sätze mit DU (PI) als Subjekt und der Komponente Imp für Aux zurück. Vergleiche Regel (F 13). Es bestände die Möglichkeit, solche Sätze allein durch Konstituentenstrukturregeln zu erzeugen. Dann könnten jedoch die im Zusammenhang mit Regel (F 13) angeführten grammatischen Fakten nicht erklärt werden. Die transformationelle Erzeugung der Imperativsätze bestätigt somit die eingangs aufgestellte Annahme, daß alle schwedischen Sätze in Subjekt und Prädikat zu zerlegen sind. T — Imperativ: DU (PI) Advb v Imp + V i n d e x XX 1
2
3
-^3 + 2 + 4
4
Bedingung: obligatorisch. Die Imperativregel eliminiert somit das Subjekt des Ausgangssatzes und stellt Imp + Verbstamm an den Anfang des Satzes. Die Komponente Imp kann möglicherweise ebenfalls eleminiert werden, da der Imperativ — wie es scheint — mit dem Verbstamm zusammenfällt. Eine Entscheidung hierüber kann jedoch erst gefällt werden, wenn die entsprechenden morphophonemischen Regelmäßigkeiten genau untersucht wurden. Wir benötigen nun noch eine Regel, die für C i n f bei Modalverben Infinitivkomplexe einzubetten gestattet. Diese Regel kann folgendermaßen formuliert werden: GT - Infinitiv: Gegeben: Subj' (Advb;) T ' (Peri) (BLIV + Pt 2 ) V i n d e x + Y (Advb,;) 1
2
3
Die Grundstruktur schwedischer Verbalphrasen
279
wende die Regel: C inf -> Inf + 2 auf folgende Kette an: Subj (Advb v ) T + Aux 1 + M + CiQf (AdvbJ wobei: X = X ' mit X für Subj, Advb lndex , T Bedingung: obligatorisch. Diese Regel eliminiert das Subjekt des Konstituentensatzes, ersetzt T durch Inf und bettet die so entstandene Konstruktion an der Stelle C inf im Matrixsatz ein. Der Konstituentensatz darf kein Futurum enthalten, er kann jedoch die Passivtransformation durchlaufen haben. Für den Hilfsverbkomplex des Matrixsatzes gelten die durch die Konstituentenstruktur festgelegten Beschränkungen, d. h. es ist kein Passiv möglich. Für V indcx kann auch M stehen, mit anderen Worten: es besteht die Möglichkeit, mehrere Modalverben ineinander zu verschachteln (vergleiche Anmerkung 1, S. 276). Bei der Zerlegung von Nominalen — die hier nur sehr oberflächlich dargestellt werden konnte — wurden mit Absicht keine Kasus abgeleitet. Der Grund dafür ist der, daß wir annehmen, alle Genitive könnten transformationell erklärt werden. Der unter bestimmten Bedingungen bei Pronomen notwendige Kasus kann gleichfalls durch eine einfach zu formulierende Transformation eingeführt werden. Diese Transformation muß ausdrücken, daß nach transitiven Verben sowie nach Präpositionen den Pronomen ein Element K hinzuzufügen ist: T — Objektkasus: Y i
2~
-> 1 + K + 2 Diese Regel muß nach der bereits angedeuteten Pronominalisierung von Nominalen angewendet werden, damit in allen in Betracht kommenden Fällen das Element K eingefügt wird. 1 Im morphophonologischen Teil der Grammatik muß dann festgelegt werden, daß z.B.: han + K hon + K jag + K 1
—*• honom henne mig
Diese Lösung entspricht in den Grundgedanken der von Ch. F. Fillmore, The Position of Embedding Transformations in a Grammar, Word 19, 208—231. Fillmores Regel fügt allerdings bereits an Nom ein Element an, das bei Substantiven und Eigennamen später eliminiert werden muß. Welche Gründe er für diese umständlichere Lösung hat, geht aus dem zitierten Aufsatz nicht hervor.
280
Wolfgang Mötsch / Renate Schädlich
du + K jag + PI + K du + PI + K
-> dig oss ->• er
Abschließend formulieren wir zwei Permutationsregeln, die im Zusammenhang mit der Diskussion der Konstituentenstruktur schwedischer Prädikate als notwendig erachtet wurden. Zunächst die Regel, die die Hauptsatzstellung herstellt, d. h. die Advb v hinter das finite Verb rückt: T — Hauptsatzstellung Advb v : X Advb v T Vst 1
2
3
4
Y 5~
->1+3 + 4 + 2 + 5 wobei: Vst = SKA, HAV, B L I V , V j n d e x Bedingung: obligatorisch, wenn Advb v = Adv v2 fakultativ, wenn Advb v = Adv vl . Weitere Kommentare erübrigen sich, da die entsprechenden Fakten bereits in Abschnitt 1 erörtert wurden. Es sei nur bemerkt, daß die angegebene Regel nach der Affixpermutation kommt, die zu formulieren wir uns ersparen müssen. T — Objektpermutation: X Art u + N
P Art b + N
1
~3
2
4
Y ~5~
-•1+4 + 2 + 5 Bedingung: obligatorisch. Wir haben die Objektpermutation als obligatorische Regel bezeichnet; es sei jedoch noch einmal auf die einschränkenden Bemerkungen zu Regel (F 6) und (F 7) hingewiesen. Eine möglichst angemessene Formulierung der Bedingungen für diese Regel bleibt weiteren, intensiveren Forschungen überlassen.
PAUL NEDO
Die Bedeutung von Schrift und Schrifttum für die sorbische Volksdichtung im Spätfeudalismus
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Schrift, Literatur und Volksdichtunggehört zu den Grundaspekten jeder folkloristischen Arbeit, birgt sie doch den Schlüssel f ü r die Einschätzimg der in der Volksdichtung wirkenden eigenschöpferischen K r ä f t e der werktätigen Klassen und Schichten, u m deren Aufhellung wir heute besonders bemüht sind. Die Skala der früheren Auffassungen reicht ja bekanntlich von der romantischen Annahme eines „Volksgeistes" bis zur völlig negativen Beurteilung der Volksdichtung als eines Abfallproduktes der Literatur durch Hans N a u m a n n und seine Anhänger. Die marxistische Folkloristik bringt den schöpferischen K r ä f t e n der werktätigen Massen hohe Wertschätzung entgegen, doch verbindet sich mit unseren Bemühungen, die eigenschöpferischen Leistungen des werktätigen Volkes in der Volksdichtung aufzuzeigen, die Aufgabe, das Verhältnis von Literatur und Volksdichtung zu klären und insbesondere den Einfluß der Literatur möglichst exaktzu bestimmen. Diese Frage verlangt in jedem Falle eine historisch konkrete Beantwortung. Schon ein flüchtiger Blick beispielsweise auf die Verhältnisse in Deutschland in der Periode des Spätfeudalismus (16. —18. Jahrhundert) läßt vielfältige zeitliche und regionale Unterschiede deutlich werden. Ferner zeigt sich, welch große Bedeutung auch in diesen Zusammenhängen der jeweiligen Sozialstruktur der Gesamtbevölkerung, ihrer ökonomischen Lage und den engstensdamit verbundenen allgemeinen kulturellen Verhältnissen zukommt. I n den folgenden Ausführungen soll versucht werden, die angedeutete Grundfrage für die sorbische Volksdichtung im Spätfeudalismus zu klären. Daß es sich in dem hier verfügbaren Räume nur u m eine Problemskizze mit einigen Materialhinweisen handeln kann, sei vorab angemerkt. Unter dem Terminus „sorbische Bevölkerung im Spätfeudalismus" begreifen wir einmal die unter den spezifischen Bedingungen der feudalen Gutsherrschaft lebende dörflich-bäuerliche Bevölkerung und zum anderen die werktätigen sorbischen Schichten in den Lausitzer Städten. Einen Feudaladel sorbischer Nationalit ä t gibt es nicht; ebenso wenig kann in dieser Periode von einem sorbischen Bürgertum als einer selbständigen Gruppe und demzufolge von einer bürgerlichen Kultur die Rede sein. Der überwiegende Teil der städtischen sorbischen Bevölkerung gehört vielmehr zur besitzlosen Klasse, die als Gesinde und Lohnarbeiter ein kärgliches Dasein fristet. Dazu kommen besonders in den kleineren Landstädten, aber auch in den Vorstädten der größeren städtischen Siedlungen Bauern.
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Schließlich ist eine Gruppe von Handwerkern zu nennen, die zum größten Teil ebenfalls in den Vorstädten lebt, jedoch auch zu den weniger angesehenen Innungen Zutritt hat. Doch ist die Lage hier örtlich und zeitlich recht verschieden. In den Gutsdörfern 1 besteht ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung aus der Dorfarmut und den Häuslern. Die Masse der kleinen und mittleren Bauern befindet sich rechtlich im Status der Lassiteri, nur wenige Bauern, in der Regel Dorfschulze und Schankwirt, besitzen ihre Wirtschaft als Erblehn. Die Handwerker in den Gutsdörfern sind in die Häusler einzureihen. Erfreulicher ist das Bild der Sozialstruktur in den Ratsdörfern der Städte und in den Klosterdörfern. Hier kann im Spätfeudalismus eine ansehnliche Zahl von Bauern die feudalen Fesseln abschütteln und sich zu wohlhabenden Bauern entwickeln. Sie bilden mindestens im 18. Jahrhundert eine deutlich abgesetzte Gruppe innerhalb der Bauernschaft. Die sorbische Intelligenz jener Jahrhunderte besteht nahezu ausschließlich aus Dorfgeistlichen beider Konfessionen. Neben der allgemeinen sozialökonomischen Lage müssen wir für unsere Betrachtungen die ethnisch-sprachlichen Verhältnisse berücksichtigen; insbesondere ist der Entwicklungsstand der sorbisch-deutschen Zweisprachigkeit zu bestimmen. Dazu kann zusammenfassend festgestellt werden 2 : Die Auswertung älterer Reisebeschreibungen, vorliegender sprachstatistischer Materialien sowie neuer historisch-demographischer Untersuchungen zeigt, daß die Masse der dörflich-bäuerlichen Bevölkerung in den Kerngebieten des sorbischen ethnischen Territoriums noch bis etwa zum Ende des 18. Jahrhunderts einsprachig sorbisch ist. Nur einzelne besitzen daneben passive oder auch aktive Kenntnisse der deutschen Sprache. Auch die junkerlichen Offizianten müssen sich im Verkehr mit der dörflichen Bevölkerung der sorbischen Sprache bedienen, bei Gericht sind Dolmetscher notwendig. Erst mit der Ausbreitung des Schulwesens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nimmt auch die Kenntnis des Deutschen zu. Unter der sorbischen 1
Ich stütze mich hier im wesentlichen auf W. Boelcke, Bauer und Gutsherr in der Oberlausitz. Ein Beitrag zur Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsgeschichte. Bautzen 1957. — Hingewiesen sei ferner auf die bedeutsamen Einzeluntersuchungen des Historikerkreises des Institutes für sorbische Volksforschung bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften, die in der Mehrzahl im Letopis B [Jahresschrift des Inst. f. sorb. Volksforschung, Reihe B] der letzten Jahre veröffentlicht wurden. Alle diese Arbeiten hier im einzelnen aufzuführen, verbietet der verfügbare Raum. 2 An dieser Stelle besteht keine Möglichkeit, die Entwicklung zum Bilinguismus und ihre sozialökonomischen und gesellschaftlichen Hintergründe ausführlich darzustellen. Verwiesen sei auf P. Nedo, Dwurecnosc a towarinosc [Zweisprachigkeit und Gesellschaft]. Rozhlad 1958, 178 — 188; ders., Wo wuwicu dwurecnosce we Luiicy [Zur Entwicklung der Zweisprachigkeit in der Lausitz]. Rozhlad 1958, 219—226, 254—262. Reiches Material für solche Untersuchungen enthalten die sprachstatistischen Arbeiten E. Muckes: A. Muka, Statistika Serbow. Casopis Macicy Serbskeje 1880ff. — Eine beträchtliche Zahl historisch-demographischer Arbeiten hat in den letzten Jahren F. Metsk veröffentlicht; s. J. Mlynk, Sorbische Bibliographie 1945 — 1957. Bautzen 1959; dazu die bibliographischen Übersichten in den Jahrgängen des Letopis B seit 1958.
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Bevölkerung der Städte ist die Zweisprachigkeit weiter entwickelt, wobei das Sorbische als Haupt- und das Deutsche als aktive oder passive Nebensprache fungiert. Andererseits benützt auch ein großer Teil der deutschen städtischen Handwerker das Sorbische als Nebensprache, weil das für den Verkehr mit der dörflichen sorbischen Kundschaft unbedingt notwendig ist. Erst mit dem Übergang zum Kapitalismus im 19. Jahrhundert verbreitet sich auch im Dorf die Zweisprachigkeit rasch, jedoch einseitig unter der sorbischen Bevölkerung, woran die auf die Durchsetzung der deutschen Sprache hinwirkenden staatlichen und kirchlichen Institutionen maßgeblichen Anteil haben. Es leuchtet ein, daß diese komplizierten Sprachverhältnisse einen bedeutsamen Faktor in unserer Erörterung bilden. Versuchen wir nun, einen Überblick über die Entwicklung des sorbischen Schrifttums im Spätfeudalismus zu gewinnen. Das älteste erhaltene Schriftdenkmal in sorbischer Sprache ist ein Bürgereid aus Bautzen, „der Burger Eydt wendisch", der aller Wahrscheinlichkeit nach aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt 1 . Erst mit der Einführung der Reformation ergibt sich in den ethnischen Kerngebieten die Notwendigkeit, die wichtigsten Materialien für die Bedürfnisse der Geistlichen und deren Helfer ins Sorbische zu übertragen und schriftlich zu fixieren. Einige Geistliche beginnen daher, Luthers Katechismus, Kirchenlieder und Psalmen aus dem Deutschen ins Sorbische zu übersetzen. Davon zeugen die handschriftlich erhaltene niedersorbische Übersetzung des Neuen Testaments von Jakubica aus dem Jahre 1548 und der nach seinem Fundort benannte handschriftliche ,,Wolfenbütteler Psalter" aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts2. In diesen Übersetzungen wird jeweils der örtliche Dialekt benützt. Wir dürfen annehmen, daß diese ersten Materialien durch Abschriften verbreitet wurden. Im Jahre 1574 erscheint dann in der Druckerei von Wohlrab in Bautzen das erste in sorbischer Sprache gedruckte Buch, Magister Albin Mollers niedersorbischer Katechismus mit einem Anhang von Kirchenliedern. Moller bestimmt das Büchlein ausdrücklich für Pfarrer und deren Gehilfen. Wir dürfen es als einen ersten Versuch werten, eine Grundlage für die kirchlichen Unterweisungen und den Kirchengesang zu schaffen 3 . Dasselbe Ziel setzt sich Andreas Tharaeus mit Seinem im Jahre 1610 gedruckten „Enchiridion Vandalicum", das neben der Übersetzung des Katechismus ebenfalls Gebete, Psalmen „sampt fürhergehenden kurzen Unterricht, wie man recht Wendisch schreiben, lesen und aussprechen soll" enthält 4 . Das Vorwort vermittelt wertvolle Einblicke in die damaligen Verhältnisse: 1
M. Hörnik, Serbaka pfisaha, pomnik rece z tfeceje Stwürce 15. letstotka [Ein sorbischer Eid, ein Schriftdenkmal aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts]. Casopis Macicy Serbskeje 1875, 4 9 - 5 3 . 2 K. Jenö, Stawizny serbskeho pismowstwa [Geschichte des sorbischen Schrifttums]. Bd. 1, Bautzen 1954, 3 0 - 3 7 . 3 Ebenda 37. 4 Ebenda 41.
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„Nachdem aber in den Wendischen Dörfern die Cüstereien etwas geringe, dasz. man zu solchen Dienst nur Idioten vnd Handwercksleute, die sich dennoch kümmerlich erhalten mögen, annehmen vnd solchen Dienst mit jhnen bestellen musz, welche denn nichts mehr als lesen vnd schreiben können, wil geschweigen, dasz sie etwas ausz den Latein oder nur Deutschen, ins Wendische richtig vnd recht bringen solten, welches man wol sehen kan an etlichen Gesengen vnd Psalmen, die sie haben vbergesetzt: Hilf Gott, wie sind die von jhnen zerradebrecht, also dasz man auch darinnen keinen sensum finden kann" 1 . Der Dreißigjährige Krieg verhindert für Jahrzehnte die Weiterführung dieser ersten Ansätze eines sorbischen Schrifttums. In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts setzt sich dann Michael Frentzel (1628—1706), der Begründer der obersorbischen Schriftsprache, in hartnäckigen und opfervollen Bemühungen f ü r die Übersetzung und Drucklegung der wichtigsten kirchlichen Schriften in sorbischer Sprache ein, freilich mit nur sehr bescheidenem Erfolg 2 . Erst im Jahre 1706 erscheint das Neue Testament obersorbisch, die obersorbische Bibel 1728, während die niedersorbische Bibel noch weitere hundert Jahre auf sich warten läßt. Wir dürfen daher für das 17. Jahrhundert feststellen, daß nur wenige sorbische Druckwerke erscheinen, und zwar in Auflagen von höchstens 400—500 Exemplaren 3 . Allein aus der Auflagenhöhe ergibt sich, daß sie keine weite Verbreitung erreichen konnten, sondern lediglich für die kirchlichen Offizianten bestimmt waren. Soweit diese Bücher Materialien enthielten, die für den unmittelbaren Gebrauch der Gläubigen bestimmt waren, z. B. Kirchenlieder, so hatten die Küster als „Vorsinger" 4 die Aufgabe, diese Lieder der Gemeinde so lange vorzusingen, bis sie im Gedächtnis hafteten. Von einem bedeutsamen Einfluß dieser ersten kirchlichen Übersetzungsliteratur auf die Volksdichtung kann man wohl kaum sprechen, viel eher umgekehrt von einem negativen Einfluß auf die Volkssprache, denn diese Übersetzungen wimmeln von Germanismen aller Art. Im 18. Jahrhundert interessiert sich die aufklärerische Intelligenz der Lausitz mit ihrem Zentrum in Görlitz zunehmend auch für die Sorben. Die gelehrten Schriften der Zeit enthalten eine ansehnüche Reihe historischer, sprachwissenschaftlicher und mythologischer Studien über die Sorben in deutscher Sprache. Diese Arbeiten bleiben jedoch dem werktätigen Volke unbekannt und sind deshalb f ü r unseren Gesichtspunkt ohne Belang. Im Unterschied dazu gewinnt der Pietismus, der sich in der Lausitz von Herrnhut ausgehend zu einer religiösen Massenbewegung entwickelt, für die Verbreitung von Schrift und Schrifttum unter den Sorben entscheidende Bedeutung. I m Zusammenhang mit dieser Bewegung entsteht eine religiöse sorbische Literatur, die 1
Ebenda 43. K. Röseberg, Leben und Wirken von Michael Frentzel. Dresden 1930. — Jene a. a. O. 68-77. 3 Röseberg a. o. 0 . 73. 4 Vgl. J. Raupp, Sorbische Volksmusikanten und Musikinstrumente. Bautzen 1963, 69. 2
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bewußt für die Hand des Volkes geschaffen wird. Auch hier handelt es sich ausschließlich um Übersetzungen deutscher religiöser Schriften, zumeist Kirchenlieder, Gebetbücher und Erbauungsliteratur. Allein in der Oberlausitz erscheinen im 18. Jahrhundert mehr als 130 Titel sorbischer kirchlicher Literatur 1 . Die erheblich höheren Auflageziffern — 2000 und mehr — und die relativ rasch erscheinenden Nachauflagen erweisen zudem die große Beliebtheit und weite Verbreitung dieses Schrifttums. Anhand dieser Bücher und mit Hilfe wandernder Laienprediger lernen weite Kreise der dörflichen sorbischen Bevölkerung überhaupt erst lesen und überwinden damit wenigstens teilweise den Analphabetismus. Die pietistische Massenbewegung bringt gegen Ende des 18. und dann besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue spezifische Art sorbischen sprachlichen Laienschaffens hervor, das in Thematik und Stil an das pietistische Kirchenlied anknüpft und im wesentlichen bereits schriftgebunden erscheint 2 . Damit haben wir die Entwicklung und Massenwirksamkeit der sorbischen Literatur in der Periode vom 16. —18. Jahrhundert im Umriß abgesteckt. Eine weltliche sorbische Literatur gibt es in jener Zeit noch nicht. Erste Ansätze dazu können infolge der herrschenden Verhältnisse nicht gedruckt werden. Gelegenheitsdichtungen der Intelligenz, auf losen Blättern gedruckt, gelangen nicht ins Volk und wären auch nicht verstanden worden. Zeitungen und Zeitschriften in sorbischer Sprache erscheinen erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die Bedeutung des deutschen Schrifttums für die sorbische Bevölkerung müssen wir angesichts der bereits gekennzeichneten sozialökonomischen und sprachlichen Verhältnisse als äußerst gering einschätzen. Einzelne Funde zeugen zwar davon, daß die beliebten Kräuterbücher in vermutlich wenigen Stücken auch unter der sorbischen Bevölkerung bekannt waren. I n der sorbischen Volksdichtung taucht zuweilen der Name „koraktor" — aus dem deutschen „Charakter" — als Bezeichnung für Zauberbücher auf, die ebenfalls in einzelnen Stücken vorhanden gewesen sein dürften. I n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts interessieren sich die freien Bauern hier und da wohl auch schon für deutsch geschriebene ökonomische Traktate. Aber auch unter der deutschen werktätigen Bevölkerung der Lausitz müssen wir uns die Rolle des Buches als äußerst bescheiden vorstellen. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts stellt der aufklärerische Reiseschriftsteller •C. G. Schmidt für die Niederlausitz fest 3 : „In der gesamten Niederlausitz gibt es nicht eine einzige Buchhandlung, in einigen Städten bürgerliche Lesegesellschaften (Zirkel), in denen neue Literatur, wissenschaftliche Bücher oder Belletristik, oft aber auch nur oberflächliches und wertloses Zeug reihum gelesen wird". 1 F. Metsk, Stawoknejski absolutizm w MuzahowsJcej a 2,arowskej [Der standesherrliche Absolutismus in Muskau und Sorau], Letopis B 3 (1956), 25, 30. 2 P. Nedo, Bajkarlci, hercy a kantorki. Zawod do serbskeho ludoweho basnistwa [Märchen•erzählerinnen, Musikanten und Vorsängerinnen. Einführung in die sorbische Volksdichtung], Bautzen 1962, 39. 3 C. G. Schmidt, Briefe über die Niederlausitz. Wittenberg 1789, 179.
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Um einiges günstiger sind wohl die Verhältnisse in der Oberlausitz einzuschätzen. Immerhin wird deutlich, daß von einem maßgeblichen Einfluß der deutschen Literatur hier nicht gesprochen werden kann. Auf eine spezielle Erscheinungsform des gedruckten Wortes, auf das Flugblatt kommen wir noch zurück. Werfen wir jedoch zur Abrundung unseres Bildes zunächst noch einen Blick auf die Entwicklung des Volksschulwesens in der Lausitz im Spätfeudalismus. Soweit man das nach dem heutigen Stand unseres Wissens übersehen kann, gibt es im 17. Jahrhundert in den größeren Kirchdörfern im Zusammenhang mit den Bemühungen der Pfarrer um die Ausgestaltung des kirchlichen Lebens erste Ansätze eines Schulwesens. Doch dürfen wir diese Ansätze in ihrer Bedeutung nicht überschätzen. Es ging wohl im wesentlichen darum, einer Anzahl von Kindern für das Singen in der Kirche und zur Unterstützung des „Kantors" oder „Vorsingers" eine gewisse Zahl von Kirchenliedern beizubringen. Allein die Tatsache, daß nicht einmal das für den Gottesdienst notwendige Material gedruckt vorlag, von anderen Lehrmaterialien ganz zu schweigen, läßt ermessen, wie wenig diese „Schulen," deren älteste aus dem Bautzener Ratsdorf Großpostwitz bereits seit 1517 belegt ist 1 , zu erreichen vermochten. Man kann jedoch annehmen, daß eine kleine Zahl von Kindern wenigstens lesen lernte. I m Jahre 1671 erscheint von einem unbekannt gebliebenen Verfasser für das Niedersorbische ein „ABC-Büchlein" im Umfange von nur acht Druckseiten 2 , das wohl mehr als eine Anleitung für die „Lehrer" anzusehen ist. In den Städten ist die Lage im 17. Jahrhundert etwas günstiger einzuschätzen. Doch kommen für die Masse der sorbischen Kinder auf Grund ihrer sozialen Lage nur die „Winkelschulen" 3 in Frage. Aber auch ihre Wirksamkeit mußte äußerst bescheiden bleiben, solange nicht wenigstens der Lesestoff für die lernenden Kinder in sorbischer Sprache vorlag. Solches Material in Gestalt von Bibel, Katechismus und Gesangbuch aber gibt es, wie wir gesehen haben, erst im 18. Jahrhundert. Die Ausweitung des Winkelschulwesens im 18. Jahrhundert steht wohl auch mit diesem Sachverhalt in ursächlichem Zusammenhang. Auf dem Lande dürfen wir in dieser Zeit mit einer allmählichen Verbesserung der „Kirchschulen" rechnen. Einige Vertreter des Oberlausitzer Adels versuchen, kleine private Lehrerbildungsanstalten ins Leben zu rufen, doch ist diesen Gründungen jeweils nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Wie es in den kleineren sorbischen Dörfern noch immer bestellt ist, davon zeugt u. a. die in diesen Jahren in den gelehrten Zeitschriften immer nachdrücklicher erhobene Forderung nach durchgreifender Verbesserung des Landschulwesens, die in dem allgemeinen Ruf nach einer ordentlichen Lehrerbildung gipfelt 4 . Ein anschauliches Bild von den Verhältnissen gegen Ende des 1
J. Krawc, Macizny h stawiznam Budysheko wobmesta a radzinych wsow wot zapocatka hac t. mj. „Pönfalla" 1547 [Materialien zur Geschichte des Bautzener Weichbildes und der Ratsdörfer vom Beginn bis zum sogenannten „Pönfall" 1547], Letopis B 6 (1959), 363. 2 M. Reuther, Beiträge zur Geschichte des deutschen und sorbischen Elementarschulwesens der Stadt Bautzen bis zum Jahre 1873. Letopis B 1 (1953), 121 — 153. 3 Jene a. o. O. 69/70. 4 Vgl.u.a. Sohr, Über die Erziehung des Landvolkes in der Oberlausitz. Laus. Magazin 1781.
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18. Jahrhunderts vermitteln uns wiederum die Reiseschriftsteller. So schreibt C. G. Schmidt im Jahre 1787 aus der Oberlausitz 1 : „Ich weisz Dörfer — und Sie können mirs als gewisse Wahrheit nachsagen —, die jetzt den ersten ordentlichen Schulmeister haben, da vorher dieses unwichtige Amt gemeiniglich der Schweinehirte, und zwar nur in einigen Wintermonaten, bekleidete... Auch noch jetzt helfen die angestellten Schulmeister so viel als nichts ... denn 3 Viertel des Jahres kommen die Kinder nicht zur Schule . . . " Aber auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts finden wir als „Lehrer" in den kleineren Gutsdörfern Schuster, Schneider und Schäfer, die das Schulamt sozusagen nebenberuflich versehen, weil es nicht genug abwirft, um einen ordentlichen Lehrer zu erhalten. Ähnlich vernichtend urteilt derselbe Schmidt im Jahre 1789 über die Verhältnisse in der Niederlausitz 2 : „... Von der elenden Beschaffenheit der meisten Landschulen, wovon ich bei einigen Augenzeuge gewesen bin, sage ich nichts: die Sache liegt zu sehr am Tage, und die Notwendigkeit der Reformation derselben leuchtet zu allgemein ein, als dasz sie ein redlicher Niederlausitzer bei sich für überflüssig halten sollte.'' Wir müssen uns hier mit dieser die Sachverhalte lediglich andeutenden Darstellung begnügen. Doch lassen sich bereits aus diesen wenigen Tatsachen eindeutige Schlußfolgerungen ableiten. Demnach lebt die Masse der sorbischen Bevölkerung noch im 17. Jahrhundert ohne Schrift und Buch. Erst im 18. Jahrhundert erreicht die Lesefertigkeit größere Verbreitung, doch bilden auch in diesem Zeitraum Bibel, Gesangbuch, Katechismus und religiöses Erbauungsbuch das einzige Schrifttum im Haus. Eine sorbische weltliche Literatur gibt es noch nicht, und deutsches Schrifttum ist auf Grund der sozialen und sprachlicheu Verhältnisse nur wenigen zugänglich. Die sorbische Volksdichtung jener Periode darf daher in bezug auf die sprachliche Gestaltung als weithin eigenständige schöpferische Leistung der dörflichbäuerlichen und der städtischen werktätigen sorbischen Bevölkerung angesehen werden. Ferner: Es handelt sich in Entstehung und Verbreitung um zumeist schriftloses, also mündliches Schaffen. Erst aus dem 18. Jahrhundert besitzen wir einzelne Belege von Aufzeichnungen. Doch sind das vorwiegend Liederbücher von Volksmusikanten, denen vor allem an der Fixierung der Melodien gelegen war, während für die Texte nur die Anfänge verzeichnet sind, und das zumeist in einer höchst unzulänglichen Schreibweise 3 . Aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich auch einige wenige Beispiele einer schriftlichen Verbreitung von sorbischen Liedern nachweisen 4 . 1
C. G. Schmidt, Briefe über Herrnhut. 1787, 176. C. G. Schmidt, Briefe über die Niederlausitz, a. a. O., 98. 3 M. Hörnik, Huslefskaj spewnikaj Mihi. Krala a N. N. Pana [Die Geigennotenbücher von M. Kral und N. N. Pan]. Öasopis Macicy Serbskeje 1887, S. 134. — Ferner J. Raupp, Das Krahlsche Oeigenspielbuch als deutsche Volksliedquelle. Letopis C 5 (1962) 128 — 137. 4 So wissen wir beispielsweise, daß das noch heute beliebte Lied von der „Vogelhochzeit'' — 2
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Aus dieser Spezifik dürfte andererseits auch zu erklären sein, warum z. B. im .sorbischen Schwankrepertoire gerade jene sehr bekannten Sujets fehlen, die den deutschen Schwankbüchern des 16. Jahrhunderts ihre weite Verbreitung verdanken. Ebenso erklärt sich wohl daraus die sehr spärliche sorbische Überlieferung von Novellen- und Legendenmärchen1 wie das Fehlen eines Großteils jener Sprichwörter, die nachweislich aus der Literatur stammen. Auch die Übernahme von sprachlichem Volksgut aus dem Deutschen und dem Tschechischen — neben der deutschen kommt der tschechischen Überlieferung besondere Bedeutung zu, weil die Lausitz über mehrere Jahrhunderte hin zur Krone Böhmen gehörte, woraus sich enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen entwickelten — dürfte in der Regel mündlich erfolgt sein. Das gilt ohne Zweifel in vollem Ausmaß für die erzählenden Gattungen. Differenzierter hegen die Dinge augenscheinlich im Bereich der Ballade. Die in den Volksliedsammlungen überlieferten sorbischen Balladen gehören, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu international verbreiteten Sujets. Dabei .spielt offensichtlich die deutsche Balladenüberlieferung eine entscheidende Rolle, was ja angesichts der ethnischen Situation der sorbischen Bevölkerung völlig natürlich erscheint. Vergleicht man nun die sorbischen Varianten mit entsprechenden deutschen Fassungen, so ergibt sich, daß es sich nur in wenigen Fällen um unmittelbare Übersetzungen handelt 2 . Allgemein ist vielmehr festzustellen, daß hier selbständige Umdichtungen vorliegen, und zwar von Bearbeitern, die mit den Stilmitteln der sorbischen Volksdichtung gut vertraut waren. Ferner erkennen wir die Tendenz, die Balladenstoffe aus ihrem oftmals feudalen Milieu zu lösen und Schritt um Schritt in die soziale Wirklichkeit des dörflich-bäuerlichen Bereiches einzuschmelzen. Dieser Prozeß zeigt sich in den niedersorbischen Fassungen deutlicher als in den obersorbischen, was allerdings andererseits in den niedersorbischen Sujets zu weitgehenden Deformierungen, Kontaminationen und Entstellungen geführt hat. Haupt/Schmaler, Volkslieder der Sorben in der Ober- und Niederlausitz. Grimma 1841/43, ^Anast. Neudruck Berlin 1953), Bd. 1, 256 Nr. 273 — von dem Hochzeitsbitter M. Wicaz gedichtet wurde, der es auch als Flugblatt drucken ließ. Vgl. M. Hörnik in Lulica 1883, 4 ff. Von da ging es in den Volksmund über und wurde besonders gern auf Hochzeiten gesungen. Ein weiteres Beispiel: Die legendenhafte Ballade von der „Kommandantentochter von Grosswardein" wurde nach einem deutschen Flugblatt ins Sorbische übersetzt und durch ein sorbisches Flugblatt verbreitet, von wo sie — z.T. über Abschriften — in die mündliche Überlieferung einging. Vgl. Haupt/Schmaler, Volkslieder I, 290 Nr. 293 und M. Hörnik in •Casopis Macicy Serbskeje 1881, 113 — 116. Doch sind das Beispiele, die die Ausnahme bezeugen, nicht die Regel. 1
Vgl. P. Nedo, Sorbische Volksmärchen. Systematische Quellenausgabe mit Einführung und Anmerkungen. Bautzen 1956, 321—329, 330—346. 2 Eine solche Übersetzung liegt n. m. A. in der sorbischen Variante der Ballade von „Ritter und Magd" vor. Vgl. Haupt/Schmaler, Volkslieder I, 159 Nr. 136 und J. Meier, Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, Bd. 3, Balladen (1954), 1—65 Nr. 55 (Ritter und Magd).
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Aus diesem Sachverhalt ergibt sich unwillkürlich die Frage, wie wohl diese Umdichtungen entstanden sind und wer als Bearbeiter anzusehen ist. Auf diese Fragen vermag die Folkloristik bisher keine exakt gegründeten Antworten zu geben. Doch werden wir nicht fehl gehen in der Annahme, daß als Vorlagen für die sorbischen Umdichtungen — neben Übertragungen aus dem Gedächtnis — in vielen Fällen deutsche Flugblätter anzusetzen sind, die ja an der Verbreitung des Balladengutes erheblichen Anteil haben. Offenbar waren dafür die Städte wichtige Umschlagplätze. Wie nun solche Umdichtungen selbst entstanden sind, das läßt sich im einzelnen heute schwerlich mehr nachweisen. Auf Grund der Verhältnisse darf man annehmen, daß. die meisten Stoffe mündlich übertragen und auch mündlich verbreitet wurden. Wir besitzen jedoch auch einige Balladen von bedeutender Länge. So weist das Lied ,,Liebestod'' 1 , ebenfalls ein Wandersuj et, 75 Strophen auf. Schmaler erhielt den Text aus der mündlichen Überlieferung. Es erscheint mir jedoch wenig wahrscheinlich, daß ein so umfänglicher Text entstand, angeeignet und verbreitet wurde ohne jede Unterstützung durch schriftliche Fixierung. Bei der Frage nach den „Bearbeitern" sorbischer Umdichtungen könnte man zunächst an eine aktive Beteiligung der Intelligenz, in unserem Falle also der sorbischen Geistlichen denken. Aber eine solche Vermutung erweist sich bei näherem Zusehen als abwegig. I n den sorbischen Volksliedsammlungen findet sich eine kleine Gruppe von Liedern, die offensichtlich oder sogar nachweislich von Geistlichen stammen 2 . Diese Lieder mit ihrem frömmelnden Inhalt und ihrem der Volksdichtung fremden, am Kirchenlied orientierten schwülstigen Stil bilden in den Sammlungen deutlich erkennbare Fremdkörper. I n der Gruppe der Geistlichen sind demnach die Schöpfer der sorbischen Balladen schwerlich zu suchen, obwohl natürlich auch hier Ausnahmen möglich erscheinen. I m allgemeinen jedoch müssen wir die Schöpfer der Balladen hier in den besonders talentierten Persönlichkeiten aus dem werktätigen Volke selbst suchen, die ja unter den sorbischen Verhältnissen überhaupt als Schöpfer und aktive Träger der Volksdichtung gelten dürfen. Das sind in erster Linie die Volksmusikanten, die wandernden wie auch die seßhaften. Auch J . Horäk mißt, von den in vieler Beziehung ähnlich gelagerten slowakischen Verhältnissen ausgehend, den wandernden Sängern, Studenten-Vaganten, fahrenden Musikanten und Gauklern entscheidende Bedeutung für die Verbreitung der Balladenstoffe von Volk zu Volk zu 3 . Zur Rolle und gesellschaftlichen Funktion der Volksmusikanten in der Lausitz im Mittel1
Haupt/Schmaler, Volkslieder I, 82 Nr. 50. Die übrigen sorbischen Fassungen dieser Ballade sind erheblich kürzer: Haupt/Schmaler, Volkslieder II, 52 Nr. 51 mit 15 Strophen, Markus in Casopis Macicy Serbskeje 1881, 48 Nr. 64 mit 14 Strophen und Muka ebenda 1883, 10 Nr. 12 mit 22 Strophen. Eine Ursache für die Kürzungen dürfte doch wohl auch darin zu suchen sein, daß der Volksmund einen so umfänglichen Text nicht zu bewahren vermochte. 2 Vgl. z. B. Haupt/Schmaler, Volkslieder I, 259 Nr. 274; 262 Nr. 276. Das letztere stammt nachweislich von dem katholischen Geistlichen M. J. Walde (1721 — 1794), der auch als Herausgeber des katholischen sorbischen Gesangbuches bekannt geworden ist. 3 J. Horak, Slovenske l'udove balady. Bratislava 1956, 13. 19
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alter und im Spätfeudalismus hat unlängst J . Raupp viel neues, aufschlußreiches Material beigebracht 1 , das uns in unserer Annahme sehr bestärkt. An zweiter Stelle muß auf die „Vorsinger", „Kantoren" und „Schulmeister" hingewiesen werden, die ja oft ebenfalls Funktionen der Musikanten wahrzunehmen hatten. Wir müssen uns hier mit diesen Bemerkungen und Hinweisen begnügen. Aber sie machen wohl deutlich, daß Untersuchungen solcher Art geeignet sind, das Verhältnis von Literatur und Volksdichtung exakter zu klären. Wir sind uns jedoch auch der Tatsache bewußt, daß im vorliegenden Falle der kleine, relativ gut überschaubare Raum mit seinem spezifischen sozialen und ethnischen Gefüge zusammen mit der extrem einseitigen Entwicklung der sorbischen Literatur in jener Periode solche Untersuchungen sehr erleichtern. 1 J. Raupp, Sorbische Volksmusikanten und Musikinstrumente. Bautzen 1963, besonders S. 5 0 - 1 2 3 .
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Ein ungarisches Lehnwort in Byzanz im 10. Jahrhundert*
Das Werk, ,De Cerimoniis aulae Byzantinae" des Konstantinos Porphyrogennetos (ed. Reiske I, 466 4 if.) enthält folgende Stelle: „Xourpov Toüpxixov, ijyouv Sxuihxòv T^spyà, ¡i.sfà xovaTépvT)? Sep^a-riv*]? arcò à8(j.iou' xouxoóp.ia T p i j j . e T p a ì a iß' - 7rupojj.à^t,a Xóycp TOÜ XouTpou iß' - ßiaaXa ei? TO xajxivtov, xpaßßaxia AUTITSXTA- èxxXvjaiaV ßaaiXwajv [jLsxà iepwv." In lateinischer Übersetzung : „(Debet porro mensurator quoque secum ferre) balneum Turcicum aut Scythicum tzerga cum cisterna scortea ex ademio [seu cono parthico vel corduano rubro] ; cucumas seu lebetes aeneos duodecim, singulos ternas mensuras capientes, pyromachia [forte batillos gestatiles ansatos pro prunis ardentibus condendis] duodecim in usum balnei; lateres pro camino; grabbatia complicatilia, ecclesiam imperialem seu oratorium portatile cum imaginibus ceteroque sacro eius apparatu". Der Text besagt also, daß der Mensurator auf die Reise des Kaisers ein T^epya genanntes türkisches oder skythisches Bad mit sich nimmt, zu dem ein lederner Wasserbehälter und eine Vorrichtung für Warmwasserbereitung gehören. 1 Das Wort Toópxtxov heißt wohl 'ungarisch', es handelt sich also um ein ungarisches Bad, und es taucht natürlich der Gedanke auf, ob nicht auch der Name des Bades, T^spya, ungarischer Herkunft ist. Auch wenn man dem Worte üxu&ixov eine besondere Bedeutung beimißt — was kaum nötig ist — so wird dadurch die Gültigkeit meiner Vermutung nicht wesentlich beeinträchtigt. T^epya ist im Byzantinischen tatsächlich ein altungarisches Lehnwort, dessen Entsprechungen im Ung, heute csorgó ~ csurgó, im Altertum csergou ~ csirgou usw. lauten (es — c). Die wichtigsten Bedeutungen des Wortes sind: 'rinnend, träufend, fließend; Bächlein; Quelle, aus der das Wasser durch eine Art Rinne herausfließt ; Rinne, die man zur Öffnung einer Quelle legt, durch die das Wasser herabrinnt; „tubus, K a n a l " ; eine Quelle, aus der das Wasser von einer kleinen Höhe herabfällt; Traufe; kleiner Wasserfall'. S. Gombocz-Melich, Etym. Wb. * Durch das freundliche Entgegenkommen meiner Mitarbeiter vom Sprachwissenschaftlichen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Èva Sai und Vilmos Parkas war ich in der Lage, das bibliographische Material des in Vorbereitung befindlichen Wörterbuches der uralischen Elemente der ungarischen Sprache (Leitung: Prof. Gy. Lakó) und des neuen etymologischen Wörterbuches der ungarischen Sprache (Leitung: Prof. L. Benkó) zu benutzen. 1 Die Auslegungen des Textes (durch G. Fehér, M. Gyóni und J . Baläzs) werde ich weiter unten anführen.
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s. v. csordul und csurom, Nyr XIV, 287. Das Erklärende Wb. d. ung. Sprache [A magyar myelv ertelmezö szötära, 1959] gibt auch die Bedeutung 'ein Behälter, aus dem etwas ausrinnt' (Faß, Kochtopf) und im ungarischen Altertum gibt es auch einen Ausdruck Gzyorgo medencze 'Gutturniii aquarium* (iorgö medence; medencze 'malluuium, peluis', B. Szikszai Fabricius, Nomenclatura, 1590, 195), „rinnendes Becken", das eine Waschvorrichtung bezeichnet. Das griechische r^epya geht m. E. auf dieses Wort zurück und bedeutet eine Waschvorrichtung, bei der das Wasser in einem Lederschlauch in der Höhe steht und am unteren Teile des Schlauches eine, mit Abschlußhahn versehene Tube angebracht ist. Der sich waschen will, steht vor oder unter dem H a h n . Es ist also kein gewöhnliches Bad, es ist eine spezielle Vorrichtung, mit deren Hilfe man sich mit dem von oben herabfließenden Wasser abwaschen kann. Eine ähnliche Waschvorrichtung mit einem metallenen Wasserbehälter, der in Kopfeshöhe gewöhnlich an der Wand befestigt ist und unter dem H a h n in Lendenhöhe eine Abflußvorrichtung hat, ist auch heutzutage sehr verbreitet. Das Wort csorgö — T^epy« ist eine Ableitung des ungarischen Zeitwortes csorog ~ csurog < cso(u)rg- 'rinnen, rieseln'; das Wort ist lautnachahmender Herkunft, höchstwahrscheinlich aus der uralischen Zeit, worüber vieles geschrieben worden ist 1 ; es gibt im Ungarischen auch csor(r), csur: egy csorr ecet 'ein bißchen Essig', csurig {-ig 'bis') 'übervoll', csurviz (viz 'Wasser') 'durch und durch naß', csuromviz 'id'. Das sind nominale Ableitungen, aber vermutlich nicht immer regelrechter Art. Dann gibt es csor-dul 'rinnen', ein Zeitwort mit inchoativer Bedeutung, eine momentane Form csurran- und eine Menge anderer Ableitungen. Von diesen will ich das Wort csurika 'Bad', csurikäl- 'baden' hervorheben (Gombocz-Melich, E t y m . Wb.). Auffallend, aber höchst regelrecht ist der Vokal e in der ersten Silbe des griechischen Wortes. E s gibt einen ungarischen Stadt- bzw. Festungsnamen, Csurgö im Komitat Somogy, im südlichen Transdanubien; der Name ist mit unserem csurgö identisch, seine ursprüngliche Bedeutung ist 'Fluß, Bächlein'; „wir haben mehrere solche Bach- und Ortsnamen" schreibt Josef Mikos in MNy 31, 165—166. Der älteste Beleg f ü r diesen Namen ist Chergou (1193; Mikos a. a. O.) und bei Csanki, in Magyarorsz&g törtenelmi földrajza [Historische Geographie Ungarns] (II, 572, 577) finden wir außer diesem Beleg noch die folgenden Formen: Curgou (1226), Zergou, Zergo (1360), Chergo (1367), Zorgo .(1371), Chorgo (1377), Chorgow (1405), Chorgo, Chwrgo (1431). Der Ortsname Csurgö im Komitat Fej6r heißt Chyrgov (1236; lies cirgou), Chorgo (1430, 1484), s. Csanki, op. cit. I I I , 323. — Das Grundwort csor- ~ csur- hat den Vokal o ( ~ w ) und der Vokal o wechselt in ähnlicher Lage oft mit dem Vokal e. Die ältesten Formen des ungarischen Stammes1 Munkacsi, Ethn. IV, 287; Wichmann, F U F 11, 196; Collinder, Indo-uralisches Sprachgut 74; Paasonen, Beiträge 143; Szinnyei, NyH. 7 , 148; Jensen, Indogerm. und Ur., HirtFestschr. II, 177; O. Donner, YglWb. I, 186; Joki, F U F A 32, 45; Bärczi, A magyar szokincs eredete2 [Herkunft des ungarischen Wortschatzes], 23; Bärczi, Hangtörtenet2 [Lautgeschichte], 105.
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Ein ungarisches Lehnwort in Byzanz im 10. Jahrhundert
namens Gyarmat sind: in den ungarischen Quellen Oormot, Qurmot, Oermath und Konstantinos Porphyrogennetos gibt die Form ysp^a-rou, also eine Form mit e, wie in T^epya. Vgl. Bärczi, Hangtört.2, 104—106. Den Beleg im De Cerimoniis las ein des Ungarischen unkundiger Byzantiner als dzeryä (M. Gyöni, A magyar nyelv görög feljegyzeses szörvdnyemUkei
[Die Streu-
denkmäler der ungarischen Sprache in griechischer Aufzeichnung], 1943, 133). Was die Endung der Form T^epya betrifft, so ist zu bedenken, daß sie nicht die Endung eines aufgezeichneten ungarischen Wortes ist; -r^spya ist eine dem byzantinischen Formensystem angepaßte Nominativform, einer ungarischen Form entsprungen, die die Byzantiner — als ungarisches Wort — wohl als T^spya/ aufgezeichnet hätten. Ungarischen Wörtern mit auslautendem wird keine byzantinische Nominativendung angehängt, s. Moravcsik, N y K 50, 291, Gyöni, op. cit., 41. Die Wortform -c^epya tritt auch im 15. Jahrhundert auf (Moravcsik, Byzantinoturcica, s. v. t^epya) bei dem Chroniker des Kaiserreichs von Trapezunt, Michael Panaretos (IlavapsTot;). In der Ausgabe von Chachanov (s. Moravcsik, a. a. 0.) 3, Kap. 6 lesen wir: "HpTra^ev o IIapia(j.Y)? -ra? T^epya? sisi, crwxe- . . ." S. 23: ,,. . . 1316 EaftpaM-6er PAARPAÖHJI CKOTHHH H B O P " . Dazu Chachanovs Anmerkung: „ T z e r g a OT TypeijKoro XS^-t. e. nepzu, HTO 3HaiHT jiepeBHHHue ßapaKH, CKOTHHH A B O P "
(Ibid.: „Bpocce
nepeBOAHT:
'Parianes enleva Tzerga'").
Dieses Wort ist völlig unverständlich und es hängt gewiß nicht mit dem T^spya des Kaisers Konstantin zusammen. Noch einen merkwürdigen Umstand will ich hier zur Sprache bringen, und zwar den, daß es im Altaisch-Türkischen und Osmanischen Wörter gibt, die mit dem behandelten ungarischen Worte auffallend übereinstimmen. Das sind (nach Radloff): alt. tel. coryo 'die Röhre zum Destillieren des Milchbranntweins, der Hahn am Samowar', alt. coryoq 'Trichter', coryul- 'durch den Trichter gießen', leb. corlo- 'tröpfeln', corloq 'Tropfen', osm. cortan 'Wasserrohre, -rinne' (vgl. cortun), cortu 'Trichter, durch den der Weizen in der Mühle auf die Mühlsteine geschüttet wird'. Das sind ursprünglich lautmahlende Wörter, die mit dem ungarischen csorgö ~ csergö in keinem geschichtlichen Zusammenhange stehen. Auch bei der Erklärung des byzantinischen x^spya kann man nicht an diese Wörter denken, denn — abgesehen von anderen Schwierigkeiten — ist T^spya nach Konstantin ein ungarisches Wort und zeigt das ungarische e in der ersten Silbe. Eine kulturgeschichtliche Monographie über die Waschung und ihre Vorrichtungen, oder eine über die Körperpflege bei den Nomaden Osteuropas und Mittelasiens kenne ich nicht. Die zerstreuten Angaben der Reisebeschreibungen und anderer Quellen sind nicht gesammelt. Eine große hygienische Kultur gab es bei diesen Völkern nicht. (Vgl. z. B. Togan, Ihn Fadlän 131; Pallas, ReisePrRR I I , 455; Almasy, Vdndorutam Azsia szivebe [Meine Wanderung nach dem Herzen Asiens], 200, 232). Der Gebrauch des „csurgö" war wohl eine Sitte der vornehmen Ungarn und von diesen haben es die Byzantiner übernommen. Die ungarischen Archäologen haben schon früh die kulturgeschichtliche Bedeutung des „ungarischen Bades" hervorgehoben und seine Beschaffenheit zu erklären gesucht.
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J. Nemeth
Der begeisterte Erforscher der ungarisch-turkobulgarischen Kultur, Geza Feher, schreibt in seinem Werke A bolgdr-törökök szerepe is müveltsige [Rolle und Kultur der Turco-Bulgaren], 1940, 100: „Der Ordner des Lagers war verpflichtet, für den Kaiser ein ungarisches, d. h. skythisches B a d mitzubringen, das ,,cserge", mit einer ledernen Wanne. Dadurch wird gesagt, daß die Ungarn eine Art Lagerbad hatten, das die Byzantiner so brauchbar fanden, daß sie es in Kriegszügen für den Kaiser mitgebracht haben." Dasselbe sagt Gyula Läszlö im Werke A honfoglalo magyar nip elete [Das Leben des ungarischen Volkes der Landnahmezeit] 1944, 438 und f ü g t hinzu: „Das ist also ein Badezelt mit Badewanne. E s war wohl den skythischen Bädern ähnlich, die im großen und ganzen nach der Art des finnischen sauna hergerichtet waren. Sie haben sich im Dampfe des Wassers, das sie auf heiße Steine gegossen haben und dann in eisigem Wasser gereinigt." Matthias Gyöni (op. cit., 133) spricht auch von einer „ledernen, mit Wasserbehälter versehenen Badevorrichtung". Laut Text war — wie schon gesagt — der W a s s e r b e h ä l t e r aus Leder. 1 Die kulturgeschichtliche Bedeutung des „ungarischen Bades" gehört in einen anderen Zusammenhang, was aber die sachlichen Ergänzungen betrifft, so sind sie von meinen erwähnten Kollegen mit ziemlich freier Phantasie geschaffen. Es handelt sich einfach u m die Vorrichtung, die ich oben beschrieben habe. Die Forschung h a t — wie schon aus dem Obigen hervorgeht — die Erklärung von T^epya bisher auf anderen Wegen gesucht. Es gibt nämlich ein ähnlich lautendes und allgemein bekanntes osmanisches W o r t : öerge 'großes Zelt, kleines Zelt', das auch in den osteuropäischen Sprachen in den Formen öerge, cerga und in Bedeutungen 'Zelt; eine zottige Decke, Kotzen' allgemein verbreitet ist. Nun h a t man ohne weiteres angenommen, daß es sich in der angeführten Stelle des „De Cerimoniis" um ein Badezelt handelt. Das ist eine willkürliche Konstruktion; das Wort T^spY«* 'ungarisches Bad' h a t mit dem Worte unbekannter H e r k u n f t öerge, cerga 'Kotzen, Decke, Zelt' nichts zu schaffen. Gewisse Fragen der Geschichte des letzteren Wortes möchte ich an anderer Stelle erörtern. 1
Ich habe auch meinen Freund J. Balazs befragt; er übersetzt: „ein türkisches Bad mit einem Wasserbehälter aus parthischem Leder".
EMIL ÖHMANN
Hyperkorrekter Umlaut im Deutschen
Auf einen schon früher in einem weiteren Zusammenhang vorgetragenen Gedanken sei mir gestattet auf Grund eines umfangreicheren Materials nochmals zurückzugreifen. Bei der Behandlung verschiedenartiger hyperkorrekter Erscheinungen habe ich (Über hyperkorrekte Lautformen [Annales Academiae Scientiarum Fennicae B N : o 123,1; 1960] S. 76f.) u. a. die österreichischen Formen ämtlich f ü r amtlich, beanständen für beanstanden, stichhältig f ü r stichhältig als hyperkorrekte Bildungen zu erklären versucht. Wenn wir in der Lautentwicklung einer Sprachschicht neben der normalen Entwicklung eine entgegengesetzte gleichzeitig beobachten können, liegt die Annahme hyperkorrekter Lautformen nahe, falls auch die sonstigen Umstände diese Annahme zu stützen geeignet sind. Und in Österreich, besonders in Wien, das f ü r die österreichische Umgangssprache seit eh und je von eminenter Bedeutung gewesen ist, waren sie f ü r die Entstehung hyperkorrekter Bildungen zweifelsohne günstig. Die Voraussetzung f ü r die Erklärung der oben genannten Formen aus hyperkorrekter Lautentwicklung ist die bekannte Zurückhaltung des Süddeutschen und besonders des österreichischen dem Umlaut gegenüber. Wenn nun gerade hier in gewissen Fällen das gewöhnliche Maß des Umlauts trotzdem überschritten wird, muß man mit der Möglichkeit hyperkorrekter Lautformen ernstlich rechnen. Über die Schicksale des Umlautes von a im Österreichischen — und davon ist hier die Rede — sind wir durch zuverlässige Quellen gut unterrichtet. Von der ganzen Geschichte dieser Erscheinung, die von E. Kranzmayer (Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes; 1956) eingehend dargestellt worden ist, interessiert uns in diesem Zusammenhang die letzte, neuhochdeutsche Phase. I n den österreichischen Mundarten gilt heute f ü r den aus mhd. & und OB hervorgegangenen e-Laut der Hochsprache gewöhnlich helles a (vgl. M. Hornung — F . Roitinger, Unsere Mundarten [1950] S. 26). F ü r dieses a t r i t t aber in Wien ,,in manchen W ö r t e r n " (ibid.) q ein; so heißt hier z. B. der Plural von 'Tag' Deck anstatt des ursprünglichen österreichischen Dag mit einem auf analogischem Umlaut beruhenden hellen a. I n der Hauptsache gilt aber (nach H . Schikola, Schriftdeutsch und Wienerisch [1954] S. 16) in Wien f ü r mhd. & und ce immer noch helles a. So stark war die Stellung dieses hellen a-Lautes, daß man (nach Kranzmayer, Hist. Lautgeographie, S. 25 § 2k) in Österreich und Bayern ,,in der deutschen Lesesprache geschriebenes ä als den mundartlichen a - L a u t " las. E r s t u m
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Emil Öhmann
1820 soll „nach der strengen Regel" die Aussprache als offenes £ üblich geworden sein. Geschrieben wurde bekanntlich hier — gewöhnlich sogar in frühneuhochdeutscher Zeit — &. Dadurch ergaben sich gelegentlich Doppelformen, von denen die eine das mundartliche a, die andere das hochsprachliche § hatte, wie z. B . mächtig gegenüber machti. Die Spannung zwischen dem hochsprachlichen e-Laut und dem österreichisch wienerischen a-Laut ist der Hintergrund, gegen den wir die österreichischen Formen mit gesprochenem §-Laut und mit geschriebenem ä gegenüber den schriftsprachlichen mit a zu betrachten haben. Der Österreicher wußte, daß er die Neigung hatte, für das hochsprachliche e ein unerlaubtes, als mundartlich oder vulgär geltendes a zu sprechen. Das wollte er natürlich vermeiden, und zwar besonders im Verkehr mit den Behörden und mit „feinen Leuten". Und das verleitete ihn gelegentlich dazu, ein falsches, hyperkorrektes e sogar in Fällen zu sprechen, wo die Hochsprache ein a hatte, oder jedenfalls ein ä zu schreiben, obgleich erimmer noch sein altes a weitersprach. Außer den oben angeführten gibt es noch eine Reihe von österreichischen Formen mit „unberechtigtem Umlaut", die ich ebenfalls als hyperkorrekte Bildungen erklären möchte. E s sei zunächst der zahlreichen österreichischen Adjektive auf -färbig gedacht. Vor kurzem — im Sommer 1963 — hatte ich die Gelegenheit, mit eigenen Augen in Wiener Werbeschriften die Form echtfärbig festzustellen, anstatt deren die regelrechte Hochsprache echtfärbig verlangt. Die weiteren Beispiele entnehme ich dem Österreichischen Wörterbuch (4. Aufl.). Neben echtfärbig wird (Österreich. Wb. S. 48 s. v. echt) u. a. einfärbig (S. 50 s. v.) angeführt; neben diesen Formen werden allerdings auch die unumgelauteten Formen, und zwar in Klammern daneben, erwähnt. — Als Stichwörter verzeichnet das österreichische Wörterbuch (S. 62 s. v. Farbband) sowohl farbig 'eine farbige (lebendige) Darstellung' als auch färbig 'ein färbiges Kopftuch'; als zweites Kompositionsglied wird an erster Stelle -farbig erwähnt, in Klammern daneben -färbig. Die deutsche Schriftsprache läßt in allen diesen Fällen (nach Duden) nur farbig zu. Von dem geltenden hochsprachlichen deutschen Usus weicht ferner grädig ab, das das Österreichische Wörterbuch neben gradig gelten läßt. Daß für hochgradiges Fieber nur die Form mit a (S. 80 s. v. -gradig) erwähnt wird, hängt wohl mit dem fachlichen Charakter dieses mehr oder weniger medizinischen Wortes zusammen. In den österreichischen Mundarten hat gradig, wenn in ihnen überhaupt vorhanden, das a beibehalten, wie Herr Kollege Kranzmayer aus seiner eminenten Kenntnis des österreichischen Sprachgebrauchs mir freundlich mitteilt; hier wird die Ursache eine andere sein, und zwar daß in ihnen die hyperkorrekte Form sich weder spontan entwickelt noch als Import aus der österreichischen Hochsprache Fuß gefaßt hat. Auch die Adjektive auf -hältig sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Allerdings ist bei ihnen die Lage weniger durchsichtig als bei den oben erwähnten Bildungen: nicht nur in der österreichischen, sondern auch in der deutschen Hochund Umgangssprache läßt sich Schwanken zwischen -haltig und hältig feststellen.
Hyperkorrekter Umlaut im Deutschen
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Jedenfalls ist die Vorliebe für -hältig weit stärker auf österreichischem als auf deutschem Boden. So kommen im österreichischen nach den Angaben des österreichischen Wörterbuchs neben dem ausschließlich zugelassenen stichhältig (S. 201) gegenüber dem in der deutschen Hochsprache (nach Duden und anderen) allein geduldeten stichhaltig weiter vor: eisenhaltig als einzige Form (Österreich. Wb. S. 52 s. v. Eisen) angeführt, kalkhältig (S. 99 s. v. Kalk allerdings in Klammern neben kalkhaltig) und ozonhaltig (S. 142 s. v. Ozon als einzige Form); die Formen der deutschen Hochsprache sind eisenhaltig, kalkhaltig und ozonhaltig. Aus anderen österreichischen Quellen belegt Hildegard Rizzo-Baur (Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in Österreich und in Südtirol [1962] S. 91) alkoholhaltig, gifthältig, lichthältig und vitaminhaltig, alles Wörter, die dem österreichischen Wörterbuch überhaupt fehlen und deren Normalform in der deutschen Hochsprache -haltig ist. Am Rande sei noch vermerkt, daß — wie schon angedeutet — auch dem österreichischen Formen mit -haltig (wie fetthaltig, goldhaltig Österreich. Wb. S. 84 s. v. -haltig) keineswegs fehlen, ebenso wie umgekehrt die deutsche Hochsprache hinterhältig neben hinterhaltig gelten läßt. In allen diesen Fällen liegt ein potentieller Umlautfaktor vor: die Ableitungssilben -lieh und -ig, die oft Umlaut bewirkt haben, und die Tatsache, daß die schwachen Verben (die Bildungsweise mit -jan) oft Umlaut aufweisen, die bei der Entstehung der Form beanständen gewirkt haben wird. Daraus ergab sich für den Österreicher leicht das Gefühl, daß er in derartigen Fällen ein dialektisches a anstatt des von der Schriftsprache — wie er fälschlich annahm — verlangten e sprach. Daß die österreichischen umgelauteten Pluralformen wie Wägen, Krägen, Mägen gegenüber den nicht umgelauteten der deutschen Hochsprache nicht mit den oben behandelten hyperkorrekten Formen auf gleiche Stufe zu stellen sind, habe ich bereits früher hervorgehoben. Sie sind analogische Bildungen, die hauptsächlich durch die Bestrebung hervorgerufen sind, den Nominativ-Akkusativ des Singulars und die entsprechende Form des Plurals auseinanderzuhalten.
GYULA ORTUTAY
Einige Bemerkungen zur Dichtung der ungarischen Arbeiterklasse
Die hier folgenden Hinweise wollen keine, wenn auch nur skizzenhafte, Zusammenfassung darstellen. Sie sind lediglich als Ausdruck des Respektes und der Freundschaft gedacht zum Fest des großen Sprachwissenschaftlers und Folkloristen, der in den zwei stattlichen Bänden Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten (Berlin 1954—1962) nicht nur die historischen Zusammenhänge des deutschen Volksliedes mit dem Arbeiterlied aufdeckte, sondern zugleich ein für die ganze europäische historische Arbeiterliedforschung mustergültiges Beispiel aufstellte. Die ungarische Wissenschaft hat — wie auf so vielen anderen Gebieten — auch hier unzählige Anregungen, prinzipielle und methodologische Fingerzeige Wolfgang Steinitz zu verdanken. Sein bedeutsames Vorbild schwebte uns vor, als wir nach unserer Befreiung die Arbeitervolkslieder zu sammeln begannen. Die amtliche Zeitschrift der Ungarischen Volkskunde, Ethnographia, brachte in ihrem ersten Jahrgang (1890) einen Pressebericht über den großen Arbeiteraufmarsch am 1. Mai. Die ausgewählten Einzelheiten und der Ton des Berichtes verraten, daß die ungarische Ethnographie damals mit dem größten Verständnis die Ereignisse der ungarischen und der internationalen Arbeiterbewegung verfolgte. Es lohnt, einige Zeilen aus dem Bericht hier anzuführen: „Die Truppen marschieren in militärischer Ordnung an. In geschlossenen Reihen kommen sie aus allen Teilen der S t a d t . . . Hier eine Gruppe, ernste, gesetzte Menschen im einfachen Sonntagsanzug des Arbeiters, lange Bärte, knochige Gesichter, rote Kokarden, deutsche Worte. Zweifellos die Arbeiter einer Fabrik. Dann strömt eine andere Gruppe heran. Voran flattert stolz die Trikolore, und hinter den drei Farben stolzieren einige Männer in ungarischer Gala und Pelzmütze. Wer würde nicht erraten, daß es Schuhmacher sind . . . Wieder steigt eine Wolke auf. Einige tausend große Kokarden in den Nationalfarben. Voran wieder die Nationalfahne und einige Botond-Mützen: die braven Tischlergesellen. . . Die Arbeiter und Arbeiterinnen der Jutefabrik eröffnen in gemischten Reihen einen Zug von unabsehbarer Länge . . . Eine riesige weiße Fahne wird vorangetragen, hinterher die roten Tafeln mit den bekannten Aufschriften, der Forderung des Achtstundentages. Ein Teil der Fabrikarbeiterinnen hat zu Ehren des großen Tages weiße Kleider mit roter Achselschleife und ebensolchen Kokarden angelegt. Andere kommen in der traditionellen Tracht von Räkospalota, in kurzen weiten
Einige Bemerkungen zur Dichtung der ungarischen Arbeiterklasse
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Röcken und Leibchen vertreten sie bei der internationalen Demonstration das ungarische Element. So ernst und würdevoll schreitet diese Gruppe, als wären es lauter Bräute, die zur Hochzeit gehen . . ." (Ethn. 1,307.) Das war die erste Stimme der ungarischen Ethnographie über die Arbeiterklasse, ein verständnisvoller, liebevoller Ton, so viel, doch — begreiflicherweise — nicht mehr. In den Jahren vor der Befreiung begegnet man keiner ähnlichen Stimme, obgleich in den Volksdichtungs-Publikationen, sowohl in den Bänden der Sammlung Ungarischer Volksdichtung als auch in der Sammlung Kälmanys und in der Ethnographia, Volkslieder und Balladen zu finden sind, die in den Kreis der Arbeiterfolklore einbezogen werden könnten. Dennoch möchten wir nicht behaupten, daß sich die ungarische Volkskunde, die Folkloristik, vor der Befreiung bewußt und systematisch um die Lebensweise, die Kultur der Arbeiterklasse gekümmert und die kollektive Dichtung der Arbeiterklasse, eine jüngere Schwester der Bauernfolklore, registriert hätte. Außer den Textpublikationen ist nichts Erwähnenswertes geschehen, wenn wir von den vereinzelten Beobachtungen in einigen ethnographischen und dorfsoziographischen Arbeiten in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen absehen wollen, die sich auf die Zusammenhänge des Agrarproletariats mit der Arbeiterklasse bezogen. Nach der Befreiung wurden sich die Forscher der ungarischen Volksdichtung dessen bewußt, daß sie auch die Kultur und die Folklore der Arbeiterklasse studieren müßten, weil die Arbeiterfolklore einen organischen Teil unserer Volksdichtung und nationalen Dichtung bildete. Es kann nicht gesagt werden, daß die Erkenntnis bald Ergebnisse zeitigte. Wir lernten die seit Anfang der zwanziger Jahre betriebene sowjetische Arbeiterfolklore-Forschung kennen, und in den letzten Jahren wurde die Forschung auch in unserem Lande intensiver und besser organisiert betrieben. Hier sei erwähnt, daß die Klausenburger ungarischen Folkloristen in Rumänien bereits einen Band herausgegeben haben: Rajta, rajta, proletdrok! (Los, los, Proletarier), Bukarest, und daß auch die bisherigen ungarischen Ergebnisse, in einem Band zusammengefaßt, herausgegeben worden sind. 1 Die sowjetischen Folkloristen sehen in der Arbeiterfolklore einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Volksdichtung; allerdings wird im Laufe der neueren Diskussionen immer entschiedener ein Unterschied zwischen den individuellen dichterischen Produkten der Arbeiter (und Bauern) und der in der Gemeinschaft fortlebenden, von der Gemeinschaft überlieferten und gestalteten Volksdichtung gemacht. Die dichterischen Werke von Einzelpersonen gehörten, so wird behauptet, nicht in den Kreis der Volksdichtung. Wir glauben, daß dies ein richtiger Standpunkt ist, möchten aber zugleich betonen, daß von einer Volksdichtung der Arbeiterklasse sehr wohl gesprochen werden kann. Diese Dichtung schließt 1
Eine zusammenfassende Bibliographie der ungarischen Arbeiterlied-Forschung bringt D. Nagy, Die ungarische Fachliteratur des Arbeiterliedes und der Arbeiterfolklore (Bibliographie 1844—1963), Studia musicologica IV (1963) 347 — 380. Hier sei auch erwähnt, daß, früheren Anregungen folgend, eine Arbeiterlied-Kommission der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen wurde, die seit 1962 systematische Arbeit verrichtet.
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Gyula Ortutay
sich in ihren historischen Wurzeln, in der Gestaltung ihrer Formen unzertrennlich an die bäuerliche Volksdichtung an und ist aus dieser herausgewachsen. Die Formen und Weisen wurden nicht nur, wie manche meinen, beibehalten, weil sie dank ihrer Beliebtheit der revolutionären Agitation förderlich waren, sondern in erster Linie darum, weil die Arbeiterklasse in ihrem Ursprung auf das engste mit der werktätigen Bauernschaft zusammenhing und die Verbundenheit auch dann noch weiter bestehen blieb, als sich die Arbeiterklasse als solche herausgestaltete und sich ihr revolutionäres Bewußtsein festigte. Es sei an die verschiedenen Gruppen des Agrarproletariats erinnert — an die Erdarbeiter, an die Landarbeit und Grubenarbeit zugleich verrichtende Bevölkerung der Bergbaudörfer — die den Übergang und die lebendige Verbindung zwischen den zwei werktätigen Klassen aufrecht erhielten. Beweise dafür sind der Ursprung der Arbeiterfolklore sowie eben die charakteristischen Züge des Übergangs, die sie beibehielt. Neben den historischen Zusammenhängen kann auch auf die Tatsache verwiesen werden, daß die Arbeiterfolklore bei aller Unterschiedlichkeit in einigen wesentlichen Zügen mit der bäuerlichen Volksdichtung übereinstimmt. Ich möchte das durch einige Beispiele belegen. Eines der schönsten Stücke aus der Volksliedsammlung Béla Bartóks ist jenes Lied der Vertriebenen, das mit den Worten anfängt: „Verlassen hab' ich meine Heimat" . . . Die letzte Strophe gibt der Klage über die hoffnungslose Wanderschaft und Heimatlosigkeit Ausdruck : 0 Gott weis mir ein Quartier, Wandern ist zuwider mir, Wohnen in der Fremde hier, Weinen, Klagen für und für. Aus dem Lied klingt die Bitternis des seit Jahrhunderten geplagten ungarischen Volkes, der flüchtenden Freiheitskämpfer der Ràkóczi-Zeit oder der 1848er Revolution heraus, und, wenn man will, die Klage des zur Auswanderung gezwungenen Agrarproletariates. Und tatsächlich ist all dies darin enthalten. Die Bündigkeit und Schlichtheit des Volksliedes vermag alles auszudrücken. E s gehört ja eben zu den Wundern des Volksliedes, daß es sich immer wieder erneuern kann; die alte Melodie und der alte Text sind auch zum Ausdruck neuer Situationen und neuer Gefühle fähig. Doch damit ist die Geschichte des Liedes nicht zu Ende. Wir kennen auch Arbeiterlieder, die im Kreise der durch ganz Europa wandernden Handwerksgesellen und Industriearbeiter verbreitet waren, und diese Arbeiterlieder s i n d Volkslieder, nur haben wir lange Zeit nicht auf die Zusammenhänge geachtet, die zwischen Liedern der Arbeiterklasse und der Bauern bestehen, obgleich die beiden zusammen erst das ungarische Volkslied ausmachen. Auch diese Arbeiterlieder klagen von der Mühsal der Wanderschaft, der Heimatlosigkeit ; oder aber der Arbeit und Brot suchende Bursche tröstet sich in den freudlosen Quartieren und öden Herbergen mit keckem Mut und trotzigem Gesang. Und auch dieses Wandererlied geht in einem Schmerz auf, der mit dem Bauernlied verwandt ist, auch wenn sich
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manche Einzelheiten und inhaltlichen Momente von dem von Bartök gesammelten Volkslied unterscheiden: Liegen möcht' ich, hab' kein Bettgestell, Schlafen möcht' ich, fern ist mein Gesell. Nur der Koffer ist mein Bettgestell, Nur der Wanderstab ist mein Gesell. Oh, daß Gott mir endlich Arbeit schafft, Satt hab' ich die lange Wanderschaft, Reisen, Wandern zehrt mir auf die Kraft, - H a t mich von der Liebsten weggerafft. Eine ganze Anzahl solcher von wandernden Arbeitern gesungenen Lieder sind uns bekannt. Es ist offensichtlich, daß sie im jahrhundertealten Boden der ungarischen Volkslieder wurzeln. Es lassen sich noch mehrere Parallelen dieser Art finden. Die Klagelieder der Auswanderer — Agrarproletarier und Arbeiter —, aus denen die Nöte der Seereise und des verhaßten amerikanischen Lebens voller Enttäuschungen herausklingen, sind ja mit den alten Klageliedern der Vertriebenen auf das engste verwandt. Strophen wie diese sind nicht selten: Stirbst du auf dem Schiff, merkt's keiner sehr. Vier Matrosen werfen dich ins Meer, Große Fische fressen dich sofort, Nur die Knochen spült die Welle fort. Oder: Du bist nicht mein Heimatland, Amerika, Nichts als Kummer, Not und Leid erleb ich da, Keinen lieben Tag kann ich hier glücklich sein, Niemand sieht die vielen Tränen, die ich wein*. Die Beispiele ließen sich noch vermehren durch Arbeiterlieder, die mit den neuzeitlichen Volksballaden verwandt sind. Ein Gegenstück zur Ballade des Bauernmädchens Julcsa Farkas, das in die Trommel der Dreschmaschine gefallen ist, stellt die Arbeiterballade von Zsuzsi Matyi dar, der ein ähnliches Unglück an der Maschine der Hanfspinnerei widerfuhr: beide sind Opfer der kapitalistischen Entwicklung. Eine andere Arbeiterballade besingt die Mädchen, die in der brennenden Zuckerfabrik umgekommen sind, und der Ton ist derselbe wie der jener alten Ballade, in der die verunglückten Hirtenknaben beweint werden. Es handelt sich also nicht nur darum, daß in den Liedern der Wanderburschen der Ton der alten Vertriebenen wiedererklingt, daß die Klage über die kapitalistische Ausbeutung dem uralten Leid der Fronbauern gleicht, daß die Arbeiterlieder sehr oft bewußt die Wendungen der Volksdichtung in Anspruch nehmen und die Prosa-Erzählungen die dreifache Gliederung und die Wiederholungen der Volksmärchen verwenden; all dies ist ein sehr wesentlicher Zug der Arbeiterfolklore und trägt dazu bei, daß der sozialistische Inhalt seinen Ausdruck in nationaler Form
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Gyula Ortutay
findet. Doch wichtiger als das ist die Verwandtschaft mit der Volksdichtung, die darin besteht, daß es sich abermals um die Dichtung des werktätigen Volkes in einer durch die historische Entwicklung bedingten neueren Phase handelt; nur ist ihr Ton schärfer, selbstbewußter geworden, und die Elemente des Klassenkampfes schlagen in den Strophen immer entschiedener durch. Daher kommt es, daß — während es schwieriger ist, aus den Bauernliedern die historischen Perioden herauszulesen — die Arbeiterlieder klar auf die Umstände, die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen hinweisen, in denen sie entstanden sind. Die Arbeiterfolklore ist die Dichtung des werktätigen Volkes, nur sind es nicht die Lieder der unterdrückten, ihre Bitternis nur manchmal zu aufrührerischen Ausbrüchen steigernden Bauern, sondern es sind die Lieder der mit Zuversicht in die Zukunft bückenden und bewußt um ihr Ziel kämpfenden Arbeiterklasse. Allerdings sind neben den politisch klaren, bewußten Schöpfungen der Arbeiterfolklore auch die Niederschläge der Widersprüche, der Fraktionskämpfe und der verschiedenen Formen der sozialdemokratischen Ideologie feststellbar. Und das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der Arbeiterfolklore und der bäuerlichen Volksdichtung. Andererseits ist auch die Arbeiterfolklore eine Gemeinschaftsdichtung. Sie muß als solche angesehen werden, auch wenn wir wissen, daß einzelne Produkte bekannten revolutionären Dichtern oder unbekannten Arbeitern zuzuschreiben sind. Die ungarischen Arbeiterlieder sind in der Illegalität, in der revolutionären Bewegung und in den Kämpfen entstanden und verbreiteten sich zugleich mit den bekannten Kampfliedern der internationalen Arbeiterbewegung, die die ungarische Arbeiterklasse ebenfalls als ihre eigenen empfand. Wichtig dabei war nicht die Person des Verfassers, sondern die Tatsache, daß die Gemeinschaft sich das Lied aneignete und es als Mittel des Kampfes und der Agitation verwendete. (Die Anonymität des Autors war sehr oft eine Sicherheitsmaßnahme und gehört auf ein völlig anderes Blatt, als das Aufgehen der unbekannten Begabungen in der bäuerlichen Gemeinschaft.) Da jedoch in den Schöpfungen der Arbeiterfolklore der individuelle Ton des Dichters viel entschiedener hervortritt, als in der Volksdichtung, in der das Individuelle nur über die Gemeinschaft und deren langsame Umgestaltung zum Ausdruck kommen kann, lassen sich in der Arbeiterfolklore keine so einheitlichen Stilschichten unterscheiden, wie sie in der Volksdichtung vorhanden sind. Dennoch kann nicht gesagt werden, daß die Bezeichnung G e m e i n s c h a f t s d i c h t u n g nicht auch auf die Arbeiterfolklore mit gewissen Einschränkungen angewendet werden kann. Die Gemeinschaft, die Arbeiterklasse, machte von diesen Liedern bei ihren Zusammenkünften, bei der illegalen Arbeit Gebrauch, die namenlosen, zu allen und für alle sprechenden Revolutionslieder begleiteten die revolutionäre Arbeit überall. Die Erzeugnisse der Arbeiterfolklore konnten in Ungarn in den meisten Fällen nur illegal verbreitet werden. In der auf die Räterepublik folgenden Zeit stand auf diese Lieder eine ebenso strenge oder noch strengere Strafe, als auf das Absingen des Kossuthliedes in den Jahren nach 1849. Und doch verbreiteten sich die Lieder, die ungarischen ebenso wie die sowjetischen, polnischen, deutschen, spanischen,
Einige Bemerkungen zur Dichtung der ungarischen Arbeiterklasse
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französischen Lieder des proletarischen Internationalismus; sie wurden übersetzt und mit den revolutionären ungarischen Arbeiterliedern zusammen gesungen. Die Verbreitung ging handschriftlich oder durch primitive Vervielfältigung vor sich, manchmal auch im Druck, aber am häufigsten von Mund zu Mund, im Vortrag kleiner illegaler Arbeiterchöre, von Zelle zu Zelle. In dieser Hinsicht unterscheidet sich also die Arbeiterfolklore, von der Volksdichtung, in der es nur mündliche Überlieferung gibt, wenn auch die Arbeiterfolklore manche Züge der mündlichen Überlieferung an sich trägt. Deshalb kommen auch in ihr Varianten vor, deshalb sind uns balladeske Lieder in mehreren Fassungen bekannt. Die mündliche Überlieferung der Erzeugnisse der Arbeiterfolklore brachte es mit sich, daß ein Hauptfaktor der Volksdichtung, die feilende, verschönernde anonyme Gemeinschaft, auch an diesen Schöpfungen ihr Werk tat. Natürlich läßt sich dieser Vorgang in der Arbeiterfolklore nur auf Jahrzehnte zurückverfolgen und nicht auf Jahrhunderte, wie es in der Geschichte der bäuerlichen Dichtung der Fall ist. Und das ist kein unwesentlicher Unterschied. Deshalb konnten die formalen Fehler der Arbeiterlieder, die wenig dichterischen und zweifelhaften Motive, die die unbekannten Verfasser von zweitrangigen Kunstvolksliedern samt deren Melodien übernommen hatten, noch nicht ausgemerzt werden, die schöpferische Gemeinschaft konnte noch nicht alle Reichen dieser Fehler verschwinden lassen. Deshalb weist die Arbeiterfolklore in Ungarn auch noch verworrene Übergangsformen auf: nicht immer hat der sozialistische Inhalt seine ausgereifte, überzeugende, nationale Form gefunden. Bei voller Würdigung der bewußten revolutionären Kraft, die aus den Arbeiterliedern spricht, können wir vor ihren Mängeln nicht die Augen schließen. Doch auch mit ihren Mängeln ist die Arbeiterfolklore ein wertvoller Beitrag zur ungarischen Dichtung und der gesamten nationalen Literatur, sie ist Zeuge, Teilhaber und Agitator im Prozeß der Bewußtwerdung und der revolutionären Kämpfe der siegreichen Arbeiterklasse. Soviel kann heute schon mit Sicherheit gesagt werden, daß die ungarische Arbeiterklasse in dem knappen Jahrhundert, seit sie auf den Plan trat, Anteil an der Bereicherung der ungarischen nationalen Dichtung hatte. Unsere Pflicht ist es, dieses zum großen Teil noch unbekannte Gebiet der Volksdichtung in vollem Umfang zu erschließen und es als einen organischen Teil in die ungarische Volksdichtung, die ungarische Literatur einzufügen.
WILL-ERICH
PEUCKERT
Mittagszeit
Dem, der im Mittage seines Lebens steht, darf man wohl einmal vom Mittage und seinem Zauber sprechen. Der Mittag ist eine für das Numinose und das Zaubrisehe ungewöhnliche Zeit. Fast alles, was „nicht dem Tage angehört", wie man zu sprechen pflegt, geschieht zur Nacht, zu Mitternacht, wobei sich noch ein großes Schwanken zeigt; die einen nämlich rechnen die Mitternacht als letzte Stunde eines Tages von elf bis zwölf, die andern aber wunderlicherweise von zwölf bis eins. Doch das bleibe heute außer acht, obwohl die Mittagsstunde ganz denselben Unbestimmtheiten unterliegt. Sie ist mir in meiner, Ihrer und meiner Heimat, lieber Freund, sehr lange schon ohne einen „abergläubischen" Sinn und Wert gewesen. Ich wurde im riesengebirgischen Vorgebirge, in der Nähe des Gröditzberges, groß, und als ich später sammelte, streifte ich zunächst einmal die Dörfer dort und dann das Isergebirge ab. Nirgend war aber in den Volksliedern und Sagen und ebensowenig in den Märchen je die „Mittagsstunde" von Bedeutung. Auch weiter hinein ins Schlesische, in die Ebene, ins Odertal, in die Trebnitzer Hügel, in die Grafschaft getrieben, fand ich die „Mittagsstunde" nicht. Erst als ich nicht mehr bei den Bauern, den Häuslern und den kleinen Leuten sammelte, als ich die älteren Ernten lesen lernte, begegnete mir die Mittagsstunde als bedeutsamer Termin. Es war in Lucae's „Schlesiens curieusen Denkwürdigkeiten" von 1689, die schrieben, daß auf dem sogenannten Pfaffentümpel bei Brieg die Fischer ungerne fischen, sonderlich um die Mittagszeit, denn sie lassen sich nicht die alten Fabeln ausreden, als sollten bisweilen dann die Gespenster Stürme erwecken und allerhand Verblendungen machen. Von diesem Augenblick an lernte ich auf die Mittagsstunde achten. Ich will, was mir das kommende Sammeln und das Stöbern in den Sammlungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts zugetragen hat, in kurzer Regestenform darstellen*. I. Da hat sich die Mittagszeit zuerst als eine schlechthin numinose Zeit erwiesen. Auf einem Hügel etwa und den benachbarten Lauterbacher Höhen erhebt sich •ein plötzlicher Wirbelwind 1 , am Großen Zschirnstein geht ein Heulen durch die Wipfel, der Sturm fährt durch den Wald, die Vögel schreien 2 , in der Rostocker * Die Darstellung bezieht sich auf die Zeit vor 1945, aus der auch die Belege stammen. 1 Peuckert, Schles. 200. 2 Meiche 547.
Mittagszeit
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Heide werden Geräusche laut 1 , im Lüningsberge bei Aerzen kräht ein Hahn 2, und in der Ilm hört man ein heftiges Rauschen und Brausen®. I n der Juli-Mittagsstunde weint im Berge ein Kind 2 . Die trübe Quelle am Leitmeritzer Georgsberge fließt in der Mittagsstunde rein und sauber 4 . I n der Sonntags-Mittagsstunde 5 oder in der des Johannistages stehen versunkene Städte offen 6 , steigen sie empor 7 , ebenso wie der Kyffhäuser 8 , die Babylonie 9 offen ist, wie sich der Tempelburger Blocksberg öffnet und die verwunschene Jungfrau baden geht 10 . Schätze stehen offen 11 , brennen 12 , wobei manchmal bestimmte Tage, etwa der Palmsonntag 13 , Johanni 1 4 genannt werden, wie für das Ergraben des Schatzes der Sonntag-Mittag angeraten wird 15 . Auch versunkene Glocken steigen über Mittag auf 1 6 , einige freilich nur am Sonntag- 17 , Michaelis- 18 oder Johannis-Mittage 19 . Man hört es mittags in der Erde läuten 20 , vor allem an Johanni, — in der Niederlausitz dann, wenn man dreimal um den Sumpf läuft, in den ein Dorf versank 21 . Die Orgel der versunkenen Kapelle im Pielberge spielt 22 . Auf Burg Reinstein aber ist mittags ein Schellenläuten und ein Gehämmere wie von Schmieden zu hören 23 . II. Weil in der mittäglichen Stunde das „Drüben" offen steht, weil sich das Numinose regt, sich offenbaren will, deswegen erweckt die Zeit Bedenken und Besorgnisse. Man mißtraut dieser Stunde und man ist versucht, ihr auszuweichen, 1
Bartach I 229. Kuhn, Westfalen I 274. 3 Witzschel I 293. 4 Josef Kern, Sagen d. Leitmeritzer Gaues 1922, 80f. = Sieber, Sächs. Sagen 315f. 6 Jahn 256. 6 Bartsch I 389. 7 Bartsch I 412. 8 Pröhle, DS 220 = Ranke, Sagen 86 f. 9 Westfäl. Provinzialblatt I 4, 49 = Kuhn, Westf . I 312. 10 Jahn 307. 11 Peuckert, Schles. 73 = Kühnau 1934. ebd. 1974.2017.2078; Strackerjan505d; Bartsch 1316. 319; Jahn 296; ZfVölkerpsych. 13, 1881,316; Lütolf507. 464a. = Jungbauer: Bächtold-Stäubli, HWbAberglauben 6,403. 12 Kühnau 2072; Meiche 920. 13 Kühnau 2124. 14 Ebd. 865. 914. 15 Reusch, Samland 56; Kühnau 2078. 16 Kuhn-Schwartz 3; Bartsch I 505. 17 Ebd. I 516. 18 Jahn 237. 19 Ebd. 265. 285. 274. = Temme, Pommern 159; ebd. 266 = Jahn 243. (Michaelis:) 237; Bartsch I 502. 517. 532. 20 Ebd. I 516. 21 Gander 160; vgl. ebd. 171. 22 Reusch 58. 23 Grimm, DS 109. 2
20 Festschrift Steinitz
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sie zu tabuieren. Ihr Wesen ist zwiespältig, schlecht und gefährdend einerseits, begabend und segnend andrerseits. Weil diese Stunde tabuiert ist, deswegen sind die Kirchen über Mittag geschlossen1, Friedhöfe unbetretbar; ein Rauschen, als ob Hunderte Vögel auffliegen, läßt sich hören; selbst der Totengräber meidet sie um die Zeit 2 ; Kreuzwege sind unpassierbar3, der Hexenrasen am Habelstein ist unbetretbar, denn die Leute werden dort von mancherlei Teufelsspuk und Gestalten vertrieben 4 ; ein Irrfleck auf dem Verlorensberge läßt nicht weiterfinden5, auf einer Wegscheid verfolgt ein rollender Baumstamm einen Reiter 6 ; auf einer Weide numinosen Charakters am Lag bei Wiesentheid werden die Kühe in dieser Stunde unsichtbar 7 ; bei den drei Eichen im Schlamm nördlich Wahlstatt führt es irre 8 , ein Stein bei Müschen im Spreewalde wirft mittags die sich darauf Setzenden ab 9 . In der Mittagsstunde Geborene werden „unglücklich"10, wie man in Südniedersachsen und Pommern sagte, geistersichtig11, eben weil die Mittagsstunde die des Drüben ist, in ihr die Geisterwelt offen steht. In dieser Stunde sind die Sechswöchnerinnen gefährdet, ihnen erscheint allerlei 12 . Ein in der Mittagsstunde fluchender Hirt wird zu Stein 13 , ein Brotfrevler versteinert ebenfalls14, ein anderer versinkt, und man hört ihn Freitag-mittags noch mit seiner Herde in der Erde15. Es hängt mit der Tabuierung der Mittagsstunde aufs engste zusammen, daß man in ihr nicht säen darf 16 ; überhaupt ist das Arbeiten zu dieser Zeit gefährlich, es erheben sich im Falle des Tabubruchs Stürme 17 . Drum fischen auch die Fischer im Pfaffentümpel bei Brieg 17 , die in Kattern bei Breslau nicht über Mittag 17 . Ein geiziger Bauer, der sonst immer bis in die Nacht hinein hinter seinen Leuten her war, hat ihnen immer wieder gesagt: Feiert die Mittagsstunden, das bringt 1 Jungbauer: Bächtold-Stäubli, HWbAbergl. 6, 406; Haberland, ZfVölkerpsych. 13, 1881, 317. 2 Jungbauer, Böhmerwaldsagen 217. 3 Meiche 304 = Gräße, Sachsen II 611. 4 Wucke, Werra 396. 5 Kühnau 538. 6
Schöppner, Bayr. Sagen 62.
Klarmann-Spiegel 203. Drechsler 2, 180f. 9 ürdhsbrunnen 6, 1886/87, 42 = Schulenberg, Sagen 87. 10 Drechsler 1, 184; Schulenburg, Sagen 85f. 1 1 Schambach-Müller 212; vgl. Knoop, Hinterpommern S. 165. 12 Praetorius, Anthropodornus Plutonicus 2, 1666, 124. 131; Gander 51; ürdhsbrunnen 6, 1886/87, 43 = Schulenburg Sagen 85f.; ders. Volksthum 45; Grohmann, Sagen 137. 13 Kühnau 1763. 14 Ebd. 1767. 15 Ebd. 1702. 10 ürdhsbrunnen 6,1886/87,43 = Schulenburg, Sagen85i.; Kuhn, Westf . 2,23; Jungbauer: Bächtold-Stäubli HWbAbergl. 6, 406. 17 Peuckert, Schles. 200. 7
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Glück1 und eine Weiße Frau gibt ihm einen Schatz, damit er nicht zu arbeiten brauche2. III. Die Mittagastunde ist eine zaubrische Zeit; in ihr wachsen zaubrische Pflanzen auf 3 . Ein schwarzer Vogel pickt in der Johannistag-Mittagsstunde den Alraun aus einem Ameisenhaufen4. Der böse Förster erlegt zu dieser Stunde mit einer zaubrischen Kugel den Jagdburschen5. Die Drei weißen Gaben muß der Alb sich mittags holen6. Die an einem Frauentag, der auf einen Goldenen Sonntag fällt, mittags Geborenen sind nicht nur geistersichtig; sie können auch im Erdspiegel alles Sehen, was sie wissen wollen7. Den Teufel beschwört man — wie nachts — in der Mittagsstunde8. IV. Mittäglicher Spuk. An einer Mordstelle an Teichen zeigt sich ein weißes Kalb 9 , auf den Blotten ein kopfloser schwarzer Bulle 10 , im Felde naheKatscher eine Türkische Henne11, im Hühnerbusch bei Gellersen12 wie auf dem Hügel über einem versunkenen Schloß13,14 ein krähender Hahn; während des Mittagläutens aiif dem Jauerberge ein großer Hund14. Auf einem See zeigen sich spukhafte Tiere, die verschwinden, wenn die erste Stunde schlägt15. Vom Bromberge fährt eine glühende Kutsche mit sechs glühenden Bären herab 16 . In denBeskiden spukte es auf einem Kunzendorfer Acker; man sah einen fremden Mann pflügen, Pferde wurden unsichtbar, es schrie usw.17. In der Bibliothek des Schlosses Gratzen hörte man Schritte, Türenschlagen18, in der Tanlabaude polterte ein Geist19, im Kreise Brieg ging ein Mann auf dem Acker hin und her20, den Pfaffentümpel bei Brieg erregten die Geister, im Reichenbacher Hügelland stand plötzlich ein Wirbelwind auf, und zwei kopflose Rappen Karasek 162; vgl. Korth, Jülich 84 f. Karasek 167. 3 Kuhn-Schwartz 392f.; Bartsch I 585; J . Brand, Populär antiquities of Oreat Britain, ed. Carero Hazlitt 3, 1870, 267; Jungbauer: Bächtold-Stäubli HWbAbergl. 6, 410f. 4 Kuhn-Schwartz 393; Mackensen, Niedersächs. Sagen I I 132 I. 6 Kühnau 563 nach Peter 2, 66.; Kühnau 570. 6 Zaunert, Rheinland-Sagen 2, 151. 7 Leoprechting 93. 153. 8 Kühnau 1562. 9 Kühnau 536. 10 Karasek, Wolhynien 13. 11 Kühnau 286. 12 H. Weichelt, Hannoversche Gesch. w. Sagen 4, 202 f. = Mackensen, Niedersachsen 34. « Panzer II 78. 14 Kühnau 493. 15 Karasek, Wolhynien 884. 16 Kuhn, Westf. I 156b. (Kuhn fragt: ursus oder aper?) 17 Karasek 162. 18 Jungbauer, Böhmerwald 113. 19 Cogho 69f. = Kühnau 467. 20 Ebd. 555. 1
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zogen eine leere Kutsche vorüber 1 , in der schlesischen Oberlausitz zeigte sich ein schabernackender und klagender Geist an der alten, hohlen Eiche 2 . In Bamberg geht der Pöpel im Pöpelgäßchen um 3 . I m Steigerwald erschien in einem alten Turm ein lesender Pfarrer 4 , in der Hedwigskapelle, einer sehr alten Ruine nahe Goldberg, hinter dem Fenster ein Mönch 5 , nicht weit davon, im Mönchswald, schabernackt ein Mönch die Mäher 6 . V. Die Mittagsstunde duldet keinen Totengräber auf dem Friedhofe 7 , und in der Niederlausitz zauste der Tote den, der auf seinem Grabe schlief 8 . Wiedergänger zeigen sich, so im Steigerwald drei Ritter 9 , am Johannistag der Ritter Eber 1 0 ; die Halatin in Dobischwald erschien essend im Ofenwinkel 11 ; ein Senden-Bibran fuhr als Sturmwind vorüber 12 . In Lübbenau weinte es drei Wochen vor Weihnachten mittags an der Mordstelle 13 ; in Österreich-Schlesien ging die ermordete Ehefrau als graue Frau wieder 14 , ein Selbstmörder zeigte sich in Patschkau in einem Laubhaufen, mit den Händen um sich schlagend 15 . Waschende 16 oder ihre Wäsche aufhängende 17 Weibsleute und Spinnerinnen erscheinen mittags 1 8 ; Grenzfrevler 19 gehen als Hohmänner 2 0 um; ein „Knabe" kommt aus dem Walde und führt irre 21 , eine weiße „Jungfrau" verschüttet den Arbeitern ihr Mittagessen 22 , versunkene Burgfräulein erscheinen 23 , bei den Sorben zeigt sich ein großer Mann mit einer Nase von Draht 2 4 , kopflose Männer 25 , Reiter ohne Kopf 2 6 , ein kopfloser Mann auf 1
Ebd. 210. Haupt 1185 = Kühnau 552 = Peuckert 152. 3 Bavaria 3, 296. 4 Klarmann-Spiegel 140. 8 Kühnau 206. 6 Ebd. 605, vgl. Peuckert, Schles. 159. 7 Drechsler 1, 288; Jungbauer, Böhmerwald 217. «Gander 211. 9 Klarmann-Spiegel 205f. 10 Niederhöffer 1, 150 ff. = Bartsch I 629. 11 Peter 2, 52 f. = Kühnau 508. 12 Peuckert, Schles. 168. 13 Urdshbr. 6, 1886/87, 43. 11 Peter 2, 50 = Kühnau 72. 15 Kühnau 547. 16 Kühnau 222; Meiche 26 = Köhler, Voigtland 160 = Gräße, Sachsen I I 626; Wucke 391 c. 17 Peuckert, Schles. 151; Kühnau 222. 18 Zaunert, Rheinl. 2, 225 = Schell 312 Nr. 38 (681). 19 Zaunert, Rheinl. 2, 217; Gander 276. 20 Gander 276. 21 (Brno:) Cesky lid 11, 171. 22 Wucke 402. 23 Kuhn, Westj. I 408; (Westf.) Zfdm 2, 89f.; Rochholz, Glaube 1, 119. 24 Urdhsbr. 6, 1886/87, 43 = Schulenburg 88. 25 26 Bartsch I 202; Wucke 224. Kühnau 332. 347 II. 2
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einem kopflosen Schimmel 1 , Kutschen mit schwarzen Pferden 2 , in der einen Tote 3 , endlich ein grauer Mann mit langem Bart 4 begegnen mittags. Ein schwerwerdender Tragkorb läßt an eine Huckupp-Gestalt denken 5 . Häufig sind auch Verbannte oder Vertragene Wiedergänger 6 . Lokaldämonen, die als Wiedergänger bezeichnet werden, der Uhrschmann 7 , der Heuscheuerwirt 8 , der Dumlichhirt 9 , erscheinen mittags, und es mag noch einmal an Rübezahl erinnert werden, der ihnen wohl zuzuzählen ist. Die Erlösung der armen Seele kann in der Mittagsstunde geschehen 10 ; dabei wird zuweilen spezialisiert und der Freitag 11 , Karfreitag 1 2 , Johannis 1 3 genannt; die Schlangenjungfrau auf der Olbersdorfer Burg freilich kann nur zur Mitternacht erlöst werden 14 . Auch der Seelenführer, der den Fischer zur Fahrt nach dem witten Aland dingt, tritt mittags in dessen Hütte 1 5 . Um zwölf Uhr verschwinden die Geister wieder 16 ; deshalb kann der kopflose Fuchs im Steigerwald nach zwölf Uhr nicht mehr schaden 17 . VI. Mittägliches Dämonentreiben. Vom mittäglichen Erscheinen lokal-dämonischer Wesen war bereits die Rede; ihnen an der Seite steht der riesengebirgische Rübezahl, der nach dem geistlichen Gewährsmanne des, Praetorius keinen über Mittag im Gebirge duldet 18 , Studenten vorher fortzugehen auffordert 1 9 . Auch der wilde Jäger der Jägerhansl 21 , läßt sich zuweilen mittags sehen, genau so wie die sorbischen Graben 22 , die altenglische Waldfrau Meridiana, die Geliebte 1
Urdhsbr. 6, 1886/87, 42 = Schulenburg, Vollcsth. 45. Wucke 561. 694; Kühnau 210. 3 Wucke 561. 4 Urdhsbr. 5, 1886/87, 43. 5 Kühnau 546. 6 Kühnau 347 II. 490. 491. 493. 494. 605. 630; Wucke 115. 7 Zaunert, Bheinl. 2, 206. 8 Kühnau 630. 9 Ebd. 608; Peuckert, Sehles. 174. 10 Schönwerth 2 , 3 9 8 ; Luzel, Légendes chrét. de la Basse-Bretagne 2, 283 ff. = Sébillot, Folkl. 2, 198. 11 Grimm, DS 222. 12 Jahn 234. 13 Ebd. 276. 14 Kühnau 239. 15 Mackensen, Niedersachsen 1 ; vgl. ebd. Angabe der Parallelen. 16 Urdhsbr. 6, 1886/87. 42. 17 Klarmann-Spiegel 144 f. 18 Praetorius, Daemonologia Bubincal. 2, 1662, 63. 68; Kühnau 846; Jungbauer b e i B S t . 6, 405. 19 Ebd. 20 Sommer 3; Urdhsbr. 6, 1886/87, 42; Gander zu 83. 21 Reiser 1. 22 Urdhsbr. 6, 1886/87, 43f. Vgl. Peuckert, Sehl es. 186. 2
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Gerberts 1 , die waldfrauliche Grulamutter 2 , die Heuelse 3 , der Wassermann, der mittags ans Land kommt 4 , die Muhle anhält 5 , den Bullen schwemmt 8 und ins Wasser zieht 7 , die Wasserfrau 8 , die eine blutrote Hand zeigt 9 , sich kämmt 10 , Wäsche auswringt 11 , Sechswöchnerinnen anficht 12 . Das Meerweib zeigt sich 13 , das Seeweib im Böhmerwald 14 , Johanni die Jungfrau im Stubbensee 15 , die Seejungfern kommen Johanni an Land 16 , ein bäckahästen-entsprechendes Wesen erscheint 17 , eine kleine bucklige Frau wirft den Fischern den Kessel mit den Fischen um 18 , Zwerge stehlen Erbsen 19 , bringen den Wechselbalg 20 , backen 21 , der Bilwis geht um 22, Bergmännlein 23 zeigen sich und der Skarbnik erscheint als Maus 24, in Schweden der tomte, eine Ähre schleppend Ährenträger 25 . — Ein Venediger fährt mittags den Lintwurm aus dem Berge 26 . DerMidrasch zu Ps. 91,6 spricht von den daemons meridiani27, solchen, die — im Barock — keinen im Riesengebirge dulden 28 , oder unter denen man den morbus meridiani zu verstehen hat 29 . In Breslau zeigt sich der Tod als riesige Gestalt 30 , bei den Sorben geht mittags die Pest in weiblicher Gestalt 1
Rochholz, Glaube 1, 104. Kühnau, MS 395. 3 Peuckert, Schles. 151. 201. 4 Jungbauer, Böhmerwald 51; (hat jetzt größte Kraft:) Grohmann 137. 162f. 5 Peuckert, Schles. 214. 6 ürdhsbr. 6,1886/87. 43 = Schulenburg 122 f. ' Kühnau 867. 905. 922 III. 925 V. 926 II. 8 Kühnau 886 I I I ; Schulenburg 128f.; (Kuhn, Westf. I 408). 9 ürdhsbr. 6, 1886/87, 43 = Schulenburg 88. 10 11 13 Ebd. Kühnau 860. Praetorius, Anthropod. 13 Müllenhoff-Mensing 522 I. 14 Jungbauer, Böhmerwold 61 f. 15 Jahn 276. 16 Ebd. 173. 17 Peuckert, Schles. 216. 18 ürdhsbr. 6, 1886/87, 43. 19 Peuckert, Schles. 226. 20 ürdhsbr. 6, 1886/87, 42. 43; Schulenburg 85f.; Kühnau 783. 21 Kühnau 752 I. 22 Meiche 377. 23 Schönwerth 2, 328f.; Kuhn, Westf. I 218. 24 Kühnau 1037 = Peuckert, Schles. 221. 25 F. Notter, Anmerkungen zur Übersetzung des Theokrit 1855, 184 = Haberland in Lazarus u. Steinthal, ZfVölkerpsych. 13, 1881, 313. 26 Reiser 318 = Kapff, Schwaben 87. 27 Ducange s. v.; Korth 985; Notker verdeutscht = mittetagigo tiefei; nach V. Thalhofer Erklärung der Psalmen 18602, 495; Gregorius Tur., Miracula s. Martini IV 36: Eine Frau kommt vom Felde, bricht zusammen, verstummt; die Nachbarn erkennen eam meridiani daemonis incursum pati; s. ferner Grimm, DM 2, 972. 28 Ebd. 29 Ps. 91, 6; „Seuche, die im Mittag verderbt"; vgl. auch Ps. 121, 5f. 30 Peuokert, Schles. 245. 2
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um 1 , ebenso fährt der Teufel Johanni mittags vierspännig mit schwarzen Pferden 2 , lauert er bei den Tscheremisen mittags im Wasser 3 . Frau Holle badet in der Mittagsstunde im Teich auf dem Meißner 4 und bei Haslach in Unterfranken badet eine Frau hulli allein oder mit zwei andern Frauen im Main 6 . Auch die dämonischen Tierwesen haben über Mittag ihren Lauf. So lauert im Schöpfsflusse ein Riesenkrebs mit Menschenhänden 6 , der Wassermann erscheint als schwanzloser Karpfen 7 , ein dreibeiniger Hase zeigt sich 8 , der Krötenkönig mit den Seinen am Johannistage 9 , der Otternkönig 10 , derWerwolf geht auf Raub aus 11 , die einäugige Sau wird vom Fischer gefangen und heimgetragen 12 . Menschliche dämonische Wesen, die zwischen Wiedergängern und Dämonen stehen, sind zu sehen, so die Weißen Jungfrauen 1 3 oder Frauen 1 4 , und die Scha.tzhüter 1 5 oder -hüterinnen 16 , die Johanni 1 7 alle hundert Jahre einmal 18 sich zeigen, kegeln 19 , zum Schatz winken 20 . Ebenso zeigt sich ein graues Männlein mit einem Beutel voller Dukaten 2 1 , ein schwarzes, das zum Schatz ruft 2 2 . Wenn Strackerjan seinerzeit meinte 23 , der mittäglichen Erscheinungen seien ebenso viel wie der mitternächtlichen, — sieht es doch so aus, als ob das deutschslavische Mischgebiet, die Landschaft zwischen der Elbe und der Weichsel, aus 1
Kühnau 1174; ZfVölkerpsych. 13, 1881, 317. Kühnau 1298; Mittagläuten macht ihn verschwinden: Jungbauer, Böhmerwald 191. 3 Schenck, Mythologie d. Slaven 449; Haberland, ZfVölkerpsych. 13, 1881, 316. 4 Grimm, DS 6. 6 Zfdm 1, 24. 6 Peuckert, Schles. 241. 7 Meiche 502. 8 Kühnau 1240. 9 Schulenburg 95. 10 Müllenhoff-Mensing 556; Krone erhascht: Kühnau 969; Bechstein, Franken II 151 = Ranke 216f. 11 Harrys I 43 ff. = Mackensen, Niedersachsen 69 II. 12 Gander 151. 13 Grimm, DS 11; Meiche 165; Jahn 278; Reusch 59. 14 Bechstein, Thüringen 2, 68 = Grimm DM 805; Peuckert, Schles. 123f.; Ranke 90. 16 Zaunert, Bheinl. 1, 7; Jahn 281. 282. 16 Bartsch I 364; Bindewald 53f.; Wucke 31; Urdhsbr. 6, 1886/87, 130 = KlarmannSpiegel 157f.; Kühnau 2 3 0 . 2 3 4 . 2 3 5 . 2 3 8 . 2 4 0 ; Grimm, DM 804. 804f. = Mones Anz. 8,310.304; Grimm, DS 112; (am Gründonnerstag:) Kühnau 234; (Johanni:) Bartsch 351.373; (alle sieben Jahre:) Schambach-Müller 117 II; (alle hundert Jahre:) Bartsch 356 I; Reusch 55; Rochholz, Glaube 1, 119. 17 Bartsch 364 I. 18 Ebd. 315. 19 Kuhn, Westf. I 273. ,0 Wucke 118; Kühnau 292. 2069; Jahn 278; Zfdm 2, 89 f. 21 Jungbauer, Böhmerwold 81 f. 22 Peuckert, Schles. 277. 23 Strackerjan-Willoh 280. 2
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den andern deutlich hervortrete, und könnte man auch an eine sozialgeschichtlich bedingte Lösung denken. Die Landschaft des mittäglichen Spukes, der numinosen und tabuierten Mittagsstunde, ist die ostelbische Landschaft, die in stärkerem Maße als der Westen diejenige der Gutsuntertänigkeit gewesen ist. Und es liegt nahe anzunehmen, daß Hörige, zum Dienst gezwungen, den Widerwillen gegen die mittägliche Feld- und Waldarbeit in mythische Vokabeln übersetzten, mythische Erlebnisse substituierten. So ungemein plausibel eine solche Deutung klingt, man wird das eine nicht vergessen dürfen, daß solche Erlebnisse, solche „Übersetzungen" nur dort möglich sind, wo die betreffenden Gestalten und Erlebnisse schon vorhanden waren, — dergleichen schaffen einfache Naturen nicht ad hoc. Sie transportieren sie möglicherweise in den mit dem Zwange, der unerwünschten Pflicht verbundenen Zusammenhang, aber sie haben sicher diese Gestalten, diese Erlebnisse nicht erst frei erfunden. Man wird der sozialen Situation, den wirtschaftlichen Hintergründen jene treibende K r a f t zumessen dürfen, die das gegebene mythische Gut lebendig hielt, es in den Vordergrund getragen hat, aber geschaffen haben sie es wohl nicht; es lag wohl in der slavisch-deutschen Mischsituation begründet. Für die herausgearbeitete mittägliche Sagenlandschaft spricht m. E. noch ein Umstand, der — obwohl im Eingange angedeutet, — doch bisher noch unerörtert blieb. Ich komme aus dem riesengebirgischen Vorgebirge, das im dreizehnten Jahrhundert Deutsche besiedelten. Zwar kannte man hier auch die östliche Gutsuntertänigkeit, aber von mittäglichen Spuken und Dämonen wußte man nichts. Nicht also das soziale, wirtschaftliche ostelbische Milieu, sondern die slavischdeutsche Mischlandschaft, wie sie die Breslauer Ebene mit Kattern, mit dem Pfaffentümpel darstellt, ist das numinose Land, und ebenso steht es in Brandenburg : die Lausitzen, die Mittelmark und Neumark kennen mittägliche Spuke wie die sorbische Mittagsfrau und andere Gestalten, der Flaeming ist frei vom mittäglichen Wesen. Wir werden deshalb mit Recht von einer slavisch-deutschen Sagenlandschaft der mittäglichen Wesen reden. Es führte heute zu weit, auf Reste der westdeutschen mittäglichen Sagenlandschaft einzugehen; von ihnen wird im „Handwörterbuch der Sage" noch zu handeln sein. Ein Sammler, der Sie, lieber Freund, einst der volkskundJichen Arbeit nahe brachte, der sorbisch-deutsche Veckenstedt, hat in den 1890er Jahren, wiewohl vergeblich, auf sie hingewiesen und erste Beispiele vorgetragen. Hier mag genügen, auf das Faktum selber hinzuweisen. Damit erhebt sich aber dann die Frage, ob diese mittäglichen Spuke ein Sondereigentum der deutschen und der slavischen Stämme waren, oder ob man sie in noch größeren Zusammenhängen finden kann. Es ist nicht meines Berufes, dieser Frage nachzugehen; aber ich darf darauf hinweisen, daß auch die mittelmeerischen Völker eine numinose Mittagsstunde kannten. Der griechische Pan schläft in der Mittagsstunde, und kein Hirt wagt ihn durch ein Geräusch zu wecken 1 ; ebenso fürchtet der römische Hirt den Faunus 2 und 1
Theokrit, Idyll. I 15 ff.
2
Ovid, Fastes IV 762.
Mittagszeit
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erbittet beim Palilienfeste die Pales, ihn vor dem Faunus zu bewahren, wenn er mittags die Felder betrete 1 . Wie Pan schläft Proteus mittags am Strande zwischen seinen Robben 2 . Nach Firdusi sind die Dive mittags in Schlaf versunken 3 , und Elias spottet mittags der nicht von Baal erhörten Priester, daß er über Feld gegangen sei oder schlafe 4 . Die wenigen angezogenen antiken Zeugnisse geben kein sehr gutes Bild. Sie lassen aber bereits eins erkennen: die Mittagsstunde ist den alten mittelmeerischen Völkern eine Zeit der Ruhe und des Schweigens. Zumindest die dämonischen Wesen sind verstummt und schlafen. I m Norden aber wachen sie um diese Stunde auf, erscheinen und betätigen sich. Ob hier nur eine zeitliche Differenz zwischen dem Altertum und unserer Zeit zutage tritt, oder ob sich hier eine nationale oder vielleicht auch eine geographische Differenz feststellen und auf die Vorstellungen einwirkend wird erkennen lassen, das muß zunächst an diesem Ort als eine Frage stehen, die einer näheren Untersuchung Raum und Ort und Zeit zu lassen hatGenug, daß mir erlaubt gewesen ist, ein aus der Situation unserer gemeinsamen Heimat sich erhebendes Problem zum ersten Male anzugehen und die sich daran knüpfenden Fragen aufzuwerfen. 1 2 3 4
Vergil, Georgica IV 432. Vergil, Georgica IV 432. Angelo de Gubernatis, Die Tiere 1874, 85 = ZfVölkerpsych. 13, 1881, 313f. I Reg. 18, 27.
MIHAI POP
Bräuche, Gesang und Spiel zu Neujahr in der heutigen rumänischen Folklore
Für die heutige rumänische Folklore ist neben anderem die Bewahrung der brauehgebundenen Lieder und Spiele charakteristisch. Dabei nehmen unter den Bräuchen alter Herkunft dank ihrer Vielfältigkeit die Bräuche zur Jahreswende eine besondere Stellung ein. Die Winterfeiertage sind vor allem die Feste zur Jahreswende. Sie werden zwischen dem 24. Dezember und dem 7. Januar gefeiert und haben als Höhepunkte das Weihnachts- und das Neujahrsfest. Ihr Repertoire ist sehr reich und umfaßt die sogenannten Colindalieder und die von Kindern gesungenen Colindas, die Wünsche mit Pflug (plugufor) und Rummeltopf (buhai) für Wohlstand und reiche Ernte, die Wünsche mit der Neujahrsrute (sorcova) und die Wünsche am frühen Weihnachts- und Neujahrsmorgen (zorile, zäuritul), den Vasilcabrauch (Wünschen mit einem Schweinskopf); die Maskenspiele, die im Rumänischen verschiedene Namen tragen, wie: türm — cerbul, brezaia, capra, cerbuful; die Puppenspiele wie auch die Tänze cäiufii oder bumbierii — eine Art Hobby-horse, cäluferii — eine Art morris-dance; endlich die Sternlieder, Krippenspiele, Bethlehemspiele und das volkstümliche Theater mit Heiducken thematik. Diese Bräuche haben keine gleichmäßige Verbreitung. Teils werden sie im ganzen Land ausgeübt, teils konzentrieren sie sich in bestimmten Gegenden und sind in anderen seltener oder fehlen völlig. Auch ihr Alter ist verschieden. Die meisten dieser Bräuche scheinen alten Ursprungs zu sein, dagegen sind die Sternlieder und Bethlehemspiele neueren kirchlich-gelehrten, westlichen Ursprungs. Jung ist auch das Volkstheater mit Heiduckenthematik, obwohl es, ebenso wie mitunter die Bethlehemspiele, auf den alten Maskenspielen des Volkes beruht. Die örtlichen Unterschiede entsprechen den verschiedenen Entwicklungsstufen der Folklore in den einzelnen Gegenden. Dabei spiegelt die geographische Lage zugleich die historische Entwicklung wider, denn die Volkskultur hat ihre Ausformung zeitlich auf Grund der jeweiligen spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der verschiedenen Landschaften erhalten. Demzufolge finden wir in der Folklore einerseits im Laufe des Entwicklungsprozesses aufgekommene Verschiedenheiten, zum anderen aber auch solche, die von Anfang an bestanden haben als Folge der zeitlichen und örtlichen Verschiedenheiten in der Herausbildung der sozialen Gemeinschaften.
Bräuche, Gesang und Spiel zu Neujahr
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Von besonderem Interesse für die Kenntnis der mit dem Jahreswechsel verbundenen Bräuche sind drei der oben angeführten Formen: die Colindalieder, die Wunschdichtung mit Pflug und Rummeltopf und die Maskenspiele. Die Colindalieder nehmen während der Weihnachtsfeiertage eine beherrschende Stellung ein, und zwar auf Grund ihrer großen Zahl und ihrer poetischen und musikalischen Schönheit. Man pflegt am Weihnachtsabend und am ersten Weihnachtsfeiertag mit Gesang umherzuziehen, in manchen Gegenden jedoch auch am Silvesterabend, am Neujahrstag und an anderen Feiertagen des Winterzyklus. Das ganze Dorf nimmt an dem Umzug teil, obwohl nur Kinder, Burschen, Männer bis zu einem gewissen Alter sowie Musikanten die eigentlichen Ausführenden sind. An manchen Orten ziehen auch Mädchen umher, seltener Frauen, mitunter Mädchen und Burschen gemeinsam. Die Tradition der Weihnachts- und Neujahrsbräuche fordert, daß die mit Gesang, Pflug und Rummeltopf oder mit Masken umziehenden Burschen sich zu Bünden zusammenschließen. Der Bund bildet sich nach festen, traditionellen Gesetzen, hat seine eigene Rangordnimg, seinen Anführer und seinen Sitz. Während der Entfaltung der Bräuche zur Jahreswende beherrscht der Bund in den Gegenden, in denen die Tradition stark ist, das gesamte Dorfleben. Neben den Colindagesängen, den Umzügen mit Pflug und Rummeltopf und den Maskenspielen, die der Bund in ihrer ganzen traditionellen Feierlichkeit begeht, veranstaltet er Tanzunterhaltungen, die in Aussicht auf den Karneval weder von der Jugend noch von den Älteren versäumt werden. Bei den Weihnachts- und Neujahrstänzen treten die Mädchen zum erstenmal in den Reigen, und während der Umzüge und Unterhaltungen werden die Heiraten des bevorstehenden Karnevals angebahnt oder abgeschlossen. Mit seinem Eintritt in den Bund tritt der Jüngling in die Reihe der Burschen. Der Bund beginnt seine Tätigkeit schon Wochen zuvor, indem das Repertoire auf das genaueste vorbereitet wird; ihm fällt also eine wichtige Rolle in der Bewahrung und Fortführung der Tradition zu. Das Repertoire wird in regelmäßigen gemeinsamen Proben einstudiert. Auf diese Weise werden Texte, Melodien, Tracht und sogar der dramatische Ablauf bewahrt und überliefert. Der Zeremonialcharakter des Repertoires fordert, daß die Tradition bis in die kleinsten Einzelheiten gehütet wird: in Text- und Melodieformen, sogar in Gebärdenspiel und Haltung. Das Variationsprinzip, ein Grundprinzip der Volksschöpfung, ist somit hier weniger zu beobachten als in den vom Brauch unabhängigen Liedern, fehlt aber nicht völlig. Auch hier können Veränderungen und Varianten auftreten, doch nur in den von der Tradition streng festgelegten Grenzen. Mit der Colinda wird durch das ganze Dorf gezogen. An jeden Hauswirt, bei dem man einkehrt, wird die Frage gerichtet, ob er die Sänger empfange. Denen, die das nicht wollten, wurden früher Spottworte zugerufen. Zuerst singt man vor der Tür oder vor dem Fenster ein Lied, das gewöhnlich das Fest ankündigt, dann tritt man in das Haus ein und singt für die Hausleute die eigentliche, sogenannte Hauptcolinda; darauf singt der Bund nach eigener Wahl oder auch auf Verlangen
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weitere zwei bis drei Lieder. Die Sänger werden mit Gaben auf dem Tisch, erwartet: Stollen, die in manchen Gegenden schön geschmückt sind, Rauchfleisch, Würste, Schnaps oder Wein, Hanf und auch Geld. Nach Beendigung des Gesanges wird für jede einzelne Gabe ein Wunsch ausgesprochen und zum Schluß dem Hauswirt mit traditionellen Sprüchen gedankt. Die Sänger werden mit Getränk und Speise bewirtet. I n manchen Gegenden folgt dann ein Tanz mit den Töchtern des Hauses, und in größeren Häusern kommen auch Mädchen aus der Nachbarschaft zum Empfang der Sänger zusammen. Durch die Straßen ziehen die Bünde mit Gesang und Zurufen. In manchen Teilen Siebenbürgens stiegen die Sänger früher in der Neujahrsnacht um Mitternacht auf den Kirchturm und sangen nach den vier Himmelsrichtungen. Es bestand auch die Sitte des Wettsingens zwischen den Bünden eines Dorfes oder benachbarter Dörfer. Die Sänger werden von einem Instrument begleitet. Bis zum ersten Weltkrieg war das in vielen Gegenden der Dudelsack, heute ist es die Flöte, ferner die Klarinette, das „Taragot", die Geige. Im Bezirk Muscel in der Wallachei singen Burschen und Mädchen zusammen und begleiten neuerdings ihren Gesang m i t Akkordeon. I m Südwesten Siebenbürgens haben die Bünde auch eine altertümliche Trommel (duba). Obwohl der Umzug in Gruppen vor sich geht, singt man das Colindalied einstimmig, meist antiphonisch auf zwei oder drei Gruppen verteilt. Die Melodie der Lieder ist im allgemeinen syllabisch, d. h. wenig ornamentiert. Sie hat Strophenform und enthält eine bis sechs Melodiezeilen. Die rhythmische Mannigfaltigkeit ist erstaunlich und wird durch freien Wechsel von zwei, selten drei Werten der binaren und ternaren Gruppen erzielt. Die Skalen sind verschieden. Die meisten Oolindamelodien beruhen auf einem Tetra- oder Pentachord (vgl. B. Bartök, Melodien der rumänischen Colinde [Weihnachtslieder], Wien 1935). Das Ziel aller Colindagesänge ist es, einen Wunsch auszudrücken. Durch die Art der Ausführung und des Inhaltes unterscheiden wir trotzdem die eigentlichen Colinda von den Kindercolinda. Die Kinder ziehen am Weihnachtsabend und am Silvesterabend singend umher. Ihre Lieder sind kurz, künden den Feiertag an, wünschen reichen Ertrag an Lämmern, Kälbern, Ferkeln, Hühnern usw. und verlangen in schelmischen Versen die ihnen gebührenden Gaben: Nüsse, (Haselnüsse), Äpfel, Birnen, Stollen usw. In manchen Gegenden Siebenbürgens und Olteniens tragen die Kinder zu diesem Zweck bestimmte Stöcke oder Ruten, berühren damit die Torpfosten, die Türstöcke von Stall und Scheune, das Hausgebälk und stochern in den Kohlen, um Glück und Fülle herbeizuzaubern. Dieser Brauch hat viel Ähnlichkeit mit dem von Du Cange angeführten römischen Brauch (Glosarum mediae et infimae latinitatis . . . Parissis 1844, III, 962). In den Kindercolinda ist der Wunsch immer direkt ausgesprochen, hat jedoch, obwohl er konkret alles Wünschenswerte und sogar die geziemenden Gegengaben aufzählt, allgemeinen Charakter, gilt für jeden und wird in allen Häusern nach gleicher Art gesungen oder aufgesagt.
Bräuche, Gesang und Spiel zu Neujahr
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I n den eigentlichen Colindagesängen erscheint der unmittelbar ausgesprochene Wunsch nur nebenbei am Ende des Liedes oder im Preisspruch bestimmter Gaben. Die eigentlichen Colinda übermitteln den Wunsch durch Lieder, in denen die Weisheit und der Wohlstand des Hauswirts, des Hirten, des Fischers usw., Helden und Heldentaten, schöne Jünglinge und Mädchen, an Wunder grenzende Verlobungen und Hochzeiten und alle Arten erstaunlicher Taten und Begebenheiten geschildert und gespriesen werden. Während die Kindercolinda allgemeinen Charakter aufweisen, sind die eigentlichen Colindalieder an Einzelpersonen gerichtet: an den Hauswirt, die Hausfrau, an den Burschen, das junge Mädchen, die Neuvermählten, an das Kind, den Säugling, die Witwe, an den Hirten, den Fischer, den Soldaten, einen seines Heimatdorfes Entfremdeten usw. Es gibt auch Trauercolinda und dergleichen; ebenso bilden verschiedene Momente des Colindaumzuges heute mehr oder weniger klar umrissene Typen heraus. Diese eigentlichen Colindalieder sind heroische oder beschreibende Gesänge legendären Charakters mit besonders plastischer Ausdrucksweise. Die Bezugnahme auf eine bestimmte Person bewirkt einen bedeutenden Typenreichtum, eine große Vielfalt der Themen dieser Colindalieder. Es gibt einen ganzen Zyklus von Colindaliedern zur Schöpfungsgeschichte, einen Zyklus der Jägercolinda, in denen Hirsch- und Löwenjagd eine besondere Rolle spielen, einen Metamorphosenzyklus, einen Hirtenzyklus usw. Diese Colindagesänge sind von hoher poetischer Schönheit. Manche poetischen Bilder beruhen auf alten magischen Sprüchen und sind durch den Schliff der Jahrhunderte zu hoher Vollendung kristallisiert worden. Die Colinda betrachten in sagenhafter Einkleidung Welt und Elemente und insbesondere drei Bereiche des Dorflebens und der Bauern: das wirtschaftliche Leben und den häuslichen Herd in seinen verschiedenen Erscheinungen, die K r a f t und Schönheit junger Menschen und ihr Heldentum und die Liebe im Hinblick auf eine neue Eheschließung. Was die Poesie der Colindalieder kennzeichnet, ist die optimistische Atmosphäre, in welcher die Wünsche und Bestrebungen der Menschen dargelegt werden. Ihr Optimismus ist unbegrenzt, gelangt bis zum Sagenhaften, und der Glaube an eine glückliche Zukunft wird so nachdrücklich und plastisch zum Ausdruck gebracht, daß die Erfüllung geradezu unausbleiblich erscheint. Nach Ansicht der Forscher auf diesem Gebiete konnte eine solche Vielfalt der Typen dadurch erreicht werden, daß im Laufe der Zeit auch auf andere Gattungen der überlieferten Folklore zurückgegriffen wurde. Die Forschung versucht, die Zusammenhänge zwischen Colindaliedern und Beschwörungs- oder Zaubersprüchen festzustellen, — auch diese sind häufig epischen Charakters — gleichfalls zwischen Colindaliedern, Liebeszauber und auch z. B. manchen uralten, heute entschwundenen Einführungsriten, zwischen Colinda- und alten Spinnstubenliedern, zwischen Colinda- und Hochzeitsliedern usw. Waldemar Liungman (Traditionswanderung Euphrath—Rhein, Helsinki 1938, II, 851) sieht in den rumänischen Colinda von dem zum Kaiser gewählten jungen Krieger den antiken Brauch der Wahl des Saturnalienkönigs, dessen Tradition in unserem Folklore-Gebiet durch den Tod des Dasius im Jahre 303 in Durostor
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bestätigt ist (Piotr Caraman, Obrzqd Kolqdowania u Slowan i u Rumunöw, Kraköv 1933, 374). P. Caraman (Substratul mitologic al särbätorilor de iarnä la romani si slavi, Jassy 1931, 76) zeigt zur Pferdewettlaufcolinda, daß solche Wettrennen bis vor kurzem in den wallachischen Dörfern am Donauufer zum Dreikönigsfest üblich waren und bringt sie in Zusammenhang mit den römischen Pferdewettläufen am dritten Tage der Calendas. Caraman verbindet auch den Kehrreim „Florile dalbe de mär" — weiße Apfelblüten — mit dem Brauch der Neujahrswünsche (Sorcova) und neigt zu der Annahme, daß einstmals, an Stelle der Ruten oder der geschmückten Stöcke, blühende Apfelzweige verwendet wurden. (Obrzed Koledowania u Slowan i u Rumunöw, Kraköv 1933, 359). Bis vor kurzer Zeit noch wurden in Südrumänien Apfelbaumreiser ins Wasser gesteckt und in der Wärme gehalten, damit sie zum Neujahrstag erblühen. Neuere Forschungen haben in der Ortschaft Toplitza, Bezirk Reghin in Siebenbürgen, einen Ritus zum Zurückhalten der Bienenschwärme aufgefunden, dessen Lied im selben Dorfe eine Colindavariante aufweist. Auch einen Ritus zum Schutze des neugeborenen Kindes vor bösen Geistern fand man, in welchem rezitierte oder gesungene Verse aus der Colinda von der Mutter, die ihren Sohn sucht, zu finden sind; diese Verse wurden dann in das Weihnachtslied sowie in die Ballade Mioritza aufgenommen. (G. Zbircea, Cintece fi jocuri magice §i rituale. Revista de folclor II, 1 - 2 , 1957, 157-166). Die erwähnten Tatsachen führen zu der Vermutung, daß die alten Gesänge, die aus der ursprünglichen Brauchübung verschwanden oder im Verschwinden begriffen sind, in den Colindaliedern Zuflucht gefunden haben, in denen somit eine Reihe von Liedern entschwundenen Brauchtums erhalten blieben. Heute sind die Colindalieder Wunschgesänge, die in wunderbaren Versen und Melodien eine freudige Begrüßung des neuen Jahres, die Zukunftswünsche und das Streben der Menschen ausdrücken. Über die alten Mythen und vorchristlichen Legenden schichteten sich im Laufe der Zeit christliche Elemente, die oft nur die Namen der Helden aus der Vorzeit durch biblische Namen ersetzten. Zugleich entstanden jedoch allmählich im Rahmen derselben Gattung neue weltliche Colindalieder — sowie auch sicherlich neue poetische Bilder — und christlich-religiöse Colindalieder, die direkt oder mittelbar der Bibel, den Lebensgeschichten der Heiligen und den Apokryphen nachgebildet sind. Sie werden allgemein auf die Melodien der alten Colindalieder gesungen. Sicher aber blieb in den Colinda bis heute die älteste rumänische epische Dichtung bewahrt. Eine bezeichnende Tatsache dafür ist die unleugbare Ähnlichkeit, welche die neueste Forschung zwischen dem Rhythmus der Weihnachtslieder und dem Rhythmus bestimmter rumänischer Tänze nachgewiesen hat (Gh. Ciobanu, Despre inrudirea dintre ritmul dansurilor §i al colindelor1). Bringen wir nun diese Feststellung in Zusammenhang mit der Tatsache, daß bei dem Bienen1
Revista de etnografie
folclor 9,1,1964, 33—69.
Bräuche, Gesang und Spiel zu Neujahr
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schwarmritus nach einer Melodie getanzt wird, die als Variante im Colindalied erscheint, sowie mit der Tatsache, daß die Huzulen, deren Colindalieder den rumänischen sehr nahe stehen, während des "Umzuges nach dem Rhythmus dieser Lieder tanzten (P. Caraman, idem 16), so können wir annehmen, daß es eine alte rumänische gesungene epische Dichtung gegeben hat, nach der getanzt wurde. Wenn wir außerdem noch die Struktur der poetischen und musikalischen Eigentümlichkeiten der Colindalieder untersuchen, so gelangen wir zu dem Schluß, daß sie gleich den ritualen Begräbnisgesängen, einigen ritualen Hochzeitsliedern, einigen Ernteliedern und einigen Tanzweisen zur ältesten Schicht des rumänischen Volksgesanges gehören. Wie die Colindaumzüge die Weihnachtsfeiertage beherrschen, so überragen die Wunschumzüge mit Pflug und Rummeltopf und auch die Maskenspiele das Neujahrsfest. Der P f l u g b r a u c h (plugu§orul) ist vorwiegend ein Agrarritus. Der geschmückte Pflug ist ein wirklicher, von zwei oder vier Ochsen gezogener Pflug. Im allgemeinen gebrauchen nur Kinder einen symbolischen Pflug. Der rezitierte — nicht gesungene — Wunschspruch ist ein langes Gedicht, das in etwa 500 Versen lauter drollige Begebenheiten und mit witzigen Redensarten oftmals den ganzen Hergang der Feld- und Erntearbeit vom Pflügen und Säen bis zum Stollenbacken aus dem neuen Weizenmehl erzählt, wobei er eine reiche Ernte im kommenden Jahre andeutet. Als Zubehör werden neben dem Rummeltopf auch verschiedene Begleitinstrumente verwendet, wie Flöten, Geigen, Cobza, Kuhglocken, Peitschen. Mancherorts wird beim Verlassen des Hofes mit dem Pflug die erste Furche gezogen. Zwischen dem Wunschspruch mit Pflug und Rummeltopf und dem in Siebenbürgen üblichen Stollenspruch am Ende der Colindalieder — eine Erzählung in Versen von der Geschichte des Brotes — besteht große Ähnlichkeit. Die M a s k e n s p i e l e werden in zwei Kategorien eingeteilt, denen vielleicht gesonderter Ursprung und gesonderte Entwicklung zugrunde liegen: a) Turca (Turonbock) und Cerbul (Hirschmaske); b) Brezaia (buntfarbiger Schnappbock), Kamel, Ziege und Malanka. Die Hauptfigur aller dieser Spiele ist der Schnappbock. Die „Turca" wird zumeist einzeln gespielt oder mit dem ,,bloj", der Maske eines alten Mannes oder einer alten Frau, die an einem Stecken ein Tuch mit Asche tragen. Das Paar erinnert uns an „cervulus et vetula", gegen welche die Entscheidung des Konzils von Auxerre kämpfte. Die ,,Turca" wird meist mit Flötenbegleitung gespielt. Mit der „Turca" wird umgezogen und werden Wünsche ausgesprochen. Der Wunschspruch der „Turca" ähnelt an manchen Orten sehr dem Stollenwunschspruch, dem „Pflug" und älteren Formen des MalankaWunsches in der nördlichen Moldau. Nach Neujahr wird die „Turca" symbolisch erschossen und begraben. An manchen Orten werden Wettbewerbe zwischen den „Turca" veranstaltet; die Gewinnende erhält eine Efeukrone, die sie dann während der ganzen Festzeit trägt.
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Die buntscheckige „Brezaia", das „Kamel", die „Ziege" und die „Malanka" sind die eigentlichen Maskenspiele. Die Brezaia hat einen Ziegen-, Fuchs-, Storchen- oder Kranichkopf. Sie wird von dem alten Mann und der alten Frau mit dem Aschentuch begleitet, sowie von anderen Masken, welche komische Szenen darstellen. Auch die Brezaia stirbt, aber nicht um begraben zu werden, sondern um Lustigkeit zu erregen. Die Maskenspiele der Moldau haben die „Ziegen" (caprele) zum Mittelpunkt, deren es mehrere in einem Bund gibt. Außer den Ziegen können auch andere Tiermasken mitwirken, wie Bär, Wolf, Fuchs, Kranich, Hahn, Pfau, Pferd und menschliche Masken wie der alte Mann, die alte Frau, die Braut, der Teufel, der Türke usw. Die Ziegen und der Bär tanzen mit viel Kunstfertigkeit Grotesktänze, während die Maskenträger zur Heiterkeit der Zuschauer verschiedene traditionelle komische Szenen vorführen, in welche manchmal zeitgemäße Begebenheiten eingeflochten sind. Die Maskenspiele werden von Flötenspiel oder von einer kleinen Kapelle (taraf) begleitet, bestehend aus Geige und Cobza und natürlich auch Trommeln oder Schellentrommeln (dairea, türk. daire) für den Bären. In der nördlichen Moldau ertönt zu den Maskenspielen auch das Alphorn. Zweck der Maskenspiele ist es, die Zuschauer zu erheitern, damit sie in freudiger Stimmimg den Eintritt ins neue Jahr feiern. In diesem Sinne sind sie in anderer Form gleichfalls Glückwünsche zum neuen Jahre (vgl. Paolo Toschi, Le origini •del teatro italiano, Roma 1955, 10). Die Lieder und Spiele, die an das alte Brauchtum anläßlich der Jahreswende gebunden sind, stellen wertvolle Dokumente für das Studium der Entwicklung der rumänischen Volkskultur dar. Zwischen dem Zyklus unserer Winterfeste u n d dem der Römer, vor allem der Saturnalien, Calendas und Dies natalis Solis Invicti, glaubt die Forschung unleugbare Zusammenhänge zu finden. Viele Lieder, Wunschsprüche und Spiele, die im Laufe dieser Feiertage dargeboten werden, führen sichtbar, selbst wenn die Fäden zur Antike nicht nachweisbar sind, zu Lebensformen zurück, in denen die magische Anschauung vorherrschend war (V. I. Cicerov, Kalendarnaja poezija i obrjad, in P. G. Bogatyrev, Ruskoje narodnoje foeticeskoe tvorcestvo, Moskva 1954. 161, 163). Unter den alten Gesängen und Ritualspielen traf das Volk im Laufe der Jahrhunderte seine Auswahl, und bis in die Gegenwart wählte es diejenigen aus, welche es am geeignetsten fand, seine Gedanken, Bestrebungen und Freuden beim Eintritt ins neue Jahr auszudrücken. I m allgemeinen pflegt das Volk heute diese traditionellen Lieder und Spiele, weil es so Brauch ist, weil es sich so gehört. Sicherlich sind diese Lieder und Spiele im Verlauf ihrer Entwicklung einem unvermeidlichen Anpassungsprozeß unterworfen. Die Veränderungen können sowohl die Funktion als auch den Inhalt oder die Form betreffen. Innerhalb der Bräuche kann eine Umgruppierung der einzelnen Elemente des Repertoires erscheinen. Einige Kategorien sind konservativer, andere dem Neuen zugänglicher. Trotzdem geschieht nichts Unerwartetes. I m Entwicklungsprozeß werden die Lieder und Spiele des alten Brauches zur Jahreswende weiterhin der Auslese
TAFEL 6
Maskenspiele zum Neujahrsfest, Bezirk Suceava
TAFEL 7
„Turca" aus dem Bezirk Mure§
Bräuche, Gesang und Spiel zu Neujahr
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unterworfen sein, werden immer weiter abgeschliffen, um ständig zeitgemäß zu bleiben, so wie das in der Vergangenheit geschah, um aus magischen Sprüchen zu Gedichten und Liedern von bedeutender Vollendung und Schönheit zu werden. Einige werden verschwinden; sie werden nur als Dokumente vergangener Zeiten und überholter Lebensauffassimg verbleiben. Andere werden sich erhalten und weiter entwickeln. Die Bewahrung und Weiterführung der Folklore-Tradition ist heute eine der Forschungsaufgaben der Folkloristen. Die rumänischen Folkloristen versuchen, die damit verbundenen Probleme zu lösen, indem sie im Volke das Bewußtsein für die wahren folkloristischen Werte wachrufen. Das ist wahrscheinlich leichter zu erreichen bei einem Volke wie dem unseren, das eine lebendige und gut erhaltene Tradition sowie eine aufblühende Folklore und eine Volksschöpfung in voller Schaffenskraft besitzt. Und diese Entwicklung kann eintreten, weil die Änderung der Lebensbedingungen und die Erhöhung des Kulturstandes, die Fühlungnahme mit der professionellen Kultur, die selbst tief im Volke wurzelt, die Menschen nicht von ihren traditionellen künstlerischen Gütern entfernt, sondern im Gegenteil ihr Wertbewußtsein und das Verlangen, die kulturellen Güter zu bewahren und weiterzuentwickeln, bestärkt.
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Festschrift Steinitz
A. R O S E T T I
A propos du son-type et du phonème
Nous avons posé, dans une étude récente1, la différence entre,,son-type" et „phonème". Ces deux unités appartiennent à des niveaux différents du langage: le sontype ressortit de la phonétique, tandis que le phonème appartient à la phonologie. Il est possible, croyons-nous, de retrouver ces deux unités du langage dans les exposés récents sur la phonologie théorique. Ainsi, S. K. Saumjan, dans son analyse du langage2 à partir des sons parlés, après avoir montré que les allophones sont des sons individuels qui forment le substrat d'un phonème individuel (ou concret), passe ensuite au degré supérieur de l'analyse, qui est le domaine des „construits". Le premier pallier de l'analyse que nous venons de décrire correspond, à notre avis, à celui où est plaeé le „son-type", qui est constitué, par conséquent, par la totalité des sons qui en forment le substrat physique. Le phonémoïde abstrait de S. K. Saumjan est le résultat d'une opération mentale d'identification des phonémoïdes qui apparaissent dans des positions différentes, par ex. a = à (v. ci-dessous). Dans le degré supérieur d'abstraction, qui est celui des „construits", le phonémoïde concret forme le substrat du phonème individuel concret, qui est défini par un rapport de commutation dans une position donnée: le „phonème abstrait" de S. K. Saumjan s'obtient par une opération d'identification des „phonèmes concrets" qui sont placés dans des positions différentes, ainsi, en roumain, après /&'/> lg[, jàj est commutable avec [ô/ : /k'àr — k'ôrj (=
chiar,
chior).
¡â[ représente ici
le substrat physique du phonème concret /à/. Après d'autres consonnes, /a[ est commutable avec /o/:/dar/ — jdor[. Ici /a/ est le substrat physique du phonème concret /aI, qui apparaît après une consonne non-palatale. Par identification de /à/ et de /a/, on obtient le phonème abstrait /a/. S. K. Saumjan ne précise pas si par phonémoïde concret il conçoit un son réellement concret, si, par exemple, le phonémoïde concret /à/ représente le son à, ou s'il est lui-même un type sonore /à/, indifféremment des particularités concrètes de chaque à. Ceci étant dit, l'on conçoit que le son-type peut recouvrir entièrement la sphère du concept de phonémoïde concret, ou bien qu'il peut désigner la totalité des variétés du phonémoïde /à/. 1 2
Son-type et phonème, à paraître. S. K. Saumjan, Problemy teoreticeskoj fonologii, Moscou, 1962, p. 38—47.
A propos du son-type et du phonème
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D'autre part, on peut concevoir un son-type a équivalent du phonémoïde abstrait /a/, par une opération d'identification que nous avons mentionnée ci-dessus : le phonémoïde abstrait /a/ est le substrat physique du phonème abstrait a. La différence entre le son abstrait à et le son-type a réside donc dans le degré d'abstraction. Comme nous l'avons montré au début du présent article, le son-type est placé à un autre niveau du langage que le phonème ou le phonémoïde : le son-type appartient au plan (degré) phonétique du langage, tandis que le phonème (et le phonémoïde) appartiennent au plan phonologique (ou phonémique) du langage. Cette terminologie nous permet d'éviter toute confusion entre le plan phonétique et le plan phonologique (phonémique) du langage.
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WALTER R U B E N
Dilip Kumar Roy „The Upward Spiral" (1949) und F. M. Dostojewski „Die Brüder Karamasoff" (1879/80)
Die Hauptlinie der Handlung in D. K. Roys bengalischem Roman 1 ist folgende: Mala wird 1926 als die Tochter eines wohlhabenden bengalischen Grundbesitzers geboren und von dessen geschäftstüchtiger Witwe aufgezogen. Schon als Kind hat sie Visionen des Gottes Krishna und dichtet und tanzt zu seiner Ehre. Sie besucht die Einsiedelei eines „Heiligen" in Kaschmir und möchte ständig dort bleiben, die Mutter aber führt sie gewaltsam fort und läßt sie weltlich erziehen. Sie wird Tänzerin und lebt in Opposition zu ihrer geschäftstüchtigen Mutter und allen raffgierigen Reichen (63); sie revoltiert heftig gegen die Diktatur der Gesellschaft mit den fetten Frauen und Müttern und ihrem Klatsch (91). Die Mutter möchte sie mit einem reichen bengalischen Juristen verheiraten (250), sie aber ertrotzt bei ihrer Mutter die Genehmigung zur Verlobung mit Amar, dem Sohn eines reichen panjabischen Kaufmanns, der selber ein begabter Musiker und Organisator einer Tanzgruppe ist. Auch der „Heilige" stimmt Mala zu, sie möge den Versuch des Ehelebens wagen (161). Amar ist aber zugleich ein völlig unfrommer nationalistischer Terrorist und als solcher in die Hände einer kommunistischen Gruppe geraten. Er benutzt sogar einen russischen Samowar (219). Der politische Gegensatz der beiden Verlobten beginnt sofort bei der Frage der Verwendung der Einnahmen der Tanztruppe, der Mala beigetreten ist: Sie möchte eine Einsiedelei, er aber arme Patrioten unterstützen (250f.). Zum Weltanschaulich-Politischen kommt das Problem der Liebe, Leidenschaft und Eifersucht. Amar hatte früher eine Engländerin geliebt, die an seinem Kinde gestorben war. Jetzt aber noch liebt ihn Lina, eine ihrem Manne fortgelaufene indische Frauenärztin, aber Amars Freund Tapan, ebenfalls Nationalist, liebt Lina und t u t alles, sie von Amar fernzuhalten. Sie bleibt Tapans Geliebte. Amar aber wird auf Tapan Malas wegen eifersüchtig, und in der Tat schwankt sie zwischen beiden Freunden und Parteigenossen, und Tapan läßt sich von Malas Frömmigkeit beeindrucken und küßt sie einmal. Er hinterbringt ihr Amars LiebesafFären, Amar aber läßt sie von Tapans Terrorakt wissen, bei dem ein Mädchen und ein Knabe ermordet worden sind. Tapan wird verhaftet, deutet Mala aber noch an, daß ein „guter Freund", ein Mitglied seiner Partei ihn verraten hat. Andererseits scheint auch Amar bei jenem Terror mitgemacht zu haben, soll verhaftet werden, entflieht aber. Diese Häufung 1
The Upward Spiral, a novel by Dilip Kumar Roy, Jaico Publishing House, New York— Bombay—Calcutta—New Delhi 1949. Imprimerie de Sri Aurobindo Ashram, Pondichery.
„The Upward Spiral" (1949) und „Die Brüder Karamasoff" (1879/80)
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von Greueln der Eifersucht und Intrigen unter den Terroristen erinnert an Tagores Schilderung in dem Roman „Vier Kapitel" (1934), soll im Leser Ekel vor dem Weltgetriebe erwecken und führt Mala, die jetzt, 1945, neunzehnjährig ist, zu ihrer alten Gläubigkeit zurück ; sie wird zweifellos in die Einsiedelei des „Heiligen" im Himalaya übersiedeln. Ihre Mutter ist inzwischen bekehrt worden. Die Hauptlinie des russischen Romans 1 : Alescha wurde etwa 1846 als dritter Sohn eines wohlhabenden, bereits zweimal verwitweten Grundbesitzers geboren. Der Vater ist häßlich geschäftstüchtig und kümmert sich um seine Söhne überhaupt nicht; sie wachsen bei Fremden auf. Mit neunzehn Jahren tritt der reine, keusche, herzensgute Alescha in ein Kloster als Novize ein, um kompromißlos für die Unsterblichkeit zu leben (I, 47). Dort gerät er völlig unter den Einfluß eines „Greises", eines Heiligen. Kaum ein Jahr später aber holt der unfromme Vater ihn aus dem Kloster heraus, und auch der „Greis" sendet Alescha in die Welt, damit er in ihr wirke, auch heirate; in Kummer solle er sein Glück suchen (I, 141). Alescha gerät sofort in eine grausige Familientragödie. Sein Vater begaunert seinen ältesten Sohn Dmitri, einen ungebildeten, wegen überaus leichtsinnigem Leben aus dem Dienst gejagten Offizier, der keine Kopeke mehr besitzt, um sein mütterliches Erbe; zugleich sucht er mit Geld und einem Heiratsversprechen die Geliebte Dmitris, Gruschenka, trotz seines Alters zu kaufen. Dmitri hat ihretwegen seine Braut Katharina verlassen, und diese wird jetzt von Aleschas zweitem Bruder, Iwan, mit Erfolg umworben. Iwan ist Materialist, Atheist, geldlich unabhängig, ein Utopist, der an eine Harmonie am Ende aller irdischen Nöte glaubt (I, 430), aber zugleich solche von der Kirche gelehrte Endharmonie ebenso ablehnt wie das angeblich läuternde Leiden (447), ohne über einen praktischen Weg zu grübeln. Da wird der Vater ohne Zeugen ermordet, und zwar von seinem Diener, den sowohl der böse Vater wie auch Iwan mit seinem atheistischen Gerede moralisch verdorben haben. Beschuldigt wird aber Dmitri wegen seiner bekannten Geldnot und Eifersucht. Von den Geschworenen des Gerichts, meist Bauern, wird er für schuldig befunden ; sie folgen dem in seinem Ehrgeiz irrenden Staatsanwalt, nicht aber dem einsichtigen, extra aus Petersburg geholten, berühmten Verteidiger. Iwan bereitet durch Bestechung die Flucht Dmitris vor, und der fromme Alescha billigt diese Absicht. Alescha war zunächst willens, Lisa zu heiraten, ein eigenwilliges Mädchen, das ihn um die Ehe bat ; sie bot sich dann aber Iwan an, und der Fortgang der Geschichte der drei Brüder Karamasoff bleibt unklar. Diese beiden Romane sind so verschieden voneinander, daß eine Abhängigkeit des bengalischen vom russischen nicht in Frage kommt. Sie sind also zwei räumlich und zeitlich weit auseinanderliegende Analoga. I n beiden steht ein junger Mensch mit früher Frömmigkeit in scharfem Gegensatz zum Vater bzw. zur Mutter, die beide aus Weltlichkeit ihre Kinder aus der Umgebung des Klosters bzw. der Ein1
Dostojewski, Die Brüder Karamasoff, Insel-Verlag, Leipzig o. J. Vgl. Wolfgang Bussewitz, Die Entwicklung der Weltanschauung F. M. Dostoevskij, untersucht an den künstlerischen Hauptgestalten seiner Werke, Dissertation der Pädagogischen Hochschule Potsdam 1962.
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siedelei herausreißen ins gesellschaftliche Leben, während der „Heilige" und der „Greis" dem zustimmen. Beide Frommen erleben das Elend gesellschaftlicher Greuel und wachsen irgendwie an ihren Leiden. Diese gemeinsame Grundlinie beider Romane entspricht einer analogen rückschrittlichen Haltung der beiden Romanschreiber und der Kreise, für die sie geschrieben. Die bedeutenden Unterschiede beider Romane aber sind aus der Verschiedenheit der nationalen historischen Entwicklung Bengalens und Rußlands abzuleiten. In beiden Romanen wendet sich der Autor zugunsten einer religiösen Haltung gegen die Kräfte des Fortschritts. Mit gehässigem Unverständnis charakterisiert D. K. Roy die nationalistischen Terroristen der Zeit des zweiten Weltkrieges, die sich bei all ihrer Problematik immerhin als einzig konsequente revolutionäre antikoloniale Kämpfer empfanden, als rivalisierende Schurken und bringt sie mit Kommunisten zusammen, denen sich freilich einige Terroristen näherten. Roy gibt dazu aber die notwendigen Erläuterungen nicht. Er macht nur Gandhi selber trotz dessen betonter Politik der Gewaltlosigkeit ganz allgemein für die Terroristen verantwortlich (207f.). Er erwähnt mit keinem Wort die grundsätzliche Ablehnung des kleinbürgerlich-anarchistischen Terrors durch den Kommunismus 1 . E r verurteilt vielmehr ganz allgemein aus religiösem Interesse jeden Patriotismus, weil er den Menschen so erniedrige, wie die Liebe es tue, denn beide führten zu Herrschsucht, Intoleranz, Eifersucht und Haß (120), eine nur gegen Chauvinismus berechtigte Lehre, die er mit den Greueln um Amar herum zu belegen strebt. Weiter wendet er sich leider ohne klare Argumente gegen die derzeitige (er meint wohl die parlamentarische) Demokratie (93) und legt schließlich Mala Tapan gegenüber die Worte in den Mund, sie sei wie Amar für Wohltat und würde gerne gelegentlich den „Bettlern" helfen, für die Tapans Herz Tag und Nacht blute; aber sie glaube nicht, daß die, die wie Tiere leben, über Nacht dazu gebracht werden könnten, wie Menschen zu leben (301). So reiht D. K. Roy halbe Wahrheiten aneinander. Demgegenüber läßt Dostojewski keinen terroristischen Anarchisten auftreten, während er kurz vorher in den „Dämonen" Nihilisten und revolutionäre Demokraten gehäßig zusammengeworfen hatte. E r zeichnet Iwan vielmehr aus religiösem Interesse als einen unklaren, atheistischen Liberalen, der den Diener mit seiner „aufgeklärten" Morallehre, daß für einen Atheisten alles erlaubt sei (s. o.), zum Mörder werden läßt. Ähnlich argumentiert der „Greis", daß die neue Lehre der Freiheit die Menschen aufreize, alle ihre Bedürfnisse zu befriedigen; daraus folge bei den Reichen Vereinsamung, bei den Armen aber Neid und Mordsucht; sie werden sich bald statt an Branntwein an Blut berauschen (I, 63f.). Und Iwan läßt den Großinquisitor in dessen Episode erklären, die Menschen würden zu den Priestern sprechen, „Knechtet uns, aber gebt uns zu essen", denn keine Wissenschaft würde ihnen jemals Brot geben, solange sie Freiheit genießen (II, 463). Dostojewski kritisiert indessen keine rebellierenden Organisationen wie D. K. Roy, er geißelt nur gelegentlich die moderne Presse, die aus dem westlichen 1
W. I. Lenin, Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit Werke Band 31, Berlin 1959, lff., bes. 16ff.
im Kommunismus,
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Europa eindringende Aufklärung und als Institution das Geschworenengericht (s. o.), das gerade kurz vor 1866 unter Alexander II. (1855—81) eingeführt worden war. Ihm liegt nicht so sehr an den Greueln des politischen Lebens, als an denen des Familienlebens, denn er sieht offenbar mit dem Staatsanwalt in der Familie die Grundlage der russischen Gesellschaft (III, 385). Er teilt wohl auch dessen Ansicht, daß der Vater der Karamasoffs als geldgieriger, unfrommer, von Leidenschaft gehetzter Egoist nicht alleine steht, sondern viele „heutige" Väter ihm im Wesen gleichen (III, 336). Er zeigt aber nicht, daß es der Kapitalismus ist, der gesetzmäßig die feudalistische Familie, insbesondere die adlige der Großgrundbesitzer, spaltet und zerfallen läßt. Ebensowenig zeigt dies D. K. Roy, der ohne Erläuterung anführt, daß Mala sich nicht dem Wunsch der Mutter beugt, sondern sich selber ihren künftigen Gatten sucht, was ebenfalls den Zerfall der feudalistischen Familie andeutet, zu der die von den Eltern festgelegte standesgemäße Konvenienzehe gehört, wie zum Kapitalismus die Geldheirat, in Indien wie in Europa. Der Bengale kritisierte 1949 diese Neuerung der Tochter aber nicht so, wie Dostojewski die „neuen" Väter von 1866 als unmoralisch anklagte, sondern er geißelte in bezug auf das Familienleben die Mutter mit ihrer natürlichen Mutterliebe, ja die Mutterliebe an sich, nicht als nur damalige Zeiterscheinung. Malas Mutter ist eine Durchschnittsfrau, meinte er; sie glaubt wie üblich daran, daß die indische Mutter besonders musterhaft sei (11). Aber für D. K. Roy ist Mutterliebe ebenso wie Vaterlandsliebe (s. o.) etwas Unfrommes, Egoistisches, Leidenschaftliches und ist also verdammenswert. Mala leidet unter der Mutterliebe, bis ihre Mutter durch Malas unerschütterliche Religiosität bekehrt wird und am Ende dem Eintritt Malas in die Einsiedelei zustimmt. Das ist eine unhumane, in Indien schon im alten Buddhismus belegbare Ablehnung des Familienlebens zugunsten eines weitabgewandten Asketentums, das hier mit der den ganzen Roman durchziehenden reaktionären Gesinnung verherrlicht wird. Dostojewski dagegen läßt mit utopischer Frömmigkeit bei aller Gegensätzlichkeit der Charaktere Aleschas und seines Vaters zwischen beiden eine stille und in ihrer frommen Art geradezu übermenschliche „Liebe" walten, da Alescha alle Menschen, sündig wie sie angeblich sind, auch seinen bösen Vater, voll Güte „versteht" und niemanden kritisiert, so daß auch der Vater dem frommen Sohn gegenüber toleranter ist als gegenüber den anderen Söhnen, als ein Musterfall der Wirksamkeit der gläubigen Liebe Aleschas, wenn der Vater auch nicht bekehrt wird wie Malas Mutter. Zur religiösen Ablehnung des Fortschritts gehört in beiden Romanen die Polemik gegen die Wissenschaft. Ein Schüler des Einsiedlers im Himalaya fragt sich, ob nicht die politisch-moralische Unruhe des modernen Indien von der eifrig betriebenen Naturwissenschaft herrührt (204); er bewundert Gandhi allenfalls wegen seines „Glaubens an mystische Weisheit im Gegensatz zur Wissenschaft" (209) und stimmt einem englischen Mystiker zu, der als Inder wiedergeboren werden möchte, weil er Europa mit dem Stolz auf seine Wissenschaft satt hat (213). Eine Freundin dieses Schülers klagt, daß jetzt Tage der Wissenschaft, der Demokratie und der statistischen Durchschnitte seien (93). (Ihr heiliger Lehrer ebenso wie Mala, s. u., sind eben mit ihrer Nichtdurchschnittlichkeit die Ideale
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des Autors!) Der russische „Greis" aber klagt, daß die Menschen jetzt zwar die Wissenschaft hätten, diese aber nur das erfasse, was „den Sinnen unterworfen ist" (II, 63), ein Ausdruck, mit dem alles Erkennbare und Erkannte religiös abgewertet ist. Dostojewski stellt der aus dem westlichen Europa nach Rußland gekommenen Aufklärung, die einen Iwan verdorben hat, so daß er mit seinem unmoralischen Atheismus den Diener seines Vaters zum Mörder macht, die „russische" Religiosität gegenüber. Der „Greis" lehrt, daß das russische Volk (und er meint damit offenbar die Massen der Bauern) glaube, was die Mönche glauben, und daß auch ein genialer Volksaufwiegler bei den Bauern nichts ausrichten würde. Vielmehr werde für Rußland das Heil von seinem Volke kommen, das russische Kloster aber sei stets mit dem Volke (II, 66). Selbst jener verdorbene Diener und Mörder gesteht seinem zynischen Herren zu, daß er an immerhin ein bis zwei wahrhaft Fromme trotz allem derzeitigen Unglauben glaube, und er entpuppt sich damit, meint der Vater, als echt russischer Mensch (I, 241), und sogar der Wüstling Dmitri erklärt Alescha stolz, daß alle Kamarasoffs Philosophen seien, weil alle wirklichen Russen Philosophen seien (III, 138), wobei Philosoph hier soviel wie mystischer Grübler bedeutet. Hier steht Dostojewski auf der Seite der damaligen russischen Slawophilen und im Gegensatz zu den sogenannten Westlern. Analog steht D. K. Roy auf dem Standpunkt typischer heutiger nationalistischer, orthodoxer Frömmigkeit, wenn er selbst bei Gandhi den Einfluß Thoreaus und Tolstois bemängelt, der sich bekanntlich in seinen Vorstellungen des passiven Widerstandes und der der Menschheit dienenden Liebe finde, und ihm mit aller Entschiedenheit das Recht abspricht, sich auf die Bhagavadgita zu berufen (208), die D. K. Roy als bengalischer Vaishnava und Anhänger Aurobindos (s. u.) anders interpretiert als Gandhi. E r stellt an anderer Stelle dem europäischen Neuerer, der bereit sei, für das Neue mit dem Leben zu spielen, den Inder entgegen, der den Traum dem Abenteuer vorziehe (43). Er verurteilt in diesem Sinne Amar, der von den Russen nicht nur den Kommunismus, sondern auch den Samowar übernommen habe und als Terrorist mit dem Leben seiner Opfer spiele. Beide Autoren urteilen dabei parteilich-einseitig von ihrem nationalistischen Standpunkt aus (neben dem es auch andere Nationalismen gibt), ohne dem Leser die Kompliziertheit der Problematik, wieweit bürgerliche Aufklärung und kleinbürgerliche Terrorismen fortschrittlich sind, anzudeuten. Westler wie Herzen oder Ram Mohan Roy in Bengalen waren ja durchaus nicht unpatriotisch, wenn sie vom „Westen" Wissenschaft und Aufklärung übernahmen, denn anders war Fortschritt in ihren Ländern damals unmöglich. Und der Nationalist D. K. Roy müßte auch bei einem Amar den antikolonialen Nationalismus anerkennen; um das zu umgehen, wendet er sich als Religiöser gegen Patriotismus und politische Aktivität überhaupt, ohne sich und dem Leser klarzumachen, daß sein Buch mit seiner Orthodoxie selber durchaus nationalistisch-politisch ist. Im bengalischen Roman besänftigt der „Heilige" durch bloßes Handauflegen die Schmerzen eines Engländers, der an einem Duodenargeschwür leidet, statt daß dieser zu Morphium greift. Er weist dabei die Wunderkraft bescheiden der Göttin Bhavani zu (464); dieser zunächst brutale Kolonialbeamte wird dadurch
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und durch die Predigten des „Heiligen" restlos für diesen gewonnen, so daß der Schüler des „Heiligen" nationalistisch geistreichelt, daß der Westen nicht um öl, sondern um Licht zum Osten kommt (481). Dies soll wohl ein Muster antikolonialer Betätigung im Gegensatz zum Terrorismus sein. Daß das Geschwür durch dies „Wunder" geheilt sei, wagt der Autor freilich nicht zu behaupten. Ähnlich heilt der russische „Greis" den Anfall von „Fallsucht" einer armen Bäuerin durch Auflegen seines Schultertuches auf ihren Kopf (I, 85), weist die K r a f t dieses Wunders Gott zu, aber weigert sich vorsichtig, jetzt schon von Heilung zu sprechen, es handele sich zunächst nur um eine Erleichterung. Beide Autoren scheuen sich, allzu ausgesprochen von Wundern zu reden, „angekränkelt" offenbar von der Wissenschaft, die sie so sehr verachten. Beide Autoren erklären die Helden ihrer Romane für nichttypische Gestalten. Der Bengale versichert, Mala sei nicht nur frühreif, sondern habe eine angeborene Fähigkeit gehabt, das gewöhnliche menschliche Bewußtsein zu überschreiten; sie unterscheide sich von den mittelmäßigen Mädchen, die die sogenannte realistische Kunst behandle; daher sei sie so schwer durchschaubar (60). Dostojewski aber entschuldigt sich einleitend bei dem Leser, daß er einen so unbedeutenden Helden wie Alescha gewählt habe, einen Sonderling, der kaum Beachtung verdiene, zumal alle bestrebt seien, irgendeinen allgemeinen Sinn in der allgemeinen Ungereimtheit zu finden. Aber er fügt auch hinzu, ein wunderlicher Kerl sei nicht immer nur eine Ausnahme, sondern trage manchmal den Kern des Ganzen in sich, von dem die anderen Menschen seiner Epoche sich zeitweise losgerissen hätten (I, 5f.). Beide Romanciers wollen eben ihre wunderlichen Helden letztlich als musterhafte Idealgestalten hinstellen, als seltene Fromme in der allgemein unfrommen Gesellschaft ihrer Zeit. Untypisch sind aber auch die Umstände des Lebens dieser untypischen Helden, diese gehäuften Spannungen und Verbrechen in der russischen Familie und im indischen Parteileben. Beide Romane tragen damit einen stark naturalistischen Charakter. Man bedenke dabei, daß Dostojewski diesen Roman schrieb, als Zola die Theorie des Naturalismus darlegte. Aber Dostojewskis Naturalismus ist ein religiöser, der im Gegensatz zu Zola nicht auf die Fragen des Kapitalismus und seiner industriellen Produktion mit ihrem Elend für die Arbeiter oder mit den kapitalistischen Gaunereien der bourgeoisen Welt eingeht, sondern die adlig-bürgerliche Gesellschaft einer russischen Kleinstadt scharf kritisiert, um, ebenso wie D. K. Roy, die Leser mit Ekel vor der Gesellschaft zu erfüllen und für religiöses Denken, Fühlen und Leben reif zu machen. Ein derartiges mehr oder weniger realistisches Kritisieren der Gesellschaft ist in indischer wie europäischer religiöser Literatur uralt und in unseren beiden Romanen ein Erbe solcher frommen voneinander unabhängigen Traditionen. Dieser religiöse Realismus oder Naturalismus trifft mit seiner großenteils berechtigten Gesellschaftskritik aber nicht immer grundsätzlich das Alte, um dem Neuen zum Durchbruch zu verhelfen, sondern sucht, im Kapitalismus, innerhalb dessen sich schon zu Zeiten beider Autoren Ansätze des Sozialismus zeigten, die Religion des Feudalismus lebendig zu erhalten, alles Fortschrittliche aber abzulehnen.
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Beide Romanschreiber geben sich den Anschein, ihre Zeit als getreue Historiker zu schildern, geben recht genaue Jahreszahlen an, aber gehen auf die gesellschaftliche Entwicklung der behandelten Perioden im einzelnen nicht ein und entstellen den Sozialismus. Beide ergehen sich vielmehr in breiten psychologischen und theologischen Diskussionen und Spekulationen, die die Handlung überwuchern und die Romane zu verhältnismäßig sehr umfangreichen Büchern anschwellen lassen. Als extreme Idealisten schildern sie die Handlungen ihrer Gestalten knapp, ihr Innenleben aber mit allen Einzelheiten, soweit es ihnen die Entwicklung der Psychologie ihrer Zeit und Gegend erlaubte; dabei schwelgen sie insbesondere in Spekulationen über das Unbewußte als unverständliche, ihnen aber dank ihrer religiösen Einsicht zugängliche Triebkraft der Menschen, wie z. B. der indische „Heilige" gerade in Tapan unterdrückte Religiosität und durch Mala geweckte Erotik als Anreiz zu seinem Terrorakt herauszustellen sucht, an dem er zugrunde geht (404f.). Analog fällt der russische „Greis" ohne ein Wort der Erklärung dem Wüstüng Dmitri zu Füßen, offenbar, weil er in ihm den künftig des Vatermordes zu bezichtigenden und durch die daraus folgenden Leiden sich läuternden, also im Grunde bei aller wüsten Leidenschaftlichkeit doch frommen, echt russischen Menschen ahnt. Daß Leiden läutert, gilt ja beiden frommen Autoren als Wahrheit. Das bestätigt Malas Leben, und das sagt der „Greis" zu Alescha, als er ihn aus dem Kloster in die Gesellschaft schickt. Dabei rät er ihm, im Kummer sein Glück zu suchen (1,141). Beide Romane verurteilen den entgegengesetzten Standpunkt, daß der Fortschritt der Gesellschaft darin besteht, das Leiden der ausgebeuteten Massen durch Sozialismus kämpferisch aufzuheben. Aber man übersehe auch die bedeutenden Unterschiede Malas und Aleschas nicht. Mala ist im Gegensatz zu Alescha ein Mädchen, eine Heilige, die im Sinne des Autors hoch über dem Manne, dem Künstler und Terroristen steht, der ihr Gatte werden soll. Sie erinnert etwa an die Streiterin Shri, die ihren Gatten Sitaram in Bankim Chandra Chatterjis Roman „Sitaram" (1887), als er moralisch tief gesunken ist, mit Versen der Bhagavadgita hilft, so daß er sich ermannt. Wie Shri steht Mala in vishnuitisch-bengalischer Tradition und ist nur aus dieser zu verstehen. Sie ist sozusagen eine moderne Radha, jene mythologische Hauptgeliebte des Gottes Krishna aus der frühfeudalistischen Theologie. Bis in die spätfeudalistische bengalische Vishnutheologie und -literatur spielt Radha eine große Rolle als die Geliebte, die zu Krishna eilt, sich für ihn schmückt, die enttäuscht ist, wenn er nicht kommt, die von ihm mit einer anderen hintergangen wird, die mit ihm schmollt, die sich nach ihm sehnt, oder die ihn ganz beherrscht 1 . Aber Mala, die sich schon als Kind Krishna als geistigen Geliebten oder Gatten erwählt hatte, wurde ihm untreu, als sie sich mit Amar verlobte, und eine dem Gotte Krishna untreu werdende Radha ist in feudalistischer mystischer Liebesliteratur undenkbar gewesen. Durch ihren Abfall von Krishna, von Gott (Krishna ist für die bengalischen Vaishnavas der Gott schlechthin!), zieht Mala sich aber selber ihr Leid zu. 1
S. K. De, Philosophy of Bengal Vaishnavism, in: The Padyavali, Dacca 1934, abgedruckt in Indian Studies past and present, II, 1, 1960, 90ff., bes. 108.
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Der Bengale Aurobindo lehrte in der vorigen Generation, daß das Böse und das Leid der Welt daher rührt, daß das Ich sich von Gott, von seinem Ursprung, von dem All-Einzigen, dem alles seinen Ursprung verdankt, trennt und seinen eigenen Wunsch, seine eigene Wichtigkeit der Einheit mit dem Ganzen, mit Gott, dem Geiste, vorzieht. Jeder Kraft, jedem Ding wird ja die Möglichkeit gegeben und die Freiheit gelassen, sich innerhalb der Fülle unendlicher Möglichkeiten auszudrücken durch ihren abgetrennten Willen und durch den Konflikt mit den anderen 1 . Diese Worte passen zu Malas Reden, Denken und Handeln in dem Roman D. K. Roys, der in die Tradition der bengalischen Vishnuiten und in die Schule Aurobindos gehört. Mala ist sich bewußt, d a ß sie ihrem Egoismus folgt, als sie sich Amar verloben will (165), und sie gesteht dies dem Heiligen. Dieser aber ermutigt sie und lehrt, daß das, was sie herunterzieht, ihr helfen wird, zu ihrer vollen Größe zu wachsen. Er erinnert sie an König Ashoka, der im 3. Jahrh. v. u. Z. nach den Massakern seines Kaiingakrieges aus Reue ein frommer Buddhist wurde, und daran, daß Liederlichkeit oft durch Reue und Übersättigung zum Blühen des Geistes führt (162 ff.). In christlicher Tradition entspricht dem die Legende vom verlorenen Sohn oder die vom Sünder Gregorius, der zum Heiligen und Papst wurde. Am Ende aber zweifelt der Leser nicht, daß Mala in der Einsiedelei ein ruhiges Leben führen wird, eine Yogini voll bhakti (Liebe) zu ihrem Gotte Krishna. Was der bengalische Vaishnava-Theologe von Radha lehrt, daß sie die am meisten Geliebte Krishnas ist, ihre Liebe zum Gott die höchste, und daß diese ihre Liebe mit Gottes höchster Form der Wonne identisch ist 2 , das ist es, was der Leser etwa für Mala und ihre Liebe zu Krishna herauslesen soll. Diese wonnevolle Liebe ist für unser Empfinden in ihrem Wesen egozentrisch; D. K. Roy läßt den Heiligen selber es einmal ganz brutal aussprechen, daß Yogis es sich nicht leisten können, sentimentale Altruisten zu sein, geschweige schauspielernde Humanitäre, da diese oft mehr Böses als Gutes tun (472). Und er legt dem Terroristen Tapan die Worte in den Mund, daß „unsere" Massen wie Kork und Strandgut an den Strand geworfen werden; sie sterben wie die Fliegen, ohne einen Protest zu summen, geschweige aus Wut zu stechen. Sie leben dahin Tag für Tag, als wäre es vermessen von ihrer Seite, auch nur die Luft einzuatmen, die ihre reichen Zeitgenossen ausatmen; sie fühlen kaum, daß sie irgend ein menschliches Recht haben. Mala in ihrem Elfenbeinturm ahne von diesem Elend nichts (304). Er aber, der Terrorist, habe sein Leben als Revolutionär auf das Existenzminimum eingestellt, bis seine armen Landsleute frei wären — frei wohl eher vom Kolonialismus als von Ausbeutung; man denke daran, was oben über D. K. Roys antidemokratische Einstellung angeführt worden ist. Zwar ist Mala für gelegentliche Wohltätigkeit, und der „Heilige" stillt gelegentlich einem Engländer dessen Schmerzen (s. o.). Aber das altindische brahmanische Ideal des Yogi preist nur die Heilssuche des Einzelnen für sich selber 3 und schließt Altruismus nur im Sinne 1
2 Sri Aurobindo, Das Rätsel der Welt, Pondichery 1952 (deutsch). De a. a. O. 98. Das Mitleid (daya) im Mahayana-Buddhismus und Shivaismus (vgl. W. Rüben, Die Erlebnisse der zehn Prinzen, Berlin 1952,44ff.) bleibt „Gedankenmitleid" ohne Tat (A. Schweitzer, Die Weltanschauung der indischen Denker, Mystik und Ethik, München, 1935, 92fF.). 3
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solcher gelegentlichen Wohltaten ein. Interessant sind moderne indische Bemühungen, Altruismus zu lehren und religiös zu begründen 1 . Alescha ist ein ganz anderer Typ eines Frommen. Er ist nicht als Mystiker gemeint, sondern als Menschenfreund, der alle Menschen liebt, allen vertraut, über niemanden Richter sein will, niemals etwas verdammt, nicht zu beleidigen ist, über nichts erstaunt oder erschrickt und sogar seinen Vater, diesen Bösewicht, liebt, sich nur als Keuscher und Reiner bei dessen allzugroben Ausschweifungen entfernt; als ein Gottesnarr ist er ohne Interesse am Geld; und hat er keines, ernähren ihn andere (I, 31 ff.). Dostojewski stellt ihn aber in eine Gesellschaft äußerst verschlossener Menschen, die zueinander nicht offen sind, sich gegenseitig und sich selber nicht verstehen, so daß nur Alescha sich in seine Mitmenschen einfühlen kann; gelegentlich t u t dies auch die Gehebte Dmitris, eine Art Prostituierte. Dies allgemeine Mißverstehen, das dem Leser Agnostizismus suggeriert, und die Feindschaft aller gegen alle führt zu dem Justizirrtum kurz vor dem Ende des Romans. In diese verkommene, noch halb feudalistische Welt des Adels und Bürgertums sendet der „Greis" den zwanzigjährigen Alescha, damit er in ihr „wirke" und unentwegt arbeite, insbesondere in seiner zerrissenen Familie (I, 441). Das „Wirken" Aleschas aber besteht nicht etwa im Kampf gegen die Übel der Gesellschaft oder in Anleitung zum Kampf, sondern nur in seiner „aktiven" Liebe zu allen Menschen, darin, daß er ihnen verständnisvoll und extrem tolerant zuhört, ohne sie in ihren Sünden, alle Menschen sind ja Sünder, zu verurteilen. Deswegen neigen sich ihm (wie analog auch dem indischen „Heiligen") alle Herzen zu und fühlen sich erleichtert durch diese seine unerschütterliche und demütige Menschenliebe. I m Gegensatz zu Mala geht er nicht aus Egoismus in die Welt der Gesellschaft, sondern als eine Art Missionar dieser Art Menschenliebe, und er trennt sich dabei nicht von seinem Gott, sondern sein Gottesglaube, der ganz anders ist als Malas Krishna-Liebe, ist für ihn das selbstverständliche Fundament seiner Güte, die alle Menschen in ferner Zukunft zu einer frommen Einheit führen möchte. Aleschas Ideal ist nicht der egozentrische Yogi altindischer Tradition, sondern der altruistische Apostel des Christentums. Und so utopisch auch dies Ideal schließlicher Einheit aller entsühnten Menschen ist, es wirkt geradezu human im Vergleich mit dem des bengalischen Autors, zumal Alescha es am Ende frei von frommem Dogmatismus billigt, wenn Iwan die Polizei bestechen will, um dem unschuldig verurteilten Dmitri zur Flucht zu verhelfen. Alescha verspricht sogar, bei der Flucht des Bruders zu helfen; damit wird er aktiv werden, während doch sonst seine Haltung den Leidenden Demut und Fatalismus nahe legt. Er und Dostojewski sehen ja die grauenhaften Seiten der noch halbfeudalistischen Gesellschaft, finden aber keinen praktischen, revolutionären Ausweg, weil sie das Neue, das Industrieproletariat, nicht sehen, ebensowenig wie D. K. Roy. Freilich plante Dostojewski, Alescha in einer Fortsetzung des Romans zum Revolutionär werden zu lassen. Jedenfalls kehrt er im Gegensatz zu Mala nicht ins Kloster zurück. 1
Vgl. P. V. Kanal, Altruism,
Dev Samaj Book Depot, Moga (Punjab), 1956.
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Diese beiden Romane, der bengalische und der russische, D. K. Roys und Dostojewskis, sind nicht die einzigen, die sich in bezug auf grundlegende Gemeinsamkeiten und ebenso wichtige Unterschiede miteinander vergleichen lassen. An anderer Stelle sind bereits zwei Romane Turgenjews und einer Tolstois mit bengalischen Romanen Rabindranath Tagores verglichen worden 1 . Die Gemeinsamkeiten lassen sich bei ihnen allen darauf zurückführen, daß Bengalen und Rußland damals noch überwiegend agrarisch waren, mit einem unbeschreiblichen Elend der Bauern, die sich hier und da erhoben, mit geringer Industrialisierung und aus Westeuropa eindringendem Kapitalismus samt Aufklärung, so daß es in Indien und Rußland innerhalb des Bürgertums zum analogen Gegensatz von Westlern und Nationalisten, Aufklärern und Orthodoxen, Fortschrittlern und Konservativen kam. Die Unterschiede der Romane aber lassen sich auf die Verschiedenheit uralter Traditionen im Osten und Westen zurückführen. Insbesondere schrieb Dostojewski nach den Reformen zur Zeit Alexanders II. mit der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Einführung der Geschworenengerichte, D. K. Roy aber schrieb nach der politischen Befreiung Indiens 1947, die bedeutende Fortschritte, aber auch die Anlehnung mancher bürgerlicher, die sozialistische Revolution fürchtender Kreise an die noch lebenden Feudalmächte der Großgrundbesitzer und Brahmanen mit sich brachte. Diese russischen und bengalischen Autoren lebten in der Periode des Überganges ihres Landes von Feudalismus zu Kapitalismus. Beide haben aber diesen Übergang nicht entfernt so deutlich erfaßt und so klassisch dargestellt wie Balzac, der in Frankreich die Schritte der bürgerlichen Revolution mit musterhafter Deutlichkeit sah und auf französischer Ökonomie und Geschichte fußte, die den Charakter der Klassenkämpfe schon erstaunlich klar erkannten. Stendhal kam ihm nahe. Aber seine Zeitgenossen, wie etwa Dickens in England oder Gutzkow in Deutschland, konnten nicht so klar sehen und nicht so realistisch schreiben. Ebensowenig die großen Russen des etwas späteren 19. Jahrhunderts oder die Inder des 20. Jahrhunderts. So hilft uns das Vergleichen der Literatur verschiedener Nationen, das Allgemeine sowohl wie das Besondere zu erkennen und einer Weltliteraturgeschichte näher zu kommen. Es hilft dem Indologen bei der Beantwortung der Grundfrage: Wo steht Indien heute, wie kam es dahin, und wie wird es weitergehen? Dostojewski irrte, wenn er das russische Volk, die Massen der Bauern für an sich fromm und konservativ erklärte. Eben diese Bauern und ihre Kinder haben wenig später, 1905 und 1917, in den Revolutionen des Bürgertums und der Arbeiterklasse entscheidend für das Neue mitgekämpft. Das sollte man bei der Selbstsicherheit eines D. K. Roy und seiner Anhänger bedenken. Andererseits hilft uns ein solcher Vergleich, manches in unserer eigenen, europäischen Literatur, in diesem Falle bei Dostojewski, deutlicher zu sehen, was uns, da wir in derselben christlichen Tradition aufgewachsen sind, an und für sich kaum auffällt. Besonders wichtig ist es, daß bald auch Inder solche Vergleiche anstellen. 1
W. Rüben, Rabindranath Tagores Wellbedeutung, Berlin 1962, 37 ff.; Indische Romane Bd. 1, Berlin 1964, 175ff., 189ff., 208f.
RUDOLF R Ù 2 I 0 K A
Zur Präzisierung und zum Begriff der Passivtransformation im Russischen
1. Die Transformationsgrammatik ist der bloßen Phrasenstrukturgrammatik auch durch ihre Fähigkeit überlegen, syntaktische Homonymien aufzulösen. Sie muß in gleicher Weise imstande sein, eine „Homonymie" von Transformationsregeln aufzulösen, von der man sprechen könnte, wenn ein und dieselbe Transformation verschiedene Strukturen ergibt, d. h. wenn durch Anwendung einer Transformationsregel, deren syntaktische Kategorien in einer bestimmten Abstraktionsstufe spezifiziert sind (z. B.' NP, Nom, V tr 1 ), Strukturen ganz verschiedenen Charakters erzielt werden. Der Unterschied der generierten Strukturen läßt sich intuitiv leicht einsehen, leichter als der verborgener liegende Unterschied der Ausgangsstrukturen, auf den jedenfalls dann geschlossen werden muß. Die Transformationsgrammatik kann solcher „Homonymie" auf zwei Wegen begegnen: (a) sie kann gegebenenfalls die syntaktischen Kategorien der Ausgangsstrukturen in Unterklassen (z. B. NP per9 2) spezifizieren und dadurch die Transformationsregel differenzieren; (b) sie muß die intuitiven Unterschiede als Unterschiede in der Anwendbarkeit weiterer Transformationen erklären. 2. Die Klasse der Passivtransformationen läßt sich dann scharf abgrenzen — und diese Bezeichnung wird damit gerechtfertigt und sinnvoll —, wenn man sie eindeutig durch eine bestimmte Morphemverbindung, wie etwa im Deutschen oder Englischen durch Hilfsverb to be (werden) plus Partizip bestimmt sein läßt. Fehlt diese morphologische Eindeutigkeit und ist Eindeutigkeit auch nicht durch die Transformationsregel gegeben, dann verliert der Begriff der Passivtransformation seine Einheit oder Zweckmäßigkeit und behält auch als Bezeichnung einer Klasse von Transformationen wenig Sinn. 3. Die sogenannte Passivtransformation ist im Russischen in der einen ihrer beiden komplementären Varianten mehrfach „homonym", und zwar in der Variante, deren Transformationsregel V->V = CH enthält. Diese Variante kann deshalb nicht ohne weiteres als Passivtransformation bezeichnet werden. (I) NPJ + V tr + imp + NP4'
NPi' + V tr + imp +
CH
+ NP£ 8
s. Fußnote 3. s. Fußnote 3. 3 Abkürzungen: Nom = Nomen; NP = Nominalphrase; NPj = Nominalphrase im Nominativ; NP 2 , NP 4 , NP 5 = Nominalphrase im Genitiv, im Akkusativ, im Instrumental; NP; = Nominalphrase in einem beliebigen Kasus; V t r = transitives Verb; imp = Morphem 1
2
Passivtransformation im Russischen
(1 IWIOTHHKH CTpOHT ßOM (2
[ [
bojihh
yBjieitaioT ßpeBHa
B MOpe
(3
ero 3aMHCJiH yßjieKaiOT COTpyflHHKOB
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335
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3tot nocTynoK B03Myma.ii jiiofleö
jiioflH BOSMymajiHCb 3THM nocTynKOM
(6 bh,h peöeHKa yMUJiHJi MaTb
MaTb yMHjiHJiacb bh^om peSciiKa
(7 ero OTBeT yTenraji MaTb
MaTb yTeuiajiacb ero otbgtom
(8 cyjibßa öe^HHKa Tporajia ero
oh TporancH cynbßoü öeflHHKa
(9 (10
[ [
TBOH KOHIiepTH BOCTOpraJIH Hac
mh B O C T o p r a j i H C b tbohmh kohqepTaMH
npoH3BeÄeHHoe BnenaraeHne y^OBjieTBopHeT ero
OH yaoBJieTBopHeTCH np0H3Be«eHHHM BneiaTjieHHeM
(11 HOBaa nbeca HHTepecoBajia ero
oh HHTepecoBajicH hoboh nbecoä
Die „homonyme" Transformationsregel (1) kann beim gleichen Verbum passivische wie nichtpassivische Struktur ergeben, vgl. (3), (2), d. h. Konstruktionen, die den intuitiven Vorstellungen vom Passiv entsprechen oder nicht. 4. Die Kombinationen von Morphembelegungen, die an der „homonymen" Transformation ( I ) teilnehmen und durch sie zu einer passivischen (1), (2) oder einer nichtpassivischen (3) —(11) Konstruktion transformiert werden, sind unterschiedlich an der Nominalisierungstransformation ( I I ) beteiligt, so daß'sich an dieser die ambigue Struktur noch nicht oder nur teilweise entzweit. Strukturen, die durch (I) passivisch werden, nehmen regelmäßig an folgender Nominalisierungstransformation teil:
I
Pron^ + 3. Pers.
Pron^' Nom 4
I
Pron^ + 3. Pers. Pron" + Possj Nom2
des imperfektiven Aspekts; perf = Morphem des perfektiven Aspekts; prät = Morphem des präteritalen Tempus; präs = Morphem des Präsens; V t r N = von transitivem Verb abgeleitetes Verbalnomen; Pron = Pronomen; Pron + Poss = Possessivpronomen; Refl + Poss = reflexives Possessivpronomen; 3. Pers. = Morphem der 3. Person; Aux = Hilfsverb; Part. prät. pass. = Morphem des Partizips Präteritum Passiv; NP p e r s = Nominalphrase, deren Kernwort ein personenbezeichnendes Nomen ist; VA' = Adjektiv, das von einem Verb mit Suffix -TejibH- oder -h- abgeleitet ist.
336
Rudolf Rùìiika
Sätze, die durch (I) zu nichtpassivischen Strukturen werden, nehmen an ( I I ) nur begrenzt teil. Häufig weisen sie eine Nominalisierungstransformation mit N P i -> Präposition + N P j (i ^ 2) auf. (12) nocTpoüKa A O M a iuiothhkcUvih ; vgl. (1)
(13) (14) (15) (16) (17)
yBJieneHHe coTpyflHiiKOB ero 3aMucjiaMH; vgl. (3) ero BoexHmeHHe craxoTBOpeHHeM; vgl. (4) BOBMymeHHe juo^eß sthm nociynKOM; vgl. (5) yMHJieHHe MaTepw bh^om peßeHKa; vgl. (6) yTemeHne MaTepH ero otbötom; vgl. (7)
( 1 8 ) e r o yp,0BJieTB0peHHe npoiiöBefleHHbiM BneiaTJieiraeM; v g l . ( 1 0 )
(19) ero HHTepec k hoboö mece; vgl. (11) 5. In allen Fällen, in denen durch (I) keine passivische Struktur erzeugt wird (und ebenso trivialerweise in den Fällen, in denen sich durch Anwendung von (I) passivische Struktur ergibt), führt folgende Transformation ( I I I ) zu Strukturen, die als passivisch bezeichnet werden: ( I I I ) N P i + V tr + perf + NP4' (20) ero 3aMHCJiH yBJieKJin COTpyflHHKOB
N P i ' + Aux + V t r + perf + Part, prät. pass. + NP5 coTpyflHHKH 6hjih yBJie^eHH ero 3aMHCJiaMH
Die gleiche Ausgangsstruktur läßt sich der Transformation (I) unterziehen, sofern in (I) der Aspekt des transformierten Verbs nicht als imperfektiv spezifiziert wird: (21) coTpypHHKH yBJieKJiHCb ero 3aMHCJiaMH. Jede Anwendung von (I) mit perfektivem Aspekt und Präteritum des Verbs (V tr + perf + prät) impliziert Nichtpassivität der sich aus (I) ergebenden Struktur. Die Interpretation von (I) als Passivtransformation setzt also Spezifizierung des Verbums als imperfektiv und als perfektiv nichtpräterital voraus. 6. Mit der Gegenüberstellung der passivischen und der nichtpassivischen Strukturen (22) ohh öhjih BoexHujeHH ero craxoTBOpeHHeM (23) OHH BOCXHTHJIHCb erO CTHXOTBOpeHHeM ist indessen eine klare semantische Scheidung nicht leicht zu verbinden. Nähe, wenn nicht Identität der semantischen Interpretation gilt für Strukturen wie {22), (23), sofern das beiden gemeinsame Verbum bei Teilnahme an (I) keine passivische Struktur entstehen läßt. Allerdings trifft das für einige Verben dieser Klasse z. B. yBJieKaTBCH [vgl. (2)] nur dann zu, wenn das akkusativische Nomen der Kategorie NP 4 des Ausgangssatzes (I) auf die Klasse der Personen beschränkt ist. 7. Diese Begrenzung der Morphembelegungen für NP4 des Ausgangssatzes von ( I ) und somit für NP^ des Transforms von (I) ergibt eine klare Möglichkeit, die
Passivtransformation im Russischen
337
„homonyme" Transformation (I) in den Phrasenstrukturregeln zu differenzieren; denn die Passivtransformation mit V + •! !• V 4- J L [ perf + pras J [ perf + präs J + CH scheint an den gleichen Stellen komplementäre Klassen der „Nichtperson" zu erfordern. Läßt man nun diese Einschränkung gültig sein und ordnet ihr eine weitere zu für NP X der Ausgangsstruktur und somit NP 5 des Transforms, nämlich die Einschränkung auf Personenbezeichnungen, so läßt sich eine zweckmäßige Festlegung für die Passivtransformation treffen, die mit Hilfe der Regel V - > V + CH erfolgt: Transformation (I) gilt als Passivtransformation, wenn in der Ausgangsstruktur NPJ eine Personenbezeichnung ist, NP4' aber nicht. Der Forderung, daß NPJ Personen bezeichnet, entspricht der Ausgangssatz, wenn er zum sog. unbestimmt-persönlichen Satz transformiert werden kann. (24) II.IIOTHHKH CTpOHT ,II,OM-i- CTpOHT flOM
Lomtev 1 betrachtet diese Transformation als eine Voraussetzung der Passivtransformation. Der Sinn dieser Voraussetzung ist die Beschränkung auf Personenbezeichnungen. Die damit gegebene Ausschließung von Konstruktionen wie (25) cojiHeiHHH CBeT norjiomaeTCH
JIHCTLHMH
(26) jiyiH cojimja OTpaataioTCH noBepxHOCTbro iviopfi
aus dem Bereich des Passivs begründet Lomtev (a. a. O. S. 16) auch noch durch ihre Transformierbarkeit zu (27) cojmeHHHH CBeT norjiomaeTCH B JIMCTI>HX2.
Es versteht sich, daß noch eine ganze Reihe weiterer Einschränkungen der Passivtransformation mit V - > V + CH in den Regeln berücksichtigt werden müssen. Das betrifft z . B . die starken Einschränkungen der Pronomina der 1. und 2. Person und den Ausschluß des Imperativs (vgl. B. B. BuHorpaflOB, PyccKwö H3HK, Moskau-Leningrad 1947, S. 639ff.). 8. Die krassen strukturellen Unterschiede der an (I) beteiligten Menge von Sätzen lassen sich leicht enthüllen durch Einführung dreier weiterer Transformationen (IV), (V), (VI), an denen nur die Klasse von Sätzen teilnimmt, die durch (I) nichtpassivische Struktur erhält. 1
T. IT. JI0MT6B, O MeTOflaX HACHTHlJlHKamiH CHHTaKCHMöCKHX OSI.CKTOB H HCHHCJieHHH
HX 3HAQHMOCTEFI, Moskau 1963, S. 10 ff. 2 Auf die semantische Nähe analoger präpositionaler Konstruktionen im Englischen weist Sapir (Culture, Language and Personality, Berkely and Los Angeles 1958, S. 8ff.) hin: „'The grass waves in the wind' is shown by its linguistic form to be a member of the same relational class of experiences as 'The man works in the house' . . . If we feel the sentence to be poetic or metaphorical, it is largely because other more complex types of experience with their appropriate symbolisms of reference enable us to reinterpret the situation and to say, for instance, 'The grass is waved by the wind' or 'The wind causes the grass to wave'."
22 Festschrift Steinitz
338
Rudolf Ruìiika
+ V' + NP4' p e r s + V' + N P i ' p e r s
L + (Refi + Poss6) + NPg
(28) HaniH paccKa3H yBJieKajin ero
MM YBJIEKAJIH e r o CBOHMH PACCKA3AMH
(29) ero p e n i BOCxHmajiH Hac
- > OH BOCXHmajI Hac
(V) N P i + NP^' + V + N P Ì " (30)
CMejiaa
ten
N P i ' + V + NPi"P
[
NPHHYJMHBOCTB CTH-
CTHXOTBOpeHHe
(VI) [NPi + V' + NP4 , p e r s 3TH CTHXH YßJIEKAJIH
+ NPg
BOCXHmajIO
MeHH
flJIH Hero 3TH CTHXH SfclJIH yBJie-
ero
KaTejibHH
(32) flJIH Hero STO CTHXOTBOpeHHe 6hJI0
BOCXHTHTejIbHO
(33)
HJIH JIM^EII 9TOT n o c T y n o K 6 H J I BOAMYTIITEJIEH
(34)
B H 3 p e ß e H K a «JIH MATEPII 6 H J I YMHJIHTEJIEH OTBÖT 6 H J I AJIH
peiaMH
[(WIH + NP^' per9 ) + N P ; + Aux + 1 [6u- + V' A + («JIH + NP^'P ers ) J J
(35) ero
ers
CBoeii CMejioft npnqy,njiHBOCTbK>
XOTBOpeHHH B O C X H m a j i a MeHH
(31)
CBOHMH
MaTepw
]
YTEMHTEJIBHHM
(36) npoH3BeneHHoe BneiaTJieHHe SHJIO yfl0BJieTB0pHTejii>H0 ajih Hero
(37) ero pa3pemeHHe sa^aiH
,HJIH
Hac
ÖLIJIO
oneHb HHTepecHHM
9. Damit ist eine klare strukturelle Trennung der in (I) vereinten Strukturen vollzogen. Gleichzeitig definiert die Teilnahme an (I), (IV), (V) und (VI) eine Klasse von Verben und bestätigt die intuitive Zusammenstellving dieser Klasse, die sich zweifellos ebenso erweitern läßt wie sie durch feinere strukturelle Sondierung in Unterklassen aufgegliedert werden kann; Teilnahme oder Nichtteilnahme an (VI) ist bereits ein Anhaltspunkt für weitere Teilungen. 10. Die zunehmende Verfeinerung der strukturellen Einkreisung von Lexemen durch Einschränkungen in der Phrasenstruktur- und in der Transformationskomponente der Transformationsgrammatik kann zu semantischen Klassen mit nur einem Element führen 1 . Die Theorie der Grammatik und eine Theorie der Semantik haben sich hier abzugrenzen. Diese Abgrenzung würde freilich bereits dadurch gegeben sein, daß die Summe oder das System der Transformationsregeln — wenn eine semantische Theorie diese für semantische Beschreibungen vorsieht —, die eine Klasse äquivalenter Lexeme definieren, einen völlig anderen, nämlich auf Isolierung der Lexeme gerichteten Aufbau hat als die systematische Anordnung der Transformationsregeln in der generativen Grammatik. Aber die Theorie der (Transformations)grammatik hat Entscheidungen über den Grad der Spezifizierung syntaktischer Kategorien zu treffen, über den Grad etwa der 1 Vgl. 10. AnpecHH, K Bonpocy 0 CTpyKTypHolt JieKCHKOJiorHH, in: Bonpocw H3UK03HaHHH, 3, 1962, S. 3 8 - 4 6 .
Passivtransformation im Russischen
339
Gliederung von N P in Unterklassen, die jeweils an verschiedenen Mengen von Transformationen teilnehmen. 11. Die Homonymie, die aufgelöst wurde, ist nicht die einzige, die mit der Transformation (I) verbunden ist: (38) Boaa aajiHBaeT jioflKy. Die Transformation zu (39) jiOAKa aajiHBaeTcn BOROÖ zieht eine ganz andere semantische Interpretation der Passivkonstruktion nach sich; denn (39) ist elliptisch; Ausgangspunkt ist (40) MEI 3ajiHBaeM jioflKy Bofloft. (41) jio^ita ÖHJia (ro Kpaeß) aaJiHTa BOflOö läßt semantische Interpretationen zu, die (38), (42) und (39) entsprechen. (42) jiOTjKy 3ajiiiBajio boaoö (43) *jiORKa aajiiijiacb boaoö. (44) BO.ua aajiHBaeT jiyra ergibt bei Anwendung von (I) keine Passivkonstruktion: (45) (ßecHofi) Jiyra aajiiiBaioTCH BOflOft; vgl. (46) jiyra aajiHBaioTCH b nojiOBOflte (47) (BecHoit) aajiHBajio Jiyra Bofloii (48) *jiyra aajiHjincb bo^oü Anwendung von (I) ergibt in (45) ebensowenig Passiv wie in (3); (38) ergibt bei Anwendimg von (I) keine semantisch äquivalente Passivstruktur: (39) ist kein Passiv zu (38). (42) und (47) trennen weitere Transformationsserien, nämlich (38)—(42) und (44)—(47), von (3)—(11). (21) vollzieht eine weitere Trennung zwischen (3)—(11) einerseits und (38)—(42), (44) —(47) andererseits, da (43) und (48) keine sprachgerechten Sätze bilden. Auch die Transformationsreihe (38)—(48) läßt die auf S. 337 vorgeschlagene Festlegung der Passivtransformation als zweckmäßig erscheinen. 12. Schon dieses fragmentarische Transformationsbild von Konstruktionen, deren Verbum Suffix -ch aufweist, spiegelt die syntaktisch-semantische Komplexit ä t dieser Verben und der mit ihnen verbundenen Kategorie des genus verbi. Die Widersprüchlichkeit aller bisherigen Beschreibungen der mit Suffix -ch zusammenhängenden Erscheinungen ist offenbar ohne Verwendung der Transformationsgrammatik nicht zu beheben.
22*
GERT S A U E R
Zur Suffigierung einiger syrjänischer Lehnwörter im Ost jakischen
In der Arbeit „Über die syrjänischen Lehnwörter im Ostjakischen" von Y . H. Toivonen ( F U F X X X I I ) finden sich gelegentlich Stellungnahmen zu den Suffixoder Auslautverhältnissen der Lehnwörter, z. B . Nr. 120, 195 (S. 121 f.), 255. Die falsche Interpretation in Nr. 120, wo Toivonen das Suffix -tek im Ostjakischen nicht als syrjänisches Lehnsuffix erkannt, sondern -tek als ein einheimisches, ostjakisches Suffix bezeichnet hat, veranlaßte mich vor einiger Zeit zur Zusammenstellung der syrjänischen Lehnsuffixe im Ostjakischen (Congressus Internationalis Fenno-Ugristarum, Budapestini Habitus, 20—24. I X . 1960, Budapest 1963). Nun kommt bei Toivonen gelegentlich aber auch der umgekehrte Fehler vor, daß er Suffixe oder Suffixelemente von Ableitungen im Ostjakischen aus dem Syrjänischen herleitet, die in Wirklichkeit ostjakischen Ursprungs sind. E s ist kein Zufall, daß diese falschen Zusammenstellungen in Kapitel I I I von Toivonens Arbeit, wo die Vertretung der syrjänischen Laute im Ostjakischen behandelt wird, ausnahmslos als Unregelmäßigkeiten auftreten. Ich habe diese Fälle sowie zwei Wörter, deren Auslaut im Ostjakischen Toivonen nicht deuten konnte, zusammengestellt und als Neubildungen mit ostjakischen Suffixen richtiggestellt bzw. als Analogiebildungen zu erklären versucht. I m allgemeinen nicht behandelt habe ich Zusammenstellungen, die Toivonen mit ,,?" versehen hat (insbesondere einige affektiv gefärbte Wörter, Nr. 102, 281) oder Zusammenstellungen, die mir selbst unsicher scheinen (Nr. 64, 185). kästi- (DN) gedenken, K r . kästit- (frequ.) erinnern, zu Gemüt führen < syrj. S ua. kaitil- (Toiv. Nr. 122). Toivonen führt i der beiden ostj. Verbalformen auf syrj. i zurück: „Nur in einigen . . . anscheinend späten Lehnwörtern beobachten wir i ... als Entsprechung des syrj. i" (Toiv. S. 144). In den beiden ostj. Verbalformen ist i jedoch Suffix bzw. Suffixelement ostj. Ursprungs: in der DN-Form ist i die in DN vereinzelt auftretende Variante des Frequentativsuffixes Irt. -dj-, vgl. DN pdtri-, D T pdtrdj(frequ.) — DN pafor- in den Händen drücken (Karj.-Toiv. 750a; G. Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Dissertationsfassung, Berlin 1956, 282), in der Kr.-Form ist i Bestandteil des Frequ.-Suffixes Irt. -it-, vgl. z. B . Kr. ätmit- (frequ.) wiegen (mit der Waage) — ätdm- heben; K r . wäjdmtit- einnicken — wäjdmt- in Schlaf sinken (Karj.-Toiv. 125b, 2 0 7 b ; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 281). Beide
Suffigierung syrjänischer Lehnwörter im Ostjakischen
341
ostj. Verbalformen sind Neubildungen vom Stamm kästd-, kästd- (Toiv. Nr. 121; vgl. auch Fokos-Fuchs, ALH I I I , 254f). likmi- (Päpay) treffen < syrj. S L I U likmi- (Toiv. Nr. 366). Toivonen verbindet das auslautende i der ostj. Verbalform mit syrj. i (Toiv. S. 144). Der bei Toivonen Nr. 366 angeführten syrj. Ableitung entspricht im Ostj. aber Mul. Keu. tikdm-, Kaz. (Steinitz) A'ikdm-, Sy. likdm- (Steinitz, Ostj. Wörterbuch, Manuskript). Die Ableitung Pap. likmi- ist eine ostj. Neubildung mit dem Verbalbildungssuffix nordostj. -i-, -ij-, vgl. z . B . Kaz. kari-, 0 käri- sich umwenden, sich hin und her wenden — vgl. Kaz. karsms- umdrehen; § posij-, Kaz. posi-, 0 pasi- tropfen — vgl. Kaz. posydAt- träufeln (Karj.-Toiv. 422a, 743; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 52, 62f.; vgl. auch Fokos-Fuchs, ALH I I I , 2561). A'äsydmtd- (Trj.) eine Ohrfeige geben; sonst: Ni. töskd-, Kaz. A'nskd-, 0 läsks< ? syrj. V S I ua. laski- (Toiv. Nr. 368). Toivonen hält eine Verbindung des y in der Trj.-Form mit syrj. k für möglich: „Deskriptiv-onomatopoietisch sind . . . sowohl das ostj. als auch das syrj. Verb im Wortartikel Nr. 368, so daß das y ... in der . . . T r j . Form sich leicht aus diesem Umstand erklären k a n n " (Toiv. S. 109). y gehört jedoch zu dem ostj. Momentansuffix Trj. -ydmtd-, -kdmtd-, mit dem die Trj.-Form neugebildet worden ist, vgl. z . B . Trj. jaysrkwmU- einmal betrügen — jäyar- betrügen; Trj. n'vAydmtd- verschlingen — vgl. V n'el verschluckter Bissen (Karj.-Toiv. 138a, 6 4 8 b ; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 263). Vgl. auch die Ableitungen DN täsdj-, täsxdmt-, tästd- (Karj.-Toiv. 921f.). mäkard (Ni.), Kaz. mükari, 0 mökäri Buckel (auf dem Rücken); sonst: DN Kos. K-Paas. Ts. mökdr, Ni. mäkar < syrj. U P mikir (Toiv. Nr. 130). Toivonen bringt a, ä der genannten Formen von Ni. Kaz. O mit syrj. i in Verbindung: „In einigen wenigen Fällen wird... syrj. i durch a, ä .. . vertreten. .. .In Nr. 130 findet man nach Mundarten — und auch innerhalb ein und derselben Mundart — wechselnd a, a und ä . . . " (Toiv. S. 144). Das Vorkommen von a, ä in den ostj. Formen erklärt sich aber wohl dadurch, daß in Ni. Kaz. 0 der Auslaut -9r dieses affektiv gefärbten Wortes analog zu dem Affektivsuffix -aril-äri umgebildet worden ist, vgl. z . B . V j . n'äsari : käli tordrn n'. paholaisen irvihammas — vgl. Kaz. n'äsali (Ableitung mit dem Affektivsuffix -alij-äli) Grimassenzieher; K-Paas. sdkärd Locke — sdk dicht belaubt, dicht (Karj.-Toiv. 370a, 6 3 9 a ; Paas.Donn. 2323). n'vra% (DT) Drüse (z. B . am Hals, von einer Krankheit); sonst: K r . n'&rät, Ni. n'örat, Kaz. n'erat < syrj. V S L ua. n'ered (Toiv. Nr. 153; vgl. auch Toiv. S. 111: „Etwas Besonderes ist schließlich, daß das syrj. -d in Nr. . . . 153 durch ...-•/... ersetzt worden zu sein scheint"). In D T ist der Auslaut -at, -ät offenbar analog zu dem Affektivsuffix -akj-äk umgebildet worden, vgl. z . B . Kr. ywrmai jdpdl mit diesen Worten neckt man einen Schmollenden — yurdm- im Ärger etwas unterlassen; Vj. käwlak Tuchlappen mit
342
:
Gert Sauer
Fächern — käwdl Zwischenraum, Schlupfwinkel, Fach (Karj.-Toiv. 336a, 324b). Diese Analogie war möglich, da das syrj. Wort von den Ostjaken wohl affektiv empfunden wurde; dafür sprechen der Konsonant n', der für den Anlaut zahlreicher affektiver Wörter des Ostj. charakteristisch ist, sowie die Bedeutung des Wortes, vgl. z . B . auch Trj. kdylint Knoten, Drüse in den Halsmuskeln (Karj.Toiv. 394 b) DN mätdr soll einen von oben nicht sichtbaren, fühlbaren Knoten im Körper bedeuten (Karj.-Toiv. 547), Trj. n'äryis verhärtete Stelle im Fleisch, in einer Sehne (Karj.-Toiv. 636a), Likr. tili Knoten unter der Haut (Karj.-Toiv. 908a), die alle einen affektiven Charakter haben. pdwMd- (DN Fil. K r . Ts.) heizen < syrj. I ua. pimed- (Toiv. Nr. 167). Toivonen verbindet ostj. -dt (td-) mit syrj. -ed-, -ed-, indem er ostj. a auf syrj. e, e zurückführt: „Eine Gruppe für sich bilden die wenigen Entlehnungen..., in denen man ein reduziertes a . . . antrifft" (Toiv. S. 142). Vgl. auch Toiv. S. 111! Bei -attd- handelt es sich jedoch um ein ostj. Verbalbildungssuffix (kausativ), mit dem die oben genannte Ableitung vom Grundwort pam (Toiv. Nr. 165) neugebildet worden ist, vgl. z. B . Kr. yosrmtt'»- wärmen — yoidm- id.; pass. warm werden; DN tzjdttd- zum Eitern bringen — tzj Eiter (Karj.-Toiv. 349b, 1040b; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 292). Der bei Toivonen angeführten syrj. Ableitung müßte in ostj. Irt. pdmät- entsprechen (vgl. Toiv. Nr. 177, 297 ua.). paryaMa- (K-Paas.) herumrollen, pdryarnt- umdrehen < syrj. S L ua. bergal-, V S L ua. berged-, V S L ua. bert- (Toiv. Nr. 170).
Toivonen führt die genannten ostj. Ableitungen auf einen syrj. Stamm bergzurück, vgl. dazu Toiv. S. 109: „Bisweilen kommen jedoch als Entsprechung von g y,w usw. vor, die gleichen Laute, die in eigenwüchsigen Wörtern urostj. *y vertreten." Die ostj. Verbalformen sind aber ganz offensichtlich von einem Stamm pdr- (vgl. K-Paas. pdrsj-) mit einheimischen Suffixen neugebildet worden, vgl. I r t . -ydtta-, -ydttd- (kausativ) z. B . in D N säjydttd-, K r . säjyMa- drehen, rollen —
vgl. DN K r . säpmt- rollen; DN sdtydtta- umherstreuen — vgl. DN Sdtdmt- sich zerstreuen (Karj.-Toiv. 822a, 894a; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 283) und Konda -yami-, -tjami- (momentan) in Kr. säjydint- umdrehen, umwenden — vgl.Kr. säjdmt- rollen (Karj.-Toiv.822a, Ganschow; Ostj. Verbalbildung, Diss., 283). ramamt- (O) beruhigen < syrj. V S L ua. rammed- (Toiv. Nr. 210). Toivonen führt das auslautende t der ostj. Ableitung auf syrj. d oder t zurück (Toiv. S. 111). t gehört jedoch zu dem einheimischen Kausativsuffix O -amt-, -ämt-, mit dem die ostj. Ableitung vom Grundwort ram (Toiv. Nr. 208) neugebildet worden ist, vgl. z. B . 0 simlämt- vermindern — simdl wenig; O tälämt- entleeren — täl leer (Karj.-Toiv. 948b, 1035a; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 329, 165). sdrydttd- (Ts.) schütteln, schauern < ? syrj. S ua. zurlced- (Toiv. Nr. 249). Toivonen hält einen Zusammenhang von ostj. y und syrj. k in den beiden Verbalformen für möglich: „falls Ts. saryattstä . . . wirklich aus dem Syrjänischen übernommen ist, kann sein y durch den deskriptiven Charakter dieses Wortes
Suffigierung syrjänischer Lehnwörter im Ostjakischen
343
hervorgerufen sein" (Toiv. S. 109). Vgl. auch Toiv. S. 142, wo er ostj. a mit syrj. e verbindet, y der Ts.-Form ist jedoch Bestandteil des ostj. Kausativsuffixes Irt. -ysttd- (vgl. pdryattd- S. 342), mit dem die Ableitung von einem Stamm sar- neugebildet worden ist. Von diesem Stamm sind im Ostj. offenbar auch die Ableitungen D N K r . Ts. s-anj- (Toiv. Nr. 240; die syrj. Entsprechung *sirji- h a t Toivonen konstruiert) und D N K r . Sdramt- (Toiv. Nr. 243) mit den einheimischen Suffixen I r t . -dj- (s. kästi- S. 340) und Irt. -ami- (momentan) neugebildet worden; zu Irt. -dmt- vgl. z . B . D N K r . käwnmt- aufkochen — D N K r . käwdr- kochen; D N näwrdmt- (Wild) von seinem Aufenthaltsort vertreiben — näwdr- springen (Karj.Toiv. 389b, 565a; Ganschow, Ostj. Verbalbildung, Diss., 285). sirdn't (Trj.) eine Schachtelhalmart, eine Grasart (soll wie die Quecke aussehen); sonst: D N Kr. sint, Ni s'ins < syrj. V ua. zeridz' (Toiv. Nr. 245; vgl. auch Toiv. S. 113: „Trj. -n'l bildet eine Ausnahme"). I n Trj. könnte der Auslaut -af analog zu dem affektiven Nominalbildungssuffix -n't, -3n'( umgebildet worden sein, vgl. K a m . pähn't Wasserblase — Kr. H H H o y r p o B e , n o B , c o x p a H H e T
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VIKTOR
SCHIRMUNSKI
Syntaktischer Parallelismus und rhythmische Bindung im alttürkischen epischen Vers
1. Auf die Bedeutung des syntaktischen Parallelismus für die Entwicklung des volkstümlichen Verses der türkischen Stämme hat bereits der polnische Gelehrte Tadeusz Kowalski hingewiesen.1 Die syllabische Gleichheit der Verse entwickelt sich, nach Kowalski, aus Wiederholung und Parallelismus; die Wiederholung ist das ältere; der grammatische Reim als End- oder Binnenreim erscheint als eine notwendige Folge des syntaktischen Parallelismus, bedingt durch die Identität der entsprechenden Nominal- oder Verbalendungen in einer agglutinierenden Sprache. Die Ausführungen von Kowalski beruhen auf einer eingehenden Analyse volkstümlicher Vierzeiler oder Zweizeiler mit „zweigliederigem B a u " („structure dichotomique"), den er als Grundlage einer jeden metrischen Form zu betrachten scheint. Sein Versuch, den epischen Vers der altaischen Heldenmärchen auf solche Reimpaare zurückzuführen, ist sicher verfehlt. 2 Dennoch glauben wir behaupten zu dürfen, daß auch in den primitiven Formen des epischen Verses der syntaktische Parallelismus (mit Wortwiederholung und -variation) als die eigentliche Grundlage der metrischen Bindung bezeichnet werden kann. In seiner vollendeten Form erscheint der epische Vers bei den türkischen Völkern Mittelasiens (den Kasachen, Kirgisen, Karakalpaken und Usbeken) als sogenannter zïr (oder dzïr), womit die Gattung des traditionellen epischen Gesanges bezeichnet wird (davon abgeleitet zïraw oder dzïraw 'epischer Volkssänger'). Die Metrik des zïr ist silbenzählend, wie auch sonst in den volkstümlichen Dichtungsarten (einheimische Bezeichnung barmak, im Gegensatz zum quantitierenden aruz der klassischen Poesie nach arabisch-persischem Vorbild) : die türkischen Sprachen haben bekanntlich nur einen schwachen, phonologisch irrelevanten Akzent, gewöhnlich auf der grammatischen Schlußsilbe des Wortes. Die Kurzverse zählen durchschnittlich 7 bis 8 Silben (in seltenen Fällen mit geringen Abweichungen). Sie zerfallen gewöhnlich in 3 Wortgruppen („Versfüße"), von denen die letzte, als eine Art metrische Klausel, häufig 3 Silben zählt (so besonders bei den Kasachen und Karakalpaken). 3 Daneben gibt es, vornehmlich bei den Usbeken, aber auch 1
Tadeusz Kowalski, Ze studiów nad formq poezji ludów tureckich I (Études sur la forme
de la poésie des peuples turcs), Kraków 1922, 40—61, 163—65 (Résumé). 2 Ebenda, 1 2 9 - 1 3 3 . 3 Vgl. dazu 3. A. AxMeTOB, PumMuna Kaaaxcnoao cmuxa, im Sammelband M. O. Ay330B. CôopHHK CTATEII K ero inecTHßecHTHJieTHio, Ajiwa-ATa 1959, 2—4, 229. 25*
388
Viktor Schirmunski
z.B. in den epischen Novellen der Kasachen (wie „Kosy Körpösch" u. a.), einen epischen Langvers von 11 bis 12 Silben, der sich möglicherweise unter fremdem (persisch-tadzikischem) Einfluß verbreitet hat, aber andrerseits auch einheimische Wurzeln zu haben scheint (vgl. unten, S. 396) Ein episches Gedicht zerfällt in größere Abschnitte verschiedener Länge, die wir (in Analogie zu altfranzösischen Heldenepen) als „Tiraden" bezeichnen werden. Nur wechselt der Endreim innerhalb einer solchen Tirade, indem er kleinere oder größere Gruppen von je 2, 3, 4 bis 10 oder mehr Verse nacheinander umfaßt (etwa acta, bb, cccc u. dgl.), nicht selten mit Überspringung einer reimlosen Zeile (oder sogar mehrerer), oder auch einer anders gereimten Versgruppe (z. B. aaxa. . ., o d e r aabba. . . u . dgl.).
Durchaus vorherrschend ist der grammatische Reim, besonders der verbale oder der verbal-nominale (prädikative Partizipien), da das Zeitwort in den Türksprachen den Satz beschließt. Vgl. kasach. „Er Sayin" 2 — nomin. possess. balasi:anasi,
v e r b a l , p r ä t e r . aladi:baradi:
keledi;
präd. Partiz.
belsenip:teyselip:
v/iyqalip:sayqalip, u. a. Die Reime sind in lautlicher Hinsicht nicht gleich voll: als solche gelten, wie sonst in der volkstümlichen Poesie der türkischen Stämme, synharmonische oder durch konsonantische Angleichung bedingte Varianten der Formsilben, z. B. -ar/-er oder -til-til-dil-di u. dgl. Bei einer entwickelteren Reimtechnik erscheinen auch vollere Reime, die den Wortstamm lautlich einbeziehen, vgl. ,,Er Sayi'n": Prät. qorliqti:zorliqti oder Part. mingizip:kiygizip:bergizip:keltirip u . ä .
Anstelle des Reims wird nicht selten das letzte Wort des Verses wiederholt, wobei gewöhnlich auch das vorletzte mitreimt. Wiederholt werden mit Vorliebe Hilfswörter (im weiteren Sinne), vgl. „Er Sayin": . . . qan bolgan:. . . seher bolgan (Kopula 'war'); kisi zok: isi zok (Negation 'nicht'); . . . bilgen sog: ... körgen soy (Zeitadverb 'dann, später'); „Batir Sayin bolsin!" — dep: „Istine aruvaq qonsin" — dep (Schaltwort 'er sagte', auch in der Form dedi, steht häufig außerhalb der metrischen Einheit des Verses) u. ä. Einen zusammengesetzten Reim dieser Art kennt auch die arabisch-persische Dichtimg unter dem Namen „Redif", und in den strophischen Liedern der usbekischen Volksromane hat er sich unter dem Einfluß der klassischen Kunstdichtung, wie andere „moderne" Erscheinungen, entwickelt. Doch in der türkischen Volkspoesie ist es sicher eine alte einheimische Erscheinung, bedingt, wie der Reim überhaupt, durch Wortwiederholung und Parallelismus. Das Werden dieses metrischen Systems läßt sich am anschaulichsten durch einen Vergleich zwischen ihren entwickelteren und archaischen Formen feststellen. Die letzte Entwicklungsstufe des Versbaues vertritt das usbekische Heldenepos. Vgl. usb. „Alpam'is" — die Brautfahrt des Helden: 1
Vgl. Tadeusz Kowalski, op. cit., 2, 158—9. W. Radioff, Problem der Volksliteratur der türkischen Stämme Südsibiriens III, St. Petersburg 1870, VIII, 12. Auch mehrfach neugedruckt. — In den angeführten Beispielen wurde versucht, die Schreibungen der Druckvorlagen auf Grundlage der lateinischen Schrift möglichst einheitlich zu gestalten. 2
Syntaktischer Parallelismus und rhythmische Bindung
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. . . 1. Dubulga basda duyullab, (8) Der Helm auf seinem Kopfe erdröhnt, 2. Kark qubba qalqan qarqillab, (8) Der Nashorn(fell-bedeckte) Schild ertönt, 3. Tilla payanak urulgan (7) Die goldene Scheide (seines Säbels) anschlagend 4. Uzangilarga sirqillab, (8) Gegen seine Steigbügel erklingt. 5. Bedav atlari dirkillab, (8) Sein arabisches Roß zittert, 6. Algir qusayin carqillab, (8) Gleich (einem) wilden Vogel fliegt, 7. Qolda nayzasi solqullab (8) In der Hand sein Speer wackelt. . . usw. 1 Charakteristisch für den Stil dieser Verse ist eine gewisse metrische Glättung. Das Prinzip der Silbenzählung wird konsequent durchgeführt: achtsilbige Verse bilden unter den Kurzzeilen überall die große Mehrheit (nur das Paar v. 3—4 zählt je 7 Silben). Die Reime binden größere Gruppen und sind nicht selten lautlich erweitert: hier 6mal •ullabj-illah (iterat. Suffix + Partizipialendung); in den folgenden v. 8—10 — mit Einbeziehung des Wurzelkonsonanten: yoliga:soliga: eliga usw. Reimlose Verse sind dagegen selten, hier nur v. 4, der aber durch die Reimfolge aaxa (nach einer beliebten volkstümlichen Strophenform) ausgeglichen ist. Dabei handelt es sich in der Versfolge durchaus nicht immer um einen durchgeführten Parallelismus, wie in der älteren epischen Dichtung (oder in den lyrischen Vierzeilern), sondern um eine Reihenfolge paralleler Tätigkeiten oder Erscheinungen, die ihren Ausdruck, wie in dem angeführten Beispiel, in der morphologischen Ähnlichkeit der Schlußwörter (meistens prädikativer Formen) findet. Es begegnen auch Reime morphologisch verschiedener Bildung, z. B. qilibdi prät.: atdi Accus. Sing.; baccagar Nominalsuff.: bajvaccalar Nomin. Plur.: bolar präd. Partiz. u. dgl. m. Solche Beispiele, die hier, im Gegensatz zur alten epischen Tradition, ziemlich verbreitet sind, zeugen von einer lautlichen Verselbständigung des Reims, der nicht mehr, wie früher, auf dem syntaktischen Parallelismus beruht, auch in diesem Fall wahrscheinlich unter dem Einfluß der klassischen Dichtung. 1 „Alpamis" (Sänger: Fazit Juldas-ogli), Taschkent 1939,104 — 106 (liegt auch in neueren Drucken vor). Hier und im folgenden übersetze ich Wort für Wort, um durch die deutsche Wortfolge die Elemente des Parallelismus nicht zu verdunkeln. Endreime werden kursiv gedruckt, Binnenreime und Wortwiederholungen innerhalb des Verses g e s p e r r t , Alliterationen im Wortanfang mit Fettdruck bezeichnet. Die Zahl der Silben steht am Schluß des Verses in Klammern.
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Die Alliteration dagegen spielt in dem angeführten Beispiel keine bedeutende Rolle. Man findet sie häufiger bei den Kasachen und Karakalpaken, besonders im altertümlichen Epenstil (wie z. B. im „Koblandi Bati'r"), viel weniger bei den Usbeken (in v. 1—2 wird sie als lautmalerisches Mittel verwendet). Die Festigung des Endreimes als eines selbständigen und obligatorischen Mittels der metrischen Bindung führt zugleich augenscheinlich zu einer Zurückdrängung von Parallelismus und Alliteration. 1 Die Verserzählung wird im „Alpamis", wie auch in einigen anderen epischen Gedichten, hier und da durch einen kurzen prosaischen Bericht unterbrochen. Die Verspartien werden gesungen, die Prosa wird dagegen als Rezitativ gesprochen. Auch diese prosaischen Einlagen sind durch syntaktischen Parallelismus und grammatischen Reim der entsprechenden Satzteile rhythmisch gegliedert, doch zeigen diese Glieder, im Gegensatz zu den Verspartien, keine bestimmte Reihenfolge und eine sehr ungleiche Silbenzahl. Vgl. „Alpamis" (grammatische Reime: -ib Partiz., -di Präter.): Barcin nacar boliba, einig kotiba barayatganin korib&, neca (Als) Barcin hilflos blieb, des Volkes abwandernd (indem es ab kaniz-kizlarni oziga hamrah qilib&, ornidan turdih tulpar wanderte) Weggang sah, ihre Jungfrauen zu sich zusammen rief, (dann) bedav atiga mindi0, on miq uyli elat kociba dzonayberdib von ihrem Platze aufstand, ihr arabisches Roß bestieg (und) das elftausendstämmige Volk abwandernd fortging. Obgleich nicht alle Heldenepen solche Prosateile enthalten, ist diese Mischform früh bezeugt und weit verbreitet, und wir halten sie für eine traditionelle Art der epischen Dichtung bei den Türkenvölkern. Einen anderen rhythmisch-syntaktischen Bau zeigt das große kirgisische Heldenepos „Manas''. 2 Vgl. z. B.: 1. . . .Ayildagi adamdar Aus dem Gehöft (die) Männer 2. A r b i p - d a r b i ' p a minisip, A u f g e b r a c h t (auf die Rosse sich) schwangen, 3- A g y q i r i p a dzolgo kirisip, S c h r e i e n d auf (den) Weg (sich) machten 4. T ö g o b capti 0 toptosub, Uber Berg galoppierten sie haufenweise (Partiz.) 5. A d i r g a b capti 0 antalap, Ü b e r H ü g e l g a l o p p i e r t e n sie (sich) drängend, 1 Vgl. däfcu A . M. mepßaK, CoomnoiueHue ajuiumepai^uu u putßMbi e mmpKCKOM cmuxocJio&ceHuu in der Zeitschrift HapoflM A3HH H AffipHKH 1962, 2, 142—53. 2 W . Radioff, Proben der Volksliteratur der nördlichen türkischen Stämme V, St. Petersburg 1885, 1 - 3 6 8 .
Syntaktischer Parallelismus und rhythmische Bindung
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6. B ö k s ö g ö capti® bölünüp, Ü b e r V o r g e b i r g e g a l o p p i e r t e n sie (sich) verteilend, 7. T a l ä g a b c a p t i 0 dàbirap. Ü b er (die) S t e p p e g a l o p p i e r t e n sie lärmend. 8. Bay Dzaqip-qajda ketti? — dep Baj Dzaqip — Wohin geht es? — sagte 9. Barisi dzüröt dzabirap Ihre Fahrt mit Zuruf begrüßte.1 Das Thema ist hier dasselbe, wie oben im „Alpamis", und dabei traditionell (Ritt durch die Steppe), aber die Struktur des Verses ist viel altertümlicher. Parallelismus und Wortwiederholung sind bei den Sängern des „Manas" noch vorherrschend. Daher erscheinen, außer dem Endreim, der lautlich ungenau ist, (-ipl-ip, -upj-üp, -ap präd. Partiz.), auch Anfangsreim (v. 2, 3 -ip Partiz., v. 4—7 -gaj-goj-gö Dativendung) und Binnenreim (als Wortwiederholung v. 4—7 capti). Ziemlich oft begegnen reimlose Zeilen (hier v. 1,, 8, weiter in derselben Tirade z. B. qur atti : qurqalip : uyattir, u. dgl. m.). Die Alliteration, die gehäuft ist, verbindet Nachbarverse untereinander, auch Nachbarwörter können alliterieren. Die Zahl der Silben im Vers (Kurzvers 7—8) kennt gelegentlich Abweichungen ; einzeln oder gruppenweise treten Langverse auf, z.B. : Abisqam dünüjödön toyduybu (10), oder Senir) soruy qandag qaynwgan (9) u. a. m. Durchgehend findet sich bei den Kurzversen die dreisilbige Klausel als Versschluß und die Dreiteiligkeit als die wichtigste strukturelle Begleiterscheinung und Ausformung des rhythmischsyntaktischen Parallelismus. 2. Das alttürkische Heldenepos ermöglicht es, das Werden dieser epischen Versform auf einer älteren Entwicklungsstufe zu verfolgen. Unter dem Sammeltitel „Das Buch von Dede K o r k u t " („Kitabi Dedem Korkut") 2 hat sich in zwei türkischen Handschriften des 16. Jahrhunderts ein Zyklus von 12 Heldengesängen erhalten, — epische Erzählungen über die Taten oghuzischer Recken, von denen jede eine eigene Heldensage behandelt. Die 1 „Manastin balaliq öagi" („Die Kindheit des Manas"), Frunse 1940, 24 (Sänger: Sagimbay Orozbakov). Jetzt auch in der Akademieausgabe Manac I, ®pyH3e 1958, 24. 2 Vgl. Orhan Saik Gökyay, Dede Korkut, Istanbul 1938; Muharem Ergin, Dede Korkut kitabi I, Ankara 1958. Deutsch: Joachim Heim, Das Buch des Decle Korkut. Ein Nomadenepos aus türkischer Frühzeit, Zürich 1958; Walter Ruben, Ozean der Märchenströmungen. Mit einem Anhang über die 12 Erzählungen des Dede Korkut, Helsinki 1944 (FFC Nr. 133), 193—271 ; italienisch: E. Rossi, Il „Kitab-i Dede Qorqut", Città del Vaticano 1952; russisch: Knma Moeeo deda KopKyma, nepeB. anaß. B . B . EapTOJibfla, pefl. B.M. JKiipMyHCKoro H A. H. KoHOHOBa, H3«. AH CCCP, MocKna-JIeiimirpafl 1961 ; türkisch: Pertev Naili Boratav, Dede Korkut hikäyelerindeki tarihì olaylar ve kitabin telif tarihi, Türkiyat Mecmuasi 13,1958, 31 — 62; V. M. Jirmunski, Kitabi Korkud ve Oguz destani gelenegi. Türk tarih kuruku Belleten, 1961, 25, 6 0 9 - 6 2 9 .
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Recken gehören zur Tafelrunde von Chan Bayundur, des epischen Herrschers des OghuzenVolkes. Das vielstämmige Nomandenvolk der Oghuzen (oder Ghuzzen) wird zuerst in den türkischen Orchoninschriften des 6.—8. Jahrhunderts erwähnt im Rahmen des türkischen Kaganats, eines mächtigen Bundes nomadisierender türkischer Stämme am Südrande der Altaiberge und in der nordwestlichen Mongolei. Im 9. —10. Jahrhundert treffen wir sie in den Steppen Mittelasiens, am unteren Lauf des Syr-Darja und am Arabischen Meer. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts zieht ein großer Teil der Oghuzen, unter der Führerschaft von Sultanen aus der Dynastie der Seldzuken, nach Vorderasien, wo sie ein großes Reich gründen. Durch diese Expansion der Oghuzen wurden Azerbaidzan und Kleinasien türkisiert. Die osmanischen Türken, die Azerbaidäaner sowie die in Mittelasien zurückgebliebenen Turkmenen erscheinen, wenigstens in sprachlicher Hinsicht, als Nachkommen der Oghuzen. Ein Vergleich der Erzählungen des ,,Dede Korkut" mit anderen mündlichen und schriftlichen, sagenhaften und historischen Quellen, die sich in Mittelasien und in Anatolien erhalten haben, führt zu dem Schluß, daß der oghuzische Sagenzyklus, wahrscheinlich in der Form von Heldengesängen, bereits im 9. —10. Jahrhundert in den früheren Sitzen der Oghuzen am Syr-Darja entstanden ist. Er lebte dann weiter in der mündlichen Tradition dieses kriegerischen Nomadenvolkes in Vorderasien, wurde dort überarbeitet und um neue Heldengestalten und Heldensagen vermehrt. „Das Buch von Korkut" ist eine schriftliche Aufzeichnung oder Bearbeitung dieser Gesänge aus der Zeit der militärischen Expansion der Osmanen (15. Jahrhundert) und wurde geschaffen als ein Denkmal des alten Ruhms ihrer Vorfahren, zugleich mit einigen anderen halbhistorischen oder sagenhaften Erinnerungen aus der Oghuzenzeit. Die beiden erhaltenen Handschriften sind fortlaufend als Prosaerzählungen niedergeschrieben worden, aber die Lieder lassen sich leicht aus der Prosa ausscheiden. In Prosa steht der epische Bericht, in gebundener Form erscheinen die Reden der Helden; in den meisten Fällen werden sie eingeführt durch die Worte: soylamis oder soylar ('spricht in Versform', 'singt'), gelegentlich auch soylama ('Gedicht', 'Lied'). Die oft wiederholte Formel soy soyladi, boy boyladi hat die Bedeutung 'sang und erzählte', was dem westeuropäischen „singen und sagen" („dire et chanter") genau entspricht und den traditionellen Charakter dieser Mischform in der epischen Dichtung der Türkvölker bestätigt. Von den zahlreichen Beispielen führen wir nur zwei aus der „Geschichte von Chan Turali" (II) an 1 , einer Brautwerbungssage, in welcher der junge Held drei Kämpfe mit den riesenhaften wilden Tieren seines künftigen Schwiegervaters bestehen muß — einem Stier, einem Löwen und einem schwarzen Kamelhengst. Die Kriegsgefährten des Helden (seine „40 Dzigiten") singen ein Lied, um den Zagenden zum letzten Kampfe anzufeuern. Die Tirade besteht aus 28 Langversen, von denen wir die ersten 16 anführen. 1
Orhan Saik Gökyay, 6 4 - 7 7 ; J . Heim, 1 8 0 - 2 1 2 .
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1. Qalqubam Qan Turali yerüijden turi geldüy, (15) Aufstehend, Chan Turali, von deinem Sitz kannst du, 2. Yelisi qara qaziliq atin batun bindüy, (14) Auf dein schwarzgemähtes kaukasisches Roß setztest du (dich), 3. Ala gözlü yigitler yanuqa alduy, (12) (Die) helläugigen Dzigiten namst du (mit), 4. Arqu b e l i ala t a g i a d ü n i n b asduy, (12) (Über) s c h r o f f s e i t i g e b u n t e B e r g e n a c h t s stiegst du, 5. Aqindili suyin d ü n i n b geidüy, (10) (Über) strömende Gewässer n a c h t s schrittest du, 6. Qanli qäfi'r eline d ü n i n b girdüy, (11) In (der) blutigen Ungläubigen Land n a c h t s zogst du, 7. Qara buga g e l d ü g i n d e 0 xurduxas eyledüy, (14) Als (der) schwarze Stier k a m , mit Schwert zerhautest du (ihn), 8. Qagan aslan g e l d ü g i n d e " belini bükdüy, (13) Als (der) wilde Löwe k a m , seinen Rücken beugtest du, 9. Qara bugra g e l d ü g i n d e e ne geödüyl (11) Als der schwarze Kamelhengst k a m , warum zauderst du?|| 10. Qara q a r a t a g l a r d a n d x a b e r e asa, (11) (Wenn) ü b e r d u n k l e , d u n k l e B e r g e die K u n d e steigt, 11. Qanli q a n l u s u l a r d a n d x a b e r e geöe, (11) Ü b e r b l u t i g e , b l u t i g e S t r ö m e die K u n d e geht, 12. Q a n l i Oguz eline x a b e r 0 vara, (11) Zu dem starken Oghuzen-volke die K u n d e kommt, 13. Q a n l i Qodza ogli Qan Turali netmis — deyeler (12 + 3) Des K a n g l i Chodza Sohn Chan Turali was t a t er? — f r a g e n s i e . 14.Qara b u g a g e l d ü n g i n d e 0 kilcetmemis, (13) Als (der) schwarze Stier k a m , fürchtet er (sich) nicht, 15. Qagan aslan g e l d ü g i n d e 0 belin bükmis, (14) Als der wilde Löwe k a m , seinen Rücken beugte er, 16. Qara bugra g e l d ü g i n d e 0 ne gedzikmis — d e y e l e r . Als (der) schwarze Kamelhengst k a m , warum zaudert erl — f r a g t e n sie. Der Parallelismus entsteht hier inhaltlich und formell in v. 1—9 durch die Aufzählung der Heldentaten des Bräutigams, mit einer Frage als Klausel; v. 10—13 berichten, wie die Nachricht über Berge und Ströme zu den Oghuzen kommt; eine Variation zu v. 7—9 bilden v. 13 — 16. Die Endreime sind durch diesen inhaltlichen und syntaktischen Parallelismus bedingt, dabei überall grammatisch: 9mal -duyf-düy (Prät. 2. Pers.) + 3mal -aj-e (präd. Part.) + 4mal -mis (präd. Part.). Das traditionelle Hilfswort deyeler 'sagten' (v. 13, 16) steht metrisch (wie
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nicht selten) außerhalb der Zeile. Die weiteren 13 Verse der Tirade reimen nach derselben Art in der Reihenfolge: 2 + 1 (reimlose Zeile) + 2 + 4 + 2. In v. 17 — 18 wird an der Stelle des Reims das letzte Wort wiederholt (edene : edene), was auch an anderen Stellen vorkommt. Der inhaltliche und rhythmisch-syntaktische Parallelismus der Verse führt oft zu einer Verstärkung des Endreims durch Binnenreim, d. h. zu Wortwiederholungen oder grammatischen Reimen zwischen entsprechenden Satzgliedern am Anfang oder in der Mitte des Verses. Vgl. v. 4—6 (b) ... dünin (nachts) asduy: ... geädüy ...girdüy, oder v. 7—9 (c) ...geldügende eyledüy: ...bükdüy : ...geidüy (v. 14—16 ... geldügende kilcetmis: ... bülcmis: ...gedzikmis)\ oder v. 9—12 (d, e) ... taglardan ('von den Bergen' xaber asa: ...sulardan ('von den Wassern') xaber gece: ... xaber vara (alle Gruppen sind dreigliedrig). Auch innerhalb derselben Zeile kann ein Beiwort mit dem Hauptwort durch inneren Reim oder die Beiwörter untereinander durch Alliteration gebunden werden, vgl. v. 7—9 (v. 14—16): Qara buga ... Qagan aslaw ..., Qara bugra ...; oder es verbinden Alliteration und innerer Reim traditionelle Zwillingsformen, wie v. 4: arku beb' ala tagi". Die Silbenzahl ist metrisch nur annähernd geregelt, obgleich der syntaktische Parallelismus eine Tendenz zu solcher Regelung bewirkt. Der Langvers erscheint hier mit einer Variationsbreite von 11 — 15 Silben, doch sind Verse von 11 — 12 Silben durchaus vorherrschend (11 von 16). Besonders aufschlußreich in diesem Zusammenhang sind v. 10—12 (11 Silben) und v. 13—16 (12 Silben), wo die gleiche Silbenzahl in jeder Gruppe sich deutlich auf die gleiche Zahl der Wörter bei durchgehendem inhaltlichem und syntaktischem Parallelismus zurückführen läßt. Als Beispiel von Kurz versen sei noch die Rede der Heldenjungfrau Seldzan Chatun an ihren Bräutigam angeführt, die ihrem Zweikampf im Bogenschießen vorausgeht. 1. Hey yigidüm, beg yigidüm! (8) Hei, mein Dzigit, mein Beg-Dzigit! 2. Q a y t a b a n d a " qizil develer (9) I m G e h e g e (die) roten Kamele 3. Torumindan dönermib olurl (9) Ihre Jungen verlassen tun siel 4. Qara q o d z d a Qazilik atlar (9) In d e m P f e r c h e (die) kaukasischen Rösse 5. Q u l u n d z i g i n 0 depermih olurl (9) I h r e F ü l l e n schlagen tun siel 6. A g i l d a a agdza qoyun [-Zar] (8) I n d e r H ü r d e (die) weißen Schafe 7. Quzidzlgiin c süsermih olurl (9) I h r e L ä m m e r treten tun siel
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8. Alp yigitler, beg yigitler A (8) Helden-Dzigiten, Beg-Dzigiten 9. Görklüsine qiyarmi" olurl (9) Ihre Schönen töten tun siel 10. Yigidüm, beg yigidümA, | bu yagmung b i r udzi m a q a , I b i r udzi s a q a , | — dedi. Mein Dzigit, Beg-Dzigit | dieser Feinde (sei) ein F l ü g e l m i r , ein F l ü g e l dir | —sie sagte Die Tirade zählt 10 Verse von alternierendem rhythmisch-syntaktischem Bau, d. h. jeder Satz besteht aus zwei Gliedern, die auf zwei Verse verteilt sind, mit gekreuzten Endreimen grammatischer Art, nach der Formel ab, ab, ab ... usw. Es reimen auf diese Weise untereinander v. 2, 4, 6; -larj -ler (Pluralendung), und v. 2, 5, 7, 9: -arm! olur/ -ermi olur (prädik. Partiz. -arj -er -f- Fragepartikel -mi+ Hilfsverbum). Durch den Parallelismus kommen hinzu als Anfangs- oder Binnenreime, oder als Wortwiederholungen: v. 2 , 4 , 6 (a) Qay t a b a n d a . . . : Q a r a q o d z d a . . . : A g i l d a (Lokativendung); v. 5, 7(6): Qulundzig'in . . . : Quzidzigin (dimin. Suff. + Possessivendung); auch die Frageform (b) in v. 3, 5, 7, 9 ist eigentlich ein Binnenreim, auf die als Endreim die Wortwiederholung des Hilfswortes (olur) folgt. Als reimlose Einzelverse (Anredeformel mit Wortwiederholung) stehen v. 1, 10: (Hey) yigidüm, beg yigidüm (mit Variation v. 8: Alp yigitler, beg yigitler). Die Silbenzahl der Kurzverse ist durch den syntaktischen Parallelismus in diesem zweiten Beispiel ziemlich streng geregelt (8—9 Silben); nur am Schluß als eine Art metrischer Klausel erscheint ein überlanger Vers (7 + 14) mit besonderer Struktur (Anredeformel + Hauptteil mit Wiederholung und innerem Reim + zusätzliches außermetrisches dedi 'sagte'). Doch gibt es zahlreiche andere Beispiele, wo Kurzverse und Langverse voneinander noch nicht differenziert sind. Die Alliteration ist in beiden Beispielen sehr häufig, aber nicht regelmäßig. Die erzählenden Prosapartien sind nach dem gleichen Prinzip frei rhythmisiert und gereimt, wie die Prosa des „Alpamiä". Sie bilden eine wechselnde Reihenfolge ungleicher Satzglieder, mit Parallelismus und Wort Wiederholungen, grammatischem Reim und sehr verschiedener Silbenzahl, und wurden wahrscheinlich auch in derselben Art rezitierend vorgetragen. Vergleiche die traditionelle Prosa-Einleitung (Gastmahl bei Chan Bayundur, I ) : Xanum hey — bir gün Qam Xan ogli X a n Bayundur yerinden turmisidi Mein Chan, hei! Eines Tages Kam Chans Sohn Chan Bayundur von seinem Platze aufstand, sämi günlügi y e r y ü z i n e a dikdürmisidi*, sein syrisches (Tages)zelt auf der E r d e G e s i c h t stellen ließ, ala sayvanigök y ü z i n e a asanmisidi*, seinen bunten (Sonnen)segel gegen des H i m m e l s G e s i c h t aufspannen
ließ,
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big yerde ipek xalidzasi dösenmisidi*. || an tausend Plätzen seine seidenen Teppiche ausbreiten ließ. || Xanlar Xani Xan Bayundur yilda bir kere t o y edüb b Oguz begierin qonuqlaridi.x\\ Der Chane Chan Chan Bayundur jährlich einmal (ein) F e s t v e r a n s t a l t e n d , seine Bege bewirten ließ. || Gine t o y edüb b a t d a n aygire, de v e d e n bugrac, q o y u n d a n qodzc qirdumisidi.|| Nochmals (ein) Fest veranstaltend, v o n den P f e r d e n einen Hengst, v o n den K a m e l e n (einen) (Kamel)-hengst, v o n den S c h a f e n einen Widder schlachten ließ. Bir jere d ag o t a g e , bir yere d qi'zil o t a g , bir yere d qara o t a g qurdurmisidi. || An einer S t e l l e (ein) weißes Z e l t , an einer S t e l l e (ein) rotes Z e l t , an einer S t e l l e ein schwarzes Zelt aufstellen ließ.J1 3. Wenn man die unregelmäßige metrische Form des alttürkischen epischen Verses im „Buch von Korkut" isoliert betrachtet, könnte man vielleicht auf den Gedanken verfallen, daß die schriftliche Aufzeichnung oder Bearbeitung die ursprüngliche Silbengleichheit der Gesänge zerstört hat. An sich ist eine solche Vermutung natürlich nicht überall ausgeschlossen, da ein Aufzeichner von Volksliedern im 15. Jahrhundert keine folkloristischen Ziele im modernen Sinne des Wortes verfolgte. Aber die sonstige inhaltliche und stilistische Analyse des Textes führt zu dem Schluß, daß wir es, mit Ausnahme einzelner verdorbener oder überarbeiteter Stellen, mit einer ziemlich treuen Aufzeichnung des traditionellen Wortlautes zu tun haben, wahrscheinlich weil der Aufzeichner oder der eventuelle Bearbeiter in den Liedern ein heiliges Vermächtnis seiner Vorfahren ehrte.2 Es sei auch darauf hingewiesen, daß der Isosyllabismus des französischen oder spanischen epischen Verses, nach den überzeugenden Feststellungen von R. Menendez Pidal, auch als Resultat einer längeren Entwicklung aufgefaßt werden muß, und für die älteren Stufen dieser Entwicklung scheint „El Cantar del mio Cid" mit seinen ungleichen Versen ein wichtiges Zeugnis abzulegen.3 Jedenfalls finden wir in den zahlreichen alten und neueren Aufzeichnungen inhaltlich archaischer epischer Heldenmärchen der südsibirischen Türkvölker dieselben Grundprinzipien des Versbaus, wie in der altoghuzischen epischen Dichtung des 15. Jahrhunderts. Die Grundlage des epischen Verses bildet der Parallelismus, der grammatische Reim erscheint als Endreim, nicht immer in regelmäßiger Abfolge, aber sehr oft durch Anfangs- oder Binnenreim syntaktisch entsprechender Satzglieder verstärkt, nicht selten in der Form von Wortwiederholung. Die Zahl der Silben ist nur annähernd geregelt — von 7—8 bis 10—12 oder mehr Silben ohne systematische Differenzierung von Kurz- und Langvers. Die Alliteration ist sehr häufig, aber nirgends obligatorisch. Neben Verspartien erscheint eine frei rhythmisierte Prosa, von derselben Art, wie im „Alpamiä" und im „Dede Korkut". 1
Orhan Saik Gökyay, 3; J. Heim, 17. Vgl. Knuea Moeeo deda Kopnyma, Nachwort, 255—6. 3 Ramön Menendez Pidal, La Chanson de Roland et la tradition epique des Francs, Paris 1960, 4 7 1 - 3 . 2
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Statt vieler Beispiele, die man in der Sammlung von Radioff, Bd. I—II, finden kann, sei hier eine neuere Aufzeichnung aus Südsibirien, ein Heldenmärchen der Schorzen als Probe angeführt („Kan Kes" — traditioneller Eingang, v. 1 —19): 1 1. Purun purun polgan poltur (8) (In) alten alten (Zeiten) (das) war, 2. purungi® t ö l d ü q b söndax (7) (Des) ä l t e r e n G e s c h l e c h t e s später, 3. e m d e g i a töldüi) b älinda? (8) (Des) h e u t i g e n G e s c h l e c h t e s früher, 4. qalaq-pila® tag pölgen (7) (Als) m i t (einem) K o c h l ö f f e l (der) Berg (gemischt) wurde, 5. qamis-pilä c sug pölgen1 temde pöigari1 ( 7 + 4 ) Mit (einer) S c h ö p f k e l l e (das) Wasser (geteilt) w u r d e , in jener Zeit (es) war, 6. ariilip d aq talay aqqan1 (8) (Sich) e r g i e ß e n d (das) weiße Meer floß, 7. ö r ü l ü p d kelip altin tag öslcen (10) (Sich) a u f t ü r m e n d der goldene Berg erwuchs, 8. aq talaydiir| e q ä z i n d a * con catqanz (10) (Auf des) weißen M e e r e s R a n d e (das Volk wohnte, 9. attin t a g d i q e t o z ü n d e x aq mal turgan1. (11) (An des) goldenen B e r g e s F u ß e (das) weiße Vieh stand. 10. aq t a l a y d i i ) e qäzindax (7) (Des) weißen M e e r e s am Rande 11. altin t a g d i q e tözündex (7) Des goldenen B e r g e s am Fuße 12. alti azaqtig a l t i n örge turgan1. (11) (Mit) sechs Stützen (ein) g o l d e n e r P a l a s t stand. 13. a l t i n örgenir) e ezigindex (9) (Des) g o l d e n e n P a l a s t e s an (der) Pforte 14. a l t i n s ä r c i n tirgan.7, (Ein) g o l d e n e r P f o s t e n (für die Rosse) stand. 15. a l t i n s ä r c i n e tözündex (7) (Des) g o l d e n e n P f o s t e n am Fuße 16. qannar) qizil cegren at turganz (Ein) blut-rotes braunes Roß stand. 17. a l t i n ö r g e n i q e istindex (8) (Des) g o l d e n e n P a l a s t e s im 1
Inneren
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1 9 4 0 , 24FF.
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18. q ä n K o s catqanz (4) C h a n K e s lebte, 19. q ä n K e s cas t u z u n d a * polganz . . (8) C h a n K e s im Jugend-alter war. . . Der wechselnde metrische Bau dieser Verse wird noch durchaus, inhaltlich wie formell, durch den Parallelismus bestimmt; der rhythmisch-syntaktische Parallelismus der entsprechenden Satzglieder findet seinen lautlichen Ausdruck in einem ziemlich freien Gebrauch von Endreim, meistens zugleich mit Anfangs- und Binnenreim (oder entsprechend mit Wortwiederholung) und sehr häufiger Alliteration. Die Zahl der Silben ist dagegen noch kaum geregelt. Der Anfangsvers, äußerst traditionell im Heldenmärchen, ist reimlos, nur durch Alliteration gebunden. Auch sonst finden sich nicht selten reimlose Verse. V. 2—3, die sich als Formel auf die mythologische Urzeit beziehen, zeigen einen durchgehenden inhaltlichen Parallelismus, daher Anfangs- und Binnenreim (a, b) neben Endreim (x). Dasselbe gilt für die folgenden acht Zeilen (v. 4—11) mit Parallelismus zwischen „goldenem Berg" und „weißem Meer", daher mit innerem Reim (c, d), oder mit alliterierender Wortwiederholung (alti'n tag — aq talay). V. 12 bildet inhaltlich den Abschluß dieser Reihe und zugleich den Anfang einer neuen (v. 12—16) mit alternierendem Satz- und Versbau und entsprechend gekreuzter Reimbindung (x—z), indem der letzte Vers eines jeden Paares durch den ersten des nächstfolgenden variierend (mit Genetivsuffix) wiederholt wird (. . . „ein P a l a s t s t a n d — an des P a l a s t e s P f o r t e . . ."). I n den beiden Schlußzeilen (v. 18—19) wird dann der Name des jungen Helden genannt, dem die weitere Erzählung gilt (v. 20ff.). Sie bilden ein Paar, das sich an v. 17 anschließt, und sind durch Wiederholung dieses Namens in Anfangsstellung gebunden. Die Tirade bildet eine Einheit durch die Abfolge miteinander reimender prädikativer Partizipien (Reim z, mit den lautlichen Varianten: -ganl-genj-qanl-ken), oft mit Wiederholung des Reimwortes (-potgan, turgan). Dieser Rahmen wird durch Ortsbestimmungen unterbrochen (Reim x, lokat. Suff, -da¡-de, auch erweitert durch possess. Suff, -indel-undaj-inde). Sie bilden den Endreim i n v . 2 — 3 , 10—11, 13 — 15—17 (in der letzten Gruppe alternierend mit z), erscheinen auch als Binnenreim in den Langversen 8, 9, 19, was deren Zweiteiligkeit beweist. Durchgehend als Binnenreim (b) findet man noch die Genetivendung in den Lautformen -(d)iy[ -iy (in 9 Versen). Die Alliteration, die massenhaft auftritt, ist oft mit Wortwiederholung verbunden, besonders im Anlaut der Verse: vgl. v. 8—15 aq — altin (alt'i); mit Wortvariation (figura etymologica): vgl. v. 1—2 polgan — pottur, purun — purungü. Man könnte geneigt sein, auch ihren Ursprung auf solche Wortwiederholungen und -Variationen zurückzuführen. Die Variationsbreite der Silbenzahl wechselt zwischen 4—11. Kurzverse und Langverse sind gemischt, vielmehr noch nicht voneinander differenziert, doch vorherrschend sind bereits die dreiteiligen Kurzverse von (6)—7—8—(9) Silben (10 + 3 von der Gesamtzahl 19). Auch Reime zwischen Nachbarzeilen, die ge-
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wohnlich in langen Reihen auftreten, sind von den alternierenden nicht getrennt. Es herrscht also eine große Freiheit und Vielgestaltigkeit in der strophischen Komposition der Tirade, deren Struktur vor allem durch den inhaltlichen und rhythmisch-syntaktischen Parallelismus bedingt wird. Die Mischform von Vers und Prosa ist bei den Schorzen sehr verbreitet, wobei die erzählende Prosa in der eigentlichen Märchengattung eine viel größere Rolle spielt. Diese metrische Art ist charakteristisch für die archaischen Heldenmärchen aller sibirischen Völkerschaften (Altaier, Schorzen, Hakassen, Tuwiner u. a., mit individuellen Abweichungen auch bei den Jakuten). Zusammengestellt mit dem „Kitabi Korkut" ergeben sie das Bild des alttürkischen epischen Verses. Auch die Heldenmärchen der Mongolen (besonders der Burjaten) zeigen eine gewisse Ähnlichkeit der Formentwicklung. 4. In seiner bekannten Untersuchung über den Parallelismus in der finnischkarelischen Volksdichtung hat unser verehrter Jubilar vor etwa 30 Jahren auf die Bedeutung dieser Erscheinung für das „Kaiewala" und die ihm zugrunde liegenden Lieder des karelischen Volkssängers Arhippa Perttunen mit Nachdruck hingewiesen. „Der Versparallelismus, d. h. die Übereinstimmung zweier (oder mehrerer) Verse in inhaltlicher wie formaler Hinsicht, — schrieb Wolfgang Steinitz, — ist das wichtigste und charakteristischste Stilmittel der finnisch-karelischen gebundenen Volksdichtung." 1 Als unmittelbare Folge dieses Parallelismus erscheint auch hier der grammatische Reim, in der Form von End- oder Binnenreimen. Sonst ist die Silbenzahl metrisch geregelt: jede Zeile zählt durchgehend 8 Silben. Äußerst häufig, aber auch hier ganz unregelmäßig, erscheint die Alliteration (bei Anfangsbetonung). Vergleiche aus dem zuerst angeführten Beispiel (s. 1): 1. Nyt on neiti neuvominen, Nun soll das Mädchen Rat-empfangen, 2. Morsien opastaminen. Die Braut Weisung-erhalten. 3. Kenpä neien neuvojaksi, Wer wird dem Mädchen Raterteiler, 4. Impuen opastajahstt Der Jungfrau Unterweiserl 5. O s m a t a r , oleva vaimo, O s m a t a r , die erfahrene Frau, 6. K a l e v a t a r , baunis impi . . . K a l e v a t a r , das schöne Mädchen . . . 1 Wolfgang Steinitz, Der Parallelismus in der finnisch-karelischen Volksdichtung. Untersucht an den Liedern des karelischen Sängers Arhippa Perttunen, Helsinki 1934 (FFC N 115),
1-2.
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Wenn wir uns jetzt von der epischen Dichtung der Westfinnen zu einem anderen Forschungsgebiet unseres Jubilars hinwenden, nämlich zu der von ihm aufgezeichneten und sprachlich gedeuteten Volksdichtung der Ostjaken (Chanti), 1 eines anderen Zweiges der finnisch-ugrischen Sprachfamilie, so finden wir in ihren Heldenmärchen eine Art archaische Vorstufe des Kaievala-Verses. Bei einem „vierfüßigen" Normalvers von 8 Silben unterscheidet der Verfasser eine Variationsbreite von 6 bis 10 Silben (S. 9). Daneben gibt es einen „sechsfüßigen" (dreisilbigen) Langvers, dessen „Normaltyp" 12 Silben zählt, mit einer Variationsbreite von 9 bis 15 Silben! (S. 21—22). Der Parallelismus der Verspaare erscheint dabei als das versbildende Moment, und zwar entwickelt er sich aus einer Wiederholung derselben Zeile, mit einer geringen Variation in einem Worte oder höchstens in zwei Worten. Vergleiche die Beispiele S. 33—57: A. Parallele Verspaare (Typus aa) süki) n i r p a är xüjern, (7) Mit armseligen Schuhen viele (meine) Männer, sükq s a r p o är neyem (7) . . . Mit armseligen Kleidern viele (meine) Frauen B. Alternierende Verspaare (Typus ab, ab) jetg jiäta nüpten ötaq (8) Die weiter bestimmte Lebens-zeit jet ät jisiyijtten, (6) Weiter sollst du bestimmen. jette u t t e nüpten öteji (8) Die weiter zu lebende Lebenszeit jet äta xänsiyijtten . . . (7) Weiter sollst du vorschreiben . . . Durch Wortwiederholung ist ein lautlicher Zusammenfall an allen Parallelsteilen des Verspaares, also Endreim, Anfangs- und Binnenreim bedingt. Aber auch bei Variation ist der Reim gegeben, weil an syntaktisch parallelen Stellen ähnliche Nominal- oder Verbalendungen auftreten, wie z. B. Hirja 'mit Schuhen': sarpa „mit Kleidern", oder xüjem 'meine Männer': neysm 'meine Frauen', oder jisiyijtten 'sollst du bestimmen': xänsiyijtten 'sollst du vorschreiben' u. dgl. Durch die Wortwiederholung (mit gelegentlicher Variation) wird auch die Silbenzahl in den parallelen Verspaaren von selbst geregelt. Bei Anfangsbetonung erscheint auch hier die Alliteration, wie immer ohne bestimmte Regelung. Aus dieser Zusammenstellung des epischen Verses bei den türkischen und finnischugrischen Völkern scheint sich folgende Entwicklungsreihe zu ergeben, die sich 1 W. Steinitz, Ostjakische Volksdichtung und Erzählungen aus zwei Dialekten, l . T e i l , Tartu 1939.
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durch eine ähnliche Entwicklung des lyrischen Verses in den von Kowalski untersuchten Vierzeilern bestätigen läßt. Die einfache Wiederholung der Zeilen (mit gelegentlicher Wortvariation) erscheint als die älteste Form für die rhythmische Versbindung. Aus ihr entsteht eine freiere Form des Pärallelismus, im Inhalt und somit im syntaktischen Bau der Verse, die paarweise, alternierend oder in größere Gruppen gebunden werden können (lezteres vornehmlich in der epischen Dichtung). Als eine Folge dieses rhythmisch-syntaktischen Parallelismus, zugleich als ein neues Mittel metrischer Bindung, entwickelt sich der grammatische Reim, zuerst ohne bestimmte Regelung, in Form von Endreim und zugleich von Anfangs- und Binnenreim. Die agglutinierenden Sprachen, wie die türkischen und finnisch-ugrischen, sind durch die morphologische Eindeutigkeit ihrer Affixe zu solchen grammatischen Reimen besonders geneigt. Mit dem Reim konkurriert die Alliteration, die häufig (speziell bei Anfangsbetonung), aber unregelmäßig auftritt. Auch sie ist wahrscheinlich aus Wortwiederholung und -Variation entstanden. Durch Wortwiederholung und Satzparallelismus wird auch die stark wechselnde Silbenzahl allmählich geregelt. Auf der letzten Entwicklungsstufe werden die lautlichen Bindemittel des Verses verselbständigt: die Silbenzählung erscheint jetzt als ein beherrschendes metrisches Prinzip; der Endreim, auch morphologisch verschiedener Bildungsart, wird obligatorisch; Alliteration und Parallelismus werden zu stilistischen Mitteln herabgedrückt, — dies alles nicht selten unter dem Einfluß fremder, höher entwickelter metrischer Formen.
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Festschrift Steinitz
FRIEDRICH SIEBER
„Penaten" um den Bergmann in frühhumanistischer Darstellung
Das Judicium Jovis des Paulus Niavis überragt durch seine Thematik turmhoch die humanistische Schulliteratur, die mit mehr oder weniger künstlich konstruierten Streitfragen in Dialogform oder durch „Reden im Gerichtsstil" die Schüler dialektisch und rhetorisch erziehen will. Weder bedeutsame Sachhaltigkeit noch gute Diktion geben dem Werke seine Bedeutung, aber es gelingt ihm, eine Zeitpolemik am Ausgang des 15. Jahrhunderts einzufangen, die sich im Aufprall frühkapitalistischer Wirkkräfte auf eine bisher im ganzen ungestörte agrarische Lebensordnung entzündete und die offenbar weite Kreise erfaßte. Die frühkapitalistischen Wirkkräfte entfalteten sich damals in bisher noch nie erlebter Hemmungslosigkeit im Bergbau, und der Vertreter der Menschen, der die neue Ordnung trägt, ist darum der Bergmann, während Niavis die agrarische Welt, die er idyllisiert, durch antike Mythologeme verkörpert. Auch die Schauplätze, auf denen sich das Geschehen abspielt, stehen wie die Personen in entschiedener Antithetik. I m Tale der Schönheit (in valle amoenitatis) h a t Jupiter seinen Richterstuhl aufgeschlagen, auf dem Schneeberg, einer sich um 1470 stürmisch entwickelnden erzgebirgischen Bergstadt, vollbringt der Mensch seine Untaten. Erde und Mensch, repräsentiert in der Gestalt des Bergmanns, stehen sich vor dem Richterstuhl Jupiters als Parteien gegenüber. Merkur ist der Anwalt der Erde, die Penaten stehen den Menschen bei. Klage, Antwort, Widerreden, kurze Standpunkterklärungen führen in wohlberechnetem Wechsel zum Urteil. Merkur klagt den Menschen der Mutterschändung an. E r dringe ,,in die Eingeweide seiner Mutter ein", durchwühle ihren Leib, verletze und beschädige alle inneren Teile. So zerfleische er schließlich den ganzen Körper und lähme dessen K r ä f t e völlig. Und doch sei die Terra Mater Erhalterin und Ernährerin der Sterblichen. Die anderen anwesenden Götter bangen um Schmälerung oder gär Verlust ihrer Herrschaftsbereiche. Bacchus fürchtet, der Mensch könne auch die Weinberge nach Erz durchwühlen und sie so zerstören. Ceres erhebt den R u f : Bleibt beim Ackerbau und kehrt zu ihm zurück. Minerva meint, der Mensch vergesse über dem irdischen Glanz der Erze die Schätze des Geistes. Pluton fühlt sich in seinem Reiche nicht mehr sicher. Die Najaden beklagen sich über das Versiegen der Quellen, eine Klage, die Charon mythologisch bis zum Versiegen des Acheron übersteigert; Haine und Wälder werden zu Kohle verbrannt, klagen die Faune. Mitleiderregend und tränenüberströmt steht unter der Schar ihrer Freunde die Hauptklägerin, die Erde.
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Doch nicht nur um die Schmälerung ihrer Herrschaftsbereiche zittern die Götter. Das „freche Selbstbewußtsein" des Menschen ist ihnen ein Greuel. Er trägt keine Gottesfurcht mehr in sich, sondern hängt nur" seinen eigenen vermessenen Gedanken nach. Aus Gier nach Silber nimmt er die schwersten Gefahren auf sich. „Sie graben und mühen sich und machen Nachtschichten . . ." „Sie meiden das segenspendende Licht des Himmels und kriechen hinab in die finstere, schmutzige Tiefe der Erde." Sie bauen Wetterschächte, durch die sie mit „förmlicher Zauberkunst" Luft in die Tiefe pressen. Ihre Raserei bleibt nicht auf einen Arbeitsplatz beschränkt, sie wühlen weiter, so daß alle benachbarten Orte zittern. Mit Grauen sieht Ceres, die nur Pflug und Sichel kennt, die neuen Werkzeuge, Schlägel und Eisen, mit denen der Mensch seine Untaten vollbringt: „Es wird mir schwer, diese Werkzeuge da, die mir ein Schrecken sind, nur anzusehen; ich fühle mich dadurch bedrückt und herabgewürdigt!" Diesem Ansturm von Befürchtungen und leidenschaftlichen Vorwürfen müssen Mensch und Penaten widerstehen. Sie gründen ihre Rechtfertigung auf den göttlichen Auftrag, der dem Menschen gegeben wurde, den Erdball in seine Obhut zu nehmen.1 Diese Aufgabe erfordere viele und weitgreifende Tätigkeiten: Ackerbau, Seefahrt, Handel, Städtebau, Handwerk, Verwaltung und auch den Bergbau. Er liefere das Erz, den Grundstoff für Pflugschar, Rebmesser, Sensen, Schiffsteile, Heilmittel, Tempelschmuck. Er liefere das Edelmetall für das Geld, das einen bequemen Tauschhandel ermögliche und ein Potential höherer Lebensführung für alle, die es besitzen, in sich berge. So trage der Bergbau dazu bei, eine „harmonische Ordnung" im Verkehr der Menschen herzustellen. Darum steige der Mensch „in den schwarzen Schmutz, in die förmlich mit Händen zu greifende Finsternis, in die ungeheueren leeren Räume" hinab. Jupiter hört mit Erstaunen der leidenschaftlichen Auseinandersetzung der Parteien zu. Er, der fern im Himmel wohnt, wagt es nicht, in so terrestrischen Dingen ein Urteil zu fällen und fordert Fortuna, „die Königin der Sterblichen", dazu auf. Diese Göttin der aufsteigenden Renaissance billigt die neue Welt, die ihre Welt ist. „Es ist die Bestimmung des Menschen, daß sie Berge durchwühlen; sie müssen Erzgruben anlegen, sie müssen die Felder bebauen und Handel treiben. Dabei müssen sie bei der Erde Anstoß erregen..." Mit der Rechtfertigung des Bergbaus, der scheinbar frevlerisch in die bisher ungestörte und religiös geweihte Welt des Ackerbaus einbricht, wird eine Thematik eingeleitet, die über Georg Agricola bis in den Ausgang des 18. Jahrhunderts nicht verstummt: Die Apologie des Bergbaus.2 Ein Titelholzschnitt illustriert in ungewöhnlicher Texttreue das zwischen 1492 bis 1495 bei Martin Landsberg in Leipzig gedruckte Werk.3 Wir sehen die im „Böhmischen Walde" gelegene Kapelle des hl. Adalbert, den Einsiedler, der an einem Bildstock betet, der sich im Walde verirrt und schließlich Zeuge der Gerichtsverhand 1
1 . Mose 1, 28. Vgl. Walter Vogel, Georg Agricola und die Apologie des Bergham. In: Forschungen und Fortschritte, 29. Jg., Berlin 1955, 363ff. 8 Albert Schramm, Frühdrucke, Bd. XIII, Abb. 129. 2
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lung wird. Inmitten des oktogonalen Gerichtsplatzes, durch vier Tore zugänglich, sitzt Jupiter im Herrscherschmuck, rechts und links neben sich die Parteien. Merkur ist in der Geste des Fakten feststellenden Anklägers dargestellt, die Erde im zerrissenen Gewand weist entrüstet auf den Schuldigen, Ceres hält den Fruchtkorb, zu Füßen der Najade bricht ein Quell hervor. Im zeitüblichen Gugelrock, herausfordernd Schlägel und Eisen geschultert, mit den Gesten abwehrender Verteidigung, schreitet der vorgeladene Bergmann heran. Drei Penaten trippeln als nackte kindhafte Wesen neben ihm. Es fällt vorläufig schwer, dem Künstler zu glauben, daß diese Kinder, denen man nur Lallen zutraut, den Bergmann mit gedankenreichen und spitzfindigen Repliken zu verteidigen vermöchten, und wir empfinden diese unerwartete Darstellung zunächst als Bruch in der bis jetzt gewahrten Korrespondenz zwischen Text und Bild. Die Penaten rechtfertigen ihr Eingreifen mit dem Hinweis, der Mensch habe sie zu Hilfe gerufen, der Mensch, der ihnen Altäre errichte und zu ihnen bete. Als hilfreiche Hausgeister versteht also Niavis die Penaten. Sicherlich hat er ihre deutsche Entsprechung gekannt. Längst vor ihm (zwischen 1235 und 1250) hatte der deutsche Zisterzienser Frater Rudolfus die „Stettewalden", denen auch die Deutschen Speise- und Trankopfer brachten, mit den Penaten und dem Lar identifiziert, und auch eine Kölner Glosse aus dem 15. Jahrhundert faßt guede holden, witt vrouwen, belevitten als penates z u s a m m e n . 1
Niavis brauchte sich über die Gestalt der Penaten nicht den Kopf zu zerbrechen, aber vor dem Illustrator stand die Aufgabe, sie bildnerisch zu bewältigen. Nun erscheint zwar in der Volksüberlieferung die proteische Gestalt des Stätte Walters, des Kobolds, gelegentlich kindlich oder kindhaft, aber diese Erzählgruppe ist schmal, und um 1500 scheint die Gestalt noch fließender gewesen zu sein als in späterer Zeit. 2 Jedenfalls erhebt sich die Frage, ob sich der Künstler für diese Wesen eine eigene Gestaltung schuf oder ob er einem bereits vorhandenen Bildvorwurfe folgte. 3 Für die Beantwortung dieser Frage wollen wir eine andere Bildgestaltung bergmännischen Inhalts mit einem nackten kindhaften Wesen in die Untersuchung ein1
Joseph Klapper, Deutscher Volksglaube in Schlesien in der ältesten Zeit. In: Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, Bd. XVII, Breslau 1916, 36, Nr. 43; vgl. dazu auch S. 49; 51. — L. Weiser-Aal, Kobold in Bächtold-Stäubli, Bd. V, Sp. 28 ff. — Will Erich Peuckert, Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters. Stuttgart o. J. [1942], 109f. 2 Vgl. Peuckert a. a. O., 139ff. 3 Das Judicium Jovis oder Das Gericht der Götter über den Bergbau, übersetzt und bearbeitet von Paul Krenkel, erschien als Freiberger Forschungsheft D 3, Berlin 1953. Wir folgen dieser frischen Übersetzung des durch Stilmischungen sehr schwierigen Textes. Die von uns gegebenen Zitate befinden sich S. 10; 16; 22; 32; 38. Der lateinische Text liegt als Bd. II vor in der von Hans Rupprich herausgegebenen Reihe „Humanismus und Renaissance in den deutschen Städten und Universitäten". Leipzig 1935, 239—267. — Gerhard Heilfurth machte 1933 einen breiteren Leserkreis mit der Dichtung bekannt. In: Glückauf! Zs. des Erzgebirgsvereins, Schwarzenberg 1933, 176 ff. — Paulus Niavis (Paul Schneevogel), in Eger geboren, ging in Plauen zur Schule, studierte in Ingolstadt und Leipzig, erwarb 1481
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beziehen. Der Handschrift I F 34 im Nationalmuseum zu Prag, die neben einer tschechischen Übersetzung der Constitutiones Juris Mettalici Wenceslai II (um 1300) aus dem Jahre 1478 auch spätere bergrechtliche Stücke enthält, ist eine Miniatur mit der Signatur "jv^" 1525 vorgesetzt. Der obere Teil der Miniatur schildert die Übergabe der Constitutiones durch König Wenzel an die Kuttenberger Bergleute, der untere eine Bergbaulandschaft. Adolf Zycha glaubt nicht, daß die von Wenzel II. (1283 — 1305) veranlaßte Kodifikation der böhmischen Berggesetze jemals vom König offiziell den Kuttenbergern übergeben worden sei. Der auf der Miniatur dargestellte Vorgang wäre also unhistorisch. Trotzdem oder gerade deshalb hat ihn der Künstler höchst wirkungsvoll zu gestalten vermocht. 1 Im Königsschmuck vom Thronsessel aus überreicht Wenzel dem Bergvolk, nach Rang und Würde geordnet, Stolz und Kraft ausstrahlend, das Berggesetz. Zu des Königs Füßen „kauert der Berggeist, die Berglampe mit beiden Händen haltend", interpretiert Graf Sternberg das unscheinbare Detail, dem wir allein unsere Aufmerksamkeit zuwenden. in Leipzig den Magistertitel, war 1486 — 1488 R e k t o r des Lyzeums in Chemnitz, 1488 S t a d t s y n d i k u s in Zittau, ab 1497 in Bautzen, wo er 1515 starb. Auch zwei seiner Gespräche des Thesaurus eloquentiae, von P . Krenkel a. a. O. übersetzt, umkreisen die Polemik u m den Schneeberger Bergbau. Ein Schriftenverzeichnis des Niavis bei Krenkel a. a. O., 62. — Z u m Lebenslauf vgl. A. Börner, Paulus Niavis, ein Vorkämpfer des deutschen Humanismus. I n : Neues Archiv f ü r sächs. Geschichte, Bd. 19, 1908, 511 f. — Zur F o r m des J u d i c i u m Jovis vgl. A. Börner, Die lateinischen Schülergespräche der Humanisten. I n : Texte und Forschungen zur Geschichte der Erziehung. Hg. von K a r l Kehrbach, Bd. I, Berlin 1897, insbes. S. 19ff. — Ohne Bezug auf unseren Titel Rudolf Hirzel, Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch. 2 Bde, Leipzig 1895. — Friedrich Wilhelm S t r o t h m a n n , Die Gerichtsverhandlung als literarisches Motiv in der deutschen Literatur des ausgehenden Mittelalters. Diss. Köln. J e n a 1930. — Roderich Stintzing, Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland am Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahrhunderts. Leipzig 1862. Insbesondere sei verwiesen auf das Kapitel über die Satansprozesse; S. 259ff. P a u l u s Niavis n e n n t im Widmungsbrief an Stephan Gülden die F o r m solcher Judicia sehr treffend „ R e d e n im Gerichtsstil". — H e r m a n n Gumbel, Die Verweltlichung des deutschen geistlichen Dialogs im 14. Jahrhundert. I n : Deutsche Vierteljahrsschrift f ü r Literaturwissenschaft u n d Geistesgeschichte, 8. Jg., 1930, 481 ff. — Traum, Verirrung auf dem Spaziergang, Vision, E n t r ü c k u n g sind in der Dichtung der Zeit gern gebrauchte Mittel, um die Darstellung überalltäglichen Geschehens einzuleiten. Die Quellen der Visionserzählung liegen nach K o n r a d B u r d a c h in der von der sogenannten zweiten Sophistik abhängigen Literatur der römischen Kaiserzeit. K o n r a d Burdach, Der Dichter des Ackermannes aus Böhmen und seine Zeit. Berlin 1 9 2 6 - 1 9 3 2 , 263. 1 A b d r u c k der Constitutiones oder, wie sie sich selbst nennen, des J u s Regale M o n t a n o r u m bei A. Zycha Das böhmische Bergrecht des Mittelalters auf Grund des Bergrechts von Iglau. Berlin 1900, Bd. I I , 40 ff. — Unhistorisch, Zycha a. a. O. Bd. I, 86 ff. — Die Miniatur als Lithographie in schwarz-weiß Umzeichnung veröffentlicht Graf K a s p a r Sternberg, Umrisse einer Geschichte der höhmischen Bergwerke. Bd. I, 1. Abt., P r a g 1836. Titelbild. Bildbeschreib u n g S. X V I . — Professor Vaclav Husa, Prag, stellte uns Originalfotos der Miniatur z u r Verfügung, wofür wir ihm sehr danken. U m der Deutlichkeit willen müssen wir als Reproduktionsvorlage die Sternbergsche Umzeichnung verwenden, die nur den oberen Teil bietet.
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Wir zweifeln nicht, daß Sternberg in die rechte Richtung weist. Die zeitübliche Froschlampe, die das Kind in den Händen hält, zeigt seine Zugehörigkeit zum Bergwerk. Als „Bergmännel" ist der Berggeist 1487 für Schneeberg bezeugt. Dort führt eine Zeche diesen Namen. 1 Bei dieser Konkretisierung der Gestalt ist es nicht verwunderlich, daß Paulus Niavis in einem Schülergespräch, das lehren soll, „Wie man vom Schneeberg und von den Gruben zu sprechen hat", auch des Berggeistes Erwähnung t u t : „ E t te quibusdam loquuntur phantasmatibus vim hominibus inferentibus, quod minus mihi credibile est." 2 Den Zweifel des Niavis an der Existenz dieser phantasmatum teilt Georg Agricola im „Bermannus" nicht (Erstdruck Basel 1530). Er hält sie durch die Erfahrung für bestätigt. Harmlos neckisch, bösartig, gutartig sind sie ihrem Wesen nach. „Und die Bergleute sind nicht böse und traurig, wenn sie hören, daß sie anwesend sind und sich in ihrer Arbeit recht häufig vernehmen lassen. Sie wünschen sie sogar herbei und halten es für ein gutes Omen." 3 Dieses Wesensbild des Bergmänneis zeichnet Agricola sicherlich bergmännischer Überlieferung nach. Doch seinem Bedürfnis nach wissenschaftlicher Einordnung der Erscheinung wird er gerecht, wenn er der Dämonologie des Michael Psellos folgt und die Berggeister zum Geschlecht der Dämonen (genus daemonum) zählt. Psellos, byzantinischer Philosoph und Staatsmann in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, Träger neuplatonisch-patristischen Wissens, hält die in den Gruben wohnenden unterirdischen Geister für besonders gefährlich. Johannes Trithemius, Abt von Sponheim (1462—1518), macht solche Meinungen durch Schriften in deutscher Sprache einem breiteren Publikum bekannt: „Das fünfte Geschlecht und Gattung der bösen Geister heißt subterraneum, darum, daß sie in den Spelunken, Höhlen und Löchern und in den heimlichen Winkeln auf den Bergen wohnen. Und diese Geister sind in ihrer Affektion, Neiglichkeit und Willen die allerbösesten, stellen den Leuten sehr nach, die unter der Erden arbeiten, als Brunngräbern und Erzknappen, item denen, die da Schätze suchen und graben wollen." 4 Trithemius liefert mit solcher Einschätzung der späteren Dämoni1
Schichtmeister Paul Müseier (etwa 1482—1487) hat in der Krisenzeit des Schneebergs beträchtliche Zubußen nicht erlangen können und auch sonst Schulden machen müssen. Wahrscheinlich ist er nach Ostern 1487, um der Schuldhaft zu entgehen, außer Landes gezogen. Doch ist er bereit, bei Zusicherung freien Geleits seine Angelegenheiten zu regeln. Bruder und Schwager unterstützen seine Bitte durch ein Gesuch an den Landesfürsten. Der Schneeberger Bergschreiber gibt eine Aufstellung der Schulden und der Außenstände des flüchtigen Schichtmeisters. Darunter auch 17 Schock, 25 gr 3 Pf. auf die Zeche „das Bergmännel". Landeshauptarchiv Weimar T 37, fol. 84ff. 2 Zitiert nach Klotzsch und Grundig, den Herausgebern der „Vermischten Nachrichten zur sächsischen Geschichte". Chemnitz 1767, Bd. I, 95. — Bei Krenkel a. a. O., 44: „Auch von einer Art von Geistern spricht man, die den Menschen Gewalt antun. Doch daran glaube ich weniger." 3 Georg Agricola, Bermannus oder über den Bergbau. Ein Dialog. Übersetzt und bearbeitet von Helmut Wilsdorf. Berlin 1955, 88 f. Mir hegt die zweite erweiterte Ausgabe vor, Leipzig 1546. Die Stelle über die Berggeister befindet sich dort S. 25. 4 Zitiert nach Will-Erich Peuckert a. a. O., 122.
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sierung und Verteufelung des Berginännels das Rüstzeug. Sebastian Münster benutzt 1544 die Mitteilungen des Agricola über die Berggeister in seiner Cosmographia universa. Aus dieser Quelle schöpft Olaus Magnus für seine Historia de gentibus septentrionalibus (1555). In dem bereits 1555 ins Deutsche übersetzten Kapitel VT ist der Berggeist mit Eselsohren, Fuchsgesicht und Hühnerbeinchen im Bilde bereits dämonisiert. 1 Der Künstler der Miniatur von 1525 schöpfte für die Darstellung des Berggeistes offenbar weder die Bildelemente der volksläufigen Vorstellung „Bergmännel" aus noch diejenigen der gelehrten Dämonologie. So ohne Bildauswertung der gängigen Vorstellungen um den Berggeist dürfen wir seine Kindgestalt ohne Bedenken zu den Penaten des Judicium Jovis stellen. Auch das kindhafte Wesen mit der Froschlampe ist ein „Stättewalter", wie die Penaten es sind. Der Künstler des Holzschnittes befand sich in Übereinstimmung mit dem Text und der antiken Überlieferung, wenn er die Penaten in Scharen erscheinen ließ. Wir wissen nicht, wie weit die antiken Kenntnisse des Illuminators reichten. Wußte er etwa, daß der Stättewalter der Flur, der Lar, ursprünglich nur als Einzelgestalt auftrat? Wußte er, daß dieser Lar Schutzgeist nur der vom Menschen bebauten besitzrechtlich aufgeteilten Flur war? Doch selbst wenn wir antike Kenntnisse solcher Art bei ihm voraussetzen dürften, so waren sicherlich auch noch andere Anregungen wirksam, als er das Kind mit der Froschlampe schuf. Vielleicht kannte er wie Georg Agricola aus heimischem bergmännischem Wissen die gute Vorbedeutung des Berggeistes, und so ließ er ihn als Omen künftiger Fündigkeit bereits beim Verleihungsakt der Berggesetze erscheinen. Das kindhafte Wesen wird, so meinen wir, im nächsten Augenblick aus dem Thronsessel des Königs schlüpfen und, gleichsam mitverliehen, sich mit den Bergleuten in ihre Berggebäude begeben. Denn der Berggeist ist nicht Bewohner des „wilden", sondern nur des den Bergleuten verliehenen und von ihnen bebauten Berges. Das unterscheidet ihn von den Zwergen.2 Hausgeist wie Berggeist walten in der vom Menschen geschaffenen res (domus;
fundus
—
fodina).3
1 Vgl. dazu Helmut Wildsorf, Olaf Stora — Die mitternächtigen Länder. Sonderheft 9 •der „Zeitzer Heimat". Zeitz 1957, Uff. 2 Dem erzgebirgischen Chronisten Christian Lehmann ist dieser Unterschied wohl bewußt. „Der gemeine Mann trägt sich mit einer fabulosen Tradition, als wenn vor alten Zeiten / ehe dieses Ober-Ertz-Gebirge angebauet worden / auf dem Wald-Gebirge und dessen Felßlöchern Zwärge gewohnet hätten / welche aber durch Aufrichtung der Puchwerke / Eisenhämmer und Klippelwerke sollen seyn verjagt worden . . . Allein dieses alles ungeachtet / halte ich diese Zwärg-Tradition für ein alt Weiber-Mährlein. Denn wer hat jemahls dergleichen Berg-Zwärge im Ober-Ertz-Gebirge gesehen? . . . Das Gebirge ist nun über 200 Jahre mit so vielen Schürfen / Stölln / Schächten ersehnten / ersuncken und durchfahren / darinnen man niemahls einig Zwärglein / wohl aber Bergmänngen / Bergmönche / Cobolde und andere Teufels-Larven angetroffen." Historischer Schauplatz derer natürlichen Merkwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Ertzgebirge. Leipzig 1699, 185f.; 188f. 3 Vgl. Pauly-Wissowa, Realencyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft unter Penaten. — Georg Wissowa, Religion und Kultur der Römer. München 1902. Di penates,
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Nachdem wir Hausgeister und Berggeist, Penaten und Lar ihrer Funktion nach zusammengestellt haben, suchen wir den offenbar für beide gemeinsamen Bildvorwurf. Beide sind, so meinen wir, einer breiten und tiefen mittelalterlichen Bildüberlieferung verbunden: der Darstellung der Seele als Kind oder als kindhaftes Wesen. Schon auf den Koimesisbildern der östlichen Kirche vom Tode Mariens hält Christus die als Kind gebildete Seele der Entschlafenen (als Wickelkind oder in Gewandverhüllung) im Arme. Das Motiv wird seit dem 12. Jahrhundert plastischer Schmuck auch westlicher Kathedralen.1 In der breiten Bildgruppe um den Engel als Seelenwäger steht oder kniet das Seelenkind nackt in der einen Schale der Schicksalswaage.2 Weiteste Verbreitung erfuhr im 15. Jahrhundert die Gestalt des nackten Seelenkindes durch das Erbauungsbuch der Ars moriendi, das in einer Folge von Tafeldrucken Himmel und Hölle mit ihrem Personal um eine Menschenseele streiten läßt. 3 Im weiteren Umkreis der Ars moriendi steht die Visio lamentabilis des Francigena Fulbertus, die Martin Flach in Basel 1475 in deutscher Sprache herausgab. Ein Priester am Bett eines Sterbenden hat einen Traum: Die Seele eines Abgeschiedenen in Gestalt eines nackten Kindes und der Leib dieses Jedermann, der von Bild zu Bild in eine stärkere Phase der Verwesung übergeht, überhäufen sich mit Vorwürfen, daß eines das andere zu seinem sündhaften Leben verführt habe. Aus der Fülle der Möglichkeiten wählen wir gerade aus diesem Zyklus die Veranschaulichung des nackten Seelenkindes, weil es hier in gestu disputandi auftritt wie die Penaten im Judicium Jovis. 4 Auch dem mittelalterlichen Erzählgut ist die Gestalt des Seelenkindes wohl bekannt. So weiß Caesarius von Heisterbach vom Tode des Bruders Hildebrand zu berichten: „Als Bruder Hildebrand im Sterben lag, eilte der Konvent auf den Schlag an der Tafel herbei. Während sie den Sterbenden umgaben und die üblichen Bräuche vornahmen, wurde ein Bruder, der dabei stand, folgenden Gesichtes ge145 ff.; Lares, 148. — Ders., Gesammelte Abhandlungen zur römischen Religions- und Stadtgeschichte. München 1904, 95 ff.: Die Überlieferung über die römischen Penaten. — Auch der tschechischen gelehrten Literatur sind seit des Cosmas Zeiten (1039 — 1125) die Penaten bekannt. In seiner Chronik von Böhmen tragen die ersten Bewohner des Landes, wie Aeneas bei Virgil, die Penaten auf den Schultern und stellen sie an ihrem neuen Wohnort auf. Wattenbach, Geschichtsschreiber, Bd. XIV, Leipzig 1885, 8f. — Aus den Acta visitationes Pragensia teilt Cenek Zibrt einen Beleg von 1382 mit: Plebanus dicit, quod quidam Holybrius sartor ibidem dicit, se habere penatem in domo sua, a quo dicit se audire furta et excessus alios relevari. Cesky lid I, Praha 1892, 186. — Über das Uboze als dem Penaten der Westslawen handelt A. Brückner, Mythologische Studien. Archiv für slawische Philologie, Bd. V, Berlin 1892, 186 ff. — Der Kuttenberger Berggeist zeigt wie der Hausgeist des Holybrius den Tod des Obersten Münzmeisters des Königreichs Böhmen an; F. E. Brückmann, Magnalia Dei. II. Teil, Braunschweig 1730, 728. 1 Karl Künstle, Ikonographie der christlichen Kunst. Bd. I, Freiburg 1928, 568. 2 Leopold Kretzenbacher, Die Seelenwaage. Zur religiösen Idee vom Jenseitsgericht auf der Schicksalswaage in Hochreligion, Bildkunst und Volksglaube. Klagenfurt 1958. 3 Vgl. O. Schmitt, Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. I. Stuttgart 1937, Sp. 1121 ff. 4 Albert Schramm, Frühdrucke, Bd. 21, 13f. Abb. 5 5 8 - 5 6 5 .
TAFEL 8
Bergmann mit Penaten aus dem Judicium Jovis des Paulus Nia vis (zwischen 1492 und 1495).
TAFEL 9
König Wenzel überreicht den Kuttenberger Bergleuten das J u s Regale Montanorum. Nach einer Miniatur von 1525.
T A F E L 10
Die Seele in gestu disputandi aus der Visio lamentabilis des Francigena Fulbertus. Deutsohe Ausgabe von 1475.
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würdigt: Siehe, es kam noch ein anderer Konvent weißgekleideter Männer; derselbe holte von dem Platze, wo der Sterbende lag, einen sehr schönen Knaben hinweg und verschwand mit demselben unter Jubelgesängen. So wurde das Doppelwesen dieses glücklichen Bruders durch einen doppelten Konvent heimgeführt: die Seele durch den Konvent der Weißgekleideten zur ewigen Ruhe, der Leib durch einen Konvent von solchen, die dereinst zu den Weißgekleideten gehören werden, in die Kirche; beide aber trugen ihn weg, indem sie, wenn auch nicht in gleicher Weise, Gottes Lob sangen." 1 In den Sog des mächtigen Vorstellungs- und Bildstromes um das Seelenkind geraten die Künstler bei der Suche nach einem Vorwurf für die Verbildlichung ihrer an den Menschen gebundenen, mit Schutzfunktionen ausgestatteten Geistwesen. Der Illustrator des Judicium Jovis bildet die Bildformel weiter, indem er die Penaten antiker Überlieferung gemäß als Schar auftreten läßt, der Illuminator von 1525 gibt dem an einer Stätte der Arbeit Waltenden ein wichtiges Arbeitsgerät in die Hand. Unser Beispiel illustriert bescheiden und episodisch begrenzt einen weit- und tiefgreifenden schöpferischen Wesenszug der Epoche: Heimisch tradierte, antike, christliche Elemente gehen eine neue kulturgestaltende Synthese ein. Dazu zeigt es, wie neben die kirchliche Berichterstattung über Glaubensvorstellungen der „unverbildeten" Volksschichten diejenige einer sich in zunehmendem Maße säkularisierenden Bildungsschicht tritt. In den Brechungen dieser beiden Medien lernen wir bis zu sehr späten wissenschaftlichen Bestandsaufnahmen Gestalten und Vorstellungen des Volksglaubens kennen. Diese Indirektheit der Quellenaussagen und die Eigenentwicklung in den tragenden Schichten selbst, die je nach der Stärke der ökonomisch-gesellschaftlichen Triebkraft in bezug auf Tradition und Umstruktur in den einzelnen Landschaften verschieden läuft, geben manchen volkskundlichen Pakten ihre schwere Faßbarkeit. Darum ergreifen wir mit Eifer jede datierbare Erstarrung im Bild und versuchen sie aus der Zeit heraus zu verstehen. 1 A. Kaufmann, Wunderbare und denkwürdige Geschichten aus den Werken des Cäsarius von Heisterbach. 2. Teil, Köln 1891. Über die Ursprünge dieses Seelenbildes ist hier nicht zu handeln. Nachklänge in der deutschen Volkssage gibt Otto Tobler, Die Epiphanie der Seele in deutscher Volkssage. Diss. Kiel 1911, 63 ff.
KUSTAA YILKUNA
Der finnisch-estnische Schultheiß kupias, kubjas
Wolfgang Steinitz verfügt über ein geistiges Kapital von seltenem Umfang. Dazu gehört auch, daß er die finnische und estnische Sprache sowie die darin aufgezeichnete Volksüberlieferung wissenschaftlich beherrscht. Es sei deshalb gestattet, als herzlichen Glückwunsch -von diesem Gebiet einen kleinen Blumenstrauß zu pflücken, den der altfinnische Kupias dem Geburtstagskind in Berlin am 28. Februar — dem Kalevalatag — 1965 überreichen möchte.
Als überliefertes finnisches Wort kommt kupias nur in zwei Gedichten vor, und zwar aus den Jahren 1708 und 1810.1 Jeweils geht daraus hervor, daß der kupias eine angesehene Person war: (1708) „goldiger Cubias, fleißiger stattlicher Held", (1810) „Dieser vollkommne Mann, dieser berühmte kupiias". In Familienund Ortsnamen treffen wir Kupias in Finnland bereits in mittelalterlichen Quellen. I m Jahre 1374 wirkte in Häme der Schöffe Jonn Cupiasson, ebenso 1447 •Jacob Kupianpoika ( = Sohn des Kupias). Der Vater von beiden war also der kupias seines Ortes. 2 Den eigentlichen Familiennamen Kupiainen, eine regelmäßige ostfinnische Ableitung vom Wort kupias, gibt es um die Mitte des 16. Jahrhunderts häufig, besonders in der Umgebung von Savonlinna. 3 Möglicherweise waren diese Kupiainens ursprünglich Burgvögte von Savonlinna, vielleicht haben sie bereits in der Burg von Viipuri gedient, denn die Burgvögte von Savonlinna, die 1475 gegründet wurde, wurden von Viipuri aus rekrutiert. Ein Henrik Kupiainen war der Schreiber des Gerichtsbezirks von Savo und schließlich in den Jahren 1571 —1593 der Ortsrichter, der Gesetzleser von Savo. 4 Die Familiennamen Kupiainen und Kupias — 1618 Cupias — sind noch ständig in Gebrauch, desgleichen die Bauernhofnamen Kupias und Kupiala. Sie sind von Karelien bis nach Westfinnland verbreitet, so daß es sich um einen alten finnischen Namen handelt. Wir finden dieses Wort auch in der nächsten verwandten Sprache des Finnischen, im Estnischen, wo es ebenfalls zur lebendigen Sprache gehört und kubjas, kubijas 1
Virittäjä 1898 (Helsinki), S. 64. Finlands medeltidsurkunder (FMU). Herausgegeben von Reinh. Hausen (Helsingfors 1910), I, S. 353; III, S. 425. 3 Domböcker för Savolax 1559 och 1561 — 1565. Herausgegeben von Kauko Pirinen (Helsinki 1954), S. 9, 11, 67, 68, 100, 156, 192, 194, 196, 219. 4 Kyösti Kiuasmaa, Suomen yleis- ja paikallishallinnon toimet ja niiden hoito 1500iuvun jälkipuoliskolla. Historiallisia tutkimuksia LXIII (Helsinki 1962), S. 145, 146, 159, -513. 2
Der finnisch-estnische Schultheiß kupias, kubjas
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lautet. Nach Wiedemann ist seine erste Bedeutung 'Frohnvogt, Aufseher der Arbeiter'. 1 Ein derartiger kubjas war in der estnischen Gesellschaft vom 14. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein äußerst charakteristischer Bediensteter. Die estnischen Bauern waren nach der Eroberung durch die Deutschen schon im 14. Jahrhundert zu Leibeigenen der Herrenhöfe geworden, die die deutschen Adligen besaßen, und im 15. Jahrhundert wurde die Leibeigenschaft gesetzlich festgelegt. Zur Zeit der Schwedenherrschaft 1561 — 1710 veränderten sich die Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade, doch im zaristischen Rußland, besonders Anfang des 19. Jahrhunderts, annektierten die deutschen Adelsherren wiederholt die Ländereien, so daß die Bauern erneut zu Leibeigenen wurden. 2 Der Aufseher bei der Arbeit der Hörigen war der kubjas. Dieser Vertreter der Gutsherren war meist ein unfreundlicher und harter Mann, dessen gewöhnlichste und meistverwendete Waffe die Peitsche oder der Stock war. Die Bauern haßten und verachteten diesen Aufseher oder sie schmeichelten ihm auch, was auf ergreifende Weise aus zahlreichen alten estnischen Volksliedern hervorgeht. 3 Als ein derartiger Name für den Fronvogt war kubjas natürlich ein affektgeladenes Wort, so daß es dann auch in die schwedischen Dialekte von Estland entlehnt wurde (kubias, kubius 'rättare') 4 , in die nächsten lettischen Mundarten (kubjas 'der ehstnische für starasts oder wagars [ = der Hauptaufseher über die Hofsarbeit], an der estnischen Gränze gebraucht' 5 und besonders ins Baltendeutsche (die ältesten Belege aus dem Jahre 1496: de cubias Nanno (Reval) und 1497: op unsz kubias to Kirkente [Parmel im Wierland]). 6 Was für ein Mann der Fronvogt im 19. Jahrhundert unter den Schweden von Estland war, erfahren wir aus der Aufzeichnung von P. A. Säve aus Nuckö vom J a h r e 1854: kubjas, „Vogt (seinem Wesen nach ein Bauer, der niedrigste aber schlimmste Schinder) ; er ist ein Bauer, kleidet sich wie ein solcher, kann ein wenig
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F. J. Wiedemann, Estnisch-deutsches Wörterbuch3 (Tartu 1923), kubjas. Zum Beispiel Iso Tietosanakirja XV (Helsinki 1939), 7 1 4 - 7 1 6 . 3 Vana kannel IV, Karksi vanad rahvalaulud I, hrs. v. Herbert Tampere (Tartu 1941), lir. 773, 784, 795 — 797, 802, 808 — 810. In der estnischen Kopiensammlung der Finnischen Literaturgesellschaft befinden sich folgende Lieder, in denen kupias auftritt: Kubjas in den Ofen, K. schlage nicht!, der ungeladene K., K. mass ein grosses Stück ab, K. schlägt ~ kommt schlagen, K. in der Hölle, K. der Blutaussauger, der Hohn der Frau des K., der den K. verdrosch, der Hohn des K., der Fluch des K., der Tod des K. 4 A. O. Freudenthal och H. A. Vendell. Ordbok öfver estländsk-svenska dialekterna. Skrifter utgifna af Svenska Litteratursällskapet i Finland VII (Helsingfors 1886), S. 116. 5 C. Chr. Ulmann, Lettisch-deutsches Wb, Riga 1872, S. 124 und 324; Vilh. Thomsen, Beröringer mèllem de finske og de baltiske (litauisk-lettiske) Sprog (Köbenhavn 1890), S. 264. 6 Liv-, est- und kurländisches Urkundenbuch. Zweite Abteilung, Band 1 (Riga, Moskau 1900), S. 403; Publikationen aus dem Revaler Stadtarchiv 2, S. 58; V. Kiparsky, Fremdes im Baltendeutsch. Mémoires de la société néo-philologique de Helsingfors (Helsinki 1936), XI, S. 46. 2
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schreiben, drückt sich vor der Arbeit und schickt die Arbeiter nicht auf das Gut, wo er selbst ißt". 1 Früher stellte der estnische kubjas natürlich nicht nur den „Fronvogt" dar, sondern der kubjas erhielt erst in historischer Zeit mit der Entstehung der Herrenhöfe diese neue Aufgabe, indem seine älteren Amter allmählich in Vergessenheit gerieten. Aus den Quellen des 17. Jahrhunderts geht hervor, daß kubjas identisch war mit „küllawardja" bzw. Dorfschulz.2 Dies stimmt mit noch älteren Quellen überein. Aus einem Steuerbuch der 1560er Jahre geht hervor, daß es z. B. in Viljandi (Fellin) des Kreises Karks (Karras) in jedem Dorf einen kupias gab. Schon im Mittelalter war der Kreis Karras in drei Distrikte (schwed. häred, estn. kunda, Aliste-, Paiste- und Sarkunda) geteilt und diese weiter in Steuerkreise oder Wacken, zu denen jeweils eine bestimmte Anzahl von Dörfern gehörte. Die Leitung eines Distriktes oblag einem Beamten, dessen lokaler Name „kilter" ( < balt. dt. Schilter) lautete, der Wacke stand der „vardia" bzw. ,,vàrtman" vor und dem Dorfe der „cupias".3 Als Dorfältesten oder als Vorgesetzten einer Dorfgruppe finden wir den kupias auch in der alten Volksdichtung von West-Ingermanland, die in den Jahren 1831 bis 1906 in der Nähe der estnischen Grenze aufgezeichnet worden ist.4 Anders als in den estnischen Gedichten ist der kupias in West-Ingermanland ein geachteter und ausgleichender örtlicher Anführer. Sein gewöhnlichstes Attribut lautet „berühmt", wie auch in dem eingangs erwähnten finnischen Gedicht. Die Alliteration, die für die älteste finnische Volksdichtung charakteristisch ist, hat den Vers Meiän kuuluisa kupias "Unser berühmter kupias' recht lange bewahren können. Am häufigsten treffen wir den kupias in alten Liedern über die Aushebung von Soldaten, in Liedern also, die offenbar erst im 18. Jahrhundert entstanden. Aber auch in den älteren Schichten der Volksgesänge fehlt er nicht ganz ; das zeigen der „Gesang vom großen Stier" 5 und der vom „Fest zu Päivölä", die ursprünglich vorgeschichtliche Ritengesänge gewesen sein mögen.6 InVarianten des letzterwähn-
1 Gideon Daneil, Estlandssvenskarnas folkliga kultur II. Ordbok över Nuckomàlet. Skrifter utgivna av Kungl. Gustav Adolfs Akademien (Lund 1951) 27, S. 225. 2 Arvi Korhonen, Vakkalaitos (Helsinki 1923), S. 159. 3 ibidem, S. 15. Baltendeutsch Schilter fehlt in Grimms Deutschem Wörterbuch. Paul Johansen hat es von dem Wort Schildreiter hergeleitet (Siedlung und Agrarwesen der Esten im Mittelalter. Verhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft X X I I I . Dorpat 1925, S. 14) und Gutzeit von dem Wort Schilderer. Näher über dieses Wort s. Nils Tiberg, Estlandssvenskarnas folkliga kultur I, S. 42. Skrifter utgivna av Kungl. Gustav Adolfs akademien 25. Uppsala 1951. 4 Suomen Kansan Vanhat Runot ( = SKVR) I I I 66:9, 248, 250:17, 586, 978, 984, 987, 988:14, 992, 2370:9, 2387, 2797:9, 2820:15, 3151:5, 3605:11. 5 Zum Beispiel SKVR I I I 694:14 und 695:10. 6 Matti Kuusi, Sampo-eepos (Helsinki 1949), S. 356; Martti Haavio, Karjalan jumalat (Porvoo 1959), S. 40—41; Kustaa Vilkuna, Volkstümliche Arbeitsfeste in Finnland. FFCommunioations i « (Hélsinki 1963), S. 251.
Der finnisch-estnische Schultheiß kupias, kubjas
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ten Gesanges, 1 die 1881 — 1891 gesammelt worden sind, ist von kupias das archaistische, doch regelmäßige Deminutivum kupoi enthalten: Jäi kupoi kutsumatta, esivalta vaatimatta 'Es blieb der kupoi ungeladen, die Obrigkeit unaufgefordert'. Diese Varianten sind bei den konservativen orthodoxen Ingriern aufgezeichnet worden. Die soziale Stellung des kupias wird durch das als Synonym verwendete Wort „Obrigkeit" erläutert. I n zahlreichen anderen Varianten haben wir taarosta ( < russ. cmapocma) und seltener kollova ( < russ. eojioea) als Synonym. Interessant ist ferner die Feststellung, daß in den estnischen Gesängen, wo der kupias angeredet wird, oft die gleichen schönen und ehrenvollen Epitheta vorkommen: 2 Meie kubjas, kullakeine isänt, ellä linnukeine
Unser kupias, Goldschatz, Herr, liebliches Vögelchen.
Möglicherweise stammen auch diese Strophen aus älteren Gesängen, vielleicht sind es gerade jene Worte, die man, wenn man einen kupias anredete, zuerst sprach in der altestnischen Gesellschaft. Auch der kupias in dem finnischen Gedicht von 1708 war „goldig". Als sprechendes Beispiel dafür, wie diese Verse in elenden Landbesitzverhältnissen sozial aufrührerisch wurden, sei die gleiche Strophe nach der Aufzeichnung von Oskar Groundstroem aus Säätinä in Soikkola (Ingermanland) im Jahre 1861 zitiert: Kilterkirne linnukine, Tuo kupias kuratin nahka (SKVR III 527)
Kilterikkö unser Vögelchen, Jener kupias Teufelsfell.
Das Obengesagte dürfte bereits hinreichend zeigen, daß der kupias in der alten finnisch-estnischen Bauerngesellschaft ein geachteter, örtlicher Vertrauensmann war, der Älteste eines Dorfes oder einer Dorfgruppe, aus welcher Stellung er in Estland zum Steuereintreiber seines Dorfes und später zum Fronvogt der Herrenhöfe wurde. Bereits frühzeitig mußte in Estland, wenn man einen kubjas wie früher meinte, dem Worte die Bestimmung kylän 'Dorf-' vorangestellt werden: „KüllaKubjas, der ist ein Dorf-Aufseher oder Aeltester in ehstnischen Distrikten"; sonst bedeutete kubjas „Aufseher bey Frohnarbeiten". 3 Auch in deutschsprachigen Akten auf größeren Gutshöfen wurde bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft der „Hofkubjas" von den „Dorfkubjasen" unterschieden. 4 Von seiner alten Stellung als Vertrauensmann des Dorfes geriet der kubjas auch in den Bereich kirchlicher Vertrauensleute. I n dem öselschen Kirchen Visitationsprotokoll von 1519—1522 wird der „cubiaces et decimatores" gedacht. 5 Bei 1
SKVR III 1610:11-13, 1619:11-13, 1620:22, 1 9 7 1 : 1 1 - (Soikkola); s. auch 1055:12 (Narvusi), wo anstelle von kupoi kupias steht. 2 Zum Beispiel Vana kannel IV, Nr. 379, 385, 387:3, 395. 3 A. W. Hupel, Idiotikon der deutschen Sprache in Lief- und Ehstland. Neue Nordische Miscellaneen 1 1 - 1 2 (Riga 1795), S. 130-131. 4 Paul Johansen, Siedlung und Agrarwesen der Esten im Mittelalter. Verhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft XXIII (Dorpat 1925), S. 14. 5 Ibidem, S. 13.
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Wiedemann findet sich suigu-kubjas und tuku-k. 'Beaufsichtiger der Gemeinde in der Kirche'. Dem Namen nach zu schließen handelte es sich um Kirchendiener, welche Leute, die in der Kirche eingenickt waren, weckten, damit sie dem Gottesdienst folgen konnten. Auch in der städtischen Gesellschaft erhielten einige Vertrauensmänner die Bezeichnung kubjas. Darüber findet sich u. a. eine Erwähnung von F. E. Gadebusch aus den 1760er Jahren: „Jedoch wird es (das Wort kubjas} auch in den Städten gebraucht, wo man Raths-Kubbjas, Brand-Kubbjas usw. h a t . " 1 A. W. Hupel kennt auch einen Angestellten namens Brücken-Kubjas, und bei Wiedemann finden wir auch turu-kubjas 'Marktvogt', wangi-k. 'Gefängnisaufseher' und te-k. 'Aufseher beim Wegbau'. Unsere eben durchgeführte Überprüfung macht den Versuch Jalo Kalimas, kupias als ein relativ spätes russisches Lehnwort zu erklären, noch unwahrscheinlicher.2 Aus lautlichen und semantischen Gründen haben die führenden Forscher der ostseefinnischen Sprachen — Lauri Posti, Y. H. Toivonen und Julius Mägiste 5 — ihrem Zweifel an der Richtigkeit der Herleitung Ausdruck gegeben. Als Ausgangspunkt nimmt Kalima den russischen Bezirksnamen gubd an, der die Bedeutung 'Gerichtsbezirk eines Kriminalrichters; Kreis' hat. Der Kriminalrichter dieses Gebietes war gubnöj stdrosta, woraus dann estnisch kubjas entstanden wäre. Finnisch kupias wäre aus dem Estnischen entlehnt, wie bereits Heikki Ojansuu vermutet hat. 4 Es werden jedoch keine Zwischenstufen angeführt, und auf estnisch-finnischer Ebene weist auch nichts darauf hin, daß das Stammwort die Bezeichnung eines Gebietes gewesen wäre. Ferner muß auch Lauri Kettunens ebenso phantasievolle wie schwache Erklärung des estnischen Wortes kubjas als unmotiviert zurückgewiesen werden. Ihm dient als Ausgangspunkt der seit dem Mittelalter bekannte Gutsname Ubja — in den Akten Vbias, Ubias, TJppia —, den Kettunen vom Verb ubima 'schlagen, prügeln' herleitet; er konstruiert dann das Nomen agentis ubija oder ubijas 'Prügler' sowie ein völlig künstliches paralleles Verb mit k-Anlaut, wovon dann schließlich *kubijas 'Prügler' entstanden wäre. 5 Doch welcher Herkunft könnte das Wort kupias dann sein? Bevor wir versuchen, diese Frage zu beantworten, muß die estnische Parallelbezeichnimg für kupias, vardija, vardja untersucht werden. Im Finnischen entspricht dem sowohl lautlich als auch etymologisch vartija 'Wächter, Wärter'. 1
Bei Hugo Suolahti, Die estnischen Worte im Deutschen der baltischen Ostseeprovinzen. Neuphilologische Mitteilungen XII (Helsingfors 1910), S. I i i . 2 Jalo Kalima, Fi. kupias. Finnisch-ugrische Forschungen 30, S. 279 — 283. 3 Lauri Posti in der Besprechung Finnisch-ugrische Forschungen 31, Anz., S. 6; Y. H. Toivonen erwähnt im Etymologischen Wörterbuch des Finnischen nicht einmal Kalimas Annahme; Julius Mägiste, Äldre ryska länord i estniskan. Lunds universitets ärsskrift. N. F. Avd. 1. Bd. 55. Nr. 1. (Lund 1962), S. 5 6 - 5 7 . 4 Heikki Ojansuu, Suomen kielen tutkimuksen työmaalta (Jyväskylä 1916), S. 151. 5 Lauri Kettunen, „kubjas, kubias" im Estnischen. Ural-Altaische Jahrbücher, Band XXV (1953). Wiesbaden, S. 203—212; id., Etymologische Untersuchung über estnische Ortsnamen. Annales Academiae Scientiarum Fennicae B 90, 1. Helsinki 1955.
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Beide stammen von dem entsprechenden urgermanischen Wort, das ins Urfinnische entlehnt wurde und im Gotischen fast genau wie im Estnischen geschrieben wurde, vardja 'Custos'. In Estland hat vardja bereits frühzeitig eine spezielle Bedeutung erhalten, was aus baltendeutschen Quellen des Mittelalters und des IQ. Jahrhunderts sichtbar wird. Aus dem Estnischen wurde wardige, wardy insBaltendeutsche entlehnt und erhielt durch Volksetymologie warte, werde und wartman als Synonyme, welche Formen in den Urkunden zu finden sind.1 Schon um das Jahr 1430 wird in einem Dorf von Jerwen der wartman als Bediensteter des Ritterordens erwähnt. Arvi Korhonen hat auf Grund der Steuerbucheintragungen aus dem 16. Jahrhundert feststellen können, daß waclca werden einen Mann bezeichnete, der dafür sorgte, daß die Mittel für die Bewirtung im Steuerkreis (Wacke) zusammenkamen; er war also der Herr des Vakka-Festes, der Leiter einer alten Festinstitution mit Bewirtung.2 Von hier aus kam man dann später leicht zu den Bedeutungen 'Hochzeitsmarschair und 'Speisemeister'. Der vartija hatte auch andere spezielle Aufgaben. Im polnischen Register des Gebietes von Dorpat werden Ende des 16. Jahrhunderts kubias und vardia als gleichartige bäuerliche Bedienstete in den gleichen Gutsbezirken, nie jedoch in den gleichen Dörfern erwähnt. Nach dem Verfall der mittelalterlichen Herrenhofwirtschaft und der Vakka-Institution besaß, so bemerkt Korhonen, der vardja keine spezielle Aufgabe mehr, so daß kupias und vardja gewissermaßen eins wurden.3 — Auch das finnische Wort vartija hatte seinerzeit hohe Spezialbedeutungen; es wird u. a. in dem Gedicht „Urteil des Väinämöinen" als Synonym für König gebraucht: Vironkannas „dem Kind die Taufe, den Namen gab, das Kind taufte, es benannte als König von Metsola, Honkola oder Pohjola, als Wächter von Rahavaara oder Rahasaari (d. i. Fellberg bzw. Fanggebiet).4 Jene germanische Wortfamilie, zu der gotisch vardja gehörte, hat sich weit verbreitet und viele Bedeutungen aufgenommen. Aus nächster Nähe sei schwedisch vdrd und dessen Vorgänger altschwedisch varther 'akt, vakt, hägr; väktare' sowie isländisch vardi und norwegisch varde erwähnt, die einen Holzsockel oder einen Steinhaufen für das Aufstellen eines Zeichens bedeuten. Hierzu gehören auch schwedisch (minnes) vdrd 'Denkmal' und värdkase 'Wachholzstoß'. Besondersinteressant ist jene weit verbreitete nordische wrde-Gruppe, deren Bedeutung 'Schwimmholz am Netz oder an der Reuse' ist und deren Verbreitung sich von den schwedischen Dialekten um Turku über Ahvenanmaa (Aland), Gotland und Mittel- und Südschweden nach Dänemark und Norwegen erstreckt.5 Es handelt 1
Kiparsky, Fremdes im Baltendeutsch, S. 75. Über die alten estnisch-ingermanländischen Vakka-Feste s. näher Martti Haavio, Heilige Haine in Ingermanland (Helsinki 1963). FFCommunications Nr. 189, S. 89—96. 3 Korhonen, Vakkalaitos S. 153—159. 4 Haavio, Heilige Haine, S. 98 mit Quellenangaben. 5 Zum Beispiel Vendell, Ordb. ö. de östsv. dialekterna, S. 1116a: vard, värde 'stört skötflöte'; Rietz, Sv. dialekt-lexikon, S. 793: värde, väle, väle, vae 'marke vid fiskedon'; Eoss, Norsk ordb., S. 889 a varde (dial. vale) 'Maerke paa Fiskesnoret som foraeller om Biddet, Kork, bojelig Kvist' usw. 2
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sich also um eine äußerst alte Bedeutung und gleichzeitig um den Namen eines Gebrauchsgegenstandes, der bereits in primitiven Verhältnissen benötigt wurde. Das entsprechende Zeichen für ein Fischfanggerät heißt im Finnischen kuvas, Gen. Icupaan. Wenn die Netzleine ins Wasser gelassen ist, dann bleibt dieser kuvas als Zeichen bei dem äußersten Netz an der Wasseroberfläche schwimmen; mit seiner Hilfe findet man später das Ende der Leine. Man kann auch einen eingelassenen Fischzaun, einen Fischkorb oder eine Reuse auf diese Weise bezeichnen. Es handelt sich also um ein Mal, das, da es zuoberst liegt, die menschliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und gleichzeitig das im Wasser verborgene wertvolle Fanggerät gleichsam bewacht. Hinzukommt, daß dieses Zeichen einen richtigen Wächter hat darstellen können. In Uuranlahti von Eno errichtete ein Fischer noch um 1910 jedes Frühjahr in der Mitte des von ihm eingerichteten künstlichen Laich- und Reusenplatzes aus Reisig einen Pfahl, an dem sich in der Höhe von etwa einem Meter ein aus Birkenrinde verfertigtes Gesicht eines Mannes befand, und zwar in der Art, daß es von vorn und von hinten das gleiche Aussehen hatte, so daß sein Januskopf das gesamte Blickfeld beherrschte 1 . (Taf. 11) Ein derartiges Merkmal, dem die Gestalt eines lebendigen Wesens gegeben wurde, liefert gleichzeitig einen konkreten Hinweis dafür, auf welche Weise eine Abzweigung der Wortfamilie varde skandinavischerseits die Bedeutung 'Schutzgeist, Gestalt, Trugbild' hat erhalten können (schwed. dial. värd, vdl, vdlne, välnad). Auf diesem Wege können wir auch die Wörter kwpias und kuvas als Parallelfall der germanischen Wortfamilie vardja zusammenstellen. Es dürfte sich bei ihnen um Ableitungen von dem bereits geschwundenen Stammwort *kupa handeln; ähnliche Fälle liegen in valta 'Macht' ~ valtias 'Herrscher' und aita 'Zaun' ~ Zaunpfahl' vor. 2 Es kann hier also eine uralte ostseefinnische Wortfamilie vorliegen, wo unter starkem germanischem Einfluß eine Parallelentwicklung vor sich gegangen ist, eine Erscheinung, die in zahlreichen Zusammenhängen festgestellt worden ist, nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Entwicklung des gesamten Sprachbaus. Auf beiden Seiten war die ursprüngliche Bedeutung des Stammwortes offenbar "zur Erweckung von Aufmerksamkeit oder zur Identifizierung einer Stelle errichtetes Zeichen'. Und sofern es sich speziell um das Zeichen eines ausgelegten Netzes handelt, den kuvas, das Schwimmholz, so war dies schon in der Steinzeit mindestens ebenso notwendig wie heutzutage. J a die Netze der Steinzeit 3 waren relativ wertvoller und für den Erwerb viel wichtiger als die heutigen. Das Alter der Wortfamilie wird durch die weite Verbreitung erwiesen. Die erste Ableitung kwpias ist finnisch-estnisch, die zweite kuvas ostfinnisch-karelisch1
Olavi Härkönen, Janus-kasvot kalaturan vartijana. Kotiseutu 1936, S. 37—39. Lauri Hakulinen, Handbuch der finnischen Sprache I (Wiesbaden 1957), S. 192, § 53:4. 3 Über steinzeitliche Netze in Finnland s. Sakari Pälsi, Ein steinzeitlicher Moorfund bei Korpilahti im Kirchspiel Antrea, Län Viborg. SMYA XXVIII (Zeitschrift der Finnischen Altertumsgesellschaft, Helsinki 1920), S. 1 — 19. S. auch Ville Luho, Porin verkkolöytö (Referat: Der Netzfund von Pori). Suomen Museo LXI (Helsinki 1954), S. 5—27. 2
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lüdisch-wepsisch. Überall ist die Bedeutung die gleiche wie z. B. bei dem lüdischen Wort kubas 'Zeichen für ein ausgelegtes Fischfanggerät'. 1 Das Wort ist weiterhin in den ostlappischen Dialekten vertreten, doch möglicherweise als Lehnwort aus dem Karelischen. 2 Aus dem Wepsischen oder Karelischen ist kuvas auch in die nächsten nordrussischen Dialekte entlehnt worden. 3 So können wir feststellen, was sich in alter Zeit zugetragen h a t : aus dem Namen f ü r ein gegenständliches Merkmal hat sich — nachdem dieses Zeichen eventuell menschliche Gestalt erhalten hatte — die Bezeichnung für einen echten Vertrauensmann der Gesellschaft entwickelt, die dann in historischer Zeit mehrere spezielle Bedeutungsaufgaben erhalten hat. Seinerzeit h a t t e natürlich auch das estnische Wort kubjas einen allgemeineren Sinn, wie bereits A. W. Hupel (1795) schrieb: „Oft nennt m a n jeden Beobachter oder Antreiber eben so, z. B. ich habe keinen K u b j as nöthig.'' 4 1
Juho Kujola, Lyydiläismurteiden sanakirja. Lexica Societatis Fenno-ugricae I X (Helsinki 1944), S. 162. 2 Y. H. Toivonen, Suomen kielen etymologinen sanakirja. Lexica Societatis Fennougricae X I I (Helsinki 1958), S. 253. 3 Jalo Kalima, Die ostseefinnischen Lehnwörter im Russischen. MSFOu XLIV (Helsingfors 1915), S. 134. 4 Hupel, Idiotikon, S. 130.
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Festschrift Steinitz
INGEBORG
WEBER-KELLERMANN
Probleme der interethnischen Beziehungen am Beispiel des Volksliedbestandes in einem deutsch-ungarischen Dorf 1
Im 2. Band der österreichischen Zeitschrift für Volkskunde von 1896 veröffentlichte der Freiherr Alexander von Helfert 2 einen kurzen Aufsatz über „Volksnachbarliche Wechselseitigkeit"3, in dem er die Forschung aufforderte, die „Wechselbeziehungen in Sitten und Gebräuchen, Sage und Lied von Volk zu Volk, besonders wo die unmittelbare Nachbarschaft ein sehr begreifliches Bindeglied abgibt", zu einem „Gegenstand speziellen Studiums zu machen". Er betonte die Vielseitigkeit und Fruchtbarkeit dieses Themas, das man auf alle Gebiete des Volkslebens ausdehnen könne und dem zugleich ein heilsamer, weil versöhnender und völkerverbindender Gedanke zugrunde liege. Als Vorbedingung wäre allerdings zu fordern, „daß der Forscher mit ungetrübter, parteilos prüfender Gerechtigkeit vorgehe und sich nicht aus nationaler Voreingenommenheit von der Tendenz leiten lasse, dem eigenen Volksstamme so viel als möglich zu vindicieren, den anderen so wenig als möglich einzuräumen". Es war kein Zufall, daß solche Gedanken im Vielvölkerstaat des alten Österreich geäußert wurden. Ihre systematische Verfolgung hätte zur Erkenntnis der ethnischen Charakterisierung bestimmter, einander benachbarter volklicher Gruppen führen können. Doch wird damit sofort die Schwierigkeit einer Fixierung tatsächlich ethnisch kennzeichnender Elemente klar. Bei der Suche nach Stellen, an denen Charakteristisches am ehesten sichtbar wird, treten die Begegnungszonen verschiedener ethnischer Gruppen ins Blickfeld, womit sich die Erforschung grenzund auslandsdeutscher Siedlungsgebiete als besonders ergiebig aufdrängt. Die aber gerade auf diesem Gebiete vorhandenen Gefahrenquellen hatte bereits Helfert klar erkannt, als er dem Forscher „parteilos prüfende Gerechtigkeit" empfahl. Die sogenannte „Sprachinselvolkskunde", wie sie sich in den 20er und 30er Jahren zu voller Blüte entfaltete, ist bedauerlicherweise dieser Empfehlung sehr häufig n i c h t gefolgt und daher vielfach zu vereinfachenden Kennzeichnungen dessen gelangt, was angeblich als „typisch deutsch" anzusprechen sei. 1
Eine ausführlichere Fassung dieser Arbeit mit den Textanfängen sämtlicher gesammelter Lieder und den dazugehörigen Kommentaren findet sich abgedruckt im Jb. d. österr. Volksliedwerkes 13 (1964), S. 9 8 - 1 3 0 . 2 1820—1910; konservativer Kulturpolitiker, dessen „Wiener Parnaß im Jahre 1848" zu den Quellen werken der österreichischen Volkskunde gehört; vgl. österr. Biogr. Lexikon 1 8 1 5 - 1 9 5 0 II (1959), S. 256f. (dank frdl. Auskunft von L. Schmidt/Wien). 3 Zs. f. österr. Vkde 2 (1896), S. 3 - 5 .
Interethnische Beziehungen am Beispiel des Volksliedbestandes
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Ea sei nun am Beispiel des Liedbestandes in einem aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammengesetzten Dorf im imgarischen Komitat Tolna auf die angedeuteten Fragen näher eingegangen. Das Dorf Mözs entstand wie viele andere der sogenannten „Schwäbischen Türkei" in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts, erst durch private grundherrliche Anwerbung und später durch die Kameralsiedlungen des Wiener Hofes 1 . Es hatte 1930: 2314 Einwohner, von denen die Hälfte Deutsche, die andere Hälfte Slowaken und Ungarn waren 2 . Alle überspannte der große Bogen des gemeinsamen katholischen Glaubens und religiösen Brauches, der in mancher Hinsicht bestimmender für sie war als Fragen der Nationalität und Sprache. An zwei Sonntagen im Monat wurde deutseh gepredigt, an einem ungarisch und an einem slowakisch; die Schulverhältnisse wechselten, — im allgemeinen war die Unterrichtssprache Ungarisch mit Deutsch als Unterrichtsgegenstand. Die Sozialstruktur des Dorfes stellte sich als überwiegend bäuerlich dar, wobei der Besitz von Weingärten am nahen Szekszärder Berg eine große Rolle spielte. Wenn wir also in diesem Dorf mit seinen verschiedenen ethnischen Gruppen wie in einem Verkleinerungsspiegel die Voraussetzungen der Berührung vorfinden, die in größerem Maßstab und z. T. mit veränderten Relationen für die Donauschwaben im Gesamten gelten, so muß man mit erneuter Skepsis dem Begriff „Sprachinsel" 3 begegnen, der ja nur einen Teilaspekt, nämlich die sprachliche Isolierung, erfaßt, dafür aber die für den Volkskundler so notwendige offene Sicht auf die Gesamtheit der Lebensumstände weitgehend verdeckt. I n diesem beschränkten Sinne der Isolierung verlief auch oder gerade die Volksliedsammlung in den Sprachinseln, die bei den dort vorgenommenen volkskundlichen Untersuchungen an hervorragender Stelle stand: Es waren die „altartigen", „wertvollen" Gesänge, die man zu finden trachtete, vor allem Balladen- und Legendenlieder, die die Sprachinseldeutschen einst aus ihrer „Urheimat" mitgenommen und sich nun durch die Jahrhunderte hindurch erhalten hätten. Ohne Zweifel gibt es noch solche Lieder, und verständlich ist die Freude des Sammlers über ihren Fund. Doch kann die Frage, ob sie allein typisch für den Volksgesang der deutschen Gruppen im Ausland sind, bei näherem Zusehen nicht bejaht werden. Die wenigen Fälle, in denen ohne Ansehen des „Wertes" das gesamte Liedrepertoire einzelner Sänger oder einer ganzen Dorfgemeinschaft aufgezeichnet wurde 4 , geben — ebenso wie der 1
Vgl. den Aufsatz der Verf., Die Rolle der Frau beim Anpassungsprozeß (Aklculturatiori). Hess. Bll. f. Vkde 53 (1962), S. 47 ff.; zur Ansiedlungsgeschichte s. neben der dort angegebenen Lit. J. Weidlein, Die volklichen Verhältnisse in der Schwäbischen Türkei im 18. Jh. In: Südostdt. Forschg. 1 (1936), S. 60—77; ders., Historische Siedlungsgeographie der Deutschtumsgebiete an der mittleren Donau (in Ungarn). Ebda 12 (1953), S. 195 — 205 u. a. m.; s. auch I. Weber-Kellermann, Zur Frage der interethnischen Beziehungen in der „Sprachinselvolkskunde". In: Österr. Zs. f. Vkde 62 (1959), S. 1 9 - 4 7 . 2 Nach G. Schuon, Die nordöstliche Schwäbische Türkei. Stuttgart 1936, S. 82 f. 3 Vgl. G. Jungbauer, Sprachinselvolkskunde. In: Sudetendt. Zs. f. Vkde 3 (1930), S. 143ff. u. 196ff.; W. Kuhn, Deutsche Sprachinselforschung. Plauen i. V. 1934. 4 Zum Beispiel Ä. Hermann, A bataszeki nemetek es nepdalaik. Budapest 1929; A. Losch27*
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Ingeborg Weber-Kellermann
von mir gesammelte Mözser Liedbestand — ein völlig anderes Bild. Im ganzen fand ich aus Mözs bisher etwa 300 Liedtexte (213 Nrn. mit Varianten), davon etwa 90 mit Melodien. 186 Lieder stellen den Inhalt handschriftlicher Liederhefte dar, die in den einzelnen Familien geschrieben und aufbewahrt werden, das älteste von 1895. Eine Analyse des gesammelten Liedbestandes ergibt folgende Verteilung: 87 Liebeslieder und 3 Schlager 46 Soldatenlieder (meist klagenden Charakters) 35 Scherz- und Tanzlieder 26 religiöse Lieder 9 Balladentypen mit 30 Varianten 21 erzählende moritatenhafte Lieder 14 Hochzeitslieder 5 Wander- und Handwerkerlieder 2 „Almlieder" 4 gemischtsprachige Scherzlieder 25 ungarische Lieder. Ein Blick auf die Liedanfänge zeigt, daß es sich bei diesem Bestand keineswegs um vorwiegend älteres Liedgut, etwa aus dem 18. Jahrhundert, handelt, sondern vielmehr um die typischen Liedverhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts, wie sie uns — abgesehen von regionalen Besonderheiten, auch in den anderen deutschen Landschaften begegnen. Eine derartige Liedsituation, die in ihrer Komplexität und nicht in stofflicher Auswahl betrachtet werden will, wird uns nicht in Erstaunen versetzen, wenn wir den Kreis der Sänger und Überlieferer ins Auge fassen: das war — wie überall so auch in den Sprachinseln — vor allem die Jugend. Insbesondere war es die Altersgruppe der Schulentlassenen, die das Singen im Dorfe pflegte und auch sonst den gesellschaftlichen Verkehr regelte, Sitten und Bräuche weitgehend bestimmte und auch ausübte. In Mözs trat hier in erster Linie die sogenannte „Reih" der schulentlassenen Mädchen in Aktion, die sich straßenweise an den Sonntagnachmittagen und bei sonstigen festlichen Gelegenheiten zum Singen trafen. Beim Singen in der Gruppe fiel die führende Rolle der „Vorsängerin" zu, die zuweilen noch eine Sekundantin für die 2. Stimme zur Seite hatte. Sie mußte nicht nur das gesamte Repertoire mit sämtlichen Texten im Kopf haben und jeweils in der richtigen Tonhöhe anstimmen können, sondern von ihr wurde auch die ständige Erweiterung des Bestandes durch neue, noch unbekannte Stücke erwartet. Diese aber sollten möglichst „modern" sein, wenn sie den Geschmack der jugendlichen Gemeinschaft treffen wollte.
dorfer, Dorfgemeinschaften
u. Volksliedpflege
im Bakonyerwald.
(1936), S. 223 — 274; dies., Volkslieder aus der deutschen Kolonie
I n : Südostdt. Forschg. 1 Veszpremfajsz im
Bakonyerwald in Ungarn. I n : Das dt. Volkslied 37 (1935), S. 89ff., 109ff., 131 ff.
südlichen
Interethnische Beziehungen am Beispiel des Volksliedbestandes
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Welche Q u e l l e n standen nun für die Erweiterung und Erneuerung des deutschen dörflichen Liedbestandes zur Verfügung? Das war einmal der überlieferte Liedbestand. Zum andern war es die Militärzeit, vor allem vor dem ersten Weltkrieg, von der die Burschen eine große Reihe von Liedern aus den Garnisonstädten heimbrachten und im Liedleben des Dorfes verfestigten. Zum dritten bezog man während des ganzen 19. Jahrhunderts und bis zum ersten Weltkrieg unzählige Stoffe aus den volkstümlichen Flugblattdrucken, vor allem aus österreichischen und Budapester Kleinverlagen 1 . Gerade solche, häufig auf bekannte Melodien gesungene „ganz neue" Lieder waren es, die bei der Jugend der Volksgruppe begeisterte Aufnahme fanden, deren billige Faltexemplare sie sorgfältig zusammenhefteten und aufbewahrten. So sind in unserem Mözser Liedbestand (bisher) nicht weniger als 100 Stücke direkter oder indirekter Flugblattverbreitung zuzuschreiben. — Eine weitere Quelle waren die Tanzkapellen. Dazu kam ein gewisser Liedzuwachs durch Wanderburschen und reisende Besucher. Diese Tatsachen zeigen, daß die teils sentimentalen, teils ideologisch gefärbten Feststellungen manche^ Sprachinselforscher kaum zutreffen. Richtig ist vielmehr, daß die Jugend „modern" singen wollte und deshalb stets das „neue Lied" ohne Ansehen seines künstlerischen oder nationalen Wertes bevorzugte. Woher aber kam es dann, daß die jugendlichen Gruppen in den deutschen Dörfern nicht den kürzesten Weg beschritten und bei den direkten Nachbarn ungarisches bzw. slowakisches Liedgut entlehnten oder sich durch Übertragung aneigneten? Diese Frage ist keineswegs vom Standpunkt des Nationalbewußtseins aus zu beantworten, sondern führt uns in ganz andere Regionen. Die Slowaken galten in Mözs als sozial untergeordnet und wollten auch selbst lieber als „Ungarn" angesehen werden; eine Übernahme ihrer geselligen Lieder fand nicht statt. — Anders war es mit den imgarischen Liedern. Auch hier hielt man sich weniger an die im Dorf ansässigen Ungarn, sondern bemühte sich vielmehr um die Aneignung des volkstümlichen Kunstliedes, wie es das ungarische Kleinbürgertum pflegte, weil man diese Schicht als sozial erstrebenswert empfand, und bis etwa 1935 wurde von der deutschen Jugend auf Märkten und auswärtigen Tanzereien leidenschaftlich gern d i e s e r Liedbereich gelernt und gesungen (alle ungarischen Lieder aus Mözs sind solche volkstümlichen Kunstlieder, Csardaslieder u. ä. 2 ). — Diese Übernahmen waren also sozialpsychologisch bedingt. Wohl gibt es einige Necklieder mit ungarisch-deutschen Wortspielen 3 , aber eine echte Ver1
Vgl. K. M. Klier, Die weltlichen Lied-Flugblattdrucke von Philipp Krausslich in UrfahrLinz (1861 — 1892). In: Jb. d. Stadt Linz 1952, S. 69 — 108; ders., Einige. Wiener Drucker von Lied-Flugblättern. 1780—1880. In: Jb. d. österr. Volksliedwerkes 2 (1953), S. 14—38 u. 3 (1954), S. 12—45; L. Schmidt, Niederösterreichische Flugblattlieder. In: Jb. f. Volkaliedforschg. 6 (1938), S. 104—163; W. Suppan, Zur Melodiegeschichte des alpenländischen Volksliedes. In: Wiener Zs. f. Musikerziehung 16 (1963), S. 192ff. u. a. m. 2 Für die Nachweise habe ich vor allem L. Vargyas/Budapest sowie W. Suppan/Freiburg i. Br. zu danken. 3 Vgl. z. B. A. Gauss, Vom zwei- u. mehrsprachigen Volkslied bei den Donaudeutschen. In: Das dt. Volkslied 46 (1944), S. 4 9 - 5 4 .
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mischung älterer Volksliedschichten, etwa auf dem Boden des Volksliedes im 18. Jahrhundert, hat nicht stattgefunden 1 . Die Gründe hierfür mögen verschiedene sein. Einmal waren es zweifellos die unterschiedlichen Sprachgesetze, die grundsätzliche Betonung des Ungarischen auf der 1. Silbe, die sich auch im Lied ausdrückt, während das deutsche Lied den Auftakt bevorzugt. — Zum anderen aber scheinen wir hier nun tatsächlich an die Scheidegrenzen ethnischer Verschiedenheit zu stoßen, die eine Vermischung verbieten (wie sie doch zwischen slawischem und deutschem Lied z. B. so vielfach stattgefunden hat) 2 . Es darf wohl gesagt werden, wenn wir auch die Einzelheiten der Musikwissenschaft überlassen müssen, daß Rhythmus und Tonalität zu grundverschieden sind, um je zusammenfließen zu können. So sang und singt man also deutsch und ungarisch nebeneinander, und zwar mit der gleichen Freudigkeit. Hierfür könnten eine Menge Beispiele angeführt werden, die sehr deutlich zeigen, daß das ungarische Lied trotz seiner objektiven Fremdheit subjektiv von den „Schwaben" nicht als fremd empfunden wurde. Damit kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurück. W a s ist nun typisch für den volkskulturellen Besitz, in unserem Falle für den Liedbestand einer solchen Gruppe? Wir hatten gesehen, daß der deutsche Liedbestand unseres Modelldorfes keineswegs aus einem deutschbewußten Bewahren des von altersher Mitgebrachten resultierte. Und wir haben ebenso gesehen, daß die Einbeziehung ungarischer Lieder aus der magyarischen Oberschicht dominierend sozial und nicht national bedingt war. Die Übertragungsmöglichkeiten — das muß immer wieder betont werden — hängen eben in erster Linie mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation der sich begegnenden Gruppen zusammen 3 ; denn die Voraussetzung für eine Vermittlung von geistigen oder materiellen Stoffen sind ja die ähnlichen Funktionsbereiche, innerhalb derer diese Stoffe lebendige Geltung haben. Wie tief die magy arische Umwelt besonders in den letzten 100 Jahren die Donauschwaben geprägt hat, beweist das Verhalten der nach dem zweiten Weltkrieg Umgesiedelten am neuen Wohnort: auf Hochzeiten und bei ähnlichen geselligen Anlässen singt man in vorgerückter Stimmung mit Begeisterung ungarische Lieder. Damit wird eine Stufe des Entwicklungsprozesses sichtbar,, den diese vor 200 Jahren zusammengewürfelten Ungarnsiedler auf dem Wege zu einem in seiner Wesensart geschlossenen „Neustamm" durchgemacht haben: bei der naturgegebenen Berührung mit den anderen sie umgebenden ethnischen Gruppen fand eine Akkulturation ihres gesamten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens statt. Für die musikalische Seite ihrer Volkskultur bedeutete das aus den erwähnten 1
Vgl. B. Bartök, Die Volksmusik der Magyaren u. der benachbarten Völker. In: Ungarische Jbb. 15 (1935), S. 198f.; Z. Kodaly, Die ungarische Volksmusik. Budapest 1956, S. 89f. 2 Vgl. u. a. B. Vaclavek, Kleine Beiträge zum deutsch-tschechischen Liederaustausch auf dem, Gebiete der volkstümlichen Lieder. In: Jb. f. Volksliedforschg 6 (1938), S. 206ff. 3 Siehe hierzu neben der in früheren Arbeiten (vgl. Anm. 1, S. 419) zitierten soziologischen Literatur neuerdings B. Gunda, Kulturströmungen u. gesellschaftliche Faktoren. In: Acta Universitatis Debreceniensis VI/1 (1959/60), S. 178f.
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•Gründen keine Vermischung der Liedstoffe und -stile, sondern die Einbeziehung einer größeren Zahl ungarischer Lieder in ihren Liedbestand, — eine Einbeziehung jedoch, die nicht etwa einen Assimilationsvorgang einleitete. Ganz im Gegenteil bildete sie vielmehr einen Beitrag zu jenem stammlichen Charakteristikum, das wir heute als „donauschwäbisch", als spezifisch ungarndeutsch bezeichnen dürfen. Das heißt aber nichts anderes, als daß die interethnischen Beziehungen, unterstützt von den Begegnungen der sozialen Gruppen und den zwischenmenschlichen Relationen, in einem Generationen währenden geistig-seelischen Wandlungsprozeß zur Aneignung des ursprünglich Fremden führten. So formierte sich hier, unverwechselbar mit der Charakteristik der verschiedenen Herkunftslandschaften unserer Ungarnsiedler, ein neues ethnisches Gebilde eigener Art mit eigenem kulturellem Gesicht.
BO WICKMAN
Ein lappischer Umlautfall und seine Bedeutung für die lappische Vokalgeschichte
Unseren Ausgangspunkt bildet derjenige Umlautfall im Pitelappischen (im Kirchspiel Arjeplog im schwedischen Regierungsbezirk Norrbotten), der darin besteht, daß ein kurzes a der ersten Silbe durch i ersetzt wird in solchen Wortformen, deren Vokal in der zweiten Silbe i oder u ist. Als Beispiel nehmen wir das Wort atnet 'haben, gebrauchen, verwenden'. In der dritten Person Plural des Präteritums heißt es itnin 'sie hatten', und die passivische Ableitung lautet im Infinitiv itnut 'gehabt werden' (die entsprechenden Formen in der norwegischlappischen Schriftsprache nach Konrad Nielsen sind jeweils ädnet, ädni und äd'nut). Bei solchen Wörtern, die in der zweiten Silbe in allen Formen i oder u haben, kann in der ersten Silbe kein Wechsel a ~ i vorkommen, aber der Vergleich mit anderen Dialekten kann dann zeigen, daß diachronisch betrachtet derselbe Umlautfall vorliegt, z. B. IpN bäs'ti aber IpP pisti 'Löffel'. Auch das etymologisch lange a unterliegt im Pitelappischen dem i-, «-Umlaut, aber hier ist der Umlautvokal e, z. B. säpme 'der Lappe' ~ Genitiv Plural semij (vgl. IpN sabme ~ sämii), kähtojt 'verschwinden' ~ Präteritumpartizip kehtum (in der lulelappischen Schriftsprache nach Grundström kähtöt ~ kähtum). Der waldlappische Dialekt von Gällivare (eine lulelappische Mundart) kennt auch einen i-, «-Umlaut von a, aber dieser trifft nur das kurze a, und der Wechsel hat hier den Gestalt a ~ e, nicht a ~ t wie im Pitelappischen (siehe Collinder, MSFOu 74 60—64). Nach Collinder führen wir einige Belege an: astat 'Zeit haben' ~ 3pl ssti, mannat 'gehen' ~ l s g prt menniw, avve 'Gürtel' ~ Komitativ eviin, ja-/he 'Jahr' ~ gpl jekij, ferner nichtwechselndes e in ¿-Stämmen wie pesti 'Löffel'. Die Umlautwirkung von u finden wir in solchen Beispielen wie passet 'braten' ~ pessut 'gebraten werden', tjalms 'hart' ~ npl Uellusa. Als Beispiele für das nichtwechselnde etymologisch lange a erwähnen wir jä'pmet 'sterben' ~ 3sg prt jämij, tär°pä> 'Bedürfnis' ~ illsg tär°pui, tä'pmuk 'Forelle' ~ IpP fepmuk. Der waldlappische Dialekt von Koikul im südöstlichen Jokkmokk hatte einen »-Umlaut von kurzem a, der mit demjenigen im Waldlappendialekt von Gällivare übereinstimmt und von Wiklund (LFL, 45—46) beschrieben wurde, z. B. asta- 'Zeit haben' ~ 1 sg prt estiv. Das lange a bleibt auch hier vom Umlaut unberührt, z. B. cälle- 'schreiben' ~ lsg prt cälliv (hier mit einiger Veränderung der von Wiklund verwendeten Transkription). Zum Unterschied vom Gällivaredialekt hat aber u nicht dieselbe Umlautwirkung wie i, sondern es übt eine labialisierende Wirkung aus, z. B. (S. 48) moyyunit 'spät kommen' ~ IpN mdyyunit. Es geht aus den von
Ein lappischer Umlautfall
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Wiklund gegebenen Beispielen hervor, daß dieser Labialumlaut auch von dem etymologisch langen «-Laut hervorgerufen wurde, z. B. korrütit 'fluchen' ~ lpN gärrodit, soddu 'Frucht' ~ lpN säd'do. Auch hier bleibt das etymologisch lange a vom Umlaut unberührt. Die lappischen Dialekte südlich vom Pitelappischen mit ihren reich entwickelten Umlautsystemen haben u. a. sowohl ¿-Umlaut wie w-Umlaut, aber zum Unterschied vom Pitelappischen haben ¿ und w nicht dieselbe Umlautwirkung gehabt. Im Umelappischen nach Schlachters Wörterbuch des Waldlappendialekts von Mala (hier in der groben Transkription zitiert) hat a (kurz und lang) den ¿-Umlaut ä und den m-Umlaut ä, z. B. gal'gat 'werden, sollen' ~ 1 sg prt gälgöv (lpN gäl'gät ~ gäl'gim), ad'net 'haben' ~ 1 pl prt ädnlme (lpN ädnet ~ äniimek), däideet 'wissen' ~ 3sg prt dääidii (lpN dai'det ~ däidii), välldeet 'nehmen' ~ 3sg prt vääldii ~ pass välldat 'heiraten' (lpN val'det >—< väldii ~ val'dut), bal'va' W o l k e ' ~ vadit 'beginnen wolkig zu werden' (lpN bäl'vä ~ *bälvudit; das letztgenannte Wort ist nicht in lpN belegt, würde aber zu den von Konrad Nielsen, Lserebok i lappisk, §320, und Ruong, Lappische Verbalableitung, 266—267 behandelten Ableitungen passen), räidoo 'Renkarawane' ~ illsg räydije (lpN rai'do ~ rai'dui). Noch ein Unterschied von den Verhältnissen im Pitelappischen fällt hier sofort in die Augen, daß nämlich die Umlautverhältnisse nicht mit den heutigen Vokalen der zweiten Silbe begründet werden können, sondern diachronisch dargestellt werden müssen, wenn man die phonetischen Bedingungen klar machen will. Die kurzen Vokale i und u der zweiten Silbe sind mit ä (oder dessen Vorstufe) zusammengefallen, und außerdem sind danach die Assimilationen äu > öv und äi > ij (ii, i) eingetreten. Auch ein später geschwundener Vokal der zweiten Silbe hat Umlaut hervorgerufen, z. B. 3pl prs gäl'g 'sie sollen' (lpN g&l'gik). Der heutige Vokalismus der zweiten Silbe ist ja identisch z. B. in den Formen vääldii 'er nahm' und galgii 'er sollte', beim Vergleich mit lpN valdii und gälgäi wird es aber klar, daß in der letzten Form im Umelappischen zur Zeit des Umlautprozesses nicht i, sondern a stand. Der Umlaut ist also zu einer Zeit entstanden, als die verschiedenen kurzen Vokale der zweiten Silbe noch nicht zusammengefallen waren, und dasselbe gilt für die anderen südlichen Dialekte. Man findet bei Schlachter einige Ausnahmen von den Umlautregeln, so z. B . bissta 'Löffel', wo man bässta erwarten sollte (vgl. lpN bäs'ti), und diese lautgesetzliche Form ist von Tryggve Sköld in Arvidsjaur aufgezeichnet worden, wie er mir freundlicherweise mitgeteilt hat. Man kann wohl annehmen, daß die unregelmäßige Form auf nördlichem Einfluß (IpP pisti) beruht, aber auch die Dialekte südlich vom Umelappischen haben ja ¿-Vokal in diesem Wort. Es kann übrigens bemerkt werden, daß Haläsz im Pitelappischen (Pite lappmarki szötar es nyelvtan, 94) neben pessti (d. h. pisti) auch passti aufgezeichnet hat, also wie es scheint eine vom pitelappischen Gesichtspunkt aus nördliche Form. Vom sprachgeschichtlichen und dialektvergleichenden Gesichtspunkt aus kommt auch im Umelappischen ein Wechsel a ~ i vor, aber dieser ist nicht paradigmatisch, sondern lexikalisch. Das Umelappische hat mit den südlicheren Mundarten den Zug gemeinsam, daß einem nordlappischen kurzen a der ersten Silbe vor
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etymologisch langen Stammkonsonanten (xx- und xy-Reihe) a aber vor etymologisch kurzen Stammkonsonanten (x-Reihe) i entspricht, z. B . lpN bäs'tet ~ lpU bassteet 'schneiden', aber lpN bässet ~ lpU bisseet 'braten'. Wie Bergsland (Studia Septentrionalia 2, 22) hervorhebt, hat jedoch das Umelappische gewöhnlich a auch vor Konsonanten der x-Reihe, wenn der Vokal der zweiten Silbe ä ist (oder war), z. B . lpN bässät ~ lpU bassat 'waschen'. Es gibt jedoch Abweichungen sowohl in der einen als in der anderen Richtung, wobei man wiederum bisweilen eine dahintenliegende phonetische Bedingung ahnen kann. So habe auch ich unabhängig von Bergsland (MSFOu 125, 32) notiert, daß die mit g anlautenden Wörter der xReihe im Umelappischen i und nicht a in der ersten Silbe haben, auch wenn die zweite Silbe a hat: lpN gäccät i vor einem i haben wir dann einen Fall totaler Assimilation. Da wir aber wissen, daß lpN ä usw. sich aus einem engeren Vokal entwickelt hat, und da der vom Umlaut unabhängige ¿-Laut in der x-Reihe im Südlappischen schwerlich als eine Entwicklung a > % gedeutet werden kann (ebenso wie die Entsprechungen lpN i,u~ IpS ij, uw als eine südlappische Erhaltung der früheren Länge zu verstehen sind), finde ich es natürlich, die Entsprechung lpN ä ~ IpS i grundsätzlich in allen Fällen, wo sie vorkommt, als einen unter mehreren bekannten Fällen •einer konservativen Tendenz im Südlappischen zu deuten. Es ist sogar möglich, daß das Südlappische hier in einer gewissen Hinsicht konservativer ist als das Ostlappische, das die urostlappische Vertretung e (E. Itkonen, MSFOu 79, 10—11) als Entsprechung von lpN ä usw. voraussetzt, nämlich wenn man als Zwischenstufe auf dem Wege von dem im Finnischen erhaltenen i ein urlappisches i ansetzt, das in einer frühen Phase des Südlappischen noch vorhanden war (es ist natürlich hier gleichgültig, ob man mit E. Itkonen und anderen von einem kurzen oder mit Steinitz von einem reduzierten Vokal spricht, wie auch Steinitz, Congressus Internationalis Fenno-Ugristarum, 52—59, hervorhebt). Man kann dann annehmen, daß sich dieses i im Südlappischen teils vor Konsonanten der x-Reihe und teils vor i der zweiten Silbe zu i verschob, ohne in diesen Stellungen je das Weiterwerden zu a mitzumachen. Und man braucht nicht einmal an eine so große Verschiebung zu denken, wie die Bezeichnung i hier anzudeuten scheint, denn das als Umlautvokal von ä auftretende ¿ hat genauer beschrieben eine etwas hintere Artikulation, Hasselbrink i, Lagercrantz i, Bergsland teils ^ und teils i, das letztere „beinahe wie russisches Li", und das unabhängig vom «-Umlaut entwickelte i hat dieselbe Aussprache, wenn in der zweiten Silbe die Entsprechung von lpN d steht (ebenso natürlich ein lpN i entsprechendes i, wobei allerdings eine sekundäre Retraktion vorliegen muß). Jedoch müssen die beiden hier besprochenen Prozesse (die Entwicklung vor Konsonanten der x-Reihe und der ¿-Umlaut) zu verschiedenen Zeiten vor sich gegangen sein. Vor dem unabhängig vom Umlaut entwickelten i stehen palatalisierte (bzw. nicht velarisierte) Konsonanten, z. B . (nach Bergsland) nimm 9 'Name' (lpN nämmd), giky'afo 'Träne' (lpN gänjäl), aber vor dem Umlautvokal i stehen velarisierte (bzw. nicht palatalisierte) Konsonanten, z. B . gäslce 'Zwischenraum' ~ giskd 'zwischen (mit acc.)' (vgl. lpN gäs'kä ~ gds'lcii). Dies zeigt, daß zurZeit der Entstehung des Umlautes in jenem Falle ein palataler Vokal in der ersten Silbe vorhanden war, in diesem Falle dagegen ein velarer Vokal. Das muß unter unseren Voraussetzungen so gedeutet werden, daß sich zuerst das i vor den Konsonanten der x-Reihe entwickelte und dann mit dem aus *i entstandenem % zusammenfiel (also in einen palatalen Vokal). Als später der Umlaut eintraf, behielt das früher vorhandene % die palatalisierten Konsonanten vor sich, ebenso wie die velarisierten Konsonanten vor *i auch nach dem Umlautprozeß beibehalten wurden. Die heutige mehr oder weniger velarisierte Aussprache des südlappischen i kann also bei „¿-Umlaut von ä" ein altererbter Zug sein, muß aber bei „ä-Umlaut von i" eine sekundäre Erscheinung sein.
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Das Umelappische hat die Entwicklung i > i vor Konsonanten der x-Reihe mitgemacht, jedoch nicht so konsequent wie die südlicheren Dialekte, das Pitelappische dagegen blieb außerhalb des Gebietes dieses Wandels. Der dem Südlappischen ähnliche ¿-Umlaut von ä im Pitelappischen kann wohl, mit den umelappischen Gebirgsmundarten als vermittelndem Glied, in einem gewissen Zusammenhang mit den südlichen Erscheinungen stehen, jedoch zeigt der zu demselben Ergebnis führende w-Umlaut, daß das Pitelappische seinen eigenen Weg gegangen ist. Ist es möglich, auch bei den Umlautverhältnissen des etymologisch langen a einen ähnlichen Gesichtspunkt anzulegen, d. h. den in vielen Dialekten auftretenden „Umlautvokal" e, ä usw. als gewissermaßen altertümlicher im Vergleich zum „unumgelauteten" Vokal zu betrachten? Unabhängig davon, ob meine in dem Aufsatz „Über den Ursprung des lappischen a" vorgeführte an Genetz anschließende These richtig ist, nach der dieses sogenannte „helle a" des Lappischen regelmäßig in den altererbten Wörtern aus einem früheren ä ( = finnisch) entstanden ist, nimmt man ja an, daß die urlappische Qualität dieses Vokals ziemlich „hell" war (etwa ä). Einen solchen verhältnismäßig palatalen Charakter hat er ja auch heute in vielen Dialekten in verschiedenen Stellungen, besonders im Ostlappischen (siehe E. Itkonen, MSFOu 79,21—24 und 42) und in den östlichen finnmarklappischen Mundarten. Der seelappische Dialekt von Maattivuono hat sogar ä vor einem palatalen Vokal der zweiten Silbe (siehe Ravila, MSFOu 62, 63), ebenso wie man im Inarilappischen ä vor *e (heute i) der zweiten Silbe findet. Diese Verhältnisse machen es wahrscheinlich, daß sich in den betreffenden Fällen der Vokal seit der urlappischen Zeit überhaupt nie zu einem velaren Vokal entwickelt, sondern unter dem Einfluß des Vokals der zweiten Silbe einen mehr oder weniger palatalen Charakter bewahrt hat. Was das Südlappische betrifft, so muß man jedoch beachten, daß z. B. in Vilhelmina nach Hasselbrink vor dem Umlautvokal ce sogenannte velarisierte Konsonanten auftreten, die auf eine frühere velare Qualität des Vokals deuten (S. 226). Man muß also annehmen, daß zur Zeit der Entstehung des südlappischen Umlautes wenigstens ein verhältnismäßig velarer Vokal stand, und da der betreffende Umlautfall phonetisch leicht verständlich ist und überhaupt gut zum ganzen südlappischen Umlautsystem paßt, rechnet man hier am besten mit einem Übergang a > e, und dasselbe dürfte für das Pitelappische gelten.
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Ein lappischer Umlautfall
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EDUARD WINTER
Nachrichten schwedischer Kriegsgefangener über die Ostjaken
Der folgende Hinweis schwedischer Kriegsgefangener auf die Taufe der Ostjaken gehört durchaus in die Festschrift des verehrten Jubilars; denn die Erforschung des Ostjakischen ist eines seiner wissenschaftlichen Anliegen, und mit Schweden verbinden ihn seit langem freundschaftliche Beziehungen. Die Nachricht der schwedischen Kriegsgefangenen über die Ostjaken verdanken wir dem Interesse A. H. Franckes in Halle. Francke hatte seit 1692 als Pastor von Glaucha vor den Toren Halles eine umfassende Tätigkeit vor allem als Schulorganisator entwickelt. Im Geiste Ph. Speners wirkte er im Sinne eines Pietismus, der größten Wert auf die Bewährung in dieser Welt legte. In seinem Anfangsstadium hat der Pietismus, wie ihn Spener und Francke vertraten, unbewußt nicht wenig zur Entwicklung des Nationwerdens nicht nur des deutschen Volkes, sondern vieler Völker beigetragen. Der universale Auftrag der Bibel, alle Völker zu lehren, war das Hauptanliegen dieses Pietismus. Zur Durchführung dieses Auftrages war aber eine bessere Kenntnis der Völker, an die sich die Botschaft wenden wollte, unbedingt notwendig. So kam es auch, daß dieses damals in Mittel- und Westeuropa nicht einmal dem Namen nach bekannte Volk der Ostjaken im fernen Sibirien in den Gesichtskreis Franckes trat. Vermittelt wurde diese Bekanntschaft durch schwedische Kriegsgefangene. Obwohl der König von Schweden Karl X I I . im allgemeinen keine freundschaftlichen Gefühle für den Pietismus hegte, war doch die Begegnung Franckes mit Karl XII. im Winterlager von Altranstädt in Sachsen eine sehr erfolgreiche gewesen. In dieser Unterredung wurde der schwedische König in seinem Vorsatz, für die Lutheraner in Schlesien vom Kaiser eine größere Toleranz zu erreichen, bestärkt. Die Rekatholisierung des Landes kam nicht zuletzt durch den Vertrag von Altranstädt zum Stillstand. Francke war, wie er Freiherrn von Canstein am 30. Oktober 1706 1 schreibt, sehr beeindruckt von dem König und seinem Feldprediger Malmberg. Dieser kam Anfang 1707 selbst nach Halle und wohnte einer Predigt Franckes bei. 2 Der Sieg der Russen über die Schweden bei Poltava am 28. Juni 1709 hatte nun zur Folge, daß große Teile der schwedischen Armee in russische Gefangenschaft 1 2
Vgl. Arohiv Franckesche Stiftungen (AFrSt) C 171, Nr. 46. Vgl. Brief Franckes an Canstein vom 8. 2. 1707. Ebd., C 171, Nr. 51.
Nachrichten schwedischer Kriegsgefangener über die Ostjaken
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gerieten. Nur dem König war es mit einer kleinen Suite gelungen, in die Türkei zu flüchten. Der Sieg der Bussen bei Poltava wurde in Berlin sehr festlich begangen, denn Preußen war an dem damals schwedischen Pommern sehr interessiert und hoffte, bei einem Siege Rußlands über Schweden mittels russischer Hilfe in den Besitz dieses längst erstrebten Gebietes zu gelangen. So sehr Francke preußisch dachte und deswegen den Sieg von Poltava wohl ebenso mit dem Verstände begrüßte, fühlte er sich doch im Herzen sehr mit dem streng lutherischen König von Schweden Karl XII. verbunden. Einige der zahlreichen schwedischen Gefangenen kamen um 1712 bis nach Westsibirien und schufen sich, weitgehende Freiheiten genießend, vor allem in Tobolsk einen geistigen Mittelpunkt. Teilweise aus Langeweile, teilweise um zusätzlich etwas zu verdienen, teilweise aber auch aus echtem wissenschaftlichen Interesse nahmen schwedische Kriegsgefangene, unter denen viele aus Deutschland Gebürtige waren, an wissenschaftlichen Erkundigungen der weiten, noch vielfach unerforschten Gebiete um Tobolsk teil. Von Tobolsk, der Hauptstadt Westsibiriens, gingen Expeditionen sowohl südostwärts, den Irtysch entlang ins Altaigebirge, oder nach Süden in die weiten Steppen Kasachstans oder nach Osten und Norden ins Innere Sibiriens. Die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Erkundigungen erfaßten Sibirien von Tobolsk bis an den Stillen Ozean. So wird verständlich, daß in Tobolsk, dem Ausgangs- und Endpunkt solcher Expeditionen, zahlreiche interessante Nachrichten gesammelt wurden, die zu immer neuen Unternehmen anregten. Die Geschichte der Expeditionen von Tobolsk gerade unter der Regierung Peters I. wäre noch zu schreiben. Sie waren keineswegs regellos und willkürlich, sondern dahinter standen Peter der Große und seine Mitarbeiter. Inzwischen hatte die pietistische Mission in Rußland, wie sie Francke schon seit 1697 bewußt unterstützte, unter den schwedischen Kriegsgefangenen Anhänger gefunden. Schon 1713 ist in dem bedeutsamen Briefwechsel Cansteins mit Francke 1 viel von den pietistisch erweckten schwedischen Kriegsgefangenen in Sibirien die Rede. Canstein, ein am Hofe hochangesehener einflußreicher Landadliger, suchte für die Verbindung der schwedischen Kriegsgefangenen mit Halle sogar die Unterstützung des schwedischen Gesandten in Berlin. Doch der König Friedrich Wilhelm I. wünschte eine allzu offene Unterstützung der schwedischen Kriegsgefangenen in Rußland nicht, da eine solche von dem russischen Zaren Peter I. als gegen Rußland gerichtet mißverstanden werden konnte. So wird verständlich, daß die einflußreichen Freunde Franckes diesen warnten, die Angelegenheit der schwedischen Kriegsgefangenen allzu sehr und zu offen zu unterstützen. War doch gerade damals die Erwerbung des von den Russen belagerten Stettin für Preußen aktuell. Im Tagebuch Franckes steht unter dem 17. Jänner 1716 folgende charakteristische Eintragung: „Früh diktierte der Professor [Francke] ein Schreiben an den König, darin zugleich ein Neujahrswunsch befindlich. Dieser Brief ist auf Veran1
Vgl. z. B. die Briefe Cansteins vom 12. u. 16. 12. 1713. AFrSt, C 4.
28 Festschrift Steinitz
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Eduard Winter
lassung Herrn von Natzmers abgegangen, weil dem König beigebracht worden sein soll, der Herr Professor hielte es mit dem König von Schweden und wäre ihm leid, daß noster Rex (Friedrich Wilhelm) gesiegt 1 ." Diese Ausführungen sprechen deutlich von den Schwierigkeiten und lassen die Hofintrigen deutlich werden. Der General und spätere Feldmarschall Natzmer war ein Vertrauter des Königs und stand gleichzeitig über Canstein Francke nahe. Trotzdem blieben die so erfolgreich angeknüpften Beziehungen zwischen Halle und den schwedischen Kriegsgefangenen in Sibirien auch weiter sehr rege. Francke hatte schon Ende 1714 Ch. Eberhard, Feldprediger Weydes, des Generals in russischen Diensten, von Moskau aus nach Sibirien gesandt, um mit den dort befindlichen vom Pietismus ergriffenen schwedischen Gefallgenen persönlich Verbindung aufzunehmen. Aus Sibirien ist Eberhard dann über Moskau zurückgekehrt und Ende März 1716 von Petersburg nach Deutschland gereist, wo er Canstein und FranGke ausführlich berichtete 2 . Vor allem die Mission Eberhards wirkte auch noch nach 1716; waren doch nun persönliche Verbindungen geknüpft, die mit der Rückkehr Eberhards keineswegs abrissen. Eberhard kannte die Verhältnisse aus eigener Anschauung und ging 1720 im Auftrage Franckes wieder nach Rußland zurück. Hauptsächlich die Entstehung und die Entwicklung der Schule, die schwedische Kriegsgefangene in Tobolsk errichtet hatten und die bald 60 Schüler zählte, fanden die besondere Aufmerksamkeit und Unterstützimg Franckes. Eberhard hat seinen Briefwechsel mit den schwedischen Kriegsgefangenen und seine diesbezüglichen Erfahrungen 1718 unter dem Pseudonym Aletophilus veröffentlicht. Als unverfängliche Druckorte wurden Frankfurt und Leipzig und nicht Halle gewählt. Das Buch erschien unter dem Titel: „Der innere und äußere Zustand derer schwedischen Gefangenen in Rußland, durch ihre eigenen Briefe . . .", kurz „Sibirische Briefe" genannt. Fraiicke hat dieser Ausgabe seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, wie aus seinem Briefwechsel und seinem Tagebuch hervorgeht. Ende 1717 erhielt ein schwedischer kriegsgefangener Offizier, Kursei, sogar die Erlaubnis, an der Universität Halle studieren zu können. Bei dieser Gelegenheit berichtete er ausführ lieh über die Tätigkeit der schwedischen Kriegsgefangenen in Sibirien, und in diesem Zusammenhang gab er auch seine Hinweise auf die Ostjaken, die im folgenden zum Abdruck kommen sollen. Wie sehr dieser Bericht interessierte, zeigt, daß sich im Archiv der Franckeschen Stiftungen mehrere Abschriften erhalten haben. Die folgende Abschrift ist den Manuskripten C 491 und D i l l entnommen und trägt den Titel: „Einige Nachrichten von Sibirien". Darin findet sich die Stelle über die Lebensweise und die Christianisierung der Ostjaken, die uns besonders interessiert. „Es ist das Land [Westsibirien]", heißt es in dem Bericht 3 , „ehemals ein tatarisches Königreich gewesen und von den Zaren in Moskau erobert worden und 1
2 AFrSt Vgl. Briefe Müllers an Francke. Francke-Nachlaß in Tübingen, Kapsel 28. Der Bericht ist, da es sich um Abschriften handelt, in der heutigen Schreibweise wiedergegeben. 3
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also findet man daselbst 1. die Moskowiter, 2: die Tataren und 3. die Heiden oder sogenannte Ostjaken. Die Moskowiter und Tataren (welche letzteren der mohamedanischen Religion zugetan sind) wohnen in den Städten und Dörfern und zwar in hölzernen Häusern, wie man es dort fast überall findet. Die Ostjaken aber wohnen in Hütten und bleiben an keinem Orte beständig, sondern wenn sie ein Wildbret als Elend, Bären etc. mit dem Bogen erlegt haben, so bleiben sie an dem Orte so lange liegen bis das Wildbret verzehrt ist. Ingleichen ernähren sie sich von dem Fischfang." Vor allem interessiert man sich in Halle aber für die religiösen Verhältnisse. Deswegen fährt Kursei in seinem Bericht fort: „Sie [die Ostjaken] leben in der größten Blindheit und verehren ein gewisses Götzenbild, welches sie mit Fellen von Tieren behängen. Es hat vor fünf Jahren ein russischer Erzbischof auf seinem Krankenbette ein Gelübde getan, daß, wenn ihm Gott das Leben wiederschenken würde, so wollte er die Heiden bekehren. Er hat sein Wort zwar gehalten, aber auf eine sonderbare Art. Denn 1. hat er einige gewappnete Soldaten mitgenommen, teils zu seiner Sicherheit, teils damit er, wenn sie mit gutem nicht wollten, sie mit Gewalt zwingen könnte. Daneben hat er allerhand Kleinigkeiten an Messern, Scheren, Nähnadeln etc. mit sich genommen, sie damit zu beschenken und also zum christlichen Glauben zu bewegen. Wie er nun zu ihnen gekotumen, hat er durch seinen Dolmetscher ihnen sein Begehren kund getan, auch oberwähnte Argumente vorgelegt, nämlich entweder die Belohnung oder Bedrohung, worunter sie das erste erwählt. Darauf hat er sie an einen Strom geführt. Weil es ihm zu mühsam geschienen, einen jeden besonders zu taufen, hat er das Wasser eingeweiht und darauf die Heiden dreimal heißen hineinlaufen; worauf er ihnen die Geschenke ausgeteilt; und also war die Bekehrung geschehen. Hernach hat er ihnen einem jeden ein Bild eines gewissen Heiligen und ein Kruzifix verehrt, und ist davon gereist. Wieviel aber dieses gefruchtet, kann man leicht erachten. Dieses hat er nun bisher alle Sommer kontinuiert." Die Wirkungen einer solchen Mission schildert der durch sein Buch Über den nordöstlichen Teil von Europa und Asia (Stockholm 1730) berühmt gewordene Tabbert von Strahlenberg in einem Briefe vom 28. Juli 1723 an den ehemaligen, in schwedischen Diensten stehenden Kapitän Wreech 1 . Sie hätten ein messingenes Kreuzlein am Halse hängen, dazu ein hölzernes Bildchen in ihren Hütten, wovor sie sich bekreuzigen und bücken. Ansonsten würden sie nichts kennen als diese Zeremonien, und ihre alten heidnischen Gebräuche weiterhin beibehalten. Von der Mission der orthodoxen Kirche seien vorläufig keine anderen Erfolge zu erwarten. Diese Art von Christianisierung war natürlich den Pietisten in Halle ein Ärgernis. Von ihrer Verbindung mit fremden Völkern hatten sie andere Vorstellungen. Ein guter Unterricht, möglichst in der Muttersprache, war ihnen dafür Voraussetzung. Aus diesem evangelischen Missionsauftrag resultierte im letzten das rastlose Bemühen Franckes, fremde Sprachen lernen zu lassen, in diesen Sprachen 1 AFrSt, D 111. Soweit erhalten, abgedruckt in E. Winter, Halle als Ausgangspunkt der deutschen Rußlandkunde im 18. Jh., Berlin 1953.
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Bücher zu drucken und Schulen zu gründen. Dies gilt gerade auch für Sibirien und hier auch für die Ostjaken. Das weiß der Verfasser von einigen Nachrichten über Sibirien. Deswegen heißt es weiter: „Wenn gefragt wird, wie denen Leuten beizukommen wäre, so dient zur Antwort, daß es sehr schwer hergehen würde. Denn 1. haben sie ihre besondere Sprache, die man erst erlernen müßte. Hernach 2. müßte derjenige, der sich unter dieselben begibt, sich gefallen lassen, mit ihnen in der Wildnis herum zu vagieren. Ob nun dieses gleich ein Volk ist, so in der größten Unordnung lebt, so haben sie doch ihren Fürsten, der unter des Zaren Botmäßigkeit steht, und dieser hat wieder andere Hauptleute über 10, 50 etc. unter sich, durch welche er den Tribut einfordert, den sie dem Zaren geben müßen, welcher in Zobel und schwarzen Fuchsfellen besteht; denn diese Leute sind eigentlich diejenigen, die die Zobel schießen." Die Missionierung der nomadisierenden Ostjaken war also nicht leicht. Die zaristische Regierung hätte nichts gegen eine solche evangelischzivilisatorische Mission, wie sie Francke, nachdrücklich von Leibniz beeinflußt, sah, einzuwenden gehabt. Aber es fehlte auch Halle an sprachenkundigen Kräften. Wie sehr die Anhänger Franckes in Sibirien gerade die Ostjaken schätzten, wird aus dem schon erwähnten Brief vom 28. Juli 1723 deutlich 1 . Er stammt von dem bereits genannten Tabbert von Strahlenberg und ist nach seiner Rückkehr nach Schweden geschrieben. Tabbert stammte aus dem damals unter schwedischer Herrschaft stehenden Stralsund und hatte es zur Charge eines schwedischen Kapitäns gebracht. Als solcher war er 1709 in russische Gefangenschaft geraten. Nach Schweden zurückgekehrt, hatte er seine Nobilitierung vorgefunden mit dem Prädikat „von Strahlenberg". Als Strahlenberg ging er in die Geschichte der Wissenschaften ein. Er war von dem in Halle gebildeten und von Peter I. mit der Erforschung Sibiriens beauftragten Arzt D. G. Messerschmidt im Jahre 1721 in Tobolsk als Begleiter angeworben worden und begleitete dessen große Expedition. Bis zu seiner Abberufung im Jahre 1722 führte er sogar das wissenschaftliche Journal Dr. Messerschmidts. Um die Herausgabe dieses Journals, von dem 1962 der erste Band erschien, hat sich der Jubilar große Verdienste erworben. Der hochinteressante Brief ist an den schon genannten Wreech gerichtet, der in Schlesien als Erzieher wirkte. Wreech war mit Strahlenberg in Tobolsk zusammengewesen und hatte sich vor allem um die Leitung der dortigen Schule sehr verdient gemacht. Strahlenberg singt in dem Brief ein Hohes Lied von den Ostjaken. Er schildert, wie er nach dem Abschied von Messerschmidt — durch die Beendigung des Nordischen Krieges war seine Rückreise notwendig geworden — in Begleitung nur eines zweiten schwedischen Kriegsgefangenen durch das Gebiet der Ostjaken reiste. Er lernte, wie er ironisch schreibt, „ostjakisch essen und trinken", das, wie es heißt, „in wenig Fisch essen und Wasser trinken" bestehe. Er rühmt die Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit der Ostjaken. „In summa, ich kann die äußerliche Einfalt und Frömmigkeit dieser Heiden nicht genug beschreiben." Das stille, in iEbd.
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sich gezogene Wesen führt er auf die Unterdrückung zurück, die sie von den zaristischen Beamten zu erdulden haben. Er unterscheidet sehr gut die Vielfalt der Völker und Sprachen, die von Astrachan bis an den Stillen Ozean in Sibirien existieren. 24 Völker zählt er, obwohl er ja noch gar nicht in alle Gebiete vorgedrungen war. „Es hat eben fast jedes Völklein seine eigene Originalmutter sprache, die von einander ganz different. . . Die ostjakische Sprache ist ebenfalls zweierlei." So können die von Halle angeregten Pietisten als erste Bahnbrecher auf dem Gebiete der Erforschung der Ostjaken, ihrer Gewohnheiten und Sprachen bezeichnet werden. Doch die Hinweise auf die Ostjaken und selbst auf Sibirien müssen immer wieder in dem weitgespannten Rahmen gesehen werden, wie er in Halle festgestellt wurde. Und das war, auch wieder völlig im Geiste von Leibniz gesehen, ganz Asien, China, Indien, Persien, die Türkei. Erst in diesem großen Rahmen wird die Bedeutung der Hinweise auf die Ostjaken und Sibirien deutlich. Neben dem wissenschaftlich so bedeutsamen Reisejournal Messerschmidts harren noch die Memorabilia Rosso-asiatica von Dr. med. Schober über Kaukasien und Innerasien auf Grund von Reisen nach Persien und der Bericht L. Langes über seine Reise nach China der Veröffentlichung. Auch Schober und Lange standen mit Halle in Verbindung. Die Berliner Universitätsbibliothek besitzt unter der Signatur Geschichte 44387 einen umfangreichen Band mit geographischen Berichten. In ihm findet sich im Anschluß an das schon erwähnte Werk von Aletophilus, „Der innere und äußere Zustand derer schwedischen Kriegsgefangenen in Rußland", das auch Nachrichten über die Schule in Tobolsk enthält, die „Merkwürdige Nachricht aus Ostindien" von dem Fränckemissionar B. Ziegenbalg, die in 6 Fortsetzungen in Halle 1709—14 erschien. Neben den noch keineswegs ausgeschöpften, heute seltenen gedruckten Nachrichten finden sich in den Archiven noch vollkommen ungehobene Schätze, z. B. dürfte eine noch eindringendere systematische Durchsicht der reichen Bestände des Archivs der Franckeschen Stiftungen manches Neue zur Erforschung der Bemühungen Franckes um die Geschichte der Völkererkundigung in den damals bereits zu Rußland gehörenden oder Rußland benachbarten Gebieten beitragen. Hier bietet auch das Archiv der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Leningrad manche Überraschungen. Selbst auf den ersten Blick so wenig ergiebig erscheinende Archive wie das Sächsische Landeshauptarchiv in Dresden eröffnen noch überraschende Bestände. Möge es gelingen, die für die deutsche und die russische Wissenschaftsgeschichte gleich wichtige Forschung unter der Ägide des Jubilars zu einem guten Ende zu führen.
EBERHARD
ZWIRNER
Zur zweiten Epoche der deutschen Mundartforschung
Den Begriff der Epoche und die Gliederung in drei Epochen hat Ferdinand Wrede in die deutsche Mundartforschung eingeführt. In einem Aufsatz 1 , in dem er zum hundertsten Jahrestag des Erscheinens von Jacob Grimms deutscher Grammatik über Geschichte und Stand der deutschen Mundartforschung berichtet, unterscheidet er „bisher drei Epochen": „Erstens die statistische, die mit Schmeller vor hundert Jahren einsetzt; zweitens die phonetische seit 1876, die mit Winteler zur anthropologischen, am naturwissenschaftlichen Vorbild geschulten Beschreibung führt; drittens die dialektgeographische des 20. Jahrhunderts, die die historische und politischgeographische Erklärung auszubauen sucht." Im Aufsatz selbst aber zeigt er eigentlich, daß alle drei „Epochen" ihre Wurzeln bei Andreas Schmeller haben und daß sie sich alle drei zu gleicher Zeit — Wrede fixiert diese Zeit geradezu auf das Jahr 1876 — zu entfalten beginnen: „Mit diesem Jahr setzte für alle Zweige der Mundartenforschung eine neue Epoche ein, für die Lexikographie, wie für die Grammatik, wie auch für die bei Schmeller immerhin vorbereitete Dialektgeographie." Genaugenommen unterscheidet Wrede also nur zwei Epochen und in der zweiten drei Zweige der deutschen Mundartforschung 2, die alle drei zwar schon bei Schmeller vorgebildet waren, sich aber erst seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts entfalteten. Rund dreißig Jahre nach Wrede — 1947 — hat "Dietrich Gerhardt aus einem größeren Abstand zu den Phasen und Zweigen der Dialektologie darauf hingewiesen 3 , daß von einer — also wirklich neuen — Epoche aber doch erst gesprochen werden könne, seit die Schallträger (Schallplatte, Tonband, Tonfilm) die Möglichkeit gäben, die g e s p r o c h e n e Sprache mit allen syntaktischen und morphologischen, lautlichen und prosodischen Eigenschaften wissenschaftlicher Analyse und Vergleichung zu unterwerfen. Aber drei Gründe haben diesen Schritt — wenigstens innerhalb der engeren deutschen Dialektologie, das heißt, soweit sie nicht nur die deutschen Mund1
ZfMaa. 1919, 3 — 18; Abdruck in Ferdinand Wrede: Kleine Schriften. Hrsg. von L. Berthold, B. Martin, W. Mitzka. Deutsche Dialektgeographie Bd. 60, Marburg 1963, S. 331—334. 2 E. Knetschke : Fragebogen und Tonband. Zur Frage der Vergleichbarkeit deutschmundartlicher Sprachaufnahmen. Phonetica 1961, Bd. 6, S. 82—96. 3 D. Gerhardt: Zu den Epochen der deutschen Mundartforschung. Ztschr. f. Phon. 1947, Bd. 1, S. 5 - 1 8 und 1 3 0 - 1 4 7 .
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arten zu ihrem Gegenstand hat, sondern auch von deutschen Dialektologen betrieben wird — verzögert: einmal die überragende Bedeutung Wenkers und die zentrale Stellung seines noch immer nicht ausgeschöpften Fragebogenarchivs, das sich — vor allem unter der Führung von Theodor Frings — als fruchtbarer erwiesen hat, als es wohl Wenker selbst ursprünglich erwarten konnte ; sodann die Neuartigkeit der Schallträger als dialektologischer Quelle neben den bereits bestehenden Quellen, der damit notwendig gewordene Übergang von der erlernten herkömmlichen Bearbeitung von Texten zu den nun möglich und nötig gewordenen Forschungen mit Maß und Zahl und die dadurch erforderliche Zusammenarbeit von Forschern verschiedener Herkunft ; und schließlich die — man darf wohl sagen: jahrzehntelange — Mißachtung der Phonologie und des Strukturalismus Prager, Kopenhagener und nordamerikanischer Provenienz durch die deutschen Dialektologen. Diese Mißachtung wieder hatte ihre Ursachen — abgesehen von der Hitlerzeit und ihrer „Einschätzung" ausländischer Forschung — in der Verschiedenheit des historisch-geographischen und des synchronen Aspekts mit ihren verschiedenen Forschungsverfahren. Nach vor sechs Jahren schrieb J . Fourquet dazu 1 : „Es sind bald zwanzig Jahre her, seit die Begriffe, die N. S. Trubetzkoy und seine Schüler ausgearbeitet hatten, in den ,Grundzügen der Phonologie' zusammengestellt worden sind. Diese Leitbegriffe haben bisher in die deutsche — wie auch in die französische — Dialektologie kaum Eingang gefunden. Die wissenschaftliche Lehre von der Lautbildung, wie sie in Sievers' ,Grundzügen der Phonetik' dargestellt war, ist der deutschen Dialektforschung, die damals entstand, zugute gekommen; in Frankreich steht auf ähnliche Weise hinter dem ALF die experimentelle Phonetik Rousselots. Warum ist die Phonologie, als ein neues, ebenso brauchbares Instrument, nicht auf gleiche Weise aufgegriffen und den Bedürfnissen der Mundartforschung angepaßt worden? Erstens ist eine Wissenschaft, die ihre Methode schon ausgebildet hat, weniger aufnahmefähig als eine, die erst im Entstehen begriffen ist ; die Ausführung der Pläne, die einmal auf Grund der bestehenden Methode aufgestellt worden sind, nimmt oft für Jahrzehnte alle Kräfte in Anspruch : bei der Fülle des zu bearbeitenden Materials ist das in der Dialektgeographie erst recht der Fall. Andererseits ist die Phonologie infolge einer Reihe von Mißverständnissen nicht so aufgenommen worden, wie zu Sievers' Zeit die wissenschaftliche Phonetik. Zu handlichen .Einführungen', die die Einfügung eines neuen Wissenschaftszweiges in den Unterricht bekunden, ist es noch nicht gekommen 2 . Wer sich über die Phonologie orientieren will, ist immer noch auf die Summe Trubetzkoys angewiesen, ein Werk, das sich nicht leicht lesen läßt, und nur dem nützt, der ,ganze Arbeit' zu leisten Zeit und Willen hat. Dazu kommt, daß die Grundzüge nur eine b e s c h r e i b e n d e Phonologie enthalten; die historische Phonologie, die darauf folgen sollte, hat Trubetzkoy nicht mehr schreiben können. 1
Phonologie und Dialektologie. Ztschr. f. Mundartforschung 1958 X X V I . Jg. S. 161. Am nächsten steht: A. Martinet, La description phonologique, avec application au parler franco-provençal d'Hauteville (Ain), Paris-Genéve 1956. 2
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Sie hätte wahrscheinlich den Spezialisten der historischen Phonetik auf ihrem eigenen Feld die Brauchbarkeit des Instruments demonstriert. Statt dessen blieb lange die Lücke zwischen synchronischer Phonologie und historischer Phonetik offen." Die neue Epoche der deutschen Mundartforschung, die als die Epoche des — synchronen — Strukturalismus bezeichnet werden kann, zu dem zum erstenmal nun auch die Erforschung der Realisierung der geltenden Strukturen der einzelnen Mundarten gehört, entwickelt sich seit dreißig Jahren außerhalb dieser engeren deutschen Dialektologie. Aber auch diese Epoche hat ihre Wurzeln, wenn auch nicht im Umkreis der Dialektologie, so doch zum Teil noch in den Zeiten Schmellers, zum Teil in der Linguistik des letzten Drittels des vorigen Jahrhunderts. Andreas Schmeller1, am 6. August 1785 in Tirschenreuth in der Oberpfalz, in der Senke zwischen Fichtelgebirge und Böhmer Wald, als Sohn eines Korbmachers geboren, war nach abenteuerlicher Jugend mit einer Unterbrechung von 17 Jahren, in denen er an der bayerischen Hoch- und Staatsbibliothek wirkte, von 1828 an bis zu seinem Tode am 27. Juli 1852 Universitätsprofessor in München. Seine Bedeutung liegt — von seiner großen übrigen gelehrten Produktion abgesehen — nicht allein in der durch ihn begründeten wissenschaftlichen Erforschung der deutschen Mundarten, deren Laut- und Formenlehre er als erster auch für die Erkenntnis der altdeutschen Verhältnisse nutzbar macht, sondern — weit über die Mundartforschung hinaus — in der Einschätzung der lebenden Sprache, der lebenden Mundart, der er — neben den schriftlichen Quellen — den bayerischen Wortschatz abgewann: 1821 erschien sein Werk ,,Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt" und von 1827 bis 1837 erschienen die ersten vier Bände seines „Bayerischen Wörterbuchs", dessen Behandlung der lebenden Mundarten ihn vor dem Fehler bewahrt hat, „von dem sich die historische Grammatik nur sehr allmählich freigemacht hat, vor der Konfusion von Laut und Buchstaben" (Edward Schröder) und das K. G. Frommann von 1872—1877 aus Schmellers Nachlaß vermehrt neu herausgegeben hat, das heißt bis zu der Zeit, die Wrede als die Epoche machende Zeit der deutschen Mundartforschung ansieht. Das Sommersemester 1836 brachte der in Breslau geborene Sohn des Erlanger Mineralogen Karl von Raumer, Rudolf von Raumer, in München zu. Auch die Raumers entstammten, wie Schmeller, der Oberpfalz, bis sie durch die Gegenreformation nach Anhalt verpflanzt worden sind. Der damals einundzwanzigjährige Raumer, durch Schellings Philosophie angezogen, stand in München in 1
F. von Thiersch: Gedächtnisrede auf Schmeller. Akad. Sitzung 27. 11. 1852; Föringer: Lebensskizze Schmellers, 1855. K . Hofmann: Joh. Andreas Schmeller, Denkrede, 1885. J. Niklas: Schmellers Leben und Wirken, 1885. L . Rockinger im Oberbayerischen Arch. Bd. 43, 1886. E. Schröder in der Allg. Deutsch. Biogr. Bd. 31, 1890. G. Könnecke im Bilderatlas z. Gesch. d. deutsch. Nationallit. 2. Aufl. 1895. M. Koch in Der Wächter, Jg. 6, 1923.
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persönlichem Verkehr mit dem Berliner Hans Ferdinand Maßmann, der dort seit sieben Jahren Professor der deutschen Sprache und Literatur war, und mit Schmeller, dessen Wörterbuch kurz vor dem Abschluß stand. Ein J a h r später gibt Raumer — noch vor der Erlangung der Doktorwürde — seine Schrift „Die Aspiration und die Lautverschiebung" heraus, in der in Schmellers Sinn scharf zwischen der gesprochenen und geschriebenen Sprache unterschieden, eine Reihe von Einsichten ausgesprochen und von Forderungen erhoben wird, die als die „Proliferationspunkte" der jüngsten Zweige der deutschen Mundartforschung angesehen werden müssen: Zunächst wird in dieser Schrift von 1837 das Problem der Ausnahmen von dem Grimmschen Gesetz der Lautverschiebung behandelt, das vierzig Jahre später die Junggrammatiker unter Brugmann und Leskien zusammenschließen und Wenker den Anlaß zu seinen die deutsche Mundartforschung bestimmenden Fragebogenaktionen geben sollte. Also nicht erst bei der Übernahme der Brückeschen Phonetik durch Scherer, wie Wrede schreibt, sondern bereits hier liegen die Übergänge der Linguistik und Dialektologie zu phonetischer Betrachtung und Argumentation: „Hier werden wir", schreibt Raumer im Hinblick auf den Übergang der Aspirata in die Media, „kaum zum Ziel kommen, wenn wir uns damit begnügen, gewisse Buchstaben in gewissen Dialekten an der Stelle anderer Buchstaben in anderen Dialekten vorgefunden zu haben. Wir müssen auf das Wesen der mit diesen Buchstaben bezeichneten Laute eingehen, um zu sehen, wie aus dem einen der andere sich entwickeln konnte. Denn da die Umwandlung der Wörter nicht auf den geschriebenen Zeichen beruht und auf den Ähnlichkeiten derselben, sondern auf den gesprochenen Lauten, so müssen eigentlich mit aller klaren Etymologie phonetische Untersuchungen Hand in Hand gehen." Hier soll also nicht die Etymologie durch Phonetik und nicht „der Phonetiker durch den Historiker abgelöst werden" (F. Wrede) und hier wird nicht einer Zweiteilung in Linguistik und Phonetik das Wort geredet, sondern einem Zusammenwirken beider, das dann freilich nur vorübergehend nach Wilhelm Scherers Habilitation im Jahr 1864 in Wien zustande gekommen ist, wo acht Jahre vorher Ernst Wilhelm Brücke seine Grundzüge der „Physiologie und Systematik der Sprachlaute" veröffentlicht hatte. Vier Jahre danach — 1868 — veröffentlichte Scherer sein Werk „Zur Geschichte der deutschen Sprache", das die moderne Lautlehre — ganz in Raumers Sinn — auf die germanische Lautlehre anwendet. Kann man also diese Forderungen des jungen Rudolf von Raumer noch als eine Wurzel der „phonetischen Epoche" ansehen, so finden sich in dieser seiner Erstlingsschrift doch auch Anregungen, auf die wohl einige Linguisten des vorigen Jahrhunderts, aber kaum mehr deutsche Dialektologen zurückgekommen sind. Er als erster geht expressis verbis auf das „Schwanken", die „Veränderlichkeit" der Laute ein, auf „die ganze Reihe der Mittelstufen" zwischen den „äußersten Grenzen", die durch besondere Zeichen: die Buchstaben ausgedrückt werden. Es sind zwei Probleme, die bei ihm zum erstenmal ins Blickfeld gerückt werden: die Relation diskreter Lautzeichen zum Kontinuum der bildbaren Laute und die Variation der Realisierung diskreter Laute. Die Beziehung dieser beiden Probleme
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und ihre Nähe zur Statistik sah Raumer noch nicht, obwohl nicht nur das Werk Johann Peter Süßmilchs bereits seit 1741 1 und die Untersuchungen von Karl Friedrich Gauß zur Theorie der Beobachtungsfehler 2 seit 1823 vorlagen und F. B. Wilhelm von Hermann seit vier Jahren als ordentlicher Professor der Staatswirtschaft an der Universität München lehrte, dessen „Staatswirtschaftliche Untersuchungen" 1832, also fünf Jahre vor Räumers Erstlingsschrift, erschienen waren: drei Werke, in denen sich die Lösungen der von Raumer angeschnittenen Probleme weitgehend hätten finden lassen. „Alle diese Fragen", beschloß Raumer seine Schrift, „wird erst eine 'Vergleichung alles Vergleichbaren' mit Evidenz entscheiden." Aber er konnte damals noch nicht übersehen, mit welchen Methoden sich diese „Vergleichung alles Vergleichbaren" im Hinblick auf die Sprache — und das hieß gerade für ihn: die gesprochene Sprache — würde bewerkstelligen lassen. Rudolf von Raumer hat sich mit dieser allgemeinen Forderung nicht begnügt. .Zwanzig Jahre später hat er im vierten Jahrgang der Monatsschrift „Die deutschen Mundarten" an deren Herausgeber Georg Karl Frommann, Vorstand des Archivs und der Bibliothek am Germanischen Museum in Nürnberg, einen offenen Brief gerichtet. „Es scheint mir", heißt es darin, „in dem gegenwärtigen Stadium der Sprachforschung von ganz besonderer Wichtigkeit, die Sprache in ihren allerindividuellsten Erscheinungen mit möglichster Schärfe und Genauigkeit zu erfassen, und dazu bietet kein Zweig der Linguistik die Mittel in so hohem Maße wie die Beobachtung der lebenden Mundarten. Man kann nun natürlich nicht daran denken, alle sprachlichen Eigentümlichkeiten aller Individuen zu verfolgen. Wohl aber ist es von größtem Interesse, wenigstens in a u s g e w ä h l t e n F ä l l e n 3 die wirkliche Sprache verschiedener einzelner Menschen aus einer und derselben Gegend mit diplomatischer Genauigkeit kennenzulernen . . . Auch wo der Zweck des Verfassers . . . die Mitteilung einer Sprachprobe zu wissenschaftlichen Zwecken ist, wird doch gewöhnlich nicht die Sprache irgendeiner bestimmten Person, sondern es wird mit A b s t r e i f u n g des I n d i v i d u e l l e n das G e m e i n s a m e der l a n d s c h a f t l i c h e n oder ö r t l i c h e n M u n d a r t * mitgeteilt. Demgegenüber wäre nun das, was ich meine, daß man ganz bestimmte Personen ins Auge faßte und ihre Sprache so treu wie möglich zu Papier brächte. Eine derartige Mitteilung würde sich zur bisher gewöhnlichen Weise verhalten, wie das Portrait zu einem historischen Gemälde. Und auch das Portrait wäre zu unserem Zweck nicht in der idealisierenden Weise des Künstlers, sondern in der streng abspiegelnden des Daguerrotyps zu fassen 4 . Hätten wir einen Apparat, der das Gesprochene ebenso 1
Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen. 2 Teile, 1741; 6. Ausg. 3 Bände 1798. 2 Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoiae; deutsch als „Abhandlungen zur Methode der kleinsten Quadrate" 1887 von Borsch und Simon herausgegeben. 3 Von mir gesperrt. Im folgenden Text stammen alle mit Sternchen versehenen Sperrungen von mir. 4 Die Daguerreotypie ist 1838 von dem französischen Maler L. J. M. Daguerre erfunden und schon kurz danach auch in Deutschland angewandt worden.
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treu erfaßte und auf dem Papier befestigte wie das Daguerreotyp das Gesehene, so würden dessen Leistungen dem entsprechen, was ich wünsche." Raumer berührt hier das statistische Problem, in welchem Sinn und Umfang es •erlaubt ist, von der Untersuchung eines stets begrenzten Materials auf den nicht begrenzbaren Sprachgebrauch zu schließen, ein Problem, das zwar von eminenter linguistischer Bedeutung ist, aber doch als solches bisher kaum auch nur erkannt, geschweige denn formuliert oder gar gelöst worden ist1. Sogleich überschreitet hier Raumer aber auch den sich später so lange auf die Lautforschung beschränkenden Umkreis der Phonetik, bezieht sich auf die gesamte Realisierung der geltenden sprachlichen Normen und schneidet das Problem der Relation diskreter Texte zum Kontinuum des Gesprächs an. „Wir wären dabei erstens sicher, daß wir den Satzbau des Sprechenden* ohne Beimischung des Aufzeichners vor uns hätten . . . Zweitens würde eine solche portraitierende Auffassung uns unter allen Umständen die vom Sprechenden w i r k l i c h g e b r a u c h t e n grammatischen Formen* mitteilen. Auch hierin lassen uns nicht wenige der gewöhnlichen Dialektproben im Ungewissen. Bald mischt der Verfasser Formen ein, die allerdings nach der Analogie der ganzen Mundart so lauten würden, wie sie der Verfasser gibt, wenn sie nämlich in dieser Mundart vorkämen . . . Bald regelt der Verfasser die wirklich vorkommenden Formen in der Art, daß er alle Schwankungen möglichst b e s e i t i g t * und nur eine der gebrauchten Formen, die ihm der ganzen Analogie der Mundart am meisten zu entsprechen scheint, in seinen Mitteilungen durchführt. Dies alles fällt weg, sobald wir ein Spiegelbild dessen erhalten, was ein bestimmter Mensch wirklich gesprochen hat*. Endlich würden noch die Laute des Sprechenden* möglichst getreu wiederzugeben sein." Vergleicht man mit diesem Programm die Bevorzugung des Problems der Laute und ihrer Veränderungen zur Zeit der Junggrammatiker, so darf man wohl die Konsequenz Georg Wenkers bewundern, mit der er seine Probleme verfolgt und der Lösung entgegengebracht hat. In welchem Maß Wenker durch diese seine Tat aber beinahe die gesamte deutsche Mundartforschung in den Bann seiner Frage schlagen konnte, bleibt indes wissenschaftsgeschichtlich beachtenswert. Das ergibt sich noch deutlicher aus den folgenden Ausführungen Raumers: „Der Inhalt solcher (nämlich nach Art der Daguerreotypie festzuhaltenden) Mitteilungen könnte ein sehr verschiedener sein. Bestünde er in einem Märchen oder in einer sonstigen Erzählung, so wären . . . einige Worte über Stand, Alter und Art des Erzählers hinzuzufügen. Dabei wäre aber jedesmal, oder nach gewissen Rubriken, anzugeben, welchem Stande die Person angehörte,- mit welcher der Redende sprach*. Auf diese Art könnte man sich mehrere Personen eines und 1 E. Zwirner und K . Zwirner: Lauthäufigkeit und Zufallsgesetz. Forschungen und Fortschritte Jg. 11 1935, S. 43 i. E. Zwirner und K . Zwirner: Lauthäufigkeit und Sprachvergleichung. Mtschr. f. Höhere Schulen 1938, Bd. 37, S. 246f.
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desselben Ortes auswählen, von denen man sich eine Reihe einzelner Äußerungen in der angegebenen Weise aufzeichnete. Wählte man hinzu etwa drei bis vier Menschen, welche die Eigentümlichkeiten der Mundart in besonderer Ungetrübtheit (wenn auch, wie sich zeigen wird, k e i n e s w e g s i n a b s o l u t e r G l e i c h h e i t * ) festhielten, und weitere drei bis vier, deren Sprache sich s t u f e n w e i s e d e m S c h r i f t d e u t s c h e n m e h r u n d m e h r a n n ä h e r t e * , so würde eine mäßige Reihe solcher Aufzeichnungen eine so deutliche Anschauung von der w i r k l i c h g e s p r o c h e n e n S p r a c h e d e r O r t s b e w o h n e r * geben, wie man sie aus andersartigen Darstellungen nicht gewinnt. Daneben würde es auch von Interesse sein, e i n g e w a n d e r t e F r e m d e , deren u r s p r ü n g l i c h e r D i a l e k t sich a l l m ä h l i c h d e m d e r n e u e n H e i m a t z u g e b i l d e t h a t * , in ihren Eigenheiten zu belauschen... Das Beste wäre die Mitteilung vollständiger Gespräche, wie sie unter verschiedenen Personen wirklich geführt worden sind. Aber so dankenswert eine solche Mitteilung sein würde, so müßte doch dabei auf das Dringendste gemahnt werden, unser eigentliches Ziel: h i s t o r i s c h e W i r k l i c h k e i t * im strengsten Sinn des Wortes, fest im Auge zu behalten. Glauben Sie ja nicht, mein verehrter Freund, daß ich diese Art von Mitteilungen für leicht halte. Ich halte sie vielmehr für außerordentlich schwer. Aber ich glaube auch, in mehreren Ihrer geehrten Mitarbeiter die rechten Leute zu erkennen, die im Stande wären, meine Wünsche zu erfüllen. Sollten sie sich dazu entschließen, so würden sie sicherlich nicht nur mir, sondern der g a n z e n S p r a c h w i s s e n s c h a f t * einen sehr ersprießlichen Dienst leisten." Sie haben sich nicht dazu entschlossen. Und die folgenden Generationen haben es auch nicht getan, auch dann nicht, als bereits Jahrzehnte lang — durch die Erfindung des Phonographen, der Schallplatte und schließlich des Tonbandes — alle technischen Möglichkeiten dazu gegeben waren. Das Problem, das Raumer hier anschneidet, ist das der sozialen und situativen und geographischen Schichtung der Ortsmundart in syntaktischer, morphologischer und phonologischer Beziehung. Wenker hat bewußt von dieser Schichtung abgesehen, als er seinen kühnen Plan faßte und verwirklichte, seine vierzig Sätze in den 40000 Schulorten Deutschlands in „die Ortsmundart" umsetzen zu lassen, die es, genaugenommen, natürlich nirgends gegeben hat und nirgends gibt. Die Aufgaben, die Raumer zwanzig Jahre vorher der deutschen Mundartenforschung gestellt hatte, waren durch Wenker daher also weder beseitigt noch gelöst. Interessant ist, wie Wrede 1919 die Arbeit Wintelers würdigt: sein Buch über die Kerenzer Mundart habe, schreibt er, die „modernen Forderungen" der Lautphysiologie „zum erstenmal und sofort in ausgezeichneterWeise erfüllt". Daß die eigentliche Leistung Wintelers aber darin beruht, daß er 1876 zum erstenmal — und zwar nicht nur für die Dialektologie — lautliche Verschiedenheiten mit und Ohne bedeutungsdifferenzierende Funktion unterschieden hat, hielt Wrede auch 1919 noch nicht für erwähnenswert. Nur so sind auch die folgenden Sätze Wredes zu verstehen, die bei manchen deutschen Dialektologen noch heut gelten, daß nämlich die Phonetik „ein Teil der Physiologie vom Menschen, also ein Stück
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Naturwissenschaft" sei. Das konnte Raumer 1858 noch glauben 1 . Durch Wintelers Unterscheidung, also seit nun fast neunzig Jahren, ist gerade diese Auffassung überholt. Gerade dadurch ist heute der Dialektologie einer ihrer neuen Wege gewiesen worden2. 1880, also wenige Jahre nach Wenkers großzügiger Aktion, stellte der Freiburger Junggrammatiker Hermann Paul den Gedanken Raumers vom Schwanken aller Laut-, Wort- und Satzformen in den Mittelpunkt der Theorie des Lautwandels, die auch das Anliegen Wenkers gewesen ist. Auch Paul beschäftigte das Problem der Relation der Endlichkeit des Lautinventars jeder Sprache zur Unendlichkeit seiner Realisierungen, also des Verhältnisses diskreter Lautinventare zur Kontinuität bildbarer Laute : es war im Grunde das Problem des mittelalterlichen Universalienstreits in neuer Form 3 : „Es erhellt", schreibt er4, „daß eine außerordentlich große Mannigfaltigkeit der Lautgruppen möglich ist, auch bei verhältnismäßig geringer Differenz. Deshalb können auch recht merklich verschiedene Gruppen wegen ihrer überwiegenden Ähnlichkeit immer noch als wesentlich identisch empfunden werden" — ein Problem übrigens, das zugleich auch mit dem seither gut durchgearbeiteten Schwellenbegriff der Wahrnehmungspsychologie zusammenhängt5. „Deshalb kann es", fährt Hermann Paul fort, „aber auch eine Anzahl von Variationen geben, deren Verschiedenheit man entweder gar nicht oder nur bei besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit wahrzunehmen imstande ist. Die frühe Kindheit ist für jeden Einzelnen ein Stadium des Experimentierens, in welchem er durch mannigfache Bemühungen allmählich lernt, das ihm von seiner Umgebung Vorgesprochene nachzusprechen. Ist dies erst in möglichster Vollkommenheit gelungen, so tritt ein verhältnismäßiger Stillstand ein. Die früheren bedeutenden Schwankungen hören auf, und es besteht fortan eine große Gleichmäßigkeit in der Aussprache, sofern nicht durch starke Einwirkungen fremder Dialekte oder einer Schriftsprache Störungen eintreten. Die G l e i c h m ä ß i g k e i t k a n n aber n i e m a l s eine a b s o l u t e werden*. Geringe Schwankungen in der Aussprache des gleichen Wortes an der gleichen Satzstelle — Paul vermeidet hier 1
Die sprachgeschichtliche Umwandlung und die naturgeschichtliche Bestimmung der Laute. Ztschr. f. d. Österreich. Gymnasien, 1858; abgedruckt in Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften. Frankfurt und Erlangen 1863, S. 368; dort mit der Anm. zum Titel: „Oder wenn man lieber will: „naturwissenschaftliche". 2 E. Zwirner und K. Zwirner: Grundfragen der Phonometrie, Berlin 1936. 3 De Wulf: Histoire de la philosophie médiévale. 2 Teile, 5. Aufl. Löwen 1924/25; Überweg: Geschichte der patristischen und scholastischen Philosophie. 11. Aufl. 1928. Ostmann: Die Problematik der Universalien seit Kant. 1930. 4 Prinzipien der Sprachgeschichte. 1. Aufl. Halle 1880, S. 46; 2. Aufl. 1920, S. 54. 5 G. E. Müller: Die Gesichtspunkte und die Tatsachen der psychophysischen Methodik. Wiesbaden 1904; darin S. 35: Kap. 2. Die Bestimmung der Schwellen und ihrer zufälligen Variabilität. M. Löwie, Schwellenuntersuchungen. Theorie und Experiment. Arch. f. d. ges. Psychologie, Bd. 48.
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den Begriff des Sprachlautes und setzt dafür den der „Stelle" im gesprochenen Satz — sind unausbleiblich. Denn überhaupt bei jeder Bewegung des Körpers, mag sie auch noch so eingeübt, mag das Bewegungsgefühl auch noch so vollkommen entwickelt sein, bleibt doch noch etwas Unsicherheit übrig, bleibt es doch noch bis zu einem, wenn auch noch so geringem Grade dem Z u f a l l * überlassen, ob sie mit absoluter Exaktheit ausgeführt wird, oder ob eine kleine Ablenkung von dem r e g e l r e c h t e n Wege nach der einen oder anderen S e i t e eintritt." Und nun folgt das klassische Bild, das die Variationsstatistik geradezu in die Linguistik einführt, ohne daß Paul bemerkt, daß die Statistik auch das Problem des Schließens vom untersuchten Material auf den Sprachgebrauch hätte lösen können: „Auch der geübteste Schütze verfehlt zuweilen das Ziel und würde es in den meisten Fällen verfehlen, wenn dasselbe nur ein wirklicher Punkt ohne alle Ausdehnung wäre, und wenn es an seinen Geschossen auch nur einen einzigen Punkt gäbe, der das Ziel berühren könnte . . . Nicht anders kann es sich mit den Bewegungen verhalten, durch welche die Laute erzeugt werden. Diese V a r i a b i l i t ä t der Aussprache 1 , die wegen der engen Grenzen, in denen sie sich bewegt, unbeachtet bleibt (Paul fragt hier nicht, ob diese — engen oder weiten — Grenzen unbeachtet zu lassen, zum Begriff der Verständigung und des Sprechenlernens gehört), enthält den Schlüssel zum Verständnis der sonst unbegreiflichen Tatsache, daß sich a l l m ä h l i c h eine Veränderung des Usus in Bezug auf die lautliche Seite der Sprache vollzieht, ohne daß diejenigen, an welchen die Veränderung vor sich geht, die geringste Ahnung haben" — Erwägungen, die — genau wie die zitierten Schmellers und Raumers — zu den Voraussetzungen sprachlicher Tatbestände gehören, die von der Dialektologie niemals untersucht worden sind. Wenn Hermann Paul hier auch überall auf Erfahrung zurückgeht, so darf er doch von seinen Erörterungen fordern, daß sie für alle Sprachen gelten, da er sehr wohl erkannt hat, daß sie zu den „Prinzipien der Sprachgeschichte" oder — wie wir heut sagen würden — zu den Voraussetzungen der Linguistik gehören und deshalb für alle Gegenstände der Linguistik gelten müssen 2 . Bei der Aufsplitterung in wissenschaftliche Fächer und bei der Abneigung besonders der deutschen Forschung gegen organisierte Zusammenarbeit von Vertretern verschiedener Disziplinen scheint es Paul entgangen zu sein, in welchem Umfang es sich hier um Probleme der Statistik handelt : Fast zehn Jahre vor der ersten Auflage seiner „Prinzipien" war das grundlegende Werk des belgischen Astronomen und Statistikers Lambert Adolphe Jacques Quételet: „L'Anthropométrie ou mesure des différentes facultés de l'homme" 3 erschienen: sein Studium hätte der Dialektologie ermöglicht, die vielfältigen Anregungen Schmellers, von Raumers, Hermann Pauls aufzugreifen, dem großen Werk Wenkers ein breites Von Paul in der 5. Aufl. gesperrt ! E. Zwirner: System der Sprachen und System der Wissenschaften. Zum Begriff der „allgemeinen Sprachwissenschaft" und der „allgemeinen Phonetik". Indogerm. Forsch. Bd. 68, 3 Brüssel 1871. Heft 2, 1963 S. 1 3 3 - 1 4 8 . 1 2
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Fundament zu geben und die Erforschung der lebenden Mundarten zum Vorbild der Erforschung aller lebenden Sprachen zu machen. Wie nahe Hermann Paul mit seinen scharfsinnigen Überlegungen den Erwägungen der Begründer der sogenannten „Fehlertheorie" — Legendre und Gauß — gekommen ist, ohne diese damals über achtzigjährige „Methode der kleinsten Quadrate" 1 zu kennen, mögen die folgenden Sätze zeigen: „Denken wir uns eine Linie", heißt es in den Prinzipien 2 , „in der jeder Punkt genau fixiert ist, als den eigentlich normalen Weg der Bewegung, auf den das Bewegungsgefühl hinführt (Paul unterscheidet hier nicht zwischen Norm als Vorbild und normal als durchschnittlich), so ist natürlich der Abstand von jedem Punkte, der als Maximum bei der wirklich ausgeführten Bewegung ohne Widerspruch mit dem Bewegungsgefühl statthaft ist, im allgemeinen nach der einen Seite gerade so groß als nach der entgegengesetzten. Daraus folgt aber nicht, daß die wirklich eintretenden Abweichungen sich nach Zahl und Größe auf beide Seiten gleichmäßig verteilen müssen. Diese Abweichungen, die durch das Bewegungsgefühl nicht bestimmt sind, haben natürlich auch ihre Ursachen, und zwar Ursachen, die vom Bewegungsgefühl ganz unabhängig sind. Treiben solche Ursachen genau gleichzeitig mit genau gleicher Stärke, nach entgegengesetzten Richtungen hin, so heben sich ihre Wirkungen gegenseitig auf, und die Bewegung wird mit voller Exaktheit ausgeführt. D i e s e r F a l l w i r d n u r ä u ß e r s t s e l t e n e i n t r e t e n * . Bei weitem in d e n m e i s t e n F ä l l e n * wird sich das Übergewicht nach der einen oder der andern Seite neigen. Es kann aber das Verhältnis der Kräfte nach Umständen mannigfach wechseln. Ist dieser Wechsel für die eine Seite so günstig wie für die andere, wechselt im Durchschnitt eine Schwankung nach der einen Seite immer mit einer entsprechenden nach der anderen, so werden auch die minimalen Verschiebungen des Bewegungsgefühls immer alsbald wieder paralysiert." Paul basiert auf diesen Erörterungen seine Theorie des Lautwandels, sucht dann freilich die Ursache für „die Neigung zur Abweichung nach der einen Seite hin" u. a. in der B e q u e m l i c h k e i t dieser Abweichung, ohne dabei historisch die Frage aufzuwerfen, warum in einer bestimmten Sprache und in einem begrenzten Zeitraum dieser Faktor auf einmal eine Rolle spielen soll, während er das in allen anderen Sprachen und Epochen nicht getan hat. Hier gleitet auch dieser scharfsinnige Linguist in Erwägungen ab, die sich aber gerade durch die Allgemeingültigkeit, durch die sie sich Hermann Paul empfehlen, aus der linguistischen Argumentation ausschließen: Hier treibt er weder Linguistik noch Theorie der Linguistik, sondern hier gleitet er in dem Bemühen, seinen Überlegungen ein tragfähiges Fundament zu verschaffen, auf die in Deutschland so beliebte spekulative Ebene ab: eine klassische Form der aristotelischen Metabasis eis allo genos. Freilich engt er die „Bequemlichkeit" in der weiteren Deduktion als „eine sehr untergeordnete Nebenursache" gegenüber dem Bewegungsgefühl ein, behält aber auch hier nicht 1 2
Helmert: Die Ausgleichsrechnung 1. Aufl. S. 47; 5. Aufl. S. 55.
nach der Methode der kleinsten Quadrate. 3. Aufl. 1924.
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das Ziel im Auge, das Räumer bestimmt hatte: „Historische Wirklichkeit im strengsten Sinn des Wortes." Es wird immer bemerkenswert bleiben, wie wenig sich die deutsche Dialektologie für diese, ihr Forschungsgebiet geradezu bestimmenden, vor achtzig Jahren so klar entwickelten Probleme interessiert hat, auch als die wissenschaftlichen Forderungen, die diese Erörterungen Pauls unausgesprochen enthalten, seit Jahrzehnten erfüllt werden konnten und erfüllt worden sind! Knapp zehn Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage von Pauls „Prinzipien" erschien in Leipzig das Werk „Die Sprachwissenschaft" von Hans Georg Conon von der Gabelentz 1 . Und noch einmal wiederholte sich derselbe Vorgang: mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit unterschied der Verfasser — rund 15 Jahre vor den später berühmt gewordenen Vorlesungen des Genfer Linguisten Ferdinand de Saussure — von der damals allgemein geübten „genealogischhistorischen Sprachforschung", als deren Grundlagen er Grimms „Deutsche Grammatik" und Bopps „Vergleichende Grammatik" nennt 2 , eine „allgemeine" Sprachwissenschaft und die „einzelsprachliche" Forschung 3 . In seinem Werk stellt er diese letztere den beiden anderen voran! „Man wird mich nicht mißverstehen, wenn ich die Gesichtspunkte der einzelsprachlichen und der sprachgeschichtlichen Forschung einander schroff entgegensetze. Die Gleichberechtigung beider erkenne ich ja an, und ich suche zu zeigen, wie die Beiden sich am Ende verweben müssen. Eben darum aber sehe ich zunächst die Fäden lieber scharf auseinandergehalten, als durcheinandergefilzt.'' 4 „Man bildet sich nur zu gern ein, man wisse, warum etwas jetzt ist, wenn man weiß, wie es früher gewesen ist, und die einschlagenden Gesetze des Lautwandels kennt. Das ist aber nur insoweit richtig, als diese Gesetze allein die Schicksale der Wörter und Wortformen bestimmen. Weiß ich z. B. daß lateinisches f im Spanischen zu h, Ii vor Vokalen zu j (sprich x), und die Endung der zweiten Deklination im Singular o, in Plural os geworden ist, so ist es nur erklärlich, wie filius zu hijo werden mußte. Gesetzt nun, jedes Wort und jede Form der spanischen Sprache wäre auf diese Weise genetisch abgeleitet: wäre damit die spanische Sprache erklärt? Sicherlich nicht, denn die Sprache ist ebensowenig eine Sammlung von Wörtern und Formen, wie der organische Körper eine Sammlung von Gliedern und Organen ist. Beide sind in j e d e r P h a s e * ihres Lebens ( r e l a t i v ) v o l l k o m m e n e S y s t e m e * , nur von sich selbst abhängig . . . Nicht Ei, Raupe und Puppe erklären den Flug des Schmetterlings, sondern der Körper des Schmetterlings selbst". 5 „Aufgabe einzelsprachlicher Forschung ist also, eine Sprache lediglich so zu begreifen, wie sie im Geiste des sie redenden Volkes lebt. Dieses Volk handhabt 1 Die Sprachwissenschaft, 2. Aufl. 1901. 2 Seite 27. 3 Seite 29. 4 Seite V. 5 Seite 9 f.
ihre Aufgaben Methoden und bisherigen Ergebnisse. Leipzig 1891;
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seine Sprache ohne rückwärts, auf ihre Vorgeschichte, oder seitwärts, auf ihre Dialekte oder auswärtigen Verwandten, zu schauen; alle Faktoren, welche die richtige Handhabung der Sprache bestimmen, liegen lediglich in dieser Sprache selbst, wollen also aus ihr heraus begriffen sein." 1 „Die Sprachgesetze bilden unter sich ein organisches System". 2 „Man redet vom O r g a n i s m u s d e r S p r a c h e mit vollem Rechte, mindestens ohne Schaden, solange man im Sinne behält, daß die Sprache nicht ein eigenlebiges Wesen, sondern eine Fähigkeit und Funktion ist der geistleiblichen Natur des Menschen. Erkennt man dies, so werden ganz andere Verwandtschaften auftauchen, echte, genetisch begründete, nicht bloße Analogien. Die Religionen, das Recht, die Sitten, kurz das ganze Kulturleben der Völker ist von denselben Mächten bestimmt, wie ihre Sprachen, sie können von keinen anderen Mächten bestimmt sein." 3 Die Darstellung jeder einzelsprachlichen Grammatik empfiehlt von der Gabelentz auf eine „ideale Grammatik" zu beziehen, wobei er „methodische Zweckmäßigkeit und weiter nichts" verlangt. 4 Von noch kaum abzuschätzender Bedeutung ist seine beinahe nebensächliche Bemerkung, daß die Sprache „in der Grammatik" „zugleich Gegenstand und Mittel der Darstellung", also zugleich Faktum und Prinzip ist — ein Problem, das für das „Faktum" des Psychischen erst die Denkpsychologie eine Generation später geklärt hat 5 , und das für die Prinzipien der Linguistik und Dialektologie auch heut noch nicht annähernd ausgeschöpft ist. 6 Aus dem Unterschied zwischen der Eindimensionalität der sprachlichen Darstellung und der Zweidimensionalität des Sprachvermögens, die zu tabellarischer Darstellung drängt, leitet er seine Unterscheidung von analytischer und synthetischer Grammatik her, denen er die Lehre vom Lautbefunde voranstellt. „Unter dieser Lehre verstehe ich die systematische Aufzählung und Beschreibung der Laute (sc. der Einzelsprachen, bzw. der einzelnen Mundarten) und die Angabe, an welchen Stellen und in welchen Verbindungen sie erscheinen dürfen, die Beschreibung der Accente wird sich dem anschließen" — Untersuchungen, die — im Anschluß an Saussure — erst durch Phonologie und Strukturalismus systematisch in Angriff genommen worden und für die deutschen Mundarten großenteils noch durchzuführen sind. — Die Bedeutung Saussures kann durch diese Hinweise auf das Werk von G. von der Gabelentz nicht geschmälert werden. Aber eine stärkere Beachtung dieses originellen Forschers und Denkers wäre der deutschen Dialektologie zustatten gekommen. 1
Seite 61. Seite 63. 3 Seite 15. 4 Seite 83. 5 R. Hönigswald: Die Grundlagen der Denkpsychologie. Studien und Analysen. 2. Aufl. Leipzig/Berlin 1925, S. 195f, 198f, 295 und 399. 2
6
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E . Zwirner: System Festschrift Stelnitz
der Sprachen
und System
der Wissenschaften,
a. a. 0 .
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Welches waren nun die Aufgaben, die nach dem Erscheinen des eingangs zitierten Aufsatzes von Ferdinand Wrede der deutschen Mundartenforschung harrten? Zunächst mußte sie natürlich — wie jede andere Wissenschaft: Geschichtsforschung und Biologie, Astronomie wie Physik oder Chemie — bemüht sein, sich ihres beschreibbaren Objektes zu versichern, d. h. die große Bestandsaufnahme Wenkers durch entsprechende Aufnahmen der deutschen Mundarten mit Hilfe moderner Schallträger zu wiederholen, um den alten und allzu sehr in den Hintergrund getretenen Forderungen vor allem Raumers gerecht zu werden. Man hätte überzeugt sein -dürfen, dadurch auch im Sinne Schmellers und Wenkers zu handeln. Die verschiedenen Ansätze zu solchen Bestandsaufnahmen — nach 1903 in Wien und Zürich, nach 1919 in Berlin und Marburg und 1936 noch einmal in Marburg — sind fast alle in Ansätzen stecken und alle für die Dialektologie schließlich ungenützt geblieben. Denn erforderlich für das Gelingen einer solchen Bestandsaufnahme war die vorherige Erarbeitung und Begründung eines klaren Forschungsziels. Dazu gehörte u. a. eine Präzisierung der Raumerschen Forderung der „Vergleichung alles Vergleichbaren". Man konnte ein solches Unternehmen also z. B. nicht als eine Art Anhang zu den Fragebogenerhebungen Wenkers anlegen und etwa, um sich die Vergleichung zu erleichtern, die Wenkerschen Sätze nun auf Tonband sprechen lassen. Denn zur Vergleichung a l l e s Vergleichbaren gehörten natürlich auch, wie Raumer es gefordert hatte, Syntax und Grammatik, und ferner, wie Adolf Bach es gefordert hatte, die „konstitutiven Faktoren", heut als „prosodische Eigenschaften" bezeichnet, das heißt: die suprasegmentalen Strukturen. Überhaupt mußte endlich einmal auf den Unterschied zwischen Vorlesesprache und Unterhaltungssprache hingewiesen werden, wozu es nötig war, auch das komplizierte System der Sprachschichtung im Rahmen der Dialektologie zu erörtern und klarzustellen, daß „Ortsmundart" und „reine Mundart" Ordnungsbegriffe sind, nicht aber, oder nur bedingt, Erfahrungsobjekte. Denn seit eh und je waren die tradierten sprachlichen Strukturen natürlich Funktionen der jeweiligen Sprechsituation, zu der sowohl der Gesprächspartner wie der Gesprächsinhalt gehörten, die daher auch von verschiedener geographischer Valenz war, so daß die „Ortsmundart" etwa zwischen der der Familie oder des Hauses und größerer Sprachlandschaften stand, wie inzwischen doch auch für die mittelalterliche Relation Dialekt — Hochsprache erwiesen ist. Raumer hatte das alles ja schon vor mehr als hundert Jahren weithin gesehen und ausgesprochen. Vom Deutschen Spracharchiv sind inzwischen über 6000 Tonbänder freier Unterhaltung der deutschen Umgangssprache und der deutschen Mundarten aufgenommen worden, und zwar seit 1955 Vertreter von drei Generationen in jedem Aufnahmeort 1 . 1
Wenn inzwischen auch deutsche Dialektologen die Altersschichtung innerhalb der Ortsmundarten zu beachten beginnen, vergessen sie allerdings, wer sie dazu an Ort und Stelle angeleitet hat, z . B . H. Wesche: Das heutige Plattdeutsch und seine Entwicklungstendenzen und -möglichheiten. Niederdeutsches Jahrbuch Jg. 1962 Bd. 85, S. 151 —181.
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Sodann mußten Texte von diesen Aufnahmen bereitgestellt werden 1 , an denen die weiteren syntaktischen, morphologischen und phonologisch-phonetisehen Untersuchungen durchgeführt werden konnten. Ein erster Katalog von mehr als 1300 solcher Texte befindet sich z. Z. im Druck 2 . Weiterhin waren auf der Grundlage der Prager, der Kopenhagener und der nordamerikanischen Phonologie und des Strukturalismus Prinzipien für die moderne Behandlung der deutschen Mundarten zu entwickeln 3 . Von wie entscheidender Bedeutung phonologisch-strukturalistische Gesichtspunkte gerade gegenüber den bisherigen Sprachatlas-Methoden sind, konnte Uriel Weinreich bereits vor zehn Jahren zeigen 4 , ohne daß die deutsche Dialektologie seine Forderungen befolgt oder seine Ergebnisse widerlegt hätte; sie hat sie nicht zur Kenntnis genommen: in der führenden deutschen „Zeitschrift für Mundartforschung" sind bisher zwei phonologische Aufsätze erschienen: von J . Fourquet 5 und von Byron J . Koekkoek 6 , die beide keine neueren deutschen, aber über zwanzig ausländische Autoren zitieren, von letzterem unter dem bezeichnenden Titel „Amerikanische Arbeiten zur Phonologie des Deutschen"! Zur Zeit werden an Texten von über 700 Tonbändern von der Tübinger Außenstelle des Deutschen Spracharchivs Untersuchungen durchgeführt, in denen strukturelle, phonologische und statistische Gesichtspunkte auf die deutschen Mundarten — zunächst des württembergisch-schwäbischen Gebiets — angewandt werden. 7 Hinsichtlich der seit Raumer geforderten Erforschung der Realisierung der deutschen Mundarten mußten zunächst zwei Irrtümer berichtigt werden, die die deutsche Dialektologie nicht nur bis zu Wrede, sondern — bei einigen Dialektologen — bis heute begleiten: erstens, daß die Phonetik „Lautforschung" sei und sich ihre Domäne also auf bestimmte Seiten der Sprachlaute beschränke, und zweitens, daß sie eine Naturwissenschaft sei und als solche die naturwissenschaftliche Basis für die linguistische Lautforschung abzugeben habe — oder auch nur abgeben könne. I m Grunde ist diese Auffassung schon seit Wintelers Dissertation nicht mehr haltbar. Durch die Phonometrie ist sie nicht nur im einzelnen widerlegt, sondern insofern geradezu auf den Kopf gestellt worden, als theoretisch und an großem Material nachgewiesen werden konnte, daß eine Segmentierung der physi1 Lautbibliothek der deutschen Mundarten Heft 1 — 35, Göttingen 1958 bis 1964; gewürdigt worden sind diese Texte deutscher Mundarten bisher ausschließlich im Ausland! 2 PHONAI Lautbibliothek der europäischen Sprachen und Mundarten. Deutsche Serie, Band 2, 1965. 3 W. W. Arndt: Ein Ansatz zur strukturellen Gliederung der deutschen Dialekte. Phonetica. Bd. 9 (1963) S. l f ; Levine und W. W. Arndt: Grundzüge moderner Sprachbeschreibung. PHONAI, Deutsche Serie Band 1, 1964. * Is a structural dialectology possible? Word Bd. 10 1954, S. 388. 5 Phonologie und Dialektologie. Ztsch. f. Maforschung 26. Jg. 1958, S. 161. 6 ebenda S. 42. 7 Sie erscheinen von 1965 ab in der neuen, vom Deutschen Spracharchiv herausgegebenen Schriftenreihe „Indiomatica", Verlag Niemeyer, Tübingen.
29*
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kalischen und physiologischen Kontinua ohne ihre Zuordnung zu den Diskreta der phonologisch-auditiven Lautklassen überhaupt nicht möglich ist 1 . Erst dadurch war es möglich, auch die mannigfachen statistischen Aspekte zu berücksichtigen, die die Linguistik und Dialektologie von ihren wissenschaftlichen Anfängen bis heut praktisch ungelöst begleiten 8 und dadurch den Schallträger erst zu der Quelle für die Mundartforschung zu machen, die er ohne diese Erörterungen nur bedingt ist. Auch hierin zeigt sich der Vorrang des Forschungszieles und der Methode, es zu erreichen, vor einem methodenindifferenten Objekt3. Die Bewältigung dieses großen Materials unter strukturell-phonologischen und statistischen Gesichtspunkten verlangt Entwicklung und Einsatz neuer Geräte zur elektronischen Datenverarbeitung. Nachdem die dazu notwendig gewesenen Vorarbeiten weitgehend abgeschlossen sind, ist mit dem Bau dieser Geräte durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und die Firma Telefunken in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Spracharchiv begonnen worden: Dabei wird es sich nicht mehr um Erforschung der „naturwissenschaftlichen" Seite der Sprachlaute, sondern der Realisierung der geltenden Normen der deutschen Mundarten handeln. Dies alles hält sich im Rahmen der von Georg von der Gabelentz und Ferdinand de Saussure geforderten einzelsprachlichen bzw. synchronen Forschung, die der historisch-geographischen, diachronen Forschung vorangehen muß. Um diese Aufgaben auch nur korrekt zu stellen und durch ihre Erfüllung den jüngsten Zweig der deutschen Dialektologie wachsen zu lassen, ist es nun freilich unerläßlich, die Schranken abzubauen, die die einzelnen Fachwissenschaften gerade in Deutschland so gern um sich herum errichten, ist also das erforderlich, was man daher auch in Deutschland am besten mit dem englischen Begriff teamwork bezeichnet. Ein so souveräner Kopf wie Georg von der Gabelentz hat das bereits vor mehr als 70 Jahren gesehen. „Wir leben", schrieb er 1891, „in einer Zeit der Monographien. Der Einzelne vergräbt sich zu gern ins Einzelne, verliert den Zusammenhang mit dem Ganzen und klagt dann, wenn er sich vereinsamt sieht. Es ist entweder beschränkter Dünkel oder zimpferliche Scheu vor Dilettanterei, wenn man den Verkehr mit den Nachbarwissenschaften ablehnt." Es ist kaum zweifelhaft, daß dieser Verzicht auf Zusammenarbeit, die allein die großen anstehenden Aufgaben zu bewältigen erlaubt, auch mit dem in Deutschland beklagten Mangel an Nachwuchs auf dem Gebiet der Linguistik zusammenhängt: Dieser Mangel liegt sicher nicht an der Interesselosigkeit der jüngeren Generation für rein wissenschaftliche, linguistische Probleme, sondern an ihrem nicht unberechtigtem Unbehagen an der Aufarbeitung von Problemen auf Feldern, auf denen die Ernte durch die älteren Zweige und Epochen der Dialektologie großartig eingebracht worden ist. 1
E. Zwirner und K. Zwirner: Grundfragen der Phonometrie, 2. Aufl. Basel—New York 1965. E. Zwirner: Lebende Sprache. Beitrag zu ihrer Theorie und zur Methodik ihrer Erforschung. Studium Generale 15. Jg. 1962, S. 14. 3 E. Zwirner: System, der Sprachen und System der Wissenschaften a. a. O. 2
Inhaltsverzeichnis
Wolfgang Steinitz zum 60. Geburtstag von Wilhelm Wissmann, München
1
Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Steinitz zusammengestellt von Hans-Joachim Schädlich, Berlin, und einem Mitarbeiterkreis
3
Beiträge zur Sprachwissenschaft, Volkskunde und Literaturforschung Paul Ariste, Tallinn Hebräische Wörter im Estnischen
31
Robert Austerlitz, Columbia University Zur Statistik und Morphonologie der finnischen Konjugationstypen . . . .
39
Manfred Bierwisch, Berlin Über die Rolle der Semantik bei grammatischen Beschreibungen
44
P. G. Bogatyrev, Moskau Ausrufe von Austrägern und wandernden Handwerkern als Reklamezeichen
61
Marcel Cohen, Paris Synchronie?
74
Ernst Emsheimer, Stockholm Ein finno-ugrischer Flötentypus?
78
Wilfried Fiedler, Berlin . Zum Genus im Albanischen
87
David R. Fokos-Fuchs, Budapest Die Türam-Mutter der Irtysch-Ostjaken — Zusammensetzung oder Parallelismus? 103 Jean Fourquet, Paris La „grande lacune". — Comment la réduire?
108
Wilhelm Fraenger f Eine medizinische Allegorie Jörg Ratgebs
116
Gerhard Ganschow, Hamburg Die kopulativen Verbindungen in den von W. Steinitz aufgezeichneten Prosatexten des Serkal-Ostjakischen 119
454
Inhalt
Péter Hajdu, Szeged Morphologische Beiträge zur Kenntnis der samojedischen Sprachen . . . .
128
Bohuslav Havrânek, Praha Die verba impersonalia der Naturerscheinungen und ihr stilistischer W e r t . . 134 György Hazai, Budapest-Berlin Urkunde des Friedensvertrages zwischen König Matthias Corvinus und dem türkischen Sultan 1488 141 Jiri Horäk, Praha Humor, Witz und Satire im slowakischen Volkslied
146
Karel Horälek, Praha Einige Bemerkungen zur Theorie des Märchens
157
A. V. Isaöenko, Berlin-Olomouc Kontextbedingte Ellipse und Pronominalisierung im Deutschen
163
Roman Jakobson, Harvard University — Massachusetts Institute of Technology Der grammatische Bau des Gedichts von B. Brecht „Wir sind sie" 175 Béla Kaiman, Debrecen Etymologisches aus dem Gebiete der ugrischen Sprachen
190
Vladimir Karbusicky, Praha Über die Beziehungen zwischen der älteren tschechischen und der germanischen Epik 197 Paul Kârpâti / Béla Szent-Ivànyi / Andor Tarnai, Berlin Das Stammbuch von Michael Rotarides
214
Julian Krzyzanowski, Warszawa Samuel Adalbergs Werk
231
Jerzy Kurylowicz, Krakow Zur Vorgeschichte des germanischen Verbalsystems
242
Matti Liimola, Helsinki Wogulische Etymologien
248
John Lötz, Columbia University The Corono-Prepalatal Voiceless Fricatives in Hungarian
252
B . H . JIHTKHH, M o c K B a
Bonpocu
AKIJEHTYAI;HH n e p M C K H X HSHKOB
.
Wolfgang Mötsch / Renate Schädlich, Berlin Die Grundstruktur schwedischer Verbalphrasen
257 266
Paul Nedo, Leipzig Die Bedeutung von Schrift und Schrifttum für die sorbische Volksdichtung im Spätfeudalismus 281 J. Németh, Budapest Ein ungarisches Lehnwort in Byzanz im 10. Jahrhundert
291
Emil öhmann, Helsinki Hyperkorrekter Umlaut im Deutschen
295
Inhalt
455
Gyula Ortutay, Budapest Einige Bemerkungen zur Dichtung der ungarischen Arbeiterklasse
298
Will-Erich Peuckert, Darmstadt-Mühlthal Mittagszeit
304
Mihai Pop, Bucureçti Bräuche, Gesang und Spiel zu Neujahr in der heutigen rumänischen Folklore. 314 M. Alexandre Rosetti, Bucureçti A propos du son-type et du phonème
322
Walter Kuben, Berlin Dilip Kumar Roy „The Upward Spiral" (1949) und F. M. Dostojewski „Die Brüder Karamasow" (1879/80) 324 Rudolf Rûïifika, Leipzig Zur Präzisierung und zum Begriff der Passivtransformation im Russischen . 334 Gert Sauer, Berlin Zur Suffigierung einiger syrjänischer Lehnwörter im Ostjakischen
340
Hans-Joachim Schädlich, Berlin Über „terminale" Intonation im Deutschen
344
Wolfgang Schlachter, München Der Gebrauch des Duals im Mal&lappischen
354
Eugen Seidel, Berlin Zur Problematik des Sprachbundes
372
B . A . CepeßpeHHHKOB, MocKBa 0 6 OTHOCHTeJIbHOÖ X p O H O J I O r H H n O H B J i e H H H H e K O T O p b l X r p a M M a T H H e C K H X (Jtop-M
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382
Viktor Schirmunski, Leningrad Syntaktischer Parallelismus und rhythmische Bindung im alttürkischen epischen Vers 387 Friedrich Sieber, Dresden „Penaten" um den Bergmann in frühhumanistischer Darstellung
402
Kustaa Vilkuna, Helsinki Der finnisch-estnische Schultheiß kupias, kubjas
410
Ingeborg Weber-Kellermann, Marburg/Lahn Probleme der interethnischen Beziehungen am Beispiel des Volksliedbestandes in einem deutsch-ungarischen Dorf 418 Bo Wickman, Uppsala Ein lappischer Umlautfall und seine Bedeutung für die lappische Vokalgeschichte 424 Eduard Winter, Berlin Nachrichten schwedischer Kriegsgefangener über die Ostjaken
432
Eberhard Zwirner, Münster Zur zweiten Epoche der deutschen Mundartforschung
438
Finnisch-ugrische Studien Herausgegeben von Band i
WOLFGANG STEINITZ
WOLFGANQ STEINITZ
: Geschichte des ostjakischen Vokalismus
1950. VIII, 138 S. - gr. 8° - Halbleinen 1 9 , - MDN
Band 2
WOLFGANG STEINITZ
: Geschichte des wogulischen Vokalismus
1955. XII, 366 S. - 1 Karte - 1 Taf. -
Band
3
WOLFGANG SCHLÄCHTER:
i960. 243 S. -
Band 4
gr. 8° - 3 9 , - MÜHT
Studien zum Possessivsuffix des Syijänischen
gr. 8° - 3 6 , - MDN
WOLFGANG STEINITZ:
Geschichte des finnisch-ugrischen Vokalismus
2., mit einem Anhang und Wortregistern erweiterte Auflage 1964. VIII, 177 S. — gr. 8° — 42,80 MDN
WOLFGANG
STEINITZ
Ostjakische Volksdichtung und Erzählungen Aus zwei Dialekten 1. Teil. 1939. XIII, 460 Seiten - gr. 8° - MDN 2 1 , (Commentationea Litterarum Societatis Esthonicao X X X I )
Auslieferung jetzt vom Akademie-Verlag
Bussische Lautlehre 5. unveränderte Auflage 1964. X, 90 Seiten - 8 Abbildungen - 1 Tabelle - gr. 8° - Halbleinen - MDN 5,50
Die 1953 erschienene „Russische Lautlehre" von Prof. Wolfgang Steinitz, die von slawistischer •wie von pädagogischer Seite im In- und Ausland sehr positiv aufgenommen wurde, liegt nunmehr in fünfter Auflage vor. Das Buch ist in erster Linie für Russischlehrer und Studenten der Slawistik bestimmt, durch seine Darstellung der allgemeinen Phonetik aber auch für sprachwissenschaftlich Interessierte wichtig.
Bettellungen
durch eine Buchhandlung
AKADEMIE-VERLAG
•
erbeten
BERLIN
Studia Grammatica Herausgegeben von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Arbeitsstelle Strukturelle Grammatik I
II
2., durchgesehene Auflage 1965. 114 S. - gr. 8° - 11,20 MDN
Grammatik des deutschen Verbs v o n MANFRED BIERWISCH
2., durchgesehene Auflage 1965. V, 188 S. - gr. 8° - 1 2 , - MDN
III
Syntax des deutschen Adjektivs v o n WOLFGANG MÖTSCH
2., durchgesehene Auflage 1965. IV, 141 S. - gr. 8° - 9,50 MDN
IV
Die zusammengesetzten Sätze des Deutschen v o n W o L F D i E T R i c n HÄUTUNG
1964. III, 220 S. - gr. 8° - 1 1 , - MDN In Vorbereitung
befinden
sich
V
Syntaktische Studien
VI
Syntax des Adverbs von
VII
Untersuchungen über die deutsche Satzintonation
R E N A T E SCHÄDLICH
v o n A L E X A N D E R V . ISAÖENKO u n d H A N S - J O A C H I M SCHÄDLICH
VIII
Nominalgruppenstruktur und Wortstellung im Deutschen v o n KARL-ERICH HEIDOLPH
IX
Phonologische Studien
Veröffentlichungen der Sprachwissenschaftlichen Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1
ERNST LEWY:
Kleine Schriften
1961. XVI, 760 S. - 1 Titelbild - gr. 8° - Ganzleinen 9 8 , - MDN 2
R E N A T E B A U D I J S C H - W A L K E S : Klopstock als Sprachwissenschaftler und Orthographiereformer — Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Grammatik im 18. Jahrhundert
1958. 274 S. - 1 zweiseitige Kunstdrucktaf. - gr. 8° - 2 5 , - MDN
3
E R I K A I S I N G : Wolfgang Ratkes Schriften zur deutschen Grammatik (1612—1630). Teil I: Abhandlungen. Teil II: Textausgabe
1959. XVI, 451 S. - 3 Kunstdrucktaf. - gr. 8° - 3 9 , - MDN
4
ELFRIEDE ADELBERG:
schen
Die Sätze des Typus ,1h bin ez Ioseph' im Mittelhochdeut-
1960. 231 S. - gr. 8° - 2 8 , - MDN
5
vorliegender Band Bestellungen bzw. Vorbestellungen durch eine Buchhandlung erbeten
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BERLIN